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German Pages 380 [413] Year 2020
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 436 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann
Sebastian Breder
Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren
Mohr Siebeck
Sebastian Breder, geboren 1986; Studium der Rechtswissenschaften in München und Oxford; Referendariat in München und Paris; Promotionsstipendiat am Max-Planck-Institut in Luxemburg; 2019 Promotion; seit 2014 Rechtsanwalt. orcid.org/0000-0003-1399-2179
ISBN 978-3-16-159081-8 / eISBN 978-3-16-159082-5 DOI 10.1628/978-3-16-159082-5 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungs beständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 von der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im November 2018 abgeschlossen. Rechtsprechung und Literatur konnten weitestgehend noch bis August 2019 berücksichtigt werden. Nicht mehr berücksichtigt wurde das BGH‑Urteil vom 17.10.2019 – III ZR 42/19. Darin entschied der BGH, dass nach deutschem Recht die Vereinbarung eines inländischen Gerichtsstands eine vertragliche Verpflichtung begründen kann, Klagen nur an diesem Gerichtsstand zu erheben. Verletzt eine Vertragspartei schuldhaft diese Verpflichtung durch eine Klage vor einem US‑amerikanischen Gericht, das sich für unzuständig erklärt und nach der American rule of costs keine Kostenerstattung anordnet, ist die pflichtwidrig handelnde Partei gemäß § 280 Abs. 1 BGB verpflichtet, der anderen Partei die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung zu ersetzen. Diese Rechtsprechung zu Gerichtsstandsabreden wird man auf Schiedsabreden übertragen können. Dass im beschriebenen Szenario dem Grunde nach ein vertraglicher Schadensersatzanspruch besteht, wurde in dieser Dissertation aber ohnehin angenommen. Zudem betraf der vom BGH entschiedene Fall einen DrittstaatenSachverhalt und damit gerade nicht die in dieser Arbeit untersuchte Schnittstelle zur Brüssel Ia-VO. Lediglich in einem obiter dictum führte der BGH an, die Brüssel Ia-VO werde durch den Schadensersatz-Zuspruch jedenfalls dann nicht verletzt, wenn das derogierte Gericht die Zuständigkeitsabrede ebenfalls als wirksam erkannt und die eigene Zuständigkeit verneint hat. Auch das deckt sich aber mit der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht. Zu der eigentlich brisanten Konstellation, in der das derogierte Gericht die Zuständigkeitsabrede als unwirksam oder unanwendbar angesehen, die eigene Zuständigkeit bejaht und in der Sache widersprüchlich zum prorogierten Gericht entschieden hat, lässt sich der BGH‑Entscheidung nichts entnehmen. Das Verhältnis der Brüssel Ia-VO zur Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren habe ich in dieser Dissertation nicht nur aus deutscher und französischer, sondern auch aus britischer Perspektive untersucht. Dabei habe ich das Vereinigte Königreich als Mitgliedstaat der EU behandelt, in dem die Brüssel Ia-VO Anwendung findet. Am 23. Juni 2016 stimmte die Mehrheit der britischen Wähler per Referendum für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Dieser wird voraussichtlich zum 31. Januar 2020 vollzogen. Allerdings
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Vorwort
sieht das aktuelle Austrittsabkommen zunächst einen – möglicherweise mehrjährigen – Übergangszeitraum vor, in dem die Brüssel Ia-VO im Vereinigten Königreich unverändert Anwendung findet. Während dieses Zeitraums soll das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich verhandelt werden. Von dessen Ausgestaltung, die aktuell noch nicht absehbar ist, hängt entscheidend ab, welche Auswirkungen der Brexit auf die Geltung der Brüssel Ia-VO im Vereinigten Königreich und auf die in dieser Arbeit untersuchte britische Perspektive haben wird. Mein tief empfundener Dank gebührt allen, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Ganz besonderer Dank gebührt dabei meiner Doktormutter, Professor Dr. Dr. h. c. Dagmar Coester-Waltjen, LL.M. Sie hat mich begleitet und gefördert – vom Grundkurs BGB, über den Willem C. Vis Moot Court in Hong Kong und Wien, mein Auslandsstudium an der Universität Oxford, den Schwerpunkt im Internationalen, Europäischen und Ausländischen Privat- und Verfahrensrecht, bis hin zu dieser Dissertation. Ihren Einsatz, nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die studentischen Belange, habe ich dabei stets als herausragend empfunden. Prof. Dr. Joachim Münch danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens, das ich mit Freude gelesen habe. Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Lipp hat dankenswerter Weise bei der Doktorprüfung den Vorsitz übernommen. Prof. Dr. Dres. h. c. Burkhard Hess danke ich für die Auszeichnung und großzügige Förderung als Max-Planck-Stipendiat, die mir einen Forschungsaufenthalt am Max Planck Institute Luxembourg for International, European and Regulatory Procedural Law in der Nachbarschaft des EuGH ermöglicht hat. Es kann für die Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit kaum ein anregenderes, produktiveres und angenehmeres Arbeitsumfeld geben. Ferner bin ich Prof. Dr. Josef Drexl, LL.M. zu Dank verpflichtet, weil er es mir ermöglicht hat, nach meiner Rückkehr nach München die schier endlosen Ressourcen des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb zu nutzen. Der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit danke ich für die großzügige Förderung im Rahmen eines Promotionsstipendiums. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg, Prof. Dr. Dr. h. c. Holger Fleischer, LL.M., Dipl.‑Kfm., Prof. Dr. Ralf Michaels, LL.M. und Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Reinhard Zimmermann, bin ich dankbar für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Schriftenreihe. Letzterem danke ich auch für die Auszeichnung einer früheren Studienarbeit mit dem ZEuP‑Preis, die mich darin bestärkt hat, dieses Promo tionsvorhaben anzugehen. Prof. Dr. Klaus Sachs danke ich, dass er seit meiner Teilnahme am Willem C. Vis Moot Court meine Begeisterung für die Schiedsgerichtsbarkeit gefördert hat. Ihm, ebenso wie Prof. Dr. Christophe Seraglini, LL.M., danke ich zudem für die wertvollen und anregenden Gespräche zu dieser Untersuchung.
Vorwort
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Sara Dietz, Dr. Bernd Fluck, Wolf-Dieter Zorn und in ganz besonderem Maße Aron Leimbach bin ich dankbar für ihre akribische und hilfreiche Durchsicht des Manuskripts. Es gibt noch einige weitere Personen, die auf unterschiedliche Art und Weise zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Hervorheben möchte ich meine wundervolle Freundin Nane, für ihre unglaubliche Geduld und liebevolle Unterstützung. Von ganzem Herzen danke ich schließlich meiner Familie, die zu jeder Zeit bedingungslos an mich geglaubt hat. Allen voran meinen Eltern, für ihre unendliche und selbstlose Unterstützung. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Frankfurt am Main, im Dezember 2019
Sebastian Breder
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII
Teil 1: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 A. Grenz- und gerichtsbarkeitsübergreifende Parallelverfahren in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 B. Gegenstand und Methodik der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6
Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote . . . . . . . . . . . . . . .7 A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8 B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46 C. Anti-enforcement injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden . .95 D. Anti-arbitration- und anti-enforcement injunctions gegen die Durchsetzung von Schiedsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 E. Wechselseitige Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote . . . . . . . . .104 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106
Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . .109 A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .109 B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .136 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .154
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Inhaltsübersicht
Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .157 A. B. C. D.
Nur das Gerichtsurteil liegt vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .158 Nur der Schiedsspruch liegt vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .179 Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor . . . . . . . . . . . . . . . . .185 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .240
Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung . 243 A. B. C. D.
Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .244 Schiedsrichterlicher Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .259 Mitgliedstaatlicher Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .321 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .325
Teil 6: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .329 Verzeichnis der zitierten Rechtstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .335 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .339 Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .353 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .359 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .377
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII
Teil 1: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 A. Grenz- und gerichtsbarkeitsübergreifende Parallelverfahren in der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 I. Situation, Motive, Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 II. Rechtspolitisches Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2 III. Unzureichende positivrechtliche Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .3
B. Gegenstand und Methodik der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6
Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote . . . . . . . . . . . . . . .7 A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8 Die West Tankers-Entscheidung des EuGH zur Brüssel I‑VO . . . . . . . . . . .12 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12 2. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .13 II. Fortbestand der West Tankers-Entscheidung unter der neuen Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .15 1. Auslegungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .16 a) Art. 1 Abs. 2 lit. d und Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . 16 b) ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .17 2. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 a) Entstehung der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 aa) Heidelberg-Bericht, September 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .19 bb) West Tankers-Entscheidung, Februar 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . .21 cc) Grünbuch der Kommission, April 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .25 dd) Kommissionsvorschlag, Dezember 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26 I.
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Inhaltsverzeichnis
ee) Entwurf der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments, Juni 2011 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .27 ff) Diskussion im Rat der Europäischen Union, Februar 2011 bis Juli 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29 gg) Verabschiedung der Neufassung, Dezember 2012 . . . . . . . . . . . .34 b) Rückschlüsse auf den Willen des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . .34 3. Grammatikalische und systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35 a) ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .35 aa) Bestätigung der West Tankers-Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . .35 bb) Abkehr von der West Tankers-Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . .36 (1) Konflikt von ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO mit der Annahme einer aus der Verordnung resultierenden Befugnis zur Prüfung der Schiedseinrede? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36 (2) Anti-suit injunctions als Form der „Verweisung auf die Schiedsgerichtsbarkeit“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 b) ErwGr. 12 Abs. 2 und Abs. 3 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 aa) Ansicht von GA Wathelet in der Rechtssache Gazprom . . . . . . . .37 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38 (1) Keine Aussage des ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO über die Anwendbarkeit der Zuständigkeitsregeln . . . . . . . . .38 (2) Trugschluss der Komposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .39 c) ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 d) Sonstige Veränderungen des Brüssel-Systems mit potentiellen Auswirkungen auf den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz . . . . . .40 aa) Durchbrechung des Prioritätsprinzips in Art. 31 Abs. 2 und 3 Brüssel Ia‑VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41 bb) Abschaffung des Exequaturverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43 4. Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .44 5. Zusammenschau der Auslegungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .45
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46 Die Gazprom-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .46 2. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .48 3. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49 II. Durchsetzung im Gerichtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51 1. Potentielle Anerkennungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .51 2. Anerkennungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53 a) Qualifikation der schiedsrichterlichen anti-suit injunction als Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54 aa) Entscheidung über den Rechtsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54 I.
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bb) Endgültige Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .58 (1) Final injunctions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .60 (2) Interlocutory injunctions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .61 (3) Temporary but final injunctions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .62 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .63 b) Einwand der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts, Art. V Abs. 1 lit. a, Abs. 1 lit. c, Abs. 2 lit. a NYK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 aa) Prüfungskompetenz auch im Hinblick auf die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für den Rechtsstreit in der Hauptsache . . . . .63 bb) Verortung im ordre public-Vorbehalt, Art. V Abs. 2 lit. b NYK . .64 cc) Verbleibender Mehrwert der Berufung auf eine schiedsrichterliche anti-suit injunction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .66 c) Einwand der öffentlichen Ordnung, Art. V Abs. 2 lit. b NYK . . . . . . .68 aa) Bewertung staatlicher anti-suit injunctions in Deutschland, England und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Bewertung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch litauische Gerichte im Fall Gazprom . . . . . . . . . . . . . . . . . .70 cc) Einschätzung zur Bewertung schiedsrichterlicher anti-suit injunctions in Deutschland, England und Frankreich . . . . . . . . . .71 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .72 III. Durchsetzung im Schiedsstaat oder in einem dritten Mitgliedstaat . . . . . . .73 1. Angriff auf das staatliche Parallelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .74 a) Nach autonomem Recht in Betracht kommende Zwangsmittel . . . . . .74 aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .74 bb) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75 cc) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .77 b) Vereinbarkeit mit der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .77 aa) Einordnung der Konstellation in die Rechtsprechung des EuGH . 78 bb) Vergleichbarkeit der Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction mit dem Erlass einer englischen anti-suit injunction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .78 c) Pflicht zur Versagung der Vollstreckbarerklärung wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung in ihrer unionsrechtlichen Dimension . . . . .81 aa) Konzeption des Gerichtshofs von einer unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .83 bb) Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .84 (1) Ansicht von GA Wathelet in der Rechtssache Gazprom . . . . .84 (2) Unionsrechtlicher Vertrauensgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . .84 (3) Recht auf Zugang zu den nach der Brüssel Ia-VO angerufenen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .86 (4) Bedenken wegen Art. 1 Abs. 1 lit. d, 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .86 (a) Rechtsprechung des EuGH und Stellungnahme . . . . . . . .87 (b) Abstrakter oder konkreter Vorrang der NYK? . . . . . . . . . .88
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(c) Verletzung der NYK durch die Versagung der Vollstreckbarerklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .89 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .90 2. Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .90 a) Entscheidungskollision zwischen schiedsrichterlicher anti-suit injunction und staatlichem Parallelurteil, Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .90 b) Bewusste Missachtung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction als ordre public-Verletzung, Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .92 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .93 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .93
C. Anti-enforcement injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden . .95 I.
Erlass durch mitgliedstaatliche Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Neupositionierung englischer Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .96 2. Vereinbarkeit mit der Brüssel Ia-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .97 a) Literaturansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .97 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .98 II. Erlass durch Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .99
D. Anti-arbitration- und anti-enforcement injunctions gegen die Durchsetzung von Schiedsabreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 E. Wechselseitige Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote . . . . . . . . .104 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106
Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . .109 A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .109 I.
Isoliertes Feststellungsverfahren über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede vor den Gerichten des Schiedsstaats bzw. eines dritten Mitgliedstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .109 1. Zulässigkeit des Antrags und Rechtskraft der Entscheidung im Inland nach einzelstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .110 a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .110 b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .112 c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115 2. Einsatz der Rechtskraft der Feststellungsentscheidung im Gerichtsstaat zur Unterbindung des staatlichen Parallelverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . .115 a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .116
Inhaltsverzeichnis
XVII
b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .119 aa) Sachentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .120 bb) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .121 cc) Eingreifen von s. 32 Act 1982? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .122 dd) Verletzung der öffentlichen Ordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .123 (1) Entscheidungskollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .123 (2) Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .124 c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .125 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .126 3. Einsatz der Rechtskraft der Feststellungsentscheidung im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten zur Verteidigung gegen das staatliche Parallelurteil in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127 a) Unvereinbarkeit des Hauptsacheurteils mit der isolierten Feststellung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts, Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127 b) Ordre public-Verletzung, Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO? . . . . . . .129 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .130 4. Vereinbarkeit der isolierten Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten mit der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . .130 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .133 II. Schiedsverfahren in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .134 1. Zwischenentscheid des Schiedsgerichts über die eigene Zuständigkeit . . 134 2. Inzidente Entscheidung des Schiedsgerichts über die eigene Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .136
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .136 I.
Isoliertes Feststellungsverfahren vor Gerichten im Gerichtsstaat über die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung . . . . .136 1. Zulässigkeit des Antrags und Rechtskraft der Entscheidung im Inland nach einzelstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .137 a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .137 b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .138 c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .139 2. Einsatz der Rechtskraft der Feststellungsentscheidung im Schiedsstaat zur Unterbindung des Schiedsverfahrens in der Hauptsache . . . . . . . . . .139 3. Einsatz der Rechtskraft der Feststellungsentscheidung im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten zur Verteidigung gegen den Schiedsspruch in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .140 4. Vereinbarkeit der isolierten Feststellung der Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung durch Gerichte des Gerichtsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten mit der Brüssel Ia-VO . . . . .141 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .141
XVIII
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II. Gerichtsverfahren in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .142 1. Zurückweisung der Schiedseinrede durch das staatliche Parallelgericht per Zwischenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .143 a) Zulässigkeit und Rechtskraft der Zurückweisung der Schiedseinrede per Zwischenentscheidung im Inland nach einzelstaatlichem Recht . . 143 aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .143 bb) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .144 cc) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .144 b) Einsatz der Rechtskraft der Zwischenentscheidung im Schiedsstaat zur Unterbindung des Schiedsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .145 aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .145 bb) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .146 cc) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .146 c) Einsatz der Rechtskraft der Zwischenentscheidung im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten zur Verteidigung gegen den Schiedsspruch in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .147 2. Inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede im staatlichen Hauptsacheurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .147 a) Zulässigkeit und Rechtskraft der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede im Inland nach einzelstaatlichem Recht . . . . . . . . . . .148 aa) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .148 bb) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .148 cc) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .149 b) Einsatz der Rechtskraft der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede im Schiedsstaat zur Unterbindung des Schiedsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .149 aa) Einschlägiges Anerkennungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .149 (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .149 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .150 (a) Die Anerkennung der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede beurteilt sich nach einzelstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .150 (b) Eine Versagung der Anerkennung des Hauptsacheurteils bezüglich der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede schlägt nicht auf die Pflicht nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zur Anerkennung der Entscheidung im Übrigen durch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .152 bb) Einzelstaatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .153 c) Einsatz der Rechtskraft der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede zur Verteidigung im Gerichtsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten gegen den Schiedsspruch in der Hauptsache . . . . . . .154
C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .154
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XIX
Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .157 A. Nur das Gerichtsurteil liegt vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .158 I.
Pflicht der anderen Mitgliedstaaten nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zur Anerkennung des Gerichtsurteils trotz Missachtung der Schiedsabrede 158 1. Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .158 2. Grundlage für eine Anerkennungsversagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .160 a) Relevanz von Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .161 b) Ordre public-Vorbehalt, Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO . . . . . . . . .162 aa) Die Missachtung der Schiedsabrede und das Nachprüfungsverbot gemäß Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . .162 (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .163 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .164 bb) Pflicht der Vertragsstaaten nach Art. II NYK, dem Gerichtsurteil die Anerkennung zu versagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .166 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .168 (a) Potentieller Anwendungsbereich des Ansatzes . . . . . . . . .168 (b) Auslegung von Art. II NYK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .168 (c) Argumente der Gegenansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .171 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .175 II. Konsequenz für das schiedsrichterliche Parallelverfahren . . . . . . . . . . . . . .175 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .175 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .177 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .178
B. Nur der Schiedsspruch liegt vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .179 I.
Kompetenz der anderen Mitgliedstaaten zur Nachprüfung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts, Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .181 II. Möglichkeit der Umgehung der Nachprüfungskompetenz durch Inkorporation des Schiedsspruchs in ein Urteil gemäß s. 66(2) AA 1996? . . 182 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .185
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor . . . . . . . . . . . . . . . . .185 I. Relevanz von Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO . . . . . . .186 II. Schiedsspruch ist zuerst ergangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .187 1. Perspektive Schiedsstaat: Versagung der Anerkennung des Gerichtsurteils aus einem anderen Mitgliedstaat wegen Unvereinbarkeit mit inländischem Schiedsspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . .187 a) Unmittelbare Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO? . . .188
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aa) Schiedsspruch als potentiell anerkennungshindernde Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .188 (1) Erfordernis der sachlichen Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO auf die potentiell anerkennungshindernde Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .189 (2) Erfordernis der Staatlichkeit der potentiell anerkennungshindernden Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . .190 bb) Vollstreckbarerklärung bzw. judgment in terms of the award nach s. 66(2) AA 1996 als potentiell anerkennungshindernde Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .192 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .196 b) Analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c oder lit. d Brüssel Ia-VO auf inländische Schiedssprüche? . . . . . . . . . . . . . . . . .197 aa) Rückschlüsse aus der Unanwendbarkeit der Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO auf den Konflikt zwischen mitgliedstaatlichem Verfahren und Schiedsverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .198 bb) Entgegenstehen rechtspolitischer Einwände gegen die Privilegierung inländischer Judikate nach Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .198 cc) Vergleichbarkeit der Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .199 (1) Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .199 (2) Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .200 dd) Planwidrigkeit der Regelungslücke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .201 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .202 c) Ordre public-Vorbehalt nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO im Fall der Unvereinbarkeit des anzuerkennenden Gerichtsurteils mit einem inländischen Schiedsspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .202 aa) Möglichkeit des Rückgriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .203 bb) Offensichtliche Verletzung der öffentlichen Ordnung im Fall der Unvereinbarkeit zweier rechtskräftiger, in derselben Sache ergangener Rechtsfolgenaussprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .204 cc) Auflösung der Entscheidungskollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207 (1) Denkbare Ansätze für die Auflösung der Entscheidungskollision und ihre rechtspolitische Bewertung . 207 (a) Unbedingter Vorrang von (inländischen) Schiedssprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207 (b) Last-in-time rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207 (c) Unbedingter Vorrang von Gerichtsentscheidungen . . . . . .208 (d) Grundsatz der zeitlichen Priorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209 (2) Vereinbarkeit der Ansätze mit Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO entsprechend als unionsautonome Grenze . . .211 (3) Bestimmung des Ansatzes im Übrigen nach dem Verhältnis der Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtentscheidungen im einzelstaatlichen Recht . . . . . . . . .212
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(a) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .213 (b) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .217 (c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .218 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .219 2. Perspektive dritter Mitgliedstaat: Versagung der Anerkennung des Gerichtsurteils aus einem anderen Mitgliedstaat wegen Unvereinbarkeit mit ausländischem Schiedsspruch . . . . . . . . . . . . . . . . .220 a) Vorgaben für die Auflösung der Entscheidungskollision . . . . . . . . . . .221 aa) Vorgaben der NYK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .221 bb) Vorgaben der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .222 (1) Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO . . . .222 (2) Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO entsprechend als unionsautonome Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .222 b) Bestimmung des Ansatzes für die Auflösung der Entscheidungskollision im Übrigen nach dem Verhältnis der Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsentscheidungen im einzelstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .223 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .225 3. Perspektive Gerichtsstaat: Versagung der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit inländischem Gerichtsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .226 III. Gerichtsurteil ist zuerst ergangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .228 1. Perspektive dritter Mitgliedstaat: Versagung der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit Gerichtsurteil aus einem anderen Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .228 a) Undurchführbarkeit der Schiedsvereinbarung, Art. V Abs. 1 lit. a NYK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .229 b) Ordre public-Verletzung, Art V. Abs. 2 lit. b NYK . . . . . . . . . . . . . . . .230 aa) Möglichkeit eines Rückgriffs auf Art V. Abs. 2 lit. b NYK bei Entscheidungskollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .230 (1) Schweigen der NYK zur Behandlung von Entscheidungskollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .231 (2) Traveaux Préperatoires der NYK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .233 bb) Verletzung der öffentlichen Ordnung im Fall der Unvereinbarkeit zweier rechtskräftiger, in derselben Sache ergangener Rechtsfolgenaussprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .233 cc) Vorgaben für die Auflösung der Kollision des ausländischen Schiedsspruchs i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK mit dem Gerichtsurteil aus einem anderen Mitgliedstaat i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .234 (1) Durchschlag von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO entsprechend als unionsautonome Grenze im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .234
XXII
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(2) Verhältnis der Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen im einzelstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . .235 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .236 2. Perspektive Schiedsstaat: Anerkennung des Gerichtsurteils aus einem anderen Mitgliedstaat, mit dem ein später ergangener inländischer Schiedsspruch unvereinbar ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .237 3. Perspektive Gerichtsstaat: Versagung der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit inländischem Gerichtsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .238 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .239
D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .240
Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung . 243 A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .244 I.
Haftung nach einzelstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .244 1. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .245 2. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .247 3. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .251 II. Zuständigkeit und anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .252 III. Bestandsaufnahme zur Vereinbarkeit einer Schadensersatzhaftung wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung mit dem Brüssel-System . . . . .254 1. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .254 2. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .257
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .259 I.
Zuerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .260 1. Keine unmittelbare Einwirkung des Brüssel-Systems . . . . . . . . . . . . . . .260 2. Mittelbare Einwirkung des Brüssel-Systems über die gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckte res iudicata-Wirkung des staatlichen Parallelurteils . . . . . . . . . . . . . . . . .260 a) Fall 1: Parallelgericht hat die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261 aa) In der Hauptsache ist vor dem staatlichen Parallelurteil ein Schiedsspruch ergangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261 bb) In der Hauptsache ist vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .261 (1) Keine Bindung im Schiedsverfahren an die Zurückweisung der Schiedseinrede durch das Parallelgericht . . . . . . . . . . . . .263 (2) Bindung im Schiedsverfahren an die Entscheidung des Parallelgerichts in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .263 (a) Vorgreiflichkeit der staatlichen Hauptsache-Entscheidung für die Ersatzfähigkeit
Inhaltsverzeichnis
XXIII
der Sachentscheidungsdifferenz: Die gespaltene Rechtsprechung englischer Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . .264 (b) Argumente im Schrifttum gegen die Vorgreiflichkeit der staatlichen Hauptsache-Entscheidung . . . . . . . . . . . . .266 (c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .267 (3) Bindung im Schiedsverfahren an die Entscheidung des Parallelgerichts über den prozessualen Kostenerstattungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .269 (a) Einschränkung der Wirkungserstreckung bei Kostenentscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .270 (b) Wirkung einer deutschen Kostenentscheidung . . . . . . . . .271 (c) Wirkung einer englischen Kostenentscheidung . . . . . . . . .274 (d) Wirkung einer französischen Kostenentscheidung . . . . . .275 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .276 b) Fall 2: Parallelgericht hat der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen . . . . . . . . . .277 c) Fall 3: Parallelverfahren läuft zur Zeit der Entscheidung des Schiedsgerichts über den Schadensersatzanspruch noch . . . . . . . . . . .278 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .279 II. Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .281 1. Im Gerichtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .281 a) Fall 1: Parallelgericht hat die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .281 aa) Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats und Bindung an die Zurückweisung der Schiedseinrede durch das inländische Parallelgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .282 bb) Unvereinbarkeit der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit dem inländischen Parallelurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 b) Fall 2: Parallelgericht hat der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen . . . . . . . . . .286 c) Fall 3: Parallelverfahren läuft zur Zeit der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs noch . . . .287 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .288 2. Im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .290 a) Fall 1: Parallelgericht hat die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .290 aa) In der Hauptsache ist vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .290 (1) Unvereinbarkeit der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit dem nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennenden und zu vollstreckenden Parallelurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .291
XXIV
Inhaltsverzeichnis
(a) Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .291 (b) Unvereinbarkeit der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit dem staatlichen Parallelurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .291 (c) Einzelstaatlicher ordre public-Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . .292 (d) Bedenken wegen Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . .293 (2) Übertragbarkeit des West Tankers-Verbots des Gerichtshofs .294 (a) Einordnung der Konstellation in die Rechtsprechung des EuGH zu anti-suit injunctions . . . . . . . . . . . . . . . . . . .294 (b) Vergleichbarkeit der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit dem Erlass einer englischen anti-suit injunction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .295 (c) Pflicht der Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten, die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung in seiner unionsrechtlichen Dimension zu versagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .302 (d) Bedenken wegen Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . .303 bb) In der Hauptsache ist vor dem staatlichen Parallelurteil ein Schiedsspruch ergangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .304 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .306 b) Fall 2: Parallelgericht hat der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen . . . . . . . . . .308 c) Fall 3: Parallelverfahren läuft zur Zeit der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs noch . . . .309 aa) Rechtsprechung englischer Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .310 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .313 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .315
C. Mitgliedstaatlicher Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .321 I.
Widerklage des Schiedsklägers vor dem staatlichen Parallelgericht auf Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede . . . . . . . . . . . . . . . . .321 1. Praktische Relevanz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .321 2. Entgegenstehen der Brüssel Ia-VO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .322 II. Antrag des Gerichtsklägers vor dem Parallelgericht auf Feststellung, dass kein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede besteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .323 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .324
D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .325
Inhaltsverzeichnis
XXV
Teil 6: Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .329 Verzeichnis der zitierten Rechtstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .335 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .339 Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .353 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .359 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .377
Abkürzungsverzeichnis ./. gegen 1ère civ. première chambre civile 2ème civ. deuxième chambre civile 3ième civ. troisième chambre civile a. A. andere Ansicht a. E. am Ende a. F. alte Fassung AA 1996 Arbitration Act 1996 ABl. EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ABl. EU Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz AC Appeal Cases AcP Archiv für die civilistische Praxis Act 1982 Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AktG Aktiengesetz All ER All England Law Reports Allocation of Arbitration High Court and County Courts (Allocation of Arbitration Proceedings Order 1996 Proceedings) Order 1996 Alt. Alternative Am. U. Bus. L. Rev. American University Business Law Review Anm. Anmerkung Arb Arbitration. The International Journal of Arbitration, Mediation and Dispute Management Arb. Int. Arbitration International Art. Artikel ASA Bull Official journal of the Association Suisse de l’Arbitrage (ASA) Aufl. Auflage Austr. Yb. Int. Arb. Austrian Yearbook on International Arbitration BayObLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BayObLGZ Sammlung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen BB Betriebsberater BeckOK Beck’scher Online-Kommentar BeckRS Beck-Rechtsprechung begr. begründet Bek. Bekanntmachung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
BGE Bundesgerichtsentscheidungen (Schweiz) BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bl. Blatt Brüssel I‑VO Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Brüssel Ia-VO Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 BT‑Drucks Drucksachen des Deutschen Bundestags BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise c. chapter C. J. Q. Civil Justice Quarterly CA Court d’appel Cah. Arb. Les cahiers de l’arbitrage Cambr. LJ Cambridge Law Journal Cass. Cour de cassation Cass. (IT) Corte di cassazione Cass. Req. Chambre des requêtes de la Cour de cassation CC Code Civile CCP (Italien) Codice di Procedura Civile vom 18.10.1940 CCR County Court Rules Ch Law Reports, Chancery Division CLC CCH Commercial Law Cases CLR Commonwealth Law Reports Cmd. Command Papers, (UK) 4th series, 1919–1956 CMLRev Common Market Law Review Cornell L. Rev. Cornell Law Review CPC Code de Procédure Civile CPCE Code des procédures civiles d’exécution CPR Rules of Civil Procedure CSIH Court of Session, Inner House CSOH Court of Session, Outer House D. Recueil Dalloz d. h. das heißt Dir. comm. int. Diritto del commercio internazionale Dis. Res. Int. Dispute Resolution International Disp. Res. J. Dispute Resolution Journal DStR Deutsches Steuerrecht EBLR European Business Law Review ecolex ecolex Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGV Römischer Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EMRK Europäische Menschenrechtskonvention ErwGr Erwägungsgrund et al. et alii (= und andere) EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof
Abkürzungsverzeichnis
XXIX
EuGVÜ Brüsseler EWG-Übereinkommen v. 1968 EuLF The European Legal Forum EUR Euro EuR Europarecht Eur J L Reform European Journal of Law Reform Eur. B. L. Rev. European Business Law Review EuÜHSchG Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.1961 EuUntVO Verordnung (EG) Nr. 4/2009 EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWCA Civ England and Wales Court of Appeal Civil Division EWHC England and Wales High Court EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht F. Supp. Federal Supplement f., ff. folgende, fortfolgende F. 2d Federal Reporter, Second Series F. 3d Federal Reporter, Third Series Fasc. Fascicule (französisch, „Lieferung“) Fn. Fußnote Fordham Int’l L. J. Fordham International Law Journal fortgef. fortgeführt FS Festschrift Gaz Pal Gazette du Palais Genfer Abkommen Genfer Abkommen zur Vollstreckung ausländischer von 1927 Schiedssprüche vom 26.9.1927 Genfer Protokoll von 1923 Genfer Protokoll vom 24.9.1923 über die Schiedsklauseln GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GPR Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht GRC Charta der Grundrechte der Europäischen Union h. L. herrschende Lehre h. M. herrschende Meinung Hastings L. J. Hastings Law Journal Herv. Hervorhebung Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz i. d. F. in der Fassung i. H. d. in Höhe der/des i. H. v. in Höhe von i. S. d. im Sinne der/des i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit IAI International Arbitration Institute ICC ICArb. Bulletin International Chamber of Commerce International Court of Arbitration bulletin ICCA International Congress and Convention Association ICCLR International Company and Commercial Law Review ICLQ International and Comparative Law Quarterly
XXX IDR IHR ILA ILSA J. Int. & Comp. L.
Abkürzungsverzeichnis
Journal of International Dispute Resolution Internationales Handelsrecht International Law Association International Law Students’ Association – Journal of International and Comparative Law Int J Arab Arbitration International Journal of Arab Arbitration Int. Arb. International Arbitration Int. J. Disp. Res. International Journal of Dispute Resolution IntALR International Arbitration Law Review IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPRG Bundesgesetz über das internationale Privatrecht vom 18.12.1987 IZVR Internationales Zivilverfahrensrecht J. B. L. Journal of Business Law J‑Cl. Droit International Juris-Classeur Droit International J. Int. Arb. Journal of International Arbitration J. Int. Disp. Sett. Journal of International Dispute Settlement J. Priv. Int. L. Journal of Private International Law JbZVR Jahrbuch der Zeitschrift für Verwaltungsrecht JCP Juris-Classeur Périodique JDI Journal du Droit International – Clunet JURA Juristische Ausbildung JurBüro Das juristische Büro JZ Juristenzeitung K. B. Law Reports, King’s Bench KG Kammergericht KOM Dokumente der Europäischen Kommision Kommission Europäische Kommision krit. kritisch L. Q. R. Law Quarterly Review LG Landgericht lit. littera (= Buchstabe) LJ Lord/Lady Justice Lloyd’s Rep. Lloyd’s List Law Reports LMCLQ Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly (UK) LMK Kommentierte BGH‑Rechtsprechung (in Fortführung der „Kommentierten BGH‑Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring“) LugÜ (Luganer-)Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Aner-kennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 m. E. meines Erachtens m. w. N. mit weiteren Nachweisen Mealey’s I. A. R. Mealey’s International Arbitration Report MJ Maastricht Journal of European and Comparative Law MüKo Münchener Kommentar NIPR Nederlands Internationaal Privatrecht NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW‑RR NJW Rechtsprechungs-Report
Abkürzungsverzeichnis
XXXI
No. Nummer Nr(n). Nummer(n) núm. número NWJIntLB Northwestern Journal of International Law and Business NYK (New Yorker UN-)Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958 OLG Oberlandesgericht OLGZ Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Pepp. L. Rev. Pepperdine Law Journal Petites affiches Petites affiches, la loi, le quotidien juridique QB Law Reports, Queen’s Bench Division r. rule RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RDAI La Revue de Droit des Affaires Internationales Rec. Cours Recueil des Cours de l’Académie de droit international Rev Ord Advog Revista da Ordem dos Advogados Rev. arb. Revue de l’arbitrage Rev. Bras. Arb. Revista Brasileira de Arbitragem Rev. crit. d. i. p. Revue critique de droit international privé Rev. prat. soc. Revue Pratique des Societés civiles et commerciales RG Reichsgericht RGZ Entscheidungen des Reichgerichts in Zivilsachen Riv. dir. int. priv. proc. Rivista di diritto internazionale privato e processuale Riv. dir. proc. Rivista di diritto processuale Riv. Trim. Dir. Proc. Civ. Rivista trimestrale di diritto e procedure civile RIW Recht der Internationalen Wirtschaft RJ Repertorio de Jurisprudencia Rn. Randnummer Rom I‑VO Verordnung (EG) Nr. 593/2008 Rs. Rechtssache RT‑Drucks. Drucksache des Deutschen Reichstags RTD eur. Revue trimestrielle de droit euopéen RW Rechtskundig Weekblad s. section S. Seite(n); Satz S. D. N. Y. Southern District New York s. o. siehe oben sch. schedule SchiedsVZ Zeitschrift für Schiedsverfahren Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs soc. chambre sociale sog. sogenannter Spain Arb. Rev. Spain Arbitration Review/Revista del Club Español de Arbitraje ss. sections st. Rspr. ständige Rechtsprechung str. strittig
XXXII
Abkürzungsverzeichnis
STS Sentencia del Tribunal Supremo TGI Tribunal de Grande Instance Trib. Com. Tribunal de Commerce u. a. und andere U. Brit. Colum. L. Rev. University of British Columbia Law Review U. N. Doc. United Nations Document UNCITRAL United Nations Committee on International Trade Law UKPC United Kingdom Privy Council UKSC United Kingdom Supreme Court v. von Var. Variante vgl. Vergleiche Vir. J. Int. L. Virginia Journal of International Law VO Verordnung Vorbem. Vorbemerkung WL West Law International WLR Weekly Law Reports WPNR Weekblad voor Privaatrecht, Notariaat en Registratie Yb. Com. Arb. Yearbook Commercial Arbitration Yb. Eur. L. Yearbook of European Law Yb. Priv. Int. L. Yearbook of Private International Law z. B. zum Beispiel Zak Zivilrecht aktuell ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Ziff. Ziffer(n) ZPO Zivilprozessordnung ZPO (Österreich) Zivilprozessordnung (Österreich) zust. zustimmend ZVglRWiss Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft ZZP Zeitschrift für Zivilprozess ZZP Int. Zeitschrift für Zivilprozess, Internationaler Teil
Teil 1
Einführung Die revidierte Brüssel Ia-VO ist am 10. Januar 2015 in Kraft getreten. Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO findet sie auf die Schiedsgerichtsbarkeit keine Anwendung. Diese als Schiedsausnahme bekannte Regelung war inhaltsgleich bereits in den Vorgängerinstrumenten enthalten, namentlich im EuGVÜ von 1968 und in der Brüssel I‑VO aus dem Jahr 2000. Heute wie damals wird ihr Zweck darin gesehen, die auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit bestehenden völkerrechtlichen Übereinkommen zu respektieren, insbesondere die NYK von 1958, die mittlerweile 160 Vertragsstaaten zählt, darunter alle Mitgliedstaaten der EU.1 Angesichts des unveränderten Bestands der Schiedsausnahme könnte man meinen, das Verhältnis zwischen dem Brüssel-System und der Schiedsgerichtsbarkeit wäre geklärt. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. So hat sich gerade in dem mehr als sieben Jahre andauernden Revisionsprozess der Brüssel I‑VO eine Debatte über die Schiedsausnahme entwickelt, die an Umfang und Intensität kaum zu übertreffen ist. Als schwierigster Anwendungsfall haben sich dabei grenzüberschreitende Parallelverfahren vor mitgliedstaatlichen Gerichten und Schiedsgerichten herausgestellt.
A. Grenz- und gerichtsbarkeitsübergreifende Parallelverfahren in der EU I. Situation, Motive, Terminologie Die Situation ist folgende: Die Parteien eines internationalen Handelsvertrags vereinbaren, dass ihre Streitigkeiten aus und im Zusammenhang mit dem Vertrag durch ein Schiedsgericht unter Ausschluss staatlicher Gerichte entschieden werden. Der vereinbarte Sitz des Schiedsgerichts liegt in einem bestimmten EU‑Mitgliedstaat (dem „Schiedsstaat“). Als Streit aufkommt, erhebt eine der Parteien (der „Gerichtskläger“) trotz der Schiedsvereinbarung eine staatsgerichtliche Klage, und zwar vor den Gerichten in einem zweiten Mitglied1 Vgl. nur Jenard-Bericht, 1968, 13 und Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 97, 97. Weitere Übereinkommen auf dem Gebiet der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit sind etwa das Genfer Protokoll von 1923, das Genfer Abkommen von 1927 und das EuÜHSchG von 1961.
2
Teil 1: Einführung
staat (dem „Gerichtsstaat“). Die andere Partei (der „Schiedskläger“) beruft sich dagegen auf die Schiedsabrede und erhebt in derselben Sache Klage vor dem vereinbarten Schiedsgericht. Die Parteien rügen im jeweils anderen Verfahren die Zuständigkeit. Jedoch erklären sich beide Spruchkörper für entscheidungsbefugt (positiver Kompetenz-Konflikt), mit der Folge, dass in zwei Verfahren über denselben Streitgegenstand verhandelt und entschieden wird. Es kommen verschiedene Motive für die Erhebung der staatsgerichtlichen Klage unter Missachtung der Schiedsabrede in Betracht. Zunächst kann der Gerichtskläger die Schiedsvereinbarung für unwirksam bzw. auf den konkreten Rechtsstreit nicht anwendbar halten. Die Verfahrenseinleitung vor dem staatlichen Gericht stellt sich dann als Klage vor dem – jedenfalls subjektiv – zuständigen Spruchkörper dar. Die Erhebung der staatsgerichtlichen Klage kann aber auch rein prozesstaktisch motiviert sein. Das heißt, dem Gerichtskläger ist bewusst, dass die Schiedsabrede aus der Perspektive des vereinbarten Schiedsgerichts wirksam und anwendbar ist. Nach dem Recht des Gerichtsstaats erachtet er aber auch die staatsgerichtliche Klage für zulässig und verspricht sich von dieser gegenüber der Schiedsklage bestimmte Vorteile. Dabei kommen Vorteile tatsächlicher Natur, so z. B. die bessere Kenntnis von Sprache und Ablauf des staatsgerichtlichen Verfahrens, ebenso wie Vorteile rechtlicher Art in Betracht, so etwa, wenn das Recht im Gerichtsstaat die Möglichkeit einer pre-trial discovery einräumt, günstigere Kostentragungsregelungen vorsieht oder zur Anwendung eines vorteilhaften materiellen Rechts führt. Neben dem gutgläubigen und dem prozesstaktischen Gerichtskläger gibt es schließlich noch den Torpedokläger. Er erhebt das staatsgerichtliche Verfahren allein zu dem Zweck, das eigentlich vereinbarte Schiedsverfahren zu torpedieren. Zu den typischen Zielen einer solchen Torpedoklage gehört, den Kosten- und Zeitaufwand der anderen Partei für die Durchsetzung ihres Anspruchs in die Höhe zu treiben und sich dadurch eine bessere Vergleichsposition zu verschaffen, die Konzentration der anderen Partei vom Schiedsverfahren abzulenken oder Vorgänge aus dem staatlichen Gerichtsverfahren als Beweismittel oder Störfaktoren in das Schiedsverfahren einzuführen.2
II. Rechtspolitisches Anliegen Rechtspolitisch besteht ein erhebliches Interesse daran, Parallelverfahren zu unterbinden. Eine Resolution des Institut de Droit International führt aus: „Parallel litigation in more than one country between the same, or related parties in relation to the same, or related issues may lead to injustice, delay, increased expense, and inconsistent decisions […] [and thus] should be discouraged.“3 2 3
Schlosser, RIW 2006, 486, 489. Institut de Droit International, Yb. Priv. Int. L. 2003, 337, lit. d.
A. Grenz- und gerichtsbarkeitsübergreifende Parallelverfahren in der EU
3
In der Tat: Parallelverfahren sind nicht nur eine Verschwendung privater und öffentlicher Ressourcen. Sind widersprüchliche Entscheidungen über denselben Rechtsstreit die Folge, werden außerdem die Legitimität und Glaubwürdigkeit der betroffenen Spruchkörper infrage gestellt. Gleichzeitig wird das oberste Verfahrensziel – die endgültige Streitbeilegung – konterkariert. Denn während sich die Parteien für ihr „gutes Recht“ ursprünglich auf ihre unterschiedliche Auslegung von Vertrag und Gesetz berufen haben, berufen sie sich nun auf die für sie jeweils günstige Entscheidung. Hinzu kommt, dass sich die Parteien bei Abschluss der Schiedsvereinbarung das Wort gegeben haben, potentielle Rechtsstreitigkeiten nur vor einem Schiedsgericht unter Ausschluss staatlicher Gerichte auszutragen. Häufig wollten die Parteien, dass das Verfahren – z. B. zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit und auf neutralem Boden stattfindet. Kommt es zur Einleitung eines Verfahrens vor staatlichen Gerichten, möglicherweise sogar im Heimatstaat einer Partei, wird die Vereinbarung der Parteien gebrochen, der ursprüngliche Parteiwille frustriert und dadurch letztlich auch die Schiedsgerichtsbarkeit als wirksame Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit infrage gestellt.4
III. Unzureichende positivrechtliche Koordination De lege lata fehlen in der EU zufriedenstellende positivrechtliche Mechanis men, um grenzüberschreitende Parallelverfahren vor Schiedsgerichten und staatlichen Gerichten zu unterbinden. Kindler veranschaulicht das durch den Vergleich mit der Regelungslage bei grenzüberschreitenden Parallelverfahren vor mitgliedstaatlichen Gerichten: Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten zwischen denselben Parteien Klagen in derselben Sache anhängig gemacht, so bestimmt Art. 29 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, dass grundsätzlich das später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen muss, bis das zuerst angerufene Gericht über die eigene Zuständigkeit entschieden hat. Abweichend hiervon sieht Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO vor, dass dann, wenn das später angerufene Gericht in einer Gerichtsstandsabrede i. S. v. Art. 25 Brüssel Ia-VO benannt ist, das zuvor angerufene Gericht das Verfahren aussetzen muss, bis sich das benannte Gericht wegen Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Gerichtsstandsvereinbarung für unzuständig erklärt hat.5 In beiden Fällen gilt: Grenzüberschreitende Parallelverfahren vor staatlichen Gerichten sind in der EU praktisch ausgeschlossen. Für gerichtsbarkeitsübergreifende Parallelverfahren bestehen vergleichbare Mechanismen nicht.6 Die Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO regeln konkurrierende Kla4 GA Darmon, Schlussanträge v. 19.2.1991, Rs. C-190/89, Slg. 1991 I-3855, Rn. 100 – Marc Rich; Gaillard, Rev. arb. 1990, 759; Schlosser, RIW 2006, 486, 489. 5 Vgl. hierzu ErwGr. 22 Brüssel Ia-VO. 6 Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 159.
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Teil 1: Einführung
gen vor staatlichen Gerichten – den Konflikt mit einem Schiedsverfahren erfassen sie nicht. Die einzelstaatlichen Rechte der untersuchten Mitgliedstaaten7 sehen vor, dass das Schiedsverfahren trotz eines staatlichen Verfahrens in derselben Sache fortgesetzt werden kann (vgl. z. B. § 1032 Abs. 3 ZPO). Das Schiedstribunal ist befugt, über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden (Grundsatz der positiven Kompetenz-Kompetenz). Im staatlichen Gerichtsverfahren stellt die Schiedseinrede nach Art. II Abs. 3 NYK den praktisch bedeutsamsten Mechanismus zur Koordinierung grenz- und gerichtsbarkeitsübergreifender Verfahrenskonflikte dar.8 Hiernach muss das staatliche Gericht die Parteien auf Antrag auf das schiedsrichterliche Verfahren verweisen, wenn es wegen eines Streitgegenstands angerufen wird, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung getroffen haben. Das gilt allerdings nicht, wenn die Vereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist. Und wann dies der Fall ist, ist in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht harmonisiert. Umstritten ist bereits, wie sich das auf die formelle bzw. materielle Gültigkeit der Schiedsvereinbarung anwendbare Recht bestimmt.9 In Art. I Abs. 1 NYK werden zwar die Merkmale einer Schiedsvereinbarung und in Art. II Abs. 2 NYK die Anforderungen an die Schriftlichkeit geregelt. Beide Vorschriften haben jedoch fragmentarischen Charakter und sind darüber hinaus gemäß Art. VII Abs. 1 NYK lediglich als Obergrenzen ausgestaltet. Die Rechte der Mitgliedstaaten weichen in Teilen erheblich voneinander ab, so z. B. zu den Fragen, welche Streitgegenstände der Entscheidung durch ein Schiedsgericht zugänglich sind und ob auch Dritte durch eine Schiedsvereinbarung gebunden sein können. Daher ist es keine 7 8
Vgl. hierzu sogleich unter B. Vgl. ergänzend insbesondere Art. VI Abs. 3 EuÜHSchG, der einen lis pendens-Mechanismus für den Fall vorsieht, dass vor dem staatlichen Gerichtsverfahren ein Schiedsverfahren eingeleitet wurde („Where either party to an arbitration agreement has initiated arbitration proceedings before any resort is had to a court, courts of Contracting States subsequently asked to deal with the same subject-matter between the same parties or with the question whether the arbitration agreement was non-existent or null and void or had lapsed, shall stay their ruling on the arbitrator’s jurisdiction until the arbitral award is made, unless they have good and substantial reasons to the contrary.“). Der Regelung kommt in der Praxis aber kaum Bedeutung zu. Das liegt einerseits an der geringen praktischen Relevanz des EuÜHSchG insgesamt (Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, 2015, Part I, General Overview, Rn. 20: „The practical importance of this convention was always rather limited and its importance diminished after the political changes in the Eastern European countries“; Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 383-456; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 126). Es liegt andererseits aber auch an dem weiten Vorbehalt der konkreten Regelung („[…] unless they have good and substantial reasons to the contrary […]“), der den Vorbehalt des Art. II Abs. 3 a. E. NYK einbezieht (vgl. Hascher, YB. Com. Arb. 2011, 504, 530: „This language seeks to ensure that the stipulations of Art. VI(3) will not come in conflict with Art. II(3) of the NewYork Convention which subjects a stay of court proceedings in favor of arbitration to conditions regarding the arbitration agreement“). 9 Vgl. den Ausschluss in Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I‑VO. Ob aus Art. V Abs. 1 lit. a NYK eine einheitliche Kollisionsnorm hergeleitet werden kann, ist umstritten (dafür: Schlosser, Internationale private Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, Rn. 247; dagegen: Sieg, RIW 1998, 102, 105).
B. Gegenstand und Methodik der Arbeit
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Seltenheit, dass dieselbe Schiedsvereinbarung in einem Mitgliedstaat als wirksam und anwendbar betrachtet wird, in anderen hingegen nicht. In diesem Fall vermag die Schiedseinrede nach Art. II Abs. 3 NYK grenz- und gerichtsbarkeitsübergreifende Parallelverfahren in der EU nicht zu unterbinden.
B. Gegenstand und Methodik der Arbeit Vor diesem Hintergrund befasst sich diese Arbeit mit möglichen Hilfsmecha nismen, die zur Unterbindung bzw. Wirkungsbeschränkung des jeweils anderen Parallelverfahrens in Betracht kommen. Im Fokus steht dabei das Spannungsverhältnis zwischen der Befugnis mitgliedstaatlicher Gerichte, nach der Brüssel Ia-VO über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, und dem Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit vom Brüssel-System nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia‑VO. Besonderes Augenmerk gilt den mit der revidierten Fassung neu in das Brüs sel-System eingeführten Bestimmungen. Dazu gehören insbesondere Art. 73 Abs. 2 und ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO, die Vorgaben für die Auslegung der – im Übrigen unberührt gebliebenen – Schiedsausnahme machen. Ebenso relevant sind das zwischenzeitlich in der Rechtssache Gazprom ergangene EuGH‑Urteil und die Schlussanträge von GA Wathelet. Vor allem letztere enthalten umfangreiche Ausführungen zum Verhältnis des Brüssel-Systems zur Schiedsgerichtsbarkeit. Abschließende Aussagen zur Wirksamkeit der jeweiligen Hilfsmechanismen werden sich in vielen Punkten nur treffen lassen, wenn neben den Ebenen des Unionsrechts (Brüssel Ia-VO) und des Völkerrechts (NYK) auch die Ebene der autonomen Rechte der Mitgliedstaaten betrachtet wird. Der vorliegenden Arbeit liegt daher ein rechtsvergleichender Ansatz zugrunde. Dabei werden drei Rechtsordnungen für den Vergleich gewählt, um in den untersuchten Konstellationen die Perspektiven des Schiedsstaats, Gerichtsstaats und dritter Mitgliedstaaten abbilden zu können. Die Auswahl fällt auf deutsches, englisches und französisches Recht: Deutsches Recht bietet sich an, weil das deutsche Schiedsverfahrensrecht weitgehend dem UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1985) nachgebildet ist; Rückschlüsse auf Schiedsverfahrensrechte weiterer Mitgliedstaaten sind möglich, soweit sie ebenfalls auf dem Modellgesetz beruhen. Englisches Recht eignet sich beson ders, weil es den Vergleich zwischen civil law und common law eröffnet und London – nach Paris – das bedeutendste Schiedszentrum der EU beheimatet. Französisches Recht wird gewählt, weil Frankreich mit Paris das führende Schiedszentrum der EU stellt und das französische Schiedsverfahrensrecht international als besonders modern und schiedsfreundlich gilt.
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Teil 1: Einführung
C. Gang der Untersuchung Zunächst wird untersucht, inwieweit das jeweilige Parallelverfahren mithilfe von Prozessführungs- bzw. Vollstreckungsverboten unterbunden werden kann (Teil 2).10 Im Anschluss stellt sich die Frage, inwieweit die materielle Rechtskraft von Entscheidungen über die (Un-)Wirksamkeit bzw. (Un-)Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung ein taugliches Mittel darstellt, um das jeweilige Parallelverfahren zu unterbinden bzw. um sich immerhin gegen die Durchsetzung der künftigen Parallelentscheidung zu verteidigen (Teil 3). In der Folge wandert der Blick weiter zur res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache. Dabei stellt sich einerseits die Frage, inwieweit sich die Rechtskraftwirkung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel gegen das jeweilige Parallelverfahren eignet. Andererseits ist zu untersuchen, was passiert, wenn alle (Hilfs-)Mechanismen fehlschlagen und widersprüchliche Entscheidungen in der Hauptsache ergehen. Wie sollen sich die Gerichte des Anerkennungsstaats entscheiden, wenn Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO zur Anerkennung des Gerichtsurteils, Art. III ff. NYK aber zur Anerkennung des Schiedsspruchs verpflichten (Teil 4)? Anschließend wird untersucht, ob Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Schiedsabrede geeignet sind, zumindest finanziell die Lage herzustellen, die bestünde, wäre der Rechtsstreit abredegemäß nur vor dem Schiedsgericht ausgetragen worden (Teil 5). Es folgt eine Schlussbe trachtung (Teil 6).
10 Anordnungen, die eine Partei zur Teilnahme an einem Schiedsverfahren verpflichten (sog. order compelling arbitration), werden in dieser Arbeit nicht behandelt (vgl. hierzu ausführlich Martinek, in: FS Ishikawa, 2001, S. 269 ff.; Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 465 ff.), ebensowenig wie Anordnungen, die zur Teilnahme an einem Verfahren vor staatlichen Gerichten verpflichten. Denn derartige Anordnungen sind von grundauf ungeeignet, Parallelverfahren zu verhindern bzw. zu unterbinden.
Teil 2
Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote Die schiedszugewandte Partei kann zur Durchsetzung der Schiedsabrede mög licherweise ein Prozessführungsverbot erwirken. Gemeint ist eine Anordnung, mit der der gerichtszugewandten Partei verboten wird, ein Verfahren über einen schiedsbefangenen Gegenstand vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats einzuleiten bzw. fortzusetzen (anti-suit injunction zur Durchsetzung der Schiedsabrede). Als erlassende Spruchkörper kommen mitgliedstaatliche Gerichte (mitgliedstaatliche anti-suit injunction) (A.) ebenso in Betracht wie das in der Schiedsabrede benannte Schiedsgericht (schiedsrichterliche anti-suit injunction) (B.).1 Daneben kann die schiedszugewandte Partei auch erwägen, ein Vollstreckungsverbot zu erwirken. Hiermit wird der gerichtszugewandten Partei nicht untersagt, ein Verfahren über einen schiedsbefangenen Gegenstand vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats zu führen. Ihr wird lediglich verboten, die aus einem solchen Verfahren resultierende Entscheidung zu vollstrecken (anti-enforcement injunction zur Durchsetzung der Schiedsabrede) (C.). Die gerichtszugewandte Partei kann ihrerseits womöglich ebenfalls ein Prozessführungs- bzw. Vollstreckungsverbot erwirken. Gemeint ist eine Anord nung, mit der der schiedszugewandten Partei untersagt wird, das Schiedsverfahren über den vermeintlich schiedsbefangenen Gegenstand einzuleiten oder fortzuführen bzw. den daraus resultierenden Schiedsspruch zu vollstrecken (anti-arbitration bzw. anti-enforcement injunction gegen die Durchsetzung der Schiedsabrede) (D.). 1 Teilweise wird der Begriff der anti-suit injunction bei schiedsrichterlichen Prozessführungsverboten vermieden (vgl. z. B. Moloo, J. Int. Arb. 26/5 (2009), 675–700: „antisuit orders“; Grigera Naón, in: FS Briner, 2005, S. 335, 335: „[…] the expression ‚anti-suit injunction‘ […] will be avoided, because it is considered as referring only to competing orders issued by courts of law in different countries (whether or not converning the limits of arbitral jurisdiction) […]“). Die Vertreter dieser Ansicht möchten damit betonen, dass die Verletzung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction keinen contempt of court begründet, der mit strafrechtlichen Sanktionen geahndet werden kann. Für die Verwendung des Begriffs der schiedsrichterlichen anti-suit injunction spricht jedoch, dass mit ihm gleichzeitig Instrument, erlassender Spruchkörper und Stoßrichtung beschrieben werden können. Zudem besteht im englischen Prozessrecht nach s. 66(2) AA 1996 eine Möglichkeit, wie sich auch der Adressat einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch ihre Missachtung einem contempt of court aussetzen kann (vgl. hierzu ausführlich unten Teil 2 B.III.1.a)bb)). Vgl. zur Gebräuchlichkeit der Bezeichnung „anti-suit injunction“ bei schiedsrichterlichen Prozessführungsverboten auch: Gaillard, in: Van den Berg, S. 235–266; Lévy, in: Gaillard, S. 115–130.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Schließlich sind aus der Praxis auch wechselseitige Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote bekannt, etwa in Gestalt einer anti-suit-anti-arbitration injunction oder einer anti-suit-anti-enforcement injunction. Gerichtet sind sie beispielsweise darauf, die Einleitung bzw. Fortführung eines Verfahrens zu unterbinden, in dem eine anti-arbitration injunction bzw. eine anti-enforcement injunction begehrt wird (E.).
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden Im common law-Rechtskreis sind gerichtliche anti-suit injunctions zur Unterbindung von Parallelverfahren anerkannt und erprobt, insbesondere wenn es darum geht, eine Partei zu zwingen, sich an die von ihr geschlossene Gerichtsstands- oder Schiedsabrede zu halten.2 Zurückführen lassen sie sich auf die common injunction, die der englische Court of Chancery bereits im 15. Jahrhundert erlassen hat.3 In der EU werden sie auch heute noch vornehmlich durch englische Gerichte angeordnet.4 Anti-suit injunctions englischer Gerichte zur Durchsetzung der Schiedsabrede beinhalten regelmäßig das Verbot, über einen schiedsbefangenen Streitgegenstand ein ausländisches Gerichtsverfahren einzuleiten bzw. fortzusetzen.5 2 Vgl. z. B. für England & Wales: Airbus Industries GIE v Patel [1999] 1 A. C. 119 (UKHL); Schottland (Mischrechtssystem): Shell UK Exploration and Production Ltd v Innes [1995] SLT 807; USA: Allendale Mutual Ins. Co. v. Bull Data Sys. Inc., 10 F3d 425, 428 (7th Cir. 1993); Kanada (einschließlich Québec als civil law-Rechtssystem mit starkem common law-Einfluss): Amchem Products Inc v British Columbia (Workers’ Compensation Board) [1993] 1 S. C. R. 897 (Supreme Court Canada); Australien: CSR Ltd v Cigna Insurance Australia Ltd (1997) 189 CLR 345. 3 Vgl. Lord Goff in Airbus Industries GIE v Patel [1999] 1 AC 119 (UKHL). Allerdings wurde der Begriff der anti-suit injunction – ursprünglich in England bezeichnet als injunction restraining foreign proceedings – der US-amerikanischen Terminologie entnommen (Ingenhoven, Grenzüberschreitender Rechtsschutz durch englische Gerichte, 2001, 272). 4 Vgl. z. B. Pena Copper Mindes Ltd v Rio Tinto Co Ltd (1911) 105 LT 846 (EWCA); Gorthon v Ford (The „Maria Gorthon“) [1976] 2 Lloyd’s Rep 720 (EWHC); Marazura Navegacion SA v Oceanus Mutual Underwriting Assn [1977] 1 Lloyd’s Rep 283 (EWHC); Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Co Ltd (No 2) [1983] 1 WLR 1026 (EWCA); The „Golden Anne“ [1984] 2 Lloyd’s Rep 489 (EWCA); Marc Rich & Co AG v Soc Italiana Impianti pA (The „Atlantic Emperor“) (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep. 624 (EWCA); Sokana Industries Inc v Freyre & Co Inc [1994] 2 Lloyd’s Rep. 57 (EWHC); Donohue v Armco Inc [2002] 1 Lloyds Rep 425 (UKHL); Turner v Grovit [2002] 1 WLR 107 (UKHL); West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta (The „Front Comor“) [2007] 1 Lloyd’s Rep 391 (UKHL); Shashoua v Sharma [2009] EWHC 957; Skype Technologies SA v Loltid Ltd [2009] EWHC 2783; Midgulf International v Groupe Chinique Tunisien [2010] EWCA Civ 66; STX Pan Ocean Co Ltd v Woori Bank [2012] EWHC 981; AES Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant LLP ./. Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant JSC [2013] UKSC 35. 5 Rechtsgrundlage ist s. 37(1) Senior Courts Act 1981 i. V. m. s. 44(1), (2) lit. e AA 1996.
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden
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In der Praxis seltener, aber ebenfalls anzutreffen sind Anordnungen, wonach der Gerichtskläger verpflichtet ist, die Aussetzung bzw. Beendigung des Gerichtsverfahrens zu beantragen.6 Dabei können die anti-suit injunctions jeweils endgültig oder – z. B. bis zum Abschluss des Schiedsverfahrens – vorübergehend erlassen werden.7 Rechtsschutzziel des Antragstellers ist die Durchsetzung seines Anspruchs aus der Schiedsabrede, erfasste Rechtsstreitigkeiten nur vor dem vereinbarten Schiedsgericht und unter Ausschluss staatlicher Gerichte austragen zu müssen.8 Primär soll der Gerichtskläger durch die gerichtliche Anordnung dazu gezwungen werden, das abredewidrige Parallelverfahren zu beenden bzw. dessen Einleitung zu unterlassen. Hierfür werden dem Gerichtskläger mit Bußgeldern, der Beschlagnahme in England belegenen Vermögens, Haftstrafen und dem Verlust rechtlichen Gehörs9 empfindliche Sanktionen in Aussicht gestellt, wenn er die gerichtliche Anordnung missachtet (contempt of court).10 Kann das primäre Rechtsschutzziel nicht erreicht werden, z. B. weil weder der Gerichtskläger noch sein Vermögen dem Zugriff englischer Staatsgewalt unterliegen,11 kann die Missachtung der anti-suit injunction nach autonomem englischen Recht immerhin noch als Grundlage herangezogen werden, um dem abredewidrig erwirkten Parallelurteil in England die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen.12 6
Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 13.39. Vgl. s. 37(1) Senior Courts Act 1981: „The High Court may by order (whether interlocutory or final) grant an injunction or appoint a receiver in all cases in which it appears to the court to be just and convenient to do so.“ 8 Millet LJ in The Angelic Grace [1995] 1 Lloyd’s Rep 87, 96 (EWCA); Dicey/Morris/ Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 6-088; Hobér, in: The Hague Academy of International Law, 2014, S. 231; Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 61. 9 Motorola Credit v Cem Cengiz Uzan [2003] EWCA Civ 752; Derby v Weldon (Nos 3 & 4) [1990] Ch 65 (EWCA); Derby v Weldon (No 6) [1990] 1 WLR 1139, 1149 (EWCA); Hadkinson v Hadkinson [1952] 2 All ER 567 (EWCA); Ingenhoven, Grenzüberschreitender Rechtsschutz durch englische Gerichte, 2001, 275, Fn. 22; Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 98. 10 Vgl. Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989, 32; Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 1. 11 Nach Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 1 ist keine erfolgreiche Vollstreckung einer englischen anti-suit injunction in einem anderen Mitgliedstaat bekannt. Vgl. aber Cass. 1ère civ., 14.10.2009, Nr. 08-16.369 08-16.549, JDI 2010, 146 – In Zone Brands (der Kassationsgerichtshof erkannte eine US-amerikanische anti-suit injunction an, die einer französischen Partei die Einleitung bzw. Fortführung eines Verfahrens vor französischen Gerichten verbot. Denn diese stehe im Widerspruch zu der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des erlassenden Gerichts). Nach Debourg, Les Contrariétés de Décisions dans l’Arbitrage International, 2012, Rn. 622 liegt es nahe, dass der Kassationsgerichtshof ebenso entschieden hätte, wäre die anti-suit injunction auf die Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung gerichtet gewesen. 12 Zur Rechtslage vor den EuGH‑Entscheidungen in Sachen Turner und West Tankers: Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1996] CLC 1757, 1779 (EWCA) („[…] if someone proceeds in breach of, and with notice of, an injunction granted by 7
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Formal sind englische anti-suit injunctions nicht an das ausländische Gericht, sondern an den Auslandskläger gerichtet. Faktisch wirkt sich ihr Erlass aber auch auf das ausländische Gerichtsverfahren aus.13 Schließlich muss der Gerichtskläger seine Einleitung bzw. Fortführung unterlassen, wenn er die genannten Sanktionen vermeiden will. Kontinentaleuropäische Juristen sehen anti-suit injunctions vor diesem Hintergrund überwiegend als Fremdkörper im System des Internationalen Zivilverfahrensrechts an.14 Denn es gehöre zur Souveränität eines jeden Staates, mithilfe des Verfahrensrechts selbst bestimmen zu können, welche Rechtsstreitigkeiten vor den eigenen Gerichten gehört werden. Im Jahr 2004 entschied der EuGH in der Rechtssache Turner, dass das EuGVÜ dem Erlass mitgliedstaatlicher anti-suit injunctions in Bezug auf Verfahren vor Gerichten anderer Mitgliedstaaten entgegensteht; das gilt auch dann, wenn die von dem Verbot adressierte Partei das Verfahren vor dem Parallelgericht entgegen Treu und Glauben eingeleitet hat, um ein in einem anderen Mitgliedstaat anhängiges Verfahren in derselben Sache zu behindern.15 In der Folge wurden mitgliedstaatliche anti-suit injunctions in Bezug auf Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur noch zur Durch setzung von Schiedsabreden erlassen.16 Aus Sicht englischer Gerichte widersprach dies nicht dem Turner-Urteil, da das Brüssel-System ausweislich der the English court to obtain judgments abroad, those judgments should not, as a matter of public policy, be recognised in the UK“). 13 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 12-078; Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 1. Vgl. auch Institut de Droit International, Yb. Priv. Int. L. 2003, 337, lit. f („Anti-suit injunctions may result in interference in foreign proceedings in breach of comity“). 14 Vgl. GA Colomer, Schlussanträge v. 20.11.2003, Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 33 – Turner. Für Deutschland: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.1.1996 – 3 VA 11/95, IPrax 1997, 176; Illmer, IPRax 2009, 312, 315; Probst, Anti-suit Injunctions, 2012, 202; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 862 f.; Kropholler, Hdb. IZVR I, 1982, Kap. III, Rn. 169 ff, 175; Hau, Positive Kompetenzkonflikte, 1996, 206 ff.; a. A. Schlosser, RIW 2006, 486, 487 ff.; Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989, 97 f. Für Frankreich: Fouchard, in: Gaillard, 2005, S. 153; Clavel, Rev. arb. 2001, 669, 706; Boucaron-Nardetto, Cah. arb. 2013, 37, 53; a.A aber nunmehr Cass. 1ère civ., 14.10.2009, Nr. 08-16.369 08-16.549, JDI 2010, 146 – In Zone Brands. Für Spanien: Constenla, Spain Arb. Rev. 22 (2015), 129, 139. Für Belgien: Rechtbank van eerste aanleg te Brussel, RW 1990–1991, 676. Für Luxemburg: Cour d’appel (Luxemburg), 24.2.1998, Nr. 10047. 15 EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565 – Turner. Vgl. bereits: Toepfer International GmbH v Société Cargill France [1998] 1 Lloyd’s Rep 379, 388 (EWCA) (Vorlage der Frage, ob der Erlass einer mitgliedstaatlichen anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung mit dem Brüssel-System vereinbar sei, erledigte sich vor einer Entscheidung des Gerichtshofs durch Vergleich); Trib. Com. Marseille, Vorlagebeschluss v. 22.1.2002, wie berichtet in EuGH, Rs. C-24/02, Slg. 2002, I-3383 – Marseille Fret ./. Seatrano Shipping Company (Vorlage scheiterte an der fehlenden Vorlageberechtigung des erstinstanzlichen Gerichts). 16 Vgl. Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd v New India Assurance Co Ltd (No 1) [2005] 1 Lloyd’s Rep 67 (EWCA) (im konkreten Fall wurde der Erlass lediglich aus Ermessensgründen abgelehnt); West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Si-
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 11
Schiedsausnahme auf die Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen keine Anwendung finde. Im Jahr 2009 erteilte der EuGH in seiner West Tankers-Entscheidung allerdings auch dieser Praxis eine Absage.17 Seitdem haben auch englische Gerichte Prozessführungsverbote nur noch im Hinblick auf Verfahren vor drittstaatlichen Gerichten erlassen.18 Das West Tankers-Verbot könnte durch das neugefasste Brüssel-System allerdings überholt sein. Das vertritt – gestützt durch Teile der Literatur19 – insbesondere GA Wathelet in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Gazprom.20 Der Gerichtshof selbst hat sich hierzu bisher nicht geäußert. Zwar verwies er in seiner Gazprom-Entscheidung wiederholt auf seine West Tankers-Rechtsprechung.21 Einleitend stellte er jedoch ausdrücklich klar, dass die neue Brüssel Ia-VO auf das streitige Verfahren in der Rechtssache Gazprom keine Anwendung findet.22 Damit sind die Bezugnahmen auf die West Tankers-Entscheidung ausschließlich auf die Rechtslage unter der alten Brüssel I‑VO gerichtet.23 Im Schrifttum gilt der Streit über die Zulässigkeit mitgliedstaatlicher anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden vor diesem Hintergrund als neu eröffnet.24 Im Folgenden wird zunächst die zur Brüssel I‑VO ergangene West TankersEntscheidung des Gerichtshofs dargestellt (I.). Auf dieser Grundlage wird sodann untersucht, ob die West Tankers-Entscheidung unter Anwendung der neuen Brüssel Ia-VO fortbesteht (II.).
curta SpA (The „Front Comor“) [2005] Lloyd’s Rep. 257, 268 (EWHC) und [2007] 1 Lloyds Rep 391 (UKHL). 17 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers. 18 Vgl. z. B. Shashoua v Sharma [2009] EWHC 957; Skype Technologies SA v Loltid Ltd [2009] EWHC 2783; Midgulf International v Groupe Chinique Tunisien [2010] EWCA 66; STX Pan Ocean Co Ltd v Woori Bank [2012] EWHC 981; AES Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant LLP ./. Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant JSC [2013] UKSC 35; Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343. 19 Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 12.78; Nuyts, Rev. crit. d. i. p. 2013, 1, 15; Moses, NWJIntLB 35/1 (2014) 1, 25; Paschalides, J. Int. Arb. 2017, 333, 341–345. 20 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 92 ff. – Gazprom. 21 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 32 ff. – Gazprom. 22 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 3 – Gazprom. 23 A. A. offenbar Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 9; Bermann, MJ 2015, 888, 899. 24 Steindl, in: FS Torggler, 2013, S. 1197; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel IaVO, Rn. 130; vgl. auch bereits die Argumentation der Partei in Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 69.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
I. Die West Tankers-Entscheidung des EuGH zur Brüssel I‑VO 1. Sachverhalt Das italienische Unternehmen Erg Petroli charterte von der englischen Reederei West Tankers die Front Comor. Der Chartervertrag unterlag englischem Recht und enthielt eine Schiedsabrede zugunsten Londons. Beim Beladen der Front Comor im italienischen Syrakus kam es zu einer Kollision, bei der eine im Eigentum von Erg Petroli stehende Mole beschädigt wurde. Erg Petroli erhielt von ihren italienischen Versicherern Ersatz in Höhe des Deckungsbetrags aus dem Versicherungsvertrag. Die Versicherer wollten in dieser Höhe auf Grundlage eines gesetzlichen Forderungsübergangs bei West Tankers Rückgriff nehmen. Hierzu leiteten sie gemäß Art. 5 Abs. 3 Brüssel I‑VO (Gerichtsstand des Deliktsorts) ein Verfahren vor dem italienischen Tribunale di Siracusa ein. West Tankers erhob in diesem Verfahren die Schiedseinrede und leitete vor dem englischen High Court eine Klage auf Durchsetzung der Schiedsklausel ein. Hierbei begehrte West Tankers unter anderem den Erlass einer anti-suit injunction, mit der den italienischen Versicherern die Fortsetzung des Verfahrens vor dem Tribunal di Siracusa untersagt werden sollte: Denn der Streit mit den italienischen Versicherern resultiere aus dem Chartervertrag mit Erg Petroli und sei daher von der Schiedsabrede erfasst. Das gelte umso mehr, als die Versicherer selbst sich darauf stützten, kraft Gesetzes in die Rechtsposition von Erg Petroli eingetreten zu sein. Der englische High Court erließ das begehrte Prozessführungsverbot. Das letztinstanzlich befasste House of Lords legte dem EuGH schließlich die Frage vor, ob eine mitgliedstaatliche anti-suit injunction in Bezug auf ein Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats auch dann mit der Brüssel I‑VO unvereinbar sei, wenn sie der Durchsetzung einer Schiedsabrede diene.25 Das House of Lords selbst sprach sich in einer eigenen Einschätzung dagegen aus: Das Turner-Urteil des EuGH26 basiere auf der Annahme, dass die Verordnung ein vollständiges und einheitliches Regelwerk für die Abgrenzung der Zuständigkeiten in verschiedenen Mitgliedstaaten beinhalte, auf dessen korrekte Anwendung die Mitgliedstaaten gegenseitig vertrauen müssen.27 In der Schiedsgerichtsbarkeit existiere ein vergleichbares Regelwerk jedoch nicht.28 Zudem sei das englische Verfahren auf die Durchsetzung der Schiedsabrede gerichtet und betreffe somit einen Gegenstand, der von der Schiedsausnahme in Art. 1 25 West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta (The „Front Comor“) [2007] 1 Lloyd’s Rep 391 (UKHL). 26 EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565 – Turner. 27 West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta (The „Front Comor“) [2007] 1 Lloyd’s Rep 391, Rn. 10 (UKHL). 28 West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta (The „Front Comor“) [2007] 1 Lloyd’s Rep 391, Rn. 12 (UKHL).
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Abs. 2 lit. d Brüssel I‑VO erfasst werde.29 Ein Verfahren, auf das die Verordnung keine Anwendung findet, könne mit dieser nicht unvereinbar sein. Daneben betonte das House of Lords den hohen praktischen Wert von anti-suit injunctions in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit.30 Stünden sie in der EU als Mittel zur Durchsetzung der Schiedsabrede nicht mehr zur Verfügung, wären Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen führenden Schiedszentren – wie New York, Bermuda und Singapur – die Folge.
2. Entscheidungsgründe Der Gerichtshof teilte die Ansicht des House of Lords nicht. Im Anschluss an die Schlussanträge von GA Kokott31 erklärte er mitgliedstaatliche anti-suit injunc tions in Bezug auf Gerichtsverfahren in anderen Mitgliedstaaten vielmehr auch dann für mit der Brüssel I‑VO unvereinbar, wenn sie der Durchsetzung einer Schiedsabrede dienen.32 Der Gerichtshof erinnerte zunächst an sein Urteil in Sachen Marc Rich.33 Danach ist für die Frage der sachlichen Anwendbarkeit des Brüssel-Systems maßgeblich auf den Hauptgegenstand des Verfahrens bzw. – wie in Van Uden34 konkretisiert – die Rechtsnatur der durch das Verfahren gesicherten Ansprüche abzustellen.35 Vorliegend sei das englische Verfahren auf den Erlass einer anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung gerichtet. Wie das House of Lords ordnete auch der Gerichtshof diesen Gegenstand der Schiedsgerichtsbarkeit und somit der Schiedsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel I‑VO zu.36 Allerdings könne ein Verfahren auch dann, wenn es selbst nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel I‑VO falle, dessen praktische Wirksamkeit derart beeinträchtigen, dass es mit ihr unvereinbar sei (Grundsatz des effet utile).37 Dies gelte insbesondere dann, wenn durch das Verfahren das Gericht eines anderen Mitgliedstaats an der Ausübung seiner Befugnisse nach der Verordnung gehindert werde.
29 West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta (The „Front Comor“) [2007] 1 Lloyd’s Rep 391, Rn. 17 ff. (UKHL). 30 West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta (The „Front Comor“) [2007] 1 Lloyd’s Rep 391, Rn. 21 (UKHL). 31 GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers. 32 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers. 33 EuGH, Rs. C-190/89, Slg. 1991 I-3855, Rn. 26 – Marc Rich. 34 EuGH, Rs. C-391/95, Slg. 1998 I-7091, Rn. 33 – Van Uden. 35 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 22 – West Tankers. 36 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 23 – West Tankers. 37 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 24 – West Tankers. Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 33 – West Tankers (stellt für die Beurteilung der Vereinbarkeit von anti-suit injunctions mit der Brüssel I‑VO allein darauf ab, ob die Verordnung anwendbar ist auf das zu unterbindende Verfahren).
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Mit Blick auf das Verfahren vor den italienischen Gerichten erklärte der Ge richtshof den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel I‑VO für eröffnet.38 Denn Hauptgegenstand dieses Verfahrens sei der – kraft Gesetzes auf die italie nischen Versicherer übergegangene – Anspruch der Erg Petroli gegen West Tankers auf Schadensersatz wegen Beschädigung der Mole. Dass West Tankers in diesem Verfahren die Schiedseinrede erhoben habe und das italienische Gericht daher die Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsvereinbarung prüfen müsse, ändere an der Anwendbarkeit der Verordnung auf das Verfahren nichts. Denn die Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsvereinbarung bilde hier lediglich eine noch zu klärende Vorfrage. Eine solche, welcher Rechtsnatur auch immer, könne die Anwendbarkeit der Verordnung auf ein Verfahren mit einem von ihr erfassten Hauptgegenstand nicht infrage stellen. Aus der Anwendbarkeit des Brüssel-System resultiere die Befugnis italie nischer Gerichte, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit und – so fern hierfür nötig – auch über die Vorfrage der Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsvereinbarung zu entscheiden.39 Diese Befugnis werde durch die englische anti-suit injunction beeinträchtigt. Denn auch wenn die Anordnung an die Partei und nicht an das italienische Gericht gerichtet sei, führe ihr Erlass faktisch doch dazu, dass die betroffene Partei bei Meidung von Strafen bis hin zur Zwangshaft das Verfahren vor italienischen Gerichten beenden müsse. Die Beeinträchtigung der Befugnis, nach der Brüssel I‑VO über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, verletze auch das Vertrauen, das die Mitgliedstaaten gegenseitig ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen entgegenbringen müssten und auf dem das Zuständigkeitssystem der Verordnung beruhe.40 Jedes nach der Verordnung angerufene Gericht entscheide nach den jeweils anwendbaren Bestimmungen selbst, ob es in der Sache zuständig sei. Abgesehen von einigen Ausnahmen,41 die hier nicht einschlägig seien, sei im Anwendungsbereich der Verordnung die Beurteilung der Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates nicht gestattet. Gerade eine solche Beurteilung liege dem Erlass der englischen anti-suit injunction aber zugrunde.42 Weiter erklärte der Gerichtshof, dass sich eine Partei durch die bloße Be hauptung einer Schiedsabrede, gegebenenfalls verbunden mit einer englischen anti-suit injunction, dem Verfahren und der Zuständigkeit nach der Brüssel I‑VO entziehen könnte, wäre den italienischen Gerichten eine Entscheidung über die Schiedseinrede verwehrt.43 Gleichzeitig wäre der Kläger, der das ita38
EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 26 – West Tankers. EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 28 – West Tankers. EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 29 f. – West Tankers, unter Verweis auf EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 24 – Turner. 41 Art. 35 Abs. 1 Brüssel I‑VO bzw. Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO. 42 Vgl. EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 28 – Turner. 43 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 31 – West Tankers. 39 40
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lienische Gericht angerufen habe, weil er die Schiedsabrede für unwirksam oder unanwendbar halte, vom Zugang zu dem nach der Verordnung angerufenen Gericht ausgeschlossen und damit einer Form gerichtlichen Rechtsschutzes beraubt, auf die er Anspruch habe. Die Unzulässigkeit von anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schieds abreden werde schließlich auch durch Art. II Abs. 3 NYK bestätigt.44 Denn hier nach sei es Sache des Gerichts, das wegen eines schiedsbefangenen Anspruchs angerufen worden sei, die Parteien auf Antrag auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen. Auf das Argument des House of Lords zum praktischen Wert der anti-suit injunction bei der Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen ging der Gerichtshof selbst nicht ein. GA Kokott hatte hierzu in ihren Schlussanträgen allerdings erklärt, dass rein wirtschaftliche Zweckerwägungen – wie etwa die Wettbewerbsfähigkeit Londons gegenüber anderen Schiedszentren – Verstöße gegen das Unionsrecht nicht rechtfertigen könnten.45 Etwas anderes gelte zwar für den Grundsatz der Privatautonomie, dem durch die Durchsetzung der Schiedsvereinbarung letztlich zur Geltung verholfen werden solle. Vorliegend sei zwischen den Parteien aber gerade umstritten, ob die Schiedsvereinbarung auf den konkreten Rechtsstreit Anwendung finde. Ein übereinstimmender Parteiwille stehe insoweit nicht fest. Dann könne der Grundsatz der Privatautonomie aber auch weder gegen noch für die Zulässigkeit von anti-suit injunctions in Ansatz gebracht werden.
II. Fortbestand der West Tankers-Entscheidung unter der neuen Brüssel Ia-VO Was ändert sich an dieser Rechtsprechung durch die Neufassung der Verordnung? Nach der überwiegenden Ansicht nichts;46 nach den bisher durch den Gerichtshof unwidersprochen gebliebenen Schlussanträgen von GA Wathe44
EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 33 – West Tankers. Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 66 ff. – West Tankers. 46 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343; De Ly, Am. U. Bus. L. Rev. 2018, 485, 501 Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 50, Rn. 2.28; Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 505; Hartley, ICLQ 64/4 (2015), 965, 975; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 97, 101; Wiegandt, Anm. zu EuGH, 13.5.2015, Rs. C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 – Gazprom, RIW 2015, 427, 430 f.; Estrup Ippolito/AdlerNissen, Arb 2013, 158, 159; Carducci, Arb. Int. 29 (2013), 467, 488; Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567, Rn. 9; Möller, in: FS Bogdan, 2013, S. 385; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 124; Kersting/Kleine, in: FS Elsing, 2015, S. 227; Cole/Bantekas/Ferretti et al., Study on Instruments and Practice of Arbitration in the EU, 2014, 15,196; Ojiegbe, J. Priv. Int. L. 2015, 267, 278; Farah/Hourani, J. Priv. Int. L. 2018, 96, 121; Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 85. Im Ergebnis auch Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 325, 327, der allerdings die Argumentation von GA Wathelet als überzeugend ansieht. 45 GA
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
let47 und Teilen der Literatur48 hingegen alles. Eine Stellungnahme in dieser Streitfrage erfordert eine Auslegung der Brüssel Ia-VO. Zunächst wird der Auslegungsgegenstand näher konkretisiert (1.). Anschließend wird dieser den Auslegungsmitteln Historie (2.),49 Wortlaut und Systematik (3.) sowie Sinn und Zweck (4.) zugeführt. Abschließend erfolgt eine Zusammenschau der Auslegungsergebnisse (5.).
1. Auslegungsgegenstand a) Art. 1 Abs. 2 lit. d und Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO Die beiden einzigen Bestimmungen im operativen Teil der Verordnung, die das Verhältnis zur Schiedsgerichtsbarkeit betreffen, sind Art. 1 Abs. 2 lit. d und Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Sie stellen unzweifelhaft einen tauglichen Ausle gungsgegenstand dar. Für eine Abkehr von der West Tankers-Rechtsprechung unter Anwendung der neugefassten Verordnung lässt sich ihnen jedoch nichts entnehmen: Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO, der vorsieht, dass die Verordnung auf die Schiedsgerichtsbarkeit keine Anwendung findet, wurde inhaltsgleich aus dem Vorgängerwerk übernommen. Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, wonach die Verordnung die Anwendung der NYK unberührt lässt, wurde mit der Reform zwar neu eingeführt. Anders als weithin angenommen,50 ergab sich seine Rechtsfolge auch nicht bereits aus Art. 71 Abs. 1 Brüssel I‑VO.51 Weil das 47 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 92 ff. – Gazprom. 48 Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 12.78; Nuyts, Rev. crit. d. i. p. 2013, 1, 15; Moses, NWJIntLB 35/1 (2014) 1, 25; Paschalides, J. Int. Arb. 2017, 333, 341–345. 49 Regelmäßig beginnt der Gerichtshof entsprechend „allgemein anerkannten Ausle gungsprinzipien“ mit einer grammatikalischen Auslegung (vgl. z. B. EuGH, Rs. C-53/81, Slg. 1982, 1035, Rn. 9 – Levin; EuGH, Rs. C-251/95, Slg. 1997 I-6191, Rn. 18 – Puma; EuGH, Rs. C-404/06, Slg. 2008 I-2685, Rn. 31 ff. – Quelle; GA Trstenjak, Schlussanträge v. 4.6.2008, Rs. C-324/07, Slg. 2008, I-8457, Rn. 73 – Coditel Brabant). Vorliegend bietet es sich jedoch an, mit der historischen Auslegung zu beginnen. Denn ohne dezidierte Kenntnis von dem mehr als sieben Jahre andauernden Reformprozess lässt sich die Bedeutung von Wortlaut und Systematik sowie Sinn und Zweck der letztlich vom Gesetzgeber gewählten Option nicht erfassen. Vgl. im Übrigen für die zentrale Rolle der historischen Auslegung im Europäischen Privatrecht EuGH, Rs. C-306/12, EU:C:2013:650, Rn. 22 – Spedition Welter; EuGH, Rs. C-203/09, Slg. 2010 I-10721, Rn. 40 – Volvo; EuGH, verb. Rs. C-68/94 und C-30/95, Slg.1998, I-1453, Rn. 167 f. – Frankreich ./. Kommission; Höpfner/Rüthers, AcP 209 (2009), 1, 14; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 10, Rn. 32; Leisner, EuR 2007, 689 ff.; a. A. Henninger, Europäisches Privatrecht und Methode, 2009, 287. 50 Vgl. nur Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 122. 51 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 43 – Gazprom („Da das New Yorker Übereinkommen ein vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 ausgenommenes Rechtsgebiet regelt, betrifft es […] nicht ein ‚besonderes Rechtsgebiet‘ im Sinne von Art. 71 Abs. 1 dieser Verordnung. Dieser Art. 71 regelt nämlich lediglich das Verhältnis zwischen der Verordnung Nr. 44/2001 und den Übereinkommen, die in den An-
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Motiv, die NYK zu respektieren, seit jeher als wesentlicher Zweck der Schiedsausnahme angesehen wird,52 wurde der heute in Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ausdrücklich geregelte Vorrang der NYK jedoch auch bisher bereits bei der Auslegung der Schiedsausnahme berücksichtigt.53 Außerdem sah der Gerichtshof seine West Tankers-Entscheidung durch Art. II Abs. 3 NYK gerade bestätigt.54
b) ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO Die Rechtslage kann sich daher allenfalls aufgrund des neu in die Verordnung eingeführten ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO verändert haben, der erläutert: „(1) Diese Verordnung sollte nicht für die Schiedsgerichtsbarkeit gelten. Sie sollte die Gerichte eines Mitgliedstaats nicht daran hindern, die Parteien gemäß dem einzelstaatlichen Recht an die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen, das Verfahren auszusetzen oder einzustellen oder zu prüfen, ob die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, wenn sie wegen eines Streitgegenstands angerufen werden, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung getroffen haben. (2) Entscheidet ein Gericht eines Mitgliedstaats, ob eine Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, so sollte diese Entscheidung ungeachtet dessen, ob das Gericht darüber in der Hauptsache oder als Vorfrage entschieden hat, nicht den Vorschriften dieser Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung unterliegen. (3) Hat hingegen ein nach dieser Verordnung oder nach einzelstaatlichem Recht zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats festgestellt, dass eine Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, so sollte die Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache dennoch gemäß dieser Verordnung anerkannt oder vollstreckt werden können. Hiervon unberührt bleiben sollte die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten, über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen im Einklang mit dem am 10. Juni 1958 in New York unterzeichneten Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (‚Übereinkommen von New York von 1958‘) zu entscheiden, das Vorrang vor dieser Verordnung hat. (4) Diese Verordnung sollte nicht für Klagen oder Nebenverfahren insbesondere im Zusammenhang mit der Bildung eines Schiedsgerichts, den Befugnissen von Schiedsrichtern, der Durchführung eines Schiedsverfahrens oder sonstigen Aspekten eines solchen Verfahrens oder für eine Klage oder eine Entscheidung in Bezug auf die Aufhebung, die Überprüfung, die Anfechtung, die Anerkennung oder die Vollstreckung eines Schiedsspruchs gelten.“
Fraglich ist jedoch, welche Bedeutung ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO bei der Ausle gung der Verordnung zukommen kann, insbesondere, ob er als bloße Begrün wendungsbereich dieser Verordnung Nr. 44/2001 fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil TNT Express Nederland, C-533/08, EU:C:2010:243, Rn. 48 und 51)“). 52 Jenard-Bericht, 1968, 13. 53 Vgl. EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 33 – West Tankers. 54 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 33 – West Tankers.
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dungserwägung zu Art. 1 Abs. 2 lit. d und Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO auch selbst zum Gegenstand der Auslegung gemacht werden kann. Gemäß Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV ist eine Verordnung „in allen ihren Teilen verbindlich“. Allerdings sind mit „Verordnung“ nur die Regeln des opera tiven Teils gemeint, nicht auch die Begründungserwägungen.55 Dem entspricht, dass Art. 296 Abs. 2 AEUV zwischen Regelwerk und Begründung unterscheidet. Wie Ziffer 10.1 des Gemeinsamen Leitfadens der Institutionen erläutert, dürfen Erwägungsgründe keine Bestimmungen mit normativem Gehalt enthalten.56 Durch Verwendung des Konjunktivs57 werden sie deshalb so formuliert, dass im Unterschied zum verfügenden Regelwerk ihre Unverbindlichkeit deutlich wird.58 Ihre Funktion besteht zum einen darin, in gerichtsfester Weise zu demonstrieren, dass der Unionsgesetzgeber tätig geworden ist, um die von der Ermächtigungsgrundlage vorgegebenen Zwecke zu verfolgen. Zum anderen sollen für den Rechtsanwender in knapper Form die Zielsetzungen der wichtigsten Bestimmungen dargelegt werden. Normqualität haben Begründungserwägungen demnach nicht.59 Anderer seits wird ihrer Bedeutung nicht gerecht, wer Erwägungsgründen lediglich eine „gewisse Begründungslast“ beimisst, die ein Gericht zu überwinden hat, wenn es von ihnen abweichen will.60 Sie stellen vielmehr in den erweiterten Normtext eingeflossene61 und daher für die Auslegung des verfügenden Regelwerks mehr als nur einfache Gesetzesbegründung dar.62 Anders als diese können Erwägungsgründe auch selbst zum Gegenstand der Auslegung gemacht 55 Vgl. EuGH, Rs. C-45/13, EU:C:2014:7, Rn. 20 – Pantherwerke; EuGH, Rs. C-136/04, Slg. 2005 I-10095, Rn. 32 – Deutsches Milchkontor; EuGH, Rs. C-162/97, Slg. 1998 I-7477, Rn. 54 – Strafverfahren gegen Gunnar Nilsson u. a.; EuGH, Rs. C-308/97, Slg. 1998 I-7865, Rn. 30 – Manfredi; EuGH, Rs. C-344/04, Slg. 2006 I-403, Rn. 76 – Department for Transport; EuGH, Urteil v. 25.2.2010, Rs. C-562/08, Slg. 2010 I-1391, Rn. 40 – Müller Fleisch; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 115 ff. 56 Gemeinsamer Leitfaden der Institutionen, 2015. 57 Gaudemet-Tallon/Kessedjian, RTD eur. 2013, 435, 437. 58 Interinstitutionelle Vereinbarung v. 22.12.1998: Gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften, ABl. EG Nr. C 73/1. 59 Hess, JZ 2014, 538, 540; Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 503; Estrup Ippolito/AdlerNissen, Arb 2013, 158, 169; Steindl, in: FS Torggler, 2013, S. 1187; de Santis, Dir. comm. int. 2013, 383, 400; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 130. 60 Hess, JZ 2014, 538, 540 (vgl. aber auch Hess, IPRax 2006, 348, 354: betont die zentrale Bedeutung der Erwägungsgründe für die Ermittlung des Gesetzgeberwillens). 61 Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 115 ff.; Klimas/Vaiciukaite, ILSA J. Int. & Comp. L. 15 (2008), 61, 73. 62 Vgl. z. B. EuGH (Große Kammer), Rs. C-305/05, Slg. 2007 I-5305, Rn. 24 – Ordre des barreaux francophones et germanophone, sowie EuGH, Rs. C-481/99, Slg. 2001 I-9945, Rn. 39 – Heininger ./. Bayerische Hypo- und Vereinsbank; Estrup Ippolito/Adler-Nissen, Arbitration 2013, 158, 169. Richtig daher Hess, IPRax 2006, 348, 354 und Müller, in: FS Mayer, 2011, S. 408 (den Begründungserwägungen kommt eine zentrale Rolle bei der Ermittlung des Gesetzgeberwillens zu).
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werden.63 Außerdem wird ihnen vom Gerichtshof bei der Ermittlung des Gesetzgeberwillens eine zentrale Bedeutung beigemessen, die merklich über die einfacher Gesetzesmaterialien hinausgeht.64 Voraussetzung ist allerdings, dass sich das Auslegungsergebnis, das sich auf ihrer Grundlage ergibt, innerhalb der Grenzen von Wortlaut, Systematik und Sinn des verfügenden Regelwerks bewegt.65
2. Historische Auslegung Grundlage der historischen Auslegung ist der mehr als sieben Jahre andauernde Revisionsprozess der Brüssel I‑VO. Dieser wird zunächst chronologisch darge stellt, soweit er das Verhältnis des Brüssel-Systems zur Schiedsgerichtsbarkeit betrifft (a)). Sodann wird erarbeitet, welche Rückschlüsse sich auf den Willen des Unionsgesetzgebers ziehen lassen, die Aufschluss über den Fortbestand der West Tankers-Rechtsprechung geben (b)).
a) Entstehung der Brüssel Ia-VO aa) Heidelberg-Bericht, September 2007 Gemäß Art. 73 Brüssel I‑VO sollte die Kommission dem Europäischen Parla ment, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss spätestens am 1. März 2007 einen Bericht über die Anwendung der Brüssel I‑VO mit Ände rungsvorschlägen vorlegen. Um eine Grundlage für diesen Bericht zu schaffen, beauftragte die Kommission im Jahr 2005 die Professoren Hess, Pfeiffer und 63 Vgl.
Köndgen, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 6, Rn. 49 f. Vgl. nur EuGH (Große Kammer), Rs. C-236/09, Slg. 2011 I-773, Rn. 30 – Test-Achats (Gerichtshof bezeichnet Begründungserwägungen als „Prämisse“ des Gesetzgebungsakts); EuGH, Rs. C-481/99, Slg. 2001 I-9945, Rn. 39 – Heininger ./. Bayerische Hypo- und Vereinsbank. 65 EuGH, Urteil v. 16.4.2014, Rs. C-45/13, EU:C:2014:7, Rn. 20 – Pantherwerke („Ferner ergibt sich zwar aus dem siebten ErwGr. der Verordnung Nr. 864/2007, dass der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 44/2001 auf der einen und den materiellen Anwendungsbereich und die Bestimmungen der VO Nr. 864/2007 auf der anderen Seite miteinander in Einklang bringen wollte, daraus folgte jedoch nicht, dass die Bestimmungen der VO Nr. 44/2001 mithin im Lichte der Bestimmungen derVO Nr. 864/2007 auszulegen wären. Die angestrebte Kohärenz kann keineswegs zu einer Auslegung der Bestimmungen der VO Nr. 44/2001 führen, die ihrer Systematik und ihren Zielsetzungen fremd ist.“); EuGH, Rs. C-136/04, Slg. 2005 I-10095, Rn. 32 – Deutsches Milchkontor, unter Bezugnahme auf EuGH, Rs. C-162/97, Slg. 1998 I-7477, Rn. 54 – Strafverfahren gegen Gunnar Nilsson u. a. und EuGH, Rs. C-308/97, Slg. 1998 I-7865, Rn. 30 – Manfredi („Was die zehnte Begründungserwägung der Verordnung […] betrifft, so genügt die Feststellung, dass die Begründungserwägungen eines Gemeinschaftsrechtsaktes rechtlich nicht verbindlich sind und weder herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des betreffendenden Rechtsaktes abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht.“). Vgl. allerdings EuGH (Große Kammer), Rs. C-236/09, Slg. 2011 I-773, Rn. 30 – Test-Achats (Gerichtshof verhilft dem ErwGr. gegen den klaren Wortlaut des verfügenden Teils zur Geltung). 64
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Schlosser mit der Durchführung einer empirischen Studie über die Anwendung der Verordnung, deren Ergebnisse im September 2007 im sog. Heidelberg-Bericht veröffentlicht wurden.66 Zur Schiedsausnahme erläuterten die Berichterstatter, dass die nationalen Interessenvertreter einer Ausdehnung der Verordnung auf die Schiedsgerichts barkeit überwiegend kritisch gegenüberstünden.67 Andererseits könnten Probleme bei der Abstimmung von Schiedsverfahren und gerichtlichen Verfahren spätestens seit der Vorlage des House of Lords in Sachen West Tankers68 nicht weiter ignoriert werden.69 Vor diesem Hintergrund schlugen die Berichterstatter eine teilweise Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in die Verordnung vor: Hiernach sollte Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel I‑VO gestrichen werden, sodass künftig staatliche Verfahren mit einem Bezug zur Schiedsgerichtsbarkeit in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen und darin ergangene Entscheidungen unionsweit zirkulieren würden.70 Jedoch sollte die Verordnung auf Schiedsverfahren und die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen weiterhin nicht anwendbar sein.71 Das sei durch die in der Verordnung verwendeten Begriffe „Gericht“ und „Entscheidung“ sichergestellt, die nach der Definition in Art. 32 Brüssel I‑VO nur staatliche Gerichte und Entscheidungen erfassten. Auch der Vorrang der NYK vor dem Brüssel-System sei durch Art. 71 Abs. 1 Brüssel I‑VO gewährleistet. Neben der Streichung der Schiedsausnahme sah der Vorschlag für Annexund Nebenverfahren zur Unterstützung von Schiedsverfahren eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte am Sitz des Schiedsgerichts vor.72 Zudem schlugen die Berichterstatter vor, entsprechend der für Gerichtsstandsabreden tatsächlich Gesetz gewordenen Regelung in Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO auch zum Schutz von Schiedsabreden einen modifizierten Litispendenz-Mechanismus einzuführen.73 Danach sollte ein mitgliedstaatliches Gericht, das wegen eines schiedsbefangenen Gegenstands angerufen wird, künftig das Ruhen des Verfahrens anordnen müssen, sobald der Beklagte die Schiedseinrede erhoben hat und die mitgliedstaatlichen Gerichte am Sitz des Schiedsgerichts mit der Feststellung der (Un-)Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung befasst sind. Der Sitz des Schiedsgerichts sollte dabei in einem neuen Erwägungsgrund unionsautonom definiert werden.74 66 67
Heidelberg-Bericht, 2007. Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 109. 68 West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta (The „Front Comor“) [2007] 1 Lloyd’s Rep 391 (UKHL). 69 Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 115. 70 Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 131. 71 Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 122. 72 Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 132. 73 Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 133 f. 74 Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 135 f.
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 21
bb) West Tankers-Entscheidung, Februar 2009 Am 10. Februar 2009 erging die West Tankers-Entscheidung des EuGH. Das Ergebnis fügte sich nahtlos ein in die bestehende Rechtsprechung des Gerichtshofs, war aus unionsrechtlicher Perspektive stimmig und vorhersehbar.75 Den noch brach in weiten Teilen des Schriftums und der internationalen Schiedsszene ein regelrechtes Donnerwetter aus:76 Im Vereinigten Königreich beklagte man, dass die Gerichte am Sitz des Schiedsgerichts durch das Verbot von anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden einem Vertragsbruch durch einen bösgläubigen Gerichtskläger nunmehr machtlos gegenüberstünden.77 Dadurch werde auch die Wettbewerbsfähigkeit Londons als Schiedsstandort beeinträchtigt.78 Mitgliedstaatsübergreifend wurde moniert, dass die Entscheidungsbegrün dung durch den Gerichtshof eine exzessive Ausdehnung des Brüssel-Systems auf die Schiedsgerichtsbarkeit darstelle.79 Gegenstand dieser Kritik war insbesondere die folgende Urteilspassage: 75 Dutta/Heinze, Yb. Priv. Int. L. 2007, 415, 419; Fentiman, Richard: Arbitration and the Brussels Regulation, Cambr. LJ 2007, 493–495; Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 203 f.; Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 12.18; Balthasar/Richers, RIW 2009, 351, 354; Mourre/Vagenheim, Int. A. L. R. 2009, 75, 75; Bermann, Arb. Int. 28 (2012), 397, 403; Möller, in: FS Bogdan, 2013, S. 377; Farah/Hourani, J. Priv. Int. L. 2018, 96, 118–121; a. A. GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 99 ff. – Gazprom; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 15 („Das Verfahren vor dem House of Lords unterfiel also dem Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO, sodass sich das Problem einer etwaigen Unvereinbarkeit einer anti-suit injunction mit der EuGVVO eigentlich nicht zu stellen schien. Das hinderte den EuGH jedoch nicht daran, die englische Verfügung mit einer sehr extensiven Auslegung des Geltungsanspruchs der EuGVVO trotzdem als mit der Verordnung unvereinbar zu betrachten, indem er nicht – wie zu erwarten – auf das englische Verfahren vor dem House of Lords abstellte, sondern auf dasjenige in Italien.“). Der EuGH stellte allerdings bereits in der Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565 – Turner nicht auf das englische Verfahren auf Erlass einer anti-suit injunction, sondern auf das von der anti-suit injunction betroffene Verfahren ab. 76 Mourre/Vagenheim, Int. A. L. R. 2009, 75, 75 („Rarely did an ECJ judgment cause such concern and give rise to so many reactions as in the West Tankers case.“); Grierson, J. Int. Arb. 26/6 (2009), 891, 896 f. mit zahlreichen Nachweisen (spricht von „considerable anger“ und „mass of criticisms“). Vgl. z. B. Knight, LMCLQ 2009, 285; Bělohlávek, ASA Bull 2009, 646; Crespi Reghizzi, Yb. Priv. Int. L. 2009, 427; Dutson/Howarth, Arbitration 2009, 334; Rainert, Cornell L. Rev. 95/2 (2009–2010), 431; Santomauro, J. Priv.Int.L. 2010, 281; Fentiman, Cambr. LJ 2009, 278; Peel, L. Q. R. 2009, 365; Dal, Rev. prat. soc. 2010, 22; Kessedjian, D. 2009, 983; Muir Watt, Rev. crit. d. i. p. 2009, 373; Audit, JDI 2009, 1285; Bollée, Rev. arb. 2009, 413. 77 Regierung des Vereinigten Königreichs, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, Rn. 34; Briggs, LMCLQ 2009, 161, 162; Hales/Rogerson, Austr. Yb. Int. Arb. 2010, 17, 181. 78 Hales/Rogerson, Austr. Yb. Int. Arb. 2010, 17, 182. 79 Bollé, Rev. arb. 2009, 413, 418; Kessedjian, D. 2009, 983, 984 f.; Clavel, Petites affiches 53 (2009), 16, 16 f.; Fentiman, I. J. P. L. 2011, 151, 157 f.; Französische Regierung, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
„[…] [D]ann, wenn ein Verfahren nach seinem Streitgegenstand, d. h. nach der Rechtsnatur der in diesem Verfahren zu sichernden Ansprüche, etwa eines Schadensersatzanspruchs, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fällt, fällt eine Vorfrage, die die Anwendbarkeit einer Schiedsvereinbarung einschließlich deren Gültigkeit betrifft, ebenfalls in den Anwendungsbereich dieser Verordnung.“80
Die Urteilspassage bezog sich auf die sachliche Anwendbarkeit der Verordnung auf ein Verfahren vor einem Erstgericht.81 Der englische Court of Appeal in National Navigation82 und die ganz h. M.83 übertrugen sie jedoch unmodifiziert auf die Verfahrenssituation vor einem Zweitgericht. So ergebe sich aus der zitierten Passage „zwingend“84, dass die Entscheidung des Erstgerichts über die Schiedseinrede – gleich ob als Zwischen- oder inzidente Entscheidung im Rahmen des Hauptsacheurteils – den Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln der Verordnung unterfalle. Voraussetzung sei lediglich, dass der Hauptgegenstand des Erstverfahrens vom Anwendungsbereich der Verordnung erfasst sei. In der Tat: Die Konsequenzen einer derartigen Auslegung der Schiedsaus nahme wären höchst bedenklich.85 Ein bösgläubiger Gerichtskläger könnte dann nämlich in der Hauptsache vor den Gerichten eines schiedskritischen Mitgliedstaats klagen, ein frühes Zwischenurteil über die Nichtanwendbarkeit der Schiedsabrede erwirken und damit im Schiedsstaat aufgrund des BrüsselSystems die Beendigung des parallelen Schiedsverfahrens bzw. die Aufhebung des hieraus resultierenden Schiedsspruchs erzwingen.86 Der Schiedskläger könnte dagegen im Schiedsstaat durch staatliche Gerichte allenfalls isoliert die Anwendbarkeit der Schiedsabrede feststellen lassen. Da diese Entscheidung aber aus einem Verfahren stammen würde, dessen Hauptgegenstand der Schiedsausnahme unterfällt, wären die Gerichte im Gerichtsstaat an sie nach dem Brüssel-System nicht gebunden. Der bösgläubige Gerichtskläger könnte also das eigentlich vereinbarte Schiedsverfahren mithilfe der Verordnung unterbinden, der gutgläubige Schiedskläger das Torpedoverfahren dagegen nicht. 80 81
EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 26 – West Tankers. Vgl. EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 25 – West Tankers. 82 National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397. 83 So z. B.Illmer, IHR 2011, 108, 112; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 47 ff.; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 91; Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 983; Nuyts, Rev. crit. d. i. p. 2013, 1, 18; Bertoli, in: Emanuele/Molfa, 2014, S. 277, 279; Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 53 f., Rn. 2.39, 2.41; Hauberg Wilhelmsen, Arb. Int. 30 (2014),, 169, 179 f.; Estrup Ippolito/AdlerNissen, Arb 2013, 158, 167; Van Haersolte-Van Hof, NIPR 2011, 280, 286; Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 19; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 91; Markus/Giroud, Bull. ASA 28/2 (2010), 230, 238 f.; International Bar Association, Arbitration Committee, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, Rn. 14. 84 Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 47 („zwingend“); Illmer, IHR 2011, 108, 112 („zwingend“). Vgl. auch National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 40 („no doubt“); Erk, Parallel Proceedings, 2014, 92. 85 Kessedjian, D. 2009, 983, 984 f. 86 National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397.
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 23
Es ist allerdings zweifelhaft, dass die Richter des EuGH, die stets auf Einzel fallbezogenheit bedacht sind, in der zitierten Passage eine derartige Auslegung der Schiedsausnahme vorgeben wollten.87 Dass für die Beurteilung der sachlichen Anwendbarkeit der Verordnung auf das Verfahren vor einem Erstgericht maßgeblich auf den Hauptgegenstand dieses Verfahrens abzustellen ist, leuchtet ohne Weiteres ein. Die Alternative, das Abstellen auf den Gegenstand der jeweils zu entscheidenden (Vor-)Frage, hätte eine prozessökonomisch nicht zu rechtfertigende Verfahrensaufspaltung zur Konsequenz. Mit Blick auf die Schiedsausnahme bestünde außerdem die Gefahr, dass die beklagte Partei durch die bloße Behauptung einer Schiedsvereinbarung die Anwendbarkeit der Verordnung und die hiernach bestehende Kompetenz-Kompetenz mitgliedstaatlicher Gerichte aushebeln könnte.88 Für ein Zweitgericht, das mit der Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung befasst ist, spielen diese Überlegungen hingegen keine Rolle. Hier erscheint es vielmehr naheliegend und natürlich, als Bezugspunkt für die Beurteilung der sachlichen Anwendbarkeit der Bestimmungen der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung auf den Gegenstand der jeweils anzuerkennenden Entscheidung i. S. v. Art. 32 Brüssel I‑VO abzustellen.89 Es ist richtig, dass als Konsequenz der verschiedenen Bezugspunkte die sachliche Anwendbarkeit der Bestimmungen der Verordnung über die Zuständigkeit für den Erlass einer Entscheidung im Erstverfahren einerseits (Kapitel II) und über die Anerkennung dieser Entscheidung in einem Zweitverfahren andererseits (Kapitel III) auseinanderfallen können. Eine solche Möglichkeit ist jedoch alles andere als „highly anomalous“90, sondern auch in Bezug auf den persönlich-räumlichen Anwendungsbereich des Brüssel-Systems seit jeher anerkannt.91 87
Im Ergebnis ebenso Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 124. Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 58 – West Tankers. 89 Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 46 („Eine Entscheidung wird nur insoweit nach der Brüssel Ia-VO anerkannt und für vollstreckbar erklärt, wie die Brüssel Ia-VO sachlich anwendbar ist. Ob und, wenn ja, in welchem Umfang, eine Entscheidung unter die Brüssel Ia-VO fällt, beurteilt sich nach den in ihr sachlich ausgeurteilten Ansprüchen. Soweit sie Ansprüche betrifft, die unter die Brüssel Ia-VO fallen, fällt sie ihrerseits nicht unter die Brüssel Ia-VO. Soweit sie dagegen Ansprüche betrifft, die nicht unter die Brüssel Ia-VO, fällt sie ihrerseits nicht unter die Brüssel Ia-VO.“). Vgl. auch die Position von Barrister Whitehead in National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 44, 101 (wurde vom Court of Appeal in Rn. 46, 103 ff. ausdrücklich, aber wenig überzeugend verworfen). 90 Moore-Bick LJ in National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 93 („[…] if the principal issue is such that the proceedings are to be treated as falling within the Regulation, it would be highly anomalous if a judgment given in those proceedings did not also fall within it.“). 91 Aus Sicht eines Erstgerichts setzt die persönliche Anwendbarkeit der Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung (Kapitel II) grundsätzlich voraus, dass der (Wohn-)Sitz des Be88 GA
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Stellte man für die Beurteilung der sachlichen Anwendbarkeit der Bestimmungen aus Kapitel III der Verordnung demgegenüber auf den Hauptgegenstand des Verfahrens ab, aus dem die anzuerkennende Entscheidung stammt, müssten ohne normative Grundlage Entscheidungen zu Bereichen anerkannt werden, die ausweislich von Art. 1 Abs. 2 Brüssel I‑VO den einzelstaatlichen Anerkennungsregimen vorbehalten bleiben sollen. Außerdem würde letztlich Willkür, nämlich die Art der prozessualen Einführung eines Rechtsstreits als Vor- oder Hauptfrage, über die unionsweite Zirkulation seiner Entscheidung bestimmen. Spätestens seit dem Urteil des englischen Court of Appeal in National Navigation bestand nun aber ein Bedürfnis nach einer Klarstellung, dass Entscheidungen über die Gültigkeit der Schiedsabrede nicht nach der Verordnung zirkulieren – auch dann nicht, wenn über sie als Vorfrage in einem Verfahren entschieden wurde, dessen Hauptgegenstand dem Brüssel-System unterfällt.92 In Frankreich stieß die zitierte Passage93 aus einem weiteren Grund auf Kritik. Denn mit dem Grundsatz der negativen Kompetenz-Kompetenz (Art. 1448 CPC) – ein in Frankreich besonders hochgehaltenes Prinzip des autonomen Schiedsverfahrensrechts – sei sie unvereinbar.94 Während der Gerichtshof nämlich ausführe, dass in der Situation West Tankers italienische Gerichte befugt seien, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit und damit auch über die Vorfrage der Anwendbarkeit der Schiedsabrede zu entscheiden, stehe französischen Gerichten nach diesem Grundsatz – jedenfalls nach der Konstituierung des Schiedstribunals – eine solche Befugnis nicht zu. Die Kritik aus Frankreich setzte die vom EuGH herangezogene Befugnis, die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung zu prüfen, mit einer dahingehenden Verpflichtung gleich. Der West Tankers-Entscheidung des Gerichtshofs war eine Einschränkung der Mitgliedstaaten, nach einzelstaatlichem klagten innerhalb der EU liegt (vgl. Art. 2–4 Brüssel I‑VO). Räumlich muss der Streitgegenstand einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Aus Sicht eines Zweitgerichts werden dagegen in persönlicher Hinsicht keine Anforderungen an die Anwendbarkeit der Bestimmungen der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen (Kapitel III) gestellt. Für die räumliche Anwendbarkeit reicht aus, dass die anzuerkenndende Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat stammt. Daher besteht etwa auch die Möglichkeit, dass eine Entscheidung nach der Verordnung anerkannt werden muss, obwohl das Erstgericht die eigene Zuständigkeit auf einzelstaatliches Recht gestützt hat (z. B. weil der Wohnsitz des Beklagten außerhalb der EU lag oder der Streit einen reinen Inlandssachverhalt betraf). Dabei ist für die Anwendbarkeit von Kapitel III der Verordnung unerheblich, ob das Erstgericht die Zuständigkeit zu Recht oder zu Unrecht nach einzelstaatlichem Recht beurteilt hat (vgl. Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 5 Brüssel Ia-VO, Rn. 8, Art. 6 Brüssel Ia-VO, Rn. 13; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.04). Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf Art. 48 Brüssel I‑VO und EuGH, C-220/95, Slg. 1997 I-1147 – Van den Boogaard. 92 Vgl. hierzu ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. 93 Vgl. oben S. 22. 94 Vgl. Französische Regierung, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO; Bollé, Rev. arb. 2009, 413.
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Recht über das „Ob“ und „Wie“ der Entscheidung über die Schiedseinrede bestimmen zu können, nicht zu entnehmen.95 Auch in dieser Hinsicht bestand nun aber ein Klarstellungsbedürfnis.96
cc) Grünbuch der Kommission, April 2009 Im April 2009, mitten in der hitzigen Diskussion über den Heidelberg-Bericht und die West Tankers-Entscheidung, veröffentlichte die Kommission ihr Grünbuch zur Überprüfung der Brüssel I‑VO. Aufbauend auf dem Heidelberg-Bericht schlug die Kommission eine teilweise Aufhebung der Schiedsausnahme vor und leitete eine öffentliche Konsultation ein. In diesem Rahmen erfolgten zahlreiche Stellungnahmen und Vorschläge, die von der Ausdehnung der Schiedsausnahme auf sämtliche schiedsbezogene Verfahren97 bis zur Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in das Brüssel-System, gepaart mit unions95 Auswirkungen auf den französischen Grundsatz der negativen Kompetenz-Kompetenz hätten sich nur dann ergeben, wenn sich aus der West Tankers-Entscheidung tatsächlich die soeben dargestellte „Weiterentwicklung“ ergeben hätte, wonach mitgliedstaatliche Entscheidungen über die Wirksamkeit der Schiedsabrede nach der Brüssel I‑VO zirkulieren, wenn die Verordnung auf den Hauptgegenstand des zugrundeliegenden Verfahrens sachlich anwendbar ist. Betroffen wäre namentlich die internationale Dimension der negativen Kompetenz-Kompetenz gewesen. Zur Illustration dient CA Paris, 15.6.2006, Rev. arb. 2007, 87 – Fincantieri: Drei italienische Unternehmen schlossen mit der irakischen Regierung Verträge über die Lieferung von Schiffen. Streitigkeiten sollten durch ein Schiedsgericht entschieden werden. Zahlreiche Handelsembargos anlässlich der irakischen Invasion in Kuwait machten die Lieferung von Schiffen unmöglich. Die italienischen Unternehmen klagten daraufhin vor italienischen Gerichten auf Auflösung der Verträge und Schadensersatz. Die irakische Regierung erhob die Schiedseinrede. Anders als das erstinstanzliche Gericht wies das Berufungsericht die Schiedseinrede zurück und ordnete die Fortsetzung des Verfahrens vor italienischen Gerichten an. Die italienischen Unternehmen beantragten daraufhin die Anerkennung dieser Entscheidung in Frankreich. Das französische Berufungsgericht lehnte die Anwendung des EuGVÜ auf die Zurückweisung der Schiedseinrede ab, da die Entscheidung der Schiedsausnahme unterfalle und prüfte sodann das französisch-italienische Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen. Danach setzt eine Anerkennung voraus, dass die Entscheidung von einem Gericht getroffen wurde, das nach den Vorschriften des Anerkennungsgerichts sachentscheidungsbefugt war. Hier griff nun das französische Prinzip der negativen Kompetenz-Kompetenz, Art. 1448 CPC: Da die Nichtigkeit der Schiedsabrede jedenfalls nicht offensichtlich war, hätte das genuesische Gericht die Parteien aus französischer Sicht ohne weitere Prüfung auf das schiedsrichterliche Verfahren verweisen müssen. Für die Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsabrede war das genuesische Gericht nach französischem Rechtsverständnis unzuständig. International führte die Anwendung der negativen Kompetenz-Kompetenz folglich dazu, dass der italienischen Entscheidung in Frankreich die Anerkennung zu versagen war. Wäre die Verordnung dagegen auf die Anerkennung der Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsabrede anwendbar gewesen, wie es die ganz überwiegende Ansicht in die Begründung der West TankersEntscheidung hineingelesen hat, so hätte das französische Berufungsgericht die Zuständigkeit des Erstgerichts nicht überprüfen dürfen – auch nicht nach dem Grundsatz der negativen Kompetenz-Kompetenz, Art. 35 Abs. 3 Brüssel I‑VO. 96 Vgl. hierfür ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO. 97 Vgl. z. B. Europäisches Parlament, Entschließung v. 7.9.2010 zu der Umsetzung und Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit
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rechtlichen Regeln über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen98 reichten. Gegen den Heidelberg-Bericht und die Vorschläge der Kommission im Grünbuch wurde massiver Widerstand der internationalen Schiedsszene erkennbar,99 staatlicherseits transportiert insbesondere durch das Vereinigte Königreich100 und Frankreich.101 Dabei sprach sich die in Paris und London besonders stark vertretene Schiedsindustrie für eine möglichst weitgehende Trennung der Schiedsgerichtsbarkeit vom Brüssel-System aus.102
dd) Kommissionsvorschlag, Dezember 2010 Die Kommission setzte im Jahr 2010 eine Expertengruppe ein, die über die Schiedsausnahme beraten sollte.103 Auf dieser Grundlage präsentierte die Kommission drei Handlungsoptionen:104 Erstens, der Status quo wird beibehalten. Zweitens, die Schiedsausnahme wird erweitert. Drittens, die Schiedsausnahme wird teilweise aufgehoben und Bestimmungen werden in die Verordnung eingeführt, um den Schutz von Schiedsabreden zu verbessern. und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (2009/2140(INI)). 98 Vgl. z. B. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme v. 23.7.2011 zum Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG Nr. C 218/78. 99 Vgl. die Stellungnahmen zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO durch: Association for International Arbitration; Allen and Overy LLP; Barreaux de France; Centre belge d’arbitrage et de médiation; Camera arbitrale di Milano; Chambre de commerce et d’industrie de Paris; Clifford Chance LLP; Comité français de l’arbitrage; Comité national français de la Chambre de commerce Internationale; Deutscher Industrie- und Handelskammertag; International Bar Association Arbitration Committee; Professeur E. Gaillard, Paris – The Home of International Arbitration; Lovells LLP; Club Español del Arbitraje; Sección Española de la International Law Association. 100 Regierung des Vereinigten Königreichs, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO. 101 Französische Regierung, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO. 102 Vgl. aber bereits hier die wenig hoffnungsvolle Einschätzung von Oliver Parker, Senior Legal Advisor im Ministry of Justice des Vereinigten Königreichs, in: House of Lords, European Union Committee, 21st Report of Sessions 2008–09, Green Paper on the Brussels I Regulation – Report with Evidence, S. 26 (gefragt, ob man die West Tanker-Entscheidung des EuGH im Reformprozess wird umschreiben können, antwortete Mr. Parker: „[o]ur assessment is that that is very unlikely […]. [Anti-suit injunction are] […] widely seen amongst the other Member States […] as being contrary to the principle of mutual trust that underlies the Regulation.“). 103 Hess, IPRax 2011, 125, 130; Illmer, RabelsZ 75 (2011), 645, 657. 104 Kommission, Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen, Zusammenfassung der Folgenabschätzung, Begleitdokument zum Vorschlag für eine Brüssel I‑VO (Neufassung), 14.12.2010, SEK(2010) 1548, Ziff. 2.4.3.; vgl. auch Kommission, Commission Staff Working Paper, Impact Assesment, Acompanying document to to the Brussels I Regulation (Recast), 14.12.2010, SEC(2010) 1547.
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Die Kommission selbst sprach sich mit ihrem Vorschlag vom 17. Dezember 2010105 für die dritte Option aus, allerdings gegenüber den Vorschlägen im Heidelberg-Bericht und im Grünbuch deutlich zurückhaltender. Art. 1 Abs. 1 lit. d Brüssel I‑VO sollte grundsätzlich beibehalten werden. Eine Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit sollte nur erfolgen, soweit dies nötig sei, um mitgliedstaats- und gerichtsbarkeitsübergreifende Parallelverfahren, potentiell widersprüchliche Entscheidungen und missbräuchliche Prozesstaktiken zu unterbinden.106 Von dem Vorschlag im Heidelberg-Bericht, alle Verfahren vor staatlichen Gerichten mit Bezug zur Schiedsgerichtsbarkeit in den Anwendungsbereich der Verordnung aufzunehmen, sodass die in diesen Verfahren ergehenden Entscheidungen unionsweit zirkulieren, nahm die Kommission hingegen Abstand. Damit entfiel auch der ursprüngliche Vorschlag, eine ausschließliche Zuständigkeit am Sitz des Schiedsgerichts für Annex- und Nebenverfahren einzuführen. Der Litispendenz-Mechanismus sollte hingegen – wenn auch gegenüber dem Heidelberg-Bericht und dem Grünbuch modifiziert – in einem neuen Art. 29 Abs. 4 Brüssel Ia-VO‑E,107 konkretisiert durch Art. 33 Abs. 3 Brüssel IaVO‑E,108 Eingang in die Neufassung finden.
ee) Entwurf der legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments, Juni 2011 Der Rechtsausschuss des Parlaments hielt in seinem Entwurf für eine legislative Entschließung an der vom Parlament bereits zum Grünbuch vertretenen Ansicht109 fest und sprach sich entschieden dagegen aus, die Schiedsausnahme 105 Vorschlag der Kommission vom 14.12.2010 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), KOM(2010) 748 endgültig. 106 Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO‑E („Diese Verordnung […] ist nicht anzuwenden auf die Schiedsgerichtsbarkeit, außer in den in Artikel 29 Absatz 4 und Artikel 33 Absatz 3 genannten Fällen […].“). 107 Art. 29 Abs. 4 Brüssel Ia-VO‑E („Wenn der vereinbarte oder bezeichnete Schiedsort in einem Mitgliedstaat liegt, setzen die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats, deren Zuständigkeit auf der Grundlage einer Schiedsvereinbarung angefochten wird, das Verfahren aus, sobald die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich der Schiedsort befindet oder das Schiedsgericht angerufen wurden, um in der Haupt- oder Vorfrage festzustellen, ob die Schiedsvereinbarung besteht, ob sie gültig ist und welche Wirkungen sie hat. Dieser Absatz schließt nicht aus, dass sich das Gericht, dessen Zuständigkeit angefochten wird, in der vorstehend genannten Situation für unzuständig erklärt, wenn sein innerstaatliches Recht dies verlangt. Wurden das Bestehen, die Gültigkeit und die Wirkungen der Schiedsvereinbarung festgestellt, erklärt sich das angerufene Gericht für unzuständig. Dieser Absatz gilt nicht für die in den Abschnitten 3, 4 und 5 des Kapitels II genannten Streitigkeiten.“). 108 Art. 33 Abs. 3 Brüssel Ia-VO‑E („Für die Zwecke dieses Abschnitts gilt ein Schiedsgericht als befasst, wenn eine Partei einen Schiedsrichter benannt hat oder wenn eine Partei die Unterstützung einer Einrichtung, Behörde oder eines Gerichts bei der Einsetzung des Schiedsgerichts beantragt hat.“). 109 Europäisches Parlament, Entschließung v. 7.9.2010 zu der Umsetzung und Überprü
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(auch nur teilweise) abzuschaffen.110 Stattdessen befürwortete das Parlament ihre Erweiterung hin zu einem Totalausschluss. Danach sollten letztlich jedes Verfahren und jede Entscheidung, in der sich die Frage der Wirksamkeit und Reichweite einer Schiedsabrede stellt, vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen werden. Ausdrücklich strebte das Parlament damit auch eine Abkehr von der West Tankers-Entscheidung des EuGH an.111 Umgesetzt werden sollte dies in einem Erwägungsgrund112 und einer Klarstellung in Art. 1 Abs. 2 lit d Brüssel Ia-VO‑E. Danach sollte die Schiedsgerichtsbarkeit künftig „einschließlich Gerichtsverfahren, bei denen es in der Hauptsache oder im Rahmen einer Neben- oder Vorabfrage um die Wirksamkeit oder den Umfang einer Schiedsgerichtszuständigkeit geht“,113 vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeklammert werden. fung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (2009/2140(INI)), ErwGr. M. 110 Europäisches Parlament, Rechtsausschuss, Tadeusz Zwiefka als Berichterstatter, Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), 28.6.2011, (2010/0383(COD)), Änderungsanträge 1, 10 und 24. 111 Vgl. Europäisches Parlament, Entschließung v. 7.9.2010 zu der Umsetzung und Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (2009/2140(INI)), ErwGr. M („[…] whereas the various national procedural devices developed to protect arbitral jurisdiction (anti-suit injunctions so long as they are in conformity with free movement of persons and fundamental rights, declaration of validity of an arbitration clause, grant of damages for breach of an arbitration clause, the negative effect of the ‚Kompetenz-Kompetenz principle‘, etc.) must continue to be available and the effect of such procedures and the ensuing court decisions in the other Member States must be left to the law of those Member States as was the position prior to the judgment in Allianz and Generali Assicurazioni Generali […]“). 112 Europäisches Parlament, Rechtsausschuss, Tadeusz Zwiefka als Berichterstatter, Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), 28.6.2011, (2010/0383(COD)), Änderungsantrag 1 („Die Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt sollte vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. Die Verordnung gilt folglich nicht für Rechtsstreitigkeiten oder Anträge, die die Parteien einer schiedsrichterlichen Vereinbarung oder Streitbeilegung unterworfen haben oder die aufgrund eines internationalen Vertrags der Schiedsgerichtsbarkeit unterliegen. Die Verordnung gilt auch nicht für Streitigkeiten oder Entscheidungen betreffend das Bestehen oder die Gültigkeit einer schiedsrichterlichen Vereinbarung oder Streitbeilegung, oder etwaige einstweilige oder vorbeugende Maßnahmen, die im Kontext einer Rechtsstreitigkeit oder eines Antrags ergriffen wurde, welche die Streitparteien einer schiedsrichterlichen Vereinbarung oder Streitbeilegung unterworfen haben oder die aufgrund eines internationalen Vertrags der Schiedsgerichtsbarkeit unterliegen.“). 113 Europäisches Parlament, Rechtsausschuss, Tadeusz Zwiefka als Berichterstatter, Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 29
ff) Diskussion im Rat der Europäischen Union, Februar 2011 bis Juli 2012 Bei den ersten Treffen der zuständigen Arbeitsgruppe im Februar114 und März 2011115 zeigte sich auch im Rat Widerstand gegen den Vorschlag der Kommission, die Schiedsgerichtsbarkeit teilweise in das Brüssel-System einzubeziehen. Andererseits wurde in der ersten Runde schriftlicher Stellungnahmen auch deutlich, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten ebensowenig eine Erweiterung der Schiedsausnahme mittragen würde: Von den 13 Delegationen, die in der ersten Runde Stellungnahmen abgaben, machten sich fünf Mitgliedstaaten für eine teilweise Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit stark (Deutschland, Spanien, Belgien, Österreich und Estland).116 Sechs Mitgliedstaaten sprachen sich für die Beibehaltung des Status quo aus (Zypern, Finnland, Schweden, Italien, Polen und Dänemark).117 Nur eine Minderheit von drei Mitgliedstaaten befürwortete eine Erweiterung der Schiedsausnahme118 (das Vereinigte Königreich, Frankreich und Lettland).119 Beispielhaft120 für die Ansicht der Mehrheit Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), 28.6.2011, (2010/0383(COD)), Änderungsantrag 10. 114 Council of the European Union, Record of the meeting of the Working Party on Civil Law Matters (Brussels I), 2/3 February 2011 (ST 9566 2011 INIT), 2. 115 Council of the European Union, Record of the meeting of the Working Party on Civil Law Matters (Brussels I), 2/3 March 2011 (ST 9670 2011 INIT), 6–7. 116 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments by the: German delegation, 8.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 7), 4, 13., 17, ebenso offenbar: Belgian delegation, 10.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 9), 3; Estonian delegation, 28.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 15), 2; Spanish delegation, 29.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 16), 3, 9; Austrian delegation, 1.7.2011 (ST 9474 2011 ADD 17), 2–3. 117 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments by the: delegation of Cyprus, 2.5.2011 (ST 9474 2011 INIT), 3–4; Finnish delegation, 6.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 2), 4; Swedish delegation, 6.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 4), 4–5; Italian delegation, 6.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 3), 7; Polish delegation, 6.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 5), 2–4; Danish delegation, 15.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 11), 6. 118 Vgl. für eine ex post-Einschätzung auch Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Observations by the Finnish delegation on certain issues, 6.9.2011 (ST 13756 INIT), 4 („To begin with, the Finnish delegation is not of the opinion that a great majority of Member States favour an extended exclusion of arbitration. Instead, many delegations stand behind a status quo-solution and also the commission proposal has gained support.“). 119 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments from the: United Kingdom delegation, 8.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 8), 2–4 (alle von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen sollen gestrichen und stattdessen die Verordnung wie folgt abgeändert werden: ErwGr. X Brüssel Ia-VO‑E: „In order to ensure that all aspects of arbitration are kept outside the scope of this Regulation, and to safeguard the full application and operation between Member States
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im Rat war die Stellungnahme der finnischen Delegation vom 6. September 2011.121 Danach könnte eine bösgläubige Partei im Fall der Erweiterung der Schiedsausnahme künftig allein mit der Behauptung einer Schiedsabrede die Anwendbarkeit der Verordnung aushebeln.122 Vor diesem Hintergrund gab die finnische Delegation zu bedenken: „If the extended exclusion could create a possibility […] to use ‚arbitration torpedoes‘ to hamper litigation, more would be lost than won [by this reform].“123 of the United Nations Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards of 1958 (‚the New York Convention‘), unaffected by this Regulation, this Regulation should not apply to actions in respect of matters governed by an arbitration agreement under Article II of the New York Convention; actions or judgments on the existence, validity, effect or scope of such an arbitration agreement; or ancillary proceedings relating to such an arbitration agreement or any aspect of the arbitral process; and a judgment should not be recognisable under this Regulation in so far as it is irreconcilable with such an arbitration agreement.“); Art. 1 Abs. 2 lit d Brüssel Ia-VO‑E: „The Regulation shall not apply to: (d) arbitration, and in particular an action in respect of which the parties have made an arbitration agreement within the meaning of Article II of the New York Convention; an action or judgment on the validity, effect or scope of such an agreement; and ancillary proceedings in relation to such an agreement or any aspect of the arbitral process“; Art. X Brüssel Ia-VO‑E: „Nothing in this Regulation affects the application of the New York Convention“. Die britische Delegation propagierte diesen Ansatz insgesamt als „majority view“. Das findet in den Kommentaren der anderen Delegationen allerdings keine Stütze.); French delegation, 16.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 14), 2 (Art. 1 II lit d Brüssel Ia-VO‑E: „arbitration, including any dispute submitted for arbitration, any litigation or decision relating to the existence or the validity of an arbitration agreement or settlement, any other proceedings concerning implementation of the arbitration agreement or settlement as well as any other aspect of arbitration proceedings and recognition and enforcement of arbitral awards […]“); ErwGr X Brüssel Ia-VO‑E: „It should be ensured that all matters concerning arbitration are excluded from the Regulation’s scope. Consequently, the Regulation does not apply to any dispute, litigation or application which the parties have made subject to an arbitration agreement or settlement, or which are a matter for arbitration under an international treaty. Nor does the Regulation apply to any litigation or decision relating to the existence or the validity of an arbitration agreement or settlement. Likewise, the Regulation does not apply to any provisional or protective measure taken in connection with any dispute, claim or application which the parties have made subject to an arbitration agreement or settlement, or which is a matter for arbitration under an international treaty. Nor does the Regulation govern recognition and enforcement of arbitral awards.“); Latvian delegation, 15.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 12), 4. 120 Vgl. auch Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments of the: German delegation regarding arbitration, 19.3.2012 (ST 7839 2012 INIT); Swedish delegation on arbitration, 22.3.2012, (ST 8038 2012 INIT); Estonian delegation on arbitration, 22.3.2012 (ST 8055 2012 INIT); Finnish delegation on arbitration, 22.3.2012 (ST 8051 2012 INIT). 121 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Observations by the Finnish delegation on certain issues, 6.9.2011 (ST 13756 INIT) 4 f. 122 Vgl. Illmer, RabelsZ 75 (2011), 645, 666 f. („super-torpedo“); Fentiman, I. J. P. L. 2011, 151, 162; Nielsen, CMLRev 50 (2013), 503–508 („would set the clock back to before 1968“). 123 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament
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Die Delegationen aus Frankreich124 und dem Vereinigten Königreich125 ließen sich von dieser Ausgangslage nicht entmutigen und präsentierten jeweils Vorschläge für einen totalen Ausschluss der Schiedsgerichtbarkeit vom Anwendungsbereich der Verordnung. Als jedoch klar wurde, dass ein solcher nicht mehrheitsfähig war, stellte die französische – nun gemeinsam mit der polnischen – Delegation eine vierte Option vor. Danach sollte der Wortlaut der Schiedsausnahme unverändert bleiben, jedoch künftig in einem eigenen Erwägungsgrund erläutert werden.126 Die französische Delegation verfolgte dabei zwei oberste Ziele: Zum einen sollte der französische Grundsatz der negativen Kompetenz-Kompetenz vor den Auswüchsen der West Tankers-Entscheidung des EuGH geschützt werden. Zum anderen galt es sicherzustellen, dass mitgliedstaatliche Entscheidungen über die Wirksamkeit und Reichweite von Schiedsabreden – anders als vom Court of Appeal in National Navigation entschieden – nicht nach der Verordnung zirkulieren. Dem ersten Anliegen trug Absatz 1 S. 2, dem zweiten Anliegen Abs. 2 des vorgeschlagenen Erwägungsgrundes Rechnung, die inhaltlich Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 des heutigen ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO entsprechen. Auch ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO war in dem Vorschlag als Abs. 3 bereits enthalten, nicht hingegen der heutige ErwGr. 12 Abs. 3 Brüssel Ia-VO. Ohne ihn hätte ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO jedoch so ausgelegt werden können, dass jedes Urteil eines EU‑Mitgliedstaats, das inzident die Unwirksamkeit einer Schiedsabrede feststellt, von der Titelfreizügigkeit nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO ausgeschlossen ist.127 Subtiler, aber nach wie vor erkennbar verfolgte die französische Delegation damit weiterhin auch das Ziel einer Erweiterung der Schiedsausnahme. and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Observations by the Finnish delegation on certain issues, 6.9.2011 (ST 13756 INIT), 5. 124 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Note from the French delegation on arbitration, 21.2.2012 (ST 6650 2012 INIT); Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments by the French delegation concerning arbitration, 30.3.2012, (ST 8175 2012 INIT), 10 f. („In view of the above, the French delegation cannot accept Article 29(4) as proposed regardless of any changes that could be made to correct all its shortcomings […] the French delegation considers that it is utterly indispensable to ensure total separation between the Regulation and arbitration matters.“). 125 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments from the delegation of the United Kingdom on arbitration, 22.3.2012 (ST 8035 2012 INIT). 126 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments from the Polish and french delegations concerning arbitration, 2.4.2012 (ST 8498 2012 INIT). 127 Hess, JZ 2014, 538, 540.
