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German Pages 293 [295] Year 2022
Studien zum Privatrecht Band 107
Holger Kall
Das Unsicherheitsrisiko beim Kauf Die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten bei Unsicherheiten hinsichtlich eines Mangels
Mohr Siebeck
Holger Kall, geboren 1992; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Mainz; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung der Universität Mainz; 2021 Promotion; Rechtsreferendar im OLG-Bezirk Koblenz.
Mainz, Johannes Gutenberg-Universität, Dissertation, 2021. ISBN 978-3-16-161637-2 / eISBN 978-3-16-161800-0 DOI 10.1628/978-3-16-161800-0 ISSN 1867-4275 / eISSN 2568-728X (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Meiner Familie
Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von dem Fachbereich Rechtsund Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Am 24.11.2021 wurde die mündliche Prüfung abgelegt. Das Manuskript wurde im September 2021 fertig gestellt. Ich möchte mich von Herzen bei all jenen bedanken, die während der Entstehungszeit auf die verschiedenste Art und Weise mir haben ihre Unterstützung zuteilwerden lassen. Dank schulde ich insbesondere meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Peter Huber für die Arbeitsumgebung, die er mir als Doktorand an seinem Lehrstuhl geboten hat. Seine jederzeitige Bereitschaft zur intensiven fachlichen Diskussion bei gleichzeitig mir belassenem großen Freiraum betreffend die inhaltliche Ausrichtung der Arbeit waren für meine Begriffe bester Nährboden. Einen großen Beitrag dazu hat auch mein Kollege Lino Bernard geleistet, der mir stets bereitwillig Zuhörer und Diskussionspartner war. Herrn Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder danke ich für die schnelle Zweitbegutachtung. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Haimo Schack und der Studienstiftung ius vivum für einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Meiner Familie gebührt schließlich mein größter Dank – für nichts weniger als Unterstützung in jeder Hinsicht. Mainz, im April 2022
Holger Kall
Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................ VII
A. Einleitung ...................................................................... 1 B. Vertraglicher Schadensersatz wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens ................................................ 5 I.
Pflichtverletzung durch ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen 1. Bestandsaufnahme: Begriffsbestimmungen und Einordnung der Problematik .............................................................. a) Grundkonzeptionen ................................................. b) Abstrakte Schwierigkeiten der Konzeptionen.................... c) Gegenwärtiger Meinungsstand .................................... d) Parallele zum französischen Recht ................................ e) Konsequenz für das unberechtigte Mangelbeseitigungsverlangen ..................................... 2. Alternative: Erfolgsbezogen verstandene Rücksichtnahmepflichten .............................................. a) Wortlaut des § 241 Abs. 2 BGB ................................... b) Historie des § 241 Abs. 2 BGB .................................... c) Beweislastrechtliche Überlegungen ............................... aa) Ausgangspunkt: Anwendbarkeit der Beweislastumkehr .. bb) Teleologie von Beweislastverteilungen ...................... (1) Regel-Ausnahme-Verhältnis und abstrakte Wahrscheinlichkeiten ..................................... (2) Beweislastverteilung nach Sphären ..................... (3) Zwischenergebnis ......................................... d) Vergleich mit der deliktischen Lehre vom Erfolgsunrecht ..... aa) Erfolgsunrecht im Deliktsrecht ............................... bb) Übertragung auf die vertragliche Haftung................... e) Entscheidendes Argument für ein verhaltensbezogenes Verständnis: Erfolgsbezogene Rücksichtnahmepflichten im Verhältnis zu verhaltensbezogenen Leistungspflichten ......... f) Ergebnis ..............................................................
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X
Inhaltsverzeichnis
3. BGH: Pauschale Einordnung als Pflichtverletzung? ................ a) Entscheidung des 5. Senats aus dem Jahr 2009 .................. b) Entscheidung des 9. Senats aus dem Jahr 2014 .................. c) Zusammenfassung zu den Positionen in der Rechtsprechung . 4. Einordnung in der Literatur ............................................ 5. Zusammenfassung ...................................................... II. Die verkehrserforderliche Sorgfalt beim unberechtigten Nacherfüllungsverlangen .................................................. 1. Aussagen des BGH im Lichtrufanlagenfall .......................... a) Klarstellung: Prüfpflicht als Hilfsfrage bei der verkehrserforderlichen Sorgfalt.................................... b) Sorgfaltsmaßstab .................................................... aa) Ausgangspunkt ................................................. bb) „Im Rahmen seiner Möglichkeiten“ ......................... cc) „Keine Fachkenntnis“ ......................................... dd) Zwischenergebnis .............................................. c) Gegenstand der Prüfpflicht ......................................... aa) Ziel der Prüfpflicht ............................................. bb) Zu untersuchender Bereich.................................... cc) Zwischenergebnis .............................................. d) Zusammenfassung der Position im Lichtrufanlagenfall ........ 2. Aussagen in späteren Entscheidungen................................ a) Abkehr von einer Prüfpflicht? ..................................... b) Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs? ............................. c) Zwischenergebnis ................................................... 3. Aussagen in der Literatur .............................................. 4. Zentrale Frage: In welcher Gestalt ist eine Entlastung des Käufers angezeigt?...................................................... a) Kollision mit Obliegenheiten ...................................... aa) Obliegenheit des Käufers zur Gestattung der Nacherfüllung .................................................. bb) Obliegenheit des Käufers zu einem „unverzüglichen“ Nacherfüllungsverlangen ...................................... b) Wertungen des § 442 BGB ......................................... c) Prüfpflichten als Suche nach den Mangelursachen.............. d) Parallelen zur Symptomrechtsprechung .......................... e) Einseitige Verteilung des Unsicherheitsrisikos zu Lasten des Käufers ............................................................... aa) Unsicherheitsrisiko............................................. bb) Zusammenspiel mit dem Recht zur zweiten Andienung .. f) Abschreckungspotential und „Käuferfalle“ ...................... 5. Zusammenfassung und Plädoyer für einfache Fahrlässigkeit......
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III. Folgefragen ................................................................. 65 1. Reichweite der Prüfpflicht ............................................. 66 a) Konkrete Schlüsse aus kollidierenden Interessen................ 67 b) Kostenbelastung ..................................................... 67 aa) Learned-Hand-Formel und Kosten-Nutzen-Analyse....... 68 (1) Aussagen der Learned-Hand-Formel.................... 69 (2) Übertragung auf die Überprüfung von Alternativursachen ........................................ 69 (3) Diskussion .................................................. 70 (4) Ergebnis .................................................... 72 bb) Abschreckungswirkung ....................................... 72 (1) Ersatzfähigkeit von Kosten zur Überprüfung von Alternativursachen ........................................ 73 (a) § 439 Abs. 2 BGB .................................... 74 (b) § 437 Nr. 3 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB............... 77 (c) Geschäftsführung ohne Auftrag ..................... 79 (d) Bereicherungsrecht ................................... 79 (e) Fazit .................................................... 79 (2) Definition von Abschreckung ............................ 80 (3) Keine Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit des Käufers...................................................... 80 (4) Abschreckung in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit der Alternativursache .............. 82 (5) Abschreckung in Abhängigkeit vom Kaufpreis ........ 84 (6) Abschließende Bemerkungen zur „Berechnung“ der Abschreckungsgrenze ..................................... 88 cc) Zusammenfassung zur Kostenbelastung..................... 89 2. Verbleibende Unsicherheiten .......................................... 89 a) Informationspflicht des Käufers über verbliebene Unsicherheiten ....................................................... 90 aa) Inhaltliche Begrenzung ........................................ 93 bb) Interessenabwägung ........................................... 93 cc) Zusammenfassung ............................................. 95 b) Schadensersatz bei Verletzung einer Informationspflicht....... 96 c) Zusammenfassung .................................................. 96 3. Unsicherheiten in rechtlicher Hinsicht ............................... 96 a) Allgemeine Einordnung von Rechtsirrtümern ................... 97 b) Einschränkung: Erkennbarkeit rechtlicher Unsicherheiten ..... 101 c) Bedeutung für kaufrechtliche Sachverhalte ...................... 103 aa) Rechtsirrtümer bei der Mangelhaftigkeit .................... 104 bb) Konsequenz für ein Nacherfüllungsverlangen .............. 105 cc) Keine durchgreifenden Gründe für eine abweichende Handhabung .................................................... 106
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d) Zusammenfassung .................................................. 110 4. Doppelirrtum ............................................................ 110 IV. Schaden...................................................................... 111 1. Untersuchungskosten des Verkäufers................................. 112 2. Grundsätzlich kein Ersatz für die Störungsbeseitigung ............ 114 a) Aussage der Lichtrufanlagenentscheidung ....................... 115 b) Beseitigungskosten und Abgrenzung zu Untersuchungskosten 115 aa) Keine Ersatzfähigkeit von Beseitigungskosten ............. 116 bb) Abgrenzung zwischen Beseitigung und Untersuchung .... 118 3. Sonstige Schäden ....................................................... 119 4. Zusammenfassung ...................................................... 121 V. Darlegungs- und Beweislast .............................................. 121 1. Grundbegriffe und Grundregel der Beweislastverteilung .......... 122 2. Beweislastverteilung bei verhaltensbezogenen Pflichten........... 124 a) Grundlegende Ansätze in der Literatur ........................... 124 aa) Position 1........................................................ 125 bb) Position 2........................................................ 125 cc) Position 3........................................................ 125 dd) Position 4........................................................ 126 ee) Zwischenergebnis und Konsequenz für das unberechtigte Nacherfüllungsverlangen ...................................... 126 b) Beweislastverteilung nach Gefahrbereichen ..................... 128 aa) Allgemeine Aussage ........................................... 128 bb) Anwendung auf und Klarstellungen für den Fall eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens .................. 130 (1) Nacherfüllungsverlangen ................................. 130 (2) Mangelfreiheit ............................................. 130 (3) Erkennbarkeit von Alternativursachen .................. 130 (4) Zusammenfassung ......................................... 131 c) Sekundäre Darlegungslasten ....................................... 131 d) Alternativlösung: Auskunftsanspruch ............................ 133 aa) Voraussetzungen................................................ 135 (1) Ausgangspunkt ............................................ 135 (2) Kritik an der Reichweite .................................. 137 (3) Zwischenergebnis ......................................... 142 bb) Anwendung bei einem vermuteten Sorgfaltsverstoß ....... 143 (1) Situation vor Beweis der Mangelfreiheit ............... 143 (2) Situation nach Beweis der Mangelfreiheit .............. 143 (3) Zwischenergebnis ......................................... 144 e) Anscheinsbeweis .................................................... 144 f) Stellungnahme ....................................................... 145 aa) Dogmatische Grundlagen ..................................... 145
Inhaltsverzeichnis
XIII
bb) Wirkungen ...................................................... 146 (1) Rechtsunsicherheit ........................................ 146 (2) Effektivität und unterschiedliche Wirkungsweisen .... 149 (3) Zumutbarkeit für den Käufer ............................. 151 (4) Zwischenergebnis und Konsequenzen .................. 155 (5) Bewertung .................................................. 156 3. Schuldverhältnis und Schaden......................................... 158 4. Zusammenfassung ...................................................... 159
C. Verbrauchsgüterkäufe ...................................................... 161 I. II.
III. IV. V.
VI.
Pflichtverletzung und Vertretenmüssen bei Verbraucherkonstellationen ............................................... 161 Vermutung des § 477 BGB................................................ 162 1. Kein Gleichlauf zwischen Beweislast und Haftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen ............................ 163 2. § 477 BGB als Wertentscheidung gegen Prüfpflichten ............. 164 a) § 477 BGB im europarechtlichen Kontext ....................... 164 b) Rückschluss aus der EuGH-Rechtsprechung – Faber ........... 165 aa) Aussagen des EuGH ........................................... 166 bb) Bedeutung jenseits einer Mangelvermutung ................ 167 cc) Ergebnis ......................................................... 169 Unentgeltlichkeit und keine erheblichen Unannehmlichkeiten ....... 169 Effet utile des Verbraucherschutzes ...................................... 170 Modifikationen bei der Schadenszurechnung?.......................... 173 1. Keine allgemeine Modifikation des nationalen Schadensrechts ... 174 2. Keine Modifikation im Fall des Transportkostenvorschusses...... 176 3. Zusammenfassung ...................................................... 177 Zusammenfassung zur Verbraucherkonstellation....................... 177
D. Handelskäufe ................................................................. 179 I.
Die Mängelanzeige in Abgrenzung zu einem Nacherfüllungsverlangen .................................................. 180 II. Haftung für eine unbegründete Mängelanzeige......................... 180 1. Schädigungspotential als Anknüpfungspunkt für eine Rücksichtnahmepflicht ................................................. 182 2. Keine grundlegend andere „Herausforderung“ des Verkäufers.... 182 3. Keine andere Beurteilung aufgrund bloßer Obliegenheiten........ 184 4. Konsequenz: Haftung wie beim unberechtigten Nacherfüllungsverlangen .............................................. 185 a) Alternativursachen „anlässlich“ einer Untersuchungsobliegenheit ........................................ 186 b) Begrenzung von Prüfpflichten durch die Rügeobliegenheit .... 187
XIV
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5. Zusammenfassung ...................................................... 189 III. Haftung für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen beim Handelskauf ................................................................. 189 1. Nacherfüllungsverlangen trotz Mangelfreiheit ...................... 190 a) Auswirkungen des § 377 HGB .................................... 190 b) Erweiterte Kooperationspflichten? ................................ 192 2. Nacherfüllungsverlangen trotz Präklusion ........................... 194 IV. Zusammenfassung der Situation bei Handelskäufen ................... 196
E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz ....................... 199 I. „Rechtfertigung“ prozessualer Geltendmachung ....................... 200 II. Kritik an dem Haftungsprivileg........................................... 201 1. Keine zwangsläufige Verkümmerung des Rechtsschutzes durch Abschreckung ........................................................... 202 2. Keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit ......................... 205 a) Abstrakte verfassungsrechtliche Vorgabe ........................ 205 b) Tendenz zu einer Einzelfallbetrachtung .......................... 206 c) Relative Wertigkeit von Rechtsschutz ............................ 207 d) Zwischenergebnis ................................................... 208 3. Kein umfänglicher Schutz des Verfahrensgegners durch das Prozessrecht ............................................................. 209 4. Rechtshängigkeit als Anknüpfung für eine strengere Haftung .... 212 5. Verfehlte Anreizsetzung zu prozessualem Vorgehen ............... 213 6. Kein entscheidender Vorteil durch Rechtsklarheit .................. 217 7. Zusammenfassung ...................................................... 218 III. Stattdessen: grundsätzlich identisches Konzept zur außergerichtlichen Geltendmachung ..................................... 218 1. Prüfpflichten ............................................................. 219 2. Sorgfaltsmaßstab und Reichweite..................................... 221 3. Konsequenz bei verbleibenden Unsicherheiten ..................... 223 IV. Zusammenfassung und abschließende Einordnung .................... 225
F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten .................................... 227 I. Vorüberlegung .............................................................. 227 II. Entschädigung aus einer gesonderten Abrede .......................... 228 1. Abreden vor Entstehen eines Mangelverdachts ..................... 228 2. Abreden nach Entstehen eines Mangelverdachts.................... 231 a) Konkludente Kostenübernahme ................................... 231 aa) Übernahme von Untersuchungskosten ...................... 231 bb) Übernahme von Kosten zur Beseitigung einer Alternativursache............................................... 232
Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
V. VI.
XV
b) Ausdrückliche Kostenübernahme ................................. 234 aa) Keine entgegenstehende Aussage in der Rechtsprechung . 234 bb) Sonderfall: Verbraucherkäufer und der Schutz des § 476 BGB ............................................................. 235 (1) Vereinbarung „vor Mitteilung des Mangels“ ........... 235 (2) Abweichung von Verbraucherschutzvorschriften ...... 238 c) Zusammenfassung zu Abreden nach Entstehen des Mangelverdachts .................................................... 241 3. Ergebnis zur Entschädigung aus einer gesonderten Abrede ....... 241 Geschäftsführung ohne Auftrag .......................................... 242 1. Anwendbarkeit im Kontext eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens ............................................. 242 2. Keine Geschäftsführung ohne Auftrag bei unberechtigtem Nacherfüllungsverlangen .............................................. 243 a) Überprüfung der Mangelfreiheit................................... 244 b) Überprüfung/Beseitigung von Alternativursachen .............. 244 c) Überprüfung der Rechtsauffassung des Käufers................. 246 3. Ergebnis zur Geschäftsführung ohne Auftrag ....................... 247 (Leistungs-)Kondiktion .................................................... 247 1. Erlangtes Etwas ......................................................... 248 2. Durch Leistung des Verkäufers........................................ 249 3. Ohne Rechtsgrund ...................................................... 251 4. Oftmals: Ausschluss bei Kenntnis der Nichtschuld ................. 251 a) § 814 BGB im Anwendungsbereich der Leistungskondiktion . 251 b) § 814 BGB im Anwendungsbereich des § 684 S. 1 BGB ...... 253 5. b2c: Ausschluss durch § 241a BGB .................................. 254 6. Anspruchsumfang....................................................... 256 a) Herausgabe und Wertersatz ........................................ 256 b) Wertbestimmung .................................................... 257 c) Begrenzung durch § 818 Abs. 3 BGB ............................ 257 7. (Kein) Wertungswiderspruch zu der vertraglichen Verteilung des Unsicherheitsrisikos .................................................... 259 8. Ergebnis .................................................................. 260 § 91 ZPO analog............................................................ 261 Zusammenfassung sonstiger Ausgleichsmöglichkeiten ............... 262
G. Ergebnisse ..................................................................... 265 Literaturverzeichnis .................................................................. 269 Sachregister ........................................................................... 277
A. Einleitung Ein Sachverhalt und seine rechtliche Bewertung stehen dann fest, wenn rechtskräftig darüber entschieden wurde. Ansonsten herrscht Unsicherheit. Mit dieser Unsicherheit leben notgedrungen alle Teilnehmer am Rechtsverkehr in sämtlichen Lebenslagen und sie treffen ihre Entscheidungen (bewusst oder unbewusst) auf unsicherer Basis. Damit einher geht ein Risiko: Das Risiko nämlich, dass sich ein Verhalten, eine Forderung als „falsch“ oder tatsächlich unbegründet herausstellt. Dieses Risiko an sich zu beseitigen, dürfte unmöglich sein. Was das (Privat-) Recht aber bereithalten muss, sind Kriterien für die Verteilung des Unsicherheitsrisikos. Wo nämlich mehrere Rechtssubjekte miteinander in Berührung kommen, erwachsen aus der beschriebenen Unsicherheit zwangsläufig Nachteile für die eine oder andere Person: Der – wie später festgestellt wird – zu Unrecht Verklagte musste Kosten für die Verteidigung aufwenden; der Verkäufer wendet Zeit und Geld für eine Untersuchung der Kaufsache auf, die vom Käufer zu Unrecht als mangelhaft gerügt wurde; der Mieter wehrt sich unter Aufwendung von Zeit und Ressourcen gegen die unbegründete Kündigung. Diese Nachteile sind „sichtbar“ und es fragt sich, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung diese Nachteile ersatzfähig stellt. Dies ist der einzige unmittelbare Anknüpfungspunkt, den das Privatrecht bereithält. Einer unmittelbaren Verteilung eines Unsicherheitsrisikos hat sich der Gesetzgeber hingegen nicht angenommen – und tatsächlich wäre eine solche Regelung auch schwer vorstellbar in Anbetracht der unzähligen und völlig unterschiedlichen Situationen, in denen Unsicherheiten bestehen und zu Nachteilen führen können. Die Frage der Ersatzfähigkeit von Nachteilen aus Unsicherheitssituationen heraus hat die Rechtsprechung und das rechtswissenschaftliche Schrifttum deswegen verschiedentlich beschäftigt und Untersuchungen vorwiegend unter den Schlagwörtern schädigender Rechtsverfolgung sowie (materieller) Kostenerstattung hervorgebracht.1 Zuletzt hat Derkum unter dem Titel „Die Folgen der Geltendmachung nicht bestehender vertraglicher Rechte“ den Blick auf das Thema 1 Aus dem Bereich der Monographien etwa Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung; Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung; Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien; Götz, Schädigende Rechtsverfolgung; Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung; Häsemeyer, Schadenshaftung im Zivilrechtsstreit; Demuth, Schadensersatz nach Verfahrenseinleitung; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte.
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A. Einleitung
gerichtet, dabei ein allgemeines Haftungskonzept vorgestellt und es exemplarisch auf das Kauf-, Werk- und Mietrecht angewandt. Diese Arbeit will daran anknüpfen, den Blick aber bewusst verengen und ein – teilweise modifiziertes – Konzept dezidiert anhand kaufrechtlicher Besonderheiten erproben. Dahinter steht die Überlegung, dass die soeben als „sichtbare“ Nachteile beschriebenen Auswirkungen von Unsicherheiten nur eine Seite einer Medaille mit Namen „Unsicherheitsrisiko“ sind. Risiken lähmen – und wer aus Angst vor den (Folgen von) Unsicherheiten untätig bleibt, dem erwachsen daraus ebenfalls Nachteile. Wer aus Angst vor einer Haftung darauf verzichtet, Gewährleistungsrechte einzufordern, begibt sich effektiv seiner Rechte, wenn tatsächlich ein Mangel vorliegt; der kampflos aufgegebene Streit um die mietrechtliche Kündigung entwertet einen Mietvertrag, wenn tatsächlich kein Kündigungsgrund vorlag. Solche Nachteile sind ungleich schwerer greifbar und weitestgehend „unsichtbar“. Sie müssen in erster Linie nicht kompensiert, sondern von vornherein verhindert werden. Das einzige, dem Recht zu Gebote stehende Mittel zur Verhinderung solcher Nachteile liegt darin, die Abschreckungswirkung einer Haftung aufgrund von Unsicherheiten ihrerseits zu begrenzen. Haftung und Abwesenheit von Haftung definieren dann die Verteilung des Unsicherheitsrisikos zwischen den Parteien. Dabei zeigt sich aber schnell, dass Kriterien für eine Abschreckung zahlreich und sehr unterschiedlich sein können. Der Verbraucherkäufer wird andere Maßstäbe anlegen als der Unternehmerkäufer. Ein Mieter, dem der Verlust seiner Wohnung als Lebensmittelpunkt droht, bringt andere Aspekte in Anschlag als der Mieter von Gewerberäumen, der womöglich nüchtern kalkulierend Risiken und Nutzen verschiedener Verhaltensweisen abwägt. Insofern stößt ein hoher Abstraktionsgrad eines einheitlichen Haftungskonzepts naturgemäß an Grenzen. Hier soll deswegen dezidiert die Situation im Rahmen der wohl häufigsten Vertragsform, des Kaufvertrags, in den Blick genommen werden. Dabei ist zweifelsohne die Mangelhaftigkeit einer Kaufsache der zentrale Quell von Unsicherheiten. Ziel der Untersuchung ist deswegen die Klärung der Frage, ob und unter welchen Rahmenbedingungen die gegenwärtige Rechtslage eine adäquate Verteilung des Unsicherheitsrisikos im Kontext der Mangelhaftigkeit einer Kaufsache erreicht. Im Fokus steht dabei eine vertragliche Schadensersatzhaftung, der sich ein Käufer möglicherweise aussetzt, wenn er zu Unrecht Nacherfüllung verlangt (B.). Verbrauchsgüterkäufe warten mit besonderen Wertungsentscheidungen auf und fordern deswegen eine gesonderte Analyse (C.). Ebenfalls gesondert zu untersuchen sind Handelskäufe (D.). Die insoweit getroffenen Feststellungen zur Verteilung des Unsicherheitsrisikos mithilfe eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs müssen sich auch daran messen lassen, ob sie im Einklang mit der Situation einer prozessualen Geltendmachung stehen, oder ob nicht vielmehr Modifikationen bei der Schadensersatzhaftung vorzunehmen sind (E.). Ebenso
A. Einleitung
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wie vertragliche Schadensersatzansprüche oder deren Abwesenheit zu einer bestimmten Verteilung eines Unsicherheitsrisikos führen, tun dies auch sonstige Ansprüche, so sie denn gegeben sind. Abschließend sind deswegen Ausgleichsmöglichkeiten jenseits des Schadensersatzes zu beleuchten, um zu einer endgültigen Verteilung des Unsicherheitsrisikos zu gelangen (F.).
B. Vertraglicher Schadensersatz wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens Von Zeit zu Zeit findet sich ein Käufer in der Situation, dass die erworbene Kaufsache nicht „das tut, was sie soll“. Dahinter wird der Käufer einen Mangel vermuten und sich deswegen an den Verkäufer wenden. Nur: Der Kühlschrank etwa, der nicht kühlt, ist nicht zwangsläufig mangelhaft. Vergisst der Käufer, das Gerät an die Stromversorgung anzuschließen, so kühlt der Kühlschrank zwar nicht und ist dennoch nicht mangelhaft. Ebenso wenig und vielleicht etwas realitätsnäher ist auch eine elektrische Säge, die nicht anläuft, mangelhaft, wenn der Käufer nur vergessen hat, eine Schnittsicherung zu entfernen. Gerade bei potentiell gefährlichen Maschinen mit Sicherheitsvorkehrungen ist es denkbar, dass die Benutzung durch den Käufer die Ursache für eine vermeintliche Mangelerscheinung ist. Man denke an einen Gabelstapler, dessen Bremse sich nicht öffnen lässt solange ein Drucksensor unter dem Fahrersitz keinen Fahrer registriert; ein Auto mit Software für selbstständiges Fahren, welches eine Bremsung einleitet, wenn der Fahrer für längere Zeit die Hände vom Lenkrad nimmt; Fräsmaschinen, die Sicherheitsabfragen für die feste Verspannung des Werkstücks erfordern, bevor sie das eigentliche Fräsen zulassen. In derlei Fällen ist nicht ein Mangel Grund des Problems, sondern ein anderer Umstand, der nur ein Mangelsymptom hervorgerufen hat. Diese Umstände sollen im Folgenden als „Alternativursachen“ bezeichnet werden. Der Verkäufer wird gleichwohl durch ein Nacherfüllungsverlangen zum Tätigwerden „genötigt“. Er nimmt Kosten für Anfahrt und Untersuchungen auf sich und klärt letztlich eine Alternativursache auf, also einen Umstand, der kein Mangel ist. Seinen Aufwand möchte er vom Käufer, der – wie nun in der Rückschau klar ist – zu Unrecht Nacherfüllung verlangt hat, ersetzt haben. So geschehen im sog. Lichtrufanlagenfall, der die Diskussion um die Behandlung unberechtigter Nacherfüllungsverlangen 2008 neu entfacht hat.1 Ein Elektroinstallationsunternehmen hatte eine Lichtrufanlage gekauft, mit der beispielsweise Krankenhauspatienten eine Pflegekraft alarmieren können. Diese Anla1 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147; siehe aus der wissenschaftlichen Rezeption Herrler, MittBayNot 6/2008, 471; Haertlein, MDR 1/2009, 1; Lange/ Widmann, ZGS 9/2008, 329; Sutschet, JZ 2008, 637; Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265; Lorenz, LMK 2008, 258620; Faust, JuS 2008, 746; Thole, AcP 209 (2009), 499; Kaiser, NJW 2008, 1709.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
ge installierte der Käufer in dem Neubautrakt eines Altenheims und verkabelte sie mit der alten Lichtrufanlage. Auf eine Störungsmeldung des Altenheims hin überprüfte zunächst ein Mitarbeiter des Käufers die Anlage, konnte aber die Ursache nicht ausmachen. Ein Servicetechniker des Verkäufers musste anreisen (sechs Arbeitsstunden, 424 km). Dieser fand und behob das banale Problem einer gelösten Steckerverbindung zwischen alter und neuer Anlage. Der Kaufgegenstand war also nicht mangelbehaftet, sondern wurde schlicht „falsch bedient“. Der Verkäufer klagte mit Erfolg Ersatz für seine erlittenen Schäden aus § 280 Abs. 1 BGB ein.2 Nicht ohne Grund steht diese Anspruchsgrundlage im Mittelpunkt des Problems der adäquaten Verteilung eines Unsicherheitsrisikos. Sie ist nämlich, wie noch zu zeigen sein wird, durch ihre vertragliche Basis vielen Wertungsfragen zugänglich, die ihren Ursprung in den Besonderheiten der zugrundeliegenden Vertragsform haben. Daneben erlaubt das Verschuldenskriterium eine tendenziell flexible Lösung, derer es – ohne Ergebnisse vorwegnehmen zu wollen – aller Voraussicht nach für eine überzeugende Lösung bedürfen wird. Gleichwohl stellen sich aber etliche Fragen bei dem Versuch, die Norm für das hier untersuchte Problem fruchtbar zu machen. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Fragen, worin überhaupt eine Pflichtverletzung des Käufers liegt (I.) und wie ein Vertretenmüssen abgesteckt werden kann (II.). Daraus erwachsen verschiedene Folgefragen (III.). Der von § 280 Abs. 1 BGB als ersatzfähig gestellte Schaden (IV.) bestimmt die Verteilung des Unsicherheitsriskos letztlich ebenso mit wie die Beweislastverteilung (V.). I. Pflichtverletzung durch ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen Ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB erfordert die Verletzung einer vertraglichen Pflicht. Die Pflicht, welche durch ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen möglicherweise verletzt wird, erblickt der BGH in einer Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB.3 Ob und wann eine solche Rücksichtnahmepflicht besteht und wann sie verletzt wird, ist allerdings umstritten. Dies liegt nicht an der Lichtrufanlagenentscheidung des BGH zu der konkreten Frage einer Rücksichtnahmepflichtverletzung durch ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen. Vielmehr wurzelt der Streit in der grundlegenden Frage, ob beziehungsweise wann Pflichtverletzungen erfolgsbezogen und wann sie verhaltensbezogen zu bestimmen sind. Die Thematik erfordert eine vorangestellte Bestandsaufnahme (1.), bevor der Versuch einer erfolgsbezogenen Herangehensweise bei Rücksichtnahmepflichten unternommen wird (2.). Vor diesem Hintergrund sind spätere BGH-Entscheidungen zu analysieren, die möglicherweise pauschale Einordnungen der unberechtigten Geltendmachung von Rechten als Pflichtverletzung vornehmen (3.). Unter
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BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, unter II.3. BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, unter II.2.c).
I. Pflichtverletzung
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Einbeziehung von Literaturansichten (4.) ist eine Zusammenfassung für das hier untersuchte Problem des unberechtigten Nacherfüllungsverlangens möglich (5.). 1. Bestandsaufnahme: Begriffsbestimmungen und Einordnung der Problematik Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung in § 280 BGB ist rein objektiver Natur. Dies geht unmissverständlich bereits aus den Gesetzgebungsmaterialien hervor4 und entspricht der einhelligen Auffassung.5 Dies besagt aber nur, dass die Pflichtverletzung nach objektiven Maßstäben aus dem Schuldverhältnis heraus zu entwickeln ist und für subjektive, den konkreten Schuldner betreffende Erwägungen unzugänglich ist. Ebenfalls unbestritten ist, dass die Pflichtverletzung grundsätzlich von der Frage des Vertretenmüssens zu trennen ist.6 § 280 BGB widmet bereits sprachlich Absatz 1 Satz 1 der Pflichtverletzung und – davon getrennt – Satz 2 dem Vertretenmüssen. Die Pflichtverletzung meint das Abweichen von dem objektiv nach dem Vertrag Geschuldeten; das Vertretenmüssen befasst sich hingegen mit den Gründen der Pflichtverletzung, die für die Zurechnung zu dem Schädiger relevant sind.7 Klar ist somit im Ausgangspunkt, dass eine Pflichtverletzung objektiv und getrennt vom Vertretenmüssen zu untersuchen ist. Dies ist im Übrigen kein Selbstzweck, sondern aufgrund der unterschiedlichen Beweislastverteilung geboten: Der Geschädigte trägt nämlich nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast dafür, dass eine Pflichtverletzung vorliegt. Für das Vertretenmüssen folgt aus der negativen Formulierung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB hingegen eine Beweislastumkehr. Das Vertretenmüssen wird mit anderen Worten aufgrund der Pflichtverletzung vermutet und der Schädiger muss sich exkulpieren.8 Probleme tun sich bei der Folgefrage auf, was genau eine Pflichtverletzung meint. a) Grundkonzeptionen Was genau eine Pflichtverletzung ist, stellt heute eine Auslegungsfrage dar. Im Vorfeld der Schuldrechtsmodernisierung hingegen war es eine konzeptionelle und begriffliche Debatte, in deren Lichte die Problematik auch heute noch zu sehen ist. Der Reformgesetzgeber wählte letztlich die „Pflichtverletzung“ als das zentrale Merkmal der vertraglichen Schadensersatzhaftung. Der Gegenvor-
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BT-Drs. 14/6040, 135. Statt vieler BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 5. 6 BT-Drs. 14/6040, 135; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 11. 7 BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 11. 8 Zu der grundsätzlichen Beweislastverteilung bei § 280 BGB siehe statt aller BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 11. 5
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schlag bestand darin, eine „Nichterfüllung“ als Grundkategorie zu verwenden.9 Entschieden wurde letztlich aufgrund begrifflicher Erwägungen zugunsten der Pflichtverletzung.10 Eine inhaltliche Schlussfolgerung kann hingegen aus der Entscheidung nicht gezogen werden, weil der Reformgesetzgeber der Ansicht war, es bestünde „kein Unterschied in der Sache, sondern ein Unterschied in der Terminologie“.11 Die Literatur hat demgegenüber sehr wohl auch inhaltliche Unterschiede zwischen den denkbaren Konzeptionen erkannt.12 Nach einem verhaltensorientierten Verständnis (oder „Pflichtverletzungskonzeption“) besteht das, woran die vertragliche Haftung anknüpft13 , stets in einem Verhalten des Schuldners. Eine Pflicht wird verstanden als das Gebot alles Nötige zu tun oder zu unterlassen, um etwas zu erreichen. Entsprechend der eingangs erläuterten Beweislast muss der Gläubiger darlegen und beweisen, dass der Schuldner dieses Verhalten nicht an den Tag gelegt hat. Ein erfolgsorientiertes Verständnis (oder „Nichterfüllungskonzeption“) interpretiert demgegenüber schlicht den Nichteintritt eines geschuldeten Erfolges als Pflichtverletzung. Dem Schädiger obliegt es, zu seiner Exkulpation darzulegen und zu beweisen, dass er die verkehrserforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Zur Veranschaulichung kann eine Eigentumsverschaffungspflicht aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB dienen. Bleibt der Eigentumsübergang aus, fehlt es also an dem geschuldeten Erfolg, so erblickt ein erfolgsorientiertes Verständnis bereits darin eine Pflichtverletzung. Ein verhaltensorientiertes Verständnis bewertet das Verhalten des Schuldners. Um dies zu ermöglichen muss zunächst ein Konkretisierungsschritt vorgenommen werden. Es muss geklärt werden, welches konkrete Verhalten dem Schuldner abverlangt war.14 Sinnvollerweise kann dem Schuldner nur das abverlangt werden, was im Verkehr erforderlich ist. Mit anderen Worten wird unter Zuhilfenahme der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ein Verhaltensprogramm für den Schuldner definiert. Eine Pflichtverletzung liegt dann vor, wenn dieses nicht eingehalten wurde.
9 Huber, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. 1, S. 647, 699 ff., siehe auch BT-Drs. 14/6040, 134. 10 BT-Drs. 14/6040, 135. 11 BT-Drs. 14/6040, 133. Siehe auch BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 5; Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 403 ff.; Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1084. 12 Vgl. für die folgende Darstellung BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 2; siehe auch Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 403 ff.; Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1082 ff.; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 11 ff. 13 Also das, was letztlich „Pflichtverletzung“ genannt wurde. 14 Vgl. BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 2.
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b) Abstrakte Schwierigkeiten der Konzeptionen Beide Konzeptionen bringen gleichermaßen Schwierigkeiten mit sich, sobald sie für eine praktische Aussage fruchtbar gemacht werden sollen. Der Unterschied besteht lediglich darin, bei welchen Konstellationen die Probleme auftreten. Der nach einem verhaltensorientierten Verständnis nötige Konkretisierungsschritt setzt die verhaltensorientierte Herangehensweise der Kritik aus, dass sie die Frage der Pflichtverletzung mit derjenigen des Vertretenmüssens vermengt. Die verkehrsübliche Sorgfalt, die bemüht wird, um das Pflichtenprogramm des Schuldners zu konkretisieren, ist nämlich ein vom Gesetz selbst verwendeter Begriff, der zum Vertretenmüssen gehört: Zu vertreten hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB) und Fahrlässigkeit definiert § 276 Abs. 2 BGB gerade als das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Die Prüfung der Pflichtverletzung würde sich also inhaltlich weitgehend decken mit dem Vertretenmüssen.15 Andererseits führt aber der erfolgsbezogene Ansatz zu keinem Ergebnis, wenn die Pflicht nicht erfolgsbezogen ist. Paradebeispiel ist der Dienstvertrag, bei dem lediglich ein Tätigwerden geschuldet ist. Es liegt in der Natur des Dienstvertrages – im Unterschied zum Werkvertrag –, dass kein Erfolg geschuldet ist.16 In einer solchen Konstellation kommt eine erfolgsbezogene Konzeption der Pflichtverletzung ebenfalls nicht umhin, einen Konkretisierungsschritt vorzunehmen, um überhaupt eine Pflichtverletzung konstruieren zu können: Bei Behandlungsverträgen beispielsweise lassen sich Behandlungsmethoden lege artis definieren.17 Wenn ein Bewachungsunternehmen vertraglich verpflichtet ist, nachts das Betriebsgelände zu bewachen, so ist auch dies nicht unmittelbar subsumtionsfähig. Die verkehrserforderliche Sorgfalt wird aber – abhängig von den Umständen des Falles – beispielsweise stündliche Kontrollgänge fordern.18 c) Gegenwärtiger Meinungsstand Der gegenwärtige Meinungsstand spiegelt diese Probleme wider und zeigt, dass in den weitesten Teilen Einigkeit besteht.19 Der Begriff der Pflichtverletzung habe keinen subsumtionsfähigen Inhalt, sondern sei ein Sammelbegriff, der in verschiedenen Konstellationen unterschiedlich ausgefüllt werden müsse20 : 15 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 2; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 18; Medicus/Lorenz, SchuldR I AT, Rn. 328. 16 BeckOGK BGB 2021/Maties, § 611 Rn. 9; MünchKomm BGB (7. A.)/Müller-Glöge, § 611 Rn. 22; MünchKomm BGB/Busche, § 631 Rn. 11; BeckOK BGB E59/Baumgärtner, § 611 Rn. 10. 17 Zum ganzen Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 407 f. 18 Beispiel entlehnt Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 407. 19 So auch Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 404. 20 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 6; Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 406; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 10.
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Erfolgsbezogene Leistungspflichten ziehen nach einhelliger Meinung auch ein erfolgsbezogenes Pflichtverletzungsverständnis nach sich.21 Tritt also ein vertraglich geschuldeter Erfolg nicht ein, so liegt eine Pflichtverletzung vor – unabhängig vom Verhalten des Schuldners. Weniger klar ist der Meinungsstand bei verhaltensbezogenen Leistungspflichten. Vielfach wird die Pflichtverletzung verhaltensbezogen definiert, also als Zurückbleiben der Tätigkeit hinter einem objektiven Leistungsstandard.22 Nach einer anderen Definition erfasst die Pflichtverletzung jegliche Beeinträchtigung des positiven Leistungsinteresses.23 In letzter Konsequenz dürfte allerdings auch hier Einigkeit bestehen: Die zweitgenannte Definition stellt auf das positive Leistungsinteresse ab. Dies kann bei verhaltensbezogenen Pflichten nur in einem Verhalten bestehen, welches durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) ermittelt werden muss. Dann ist aber auch das positive Interesse genau dann beeinträchtigt, wenn das vom Schuldner an den Tag gelegte Verhalten hinter dem geschuldeten zurückbleibt. Das geschuldete Verhalten wird in aller Regel einem objektiven Leistungsstandard entsprechen, weil die Vertragsauslegung anhand des objektiven Empfängerhorizontes erfolgt.24 Folglich dürften die beschriebenen Ansichten zu identischen Ergebnissen kommen. Letztlich präsentieren sich Rechtsprechung und Literatur geschlossen bei der Einordnung von Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB: Schutz- und Rücksichtnahmepflichtverletzungen seien verhaltensbezogen zu bestimmen.25 Es ist demzufolge also im Rahmen der Pflichtverletzung zu klären, welches konkrete Verhalten dem Schuldner abverlangt war und ob der Schuldner dieses Verhalten an den Tag gelegt hat oder nicht. Vervollständigt man diese Einordnungen mithilfe der oben beschriebenen Beweislastverteilung zu einem Bild, ist Folgendes festzuhalten: Bei erfolgsbezogenen Leistungspflichten sind Darlegung und Beweis der Pflichtverletzung tendenziell einfach. Es geht dabei nur um den Nichteintritt des geschuldeten Erfolges. Die Haftungsfrage ist dann abhängig vom Vertretenmüssen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür liegt beim Schädiger. Dieser muss im Rahmen des Vertretenmüssens darlegen und beweisen, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt hat. 21 Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 406 f.; BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 14; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 12; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 13; Benicke/Hellwig, NJW 2014, 1697, unter III.1. 22 BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 12; BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 16; Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 407 f.; Wilhelm, JZ 2004, 1055, 1059. 23 MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 13. 24 Statt aller BeckOK BGB E59/Wendtland, § 157 Rn. 8. 25 BGH, Urteil vom 28. Apr. 2005 – III ZR 399/04 = NJW 2005, 1937, 1938; Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1091; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 18; 409 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 17; Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403.
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Bei allen anderen (verhaltensbezogenen) Pflichten liegt ein zentrales Problem in der Klärung der potentiell verletzten Pflicht. In aller Regel ist dafür entscheidend, was im Verkehr erforderlich ist.26 Als Frage der Pflichtverletzung obliegen die Darlegung und notfalls auch der Beweis dafür dem Schadensersatzgläubiger. d) Parallele zum französischen Recht Bei der Diskussion um erfolgs- und verhaltensbezogene Pflichten wurde verschiedentlich eine Parallele zur französischen Dogmatik aufgezeigt.27 Auch dort finden sich „obligations de résultat“ (erfolgsbezogene Pflichten) und „obligations de moyens“ (verhaltensbezogene Pflichten).28 Rückschlüsse für die deutsche Rechtslage sind daraus aber nicht zu ziehen29 , schon allein aufgrund des Umstandes, dass auf etwaige Parallelen gestützte Überlegungen keinen Einzug in die Gesetzesmaterialien gefunden haben. Im Übrigen unterscheidet sich die französische Dogmatik erheblich von der deutschen. Im französischen Recht wird nicht zwischen Pflichtverletzung und Vertretenmüssen unterschieden.30 Das an deren Stelle tretende Konzept der „faute“ vereint die beiden Punkte und muss deswegen inhaltlich die Schwierigkeiten beider Tatbestandsvoraussetzungen bewältigen.31 Inhaltliche Aussagen zu übertragen dürfte daher schwer fallen. e) Konsequenz für das unberechtigte Mangelbeseitigungsverlangen Die Konsequenz für die hier untersuchte Thematik der unberechtigten Geltendmachung von Gewährleistungsrechten ist folgende: Der Schadensersatzgläubiger, also der Verkäufer, muss die Pflichtverletzung darlegen und beweisen. Bei der in Betracht kommenden Rücksichtnahmepflichtverletzung handelt es sich nach einhelliger Meinung um eine verhaltensbezogene Pflicht, die letztlich nur dann verletzt ist, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt nicht beobachtet wurde. Dies muss der Verkäufer in einem ersten Schritt darlegen und beweisen. Was die verkehrserforderliche Sorgfalt in einem solchen Fall genau gebietet, ist bislang unklar.32 Im Anschluss an die sog. Lichtrufanlagenentscheidung des BGH33 steht aber immerhin fest, dass es in der ein oder anderen Weise um die Suche nach Al-
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Vorrang hätten freilich konkrete vertragliche Absprachen. Huber, in: Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, S. 31, 106 f.; Soergel/Benicke/Hellwig, § 280 Rn. 73; Sutschet, JZ 2008, 637, S. 184 f.; BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 13.1. 28 Siehe für eine prägnante Darstellung BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 13.1. 29 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 13.1; vgl. auch Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 407. 30 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 13.1; Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 407. 31 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 13.1; Weitnauer, AcP 170 (1970), 437, 440. 32 Siehe dazu aber die Ausführung unten II. 33 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147. 27
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B. Vertraglicher Schadensersatz
ternativursachen geht, d.h. Ursachen für das Mangelsymptom, die gerade nicht ein Mangel der Kaufsache selbst sind. Zu diesen Aspekten aus der Käufersphäre müsste – bei konsequenter Anwendung eines verhaltensbezogenen Pflichtverletzungskonzepts – der Verkäufer Stellung nehmen, um eine Pflichtverletzung darzulegen und notfalls zu beweisen. Er müsste darlegen, welche Kontrollen der Käufer hätte durchführen müssen. Und selbst wenn dem Verkäufer dies gelingen sollte, so müsste er ferner darlegen und beweisen, dass der Käufer diese Kontrollen nicht durchgeführt hat. Dies ist kaum zu bewerkstelligen, weil es Umstände betrifft, die in der alleinigen Sphäre des Käufers liegen. Die Kaufsache selbst befindet sich seit Gefahrübergang in der Sphäre des Käufers und auch bei der Suche nach Alternativursachen für die Mangelerscheinung sind weitestgehend die Gegebenheiten beim Käufer relevant. Wenn eine Waschmaschine nicht ordnungsgemäß funktioniert, so mag die verkehrserforderliche Sorgfalt andere Prüfungen diktieren, abhängig davon, ob das Wasserleitungsnetz beim Schuldner bekanntermaßen einen sehr geringen Druck aufweist oder nicht. All dies dem Verkäufer aufzubürden erscheint wenig sachgerecht.34 2. Alternative: Erfolgsbezogen verstandene Rücksichtnahmepflichten Das Problem wäre dadurch zu umgehen, dass man Rücksichtnahmepflichten erfolgsbezogen versteht. Dann wäre die Beeinträchtigung des Integritätsinteresses einer Vertragspartei durch die andere Vertragspartei eine Pflichtverletzung und der Schuldner müsste sich exkulpieren. Die Situation, dass eine geschädigte Partei zur verkehrserforderlichen Sorgfalt der anderen Partei vortragen und Beweis anbieten muss, würde dann erst gar nicht entstehen. Dies wird in der Literatur nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Soweit ersichtlich liegt dem die Überzeugung zugrunde, die Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB seien nicht auf einen Erfolg gerichtet und könnten deswegen auch nicht erfolgsbezogen verstanden werden.35 Entsprechend findet sich die Aussage, allein die Beeinträchtigung des Integritätsinteresses genüge nicht für die Annahme
34 So auch HKK/Schermaier, §§ 280-285 Rn. 97, siehe im Übrigen unten V. zur Darlegungsund Beweislast. 35 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 165.
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einer Pflichtverletzung.36 Dabei handelt es sich um Postulate, die im Folgenden hinterfragt werden sollen. § 241 Abs. 2 BGB bezweckt unbestrittenermaßen den Schutz des Integritätsinteresses, d.h. die Unversehrtheit der Rechte, Rechtsgüter und Interessen einer Partei. Denkbar ist daher sehr wohl, an einen Erfolg anzuknüpfen, nämlich an die Verletzung des Integritätsinteresses. Diese könnte ebenso als Anknüpfungspunkt für die Pflichtverletzung dienen wie bei klassisch erfolgsbezogenen Pflichten der (Miss-)Erfolg (Nichteintritt des Erfolgs, bspw. kein Eigentumsübergang). Die Anknüpfung an die Beeinträchtigung des Integritätsinteresses kann evident nicht dazu führen, dass jedwede Beeinträchtigung eine Pflichtverletzung darstellt. Der Geschädigte kann sich beispielsweise fernab des Schuldverhältnisses selbst verletzen. Die Annahme einer Pflichtverletzung des Vertragspartners wäre in einem solchen Fall abwegig. Vielmehr muss die Integritätsverletzung dem Schuldverhältnis zugeordnet werden. Dieser Schritt der Zuordnung eines Erfolges zum Schuldverhältnis entfällt bei den klassischen, erfolgsbezogenen Pflichten (Herstellung eines Werkes, Übertragung von Eigentum etc.), weil dort die Zuordnung unproblematisch ist. Es geht dabei nämlich um konkret individualisierte Erfolge, die nicht eingetreten sind. Bei einem abstrakten Erfolg wie dem „Nicht-Beeinträchtigen“ des Integritätsinteresses hingegen muss ein Zusammenhang zum Schuldverhältnis hergestellt werden. Zu fordern wäre deswegen, dass das Geschehen im weitesten Sinne im Zusammenhang zu dem Schuldverhältnis steht.37 Konkret würde dieses Konzept also so aussehen, dass der Geschädigte eine Beeinträchtigung seines Integritätsinteresses darlegen muss. Ferner muss er ein Geschehen darlegen, welches im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis steht und nach menschlichem Ermessen zu der Beeinträchtigung seines Integritätsinteresses geführt haben kann. Dann würde das erfolgsbezogene Pflichtverletzungsverständnis dazu führen, dass von einer Pflichtverletzung des Schuldners auszugehen ist. Im Folgenden soll untersucht werden, ob ein erfolgsbezogenes Verständnis der Rücksichtnahmepflichten in der beschriebenen Art möglich und angezeigt ist. Dazu muss anhand von Wortlaut (a), Historie (b), Sinn und Zweck der Beweislastverteilung (c), einem Vergleich mit der deliktsrechtlichen Lehre vom Erfolgs36 BGH, Urteil vom 28. Apr. 2005 – III ZR 399/04 = NJW 2005, 1937, 1938; ähnlich Medicus/Lorenz, SchuldR I AT, Rn. 326: Geschuldet werde (i.R.v. § 241 Abs. 2) nicht, dass der Gläubiger keine Schäden erleidet, sondern dass sich der Schuldner rücksichtsvoll verhält; in die Richtung einer Erfolgsbezogenheit aber BGH, Urteil vom 18. Dez. 1990 – VI ZR 169/90 = NJW 1991, 1540, 1541, wo ein Krankenhaus aufgrund einer Integritätsverletzung eines Patienten als beweispflichtig dafür angesehen wurde, das Personal habe sich pflichtgemäß verhalten. Entscheidend war in dem Fall gleichwohl eine Besonderheit. Nach Ansicht des BGH lag das Risiko, das sich letztlich verwirklicht hat, im voll beherrschbaren Gefahrenbereich des Krankenhauses. 37 Ähnlich, allerdings abstellend auf ein Verhalten aus dem Gefahrenbereich des Schuldners HKK/Schermaier, §§ 280-285 Rn. 97.
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unrecht (d) sowie einer Untersuchung auf Inkonsistenzen im Gesamtsystem (e) überprüft werden, ob das Konzept tragfähig wäre. a) Wortlaut des § 241 Abs. 2 BGB Nach § 241 Abs. 2 BGB „kann [ein Schuldverhältnis] je nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.“ Die Formulierung „Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen“ kann so verstanden werden, dass kein Vertragspartner den anderen in seinen Rechten, Rechtsgütern und Interessen beeinträchtigen darf. Tut er es dennoch, so lässt er eben die nötige Rücksicht objektiv38 vermissen. Damit sei die Aussage, § 241 Abs. 2 BGB fordere nicht die „unbedingte Erhaltung der Rechtsgüter, Rechte oder Interessen des Gläubigers“39 , zunächst einmal in Frage gestellt. Nicht zu leugnen ist allerdings, dass der Wortlaut des § 241 Abs. 2 BGB insoweit gegen ein erfolgsbezogenes Verständnis spricht, als ein Schuldverhältnis zur Rücksichtnahme verpflichten „kann“. Anders ausgedrückt: Das Schuldverhältnis „muss“ dies nicht tun. Versteht man hingegen jede Beeinträchtigung von Rechten, Rechtsgütern und Interessen als Pflichtverletzung, so verliert diese Formulierung ihre Bedeutung. Diese eher weiche Formulierung kann allerdings mit der Entstehungsgeschichte des § 241 Abs. 2 BGB erklärt werden: Obgleich die Idee einer dogmatischen Zweiteilung vertraglicher Pflichten in Leistungspflichten und Schutzpflichten bereits 1929 aufkam40 , erfolgte die Kodifikation erst 2002 im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung. Zwischenzeitlich war das dogmatische Konzept weiter verfeinert41 und letztlich die Schutzpflicht bei § 242 BGB als positiv-rechtlicher Grundlage für eine „besondere Vertrauensbeziehung“ verortet worden.42 Die Verortung der Schutzpflichten bei § 242 BGB dürfte dazu beigetragen haben, dass Schutz- und Rücksichtnahmepflichten in ihrer Beschreibung oft dem „weichen § 242er-Wortlaut“ folgen. Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bereits in den Anfängen die heutige § 241 Abs. 2 BGB-Pflicht als ganz konkrete (und wohl erfolgsbezogene) Konkretisierung von Treu und Glauben gedacht wurde. Stoll schreibt 1932: „[D]ie Folge der Treu- und Glaubensverpflichtung ist die Pflicht, sich hierbei jeder schädigenden Einwirkung zu enthalten“. Abgesehen davon ist § 241 Abs. 2 BGB gewiss auch deswegen eine recht offen formulierte Norm, weil sie durchaus als Auffangtatbestand für eine Vielzahl 38
Und auf ein objektives Verständnis der Pflichtverletzung kommt es nach einhelliger Ansicht an, siehe nur BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 5. 39 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 165. 40 Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, S. 3, 580. 41 Stoll, AcP 136 (1932), 257, 287 ff. 42 Canaris, JZ 1965, 475, 479; siehe zur geschichtlichen Entwicklung im Übrigen ausführlich Bachmann/Schirmer, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 371, 384 ff.
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von Fällen fungiert und zu diesem Zweck Freiraum für Einzelfallgerechtigkeit einräumt. Diesem Relativierungsversuch zum Trotz dürfte der Wortlaut allerdings tatsächlich eher für ein verhaltensbezogenes Verständnis sprechen. Er erzwingt ein solches aber meines Erachtens nicht. b) Historie des § 241 Abs. 2 BGB Traditionell unterfallen Integritätsinteressen der Domäne des Deliktsrechts. Vertraglicher Integritätsschutz wurde erst nach und nach aus dem Gebot von Treu und Glauben entwickelt.43 Entsprechend wurde im Reformprozesses für das modernisierte Schuldrecht vorgeschlagen, die Schutzpflichten gänzlich dem Vertragsrecht zu entziehen und dem Deliktsrecht zu überantworten.44 Dieser Vorschlag erfuhr deutliche Kritik, weil befürchtet wurde, der Integritätsschutz würde am Ende leiden, obgleich „ein offenbar elementares Bedürfnis für den umfassenden Integritätsschutz“ bestehe.45 Der Reformgesetzgeber hat sich mit der Kodifikation in § 242 Abs. 2 BGB ersichtlich für vertraglichen Integritätsschutz entschieden. Erhellend sind dabei die Ausführungen zu Reichweite und Intensität. Bezüglich der Reichweite wird explizit festgestellt, dass „die uneingeschränkte Erwähnung der ‚Rechtsgüter‘“ zeige, dass über den begrenzten Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB hinaus auch das bloße Vermögen geschützt sei.46 Im Hinblick auf die Intensität des Schutzes wird herausgestellt, dass es sich um vollwertigen vertraglichen Schutz handele, bei dem auch § 278 BGB Anwendung finde.47 Diese Aspekte helfen bei der Frage nach dem korrekten Verständnis der Rücksichtnahmepflichten nicht unmittelbar weiter. Gleichwohl machen sie deutlich, dass es dem Reformgesetzgeber mit den Rücksichtnahmepflichten ernst war. Die Vorschrift war mitnichten als irrelevante Nebenvorschrift gedacht, sondern als konkrete, schadensersatzbewehrte Anordnung. Auch ansonsten trifft die Regierungsbegründung keine explizite Aussage zu der Frage, ob Pflichten verhaltens- oder erfolgsbezogen zu verstehen sind. Möglicherweise lässt sich aber aus einer Stellungnahme zur Beweislast ein Rückschluss auf den Gesetzgeberwillen ziehen: Die Regierungsbegründung erläutert den Fall einer fehlenden Bedienungsanleitung, die zur mangelhaften Erfüllung einer Hauptleistungspflicht führe und was eine Pflichtverletzung darstelle. Die Erläuterung fährt fort: „Bei der Verletzung von Schutzpflichtverletzungen [sic.] im Sinne von § 241 Abs. 2 RE muss demgegenüber positiv festgestellt werden, 43
Soeben oben a). Huber, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. 1, S. 647, 736 ff. 45 Picker/Schilken, AcP 183 (1983), 369, 439. 46 BT-Drs. 14/6040, S. 125. 47 BT-Drs. 14/6040, S. 125. 44
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worin die Pflichtverletzung an sich besteht. Die Beweislast dafür trägt der Gläubiger, weil es sich um den Tatbestand der Pflichtverletzung handelt.“48 Bei genauerer Betrachtung kann aber auch diese Formulierung in die eine wie in die andere Richtung verstanden werden. Eindeutig für ein verhaltensbezogenes Verständnis würde die Erläuterung dann sprechen, wenn ausgeführt wäre, der Gläubiger müsse darlegen, worin die Pflicht an sich bestehe. Würde es sich bei der Pflicht nämlich – wie hier angedacht – pauschal darum drehen, nicht das Integritätsinteresse der anderen Partei zu beeinträchtigen, so wäre die beschriebene Gesetzesbegründung überflüssig. Davon, dass der Gläubiger die Pflicht an sich darlegen müsse, ist aber nicht die Rede. Gefordert ist vielmehr, dass der Gläubiger die Pflichtverletzung an sich darlegen müsse. Was dies genau bedeutet, entspricht der Streitfrage, es erzwingt hingegen kein verhaltensbezogenes Verständnis. Auch bei dem hier angedachten erfolgsbezogenen Konzept muss der Gläubiger nämlich letztlich eine „Pflichtverletzung“ darlegen49 : Er muss ein Geschehen beschreiben, das im Zusammenhang mit dem Schuldverhältnis steht, und er muss darlegen, dass sein Integritätsinteresse beeinträchtigt wurde. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die Regierungsbegründung zu §§ 280, 241 Abs. 2 BGB unergiebig ist. c) Beweislastrechtliche Überlegungen Die Debatte um erfolgs- oder verhaltensbezogene Pflichten dreht sich im Kern um die korrekte Verteilung der Beweislast.50 Dabei ist im Grundsatz zwar – wie dargelegt51 – weitgehend unbestritten52 , dass der Gläubiger die Beweislast für die Pflichtverletzung, der Schuldner die Beweislast für das Vertretenmüssen trägt. Die Konsequenz der Einordnung der Pflichten als erfolgsbezogen oder verhaltensbezogen wirkt sich aber darauf aus, welche Aspekte der Pflichtverletzung und welche dem Vertretenmüssen zugerechnet werden. Mittelbar ist also die Beweislastverteilung betroffen und deswegen müssen sich auch die gefundenen Ergebnisse daran messen lassen, ob sie im Hinblick auf die Beweislastverteilung überzeugen.53 Ausgangspunkt für die Überlegung ist dabei, dass ein erfolgsbezogenes Verständnis zu keiner Überlappung mit dem Vertretenmüssen führt und folglich die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB einen nennenswerten Anwendungsbereich hat. Ein verhaltensbezogenes Verständnis bemüht – wie oben dar48
BT-Drs. 14/6040, S. 136. Oben 2. 50 Vgl. Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1084. 51 Oben 1.a). 52 Siehe aber Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 40-46; Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 199 ff., sowie sogleich unten zu der Frage, ob die Beweislastumkehr bei Rücksichtnahmepflichten aus teleologischen Gründen modifiziert werden muss. 53 Ebenso Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1084. 49
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gelegt54 – bereits für die Beschreibung der Pflichtverletzung die verkehrserforderliche Sorgfalt, sodass sich Pflichtverletzung und Vertretenmüssen weitgehend decken. Die Konsequenz ist, dass die Beweislastumkehr fast leerläuft.55 Prima facie spricht dieser Umstand sehr stark für ein erfolgsbezogenes Verständnis. Diese Schlussfolgerung ist m.E. nur dann nicht zu ziehen, wenn man die Beweislastumkehr bei Rücksichtnahmepflichten für nicht anwendbar hält56 oder zumindest ihre Bedeutung teleologisch relativiert.57 Ob dies angezeigt ist, soll im Folgenden untersucht werden. aa) Ausgangspunkt: Anwendbarkeit der Beweislastumkehr Zunächst fällt auf, dass § 280 Abs. 1 S. 2 BGB keine explizite Einschränkung für bestimmte Pflichten kennt. Die Norm bezieht sich vielmehr auf die Grundnorm des § 280 Abs. 1 BGB, die unstreitig für alle denkbaren vertraglichen Pflichten gilt. Als solche definiert § 241 BGB die Leistungspflichten ebenso wie die Rücksichtnahmepflichten. Dies stützt ferner eine historische Auslegung. Der Reformgesetzgeber beschreibt die Beweislastumkehr unter anderem in dem hier relevanten Kontext des § 241 Abs. 2 BGB.58 Daraus ist zu schließen, dass der Gesetzgeber von der Anwendbarkeit der Beweislastumkehr auch bei Rücksichtnahmepflichten ausging. Den Ausgangspunkt sollte daher die Anwendbarkeit der Beweislastumkehr bilden. Dies sollte einhergehen mit der (freilich widerlegbaren) Vermutung, dass die Beweislastumkehr auch einen nennenswerten Anwendungsbereich haben soll. bb) Teleologie von Beweislastverteilungen Möglicherweise ist aber teleologisch zu begründen, weshalb die Beweislastumkehr im Fall der Rücksichtnahmepflichten leerlaufen darf bzw. soll. Die teleologischen Überlegungen hinter Beweislastverteilungen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Erstens lässt sich eine Beweislastverteilung verstehen als Pendant zu einer abstrakten Wahrscheinlichkeit beziehungsweise zu einer legislativen Entscheidung für ein Regel-Ausnahme-Verhältnis (1). Zweitens 54
Oben 1.a). Ein vernachlässigbarer Anwendungsbereich verbleibt, denn im Rahmen der Pflichtverletzung wäre nur die objektive Komponente der verkehrserforderlichen Sorgfalt relevant, sodass für das Verschulden noch subjektive Aspekte eine Rolle spielen können. Da allerdings auch der Fahrlässigkeitsmaßstab selbst verobjektiviert ist, kann sich dies im Allgemeinen nur noch auf subjektiv unvermeidliche Irrtümer oder die subjektive Unzumutbarkeit der Pflichtenerfüllung beziehen. Siehe dazu Looschelders, FS Canaris zum 80. Geburtstag, S. 403, 410. 56 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 40-46; Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 199 ff. 57 So Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1084 ff. 58 BT-Drs. 14/6040, S. 136. 55
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reagiert eine Beweislastumkehr auf typischerweise bestehende Beweisschwierigkeiten, weil es beispielsweise um Vorgänge aus der Sphäre der anderen Partei geht (2). (1) Regel-Ausnahme-Verhältnis und abstrakte Wahrscheinlichkeiten Beweislastverteilungen werden als Pendant zu einer abstrakten Wahrscheinlichkeit beziehungsweise zu einer legislativen Entscheidung für ein RegelAusnahme-Verhältnis verstanden.59 Wenn beispielsweise nach Ansicht des Gesetzgebers die abstrakte Wahrscheinlichkeit, dass ein Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat, überwiegt, dann normiert er eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Vertretenmüssens. Mit der Einschätzung des Gesetzgebers, der Schuldner habe wahrscheinlich die Pflichtverletzung zu vertreten, geht einher, dass solche Fälle überproportional oft zugunsten des Gläubigers ausgehen sollten.60 Dieses intendierte Ergebnis unterstützt der Gesetzgeber legislativ durch die Umkehr der Beweislast. Er etabliert damit ein Regel-Ausnahme-Verhältnis: Liegt eine Pflichtverletzung vor, so ist die Haftung die Regel und die Exkulpation die Ausnahme. Angewandt auf die untersuchte Situation würde dies bedeuten, dass der Gesetzgeber im Falle der Beeinträchtigung des Integritätsinteresses einer Vertragspartei davon ausgeht, dass grundsätzlich eine Haftung bestehen soll und sich der Schädiger soll entlasten müssen. Dass diese Überlegung eine Beweislastumkehr bei Rücksichtnahmepflichten trage, wird allerdings bestritten.61 Das beschriebene Regel-Ausnahme-Verhältnis greife nämlich nur dort Platz, wo der Schuldner einer Vertragspflicht eine „Erfüllungsgarantie“ gegeben habe.62 Eine solche „Erfüllungsgarantie“ darf nicht verwechselt werden mit einer Garantie i.S.e. Garantiehaftung, wie sie etwa das CISG kennt. Im Unterschied zur Verschuldenshaftung des u.a. deutschen Rechts verzichtet eine Garantiehaftung auf ein Erfordernis von Vertretenmüssen. Dies ist aber mit dem Begriff der Erfüllungsgarantie nicht gemeint. Eine „Erfüllungsgarantie“ soll vielmehr erfolgsbezogene Leistungspflichten63 beschreiben. Sie besage, der Gläubiger könne sich auf die Erbringung der Leistung verlassen, ohne sich darum kümmern zu müssen, in welcher Weise dies ge-
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Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1084. Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1084. 61 Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1085. 62 Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1085; ähnlich Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 38, 46; Vgl. auch Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 219; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 70 f., 73. 63 Zu verhaltensbezogenen Leistungspflichten, wie etwa einer ärztlichen Behandlung oder einer Beratung, siehe auch die Ausführungen unten (e) zu der Frage, ob ein stimmiges Gesamtkonzept besteht. 60
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schehe.64 Entsprechend rechtfertige die „Erfüllungsgarantie“ die Beweislastumkehr, sofern nur die versprochene Leistung ausbleibe.65 Rücksichtnahmepflichten würden demgegenüber nicht mit einer „Erfüllungsgarantie“ versprochen, sodass auch die Beweislastumkehr nicht sachgerecht sei. Der Begründungsansatz66 mithilfe einer „Erfüllungsgarantie“ ist allerdings kritisch zu sehen, da das Konzept einer Erfüllungsgarantie weder im Gesetz noch in den Gesetzgebungsmaterialien angelegt ist. Als Anhaltspunkt könnte allenfalls die Überlegung dienen, die „Erfüllungsgarantie“ als dogmatische Begründung für die Beweislastumkehr sei bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung etabliert gewesen67 und der Reformgesetzgeber habe daran auch nichts ändern wollen.68 Dies wäre eine Überdehnung. Zwar wollte der Gesetzgeber an die alte Rechtslage anknüpfen.69 Ob dies mit Billigung der dogmatischen Hintergrundüberlegung in der damaligen Rechtswissenschaft geschah oder nicht, kann daraus nicht geschlossen werden. Ein Indiz dagegen ist jedenfalls, dass die Norm des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB in den Grundtatbestand integriert wurde, der prima facie auch für Rücksichtnahmepflichten gilt. Ist demnach aber eine „Erfüllungsgarantie“ nicht vom Gesetz indiziert, so kann sie sich letztlich nur aus dem – wenn auch generalisierten – Parteiwillen speisen. Eine Vertragsauslegung müsste zu dem Ergebnis führen, dass ein Schuldner die Erfüllung mancher Pflichten – konkret von erfolgsbezogenen Leistungspflichten – in einer (besonderen) Art versprechen möchte, die eine Rechtfertigung für die Anwendung einer Beweislastumkehr beim Verschulden bietet. Bei einem solchen Rückgriff auf die (mutmaßliche, generalisierte) Intention des Schuldners stellt sich aber die Frage, weshalb ein Schuldner eine Leistung in dieser besonderen Art würde versprechen wollen. Er würde effektiv darauf verzichten, dass sein Vertragspartner im Falle von Leistungsstörungen ein bestimmtes Fehlverhalten nachweisen muss und somit ohne Not die eigene Rechtsstellung verschlechtern. Auch eine „Erfüllungsgarantie“ als Ausfluss der Parteiabrede überzeugt deswegen nicht. Insgesamt ist das Konzept von „Erfüllungsgarantien“ zur Unterscheidung von Pflichten im Hinblick auf die Angemessenheit einer Beweislastumkehr m.E. nicht zielführend. 64 Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1085; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 70 f. m.w.N. in Fn. 154, 155; vgl. auch Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 38 („garantieähnliche Pflicht, für den Leistungserfolg einzustehen“). 65 Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1085; Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 38. 66 Nicht unbedingt das Ergebnis. Dazu sogleich. 67 Siehe nur Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 31 mit zahlreichen Nachweisen. 68 BT-Drs. 14/6040, S. 136. 69 BT-Drs. 14/6040, S. 136.