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Die große Mehrheit der Delegationen insistierte jedoch, dass eine Erweiterung der Schiedsausnahme nicht gewollt sei.128 Die dänische Ratspräsidentschaft schlug daraufhin im April 2012 vor, im Ausgangspunkt der von Frankreich und Polen vorgeschlagenen Option 4 zu folgen, die Fassung des Erwägungsgrundes aber – wie von der deutschen Delegation vorgeschlagen – um den heutigen ErwGr. 12 Absatz 3 Brüssel Ia-VO zu ergänzen.129 In diesem konsolidierten Entwurf war erstmals auch der heutige Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO enthalten.130 128
Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments of the German delegation regarding arbitration, 19.3.2012 (ST 7839 2012 INIT) (deutsche Delegation spricht sich gegen die Erweiterung der Schiedsausnahme aus. Wenn eine gemeinsame Lösung nicht gefunden werden könne, sei die Beibehaltung des Status quo vorzugswürdig, eventuell kombiniert mit dessen Erläuterung in den Erwägungsgründen); Note from the Czech delegation, 21.3.2012 (ST 7983 2012 INIT) (eigentlich sei Frankreichs Vorschlag vorzügswürdig. „However, it seems that at the moment the above mentioned option has not sufficient support among the Member States. Therefore, as already indicated, we are ready to discuss a solution based on the Commission’s proposal which offers another way to resolve the West Tankers problem.“); Comments from the Estonian delegation on arbitration, 22.3.2012 (ST 8055 2012 INIT) (einverstanden mit dem Status quo. In Estland habe die West Tankers-Entscheidung keine Probleme bereitet. Wenn eine Änderung der gegenwärtigen Rechtslage erfolgen solle, dann lieber nach Maßgabe der Linie von Deutschland und der Kommission, nicht nach derjenigen des Vereinigten Königreichs und Frankreichs, deren Vorschlag von allen am wenigsten attraktiv sei. „Also interesting and worthy of consideration in our opinion is the solution proposed by the Polish delegation in the last meeting of the Working Party concerning changing the reasoning behind the West Tankers settlement, by means of clarifications but without changing the judgment itself.“); Comments from the Finnish delegation on arbitration, 22.3.2012 (ST 8051 2012 INIT) (spricht sich für die Beibehaltung des Status quo aus, eventuell verbunden mit dessen Erläuterung in einem Erwägungsgrund); Comments from the Swedish delegation on arbitration, 22.3.2012, (ST 8038 2012 INIT) (erste Wahl sei der Status quo, zweite der Vorschlag der Kommission. Auf keinen Fall sei eine Erweiterung der Schiedsausnahme gewollt). Vgl. auch Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Draft recitals, 27.4.2012, (ST 8855 2012 ADD 2) und Consolidated text, submitted by the Danish Presidency, 30.4.2012, (ST 9301 2012 INIT) (die Option eines Totalausschlusses schaffte es nicht mehr in die aktualisierte Fassung); Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Proposal from the Finnish delegation concerning document 8855/1 (7.5.2012), document number 9547/12. 129 Vgl. Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Consolidated text submitted by the Danish Presidency, 17.4.2012 (ST 8855 2012 INIT). Vgl. jedoch Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel IaVO, Rn. 118, der – bezugnehmend auf den Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments, 15. Oktober 2012 – 2010/0383(COD), 140 – davon ausgeht, der Kompromisspakt entstamme dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments. 130 Zurück geht der Wortlaut jedoch auf Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition
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Die französische Delegation ließ sich auf den Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft im Grundsatz ein, schlug jedoch nunmehr vor, die Formulierung in ErwGr. 12 Absatz 2 weiter131 und die in Abs. 3 Satz 1 enger132 zu fassen.133 Insbesondere der Zusatz in ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1, wonach ein „nach dieser Verordnung zuständiges Gericht“ feststellen kann, dass eine Schiedsvereinbarung unwirksam ist, wenn der Hauptgegenstand des Verfahrens dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt, sollte aus Sicht der französischen Delegation wegfallen. Dieser Zusatz – so offenbar die Befürchtung – könnte nämlich als Bestätigung der West Tankers-Entscheidung ausgelegt werden, war es dort doch gerade diese „nach der Verordnung“ bestehende Zuständigkeit italienischer Gerichte, welche der Gerichtshof durch die (englische) anti-suit injunction beeinträchtigt sah. Nachdem andere Delegationen erklärten, dass bei der Wahl der vierten Option ErwGr. 12 Absatz 3 Satz 1 nicht zur Verhandlung stehe,134 forderte die dänische Präsidentschaft den Rat mit Note vom 1. Juni 2012 zur Festlegung der allgemeinen Ausrichtung in Gestalt der bereits im April 2012 vorgeschlagenen Fassung auf.135 Die neuen Vorschläge Frankreichs fanden keine Berücksichtigung mehr. Auch ein letztes Aufbäumen mit Stellungnahmen des Vereinigten Königreichs vom 7.6.2012136 und der französisch-polnischen Delegation and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments from the United Kingdom delegation, 8.6.2011 (ST 9474 2011 ADD 8). 131 ErwGr. 12 Absatz 2 Brüssel Ia-VO‑E: „A ruling given by a court of a Member State as to whether or not an arbitration agreement is null and void, ineffective or incapable of being performed should not fall within the scope of this Regulation and should therefore not […]“ (Hervorhebung hinzugefügt). 132 ErwGr. 12 Absatz 3 Brüssel Ia-VO‑E: „On the other hand, where a court has decided, as an incidental question, that an arbitration agreement is null and void, inoperative or incapable of being performed and rendered a decision on the substance of the matter, that latter portion of the court’s judgment may be recognised or, as the case may be, enforced in accordance with this Regulation […]“ (Hervorhebung hinzugefügt). 133 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Proposals from the French delegation concerning document 8855/12, 8.5.2012 (ST 9547 2012 ADD 5). 134 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Proposals from the German delegation concerning document 8855/1, 8.5.2012 (ST 9547/12 ADD 2 REV 1). 135 Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Voll streckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) – Erste Lesung – Allgemeine Ausrichtung, 1.6.2012 (ST 10609 2012 ADD 1). 136 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Proposal from the delegation of the United Kingdom on arbitration, 7.6.2012 (ST 11083 2012 INIT) (ErwGr. 12 Absatz 2 Brüssel Ia-VO‑E: „A ruling given by a court of a Member State as to whether or not an arbitration agreement is null and
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vom 8.6.2012137 beeinflussten die Ausrichtung des Rats, wie von der dänischen Ratspräsidentschaft mit Note vom 1. Juni vorgeschlagen, nicht.138
gg) Verabschiedung der Neufassung, Dezember 2012 Interinstitutionell einigten sich die Legislativorgane auf den Entwurf gemäß der generellen Ausrichtung des Rates vom 7./8. Juni 2012. Daraufhin wurde er im Europäischen Parlament im November 2012139 und im Rat am 6. Dezember 2012 verabschiedet.
b) Rückschlüsse auf den Willen des Unionsgesetzgebers GA Wathelet gelangt auf Grundlage der Entstehungsgeschichte der Brüssel Ia-VO in seinen Schlussanträgen zur Rechtssache Gazprom zu dem Ergebnis, dass sich der Unionsgesetzgeber mit der Neufassung des Brüssel-Systems für die Erweiterung der Schiedsausnahme verbunden mit einer legislativen Korrektur der West Tankers-Entscheidung entschieden hat.140 In der Tat haben sich das Europäische Parlament in seiner Stellungnahme zum Grünbuch141 und der void, inoperative or incapable of being performed should not in particular be subject to the rules of recognition and enforcement of this Regulation, regardless of whether the court decided on this as a principal issue or as an incidental question.“ (Hervorhebung hinzugefügt); ErwGr. 12 Absatz 4 Brüssel Ia-VO‑E: „This Regulation should not apply to any action or ancillary proceedings relating to, in particular, the establishment of the arbitral tribunal, the powers of the arbitrators, the conduct of the arbitration procedure or any other aspects of such a procedure, nor to any action or judgment concerning the annulment, review, appeal, recognition and enforcement of an arbitral agreement or award […]“ (Hervorhebung hinzugefügt)). 137 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Proposal from the delegations of France and Poland concerning arbitration, 8.6.2012 (ST 11099 2012 INIT) (wenigstens ErwGr. 12 Absatz 2 Brüssel Ia-VO‑E solle wie folgt abgeändert werden: „A ruling given by a court of a Member State as to whether or not an arbitration agreement is null and void, inoperative or incapable of being performed falls entirely outside the scope of the regulationand should not thereforebe subject to the rules of recognition and enforcement of this Regulation, regardless of whether the court decided on this as a principal issue or as an incidental question […]“). 138 Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Revised Version of the draft recitals, submitted by the Danish Presidency and the incoming Cyprus Presidency, 27.6.2012, (ST 11379 2012 INIT). 139 European Parliament, Position adopted at first reading with a view to the adoption of Regulation (EU) No 1215/2012 of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast), 20.11.2012, ABl. EU Nr. C 419/203. 140 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 92 ff. – Gazprom; zustimmend Paschalides, J. Int. Arb. 2017, 333, 344. 141 Europäisches Parlament, Entschließung v. 7.9.2010 zu der Umsetzung und Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit
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Rechtsausschuss des Parlaments in seinem Entwurf für eine legislative Entschließung des Parlaments142 für diese Option ausgesprochen.143 Ebenso wie die Kommission, die eine teilweise Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in den Anwendungsbereich der Verordnung befürwortete, hat das Europäische Parlament im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEUV jedoch keine alleinige Gesetzgebungskompetenz. Erforderlich ist die Billigung durch den Rat, Art. 294 Abs. 4–13 AEUV. Und die breite Mehrheit im Rat lehnte gemäß den schriftlichen Stellungnahmen der nationalen Delegationen sowohl eine (teilweise) Aufhebung als auch eine Erweiterung der Schiedsausnahme ab. Insbesondere die Delegationen aus Frankreich und dem Vereinigten Königreich unternahmen im Einklang mit der Ansicht des Parlaments zahlreiche Versuche, in der Neufassung eine Erweiterung der Schiedsausnahme unterzubringen; jedem Einzelnen erteilte die Mehrheit im Rat eine Absage.144 Interinstitutionell mehrheitsfähig war letztlich allein die Beibehaltung des Status quo, verbunden mit seiner Erläuterung und Klarstellung.145 Die historische Auslegung spricht folglich für den Fortbestand der West Tankers-Entscheidung unter Geltung der Brüssel Ia-VO.146
3. Grammatikalische und systematische Auslegung a) ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO aa) Bestätigung der West Tankers-Entscheidung? Die Argumentation des Gerichtshofs in West Tankers beruhte maßgeblich auf der Annahme, dass italienischen Gerichten aufgrund der Verordnung eine Befugnis zustand, über die eigene Zuständigkeit und insoweit auch über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der eingewandten Schiedsabrede zu entscheiden.147 Teilweise wird ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO als legislative Bestätigung dieser Befugnis verstanden.148 Er sieht jedoch nur vor, dass die Verordnung die und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (2009/2140(INI)). 142 Europäisches Parlament, Rechtsausschuss, Tadeusz Zwiefka als Berichterstatter, Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), 28.6.2011, (2010/0383(COD)). 143 Vgl. GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 120, 133, Fn. 73 – Gazprom. 144 So im Ergebnis auch Hartley, ICLQ 64/4 (2015), 965, 965–975, 972; Ojiegbe, J. Priv. Int. L. 2015, 267, 278 f. 145 So auch das Verständnis des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz der Bundesrepublik Deutschland (Pohl, IPRax 2013, 109, 110). Vgl. auch Hess, JZ 2014, 538, 539. 146 Im Ergebnis auch Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 92. 147 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 24 ff. – West Tankers. 148 Hauser, ecolex 2013, 526, 529; Kersting/Kleine, in: FS Elsing, 2015, S. 223; Merkin/
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Gerichte der Mitgliedstaaten nicht „daran hindern“ sollte, die Wirksamkeit und Reichweite der Schiedsabrede gemäß einzelstaatlichem Recht zu prüfen. Von einer dahingehenden, aus der Verordnung resultierenden „Befugnis“ ist keine Rede.
bb) Abkehr von der West Tankers-Entscheidung? (1) Konflikt von ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO mit der Annahme einer aus der Verordnung resultierenden Befugnis zur Prüfung der Schiedseinrede? Umgekehrt könnte man sich fragen, ob ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO der Argumentation in West Tankers nicht eher die Grundlage entzieht. Der Unionsgesetzgeber stellt darin nämlich klar, dass sich die Prüfung der Schiedseinrede und die Art der Verweisung auf das schiedsrichterliche Verfahren allein nach einzelstaatlichem Recht beurteilen.149 Das könnte als Abkehr von der Beurteilung in West Tankers verstanden werden, wonach dem Tribunale di Siracusa die Befugnis, über die Gültigkeit und Reichweite der eingewandten Schiedsabrede zu entscheiden, nach der Brüssel I‑VO zustand. Im Ergebnis kann jedoch auch dieses Verständnis von ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO nicht überzeugen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind mitgliedstaatliche Gerichte nach dem Brüssel-System befugt, über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, wenn der Hauptgegenstand des Verfahrens seinem sachlichen Anwendungsbereich unterfällt.150 In West Tankers stellte der Gerichtshof hinsichtlich des Verfahrens vor dem Tribunale di Siracusa lediglich klar, dass diese Befugnis nach dem Brüssel-System durch die bloße Erhebung der Schiedseinrede nicht entfällt.151 Das Recht des angerufenen Gerichts, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, schließt eine hierfür gegebenenfalls erforderliche Prüfung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der eingewandten Schiedsabrede mit ein. Dem widerspricht es nicht, wenn nach ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO die Ausübung der Befugnis – das heißt das „Ob“ und „Wie“ der Prüfung der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede sowie die Art der Verweisung der Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit – einzelstaatlicher Ausgestaltung überlassen bleibt. Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 285 („Paragraph (i) is clearly a coded warning to the English courts that the ban on anti-suit relief in an arbitral context is here to stay.“). 149 Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567, Rn. 5 ff.; Carducci, Arb. Int. 29 (2013), 467, 471; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 135. 150 EuGH, Rs. C-190/89, Slg. 1991 I-3855, Rn. 26 – Marc Rich; EuGH, Rs. C-391/95, Slg. 1998 I-7091, Rn. 33 – Van Uden; EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 22 – West Tankers; EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 44 – Gazprom. 151 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 26 ff. – West Tankers.
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 37
(2) Anti-suit injunctions als Form der „Verweisung auf die Schiedsgerichtsbarkeit“? Nach ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO steht die Brüssel Ia-VO einer Verweisung der Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit nach einzelstaatlichem Recht nicht entgegen. Teilweise wird erwogen, ob hiermit auch die Verweisung auf die Schiedsgerichtsbarkeit in Gestalt von anti-suit injunctions legitimiert wird.152 Allerdings ist ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO ersichtlich auf Grundlage von Art. II Abs. 3 NYK formuliert.153 Ebenso wie dieser betrifft er die Verfahrenssituation der Schiedseinrede – das heißt, ein Gericht wird in einem Rechtsstreit angerufen, hinsichtlich dessen die Parteien die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts unter Ausschluss staatlicher Gerichte vereinbart haben.154 Demgegenüber agiert das mit der anti-suit injunction befasste Gericht als juge d’appui, nimmt also Befugnisse des staatlichen Richters wahr, die das Schiedsverfahren unterstützen sollen und die durch den Abschluss einer Schiedsabrede nicht ausgeschlossen werden.
b) ErwGr. 12 Abs. 2 und Abs. 3 Brüssel Ia-VO aa) Ansicht von GA Wathelet in der Rechtssache Gazprom Gemäß ErwGr. 12 Absatz 2 Brüssel Ia VO sollten mitgliedstaatliche Entscheidungen über die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung den Bestimmungen der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung nicht unterliegen, unabhängig davon, ob das Erstgericht insoweit in der Hauptsache oder über eine Vorfrage entschieden hat. Nach Ansicht von GA Wathelet155 und Teilen der Literatur156 „beweist“157 die hervorgehobene Passage, dass entgegen der West 152
Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567, Rn. 9 (im Ergebnis aber ebenso ablehnend). Vgl. Art. II Abs. 3 NYK („Wird ein Gericht eines Vertragsstaates wegen eines Streitgegenstandes angerufen, hinsichtlich dessen die Parteien eine Vereinbarung im Sinne dieses Artikels getroffen haben, so hat das Gericht auf Antrag einer der Parteien sie auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen, sofern es nicht feststellt, daß die Vereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist.“) und ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO („Sie sollte die Gerichte eines Mitgliedstaats nicht daran hindern, die Parteien gemäß dem einzelstaatlichen Recht an die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen, das Verfahren auszusetzen oder einzustellen oder zu prüfen, ob die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, wenn sie wegen eines Streitgegenstands angerufen werden, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung getroffen haben.“); GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 150 – Gazprom (beinahe wörtlich übernommen). 154 Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 4 A.I.2.b)bb)(1)(b). 155 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 127 ff. – Gazprom. 156 A. Nuyts, Rev. crit. d. i. p. 2013, 1, 15; Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 25; Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 12.78; Fentimann, International Commercial Litigation, 2015, Rn. 16.142 ff.; Paschalides, J. Int. Arb. 2017, 333, 342–344; a. A. Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 507 f.; Wiegandt, Anm. zu EuGH, 13.5.2015, Rs. C-536/13, ECLI: EU:C:2015:316 – Gazprom, RIW 2015, 427, 431; der Argumentation von GA Wathelet zu153
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Tankers-Rechtsprechung des EuGH die Prüfung der Schiedseinrede durch mitgliedstaatliche Gerichte nicht vom Anwendungsbereich des Brüssel-Systems erfasst wird. Denn andernfalls fänden die Bestimmungen der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung auf Entscheidungen über die Vorfrage der Gültigkeit einer Schiedsabrede Anwendung. Damit fehle es nach der Neufassung an einer aus der Verordnung resultierenden Befugnis mitgliedstaatlicher Gerichte, die durch den Erlass einer anti-suit injunction beeinträchtigt sein könnte. Der Erlass eines Prozessführungsverbots, wie er in West Tankers in Rede stand, sei nach seiner Neufassung folglich mit dem Brüssel-System vereinbar.
bb) Stellungnahme (1) Keine Aussage in ErwGr. 12 Abs. 2 über die Anwendbarkeit der Zuständigkeitsregeln ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO betrifft nach seinem Wortlaut die Anwendbarkeit der Anerkennungs- und Vollstreckungsvorschriften der Verordnung (Kapitel III), nicht die Anwendbarkeit ihrer Zuständigkeitsbestimmungen (Kapitel II). Dementsprechend lässt sich ihm auch nichts dazu entnehmen, ob und inwieweit mitgliedstaatliche Gerichte nach der Brüssel Ia-VO befugt sind, über die eigene Zuständigkeit und in diesem Rahmen auch über die Vorfrage der Gültigkeit einer Schiedsabrede zu entscheiden.158 Die gegenteilige Ansicht beruht auf der Annahme, dass zwischen der Anwendbarkeit der Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln der Verordnung auf eine bestimmte Entscheidung (Kapitel III) und der Anwendbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften für den Erlass dieser Entscheidung (Kapitel II) zwingend ein Gleichlauf bestehen müsste.159 Dass das nicht so ist, ergibt aber bereits eine systematische Zusammenschau von ErwGr. 12 Abs. 2 mit Abs. 3 S. 1 Brüsstimmend, im Ergebnis aber am West Tankers-Verbot festhaltend Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 325; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 176; Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 83. 157 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 127 – Gazprom. 158 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 87, 94; Hartley, ICLQ 64/4 (2015), 965, 971 f.; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 142. Ebenso verfehlt erscheint es daher, mit Kersting/Kleine, in: FS Elsing, 2015, S. 223, Fn. 36 im Umkehrschluss aus ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu folgern, dass die Befugnis, die Wirksamkeit der Schiedsabrede im Rahmen der Entscheidung über die eigene Zuständigkeit zu prüfen, aus der Verordnung resultiert. Das gilt umso mehr, als ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO klarstellt, dass sich die Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts in einer Schiedseinredesituation nach der Verordnung, aber eben auch nach einzelstaatlichem Recht richten kann. 159 So ausdrücklich Paschalides, J. Int. Arb. 2017, 333, 345 („In this sense, the exclusion of arbitration is contained in Chapter I of the Regulation and thus applies to both Chapter II (jurisdiction) and Chapter III (recognition and enforcement). Therefore, it is not possible that the
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 39
sel Ia-VO. Wenn nämlich Abs. 2 klarstellt, dass Kapitel III der Verordnung auf eine Entscheidung über die Gültigkeit der Schiedsabrede auch dann keine Anwendung findet, wenn das Gericht darüber lediglich als Vorfrage entschieden hat, Abs. 3 S. 1 für den Fall der Zurückweisung der Schiedseinrede jedoch vorsieht, dass die Entscheidung des „nach dieser Verordnung“ zuständigen Gerichts in der Hauptsache „dennoch“ nach dem Brüssel-System zirkuliert, so bedeutet dies: In einem Verfahren, dessen Hauptgegenstand in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung fällt, kann ein „nach dieser Verordnung“ einheitlich zuständiges Gericht zwei Entscheidungen treffen, von denen die eine gemäß Abs. 3 S. 1 nach der Brüssel Ia-VO zirkuliert (die Entscheidung in der Hauptsache), während die andere den Regeln der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung gemäß Abs. 2 entzogen ist (die Zurückweisung der Schiedseinrede).160 Obgleich aus Sicht eines Zweitgerichts Kapitel III der Verordnung auf die Zurückweisung der Schiedseinrede keine Anwendung findet, war das Erstgericht nach der Brüssel Ia-VO befugt, über die Vorfrage Schiedseinrede und im Fall ihrer Zurückweisung in der Hauptsache zu entscheiden.
(2) Trugschluss der Komposition Ferner schließt die Gegenansicht aus der vermeintlich fehlenden, aus der Brüssel Ia-VO resultierenden Befugnis, die Schiedseinrede zu prüfen, dass in der West Tankers-Konstellation keine Befugnis des italienischen Tribunale di Siracusa nach dem Brüssel-System mehr besteht, die durch die englische antisuit injunction beeinträchtigt sein könnte. Nach der Urteilsbegründung des Gerichtshofs wurde durch den Erlass der englischen anti-suit injunction jedoch die Befugnis des Tribunale di Siracusa, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, insgesamt beeinträchtigt, nicht nur die sich als Teil hiervon darstellende Befugnis, die Schiedseinrede zu prüfen.161 Diese Befugnis, selbst über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, kann durch das englische Prozessführungsverbot weiterhin beeinträchtigt werden. Die Gegenansicht, die vom Bestandteil auf das Ganze schließt, unterliegt dem Trugschluss der Komposition (fallacia compositionis).
exclusion of arbitration from the scope of the Regulation would apply differently to Chapter II and Chapter III. Either the subject-matter of the main proceedings falls under the exclusion of arbitration and hence no provision of the Regulation applies to it, or it does not.“). 160 Vgl. Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 507 f.; Menétrey/Racine, in: Guinchard, 2014, S. 29 f.; Hobér, in: The Hague Academy of International Law, 2014, S. 163. 161 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 26 ff. – West Tankers.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
c) ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO GA Wathelet162 und Teile im Schrifttum163 sehen sich durch ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO in ihrer Ansicht bestätigt, dass unter der neugefassten Verordnung der Erlass mitgliedstaatlicher anti-suit injunctions zur Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung zulässig ist. Denn mit dieser Begründungserwägung stelle der Unionsgesetzgeber klar, dass die Verordnung für staatliche Nebenverfahren im Zusammenhang mit der Durchführung eines Schiedsverfahrens nicht gelte. In der Tat: Ein Verfahren auf Erlass einer anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung lässt sich problemlos unter ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO subsumieren. Zum einen liegt in dem so gewonnenen Ergebnis aber nichts Neues. Der Gerichtshof hatte in seiner West Tankers-Entscheidung ebenfalls festgestellt, dass die Verordnung auf das Verfahren vor dem englischen Gericht auf Erlass der anti-suit injunction keine Anwendung findet.164 Zum anderen war die Frage der Anwendbarkeit der Verordnung auf das englische Verfahren letztlich gar nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich war vielmehr, dass die Verordnung auf die Schadensersatzklage vor dem Tribunale di Siracusa anwendbar war und dass die englische anti-suit injunction das Recht des Gerichts in diesem Verfahren beeinträchtigte, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Hinsichtlich der Anwendbarkeit der Verordnung auf dieses Hauptsacheverfahren trifft ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO keine Aussage.165
d) Sonstige Veränderungen des Brüssel-Systems mit potentiellen Auswirkungen auf den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz Wesentliche Bedeutung hat der Gerichtshof in der Rechtssache West Tankers der Verletzung des Vertrauensgrundsatzes beigemessen.166 Es stellt sich die Frage, ob sich die mit Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO neu eingeführte Durch162 GA
Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 137 ff. – Gazprom. 163 Paschalides, J. Int. Arb. 2017, 333, 345; Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 25 (weist allerdings darauf hin, dass eine Abkehr des Gerichtshofs von seiner Rechtsprechung unwahrscheinlich ist); Camilleri, ICLQ 2013, 899, 903 ff. (hält es entgegen dem Wortlaut der Norm für möglich, ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO dergestalt auszulegen, dass die Verordnung die aufgezählten Verfahren nicht beeinträchtigen darf). 164 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 23 – West Tankers. 165 Im Ergebnis ebenso Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 98; Ojiegbe, J. Priv. Int. L. 2015, 267, 282; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 707; Carducci, Arb. Int. 29 (2013), 467, 487 f.; Hauberg Willhelmsen, Arb. Int. 30 (2014), 169, 181; Gaudemet-Tallon/Kessedjian, RTD eur. 2013, 435, 435, Rn. 8; Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 984; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 152; Antomo, Schadensersatz, 2017, 229; Camilleri, ICLQ 2013, 899, 904 ff.; Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 84. 166 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 29 f. – West Tankers.
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 41
brechung des Prioritätsprinzips (aa)) oder die mit Art. 39 Brüssel Ia-VO erfolgte Abschaffung des Exequaturverfahrens (bb)) auf den Vertrauensgrundsatz auswirkt und sich daraus Rückschlüsse für den Fortbestand der West TankersRechtsprechung ergeben.
aa) Durchbrechung des Prioritätsprinzips in Art. 31 Abs. 2 und 3 Brüssel Ia‑VO Nach dem starren Prioritätsprinzip des bisherigen Art. 27 Abs. 1 Brüssel I‑VO konnte ein Schuldner das Verfahren vor dem eigentlich prorogierten Gericht blockieren, indem er der Leistungsklage des Gläubigers durch Erhebung eines entsprechenden negativen Feststellungsantrags zuvorkam, typischerweise in Mitgliedstaaten mit einem langsamen Justizsystem (sog. italienischer Torpedo). Das eigentlich vereinbarte, aber später angerufene Gericht musste das Verfahren gemäß Art. 27 Abs. 1 Brüssel I‑VO von Amts wegen aussetzen und die Zuständigkeitsentscheidung des zuerst angerufenen Gerichts abwarten, selbst wenn gerichtliche Verfahren im Torpedostaat außerordentlich lang dauerten167 und der Vorwurf des Missbrauchs im Raum stand.168 Faktisch konnte das Verfahren vor dem eigentlich prorogierten Gericht damit über Jahre gesperrt werden. Zur Rechtfertigung dieser Rechtsprechung stellte der Gerichtshof maßgeblich auf den Vertrauensgrundsatz ab.169 Dieses Prinzip, das der EuGH unter anderem aus Art. 27 Abs. 1 Brüssel I‑VO abgeleitet hat, verpflichtet die Mitgliedstaaten zu gegenseitigem Vertrauen in ihre Rechtssysteme und Rechtspflegeorgane. Das bedeutet auch, dass jedes angerufene Gericht nach dem für dieses Gericht geltenden Recht bestimmt, ob es für den anhängigen Rechtsstreit zuständig ist. Die Mitgliedstaaten dürfen die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats im Anwendungsbereich des Brüssel-Systems grundsätzlich170 nicht überprüfen. Zum Schutz ausschließlicher Gerichtsstandsabreden i. S. v. Art. 25 Brüssel Ia-VO hat der Unionsgesetzgeber mit Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO eine Modifizierung des heute in Art. 29 Abs. 1 Brüssel Ia-VO normierten Prioritätsprinzips eingeführt.171 Sobald das in der Gerichtsstandsabrede benannte Gericht angerufen wird, muss ein vorher in derselben Sache angerufenes Gericht aus einem anderen Mitgliedstaat das Verfahren aussetzen, bis sich das benannte Gericht für unzuständig erklärt hat. Bestätigt das benannte Gericht seine Zustän167
EuGH, Rs. C-116/02, Slg. 2003 I-14693 – Gasser. EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 28 – Turner. EuGH, Rs. C-116/02, Slg. 2003 I-14693, Rn. 48 f. – Gasser; EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 24 – Turner; EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 29 f. – West Tankers. 170 Vgl. Art. 35 Abs. 3 Brüssel I‑VO. 171 Vgl. hierzu ErwGr. 22 Brüssel Ia-VO. 168 169
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
digkeit, müssen sich die Gerichte aller anderen Mitgliedstaaten für unzuständig erklären, Art. 31 Abs. 3 Brüssel Ia-VO. Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, dass mit der Einführung von Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO nicht nur das ehemals strikte Prioritätsprinzip, sondern auch der Vertrauensgrundsatz durchbrochen worden ist.172 Denn das benannte Gericht dürfe nunmehr die Zuständigkeit für einen Rechtsstreit prüfen, in dem sich bereits die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für zuständig erklärt hätten. Erlaubt sei ferner, von der Beurteilung dieser Gerichte abzuweichen und sich für sachentscheidungsbefugt zu erklären, mit der Folge, dass sich die Gerichte des anderen Mitgliedstaats für unzuständig erklären müssten. Das prorogierte Gericht müsse insoweit also gerade nicht mehr darauf vertrauen, dass die Gerichte der anderen Mitgliedstaaten die Zuständigkeitsbestimmungen der Verordnung richtig anwenden würden. Diese Ansicht fortgedacht, könnte das benannte Gericht künftig womöglich auch ein Prozessführungsverbot zur Durchsetzung einer Gerichtsstandsabrede i. S. v. Art. 25 Brüssel Ia-VO erlassen, ohne gegen den Vertrauensgrundsatz zu verstoßen; das Ergebnis – die aktive Beendigung des Verfahrens im forum derogatum – wäre jedenfalls das gleiche. Richtig ist, dass mit Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO eine weitere173 Ausnahme vom Vertrauensgrundsatz in die Verordnung eingeführt worden ist. Dass der Gerichtshof dieser einen Anwendungsbereich verleiht, der über ihren Zweck hinausgeht, nämlich in dem „Sonderfall“174 eines italienischen Torpedos eine Blockade des Verfahrens vor dem prorogierten Gericht zu verhindern, erscheint jedoch unwahrscheinlich. Näher liegt, dass das benannte Gericht im Übrigen verpflichtet bleibt, auf die ordnungsgemäße Anwendung des Brüssel-Systems durch Gerichte anderer Mitgliedstaaten zu vertrauen. Das schließt die Regelung in Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO mit ein. Denn an dem Nachprüfungsverbot nach Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO hat der Verordnungsgeber festgehalten. Zu den Zuständigkeitsbestimmungen, deren Anwendung gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO ausnahmsweise einer Nachprüfung zugänglich sind, gehören Art. 31 Abs. 2–3 und Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht. Selbst wenn man das anders sieht, lässt sich der Einführung von Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO zum Schutz von Gerichtsstandsabreden i. S. v. Art. 25 Brüssel Ia-VO jedenfalls für den hier untersuchten Fall – die Verletzung einer Schiedsabrede – keine Ausnahme vom Vertrauensgrundsatz entnehmen. Denn im Reformprozess wurde die Einführung einer mit Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO vergleichbaren Vorschrift zum Schutz von Schiedsvereinbarungen vorgeschlagen175 und ausführlich diskutiert, letztlich vom Unionsgesetzgeber 172
Antomo, Schadensersatz, 2017, 603. Vgl. Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO. 174 ErwGr. 26 Brüssel Ia-VO. 175 Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 133 f.; Vorschlag der Kommission vom 14.12.2010 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständig173
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 43
aber verworfen.176 Abgesehen davon, dass es sich mit Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO nicht vereinbaren ließe, scheidet auch deshalb eine analoge Anwendung von Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO zum Schutz von Schiedsabreden aus.177
bb) Abschaffung des Exequaturverfahrens Bisher bedurfte die Vollstreckung von Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten einer Vollstreckbarerklärung durch die Gerichte im Zweitstaat. Dieses Erfordernis wurde mit Art. 39 Brüssel Ia-VO abgeschafft. Wie ErwGr. 26 erklärt, rechtfertigt das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege den Grundsatz, dass die in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in allen Mitgliedstaaten ohne besonderes Verfahren anerkannt und nunmehr auch vollstreckt werden kann. Das spricht eher dafür, dass der Vertrauensgrundsatz unter der Neufassung weiter an Bedeutung gewonnen hat.178
e) Zwischenergebnis Im Ergebnis lässt sich Wortlaut und Systematik von ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO nichts entnehmen, das gegen den Fortbestand der West Tankers-Rechtsprechung unter der Neufassung spricht. Das gleiche gilt für die mit Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO eingeführte Ausnahme vom Vertrauensgrundsatz zum Schutz ausschließlicher Gerichtsstandsabreden, zumal im Übrigen die Bedeutung des Vertrauensgrundsatzes durch die Abschaffung des Exequaturverfahrens weiter gestärkt worden sein dürfte.
keit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), KOM(2010) 748 endgültig (Art. 29 Abs. 4 Brüssel Ia-VO‑E: „Wenn der vereinbarte oder bezeichnete Schiedsort in einem Mitgliedstaat liegt, setzen die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats, deren Zuständigkeit auf der Grundlage einer Schiedsvereinbarung angefochten wird, das Verfahren aus, sobald die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem sich der Schiedsort befindet, oder das Schiedsgericht angerufen wurden, um in der Haupt- oder Vorfrage festzustellen, ob die Schiedsvereinbarung besteht, ob sie gültig ist und welche Wirkungen sie hat. Dieser Absatz schließt nicht aus, dass sich das Gericht, dessen Zuständigkeit angefochten wird, in der vorstehend genannten Situation für unzuständig erklärt, wenn sein innerstaatliches Recht dies verlangt. Wurden das Bestehen, die Gültigkeit und die Wirkungen der Schiedsvereinbarung festgestellt, erklärt sich das angerufene Gericht für unzuständig. Dieser Absatz gilt nicht für die in den Abschnitten 3, 4 und 5 des Kapitels II genannten Streitigkeiten.“ Art. 33 Abs. 3 Brüssel Ia-VO‑E: „Für die Zwecke dieses Abschnitts gilt ein Schiedsgericht als befasst, wenn eine Partei einen Schiedsrichter benannt hat oder wenn eine Partei die Unterstützung einer Einrichtung, Behörde oder eines Gerichts bei der Einsetzung des Schiedsgerichts beantragt hat.“). 176 Vgl. zur Gesetzeshistorie ausführlich oben Teil 2 A.II.2.a). 177 Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 508 f. 178 Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 152 f.; Thöne, Exequaturverfahren, 2016, 119 ff.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
4. Teleologische Auslegung Nach Ansicht von GA Wathelet erfasst Art. 1 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO alle Verfahren, die die Schiedsgerichtsbarkeit betreffen, auch solche vor mitgliedstaatlichen Gerichten, in denen sich als Vorfrage die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung stellt.179 In seinen Worten bedeutet dies: „[…] dass, wenn der Rechtsstreit, der mit dem Urteil Allianz und Generali Assicurazioni Generali (EU:C:2009:69) endete, unter Geltung der Brüssel‑I‑Verordnung (Neufassung) geführt worden wäre, das Tribunale di Siracusa nach dieser Verordnung in der Sache erst hätte angerufen werden können, nachdem es festgestellt hätte, dass die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist […].“180
Das Tribunale di Siracusa kann die Schiedseinrede erst zurückweisen, nachdem es in der Sache angerufen worden ist. Mit der zitierten Passage kann daher nur gemeint sein, dass sich die Befugnis, über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, nach der Neufassung solange nicht nach dem Brüssel-System, sondern nach einzelstaatlichem Recht beurteilt, wie die Schiedseinrede erhoben und nicht zurückgewiesen ist.181 Prinzipiell vorstellbar ist ein solcher Mechanismus.182 Wäre er mit der Brüssel Ia-VO tatsächlich eingeführt worden, könnte eine bösgläubige Partei jedoch nun die Anwendbarkeit des Brüssel-Systems einschließlich des Vertrauensgrundsatzes zumindest zeitweise mit der bloßen Behauptung der Schiedsbefangenheit des Rechtsstreits aushebeln.183 Damit hätte der Unionsgesetzgeber eine neue Möglichkeit geschaffen, diesmal in Gestalt der missbräuchlich erhobenen Schiedseinrede, um Gerichtsverfahren im Anwendungsbereich der Verordnung
179 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 117, 125, 133 – Gazprom. 180 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 133 – Gazprom. 181 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 96; Paschalides, J. Int. Arb. 2017, 333, 344 (seinerzeit Rechtsreferent von GA Wathelet und in dieser Funktion maßgeblich an der Entstehung der Schlussanträge in Sachen Gazprom beteiligt). Vgl. auch GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 149 ff. – Gazprom (GA vertritt weitergehend die Ansicht, dass mitgliedstaatliche Gerichte die Parteien nach der Neufassung auf die Schiedsgerichtsbarkeit verweisen müssten, wenn sich eine Partei auf eine Schiedsabrede beruft, es sei denn, diese sei offensichtlich unwirksam. Wäre das tatsächlich der Fall, wäre durch die Brüssel Ia-VO unionsweit der französsische Grundsatz der negativen Kompetenz-Kompetenz eingeführt worden. Dieser widerspricht jedoch der ganz überwiegenden Anzahl der mitgliedstaatlichen Schiedsverfahrensgesetze. Zudem betrifft er die Prüfungstiefe in der Schiedseinredesituation, die gemäß ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO dem einzelstaatlichen Recht vorbehalten bleiben soll). 182 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 97 (das Hin- und Herwechseln des Zuständigkeitsregimes wäre für die Rechtsklarheit alles andere als förderlich). 183 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 93.
A. Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 45
zu torpedieren. Zu dem eigentlichen Ziel, solche Verfahrenspraktiken zu unterbinden,184 stünde das in diametralem Gegensatz.
5. Zusammenschau der Auslegungsergebnisse Aus dem Wortlaut und der Systematik von ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO lässt sich weder etwas für noch gegen eine legislative Abkehr vom West Tankers-Verbot des Gerichtshofs entnehmen.185 Das gleiche gilt für die mit Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO eingeführte Ausnahme vom Vertrauensgrundsatz, zumal sie zum Schutz von Schiedsvereinbarungen keine Anwendung findet und der Vertrauensgrundsatz im Übrigen durch die Abschaffung des Exequaturverfahrens an Bedeutung gewonnen haben dürfte.186 Die historische Auslegung ergibt, dass der Unionsgesetzgeber hinsichtlich des Verhältnisses der Verordnung zur Schiedsgerichtsbarkeit die Erhaltung des Status quo gewollt hat, verbunden mit seiner Erläuterung und Klarstellung.187 ErwGr. 12 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO soll insbesondere die im Zuge der West Tanker-Entscheidung aufgekommene Sorge um den französischen Grundsatz der negativen Kompetenz-Kompetenz beruhigen.188 ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO stellt klar, dass die Entscheidung über die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung auch dann nicht nach der Verordnung zirkuliert, wenn über sie als Vorfrage in einem im Übrigen von der Verordnung erfassten Rechtsstreit entschieden wird.189 Die Ansicht, die aus ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO folgert, dass durch die Erhebung der Schiedseinrede künftig die Befugnis mitgliedstaatlicher Gerichte entfällt, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, kann auch unter teleologischen Gesichtspunkten nicht überzeugen.190 Insbesondere ist sie nicht mit dem Ziel des Unionsgesetzgebers vereinbar, missbräuchliche Verfahrenspraktiken im Anwendungsbereich der Verordnung zu unterbinden.
III. Ergebnis Mitgliedstaatliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden, die sich auf Verfahren vor den Gerichten anderer Mitgliedstaaten beziehen, sind auch unter Geltung der Brüssel Ia-VO verboten.
184
ErwGr. 22 Brüssel Ia-VO. Vgl. oben Teil 2 A.II.3.a)–c). Vgl. oben Teil 2 A.II.3.d). 187 Vgl. oben Teil 2 A.II.2. 188 Vgl. oben Teil 2 A.II.2.a)bb) und ff). 189 Vgl. oben Teil 2 A.II.2.a)bb) und ff). 190 Vgl. oben Teil 2 A.II.4. 185 186
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden In der Rechtssache Gazprom hat sich der Gerichtshof bereits mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Brüssel-System und schiedsrichterlichen anti-suit injunctions auseinandergesetzt.191 Im Folgenden werden zunächst der Sachverhalt und die Entscheidungsgründe des Falls dargestellt und auf dieser Grundlage die Reichweite des EuGH‑Urteils bestimmt (I.). Im Anschluss werden die weiterhin offenen Fragen untersucht. Dabei erfolgt eine Unterscheidung zwischen der Durchsetzung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Gerichtsstaat (II.) und in sonstigen Mitgliedstaaten (III.).
I. Die Gazprom-Entscheidung des EuGH 1. Sachverhalt Die Republik Litauen bezog ihr Erdgas zu 90 Prozent von der russischen Gesellschaft Gazprom. Der Ankauf erfolgte durch Lietuvos dujos, eine nach litauischem Recht gegründete Aktiengesellschaft. Neben der Republik Litauen (17,7 Prozent) gehörte auch Gazprom selbst (37,1 Prozent) zu den Aktionären von Lietuvos dujos und durfte auf dieser Grundlage nach der Aktionärsvereinbarung zwei ihrer Vorstandsmitglieder benennen. Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Aktionärsvereinbarung sollten durch ein Schiedsgericht in Stockholm nach den Regeln der SCC entschieden werden.192 Anfang 2011 vermutete das litauische Energieministerium Preismanipulationen bei Lietuvos dujos. Daraufhin leitete es in Vertretung der Repulik Litauen ein zivilgerichtliches Verfahren vor dem Regionalgericht Vilnius ein. Hierbei beantragte es unter anderem eine Überprüfung der Tätigkeit von Lietuvos dujos, deren Generaldirektor und der zwei von Gazprom gestellten Vorstandsmitglieder,193 die Abberufung des Generaldirektors und der zwei von Gazprom gestellten Vorstandsmitglieder sowie die Verpflichtung von Lietuvos dujos, (Nach-) Verhandlungen über einen angemessenen Gasabnahmetarif aufzunehmen. Gazprom war der Ansicht, dass die Einleitung des Verfahrens vor litauischen Gerichten gegen die in der Aktionärsvereinbarung enthaltene Schiedsklausel verstoße und begehrte in einem emergency arbitrator proceeding nach den Regeln der SCC, das Ministerium einstweilig zur Aussetzung des Verfahrens vor dem Regionalgericht Vilnius zu verpflichten. Nachdem der als emergency arbi191
EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427 – Gazprom. Vgl. SCC Arbitration No. V (125/2011), Final Award, 31.7.2012 – Gazprom ./. Republic of Lithuania, Rn. 45. 193 Vgl. hierzu im deutschen Recht die Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG (Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 326). 192
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 47
trator bestellte Prof. Albert Jan van den Berg den Antrag mangels Dringlichkeit abgelehnt hatte, leitete Gazprom ein ordentliches Schiedsverfahren ein und begehrte hierbei, das Energieministerium zur Rücknahme der Klage vor dem Regionalgericht Vilnius zu verpflichten. Im Juli 2012 gab das Schiedsgericht dem Antrag per „final award“194 teilweise statt und ordnete an, dass das Ministerium einzelne Anträge vor dem Regionalgericht Vilnius zurücknehmen und andere einschränken müsse. Im September 2012 entschied das Regionalgericht Vilnius, dass der Rechtsstreit über die behaupteten Preismanipulationen nicht schiedsfähig sei, bejahte die eigene Zuständigkeit und gab der Klage des Energieministeriums auch in der Sache statt. Hiergegen legten Lietuvos dujos und die betroffenen Vorstände Berufung ein. Gazprom beantragte derweil die Vollstreckbarerklärung der schieds-richterlichen anti-suit injunction. Im Dezember 2012 wies das litauische Appellationsgericht zunächst den Antrag von Gazprom auf Vollstreckbarerklärung des Stockholmer Schiedsspruchs und im Februar 2013 sodann auch die Berufung von Lietuvos dujos und ihren betroffenen Vorständen gegen die Sachentscheidung des Regionalgerichts Vilnius zurück. Gazprom, Lietuvos dujos und die betroffenen Vorstände legten jeweils letztinstanzlich Rechtsmittel beim litauischen Kassationsgericht ein. Dieses setzte im November 2013 das Verfahren in der Hauptsache bis zur Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung aus. Im Rahmen dieses Verfahrens über die Vollstreckbarerklärung des Stockholmer Schiedsspruchs legte das litauische Kassationsgericht dem EuGH im Kern die Frage vor, ob die Brüssel I‑VO gebiete, einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction auf Grundlage von Art. V Abs. 2 lit. b NYK (Einwand der öffentlichen Ordnung) die Vollstreckbarerklärung zu versagen. Im Schrifttum wurde auf Grundlage des West Tankers-Verbots überwiegend eine positive Antwort erwartet. Mitgliedstaatliche Gerichte dürften keine Maßnahmen vollstrecken, deren Erlass der Gerichtshof ihnen verboten habe.195 Demgegenüber war GA Wathelet in seinen Schlussanträgen der Ansicht, dass das Brüssel-System der Vollstreckbarerklärung des Stockholmer Schiedsspruchs nicht entgegensteht.196
194 SCC Arbitration No. V (125/2011), Final Award, 31.7.2012 – Gazprom ./. Republic of LithuaniaI. 195 Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 987; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 125, 155; Kaufmann-Kohler, Dis. Res. Int. 2 (2008), 110, 113; Abascal, in: Van den Berg, 2007, S. 751; Vishnevskaya, J. Int. Arb., 2015, 173, 192; Cole/Bantekas/Ferretti et al., Study on Instruments and Practice of Arbitration in the EU, 2014, 15, 196. 196 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 127 ff. – Gazprom.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
2. Entscheidungsgründe Die große Kammer des Gerichtshofs entschied, dass die Brüssel I‑VO einem mitgliedstaatlichen Gericht nicht verwehrt, eine schiedsrichterliche anti-suit injunction in Bezug auf ein Verfahren vor einem Gericht desselben Mitgliedstaats anzuerkennen bzw. zu vollstrecken.197 Auf die erste Argumentationskette von GA Wathelet, das West Tankers-Verbot habe unter der Brüssel Ia-VO keinen Bestand mehr,198 ging der Gerichtshof nicht ein. Denn auf die streitgegenständlichen Verfahren fand die Brüssel Ia-VO zeitlich keine Anwendung.199 Der Gerichtshof schloss sich jedoch dem zweiten Argumentationsstrang des Generalanwalts an200 und differenzierte die Rechtssachen Gazprom und West Tankers.201 Ausweislich Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel I‑VO regele die Verordnung Zuständigkeitskonflikte zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten, nicht zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten und Schiedsgerichten.202 Da die Anordnung in der Rechtssache Gazprom durch ein Schiedsgericht erfolgt sei, könne von einem Eingriff der Gerichte des einen Mitgliedstaats in die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nicht die Rede sein.203 Darüber hinaus bestehe in der Gazprom-Konstellation nicht die Gefahr, dass der Gerichtskläger vom Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten ausgeschlossen werde.204 Denn er könne sich der Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen Anordnung widersetzen, sodass die angerufenen Gerichte nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts über deren Voraussetzungen befinden würden. Schließlich setze sich das Ministerium – anders als die Versicherer im Fall West Tankers – auch keinerlei Sanktionen durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats aus, wenn es die Anordnung des Schiedsgerichts nicht befolge.205 197
EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427 – Gazprom. Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 90152 – Gazprom. 199 Vgl. EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 3 – Gazprom. 200 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 153157 – Gazprom. 201 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 36 ff. – Gazprom. 202 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 36 – Gazprom. 203 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 37 – Gazprom. 204 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 38 – Gazprom. 205 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 40 – Gazprom. 198 GA
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 49
Unter diesen Umständen könne weder die schiedsrichterliche Anordnung selbst noch ihre Vollstreckbarerklärung das gegenseitige Vertrauen zwischen den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten erschüttern.206
3. Reichweite Der EuGH differenziert in seiner Gazprom-Entscheidung die Rechtssache West Tankers unter wiederholter Bezugnahme auf die „Umstände des Ausgangsverfahrens“.207 Aus der knappen Urteilsbegründung wird jedoch nicht ohne weiteres ersichtlich, welche konkreten Umstände es waren, die zu der abweichenden Beurteilung führten. Klar erscheint, dass die fehlende Anwendbarkeit der Brüssel I‑VO auf das Ausgangsverfahren vor litauischen Gerichten auf Vollstreckbarerklärung des Stockholmer Schiedsspruchs keinen tragfähigen Differenzierungsgrund darstellt.208 Denn auch in West Tankers fand die Verordnung keine Anwendung auf das Ausgangsverfahren vor englischen Gerichten auf Erlass einer anti-suit injunction zur Durchsetzung der Schiedsabrede (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel-I VO).209 Hier wie dort war aber zu untersuchen, inwieweit sich die Entscheidung im Ausgangsverfahren auf die Befugnis eines mitgliedstaatlichen Gerichts in einem anderen Verfahren auswirkt, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden. In West Tankers war dies das Verfahren vor italienischen Gerichten gerichtet auf Schadensersatz, in Gazprom das Verfahren vor litauischen Gerichten wegen behaupteter Preismanipulationen. Dass der Erlass der anti-suit injunction durch ein Schiedsgericht erfolgte, kann für sich genommen ebenfalls keine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Zwar sind Schiedsgerichte als private Spruchkörper unmittelbar210 nicht an die Brüssel I‑VO und das zugrunde liegende Vertrauensprinzip gebunden. In der Tat kann das Brüssel-System deshalb dem Erlass einer anti-suit injunction durch ein Schiedsgericht nicht entgegenstehen.211 In Gazprom ging es aber nicht um die Frage, ob die Verordnung dem Erlass durch das Schiedsgericht, sondern ob sie der Vollstreckbarerklärung durch ein litauisches Gericht entgegensteht. Und dieses litauische Gericht ist nicht anders als das 206
EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 39 – Gazprom. 207 Vgl. EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 37-42 – Gazprom. 208 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 88 – Gazpro; a. A. offenbar Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 12.62, 12.78 (ohne Begründung). 209 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 85 ff. – Gazprom. 210 Vgl. für eine mittelbare Bindung unten Teil 4 A.II.2 und Teil 5 B.I.2. 211 Vgl. Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 83.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
englische Gericht im Fall West Tankers zu gegenseitigem Vertrauen verpflichtet.212 Maßgeblich erscheint vielmehr, dass der Gerichtshof in Gazprom mit einer gerichtlichen Maßnahme befasst war, die sich nur auf ein Verfahren vor Gerichten desselben Mitgliedstaats auswirken konnte. Anders als bei der englischen anti-suit injunction im Fall West Tankers, die auf ein Verfahren vor italienischen Gerichten zielte, wurde in Gazprom nämlich sowohl das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung des Stockholmer Schiedsspruchs als auch das möglicherweise hiervon betroffene Parallelverfahren vor litauischen Gerichten geführt. Der nach dem Brüssel-System bestehende Vertrauensgrundsatz verpflichtet aber nur Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten zu wechselseitigem Vertrauen, nicht die Gerichte desselben Mitgliedstaats untereinander. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Gerichtshof die Gazprom-Konstellation zu Recht differenziert. Denn anders als in West Tankers liegt ein Eingriff eines mitgliedstaatlichen Gerichts in die Befugnisse eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats nicht vor – eine Anknüpfung an den Erlass der anti-suit injunction scheidet aus, weil er durch ein privates Schiedsgericht erfolgt ist, ein Abstellen auf ihre Vollstreckbarerklärung, weil hiervon Auswirkungen allenfalls für Gerichte desselben Mitgliedstaates ausgehen. Dementsprechend stand im Fall Gazprom auch keine Bewertung der Zuständigkeit(sentscheidung) eines mitgliedstaatlichen Gerichts durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates in Rede. Außerdem sah sich das Ministerium für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen die schiedsrichterliche Anordnung keinen Sanktionen durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats ausgesetzt. Und schließlich bestand auch nicht die Gefahr, dass dem Ministerium durch die Entscheidung eines Gerichts des Mitgliedstaats A der Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten des Mitgliedstaats B versperrt wird. Die Reichweite der Gazprom-Entscheidung des Gerichtshofs erscheint damit aber auch begrenzt. Geklärt ist, dass die Brüssel I‑VO dem Erlass schiedsrichterlicher anti-suit injunctions nicht entgegensteht, weil Schiedsgerichte unmittelbar weder an die Verordnung noch an das zugrunde liegende Vertrauensprinzip gebunden sind. Entschieden ist außerdem, dass die Brüssel I‑VO der Durchsetzung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Gerichtsstaat nicht entgegensteht. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gerichtshof diese Fragen unter der Brüssel Ia-VO anders beurteilen wird. Offen ist hingegen, welchen Wert eine Berufung auf eine schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat hat bzw. wie wahrscheinlich ihre erfolgreiche Durchsetzung nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts ist. Ungeklärt ist ferner, ob die Vollstreckung 212 Vgl. Bollée, Rev. arb. 2012, 838, 839; a. A. offenbar Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 83, 100, 102; Frohloff, Verletzung von Schiedsvereinbarungen, 2017, 204–205, 211.
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 51
des schiedsrichterlichen Prozessführungsverbots im Schiedsstaat bzw. dritten Mitgliedstaaten ebenfalls mit dem Brüssel-System vereinbar ist.213
II. Durchsetzung im Gerichtsstaat Betrachten wir zunächst die Durchsetzung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Gerichtsstaat. Zugrunde liegt die Gazprom-Konstellation. Das heißt ein Schiedsgericht mit Sitz in Mitgliedstaat A (Schiedsstaat) hat zur Durchsetzung einer Schiedsabrede eine anti-suit injunction bezüglich eines Verfahrens vor den Gerichten eines Mitgliedstaats B (Gerichtsstaat) erlassen. Die schiedszugewandte Partei begehrt nunmehr im Gerichtsstaat die Durchsetzung der schiedsrichterlichen Anordnung. Im Folgenden wird als erstes untersucht, was die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Gerichtsstaat für das staatliche Parallelverfahren bedeuten würde (1.). Vor diesem Hintergrund werden anschließend die Anerkennungs- und Vollstreckungsaussichten der schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Gerichtsstaat beurteilt (2.).
1. Potentielle Anerkennungswirkung Unterstellen wir zunächst, dass das schiedsrichterliche Prozessführungsverbot im Gerichtsstaat anerkennungsfähig ist. Was bedeutet das für das staatliche Parallelverfahren? Nehmen wir den Fall, dass im Gerichtsstaat eine schiedsrichterliche anti-suit injunction für vollstreckbar erklärt wird, die gegenüber dem Gerichtskläger das Gebot ausspricht, die Klage vor dem staatlichen Parallelgericht zurückzunehmen bzw. eine Aussetzung des Verfahrens zu beantragen. Dann kommt nach Maßgabe der lex fori des Gerichtsstaats eine Fiktion der hierfür erforderlichen Erklärung des Gerichtsklägers in Betracht, in Deutschland z. B. entsprechend § 894 ZPO.214 Womöglich kann sich der Schiedskläger im staatlichen Parallelverfahren auch auf die materielle Rechtskraft des schiedsrichterlichen Prozessführungsverbots berufen.215 Das kommt auch dann in Betracht, wenn der Anordnung – 213
Wais, Anm. zu EuGH, Urteil v. 13.5.2015, Rs. C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 – Gazprom, EuZW 2015, 511, 512; Pickenpack, Anm. zu EuGH, Urteil v. 13.5.2015, Rs. C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 – Gazprom, EWiR 2015, 61, 62; Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 94; a. A. Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 12.62, 12.78 (ohne Begründung). 214 Vgl. RGZ 133, 128, 133; BGH, NJW 1974, 900; OLG München MDR 1967, 223; MüKo ZPO/Gruber, 2016, § 894 ZPO, Rn. 3. 215 Eine Durchsetzung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction mit Zwangsmitteln – z. B. durch die Verhängung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft – scheidet dagegen im Gerichtsstaat aus. Zum einen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Denn das vornehmliche Rechtsschutzziel – die Unterbindung des staatlichen Parallelverfahrens – kann durch die Fiktion bzw.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
wie regelmäßig der Fall – ausschließlich das Verbot zu entnehmen ist, das staatliche Parallelverfahren fortzusetzen. Ziel wäre aus Sicht des Schiedsklägers, dass das staatliche Parallelgericht die Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit verweisen muss, auch wenn es die Schiedseinrede bei originärer Prüfung zurückgewiesen hätte. Das setzt neben der hier unterstellten Anerkennungsfähigkeit allerdings auch eine entsprechende Anerkennungswirkung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Gerichtsstaat voraus. Rechtsprechung zur Frage der Anerkennungswirkung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Gerichtsstaat ist nicht ersichtlich. Auch in der Rechtssache Gazprom erklärte das litauische Kassationsgericht die Anordnung des Stockholmer Schiedsgerichts zwar auf Grundlage der Gazprom-Entscheidung des EuGH für vollstreckbar.216 Das daraufhin vom Kassationsgericht wiederaufgenommene Verfahren über die behauptete Preismanipulation wurde jedoch anschließend durch teilweise Klagerücknahme217 und im Übrigen durch Prozessvergleich beendet.218 Zu einer Entscheidung über die Wirkung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction kam es nicht. Die Anerkennungs- und grundsätzliche Rechtskraftfähigkeit der schiedsrichterlichen anti-suit injunction unterstellt, besteht nach den untersuchten Rechtsordnungen aber in der Tat eine entsprechende Anerkennungswirkung. Nach englischem und französischem Recht erwächst die Entscheidung des Schiedsgerichts über die Vorfrage der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede auf den Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens in materieller Rechtskraft.219 Das mitgliedstaatliche Parallelgericht ist insoweit bei seiner Entscheidung über die Schiedseinrede gebunden (Frankreich) bzw. dem Gerichtskläger durch die Erhebung der Schiedseinrede (gegebenenfalls verbunden mit einer Berufung auf die Rechtskraft der schiedsrichterlichen anti-suit injunction) unmittelbar herbeigeführt werden, durch die Verhängung von Ordnungsgeld/Ordnungshaft dagegen allenfalls mittelbar. Zum anderen dürfte der Einsatz von Zwangsmitteln zur Unterbindung eines Verfahrens vor einem Gericht desselben Staates der Zuständigkeitsordnung dieses Staates widersprechen. 216 Litauisches Kassationsgericht, 23.10.2015, 3K-7–458–701/2015, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter . 217 Das Energieministerium nahm den Antrag hinsichtlich der Abberufung der Vorstände zurück, weil diese Personen – aufgrund der zwischenzeitlich veränderten Beteiligungsverhältnisse – ohnehin keine Funktion mehr bei Dujos bzw. dessen Nachfolgeunternehmen ausübten. 218 Litauisches Kassationsgericht, 30.3.2016, 3K-3–149–915/2016, Lietuvos Respublikos energetikos et al ./. Energijos skirstymo operatorius (ehemals „Lietuvos dujos“) et al, abrufbar unter . 219 Vgl. für England Arnold and Others v National Westminster Bank PLC [1991] 2 AC 93, 105 (UKHL). Nach französischem Recht beschränkt sich die materielle Rechtskraft (l’autorité de la chose jugée) zwar grundsätzlich – ebenso wie in Deutschland – auf den Urteilstenor (dispositif du jugement); das heißt die Urteilsbegründung (motifs) wird vom objektiven Umfang der Rechtskraft grundsätzlich nicht erfasst. Allerdings werden zum dispositif auch Entscheidungen über präjudizielle Rechtsverhältnisse gezählt, sofern diese Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien umstritten und für die Entscheidung in der Hauptsache entscheidungserheblich waren (Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 1008 f.).
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 53
ist ein abweichender Vortrag insoweit verwehrt (England).220 Nach dem engen deutschen Rechtskraftverständnis entfaltet zwar die Entscheidung des Schiedsgerichts über die Vorfrage der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung keine res iudicata-Wirkung, wohl aber das im Tenor der Entscheidung enthaltene Verbot, das staatliche Parallelverfahren über die schiedsbefangene Forderung fortzuführen.221 Und letzteres sichert der BGH prozessual ab, indem er der gerichtszugewandten Partei auf Grundlage von § 242 BGB eine Berufung auf die schiedsbefangene Forderung im staatlichen Gerichtsverfahren verwehrt.222 Damit ist die Anerkennungswirkung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction nach den drei untersuchten Rechtsordnungen geeignet, das staatliche Parallelverfahren zu unterbinden. Zu untersuchen bleibt die Anerkennungsfähigkeit des schiedsrichterlichen Prozessführungsverbots im Gerichtsstaat.
2. Anerkennungsfähigkeit Die Anerkennungsfähigkeit beurteilt sich nach der lex fori des Gerichtsstaats. In Betracht kommt eine Anwendung der Art. III ff. NYK. Fraglich ist allerdings bereits, ob eine schiedsrichterliche anti-suit injunction als Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK qualifiziert werden kann (a)). Gegebenenfalls muss die schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat – sofern die formalen Voraussetzungen nach Art. IV NYK erfüllt sind – gemäß Art. III NYK anerkannt und vollstreckt werden. Etwas anderes gilt nur, wenn die Anerkennung aus einem der in Art. V NYK abschließend aufgezählten Gründe zu versagen ist. In Betracht kommt insofern zunächst der Einwand der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts (Art. V Abs. 1 lit. a, Abs. 1 lit. c, Abs. 2 lit. a NYK). Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang, inwieweit das Anerkennungsgericht befugt ist, neben der Zuständigkeit für den Erlass der schiedsrichterlichen Anordnung auch die Zuständigkeit für den Gegenstand des untersagten Parallelverfahrens nachzuprüfen (b)). Daneben ist eine Verletzung der öffentlichen Ordnung nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK denkbar, selbst wenn aus Sicht des Anerkennungsgerichts das Schiedsgericht sowohl für den Erlass der antisuit injunction als auch für den Gegenstand des betroffenen Gerichtsverfahrens zuständig war (c)).
220 221
Vgl. z. B. die Voraussetzungen der Schiedseinrede in Art. II Abs. 3 NYK. Vgl. BGH, NJW 1983, 2032; BGH, NJW 2008, 2716. 222 BGHZ 38, 254; BGHZ 99, 143 = BGH, NJW 1987, 651, 652.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
a) Qualifikation der schiedsrichterlichen anti-suit injunction als Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK Anwendbar ist die NYK gemäß Art. I Abs. 1 NYK auf ausländische Schiedssprüche. Art. I Abs. 2 NYK stellt klar, dass auch Entscheidungen von ständigen Schiedsgerichten erfasst werden. Im Übrigen fehlt in der Konvention aber eine Definition des Begriffs „Schiedsspruch“. Unter den Vertragsstaaten sind die Merkmale umstritten.223 Im Fall Gazprom gingen litauische Gerichte stillschweigend von der Anwendbarkeit der NYK auf die schiedsrichterliche antisuit injunction aus.224 Im Schrifttum wird die Qualifikation von schiedsrichterlichen anti-suit injunctions als Schiedssprüche hingegen abgelehnt. Zum einen stelle ein Prozessführungsverbot keine Entscheidung über den Rechtsstreit dar (aa)).225 Zum anderen fehle der Maßnahme die erforderliche Endgültigkeit (bb)).226
aa) Entscheidung über den Rechtsstreit Dass die Qualifikation als Schiedsspruch eine Entscheidung „über den Rechtsstreit“ erfordert, ist in Art. V Abs. 1 lit. c NYK angelegt und prinzipiell allgemein anerkannt.227 Einvernehmen besteht auch darin, dass unter diesem Merkmal bloße verfahrensleitende Maßnahmen des Schiedsgerichts – sog. procedural orders – abzugrenzen sind.228 Umstritten ist hingegen, inwieweit die Entscheidung über den Streitgegenstand des Verfahrens ergangen sein muss 223
Vgl. hierzu allgemein Di Pietro, in: Gaillard/Di Pietro, 2009, S. 139 ff. Litauisches Berufungsgericht, Entscheidung v. 17.12.2012, Gazprom ./. Lietuvos Res publika, abrufbar unter ; Litauisches Kassationsgericht, Vorlagebeschluss v. 10.10.2013, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter infolex.te; Litauisches Kassationsgericht, Entscheidung v. 23.10.2015, 3K-7–458–701/2015, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter . 225 Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 506 („Solche schiedsrichterlichen Verbote dürften – da keine decision on the merits – aber nicht unter die Anerkennungspflicht nach Art. V NYK subsumierbar sein.“); Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 1029 („procedural directions“); Farah/Hourani, J. Priv. Int. L. 2018, 96, 113, Fn. 91 „procedural order“). 226 Erk, Parallel Proceedings, 2014, 225 („The recognition and enforcement scheme under the New York Convention arguably covers only arbitral awards dealing with an issue in a final decision […].“); Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 29 f. („Nonetheless, an anti-suit injunction may well be seen as an interim measure, which may or may not be enforceable by national courts and may not constitute an award that is enforceable under the New York Convention.“). 227 Vgl. Art. V Abs. 1 lit. c NYK („Streitigkeit“); Cass. 1ère civ., 12.10.2011, Nr. 0972.439, Rev. arb. 2011, 573 – GAT ./. République du Congo; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1061, Rn. 3; Sutton/Gill/Gearing, Russell on Arbitration, 2015, Rn. 6-002, 6-078. 228 MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. I NYK, Rn. 4; Sutton/Gill/ Gearing, Russell on Arbitration, 2015, Rn. 6-002, 8-013; Fouchard, Gaillard, Goldman, International Commercial Arbitration, 1999, Rn. 1351, 1355; Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 879. 224
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 55
bzw. ob auch Entscheidungen über Vorfragen als Schiedssprüche qualifiziert werden können und ob Entscheidungen des Schiedsgerichts über verfahrensrechtliche Fragen nach der Konvention zirkulieren. Verfahrensleitende Maßnahmen sind Anordnungen des Schiedstribunals, die lediglich die ordnungsgemäße Durchführung und Organisation des Verfahrens betreffen,229 keine Rechte und Pflichten der Parteien regeln230 und nicht über das konkrete Schiedsverfahren hinauswirken.231 Beispiele sind die Vorgabe von Zeitplänen, die Anordnung von Schriftsatzfristen und die Erhebung von Beweisen.232 Schiedsrichterliche anti-suit injunctions lassen sich folglich nicht als verfahrensleitende Maßnahmen qualifizieren.233 Denn mit ihnen wird über Rechte und Pflichten der Parteien entschieden, namentlich über den Anspruch der schiedszugewandten Partei gegen den Gerichtskläger, die Einleitung bzw. Fortführung eines konkreten Verfahrens vor staatlichen Gerichten zu unterlassen. Außerdem bezieht sich die schiedsrichterliche Anordnung auf das mitgliedstaatliche Parallelverfahren und wirkt insoweit über das Ausgangsverfahren hinaus. Der Streit, inwieweit die Entscheidung des Schiedsgerichts über den Streitgegenstand des Schiedsverfahrens ergangen sein muss,234 kann dahinstehen. Denn mit dem Prozessführungsverbot entscheidet das Schiedsgericht über den Antrag der schiedszugewandten Partei, dem Gerichtskläger die Fortführung eines bestimmten Gerichtsverfahrens zu untersagen. Zugrunde liegt der Vortrag, dass der Gerichtskläger durch die Einleitung des staatlichen Verfahrens seine Pflicht aus der Schiedsabrede verletzt hat, die erfassten Streitigkeiten nur vor einem Schiedsgericht auszutragen. Das Schiedstribunal entscheidet demnach über den Antrag des Schiedsklägers und den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt. Damit ist die schiedsrichterliche anti-suit injunction – selbst nach dem vergleichsweise engen Verständnis im deutschen Recht – nicht lediglich eine Entscheidung über eine Vorfrage, sondern eine Entscheidung über den Streitgegenstand des Schiedsverfahrens. Ob Entscheidungen über einen verfahrensrechtlichen Gegenstand als Schiedssprüche qualifiziert werden können, wirkt sich demgegenüber aus. Der 229
Kojovic, J. Int. Arb. 18 (2001), 511, 521. Kojovic, J. Int. Arb. 18 (2001), 511, 521. MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. I, Rn. 4; Fouchard, Gaillard, Goldman, International Commercial Arbitration, 1999, 737. 232 Fouchard, Gaillard, Goldman, International Commercial Arbitration, 1999, 737. 233 Born, Law and Practice, 2015, § 11.02, Rn. 23. A. A. Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 1029 („procedural directions“); Farah/Hourani, J. Priv. Int. L. 2018, 96, 113, Fn. 91 („procedural order“). 234 Vgl. nur OLG München, Urteil v. 10.10.2002 – U (K) 1651/02, BeckRS 2002 30470727, B.I.1.b.; LG Köln, Urteil v. 29.11.1982 – 85 O 187/82, IPRax 84, 90; CA Paris, 7.7.1987, Rev. arb. 1988, 649 – Pia Investments Ltd ./. Cassia; CA Paris, 25.3.1994, Rev. arb. 1994, 391 – Sardisud ./. Technip. 230 231
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Erlass einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction setzt tatbestandlich voraus, dass die Schiedsabrede gültig und anwendbar ist. Die Entscheidung betrifft insoweit die Abgrenzung von Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit sowie die Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers als Verfahrensvoraussetzung. Daneben ist die Rechtsfolge der Entscheidung auf das Ver- oder Gebot eines prozessualen Verhaltens gerichtet, namentlich die Fortführung oder die Beendigung bzw. Aussetzung des abredewidrigen Gerichtsverfahrens. Unzweifelhaft liegt der schiedsrichterlichen anti-suit injunction damit ein verfahrensrechtlicher Gegenstand zugrunde.235 In England236 und Frankreich237 werden nach allgemeiner Ansicht auch Entscheidungen über verfahrensrechtliche Fragen – so etwa Zwischenentscheidungen des Schiedsgerichts über die eigene Zuständigkeit – vom Begriff des Schiedsspruchs i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK erfasst. In Deutschland kommt es hingegen auf die Wahl des Qualifikationsmaßstabs an: Teilweise wird in Deutschland vertreten, der Begriff „Schiedsspruch“ in Art. I Abs. 1 NYK sei nach der lex fori des Anerkennungsgerichts zu qualifizieren.238 Entsprechend der h. M. zu § 328 ZPO239 wären damit schiedsrichterliche anti-suit injunctions – weil sie einen verfahrensrechtlichen Gegenstand 235 Vgl. zu staatlichen anti-suit injunctions Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 353 f.; Schütze, Probleme des internationalen Zivilprozessrechts, 2006, 57; Stein/Jonas/Roth, 2015, § 328, Rn. 55; MüKo BGB/Gottwald, 2019, § 328, Rn. 58; Wieczorek/Schütze/Schütze, 2015, § 328, Rn. 14; Martiny, Hdb. IZVR III/1, 1984, Rn. 477. 236 Sutton/Gill/Gearing, Russell on Arbitration, 2015, Rn. 6-002; Di Pietro, in: Gaillard/ Di Pietro, 2009, S. 150, 152 f. m. w. N.; vgl. auch s. 67(1)(a) AA 1996; National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 66, 82 (Anerkennung einer spanischen Zwischenentscheidung, mit der die Schiedseinrede zurückgewiesen worden war). 237 CA Paris, 25.3.1994, Rev. arb. 1994, 391 – Sardisud ./. Technip; vgl. auch: Cass. 1ère civ., 12.10.2011, Nr. 09-72.439, Rev. arb. 2011, 573, 573 – GAT ./. République du Congo („[S]eules peuvent faire l’objet d’un recours en annulation les véritables sentences arbitrales, c’est-à-dire les actes des arbitres qui tranchent de manière définitive, en tout ou en partie, le litige qui leur est soumis, que ce soit sur le fond, sur la compétence ou sur un moyen de procédure qui les conduit à mettre fin à l’instance.“); Fouchard, Gaillard, Goldman, International Commercial Arbitration, 1999, 737 („An arbitral award can be defined as a final decision by the arbitrators on all or part of the dispute submitted to them, whether it concerns the merits of the dispute, jurisdiction, or a procedural issue leading them to end the proceedings.“); Cass. 1ère civ., 14.10.2009, Nr. 08-16.369 08-16.549, JDI 2010, 146 – In Zone Brands (Anerkennung einer staatlichen anti-suit injunction). 238 OLG Düsseldorf, SchiedsVZ 2005, 214, 215; OLG Rostock, IPrax 2002, 401, 403; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1061, Rn. 9; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3892, 3898; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 2511, 2512; Böckstiegel/Kröll/ Nacimiento/Kröll, 2015, § 1061, Rn. 10; Martiny, in: Martiny/Waehler/Wolff, 1984, Kap. I, Rz. 526. 239 Staatliche anti-suit injunctions werden in Deutschland als Prozessentscheidung qualifiziert, die einer Anerkennung nach § 328 ZPO nicht zugänglich sind (Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 353 f.; Schütze, Probleme des internationalen Zivilprozessrechts, 2006, 57; Stein/ Jonas/Roth, 2015, § 328, Rn. 55; MüKo BGB/Gottwald, 2019, § 328, Rn. 58; Wieczorek/Schütze/Schütze, 2015, § 328, Rn. 14; Martiny, Hdb. IZVR III/1, 1984, Rn. 477).
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 57
aufweisen – der Anerkennung nach § 1061 Abs. 1 ZPO, Art. III ff. NYK entzogen. Demgegenüber befürworten der BGH und Teile der Literatur im Rahmen der NYK einen vertragsautonomen Qualifikationsmaßstab.240 Danach ist von Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zielen der Konvention auszugehen und – sofern erforderlich – ein Rechtsvergleich anzustellen. Wortlaut und Entstehungsgeschichte der NYK lassen sich nicht entnehmen, dass Entscheidungen über verfahrensrechtliche Fragen vom Begriff des Schiedsspruchs i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK ausgenommen sind. Demgegenüber sprechen sowohl das Ziel der Konvention, die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen zu fördern,241 als auch ein rechtsvergleichender Blick nach England und Frankreich für ein weites, Entscheidungen über verfahrensrechtliche Streitigkeiten prinzipiell einschließendes Verständnis.242 Für eine vertragsautonome Qualifikation spricht, dass die Qualifikation eines Systembegriffs aus einem völkerrechtlichen Vertrag in Rede steht. Das überragende Ziel solcher Verträge ist die Rechtsvereinheitlichung, die nur erreicht werden kann, wenn die Vertragsstaaten nicht nur formal dieselben Normen anwenden, sondern sie auch übereinstimmend auslegen.243 Zwar ist richtig, dass bei der Erarbeitung der NYK Vorschläge für eine konventionsautonome Definition des Begriffs Schiedsspruch unterbreitet wurden, diese aber letztlich keinen Eingang in das Übereinkommen gefunden haben.244 Das bedeutet jedoch nicht, dass damit eine an den Zielen der Konvention ausgerichtete, rechtsvergleichende Qualifikation ausgeschlossen werden sollte. Das gilt umso mehr, als 240 BGH, NJW 1982, 1224, 1225 (UN-Übereinkommen ist als ein multilaterales Übereinkommen aus sich heraus eigenständig auszulegen); Schlosser, Internationale private Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, Rn. 766; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, Anhang zu § 1061, Rn. 16; MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. I, Rn. 3; Haas, in: Weigand, 2002, Rn. 46; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1061, Rn. 3. 241 Vgl. MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. I, Rn. 3. 242 Sogar für die Einbeziehung von Zwischenentscheidungen des Schiedsgerichts über die Vorfrage der eigenen Zuständigkeit LG München I, Yb. Com. Arb. 1980, 260, 261; LG Köln, IPRax 84, 90; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, Anh. zu § 1061, Rn 24 (vgl. allerdings auch Rn. 21); Haas, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer und internationaler Schiedssprüche, 1991, 151; a.A OLG München, BeckRS 2002 30470727, B.I.1.b.; OLG Düsseldorf, SchiedsVZ 2005, 214, 215; offen gelassen BGH, NJW‑RR 2007, 1008. 243 Rauscher, IPR, 2017, Rn. 480. 244 Vgl. z. B. United Nations Economic and Social Council, United Nations Conference on International Commercial Arbitraton, Consideration of the Draft Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards (Item 4 on the Agenda) – Pakistan: amendments to draft Convention, 26.5.1958, U. N. Doc. E/Conf.26/L. 16 und Israel: proposed definition of words „arbitral award“, 26.5.1958, U. N. Doc. E/Conf.26/L. 18. Vgl. für eine Qualifkation nach der lex fori auch den Kommentar der Delegation Österreichs, Report by the Secretary-General, Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, 31.1.1956, U. N. Doc. E/2822, S. 10 („The Term ‚arbitral award‘ is not defined. Consequently, it will depend on the law of the State in which it is to be enforced whether a particular decision is to be regarded as an arbitral award.“).
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
der Begriff „Schiedsspruch“ über die Anwendbarkeit der NYK entscheidet und davon auszugehen ist, dass diese nach dem Willen der Konventionsgeber nicht dem Gutdünken der Vertragsstaaten überlassen bleiben sollte. Folgt man dieser Ansicht, erfüllen schiedsrichterliche anti-suit injunctions im Rahmen der NYK auch in Deutschland das Merkmal „Entscheidung über den Rechtsstreit“.
bb) Endgültige Entscheidung Aus Art. V Abs. 1 lit. e NYK wird abgeleitet, dass die Qualifikation als Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK voraussetzt, dass die schiedsrichterliche Entscheidung für die Parteien verbindlich ist.245 Die Entscheidung darf daher nicht mehr vor Schiedsgerichten oder staatlichen Gerichten mit aufschiebender Wirkung angegriffen werden können;246 die Möglichkeit, dass die schiedsrichterliche Entscheidung in einem Verfahren vergleichbar mit § 1059 ZPO aufgehoben wird, steht ihrer „Verbindlichkeit“ hingegen nicht entgegen.247 Im Zusammenhang mit der Qualifikation einstweiliger Maßnahmen ist in den untersuchten Rechtsordnungen allerdings umstritten, ob die Entscheidung auch endgültig sein muss und wenn ja, was genau das bedeutet.248 Die überwiegende Ansicht spricht sich für das Erfordernis der Endgültigkeit aus.249 Erfasst würden nur solche Entscheidungen, die das Tribunal – selbst wenn es wollte – nicht mehr infrage stellen könne. Maßnahmen des einstwei245
MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1061 Rn. 10. Schiedsverfahren sind für gewöhnlich auf eine Instanz beschränkt. Die Parteien können aber abweichendes vereinbaren, etwa ein Rechtsmittelschiedsverfahren vor einem Oberschiedsgericht. In diesem Fall steht das Wirksamwerden und damit auch die Rechtskraft des Schiedsspruchs unter der aufschiebenden Bedingung, dass das Oberschiedsgericht den Schiedsspruch bestätigt oder ein Rechtsmittel als unzulässig verwirft oder die Frist für das Rechtsmittel verstreicht (BGH, NJW‑RR 2018, 1334, 1335 f.). 247 BGHZ 52, 184, 188; BGHZ 104, 178, 180. Vgl. auch RT‑Drucks. 2298/1928, 6 (zu § 1044 ZPO a. F.). 248 Vgl. hierzu ausführlich Di Pietro, in: Gaillard/Di Pietro, 2009, S. 150–160. 249 Cass. 1ère civ., 12.10.2011, Nr. 09-72.439, Rev. arb. 2011, 573 – GAT ./. République du Congo; CA Paris, 25.3.1994, Rev. arb. 1994, 391 – Sardisud ./. Technip; Svenska Petroleum Exploration AB v Government of the Republic of Lithuania (No 2) [2005] EWHC 2437; Resort Condominiums International Inc v Ray Bolwell and Resort Condominiums (Australasia) Pty Ltd, Yb. Com. Arb. 1995, 628, Rn. 39 (Supreme Court of Queensland, Australien); BGE, ASA Bulletin 2010 598, Rn. 2.3.1 ff.; Laschet, ZZP 1986, 271, 288; Bandel, Einstweiliger Rechtsschutz, 341 ff.; Berger, International Economic Arbitration, 1993, 345 f.; Bösch, in: Bösch, 1994, S. 292; v. Hoffmann, in: Sarcevic, 1989, S. 236; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 2514; Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 443; Berger, Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, 1992, 241 f.; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1041, Rn. 41, Anh. § 1061 Rn. 7a (anders noch in Schlosser, Internationale private Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, Rn. 775-782); Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1061, Rn. 3; Dicey/ Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 16-130; Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 155; Fouchard, Gaillard, Goldman, International Commercial Arbitration, 1999, 709, 736, 739; Di Pietro, in: Gaillard/Di Pietro, 2009, S. 150, 155 f.; Paulsson, New York Convention, 2016, 116; Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, 246
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 59
ligen Rechtsschutzes, die noch unter der Bedingung der Hauptsache-Entscheidung stünden, könnten daher nicht als Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK qualifiziert werden. Die Gegenansicht lehnt das Erfordernis der Endgültigkeit – jedenfalls in dieser Lesart – ab und hält auf dieser Grundlage den Anwendungsbereich der Konvention auch bei einstweiligen Maßnahmen des Schiedsgerichts für eröffnet.250 Dem Wortlaut der NYK lasse sich ein Erfordernis der „Endgültigkeit“ nicht entnehmen. Insbesondere Art. V Abs. 2 lit. e NYK begnüge sich – anders als noch das Genfer Abkommen von 1927 – mit dem Merkmal der Verbindlichkeit. Selbst wenn man eine „endgültige“ Entscheidung unter der NYK fordere, müsse hierfür aber jedenfalls ausreichen, dass das Schiedsgericht endgültig über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz entschieden hat.251 Die grenzüberschreitende Durchsetzbarkeit von einstweiligen Maßnahmen des Schiedsgerichts nach einheitlichen Regeln sei nämlich von erheblicher praktischer Relevanz.252 Ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich des Übereinkommens entspreche daher dem übergeordneten Zweck der NYK, die Effektivität der Schiedsgerichtsbarkeit zu fördern.253 Richtig ist, dass Art. I Abs. 2 lit. d des Genfer Abkommens von 1927 – anders als die NYK – ausdrücklich noch eine „endgültige“ Entscheidung voraussetzt. Die neue Terminologie in der NYK war aber nicht von dem Willen getragen, künftig Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in das Anerkennungsund Vollstreckungsregime miteinzubeziehen. Hintergrund war vielmehr, dass Rn. 639, 879; Besson, Arbitrage international et mesures provisoires, 1998, Rn. 594 ff.; Karrer, RDAI 1989, 761, 769; Veeder, in: Provisional and conservatory measures, 1998, S. 21, 21. 250 CA Paris, 7.10.2004, JDI 2005, 341– Otor Participation ./. Carlyle; Southern Seas Navigation v. Petroleos Mexicanos, 606 F. Supp. 692 (S. D. N. Y. 1985); Public Communication v. True North Communication, 206 F. 3d 725 (7th Cir. 2000) 725; Sandrock/Nöcker, in: Glossner, 1987, S. 89, 84; MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. I, Rn. 4, Art. V, Rn. 58; Born, Law and Practice, 2015, § 11.02, Rn. 23; Derains, Rev. arb. 1982, 239, 247 f.; Boisséson, Le droit français de l’arbitrage, 1990, 750; Yesilirmak, in: Lew/Mistelis, 2006, S. 198; Yesilirmak, Provisional Measures, 2005, 264; Kojovic, J. Int. Arb. 18 (2001), 511, 523. 251 Vgl. z. B. Southern Seas Navigation v. Petroleos Mexicanos, 606 F. Supp. 692 (S. D. N. Y. 1985) („[A provisional measure] […] is not ‚interim‘ in the sense of being an ‚intermediate‘ step toward a further end. Rather, it is an end in itself, for its very purpose is to clarify the parties’ rights in the ‚interim‘ period pending a final decision on the merits […] [I] f an arbitral award of equitable relief based upon a finding of irreparable harm is to have any meaning at all, the parties must be capable of enforcing or vacating it at the time it is made.“); Yesilirmak, in: Lew/Mistelis, 2006, S. 198 („As to the finality, it should be accepted that an interim award on provisional measures is final in regard of the issues it deals with so long as the issues separable from the other issues in dispute.“). 252 Born, Law and Practice, 2015, § 11.02, Rn. 23 („It is also important to the efficacy of the arbitral process for national courts to be able to enforce provisional measures. If this possibility does not exist, then parties will be more willing to refuse to comply with provisional measures, resulting in precisely the harm that such measures were meant to foreclose.“). 253 Yesilirmak, in: Lew/Mistelis, 2006, S. 198.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
in der Zeit des Genfer Abkommens von 1927 das Merkmal der Endgültigkeit von den nationalen Gerichten überwiegend so ausgelegt wurde, dass der Vollstreckbarerklärung eines Schiedspruchs im Ausland die Vollstreckbarerklärung durch die Gerichte im Erststaat vorausgehen musste.254 Um dieses Erfordernis des Doppelexequaturs abzuschaffen, wurde der Ausdruck „endgültig“ gestrichen und durch den Begriff „verbindlich“ ersetzt.255 Das spricht dafür, dass sich durch die Änderung der Terminologie an der bereits zum Genfer Abkommen von 1927 vertretenen Ansicht nichts geändert hat, wonach Entscheidungen des Schiedsgerichts, die noch unter dem Vorbehalt einer abschließenden Prüfung durch das Schiedsgericht stehen, keine Schiedssprüche i. S. d. Konvention darstellen. Zu klären bleibt, ob schiedsrichterliche anti-suit injunctions einstweilige Maßnahmen darstellen. Gemeinhin wird danach unterschieden, ob das Prozessführungsverbot befristet oder unbefristet ausgesprochen wurde. Hat das Schiedsgericht einer Partei permanent verboten, einen bestimmten Streitgegenstand vor ein staatliches Gericht zu bringen, handle es sich um eine sog. final injunction (1). Wurde das Verbot zeitlich begrenzt, liege hingegen eine sog. interlocutory injunction vor (2).256 Überzeugender erscheint es jedoch, beim Anspruch anzusetzen, den das Schiedsgericht dem Prozessführungsverbot zugrunde gelegt hat, und danach zu differenzieren, ob das Schiedsgericht über diesen endgültig oder nur vorläufig entschieden hat. Bei dieser Betrachtung kommen auch zeitlich befristete, aber gleichwohl endgültige Prozessführungsverbote in Betracht – wenn man möchte also temporary but final injunctions (3).
(1) Final injunctions Mit einer final injunction wird der schiedszugewandten Partei ein Anspruch gegen den Gerichtskläger zugesprochen, die Einleitung bzw. Fortführung eines bestimmten Verfahrens vor staatlichen Gerichten zu unterlassen. Entscheidend ist dabei, dass der Zuspruch des Anspruchs nicht unter dem Vorbehalt einer abschließenden Prüfung steht. Ein Beispiel ist die Entscheidung des Stockholmer Schiedsgerichts im Fall Gazprom, mit welcher die Republik Litauen verpflichtet wurde, bestimmte Anträge vor litauischen Gerichten zurückzunehmen bzw. einzuschränken.257 Dass das Schiedsgerichte die Anordnung als „Final Award“ 254
Van den Berg, New York Convention, 1981, 333. Van den Berg, New York Convention, 1981, 333. Vgl. z. B. Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 436; Schlosser, RIW 2006, 486, 492; Maack, Englische antisuit injunctions, 1999, 23. Vgl. auch s. 37(1) Senior Courts Act 1981 (UK) („The High Court may by order (whether interlocutory or final) grant an injunction […] in all cases in which it appears to the court to be just and convenient to do so“). 257 SCC Arbitration No. V (125/2011), Final Award, 31.7.2012 – Gazprom ./. Republic of Lithuania abrufbar unter , Rn. 267 („In light of the Tribunal’s findings in the pre255 256
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 61
bezeichnet und in der Form eines endgültigen Schiedsspruchs erlassen hat, ist lediglich von indikativer Bedeutung. Begründet hat das Schiedsgericht seine Entscheidung jedoch damit, dass Gazprom aus der Schiedsvereinbarung ein entsprechender Unterlassungsanspruch gegen das litauische Energieministerium zusteht. Insofern stand die Entscheidung nicht unter dem Vorbehalt einer späteren, erneuten Würdigung der Anspruchsvoraussetzungen. Der Streit um das Merkmal der Endgültigkeit wird bei solchen final injunctions nicht relevant. Bei ihnen handelt es sich um Schiedssprüche, die dem Anerkennungs- und Vollstreckungsregime der NYK unterliegen.
(2) Interlocutory injunctions Die zweite Kategorie schiedsrichterlicher Prozessführungsverbote bilden sog. interlocutory injunctions. Vorstellbar sind zwei Ausprägungen:258 In der ersten soll das schiedsrichterliche Prozessführungsverbot das Schiedsverfahren auf Erlass einer final injunction sichern.259 Auch hier stellt das Schiedsgericht auf den Unterlassungsanspruch aus der Schiedsabrede ab. Im Unterschied zur final injunction entscheidet es über ihn aber nur summarisch und unter Vorbehalt der erneuten Würdigung. Der Erlass einer solchen Anordnung erfordert regelmäßig eine besondere Dringlichkeit. Wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache kommt außerdem nur die Verpflichtung des Gerichtsklägers in Betracht, das betroffene Gerichtsverfahren auszusetzen, nicht die staatliche Klage zurückzunehmen. Mit der Entscheidung des Schiedsgerichts über die final injunction tritt die interlocutory injunction außer Kraft. In der zweiten Ausprägung soll die interlocutory injunction das Schiedsverfahren über den abredewidrig vor staatliche Gerichte gebrachten Rechtsstreit sichern. Das Schiedsgericht stellt auf den Anspruch in der Hauptsache ab, prüft seine Voraussetzungen summarisch und entscheidet unter Vorbehalt der erneuten Würdigung. Indem das Schiedsgericht lediglich die Einleitung bzw. Fortführung des Gerichtsverfahrens in der Hauptsache verbietet, nimmt es die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg. Auch hier bedarf es regelmäßig einer besonderen Dringlichkeit. Mit der endgültigen Entscheidung des Schiedsgerichts in der Hauptsache tritt das vorläufige Prozessführungsverbot außer Kraft.
vious section of this award, the Tribunal decides that Respondent must withdraw the following requests made in its […] Claim […] before the Lithuanian Court […]“). Für ein weiteres Beispiel, formuliert als Verbot, vgl. Welex AG v Rosa Maritime Ltd [2002] EWHC 2035 und die Einordnung als final injunction in Welex AG v Rosa Maritime Ltd [2003] EWCA Civ 938, Rn. 36, 40. 258 Vgl. Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 436. 259 Maack, Englische antisuit injunctions, 1999, 37; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 437; Schlosser, RIW 2006, 486, 492.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Kennzeichnend für interlocutory injunctions ist demnach in beiden Fällen, dass das Schiedsgericht nur vorläufig – das heißt unter Vorbehalt der erneuten Würdigung – über den zu sichernden Anspruch entschieden hat. Die Ansicht, die für die Qualifikation einer Entscheidung als Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK das Merkmal der Endgültigkeit nicht voraussetzt bzw. für ausreichend erachtet, dass das Schiedsgericht endgültig über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz entschieden hat, gelangt auch bei interlocutory injunctions zur Anwendbarkeit der NYK.260 Nach der hier vertretenen Gegenansicht, wonach nur solche Entscheidungen erfasst werden, die das Tribunal nicht mehr infrage stellen kann, scheidet die Anwendbarkeit der NYK hingegen aus.
(3) Temporary but final injunctions Häufig kommt es vor, dass die anti-suit injunction nur bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts über den abredewidrig vor staatliche Gerichte gebrachten Gegenstand ausgesprochen wird. Derartige Prozessführungsverbote werden – soweit ersichtlich – ohne weitere Differenzierung als interlocutory injunctions eingeordnet. Schließlich würden sie mit dem final award in der Hauptsache obsolet.261 Hat das Schiedsgericht für den Erlass des Verbots jedoch auf den Unterlassungsanspruch aus der Schiedsabrede abgestellt und abschließend über dessen Voraussetzungen entschieden, erscheint eine Einordnung als Unterfall der final injunction vorzugswürdig. Denn der bloße Umstand, dass der Unterlassungsanspruch zeitlich befristet besteht,262 macht aus einer endgültigen Entscheidung über die Anspruchsvoraussetzungen keine vorläufige.263 Der Streit über das Merkmal der Endgültigkeit wird in dieser Konstellation nicht relevant.
260
So z. B. Mosimann, Anti-suit Injunctions, 2010, 151 ff. Vishnevskaya, J. Int. Arb., 2015, 173, 177; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 437. Für Gründe vgl. ICC 16240 (nach der Entscheidung in der Hauptsache greife der Mechanismus der res iudicata); Vishnevskaya, J. Int. Arb., 2015, 173, 177. 263 Vgl. BGH, ZZP 1958, 427, 436 f. (Schiedsgericht hatte eine Partei zur Zahlung eines monatlichen Betrages verurteilt „ab 1. Juni 1955 für die Dauer des Prozesses“. Diese Entscheidung könne für vollstreckbar erklärt werden, da sie unter Berücksichtigung der Entscheidungsbegründung durch das Schiedsgericht nicht mehr abänderbar sei, vielmehr einen Teil des Klagebegehrens endgültig erledige. Vor diesem Hintergrund handle es sich nicht um eine einstweilige Verfügung); Laschet, ZZP 1986, 271, 279 f., 288 (Entscheidungen, die „[…] eine endgültige Regelung für einen bestimmten Zeitraum oder eine befristete endgültige Regelung darstellen […] [sind als] endgültiger Schiedsspruch vollstreckbar“; Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 640, 879; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1041, Rn. 5 und § 1061, Rn. 3; Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/von Schlabrendorff/Sessler, 2015, § 1055, Rn. 16; Kojovic, J. Int. Arb. 18 (2001), 511, 524; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, 2006, Rn. 918. 261 262
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 63
cc) Zwischenergebnis Eine schiedsrichterliche final injunction erfüllt die Merkmale eines Schiedsspruchs i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK, eine interlocutory injunction nach hier vertretener Ansicht hingegen nicht. Bisher werden der letztgenannten Kategorie auch die in der Praxis häufig anzutreffenden anti-suit injunctions zugeordnet, die endgültig über den Unterlassungsanspruch aus der Schiedsabrede entscheiden, diesen aber nur bis zum Abschluss des Schiedsverfahrens in der Hauptsache zuerkennen. Überzeugender erscheint es, derartige Anordnungen als Unterart der final injunction zu begreifen, auf welche die NYK Anwendung findet.
b) Einwand der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts, Art. V Abs. 1 lit. a, Abs. 1 lit. c, Abs. 2 lit. a NYK Wenn der Anwendungsbereich der NYK eröffnet ist und die formalen Voraussetzungen nach Art. IV NYK erfüllt sind, muss die schiedsrichterliche antisuit injunction im Gerichtsstaat gemäß Art. III NYK anerkannt und vollstreckt werden. Etwas anderes gilt nur, wenn einer der in Art. V NYK abschließend aufgezählten Anerkennungsversagungsgründe vorliegt. In Betracht kommt zunächst der Einwand der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts. Art. V NYK beinhaltet insoweit Anerkennungsversagungsgründe für den Fall, dass die Schiedsvereinbarung ungültig ist (Abs. 1 lit. a), der Schiedsspruch eine Streitigkeit betrifft, die von der Schiedsabrede nicht erfasst wird (Abs. 1 lit. c) oder der Streitgegenstand des Schiedsspruchs auf schiedsrichterlichem Weg nicht geregelt werden kann (Abs. 2 lit. a). Bei schiedsrichterlichen anti-suit injunctions stellt sich die Frage, ob das Anerkennungsgericht im Rahmen dieser Versagungsgründe auch die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für den Rechtsstreit in der Hauptsache nachprüfen darf.
aa) Prüfungskompetenz auch im Hinblick auf die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für den Rechtsstreit in der Hauptsache Mit dem Erlass der anti-suit injunction hat das Schiedsgericht über einen Anspruch auf Unterlassung der Einleitung bzw. Fortführung eines mitgliedstaatlichen Verfahrens über einen bestimmten Streitgegenstand entschieden. Insoweit kommen prinzipiell zwei Gegenstände in Betracht, auf die das Anerkennungsgericht bei der Prüfung der Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung (Abs. 1 lit. c) und der Schiedsfähigkeit (Abs. 2 lit. a) abstellen kann: Hinsichtlich der Anwendbarkeit der Schiedsabrede kann das Anerkennungsgericht jedenfalls prüfen, ob der Erlass schiedsrichterlicher anti-suit injunctions von der Schiedsabrede erfasst wird.264 Möglicherweise kann es darüber 264 Das wird freilich in aller Regel der Fall sein. Schiedsklauseln in internationalen Verträgen sehen typischerweise vor, dass „alle Streitigkeiten aus und im Zusammenhang“ mit dem
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
hinaus aber auch auf den Gegenstand des verbotenen Parallelverfahrens abstellen, hier also auf den Rechtsstreit in der Hauptsache. Fällt dieser nicht in den Anwendungsbereich der Schiedsabrede, lässt sich argumentieren, dass auch die schiedsrichterliche anti-suit injunction selbst einen Rechtsstreit betrifft, der von der Schiedsvereinbarung nicht erfasst wird. Entsprechendes gilt für das Merkmal der Schiedsfähigkeit. Das Anerkennungsgericht kann jedenfalls prüfen, ob ein Verbot der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes einer schiedsrichterlichen Regelung zugänglich ist. Denkbar wäre aber auch, darauf abzustellen, dass der Gegenstand des verbotenen Parallelverfahrens nicht schiedsfähig und deshalb auch das Verbot selbst einer schiedsrichterlichen Regelung nicht zugänglich ist. In der Tat hat mit dem litauischen Appellationsgericht bereits ein Anerkennungsgericht auf den Gegenstand des verbotenen Parallelverfahrens abgestellt. So argumentierte das Gericht in der Rechtssache Gazprom, die Anerkennung des Stockholmer Prozessführungsverbots sei nach Art. V Abs. 2 lit. a NYK zu versagen, weil der im Verfahren vor dem Regionalgericht Vilnius rechtshängige Anspruch auf Untersuchung der Tätigkeit von Lietuvos dujos einer schiedsrichterlichen Regelung nicht zugänglich sei.265 Hiergegen äußerten das litauische Kassationsgericht, das allerdings zuletzt die Schiedsfähigkeit des Untersuchungsanspruchs bejahte,266 GA Wathelet, die französische Regierung und die Kommission keine Bedenken.267
bb) Verortung im ordre public-Vorbehalt, Art. V Abs. 2 lit. b NYK Unproblematisch ist die Einbeziehung des Gegenstands des staatlichen Parallelverfahrens in die Nachprüfung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts allerdings nicht. Denn im Rahmen des Schiedsverfahrens auf Erlass der anti-suit injunction ist die Unzuständigkeit des staatlichen Parallelgerichts Tatbestandsvoraussetzung des Unterlassungsanspruchs. Die Entscheidung hierüber ist damit Teil internationalen Vertrag durch ein Schiedsgericht zu entscheiden sind. Angesichts der doctrine of seperability lässt sich zwar argumentieren, dass der Streit darüber, ob aus der Schiedsabrede ein Unterlassungsanspruch resultiert, nicht aus dem Hauptvertrag resultiert. Er steht aber jedenfalls im Zusammenhang mit dem Hauptvertrag. Für die Zuständigkeit des Schiedsgerichts spricht außerdem der mutmaßliche Parteiwille. Denn einer der wesentlichen Gründe, weshalb die Parteien bei Abschluss der Abrede die Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit bevorzugen, ist häufig die Vertraulichkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens. Es wäre sinnwidrig, müssten die Parteien ausgerechnet zur Durchsetzung dieser Vertraulichkeit ein öffentliches Verfahren vor staatlichen Gerichten anstrengen. 265 Vgl. Litauisches Kassationsgericht, Vorlagebeschluss v. 10.10.2013, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter . 266 Litauisches Kassationsgericht, Entscheidung v. 23.10.2015, 3K-7–458–701/2015, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter . 267 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 59 f. – Gazprom.
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 65
der Sachentscheidung des Schiedsgerichts. Eine révision au fond durch das Anerkennungsgericht ist im Anwendungsbereich der NYK jedoch grundsätzlich verboten.268 Zulässig ist eine Nachprüfung in der Sache nur im Rahmen der engen Grenzen des ordre public-Vorbehalts (Art. V Abs. 2 lit. b NYK).269 Entscheidend ist also, ob die Anerkennung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Gerichtsstaat die öffentliche Ordnung dieses Staats verletzt, wenn aus der Perspektive des Gerichtsstaats das staatliche Parallelgericht, nicht das Schiedsgericht für den Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens zuständig ist. Das setzt voraus, dass die Anerkennung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction in diesem Fall zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen des Rechts des Gerichtsstaats offensichtlich unvereinbar wäre.270 Als Ausfluss des Verbots der Zwangsschiedsgerichtsbarkeit und des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) steht in Deutschland, England und Frankreich staatlichen Gerichten eine sogenannte Letztentscheidungskompetenz zu – das heißt nicht das Schiedsgericht, sondern die staatlichen Gerichte haben das letzte Wort, ob ein Rechtsstreit schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird.271 Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die rechtsstaatlichen Anforderungen an einen Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz nicht untergraben werden können. Wäre im Gerichtsstaat das mit der Anerkennung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction befasstes Gericht nicht in der Lage, diese Fragen auch im Hinblick auf den Gegenstand des Parallelverfahrens zu prüfen, könnte jedoch genau das nicht gewährleistet werden. Vielmehr wäre letztlich das staatliche Gericht an die Beurteilung des Schiedsgerichts gebunden, dass der Gegenstand des Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird. Denn sofern keine anderen Versagungsgründe greifen, müsste die schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat anerkannt und die Parteien im staatlichen 268 269
MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. V, Rn. 5. MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. V, Rn. 5. 270 MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. V, Rn. 70 (zur deutschen öffentlichen Ordnung i. S. v. Art. V Abs. 2 lit. b NYK). 271 Vgl. für Deutschland z. B. OLG München, SchiedsVZ 2009, 340, Rn. 30; OLG Celle, Yb. Com. Arb. 2008, 524, 529, Rn. 6; OLG Schleswig, RIW 2000, 706, 708; Münch, ZZP 128 (2015), 307, 307 („Sachfinalität“); Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3891; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 2559; für Großbritannien z. B. Dallah Real Estate v the Ministry for Religious Affairs of the Government of Pakistan [2010] UKSC 46; für Frankreich z. B. Cass. 1ère civ., 6.1.1987, Nr. 84-17.274 JDI 1987, 638 – Southern Pacific Properties; CA Paris, 16.6.1988, Rev. arb. 1989, 309 – Swiss Oil ./. Petrogab. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn die Parteien wirksam auf eine solche Überprüfung verzichtet haben, was innerhalb der EU in Grenzen z. B. in Belgien und Schweden, nicht aber in Deutschland, Frankreich und England möglich ist (Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 478). Vgl. eingehend und rechtsvergleichend zu den verschiedenen Regelungsmodellen der schiedsrichterlichen Kompetenz-Kompetenz und der staatsgerichtlichen Letztentscheidungskompetenz Münch, ZZP Int. 19 (2014), 387–426 und Münch ZZP 128 (2015), 307–333.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Parallelverfahren auf die Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen werden.272 Das ist mit dem Verbot der Zwangsschiedsgerichtsbarkeit und dem Recht des Gerichtsklägers auf gerichtlichen Rechtsschutz offensichtlich unvereinbar. In der Tat steht dem Anerkennungsgericht, das mit einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction befasst ist, daher eine Prüfungskompetenz zu, ob der Gegenstand des verbotenen Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird. Die Prüfung ist allerdings im Rahmen des ordre public-Vorbehalts (Art. V Abs. 2 lit. b NYK) durchzuführen und gegebenenfalls wegen Verletzung des Verbots der Zwangsschiedsgerichtsbarkeit bzw. des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz zu versagen.
cc) Verbleibender Mehrwert der Berufung auf eine schiedsrichterliche anti-suit injunction Der Berufung auf eine schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat (Art. III NYK) kann daher gegenüber der Erhebung der Schiedseinrede im staatlichen Parallelverfahren (Art. II Abs. 3 NYK) kaum noch ein Mehrwert zukommen. Denn ob mit oder ohne schiedsrichterliche anti-suit injunction: Das Anerkennungsgericht muss prüfen, ob auch aus der Perspektive des Gerichtsstaats der Streitgegenstand des Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird. Ist das der Fall, müssen die Parteien bei Erhebung der Schiedseinrede bereits gemäß Artikel II Abs. 3 NYK auf die Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen werden. Ist dies nicht der Fall, gehen sowohl der Mechanismus der Schiedseinrede (Artikel II Abs. 3 NYK) als auch die Berufung auf die schiedsrichterliche anti-suit injunction (Art. III NYK) fehl. Nur im Hinblick auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast können sich Unterschiede ergeben: Bei der Schiedseinrede nach Art. II Abs. 3 NYK muss die schiedszugewandte Partei im staatlichen Parallelverfahren darlegen und beweisen, dass zwischen den Parteien eine Schiedsabrede i. S. v. Art. II Abs. 1–2 NYK zustande gekommen ist, die den Streitgegenstand erfasst.273 Der Gerichtskläger muss dann gemäß Art. II Abs. 3 Hs. 3 NYK darlegen und beweisen, dass die Schiedsabrede hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist.274 Gemäß Art. II Abs. 1 a. E. NYK trifft den Gerichtskläger außerdem die objektive Darlegungs- und Beweislast, dass der Streitgegenstand nicht auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann.275 272
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.II.1. MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 6; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 647. 274 MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 6; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 647. 275 MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 6; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 647. 273
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 67
Im Rahmen der Berufung auf schiedsrichterliche anti-suit injunction nach Art. III ff. NYK muss die schiedszugewandte Partei gemäß Art. IV Abs. 1 NYK das schiedsrichterliche Verbot und die Schiedsabrede i. S. v. Art. II Abs. 1–2 NYK vorlegen.276 Nach umstrittener, aber wohl überwiegender Ansicht trifft die Darlegungs- und Beweislast für das Zustandekommen der Schiedsabrede i. S. v. Art. II Abs. 1–2 NYK – wie bei Art. II Abs. 3 NYK – die schiedszugewandte Partei.277 Umstritten ist hingegen, ob die schiedszugewandte Partei278 oder der Gerichtskläger279 darlegen und beweisen muss, dass der konkrete Streit (nicht) vom Anwendungsbereich der Schiedsabrede erfasst wird. Im Übrigen besteht Einigkeit, dass – wie bei Art. II Abs. 3 NYK – der Gerichtskläger die Darlegungs- und Beweislast trifft, dass die zugrunde liegende Schiedsabrede ungültig (Art. V Abs. 1 lit. a NYK)280 bzw. der Rechtsstreit in der Hauptsache schiedsunfähig (Art. V Abs. 2 lit. a NYK) ist.281 276 Das Erfordernis der Vorlage der Schiedsabrede nach Art. IV Abs. 1 lit. b NYK ist in Deutschland umstritten (dagegen, weil § 1064 Abs. 3 ZPO insoweit günstigeres Recht i. S. v. Art. VII Abs. 1 NYK bereitstelle, z. B. Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1061 Rn. 11; dafür, weil für ausländische Schiedssprüche gemäß § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO Art. IV Abs. 1 lit. b NYK gelte, z. B. MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1064, Rn. 4; OLG Rostock, IPRax 2002, 401. 277 Vgl. z. B. OLG Schleswig, RIW 2000, 706, 707; STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 3868/1992, 16.9.1996, Yb. Com. Arb. 2002, 528, 529: Wortlaut von Art. V Abs. 1 lit. a NYK bezieht sich nur auf die „Gültigkeit“ der Vereinbarung. Aus Art. IV Abs. 1 lit. b NYK, der Verpflichtung des Antragstellers, die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift der Schiedsvereinbarung vorzulegen, ergibt sich, dass der Antragsteller nach der NYK darlegen und beweisen muss, dass zwischen den Parteien eine Vereinbarung über die schiedsrichterliche Streiterledigung zustande gekommen ist. Vgl. auch OLG Celle, SchiedsVZ 2004, 165 („Nur wenn diese grundlegende Voraussetzung des Vorliegens einer Schiedsvereinbarung erfüllt ist, kann es auf mögliche Versagungsgründe für die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs ankommen.“); BayObLGZ 2002, 392 = Yb. Com. Arb. 2004, 761, 764; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, Anh. zu § 1061, Rn. 150; a. A. z. B. Dardana Ltd v Yukos Oil Co [2002] EWCA Civ 543, Rn. 10 f.; Van den Berg, New York Convention, 1981, 264; Born, International Commercial Arbitration, 2014, 3401 ff.; Kröll, SchiedsVZ 2009, 40, 50: Art. IV Abs. 1 lit. b NYK erfordert mit Antragstellung lediglich die „Vorlage“ der spezifzierten Dokumente, auf welche das Schiedsgericht seine Zuständigkeit gestützt hat. Der Schiedsspruch ist sodann grundsätzlich anzuerkennen. Insbesondere erbringt die Vorlage nach Art. IV Abs. 1 NYK den prima facie Beweis für die Existenz einer zwischen den Parteien bestehenden, wirksamen Schiedsvereinbarung über den vom Schiedsgericht entschiedenen Streitgegenstand. Gemäß Art. V Abs. 1 lit. a und c NYK muss der Antragsgegner darlegen und „beweisen“, dass zwischen den Parteien keine wirksame Schiedsvereinbarung über den entschiedenen Streitgegenstand besteht. Diese – gegenüber dem Genfer Abkommen – neue Beweislastverteilung war ein wesentliches Anliegen des NYK. 278 Vgl. z. B. STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 16508/2003, 14.1.2003, Yb. Com. Arb. 2005, 605, 608; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1061, Rn. 150; OLG Brandenburg, IPRax 2003, 349, 350. 279 Born, International Commercial Arbitration, 2014, 3402 (weist zu Recht auf Art. V Abs. 1 lit. c NYK hin, der die Darlegungs- und Beweislast insoweit ausdrücklich dem Gerichtskläger zuweist). 280 Vgl. auch Zöller/Geimer, 2018, Anh. § 1061, Rn. 1; Kröll, SchiedsVZ 2009, 40, 47. 281 Vgl. Born, International Commercial Arbitration, 2014, 3694.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Danach kommt der Berufung auf eine schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat nur unter zwei Voraussetzungen ein Mehrwert gegenüber der Erhebung der Schiedseinrede im staatlichen Parallelverfahren zu. Erstens muss bezüglich der Merkmale der Wirksamkeit oder Anwendbarkeit der Schiedsabrede ein non liquet bestehen. Zweitens muss sich im Rahmen der Anerkennung nach Art. III ff. NYK jeweils die Ansicht durchsetzen, dass insoweit der Gerichtskläger die Darlegungs- und Beweislast trägt.
c) Einwand der öffentlichen Ordnung, Art. V Abs. 2 lit. b NYK Unterstellen wir, dass die Parteien auch nach Ansicht des Anerkennungsgerichts die Zuständigkeit staatlicher Gerichte in der Hauptsache wirksam ausgeschlossen haben. Dann stellt sich die Frage, ob wegen ihrer Auswirkung auf das Parallelverfahren vor dem inländischen Hauptsachegericht282 dennoch damit zu rechnen ist, dass das Anerkennungsgericht der schiedsrichterlichen anti-suit injunction unter Berufung auf den ordre public-Vorbehalt (Art. V Abs. 2 lit. b NYK) die Anerkennung versagt. Gegebenenfalls ginge mit der Erwirkung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction mehr Risiko als Nutzen einher, z. B. wenn sie im Gerichtsstaat zum Anlass genommen wird, hinsichtlich des Schiedsverfahrens in der Hauptsache die Einhaltung der Grundsätze eines fairen Verfahrens infrage zu stellen (Art. V Abs. 1 lit. b Var. 2 NYK). Zunächst wird betrachtet, wie die Gerichte der Mitgliedstaaten die Vereinbarkeit staatlicher Prozessführungsverbote mit der öffentlichen Ordnung beurteilen (a)). Anschließend wird die Bewertung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch litauische Gerichte vorgestellt (b)). Es folgt eine Einschätzung, ob Gerichte in Deutschland, England und Frankreich die Anerkennung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction für mit ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar halten würden (c)).
aa) Bewertung staatlicher anti-suit injunctions in Deutschland, England und Frankreich Englische Gerichte sehen staatliche anti-suit injunctions traditionell als effektives und angemessenes Mittel an, um Gerichtsstands- und Schiedsabreden durchzusetzen.283 Werden sie mit einem ausländischen Prozessführungsverbot konfrontiert, das eine auch aus ihrer Sicht wirksame und anwendbare Gerichtsstands- bzw. Schiedsabrede durchsetzt, ist daher nicht mit einer Berufung auf den public policy-Vorbehalt zu rechnen. 282
Vgl. hierzu oben Teil 2 B.II.1. Airbus Industries GIE v Patel [1999] 1 AC 119 (UKHL); The Angelic Grace [1995] 1 Lloyd’s Rep 87, 96 (EWCA); Shell UK Exploration and Production Ltd v Innes [1995] SLT 807 (CSOH); FMC Corp v Russell, 1999 SLT 99 (CSOH). 283 Vgl.
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 69
Französische Gerichte erlassen zwar selbst keine Prozessführungsverbote. Der französische Kassationsgerichtshof erkennt Prozessführungsverbote ausländischer Gerichte aber an, sofern die Zuständigkeit des betroffenen Gerichts auch aus seiner Sicht wirksam derogiert wurde.284 Konkret befasst war der französische Kassationsgerichtshof mit der Vollstreckbarerklärung einer anti-suit injunction eines US‑Gerichts, welche dem Antragsgegner die Fortführung eines Verfahrens vor französischen Gerichten untersagte. Da die Parteien die ausschließliche Zuständigkeit des erlassenden US‑Gerichts vereinbart hätten, liege in der Durchsetzung dieser Vereinbarung kein Missbrauch. Das Recht auf freien Zugang zu den Gerichten werde nicht verletzt, da das US‑Gericht über die eigene Zuständigkeit entschieden habe und lediglich die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien durchsetze. Vor diesem Hintergrund verstießen anti-suit injunctions auch nicht gegen die öffentliche Ordnung, solange sie lediglich eine vertragliche Verpflichtung aus der Gerichtsstandsabrede durchsetzen und kein Unionsrecht oder Völkerrecht verletzen. In den restlichen Mitgliedstaaten dominiert hingegen die Ansicht, nach der staatlichen anti-suit injunctions unabhängig von der unionsrechtlichen Problematik wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung einzelstaatlicher Prägung die Anerkennung zu versagen ist.285 Beispielhaft für die Vorbehalte ist eine Entscheidung des OLG Düsseldorf. Das Gericht lehnte bereits die Zustellung einer englischen anti-suit injunction ab, die zur Durchsetzung einer Schiedsabrede einstweilig die Fortsetzung eines Gerichtsverfahrens vor deutschen Gerichten 284 Cass. 1ère civ., 14.10.2009, Nr. 08-16.369 08-16.549, JDI 2010, 146 – In Zone Brands. Nicht verwertbar sind an dieser Stelle dagegen die häufig zitierten Entscheidungen Cass. 1ère civ., 30.6.2004, Nr. 01-03248 01-15452, Rev. crit. d. i. p. – Stolzenberg (Anerkennung betraf lediglich eine englische freezing order, die nicht auf die Unterbindung eines Verfahrens vor einem anderen Gericht gerichtet ist, sondern nur verhindern soll, dass der Antragsgegner bis zum Urteil Vermögen wegschafft); Cass. 1ère civ., 19.11.2002, Nr. 00-22471, D. 2003, 797 – Banque Worms ./. Epoux Brachot (betraf ebenfalls eine freezing order, die im konkreten Fall allein der Sicherung der Insolvenzmasse und der kollektiven Diziplin im französischen Insolvenzverfahren diente). 285 Deutschland: OLG Düsseldorf, IPRax 1997, 176; Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 109 f., 214 f.; Illmer, IPRax 2009, 312, 315; Probst, Anti-suit Injunctions, 2012, 202; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 772; Schütze, Probleme des internationalen Zivilprozessrechts, 2006, 190; Maack, Englische antisuit injunctions, 1999, 56; anderes allenfalls im Fall einer Zuständigkeitserschleichung: Kropholler, Hdb. IZVR I, 1982, Rn. 169 ff., 175; Hau, Positive Kompetenzkonflikte, 1996, 206 ff.; Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989, 96 ff.; a. A. Schlosser, RIW 2006, 486, 487 ff.; Wagner, Prozessverträge, 1998, 267 ff.; RGZ 157, 136 (von Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 862 zu Recht als „singulär“ bezeichnet). Belgien: Rechtbank van eerste aanleg te Brussel, 18.12.1989, RW 1990–1991, 676 (Gericht versagt die Anerkennung einer amerikanischen anti-suit injunction wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung und Art. 6 EMRK). Luxemburg: Cour d’appel (Luxembourg), 24.2.1998, Nr. 10047 (keine anti-suit injunctions unter luxemburgischem Recht). Spanien: Vgl. Constenla, Spain Arb. Rev. 22 (2015), 129, 139.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
untersagte.286 Die Argumentation beruhte im Wesentlichen auf zwei Erwägungen: Erstens stelle die anti-suit injunction einen Eingriff in die Justizhoheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Denn sie führe dazu, dass deutschen Gerichten die Befugnis entzogen werde, nach den für sie geltenden Verfahrensgesetzen selbst über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Zwar sei die Anordnung formal nicht an das deutsche Gericht, sondern an den Kläger im Parallelverfahren gerichtet. Im deutschen Zivilprozessrecht sei das Gericht aber auf die Mitwirkung der Verfahrensbeteiligten angewiesen. Indem die englische anti-suit injunction den Kläger unter Androhung von erheblichen Strafen zwinge, diese Mitwirkung zu unterlassen, werde dem deutschen Gericht faktisch das Verfahren und damit auch die Möglichkeit zur Entscheidung über die eigene Zuständigkeit entzogen. Zweitens werde das Recht des Gerichtsklägers auf freien Zugang zu den staatlichen Gerichten verletzt. Den Beteiligten und ihren Bevollmächtigten stehe die Möglichkeit zu, bei den Gerichten Anträge zu stellen und ohne Beschränkung alle nach ihrer Ansicht für die Beurteilung notwendigen Fakten zu unterbreiten. Das Gericht sei dann verpflichtet, über die Frage der Zulässigkeit und Begründetheit dieser Anträge zu entscheiden. Durch die Zwangswirkung der englischen anti-suit injunction werde den Parteien diese Möglichkeit aber faktisch entzogen.
bb) Bewertung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch litauische Gerichte im Fall Gazprom Soweit ersichtlich, haben innerhalb der EU bisher nur litauische Gerichte über die Anerkennungsfähigkeit einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction entschieden. Betroffen war die Rechtssache Gazprom:287 Mit Beschluss vom 17. Dezember 2012 wies das litauische Appellationsgericht die Anerkennung und Vollstreckung des Stockholmer Schiedsspruchs zurück, unter anderem unter Berufung auf den ordre public-Vorbehalt nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK. Denn durch die schiedsrichterliche Anordnung werde litauischen Gerichten die Befugnis abgesprochen, über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Hierin liege ein Verstoß gegen das Recht auf freien Zugang zu den Gerichten.288 Das letztinstanzlich angerufene Kassationsgericht hob die Entscheidung des Appellationsgerichts allerdings mit Urteil vom 23. Oktober 2015 auf und er286 OLG Düsseldorf, IPRax 1997, 176. Vgl. im Übrigen Schütze, Probleme des internationalen Zivilprozessrechts, 2006, 58–60; Maack, Englische antisuit injunctions, 1999, 190 f. 287 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.I.1. 288 Vgl. GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 42 – Gazprom.
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 71
klärte die schiedsrichterliche anti-suit injunction für vollstreckbar.289 Zwischenzeitlich hatte der EuGH entschieden, dass das Brüssel-System eine Versagung der Vollstreckbarerklärung nicht gebiete.290 Wie das Kassationsgericht erklärte, liege eine Verletzung der öffentlichen Ordnung Litauens nicht vor. Bei der streitigen Anordnung handle es sich schon nicht um eine anti-suit injunction. Denn solche würden von staatlichen Gerichten erlassen, die ihre Verletzung mit empfindlichen Strafen sanktionieren könnten, während die streitgegenständliche Anordnung von einem Schiedsgericht erlassen worden sei, dem selbst keine Zwangsmittel zur Verfügung stünden. Der Schiedsspruch bestätige lediglich die schuldrechtliche Verpflichtung des Energieministeriums, den Streit nicht vor staatlichen Gerichten, sondern vor dem Stockholmer Schiedsgericht auszutragen. Das Recht auf freien Zugang zu den Gerichten werde dadurch nicht verletzt, da die Parteien im Umfang der Anordnung wirksam vereinbart hätten, den Rechtsstreit nur vor dem benannten Schiedsgericht auszutragen.
cc) Einschätzung zur Bewertung schiedsrichterlicher anti-suit injunctions in Deutschland, England und Frankreich Wie dargestellt,291 ist nicht damit zu rechnen, dass sich englische oder französische Gerichte auf den ordre public-Vorbehalt einzelstaatlicher Prägung berufen, wenn sie mit der Anerkennung einer anti-suit injunction eines ausländischen Gerichts zur Durchsetzung einer Gerichtsstands- oder Schiedsabrede befasst sind und die Zuständigkeit des betroffenen inländischen Gerichts auch aus ihrer Sicht wirksam derogiert wurde. Für die Anerkennung schiedsrichterlicher anti-suit injunctions muss das erst recht gelten. Denn angesichts ihrer privaten Rechtsnatur können schiedsrichterliche Anordnungen für sich genommen keinen Eingriff einer fremden Staatsgewalt in die staatliche Souveränität des Gerichtsstaats darstellen. Die ordre public-Relevanz schiedsrichterlicher Prozessführungsverbote ist daher geringer als die staatlicher anti-suit injunctions. Für deutsche Gerichte gestaltet sich eine Prognose schwierig, auch unter Berücksichtigung der Argumentation des litauischen Kassationsgerichts und des OLG Düsseldorf: Während das litauische Kassationsgericht die öffentliche Ordnung durch die Anerkennung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction u. a. deshalb nicht als verletzt ansah, weil die Parteien wirksam die Zuständigkeit des Schiedsgerichts vereinbart hatten, spielten solche Überlegungen für das OLG Düsseldorf offenbar keine Rolle. Es sah die staatliche anti-suit injunction des US‑Gerichts als 289 Litauisches Kassationsgericht, Entscheidung v. 23.10.2015, 3K-7–458–701/2015, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter . 290 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427 – Gazprom. 291 Vgl. hierzu oben Teil 2 B.II.2.c)aa).
72
Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Eingriff in die Ziviljustiz der Bundesrepublik Deutschland und als Verletzung des Justizgewährungsanspruchs des Gerichtsklägers an, ohne die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede auf die Hauptsache überhaupt geprüft zu haben. Stattdessen stellte das OLG Düsseldorf auf die Zwangswirkung der staatlichen anti-suit injunction ab, die nach Ansicht des Gerichts geeignet war, den Gerichtskläger von der Fortsetzung des Verfahrens vor deutschen Gerichten abzuhalten. Entscheidend ist daher, ob von schiedsrichterlichen anti-suit injunctions eine vergleichbare Wirkung ausgeht. Die Zwangswirkung einer staatlichen anti-suit injunction resultiert daraus, dass sich der Antragsgegner im Fall der Zuwiderhandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit empfindlichen Sanktionen durch das erlassende Gericht aussetzt. Das Schiedsgericht selbst kann seine anti-suit injunction hingegen nicht mit Zwangsmitteln durchsetzen. Auch im Übrigen ist jedenfalls zunächst eine Vollstreckbarerklärung des Verbots durch staatliche Gerichte erforderlich. Mit dem bloßen Erlass einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction geht damit lediglich die Möglichkeit einher, dass das Prozessführungsverbot durch staatliche Gerichte für vollstreckbar erklärt und anschließend mit Zwangsmitteln durchgesetzt wird, dass das Schiedsgericht die Missachtung der Anordnung durch den Gerichtskläger nachteilig in der Kostenentscheidung berücksichtigt oder dass das Schiedsgericht dem Schiedskläger bei Verletzung der Anordnung Schadensersatz zuspricht. Der Eintritt dieser Nachteile erscheint aus Sicht eines gutgläubigen Gerichtsklägers zu entfernt und ungewiss, als dass er sich deshalb gezwungen sehen würde, von der Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte vor deutschen Gerichten abzusehen. Nach hier vertretener Ansicht ist die Abschreckungswirkung einer schiedsrichterlichen daher nicht mit der einer staatlichen anti-suit injunction vergleichbar. Folgt man dem, ist auch in Deutschland eine schiedsrichterliche anti-suit injunctions anerkennungsfähig, wenn aus Sicht des deutschen Anerkennungsgerichts ein wirksamer Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz vorliegt.292 Eine belastbare Prognose, wie deutsche Gerichte diese Frage entscheiden, lässt sich allerdings nicht treffen.
3. Zwischenergebnis Die Berufung auf eine schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat ist nicht geeignet, die Ansicht des Schiedsstaats bezüglich der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung gegen die Sicht des Gerichtsstaats durchzusetzen. Zwar ist die NYK nach hier vertretener Ansicht auf die Anerkennung von final injunctions einschließlich ihrer zeitlich befristeten Unterart der temporary but final injunction anwendbar.293 Bei der Beurteilung der 292
A. A. Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019,
293
Vgl. oben Teil 2 B.II.2.a).
96 f.
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 73
Anerkennungsfähigkeit nach Art. III ff. NYK können die Gerichte im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK aber ebenso wie bei der Schiedseinrede nach Art. II Abs. 3 NYK prüfen, ob der Streitgegenstand des staatlichen Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird.294 An die Beurteilung durch das Schiedsgericht sind die Gerichte im Gerichtsstaat nicht gebunden. Ein Mehrwert gegenüber der Erhebung der Schiedseinrede kann der Berufung auf die schiedsrichterliche anti-suit injunction daher allenfalls hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast zukommen.295 Das setzt allerdings voraus, dass im Einzelfall ein non liquet bezüglich des Merkmals der Wirksamkeit oder Anwendbarkeit der Schiedsabrede besteht. Außerdem muss sich die Ansicht durchsetzen, nach welcher der Gerichtskläger bezüglich des jeweiligen Merkmals im Rahmen von Art. III ff. NYK die Darlegungs- und Beweislast trägt. Ist Deutschland Gerichtsstaat, kann ferner nicht ausgeschlossen werden, dass die Anerkennung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction selbst dann als ordre public-widrig versagt wird, wenn die Zuständigkeit staatlicher Gerichte in der Hauptsache auch aus Sicht des deutschen Anerkennungsgerichts wirksam abbedungen worden ist.296 Gegebenenfalls geht mit der Erwirkung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction mehr Risiko als Nutzen einher. So könnte eine schiedsrichterliche anti-suit injunction, deren Anerkennung wegen Verletzung der deutschen öffentlichen Ordnung versagt wurde, zum Anlass genommen werden, hinsichtlich des Schiedsspruchs in der Hauptsache die Einhaltung der Grundsätze eines fairen Verfahrens infrage zu stellen (Art. V Abs. 1 lit. b Var. 2 NYK).
III. Durchsetzung im Schiedsstaat oder in einem dritten Mitgliedstaat Zu untersuchen bleibt die Durchsetzbarkeit schiedsrichterlicher anti-suit injunctions im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten. Übertragen auf den Gazprom-Sachverhalt297 bedeutet das, dass wir nun nicht prüfen, ob der Stockholmer Schiedsspruch in Litauen (Gerichtsstaat), sondern ob er in Schweden (Schiedsstaat) und dritten Mitgliedstaaten durchsetzbar ist, so z. B. in Deutschland, England und Frankreich. Zunächst kommt in diesen Staaten der Einsatz von Zwangsmitteln in Betracht, um das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat frühzeitig und aktiv zu unterbinden (1.). Verspricht das keinen Erfolg, so stellt sich die Frage, ob die schiedsrichterliche anti-suit injunction oder ihre Vollstreckbarerklärung im Schiedsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten 294 295
Vgl. oben Teil 2 B.II.2.b)aa)–bb). Vgl. oben Teil 2 B.II.2.b)cc). 296 Vgl. oben Teil 2 B.II.2.c). 297 Vgl. hierzu oben Teil 2 B.II., vor 1.
74
Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
nicht zumindest als Verteidigung gegen die im staatlichen Parallelverfahren zu erwartende Hauptsache-Entscheidung herangezogen werden kann (2.).
1. Angriff auf das staatliche Parallelverfahren Das Schiedsgericht selbst kann als privater Spruchkörper keinen Zwang ausüben. Möglicherweise kann sich die schiedszugewandte Partei aber der staatlichen Gerichte des Schiedsstaats bzw. eines dritten Mitgliedstaats bedienen, um die schiedsrichterliche anti-suit injunction mit Zwangsmitteln durchzusetzen. Zuerst wird untersucht, welche Zwangsmittel in den untersuchten Rechtsordnungen zur Verfügung stehen, nachdem ein schiedsrichterliches Ge- bzw. Verbot für vollstreckbar erklärt worden ist (a)). Vor diesem Hintergrund wird beurteilt, ob die Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. eines dritten Mitgliedstaats mit der Brüssel Ia-VO vereinbar ist (b)). Falls nicht, bleibt zu untersuchen, ob die Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritten Mittgliedstaats deshalb kraft Unionsrechts verpflichtet sind, der schiedsrichterlichen anti-suit injunction die Vollstreckbarerklärung zu versagen, obwohl sich diese nicht nach der Brüssel IaVO, sondern nach der NYK bzw. nach autonomem Schiedsverfahrensrecht beurteilt (c)).
a) Nach autonomem Recht in Betracht kommende Zwangsmittel aa) Deutschland Betrachten wir zunächst, welche Zwangsmittel zur Durchsetzung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction in Betracht kommen, wenn Deutschland Schiedsstaat bzw. dritter Mitgliedstaat ist. Selbst wenn die schiedsrichterliche anti-suit injunction das Gebot enthält, die Aussetzung des staatlichen Parallelverfahrens bzw. die Rücknahme der Klage zu beantragen, scheidet eine Fiktion der hierfür erforderlichen Erklärung des Gerichtsklägers entsprechend § 894 ZPO aus.298 Denn die Hoheitsgewalt eines Staates ist auf das eigene Staatsgebiet beschränkt, sodass die Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritten Mitgliedstaats Prozesserklärungen nicht mit Wirkung für den Prozess im Gerichtsstaat fingieren können.299 Die Vollstreckung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction richtet sich vielmehr – je nachdem, ob die Anordnung bei verständiger Auslegung ein Geoder ein Verbot enthält – nach den Regeln über die Erzwingung unvertretbarer Handlungen (§§ 888, 891 ZPO) oder Unterlassungen (§§ 890, 891 ZPO).300 Insbesondere beim Verbot der Fortführung des staatlichen Parallelverfahrens kann 298 299
Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 351. Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 351. 300 Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 351.
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 75
die Anordnung zugleich auf ein Tun und ein Unterlassen gerichtet sein. In diesem Fall ist nach dem Schwerpunkt der Verpflichtung zu unterscheiden.301 Zur Erzwingung unvertretbarer Handlungen sieht § 888 Abs. 1 ZPO als Beugemittel das Zwangsgeld und die Zwangshaft vor. Das einzelne Zwangsgeld darf den Höchstbetrag von EUR 25.000 nicht übersteigen. Das Höchstmaß der Zwangshaft beträgt sechs Monate, §§ 888 Abs. 1 S. 3, 913 ZPO. Handelt der Vollstreckungsschuldner einem Verbot zuwider, kann er gemäß § 890 ZPO zu einem Ordnungsgeld oder zu Ordnungshaft verurteilt werden, § 890 Abs. 1 S. 1 ZPO. Das einzelne Ordnungsgeld darf den Betrag von EUR 250.000, die Ordnungshaft darf insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen, § 890 Abs. 1 S. 2 ZPO. Diese Zwangsmittel stehen prinzipiell unabhängig davon zur Verfügung, ob die schiedsrichterliche anti-suit injunction als in- (§ 1060 Abs. 1 ZPO) oder ausländischer Schiedsspruch (§ 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO, Art. III NYK) bzw. als in(§§ 1041 Abs. 2 S. 1, 1025 Abs. 1 ZPO) oder ausländische302 einstweilige Maßnahme qualifiziert wird. Ob Deutschland in der untersuchten Konstellation303 Schiedsstaat oder dritter Mitgliedstaat ist, wirkt sich auf die Verfügbarkeit der dargestellten Zwangsmittel also nicht aus.
bb) England Anders als bei entsprechenden Anordnungen englischer Gerichte begründet die Missachtung eines schiedsrichterlichen Ge- oder Verbots in England grundsätzlich keinen contempt of court, der mit Bußgeldern, der Beschlagnahme in England belegenen Vermögens und Haftstrafen geahndet werden kann.304 Eine Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch ein englisches Gericht gemäß s. 66(1) ändert daran nichts.305 Etwas anderes gilt aber, wenn die schiedsrichterliche anti-suit injunction gemäß s. 66(2) AA 1996 in ein englisches Urteil inkorporiert wurde oder das englische Gericht gemäß s. 42(1) AA 1996 die Anordnung getroffen hat, dass der Gerichtskläger das schiedsrichterliche Prozessführungsverbot befolgen muss:
301
BayObLG, NZM 1999, 769; OLG Köln, OLGZ 1994, 599. Str. wegen § 1025 ZPO. Nach h. M. kann § 1041 Abs. 2–4 ZPO jedoch auf einstweilige Maßnahmen eines Schiedsgerichts mit Sitz im Ausland analog angewendet werden (vgl. Bandel, Einstweiliger Rechtsschutz, 361 ff.; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1041, Rn. 29 mit Verweis auf Aufl. 2 Rn. 19; Schwab/Walter, 2005, Kap. 30, Rn. 12; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1041, Rn. 41; Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Schäfer, 2015, § 1041, Rn 27; Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 443; a. A. Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1041, Rn. 6; Gottwald/Adolphsen, DStR 1998, 1017, 1020). 303 Vgl. hierzu oben Teil 2 B.III., vor 1. 304 Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 1029. 305 Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 262. 302
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Die Inkorporation nach s. 66(2) AA 1996 ist möglich, wenn die schiedsrichterliche anti-suit injunction als Schiedsspruch zu qualifizieren ist.306 Ihre Folge ist, dass der Schiedsspruch vollständig im inkorporierenden Urteil aufgeht; die Vollstreckung erfolgt nicht auf Grundlage des Schiedsspruchs, sondern auf Grundlage des englischen Urteils (doctrine of merger).307 Die Entscheidung wird dabei behandelt, als wäre sie originär von einem englischen Gericht getroffen worden.308 Das bedeutet auch: Anders als bei der bloßen Vollstreckbarerklärung nach s. 66(1) macht sich der Adressat des Verbots künftig eines contempt of court schuldig, wenn er sich der – nunmehr im englischen Gerichtsurteil aufgegangenen – anti-suit injunction des Schiedsgerichts widersetzt.309 Die Inkorporation ist gemäß s. 101(3) AA 1996 auch bei ausländischen Schiedssprüchen möglich. Ob England im untersuchten Szenario310 Schiedsstaat oder dritter Mitgliedstaat ist, wirkt sich daher nicht aus. Eine Vollziehung gemäß s. 42(1) AA 1996 kommt in Betracht, wenn die schiedsrichterliche anti-suit injunction nicht als Schiedsspruch, sondern als peremptory order i. S. v. s. 41(5) AA 1996 zu qualifizieren ist.311 Eine solche erlässt ein Schiedsgericht üblicherweise, um eigenen Prozessleitungsmaßnahmen (procedural orders) Nachdruck zu verleihen. Ihr Erlass wird aber auch im Zusammenhang mit der Durchsetzung einstweiliger Anordnungen des Schiedsgerichts befürwortet,312 wäre also auch denkbar, wenn die schiedsrichterliche Anordnung als interlocutory injunction zu qualifizieren ist.313 Das englische Gericht kann dann auf Grundlage von s. 42(1) AA 1996 anordnen, dass der Gerichtskläger der schiedsrichterlichen Anordnung Folge zu leisten hat (back-up order). Die Verletzung einer derartigen Anordnung begründet ebenfalls einen contempt of court, der mit den herkömmlichen Sanktionen geahndet werden kann.314 Eine Vollziehung nach s. 42(1) AA 1996 scheidet allerdings gemäß s. 2(1)–(3) AA 1996 aus, wenn der Sitz des Schiedsgerichts im Ausland liegt315 – in der 306
Vgl. hierzu oben Teil 2 B.II.2.a) (Qualifikation im Rahmen der NYK). Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 263. Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 263; ED & F Man Sugar Ltd v Lendoudis [2007] 2 Lloyd’s Rep 579, Rn. 33 (EWCA). 309 ASM Shipping Ltd of India v TTMI Ltd of England [2007] EWHC 927, Rn. 26; ED & F Man Sugar Ltd v Lendoudis [2007] 2 Lloyd’s Rep 579, Rn. 33 (EWCA; Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 83; Tevendale/Cannon, in: Lew/Bor/Fullelove, 2013, Rn. 26-9; Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 262. 310 Vgl. hierzu oben Teil 2 B.III., vor 1. 311 Vgl. für die Begrenzung auf inländische Anordnungen s. 2 AA 1996 (die Ausnahme in s. 2(4) AA 1996 soll sich nach Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 443, Fn. 826 in der Praxis nicht ergeben können). 312 Karali/Ballantyne, in: Weigand, 2009, Rn. 5.278. 313 Vgl. hierzu oben Teil 2 B.II.a)bb)(2). 314 ASM Shipping Ltd of India v TTMI Ltd of England [2007] EWHC 927, Rn. 26; Tevendale/Cannon, in: Lew/Bor/Fullelove, 2013, Rn. 26-9; Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 167. 315 Eine Ausnahme kommt im Fall von s. 2 (4) AA 1996 in Betracht. Nach Steinbrück, Die 307 308
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 77
untersuchten Konstellation316 kommt sie also nur in Betracht, wenn England Schiedsstaat ist.
cc) Frankreich Das französische Recht kennt bei Handlungs- und Unterlassungspflichten als Vollstreckungsmittel die astreinte, Art. L131-1 ff. CPCE.317 Hierbei verurteilt das Gericht den Schuldner für jeden Tag der Nichtvornahme bzw. Zuwiderhandlung zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrags an den Gläubiger (prononcé).318 Die Höhe des festzusetzenden Betrags steht im freien Ermessen des Gerichts.319 Sie ist unabhängig vom tatsächlichen Schaden des Gläubigers. Maßstab ist allein der bisherige bzw. noch zu erwartende Widerstand des Schuldners, der mittels der astreinte gebrochen bzw. dem mit ihr vorgebeugt werden soll. Bei Eintritt der Bedingung kann die astreinte durch das Gericht liquidiert werden, das heißt das Gericht setzt den vom Schuldner an den Gläubiger zu zahlenden Geldbetrag fest, sodass die Zahlungsverpflichtung als bestimmte Geldforderung vollstreckt werden kann.320 Die Vollstreckung mittels einer astreinte setzt aber stets321 voraus, dass das schiedsrichterliche Ge- oder Verbot durch ein französisches Gericht für vollstreckbar erklärt worden ist.322 Möglich ist das unabhängig davon, ob Frankreich in der untersuchten Konstellation323 Schiedsstaat (Art. 1477 CPC) oder dritter Mitgliedstaat (Art. 1514 CPC) ist.
b) Vereinbarkeit mit der Brüssel Ia-VO Angesichts dieser Zwangsmittel ist zu beurteilen, ob die Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritten Mitgliedstaats mit der Brüssel Ia-VO vereinbar ist. Hierfür wird Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 443, Fn. 826 kann sich diese Konstellation in der Praxis jedoch nicht ergeben. 316 Vgl. hierzu oben Teil 2 B.III. vor Ziff. 1. 317 Vgl. ausführlich zu den ohne inhaltliche Änderung übernommenen Vorgängervorschriften Stutz, Internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung, 1992, 51; Bruns, ZZP 118 (2005), 3, 10. 318 Stutz, Internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung, 1992, 54 ff.; Bruns, ZZP 118 (2005), 3, 10. 319 Stutz, Internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung, 1992, 56 f. 320 Stutz, Internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung, 1992, 58 ff.; Bruns, ZZP 118 (2005), 3, 10. 321 Nach Ansicht des Pariser Berufungsgerichts kann ein Schiedsgericht mit Sitz in Frankreich den Ausspruch einer Handlungs- oder Unterlassungsverpflichtung auch selbst mit einer astreinte versehen (prononcé) (CA Paris, 7.10.2004, JDI 2005, 341– Otor Participation ./. Carlyle). Auch dann setzt die Vollstreckung der schiedsrichterlichen Anordnung aber zunächst voraus, dass sie (einschließlich der astreinte) durch ein französisches Gericht für vollstreckbar erklärt worden ist. 322 Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 540. 323 Vgl. hierzu oben Teil 2 B.III., vor 1.
78
Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
die untersuchte Konstellation324 zunächst in die West Tankers- und GazpromRechtsprechung des EuGH eingeordnet (aa)). Sodann wird untersucht, ob die Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction mit dem Erlass einer mitgliedstaatlichen anti-suit injunction durch englische Gerichte vergleichbar ist (bb)).
aa) Einordnung der Konstellation in die Rechtsprechung des EuGH Wie in West Tankers325 und Gazprom326 prüfen wir die Vereinbarkeit des Brüssel-Systems mit einer Entscheidung, die in einem Verfahren beantragt wird, das selbst gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung nicht unterfällt. ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel-Ia VO stellt dies hinsichtlich einer Klage „in Bezug auf die […] Vollstreckung eines Schiedsspruchs“ ausdrücklich klar. Hier wie dort ist das Verfahren allerdings auf die Unterbindung eines Verfahrens vor mitgliedstaatlichen Gerichten gerichtet, auf dessen Hauptgegenstand die Verordnung sachlich anwendbar ist. Anders als im Fall Gazprom, aber wie im Fall West Tankers, ist insofern ein Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats betroffen. Damit entspricht die Fallgestaltung grundsätzlich der West Tankers-Konstellation. Zu untersuchen bleibt aber, ob die Vollstreckbarerklärung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten vergleichbar ist mit dem Erlass der englischen anti-suit injunction im Fall West Tankers.
bb) Vergleichbarkeit der Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction mit dem Erlass einer englischen anti-suit injunction Der Vergleichbarkeit steht jedenfalls nicht entgegen, dass die anti-suit injunction anders als in West Tankers durch ein Schiedsgericht erlassen worden ist, nicht durch ein mitgliedstaatliches Gericht.327 Zwar sind Schiedsgerichte als private Spruchkörper unmittelbar328 weder an die Brüssel Ia-VO noch an das zugrunde liegende Vertrauensprinzip gebunden.329 In der Tat kann daher die Verordnung selbst dem Erlass einer anti-suit injunction durch ein Schiedsgericht nicht entgegenstehen. Hier geht es aber nicht um die Vereinbarkeit der Brüssel Ia-VO mit dem Erlass, sondern mit der Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen 324 325
Vgl. hierzu oben Teil 2 B.III., vor 1. EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 22 – West Tankers (vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.I.). 326 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427 – Gazprom (vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.I.). 327 A. A. Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 95. 328 Vgl. für eine mittelbare Bindung unten Teil 4 B.II.2. und Teil 5 B.I.2. 329 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 36 f. – Gazprom.
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 79
anti-suit injunction. Und diese erfolgt durch ein mitgliedstaatliches Gericht, das an das Brüssel-System bzw. das zugrunde liegende Vertrauensprinzip nicht anders gebunden ist als das englische Gericht im Fall West Tankers.330 Die erste zentrale Erwägung, weshalb der Gerichtshof in West Tankers die englische anti-suit injunction für mit dem Brüssel-System unvereinbar hielt, bestand darin, dass sie die Befugnis italienischer Gerichte beeinträchtigte, selbst nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Zwar ist eine englische anti-suit injunction an die Partei und nicht an das ausländische Gericht gerichtet. Faktisch führt sie aber dazu, dass dem ausländischen Gericht das Verfahren nach der Verordnung entzogen wird. Denn die betroffene Partei muss dessen Fortsetzung bei Meidung empfindlicher Sanktionen – bis hin zur Zwangshaft bzw. der Beschlagnahme in Großbritannien belegenen Vermögens – unterlassen. Die Vergleichbarkeit der Zwangswirkung, die von einer Inkorporation der schiedsrichterlichen anti-suit injunction in ein englisches Urteil nach s. 66(2) AA 1996 bzw. von einer back-up order nach s. 42(1) AA 1996 ausgeht, liegt auf der Hand. Schließlich droht im Fall der Zuwiderhandlung mit dem contempt of court derselbe Mechanismus, der auch bei Missachtung einer englischen antisuit injunction greift.331 Für eine Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction in Deutschland und Frankreich gilt im Ergebnis nichts anderes. Bei einem deutschen Exequatur drohen dem Gerichtskläger bei Fortsetzung des staatlichen Parallelverfahrens Zwangs- bzw. Ordnungsgelder sowie die Verhängung von Haft.332 In Frankreich drohen erhebliche, von einer Kompensation losgelöste Geldzahlungen an die schiedszugewandte Partei.333 Diese Drohwirkung ist geeignet, einen Gerichtskläger von der Fortsetzung des staatlichen Parallelverfahrens im Gerichtsstaat abzuhalten. Aus der Perspektive eines Gerichtsklägers ist insofern unerheblich, ob die deutschen Vollstreckungsmittel – wie der contempt of court – Strafcharakter aufweisen.334 Das gleiche gilt für den Umstand, dass die Ursprünge der französischen astreinte, anders als die des contempt of court, im Schadensersatzrecht liegen und die auf ihrer Grundlage festgesetzten Geldzahlungen nicht an den Staat, sondern an den Vollstreckungsgläubiger zu leisten sind.335 Die drohenden Zwangsmittel werden hierdurch aus Sicht eines Gerichtsklägers nicht weniger empfindlich.
330 Bollée, Rev. arb. 2012, 838, 839; a. A. offenbar Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 83, 100, 102. 331 Vgl. hierzu Teil 2 B.III.1.a)bb). 332 Vgl. hierzu Teil 2 B.III.1.a)aa). 333 Vgl. hierzu Teil 2 B.III.1.a)cc). 334 Vgl. zur Diskussion MüKo ZPO/Gruber, 2016, § 890 Rn. 2. 335 Vgl. Mankowski, IPRax 2009, 23, 30.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Die zweite zentrale Erwägung des EuGH in West Tankers betraf den Grundsatz, dass jedes angerufene Gericht nach den für dieses Gericht geltenden Regeln selbst bestimmt, ob es für die Entscheidung über den anhängigen Rechtsstreit zuständig ist.336 Im Anwendungsbereich der Verordnung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, wechselseitig in die Rechtsordnung und Rechtspflege anderer Mitgliedstaaten zu vertrauen; daher ist die Beurteilung der Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats A durch Gerichte des Mitgliedstaats B grundsätzlich337 verboten.338 Gerade eine solche Beurteilung lag dem Erlass der englischen anti-suit injunction aber zugrunde.339 Die Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. eines dritten Mitgliedstaats beinhaltet ebenfalls eine Beurteilung der Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats. Denn zur Wahrung der staatlichen Letztentscheidungskompetenz ist es geboten, dass das mit der Vollstreckbarerklärung befasste Gericht im Rahmen des einzelstaatlichen ordre public-Vorbehalts prüft, ob der Gegenstand des Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird.340 Wie bei der Vollstreckbarerklärung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Gerichtsstaat341 gilt auch hier: Andernfalls wären die staatlichen Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritten Mitgliedstaats an die Beurteilung des Schiedsgerichts gebunden, dass der Gegenstand des Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird. Denn sofern keine anderen Versagungsgründe greifen, müssten sie der schiedsrichterlichen anti-suit injunction die Vollstreckbarerklärung erteilen und im Ergebnis den Zugang des Gerichtsklägers zu den staatlichen Gerichten unterbinden, auch wenn sie bei eigener Prüfung zu dem Ergebnis gelangt wären, dass der Gegenstand des verbotenen Parallelverfahrens nicht schiedsfähig ist bzw. nicht von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird. Hierin läge aus Sicht des jeweiligen Vollstreckungsstaats eine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs des Gerichtsklägers bzw. ein Verstoß gegen das Verbot der Zwangsschiedsgerichtsbarkeit. Die dritte zentrale Erwägung des Gerichtshofs in West Tankers bestand darin, dass angesichts der Drohwirkung der englischen anti-suit injunction die 336
EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 29 – West Tankers, mit Verweis auf EuGH, Urteil v. 9.12.2003, Rs. C-116/02, Slg. 2003 I-14693, Rn. 48-49 – Gasser. 337 Vgl. Art. 35 Abs. 1 Brüssel I‑VO bzw. nun Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO. 338 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 29 – West Tankers, mit Verweis auf EuGH, Rs. C-351/89, Slg. 1991 I-3317, Rn. 24 – Overseas Union und EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 26 – Turner. 339 Vgl. EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 28 – Turner. 340 Dies verkennend Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 95 (die Anerkennung und Vollstreckung durch das staatliche Gericht beinhalte keine eigene Wertung). 341 Vgl. ausführlich oben Teil 2 B.II.2.b)aa)–bb).
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 81
Gefahr besteht, dass einem Kläger, der die Schiedsabrede für unwirksam oder unanwendbar hält, der Zugang zu dem nach der Verordnung angerufenen Gericht versperrt wird.342 Die Vergleichbarkeit der Zwangswirkung, die von der Vollstreckbarerklärung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. eines dritten Mitgliedstaats ausgeht, wurde bereits festgestellt. Auch die dritte Erwägung des Gerichtshofs lässt sich damit auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen. Damit verletzt die Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction in der untersuchten Konstellation343 auf Grundlage der bisherigen EuGH‑Rechtsprechung die Brüssel Ia-VO.344
c) Pflicht zur Versagung der Vollstreckbarerklärung wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung in ihrer unionsrechtlichen Dimension Eine andere Frage ist, ob die Gerichte im Schiedsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten infolge der soeben festgestellten Verletzung der Brüssel Ia-VO verpflichtet sind, der schiedsrichterlichen anti-suit injunction unter Berufung auf den jeweils einschlägigen ordre public-Einwand die Vollstreckbarerklärung zu versagen.345 Besonders problematisch ist dies, wenn die schiedsrichterliche anti-suit injunction als ausländischer Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK zu qualifizieren ist. Denn an sich genießt die NYK und damit auch die nach Art. III NYK bestehende Pflicht, den ausländischen Schiedsspruch anzuerkennen, gegenüber dem Brüssel-System Vorrang, Art. 72 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO. Eine Qualifikation als ausländischer Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK kommt in unserem Szenario346 regelmäßig nur bei der 342
EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 31 – West Tankers; GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 58 – West Tankers. 343 Vgl. hierzu oben Teil 2 B.III., vor 1. 344 Ebenso Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 327; Wais, Anm. zu EuGH, Urteil v. 13.5.2015, Rs. C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 – Gazprom, EuZW 2015, 511, 512; a.A: Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 12.62, 12.78 (mit der Gazprom-Entscheidung des Gerichtshofs sei entschieden, dass das Brüssel-System der Vollstreckung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction nicht entgegenstehe). 345 Wird die schiedsrichterliche anti-suit injunction als ausländischer Schiedsspruch qualifiziert, ergibt sich aus Art. V Abs. 2 lit. b NYK ein entsprechender Versagungsgrund. Handelt es sich um einen inländischen Schiedsspruch, stellt das jeweilige Schiedsverfahrensrecht einen entsprechenden ordre public-Vorbehalt bereit (Deutschland: §§ 1060 Abs. 2, 1059 Abs. 2 lit. b ZPO; England: vgl. s. 81(1) lit. a AA 1996; Frankreich: Art. 1488 Abs. 1 CPC). Wird die schiedsrichterliche anti-suit injunction als einstweilige Maßnahme qualifiziert, ist in Deutschland gemäß § 1041 Abs. 2 ZPO die Vollziehung abzulehnen, wenn sie der öffentlichen Ordnung widerspricht (Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn 2917; Schwab/Walter, 2005, Kap. 17a, Rn 30). Gleiches gilt in England im Hinblick auf Maßnahmen nach s. 41(2) AA 1996 (vgl. s. 81(1) lit. a AA 1996). Im französischen Recht werden einstweilige Anordnungen teilweise als Schiedssprüche qualifiziert. Ist dies nicht der Fall, fehlt es im französischen Schiedsverfahrensrecht an einer Grundlage für die Vollziehung der einstweiligen Maßnahme. 346 Vgl. oben Teil 2 B.III., vor 1.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Durchsetzung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction in einem dritten Mitgliedstaat in Betracht.347 Bei ihrer Durchsetzung im Schiedsstaat liegt aus Sicht des Anerkennungsgerichts regelmäßig ein inländischer Schiedsspruch vor, dessen Vollstreckbarerklärung sich nicht nach der NYK, sondern – sofern kein sonstiges vorrangiges Völkerrecht eingreift – nach dem autonomen Schiedsverfahrensrecht beurteilt. Trotz der verschiedenen Vollstreckungsregime, die mit Blick auf die Durchsetzung der Anordnung im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten in Betracht kommen, konzentriert sich die Untersuchung im Folgenden auf den ordre public-Vorbehalt nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK. Denn zum einen stellt sich hier die zusätzliche Problematik, dass die NYK gegenüber dem Brüssel-System gemäß Art. 72 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO Vorrang genießt. Zum anderen entsprechen in den untersuchten Rechtsordnungen die Anforderungen an einen ordre public-Verstoß nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK denen im autonomen Schiedsverfahrensrecht oder sind unter dem Stichwort ordre public international lediglich strenger gefasst. Das bedeutet: Sollte im Folgenden ein ordre public-Verstoß nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK festgestellt werden, sind auch die Anforderungen an eine Verletzung der öffentlichen Ordnung im autonomen Recht erfüllt. Aus deutscher Sicht ist der Einwand nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK begründet, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre.348 Nach Ansicht französischer Gerichte ist unter dem Begriff der öffentlichen Ordnung die Gesamtheit der Gesetze und Werte zu verstehen, deren Verletzung die französische Rechtsordnung nicht dulden kann – auch nicht in Rechtsverhältnissen mit Auslandsbezug.349 Die englischen Gerichte sehen die öffentliche Ordnung als verletzt an, wenn die Anerkennung bzw. Vollstreckung offensichtlich das Gemeinwohl verletzen würde oder für einen verständigen und wohl informierten Bürger völlig anstößig erschiene.350 Denkbar ist, dass die Vollstreckung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction in Bezug auf ein ausländisches Gerichtsverfahren bereits gegen die derart verstandene öffentliche Ordnung einzelstaatlicher Prägung verstößt. Betrachtet man jedoch die Einstellung der untersuchten Mitgliedstaaten gegenüber staatlichen anti-suit injunctions, ist dies jedenfalls im Fall einer Durchsetzung des schiedsrichterlichen Prozessführungsverbots in England unwahrscheinlich.351 Die delikate Frage lautet dann: Müssen die Gerichte des Schiedsstaats bzw. des 347 348
Vgl. für die Einschränkung z. B. Art. I Abs. 1 S. 2 NYK i. V. m. Art. 1504 CPC. MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, Anh. zu § 1061 ZPO, Art. V UNÜ, Rn. 70; Stein/Jonas/ Schlosser, 2014, Anh. § 1061 Rn. 135. 349 CA Paris, 16.10.1997, abrufbar unter – ASECNA ./. M. N’DOYE. 350 Deutsche Schachtbau- und Tiefbohrgesellschaft mbH v Shell International Petroleum Co Ltd [1990] 1 AC 295 (UKHL). 351 Vgl. oben Teil 2 B.II.2.c)aa).
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 83
dritten Mitgliedstaats vom einzelstaatlichen ordre public-Vorbehalt kraft Unionsrechts dennoch Gebrauch machen?
aa) Konzeption des Gerichtshofs von einer unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung In der Tat hat der EuGH eine Konzeption einer unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung entwickelt, die eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Versagung der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK begründen kann: In Eco Swiss entschied der Gerichtshof, dass einem ausländischen Schiedsspruch, der das unionsrechtliche Beihilfeverbot missachtet, gemäß Art. V Abs. 2 lit. b NYK die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen ist.352 Das gelte auch dann, wenn der Umstand, dass infolge der Vollstreckung des Schiedsspruchs eine nationale Beihilfeverbotsbestimmung unangewendet bleibt, nach dem nationalen Maßstab keine Verletzung der öffentlichen Ordnung begründen würde.353 Das Beihilfeverbot, das heute in Art. 101 AEUV geregelt ist, sei der öffentlichen Ordnung i. S. v. Art. V Abs. 2 lit. b NYK zuzuordnen, da es für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft, insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarkts, unerlässlich sei.354 In Mostaza Claro hob der Gerichtshof auch Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/ EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in den Rang der europäischen öffentlichen Ordnung.355 Die Vorschrift diene dem Verbraucherschutz und sei für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft – insbesondere für die Anhebung der Lebensqualität in der Gemeinschaft – unerlässlich. Einem ausländischen Schiedsspruch müsse daher unter Berufung auf Art. V Abs. 2 lit. b NYK die Anerkennung versagt werden, wenn die zugrunde liegende Schiedsvereinbarung eine missbräuchliche Klausel i. S. v. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG darstelle. Das gelte auch dann, wenn der Verbraucher die Ungültigkeit nicht im Schiedsverfahren, sondern erstmals in der Aufhebungsklage geltend gemacht habe. Schließlich entschied der EuGH in Katalin Sebestyén,356 dass einem Schiedsspruch die Vollstreckbarerklärung zu versagen ist, wenn ihm eine Schiedsvereinbarung zugrunde liegt, die eine Beschränkung des Rechts eines Verbrauchers auf Rechtsschutz zum Ziel oder zur Konsequenz hat. Das gilt selbst dann, wenn die Schiedsvereinbarung dem Verbraucher zusammen mit Informationen über den Unterschied zwischen Schieds- und Gerichtsverfahren klar und unmissverständlich kommuniziert wurde. 352
EuGH, Rs. C-126/97, Slg. 1999 I-3055, Rn. 32, 41 – Eco Swiss. Vgl. EuGH, Rs. C-126/97, Slg. 1999 I-3055, Rn. 31 – Eco Swiss. 354 Vgl. EuGH, Rs. C-126/97, Slg. 1999 I-3055, Rn. 36, 39 – Eco Swiss. 355 EuGH, Rs. C-168/05, Slg. 2006 I-10421, Rn. 36 ff. – Mostaza Claro. 356 EuGH, Rs. C-342/13, ECLI:EU:C:2014:1857 – Sebestyén. 353
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
bb) Übertragbarkeit Zu beantworten bleibt die Frage, ob die dargestellte Konzeption des Gerichtshofs auf die vorliegende Fallgestaltung übertragbar ist, gegebenenfalls mit der Folge, dass die Gerichte im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten kraft Unionsrechts verpflichtet sind, vom einzelstaatlichen ordre public-Vorbehalt Gebrauch zu machen.
(1) Ansicht von GA Wathelet in der Rechtssache Gazprom In der Rechtssache Gazprom vertritt GA Wathelet die Ansicht, dass Bestimmungen der Brüssel Ia-VO – anders als das Beihilfeverbot nach Art. 101 AEUV und das Verbot der Verwendung missbräuchlicher Klauseln nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG – nicht der europäischen öffentlichen Ordnung zuzuordnen sind.357 Bestandteil der öffentlichen Ordnung könnten nämlich nur zwingende Vorschriften sein; ausweislich Art. 25 Brüssel Ia-VO – der die Möglichkeit der Vereinbarung eines Gerichtsstands vorsieht – seien die Vorschriften der Verordnung über die Zuständigkeit jedoch grundsätzlich dispositiv.358 Außerdem sehe Art. 45 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO ausdrücklich vor, dass Vorschriften über die Zuständigkeit nicht Bestandteil der öffentlichen Ordnung sind.359 Diese Argumentation greift allerdings zu kurz. Denn der EuGH rügte in der Rechtssache West Tankers nicht, dass englische Gerichte Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung falsch angewendet hätten. Maßgeblich war vielmehr, dass das englische Gericht durch den Erlass des Prozessführungsverbots den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz verletzte (2) und dem Gerichtskläger faktisch den Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten versperrte (3).
(2) Unionsrechtlicher Vertrauensgrundsatz Die Argumente von GA Wathelet passen nicht auf den Vertrauensgrundsatz. Denn dieser dient maßgeblich der Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen,360 verfolgt insofern grundlegende Gemeinwohlinteressen und steht – anders als Teile der Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung (Art. 25 Brüssel Ia-VO) – gerade nicht zur Disposition der Parteien. Auch Art. 45 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO erklärt lediglich, dass die Vorschriften 357 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 180 ff. – Gazprom; Ergebnis und Argumentation zustimmend Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 252. 358 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 183184 – Gazprom. 359 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 186 – Gazprom. 360 EuGH (Plenum), Gutachten 2/13, EU:C:2014:2454, Rn. 191 – EMRK‑Beitritt II.
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 85
über die Zuständigkeit nicht zum ordre public i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO gehören. Die Vorschrift ist selbst Ausdruck des Vertrauensgrundsatzes, trifft aber für oder gegen seine Zuordnung zur europäischen öffentlichen Ordnung keine Aussage. Entscheidend ist daher, ob dem Vertrauensgrundsatz – wie vom EuGH in Eco Swiss, Mostaza Claro und Katalin Sebestyén gefordert – eine derart grundlegende Bedeutung zukommt, dass er für die Erfüllung der Aufgaben der Union, insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes, unerlässlich ist. Gemäß ErwGr. 26 Brüssel Ia-VO stellt das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege der Mitgliedstaaten die Grundlage für die unionsweite Titelgeltung in Zivil- und Handelssachen dar. Weitergehend erläutert GA Jääskinen in der Rechtssache CDC, dass: „[…] das gegenseitige Vertrauen zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten […] einer der Pfeiler des durch das Brüsseler Übereinkommen eingeführten und in die Brüssel I‑Verordnung übernommenen Systems der gerichtlichen Zusammenarbeit [darstellt] […].“361
Nur wenige Tage später erklärte der Gerichtshof in voller Besetzung und losgelöst vom Brüssel-System in seinem Gutachten 2/13, dass: „[…] der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten im Unionsrecht fundamentale Bedeutung […] hat, da er die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglicht.“362
Die zuletzt zitierte Passage hat der EuGH in der Rechtssache Johnny Walker wortgleich bestätigt.363 Dass der Unionsgesetzgeber mit Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO eine weitere Ausnahme vom Vertrauensgrundsatz eingeführt hat, stellt seine Bedeutung im Übrigen nicht infrage; durch die Abschaffung des Exequaturverfahrens dürfte der Vertrauensgrundsatz eher noch an Gewicht gewonnen haben.364 Man mag es für richtig oder falsch halten: All dies spricht aber dafür, dass der EuGH den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens als so grundlegend ansieht, dass er für die Erfüllung der Aufgaben der Union, insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes, unerlässlich ist.365 361 GA
Jääskinen, Schlussanträge v. 11.12.2014, Rs. C-352/13, EU:C:2014:2443, Rn. 116 – CDC. 362 EuGH (Plenum), Gutachten 2/13, EU:C:2014:2454, Rn. 191 – EMRK‑Beitritt II. 363 EuGH, Rs. C-681/13, ECLI:EU:C:2015:471, Rn. 40 – Johnny Walker. 364 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.II.3.d). 365 Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 155 f.; a. A.: Bermann, MJ 2015, 888, 906 (vgl. aber auch Bermann, Fordham Int’l L. J., 2019, 967, 973: „In fact, the same considerations that led the ECJ to view competition law and consumer protection law norms as having public policy status may well lead it to consider any number of other domains as sharing that status. There is no obvious stopping point.“); Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 252.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
(3) Recht auf Zugang zu den nach der Brüssel Ia-VO angerufenen Gerichten Das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz genießt innerhalb der EU gemäß Art. 47 GRC i. V. m. Art. 6 Abs. 1 EUV366 und Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK i. V. m. Art. 6 Abs. 3 EV367 den Status eines Grundrechts. Seine Achtung gehört nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs außerdem zu den allgemeinen, sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergebenden Grundsätzen der Union i. S. v. Art. 6 Abs. 3 EUV.368 Die Zuordnung des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz zur unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung dürfte daher außer Zweifel stehen, sofern – wie hier – der Zugang zu den nach der Brüssel Ia-VO angerufenen Gerichten betroffen ist.369 Zwar können die Parteien im Umfang einer wirksamen und anwendbaren Schiedsvereinbarung auf ihr Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz verzichten. Das gilt auch im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO. Sind Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung aber umstritten370 und sieht das einzelstaatliche Recht des Gerichtsstaats für diesen Fall die Möglichkeit der Anrufung staatlicher Gerichte vor, so darf dieser Zugang durch Maßnahmen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten nicht versperrt werden. Ein Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz liegt insoweit nicht vor.
(4) Bedenken wegen Art. 1 Abs. 1 lit. d, 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO Nach den bisherigen Erwägungen sind der unionsrechtliche Vertrauensgrundsatz und das Recht auf Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Ge366
Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2016, Art. 47, Rn. 3. EGMR (Große Kammer), NJW 1999, 1173, Rn. 50 – Waite & Kennedy ./. Germany. Für eine Verletzung des insoweit gewährleisteten Rechts durch eine staatliche anti-suit injunction Rechtbank van eerste aanleg te Brussel, 18.12.1989, RW 1990–1991, 676; Jayme/Kohler, IPRax 1994, 405, 412; Hau, IPRax 1997, 245, 247; Hau, Anm. zu EuGH, 27.4.2004, Rs. C-159/02, ZZP Int. 9 (2004), 191, 195; dagegen The „Kribi“ [2001] 1 Lloyd’s Rep 76, 86 f. (EWHC); Ingenhoven, Grenzüberschreitender Rechtsschutz durch englische Gerichte, 2001, 314. 368 EuGH, Rs. C-222/84, Slg. 1986, 1651, Rn. 18 f. – Johnston; EuGH, Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-6677, Rn. 39 – Unión de Pequeños Agricultores; EuGH, Rs. C-432/05, Slg. 2007, I-2271, Rn. 37 – Unibet; EuGH (Große Kammer), Rs. C-402/05, Slg. 2008, I-6351, Rn. 335 – Kadi; EuGH (Große Kammer), Rs. C-131/03, Slg. 2008, I-9761, Rn. 50 – Masdar; EuGH (Große Kammer), Rs. C-385/07, Slg.2009, I-6155, Rn. 179 – Grüner Punkt. 369 Vgl. EGMR, Slg. 2001-VIII, Rn. 36 – Pellegrini ./. Italien; EGMR, NJW 1990, 2183 – Soering ./.Vereinigtes Königreich; EGMR, Series A 240, 5 – Drozd und Janousek ./. Frankreich und Spanien (ausländische Gerichtsentscheidungen dürfen nicht für vollstreckbar erklärt werden, wenn dadurch gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen würde). Vgl. zur Übertragbarkeit auf die Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen Bollée, Rev. arb. 2012, 838, 839; Seraglini, Christophe, Anm. Cass. civ. 1ère civ., 20.2.2001, Rev. crit. d. i. p. 2002, 124, Rn. 6. 370 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 66 ff. – West Tankers. 367
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 87
richten Bestandteil der europäischen öffentlichen Ordnung. Zu ihrer Wahrung müssen die Gerichte im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten der schiedsrichterlichen anti-suit injunction auf Grundlage des jeweils einschlägigen ordre public-Vorbehalts die Vollstreckbarerklärung versagen. Das ist bedenklich: Denn gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO findet die Verordnung keine Anwendung auf die Schiedsgerichtsbarkeit. Ausweislich Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO lässt sie die Anwendung der NYK „unberührt“. Die Konvention genießt gegenüber ihr „Vorrang“, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO. Stehen diese Vorschriften nicht der Versagung der Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction wegen Verletzung von Prinzipien der Brüssel Ia-VO entgegen, insbesondere dann, wenn sie auf Grundlage von Art. V Abs. 2 lit. b NYK erfolgen soll?
(a) Rechtsprechung des EuGH und Stellungnahme Die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs legt nahe, dass er diese Bedenken nicht haben würde. Zum einen begreift der EuGH den Vertrauensgrundsatz nicht als auf die Verordnung beschränktes, sondern darüber hinausgehendes Prinzip des Unionsrechts.371 Zum anderen hat er zu Art. 71 Abs. 1 Brüssel I‑VO entschieden, der ebenfalls vorsieht, dass die Anwendung von speziellen völkerrechtlichen Übereinkünften von der Verordnung „unberührt“ bleibt, dass: „[…] zwar diese Übereinkommen zur Anwendung kommen, […] [ihre] Anwendung aber nicht die Grundsätze beeinträchtigen darf, auf denen die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen in der Union beruht. Dazu gehören u. a. die […] Grundsätze […] der geordneten Rechtspflege […] und des gegenseitigen Vertrauens in die Justiz im Rahmen der Union.“372
Im Schrifttum wird diese Rechtsprechung teilweise auf das Verhältnis der Brüssel Ia-VO zur NYK übertragen; die NYK sei im europäischen Justizraum so auszulegen, dass sie die Urteilsfreizügigkeit nach der Brüssel Ia-VO nicht beeinträchtige.373 Der Wortlaut der Vorrangklauseln würde bei einem derartigen Verständnis freilich auf den Kopf gestellt. Nicht die Verordnung müsste die Konvention, sondern die Konvention die Verordnung unberührt lassen.374 Darüber hinaus hat der Gerichtshof in Gazprom klargestellt, dass die NYK – ent371
EuGH (Plenum), Gutachten 2/13, EU:C:2014:2454, Rn. 191 – EMRK‑Beitritt II. EuGH (Große Kammer), Rs. C-533/08, Slg. 2010, I-4107, Rn. 49 – TNT Express Nederland. Bestätigt in: EuGH, Rs. C-452/12, EU:C:2013:858, Rn. 36 – Nipponka und EuGH, Rs. C-157/13, EU:C:2014:2145, Rn. 38 – Nickel & Goeldner Spedition. 373 Hess, JZ 2014, 538, 541. 374 Insoweit eine Übertragung daher zu Recht ablehnend Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 330 f. Vgl. allgemein zur Kritik an der EuGH‑Rechtsprechung zur Auslegung von Art. 71 Brüssel I‑VO Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 71 Brüssel Ia-VO, Rn. 14 ff.; Attal, Petites affiches 238 (2010), 32, 35; Tuo, Riv. dir. int. priv. proc. 47 (2011), 377, 388. 372
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
gegen der bis dahin herrschenden Ansicht –375 kein spezielles Übereinkommen i. S. v. Art. 71 Abs. 1 Brüssel I‑VO darstellt.376 Das heißt, bis zu der Einführung von Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO wurde die NYK noch von keiner der Vorrangklauseln in Art. 67 ff. Brüssel I‑VO erfasst. Auch unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine eigenständige, von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 71 Abs. 1 Brüssel I‑VO losgelöste Auslegung des Art. 73 Abs. 2 i. V. m. ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO geboten.
(b) Abstrakter oder konkreter Vorrang der NYK? In der Tat ist der Wortlaut von Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO auslegungsbedürftig. Denn während die Verordnung nach der deutschen Fassung die Anwendung der NYK „unberührt“ lässt, sind andere Sprachfassungen großzügiger formuliert. So wird z. B. in der englischen Fassung nicht der Begriff „shall not touch“, sondern weniger streng der Begriff „shall not affect“ verwendet. Danach kommen zwei Auslegungsergebnisse in Betracht: Nach dem einen müssen die Brüssel Ia-VO und die ihr zugrunde liegenden Prinzipien bei der Anwendung der NYK vollständig ausgeblendet werden – sie dürfen die Anwendung der NYK im wahrsten Sinne des Wortes nicht „berühren“ (abstrakter Vorrang des NYK). Nach dem anderen dürfen die Brüssel Ia-VO und die ihr zugrunde liegenden Prinzipien die Anwendung der NYK lediglich nicht beeinträchtigen, d. h. im Einzelfall die Mitgliedstaaten nicht dazu zwingen, ihre völkerrechtlich vereinbarten Pflichten nach der NYK zu verletzen. Der in Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO speziell normierte und in ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO bestätigte Vorrang der Konvention würde dann folglich nur greifen, wenn sich der jeweilige Mitgliedstaat im konkreten Fall einer Kollision von Pflichten nach der Brüssel Ia-VO und der NYK ausgesetzt sieht (konkreter Vorrang der NYK). Der konkrete Vorrang der NYK wird dem Motiv der Schiedsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO gerecht, bestehende völkerrechtliche Verträge – insbesondere die NYK – zu respektieren. Er entspricht ausweislich ErwGr. 35 Brüssel Ia-VO auch dem Zweck von Vorbehaltsklauseln wie Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, die internationalen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaa375 Vgl. nur Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 122 („The prevalence of the New York Convention applauded almost unanimously by the national reports would remain untouched, because Article 71 JR guarantees its priority as a special convention.“). 376 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 43 – Gazprom („Da das New Yorker Übereinkommen ein vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/ 2001 ausgenommenes Gebiet regelt, betrifft es insbesondere nicht ein ‚besonderes Rechtsgebiet‘ im Sinne von Art. 71 Abs. 1 dieser Verordnung. Dieser Art. 71 regelt nämlich lediglich das Verhältnis zwischen der Verordnung Nr. 44/2001 und den Übereinkommen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 44/2001 fallen (vgl. in diesem Sinne EuGH (Große Kammer), Rs. C-533/08, Slg. 2010, I-4107, Rn. 48, 51 – TNT Express Nederland)“.).
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 89
ten eingegangen sind, zu wahren. Gleichzeitig führt er dazu, dass völkerrechtliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten und das Brüssel-System – dort wo es möglich ist – in Einklang gebracht werden. Denn die Mitgliedstaaten müssen danach einer Bereichsausnahme oder Vorrangklausel zum Trotz bei der Auslegung einzelstaatlichen Rechts unter mehreren ebenso gut möglichen Alternativen diejenige wählen, die die Ziele und Grundsätze der Brüssel Ia-VO am besten gewährleistet. Der abstrakte Vorrang der NYK hat demgegenüber zur Folge, dass Ziele und Grundsätze der Brüssel Ia-VO in Konstellationen außer Acht bleiben müssten, in denen das einzelstaatliche Recht ohne Weiteres mit ihnen in Einklang gebracht werden kann. Insoweit schießt er über Sinn und Zweck der Art. 1 Abs. 2 lit. d, 73 Abs. 2, ErwGr 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO hinaus.377
(c) Verletzung der NYK durch die Versagung der Vollstreckbarerklärung? Damit stellt sich die Frage, ob die Gerichte dritter Mitgliedstaaten ihre Pflichten nach der NYK verletzen, wenn sie der schiedsrichterlichen anti-suit injunction in der vorliegenden Konstellation gemäß Art. V Abs. 2 lit. b NYK die Vollstreckbarerklärung versagen. Denn gegebenenfalls sind die Gerichte kollidierenden Pflichten nach dem Brüssel-System und der NYK ausgesetzt; gemäß Art. 73 Abs. 2, ErwGr 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO wäre dann der Pflicht zur Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction nach der NYK Vorrang einzuräumen. Der Konventionsgeber stellt mit der öffentlichen Ordnung in Art. V Abs. 2 lit. b NYK einen unbestimmten Rechtsbegriff bereit. Anstelle ihn vertragsautonom zu definieren, verweist er für seine Ausfüllung auf das Recht des Zweitstaats.378 Dass dieses unionsrechtlich geprägt sein mag, ist aus Sicht des Konventionsgebers unerheblich. Andererseits ergibt eine historische, systematische und am Zweck der Konvention ausgerichtete Auslegung von Art. V Abs. 2 lit. b NYK, dass eine Versagung der Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt.379 Insbesondere darf der ordre public-Vorbehalt 377 A. A. offenbar Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 330 f. (erklärt zunächst, die NYK sei – als gegenüber der Brüssel Ia-VO vorrangiges multilaterales Abkommen – von den Vertragsstaaten selbständig auszulegen, folgert anschließend aber aus ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel IaVO, dass die NYK Vorgaben für die Urteilsanerkennung enthalte); Farah/Hourani, J. Priv. Int. L. 2018, 96, 126 („Therefore Article 73(2) demands that the enforcement regime of the New York Convention be applied first.“); Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 95 und 250 (aus Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO folge, dass sich die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen ausschließlich nach der NYK richte und die Verordnung dabei nicht zu beachten sei). 378 Paulsson, New York Convention, 2016, 224; Schlosser, Internationale private Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, Rn. 868. 379 Paulsson, New York Convention, 2016, 223 f.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
nicht als Einfallstor für eine révision au fond dienen. Verletzt die Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction jedoch den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz, dessen Achtung in der Union „fundamentale Bedeutung“380 zukommt, dürften diese Grenzen noch als gewahrt anzusehen sein. Erst recht gilt das für die Verletzung des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz, das in der EU den Stellenwert eines Grundrechts genießt.381
d) Zwischenergebnis Ein Angriff auf das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat durch Vollstreckung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Schiedsstaat oder in einem dritten Mitgliedstaat verspricht keinen Erfolg. Denn die Gerichte in diesen Staaten sind kraft Unionsrechts verpflichtet, die Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction zu versagen.
2. Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils in der Hauptsache Zu untersuchen bleibt, ob die schiedsrichterliche anti-suit injunction im Schiedsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten nicht zumindest als Verteidigung gegen das im staatlichen Parallelverfahren zu erwartende Hauptsacheurteil herangezogen werden kann. Als Gerichtsentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat wird sich die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO beurteilen. Hiernach kann die Anerkennung und Vollstreckung nur versagt werden, wenn einer der in Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO abschließend aufgezählten Gründe vorliegt. Mit Blick auf die schiedsrichterliche anti-suit injunction kommen die Versagungsgründe der Entscheidungskollision i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO (a)) und der ordre public-Verletzung nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO in Betracht (b)).
a) Entscheidungskollision zwischen schiedsrichterlicher anti-suit injunction und staatlichem Parallelurteil, Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO? Gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO ist dem staatlichen Parallelurteil im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten auf Antrag die Anerkennung zu versagen, wenn sie unvereinbar ist mit einer inländischen Entscheidung (lit. c) oder mit einer ausländischen, zuerst ergangenen und im Inland anerkennungsfähigen Entscheidung (lit. d). Eine Berufung auf die Kollision des Parallelurteils mit einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction scheidet insofern allerdings aus.382 Das gilt unabhängig davon, ob Kollisionen mit Schiedssprüchen oder 380 381
EuGH, Rs. C-681/13, ECLI:EU:C:2015:471, Rn. 40 – Johnny Walker. Vgl. hierzu oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(3). 382 Vgl. dagegen für die Missachtung einer englischen anti-suit injunction die Ausfüh-
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 91
deren Vollstreckbarerklärungen bzw. Inkorporationen überhaupt von Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO erfasst werden:383 Bejaht man die Anwendbarkeit von Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO, fehlt es gleichwohl an der Grundsituation der Norm, der Unvereinbarkeit von schiedsrichterlicher anti-suit injunction und staatlicher Hauptsache-Entscheidung. Der Begriff der Unvereinbarkeit ist unionsautonom auszulegen und erfordert, dass zwei Entscheidungen Rechtsfolgen aufweisen, die sich gegenseitig ausschließen.384 Erfasst werden nur Entscheidungskollisionen, durch die der Rechtsfrieden ernsthaft gestört wird.385 Wie der Gerichtshof klargestellt hat, ist das jedenfalls bei widersprüchlichen Entscheidungen über Zulässigkeits- und Verfahrensvoraussetzungen nicht der Fall.386 Nur hinsichtlich einer solchen Zulässigkeits- und Verfahrensvoraussetzung, nämlich der Zuständigkeit des staatlichen Parallelgerichts, weichen Hauptsache-Entscheidung und schiedsrichterliche anti-suit injunction aber voneinander ab. Verneint man die Anwendbarkeit von Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO, ist für die Behandlung der Kollision zwischen staatlicher Hauptsache-Entscheidung und schiedsrichterlicher anti-suit injunction ein Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt (Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) zwar methodisch zulässig.387 Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO ist in diesem Rahmen aber entsprechend als unionsautonome Grenze heranzuziehen,388 sodass die Anerkennungsversagung auch hier am Merkmal der Unvereinbarkeit scheitert. Im Übrigen besteht im Fall der Anerkennung der staatlichen HauptsacheEntscheidung im Schiedsstaat bzw. dritten Mitgliedstaat überhaupt kein Rechtskraftkonflikt mit der schiedsrichterlichen anti-suit injunction. Zwar können, sorungen von Waller J (obiter) in Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1997] ILPr 73, Rn. 112 (EWHC) („[…] [I]t would […] be open to the English court […] to grant an injunction restraining continuation of the proceedings […]. If that occurred, then a judgment on the substance of the dispute albeit a Convention judgment, would not, as it seems to me, have to be recognised […] on the basis that judgment was irreconcilable with a judgment given in a dispute between the same parties in the United Kingdom [Art. 27 Abs. 3 EuGVÜ].“). 383 Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 4 C.II.1.a)–b). 384 EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 22 – Hoffmann ./. Krieg; EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 44 – Italian Leather. 385 Jenard-Bericht, 1968, 45; EuGH, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, Rn. 21 – Solo Kleinmotoren; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 45 Rn. 108. 386 EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 44 – Italian Leather („Zum anderen muss sich die Unvereinbarkeit – wie sich aus Randnummer 22 des Urteils Hoffmann ergibt – bei den Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen zeigen; sie betrifft nicht die Zulässigkeits- und Verfahrensvoraus-setzungen für den Erlass dieser Entscheidungen, die sich möglicherweise von einem Vertragsstaat zum anderen unterscheiden.“); vgl. auch Cass. (IT), 12.11.1994 – 9554, Riv. dir. int. priv. proc) 1995, 732; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 51. 387 Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 4 C.II.1.c)aa). 388 Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 4 C.II.1.c)cc)(2).
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
fern der Gerichtsstaat einer weiten Rechtskraftlehre folgt, Entscheidungen über Vorfragen in Rechtskraft erwachsen – so auch die inzidente Entscheidung des staatlichen Parallelgerichts im Hauptsacheurteil, dass die Schiedsabrede unwirksam oder nicht anwendbar ist. Insoweit gebietet die Brüssel Ia-VO gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO – bestätigt durch ErwGr. 12 Abs. 2 Var. 2 Brüssel Ia-VO und die Beschränkung in ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO auf die Entscheidung in der Hauptsache – aber gerade keine Anerkennung.389 Diese beurteilt sich vielmehr nach einzelstaatlichem Recht und ist, sofern aus Sicht des Schiedsstaats bzw. dritten Mitgliedstaats nicht das staatliche Parallelgericht, sondern das Schiedsgericht in der Hauptsache zuständig ist, zu versagen.390
b) Bewusste Missachtung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction als ordre public-Verletzung, Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO? Vor den Entscheidungen des EuGH in Turner und West Tankers erklärten englische Gerichte, dass auch im Anwendungsbereich des Brüssel-Systems Gerichtsurteilen, die unter bewusster Missachtung einer englischen anti-suit injunction erwirkt wurden, wegen ordre public-Verletzung die Anerkennung zu versagen sei.391 Der englische Court of Appeal hält eine Anerkennungsversagung auf dieser Grundlage weiterhin für denkbar.392 Praktisch hat sie sich mit Blick auf mitgliedstaatliche anti-suit injunctions, die sich auf Verfahren vor Gerichten eines anderen Mitgliedstaats beziehen, nach den genannten Entscheidungen des EuGH aber erübrigt. Denn danach steht das Brüssel-System bereits ihrem Erlass entgegen. Bei den hier untersuchten, schiedsrichterlichen anti-suit injunctions ist das prinzipiell anders – ihrem Erlass steht das Brüssel-System nicht entgegen.393 Allerdings lässt sich auf ihrer Grundlage auch keine ordre public-Verletzung begründen. Denn auch nach englischem Maßstab394 liegt eine offensichtliche 389
Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 3 B.II.2.b)aa). Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 3 B.II.2.b)bb). 391 Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1997] ILPr 73, Rn. 112 (EWHC) (Waller J per obiter) („[…] it would […] be open to the English court […] to grant an injunction restraining continuation of the proceedings […] If that occurred, then a judgment on the substance of the dispute albeit a Convention judgment, would not, as it seems to me, have to be recognised […] on the basis that such recognition would be contrary to public policy in the United Kingdom […] [Art. 27 Abs. 3 EuGVÜ].“). 392 National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 125 (Moore-Bick LJ per obiter) („I do not think that it would be contrary to public policy to recognise the judgement, even if an English court would have held that the parties had agreed to refer the dispute to arbitration. Different considerations might arise if the judgement had been obtained through conscious wrongdoing, for example by pursuing proceedings in defiance of an injunction, but that is not this case […]“). 393 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.I.3. 394 Vgl. zum Maßstab Deutsche Schachtbau- und Tiefbohrgesellschaft mbH v Shell International Petroleum Co Ltd [1990] 1 AC 295 (UKHL). 390
B. Schiedsrichterliche anti-suit injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden 93
Verletzung des Gemeinwohls nicht vor, nur weil eine Gerichtsentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat anerkannt wird, die unter Missachtung einer privaten Anordnung zustande gekommen ist. Ein wohl informierter Bürger würde die Anerkennung der Gerichtsentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat unter diesem Gesichtspunkt auch nicht als völlig anstößig empfinden. Das gilt umso mehr, als das englische Recht selbst differenziert: Anders als bei einer englischen anti-suit injunction begründet die Missachtung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction für sich genommen keinen contempt of court, der als so schwerwiegend angesehen wird, dass er mit empfindlichen Sanktionen belegt werden kann.395 Hierfür wäre vorab eine Inkorporation der schiedsrichterlichen Anordnung in ein englisches Gerichtsurteil nach s. 66(2) AA 1996 bzw. eine back-up order durch ein englisches Gericht nach s. 42(1) AA 1996 erforderlich. Beidem steht jedoch wiederum die Brüssel Ia-VO entgegen.396
c) Zwischenergebnis Danach kann die schiedsrichterliche anti-suit injunction im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten auch nicht als Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils herangezogen werden.
IV. Ergebnis Ein Angriff auf das staatliche Parallelverfahren durch Vollstreckung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction im Schiedsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten scheidet aus. Denn die Gerichte im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten sind kraft Unionsrechts verpflichtet, der schiedsrichterlichen anti-suit injunction auf Grundlage des jeweiligen ordre public-Vorbehalts im einzelstaatlichen Recht die Vollstreckbarerklärung zu versagen.397 Die Erwägungen des Gerichtshofs in West Tankers zum Verbot mitgliedstaatlicher antisuit injunctions398 und die in Eco Swiss, Mostaza Claro und Katalin Sebestyén entwickelte Konzeption von der unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung399 sind übertragbar. Der Vorrang der NYK gegenüber dem BrüsselSystem nach Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO steht nicht entgegen.400 Denn begründet wird hiernach kein abstrakter, sondern ein konkreter Vorrang der NYK, der nur dann greift, wenn ein Mitgliedstaat widerstreitenden Verpflichtungen nach der Brüssel Ia-VO und der NYK ausgesetzt 395 396
Vgl. hierzu ausführlich soeben Teil 2 B.III.1.a)bb). Vgl. hierzu ausführlich soeben Teil 2 B.III.1.b)–c). 397 Vgl. oben Teil 2 B.III.1. 398 Vgl. oben Teil 2 B.III.1.b). 399 Vgl. oben Teil 2 B.III.1.c). 400 Vgl. oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(4).
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
ist.401 Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil der ordre public-Vorbehalt nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK eine Versagung der Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction wegen Verletzung des unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatzes und des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz zulässt.402 Zur Verteidigung im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten gegen die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils in der Hauptsache eignet sich die schiedsrichterliche anti-suit injunction ebenfalls nicht.403 Eine Berufung auf den Versagungsgrund der Entscheidungskollision nach Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO scheidet aus, weil die staatliche HauptsacheEntscheidung und die schiedsrichterliche anti-suit injunction nur hinsichtlich der Entscheidung des staatlichen Parallelgerichts über die eigene Zuständigkeit voneinander abweichen.404 Denn widersprüchliche Entscheidungsinhalte bezüglich Zulässigkeits- und Verfahrensvoraussetzungen begründen für sich genommen keine Unvereinbarkeit zweier Entscheidungen nach Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO. Auch auf den ordre public-Vorbehalt nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO kann sich die schiedszugewandte Partei nicht berufen. Insbesondere liegt auch nach englischem Maßstab eine offensichtliche Verletzung des Gemeinwohls nicht vor, nur weil eine Gerichtsentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat anerkannt wird, die unter Missachtung einer privaten Anordnung zustande gekommen ist.405 Es verbleibt damit bei der Möglichkeit, die schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat durchzusetzen.406 Die potentielle Anerkennungswirkung ist geeignet, das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat zu unterbinden.407 Die NYK ist nach hier vertretener Ansicht auf die Anerkennung von final injunctions einschließlich ihrer zeitlich befristeten Unterart der temporary but final injunction auch anwendbar.408 Weiterhin verpflichtet die Brüssel Ia-VO die Gerichte des Gerichtsstaat nicht dazu, die Anerkennung und Vollstreckung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction zu versagen.409 Bei der Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit nach Art. III ff. NYK können die Gerichte des Gerichtsstaats im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK aber ebenso wie bei der Schiedseinrede nach Art. II Abs. 3 NYK prüfen, ob der Streitgegenstand des staatlichen Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird.410 Gegenüber der Schiedseinrede 401 402
Vgl. oben Teil 2 B.III.1.c)(4)(b). Vgl. oben Teil 2 B.III.1.c)(4)(c). 403 Vgl. oben Teil 2 B.III.2. 404 Vgl. oben Teil 2 B.III.2.a). 405 Vgl. oben Teil 2 B.III.2.b). 406 Vgl. oben Teil 2 B.II. 407 Vgl. oben Teil 2 B.II.1. 408 Vgl. oben Teil 2 B.II.2.a). 409 Vgl. oben Teil 2 B.I.2.–3. 410 Vgl. oben Teil 2 B.II.2.b)aa)–bb).
C. Anti-enforcement injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden
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kann der Berufung auf die schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat allenfalls ein Mehrwert hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast zukommen.411 Das setzt aber voraus, dass im konkreten Fall ein non liquet bezüglich der Merkmale der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede besteht. Außerdem muss sich die Ansicht durchsetzen, nach welcher der Gerichtskläger im Rahmen von Art. III ff. NYK bezüglich des jeweiligen Merkmals die Darlegungs- und Beweislast trägt. Ist Deutschland Gerichtsstaat, ist weiterhin zu berücksichtigen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anerkennung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction selbst dann als ordre public-widrig versagt wird, wenn die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte in der Hauptsache auch aus Sicht des Anerkennungsgerichts wirksam abbedungen wurde.412 Gegebenenfalls geht mit der Erwirkung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction mehr Risiko als Nutzen einher. Denn die Versagung der Anerkennung der schiedsrichterlichen anti-suit injunction als ordre public-widrig könnte im Gerichtsstaat zum Anlass genommen werden, auch im Hinblick auf das Schiedsverfahren in der Hauptsache die Einhaltung der Grundsätze eines fairen Verfahrens infrage zu stellen, Art. V Abs. 1 lit. b Var. 2 NYK.
C. Anti-enforcement injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden Als Alternative zu Prozessführungsverboten kommt für die Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung womöglich die Erwirkung einer anti-enforcement injunction in Betracht. Mit dieser wird einem Gerichtskläger nicht verboten, ein Verfahren über einen schiedsbefangenen Gegenstand vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates zu führen. Ihm wird lediglich im Nachgang413 untersagt, 411 Vgl. oben Teil 2 B.II.2.b)cc). 412 Vgl. oben Teil 2 B.II.2.c). 413
Selbst vor englischen Gerichten haben Anträge, mit denen die Feststellung begehrt wird, dass ein künftiges ausländisches Urteil nicht vollstreckbar sein wird, nach gegenwärtiger Rechtsprechung keine Aussicht auf Erfolg (El Du Pont de Nemours & Co v IC Agnew (No 2) [1988] 2 Lloyd’s Rep 240, 245, 249–250 (EWCA); Toepfer International GmbH v Molino Boschi [1996] 1 Lloyd’s Rep 510, 518 (EWHC) (obiter); Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1997] ILPr 73, Rn. 123 (EWHC); vgl. allerdings Ellerman Lines v Landi (The „Falernian“) [1927] 29 Lloyd’s Rep. 15, 23 (EWHC) (Erlass unter Zeckmäßigkeitsgesichtspunkten und weil neben der Verletzung der Schiedsvereinbarung ein Prozessbetrug vorlag); Briggs, LMCLQ 1997, 90, 100–102 (im Einzelfall angemessen); Tan, Vir. J. Int. L. 47 (2007), 545, 609 (befürwortet Zulässigkeit im US‑Recht)). In Deutschland wird bisher nur im Schrifttum überhaupt die Möglichkeit diskutiert, die fehlende Anerkennungsfähigkeit einer künftigen ausländischen Entscheidung vorläufig feststellen zu lassen (vgl. Geimer, JZ 1977, 145, 146; Schlosser, Justizkonflikt, 1985, 39; Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989, 136; Spickhoff, in: FS Deutsch, 1999, S. 333; Antomo, Schadensersatz, 2017, 251 f.). Zu Recht wird einem solchen Feststellungsantrag jedoch das Feststellungsinteresse abgesprochen (Geimer, JZ 1977, 145, 146; Schlosser,
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die aus einem solchen Verfahren resultierende Entscheidung zu vollstrecken. Zu unterscheiden sind auch hier mitgliedstaatliche (I.) und schiedsrichterliche (II.) anti-enforcement injunctions.
I. Erlass durch mitgliedstaatliche Gerichte Nach den Entscheidungen des EuGH in Turner und West Tankers hat der englische Court of Appeal die Schwelle für den Erlass staatlicher Vollstreckungsverbote gesenkt bzw. angeglichen an die für den Erlass staatlicher Prozessführungsverbote (1.). Zugleich wird im Schrifttum vertreten, dass mitgliedstaatliche anti-enforcement injunctions, die die Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten verbieten, anders als mitgliedstaatliche antisuit injunctions mit der Brüs-sel Ia-VO vereinbar sind (2.).
1. Neupositionierung englischer Gerichte Englische Gerichte machten erstmals 1928 in Ellerman Lines v Read von ihrer Befugnis Gebrauch, anti-enforcement injunctions zu erlassen.414 Zugrunde lag allerdings eine besondere Sachlage. Denn die Antragsgegner hatten nach Überzeugung des englischen Court of Appeal die fragliche Entscheidung vor türkischen Gerichten nicht nur unter Missachtung einer Schiedsabrede, sondern außerdem durch Prozessbetrug erwirkt. In anderen Rechtssachen, die diese Besonderheit nicht aufwiesen, lehnten englische Gerichte den Erlass einer antienforcement injunction hingegen ab.415 Denn da das Verbot der Vollstreckung örtlich nicht begrenzt sei, gehe es mit einem potentiell weltweiten Eingriff in ausländische Gerichtsverfahren einher.416 Das englische Schrifttum folgerte daraus, dass der Erlass von anti-enforcement injunctions strengeren Voraussetzungen unterliege als der von anti-suit injunctions.417 Unter dem Gesichtspunkt der comity komme ihr Erlass allenfalls in außergewöhnlichen Umständen in Be-
Justizkonflikt, 1985, 39; Spickhoff, in: FS Deutsch, 1999, S. 333; Antomo, Schadensersatz, 2017, 251 f.; a. A. Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989, 136.). Denn die schiedszugewandte Partei ist über § 328 ZPO und die Möglichkeit, nach Erlass der Entscheidung die fehlende Anerkennungsfähigkeit feststellen zu lassen, hinreichend geschützt. 414 Ellerman Lines Ltd v Read [1928] 2 KB 144 (EWCA). 415 ED & F Man Sugar Ltd v Haryanto (No 2) [1991] 1 Lloyd’s Rep. 429, Rn. 70 (EWCA); Industrial Maritime Carriers (Bahamas) Inc v Sinoca International Inc (The „Eastern Trader“) [1996] 2 Lloyd’s Rep 585 (EWHC); Mamidoil-Jetoil Greek Petroleum Co SA v Okta Crude Oil Refinery AD (No 3) [2003] 1 Lloyd’s Rep. 1, Rn. 205 (EWHC). 416 Vgl. insbesondere ED & F Man Sugar Ltd v Haryanto (No 2) [1991] 1 Lloyd’s Rep. 429, Rn. 70 (EWCA); Mamidoil-Jetoil Greek Petroleum Co SA v Okta Crude Oil Refinery AD (No 3) [2003] 1 Lloyd’s Rep. 1, Rn. 205 (EWHC). 417 Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 5.54.
C. Anti-enforcement injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden
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tracht. Die bloße Missachtung einer Zuständigkeitsabrede sei für sich genommen unzureichend. Solange mit englischen anti-suit injunctions ein Instrument zur Verfügung stand, ein abredewidriges Parallelverfahren vor ausländischen Gerichten zu unterbinden, bevor eine Entscheidung ergeht, bestand für den Erlass einer anti-enforcement injunction auch regelmäßig kein Bedürfnis.418 Dies hat sich mit den Entscheidungen des Gerichtshofs in Turner und West Tankers allerdings geändert. Es mag daher nicht verwundern, dass der englische Court of Appeal in der Zwischenzeit die Schwelle für den Erlass von anti-enforcement injunctions gesenkt und an die für den Erlass von anti-suit injunctions angepasst hat. So war in the Arkhangelskys bereits die bloße Befürchtung, eine exklusive Gerichtsstandsabrede könne missachtet werden, hinreichender Grund, um eine anti-enforcement injunction zu erlassen.419
2. Vereinbarkeit mit der Brüssel Ia-VO? Die Frage, ob der Erlass mitgliedstaatlicher anti-enforcement injunctions anders als der mitgliedstaatlicher anti-suit injunctions mit der Brüssel Ia-VO vereinbar ist, gewinnt dadurch an Bedeutung.
a) Literaturansicht Ein Teil der Literatur spricht sich für die Vereinbarkeit mitgliedstaatlicher antienforcement injunctions mit der Brüssel Ia-VO aus:420 Anders als bei mitgliedstaatlichen anti-suit injunctions421 werde das abredewidrig angerufene Gericht nicht in seiner Befugnis beeinträchtigt, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden.422 Denn bei Erlass des Vollstreckungsverbots habe es bereits seine Kompetenz-Kompetenz nach der Verordnung ausgeübt und in der Sache entschieden.423 Hinzu trete, dass der Vertrauensgrundsatz im Hinblick auf die Anerkennungs- und Vollstreckungsregeln der Verordnung weniger stark ausgeprägt sei als in Bezug auf die Zuständigkeitsregeln.424 Das zeige sich daran, dass bezüglich der Zuständigkeit eine strikte one-dispute one418 Vgl. Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 12.97 (weist darauf hin, dass die schiedszugewandte Partei eine Obliegenheit trifft, so früh wie möglich Maßnahmen zur Unterbindung des staatlichen Parallelverfahrens zu ergreifen. 419 Bank St Petersburg v the Arkhangelskys [2014] EWCA Civ 593, Rn. 29 ff. 420 So z. B. Camilleri, ICLQ 2013, 899, 906–908; Basler Kommentar Lugano/Favalli/ Augsburger, 2016, Art. 31, Rn. 54. 421 Vgl. hierzu EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 28 – West Tankers. 422 Camilleri, ICLQ 2013, 899, 906; vgl. Basler Kommentar Lugano/Favalli/Augsburger, 2016, Art. 31 Rn. 54. 423 Camilleri, ICLQ 2013, 899, 906. 424 Camilleri, ICLQ 2013, 899, 907.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
court rule existiere, während die Anerkennung und Vollstreckung auch nach Abschaffung des Exequaturverfahrens versagt werden könne.425
b) Stellungnahme Die Befugnis mitgliedstaatlicher Gerichte, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden,426 erfüllt keinen Selbstzweck. Bejaht das Gericht seine Zuständigkeit, ist es nach der Verordnung nun auch befugt, den Streit abschließend und für die Parteien verbindlich zu entscheiden. Dafür muss die Entscheidung auch durchsetzbar sein. Durch den Erlass einer englischen anti-enforcement injunction wird sie jedoch faktisch undurchsetzbar. Denn die adressierte Partei muss bei Meidung empfindlicher Strafen von ihrer Vollstreckung absehen. Die Ausübung der Befugnisse nach der Verordnung wird dadurch sinnentleert. Ihre Beeinträchtigung wird im Verhältnis zu mitgliedstaatlichen anti-suit injunctions lediglich vertagt. Dem Erlass einer anti-enforcement injunction liegt zudem eine Beurteilung der Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats427 zugrunde. Sie mag erst nach Abschluss des staatlichen Parallelverfahrens und damit rückblickend erfolgen. Nach Art. 45 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO widerspricht sie aber auch in diesem Verfahrensstadium dem Vertrauensgrundsatz. Das Recht auf Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten428 bleibt ebenfalls nicht bei der Befugnis stehen, das Verfahren anhängig zu machen. Als Ausfluss des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz wird der wirksame Zugang und damit das Recht auf eine abschließende429 und durchsetzbare430 gerichtliche Entscheidung gewährleistet. Damit lassen sich letztlich alle Erwägungen übertragen, die den Gerichtshof in West Tankers bewogen haben, auch solche mitgliedstaatlichen anti-suit injunctions zu verbieten, die zur Durchsetzung einer Schiedsabrede darauf gerichtet sind, ein Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats zu unterbinden. Hinzu tritt ein weiteres Argument: Denn das anordnende Gericht verletzt mit dem Erlass der anti-enforcement injunction auch seine Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils nach Art. 36 ff. Brüssel IaVO.431 Zugleich untergräbt es entsprechende Pflichten anderer Mitgliedstaa425
Camilleri, ICLQ 2013, 899, 907. Vgl. EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 28 – West Tankers. Vgl. EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 29 f. – West Tankers (unter Verweis auf EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 24 – Turner). 428 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 31 – West Tankers. 429 Vgl. zu Art. 6 Abs. 1 EMRK EGMR, Urteil v. 19.3.1997 – 18357/91, Slg. 1997-II, 496 – Hornsby ./. Griechenland; EGMR, Slg. 2002-II, 83 – Kutić ./. Kroatien. 430 Vgl. zu Art. 47 GRC Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2016, Art. 47, Rn. 47. 431 So auch Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 133. 426 427
C. Anti-enforcement injunctions zur Durchsetzung von Schiedsabreden
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ten.432 Mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der praktischen Wirksamkeit ist auch das nicht vereinbar.433 Mitgliedstaatliche anti-enforcement injunctions, die sich zur Durchsetzung einer Schiedsabrede gegen die Vollstreckung einer Gerichtsentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat richten, sind mit der Brüssel Ia-VO unvereinbar.434
II. Erlass durch Schiedsgerichte Im Schrifttum wird von einem Fall berichtet, in dem ein ICC‑Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz einem Gerichtskläger untersagte, bis zum Abschluss des Schiedsverfahrens in der Hauptsache ein deutsches Gerichtsurteil zu vollstrecken.435 Bereits nach einzelstaatlichem Recht ist fraglich, ob Schiedsgerichte befugt sind, derartige Anordnungen zu erlassen.436 Für das hier im Vordergrund stehende Verhältnis zur Brüssel Ia-VO können jedenfalls die oben erarbeiteten Erwägungen zu schiedsrichterlichen anti-suit injunctions437 und mitgliedstaatlichen anti-enforcement injunctions438 herangezogen werden: Dem Erlass einer schiedsrichterlichen anti-enforcement injunction steht die Brüssel Ia-VO nicht entgegen, weil das Schiedsgericht unmittelbar weder an die Verordnung noch an die ihr zugrunde liegenden Prinzipien gebunden ist.439 432 Vgl. ausführlich zur Pflicht nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO, das staatliche Parallelurteil anzuerkennen, unten Teil 4 A. und C. 433 Vgl. EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 24 – West Tankers. 434 Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 505; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 156 f.; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 133; wohl auch Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 1028 ff.; offen gelassen Erk, Parallel Proceedings, 2014, 144 f. 435 ICC 17176, Procedural Order, 10.3.2011, nicht veröffentlicht, referiert in Gross, 1.3.2012, abrufbar unter („In making the order, the arbitral tribunal held, in particular, that an anti-enforcement injunction is ‚inherently less invasive‘ than an anti-suit injunction because it does not in itself interfere with the state court’s ‚sovereign power of ruling on its jurisdiction‘. All it does is prevent the respondent from enforcing a judgment already provided by the state court pending a final resolution of the dispute between the parties in the arbitration.“). 436 Vgl. z. B.ICC 16240, Final Award, 3.12.2012, nicht veröffentlicht, referiert in Vishnevskaya, J. Int. Arb., 2015, 173, 178 ff. (vor einem ICC‑Schiedsgericht mit Sitz in der Türkei wurde bezüglich einer künftigen Entscheidung durch ein russisches Gericht für die Dauer des Schiedsverfahrens ein Vollstreckungsverbot beantragt. Diesen Antrag lehnte das Schiedsgericht ab und erklärte in Rn. 134: „[This tribunal is] […] not vested with the jurisdiction and power to decide on the application of the New York Convention by the signatory States […]. […] [I]t would eventually be the task of the enforcment courts to decide whether to enforce the court judgment or the Partial Award […]. The situation constitutes a matter of recognition and enforcement of the Partial Award guaranteed by the New York Convention, and not by the arbitration agreement underlying this Arbitral Tribunal’s jurisdiction.“). 437 Vgl. oben Teil 2 B. 438 Vgl. oben Teil 2 C.I. 439 Vgl. oben Teil 2 B.I.2.–3.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
Die Durchsetzbarkeit der schiedsrichterlichen anti-enforcement injunction im Gerichtsstaat beurteilt sich nach einzelstaatlichem Recht, nicht nach der Brüssel Ia-VO. Letztere verpflichtet die Gerichte des Gerichtsstaats auch nicht, die Vollstreckbarerklärung aufgrund des ordre public-Vorbehalts im einzelstaatlichen Recht zu versagen.440 Es scheitert bereits die Übertragung des West Tankers-Verbots, weil die Vollstreckbarerklärung lediglich Auswirkungen auf einen inländischen Titel haben kann.441 Allerdings hat der Antrag auf Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-enforcement injunction im Gerichtsstaat auch ohne Einfluss des Brüssel-Systems keine Aussicht auf Erfolg.442 Denn aus Sicht des Gerichtsstaats war das inländische Parallelgericht, nicht das Schiedsgericht in der Hauptsache sachentscheidungsbefugt.443 Außerdem wäre die Vollstreckung des Verbots, den inländischen Titel zu vollstrecken, unvereinbar mit dessen Rechtskraft. Unter beiden Gesichtspunkten ist die Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-enforcement injunction in den untersuchten Rechtsordnungen wegen Verletzung des ordre public-Vorbehalts einzelstaatlicher Prägung zu versagen.444 Eine Durchsetzung der schiedsrichterlichen anti-enforcement injunction im Schiedsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten mit Zwangsmitteln scheidet ebenfalls aus.445 Denn hier sind die Gerichte kraft Unionsrechts verpflichtet, im Rahmen des jeweils einschlägigen ordre public-Vorbehalts die Vollstreckbarerklärung zu versagen:446 Die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten würden durch die Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-enforcement injunction insbesondere den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz und das Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletzen. Die Erwägungen des Gerichtshofs in West Tankers lassen sich übertragen.447 Hinzu tritt, dass die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten mit der Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-enforcement injunction ihre Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO verletzen.448 Außerdem untergraben sie entsprechende Pflichten anderer Mitgliedstaaten.449 440 441
Vgl. oben Teil 2 B.I.2.–3. Vgl. oben Teil 2 B.I.3. 442 Vgl. oben Teil 2 B.II.2. 443 Vgl. oben Teil 2 B.II.2.b). 444 Vgl. für den Einwand der Unzuständigkeit oben Teil 2 B.II.2.b; vgl. für den Einwand der Rechtskraftkollision unten Teil 4 C.III.3. 445 Vgl. oben Teil 2 B.III.1.a). 446 Vgl. oben Teil 2 B.III.1.b)–c). 447 Vgl. oben Teil 2 B.III.1.b) und Teil 2 C.I.2. 448 Vgl. oben Teil 2 C.I.2.; vgl. zu der Pflicht, das staatliche Parallelurteil nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennen, unten Teil 4 A. und C. 449 Vgl. oben Teil 2 C.I.2.; vgl. zu der Pflicht, das staatlichen Parallelurteil nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennen, unten Teil 4 A. und C.
D. Anti-arbitration- und anti-enforcement injunctions
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Hinsichtlich der Verletzung des unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatzes und des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz lässt sich die in Eco Swiss, Mostaza Claro und Katalin Sebestyén entwickelte Konzeption des EuGH von der unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung übertragen.450 Der Vorrang der NYK gegenüber dem Brüssel-System nach Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO steht nicht entgegen.451 Denn der ordre public-Vorbehalt nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK lässt eine Versagung der Vollstreckbarerklärung der schiedsrichterlichen anti-enforcement injunction auf der Grundlage zu, dass andernfalls der unionsrechtliche Vertrauensgrundsatz und das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verletzt würden.452 Es fehlt damit bereits die Kollision von Pflichten nach der Brüssel Ia-VO und der NYK, um den Vorrang der NYK nach Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO auszulösen.453 Zur Verteidigung im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten gegen die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils eignet sich die schiedsrichterliche anti-enforcement injunction ebenfalls nicht. Zwar dürften die Wirkungen beider Entscheidungen – anders als beim Konflikt des Parallelurteils mit einer anti-suit injunction – miteinander unvereinbar sein.454 Die Entscheidungskollision zwischen Urteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und in- bzw. ausländischem Schiedsspruch ist aber jedenfalls zugunsten des zuerst ergangenen Urteils i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO aufzulösen.455
D. Anti-arbitration- und anti-enforcement injunctions gegen die Durchsetzung von Schiedsabreden Auch aus Sicht des Gerichtsklägers kann die Erwirkung eines Prozessführungsbzw. Vollstreckungsverbots in Betracht kommen, allerdings – da sich die Anordnung gegen die Durchführung einer Schiedsvereinbarung richtet – nur vor einem mitgliedstaatlichen, nicht vor einem Schiedsgericht. Der Gerichtskläger begehrt dabei, der schiedszugewandten Partei die Einleitung bzw. Fortführung eines Schiedsverfahrens (anti-arbitration injunction) bzw. die Vollstreckung eines Schiedsspruchs aus einem solchen Verfahren (anti-enforcement injunction in Bezug auf einen Schiedsspruch) zu untersagen. Der Erlass von anti-arbitration injunctions nimmt weltweit betrachtet zu. Auch Gerichte aus civil law-Ländern – so z. B. aus Brasilien und Indone450 451
Vgl. oben Teil 2 B.III.1.c). Vgl. oben Teil 2 B.III.1.c)(4). 452 Vgl. oben Teil 2 B.III.1.c)(4)(c). 453 Vgl. oben Teil 2 B.III.1.c)(4)(b). 454 Vgl. oben Teil 2 B.III.2.a). 455 Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 4 C.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
sien – haben derartige Anordnungen bereits erlassen.456 Für die untersuchten Rechtsordnungen gilt: In Deutschland457 und Frankreich458 existiert eine entsprechende Befugnis nicht. Englische Gerichte haben anti-arbitration injunctions hingegen bereits verfügt.459 Für das Verhältnis derartiger Anordnungen zur Brüssel Ia-VO ergibt sich auf Grundlage der West Tankers- und GazpromRechtsprechung des Gerichtshofs Folgendes: Die Brüssel Ia-VO findet auf ein Verfahren, soweit der Erlass einer mitgliedstaatlichen anti-arbitration injunction als Hauptgegenstand begehrt wird, keine Anwendung. Denn das Verbot der Fortsetzung bzw. Einleitung des Schiedsverfahrens betrifft die Abgrenzung der Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Gerichtsbarkeit. Das ist ein Gegenstand, der in den einzelstaatlichen Schiedsverfahrensgesetzen geregelt und der Schiedsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO zuzuordnen ist. Bestätigt wird das durch ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO. Denn hiernach sollte die Verordnung auf gerichtliche Verfahren im Zusammenhang mit der Durchführung eines Schiedsverfahrens keine Anwendung finden. Dem Erlass einer mitgliedstaatlichen anti-arbitration injunction steht die Brüssel Ia-VO nicht entgegen.460 Zwar kommt über den Grundsatz der prak456 Born, International Commercial Arbitration, 2014, 1306, 1310 mit Nachweisen in Fn. 300–302; vgl. zur Unvereinbarkeit staatlicher anti-arbitration injunctions mit Grundsätzen der Schiedsgerichtsbarkeit Clavel, Rev. arb. 2001, 669, 703–706; Gaillard, Rev. arb. 2004, 47, 55–58; Schwebel, in: Gaillard, 2005, S. 5, 5–15; Lew, in: Gaillard, 2005, S. 25, 25–40; Lew, in: van den Berg, 2007, S. 185, 185–220. 457 Vgl. § 1026, 1032 Abs. 3 ZPO und MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 34; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 667; Schwab/Walter, 2005, Kap. 7, Rn. 19; Stein/ Jonas/Schlosser, 2014, § 1032, Rn. 44. 458 TGI Paris, 24.6.2004, Rev. arb. 2005, 1037 – LV Finance Group Ltd ./. CCI; TGI Paris, 29.3.2010, Rev. arb. 2010, 389 – République de Guinée équatoriale ./. Société Fitzpatrick Equatorial Guinea; Debourg, Les Contrariétés de Décisions dans l’Arbitrage International, 2012, Rn. 618. 459 Vgl. für einen Erlass einer anti-arbitration injunction zur Unterbindung eines Verfahrens vor einem Schiedsgericht mit einem ausländischen Schiedssitz z. B. Golden Ocean Group Ltd v Humpuss Intermoda Transportasi Tbk [2013] EWHC 1240; Excalibur Ventures LLC v Texas Keystone Inc [2011] EWHC 1624; Claxton Eng’g Servs. Ltd v TXM Olaj-ES Gazkutato Kft [2011] EWHC 345; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 16089 m. w. N.; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws. Fourth Suppl., 2017, Rn. 16-089 m. w. N. Die Befugnis wird allerdings nur in außergewöhnlichen Umständen und mit Vorsicht ausgeübt (Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 16-089; Clavel, Rev. arb. 2001, 669, 706). 460 Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 134, Vorbem. zu Art. 4, Rn. 52; Basler Kommentar Lugano/Favalli/Augsburger, 2016, Art. 31 Rn. 54; Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 12.78; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 460; Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 1031; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 136; Nomihold Securities Inc v Mobile Telesystems Finance SA [2012] EWHC 130; Claxton Engineering Services Limited v TXM Olaj-es Gazkutato Kft [2011] EWHC 345; Sheffield United Football United Football Club Ltd v West Ham United Football Club plc [2009] 1 Lloyd’s Rep 167.
D. Anti-arbitration- und anti-enforcement injunctions
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tischen Wirksamkeit die Verletzung der Verordnung durch ein mitgliedstaatliches Prozessführungsverbot auch in Betracht, wenn die Brüssel Ia-VO auf das ihm zugrunde liegende Verfahren keine Anwendung findet.461 Voraussetzung ist dann aber, dass immerhin das von der Anordnung betroffene Verfahren der Verordnung unterliegt.462 Nur dann stehen dem betroffenen Spruchkörper Befugnisse nach der Verordnung zu, deren praktische Wirksamkeit durch den Erlass der Anordnung beeinträchtigt sein kann463 bzw. auf deren ordnungsgemäße Ausübung das anordnende Gericht vertrauen muss. Potentiell betroffen von der anti-arbitration injunction ist hier jedoch ein Schiedsverfahren, auf das die Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO keine Anwendung findet. Gleiches gilt für eventuell ebenfalls betroffene Nebenverfahren vor staatlichen Gerichten, ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO.464 Die Anerkennung und Vollstreckung einer mitgliedstaatlichen anti-arbitration injunction im Schiedsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten richtet sich nicht nach der Verordnung, sondern nach einzelstaatlichem Recht, Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO. Insofern gilt nichts anderes als bei einer Feststellungsentscheidung über die Unwirksamkeit der Schiedsabrede, ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel IaVO. Durch die Anerkennung und Vollstreckung der mitgliedstaatlichen anti-arbitration injunction im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten können auch keine Befugnisse von Gerichten anderer Mitgliedstaaten nach der Verordnung beeinträchtigt werden. Denn die Verordnung findet auf die potentiell betroffenen Verfahren – das Verfahren vor dem Schiedsgericht und mögliche Nebenverfahren vor staatlichen Gerichten i. S. v. ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO – keine Anwendung, Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO. Damit steht jedenfalls die Brüssel Ia-VO der Anerkennung und Vollstreckung einer mitgliedstaatlichen anti-arbitration injunction im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten nicht entgegen.465 Entsprechendes gilt für mitgliedstaatliche anti-enforcement injunctions zur Unterbindung der Vollstreckung von Schiedssprüchen. Die Brüssel Ia-VO steht weder ihrem Erlass, noch ihrer Durchsetzung entgegen. 461
EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 22 – West Tankers. Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 33, 37 – West Tankers; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 134. 463 Vgl. Basler Kommentar Lugano/Favalli/Augsburger, 2016, Art. 31 Rn. 54. 464 Zu kurz greift dagegen die Argumentation, eine anti-arbitration injunction könne schon deshalb nicht mit dem Brüssel-System unvereinbar sein, weil durch ihren Erlass kein Misstrauen gegenüber der Justiz des Schiedsstaats zum Ausdruck gebracht werde (so z. B. Basler Kommentar Lugano/Favalli/Augsburger, 2016, Art. 31 Rn. 54; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 460). Der Erlass einer anti-arbitration injunction kann nämlich durchaus als Misstrauen gegenüber den im Schiedsstaat bestehenden Mechanismen zur Abgrenzung der staatlichen von der Schiedsgerichtsbarkeit gewertet werden. Entscheidend ist vielmehr, dass der Anwendungsbereich des Brüssel-Systems nicht eröffnet ist, Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO. 465 Basler Kommentar Lugano/Favalli/Augsburger, 2016, Art. 31 Rn. 54; Zöller/Geimer, 2018, Anh I Art. 1 EuGVVO, Rn. 70. 462 GA
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
E. Wechselseitige Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote In der Praxis werden Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote auch wechselseitig erlassen, z. B. als anti-anti-suit466 oder als anti-anti-enforcement467 injunctions.468 Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Die schiedszugewandte Partei beantragt vor den Gerichten des Schiedsstaats, dem Gerichtskläger die Fortführung eines Verfahrens vor den Gerichten des Gerichtsstaats über einen aus ihrer Sicht schiedsbefangenen Gegenstand zu untersagen (mitgliedstaatliche anti-suit injunction). Der Gerichtskläger begehrt daraufhin vor den Gerichten des Gerichtsstaats eine Anordnung, mit der der schiedszugewandten Partei die Fortführung des Verfahrens vor den Gerichten des Schiedsstaats auf Erlass einer anti-suit injunction untersagt wird (mitgliedstaatliche anti-anti-suit injunction). Die schiedszugewandte Partei beantragt nun wiederum vor den Gerichten des Schiedsstaats eine einstweilige Anordnung, mit der dem Gerichtskläger bis zur Entscheidung der Gerichte des Schiedsstaats über das ursprüngliche Prozessführungsverbot die Fortführung des Verfahrens im Gerichtsstaat auf Erlass einer anti-anti-suit injunction verboten wird (mitgliedstaatliche anti-anti-anti-suit injunction). Derartige Ketten wechselseitiger Verfügungen lassen sich beliebig verlängern und sind in unzähligen Variationen denkbar, kombinierbar mit anti-suit-, anti-arbitration- und anti-enforcement injunctions, jeweils erlassen durch ein mitgliedstaatliches bzw. ein Schiedsgericht, für oder gegen die Durchsetzung einer Schiedsabrede. Für das Verhältnis des Brüssel-Systems zur jeweiligen Anordnung gilt aber immer das gleiche: Ab der ersten Gegenanordnung steht die Brüssel Ia-VO weder ihrem Erlass noch ihrer Anerkennung und Vollstreckung entgegen. Das Verfahren auf Erlass der Gegenanordnung ist entweder auf oder gegen die Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung gerichtet. In beiden Fällen streiten die Parteien über die Abgrenzung der Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Gerichtsbarkeit. Das ist ein Gegenstand, der in den einzelstaatlichen Schiedsverfahrensgesetzen geregelt und der Schiedsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO zuzuordnen ist. Bestätigt wird das durch ErwGr. 12 Abs. 4 Brüs466
Vgl. z. B. Ecom Agroindustrial Corp Ltd v Mosharaf Composite Textile Mill Ltd [2013] EWHC 1276 (Erlass einer anti-anti-suit injunction durch den englischen High Court zur Unterbindung eines Verfahrens vor einem bangladeschischen Gericht auf Erlass einer anti-suit injunction); General Star International Indemnity Ltd v Stirling Cooke Browne Reinsurance Brokers Ltd [2003] EWHC 3 (Erlass einer anti-anti-suit injunction durch den englischen High Court in Bezug auf ein Verfahren vor einem New Yorker Gericht, in dem unter anderem der Erlass einer anti-suit injunction begehrt wurde.). 467 Vgl. z. B. KBC v. Pertamina, 190 F. Supp. 2d 936, 939 (S. D. Tex. 2001) (allerdings in 335 F. 3d 357 (5th Cir 2003) aufgehoben). 468 Vgl. zu Maßnahmen gegen anti-suit injunctions allgemein Schneider, in: Gaillard, 2005, S. 41 ff.
E. Wechselseitige Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
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sel Ia-VO, wonach die Verordnung auf gerichtliche Verfahren im Zusammenhang mit der Durchführung eines Schiedsverfahrens keine Anwendung finden sollte. Zwar kommt eine Verletzung der Verordnung durch ein mitgliedstaatliches Prozessführungs- bzw. Vollstreckungsverbot über den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit auch in Betracht, wenn die Brüssel Ia-VO auf das zugrunde liegende Verfahren selbst keine Anwendung findet.469 Voraussetzung ist dann aber, dass immerhin das von der Anordnung betroffene Verfahren der Verordnung unterliegt.470 Nur dann stehen dem betroffenen Spruchkörper Befugnisse nach der Verordnung zu, deren praktische Wirksamkeit durch den Erlass der Anordnung beeinträchtigt sein kann471 bzw. auf deren ordnungsgemäße Ausübung das anordnende Gericht vertrauen muss. Von der Gegenanordnung betroffen ist hier aber ein Verfahren auf Erlass eines Prozessführungs- bzw. Vollstreckungsverbots, das wiederum entweder auf oder gegen die Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung gerichtet ist. Auch hier streiten die Parteien über die Abgrenzung der Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Gerichtsbarkeit und damit über einen Gegenstand, auf den die Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO nicht anwendbar ist. Mankowski ist hingegen der Ansicht, dass der Erlass einer mitgliedstaatlichen anti-anti-suit injunction mit der Brüssel Ia-VO unvereinbar ist.472 Im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO dürfte seine Ansicht entscheidend darauf beruhen, dass er die sachliche Anwendbarkeit der Verordnung auf ein Verfahren bejaht, das auf den Erlass eines Prozess- bzw. Vollstreckungsverbots zur Durchsetzung einer Schiedsabrede gerichtet ist.473 Das findet im Schrifttum durchaus Zuspruch:474 Gegenstand des Verfahrens sei nicht die Durchsetzung der Schiedsabrede bzw. die Abgrenzung der Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Gerichtsbarkeit, sondern die Unterbindung eines ausländischen Gerichtsverfahrens.475 Zudem diene das Verbot – anders als z. B. die Benennung des Schiedsrichters in Marc Rich – nicht unmittelbar der Durchfüh469 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers. 470 GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663,
Rn. 33, 37 – West Tankers; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 134. 471 Vgl. Basler Kommentar Lugano/Favalli/Augsburger, 2016, Art. 31 Rn. 54. 472 Rauscher/Mankowski, 2016, Vorbem. zu Art. 4 Brüssel Ia-VO, Rn. 55. 473 Vgl. Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 127 f. 474 Vgl. z. B. Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 155 ff.; Illmer, IPRax 2009, 312, 313; Schroeder, Anm. zu EuGH, Urteil vom 10.2.2009 – Rs. C-185/07, ECLI:EU:C: 2009:69, EuZW 2009, 218, 219; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 460; unklar Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 505 f. (einerseits: „Für Anordnungen staatlicher Gerichte zum Schutz von Schiedsvereinbarungen greift die Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO nicht.“ Andererseits: „Allerdings fallen materiell-rechtliche Ansprüche auf Unterlassung der Klageerhebung vor staatlichen Gerichten (weil ein Schiedsgericht zuständig ist) […] unter Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO.“). 475 Illmer, IPRax 2009, 312, 313.
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Teil 2: Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote
rung des Schiedsverfahrens.476 Denn es bleibe der eigenverantwortlichen Entscheidung des Gerichtsklägers überlassen, den Streit entsprechend des Verbots nur noch vor dem Schiedsgericht auszutragen. Schließlich erscheine das Verbot, das staatliche Parallelverfahren fortzuführen, bei wertender Betrachtung nicht als integraler Bestandteil der schiedsrichterlichen Streitbeilegung.477 Überzeugend ist all dies jedoch nicht: Ein Kriterium, wonach der Gegenstand des fraglichen Verfahrens der Durchführung des Schiedsverfahrens „unmittelbar dienen“ muss, ist der Schiedsausnahme (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO) unbekannt. Das zeigt ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO, weil er lediglich daran anknüpft, dass das Verfahren „im Zusammenhang“ mit der Durchführung eines Schiedsverfahrens steht. Außerdem werden – obwohl sie der Durchführung des Schiedsverfahrens weder unmittelbar noch mittelbar dienen – beispielsweise auch Feststellungsentscheidungen über die Ungültigkeit der Schiedsabrede von der Schiedsausnahme erfasst, ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Auch die wertende Betrachtung der Gegenansicht ist kein tragfähiger Ansatz. Das gilt umso mehr, als in England eine anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung ebenso integraler Bestandteil der Schiedsgerichtsbarkeit ist wie der in Art. II Abs. 3 NYK geregelte Mechanismus der Schiedseinrede. Beide Waffen, die eine vor englischen, die andere vor dem ausländischen Gericht, stehen der schiedszugewandten Partei zur Durchsetzung der Schiedsabrede kumulativ zur Verfügung. Schließlich widerspricht die Gegenansicht auch der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Denn in West Tankers hat der EuGH das Verfahren vor englischen Gerichten, das auf den Erlass einer anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsabrede gerichtet war, ausdrücklich der Schiedsausnahme zugeordnet.478 Damit bleibt es bei dem eingangs gefundenen Ergebnis: Bei wechselbezüglichen Prozessführungs- und Vollstreckungsverboten steht ab der ersten Gegenanordnung die Brüssel Ia-VO weder ihrem Erlass noch ihrer Anerkennung und Vollstreckung entgegen.
F. Fazit Auch unter der neuen Brüssel Ia-VO stehen mitgliedstaatliche anti-suit injunctions innerhalb der EU nicht als Mechanismus zur Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung zur Verfügung.479 Das West Tankers-Verbot des Gerichtshofs besteht fort.480 Demnach steht die Verordnung bereits dem Erlass einer mit476
Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 161 ff.; Illmer, IPRax 2009, 312, 313. Naumann, Englische anti-suit injunctions, 2008, 161 ff.; Illmer, IPRax 2009, 312, 313. 478 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 23 – West Tankers. 479 Vgl. oben Teil 2 A. 480 Vgl. oben Teil 2 A.II. 477
F. Fazit
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gliedstaatlichen anti-suit injunction entgegen, die auf die Unterbindung eines Brüssel Ia-Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats gerichtet ist.481 Auf mitgliedstaatliche anti-enforcement injunctions ist dieses Verbot übertragbar.482 Dem Erlass schiedsrichterlicher Prozessführungs-483 und Vollstreckungsverbote484 steht die Brüssel Ia-VO nicht entgegen, wohl aber ihrer Vollstreckbar-erklärung im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten485. Ausweislich der Gazprom-Entscheidung des EuGH lässt das Brüssel-System selbst zwar prinzipiell Raum für eine Durchsetzung schiedsrichterlicher Prozessführungs-486 und Vollstreckungsverbote487 im Gerichtsstaat. Zur grenzüberschreitenden Verfahrens- und Entscheidungskollision ist sie jedoch nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts ungeeignet. Das offenbart sich insbesondere mit Blick auf die Letztentscheidungskompetenz der staatlichen Gerichte im Gerichtsstaat bezüglich der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung.488 Denn diese führt dazu, dass der Berufung auf die schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat (Art. III ff. NYK) gegenüber der Erhebung der Schiedseinrede (Art. II Abs. 3 NYK) ein Mehrwert allenfalls in Bezug auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zukommen kann.489 Der Erwirkung eines mitgliedstaatlichen Prozessführungs- bzw. Vollstreckungsverbots, das auf die Unterbindung eines parallelen Schiedsverfahrens bzw. auf die Abwendung der Vollstreckung aus einem daraus resultierenden Schiedsspruch gerichtet ist, steht die Brüssel Ia-VO nicht entgegen.490 Betrachtet man das einzelstaatliche Recht der untersuchten Mitgliedstaaten, sind zwar englische Gerichte prinzipiell befugt, anti-arbitration injunctions und auf Schiedssprüche bezogene Vollstreckungsverbote zu erlassen. Entsprechend ihrer schiedsfreundlichen Haltung und der Prämisse des englischen Gesetzgebers, staatliche Interventionen in das Schiedsverfahren weitestgehend zu vermeiden,491 machen sie von dieser Befugnis aber nur in Ausnahmefällen Gebrauch.492 Damit sind Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote nach geltender Rechtslage weder zur grenzüberschreitenden Koordination von Parallelverfahren vor mitgliedstaatlichen Gerichten und Schiedsgerichten noch zur Auflösung daraus resultierender Entscheidungskollisionen geeignet. 481
Vgl. oben Teil 2 A.I. Vgl. oben Teil 2 C.I.2. Vgl. oben Teil 2 B.I.2.–3. 484 Vgl. oben Teil 2 C.II. 485 Vgl. oben Teil 2 B.III.1. und Teil 2 C.II. 486 Vgl. oben Teil 2 B.I.2.–3. 487 Vgl. oben Teil 2 C.II. 488 Vgl. oben Teil 2 B.II.2.b)aa)–bb). 489 Vgl. oben Teil 2 B.II.2.b)cc). 490 Vgl. oben Teil 2 D. 491 Vgl. s. 1 lit. c AA 1996. 492 Vgl. oben Teil 2 D. 482 483
Teil 3
Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung Womöglich bietet die res iudicata-Wirkung einer Entscheidung über die (Un-) Wirksamkeit bzw. (Un-)Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung einen tauglichen Ansatz, um das jeweilige Parallelverfahren zu unterbinden bzw. sich gegen eine daraus resultierende Entscheidung in der Hauptsache zu verteidigen. Untersucht werden zunächst die Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei (A.), sodann diejenigen des Gerichtsklägers (B.).
A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei Für eine schiedszugewandte Partei kommen prinzipiell zwei Wege in Betracht, eine rechtskräftige Entscheidung über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung zu erwirken: Erstens kann sie hierüber ein isoliertes Feststellungsverfahren vor den Gerichten des Schiedsstaats bzw. gegebenenfalls auch eines dritten Mitgliedstaats anstrengen (I.). Zweitens kann sie das Hauptsacheverfahren vor dem Schiedsgericht einleiten und in diesem Rahmen per separater Zwischenentscheidung bzw. inzident mit der Entscheidung in der Hauptsache die Zuständigkeit des Schiedsgerichts feststellen lassen (II.).
I. Isoliertes Feststellungsverfahren über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede vor den Gerichten des Schiedsstaats bzw. eines dritten Mitgliedstaats Untersuchen wir zunächst die Möglichkeit der schiedszugewandten Partei, vor den Gerichten des Schiedsstaats oder eines dritten Mitgliedstaats in einem isolierten Feststellungsverfahren eine rechtskräftige Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsabrede und ihre Anwendbarkeit auf den Rechtsstreit in der Hauptsache zu erwirken (1.). Sofern die isolierte Feststellung im Gerichtsstaat anerkennungsfähig ist, könnte eine Berufung auf ihre materielle Rechtskraft im staatlichen Parallelverfahren geeignet sein, eine Verweisung der Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit zu bewirken (2.). Andernfalls stellt sich die Frage, ob die isolierte Feststellung nicht wenigstens im jeweiligen Erststaat zur Verteidigung gegen das im staatlichen Verfahren zu erwartende Parallelurteil in
110 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung der Hauptsache eingesetzt werden kann (3.). Auf Grundlage seiner potentiellen Auswirkungen auf das staatliche Parallelverfahren und die daraus resultierende Hauptsache-Entscheidung wird anschließend untersucht, ob der Erlass einer isolierten Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. eines dritten Mitgliedstaats mit der Brüssel Ia-VO vereinbar ist (4.).
1. Zulässigkeit des Antrags und Rechtskraft der Entscheidung im Inland nach einzelstaatlichem Recht Zunächst wird ermittelt, inwieweit in den untersuchten Rechtsordnungen ein Antrag vor mitgliedstaatlichen Gerichten auf isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede zulässig ist und inwiefern einer derartigen Entscheidung im Ursprungsstaat materielle Rechtskraft zukommt.
a) Deutschland Bis zur Konstituierung des Schiedstribunals1 kann die schiedszugewandte Partei vor deutschen Gerichten einen Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO auf Feststellung der „Zulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens“ stellen. Anders als der Wortlaut nahelegt, ist Gegenstand des Verfahrens nur die Frage der Zuständigkeit des Schiedsgerichts; geprüft wird, ob eine wirksame Schiedsvereinbarung vorliegt, sie durchführbar ist und der Gegenstand des Schiedsverfahrens der Schiedsvereinbarung unterfällt.2 Die Zuständigkeit für eine Entscheidung nach § 1032 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach § 1062 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO.3 Danach sind deutsche Gerichte entscheidungsbefugt, wenn der Sitz des Schiedsgerichts im Inland liegt (§§ 1025 Abs. 1, 1062 Abs. 1 Nr. 2 ZPO), nach der h. M. jedoch auch, wenn der Schieds1 Erfolgt mit der Bestellung sämtlicher Schiedsrichter nach § 1035 ZPO (MüKo ZPO/ Münch, 2017, § 1032, Rn. 22; OLG Frankfurt a. M., BeckRS 2013, 22724). Im Anwendungsbereich des EuÜHSchG muss der Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO bereits vor Einleitung des Schiedsverfahrens gestellt werden; andernfall muss das staatliche Verfahren nach Art. VI Abs. 3 EuÜHSchG bis zum Erlass des Hauptsache-Schiedsspruchs ausgesetzt werden. 2 BGH, SchiedsVZ 2012, 281, Rn. 4. Der Antrag muss folglich nicht auf die Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens insgesamt gerichtet sein; er kann vielmehr auch nur hinsichtlich der Frage gestellt werden, ob einer von mehreren Streitpunkten von der Schiedsvereinbarung erfasst wird (MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 24). 3 Str. bezüglich der internationalen Zuständigkeit. Ein Teil des Schrifttums vertritt die Ansicht, dass sich die internationale Zuständigkeit nach § 1025 Abs. 2 ZPO beurteilt; § 1062 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO regle nur die sachliche und örtliche Zuständigkeit (MüKo ZPO/ Münch, 2017, § 1025, Rn. 16; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1062, Rn. 1). Nach a. A. beurteilt sich die internationale Zuständigkeit nach dem Grundsatz der Doppelfunktionalität und daher nach der in § 1062 Abs. 2 ZPO geregelten örtlichen Zuständigkeit (Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1062, Rn. 3 ff.; Schwab/Walter, 2005, Kap. 31, Rn. 7).
A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei
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sitz im Ausland liegt, sofern der Rechtsstreit einen hinreichenden Bezug zu Deutschland aufweist (§§ 1025 Abs. 2, 1062 Abs. 2 ZPO).4 Die Konstituierung des Schiedstribunals nach zulässiger Erhebung der Klage nach § 1032 Abs. 2 ZPO führt nicht zu ihrer Unzulässigkeit.5 Gleiches gilt, wenn vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO ein Schiedsspruch in der Hauptsache ergeht, der die Möglichkeit einer Aufhebungsklage nach § 1059 ZPO eröffnet.6 Ein staatliches Parallelverfahren in der Hauptsache vor ausländischen Gerichten – wie hier im Gerichtsstaat – lässt das Feststellungsinteresse ebenfalls nicht entfallen.7 Nach Konstituierung des Schiedstribunals ist die Erhebung der Klage nach § 1032 Abs. 2 ZPO unzulässig. In Betracht kommt aber ein Antrag nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO auf Feststellung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts, nachdem das Schiedsgericht per Zwischenentscheid die eigene Zuständigkeit bestätigt hat. Gegenstand des Verfahrens nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO ist nicht die Kontrolle des Zwischenentscheids, sondern die eigenständige und originäre Entscheidung der staatlichen Gerichte über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts.8 Vor diesem Hintergrund ist gemäß § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO „jede“ Partei berechtigt, den Antrag zu stellen – also auch die hier durch den Zwischenentscheid nicht beschwerte, schiedszugewandte Partei. Die Zuständigkeit für die Entscheidung nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO beurteilt sich nach § 1062 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.9 Deutsche Gerichte sind danach nur zuständig, wenn der Schiedssitz im Inland liegt, §§ 1025 Abs. 1, 1062 Abs. 1 4 Die Korrektur im Fall eines ausländischen Schiedssitzes ist notwendig, weil sich andernfalls – bei strikter Anwendung des § 1025 Abs. 2 ZPO bzw. § 1062 Abs. 2 ZPO – eine Weltzuständigkeit deutscher Gerichte für Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO ergäbe (für eine Korrektur auf Ebene der Zuständigkeit Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1062, Rn. 11; Schwab/ Walter, 2005, Kap. 31, Rn. 7; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3891; für eine Korrektur auf Ebene des Rechtsschutzbedürfnisses MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1062, Rn. 14, Fn. 30; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1062, Rn. 4; Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 361; offenbar gegen eine Korrektur Schroeter, SchiedsVZ 2004, 288, 290). Nach a.A ist § 1032 Abs. 2 ZPO dagegen von vornherein nur bei einem inländischen Schiedssitz anwendbar (Wagner, in: Weigand, 2002, Rn. 84 folgert aus der Entstehungsgeschichte von § 1025 ZPO, dass der Verweis in § 1025 Abs. 2 ZPO auf § 1032 ZPO nur § 1032 Abs. 1 ZPO erfasse). 5 BGH, SchiedsVZ 2011, 281, Rn. 11. 6 BGH, NJW 2017, 3723 (zu § 1032 Abs. 2 ZPO); BGH, NJW 2017, 488 (zu § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO). 7 OLG München, SchiedsVZ 2014, 262, 264 (obiter); das gilt nunmehr nach BGH, BeckRS 2018, 15135, Rn. 9 auch für ein konkurrierendes Hauptsacheverfahren vor deutschen Gerichten, auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Antrags nach § 1032 Abs. 2 ZPO bereits die Schiedseinrede nach § 1032 Abs. 1 ZPO erhoben worden ist (so zuvor bereits z. B. MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 22; a. A. z. B. OLG München, SchiedsVZ 2011, 340, 341; OLG Naumburg, SchiedsVZ 2013, 237, 238; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1032, Rn. 12). 8 OLG München, BeckRS 2015, 02545 Rn. 64 ff. 9 Str. (vgl. oben Fn. 3).
112 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung Nr. 2 ZPO. Weiterhin muss der Antrag innerhalb eines Monats nach Mitteilung der schriftlichen Gründe des Schiedsgerichts für seinen Zwischenentscheid gestellt werden. Für die Auswirkungen, die der Erlass eines Schiedsspruchs in der Hauptsache und die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens vor ausländischen Gerichten auf das Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO haben, gelten die soeben zu § 1032 Abs. 2 ZPO dargestellten Grundsätze entsprechend. Die Entscheidungen nach § 1032 Abs. 2 ZPO10 und § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO11 entfalten in Deutschland materielle Rechtskraft. Wurde die Zuständigkeit des Schiedsgerichts darin bestätigt, ist auch das in der Hauptsache angerufene Gericht bei seiner Entscheidung über die Schiedseinrede nach § 1032 Abs. 1 ZPO daran gebunden.
b) England Vor englischen Gerichten kommt für die schiedszugewandte Partei ein Antrag nach s. 32 AA 1996 in Betracht, gerichtet auf die Feststellung (declaration) der Zuständigkeit (substantive jurisdiction)12 des Schiedsgerichts.13 Die internationale Zuständigkeit englischer Gerichte ist geknüpft an die rechtmäßige Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks (claim form)14 an den Antragsgegner. Diese beurteilt sich nach Teil 6 der CPR, den Practice Directions 6A und 6B sowie ungeschriebenen Regeln des englischen common law.15 Hiernach setzt die Zustellung im Inland bei einem claim in personam16 wie dem Antrag nach s. 32 AA 1996 insbesondere voraus, dass der 10 Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 197; BeckOK ZPO/Wolf/Eslami, 2019, § 1032, Rn. 42. Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1032, Rn. 14; Huber, SchiedsVZ 2003, 73, 74; Schroeter, SchiedsVZ 2004, 288, 295. 11 BGH, SchiedsVZ 2016, 339, 340; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1040, Rn. 12. 12 Definiert wird der Begriff der substantive jurisdiction in ss. 82, 30(1) AA 1996. Überprüft werden können danach insbesondere die Fragen der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede. 13 S. 32 AA 1996 ist gemäß s. 4(1) i. V. m. Schedule 1 AA 1996 zwingend. Ein Antrag nach s. 72(1) AA 1996 hat einen Antragsteller im Blick, der die Teilnahme am Schiedsverfahren verweigert, kommt also vorliegend nur für den Gerichtskläger in Betracht. S. 67(1) lit. a AA 1996 ähnelt auf den ersten Blick der Regelung in § 1040 Abs. 3. S. 2 ZPO. Aus dem Verweis auf s. 73(1) AA 1996, wonach der Antragsteller die Zuständigkeit des Schiedsgerichts von Beginn an beanstandet haben muss, folgt jedoch, dass auch ein dieser Antrag nur für einen Gerichtskläger in Betracht kommt. 14 Vgl. zum Inhalt ausführlich Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.11–3.30. 15 S. 2(1)–(2) und s. 2(4) i. V. m. s. 32 AA 1996 stellen Befugnisnormen dar, die die internationale Zuständigkeit englischer Gerichte nicht bestimmen, sondern voraussetzen (Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 112 f.). 16 Gemeint sind Verfahren, die auf die Klärung eines Rechtsstreits zwischen den Parteien gerichtet sind und die durch ein Urteil mit inter partes Wirkung abgeschlossen werden (Dicey/ Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 11-002). Abzugrenzen sind Klagen in rem
A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei
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Antragsgegner oder eine empfangsberechtigte Person zur Zeit der Zustellung in England anwesend war.17 Die Anforderungen unterscheiden sich danach, ob der Antragsgegner eine natürliche Person, eine Personengesellschaft (partnership) oder eine Kapitalgesellschaft (company) ist.18 Eine Zustellung im Ausland kommt ebenfalls in Betracht,19 erfordert aber grundsätzlich eine gerichtliche Erlaubnis (permission to serve out of jurisdiction).20 Ihre Erteilung setzt insbesondere voraus, dass der Antrag nach s. 32 AA 1996 hinreichende Aussicht auf Erfolg hat21 und England das natürliche Forum (natural forum) für die Austragung des Rechtsstreits ist.22 Letzteres ist der Fall, wenn der Rechtsstreit die engste Verbindung zu England aufweist.23 Sachlich und örtlich zuständig ist grundsätzlich24 der High Court in London.25 Neben der Zuständigkeit englischer Gerichte setzt die Befugnis, eine declaration nach s. 32 AA 1996 zu erlassen, gemäß s. 2(1) AA 1996 voraus, dass der Sitz des Schiedsgerichts im Inland liegt. Wurde ein Schiedssitz bisher weder gewählt noch bestimmt, kommt eine Feststellung nach s. 32 AA 1996 gemäß s. 2(4) AA 1996 nur in Betracht, wenn sie der Unterstützung des Schiedsverfahrens dient und ein hinreichender Inlandsbezug besteht. Darüber hinaus muss der Antrag grundsätzlich mit schriftlichem Einverständnis aller Parteien erfolgen, s. 32(2) lit. a AA 1996. Mit einem Einverständnis des Gerichtsklägers ist hier freilich nicht zu rechnen. Der Antrag nach s. 32 AA 1996 muss dann mit Erlaubnis des Schiedsgerichts und ohne Verzögerung gestellt worden sein. Außerdem muss die beantragte declaration voraussichtlich zu einer erheblichen Kostenersparnis führen und für eine staatliche Intervention vor Abschluss des Schiedsverfahrens berechtigter Anlass bestehen (good reason), s. 32(2) lit. b AA 1996. (claim in rem), also Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf Schiffe, Luftfahrzeuge bzw. deren Fracht (vgl. die abschließende Auflistung in s. 20 Senior Courts Act 1981). Diese werden mit einem Urteil abgeschlossen, das zwar nur in die streitbefangene Sache vollstreckt werden kann, insoweit aber erga omnes-Wirkung entfaltet (Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 13-002). 17 Die Anforderungen an die Zustellung des claim form im Inland sind in r. 6.3–6.19 CPR geregelt. 18 Vgl. hierzu ausführlich Van Lith, Jurisdiction, 2009, 189–205. 19 Vgl. r. 6.30–6.47 CPR. 20 Vgl. r. 6.36 CPR. und die Ausnahmen in r. 6.32 CPR und r. 6.33 CPR. 21 Die Darlegungslast trägt der Antragsteller, r. 6.37(1) lit. b CPR. 22 Vgl. r. 6.37(3) CPR. 23 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 4.22. 24 Gemäß s. 5 Allocation of Arbitration Proceedings Order 1996 kann unter bestimmten Umständen auch der Central London County Court (Business List) zuständig sein. Soweit ersichtlich erfolgten aber faktisch bisher alle Entscheidungen durch den High Court (Esso Exploration & Production UK Ltd v Electricity Supply Board [2004] EWHC 723; Film Finance Inc v Royal Bank of Scotland [2007] 1 Lloyd’s Rep 693 (EWHC); Elektrim SA v Vivendi Universal SA [2007] 1 Lloyd’s Rep 693 (EWHC); Five Oceans Salvage Ltd v Wenzhou Timber Group Co [2012] 1 Lloyd’s Rep 289 (EWHC)). 25 Vgl. s. 2 Allocation of Arbitration Proceedings Order 1996.
114 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung Nach dem gesetzgeberischen Willen sollen Entscheidungen nach s. 32 AA 1996 die Ausnahme sein.26 Ursprünglich betonten englische Gerichte den abschließenden Charakter von s. 32 AA 1996.27 Nach neuerer Rechtsprechung erlassen sie declarations jedoch auch außerhalb der Grenzen von s. 32 AA 1996, wenn ein inländisches Schiedsverfahren mit einem ausländischen Gerichtsverfahren konkurriert und sich die beantragte Feststellung als Unterstützung bei der Durchsetzung der Schiedsvereinbarung darstellt.28 Zugrunde liegt das Verständnis, dass die Befugnis englischer Gerichte nach s. 32 AA 1996 als Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot gerichtlicher Interventionen konzipiert ist.29 Als solche muss sie zwar prinzipiell restriktiv ausgelegt werden. Stellt sich die gerichtliche Feststellung aber nicht als Intervention, sondern als Unterstützung des Schiedsgerichts bei der Durchsetzung der Schiedsabrede dar, besteht aus Sicht englischer Gerichte kein Anlass für Zurückhaltung.30 Gleich ob sie nach s. 32 AA 1996 oder nach englischem common law erlassen wurden, entfalten declarations englischer Gerichte bezüglich der substan26 UK Departmental Advisory Committee on Arbitration Law, Report on the Arbitration Bill 1996, Arb. Int. 1997, 275, Rn. 147 („It is anticipated that the Courts will take care to prevent this exceptional provision from becoming the normal route for challenging jurisdiction“). 27 ABB Lummus Global Ltd v Keppel Fels Ltd [1999] 2 Lloyd’s Rep 24 (EWHC) (nach Einleitung des Schiedsverfahrens ist ein Antrag auf Feststellung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts nur in den Grenzen von s. 32 AA 1996 möglich); Vale do Rio Doce Navagaçao SA v Shanghai Bao Steel Ocean Shipping Co Ltd [2000] 2 Lloyd’s Rep 1, Rn. 53 (EWHC) (obiter) (auch in der Zeit vor Einleitung des Schiedsverfahrens ist s. 32 AA 1996 abschließend). 28 Vgl. für Feststellungen vor Einleitung des Schiedsverfahrens Navigation Maritime Bulgare v Rustal Trading Ltd and Others (The „Ivan Zagubanski“) [2002] 1 Lloyd’s Rep 106, Rn. 54 (EWHC); Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd v New India Association Co Ltd (No 1) [2004] EWCA Civ 1598, Rn. 64 f.; West Tankers Inc v RAS Riunione Adriatica di Sicurta SpA, Generali Assicurazioni Generali SpA [2007] EWHC 2184, Rn. 2, 5 (bei Antragstellung lief ein Schiedsverfahren zwischen West Tankers und Erg, aber nicht zwischen West Tankers und den italienischen Versicherern. Die declaration wurde nicht mit dem Rechtsmittel zum House of Lords angegriffen, das in der Vorlage an den EuGH mündete); AES Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant LLP ./. Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant JSC [2013] UKSC 35, Rn. 39, 40, 42; vgl. für Feststellungen nach Einleitung des Schiedsverfahrens, losgelöst von den Voraussetzungen des s. 32 AA 1996 Steamship Mutual Underwriting v Sulpicio Lines [2008] 2 Lloyd’s Rep. 268 (EWHC); National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWHC 196 (zwar aufgehoben durch den Court of Appeal in National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 76, aber nicht, weil die Voraussetzungen nach s. 32 AA 1996 nicht vorlagen, sondern weil die res iudicata einer spanischen Entscheidung der Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede entgegenstand); ausführlich zum Ganzen Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 133.28 ff.; Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 123; Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 15.07; Raphael, Anti-Suit Injunction. Upd. Suppl., 20010, Rn. 15.07. 29 Vgl. s. 1(c) AA 1996. 30 Vgl. Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 15.06 f.; Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 114; Channel Tunnel Group Ltd v Balfour Beatty Construction Ltd [1993] AC 334, 363 f. (UKHL); Lesotho Highlands [2005] UKHL 43, Rn. 18 (Lord Steyn).
A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei
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tial jurisdiction des Schiedsgerichts materielle Rechtskraft (res judicata).31 Sie greift im staatlichen Hauptsacheverfahren im Rahmen der Entscheidung über die Schiedseinrede (s. 9(1) AA 1996) über den Mechnismus des issue estoppel. Wurde mit der declaration die Zuständigkeit des Schiedsgerichts festgestellt, ist es dem Gerichtskläger verwehrt, sich auf eine abweichende Beurteilung zu berufen.
c) Frankreich Im französischen Schiedsverfahrensrecht, das die Befugnisse staatlicher Gerichte abschließend regelt,32 ist der Erlass isolierter Feststellungen über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht vorgesehen; hierauf gerichete Klagen werden von französischen Gerichten als unzulässig abgewiesen.33 Ihre Letztentscheidungskompetenz bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede üben französische Gerichte grundsätzlich erst nach Abschluss des Schiedsverfahrens aus – bei inländischen Schiedssprüchen im Rahmen der Aufhebungsklage (Art. 1492 Nr. 1 bzw. 1520 Nr. 1 CCP), bei ausländischen Schiedssprüchen im Rahmen der Entscheidung über die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung (Art. 1525 Abs. 4, 1520 Nr. 1 CCP).34
2. Einsatz der Rechtskraft der Feststellungsentscheidung im Gerichtsstaat zur Unterbindung des staatlichen Parallelverfahrens Sofern die schiedszugewandte Partei vor den Gerichten des Schiedsstaats oder eines dritten Mitgliedstaats eine rechtskräftige Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede erwirken kann, bleibt zu untersuchen, ob sich diese eignet, um das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat zu unterbinden. Denkbar ist das über die materielle Rechtskraftwirkung der Feststellungsentscheidung. Das setzt aber voraus, dass diese im Gerichtsstaat auch anerkennungsfähig ist. Wie ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO klarstellt, sind die Bestimmungen der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung auf Entscheidungen über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nicht anwendbar (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO). Die Anerkennung der Feststellungsentscheidung beurteilt sich mithin nach einzelstaatlichem Recht, einschließlich 31 Vgl. Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 15.04; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 156. 32 TGI Paris, 22.11.1989, Rev. arb. 1990, 693 – Sté Acteurs Auteurs Associé v. Sté Herndale Film Corporation. 33 Cass. 2ème civ., 10.5.1995, Nr. 93-12676, Rev. arb. 1995, 617 – Coprodag; Cass. 1ère civ., 5.1.1999, Nr. 96-21430, Rev. arb. 1999, 260 – Zanzi. 34 Vgl. zu der französischen Konzeption von der Autonomie der Schiedsgerichtsbarkeit Racine, Rev. arb. 2005, 305, 305–360; Gaillard, JDI 2007, 1163, 1163–1173; Gaillard, Aspects philosophiques du droit de l’arbitrage international, 17–218.
116 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung eventuell anwendbarer Staatsverträge.35 Untersucht werden deutsches (a)), englisches (b)) und französisches Recht (c)).
a) Deutschland Sofern kein vorrangiger Staatsvertrag eingreift, beurteilt sich in Deutschland die Anerkennung ausländischer Gerichtsurteile nach § 328 ZPO. Umstritten ist bereits, ob die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung ein Urteil i. S. d. Norm darstellt.36 Die Qualifikation des Urteilsbegriffs in § 328 ZPO richtet sich nach der lex fori des Anerkennungsstaats, vorliegend also nach deutschem Recht.37 Erfasst werden danach nur Sachentscheidungen, keine Entscheidungen über prozessuale Fragen.38 Die Oberlandesgerichte München39 und Köln40 sowie ein Teil der Literatur41 qualifizieren Feststellungsentscheidungen über die Wirksamkeit und 35 Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 15.23; so auch bereits die h. M. zur alten Rechtslage Schlosser-Bericht, 1978, Rn. 64; Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 121; Marc Rich & Co AG v Soc Italiana Impianti pA (The „Atlantic Emperor“) (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep. 624 (EWCA); CA Paris, 15.6.2006, Rev. arb. 2007, 87 – Fincantieri; Hascher, Arb. Int. 13 (1997), 33, 42; Schroeter, SchiedsVZ 2004, 288, 295; Van Houtte, Arb. Int. 21 (2005), 509, 514; Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 516, 1012; Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 351; Möller, in: FS Bogdan, 2013, S. 383; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 97; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 139; a. A. Partenreederei M/S Heidberg & others v Grosvenor Grain and Feed Co Ltd & others (The „Heidberg“) (No 2), [1994] 2 Lloyd’s Rep. 287, 313 (EWHC). 36 Dagegen OLG München, BeckRS 2002 30470727, B.I.1; OLG Köln, BeckRS 2015, 10334, Rn. 31; Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 352; Solomon, in: Schmidt-Kessel, 2014, S. 91; Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Kröll, 2015, § 1061, Rn. 61. Vgl. auch Linke/Hau, IZVR, 2015, Rn. 12.32; dafür OLG Bremen, BB 2000, Beilage 50, S. 18, Rn. 20; KG, SchiedsVZ 2007, 100, Rn. 17; Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 329 (ohne Begründung); Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1032, Rn. 51 (ohne Begründung); Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3942, 1877, 1873h; Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S. 302 (ohne Begründung); Zöller/Geimer, 2018, § 1032 Rn. 28 (ohne Begründung). 37 Martiny, Hdb. IZVR III/1, 1984, Rn 463. 38 BGH, NJW 1985, 552, 553; OLG Hamburg, NJW‑RR 2013, 629, 632; Stein/Jonas/ Roth, 2015, § 328, Rn. 55; MüKo ZPO/Gottwald, 2016, § 328, Rn 58; Musielak/Voit/Stadler, 2019, § 328, Rn. 5; Thomas/Putzo/Hüßtege, 2019, § 328, Rn. 2; Zöller/Geimer, 2018, § 328, Rn. 39; Linke/Hau, IZVR, 2015, Rn. 12.32; Kallweit, JURA 31 (2009), 585, 588; Wieczorek/Schütze/Schütze, 2015, § 328, Rn. 14; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 2788; Martiny, Hdb. IZVR III/1, 1984, Rn. 474. 39 OLG München, BeckRS 2002 30470727, B.I.1. 40 OLG Köln, BeckRS 2015, 10334, Rn. 31. 41 Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte, 2009, 352; Solomon, in: Schmidt-Kessel, 2014, S. 91; Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Kröll, 2015, § 1061, Rn. 61; vgl. auch Linke/Hau, IZVR, 2015, Rn. 12.32: Im Ausland ergangene Entscheidungen zur internationalen (Un-)Zuständigkeit sind für den deutschen Richter nicht präjudizierend. Dieser hat Zuständigkeitsfragen eigenständig zu prüfen und kann dabei auch
A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei
117
Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung als Entscheidungen über prozessuale Fragen, die einer Anerkennung nach § 328 ZPO nicht zugänglich sind. Das OLG Bremen42 und das KG Berlin43 sahen sich in zwei Entscheidungen hingegen nach Maßgabe von § 328 ZPO an derartige Feststellungen gebunden; ihre Qualifikation als Sachentscheidung setzten sie hierbei stillschweigend voraus.44 Letzteres findet im Schrifttum ebenfalls Zuspruch.45 Die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede betrifft die Frage, wer für die Entscheidung über den Rechtsstreit in der Hauptsache sachentscheidungsbefugt ist. Nach deutschem Verständnis ist das eine prozessuale, keine materielle Frage.46 Geimer möchte derartige Feststellungen gleichwohl als Sachentscheidungen qualifizieren.47 Maßgeblich sei allein, dass das Erstgericht über den Streitgegenstand des Erstverfahrens entschieden habe. Die Entscheidung über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede im isolierten Feststellungsverfahren unterscheide sich insofern von der Entscheidung über die Schiedseinrede im Hauptsacheverfahren. Denn während die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede dort lediglich Vorfrage sei, sei sie hier Hauptfrage des Verfahrens. Die Ansicht Geimers erscheint bedenklich. Nicht umsonst gilt in Deutschland das Verbot des Doppelexequaturs:48 Es soll verhindert werden, dass die Anerkennungsvoraussetzungen des deutschen Rechts umgangen werden können. Denn in Deutschland gilt der Grundsatz, dass der Staat kraft seiner Souveränität selbst festlegen können muss, welche ausländischen Entscheidungen auf zu dem jeweils entgegengesetzten Ergebnis gelangen. So z. B., wenn ein russisches Gericht die Klage wegen einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten deutscher Gerichte abweist. Die Entscheidung ist zwar beachtenswert, im deutschen Verfahren aber nicht bindend. 42 OLG Bremen, BB 2000, Beilage 50, S. 18, Rn. 20. 43 KG, SchiedsVZ 2007, 100, Rn. 17. 44 In beiden Entscheidungen hätte die Anerkennungsfrage nicht gestellt werden dürfen. Die Frage der Bindung an die ausländische Entscheidung stellte sich jeweils im Rahmen eines Verfahrens auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs nach der NYK. Deutsche Gerichte entscheiden jedoch originär und nach eigenem Recht, ob die Wirkung ausländischer Entscheidungen auf inländisches Hoheitsgebiet erstreckt wird (Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3939 ff.). 45 Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 329 (ohne Begründung); Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1032, Rn. 51 (ohne Begründung); Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3942, 1877, 1873h; Geimer, in: FS Kaissis, 2012, S. 302 (ohne Begründung); Zöller/Geimer, 2018, § 1032 Rn. 28 (ohne Begründung). 46 Vgl. nur §§ 12 ff. ZPO. 47 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3942, 1877, 1873h. 48 BGH, NJW 2009, 2826, Rn. 12; MüKo ZPO/Gottwald, 2016, § 722, Rn. 32; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1061, Rn. 33 f.; Martiny, Hdb. IZVR III/1, 1984, Rn. 371 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 158, Rn. 3; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55.5, 57.1; Zöller/Geimer, 2018, § 722, Rn. 12, 21; Saenger-ZPO/Kindl, 2019, § 723, Rn. 8; Anderegg, Anm. zu LG Hamburg, 7.7.1987 – 30 O 23/87, RabelsZ 53 (1989), 171 ff.; aA Schütze, in: FS Spellenberg, 2010, S. 511–521.
118 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung seinem Hoheitsgebiet Wirkung entfalten.49 Das könnte aber nicht gewährleistet werden, wenn die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch ausländische Gerichte als Sachentscheidung qualifiziert würde, die einer Anerkennung nach § 328 ZPO zugänglich ist. Denn sofern keine Versagungsgründe vorliegen, hätte das ausländische Gericht mit der isolierten Feststellung für deutsches Hoheitsgebiet verbindlich über einzelne Versagungsgründe für die Vollstreckbarerklärung des (künftigen) HauptsacheSchiedsspruchs entschieden – namentlich über das Nichteingreifen von Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK, § 1061 Abs. 1 ZPO. Dem könnte man zwar mit einer differenzierenden Betrachtung begegnen, nach der ein Zweitgericht, anders als ein Erstgericht die Anerkennungsfrage nicht stellen darf.50 Die Folgen wären aber nicht weniger bedenklich: Ein in Deutschland in der Hauptsache angerufenes Gericht müsste die Parteien – sofern keine Versagungsgründe nach § 328 Abs. 1 ZPO vorliegen – wegen der Bindung an die ausländische Feststellung gemäß § 1032 Abs. 1 ZPO auf das ausländische Schiedsverfahren verweisen.51 Den Gerichtskläger, der dem nachkommt und anschließend die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Haupt49 BGH, NJW 2009, 2826, Rn. 12; Zöller/Geimer, 2018, § 328 Rn. 64, § 722, Rn. 21, § 1061, Rn. 8. 50 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3939 ff. 51 § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO: Die Anerkennungszuständigkeit für eine isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung beurteilt sich nicht nach dem Brüssel-System, sondern nach einzelstaatlichem Recht, Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO. Danach war das Erstgericht dann international zuständig, wenn der Schiedssitz im Erststaat liegt und die ausländische Feststellungsentscheidung aus einem Verfahren stammt, das mit dem in § 1032 Abs. 2 oder § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO geregelten funktional vergleichbar ist (§ 1025 Abs. 1 bzw. 1062 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Liegt der Schiedssitz außerhalb des Erststaats, kommt eine Anerkennungszuständigkeit ebenfalls in Betracht. Das Verfahren, aus dem die Feststellung stammt, muss dann aber mit dem in § 1032 Abs. 2 ZPO geregelten funktional vergleichbar sein (§ 1025 Abs. 2 bzw. 1062 Abs. 2 ZPO). Ist das Verfahren dagegen mit § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO funktional vergleichbar, fehlt dem Erstgericht aus deutscher Sicht die internationale Zuständigkeit (§ 1025 Abs. 1 bzw. 1062 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Folgt man der Ansicht, welche die anderfalls bestehende Weltzuständigkeit deutscher Gerichte für Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO auf Ebene der Zuständigkeit korrigiert, ist weiterhin erforderlich, dass der Rechtsstreit einen hinreichenden Bezug zum Erststaat aufweist (vgl. zum Ganzen mit Nachweisen Teil 3 A.II.1.a)). § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO: Eine révision au fonds durch das Zweitgericht ist unzulässig. Aufgrund des ordre public-Vorbehalts darf die Anerkennung daher nur in krassen Ausnahmefällen versagt werden (Stein/Jonas/Roth, 2015, § 328, Rn. 100). Der bloße Einwand, das Erstgericht habe im isolierten Feststellungsprozess auf BegründetheitsEbene die Schiedsabrede falsch ausgelegt oder sei zu Unrecht von dessen Wirksamkeit ausgegangen, stellt keinen derartigen Ausnahmefall dar (vgl. OLG Bremen, BB 2000, Beilage 50, S. 18, Rn. 20). Zur Sicherung des Verbots der Zwangsschiedsgerichtsbarkeit nehmen diejenigen, die die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede als Sachentscheidung qualifizieren, einen ordre public-Verstoß aber dann an, wenn die Gültigkeit der Schiedsabrede oder ihre Anwendbarkeit vom ausländischen Gericht mit offensichtlich unhaltbaren Argumenten bejaht worden ist (Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3943; Schlosser, Internationale private Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, Rn. 884).
A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei
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sache-Schiedsspruchs in Deutschland begehrt, erwartet nun eine böse Überraschung. Denn anders als das ursprünglich angerufene Hauptsachegericht dürfte das deutsche Exequaturgericht nach der differenzierenden Betrachtung die Anerkennungsfrage bezüglich der isolierten Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede nicht stellen. Auch eine Bindung an das inländische, klageabweisende Prozessurteil durch das Hauptsachegericht scheidet aus, weil dieses über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede selbst nicht entschieden hat. Gelangt das Exequaturgericht bei eigenständiger Würdigung zu dem Ergebnis, dass der Rechtsstreit nicht schiedsfähig ist oder nicht von einer wirksamen Schiedsabrede umfasst wird, müsste es folglich die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs gemäß Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c NYK auf Antrag bzw. gemäß Art. V Abs. 2 lit. a NYK von Amts wegen versagen. Damit hätten deutsche Gerichte die Parteien für die Entscheidung des Rechtsstreits zunächst auf das ausländische Schiedsverfahren verwiesen, um sodann dem Hauptsache-Schiedsspruch aus eben jenem Verfahren wegen Unzuständigkeit des Schiedsgerichts die Anerkennung zu versagen. Das widerspricht – in den Worten Habscheids –52 der Raison d’être des Rechts auf Zugang zu den Gerichten. Denn jede Rechtsordnung, die rechtsstaaatlichen Anforderungen entsprechen will, muss ihren Gerichtsunterworfenen auf inländischem Hoheitsgebiet eine sachlichrechtliche Entscheidung ihres Rechtsstreits garantieren – sei es durch eine inländische Entscheidung oder durch die Anerkennung einer ausländischen. Die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede ist damit als Entscheidung über eine prozessuale Frage zu qualifizieren, die einer Anerkennung nach § 328 ZPO nicht zugänglich ist.
b) England In England bestehen für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen prinzipiell drei Rechtsregime: der Administration of Justice Act 1920, der innerhalb der EU für Entscheidungen aus Zypern und Malta in Betracht kommt;53 der Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933, der Entscheidungen aus Staaten erfasst, mit denen ein bilaterales Abkommen geschlossen wurde;54 und die Anerkennung nach common law.55 Der Adminis52
Habscheid, in: FS Nakamura, 1996, S. 205. Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.86, Fn. 737. 54 Vgl. Abkommen v. 14.7.1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1961 II 301 und für bilaterale Abkommen mit EU‑Mitgliedstaaten; Abkommen v. 18.1.1934 zwischen dem Vereinigten Königreich Großbritannien und der Republik Frankreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Treaty Servcies No. 18 (1936), Cmd. 5235. 55 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 629. 53 Vgl.
120 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung tration of Justice Act 192056 und der Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 193357 sind nur auf Zahlungstitel, damit nicht auf die hier betrachtete Feststellungsentscheidung anwendbar.58 Mit Blick auf das letzte Statut stellt sich zwar die Frage, ob dann, wenn mit dem Ursprungsstaat ein spezielles Abkommen nicht nur über die Vollstreckung,59 sondern auch über die Anerkennung ausländischer Entscheidungen geschlossen wurde, unmittelbar auf das jeweils einschlägige Abkommen abzustellen ist.60 Die Frage kann hier aber dahinstehen, da die Anforderungen nach diesen bilateralen Abkommen denen für eine Anerkennung nach common law weitgehend entsprechen.61 Danach muss es sich bei der anzuerkennenden Entscheidung um eine solche handeln, die instanzbeendend (final and conclusive) und in der Sache (on the merits) durch ein Gericht getroffen wurde, das nach englischem Recht international zuständig war (international jurisdiction).62 Darüber hinaus dürfen keine gesetzlich bzw. richterrechtlich anerkannten Versagungsgründe (defences) eingreifen. Näherer Untersuchung bedürfen vorliegend die Erfordernisse der Sachentscheidung (aa)) und der internationalen Zuständigkeit (bb)). Als potentielle Anerkennungsversagungsgründe werden positivrechtlich s. 32(1) Act 1982 (bb)) und richterrechtlich der ordre public-Vorbehalt untersucht (dd).63
aa) Sachentscheidung Zunächst müsste die Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung nach Maßgabe englischen Rechts eine Sachentscheidung darstellen. Für die Auslegung des Merkmals stellen englische Gerichte auf das Urteil des House of Lords in der Rechtssache The Sennar (No 2) ab: 56 Findet mit Blick auf EU‑Mitgliedstaaten Anwendung auf Entscheidungen aus Zypern und Malta (vgl. Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.86, Fn. 737). 57 Erfasst Entscheidungen aus Staaten, mit denen ein bilaterales Abkommen geschlossen wurde (vgl. für solche Abkommen mit EU‑Mitgliedstaaten oben Fn. 54). 58 S. 12(1) Administration of Justice Act 1920 („The expression judgment means any judgment […] by a court in any civil proceedings whereby any sum of money is made payable […].“); s. 1(2) lit. b Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 („[…] there is payable under it a sum of money […]“). 59 Im autonomen englischen Recht können nur solche ausländischen Gerichtsentscheidungen für vollstreckbar erklärt werden, die auf Zahlung eines bestimmten Geldbetrags (fixed some of money) lauten (Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 309). 60 Der Text der bilateralen Abkommen sieht eine Beschränkung auf Zahlungstitel vielfach nicht vor (vgl. z. B. Art. I Abs. 3 Abkommen v. 14.7.1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1961 II 301). 61 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.90. 62 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.46. 63 Vgl. zu den Versagungsgründen ausführlich Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.64–7.74.
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„Looking at the matter negatively a decision on procedure alone is not a decision on the merits. Looking at the matter positively a decision on the merits is a decision which establishes certain facts as proved or not in dispute; states the relevant principles of law applicable to such facts; and expresses a conclusion with regard to the effect of applying these principles to the actual situation concerned.“64
Auf dieser Grundlage qualifizieren englische Gerichte ausländische Entscheidungen über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung als Sachentscheidungen, die einer Anerkennung in England prinzipiell zugänglich sind.65
bb) Internationale Zuständigkeit Die Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede müsste weiterhin durch ein aus englischer Sicht international zuständiges Gericht erfolgt sein. Gegenstand des isolierten Feststellungsverfahrens ist die Abgrenzung der Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Gerichtsbarkeit. Dieser Gegenstand unterfällt – wie in ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO für Klagen im Zusammenhang mit der Durchführung eines Schiedsverfahrens bestätigt – der Schiedsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO. Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts beurteilt sich mithin nicht nach der Brüssel Ia-VO, sondern nach einzelstaatlichem Recht.66 Sofern kein vorrangiges Völkervertragsrecht greift, sind die ungeschriebenen Regeln des englischen international private law anwendbar. Handelt es sich – wie bei der Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung – um ein judgment in personam, war das Erstgericht international zuständig, wenn die unterlegene Person im Erstverfahren die Rolle eines Klägers oder Widerklägers eingenommen hat (Fall 1), der unterlegene Beklagte bei Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Erststaat anwesend war (Fall 2), die Parteien die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Erststaats vereinbart haben (Fall 3) oder der unterlegene Beklagte sich auf das Verfahren 64 DSV Silo- und Verwaltungsgesellschaft mbH v the Owners of the Sennar (The „Sennar“) (No 2) [1985] 1 Lloyd’s Rep 521 (UKHL, Lord Brandon) (im konkreten Fall bejahte das House of Lords die Sachqualität einer niederländischen Entscheidung, mit der sich das Gericht aufgrund einer exklusiven Gerichtsstandsabrede zugunsten sudanesischer Gerichte für unzuständig erklärt hatte). 65 Marc Rich & Co AG v Soc Italiana Impianti pA („The Atlantic Emperor“) (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep. 624 (EWCA) (Anerkennung einer italienischen Entscheidung, mit der festgestellt worden war, dass zwischen den Parteien keine wirksame Schiedsvereinbarung besteht); CHF Chevreau Haeute und Felle AG v Conceria Vignola Nobile [2000] All ER 1841 (EWHC) (Anerkennung einer italienischen Entscheidung, mit der das Gericht der Schiedseinrede stattgegeben hat). 66 Im Ergebnis ebenso Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 13.23; Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 50 (2014), 5, 17; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 133, Fn. 21.
122 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung im Erststaat eingelassen hat (Fall 4).67 Andere Anknüpfungspunkte für die Begründung der internationalen Anerkennungszuständigkeit sind dem autonomen englischen Recht unbekannt.68 Fall 1 scheidet vorliegend aus, weil der Gerichtskläger im isolierten Feststellungsverfahren die Rolle eines Beklagten, nicht eines Klägers oder Widerklägers eingenommen hat. Dass die Parteien die internationale Zuständigkeit staatlicher Gerichte für die Entscheidung über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede regeln (Fall 3), ist in der Praxis jedenfalls unüblich. Denn bei Abschluss der Schiedsvereinbarung haben die Parteien nicht die Prorogation, sondern die Derogation der Zuständigkeit staatlicher Gerichte im Sinn. Daher wird regelmäßig auch die Konstruktion einer konkludenten Gerichtsstandsabrede durch die Wahl eines bestimmten Schiedssitzes ausscheiden. Das gilt umso mehr, als die nationalen Schiedsverfahrensgesetze am Sitz des Schiedsgerichts bereits kraft Gesetzes eine internationale Zuständigkeit des juge d’appui vorsehen.69 Dass sich der Gerichtskläger auf das isolierte Feststellungsverfahren im Schiedsstaat bzw. in einem dritten Mitgliedstaat einlässt (Fall 4), ist bei einer gut beratenen Partei ebenfalls nicht zu erwarten. Regelmäßig wird sich die Frage der internationalen Anerkennungszuständigkeit daher anhand von Fall 2 entscheiden. Maßgeblich ist dann, ob der Gerichtskläger im Erststaat anwesend war als das Schriftstück zugestellt wurde, mit dem die isolierte Feststellungsklage eingeleitet wurde.70
cc) Eingreifen von s. 32 Act 1982? Als potentielle defence kommt s. 32(1) Act 1982 in Betracht. Danach ist die Anerkennung einer ausländischen Gerichtsentscheidung unter anderem dann zu versagen, wenn sie in einem Verfahren ergangen ist, das unter Verletzung einer wirksamen sowie durchführbaren Schiedsabrede eingeleitet wurde und wenn die unterlegene Partei das Verfahren weder eingeleitet noch sich darauf eingelassen hat.71 Die Einleitung eines Gerichtsverfahrens, in dem isoliert die Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede begehrt wird, verletzt jedoch auch aus englischer Sicht nicht die Schiedsvereinbarung. Das belegen nicht zuletzt die zahlreichen Entscheidungen, in denen englische Gerichte – in67 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.47; vgl. auch Fricke, Anerkennungszuständigkeit, 1990, 14. 68 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.60. 69 Vgl. z. B. § 1025 Abs. 1 ZPO; s. 2(1) 1996. 70 Vgl. ausführlich zu den Anforderungen, je nachdem ob der Gerichtskläger eine natürliche Person, eine partnership oder eine company ist Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.48–7.50; Van Lith, Jurisdiction, 2009, 189–205. 71 Vgl. ausführlich zu s. 32 Act 1982 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 14-098 f.; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws. Fourth Suppl., 2017, Rn. 14-098 f.
A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei
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nerhalb wie außerhalb der Grenzen von s. 32(1) AA 1996 – trotz und gerade wegen einer aus ihrer Sicht anwendbaren Schiedsabrede die Zuständigkeit des Schiedsgerichts festgestellt haben.72 Darüber hinaus kann s. 32(1) 1982 Act der Anerkennung eines ausländischen Gerichtsurteils nur entgegenstehen, wenn aus englischer Sicht die Schiedsvereinbarung wirksam und anwendbar ist. Hier wird aber gerade der Fall untersucht, dass das staatliche Parallelverfahren in der Hauptsache vor einem englischen Gericht stattfindet, das bei originärer Prüfung die Schiedsabrede für unwirksam bzw. unanwendbar erklären würde. Andernfalls kommt es nämlich nicht darauf an, ob sich der Schiedskläger in England auf die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch ein ausländisches Gericht berufen kann.
dd) Verletzung der öffentlichen Ordnung? Schließlich könnte der isolierten Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede wegen Verletzung der englischen public policy die Anerkennung zu versagen sein.