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Tragfähiger als eine „Erfüllungsgarantie“ dürfte eine Überlegung sein, die an die eingangs erwähnte Intention des Gesetzgebers anknüpft, mit einer Beweislastumkehr abstrakte Wahrscheinlichkeiten abzubilden: Wenn die Beweislastumkehr § 280 Abs. 1 S. 2 BGB eine abstrakte Wahrscheinlichkeit abbilden soll, dann muss man sich fragen, ob die Beeinträchtigung des Integritätsinteresses in gleicher Weise ein Verschulden indiziert wie eine Verletzung des positiven Interesses bei erfolgsbezogenen Leistungspflichten. Der zentrale Unterschied liegt dabei in dem Umstand, dass sich Vertragsparteien der Pflichten, die mit dem positiven Interesse der Parteien zusammenhängen, typischerweise ganz bewusst sind. Wird ein Kfz verkauft, so ist die Übergabe- und Übereignungsverpflichtung ebenso von unmittelbarem Interesse, wie die Zahlungspflicht. Machen sich Vertragsparteien aber dezidiert Gedanken zu bestimmten Pflichten und schließen dann einen Vertrag, so kann bei redlichen Verkehrsteilnehmern davon ausgegangen werden, dass sie den bezweckten Erfolg für wahrscheinlich herbeiführbar halten. Entsprechend kann von einem Fehlverhalten des Schuldners ausgegangen werden, wenn ein solcher Erfolg ausbleibt. Rücksichtnahmepflichten unterscheiden sich davon in zweierlei Hinsicht. Zum einen dürften sie selten im unmittelbaren Bewusstsein der Vertragsparteien sein, wenn ein Vertrag geschlossen wird. Die beschriebene Annahme von wahrscheinlicher Erfüllbarkeit – indiziert durch den Vertragsschluss – besteht daher nicht. Zum anderen sind Rücksichtnahmepflichten derart vielseitig, dass eine allgemeine Aussage über ein Verschulden schwerfällt: Eine Körperverletzung durch einen Vertragspartner mag typischerweise ein Verschulden nahelegen; bei einer Aufklärungspflichtverletzung hingegen, die darin bestand, dass ein Händler nur das Begleitmaterial des Herstellers übersandte anstatt darüberhinausgehend über die korrekte Wartung einer Maschine bei nasskaltem Wetter zu informieren70 , ist die Annahme eher fraglich. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Teleologie hinter einer Beweislastumkehr, insoweit sie der Normierung abstrakter Wahrscheinlichkeiten dient, dafür spricht, bei Leistungspflichten eine Beweislastumkehr anzunehmen, bei Rücksichtnahmepflichten hingegen nicht. Das in diesem Zusammenhang verschiedentlich beschriebene Konzept von „Erfüllungsgarantien“, die nur bei erfolgsbezogenen Leistungspflichten gegeben würden, führt zwar zu eben diesem Ergebnis, es ist aber mangels einer dogmatischen Grundlage wenig überzeugend. Der Befund, dass eine Beweislastumkehr bei Rücksichtnahmepflichten mit teleologischen Gründen bestritten werden kann, spricht für das herrschende Konzept verhaltensbezogen verstandener Rücksichtnahmepflichten und gegen das hier angedachte erfolgsbezogene Konzept. Das Leerlaufen der Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB als Konsequenz der Verschmelzung von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen nach dem verhaltensbezogen Konzept wird nämlich relativiert. 70
Beispiel nach BGH, Urteil vom 5. Apr. 1967 – VIII ZR 32/65 = NJW 1967, 1805.
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(2) Beweislastverteilung nach Sphären Gleichwohl ist der soeben beschriebene Aspekt nur ein Teil der Teleologie hinter einer Beweislastumkehr. Daneben tritt die Überlegung, dass eine Beweislastumkehr dem faktischen Problem von Informationsdefiziten entgegenwirken soll. Für die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB bedeutet dies: Aspekte des Verschuldens entstammen der Schuldnersphäre und weil der Gläubiger typischerweise nur schwer an diese Informationen gelangen kann normiert das Gesetz eine Umkehr der Beweislast. Beweisschwierigkeiten als Begründung für eine Beweislastumkehr wurden explizit bestritten.71 Die Reaktion auf Beweisnöte könne lediglich in Beweiserleichterungen bestehen72 , denn die objektive Beweislast müsse von Anfang an im Prozess feststehen.73 Darin liegt jedoch zumindest für die hier anzustellende Überlegung kein Problem. Es geht nicht um eine Beweislastumkehr auf Basis von Beweisschwierigkeiten im konkreten Fall. Zu klären ist, ob der Gesetzgeber abstrakte Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Verschuldens beim Gläubiger gesehen hat, die ihn zu einer abstrakten Verteilung der Beweislast in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB veranlasst haben. Dies ist zu bejahen: Die Beweislastumkehr begründet der Gesetzgeber damit, dass der Schuldner „sehr viel eher in der Lage [ist], die Ursachen für die Pflichtverletzung darzulegen“74 . Das Pendant zu besseren Möglichkeiten, etwas darzulegen, kann nur in Beweisschwierigkeiten der anderen Partei liegen. Daher ist § 280 Abs. 1 S. 2 BGB als Reaktion zu verstehen auf von Gesetzgeberseite angenommene abstrakte Beweisschwierigkeiten. Diese Überlegung ist nicht auf Leistungspflichten begrenzt, sondern verfängt uneingeschränkt auch für Rücksichtnahmepflichten. Ein verhaltensbezogenes Verständnis von Rücksichtnahmepflichten, wonach Pflichtverletzung und Vertretenmüssen verschmelzen und die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB leerläuft, sieht sich deswegen der Kritik ausgesetzt, diesen Gesetzgeberwillen zu ignorieren. Das hier angedachte erfolgsbezogene Konzept würde dem hingegen Rechnung tragen, weil die Beweislastumkehr anwendbar bleibt. Riehm relativiert die Bedeutung von Beweisschwierigkeiten mit dem Argument, die faktischen Probleme bei der Informationsbeschaffung würden genauso bei den tatsächlichen Voraussetzungen der objektiven Nichterfüllung (d.h. bei der Pflichtverletzung) bestehen (und seien nicht auf das Vertretenmüssen beschränkt).75 Dies ist zwar korrekt, aber nur wenn man die Rücksichtnahmepflichten verhaltensbezogen bestimmt. Bei dem hier angedachten erfolgsbezogenen Konzept ist die Pflichtverletzung gerade mit Informationen aus der Sphäre des Geschädigten darzulegen, ohne dass es Informationen aus der Schädigersphä71
Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 44. Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 43. 73 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 17 m.w.N. 74 BT-Drs. 14/6857, S. 49. 75 Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1085.
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re bedürfte. Im Hinblick auf diese konkrete beweislast-teleologische Erwägung kommt also das erfolgsbezogene Konzept ohne Brüche aus. Eine Bestätigung vermag dieses Konzept ferner aus folgendem Umstand zu ziehen: Tatsächlich wird eine Beweislastverteilung, wie sie sich aus einem verhaltensbezogenen Verständnis von Rücksichtnahmepflichten zunächst einmal ergibt, oft als unbillig angesehen. Daher werden dem Gläubiger verschiedentlich ungeschriebene Beweiserleichterungen gewährt, die unmittelbar aus dem Sphärengedanken abgeleitet werden.76 Der Charme dieser Lösung liegt gewiss in einer hohen Flexibilität, denn die Beweiserleichterungen können im Einzelfall anhand von konkreter Beweisnähe und Beweisschwierigkeiten diskutiert werden.77 Im Übrigen werden sie sogar inhaltlich nicht nur beim Verschulden angewandt, sondern auch bereits bei Fragen der Pflichtverletzung78 oder bei der haftungsausfüllenden Kausalität.79 Gelöst werden dadurch Probleme, die erst durch ein verhaltensbezogenes Verständnis von Rücksichtnahmepflichten entstehen und die sich bei einem erfolgsbezogenen Verständnis erübrigen würden. Leidtragend bei dem herrschenden Konzept ist allem voran die Rechtsklarheit: Eine im Gesetz zu findende, prima facie80 auf alle Pflichtverletzungen anwendbare Norm (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) wird durch ein ungeschriebenes Konzept (verhaltensbezogene Pflichten führen zur Vermischung von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen) zunächst ausgehöhlt, die Wirkung aber anschließend durch weitere ungeschriebene Konzepte (Beweiserleichterungen) teilweise wieder hergestellt. Ein erfolgsbezogenes Konzept ist insoweit geradliniger. Eine Integritätsverletzung im Kontext eines Vertrags würde dazu führen, dass sich der Vertragspartner exkulpieren muss. Dafür nötige Informationen dürften sich regelmäßig in seiner Sphäre finden. Denkbar wäre natürlich auch nach dem Konzept eine (erneute) Beweislastumkehr im Einzelfall auf Basis von Sphärengedanken. Sie wäre dann aber eine klare Ausnahme, um Unbilligkeiten in besonderen Konstellationen zu vermeiden, nicht jedoch die Regel. (3) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist die Beweislastumkehr in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB auch bei Rücksichtnahmepflichten sinnvoll. Zwar trägt bei Rücksichtnahmepflichten keine überwiegende Wahrscheinlichkeit von Verschulden eine Beweislastumkehr. 76
S. etwa die Darstellungen bei BeckOGK BGB 2021/Riehm, §§ 280 Rn. 350-362 m.w.N.; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 151-153; Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1085. 77 Riehm, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 1079, 1086. 78 BGH, Urteil vom 13. Dez. 1990 – III ZR 336/89 = NJW-RR 1991, 575; BGH, Urteil vom 20. Juni 1990 – VIII ZR 182/89 = NJW-RR 1990, 1422. 79 BGH, Urteil vom 16. Nov. 2004 – VI ZR 328/03 = NJW 2005, 427; BGH, Urteil vom 19. Feb. 1975 – VIII ZR 144/73 = NJW 1975, 824. 80 Oben aa).
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Auch bei Rücksichtnahmepflichtverletzungen bestehen aber typische Beweisschwierigkeiten des Geschädigten, wenn er ein Fehlverhalten des Gegenübers darlegen und beweisen soll. Dabei handelt es sich nämlich normalerweise um Vorgänge aus der Sphäre des Schädigers. Eine Beweislastumkehr ist deswegen auch in den Fällen sinnvoll. Weil ein verhaltensorientiertes Verständnis von Pflichten die Beweislastumkehr aber weitestgehend leerlaufen lässt, ist aus beweislast-teleologischen Gesichtspunkten ein erfolgsbezogenes Konzept zu bevorzugen. d) Vergleich mit der deliktischen Lehre vom Erfolgsunrecht aa) Erfolgsunrecht im Deliktsrecht Im Kontext des § 823 BGB besteht eine Problematik, die der hier untersuchten recht ähnlich ist. Im Kern geht es bei dem viele Jahre lang geführten Streit darum, wie bei § 823 BGB das haftungsbegründende Element der Rechtswidrigkeit zu behandeln ist. Die Norm erfordert die Verletzung eines Rechtsgutes sowie ein Verschulden des Schädigers. Neben der Rechtsgutsverletzung und dem Verschulden kennt § 823 Abs. 1 BGB allerdings auch ein Rechtswidrigkeitserfordernis. Das Verhalten des Täters muss also als Verletzung der Rechtsordnung eingestuft werden können.81 Hat sich der Täter hingegen nicht in Widerspruch zur Rechtsordnung gesetzt, so muss das Opfer eine Schädigung ersatzlos hinnehmen. Der Schaden ist dann eine Verwirklichung allgemeinen Lebensrisikos und kann nicht abgewälzt werden. Der konkrete Umgang mit diesem Rechtswidrigkeitserfordernis war allerdings zumindest lange Zeit lebhaft umstritten.82 Die Debatte entzündet sich an der Frage, inwieweit die von § 823 Abs. 1 BGB geforderte Rechtswidrigkeit durch einen Verletzungserfolg bestimmt ist oder durch ein Verhalten. Eine (weitreichende) Lehre vom Erfolgsunrecht geht von ersterem aus und sieht in jeder Rechtsgutsverletzung zugleich die Rechtswidrigkeit des Verhaltens.83 Etabliert hat sich die Formulierung, die Rechtswidrigkeit sei durch den Verletzungserfolg indiziert. Hinter der Indizwirkung der Rechtsgutsverletzung steht die Überlegung, dass der Gesetzgeber selbst durch die Umschreibung des Unrechtstatbestands zum Ausdruck bringe, die Verletzung der genannten Rechtsgüter sei in der Regel widerrechtlich.84 Als konkrete Auswirkung bedeutet dies, dass das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit dann nicht mehr positiv fest81
BeckOGK BGB 2021/Spindler, § 823 Rn. 78. Für einen Überblick siehe Soergel/Spickhoff , § 823 Rn. 4 ff. 83 BGH (Großer Zivilsenat), Beschluss vom 4. März 1957 – GSZ 1/56 = NJW 1957, 785, 785; Bindokat, JZ 1958, 553, 558; siehe im Übrigen auch die Darstellungen bei BeckOK BGB E59/Förster, § 823 Rn. 18; MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 5 ff. 84 BGH (Großer Zivilsenat), Beschluss vom 4. März 1957 – GSZ 1/56 = NJW 1957, 785, 785. 82
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gestellt werden muss. Effektiv reduziert sich die Darlegungs- und Beweislast für den Geschädigten auf die Rechtsgutsverletzung, das Verschulden, Kausalitäten und den Schaden. Die Lehre vom Handlungsunrecht lehnt eine Indizwirkung des Verletzungserfolges ab. Vielmehr müsse die Rechtswidrigkeit der jeweiligen Handlung positiv festgestellt werden.85 Weil die Rechtswidrigkeit das Verhalten des Schädigers charakterisiere, liege sie dann vor, wenn der Schädiger durch sein Verhalten eine Sorgfaltspflicht verletze (im Fall der Fahrlässigkeit) bzw. bewusst ein erlaubtes Risiko überschreite (im Fall des Vorsatzes).86 Nach allgemeinen Grundsätzen würden Darlegung und Beweis dafür dem Anspruchssteller, d.h. dem Geschädigten obliegen. Bis heute wird vereinzelt über die – insbesondere dogmatisch – richtige Herangehensweise diskutiert. Der h.M. dürfte mittlerweile indes ein Kompromiss zwischen beiden Konzeptionen entsprechen.87 Die Rechtswidrigkeit wird grundsätzlich erfolgsbezogen verstanden. Die Indizwirkung einer Rechtsgutsverletzung wird allerdings in bestimmten Konstellationen als nicht angebracht angesehen und daher abgelehnt. Dabei handelt es sich um die mittelbare Rechtsgutsverletzung sowie um die Verletzung von Rahmenrechten. Bei letzteren, von der Rechtsprechung entwickelten Rechten, fehle es an einem klar konturierten Schutzbereich, sodass auch dessen Verletzung keine Indizwirkung für die Rechtswidrigkeit haben könne. Festzuhalten bleibt demnach, dass der Rechtsgutsverletzung Indizwirkung für die Rechtswidrigkeit beigemessen wird, sofern es um eine unmittelbare Verletzung eines der explizit genannten Rechtsgüter geht. bb) Übertragung auf die vertragliche Haftung Ein erfolgsbezogenes Verständnis von Pflichten hat eine mit der Lehre vom Erfolgsunrecht vergleichbare Wirkung: Während letztere die Rechtswidrigkeit indiziert, indiziert ein erfolgsbezogenes Verständnis von Vertragspflichten deren Pflichtwidrigkeit. Ein Vergleich der Lehre vom Erfolgsunrecht mit einem erfolgsbezogenen Verständnis von Rücksichtnahmepflichten zeigt aber, dass das hier angedachte Konzept erheblich weiter reicht. Eine Parallele würde so aussehen, dass auch im vertraglichen Kontext eine Rücksichtnahmepflichtverletzung (nur) dann indiziert wäre, wenn die Integritätsbeeinträchtigung in der unmittelbaren Verletzung eines (auch von § 823 Abs. 1 BGB) absolut geschützten Rechtsguts liegt. Über diese Fälle hinaus würde das Konzept aber auch Fälle von mittelbaren Rechtsgutsverletzungen erfassen, es würde bei Beeinträchtigungen von Rahmenrechten 85
MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 26; Erman, § 823 Rn. 7. MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 26. 87 BGH, Urteil vom 13. März 1979 – VI ZR 117/77 = NJW 1979, 1351; BeckOGK BGB 2021/Spindler, § 823 Rn. 79; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 25, 26; BeckOK BGB E59/Förster, § 823 Rn. 20 ff. 86
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eingreifen und es würde die Pflichtwidrigkeit bei reinen Vermögensschäden indizieren. Letztere Konstellation fällt aus dem Anwendungsbereich des § 823 Abs. 1 BGB heraus, sodass insoweit keine Parallele gezogen werden kann; bei den Rahmenrechten und mittelbaren Rechtsgutsverletzungen würde demgegenüber ein Vergleich mit dem Deliktsrecht gegen das Konzept sprechen, Rücksichtnahmepflichten erfolgsbezogen zu verstehen. Ein solcher Vergleich darf aber nicht überbewertet werden. Die vertragliche Haftung weist in Gestalt der besonderen vertraglichen Beziehung eine andere Grundlage auf als das Deliktsrecht. Vergleiche zwischen den Haftungsregimes können deswegen nur Anhaltspunkte liefern. e) Entscheidendes Argument für ein verhaltensbezogenes Verständnis: Erfolgsbezogene Rücksichtnahmepflichten im Verhältnis zu verhaltensbezogenen Leistungspflichten Das Modell erfolgsbezogener Rücksichtnahmepflichten hat den entscheidenden Nachteil, dass es nicht in Einklang mit (verhaltensbezogenen) Leistungspflichten gebracht werden kann. Bei diesen besteht Einigkeit, dass ein verhaltensbezogenes Pflichtverletzungsverständnis angezeigt ist.88 Ein erfolgsbezogenes Konzept wäre bei verhaltensbezogenen Leistungspflichten auch schlicht unmöglich, denn diese Fälle weisen de facto keine Verpflichtung zu einem Erfolg auf.89 Es liegt gerade in der Natur bspw. des Dienstvertrages, dass kein Erfolg geschuldet ist. Andernfalls wäre er kein Dienst- sondern ein Werkvertrag. Hierin liegt ein zentraler Unterschied zu den Rücksichtnahmepflichten: Bei Rücksichtnahmepflichten ist eine Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB denkbar, nach der die Vertragspartner einander die Unversehrtheit ihrer Integritätsinteressen als Erfolg schulden. Bei verhaltensbezogenen Leistungspflichten besteht diese Möglichkeit nicht. Die sich ergebenden Konsequenzen sind bei den verhaltensbezogenen Leistungspflichten ähnlich unbefriedigend wie bei den Rücksichtnahmepflichten. Auch bei verhaltensbezogenen Leistungspflichten verschwimmen nämlich Pflichtverletzung und Verschulden zu weiten Teilen. Nichtsdestotrotz ist die Situation aufgrund des Umstandes, dass zweifelsohne kein geschuldeter Erfolg besteht, wohl nicht anders aufzulösen. 88
Siehe oben 1.c) mit entsprechenden Nachweisen. A.A. implizit Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 199 f., die eine ausufernde Haftung von Ärzten, Anwälten etc. befürchtet, wenn an das Ausbleiben eines Erfolgs angeknüpft wird, und deswegen eine teleologische Reduktion der Beweislastumkehr fordert. Vgl. auch Deutsch, JZ 2002, 588, 590 ff. zu der damals – im unmittelbaren Nachgang der Schuldrechtsmodernisierung 2002 – unklaren Frage, was bei der Arzthaftung der Pflichtverletzung und was dem Vertretenmüssen zuzurechnen sei. Siehe auch die Klarstellung zum Eingreifen der Beweislastumkehr in BT-Drs. 17/10488, 28 (Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten, 2012): „Anknüpfungspunkt der Vermutung ist nicht ein ausbleibender Heilungserfolg, sondern vielmehr ein feststehender Behandlungsfehler.“ 89
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Scheidet somit aber ein einheitliches, erfolgsbezogenes Konzept für alle Vertragspflichten aus, so bleibt zu überlegen, ob das Gesamtkonzept noch stimmig ist, wenn man Rücksichtnahmepflichten erfolgsbezogen versteht. Das Gesamtkonzept würde wie folgt aussehen: Erfolgsbezogene Leistungspflichten würden erfolgsbezogen verstanden, verhaltensbezogene Leistungspflichten würden verhaltensbezogen bestimmt und Rücksichtnahmepflichten würden – im Widerspruch zur weitgehend einhelligen Einordnung90 – wiederum erfolgsbezogen verstanden. Dabei zeigen sich allerdings Wertungswidersprüche: Sobald eine verhaltensbezogene Leistungspflicht im Kontext einer Integritätsbeeinträchtigung91 auftritt, wäre dies der Anknüpfungspunkt für eine Pflichtverletzung i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB. Dies hätte zur Konsequenz, dass sich der Leistende betreffend die Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zu entlasten hätte. Die eigentlich zentrale Leistungspflicht, deretwegen kontrahiert wurde, könnte diesen Schritt allerdings nicht nachvollziehen. Vielmehr hätte der Leistungsempfänger ein Außerachtlassen der verkehrserforderlichen Sorgfalt darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Augenfällig ist ein solcher Widerspruch bei einer ärztlichen Behandlung: Aus dem Blickwinkel der Leistungspflicht wäre ein „Misserfolg“ der Behandlung irrelevant. Der Behandlungserfolg ist nicht beherrschbar, die Leistungspflicht des Arztes nur verhaltensbezogen. Derweil würde eine mit der Behandlung einhergehende Beeinträchtigung von Integritätsinteressen des Patienten92 eine Rücksichtnahmepflichtverletzung darstellen. Dafür müsste sich der Arzt entlasten, indem er darlegt, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Das passt nicht zusammen. Besonders kurios wäre ein Urteil, welches ein Gericht im Fall eines non liquet auf Basis der Beweislastverteilung fällen müsste: Der Arzt schuldet keinen Schadensersatz wegen einer Leistungspflichtverletzung, weil nicht klar ist, ob er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Er schuldet aber Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB, weil vermutet wird, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei der Behandlung hat vermissen lassen. Ein solches Ergebnis wäre ersichtlich widersinnig und würde eine Rückausnahme von einem erfolgsbezogenen Verständnis von Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB zumindest in einem solchen Kontext zwingend fordern. Dies erscheint aber vor dem Hintergrund von Rechtsklarheit nicht erstrebenswert, denn dieselbe Norm (§ 241 Abs. 2 BGB) müsste dann abhängig von dem Kontext grundlegend unterschiedlich verstanden werden. 90
Oben 1.c). Inbegriffen wären auch reine Vermögensnachteile, da § 280 Abs. 1 BGB diese – anders als etwa § 823 Abs. 1 BGB – abdeckt. 92 Einer solchen Beeinträchtigung bedarf es für dieses Beispiel. Schlägt eine Behandlung lediglich nicht an, so könnte auch nach einem erfolgsbezogenen Verständnis von Rücksichtnahmepflichten keine Pflichtverletzung angenommen werden. 91
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f) Ergebnis Im Ergebnis ist ein erfolgsbezogenes Verständnis von Rücksichtnahmepflichten zu verwerfen. Der Wortlaut des § 241 Abs. 2 BGB spricht eher für ein verhaltensbezogenes Verständnis; gleiches gilt auch im Hinblick auf die deliktsrechtliche Lehre vom Erfolgsunrecht. Eine historische Auslegung ist zwar unergiebig und die Teleologie der Beweislastumkehr in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB lässt sich durchaus für ein erfolgsbezogenes Verständnis fruchtbar machen. Allerdings zeigen sich durch erfolgsbezogen verstandene Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB Inkonsistenzen im Haftungssystem betreffend verhaltensbezogene Leistungspflichten. Diese zu eliminieren müsste aber zu einem gespaltenen Normverständnis führen, was ohne wirklich zwingende Notwendigkeit und mit Blick auf die dadurch leidende Rechtsklarheit nicht überzeugend wäre. Insgesamt ist es daher vorzuziehen, bei der allgemein akzeptierten Lösung zu bleiben, wonach erfolgsbezogene Leistungspflichten ein erfolgsbezogenes Pflichtverletzungsverständnis nach sich ziehen, andere Pflichten hingegen ein verhaltensbezogenes. Die damit verbundene Aushöhlung der Beweislastumkehr in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ist aus dogmatischer Sicht bedauernswert, aber wohl hinzunehmen. Es wird zu untersuchen sein, ob und gegebenenfalls inwieweit einem Käufer für die Konstellation des unberechtigten Nacherfüllungsverlangens ungeschriebene Beweiserleichterungen zugute kommen, um ein sachgerechtes Gesamtergebnis zu erzielen.93 3. BGH: Pauschale Einordnung als Pflichtverletzung? Nach dem Gesagten müsste für die Geltendmachung nicht bestehender Rechte als potentielle Rücksichtnahmepflichtverletzung Folgendes gelten: Eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn der Prätendent die verkehrserforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.94 Möglicherweise im Widerspruch dazu stehen allerdings insbesondere eine Entscheidung des 5. Senats des BGH aus dem Jahr 200995 (a), sowie eine Entscheidung des 9. Senats aus dem Jahr 201496 (b). a) Entscheidung des 5. Senats aus dem Jahr 2009 Der 5. Senat des BGH hat in seinem Urteil ausgeführt, eine Rücksichtnahmepflichtverletzung liege vor, wenn eine Vertragspartei etwas verlangt, das nach
93
Dazu unten V. So im Grundsatz auch Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 473 f.; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 73; vgl. auch Sutschet, JZ 2008, 637, 639; Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1248 (unter II.) 95 BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262. 96 BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – IX ZR 137/12 = DStRE 2015, 379. 94
28
B. Vertraglicher Schadensersatz
dem Vertrag nicht geschuldet ist.97 Ein Vertretenmüssen für die Pflichtverletzung prüft der Senat anschließend separat. Auf den ersten Blick erscheint dies als ein Bruch mit einem verhaltensbezogenen Pflichtverletzungsverständnis, wäre danach doch bereits die Pflichtverletzung abhängig von einem Sorgfaltsverstoß des Prätendenten.98 Allerdings ist zu bezweifeln, dass der beschriebenen Aussage tatsächlich eine Stellungnahme zu der dogmatischen Einordnung von Rücksichtnahmepflichten entnommen werden kann. Die Formulierung könnte auch schlicht als begrifflich ungenau verstanden werden, ohne dass ihr eine Positionierung bei der Diskussion um ein erfolgs- oder verhaltensbezogenes Verständnis von Rücksichtnahmepflichten zu entnehmen wäre. Für diese Sicht sprechen folgende drei Aspekte. Erstens wird die Einordnung von Rücksichtnahmepflichten in dem Urteil nicht explizit thematisiert. Zu erwarten gewesen wäre dies aber durchaus, denn der BGH wäre mit einem erfolgsbezogenen Verständnis von einer früheren Positionierung abgerückt.99 Zweitens beruft sich die Entscheidung des 5. Senats maßgeblich auf die bereits erwähnte Lichtrufanlagenentscheidung100 des 8. Zivilsenats.101 Dieses Urteil zu einem unberechtigten Nacherfüllungsverlangen hat erstmals Anhaltspunkte für die verkehrserforderliche Sorgfalt in einer solchen Konstellation etabliert.102 Der Lichtrufanlagenentscheidung kann aber gerade keine Aussage dahingehend entnommen werden, dass die unberechtigte Geltendmachung für sich genommen eine Pflichtverletzung darstelle. Vielmehr vermengt der 8. Zivilsenat in der Lichtrufanlagenentscheidung konsequent Pflichtverletzung und Vertretenmüssen. So wird etwa in Rn. 12 ausgeführt: „Nach Ansicht des Senats stellt jedenfalls ein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen nach § 439 Abs. 1 BGB eine zum Schadensersatz verpflichtende schuldhafte Vertragsverletzung dar, wenn der Käufer erkannt oder fahrlässig nicht erkannt hat, dass ein Mangel nicht vorliegt, [...].“103 97
BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 17; darauf Bezug nehmend ebenso BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – IX ZR 137/12 = DStRE 2015, 379, unter II.3. OLG Koblenz, Urteil vom 8. Nov. 2018 – 1 U 601/18, Ls. 1. sowie unter II.1.a. Vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Juli 2016 – III ZR 446/15 = BGHZ 211, 201, Rn. 16; OLG Köln, Beschluss vom 21. Nov. 2011 – 5 U 135/11, Rn. 9; LG Karlsruhe, Urteil vom 16. Dez. 2011 – 14 O 27/11 KfH III, Rn. 117. 98 So interpretiert Hofmann, ZfPW 2018, 152, 158 und 164 die Entscheidung. Zu seiner Kritik daran 167 ff. 99 Explizit etwa BGH, Urteil vom 28. Apr. 2005 – III ZR 399/04 = NJW 2005, 1937, unter 3.; implizit BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 12, wo Pflichtverletzung und Vertretenmüssen konsequent vermengt werden. 100 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147. 101 BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 17. 102 Zu diesem Aspekt der Entscheidung im Detail sogleich unten II.1. 103 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 12, ebenso Pflichtverletzung und Vertretenmüssen vermengend in Rn. 6 und 14, Hervorhebung hinzugefügt.