(1) Entscheidungskollisionen Die Kollision des anzuerkennenden Judikats mit einer inländischen Entscheidung kann in England wegen Verletzung der doctrine of res judicata einen ordre public-Verstoß darstellen – dies allerdings im Unterschied zu § 328 Abs. 1 Nr. 3 Var. 1 ZPO nur, wenn die englische Entscheidung früher und durch ein zuständiges Gericht ergangen ist.73 Hat also vorliegend zuerst ein englisches Gericht entschieden, dass die Schiedsvereinbarung unwirksam bzw. unanwendbar ist, würde der gegenteiligen Feststellung des ausländischen Gerichts in England die Anerkennung versagt werden.74 Entsprechendes gilt für eine Kollision der anzuerkennenden Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung mit einer gegenläufigen, in England zuerst anerkennungsfähigen Feststellung durch Gerichte eines dritten Staates. Der Einwand der früheren inländischen Rechtshängigkeit – der in Betracht käme, wenn ein isoliertes Feststellungsverfahren über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts zuerst in England rechtshängig war – begründet im englischen Recht keinen Anerkennungsversagungsgrund.75
72 73
Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.1.c). Vervaeke v Smith [1983] 1 AC 145 (UKHL) (judgment in rem); ED & F Man Sugar Ltd v Haryanto (No 2) [1991] 1 Lloyd’s Rep. 429 (EWCA) (judgment in personam). 74 Vgl. National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 6, 41–42, 63, (Waller LJ). 75 Vgl. dagegen § 328 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3 ZPO.
124 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung (2) Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz Auch im englischen Anerkennungsrecht gilt das Verbot der révision au fond. Das heißt die anzuerkennende Entscheidung darf grundsätzlich weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht überprüft werden.76 Dass der Entscheidung falsche Tatsachen oder eine fehlerhafte rechtliche Bewertung zugrunde liegen, stellt für sich genommen keinen tauglichen Versagungsgrund dar.77 Etwas anderes gilt nur, soweit die Anerkennung der Entscheidung einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung Englands darstellen würde – ein Tatbestand, der lediglich Ausnahmefälle erfasst und eng ausgelegt wird.78 Vor diesem Hintergrund vermag der bloße Einwand, das Erstgericht habe die Schiedsvereinbarung fehlerhaft ausgelegt bzw. ihrer Beurteilung falsche Tatsachen zugrunde gelegt, für sich genommen eine Anerkennungsversagung nicht zu rechtfertigen. Von einer anderen Qualität wäre jedoch der Einwand, durch die Anerkennung der ausländischen Feststellung werde der Gerichtskläger in seinem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz verletzt: Das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz (right to a public trial) genießt auch in England den Status eines Justizgrundrechts.79 Die Parteien können hierauf nur im Umfang einer wirksamen und durchführbaren Schiedsvereinbarung verzichten.80 Im Unterschied zum deutschen Recht81 muss es aber nicht zwingend ein englisches Gericht sein, das die Wirksamkeit des Rechtsschutzverzichts absegnet.82 Vielmehr kann auch die Überprüfung durch ein ausländisches 76
Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.46. Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.46. 78 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 14R-152 ff. 79 Der Human Rights Act 1998 setzt die EMRK in nationales Recht um, somit auch Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 7.72). 80 Stretford v Football Association Ltd [2007] 2 Llod’s Rep. 31 (EWCA); El Nasharty v J Sainsbury Plc [2007] EWHC 2618. 81 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.a. 82 CHF Chevreau Haeute und Felle AG v Conceria Vignola Nobile [2000] All ER 1841 (EWHC) (die Anerkennung einer italienischen Entscheidung, mit der einer Schiedseinrede stattgegeben wurde, löste auch im englischen Hauptsacheverfahren einen issue estoppel aus). Vgl. für den Fall, dass das ausländische Gericht den Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz für unwirksam erklärt hat Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Ltd (No 1) [1983] 1 All ER 404 (EWHC) (Anerkennung einer Schweizer Entscheidung über die Unwirksamkeit einer Schiedsabrede wurde versagt, allerdings nur weil die defence nach s. 32(1) Act 1982 einschlägig war); Marc Rich & Co AG v Soc Italiana Impianti pA (The „Atlantic Emperor“) (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep. 624 (EWCA) (Anerkennung einer italienischen Entscheidung, nach der zwischen den Parteien keine wirksame Schiedsvereinbarung bestand); Partenreederei M/S Heidberg & others v Grosvenor Grain and Feed Co Ltd & others (The „Heidberg“) (No 2), [1994] 2 Lloyd’s Rep. 287 (EWHC) (Anerkennung einer französischen Entscheidung, wonach eine Schiedsklausel zugunsten Londons nicht wirksam in den Vertrag inkorporiert wurde, allerdings nach EuGVÜ); National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397 (Anerkennung einer spanischen Zwischentscheidung über die Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung löste im englischen Verfahren einen issue estoppel aus, Anerkennung allerdings nach der Brüssel I‑VO). 77
A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei
125
Gericht ausreichen, sofern das Erstgericht aus englischer Sicht für die Entscheidung über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung international zuständig war und auch die sonstigen Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt sind. Ist das der Fall, erstrecken sich die Wirkungen der ausländischen Feststellung auf englisches Hoheitsgebiet. Auch für dieses steht also fest, dass die Parteien für die Entscheidung ihres Rechtsstreits die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts vereinbart und insoweit auf ihr right to a public trial verzichtet haben.83 In der Tat ist es dem Gerichtskläger dann verwehrt, sich im staatlichen Parallelverfahren vor einem englischen Hauptsachegericht auf die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede zu berufen (issue estoppel). Der Schiedseinrede der schiedszugewandten Partei ist nach Maßgabe von s. 9(1) i. V. m. s. 2(2) lit. a AA 1996 stattzugeben.
c) Frankreich Ist Frankreich Gerichtsstaat, kommt es auf die Möglichkeit der schiedszugewandten Partei, sich im staatlichen Parallelverfahren auf die Rechtskraft einer Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung durch ein ausländisches Gericht zu berufen, in aller Regel nicht an. Denn gemäß Art. 1448 i. V. m. 1506 Abs. 1 CPC muss sich das französische Hauptsachegericht bei Erhebung der Schiedseinrede durch die schiedszugewandte Partei ohnehin für unzuständig erklären und die Parteien auf das Schiedsverfahren verweisen, ohne die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede prüfen zu können; etwas anderes gilt nur, wenn die schiedszugewandte Partei das Schiedsgericht in der Hauptsache noch nicht angerufen hat und die Schiedsvereinbarung offensichtlich unwirksam bzw. unanwendbar ist. Darüber hinaus wird in Frankreich ausländischen Gerichtsentscheidungen über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede wegen fehlender internationaler Zuständigkeit des Erstgerichts (compétence indirecte)84 und/ oder wegen Verletzung des ordre public international85 die Anerkennung versagt. Mit dem französischen Konzept der Autonomie der Schiedsgerichtsbarkeit sei die Anerkennung nicht vereinbar, insbesondere nicht mit dem Grund83 Die Grenze dürfte allerdings überschritten sein, wenn das Erstgericht das Bestehen der Schiedsvereinbarung bzw. ihre Anwendbarkeit mit offensichtlich unhaltbaren Argumenten bejaht hat. 84 Debourg, Rev. arb. 2016, 127, Rn. 91; Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567, Rn. 13; vgl. auch CA Paris, 15.6.2006, Rev. arb. 2007, 87 – Fincantieri (allerdings für den Fall, dass das ausländische Gericht den Rechtsstreit für nicht schiedsfähig, die Schiedsvereinbarung mithin für undurchführbar erklärt hat). 85 Niboyet, Rev. arb. 2012, 569, 573–586; Bollée, Rev. arb., 2007, 90, 93; Debourg, Rev. arb. 2016, 127, Rn. 91; Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567, Rn. 13. Vgl. CA Paris, 8.10.2013, Int J Arab Arbitration 2014, 59 – SA Iberia Lineas Aereas de Espana ./. SARL Pan Atlantic (allerdings für den Fall einer ausländischen Hauptsache-Entscheidung, die aus französischer Sicht unter Verletzung des Grund-satzes der negativen Kompetenz-Kompetenz ergangen war).
126 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung satz, dass das Schiedsgericht gemäß Art. 1448 i. V. m. 1506 Abs. 1 CPC bzw. nach Art. 1465 i. V. m. 1506 Abs. 3 CPC die exklusive Erstentscheidungskompetenz hinsichtlich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede genieße.86
d) Zwischenergebnis Ist Deutschland oder Frankreich Gerichtsstaat, ist die Erwirkung einer isolierten Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede vor Gerichten anderer Mitgliedstaaten ungeeignet, um das staatliche Parallelverfahren in der Hauptsache zu unterbinden. In Deutschland ist eine solche Feststellung der Anerkennung nach § 328 ZPO nicht zugänglich; es fehlt bereits am Merkmal der Sachentscheidung.87 In Frankreich wird derartigen Entscheidungen wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit und/oder Verletzung des ordre public international die Anerkennung versagt; denn die Anerkennung wäre unvereinbar mit dem französischen Konzept der Autonomie der Schiedsgerichtsbarkeit.88 Anders ist die Rechtslage, wenn England Gerichtsstaat ist.89 In England werden isolierte Feststellungsentscheidungen ausländischer Gerichte über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung als Sachentscheidungen qualifiziert, die einer Anerkennung nach autonomem Recht zugänglich sind.90 Darüber hinaus erfordert der Justizgewährungsanspruch im englischen Recht nicht, dass der Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz durch ein englisches Gericht überprüfbar sein muss.91 Vielmehr ist die Überprüfung durch ein ausländisches Gericht ausreichend, sofern dieses hierfür aus englischer Sicht international zuständig war. Das setzt regelmäßig voraus, dass der Gerichtskläger bei Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Erststaat anwesend 86 Debourg, Rev. arb. 2016, 127, Rn. 17 ff.; Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567, Rn. 13. Aufgrund dieser Argumentation wäre allerdings eine differenzierte Betrachtung angebracht. Zum Beispiel prüft bei Entscheidungen i. S. v. § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO das staatliche Gericht die Wirksamkeit der Schiedsabrede erst, nachdem das Schiedsgericht durch Zwischenentscheid endgültig über die eigene Zuständigkeit entschieden hat. Die französische Konzeption von der Erstentscheidungskompetenz des Schiedsgerichs wird hier nicht verletzt. Zudem ist beachtlich, dass in Frankreich ein solcher Zwischenentscheid des Schiedsgerichts als Schiedsspruch qualifiziert wird, der in einem Aufhebungsverfahrens vor staatlichen Gerichten angegriffen werden kann – in diesem Rahmen prüfen auch französische Gerichte die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede umfassend, bevor das Schiedsverfahren abgeschlossen ist (CA Paris, 25.3.1994, Rev. arb. 1994, 391 – Sardisud ./. Technip; CA Paris, 10.11.1995, Rev. arb. 1997, 596 – Verbiese ./. SEE). Eine derartige Differenzierung wird – soweit ersichtlich – in Frankreich aber bisher nicht vertreten. 87 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.a). 88 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.c). 89 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b). 90 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b). 91 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b)aa).
A. Möglichkeiten der schiedszugewandten Partei
127
war.92 War das der Fall, begründet die Berufung der schiedszugewandten Partei auf die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung im Parallelverfahren vor englischen Gerichten einen issue estoppel. Das heißt dem Gerichtskläger ist es verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung zu berufen. Die Parteien sind nach Maßgabe von s. 9(1) i. V. m. s. 2(2) lit. a AA 1996 auf das Schiedsverfahren zu verweisen.
3. Einsatz der Rechtskraft der Feststellungsentscheidung im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten zur Verteidigung gegen das staatliche Parallelurteil in der Hauptsache Sollte eine Unterbindung des staatlichen Parallelverfahrens im Gerichtsstaat nicht möglich sein, stellt sich die Frage, ob die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede nicht wenigstens im Schiedsstaat oder in dritten Mitgliedstaaten als Verteidigung gegen das staatliche Parallelurteil in der Hauptsache herangezogen werden kann. Die Anerkennung des staatlichen Parallelurteils in der Hauptsache beurteilt sich im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO. Insbesondere ist mit Blick auf Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO unerheblich, dass das staatliche Parallelgericht als Vorfrage über die Schiedseinrede entschieden hat, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO. Danach ist die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils nur zu versagen, wenn einer der in Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO aufgeführten Versagungsgründe vorliegt. Mit Blick auf die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung kommen die Versagungsgründe der Entscheidungskollision (Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO) (a)) und der ordre public-Verletzung (Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) (b)) in Betracht.
a) Unvereinbarkeit des Hauptsacheurteils mit der isolierten Feststellung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts, Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO? Gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO kann die Anerkennung einer Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat versagt werden, wenn sie mit einer inländischen, zwischen denselben Parteien ergangenen Entscheidung unvereinbar ist. Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO sieht eine entsprechende Regelung für den Fall der Unvereinbarkeit mit einer zweiten ausländischen Entscheidung vor, allerdings nur wenn sie früher ergangen und im Zweitstaat anerkennungsfähig ist.93 Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht94 scheidet eine Beru92 93
Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b)bb). Nach dem Wortlaut von Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO greift der Versagungsgrund zudem nur für Entscheidungen über einen „Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs“. Dies-
128 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung fung auf Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO jedoch aus, wenn die anzuerkennende Hauptsache-Entscheidung mit einer in- oder ausländischen Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede kollidiert: Zwar handelt es sich bei der Feststellungsentscheidung um eine potentiell anerkennungshindernde Entscheidung, obgleich sie selbst dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nicht unterfällt.95 Es fehlt aber bereits an der Grundsituation des Versagungsgrundes, der Unvereinbarkeit des Parallelurteils in der Hauptsache mit der isolierten Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung. Der Begriff der Unvereinbarkeit ist unionsautonom und eng auszulegen und setzt voraus, dass zwei Entscheidungen Rechtsfolgen aufweisen, die sich gegenseitig ausschließen.96 Erfasst werden nur Entscheidungskollisionen, durch die der Rechtsfrieden ernsthaft gestört würde.97 Wie der Gerichtshof klargestellt hat, ist das bei widersprüchlichen Entscheidungen über Zulässigkeits- und Verfahrensvoraussetzungen nicht der Fall.98 Nur in Bezug auf eine Zulässigkeitsvoraussetzung, nämlich die Entscheidung des Parallelgerichts über die eigene Zuständigkeit, weichen Hauptsache- und Feststellungsentscheidung jedoch voneinander ab.
bezüglich sollen sich jedoch trotz des abweichenden Wortlautes nach h. M. keine sachlichen Unterschiede zum Begriff der Unvereinbarkeit in Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO ergeben (Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 58. 94 Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1997] ILPr 73, Rn. 112 (EWHC) (Waller J per obiter) (bezüglich Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ); Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 201, Rn. 7.19; im Ergebnis ebenso, ohne aber einen konkreten Versagungsgrund des Brüssel-Systems – Entscheidungskollision oder ordre public-Verletzung – zu benennen: Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 15.29; Van Houtte, Arb. Int. 21 (2005), 509, 514; Constenla, Spain Arb. Rev. 22 (2015), 129, 143. 95 EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645 – Hoffmann ./. Krieg; Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 201, Rn. 7.18; a. A. Erk, Parallel Proceedings, 2014, 160, Fn. 920 („[…] [A] declaratory judgment as to the arbitration’s admissibility anyway falls within the arbitration exception and may hence not be qualified as a judgment under Art. 34(3) Brussels Regulation/Lugano Convention.“). 96 EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 22 – Hoffmann ./. Krieg; EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 44 – Italian Leather. 97 Jenard-Bericht, 1968, 45; EuGH, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, Rn. 21 – Solo Kleinmotoren; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 45, Rn. 108. 98 EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 44 – Italian Leather („Zum anderen muss sich die Unvereinbarkeit – wie sich aus Randnummer 22 des Urteils Hoffmann ergibt – bei den Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen zeigen; sie betrifft nicht die Zulässigkeits- und Verfahrensvoraus-setzungen für den Erlass dieser Entscheidungen, die sich möglicherweise von einem Vertragsstaat zum anderen unterscheiden.“); vgl. auch Cass. (IT), 12.11.1994 – 9554, Riv. dir. int. priv. proc. 1995, 732; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 51.
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b) Ordre public-Verletzung, Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO? Gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO kann die Anerkennung einer Entscheidung versagt werden, wenn sie der öffentlichen Ordnung des Anerkennungs-staates offensichtlich widerspricht. In der Rechtssache Bamberger erklärte Waller J für den Fall, dass ein Schiedsverfahren in England mit einem Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats konkurriert: „[…] [I]t would […] be open to the English court […] to grant a declaration that the proceedings were one covered by the arbitration clause. If that occurred, then a judgment on the substance of the dispute albeit a Convention judgment, would not, as it seems to me, have to be recognised […] on the basis that such recognition would be contrary to public policy in the United Kingdom […].“99
Art. 45 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO, wonach die Vorschriften über die Zuständigkeit nicht zur öffentlichen Ordnung gehören, steht der Annahme von Waller J nicht entgegen. Das gilt jedoch nur, wenn für die ordre public-Verletzung nicht auf die Unzuständigkeit des staatlichen Parallelgerichts in der Hauptsache, sondern auf die Verletzung der res iudicata-Wirkung der isolierten Feststellungsentscheidung abgestellt wird. Insoweit steht aber wiederum eine Entscheidungskollision in Rede, die in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO speziell geregelt ist.100 Entstehungsgeschichtlich befürchtete der Unionsgesetzgeber nämlich, dass sich die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Entscheidungskollisionen ausufernd auf den ordre public-Vorbehalt berufen könnten; um das zu verhindern, wurden sie in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO als Unterfall des ordre public-Vorbehalts unionsautonom geregelt.101 Auch ein Konflikt zwischen dem anzuerkennenden Parallelurteil in der Hauptsache und der inländischen Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede vermag den ordre public-Vorbehalt daher nicht zu begründen. Im Übrigen entsteht durch die Anerkennung des staatlichen Parallelurteils in England kein Rechtskraftkonflikt mit der inländischen Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede. Zwar können, wenn der Gerichtsstaat ebenfalls einer weiten Rechtskraftlehre folgt, prinzipiell auch Ent99 Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1997] ILPr 73, Rn. 112 (EWHC) (Waller J per obiter) (bezüglich Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ); im Ergebnis ebenso, ohne aber einen konkreten Versagungsgrund des Brüssel-Systems – Entscheidungskollision oder ordre public-Verletzung – zu benennen: Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 15.29; Van Houtte, Arb. Int. 21 (2005), 509, 514; Constenla, Spain Arb. Rev. 22 (2015), 129, 143. 100 Vgl. EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 21 – Hoffmann ./. Krieg („[…] [D]ie Anwendung der Ordre-public-Klausel […] [ist] nach der Systematik des Übereinkommens jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn es, wie im vorliegenden Fall, um die Vereinbarkeit einer ausländischen Entscheidung mit einer inländischen Entscheidung geht. Diese Frage ist nämlich nach der besonderen Vorschrift des Artikels 27 Nr. 3 zu lösen, die sich auf den Fall bezieht, daß eine ausländische Entscheidung mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien in dem Staat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist.“). 101 Stein/Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 34 EuGVVO, Rn. 85.
130 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung scheidungen über Vorfragen in Rechtskraft erwachsen – vorliegend auch die inzidente Entscheidung im staatlichen Parallelurteil über die Vorfrage der Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede.102 ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO und die Beschränkung in ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO auf die „Entscheidung in der Hauptsache“ stellen jedoch klar, dass das BrüsselSystem insoweit gerade keine Anerkennung gebietet (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO). Diese beurteilt sich vielmehr nach einzelstaatlichem Recht und wäre in England nach Maßgabe von s. 32(1) Act 1982 zu versagen.103
c) Zwischenergebnis Die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten eignet sich nicht, um sich in diesen Staaten gegen die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO zu verteidigen. Insbesondere lässt sich mit ihr weder der Versagungsgrund der Entscheidungskollision (Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO)104 noch der einer ordre public-Verletzung (Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO)105 begründen.
4. Vereinbarkeit der isolierten Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten mit der Brüssel Ia-VO Im Schrifttum wird teilweise infrage gestellt, ob der mitgliedstaatliche Erlass isolierter Feststellungen über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede nach der West Tankers-Entscheidung des EuGH noch als vereinbar mit dem Brüssel-System angesehen werden kann.106 Seriki bezweifelt das, wenn in der Hauptsache bereits das Gericht eines anderen Mitgliedstaats angerufen wurde.107 Denn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei ab diesem Zeitpunkt allein dieses Gericht befugt, über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der 102 Vgl. DSV Silo- und Verwaltungsgesellschaft mbH v the Owners of the Sennar (The „Sennar“) (No 2) [1985] 1 WLR 490, 494 (UKHL). 103 So im Ergebnis nun auch National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 64 („I doubt whether the English court would now say, even in circumstances where a declaration had been obtained from the English court, that a litigant seeking to obtain a different result in the courts of a member state was infringing some fundamental principle“); vgl. auch Raphael, Anti-Suit Injunction. Upd. Suppl., 20010, Rn. 15.28 (zu Gerichtsstandsabreden). 104 Vgl. hierzu oben Teil 3 I.3.a). 105 Vgl. hierzu oben Teil 3 I.3.b). 106 Seriki, J. B. L. 2010, 24, 33; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 143; Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 505; für die uneingeschränkte Vereinbarkeit sprechen sich dagegen aus Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 102; Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 12.38 f.; Raphael, Anti-Suit Injunction. Upd. Suppl., 2010, Rn. 12.39. 107 Seriki, J. B. L. 2010, 24, 33.
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Schiedsabrede zu entscheiden. Mankowski nimmt auf dieses Argument Bezug und erklärt, dass eine Feststellung, nach der der Antragsgegner einen bestimmten Rechtsstreit vor einem Schiedsgericht austragen müsse,108 eine unzulässige Umgehung des Verbots von anti-suit injunctions darstelle.109 Der Unionsgesetzgeber selbst geht dagegen offenbar davon aus, dass der mitgliedstaatliche Erlass isolierter Feststellungen über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede mit der Brüssel Ia-VO vereinbar ist. Denn in ErwGr. 12 Abs. 2 Var. 1 Brüssel Ia-VO erläutert er, dass die Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO keine Anwendung finden auf Gerichtsentscheidungen, die in der Hauptfrage über die Gültigkeit der Schiedsabrede entscheiden. Das würde sich erübrigen, dürften die Gerichte der Mitgliedstaaten derartige Entscheidungen nicht erlassen. Zudem erscheint die Vergleichbarkeit mit mitgliedstaatlichen anti-suit injunctions zweifelhaft. Die deklaratorische Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede ist in den untersuchten Rechtsordnungen einer Zwangsvollstreckung nicht zugänglich. Auch in England begründet die Missachtung einer entsprechenden declaration eines englischen Gerichts keinen contempt of court, der mit Geldstrafen, der Beschlagnahme in England belegenen Vermögens oder Haftstrafen sanktioniert werden könnte.110 Es fehlt mithin die vom EuGH in West Tankers gerügte Zwangswirkung, die über eine Verhaltenssteuerung des Gerichtsklägers geeignet ist, den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats ein Verfahren nach der Verordnung zu entziehen.111 Einwenden ließe sich, dass über die Rechtskraftwirkung der isolierten Feststellungsentscheidung das staatliche Parallelgericht bei der Entscheidung über 108
Vgl. für Beispiele aus der englischen Rechtsprechung Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd v New India Association Co Ltd (No 1) [2004] EWCA Civ 1598, Rn. 64 f. (Court of Appeal bestätigt eine declaration, nach der der Beklagte verpflichtet sei, alle Ansprüche im Zusammenhang mit einem bestimmten Beförderungsvorgang vor einem Schiedsgericht nach Maßgabe einer Schiedsklausel geltend zu machen. Eine weitere declaration, nach welcher der Beklagte durch Betreibung eines Verfahrens vor finnischen Gerichten die Schiedsabrede verletzt habe, hob der Court of Appeal zwar auf, allerdings nur, weil der Rechtsstreits diesbezüglich nicht von der Schiedsabrede erfasst sei); West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta SpA (The „Front Comor“) [2005] Lloyd’s Rep. 257 (EWHC) und insofern rezipierend West Tankers Inc v RAS Riunione Adriatica di Sicurta SpA, Generali Assicurazioni Generali SpA [2007] EWHC 2184, Rn. 2, 5 (High Court stellte fest, dass die italienischen Versicherer verpflichtet seien, jeden Rechtsstreit aus oder im Zusammenhang mit dem Charter-Vertrag vor einem Londoner Schiedsgericht auszutragen sowie dass der Gegenstand des Rechtsstreits vor den italienischen Gerichten aus dem Chartervertrag resultiere und daher von der Schiedabrede erfasst sei. Die declaration war von dem Rechtsmittel zum House of Lords nicht erfasst, dementsprechend auch nicht Gegenstand der Vorlage an den EuGH). 109 Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 143; zustimmend Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 505. 110 Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 12.38 f.; National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWHC 196, Rn. 97. 111 Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 102.
132 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung die eigene Zuständigkeit eingeschränkt werden kann. In der Tat hat sich das für den Fall bestätigt, dass England Gerichtsstaat ist.112 Wie der Vergleich mit deutschen113 und französischen Gerichten114 zeigt, beruht diese Bindung jedoch auf der selbstbestimmten, nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts (ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO) erfolgten Anerkennung der isolierten Feststellung. Das Brüssel-System steht einer solchen Anerkennung nicht entgegen, wie der Gerichtshof in Gazprom für den Fall bestätigt hat, dass eine schiedsrichterliche anti-suit injunction im Gerichtsstaat anerkannt wird.115 Dass ein Gericht feststellt, dass die Schiedsabrede wirksam, anwendbar und verbindlich ist, verletzt für sich genommen auch nicht den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz. Denn die Möglichkeit, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten diese Fragen unterschiedlich beurteilen, ist in Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO angelegt116 und ausweislich ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO vom Unionsgesetzgeber akzeptiert.117 Schließlich birgt die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten auch nicht die Gefahr, dass dem Gerichtskläger der Zugang zu den Gerichten des Gerichtsstaats versperrt wird. Denn wie bereits festgestellt, ist die deklaratorische Feststellung mangels Vollstreckbarkeit nicht geeignet, den Gerichtskläger dazu zu zwingen, von der Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte im Gerichtsstaat abzusehen. Ist England Gerichtsstaat, mag dem Gerichtskläger aufgrund der res iudicata der ausländischen Feststellung die Berufung auf die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede im staatlichen Parallelverfahren verwehrt sein.118 Diese Beschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes resultiert dann aber aus dem Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen nach common law. Das Recht auf Zugang zu den Gerichten, das als normatives Grundrecht nur nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet wird, wird dadurch nicht verletzt. Danach steht die Brüssel Ia-VO dem Erlass einer isolierten Feststellung der Wirksamkeit, Anwendbarkeit und Verbindlichkeit der Schiedsabrede durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten nicht entgegen.
112
Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.c). Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.a). Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b). 115 Vgl. EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427, Rn. 38 – Gazprom. 116 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers. 117 Vgl. Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 103. 118 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.c). 113 114
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5. Ergebnis Anders als vor französischen Gerichten119 steht der schiedszugewandten Partei vor deutschen120 und englischen121 Gerichten nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts die Möglichkeit offen, eine isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede zu erwirken. Zur Verteidigung im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten gegen das staatliche Parallelurteil in der Hauptsache eignet sich eine derartige Feststellungsentscheidung jedoch nicht. Insbesondere lässt sich mit ihr weder der Versagungsgrund der Entscheidungskollision (Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel IaVO)122 noch der ordre public-Vorbehalt (Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO)123 begründen. Ist Deutschland oder Frankreich Gerichtsstaat, eignet sich die Erwirkung im Schiedsstaat oder in dritten Mitgliedstaaten auch nicht dazu, um das staatliche Parallelverfahren in der Hauptsache zu unterbinden. In Deutschland ist die ausländische Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede einer Anerkennung nach § 328 ZPO nicht zugänglich; es fehlt bereits am Merkmal der Sachentscheidung.124 In Frankreich wird derartigen Entscheidungen wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit und/oder unter Berufung auf den ordre public international die Anerkennung versagt.125 Anders ist die Rechtslage, wenn England Gerichtsstaat ist:126 Hier werden Entscheidungen ausländischer Gerichte über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede als Sachentscheidungen qualifiziert, die einer Anerkennung nach autonomem Recht zugänglich sind.127 Darüber hinaus erfordert der Justizgewährungsanspruch nach englischem Verständnis nicht, dass der Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz durch ein englisches Gericht überprüfbar sein muss.128 Vielmehr reicht die Überprüfung durch ausländische Gerichte aus, wenn diese aus englischer Sicht international zuständig waren. Das setzt regelmäßig voraus, dass der Gerichtskläger zur Zeit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Erststaat anwesend war.129 War das der Fall, begründet die Berufung der schiedszugewandten Partei auf die isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede im staatlichen Parallelverfahren einen issue estoppel. Das heißt, dem Gerichtskläger ist 119 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.1.c). 120 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.1.a). 121
Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.1.b). Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.3.a). Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.3.b). 124 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.a). 125 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.c). 126 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b). 127 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b). 128 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b)aa). 129 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b)bb). 122 123
134 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung es verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede zu berufen. Die Parteien sind nach Maßgabe von s. 9(1) i. V. m. s. 2(2) lit. a AA 1996 auf das Schiedsverfahren zu verweisen. Die Brüssel Ia-VO steht dem nicht entgegen.130
II. Schiedsverfahren in der Hauptsache Untersuchen wir nun die Möglichkeit der schiedszugewandten Partei, ein Schiedsverfahren in der Hauptsache einzuleiten und in diesem Rahmen eine Bestätigung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts zu erwirken. Nach dem Schiedsverfahrensrecht der untersuchten Rechtsordnungen kann131 bzw. soll132 das Schiedsgericht im Fall der Zuständigkeitsrüge vorab über die eigene Sachentscheidungsbefugnis entscheiden. Bestätigt das Schiedsgericht hierbei die eigene Zuständigkeit, stellt sich die Frage, ob die schiedszugewandte Partei diese Entscheidung einsetzen kann, um das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat zu unterbinden oder um sich im Schiedsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten gegen das staatliche Parallelurteil in der Hauptsache zu verteidigen (1.). Die gleichen Fragen stellen sich, wenn das Schiedsgericht von einem Zwischenentscheid absieht und über die eigene Zuständigkeit inzident mit der Hauptsache entscheidet (2.).
1. Zwischenentscheid des Schiedsgerichts über die eigene Zuständigkeit Ein Zwischenentscheid des Schiedsgerichts über die eigene Zuständigkeit kann im Schiedsstaat Bindungswirkung in staatlichen Gerichtsverfahren entfalten.133 Eine Erstreckung dieser Wirkung auf den Gerichtsstaat setzt allerdings voraus, dass sie dort anerkennungsfähig ist. In England,134 Frankreich135 und teilweise auch in Deutschland136 werden Zwischenentscheide des Schiedsgerichts über 130 131
Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.4. S. 31(4) AA 1996; Art. 1465 CPC (es ist Sache des Schiedsgerichts, wie und wann es über die eigene Zuständigkeit entscheidet). 132 § 1040 Abs. 3 S. 1 ZPO. 133 Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 475 f. („[…] [C]ourts of the country of the seat of the arbitration, with the exception of courts reviewing the award in a challenge procedure, are bound by an award concerning the question of jurisdiction. Where the arbitral award admits jurisdiction, courts seized of the same claim must uphold the defence based on the arbitration agreement because of the res judicata effect of the awards and consequently decline jurisdiction […].“); vgl. zur Präklusionwirkung im Hauptsacheverfahren, wenn der Antrag nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO verfristet ist Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1032, Rn. 8. 134 Vgl. s. 67(1) lit. a AA 1996 und die Nachweise in Di Pietro, in: Gaillard/Di Pietro, 2009, S. 150, 152 f. 135 Vgl. z. B. CA Paris, 25.3.1994, Rev. arb. 1994, 391 – Sardisud ./. Technip; Fouchard, Gaillard, Goldman, International Commercial Arbitration, 1999, Rn. 1353, 1357. 136 Dafür z. B. LG München I, Yb. Com. Arb. 1980, 260, 261; LG Köln, IPRax 84, 90;
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die eigene Zuständigkeit als Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK qualifiziert. Das Anerkennungsgericht bleibt aber befugt, in Bezug auf den Rechtsstreit in der Hauptsache die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede auf Einrede (Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c NYK) und die Schiedsfähigkeit von Amts wegen (Art. V Abs. 2 lit. a NYK) zu prüfen.137 Insoweit ist es an die Beurteilung des Schiedsgerichts nicht gebunden.138 Damit ist eine Berufung auf den schiedsrichterlichen Zwischenentscheid im staatlichen Parallelverfahren ungeeignet, um die Ansicht des Schiedsstaats hinsichtlich der Frage der Zuständigkeit des Schiedsgerichts gegen die des Gerichtsstaats durchzusetzen. Entsprechend der Situation bei schiedsrichterlichen anti-suit injunctions kann der Berufung auf den schiedsrichterlichen Zwischenentscheid über die eigene Zuständigkeit (Art. III ff. NYK) gegenüber der einfachen Erhebung der Schiedseinrede im Parallelverfahren (Art. II Abs. 3 NYK) allenfalls ein Mehrwert bezüglich der Darlegungs- und Beweislast zukommen.139 Zur Verteidigung im Schiedsstaat gegen die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils in der Hauptsache scheidet eine Berufung auf den Zwischenentscheid des Schiedsgerichts ebenfalls aus.140 Insbesondere ist – selbst wenn man die Anwendbarkeit der Versagungsgründe auf den Konflikt mit Schiedssprüchen unterstellt – die Anerkennung des staatlichen Hauptsacheurteils nicht unvereinbar i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO mit dem Zwischenentscheid des Schiedsgerichts über die eigene Zuständigkeit.141 Schlosser, Internationale private Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, Rn. 774; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, Anh. zu § 1061, Rn. 24 (anders allerdings in Rn. 21); Haas, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer und internationaler Schiedssprüche, 1991, 151; dagegen z. B. OLG München, BeckRS 2002 30470727, B.I.1.b.; Schwab/Walter, 2005, Kap. 30, Rn. 11, Kap. 18, Rn. 10; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 2060; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 2821 (ausreichender Schutz über Klage auf Feststellung der Wirksamkeit der Schiedsabrede); offen gelassen BGH, NJW‑RR 2007, 1008 (entscheidet lediglich, dass Zwischenschiedssprüche über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts als Teilschiedssprüche zu qualifizieren und nach der NYK für vollstreckbar zu erklären sind, soweit sie eine endgültige Kostenentscheidung für einen Verfahrensabschnitt enthalten). 137 Diesen Umstand offenbar verkennend Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 40; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 142. 138 Vgl. für Deutschland z. B. OLG München, SchiedsVZ 2009, 340, Rn. 30; OLG Celle, Yb. Com. Arb. 2008, 524, 529, Rn. 6; OLG Schleswig, RIW 2000, 706, 708; Münch, ZZP 128 (2015), 307, 307 („Sachfinalität“); Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3891; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 2559; vgl. für Großbritannien z. B. Dallah Real Estate v the Ministry for Religious Affairs of the Government of Pakistan [2010] UKSC 46; vgl. für Frankreich z. B. Cass. 1ère civ., 6.1.1987, Nr. 84-17 JDI 1987, 638 – Southern Pacific Properties; CA Paris, 16.6.1988, Rev. arb) 1989, 309 – Swiss Oil ./. Petrogab. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn die Parteien wirksam auf eine solche Überprüfung verzichtet haben, was innerhalb der EU in Grenzen z. B. in Belgien und Schweden, nicht aber in Deutschland, Frankreich und England möglich ist (Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 478). 139 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.II.2.b)cc). 140 Dies hingegen in Erwägung ziehend Moses, NWJIntLB 35/1 (2014), 1, 36. 141 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.2.a).
136 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung 2. Inzidente Entscheidung des Schiedsgerichts über die eigene Zuständigkeit Im Ergebnis gilt nichts anderes, wenn das Schiedsgericht inzident mit der Hauptsache die eigene Zuständigkeit bestätigt hat. Auch wenn nach dem anwendbaren Recht Entscheidungen über Vorfragen vom Umfang der Rechtskraft erfasst sind, ist eine Berufung auf die inzidente Bestätigung der eigenen Zuständigkeit durch das Schiedsgericht im staatlichen Parallelverfahren ungeeignet, um die Ansicht des Schiedsstaats hinsichtlich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung gegen die des Gerichtsstaats durchzusetzen. Denn das staatliche Parallelgericht bleibt befugt, auf Antrag die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung (Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c NYK) bzw. von Amts wegen die Schiedsfähigkeit (Art. V Abs. 2 lit. a NYK) zu prüfen und gegebenenfalls dem Schiedsspruch die Anerkennung zu versagen.142 Eine Verteidigung im Schiedsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten aufgrund Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO scheitert auch hier jedenfalls am Merkmal der Unvereinbarkeit.143
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei Aus Sicht der gerichtszugewandten Partei kommen prinzipiell zwei Wege in Betracht, eine rechtskräftige Entscheidung über die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede zu erwirken: Erstens kann sie im Gerichtsstaat bezüglich dieser Fragen ein isoliertes Feststellungsverfahren vor staatlichen Gerichten einleiten (I.). Zweitens kann sie im Gerichtsstaat ein Hauptsacheverfahren vor staatlichen Gerichten anstrengen und über diese Fragen ein Zwischenurteil oder eine inzidente Entscheidung im Endurteil erstreiten (II.).
I. Isoliertes Feststellungsverfahren vor Gerichten im Gerichtsstaat über die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung Die gerichtszugewandte Partei könnte versuchen, im Gerichtsstaat im Rahmen eines isolierten Feststellungsverfahrens eine rechtskräftige Entscheidung der staatlichen Gerichte zu erwirken, mit der die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung festgestellt wird (1.). Sofern die isolierte Feststellung im Schiedsstaat anerkennungsfähig ist, könnte die Berufung auf ihre materielle Rechtskraft vor dem Schiedsgericht geeignet sein, das parallele Schiedsverfahren zu unterbinden (2.). Scheitert dieser Ansatz, stellt sich die Frage, ob die isolierte Feststellung wenigstens im Gerichtsstaat bzw. in drit142 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.II.2.b)cc); dies offenbar verkennend Moses, NWJIntLB 35/1 (2014), 1, 40; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 142. 143 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 C.III.2.a).
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei
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ten Mitgliedstaaten als Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs in der Hauptsache eingesetzt werden kann (3.). Bedenken gegen die Vereinbarkeit der isolierten Feststellung der Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede mit der Brüssel Ia-VO bestehen nicht (4.).
1. Zulässigkeit des Antrags und Rechtskraft der Entscheidung im Inland nach einzelstaatlichem Recht a) Deutschland Vor deutschen Gerichten können im Rahmen der §§ 1032 Abs. 2, 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO auch Feststellungen bezüglich der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts beantragt werden.144 Für die Zulässigkeit des Antrags und die Rechtskraft der Entscheidung im Inland gelten die Ausführungen zur Perspektive der schiedszugewandten Partei prinzipiell entsprechend.145 Drei Besonderheiten sind allerdings zu beachten: Erstens liegt bei der hier untersuchten Konstellation, dem Antrag auf eine isolierte Feststellung im Gerichtsstaat, der Schiedssitz im Ausland. Insofern scheidet ein Antrag nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO aus, weil er gemäß §§ 1025 Abs. 1, 1062 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nur bei einem Schiedssitz im Inland zulässig ist. Ein Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO ist dagegen nach h. M. auch bei einem Schiedssitz im Ausland möglich; seine Zulässigkeit setzt allerdings einen hinreichenden Bezug des Rechtsstreits zu Deutschland voraus.146 Zweitens müsste die gerichtszugewandte Partei die isolierte Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO mit einer Verzögerung des staatlichen Parallelverfahrens in der Hauptsache erkaufen. Denn nach überwiegender Ansicht fehlt für einen Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO das Feststellungsinteresse, wenn das Hauptsacheverfahren vor deutschen Gerichten zuerst rechtshängig war und die Schiedseinrede nach § 1032 Abs. 1 ZPO erhoben wurde.147 Zudem soll nach einem Teil der Literatur das Feststellungsinteresse für einen Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO entfallen, sobald vor deutschen Gerichten die Hauptsache rechtshängig ist, die Einrede nach § 1032 Abs. 1 ZPO erhoben wurde und die Hauptsacheklage nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann.148 144 Vgl. § 1032 Abs. 2 ZPO („Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens“); § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO („jede Partei“). 145 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.1.a). 146 Str., vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 A.I.1.a). 147 Vgl. z. B. OLG Köln, BeckRS 2016, 02809, Rn. 12; OLG Naumburg, SchiedsVZ 2013, 237, 238; OLG Frankfurt, BeckRS 2012, 18613; OLG München, BeckRS 2007, 00914; Zöller/ Geimer, 2018, § 1032, Rn. 23; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1032, Rn. 12; a. A. z. B. Münch, ZZP 128 (2015), 307, 314–319; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 22; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1032, Rn. 40. 148 Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1032, Rn. 12; Busse, Anm. zu BayObLG, SchiedsVZ 2003,
138 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung Drittens möchte sich die gerichtszugewandte Partei in der untersuchten Konstellation auf die Rechtskraft der staatlichen Feststellungsentscheidung in einem Schiedsverfahren berufen. Das findet zwar in einem anderen Staat statt. Die Wirkungserstreckung auf diesen setzt aber voraus, dass eine entsprechende Wirkung im Erststaat besteht. Insofern ist an dieser Stelle relevant, dass nach umstrittener, aber überwiegender Ansicht die materielle Rechtskraft einer Entscheidung nach § 1032 Abs. 2 ZPO auch in einem inländischen Schiedsverfahren Bindungswirkung entfaltet.149 Damit lässt sich festhalten: Ist Deutschland Gerichtsstaat, besteht für die gerichtszugewandte Partei prinzipiell die Möglichkeit, im Gerichtsstaat nach § 1032 Abs. 2 ZPO eine rechtskräftige Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens zu erwirken, die in einem Schiedsverfahren Bindungswirkung entfaltet. Die gerichtszugeneigte Partei müsste diese Feststellung aber mit einer Verzögerung des staatlichen Parallelverfahrens in der Hauptsache erkaufen.
b) England Vor englischen Gerichten können nach s. 32 AA 1996 negative declarations über die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts prinzipiell unter den gleichen Voraussetzungen wie positive beantragt werden.150 Allerdings wirkt sich aus, dass in der untersuchten Konstellation der Antrag nicht im Schieds-, sondern im Gerichtsstaat gestellt wird. Der Erlass einer declaration nach s. 32 AA 1996 setzt gemäß s. 2(1) AA 1996 nämlich einen inländischen Schiedssitz voraus. Wurde ein Schiedssitz bisher weder gewählt noch bestimmt, ist ihr Erlass gemäß s. 2(4) AA 1996 nur zur Unterstützung des Schiedsverfahrens möglich. Hier wird jedoch gerade seine Unterbindung bezweckt. Zwar kommen für eine gerichts-, anders als für eine schiedszugewandte Partei prinzipiell auch Anträge nach s. 72(1) AA 1996 und s. 67(1) lit. a AA 1996 in Betracht.151 Auch diese setzen gemäß s. 2 (1) AA 1996 aber einen inländischen Schiedssitz voraus und scheiden daher vorliegend aus. Außerhalb dieser positivrechtlich geregelten Befugnisse erlassen englische Gerichte declarations bezüglich der Zuständigkeit des Schiedsgerichts nur zur Unterstützung, nicht zur Unterbindung eines Schiedsverfahrens.152 Ist England Gerichtsstaat, steht der gerichtszuge189, 190 f.; Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 198; Mann/Lumpp, SchiedsVZ 2011, 323, 325; a. A. z. B. Münch, ZZP 128 (2015), 307, 314–319; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 22. 149 MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 34; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1032, Rn. 45; Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Huber/Bach, 2015, § 1032, Rn. 58; Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 206; Schroeter, SchiedsVZ 2004, 288, 296; Huber, SchiedsVZ 2003, 73, 84; a. A. OLG Stuttgart, BeckRS 2016, 16830, Rn. 35 (obiter) in Anschluss an Zöller/Geimer, 2018, § 1032, Rn. 24. 150 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 A.I.1.b). 151 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 A.I.1.b) Fn. 13. 152 Vgl. hierzu Teil 3 A.I.1.b) (man könnte erwägen, dies aufgrund der Entscheidung des englischen Court of Appeal in Welex AG v Rosa Maritime Ltd [2003] EWCA Civ 938 infrage
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei
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wandten Partei mithin keine Möglichkeit offen, im Gerichtsstaat eine isolierte Feststellung der Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede zu erwirken.
c) Frankreich Im französischen Schiedsverfahrensrecht, das die Befugnisse staatlicher Gerichte abschließend regelt,153 ist die isolierte Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts durch staatliche Gerichte ebensowenig vorgesehen wie die Feststellung seiner Zuständigkeit; hierauf gerichtete Klagen werden von französischen Gerichten als unzulässig abgewiesen.154
2. Einsatz der Rechtskraft der Feststellungsentscheidung im Schiedsstaat zur Unterbindung des Schiedsverfahrens in der Hauptsache Sofern die gerichtszugewandte Partei im Gerichtsstaat eine rechtskräftige Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts erwirken kann, stellt sich die Frage, ob sie die Feststellungswirkung im Schiedsstaat zur Unterbindung des parallelen Schiedsverfahrens einsetzen kann. Das setzt die Anerkennung der Feststellungswirkung im Schiedsstaat voraus. Diese richtet sich nach einzelstaatlichem Recht, nicht nach dem Brüssel-System (Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO). In Deutschland ist eine ausländische Feststellung der Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung als Entscheidung über eine prozessuale Frage zu qualifizieren; als solche ist sie einer Anerkennung nach § 328 ZPO nicht zugänglich.155 In England werden ausländische Entscheidungen über die Unwirksamkeit der Schiedsabrede als decision on the merits eingeordnet, die einer Anerkennung prinzipiell zugänglich ist.156 Allerdings ist davon auszugehen, dass ihnen englische Gerichte gemäß s. 32 Act 1982 die Anerkennung versagen würden. Denn aus ihrer Sicht stellt sich das Verfahren auf Erlass der isolierten Feststellung der Unwirksamkeit der Schiedsabrede als unzu stellen. Hier lehnte der Court of Appeal einen Antrag des Gerichtsklägers auf Feststellung der Unwirksamkeit einer Schiedsabrede nämlich nicht schon deshalb ab, weil die Voraussetzungen der ss. 32, 72(1), 67(1) lit. a AA 1996 nicht vorlagen, sondern weil das Gericht die Schiedsabrede für wirksam und anwendbar hielt. Der Erlass einer declaration zur Unterbindung eines Schiedsverfahrens stellt sich allerdings stets als staatliche Intervention in das (bevorstehende, laufende oder zukünftige) Schiedsverfahren dar. Diese ist nach der Konzeption des englischen Schiedsverfahrensrechts nur ausnahmsweise und gemäß s. 1(c) AA 1996 nur nach Maßgabe der Befugnisse des AA 1996 zulässig. 153 TGI Paris, 22.11.1989, Rev. arb. 1990, 693 – Sté Acteurs Auteurs Associé v. Sté Herndale Film Corporation. 154 Cass. 2ème civ., 10.5.1995, Rev. arb. 1995, 617 – Coprodag; Cour 1ère civ., 5.1.1999, Rev. arb. 1999, 260 – Zanzi; vgl zum Hintergrund oben Teil 3 A.I.1.c). 155 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 A.II.2.a). 156 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 A.II.2.b)aa).
140 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung zulässige Intervention in das Schiedsverfahren und damit als Verletzung der Schiedsabrede dar.157 In Frankreich wird der ausländischen Feststellung der Unwirksamkeit der Schiedsabrede wegen Verletzung des Grundsatzes der negativen Kompetenz-Kompetenz die Anerkennung versagt – aufgrund fehlender compétence indirecte158 und/oder Verletzung des ordre public international.159 Damit ist die Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts durch Gerichte des Gerichtsstaats nicht geeignet, das parallele Schiedsverfahren im Schiedsstaat zu unterbinden.
3. Einsatz der Rechtskraft der Feststellungsentscheidung im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten zur Verteidigung gegen den Schiedsspruch in der Hauptsache Zu untersuchen bleibt, ob die gerichtszugewandte Partei die isolierte Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts immerhin im Gerichtsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten als Verteidigung gegen den Schiedsspruch in der Hauptsache einsetzen kann. Die Anerkennung des Schiedsspruchs beurteilt sich im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten nach Art. III ff. NYK. Als Anerkennungsversagungsgründe i. S. v. Art. V NYK kommen in Betracht, dass die Schiedsvereinbarung ungültig ist (Abs. 1 lit. a), der Schiedsspruch eine Streitigkeit betrifft, die von der Schiedsvereinbarung nicht erfasst wird (Abs. 1 lit. c) oder der Gegenstand des Schiedsspruchs auf schiedsrichterlichem Weg nicht geregelt werden kann (Abs. 2 lit. a). Das mit der Anerkennung des Schiedsspruchs befasste Gericht könnte bei seiner Entscheidung über diese Versagungsgründe an die Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts gebunden sein. Mit Blick auf die untersuchten Rechtsordnungen reduziert sich die Prüfung auf den Fall, dass Deutschland Gerichtsstaat ist und der Gerichtskläger nach § 1032 Abs. 2 ZPO die Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsverfahrens erwirkt hat.160 Denn wie dargelegt, kann der Gerichtskläger eine entsprechende Feststellung im Gerichtsstaat nicht erwirken, wenn England oder Frankreich Gerichtsstaat ist.161
157
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.I.1.b). CA Paris, 15.6.2006, Rev. arb. 2007, 87 – Fincantieri. CA Paris, 8.10.2013, Int J Arab Arbitration 2014, 59 – SA Iberia Lineas Aereas de Espana ./. SARL Pan Atlantic. Da der Gerichtskläger in der vorliegenden Konstellation keine Entscheidung nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO erwirken kann, weil der Schiedssitz im Ausland liegt, kommt es an dieser Stelle nicht darauf an, ob eine differenzierte Ansicht angebracht ist (vgl. hierzu Teil 3 A.II.2.c)), Fn. 86). 160 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.1.a). 161 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.1.b)–c). 158 159
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In Deutschland entfaltet die Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nach § 1032 Abs. 2 ZPO materielle Rechtskraft.162 Das gilt auch im Rahmen der Entscheidung deutscher Gerichte über die Voraussetzungen der Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs nach § 1061 Abs. 1 ZPO i. V. m. Art. V NYK. Ist Deutschland Gerichtsstaat, kann der Gerichtskläger die Bindungswirkung der isolierten Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts daher im Gerichtsstaat zur Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs in der Hauptsache einsetzen. Weiter reicht der Schutz einer isolierten Feststellung nach § 1032 Abs. 2 ZPO mit Blick auf die untersuchten Rechtsordnungen jedoch nicht. Denn wie dargestellt, ist die Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens nach § 1032 Abs. 2 ZPO durch Gerichte des Gerichtsstaats weder in England noch in Frankreich anerkennungsfähig.163
4. Vereinbarkeit der isolierten Feststellung der Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung durch Gerichte des Gerichtsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten mit der Brüssel Ia-VO Der mitgliedstaatliche Erlass einer isolierten Feststellung der Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede ist mit der Brüssel Ia-VO vereinbar.164 Denn diese findet weder Anwendung auf das isolierte Feststellungsverfahren noch auf die von der Feststellung potentiell beeinträchtigten Verfahren: Das isolierte Feststellungsverfahren hat die Abgrenzung der Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Gerichtsbarkeit zum Gegenstand und unterfällt damit der Schiedsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO.165 Auf das durch die Feststellung potentiell beeinträchtigte Schiedsverfahren findet die Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO ebenfalls keine Anwendung. Das gleiche gilt für eventuell betroffene Nebenverfahren vor mitgliedstaatlichen Gerichten, so insbesondere ein Verfahren über die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs in der Hauptsache (ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO).
5. Ergebnis Mit Blick auf die untersuchten Rechtsordnungen kann der Gerichtskläger im Gerichtsstaat eine isolierte Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nur erwirken, wenn Deutschland Gerichtsstaat ist.166 In Betracht kommt dann ein Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO,167 der bei einem ausländischen Schiedssitz 162 163
BeckOK ZPO/Wolf/Eslami, 2019, § 1032, Rn. 42. Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.2. 164 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 D. 165 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 A.I.4. 166 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.1. 167 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.1.a).
142 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung statthaft ist, wenn der Rechtsstreit einen hinreichenden Bezug zu Deutschland hat. Gegebenenfalls muss die isolierte Feststellung aber mit einer Verzögerung des staatlichen Hauptsacheverfahrens erkauft werden. Denn dessen Einleitung kann dem Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO das Feststellungsinteresse entziehen.168 In England können entsprechende declarations bei einem ausländischen Schiedssitz nicht erwirkt werden.169 In Frankreich sind isolierte Feststellungsentscheidungen staatlicher Gerichte über die (Un)Zuständigkeit des Schiedsgerichts generell unzulässig.170 Der Gerichtskläger kann die isolierte Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nach § 1032 Abs. 2 ZPO im Gerichtsstaat selbst zur Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des ausländischen Hauptsacheschiedsspruchs einsetzen.171 Denn deutsche Gerichte sind an sie bei der Entscheidung über die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs im Rahmen von § 1061 Abs. 1 ZPO i. V. m. Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK gebunden. Dem steht die Brüssel Ia-VO nicht entgegen.172 Weiter reicht der Schutz der isolierten Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nach § 1032 Abs. 2 ZPO mit Blick auf die untersuchten Rechtsordnungen aber nicht.173 Erst recht eignet sie sich nicht für einen Angriff auf das Schiedsverfahren im Schiedsstaat.174 Denn englische Gerichte verweigern ihr nach Maßgabe von s. 32 Act 1982 die Anerkennung, wenn aus ihrer Sicht die Schiedsabrede wirksam und in der Hauptsache anwendbar ist.175 Französische Gerichte versagen die Anerkennung wegen Verletzung des Grundsatzes der negativen Kompetenz-Kompetenz stets – aufgrund fehlender compétence indirecte und/oder Verletzung des ordre public international.176
II. Gerichtsverfahren in der Hauptsache Zu untersuchen bleibt die Möglichkeit des Gerichtsklägers, im Gerichtsstaat das Hauptsacheverfahren anzustrengen und über die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede ein Zwischenurteil (1.) oder eine inzidente Entscheidung im Endurteil (2.) zu erwirken.
168
Vgl. hierzu im Einzelnen oben Teil 3 B.I.1.a). Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.1.b). Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.1.c). 171 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.3. 172 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.4. 173 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.3. 174 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.2. 175 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.2. 176 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.2. 169 170
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei
143
1. Zurückweisung der Schiedseinrede durch das staatliche Parallelgericht per Zwischenentscheidung a) Zulässigkeit und Rechtskraft der Zurückweisung der Schiedseinrede per Zwischenentscheidung im Inland nach einzelstaatlichem Recht aa) Deutschland Ein deutsches Hauptsachegericht kann über die Schiedseinrede nach § 1032 Abs. 1 ZPO gesondert verhandeln und sie – sofern es die Einrede für unbegründet erachtet – im Rahmen eines Zwischenurteils über die Zulässigkeit (§ 280 ZPO) zurückweisen.177 Zwischenurteile i. S. v. § 280 ZPO entfalten in Deutschland allerdings keine materielle Rechtskraft.178 Denn mit ihnen wird nicht – wie von § 322 Abs. 1 ZPO vorausgesetzt – über den prozessualen Anspruch, sondern lediglich über Vorfragen der Zulässigkeit entschieden; Bindungswirkung entfalten sie daher nur innerprozessual (§ 318 Var. 2 ZPO).179 Dagegen soll Zwischenurteilen über die Zurückweisung der Schiedseinrede (§ 1032 Abs. 1 ZPO) nach teilweise vertretener Ansicht auch außerprozessuale Bindungswirkung zukommen.180 Begründet wird das unter anderem mit der staatlichen Letztentscheidungskompetenz bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Schiedsabreden und der besonderen Bedeutung einer rechtsklaren Abgrenzung von staatlicher und privater Gerichtsbarkeit. Eine Ausnahme von der in § 322 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Beschränkung des objektiven Umfangs der res iudicata rechtfertigen diese Erwägungen jedoch nicht. Im Wortlaut und in der Entstehungsgeschichte von § 1032 Abs. 1 ZPO findet sie keine Stütze, zumal die Parteien über die Möglichkeit einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO hinreichend geschützt sind, wenn sie im Hauptsacheverfahren eine rechtskräftige Abgrenzung von staatlicher und privater Gerichtsbarkeit wünschen.181 Damit entfaltet das Zwischenurteil des deutschen Hauptsachegerichts über die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts keine materielle Rechtskraft.
177 BGH, NJW‑RR 1986, 61, 62; BGH, NJW‑RR 1994, 1214, 1215 (eine Entscheidung durch Teilurteil ist nicht möglich); MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 21, Musielak/Voit/ Voit, 2019, § 1032 Rn. 9; Zöller/Geimer, 2018, § 1032, Rn. 15. 178 MüKo ZPO/Gottwald, 2016, § 322, Rn. 28; Stein/Jonas/Althammer, 2018, § 322 ZPO, Rn. 51. 179 MüKo ZPO/Gottwald, 2016, § 322, Rn. 28; Stein/Jonas/Althammer, 2018, § 322 ZPO, Rn. 51. 180 Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1032, Rn. 9; offen gelassen in BGH, NJW 2014, 3655, 3657 (vgl. hierzu Münch, LMK, 2014, 361719, Ziff. 2 lit. d). 181 MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 21; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1032, Rn. 34, 45. Offen gelassen in: BGH, NJW 2014, 3655, 3657 (vgl. hierzu: Münch, LMK, 2014, 361719, Zifffer 2 lit. d.
144 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung bb) England Ein englisches Hauptsachegericht hat im Wesentlichen drei Optionen, wenn es mit einer Schiedseinrede nach s. 9(1) i. V. m. s. 2(2) lit. a AA 1996 konfrontiert ist: Es kann im schriftlichen Verfahren über die Schiedseinrede entscheiden; es kann das Verfahren einstweilig aussetzen und dem Schiedsgericht die erste Entscheidung über die eigene Zuständigkeit überlassen (s. 30 AA 1996); oder es kann die gesonderte mündliche Verhandlung über den Antrag verfügen (trial of preliminary issue).182 Unabhängig davon, für welche Alternative sich das englische Hauptsachegericht entscheidet, erfolgt die endgültige Zurückweisung der Schiedseinrede vorab per gesonderter und rechtskraftfähiger Entscheidung (preliminary judgment).183
cc) Frankreich Ein französisches Hauptsachegericht, das wegen eines schiedsbefangenen Gegenstands angerufen wird, prüft die Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede nur, wenn ein Schiedsgericht noch nicht konstituiert184 und die Schiedsabrede offensichtlich unwirksam bzw. offensichtlich unanwendbar ist.185 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, weist das Gericht die Schiedseinrede durch eine endgültige Entscheidung (jugement définitif) zurück und stellt zugleich die eigene Zuständigkeit fest.186 Diese Entscheidung über eine Prozesseinrede (ex182 Vgl. r. 62.8(3) CPR; Birse Construction Ltd [1999] BLR 194 (UKHC) (zuletzt per obiter bestätigt in Fiona Trust v Yuri Privalov [2007] EWCA 20, Rn. 37); Sutton/Gill/Gearing, Russell on Arbitration, 2015, Rn. 7-010; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 8.14. 183 Vgl. Republic of Kazakhstan v Istil Group Inc [2007] EWHC 2729; für eine Bindung an gerichtliche Entscheidungen im Schiedsverfahren Lord Mance in AES Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant LLP v Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant JSC [2013] UKSC 35, Rn. 52 (obiter); National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 118 (obiter). 184 Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Konstituierung (Cass. 1ère civ., 30.3.2004, Nr. 0212259, Bull. civ. 2004, I, Nr. 98). 185 Vgl. zum Prüfungsmaßstab Cass. 1ère civ., 7.6.2006, Nr. 03-12.034, Yb. Com. Arb. 2007, 290–293 – Copropriété Maritime Jules Verne u. a. ./. American Bureau of Shipping. 186 Vgl. Cass. 1ère civ., 1.7.2009, Nr. 08-12.494, Mealey’s I. A. R. 24/12 (2009), 15–19 – Encore (Schiedsabrede offensichtlich unanwendbar auf liquidateur); Cass. 1ère civ., 11.7.2006, Nr. 03-19838, JDI 2007, 146 – Andhika Lines (Schiedsabrede offensichtlich unanwendbar, weil sie zwischenzeitlich durch eine Gerichtsstandsabrede ersetzt wurde); Cass. soc., 9.10.2001, Nr. 99-43288, Rev. arb. 2002, 347 – Kis ./. Lopez-Alberdi (Schiedsabrede offensichtlich unwirksam, weil arbeitsrechtliche Bestimmung gegen Arbeitnehmer nicht im Rahmen eines Schiedsverfahrens durchgesetzt werden könnten); vgl. auch die Prozesshistorie in Cass. 1ère civ., 7.6.2006, Nr. 03-12.034, Yb. Com. Arb. 2007, 290–293 – Copropriété Maritime Jules Verne u. a. ./. American Bureau of Shipping; Cass. 1ère civ., 11.7.2006, Nr. 04-14950, Bull. civ. 2006, I, Nr. 364 – Société National Broadcasting; Cass. 1ère civ., 20.2.2007, Nr. 0614107, Rev. arb. 2007, 775 – UOP ./. BP France und Delvolvé/Pointon/Rouche, French Arbitration Law and Practice, 2009, 78.
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei
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ception de procédure) entfaltet gemäß Art. 480 Var. 2 CPC materielle Rechtskraft (l’autorité de la chose jugée), mit der Folge, dass sich ein Schiedsgericht mit Sitz in Frankreich, das mit demselben Rechtsstreit angerufen wird, für unzuständig erklären muss.187 In allen anderen Fällen verweist das Gericht die Parteien an das Schiedsgericht – dieses hat die Erstentscheidungskompetenz bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede.
b) Einsatz der Rechtskraft der Zwischenentscheidung im Schiedsstaat zur Unterbindung des Schiedsverfahrens Sofern der Gerichtskläger vor den Gerichten des Gerichtsstaats eine rechtskräftige Zwischenentscheidung über die Zurückweisung der Schiedseinrede erwirken kann, stellt sich die Frage, ob er sie im Schiedsstaat zur Unterbindung des parallelen Schiedsverfahrens in der Hauptsache einsetzen kann. Das setzt voraus, dass sie im Schiedsstaat anerkennungsfähig ist. Dies beurteilt sich nach einzelstaatlichem Recht, nicht nach der Brüssel Ia-VO. Denn die Entscheidung über die Schiedseinrede betrifft die Abgrenzung der staatlichen Gerichtsbarkeit von der Schiedsgerichtsbarkeit, die der Schiedsausnahme in Art. 1 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO unterfällt. Unerheblich ist, dass die Zwischenentscheidung einem Verfahren entstammt, auf dessen Hauptgegenstand die Verordnung sachlich anwendbar ist.188 Das stellt ErwGr. 12 Abs. 2 Var. 2 Brüssel Ia-VO nunmehr ausdrücklich klar.
aa) Deutschland Zwischenentscheidungen ausländischer Gerichte über die Zurückweisung der Schiedseinrede sind in Deutschland einer Anerkennung nach § 328 ZPO nicht zugänglich.189 Zum einen wird mit ihnen über eine Vorfrage des Verfahrens, nicht über den Streitgegenstand entschieden. Zum anderen betrifft diese die Zuständigkeit des staatlichen Parallelgerichts in der Hauptsache und damit eine prozessuale Frage. Als Urteile i. S. v. § 328 ZPO können aber nur Sachentscheidungen qualifiziert werden.190 187 Boucaron-Nardetto, Compétence-compétence en droit de l’arbitrage, 2013, Rn. 339 ff.; Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 515. 188 Anders noch National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397); Illmer, IHR 2011, 108, 112; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 47 ff.; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 91; Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 983; Nuyts, Rev. crit. d. i. p. 2013, 1, 18; Bertoli, in: Emanuele/Molfa, 2014, S. 277, 279; Hauberg Wilhelmsen, Arb. Int. 30 (2014), 169, 179 f.; Estrup Ippolito/Adler-Nissen, Arb 2013, 158, 167; Van Haersolte-Van Hof, NIPR 2011, 280, 286; Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 19; Markus/Giroud, Bull. ASA 28/2 (2010), 230, 238 f.) (vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.II.2.a)bb). 189 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 2788; Zöller/Geimer, 2018, § 328, Rn. 39 und § 1032 Rn. 28. 190 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 A.I.2.a).
146 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung bb) England Zwischenentscheidungen über die Zurückweisung der Schiedseinrede werden in England als Sachentscheidungen qualifiziert.191 Sie sind damit einer Anerkennung nach englischem common law grundsätzlich zugänglich. Gemäß s. 32(1) Act 1982 ist ausländischen Gerichtsentscheidungen in England aber die Anerkennung zu versagen, wenn sie einem Verfahren entstammen, das unter Verletzung einer Schiedsabrede eingeleitet worden ist (lit. a)192 und auf das sich die unterlegene Partei nicht eingelassen hat (lit. b–c). Etwas anderes gilt nach s. 32(2) Act 1982 nur, wenn die Schiedsabrede gesetzlich verboten, ungültig oder undurchführbar ist. Gemäß s. 32(3) Act 1982 sind englische Gerichte bei der Beurteilung dieser Merkmale nicht an die Entscheidung des ausländischen Gerichts gebunden. Für ein Schiedsgericht mit Sitz in England, das sich die Frage der Anerkennungsfähigkeit der Zwischenentscheidung des staatlichen Parallelgerichts stellt, gilt bei Anwendung englischen Rechts nichts anderes.193 Wenn aus Sicht des englischen Schiedsgerichts die Schiedsabrede wirksam und in der Hauptsache anwendbar ist, hat der Gerichtskläger durch die Einleitung des staatlichen Hauptsacheverfahrens die Schiedsabrede missachtet. Auch die Zwischenentscheidung über die Zurückweisung der Schiedseinrede resultiert aus diesem Verfahren. Sofern sich der Schiedskläger nicht auf das staatliche Parallelverfahren eingelassen hat, wird das Schiedsgericht der Zwischenentscheidung gemäß s. 32(1) Act 1982 die Anerkennung versagen. S. 32(4) Act 1982, der eine Ausnahme beispielsweise für Entscheidungen i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vorsieht, ist nicht einschlägig, wenn sich die Anerkennung wie hier nach englischem common law beurteilt. Eine Zwischenentscheidung des staatlichen Parallelgerichts über die Zurückweisung der Schiedseinrede ist daher ungeeignet, um das parallele Schiedsverfahren in England zu unterbinden.
cc) Frankreich Zwischenentscheidungen staatlicher Gerichte über die Schiedseinrede werden in Frankreich wegen fehlender compétence indirecte194 und/oder Verletzung des ordre public international195 nicht anerkannt. Etwas anderes gilt nur, wenn 191 National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 66, Rn. 82. 192 Vgl. hierzu ausführlich Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 14R097 ff.; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws. Fourth Suppl., 2017, Rn. 14-098 f. 193 National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 118 (Moore-Bick LJ). 194 CA Paris, 15.6.2006, Rev. arb. 2007, 87 – Fincantieri. 195 CA Paris, 8.10.2013, Int J Arab Arbitration 2014, 59 – SA Iberia Lineas Aereas de Espana ./. SARL Pan Atlantic. Da in der vorliegenden Konstellation der Gerichtskläger keine
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei
147
das Schiedsgericht zur Zeit der staatlichen Zwischenentscheidung noch nicht konstituiert war. Außerdem muss die Schiedsabrede aus französischer Sicht offensichtlich nichtig bzw. offensichtlich unanwendbar sein (Art. 1448 i. V. m. Art. 1506 Abs. 1 CPC).196 Hier wird jedoch der Fall untersucht, dass der Sitz des Schiedsgerichts in Frankreich liegt und aus französischer Sicht die Schiedsabrede wirksam und anwendbar ist.
c) Einsatz der Rechtskraft der Zwischenentscheidung im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten zur Verteidigung gegen den Schiedsspruch in der Hauptsache Sofern die Zwischenentscheidung des staatlichen Hauptsachegerichts über die Zurückweisung der Schiedseinrede im Inland Rechtskraft entfaltet, kann sie vom Gerichtskläger im Gerichtsstaat zur Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des künftigen Hauptsache-Schiedsspruchs nach Art. III ff. NYK eingesetzt werden.197 Eine Wirkungserstreckung auf andere Mitgliedstaaten scheidet mit Blick auf die untersuchten Rechtsordnungen dagegen aus. In Deutschland ist die Zwischenentscheidung einer Anerkennung nach § 328 ZPO nicht zugänglich.198 In England199 und Frankreich200 steht sie unter dem Vorbehalt einer eigenen, originären Überprüfung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung nach Maßgabe der jeweiligen lex fori. Für Frankreich bedeutet das, dass die Anerkennung bereits dann versagt wird, wenn das Schiedstribunal zur Zeit der Zwischenentscheidung konstituiert war oder die Schiedsabrede weder offensichtlich unwirksam noch offensichtlich unanwendbar ist.
2. Inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede im staatlichen Hauptsacheurteil Abschließend kommt die Möglichkeit in Betracht, dass das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede inzident im Hauptsacheurteil zurückweist und die Entscheidung auch insoweit vom Umfang der materiellen Rechtskraft umfasst wird (a)). Gegebenenfalls stellt sich die Frage, ob der Gerichtskläger die Rechtskraft der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede im Schiedsstaat Entscheidung nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO erwirken kann, weil der Schiedssitz im Ausland liegt, kommt es an dieser Stelle nicht darauf an, ob insoweit eine differenzierte Ansicht angebracht ist (vgl. hierzu Teil 3 A.I.2.c), Fn. 86. 196 Debourg, Rev. arb. 2016, 127, 136; Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567, Rn. 13; Niboyet, Rev. arb. 2012, 569, 573–586. 197 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.3. 198 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.II.3.b)aa). 199 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.II.3.b)bb). 200 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.II.3.b)cc).
148 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung zur Unterbindung des parallelen Schiedsverfahrens (b)) bzw. im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten zur Verteidigung gegen den Schiedsspruch in der Hauptsache einsetzen kann (c)).
a) Zulässigkeit und Rechtskraft der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede im Inland nach einzelstaatlichem Recht aa) Deutschland Anstatt vorab in einem Zwischenurteil hierüber zu entscheiden, können deutsche Gerichte eine nach § 1032 Abs. 1 ZPO erhobene Schiedseinrede auch inzident mit der Entscheidung in der Hauptsache zurückweisen.201 Nach deutschem Recht erwächst die Hauptsache-Entscheidung insoweit aber nicht in Rechtskraft.202 Denn diese ist gemäß § 322 Abs. 1 ZPO grundsätzlich203 auf den Tenor des Urteils beschränkt; inzidente Entscheidungen über präjudizielle Rechtsverhältnisse werden nicht erfasst.204 Danach lässt sich noch erwägen, ob die Zulässigkeit der Klage als solche als unausgesprochener Bestandteil des Tenors in Rechtskraft erwächst.205 Jedenfalls werden einzelne, spezifische Zulässigkeitsgründe wie die Unbegründetheit der Schiedseinrede von der Rechtskraft der Hauptsache-Entscheidung aber nicht erfasst.206
bb) England Zwar folgt aus r. 62.8(3) CPR, dass ein englisches Gericht das Verfahren in der Hauptsache während der Entscheidung über den Antrag nach s. 9(1) i. V. m. s. 2(2) lit. a AA 1996 fortsetzen kann.207 Soweit ersichtlich, erfolgt die Zurückweisung der Schiedseinrede jedoch auch dann nicht inzident mit der Hauptsache-Entscheidung, sondern stets vorab durch gesondertes Judikat (preliminary judgment).208
201 202
MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 21; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1032, Rn. 9. Münch, ZZP 128 (2015), 307, 316 f.; ders., LMK, 2014, 361719, Nr. 2 lit. d; offen gelassen BGH, NJW 2014, 3655, Rn. 18. 203 Vgl. z. B. § 322 Abs. 2 ZPO. 204 BGH, NJW 1983, 2032; BGH, NJW 2008, 2716; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 1007. 205 So etwa Stein/Jonas/Althammer, 2018, § 322 ZPO, Rn. 134. 206 Münch, LMK 2014, 361719, Nr. 2 lit. d. 207 R. 62.8(3) CPR („Where a question arises as to whether (a) an arbitration agreement has been concluded; or (b) the dispute which is the subject-matter of the proceedings falls within the terms of such an agreement, the court may decide that question or give directions to enable it to be decided and may order the proceedings to be stayed pending its decision.“ (Hervorhebung hinzugefügt)). 208 Vgl. zu den Handlungsoptionen eines englischen Gerichts, das mit einer Schiedseinrede konfrontiert ist, oben Teil 3 B.II.1.a)bb).
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei
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cc) Frankreich An sich beschränkt sich im französischen Recht die materielle Rechtskraft (l’autorité de la chose jugée) wie in Deutschland auf den Urteilstenor (dispositif du jugement); die Urteilsbegründung (motifs) wird vom objektiven Umfang der Rechtskraft nicht erfasst; allerdings zählen zum dispositif auch präjudizielle Rechtsverhältnisse, sofern die Parteien über sie gestritten haben.209 Demnach wäre die zwischen den Parteien umstrittene, inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede von der materiellen Rechtskraft der Hauptsache-Entscheidung umfasst. Soweit ersichtlich findet sie jedoch nicht statt. Ein französisches Gericht, das mit einer Schiedseinrede konfrontiert ist, verhandelt nur und erst dann in der Sache, nachdem es die Schiedsabrede im Rahmen von Art. 1448 i. V. m. Art. 1506 Abs. 1 CPC für offensichtlich ungültig bzw. offensichtlich unanwendbar erklärt hat.210
b) Einsatz der Rechtskraft der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede im Schiedsstaat zur Unterbindung des Schiedsverfahrens Unterstellt, dass der Gerichtskläger nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten eine rechtskräftige, inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede mit der Hauptsache-Entscheidung erwirken kann, kann er diese im Schiedsstaat womöglich zur Unterbindung des parallelen Schiedsverfahrens einsetzen. Das setzt voraus, dass die inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede im Schiedsstaat anerkennungsfähig ist. Umstritten ist, ob sich die Anerkennung insofern nach einzelstaatlichem Recht oder nach dem Brüssel-System beurteilt.
aa) Einschlägiges Anerkennungsregime (1) Meinungsstand Nuyts ist der Ansicht, dass sich die Anerkennung und Vollstreckung der Hauptsache-Entscheidung entsprechend ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO zwar grundsätzlich nach der Verordnung beurteile.211 Das gelte nach ErwGr. 12 Abs. 2 Var. 2 Brüssel Ia-VO aber nicht für die inzidente Entscheidung über die Vorfrage der Gültigkeit der Schiedsabrede. Insoweit beurteile sich die Anerkennung nach einzelstaatlichem Recht. Ist die Anerkennung hiernach zu versagen, 209
Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 1008. Vgl. Cass. 1ère civ., 1.7.2009, Nr. 08-12.494, Mealey’s I. A. R. 24/12 (2009), 15–19 – Encore; Cass. 1ère civ., 11.7.2006, Nr. 03-19838, JDI 2007, 146 – Andhika Lines; Cass. soc., 9.10.2001, Nr. 99-43288, Rev. arb. 2002, 347 – Kis ./. Lopez-Alberdi; Cass. 1ère civ., 7.6.2006, Nr. 03-12.034, Yb. Com. Arb. 2007, 290–293 – Copropriété Maritime Jules Verne u. a. ./. American Bureau of Shipping; Cass. 1ère civ., 11.7.2006, Nr. 04-14950, Bull. civ. 2006, I, Nr. 364 – Société National Broadcasting; Cass. 1ère civ., 20.2.2007, Nr. 06-14107, Rev. arb. 2007, 775 – UOP ./. BP France; Delvolvé/Pointon/Rouche, French Arbitration Law and Practice, 2009, 78. 211 Nuyts, Rev. crit. d. i. p. 2013, 1, Rn. 11. 210
150 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung wirke sich das – logischerweise und trotz ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO – auf die Anerkennung der Entscheidung in der Hauptsache aus. Denn diese sei unvereinbar mit der Entscheidung der Gerichte des Zweitstaats, der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede die Anerkennung zu versagen (Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO). Mourre und Nioche sind hingegen der Meinung, ErwGr. 12 Abs. 2 Var. 2 Brüssel Ia-VO erfasse allein den Fall, dass das Erstgericht die Schiedseinrede separat per Zwischenurteil zurückgewiesen hat.212 Wurde dagegen inzident über die Schiedseinrede entschieden, unterliege die Hauptsache-Entscheidung gemäß ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO insgesamt dem Anerkennungsregime der Verordnung. Daher müsse – sofern sie nach dem Recht des Erststaats in Rechtskraft erwächst – auch die inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO unionsweit zirkulieren. Die Ansicht von Nuyts bedeute dagegen eine unpraktikable Aufspaltung des Anerkennungsregimes hinsichtlich ein und derselben Entscheidung. Zudem werde die Anerkennung der Hauptsache-Entscheidung nach den Bestimmungen der Verordnung der Frage unterstellt, ob die Entscheidung über die Vorfrage der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede nach einzelstaatlichem Recht anerkannt wird. Im Ergebnis werde ein Versagungsgrund geschaffen, der in Art. 45 Brüssel Ia-VO nicht vorgesehen sei.
(2) Stellungnahme Vorzugswürdig ist die Kombination beider Ansichten: Nuyts ist zuzustimmen, dass die inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede im Hauptsacheurteil ebensowenig wie die separate per Zwischenurteil nach der Verordnung zirkuliert (a). Mourre und Nioche ist dagegen beizupflichten, dass die Anerkennungsversagung eines Hauptsacheurteils bezüglich der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede nicht auf die Pflicht der Mitgliedstaaten durchschlägt, nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Entscheidung in der Hauptsache anzuerkennen; insbesondere begründet sie nicht den Versagungsgrund nach Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO (b).
(a) Die Anerkennung der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede beurteilt sich nach einzelstaatlichem Recht Bereits aus Wortlaut und Systematik des ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO ergibt sich, dass sich die Anerkennung der Zurückweisung der Schiedseinrede durch das Erstgericht nach einzelstaatlichem Recht beurteilt, unabhängig davon, ob sie separat oder inzident erfolgt ist: Abs. 2 Var. 2 stellt klar, dass Entscheidungen über die Gültigkeit der Schiedsabrede nicht nach der Verordnung zirkulieren – auch 212
Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567 Rn. 10, 15.
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei
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dann nicht, wenn das Erstgericht insofern über eine Vorfrage in einem Verfahren entschieden hat, dessen Hauptgegenstand dem Brüssel-System unterfällt. Eine Differenzierung nach der Form der Entscheidung – separat oder inzident – lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen.213 Entsprechend unterscheidet Abs. 3 S. 1 – der auf Abs. 2 Bezug nimmt („hingegen“) – lediglich zwischen der (i) Zurückweisung der Schiedseinrede und (ii) der Entscheidung in der Hauptsache – nur in Bezug auf die Entscheidung in der Hauptsache erklärt er die Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO für anwendbar. Nichts anderes ergibt sich aus Sinn und Zweck des ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.214 Ein Großteil des Schrifttums und der englische Court of Appeal schlossen aus einer Passage des West Tankers-Urteils des EuGH, dass mitgliedstaatliche Entscheidungen über Schiedseinreden – entgegen der bis dahin herrschenden Meinung – nach dem Brüssel-System zirkulieren könnten. Voraussetzung sei nur, dass der Hauptgegenstand des Erstverfahrens vom Anwendungsbereich der Verordnung erfasst sei. Das stieß im Reformprozess auf erhebliche Kritik. Denn der Gerichtskläger hätte in einem schiedskritischen Gerichtsstaat in der Hauptsache klagen und dann im Schiedsstaat mithilfe der nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anzuerkennenden Zurückweisung der Schiedseinrede das eigentlich vereinbarte Schiedsverfahren unterbinden können. Mit der Einführung von ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO wollte der Unionsgesetzgeber dem entgegentreten. Dem widerspricht es, würde man über eine Differenzierung zwischen separater und inzidenter Entscheidung nun doch wieder zu einer unionsweiten Zirkulation der Zurückweisung der Schiedseinrede gelangen. Die von Mourre und Nioche vertretene Differenzierung zwischen separater und inzidenter Zurückweisung der Schiedseinrede erscheint auch sonst wenig sinnvoll. Soweit das einzelstaatliche Recht eine Wahlmöglichkeit vorsieht, wie dies z. B. in Deutschland der Fall ist,215 könnten künftig die mitgliedstaatlichen Gerichte über das „Ob“ der unionsweiten Zirkulation bestimmen. Zugleich wären Gerichte anderer Mitgliedstaaten benachteiligt, deren Schiedsverfahrensrecht keine Möglichkeit vorsieht, inzident mit der Hauptsache über die Schiedseinrede zu entscheiden, so z. B. Gerichte in England216 und Frankreich217. Zwar ist richtig, dass die einheitliche Behandlung von separater und inzidenter Zurückweisung der Schiedseinrede eine Aufspaltung des Anerkennungs213 Vgl. auch die englische Fassung („[…] regardless of whether the court decided on […] [the validity and applicability of an arbitration agreement] as a principal issue or as an incidental question […]“) und die französische Fassung („[…] que la juridiction se soit prononcée [à la question de savoir si une convention d’arbitrage es caduque inopérante ou non susceptible d’être appliquée] à titre principal ou incident […]“). 214 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.II.2.a)bb). 215 Vgl oben Teil 3 B.II.2.a)aa). 216 Vgl oben Teil 3 B.II.2.a)bb). 217 Vgl oben Teil 3 B.II.2.a)cc).
152 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung regimes hinsichtlich ein und derselben Hauptsache-Entscheidung i. S. v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO zur Folge haben kann: Soweit inzident über die Schiedseinrede entschieden wurde, richtet sich die Anerkennung nach einzelstaatlichem Recht (ErwGr. 12 Abs. 2 Var. 2 Brüssel Ia-VO); im Übrigen beurteilt sie sich nach der Verordnung (ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO). Die Möglichkeit einer derartigen Aufspaltung ist jedoch nichts Neues. So entschied der EuGH bereits in der Rechtssache Boogaard, dass sich die Anerkennung ein und derselben Entscheidung i. S. v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO teilweise nach der Verordnung, teilweise nach einzelstaatlichem Recht beurteilen kann.218 Die Aufspaltung setzt zwar eine entsprechende Teilbarkeit voraus.219 Deren Annahme ist hier – bezüglich der inzidenten Entscheidung über eine Vorfrage – weniger klar als in der Rechtssache Boogaard, in der die Teilbarkeit zweier Hauptgegenstände zu beurteilen war. Für Entscheidungen über die Schiedseinrede und in der Hauptsache stellen ErwGr. 12 Abs. 2 Var. 2, Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO die Teilbarkeit jedoch ausdrücklich klar.
(b) Eine Versagung der Anerkennung des Hauptsacheurteils bezüglich der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede schlägt nicht auf die Pflicht nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zur Anerkennung der Entscheidung im Übrigen durch Aus Wortlaut und Systematik des ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO ergibt sich ferner, dass eine Versagung der Anerkennung des Hauptsacheurteils bezüglich der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede nicht auf die Pflicht des Zweitstaats durchschlägt, nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Entscheidung in der Hauptsache anzuerkennen: Abs. 3 S. 1 bezieht sich nämlich auf Abs. 2 Var. 2 („hingegen“) und erklärt, dass die Entscheidung in der Hauptsache „dennoch“ gemäß der Verordnung anerkannt werden sollte – d. h. auch wenn der Entscheidung über die Zurückweisung der Schiedseinrede nach einzelstaatlichem Recht die Anerkennung zu versagen ist. Dafür spricht auch Sinn und Zweck des ErwGr. 12 Abs. 3 Brüssel Ia-VO. Anders als Abs. 2 war Abs. 3 in dem ursprünglichen, französisch-polnischen Vorschlag für Erwägungsgrund 12 nicht vorgesehen.220 Andere Delegationen wendeten allerdings ein, dass aus Abs. 2 für sich genommen gefolgert werden könne, dass Gerichtsentscheidungen von der Titelfreizügigkeit ausgeschlossen seien, wenn sich im Erstverfahren die Vorfrage der Gültigkeit der Schiedsabrede gestellt habe. Die große Mehrheit im Rat insistierte, dass das nicht gewollt sei. Die dänische Ratspräsidentschaft schlug daraufhin im April 2012 vor, zwar im Ausgangspunkt dem französisch-polnischen Vorschlag zu folgen, die Fassung des Erwägungsgrundes aber – wie von der deutschen Delegation 218 219
EuGH, C-220/95, Slg. 1997 I-1147 – Van den Boogaard. EuGH, C-220/95, Slg. 1997 I-1147, Rn. 22 – Van den Boogaard. 220 Vgl. zum Ganzen ausführlich und mit Nachweisen oben Teil 2 A.II.2.a)ff).
B. Möglichkeiten der gerichtszugewandten Partei
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vorgeschlagen – um den heutigen Abs. 3 zu ergänzen. Dem läuft die Ansicht von Nuyts diametral zuwider. Denn danach würde die Pflicht zur Anerkennung der Entscheidung in der Hauptsache davon abhängig sein, ob die inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede nach einzelstaatlichem Recht anerkennungsfähig ist. Damit würde das gelten, was der Verordnungsgeber verhindern wollte – dass Gerichtsurteile von der Titelfreizügigkeit nur deshalb nicht erfasst werden, weil sich im Erstverfahren die Gültigkeit der Schiedsabrede als Vorfrage gestellt hat. Im Übrigen ist Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO keine taugliche Grundlage, um der Entscheidung in der Hauptsache die Anerkennung zu versagen. Die Anerkennung der Entscheidung in der Hauptsache ist nämlich nicht unvereinbar mit der Anerkennungsversagung bezüglich der Zurückweisung der Schiedseinrede. Der Begriff der Unvereinbarkeit ist unionsautonom und eng auszulegen.221 Erfasst werden nur Entscheidungskollisionen, durch die der Rechtsfriede ernsthaft gestört würde.222 Wie der Gerichtshof klargestellt hat, ist das bei widersprüchlichen Entscheidungen über Zulässigkeits- und Verfahrensvoraussetzungen nicht der Fall.223 Nur in Bezug auf eine Zulässigkeitsvoraussetzung, nämlich die Entscheidung des Hauptsachegerichts über die eigene Zuständigkeit, weichen Hauptsacheurteil und Anerkennungsversagung jedoch voneinander ab.
bb) Einzelstaatliches Recht Damit beurteilt sich im Schiedsstaat die Anerkennung der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede durch das staatliche Parallelgericht nach einzelstaatlichem Recht. In Deutschland ist die inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede durch ausländische Gerichte einer Anerkennung nach § 328 ZPO nicht zugänglich; es fehlt ihr am Merkmal der Sachentscheidung.224 In England steht der Anerkennung nach common law s. 32(1) Act 1982 entgegen; in der untersuchten Konstellation ist die Schiedsabrede aus Sicht des Schiedsstaats wirksam und anwendbar.225 In Frankreich wird der Zurückweisung der Schieds221 EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 22 – Hoffmann ./. Krieg; EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 44 – Italian Leather. 222 Jenard-Bericht, 1968, 45; EuGH, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, Rn. 21 – Solo Kleinmotoren; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 45, Rn. 108. 223 EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 44 – Italian Leather („Zum anderen muss sich die Unvereinbarkeit – wie sich aus Randnummer 22 des Urteils Hoffmann ergibt – bei den Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen zeigen; sie betrifft nicht die Zulässigkeits- und Verfahrensvoraus-setzungen für den Erlass dieser Entscheidungen, die sich möglicherweise von einem Vertragsstaat zum anderen unterscheiden.“); vgl. auch Cass. (IT), 12.11.1994 – 9554, Riv. dir. int. priv. proc. 1995, 732; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 51. 224 Wie oben Teil 3 B.II.1.b)aa). 225 Wie oben Teil 3 B.II.1.b)bb).
154 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung einrede im Hauptsacheurteil wegen Verletzung des Grundsatzes der negativen Kompetenz-Kompetenz (Art. 1448 i. V. m. Art. 1506 Abs. 1 CPC) die Anerkennung versagt – wegen fehlender compétence indirecte und/oder Verstoß gegen den ordre public international.226 Im Ergebnis ist damit auch die inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede im Hauptsacheurteil nicht geeignet, das parallele Schiedsverfahren zu unterbinden.
c) Einsatz der Rechtskraft der inzidenten Zurückweisung der Schiedseinrede zur Verteidigung im Gerichtsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten gegen den Schiedsspruch in der Hauptsache Sofern der Gerichtskläger vor dem staatlichen Parallelgericht eine rechtskräftige, inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede erwirken kann, kann er sie im Gerichtsstaat zur Verteidigung gegen die Anerkennung des konkurrierenden Hauptsache-Schiedsspruchs nach Art. III ff. NYK einsetzen.227 Ein entsprechender Einsatz in dritten Mitgliedstaaten scheidet mit Blick auf die untersuchten Rechtsordnungen aus, weil die inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede nicht anerkennungsfähig ist.228
C. Fazit In Teil 3 der Arbeit wurden die Möglichkeiten der Parteien untersucht, mithilfe der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung über die (Un-)Wirksamkeit bzw. (Un-)Anwendbarkeit der Schiedsabrede das jeweils konkurrierende Parallelverfahren zu unterbinden oder wenigstens die Wirkungen der in diesem Verfahren zu erwartenden Hauptsache-Entscheidung zu beschränken. Dabei hat sich für die untersuchten Rechtsordnungen Folgendes ergeben: Der Schiedskläger kann in einem Szenario mithilfe der Rechtskraftwirkung einer Entscheidung über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat unterbinden. Das ist dann der Fall, wenn England Gerichtsstaat ist229 und der Schiedskläger vor deutschen Gerichten nach § 1032 Abs. 2 ZPO eine isolierte Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede erwirken kann.230 Regelmäßig muss der Gerichtskläger außerdem zur Zeit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks in Deutschland anwesend gewesen sein.231 Sofern der Schiedskläger im staatlichen Parallelverfahren vor englischen Gerichten die Schieds226 227
Wie oben Teil 3 B.II.1.b)cc). Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.3. 228 Vgl. hierzu soeben Teil 3 B.II.2.b). 229 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.b). 230 Vgl. oben Teil 3 A.I.1.a). 231 Vgl. oben Teil 3 A.I.2.b).
C. Fazit
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einrede erhebt und sich auf die isolierte Feststellungsentscheidung beruft, ist es dem Gerichtskläger verwehrt, die Ungültigkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede geltend zu machen (issue estoppel) – das englische Gericht verweist die Parteien auch dann auf das schiedsrichterliche Verfahren, wenn es im Rahmen einer originären Prüfung zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass die Schiedsabrede ungültig bzw. unanwendbar ist. In allen anderen Szenarien ist die Rechtskraft einer Entscheidung über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede dagegen ungeeignet, um das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat zu unterbinden.232 Zudem kann sich der Schiedskläger in keiner Konstellation auf die besagte Rechtskraftwirkung berufen, um sich im Schiedsstaat oder in einem dritten Mitgliedstaat gegen die Pflicht nach Art. 32 ff. Brüssel Ia-VO zur Anerkennung des staatlichen Parallelurteils zu verteidigen.233 Insbesondere ist die Anerkennung des staatlichen Parallelurteils in der Hauptsache nicht unvereinbar mit einer Feststellung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede (Art. 45 Abs. 1 lit. c/d Brüssel Ia-VO).234 Der Gerichtskläger kann eine Entscheidung über die Ungültigkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede durch Gerichte des Gerichtsstaats oder eines dritten Mitgliedstaats in keiner der untersuchten Konstellationen einsetzen, um das parallele Schiedsverfahren im Schiedsstaat zu unterbinden.235 Sofern sie Rechtskraftwirkung entfaltet,236 kann er sie aber im Erststaat nutzen, um sich gegen die Pflicht nach Art. III ff. NYK zur Anerkennung des konkurrierenden Hauptsacheschiedsspruchs zu verteidigen.237 Vergleicht man die prozessualen Möglichkeiten der Parteien, so lässt sich zunächst feststellen, dass grundsätzlich weder der Schiedskläger noch der Gerichtskläger das konkurrierende Parallelverfahren mithilfe der Rechtskraft einer Entscheidung über die (Un-)Zuständigkeit des Schiedsgerichts unterbinden kann. Eine Ausnahme wurde allerdings für die Konstellation identifiziert, dass das staatliche Parallelverfahren vor englischen Gerichten geführt wird. Hintergrund ist, dass sich englische Gerichte nach einzelstaatlichem Recht offen dafür zeigen, die Beurteilung der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch ausländische Gerichte anzuerkennen, wenn das ausländische Gericht die Zuständigkeit des Schiedsgerichts im Ergebnis bestätigt hat. Andernfalls steht die Anerkennung unter dem Vorbehalt einer originären Beurteilung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch englische Gerichte. Diese Unterscheidung ist beachtlich, weil englische Gerichte ausländischen Spruchkörpern insofern mehr Vertrauen bei der Wahrung des Justizgewährungs232 233
Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.2.a), Teil 3 A.I.2.b), Teil 3 A.II.1., Teil 3 A.II.2. Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.3., Teil 3 A.II.1., Teil 3 A.II.2. 234 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.3.a), Teil 3 A.II.1., Teil 3 A.II.2. 235 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.2., Teil 3 B.II.1.b), Teil 3 B.II.2.b). 236 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.1. 237 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.3., Teil 3 B.II.1.c), Teil 3 B.II.2.c).
156 Teil 3: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Schiedsvereinbarung anspruchs als bei der Durchsetzung der Schiedsabrede entgegenbringen. Außerdem führt sie zu einer einseitigen Privilegierung der schiedszugewandten Partei. Beides ist allerdings im nationalen englischen Recht, nicht in der Brüssel Ia-VO oder der NYK angelegt und damit für die Zwecke der vorliegenden Arbeit nicht systemischer Natur. Betrachtet man die Möglichkeiten der Parteien, die res iudicata-Wirkung einer Entscheidung über die (Un-)Zuständigkeit des Schiedsgerichts zur Verteidigung einzusetzen, lässt sich dagegen eine systemische Privilegierung des Gerichtsklägers feststellen. Denn der Gerichtskläger kann die besagte Wirkung nutzen, um im Erststaat die Versagung der Anerkennung des Hauptsacheschiedsspruchs nach Art. III ff. NYK herbeizuführen. Der Schiedskläger hat eine entsprechende Möglichkeit nicht. Ursprung dieser Divergenz ist, dass die konkurrierenden Hauptsache-Entscheidungen Anerkennungsregimen mit unterschiedlichem Harmonisierungsgrad unterliegen. Die NYK von 1958 erlaubt den Gerichten des Zweitstaats eine originäre Überprüfung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts (Art. V Abs. 1 lit. a, Abs. 1 lit. c, Abs. 2 lit. a NYK); gleichzeitig harmonisiert sie die Anforderungen an die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede lediglich fragmentarisch (Art. II NYK) und als Obergrenze (Art. VII Abs. 1 NYK). Das Brüssel-System verpflichtet die Mitgliedstaaten dagegen zu Vertrauen in die Entscheidung des Erstgerichts über die eigene Zuständigkeit; ihre Nachprüfung durch Gerichte anderer Mitgliedstaaten erlaubt sie grundsätzlich nicht (Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO).
Teil 4
Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache Während in Teil 3 der Arbeit die materielle Rechtskraft von Entscheidungen über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede untersucht wurde, wandert der Blick nun zur res iudicata von Entscheidungen in der Hauptsache. Die Situation stellt sich beispielsweise wie folgt dar: Ein internationaler Kaufvertrag enthält eine Schiedsklausel zugunsten eines Schiedsgerichts mit Sitz in London. Gleichwohl macht der Gerichtskläger seine Ansprüche aus dem Vertrag vor deutschen Gerichten geltend. Der Schiedskläger erhebt daraufhin eine negative Feststellungsklage vor dem Londoner Schiedsgericht mit dem Antrag festzustellen, dass dem Gerichtskläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen. Die Parteien rügen im jeweils anderen Verfahren die Zuständigkeit. Letztendlich erklären sich jedoch beide Spruchkörper für zuständig (positiver Kompetenzkonflikt zwischen Schiedsgericht und mitgliedstaatlichem Gericht).1 Im ersten Szenario ergeht zuerst vor deutschen Gerichten eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache (A.), im zweiten Szenario zuerst vor dem Londoner Schiedsgericht (B.). Hier wie dort stellt sich die Frage, ob die zuerst rechtskräftig gewordene Sachentscheidung in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden muss und wenn ja, ob deshalb das jeweils andere Parallelverfahren zu beenden ist. Im dritten Szenario wird das jeweils andere Verfahren trotz der rechtskräftigen Hauptsache-Entscheidung im Parallelverfahren fortgeführt und mit einer konfligierenden Sachentscheidung beendet – das staatliche Parallelgericht 1 Im Fall eines positiven Kompetenzkonfliks zwischen staatlichen Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten, in denen jeweils die Schiedseinrede erhoben wurde, soll nach Rauscher/ Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 156 jedes der angerufenen Gerichte darüber entscheiden dürfen, ob eine Bereichsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO vorliegt. Denn die Anwendung des Prioritätsprinzips gemäß Art. 29 Abs. 1 Brüssel Ia-VO setze die Anwendbarkeit der Verordnung voraus. Nach dem Streitgegenstandstest des EuGH ist für die sachliche Anwendbarkeit der Vorschriften in Kapitel II der Brüssel Ia-VO allerdings auf den Hauptgegenstand des Verfahrens abzustellen. Im Beispielsfall streiten die Parteien über Ansprüche aus einem Kaufvertrag und damit über einen Gegenstand, der dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt. Dass als Vorfrage über die Schiedseinrede zu entscheiden ist, lässt die Anwendbarkeit der Verordnung auf das Verfahren unberührt (EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 26 – West Tankers).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
spricht dem Gerichtskläger die geltend gemachten Ansprüche zu, das Schiedsgericht spricht sie ihm ab. Sofern die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, beide Entscheidungen anzuerkennen – z. B. nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO das staatliche Parallelurteil und nach Art. III NYK den Schiedsspruch – stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls wie diese „anerkennungs- und vollstreckungsrechtliche Pattsituation“2 aufgelöst werden kann (C.).
A. Nur das Gerichtsurteil liegt vor Untersuchen wir zuerst den Fall, dass in der Hauptsache bisher nur das staatliche Urteil ergangen ist. Zunächst ist zu klären, ob dieses Urteil in anderen Mitgliedstaaten auch dann nach der Brüssel Ia-VO anerkannt und vollstreckt werden muss, wenn es aus Sicht des Zweitstaats unter Missachtung einer wirksamen und anwendbaren Schiedsabrede erwirkt worden ist (I.). Bezüglich des Schiedsstaats stellt sich gegebenenfalls die Folgefrage, ob die res iudicata des staatlichen Urteils auch im Schiedsverfahren Geltung beansprucht und ob das Schiedsgericht infolgedessen das schiedsrichterliche Parallelverfahren zu beenden hat (II.).
I. Pflicht der anderen Mitgliedstaaten nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zur Anerkennung des Gerichtsurteils trotz Missachtung der Schiedsabrede 1. Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO Ursprünglich war bereits umstritten, ob das Brüssel-System auf die Anerkennung und Vollstreckung einer mitgliedstaatlichen Entscheidung überhaupt Anwendung findet, wenn aus Sicht des Zweitstaats der zugrunde liegende Rechtsstreit durch ein Schiedsgericht hätte entschieden werden müssen: Bei den Beitrittsverhandlungen des Vereinigten Königreichs zum EuGVÜ vertraten insbesondere die britischen Delegierten die Ansicht, gemäß Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ seien alle Rechtsstreitigkeiten vom Anwendungsbereich des Brüssel-Systems ausgeschlossen, die von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst würden;3 das Zweitgericht sei frei, dies eigenständig und abweichend vom Erstgericht zu beurteilen; gegebenenfalls beurteile sich die Anerkennung und Vollstreckung nicht nach dem EuGVÜ, sondern nach einzelstaatlichem Recht. Dagegen waren die Unterhändler der EWG‑Gründungsstaaten der Meinung, dass sich die sachliche Anwendbarkeit des Brüssel-Systems alleine nach dem Hauptgegenstand des Rechtsstreits beurteile; die Rechtsnatur einer Vorfrage – hier die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsverein2 3
Pohl, IPRax 2013, 109, 110. Schlosser-Bericht, 1978, Rn. 61 f.
A. Nur das Gerichtsurteil liegt vor
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barung – sei insofern unerheblich.4 Letztlich ließen die Vertragsstaaten die Streitfrage offen, um den weiteren Fortgang der Beitrittsverhandlungen nicht zu gefährden.5 In der Folgezeit fanden beide Ansichten Anhänger.6 Der EuGH legte seinen Entscheidungen jedoch schon bald den heute als Streitgegenstandstest bekannten Ansatz der EWG‑Gründungsstaaten zugrunde.7 Zwar betrafen die Entscheidungen des Gerichtshofs ausschließlich die Anwendbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften des Brüssel-Systems auf das Verfahren vor einem Erstgericht.8 Heute stellt ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO aber auch für die Perspektive eines Zweitgerichts ausdrücklich klar: „Hat […] ein nach dieser Verordnung oder nach einzelstaatlichem Recht zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats festgestellt, dass eine Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, so sollte die Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache dennoch gemäß dieser Verordnung anerkannt und vollstreckt werden können.“
Der Vorbehalt zugunsten der NYK nach Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO ändert an der Anwendbarkeit des Brüssel-Systems auf die 4
Schlosser-Bericht, 1978, Rn. 61 f. Schlosser-Bericht, 1978, Rn. 61; GA Darmon, Schlussanträge v. 19.2.1991, Rs. C-190/89, Slg. 1991 I-3855, Rn. 45 – Marc Rich. 6 Im Ergebnis für die Ansicht der Gründungsstaaten Evrigenis/Kerameus-Bericht, 1982, Rn. 35; OLG Celle, RIW 1979, 131; OLG Stuttgart, IPRax 1987, 369; Corte di Appello di Milano, Riv. Dir. int. priv. proc. 1991, 1040; Partenreederei M/S Heidberg & others v Grosvenor Grain and Feed Co Ltd & others (The „Heidberg“) (No 2), [1994] 2 Lloyd’s Rep. 287, 301 (EWHC); OLG Hamburg, IPRax 1995, 391; Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1997] ILPr 73 (EWHC); Cass. 1ère civ., 14.11.2000, Nr. 98-21627, Rev. crit. d. i. p. 2001, 172 – Société Assurances générales de France; DHL GBS (UK) Ltd v Falllimento Finmatica SpA [2009] 1 Lloyd’s Rep 430, 434 (EWHC) (obiter); Geimer, RIW 1980, 305, 308 f.; Jenard, in: FS Bülow 1981, S. 82; Hartley, Civil Jurisdictions and Judgments, 1984, 96 f.; Kaye, Arb. Int. 7 (1991), 289, 291 f.; Van Houtte, Arb. Int. 13 (1997), 85, 88; Besson, in: FS Poudret, 1999, S. 344; Poudret, in: FS Sandrock, 2000, S. 769 f.; Beraudo, J. Int. Arb. 18 (2001), 13, 22; Bälz/Marienfeld RIW 2003, 51, 52; Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 90; Balthasar/Richers, RIW 2009, 351, 355; Grierson, J. Int. Arb. 26/6 (2009), 891, 897; im Ergebnis für die Ansicht der britischen Delegierten Arab Business Consortium International Finance & Investment Co v Bancque Franco-Tunisienne [1996] 1 Lloydd’s Rep. 485, 488 (UKHC); Briggs, Yb. Eur. L. 11 (1991), 521, 529; Hascher: Anm. zu EuGH, 25.7.1991 – C-190/89, Rev. arb. 1991, 677, 702; Wiegand, EuZW 1992, 529, 531 f.; Audit, Arb. Int. 9 (1993), 1, 11 f., 22 (sofern im Erstverfahren die Schiedseinrede gutgläubig erhoben wurde); Hascher, Arb. Int. 13 (1997), 33, 57; Virgòs Soriano/Garcimartín Alférez, Derecho procesal civil internacional, 2000, 452 f; offen gelassen Marc Rich & Co AG v Soc Italiana Impianti pA (The „Atlantic Emperor“) (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep. 624, 629–633 (EWCA). 7 EuGH, Rs. C-190/89, Slg. 1991 I-3855 – Marc Rich; EuGH, Rs. C-391/95, Slg. 1998 I-7091 – Van Uden; EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers; EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427 – Gazprom. 8 So auch in EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427 – Gazprom (Gerichtshof untersuchte die Anwendbarkeit der Verordnung auf das Verfahren vor dem litauischen Exequaturgericht und auf das Verfahren vor litauischen Gerichten in der Hauptsache). 5
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung in der Hauptsache nichts. Er betrifft den Fall, dass ein Mitgliedstaat widersprüchlichen Verpflichtungen nach der Brüssel Ia-VO und der NYK ausgesetzt ist.9 Eine solche Pflichtenkollision setzt die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO gerade voraus.
2. Grundlage für eine Anerkennungsversagung Eine von der Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO zu unterscheidende Frage ist freilich, ob die prinzipiell anwendbare Verordnung eine Anerkennungsversagung erlaubt, wenn das Erstgericht aus Sicht des Zweitstaats eine wirksame und anwendbare Schiedsvereinbarung übergangen hat. Auch diese Frage wurde bereits vor der Reform der Brüssel I‑VO kontrovers diskutiert;10 im Unterschied zur Frage der Anwendbarkeit der Verordnung gilt sie allerdings noch heute als ungelöst.11 Dabei hat der Streit durch die Einführung von Art. 73 9
Vgl. oben unter Teil 2 B.III.1.c)bb)(4)(b). Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 119, 128; gegen die Annahme eines Versagungsgrunds auf dieser Grundlage Cass. 1ère civ., 14.11.2000, Nr. 98-21627, Rev. crit. d. i. p. 2001, 172 – Société Assurances générales de France; OLG Stuttgart, IPRax 1987, 369; OLG Celle, RIW 1979, 131, 132; OLG Hamburg, IPRax 1995, 391, 393; OLG Düsseldorf, RIW 1998, 967, 968; National Navigation Co v. Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397; Partenreederei M/S Heidberg & others v Grosvenor Grain and Feed Co Ltd & others (The „Heidberg“) (No 2), [1994] 2 Lloyd’s Rep. 287, 301, 310 (EWHC); Corte di Appello di Milano, Riv. Dir. int. priv. proc. 1991, 1040; BGE, 127 III 186, 188 (zum LugÜ); Schmidt, EWS 1993, 388, 395 f.; Hascher, Arb. Int. 13 (1997), 33, 53 f.; Bälz/Marienfeld RIW 2003, 51, 52; Geimer, in: FS Heldrich, 2005, S. 646; Radicati di Brozolo, J. Priv. Int. L. 7 (2011), 423, 453 ff.; für die Annahme eines Versagungsgrunds auf dieser Grundlage Arab Business Consortium International Finance & Investment Co v Banque Franco-Tunisienne [1996] 1 Lloyd’s Rep. 485, 488 ff. (UKHC) (öffentliche Ordnung); Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1997] ILPr 73, Rn. 88-115 (EWHC); National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWHC 196 (öffentliche Ordnung, Entscheidung allerdings aufgehoben in National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397); Schlosser, Rev. arb. 1981, 371, 379–381 (besondere Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit für den internationalen Handel); Haas, IPRax 1992, 292, 294 (wenn nach dem Recht des Anerkennungsstaats das Übergehen der Schiedsvereinbarung einen ordre public-Verstoß darstellt); Beraudo, J. Int. Arb. 18 (2001), 13 (Art. II Abs. 3 NYK); Markus, in: FS Koller, 2006, S. 447 f.; differenzierend danach, ob es sich um eine evidente Verletzung der Schiedsvereinbarung durch das Erstgericht handelt Van Haersolte-Van Hof, J. Int. Arb. 18/1 (2001), 27, 36 f.; Perret, Arb. Int. 16/3 (2002), 333, 338; Mourre, Bull. ASA, 2005, 408, 419; insofern kritisch Balthasar/Richers, RIW 2009, 351, 355 f.; Illmer, IPRax 2012, 264, 270 f.; offen gelassen Marc Rich & Co AG v Soc Italiana Impianti pA (The „Atlantic Emperor“) (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep. 624 (EWCA). 11 Im Ergebnis dagegen, dass die Missachtung der Schiedsabrede als solche einen der in Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO abschließend aufgezählten Anerkennungsversagungsgründe erfüllt: Zöller/Geimer, 2018, § 1061, Rn. 64-66; Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 510; Rauscher/ Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 151; Debourg, Rev. arb., 2016, 127, 162; Gottwald, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 392; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 72–80; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 103 f.; Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 861, 864; Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 50 (2014), 5, 21; Camilleri, ICLQ 2013, 899, 915; a. A. Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 330 ff.; Schlosser/Hess/Schlosser/Hess, EuZPR, 2015, Art. 1, Rn. 25; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, Rn. 8.17, 7.38. 10
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Abs. 2 und ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO neuen Auftrieb erfahren.12 Im Folgenden soll zunächst die Relevanz dieser Bestimmungen für die vorliegende Fallgestaltung herausgearbeitet werden (a)). Dann wird untersucht, ob die Missachtung der Schiedsabrede durch das Erstgericht einen Anerkennungsversagungsgrund nach Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO begründet (b)).
a) Relevanz von Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO Mit Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO stellt der Unionsgesetzgeber klar, dass die Mitgliedstaaten dann, wenn sie widerstreitenden Verpflichtungen nach der Brüssel Ia-VO und der NYK ausgesetzt sind, der Verpflichtung nach der NYK Vorrang einräumen müssen.13 Vorliegend ist womöglich Art. II NYK eine Pflicht der Vertragsstaaten zu entnehmen, Gerichtsentscheidungen die Anerkennung zu versagen, wenn sie unter Missachtung einer Schiedsabrede zustande gekommenen sind. Das könnte mit der Pflicht des jeweiligen Zweitstaats kollidieren, jene Gerichtsentscheidung nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anzuerkennen. Drei Punkte sind allerdings beachtlich: Erstens scheidet die besagte Pflichtenkollision aus, wenn sich die Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsfrage im Schiedsstaat stellt. Denn aus Sicht des Schiedsstaats liegt eine inländische Schiedsabrede vor. Auf diese findet Art. II NYK keine Anwendung (Art. I Abs. 1 NYK analog).14 Zweitens lässt sich eine Anerkennungsversagung aufgrund des Vorrangs der NYK nach Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO nur im Rahmen des ordre public-Vorbehalts (Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) begründen. Es überzeugt nicht, aus Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO einen von Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO verselbstständigten Anerkennungsversagungsgrund zu konstruieren.15 Denn nach ständiger Recht12 Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 331; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, 643, 685. 13 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(4)(b). 14 Potentielle Entscheidungen aufgrund der Schiedsabrede müssen aus Sicht des angerufenen Gerichts ausländische Schiedssprüche i. S. v. Art. I NYK darstellen bzw. – wenn der Schiedssitz noch nicht feststeht – darstellen können (MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, § 1061 Anh. 1 UNÜ, Art. II, Rn. 6; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, Anhang § 1061, Rn. 27; Kronke/Naciemiento/Otto u. a./ Schramm/Geisinger/Pinsolle, 2010, Article 2, 42; Poudret/Besson, Comparative Law, 2007, Rn. 766; Kröll, SchiedsVZ 2009, 40, 42; Schwab/Walter, 2005, Kap. 42, Rn. 10; a. A. Van den Berg, New York Convention, 1981, 63 (ausreichend ist eine internationale Komponente der Schiedsvereinbarung). 15 Vgl. hingegen Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 75 (bejaht zunächst die Anwendbarkeit der Verordnung, behandelt sodann aber Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel I‑VO als grundsätzlich tragfähigen Anerkennungsversagungsgrund); Salerno, Riv. dir. int. 96 (2013), 1146, 1186 (Bindungen des Zweitstaats nach der NYK können der Brüssel Ia-VO gemäß Art. 73 Abs. 2 vorgehen und mittelbar die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung zur Voraussetzung für die Anerkennung einer Gerichtsentscheidung erheben).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
sprechung des EuGH sind die in Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO aufgezählten Versagungsgründe abschließend.16 Drittens ist ein Rückgriff auf Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO nicht möglich, wenn dem Parallelurteil bereits unabhängig von einer Verletzung des Art. II NYK die Anerkennung zu versagen ist. Denn dann fehlt es an der Pflicht des Zweitstaats zur Anerkennung des Parallelurteils nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO, die mit einer Pflicht nach Art. II NYK zur Anerkennungsversagung kollidieren könnte. Der Rückgriff auf Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO ist mithin subsidiär – auch innerhalb der Prüfung des ordre public-Vorbehalts.
b) Ordre public-Vorbehalt, Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO Es stellt sich daher zuerst die Frage, ob der Umstand, dass das Parallelurteil aus Sicht des Zweitstaats unter Missachtung einer Schiedsabrede erwirkt wurde, für sich genommen den ordre public-Vorbehalt nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO begründen kann (aa)). Nur wenn das nicht der Fall ist und sich die Frage der Anerkennung des Parallelurteils in einem dritten Mitgliedstaat stellt, wird relevant, ob Art. II NYK eine Pflicht zu entnehmen ist, derartigen Urteilen die Anerkennung zu versagen (Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO) (bb)).
aa) Die Missachtung der Schiedsabrede und das Nachprüfungsverbot gemäß Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO Gemäß Art. 45 Abs. 3 Satz 1 Brüssel Ia-VO darf das Zweitgericht die Zuständigkeit des Erstgerichts nicht nachprüfen, sofern der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist. Dieses Verbot wird durch Art. 45 Abs. 3 Satz 2 Brüssel Ia-VO noch verstärkt, indem der Unionsgesetzgeber klarstellt, dass die Vorschriften über die Zuständigkeit keinen Bestandteil der öffentlichen Ordnung i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO darstellen. Daraus ist nämlich ersichtlich, dass selbst bei krassen Verletzungen von Bestimmungen über die Zuständigkeit die Entscheidung des Erstgerichts über die eigene Zuständigkeit nicht nachgeprüft werden darf.17 Dann stellt sich aber die Frage, ob die Missachtung der Schiedsabrede für sich genommen überhaupt als Grundlage für eine Anerkennungsversagung in Betracht kommt.
16 Vgl. zur Vorgängervorschrift des Art. 34 Brüssel I‑VO EuGH, Rs. C-139/10, Slg. 2011, I-9527, Rn. 33 – Prism Investments; EuGH, Rs. C-302/13, ECLI:EU:C2014:2319, Rn. 46 – flyLAL‑Lithuanian Airlines. 17 Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 35 EuGVO, Rn. 3.
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(1) Meinungsstand Nach überwiegender Ansicht betrifft die Zurückweisung der Schiedseinrede die Entscheidung des Erstgerichts über die eigene Zuständigkeit und unterfällt damit dem Nachprüfungsverbot nach Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO.18 Im Schrifttum gibt es aber durchaus auch andere Stimmen:19 Dickler ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Erstgerichts über die Schiedseinrede ein Kriterium betrifft, das zwischen der Gerichtsbarkeit als oberer und der Zuständigkeit als unterer Marke einzuordnen ist.20 Dass das Erstgericht insoweit nicht über die Gerichtsbarkeit entscheide – die das Zweitgericht nach allgemeiner Ansicht nachprüfen kann – zeige die Einbindung der Ziviljustiz in die schiedsrichterliche Streitbeilegung trotz wirksamer und anwendbarer Schiedsabrede. Andererseits betreffe die Entscheidung über die Schiedseinrede aber auch nicht lediglich das Merkmal der Zuständigkeit. Denn das Erstgericht habe insofern nicht nur über die Frage entschieden, welches staatliche Gericht, sondern ob überhaupt ein staatliches Gericht entscheidungsbefugt sei. Briggs argumentiert, das Zweitgericht rüge nicht, dass das Erstgericht unzuständig sei, sondern dass es die Schiedsvereinbarung der Parteien nicht durchgesetzt habe.21 Dem stehe das Nachprüfungsverbot nach Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO nicht entgegen. Schlosser ist zwar der Ansicht, dass die Abgrenzung der staatlichen Gerichtsbarkeit von der Schiedsgerichtsbarkeit eine Frage der Zuständigkeit ist.22 18 OLG Celle, RIW 1979, 132; OLG Hamm, RIW 1994, 243, 245; OLG Hamburg, IPRax 1995, 391; National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 69 (Waller LJ); Hascher, Arb. Int. 13 (1997), 33; Beraudo, J. Int. Arb. 18 (2001), 13, 25; Van Haersolte-Van Hof, J. Int. Arb. 18/1 (2001), 27, 37; Ambrose, Arb. Int. 19 (2003), 3, 16; Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 91; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 1 EuGVO, Rn. 47; Mourre, Cah. arb. 2013, 567, 578; Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 64, Rn. 3.32; Hauberg Wilhelmsen, Arb. Int. 30 (2014), 169, 177; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 97 ff.; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 103 (auch wenn das Erstgericht die Schiedsabrede willkürlich missachtet hat); Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, 201, 791; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 151; Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 510 (aus Art. 45 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO folgt, dass alle Fragen, die mit der Zuständigkeit im weitesten Sinne zusammenhängen, abschließend im Erstverfahren geklärt und entschieden werden sollen. Eine insoweit fehlerhafte Entscheidung des Erstgerichts stellt daher keinen Grund dar, der Hauptsache-Entscheidung des Erstgerichts die Anerkennung bzw. Vollstreckung zu verweigern); Zöller/Geimer, 2018, § 1061, Rn. 65 f. 19 Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 64 ff.; Schlosser, Rev. arb. 1981, 371, 390; Haas, IPRax 1992, 292, 293 f.; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, 201, 791. 20 Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 64 ff. 21 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, 201, 791 („Art. 45(3) is not triggered, as the objection is not to the rule of jurisdiction of the foreign court, but to the failure of that court to give effect to the agreement to arbitrate.“). Die Ansicht dürfte von der Konzeption der Doppelnatur von Zuständigkeitsvereinbarungen beeinflusst sein (vgl. hierzu ausführlich unten Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(b)). 22 Schlosser, Rev. arb. 1981, 371, 389 f.; zustimmend Haas, IPRax 1992, 292, 293 f.
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Er möchte das Nachprüfungsverbot nach Art. 28 Abs. 3 EuGVÜ (heute: Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO) aber nur auf Entscheidungen des Erstgerichts über Zuständigkeitsbestimmungen des Brüssel-Systems anwenden. Denn nur insoweit bestünden einheitliche Regeln, auf deren Anwendung vertraut werden könne. Hier liege der elementare Unterschied zwischen einer Gerichtsstandsabrede i. S. v. Art. 17 EuGVÜ (heute: Art. 25 Brüssel Ia-VO) und einer Schiedsabrede. Während sich die Gültigkeit der Gerichtsstandsabrede nach den einheitlichen Bestimmungen des Brüssel-Systems beurteile, richte sich die Wirksamkeit der Schiedsabrede nach einzelstaatlichem Recht. Fragen wie die objektive Schiedsfähigkeit des Rechtsstreits würden in den einzelnen Mitgliedstaaten an völlig unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Für die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes sei insoweit kein Raum.
(2) Stellungnahme Dickler ist zuzustimmen, dass die Gerichtsbarkeit – das heißt die Hoheitsgewalt eines Staates, auf eigenem Territorium Recht zu sprechen („Ob“ der Rechtsprechung) –23 durch den Abschluss einer Schiedsabrede nicht berührt wird. Zu Recht verweist sie dazu auf die Einbindung der staatlichen Gerichte in die schiedsrichterliche Streitbeilegung, z. B. im Rahmen der Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs. Abzulehnen ist dagegen Dicklers Ansicht, die Entscheidung über die Schiedseinrede betreffe nicht die Zuständigkeit des Erstgerichts: Das Merkmal der Zuständigkeit bestimmt, welcher Spruchkörper befugt ist, einen bestimmten Rechtsstreit zu entscheiden („Wer“ der Rechtsprechung). Genau das wollen die Parteien mit der Schiedsabrede regeln, wenn sie vereinbaren, dass bestimmte Rechtsstreitigkeiten durch ein Schiedsgericht zu entscheiden sind, nicht durch andernfalls berufene staatliche Gerichte. Hält das Erstgericht eine Schiedseinrede aufgrund dieser Abrede für begründet, stellt es fest, dass es unzuständig ist und verweist die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren. Hält es die Schiedseinrede für unbegründet, folgt zwar daraus allein noch nicht, dass das Erstgericht zuständig ist. Hinzutreten muss, dass die gesetzliche Zuständigkeitsordnung eine entsprechende Entscheidungsbefugnis zuweist. Das ändert aber nichts daran, dass die Unbegründetheit der Schiedseinrede Voraussetzung für die Sachentscheidungsbefugnis des Erstgerichts und damit ihre Zurückweisung Teil der Entscheidung über die eigene Zuständigkeit ist. Vor diesem Hintergrund kann auch die Ansicht von Briggs nicht überzeugen, das Zweitgericht versage die Anerkennung des Gerichtsurteils nicht, weil es das Erstgericht für unzuständig halte, sondern weil das Erstgericht die Durchsetzung der Schiedsabrede unterlassen habe. Denn es zu unterlassen, die Schieds23
Hess, EuZPR, 2010, § 6 Rn. 216.
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abrede durchzusetzen, ist lediglich Reflex der Zurückweisung der Schiedseinrede. Demgegenüber hat das Argument Schlossers durchaus Gewicht, dass das Vertrauen in die Zuständigkeitsentscheidung des Erstgerichts nur soweit reichen könne, wie sie auf der Anwendung einheitlicher Zuständigkeitsbestimmungen beruhe. Der Gerichtshof hat diese vom House of Lords aufgegriffene24 Ansicht in seiner West Tankers-Entscheidung jedoch verworfen.25 So spielte es für die Anwendung des Vertrauensgrundsatzes keine Rolle, dass sich die Frage der Gültigkeit der Schiedsabrede im italienischen Hauptsacheverfahren nach einzelstaatlichem Recht beurteilte. Unter Hinweis auf seine Gasser-Entscheidung stellte der EuGH vielmehr klar, dass im Anwendungsbereich des BrüsselSystems das jeweils angerufene Gericht „nach dem für dieses Gericht geltenden Recht“26 selbst bestimmt, ob es für den anhängigen Rechtsstreit zuständig ist; die anderen Mitgliedstaaten müssen insoweit in die Beurteilung des Erstgerichts vertrauen. Dem entspricht es, dass das Nachprüfungsverbot nach der Rechtsprechung des EuGH auch dann greift, wenn das Erstgericht die eigene Zuständigkeit nach einzelstaatlichem Recht beurteilt hat, etwa weil es die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO übersehen oder seine Zuständigkeit auf einen nach Art. 5 Brüssel Ia-VO ausgeschlossenen, exorbitanten Gerichtsstand nationalen Rechts gestützt hat.27 Angesichts der fundamentalen Bedeutung, die der EuGH dem Vertrauensgrundsatz auch in jüngster Zeit zuerkennt, ist eine Abkehr von dieser Judikatur nicht absehbar.28 Im Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass die Zurückweisung der Schiedseinrede die Entscheidung des Erstgerichts über die eigene Zuständigkeit betrifft und damit dem Nachprüfungsverbot nach Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO unterfällt. Es ist daher unzulässig, die Anerkennung allein auf der Grundlage zu versagen, das Erstgericht habe unter Missachtung einer Schiedsabrede entschieden.
24
West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta (The „Front Comor“) [2007] 1 Lloyd’s Rep 391, Rn. 14, 16, 22 (UKHL). 25 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 29 – West Tankers, mit Verweis auf EuGH, Rs. C-116/02, Slg. 2003 I-14693, Rn. 48 f. – Gasser. 26 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 29 – West Tankers, mit Verweis auf EuGH, Rs. C-116/02, Slg. 2003 I-14693, Rn. 48 f. – Gasser. 27 EuGH, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Rn. 33 – Krombach ./. Bamberski; OLG Frankfurt, IPRax 2002, 515; OLG Köln, OLGR 2004, 222; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 73. 28 Vgl. EuGH (Plenum), Gutachten 2/13, EU:C:2014:2454, Rn. 191 – EMRK‑Beitritt II; EuGH, Rs. C-681/13, ECLI:EU:C:2015:471, Rn. 40 – Johnny Walker.
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bb) Pflicht der Vertragsstaaten nach Art. II NYK, dem Gerichtsurteil die Anerkennung zu versagen? Eine Versagung der Anerkennung des Gerichtsurteils kommt damit nur noch in Betracht, wenn die Pflicht des Zweitstaats nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zur Anerkennung des Parallelurteils mit einer Pflicht nach Art. II NYK kollidiert, dem Urteil wegen Missachtung der Schiedsvereinbarung die Anerkennung zu versagen. Gemäß Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO wäre in diesem Fall die Pflicht nach der NYK vorrangig.
(1) Meinungsstand Im Schrifttum wird vertreten, dass Art. II Abs. 3 und/oder Abs. 1 NYK eine entsprechende völkervertragliche Pflicht zu entnehmen ist, ausländischen Urteilen die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen, wenn sie unter Missachtung einer Schiedsvereinbarung zustandegekommen sind.29 Teilweise wird eine derartige Verpflichtung einfach behauptet.30 Born und Kindler beziehen sich dagegen auf eine Reihe von Urteilen aus England, der Schweiz, den USA und Singapur.31 Kindler leitet darüber hinaus aus Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO ab, dass nach Auffassung des EU‑Gesetzgebers die NYK zumindest teilweise dieselben Sachverhalte regele wie die Brüssel Ia-VO; denn andernfalls hätte sich die dort normierte Rangfrage nicht gestellt.32 Daraus folge, dass auch die NYK Vorgaben für die Urteilsanerkennung enthalte.33 Außerdem trage die Anerkennungsversagung, wenn das Erstgericht eine Schiedsabrede missachtet hat, der vom Unionsgesetzgeber anerkannten Gleichwer29
Van Houtte, Arb. Int. 13 (1997), 85, 88 f.; Born, International Commercial Arbitration, 2014, 1288; Erk, Parallel Proceedings, 2014, 99; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 60 (sieht zwar Art. II Abs. 1, Abs. 3 NYK durch die Anerkennung eines ausländischen Urteils, das unter Missachtung einer Schiedsabrede zustandegekommen ist, als verletzt an, lässt das aber nicht für einen ordre public-Verstoß ausreichenn); Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 331 f.; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, 643, 684 f. 30 Vgl. z. B. Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 60 („Das NYK verpflichtet die Vertragsstaaten in Art. 2 Abs. 1 NYK dazu, eine schriftlich geschlossene Schiedsvereinbarung anzuerkennen und die Parteien nach Art. 2 Abs. 3 auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen […] die Vertragsstaaten […] [sind] also nach Art. 2 Abs. 1 und 3 NYK verpflichtet, einer Schiedsvereinbarung zu [sic] Geltung zu verhelfen, indem sich das staatliche Gericht notfalls zurücknimmt und an das Schiedsgericht verweist.“). 31 Vgl. Born, International Commercial Arbitration, 2014, 1288 ff. und Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 331, Fn. 67–68, jeweils mit Verweis auf The Angelic Grace [1995] 1 Lloyd’s Rep 87 (EWCA); Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd v New India Association Co Ltd (No 1) [2004] EWCA Civ 1598; BGE 124 III 83; CBS Corp. v. WAK Orient Power & Light Ltd, 168 F. Supp. 2d 403 (E. D. Pa. 2001); WSG Nimbus Pte Ltd v. Bd of Control for Cricket in Sri Lanka [2002] 3 SLR 603, Rn. 65, 86 (Singapore High Ct.) (hierzu sogleich im Einzelnen). 32 Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 331 f. 33 Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 331 f.
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tigkeit von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit Rechnung. Im Übrigen liege die Wertungsparallele zur Missachtung ausschließlicher Gerichtsstandsabreden auf der Hand – offenbar ein Hinweis auf Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO, der zum Schutz von Gerichtsstandsabreden i. S. v. Art. 25 Brüssel Ia-VO eine Modifizierung des Prioritätsprinzips vorsieht. Nach der Gegenansicht lässt sich Art. II Abs. 3 und/oder Abs. 1 NYK keine völkervertragliche Pflicht der Vertragsstaaten entnehmen, Gerichtsurteilen die Anerkennung zu versagen, wenn sie unter Missachtung einer Schiedsabrede zustande gekommen sind.34 Der englische Court of Appeal erläutert dies folgendermaßen: „[It was] […] submitted that to recognise a judgment given in proceedings brought contrary to an arbitration clause would place this country in breach of its obligations under the New York Convention. This argument appears to have held some attraction for the judge, but I am unable to accept it. It is quite true that the UK as a party to the convention has an obligation to recognise and enforce arbitration agreements where they exist, but it does not follow that the courts of this country have a duty to examine the question for themselves whenever it is alleged that the parties have entered into an agreement of that kind. Whether they have done so in any given case is a question which, for the purposes of the NYC, may be determined by any court of competent jurisdiction, there being nothing in the convention itself which precludes the application of established rules of estoppel by record.“35
Domej erklärt, Art. II Abs. 3 NYK lasse jedenfalls nicht eindeutig erkennen, dass eine Verweisung auf die Schiedsgerichtsbarkeit auch durch ein Gericht erfolgen müsse, das selbst gar nicht für die Entscheidung eines schiedsbefangenen Rechtsstreits, sondern für die Anerkennung eines bereits im Ausland hierüber ergangenen Urteils angerufen werde.36 Eine derartige Verpflichtung könne sich daher allenfalls durch Auslegung ergeben. Hierbei sei jedoch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu beachten, wonach auch solche Spezialabkommen, die an sich gegenüber dem Brüssel-System vorrangig sind, eine Einschränkung der Urteilsfreizügigkeit nicht rechtfertigen würden.37 34 Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 103; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 113; Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 67, Rn. 3.40; Hauberg Wilhelmsen, Arb. Int. 30 (2014), 169, 183 f.; Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 50 (2014), 5, 21; National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 69, 127; vgl. auch DHL GBS (UK) Ltd v Falllimento Finmatica SpA [2009] 1 Lloyd’s Rep 430 (EWHC); im Ergebnis offen gelassen Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 153; Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 512. 35 National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 127 (Moore-Bick LJ) und Rn. 69 (Waller LJ). 36 Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 103; zustimmend Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 113. 37 Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 103; zustimmend Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 113.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Malatesta ist der Meinung, die Gegenansicht laufe letztlich auf eine unzulässige Erweiterung der in Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO abschließend aufgezählten Versagungsgründe hinaus.38
(2) Stellungnahme (a) Potentieller Anwendungsbereich des Ansatzes Der potentielle Anwendungsbereich einer Anerkennungsversagung aufgrund Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO i. V. m. Art. II Abs. 3 und/oder Abs. 1 NYK ist schmal. Wie eingangs erläutert, ist Art. II NYK am Sitz des Schiedsgerichts nicht anwendbar.39 In dritten Mitgliedstaaten ist Art. II NYK zwar anwendbar. Eine Berufung auf die vorgestellte Konstruktion ist aber nur denkbar, wenn die Anerkennung des Gerichtsurteils eine durch Art. II NYK gesetzte Grenze verletzen würde. Hier wirkt sich aus, dass die Anforderungen an eine wirksame und anwendbare Schiedsabrede in Art. II Abs. 1 und Abs. 2 NYK lediglich fragmentarisch und darüber hinaus gemäß Art. VII Abs. 1 NYK nur als Obergrenzen geregelt sind. Zu den wirklich kontroversen Fragen – so z. B. zur Einbeziehung Dritter in die Schiedsabrede – schweigt die Konvention.
(b) Auslegung von Art. II NYK Art. II Abs. 1 NYK sieht vor, dass „jeder Vertragsstaat eine schriftliche Vereinbarung anerkennt, durch die sich die Parteien verpflichten, alle oder einzelne Streitigkeiten, die zwischen ihnen aus einem bestimmten Rechtsverhältnis […] entstehen, einem schiedsrichterlichen Verfahren zu unterwerfen, sofern der Gegenstand des Streites auf schiedsrichterlichem Wege geregelt werden kann“. Anschließend definiert Art. II Abs. 2 NYK den Begriff der „schriftlichen Vereinbarung“. Jedenfalls ausdrücklich lässt sich diesen Bestimmungen keine Pflicht der Vertragsstaaten entnehmen, Gerichtsentscheidungen die Anerkennung zu versagen, wenn das Erstgericht seine Zuständigkeit unter Verletzung von Art. II Abs. 1, Abs. 2 NYK bejaht hat.40 Eine Auslegung anhand von Historie, Telos und Systematik führt zu keinem anderen Ergebnis: Ursprünglich waren Art. II Abs. 1 und Abs. 2 der NYK im Konventionstext nicht vorgesehen.41 Allerdings sollte die Unwirksamkeit der Schiedsabrede – so wie heute in Art. V Abs. 1 lit. a NYK geregelt – einen Grund darstellen, ausländischen Schiedssprüchen die Anerkennung zu versagen. In den letzten Tagen der New Yorker Konferenz gelangte man deshalb zu der Einsicht, dass die Durchsetzbarkeit von Schieds38 39
Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 50 (2014), 5, 21. Vgl. oben Teil 4.A.I.2.a). 40 Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 153. 41 Van den Berg, New York Convention, 1981, 9, 113.