I. Pflichtverletzung
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Dieser Aussage kann einzig und alleine entnommen werden, dass eine schuldhafte Geltendmachung eines nicht bestehenden Rechts eine Pflichtverletzung darstellt. Somit reiht sich die Lichtrufanlagenentscheidung nahtlos ein in die beschriebene104 Dogmatik verhaltensbezogener Rücksichtnahmepflichten, wonach die verkehrserforderliche Sorgfalt und damit effektiv das Verschulden entscheidend ist für das Bestehen einer Pflichtverletzung. Die Aussage hingegen, alleine in der Geltendmachung eines nicht bestehenden Rechts liege bereits eine Pflichtverletzung, kann – entgegen dem 5. Zivilsenat105 – der Lichtrufanlagenentscheidung nicht entnommen werden. Vor diesem Hintergrund liegt es dann aber nahe, die Formulierung des 5. Senats als missverständliche Wiederholung der Positionen der Lichtrufanlagenentscheidung zu verstehen, nicht hingegen als Aussage des Inhalts, schlechthin jede unberechtigte Geltendmachung eines Rechts stelle eine Pflichtverletzung dar. Gleichwohl enthält das Urteil des 5. Senats aber einen weiteren Ansatzpunkt, der möglicherweise für ein erfolgsbezogenes Verständnis einer Rücksichtnahmepflicht fruchtbar gemacht werden kann. Jenseits der Berufung auf die Lichtrufanlagenentscheidung führt das Gericht zur Begründung nämlich eine eigene Überlegung an: „Wie der Gläubiger von dem Schuldner die uneingeschränkte Herbeiführung des Leistungserfolgs beanspruchen kann, darf der Schuldner von dem Gläubiger erwarten, dass auch er die Grenzen des Vereinbarten einhält.“106 Damit wird die Rücksichtnahmepflicht des Gläubigers in ihrer Ausprägung als Verbot der unberechtigten Geltendmachung von Rechten in gewisser Weise als Gegenstück zur Leistungspflicht des Schuldners konstruiert. Dann liegt aber – je nach Leistungspflicht – auch ein erfolgsbezogenes Verständnis nahe. Ob das tatsächlich so gemeint war, erscheint trotzdem zweifelhaft, da sich der 5. Senat wie beschrieben uneingeschränkt der Lichtrufanlagenentscheidung bedient hat, die eindeutig auf dem Boden eines verhaltensbezogenen Verständnisses steht. Im Übrigen ist die Überlegung sehr kritisch zu sehen107 : Selbst wenn man bei (erfolgsbezogenen) Leistungspflichten mit der überwiegenden Ansicht eine besondere Qualität darin erblicken wollte, dass der Schuldner dieser Pflicht eine „Erfüllungsgarantie“ abgebe108 , so erscheint dies nicht auf die Rücksichtnahmepflicht des Käufers übertragbar zu sein. Nur weil der Schuldner eine Erfüllungsgarantie gibt und damit bereit ist, besonders scharf, d.h. erfolgsbezogen, zu haften, bedeutet dies nicht, dass auch der andere Vertragsteil spiegelbildlich
104
Oben 1. BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 17. 106 BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 17. 107 Ebenso Gsell, ZJS 2009, 187, 189; NK-BGB, § 241 Rn. 57; Bergmann, AcP 211 (2011), 804, 811; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 73; zu den unterschiedlichen Herangehensweisen des BGH bis 2008 und dann ab 2009 siehe auch Thole, AcP 209 (2009), 499, 528 f. 108 Dazu oben 2.c)bb)(1). 105
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B. Vertraglicher Schadensersatz
besonders scharf haften möchte. Die Überlegung einer „Erfüllungsgarantie“ ist aber generell fragwürdig und sollte nicht überstrapaziert werden. Doch auch jenseits einer „Erfüllungsgarantie“ erscheint der Rückschluss des 5. Senats durchaus zweifelhaft. Der Schuldner einer Leistung hat nämlich typischerweise einen Informationsvorsprung gegenüber dem Gläubiger. Allein aus dem Umstand, dass der Schuldner bereit ist, eine bestimmte Leistung zu erbringen, kann geschlossen werden, dass er sich mit Umfang, Voraussetzungen, Durchführbarkeit etc. befasst hat – jedenfalls in einem höheren Maße als der Gläubiger. Möglicherweise bietet er Leistungen dieser Art regelmäßig an und ist deswegen besonders versiert. Weiß aber der Schuldner typischerweise insgesamt mehr über die Verpflichtung, so wird er auch im Hinblick auf deren Umfang und ihre ordnungsgemäße Erfüllung sicherer sein als der Gläubiger. Vor diesem Unterschied ist dann aber zweifelhaft, ob der Schuldner wirklich – wie der 5. Senat meint – „von dem Gläubiger erwarten [darf], dass dieser die Grenzen des Vereinbarten [ganz genauso] einhält“ wie der Schuldner.109 Ein dritter Aspekt, der dafür spricht, den Ausführungen des 5. Senat keine Positionierung bei der dogmatischen Einordnung von Rücksichtnahmepflichten als erfolgs- oder verhaltensbezogen zu entnehmen, besteht in der Konsequenz der Einordnung: Eine praktische Bedeutung hat sie ausschließlich für die Beweislast – konkret für die Anwendbarkeit der Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Stellte alleine die unbegründete Geltendmachung eines Rechts eine Pflichtverletzung dar, so müsste die Beweislast für das Vertretenmüssen (und damit effektiv für die verkehrserforderliche Sorgfalt) auf den Schuldner übergehen. Eine Anwendung der Norm wird allerdings nicht thematisiert. Die Entscheidung aus dem Jahr 2009 wurde auch nicht auf Grundlage der Beweislastverteilung entschieden. Es stand vielmehr fest, dass die verkehrserforderliche Sorgfalt beobachtet worden war110 , sodass die unterschiedlichen Konzepte zu keinem Unterschied geführt hätten. Dieser Umstand spricht letztlich auch dafür, die Aussagen des 5. Senats nicht auf die Goldwaage zu legen. b) Entscheidung des 9. Senats aus dem Jahr 2014 Im letztgenannten Aspekt differiert aber die Entscheidung des 5. Senats von einem jüngeren Urteil des 9. Senats aus dem Jahr 2014. Dort waren im Rahmen einer vertraglichen Beziehung überzogene Honorarforderungen geltend gemacht worden, worin das Gericht – unter Berufung auf das soeben besprochene Urteil aus dem Jahr 2009 – eine Rücksichtnahmepflichtverletzung sah.111 Im Unterschied zu dem älteren Urteil ging der 9. Senat aber von einer Schadensersatzpflicht aus, denn: „Von ihrem gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vermutenden
109
BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 17. BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 21 f. 111 BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – IX ZR 137/12 = DStRE 2015, 379, Rn. 36. 110
I. Pflichtverletzung
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Verschulden hat sie [die Klägerin und vermeintliche Honorargläubigerin] sich jedoch nicht entlastet.“ Die Anwendung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB spricht dabei eine klare Sprache. Wer § 280 Abs. 1 S. 2 BGB anwendet, um dem Schädiger die Beweislast für ein Verschulden aufzubürden, kann nicht von einem verhaltensbezogenen Pflichtverletzungsverständnis ausgehen.112 Zwar liefert das Urteil ansonsten ebenso wenig wie das 2009er-Urteil Anhaltspunkte dafür, dass sich das Gericht über die dogmatische Grundkonzeption Gedanken gemacht hätte. Dies vermag in Anbetracht der klaren Implikation, die sich aus der Anwendung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt, aber kaum Zweifel daran zu begründen, dass die Entscheidung des 9. Senats die Rücksichtnahmepflicht erfolgsbezogen versteht. Zumindest ist dies insofern der Fall als die Geltendmachung nicht bestehender Rechte betroffen ist. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung zu kritisieren. Richtigerweise sind Rücksichtnahmepflichten verhaltensbezogen zu bestimmen113 , sodass Aspekte der verkehrserforderlichen Sorgfalt vom Schadensersatzgläubiger im Rahmen der Pflichtverletzung hätten dargelegt und notfalls bewiesen werden müssen. Für das Eingreifen der Beweislastumkehr nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB fehlte nämlich eine Pflichtverletzung als nötige Tatbestandsvoraussetzung. c) Zusammenfassung zu den Positionen in der Rechtsprechung Die Einordnung von Rücksichtnahmepflichten als erfolgs- oder verhaltensbezogen präsentiert sich in der Rechtsprechung zu unberechtigter Geltendmachung von Rechten als durchaus sonderbar: Die Lichtrufanlagenentscheidung ging 2008 – wenn auch nicht ausdrücklich, sondern implizit – richtigerweise von einem verhaltensbezogenen Verständnis aus. Eine Entscheidung aus 2009 übernimmt inhaltlich die Position der Lichtrufanlagenentscheidung, streut aber eine missverständliche Formulierung ein. Dieser Entscheidung ist m.E. trotzdem ein verhaltensbezogenes Verständnis zu entnehmen. Der Bruch erfolgt 2014, als im Fall einer unberechtigten Geltendmachung einer Forderung die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB angewandt wird. Dieser Entscheidung muss ein erfolgsbezogenes Verständnis entnommen werden. 4. Einordnung in der Literatur Stellungnahmen in der Literatur, konkret zu der Thematik unberechtigter Geltendmachung von Rechten, lassen sich mit Blick auf die Analyse der Pflichtverletzung in zwei Gruppen unterteilen: Die eine Gruppe sieht die Problematik, dass Rücksichtnahmepflichten (richtigerweise) verhaltensbezogen bestimmt 112 Eine Erklärung ist zwar denkbar, angesichts fehlender Ausführungen dazu im Urteil aber konkret fernliegend: Eine grundsätzlich verhaltensbezogene Rücksichtnahmepflicht könnte durch einen Konkretisierungsschritt hin zu der Pflicht präzisiert worden sein, es dürfe niemals ein nicht bestehendes Recht geltend gemacht werden. 113 Oben 2.f).
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B. Vertraglicher Schadensersatz
werden müssen und kritisiert dementsprechend jede pauschale Bejahung einer Rücksichtnahmepflichtverletzung.114 Die andere Gruppe analysiert die Entscheidung(en) unter den verschiedensten Gesichtspunkten, allerdings ohne die beschriebene Problematik bei der Pflichtverletzung zu thematisieren.115 5. Zusammenfassung Rücksichtnahmepflichten werden weitestgehend und richtigerweise verhaltensbezogen verstanden, d.h. bereits Bestehen und Umfang einer Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB sind durch die verkehrserforderliche Sorgfalt bestimmt. Ein alternatives Verständnis, anknüpfend an einen Verletzungserfolg, ist nicht sinnvoll. Jedenfalls ist eine Einordnung des BGH aus dem Jahr 2014, die aufgrund der dort bejahten Beweislastumkehr nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB dahingehend verstanden werden muss, als verfehlt zu kritisieren. II. Die verkehrserforderliche Sorgfalt beim unberechtigten Nacherfüllungsverlangen Sei es nun eine Frage der Pflichtverletzung oder eine solche des Vertretenmüssens: Die zentrale Frage für die Haftung wegen eines unberechtigten Mangelbeseitigungsverlangens ist dieselbe. Entscheidend ist, was der Käufer genau zu tun und damit zu vertreten hat. Der BGH hat 2008 zu dieser Frage einige Aussagen getroffen. Diese sollen zunächst analysiert werden (1.), gefolgt von der Darstellung späterer Urteile (2.) und Stellungnahmen in der Literatur (3.). Die vorgebrachten Argumente sind im Einzelnen zu untersuchen (4.) bevor nach abschließender Stellungnahme ein Ergebnis formuliert werden kann (5.). 1. Aussagen des BGH im Lichtrufanlagenfall Der Lichtrufanlagenfall116 bot dem BGH die Gelegenheit, die Anforderungen an das Vertretenmüssen im Rahmen der Geltendmachung von Nacherfüllung zu umreißen. Die Ausführungen dazu werfen allerdings bei genauerer Betrachtung etliche Fragen auf. 114 Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474; Sutschet, JZ 2008, 637, 639; Gsell, ZJS 2009, 187, 188; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 73 f.; Thole, AcP 209 (2009), 499, 526 ff. (situative Bestimmung der Sorgfaltspflichten); Bergmann, AcP 211 (2011), 804, 811; Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 274; Deckenbrock, NJW 2009, 1247, 1248 (unter II.); Hofmann, ZfPW 2018, 152, 163 f.; eine Pflichtverletzung pauschal verneinend aus anderen Gründen (Abschreckungsgefahr für den Käufer) Majer, ZGS 2008, 209, 210. 115 Lange/Widmann, ZGS 9/2008, 329; Faust, JuS 2008, 746; Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, Rn. 212 f., der gleichwohl zutreffend das Vertretenmüssen des Käufers als entscheidenden Aspekt behandelt; Diehl, zfs 12/2008, 687; Haertlein, MDR 1/2009, 1; Bomsdorf, FD-HGR 2008, 256776. 116 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147.
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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Im Ausgangspunkt konkretisiert der BGH die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB hin zu einer Prüfpflicht des Käufers. Dieser müsse vor der Geltendmachung von Nacherfüllung auf Alternativursachen prüfen, also auf Ursachen für eine Mangelerscheinung, die gerade kein Mangel ist. Verlangt er – wie sich später herausstellt – unberechtigter Weise vom Verkäufer Nacherfüllung, so schulde er dafür nur dann keinen Schadensersatz, wenn er dieser Prüfpflicht Genüge getan habe.117 Diese Prüfpflicht ist keine echte, d.h. klagbare und schadensersatzbewehrte Pflicht (a). Es handelt sich dabei vielmehr um eine Hilfestellung bei der Konkretisierung dessen, was die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einer Unsicherheitssituation gebietet. Es wird dadurch letztlich die verhaltensbezogene Rücksichtnahmepflicht des Käufer im Einzelfall ausgefüllt. Für die Frage, was der Käufer im Einzelnen zu vertreten hat, ist grundlegend der relevante Sorgfaltsmaßstab zu klären. Schuldet der Käufer schlicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt und haftet er folglich für einfache Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB) oder gilt ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab etwa dergestalt, dass der Käufer nur für grobe Fahrlässigkeit haftet (b)? Vor dem Hintergrund des geschuldeten Sorgfaltsmaßstabs kann die vom BGH etablierte Prüfpflicht genauer im Hinblick auf ihren Gegenstand analysiert werden (c). a) Klarstellung: Prüfpflicht als Hilfsfrage bei der verkehrserforderlichen Sorgfalt Die Prüfpflicht, die der BGH in seiner Lichtrufanlagenentscheidung118 entwickelt, ist keine Pflicht im rechtlichen Sinne. Sie ist nicht klagbar und ihre Verletzung an sich ist auch nicht schadensersatzbewehrt. Die Bezeichnung als „Pflicht“119 ist daher etwas unglücklich. Die eigentliche Pflicht, die im Lichtrufanlagenfall verletzt wurde und zur Schadensersatzpflicht der Käuferin führte, war die Pflicht, den Vertragspartner nicht unter Missachtung der verkehrserforderlichen Sorgfalt unberechtigt in Anspruch zu nehmen.120 Die „Prüfpflicht“ hingegen ist m.E. lediglich als Hilfsüberlegung zu verstehen, was die verkehrserforderliche Sorgfalt in einer Unsicherheitssituation gebietet. Sie gebietet es – so der BGH – eine Prüfung auf Alternativursachen vorzunehmen, bevor ein Käufer den Verkäufer zur Nacherfüllung auffordert. Zu diesem Verhalten kann der Käufer ersichtlich nicht gezwungen werden und auch ob der Käufer der Prüfpflicht nachkommt ist für sich genommen irrelevant. 117
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13. BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 12, 13. 119 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 12, 13. 120 Ebenso – vorbehaltlich der oben (I.3.) dargestellten Unklarheiten – spätere Entscheidungen: BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, unter II.2.b)dd)(2); BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – IX ZR 137/12 = DStRE 2015, 379, unter II.3.; OLG Koblenz, Urteil vom 8. Nov. 2018 – 1 U 601/18, Ls. 1. sowie unter II.1.a. 118
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Insoweit ist die „Prüfpflicht“ eher eine Obliegenheit, denn sie bringt dem Käufer gegebenenfalls dann Nachteile, wenn er unberechtigterweise Gewährleistungsrechte eingefordert hat, ohne der „Prüfpflicht“ nachgekommen zu sein.121 Die „Prüfpflicht“ hilft also schlicht bei der inhaltlichen Ausfüllung der (verhaltensbezogenen) Rücksichtnahmepflicht des Käufers. Ist man sich dessen bewusst und vermeidet das Ziehen falscher Schlüsse, so ist die Verwendung der Begrifflichkeit „Prüfpflicht“ meines Erachtens unschädlich. b) Sorgfaltsmaßstab Ausgangspunkt für die Analyse der vom BGH geforderten Prüfpflicht sollte ein Klärung des geschuldeten Sorgfaltsmaßstabes sein. Dem Lichtrufanlagenurteil sind eine Grundaussage zum Sorgfaltsmaßstab (aa) sowie möglicherweise zwei Modifikationen (bb) und cc) zu entnehmen. aa) Ausgangspunkt Der BGH nutzt die allgemeine Fahrlässigkeitsformel des § 276 Abs. 2 BGB, wenn er feststellt, dass die Mangelursache „bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt [habe] erkannt werden können“.122 Im Grundsatz dürfte also der allgemeine Maßstab für das Vertretenmüssen gelten. Ferner muss daraus wohl geschlossen werden, dass der BGH auch die allgemeine, in Rechtsprechung und Lehre entwickelte Fahrlässigkeitsdogmatik für anwendbar hält. Von Relevanz ist dabei insbesondere, dass der BGH keine Einschränkung auf höhere Fahrlässigkeitsgrade vornimmt. Auch die „einfache“ Fahrlässigkeit, das bloße Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt also, ist erfasst.123 Es ist mithin für eine Haftung des Käufers nicht etwa erforderlich, dass sich eine Ursache für eine Mangelerscheinung geradezu aufdrängt. Ohne weitere Bedeutung dürfte die Feststellung des BGH sein, der Käufer müsse „sorgfältig“ auf alternative Ursachen für das Mangelsymptom prüfen.124 Jedes Verhalten im Einklang mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt dürfte „sorgfältig“ sein, sodass wohl nur eine Paraphrasierung des allgemeinen Fahrlässigkeitsstandards vorliegt. Allenfalls dann, wenn man die bloße Erwähnung von „sorgfältig“ als „besonders sorgfältig“ lesen wollte, könnte man zu einer Veränderung des Sorgfaltsmaßstabs gelangen. Eine solche Lesart wäre allerdings nicht überzeugend. Das Urteil enthält keinerlei weitere Aspekte, die eine Veränderung – geschweige denn eine Erhöhung – des Sorgfaltsmaßstabs vermuten lassen. Ab-
121
So etwa Lange/Widmann, ZGS 9/2008, 329, 332; Schwarze, NJW 2015, 3601, 3602. BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 14. 123 So versteht auch Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474 das Urteil. 124 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13; der Formulierung ebenso einen materiellen Gehalt absprechend Lange/Widmann, ZGS 9/2008, 329, 332. 122
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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gesehen davon wäre zu erwarten, dass eine Abkehr vom allgemeinen Standard eine eingehende Begründung erfahren würde. Es ist somit von dem allgemeinen Fahrlässigkeitsmaßstab des Außerachtlassens der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auszugehen. bb) „Im Rahmen seiner Möglichkeiten“ Bei Anwendung allgemeiner Fahrlässigkeitsdogmatik würde der Sorgfaltsmaßstab mit der ganz h.M. objektiv bestimmt.125 § 276 Abs. 2 BGB stellt schließlich auf die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ ab. Relevant wären also nicht Fähigkeiten, Kenntnisse und Sorgfalt des konkreten Käufers selbst, sondern es würde ein durchschnittlicher, redlicher Verkehrsteilnehmer herangezogen. In diesem Zusammenhang nimmt der BGH möglicherweise eine erste Modifikation vor. Er stellt nämlich fest, der Käufer müsse „lediglich im Rahmen seiner Möglichkeiten sorgfältig prüfen [...].“126 Dies lässt zwei Deutungen zu. Entweder möchte der BGH den Sorgfaltsmaßstab tatsächlich subjektivieren („im Rahmen seiner Möglichkeiten“). Dies hätte den – durchaus fragwürdigen – Effekt, dass derjenige Käufer entlastet würde, der mit seinen Fähigkeiten hinter dem durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer zurückbleibt. Ihm würde nicht das Verhalten des durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers abverlangt, sondern nur das, was er selbst „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ leisten kann. Alternativ ließe sich die Aussage des BGH, der Käufer müsse „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ prüfen, schlicht so verstehen, dass nichts Unmögliches getan werden muss. Dies versteht sich aber von selbst. Es spricht daher auf den ersten Blick mehr für das zuerst genannte Verständnis, d.h. für eine Subjektivierung des Fahrlässigkeitsmaßstabs, zumal dieses Verständnis in gewisser Weise in den Kontext passen würde: In Rn. 13 des Urteils beschäftigt sich der BGH nämlich mit dem Bedenken der Revision, Käufer müssten aus Angst davor, Schadensersatz leisten zu müssen, ihre Mängelgewährleistungsrechte so vorsichtig ausüben, dass diese entwertet würden. Es liegt daher eine Interpretation nahe, welche den Käufer entlastet. Ein subjektivierter Sorgfaltsmaßstab würde dieses Ziel auch in gewisser Weise erreichen, weil ein Käufer nur anhand der eigenen Fähigkeiten bewertet würde, nicht hingegen anhand derjenigen eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers. Der Schutzeffekt für den Käufer wäre dennoch denkbar gering: Sobald die Fähigkeiten des konkreten Käufers dem Durchschnitt entsprechen oder ihn übersteigen, wirkt sich die Subjektivierung des Sorgfaltsmaßstabs nicht mehr aus. Nur für den Fall, dass der Käufer mit seinen Fähigkeiten hinter dem Durchschnitt zurückbleibt, bewirkt die Subjektivierung eine Entlastung.
125 Siehe nur BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 72; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 20; Deutsch, FS Henckel, S. 41, 46. 126 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Überzeugend ist dieser Weg nicht. Hielte man es tatsächlich für angebracht, den Käufer davor zu schützen, sich aus Angst vor Schadensersatz seiner Rechte zu begeben, so sollte eine Privilegierung allen Käufern gleichermaßen zugute kommen. Denkbar wäre etwa eine Beschränkung auf einen höheren Fahrlässigkeitsgrad.127 Eine Subjektivierung des Sorgfaltsmaßstabs hingegen bevorzugt nur bestimmte Käufer respektive diskriminiert andere. Dieses Ergebnis ist m.E. nicht sinnvoll. Darüber hinaus bringt eine Subjektivierung des Sorgfaltsmaßstabs weitere Probleme mit sich: Der Verkehr hat keine Informationen über die subjektiven Fähigkeiten eines jeden einzelnen. Er kann sich nur auf den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer einstellen. Umgekehrt soll der Verkehr dann aber auch davon ausgehen dürfen, dass sich Verkehrsteilnehmer entsprechend dieser Durchschnittsanforderungen verhalten. Ein subjektivierter Sorgfaltsmaßstab würde zu Rechtsunsicherheit führen, weil man nicht mit einem bestimmten Verhaltensstandard kalkulieren könnte. Verkehrsteilnehmer müssten, bevor sie Verträge schließen, sich entweder von der Sorgfalt des Vertragspartners überzeugen oder aber blindlings darauf vertrauen, dass er in gewöhnlichem Maße sorgfältig ist. Beides erscheint wenig praktikabel. Hinzutritt die Überlegung, dass eine subjektivierte Form der Fahrlässigkeit dem BGB durchaus bekannt ist und zwar in Gestalt der eigenüblichen Sorgfalt (dilgentia quam in suis), § 277 BGB. Zum einen hätte man einen entsprechenden Verweis erwarten können, hätte der BGH tatsächlich eine Subjektivierung im Sinn gehabt. Zum anderen ist die eigenübliche Sorgfalt nur in sehr wenigen Situationen vom Gesetz angeordnet.128 Es handelt sich dabei immer um besondere Fallgestaltungen, die sich nicht mit der hiesigen vergleichen lassen. Beispielsweise kann der Gegenüber bekannt und deswegen mit seinen Eigenheiten hinzunehmen sein (etwa bei Personengesellschaften, bspw. § 708 BGB), oder der uneigennützig Handelnde soll geschützt werden (§ 690 BGB bei der unentgeltlichen Verwahrung).129 Aus diesen Erwägungen heraus sollte das Urteil nicht als Subjektivierung des Sorgfaltsmaßstabs verstanden werden, sondern als reine Leerformel, dass nichts Unmögliches getan werden muss. Die Formulierung „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ hat somit keine Auswirkung auf den abstrakt anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab.130
127
Dazu insb. unten 3. Für eine Zusammenstellung der Situation siehe beispielsweise BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 277 Rn. 11. 129 Generell dazu BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 277 Rn. 5-7 mit eingehenderer Diskussion des Anwendungsbereichs in Rn. 11-14. 130 Siehe aber unten c) zur Überlegung, inwieweit sich die Formulierung fruchtbar machen lässt bei der Frage, wie die Prüfpflicht des Käufers ganz konkret auszufüllen ist. 128
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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cc) „Keine Fachkenntnis“ Nach allgemeiner Fahrlässigkeitsdogmatik ist der Sorgfaltsmaßstab „gruppentypisch“ zu bestimmen.131 Entscheidend ist der Verkehrskreis, dem der Käufer angehört. Hat dieser Verkehrskreis besondere Sachkenntnis von der Kaufsache (bspw. Kenntnisse von der grundlegenden Funktionsweise), so wäre einem Käufer durchaus mehr abzuverlangen, als bspw. einem Verbraucherkäufer ohne jedes Fachwissen. Diesen Befund stellt der BGH aber möglicherweise mit einer zweiten Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs in Frage: „Da es um den Ausschluss von Ursachen aus seinem eigenen Einflussbereich geht, kommt es entgegen der Auffassung der Revision auf besondere, die Kaufsache betreffende Fachkenntnisse nicht an, über die unter Umständen nur der Verkäufer verfügt.“132 Dies kann erneut in mehrerlei Hinsicht verstanden werden. Erstens könnte der BGH so zu verstehen sein, dass besondere Fachkenntnis auszublenden sei. Jeder Käufer – ohne Ansehen von Fachkenntnissen seines Verkehrskreises und ungeachtet eigenen Sonderwissens – müsse nur die Sorgfalt einer Person an den Tag legen, die keinerlei Fachkenntnis besitzt. Zweitens könnte auch gemeint sein, dass eine besondere Fachkenntnis im Hinblick auf die Kaufsache de facto niemals von Bedeutung sei, weil gerade nicht die Mangelhaftigkeit der Sache zu prüfen sei, sondern Ursachen für das Mangelsymptom aus der Risikosphäre des Käufers auszuschließen seien. Drittens könnte die Aussage eine unglückliche Formulierung sein, der kein Aussagegehalt beizumessen ist. Entgegen dem zweiten Verständnis ist es sehr wohl denkbar, dass besondere Fachkenntnis bezüglich der Kaufsache sich auf die Suche nach Alternativursachen auswirkt. Beispielsweise kann der Funkempfang eines Radios durch das An- oder Abschalten eines anderen Elektrogeräts im selben Raum beeinflusst werden.133 Nur wenn jemand von einer solchen Beeinflussungsmöglichkeit Kenntnis hat, wird er seinen Kühlschrank als Ursache für einen schlechten Radioempfang in Betracht ziehen. In einem solchen Fall schlägt sich Fachkenntnis also sehr wohl bei der Suche nach Alternativursachen für das Mangelsymptom nieder. Möchte der BGH demgegenüber – entsprechend der erstgenannten Lesart – Fachkenntnisse des Käufers bei der Frage nach etwaiger Fahrlässigkeit pauschal ausblenden, so muss gefragt werden, mit welcher Begründung er dies tut. Das einzig denkbare Ziel kann auch hier nur sein, zu verhindern, dem Käufer zu viel abzuverlangen und ihn so aus Angst vor einer Schadensersatzhaftung von der Geltendmachung seiner Ansprüche abzuhalten. 131 BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 73; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 21; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 58 f.; Brox/Walker, SchuldR AT, § 20 Rn. 14. 132 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13. 133 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Elektromagnetische_Vertr%C3%A4glichkeit#Arten_ von_St%C3%B6rungen.html (Aufruf 03.03.2022 23:25 Uhr).
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B. Vertraglicher Schadensersatz
M.E. würde ein Ausblenden von Fachkenntnis einen Käuferschutz aber nicht, bzw. nicht an der richtigen Stelle erreichen, denn die Anforderungen an Fahrlässigkeit sind – wie beschrieben – gruppentypisch zu bestimmen. Ein Verbraucher wird also an dem Verkehrskreis „Verbraucher“ gemessen. Man wird dann keine besondere Fachkenntnis erwarten, sodass in diesem Beispiel bei einer Fahrlässigkeitsprüfung Fachkenntnis ohnedies nicht von Relevanz wäre. Zugute käme die Einschränkung vielmehr nur Angehörigen solcher Verkehrskreise, von denen Fachkenntnis erwartet wird. Dies dürfte typischerweise im b2b-Verhältnis der Fall sein. In solchen Fällen ist aber einerseits ein besonderer Schutz des Käufers nicht unbedingt angezeigt. Andererseits erscheint es nicht unbillig, von einem Angehörigen eines typischerweise fachkundigen Verkehrskreises die Fachkenntnis auch einzufordern. Wie oben bereits ausgeführt, muss sich der Verkehr aus Vertrauensschutzgesichtspunkten heraus auf ein gewisses Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer einstellen können. Außer bei fachkundigen Verkehrskreisen würde sich das Ausblenden von Fachkenntnis freilich immer dann auswirken, wenn ein Käufer Sonderwissen besitzt, er sich mithin von seinem Verkehrskreis abhebt. Nach allgemeiner Fahrlässigkeitsdogmatik ginge dieses Sonderwissen zu seinen Lasten.134 Der BGH scheint den Käufer indes von der Last seines Sonderwissens befreien zu wollen – m.E. auch dies ohne Rechtfertigung. Von einem redlichen Verkehrsteilnehmer muss erwartet werden können, dass er im Verkehr seine (Sonder-)Kenntnisse und (Sonder-)Fähigkeiten einsetzt. Die Aussage des BGH, dass Fachkenntnis nicht relevant sei, ist also in beiden Lesarten, die ihr eine Bedeutung beimessen, zu kritisieren. Sie ist entweder nicht zutreffend oder nicht sinnvoll. Deswegen muss die Aussage des BGH als unglückliche Ausführung ohne Aussagegehalt eingeordnet werden. Es sollte deswegen auch im Hinblick auf Fachkenntnis das in der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik Entwickelte gelten: Besondere Fachkenntnis ist selbstverständlich dann relevant, wenn sie von dem maßgeblichen Verkehrskreis erwartet werden kann. Fachkenntnis ist ferner dann relevant, wenn der Käufer sich von seinem Verkehrskreis dadurch positiv abhebt, dass er besondere Fachkenntnis besitzt. dd) Zwischenergebnis Insgesamt sollten die Ausführungen des BGH im Lichtrufanlagenurteil so verstanden werden, dass es nicht zu einer Modifikation des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs kommt. Auch der Lichtrufanlagenentscheidung zufolge wird ein Käufer also schlicht an der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gemessen. Er haftet für jede Form der Fahrlässigkeit. 134 BGH, Urteil vom 10. Feb. 1987 – VI ZR 68/86 = NJW 1987, 1479; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 21; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 56; kritisch allerdings BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 76.