A. Nur das Gerichtsurteil liegt vor
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sprüchen nach der Konvention erheblich beschränkt sein würde, wenn man sich nicht zumindest auch über die Merkmale einer Schiedsabrede und die Anforderungen an ihre formelle Wirksamkeit einigen könne.42 Deshalb wurden kurzerhand Art. II Abs. 1 und Abs. 2 in die Konvention aufgenommen.43 Ihnen nun plötzlich eine Pflicht der Vertragsstaaten zu entnehmen, Gerichtsurteilen die Anerkennung zu versagen, wenn das Erstgericht eine Schiedsabrede verletzt hat, schießt über diese Regelungsintention deutlich hinaus.44 Art. II Abs. 3 NYK sieht vor, dass das Gericht eines Vertragsstaats die Parteien auf Antrag auf das schiedsrichterliche Verfahren verweisen muss, wenn es „wegen eines Streitgegenstandes angerufen wird, hinsichtlich dessen die Parteien eine Vereinbarung im Sinne dieses Artikels getroffen haben […].“ In dieser Verfahrenssituation befindet sich das Zweitgericht vorliegend aber nicht. Denn es wird nicht angerufen, um selbst über den schiedsbefangenen Rechtsstreit zu entscheiden. Es soll vielmehr klären, ob seine Entscheidung durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats ausnahmsweise die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen ist. Dafür können die Parteien – selbst wenn sie wollten – die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts nicht vereinbaren (Art. I Abs. 1 a. E. NYK). Denn der Sache nach handelt es sich um eine Klage nach Art. 46 ff. (i. V. m. Art. 45 Abs. 4) Brüssel Ia-VO auf Feststellung der Versagung der Vollstreckung bzw. Anerkennung des Gerichtsurteils. Dafür sind – anders als bei einer inzidenten Prüfung der Anerkennungsfähigkeit – ausschließlich staatliche Gerichte entscheidungsbefugt. Im Übrigen war auch Art. II Absatz 3 NYK in der Konvention über die „Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche“ ursprünglich nicht vorgesehen.45 Er wurde jedoch kurzerhand mit Art. II Abs. 1, Abs. 2 NYK hinzugefügt, um die insoweit immerhin fragmentarische Einigung über die Merkmale einer Schiedsabrede (Art. I Abs. 1 NYK) und die Anforderungen an ihre formelle Wirksamkeit (Art. II Abs. 2 NYK) für den Mechanismus der Schiedseinrede fruchtbar zu machen. Auch über diesen Zweck würde es deutlich hinausgehen, Art. II Abs. 3 NYK nun plötzlich eine Pflicht zu entnehmen, ausländischen Gerichtsurteilen die Anerkennung zu versagen, wenn das Erstgericht aus Sicht des Zweitstaats der Schiedseinrede hätte stattgeben müssen.46 Damit ergibt sich nach hier vertretener Ansicht bereits bei einer isolierten – das Brüssel-System nicht berücksichtigenden – Auslegung von Art. II NYK keine Verpflichtung der Vertragsstaaten, Gerichtsurteilen bei seiner Verletzung 42
Van den Berg, New York Convention, 1981, 9, 113. Van den Berg, New York Convention, 1981, 9, 113. Vgl. im Ergebnis auch Ambrose, Arb. Int. 19 (2003), 3, 17; Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 67, Rn. 3.39. 45 Van den Berg, New York Convention, 1981, 9, 113. 46 Vgl. im Ergebnis auch Ambrose, Arb. Int. 19 (2003), 3, 17; Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 67, Rn. 3.39. 43 44
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
durch das Erstgericht die Anerkennung zu versagen.47 Doch selbst wenn man das anders sieht, bleibt zu beachten, dass die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Ziele und Grundsätze des Brüssel-Systems auch bei der Auslegung solcher Übereinkommen gewährleisten müssen, die an sich nach einem Vorbehalt der Verordnung vorrangig sind.48 Diese Judikatur wird zu Recht kritisiert, soweit der Gerichtshof den Wortlaut der Vorbehaltsklauseln zu einem Vorrang des Brüssel-Systems verkehrt. Man darf ihr aber entnehmen, dass die Mitgliedstaaten – einer einschlägigen Bereichsausnahme bzw. Vorrangklausel zum Trotz – bei der Auslegung völkerrechtlicher Übereinkommen unter mehreren, ebenso gut möglichen Alternativen diejenige wählen müssen, die die Ziele und Grundsätze der Brüssel Ia-VO am besten gewährleistet.49 Und das ist hier gewiss nicht die Auslegung, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, Gerichtsurteilen i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO wegen einer Verletzung von Art. II Abs. 3 und/oder Abs. 1 NYK durch das Erstgericht die Anerkennung zu versagen. Denn hierdurch würde nicht nur das Ziel der Urteilsfreizügigkeit50 und der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens51 beschränkt. Es würde außerdem ein Anerkennungsversagungsgrund konstruiert, dessen Einführung im Reformprozess der Brüssel I‑VO vorgeschlagen und diskutiert, vom Unionsgesetzgeber im Ergebnis aber abgelehnt worden ist.52 47 So im Ergebnis auch Hauberg Wilhelmsen, Arb. Int. 30 (2014), 169, 183 f.; National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 127 („It is quite true that the UK as a party to the convention has an obligation to recognise and enforce arbitration agreements where they exist, but it does not follow that the courts of this counrty have a duty to examine the question for themselves whenever it is alleged that the parties have entered into an agreement of that kind. Whether they have done so in any given case is a question which, for the purposes of the NYC, may be determined by any court of competent jurisdiction, there being nothing in the convention itself which precludes the application of established rules of estoppel by record.“), Rn. 69 („The United Kingdom’s obligation under the New York convention to give effect to arbitration agreements does not as it seems to me require the English court not to be bound by a decision of a court of a fellow member state and co-signatory of the New York Convention that there was no arbitration clause.“); Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 153; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 103; vgl. auch DHL GBS (UK) Ltd v Falllimento Finmatica SpA [2009] 1 Lloyd’s Rep 430 (EWHC). 48 EuGH (Große Kammer), Rs. C-533/08, Slg. 2010, I-4107, Rn. 49 – TNT Express Nederland. Bestätigt in: EuGH, Rs. C-452/12, EU:C:2013:858, Rn. 36 – Nipponka und EuGH, Rs. C-157/13, EU:C:2014:2145, Rn. 38 – Nickel & Goeldner Spedition. 49 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.cc)(4)(a)–(b). 50 Vgl. ErwGr. 6 und ErwGr. 4 S. 2 Brüssel Ia-VO. 51 Vgl. ErwGr. 26 Brüssel Ia-VO. 52 Vgl. Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 127; Magnus/Mankowski, Joint Response, 16; Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Recast) – Comments from the delegation of the United Kingdom on arbitration, 22.3.2012 (ST 8035 2012 INIT); vgl. zur Möglichkeit eines Umkehrschlusses, wenn im Reformprozess Vorschläge nicht übernommen wurden EuGH, Rs. C-203/09, Slg. 2010 I-10721, Rn. 40 – Volvo; EuGH, Rs. C-404/06, Slg. 2008 I-2685, Rn. 29 f. – Quelle; EuGH, Rs. C-423/97, Slg. 1999 I-2216, Rn. 49-52 – Travel Vac; EuGH, Rs. C-215/97, Slg. 1998 I-2191,
A. Nur das Gerichtsurteil liegt vor
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(c) Argumente der Gegenansicht Die Argumente der Gegenansicht erschüttern dieses Auslegungsergebnis nicht: Zunächst ist beachtlich, dass Gerichte in keiner der von Born und Kindler zitierten Entscheidungen der NYK eine völkervertragliche Pflicht entnommen haben, Gerichtsurteilen die Anerkennung zu versagen, wenn sie aus Sicht des Zweitstaats unter Verletzung von Art. II Abs. 3 und/oder Abs. 1 NYK zustande gekommen sind: In The Angelic Grace bestätigte der englische Court of Appeal den Erlass einer anti-suit injunction, mit der zur Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung die Fortsetzung eines Verfahrens vor italienischen Gerichten untersagt worden war.53 Lediglich im Rahmen der Frage, ob durch den Erlass des Prozessführungsverbots die comity verletzt würde, enthält die Entscheidung überhaupt Bezugnahmen auf die NYK. So werde Art. II Abs. 3 NYK durch den Erlass des Prozessführungsverbots nicht verletzt.54 Denn aus ihm folge keine exklusive Zuständigkeit des abredewidrig angerufenen Gerichts, die Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen. Zudem seien die Gerichte der Vertragsstaaten der NYK mit der Situation vertraut, bei Vorliegen einer exklusiven Zuständigkeitsabrede die eigene Zuständigkeit versagen zu müssen. Es sei daher nicht zu erwarten, dass sie eine entsprechende Anordnung englischer Gerichte als Eingriff in die eigene Verfahrenshoheit ansehen würden.55 In Through Transport entschied der englische Court of Appeal, dass die Brüssel I‑VO dem Erlass einer englischen anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsabrede nicht entgegensteht, auch dann nicht, wenn sie der Unterbindung eines Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats diene.56 Lediglich für die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel I‑VO zog der Court of Appeal die NYK heran.57 So folge aus den Umständen, dass die Respektierung der NYK wesentliches Motiv der Schiedsausnahme sei und dass sich die Konvention ihrerseits an staatliche Gerichte richte, dass der Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit nicht nur das Schiedsverfahren selbst, sondern auch Gerichtsverfahren im Zusammenhang erfasse. Auch das Schweizer Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 1997 einer peruanischen Gerichtsentscheidung nicht deshalb die AnerkennungsRn. 1, 16 – Bellone ./. Yokohama; EuGH, Urteil v. 7.12.1995, Rs. C-449/93, Slg. 1995 I-4291, Rn. 33 – Rockfon; EuGH, Rs. C-26/69, Slg. 1970, 565, Rn. 5 – Kommission ./. Frankreich; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 10, Rn. 34. 53 The Angelic Grace [1995] 1 Lloyd’s Rep 87 (EWCA). 54 The Angelic Grace [1995] 1 Lloyd’s Rep 87, 94 (EWCA). 55 The Angelic Grace [1995] 1 Lloyd’s Rep 87, 96 (EWCA). 56 Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd v New India Association Co Ltd (No 1) [2004] EWCA Civ 1598. 57 Vgl. Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd v New India Association Co Ltd (No 1) [2004] EWCA Civ 1598, Rn. 42, 45, 88.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
aussichten abgesprochen, weil die Schweiz nach Art. II Abs. 3 NYK völkervertraglich zu einer Versagung der Anerkennung verpflichtet war.58 Das Gericht verneinte vielmehr die indirekte Zuständigkeit peruanischer Gerichte aufgrund Art. 25 lit. a IPRG – das heißt das Vorliegen einer Anerkennungsvoraussetzung nach nationalem Recht. Unterstellt in Peru würde Schweizer Prozessrecht angewandt, hätte sich das peruanische Gericht gemäß Art. II Abs. 3 NYK für unzuständig erklären müssen. In CBS Corp. v. WAK Orient Power & Light Ltd erklärte ein US District Court einen Londoner Schiedsspruch für vollstreckbar und erließ zugleich eine anti-enforcement injunction.59 Die adressierte Partei hatte zuvor schriftsätzlich angekündigt, dass sie unabhängig vom Ausgang des Verfahrens von ihrer prozessualen Möglichkeit Gebrauch machen werde, ein künftig in derselben Sache in Rechtskraft erwachsendes, pakistanisches Gerichtsurteil in den USA zur Vollstreckung registrieren zu lassen – die Exequaturentscheidung eines US‑Gerichts brauche sie dafür nicht. Diese Ankündigung lief nach Ansicht des US District Courts der eigenen Vollstreckbarerklärung und der Pflicht zur Vollstreckung des Londoner Schiedsspruchs nach Art. III NYK zuwider. Sie sei damit hinreichend verstörend (disturbing), um in Bezug auf das künftig in Rechtskraft erwachsende, pakistanische Gerichtsurteil eine anti-enforcement injunction zu erlassen.60 In WSG Nimbus Pte Ltd v. Board of Control for Cricket in Sri Lanka hatte der Singapore High Court eine einstweilige anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsabrede in Bezug auf ein Verfahren vor dem Colombo High Court erlassen.61 Nachdem der Colombo High Court seinerseits die Schiedseinrede zurückgewiesen und sich per Zwischenentscheidung für zuständig erklärt hatte, begehrte der Gerichtskläger erfolglos unter Berufung hierauf die Aufhebung der einstweiligen anti-suit injunction. Als erstes stellte der Singapore High Court fest, dass die Zurückweisung der Schiedseinrede durch das sri-lankische Gericht in Singapur nicht anerkannt werden könne. Denn nach singapurischem Recht sei die Schiedsabrede wirksam und auf den Rechtsstreit vor dem Colombo High Court anwendbar.62 Damit fehle dem Erstgericht die – nach nationalem Recht für eine Anerkennung erforderliche – indirekte Zuständigkeit. Darüber hinaus greife der ordre public-Vorbehalt im nationalen Anerkennungsrecht, weil die Entscheidung des Colombo High Court unter bewusster Missachtung der singapurischen anti-suit injunc58 59
BGE 124 III 83. CBS Corp. v. WAK Orient Power & Light Ltd, 168 F. Supp. 2d 403 (E. D. Pa. 2001). 60 CBS Corp. v. WAK Orient Power & Light Ltd, 168 F. Supp. 2d 403, 416 (E. D. Pa. 2001). 61 WSG Nimbus Pte Ltd v. Bd of Control for Cricket in Sri Lanka [2002] 3 SLR 603, (Singapore High Ct.). 62 WSG Nimbus Pte Ltd v. Bd of Control for Cricket in Sri Lanka [2002] 3 SLR 603, Rn. 34 ff. (Singapore High Ct.) (vgl. hierzu die soeben dargestellte Argumentation in BGE 124 III 83, 86 ff.).
A. Nur das Gerichtsurteil liegt vor
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tion erwirkt worden sei.63 Der Prozessvertreter der schiedszugewandten Partei hatte die Verletzung der öffentlichen Ordnung Singapurs auch damit begründet, dass die Entscheidung des Colombo High Court im Widerspruch zu der Verpflichtung Sri Lankas ergangen sei, die Parteien gemäß Art. II Abs. 3 NYK auf die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen. Abgesehen davon, dass insoweit nur eine völkervertragliche Pflicht von Sri Lanka als Erststaat, nicht von Singapur als Zweitstaat in Rede stand, griff der Singapore High Court das Argument des Prozessvertreters allerdings nicht auf. Anschließend befasste sich der Singapore High Court mit der Frage, ob nach seinem Ermessen die einstweilige anti-suit injunction aufrechtzuerhalten sei. In diesem Rahmen diskutierte er zunächst eine englische Entscheidung, in der der Erlass einer anti-suit injunction abgelehnt worden war. Begründet war die Ablehnung damit, dass das Parallelverfahren vor den Gerichten eines Vertragsstaates der NYK stattfinde, die Schiedseinrede bereits erhoben worden sei und davon ausgegangen werden könne, dass das Parallelgericht die Parteien gemäß Art. II Abs. 3 NYK auf die Schiedsgerichtsbarkeit verweise.64 Der Singapore High Court differenzierte den vorliegenden Fall, weil der Colombo High Court die Parteien trotz einer entsprechenden Pflicht nach der NYK gerade nicht auf die Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen habe.65 Eine letzte Bezugnahme auf die NYK erfolgte schließlich im Zusammenhang mit der Aufzählung von Gründen für die Aufrechterhaltung der einstweiligen anti-suit injunction: Die Vertragsstaaten der NYK hätten sich nach Art. II Abs. 3 NYK zur Durchsetzung von Schiedsvereinbarungen verpflichtet.66 Auch das spreche dafür, die weiterhin fortdauernde Verletzung der Schiedsvereinbarung durch das Parallelverfahren vor dem Colombo High Court zu unterbinden und die einstweilige anti-suit injunction aufrechtzuerhalten. Dieser letzten Bezugnahme auf Art. II Abs. 3 NYK zur Begründung der Aufrechterhaltung des Prozessführungsverbots kann man in der Tat entnehmen, dass der Singapore High Court seinen Anwendungsbereich nicht auf die Verfahrenssituation der Schiedseinrede begrenzt ansah. Allenfalls spekulieren lässt sich aber darüber, ob er ihn auch auf die hier untersuchte Anerkennungssituation erstreckt und Art. II Abs. 3 NYK eine völkervertragliche Pflicht entnommen hätte, Gerichtsurteilen wegen dessen Verletzung durch das Erstgericht die Anerkennung zu versagen. Dagegen spricht jedenfalls, dass er diesen Aspekt bei der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit der sri-lankischen Zwischenentschei63 WSG Nimbus Pte Ltd v. Bd of Control for Cricket in Sri Lanka [2002] 3 SLR 603, Rn. 65 (Singapore High Ct.). 64 WSG Nimbus Pte Ltd v. Bd of Control for Cricket in Sri Lanka [2002] 3 SLR 603, Rn. 79 (Singapore High Ct.). 65 WSG Nimbus Pte Ltd v. Bd of Control for Cricket in Sri Lanka [2002] 3 SLR 603, Rn. 86 (Singapore High Ct.). 66 WSG Nimbus Pte Ltd v. Bd of Control for Cricket in Sri Lanka [2002] 3 SLR 603, Rn. 91 (Singapore High Ct.).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
dung nicht aufgegriffen hat – trotz der Ausführungen des Prozessvertreters, dass das Erstgericht Art. II Abs. 3 NYK verletzt habe und dadurch der ordre publicVorbehalt im nationalen Recht ausgelöst werde. Neben der dargestellten Judikatur stützt sich Kindler auf Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO. Aus ihnen ergebe sich, dass die NYK Vorgaben über die Urteilsanerkennung enthalte. Der Unionsgesetzgeber stellt mit diesen Vorschriften aber lediglich klar, dass eine Pflicht der Mitgliedstaaten nach der Brüssel Ia-VO zurücktritt, wenn sie mit einer Pflicht nach der NYK kollidiert.67 Dass die NYK eine Pflicht enthält, Gerichtsurteilen i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Anerkennung zu versagen, wenn das Erstgericht Art. II NYK verletzt hat, lässt sich diesen Vorschriften nicht entnehmen. Entsprechendes gilt für die Erwägung, dass die Brüssel Ia-VO die Gleichwertigkeit von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtbarkeit anerkenne. In der Sache ist das sicherlich richtig, bedeutet aber nicht, dass die Brüssel Ia-VO die Mitgliedstaaten auch dazu verpflichtet. Zudem ist nicht ersichtlich, wie aus der Gleichwertigkeit von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit eine Verpflichtung nach Art. II Abs. 3 und/oder Abs. 1 NYK resultieren soll, unter Missachtung einer Schiedsabrede zustande gekommenen Urteilen die Anerkennung zu versagen. Das gilt umso mehr, als auch die Missachtung einer Gerichtsstandsabrede i. S. v. Art. 25 Brüssel Ia-VO durch das Erstgericht keinen Anerkennungsversagungsgrund nach Art 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO begründet, sondern – im Gegenteil – ebenfalls dem Nachprüfungsverbot des Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO unterfällt.68 Die Einführung von Art. 31 Abs. 2 und Abs. 3 Brüssel Ia-VO hat an dieser Rechtslage nichts geändert. Insbesondere gehören diese Vorschriften ebensowenig wie Art. 25 Brüssel Ia-VO zu den Zuständigkeitsbestimmungen, die nach Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO ausnahmsweise eine Anerkennungsversagung rechtfertigen können. Darüber hinaus ist die angeführte Wertungsparallele zu Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO aber auch deshalb zweifelhaft, weil im Reformprozess der Brüssel I‑VO die Einführung einer mit Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO vergleichbaren Vorschrift zum Schutz von Schiedsabreden vorgeschlagen und diskutiert, letztlich vom Unionsgesetzgeber aber verworfen worden ist.69
67 68
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)cc)iv.(a)–(b). Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 45, Rn. 130. 69 Vgl. Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 133 f.; Kommission, Vorschlag v. 14.12.2010 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), KOM(2010) 748 endgültig, Art. 29 Abs. 4 Brüssel Ia-VO‑E; vgl. zur Entstehungsgeschichte der Brüssel Ia-VO ausführlich oben Teil 2 A.II.2.a).
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3. Zwischenergebnis Liegt bisher nur das Gerichtsurteil vor, muss es in anderen Mitgliedstaaten nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anerkannt und vollstreckt werden, auch wenn es aus Sicht des Zweitstaats unter Missachtung einer Schiedsvereinbarung zustande gekommen ist. Die Entscheidung des Erstgerichts über die Schiedseinrede unterfällt dem Nachprüfungsverbot nach Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO.70 Die neuen Bestimmungen in Art. 73 Abs. 2 und ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO führen zu keinem anderen Ergebnis. Denn der NYK lässt sich keine völkervertragliche Pflicht entnehmen, einem ausländischen Urteil die Anerkennung zu versagen, weil aus Sicht des Zweitstaats eigentlich ein Schiedsgericht entscheidungsbefugt gewesen wäre.71
II. Konsequenz für das schiedsrichterliche Parallelverfahren Der Schiedsstaat gehört zu den „anderen Mitgliedstaaten“, die zur Anerkennung des Gerichtsurteils nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO verpflichtet sind, auch wenn es aus ihrer Sicht unter Missachtung einer Schiedsabrede zustande gekommen ist. Fraglich ist jedoch, ob auch das private Schiedsgericht mit Sitz im Schiedsstaat dieser Pflicht unterliegt und deshalb das parallele Schiedsverfahren zu beenden hat.
1. Meinungsstand Teilweise wird die Ansicht vertreten, Schiedsgerichte seien zur Beachtung ausländischer Gerichtsurteile nach Maßgabe von Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nicht verpflichtet.72 Zum einen finde das Brüssel-System auf das Schiedsverfahren gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO keine Anwendung.73 Zum anderen würden Schiedsgerichte nicht zu den Normadressaten von Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO gehören.74 Letzteres ergebe sich aus dem in der englischen Fas70
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 A.I.2.b)aa). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 A.I.2.b)bb). Burton J in CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791, Rn. 41 ff., 46 (Rechtsprechung aufgehoben in National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 118); Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 20; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, 793; vgl. zu dem in Deutschland parallel geführten Streit, ob die materielle Rechtskraft eines deutschen Gerichtsurteils in einem inländischen Schiedsverfahren wirkt Lühmann, Rechtskraft des Schiedsspruchs, 2014, 223 f. 73 Burton J in CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791, Rn. 41 ff., 46 (Rechtsprechung aufgehoben in National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 118). 74 Vgl. Burton J in CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791, Rn. 45 (Rechtsprechung aufgehoben in National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 118). 71 72
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
sung des Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO75 verwendeten Begriff „court and tribunal“.76 Dieser sei nämlich ebenso auszulegen wie der in Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO77 verwendete Ausdruck „court and tribunal of a Member State“. Dort würden Schiedsgerichte als „tribunal in a Member State“ aber ebenfalls nicht erfasst. Nach überwiegender Ansicht müssen Schiedsgerichte ausländische Gerichtsurteile dagegen ebenso wie staatliche Gerichte unter den Voraussetzungen des Art. 32 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anerkennen.78 Die Begründungen sind vielfältig: Schlosser ist der Ansicht, das Prinzip der Billigkeit verlange, dass Schiedsgerichte, die auf einer Ebene mit staatlichen Gerichten stehen, ebenso wie diese an die Rechtskraft ausländischer Gerichtsurteile gebunden sind.79 Born verweist darüber hinaus auf den Grundsatz der Verfahrensökonomie und die Integrität 75 Vgl. die englische Fassung von Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO: „This Regulation shall apply in civil and commercial matters whatever the nature of the court or tribunal. It shall not extend, in particular, to revenue, customs or administrative matters or to the liability of the State for acts and omissions in the exercise of State authority (acta iure imperii).“ 76 Vgl. Burton J in CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791, Rn. 45 (Rechtsprechung aufgehoben in National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 118). 77 Vgl. die englische Fassung von Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO: „For the purposes of this Regulation, ‚judgment‘ means any judgment given by a court or tribunal of a Member State, whatever the judgment may be called, including a decree, order, decision or writ of execution, as well as a decision on the determination of costs or expenses by an officer of the court.“ 78 National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 118 (Moore-Bick LJ); Schlosser, in: Karrer, Pierre A (Hrsg.), Arbitral Tribunals or State Courts. Who must defer to whom?, 2001, S. 19; Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 517; Raphael, Anti-suit Injunction, 2008, Rn. 15.29, Fn. 63; Seriki, J. B. L. 2010, 24, 31; Mankowski, in: FS von Hoffmann, 2011, S. 1016; Camilleri, ICLQ 2013, 899, 909; Cole/Bantekas/Ferretti et al., Study on Instruments and Practice of Arbitration in the EU, 2014,194 f.; Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 864; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 138 ff.; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 157; Frohloff, Verletzung von Schiedsvereinbarungen, 2017, 144–145; wohl auch Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, S. 105 ff. (lehnt eine gerichtsbarkeitsübergreifende Rechtskraft ab, weil Adressat des staatlichen Verfahrensrechts die staatlichen und nicht die Schiedsgerichte seien, kommt sodann aber aufgrund einer „wechselseitigen faktischen Bindungswirkung“ letztlich doch zu einer Bindung des Schiedsgerichts); vgl. auch ICC 2475 und 2762 wie berichtet in Jarvin/Derainss, Collection of ICC Arbitral Awards 1974–1985, 1990, 325 ff., insbesondere 328; ICC 5901, wie berichtet in Grigera Naón: Choice-of-Law Problems in International Commercial Arbitration, Rec. Cours 289 (2001), 9–396, 168; ICC 6363, Final award, 1991, Yb. Com. Arb. 1992, 186, Rn. 35; ICC 7438, wie berichtet in Hascher, in: Travaux du Comité français de droit international privé (Hrsg.), 2004, S. 19; Schweizer Bundesgericht, Beschluss v. 13.4.2010, 4A_490/2009, ASA Bulletin 2010, 598 – Club Atlético de Madrid ./. Sport Lisboa E Benfica Futebol; Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 27.5.2014 – 4A 508/ 2013, abrufbar unter ; Citigroup v. Abu Dhabi Investment Authority, 2013 WL 6171315 (S. D. N. Y 2013) bestätigt in 776 F. 3d 126 (2nd Cir 2015). 79 Vgl. Schlosser, in: Karrer, Pierre A (Hrsg.), Arbitral Tribunals or State Courts. Who must defer to whom?, 2001, S. 24.
A. Nur das Gerichtsurteil liegt vor
177
der Rechtsprechung.80 Mankowski erklärt, es sei kein materieller Grund ersichtlich, weshalb sich Schiedsgerichte über die materielle Rechtskraft hinwegsetzen und in der Sache ab novo entscheiden dürfen sollten.81 Die semantische Argumentation der Gegenansicht überzeuge schon deshalb nicht, weil der Kontext von Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu spezifisch sei, um verallgemeinerungsfähige Schlüsse aus der Wortverwendung in dieser Norm zuzulassen. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass andere Sprachfassungen als die englische in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO eine weitere Formulierung als in Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO vorsehen würden. So stelle z. B. die deutsche Fassung des Art. 2 lit. a Abs. 1 auf gerichtliche Entscheidungen eines „Mitgliedstaates“ ab, während es in Art. 1 Abs. 1 S. 1 gerade nicht auf „die Art der Gerichtsbarkeit“ ankomme. Auch die Gegenüberstellung in der spanischen Fassung von „tribunal“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1) und „órgano jurisdiccional“ (Art. 2 lit. a Abs. 1), in der portugiesischen von „tribunal“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1) und „jurisdiçao“ (Art. 2 lit a Abs. 1) sowie in der italienischen von „giudizio“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1) und „organo giurisdizionale“ (Art. 2 lit. a Abs. 1) spreche für ein weites, Schiedsgerichte als Adressaten der Anerkennungspflicht nach Art. 1 Abs. 1, 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO einschließendes Verständnis.82
2. Stellungnahme Entscheidend ist nicht die Frage, ob das Schiedsgericht Adressat von Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ist, sondern ob es Adressat der materiellen Rechtskraft ist, die sich gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf das Staatsgebiet des Schiedsstaats erstreckt. Gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sind mitgliedstaatliche Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Damit wird die Wirkung des Judikats kraft Gesetzes auf das Staatsgebiet des Anerkennungsstaats erstreckt. Eine Differenzierung nach Normadressaten findet nicht statt. Insbesondere sieht Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO keine Einschränkung dergestalt vor, dass mitgliedstaatliche Entscheidungen nur durch andere Mitgliedstaaten anzuerkennen sind. Wie Mankowski demonstriert, kann eine solche Einschränkung auch nicht der englischen Fassung der Art. 1 Abs. 1, Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO entnommen werden.83 Das Schiedsgericht muss damit in einem ersten Schritt hinnehmen, dass die Voraussetzungen des Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO erfüllt sind und das Gerichts80
Born, International Commercial Arbitration, 2014, 2915. Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 157. Der Gerichtshof muss die offiziellen Landessprachen der Mitgliedstaaten gemäß Art. 55 Abs. 1 EUV gleichwertig berücksichtigen. Im Rahmen der grammatikalischen Auslegung ist ein entsprechender Textvergleich vorzunehmen (Neuner, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 12, Rn. 6). 83 Vgl. hierzu soeben Teil 4 A.II.1. 81 82
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
urteil im Schiedsstaat materielle Rechtskraft entfaltet. In einem zweiten Schritt gilt es nun zu beantworten, ob Schiedsgerichte im Schiedsstaat an die materielle Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen gebunden sind. Das beurteilt sich mangels abweichender Vereinbarung nach der lex loci arbitri, nicht nach dem Brüssel-System (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO). Bei einem Sitz des Schiedsgerichts in Deutschland,84 England85 und Frankreich86 ist die Bindung des Schiedsgerichts an die res iudicata von Gerichtsurteilen zu bejahen. Das folgt letztlich aus der funktionalen Gleichstellung der Schiedsgerichtsbarkeit mit der staatlichen Gerichtsbarkeit:87 Die Parteien können auf gerichtlichen Rechtsschutz nur auf der Grundlage verzichten, dass das Schiedsgericht anstelle der staatlichen Gerichte Recht spricht.88 Nach dieser Maßgabe stellt der Staat seine Hoheitsgewalt für die Durchsetzung von Schiedssprüchen bereit.89 Üben Schiedsgerichte danach Rechtsprechungsfunktion90 wie staatliche Gerichte aus, dann unterliegt ihre Entscheidung auch ebenso wie die staatlicher Gerichte allgemeinen Rechtsprinzipien. Das umfasst den Grundsatz, dass rechtsverbindlich und endgültig Entschiedenes nicht mehr infrage gestellt werden darf. Damit muss das im Schiedsstaat in derselben Sache und zwischen identischen Parteien betriebene Schiedsverfahren aufgrund der Rechtskraft-Wirkung des staatlichen Parallelurteils beendet werden.
III. Ergebnis Ist das Gerichtsurteil zuerst ergangen, muss es nach Maßgabe der Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO unionsweit anerkannt und vollstreckt werden. Das gilt auch, 84 BGH, NJW 2014, 3655, Rn. 17; OLG Stuttgart, BeckRS 2006, 11581, B.II.1.; Schlosser, in: Karrer, Pierre A (Hrsg.), Arbitral Tribunals or State Courts. Who must defer to whom?, 2001, S. 19 („It is obvious, that an arbitral tribunal is bound to the res judicata effect of a judgment.“); Schroth, SchiedsVZ 2003, 102, 106; Wagner, in: Böckstiegel/Berger/Bredow (Hrsg.), 2005, S. 11; Synatschke, Unzuständigkeitsererklärung, 2006, 106 f. (mit dem Hinweis, dass die Missachtung der materiellen Rechtskraft eines Urteils zur Aufhebung des Schiedsspruchs wegen ordre public-Widrigkeit führen kann, § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO); Solomon, Verbindlichkeit von Schiedssprüchen, 2007, 562; Illmer, Arglisteinwand, 2007, 107; Münch, LMK, 2014, 361719, Nr. 2 lit. d; Lühmann, Rechtskraft des Schiedsspruchs, 2014, 224 f.; v. Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Schlabrendorff/Sessler, 2015, § 1055, Rn. 17; Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 2016, Rn. 433; Zöller/Geimer, 2018, § 1032, Rn. 14. 85 National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 118 (Moore-Bick LJ). 86 Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 517. 87 Wagner, in: Böckstiegel/Berger/Bredow (Hrsg.), 2005, S. 11. 88 Vgl. § 1059 ZPO; s. 68 AA 1996; Art. 1492, 1520 CPC. 89 Vgl. §§ 1060, 1059 ZPO; s. 66 AA 1996; Art. 1487, 1488 bzw. 1516, 1514 CPC. 90 Vgl. hierzu BGHZ 65, 59, 61; BGHZ 98, 70, 72 („materielle Rechtsprechung“); Wagner, in: Böckstiegel/Berger/Bredow (Hrsg.), 2005, 11 („echte Rechtsprechung“); Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 512 („echte Rechtsprechung“).
B. Nur der Schiedsspruch liegt vor
179
wenn das Gerichtsurteil aus Sicht des Zweitstaats unter Missachtung einer Schiedsabrede zustande gekommen ist.91 Die Zurückweisung der Schiedseinrede ist Bestandteil der Entscheidung des Erstgerichts über die eigene Zuständigkeit und unterfällt damit dem Nachprüfungsverbot nach Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO.92 Zwar bleibt hiervon die Möglichkeit eines Rückgriffs auf Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO unberührt. Die Mitgliedstaaten müssen daher dem Gerichtsurteil unter Berufung auf den ordre public-Vorbehalt (Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) die Anerkennung versagen, wenn sie andernfalls ihre Pflichten als Vertragsstaaten der NYK verletzen würden.93 Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Insbesondere lässt sich der NYK keine völkervertragliche Pflicht der Vertragsstaaten entnehmen, ausländischen Gerichtsurteilen die Anerkennung zu versagen, wenn das Erstgericht aus Sicht des Zweitstaats Art. II NYK verletzt hat.94 Das Schiedsgericht mit Sitz im Schiedsstaat muss in einem ersten Schritt hinnehmen, dass die Voraussetzungen des Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO erfüllt sind und das Gerichtsurteil auch im Schiedsstaat materielle Rechtskraft entfaltet.95 In einem zweiten Schritt muss es nun beantworten, ob Schiedsgerichte im Schiedsstaat an die materielle Rechtskraft von Gerichtsurteilen gebunden sind. Das beurteilt sich nach dem auf das Schiedsverfahren anwendbaren Recht – mangels abweichender Abrede also nach der lex loci arbitri. Jedenfalls bei einem Sitz des Schiedsgerichts in Deutschland, England oder Frankreich ist danach die Bindung an die Rechtskraftwirkung des staatlichen Parallelurteils zu bejahen. Das parallele Schiedsverfahren ist daher zu beenden.
B. Nur der Schiedsspruch liegt vor Untersuchen wir den umgekehrten Fall – das heißt, im Schiedsstaat wird das Schiedsverfahren mit einem rechtskräftigen Schiedsspruch abgeschlossen, während im Gerichtsstaat das staatliche Parallelverfahren noch läuft.96 Womöglich beurteilt sich die Konstellation spiegelbildlich zu dem soeben untersuchten Szenario, sodass das staatliche, im Gerichtsstaat geführte Parallelverfahren aufgrund der res iudicata-Wirkung des Schiedsspruchs beendet werden muss. 91
Teil 4 A.I. Teil 4 A.I.2.b)aa). Teil 4 A.I.2.a). 94 Teil 4 A.I.2.b)bb). 95 Teil 4 A.II. 96 Dass das Schiedsverfahren schneller abgeschlossen ist als das staatliche Parallelverfahren ist in der Praxis regelmäßig der Fall. Denn während im staatlichen Parallelverfahren bis zu drei Instanzen zu durchlaufen sind, unterliegt der Schiedsspruch in der Sache regelmäßig keiner Nachprüfung. 92 93
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Nach deutschem,97 englischem98 und französischem99 Recht sind staatliche Gerichte an die materielle Rechtskraft von Schiedssprüchen gebunden.100 Fraglich ist aber, ob Entscheidungen von Schiedsgerichten mit Sitz in der EU ebenfalls unionsweit anerkannt werden müssen, wenn das Schiedsgericht aus Sicht des Zweitstaats unzuständig war. Die Anerkennung des zuerst ergangenen Schiedsspruchs beurteilt sich im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten nach Art. III NYK, nicht nach der Verordnung (Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO). Danach sind die Vertragsstaaten verpflichtet, einen ausländischen Schiedsspruch anzuerkennen, der die formalen Voraussetzungen des Art. IV NYK erfüllt. Etwas anderes 97 Vgl. § 1055 ZPO; BGHZ 98, 32, 36; BGHZ 65, 59, 61 f.; Gaul, in: FS Sandrock, 2000, S. 325; Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 202; Schwab/Walter, 2005, Kap. 21, Rn. 5; Stein/ Jonas/Schlosser , 2014, § 1055, Rn. 10; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1055, Rn. 2, Rn. 9; Zöller/ Geimer, 2018, § 1055, Rn. 13; a. A. Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 102 ff. (die Feststellung der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO habe nach h. M. die Aufhebbarkeit bzw. Nichtigkeit eines bereits rechtskräftig ergangenen Schiedsspruchs zur Folge. Das zeige, dass in Deutschland de lege lata nur Schiedsgerichte an die Rechtskraft staatlicher Urteile, nicht aber staatliche Gerichte an die Rechtskraft von Schiedssprüchen gebunden seien. Dabei verkennt die Autorin jedoch den Unterschied zwischen der Beurteilung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede durch das Schiedsgericht – Gegenstand der Entscheidung nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO – und der hier in Rede stehenden Sachentscheidung des Schiedsgerichts: Hinsichtlich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede steht staatlichen Gerichten eine Letztentscheidungskompetenz zu; an die Beurteilung durch das Schiedsgericht sind staatliche Gerichte insoweit nicht gebunden. Anders ist die Rechtslage aber bezüglich der Entscheidung des Schiedsgerichts in der Sache; diese ist einer Nachprüfung durch staatliche Gerichte nach dem Verbot der révision au fond grundsätzlich entzogen (BGHZ 98, 32, 36; BGHZ 65, 59, 61 f.). Solange nicht aufgrund § 1059 Abs. 2 ZPO seine Aufhebung erfolgt ist, entfaltet der Schiedsspruch auch in staatlichen Gerichtsverfahren res iudicata-Wirkung und zwar gemäß § 1055 ZPO grundsätzlich ebenso wie ein rechtskräftiges Gerichtsurteil (Gleichstellungsgrundsatz). Das schließt die ne-bis-inidem-Wirkung ein (Stein/Jonas/Schlosser , 2014, § 1055, Rn. 10; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1055, Rn. 2, Rn. 9; Zöller/Geimer, 2018, § 1055, Rn. 13; Schwab/Walter, 2005, Kap. 21, Rn. 5; Gaul, in: FS Sandrock, 2000, S. 325; Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 202). 98 Vgl. s. 58(1) AA 1998; Arnold and Others v National Westminster Bank PLC [1991] 2 AC 93 (UKHL); Associated Electric and Gas Insurance Services Ltd (AEGIS) v European Reinsurance Co of Zurich [2003] 1 WLR 1041 (UKPC); Doe d Davy v Haddon (1783) 3 Doug KB 310; Commings v Heard [1869] LR 4 QB 669, 673; Fidelitas Shipping Co Ltd v V/O Exportchleb [1966] QB 630, 643 (EWCA); Noble Assurance Company v Gerling-Konzern General Insurance Company-UK Branch [2007] EWHC 253; Laughland v Stevenson [1995] 2 NZLR 474 (EWHC); Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 864; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 16-108, 16–117. 99 Vgl. Art. 1484 Abs. 1 NCPC (i. V. m. Art. 1506 Abs. 4 NCPC); Cass. 2ème civ., 5.3.2009, Nr. 08-12172, Rev. arb. 2009, 239 – Lafargue ./. Société Prodim; Cass. 1ère civ., 2.7.2009, Nr. 08-18852, Rev. arb. 2009, 655 – Consorts Castagnos ./. Société Prodim; Debourg, 2012, Rn. 500; Fouchard, Gaillard, Goldman, International Commercial Arbitration, 1999, Rn. 12, 24, 1419, 1567. 100 Mangels abweichender Vereinbarung beurteilt sich die Bindungswirkung ausländischer Schiedssprüche nach der lex loci arbitri, das heißt nach dem Recht am Sitz des Schiedsgerichts (ILA, Final Report on Res Judicata and Arbitration, 2006, Rn. 18; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1061, Rn. 3: Wirkungserstreckung).
B. Nur der Schiedsspruch liegt vor
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gilt nur, wenn einer der in Art. V NYK abschließend aufgezählten Anerkennungsversagungsgründe eingreift.101
I. Kompetenz der anderen Mitgliedstaaten zur Nachprüfung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts, Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK Art. V NYK sieht Anerkennungsversagungsgründe für den Fall vor, dass die Schiedsvereinbarung ungültig ist (Abs. 1 lit. a), der Schiedsspruch eine Streitigkeit betrifft, die von der Schiedsvereinbarung nicht erfasst wird (Abs. 1 lit. c) oder der Streitgegenstand des Schiedsspruchs auf schiedsrichterlichem Weg nicht geregelt werden kann (Abs. 2 lit. a) – kurz: wenn das Schiedsgericht aus der Perspektive des Zweitstaats für den Erlass des Schiedsspruchs unzuständig war. Gegebenenfalls ist dem Schiedsspruch auf Antrag (Art. V Abs. 1 NYK) bzw. von Amts wegen (Art. V Abs. 2 NYK) die Anerkennung zu versagen. Bei der Beurteilung der Versagungsgründe des Art. V NYK sind die Vertragsstaaten weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht an die Entscheidung des Schiedsgerichts gebunden.102 Damit ergibt sich für die vorliegende Konstellation Folgendes: In dritten Mitgliedstaaten ist die Beurteilung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts und damit die Frage der Anerkennung des Schiedsspruchs offen. In den Mitgliedstaaten umstritten ist bereits die Frage, nach welchem Recht sich die formellen und materiellen Anforderungen an eine wirksame und anwendbare Schiedsabrede beurteilen. In Art. I Abs. 1 NYK werden zwar die Merkmale einer Schiedsabrede und in Art. II Abs. 2 NYK die Anforderungen an die Schriftlichkeit geregelt. Beide Regelungen sind jedoch fragmentarisch und lediglich als Obergrenzen (Art. VII Abs. 1 NYK) ausgestaltet. Das Recht der Mitgliedstaaten weicht teilweise erheblich voneinander ab, so etwa hinsichtlich der Fragen, welche Streitgegenstände objektiv schiedsfähig sind und ob Dritte an eine Schiedsabrede gebunden sein können. Im Gerichtsstaat ist das Ergebnis dagegen regelmäßig vorprogrammiert. Das staatliche Parallelgericht hält sich selbst, nicht das Schiedsgericht für zustän101
Kronke/Nacimiento/Otto u. a./Nacimiento, 2010, Article V (1) (a), 209 m. w. N. Vgl. für Deutschland z. B. OLG Schleswig, RIW 2000, 706, 708; OLG Celle, Yb. Com. Arb. 2008, 524, 529, Rn. 6; OLG München, SchiedsVZ 2009, 340, Rn. 30; Münch, ZZP 128 (2015), 307, 307 („Sachfinalität“); Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3891; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 2559; vgl. für Großbritannien z. B. Dallah Real Estate v the Ministry for Religious Affairs of the Government of Pakistan [2010] UKSC 46; vgl. für Frankreich z. B. Cass. 1ère civ., 6.1.1987, Nr. 84-17.274 JDI 1987, 638 – Southern Pacific; CA Paris, 16.6.1988, Rev. arb. 1989, 309 – Swiss Oil ./. Petrogab. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn die Parteien wirksam auf eine solche Überprüfung verzichtet haben, was innerhalb der EU in Grenzen z. B. in Belgien und Schweden, nicht aber in Deutschland, Frankreich und England möglich ist (Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 478). 102
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
dig. Es wird dem Schiedsspruch daher nach Maßgabe von Art. V Abs. 1 lit. a, lit. b, Abs. 2 lit. a NYK die Anerkennung versagen. Der Schiedskläger könnte zwar versuchen, vor einem anderen Gericht des Gerichtsstaats die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs zu erwirken. Mit Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung müsste auch das staatliche Parallelgericht den Schiedsspruch als anerkennungsfähig ansehen und daraufhin das staatliche Parallelverfahren beenden.103 Die Erteilung der Vollstreckbarerklärung scheidet jedoch aus, wenn das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede bereits rechtskräftig – zum Beispiel per Zwischenentscheidung –104 zurückgewiesen hat. Denn dann ist das Exequaturgericht bei der Entscheidung über die Versagungsgründe der Art. V Abs. 1 lit. a, lit. b, Abs. 2 lit. a NYK an die Beurteilung der Schiedsabrede als ungültig bzw. unanwendbar durch das staatliche Parallelgericht gebunden. Wenn das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede noch nicht rechtskräftig zurückgewiesen hat, kann das Exequaturgericht diese Fragen anders beurteilen und den Schiedsspruch im Gerichtsstaat für vollstreckbar erklären. Das ist aber unwahrscheinlich. Denn das Exequaturgericht beurteilt die Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede sowie die Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands nach denselben Vorschriften und Maßstäben wie das staatliche Parallelgericht. Damit liegt die Konstellation des zuerst rechtskräftig abgeschlossenen Schiedsverfahrens grundlegend anders als das Szenario des zuerst rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahrens. Ist der Schiedsspruch zuerst ergangen, kann ihm in den Mitgliedstaaten die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden, wenn das Schiedsgericht aus Sicht des jeweiligen Mitgliedstaats nicht entscheidungsbefugt war. Daher kann auch das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat ungehindert fortgesetzt werden. Ist dagegen das staatliche Parallelurteil zuerst ergangen, muss es unionsweit anerkannt werden, auch wenn aus Sicht des Zweitstaats das Schiedsgericht, nicht das staatliche Parallelgericht entscheidungsbefugt war. Das konkurrierende Schiedsverfahren im Schiedsstaat ist zu beenden.
II. Möglichkeit der Umgehung der Nachprüfungskompetenz durch Inkorporation des Schiedsspruchs in ein Urteil gemäß s. 66(2) AA 1996? Womöglich bietet das englische Schiedsverfahrensrecht einen Ansatzpunkt, um die Ungleichbehandlung beider Konstellationen aufzulösen. S. 66 AA 1996 regelt das sogenannte summary proceeding, das zur Erwirkung der Vollstreck103 Vgl. Zöller/Geimer, 2018, § 1055, Rn. 16; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1055, Rn. 9, § 1061, Rn. 2. 104 Denkbar z. B. in England per preliminary judgment (vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.1.a)bb)).
B. Nur der Schiedsspruch liegt vor
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barkeit des Schiedsspruchs in England üblicherweise gewählt wird.105 Gemäß s. 66(1) AA 1996 kann beantragt werden, den Schiedsspruch wie ein Urteil für vollstreckbar zu erklären. Beantragt werden kann nach s. 66(2) AA 1996 aber auch die Inkorporation des Schiedsspruchs in ein Gerichtsurteil. Der Schiedsspruch geht hierbei vollständig im Urteil auf. Nicht mehr der Schiedsspruch, sondern das Urteil ist fortan Grundlage der Vollstreckung (doctrine of merger).106 Auch im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten stellt sich dann die Frage, ob für die Anerkennung und Vollstreckung womöglich nicht mehr auf den Schiedsspruch, sondern auf die merger-Entscheidung englischer Gerichte abzustellen ist. Das könnte zur Folge haben, dass sich die Anerkennungsfrage nicht mehr nach der NYK, sondern nach der Brüssel Ia-VO beurteilt. Die Zuständigkeit dürfte dann im Zweitstaat gemäß Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO nicht mehr überprüft werden. Spiegelbildlich zur Konstellation des zuerst rechtskräftig gewordenen Gerichtsurteils müsste dann der zuerst rechtskräftig ergangene Schiedsspruch unionsweit anerkannt werden, auch wenn aus Sicht des Zweitstaats das staatliche Parallelgericht entscheidungsbefugt ist. Der Schlosser-Bericht von 1978, der anlässlich des Beitritts des Vereinigten Königreichs zum EuGVÜ erstellt wurde, war hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit des Brüssel-Systems auf derartige merger-Entscheidungen englischer Gerichte eigentlich eindeutig: „[Das Brüssel-Regime] bezieht sich […] nicht auf […] Entscheidungen über Anträge auf […] Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen. Das gilt auch für Gerichtsentscheidungen, die Schiedssprüche in sich korporieren – eine im Recht des V. K. übliche Technik der Anerkennung.“107
Gleichwohl wendeten deutsche Instanzgerichte das Brüssel-System zwischenzeitlich auf eben solche merger-Entscheidungen an.108 Der Heidelberg-Bericht aus dem Jahr 2007 nahm das noch zum Anlass, auf eine divergierende Praxis in den Mitgliedstaaten hinzuweisen.109
105 Alternativ käme auch eine gerichtliche Klage auf Grundlage des Schiedsspruchs (action on the award) in Betracht. In der Praxis entscheiden sich die Parteien aus Zeitgründen jedoch in aller Regel für eine Durchsetzung des Schiedsspruchs im Rahmen von summary proceedings nach s. 66 AA 1996 (Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 262). 106 Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 263. Das wirkt sich z. B. bei der Frage aus, ob sich der Schuldner einer schiedsrichterlichen Unterlassungsanordnung im Fall ihrer Missachtung eines contempt of court schuldig machen kann. 107 Schlosser-Bericht, 1978, Rn. 65. 108 OLG Hamburg, NJW‑RR 1992, 568; OLG Frankfurt a. M., NJOZ 2006, 4360. 109 Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 112 (stellt den deutschen Entscheidungen Arab Business Consortium International Finance & Investment Co v Bancque Franco-Tunisienne [1996] 1 Lloyd’s Rep. 485 (UKHC) gegenüber. Allerdings betraf diese Entscheidung kein merger-Urteil, sondern eine herkömmliche Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs durch französische Gerichte).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Die Judikatur der deutschen Instanzgerichte ist hinsichtlich der Frage, auf welche Entscheidung abzustellen ist, allerdings seit einer BGH‑Entscheidung aus dem Jahr 2009 überholt.110 Danach kann eine ausländische Gerichtsentscheidung, die einen Schiedsspruch in sich einschließt, in Deutschland auch dann nicht Gegenstand der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung sein, wenn der Schiedsspruch nach dem Recht des Erststaats vollständig in ihr aufgegangen ist. Die Parteien sind auf die Möglichkeit einer Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs beschränkt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen: Die Entscheidung nach s. 66(2) AA 1996 ist als besondere Form der Vollstreckbarerklärung zu qualifizieren. Ihr Mehrwert gegenüber der Vollstreckbarerklärung nach s. 66(1) AA 1996 liegt darin, dass der Schiedsspruch nicht mehr bloß wie, sondern als ein Urteil vollstreckt werden kann. Dieser technische Kniff ist im englischen Prozessrecht erforderlich, z. B. um bei der Durchsetzung von Schiedssprüchen den Anwendungsbereich für einen contempt of court zu eröffnen. Inhaltlich sind die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach s. 66(2) AA 1996 jedoch keine anderen als bei der herkömmlichen Vollstreckbarerklärung nach s. 66(2) AA 1996. Insbesondere überprüfen englische Gerichte den Schiedsspruch in beiden Fällen nicht in der Sache. Vollstreckbarerklärungen sind einer Wirkungserstreckung nicht zugänglich (Verbot des Doppelexequaturs). Hintergrund ist insbesondere die territorial begrenzte Staatensouveränität. Beispielsweise können englische Gerichte einem Schiedsspruch Vollstreckbarkeit nur für englisches, nicht hingegen für deutsches Staatsterritorium verleihen. Damit fehlt es aber bereits auf englischem Staatsgebiet an einer Wirkung (Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs in Deutschland), die auf deutsches Staatsgebiet erstreckt werden könnte. Zudem soll eine Umgehung der Anerkennungsvorbehalte des Zweitstaats verhindert werden. Das gilt für ausländische Schiedssprüche zum Beispiel hinsichtlich der Schiedsfähigkeit des Rechtsstreits (Art. V Abs. 2 lit a NYK) und der Vereinbarkeit der Anerkennung des Schiedsspruchs mit der öffentlichen Ordnung des Zweitstaats (Art. V Abs. 2 lit. b NYK).111 Doch selbst wenn im Zweitstaat auf die englische merger-Entscheidung abzustellen wäre, ist jedenfalls die Brüssel Ia-VO auf ihre Anerkennung und Vollstreckung nicht anwendbar.112 Denn ihr Gegenstand, einem Schiedsspruch Vollstreckbarkeit zu verleihen, unterfällt der Schiedsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO. Das steht im Einklang mit dem zitierten Schlosser-Bericht113 und wird nun auch durch ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO ausdrücklich 110 BGH, NJW 2009, 2826 (unter ausdrücklicher Aufgabe von BGH, IPRax 1985, 157). 111 BGH, NJW 2009, 2826, Rn. 5 ff.; Geimer, Anm. zu BGH, Urteil vom 2.7.2009 – IX ZR
152/06, IPrax 2010, 346. 112 BGH, NJW 2009, 2826, Rn. 16-17 (obiter dictum); Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 516. 113 Schlosser-Bericht, 1978, Rn. 65.
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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bestätigt: Die Verordnung gilt nicht für „[…] eine Entscheidung in Bezug auf die […] Vollstreckung eines Schiedsspruchs […].“
III. Ergebnis Das Szenario des zuerst rechtskräftig abgeschlossenen Schiedsverfahrens verhält sich asymmetrisch zum Fall des zuerst rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahrens. Ist der Schiedsspruch zuerst rechtskräftig ergangen, kann ihm in anderen Mitgliedstaaten die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden, wenn das Schiedsgericht aus Sicht des Zweitstaats nicht entscheidungsbefugt war. Das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat kann ungehindert von dem zuerst rechtskräftig ergangenen Schiedsspruch fortgesetzt werden. Der Schiedskläger hat also nicht die Möglichkeit, die Sicht des Schiedsstaats, die Schiedsabrede sei wirksam und anwendbar, über die res iudicata-Wirkung eines zuerst in der Hauptsache ergangenen Schiedsspruchs gegen die Beurteilung anderer Mitgliedstaaten durchzusetzen.114 Das ist beim Gerichtskläger anders. Denn das zuerst rechtskräftig ergangene Gerichtsurteil muss unionsweit anerkannt und vollstreckt werden, auch wenn aus Sicht des Zweitstaats das Schiedsgericht entscheidungsbefugt ist. Das schließt ein, dass das im Schiedsstaat betriebene Schiedsverfahren zu beenden ist.115 Diese Ungleichbehandlung kann auch über eine Inkorporation des Schiedsspruchs in ein Urteil nach s. 66(2) AA 1996 nicht aufgelöst werden.116
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor Wird das jeweilige Parallelverfahren fortgeführt, obwohl das konkurrierende Verfahren bereits mit einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache abgeschlossen wurde, besteht die Gefahr einer zweiten, widersprüchlichen Entscheidung des Rechtsstreits. Verwirklicht sich diese, stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls wie die Entscheidungskollision aufgelöst werden kann. Im Folgenden wird zunächst die Relevanz von Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO herausgearbeitet (I.). Anschließend wird untersucht, welche der konkurrierenden Entscheidungen sich unter Anwendung des jeweils einschlägigen Anerkennungsregimes durchsetzt. Hierbei wird die Perspektive eines Anerkennungsgerichts eingenommen und danach differenziert, ob der Schiedsspruch (II.) oder das Gerichtsurteil (III.) zuerst in Rechtskraft erwächst.
114 115
Vgl. oben Teil 4 B.I. Vgl. oben Teil 4 A. 116 Vgl. oben Teil 4 B.II.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
I. Relevanz von Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO Ein Teil der Literatur entnimmt Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO, dass Mitgliedstaaten ausländischen Schiedssprüchen i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK Vorrang gegenüber kollidierenden Gerichtsurteilen i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO einräumen müssten, auch dann, wenn das Gerichtsurteil zuerst ergangen sei.117 Denn wenn die NYK durch die Verordnung unberührt bleibe (Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO) und sie gegenüber der Verordnung „Vorrang“ genieße (ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO), müsse das Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bei der Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit des Schiedsspruchs nach Art. III ff. NYK außer Betracht bleiben.118 Überzeugend ist das nicht. Einerseits hervorzuheben, dass die NYK von der Verordnung unberührt bleibt und ihr gegenüber vorrangig ist, gleichzeitig aber eben dieser Verordnung (Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel IaVO) Vorgaben für die Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit des Schiedsspruchs nach Art. III ff. NYK zu entnehmen, ist bereits in sich widersprüchlich. Zudem ist in Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO nicht die Rede von einem Vorrang ausländischer Schiedssprüche gegenüber mitgliedstaatlichen Urteilen, sondern von einem Vorrang der NYK gegenüber der Brüssel IaVO. Begrifflich setzt der Vorrang damit eine Kollision der beiden Rechtsregime voraus. Die Auslegung von Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO hat ergeben, dass sie einen konkreten Vorrang der NYK vorsehen: Er greift, wenn ein Mitgliedstaat widerstreitenden Pflichten nach der Brüssel Ia-VO und der NYK ausgesetzt ist.119 Vorliegend ist das etwa denkbar, wenn ein Mitgliedstaat nach dem Brüssel-System ein zusprechendes Urteil und zugleich nach der NYK einen in derselben Sache ergangenen, absprechenden Schiedsspruch anerkennen muss. In einem solchen Fall soll der Mitgliedstaat durch die Brüssel Ia-VO nicht zum Völkervertragsbruch gezwungen werden. Deshalb stellen Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO klar, dass der Mitgliedstaat der Verpflichtung nach der NYK Vorrang einräumen muss. Das bedeutet einerseits, dass der Mitgliedstaat die Brüssel Ia-VO nicht verletzt, wenn er den konfligierenden Schiedsspruch nach der NYK anerkennt und vollstreckt.120 Andererseits tritt die Pflicht des Mitgliedstaats zurück, das konfligierende Urteil 117 Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 864; Hauberg Wilhelmsen, Arb. Int. 30 (2014), 169, 183; Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 21 ff.; Cole/Bantekas/Ferretti et al., Study on Instruments and Practice of Arbitration in the EU, 2014, 194; a. A. Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 105 f.; Estrup Ippolito/Adler-Nissen, Arb 2013, 158, 168. 118 Hauberg Wilhelmsen, Arb. Int. 30 (2014), 169, 183; Hauberg Wilhelmsen, J. Priv. Int. L. 2014, 113, 124 f.; Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 864; Cole/Bantekas/Ferretti et al., Study on Instruments and Practice of Arbitration in the EU, 2014, 194. 119 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(4). 120 Hauberg Wilhelmsen, Arb. Int. 30 (2014), 169, 184; Dickinson/Lein/Illmer, 2015,
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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nach der Brüssel Ia-VO anzuerkennen.121 Das ist zwingend, weil die gleichzeitige Anerkennung und Vollstreckung zweier sich gegenseitig ausschließender Rechtsfolgenaussprüche auf ein und demselben Staatsgebiet nicht möglich ist – die Anerkennung und Vollstreckung des einen würde stets die Missachtung des anderen bedeuten. Eine derartige Pflichtenkollision, die einen Vorrang der NYK auslöst, kann es nur geben, wenn weder die NYK noch die Brüssel Ia-VO in Bezug auf die jeweilige Entscheidung eine Anerkennungsversagung gestatten. Der Rückgriff auf Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO ist daher subsidiär.
II. Schiedsspruch ist zuerst ergangen Zunächst wird die Konstellation des zuerst rechtskräftig ergangenen Schiedsspruchs untersucht. Differenziert wird zwischen den Perspektiven eines Anerkennungsgerichts des Schiedsstaats (1.), des Gerichtsstaats (2.) und eines dritten Mitgliedstaats (3.).
1. Perspektive Schiedsstaat: Versagung der Anerkennung des Gerichtsurteils aus einem anderen Mitgliedstaat wegen Unvereinbarkeit mit inländischem Schiedsspruch Aus Sicht des Schiedsstaats stellt der Schiedsspruch eine inländische Entscheidung dar.122 Die Frage ihrer Anerkennung im Sinne einer Wirkungserstreckung stellt sich nicht. Anders ist das im Hinblick auf das staatliche Parallelurteil: Seine Anerkennung beurteilt sich nach der Brüssel Ia-VO, weil es aus einem anderen Mitgliedstaat stammt und sein Hauptgegenstand dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt. Wie ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO klarstellt, greift die Schiedsausnahme (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO) nicht, nur weil das Erstgericht bei der Entscheidung über die eigene Rn. 2.69; Collins, in: Bradley/Travers/Whelan, 2014, 125; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 147. 121 So im Ergebnis auch Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 105 (es wird nicht anzunehmen sein, dass der Verordnungsgeber in einem solchen Fall den Parteien zumuten würde, mit dem Entscheidungskonflikt zu leben); Collins, in: Bradley/Travers/Whelan, 2014, S. 125; a. A. Hauberg Wilhelmsen, J. Priv. Int. L. 2014, 113, 124 f.; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 147. 122 Die Ortung erfolgt in den untersuchten Mitgliedstaaten über den rechtlichen Sitz des Schiedsgerichts (vgl. für Deutschland § 1025 Abs. 1 ZPO, für England s. 2(1) AA 1996 und für Frankreich Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 122). Vgl. zu dem heute international vorherrschenden, wenngleich unterschiedlich streng ausgestaltetem Territorialprinzip MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1025, Rn. 10; Zobel, Schiedsgerichtsbarkeit und Gemeinschaftsrecht 2005, 199–200; Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on Arbitration, 2015, Rn. 3.03–3.06; Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 122.
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Zuständigkeit eine Schiedseinrede zurückgewiesen hat.123 Das staatliche Parallelurteil ist damit im Schiedsstaat nach Art. 36 ff. Ia-VO anzuerkennen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn einer der in Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO abschließend aufgezählten Versagungsgründe eingreift. Angesichts der Entscheidungskollision mit dem inländischen Schiedsspruch kommen die unmittelbare (a)) bzw. analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c und/oder lit. d Brüssel Ia-VO (b)) sowie das Eingreifen des ordre public-Vorbehalts (Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) in Betracht (c)). Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO spielen keine Rolle. Denn die dort geregelte Pflichtenkollision scheitert bereits daran, dass die NYK auf den inländischen Schiedsspruch keine Anwendung findet (Art. I Abs. 1 NYK).
a) Unmittelbare Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO? Im Schrifttum wird teilweise die Ansicht vertreten, die Kollision zwischen staatlichem Parallelurteil und inländischem Schiedsspruch sei über eine direkte Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO aufzulösen.124 Nach dieser Norm ist die Anerkennung einer Entscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf Antrag zu versagen, wenn sie unvereinbar ist mit einer Entscheidung, die im Zweitstaat zwischen denselben Parteien ergangen ist. Dabei spielt es keine Rolle, welche der konfligierenden Entscheidung zuerst ergangen ist. Fraglich ist allerdings bereits, ob Schiedssprüche als potentiell anerkennungshindernde Entscheidungen i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO qualifiziert werden können (aa)). Andernfalls ist zu untersuchen, ob auf die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs bzw. ein merger-Urteil nach s. 66(2) AA 1996 abgestellt werden kann (bb)).
aa) Schiedsspruch als potentiell anerkennungshindernde Entscheidung? Die überwiegende Ansicht lehnt eine Qualifikation von Schiedssprüchen als potentiell anerkennungshindernde Entscheidungen i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO ab.125 Die Begründungen variieren: 123 124
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.2.b)aa). Schlosser/Hess/Hess, 2015, Art. 45, Rn. 30 (anders jedoch in JZ 2014, 538, 541: die Buchstaben c) und d) seien nicht anwendbar, weder direkt noch analog); Ortolani, in: Cadiet/ Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 147 ff., 149 f.; Cole/Bantekas/Ferretti et al., Study on Instruments and Practice of Arbitration in the EU, 2014, 195 f.; Schlosser, EU‑Zivilprozessrecht, 2009, Art. 34–36 EuGVVO, Rn. 22 (anders noch in Rev. arb. 1981, 371, 385 ff.: löst Konflikt – allerdings mit ausländischem – Schiedsspruch auf Grundlage des ordre public-Vorbehalts); Markus, in: FS Koller, 2006, S. 451; Schmidt, in: FS Sandrock, 1995, S. 205, 221 f.; Haas, IPRax 1992, 292, 294; Berti, in: FS Vogel, 1991, S. 349 (zum LugÜ); Jenard, in: FS Bülow 1981, S. 82. 125 Cass. 1ère civ., 4.7.2007, Nr. 05-16586 05-16605, Bull. civ. 2007, I, Nr. 252 – République du Congo ./. GAT (zum LugÜ); MüKo ZPO/Gottwald, 2017, Art. 45 VO (EU) 1215/2012, Rn. 45; Musielak/Voit/Stadler, 2019, Art. 45 EuGVVO, Rn. 13; Dickinson/Lein/Illmer, 2015,
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(1) Erfordernis der sachlichen Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO auf die potentiell anerkennungshindernde Entscheidung? Teilweise wird darauf abgestellt, dass Schiedssprüche gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO vom sachlichen Anwendungsbereich des Brüssel-Systems nicht erfasst sind.126 So erklärte etwa der französische Kassationsgerichtshof zu den Parallelvorschriften des LugÜ: „[…] les décisions rendues en matière d’arbitrage sont exclues du champ d’application de la Convention de Lugano et ne sont donc [pas] susceptibles […] de faire obstacle à la reconnaissance de décisions rendues dans un autre ètat membre.“127
Nach Ansicht des EuGH ist dagegen nicht erforderlich, dass die anerkennungshindernde Entscheidung dem Brüssel-System unterliegt. So stand in Hoffmann ./. Krieg der Anerkennung eines deutschen Urteils auf Trennungsunterhalt entgegen, dass sie unvereinbar war mit einem inländischen Scheidungsurteil niederländischer Gerichte.128 Das deutsche Unterhaltsurteil fiel seinerzeit – vor Inkrafttreten der EuUntVO – in den sachlichen Anwendungsbereich des Brüssel-Systems, das anerkennungshindernde Scheidungsurteil niederländischer Gerichte dagegen nicht. Die Ansicht des EuGH überzeugt.129 Dem Wortlaut von Art. 45 Abs. 1 lit. c, und lit. d Brüssel Ia-VO lässt sich nicht entnehmen, dass nur Entscheidungen Rn. 2.66; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 83; Leandro, J. Int. Disp. Sett. 6 (2015), 188, 195; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 105; Hess, JZ 2014, 538, 541; Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 36 ff.; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 210; Pintaldi, Riv. dir. int. priv. proc. 49/3 (2013) 715, 724; Stein/Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 32 EuGVVO, Rn. 12, 84; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 48, Rn. 60, Fn. 220; Romano, in: Bonomi, Diritto internazionale privato, 2009, S. 149; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 812 f.; Hobeck/Weyhreter, SchiedsVZ 2005, 238, 240; Layton/Mercer, European Civil Practice I, 2004, Rn. 25.006; Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 198, Rn. 7.10. 126 Cass. 1ère civ., 4.7.2007, Nr. 05-16586 05-16605, Bull. civ. 2007, I, Nr. 252 – République du Congo ./. GAT (zum LugÜ); Hess, JZ 2014, 538, 541 (im Hinblick auf ein Urteil i. S. v. s. 66(2) AA 1996); Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 36 ff. (ebenfalls im Hinblick auf ein judgment in terms of the award i. S. v. s. 66(2) AA 1996); offenbar auch Dickinson/ Lein/Fitchen, 2015, Rn. 13.347, unter Verweis auf GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 70 f. – West Tankers („Since arbitration does not come within the scope of the regulation, at present there is no mechanism to coordinate its jurisdiciton with the jurisdiction of the national courts.“). 127 Cass. 1ère civ., 4.7.2007, Nr. 05-16586 05-16605, Bull. civ. 2007, I, Nr. 252 – République du Congo ./. GAT. 128 EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 23-25 – Hoffmann ./. Krieg; vgl. auch Cass. 2ème civ., 20.12.2001, Nr. 00-12.978, – Diamond (Entscheidung über eine Strafsache als anerkennungshindernde Entscheidung); Cass. 1ère civ., 28.2.2006, Nr. 04-19148, Rev. crit. d. i. p. 2006, 848 – Macot La Plagne (Entscheidung über eine Verwalungssache als anerkennungshindernde Entscheidung). 129 Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.67; Dickinson/Lein/Fitchen, 2015, Rn. 13.345; Czernich/Kodek/Mayr-Kodek, 2015, Art. 45 EuGVVO 2012, Rn. 43; Mankwowski, SchiedsVZ 2014, 209; Mourre, Cah. arb. 2013, 567, 579; Niboyet, Rev. arb. 2012, 569, Rn. 3; Lazić, J. Int.
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anerkennungshindernd sein können, die dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung unterfallen.130 Im Gegenteil: Gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO können inländische Entscheidungen und gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. d Var. 2 Brüssel Ia-VO solche aus Drittstaaten der Anerkennung entgegenstehen. Auf sie findet das Brüssel-System jedoch ebenfalls keine Anwendung, da sie keine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO darstellen. Dass in dem einen Fall die räumliche, in dem anderen die sachliche Anwendbarkeit fehlt, rechtfertigt keine andere Bewertung.
(2) Erfordernis der Staatlichkeit der potentiell anerkennungshindernden Entscheidung Überwiegend wird Schiedssprüchen die Eigenschaft einer potentiell anerkennungshindernden Entscheidung i. S. v. Art. 45 Abs. lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO deshalb abgesprochen, weil sie nicht die Legaldefinition der „Entscheidung“ in Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO erfüllen.131 Diese erfasst nämlich nach allgemeiner Ansicht nur Entscheidungen staatlicher Rechtsprechungsorgane,132 nicht Entscheidungen privater Schiedsgerichte.133 Teilweise wird jedoch vertreten, dass der Begriff der potentiell anerkennungshindernden Entscheidung in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO ein anderer sei als der in Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO definierte.134 Das Arb. 29 (2012), 19, 20; Stein/Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 34 EuGVVO, Rn. 84; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR, 2010, Art. 34 EuGVVO, Rn. 160; Hill/Chong, International Commercial Disputes, 2010, Rn. 13. 3. 38; Bollé, Rev arb 2007, 808, 810; Moura Vicente, Rev Ord Adv 1996, 595, 617; Haas, IPRax 1992, 292, 294; Koch, Unvereinbare Entscheidungen, 1993, 51; Hartley, Eur. L. Rev. 16 (1991), 529, 532 f.; Martiny, Hdb. IZVR III/1, 1984, Rn. 136; Schlosser, Rev. arb. 1981, 371, 384; ebenso offenbar National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397, Rn. 6, 41 f., 63 (Waller LJ). 130 Bollé, Rev arb 2007, 808, 810. 131 MüKo ZPO/Gottwald, 2017, Art. 45 VO (EU) 1215/2012, Rn. 45; Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.66; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 83; Leandro, J. Int. Disp. Sett. 6 (2015), 188, 195; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 105; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 210; Pintaldi, Riv. dir. int. priv. proc. 49/3 (2013) 715, 724; Stein/Jonas/ Oberhammer, 2011, Art. 32 EuGVVO, Rn. 12, 84; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 48, Rn. 60, Fn. 220; Romano, in: Bonomi, Diritto internazionale privato, 2009, S. 149; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 812 f.; Hobeck/Weyhreter, SchiedsVZ 2005, 238, 240; Layton/Mercer, European Civil Practice I, 2004, Rn. 25.006. 132 EuGH, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, Rn. 15, 17 – Solo Kleinmotoren; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 60; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR, 2010, Art. 32 EuGVVO, Rn. 46; Martiny, Hdb. IZVR III/2, 1984, Rn. 39, 59. 133 Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.66; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 210; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 105; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, 2010, Art. 32 EuGVVO, Rn. 46; Hobeck/Weyhreter, SchiedsVZ 2005, 238, 240; Layton/Mercer, European Civil Practice I, 2004, Rn. 25.006; Van Houtte, Arb. Int. 13 (1997), 85, 90; Hartley, Eur. L. Rev. 16 (1991), 529, 532; Martiny, Hdb. IZVR III/2, 1984, Rn. 59. 134 Schlosser/Hess/Hess, 2015, Art. 45 Rn. 30 (anders jedoch in JZ 2014, 538, 541); Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 147 ff., 149 f.; Cole/Bantekas/Ferretti et al.,
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ergebe sich daraus, dass Art. 45 Abs. 1 lit. d Var. 2 Brüssel Ia-VO auch Entscheidungen aus EU‑Drittstaaten als potentiell anerkennungshindernd aufführe. Denn zum einen sei die Definition in Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO dagegen auf Entscheidungen aus Mitgliedstaaten beschränkt.135 Zum anderen könnten danach sogar Urteile aus Drittstaaten der Anerkennung mitgliedstaatlicher Entscheidungen entgegengehalten werden, mit denen kein Abkommen über die Anerkennung bestehe; das müsse dann für nach der NYK anerkennungspflichtige Schiedssprüche erst recht gelten.136 Zudem sei das gemeinsame Ziel von Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO, Rechtskraftkonflikte zwischen widersprüchlichen Entscheidungen zu verhindern.137 Für den Entscheidungsbegriff in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO müsse daher maßgeblich sein, ob die potentiell anerkennungshindernde Entscheidung im Anerkennungsstaat res iudicata entfalte.138 Das sei jedenfalls in Deutschland, England und Frankreich der Fall.139 Überzeugend ist die Ansicht, die den Begriff der Entscheidung in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO der Legaldefinition des Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO entnimmt.140 Dieser definiert den Begriff der Entscheidung Study on Instruments and Practice of Arbitration in the EU, 2014, 195 f.; Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 866; Schlosser, EU‑Zivilprozessrecht, 2009, Art. 34–36 EuGVVO, Rn. 22 (anders noch in Rev. arb. 1981, 371, 381 ff.); Markus, in: FS Koller, 2006, S. 451; Schmidt, in: FS Sandrock, 1995, S. 205, 221f; Haas, IPRax 1992, 292, 294; Berti, in: FS Vogel, 1991, S. 349 (zum LugÜ); Jenard, in: FS Bülow 1981, S. 82; offenbar auch Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, 2010, Art. 34 EuGVVO, Rn. 160, 184 (vgl. Art. 32 EuGVVO Rn. 46) und Kersting/ Kleine, in: FS Elsing, 2015, S. 225, Fn. 38 (im Zusammenhang mit Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO). 135 Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 148, Fn. 57; Cole/Bantekas/Ferretti/Riefa/Warwas/Ortolani, Legal Instruments and Practice of Arbitration in the EU, 2014, 195; vgl. insofern auch Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 45 Brüssel Ia-VO, Rn. 67 (der gleichwohl eine unmittelbare Anwendung der Buchstaben c) und d) auf Entscheidungskonflikte mit Schiedssprüchen ablehnt). 136 Haas, IPRax 1992, 292, 294; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 149; als Argument für eine analoge Anwendung heranziehend Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 213; MüKo ZPO/Gottwald, 2017, Art. 45 VO (EU) 1215/2012, Rn. 52; offenbar als Argument für eine Analogie zu Buchstabe d) bei Kollsionen mit ausländischen Schiedssprüchen i. S. v. Art. 1 Abs. 1 NYK Van Houtte, Arb. Int. 13 (1997), 85, 89 f.; Schlosser, Rev. arb. 1981, 371, 388 f. 137 Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 147 f.; Schmidt, in: FS Sandrock, 1995, S. 205, 221 f.; Haas, IPRax 1992, 292, 294. 138 Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 147 f.; Markus, in: FS Koller, 2006, S. 451; Jenard, in: FS Bülow, 1981, S. 82; Kersting/Kleine, in: FS Elsing, 2015, S. 225, Fn. 38 (Aussage bezieht sich allerdings nur auf Buchstabe d)). 139 Kersting/Kleine, in: FS Elsing, 2015, S. 225, Fn. 38. 140 So auch EuGH, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, Rn. 14, 20 – Solo Kleinmotoren; EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 41 – Italian Leather; GA Léger, Schlussanträge v. 21.2.2002, Rs. C-80/00, Slg. 2002 I-4995, Rn. 49 – Italian Leather (Gerichtshof unterstreiche in seiner Rechtsprechung deutlich, dass eine andere Auslegung für die Zwecke der Anwendung des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ nicht in Betracht gezogen werden könne, da die Definition des
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
nämlich „für die Zwecke dieser Verordnung“, was seine Verwendung in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO einschließt. Bestätigt wird das durch die systematische Stellung von Art 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO in Kapitel 1 der Verordnung. Hier hat der Unionsgesetzgeber Bestimmungen vor die Klammer gezogen, die für die gesamte Verordnung beachtlich sind. Der Umstand, dass in Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO auch Entscheidungen aus EU‑Drittstaaten als potentiell anerkennungshindernd genannt werden, ist dagegen kein Beleg dafür, dass sich der Entscheidungsbegriff in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO von dem in Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO definierten unterscheidet. Im Gegenteil: Dass der Unionsgesetzgeber es für erforderlich hielt, in Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO zwischen anerkennungshindernden Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten und solchen aus EU‑Drittstaaten zu differenzieren, spricht eher dafür, dass der Entscheidungsbegriff in Art. 45 Abs. 1 lit. c, lit. d Brüssel Ia-VO im Übrigen dem in Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO definierten entspricht. Damit scheidet eine direkte Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c, lit. d Brüssel Ia-VO auf den Konflikt zwischen Gerichtsurteil und Schiedsspruch aus.141
bb) Vollstreckbarerklärung bzw. judgment in terms of the award nach s. 66(2) AA 1996 als potentiell anerkennungshindernde Entscheidung? Womöglich kann dem staatlichen Parallelurteil der Versagungsgrund des Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO dann entgegengehalten werden, wenn der Schiedsspruch durch inländische142 Gerichte für vollstreckbar erklärt worden ist. Der Schiedsspruch wird durch die Vollstreckbarerklärung nicht zur Entscheidung eines staatlichen Gerichts. Möglicherweise kann aber nun auf die staatliche Vollstreckbarerklärung als anerkennungshindernde Entscheidung i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO abgestellt werden. Begriffs „Entscheidung“ in Artikel 25 für alle Bestimmungen des Übereinkommens gelte, in denen dieser Begriff verwendet werde). 141 MüKo ZPO/Gottwald, 2017, Art. 45 VO (EU) 1215/2012, Rn. 45; Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.66; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 83; Leandro, J. Int. Disp. Sett. 6 (2015), 188, 195; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 105; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 210; Pintaldi, Riv. dir. int. priv. proc. 49/3 (2013) 715, 724; Stein/Jonas/ Oberhammer, 2011, Art. 32 EuGVVO, Rn. 12, 84; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 48, Rn. 60, Fn. 220; Romano, in: Bonomi, Diritto internazionale privato, 2009, S. 149; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 812 f.; Hobeck/Weyhreter, SchiedsVZ 2005, 238, 240; Layton/Mercer, European Civil Practice I, 2004, Rn. 25.006. 142 Im Hinblick auf eine Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs durch ein ausländisches Gericht wäre auf Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO abzustellen. Dieser erfordert aber, dass die ausländische Entscheidung im Inland anerkennungsfähig ist. Und das ist bei ausländischen Vollstreckbarerklärungen nicht der Fall (Verbot des Doppelexequaturs) (vgl. hierzu oben Teil 4 B.II.; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 146; Mourre, Bull. ASA, 2005, 408, 420).
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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Englische Gerichte haben sich bereits in einer Reihe von Judikaten mit dieser Frage auseinandergesetzt. Den Auftakt gab eine Nebenhandlung in der Rechtssache West Tankers.143 Während italienische Gerichte im staatlichen Parallelverfahren noch nicht über die eigene Zuständigkeit entschieden hatten, konnte West Tankers vor dem Londoner Schiedsgericht bereits die Feststellung erwirken, dass sie gegenüber den italienischen Versicherern für die Beschädigung der Mole nicht hafte. West Tankers beantragte daraufhin vor dem englischen High Court die Aufnahme des feststellenden Schiedsspruchs (declaratory award) in ein englisches Urteil (judgment in terms of the award) nach s. 66(2) AA 1996. Damit sollte der Schiedsspruch in England – mit Blick auf Art. 34 Nr. 3 Brüssel I‑VO (heute: Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO) – zur Verteidigung gegen die Pflicht nach Art. 32 ff. Brüssel I‑VO (heute: Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO) zur Anerkennung und Vollstreckung des künftigen italienischen Hauptsacheurteils in Stellung gebracht werden.144 Die italienischen Versicherer wendeten ein, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs nach s. 66(1) AA 1996 – die auch für eine Inkorporation nach s. 66(2) AA 1996 vorliegen müssen – nicht erfüllt seien. Denn für die Vollstreckung des feststellenden Schiedsspruchs „wie ein Urteil“ komme keines der herkömmlichen Zwangsmittel in Betracht.145 Der englische High Court, später bestätigt durch den Court of Appeal,146 erklärte dagegen, dass auch die von West Tankers angestrebte Wirkungsbeschränkung des italienischen Urteils ein mögliches Vollstreckungsmittel i. S. v. s. 66(1) AA 1996 darstelle.147 Für die Erteilung der begehrten Vollstreckbarerklärung sei hinreichend, dass durch das Vorgehen nach s. 66 AA 1996 eine wirkliche Aussicht bestehe, den Vorrang des Schiedsspruchs gegenüber dem künftigen, potentiell widersprüchlichen Urteil italienischer Gerichte nach Art. 34 Nr. 3 Brüssel I‑VO (heute: Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel IaVO) durchzusetzen.148 Eine abschließende Beurteilung der Erfolgsaussichten sei weder angebracht noch erforderlich.149 Per obiter dictum – mittlerweile angewendet durch den englischen High Court –150 hat der englische Court of Appeal aber auch insofern erklärt:
143 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2011] EWHC 829, West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWCA Civ 27; vgl. zum Ausgangssachverhalt ausführlich oben Teil 2 A.I.1. 144 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2011] EWHC 829, Rn. 10. 145 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2011] EWHC 829, Rn. 15. 146 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWCA Civ 27. 147 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2011] EWHC 829, Rn. 30. 148 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2011] EWHC 829, Rn. 30. 149 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2011] EWHC 829, Rn. 30; dem folgend: The London Steam-Ship Owners’ Mutual Insurance Association Ltd v The Kingdom of Spain [2013] EWHC 3188, Rn. 186 ff. 150 African Fertilizers and Chemicals NIG Ltd (Nigeria) v BD Shipsnavo GmbH & Co Reederei KG [2011] 2 Lloyd’s Rep 531 (EWHC).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
„[…] [T]he claimant […] could proceed with the arbitration in England so as to obtain a judgment [in terms of the award] […]; if that were inconsistent with the judgment obtained in the member state then that would provide an answer on its own (see Article 34(3)).“151
Englische Gerichte sind mit ihrer Sichtweise nicht allein. Neben GA Wathelet152 nehmen auch weite Teile der Literatur an, dass eine inländische Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs dem staatlichen Parallelurteil gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO entgegengehalten werden kann.153 Zu Recht weisen die Vertreter dieser Ansicht darauf hin, dass nicht entgegensteht, dass die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen ist.154 Richtig ist auch, dass die Vollstreckbarerklärung durch das Gericht eines Mitgliedstaats erfolgt ist und insofern – anders als beim Schiedsspruch – die Merkmale einer Entscheidung i. S. v. Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO erfüllt sind.155 Fraglich ist aber, ob die Anerkennung des staatlichen Parallelurteils mit der Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs unvereinbar ist.156 151
National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397. Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Fn. 75 – Gazprom („Dies bedeutet, dass, wenn die Entscheidung eines Gerichts eines Mitgliedstaats, das eine Schiedsvereinbarung für hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar erklärt und sodann den Rechtsstreit in der Sache entscheidet, den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats zur Anerkennung und Vollstreckung vorgelegt wird, diese Entscheidung gemäß der Brüssel-I‑Verordnung anerkannt und vollstreckt werden muss. Da jedoch ein Schiedsverfahren im Allgemeinen kürzer als ein staatliches Verfahren ist, ist es wahrscheinlich, dass das ersuchte Gericht einen Schiedsspruch in der Sache bezüglich desselben Rechtsstreits bereits anerkannt und vollstreckt haben wird. In diesem Fall wäre das ersuchte Gericht nicht mehr verpflichtet, die staatliche Entscheidung anzuerkennen und zu vollstrecken, da der Schiedsspruch bereits Rechtskraft erlangt hätte (vgl. Art. 45 Abs. 1 Buchst. c […]).“). 153 Schlosser, Rev. arb. 1981, 371, 381 ff.; Van Houtte, Arb. Int. 13 (1997), 85, 90; Mourre, Bull. ASA, 2005, 408, 420; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, 663; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 810 ff.; Raphael, Anti-suit Injunction, 2008, Rn. 15.20; Schlosser, EU‑Zivilprozessrecht, 2009, Art. 34 EuGVVO, Rn. 22; Dundas, Arbitration 78 (2012), 212; Moody/ Forsaith, Arb. Int. 28 (2012), 567, 575 f.; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 212; Hauberg Wilhelmsen, Arb. Int. 30 (2014), 169, 177 f; Merkin/Flannery, Arbitration Act 1996, 2014, 286 f.; offenbar auch Erk, Parallel Proceedings, 2014, 142 und Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 151. 154 Mourre, Bull. ASA, 2005, 408, 420; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 810 f.; Dickinson/Lein/ Illmer, 2015, Rn. 2.67; a. A. Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 37 f. und offenbar auch Hess, JZ 2014, 538, 541 f. (zum Ganzen ausführlich Teil 4 C.II.1.a.aa)(1)). 155 Darauf hinweisend z. B. Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 212; Bollée, Rev. arb. 2007, 808, 811 f.; Schlosser, Rev. arb. 1981, 371, 391. Vgl. für die Wirkung von internationalen Gerichtsentscheidungen in Bezug auf Schiedssprüche Scherer, Pepp. L. Rev. 2016, 101– 118. 156 Dagegen OLG Frankfurt a. M., NJOZ 2006, 4360, 4365 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 45, Rn. 109; offen gelassen Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 212. Im Ergebnis auch gegen die Anwendung des Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO im Fall einer Kollision der anzuerkennenden Entscheidung 152 GA
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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Der Begriff der Unvereinbarkeit ist unionsautonom auszulegen und erfordert, dass zwei Entscheidungen Rechtsfolgen aufweisen, die sich gegenseitig ausschließen.157 Die Rechtsfolgen sind dabei dem Verfahrensrecht des jeweiligen Ursprungsstaats zu entnehmen.158 Zwischen den widersprüchlichen Entscheidungen muss keine Streitgegenstandsidentität bestehen.159 Andererseits ist aber auch nicht Zweck der Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO, eine umfassende Entscheidungsharmonie zu gewährleisten.160 Erfasst werden vielmehr nur solche Entscheidungskollisionen, durch die der Rechtsfrieden im jeweiligen Mitgliedstaat ernsthaft gestört würde.161 Das erfordert, dass der fragliche Streitpunkt durch die staatlichen Rechtsprechungsorgane selbst widersprüchlich beurteilt wurde.162 Außerdem muss sich die Unvereinbarkeit bei den Wirkungen der gerichtlichen Entscheidungen zeigen; widersprüchliche Entscheidungen über Zulässigkeits- und Prozessvoraussetzungen reichen nicht.163 Das inländische Exequaturgericht entscheidet über den Anspruch des Schiedsklägers, dem Schiedsspruch im Schiedsstaat Vollstreckbarkeit zu verleihen.164 Über den materiellen Anspruch, der dem Erkenntnisverfahren vor mit einer Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruchs, allerdings unter anderer Prämisse: Hess, JZ 2014, 538, 541 f. und Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 37 f. (beide der Ansicht, dass die anerkennungshindernde Entscheidung in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallen muss, was weder im Hinblick auf die herkömmliche Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs noch in Bezug auf ein judgement in terms of the award der Fall ist); andere sprechen der Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs bzw. dem judgment in terms of the award bereits den Charakter als Entscheidung im Sinne der Norm ab: Dickinson/ Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.67 („[…] it merely grants the ‚public‘ enforcement stamp to a decision on the substance of the case that has already been made by the arbitral tribunal […]“); Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 36 ff. („[…] to qualify as a Brussels Convention (or Brussels I Regulation) judgment, the judgment would have to be one that a court had made in deciding the issues between the parties, not simply a recording of what the parties (or tribunal) had done“); Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 199, Rn. 7.11. 157 EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 22 – Hoffmann ./. Krieg; EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 44 – Italian Leather. 158 Stein/Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 34 EuGVVO, Rn. 87. 159 Stein/Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 34 EuGVVO, Rn. 87. 160 Stein/Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 34 EuGVVO, Rn. 85. 161 Jenard-Bericht, 1968, 45; EuGH, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, Rn. 21 – Solo Kleinmotoren; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 45, Rn. 108. 162 EuGH, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, Rn. 21, 17 – Solo Kleinmotoren; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 45, Rn. 108. 163 EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 44 – Italian Leather („Zum anderen muss sich die Unvereinbarkeit – wie sich aus Randnummer 22 des Urteils Hoffmann ergibt – bei den Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen zeigen; sie betrifft nicht die Zulässigkeits- und Verfahrensvoraus-setzungen für den Erlass dieser Entscheidungen, die sich möglicherweise von einem Vertragsstaat zum anderen unterscheiden.“); so auch Cass. (IT), 12.11.1994 – 9554, Riv. dir. int. priv. proc. 1995, 732, Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 51. 164 OLG Frankfurt a. M., NJOZ 2006, 4360, 4366; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer,
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
dem staatlichen Parallelgericht zugrunde lag, entscheidet es nicht (Verbot der révision au fond).165 Die einzige inhaltliche Überschneidung der Entscheidungen betrifft die Frage der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede. Das Exequaturgericht hat sie als Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs bejaht, das staatliche Parallelgericht hat sie im Rahmen der Zurückweisung der Schiedseinrede verneint. Erstens entfaltet das staatliche Parallelgericht insoweit im Schiedsstaat aber gerade keine Wirkung – das BrüsselSystem findet auf sie gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO keine Anwendung und nach einzelstaatlichem Recht ist ihr die Anerkennung zu versagen.166 Zweitens betrifft der Widerspruch nur die Entscheidung des staatlichen Parallelgerichts über die Schiedseinrede als Prozesshindernis bzw. (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung. Widersprüchliche Entscheidungen über Zulässigkeitsvoraussetzungen vermögen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Unvereinbarkeit i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. c, lit. d Brüssel Ia-VO jedoch nicht zu begründen. Man könnte einwenden, dass dem inländischen Schiedsspruch durch die Exequaturentscheidung im Schiedsstaat Vollstreckbarkeit verliehen wird und dass diese Wirkung unvereinbar ist mit der Vollstreckbarkeit des staatlichen Parallelurteils nach Art. 39 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Allerdings zeigen sich die auseinanderfallenden Wirkungen auch insoweit nur mit Blick auf die Rechtsfolgenaussprüche des staatlichen Parallelurteils und des Schiedsspruchs. Das spricht dafür, für die Bestimmung der Unvereinbarkeit i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO nicht auf eine gegebenenfalls erfolgte Vollstreckbarerklärung, sondern auf die zugrunde liegenden Sachentscheidungen abzustellen. Für die Inkorporation des Schiedsspruchs in ein englisches Urteil nach s. 66(2) AA 1996 gilt nichts anderes. Denn hierbei handelt es sich lediglich um eine besondere Technik der Vollstreckbarerklärung.167
cc) Zwischenergebnis Damit lässt sich festhalten: Der inländische Schiedsspruch ist mit dem staatlichen Parallelurteil unvereinbar; er ist aber keine potentiell anerkennungshindernde Entscheidung i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO.168 Die inländische Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs ist eine potentiell anerkennungshindernde Entscheidung i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO; IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 45, Rn. 109; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 212; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, 2010, Art. 38 EuGVVO, Rn. 10. 165 In diese Richtung auch die Argumentation von Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.67. 166 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.1.b) (separate Zurückweisung der Schiedseinrede) und Teil 3 B.II.2.b) (inzidente Zurückweisung der Schiedseinrede). 167 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 B.II. 168 Vgl. oben Teil 4 C.II.1.a)aa).
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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sie ist mit dem staatlichen Parallelurteil aber nicht unvereinbar.169 Das gilt auch für die Inkorporation des Schiedsspruchs in ein Urteil nach s. 66(2) AA 1996.170 Damit scheidet eine unmittelbare Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO auf den Konflikt zwischen staatlichem Parallelurteil und inländischem Schiedsspruch bzw. seiner Vollstreckbarerklärung aus.
b) Analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c oder lit. d Brüssel Ia-VO auf inländische Schiedssprüche? Ein gewichtiger Teil des Schrifttums spricht sich für den Fall des Konflikts einer nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anzuerkennenden Entscheidung mit einem inländischen Schiedsspruch171 für eine analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c172 bzw. lit. d173 Brüssel Ia-VO aus. Zu Recht weist Mankowski darauf hin, dass dem nicht entgegensteht, dass Schiedssprüche nicht vom Entscheidungsbegriff dieser Versagungsgründe erfasst werden – schließlich ist der Anwendungsbereich für eine analoge Anwendung in Abgrenzung zur Gesetzesauslegung174 erst dann eröffnet, wenn hinsichtlich der zu beurteilenden Sachlage einzelne Tatbestandsmerkmale der fraglichen Rechtsvorschrift nicht erfüllt sind.175 Gegen die analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c bzw. lit. d Brüssel Ia-VO wird aber eingewendet, dass die Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO auf den Konflikt zwischen mitgliedstaatlichem Gerichtsprozess und schiedsrichterlichem Verfahren ebenfalls nicht analog angewendet würden (aa)). Außerdem sei bereits die Privilegierung inländischer Gerichtsurteile nach Art. 45 Abs. 1 lit. c 169
Vgl. oben Teil 4 C.II.1.a)bb). Vgl. oben Teil 4 C.II.1.a)bb). Die analoge Anwendung auf den Konfikt einer anzuerkennenden Gerichtsentscheidung mit einer inländischen Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs scheitert schon an der fehlenden Grundsituation der Buchstaben c) und d), der Unvereinbarkeit mit dem anzuerkennenden Urteil in der Hauptsache (vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.a)bb)). 172 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 45, Rn. 109; Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 511, Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 213 (Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO analog wenden die Autoren bei einer Kollision mit ausländischen Schiedssprüchen an.); Musielak/Voit/Stadler, 2019, Art. 45 EuGVVO, Rn. 13. 173 Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.66; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34, Rn. 60; Stein/ Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 34 EuGVVO, Rn 84; Brozolo, JPriv Int’l Law 2011 423, 455 (wenn der Schiedsspruch im Anerkennungsstaat für vollstreckbar erklärt wurde); unklar Zöller/Geimer, 2018, Anh. I Art. 45 EuGVVO, Rn. 53; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, 2010, Art 34 EuGVVO, Rn. 184, 160; offenbar für eine analoge Anwendung von Buchstabe d) nur auf ausländische Schiedssprüche i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK MüKo ZPO/Gottwald, 2017, Art. 45 VO (EU) 1215/2012, Rn. 52; Van Houtte, Arb. Int. 13 (1997), 85, 90 f.; Möller, in: FS Bogdan, 2013, S. 384; Lazić, J. Int. Arb. 29 (2012), 19, 20. 174 Verwendet wird hier die differenziertere Terminologie des deutschen Rechts (der EuGH verwendet im Anschluss an die französische Methodenlehre den Begriff der Rechtsfortbildung nicht, sondern spricht pauschal von interprétation (Neuner, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 12, Rn. 2; Vogenauer, Auslegung von Gesetzen I, 2001, 289 ff., 394 f., 607; Anweiler, Auslegungsmethoden, 39)). 175 Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 213. 170 171
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Brüssel Ia-VO verfehlt; sie dürfe durch eine analoge Anwendung nicht auch noch ausgedehnt werden (bb)). Diese speziellen Einwände sollen im Folgenden zuerst untersucht werden. Sofern sie nicht greifen, wird anschließend zu ermitteln sein, ob die allgemeinen, auch im sekundären Unionsrecht bestehenden176 Voraussetzungen für einen Analogieschluss vorliegen: Das heißt, ob der Gleichheitssatz177 eine analoge Anwendung des Art. 45 Abs. 1 lit. c bzw. lit. d Brüssel Ia-VO gebietet (Vergleichbarkeit der Interessenlage) (bb))178 und der Wille des Unionsgesetzgebers nicht entgegensteht (Planwidrigkeit der Regelungslücke) (dd)).179
aa) Rückschlüsse aus der Unanwendbarkeit der Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO auf den Konflikt zwischen mitgliedstaatlichem Verfahren und Schiedsverfahren? Dickler ist der Ansicht, der analogen Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO stehe entgegen, dass die Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO auf den Konflikt zwischen mitgliedstaatlichem Gerichtsprozess und schiedsrichterlichem Verfahren ebenfalls nicht analog angewendet würden.180 Denn im Sinne einer einheitlichen Geltung der Verordnung dürfe im Stadium der Anerkennung (Art. 45 Abs. 1 lit. c, lit. d Brüssel Ia-VO) nichts anderes gelten als auf Ebene des Erkenntnisverfahrens (Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO). Die Belastbarkeit dieser These setzt allerdings eine Akzessorietät beider Mechanismen voraus. Mit anderen Worten: Der Zweck der Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO müsste sich darin erschöpfen, die Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO durchzusetzen. Dass das nicht der Fall ist, offenbart aber bereits der Umstand, dass Art. 45 Abs. 1 lit d Brüssel Ia-VO die Kollision mit Entscheidungen aus EU‑Drittstaaten erfasst, während die Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO auf den Konflikt mit drittstaatlichen Verfahren unstreitig keine Anwendung finden.
bb) Entgegenstehen rechtspolitischer Einwände gegen die Privilegierung inländischer Judikate nach Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO? Teilweise wird gegen eine analoge Anwendung angeführt, bereits die unbedingte Privilegierung inländischer Judikate nach Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO sei verfehlt.181 Sie sei weder erforderlich noch vereinbar mit dem Grundsatz, 176 177
Eingehend hierzu Neuner, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 12. Vgl. EuGH (Große Kammer), Rs. C-550/07, Slg. 2010, I-8301, Rn. 54 ff. – Akzo Nobel Chemicals („[…] vergleichbare Sachverhalte [dürfen] nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden […], es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist.“). 178 Vgl. zur Methodik Neuner, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 12, Rn. 32. 179 Vgl. zur Methodik Neuner, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 12, Rn. 18, 30. 180 Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 84. 181 Hess, EuZPR, 2010, § 6, Fn. 985 und Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 85.
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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dass alle mitgliedstaatlichen Entscheidungen qualitativ gleichwertig sind. Als Fremdkörper im Internationalen Zivilverfahrensrecht dürfe der Anwendungsbereich von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO nicht auch noch ausgedehnt werden. Die rechtspolitischen Einwände gegen die Privilegierung inländischer Judikate sind berechtigt.182 Der analogen Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c bzw. lit. d Brüssel Ia-VO auf den Konflikt des mitgliedstaatlichen Urteils mit einem inländischen Schiedsspruch stehen sie aber nicht entgegen.183 Für die Ansicht, die ohnehin Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO analog heranzieht, liegt das auf der Hand. Denn dieser sieht die kritisierte Ungleichbehandlung von aus- und inländischen Entscheidungen nicht vor. Im Übrigen ist zu berücksichtigten, dass sich im Reformprozess der Vorschlag des Heidelberg-Berichts nicht durchsetzen konnte, die Privilegierung inländischer Judikate – unter Orientierung an Art. 21 EuVTVO, 22 EuMahnVO, 22 EuGFVO – abzuschaffen.184 Der Unionsgesetzgeber selbst hält danach an seiner rechtspolitischen Bewertung fest. Diese darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass man von vornherein eine analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO ausschließt, nur weil einem selbst die gesetzgeberische Prämisse nicht passt.185 Damit greift keiner der im Schrifttum erhobenen, speziellen Einwände gegen die analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c bzw. lit. d Brüssel Ia-VO. Zu untersuchen bleibt, ob die allgemeinen Voraussetzungen für einen Analogieschluss vorliegen, das heißt, inwieweit eine vergleichbare Interessenlage besteht und eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.
cc) Vergleichbarkeit der Interessenlage Für die Vergleichbarkeit der Interessenlage ist zu differenzieren zwischen Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO, der inländische Gerichtsurteile privilegiert (1), und Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO, der Entscheidungskollisionen nach zeitlicher Priorität auflöst (2).
(1) Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO? Anders als beim Konflikt mit einem ausländischen Judikat (Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO) kommt es beim Konflikt mit einem inländischen (Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO) nicht darauf an, ob die anerkennungshindernde Entschei182 Vgl. hierzu Hess, EuZPR, 2010, § 6, Fn. 985; Althammer, in: FS Kaissis, 2012, S. 26 f.; D’Alessandro, Riv. dir. proc. 2013, 1044, 1061; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 85 f.; MüKo ZPO/Gottwald, 2017, Art. 45 VO (EU) 1215/2012, Rn. 45. 183 Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 211. 184 Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 496. 185 Neuner, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 12, Rn. 18; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 10, Rn. 11, 32 ff., 53; Martens, Methodenlehre, 383 ff.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
dung zuerst ergangen ist. Hintergrund der Privilegierung inländischer Gerichtsentscheidungen ist, dass im Fall von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO die ausländische Rechtsprechungsgewalt mit der inländischen kollidiert.186 In diesem Fall gebiete die Souveränität des Zweitstaats die Durchsetzung des inländischen Judikats, auch dann, wenn das ausländische zuerst ergangen ist. Dem Anerkennungsstaat sei nämlich nicht zuzumuten, seine eigene Rechtsprechungsgewalt infrage zu stellen. Bei der Kollision mit einem inländischen Schiedsspruch greift dieser Gedanke nicht. Denn Schiedssprüche werden durch private Schiedsgerichte erlassen, denen selbst keine Hoheitsbefugnisse zustehen. Insbesondere ist die Verbindlichkeit von Schiedssprüchen nicht Ausfluss originärer Rechtsprechungsgewalt, sondern beruht auf einer privatrechtlichen Parteivereinbarung. Muss der Schiedsstaat ein ausländisches Gerichtsurteil anerkennen, das unvereinbar ist mit einem inländischen Schiedsspruch, wird ihm also nicht abverlangt, die eigene Rechtsprechungsgewalt infrage zu stellen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Schiedssprüche ebenso wie gerichtliche Entscheidungen Gegenstand und Ausfluss nationaler Prozessrechte sind.187 Denn allein das macht den Schiedsspruch nicht zum hoheitlichen Rechtsprechungsakt. Damit ist die Interessenlage beim Konflikt des anzuerkennenden Urteils mit einem inländischen Schiedsspruch nicht mit der in Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO geregelten vergleichbar.
(2) Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO löst Entscheidungskollisionen zugunsten des Judikats auf, das im Anerkennungsstaat zuerst seine Wirkung entfaltet hat (Grundsatz der zeitlichen Priorität). Souveränitätsgesichtspunkte spielen hierbei keine Rolle. Vielmehr beschränkt sich Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO darauf, eine Störung des Rechtslebens zu verhindern, die dadurch entsteht, dass auf demselben Staatsgebiet eine Berufung auf zwei einander widersprechende Entscheidungen möglich ist.188 Sofern dem inländischen Schiedsspruch materielle Rechtskraft wie Gerichtsurteilen zukommt, wird der Rechtsfriede bei einer Kollision der anzuerkennenden Entscheidung mit ihm ebenso gestört wie bei der Kollision mit einem ausländischen Gerichtsurteil. In Deutschland (§ 1055 ZPO), Frankreich (Art. 1484 CPC) und England (s. 58(1) AA 1996)189 186 Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 211. 187 A. A. Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209,
211, 213. Jenard-Bericht, 1968, 45; EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 48 – Italian Leather. 189 Vgl. hierzu Arnold and Others v National Westminster Bank PLC [1991] 2 AC 93 (UKHL); Associated Electric and Gas Insurance Services Ltd (AEGIS) v European Reinsurance Co of Zurich [2003] 1 WLR 1041 (UKPC); Doe d Davy v Haddon (1783) 3 Doug KB 310; Commings v Heard [1869] LR 4 QB 669, 673; Fidelitas Shipping Co Ltd v V/O Export188
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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entfalten Schiedssprüche res iudicata-Wirkung wie Gerichtsentscheidungen. Eine vorherige Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs ist nicht erforderlich. Damit ist die Interessenlage im Fall der Unvereinbarkeit des anzuerkennenden Urteils mit einem inländischen Schiedsspruch vergleichbar mit der in Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO geregelten.
dd) Planwidrigkeit der Regelungslücke? Die Zulässigkeit des Analogieschlusses setzt weiter voraus, dass Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO die Kollision mit einem inländischen Schiedsspruch planwidrig nicht erfasst.190 Im Reformprozess der Brüssel I‑VO wurde die Einführung eines neuen Versagungsgrundes für den Fall des Konflikts mit einem Schiedsspruch vorgeschlagen und diskutiert – im Heidelberg-Bericht, im Grünbuch der Kommission und in Stellungnahmen von Interessenträgern.191 Tatsächlich erfolgt ist sie nicht.192 Das Schicksal des Vorschlags reiht sich insofern in das aller Vorschläge ein, die im Reformprozess unterbreitet wurden und in der einen oder anderen Weise eine unionsautonome Koordinierung von Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit hätten begründen können:193 Im Ergebnis wurden sie abgelehnt. Das gilt etwa auch für den Vorschlag, einen neuen Versagungsgrund für den Fall der Missachtung einer Schiedsabrede einzuführen – auch das war im Heidelberg-Bericht, im Grünbuch der Kommission sowie in Stellungnahmen von Interessenträgern diskutiert und zudem im Rat durch die englische Delegation vorgeschlagen worden.194 Entsprechendes gilt für den Vorschlag der chleb [1966] QB 630, 643 (EWCA); Laughland v Stevenson [1995] 2 NZLR 474 (EWHC); Noble AssuranceCompany v Gerling-Konzern General Insurance Company-UK Branch [2007] EWHC 253; Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 864; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 16-108, 16-117. 190 Vgl. zur Methodik Neuner, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 12, Rn. 18, 30. 191 Vgl. Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 127 ff.; Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, 21.4.2009, KOM(2009) 175, S. 10; Stellungnahmen zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO – Bar Council of England and Wales, 17, jeweils abrufbar unter . 192 Vgl. für die Möglichkeit eines Umkehrschlusses, wenn im Gesetzgebungsprozess Vorschläge nicht übernommen wurden EuGH, Rs. C-203/09, Slg. 2010 I-10721, Rn. 40 – Volvo; EuGH, Rs. C-404/06, Slg. 2008 I-2685, Rn. 29 f. – Quelle; EuGH, Rs. C-423/97, Slg. 1999 I-2216, Rn. 49-52 – Travel Vac; EuGH, Rs. C-215/97, Slg. 1998 I-2191, Rn. 1, 16 – Bellone ./. Yokohama; EuGH, Urteil v. 7.12.1995, Rs. C-449/93, Slg. 1995 I-4291, Rn. 33 – Rockfon; EuGH, Rs. C-26/69, Slg. 1970, 565, Rn. 5 – Kommission ./. Frankreich; Riesenhuber, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 2015, § 10, Rn. 34. 193 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.II.2.a)aa)–ff). 194 Vgl. Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 127; Magnus/Mankowski, Joint Response, 16; Council of the European Union, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Kommission, eine modifizierte lis pendens-Regelung zum Schutz von Schiedsabreden einzuführen.195 Dem lässt sich entnehmen, dass dem Unionsgesetzgeber bei Verabschiedung der Brüssel Ia-VO durchaus bewusst war, dass Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO den Konflikt mit einem inländischen Schiedsspruch nicht regelt. Nach seiner Prämisse sollen das Verhältnis und die Koordinierung von Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit aber grundsätzlich einzelstaatlicher Ausgestaltung überlassen bleiben. Vorgaben auf Ebene der Brüssel Ia-VO sollen den Mitgliedstaaten prinzipiell nicht gemacht werden.196 Genau das wäre aber der Fall, wenn man Art. 45 Abs. lit. d Brüssel Ia-VO auf den Konflikt mit einem inländischen Schiedsspruch analog anwenden würde. Denn der Unionsgesetzgeber würde den Mitgliedstaaten unionsautonom vorschreiben, dass sie die materielle Rechtskraft von inländischen Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen aus anderen Mitgliedstaaten gleichrangig zu behandeln haben. So wäre ihnen beispielsweise verwehrt, im Konfliktfall die Rechtskraft des Gerichtsurteils höher als die des inländischen Schiedsspruchs zu bewerten. Das mag man rechtspolitisch befürworten, ist aber nicht Gegenstand der Brüssel Ia-VO.
ee) Zwischenergebnis Damit scheidet auch die analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO auf die Kollision des staatlichen Parallelurteils mit dem inländischen Schiedsspruch aus. Für die analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO fehlt es bereits an einer vergleichbaren Interessenlage; im Hinblick auf Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO ist die Interessenlage vergleichbar; es fehlt aber die planwidrige Regelungslücke.
c) Ordre public-Vorbehalt nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO im Fall der Unvereinbarkeit des anzuerkennenden Gerichtsurteils mit einem inländischen Schiedsspruch Damit kommt eine Anerkennungsversagung des staatlichen Parallelurteils wegen einer Kollision mit dem zuerst ergangenen, inländischen Schiedsspruch nur noch aufgrund des ordre public-Vorbehalts (Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Iacommercial matters (Recast) – Comments from the delegation of the United Kingdom on arbitration, 22.3.2012 (ST 8035 2012 INIT), 1. 195 Kommission, Vorschlag v. 14.12.2010 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), KOM(2010) 748 endgültig, Art. 29 Abs. 4 Brüssel Ia-VO‑E; vgl. auch Heidelberg-Bericht, 2007, Rn. 133 f. und die Diskussion im Rat und Parlament oben Teil 2 A.II.2.a)cc)–ff). 196 Vgl. für die Möglichkeit eines Umkehrschlusses, wenn im Reformprozess Vorschläge nicht übernommen wurden, soeben Fn. 192.
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VO) in Betracht.197 Zunächst ist zu prüfen, ob ein solcher Rückgriff angesichts der besonderen Regelung von Entscheidungskonflikten in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO überhaupt methodisch zulässig ist (aa)). Gegebenenfalls ist zu untersuchen, ob die Kollision mit dem Schiedsspruch derart gravierend wäre, dass die Anerkennung des staatlichen Parallelurteils die öffentliche Ordnung des Schiedsstaats offensichtlich verletzt (bb)). Zu klären bliebe dann, zugunsten welcher Entscheidung der Konflikt aufzulösen ist (bb)).
aa) Möglichkeit des Rückgriffs Entscheidungskollisionen sind in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO grundsätzlich speziell geregelt.198 Dementsprechend entschied der EuGH in Hoffmann ./. Krieg, dass: „[…] die Anwendung der Ordre-public-Klausel […] nach der Systematik des Übereinkommens jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn es […] um die Vereinbarkeit einer ausländischen Entscheidung mit einer inländischen Entscheidung geht. Diese Frage ist nämlich nach der besonderen Vorschrift des Artikels 27 Nr. 3 [heute: 45 Abs. 1 lit. a] zu lösen […].“199
Der Sachverhalt in Hoffmann ./. Krieg betraf allerdings den Fall, dass das anzuerkennende Urteil mit einer inländischen Gerichtsentscheidung kollidiert – nicht mit einem inländischen Schiedsspruch. Zudem stellt der EuGH für den Entscheidungsbegriff in Art. 45 Abs. 1 lit. c, lit. d Brüssel Ia-VO nach ständiger Rechtsprechung auf die Legaldefinition des Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO ab,200 die Schiedssprüche nicht erfasst.201 Das vom Gerichtshof konstatierte Verbot eines Rückgriffs auf den ordre public-Vorbehalt, „wenn es […] um die Vereinbarkeit einer ausländischen Entscheidung mit einer inländischen Ent197 Im Ergebnis dafür Mourre, Bull. ASA, 2005, 408, 420; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 816 f.; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 107; Leandro, J. Int. Disp. Sett. 6 (2015), 188, 195; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, 622 („least bad solution“); Schlosser, Rev. arb. 1981, 371, 385 ff). (in Bezug auf die Kollision mit einem ausländischen Schiedsspruch, nun jedoch auch insofern anders ders., EU‑Zivilprozessrecht, 2009, Art. 34–36 EuGVVO, Rn. 22); Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 205, Rn. 7.32; a. A. Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 85 f.; wohl auch Hess, JZ 2014, 538, 541. 198 Vgl. zur entstehungsgeschichtlichen Begründung oben Teil 3 A.I.3.b). 199 EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 21 – Hoffmann ./. Krieg; bestätigt in EuGH, C-78/95, Slg. 1996 I-4943, Rn. 23 – Hendrikman ./. Magenta Druck. 200 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, Rn. 14, 20 – Solo Kleinmotoren; EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995, Rn. 41 – Italian Leather. Vgl. auch GA Léger, Schlussanträge v. 21.2.2002, Rs. C-80/00, Slg. 2002 I-4995, Rn. 49 – Italian Leather. 201 Hartley, Eur. L. Rev. 16 (1991), 529, 532; Van Houtte, Arb. Int. 13 (1997), 85, 90; Layton/Mercer, European Civil Practice I, 2004, Rn. 25.006; Hobeck/Weyhreter, SchiedsVZ 2005, 238, 240; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, 2010, Art. 32 EuGVVO, Rn. 46; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 210; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 105; Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.66.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
scheidung geht […]“,202 hat danach allein die Kollision zweier staatlicher Judikate im Blick. Geht es dagegen wie hier um den Konflikt des anzuerkennenden Urteils mit einem Schiedsspruch, ist ein Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt methodisch zulässig. Da Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO diesen Konflikt bereits dem Grunde nach nicht erfassen, können sie ihn bereits begrifflich nicht speziell regeln.203 Zudem trägt der Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt, dessen Inhalt die Mitgliedstaaten grundsätzlich selbst bestimmen,204 dem Willen des Unionsgesetzgebers Rechnung.205 Denn hiernach soll das Verhältnis zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit grundsätzlich einzelstaatlicher Ausgestaltung überlassen bleiben.206 Das bewusste Ausklammern von Entscheidungskollisionen mit Schiedssprüchen in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO hat also zweierlei Bedeutung: Der Unionsgesetzgeber will den Mitgliedstaaten nicht vorschreiben, Gerichtsentscheidungen i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, die mit einem Schiedsspruch unvereinbar sind, die Anerkennung zu versagen;207 er will ihnen das aber auch nicht verbieten.
bb) Offensichtliche Verletzung der öffentlichen Ordnung im Fall der Unvereinbarkeit zweier rechtskräftiger, in derselben Sache ergangener Rechtsfolgenaussprüche Das Gegenüberstehen auf ein und demselben Staatsgebiet von zwei rechtskräftigen, in derselben Sache ergangenen Entscheidungen mit widersprüchlichen Rechtsfolgenaussprüchen würde die öffentliche Ordnung des Anerkennungsstaats offensichtlich verletzen.208 Das gilt im Ergebnis in Deutschland,209 Eng202
EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 21 – Hoffmann ./. Krieg; bestätigt in EuGH, C-78/95, Slg. 1996 I-4943, Rn. 23 – Hendrikman ./. Magenta Druck. 203 A. A. offenbar Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 86. 204 EuGH, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Rn. 22 – Krombach ./. Bamberski; EuGH, Rs. C-38/98, Slg. 2000, I-2973, Rn. 27 f. – Renault ./. Maxicar; EuGH, Rs. C-420/07, Slg. 2009, I-3571, Rn. 56 – Apostolides ./. Orams; EuGH, Rs. C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319, Rn. 47 – flyLAL‑Lithuanian Airlines; EuGH, Rs. C-681/13, ECLI:EU:C:2015:471, Rn. 43 – Johnny Walker. 205 A. A. Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 86 (dass der Unionsgesetzgeber die Behandlung derartiger Kollisionen in Art. 45 Abs. 1 lit. c und d Brüssel Ia-VO bewusst ausgeklammert habe, ändere nichts an der Endgültigkeit, die der Problemkomplex Entscheidungskollisionen durch diese Versagungsgründe erfahren habe). 206 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.b)dd). 207 Vgl. hierzu EuGH, Rs. C-80/00, Slg. 2002, I-4995 – Italian Leather. 208 Vgl. aus unionsrechtlicher Perspektive insbesondere Jenard-Bericht, 1968, 45; Schlussanträge GA Léger, Schlussanträge v. 21.2.2002, Rs. C-80/00, Slg. 2002 I-4995, Rn. 53 ff. – Italian Leather. 209 BGHZ 145, 376, 380 (führt unter Verweis auf BT‑Drucks 13/5274, S. 59 aus, dass der ordre public-Vorbehalt in § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO durch die §§ 580 ff. ZPO konkretisiert wird – das schließt § 580 Nr. 7 lit. a ZPO ein); vgl. auch § 328 Abs. 1 Nr. 3 Var. 1 und 2 als Sonderfälle des ordre public-Vorbehalts; BVerfGE 15, 313, Rn. 19; BVerfGE 60, 253,
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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land210 und Frankreich211 gleichermaßen – und zwar unabhängig davon, ob das Rechtsinstitut der Rechtskraft als solches der öffentlichen Ordnung zugeordnet wird:212 267 f.; BGHZ 123, 30, 33 f.; BayObLG, MDR 1967, 923; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 211; a. A. offenbar Haas, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer und internationaler Schiedssprüche, 1991, 240 (erklärt zu Art. V Abs. 2 lit. b NYK, dass der Grundstz ne bis in idem keinen Bestandteil der öffentlichen Ordnung darstelle. Eine ordre public-Verletzung liege allenfalls vor, wenn die Gründe und Motive, wegen derer das Ersturteil nicht beachtet worden ist, ordre-public-widrig sei). 210 Vervaeke v Smith [1983] 1 AC 145 (UKHL) im Hinblick auf ein judgment in rem (englisches Urteil: Hochzeit wirksam, belgisches Urteil: Hochzeit unwirksam); ED & F Man Sugar Ltd v Haryanto (No 2) [1991] 1 Lloyd’s Rep. 429 (EWCA) im Hinblick auf ein judgment in personam (Urteil des District Court Jakarta (Indonesien), das bestimmte Kaufverträge für unwirksam erklärt, ist unvereinbar mit einem englischen Urteil, das die Wirksamkeit dieser Kaufverträge bestätigt). 211 Cass. civ., 18.11.1891, JDI 1892, 667 – Pavoncelli ./. Mallet; Cass. civ., 23.3.1936, Rev. crit. d. i. p. 1937, 198 – Sander ./. Meuter; CA Paris, Rev. arb. 1970, 15 zitiert nach Stein/ Jonas/Schlosser , 2014, Anhang zu § 1061, Fn. 1118 (Kollision zweier Schiedssprüche); CA Paris, 28.9.1979, Rev. arb. 1980, 506 – Chantepie ./. Vincent, (Berufungsgerichtshof hob inländischen Schiedsspruch aufgrund des ordre public-Vorbehalts auf, weil er mit einem früher ergangenen Gerichtsurteil unvereinbar war); CA Paris, 9.9.2010, Rev. arb. 2011, 970 – Marriott (ordre public-Verletzung im konkreten Fall zwar verneint, allerdings nur, weil der Aufhebungskläger die Unvereinbarkeit der beiden inländischen Schiedssprüche nicht demonstriert habe); CA Paris, 17.1.2012, Rev. arb. 2012, 569 – Etisalat (Aufhebung eines inländischen Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit einem zuerst rechtskräftig gewordenen Urteil eines ausländischen Gerichts); Ancel/Lequette, Les grands arrêts, 2006, 338; Bollé, Rev. Arb. 2007, 808, 815 f.; Corbion, Le déni de justice, 2004, Rn. 230; Mourre, Bull. ASA, 2005, 408, 420. 212 Diese Frage wird in den untersuchten Rechtsordnungen unterschiedlich beantwortet. Die jeweils zugrunde gelegte Rechtskrafttheorie gibt keinen Aufschluss darüber, ob das Institut der Rechtskraft als solches der öffentlichen Ordnung zugeordnet wird (Sepperer: Der Rechtskrafteinwand in den Mitgliedstaaten der EuGVO, 2010, 22). Maßgebliches Gewicht wird vielmehr den Rechtskraftzwecken zuerkannt, das heißt, inwieweit die materielle Rechtskraft neben Parteiinteressen dem Allgemeininteresse zu dienen bestimmt ist: Deutschland: Als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips (BVerfGE 2, 380, 403) gewährleistet die materielle Rechtskraft Rechtsfriede, Rechtsklarheit und eine geordnete Rechtspflege (BGHZ 3, 82, 86; BGHZ 6, 365, 367; BGHZ 38, 333, 336). Daneben wahrt sie das Vertrauen in die Rechtsprechung, indem widersprüchliche Entscheidungen verhindert werden (BGHZ 36, 365, 367) und senkt die Geschäftslast der Gerichte. Den im Allgemeininteresse stehenden Rechtskraftzwecken wird in Deutschland maßgebliche Bedeutung beigemessen und dementsprechend das Institut der Rechtskraft der öffentlichen Ordnung zugeordnet (BGHZ 145, 376, 380; BayObLG, MDR 1967, 923; vgl. auch BVerfGE 15, 313, Rn. 19; BVerfGE 60, 253, 267 f.; BGHZ 123, 30, 33 f.). England: Die Zwecke der res iudicata werden gleichermaßen mit öffentlichen und privaten Interessen begründet (Locker v Ferryman (1877) 2 App Cas 519, 530; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 25.64 f.). Auch hier wird das Institut der Rechtskraft der öffentlichen Ordnung zugeordnet (Vervaeke v Smith [1983] 1 AC 145 (UKHL); ED & F Man Sugar Ltd v Haryanto (No 2) [1991] 1 Lloyd’s Rep. 429 (EWCA)). Dass die Rechtskraftwirkung nur auf Einrede beachtlich ist, erklärt sich angesichts ihrer systematischen Stellung als Unterfall der estoppel-Lehre (Stürner, in: FS Schütze, S. 913, 925). Frankreich: Nach vorherrschender Ansicht dient die materielle Rechtskraft überwiegend Parteieinteressen. Sie ermöglicht den Parteien, ihre streitigen Beziehungen endgültig zu ordnen und die in Form einer rechtskräftigen Entscheidung wohlerworbenen Rechte der siegreichen Partei zu schützen (Cass. 2ème civ., 10.4.1995, 95–60550, Bull.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Angenommen in der einen Entscheidung wird die Pflicht einer Partei zur Vertragsdurchführung bejaht, während sie in der anderen verneint wird. Würden beide Rechtsfolgenaussprüche Geltung beanspruchen, wüsste niemand, welches Verhalten vertragsgemäß ist.213 Das gilt für die Parteien und die staatlichen Rechtspflegeorgane gleichermaßen. Beide Rechtsfolgenaussprüche gleichzeitig können nicht anerkannt und vollstreckt werden – die Anerkennung bzw. Vollstreckung des einen wäre stets eine Missachtung des anderen.214 Die Rechtsklarheit, der Rechtsfriede und die geordnete Rechtspflege – allesamt Voraussetzung für das Funktionieren des Rechtsstaats – wären damit schwerwiegend beeinträchtigt.215 Darüber hinaus fänden sich die Parteien im Grunde am Anfang ihres Rechtsstreits wieder, in der gleichen Lage also, in der sie auch ohne Rechtsschutz stünden.216 Das käme einer Rechtsverweigerung gleich (déni de justice), die mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar ist.217 Sofern Schiedssprüche – wie in Deutschland (§ 1055 ZPO), Frankreich (Art. 1484 CPC) und England (s. 58(1) AA 1996)218 – res iudicata-Wirkung entfalten, gilt nichts anderes, nur weil eine der gegenüberstehenden Entscheidungen ein Schiedsspruch ist.219 Zur Wahrung der öffentlichen Ordnung muss eine der beiden Entscheidungen zurücktreten. Die Frage ist: welche? civ. 1995, II, Nr. 121; Cass. 2ème civ., 15.9.2005, Nr. 01-16762 Bull. civ. 2005, II, Nr. 218 – CMCE; CA Paris, 9.6.1983, Rev. arb.1983, 497 – Société Iro-Holding ./. Société Sétilex). Die Rechtskraft wird vor diesem Hintergrund als solche nicht der öffentlichen Ordnung zugeordnet (Delvolvé/Pointon/Rouche, French Arbitration Law and Practice, 2009, 188). Gleichwohl wird der hier behandelte Fall – die Unvereinbarkeit zweier Entscheidungen in derselben Sache – auch in Frankreich als ordre public-Verletzung betrachtet (vgl. hierzu oben Fn. 211). Vgl. zur Bedeutung der Rechtskraft aus unionsrechtlicher Perspektive EuGH, Rs. C‑224/01, Slg. 2003, I‑10239, Rn. 38 – Köbler; EuGH, Rs. C‑234/04, Slg. 2006, I‑2585, Rn. 20 – Kapferer; EuGH, Rs. C‑2/08, Slg. 2009, I‑7501, Rn, 22 – Fallimento Olimpiclub; GA Léger, Schlussanträge v. 21.2.2002, Rs. C-80/00, Slg. 2002 I-4995, Rn. 53 ff. – Italian Leather; Jenard-Bericht, 1968, 45. 213 Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 815 f. 214 A. A. Camilleri, ICLQ 2013, 899, 912: („The very fact that the arbitral award is enforced or recognized does not necessarily mean that the court judgment cannot.“). 215 Vgl. BVerfGE 15, 313, Rn. 19; BVerfGE 60, 253, 267 f.; BGHZ 3, 82, 86; BGHZ 6, 365, 367; BGHZ 38, 333, 336. 216 Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 815 f.; Le Bars, Thierry, Anm. Cass. assemblée plénière, 29.11.1996, JCP, 2 (1997), 22807. 217 Corbion, Le déni de justice, 2004, Rn. 230; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 815 f.; Debourg, Les Contrariétés de Décisions dans l’Arbitrage International, 2012, Rn. 438; ; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 211. 218 Vgl. hierzu Arnold and Others v National Westminster Bank PLC [1991] 2 AC 93 (UKHL); Associated Electric and Gas Insurance Services Ltd (AEGIS) v European Reinsurance Co of Zurich [2003] 1 WLR 1041 (UKPC); Doe d Davy v Haddon (1783) 3 Doug KB 310; Commings v Heard [1869] LR 4 QB 669, 673; Fidelitas Shipping Co Ltd v V/O Exportchleb [1966] QB 630, 643 (EWCA); Laughland v Stevenson [1995] 2 NZLR 474 (EWHC); Noble AssuranceCompany v Gerling-Konzern General Insurance Company-UK Branch [2007] EWHC 253; Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn. 16-108, 16–117; ; Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 864. 219 CA Paris, Rev. arb. 1970, 15 zitiert nach Stein/Jonas/Schlosser, 2014, Anhang zu
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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cc) Auflösung der Entscheidungskollision Zunächst werden mögliche Ansätze für die Auflösung der Entscheidungskollision vorgestellt und rechtspolitisch bewertet (1). Anschließend wird untersucht, ob die Brüssel Ia-VO bei der Bestimmung des einschlägigen Ansatzes Grenzen setzt (2). Sodann wird das einzelstaatliche Recht nach Vorgaben für die Auflösung der Entscheidungskollision befragt (3).
(1) Denkbare Ansätze für die Auflösung der Entscheidungskollision und ihre rechtspolitische Bewertung Für die Auflösung der Kollision zwischen staatlichem Parallelurteil und inländischem Schiedsspruch kommen im Wesentlichen vier Ansätze in Betracht:
(a) Unbedingter Vorrang von (inländischen) Schiedssprüchen Zunächst könnte man daran denken, die Rechtskraft von Schiedssprüchen gegenüber der von Gerichtsurteilen zu privilegieren. Die Entscheidungskollision wird dann stets zugunsten des Schiedsspruchs aufgelöst, auch dann, wenn das Gerichtsurteil zuerst in Rechtskraft erwachsen ist. Jedenfalls in den untersuchten Rechtsordnungen lässt sich ein derartiger Vorrang von Schiedssprüchen gegenüber Gerichtsurteilen allerdings nicht vereinbaren mit dem Justizgewährungsanspruch und der staatlichen Letztentscheidungskompetenz.
(b) Last-in-time rule Denkbar ist auch, stets auf die zuletzt rechtskräftig gewordene Entscheidung abzustellen (last-in-time rule). Das setzt voraus, dass im Schiedsstaat die materielle Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüchen gleichwertig ausgestaltet ist. Denn maßgeblicher Ansatzpunkt für die Auflösung der Entscheidungskollision ist allein das zeitliche Moment. § 1061, Fn. 1118 (Kollision zweier Schiedssprüche); CA Paris, 28.9.1979, Rev. arb. 1980, 506 – Chantepie ./. Vincent, (Berufungsgerichtshof hob inländischen Schiedsspruch aufgrund des ordre public-Vorbehalts auf, weil er mit einem früher ergangenen Gerichtsurteil unvereinbar war); CA Paris, 9.9.2010, Rev. arb. 2011, 970 – Marriott (Argument zur Aufhebung eines inländischen Schiedsspruchs wegen einer Kollision mit einem früheren inländischen Schiedsspruch zwar im Ergebnis abgelehnt, aber nur, weil nach Ansicht des Gerichts nicht ersichtlich war, dass die Entscheidungen tatsächlich nicht miteinander vereinbar waren); a. A. ILA Final Report on Res Judicata and Arbitration, Seventy-second International Law Association Conference on International Commercial Arbitration, Toronto, Canada, 4–8 June 2006, Arb. Int. 26 (2009), 67, 81 („The commitee does not believe that conclusive or preclusive effects of arbitral awards pertain to public policy. These effects primarily relate to the parties’ interests in having final, fair and efficient arbitral proceedings. Public interest is limited to the costs and time related to the supportive and reviewing powers of domestic courts. Furthermore, as a consensual and private process, arbitration does seem to be distinguishable from court proceedings, where some jurisdictions consider that res judicata belongs to public policy.“).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Für die last-in-time rule wird angeführt, sie verhelfe der besseren, weil auf einem neueren Erkenntnisstand beruhenden Entscheidung zur Durchsetzung.220 Bedenkt man die erhebliche Bedeutung, die der Zeugenbeweis für die Sachverhaltsaufklärung hat, und die kurze Halbwertzeit seines Beweiswerts, darf man die Verknüpfung von späterer mit besserer Entscheidung allerdings infrage stellen;221 der Wahrheitsfindung dienlicher dürfte jedenfalls regelmäßig die frühere Beweisaufnahme sein. Zu bedenken sind außerdem die Auswirkungen auf die Rechtskraftzwecke: Obwohl der Rechtsstreit mit der ersten Entscheidung rechtskräftig entschieden wurde, muss die obsiegende Partei bei Anwendung der last-in-time rule in der Ungewissheit leben, dass ein anderer Spruchkörper den Rechtsstreit irgendwann noch ganz anders beurteilen kann. Auch die unterlegene Partei, getrieben von der Hoffnung, den Rechtsstreit durch einen zweiten Prozess doch noch gewinnen zu können, kommt nicht zur Ruhe. Sofern sie die Hoffnung zum Anlass nimmt, ein zweites Verfahren einzuleiten, werden private und öffentliche Mittel für einen Rechtsstreit verwandt, der bereits im Erstprozess hätte endgültig beigelegt werden können. Darüber hinaus steht auch die zweite Entscheidung wieder unter dem Vorbehalt, dass später nicht noch eine dritte Entscheidung ergeht, die Geltung für den Zweitstaat beansprucht. Förderlich für die Rechtsklarheit, den Rechtsfrieden und die Prozessökonomie erscheint das alles nicht.222
(c) Unbedingter Vorrang von Gerichtsentscheidungen Vorstellbar ist auch eine Privilegierung von Gerichtsentscheidungen gegenüber Schiedssprüchen. Die Entscheidungskollision wird dann stets zugunsten des Gerichtsurteils aufgelöst, auch dann, wenn der Schiedsspruch zuerst in Rechtskraft erwachsen ist. Technisch umsetzbar ist der unbedingte Vorrang von Gerichtsurteilen – allerdings nur mit Komplikationen und Unwägbarkeiten: Klar ist noch, dass das staatliche Parallelurteil im Schiedsstaat gemäß Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO aner220 Habscheid, in: FS Fragistas I, 1966, S. 553 f.; Roth, Ordre Public Vorbehalt, 1967, 111. In Deutschland wird diese Ansicht überwiegend mit § 580 Nr. 7 lit. a ZPO begründet. Der Umstand, dass das jüngere Urteil nur aufgehoben werden könne, wenn die einschlägigen Voraussetzungen erfüllt seien, verdeutliche den Willen des Gesetzgebers, dem jüngeren Urteil grundsätzlich Vorrang einzuräumen. Die Gegenansicht, die sich für einen Vorrang des älteren Urteils ausspricht, stützt sich ebenfalls auf § 580 Nr. 7 lit. a ZPO. Ihm sei nämlich die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, dass das jüngere Urteil zu weichen habe (BGH, NJW 1981, 1517, 1518). Richtigerweise kann weder der Vorrang des jüngeren noch des älteren Titels mit der Regelung in § 580 Nr. 7a ZPO begründet werden (hierzu ausführlich Lenenbach, Unvereinbarkeit, 1997, 47; Gaul, in: FS Sandrock, 2000, S. 313 f.). 221 Lenenbach, Unvereinbarkeiten, 1997, 40 f. 222 Vgl. Gaul, in: FS Weber, 1975, S. 155, 169 Fn. 70; Lenenbach, Unvereinbarkeiten, 1997, 59–63; Gaul, in: FS Sandrock, 2000, S. 314 (begründen den Grundsatz der zeitlichen Priorität mit den Rechtskraftzwecken).
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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kannt und vollstreckt werden muss; eine Berufung auf den ordre public-Vorbehalt nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO wegen Unvereinbarkeit mit dem inländischen Schiedsspruch scheidet aus, weil angesichts der Privilegierung von Gerichtsurteilen eine Auflösung zulasten des Schiedsspruchs geboten ist. Unklar ist dann aber bereits, ob die Entscheidungswirkung des inländischen Schiedsspruchs mit Eintritt der Rechtskraft des staatlichen Parallelurteils ipso iure entfällt oder erst im Wege einer Aufhebungsklage beseitigt werden muss. Die automatische Unwirksamkeit des Schiedsspruchs beeinträchtigt die Rechtsklarheit. Andererseits führt die Notwendigkeit eines Aufhebungsverfahrens dazu, dass die – mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbare – Entscheidungskollision bis zur rechtskräftigen Aufhebung des Schiedsspruchs fortbesteht. Ist die Aufhebungsklage verfristet, kann die Entscheidungskollision womöglich überhaupt nicht aufgelöst werden. Die Fristenregelung würde dann freilich ihrem eigenen Zweck zuwiderlaufen, Rechtssicherheit zu schaffen; das legt eine teleologische Reduktion nahe, bietet aber jedenfalls weiteres Streitpotenzial. Darüber hinaus ist dann, wenn der Schiedsspruch vor Rechtskraft des staatlichen Parallelurteils vollstreckt worden ist, ein weiterer Prozess über die Herausgabe der rechtsgrundlos erfolgten Bereicherung zu besorgen. Die Privilegierung von Gerichtsurteilen gegenüber Schiedssprüchen leistet außerdem einer bösgläubigen Partei Vorschub, die der Schiedsabrede durch Erhebung einer missbräuchlichen Klage vor staatlichen Gerichten zu entkommen sucht. Die im Schiedsverfahren obsiegende, abredegemäß handelnde Partei muss dagegen trotz eines rechtskräftigen Schiedsspruchs befürchten, dass ein ausländisches Gericht den Rechtsstreit irgendwann – mit Wirkung für den Schiedsstaat – noch ganz anders beurteilt. Die Rechtskraft von Schiedssprüchen und die Proklamation der Schiedsgerichtsbarkeit als Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit werden damit im Schiedsstaat zur Farce.
(d) Grundsatz der zeitlichen Priorität Denkbar ist schließlich, der zuerst rechtskräftig gewordenen Entscheidung zur Durchsetzung zu verhelfen (Grundsatz der zeitlichen Priorität).223 Die zweite Entscheidung über den Streitgegenstand kann keine res iudicata-Wirkung mehr entfalten, weil sie durch die erste bereits abschließend etabliert worden ist. Wie die last-in-time rule knüpft der Grundsatz der zeitlichen Priorität ausschließlich an das zeitliche Moment an; seine Anwendung auf den vorliegenden Entscheidungskonflikt setzt daher ebenfalls voraus, dass die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüchen gleichwertig ausgestaltet ist. Den rechtssicherheits- und rechtsfriedensstiftenden Zwecken der Rechtskraft wird das Abstellen auf die zuerst rechtskräftig gewordene Entscheidung gerecht. Insbesondere können beide Parteien den Streit nach der ersten rechts223
Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 944.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
kräftigen Entscheidung als endgültig entschieden betrachten und auf dieser Grundlage disponieren. Der Grundsatz der zeitlichen Priorität verwirklicht auch die prozessökonomischen Ziele der Rechtskraft, insoweit mit der ersten endgültigen Streitentscheidung die Motivation der Parteien für die Einleitung bzw. Fortführung eines Parallelverfahrens entfällt. Andererseits begünstigt das Abstellen auf die zuerst rechtskräftig gewordene Entscheidung einen Wettlauf zu den Gerichten und Schiedsgerichten; insoweit erhöht sie die Gefahr für Parallelverfahren und widersprüchliche Entscheidungen. Die Erwartungen an den Grundsatz der zeitlichen Priorität dürfen allerdings auch nicht überspannt werden: Gesucht ist ein Ansatz, um eine bereits bestehende Entscheidungskollision sachgerecht aufzulösen. Sofern eine frühzeitige Unterbindung von Parallelverfahren gewollt ist, müssten die Mitgliedstaaten auf Ebene des Erkenntnisverfahrens ansetzen und einen Mechanismus für die grenz- und gerichtsbarkeitsübergreifende Verfahrenskoordination bereitstellen. Dass die Mitgliedstaaten einen entsprechenden Vorschlag der Kommission im Reformprozess abgelehnt haben,224 zeigt, dass sie die Möglichkeit grenzüberschreitender Parallelverfahren vor Schiedsgerichten und staatlichen Gerichten sowie die Gefahr daraus resultierender, widersprüchlicher Entscheidungen grundsätzlich in Kauf nehmen. Angesichts ihrer ordre public-Widrigkeit lässt sich das mit Blick auf die hier untersuchte, fortbestehende Entscheidungskollision nicht behaupten. Und immerhin diese lässt sich mit dem Grundsatz der zeitlichen Priorität sachgerecht und – soweit bei diesem Verfahrensstand möglich – im Einklang mit den Rechtskraftzwecken auflösen. Bedenken gegen das Abstellen auf die zuerst ergangene Entscheidung könnten sich bei der Kollision von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen jedoch insofern ergeben, als das Schiedsverfahren in aller Regel schneller als staatliche Gerichtsverfahren abgeschlossen werden kann. Faktisch könnte der Grundsatz der zeitlichen Priorität damit nicht zu einer Gleichstellung mit Gerichtsurteilen, sondern zu einer Privilegierung von Schiedssprüchen führen, die mit dem Justizgewährungsanspruch nicht vereinbar ist. Diese Betrachtung lässt allerdings die staatliche Letztentscheidungskompetenz bezüglich der Fragen der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede außer Acht. Denn hiernach kann sich der zuerst ergangene Schiedsspruch gegen das staatliche Parallelurteil überhaupt nur durchsetzen, wenn auch aus Sicht der staatlichen Gerichte des jeweiligen Mitgliedstaats die Parteien wirksam auf ihr Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz verzichtet haben.225 Der Justizgewährungsanspruch wird daher 224
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.II.2.a). Liegt kein wirksamer Rechtsschutzverzicht vor, ist ein inländischer Schiedsspruch aufhebbar (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, lit. c, Nr. 2 lit. a ZPO; s. 67 AA 1996; Art. 1492 Nr. 1 bzw. 1520 Nr. 1 CCP); auch die Vollstreckbarerklärung ist ihm auf Antrag zu versagen (§§ 1060 Abs. 2, 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a; s. 66(3) AA 1996; Art. 1488 Abs. 2 bzw. 1514, 1524 Abs. 1, 1522 225
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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nicht infrage gestellt, wenn bei der Kollision eines Gerichtsurteils mit einem Schiedsspruch auf die zuerst ergangene Entscheidung abgestellt wird.