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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Dies ist für die Lösung derartiger Fälle von zentraler Bedeutung: Es bedeutet nämlich, dass ein Gericht sich die „einfache“135 Frage stellen muss, wie sich ein durchschnittlicher, redlicher Verkehrsteilnehmer im konkreten Fall verhalten hätte. An diesem hypothetischen Verhalten ist das Käuferverhalten im konkreten Fall zu messen. Der Käufer wird nach dem hier vertretenen Verständnis der Lichtrufanlagenentscheidung also gerade nicht gegenüber dem gedachten Durchschnittskäufer privilegiert, wie es bei einer Haftung nur für grobe Fahrlässigkeit der Fall wäre.136 An die Klärung des abstrakten Sorgfaltsmaßstabes kann sich die Analyse anschließen, was genau die verkehrserforderliche Sorgfalt im Einzelfall gebietet, d.h. wie sich ein durchschnittlicher, redlicher Verkehrsteilnehmer im konkreten Fall verhalten hätte. Dies ist selbstverständlich eine Einzelfallentscheidung, wobei die vom BGH etablierte Prüfpflicht allerdings eine wertvolle Hilfestellung bietet. c) Gegenstand der Prüfpflicht Die Anhaltspunkte für die Prüfpflichten sind allerdings in der Lichtrufanlagenentscheidung etwas unklar formuliert. Im Hinblick auf den genauen Gegenstand der Prüfpflicht formuliert der BGH nicht einheitlich. Es finden sich in dem Urteil gleich vier, leicht unterschiedliche Formulierungen. In Rn. 12 am Anfang heißt es: „Nach Ansicht des Senats stellt jedenfalls ein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen nach § 439 Abs. 1 BGB eine zum Schadensersatz verpflichtende schuldhafte Vertragsverletzung dar, wenn der Käufer erkannt oder fahrlässig nicht erkannt hat, dass ein Mangel nicht vorliegt, sondern die Ursache für die von ihm beanstandete Erscheinung in seinem eigenen Verantwortungsbereich liegt.“137 Am Ende der Rn. 12 wird die Situation wie folgt beschrieben: „Die innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses gebotene Rücksichtnahme auf die Interessen der gegnerischen Vertragspartei erfordert deshalb, dass der Käufer vor Inanspruchnahme des Verkäufers im Rahmen seiner Möglichkeiten sorgfältig prüft, ob die in Betracht kommenden Ursachen für das Symptom, hinter dem er einen Mangel vermutet, in seiner eigenen Sphäre liegen.“138 Zu Beginn von Rn. 13 heißt es dann: „[Der Käufer] muss lediglich im Rahmen seiner Möglichkeiten sorgfältig überprüfen, ob sie auf eine Ursache zurückzuführen ist, die nicht dem Verantwortungsbereich des Verkäufers zuzuordnen ist.“139 135
„Einfach“ in dem Sinne, dass diese Herangehensweise dem gesetzlichen Normalfall entspricht und bei jeder Fahrlässigkeitsprüfung praktiziert wird. 136 Das fordern aber Literaturstimmen, siehe explizit Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 280; Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 475. 137 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 12. 138 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 12. 139 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Rn. 13 enthält letztlich gegen Ende noch die Feststellung, es ginge „bei der den Käufer treffenden Prüfungspflicht um den Ausschluss von Ursachen in seinem eigenen Einflussbereich“.140 Danach lassen sich zwei Teilfragen unterscheiden: wonach der Käufer suchen muss einerseits (aa) und welchen Bereich er danach absuchen muss andererseits (bb). aa) Ziel der Prüfpflicht Das Ziel der Prüfpflicht, also die Frage wonach der Käufer suchen muss, geht unmissverständlich – und auch weitgehend identisch formuliert – aus dem Urteil hervor: Der Käufer muss seine Prüfung auf Alternativursachen für das Mangelsymptom richten. Er muss also nach Umständen suchen, welche die Sache als mangelhaft erscheinen lassen, ohne dass sie es wirklich ist. Im zugrundeliegenden Lichtrufanlagenfall wäre diese Ursache die gelöste Steckverbindung zwischen alter und neuer Lichtrufanlage gewesen. Sie war dafür verantwortlich, dass die Anlage nicht wie erhofft funktionierte (Mangelsymptom), ohne dass dies einen Mangel darstellte. Der Käufer muss nach der expliziten Feststellung des BGH indes nicht prüfen, ob die Sache mangelhaft ist.141 bb) Zu untersuchender Bereich Die zweite Teilfrage bereitet ungleich mehr Schwierigkeiten. Hat der Käufer eine mögliche Ursache für das Mangelsymptom gefunden, so muss er sie nach den Ausführungen des BGH wohl einordnen. Er muss sich überlegen, ob die Ursache dem „eigenem Verantwortungsbereich [des Käufers]“, dem „eigenem Einflussbereich [des Käufers]“, der „eigenen Sphäre [des Käufers]“ beziehungsweise „nicht dem Verantwortungsbereich des Verkäufers“ entstammt. Diese Prüfung ist in zweierlei Hinsicht zu kritisieren. Zum einen schaffen die vier verschiedenen Formulierungen erhebliche Unklarheit. Die verwendeten Begriffe sind keine einheitlich definierten Fachtermini, sodass schon unklar ist, was überhaupt gemeint ist. Viel grundlegender ist jedoch, dass weder ein Bedürfnis noch eine Rechtfertigung für eine solche Einordnung besteht.142 Entgegen den Aussagen des BGH muss irrelevant sein, aus welcher Sphäre, aus welchem Verantwortungsbereich etc. die Symptomursache stammt.143 Die Ausgangslage an dieser Stelle ist – zur Erinnerung – die, dass ein Käufer eine Alternativursache für die Mangelerscheinung gefunden hat (bzw. bei Anwendung 140
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13. BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13; zustimmend Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712; Thole, AcP 209 (2009), 499, 540. 142 Ebenfalls kritisch Kaiser, NJW 2008, 1709, 1713 f.; Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474. 143 Ebenso Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474; Lange/Widmann, ZGS 9/2008, 329, 332. 141
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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der gebotenen Sorgfalt gefunden hätte). Diese Ursache für die Mangelerscheinung ist gerade kein Mangel. Der Käufer wusste bzw. hätte also wissen müssen, dass die Sache möglicherweise nicht mangelhaft ist. Ihm kann daher vorgeworfen werden, dass er einen Rechtsbehelf gestützt auf einen Mangel geltend macht, obwohl Anzeichen dafür bestehen, dass gar kein Mangel vorliegt. Es gibt zwar eine Mangelerscheinung, aber diese ist möglicherweise mit einer Ursache zu erklären, die gerade kein Mangel ist. Nun darf es aber keinen Unterschied machen, welcher Sphäre diese Ursache entstammt, denn der Vorwurf an den Käufer stützt sich auf den nicht vorhandenen Mangel und die trotzdem verlangte Mangelbeseitigung.144 Dieser Vorwurf entfällt weder dann, wenn die Symptomursache aus der Sphäre des Käufers stammt, noch wenn sie von einem Dritten herrührt und selbst dann nicht, wenn die Symptomursache aus der Sphäre des Verkäufers stammt, aber eben keinen Mangel darstellt. Zur Erläuterung soll folgender Fall dienen: K kauft von V ein Mobiltelefon, das allerdings keinen Empfang hat. K verlangt Nachbesserung, obwohl (a) er selbst einen Mobiltelefon-Störsender in seinem Garten betreibt (b) sein Nachbar einen großen, gut sichtbaren Turm in seinem Garten errichtet hat mit der Aufschrift „Mobiltelefon-Störsender“ (c) dem V, als er das Mobiltelefon dem K gebracht hat, ein portabler Mobiltelefon-Störsender aus der Tasche gefallen ist und seitdem gut sichtbar mit der Aufschrift „Mobiltelefon-Störsender“ in Ks Garten liegt Fall (a) ist problemlos unter die verschiedenen Formulierungen des BGH zu subsumieren: Der Betrieb eines Störsenders durch den Käufer fällt zweifelsohne in seinen eigenen Verantwortungsbereich, er liegt auch in seinem Einflussbereich, in seiner Sphäre, und er fällt nicht in dem Verantwortungsbereich des Verkäufers. Bereits bei Fall (b) ließe sich hingegen zweifeln, ob ein Einfluss durch Dritte zur Sphäre, zum Verantwortungsbereich oder zum Einflussbereich des Käufers zählt. Umso mehr gilt dies für Fall (c), in dem der Verkäufer selbst die Ursache für das Mangelsymptom gesetzt hat und man bezweifeln mag, dass dies „nicht dem Verantwortungsbereich des Verkäufers“ entstammt. Dabei wird man kaum ernsthaft bestreiten wollen, dass K in keinem der Fälle schadensersatzlos Mangelbeseitigung soll verlangen können. Die Sache erschien zwar mangelhaft, jedes Mal lag dafür aber eine Ursache (jenseits einer Mangelhaftigkeit) auf der Hand. Dann ist aber nicht einzusehen, weshalb dennoch Mangelbeseitigung (schadensersatzlos) soll verlangt werden dürfen. Freilich kann sich in Fall (c) der K an V wenden, allerdings nicht auf Basis von Mangelgewährleistung. V verletzt eine Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn er Störsender bei seinem Vertragspartner hinterlässt und schuldet dafür ggf. Schadensersatz (§ 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB), nicht aber Mangelbeseitigung. 144
Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Man könnte dieses Ergebnis zwar dadurch erreichen, dass man die Sphäre, den Verantwortungsbereich etc. des Käufers so weit versteht, dass alles erfasst ist, wovon der Käufer Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis hat. Die Störsender des Nachbars oder des Verkäufers würden dann ebenso dem Käufer zugerechnet wie seine eigenen. Dann bedürfte es der Einteilung in Bereiche aber überhaupt nicht. Zusammenfassend ist eine Einteilung von Symptomursachen in bestimmte Bereiche nicht angezeigt. Es gibt zum einen keinen dogmatischen Grund dafür. Zum anderen hätte die Einteilung – je nachdem, wie eng oder großzügig man eine solche Einteilung handhaben wollte – sinnlose Ergebnisse zur Folge oder gar keinen Effekt. Eine Einteilung der Symptomursachen nach ihrer Herkunft kann auch nicht mit dem Käuferschutz begründet werden. Der BGH befasst sich zwar mit dem Einwand der Revision, eine weite Prüfpflicht des Käufers könne dazu führen, dass er aus Furcht vor einer Schadensersatzhaftung seine Mängelrechte so vorsichtig ausüben müsse, dass sie faktisch entwertet würden.145 Ob gerade dies der Leitgedanke hinter der Forderung nach Einteilung der Symptomursachen war, ist aber unklar. In jedem Falle wäre es zu kritisieren. Es ist nicht ersichtlich, wie gerade die Einordnung von Alternativursachen in bestimmte Verantwortungsbereiche zu einer Entlastung des Käufers führen kann. cc) Zwischenergebnis Die genaue Position des BGH zum Gegenstand der von ihm geforderten Prüfpflicht ist in Teilen unklar. Klar ist, dass der Käufer vor Geltendmachung von Mängelrechten prüfen muss, ob die Mangelerscheinung eine andere Ursache als einen Mangel hat. Ob die Prüfpflicht auf bestimmte Bereiche beschränkt ist, bleibt ungewiss. M.E. darf keine derartige Beschränkung vorgenommen werden. Der Käufer muss schlicht alles146 auf andere Ursachen (als eine Mangelhaftigkeit) für das Mangelsymptom überprüfen. Wenn er dabei eine solche erkennt oder fahrlässigerweise nicht erkennt, so schuldet er Schadensersatz, wenn er dennoch den Verkäufer zur Mangelbeseitigung auffordert und sich herausstellt, dass die Kaufsache mangelfrei war. d) Zusammenfassung der Position im Lichtrufanlagenfall Nach dem hier beschriebenen Verständnis der Lichtrufanlagenentscheidung gilt also für das Vertretenmüssen Folgendes: Der Käufer wird an dem allgemeinen
145
Vgl. BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13. Gemeint ist alles, was ein Käufer unter Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt überprüfen würde. Zu fragen ist also, was ein durchschnittlicher Vertreter des Verkehrskreises, dem der Käufer angehört, ex ante als geeignet ansehen hätte, das Funktionieren der Kaufsache zu beeinflussen. 146
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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Sorgfaltsmaßstab gemessen. Er schuldet das, was das Gesetz als „im Verkehr erforderlich“ beschreibt und haftet folglich für einfache Fahrlässigkeit. Dabei ist eine Hilfsüberlegung anzustellen: Es ist zu fragen, welche Alternativursachen für das Mangelsymptom ein durchschnittlicher, redlicher Käufer in Betracht gezogen hätte und welche Prüfungen er zur Falsifizierung durchgeführt hätte. Hätten diese Überlegungen und Prüfungen dazu geführt, dass der Käufer die Alternativursache erkannt hätte, so haftet er für sein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen. Hätten die Prüfungen hingegen keine Alternativursache aufgezeigt, so hat der Käufer sein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen nicht zu vertreten147 und er haftet nicht. Demnach schuldet ein Käufer beispielsweise Schadensersatz für ein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen, wenn er übersieht, dass sein Fahrstil im sehr hohen Drehzahlbereich die Ursache für das unschöne Motorengeräusch sein könnte148 und er deswegen ohne jede Überprüfung Nacherfüllung verlangt. Er schuldet ebenso Schadensersatz, wenn er seinen potentiellen Fahrfehler zwar bedenkt, aber nicht adäquat reagiert. Ein vernünftiger Verkehrsteilnehmer würde in einem solchen Fall nämlich den Fahrstil ändern und mit niedrigerer Drehzahl fahren, um so auszuschließen, dass ein Fahrfehler die Ursache ist. Letztlich schuldet der Käufer auch dann Schadensersatz, wenn er zwar den Fahrfehler bedenkt und auch eine Prüfung zur Falsifizierung durchführt, allerdings diese Prüfung selbst unsorgfältig durchführt, indem er beispielsweise nur ganz kurz die Drehzahl reduziert, sodass nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann, ob dies etwas an dem Mangelsymptom geändert hat, oder nicht. 2. Aussagen in späteren Entscheidungen Diese Aussagen der Lichtrufanlagenentscheidung zur verkehrserforderlichen Sorgfalt wurden wenig später – nicht unmittelbar im gewährleistungsrechtlichen Kontext, wohl aber für die allgemeinere Frage der Geltendmachung eines nicht bestehenden Rechts – etwas anders umschrieben. 2009 erläuterte der (5. Senat des) BGH, die Prüfpflicht aus der Lichtrufanlagenentscheidung meine eine „Plausibilitätskontrolle“.149 Der Prätendent lege die verkehrserforderliche Sorgfalt an den Tag, wenn sein Rechtsstandpunkt plausibel sei.150 Diese Formulierung wurde verschiedentlich aufgegriffen.151 Es stellt sich die Frage, ob diese Entscheidungen die Aussagen der Lichtrufanlagenentscheidung lediglich mit anderen Worten wiedergeben, oder ob inhaltliche Unterschiede bestehen. Zu untersuchen ist dies erneut im Hinblick auf zwei 147
Und es liegt auch keine Pflichtverletzung vor, vgl. oben I.5. Beispiel angelehnt an BGH, Urteil vom 2. Juni 2004 – VIII ZR 329/03 = NJW 2004, 2299. 149 BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 20. 150 BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 20. 151 BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – IX ZR 137/12 = DStRE 2015, 379, Rn. 36; OLG Köln, Beschluss vom 21. Nov. 2011 – 5 U 135/11, Rn. 9; LG Karlsruhe, Urteil vom 16. Dez. 2011 – 14 O 27/11 KfH III, Rn. 117. 148
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Aspekte: Stellt die Forderung einer „Plausibilitätskontrolle“ eine Abkehr von der Prüfpflicht als Hilfsüberlegung bei der verkehrserforderlichen Sorgfalt dar (a)? Verändert eine „Plausibilitätskontrolle“ den vom Käufer geschuldeten Sorgfaltsmaßstab bei der Durchführung von Prüfungen (b)? a) Abkehr von einer Prüfpflicht? Die Umschreibung als „Plausibilitätskontrolle“ lässt zwei Deutungen zu. Die erste Deutung ist die einer Abkehr von der Prüfpflicht: Muss sich der Käufer nur Gedanken darüber machen, ob seine Position plausibel ist, so lässt sich dies sprachlich als reine Bestandsaufnahme verstehen, verbunden mit der Überlegung, ob der eigene Standpunkt logisch nachvollziehbar ist. Der Käufer müsste nach diesem Verständnis also nichts aktiv überprüfen, sondern einzig und allein eine gewisse Gedankenleistung erbringen. Ein solches Verständnis ist allerdings aus mehreren Gründen nicht angezeigt. Ein Ausschluss von Prüfpflichten würde eine deutliche Entlastung des Käufers gegenüber der Lichtrufanlagenentscheidung darstellen. Hätte der 5. Senat dies gewollt, so wäre eine entsprechend deutliche Ausführung in dem Urteil zu erwarten gewesen. Eine solche ist nicht erfolgt und dies wiegt umso schwerer, als eine derart verstandene Plausibilitätskontrolle sogar einen gewissen Widerspruch zu der Lichtrufanlagenentscheidung erzeugen würde: Plausibel ist ein Nacherfüllungsverlangen nämlich zunächst einmal dann, wenn man von einem Mangel der Kaufsache ausgeht. Diese (positive, auf den Mangel bezogene) Einschätzung soll nach den Ausführungen des BGH in der Lichtrufanlagenentscheidung aber gerade nicht dem Käufer, sondern dem Verkäufer obliegen.152 Der Käufer soll vielmehr nur in einem negativen Sinne mit dem Ausschluss von Alternativursachen (aus seiner eigenen Sphäre) betraut sein. Hinzu tritt, dass sich keine Rechtfertigung dafür finden lässt, dass ein Käufer keinerlei – also auch keine naheliegenden, unkomplizierten und unaufwendigen – Überprüfungen sollte anstellen müssen. Vielmehr kann anhand der konkret entschiedenen Fälle erklärt werden, weshalb in den Gerichtsurteilen, die eine Plausibilitätskontrolle fordern, kein Fokus auf Prüfpflichten lag: Es handelte sich in den entschiedenen Fällen nämlich nicht um Unklarheiten tatsächlicher Natur, die durch (einfach durchzuführende) Überprüfungen hätten geklärt werden können. Bei der Forderung eines überzogenen Honorars153 , bei einer unberechtigten Schmerzensgeldforderung154 oder einer Zurückweisung von (berechtigten) Zahlungsansprüchen155 waren die tatsächlichen Gegebenheiten klar. Etwaige Prüfungen hätten nichts gebracht – zumindest sofern man die Prüfpflicht nicht auch auf eine (notfalls mit anwaltlicher Hilfe durchgeführte) Rechtsprüfung ausdehnt.156 152
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – IX ZR 137/12 = DStRE 2015, 379. 154 OLG Köln, Beschluss vom 21. Nov. 2011 – 5 U 135/11. 155 LG Karlsruhe, Urteil vom 16. Dez. 2011 – 14 O 27/11 KfH III. 156 Dazu genauer unten III.3. 153
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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Einzig bei einem unberechtigten Rücktritt157 ging es letztlich um die tatsächliche Frage, ob ein Bauträger (der Rücktrittsgegner) treuwidrig die Vertragserfüllung verhindert hatte, indem er abredewidrig keinen Bauantrag gestellt hatte. Im Rahmen einer Prüfpflicht wäre es denkbar, dass ein Vertragspartner dies überprüfen muss, bevor er gestützt auf ein vermutetes treuwidriges Verhalten zurücktritt. Tatsächlich hatte der Vertragspartner in dem Fall aber vor seiner Rücktrittserklärung bei der Baubehörde angefragt, ob Bauanträge gestellt seien. Die Behörde hatte aber (unrichtigerweise) geantwortet, Bauanträge seien von dem Bauträger nicht gestellt worden. Der Vertragspartner hatte also bereits aktive Prüfungen unternommen und auf Basis der behördlichen Auskunft erschien seine Auffassung plausibel. Eine „Plausibilitätskontrolle“ ist aus diesen Gründen nicht als gänzliche Abkehr von einer Prüfpflicht des Käufers zu verstehen. Sinnvoller ist deswegen eine zweite Lesart: Der Käufer muss auch unter einer „Plausibilitätskontrolle“ immer noch etwas kontrollieren, d.h. die Prüfpflichten der Lichtrufanlagenentscheidung bestehen weiter. Allerdings dürfte die Reichweite der Prüfpflicht gegenüber der Lichtrufanlagenentscheidung wohl etwas reduziert sein. Der Käufer muss Alternativursachen ausschließen, er muss aber ein bisschen weniger überprüfen als noch unter der Lichtrufanlagenentscheidung. Für diese Lesart spricht sehr deutlich der Verweis des BGH auf eine Literaturstimme, wonach der Käufer nur eine „Evidenzkontrolle“ anstellen müsse.158 Diese Literaturmeinung vertritt wohl eine dem Umfang nach gegenüber der Lichtrufanlagenentscheidung reduzierte Prüfpflicht.159 Die Begrifflichkeit einer „Plausibilitätskontrolle“ ist dabei m.E. denkbar ungünstig. Sie bringt lediglich einen weiteren, unbestimmten Begriff in die Debatte ein, der für eine Subsumtion im konkreten Fall unbrauchbar sein dürfte. Der Begriff ist insbesondere noch weniger griffig als die im Schrifttum bemühte „Evidenzkontrolle“.160 b) Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs? Nach dem Gesagten ist die „Plausibilitätskontrolle“ eine Umschreibung dessen, was die verkehrserforderliche Sorgfalt in den hier diskutierten Unsicherheitsfällen gebietet. Sie definiert damit die Reichweite der Prüfpflicht, hinterfragt aber nicht den abstrakt gültigen Sorgfaltsmaßstab.
157
BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262. BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 25 mit dem Verweis: „ähnlich“ Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712. 159 Eingehender dazu unten 3. 160 Zur diesbezüglichen Kritik, siehe unten 5. 158
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B. Vertraglicher Schadensersatz
c) Zwischenergebnis Zusammenfassend befindet sich also auch die spätere Rechtsprechung insoweit auf einer Linie mit der Lichtrufanlagenentscheidung, als eine Plausibilitätskontrolle Prüfpflichten nicht ausschließt. Der Umfang der gebotenen Prüfungen dürfte wohl gegenüber der Lichtrufanlagenentscheidung reduziert sein, wobei allerdings durch den Begriff der Plausibilitätskontrolle (auch) keine klaren Konturen geschaffen werden. 3. Aussagen in der Literatur Die Stellungnahmen in der Literatur bieten ein weites Spektrum von der uneingeschränkten Zustimmung zur Lichtrufanlagenentscheidung161 bis zur Verneinung jeglicher Haftung für (auch grob) fahrlässige Nacherfüllungsbegehren162 . Eine Mehrheit hält die vertragliche Haftung des Käufers für möglich, scheint allerdings die Lichtrufanlagenentscheidung als zu streng anzusehen und befürwortet Haftungserleichterungen. Dies zeigt sich entweder in dem Plädoyer für die grobe Fahrlässigkeit als relevantem Haftungsmaßstab163 oder in der inhaltlichen Bestimmung der vom Käufer erwarteten Prüfungen. Im Anschluss an Kaiser164 wird dafür teilweise die Beschreibung „Evidenzkontrolle“ gewählt.165 Auch bei der Forderung, dem Käufer schade nur grobe Fahrlässigkeit, wird allerdings auf Prüfpflichten Bezug genommen166 , was es erschwert, die Positionen voneinander zu unterscheiden. 4. Zentrale Frage: In welcher Gestalt ist eine Entlastung des Käufers angezeigt? Diese Bestandsaufnahme eröffnet zunächst den Blick auf die zentrale Frage, die Frage nämlich, ob und gegebenenfalls in welcher Gestalt ein Käufer zu entlasten ist. Die im Einzelnen vorgebrachten Argumente sollen im Folgenden untersucht und gewürdigt werden. 161
Bomsdorf, FD-HGR 2008, 256776; mit Blick auf den gewählten Sorgfaltsmaßstab auch Thole, AcP 209 (2009), 499, 539 f.; wohl auch Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 275, der dem BGH allerdings darin beipflichtet, es dürften keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. 162 Majer, ZGS 2008, 209, eine Haftung könne sich nur aus § 823 Abs. 2 BGB ergeben, während eine vertragliche Haftung ausscheide. 163 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 279, 296; Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 475; unklar Diehl, zfs 12/2008, 687, 688, der als Maßstab die „Vertretbarkeit“ des Käuferverhaltens fordert. 164 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712. 165 Etwa Jauernig/Stadler, § 280 Rn. 16. 166 Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 473; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 264 ff., der allerdings zum einen Prüfpflichten weitestgehend ablehnt und sie zum anderen – anders als der BGH – wohl als Prüfpflichten im Hinblick auf einen potentiellen Mangel versteht (siehe S. 268).
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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Dem soll eine Klarstellung vorangehen: Sowohl die beschriebene Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs als auch (vom BGH abweichende) Definitionen der Prüfpflichten erscheinen grundsätzlich als gangbare Wege, sollte man Entlastungen des Käufers für angezeigt erachten. Allerdings ist bei deren Kombination ein Schluss zu vermeiden, der nach meinem Dafürhalten in jedem Falle167 zu unsinnigen Ergebnissen führen würde. Wenn man in einem ersten Schritt die Reichweite der Prüfpflicht zwecks Haftungserleichterung reduziert und beispielsweise als reine Evidenzkontrolle versteht, dann ist es nicht angezeigt, dass dem Käufer zusätzlich bei der Durchführung dieser Evidenzkontrolle eine weitere Erleichterung durch eine Modifikation des Verschuldensmaßstabs hin zu nur grober Fahrlässigkeit schadet. Etwas überspitzt ausgedrückt: Erwartet man von einem Käufer lediglich, dass er bei einem möglicherweise defekten Elektrogerät überprüft, ob der Stecker eingesteckt ist, dann sollte er für ein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen haften, wenn er bei dieser Evidenzkontrolle (einfach) fahrlässig den Stecker des Kühlschrankes mit dem ähnlich gestalteten Stecker der Mikrowelle verwechselt. Den Käufer hingegen auch bei Durchführung der – bereits im Umfang beschränkten – Prüfpflichten nur für grobe Fahrlässigkeit haften zu lassen, erscheint als doppelte und wenig sinnvolle Privilegierung. a) Kollision mit Obliegenheiten Eine Entlastung des Käufers wird unter anderem aus einer Gesamtwürdigung des Pflichtengefüges im Kaufrecht abgeleitet.168 Diese Herangehensweise verdient grundsätzlich Zustimmung, denn sinnvollerweise sollte das Idealverhalten eines jeden Käufers widerspruchslos möglich sein: Ein Käufer sollte nicht durch Erfüllung einer Pflicht oder Obliegenheit gegen ein anderes Verhaltensgebot verstoßen. Relevant sind dabei die Obliegenheit des Käufers, dem Verkäufer die Nacherfüllung zu gestatten (aa), sowie unter Umständen die Obliegenheit, „unverzüglich“ zur Nacherfüllung aufzufordern (bb). Allerdings wird zu zeigen sein, dass diese Überlegungen zwar für eine Reichweitenbeschränkung der Prüfpflicht fruchtbar gemacht werden können, nicht hingegen für eine Reduktion des Sorgfaltsmaßstabs. aa) Obliegenheit des Käufers zur Gestattung der Nacherfüllung Derkum beschreibt einen Wertungswiderspruch für den Fall, dass man dem Käufer eine über eine „Evidenzkontrolle“ hinausgehende Prüfpflicht auferlegt.169 Eine solche kollidiere nämlich mit einer Obliegenheit des Käufers, dem Verkäufer
167 D.h. ungeachtet der Frage, ob überhaupt und bis zu welchem Grade eine Entlastung des Käufers angezeigt ist. Dazu sogleich a)-f) und zusammenfassend 5. 168 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 264 ff., 280; in der Sache ebenso Kaiser, NJW 2008, 1709, 1711 f.; Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474. 169 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 266 f.
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die Nacherfüllung zu gestatten.170 Der Widerspruch wird darin gesehen, dass die Mangelerforschung als Teil der Nacherfüllung Aufgabe (und Recht) des Verkäufers sei und der Käufer durch eine eingehende Überprüfung in dieses Recht eingreife.171 Konkret wird dazu ausgeführt, die Obliegenheit zur Gestattung der Nacherfüllung ziele auch darauf ab, dem Verkäufer die Möglichkeit zu verschaffen, sich ein eigenes Bild von der Sachlage zu machen und die gewonnenen Erkenntnisse bei der Entscheidung zu nutzen, ob er dem Nacherfüllungsverlangen entsprechen möchte oder nicht.172 Voraussetzung dafür sei, dass die Situation möglichst unverfälscht bleibe.173 Der beschriebene Widerspruch ist durchaus denkbar: Wenn ein Käufer die Kaufsache in einer Weise untersucht, durch die eine spätere Nacherfüllung durch den Verkäufer erschwert wird, so verletzt der Käufer seine Obliegenheit zur Gestattung der Nacherfüllung. Er kann nämlich analog § 254 Abs. 2 S. 1 BGB an den Zusatzkosten beteiligt werden.174 Dieses Problem wurzelt alleine in der Reichweite der dem Käufer abverlangten Überprüfung. Entsprechend sollte die Auflösung dieses Widerspruchs ebenda anknüpfen: Dem Käufer darf keine Überprüfung abverlangt werden, durch die er auf die Kaufsache so einwirkt, dass eine Nacherfüllung durch den Verkäufer erschwert wird. Soweit dies mit einer „Evidenzkontrolle“ gemeint sein sollte175 , verdient der Ansatz Zustimmung. Diese Reichweitenbeschränkung deckt sich im Übrigen mit dem hier vertretenen Verständnis der Lichtrufanlagenentscheidung. Die dem Käufer abverlangte Prüfung stellt gerade keine Mangelerforschung dar, weil der BGH ausdrücklich (und zu Recht) betont, dass der Käufer nicht zur Prüfung angehalten ist, ob die Fehlfunktion auf einem Sachmangel beruht.176 Der Käufer muss lediglich andere Ursachen (unsachgemäße Handhabung, Störfaktoren aus der Käufersphäre etc.) für die Fehlfunktion ausschließen.177 Schließt der Käufer aber lediglich Alternativursachen aus, so wird er dies regelmäßig nicht dadurch zu erreichen versuchen, dass er den Kaufgegenstand selbst derart „überprüft“, dass der Verkäufer anschließend Probleme bei der Mangelsuche und einer eventuellen Nacherfüllung hat. In der Überlegung, dem Verkäufer müsse ein möglichst unverfälschtes Bild präsentiert werden, ist also zunächst einmal nur ein weiteres Argument für die 170
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 266. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 266 f., 436 f. 172 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 266; mit Verweis auf BGH, Urteil vom 21. Dez. 2005 – VIII ZR 49/05 = NJW 2006, 1195, Rn. 21. 173 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 267. 174 Vgl. Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176 (unter V.) m.w.N. 175 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 264 ff., siehe aber zu dem m.E. verfehlten Schluss hin zu grober Fahrlässigkeit als Sorgfaltsmaßstab S. 280, sowie unten 5. 176 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13. 177 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, LS, Rn. 12, ausführlich dazu oben 1.c). 171
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inhaltliche Begrenzung der Prüfpflicht auf den Ausschluss von Alternativursachen zu sehen. Dieser Ausschluss von Alternativursachen lässt sich mit den angestellten Überlegungen weiter dahingehend präzisieren, dass der Käufer keinen solchen Einfluss auf die Kaufsache nehmen muss/darf, der die Mangelfeststellung durch den Verkäufer beeinträchtigen kann. Die Kaufsache darf mit anderen Worten nicht beschädigt, verbraucht oder anderweitig beeinflusst werden. Am Beispiel einer nicht funktionstüchtigen Maschine darf die Prüfpflicht beispielsweise kein Zerlegen der Maschine durch den Käufer fordern, wenn zu besorgen ist, dass dadurch die Verifizierung oder Falsifizierung eines Mangels durch den Verkäufer erschwert wird. Freilich käme man nach dem hier vertretenen Verständnis der Prüfpflicht von vornherein nicht zu dieser Überlegung, weil es wohl ausgeschlossen sein dürfte, dass das Zerlegen des Kaufgegenstandes ein probates Mittel zum Ausschließen von Alternativursachen ist. Durch eine solche Reichweitenbeschränkung ist der angemahnte Widerspruch mit der Obliegenheit des Käufers zur Gewährung der Nacherfüllung ausgeschlossen. Keine Zustimmung verdient jedenfalls der weitergehende Schluss auf den Sorgfaltsmaßstab: Die „Evidenzkontrolle“ sei (wegen des ansonsten drohenden Wertungswiderspruchs) als grobe Fahrlässigkeit zu definieren.178 Insbesondere verhindere dies den beschriebenen Wertungswiderspruch, weil im Falle von zumindest grob fahrlässigem Verkennen der fehlenden Verantwortlichkeit des Verkäufers die Obliegenheit zum Ermöglichen der Nacherfüllung gar nicht bestünde.179 Dem kann nicht gefolgt werden. Auch bei einfach fahrlässigem Verkennen der fehlenden Verantwortlichkeit des Verkäufers liegt tatsächlich kein Mangel vor und deswegen besteht in Ermangelung eines Nacherfüllungsanspruchs auch keine Obliegenheit, die Nacherfüllung zu ermöglichen. Eine Obliegenheit zur Gewährung der Nacherfüllungsmöglichkeit besteht abhängig von einem Mangel, nicht in Abhängigkeit davon, wie unsorgfältig ein Käufer den Mangel verkennt. Sinnvollerweise ist also einer Kollision von Prüfpflichten mit der Obliegenheit, die Nacherfüllung zu ermöglichen, mit einer inhaltlichen Bestimmung der konkreten Prüfpflicht im Einzelfall zu begegnen, nicht hingegen mit einer Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs bei der Prüfpflicht. bb) Obliegenheit des Käufers zu einem „unverzüglichen“ Nacherfüllungsverlangen Einer ähnlichen Stoßrichtung folgt die Überlegung, dass ein Nacherfüllungsverlangen unverzüglich zu erfolgen habe.180 Grundsätzlich bleibt es einem Käufer zwar unbenommen, seine Rechte zu beliebiger Zeit einzufordern, solange er dies vor der Verjährung tut. Unter Umständen kann ein Zuwarten gleichwohl dem 178
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 280. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 280. 180 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 267.
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Käufer zum Nachteil gereichen. Er kann (ggf. analog) § 254 Abs. 1 BGB an Mehrkosten beteiligt werden, die darauf beruhen, dass ein Nacherfüllungsverlangen schuldhaft verzögert wurde181 , beispielsweise wenn erkennbar war, dass ein Mangel durch ein Zuwarten die Kaufsache weiter beschädigt. In einem solchen Fall müssen sich die Sorgfaltsanforderungen im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB und bei der Frage einer Haftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen im Einklang miteinander befinden. Andernfalls befände sich der Käufer tatsächlich in einem nicht zu rechtfertigenden Dilemma. Dem Ziel, einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, ist allerdings auch hier allein durch eine inhaltliche Bestimmung der Prüfpflicht des Käufers Rechnung zu tragen und es lässt keine Schlussfolgerung im Hinblick auf den bei der Prüfung anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab zu: Wenn der Käufer aufgrund der Umstände des Falles innerhalb kurzer Zeit gehalten ist, den Verkäufer zur Nacherfüllung aufzufordern, so schließt dies sinnvollerweise (nur) aus, dass der Käufer langwierige Prüfungen durchführen muss, die den kurzen Zeitrahmen gerade sprengen würden. Beeinflusst wird also auch durch diese Überlegung die Frage, was genau der Käufer in einem konkreten, zeitkritischen Fall noch prüfen muss. Als Beispiel sei angenommen, die Druckqualität eines verkauften 3D Druckers ist unbefriedigend und der Käufer vermutet entweder, dass eine Düse mangelbehaftet ist oder dass das von ihm verwendete Material zum Drucken eine zu hohe Konzentration der Chemikalie X enthält. Stehen dem Käufer zum Ausschluss der Alternativursache „Chemikalie X“ nun das Schnellprüfverfahren A (Dauer 5 Minuten) und das genauere Prüfverfahren B (Dauer 5 Tage) zur Verfügung, so kann ihm nur das Schnellprüfverfahren abverlangt werden182 , wenn bekannt ist, dass eine mangelhafte Düse nach 3 Tagen verstopfen und zur Beschädigung der gesamten Maschine führen kann. Nicht angezeigt hingegen ist, dass der Käufer sein Prüfverfahren „schlampig“ durchführen darf. b) Wertungen des § 442 BGB Im Rahmen der Diskussion um die an den Käufer zu stellenden Anforderungen wird auf die Norm des § 442 Abs. 1 BGB Bezug genommen.183 Die These ist Folgende: § 442 Abs. 1 BGB entzieht einem Käufer Gewährleistungsrechte, wenn er vor oder bei Vertragsschluss einen Mangel grob fahrlässig verkennt. Bei dieser Regelung sei nun aber – nicht zuletzt durch die europarechtliche Vorgabe und Auslegung durch den EuGH – anerkannt, dass den Käufer keine Überprüfungspflicht bezüglich der Ware treffe (die über das hinaus gehe, was man auch 181
Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176 (unter V.) m.w.N. Unter der Voraussetzung, dass grundsätzlich unter den gegebenen Umständen die Durchführung beider Verfahren der verkehrserforderlichen Sorgfalt entsprächen und deswegen dem Käufer abzuverlangen sind. Vergleiche für die allgemeinen Kriterien, insb. im Hinblick auf Aufwand und Kosten noch unten III.1. 183 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 268 f. 182
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von einem grob fahrlässig Handelnden erwarten muss).184 Diese Wertungen seien auch nach Vertragsschluss weiterhin gültig.185 Die Übergabe der Sache ändere nämlich nichts an der zentralen Frage, ob der Kaufgegenstand im Zeitpunkt des Gefahrübergangs mangelhaft war.186 Im Ergebnis dürften dem Käufer deswegen kaum Prüfpflichten auferlegt werden187 , was effektiv eine Reduktion des Sorgfaltsmaßstabes hin zur groben Fahrlässigkeit bedeute.188 Die Überlegung lässt im Ausgangspunkt zwei Schlüsse zu: zum einen, dass den Käufer dann, wenn grobe Fahrlässigkeit der relevante Sorgfaltsmaßstab sein sollte, keine Prüfpflichten treffen; zum anderen, dass dem Käufer auch in der hier untersuchten Situation der unberechtigten Geltendmachung von Gewährleistungsrechten nur grob fahrlässiges Verhalten schade. Beide Schlüsse sollten meines Erachtens aber nicht gezogen werden. Soweit das Argument zeigen soll, dass dem Käufer keine nennenswerten Prüfpflichten auferlegt werden dürfen, so ist es als petitio principii zu verwerfen. § 442 Abs. 1 BGB befasst sich (nur) mit grober Fahrlässigkeit und darauf baut die Auslegung der Norm auf, dass dem Käufer keine Prüfpflichten aufzuerlegen seien. Ob bei der unberechtigten Geltendmachung von Gewährleistungsrechten allerdings nur grobe Fahrlässigkeit geschuldet ist, ist gerade fraglich. Entsprechend kann auch kein Rückschluss auf Prüfpflichten gezogen werden. Im Übrigen ist die Heranziehung der Wertungen des § 442 Abs. 1 BGB jenseits des zeitlichen Anwendungsbereichs der Norm, also nach Vertragsschluss und insbesondere nach Gefahrübergang, nicht angezeigt, weil die Situationen vor und nach Vertragsschluss nicht vergleichbar sind. § 442 Abs. 1 BGB versagt dem Käufer Gewährleistungsrechte, wenn er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von dem Mangel hatte oder diesen grob fahrlässig verkannt hat. Die Norm soll nach einem Erklärungsansatz einen Anreiz dafür setzen, dass erkennbare Probleme bereits im Vertrag (bspw. durch Beschaffenheitsvereinbarungen im Gegenzug zu einem reduzierten Preis) Berücksichtigung finden und es somit überhaupt nicht zu einem Gewährleistungsfall kommt.189 Nach anderer Auffassung soll die Norm (auch) einem treuwidrigen Verhalten eines Käufers vorbeugen, der ansonsten eine erkannt/einfach erkennbar mangelhafte Sache kauft und sofort Gewährleistungsrechte geltend macht.190 Beide Interpretationen knüpfen in zentraler Weise an den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Nur zu diesem Zeitpunkt ist eine Berücksichtigung im Vertragstext noch möglich und nur Kenntnis/grob fahrlässige Unkenntnis zu diesem Zeitpunkt kann dem Käufer den Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens eintragen. 184
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 268. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 271. 186 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 271. 187 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 268. 188 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 280. 189 Überzeugend Köhler, JZ 1989, 761, 764; BeckOK BGB E59/Faust, § 442 Rn. 2. 190 MünchKomm BGB/Westermann, § 442 Rn. 1.
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Eine Ausdehnung auf die Zeit nach Vertragsschluss erscheint vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll. Darüber hinaus und abseits der zeitlichen Problematik verbietet sich die Heranziehung der Aussagen des § 442 Abs. 1 BGB, weil es sich bei der hier interessierenden Situation richtigerweise um eine inhaltlich anders gelagerte Fragestellung handelt. § 442 Abs. 1 BGB knüpft an die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis eines Mangels an und trifft somit auch nur eine Aussage zur Informationsverantwortlichkeit in dieser Hinsicht. Nach der (zu befürwortenden) Ansicht des BGH191 ist im Kontext eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens aber gerade nicht auf einen Mangel abzustellen. Stattdessen ist der Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Käufers die Kenntnis oder das Kennenmüssen von Alternativursachen.192 Die Informationsverantwortlichkeiten für Mängel und für Alternativursachen sind losgelöst voneinander zu betrachten und lassen keine wechselseitigen Rückschlüsse zu. Die Mangelfreiheit der Kaufsache ist zentrale Schuld des Verkäufers, während es sich bei Alternativursachen um sonstige Einflüsse auf die Kaufsache handelt, die regelmäßig von dem neuen Umfeld der Kaufsache beim Käufer herrühren. Insgesamt lassen sich daher aus § 442 Abs. 1 BGB keine Aussagen für die hier untersuchte Problematik ableiten. c) Prüfpflichten als Suche nach den Mangelursachen Das zuletzt bemühte Argument bedarf noch einer weiteren Stellungnahme. Der BGH geht in seiner Lichtrufanlagenentscheidung davon aus, dass Mängel und Alternativursachen zu trennen sind. Der Verkäufer ist verantwortlich für Mängel; der Käufer ist für Alternativursachen verantwortlich, d.h. für Umstände, die den Kaufgegenstand mangelhaft erscheinen lassen, allerdings aus dem Verantwortungsbereich des Käufers stammen.193 Diese Überlegung setzt aber notwendigerweise voraus, dass der Käufer Mängel und Alternativursachen voneinander abgrenzen muss. Daran wird Kritik geübt: Dem Käufer könne dies nicht abverlangt werden, weil er dann im Ergebnis doch dazu verpflichtet sei, die Mangelursache aufzuspüren.194 Um dies zu umgehen sei in Abweichung von der Lichtrufanlagenentscheidung nur eine Evidenzkontrolle angezeigt.195 Die Prämisse, der Käufer habe durch den Ausschluss von Alternativursachen letztlich die Mangelursache aufzuspüren, halte ich für nicht tragfähig und zwar aus mehreren Gründen. 191
Ausführlich dazu oben 1.c). Zur Problematik der Abgrenzung von Mangelursachen zu Alternativursachen s. Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712 sowie sogleich c). 193 Eingehend zu den Positionen des BGH oben 1. 194 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712. 195 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712. 192
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Erstens dürfte mit „Mangelursache“ wohl die genaue Ursache für den Mangel gemeint sein.196 So verstanden ist der Schluss aber nicht zwingend. Der Ausschluss von Alternativursachen klärt noch lange nicht die genaue Mangelursache. Zur Erläuterung kann der Sachverhalt einer Entscheidung dienen, die unter den Oberbegriff der sog. „Symptomrechtsprechung“197 fällt: In dem Fall waren die möglichen Mangelursachen für Verbrennungsaussetzer eines Pkw-Motors durch Sachverständigengutachten letztlich reduziert worden auf defekte Zündkerzen, Zündspulen, Einspritzventile, mechanische Motordefekte oder Wackelkontakte in der Elektronik.198 Der Käufer hätte, um eine Haftung für ein unbegründetes199 Nacherfüllungsverlangen auszuschließen, entsprechend dem Standard der Lichtrufanlagenentscheidung nach Alternativursachen200 suchen müssen. Konkret hätte der Käufer also beispielsweise eine Betankung mit ungeeignetem Kraftstoff ausschließen müssen oder – falls der Wagen aus irgendwelchen Gründen in einer Werkstatt war – dass dabei Arbeiten an dem Motor ausgeführt wurden. Ein solcher Ausschluss von Alternativursachen klärt aber in keiner Weise die Mangelursache auf. Wenn klar ist, dass der Wagen richtig betankt war, sagt dies nichts darüber, ob eine Zündkerze, eine Zündspule oder ein Einspritzventil für die Verbrennungsaussetzer verantwortlich ist. Sollte, zweitens, mit der genannten Kritik von Kaiser nicht die genaue Mangelursache gemeint sein, sondern lediglich ein Mangel im Allgemeinen, so ist darin aus Wertungsgesichtspunkten kein Problem erkennbar: Richtig ist zwar, dass im Idealfall ein Käufer, der objektiv korrekt und umfassend jegliche Alternativursachen ausschließt, im Umkehrschluss einen Mangel zeigt. Dies wäre aber eher ein „Nebenprodukt“ und würde jedenfalls den Käufer nicht von der Aufgabe entbinden, die Kaufsache auf die ganz konkrete Ursache hin zu untersuchen, um durch deren Beseitigung die Mangelfreiheit herstellen zu können. Dies gilt umso mehr als der Käufer anhand seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten prüft.201 Unabhängig davon, welchen Sorgfaltsmaßstab man bei Prüfpflichten des Käufers anwenden möchte, ist also die Prüfung des Verkäufers eine ganz andere als die des Käufers. 196 Schließlich folgt die beschriebene Aussage von Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712 (unter 5.) einer Thematisierung der Symptomrechtsprechung (unter 3.). 197 Dazu sogleich eingehender unter d). 198 BGH, Urteil vom 3. Sep. 2011 – VIII ZR 266/09 = NJW 2011, 1664, Rn. 14. 199 In dem Fall wäre ein Nacherfüllungsverlangen selbstverständlich ohnedies nie unbegründet gewesen, weil ja gerade ein Mangel vorlag. Dennoch muss hier auf den Zeitpunkt vor einer gerichtlichen Klärung abgestellt werden, zu dem dies noch unklar war. 200 Definiert als Ursachen für die Mangelerscheinung aus der Käufersphäre. Diese sind nicht zu verwechseln mit den in dem Urteil genannten Alternativursachen. Die Terminologie ist dabei zwar ungünstigerweise identisch. Gemeint sind in BGH, Urteil vom 3. Sep. 2011 – VIII ZR 266/09 = NJW 2011, 1664, Rn. 9 allerdings diejenigen potentiellen Ursachen aus der Verkäufer(!)sphäre (defekte Zündkerzen, Zündspulen etc.), die tatsächlich nicht vorliegen. 201 Siehe dazu zum einen die Ausführungen zur Lichtrufanlagenentscheidung oben 1.b) und zum anderen sogleich 5.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Zusammenfassend stellt m.E. die Forderung des BGH in der Lichtrufanlagenentscheidung kein Problem dar im Hinblick darauf, dass der Käufer über Gebühr an einer Mangelerforschung beteiligt würde. d) Parallelen zur Symptomrechtsprechung Im Rahmen der Diskussion über den korrekten Sorgfaltsmaßstab bei Prüfpflichten wird verschiedentlich mit der sog. Symptomrechtsprechung des BGH argumentiert.202 Deren genauer Inhalt ist teilweise unklar und soll an dieser Stelle nur insoweit behandelt werden, als er für die hiesige Frage relevant ist.203 Es geht vorwiegend darum, welche Anforderungen an ein korrektes Nacherfüllungsverlangen, an die prozessuale Darlegung eines Mangels und an den später im Prozess gegebenenfalls nötigen Beweis eines Mangels zu stellen sind. Klar ist, dass es für ein korrektes Nacherfüllungsverlangen sowie für die prozessuale Darlegung eines Mangels genügt, dass ein Werkbesteller oder Käufer die Symptome eines Mangels bezeichnet.204 Er muss hingegen nicht die genaue Ursache nennen. Ein Käufer muss also beschreiben, dass der Motor seines Wagens Verbrennungsaussetzer hat; er muss hingegen nicht defekte Zündkerzen, Zündspulen, Einspritzventile, mechanische Motordefekte oder Wackelkontakte in der Elektronik als Ursache benennen.205 Weniger klar scheint demgegenüber die Frage, ob sich diese Symptomrechtsprechung auch auf der Beweisebene auswirkt mit der Konsequenz, dass grundsätzlich der Nachweis eines Symptoms genügt für den Beweis eines Mangels.206 Wäre dem so, so läge darin tatsächlich ein starkes Argument dafür, den Käufer wenn nicht ganz, so doch weitestgehend von Prüfpflichten zu entbinden oder den Sorgfaltsmaßstab radikal zugunsten des Käufers zu verändern: Wenn nämlich die Beschreibung eines Mangelsymptoms sogar für den Beweis eines Mangels genügen würde, dann wäre es widersinnig den Käufer für etwaige unterlassene Prüfungen im Vorfeld eines Nacherfüllungsverlangens haften zu lassen. So ist die Symptomrechtsprechung des BGH allerdings nicht zu verstehen. Bei der soeben in Bezug genommenen Entscheidung des BGH vom 3.9.2011 war der Fall so gelagert, dass die Ursache für die Probleme zweifelsfrei in der Kaufsa-
202 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 276 ff. 203 Siehe für einen Überblick etwa BeckOGK BGB 2021/Kober, § 634 Rn. 868 ff. 204 St. Rspr., siehe nur BGH, Urteil vom 3. Dez. 1998 – VII ZR 405/97 = NJW 1999, 1330, 1331 zum Werkvertragsrecht; zum Kaufrecht siehe etwa BGH, Urteil vom 3. Sep. 2011 – VIII ZR 266/09 = NJW 2011, 1664; OLG Hamm, Urteil vom 12. Mai 2009 – 28 U 42/09 = NJW-RR 2009, 1718. 205 BGH, Urteil vom 3. Sep. 2011 – VIII ZR 266/09 = NJW 2011, 1664, Rn. 14. 206 So wohl Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 276 mit Verweis auf: BGH, Urteil vom 3. Sep. 2011 – VIII ZR 266/09 = NJW 2011, 1664.
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che begründet waren.207 Eine unsachgemäße Behandlung durch den Käufer war nach den Ausführungen des BGH ausgeschlossen.208 Dem Käufer wurde also lediglich erlassen, aus mehreren in Betracht kommenden Ursachen die für den Mangel verantwortliche zu benennen. Dem Käufer wurde hingegen nicht gestattet, durch Beschreibung von Mangelsymptomen einen Mangel zu beweisen. Einer Interpretation der Symptomrechtsprechung, wonach diese die Grundwertung zum Ausdruck bringe, dass die Feststellung der Störungsursache zunächst allein dem möglicherweise zur Nacherfüllung verpflichteten Verkäufer obliege209 , ist deswegen entgegenzutreten. Im Gegenteil stützt die beschriebene Symptomrechtsprechung in gewisser Weise die hier befürwortete Lösung, da sie sich mit der Lichtrufanlagenentscheidung zu einem stimmigen Gesamtbild fügt. Soweit der BGH den Beweis eines Mangels dann als erbracht ansieht, wenn eine Fehlfunktion allein in der Kaufsache begründet liegen kann, wenn – mit anderen Worten – Alternativursachen ausgeschlossen sind, so passt dies zu der Lichtrufanlagenentscheidung: Dort soll ebenfalls der Ausschluss von Alternativursachen über eine Haftung des Käufers entscheiden. Sowohl beim Beweis im Prozess, als auch für das vorprozessuale Verhalten wird der „Aufgabenbereich“ des Käufers also ähnlich abgesteckt. Mit Blick auf die BGH-Ausführungen zum Beweis eines Mangels kann also kein Rückschluss auf den relevanten Sorgfaltsmaßstab bei Prüfpflichten des Käufers gezogen werden. Soweit die Symptomrechtsprechung (niedrige) Anforderungen an ein korrektes Nacherfüllungsverlangen oder die schlüssige Darlegung im Prozess aufstellt, lässt dies meines Erachtens prinzipiell keinen Rückschluss zu im Hinblick auf die hier interessierenden Prüfpflichten.210 Beides hat nichts miteinander zu tun und muss sich nicht wechselseitig beeinflussen. Es spricht also mit anderen Worten nichts dagegen, dass ein Käufer durch bloße Symptombeschreibung ein korrektes211 Nacherfüllungsverlangen ausspricht, während er sich trotzdem einer Haftung aussetzt, falls doch erkennbare Alternativursachen bestanden haben und sich die Mangelvermutung zerschlägt. Zusammenfassend kann deswegen die sog. Symptomrechtsprechung nicht für die Frage fruchtbar gemacht werden, an welchem Sorgfaltsmaßstab ein Käufer hinsichtlich etwaiger Prüfpflichten gemessen wird.
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Den Umstand, dass die Kaufsache unstreitig mangelhaft war, betont auch Artz, ZJS 2/2011,
166. 208
BGH, Urteil vom 3. Sep. 2011 – VIII ZR 266/09 = NJW 2011, 1664, Rn. 14. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 278. 210 A.A. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 276 f. 211 Also ein solches Nacherfüllungsverlangen, welches – sofern ein Mangel vorliegt – einen Nacherfüllungsanspruch fällig stellt. 209
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e) Einseitige Verteilung des Unsicherheitsrisikos zu Lasten des Käufers Ein weiteres Argument arbeitet mit einer Einschätzung des Unsicherheitsrisikos: Das Recht zur zweiten Andienung führe in Kombination mit weitreichenden Prüfpflichten dazu, dass die Unsicherheiten „einseitig zu Lasten des Käufers“212 gingen. Deswegen sei nicht der einfache Fahrlässigkeitsmaßstab, sondern nur grobe Fahrlässigkeit (eine bloße Evidenzkontrolle) angezeigt.213 Auch bei dieser Stellungnahme ist nicht klar, ob sie letztlich auf eine inhaltliche Beschränkung der Prüfpflichten abzielt oder auf eine Modifikation des Sorgfaltsmaßstabes im engeren Sinne. Die Feststellung, dass „weitreichende Prüfpflichten“214 Ursache des Problems seien, spricht eher für eine inhaltliche Beschränkung. Insoweit würde sich die Ansicht mit der hier vertretenen Lösung decken. Unabhängig davon, welche Schlüsse gezogen werden, ist aber die Prämisse, die Unsicherheitssituation gehe bei weitreichenden Prüfpflichten zu Lasten des Käufers, meines Erachtens verfehlt. Korrekt und nicht zu kritisieren wäre die Aussage, dass weitreichende Prüfpflichten den Käufer einen größeren Teil des Unsicherheitsrisikos tragen lassen, als inhaltlich weniger weitreichende Prüfpflichten dies tun. Diese Aussage würde unweigerlich in die Diskussion münden, welche Lösung in der gegebenen Situation angemessen ist. Davon unterscheidet sich aber die Aussage, die weitreichenden Prüfpflichten ließen – im Zusammenspiel mit dem Recht zur zweiten Andienung – die Unsicherheiten einseitig zu Lasten des Käufers gehen. Dies stimmt m.E. nicht und bedarf vor allem deswegen einer dezidierten Klarstellung, weil es die Gefahr birgt, die Diskussion voreingenommen zugunsten des Käufers zu betrachten. Eine pauschale Aussage darüber, zu wessen Lasten die Unsicherheitssituation gehe, ist nicht sinnvoll möglich (aa). Des weiteren ist bei genauerem Hinsehen das Recht zur zweiten Andienung in der vorliegenden Situation nicht entscheidend (bb). aa) Unsicherheitsrisiko Eine pauschale Aussage darüber, zu wessen Lasten die Unsicherheiten gehen, ist hier nicht sinnvoll möglich. Die Beantwortung dieser Frage würde es erfordern, dass das Unsicherheitsrisiko quantifizierbar wäre. Dies ist es aber nicht und eine sinnvolle Aussage über die Verteilung des Unsicherheitsrisikos ist deswegen nicht möglich. Das „Unsicherheitsrisko“ bezüglich eines Mangels ist als Begriff soweit ersichtlich bislang nicht definiert worden. Allerdings dürften wenig Zweifel daran 212 Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474; ähnlich, wenngleich nicht speziell auf die Unsicherheitssituation gemünzt Kaiser, NJW 2008, 1709, 1710 („Käuferfalle“); Oechsler, Vertragliche Schuldverhältnisse, Rn. 213 („Pflichtendilemma“). 213 Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474. 214 Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474.
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bestehen, dass es dabei schlicht um Kosten für die Sachverhaltsaufklärung geht, die einer Partei auferlegt werden können respektive für die sie keinen Ersatz bei der anderen Partei verlangen kann. Im hiesigen Kontext kommen für die Sachverhaltsaufklärung zwei Kostenpunkte in Betracht: erstens Kosten beim Käufer für die Prüfungen entsprechend der Lichtrufanlagenentscheidung; zweitens Kosten beim Verkäufer für die Untersuchung auf ein Nacherfüllungsverlangen hin. Diese Posten lassen sich im Hinblick auf ihre Ersatzfähigkeit und abhängig davon, ob sich ein Mangel bewahrheitet, wie folgt einordnen:
Kosten bei K für die Prüfung Kosten bei V für die Untersuchung
Sache tats. mangelhaft
Sache tats. mangelfrei
nicht ersatzfähig
nicht ersatzfähig
nicht ersatzfähig
ersatzfähig von K, wenn K fahrlässig oder grob fahrlässig war
Diese Gegenüberstellung legt einen Trugschluss nahe. Richtig ist zwar, dass der Käufer seine Prüfkosten nicht ersetzt verlangen kann, auch dann nicht, wenn sich der Mangel bewahrheitet.215 Im Gegensatz dazu kann der Verkäufer im Fall der Mangelfreiheit und im Fall eines Verschuldens des Käufers die Untersuchungskosten im Wege des Schadensersatzes liquidieren. Insofern lässt sich formulieren, der Käufer trage einen „festen“ Anteil des Unsicherheitsrisikos, wenn er sich an die Vorgaben der Lichtrufanlagenentscheidung hält. Ob dies aber einen überwiegenden Teil des Unsicherheitsrisikos darstellt, lässt sich daraus nicht ableiten. Dazu wäre es nötig, das Unsicherheitsrisiko abstrakt zu quantifizieren, was nicht gelingt. Nötig wären nämlich sowohl eine abstrakte Mangelwahrscheinlichkeit216 als auch die Höhe der beim Käufer217 beziehungsweise beim Verkäufer218 entstehenden Kosten. Diese Größen sind nicht bekannt und deswegen kann auch kein Vergleich erfolgen, welche Partei abstrakt das größere Unsicherheitsrisiko trägt. Eine solche abstrakte Einschätzung wäre aber m.E. zwingend notwendig, um eine generelle Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs zu begründen. Zusammenfassend ist die Einschätzung, Unsicherheiten gingen „einseitig zu Lasten des Käufers“219 nicht tragfähig und dementsprechend kann darauf auch kein Rückschluss für den anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab gestützt werden. 215
Dazu im Detail unten III.1.b)bb)(1). Beispiel: „Kaufsachen sind mit einer 30%igen Wahrscheinlichkeit mangelhaft“. 217 Beispiel: „Prüfkosten schlagen im Mittel mit 20 e zu Buche“. 218 Beispiel: „Untersuchungskosten schlagen im Mittel mit 300 e zu Buche“. 219 Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474. 216
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B. Vertraglicher Schadensersatz
bb) Zusammenspiel mit dem Recht zur zweiten Andienung Abseits dieser Probleme überhaupt eine Aussage darüber treffen zu können, zu wessen Lasten die Unsicherheitssituation geht, bedarf folgender Punkt einer Klarstellung: Das Zusammenspiel mit dem Recht zur zweiten Andienung hat damit nichts zu tun.220 Dem dies behauptenden Argument dürfte wohl die Vorstellung zugrunde liegen, dass die Prüfpflichten des Käufers etwas verlangen, was eigentlich dem Aufgabenbereich des Verkäufers zugeschrieben ist, sodass die Selbstvornahmerechtsprechung negative Folgen für den Käufer zeitigt. Nur so ist ein Zusammenspiel überhaupt denkbar. Diese Situation tritt aber nach hier vertretenem Verständnis der Lichtrufanlagenentscheidung und nach hier vertretener Ansicht bereits deswegen nicht ein, weil sich die Prüfpflichten immer nur auf Alternativursachen beziehen.221 Aber selbst wenn man die Prüfpflichten als inhaltlich weitergehend verstehen wollte, so ergäbe sich bei genauerer Analyse trotzdem kein Problem, weil dem Käufer keine besonderen Nachteile entstünden. Die denkbaren Konstellationen wären folgende: Erstens besteht die Möglichkeit, dass der Käufer durch seine Prüfpflichten eine spätere Untersuchung durch den Verkäufer erschwert und dieser ihn analog § 254 Abs. 2 S. 1 BGB an den erhöhten Kosten beteiligen möchte.222 Dies wäre aber unbegründet, weil dem Käufer die Prüfung solange zu keinem Verschuldensvorwurf gereichen kann, wie er sich im Rahmen der erforderlichen Prüfung bewegt. Erst wenn er schuldhaft über die geforderte Prüfung hinausgeht oder dabei einen Fehler macht, der zu Mehrkosten beim Verkäufer führt, ist eine entsprechende Beteiligung an den Kosten denkbar. Dann hängt diese Frage aber an einem Verschulden des Käufers und nicht an einem Zusammenspiel von Prüfpflichten mit der Selbstvornahmerechtsprechung. Zweitens wäre es denkbar, dass der Käufer durch die geforderten Prüfungen im Zuständigkeitsbereich des Verkäufers „wildert“, wenn er bspw. die Mangelursache ergründet, und ihm dabei Kosten entstehen. Wären diese Kosten nicht ersatzfähig, weil sie als Selbstvornahme qualifiziert würden, dann würde dies in der Tat dazu führen, dass die Unsicherheitssituation insoweit mehr zu Lasten des Käufers ginge. Dieses Problem wurzelt dann aber gar nicht mehr in dem bei der Überprüfung anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab, sondern erneut in der Reichweite der geschuldeten Prüfpflicht. Auch eine Anwendung nur grober Fahrlässigkeit 220
Das Recht zur zweiten Andienung und damit verbunden die Obliegenheit, (unter Umständen) zügig ein Nacherfüllungsverlangen auszusprechen und Gelegenheit zur Nacherfüllung zu geben, baut möglicherweise einen gewissen Druck auf (dazu sogleich unten f) – dies ist aber eine andere Frage, als diejenige nach der Verteilung des Unsicherheitsrisikos. A.A. aber Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474. 221 Dazu ausführlich oben 1.c) und zur ähnlichen Diskussion im Kontext der befürchteten Kollision mit Obliegenheiten oben a). 222 Vgl. zu dieser Folge der Selbstvornahmerechtsprechung etwa Lorenz, NJW 2006, 1175, 1176 (unter V.) m.w.N.