(2) Vereinbarkeit der Ansätze mit Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO entsprechend als unionsautonome Grenze Die Mitgliedstaaten bestimmen grundsätzlich selbst, was Inhalt ihrer öffentlichen Ordnung ist.226 Die Berufung auf den ordre public-Vorbehalt unterliegt aber unionsautonomen Grenzen.227 Bei der Auflösung der Kollision eines Gerichtsurteils i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO mit einem inländischen Schiedsspruch kommt dabei Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO besondere Bedeutung zu. Entstehungsgeschichtlich befürchtete der Unionsgesetzgeber, dass sich die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Entscheidungskollisionen ausufernd auf den ordre public-Vorbehalt berufen könnten; deshalb wurden Konflikte zwischen Entscheidungen i. S. d. Norm in Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO unionsautonom geregelt.228 Die Gefahr der ausufernden Berufung auf den ordre public-Vorbehalt besteht bei Kollisionen von Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten mit Schiedssprüchen jedoch gleichermaßen. Das spricht dafür, Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO entsprechend als unionsautonome Grenze heranzuziehen, ab der es einzelstaatlicher Ausgestaltung überlassen bleibt, ob einer Gerichtsentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat wegen seiner Kollision mit einem Schiedsspruch die Anerkennung zu versagen ist. Die Heranziehung auch von Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO scheidet dagegen aus; denn sein Zweck – die Privilegierung inländischer Rechtsprechungsgewalt – passt bei der Kollision mit einem inländischen Schiedsspruch nicht.229 Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO entsprechend als unionsautonome Grenze im Rahmen des ordre public-Vorbehalts heranzuziehen steht nicht im Widerspruch zur Ablehnung seiner analogen Anwendung auf die Kollision von Gerichtsentscheidung und Schiedsspruch. Der Unterschied der vorgestellten Konzeption ist, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten den Gleichrang der Rechtskraft von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen nicht diktiert; CPC: in Frankreich steht einer unterlegenen Partei im Fall eines inländischen Schiedsspruchs grundsätzlich nur die Aufhebungsklage zur Verfügung). Einem ausländischen Schiedsspruch ist auf Antrag die Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung zu versagen (§ 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO, Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK; s. 103(2) lit. b, lit. d, 103(3) Alt. 1 AA 1996; Art. 1525 Abs. 4 CPC, 1520 Nr. 1 CCP). 226 EuGH, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Rn. 22 – Krombach ./. Bamberski; EuGH, Rs. C-38/98, Slg. 2000, I-2973, Rn. 27 f. – Renault ./. Maxicar; EuGH, Rs. C-420/07, Slg. 2009, I-3571, Rn. 56 – Apostolides ./. Orams; EuGH, Rs. C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319, Rn. 47 – flyLAL‑Lithuanian Airlines; EuGH, Rs. C-681/13, ECLI:EU:C:2015:471, Rn. 43 – Johnny Walker. 227 EuGH, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Rn. 23, 37 – Krombach ./. Bamberski. 228 Stein/Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 34 EuGVVO, Rn. 85. 229 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.b)cc).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
er respektiert ihn, sofern er im einzelstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen ist. Mit anderen Worten: Die Auflösung der Kollision zwischen Gerichtsentscheidung und Schiedsspruch bleibt in den Grenzen von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO einer Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten überlassen. Anders als bei der analogen Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO verbietet der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten zum Beispiel nicht, die Titelwirkung von Gerichtsentscheidungen gegenüber Schiedssprüchen zu privilegieren. Der Grundsatz der zeitlichen Priorität und die Privilegierung von Gerichtsentscheidungen gegenüber Schiedssprüchen sind mit der entsprechenden Heranziehung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO als unionsautonome Grenze vereinbar; der unbedingte Vorrang von (inländischen) Schiedssprüchen und die last-in-time rule hingegen nicht.
(3) Bestimmung des Ansatzes im Übrigen nach dem Verhältnis der Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtentscheidungen im einzelstaatlichen Recht Ob die Kollision der Gerichtsentscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO mit dem inländischen Schiedsspruch nach dem Grundsatz der zeitlichen Priorität oder stets zugunsten des Gerichtsurteils aufzulösen ist, bestimmt sich nach dem Verhältnis der Rechtskraft der Entscheidungen im einzelstaatlichen Recht. Maßgeblich ist insofern das im Schiedsstaat auf die materielle Rechtskraft des Schiedsspruchs anwendbare Recht. Das ist das Verfahrensrecht, das dem Schiedsspruch zugrunde liegt – mangels abweichender Parteivereinbarung also das Recht am Sitz des Schiedsgerichts (lex loci arbitri).230 Denkbar wäre zwar auch, isoliert das auf die Rechtskraft der jeweiligen Entscheidung anwendbare Recht nach ihren Wirkungen zu befragen und sodann die Wirkungen miteinander zu vergleichen. Das so bestimmte Verhältnis der Rechtskraft wird dann aber möglicherweise keiner der angewandten Rechtsordnungen gerecht. Darüber hinaus ist beachtlich, dass aus Sicht des Schiedsstaats die Schiedsabrede wirksam und anwendbar ist. Danach entspricht es dem mutmaßlichen Willen und den berechtigten Erwartungen der Parteien bei Abschluss der Schiedsabrede, das Verhältnis von Schiedssprüchen und Gerichtsentscheidungen nach dem Recht am Sitz des Schiedsgerichts – nicht nach dem Recht irgendeines anderen Staates – zu bestimmen. Sollte nach der lex loci arbitri die Qualität der Rechtskraft des Schiedsspruchs gleichrangig sein mit der von Gerichtsurteilen, findet der Grundsatz der zeitlichen Priorität Anwendung. Der Zeitpunkt, in dem das Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO im Schiedsstaat Wirkung entfaltet, beur230
ILA, Final Report on Res Judicata and Arbitration, 2006, Rn. 18.
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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teilt sich nach dem Recht des Gerichtsstaats;231 für den inländischen Schiedsspruch ist mangels abweichender Parteivereinbarung auf die lex loci arbitri abzustellen.232 Bleibt die Qualität der Rechtskraft des Schiedsspruchs nach der lex loci arbitri dagegen hinter der von Gerichtsentscheidungen zurück, kann im Schiedsstaat der Gerichtsentscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Anerkennung und Vollstreckung wegen Unvereinbarkeit mit dem inländischen Schiedsspruch nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO nicht versagt werden. Die res iudicata des inländischen Schiedsspruchs entfällt mit Eintritt der Rechtskraft des staatlichen Parallelurteils ipso iure bzw. muss im Wege der Aufhebungsklage beseitigt werden.233 Untersucht auf das Verhältnis von Schiedssprüchen und Gerichtsentscheidungen werden das einzelstaatliche Recht in Deutschland (a), England (b) und Frankreich (c).
(a) Deutschland Ein inländischer Schiedsspruch hat gemäß § 1055 ZPO unter den Parteien die Wirkungen eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils.234 Das spricht zunächst für den Gleichrang der Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsentscheidungen. Für die Kollision eines inländischen Schiedsspruchs mit einer inländischen Gerichtsentscheidung vertritt ein Teil der Literatur gleichwohl die Ansicht, dass sich die Gerichtsentscheidung stets gegen den Schiedsspruch durchsetze, auch dann, wenn er zuerst in Rechtskraft erwachsen sei.235 Nur so lasse sich die Letztentscheidungskompetenz staatlicher Gerichte bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung absichern.236 Der unterschiedliche Rang von staatlicher und schiedsrichterlicher Entscheidungswirkung komme außerdem dadurch zum Ausdruck, dass die Rechtskraft von Schieds231 Vgl. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 36, Rn. 26. 232 Str., vgl. hierzu ausführlich MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, Anh. 1 zu § 1061, Art. V UNÜ, Rn. 56, 47–51. 233 Vgl. für die Implikationen einer Privilegierung der Rechtskraft von Gerichtsurteilen ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(c). 234 Vgl. zu den Modifikationen MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1055, Rn. 12, 21, 28, 30, 1 i. V. m. 32 f. 235 BeckOK ZPO/Wolf/Eslami, 2019, § 1032, Rn. 25; Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 209 f.; Triebel/Coenen, BB‑Beilage Nr. 5, Int. J. Disp. Res. 25 (2003), 1, 6 f.; Neef, Rechtskraft, 1993, 86 f.; a. A. MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1055, Rn. 30; Zöller/Geimer, 2018, § 1055, Rn 13; Saenger-ZPO/Saenger, 2019, § 1055, Rn. 7; BeckOK ZPO/Wilske/Markert, 2019, § 1055 Rn. 3.3; Lühmann, Rechtskraft des Schiedsspruchs, 2014, 218. 236 BeckOK ZPO/Wolf/Eslami, 2019, § 1032, Rn. 25; Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 209 f.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
sprüchen – anders als bei Gerichtsentscheidungen237 – nur auf Antrag Berücksichtigung finde238 und der Disposition239 der Parteien unterliege.240 Die generelle, nicht auf die Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsabrede begrenzte Privilegierung der Rechtskraft von staatlichen Gerichtsentscheidungen gegenüber Schiedssprüchen steht allerdings im Widerspruch zum Gleichstellungsgrundsatz nach § 1055 ZPO und dem Anliegen des deutschen Gesetzgebers241, die Schiedsgerichtsbarkeit als gleichwertige Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit zu positionieren.242 Darüber hinaus wird durch eine Privilegierung der Gerichtsentscheidung die in § 1032 Abs. 3 Var. 1 ZPO verankerte Unabhängigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens vom staatlichen Parallelverfahren i. S. v. § 1032 Abs. 1 ZPO entwertet.243 Außerdem erscheint eine Privilegierung von Gerichtsentscheidungen gegenüber Schiedssprüchen bereits in der von der Literatur diskutierten, rein inländischen Konstellation zur Wahrung der staatlichen Letztentscheidungskompetenz nicht erforderlich: Sofern das staatliche Parallelgericht im Verfahren nach § 1032 Abs. 1 ZPO Zweifel an der Wirksamkeit der Schiedsabrede hat, darf es den zuerst ergangen inländischen Schiedsspruch zwar nicht einfach ignorieren; es darf das staatliche Parallelverfahren aber analog §§ 148 ff. ZPO aussetzen und den Parteien im Rahmen eines Verfahrens nach § 1059 ZPO die Aufhebung des Schiedsspruchs ermöglichen, bevor es die staatliche Klage auf Antrag wegen entgegenstehender Rechtskraft des Schiedsspruchs zurückweist.244 Die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede wird hierbei vollumfänglich durch ein staatliches Gericht überprüft, § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, lit. c Nr. 2 lit. a ZPO. Macht das staatliche Parallelgericht von der Möglichkeit der Verfahrensaussetzung keinen Gebrauch und erlässt unmittelbar ein klageabweisendes Prozessurteil, bleibt den Parteien der Gang eines Verfahrens nach § 1059 ZPO ebenfalls eröffnet. Sofern dieser zu einer Aufhebung des Schiedsspruchs führt, steht die Rechtskraft des staatlichen Prozessurteils einer erneuten Geltendmachung des Streitgegenstands vor staatlichen Gerichten wegen veränderter Sach- und Rechtslage nicht entgegen. 237
BGH, NJW 1991, 2014, 2015. BT‑Drucks. 13/5274, S. 56 f.; MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1055, Rn 8, 12; Baumbach/ Lauterbach-Hartmann, 2019, § 1055, Rn. 4; Thomas/Putzo/Seiler, 2019, § 1055, Rn. 2; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 1785; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, § 1055, Rn. 5; a. A. Zöller/Geimer, 2018, § 1055, Rn. 8; Schwab/Walter, 2005, Kap. 21, Rn. 6. 239 MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1055, Rn. 28; Zöller/Geimer, 2018, § 1055, Rn. 10; a. A. Schwab/Walter, 2005, Kap. 21, Rn. 7. 240 Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 209 f.; vgl. auch Roth, Ordre Public Vorbehalt, 1967,108 ff., 171 f. 241 BT‑Drucks. 13/5274, 56 f. 242 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(c). 243 Dies einräumend Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 210. 244 Zöller/Geimer, 2018, § 1032, Rn. 13; Musielak/Voit/Voit, 2019, § 1032, Rn. 8; Haas, in: FS Rechberger, 2005, S. 202; Schlosser, in: FS Nagel, 1987, S. 359. 238
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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Nichts anderes gilt für die hier untersuchte Kollision des zuerst ergangenen inländischen Schiedsspruchs mit einem ausländischen Gerichtsurteil: Hat das Anerkennungsgericht Zweifel an der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede und damit daran, dem ausländischen Gerichtsurteil wegen zeitlicher Priorität des Schiedsspruchs die Anerkennung zu versagen, so kann es auch hier das Verfahren analog §§ 148 ff. ZPO aussetzen und den Parteien im Rahmen von § 1059 ZPO die Überprüfung der Wirksamkeit der Schiedsabrede ermöglichen. Macht das Anerkennungsgericht von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch und versagt dem Gerichtsurteil unmittelbar die Anerkennung, bleibt der Weg der Aufhebungsklage eröffnet. Sofern der Schiedsspruch in diesem Rahmen aufgehoben wird, steht die Rechtskraft der zunächst erfolgten Anerkennungsversagung einem erneuten Antrag auf Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung des ausländischen Gerichtsurteils wegen geänderter Sachund Rechtslage nicht mehr entgegen. Dass die materielle Rechtskraft von Schiedssprüchen nur auf Antrag berücksichtigt wird und der Disposition der Parteien unterliegt, stellt den Gleichrang der Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsentscheidungen nicht infrage: Anders als in Staaten wie Deutschland, Österreich245 und Schweden246 wird in vielen anderen Staaten auch die res iudicata von staatlichen Gerichtsentscheidungen nur auf Einrede beachtet – so etwa in England247 und Frankreich.248 Käme es zur Kollision, würde deshalb wohl ebenfalls niemand auf die Idee kommen, die Rechtskraft einer österreichischen oder schwedischen Entscheidung auf einen höheren Rang zu stellen als die eines englischen oder französischen Urteils.249 Der Grund, weshalb in Deutschland die Rechtskraft von Schiedssprüchen anders als die von Gerichtsentscheidungen nur auf Einrede beachtlich ist, trägt 245 §§ 230 Abs. 3, 411 Abs. 2 ZPO (Österreich); Czernich/Kodek/Mayr-Kodek, 2015, Art. 36 EuGVVO 2012, Rn. 34. 246 Lindell, Civil Procedure in Sweden, 2004, 123, Rn. 414. 247 McIlkenny v Chief Constable of West Midlands Police Force [1980] 2 ALL ER 227 (dies wird allerdings unter Geltung der CPR von 1998 infrage gestellt. R. 1.1(2)(e) CPR definiert nämlich als übergeordnetes Ziel (overriding objective), dass auf zivilrechtliche Streitigkeiten nur soviele Gerichtsressourcen verwendet werden sollen, wie erforderlich ist. Daraus wird teilweise gefolgert, dass die res iudicata-Wirkung nunmehr von Amts wegen zu berücksichtigen ist (vgl. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 25.80)). 248 Cass. 2ème civ., 10.4.1995, 95-60550, Bull. civ. 1995, II, Nr. 121; Cass. 2ème civ., 15.9.2005, Nr. 01-16762 Bull. civ. 2005, II, Nr. 218 – CMCE. Art. 125(2) CPC bestimmt lediglich, dass das Gericht die Einrede der Rechtskraft (fin de non-rececour tirée de la chose jugée) von Amts wegen berücksichtigen kann. Wortlaut und systematischer Zusammenhang zu Art. 125(1) CPC ergeben, dass sie nicht von Amts wegen berücksichtigt werden muss. 249 Zumal sich die Wirkungsweise der materiellen Rechtskraft im Zweitland ohnehin nach dem im zweitstaatlichen Verfahren anwendbaren Recht richtet, so dass in Deutschland also auch die Rechtskraft von Entscheidungen aus England und Frankreich von Amts wegen zu beachten ist (Martiny, Hdb. IZVR III/1, 1984, Rn. 392; Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, 2012, Rn. 237).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
lediglich dem Zusammenspiel von Privatautonomie und Justizgewährungsanspruch Rechnung. Danach ist es den Parteien einer Schiedsvereinbarung nämlich jederzeit unbenommen, den Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz einvernehmlich aufzuheben. Dementsprechend kann etwa zu prüfen sein, ob die Geltendmachung des Anspruchs vor dem staatlichen Parallelgericht und die fehlende Berufung auf den Schiedsspruch im staatlichen Parallelverfahren als konkludenter Verzicht auf die materielle Rechtskraft des Schiedsspruchs zu werten sind.250 Liegen die Voraussetzungen für die Beachtlichkeit der materiellen Rechtskraft des inländischen Schiedsspruchs jedoch vor, ist die Qualität der res iudicata-Wirkung des Schiedsspruchs nicht geringer als die der staatsgerichtlichen Entscheidung, § 1055 ZPO. Damit ist die materielle Rechtskraft von inländischen Schiedssprüchen und ausländischen Gerichtsentscheidungen im deutschen Recht gleichrangig ausgestaltet; Entscheidungskollisionen sind über den Grundsatz der zeitlichen Priorität aufzulösen.251 Dabei entfaltet der inländische Schiedsspruch seine Wirkung – sofern nicht anders vereinbart – mit seiner Notifizierung an die Par250
Vgl. hierzu OLGR Stuttgart 2002, 166; Lühmann, Rechtskraft des Schiedsspruchs, 2014, 218 f.; Triebel/Coenen, BB‑Beilage Nr. 5, Int. J. Disp. Res. 25 (2003), 1, 7. Für die Annahme eines solchen Verzichts auf die res iudicata ist ein ebenso strenger Maßstab anzulegen wie bei der Annahme einer konkludenten Aufhebung der Schiedsabrede durch Nichterhebung der Schiedseinrede (Lühmann, Rechtskraft des Schiedsspruchs, 2014, 18, Fn. 99). Die Konsequenz eines Verzichts wäre vorliegend, dass die Rechtskraft des Schiedsspruchs der Anerkennung des Gerichtsurteils im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO nicht entgegensteht. Die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs könnte auf Grundlage von § 1060 Abs. 2 S. 1, 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO wegen Unvereinbarkeit mit dem Gerichtsurteil abgelehnt und der Schiedsspruch in diesem Zuge aufgehoben werden (teilweise werden (auch) § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a Var. 2 bzw. lit. c Var. 2 ZPO für einschlägig erachtet, vgl. Lühmann, Rechtskraft des Schiedsspruchs, 2014, 231). Daneben kann der Schiedsspruch – auch wenn er zwischenzeitlich bereits für vollstreckbar erklärt wurde – im Verfahren nach § 1059 ZPO aufgehoben werden. Aufhebungsgrundlage ist auch hier § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO. Die Frist nach § 1059 Abs. 3 ZPO findet keine Anwendung, wenn wie hier in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 7a ZPO ein Restitutionsgrund gegeben ist. Auch § 586 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 ZPO steht insoweit nicht entgegen, weil seine Anwendung im Fall von § 580 Nr. 7a ZPO seinen Zweck – die Herstellung von Rechtssicherheit – verfehlen würde (Lenenbach, Unvereinbarkeiten, 75–78). Hat die Vollstreckung bereits stattgefunden, ist der Rechtsgrund für das Erlangte entfallen; der Weg für eine Rückforderung auf Grundlage von § 812 Abs. 1 S. 1 F. 1 BGB ist eröffnet. 251 Vgl. BGHZ 145, 376, 380 (führt unter Verweis auf BT‑Drucks 13/5274, S. 59 aus, dass der ordre public-Vorbehalt in § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO durch die § 580 ff. ZPO – damit also auch durch § 580 Nr. 7a ZPO – konkretisiert wird). Maßgeblich abzustellen ist auf den Zeitpunkt, in dem die Judikate ihre Wirkung entfalten. In Deutschland entfalten inländische Schiedssprüche Wirkung, sobald sie erlassen wurden; das ist der Fall, wenn alle Voraussetzungen von § 1054 ZPO erfüllt sind; soweit nichts Abweichendes vereinbart wurde, entfalten inländische Schiedssprüche in Deutschland also mit ihrer Notifizierung an die Parteien nach § 1054 Abs. 4 ZPO Wirkung. Der Zeitpunkt, in dem Entscheidungen staatlicher Gerichte anderer Mitgliedstaaten Wirkung in Deutschland entfalten, beurteilt sich nach dem Recht des Erststaats (Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, 2019, Art. 36 EuGVVO, Rn. 26).
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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teien, § 1054 Abs. 4 ZPO.252 Der Zeitpunkt, in dem das mitgliedstaatliche Urteil Wirkung entfaltet, beurteilt sich nach dem Recht des Erststaats.253 Vorliegend ist der inländische Schiedsspruch nach § 1054 Abs. 4 ZPO an die Parteien notifiziert worden, bevor das staatliche Parallelurteil in Rechtskraft erwachsen ist. Daher ist dem staatlichen Parallelurteil gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO auf Antrag die Anerkennung zu versagen.
(b) England In s. 58(1) AA 1996 regelt der englische Gesetzgeber den Umfang der materiellen Rechtskraft von inländischen Schiedssprüchen; ihren Bestand setzt er hierbei voraus.254 Wie bei Gerichtsurteilen kann die res iudicata-Wirkung von Schiedssprüchen in Gestalt eines cause of action255 oder issue estoppel256 zutage treten.257 Soweit diese Wirkung reicht, ist sie nach allgemeiner Ansicht mit der von Gerichtsentscheidungen gleichwertig.258 So erklärte ein englisches Gericht bereits im Jahr 1869: „It is impossible, to my mind, to suggest any good ground of distinction between these two, when we consider that the reason, why a matter once adjudicated upon is not permitted to be opened again, is because it is expedient that there should be an end to litigation. When once a matter has been decided between parties, the parties ought to be concluded by the adjudication, whatever it may be.“259
252
MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1055, Rn. 4. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 36, Rn. 26. 254 S. 58(1) AA 1996: „Unless otherwise agreed by the parties, an award made by the tribunal pursuant to an arbitration agreement is final and binding both on the parties and on any persons claiming through or under them.“ 255 Vgl. The Rena K [1979] QB 377, 405 (EWHC) (obiter Brandon J). 256 Vgl. Arnold and Others v National Westminster Bank PLC [1991] 2 AC 93 (UKHL); Associated Electric and Gas Insurance Services Ltd (AEGIS) v European Reinsurance Co of Zurich [2003] 1 WLR 1041 (UKPC); Fidelitas Shipping Co Ltd v V/O Exportchleb [1966] QB 630, 643 (EWCA) (issue estoppel); Noble AssuranceCompany v Gerling-Konzern General Insurance Company-UK Branch [2007] EWHC 253; Laughland v Stevenson [1995] 2 NZLR 474 (EWHC). 257 Dicey/Morris/Collins, The Conflict of Laws I, 2012, Rn 16–108. Ob Schiedssprüche auch Wirkungen im Sinne der doctrine of former discovery und der doctrine of abuse of process entfalten, ist umstritten (vgl. hierzu de Ly/Sheppard, Arb. Int. 26 (2009), 35, 46). 258 Commings v Heard [1869] LR 4 QB 669, 673 (EWHC). Vgl auch Arnold and Others v National Westminster Bank PLC [1991] 2 AC 93 (UKHL); Associated Electric and Gas Insurance Services Ltd (AEGIS) v European Reinsurance Co of Zurich [2003] 1 WLR 1041 (UKPC); Fidelitas Shipping Co Ltd v V/O Exportchleb [1966] QB 630, 643 (EWCA) (issue estoppel); The Rena K [1979] QB 377, 405 (obiter Brandon J); Laughland v Stevenson [1995] 2 NZLR 474 (EWHC); Noble Assurance Company v Gerling-Konzern General Insurance Company-UK Branch [2007] EWHC 253. 259 Commings v Heard [1869] LR 4 QB 669, 673 (EWHC). 253
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Damit ist auch in England die Kollision des Gerichtsurteils mit dem inländischen Schiedsspruch über den Grundsatz der zeitlichen Priorität aufzulösen. Inländische Schiedssprüche erwachsen nach englischem Recht bereits mit dem im Schiedsspruch benannten (s. 52(5) AA 1996) Erlassdatum in materieller Rechtskraft.260 Dem später ergangenen Gerichtsurteil ist auf Antrag gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen.
(c) Frankreich In Frankreich entfalten Schiedssprüche gemäß Art. 1484 (i. V. m. Art. 1506 Abs. 4) CPC materielle Rechtskraft (l’autorité de la chose jugée).261 Der Umfang ist durch die Reichweite der Schiedsabrede in objektiver und subjektiver Hinsicht begrenzt.262 Die Qualität entspricht aber der Titelwirkung von Gerichtsentscheidungen.263 Vor diesem Hintergrund haben französische Gerichte, die mit der Auflösung einer Entscheidungskollision unter Beteiligung eines Schiedsspruchs befasst waren, bereits in einer Reihe von Entscheidungen den Grundsatz der zeitlichen Priorität angewandt.264 Nach Art. 1484 (i. V. m. Art. 1506 Abs. 4) CPC entfalten inländische Schiedssprüche ihre Rechtskraft mit ihrem Erlass; abgestellt wird insofern auf das im Schiedsspruch gemäß Art. 1481 Abs. 4 (i. V. m. Art. 1506 Abs. 3) CPC zu nennende Erlassdatum. Die Kollision des später ergangenen Gerichtsurteils wird mithin auch in Frankreich zugunsten des inländischen Schiedsspruchs aufgelöst.265
260 Vgl. hierzu ausführlich Sutton/Gill/Gearing, Russell on Arbitration, 2015, Rn. 6-164, 6-066, 6-162, 6-007. 261 Art. 1484 Abs. 1 CPC: „La sentence arbitrale a, dès qu’elle est rendue, l’autorité de la chose jugée relativement à la contestation qu’elle tranche.“ (Hervorhebung hinzugefügt). 262 Vgl. hierzu Cass. 1ère civ., 10.5.1988, Nr. 86-13333, Rev. arb. 1989, 51 – Wasteels ./. société Ampafrance. 263 Vgl. Cass. 1ère civ., 28.5.2008, Nr. 07-13266, Rev. arb. 2008, 461, 473 – Société G et A ./. Société Prodim; Cass. 2ème civ., 5.3.2009, Nr. 08-12172, Revue de l’Arbitrage 2009, 239 – Lafargue ./. Société Prodim; Cass. 1ère civ., 2.7.2009, Nr. 08-18852, Rev. arb. 2009, 655 – Consorts Castagnos ./. Société Prodim; Fouchard, Gaillard, Goldman, International Commercial Arbitration, 1999, Rn. 1419, 1567; Debourg, Les Contrariétés de Décisions dans l’Arbitrage International, 2012, Rn. 500. 264 CA Paris, 17.1.2012, Rev. arb. 2012, 569 – Etisalat (Kollision eines inländischen Schiedsspruchs mit einem zuerst ergangenen, anerkennungsfähigen Urteil eines ausländischen Gerichts wird zulasten des Schiedsspruchs aufgelöst); CA Paris, 9.9.2010, Rev. arb. 2011, 970 – Marriott (ordre public-Verletzung durch die Anerkennung der späteren Entscheidung wurde im konkreten Fall nur deshalb verneint, weil der Aufhebungskläger nicht demonstriert hatte, dass die beiden inländischen Schiedssprüche unvereinbar waren); CA Paris, 28.9.1979, Rev. arb. 1980, 506 – Chantepie ./. Vincent (das Berufungsgericht hob einen inländischen Schiedsspruch auf Grundlage des ordre public-Vorbehalts auf, weil er mit einem früher ergangenen Gerichtsurteil unvereinbar sei); CA Paris, Rev. Arb. 1970, 15, zitiert nach Stein/Jonas/ Schlosser , 2014, Anhang zu § 1061, Fn. 1118 (Kollision zweier Schiedssprüche). 265 Mourre, Bull. ASA, 2005, 408, 420; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 816 f.
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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d) Zwischenergebnis Der zuerst in der Hauptsache ergangene Schiedsspruch setzt sich nach den untersuchten Rechtsordnungen im Schiedsstaat gegen das Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO durch, sofern er der Letztentscheidungskompetenz des Schiedsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede standhält. Dem Gerichtsurteil ist auf Antrag gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen. Der Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt ist möglich, weil Art. 45 Abs. 1 lit. c und lit. d Brüssel Ia-VO nur für solche Entscheidungskollisionen speziell sein können, die sie zumindest dem Grunde nach erfassen –266 das ist beim Konflikt eines mitgliedstaatlichen Urteils mit einem inländischen Schiedsspruch nicht der Fall.267 Das Gegenüberstehen auf demselben Staatsgebiet von zwei rechtskräftigen, in derselben Sache ergangenen Titeln mit widersprüchlichen Rechtsfolgenaussprüchen stellt in den untersuchten Rechtsordnungen eine offenkundige Verletzung der öffentlichen Ordnung dar, auch dann, wenn es sich bei einer der beiden Entscheidungen um einen Schiedsspruch handelt.268 Als Ansätze für die Auflösung der Entscheidungskollision kommen der Grundsatz der zeitlichen Priorität269 oder die Privilegierung der Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen270 in Betracht. Dagegen sind eine Privilegierung der Rechtskraft von Schiedssprüchen271 und ein Abstellen auf die last-in-time rule272 unzulässig; denn sie verletzen die unionsautonomen Grenzen des ordre public-Vorbehalts, die Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO zu entnehmen sind, wenn eine nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anzuerkennende Entscheidung mit einem Schiedsspruch kollidiert.273 Ob der Grundsatz der zeitlichen Priorität oder eine Privilegierung von Gerichtsentscheidungen zur Anwendung kommt, bestimmt sich im Rahmen des ordre public-Vorbehalts nach einzelstaatlichem Recht. Mangels abweichender Abrede ist insofern auf das Verfahrensrecht abzustellen, das dem Schiedsspruch zugrunde liegt. Sofern die Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsentscheidungen danach gleichwertig ausgestaltet ist, findet der Grundsatz der zeitlichen Priorität Anwendung. Das ist in den untersuchten Rechtsordnungen der Fall.274
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Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)aa). Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.a)–b). Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)bb). 269 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(d). 270 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(c). 271 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(a). 272 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(b). 273 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(2). 274 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(3)(a)–(c). 267 268
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
2. Perspektive dritter Mitgliedstaat: Versagung der Anerkennung des Gerichtsurteils aus einem anderen Mitgliedstaat wegen Unvereinbarkeit mit ausländischem Schiedsspruch Für die Perspektive eines dritten Mitgliedstaats gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze.275 Die Konstellation ist allerdings zusätzlich durch Art. 73 Abs. 2 und ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO aufgeladen. Denn das Gerichtsurteil kollidiert nun nicht mit einem inländischen, sondern mit einem ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK. Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO findet auch auf die Kollision mit einem ausländischen Schiedsspruch keine Anwendung.276 Eine unmittelbare Anwendung scheidet aus, weil der Entscheidungsbegriff des Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO der Legaldefinition des Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO entspricht, lediglich modifiziert durch die ausdrückliche Ausnahme, dass auch Entscheidungen aus EU‑Drittstaaten anerkennungshindernd sein können; danach werden Schiedssprüche nicht erfasst.277 Eine analoge Anwendung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO scheitert, weil der Unionsgesetzgeber bewusst von einer unionsautonomen Regelung der Kollision von mitgliedstaatlichen Entscheidungen mit Schiedssprüchen abgesehen hat.278 Die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs durch in- oder ausländische Gerichte vermag Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO ebenfalls nicht zu begründen; es fehlt jedenfalls die Unvereinbarkeit der Exequaturentscheidung mit dem Gerichtsurteil.279 Das Gegenüberstehen im dritten Mitgliedstaat zweier sich gegenseitig ausschließender Rechtsfolgenaussprüche stellt in den untersuchten Rechtsordnungen eine offensichtliche Verletzung der öffentlichen Ordnung i. S. v. Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO dar.280 Der Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt ist möglich, weil der Unionsgesetzgeber die Kollision von Entscheidungen i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO mit Schiedssprüchen bewusst aus Art. 45 275
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1. Leandro, J. Int. Disp. Sett. 6 (2015), 188, 195; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgments, 2015, 622 (beschreibt Lösung über ordre public-Vorbehalt als „least bad solution“); Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 85 f.; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 107; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 816 f.; Mourre, Bull. ASA, 2005, 408, 420; wohl auch Hess, JZ 2014, 538, 541; a. A. GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Fn. 75 – Gazprom; MüKo ZPO/Gottwald, 2017, Art. 45 VO (EU) 1215/2012, Rn. 52; Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 512; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 213; Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.66; Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567, 580; Möller, in: FS Bogdan, 2013, S. 384 und Lazić, J. Int. Arb. 29 (2012), 19, 20; Kropholler/v. Hein, 2011, Art. 34 EuGVO, Rn. 60; Stein/Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 32 EuGVVO, Rn 84; Radicati di Brozolo, J. Priv. Int. L. 7 (2011), 423, 455 (wenn der Schiedsspruch im Anerkennungsstaat für vollstreckbar erklärt wurde); Van Houtte, Arb. Int. 13 (1997), 85, 90 f. 277 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.a)aa)(2). 278 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.b)dd). 279 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.a)bb). 280 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)bb). 276
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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Abs. 1 lit d Brüssel Ia-VO ausgeklammert und – im Rahmen unionsautonomer Grenzen – der Auflösung nach einzelstaatlichem Recht überlassen hat.281 Danach kommen prinzipiell die vier bereits dargestellten Ansätze in Betracht, um die Entscheidungskollision aufzulösen.282 Zu untersuchen bleibt, ob die NYK bzw. die Brüssel Ia-VO bei der Bestimmung des einschlägigen Ansatzes Grenzen setzen (a)). Im Übrigen ist das nationale Recht des dritten Mitgliedstaats zu befragen (b)).
a) Vorgaben für die Auflösung der Entscheidungskollision aa) Vorgaben der NYK Gemäß Art. III S. 1 NYK erkennt jeder Vertragsstaat ausländische Schiedssprüche unter den Voraussetzungen der Art. III ff. NYK als „wirksam“ an. Wie Art. V Abs. 1 lit. e NYK erkennen lässt, geht der Konventionsgeber davon aus, dass ausländische Schiedssprüche „für die Parteien […] verbindlich […]“ sind. Dem lässt sich entnehmen, dass die Vertragsstaaten ausländischen Schiedssprüchen Bindungswirkung zuerkennen müssen; Vorgaben zu ihrer Qualität macht der Konventionsgeber jedoch nicht. Insbesondere lässt sich den zitierten Vorschriften keine völkervertragliche Pflicht der Vertragsstaaten entnehmen, die materielle Rechtskraft von ausländischen Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen gleichrangig zu behandeln.283 Dementsprechend verbietet Art. III S. 2 NYK auch nur die Privilegierung von inländischen gegenüber ausländischen Schiedssprüchen im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung – die Privilegierung von Gerichtsentscheidungen verbietet er nicht. Die allgemein durchsetzungsfördernde Ausrichtung der NYK stellt für sich genommen keine hinreichende Grundlage dar, um eine vertragsautonome Pflicht der Vertragsstaaten zu begründen, ausländische Schiedssprüche und Gerichtsentscheidungen im Konfliktfall gleichrangig zu behandeln.284 Das gilt umso mehr, als sich der Vorschlag der italienischen Delegation, einen entsprechenden vertragsautonomen Versagungsgrund in die NYK aufzunehmen, nicht durchsetzen konnte.285 Denn das zeigt, dass der Konventionsgeber keine ver281 Vgl. für die Möglichkeit eines Rückgriffs auf den ordre public-Vorbehalt oben Teil 4 C.II.1.c)aa). 282 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1). 283 A. A. wohl Born, International Commercial Arbitration, 2014, 3744. 284 Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 106; a. A. Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Kröll, 2015, § 1061, Rn. 128; Wolff/Sherer, 2012, Art. III, Rn. 9. 285 United Nations Economic and Social Council, United Nations Conference on International Commercial Arbitraton, Consideration of the Draft Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards (Item 4 on the Agenda), Italy: Amendment to the Netherlands amendment (E/Conf.26/L. 17) to article IV of the draft convention, UN Doc E/ CONF.26/L. 38 (1958) („The arbitral award is incompatible with a judicial decision, applying to the same parties and the same subject matter, rendered in the territory of the State where the award is relied upon.“).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
tragsautonomen Vorgaben für die Auflösung einer Kollision zwischen ausländischem Schiedsspruch und Gerichtsentscheidung machen wollte. Die NYK enthält damit keine Grenzen für die Auflösung der vorliegenden Entscheidungskollision. Selbst einer Privilegierung der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen stünde sie nicht entgegen.
bb) Vorgaben der Brüssel Ia-VO (1) Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO Die Ansicht, die Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO entnimmt, dass bei der Kollision einer Gerichtsentscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO mit einem ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK stets Letzterem Vorrang einzuräumen ist, wurde bereits widerlegt.286 Erwogen wird daneben, den zitierten Vorschriften zu entnehmen, dass die Mitgliedstaaten der Gerichtsentscheidung jedenfalls insoweit Vorrang gewähren müssten, wie das mit der NYK vereinbar sei.287 Da mit der NYK selbst eine Privilegierung von Gerichtsentscheidungen gegenüber ausländischen Schiedssprüchen vereinbar ist,288 läuft dieser Ansatz allerdings auf einen durch die Verordnung (Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO) angeordneten, unbedingten Vorrang von Gerichtsentscheidungen gegenüber ausländischen Schiedssprüchen hinaus. Dieser widerspricht dem Willen des Unionsgesetzgebers, die Auflösung der Kollision mitgliedstaatlicher Entscheidungen mit Schiedssprüchen – wenngleich im Rahmen unionsautonomer Grenzen – einzelstaatlicher Ausgestaltung zu überlassen.289
(2) Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO entsprechend als unionsautonome Grenze Der Grund für die entsprechende Heranziehung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO als unionsautonome Grenze im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO greift auch, wenn die nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anzuerkennende Gerichtsentscheidung mit einem ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK kollidiert.290 Denn die Gefahr einer ausufernden Berufung der Mitgliedstaaten auf den ordre public-Vorbehalt im Zusammenhang mit Entscheidungskonflikten – Anlass für die unionsautonome Regelung in Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO – ist hier nicht geringer als bei der Kollision mit einer anderen Gerichtsentscheidung oder einem inländischen Schiedsspruch. 286 287
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.I. Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 106 (lehnt dies aber unter dem Gesichtspunkt der geordneten Rechtspflege ab). 288 Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 106. 289 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.b)dd). 290 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(2).
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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Der Unionsgesetzgeber gibt den Mitgliedstaaten durch die entsprechende Heranziehung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO als unionsautonome Grenze im Rahmen des ordre public-Vorbehalts kein bestimmtes Ergebnis für die Auflösung der Kollision von Gerichtsentscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und ausländischem Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK vor. Er zieht lediglich eine unionsautonome Grenze, ab der nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts eine Auflösung zulasten der Gerichtsentscheidung zulässig ist. Das ist namentlich dann der Fall, wenn die Anerkennung der Gerichtsentscheidung unvereinbar wäre mit einem Schiedsspruch, der im Zweitstaat zuerst Rechtskraftwirkung entfaltet hat. Die Heranziehung der last-in-time rule und die Privilegierung ausländischer Schiedssprüche gegenüber mitgliedstaatlichen Urteilen scheiden daher für die Auflösung der Entscheidungskollision im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO291 aus. Dagegen bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie Gerichtsentscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten im Konfliktfall mit ausländischen Schiedssprüchen privilegieren oder gleichrangig behandeln. Diesem Ansatz stehen Art. 73 Abs. 2 und ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO nicht entgegen. Der Begriff „unberührt“ in Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ist dahingehend auszulegen, dass die Verordnung die Anwendung der NYK nicht beeinträchtigen darf.292 Der in Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO normierte und in ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO bestätigte Vorrang der NYK greift also nur, wenn sich die Mitgliedstaaten einer Kollision von Pflichten nach der Brüssel Ia-VO und der NYK gegenüberstehen. Das scheidet vorliegend jedoch schon deshalb aus, weil die NYK keine Vorgaben für die Auflösung der Kollision von ausländischen Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen enthält; sie stünde im Konfliktfall selbst einer Privilegierung von Gerichtsentscheidungen gegenüber ausländischen Schiedssprüchen nicht entgegen.293
b) Bestimmung des Ansatzes für die Auflösung der Entscheidungskollision im Übrigen nach dem Verhältnis der Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsentscheidungen im einzelstaatlichen Recht Ob die Kollision der Gerichtsentscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO mit dem ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK nach dem Grundsatz der zeitlichen Priorität oder stets zugunsten der Gerichtsentscheidung aufzulösen ist, bestimmt sich nach dem Verhältnis der Rechtskraft der 291 Ob eine entsprechende Heranziehung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO auch im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK durchschlägt, wird zusammen mit der Frage untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen einem ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK wegen Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Anerkennung zu versagen ist (vgl. hierzu ausführlich unten Teil 4 C.III.1.b)cc)(1)). 292 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(4)(a)–(b). 293 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.2.a)aa).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Entscheidungen im einzelstaatlichen Recht. Maßgeblich ist insofern das im dritten Mitgliedstaat auf die materielle Rechtskraft des ausländischen Schiedsspruchs anwendbare Recht.294 Im Anwendungsbereich der NYK ist dies aus Art. V Abs. 1 lit. e NYK ersichtlich das Verfahrensrecht, das dem Schiedsspruch zugrunde liegt – mangels abweichender Parteivereinbarung also das Recht am Sitz des Schiedsgerichts (lex loci arbitri).295 Ist danach die Qualität der Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen gleichwertig ausgestaltet – wie dies in Deutschland, England und Frankreich der Fall ist –296 findet der Grundsatz der zeitlichen Priorität Anwendung. Der Zeitpunkt, in dem das Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO im dritten Mitgliedstaat Wirkung entfaltet, beurteilt sich nach dem Recht des Gerichtsstaats;297 für den ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK ist mangels abweichender Abrede auf die lex loci arbitri abzustellen.298 Wenn der Schiedsspruch wie hier als erstes ergangen ist, muss dem staatlichen Parallelurteil im dritten Mitgliedstaat nach Maßgabe von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung versagt werden. Das gilt allerdings nur, wenn der Schiedsspruch der staatlichen Letztentscheidungskompetenz des dritten Mitgliedstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede standhält (Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK). Der ausländische Schiedsspruch ist im dritten Mitgliedstaat dagegen nach Art. III NYK anzuerkennen und zu vollstrecken. Ist demgegenüber die res iudicata von Gerichtsentscheidungen gegenüber der von Schiedssprüchen privilegiert, muss dem Schiedsspruch im dritten Mitgliedstaat mit Rechtskraft des staatlichen Parallelurteils aufgrund Art. V Abs. 2 lit. b NYK die Anerkennung versagt werden.299 Eine Anerkennungsversagung des staatlichen Parallelurteils nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO wegen Unvereinbarkeit mit dem ausländischen Schiedsspruch scheidet aus. Denn im dritten Mitgliedstaat besteht mangels Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Schiedsspruchs de facto keine Entscheidungs- im Sinne einer Wirkungskollision. Sofern der Schiedsspruch im dritten Mitgliedstaat zwischenzeitlich für vollstreckbar erklärt worden ist, müsste dem Gerichtskläger ein Weg eröff294 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(3) (hierbei ist zu beachten, dass auch aus Sicht des dritten Mitgliedstaats die Schiedsabrede wirksam und in der Hauptsache anwendbar ist. Denn andernfalls bestünde keine Entscheidungskollision, die an dieser Stelle aufzulösen wäre, Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. b NYK). 295 ILA, Final Report on Res Judicata and Arbitration, 2006, Rn. 18; str., vgl. hierzu ausführlich MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, Anh. 1 zu § 1061, Art. V UNÜ, Rn. 56, 47–51. 296 Vgl. hierzu oben Teil 4 C. 22.1.c)cc)(3)(a)–(c). 297 Vgl. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 36, Rn. 26. 298 Str., vgl. hierzu ausführlich MüKo ZPO/Adolphsen, 2017, Anh. 1 zu § 1061, Art. V UNÜ, Rn. 56, Rn. 47-51. 299 Vgl. zu den rechtspolitisch bedenklichen Implikationen einer solchen Privilegierung oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(d).
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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net werden, die Exequaturentscheidung – gegebenenfalls rechtskraftdurchbrechend – zu beseitigen; darüber hinaus müsste das aufgrund der Vollstreckbarerklärung womöglich bereits Erlangte herausverlangt werden können. In keiner dieser beiden Alternativen ist der dritte Mitgliedstaat widerstreitenden Pflichten nach der Brüssel Ia-VO und der NYK ausgesetzt. Denn entweder erlaubt die Brüssel Ia-VO in Bezug auf das Urteil oder die NYK in Bezug auf den Schiedsspruch eine Anerkennungsversagung. Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO wirken sich demnach auch aus Sicht eines dritten Mitgliedstaats im Fall der Kollision von Parallelurteil und Schiedsspruch nicht aus. Das würde übrigens auch dann gelten, wenn man der NYK – entgegen der hier vertretenen Ansicht –300 mit einem Teil der Literatur301 das Verbot entnehmen würde, die Rechtskraft von Gerichtsurteilen gegenüber der von ausländischen Schiedssprüchen zu privilegieren. Denn dann würde sich die Wahl des Ansatzes für die Auflösung der Entscheidungskollision ohnehin auf den Grundsatz der zeitlichen Priorität beschränken. Und jedenfalls dem damit einhergehenden Gleichrang von Schiedssprüchen und mitgliedstaatlichen Entscheidungen stehen weder die Brüssel Ia-VO noch die NYK entgegen.
c) Zwischenergebnis Der zuerst in der Hauptsache ergangene Schiedsspruch setzt sich nach den untersuchten Rechtsordnungen auch in dritten Mitgliedstaaten gegen das staatliche Parallelurteil durch, sofern er der Letztentscheidungskompetenz des dritten Mitgliedstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede standhält. Dem staatlichen Parallelurteil ist auf Antrag gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen. Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO ist weder unmittelbar noch analog auf die Kollision mit ausländischen Schiedssprüchen anwendbar; der Verordnungsgeber wollte die Auflösung eines Konflikts der Gerichtsentscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO mit einem Schiedsspruch im Rahmen unionsautonomer Grenzen einzelstaatlicher Ausgestaltung überlassen.302 Dem wird der Rückgriff auf Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO unter entsprechender Heranziehung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO als unionsautonome Grenze gerecht.303 Ob Gerichtsentscheidungen beim Konflikt mit Schiedssprüchen privilegiert oder gleichrangig zu behandeln sind, bestimmt sich mithin grundsätzlich nach einzelstaatlichem Recht. Der NYK lassen sich keine Vorgaben entnehmen,304 so300 301
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.2.a)aa). Vgl. hierzu Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Kröll, 2015, § 1061, Rn. 128, Wolff/Sherer, 2012, Art. III, Rn. 9. 302 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.a)aa)(2), Teil 4 C.II.1.b)dd). 303 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.2.a)bb)(2). 304 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.2.a)aa).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
dass sich Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO nicht auswirken.305 Maßgeblich ist das im dritten Mitgliedstaat auf die Rechtskraft des Schiedsspruchs anwendbare Recht.306 Sofern die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüchen danach – wie in den untersuchten Rechtsordnungen –307 gleichwertig ausgestaltet ist, findet der Grundsatz der zeitlichen Priorität Anwendung.308
3. Perspektive Gerichtsstaat: Versagung der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit inländischem Gerichtsurteil Aus der Perspektive des Gerichtsstaats stehen sich in derselben Sache ein ausländischer Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK und ein inländisches Gerichtsurteil gegenüber. Bezüglich des inländischen Gerichtsurteils stellt sich die Anerkennungsfrage nicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich das inländische Urteil zwingend gegen den ausländischen Schiedsspruch durchsetzen muss. Das einzelstaatliche Recht kennt nämlich durchaus Mechanismen, mithilfe derer ein inländisches Urteil auch noch nach Eintritt formeller Rechtskraft wegen Unvereinbarkeit mit einem zuerst ergangenen ausländischen Schiedsspruch aufgehoben werden kann, so z. B. in Deutschland im Wege der Restitutionsklage nach § 580 Nr. 7a ZPO analog.309 Allerdings setzt dies voraus, dass der ausländische Schiedsspruch im Gerichtsstaat nach Art. III ff. NYK anerkennungsfähig ist; denn andernfalls entfaltet er im Gerichtsstaat keine Wirkung, mit der das inländische Urteil kollidieren könnte. Im Rahmen der Prüfung der Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Schiedsspruchs steht den Gerichten des Gerichtsstaats gemäß Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c und Abs. 2 lit. a NYK eine Prüfungskompetenz hinsichtlich der Zuständigkeit des Schiedsgerichts zu. Die Anerkennung des Schiedsspruchs kann auf Antrag (Abs. 1) bzw. von Amts wegen (Abs. 2) versagt werden, wenn die Schiedsvereinbarung unwirksam ist, den Streitgegenstand des Schiedsspruchs nicht erfasst oder der Schiedsspruch einen Rechtsstreit betrifft, der einer schiedsrichterlichen Entscheidung nicht zugänglich ist. Die Gerichte des Gerichtsstaats sind insofern an die Beurteilung des Schiedsgerichts nicht gebunden.310 305
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.2.a)bb)(1). Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.2.b). Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(3)(a)–(c). 308 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.2.b). 309 Für eine analoge Anwendung im Fall der Kollision eines inländischen Urteils mit einem früher ergangenen Schiedsspruch z. B. Zöller/Greger, 2018, § 580, Rn. 7; Zöller/Geimer, 2018, § 580, Rn. 14, § 1055, Rn. 13; Thomas/Putzo/Reichold, 2019, § 580, Rn. 12. 310 Vgl. für Deutschland z. B. OLG München, SchiedsVZ 2009, 340, Rn. 30; OLG Celle, Yb. Com. Arb. 2008, 524, 529, Rn. 6; OLG Schleswig, RIW 2000, 706, 708; Münch, ZZP 128 (2015), 307, 307 („Sachfinalität“); Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 2015, Rn. 3891; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 2008, Rn. 2559; vgl. für Großbritannien z. B. Dallah Real Estate v the Ministry for Religious Affairs of the Government of Pakistan [2010] UKSC 46; 306 307
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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Sofern das staatliche Parallelgericht bereits rechtskräftig entschieden hat, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache schiedsunfähig ist bzw. nicht von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird, ist das mit der Anerkennung des Schiedsspruchs befasste Gericht gebunden und muss dem ausländischen Schiedsspruch im Gerichtsstaat nach Maßgabe der Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c und Abs. 2 lit. a NYK die Anerkennung und Vollstreckung versagen. In England und Frankreich ist das in dem hier untersuchten Verfahrensstadium, in dem das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden hat, stets der Fall.311 In Deutschland entfaltet die Zurückweisung der Schiedseinrede als Entscheidung über eine Vorfrage zwar gemäß § 322 Abs. 1 ZPO keine Rechtskraft – nach hier vertretener Ansicht auch dann nicht, wenn sie per Zwischenurteil i. S. v. § 280 ZPO ergangen ist.312 Das mit der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs befasste Gericht wendet für die Entscheidung über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung jedoch dieselben Regeln und Maßstäbe an wie das staatliche Parallelgericht.313 Darüber hinaus geht von der Zurückweisung der Schiedseinrede durch das staatliche Parallelgericht immerhin eine tatsächliche Bindungswirkung aus. Das heißt, das Anerkennungsgericht ist zwar nicht rechtlich an die inzidente Feststellung der Ungültigkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede durch das staatliche Parallelgericht gebunden, muss faktisch für eine Abweichung von ihr aber einen höheren Begründungsaufwand überwinden, als wenn es sich der Beurteilung des staatlichen Parallelgerichts anschließt. Danach wird dem ausländischen Schiedsspruch auch in Deutschland regelmäßig bereits nach Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c bzw. Abs. 2 lit. a NYK die Anerkennungsfähigkeit abzusprechen sein. Ist das einmal nicht der Fall, wäre zu berücksichtigen, dass Entscheidungskonflikte zwischen ausländischen und inländischen Gerichtsurteilen in Deutschland gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 ZPO stets zugunsten des inländischen Judikats aufgelöst werden. Diese Wervgl. für Frankreich z. B. Cass. 1ère civ., 6.1.1987, Nr. 84-17.274, JDI 1987, 638 – Southern Pacific Properties; CA Paris, 16.6.1988, Rev. arb. 1989, 309 – Swiss Oil ./. Petrogab. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn die Parteien wirksam auf eine solche Überprüfung verzichtet haben, was innerhalb der EU in Grenzen z. B. in Belgien und Schweden, nicht aber in Deutschland, Frankreich und England möglich ist (Poudret/Besson, Comparative Law of International Arbitration, 2007, Rn. 478). 311 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.1.a)bb)–cc) und Teil 3 B.II.2.a)bb)–cc). 312 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.1.a)aa) und Teil 3 B.II.2.a)aa). Etwas anderes gilt, wenn gemäß § 256 Abs. 2 ZPO per Zwischenfeststellungsklage die Ungültigkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung bzw. gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO die Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens festgestellt wurde (vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.1.a)). 313 Weil sie eine gemeinsame lex fori teilen, bestimmen die Spruchkörper z. B. das auf die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede anwendbare Recht nach demselben Kollisionsrecht (insoweit keine Rechtsvereinheitlichung, vgl. Rom I‑VO) und qualifizieren auch nach denselben Maßstäben.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
tung wäre bei der Auflösung der Kollision des ausländischen Schiedsspruchs mit einem inländischen Urteil im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK zu berücksichtigten. Mit Eintritt der Rechtskraft der inländischen Entscheidung wäre der Konflikt also zulasten des ausländischen Schiedsspruchs aufzulösen, obwohl dieser zuerst rechtskräftig geworden ist. Damit kann sich der zuerst in der Hauptsache ergangene Schiedsspruch nach den untersuchten Rechtsordnungen im Gerichtsstaat nicht gegen das staatliche Parallelurteil durchsetzen.314
III. Gerichtsurteil ist zuerst ergangen Wenden wir uns nun der Konstellation zu, in der das staatliche Parallelurteil vor dem Schiedsspruch ergangen ist. Für die Untersuchung, welche der konkurrierenden Entscheidungen sich durchsetzt, wird differenziert zwischen den Perspektiven eines Anerkennungsgerichts in einem dritten Mitgliedstaat (1.), im Gerichtsstaat (2.) und im Schiedsstaat (3.).
1. Perspektive dritter Mitgliedstaat: Versagung der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit Gerichtsurteil aus einem anderen Mitgliedstaat Aus Sicht eines dritten Mitgliedstaats stehen sich ein Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und ein ausländischer Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK gegenüber. Hinsichtlich des zuerst ergangenen Gerichtsurteils fehlt prinzipiell ein Anerkennungsversagungsgrund i. S. v. Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.315 Die Geltung zweier, sich gegenseitig ausschließender Rechtsfolgenaussprüche würde in den untersuchten Rechtsordnungen zwar zu einer offensichtlichen Verletzung der öffentlichen Ordnung des dritten Mitgliedstaats führen (Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO).316 Eine Auflösung der Entscheidungskollision zugunsten des später ergangenen Schiedsspruchs wäre jedoch nur über einen unbedingten Vor314 Im Ergebnis ebenso Möller, in: FS Bogdan, 2013, S. 384; Hess, JZ 2014, 538, 541; Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.64; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 155; Moses, NwJIntLB 35/1 (2014), 1, 22 (die allerdings nicht auf den Prüfungsvorbehalt bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung, sondern lediglich auf den ordre public-Vorbehalt abstellt). 315 Im Ergebnis ebenso Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 214; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 83 ff.; a. A. Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 146, 149 („[…] an extensive interpretation of public policy could, in this particular situation, be justified through Recital 12(3) which expressly gives prevalence to the NYC.“); Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 864 (geht aufgrund Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO sogar von einer entsprechenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus). 316 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)bb).
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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rang des Schiedsspruchs317 oder die Heranziehung der last-in-time rule318 möglich – Ansätze, die mit einer entsprechenden Heranziehung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO als unionsautonome Grenze im Rahmen des ordre publicVorbehalts nicht vereinbar sind.319 Zu untersuchen bleibt, ob im Rahmen der NYK eine Grundlage besteht, um dem kollidierenden, später ergangenen Schiedsspruch die Anerkennung zu versagen. Nur wenn das nicht der Fall ist, wäre der dritte Mitgliedstaat widerstreitenden Pflichten nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und Art. III NYK ausgesetzt, die im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO gemäß Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO letztlich dann doch zulasten des zuerst ergangenen Gerichtsurteils aufzulösen wären. Art. V NYK zählt die Anerkennungsversagungsgründe für ausländische Schiedssprüche abschließend auf.320 Entscheidungskollisionen werden nicht speziell benannt.321 Erwogen wird aber, ob aus der materiellen Rechtskraft des zuerst ergangenen staatlichen Parallelurteils die Undurchführbarkeit der Schiedsvereinbarung und daraus ihre Ungültigkeit i. S. v. Art. V Abs. 1 lit. a NYK resultiert (a)). Andernfalls bleibt zu untersuchen, ob die Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit dem Gerichtsurteil die öffentliche Ordnung des dritten Mitgliedstaats (Art. V Abs. 2 lit. b NYK) verletzen würde (b)).
a) Undurchführbarkeit der Schiedsvereinbarung, Art. V Abs. 1 lit. a NYK? Im Schrifttum wird erwogen, ob aus der materiellen Rechtskraft des staatlichen Parallelurteils die Undurchführbarkeit der Schiedsvereinbarung und daraus ihre Ungültigkeit als Versagungsgrund nach Art. V Abs. 1 lit. a NYK resultiert.322 De facto wurde die Schiedsvereinbarung jedoch bereits durchgeführt, wenn das Schiedsverfahren – wie hier – mit einem Schiedsspruch in der Hauptsache abgeschlossen worden ist. Außerdem ist die Schiedsabrede nach dem natürlichen Wortsinn des Art. V Abs. 1 lit. a NYK nur dann „ungültig“, wenn von ihr keine
317 318
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(a). Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(b). 319 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(2) und Teil 4 C.II.2.a)bb)(2). 320 Vgl. Wortlaut Art. V Abs. 1 NYK („nur“); United Nations Economic and Social Council, Resumed nineteenth session, Item 14, Report of the Committee on the Enforcement of International Arbitral Awards, 28.3.1955, U. N. Doc. E/2704, E/AC.42/4/Rev.1, S. 9; Kronke/ Nacimiento/Otto u. a./Nacimiento, 2010, Article V (1) (a), 205. 321 Bollée, Rev. arb. 2007, 808, 814 f.; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 214. 322 Camilleri, ICLQ 2013, 899, 910 f., Cole/Bantekas/Ferretti et al., Study on Instruments and Practice of Arbitration in the EU, 2014, 194 f.; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 145; vgl. zur Undurchführbarkeit i. S. v. Art. II Abs. 3 NYK, weil derselbe Rechtsstreit zwischen identischen Parteien bereits entschieden wurde, Van den Berg, New York Convention, 1981, 158.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Rechtswirkungen (mehr) ausgehen.323 In der Praxis werden regelmäßig weite, eine Vielzahl potentieller Streitgegenstände erfassende Schiedsabreden getroffen. Die materielle Rechtskraft des staatlichen Parallelurteils bezüglich eines dieser Streitgegenstände beseitigt jedenfalls nicht die Schiedsbefangenheit der übrigen. Schließlich ist beachtlich, dass sich der Vorschlag der italienischen Delegation nicht durchsetzen konnte, in Art. V Abs. 1 NYK einen vertragsautonomen Versagungsgrund für den Fall der Kollision des ausländischen Schiedsspruchs mit einer Gerichtsentscheidung aufzunehmen.324 Dem lässt sich nämlich entnehmen, dass der Konventionsgesetzgeber den Vertragsstaaten keine vertragsautonomen Vorgaben zur Behandlung von Rechtskraftkonflikten zwischen Schiedssprüchen und Gerichtsentscheidungen machen wollte. Gerade diese würden mit der Anwendung von Art. V Abs. 1 lit. a NYK auf den Konflikt des ausländischen Schiedsspruchs mit dem zuerst rechtskräftig gewordenen Gerichtsurteil aber einhergehen.
b) Ordre public-Verletzung, Art V. Abs. 2 lit. b NYK In Betracht kommt eine Anerkennungsversagung des ausländischen Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit dem zuerst ergangenen staatlichen Parallelurteil aufgrund von Art. V Abs. 2 lit. b NYK. Das setzt voraus, dass ein Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt in diesem Fall prinzipiell möglich ist (aa)) und die Anerkennung des Schiedsspruchs wegen besagter Entscheidungskollision die öffentliche Ordnung des dritten Mitgliedstaats verletzen würde (bb)).
aa) Möglichkeit eines Rückgriffs auf Art V. Abs. 2 lit. b NYK bei Entscheidungskollisionen Nach überwiegender Ansicht ist bei einer Kollision des ausländischen Schiedsspruchs mit einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung ein Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK möglich.325 Anders wird 323 Lamm/Sharpe, in: Gaillard, Enforcement of Arbitration Agreements, 2008, S. 300 f.; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 145. 324 United Nations Economic and Social Council, United Nations Conference on International Commercial Arbitraton, Consideration of the Draft Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards (Item 4 on the Agenda), Italy: Amendment to the Netherlands amendment (E/Conf.26/L. 17) to article IV of the draft convention, UN Doc E/ CONF.26/L. 38 (1958) („The arbitral award is incompatible with a judicial decision, applying to the same parties and the same subject matter, rendered in the territory of the State where the award is relied upon.“). 325 Kröll in: Böckstiegel/Kröll/Nacimiento/Kröll, 2015, § 1061, Rn. 128; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 143; Leandro, J. Int. Disp. Sett. 6 (2015), 188, 195 f.; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 214; Stein/Jonas/Schlosser, 2014, Anhang zu § 1061, Rn. 363 ff.; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 106; Mourre/Nioche, Cah. arb. 2013, 567, Rn. 19; Niboyet, M.‑L., Anm. CA 17.1.2012, Rev. arb. 2012, 569–586; Czernich, New Yorker Schiedsübereinkommen, 2008, Art. V, Rn. 74; Bollé, Rev. Arb 2007, 808, 815 f.; Usunier,
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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dies teilweise aber vor dem Hintergrund beurteilt, dass die Konvention zur Möglichkeit der Anerkennungsversagung wegen einer Kollision des Schiedsspruchs mit einem Gerichtsurteil schweigt (1). Eingewandt wird außerdem die Entstehungsgeschichte der NYK (2).
(1) Schweigen der NYK zur Behandlung von Entscheidungskollisionen Dickler ist der Ansicht, einem ausländischen Schiedsspruch könne im Fall der Kollision mit einem zuerst ergangenen Gerichtsurteil die Anerkennung auf Grundlage von Art. V Abs. 2 lit. b NYK nicht versagt werden.326 Das Argument, der Schiedsspruch habe als zeitlich nachfolgend ergangene Entscheidung dem staatlichen Urteil zu weichen, lasse sich dem Übereinkommen nicht entnehmen.327 Eine Anknüpfung an die zeitliche Priorität sei nicht einmal für Anm. Cass. 1ère civ., 4.7.2007, Rev. crit. d. i. p. 2007, 822; Lazić, J. Int. Arb. 29 (2012), 19, 23 f.; Hauberg Wilhelmsen, International Commercial Arbitration and the Brussels I Regulation, 2018, 220, Rn. 7.80; Föderatives Schiedsgericht für den Nordwestlichen Distrikt (Russland), 12.10.2005 – F09–2110/05-S6, O & Y Investments Ltd ./. OAO Bummash, Yb. Com. Arb 2008, 687 (Schiedsgericht mit Sitz außerhalb Russlands stellte fest, dass der Schiedsbeklagte den Hautpvertrag verletzt habe und sprach dem Schiedskläger Schadensersatz zu. Russisches Gericht versagte dem ausländischen Schiedsspruch die Anerkennung, weil er mit einer vorher durch russische Gerichte erlassenen Feststellung kollidiere, wonach der Hauptvertrag wirksam sei und trotz Rücktritts durch den Schiedskläger fortbestehe. Auf Grundlage von Art. V Abs. 2 lit. b NYK erklärte das Gericht: „[The recognition of the award] would lead to the existence within the territory of the Russian Federation of judicial acts of equal legal force that contain mutually exclusive holdings […] thereby contradicting the principle that judicial acts of the Russian Federation are mandatory in nature. This principle is an inalienable part of public policy of the Russian Federation.“); Oberstes Schiedsgericht der Russischen Föderation, 27.8.2012 – VAS-17458/11, Ciments Français v OAO Holding Company Siberian Cement, inoffizielle englische Übersetzung abrufbar unter ; Oberster Volksgerichtshof (China), [2008] Min Si Ta Zi Nr. 11 – Hemofarm DD, MAG International Trade Holding DD, Suram Media Ltd ./. Jinan Yongning Pharmaceutical Co Ltd, inoffizielle englische Übersetzung abrufbar unter (Ausländischer Schiedsspruch auf Schadensersatz wegen Anrufung chinesischer Gerichte sei unvereinbar mit den zuerst im Rahmen des chinesischen Verfahrens ergangenen Gerichtsentscheidungen. Versagung der Anerkennung nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK wegen „denial of legal effect of court judgment“); ebenso Corte Suprema (Chile), RoI 2087–1999, nach Kronke/Nacimiento/Otto u. a./Otto/Elwan, 2010, Article V (2), 393, Fn. 223. Vgl. auch Gerechtshof’s-Hertogenbosch (Niederlande), 14.7.1995, Yb. Com. Arb. 1996, 643 – Sneek Hardhout Import BV v Karl Schlüter GmbH & Co KG (ordre public-Widrigkeit wegen Entscheidungskollision wurde zwar abgelehnt, allerdings lediglich, weil sich der Antragsgegner lediglich auf die Möglichkeit einer Unvereinbarkeit mit einer zukünftigen Entscheidung berief, die zudem in subjektiver wie objektiver Hinsicht einen anderen Streitgegenstand betreffen würde); a. A. Corte di Apello di Milano, 2.7.1999, Yb. Com. Arb. 2001, 807; Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 723; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 87 ff.; Born, International Commercial Arbitration, 2014, 3680 (einfache Rechtsverletzung); Fierens/Volders, Rev. Bras. Arb. 9 (2012), 92, 98. 326 Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 87 ff. 327 Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 87.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Schiedsverfahren untereinander vorgesehen – weder im Stadium des Erkenntnisverfahrens in Form einer Rechtshängigkeitsregelung noch im Stadium des Exequaturverfahrens als Versagungsgrund.328 Vor diesem Hintergrund ausgerechnet im Fall der Kollision des Schiedsspruchs mit einem Gerichtsurteil anzunehmen, das Übereinkommen forciere einen Vorrang zugunsten der zuerst ergangenen staatlichen Entscheidung, überdehne die Regelungsintention der NYK deutlich.329 In der Tat kann der NYK selbst nicht entnommen werden, dass einem zuerst ergangenen Gerichtsurteil Vorrang vor einem konfligierenden, ausländischen Schiedsspruch zu gewähren ist. Diese Wertung würde allerdings auch nicht der NYK, sondern im Rahmen des ordre public-Vorbehalts dem Recht des jeweiligen Vertragsstaats entnommen werden. Dem steht nicht entgegen, dass die NYK selbst Vorgaben zur Auflösung einer solchen Entscheidungskollision nicht enthält. Stützen ließe sich die Ansicht Dicklers aber womöglich durch eine Entscheidung des mailändischen Berufungsgerichts, in der es einen chinesischen Schiedsspruch nach der NYK für vollstreckbar erklärte, obwohl dieser unvereinbar war mit einem zuerst ergangenen schwedischen Schiedsspruch. Die Begründung des Gerichts beschränkte sich – ähnlich wie die Argumentation Dicklers – auf die Feststellung, dass keiner der in Art. 839, 840 CCP (Italien) abschließend aufgezählten Anerkennungsversagungsgründe vorliege. Die Unvereinbarkeit mit dem schwedischen Schiedsspruch könne daher nur im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens am Sitz des Schiedsgerichts in China geltend gemacht werden. Beruhen dürfte die Entscheidung des mailändischen Berufungsgerichts jedoch auf dem Umstand, dass die Unvereinbarkeit eines Schiedsspruchs mit einer früheren Entscheidung als Aufhebungsgrund in Art. 829(8) CCP (Italien) speziell geregelt ist, als Anerkennungsversagungsgrund in Art. 840 CCP (Italien) hingegen nicht. Daraus schloss das Mailänder Gericht offenbar, dass die Kollision des ausländischen Schiedsspruchs nur im Rahmen einer Aufhebungsklage am Sitz des Schiedsgerichts geltend gemacht werden könne. Dass die Entscheidungskollision nicht auch als Anerkennungsversagungsgrund in Art. 840 CCP (Italien) speziell geregelt ist, beruht jedoch darauf, dass die Vorschrift – anders als Art. 829 CCP (Italien) – der Regelung des Art. V NYK nachgebildet wurde. Wie gezeigt, bedeutet die Abwesenheit einer speziellen Regelung für Entscheidungskollisionen jedoch auch in Art. V NYK nicht, dass insoweit ein Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt in Art. V Abs. 2 lit. b NYK ausgeschlossen ist. Das gilt umso mehr, als Entscheidungskollisionen im nationalen Recht zahlreicher Vertragsstaaten als Unterfall des ordre public-Vorbehalts verstanden wer328 329
Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 88. Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO, 2015, 88.
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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den.330 Im Fall des Mailänder Berufungsgerichts näher gelegen hätte es daher, Art. 829(8) CCP (Italien) als Ausdruck der öffentlichen Ordnung Italiens zu begreifen, deren Verletzung nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK bzw. Art. 840 CCP (Italien) abzuwehren war.
(2) Traveaux Préperatoires der NYK Auch dass sich der italienische Vorschlag nicht durchsetzen konnte, für den Fall einer Kollision des ausländischen Schiedsspruchs mit einer Gerichtsentscheidung in Art. V NYK einen speziellen, vertragsautonomen Versagungsgrund aufzunehmen,331 bedeutet nicht, dass den Vertragsstaaten in einem solchen Konfliktfall der Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt verwehrt ist.332 Dieser Umstand lässt lediglich den Schluss zu, dass der Konventionsgeber keine vertragsautonomen Vorgaben für die Behandlung von Entscheidungskollisionen machen wollte. Ein Rückgriff auf Art. V Abs. 2 lit. b NYK, der auf die öffentliche Ordnung des jeweiligen Vertragsstaats abstellt, ist damit vereinbar.333
bb) Verletzung der öffentlichen Ordnung im Fall der Unvereinbarkeit zweier rechtskräftiger, in derselben Sache ergangener Rechtsfolgenaussprüche Das Gegenüberstehen auf demselben Staatsgebiet von zwei rechtskräftigen, in derselben Sache ergangenen Entscheidungen mit sich gegenseitig ausschließenden Rechtsfolgenaussprüchen verletzt in den untersuchten Rechtsordnungen die öffentliche Ordnung des Anerkennungsstaats. Es gelten die Ausführungen zur offensichtlichen ordre public-Verletzung im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO entsprechend.334 Zur Wahrung der öffentlichen Ordnung muss eine der beiden Entscheidungen zurücktreten.
330 So z. B. in England Vervaeke v Smith [1983] 1 A. C. 145 (judgment in rem); ED&F Man (Sugar) Ltd v Haryanto (No.2) [1991] 1 Lloyd’s Rep. 429 (CA) (judgment in personam) und Frankreich (Huet, J‑Cl. Droit International, Fasc. 584-40, Rn. 80 ff.). 331 United Nations Economic and Social Council, United Nations Conference on International Commercial Arbitraton, Consideration of the Draft Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards (Item 4 on the Agenda), Italy: Amendment to the Netherlands amendment (E/Conf.26/L. 17) to article IV of the draft convention, UN Doc E/ CONF.26/L. 38 (1958) („The arbitral award is incompatible with a judicial decision, applying to the same parties and the same subject matter, rendered in the territory of the State where the award is relied upon.“). 332 Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 143; a.A Born, International Commercial Arbitration, 2014, 3680; Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 723. 333 Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 143. 334 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)bb).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
cc) Vorgaben für die Auflösung der Kollision des ausländischen Schiedsspruchs i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK mit dem Gerichtsurteil aus einem anderen Mitgliedstaat i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO Für die Auflösung der Kollision des ausländischen Schiedsspruchs mit dem Gerichtsurteil aus einem anderen Mitgliedstaat kommen prinzipiell die vier dargestellten Ansätze in Betracht.335 Der NYK lassen sich im Ergebnis keine Vorgaben für die Bestimmung des einschlägigen Ansatzes entnehmen.336 Etwas anderes gilt für das Brüssel-System und die entsprechende Heranziehung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO als unionsautonome Grenze im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO.337 Allerdings fragt sich, ob diese Grenze auch im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK durchschlagen kann, insbesondere angesichts der neu in die Verordnung eingeführten Bestimmungen in Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO (1). Sofern Wahlmöglichkeiten verbleiben, bestimmt sich der einschlägige Ansatz für die Auflösung der Entscheidungskollision nach einzelstaatlichem Recht – mangels vorrangigem Völkervertrag also nach autonomem Recht (2).
(1) Durchschlag von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO entsprechend als unionsautonome Grenze im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK Vorliegend geht es nicht um die Frage, ob Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO einen Bestandteil der unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung darstellt. Denn dass eine Verletzung der öffentlichen Ordnung i. S. v. Art. V Abs. 2 lit. b NYK vorliegt, wenn auf demselben Staatsgebiet zwei rechtskräftige, in derselben Sache ergangene Entscheidungen mit sich gegenseitig ausschließenden Rechtsfolgenaussprüchen Geltung beanspruchen, ergibt sich mit Blick auf die untersuchten Rechtsordnungen bereits aus der öffentlichen Ordnung einzelstaatlicher Prägung.338 Auf die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Eco Swiss,339 Mostaza Claro340 und Katalin Sebestyén341 kommt es insofern nicht an. Fraglich ist lediglich, nach welchem Ansatz die Kollision des ausländischen Schiedsspruchs i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK mit dem Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK aufzulösen ist. Da die NYK selbst keine Vorgaben enthält,342 muss auf das Recht des dritten Mitgliedstaats im Übrigen abgestellt werden. Dazu gehört auch die Brüssel Ia335 336
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.2.a)aa). 337 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.2.a)bb)(2). 338 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.III.1.b)bb). 339 EuGH, Rs. C-126/97, Slg. 1999 I-3055 – Eco Swiss. 340 EuGH, Rs. C-168/05, Slg. 2006 I-10421 – Mostaza Claro. 341 EuGH, Rs. C-342/13, ECLI:EU:C:2014:1857 – Sebestyén. 342 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.2.a)aa).
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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VO, die mit der entsprechenden Heranziehung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO eine unionsautonome Grenze vorsieht, ab der die Kollision mit einem Schiedsspruch nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts zulasten einer Gerichtsentscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO aufgelöst werden kann. Art. 73 Abs. 2 und ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO stehen dem Durchschlag von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK nicht entgegen. Denn der in Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO verwendete Begriff „unberührt“ ist dahingehend auszulegen, dass die Verordnung die Anwendung des NYK nicht beeinträchtigen darf.343 Damit greift der in Art. 73 Abs. 2 normierte und in ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. bestätigte „Vorrang“ der NYK gegenüber dem Brüssel-System nur, wenn ein Mitgliedstaat widerstreitenden Pflichten nach der Brüssel Ia-VO und der NYK ausgesetzt ist. Das scheidet vorliegend jedoch aus, weil die NYK Vorgaben für die Auflösung der Kollision des ausländischen Schiedsspruchs mit Gerichtsentscheidungen nicht enthält – insbesondere lässt sie im Fall der Unvereinbarkeit mit einem zuerst ergangenen Gerichtsurteil die Versagung der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs aufgrund von Art. V Abs. 2 lit. b NYK zu.344 Die entsprechende Heranziehung von Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO als unionsautonome Grenze im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO bedeutet, dass dem staatlichen Parallelurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Anerkennung im dritten Mitgliedstaat nur versagt werden darf, wenn der Schiedsspruch hier seine Rechtskraft zuerst entfaltet hat. Demnach scheidet für die Auflösung der Entscheidungskollision im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK eine Privilegierung ausländischer Schiedssprüche gegenüber Gerichtsurteilen ebenso aus wie die Heranziehung der last-in-time rule. Zulässig ist nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts ein Abstellen auf die zuerst ergangene Entscheidung oder eine Privilegierung der Gerichtsentscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.
(2) Verhältnis der Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen im einzelstaatlichen Recht Die Bestimmung des einschlägigen Ansatzes im einzelstaatlichen Recht folgt den Ausführungen zur Perspektive des dritten Mitgliedstaats im Fall des zuerst ergangenen Schiedsspruchs:345 Ist nach dem Verfahrensrecht, das dem Schiedsspruch zugrunde liegt, die Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen gleichwertig ausgestaltet, wie dies z. B. in Deutschland, England und Frankreich der Fall ist,346 fin343 344
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(4)(b). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.2.a)aa). 345 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.2.b). 346 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(3).
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
det der Grundsatz der zeitlichen Priorität Anwendung. Vorliegend ist dem ausländischen Schiedsspruch damit in dritten Mitgliedstaaten nach Maßgabe von Art. V Abs. 2 lit. b NYK die Anerkennung zu versagen, weil sie unvereinbar wäre mit dem zuerst ergangenen, nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anzuerkennenden Gerichtsurteil. Demgegenüber scheidet eine Versagung der Anerkennung des Gerichtsurteils nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO aus, weil der ausländische Schiedsspruch im dritten Mitgliedstaat nicht anerkennungsfähig ist und damit hier auch keine Wirkung entfaltet, die mit der des Gerichtsurteils kollidieren könnte. Zu demselben Ergebnis gelangt man vorliegend, wenn nach dem Verfahrensrecht, das dem Schiedsspruch zugrunde liegt, die Qualität der Rechtskraft von Schiedssprüchen hinter der von Gerichtsentscheidungen zurückbleibt. Denn dann ist im Konfliktfall das Gerichtsurteil gegenüber dem Schiedsspruch privilegiert; es setzt sich damit im dritten Mitgliedstaat durch, ohne dass es darauf ankommen würde, dass es zuerst ergangen ist. Da der dritte Mitgliedstaat keiner Kollision widerstreitender Pflichten nach der Brüssel Ia-VO und der NYK ausgesetzt ist, wirken sich Art. 73 Abs. 2 NYK und ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO nicht aus.
c) Zwischenergebnis Das zuerst in der Hauptsache ergangene Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO setzt sich in dritten Mitgliedstaaten gegen den parallelen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK durch. Sofern der Schiedsspruch der staatlichen Letztentscheidungskompetenz bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung standhält (Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK), muss ihm in dritten Mitgliedstaaten gemäß Art. V Abs. 2 lit. b NYK von Amts wegen die Anerkennung versagt werden. Dass die NYK selbst keine vertragsautonomen Vorgaben für die Auflösung der Kollision des ausländischen Schiedsspruchs mit einer Gerichtsentscheidung vorsieht und sich der Vorschlag eines speziellen Versagungsgrunds für diesen Fall nicht durchsetzen konnte, steht einem Rückgriff auf Art. V Abs. 2 lit. b NYK nach Maßgabe des Rechts der Vertragsstaaten nicht entgegen.347 In den untersuchten Rechtsordnungen bestünde bei Anerkennung zweier unvereinbarer Entscheidungen eine Verletzung der öffentlichen Ordnung.348 Der NYK lassen sich keine Vorgaben für die Auflösung der Entscheidungskollision entnehmen,349 dem Brüssel-System in Gestalt der entsprechenden Heranziehung des Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO als unionsautonome Grenze im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO 347 348
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.1.c)aa)(1)–(2). Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.1.c)bb). 349 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.1.c)cc).
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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hingegen schon.350 Das schlägt im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK durch. Die neu in die Verordnung eingeführten Bestimmungen in Art. 73 Abs. 2 und ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO stehen nicht entgegen, weil Art. V Abs. 2 lit. b NYK die Anerkennungsversagung des Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit dem zuerst ergangenen Gerichtsurteil erlaubt. Zur Auflösung der Entscheidungskollision nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts kommen demnach der Grundsatz der zeitlichen Priorität und die Privilegierung des Gerichtsurteils in Betracht. Beide führen dazu, dass sich in dritten Mitgliedstaaten das zuerst ergangene Gerichtsurteil durchsetzt.351
2. Perspektive Schiedsstaat: Anerkennung des Gerichtsurteils aus einem anderen Mitgliedstaat, mit dem ein später ergangener inländischer Schiedsspruch unvereinbar ist Die Perspektive des Schiedsstaats unterscheidet sich von der eines dritten Mitgliedstaats lediglich dadurch, dass das Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nunmehr nicht mit einem später ergangenen ausländischen, sondern mit einem inländischen Schiedsspruch kollidiert. Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO werden in dieser Konstellation schon mangels Anwendbarkeit der NYK nicht relevant, Art. I Abs. 1 NYK. Im Übrigen lassen sich die Ausführungen übertragen:352 Auch im Schiedsstaat muss das zuerst ergangene Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anerkannt und vollstreckt werden. Der später ergangene inländische Schiedsspruch vermag keine Rechtskraft mehr zu entfalten, nachdem diese durch das Gerichtsurteil bereits etabliert worden ist. Es fehlt mithin bereits an einer Entscheidungs- im Sinne einer Wirkungskollision, die den ordre public-Vorbehalt nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO begründen könnte. Beantragt der Schiedskläger die Vollstreckbarerklärung des inländischen Schiedsspruchs, ist der Antrag wegen Unvereinbarkeit mit dem zuerst ergangenen Gerichtsurteil i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO aufgrund des jeweils einschlägigen ordre public-Vorbehalts zurückzuweisen und der Schiedsspruch aufzuheben.353 Ist das noch nicht erfolgt, ist einem Antrag des Gerichtsklägers auf 350
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.1.c)cc)(2). Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.1.c)cc). 352 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.1. 353 In Deutschland z. B. nach §§ 1060 Abs. 2 S. 1 i. V. m. 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO (BGHZ 145, 376, 380 führt unter Verweis auf BT‑Drucks. 13/5274, 59 aus, dass der ordre public-Vorbehalt in § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO durch die § 580 ff. ZPO konkretisiert wird, mithin auch durch § 580 Nr. 7a ZPO); teilweise werden in Deutschland (auch) § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a Var. 2 bzw. lit. c Var. 2 ZPO als einschlägig erachtet (vgl. hierzu Lühmann, Rechtskraft des Schiedsspruchs, 2014, 231); in Frankreich nach Art. 1488 CCP (vgl. CA Paris, 17.1.2012, Rev. arb. 2012, 569 – Etisalat); in England nach ss. 81(1) lit. c, 66 AA 1996. 351
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
Aufhebung des inländischen Schiedsspruchs – der aus Rechtsklarheitsgründen geboten sein kann – mangels eines spezielleren Aufhebungsgrunds354 aufgrund des jeweils einschlägigen ordre public-Vorbehalts stattzugeben.355 Sofern der Aufhebungsklage Fristen entgegenstehen, sind diese teleologisch zu reduzieren; denn sie liefen ihrem eigenen Zweck zuwider, wenn sie die aus Rechtsklarheitsgründen gebotene Aufhebung des Schiedsspruchs blockieren würden.
3. Perspektive Gerichtsstaat: Versagung der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit inländischem Gerichtsurteil Aus der Perspektive des Gerichtsstaats kollidiert das zuerst ergangene inländische Gerichtsurteil mit einem ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK. In aller Regel ist dem ausländischen Schiedsspruch im Gerichtsstaat die Anerkennung und Vollstreckung bereits nach Maßgabe von Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK wegen mangelnder Zuständigkeit des Schiedsgerichts zu versagen; die Ausführungen zur Perspektive des Gerichtsstaats im Fall des zuerst ergangenen Schiedsspruchs gelten insofern entsprechend.356 Sollte der Einwand der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts ausnahmsweise nicht greifen, kommt eine Anerkennungsversagung des ausländischen Schiedsspruchs aufgrund von Art. V Abs. 2 lit. b NYK in Betracht.357 Denn im Fall der Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs würden sich im Gerichtsstaat zwei rechtskräftige, in derselben Sache ergangene, sich aber gegenseitig aus354 355
In Art. 829(8) CCP (Italien) ist der Aufhebungsgrund z. B. speziell geregelt. In Deutschland z. B. nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO (BGHZ 145, 376, 380 führt unter Verweis auf BT‑Drucks. 13/5274, 59 aus, dass der ordre public-Vorbehalt in § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO durch die § 580. ff ZPO konkretisiert wird, mithin auch durch § 580 Nr. 7a ZPO). Die Frist nach § 1059 Abs. 3 ZPO findet keine Anwendung, wenn wie hier in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 7a ZPO ein Restitutionsgrund gegeben ist. Wie im Fall von § 586 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 ZPO würde die Anwendung in der Konstellation des § 580 Nr. 7a ZPO seinen Zweck – die Herstellung von Rechtssicherheit – verfehlen (Lenenbach, Unvereinbarkeiten, 75–78); in Frankreich nach Art. 1492(5) CCP (vgl. hierzu CA Paris, 17.1.2012, Rev. arb. 2012, 569 – Etisalat); in England nach ss. 68(2) lit. g Alt. 2, 69(3) lit. c., ii. AA 1996. 356 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.3.(1); a. A. Möller, in: FS Bogdan, 2013, S. 384 („[…] a judgment on the merits of the claim […] would probably still prevent the recognition and enforcement of a subsequent award. In that case, the only possible ground for refusal would be Art V 2 b of the NYC, which provides that recognition and enforcement may be refused if the recognition or enforcement of the award would be contrary to public policy of the counrtry where recognition or enforcement is sought.“). 357 So z. B. erfolgt in Föderatives Schiedsgericht für den Nordwestlichen Distrikt (Russland), 12.10.2005 – F09–2110/05-S6, O & Y Investments Ltd ./. OAO Bummash, Yb. Com. Arb 2008, 687; Oberster Volksgerichtshof (China), [2008] Min Si Ta Zi Nr. 11 – Hemofarm DD, MAG International Trade Holding DD, Suram Media Ltd ./. Jinan Yongning Pharmaceutical Co Ltd, inoffizielle englische Übersetzung abrufbar unter ; Oberster Gerichtshof (Chile), Rol 2087–1999, zitiert nach: Kronke/Nacimiento/Otto u. a./Otto/Elwan, 2010, Article V (2), 393, Fn. 223.
C. Gerichtsurteil und Schiedsspruch liegen beide vor
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schließende Rechtsfolgenaussprüche gegenüberstehen. Zur Wahrung der öffentlichen Ordnung muss eine der beiden Entscheidungen zurücktreten.358 Die NYK macht keine Vorgaben für die Auflösung der Entscheidungskollision.359 Da das Gerichtsurteil als inländisches Judikat nicht dem Brüsseler Anerkennungs- und Vollstreckungsregime unterfällt, lassen sich der Brüssel Ia-VO ebenfalls keine Vorgaben für die Auflösung der Entscheidungskollision entnehmen. In der vorliegenden Konstellation, in der das inländische Gerichtsurteil zuerst ergangen ist, würde allerdings nur eine Privilegierung ausländischer Schiedssprüche gegenüber inländischen Gerichtsurteilen zu einem Vorrang des später ergangenen Schiedsspruchs führen. Eine solche ist in den untersuchten Rechtsordnungen jedoch unvereinbar mit dem Justizgewährungsanspruch und der staatlichen Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede.360 Im Gerichtsstaat setzt sich folglich das zuerst ergangene, inländische Gerichtsurteil gegen den ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK durch. Letzterem ist im Schiedsstaat regelmäßig nach Maßgabe von Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK wegen Unzuständigkeit des Schiedsgerichts, andernfalls gemäß Art. V Abs. 2 lit. b NYK wegen Unvereinbarkeit mit dem zuerst ergangenen Gerichtsurteil die Anerkennung zu versagen.
IV. Ergebnis Wurden das Schiedsverfahren und das staatliche Parallelverfahren mit rechtskräftigen, miteinander unvereinbaren Entscheidungen in der Hauptsache abgeschlossen, ergibt sich für die Auflösung der Entscheidungskollision in den Mitgliedstaaten Folgendes: Ist das staatliche Parallelurteil zuerst ergangen, setzt sich dieses in der gesamten EU gegen den konkurrierenden Schiedsspruch durch.361 Im Schiedsstaat ist der inländische Schiedsspruch aufhebbar; seine Vollstreckbarerklärung ist zu versagen.362 In den anderen Mitgliedstaaten fehlt dem ausländischen Schiedsspruch die Anerkennungsfähigkeit.363 Ist der Schiedsspruch zuerst ergangen, verbietet die Brüssel Ia-VO nicht, dem Schiedsspruch nach einzelstaatlichem Recht Vorrang vor dem staatlichen Parallelurteil einzuräumen; sie gebietet einen solchen Vorrang allerdings auch nicht.364 Das führt dazu, dass sich im Schiedsstaat365 und in dritten Mitglied358 359
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)bb). Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.2.a)aa). 360 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)(a). 361 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III. 362 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.2. 363 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.1. und 3. 364 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II. 365 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
staaten366 der zuerst ergangene Schiedsspruch durchsetzt. Voraussetzung ist allerdings, dass nach dem Verfahrensrecht, das dem Schiedsspruch zugrunde liegt,367 die Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsurteilen – wie in Deutschland, England und Frankreich –368 gleichwertig ausgestaltet ist. Außerdem muss der Schiedsspruch der staatlichen Letztentscheidungskompetenz des jeweiligen Mitgliedstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede standhalten. Im Gerichtsstaat setzt sich in den untersuchten Rechtsordnungen dagegen das inländische Gerichtsurteil gegen den ausländischen Schiedsspruch durch, obgleich Letzterer zuerst ergangenen ist.369 Dem Schiedsspruch ist nach Maßgabe von Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK die Anerkennung zu versagen, weil aus Sicht des Gerichtsstaats das inländische Gericht, nicht das ausländische Schiedsgericht entscheidungsbefugt war.
D. Fazit In Teil 4 stand die res iudicata-Wirkung von Entscheidungen in der Hauptsache im Fokus der Arbeit. Drei Konstellationen wurden untersucht: In Szenario eins, in dem bisher nur das staatliche Parallelverfahren per rechtskräftiger Entscheidung in der Hauptsache abgeschlossen wurde,370 ist das staatliche Parallelurteil nach Maßgabe der Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken. Das gilt auch dann, wenn aus Sicht des Zweitstaats das Schiedsgericht entscheidungsbefugt war.371 Die Wirkungserstreckung des staatlichen Parallelurteils auch auf den Schiedsstaat hat in den untersuchten Rechtsordnungen zur Folge, dass das parallel in der Hauptsache geführte Schiedsverfahren zu beenden ist.372 Der Gerichtskläger kann damit über die res iudicata-Wirkung eines zuerst in der Hauptsache erwirkten Gerichtsurteils die Ansicht des Gerichtsstaats, das Schiedsgericht sei in der Sache unzuständig, EU-weit durchsetzen. Szenario zwei, in dem bisher nur das Schiedsverfahren mit einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache abgeschlossen wurde, beurteilt sich asymmetrisch zu Szenario eins.373 Dem Schiedsspruch ist im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen, wenn das Schiedsgericht aus Sicht des jeweiligen Zweitstaats unzuständig war.374 Das 366
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.2.–3. Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(3). Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(3)(a)–(c). 369 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.3. 370 Vgl. hierzu oben Teil 4 A.I. 371 Vgl. hierzu oben Teil 4 A.I.2. 372 Vgl. hierzu oben Teil 4 A.II. 373 Vgl. hierzu oben Teil 4 B. 374 Vgl. hierzu oben Teil 4 B.I. 367 368
D. Fazit
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hat zur Folge, dass das im Gerichtsstaat noch laufende Parallelverfahren vor staatlichen Gerichten unbeeindruckt von dem rechtskräftigen Schiedsspruch in der Hauptsache fortgesetzt werden kann. Der Schiedskläger hat über die res iudicata-Wirkung eines zuerst in der Hauptsache erwirkten Schiedsspruchs damit nicht die Möglichkeit, die Perspektive des Schiedsstaats, die Schiedsabrede sei wirksam und anwendbar, EU-weit durchzusetzen. In Szenario drei wurden die beiden Parallelverfahren vor dem Schiedsgericht und dem staatlichen Gericht mit rechtskräftigen, widerstreitenden HauptsacheEntscheidungen abgeschlossen.375 Die Untersuchung hat einerseits gezeigt, dass die in dieser Konstellation vielfach befürchtete „anerkennungs- und vollstreckungsrechtliche Pattsituation“,376 wonach Mitgliedstaaten nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO das Gerichtsurteil und zugleich nach Art. III ff. NYK den widersprüchlichen Schiedsspruch anerkennen müssen, in der Praxis nicht existiert. Denn in allen untersuchten Fallgestaltungen lässt sich die Entscheidungskollision im Einklang mit der Brüssel Ia-VO und der NYK auflösen, entweder weil die Brüssel Ia-VO in Bezug auf das Gerichtsurteil oder weil die NYK in Bezug auf den Schiedsspruch eine Anerkennungsversagung erlaubt. Andererseits hat die Untersuchung aber auch gezeigt, dass sich die in den Szenarien eins und zwei identifizierte Asymmetrie in diesem Verfahrensstadium fortsetzt: Denn das zuerst ergangene Gerichtsurteil setzt sich EU-weit gegen den konkurrierenden Schiedsspruch durch;377 der Gerichtskläger kann im Schiedsstaat die Aufhebung des Schiedsspruchs verlangen378 und im Gerichtsstaat und in dritten Mitgliedstaaten ist dem Schiedsspruch die Anerkennung zu versagen379. Dagegen kann sich der zuerst ergangene Schiedsspruch im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten gegen das konkurrierende Gerichtsurteil durchsetzen;380 Voraussetzung dafür ist, dass nach dem Verfahrensrecht, das dem Schiedsspruch zugrunde liegt,381 die Rechtskraft von Schiedssprüchen und Gerichtsentscheidungen gleichwertig ausgestaltet ist; außerdem muss der Schiedsspruch der staatlichen Letztentscheidungskompetenz des jeweiligen Mitgliedstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede standhalten. Zudem setzt sich jedenfalls im Gerichtsstaat das später ergangene staatliche Parallelurteil durch.382 Die ungleiche prozessuale Ausgangslage von Schiedskläger und Gerichtskläger im Fall eines positiven grenz- und gerichtsübergreifenden KompetenzKonflikts in der EU ist systemischer Natur. Sie kann auch über eine Inkorpora375 376
Vgl. hierzu oben Teil 4 C. Pohl, IPRax 2013, 109, 110. 377 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III. 378 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.2. 379 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.1.–2. 380 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.–2. 381 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(3). 382 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.3.
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Teil 4: Res iudicata-Wirkung von Entscheidungen über die Hauptsache
tion des Schiedsspruchs in ein Urteil englischer Gerichte nach s. 66(2) AA 1996 nicht beseitigt werden.383 Wie in Teil 3 ist sie darauf zurückzuführen, dass die konkurrierenden Hauptsache-Entscheidungen Anerkennungsregimen mit divergierendem Harmonisierungsgrad unterliegen.384 Dabei wirkt sich insbesondere aus, dass die NYK den Gerichten eines Zweitstaats die Nachprüfung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts erlaubt (Art. V Abs. 1 lit. a, lit. b, Abs. 2 lit. a NYK), während das Brüssel-System die Nachprüfung der Zuständigkeit des staatlichen Erstgerichts verbietet, Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO.
383 384
Vgl. hierzu oben Teil 4 B.II. Vgl. hierzu bereits oben Teil 3 C.
Teil 5
Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung Möglicherweise kann die schiedszugewandte Partei die Schiedsabrede über einen vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung durchsetzen.1 Die schiedszugewandte Partei könnte hierbei vom Gerichtskläger verlangen, in finanzieller Hinsicht2 so gestellt zu werden, wie sie stünde, hätte der Gerichtskläger den Rechtsstreit abredegemäß nur vor dem Schiedsgericht ausgetragen. In Betracht kommt insofern nicht nur der Ersatz von Kosten, die der schiedszugewandten Partei im abredewidrigen Gerichtsverfahren entstanden sind. Zu denken ist auch an den Ersatz einer etwaigen, zulasten der schiedszugewandten Partei ausfallenden Differenz von gerichtlicher und (hypothetischer) schiedsrichterlicher Sachentscheidung (Sachentscheidungsdifferenz): Hat das staatliche Parallelgericht die schiedszugewandte Partei beispielsweise verurteilt, EUR 25 Mio. Schadensersatz an den Gerichtskläger zu zahlen, hat oder hätte das Schiedsgericht dagegen die Haftung der schiedszugewandten Partei in dieser Sache verneint, stünde insoweit ein Schadensersatzanspruch der schiedszugewandten Partei i. H. v. EUR 25 Mio. in Rede. Mit dessen Durchsetzung könnte die Hauptsache-Entscheidung des staatlichen Parallelgerichts im Ergebnis negiert werden. 1 Vgl. zu Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung allgemein Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019; zu deliktischem Schadensersatz Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 443 ff. (Missachtung Gerichtsstandsabrede); zu bereicherungsrechtlichen Ansprüchen Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 400 ff. (Missachtung Gerichtsstandsabrede); zu Möglichkeiten einer vertraglichen Absicherung der Schiedsabrede Manner/Mosimann, in: FS Schwenzer, 2011, S. 1205 ff.; Pfeiffer, in: Liber amicorum Lindacher, 2007, S. 77–88 (Missachtung Gerichtsstandsabrede); Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 496 ff. (Missachtung Gerichtsstandsabrede); Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 245 (Missachtung Gerichtsstandsabrede); zum Kostenersatz im Rahmen des Schiedsverfahrens Sandrock, IDR 2004, 106, 106 ff.; zur Parallelproblematik des vertraglichen Schadensersatzes wegen Verletzung einer Gerichtsstandsabrede allgemein Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989; Peiffer, Forum Derogatum, 2013; Antomo, Schadensersatz, 2017. 2 Schadensersatz in Form der Naturalrestitution ist unmöglich, sofern die abredewidrige Einleitung des staatlichen Parallelverfahrens in der Vergangenheit liegt; es kann daher nur in finanzieller Hinsicht kompensiert werden. Sofern der Anspruch darauf gerichtet ist, die Einleitung bzw. Fortführung eines staatlichen Parallelverfahrens künftig zu unterlassen, handelt es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um ein Prozessführungsverbot (vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.–B.).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Unterfallen das staatliche Parallelverfahren und die daraus resultierenden Hauptsache- und Kostenentscheidungen der Brüssel Ia-VO, stellt sich allerdings die Frage, ob derartige Schadensersatz-Zusprüche bzw. deren Vollstreckung mit dem Brüssel-System vereinbar sind. Für die Beantwortung dieser Frage werden vorab die Grundlagen erarbeitet (A.). Sodann wird danach differenziert, wer über den Schadensersatzanspruch entscheiden soll bzw. entschieden hat – das Schiedsgericht (B.) oder ein mitgliedstaatliches Gericht (C.).
A. Grundlagen Im Folgenden soll zunächst überblicksmäßig dargestellt werden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das einzelstaatliche Recht der Mitgliedstaaten eine Schadensersatzhaftung wegen Verletzung der Schiedsabrede vorsieht (I.). Anschließend wird geklärt, wer für die Entscheidung über den Schadensersatzanspruch zuständig ist und wie sich das anwendbare Recht bestimmt (II.). Sodann erfolgt eine Bestandsaufnahme zu den Ansichten, die bisher zu der Frage vertreten werden, ob ein Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung einer Schiedsvereinbarung mit dem Brüssel-System vereinbar ist (III.).
I. Haftung nach einzelstaatlichem Recht Der Überblick über die vertragliche Schadensersatzhaftung wegen Verletzung einer Schiedsabrede nach einzelstaatlichem Recht konzentriert sich auf englisches (1.), deutsches (2.) und französisches (3.) Recht.3 3 Vgl. für Spanien STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 201/2007, 23.2.2007, RJ/2007/2118 (Zuspruch von vertraglichem Schadensersatz i. H. d. Rechtsanwaltskosten für die Verteidigung in einem New Yorker Gerichtsverfahren, das unter Verletzung einer exklusiven Gerichtsstandsabrede zugunsten Madrids eingeleitet worden war. Das New Yorker Gericht hatte die Klage als unbegründet abgewiesen und eine Kostenentscheidung nach der American rule of costs getroffen); STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 6/2009, 12.1.2009, RJ/2009/544 (Zuspruch von vertraglichem Schadensersatz i. H. d. Rechtanwaltskosten für die Verteidigung in einem Gerichtsverfahren in Florida, das unter Verletzung einer exklusiven Gerichtsstandsabrede zugunsten Barcelonas eingeleitet worden war. Das Gericht aus Florida hatte zuvor die Gerichtsstandsabrede anerkannt, die Klage abgewiesen und eine Kostenentscheidung nach der American rule of costs getroffen. Wie das oberste spanische Gericht erklärt, handele es sich bei einer Gerichtsstandsabrede um einen Vertrag prozessualer und materiellrechtlicher Natur, der mit Blick auf seine materiellrechtliche Seite normale vertragliche Verpflichtungswirkung entfalte. Weil der Vereinbarung typischerweise große Relevanz im Rahmen der Vertragsverhandlungen zukomme – insbesondere Auswirkungen auf den Preis haben könne – müsse die Verpflichtung schadensbewehrt sein); vgl. für Schweden SCC Arbitration No. V (125/ 2011), Final Award, 31.7.2012 – Gazprom ./. Republic of Lithuania, abrufbar unter (SCC‑Schiedstribunal mit Sitz in Stockholm lehnt Antrag auf Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede durch Anrufung litauischer Gerichte ab.
A. Grundlagen
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1. England Im englischen Recht ist anerkannt, dass die Missachtung einer Schiedsvereinbarung durch die Einleitung eines Verfahrens vor staatlichen Gerichten einen vertraglichen Schadensersatzanspruch auslösen kann.4 Die Schiedsabrede beinhaltet nach englischem Verständnis die vertragliche Pflicht, von ihr erfasste Teilweise war die Klage vor litauischen Gerichten von der Schiedsabrede nicht erfasst. Vor diesem Hintergrund erklärte das Schiedsgericht: „It is not possible to quantify the amount of costs incurred by Claimant […] in defending their position before the Lithuanian Court, with respect to those requests made by Respondent that have been found to be in breach of the arbitration clause.“), vgl. für Belgien Rechtbank van eerste aanleg te Brussel, 12.05.2000, GRUR Int. 2001, 170 – Röhm Enzyme (Gericht spricht deliktischen Schadensersatz zu. Das Spekulieren auf das langsame Arbeiten des belgischen Justizapparats und auf den daraus resultierenden ökonomischen Vorteil verbunden mit dem missbräuchlichen Verhalten des Klägers stelle eine unerlaubte Handlung dar); vgl. für die Schweiz ICC 5946, Final Award 1990, Yb. Com. Arb. 1991, 97 (Schiedsgericht mit Sitz in Genf spricht vertraglichen Schadensersatz wegen abredewidriger Anrufung eines New Yorker Gerichts i. H. d. Rechtsanwaltskosten zu); SCAI, Second Partial and Interim Award 3.8.2006, wie referiert in Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 11.2.2010, 4A_444/2009, abrufbar unter (Schiedsgericht mit Sitz in Genf gewährt vertraglichen Schadensersatz wegen Anrufung israelischer Gerichte. Das israelische Verfahren war noch nicht abgeschlossen. Das Schweizer Bundesgericht lehnte einen Antrag auf Aufhebung des Schadensersatz-Schiedsspruchs ab); ICC 17176, Final Award 2012, Yb. Com. Arb. 2016, 86 (Schiedsgericht mit Sitz in Zürich lehnt einen Antrag auf vertraglichen Schadensersatz wegen Anrufung deutscher Gerichte ab. Das deutsche Verfahren war noch nicht beendet. Das Schiedsgericht erklärte: „[…] [T]here seems to be a general hesitation in arbitration practice to award damages for breach of the arbitration agreement unless the foreign procedure was affected in some way by bad faith or abuse of process […].“); ICC, Final Award 25.2.2013, wie referiert in Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 30.9.2013, 4A_232/2013, abrufbar unter (Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz gibt Antrag auf vertraglichen Schadensersatz wegen Anrufung griechischer Gerichte statt. Das mit einer Aufhebungsklage befasste Schweizer Bundesgericht lehnt die Aufhebung des SchadensersatzSchiedsspruchs ab). 4 Mantovani v Carapelli SpA [1980] 1 Lloyd’s Law Rep. 375, 383 (CA); Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Ltd (No 1) [1983] 1 All ER 404 (EWHC) (obiter); Schiffahrtsgesellschaft Detlev von Appen GmbH v Voest Alpine Intertrading GmbH (The „Jay Bola“) [1997] 2 Lloyd’s Rep 279, 285 (CA) (obiter); Ad-hoc Schiedsgericht mit Sitz in London, wie referiert in Wessel/Cohen, IntALR 2001, 65, 68 f.; Kyrgyz Mobil Tel Limited & Ors v Fellowes International Holdings Ltd [2005] EWHC 1314 (obiter); West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta SpA (The „Front Comor“) [2005] Lloyd’s Rep. 257, Rn. 69 (obiter); A v B (Costs) [2007] EWHC 54 (obiter); Kallang Shipping SA Panama v Axa Assurances Senegal (The „Kallang“) (No 2) [2009] 1 Lloyd’s Rep. 124 (EWHC); Sotrade Denizcilik Sanayi ve Ticaret AS v. Amadou Lo and others (The „Duden“) [2009] 1 Lloyd’s Rep 145 (EWHC); CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791; Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 101 f.; vgl. auch West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; vgl. zu Schadensersatz wegen Verletzung einer exklusiven Gerichtsstandsabrede Ellerman Lines Ltd v Read [1928] 2 KB 144 (EWCA); Marc Rich & Co AG v Soc Italiana Impianti pA (The „Atlantic Emperor“) (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep. 624, 633 f. (EWCA); Union Discount Co Ltd v Robert Zoller and others [2001] EWCA Civ 1755; Donohue v Armco Inc [2002] 1 Lloyds Rep 425 (UKHL) (obiter); A/S D/S Svendborg v Akar [2003] EWHC 797; In the matter of The „Alexandros T“ [2013] UKSC 70, [2014] EWCA Civ 1010.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Rechtsstreitigkeiten nicht vor staatliche Gerichte zu bringen.5 Die Verletzung dieser Pflicht löst einen vertraglichen Schadensersatzanspruch aus, der – wie auch sonst im englischen Recht – kein Verschulden voraussetzt (strict liability). Ersatzfähig sind alle Schäden, die durch die Pflichtverletzung in zurechenbarer Weise verursacht wurden (sufficiently proximate), sofern die öffentliche Ordnung des Vereinigten Königreichs nicht entgegensteht.6 Dabei kann die schiedszugewandte Partei verlangen, so gestellt zu werden, als hätte der Gerichtskläger sich an die Schiedsvereinbarung gehalten und allein das Schiedsgericht entscheiden lassen.7 Die schiedszugewandte Partei kann danach jedenfalls die Kosten ersetzt verlangen, die sie für ihre Verteidigung im staatlichen Parallelverfahren aufgewendet hat – z. B. für anwaltliche Vertretung im Parallelprozess, die Beauftragung eines Korrespondenzanwalts, Reisekosten etc.8 Sie muss sich hierbei allerdings die Kosten anrechnen lassen, die ihr bereits aufgrund einer Kostenentscheidung des Parallelgerichts erstattet wurden. Dass eine schiedszugewandte Partei Schadensersatz auch insoweit verlangen kann, wie die Sachentscheidung des staatlichen Parallelgerichts zu ihren Lasten von der (hypothetischen) Sachentscheidung des Schiedsgerichts abweicht, haben englische Gerichte bisher nicht entschieden. Sie gehen von der Ersatzfähigkeit der Sachentscheidungsdifferenz aber aus:9 Illustrierend ist ein 5
Vgl. z. B. AES Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant LLP v Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant JSC [2013] UKSC 35, Rn. 48. 6 Vgl. Union Discount Co Ltd v Robert Zoller and others [2001] EWCA Civ 1755. 7 Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 14.04. 8 So z. B. durch das Ad-hoc Schiedsgericht mit Sitz in London, wie referiert in Wessel/ Cohen, IntALR 2001, 65, 68 f.; vgl. auch Donohue v Armco Inc [2002] 1 Lloyds Rep 425 (UKHL) (obiter); A/S D/S Svendborg v Akar [2003] EWHC 797 (obiter); Sunrock Aircraft Corporation Ltd v Scandinavian Airlines System Denmark-Norway-Sweden [2007] EWCA Civ 882; National Westminster Bank Plc v Rabobank Nederland (No 1) [2007] EWHC 1056 (obiter); In the matter of The „Alexandros T“ [2013] UKSC 70 und [2014] EWCA Civ 1010, Mantovani v Carapelli SpA [1978] 2 Lloyd’s Rep 63 (EWHC), [1980] 1 Lloyd’s Law Rep. 375, 383 (CA); Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 102. 9 Vgl. Donohue v Armco Inc [2002] 1 Lloyds Rep 425, Rn. 48 (UKHL) (obiter von Lord Hobhouse hinsichtlich der Verletzung einer exklusiven Gerichtsstandsabrede: „[…] [I]f this leads to Mr Donohue incurring a greater liability or being put to a greater expense (eg, for unrecovered costs) in New York than would have been the case in London, Mr Donohue may have a claim in damages against the defendants for breach of contract – breach of the exclusive jurisdiction clause. […] I am prepared to accept this submission and proceed on the basis that, if Mr Donohue can hereafter show that he has suffered loss as a result of the breach of the clause, the ordinary remedy in damages for breach of contract would be open to him. I say no more than this since the position is complex […]“ (Hervorhebung hinzugefügt). Lord Scott äußerte sich in Rn. 75 wie folgt: „If it should transpire that Mr Donohue is successful in the New York proceedings but is unable to recover his costs, being costs that he would have expected to have been awarded if he had successfully defended in England, I can see no reason in principle why he should not recover, as damages for breach of the exclusive jurisdiction clause, such part of those costs as he incurred in his successful defence of the claims that fall within
A. Grundlagen
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obiter dictum des englischen Court of Appeal in Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Co Ltd (No 2).10 Der Fall spielte vor Inkrafttreten des LugÜ. Der Gerichtskläger klagte vor einem Schweizer Gericht, obgleich die Parteien die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts mit Sitz in London vereinbart hatten. Nachdem das Schweizer Gericht die Schiedseinrede zurückgewiesen hatte, beantragte die schiedszugewandte Partei vor englischen Gerichten den Erlass einer anti-suit injunction. Der Court of Appeal erwog, ob die Interessen der schiedszugewandten Partei bereits hinreichend durch die Möglichkeit geschützt wurden, vor dem Schiedsgericht Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede zu erstreiten. In diesem Zusammenhang stellte das Gericht fest: „[…] if and in so far as the Swiss courts were to give any judgment against the sellers, the sellers would have an unanswerable claim against the buyers in arbitration alleging that that judgment had been obtained in breach of […] the arbitration agreement. The question which would then arise would be whether they were entitled to more than nominal damages. That would depend on whether the Swiss court had reached the same conclusion as would […] [the] arbitrators if the claim which formed the basis of the Swiss judgment had been submitted to arbitration […]. If [the arbitrators] decided that they would have reached a different conclusion, and one which would have been less adverse to the sellers, they would have to make an award in favour of the sellers representing the difference between the two.“11
2. Deutschland Deutsche Gerichte haben sich bisher nicht dazu geäußert, ob die Einleitung eines Gerichtsverfahrens unter Missachtung einer Schiedsvereinbarung einen vertraglichen Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 249 ff. BGB auslösen kann.12 Im Schrifttum wird kontrovers diskutiert:13 Umstritten ist bereits, ob einer Schiedsabrede im Wege der Auslegung eine schadensersatzbewehrte Pflicht entnommen werden kann, von ihr erfasste Streithat clause.“ Hierbei bezog sich Lord Scott auf den Fall, dass der Schadensersatzkläger im abredewidrigen Verfahren obsiegt hat; eine Sachentscheidungsdifferenz kommt dann als Schadensposition nicht in Betracht. Dass Lord Scott seine Ausführungen auf die Ersatzfähigkeit der Mehrkosten des abredewidrigen Verfahrens beschränkte, kann daher entgegen der Ansicht von Antomo, Schadensersatz, 2017, 295 nicht als Abweichung von der Ansicht von Lord Hobhouse gewertet werden, dass die Sachentscheidungsdifferenz ersatzfähig ist); Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Co Ltd (No 2) [1983] 1 WLR 1026, 1036–1037 (EWCA) (obiter); CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791; West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 102. 10 Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Co Ltd (No 2) [1983] 1 WLR 1026 (EWCA). 11 Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Co Ltd (No 2) [1983] 1 WLR 1026, 1036–1037 (EWCA) (obiter). 12 Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 715. 13 Vgl. Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 170–215; Frohloff, Verletzung von Schiedsvereinbarungen, 2017, 111–125; bezüglich der Verletzung ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen Antomo, Schadensersatz, 2017, 399– 530.
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tigkeiten nur vor das vereinbarte Schiedsgericht zu bringen.14 Die Schiedsabrede zielt in erster Linie darauf, für Rechtsstreitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis die Zuständigkeit zu regeln – die Sachentscheidungsbefugnis staatlicher Gerichte soll abbedungen und die eines Schiedsgerichts begründet werden. Ursprünglich wurde die Schiedsabrede in Deutschland unter diesem Gesichtspunkt als prozessrechtlicher Vertrag ohne Verpflichtungswirkung angesehen.15 Zwar ist heute höchstrichterlich anerkannt, dass sich die Parteien durch eine Schiedsabrede „verpflichten […], die aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringenden Rechtsstreitigkeiten […] nicht dem ordentlichen Gericht, sondern dem vereinbarten Schiedsgericht zu unterbreiten“.16 Es besteht ein „vertragliches Verbot“, schiedsbefangene Forderungen vor ein staatliches Gericht zu bringen.17 Dieses hat der BGH bisher allerdings nur prozessual abgesichert, nämlich indem er dem Gerichtskläger eine Berufung auf schiedsbefangene Forderungen im staatlichen Gerichtsverfahren auch im Wege der Aufrechnung18 und der Vollstreckungsabwehrklage19 verwehrt hat.20 Ob das vertragliche Verbot auch schadensersatzbewehrt ist, gilt dagegen im deutschen Schrifttum weiterhin als ungeklärt.21 Die Befürworter argumentieren durchaus überzeugend, dass die Schadensersatzbewehrung dem objektiven Interesse und dem mutmaßlichen Willen der Parteien bei Abschluss der Schiedsabrede entspreche.22 Denn die Parteien hätten ein erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse, dass die Schiedsabrede eingehalten werde. Sie würden die Schiedsgerichtsbarkeit als Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit wählen, weil sie sich eine vertrauliche, zügige und mit der NYK weithin durchsetzbare Entscheidung auf neutralem Boden versprächen. All diese Erwartungen würden durch eine Klage vor staatlichen Gerichten frustriert. Folgt man dem und bejaht eine schadensersatzbewehrte Pflicht, von der Schiedsabrede erfasste Streitigkeiten nur vor das vereinbarte Schiedsgericht zu bringen, stellt sich die Folgefrage, ob die Anrufung staatlicher Gerichte, obgleich sie unter Verletzung dieser Pflicht erfolgte, rechtswidrig sein kann. Der BGH leitet nämlich in ständiger Rechtsprechung aus dem Justizgewährungsanspruch ab, dass allein in der Erhebung einer Klage oder in der sonstigen Inanspruchnahme eines staatlichen, gesetzlich geregelten Rechtspflegeverfahrens 14
Vgl. ausführlich bezüglich der Verletzung ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen Antomo, Schadensersatz, 2017, 400–470. 15 Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozeß, 1935, 102 ff., insbesondere 105. 16 BGHZ 99, 143 = NJW 1987, 651, 652; vgl. auch BGHZ 38, 254 = NJW 1963, 243, 243. 17 BGHZ 38, 254 = NJW 1963, 243, 243. 18 BGHZ 38, 254. 19 BGH, NJW 1987, 651, 652. 20 Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 716. 21 So z. B. Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 715–718. 22 STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 6/2009, 12.1.2009, RJ/2009/544.
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grundsätzlich keine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung gesehen werden kann.23 Andernfalls werde der freie Zugang zu staatlichen Rechtspflegeverfahren in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise eingeschränkt. Eine nur fahrlässige Fehleinschätzung der Rechtslage, bei der sich das Rechtsschutzbegehren ex post als unbegründet herausstelle, führe außerhalb der im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen grundsätzlich nicht zu einer Haftung. Die Herstellung von Rechtsklarheit und Rechtsfrieden sei gerade Zweck des Verfahrens und den Bürgern müsse auch bei Zweifeln an der eigenen Position ein Recht auf effizienten und nicht mit zu hohem Risiko belasteten Rechtsschutz zustehen.24 Der Schutz des Prozessgegners werde regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren nach Maßgabe gesetzlicher Ausgestaltung gewährleistet. Der Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes wurde ursprünglich im Deliktsrecht entwickelt. Zwischenzeitlich hat der BGH zwar klargestellt, dass er auch im Rahmen vertraglicher Sonderbeziehungen anwendbar ist.25 Die Rechtmäßigkeit der Anrufung staatlicher Gerichte im vorliegenden Fall, in dem sich die Parteien gerade vertraglich dazu verpflichtet hatten, nur vor dem Schiedsgericht zu klagen, hat der BGH aber bisher nicht beurteilt. Viel spricht dafür, dass dieser Umstand eine Differenzierung der BGH-Rechtsprechung rechtfertigt. Im Schrifttum ist das aber umstritten: Ein Teil des Schrifttums lehnt eine Übertragung der BGH-Rechtsprechung ab und hält die Anrufung staatlicher Gerichte unter Missachtung einer Schiedsabrede für rechtswidrig.26 Die Parteien hätten mit Abschluss der Schiedsabrede auf das Recht auf Zugang zu den staatlichen Gerichten verzichtet. Zudem werde das Recht auf effizienten und nicht mit zu hohem Risiko belasteten Rechtsschutz nicht infrage gestellt, wenn die Klage vor staatlichen Gerichten einen Schadensersatzanspruch auslöst. Schließlich stünde den Parteien mit der Klage vor dem gewählten Spruchkörper ein Weg offen, Gewissheit über das zuständige Forum zu erlangen, ohne sich dem Risiko einer Schadensersatzhaftung auszusetzen. Die wohl überwiegende Ansicht im Schrifttum bejaht dagegen die Übertragbarkeit der BGH‑Rechtsprechung und lässt den Schadensersatzanspruch am Merkmal der Rechtswidrigkeit scheitern. Die Parteien hätten ein legitimes Interesse, bei Zweifeln an der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabre23
BGHZ 20, 169, 172; BGHZ 36, 18, 20 f.; BGHZ 74, 9, 15; BGHZ 95, 10, 17 f.; BGH, NJW 1992, 2014, 2015 f.; BGH, NJW 2003, 1934, 1935; BGH, NJW‑RR 2005, 315; BGH, NJW 2008, 1147; BGH, NJW 2009, 1262; BGH, NJW 2018, 3441, Rn. 17; vgl. für die Einleitung eines Verfahrens vor ausländischen Gerichten OLG Nürnberg, Urteil v. 10.3.1992 – 1 U 2754/91, RIW 1993, 142. 24 Vgl. hierzu BVerfGE 74, 257 (eine Schadensersatzverpflichtung, wenn in redlicher Absicht, aber erfolglos eine Strafanzeige erstattet wurde, ist verfassungswidrig). 25 BGH, NJW‑RR 2005, 315, 316. 26 Frohloff, Verletzung von Schiedsvereinbarungen, 2017, 115; für exklusive Gerichtsstandsabreden Antomo, Schadensersatz, 2017, 482 ff.; Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 440 ff.; Mankowski, IPRax 2009, 23, 26.
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de unmittelbar und ohne Belastung mit dem Risiko einer Schadensersatzhaftung vor staatlichen Gerichten zu klagen.27 Sehe das Prozessrecht eine solche Klagemöglichkeit vor – wie in Deutschland nach § 1032 Abs. 1 ZPO der Fall – könne es nicht rechtswidrig sein, sie wahrzunehmen. Das gelte auch dann, wenn sich hinterher herausstelle, dass die Schiedsabrede wirksam und anwendbar sei. Missbräuchlich und damit rechtswidrig sei die Anrufung staatlicher Gerichte nur, wenn keine vernünftigen Zweifel bestehen konnten, dass die Schiedsabrede wirksam und anwendbar ist.28 Bejaht man mit einem Teil des Schrifttums die Rechtswidrigkeit, stellt sich anschließend die Frage, welche Anforderungen an das Vertretenmüssen i. S. v. §§ 280 Abs. 1 S. 2, 276 Abs. 1 BGB zu stellen sind. Befürwortet wird, jeweils allerdings wenig überzeugend, den Haftungsmaßstab auf arglistiges Verhalten zu beschränken,29 eine Ausnahme von der Vermutungsregel in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu machen30 oder die rechtswidrige Pflichtverletzung nur bei Personen mit engem Bezug zur deutschen Rechtsordnung als vorhersehbar und vermeidbar zu beurteilen.31 Die Befürworter einer Schadensersatzhaftung stellen sodann im Rahmen des Differenzvergleichs nach §§ 249 ff. BGB darauf ab, wie die schiedszugewandte Partei stünde, hätte der Gerichtskläger sich an die Schiedsabrede gehalten und den Rechtsstreit nur durch das Schiedsgericht entscheiden lassen.32 Habe das staatliche Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Klage abgewiesen oder ausgesetzt, kämen als Schadensposten in erster Linie die Kosten der schiedszugewandten Partei für ihre anwaltliche Vertretung im abredewidrigen Parallelverfahren und die eigene Anreise in Betracht; gegebenenfalls müssten Kosten, die das abredewidrig angerufene staatliche Gericht der schiedszugewandten Partei zugesprochen hat, in Abzug gebracht werden. Habe das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Sache entschieden, komme außerdem der Ersatz solcher Zahlungen in Betracht, die die schiedszugewandte Partei aufgrund von Entscheidungen des staatlichen Parallelgerichts (in der Hauptsache oder zu den Kosten) an den Gerichtskläger 27 Köster, Haftung wegen Forum-Shopping, 2001, 90–94; Sandrock, RIW 2004, 809, 815 f.; Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 718; Eichel, AGB‑Gerichtsstandsklauseln, 2007, 225. 28 Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 718; Sandrock, RIW 2004, 809, 815 f. (wenn die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung nach dem Recht am Sitz des Schiedsgerichts außer Zweifel stand). 29 Sandrock, IDR 2004, 106, 111; von Bodungen/Pörnbacher, in: von Bodungen/Eberl/ Geimer, 2008, S. 149 f. 30 Antomo, Schadensersatz, 2017, 486 f. 31 Köster, Haftung wegen Forum-Shopping, 2001, 95 f.; Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 443; Grunwald, Forum Shopping, 2008, 171 f. 32 Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 720; Frohloff, Verletzung von Schiedsvereinbarungen, 2017, 125; Antomo, Schadensersatz, 2017, 506 ff.; Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 215.
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leisten musste; hierfür müsse die schiedszugewandte Partei allerdings darlegen und beweisen, dass das Schiedsgericht für sie günstiger als das staatliche Gericht entschieden hätte. Zusammenfassend ist jedoch festzuhalten, dass im deutschen Recht vertraglicher Schadensersatz wegen Missachtung der Schiedsabrede durch Klage vor staatlichen Gerichten nicht etabliert ist. Deutsche Gerichte haben bisher noch nicht über einen solchen Schadensersatzanspruch entschieden. Das Schrifttum ist geteilter Meinung, steht einer Haftung wegen Anrufung staatlicher Gerichte aber überwiegend kritisch gegenüber.
3. Frankreich Seit Oktober 2016 regelt französisches Recht vertraglichen Schadensersatz in Art. 1231 ff. CC. Die Generalklausel des Art. 1231-1 CC sieht vor, dass der Schuldner zur Zahlung von Schadensersatz und Zinsen unter anderem dann verpflichtet ist, wenn er seine vertraglichen Pflichten nicht erfüllt, es sei denn, dass er durch höhere Gewalt (force majeure) daran gehindert wurde.33 Französische Gerichte haben sich – soweit ersichtlich – bisher nicht mit der Frage beschäftigt, ob Schadensersatz nach Art. 1231-1 CC verlangt werden kann, wenn eine Partei unter Missachtung einer Schiedsabrede vor staatlichen Gerichten geklagt hat.34 Höchstrichterlich entschieden dürfte lediglich sein, dass die Schiedsabrede eine vertragliche Verpflichtung enthält, von ihr erfasste Rechtsstreitigkeiten nur vor dem Schiedsgericht auszutragen.35 Das französische Schrifttum lehnt Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede durch Anrufung staatlicher Gerichte ab. Einvernehmlich verweisen die Autoren auf praktische und rechtliche Schwierigkeiten bei der Schadensberechnung.36 Denn diese verlange den unmöglichen und außerdem unangemessenen Vergleich zwischen der Sachentscheidung des Schiedsrichters 33 Art. 1231-1 CC: „Le débiteur est condamné, s’il y a lieu, au paiement de dommages et intérêts soit à raison de l’inexécution de l’obligation, soit à raison du retard dans l’exécution, s’il ne justifie pas que l’exécution a été empêchée par la force majeure.“ 34 Vgl. lediglich ICC 9593, Final Award Dezember 1998, ICC ICArb. Bull. 10/2 (1999), 107 (ein Schiedsgericht mit Sitz in Paris gibt einem Antrag auf Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede statt, allerdings ohne sich auf das Recht eines bestimmten Staates – insbesondere nicht das Frankreichs – zu beziehen). 35 Vgl. Cass. 1ère civ., 14.10.2009, Nr. 08-16.369 08-16.549, JDI 2010, 146 – In Zone Brands (Kassationsgerichtshof erklärt eine anti-suit injunction eines US‑Gerichts zur Durchsetzung einer exklusiven Gerichtsstandsabrede für vollstreckbar, mit der einer Partei die Prozessführung vor dem Handelsgericht Nanterre untersagt wurde. Die Anerkennung des Prozessführungsverbots widerspreche insbesondere nicht dem ordre public international. Denn es diene allein dazu, die vertragliche Pflicht durchzusetzen, hinsichtlich eines bestimmten Rechtsstreits nur das vereinbarte Gericht anzurufen.). 36 Seraglini/Ortscheidt, Droit de l’arbitrage interne et international, 2013, Rn. 157; Racine, Droit de l’arbitrage, 2016, Rn. 284; Fouchard/Gaillard/Goldman, Traité d l’arbitrage commercial international, 1996, 398.
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und des staatlichen Gerichts.37 Zudem habe die Schiedsabrede einen verfahrensrechtlichen Gegenstand, der prozessual durchgesetzt werden könne und müsse.38 Hervorgehoben werden in diesem Zusammenhang auch die Vorzüge des französischen Grundsatzes der negativen Kompetenz-Kompetenz und die Möglichkeit, das Schiedsverfahren auch dann durchzuführen, wenn eine Partei ihre Mitwirkung verweigert: Während nämlich Schadensersatz allenfalls finanziell kompensiere, könne die Schiedsabrede über die besagten prozessualen Mechanismen in natura durchgesetzt werden.39
II. Zuständigkeit und anwendbares Recht Zuständig, um über einen Antrag auf Schadensersatz wegen Verletzung einer Schiedsabrede zu entscheiden, ist regelmäßig das Schiedsgericht:40 Anführen lässt sich zunächst der Wortlaut der Schiedsabrede. Internationale Verträge sehen nämlich typischerweise vor, dass „alle Streitigkeiten aus und im Zusammenhang“ mit einem bestimmten Hauptvertrag durch ein Schiedsgericht unter Ausschluss der staatlichen Gerichte zu entscheiden sind.41 Nach der doctrine of separability sind Schiedsabreden zwar rechtlich autonom vom Hauptvertrag, auch wenn sie als Klausel in ihm enthalten sind;42 die Geltendmachung von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede ist daher genau genom37 Fouchard/Gaillard/Goldman, Traité d l’arbitrage commercial international, 1996, 398 („Dès lors que les juges étatiques d’un Ètats quelceoncque ont retenu leur compétence pour trancher le fond du litige, toute appréciation du préjudice en termes de réparation par équivalent passerait par une impossible – et indécente – comparaison – entre les mérites respectifs de la justice arbitrale er de la justice étatique.“). 38 Racine, Droit de l’arbitrage, 2016, Rn. 284. 39 Racine, Droit de l’arbitrage, 2016, Rn. 284; Seraglini/Ortscheidt, Droit de l’arbitrage interne et international, 2013, Rn. 157. 40 Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 720, 722; Andrews, Eur. B. L. Rev. 25 (2014), 587, 600; Schwab/Walter, 2005, Kap. 43, Rn. 1 ff.; Manner/Mosimann, in: FS Schwenzer, 2011, S. 1202; Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Co Ltd (No 2) [1983] 1 WLR 1026 (EWCA). Vgl. auch West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 100 f.; ICC 5946, Final Award 1990, Yb. Com. Arb. 1991, 97; SCAI, Second Partial and Interim Award 3.8.2006, wie referiert in Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 11.2.2010, 4A_444/2009, abrufbar unter , ICC, Final Award 25.2.2013, wie referiert in Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 30.9.2013, 4A_232/2013, abrufbar unter ; vgl. auch die Parallele zu Schadensersatz wegen Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsabrede Antomo, Schadensersatz, 2017, 365 f.; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 435; Reithmann/Martiny/Hausmann, 2015, Rn. 8.159; Köster, Haftung wegen Forum-Shopping, 2001, 136; Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, 1989, 110; Mankowski, IPRax 2009, 23, 34; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 245 (exklusive Zuständigkeit bei hinreichend weiter Formulierung der Gerichtsstandsabrede); Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 468. 41 Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 713. 42 BGH, NJW 2014, 3655, Rn. 21; ausführlich Fouchard, Gaillard, Goldman, International Commercial Arbitration, 1999, Rn. 389-419.
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men keine Streitigkeit aus dem Hauptvertrag; sie steht aber jedenfalls im Zusammenhang mit ihm. Für die Zuständigkeit des Schiedsgerichts spricht außerdem der mutmaßliche Parteiwille.43 Ein häufiger Grund für den Abschluss einer Schiedsabrede ist nämlich die Vertraulichkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens. Es wäre sinnwidrig, müssten die Parteien eine Verletzung dieser Vertraulichkeit in einem öffentlichen Verfahren vor staatlichen Gerichten geltend machen, zumal es gerade die Klageerhebung vor staatlichen Gerichten ist, die gerügt wird. Prinzipiell vorstellbar sind aber auch Entscheidungen staatlicher Gerichte über Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer Schiedsabrede.44 Zu denken ist insbesondere an einen negativen Feststellungsantrag, mit dem der Gerichtskläger die Feststellung begehrt, dass der schiedszugewandten Partei ein entsprechender Schadensersatzanspruch nicht zusteht; da aus Sicht des Gerichtsklägers die Schiedsabrede unwirksam bzw. nicht anwendbar ist, bestünde insofern keine Schiedsbindung. Zudem wird für die Verletzung ausschließlicher Gerichtsstandsabreden diskutiert, ob die abredewidrig verklagte Partei einen daraus resultierenden Schadensersatzanspruch durch Widerklage vor dem derogierten Gericht geltend machen kann.45 An dieser Stelle46 soll jedoch die Erkenntnis genügen: Die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte beurteilt sich in solchen Fällen nach einzelstaatlichem Recht, nicht nach der Brüssel Ia-VO. Denn der Anspruch ist auf die (sekundäre) Durchsetzung der Schiedsabrede gerichtet und betrifft die Abgrenzung der Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Gerichtsbarkeit.47 Das ist ein Gegenstand, der durch die einzelstaatlichen Schiedsverfahrensgesetze geregelt und von der Bereichsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO erfasst wird. ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO, wonach die Verordnung nicht für Klagen im Zusammenhang mit der Durchführung eines Schiedsverfahrens gelten soll, bestätigt dies. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts ist umstritten: In den untersuchten Rechtsordnungen ist ein vertraglicher Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede materiellrechtlich zu qualifizieren.48 Abzugrenzen ist er vom prozessualen Kostenerstattungsanspruch. Dieser findet seine Grund43 44
Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 722. Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 5 C. 45 Vgl. insbesondere Gebauer, in: FS Kaissis, 2012, S. 283 (Widerklagezuständigkeit des abredewidrig angerufenen Spruchkörpers); Antomo, Schadensersatz, 2017, 368. 46 Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 5 C. 47 Vgl. Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 241 („Auch wenn vordergründig eine Vertragsverletzung bzw. ein deliktisches Handeln in Streit steht, so geht es doch in der Sache um die Verletzung der Schiedsvereinbarung. Diese Verbindung mit der Schiedsgerichtsbarkeit prägt das Verfahren, sodass dieses grundsätzlich von Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO erfasst wird“). 48 Vgl. hierzu ausführlich bei Verletzung exklusiver Gerichtsstandsabreden Antomo, Schadensersatz, 2017, 382 f.; Pfeiffer, in: Liber amicorum Lindacher, 2007, S. 81; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 444.
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lage in Bestimmungen des Verfahrensrechts und hat lediglich die Verteilung der Kosten des Rechtstreits – in den untersuchten Rechtsordnungen vorwiegend nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens – zum Gegenstand. Demgegenüber beurteilt sich der hier untersuchte Anspruch – auch insoweit er Kosten des Rechtsstreits betrifft – nach der Parteivereinbarung und den Bestimmungen des materiellen Zivilrechts. Seine Rechtsfolge zielt auch nicht lediglich auf die Verteilung der Kosten des Rechtsstreits, sondern soll die Vermögenslage der schiedszugewandten Partei herstellen, die bestehen würde, hätte sich der Gerichtskläger an die Schiedsabrede gehalten. Maßgeblich ist damit die lex causae. In Betracht kommt insofern insbesondere das auf den Hauptvertrag oder die Schiedsabrede anwendbare Sachrecht. Für Letzteres spricht, zumal unter dem Gesichtspunkt der doctrine of separability, dass der Schadensersatzanspruch aus einer Verletzung der Schiedsabrede resultiert, nicht aus einer Verletzung des Hauptvertrags.49 Beachtlich ist außerdem, dass sich die lex causae der Schiedsabrede – anders als die des Hauptvertrags – mangels abweichender Abrede nach dem Sitz des Schiedsgerichts bestimmt.50 Geht man nämlich davon aus, dass die Durchsetzbarkeit der Schiedsabrede ein (mit)bestimmendes Motiv bei der Wahl des Schiedssitzes darstellt, und berücksichtigt man, dass mit dem Schadensersatzanspruch die (sekundäre) Durchsetzung der Schiedsabrede begehrt wird, entspricht die Anwendung der lex causae der Schiedsabrede auch dem mutmaßlichen Parteiwillen.
III. Bestandsaufnahme zur Vereinbarkeit einer Schadensersatzhaftung wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung mit dem Brüssel-System Zur Frage, ob die Schadensersatzhaftung wegen Verletzung einer Zuständigkeitsabrede mit dem Brüssel-System vereinbar ist, existiert ein beachtliches Meinungsspektrum. Im Folgenden soll dieses vorab – das heißt vor dem Einstieg in den eigenen Lösungsweg – überblicksmäßig skizziert werden.
1. Rechtsprechung Europäische Gerichte waren bisher in sechs Rechtsstreitigkeiten mit Sachverhalten befasst, in denen sich im weiteren Sinne die Frage stellte, ob eine Schadensersatzhaftung wegen der Verletzung einer Zuständigkeitsabrede durch eine Klage im forum derogatum mit dem Brüssel- bzw. Lugano-System vereinbar ist.
49 Fierens/Volders, Rev. Bras. Arb. 9 (2012), 92, 96 f.; Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 722; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 140. 50 Str., vgl. ausführlich MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1029 ZPO, Rn. 27 ff.
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In zwei Entscheidungen äußerten sich englische Gerichte dazu, ob einem Zuspruch von Schadensersatz für Zahlungen, die die abredekonform handelnde Partei aufgrund eines abredewidrig erwirkten Urteils leisten musste, die Pflicht nach dem Brüssel-System entgegensteht, eben dieses Urteil anzuerkennen. Lord Hobhouse – seinerzeit Hobhouse J – sprach sich in einer Abwandlung von The Atlantic Emperor (No 2)51 dafür aus, Burton J in CMA v Hyundai52 dagegen.53 Die übrigen vier Entscheidungen betreffen den Fall, dass die abredekonform handelnde Partei bereits vor Abschluss des abredewidrigen Parallelverfahrens Schadensersatz wegen Verletzung der Zuständigkeitsabrede begehrt. Dabei macht die abredekonform handelnde Partei jedenfalls die ihr im abredewidrigen Verfahren bisher entstandenen Kosten geltend. Gegebenenfalls tritt ein Antrag auf Feststellung hinzu, dass die abredewidrig handelnde Partei sie auch von allen künftigen Schäden durch das abredewidrige Verfahren schadlos zu halten hat. In einer Fortsetzung der West Tankers-Saga war der englische High Court im Jahr 2012 damit befasst, ob das West Tankers-Urteil des EuGH bzw. das Verbot mitgliedstaatlicher anti-suit injunctions der Zuständigkeit eines Londoner Schiedsgerichts zur Entscheidung über einen derartigen Schadensersatzanspruch entgegensteht.54 Das Gericht verneinte das, insbesondere weil Schiedsgerichte – anders als mitgliedstaatliche Gerichte – nicht an die Brüssel I‑VO und den zugrunde liegenden Vertrauensgrundsatz gebunden seien.55 Das Schweizer Bundesgericht hatte im Jahr 2013 über einen Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs zu entscheiden, mit dem der Gerichtskläger zum Ersatz aller bisherigen und künftigen Schäden verurteilt worden war, die aus der Anrufung griechischer Gerichte resultierten.56 Die Frage der Vereinbarkeit des schiedsrichterlichen Schadensersatz-Zuspruchs mit dem LugÜ, insbesondere die Übertragbarkeit der West Tankers-Entscheidung57 des EuGH, hätte sich stellen können, wurde de facto aber weder von den Parteien noch vom Schweizer Bundesgericht aufgeworfen, geschweige denn in der Entscheidungsbegründung diskutiert.
51 Marc Rich and Co. AG v Società Italiana Impianti PA (The „Atlantic Emperor“) (No 2) (EWHC), 11.11.1991, unveröffentlicht, zitiert nach The Angelic Grace [1994] 1 Lloyd’s Rep. 168, 179 f. (EWHC); vgl. auch The Angelic Grace [1995] 1 Lloyd’s Rep 87, 95 (EWCA). 52 CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791. 53 Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 5 B.I.2.a)bb)(2)(a)–(c). 54 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; vgl. für den Ausgangssachverhalt und die EuGH‑Entscheidung ausführlich oben Teil 2 A.I.1.–2. 55 Vgl. ausführlich zur Begründung unten Teil 5 B.II.2.c)aa). 56 Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 30.9.2013, 4A_232/2013, abrufbar unter . 57 Vgl. für den Ausgangssachverhalt und EuGH- Entscheidung ausführlich oben Teil 2 A.I.1.–2.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
In der Rechtssache The Alexandros T waren englische Gerichte mit einem Schadensersatzbegehren befasst, das die Verletzung einer exklusiven Gerichtsstandsabrede zugunsten englischer Gerichte durch die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens vor griechischen Gerichten zum Gegenstand hatte. Dabei machte die abredekonform handelnde Partei die Kosten geltend, die ihr bisher im griechischen Verfahren entstanden waren. Anders als der vorinstanzlich befasste Court of Appeal entschied der Supreme Court, dass die lis pendensBestimmungen der Art. 27 ff. Brüssel I‑VO – trotz des laufenden Hauptsacheverfahrens vor griechischen Gerichten – keine Aussetzung der Schadensersatzklage vor englischen Gerichten wegen abredewidriger Anrufung griechischer Gerichte geböten.58 Art. 27 Abs. 1 Brüssel I‑VO sei nicht einschlägig, da die Schadensersatzklage vor englischen Gerichten einen anderen Streitgegenstand betreffe. Gleiches gelte letztlich auch für Art. 28 Abs. 1 Brüssel I‑VO. Denn englische Gerichte seien sachnäher, um die Verletzung einer Gerichtsstandsabrede zugunsten englischer Gerichte zu beurteilen. Der sodann wiederbefasste Court of Appeal sprach im Jahr 2014 den begehrten Schadensersatz i. H. d. bisher im griechischen Hauptsacheverfahren entstandenen Kosten zu.59 Den auf die Turner-Entscheidung des EuGH60 gestützten Einwand der Gegenseite, der Zuspruch von Schadensersatz beeinträchtige die Befugnis griechischer Gerichte, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit und gegebenenfalls in der Sache zu entscheiden, wies der Court of Appeal als deplatziert (misplaced) zurück.61 Die Zuerkennung von Schadensersatz wegen Verletzung einer Gerichtsstandsabrede sei mit dem Erlass einer anti-suit injunction nicht vergleichbar.62 In Nori Holdings v Bank Otkritie war der englische High Court an sich nur mit einem Antrag auf Erlass einer anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsabrede zugunsten eines Londoner Schiedsgerichts befasst, die auf ein Verbot der Fortsetzung eines Verfahrens vor zypriotischen Gerichten gerichtet sein sollte.63 Diesen Antrag der Schiedskläger lehnte das Gericht unter Verweis auf das West Tankers-Urteil des EuGH ab.64 Das Gericht verwies sie jedoch zugleich auf die Möglichkeit, vor dem Schiedsgericht die Feststellung erwirken zu können, dass der Gerichtskläger sie von allen Schäden im Zusammenhang mit dem zypriotischen Gerichtsverfahren schadlos zu halten habe.65 Das betreffe nicht nur die Kosten, sondern auch eine etwaige Haftung der Schiedskläger, der sie durch künftige Entscheidungen in dem zypriotischen Verfahren ausgesetzt 58 59
In the matter of The „Alexandros T“[2013] UKSC 70, Rn. 28 ff., 56. In the matter of The „Alexandros T“ [2014] EWCA Civ 1010. 60 EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, – Turner. 61 In the matter of The „Alexandros T“ [2014] EWCA Civ 1010, Rn. 15. 62 Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 5 B.II.2.c)aa). 63 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343. 64 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 69-99. 65 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 101.
A. Grundlagen
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würden. Das Gazprom-Urteil des EuGH lasse keine Zweifel daran, dass der Erlass eines solchen Schiedsspruchs und seine Vollstreckung durch mitgliedstaatliche Gerichte mit dem Brüssel-System vereinbar seien.66
2. Schrifttum Ein Teil der Literatur hält einen Zuspruch von Schadensersatz, der (mittelbar) an die Anrufung mitgliedstaatlicher Gerichte nach der Verordnung anknüpft, generell für unvereinbar mit dem Brüssel-System.67 Ob die Verletzung einer Gerichtsstands- oder Schiedsabrede gerügt wird, spielt nach dieser Ansicht keine Rolle. Als Begründung wird insbesondere angeführt, dass sich die EuGH‑Entscheidungen in Sachen Turner und West Tankers auf diese Konstellation übertragen ließen. Andere Stimmen halten dagegen den Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung einer Zuständigkeitsabrede für uneingeschränkt mit dem Brüssel-System vereinbar.68 Mit dem Erlass einer anti-suit injunction, wie er der EuGH‑Rechtsprechung in Turner und West Tankers zugrunde lag, sei der Zuspruch von Schadensersatz nicht vergleichbar. Illmer differenziert danach, ob der Schadensersatz durch ein mitgliedstaatliches Gericht oder ein Schiedsgericht zugesprochen wird.69 Im ersten Fall stehe das West Tankers-Verbot des EuGH entgegen, im zweiten hingegen nicht. Denn Schiedsgerichte seien als private Spruchkörper weder an die Verordnung noch an den zugrunde liegenden Vertrauensgrundsatz gebunden.70 Im Hinblick auf schiedsrichterlichen Schadensersatz unterscheidet Bollé weiter zwischen den Ebenen der Zuerkennung von Schadensersatz durch das Schiedsgericht und ihrer Durchsetzung mithilfe mitgliedstaatlicher Gerichte.71 66
Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 102. Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1, Rn. 144; Hartley, ICLQ 63/4 (2014), 843, 862 f. (unklar, ob nur für den Fall des prophylaktischen Schadensersatzzuspruchs); Hess, JZ 2014, 538, 542 (unklar, ob nur für den Fall des prophylaktischen Schadensersatzzuspruchs); vgl. zu exklusiven Gerichtsstandsabreden insbesondere Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 863; Mankowski, IPRax 2009, 23, 29 f.; Pfeiffer, in: Liber amicorum Lindacher, 2007, S. 82 f.; Fentiman, in: de Vareilles-Sommières, 2007, S. 43 ff.; Steinbrück, C. J. Q. 2007, 358, 373. 68 Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 721 f.; Fierens/Volders, Rev. Bras. Arb. 9 (2012), 92, 99; Santomauro, J. Priv. Int. L. 2010, 281, 311; GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Fn. 87 – Gazprom; vgl. zu exklusiven Gerichtsstandsabreden insbesondere Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 5.56 f. (differenzierend noch Briggs, Agreements, 2008, Rn. 8.63–8.76). 69 Dickinson/Lein/Illmer, 2015, Rn. 2.70; so im Ergebnis auch Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 242–252, 259 (der allerdings für den Fall, dass das Parallelgericht die Parallelklage in der Hauptsache bereits mangels Zuständigkeit abgewiesen hat, den Schadensersatzzuspruch auch durch mitgliedstaatliche Gerichte für mit der Brüssel Ia-VO vereinbar hält). 70 So auch Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 721. 71 Bollée, Rev. arb. 2012, 838. 67
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Das zuerkennende Schiedsgericht sei an die Verordnung und den zugrunde liegenden Vertrauensgrundsatz nicht gebunden; das mit der Durchsetzung befasste Vollstreckungsgericht hingegen schon. Auf dieser zweiten Ebene lasse sich die West Tankers-Rechtsprechung des Gerichtshofs daher übertragen, sodass das Vollstreckungsgericht dem Schadensersatz-Schiedsspruch die Vollstreckbarerklärung versagen müsse. Auf Ebene der Durchsetzung des Schadensersatz-Schiedsspruchs differenzieren Peiffer & Peiffer ferner danach, in welchem Mitgliedstaat die Vollstreckbarerklärung begehrt wird und mit welchem Ergebnis das staatliche Parallelgericht die Hauptsache entschieden hat.72 Der Durchsetzung des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Gerichtsstaat stehe die Brüssel Ia-VO angesichts der Gazprom-Entscheidung des Gerichtshofs73 nicht entgegen. Demgegenüber sei für die Durchsetzung in anderen Mitgliedstaaten zu unterscheiden: Habe das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen, die eigene Zuständigkeit bestätigt und in der Sache entschieden, stehe die Brüssel Ia-VO der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs entgegen. Denn in diesem Fall liege in der Durchsetzung des Schadensersatz-Schiedsspruchs eine Maßregelung der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats, die mit dem unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz unvereinbar sei. Habe das staatliche Parallelgericht die Schiedsvereinbarung dagegen als wirksam anerkannt und die Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen, sei die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit den Grundsätzen der Brüssel Ia-VO vereinbar; denn in diesem Fall werde die Zuständigkeitsentscheidung des abredewidrig angerufenen Gerichts durch die Anerkennung des Schadensersatz-Schiedsspruchs nicht infrage gestellt, sondern bestätigt. Wenn das abredewidrig angerufene Parallelgericht die Zuständigkeitsvereinbarung zurückgewiesen und in der Sache zulasten des Schadensersatzklägers entschieden hat, differenziert Antomo – die sich mit der Parallelproblematik bei exklusiven Gerichtsstandsabreden befasst – darüber hinaus nach Schadensposten.74 Zu unterscheiden sei die Ersatzfähigkeit von „materiellem“ und „prozessualem“ Schaden. Der materielle Schaden erfasse jede für den Schadensersatzkläger nachteilige Abweichung des abredewidrig erwirkten Urteils vom hypothetischen Urteil des prorogierten Gerichts. Prozessualer Schaden meine dagegen alle Kosten des abredewidrigen Verfahrens, die der Schadensersatzkläger zu tragen habe, einschließlich derjenigen, die er der anderen Partei aufgrund einer Kostenentscheidung des Parallelgerichts erstatten musste. Der materielle Schaden sei nicht ersatzfähig, weil andernfalls die nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennende Sachentscheidung des Parallelgerichts umge72 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 147 ff. 73 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.I. 74 Vgl. Antomo, Schadensersatz, 2017, 522.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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kehrt würde.75 Dagegen stünden der Ersatzfähigkeit des prozessualen Schadens Vorschriften und Wertungen der Verordnung nicht entgegen.76 Insbesondere könne seit der Reform der Verordnung nicht mehr argumentiert werden, der Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung einer Zuständigkeitsvereinbarung sei mit einem unzulässigen Werturteil über die Entscheidung des Parallelgerichts über die eigene Zuständigkeit verbunden. Denn mit der Einführung von Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO sei nicht nur das ehemals strikte Prioritätsprinzip, sondern auch der Vertrauensgrundsatz durchbrochen worden. Aus dieser Regelung ergebe sich, dass das gewählte Gericht über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und damit auch mittelbar über die Unzuständigkeit der Gerichte anderer Mitgliedstaaten entscheiden dürfe. Dann könne es aber auch nicht verboten sein, wenn das gewählte Gericht im Rahmen eines Schadensersatzverfahrens die Zuständigkeit eines abredewidrig angerufenen Parallelgerichts beurteile.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz Wenden wir uns der Entwicklung eines eigenen Lösungswegs und hier zunächst der Frage zu, ob schiedsrichterlicher Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede mit der Brüssel Ia-VO vereinbar ist. Unterschieden werden der 75 Antomo, Schadensersatz, 2017, 633 ff.; vgl. auch Merrett, ICLQ 55 (2006), 315, 334 („If the English court were to award X damages of 5,000 euros for breach of the exclusive jurisdiction clause on the basis that it would have reached the opposite view on the merits, it is difficult to imagine that the ECJ would accept that the English court had complied with its obligation to recognise and enforce the French judgment“) und 335 („Any claim based on a judgment given in the non-contractual state would seem to undermine the principle that such a judgment is enforceable under the Brussels Regulation.“); Schlosser, in: FS Lindacher, 2007, S. 111, 120 (wenn das vereinbarungswidrig angerufene Gericht zugunsten der abredewidrigen Partei ein Urteil erlassen habe, das im Inland anzuerkennen sei, könne wegen Erstreitung eines solchen Urteils im Inland „natürlich“ kein Schadensersatz begehrt werden); Briggs, Agreements, 2008, Rn. 8.70 f. (jetzt aber uneingeschränkt für die Vereinbarkeit Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 5.56 f.); Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 482 f. 76 Antomo, Schadensersatz, 2017, 632 ff.; vgl. hierzu auch Reithmann/Martiny/Hausmann, 2015, Rn. 8.158 („Jedenfalls die Brüssel IaVO dürfte einer Zuerkennung von Schadensersatz durch das prorogierte Gericht, dem nach Art. 31 Abs. 2 dieser Verordnung nunmehr die Kompetenz-Kompetenz zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung eingeräumt worden ist, bei entsprechend weiter Fassung der Vereinbarung nicht mehr entgegenstehen.“); Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 249 („Mit Art 31 Abs 2, 3 ist ein Wechsel in der Litispendenz vom reinen zeitlichen Vorrang der früher erhobenen Klage hin zu einem Vorrang der Klage vor dem prima facie prorogierten Gericht eingetreten. Ausurteilen von Schadensersatz ist ein nachlaufender Rechtsbehelf, ein ex post remedy, und kann deshalb warten, bis über den in Art 31 Abs 2 vorgesehenen Mechanismus und eine Entscheidung des prima facie prorogierten Gerichts feststeht, ob die Gerichtsstandsvereinbarung wirksam ist oder nicht.“).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Zuspruch von Schadensersatz durch das Schiedsgericht (I.) und seine Durchsetzung mithilfe mitgliedstaatlicher Gerichte (II.).
I. Zuerkennung 1. Keine unmittelbare Einwirkung des Brüssel-Systems Nach der West Tankers-Entscheidung des EuGH77 übertrug die überwiegende Ansicht im Schrifttum das Verbot mitgliedstaatlicher anti-suit injunctions auf den schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede.78 Auch ein Schiedsgericht dürfe die Befugnis des staatlichen Parallelgerichts nicht beeinträchtigen, nach der Brüssel Ia-VO über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Seit der Gazprom-Entscheidung des EuGH ist diese Ansicht jedoch überholt.79 Denn daraus ergibt sich, dass Schiedsgerichte als private Spruchkörper an die Brüssel Ia-VO nicht gebunden sind. Unmittelbar kann sie dem schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede daher nicht entgegenstehen. Insbesondere kann sie dem Schiedsgericht nicht verbieten, die Zuständigkeit(-sentscheidung) des staatlichen Parallelgerichts infrage zu stellen.80
2. Mittelbare Einwirkung des Brüssel-Systems über die gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckte res iudicata-Wirkung des staatlichen Parallelurteils Fraglich ist aber, ob sich aus dem Brüssel-System – wie im Schrifttum seit der Gazprom-Entscheidung des EuGH postuliert – tatsächlich keinerlei Beschränkung des Schiedsgerichts bei der Entscheidung über den Schadensersatzanspruch ergeben kann.81 Jedenfalls vorstellbar ist nämlich eine mittelbare Einwirkung des Brüssel-Systems über eine im Schiedsverfahren nach einzelstaatlichem Recht beachtliche, gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckte res iudicata-Wirkung des staatlichen Parallelurteils. An die materielle Rechtskraft von Gerichtsurteilen sind Schiedsgerichte in den untersuchten Rechtsordnungen nämlich prinzipiell ebenso wie staatliche Gerichte gebunden.82 Betrachtet werden im Folgenden drei Grundkonstellationen: Im ersten Fall hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewie77
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.I. So z. B. Hartley, ICLQ 2014, 843, 862 f.; Ortolani, in: Cadiet/Hess/Requejo Isidro, 2015, S. 154. 79 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.I. 80 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 144. 81 So Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 144; Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 721. 82 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 A.II. 78
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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sen, die eigene Zuständigkeit bestätigt und in der Hauptsache entschieden (a)). Im zweiten Fall hat das staatliche Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen (b)). Im dritten Fall läuft das staatliche Parallelverfahren zur Zeit der Entscheidung des Schiedsgerichts über den Schadensersatzanspruch noch (c))
a) Fall 1: Parallelgericht hat die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden Hat das Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden, ist weiter danach zu differenzieren, ob vor dem staatlichen Parallelurteil in der Hauptsache ein Schiedsspruch ergangen ist.
aa) In der Hauptsache ist vor dem staatlichen Parallelurteil ein Schiedsspruch ergangen Wenn in der Hauptsache zuerst ein Schiedsspruch ergangen ist, kann dem staatlichen Parallelurteil im Schiedsstaat wegen Unvereinbarkeit mit dem Schiedsspruch gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen sein.83 Das Parallelurteil entfaltet in diesem Szenario im Schiedsstaat keine Wirkung, die der schiedsrichterlichen Zuerkennung von Schadensersatz entgegenstehen könnte. Das setzt allerdings voraus, dass nach dem im Schiedsstaat auf die materielle Rechtskraft des Schiedsspruchs anwendbaren Recht die Rechtskraft von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen gleichrangig ausgestaltet ist, wie dies etwa im deutschen, englischen und französischen Recht der Fall ist. Außerdem muss der Schiedsspruch der Letztentscheidungskompetenz der Gerichte des Schiedsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede standhalten. Andernfalls beurteilt sich die Konstellation, als wäre in der Hauptsache kein Schiedsspruch vor dem staatlichen Parallelurteil ergangen.84
bb) In der Hauptsache ist vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen Ist in der Hauptsache (noch) kein Schiedsspruch bzw. nicht zuerst ergangen, so erstreckt sich die res iudicata-Wirkung des staatlichen Parallelurteils gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat.85 Die Missachtung der Schiedsvereinbarung durch das staatliche Parallelgericht86 und der Konflikt der
83 84
Vgl. zum Ganzen ausführlich oben Teil 4 C.II.1. Siehe dazu sogleich. 85 Vgl. zum Ganzen ausführlich oben Teil 4 A.I. und C.III.2. 86 Vgl. hierzu oben Teil 4 A.I.2.aa).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Anerkennung des Parallelurteils mit einem später ergangenen Schiedsspruch87 erfüllen keinen der in Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO abschließend aufgezählten Versagungsgründe. Fraglich ist dann, ob das Parallelurteil vorgreiflich ist für die Entscheidung des Schiedsgerichts über den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede.88 Legen wir der Untersuchung folgendes Beispiel zugrunde. Entgegen einer Schiedsabrede zugunsten eines Londoner Schiedsgerichts verklagt der Gerichtskläger die schiedszugewandte Partei vor einem deutschen Gericht auf Schadensersatz, weil sie im Rahmen eines Chartervertrags seine Mole beschädigt habe. Das deutsche Gericht weist die Schiedseinrede der schiedszugewandten Partei zurück, weil es die Schiedsabrede für unwirksam bzw. unanwendbar hält (1). In der Sache spricht es dem Gerichtskläger antragsgemäß Schadensersatz i. H. v. EUR 1.000 zu (2). Die Kostengrundentscheidung des deutschen Gerichts sieht vor, dass die schiedszugewandte Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Ihre eigenen Kosten für den Prozess vor dem deutschen Gericht betragen EUR 20. Darüber hinaus werden durch Beschluss des Rechtspflegers Kosten i. H. v. EUR 50 festgesetzt, welche die schiedszugewandte Partei dem Gerichtskläger zu erstatten hat (3). Um die drohende Zwangsvollstreckung abzuwenden, zahlt die schiedszugewandte Partei nach Maßgabe der deutschen Entscheidungen.89 Anschließend wendet sie sich an das Londoner Schiedsgericht und beantragt Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede. Dabei macht sie einen Schaden i. H. d. Beträge geltend, die sie aufgrund der deutschen Sachentscheidung (EUR 1.000) und des Kostenfeststellungsbeschlusses (EUR 50) an den Gerichtskläger zahlen musste. Außerdem verlangt sie Ersatz der Kosten, die ihr für die Verteidigung vor dem deutschen Gericht entstanden sind und die sie nach der deutschen Kostengrundentscheidung selbst zu tragen hat (EUR 20). Dabei argumentiert sie, dass bei Einhaltung der Schiedsabrede nur das Schiedsgericht mit dem Rechtsstreit befasst worden wäre. Dieses hätte ihre Haftung wegen Beschädigung der Mole verneint. Kosten für den Prozess vor deutschen Gerichten wären nicht angefallen. Steht die materielle Rechtskraft der deutschen Entscheidungen dem Schadensersatz-Zuspruch entgegen?
87
Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.2. Vgl. zur Beachtlichkeit der materiellen Rechtskraft von Gerichtsurteilen ausführlich oben Teil 4 A.II. 89 Antomo, Schadensersatz, 2017, 522 f. (sieht derartige Zahlungen als freiwillige Vermögenseinbußen an, die im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs nach § 280 Abs. 1 BGB nicht ersetzbar seien. Der Schaden materialisiere sich erst durch die Betreibung der Vollstreckung in das Vermögen des Schadensersatzklägers. Nach hier vertretener Ansicht kann von einer freiwilligen Zahlung allerdings keine Rede sein, wenn sie zur Abwendung der drohenden Zwangsvollstreckung erfolgt). 88
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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(1) Keine Bindung im Schiedsverfahren an die Zurückweisung der Schiedseinrede durch das Parallelgericht Zunächst stellt sich die Frage, wie es sich auswirkt, dass das deutsche Parallelgericht im Rahmen der Zurückweisung der Schiedseinrede bereits die Ungültigkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung festgestellt hat. Tatbestandlich setzt der vom Schiedskläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch voraus, dass der Gerichtskläger durch die Anrufung deutscher Gerichte seine Pflicht verletzt hat, von der Schiedsabrede erfasste Streitigkeiten nur vor dem Londoner Schiedsgericht auszutragen.90 Dafür muss die Schiedsvereinbarung wirksam und auf den Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung der Mole anwendbar sein. Insoweit wäre die Zurückweisung der Schiedseinrede durch das deutsche Gericht also präjudiziell. Das setzt allerdings voraus, dass sie in England anerkennungsfähig ist. Die Anerkennung der Zurückweisung der Schiedseinrede in England beurteilt sich nicht nach dem Brüssel-System (Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO), sondern nach einzelstaatlichem Recht, und zwar unabhängig davon, ob das deutsche Parallelgericht insoweit durch Zwischenurteil i. S. v. § 280 ZPO oder inzident mit der Hauptsache entschieden hat.91 Nach einzelstaatlichem Recht scheidet eine Anerkennung der Zurückweisung der Schiedseinrede durch das deutsche Parallelgericht aus. Denn aus englischer Sicht ist die Schiedsabrede wirksam und anwendbar. Damit erfolgte die Einleitung des Verfahrens vor dem deutschen Gericht unter Missachtung der Schiedsabrede, was den Versagungsgrund nach s. 32(1) Act 1982 erfüllt.92 Damit ist das Schiedsgericht bei seiner Entscheidung über den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede nicht an die Zurückweisung der Schiedseinrede durch das deutsche Parallelgericht gebunden.
(2) Bindung im Schiedsverfahren an die Entscheidung des Parallelgerichts in der Hauptsache Zu untersuchen ist sodann, wie sich die deutsche Hauptsache-Entscheidung auf die Entscheidung des Londoner Schiedsgerichts über den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede auswirkt. Die Anerkennung der deutschen Hauptsache-Entscheidung in England beurteilt sich nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, da sie eine Gerichtsentscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat darstellt, die dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt. Die Schiedsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO ist nicht einschlägig, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO.93 90 91
Vgl. hierzu oben Teil 5 A.I. Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.1.b) und 2.b)aa). 92 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.1.b)bb) und 2.b)bb). 93 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.1.b) und 2.b)aa).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Damit kommen der deutschen Hauptsache-Entscheidung in England die gleichen Wirkungen zu wie in Deutschland.94 Der Zulässigkeit des Schiedsverfahrens steht die materielle Rechtskraft der deutschen Hauptsache-Entscheidung nicht entgegen. Der Grundsatz ne bis in idem greift nicht, weil der Streitgegenstand der deutschen Hauptsache-Entscheidung (Schadensersatz wegen Beschädigung der Mole) nicht identisch ist mit dem des Schiedsverfahrens (Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede).95 Fraglich ist jedoch, ob die deutsche Hauptsache-Entscheidung vorgreiflich ist für die Entscheidung des Schiedsgerichts über die Ersatzfähigkeit der EUR 1.000, die der Schiedskläger aufgrund der deutschen Hauptsache-Entscheidung an den Gerichtskläger zahlen musste. Zunächst wird die Rechtsprechung englischer Gerichte (a) und der Meinungsstand im Schrifttum (b) aufgezeigt. Anschließend erfolgt eine Stellungnahme (c).
(a) Vorgreiflichkeit der staatlichen Hauptsache-Entscheidung für die Ersatzfähigkeit der Sachentscheidungsdifferenz: Die gespaltene Rechtsprechung englischer Gerichte In The Atlantic Emperor (No 2)96 beantragte Marc Rich vor dem englischen High Court den Erlass einer anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsabrede zugunsten eines Londoner Schiedsgerichts, mit der Impianti die Fortsetzung einer Klage vor italienischen Gerichten untersagt werden sollte. Die Klage vor italienischen Gerichten war auf die Feststellung gerichtet, dass Impianti gegenüber Marc Rich nicht aus einem bestimmten Kaufvertrag hafte. Lord Hobhouse (seinerzeit Hobhouse J) lehnte den Antrag ab, weil Marc Rich sich nach dem strengen englischen Maßstab auf das Verfahren vor italienischen Gerichten eingelassen hatte. Zuvor erklärte er allerdings noch, weshalb Schadensersatz 94 Vgl. EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645 – Hoffmann ./. Krieg; ausführlich Pfeiffer ZZP 127 (2014), 409, 427 f. 95 Vgl. In the matter of The „Alexandros T“ [2013] UKSC 70; Union Discount Co Ltd v Robert Zoller and others [2001] EWCA Civ 1755, Rn. 25 f.; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 251; Reithmann/Martiny/Hausmann, 2015, Rn. 8.158; Sánchez Fernández, Yb. Priv. Int. L 12 (2010), 377, 388; wohl auch Gebauer, in: FS Kaissis, 2012, S. 279 (wegen der Erstreitung eines Urteils, das nach der Brüssel I‑VO anzuerkennen ist, könne Schadensersatz nicht begehrt werden. Erklärt allerdings sogleich, dass wenn das Hauptsacheverfahren noch läuft, mit dem Schadensersatzverfahren „mindestens Konnexität“ i. S. v. Art. 28 Brüssel I‑VO bestehe); a. A. offenbar Köster, Haftung wegen Forum-Shopping, 2001, 76 (ein Schadensersatzprozess wegen Verletzung einer Forumwahl scheide aus, wenn das ausländische Urteil anerkennungsfähig ist); Takahashi, Yb. Priv. Int. L 10 (2008), 57, 75 (wenn die Hauptsache-Entscheidung die Anerkennungsvoraussetzungen erfülle, stehe dessen res iudicata der Schadensersatzklage entgegen). 96 Marc Rich and Co. AG v Società Italiana Impianti PA (The „Atlantic Emperor“) (No 2) (EWHC), 11.11.1991, unveröffentlicht, zitiert nach: The Angelic Grace [1994] 1 Lloyd’s Rep. 168, 179 f. (EWHC); vgl. auch The Angelic Grace [1995] 1 Lloyd’s Rep 87, 95 (EWCA).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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wegen Verletzung der Schiedsabrede für Marc Rich keine gleich wirksame Alternative zu einer anti-suit injunction darstellen könne: Liege erst einmal eine italienische Entscheidung in der Hauptsache vor, müsse diese in England auf Grundlage des EuGVÜ anerkannt werden. Die italienische Entscheidung sei dann für englische Gerichte und das Londoner Schiedsgericht in jeder Hinsicht bindend.97 Das bedeute auch: „[…] [D]amages would never be an adequate remedy since [Marc Rich] could not establish one of the essential steps to its success, the liability of Impianti on the sale contract.“98
Burton J vertrat in der Rechtssache CMA v Hyundai allerdings die entgegengesetzte Ansicht. Vereinfacht lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Parteien hatten die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts mit Sitz in London vereinbart.99 Im Widerspruch hierzu leitete CMA vor französischen Gerichten eine Schadensersatzklage wegen der Verletzung von Schiffsbauverträgen ein. Die französischen Gerichte gaben der Klage von CMA statt und verurteilten Hyundai antragsgemäß zur Zahlung von Schadensersatz. Hyundai zahlte, erwirkte sodann aber vor dem Londoner Schiedsgericht einen Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede. Zu ersetzen war danach unter anderem die Summe, die Hyundai aufgrund des französischen Urteils wegen Verletzung der Schiffsbauverträge an CMA zahlen musste. CMA legte gegen den Schadensersatz-Schiedsspruch vor dem englischen High Court gemäß s. 69 AA 1996 einen punktuellen Rechtsbehelf ein (appeal on points of law). Denn dem Schadensersatz-Zuspruch stehe die res iudicata des französischen Urteils entgegen. Burton J wies dieses Argument und den Rechtsbehelf jedoch zurück. Ohne auf die Entscheidung von Lord Hobhouse hingewiesen worden zu sein, erklärte er, dass es für die Ersatzfähigkeit der Urteilssumme nicht darauf ankomme, ob Schiedsgerichte ebenso wie staatliche Gerichte auf Grundlage der Brüssel I‑VO an ausländische Urteile gebunden seien.100 Hyundai verlange Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede. Die zu beantwortende Frage im Rahmen der Schadensbemessung sei, wie 97 Insofern unterschied sich der Sachverhalt von der Konstellation in Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Co Ltd (No 2) [1983] 1 WLR 1026 (EWCA). Dort hielt Donaldson MR die Urteilssumme für ersetzbar, sofern das Schiedsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass es den Rechtsstreit abweichend vom Schweizer Gericht beurteilt hätte. Zur Zeit der Entscheidung existierte noch kein Lugano Übereinkommen, auf dessen Grundlage die Schweizer Entscheidung hätte anerkannt werden müssen. 98 Marc Rich and Co. AG v Società Italiana Impianti PA („The Atlantic Emperor“) (No 2) (EWHC), 11.11.1991, unveröffentlicht, zitiert nach: The Angelic Grace [1994] 1 Lloyd’s Rep. 168, 179 f. (EWHC). 99 CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791. 100 CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791, Rn. 37 ff.; vgl. ausführlich zu der Frage, ob die Rechtskraft eines nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckten Urteils im Schiedsverfahren beachtlich ist, oben Teil 4 A.II.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Hyundai stünde, hätte CMA den Rechtsstreit abredegemäß nur vor dem Londoner Schiedsgericht anhängig gemacht. In dieser Situation hätte aber kein französisches Urteil existiert, an das ein – hypothetisch mit dem Schadensersatz wegen Verletzung der Schiffsbauverträge befasstes – Schiedsgericht hätte gebunden sein können.
(b) Argumente im Schrifttum gegen die Vorgreiflichkeit der staatlichen Hauptsache-Entscheidung Ähnlich wie Burton J äußerte sich Peel bereits im Jahr 1998.101 Maßgeblich für die Entscheidung über den Schadensersatzanspruch sei, wie das Schiedsgericht bei Einhaltung der Schiedsabrede entschieden hätte. Dazu treffe das abredewidrig erwirkte Urteil keine Aussage. Außerdem existiere in der hypothetischen Lage kein Parallelurteil, an welches der Schiedsrichter bei seiner Entscheidung in der Hauptsache hätte gebunden sein können. Briggs gelangt unter Bezugnahme auf die Entscheidung in CMA v Hyundai nunmehr102 zu demselben Ergebnis.103 Dabei ergänzt er, dass sich das Schiedsgericht in keiner Weise über die Sachentscheidung des Parallelgerichts hinwegsetzt. Das Gegenteil sei der Fall: Der Schiedsrichter mache die staatliche Hauptsache-Entscheidung gerade zur Basis seiner Schadensberechnung. Denn er vergleiche die tatsächliche Situation, bei welcher die staatliche HauptsacheEntscheidung anerkannt werde, mit der hypothetischen, bei welcher der Streit nur vor dem Schiedsgericht ausgetragen worden wäre. Auf die Entscheidung über die Frage, ob der Gerichtskläger das Urteil durch Vertragsbruch erlangt habe (und deshalb Schadensersatz schulde), wirke sich die Pflicht zur Anerkennung des Parallelurteils nach dem Brüssel-System ebenfalls nicht aus.104 101 102
Peel, LMCLQ 1998, 182, 209. Briggs, Agreements, 2008, Rn. 8.73–8.75 (zu exklusiven Gerichtsstandsabreden. Die im Rahmen des Schadensersatzprozesses zu beurteilende Frage, ob das prorogierte Gericht in der Sache zu einem anderen Ergebnis als das abredewidrig angerufene gelangt wäre, erfordere eine Nachprüfung der Entscheidung des abredewidrig angerufenen Gerichts, der die Anerkennungspflicht nach der Verordnung entgegenstehe. „[…] [T]herefore, the obligation imposed on an English court by Chapter III of the Regulation may prevent the claimant from putting in place an essential plank in his claim.“). 103 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 5.57; vgl. auch Santomauro, J. Priv. Int. L. 2010, 281, 311. 104 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 5.57; Santomauro, J. Priv. Int. L. 2010, 281, 311; vgl. auch Mankowski, IPRax 2009, 23, 29, 31 und Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 25 Rn. 251 (bei der Zuerkennung der Sachentscheidungsdifferenz wegen Verletzung der Gerichtsstandsabrede gerate man „merklich in Konflikt mit der ergangenen Entscheidung, soweit diese anzuerkennen“ sei. Die Klage im forum derogatum bewege sich aber „auf einer anderen Ebene“. Anerkennung und Schadensersatzurteil würden einander nicht ausschließend. Die Prioritätsregel liege „an anderer Stelle, und es bleibt der Bruch des vertraglichen Versprechens. Trotzdem […]“ stehe im Raum, ob nicht vorrangig auf die Rechtsbehelfe zu vertrauen sei, die vor dem abredewidrig angerufenen Gericht gegen Rechtsmissbrauch zur Verfügung stünden).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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(c) Stellungnahme Zustimmung verdient die Ansicht von Lord Hobhouse.105 Im Beispielsfall106 hat das staatliche Parallelgericht rechtskräftig entschieden, dass der Schiedskläger an den Gerichtskläger EUR 1.000 wegen Beschädigung der Mole zahlen muss. Das jetzt angerufene Londoner Schiedsgericht darf seiner Entscheidung über den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung keine hiervon abweichende Beurteilung zugrunde legen. Das gilt auch im Rahmen hypothetischer Betrachtungen – hier also auch für die Beurteilung von Bestand und Höhe des Schadensersatzanspruchs wegen Beschädigung der Mole, wenn nur das Londoner Schiedsgericht darüber entschieden hätte. An dieser Stelle liegt der gedankliche Bruch der Gegenansicht: Denn die Zuerkennung der Urteilssumme setzt voraus, dass das Schiedsgericht seiner Entscheidung im Rahmen der Differenzhypothese aktuell – nicht zu irgendeinem hypothetischen Zeitpunkt in der Vergangenheit – eine von der deutschen Hauptsache-Entscheidung abweichende Beurteilung von Bestand und Höhe des Schadensersatzanspruchs wegen Beschädigung der Mole zugrunde legt. Dem steht jedoch die res iudicata-Wirkung der deutschen Hauptsache-Entscheidung entgegen.107 105 Im Ergebnis ebenso Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 14.11; Raphael, AntiSuit Injunction. Upd. Suppl., 20010, Rn. 14.11; zu Gerichtsstandsabreden Merrett, ICLQ 55 (2006), 315, 334 f.; Schlosser, in: Liber amicorum Lindacher, 2007, S. 120; Gebauer, in: FS Kaissis, 2012, S. 268, 279; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 461 (Verletzung der Anerkennungspflicht); Frohloff, Verletzung von Schiedsvereinbarungen, 2017, 138–147; Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 483 (bejaht eine entgegenstehende Rechtskraftbindung, allerding nur für für den Fall, dass das Recht des Gerichtsstaats einem weiten Rechtskraftverständnis folgt. Sei dies nicht der Fall, stehe gleichwohl das Verbot der révision au fond entgegen, wenn das Zweitgericht für die Zuerkennung der Sachentscheidungsdifferenz entscheiden müsste, ob das gewählte Gericht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen in der Sache abweichend entschieden hätte); Antomo, Schadensersatz, 2017, 634 ff. (der Ersatz der Sachentscheidungsdifferenz stelle eine „indirekte, mittelbare“ Verletzung der Pflicht zur Anerkennung der Sachentscheidung dar, welcher mit dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit der Anerkennungsvorschriften der Verordnung nicht vereinbar sei); Sánchez Fernández, Yb. Priv. Int. L 12 (2010), 377, 388 („[…] somehow amounts to a review of a decision taken by the courts of another Member State.“); Balthasar/Richers, RIW 2009, 351, 356 f. (verneinend allerdings ausdrücklich für schiedsrichterlichen Schadensersatz. Denn Schiedsgerichte seien nur an staatliche Entscheidungen aus dem Sitzstaat, nicht aber an Entscheidungen ausländischer Gerichte gebunden); a. A. Peel, LMCLQ 1998, 182, 209; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 5.57 (anders noch Briggs, Agreements, 2008, Rn. 8.73–8.75 hinsichtlich Gerichtsstandsabreden); Santomauro, J. Priv. Int. L. 2010, 281, 310 ff.; CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791; offenbar auch Mankowski, IPRax 2009, 23, 29, 31 und Rauscher/ Mankowski, 2016, Art. 25, Rn. 251. 106 Vgl. hierzu oben vor Teil 5 B.I.2.a)bb)(1). 107 Raphael, Anti-Suit Injunction. Upd. Suppl., 20010, Rn. Rn. 14.14 („The fallacy of Burton J’s reasoning is to treat as decisive the question whether counterfactually there would have been a foreign judgment had the exclusive forum clause been respected, which there would not have been. This, however, is to start from the wrong starting point. Since there has been a foreign judgment, the res judicata is not a hypothetical possibility but an actualitiy, and thus an existing binding obligation. The counterfactual reasoning has to start on the basis of that
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Dass die materielle Rechtskraft auch im Rahmen hypothetischer Betrachtungen bindet, wird besonders deutlich, wenn man sich ihre rechtsklarheits- und rechtsfriedensstiftenden Zwecke vor Augen führt. Erreicht werden können diese nur, wenn das einmal verbindlich und endgültig Entschiedene später nicht wieder infrage gestellt werden kann. Verbindlich und endgültig entschieden wurde hier, dass der Schiedskläger an den Gerichtskläger wegen der Beschädigung der Mole EUR 1.000 zu zahlen hat. Eine Bindungswirkung im Rahmen hypothetischer Betrachtungen zu versagen, würde bedeuten, dass der Schiedskläger vor dem Schiedsgericht Ersatz für genau die EUR 1.000 erlangen könnte, die er aufgrund des rechtskräftigen Parallelurteils soeben noch an den Gerichtskläger zahlen musste. Die rechtskräftige Entscheidung des Parallelgerichts würde damit faktisch aufgehoben und durch eine andere, hiervon abweichende Entscheidung ersetzt.108 Damit steht im Beispielsfall109 der Ersatzfähigkeit der vom Schiedskläger geltend gemachten Sachentscheidungsdifferenz i. H. v. EUR 1.000 die Bindungswirkung der deutschen Hauptsache-Entscheidung entgegen. Zu untersuchen bleibt die Ersatzfähigkeit der Kosten, die der Schiedskläger nach den Kostenentscheidungen des deutschen Parallelgerichts selbst zu tragen hat bzw. dem Gerichtskläger erstatten musste. Jedenfalls die Entscheidung des Parallelgerichts in der Hauptsache ist insofern aber nicht präjudiziell:110 Hätte sich der Gerichtskläger abredegemäß verhalten, wäre der Rechtsstreit nur vor dem Londoner Schiedsgericht ausgetragen worden. Kosten für ein staatliches Parallelverfahren wären nicht angefallen. Damit ergibt sich die Ersatzfähigkeit der geltend gemachten Kosten, ohne dass eine – auch nur hypothetische – Beurteilung des Schadensersatzanspruchs wegen Beschädigung der Mole erforderlich wäre.111 Entgegenstehen könnte dem Zuspruch der geltend gemachten Kosten aber die res iudicata-Wirkung der deutschen Kostenentscheidungen. binding obligation and assume it is correct, and conequently cannot ignore it or the foreign judgment.“). 108 Vgl. Santomauro, J. Priv. Int. L. 2010, 281, 313 (der unter Bezugnahme auf weitere Nachweise einräumt: „Nevertheless, the paradoxical outcome remains that awarding damages could mean reversing the foreign decision by deleting its effects […].“). 109 Vgl. hierzu oben vor Teil 5 B.I.2.a)bb)(1). 110 Vgl. STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 201/2007, 23.2.2007, RJ/2007/2118 (gewährt vertraglichen Schadensersatz i. H. d. Rechtanwaltskosten für die Verteidigung in einem Gerichtsverfahren in New York, das unter Verletzung einer exklusiven Gerichtsstandsabrede zugunsten Madrids eingeleitet worden war. Das New Yorker Gericht hatte die Klage zuvor zugunsten des Schadensersatzklägers als unbegründet abgewiesen und eine Kostenentscheidung nach der American rule of costs getroffen. Der STS verwarf den Einwand, der Ersatzfähigkeit der Rechtsanwaltskosten stehe die res iudicata der New Yorker Hauptsache-Entscheidung entgegen). 111 Anders kann die Sachlage bei vorprozessualen Kosten sein, die der Schiedskläger aufgrund folgender Differenzhypothese geltend macht: Hätte sich der Gerichtskläger an die Schiedsabrede gehalten, hätte nur das Schiedsgericht über den Anspruch des Gerichtsklägers wegen Beschädigung der Mole entschieden. Das Schiedsgericht hätte die Haftung des Schieds-
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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(3) Bindung im Schiedsverfahren an die Entscheidung des Parallelgerichts über den prozessualen Kostenerstattungsanspruch Die Kostengrundentscheidung des deutschen Gerichts sieht vor, dass der Schiedskläger die Kosten des Rechtsstreits vor deutschen Gerichten zu tragen hat. Auf dieser Grundlage wurde ein Kostenfeststellungsbeschluss erlassen, wonach der Schiedskläger die Kosten des Gerichtsklägers für das Verfahren vor deutschen Gerichten i. H. v. EUR 50 erstatten muss. Daneben hat der Schiedskläger nach der Kostengrundentscheidung die eigenen Kosten für die Verteidigung im staatlichen Parallelverfahren i. H. v. EUR 20 selbst zu tragen. Gemäß Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO stellen auch Kostenfestsetzungsbeschlüsse durch Gerichtsbedienstete Entscheidungen i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO dar, die der automatischen Titelfreizügigkeit in der EU unterliegen. Die Kostengrundentscheidung und der Kostenfestsetzungsbeschluss aus dem Gerichtsstaat entfalten damit im Schiedsstaat die Wirkungen, die ihnen nach dem Recht des Ursprungsstaats zukommen.112 Das bedeutet hier: Soweit die Entscheidungen im Ursprungsstaat113 eine abschließende Wirkung entfalten, die der Umverteilung von Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Ausgleichsansprüche entgegenstehen, gilt im Zweitstaat nichts anderes.114
klägers verneint und dem Schiedskläger auf dieser Grundlage Ersatz seiner vorprozessualen Kosten zugesprochen. Erfasst gewesen wären alle Kosten, die für die Verteidigung gegen den Anspruch auf Schadensersatz wegen Beschädigung der Mole erforderlich waren. Nach dieser Differenzhypothese setzt die Ersatzfähigkeit der geltend gemachten Kostenposition wiederum eine (hypothetisch) abweichende Beurteilung der Hauptsache voraus. Dem steht die materielle Rechtskraft der deutschen Hauptsache-Entscheidung entgegen. 112 Vgl. EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645 – Hoffmann ./. Krieg; ausführlich Pfeiffer ZZP 127 (2014), 409, 427 f. 113 Vgl. demgegenüber Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 453 ff. (beurteilt die Frage der abschließenden Wirkung nach Maßgabe des Rechts des forum prorogatum). 114 So im Grundsatz Antomo, Schadensersatz, 2017, 612 f.; vgl. auch Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 461 (gegen die Ersatzfähigkeit höherer Kosten der Prozessführung im forum derogatum würden angesichts der abschließenden Regelung im Kostenrecht des angerufenen Gerichts erhebliche Zweifel bestehen); Pfeiffer, in: Liber amicorum Lindacher, 2007, S. 83; (ein deutsches Gericht darf nicht nochmals über die Kosten entscheiden, soweit bereits eine im Inland anzuerkennende, rechtskräftige Kostenentscheidung vorliegt); Takahashi, Yb. Priv. Int. L 10 (2008), 57, 75 f.; Briggs, Agreements, 2008, Rn. 8.68 („[…] [T]his argument ist not completely far fetched […].“); Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 25 Brüssel IaVO, Rn. 253 (bei den Verfahrenskosten sei ein Abgleich mit den Wertungen des Kostenerstattungsrechts des forum derogatum zu versuchen. Insoweit spiele hinein, ob prozessuale Kostenerstattungsansprüche konkurrieren dürften oder ob das Bestehen eines prozessrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs den Schaden entfallen lasse bzw. gar im forum derogatum durch die res iudicata der Kostenentscheidung gesperrt werde); a. A. Sánchez Fernández, Yb. Priv. Int. L 12 (2010), 377, 386 (allerdings im Hinblick auf Fall 2, also wenn das Erstgericht die Klage aufgrund einer wirksamen Gerichtsstandsabrede abgewiesen und eine entsprechende Kostenentscheidung erlassen hat. Die anzuerkennende Kostenentscheidung hindere das Schadensersatzgericht nicht daran, Kosten zuzuerkennen, die die abredewidrig verklagte Partei im Zusammenhang mit
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Im Folgenden wird zunächst untersucht, ob im Hinblick auf prozessuale Kostenentscheidungen Einschränkungen bei der Wirkungserstreckung vorzunehmen sind (a). Anschließend werden die Wirkungen deutscher (b), englischer (c) und französischer Kostenentscheidungen ermittelt (d).
(a) Einschränkung der Wirkungserstreckung bei Kostenentscheidungen? Teilweise werden im Schrifttum im Zusammenhang mit materiellrechtlichen Kostenerstattungsansprüchen wegen Verletzung exklusiver Gerichtsstandsabreden Einschränkungen der Wirkungserstreckung befürwortet: Antomo möchte eine abschließende, materiellrechtliche Kostenerstattungsansprüche verdrängende Wirkung nur annehmen, wenn das Erstgericht diese Wirkung in seiner prozessualen Kostenentscheidung zum Ausdruck gebracht hat.115 Dabei müssten in der hier untersuchten Fallgruppe besonders hohe Anforderungen gestellt werden.116 Denn den Umstand, dass die abredewidrig handelnde Partei die Gerichtsstandsabrede verletzt hat, könne das Erstgericht in seiner Kostenentscheidung genau genommen nicht abschließend berücksichtigt haben – schließlich sei es davon ausgegangen, dass die Gerichtsstandsabrede unwirksam sei. Ähnlich äußerte sich zuvor bereits Schlosser.117 Die Rechtskraft der ausländischen Kostenentscheidung stehe einer materiellrechtlichen Kostenerstattung nicht entgegen. Etwas anderes gelte nur, wenn im Rahmen des im Ausland bei der Festlegung des Kostenersatzanspruchs meist obwaltenden richterlichen Ermessens der Umstand der Vertragsbrüchigkeit des Schadensersatzschuldners eine Rolle gespielt habe. Das müsse die ausländische Entscheidungsbegründung dann aber auch offenlegen. Andernfalls könne nicht angenommen werden, dass ein ausländisches Urteil im ausdrücklichen oder konkludenten Kostenausspruch auch Rechtskraft entfalten wolle, insoweit Rechtsverfolgungskosten Teil eines materiellrechtlichen Schadensersatzanspruchs sind. Merret wiederum möchte eine abschließende Wirkung der Kostenentscheidung des abredewidrig angerufenen Gerichts nur unter der Voraussetzung annehmen, dass die Entscheidung auf exakt der gleichen Grundlage ergangen ist, auf der sie auch im forum prorogatum ergangen wäre.118 dem Verfahren im forum derogatum tragen musste. Die in der ausländischen Kostenentscheidung bereits zugesprochenen Positionen müssten lediglich im Rahmen der Schadensbemessung in Abzug gebracht werden. Insoweit bezieht sie sich auf STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 6/2009, 12.1.2009, RJ/2009/544. Dort stand allerdings die Auwirkung einer amerikanischen Kostenentscheidung nach der American rule of costs in Rede. Die Pflicht zur Anerkennung beurteilte sich nach autonomem spanischem Recht, nicht nach dem Brüssel-System). 115 Antomo, Schadensersatz, 2017, 371 und 613. 116 Antomo, Schadensersatz, 2017, 371, 633. 117 Schlosser, in: Liber amicorum Lindacher, 2007, S. 121. 118 Merrett, ICLQ 55 (2006), 315, 325.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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Nach hier vertretener Ansicht ist für derartige Einschränkungen einer Wirkungserstreckung nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO kein Raum: Maßgeblich ist nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, welche Wirkungen das Recht des Ursprungsstaats seinen Kostenentscheidungen beimisst, nicht – wie aber Antomo und Schlosser nahelegen – welche Wirkungen das Erstgericht seinen Kostenentscheidungen prophezeit hat. Dass sich das Erstgericht zur Wirkung seiner Entscheidung in einem Zweitverfahren äußert, dürfte in der Praxis ohnehin nicht vorkommen – schließlich stellt sich die Wirkungsfrage erst dem Zweitgericht. Ebenfalls nicht überzeugen kann es, mit Antomo und Schlosser die abschließende Wirkung der ausländischen Kostenentscheidung davon abhängig zu machen, dass das Erstgericht darin die Vertragsbrüchigkeit seiner Anrufung berücksichtigt hat. Denn das impliziert, dass der Anerkennungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nur dann nachzukommen wäre, wenn das Erstgericht die Wirksamkeit der Zuständigkeitsabrede bestätigt und sich daraufhin für unzuständig erklärt hat. Wie Antomo selbst nämlich zu Recht hervorhebt: Erklärt das Erstgericht die Zuständigkeitsabrede für ungültig bzw. nicht anwendbar, kann es in der Kostenentscheidung die eigene Anrufung nicht als Vertragsbruch berücksichtigt haben. Damit läuft der Ansatz von Antomo und Schlosser auf eine Nachprüfung der Zuständigkeitsentscheidung des Erstgerichts und damit auf eine Verletzung von Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO hinaus. Der Vorschlag von Merret, die abschließende Wirkung der ausländischen Kostenentscheidung nur anzuerkennen, wenn die Kostenentscheidung im Zweitstaat auf exakt der gleichen Grundlage ergangen wäre, widerspricht dem Prinzip der Wirkungserstreckung und dem Verbot der révision au fonds (Art. 52 Brüssel Ia-VO). Der Entscheidung des Erstrichters sind im Zweitstaat die gleichen Wirkungen beizumessen wie im Erststaat. Eine Nachprüfung der Entscheidung im Zweitstaat ist prinzipiell unzulässig. Dann darf es aber auch keine Rolle spielen, ob der Zweitrichter die Kostenentscheidung auf derselben rechtlichen und tatsächlichen Grundlage getroffen hätte. Folglich ist für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung allein maßgeblich, ob der jeweiligen prozessualen Kostenentscheidung nach dem Recht des Gerichtsstaats eine abschließende, die Umverteilung von Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Ausgleichsansprüche verdrängende Wirkung zukommt.
(b) Wirkung einer deutschen Kostenentscheidung Der BGH beschreibt die Wirkung deutscher Kostengrund- und festsetzungsentscheidungen in ständiger Rechtsprechung119 folgendermaßen:
119
BGHZ 45, 251, 257; BGH, NJW‑RR 1995, 495; BGH, NJW 2012, 1291.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
„Es ist anerkannt, daß die prozessuale Kostentragungsregelung nicht erschöpfend ist, sondern Raum läßt für ergänzende sachlich-rechtliche Ansprüche auf Kostenerstattung, etwa aus Vertrag, wegen Verzuges oder aus unerlaubter Handlung. […] Je nach der Sachlage wird ein ergänzender sachlichrechtlicher Anspruch neben die prozessuale Kostenregelung treten können; er kann der prozessualen Regelung sogar entgegengerichtet sein, sofern zusätzliche Umstände hinzukommen, die bei der prozessualen Kostenentscheidung nicht berücksichtigt werden konnten. Bleibt hingegen der Sachverhalt, der zu einer abschließenden prozessualen Kostenentscheidung geführt hat, unverändert, dann geht es nicht an, nunmehr den gleichen Sachverhalt erneut zur Nachprüfung zu stellen und in seinen kostenrechtlichen Auswirkungen materiellrechtlich entgegengesetzt zu beurteilen. Alsdann folgt vielmehr schon aus dem Grundsatz der Rechtskraft, daß die prozessuale Kostenregelung weitere sachlich-rechtliche Ansprüche ausschließt. […] Der damit eingetretene Rechtsfriede kann nicht nachträglich wieder mit der Begründung beseitigt werden, die Kostenentscheidung sei nach sachlichem Recht eigentlich ungerechtfertigt, sofern nicht die gesetzliche Regelung ihrerseits Korrekturmöglichkeiten vorsieht.“120
In Deutschland liegen prozessualen und materiellrechtlichen Kostenerstattungsansprüchen mit dem Veranlassungsprinzip einerseits und dem Verschuldensprinzip andererseits verschiedene Wertungen zugrunde.121 Der prozessuale Kostenerstattungsanspruch verteilt die Kosten des Rechtsstreits grundsätzlich nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens; der materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch setzt rechtswidriges Handeln und Verschulden voraus. Vor diesem Hintergrund wird im deutschen Schrifttum vertreten, dass die Modifizierung eines prozessualen Kostenausspruchs im Rahmen einer materiellrechtlichen Kostenerstattung regelmäßig zulässig sei. Die Ausführungen des BGH stünden nicht entgegen. Denn angesichts der unterschiedlichen Wertungen und Voraussetzungen kämen für die Entscheidung über den materiellrechtlichen Erstattungsanspruch stets „zusätzliche Umstände hinzu […], die bei der prozessualen Kostenentscheidung nicht berücksichtigt werden konnten.“122 Abweichende Rechtsfolgenaussprüche in beiden Entscheidungen seien daher miteinander vereinbar und nicht geeignet, den Rechtsfrieden zu stören.123 Der BGH selbst legt seinen Worten freilich ein anderes, abweichende Entscheidungen über bereits zugesprochene oder abgesetzte Kostenpositionen grundsätzlich ausschließendes Verständnis zugrunde.124 An diesem hält er trotz Kritik aus dem Schrifttum bisher fest.125 Danach gilt in Deutschland Folgendes: 120
BGHZ 45, 251 257. Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 454. Becker-Eberhard, JZ 1995, 814, 816 f. 123 Becker-Eberhard JZ 1995, 814, 817. 124 Vgl. die Ergebnisse in BGHZ 45, 251, 257; BGH, NJW‑RR 1995, 495; BGH, NJW 2012, 1291; vgl. zum Ganzen MüKo ZPO/Schulz, 2016, Vor § 91, Rn. 19; a. A. Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 454; Frohloff, Verletzung von Schiedsvereinbarungen, 2017, 139 (unter Verweis auf die Entscheidung BGH, NJW 2002, 680, 680, die aber nur die Frage des Verhältnisses einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO zu einem materiell-rechtlichen Anspruch auf Ersatz außerprozessualer Kosten betrifft.). 125 Vgl. zuletzt BGH, NJW 2012, 1291. 121 122
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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Der prozessuale Kostenausspruch darf nicht über die „Hintertür des sachlichen Rechts“ modifiziert werden.126 Kostengrundentscheidung127 und Kostenfestsetzungsbeschluss128 entfalten formelle und materielle Rechtskraft. Eine Durchbrechung der Rechtskraft kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Schadensersatzanspruch auf Umstände gestützt wird, die außerhalb des Streitgegenstands des Erstverfahrens liegen, so zum Beispiel bei einem Prozessbetrug.129 Andernfalls erfolgt mit der rechtskräftigen Kostengrundentscheidung eine endgültige Zuordnung der Kostenlast und mit dem rechtskräftigen Kostenfestsetzungsbeschluss eine endgültige Entscheidung über die vom Rechtspfleger fest- oder abgesetzten Kostenpositionen.130 Für spätere materiellrechtliche Korrekturen bleibt kein Raum.131 Erfasst werden von der Bindungswirkung der Kostenentscheidung allerdings nur Prozesskosten i. S. v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Geltendmachung und Zuerkennung von vor- bzw. außerprozessualen Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Kostenerstattungsansprüche steht die res iudicata-Wirkung prozessualer Kostenentscheidungen folglich nicht entgegen.132 Das gilt auch dann, wenn die jeweilige vor- oder außerprozessuale Position im Rahmen der Kostenfestsetzung bereits geltend gemacht und abgesetzt wurde, etwa weil der notwendige Prozessbezug fehlte.133 Im Beispielsfall134 steht damit der Ersatzfähigkeit der geltend gemachten Prozesskosten die Rechtskraft der deutschen Kostenentscheidungen entgegen. Für die Kosten, die der Schiedskläger dem Gerichtskläger erstatten musste (EUR 50), folgt das aus der res iudicata-Wirkung des Kostenfestsetzungsbeschlusses; für die Kosten, die dem Schiedskläger im staatlichen Parallelverfahren entstanden sind (EUR 20), folgt es aus der materiellen Rechtskraft der Kostengrundentscheidung.
126 127
MüKo ZPO/Schulz, 2016, Vor § 91, Rn. 19. Vgl. hierzu MüKo ZPO/Schulz, 2016, Vor § 91, Rn. 23. 128 BGH, NJW 2003, 1462; OLG München, NJW‑RR 2006, 1006; OLG Frankfurt a. M., JurBüro 1986, 599; OLG Hamburg, MDR 1986, 244; vgl. hierzu MüKo ZPO/Schulz, 2016, § 104, Rn. 137 ff., Vor § 91, Rn. 24. 129 MüKo ZPO/Schulz, 2016, Vor § 91, Rn. 23. 130 BGH, NJW 2003, 1462; OLG München, NJW‑RR 2006, 1006; OLG Frankfurt a. M., JurBüro 1986, 599; OLG Hamburg, MDR 1986, 244. MüKo ZPO/Schulz, 2016, § 104, Rn. 137 f., Vor § 91, Rn. 24. 131 MüKo ZPO/Schulz, 2016, § 137, Rn. 137 f., Vor § 91, Rn. 24. 132 MüKo ZPO/Schulz, 2016, Vor § 91, Rn. 24; vgl. aber zu der Möglichkeit, dass insoweit die res iudicata der Hauptsache-Entscheidung entgegenteht, oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(2) (c) Fn. 111. 133 MüKo ZPO/Schulz, 2016, Vor § 91, Rn. 24. 134 Vgl. hierzu oben vor Teil 5 B.I.2.a)bb)(1).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
(c) Wirkung einer englischen Kostenentscheidung Das englische Recht regelt den prozessualen Kostenerstattungsanspruch in Part 44 CPR. Gemäß r. 44.2(2) lit. a CPR beurteilt sich grundsätzlich auch hier die Kostenverteilung nach dem Unterliegensprinzip (costs follow the event). Anders als in Deutschland stehen gemäß r. 44.2(1) CPR aber sowohl das „Ob“ der Kostenerstattung als auch die Höhe und Fälligkeit der zu ersetzenden Kosten im richterlichen Ermessen. Hierbei sind gemäß r. 44.2(4) CPR alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen, so auch das Verhalten der Parteien während (r. 44.2(4) lit. a CPR), vor und nach (r. 44.2(5) lit. a CPR) dem Prozess. Erstattungsfähig sind grundsätzlich alle Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit, gemäß r. 44.2(6) lit. d CPR auch solche, die vor Prozessbeginn entstanden sind. Damit ist der Umfang einer englischen Kostenentscheidung potentiell weiter als der einer deutschen. Erfasst sein können auch außerprozessuale Kostenpositionen, die in Deutschland nicht unter den Begriff der Prozesskosten i. S. v. § 91 Abs. 1 ZPO fallen und dort nur im Rahmen eines materiellrechtlichen Erstattungsanspruchs geltend gemacht werden könnten. Nach in England überwiegender Auffassung beinhaltet eine Kostenentscheidung nach Part 44 CPR eine endgültige Beurteilung der Frage, wer welche Kosten zu tragen hat. Danach ist im Rahmen eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs das nachträgliche Aufbessern (topping-up)135 der prozessualen Kostenentscheidung bezüglich Kostenpositionen, die nicht oder nur teilweise zugesprochen wurden, ebensowenig zulässig wie die nachträgliche Umverteilung der Kostentragungsregelung.136 Begründet wird das mit dem Grundsatz, dass rechtskräftige Entscheidungen nicht mehr infrage gestellt werden dürfen (no double adjudication) und mit der weiten Ermessensausübung englischer Richter zur Erreichung von Einzelfallgerechtigkeit. Bowen LJ erklärt es folgendermaßen: „If the judge refuses to give him costs, it is because he does not deserve them; if he deserves them, he will get them in the original action; if he does not, he ought not to get them in a subsequent action.“137
Wäre im Beispielsfall138 England Gerichtsstaat und Deutschland Schiedsstaat, stünde der Ersatzfähigkeit der vor dem Schiedsgericht geltend gemachten Kosten daher ebenfalls die Bindungswirkung der staatlichen Kostenentscheidung entgegen. 135 136
Briggs, Agreements, 2008, 8.68. The Quartz Hill Consolidated Gold Mining Company v Eyre (1883) 11 QB 674 (CA); Briggs, Agreements, 2008, 8.68; Raphael, Anti-Suit Injunction, 2008, Rn. 14.03; Yeo/Tan, in: Worthington, 2003, S. 413 f.; Takahashi, Yb. Priv. Int. L 10 (2008), 57, 72 f.). 137 The Quartz Hill Consolidated Gold Mining Company v Eyre (1883) 11 QB 674 (CA). 138 Vgl. hierzu oben vor Teil 5 B.I.2.a)bb)(1).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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(d) Wirkung einer französischen Kostenentscheidung In Frankreich beurteilt sich die prozessuale Kostenerstattung nach Art. 695– 725 CPC. Unterschieden werden Kosten des Rechtsstreits, die dem technischen Begriff dépens zugeordnet werden können, und sonstige Aufwendungen der Parteien für den Rechtsstreit (frais), insbesondere die Rechtsanwaltsvergütung. Gemäß Art. 696-1 CPC hat die unterlegene Partei die dépens zu tragen, es sei denn, der Richter weist sie durch begründete Entscheidung ganz oder teilweise einer anderen Partei zu. Dem Richter kommt hierbei Ermessen zu – zum Beispiel, um ein soziales Ungleichgewicht der Parteien zu berücksichtigen. Art. 695 CPC enthält eine nicht abschließende Liste von Positionen, die den dépens zuzuordnen sind. Erfasst werden insbesondere Gerichtskosten (Art. 695 Nr. 1 CPC), die Entschädigung von Zeugen (Art. 695 Nr. 3 CPC) und die Vergütung von Sachverständigen (Art. 695 Nr. 4 CPC). Zwar nennt Art. 695 Nr. 7 CPC auch die Vergütung von Rechtsanwälten – allerdings nur, soweit ihre Zuordnung zu den dépens ausdrücklich geregelt ist. Das ist ausnahmsweise der Fall, etwa wenn das Gericht einer Partei einen sog. Notanwalt beigestellt hat, weil er für die Rechtswahrnehmung erforderlich, aus eigenen Mitteln der Partei aber nicht bezahlbar war. In aller Regel wird die Rechtsanwaltsvergütung von Art. 695 Nr. 7 CPC nicht erfasst. Über die Verteilung der dépens nach Art. 696-1 CPC entscheidet das Gericht im Urteil. Gemäß Art. 707-1 CPC sollen dépens i. S. v. Art. 695 Nr. 1 (Gerichtskosten) und Art. 695 Nr. 2 CPC (Zeugenerstattung) im Urteil auch bereits der Höhe nach festgesetzt werden. Im Übrigen kann die Festsetzung gemäß Art. 704 CPC durch den Geschäftsstellenbeamten (greffier) beantragt werden. Dieser stellt dem Antragsteller gemäß Art. 705 CPC zunächst eine Bescheinigung der geltend gemachten Positionen aus (certificat de vérication), welche der Gegenseite gemäß Art. 706 CPC im Parteibetrieb zugestellt wird. Werden die geltend gemachten Kosten nicht innerhalb eines Monats bestritten, erfolgt auf Antrag ein entsprechender Vermerk auf der Kostenbescheinigung, durch die sie rechtskräftig und vollstreckbar wird, Art. 707 CPC. Andernfalls muss der Antragsteller nach Art. 708–713 CPC einen separaten Kostenfestsetzungsbeschluss (ordonnance de taxe) durch den zuständigen Richter erwirken. Die Erstattung sonstiger Aufwendungen (frais) – insbesondere die Rechtsanwaltskosten – kann nach Art. 700 CPC beantragt werden. Das Gericht entscheidet im Urteil darüber, ob es unbillig wäre, dass jede Partei insoweit ihre Aufwendungen für den Rechtsstreit selbst trägt. Die Beurteilung der Angemessenheit und der Höhe der zu erstattenden Kosten steht im Ermessen des Gerichts. In der Praxis beziffert die obsiegende Partei ihre Rechtsanwaltskosten; das Gericht verlangt keine Belege, spricht der obsiegenden Partei aber regelmäßig nur einen Betrag zu, der deutlich hinter den tatsächlich entstandenen und geltend gemachten Kosten zurückbleibt.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Prozessuale Kostenentscheidungen nach Art. 695–725 CPC entfalten in Frankreich materielle Rechtskraft.139 Zu Art. 700 CPC hat der Kassationsgerichtshof ausdrücklich entschieden, dass Modifizierungen der Kostentragung und topping-ups auf Grundlage materieller Schadensersatzansprüche unzulässig sind.140 Wäre im Beispielsfall141 Frankreich Gerichtsstaat und Deutschland Schieds staat, stünde der Ersatzfähigkeit der geltend gemachten Kosten vor dem Schiedsgericht daher ebenfalls die Bindungswirkung der staatlichen Kostenentscheidung entgegen.
cc) Zwischenergebnis Betrachtet wurde der Fall, dass das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden hat. Für die Frage, ob sich das Brüssel-System auf die Entscheidung des Schiedsgerichts über den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede auswirkt, ist zu differerenzieren. Wenn in der Hauptsache zuerst ein Schiedsspruch ergangen ist, kann dem staatlichen Parallelurteil im Schiedsstaat wegen Unvereinbarkeit mit dem Schiedsspruch gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung versagt werden;142 die Brüssel Ia-VO steht der schiedsrichterlichen Zuerkennung von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede dann auch nicht mittelbar entgegen.143 Das setzt allerdings voraus, dass nach dem im Schiedsstaat auf die materielle Rechtskraft des Schiedsspruchs anwendbaren Recht die Rechtskraft von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen gleichrangig ausgestaltet ist, wie dies etwa im deutschen, englischen und französischen Recht der Fall ist. Außerdem muss der Schiedsspruch der Letztentscheidungskompetenz der Gerichte des Schiedsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede standhalten. Andernfalls beurteilt sich die Konstellation, als wäre in der Hauptsache vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen. Ist in der Hauptsache vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen, erstreckt sich die Wirkung des staatlichen Parallelurteils gemäß 139 Vgl. Cass. 3ième civ., 17.3.2004, Nr. 00-22.522, Bull. civ. 2004, III, Nr. 56 (anders im Fall einer Kostenentscheidung für eine einstweilige Verfügung, weil diese in der HauptsacheEntscheidung noch modifiziert werden kann). 140 Cass. 2ème civ., 8.7.2004, Nr. 03-15.155, Bull. civ. 2004 II Nr. 365, S. 309 – Propoci ./. DEP („[…] les frais non compris dans les dépens ne constituent pas un préjudice réparable et ne peuvent être remboursés que sur le fondement de l’article 700 du nouveau Code de procédure civile […].“). 141 Vgl. hierzu oben vor Teil 5 B.I.2.a)bb)(1). 142 Vgl. zum Ganzen ausführlich oben Teil 4 C.II.1. 143 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)aa).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat; Versagungsgründe nach Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO greifen nicht.144 Ist das Schiedsgericht nach dem Recht des Schiedsstaats an die Rechtskraft von Gerichtsurteilen gebunden,145 steht das Brüssel-System mittelbar – über die gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckte res iudicata-Wirkung des staatlichen Parallelurteils – dem schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede entgegen. Das gilt für die Ersatzfähigkeit der Sachentscheidungsdifferenz uneingeschränkt.146 Denn ihre Zuerkennung würde voraussetzen, dass das Schiedsgericht seiner Differenzhypothese eine vom staatlichen Parallelurteil abweichende Beurteilung der Hauptsache zugrunde legt. Dem steht die res iudicata-Wirkung der staatlichen Hauptsache-Entscheidung entgegen. Für die Ersatzfähigkeit der Prozesskosten ist maßgeblich, ob der Rechtskraft der prozessualen Kostenentscheidungen des Parallelgerichts nach dem Recht des Gerichtsstaats eine abschließende Wirkung zukommt, die der Umverteilung von Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Erstattungsansprüche entgegensteht.147 Nach den untersuchten Rechtsordnungen bleibt unter diesem Gesichtspunkt auch für die Ersatzfähigkeit der Prozesskosten des staatlichen Parallelverfahrens kein Raum.
b) Fall 2: Parallelgericht hat der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen In der zweiten Konstellation hat das Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen. Auch hier kann für die schiedszugewandte Partei die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung der Schiedsabrede interessant sein. Legen wir der Untersuchung folgende Abwandlung des Beispielsfalls148 zugrunde: Das deutsche Parallelgericht gibt der Schiedseinrede statt, indem es die Klage auf Schadensersatz wegen Beschädigung der Mole durch Prozessurteil abweist. Nach der Kostengrundentscheidung hat der Gerichtskläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Im Kostenfestsetzungsbeschluss wird der schiedszugewandten Partei aber nur ein Teil der ihr tatsächlich entstandenen Kosten erstattet. Die Differenz macht sie nun vor dem Londoner Schiedsgericht im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung der Schiedsabrede geltend. Steht die materielle Rechtskraft des deutschen Kostenfeststellungsbeschlusses entgegen? 144
Vgl. zum Ganzen ausführlich oben Teil 4 A.I. und C.III.2. Vgl. hierzu oben Teil 4 A.II. 146 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(2). 147 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(3). 148 Vgl. hierzu oben vor Teil 5 B.I.2.a)bb)(1). 145
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Zwar können gemäß Art. 2 lit. a Abs. 1 Brüssel Ia-VO auch Kostenfestsetzungsbeschlüsse Gerichtsbediensteter Entscheidungen im Sinne der Verordnung darstellen. Als Nebenentscheidungen unterfallen sie den Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO aber nur, wenn auch die Hauptentscheidung selbst der Titelfreizügigkeit des Brüssel-Systems unterliegt.149 Klageabweisende Prozessurteile gehören prinzipiell zu den nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anerkennungsfähigen Entscheidungen.150 Beschränken sie sich jedoch wie hier auf die Entscheidung über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit einer Schiedsabrede, finden die Bestimmungen der Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung auf das klageabweisende Prozessurteil sachlich keine Anwendung, Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.151 Das schlägt auf den Kostenfeststellungsbeschluss durch.152 Hat das Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen, steht die Brüssel Ia-VO dem schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede folglich weder unmittelbar noch mittelbar entgegen.
c) Fall 3: Parallelverfahren läuft zur Zeit der Entscheidung des Schiedsgerichts über den Schadensersatzanspruch noch In der dritten Konstellation beantragt der Schiedskläger vor dem Schiedsgericht Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede, noch bevor das staatliche Parallelverfahren abgeschlossen wurde. Begehrt wird der Ersatz der bisher im staatlichen Parallelverfahren angefallenen Kosten und die Feststellung, dass der Schiedskläger von allen künftigen Kosten des abredewidrigen Verfahren schad149 MüKo ZPO/Gottwald, 2017, Art. 2 Brüssel Ia-VO, Rn. 8; Martiny, Hdb. IZVR III/2, 1984, Kap. II, Rn. 46; Stein/Jonas/Oberhammer, 2011, Art. 32 Brüssel I‑VO, Rn. 5; vgl. auch Rechtbank Breda (Niederlande) NJ 1987, 184; Zöller/Geimer, 2018, Art. 36 EuGVVO, Rn. 24; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 2 Brüssel Ia-VO, Rn. 11; Schlosser/Hess/Hess, 2015, Art. 2, Rn 18. 150 EuGH, Urteil v. 15.12.2012, Rs. C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719, Rn. 23 – Gothaer. 151 Kindler, in: FS Geimer, 2017, S. 329; Domej, in: FS Gottwald, 2014, S. 102; Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 515; a. A. – allerdings vor der Klarstellung in ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO – OLG Düsseldorf, Beschluss v. 21.5.2007 – 3 W 13/07, NJOZ 2007, 3808 (spanisches Gericht gab Schiedseinrede statt und erließ ein klageabweisendes Prozessurteil. Der sachliche Anwendungsbereich der Anerkennungsbestimmungen der Brüssel I‑VO sei im Hinblick auf das Prozessurteil nicht gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO ausgeschlossen. Denn für die sachliche Anwendbarkeit komme es entscheidend auf den Gegenstand des Rechtsstreits (hier: Zahlung) an, unabhängig davon, welche Vorfrage (hier: Zuständigkeit eines Schiedsgerichts) in diesem Rechtsstreit aufgeworfen worden sei). 152 Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 516 („Die Prozessabweisung wegen der Zuständigkeit des Schiedsgerichts wird im Hinblick auf Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO nicht nach Art. 36 EuGVVO anerkannt und im Kostenpunkt nicht vollstreckt. Auch § 328 ZPO bzw. § 109 FamFG sind nicht einschlägig, weil es sich nicht um eine Entscheidung in der Sache handelt.“ (Hervorhebung hinzugefügt)).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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los zu halten ist.153 Das staatliche Parallelgericht hat bisher weder eine rechtskräftige Sach- noch eine rechtskräftige Kostenentscheidung getroffen, die der Zuerkennung dieser Ansprüche entgegenstehen könnte. Eine mittelbare Einwirkung des Brüssel-Systems auf die schiedsrichterliche Entscheidung über Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO scheidet damit aus.
3. Zwischenergebnis Unmittelbar steht die Brüssel Ia-VO der schiedsrichterlichen Zuerkennung von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede nicht entgegen.154 Denn als private Spruchkörper sind Schiedsgerichte an die Brüssel Ia-VO nicht gebunden. Es kommt aber eine mittelbare Einwirkung über die res iudicata-Wirkung des staatlichen Parallelurteils in Betracht, die sich nach Maßgabe von Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckt.155 Drei Fälle sind zu unterscheiden: Hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Sache entschieden (Fall 1), muss weiter differenziert werden:156 Ist in der Hauptsache zuerst ein Schiedsspruch ergangen, kann dem staatlichen Parallelurteil im Schiedsstaat gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung wegen Unvereinbarkeit mit dem Schiedsspruch versagt werden;157 die Brüssel Ia-VO steht der schiedsrichterlichen Zuerkennung von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede dann auch nicht mittelbar entgegen.158 Das setzt allerdings voraus, dass nach dem im Schiedsstaat auf die materielle Rechtskraft des Schiedsspruchs anwendbaren Recht die Rechtskraft von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen gleichrangig ausgestaltet ist. Außerdem muss der Schiedsspruch der Letztentscheidungskompetenz der Gerichte des Schiedsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede standhalten. Andernfalls beurteilt sich die Konstellation, als wäre in der Hauptsache vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen. Ist in der Hauptsache vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen, erstreckt sich die Wirkung des staatlichen Parallelurteils gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat; Versagungsgründe nach Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO greifen nicht.159 Sofern das Schiedsgericht nach dem Recht des Schiedsstaats an die Rechtskraft von Gerichtsurteilen gebun153 Vgl. West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; Beschluss des Schweizerischen Bundesgerichts vom 30.09.2013, 4A_232/2013; In the matter of The „Alexandros T“ [2013] UKSC 70 und [2014] EWCA Civ 1010. 154 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.1. 155 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2. 156 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a). 157 Vgl. zum Ganzen ausführlich oben Teil 4 C.II.1. 158 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)aa). 159 Vgl. zum Ganzen ausführlich oben Teil 4 A.I. und C.III.2.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
den ist,160 steht damit das Brüssel-System dem schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede mittelbar entgegen, und zwar über die gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckte res iudicata-Wirkung des staatlichen Parallelurteils. Das gilt für die Ersatzfähigkeit der Sachentscheidungsdifferenz uneingeschränkt.161 Denn ihre Zuerkennung würde voraussetzen, dass das Schiedsgericht seiner Differenzhypothese eine vom staatlichen Parallelurteil abweichende Beurteilung der Hauptsache zugrunde legt; dem steht die res iudicata-Wirkung der staatlichen Hauptsache-Entscheidung entgegen. Für die Ersatzfähigkeit der Prozesskosten ist maßgeblich, ob der Rechtskraft der prozessualen Kostenentscheidungen des Parallelgerichts nach dem Recht des Gerichtsstaats eine abschließende Wirkung zukommt, die der Umverteilung von Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Erstattungsansprüche entgegensteht; in den untersuchten Rechtsordnungen bleibt unter diesem Gesichtspunkt auch für die Ersatzfähigkeit der Prozesskosten des staatlichen Parallelverfahrens kein Raum.162 Hat das Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen (Fall 2), steht die Brüssel Ia-VO dem schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede auch mittelbar nicht entgegen.163 In Betracht kommt eine Aufbesserung (topping-up) der prozessualen Kostenentscheidung des Parallelgerichts durch den Schadensersatz-Schiedsspruch. Dem steht insbesondere keine nach dem Brüssel-System auf den Schiedsstaat erstreckte Rechtskraft der prozessualen Kostenentscheidung des Parallelgerichts entgegen. Denn die Anwendbarkeit von Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf eine solche Nebenentscheidung setzt voraus, dass die Hauptentscheidung der Titelfreizügigkeit nach der Verordnung unterliegt. Das ist bei klageabweisenden Prozessurteilen bzw. Aussetzungsentscheidungen,164 die sich auf die Stattgabe der Schiedseinrede beschränken, jedoch nicht der Fall (Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO). Läuft zur Zeit der Entscheidung des Schiedsgerichts über den Schadensersatzanspruch das staatliche Parallelverfahren noch (Fall 3), scheidet eine mittelbare Einwirkung des Brüssel-Systems auf die schiedsrichterliche Entscheidung über Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ebenfalls aus.165 Es fehlt bereits an einer rechtskräftigen Sach- oder Kostenentscheidung, die der Zuerkennung von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede entgegenstehen könnte. 160 161
Vgl. hierzu oben Teil 4 A.II. Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(2). 162 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(3). 163 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.b). 164 Während z. B. deutsche Gerichte der Schiedseinrede durch klageabweisendes Prozessurteil stattgeben (§ 1032 Abs. 1 ZPO), erfolgt vor englischen Gerichten eine Aussetzung des staatlichen Verfahrens (s. 9, 2(2) lit. a AA 1996). 165 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.c).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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II. Durchsetzung Unterstellt, der Schiedskläger kann vor dem Schiedsgericht einen Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede erwirken, fragt sich als nächstes, ob seine Durchsetzung mithilfe mitgliedstaatlicher Gerichte mit dem Brüssel-System vereinbar ist. Die Untersuchung dieser Frage unterscheidet zwischen der Durchsetzung des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Gerichtsstaat (1.) und in sonstigen Mitgliedstaaten (2.).
1. Im Gerichtsstaat Aus Sicht des Gerichtsstaats stellt der Schadensersatz-Zuspruch einen ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK dar. Seine Vollstreckbarerklärung beurteilt sich nach Art. III ff. NYK, nicht nach der Brüssel Ia-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO. Auch sonst steht das BrüsselSystem einer Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Gerichtsstaat nicht entgegen. Insbesondere ist das West Tankers-Verbot des EuGH166 nicht übertragbar. Denn die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs durch Gerichte des Gerichtsstaats ist zwar darauf gerichtet, den Schiedskläger finanziell so zu stellen, als hätte ein Verfahren nach der Brüssel Ia-VO nicht stattgefunden. Betroffen durch die Vollstreckbarerklärung ist insofern aber nur ein Verfahren vor den Gerichten desselben Mitgliedstaats. Das West Tankers-Verbot betrifft dagegen Maßnahmen mitgliedstaatlicher Gerichte, die Befugnisse beeinträchtigen, die Gerichten anderer Mitgliedstaaten nach dem Brüssel-System zustehen.167 Das darf seit dem Gazprom-Urteil des Gerichtshofs168 als entschieden betrachtet werden. Womöglich stehen der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Gerichtsstaat aber Anerkennungsversagungsgründe nach Art. V NYK entgegen. Zu unterscheiden sind die drei bereits bekannten169 Grundkonstellationen:
a) Fall 1: Parallelgericht hat die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden Hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden, wird die Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs im Gerichtsstaat sehr wahrscheinlich bereits an der Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede scheitern (aa)). Daneben kommt eine Versagung 166 167
Vgl. hierzu oben Teil 2 A.I. Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.I. 168 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.I. 169 Vgl. hierzu oben vor Teil 5 B.I.2.a).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit dem inländischen Parallelurteil in Betracht (bb)).
aa) Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats und Bindung an die Zurückweisung der Schiedseinrede durch das inländische Parallelgericht Art. V NYK kennt an sich drei Versagungsgründe, die die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts betreffen: dass die Schiedsabrede ungültig ist (Abs. 1 lit. a), sie den Streitgegenstand des Schiedsspruchs nicht erfasst (Abs. 1 lit. c) oder der Streitgegenstand des Schiedsspruchs auf schiedsrichterlichem Weg nicht geregelt werden kann (Abs. 2 lit. a). Streitgegenstand des Schiedsspruchs ist hier der Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede. Unterstellt man ihre Gültigkeit, wird sich hierfür auf Grundlage der Schiedsabrede regelmäßig die Zuständigkeit des Schiedsgerichts begründen lassen.170 Dem Exequaturgericht steht vorliegend aber auch eine Nachprüfungskompetenz hinsichtlich der Frage zu, ob der Streitgegenstand des staatlichen Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von der Schiedsabrede erfasst wird. Denn die oben zu schiedsrichterlichen anti-suit injunctions entwickelten Grundsätze greifen auch hier:171 Zwar hat das Schiedsgericht über die Anwendbarkeit der Schiedsabrede auf den Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens als (negatives) Tatbestandsmerkmal des Schadensersatzanspruchs entschieden (Verletzung der Schiedsabrede durch Anrufung des staatlichen Parallelgerichts). Die Beurteilung stellt sich insofern als Teil der schiedsrichterlichen Sachentscheidung dar, die im Anwendungsbereich der NYK einer Nachprüfung grundsätzlich entzogen ist.172 Ist der Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens aus Sicht des Gerichtsstaats nicht schiedsfähig oder nicht von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst, wäre die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs aber mit wesentlichen Grundsätzen des Rechts des Gerichtsstaats offensichtlich unvereinbar (Art. V Abs. 2 lit. b NYK):173 170 171
Vgl. hierzu aber oben Teil 5 A.II. Vgl. hierzu oben Teil 2 B.II.2.b)aa)–bb). 172 Vgl. Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 11.2.2010, 4A_444/2009, abrufbar unter , C. 4.1.2.; a. A. offenbar Litauisches Kassationsgericht, Entscheidung v. 23.10.2015, 3K-7–458–701/2015, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter ; GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414, Rn. 59 f. – Gazprom (Prüfung der Schiedsfähigkeit des Gegenstands des Parallelverfahrens nach Art. V Abs. 2 lit. a NYK). 173 Vgl. Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 11.2.2010, 4A_444/2009, abrufbar unter , C. 4.2.2 („Der Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK) verhindert nicht, dass die Parteien in schiedsfähigen Angelegenheiten durch den Abschluss einer Schiedsklausel auf den staatlichen Richter zugunsten eines Schiedsgerichts verzichten. Dies haben die Parteien vorliegend mit der Schiedsklausel im Vertriebsvertrag von 2004 getan.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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Als Ausfluss des Verbots der Zwangsschiedsgerichtsbarkeit und des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) haben in Deutschland, England und Frankreich staatliche Gerichte das letzte Wort darüber, ob eine Schiedsabrede wirksam und anwendbar ist.174 Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die rechtsstaatlichen Anforderungen an einen Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz nicht untergraben werden können. Wäre das mit der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs befasste Gericht nicht in der Lage, diese Fragen auch im Hinblick auf den Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens zu prüfen, könnte jedoch genau das nicht gewährleistet werden. Vielmehr wären nunmehr staatliche Gerichte an die Beurteilung des Schiedsgerichts gebunden, dass der Gegenstand des Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird. Denn mangels anderer Versagungsgründe müsste der Schadensersatz-Schiedsspruch im Gerichtsstaat für vollstreckbar erklärt und daraufhin die Lage hergestellt werden, die bestünde, hätte das unzuständige Schiedsgericht in der Hauptsache entschieden. Das ist mit dem Verbot der Zwangsschiedsgerichtsbarkeit und dem Recht des Gerichtsklägers auf gerichtlichen Rechtsschutz offensichtlich unvereinbar. Angesichts dieser Nachprüfungskompetenz des Exequaturgerichts im Rahmen des ordre public-Vorbehalts (Art. V Abs. 2 lit. b NYK) wirkt sich aus, dass mit dem staatlichen Parallelgericht bereits ein inländisches Gericht entschieden hat, dass der Gegenstand des Parallelverfahrens nicht schiedsfähig ist bzw. nicht von einer wirksamen Schiedsvereinbarung erfasst wird. Denn an diese Entscheidung wird das Exequaturgericht regelmäßig gebunden sein. In England und Frankreich besteht eine rechtliche Bindung; denn hier werden Schiedseinreden durch rechtskräftige Zwischenentscheidungen zurückgewiesen.175 In Deutschland entfaltet die Zurückweisung der Schiedseinrede (§ 1032 Abs. 1 ZPO) als Entscheidung über eine Vorfrage zwar gemäß § 322 Abs. 1 ZPO keine Rechtskraft – nach hier vertretener Ansicht auch dann nicht, wenn sie per Zwischenurteil i. S. v. § 280 ZPO ergangen ist.176 Das Exequaturgericht wendet für die Beurteilung der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede aber dieselben Regeln und Maßstäbe an wie das staatliche Parallelgericht.177 AuWenn nun das Schiedsgericht gestützt auf diese Schiedsklausel tätig wurde und dabei auch über das Rechtsbegehren Nr. 4 der Beschwerdegegnerin entschied, kann darin keine Verletzung des Ordre public erblickt werden.“ (Hervorhebung hinzugefügt)). 174 Vgl. die Nachweise oben Teil 2 B.II.2.b)bb) Fn. 271. 175 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.1.a)bb)–cc). 176 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.II.1.a)aa); etwas anderes gilt, wenn gemäß § 256 Abs. 2 ZPO per Zwischenfeststellungsurteil die Ungültigkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsvereinbarung bzw. gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO die Unzulässigkeit des schiedsrichterlichen Verfahrens festgestellt wurde (vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.1.a)). 177 Zum Beispiel bestimmen die beiden Spruchkörper das anwendbare Recht nach demselbem Kollisionsrecht und qualifizieren nach derselben lex fori.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
ßerdem geht von der Zurückweisung der Schiedseinrede immerhin eine tatsächliche Bindungswirkung aus – das Exeqaturgericht ist zwar nicht rechtlich gebunden, muss faktisch für eine Abweichung von der Entscheidung des Parallelgerichts aber einen höheren Begründungsaufwand überwinden, als wenn es sich der Beurteilung anschließt.
bb) Unvereinbarkeit der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit dem inländischen Parallelurteil Außerdem ist damit zu rechnen, dass die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Gerichtsstaat wegen Unvereinbarkeit mit dem inländischen Parallelurteil versagt wird. Bei einer Kollision von ausländischen Schiedssprüchen mit einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung ist ein Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK zulässig.178 In den untersuchten Rechtsordnungen würde die öffentliche Ordnung des Anerkennungsstaats auch offensichtlich verletzt, wenn sich auf demselben Staatsgebiet zwei rechtskräftige Entscheidungen mit widersprüchlichen Rechtsfolgenaussprüchen gegenüberstünden.179 Ob diese Voraussetzung im Hinblick auf den Schadensersatz-Schiedsspruch und das inländische Parallelurteil erfüllt ist, beurteilt sich nach den Grundsätzen, die bereits auf Ebene der SchadensersatzZuerkennung erarbeitet wurden.180 Anders als dort ist allerdings keine Differenzierung danach erforderlich, ob vor dem Gerichtsurteil ein Schiedsspruch in der Hauptsache ergangen ist. Denn im Gerichtsstaat setzt sich in der Hauptsache das Parallelurteil auch dann gegen den Schiedsspruch durch, wenn der Schiedsspruch zuerst ergangen ist.181 Danach ergibt sich: Die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs ist unvereinbar mit dem staatlichen Parallelurteil, wenn im Schadensersatz-Schiedsspruch die Hauptsache-Entscheidung des Parallelgerichts auf der Grundlage negiert oder modifiziert wird, dass das Schiedsgericht die Hauptsache zugunsten des Schiedsklägers anders beurteilt hätte.182 Denn mit der Vollstreckbarerklärung würde die im Gerichtsstaat rechtskräftige Hauptsache-Entscheidung des Parallelgerichts faktisch aufgehoben und durch eine andere, hiervon abweichende Entscheidung ersetzt. Beschränkt sich der Schadensersatz-Schiedsspruch auf die Zuerkennung von Kosten, die dem Schiedskläger für die Verteidigung im staatlichen Parallelverfahren entstanden sind, kommt eine Unvereinbarkeit der Vollstreckbarerklärung mit der Hauptsache-Entscheidung des Parallelgerichts nicht in Betracht. 178 179
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.III.1.b)aa). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)bb). 180 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.b)aa). 181 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.3. 182 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(2); a. A. Santomauro, J. Priv. Int. L. 2010, 281, 310 ff.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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Die Vollstreckbarerklärung kann aber unvereinbar sein mit der prozessualen Kostenentscheidung des Parallelgerichts.183 Entscheidend ist, inwieweit die prozessuale Kostenentscheidung nach dem Recht des Gerichtsstaats eine abschließende Wirkung entfaltet, die der Umverteilung von Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Ausgleichsansprüche entgegensteht. Zwar unterscheiden sich die Wertungen und Voraussetzungen von prozess- und materiellrechtlichen Kostenerstattungsansprüchen.184 Dennoch entfalten prozessuale Kostenentscheidungen in den untersuchten Rechtsordnungen eine Rechtskraftwirkung, die ihre Modifizierung bzw. dem topping-up nicht oder nur teilweise zuerkannter Kostenpositionen im Rahmen materiellrechtlicher Kostenerstattungsansprüche weitgehend ausschließt.185 Zweifel könnten bestehen, dass es für ein Eingreifen des ordre public-Vorbehalts (Art. V Abs. 2 lit. b NYK) als Ausnahmetatbestand genügen soll, dass der Schadensersatz-Schiedsspruch unvereinbar ist mit einer Kosten-, also mit einer bloßen Nebenentscheidung.186 Nehmen wir illustrierend jedoch an, dass der Rechtsfolgenausspruch der prozessualen Kostenentscheidung vorsieht, dass der Schiedskläger die Kosten des Parallelverfahrens zu tragen hat – er muss die Kosten des Gerichtsklägers i. H. v. X erstatten und seine eigenen Kosten i. H. v. Y tragen. Diese Entscheidung ist nach dem Recht des Gerichtsstaats abschließend, das heißt sie darf auch durch die Hintertür eines materiellrechtlichen Erstattungsanspruchs nicht mehr modifiziert werden. Nach dem Schadensersatz-Schiedsspruch muss der Gerichtskläger allerdings den Betrag X an den Schiedskläger zurückzahlen und ihm außerdem seine Kosten i. H. v. Y erstatten. Faktisch hebt auch hier die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs eine im Gerichtsstaat rechtskräftige Entscheidung auf und ersetzt sie durch eine abweichende Bewertung. Die Situation unterscheidet sich nicht von der kollidierender Hauptsache-Entscheidungen:187 Auf demselben Staatsgebiet beanspruchen zwei widersprüchliche Rechtsfolgenaussprüche Geltung. Zur Wahrung der öffentlichen Ordnung ist im Gerichtsstaat die Auflösung der Entscheidungskollision zugunsten einer der beiden Entscheidungen geboten. In
183
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(3). Dies weden ein Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 723. 185 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(3)(b)–(d) und speziell für den Einwand unterschiedlicher Wertungen und Voraussetzungen oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(3)(b). 186 Vgl. jedoch zu der Bedeutung, die eine prozessuale Kostenentscheidung für die Parteien haben kann STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 6/2009, 12.1.2009, RJ/2009/544 (entgegen einer exklusiven Gerichtsstandsabrede zugunsten spanischer Gerichte erhob eine Partei Klage vor dem Federal District Court in Florida. Das Gericht verneinte seine Zuständigkeit unter Hinweis auf die Gerichtsstandsabrede; dies wurde in zweiter Instanz bestätigt. Der siegreichen Partei entstanden jedoch Kosten – allein für den Streit über die Zuständigkeit – in Höhe von EUR 835.000, die sie nach der American rule of costs selbst zu tragen hatte). 187 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)bb). 184
286
Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
den untersuchten Rechtsordnungen bedeutet das eine Auflösung zugunsten der inländischen Kostenentscheidung.188
b) Fall 2: Parallelgericht hat der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen Betrachten wir den Fall, dass das Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien gemäß Art. II Abs. 3 NYK auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen hat: An der staatlichen Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats bezüglich der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede scheitert in diesem Fall die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs regelmäßig nicht.189 Die in der Praxis typischerweise verwendete Formulierung einer Schiedsklausel erfasst die Entscheidung über Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede.190 Zudem hat mit dem staatlichen Parallelgericht bereits ein inländisches Gericht entschieden, dass der Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird. Diese Entscheidung entfaltet in den untersuchten Rechtsordnungen res iudicata-Wirkung. Das gilt auch für Deutschland: Das Parallelgericht hat die Parteien gemäß §§ 1032 Abs. 1, 1025 Abs. 2 ZPO durch klageabweisendes Prozessurteil auf die Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen. Die Schiedsbindung erwächst als tragender Abweisungsgrund in materieller Rechtskraft.191 Im Rahmen von § 1061 Abs. 1 ZPO i. V. m. Art. V Abs. 2 lit. b NYK192 wirkt die Zurückweisung der Schiedseinrede präjudizierend.193 Die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs kann im Gerichtsstaat aber als ordre public-widrig (Art. V Abs. 2 lit. b NYK) zu versagen sein, wenn sie unvereinbar ist mit der Kostenentscheidung des inländischen Parallelgerichts. Die zu Fall 1 dargestellten Grundsätze gelten entsprechend:194 Nehmen wir an, der Rechtsfolgenausspruch der prozessualen Kostenentscheidung sieht vor, dass der Gerichtskläger dem Schiedskläger im staatlichen Parallelverfahren entstandene Prozesskosten i. H. v. X erstatten muss. Dem Schiedskläger sind tatsächlich höhere Kosten durch das staatliche Parallelverfahren entstanden. Die Differenz in Höhe des Betrags Y hat das staatliche Parallelge188 189
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)cc). Vgl. ausführlich zum Prüfungsumfang soeben Teil 5 B.II.1.a)aa). 190 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 A.II. 191 MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032 Abs. 1, Rn. 21 mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur. 192 Ob der Gegenstand des Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird, ist im Rahmen des ordre public-Vorbehalts nachprüfbar (vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.1.a)bb)). 193 Vgl. MüKo ZPO/Münch, 2017, § 1032, Rn. 21 im Hinblick auf § 1059/1060 ZPO. 194 Vgl. Teil 5 B.II.1.a)bb).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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richt aber nicht zuerkannt – zum Beispiel, weil insoweit die Aufwendungen des Schiedsklägers nach der Kostenordnung des Gerichtsstaats als zur Rechtsverteidigung nicht erforderlich anzusehen waren. Der Rechtsfolgenausspruch der prozessualen Kostenentscheidung entfaltet im Gerichtsstaat eine abschließende Wirkung, die einem topping-up nicht bzw. nur teilweise zuerkannter Kostenpositionen durch die Hintertür des materiellen Rechts entgegensteht. Der Schadensersatz-Schiedsspruch sieht dagegen vor, dass der Gerichtskläger dem Schiedskläger auch noch diese Kosten i. H. v. Y erstatten muss. Damit stünden sich im Fall der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Gerichtsstaat zwei widersprüchliche Rechtsfolgenaussprüche gegenüber. Zur Wahrung der öffentlichen Ordnung ist die Entscheidungskollision aufzulösen, und zwar in den untersuchten Rechtsordnungen zugunsten der zuerst ergangen, inländischen Kostenentscheidung.195
c) Fall 3: Parallelverfahren läuft zur Zeit der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs noch Läuft das staatliche Parallelverfahren noch, kann der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs die Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats bezüglich der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede entgegenstehen.196 Im Ergebnis ist zu unterscheiden: Hat das inländische Parallelgericht die Schiedseinrede zur Zeit der Entscheidung des Exequaturgerichts über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs bereits endgültig durch Zwischenentscheidung zurückgewiesen, gelten die Ausführungen zu Fall 1 entsprechend.197 Das heißt in England und Frankreich ist das Exequaturgericht rechtlich, in Deutschland ist es tatsächlich gebunden, die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs zu versagen, weil das Schiedsgericht für den Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens unzuständig ist. Hat dagegen das inländische Parallelgericht die Schiedseinrede bisher nicht endgültig zurückgewiesen, ist offen und kommt es darauf an, wie das Exequaturgericht die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für den Schadensersatz-Zuspruch und den Gegenstand des Parallelverfahrens beurteilt. Angenommen das Exequaturgericht gelangt zu dem Ergebnis, dass das Schiedsgericht für den Schadensersatz-Zuspruch und den Gegenstand des Parallelverfahrens zuständig ist. Dann kann sich die Frage stellen, ob dem Schadensersatz-Schiedsspruch gleichwohl wegen ordre public-Widrigkeit (Art. V Abs. 2 lit. b NYK) die Vollstreckbarerklärung zu versagen ist. Zwar hat in der vorliegenden Konstellation das Parallelgericht noch keine rechtskräftige Sach- oder Kostenentscheidung getroffen, mit der die Vollstreckbarerklärung 195 196
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.cc)(3). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)aa). 197 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)aa).
288
Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
des Schadensersatz-Schiedsspruchs unvereinbar sein könnte.198 Denkbar ist jedoch, dass prophylaktischer Schadensersatz, der ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens vor dem inländischen Parallelgericht zugesprochen wird, im Gerichtsstaat als Eingriff in die Ziviljustiz und als Verletzung des Justizgewährungsanspruchs beurteilt wird. Für die untersuchten Rechtsordnungen kann auf die Ergebnisse zurückgegriffen werden, die für die Parallelproblematik bei schiedsrichterlichen anti-suit injunctions erarbeitet wurden:199 Wenn das Schiedsgericht aus Sicht des Exequaturgerichts für den Schadensersatz-Zuspruch und den Gegenstand in der Hauptsache zuständig ist, ist in England und Frankreich nach aktueller Rechtslage nicht damit zu rechnen, dass dem Schadensersatz-Schiedsspruch die Vollstreckbarerklärung wegen ordre public-Widrigkeit versagt wird. Für Deutschland gibt es gute Argumente, das ebenso zu beurteilen. Eine belastbare Prognose, wie deutsche Gerichte das beurteilen, lässt sich aktuell aber nicht treffen.
d) Zwischenergebnis Im Gerichtsstaat steht die Brüssel Ia-VO der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs nicht entgegen.200 Auf die Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen findet sie keine Anwendung. Das West Tankers-Verbot lässt sich nicht übertragen, da die Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs im Gerichtsstaat Auswirkungen lediglich auf die Wirksamkeit eines inländischen Gerichtsverfahrens hat – es fehlt das grenzüberschreitende Element. Für die Vollstreckungsaussichten des Schadensersatz-Schiedsspruchs nach Art. III ff. NYK ist zu unterscheiden: Hat das Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Sache entschieden (Fall 1), wird die Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs sehr wahrscheinlich bereits an der Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede scheitern.201 Denn zur Wahrung der Letztentscheidungskompetenz muss sich das Exequaturgericht auf den ordre public-Vorbehalt nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK berufen, wenn der Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens schiedsunfähig ist oder nicht von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird. Das hat das inländische Parallelgericht in Gestalt der Zurückweisung der Schiedseinrede bereits rechtskräftig bejaht. Außerdem ist damit 198
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)bb). Vgl. hierzu oben Teil 2 B.II.2.c); vgl. aber Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 253 (der bezüglich deutschen Rechts die Anerkennung von Schadensersatz-Schiedssprüchen anders beurteils – d. h. keine ordre public-Verletzung – als die Anerkennung von schiedsrichterlichen anti-suit injunctions). 200 Vgl. hierzu oben vor Teil 5 II.1.a). 201 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)aa). 199
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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zu rechnen, dass die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit dem inländischen Parallelurteil versagt wird (Art. V Abs. 2 lit. b NYK).202 In den untersuchten Rechtsordnungen ist das der Fall, wenn das Schiedsgericht dem Schiedskläger die Sachentscheidungsdifferenz auf der Grundlage zugesprochen hat, dass das Schiedsgericht die Hauptsache zugunsten des Schiedsklägers abweichend vom staatlichen Parallelgericht beurteilt hätte. Gleiches gilt auch dann, wenn sich das Schiedsgericht darauf beschränkt, dem Schiedskläger abweichend von der Kostenentscheidung des Parallelgerichts eine Erstattung der Prozesskosten zuzusprechen, die ihm im staatlichen Parallelverfahren entstanden sind. Denn in beiden Fällen stünden sich bei Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs auf demselben Staatsgebiet widerstreitende Rechtsfolgenaussprüche gegenüber. Wenn das staatliche Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen hat (Fall 2), bereitet die Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats in aller Regel kein Anerkennungshindernis.203 Insbesondere hat mit dem staatlichen Parallelgericht bereits ein inländisches Gericht entschieden, dass der Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird. Wie in Fall 1 kann die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs aber wegen Unvereinbarkeit mit der prozessualen Kostenentscheidung des inländischen Parallelgerichts zu versagen sein. Denn jedenfalls in den untersuchten Rechtsordnungen kommt der prozessualen Kostenentscheidung eine abschließende res iudicata-Wirkung zu, die nicht nur der Umverteilung der Kostenlast, sondern auch dem topping-up der zuerkannten Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Erstattungsansprüche entgegensteht. Läuft das staatliche Parallelverfahren noch (Fall 3), kann der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs die Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede entgegenstehen:204 Hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede bereits durch Zwischenurteil endgültig zurückgewiesen, gelten die Ausführungen zu Fall 1 entsprechend.205 Das heißt in England und Frankreich ist das Exequaturgericht rechtlich, in Deutschland ist es tatsächlich gebunden, die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs zu versagen. Andernfalls kommt es darauf an, wie das Exequaturgericht die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für den Schadensersatz-Zuspruch und den Gegenstand des Parallelverfahrens beurteilt. Bejaht es die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für beide Gegenstände, ist gleichwohl denkbar, dass der prophylaktische Schadensersatz, der ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfah202 203
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)bb). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.b). 204 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.c). 205 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)aa).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
rens vor dem inländischen Parallelgericht zugesprochen wird, als Eingriff in die Ziviljustiz beurteilt wird (Art. V Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO). In England und Frankreich ist damit nicht zu rechnen. Für Deutschland gibt es gute Gründe, das ebenso zu bewerten. Eine belastbare Prognose, wie deutsche Gerichte die Frage beurteilen, lässt sich letztlich aber nicht treffen. Festhalten lässt sich, dass eine Durchsetzung des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Gerichtsstaat nicht geeignet ist, die Ansicht des Schiedsstaats, die Schiedsabrede sei wirksam und in der Hauptsache anwendbar, gegen eine gegenläufige Beurteilung durch den Gerichtsstaat durchzusetzen.
2. Im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten Untersuchen wir nun die Durchsetzbarkeit des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten: Aus Perspektive eines dritten Mitgliedstaats stellt der schiedsrichterliche Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede einen ausländischen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK dar, dessen Vollstreckbarerklärung sich nach Art. III ff. NYK beurteilt. Aus Sicht des Schiedsstaats handelt es sich dagegen um einen inländischen Schiedsspruch; seine Vollstreckbarerklärung richtet sich nach autonomem Schiedsverfahrensrecht. Obgleich verschiedene Regime einschlägig sind, wird die Durchsetzbarkeit des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten gemeinsam untersucht. Denn für die Zwecke dieser Arbeit stellt sich in beiden Fällen grundsätzlich206 die gleiche Problematik: Ergeben sich für die Vollstreckbarkeit des Schadensersatz-Schiedsspruchs Implikationen daraus, dass das staatliche Parallelverfahren im Gerichtsstaat und das hieraus resultierende Parallelurteil dem Brüssel-System unterfallen?
a) Fall 1: Parallelgericht hat die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden Hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden, könnte danach zu differenzieren sein, ob vor dem staatlichen Parallelurteil in der Hauptsache ein Schiedsspruch ergangen ist.207
aa) In der Hauptsache ist vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen Ist in der Hauptsache vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen, könnte die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs 206 Bei der Durchsetzung im Gerichtsstaat ist die Problematik lediglich zusätzlich aufgeladen durch Art. 72 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO. 207 Vgl. hierzu unten Teil 5 B.II.a)bb).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
291
im Schiedsstaat bzw. in dritten Mitgliedstaaten wegen Unvereinbarkeit mit dem nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennenden und zu vollstreckenden Parallelurteil zu versagen sein (1). Darüber hinaus kommt eine Übertragung des West Tankers-Verbots des EuGH in Betracht (2).
(1) Unvereinbarkeit der Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs mit dem nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennenden und zu vollstreckenden Parallelurteil (a) Pflicht zur Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils Das staatliche Parallelurteil ist im Schiedsstaat208 und in dritten Mitgliedstaaten209 gemäß Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennen und zu vollstrecken. Insbesondere eine Missachtung der Schiedsabrede durch das staatliche Parallelgericht210 und die Kollision mit einem später ergangenen Schiedsspruch in der Hauptsache211 erfüllen keinen der in Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO abschließend aufgezählten Versagungsgründe.
(b) Unvereinbarkeit der Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs mit dem staatlichen Parallelurteil Die Wirkungen des Parallelurteils im Schiedsstaat- und in dritten Mitgliedstaaten entsprechen denen im Gerichtsstaat.212 Daher kann für die Frage der Vereinbarkeit der Vollstreckbarklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit dem staatlichen Parallelurteil auf die Ausführungen zur Perspektive des Gerichtsstaats zurückgegriffen werden.213 Danach gilt: Die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs ist unvereinbar mit dem staatlichen Parallelurteil, wenn der Schiedsspruch das Parallelurteil in der Hauptsache auf der Grundlage negiert bzw. modifiziert, dass das Schiedsgericht die Hauptsache zugunsten des Schiedsklägers abweichend beurteilt hätte.214 Denn die rechtskräftige Entscheidung des Parallelgerichts würde damit faktisch aufgehoben und durch eine abweichende Beurteilung ersetzt. Beschränkt sich der Schadensersatz-Schiedsspruch auf die Zuerkennung der Kosten des staatlichen Parallelverfahrens, kann die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs unvereinbar sein mit der prozessualen Kosten208 209
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 A.I. und Teil 4 C.III.2. Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 A.I. und Teil 4 C.III.1. 210 Vgl. hierzu oben Teil 4 A.I.2. 211 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III.1.–2. 212 EuGH, C-145/86, Slg. 1988, 645 – Hoffmann ./. Krieg; ausführlich Pfeiffer ZZP 127 (2014), 409, 427 f. 213 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)bb und Teil 5 B.I.2.a). 214 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(2).
292
Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
entscheidung des Parallelgerichts.215 Maßgeblich ist, inwieweit die Kostenentscheidung nach dem Recht des Gerichtsstaats eine abschließende Wirkung entfaltet, die der Umverteilung von Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Ausgleichsansprüche entgegensteht. Zwar unterscheiden sich die Wertungen und Voraussetzungen von prozess- und materiellrechtlichen Kostenerstattungsansprüchen.216 Dennoch entfalten prozessuale Kostenentscheidungen in den untersuchten Rechtsordnungen eine Rechtskraftwirkung, die einer Umverteilung der Kosten bzw. einem topping-up der zuerkannten Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Kostenerstattungsansprüche entgegensteht.217 Die Vollstreckbarerklärung eines Schadensersatz-Schiedsspruchs, der eine solche Umverteilung der Kosten bzw. ein topping-up der zuerkannten Kosten gleichwohl zum Gegenstand hat, ist mit der prozessualen Kostenentscheidung des Parallelgerichts unvereinbar.
(c) Einzelstaatlicher ordre public-Vorbehalt Die Unvereinbarkeit der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit dem nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennenden und zu vollstreckenden Parallelurteil müsste ferner den einzelstaatlichen ordre public-Vorbehalt auslösen. Legen wird der Untersuchung die Perspektive eines dritten Mitgliedstaats zugrunde, bei der sich die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs nach Art. III ff. NYK, nicht nach dem Brüssel-System beurteilt (Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO): Im Fall der Kollision eines ausländischen Schiedsspruchs mit einer im Anerkennungsstaat rechtskräftigen Gerichtsentscheidung ist ein Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt des Art. V Abs. 2 lit. b NYK zulässig.218 Konsequenz der Wirkungserstreckung des Parallelurteils auf den dritten Mitgliedstaat nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO ist, dass der Schadensersatz-Schiedsspruchs im dritten Mitgliedstaat unvereinbar ist mit dem staatlichen Parallelurteil.219 In den untersuchten Rechtsordnungen würde die öffentliche Ordnung einzelstaatlicher Prägung offensichtlich verletzt, wenn sich auf demselben Staatsgebiet zwei rechtskräftige Entscheidungen mit widersprüchlichen Rechtsfolgenaussprüchen gegenüberstünden.220 Es gelten die Grundsätze, die bereits zur Kollision von Schiedsspruch und Parallelurteil in der Hauptsache erarbeitet wurden:221 215 216
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)bb und Teil 5 B.I.2.a)bb)(3). Dies wenden ein Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 723. 217 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(3)(b)–(d) und speziell für den Einwand unterschiedlicher Wertungen und Voraussetzungen Teil 5 B.I.2.a)bb)(3)(b). 218 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.III.1.b)aa). 219 Vgl. hierzu soeben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(a). 220 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)bb). 221 Vgl hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)cc) und Teil 4 C.III.1.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
293
Einer der beiden Rechtsfolgenaussprüche muss zurücktreten. Der NYK lassen sich für die Auswahl keine Vorgaben entnehmen.222 Etwas anderes gilt für das Brüssel-System. Denn dieses stellt mit Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO entsprechend eine unionsautonome Grenze bereit, unterhalb der die Auflösung der Kollision mit einem Schiedsspruch zulasten der Entscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO grundsätzlich223 unzulässig ist.224 Danach kommen als mögliche Ansätze für die Auflösung der Kollision zwischen Parallelurteil und Schadensersatz-Schiedsspruch der Grundsatz der zeitlichen Priorität und die Privilegierung mitgliedstaatlicher Urteile gegenüber Schiedssprüchen in Betracht.225 Beide führen vorliegend dazu, dass die Anerkennung und Vollstreckung des Schadensersatz-Schiedsspruchs hinter der Anerkennung und Vollstreckung des Parallelurteils zurücktritt.
(d) Bedenken wegen Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO Das kann man infrage stellen: Denn nach Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO findet die Verordnung auf die Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen keine Anwendung, gemäß Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO lässt sie die Anwendung der NYK „unberührt“ und nach ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO genießt die Konvention gegenüber dem Brüssel-System „Vorrang“. Resultiert nach dem dargestellten Lösungsweg dann aber nicht letztlich doch aus Art. 36 ff., Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO, dass dem Schadensersatz-Schiedsspruch im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten die Vollstreckbarerklärung zu versagen ist? Nach hier vertretener Ansicht, nein. Denn der Beitrag der Art. 36 ff., 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO zur Versagung der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs ist beim dargestellten Lösungsweg lediglich Reflex der Anwendung dieser Bestimmungen auf die Anerkennung und Vollstreckung des Parallelurteils. Maßgeblich für die Versagung der Vollstreckbarerklärung ist, dass die öffentliche Ordnung des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats verletzt wird, wenn auf demselben Staatsgebiet zwei rechtskräftige, widerstreitende Rechtsfolgenaussprüche Geltung beanspruchen. Und das ergibt sich bereits aus der öffentlichen Ordnung einzelstaatlicher Prägung. Die Berücksichtigung von Art. 73 Abs. 2 NYK, wonach die Verordnung die NYK „unberührt“ lassen soll, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn dieser 222
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.2.a)aa). Eine Ausnahme besteht mit Blick auf Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO in der Theorie dann, wenn die Pflicht nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO mit einer Pflicht nach der NYK zur Versagung der Anerkennung des Urteils kollidiert (vgl. hierzu sogleich unten Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(c)). 224 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(2). 225 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.1.c)cc)(1)–(3). 223
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Begriff ist dahingehend auszulegen, dass die Verordnung die Anwendung der NYK nicht beeinträchtigen darf.226 Das heißt, dass der in Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO normierte und in ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO bestätigte „Vorrang“ der NYK nur greift, wenn sich der jeweilige Mitgliedstaat widerstreitenden Pflichten nach der Brüssel Ia-VO und der NYK gegenübersieht (konkreter Vorrang der NYK).227 Die Brüssel Ia-VO darf die Mitgliedstaaten also nicht dazu zwingen, ihre völkervertraglich vereinbarten Pflichten nach der NYK zu verletzen. Das tut sie beim dargestellten Lösungsweg aber auch nicht, schon deshalb, weil Art. V Abs. 2 lit b NYK – wie dargestellt – eine Versagung der Vollstreckbarerklärung wegen Unvereinbarkeit mit dem staatlichen Parallelurteil erlaubt.228
(2) Übertragbarkeit des West Tankers-Verbots des Gerichtshofs In Betracht kommt außerdem eine Übertragung des West Tankers-Verbots des EuGH.229 Zunächst erfolgt eine Einordnung der untersuchten Konstellation in die Rechtsprechung des Gerichtshofs in Sachen West Tankers230 und Gazprom231 zu anti-suit injunctions (a). Sofern die Konstellation dem Szenario West Tankers entspricht, stellt sich die Frage, ob die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit dem Erlass einer mitgliedstaatlichen antisuit injunction vergleichbar ist (b). Gegebenenfalls ist zu untersuchen, ob die Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats unter diesem Gesichtspunkt unionsrechtlich verpflichtet sind, dem Schadensatz-Schiedsspruch die Vollstreckbarerklärung zu versagen (c). Bedenken könnten wiederum angesichts der Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO und den neu eingeführten Bestimmungen in Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO bestehen (d).
(a) Einordnung der Konstellation in die Rechtsprechung des EuGH zu anti-suit injunctions Wir untersuchen, ob die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs, der zur (sekundären) Durchsetzung einer Schiedsabrede Schadensersatz zuspricht, mit der Brüssel Ia-VO vereinbar ist. Wie in West Tankers und Gazprom ist damit die Vereinbarkeit des Brüssel-Systems mit einer Entscheidung aus einem Verfahren zu beurteilen, auf das die Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO keine Anwendung findet – für die Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen 226 227
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(4)(a)–(b). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(4)(b). 228 Vgl. hierzu ausführlich soeben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(b). 229 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers. 230 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.I. 231 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.I.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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stellt das ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel-Ia VO ausdrücklich klar. Wie in West Tankers und Gazprom kann die untersuchte Entscheidung aber Auswirkungen auf die Wirksamkeit eines Verfahrens haben, dessen Hauptgegenstand vom sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO erfasst wird. Das ist namentlich das staatliche Parallelverfahren in der Hauptsache, hinsichtlich dessen der Schiedskläger durch die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs finanziell so gestellt werden soll, als hätte es nicht stattgefunden. Anders als in Gazprom, aber wie in West Tankers, ist insofern ein Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats betroffen. Denn untersucht wird die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. eines dritten Mitgliedstaats, während das potentiell betroffene Verfahren vor Gerichten des Gerichtsstaats ausgetragen wurde. Damit entspricht die untersuchte Fallgestaltung grundsätzlich der Konstellation West Tankers. Fraglich ist aber, ob die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit dem Erlass einer mitgliedstaatlichen anti-suit injunction vergleichbar ist.
(b) Vergleichbarkeit der Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs mit dem Erlass einer englischen anti-suit injunction Der Vergleichbarkeit steht jedenfalls nicht entgegen, dass der SchadensersatzZuspruch durch ein Schiedsgericht erfolgt ist. Zwar sind Schiedsgerichte als private Spruchkörper unmittelbar232 weder an die Brüssel Ia-VO gebunden noch zu Vertrauen in die Rechtspflege der Mitgliedstaaten verpflichtet.233 In der Tat kann daher die Brüssel Ia-VO dem schiedsrichterlichen SchadensersatzZuspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede unmittelbar nicht entgegenstehen.234 Hier geht es aber nicht um die Frage, ob die Brüssel Ia-VO dem Zuspruch durch das Schiedsgericht, sondern ob sie der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs durch ein mitgliedstaatliches Gericht entgegensteht. Dieses ist an das Brüssel-System nicht anders gebunden als das englische Gericht im Fall West Tankers.235 Für die Vergleichbarkeit mit dem Erlass einer englischen anti-suit injunction könnte sprechen, dass der durchzusetzende Schadensersatz-Zuspruch an die Verletzung der Pflicht anknüpft, die der Gerichtshof in West Tankers für nicht einklagbar erklärt hat. Das ist namentlich die aus der Schiedsabrede resultierende Pflicht, erfasste Rechtsstreitigkeiten nur vor dem Schiedsgericht, 232 233
Vgl. für eine mittelbare Bindung oben Teil 4 A.II. EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427 – Gazprom; West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 721. 234 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.1. 235 Bollée, Rev. arb. 2012, 838,839.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
nicht vor staatlichen Gerichten auszutragen. Im Schrifttum wird unter diesem Gesichtspunkt die Ansicht vertreten, als Sekundäranspruch müsse das Schadensersatzverlangen das Schicksal des Primäranspruchs teilen.236 Zwingend ist dieser Schluss allerdings nicht,237 wie etwa ein Blick auf das Verlöbnis im deutschen Zivilrecht zeigt: Die Primärpflicht zur Eheschließung238 kann gemäß § 1297 Abs. 1 BGB nicht eingeklagt werden,239 Sekundäransprüche wegen Verletzung dieser Pflicht nach §§ 1298 ff. BGB dagegen schon.240 Erforderlich ist daher eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Gründen für das West Tankers-Verbot des Gerichtshofs: Die erste wesentliche Erwägung des EuGH bestand darin, dass der Erlass einer englischen anti-suit injunction die Befugnis der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats beeinträchtigt, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden.241 Denn indem der adressierten Partei empfindliche Sanktionen für den Fall angedroht werden, dass sie ein dem Brüssel-System unterliegendes Verfahren vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats einleitet bzw. fortsetzt, wird jenen Gerichten die Kompetenz zur Entscheidung über die eigene Zuständigkeit faktisch entzogen. Gegen die Vergleichbarkeit mit dem Erlass einer englischen anti-suit injunction wird unter diesem Gesichtspunkt vorgebracht, dass das betroffene Parallelverfahren zur Zeit der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs bereits abgeschlossen ist.242 Eine Beeinträchtigung der Befugnis, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, komme nicht in Betracht, da das Parallelgericht diese Kompetenz zum Zeitpunkt der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs bereits ungestört ausgeübt habe. Andere wenden ein, auch von der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs gehe ein Abschreckungseffekt aus, der den Gerichtsklä236 Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1, Rn. 144; Bollée, Rev. arb. 2012, 838, 843; Illmer, SchiedsVZ 2011, 248, 251; Mankowski, IPRax 2009, 23, 30 (zu ausschließlichen Gerichtsstandsabreden). 237 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 863, Fn. 3; Antomo, Schadensersatz, 2017, 624 (beide unter Hinweis auf nichtleistungsbezogene Pflichten i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB); vgl. auch Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 71 f. (ohne Begründung). 238 Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 2010, § 8 III 1; Palandt/Brudermüller, 2019, Einf vor § 1297 Rn. 3; Rn. 1; a. A. z. B. Staudinger/Voppel, 2018, Vor § 1297 BGB, Rn. 52 f., 86 ff. (Projekt Eheschließung). 239 Vgl. auch § 120 Abs. 3 FamFG. 240 MüKo BGB/Roth, 2017, § 1298, Rn. 1. 241 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 28 – West Tankers. 242 Fierens/Volders, Rev. Bras. Arb. 9 (2012), 92, 99; Santomauro, J. Priv. Int. L. 2010, 281, 311 („An interference with a power to rule in terms of West Tankers is not possible, as the other court will already have ruled.“); für ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen Antomo, Schadensersatz, 2017, 616 ff.; 632 ff.; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 5.56.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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ger von der Einleitung bzw. Fortführung der Klage abhalte.243 Denn wenn ein potentieller Gerichtskläger wisse, dass die Wirkungen der Entscheidung des staatlichen Gerichts im Nachhinein ohnehin wieder beseitigt werden könnten, bestehe die Gefahr, dass er von seiner Möglichkeit zur Anrufung des Gerichts gar nicht erst Gebrauch mache. Gegebenenfalls werde auch hier den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates faktisch die Befugnis entzogen, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden.244 Der Unterschied zur Wirkung einer englischen anti-suit injunction sei lediglich gradueller Natur.245 Der soeben beschriebene Abschreckungseffekt der Vollstreckbarerklärung eines Schadensersatz-Schiedsspruchs erscheint mit der Zwangswirkung einer englischen anti-suit injunction jedoch nicht vergleichbar.246 Denn mit dem Erlass einer englischen anti-suit injunction geht ein konkret-individuelles Verbot einher. Die adressierte Partei weiß zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Einleitung bzw. Fortsetzung eines bestimmten staatlichen Verfahrens, dass sie sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Sanktionen aussetzen würde. Der Gerichtskläger, der nach Abschluss des staatlichen Verfahrens einem Schadensersatz-Zuspruch ausgesetzt wird, weiß das zur Zeit seiner Entscheidung über die Einleitung des staatlichen Verfahrens nicht. Er kennt allenfalls eine dahingehende, abstrakt-generelle Möglichkeit. Die hiervon ausgehende Vorwirkung erscheint jedoch eher mit dem Disziplinierungseffekt des allgemeinen Kostenrisikos als mit der Zwangswirkung einer englischen antisuit injunction vergleichbar. Letztlich kommt es auf die Vergleichbarkeit der Wirkung der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs zur Zeit der Entscheidung des Gerichtsklägers über die Einleitung des staatlichen Verfahrens aber auch nicht entscheidend an.247 Denn die vom Gerichtshof geschützte Befugnis mitglied243 Bollée, Rev. arb. 2012, 838,843; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 144. 244 Pfeiffer, in: Liber amicorum Lindacher, 2007, S. 82 f.; Hartley, ICLQ 2014, 843, 862; Bollée, Rev. arb. 2012, 838,843; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 144; Hess, JZ 2014, 538, 542. 245 Bollée, Rev. arb. 2012, 838,843; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 1 Brüssel Ia-VO, Rn. 144; Hess, JZ 2014, 538, 542; Hartley, ICLQ 2014, 843, 862; Mankowski, IPRax 2009, 23, 30 (ausschließliche Gerichtsstandsabreden); Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2017, Rn. 863 (ausschließliche Gerichtsstandsabreden). 246 Vgl. Antomo, Schadensersatz, 2017, 617 zum Schadensersatzverfahren wegen Verletzung einer Gerichtsstandsabrede (vergleicht die Wirkung mit dem Abschreckungseffekt, der von einem Klageverzicht oder einem Klagerücknahmeversprechen ausgehen kann) und Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 246 für den Fall eines Schadensersatzverfahrens vor mitgliedstaatlichen Gerichten wegen Verletzung einer Schiedsabrede („Bezüglich der Schadensersatzansprüche besteht hingegen lediglich die abstrakte Möglichkeit, dass ein bestimmter, genau zu beziffernder Schaden ausgeglichen werden muss.“). 247 Dies verkennend Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 250, 246.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
staatlicher Gerichte, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, erfüllt keinen Selbstzweck. Bejaht das mitgliedstaatliche Gericht seine Zuständigkeit aufgrund der Brüssel Ia-VO, steht ihm nach der Verordnung die Befugnis zu, den Streit abschließend und für die Parteien verbindlich zu entscheiden. Infolge der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs wird rechtlich jedoch die Lage hergestellt, die bestünde, als wenn das staatliche Parallelverfahren nicht stattgefunden hätte und als würden die hieraus resultierenden Entscheidungen nicht existieren. Dadurch wird die Ausübung der Befugnisse des staatlichen Parallelgerichts nach der Verordnung sinnentleert.248 Ihre Beeinträchtigung wird im Verhältnis zum Erlass einer englischen anti-suit injunction lediglich vertagt. Die zweite zentrale Erwägung des Gerichtshofs in West Tankers betrifft den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz. Aus diesem resultiert, dass im Anwendungsbereich des Brüssel-Systems – abgesehen von einigen Ausnahmen –249 die mitgliedstaatliche Beurteilung der Zuständigkeit von Gerichten aus anderen Mitgliedstaaten nicht gestattet ist.250 Dem Erlass einer englischen anti-suit injunction liegt eine solche aber zugrunde.251 Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, dass auch mit einem Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede ein Verdikt über die Unzuständigkeit des Parallelgerichts einhergehe, das mit dem unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz unvereinbar sei.252 Durch den Schadensersatz-Zuspruch werde die Anrufung des Parallelgerichts nämlich als „wrongful“ bewertet.253 Außerdem werde versucht, die Sicht des Schiedsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede gegen die Perspektive der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates durchzusetzen.254 Das bedeute einen Übergriff in die Kognitionsbefugnis255 und eine Maßregelung256 der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats. Stillschweigend setzt die Literaturansicht dabei offenbar 248 Vgl. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 152 (die Anerkennung hätte zur Folge, dass das Anerkennungsgericht die Zuständigkeitsentscheidung des (abredewidrigen) Erkenntnisgerichts aus einem anderen Mitgliedstaat faktisch verwerfen würde). 249 Heute Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO. 250 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 29 – West Tankers, unter Verweis auf EuGH, Rs. C-351/89, Slg. 1991 I-3317, Rn. 24 – Overseas Union und EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 26 – Turner. 251 Vgl. EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 28 – Turner. 252 Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 4, Rn. 58; Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 481 f. (beide zu ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen). 253 Bollée, Rev. arb. 2012, 838,843; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 152. 254 Hartley, ICLQ 2014, 843, 862. 255 Hess, JZ 2014, 538, 542. 256 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 152.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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voraus, dass sich das Exequaturgericht all dies durch die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs auch zu eigen macht. Nach anderer Ansicht geht der Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede mit keiner Bewertung der Zuständigkeit des Parallelgerichts einher.257 Beurteilt würden nicht die ausländische Zuständigkeitsentscheidung, sondern das Verhalten des Gerichtsklägers und die Konsequenzen seiner Vertragsverletzung. Briggs und Merrett unterfüttern das bezüglich exklusiver Gerichtsstandsabreden anhand folgender Doppelqualifikation:258 Einerseits werde durch Zuständigkeitsabreden Gerichten eine Befugnis zur Sachentscheidung verliehen bzw. genommen. Insoweit überwiege die öffentlich-rechtliche Natur der Abrede. Denn ob sich das angerufene Gericht auf ihrer Grundlage für zuständig oder unzuständig erkläre, hänge maßgeblich von dessen Prozessrecht ab. Andererseits enthielten Zuständigkeitsabreden aber auch ein vertragliches Versprechen der Parteien, die erfassten Streitigkeiten nur vor dem prorogierten bzw. nicht vor einem derogierten Spruchkörper auszutragen. Dieses Versprechen beurteile sich nach materiellem Recht, sodass insofern die privatvertragliche Natur der Zuständigkeitsabrede überwiege. Der Bestand der privatvertraglichen Verpflichtung sei dabei unabhängig davon, ob das abredewidrig angerufene Gericht die eigene Zuständigkeit nach seinem Prozessrecht bestätige. So könne zum Beispiel ein englisches Gericht, selbst wenn eine wirksame, die internationale Zuständigkeit englischer Gerichte ausschließende Vereinbarung vorliege, die eigene Zuständigkeit bestätigen und in der Sache entscheiden, wenn hierfür im Einzelfall gewichtige Gründe sprächen. Damit stelle das Gericht dann aber nicht infrage, dass sich die Parteien vertraglich dazu verpflichtet hatten, die Anrufung englischer Gerichte zu unterlassen. Ebensowenig gehe umgekehrt mit einem Schadensersatz-Zuspruch, weil eine Partei ihre privatvertragliche Pflicht aus der Zuständigkeitsabrede verletzt hat, eine Bewertung der Zuständigkeit(sentscheidung) des staatlichen Parallelgerichts einher. Im Ergebnis überzeugt, dass der Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs eine Beurteilung der Zuständigkeit des staatlichen Parallelgerichts ebenso zugrunde liegt wie dem Erlass einer englischen anti-suit injunction. Denn auch im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten gebietet die staatliche Letztentscheidungskompetenz bezüglich der Gültigkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede, dass das Exequaturgericht im Rahmen des einzelstaatlichen ordre public-Vorbehalts prüft, ob der Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsabrede er257
West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; Santomauro, J. Priv. Int. L. 2010, 281, 311; vgl. zu ausschließlichen Gerichtsstandsabreden Antomo, Schadensersatz, 2017, 632 ff.; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 5.57; Briggs, Agreements, 2008, Rn. 8.70 f.; Merrett, ICLQ 55 (2006), 315, 332 f. 258 Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 5.57; Briggs, Agreements, 2008, Rn. 8.70 f.; Merrett, ICLQ 55 (2006), 315, 332 f.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
fasst wird.259 Die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs hat nämlich zur Folge, dass rechtlich der Zustand hergestellt wird, der bestünde, hätte nur das Schiedsgericht den Streit in der Hauptsache entschieden. Damit würde der Justizgewährungsanspruch des Gerichtsklägers verletzt, wenn das Exequaturgericht den Schadensersatz-Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt, obwohl aus dessen Sicht ein wirksamer Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz nicht vorliegt. Die Beurteilung der Zuständigkeit des staatlichen Parallelgerichts durch die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs erfolgt zwar erst nach Abschluss des Parallelverfahrens. Sie widerspricht ausweislich Art. 45 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO aber auch in diesem Verfahrensstadium dem Vertrauensgrundsatz. Zudem kann sich das Exequaturgericht nicht darauf zurückziehen, es vollziehe lediglich eine Beurteilung, die das Schiedsgericht getroffen habe. Denn in Ausübung der staatlichen Letztentscheidungskompetenz ist es nicht an die Entscheidung des Schiedsgerichts über die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede gebunden.260 Die von Briggs und Merret bezüglich exklusiver Gerichtsstandsabreden konstruierte Doppelnatur von Zuständigkeitsvereinbarungen führt zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen lässt sich ihre Argumentation auf Schiedsabreden nicht übertragen. Ihr liegt nämlich die These zugrunde, dass die privatvertragliche Pflicht, nur vor dem prorogierten Spruchkörper zu klagen, unabhängig ist von der öffentlich-rechtlich geprägten Zuständigkeit des derogierten Gerichts. Dies zeige sich daran, dass englische Gerichte ihre Zuständigkeit bestätigen könnten, obgleich aus ihrer Sicht eine wirksame und exklusive Gerichtsstandsabrede zugunsten ausländischer Gerichte vorliege. Bei Schiedsabreden ist die Rechtslage anders. Denn auch für englische Gerichte gilt: Werden staatliche Gerichte wegen eines Gegenstands angerufen, der von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird, müssen sie die Parteien auf Antrag auf das schiedsrichterliche Verfahren verweisen.261 Zudem lässt die vorliegende Konstellation den Einwand nicht zu, es werde lediglich über die privatvertragliche Pflicht entschieden, eine Klage vor dem derogierten Gericht zu unterlassen. Denn wie soeben dargestellt, prüft das Exequaturgericht bei der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs die Zuständigkeit für den Gegenstand des
259 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)aa) und oben Teil 2 B.II.2.b)aa)–bb). Dies verkennend Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 250. 260 Nachweise für Deutschland, England und Frankreich, vgl. oben Teil 2 B.II.2.b)bb) Fn. 271. 261 Art. II Abs. 3 NYK, s. 9(4) AA 1996; Briggs, Civil Jurisdiction and Judgements, 2015, Rn. 5.39.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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staatlichen Parallelverfahrens, nicht die vertragliche Verpflichtung, die Klage vor dem derogierten Gericht zu unterlassen. Hinsichtlich der Verletzung exklusiver Gerichtsstandsabreden wird angeführt, dass der Bewertung der Zuständigkeit der Gerichte anderer Mitgliedstaaten seit der Reform des Brüssel-Systems der Vertrauensgrundsatz nicht mehr per se entgegenstehe.262 Denn gemäß Art. 31 Abs. 2 und 3 Brüssel Ia-VO dürfe das prorogierte Gericht mit Wirkung für die anderen Mitgliedstaaten über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsabrede i. S. v. Art. 25 Brüssel Ia-VO entscheiden. Das gelte auch dann, wenn das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit bereits bejaht habe. Es leuchte nicht ein, weshalb das prorogierte Gericht dann nicht auch im nachträglichen Schadensersatzverfahren über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsabrede entscheiden dürfen solle. Die Ansicht erscheint bereits im Hinblick auf die Verletzung exklusiver Gerichtsstandsabreden fraglich.263 Jedenfalls für den hier untersuchten Fall, einen Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung einer Schiedsabrede, lässt sich der Einführung von Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO aber keine Ausnahme vom Vertrauensgrundsatz entnehmen. Denn im Reformprozess wurde die Einführung einer mit Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO vergleichbaren Vorschrift zum Schutz von Schiedsabreden vorgeschlagen und ausführlich diskutiert, letztendlich vom Unionsgesetzgeber aber verworfen.264 Eine den Schutz von Schiedsabreden einschließende Analogie zu dieser Vorschrift ist daher methodisch unzulässig, und im Übrigen auch mit Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO nicht vereinbar.265 Damit scheidet zugleich auch eine Übertragung der Ansicht Antomos aus, die für die Vereinbarkeit des Brüssel-Systems mit einem Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung einer exklusiven Gerichtsstandsabrede unter Berufung auf Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO zwischen „materiellem“ und „prozessualem“ Schaden differenziert.266 Die dritte wesentliche Erwägung des Gerichtshofs in West Tankers bestand darin, dass angesichts der Drohwirkung der englischen anti-suit injunction die Gefahr bestand, dass einem Kläger, der die Schiedsabrede für unwirksam oder unanwendbar hält, der Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten versperrt wird.267 Ob eine vergleichbare Drohwirkung von der (Möglichkeit der) Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs nach Abschluss des mitgliedstaatlichen Hauptsacheverfahrens ausgeht, ist zweifel262 Antomo, Schadensersatz, 2017, 632 ff.; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 25 Brüssel Ia‑VO, Rn. 249. 263 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.II.3.d)aa). 264 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.II.3.d)aa). 265 Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 508 f. 266 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 A.III.2. 267 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 31 – West Tankers; GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 58 – West Tankers.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
haft.268 Aber: Auch das Recht auf Zugang zu den Gerichten bleibt nicht bei der Befugnis stehen, einen Rechtsstreit bei einem Gericht anhängig zu machen. Als Ausfluss des Rechts auf effektiven Rechtsschutz wird der wirksame Zugang zu den Gerichten gewährleistet. Das schließt das Recht auf eine abschließende269 und durchsetzbare270 gerichtliche Entscheidung mit ein. Diesem wurde mit der Durchführung des staatlichen Parallelverfahrens und gegebenenfalls mit der Vollstreckung des Parallelurteils zwar zunächst entsprochen. Indem aufgrund der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs die Lage hergestellt wird, die bestünde, hätte das staatliche Parallelverfahren nicht stattgefunden, wird der Rechtsschutz aber nachträglich wieder entwertet. Auch die Beeinträchtigung des Rechts auf wirksamen Zugang zu den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats wird damit im Vergleich zu einer englischen anti-suit injunction lediglich auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Festhalten lässt sich danach, dass die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. eines dritten Mitgliedstaats mit dem Erlass der englischen anti-suit injunction in West Tankers vergleichbar ist. Durch die Erteilung des Exequaturs beeinträchtigen die Gerichte dieser Mitgliedstaaten die Befugnisse der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nach der Brüssel Ia-VO, verstoßen gegen den Vertrauensgrundsatz und verletzen das Recht auf Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten eines anderen Mitgliedstaats.
(c) Pflicht der Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten, die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung in seiner unionsrechtlichen Dimension zu versagen Eine andere Frage ist, ob die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten infolge der festgestellten Verletzung des Brüssel-Systems kraft Unionsrecht verpflichtet sind, dem Schadensersatz-Schiedsspruch die Vollstreckbarerklärung zu versagen.271 Denkbar ist dies aufgrund der Konzeption des Gerichtshofs von der unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung.272 Danach müssen die Mitgliedstaaten von ihrem einzelstaatlichen ordre public-Vorbehalt Gebrauch machen, wenn andernfalls eine Bestimmung des Unionsrechts ver268
Vgl. hierzu soeben (zur ersten Erwägung des Gerichtshofs in seiner West Tankers-Entscheidung). 269 Vgl. zu Art. 6 Abs. 1 EMRK EGMR, Urteil v. 19.3.1997 – 18357/91, Slg. 1997-II, 496 – Hornsby ./. Griechenland; EGMR, Urteil v. 1.3.2002 – 48778/99, Slg. 2002-II, 83 – Kutić ./. Kroatien. 270 Vgl. zu Art. 47 GRC Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2016, Rn. 47. 271 Dafür im Ergebnis Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia‑VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 152 (die mit der EuGVVO verfolgten Ziele müsse das Exequaturgericht im Rahmen der ordre public-Prüfung berücksichtigen und die Anerkennung an Art. V Abs. 2 lit. b NYK scheitern lassen). 272 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)aa).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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letzt würde, die für die Erfüllung der Aufgaben der Union unerlässlich ist. Die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach dem Vertrauensgrundsatz im Unionsrecht „fundamentale Bedeutung“ zukommt, spricht für eine derartige Einordnung.273 Das gilt umso mehr für das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, das in der EU den Status eines Grundrechts genießt.274 Danach wären die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten in der vorliegenden Konstellation kraft Unionsrecht verpflichtet, die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs aufgrund des jeweils einschlägigen ordre public-Vorbehalts zu versagen.