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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als relevantem Maßstab bei den Prüfpflichten vermag diese Situation nicht zu verhindern. Zusammenfassend ist festzuhalten: Eine pauschale Einordnung, zu wessen Lasten die Unsicherheitssituation geht, lässt sich nicht treffen. Entsprechend verbieten sich darauf gestützte Schlüsse. f) Abschreckungspotential und „Käuferfalle“ Zentraler Beweggrund für die Forderung nach einem modifizierten Sorgfaltsmaßstab dürfte sein, was Kaiser bildhaft als „Käuferfalle“223 beschreibt: Das Verkäuferrecht zur zweiten Andienung führe dazu, dass der Käufer einerseits dem Verkäufer Gelegenheit zur Nacherfüllung geben muss, um für den Fall eines Mangels nicht selbst die Konsequenzen tragen zu müssen. Gleichzeitig führe die vertragliche Schadensersatzhaftung nach der Lichtrufanlagenentscheidung gegebenenfalls zu negativen Konsequenzen, wenn sich die Sache als mangelfrei herausstellt. Als problematisch wird ein mit der „Käuferfalle“ einhergehendes Abschreckungspotential angesehen. Es stehe zu besorgen, dass Käufer aus Angst vor dem Haftungsrisiko davon absehen, Mängelrechte geltend zu machen.224 Ob diese Sorge berechtigt ist und ob sie als Basis für eine Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs herhalten kann, ist zu bezweifeln. Der Versuch einer Einschätzung, wie sich ein Käufer typischerweise in Anbetracht bestimmter Gegebenheiten verhalten könnte, birgt naturgemäß ein sehr hohes Unsicherheitsrisiko. Soweit ersichtlich fehlt den dahingehenden Einschätzungen bislang eine belastbare empirische Basis. Es ließe sich allenfalls ein Vergleich mit der Kostenbelastung bei Gerichtsverfahren ziehen. Dazu existiert eine forsa-Umfrage im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. aus dem Jahr 2015, die sich mit dem Abschreckungspotential von Prozesskosten beschäftigt hat.225 Dort gaben 46% der 1012 Befragten an, dass sie von einem Prozess absehen würden, wenn die (erwarteten) Kosten die Forderung übersteigen. Gleichwohl dürfte auch dieser Wert allenfalls als ganz grobe Orientierung herhalten können, soweit ein außerprozessuales Haftungsrisiko bewertet werden soll. Neben den reinen Kosten erscheint es naheliegend, dass bei Gerichtsverfahren sich ein besonderer Abschreckungseffekt durch das institutionalisierte Verfahren und die damit verbundenen sonstigen Belastungen, insb. die Verfahrensdauer, die Suche nach einem Anwalt, Vorbereitung des Prozesses etc., einstellt. 223
Kaiser, NJW 2008, 1709, 1710. Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 50; Majer, ZGS 2008, 209; zum Ganzen auch Thole, AcP 209 (2009), 499; Hofmann, ZfPW 2018, 152. 225 Ausgewählte Umfragergebnisse einsehbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/9642/ 43dbc5791ba4b035bf0d613fd6dc7870 / download - 211493742 - data . pdf, dort Seite 3 (Aufruf 11.03.2022 21:34 Uhr). Siehe generell zu Auswirkungen von Prozesskosten (also nicht primär der hier untersuchten Haftungsrisiken) aus juristischer Perspektive auch Bokelmann, ZRP 1973, 164, 164 f. m.w.N. 224
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Als Anhaltspunkt für die Verfahrensdauer: Das Institut für Demoskopie Allensbach führt seit 2010 im Auftrag der ROLAND Rechtsschutz-Versicherungs-AG eine Befragung durch, welche die öffentliche Meinung zum deutschen Rechtssystem betrifft. Dabei wurde die Einschätzung, Gerichtsverfahren würden zu lange dauern, in 7 Befragungen zwischen 2010 und 2020 jeweils von 74-88% der Befragten geteilt.226 Vor diesem Hintergrund dürfte aber generell aus Umfragen zu Gerichtsverfahren wenig für die hier interessierende Frage abzuleiten sein, wie abschreckend Haftungsrisiken im vorprozessualen Bereich sind. Dann fußt das Argument aber wohl weitgehend auf dem Versuch, das Verhalten eines durchschnittlichen, logisch denkenden, vernünftigen Käufers nachzuempfinden. Bei diesem Gedankenexperiment ist aber schon unklar, welcher Kenntnishorizont zugrundezulegen ist: Hat der Käufer genaue Kenntnis von der Rechtslage inklusive der Rechtsprechung zum Recht zur zweiten Andienung und zum unberechtigten Nacherfüllungsverlangen? Wenn nicht, wie unvollständig oder verfälscht ist die Warte des Käufers? Wenn diese Warte unvollständig oder verfälscht ist, kann dann die hypothetische Entscheidung, von der Geltendmachung von Gewährleistungsrechten abzusehen, überhaupt relevant sein? Meines Erachtens muss ein korrektes, wenn auch laienhaftes Verständnis der Rechtslage zugrunde gelegt werden, andernfalls entgleitet die Überlegung in reine Spekulation227 und etwaige daraus gezogene Schlüsse sind nicht belastbar. Auf dieser Basis kann die Überlegung nur wie folgt aussehen: Der Käufer ist sich bewusst, dass er den Verkäufer zur Nacherfüllung auffordern muss, wenn er aus einem Mangel Gewährleistungsrechte herleiten möchte. Ebenso weiß er, dass er haftet, wenn er zu Unrecht Nacherfüllung verlangt – dies aber nur dann, wenn er die Sachlage (einfach) fahrlässig verkennt. Fahrlässigkeit dürfte auch für den juristischen Laien mit der verkehrserforderlichen Sorgfalt verknüpft sein, mit anderen Worten also damit „was man eben in einer solchen Situation so macht“. Wenn ein Käufer aber diese Überlegung anstellt, dann sollte die Abschreckungsgefahr eher gering sein, weil sich die wenigsten als unterdurchschnittlich sorgfältig ansehen dürften. Nicht aus dem Blick verlieren sollte man dabei auch, dass die Haftung für (einfache) Fahrlässigkeit nun einmal der gesetzliche Normalfall in § 276 Abs. 1, 2 BGB ist. Jeder Verkehrsteilnehmer muss sich in seinem tagtäglichen Verhalten an
226 Ausgewählte Umfrageergebnisse einsehbar unter https://www.roland-rechtsschutz.de/ media/roland-rechtsschutz/pdf-rr/042-presse-pressemitteilungen/roland-rechtsreport/roland_ rechtsreport_2021.pdf, dort Seite 17 (Aufruf 11.03.2022 21:35 Uhr). 227 Denkbar wäre es allenfalls, eine Unklarheit in der Rechtslage für das Argument zu bemühen, ein Käufer müsse wegen der Unklarheit dieses oder jenes falsche Verständnis haben. Dies würde dem hier diskutierten Argument aber erstens eine ganz andere Dimension verleihen, zweitens bestehen dafür hier keine Anhaltspunkte und drittens müsste die zu ziehende Konsequenz primär die sein, die Unklarheit zu beseitigen.
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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der verkehrserforderlichen Sorgfalt ausrichten.228 Versäumt er dies, so haftet er für dadurch verursachte Schäden – nicht nur vertraglich sondern auch deliktisch. Vor diesem Hintergrund kann eine Besonderheit der hier diskutierten Situation allein in dem Umstand liegen, dass der Käufer dem Verkäufer zügig Gelegenheit zur Nacherfüllung geben muss und dadurch vermeintlich einem ganz besonderen Druck ausgesetzt ist. Dieser „Druck“ unterscheidet sich meines Erachtens aber nicht demjenigen in anderen Situationen: Abstrahiert besehen ist die Lage schlicht so, dass ein Verkehrsteilnehmer unter einem Verhaltensgebot steht und gleichzeitig eine Haftung befürchten muss, wenn er dabei fahrlässig einen Fehler macht. Solche Situationen sind nichts Außergewöhnliches. Ein Grundstückseigentümer ist aufgrund seiner Verkehrssicherungspflicht dazu gezwungen, Gefahren zu beseitigen, die von seinem Grundstück beispielsweise durch Bäume ausgehen, die umzustürzen drohen. An einem Samstagabend im April nach einem Sturm bemerkt der Eigentümer einen vermeintlich gehobenen Wurzelbereich um eine Waldkiefer auf seinem Berliner Grundstück. Er befürchtet, dass der Baum jederzeit umfallen könnte und fällt den Baum deswegen ohne Genehmigung der zuständigen Behörde. Es stellt sich heraus, dass der Eigentümer die Lage fahrlässig falsch eingeschätzt hatte. Hätte er seinen Baumbestand ab und zu untersucht, so hätte er erkennen müssen, dass der Bereich um den Baum seit Jahren genau so ausgesehen hat und daher keine akute Gefahr bestand. Die Naturschutzbehörde verhängt ein Bußgeld wegen der Fällung gestützt auf § 9 Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 BaumSchVO (Ber). Im darauffolgenden Jahr wiederholt sich die Situation an einem Samstagabend. Diesmal ist der Baum allerdings tatsächlich akut gefährdet, was der Eigentümer einfach fahrlässig verkennt. Er möchte sich zwar am Montag direkt eine Fällgenehmigung besorgen, der Baum stürzt jedoch bereits am Sonntag um und beschädigt das Nachbarhaus. Eine Drucksituation infolgedessen, dass das Naturschutzrecht Fällungen grundsätzlich verbietet, dürfte auch hier nicht dazu führen, dass der Eigentümer nur für grobe Fahrlässigkeit haftet. Aber nicht nur im deliktischen Kontext und an der Schnittstelle zu öffentlichrechtlichen Bestimmungen kommen solche Situationen vor. Jede Irrtumsanfechtung muss unverzüglich erklärt werden (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB), was den Anfechtenden unter Druck setzt. Wenn er nun aber einen Anfechtungsgrund nur irrig annimmt und die Erfüllung verweigert, so haftet er wohl unstrittig aus §§ 280 ff. BGB für jede Form von Fahrlässigkeit. Zusammenfassend besteht kein besonderes Abschreckungspotential, wenn ein Käufer bei einem unberechtigten Nacherfüllungsverlangen für einfache Fahrlässigkeit haftet. In jedem Fall hebt sich die Situation nicht fundamental von anderen Situationen ab, in denen ein Verkehrsteilnehmer ebenso unter einem gewissen Druck steht. Ein Argument für eine Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs besteht insoweit also nicht. 228
Sofern ihm nicht ausnahmsweise eine der äußerst seltenen Haftungsprivilegierungen zugute kommt.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Selbst wenn man unter den gegebenen Umständen ein Abschreckungsrisiko erkennen wollte, so wäre es m.E. dennoch fraglich, ob die Konsequenz daraus wirklich eine abstrakte Modifikation der materiellen Haftungsvoraussetzungen sein kann. Problematisch erscheint daran insbesondere, dass ein entscheidender Faktor für das Abschreckungspotential im Einzelfall das Verhältnis der Höhe der befürchteten Haftung zu dem Wert der Kaufsache sein dürfte.229 Tendenziell eher relevant wäre die Überlegung deswegen bei Kaufsachen von geringem Wert und weniger gewichtig bei teuren Kaufsachen, bei denen ein Haftungsrisiko immerhin einem großen Interesse an der Nacherfüllung gegenüber steht. Eine pauschale Modifikation der Sorgfaltsanforderungen betrifft auch diese Fälle, obgleich die Begründung der Modifikation mithilfe des Abschreckungspotenzials eher bei Kaufsachen geringen Wertes angebracht erscheint. 5. Zusammenfassung und Plädoyer für einfache Fahrlässigkeit Die beschriebenen Argumente, die für eine Modifikation des anzuwendenden Fahrlässigkeitsmaßstabs angeführt werden, verfangen nicht. Es spricht also nichts dafür, den Sorgfaltsmaßstab zu modifizieren. Bereits deswegen sollte die einfache Fahrlässigkeit für eine Haftung genügen, denn sie entspricht der gesetzlichen Vorgabe in § 276 Abs. 1, 2 BGB. Dieses Ergebnis lässt sich aber nicht nur negativ, sondern auch positiv begründen. Das hier vertretene Verständnis der Lichtrufanlagenentscheidung unter Zugrundelegung des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs führt zu sachgerechten Ergebnissen und belastet entgegen den verschiedentlich geäußerten Befürchtungen230 den Käufer nicht über Gebühr. Weil eine Schadensersatzhaftung auf einer verhaltensbezogen zu bestimmenden Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB aufbaut, „verschmelzen“ die Pflichtverletzung und das Vertretenmüssen. Insgesamt entscheidet damit über die Haftung, ob das Käuferverhalten der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt genügt (ausführlich oben I.5.). Die Kernaussage der Lichtrufanlagenentscheidung ist die Feststellung, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt bei Unsicherheiten über einen Mangel grundsätzlich eine Überprüfung von Alternativursachen fordert. Auf dieser Basis sind für die Belastung des Käufers zwei Teilaspekte entscheidend, die bislang nicht deutlich voneinander getrennt werden: zum einen der Konkretisierungsschritt, der aus der verhaltensbezogenen Rücksichtnahmepflicht das konkrete Verhaltensgebot im Einzelfall bestimmt; zum anderen der Sorgfaltsmaßstab im engeren Sinne, den der Käufer bei den so bestimmten Prüfpflichten anwenden muss. Beide Aspekte richten sich danach, was im Verkehr erforderlich ist (sofern man den einfachen Fahrlässigkeitsstandard für angebracht hält), wobei
229 Siehe für weitere Überlegungen und den Versuch einer Einbeziehung von Abschreckungspotential in die Bestimmung konkreter Sorgfaltsanforderungen auch unten III.1.b)bb). 230 Oben 3.
II. Verkehrserforderliche Sorgfalt
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die Bestimmung der Reichweite der Prüfpflicht im Einzelfall entscheidend sein dürfte. Für ein sachgerechtes Ergebnis sorgen dabei die folgenden Faktoren: Erstens sind von vornherein – und darin besteht wie gesagt nach meinem Dafürhalten die Kernaussage der Lichtrufanlagenentscheidung – nur solche Prüfungen angezeigt, die auf Alternativursachen gerichtet sind. Diese Beschränkung kann nicht genug betont werden, weil sie kategorisch ausschließt, dass ein Käufer nach der Mangelursache suchen muss. Von vornherein scheiden deswegen Untersuchungen wie etwa das Aufschrauben von Alltags-Elektrogeräten in aller Regel aus. Eine solche Prüfung könnte nämlich kaum231 auf den Ausschluss von Alternativursachen gerichtet sein. Zweitens folgt ein sachgerechtes Ergebnis nicht direkt aus den Feststellungen des BGH in seiner Lichtrufanlagenentscheidung, sondern aus der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik. Danach sind Fragen der verkehrserforderlichen Sorgfalt nämlich gruppenspezifisch zu beantworten.232 Entscheidend ist also der jeweilige Verkehrskreis, dem der Käufer angehört. Mit anderen Worten muss ein Verbraucher dasjenige überprüfen, was der durchschnittliche Verbraucher in dem konkreten Fall überprüfen würde.233 Ein Fachhändler für Elektrogeräte muss bei dem vermutlich defekten Elektrogerät das überprüfen, was ein durchschnittlicher Fachhändler für Elektrogeräte überprüfen würde. Dies mag im Einzelfall weitergehend sein als das, was ein Verbraucher prüfen muss. Noch genauer muss ein Spezialunternehmen für die Fertigung von Einspritzpumpen im Automobilsektor prüfen, wenn das zugekaufte Einspritzventil in dem neu entwickelten Motor nicht so funktioniert, wie erhofft. Diese gruppenspezifische Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen ist m.E. zentral, weil sie sicherstellt, dass ein Käufer von vornherein nur an einem durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer seines Verkehrskreises gemessen wird. Hinzu tritt, was (zumindest in unklarer Weise) als Argument für einen modifizierten Sorgfaltsmaßstab bemüht wurde234 : Dem Käufer sitzt – dies lässt sich nicht leugnen – stets das Recht des Verkäufers zur zweiten Andienung in Gestalt von Obliegenheiten im Nacken. Diese Obliegenheiten finden bei der Reichweite der Prüfpflichten als zusätzlicher limitierender Faktor Beachtung. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt kann es nämlich nicht entsprechen, eine Prüfung durchzuführen, die, falls sich der Mangel bewahrheitet, zu Nachteilen führen würde. 231
Krude Sonderkonstellationen sind natürlich auch hier denkbar, etwa wenn der Käufer Anlass für die Vermutung hat, ihm sei ein Kleingegenstand durch die Lüftungsschlitze in sein Elektrogerät gefallen. 232 BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 72; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 21; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 58 f.; erstaunlicherweise auch Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474, der allerdings trotzdem die grobe Fahrlässigkeit als angebracht erachtet. Siehe insgesamt zu der Thematik oben 1.b)cc). 233 Zu Besonderheiten in Verbraucherkonstellationen unten C. 234 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 264 ff., ausführlich dazu oben 4.a).
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Darunter fallen zwei ganz konkrete Vorgaben: Erstens ist keine Prüfung erforderlich, die die Kaufsache zu verändern oder gar zu beschädigen droht oder wenn zu besorgen ist, dass auf andere Art und Weise für den Verkäufer die spätere Klärung der Mangelursache erschwert wird.235 Zweitens wirkt sich Zeitdruck auf den Umfang der Prüfpflichten aus: Wenn beispielsweise ein vermuteter Mangel sich „weiterzufressen“ und so die Sache zu beschädigen droht oder wenn zu erwarten ist, dass Zeitablauf die Klärung erschwert, so hat der Käufer die Obliegenheit, unverzüglich den Mangel anzuzeigen. In einem solchen Fall sind nur schnelle Prüfungen denkbar.236 Durch diese Einschränkungen ist sichergestellt, dass ein Käufer nicht in Konflikt gerät mit seinen Obliegenheiten gegenüber dem Verkäufer. Im Zusammenspiel mit der Überlegung, dass dem Käufer sowieso (nur) das abzuverlangen ist, was in der konkreten Situation als vom Verkehr erforderlich erachtet wird, dürfte sichergestellt sein, dass der Käufer in keiner Situation über Gebühr belastet wird.237 Steht der genaue Inhalt der Prüfpflichten im Einzelfall fest, so ist noch immer der zweite Aspekt der verkehrserforderlichen Sorgfalt zu klären, nämlich mit welchem Sorgfaltsgrad diese Prüfpflichten zu erfüllen sind. Vor dem Hintergrund, dass bereits die Reichweitenbestimmung der Prüfpflichten nach den beschriebenen Vorgaben sicherstellt, dass ein Käufer nicht über Gebühr belastet werden kann, muss auch der Sorgfaltsmaßstab für die Erfüllung der Prüfpflichten die einfache Fahrlässigkeit sein. Dieser zweite Aspekt dürfte in der Praxis weniger relevant sein. Dennoch sind Fälle zumindest denkbar, für die eine Beantwortung dieser Frage relevant wäre. Angenommen, der Käufer eines Elektrogerätes möchte dieses an einer bestimmten Steckdose betreiben und stellt fest, dass es nicht funktioniert. Im Verkehr erforderlich ist in einem solchen Fall ohne Frage, dass der Käufer überprüft, ob das Gerät auch angeschlossen ist. Darüber hinaus wird er aber auch prüfen müssen, ob an der Steckdose überhaupt Strom anliegt. Nicht erforderlich wäre wohl, dass der Käufer dies positiv mit einem Phasenprüfer bestätigt. Der Verkehr würde aber erwarten, dass der Käufer ein anderes Elektrogerät anschließt und dadurch – wenn dieses funktioniert – die Alternativursache „kein Strom“ ausschließt. Nun mag es vorkommen, dass der Käufer in seinem Gewirr aus Wasserkocher-, Toaster-, Smoothiemaker-, Mikrowellen-, Eierkocher- und Reiskocherkabel vermeintlich das Kabel des Eierkochers einsteckt. Der Eierkocher funktioniert, wes235
Oben 4.a)aa). Oben 4.a)bb) 237 Es ist m.E. nicht ganz klar, ob Teile der oben diskutierten Vorschläge – insbesondere Kaisers Vorschlag einer Evidenzkontrolle – nicht letztlich eine solche inhaltliche Beschränkung der Prüfpflichten fordern. Sollte dem so sein, so ist die Kritik daran insoweit zu beschränken, als sich die Reichweitenbeschränkung m.E. in angebrachter Art und Weise direkt aus der Auslegung der verkehrserforderlichen Sorgfalt ergibt und es deswegen keiner Einführung eines neuen, unbestimmten Rechtsbegriffs bedarf. 236
III. Folgefragen
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halb der Käufer die Alternativursache als ausgeschlossen erachtet. Tatsächlich war der Eierkocher allerdings die ganze Zeit in einer Steckdose eines anderen Stromkreises eingesteckt und der Käufer hatte versehentlich den Toaster eingesteckt. Dieser hätte auch nicht funktioniert, weil an der Steckdose tatsächlich keine Spannung anlag. In einer solchen Situation wäre dem Käufer wegen der Verwechselung der „Testgeräte“ sicherlich Fahrlässigkeit anzulasten. Möglicherweise würde aber ein solches Verhalten nicht die hohe Schwelle grober Fahrlässigkeit erreichen und der Käufer würde dann für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen nicht haften, sofern man mit den vereinzelten Literaturstimmen die grobe Fahrlässigkeit als entscheidend ansehen würde. M.E. wird der Käufer in einer solchen Situation nicht über Gebühr belastet, wenn man ihn an jeder Form von Fahrlässigkeit misst. Darüber hinaus sprechen gegen jedwede Modifikation des Sorgfaltsmaßstabes – sei es bei der Reichweitenbestimmung von Prüfpflichten oder bei deren Erfüllung oder bei beidem – Erwägungen der Rechtsklarheit. Die hier befürwortete verkehrserforderliche Sorgfalt ist für sich genommen bereits ein unbestimmter Rechtsbegriff, der zwangsläufig Unsicherheit bei dem Verkehrsteilnehmer erzeugt, der sich daran halten soll. Dennoch ist dies der gesetzliche Normalfall, an dem sich ein Käufer tagein, tagaus messen lassen muss und den Gerichte mit konstanter Regelmäßigkeit anwenden. Jede Modifikation hingegen, ob abstellend auf grobe Fahrlässigkeit238 , Vertretbarkeit239 , eine Plausibilitätskontrolle240 oder eine Evidenzkontrolle241 , arbeitet ebenfalls mit einem unbestimmten Rechtsbegriff. Im Gegensatz zu der regulären verkehrserforderlichen Sorgfalt wären diese Standards aber atypisch und – mit der Ausnahme von grober Fahrlässigkeit – noch nicht einmal im Gesetz angelegt. Es wäre deswegen für alle Beteiligten (noch) schwieriger, Gewissheit über das konkret geschuldete Verhalten zu gewinnen. Insgesamt ist deswegen für die Frage einer Haftung des Käufers für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt und damit der allgemeine Standard einfacher Fahrlässigkeit angebracht. III. Folgefragen Aus den obigen Feststellungen ergeben sich insbesondere zwei Folgefragen. Von Bedeutung ist zunächst, wie weit eine Prüfpflicht des Käufers reicht. Zwar ist die abstrakte Regel nach den vorangegangenen Feststellungen klar: Die Prüfpflicht orientiert sich ihrem Inhalt nach an der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Dennoch kann es zur Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs im Einzelfall 238 Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 280. 239 Diehl, zfs 12/2008, 687, 688. 240 BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Rn. 20; Palandt/Grüneberg, § 280 Rn. 27. 241 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
notwendig werden oder zumindest hilfreich sein, verschiedene Anhaltspunkte zu bemühen (1.). Ungeachtet der Reichweite einer Prüfpflicht werden aber regelmäßig Unsicherheiten verbleiben. Auch nach gebotener Prüfung kann es sein, dass der Käufer weiterhin unsicher ist, ob ein Mangel oder eine Alternativursache Auslöser des Mangelsymptoms ist. Zu klären ist deswegen, wie mit einer solchen verbleibenden Unsicherheit umzugehen ist (2.). Abseits der Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht sind rechtliche Unsicherheiten und daraus resultierende Rechtsirrtümer denkbar (3.). Ferner möglich sind als Kombination beider Unsicherheiten Doppelirrtümer (4.). 1. Reichweite der Prüfpflicht Die Prüfpflicht, die einen Käufer trifft, bevor er risikolos Nacherfüllung verlangen kann, nimmt eine zentrale Stellung ein bei der Frage, wie das Unsicherheitsrisiko verteilt ist. Jenseits dieser abstrakten Frage ist die Reichweite der Prüfpflicht praktisch relevant, weil sie vorschreibt, was der Käufer im Einzelfall prüfen muss, um der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gerecht zu werden. Obgleich dies immer eine Frage des Einzelfalls bleiben wird, bietet sich die Untersuchung verschiedener Anhaltspunkte an. Die obige Diskussion um den korrekten Sorgfaltsmaßstab242 hat bereits einige Anhaltspunkte für die konkrete Ausgestaltung einer Prüfpflicht ergeben. Zentral für die Reichweitenbegrenzung ist dabei die Beobachtung, dass sich die Prüfpflicht gruppenspezifisch danach bemisst, welche Fähigkeiten und Möglichkeiten von dem Personenkreis erwartet werden, dem der Käufer angehört. Dies wird regelmäßig dort die Reichweite von Prüfpflichten stark begrenzen, wo (bspw. technisches) Sonderwissen nötig ist. Außerdem ist klar, dass ein Käufer ausschließlich Alternativursachen überprüfen muss. In einem auf diese Weise abgesteckten Rahmen begrenzen widerstreitende Interessen die Prüfpflichten noch zusätzlich. Die Kollision von Prüfpflichten mit bestimmten Obliegenheiten und auch mit höherwertigen Rechtsgütern lassen einige recht konkrete Aussagen zu (a). Daneben tritt immer das Interesse, nicht mit Kosten belastet zu werden. Es bedarf einer besonderen Erörterung, wann eine Kostenbelastung die Prüfpflicht begrenzt (b). Die Frage, was ein Käufer in welchem Umfang prüfen muss, wurde bislang mit dem Fokus auf Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht untersucht. Unsicher kann aber nicht nur die Sachlage sein, sondern auch die Rechtslage. Es ist deswegen auch zu klären, ob rechtliche Unsicherheiten im Grundsatz den gleichen Regeln folgen, wie die erörterten Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht (3.).
242
Siehe zusammenfassend II.5. mit weiteren Verweisen auf die einzelnen Diskussionspunkte.
III. Folgefragen
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a) Konkrete Schlüsse aus kollidierenden Interessen Die Reichweite einer Prüfpflicht wird durch widerstreitende Interessen begrenzt. In erster Linie ist dabei das Interesse des Käufers zu nennen, nicht gegen eigene Obliegenheiten zu verstoßen. Daraus lassen sich die beiden einschränkenden Aspekte ableiten, die ebenfalls bereits oben im Detail erläutert worden sind243 : Der Käufer muss erstens im Rahmen seiner Obliegenheit zur Gestattung der Nacherfüllung darauf achten, dass dem Verkäufer ein möglichst unverfälschtes Bild präsentiert wird und eine etwaig notwendige Nacherfüllung nicht erschwert wird. Aus diesem Grund ist eine Prüfung, die derart auf die Sache einwirkt, dass dies nicht mehr gewährleistet werden kann, definitiv ausgeschlossen. In aller Regel dürfte dies bedeuten, dass keinerlei Einwirkungen auf die Kaufsache selbst vom Käufer gefordert sind. Die Kaufsache darf mit anderen Worten nicht beschädigt, verbraucht oder anderweitig beeinflusst werden. Zweitens ist der Käufer unter Umständen gehalten, zügig Nacherfüllung zu verlangen, wenn nämlich ein schuldhaftes Zuwarten Mehrkosten oder Schäden erwarten lässt. Solche Mehrkosten für eine Nacherfüllung, die sich durch ein schuldhaft verzögertes Nacherfüllungsverlangen ergeben haben, können im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB auf den Käufer abgewälzt werden. Die Sorgfaltsanforderungen im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB und bei der Frage einer Haftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen müssen sich im Einklang befinden. Deswegen ist eine Prüfpflicht dergestalt in der Reichweite beschränkt, dass sie keine Überprüfung diktiert, die den Käufer in zeitliche Bedrängnis bringt. Abseits dieser beiden Interessenkonflikte, die dem kaufrechtlichen Pflichtengefüge erwachsen, lässt sich eine Überlegung nach der abstrakten Wertigkeit betroffener Rechtsgüter anstellen. Es versteht sich von selbst, dass ein Käufer bei einer Überprüfung keine höherwertigen Rechtsgüter gefährden muss. Insbesondere kann also von keinem Käufer erwartet werden, dass er Leben oder Gesundheit aufs Spiel setzt, um eine bestimmte Alternativursache zu falsifizieren. Liefert die kürzlich installierte Satellitenschüssel keinen Empfang, so muss der Käufer nicht eigenhändig auf das Dach klettern um auszuschließen, dass bei den tags zuvor durchgeführten Reparaturarbeiten am Dach die Ausrichtung verändert wurde.244 b) Kostenbelastung Bislang nicht eingehender untersucht ist die Frage, welche Kostenbelastung den Käufer für seine Überprüfungen treffen kann. Diese Frage ist aus zwei Erwägungen heraus besonders wichtig. Erstens lässt sich jedwede Belastung abseits der oben genannten Gefährdung höherwertiger Rechtsgüter in eine Kostenbelastung 243
Oben II.4.a)aa), II.4.a)bb) und II.5. Das bedeutet nicht, dass eine solche Überprüfung per se ausgeschlossen ist. Vielmehr ist – abhängig von den Umständen – gegebenenfalls angezeigt, dass der Käufer einen Fachmann für diese Überprüfung beauftragt, der dies mit entsprechender Ausrüstung ohne Gefahr für Leib und Leben tun kann. Ob dies geschuldet ist, ist letztlich eine reine Kostenfrage. Dazu sofort. 244
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B. Vertraglicher Schadensersatz
übersetzen: Aufgewendete Arbeitszeit für eine Überprüfung entspricht gewissen Kosten; Verbrauchsmaterialien für Tests haben einen bestimmten Wert und erzeugen deswegen Kosten für den Käufer etc. Zweitens kann jede Unsicherheitssituation (zumindest theoretisch) aufgelöst werden. Es muss lediglich beliebig hoher Aufwand, ggf. unter Zuhilfenahme von externem Sachverstand, betrieben werden. Ist man bereit, das Honorar zu bezahlen, dann wird sich regelmäßig ein Sachverständiger finden, der eine Alternativursache verifiziert oder falsifiziert. So besehen mag es beispielsweise wegen fehlender Fachkenntnis nicht der verkehrserforderlichen Sorgfalt entsprechen, dass ein Käufer selbst seine Elektroinstallation überprüft, um diese als Alternativursache auszuschließen.245 Sehr wohl mag es aber unter Umständen angezeigt sein, dass ein Käufer einen Elektriker damit beauftragt, dies für ihn zu tun. Die Begründung, weshalb externer Sachverstand nicht zugekauft werden muss, wird regelmäßig darin bestehen, dass die damit verbundenen Kosten zu hoch sind. Um dies aber im Einzelfall handhabbar zu machen, muss versucht werden, eine Kostengrenze zu bestimmen. Eine Grenzziehung würde sich dann erübrigen, wenn dem Käufer gar keine Kosten abverlangt werden dürften. Dem ist aber nicht so. Alleine der Umstand, dass den Käufer Prüfpflichten treffen, geht mit einer Kostenbelastung einher – und seien es auch nur Kosten in Gestalt von Aufwand.246 Im Übrigen scheint eine Kostenbelastung des Käufers aber auch sachgerecht, weil die Überprüfungen auf den Ausschluss von Problemursachen aus der Käufersphäre abzielen. Ist eine Kostenbelastung grundsätzlich angezeigt, so verbleibt die Problematik des angemessenen Umfangs. Der Versuch, Kosten in Sorgfaltsanforderungen zu übersetzen, ist nicht unbekannt. Vorwiegend im angloamerikanischen Rechtskreis findet sich ein Ansatz der ökonomischen Analyse des Rechts, der sich auch hier anbietet, untersucht zu werden (aa). Daneben besteht als Anhaltspunkt, dass es wohl gilt, eine Balance zwischen einer Kostenbelastung und deren Abschreckungswirkung zu finden (bb). aa) Learned-Hand-Formel und Kosten-Nutzen-Analyse Die ökonomische Analyse des Rechts kennt die sog. „Learned-Hand-Formel“.247 Dabei handelt es sich um eine Kosten-Nutzen-Analyse, mit deren Hilfe exakte Aussagen zur Fahrlässigkeit eines Verkehrsteilnehmers getroffen werden können. Zu diesem Zweck nutzt die Formel eine Kostenbelastung im Zusammenspiel mit Wahrscheinlichkeiten für die Bestimmung von Fahrlässigkeit. Eine Analyse dieser Herangehensweise (1) ermöglicht den Versuch einer Übertragung auf das hier untersuchte Problem (2) sowie eine Diskussion über deren Sinnhaftigkeit (3). 245
Im Grundsatz a.A. Schwarze, NJW 2015, 3601, 3603. Anders mag die Situation dann zu beurteilen sein, wenn es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt. Dazu unten C. 247 Namensgeber ist der U.S. amerikanische Richter Judge Learned Hand, der bei dem wegweisenden Urteil United States v. Carroll Towing Co., 159 F.2d 169 (2d Cir. 1947) mitwirkte. 246
III. Folgefragen
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(1) Aussagen der Learned-Hand-Formel Die Learned-Hand-Formel dient der Feststellung von Fahrlässigkeit. Sie besagt, dass ein Verkehrsteilnehmer fahrlässig handelt, wenn er Risikovermeidungskosten nicht auf sich nimmt, obwohl der Erwartungswert der potentiellen Schäden größer war, als die Risikovermeidungskosten.248 Anders formuliert: Ein Verkehrsteilnehmer muss solche Kosten zur Risikovermeidung auf sich nehmen, die geringer sind als das Produkt aus den potentiellen Schäden und ihrer Wahrscheinlichkeit p. Risikovermeidungskosten ≤ Schaden × p(Schaden) Hintergrund der Überlegung ist ein möglichst wirtschaftliches Gesamtergebnis.249 Es wird eine Kosten-Nutzen-Analyse vorgenommen und daraus abgeleitet, wann es gesamtwirtschaftlich besehen sinnvoller ist, eine Gefahr zu bannen, statt den potentiellen Schadenseintritt hinzunehmen: Ein Risiko ist dann zu beseitigen, wenn die dafür nötigen Kosten geringer sind als der zu erwartende Schaden (gewichtet entsprechend seiner Eintrittswahrscheinlichkeit). Jedem Verkehrsteilnehmer wird in der Konsequenz abverlangt, dass er sein Verhalten an genau dieser Kosten-Nutzen-Analyse ausrichtet. (2) Übertragung auf die Überprüfung von Alternativursachen Überträgt man die Aussagen der Learned-Hand-Formel auf die Frage, wann ein Käufer eine Überprüfung einer vermeintlichen Alternativursache durchführen muss, so ergibt sich Folgendes: Die zu bewertenden Risikovermeidungskosten sind die Kosten, die bei dem Käufer für die Überprüfung der Alternativursache anfielen. Dem stehen die möglichen Schäden beim Verkäufer gegenüber, wenn die Überprüfung der Alternativursache unterbleibt, der Käufer Nacherfüllung verlangt und sich dann herausstellt, dass die Alternativursache bestanden hat und für das Mangelsymptom verantwortlich war. Dieser Schaden wäre aber nur proportional reduziert entsprechend der Wahrscheinlichkeit p der Alternativursache in Anschlag zu bringen. Es ergäbe sich folgende Formel: Kosten(K) ≤ Schaden(V ) × p(Alternativursache) Diese Einordnung dürfte oft zu dem Ergebnis führen, dass die Überprüfung der Alternativursache nicht durchgeführt werden muss. Dies liegt daran, dass die beim Verkäufer zu erwartenden Schäden oft ähnlich hoch sein dürften wie die Kosten beim Käufer für eine Überprüfung der Alternativursache im Vorfeld. Da 248 United States v. Carroll Towing Co., 159 F.2d 169 (2d Cir. 1947). Siehe dazu etwa die Darstellungen bei MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 8, 62; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 182 f. 249 MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 62; BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 85; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 25.