(d) Bedenken wegen Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO Auch diesen Lösungsweg kann man angesichts der Schiedsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO und der Vorrangklausel zugunsten der NYK in Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO infrage stellen. Bei dem zuvor dargestellten Ansatz – der Versagung der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit dem staatlichen Parallelurteil – war die Berufung auf den ordre public-Vorbehalt lediglich Reflex der Anwendung der Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO auf die Anerkennung und Vollstreckung des Parallelurteils.275 Dass eine Verletzung der öffentlichen Ordnung vorliegt, wenn sich auf demselben Staatsgebiet zwei rechtskräftige, widerstreitende Rechtsfolgenaussprüche gegenüberstehen, ergab sich bereits aus dem Begriff der öffentlichen Ordnung einzelstaatlicher Prägung. Bei dem soeben dargestellten Ansatz ist das anders. Denn hier wird der Begriff der öffentlichen Ordnung im einzelstaatlichen Recht durch den Vertrauensgrundsatz und das Recht auf Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten definiert. Es greifen allerdings die Grundsätze, die schon zur Versagung der Vollstreckbarerklärung einer schiedsrichterlichen anti-suit injunction durch Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten erarbeitet wurden:276 Der Rechtsprechung des EuGH lässt sich entnehmen, dass die Mitgliedstaaten – einer einschlägigen Bereichsausnahme zum Trotz – bei der Auslegung des einzelstaatlichen Rechts unter mehreren ebenso gut möglichen Alternativen diejenige wählen müssen, die die Ziele und Grundsätze der Verordnung am besten gewährleistet.277 Darüber hinaus hat die Auslegung von Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO ergeben, dass die Verordnung die Anwendung der NYK lediglich nicht beeinträchtigen darf – das heißt sie darf die 273
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(1)–(2). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B.III.1.c)bb)(3). 275 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(c). 276 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B III.2.c)bb)(4). 277 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B III.2.c)bb)(4)(a)–(b). 274
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Mitgliedstaaten nicht dazu zwingen, ihre völkerrechtlich vereinbarten Pflichten nach der NYK zu verletzen.278 Das ist vorliegend aber auch nicht der Fall:279 Der Konventionsgeber stellt mit der öffentlichen Ordnung in Art. V Abs. 2 lit. b NYK einen unbestimmten Rechtsbegriff bereit. Für seinen Inhalt verweist er auf das Recht des Zweitstaats. Dass dieses unionsrechtlich geprägt sein mag, ist aus Sicht des Konventionsgebers unerheblich. Zwar ergibt eine historische, systematische und am Zweck der Konvention ausgerichtete Auslegung von Art. V Abs. 2 lit. b NYK, dass eine Versagung der Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt. Verletzt die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs jedoch den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz, dessen Achtung fundamentale Bedeutung280 in der Union zukommt, dürften diese Grenzen noch als gewahrt anzusehen sein. Das gilt umso mehr für eine Verletzung des Rechts auf gerichtlichen Rechtsschutz, das in der EU den Stellenwert eines Grundrechts genießt.281
bb) In der Hauptsache ist vor dem staatlichen Parallelurteil ein Schiedsspruch ergangen Wenn in der Hauptsache zuerst ein Schiedsspruch ergangen ist, kann dem staatlichen Parallelurteil im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen sein.282 Voraussetzung ist, dass nach dem auf die materielle Rechtskraft des Schiedsspruchs anwendbaren Recht die Rechtskraft von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen gleichrangig ausgestaltet ist und der Schiedsspruch der Letztentscheidungskompetenz des Schiedsstaats bzw. dritten Mitgliedstaats standhält.283 Da das staatliche Parallelurteil dann nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO keine Wirkung im jeweiligen Mitgliedstaat entfaltet, kann die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs in diesem Staat auch nicht auf der Grundlage zu versagen sein, dass sie unvereinbar ist mit dem staatlichen Parallelurteil.284 Womöglich ist aber das West Tankers-Verbot des Gerichtshofs übertragbar.285 Dagegen könnte man anführen, die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs sei lediglich Konsequenz der Befugnis, in der Haupt278 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B III.2.c)bb)(4)(b); a. A. Colberg, Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Schiedsvertrags, 2019, 250. 279 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 B III.2.c)bb)(4)(b). 280 EuGH, Rs. C-681/13, ECLI:EU:C:2015:471, Rn. 40 – Johnny Walker. 281 Vgl. hierzu oben Teil 2 B.III.1.c)(3). 282 Vgl. zum Ganzen ausführlich oben Teil 4 C.II.1. 283 Andernfalls beurteilt sich die Konstellation, als wäre in der Hauptsache vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen (vgl. hierzu soeben Teil 5 B.II.2.a)aa)). 284 Vgl. soeben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1). 285 Vgl. soeben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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sache dem Parallelurteil die Anerkennung und Vollstreckung zu versagen und stattdessen den Hauptsache-Schiedsspruch zu vollstrecken.286 Denn infolge der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs werde lediglich dem Hauptsache-Schiedsspruch zur Geltung verholfen. Testen wir diese These anhand des Falls, dass das Schiedsgericht die Haftung des Schiedsklägers in der Hauptsache verneint, während das staatliche Parallelgericht sie kurze Zeit später bejaht und dem Gerichtskläger EUR 1.000 zuspricht. Zu vergleichen sind die Auswirkungen zweier Szenarien: In Szenario eins versagt Mitgliedstaat A (Schiedsstaat oder dritter Mitgliedstaat) dem staatlichen Parallelurteil die Vollstreckung, weil sie unvereinbar ist mit dem zuerst ergangenen Hauptsache-Schiedsspruch. In Szenario zwei erklärt Mitgliedstaat A einen Schadensersatz-Schiedsspruch für vollstreckbar, nach welchem der Gerichtskläger dem Schiedskläger wegen Verletzung der Schiedsabrede die Sachentscheidungsdifferenz der Hauptsache-Entscheidungen i. H. v. EUR 1.000 zu erstatten hat. Beachtlich für die Beurteilung der Auswirkungen ist, dass sich jedenfalls in Mitgliedstaat B (Gerichtsstaat) – trotz des zuerst in der Hauptsache ergangenen Schiedsspruchs – in aller Regel das Parallelurteil durchsetzt.287 Zudem kann sich die Wirkung des Parallelurteils nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO auf weitere Mitgliedstaaten erstrecken, etwa wenn der zuerst ergangene Hauptsache-Schiedsspruch der staatlichen Letztentscheidungskompetenz des jeweiligen Mitgliedstaats nicht standhält. Nehmen wir an, das ist der Fall in Mitgliedstaat C (dritter Mitgliedstaat), in dem das staatliche Parallelurteil zwischenzeitlich auch vollstreckt worden ist. Versagt Mitgliedstaat A dem Parallelurteil nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung und Vollstreckung und erkennt stattdessen den Hauptsache-Schiedsspruch an, bedeutet das im Beispielfall, dass in Mitgliedstaat A weder der Schiedskläger EUR 1.000 an den Gerichtskläger, noch der Gerichtskläger EUR 1.000 an den Schiedskläger zahlen muss. Extraterritoriale Auswirkungen hat die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung des Parallelurteils nicht. Wird in Mitgliedstaat A dagegen der Schadensersatz-Schiedsspruch für vollstreckbar erklärt, muss der Gerichtskläger dem Schiedskläger die EUR 1.000 erstatten, die ihm durch das staatliche Parallelgericht des Mitgliedstaats B rechtskräftig zugesprochen und deren Zahlung in Mitgliedstaat C nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO durchgesetzt worden ist. Die Gegenüberstellung zeigt: Während sich die Gerichte des Mitgliedstaats A mit ihrem Geltungsanspruch auf das eigene Staatsgebiet beschränken, wenn sie dem Parallelurteil die Vollstreckung versagen und den Hauptsache-Schiedsspruch anerkennen, erstrecken sie ihn bei der Vollstreckbarerklärung des Scha286 Vgl. in diese Richtung offenbar West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854, Rn. 55. 287 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 4 C.II.3.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
densersatz-Schiedsspruchs auf das Territorium der Mitgliedstaaten B und C. Faktisch wird nämlich durch die Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs durch Gerichte des Mitgliedstaats A EU-weit die Lage hergestellt, die bestünde, hätte das Parallelverfahren vor den Gerichten des Mitgliedstaats B nicht stattgefunden und wäre die Wirkung des Parallelurteils nicht gemäß Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO auf Mitgliedstaat C erstreckt worden. Das geht deutlich über die Möglichkeit hinaus, dem Parallelurteil auf eigenem Staatsgebiet die Vollstreckung zu versagen und stattdessen den Hauptsache-Schiedsspruch anzuerkennen. Letztlich gilt für die Übertragbarkeit des West Tankers-Verbots nichts anderes als in der zuvor untersuchten Konstellation: Infolge der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs durch Gerichte des Mitgliedstaats A wird nachträglich die Befugnis des Parallelgerichts des Mitgliedstaats B entwertet, nach der Verordnung über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs durch Gerichte des Mitgliedstaats A ist zudem mit einer Beurteilung der Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats B verbunden. Außerdem wird nachträglich das Recht des Gerichtsklägers auf wirksamen Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten des Mitgliedstaats B entwertet. Folglich sind in Fall 1 die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten auch dann kraft Unionsrechts verpflichtet, dem Schadensersatz-Schiedsspruch aufgrund des einzelstaatlichen ordre public-Vorbehalts die Vollstreckbarerklärung zu versagen, wenn in der Hauptsache zuerst ein Schiedsspruch ergangen ist.288
cc) Zwischenergebnis Hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden (Fall 1), sind die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten unionsrechtlich verpflichtet, dem Schadensersatz-Schiedsspruch die Vollstreckbarerklärung zu versagen.289 Das gilt im Ergebnis auch, wenn in der Hauptsache zuerst ein Schiedsspruch ergangen ist und es daher mit dem Brüssel-System vereinbar ist, im jeweiligen Mitgliedstaat dem Parallelurteil die Anerkennung zu versagen und stattdessen den Hauptsache-Schiedsspruch durchzusetzen. Denn hier wie dort ist im Hinblick auf die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs das West Tankers-Verbot des Gerichtshofs zu anti-suit injunctions übertragbar:290 Die Grundkonstellation entspricht dem Szenario West Tankers, nicht der Konstellation Gazprom, weil die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs die Wirksam288 289
Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2). Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a). 290 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2) und Teil 5 B.II.2.a)bb).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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keit eines Brüssel Ia-Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats beeinträchtigen kann.291 Im Hinblick auf die ratio des West Tankers-Verbots ist die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs auch mit dem Erlass einer englischen anti-suit injunction vergleichbar.292 Denn durch die Erteilung des Exequaturs entwerten die Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats die Befugnisse der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nach der Verordnung, verstoßen gegen den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz und unterwandern das Recht des Gerichtsklägers auf wirksamen Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten. Dem steht nicht entgegen, dass das staatliche Parallelverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs bereits abgeschlossen ist. Denn die genannten Beeinträchtigungen werden damit gegenüber dem Erlass einer englischen anti-suit injunctions lediglich vertagt. Nach der Konzeption des Gerichtshofs von einer unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung sind die Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats verpflichtet, sich auf den jeweils einschlägigen ordre public-Vorbehalt des einzelstaatlichen Rechts zu berufen.293 Die Schiedsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit d Brüssel Ia-VO und der Vorrang der NYK gemäß Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO stehen dem nicht entgegen.294 Wie der Gerichtshof in West Tankers klargestellt hat, kann ein Verfahren auch dann, wenn es selbst nicht in dessen Anwendungsbereich fällt, die praktische Wirksamkeit des Brüssel-Systems derart beeinträchtigen, dass es mit ihm unvereinbar ist.295 Zudem lässt die NYK eine Berufung auf den ordre public-Vorbehalt des Art. V Abs. 2 lit. b NYK wegen Verletzung des Vertrauensgrundsatzes und des Rechts auf Zugang zu den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats zu. Ist in der Hauptsache vor dem Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen oder ist ein zuerst ergangener Hauptsache-Schiedsspruch im jeweiligen Mitgliedstaat nicht anerkennungsfähig, ist die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs außerdem unvereinbar mit dem staatlichen Parallelurteil, dessen Wirkungen sich gemäß Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO auf den Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaat erstrecken.296 In den untersuchten Rechtsordnungen ist unter diesem Gesichtspunkt die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung ein291 292
Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(a). Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(b) und Teil 5 B.II.2.a)bb). 293 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(c). 294 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(d). 295 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 24 – West Tankers. Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 33 – West Tankers (stellt für die Beurteilung der Vereinbarkeit von ant-suit injunction mit der Brüssel I‑VO allein darauf ab, ob die Verordnung auf das Verfahren anwendbar ist, das durch das Verbot unterbunden werden soll). 296 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(a).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
zelstaatlicher Prägung zu versagen.297 Bedenken wegen Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO bestehen nicht. Die Auswirkung der Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO auf die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs ist lediglich Reflex der Anwendung dieser Bestimmungen auf das Parallelurteil.298 Maßgeblich für die Versagung der Vollstreckbarerklärung ist, dass die öffentliche Ordnung des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats verletzt wird, wenn auf demselben Staatsgebiet zwei rechtskräftige, widerstreitende Rechtsfolgenaussprüche Geltung beanspruchen. Das ergibt sich bereits aus der öffentlichen Ordnung einzelstaatlicher Prägung.
b) Fall 2: Parallelgericht hat der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen Betrachten wir nun den Fall, dass das staatliche Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen hat.299 Müssen die Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats auch hier dem Schadensersatz-Schiedsspruch infolge der Brüssel Ia-VO die Vollstreckbarerklärung versagen? Anders als in Fall 1 kann die Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs nicht mit einer im Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaat nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennenden Entscheidung des Parallelgerichts unvereinbar sein: Eine Sachentscheidung, mit der die Erteilung des Exequaturs kollidieren könnte, hat das Parallelgericht nicht getroffen. Eine Kostenentscheidung des Parallelgerichts liegt zwar vor. Auf sie finden die Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO aber keine Anwendung, wenn sich die Hauptentscheidung – wie hier das klageabweisende Prozessurteil300 bzw. die Aussetzungsentscheidung301 – darauf beschränkt, die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO).302 Das West Tankers-Verbot des Gerichtshofs lässt sich ebenfalls nicht übertragen. Die Ausübung der Befugnis des Parallelgerichts, nach der Brüssel Ia-VO über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, wird in Fall 2 durch die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs weder beeinträchtigt noch nachträglich entwertet.303 Das staatliche Parallelgericht hat die Parteien in Ausübung seiner Kompetenz-Kompetenz auf das schiedsrichterliche 297
Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(b). Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(c). Vgl. für einen Beispielsfall oben Teil 5 B.I.2.b) (topping up durch das Schiedsgericht von im staatlichen Parallelverfahren nicht bzw. nicht vollständig zuerkannten Kostenpositionen). 300 Vgl. § 1032 Abs. 1 ZPO; Art. 1448 i. V. m. Art. 1506 Abs. 1 CPC. 301 Vgl. s. 9(1) AA 1996. 302 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.b). 303 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(b). 298 299
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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Verfahren verwiesen, weil der Gegenstand des Parallelverfahrens aus seiner Sicht schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird. Der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs liegt im Ergebnis dieselbe Beurteilung zugrunde.304 Durch sie wird die Verweisung der Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren nicht untergraben, sondern bestätigt.305 Vor diesem Hintergrund kann weder von einem Eingriff des Exequaturgerichts in die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates noch von einer Verletzung des Vertrauensgrundsatzes die Rede sein. Das gilt letztlich ebenfalls für das Recht auf effektiven Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten. Denn dem Gerichtskläger wurde nach Maßgabe des Rechts des Gerichtsstaats Zugang zu den Gerichten des Gerichtsstaats gewährt. Die Wirksamkeit dieses Rechtsschutzes, die Verweisung der Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren, wird infolge der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs nicht infrage gestellt. Folglich steht in Fall 2 die Brüssel Ia-VO der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs durch Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten nicht entgegen.
c) Fall 3: Parallelverfahren läuft zur Zeit der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs noch Wenden wir uns dem Fall zu, dass zur Zeit der Entscheidung der Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs das staatliche Parallelverfahren in der Hauptsache noch läuft. Das Schiedsgericht hat dem Schiedskläger Ersatz seiner bisher im staatlichen Parallelverfahren aufgewandten Kosten zugesprochen und festgestellt, dass der Gerichtskläger ihn auch von künftigen Kosten des Verfahrens sowie einer Haftung aufgrund von Entscheidungen in diesem Verfahren schadlos zu halten hat. In dieser Konstellation kann die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs nicht unvereinbar sein mit einer Entscheidung des staatlichen Parallelgerichts, weil dieses bisher weder zur Hauptsache noch zu den Kosten entschieden hat. In Betracht kommt aber eine Übertragung des West Tankers-Verbots306 des Gerichtshofs: In vier Fällen waren Gerichte bisher mit Sachverhalten befasst, in denen sich – zwar in anderer Verfahrenssituation, aber immerhin im Zusammenhang mit Schadensersatz wegen Verletzung einer Zuständigkeitsabrede – die Frage einer Übertragung der Rechtsprechung des 304
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(b). Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV I, B Vor I 7, Brüssel Ia-VO, Stand Juni 2019, Art. 1, Rn. 151; zu ausschließlichen Gerichtsstandsabreden Bříza, J. Priv. Int. L. 5 (2009), 537, 550; Joseph, Enforcement of Arbitration Agreements, 2015, Rn. 14.19; Peiffer, Forum Derogatum, 2013, 484 ff.; Sánchez Fernández, Yb. Priv. Int. L 12 (2010), 377, 386; Rauscher/Mankowski, 2016, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 249, Antomo, Schadensersatz, 2017, 623. 306 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers. 305
310
Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
EuGH in Sachen West Tankers bzw. Turner gestellt hat.307 Im Folgenden sollen zunächst die drei Entscheidungen vorgestellt werden, in denen sich die Gerichte mit dieser Frage auch tatsächlich auseinandergesetzt haben (aa)).308 Anschließend erfolgt eine Stellungnahme zur Übertragbarkeit bezüglich der hier konkret untersuchten Verfahrenssituation (bb)).
aa) Rechtsprechung englischer Gerichte Der erste Fall309 betrifft einen Handlungsstrang der West Tankers-Saga.310 Das EuGH‑Urteil war zwischenzeitlich ergangen311 und in der Hauptsache hatte das Londoner Schiedsgericht festgestellt, dass West Tankers wegen Beschädigung der Mole nicht gegenüber den italienischen Versicherern hafte. Während die italienischen Gerichte im Hauptsacheverfahren noch nicht über die eigene Zuständigkeit entschieden hatten, beantragte West Tankers vor dem Londoner Schiedsgericht Schadensersatz für die ihr bisher im italienischen Verfahren entstandenen Kosten, verbunden mit der Feststellung, dass die italienischen Versicherer sie auch von künftigen Kosten und einer Haftung aufgrund nachteiliger Entscheidungen aus diesem Verfahren schadlos halten müssten. Das Schiedsgericht erklärte sich mit einer 2/3 Mehrheit für unzuständig.312 Der EuGH habe in seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass der Zugang zu den aufgrund der Brüssel I‑VO angerufenen Gerichten ein fundamentales Recht der Parteien darstelle.313 Das Schiedsgericht sei nicht sachentscheidungsbefugt, über einen Schadensersatzanspruch zu entscheiden, dem lediglich die Wahrnehmung dieses Rechts zugrunde liege. West Tankers legte gegen diese Entscheidung vor dem englischen High Court einen punktuellen Rechtsbehelf (appeal on points of law) nach s. 69 AA 1996 ein.314 Flaux J gab diesem statt und erklärte, dass die schiedsrichterliche Zuständigkeit, über einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede zu entscheiden, durch das West Tankers-Urteil des EuGH nicht berührt werde:
307 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 30.9.2013, 4A_232/2013, abrufbar unter ; In the matter of The „Alexandros T“ [2014] EWCA Civ 1010; Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343. 308 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; In the matter of The „Alexandros T“ [2014] EWCA Civ 1010; Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343. 309 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854. 310 Vgl. zum Ausgangssachverhalt ausführlich oben Teil 2 A.I.1. 311 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 2 A.I.2. 312 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854, Rn. 3. 313 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854, Rn. 3. 314 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854, Rn. 25.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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GA Kokott habe in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache West Tankers315 die Möglichkeit anerkannt, dass ein Schiedstribunal die Gültigkeit der Schiedsabrede und die Hauptsache abweichend von einem mitgliedstaatlichen Parallelgericht beurteile.316 Dann könne für den hier begehrten Ersatz der bisherigen Kosten des staatlichen Parallelverfahrens und die Schadloshaltung von künftigen Vermögensnachteilen aus diesem Verfahren nichts anderes gelten.317 Denn hierbei handele es sich lediglich um eine Spiegelung (reflection) der schiedsrichterlichen Feststellung, dass die Schiedsabrede wirksam und anwendbar sei und West Tankers in der Hauptsache nicht hafte. Darüber hinaus sei ein privates Schiedsgericht ausweislich Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel I‑VO an das Brüssel-System und die ihm zugrunde liegenden Prinzipien nicht gebunden.318 Daher könnten sie der Zuständigkeit des Schiedsgerichts auch nicht entgegenstehen. Schließlich sei der Zuspruch von Schadensersatz auch nicht mit einem Werturteil über die Anrufung italienischer Gerichte verbunden.319 Als rechtswidrig (wrongful) werde nämlich nicht die Anrufung italienischer Gerichte selbst, sondern lediglich die Verletzung des privatvertraglichen Anspruchs (private right) von West Tankers beurteilt, den Rechtsstreit nur vor dem Londoner Schiedsgerichts austragen zu müssen. Flaux J war zwar nur auf der Zuerkennungs-Ebene mit Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede und insofern auch nur mit der Sachentscheidungsbefugnis des Schiedsgerichts befasst. Gleichwohl scheint er in seiner Entscheidung unausgesprochen davon auszugehen, dass West Tankers einen entsprechenden, endgültig bezifferten Schadensersatz-Schiedsspruch mithilfe englischer Gerichte auch vollstrecken könne.320 In The Alexandros T waren englische Gerichte mit einem Antrag auf Schadensersatz wegen Verletzung einer exklusiven Gerichtsstandsabrede i. S. v. Art. 23 Brüssel I‑VO zugunsten englischer Gerichte befasst. Vereinfacht hatte Starlight, die griechische Eigentümerin der im Mai 2006 gesunkenen Alexandros T, trotz der Gerichtsstandsabrede gegen ihre englischen Versicherer Klage vor griechischen Gerichten erhoben. Daraufhin beantragten die Versicherer vor englischen Gerichten unter anderem Ersatz ihrer bisher für die Verteidigung im griechischen Verfahren aufgewandten Kosten. Der Court of Appeal entschied zunächst, dass das englische Schadensersatzverfahren gemäß Art. 27 Abs. 1 315 GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 70 – West Tankers. 316 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854, Rn. 54. 317 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854, Rn. 55. 318 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854, Rn. 59. 319 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854, Rn. 73. 320 Bollée, Rev. arb. 2012, 838, 843. Der Rechtsstreit ist durch Vergleich beendet worden (Vortrag Alexander Layton, ERA Trier, vom 10.3.2014, zitiert nach Hess, JZ 2014, 538, 539, Fn. 19).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Brüssel I‑VO ausgesetzt und der zuerst erhobenen Klage vor griechischen Gerichten Priorität beigemessen werden müsse.321 Der UK Supreme Court hob diese Entscheidung jedoch auf und verwies den Rechtsstreit zur Entscheidung in der Sache an den Court of Appeal zurück:322 Art. 27 Brüssel I‑VO sei nicht einschlägig, da ein anderer Streitgegenstand betroffen sei.323 Auch eine Aussetzung nach Art. 28 Brüssel I‑VO sei nicht geboten. Denn englische Gerichte seien für die Beurteilung von Schadensersatz wegen Verletzung einer Gerichtsstandsabrede zugunsten englischer Gerichte sachnäher als griechische Gerichte.324 Der wiederbefasste englische Court of Appeal sprach den Versicherern sodann den begehrten Schadensersatz zu.325 Dem auf die Turner-Rechtsprechung des Gerichtshof gestützten Einwand von Starlieght, der Zuspruch von Schadensersatz verletze die Befugnis griechischer Gerichte, nach der Verordnung selbst über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, erteilte der Court of Appeal eine Absage: Die Berufung auf die Turner-Entscheidung sei deplatziert (misplaced), weil dort der Erlass einer anti-suit injunction in Rede stand, hier dagegen der Zuspruch von Schadensersatz.326 Eine Übertragung der Rechtsprechung scheide schon deshalb aus, weil für die Unzulässigkeit der anti-suit injunction in Turner maßgeblich gewesen sei, dass die praktische Wirksamkeit der lis-pendensBestimmungen des Brüssel-Systems (heute Art. 27 ff. Brüssel Ia-VO) durch das Prozessführungsverbot beeinträchtigt worden sei. Im Fall des Zuspruchs von Schadensersatz wegen Verletzung der Gerichtsstandsabrede liege eine solche Beeinträchtigung nämlich ausweislich der Entscheidung des UK Supreme Court nicht vor. Außerdem könnten griechische Gerichte weiterhin frei über den Gegenstand des Hauptverfahrens entscheiden.327 Zwar stelle sich ihnen später die Frage, ob sie den englischen Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung der Gerichtsstandsabrede nach der Verordnung anerkennen. Das sei aber keine Beeinträchtigung, sondern eine Bekräftigung der Zuständigkeit griechischer Gerichte, nach Maßgabe des Brüssel-Systems entscheiden zu können. In Nori Holdings v Bank Otkritie war der englische High Court mit einem Antrag auf Erlass einer anti-suit injunction zur Durchsetzung einer Schiedsabrede zugunsten eines Londoner Schiedsgerichts befasst; gerichtet sein sollte das Prozessführungsverbot auf ein Verfahren vor zypriotischen Gerichten.328 321 322
In the matter of The „Alexandros T“ [2014] EWCA Civ 1010. In the matter of The „Alexandros T“ [2013] UKSC 70. 323 In the matter of The „Alexandros T“ [2013] UKSC 70, Rn. 28 ff., 56. 324 In the matter of The „Alexandros T“ [2013] UKSC 70, Rn. 73 ff., 96. 325 In the matter of The „Alexandros T“ [2014] EWCA Civ 1010. 326 In the matter of The „Alexandros T“ [2014] EWCA Civ 1010, Rn. 15. 327 In the matter of The „Alexandros T“ [2014] EWCA Civ 1010, Rn. 16. 328 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343.
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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Den Antrag der Schiedskläger lehnte das Gericht unter Verweis auf das West Tankers-Urteil des EuGH ab.329 Die Schiedskläger könnten aber eine Feststellung erwirken, wonach der Gerichtskläger sie von Kosten im Zusammenhang mit dem zypriotischen Gerichtsverfahren und einer Haftung aufgrund von Entscheidungen aus diesem Verfahren schadlos zu halten habe.330 Wie der Court of Appeal in The Alexandors T entschieden habe, seien derartige Feststellungsentscheidungen (declarations) mitgliedstaatlicher Gerichte mit dem BrüsselSystem vereinbar. Der vorliegende Fall unterscheide sich allerdings insofern, als hier nicht die Zuständigkeit eines staatlichen Gerichts, sondern die eines Schiedsgerichts vereinbart sei. Das Gazprom-Urteil des EuGH lasse keine Zweifel daran, dass auch ein entsprechender Schiedsspruch und seine Durchsetzung nach der NYK mit dem Brüssel-System im Einklang stünden.331 Vor diesem Hintergrund sei es vorzugswürdig, die Entscheidung staatlicher Gerichte über die declaration zurückzustellen und das Schiedsgericht hierüber entscheiden zu lassen.
bb) Stellungnahme Flaux J stellte zwar zu Recht fest, dass Schiedsgerichte als private Spruchkörper unmittelbar332 weder an die Brüssel I‑VO gebunden noch zu Vertrauen in die Rechtspflege der Mitgliedstaaten verpflichtet sind.333 Etwas anderes gilt aber für die mit der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs befassten Gerichte des Schiedsstaats bzw. dritter Mitgliedstaaten.334 Entgegen der Ansicht des Court of Appeal in The Aleksandros T spielte die Beeinträchtigung der Wirksamkeit der lis pendens-Regeln der Verordnung (heute Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO) im Rahmen der Turner-Entscheidung des EuGH nur eine untergeordnete Rolle. Der Gerichtshof trat lediglich dem Einwand entgegen, das englische Prozessführungsverbot stehe in Wahrheit mit den Zielen des EuGVÜ im Einklang, weil es widersprüchliche Entscheidungen verhindere.335 In diesem Zusammenhang erklärte er, dass diese Funktion im Brüssel-System die lis pendens-Bestimmungen übernehmen würden, deren Wirksamkeit durch die englische anti-suit injunction beeinträchtigt werde.336 Dass das kein tragender Entscheidungsgrund gewesen sein kann, bestätigt auch das 329 330
Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 69-99. Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 101. 331 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343, Rn. 102. 332 Vgl. für eine mittelbare Bindung im Schiedsverfahren an die Brüssel Ia-VO, oben Teil 4 A.II. und oben Teil 5 B.I.2. 333 EuGH (Große Kammer), Rs. C-536/13, EU:C:2015:316, RIW 2015, 427 – Gazprom; West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854; Sachs/Peiffer, in: FS Coester-Waltjen, 2015, S. 721. 334 Vgl. oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(b). 335 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers. 336 Vgl. EuGH (Plenum), Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565, Rn. 30 – Turner.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
West Tankers-Urteil des EuGH. Eine Beeinträchtigung der heute in Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO geregelten lis pendens-Bestimmungen kam dort nämlich nicht in Betracht, weil diese auf den Konflikt zwischen Gerichtsprozesses und Schiedsverfahren nicht anwendbar sind. Dennoch erklärte der Gerichtshof den Erlass eines englischen Prozessführungsverbots auch zur Durchsetzung einer Schiedsabrede für mit dem Brüssel-System unvereinbar. Die tragenden Gründe für das Turner/West Tankers-Verbot lassen sich dagegen auf die vorliegende Verfahrenssituation übertragen: Von der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs vor Abschluss des staatlichen Parallelverfahrens geht eine konkret-individuelle Zwangswirkung aus, die Fortsetzung des Verfahrens vor dem Parallelgericht zu unterlassen. Denn ab der Vollstreckbarerklärung muss der Gerichtskläger davon ausgehen, dass ihm, selbst wenn er obsiegen sollte, jeglicher Nutzen der Einleitung bzw. Fortsetzung des staatlichen Verfahrens nachträglich wieder genommen und ihm darüber hinaus die Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Die hiervon ausgehende Drohwirkung ist geeignet, den Gerichtskläger von der Einleitung bzw. Fortsetzung des staatlichen Parallelverfahrens abzuhalten. Die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs beeinträchtigt damit die Befugnis des Parallelgerichts, nach der Verordnung selbst über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Zudem resultiert sie in der Gefahr, dass einer Partei, die die Schiedsabrede für unwirksam bzw. nicht anwendbar hält, der Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten eines anderen Mitgliedstaats versperrt wird. Außerdem ist die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit einer Beurteilung der Zuständigkeit des Parallelgerichts verbunden, die mit dem unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz nicht vereinbar ist. Denn wie dargestellt, kann die Erteilung des Exequaturs nur erfolgen, wenn das Vollstreckungsgericht des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats zu der Beurteilung gelangt, dass in der Hauptsache nicht das staatliche Parallelgericht im Gerichtsstaat, sondern das Schiedsgericht zuständig ist.337 Der Einwand von Flaux J, als rechtswidrig (wrongful) werde nicht die Anrufung des italienischen Gerichts selbst, sondern die Verletzung des privatvertraglichen Anspruchs (private right) beurteilt, den Rechtsstreit nur vor dem Schiedsgericht auszutragen, beruht auf der von Merrett und Briggs vertretenen Konzeption der Doppelnatur von Zuständigkeitsabreden.338 Wie dargestellt, lässt sich diese aber jedenfalls auf Schiedsabreden nicht übertragen.339 Außerdem entscheidet das Exequaturgericht bei der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs nicht über das Versprechen des Gerichtsklägers, nur vor dem vereinbarten Schiedsgericht zu klagen, sondern über die Zuständig337 338
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(b). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(b). 339 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(b).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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keit für den Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens. Selbst wenn man eine Doppelnatur von Schiedsabreden also annähme, wird vorliegend nicht das privatvertragliche Versprechen (private right), sondern die öffentlich-rechtlich geprägte Zuständigkeit beurteilt. Die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten sind in Fall 3 folglich unionsrechtlich verpflichtet, dem Schadensersatz-Schiedsspruch auf Grundlage des einschlägigen ordre public-Vorbehalts im einzelstaatlichen Recht die Vollstreckbarerklärung zu versagen.340
III. Ergebnis Bei der Beurteilung des Verhältnisses von Brüssel Ia-VO und schiedsrichterlichem Schadensersatz wegen Verletzung einer Schiedsabrede sind die Ebenen des Schadensersatzausspruchs durch das Schiedsgericht und seiner Durchsetzung mithilfe mitgliedstaatlicher Gerichte zu unterscheiden: Dem schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung einer Schiedsabrede steht die Brüssel Ia-VO unmittelbar nicht entgegen.341 Denn als private Spruchkörper sind Schiedsgerichte an die Brüssel Ia-VO nicht gebunden. Es kommt aber eine mittelbare Einwirkung über die res iudicataWirkung des staatlichen Parallelurteils in Betracht, die sich nach Maßgabe von Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckt.342 Drei Fälle sind zu unterscheiden: Hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Sache entschieden (Fall 1), muss weiter differenziert werden:343 Ist in der Hauptsache zuerst ein Schiedsspruch ergangen, kann dem staatlichen Parallelurteil im Schiedsstaat gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO die Anerkennung wegen Unvereinbarkeit mit dem Schiedsspruch versagt werden;344 die Brüssel Ia-VO steht der schiedsrichterlichen Zuerkennung von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede dann auch nicht mittelbar entgegen.345 Das setzt allerdings voraus, dass nach dem im Schiedsstaat auf die materielle Rechtskraft des Schiedsspruchs anwendbaren Recht die Rechtskraft von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen gleichrangig ausgestaltet ist. Außerdem muss der Schiedsspruch der Letztentscheidungskompetenz der Gerichte des Schiedsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede standhalten. Andernfalls beurteilt sich die Konstellation, als wäre in der Hauptsache vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen. 340 341
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(c)–(d). Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.1. 342 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2. 343 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a). 344 Vgl. zum Ganzen ausführlich oben Teil 4 C.II.1. 345 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)aa).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Ist in der Hauptsache vor dem staatlichen Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen, erstreckt sich die Wirkung des staatlichen Parallelurteils gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat; Versagungsgründe nach Art. 45 Abs. 1 Brüssel Ia-VO greifen nicht.346 Sofern das Schiedsgericht nach dem Recht des Schiedsstaats an die Rechtskraft von Gerichtsurteilen gebunden ist,347 steht damit das Brüssel-System dem schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede mittelbar entgegen, und zwar über die gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckte res iudicata-Wirkung des staatlichen Parallelurteils. Das gilt für die Ersatzfähigkeit der Sachentscheidungsdifferenz uneingeschränkt.348 Denn ihre Zuerkennung würde voraussetzen, dass das Schiedsgericht seiner Differenzhypothese eine vom staatlichen Parallelurteil abweichende Beurteilung der Hauptsache zugrunde legt; dem steht die res iudicata-Wirkung der staatlichen Hauptsache-Entscheidung entgegen. Für die Ersatzfähigkeit der Prozesskosten ist maßgeblich, ob der Rechtskraft der prozessualen Kostenentscheidungen des Parallelgerichts nach dem Recht des Gerichtsstaats eine abschließende Wirkung zukommt, die der Umverteilung von Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Erstattungsansprüche entgegensteht; in den untersuchten Rechtsordnungen bleibt unter diesem Gesichtspunkt auch für die Ersatzfähigkeit der Prozesskosten des staatlichen Parallelverfahrens kein Raum.349 Hat das Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen (Fall 2), steht die Brüssel Ia-VO dem schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede auch mittelbar nicht entgegen.350 In Betracht kommt eine Aufbesserung (topping-up) der prozessualen Kostenentscheidung des Parallelgerichts durch den Schadensersatz-Schiedsspruch. Dem steht insbesondere keine nach dem Brüssel-System auf den Schiedsstaat erstreckte Rechtskraft der prozessualen Kostenentscheidung des Parallelgerichts entgegen. Denn die Anwendbarkeit von Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf eine solche Nebenentscheidung setzt voraus, dass die Hauptentscheidung der Titelfreizügigkeit nach der Verordnung unterliegt. Das ist bei klageabweisenden Prozessurteilen bzw. Aussetzungsentscheidungen,351 die sich auf die Stattgabe der Schiedseinrede beschränken, jedoch nicht der Fall (Art. 1 Abs. 2 lit. d, ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO). 346 347
Vgl. zum Ganzen ausführlich oben Teil 4 A.I. und C.III.2. Vgl. hierzu oben Teil 4 A.II. 348 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(2). 349 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(3). 350 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.b). 351 Während z. B. deutsche Gerichte der Schiedseinrede durch klageabweisendes Prozessurteil stattgeben (§ 1032 Abs. 1 ZPO), setzen englische Gerichte das staatliche Gerichtsverfahren aus (ss. 9, 2(2) lit. a AA 1996).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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Läuft zur Zeit der Entscheidung des Schiedsgerichts über den Schadensersatzanspruch das staatliche Parallelverfahren noch (Fall 3), scheidet eine mittelbare Einwirkung des Brüssel-Systems auf die schiedsrichterliche Entscheidung über Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ebenfalls aus.352 Es fehlt bereits eine rechtskräftige Sach- oder Kostenentscheidung, die der Zuerkennung von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede entgegenstehen könnte. Auf Ebene der Durchsetzbarkeit des Schadensersatz-Schiedsspruchs muss zwischen der Durchsetzung im Gerichtsstaat und der Durchsetzung in anderen Mitgliedstaaten differenziert werden: Im Gerichtsstaat steht die Brüssel Ia-VO der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs nicht entgegen.353 Auf die Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen findet sie keine Anwendung. Das West TankersVerbot lässt sich nicht übertragen, da die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Gerichtsstaat Auswirkungen lediglich auf die Wirksamkeit eines inländischen Gerichtsverfahrens hat – es fehlt das grenzüberschreitende Element. Für die Vollstreckungsaussichten des Schadensersatz-Schiedsspruchs nach Art. III ff. NYK ist zu unterscheiden: Hat das Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Sache entschieden (Fall 1), wird die Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs sehr wahrscheinlich bereits an der Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede scheitern.354 Denn zur Wahrung der Letztentscheidungskompetenz muss sich das Exequaturgericht auf den ordre public-Vorbehalt nach Art. V Abs. 2 lit. b NYK berufen, wenn der Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens schiedsunfähig ist oder nicht von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird. Das hat das inländische Parallelgericht in Gestalt der Zurückweisung der Schiedseinrede bereits rechtskräftig bejaht. Außerdem ist damit zu rechnen, dass die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs wegen Unvereinbarkeit mit dem inländischen Parallelurteil versagt wird (Art. V Abs. 2 lit. b NYK).355 In den untersuchten Rechtsordnungen ist das der Fall, wenn das Schiedsgericht dem Schiedskläger die Sachentscheidungsdifferenz auf der Grundlage zugesprochen hat, dass das Schiedsgericht die Hauptsache zugunsten des Schiedsklägers abweichend vom staatlichen Parallelgericht beurteilt hätte. Gleiches gilt auch dann, wenn sich das Schiedsgericht darauf beschränkt, dem Schiedskläger abweichend von der Kostenentscheidung des Parallelgerichts eine Erstattung der Prozesskosten zuzusprechen, die ihm im staatlichen Parallelverfahren entstanden sind. Denn in beiden Fällen stünden 352 353
Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.c). Vgl. hierzu oben vor Teil 5 II.1.a). 354 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)aa). 355 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)bb).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
sich bei Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs auf demselben Staatsgebiet widerstreitende Rechtsfolgenaussprüche gegenüber. Wenn das staatliche Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen hat (Fall 2), bereitet die Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats in aller Regel kein Anerkennungshindernis.356 Insbesondere hat mit dem staatlichen Parallelgericht bereits ein inländisches Gericht entschieden, dass der Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens schiedsfähig ist und von einer wirksamen Schiedsabrede erfasst wird. Wie in Fall 1 kann die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs aber wegen Unvereinbarkeit mit der prozessualen Kostenentscheidung des inländischen Parallelgerichts zu versagen sein. Denn jedenfalls in den untersuchten Rechtsordnungen kommt der prozessualen Kostenentscheidung eine abschließende res iudicata-Wirkung zu, die nicht nur der Umverteilung der Kostenlast, sondern auch dem topping-up der zuerkannten Kosten im Rahmen materiellrechtlicher Erstattungsansprüche entgegensteht. Läuft das staatliche Parallelverfahren noch (Fall 3), kann der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs die Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede entgegenstehen.357 Hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede bereits durch Zwischenurteil endgültig zurückgewiesen, gelten die Ausführungen zu Fall 1 entsprechend.358 Das heißt in England und Frankreich ist das Exequaturgericht rechtlich, in Deutschland ist es tatsächlich gebunden, die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs zu versagen. Andernfalls kommt es darauf an, wie das Exequaturgericht die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für den Schadensersatz-Zuspruch und den Gegenstand des Parallelverfahrens beurteilt. Bejaht es die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für beide Gegenstände, ist gleichwohl denkbar, dass der prophylaktische Schadensersatz, der ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens vor dem inländischen Parallelgericht zugesprochen wird, als Eingriff in die Ziviljustiz beurteilt wird (Art. V Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO). In England und Frankreich ist damit nicht zu rechnen. Für Deutschland gibt es gute Gründe, das ebenso zu bewerten. Eine belastbare Prognose, wie deutsche Gerichte die Frage beurteilen, lässt sich aber derzeit nicht treffen. Im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten steht der Durchsetzung des Schadensersatz-Schiedsspruchs das Brüssel-System weitgehend entgegen: Hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden (Fall 1), sind die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten unionsrechtlich verpflichtet, dem Schadensersatz356 357
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.b). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.c). 358 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)aa).
B. Schiedsrichterlicher Schadensersatz
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Schiedsspruch die Vollstreckbarerklärung zu versagen.359 Das gilt im Ergebnis auch, wenn in der Hauptsache zuerst ein Schiedsspruch ergangen ist, sodass es mit dem Brüssel-System vereinbar ist, wenn im jeweiligen Mitgliedstaat dem Parallelurteil die Anerkennung versagt und stattdessen der HauptsacheSchiedsspruch durchgesetzt wird. Denn hier wie dort ist im Hinblick auf die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs das West TankersVerbot des Gerichtshofs zu anti-suit injunctions übertragbar:360 Die Grundkonstellation entspricht dem Szenario West Tankers, nicht der Konstellation Gazprom, weil die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs die Wirksamkeit eines Brüssel Ia-Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats beeinträchtigen kann.361 Im Hinblick auf die ratio des West Tankers-Verbots ist die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs auch mit dem Erlass einer englischen anti-suit injunction vergleichbar.362 Denn durch die Erteilung des Exequaturs entwerten die Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats die Befugnisse der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nach der Verordnung, verstoßen gegen den unionsrechtlichen Vertrauensgrundsatz und unterwandern das Recht des Gerichtsklägers auf wirksamen Zugang zu den nach der Verordnung angerufenen Gerichten. Dem steht nicht entgegen, dass das staatliche Parallelverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs bereits abgeschlossen ist. Denn die genannten Beeinträchtigungen werden damit gegenüber dem Erlass einer englischen anti-suit injunctions lediglich vertagt. Nach der Konzeption des Gerichtshofs von einer unionsrechtlichen Dimension der öffentlichen Ordnung sind die Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats verpflichtet, sich auf den jeweils einschlägigen ordre public-Vorbehalt des einzelstaatlichen Rechts zu berufen.363 Die Schiedsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit d Brüssel Ia-VO und der Vorrang der NYK gemäß Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO stehen dem nicht entgegen.364 Wie der Gerichtshof in West Tankers klargestellt hat, kann ein Verfahren auch dann, wenn es selbst nicht in dessen Anwendungsbereich fällt, die praktische Wirksamkeit des Brüssel-Systems derart beeinträchtigen, dass es mit ihm unvereinbar ist.365 Zudem lässt die NYK eine Berufung auf den ordre public-Vorbehalt des Art. V Abs. 2 359 360
Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a). Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2) und Teil 5 B.II.2.a)bb). 361 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(a). 362 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(b) und Teil 5 B.II.2.a)bb). 363 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(c). 364 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2)(d). 365 EuGH (Große Kammer), Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 24 – West Tankers. Vgl. GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663, Rn. 33 – West Tankers (stellt für die Beurteilung der Vereinbarkeit von anti-suit injunctions mit der Brüssel I‑VO allein darauf ab, ob die Verordnung auf das Verfahren anwendbar ist, das durch das Verbot unterbunden werden soll).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
lit. b NYK wegen Verletzung des Vertrauensgrundsatzes und des Rechts auf Zugang zu den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats zu. Ist in der Hauptsache vor dem Parallelurteil kein Schiedsspruch ergangen oder ist ein zuerst ergangener Hauptsache-Schiedsspruch im jeweiligen Mitgliedstaat nicht anerkennungsfähig, ist die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs außerdem unvereinbar mit dem staatlichen Parallelurteil, dessen Wirkungen sich gemäß Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO auf den Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaat erstrecken.366 In den untersuchten Rechtsordnungen ist unter diesem Gesichtspunkt die Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung einzelstaatlicher Prägung zu versagen.367 Bedenken wegen Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 a. E. Brüssel Ia-VO bestehen nicht. Die Auswirkung der Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO auf die Vollstreckbarerklärung des SchadensersatzSchiedsspruchs ist lediglich Reflex der Anwendung dieser Bestimmungen auf das Parallelurteil.368 Maßgeblich für die Versagung der Vollstreckbarerklärung ist, dass die öffentliche Ordnung des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats verletzt wird, wenn auf demselben Staatsgebiet zwei rechtskräftige, widerstreitende Rechtsfolgenaussprüche Geltung beanspruchen. Das ergibt sich bereits aus der öffentlichen Ordnung einzelstaatlicher Prägung. Wenn das staatliche Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen hat (Fall 2), steht das Brüssel-System der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs durch Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats nicht entgegen.369 Das West Tankers-Verbot des Gerichtshofs lässt sich nicht übertragen. Denn durch die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs wird die Verweisung der Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren durch das staatliche Parallelgericht nicht untergraben, sondern bestätigt. Auch die res iudicata der prozessualen Kostenentscheidung des Parallelgerichts wird nicht gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat bzw. dritte Mitgliedstaaten erstreckt, wenn sich die Hauptentscheidung – wie hier – darauf beschränkt, die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen, Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO.370 Anders ist die Rechtslage, wenn zur Zeit der Entscheidung der Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs das staatliche Parallelverfahren in der Hauptsache noch läuft (Fall 3). In diesem Szenario sind die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten unionsrechtlich verpflichtet, dem Schadens366
Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(a). Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(b). 368 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(1)(c). 369 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.b). 370 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.b). 367
C. Mitgliedstaatlicher Schadensersatz
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ersatz-Schiedsspruch auf Grundlage des einschlägigen ordre public-Vorbehalts im einzelstaatlichen Recht die Vollstreckbarerklärung zu versagen.371 Entgegen der Rechtsprechung englischer Gerichte372 ist das West Tankers-Verbot des Gerichtshofs auf diese Konstellation übertragbar.373 Denn mit der Erteilung des Exequaturs muss der Gerichtskläger davon ausgehen, dass ihm, selbst wenn er obsiegen sollte, jeglicher Nutzen der Einleitung bzw. Fortsetzung des staatlichen Verfahrens nachträglich wieder genommen und ihm darüber hinaus die Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Die hiervon ausgehende Drohwirkung ist geeignet, den Gerichtskläger von der Einleitung bzw. Fortsetzung des staatlichen Parallelverfahrens abzuhalten. Damit ist die Zwangswirkung, die von der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs ausgeht, vergleichbar mit der bei Erlass einer englischen anti-suit injunction.
C. Mitgliedstaatlicher Schadensersatz Vorstellbar sind auch Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte über Schadensersatz wegen der Verletzung einer Schiedsabrede. Für die Verletzung exklusiver Gerichtsstandsabreden wird diskutiert, ob die abredewidrig verklagte Partei einen daraus resultierenden Schadensersatzanspruch durch Widerklage vor dem derogierten Gericht geltend machen kann (I.). Denkbar sind außerdem negative Feststellungsanträge, mit denen der Gerichtskläger die Feststellung begehrt, dass der schiedszugewandten Partei ein entsprechender Schadensersatzanspruch nicht zusteht (II.).
I. Widerklage des Schiedsklägers vor dem staatlichen Parallelgericht auf Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede Betrachten wir zunächst die praktische Relevanz einer Widerklage des Schiedsklägers vor dem staatlichen Parallelgericht auf Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede (I.) und das Verhältnis zur Brüssel Ia-VO (II.).
1. Praktische Relevanz? Die Praktische Relevanz dürfte gering sein. Denn der Schiedskläger, der in der Hauptsache auf der Durchsetzung der Schiedsabrede bestanden hat, wird aus denselben Gründen wollen, dass das Schiedsgericht und nicht das staatliche Parallelgericht über den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede entscheidet. 371 372
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.c). Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.c).aa). 373 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.I.2.c).bb).
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Der Umstand, mit der Widerklage vor dem Parallelgericht womöglich eine Verfahrenskonzentration erreichen zu können, dürfte dagegen für einen Schiedskläger kaum ins Gewicht fallen: Läuft vor dem Schiedsgericht ein Verfahren in der Hauptsache, sind ohnehin bereits zwei Spruchkörper befasst. Läuft ein solches Verfahren noch nicht, ist eine Verfahrenskonzentration durch eine Widerklage prinzipiell vorstellbar. Die Widerklage auf Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede hat aber nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn das Parallelgericht die Schiedsabrede für wirksam und in der Hauptsache anwendbar hält. In diesem Fall wird der Gerichtskläger jedoch bezüglich der Widerklage regelmäßig mit Erfolg die Schiedseinrede erheben können.374 Zwar wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, dass sich eine Partei durch eine Klage im forum derogatum antizipiert auf eine Widerklage über einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Zuständigkeitsabrede einlässt.375 Es erscheint jedoch zweifelhaft, dem Gerichtskläger wegen Geltendmachung des einen prozessualen Anspruchs vor staatlichen Gerichten (Klage in der Hauptsache) die Erhebung der Schiedseinrede bezüglich eines anderen Gegenstands (Widerklage über Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede) zu verwehren. Insbesondere erscheint es weder widersprüchlich noch sonst treuwidrig, wenn ein Gerichtskläger bei Zweifeln an der Wirksamkeit bzw. Anwendbarkeit der Schiedsabrede in der Hauptsache vor staatlichen Gerichten klagt und hinsichtlich des widerklagehalber geltend gemachten Schadensersatzanspruchs hilfsweise die Schiedsabrede einwendet.
2. Entgegenstehen der Brüssel Ia-VO? Sollte das staatliche Parallelgericht doch einmal in einer Leistungswiderklage über den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede zu entscheiden haben, steht jedenfalls die Brüssel Ia-VO weder dem SchadensersatzZuspruch noch seiner Durchsetzung entgegen. Spricht das staatliche Parallelgericht selbst Schadensersatz wegen seiner Anrufung zu, werden dadurch keine Befugnisse der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats beeeinträchtigt; gleiches gilt für den Vertrauensgrundsatz und das Recht auf wirksamen Zugang zu den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats. Die Durchsetzung des Zuspruchs durch Gerichte anderer Mitgliedstaaten verhilft der Entscheidung des Parallelgerichts zur Geltung und ist damit ebenfalls nicht geeignet, die Befugnisse des Parallelgerichts nach der Verordnung infrage zu stellen.
374 Die Reichweite einer Schiedsabrede erfasst regelmäßig einen Rechtsstreit über Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede (vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 A.II.). 375 Gebauer, in: FS Kaissis, 2012, S. 283 (Widerklagezuständigkeit); Antomo, Schadensersatz, 2017, 368.
C. Mitgliedstaatlicher Schadensersatz
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II. Antrag des Gerichtsklägers vor dem Parallelgericht auf Feststellung, dass kein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede besteht In der Praxis relevanter dürfte ein negativer Feststellungsantrag des Gerichtsklägers vor dem staatlichen Parallelgericht sein, mit dem er die Feststellung begehrt, dass dem Schiedskläger ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede nicht zusteht. Mit der res iudicata-Wirkung einer solchen Feststellung könnte womöglich eine Schiedsklage auf Zuspruch eines entsprechenden Schadensersatzes unterbunden werden. Denkbar ist außerdem eine Berufung auf die negative Feststellung im Gerichtsstaat zur Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des Schadensersatz-Schiedsspruchs. Auf das Verfahren über den negativen Feststellungsantrag findet die Brüssel Ia-VO keine Anwendung:376 Der Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede betrifft die Abgrenzung der Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Gerichtsbarkeit. Das ist ein Gegenstand, der durch die einzelstaatlichen Schiedsverfahrensgesetze geregelt und von der Schiedsausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO erfasst wird.377 Auch die West TankersRechtsprechung des EuGH ist nicht übertragbar. Das gilt schon deshalb, weil die Brüssel Ia-VO auch auf die womöglich betroffenen Verfahren – das Verfahren vor dem Schiedsgericht (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO) und eventuelle Nebenverfahren vor staatlichen Gerichten (ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO) – keine Anwendung findet. Die negative Feststellung des Parallelgerichts, dass kein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede besteht, betrifft wiederum die Abgrenzung der Schiedsgerichtsbarkeit von der staatlichen Gerichtsbarkeit. Damit unterliegt sie weder dem Anerkennungsregime der Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO noch dem Verbot der Nachprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts nach Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO. Die untersuchten Rechtsordnungen sehen vielmehr einen Anerkennungsversagungsgrund vor, wenn für die Entscheidung über den Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede aus Sicht des Zweitrichters nicht das staatliche Parallelgericht, sondern das Schiedsgericht zuständig ist. Damit verspricht ein Angriff auf das Schadensersatzverfahren vor dem Schiedsgericht unter Berufung auf die res iudicata- Wirkung der negativen Feststellung des Parallelgerichts keinen Erfolg, wenn das Schiedsgericht – wie hier – sich selbst, nicht das Parallelgericht für zuständig erachtet.378 Ähnliches gilt für einen Einsatz der negativen Feststellung im Gerichtsstaat zur Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des Schadens376 Vgl. Geimer, in: FS Ahrens, 2016, S. 506. 377 Es gilt nichts anderes als bei einem Verfahren auf Feststellung der Unzuständigkeit des
Schiedsgerichts (vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.). 378 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 3 B.I.2.
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Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
ersatz-Schiedsspruchs. Die Gerichte des Gerichtsstaats müssen dem Schadensersatz-Schiedsspruch ohnehin die Anerkennung und Vollstreckung versagen, wenn aus ihrer Sicht die Schiedsabrede ungültig ist oder sie auf den Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede bzw. die Hauptsache keine Anwendung findet.379 Ein Rückgriff auf eine Kollision des Schadensersatz-Schiedsspruchs mit der negativen Feststellung des Parallelgerichts als Anerkennungsversagungsgrund ist dann nicht erforderlich. Ein Rechtsschutzinteresse kann für den negativen Feststellungsantrag aber dann bestehen, wenn nach dem Recht des Gerichtsstaats keine Möglichkeit besteht, vor Erlass des Schadensersatz-Schiedsspruchs rechtskräftig die Ungültigkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede auf den Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede bzw. auf die Hauptsache feststellen zu lassen.380 Denn Rechtssicherheit, dass der Schadensersatz-Schiedsspruch im Gerichtsstaat nicht anerkennungsfähig sein wird, kann der Gerichtskläger dann nur durch den negativen Feststellungsantrag erreichen.
III. Ergebnis Ein Schadensersatz-Zuspruch durch das staatliche Parallelgericht wegen Verletzung der Schiedsabrede ist vorstellbar, wenn der Schiedskläger vor dem staatlichen Parallelgericht eine entsprechende Leistungswiderklage erhebt. Jedenfalls die Brüssel Ia-VO steht einem Schadensersatz-Zuspruch durch das staatliche Parallelgericht bzw. seiner Durchsetzung im Gerichtsstaat oder in anderen Mitgliedstaaten nicht entgegen.381 Praktische Relevanz dürfte die Leistungswiderklage vor dem staatlichen Parallelgericht aber nicht haben.382 Denn der Schiedskläger, der in der Hauptsache auf der Durchsetzung der Schiedsabrede bestanden hat, wird aus denselben Gründen wollen, dass das Schiedsgericht und nicht das staatliche Parallelgericht über den Schadensersatzanspruch entscheidet. Praktisch bedeutsamer dürfte in der Praxis ein negativer Feststellungsantrag des Gerichtsklägers vor dem staatlichen Parallelgericht sein, mit dem der Gerichtskläger die Feststellung begehrt, dass dem Schiedskläger ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede nicht zusteht.383 Zwar ist eine Berufung auf die res iudicata-Wirkung einer solchen negativen Feststellung nicht geeignet, ein Schadensersatzverfahren vor dem Schiedsgericht wegen Verletzung der Schiedsabrede zu unterbinden. Denn die negative Fest379 380
Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 B.II.1.a)aa). Vgl. zu Möglichkeiten nach den untersuchten Rechtsordnungen ausführlich oben Teil 3 B.I. 381 Vgl. hierzu oben Teil 5 C.I.2. 382 Vgl. hierzu oben Teil 5 C.I.1. 383 Vgl. hierzu oben Teil 5 C.I.1.
D. Fazit
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stellung unterliegt nicht den Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO bzw. dem Verbot der Nachprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts nach Art. 45 Abs. 3 Brüssel IaVO, sodass das Schiedsgericht, das sich selbst und nicht das Parallelgericht für zuständig erachtet, der negativen Feststellung die Anerkennung versagen kann. In Betracht kommt aber ein Einsatz der negativen Feststellung im Gerichtsstaat zur Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des Schadensersatz-Schiedsspruchs. Ein Rechtsschutzbedürfnis dafür kann bestehen, wenn nach dem Recht des Gerichtsstaats keine Möglichkeit besteht, vor Erlass des Schadensersatz-Schiedsspruchs rechtskräftig die Ungültigkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede auf Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede bzw. auf die Hauptsache feststellen zu lassen.
D. Fazit In Teil 5 der Arbeit wurde schwerpunktmäßig384 untersucht, ob der Schiedskläger mithilfe eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs verlangen kann, finanziell so gestellt zu werden, als hätte der Gerichtskläger den Rechtsstreit abredegemäß nur vor dem Schiedsgericht ausgetragen. Zuständig für die Entscheidung über einen solchen Anspruch ist in aller Regel das Schiedsgericht.385 Anwendbar auf Bestand und Umfang des Anspruchs ist die lex causae der Schiedsabrede, mangels abweichender Abrede also das Recht am Sitz des Schiedsgerichts.386 Von den untersuchten Rechtsordnungen etabliert sind vertragliche Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Schiedsabrede nur im englischen Recht.387 Der Schiedskläger kann hier nicht nur die Kosten ersetzt verlangen, die er für die Verteidigung im staatlichen Parallelverfahren aufgewendet hat. Er kann auch Schadensersatz i. H. d. Sachentscheidungsdifferenz geltend machen, das heißt insoweit die Sachentscheidung des staatlichen Parallelgerichts zu Lasten des Schiedsklägers von der (hypothetischen) Sachentscheidung des Schiedsgerichts abweicht. Zum deutschen Recht spricht sich nur ein Teil des Schrifttums für einen vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede aus;388 im französischen389 nicht einmal das. 384 Vgl. für die Möglichkeit des Gerichtsklägers, vor dem staatlichen Parallelgericht die Feststellung zu erwirken, dass ein entsprechender Anspruch nicht besteht, oben Teil 5 C.II. 385 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 A.II. und für die Diskussion, ob der Schiedskläger widerklagehalber Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede auch vor dem staatlichen Parallelgericht geltend machen kann, oben Teil 5 C.I. 386 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 A.II. 387 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 A.I.1. 388 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 A.I.2. 389 Vgl. hierzu ausführlich oben Teil 5 A.I.3.
326
Teil 5: Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsvereinbarung
Die Brüssel Ia-VO steht dem schiedsrichterlichen Zuspruch von Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede unmittelbar nicht entgegen,390 weil Schiedsgerichte als private Spruchkörper nicht an die Brüssel Ia-VO gebunden sind. Sie kann ihr zwar mittelbar über eine Wirkungserstreckung des staatlichen Parallelurteils in der Hauptsache nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO entgegenstehen.391 Das ist in den untersuchten Rechtsordnungen aber nur der Fall, wenn das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und rechtskräftig in der Hauptsache entschieden hat (Fall 1), bevor ein HauptsacheSchiedsspruch ergangen ist.392 Berücksichtigt man, dass im staatlichen Parallelverfahren bis zu drei Instanzen zu durchlaufen sind, während Schiedssprüche in der Sache regelmäßig nicht mit einem Rechtsmittel angreifbar sind, wird häufig der Hauptsache-Schiedsspruch als erstes ergehen. Damit bleibt auf Ebene der Zuerkennung durchaus Raum für vertraglichen Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede. Dieses Bild dreht sich aber, wenn man die Durchsetzbarkeit eines solchen Schadensersatz-Schiedsspruchs in der EU in die Betrachtung einbezieht:393 Im Gerichtsstaat steht der Durchsetzung des Schadensersatz-Schiedsspruchs zwar die Brüssel Ia-VO nicht entgegen.394 Weitreichende Beschränkungen ergeben sich aber aus dem einzelstaatlichen Recht: Hat das Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Sache entschieden (Fall 1), wird die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs sehr wahrscheinlich bereits an der Letztentscheidungskompetenz des Gerichtsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede scheitern.395 Schließlich hat mit dem Parallelgericht bereits ein inländisches Gericht entschieden, dass die Schiedsabrede ungültig bzw. auf die Hauptsache unanwendbar ist. Hat das staatliche Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf die Schiedsgerichtsbarkeit verwiesen (Fall 2), ist die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs unvereinbar mit der prozessualen Kostenentscheidung des inländischen Parallelgerichts. Denn jedenfalls in den untersuchten Rechtsordnungen kommt prozessualen Kostenentscheidungen eine abschließende res iudicata-Wirkung zu, die nicht nur einer Umverteilung der Kostenlast, sondern auch einem topping-up der zuerkannten Kosten im Rahmen 390 391
Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.1. Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2. 392 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)bb). 393 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)bb)(3). 394 Vgl. hierzu oben vor Teil 5 II.1.a). 395 Vgl. hierzu – insbesondere zur Kompetenz des Exequaturgerichts, dem Schadensersatz-Schiedsspruch wegen Unzuständigkeit des Schiedsgerichts in der Hauptsache die Vollstreckbarerklärung zu versagen – oben Teil 5 B.II.1.a)aa). Außerdem wäre die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs unvereinbar mit dem inländischen Parallelurteil (vgl. oben Teil 5 B.II.1.a)bb)).
D. Fazit
327
materiellrechtlicher Erstattungsansprüche entgegensteht.396 In Betracht kommt die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Gerichtsstaat nur, wenn das staatliche Parallelgericht rechtskräftig bisher weder in der Sache noch zu den Prozesskosten entschieden hat (Fall 3) und das Schiedsgericht aus Sicht des Exequaturgerichts für den Schadensersatz-Zuspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede und für den Gegenstand des staatlichen Parallelverfahrens zuständig ist.397 Der hier untersuchte positive Kompetenz-Konflikt zwischen Schiedsgericht und mitgliedstaatlichem Gericht besteht dann aber ohnehin nicht. Der Durchsetzbarkeit des Schadensersatz-Schiedsspruchs im Schiedsstaat und in dritten Mitgliedstaaten steht das Brüssel-System weitgehend entgegen:398 Hat das staatliche Parallelgericht die Schiedseinrede zurückgewiesen und in der Hauptsache entschieden (Fall 1), sind die Gerichte des Schiedsstaats und dritter Mitgliedstaaten unionsrechtlich verpflichtet, dem SchadensersatzSchiedsspruch die Vollstreckbarerklärung zu versagen.399 Das gilt auch dann, wenn in der Hauptsache zuerst ein Schiedsspruch ergangen ist, sodass es mit dem Brüssel-System vereinbar ist, dem staatlichen Parallelurteil die Durchsetzung zu versagen und stattdessen den Schiedsspruch in der Hauptsache anzuerkennen.400 Denn hier wie dort ist im Hinblick auf die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs das West Tankers-Verbot des Gerichtshofs zu anti-suit injunctions übertragbar.401 Das gilt auch, wenn zur Zeit der Entscheidung der Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats über die Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs das staatliche Parallelverfahren in der Hauptsache noch läuft (Fall 3).402 Nur wenn das staatliche Parallelgericht der Schiedseinrede stattgegeben und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren verwiesen hat (Fall 2), steht das Brüssel-System der Vollstreckbarerklärung des Schadensersatz-Schiedsspruchs durch Gerichte des Schieds- bzw. dritten Mitgliedstaats nicht entgegen.403 In diesem Szenario liegt der untersuchte positive Kompetenzkonflikt zwischen Schiedsgericht und staatlichem Parallelgericht aber wiederum nicht vor. Damit ist auch Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede kein geeignetes Mittel, um in der EU die Sicht des Schiedsstaats bezüglich der Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede gegen eine abweichende Beurteilung des Gerichtsstaats durchzusetzen. 396 397
Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.1.b). Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.1.c). 398 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2. 399 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a). 400 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)bb). 401 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.a)aa)(2) und Teil 5 B.II.2.a)bb). 402 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.c). 403 Vgl. hierzu oben Teil 5 B.II.2.b).
Teil 6
Schlussbetrachtung Eingangs wurde das rechtspolitische Ziel formuliert, mitgliedstaatsübergreifende Parallelverfahren vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten zu unterbinden.1 Denn sie verschwenden private wie öffentliche Ressourcen, frustrieren die Schiedsabrede und bergen die Gefahr widersprüchlicher Sachentscheidungen. Verwirklicht sich diese, werden außerdem die Legitimität und Glaubwürdigkeit der betroffenen Spruchkörper infrage gestellt und das oberste Verfahrensziel – die endgültige Beilegung des Rechtsstreits – konterkariert. Ernüchternd ist vor diesem Hintergrund die Feststellung, dass in Abwesenheit hinreichender positivrechtlicher Mechanismen2 auch von den untersuchten Hilfsmechanismen keiner geeignet ist, um in der EU positive grenz- und gerichtsbarkeitsübergreifende Kompetenzkonflikte zugunsten eines der beiden Parallelverfahren aufzulösen:3 Prozessführungs- und Vollstreckungsverboten, die die Durchsetzung der Schiedsabrede zum Gegenstand haben, steht an entscheidender Stelle entweder die Brüssel Ia-VO oder das einzelstaatliche Recht entgegen.4 Auf Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote, die gegen die Durchsetzung der Schiedsabrede gerichtet sind, wirkt sich das Brüssel-System nicht aus.5 Nach einzelstaatlichem Recht sind im Rahmen der untersuchten Rechtsordnungen aber nur englische Gerichte befugt, derartige anti-arbitration injunctions und auf Schiedssprüche bezogene anti-enforcement injunctions zu erlassen. Und diese machen entsprechend ihrer schiedsfreundlichen Haltung und der Prämisse des englischen Gesetzgebers, staatliche Interventionen in das Schiedsverfahren weitestgehend zu vermeiden,6 von dieser Befugnis nur in Ausnahmefällen Gebrauch.7
1 2
Vgl. hierzu oben Teil 1 A.II. Vgl. hierzu oben Teil 1 A.III. 3 Eine Zusammenfassung der Ergebnisse findet sich jeweils im Anschluss an die Untersuchung der einzelnen Mechanismen. Daneben schließen die Teile 2–5 jeweils mit einem Fazit. An dieser Stelle geht es daher nur noch darum, die Fäden zu einem Gesamtbild zu verknüpfen. 4 Vgl. hierzu oben Teil 2 A.–C. 5 Vgl. hierzu oben Teil 2 D. 6 Vgl. s. 1 lit. c AA 1996. 7 Vgl. hierzu oben Teil 2 D.
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Teil 6: Schlussbetrachtung
Die res iudicata-Wirkung einer Entscheidung über die (Un-)Wirksamkeit bzw. (Un-)Anwendbarkeit der Schiedsabrede ist grundsätzlich8 weder aus Sicht des Schiedsklägers9 noch aus Sicht des Gerichtsklägers10 geeignet, das jeweils andere Parallelverfahren zu unterbinden. Der Gerichtskläger kann die Feststellung, dass die Schiedsabrede ungültig bzw. auf die Hauptsache nicht anwendbar ist, nach Maßgabe einzelstaatlichen Rechts lediglich dazu einsetzen, im Gerichtsstaat die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs nach Art. III ff. NYK zu begründen.11 Der Schiedskläger hat im Schiedsstaat keine entsprechende Möglichkeit zur Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des staatlichen Parallelurteils nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO.12 Die res iudicata-Wirkung eines zuerst in der Hauptsache ergangenen staatlichen Parallelurteils, die sich gemäß Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf den Schiedsstaat erstreckt, ist in den untersuchten Rechtsordnungen zwar geeignet, ein noch laufendes, paralleles Schiedsverfahren zu unterbinden.13 Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im staatlichen Parallelverfahren sind allerdings bis zu drei Instanzen zu durchlaufen, während Schiedssprüche regelmäßig keinen Rechtsmitteln mit Suspensiveffekt zugänglich sind. Häufig wird daher zuerst ein rechtskräftiger Schiedsspruch vorliegen. Dieser ist im Gerichtsstaat nach Art. III ff. NYK aber nicht anerkennungsfähig und vermag daher seinerseits das mitgliedstaatliche Parallelverfahren nicht zu unterbinden.14 Erfreulich ist dagegen die Erkenntnis, dass das in der Literatur als „clash of conventions“15 heraufbeschworene Schreckensszenario eines Mitgliedstaats, der sich widerstreitenden Verpflichtungen nach dem Brüssel-System und der NYK ausgesetzt sieht, nach geltender Rechtslage nicht existiert. Das gilt insbesondere für die Pflicht der Mitgliedstaaten, nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO eine zuerst in der Hauptsache ergangene Gerichtsentscheidung auch dann anzuerkennen, wenn sie aus Sicht des Zweitstaats unter Missachtung einer Schiedsabrede zustande gekommen ist.16 Denn aus Art. II Abs. 3, Abs. 1 NYK lässt sich keine damit potentiell konfligierende, völkervertragliche Pflicht ableiten, einer Gerichtsentscheidung die Anerkennung zu versagen, wenn aus Sicht des Zweitstaats eigentlich ein Schiedsgericht für den Gegenstand der Entscheidung sachentscheidungsbefugt gewesen wäre.17 Es gilt ferner für die Kon8 9
Vgl. für eine Ausnahme oben Teil 3 A.I.2.d). Vgl. hierzu oben Teil 3 A. 10 Vgl. hierzu oben Teil 3 B. 11 Vgl. hierzu oben Teil 3 B.I.3.–4.; Teil 3 B.II.1.c); Teil 3 B.II.2.c). 12 Vgl. hierzu oben Teil 3 A.I.3.–4.; Teil 3 A.II.1.; Teil 3 A.II.2. 13 Vgl. hierzu oben Teil 4 A. 14 Vgl. hierzu oben Teil 4 B. 15 Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit, 2015, 73. 16 Vgl. hierzu oben Teil 4 A.I. 17 Vgl. hierzu oben Teil 4 A.I.2.b)bb).
Teil 6: Schlussbetrachtung
331
stellation, dass derselbe Rechtsstreit durch einen Schiedsspruch i. S. v. Art. I Abs. 1 NYK und eine widersprüchliche Gerichtsentscheidung i. S. v. Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO entschieden wurde. Wie die Arbeit demonstriert, lassen sich derartige Entscheidungskollisionen stets im Einklang sowohl mit der Brüssel Ia-VO als auch mit der NYK auflösen.18 Die Untersuchung zeigt allerdings auch, dass nach geltender Rechtslage zwischen Schiedsklägern und Gerichtsklägern keine prozessuale Waffengleichheit besteht. Das offenbart nicht nur der Blick auf die soeben erwähnten Möglichkeiten des Gerichtsklägers, eine gerichtliche Entscheidung über die Unwirksamkeit bzw. Unanwendbarkeit der Schiedsabrede im Gerichtsstaat zur Verteidigung gegen die Anerkennung und Vollstreckung des Schiedsspruchs einzusetzen bzw. mithilfe der res iudicata-Wirkung eines zuerst in der Hauptsache ergangenen staatlichen Parallelurteils das konkurrierende Schiedsverfahren zu unterbinden. Es zeigt sich gerade auch dann, wenn beide Verfahren mit einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache abgeschlossen wurden: Ein zuerst in der Hauptsache ergangenes Parallelurteil setzt sich EU-weit gegen den konkurrierenden Schiedsspruch durch, unabhängig davon, ob aus Sicht des Zweitstaats das Schiedsgericht oder das staatliche Parallelgericht entscheidungsbefugt war.19 Dem zuerst ergangenen Schiedsspruch kann in den Mitgliedstaaten zwar ebenfalls Vorrang vor dem staatlichen Parallelurteil einzuräumen sein.20 Voraussetzung ist aber, dass die Rechtskraft von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen nach dem auf die materielle Rechtskraft des Schiedsspruchs anwendbaren Recht gleichwertig ausgestaltet ist.21 Außerdem muss das Schiedsgericht aus Sicht des jeweiligen Mitgliedstaats sachentscheidungsbefugt gewesen sein.22 Das ist jedenfalls aus Sicht des Gerichtsstaats in der hier untersuchten Konstellation nicht der Fall.23 Diese Erkenntnis ist für einen potentiellen Schiedskläger bedeutsamer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn der Schiedskläger muss befürchten, dass sich in der EU bei einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung das staatliche Parallelurteil durchsetzt, selbst wenn der Schiedsspruch in der Hauptsache zuerst ergeht und der staatlichen Letztentscheidungskompetenz der Gerichte des Schiedsstaats sowie aller dritten Mitgliedstaaten standhält. Man nehme etwa den Fall, dass das Schiedsgericht in der Hauptsache eine Schadensersatzpflicht des Schiedsklägers verneint, während das staatliche Parallelgericht sie dem Gerichtskläger in Höhe X zuspricht. Sieht man von der Kostenentscheidung ab, wirkt sich wirtschaftlich betrachtet auf die Vermögenslage der Parteien nicht 18 19
Vgl. hierzu oben Teil 4 C. Vgl. hierzu oben Teil 4 C.III. 20 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II. 21 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)cc). 22 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.1.c)bb); Teil 4 C.II.2. 23 Vgl. hierzu oben Teil 4 C.II.3.
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Teil 6: Schlussbetrachtung
aus, dass das Schiedsgericht die Haftung des Schiedsklägers verneint hat und sich diese Entscheidung im Schiedsstaat und in allen dritten Mitgliedstaaten durchsetzt. Anders ist dies mit Blick auf das staatliche Parallelurteil. Da sich dieses jedenfalls im Gerichtsstaat gegen den zuerst ergangenen Schiedsspruch durchsetzt, kann der Gerichtskläger im Gerichtsstaat in Höhe X in das Vermögen des Schiedsklägers vollstrecken. Unterstellt man ausreichendes Vermögen im Gerichtsstaat, tritt dann saldiert und EU-weit betrachtet die Vermögenslage ein, die bestünde, als wäre ein Schiedsspruch in der Hauptsache nicht ergangen. Das lässt sich auch nicht durch einen vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Schiedsabrede korrigieren.24 Aus dem Brüssel-System und dem einzelstaatlichen Recht der untersuchten Rechtsordnungen resultiert, dass die Durchsetzung eines solchen Anspruchs in der EU nur in Betracht kommt, wenn aus Sicht des Gerichtsstaats die Schiedsabrede gültig und auf die Hauptsache anwendbar ist.25 Dann liegt der untersuchte positive KompetenzKonflikt zwischen Schiedsgericht und staatlichem Parallelgericht aber ohnehin nicht vor. Ursprung der festgestellten Inkohärenzen ist, dass die konkurrierenden Hauptsache-Entscheidungen Anerkennungsregimen mit divergierendem Harmonisierungsgrad unterliegen.26 Die NYK von 1958 erlaubt den Gerichten eines jeden Vertragsstaats die originäre Überprüfung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts (Art. V Abs. 1 lit. a, lit. c, Abs. 2 lit. a NYK). Zugleich regelt sie die Anforderungen an die Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsabrede in Art. I NYK nur fragmentarisch und gemäß Art. VII Abs. 1 NYK lediglich als Obergrenze. Demgegenüber verpflichtet das Brüssel-System die Mitgliedstaaten zu Vertrauen in die Entscheidung des Erstgerichts über die eigene Zuständigkeit. Eine originäre Überprüfung der Zuständigkeitsfrage erlaubt sie nicht (Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO). Den Interessenvertretern, die im Reformprozess gegen alle Vorschläge einer mitgliedstaats- und gerichtsbarkeitsübergreifenden Verfahrenskoordination Sturm gelaufen sind,27 sollten diese Erkenntnisse zu denken geben. Gewiss: Die mangelhafte grenzüberschreitende Koordination positiver Kompetenzkonflikte zwischen staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten ist kein EU-spezifisches, sondern ein globales Problem. Im Rahmen der Neufassung des Brüssel-Systems hatte der Unionsgesetzgeber jedoch die Chance, immerhin für die EU die bestehenden Missstände zu beseitigen. Vielversprechend war in dieser Hinsicht insbesondere der auf den Heidelberg-Bericht28 zurückgehende Vor24
Vgl. hierzu oben Teil 5. Vgl. hierzu oben Teil 5 B.I.2.a)bb); Teil 5 B.II.2.b). 26 Vgl. hierzu oben Teil 3 C. und Teil 4 D. 27 Vgl. hierzu oben Teil 2 A.II.2.a)bb)–ff). 28 Vgl. hierzu oben Teil 2 A.II.2.a)aa). 25
Teil 6: Schlussbetrachtung
333
schlag der Kommission, einen der Regelung in Art. 31 Abs. 2–3 Brüssel Ia-VO vergleichbaren lis pendens-Mechanismus zum Schutz von Schiedsabreden einzuführen.29 Über diesen hätten gerichtsbarkeitsübergreifende Parallelverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten unterbunden, der Erlass widersprüchlicher Sachentscheidungen verhindert und die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit in der EU gestärkt werden können. Ein Freudenfest zu Ehren der Bewahrung des Status quo macht vor diesem Hintergrund wenig Sinn.
29
Vgl. hierzu oben Teil 2 A.II.2.a)dd).
Verzeichnis der zitierten Rechtstexte A. Unionsrecht Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG 1993 L 95, 29. Charta der Grundrechte der Europäischen Union v. 7.12.2000, ABl. EG 2000 C 364, 1, geändert durch ABl. EU 2016 C 202, 389 (zitiert als: GRC). Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- oder Handelssachen, ABl. EG 2001 L 12, 1 (zitiert als: Brüssel I‑VO). Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union i. d. F. der Bek. v. 9.5.2008, ABl. EU 2008 C 115, 47 (zitiert als: AEUV). Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU 2008 L 177, 6 (zitiert als: Rom I‑VO). Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates v. 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 L 7, 1, ber. ABl. 2011 L 131, 26 (zitiert als: EuUntVO). Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2012 L 351, 1 (zitiert als: Brüssel Ia-VO).
B. Völkerrecht Genfer Protokoll vom 24.9.1923 über die Schiedsklauseln, in Kraft getreten am 27.12.1924 aufgrund Bek. vom 7.2.1925, RGBl. II, 47 (zitiert als: Genfer Protokoll von 1923). Genfer Abkommen vom 26.9.1927 zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, Gesetz vom 28.7.1930, RGBl. II, 1067, in Kraft getreten am 1.12.1930 aufgrund Bek. vom 5.11.1930, RGBl. II S. 1269 (zitiert: als: Genfer Abkommen von 1927). Abkommen v. 18.1.1934 zwischen dem Vereinigten Königreich Großbritannien und der Republik Frankreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Treaty Servcies No. 18 (1936), Cmd. 5235. (New Yorker UN-)Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958, BGBl. II 1961, 122 (zitiert als: NYK).
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Verzeichnis der zitierten Rechtstexte
Abkommen v. 14.7.1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1961 II 301. Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.1961, BGBl. 1964 II S. 425, 427; 1965 II S. 107 (zitiert als: EuÜHSchG von 1961). Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Gesetz vom 24.7.1972, BGBl. II, 773, in Kraft getreten am 1.2.1973 aufgrund Bek. vom 12.1.1973, BGBl. II, 60, i. d. F. des Übereinkommens vom 26.5.1989, Gesetz vom 20.4.1994, BGBl. II, 518, in Kraft getreten am 1.12.1994 aufgrund Bek. vom 25.10.1994, BGBl. II, 3707 (zitiert als: EuGVÜ). UNCITRAL-Modellgesetz über die inetrnationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1985), abrufbar unter (Luganer-)Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007, ABl. 2009 L 147, 5, ber. 2011 L 115, 31 (zitiert als: LugÜ). Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten i. d. F. der Bek. vom 22.10.2010, BGBl. II S. 1198 (zitiert als: EMRK).
C. Innerstaatliches Recht I. Deutschland Zivilprozessordnung, neugefasst durch Bek. vom 5.12.2005, BGBl. I, 3202 und 2006 I 431 und 2007 I 1781 (zitiert als: ZPO). Bürgerliches Gesetzbuch, neugefasst durch Bek. vom 2.1.2002, BGBl. I, 42, 2909 und 2003 I, 738 (zitiert als: BGB). Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949, BGBl. I 2009, 2248 (zitiert als: GG). Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl. I 1965, 1089 (zitiert als: AktG).
II. Frankreich Code Civile vom 21.3.1804 (zitiert als: CC). Code de Procédure Civile vom 5.12.1975 (ehemals Nouveau Code de Procédure Civile) (zitiert als: CPC). Code de Procédure Civile d’Exécution vom 20.12.2011 (zitiert als: CPCE).
III. Vereinigtes Königreich Administration of Justice Act 1920 c. 81 vom 23.12.1920 (zitiert als: Administration of Justice Act 1920). Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 vom 13.4.1933 (zitiert als: Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933).
C. Innerstaatliches Recht
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Senior Courts Act 1981 vom 28.7.1981 (zitiert als: Senior Courts Act 1981). Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 vom 13.7.1982 (zitiert als: Act 1982). Arbitration Act 1996 vom 17.6.1996 (zitiert als: AA 1996). High Court and County Courts (Allocation of Arbitration Proceedings) Order 1996 vom 20.12.1996 (zitiert als: Allocation of Arbitration Proceedings Order 1996). Human Rights Act 1998. The Civil Procedure Rules 1998 vom 10.12.2001 (zitiert als: CPR).
IV. Sonstige Länder Gesetz vom 1.8.1895 über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung), RGBl. 113/1895 (zitiert als: ZPO (Österreich)). Codice di Procedura Civile vom 18.10.1940 (zitiert als: CCP (Italien)). Bundesgesetz über das internationale Privatrecht vom 18.12.1987 (zitiert als: IPRG).
Rechtsprechungsverzeichnis Die genannten Internetseiten wurden zuletzt am 14.4.2018 abgerufen.
A. Gerichtsentscheidungen I. Europa 1. Europäischer Gerichtshof (EuGH) EuGH, Urteil v. 9.7.1970, Rs. C-26/69, Slg. 1970, 565 – Kommission ./. Frankreich EuGH, Urteil v. 23.3.1982, Rs. C-53/81, Slg. 1982, 1035 – Levin EuGH, Urteil v. 15.5.1986, Rs. C-222/84, Slg. 1986, 1651 – Johnston EuGH, Urteil v. 4.2.1988, C-145/86, Slg. 1988 645 – Hoffmann ./. Krieg EuGH, Urteil v. 27.6.1991, Rs. C-351/89, Slg. 1991 I-3317 – Overseas Union EuGH, Urteil v. 25.7.1991, Rs. C-190/89, Slg. 1991 I-3855 – Marc Rich EuGH, Urteil v. 2.6.1994, Rs. C-414/92, Slg. 1994 I-2237 – Solo Kleinmotoren EuGH, Urteil v. 7.12.1995, Rs. C-449/93, Slg. 1995 I-4291 – Rockfon EuGH, Urteil v. 10.10.1996, C-78/95, Slg. 1996 I-4943 – Hendrikman ./. Magenta Druck EuGH, Urteil v. 27.2.1997, C-220/95, Slg. 1997 I-1147 – Van den Boogaard EuGH, Urteil v. 11.11.1997, Rs. C-251/95, Slg. 1997 I-6191 – Puma EuGH, Urteil v. 31.3.1998, verb. Rs. C-68/94 und C-30/95, Slg.1998 I-1453 – Frankreich u. a. ./. Kommission) EuGH, Urteil v. 30.4.1998, Rs. C-215/97, Slg. 1998 I-2191 – Bellone ./. Yokohama EuGH, Urteil v. 19.8.1998, Rs. C-162/97, Slg. 1998 I-7477 – Strafverfahren gegen Gunnar Nilsson u. a. EuGH, Urteil v. 17.11.1998, Rs. C-391/95, Slg. 1998 I-07091 – Van Uden EuGH, Urteil v. 25.11.1998, Rs. C-308/97, Slg. 1998 I-7865 – Manfredi EuGH, Urteil v. 22.4.1999, Rs. C-423/97, Slg. 1999 I-2216 – Travel Vac EuGH, Urteil v. 1.6.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999 I-3055 – Eco Swiss EuGH (Große Kammer), Urteil v. 16.7.1999, Rs. C-385/07, Slg. 2009 I-6155 – Grüner Punkt EuGH, Urteil v. 28.3.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000 I-1935 – Krombach ./. Bamberski EuGH, Urteil v. 11.5.2000, Rs. C-38/98, Slg. 2000 I-2973 – Renault ./. Maxicar EuGH, Urteil v. 13.12.2001, Rs. C-481/99, Slg. 2001 I-9945 – Heininger ./. Bayerische Hypo- und Vereinsbank EuGH, Beschluss v. 22.3.2002, Rs. C-24/02, Slg. 2002 I-3383 – Marseille Fret ./. Seatrano Shipping Company EuGH, Urteil v. 6.6.2002, Rs. C-80/00, Slg. 2002 I-4995 – Italian Leather
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Rechtsprechungsverzeichnis
EuGH, Urteil v. 25.7.2002, Rs. C-50/00, Slg. 2002 I-6677 – Unión de Pequeños Agricultores EuGH, Urteil v. 30.9.2003, Rs. C‑224/01, Slg. 2003 I‑10239 – Köbler EuGH, Urteil v. 9.12.2003, Rs. C-116/02, Slg. 2003 I-14693 – Gasser EuGH (Plenum), Urteil v. 27.4.2004, Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565 – Turner EuGH, Urteil v. 24.11.2005, Rs. C-136/04, Slg. 2005 I-10095 – Deutsches Milchkontor EuGH, Urteil v. 10.1.2006, Rs. C-344/04, Slg. 2006 I-403 – Department for Transport EuGH, Urteil v. 16.3.2006, Rs. C‑234/04, Slg. 2006 I‑2585 – Kapferer EuGH, Urteil v. 26.10.2006, Rs. C-168/05, Slg. 2006 I-10421 – Mostaza Claro EuGH, Urteil v. 13.3.2007, Rs. C-432/05, Slg. 2007 I-2271 – Unibet EuGH (Große Kammer), Urteil v. 26.6.2007, Rs. C-305/05, Slg. 2007 I-5305 – Ordre des barreaux francophones et germanophone EuGH, Urteil v. 17.4.2008, Rs. C-404/06, Slg. 2008 I-2685 – Quelle EuGH (Große Kammer), Urteil v. 3.9.2008, Rs. C-402/05, Slg. 2008 I-6351 – Kadi EuGH (Große Kammer), Urteil v. 16.12.2008, Rs. C-131/03, Slg. 2008 I-9761 – Masdar EuGH (Große Kammer), Urteil v. 10.2.2009, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers EuGH, Urteil v. 28.4.2009, Rs. C-420/07, Slg. 2009 I-3571 – Apostolides ./. Orams EuGH, Urteil v. 3.9.2009, Rs. C‑2/08, Slg. 2009 I‑7501 – Fallimento Olimpiclub EuGH, Urteil v. 25.2.2010, Rs. C-562/08, Slg. 2010 I-1391 – Müller Fleisch EuGH (Große Kammer), Urteil v. 4.5.2010, Rs. C-533/08, Slg. 2010 I-4107 – TNT Express Nederland EuGH (Große Kammer), Urteil v. 14.9.2010, Rs. C-550/07, Slg. 2010 I-8301 – Akzo Nobel Chemicals EuGH, Urteil v. 28.10.2010, Rs. C-203/09, Slg. 2010 I-10721 – Volvo EuGH (Große Kammer), Urteil v. 1.3.2011, Rs. C-236/09, Slg. 2011 I-773 – Test-Achats EuGH, Urteil v. 13.10.2011, Rs. C-139/10, Slg. 2011 I-9527 – Prism Investments EuGH, Urteil v. 15.12.2012, Rs. C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 – Gothaer EuGH, Urteil v. 10.10.2013, Rs. C-306/12, EU:C:2013:650 – Spedition Welter EuGH, Urteil v. 19.12.2013, Rs. C-452/12, EU:C:2013:858 – Nipponka EuGH, Beschluss v. 3.4.2014, Rs. C-342/13, ECLI:EU:C:2014:1857 – Sebestyén EuGH, Urteil v. 16.4.2014, Rs. C-45/13, EU:C:2014:7 – Pantherwerke EuGH, Urteil v. 4.9.2014, Rs. C-157/13, EU:C:2014:2145 – Nickel & Goeldner Spedition EuGH, Urteil v. 23.10.2014, Rs. C-302/13, ECLI:EU:C2014:2319 – flyLAL‑Lithuanian Airlines EuGH (Plenum), Gutachten 2/13 v. 18.12.2014, EU:C:2014:2454 – EMRK‑Beitritt II EuGH (Große Kammer), Urteil v. 13.5.2015, Rs. C-536/13, EU:C:2015:316 – Gazprom EuGH, Urteil v. 16.7.2015, Rs. C-681/13, ECLI:EU:C:2015:471 – Johnny Walker
2. Schlussanträge EuGH GA Darmon, Schlussanträge v. 19.2.1991, Rs. C-190/89, Slg. 1991 I-3855 – Marc Rich GA Léger, Schlussanträge v. 21.2.2002, Rs. C-80/00, Slg. 2002 I-4995 – Italian Leather GA Colomer, Schlussanträge v. 20.11.2003, Rs. C-159/02, Slg. 2004 I-3565 – Turner GA Trstenjak, Schlussanträge v. 4.6.2008, Rs. C-324/07, Slg. 2008 I-8457 – Coditel Brabant GA Kokott, Schlussanträge v. 4.9.2008, Rs. C-185/07, Slg. 2009 I-663 – West Tankers
A. Gerichtsentscheidungen
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GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014, Rs. C-536/13, EU:C:2014:2414 – Gazprom GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11.12.2014, Rs. C-352/13, EU:C:2014:2443 – CDC
3. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) EGMR, Urteil v. 7.7.1989 – 1/1989/161/217, NJW 1990, 2183 – Soering ./.Vereinigtes Königreich EGMR, Urteil v. 26.6.1992 – 12747/87, Series A 240, 5 – Drozd und Janousek ./. Frankreich und Spanien EGMR, Urteil v. 19.3.1997 – 18357/91, Slg. 1997-II, 496 – Hornsby ./. Griechenland EGMR (Große Kammer), Urteil v. 18.2.1999 – 26083/94, NJW 1999, 1173 – Waite und Kennedy ./. Germany EGMR, Urteil v. 20.7.2001 – 30882/96, Slg. 2001-VIII – Pellegrini ./. Italien EGMR, Urteil v. 1.3.2002 – 48778/99, Slg. 2002-II, 83 – Kutić ./. Kroatien
II. Deutschland 1. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) BVerfG, Urteil v. 1.7.1953 – 1 BvL 23/51, BVerfGE 2, 380 BVerfG, Beschluss v. 14.3.1963 – 1 BvL 28/62, BVerfGE 15, 313 BVerfG, Beschluss v. 20.4.1982 – 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253 BVerfG, Beschluss v. 25.2.1987 – 1 BvR 1086/85, BVerfGE 74, 257
2. Bundesgerichtshof (BGH) BGH, Beschluss v. 10.7.1951 – II ZR 30/51, BGHZ 3, 82 BGH, Urteil v. 7.3.1956 – V ZR 106/54, BGHZ 20, 169 BGH, Urteil v. 22.5.1957 – V ZR 236/56, ZZP 1958, 427 BGH, Urteil v. 12.5.1958 – VII ZR 436/56, BGHZ 27, 254 BGH, Urteil v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, BGHZ 36, 18 BGH, Urteil v. 14.2.1962 – IV ZR 156/61, BGHZ 36, 365 BGH, Urteil v. 22.11.1962 – VII ZR 264/61, BGHZ 38, 254 BGH, Urteil v. 12.12.1962 – IV ZR 127/62, BGHZ 38, 333 BGH, Urteil v. 18.5.1966 – I b ZR 73/64, BGHZ 45, 251 BGH, Urteil v. 26.6.1969 – VII ZR 32/67, BGHZ 52, 184 BGH, Urteil v. 6.2.1974 – VIII ZR 12/73, NJW 1974, 900 BGH, Urteil v. 3.7.1975 – III ZR 78/73, BGHZ 65, 59 BGH, Urteil v. 13.3.1979 – VI ZR 117/77, BGHZ 74, 9 BGH, Urteil v. 13.3.1981 – V ZR 115/80 – NJW 1981, 1517 BGH, Urteil v. 8.10.1981 – III ZR 42/80, NJW 1982, 1224 BGH, Urteil v. 17.2.1983 – III ZR 184/81, NJW 1983, 2032 BGH, Urteil v. 27.3.1984 – IX ZR 24/83, IPRax 1985, 157 BGH, Urteil v. 27.6.1984 – IVb ZR 2/83, NJW 1985, 552 BGH, Urteil v. 23.5.1985 – III ZR 57/84, NJW‑RR 1986, 61 BGH, Urteil v. 23.5.1985 – IX ZR 132/84, BGHZ 95, 10 BGH, Urteil v. 5.5.1986 – III ZR 233/84, BGHZ 98, 32 BGH, Urteil v. 15.5.1986 – III ZR 192/84, BGHZ 98, 70
342
Rechtsprechungsverzeichnis
BGH, Urteil v. 3.12.1986 – IVb ZR 80/85, BGHZ 99, 143 BGH, Urteil v. 26.2.1991 – XI ZR 331/89, NJW 1991, 2014 BGH, Urteil v. 12.5.1992 – VI ZR 257/91, NJW 1992, 2014 BGH, Urteil v. 16.6.1993 – I ZB 14/91, BGHZ 123, 30 BGH, Urteil v. 10.3.1994 – III ZR 60/93, NJW‑RR 1994, 1214 BGH, Urteil v. 19.10.1994 – I ZR 187/92, NJW‑RR 1995, 495 BGH, Beschluss v. 2.11.2000 – III ZB 55/99, BGHZ 145, 376 BGH, Urteil v. 22.11.2001 – VII ZR 405/00, NJW 2002, 680 BGH, Beschluss v. 16.1.2003 – V ZB 51/02, NJW 2003, 1462 BGH, Urteil v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, NJW 2003, 1934 BGH, Urteil v. 12.11.2004 – V ZR 322/03, NJW‑RR 2005, 315 BGH, Beschluss v. 19.10.2006 – V ZB 91/06, NJW 2007, 772 BGH, Beschluss v. 18.1.2007 – III ZB 35/06, NJW‑RR 2007, 1008 BGH, Urteil v. 23.1.2008 – VIII ZR 246/06, NJW 2008, 1147 BGH, Urteil v. 14.2.2008 – I ZR 135/05, NJW 2008, 2716 BGH, Urteil v. 16.01.2009 – V ZR 133/08, NJW 2009, 1262 BGH, Urteil v. 2.7.2009 – IX ZR 152/06, NJW 2009, 2826 BGH, Beschluss v. 30.6.2011 – III ZB 59/10, SchiedsVZ 2011, 281 BGH, Beschl. v. 9.2.2012 − VII ZB 95/09, NJW 2012, 1291 BGH, Beschluss v. 19.7.2012 – III ZB 66/11, SchiedsVZ 2012, 281 BGH, Beschluss v. 18.6.2014 – III ZB 89/13, NJW 2014, 3655 BGH, Beschluss v. 21.4.2016 – I ZB 7/15, SchiedsVZ 2016, 339 BGH, Beschluss v. 9.8.2016 – I ZB 1/15, NJW 2017, 488 BGH, Beschluss v. 11.5.2017 – I ZB 75/16, NJW 2017, 3723 BGH, Urteil v. 20.4.2018 – V ZR 106/07, NJW 2018, 3441 BGH, Beschluss v. 9.5.2018 – I ZB 53/17, BeckRS 2018, 15135 BGH, Beschluss v. 9.5.2018 – I ZB 77/17, NJW‑RR 2018, 1334
3. Reichsgericht (RG) RG, Urteil v. 23.6.1931 – VII 237/30, RGZ 133, 128 RG, Urteil v. 3.3.1938 – IV 224/37, RGZ 157, 136
4. Oberlandesgerichte (OLG) OLG München, Urteil v. 12.7.1966 – 4 U 30/66, MDR 1967, 223 BayObLG, Beschluss v. 7.6.1967 – BReg 2 Z 81/65, MDR 1967, 923 OLG Koblenz, Beschluss v. 28.11.1975 – 2 W 625/75, NJW 1976, 488 OLG Celle, Beschluss v. 8.12.1977 – 8 W 276/77, RIW 1979, 131 OLG Frankfurt, Beschluss v. 24.10.1985 – 6 W 129/85, JurBüro 1986, 599 OLG Hamburg, Beschluss v. 8.11.1985 – 8 W 280/85, MDR 1986, 244 OLG Stuttgart, Beschluss v. 22.12.1986 – 5 U 3/86, IPRax 1987, 369 OLG Hamburg, Beschluss v. 5.11.1991 – 6 W 43/91, NJW‑RR 1992, 568 OLG Nürnberg, Urteil v. 10.3.1992 – 1 U 2754/91, RIW 1993, 142 OLG Hamburg, Beschluss v. 5.8.1993 – 6 W 92/89, IPRax 1995, 391 OLG Hamm, Beschluss v. 28.12.1993 – 20 W 19/93, RIW 1994, 243 OLG Köln, Beschluss v. 7.3.1994 – 2 W 32/94, OLGZ 1994, 599 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.1.1996 – 3 VA 11/95, IPRax 1997, 176
A. Gerichtsentscheidungen
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OLG Düsseldorf, Urteil v. 18.7.1997 – 22 U 271/96, RIW 1998, 967 BayObLG, Beschluss v. 6.5.1999 – 2Z BR 47/99, NZM 1999, 769 OLG Bremen, Beschluss v. 30.9.1999 – 2 Sch 4/99, BB 2000, Beilage 50, S. 18 OLG Schleswig, Beschluss v. 30.3.2000 – 16 SchH 5/99, RIW 2000, 706 OLG Frankfurt, Beschluss v. 5.3.2001 – 13 W 18/98, IPRax 2002, 515 OLG Rostock, Beschluss v. 22.10.2001 – 1 Sch 03/00, Iprax 2002, 401 OLG Stuttgart, Beschluss v. 20.12.2001 – 1 Sch 13/01, OLGR Stuttgart 2002, 166 OLG Brandenburg, Beschluss v. 13.6.2002 – 8 Sch 2/01, IPRax 2003, 349 OLG München, Urteil v. 10.10.2002 – U (K) 1651/02, BeckRS 2002, 30470727 BayObLG, Beschluss v. 12.12.2002 – 4 Z Sch 16/02, BayObLGZ 2002, 392, Yb. Com. Arb. 2004, 761 OLG Celle, Beschluss v. 4.9.2003 – 8 Sch 11/02, SchiedsVZ 2004, 165 OLG Köln, Beschluss 12.1.2004 – 16 W 20/03, OLGR 2004, 222 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.1.2005 – I-26 Sch 5/03, SchiedsVZ 2015, 2014 OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 13.7.2005 – 20 W 239/04, NJOZ 2006, 4360 OLG München, Beschluss v. 7.3.2006 – 11 W 974/06, NJW‑RR 2006, 1006 KG, Beschluss v. 18.5.2006 – 20 Sch 13/04, SchiedsVZ 2007, 100 OLG Stuttgart, Beschluss v. 18.8.2006 – 1 Sch 1/06, BeckRS 2006, 11581 OLG München, Beschluss v. 10.1.2007 – 34 SchH 14/06, BeckRS 2007, 00914 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 21.5.2007 – 3 W 13/07, NJOZ 2007, 3808 OLG Celle, Beschluss v. 31.5.2007 – 8 Sch 6/06, Yb. Com. Arb. 2008, 524 OLG München, Beschluss v. 12.10.2009 – 34 Sch 20/08, SchiedsVZ 2009, 340, OLG München, Beschluss vom 22.06.2011 – 34 SchH 03/11, SchiedsVZ 2011, 340 OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 27.2.2012 – 26 SchH 18/11, BeckRS 2013, 22724 OLG Frankfurt, Beschluss v. 7.3.2012 – 26 SchH 16/11, BeckRS 2012, 18613 OLG Hamburg, Urteil v. 10.1.2013 – 6 U 68/09, NJW‑RR 2013, 629 OLG Naumburg, Beschluss v. 5.3.2013 – 10 Sch 1/13, SchiedsVZ 2013, 237 OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 26.9.2013 – 26 Sch 1/13, BeckRS 2014, 14826 OLG München, Beschluss v. 7.7.2014, 34 SchH 18/13, SchiedsVZ 2014, 262 OLG Köln, Beschluss v. 6.10.2014 – 19 Sch 17/13, BeckRS 2015, 10334 OLG München, Beschluss v. 18.12.2014 – 34 SchH 3/14, BeckRS 2015, 02545 OLG Köln, Beschluss v. 9.3.2015 – 19 Sch 33/14, BeckRS 2016, 02809 OLG Stuttgart, Beschluss v. 21.12.2015 – 1 SchH 1/15, BeckRS 2016, 16830
5. Landgerichte (LG) LG München I, Urteil v. 20.6.1978, Yb. Com. Arb. 1980, 260 LG Köln, Urteil v. 29.11.1982 – 85 O 187/82, IPRax 84, 90
III. Frankreich 1. Cour de cassation (Cass.) Cass. civ., 18.11.1891, JDI 1892, 667 – Pavoncelli ./. Mallet Cass. req., 1.2.1893, D. P. 1 (1894), 278 Cass. civ., 23.3.1936, Rev. crit. d. i. p. 1937, 198 – Sander ./. Meuter Cass. civ., 25.6.1951, JCP 4 (1951), 1721 Cass. 1ère civ., 6.1.1987, Nr. 84-17274, JDI 1987, 638 – Southern Pacific Properties
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Rechtsprechungsverzeichnis
Cass. 2ème civ., 10.4.1995, Nr. 95-60550, Bull. civ. 1995, II, Nr. 121 Cass. 2ème civ., 10.5.1995, Nr. 93-12676, Rev. arb. 1995, 617 – Coprodag Cass. 1ère civ., 10.5.1988, Nr. 86-13333, Rev. arb. 1989, 51 – Wasteels ./. société Ampafrance Cass. 1ère civ., 5.1.1999, Nr. 96-21430, Rev. arb. 1999, 260 – Zanzi Cass. 2ème civ., 28.9.2000, Nr. 98-17831, – SCP Simon et Breynat Cass. 1ère civ., 14.11.2000, Nr. 98-21627, Rev. crit. d. i. p. 2001, 172 – Société Assurances générales de France Cass. soc., 9.10.2001, Nr. 99-43288, Rev. arb. 2002, 347 – Kis ./. Lopez-Alberdi Cass. 2ème civ., 20.12.2001, Nr. 00-12978, – Diamond Cass. 1ère civ., 19.11.2002, Nr. 00-22471, D. 2003, 797 – Banque Worms ./. Epoux Brachot Cass. 3ième civ., 17.3.2004, Nr. 00-22522, Bull. civ. 2004, III, Nr. 56 – RPI Cass. 1ère civ., 30.3.2004, Nr. 02-12259, Bull. civ. 2004, I, Nr. 98 Cass. 2ème civ., 8.7.2004, Nr. 03-15.155, Bull. civ. 2004 II Nr. 365 – Propoci ./. DEP Cass. 2ème civ., 15.9.2005, Nr. 01-16762 Bull. civ. 2005, II, Nr. 218 – CMCE Cass. 1ère civ., 30.6.2004, Nr. 01-03248 01-15452, Rev. crit. d. i. p. – Stolzenberg Cass. 1ère civ., 28.2.2006, Nr. 04-19148, Rev. crit. d. i. p. 2006, 848 – Macot La Plagne Cass. 1ère civ., 7.6.2006, Nr. 03-12034, Yb. Com. Arb. 2007, 290–293 – Copropriété Maritime Jules Verne u. a. ./. American Bureau of Shipping Cass. 1ère civ., 11.7.2006, Nr. 03-19838, JDI 2007, 146 – Andhika Lines Cass. 1ère civ., 11.7.2006, Nr. 04-14950, Bull. civ. 2006, I, Nr. 364 – Société National Broadcasting Cass. 1ère civ., 20.2.2007, Nr. 06-14107, Rev. arb. 2007, 775 – UOP ./. BP France Cass. 1ère civ., 4.7.2007, Nr. 05-16586 05-16605, Bull. civ. 2007, I, Nr. 252 – République du Congo ./. GAT Cass. 1ère civ., 28.5.2008, Nr. 07-13266, Rev. arb. 2008, 461– Société G et A ./. Société Prodim Cass. 2ème civ., 5.3.2009, Nr. 08-12172, Rev. arb. 2009, 239 – Lafargue ./. Société Prodim Cass. 1ère civ., 1.7.2009, Nr. 08-12494, Mealey’s I. A. R. 24/12 (2009), 15–19 – Encore Cass. 1ère civ., 2.7.2009, Nr. 08-18852, Rev. arb. 2009, 655 – Consorts Castagnos ./. Société Prodim Cass. 1ère civ., 14.10.2009, Nr. 08-16369 08-16.549, JDI 2010, 146 – In Zone Brands Cass. 1ère civ., 12.10.2011, Nr. 09-72439, Rev. arb. 2011, 573 – GAT ./. République du Congo
2. Cour d’appel (CA) CA Paris, 29.11.1974, JCP 4 (1975), 6535 CA Paris, 28.9.1979, Rev. arb. 1980, 506 – Chantepie ./. Vincent CA Paris, 9.6.1983, Rev. arb.1983, 497 – Société Iro-Holding ./. Société Sétilex CA Paris, 7.7.1987, Rev. arb. 1988, 649 – Pia Investments Ltd ./. Cassia CA Paris, 16.6.1988, Rev. arb. 1989, 309 – Swiss Oil ./. Petrogab CA Paris, 25.3.1994, Rev. arb. 1994, 391 – Sardisud ./. Technip CA Paris, 10.11.1995, Rev. arb. 1997, 596 – Verbiese ./. SEE
A. Gerichtsentscheidungen
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CA Paris, 16.10.1997, – ASECNA ./. M. N’DOYE Issakha CA Paris, 7.10.2004, JDI 2005, 341– Otor Participation ./. Carlyle CA Paris, 15.6.2006, Rev. arb. 2007, 87 – Fincantieri CA Paris, 9.9.2010, Rev. arb. 2011, 970 – Marriott CA Paris, 17.1.2012, Rev. arb. 2012, 569 – Etisalat CA Paris, 8.10.2013, Int J Arab Arbitration 2014, 59 – SA Iberia Lineas Aereas de Espana ./. SARL Pan Atlantic
3. Tribunal de grande instance (TGI) TGI Paris, 22.11.1989, Rev. arb. 1990, 693 – Sté Acteurs Auteurs Associé v. Sté Herndale Film Corporation TGI Paris, 24.6.2004, Rev. arb. 2005, 1037 – LV Finance Group Ltd ./. CCI TGI Paris, 29.3.2010, Rev. arb. 2010, 389 – République de Guinée équatoriale ./. Société Fitzpatrick Equatorial Guinea
IV. Vereinigtes Königreich 1. United Kingdom House of Lords (UKHL)/ Supreme Court (UKSC) Vervaeke v Smith [1983] 1 AC 145 (UKHL) DSV Silo- und Verwaltungsgesellschaft mbH v the Owners of the Sennar (The „Sennar“) (No 2) [1985] 1 Lloyd’s Rep 521 (UKHL) Deutsche Schachtbau- und Tiefbohrgesellschaft mbH v Shell International Petroleum Co Ltd [1990] 1 AC 295 (UKHL) Arnold and Others v National Westminster Bank PLC [1991] 2 AC 93 (UKHL) Channel Tunnel Group Ltd v Balfour Beatty Construction Ltd [1993] AC 334 (UKHL) Airbus Industries GIE v Patel [1999] 1 AC 119 (UKHL) Donohue v Armco Inc [2002] 1 Lloyds Rep 425 (UKHL) Lesotho Highlands [2005] UKHL 43 West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta (The „Front Comor“) [2007] 1 Lloyd’s Rep 391 (UKHL) Dallah Real Estate v the Ministry for Religious Affairs of the Government of Pakistan [2010] UKSC 46 In the matter of The „Alexandros T“ [2013] UKSC 70 AES Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant LLP v Ust-Kamenogorsk Hydropower Plant JSC [2013] UKSC 35
2. Privy Council (PC) Associated Electric and Gas Insurance Services Ltd (AEGIS) v European Reinsurance Co of Zurich [2003] 1 WLR 1041 (UKPC)
3. England & Wales Court of Appeal (EWCA) Locker v Ferryman (1877) 2 App Cas 519, 530 The Quartz Hill Consolidated Gold Mining Company v Eyre (1883) 11 QB 674 (CA)
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Rechtsprechungsverzeichnis
Pena Copper Mindes Ltd v Rio Tinto Co Ltd (1911) 105 LT 846 (EWCA) Ellerman Lines Ltd v Read [1928] 2 KB 144 (EWCA) Hadkinson v Hadkinson [1952] 2 All ER 567 (EWCA) Fidelitas Shipping Co Ltd v V/O Exportchleb [1966] QB 630 (EWCA) McIlkenny v Chief Constable of West Midlands Police Force [1980] 2 ALL ER 227 Mantovani v Carapelli SpA [1980] 1 Lloyd’s Law Rep. 375 (CA) Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Co Ltd (No 2) [1983] 1 WLR 1026 (EWCA) The Golden Anne [1984] 2 Lloyd’s Rep 489 (EWCA) El Du Pont de Nemours & Co v IC Agnew (No 2) [1988] 2 Lloyd’s Rep 240 (EWCA) Derby v Weldon (Nos 3 & 4) [1990] Ch 65 (EWCA) Derby v Weldon (No 6) [1990] 1 WLR 1139, (EWCA) ED & F Man Sugar Ltd v Haryanto (No 2) [1991] 1 Lloyd’s Rep. 429 (EWCA) Marc Rich & Co AG v Soc Italiana Impianti pA („The Atlantic Emperor“) (No 2) [1992] 1 Lloyd’s Rep. 624 (EWCA) The Angelic Grace [1995] 1 Lloyd’s Rep 87 (EWCA) Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1996] CLC 1757 (EWCA) Toepfer International GmbH v Société Cargill France [1998] 1 Lloyd’s Rep 379, 388 (EWCA) Union Discount Co Ltd v Robert Zoller and others [2001] EWCA Civ 1755 Dardana Ltd v Yukos Oil Co [2002] EWCA Civ 543 Motorola Credit v Cem Cengiz Uzan [2003] EWCA Civ 752 Welex AG v Rosa Maritime Ltd [2003] EWCA Civ 938 Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd v New India Association Co Ltd (No 1) [2004] EWCA Civ 1598 ED & F Man Sugar Ltd v Lendoudis [2007] 2 Lloyd’s Rep 579 (EWCA) Fiona Trust v Yuri Privalov [2007] EWCA 20 Stretford v Football Association Ltd [2007] 2 Lloyd’s Rep. 31 (EWCA) Sunrock Aircraft Corporation Ltd v Scandinavian Airlines System Denmark-NorwaySweden [2007] EWCA Civ 882 National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWCA Civ 1397 Midgulf International v Groupe Chinique Tunisien [2010] EWCA Civ 66 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWCA Civ 27 Bank St Petersburg v the Arkhangelskys [2014] EWCA Civ 593 In the matter of The „Alexandros T“ [2014] EWCA Civ 1010
4. England & Wales High Court of Justice (EWHC) Doe d Davy v Haddon (1783) 3 Doug KB 310 Commings v Heard [1869] LR 4 QB 669 (EWHC) Ellerman Lines v Landi (The „Falernian“) [1927] 29 Lloyd’s Rep. 15 (EWHC) Gorthon v Ford (The „Maria Gorthon“) [1976] 2 Lloyd’s Rep 720 (EWHC) Marazura Navegacion SA v Oceanus Mutual Underwriting Assn [1977] 1 Lloyd’s Rep 283 (EWHC) Mantovani v Carapelli SpA [1978] 2 Lloyd’s Rep 63 (EWHC) The Rena K [1979] QB 377 (EWHC) Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Ltd (No 1) [1983] 1 All ER 404 (EWHC)
A. Gerichtsentscheidungen
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Marc Rich & Co AG v Soc Italiana Impianti pA (The „Atlantic Emperor“) (No 2), unveröffentlichte Entscheidung vom 11.11.1991, (EWCA) Partenreederei M/S Heidberg & others v Grosvenor Grain and Feed Co Ltd & others (The „Heidberg“) (No 2) [1994] 2 Lloyd’s Rep. 287 (EWHC) Sokana Industries Inc v Freyre & Co Inc [1994] 2 Lloyd’s Rep. 57 (EWHC) The Angelic Grace [1994] 1 Lloyd’s Rep. 168 (EWHC) Laughland v Stevenson [1995] 2 NZLR 474 (EWHC) Arab Business Consortium International Finance & Investment Co v Bancque FrancoTunisienne [1996] 1 Lloyd’s Rep. 485 (UKHC) Industrial Maritime Carriers (Bahamas) Inc v Sinoca International Inc (The „Eastern Trader“) [1996] 2 Lloyd’s Rep 585 (EWHC) Toepfer International GmbH v Molino Boschi [1996] 1 Lloyd’s Rep 510 (EWHC) Philip Alexander Securities & Futures Ltd v Bamberger & others [1997] ILPr 73 (EWHC) Schiffahrtsgesellschaft Detlev von Appen GmbH v Voest Alpine Intertrading GmbH (The „Jay Bola“) [1997] 2 Lloyd’s Rep 279 (CA) ABB Lummus Global Ltd v Keppel Fels Ltd [1999] 2 Lloyd’s Rep 24 (EWHC) Birse Construction Ltd [1999] BLR 194 (UKHC) CHF Chevreau Haeute und Felle AG v Conceria Vignola Nobile [2000] All ER 1841 (EWHC) Vale do Rio Doce Navagaçao SA v Shanghai Bao Steel Ocean Shipping Co Ltd [2000] 2 Lloyd’s Rep 1 (EWHC) The „Kribi“ [2001] 1 Lloyd’s Rep 76 (EWHC) Navigation Maritime Bulgare v Rustal Trading Ltd and Others (The „Ivan Zagubanski“) [2002] 1 Lloyd’s Rep 106 (EWHC) Welex AG v Rosa Maritime Ltd [2002] EWHC 2035 A/S D/S Svendborg v Akar [2003] EWHC 797 General Star International Indemnity Ltd v Stirling Cooke Browne Reinsurance Brokers Ltd [2003] EWHC 3 Mamidoil-Jetoil Greek Petroleum Co SA v Okta Crude Oil Refinery AD (No 3) [2003] 1 Lloyd’s Rep. 1 (EWHC) Esso Exploration & Production UK Ltd v Electricity Supply Board [2004] EWHC 723 Kyrgyz Mobil Tel Limited & Ors v Fellowes International Holdings Ltd [2005] EWHC 1314 Svenska Petroleum Exploration AB v Government of the Republic of Lithuania (No 2) [2005] EWHC 2437 West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta SpA (The Front Comor“) [2005] Lloyd’s Rep. 257 (EWHC) A v B (Costs) [2007] EWHC 54 ASM Shipping Ltd of India v TTMI Ltd of England [2007] EWHC 927 Elektrim SA v Vivendi Universal SA [2007] 1 Lloyd’s Rep 693 (EWHC) El Nasharty v J Sainsbury Plc [2007] EWHC 2618 Film Finance Inc v Royal Bank of Scotland [2007] 1 Lloyd’s Rep 693 (EWHC) National Westminster Bank Plc v Rabobank Nederland (No 1) [2007] EWHC 1056 Noble AssuranceCompany v Gerling-Konzern General Insurance Company-UK Branch [2007] EWHC 253 Republic of Kazakhstan v Istil Group Inc [2007] EWHC 2729 West Tankers Inc v Ras Riunione Adriatica di Sicurta SpA, Generali Assicurazioni Generali SpA [2007] EWHC 2184
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Rechtsprechungsverzeichnis
CMA CGM SA v Hyundai Mipo Dock Yard Co Ltd [2008] EWHC 2791 Steamship Mutual Underwriting v Sulpicio Lines [2008] 2 Lloyd’s Rep. 268 (EWHC) DHL GBS (UK) Ltd v Falllimento Finmatica SpA [2009] 1 Lloyd’s Rep 430 (EWHC) National Navigation Co v Endesa Generacion SA [2009] EWHC 196 Shashoua v Sharma [2009] EWHC 957 Sheffield United Football United Football Club Ltd v West Ham United Football Club plc [2009] 1 Lloyd’s Rep 167 Skype Technologies SA v Loltid Ltd [2009] EWHC 2783 Sotrade Denizcilik Sanayi ve Ticaret AS v. Amadou Lo and others (The „Duden“) [2009] 1 Lloyd’s Rep 145 (EWHC) Kallang Shipping SA Panama v Axa Assurances Senegal (The „Kallang“) (No 2) [2009] 1 Lloyd’s Rep. 124 (EWHC) African Fertilizers and Chemicals NIG Ltd (Nigeria) v BD Shipsnavo GmbH & Co Reederei KG [2011] 2 Lloyd’s Rep 531 (EWHC) Claxton Eng’g Servs. Ltd v TXM Olaj-ES Gazkutato Kft [2011] EWHC 345 Excalibur Ventures LLC v Texas Keystone Inc [2011] EWHC 1624 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2011] EWHC 829 Five Oceans Salvage Ltd v Wenzhou Timber Group Co [2012] 1 Lloyd’s Rep 289 (EWHC) Nomihold Securities Inc v Mobile Telesystems Finance SA [2012] EWHC 130 West Tankers Inc v Allianz SpA et al [2012] EWHC 854 STX Pan Ocean Co Ltd v Woori Bank [2012] EWHC 981 Ecom Agroindustrial Corp Ltd v Mosharaf Composite Textile Mill Ltd [2013] EWHC 1276 Golden Ocean Group Ltd v Humpuss Intermoda Transportasi Tbk [2013] EWHC 1240 The London Steam-Ship Owners’ Mutual Insurance Association Ltd v The Kingdom of Spain [2013] EWHC 3188 Nori Holdings v Bank Otkritie [2018] EWHC 1343
5. Scotland Court of Sessions (CS) Shell UK Exploration and Production Ltd v Innes [1995] SLT 807 (CSOH) FMC Corp v Russell, 1999 SLT 99 (CSOH)
V. Sonstige 1. Australien Resort Condominiums International Inc v Ray Bolwell and Resort Condominiums (Australasia) Pty Ltd, Yb. Com. Arb. 1995, 628 (Supreme Court of Queensland, Australien) CSR Ltd v Cigna Insurance Australia Ltd (1997) 189 CLR 345
2. Belgien Rechtbank van eerste aanleg te Brussel, 18.12.1989, RW 1990–1991, 676 Rechtbank van eerste aanleg te Brussel, 12.05.2000, GRUR Int. 2001, 170 – Röhm Enzyme
A. Gerichtsentscheidungen
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3. Chile Oberster Gerichtshof (Chile), Rol 2087–1999, zitiert nach: Kronke/Nacimiento/Otto u. a.‑Otto/Elwan, 2010, Article V (2), 393, Fn. 223
4. China Oberster Volksgerichtshof (China), [2008] Min Si Ta Zi Nr. 11 – Hemofarm DD, MAG International Trade Holding DD, Suram Media Ltd ./. Jinan Yongning Pharmaceutical Co Ltd, inoffizielle englische Übersetzung abrufbar unter
5. Italien Corte di Appello di Milano, 29.1.1991, Riv. dir. int. priv. proc. 1991, 1040 Cass. (IT), 12.11.1994, Riv. dir. int. priv. proc. 1995, 732 Corte di Apello di Milano, 2.7.1999, Yb. Com. Arb. 2001, 807
6. Kanada Amchem Products Inc v British Columbia (Workers’ Compensation Board) [1993] 1 S. C. R. 897 (Supreme Court Canada)
7. Litauen Litauisches Berufungsgericht, Entscheidung v. 17.12.2012, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter Litauisches Kassationsgericht, Vorlagebeschluss v. 10.10.2013, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter Litauisches Kassationsgericht, Entscheidung v. 23.10.2015, 3K-7–458–701/2015, Gazprom ./. Lietuvos Respublika, abrufbar unter Litauisches Kassationsgericht, Entscheidung v. 30.3.2016, 3K-3-149-915/2016, Lietuvos Respublikos energetikos et al ./. Energijos skirstymo operatorius (ehemals „Lietuvos dujos“) et al, abrufbar unter
8. Luxemburg Cour d’appel (Luxembourg), 24.2.1998, Nr. 10047
9. Niederlande Rechtsbank Breda (Niederlande), 30.10.1985, NJ 1987, 184 Gerechtshof’s-Hertogenbosch (Niederlande), 14.7.1995, Yb. Com. Arb. 1996, 643 – Sneek Hardhout Import BV v Karl Schlüter GmbH & Co KG
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Rechtsprechungsverzeichnis
10. Russland Föderatives Schiedsgericht für den Nordwestlichen Distrikt (Russland), 12.10.2005 – F09–2110/05-S6, O & Y Investments Ltd ./. OAO Bummash, Yb. Com. Arb 2008, 687 Föderatives Schiedsgericht für den Westsibirischen Distrikt (Russland), 5.12.2011 – A27–781/2011, Ciments Français ./. OAO Holding Company Siberian Cement, inoffizielle englische Übersetzung abrufbar unter Oberstes Schiedsgericht der Russischen Föderation, 27.8.2012 – VAS-17458/11, Ciments Français v OAO Holding Company Siberian Cement, inoffizielle englische Übersetzung abrufbar unter
11. Schweiz BG, Urteil v. 19.12.1997, BGE 124 III 83 BG, Beschluss v. 9.2.2001, BGE 127 III 186 BG, Urteil v. 11.2.2010, 4A_444/2009, abrufbar unter BG, Beschluss v. 13.4.2010, 4A_490/2009, ASA Bulletin 2010, 598 – Club Atlético de Madrid ./. Sport Lisboa E Benfica Futebol BG, Urteil v. 30.9.2013, 4A_232/2013, abrufbar unter BG, Urteil v. 27.5.2014, 4_A 508/2013, abrufbar unter
12. Singapur WSG Nimbus Pte Ltd v. Bd of Control for Cricket in Sri Lanka [2002] 3 SLR 603 (Singapore High Ct.)
13. Spanien STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 3868/1992, 16.9.1996, Yb. Com. Arb. 2002, 528 STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 16508/2003, 14.1.2003, Yb. Com. Arb. 2005, 605 STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 201/2007, 23.2.2007, RJ/2007/2118 STS (Sala de lo Civil, Sección 1ª) núm. 6/2009, 12.1.2009, RJ/2009/544
14. Vereinigte Staaten von Amerika Southern Seas Navigation v. Petroleos Mexicanos, 606 F. Supp. 692 (S. D. N. Y. 1985) Public Communication v. True North Communication, 206 F. 3d 725 (7th Cir. 2000) 725 CBS Corp. v. WAK Orient Power & Light Ltd, 168 F. Supp. 2d 403 (E. D. Pa. 2001) Karaha Bodas Company LLC v. Perusahaan Pertambangan Minyak Dan Gas Bumi Negara („KBC v. Pertamina“), 190 F. Supp. 2d 936, 939 (S. D. Tex. 2001) Karaha Bodas Company LLC v. Perusahaan Pertambangan Minyak Dan Gas Bumi Negara („KBC v. Pertamina“), 335 F. 3d 357 (5th Cir 2003) Citigroup v. Abu Dhabi Investment Authority, 2013 WL 6171315 (S. D. N. Y 2013) Citigroup v. Abu Dhabi Investment Authority, 776 F. 3d 126 (2nd Cir 2015)
B. Schiedssprüche
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B. Schiedssprüche I. Ad-hoc Ad-hoc Schiedsgericht mit Sitz in London, wie referiert in Wessel/Cohen, Int.ALR 2001, 65, 68 f.
II. International Chamber of Commerce (ICC) ICC 2475 wie berichtet in Jarvin/Derainss, Collection of ICC Arbitral Awards 1974– 1985, 1990, 325 ICC 2762 wie berichtet in Jarvin/Derainss, Collection of ICC Arbitral Awards 1974– 1985, 1990, 325 ICC 6363, Final Award 1991, Yb. Com. Arb. 1992, 186 ICC 9593, Final Award Dezember 1998, ICC ICArb. Bull. 10/2 (1999), 107 ICC 7438, wie berichtet in Hascher, in: Travaux du Comité français de droit international privé (Hrsg.), 2004, 19 ICC 5946, Final Award 1990, Yb. Com. Arb. 1991, 97 ICC 16240, Final Award 3.12.2012, nicht veröffentlicht, referiert in Vishnevskaya, J. Int. Arb., 2015, 173, 178 ff. ICC 17176, Final Award 2012, Yb. Com. Arb. 2016, 86 ICC, Final Award 25.2.2013, wie referiert in Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 30.9.2013, 4A_232/2013, abrufbar unter ICC 17176, Procedural Order 10.3.2011, nicht veröffentlicht, referiert in Gross, 1.3.2012, abrufbar unter
III. Stockholm Chamber of Commerce (SCC) SCC Arbitration No. V (125/2011), Final Award, 31.7.2012 – Gazprom ./. Republic of Lithuania, abrufbar unter
IV. Swiss Chambers’ Arbitration Institution (SCIA) SCAI, Second Partial and Interim Award 3.8.2006, wie referiert in Schweizer Bundesgericht, Urteil v. 11.2.2010, 4A_444/2009, abrufbar unter
Materialienverzeichnis Die genannten Internetseiten wurden zuletzt am 14.4.2018 abgerufen. Allen and Overy LLP, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, abrufbar unter . Association for International Arbitration, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, abrufbar unter . Bar Council of England and Wales, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, abrufbar unter . Barreaux de France, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, abrufbar unter . Camera arbitrale di Milano, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, abrufbar unter . Centre belge d’arbitrage et de médiation, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, abrufbar unter . Chambre de commerce et d’industrie de Paris, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, abrufbar unter . Chambre de commerce Internationale, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, abrufbar unter . Clifford Chance LLP, Stellungnahme zum Grünbuch der Kommission der EG zur Überprüfung der Brüssel I‑VO, abrufbar unter .
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Sachverzeichnis Abschaffung Exequaturverfahren 43, 85, 98 American rule of costs 244, 268, 270, 285 anti-arbitration injunctions 7 f., 101 ff., 329 anti-enforcement injunctions – gegen die Durchsetzung der Schiedsabrede 7, 101 ff. – zur Durchsetzung der Schiedsabrede 7, 95 ff., 172, 329 anti-suit injunctions durch mitgliedstaat liche Gerichte 7, 8 ff., 68 ff., 101 ff. anti-suit injunctions durch Schiedsgerichte 46 ff. – Anerkennungsfähigkeit und Vollstreckbarkeit 53 ff. – Bewertung durch litauische Gerichte 70 f. – final injunctions 60 f. – Gazprom (EuGH), siehe dort – interlocutory injunctions 61 f. – Mehrwert 66 ff. – Qualifikation 54 ff. – Rechtskraftwirkung 51 ff. – temporary but final injunctions 62 f. – Terminologie 7 Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 73 Abs. 2, ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO – Auslegung 18 ff., 35 ff., 44 f., 45, 86 ff., 159 ff., 186 f., 222 ff., 293 ff. – Entstehung 19 ff. – Rechtsnatur ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO 17 ff. – Verhältnis zur NYK, siehe: NYK Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO als unionsautonome Grenze – im Rahmen von Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO 91, 211 f., 222 f., 228 f.
– im Rahmen von Art. V Abs. 2 lit. b NYK 234 f., 293 Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, siehe: Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO astreinte 77, 79 back-up order 76, 79 Bamberger (EWCA) 129 CBS Corp. v. WAK Orient Power & Light Ltd (E. D. Pa.) 172 CDC (EuGH) 85 CMA v Hyundai (EWHC) 265 ff. contempt of court 9, 75, 76, 79, 93, 131, 183, 184 doctrine of merger, siehe: Inkorporation doctrine of separability 254 Doppelnatur von Zuständigkeitsabreden 300 f., 314 f. Eco Swiss (EuGH) 83 effet utile 13, 99, 102 f., 105, 307, 312, 319 EMRK 65, 86, 283 EMRK‑Beitritt II – Gutachten 2/13 (EuGH) 85 Entscheidungskollisionen 90 ff., 123, 127 f., 135 f., 140 f., 147, 154, 185 ff., 262 ff., 277 f., 284 ff., 291 ff. ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO, siehe: Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO Europäisches Parlament und Revision der Brüssel Ia-VO 27 ff. Evgenis/Kerameus-Bericht 159 fallacia compositionis 39 Feststellungsentscheidung – inzident über Schiedsvereinbarung 136, 147 ff.
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Sachverzeichnis
– isoliert zur Schiedsvereinbarung 109 ff., 136 ff. – Zwischenentscheid über Schieds vereinbarung 143 ff., 134 ff. Feststellungsklagen zur Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung 109 ff., 136 ff. forum shopping 2 Gasser (EuGH) 165 Gazprom (EuGH und Litauen) – Entscheidungsgründe (EuGH) 48 f. – litauische Gerichte 47 f., 52, 64, 70 f. – Reichweite (EuGH) 49 ff. – Sachverhalt (EuGH) 46 ff. – Schlussanträge GA Wathelet (EuGH) 34 f., 37 ff., 40, 44 f., 47 f., 64, 84 ff., 194 GRC 86 Grünbuch der Kommission zur Revision der Brüssel I‑VO 25 f. Grundsatz der zeitlichen Priorität 200, 209 ff., 224 f., 231 f. Grundsatz gegenseitigen Vertrauens, siehe: Vertrauensgrundsatz Heidelberg-Bericht 19 ff., 26, 183 Hoffmann ./. Krieg (EuGH) 189, 203 f. Inkorporation Schiedsspruch in Gerichtsurteil 76, 182 ff., 192 ff. Italienischer Torpedo, siehe: Torpedoklage Johnny Walker (EuGH) 85 judgment in terms of the award, siehe: Inkorporation Katalin Sebestyén (EuGH) 83 Kommissionsvorschlag zur Revision der Brüssel Ia-VO 26 f. Kompetenz-Kompetenz – negativ 24 f., 31, 45, 115, 140, 154, 252 – positiv 4, 23 last-in-time rule 207 f., 212, 223, 229, 235 Letztentscheidungskompetenz 80, 143, 207, 210, 213 f., 282 ff.,
lex loci arbitri 178, 212 f., 224 lis pendens, siehe: Rechtshängigkeit Marc Rich (EuGH) 13, 105 Mostaza Claro (EuGH) 83 National Navigation (EWCA) 22, 167 Nori Holdings v Bank Otkritie (EWHC) 256, 312 ff. NYK – Entscheidungskollision und ordre public-Vorbehalt 230 ff. – Pflicht zur Anerkennungsversagung bei Missachtung der Schiedsabrede 166 ff. – Qualifikation anti-suit injunction, siehe: anti-suit injunction – Traveaux Préperatoires 233 – Verhältnis zur Brüssel Ia-VO 86 ff., 166 ff., 186 f., 221 ff., 234 ff. öffentliche Ordnung – isolierte Feststellungsentscheidung zur Unterbindung des Parallelverfahrens 123 ff., 125 f., 129 f., 140 – Missachtung Schiedsabrede 92, 162 ff. – Nachprüfungsverbot Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO 84 f., 129, 162 ff. – prophylaktischer Schadensersatz 287 f. – Schadensersatz wegen Verletzung der Schiedsabrede 281 ff., 291 ff. – schiedsrichterliche anti-suit injunction 70 ff., 81 ff., 92 f. – staatliche anti-suit injunctions 68 ff. – unionsrechtliche Dimension 81 ff. – Unvereinbarkeit Schiedsspruch und Gerichtsurteil 202 ff., 230 ff., 237 ff., 238 f., 291 f. – Verbot der Zwangsschiedsgerichts barkeit 63 ff., 80, 283 ordre public, siehe: öffentliche Ordnung Parallelverfahren – Motive 2 – positivrechtliche Koordination 3 ff. – rechtspolitische Bewertung 2 f. – Situation 1 f. – Terminologie 1 f. peremptory order 76, 79
Sachverzeichnis
positiver Kompetenz-Konflikt 2 praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, siehe: effet utile pre-trial discovery 2 Prioritätsprinzip, siehe: Rechtshängigkeit Prozessführungsverbot, siehe: anti-suit injunction prozessualer Kostenerstattungsanspruch 253 f., 269 ff. Rat der EU und Revision der Brüssel Ia‑VO 29 ff. Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz 14 f., 63 ff., 80, 86, 124 f., 65, 206, 283 Rechtfertigung der Inanspruchnahme eines gerichtlichen Verfahrens, siehe: Rechtswidrigkeit Rechtshängigkeit 3 f., 41 ff., 123, 198 ff., 256, 259 Rechtskraftwirkung – anti-suit injunctions 51 ff. – Entscheidungen über die Schieds vereinbarung 109 ff. – Hauptsacheentscheidung 157 ff. – Kostenentscheidungen 269 ff. – negative Feststellungsentscheidung Schadensersatz 323 f. Rechtswidrigkeit der Klage im derogierten Forum 246, 248 ff. res iudicata-Einwand, siehe: Rechtskraftwirkung s. 32 Act 1982 122 f., 130, 139 f., 142, 146, 153, 263 Schadensersatz wegen der Verletzung der Schiedsvereinbarung – anwendbares Recht 252 ff. – Differenzhypothese 267 ff., 277, 280, 316 – Durchsetzbarkeit SchadensersatzSchiedsspruch im Gerichtsstaat 281 ff. – Durchsetzbarkeit SchadensersatzSchiedsspruch im Schiedsstaat und in anderen Mitgliedstaaten 290 ff. – Einwirkung der Brüssel Ia-VO auf Ebene der Zuerkennung 260 ff.
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– Haftung nach einzelstaatlichem Recht 244 ff. – mitgliedstaatlicher Schadensersatzzuspruch 321 ff. – negativer Feststellungsantrag 323 f. – öffentliche Ordnung 281 ff., 291 ff – prophylaktischer Schadensersatz 278 f., 287 f., 309 ff. – Rechtswidrigkeit der Pflichtverletzung, siehe: Rechtswidrigkeit der Klage im forum derogatum – res iudicata-Einwand 261 ff., 281 ff., 291 ff., 308 f. – Umfang des Schadens 246 f., 250 f., 267 ff. – Vergleich mit Prozessführungsverboten 295 ff. – Vertretenmüssen 246, 250 – Vorgreiflichkeit des Parallelurteils in der Hauptsache 263 ff. – Widerklage 321 ff. – Zuständigkeit 252 ff. Schiedseinrede 3 ff., 143 ff., 147 ff. Schlosser-Bericht 183 separability-Doktrin 252, 254 Streitgegenstandstest 13 f., 158 f. The „Alexandros T“ (EWCA) 256, 311 ff. The Atlantic Emperor (No 2) (EWCA) 264 f. The Angelic Grace (EWCA, EWHC) 171 The Sennar (No 2) (UKHL) 120 f. Through Transport (EWCA) 171 Torpedo-Klage 2 Turner (EuGH) 10 Tracomin SA v Sudan Oil Seeds Co Ltd (No 2) (EWCA) 246 f. UNCITRAL‑Modellgesetz 5 Van Uden (EuGH) 13 Verbot des Doppelexequaturs 117 f., 184 Verbot der révision au fond 65, 89 f., 124, 195 f. Verbot der Zwangsschiedsgerichtsbarkeit, siehe: öffentliche Ordnung Verpflichtungswirkung Schiedsabrede 245 f., 247 f., 251
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Sachverzeichnis
Vertrauensgrundsatz 14, 40 ff., 50, 84 ff., 97 ff., 132, 165, 255, 257 ff., 298 ff. Vollstreckungsverbot, siehe: anti-enforcement injunctions wechselseitige Prozessführungs- und Vollstreckungsverbote 104 ff. West Tankers-Rechtsprechung (UKHL, EWCA, EWHC; EuGH) – Entscheidungsgründe (EuGH) 13 ff. – Fortbestand (EuGH) 15 ff. – Fortsetzung West Tankers-Saga (England) 255, 310 ff. – Rezeption (EuGH) 21 ff. – Sachverhalt (EuGH) 12 f.
– Übertragbarkeit EuGH‑Entscheidung auf Vollstreckbarerklärung Schadensersatz-Schiedsspruch 294 ff. – Übertragbarkeit EuGH‑Entscheidung auf Vollstreckbarerklärung schiedsrichterlicher anti-suit injunctions 78 ff. widersprüchliche Entscheidungen, siehe: Entscheidungskollision WSG Nimbus Pte Ltd v. Board of Control for Cricket in Sri Lanka (Singapore High Ct.) 172 Zugang zu den Gerichten, siehe: Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz Zwangsgeld 74 f., 79