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die Schäden beim Verkäufer nach der Learned-Hand-Formel mit der Wahrscheinlichkeit der Alternativursache zu multiplizieren sind, wird das Produkt regelmäßig kleiner sein als die Kosten beim Käufer es sind. Diese Kosten-NutzenAnalyse besagt dann, dass es letztendlich effizienter ist, die Alternativursache nicht im Vorfeld auszuschließen. Die soeben vorgenommene Einschätzung, dass Schäden beim Verkäufer und Kosten beim Käufer in ihrer Höhe vergleichbar sind, beruht auf einer Aufklärungspflicht des Käufers über verbliebene Unsicherheiten. Es wird noch zu zeigen sein, dass ein Käufer, der eine mögliche Alternativursache erkannt, wegen der Kostenbelastung aber nicht falsifiziert hat, den Verkäufer ungefragt über diesen Verdacht aufklären muss (sofern die mögliche Alternativursache dem Verkäufer nicht ohnehin bereits bekannt oder sie offensichtlich ist).250 Ist der Verkäufer aber über die mögliche Alternativursache im Bilde, so befindet er sich in derselben Ausgangslage wie der Käufer. Die Kosten zur Bestätigung der Alternativursache werden dann ähnlich hoch sein, wie es die Kosten beim Käufer für die Falsifizierung gewesen wären. Nichtsdestotrotz sind aber auch Konstellationen vorstellbar, in denen die Learned-Hand-Formel zu einem anderen Ergebnis kommen kann. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn auf Verkäuferseite Fahrtkosten und Mitarbeiterkosten zu erwarten sind. Die Lichtrufanlagenentscheidung des BGH251 liefert hierfür ein anschauliches Beispiel. Der Verkäufer hatte Kosten für die Anfahrt (0, 30 Euro km · 424km) sowie sechs Stunden Arbeitszeit à 90 e, in welcher der Mitarbeiter anderweitig hätte eingesetzt werden können, eingeklagt. Solche Schadensposten können von den Kosten beim Käufer abweichen und im Einzelfall ein Ergebnis nach der Learned-Hand-Formel zeitigen, wonach der Käufer die Überprüfung durchzuführen hätte. Tut er es nicht, so entsteht ein Fahrlässigkeitsvorwurf. Zusammenfassend lässt sich also die Herangehensweise der Learned-HandFormel durchaus auf das in Frage stehende Problem übertragen. Oftmals wird eine so verstandene Kosten-Nutzen-Analyse dazu führen, dass eine Überprüfung einer Alternativursache nicht als im Verkehr erforderlich gilt. Das bedeutet, dass diese Überlegung kaum – wie eingangs erhofft – eine Hilfe bei der Bestimmung der angemessenen Kostenbelastung bieten kann. Vielmehr würde sie in vielen Fällen sogar fordern, dass der Käufer überhaupt nicht mit Überprüfungskosten zu belasten ist. (3) Diskussion Der zuletzt beschriebene Umstand steht in einem gewissen Widerspruch zur Lichtrufanlagenentscheidung, die von einer Prüfpflicht des Käufers und somit
250 251
Dazu sogleich unten 2.; zusammengefasst unter 2.a)cc). BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147.
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– wenn auch unausgesprochen – von einer Kostenbelastung ausgeht.252 Dies ist ein erstes Indiz dafür, dass sich die Learned-Hand-Formel nicht zur Bestimmung dessen eignet, was § 276 Abs. 2 BGB als „im Verkehr erforderlich“ beschreibt, jedenfalls dann, wenn man die Rechtsprechung des BGH zu Grunde legt. Der Grund dafür liegt darin, dass eine Kosten-Nutzen-Analyse in der beschriebenen Form keinen Raum mehr lässt für andere Aspekte als die Kosten und Wahrscheinlichkeiten, mit denen die Formel arbeitet.253 Zumutbarkeitsüberlegungen und Schutzwürdigkeitserwägungen254 sind danach ebenso wenig einzubeziehen, wie bspw. Sphärenüberlegungen. Es sind aber gerade Sphärenüberlegungen, die mit entscheidend sind für die zutreffende Einschätzung, dass Käufer (nur) Alternativursachen auszuschließen haben. Schließlich handelt es sich dabei um potentielle Ursachen für das Mangelsymptom, die nicht auf einem Mangel beruhen und somit grundsätzlich nicht dem Zuständigkeitsbereich des Verkäufers zuzuschlagen sind. Dieser Überlegung kann eine rein gesamtwirtschaftliche Effizienzentscheidung nicht gerecht werden. Bereits deshalb ist die Learned-Hand-Formel in einem strikten Verständnis zu verwerfen. Daneben bringt sie auch praktische Probleme in der Anwendung mit sich.255 Die Learned-Hand-Formel kann nur dann mit einem präzisen Ergebnis aufwarten, wenn die drei Größen für die Berechnung bekannt sind: Risikovermeidungskosten, potentieller Schaden und Schadenswahrscheinlichkeit. Während einem Käufer die ihm entstehenden Kosten bekannt sein werden, ist dies bei den anderen beiden Faktoren weniger sicher. Unter Zuhilfenahme der oben angeführten Hilfsüberlegung, dass der Schaden oftmals den Risikovermeidungskosten entsprechen dürfte, wäre auch dieser Faktor noch bekannt. Jedenfalls die Schadenswahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit, dass das Nacherfüllungsverlangen wegen des Vorliegens einer nicht überprüften Alternativursache unberechtigt war, wird aber kaum zuverlässig einzuschätzen sein. Hinzu tritt die Gefahr von Rückschaufehlern, wenn ein Gericht ex post versucht, die relevante ex ante Betrachtung des Käufers zu überprüfen.256 Ein Gericht mag Gefahr laufen, in Anbetracht des tatsächlich eingetretenen Schadens eine höhere Schadenswahrscheinlichkeit anzunehmen.
252
Dazu auch schon oben b). BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 85; ähnlich BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 25; instruktiv zum Ganzen Taupitz, AcP 196 (1996), 114, mit dem Fazit, die ökonomische Analyse könne „allenfalls Teilrationalität fördern“; siehe auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 454 f., der betont, dass ökonomische Erwägungen jedenfalls nur vorbehaltlich Modifikationen durch andere Wertungen gelten könnten. 254 BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 85. 255 BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 85; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 25. 256 Dazu anschaulich Risse, NJW 2018, 2848, 2850; BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 85, 79 m.z.w.N. 253
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(4) Ergebnis Insgesamt ist aus den dargelegten Gründen eine Anwendung der Learned-HandFormel zur Bestimmung von Fahrlässigkeit abzulehnen. Jedenfalls in der hier untersuchten Situation würde sie zu unbilligen Ergebnissen führen und kann deswegen keine Anwendung finden. Die Möglichkeit, exakte Aussagen zur Kostenbelastung mithilfe dieser Formel zu treffen, besteht also nicht. Gleichwohl kann eine Kosten-Nutzen-Analyse in die allgemeine Abwägung einfließen, mit der Sorgfaltsanforderungen bestimmt werden. Dies ist in Rechtsprechung257 und Lehre258 anerkannt, in dieser Form aber bestenfalls ein Anhaltspunkt, der jedenfalls keine exakten Aussagen zulässt. Eine Kosten-Nutzen-Analyse in diesem Sinne bedeutet schlicht, dass vom Käufer umso höhere Kosten erwartet werden, je mehr seine Überprüfung nutzt. Begreift man auch hier den Nutzen als das Produkt aus verhindertem Schaden und dessen Wahrscheinlichkeit, so lassen sich zwei (banale) Orientierungspunkte formulieren. Erstens muss der Käufer umso höhere Kosten für eine Überprüfung aufwenden, je höher der zu erwartende Schaden beim Verkäufer ist. Zweitens sind diese Kosten umso höher, je wahrscheinlicher die zu untersuchende Alternativursache ist. Aufgrund des beschriebenen Umstandes, dass sich Kosten beim Käufer und Schaden beim Verkäufer regelmäßig ähneln werden259 , reduzieren sich die beiden Anhaltspunkte effektiv auf den letzteren: Je wahrscheinlicher die Alternativursache ist, desto mehr Kostenaufwand für ihre Überprüfung kann vom Käufer erwartet werden. Problematisch – aber wohl kaum zu ändern – ist dabei der Umstand, dass die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit regelmäßig mit Unsicherheiten behaftet sein wird. Ein Gericht muss dies berücksichtigen und bei seiner Prüfung ex post darauf achten, dass ihm keine Rückschaufehler unterlaufen. bb) Abschreckungswirkung Die Diskussion um die Haftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen basiert zu einem Teil auf der Angst vor Rechtsverkümmerung: Ein ausuferndes Haftungsrisiko führe dazu, dass möglicherweise auf die Geltendmachung von Rechten verzichtet werde. Dann würden aber auch bestehende Gewährleistungsrechte nicht geltend gemacht.260 257
Siehe nur BGH, Urteil vom 16. Dez. 2008 – VI ZR 170/07 = NJW 2009, 1080, 1081; BGH, Urteil vom 17. März 1981 – VI ZR 191/79 = NJW 1981, 1603, 1604; BGH, Urteil vom 29. Nov. 1983 – VI ZR 137/82 = NJW 1984, 801, 802. 258 BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 25; Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 19; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 61 ff., der sogar die strenge Relation der Learned-Hand-Formel weitgehend befürwortet; zurückhaltender BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 85. 259 Oben (2). 260 Zu dem Problem im Kontext des korrekten Sorgfaltsmaßstabs schon oben II.4.f); siehe i.Ü. etwa Kaiser, NJW 2008, 1709, 1710; Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474; Derkum,
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Nach hier vertretener Auffassung hat dies zwar nicht zur Folge, dass nur ein höherer Fahrlässigkeitsgrad zur Haftung führen kann. Einfache Fahrlässigkeit genügt.261 Dennoch erlangt der Aspekt einer möglichen Abschreckungswirkung auch nach hier vertretener Auffassung bei der Bestimmung dessen Bedeutung, was im Verkehr erforderlich ist: Kosten für die Falsifizierung einer Alternativursache, die einen Käufer von der Geltendmachung seiner potentiellen Gewährleistungsrechte abschrecken würde, sind nicht im Verkehr erforderlich. Mit Blick auf diese Abschreckung sind drei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens dürften Kosten unterschiedlich abschreckend sein, abhängig davon, ob sie gegebenenfalls ersatzfähig sind. Vorrangig ist deswegen zu klären, ob und wann Kosten für die Überprüfung von Alternativursachen im Vorfeld einer Geltendmachung von Gewährleistungsrechten ihrerseits vom Verkäufer zu erstatten sind (1). Zweitens ist klarzustellen, was unter einer zu verhindernden „Abschreckung“ zu verstehen ist (2). Vor diesem Hintergrund kann drittens der Versuch einer Einschätzung unternommen werden, wann typischerweise von einer Abschreckung durch eine Kostenbelastung ausgegangen werden kann, und zwar in Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit des Käufers (3), der Wahrscheinlichkeit einer Alternativursache (4) und dem Kaufpreis (5). (1) Ersatzfähigkeit von Kosten zur Überprüfung von Alternativursachen Die Bestimmung einer Kostengrenze für die Überprüfung von Alternativursachen muss vor dem Hintergrund erfolgen, ob und wann solche Kosten vom Verkäufer ersetzt verlangt werden können. Kann nämlich Ersatz verlangt werden, so trägt der Käufer letztlich nur das Insolvenzrisiko seines Vertragspartners. Dann sind Überprüfungskosten weit weniger abschreckend. Diese Analyse muss ferner unter der Annahme erfolgen, dass sich ein Käufer dieser – sogleich zu klärenden – Rechtslage auch bewusst ist, obwohl ein Rechtsirrtum ersichtlich großen Einfluss auf das Abschreckungspotential haben kann. Wer fälschlicherweise denkt, er bekomme sein Geld zurück, wird ex ante ebenso wenig abgeschreckt wie derjenige, der dies zutreffenderweise denkt. Allerdings ist eine nur subjektive Fehlvorstellung eines konkreten Käufers bereits wegen des objektiven Sorgfaltsmaßstabs irrelevant. Auch bei der Bestimmung dieses objektiven Sorgfaltsmaßstabs muss die „Gefahr“ eines Rechtsirrtums regelmäßig ausgeblendet werden. Andernfalls wären kaum sinnvolle Aussagen zu den Sorgfaltsanforderungen möglich. Jenseits juristisch bewanderter Personengruppen wäre wohl fast immer mit Rechtsirrtümern zu rechnen und es würde beliebig kompliziert und unpraktikabel, die Sorgfaltsanforderungen in AbhängigGeltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 50; Majer, ZGS 2008, 209; Hofmann, ZfPW 2018, 152, 167. 261 Oben II.4.f) und insbesondere auch II.5.
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keit solcher Fehlvorstellungen zu bestimmen. Dies deckt sich mit dem restriktiven Standpunkt, den die Rechtsprechung im Allgemeinen zu Rechtsirrtümern bezieht: Sie sind nur ganz ausnahmsweise beachtlich, während grundsätzlich bei Unklarheiten Rechtsrat eingeholt werden muss und selbst dann eine Fehleinschätzung durch § 278 BGB zugerechnet wird.262 Für einen Ersatz von Prüfkosten des Käufers kommen grundsätzlich zwei vertragliche Anspruchsgrundlagen in Betracht: § 439 Abs. 2 BGB, falls die Überprüfungskosten als für die Nacherfüllung erforderliche Aufwendungen zu qualifizieren sind; § 437 Nr. 3 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB, falls sie ersatzfähige Schäden sind, die auf einem Mangel beruhen. Beide Anspruchsgrundlagen erlauben einen Ersatz nur dann, wenn auch tatsächlich ein Mangel vorliegt. Stellt sich hingegen heraus, dass die Kaufsache mangelfrei war, dann scheiden diese Normen aus dem Gewährleistungssystem als Anspruchsgrundlagen aus.263 Festzuhalten ist demnach, dass eine erste Unterscheidung anhand dessen gemacht werden muss, ob sich der Mangelverdacht letztendlich zerschlägt oder bestätigt. Im ersteren Fall scheidet ein Kostenersatz für die Überprüfung von Alternativursachen regelmäßig aus. Aber auch die verbleibenden Fälle sind entscheidend. Für den Käufer ist es wichtig, ob er zumindest im Mangelfall die Überprüfungskosten ersetzt verlangen kann. Abseits der vertraglichen Ersatzansprüche sind solche aus Geschäftsführung ohne Auftrag und aus Bereicherungsrecht denkbar. (a) § 439 Abs. 2 BGB § 439 Abs. 2 BGB wird vom BGH als Anspruchsgrundlage verstanden264 und gewährt dem Käufer im Mangelfall verschuldensunabhängig Ersatz für Aufwendungen, die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlich waren. Die Einordnung als Anspruchsgrundlage im Unterschied zu einer bloßen Kostentragungsnorm wurde mit guten Argumenten bestritten.265 Die Frage dürfte sich aber mit der Neueinführung des § 475 Abs. 6 BGB zum 1.1.2018 erledigt haben und zwar zu262
Rechtsirrtümern ist ein eigener Abschnitt 3. gewidmet. Im Fall von Mangelfreiheit ist lediglich unter besonderen, reichlich konstruierten Umständen, eine Ersatzpflicht denkbar: Es müsste eine Nebenpflichtverletzung des Verkäufers vorliegen, die zu den Prüfkosten geführt hat. Man denke etwa an die Situation, dass ein Käufer wegen eines Mangelverdachts an den Verkäufer herantritt. Dieser gibt fahrlässiger Weise die Auskunft, eine solche Fehlfunktion liege daran, dass der Kaufgegenstand auf eine bestimmte Art und Weise falsch bedient werde. Diese Auskunft führt nun zu Überprüfungskosten, obwohl tatsächlich eine andere als die vom Verkäufer behauptete Alternativursache bestand. In dem Fall bestünde ggf. ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB. 264 BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 – VIII ZR 211/07 = NJW 2008, 2837, 2837; BGH, Urteil vom 13. Apr. 2011 – VIII ZR 220/10 = NJW 2011, 2278, 2281; BGH, Urteil vom 30. Apr. 2014 – VIII ZR 275/13 = NJW 2014, 2351, 2352; BGH, Urteil vom 24. Okt. 2018 – VIII ZR 66/17 = NJW 2019, 292, 299. 265 Insbesondere Hellwege, AcP 206 (2006), 136, m.w.N. auf Stellungnahmen zu der (damals) recht umstrittenen Frage auf S. 137-139. 263
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gunsten einer Anspruchsgrundlage.266 Der Vorschussanspruch des § 475 Abs. 6 BGB erklärt sich nur, wenn § 439 Abs. 2 BGB eine Anspruchsgrundlage ist, zumindest in Verbraucherkonstellationen. Anhaltspunkte für eine – vom Gesetzgeberwillen getragene – gespaltene Auslegung bestehen allerdings nicht, weshalb § 439 Abs. 2 BGB generell als Anspruchsgrundlage zu verstehen ist. Prüfkosten müssten aber auch „zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlich“ sein, um von § 439 Abs. 2 BGB abgedeckt zu sein. Dies erscheint fragwürdig. Mit Blick auf den Wortlaut des § 439 Abs. 2 BGB lässt sich bezweifeln, dass Kosten für die Überprüfung von Alternativursachen „zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlich“ sind. Erforderlichkeit legt eine Notwendigkeit nahe. Der Käufer ist allerdings keineswegs darin gehindert, auch ohne eine Überprüfung von Alternativursachen Nacherfüllung zu verlangen. Im Gegensatz dazu ist bspw. der Transport der Kaufsache zum Nacherfüllungsort notwendig und entsprechend qualifiziert die Norm beispielhaft die damit verbundenen Kosten als ersatzfähig. Zwingend ist diese wortlautgestützte Einschränkung nicht. Prüfkosten sind durchaus mittelbar erforderlich: Sie sind unmittelbar erforderlich, um das Risiko einer Falscheinschätzung der Sachlage und eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens zu eliminieren bzw. dem Verkäufer aufzubürden. Nach menschlichem Ermessen mag erst das Abschütteln eines Haftungsrisikos dazu führen, dass ein Käufer es wagt, ein (unsicheres) Gewährleistungsrecht einzufordern. So besehen ließe sich dennoch eine mittelbare Erforderlichkeit der Prüfkosten für die Nacherfüllung konstruieren. M.E. wäre allerdings durch die Anerkennung einer solchen mittelbaren Notwendigkeit bereits die Wortlautgrenze überschritten. In systematischer Hinsicht dominiert das sog. Recht zur zweiten Andienung das Gewährleistungsrecht, indem es die Nacherfüllung als primäres Gewährleistungsrecht normiert und für andere Rechtsbehelfe grundsätzlich die zusätzliche Voraussetzung einer erfolglos abgelaufenen Nachfrist fordert. Der Verkäufer soll Gelegenheit haben, selbst den Mangel zu beheben, bevor das Problem auf anderem Wege gelöst und der Verkäufer auf Kostenersatz in Anspruch genommen wird. Auch der Ersatzanspruch aus § 439 Abs. 2 BGB will diesen Vorrang nicht unterlaufen. Um dies sicherzustellen wurde gefolgert, dass § 439 Abs. 2 BGB nur solche Kosten erfassen dürfe, die dem Käufer bei der Durchführung der Nacherfüllung durch den Verkäufer entstehen. Dies wiederum erfordere in zeitlicher Hinsicht – mit den Worten des BGH – dass sich der Vertrag im Stadium der Nacherfüllung befinde.267 Anders formuliert: Der Käufer muss bereits Nacherfüllung verlangt haben. Demnach wären Überprüfungskosten, die notwendigerweise vor einem Nacherfüllungsverlangen anfallen, nicht von § 439 Abs. 2 BGB erfasst.268 266
BeckOK BGB E59/Faust, § 439 Rn. 81. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 – VIII ZR 211/07 = NJW 2008, 2837, Rn. 9; BGH, Urteil vom 30. Apr. 2014 – VIII ZR 275/13 = NJW 2014, 2351, Rn. 11; zust. insoweit Lorenz, NJW 2014, 2319, 2321. 268 Dies stellt keinen Wertungswiderspruch dar zu der zitierten Entscheidung des BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 – VIII ZR 211/07 = NJW 2008, 2837, wonach letztlich sogar Gutachterkos267
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Eine solche zeitliche Einordnung leuchtet allerdings bei Vorbereitungshandlungen nicht unmittelbar ein: Ein Käufer bemerkt an seinem noch fahrtüchtigen Wagen einen Mangel und kontaktiert den Verkäufer, welcher ihn bittet, das Auto zwecks Reparatur zu ihm zu bringen. Die Transportkosten fallen unter § 439 Abs. 2 BGB. Begibt sich der Käufer direkt zum Verkäufer, um ihn am Nacherfüllungsort mit seinem Nacherfüllungsverlangen zu konfrontieren, so erscheint es willkürlich, dass identische Kosten nicht nach § 439 Abs. 2 BGB ersatzfähig sein sollen. Auch mit Blick auf das Recht zur zweiten Andienung liegt insoweit kein Problem vor. Gleichwohl besteht bei Vorbereitungshandlungen Konfliktpotenzial mit dem Verkäuferrecht, eine Form der Nacherfüllung zu verweigern, § 439 Abs. 4 S. 1 BGB. Zwar hat im Kaufrecht der Käufer grundsätzlich die Wahl zwischen Nachbesserung und Ersatzlieferung (§ 439 Abs. 1 BGB). Dem Verkäufer steht aber ein Verweigerungsrecht nach § 439 Abs. 4 S. 1 BGB zu, wenn beispielsweise eine Form der Nacherfüllung unangemessen viel teurer wäre. Nun ist denkbar, dass gerade die mit einer Nachbesserung verbundenen zusätzlichen Transportkosten den Ausschlag dafür geben, dass ein Verkäufer die Nachbesserung verweigern möchte. Könnte der Käufer die Ware zum Nacherfüllungsort bringen, um erst dort ein Nacherfüllungsverlangen auszusprechen, und wäre der Verkäufer dennoch nach § 439 Abs. 2 BGB für die Transportkosten ersatzpflichtig, so würde sein Verweigerungsrecht ausgehöhlt. Dieser Konflikt stützt die beschriebene systematische Auslegung, wonach § 439 Abs. 2 BGB nur Kosten erfasst, die nach einem Nacherfüllungsverlangen entstehen und durch die konkrete Nacherfüllung durch den Verkäufer bedingt sind.269 Wortlaut und Systematik legen somit nahe, dass die Kosten einer einem Nacherfüllungsverlangen vorgelagerten Überprüfung nicht nach § 439 Abs. 2 BGB erten zur Feststellung der Mangelursache erfasst seien. In dem Fall war Nacherfüllung bereits verlangt, ein Mangel vom Verkäufer aber bestritten worden. Diese Situation hält für die hier untersuchten Fälle keine Erkenntnisse bereit jenseits des abstrakten Erfordernisses, dass sich der Vertrag für einen Anspruch aus § 439 Abs. 2 BGB im Stadium der Nacherfüllung befinden müsse. 269 Zwingend ist dies aber nicht: Ebenso wäre es möglich, Vorbereitungshandlungen zwar als erfasst anzusehen, den Schutz des Verweigerungsrechts des Verkäufers aber durch entsprechende Auslegung des Erforderlichkeits-Kriteriums sicherzustellen. Erforderlich i.S.d. § 439 Abs. 2 BGB wären Vorbereitungskosten dann nicht, wenn der Käufer redlicherweise davon ausgehen musste, dass der Verkäufer von seinem Verweigerungsrecht Gebrauch machen könnte und so die fraglichen Kosten unnötig würden. Dies hätte den Vorteil, dass ein Käufer nicht etwa nur deswegen auf Kosten sitzen bleiben kann, weil er nicht zuerst sein Nacherfüllungsverlangen ausgesprochen hat, obwohl identische Kosten nach dem Nacherfüllungsverlangen angefallen wären. Gleichzeitig brächte diese Lösung aber erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich, weil die Erforderlichkeit dann ex ante von der Warte des Käufers zu beurteilen wäre. Auch bestünde ein Restrisiko, dass das Verweigerungsrecht ausgehöhlt wird, wenn sich die (wenn auch redliche) Einschätzung des Käufer nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten deckt. Insgesamt ist diese Alternative deswegen nicht überzeugend.
III. Folgefragen
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satzfähig sind. Dies stützen letztlich auch die beiden folgenden wertenden Überlegungen. Erstens gründet die – zu befürwortende – Aussage der Lichtrufanlagenentscheidung, wonach der Käufer nur nach Alternativursachen suchen müsse270 , auf einer überzeugenden Abgrenzung der Risikosphären.271 Alternativursachen, die entsprechend ihrer Definition keine Mängel sind, sondern vielmehr dem Verantwortungsbereich des Käufers entstammen, sind dem Käufer zuzurechnen. Es erscheint nicht unbillig, wenn Kosten zur Falsifizierung solcher Alternativursachen nicht ersatzfähig sind. Selbst wenn ein Mangel vorgelegen hat, waren die Prüfkosten nämlich einem potentiellen Störfaktor aus der Käufersphäre „gewidmet“. Zweitens muss ein Käufer nur den im Verkehr erforderlichen Prüfaufwand betreiben.272 Dieser unbestimmte Rechtsbegriff eröffnet den nötigen Spielraum für eine sachgerechte Verteilung des Unsicherheitsrisikos. Mit dieser Verteilung sollte m.E. auch die Entscheidung über die Kostentragung einhergehen. Dieser Gleichlauf ist sachlich nachvollziehbar und vereinfacht die Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen.273 Wortlaut, Systematik und normative Gesichtspunkte sprechen folglich für eine Auslegung des § 439 Abs. 2 BGB, wonach Kosten für Prüfaufwand im Vorfeld eines Nacherfüllungsverlangens nicht ersatzfähig sind. (b) § 437 Nr. 3 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB Als Anspruchsgrundlage für einen Ersatz der Prüfkosten kommt auch ein Schadensersatzanspruch in Betracht. Dieser ist – im Gegensatz zu einem Aufwendungsersatzanspruch aus § 439 Abs. 2 BGB – verschuldensabhängig. Im wertenden Vergleich mit § 439 Abs. 2 BGB würde es deswegen m.E. keinen Widerspruch darstellen, wenn Prüfkosten im Wege des Schadensersatzes zu ersetzen wären. Dennoch bestehen daran Zweifel. Ein Schadensersatzanspruch würde aus § 437 Nr. 3 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB folgen. Insbesondere läge kein Schaden statt der Leistung vor, für dessen Ersatzfähigkeit wegen § 281 BGB ein Nachfristsetzungserfordernis bestünde: Der Schadensersatz würde nicht an die Stelle der Nacherfüllung treten; betroffen ist das Integritätsinteresse des Käufers; ein Nachfristsetzungserfordernis ist evident sinnlos, wenn die Prüfung naturgemäß vor einem Nacherfüllungsverlangen erfolgen muss; und dementsprechend ließe eine Nacherfüllung im spätest 270
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147. Zur von der Lichtrufanlagenentscheidung vorgezeichneten Lösung siehe im Detail oben II.1. und die Stellungnahme unter II.5. 272 Ausführlich oben II. 273 Es ist m.E. einfacher, die verkehrserforderliche Sorgfalt (insb. eine Kostenbelastung, dazu im Detail unten (4) und (5) unter der Prämisse zu bestimmen, dass Prüfkosten nicht ersatzfähig sind. Wären sie ersatzfähig, so müsste dies automatisch auf die Sorgfaltsanforderungen an den Käufer zurückschlagen und die ohnedies reichlich konturlose Rechtsfrage weiter verkomplizieren. 271
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möglichen Zeitpunkt den Schaden auch nicht entfallen.274 Für den Fall, dass den Verkäufer ein Verschulden an dem Mangel trifft, liegen die haftungsbegründenden Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB vor. Die Schadenszurechnung erscheint aber zweifelhaft. Prüfkosten werden im Mangelfall zwar in der Regel äquivalent kausal auf dem Mangel beruhen, denn oftmals hätte ohne Mangel keine Unsicherheit bestanden. Es hätte dann keinen Anlass zur Falsifizierung potentieller Alternativursachen gegeben, sodass die Prüfkosten nicht angefallen wären. Auch dürfte selten eine Korrektur durch Adäquanz vorzunehmen sein, denn im Fall eines Mangels ist nach menschlichem Ermessen damit zu rechnen, dass eine Unsicherheit entsteht und dass ein Käufer sodann vor dem Hintergrund der Lichtrufanlagenentscheidung des BGH Überprüfungen von Alternativursachen vornimmt, bevor er den Verkäufer auf Nacherfüllung in Anspruch nimmt. Bedenken bestehen aber insoweit, als Prüfkosten möglicherweise nicht vom Schutzzweck275 des § 437 Nr. 3 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB erfasst sind. Ein Schaden ist unter anderem dann nicht vom Schutzzweck des Schadensersatzes gedeckt, wenn sich ein allgemeines Lebensrisiko realisiert hat, welches der Risikosphäre des Geschädigten entstammt.276 Dies ist bei Kosten zur Überprüfung von Alternativursachen der Fall. Getragen wird dies von denselben Wertungsüberlegungen, die bereits zur Begründung dafür angeführt wurden, dass § 439 Abs. 2 BGB keine Prüfkosten abdeckt: Die Überprüfung durch den Käufer schließt Störfaktoren aus seiner eigenen Sphäre aus, denn er muss nur Alternativursachen falsifizieren, nicht etwa einen Mangel der Kaufsache klären. Zudem gewinnt der mit einer Überprüfung letztlich verfolgte Zweck insoweit besondere Bedeutung. Die Überprüfung dient dazu, eine Haftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen auszuschließen. Allgemeiner formuliert beseitigt sie das Risiko einer Falscheinschätzung der Sachlage. Eine Sachlage falsch einzuschätzen erscheint grundsätzlich als allgemeines Lebensrisiko. Die Prüfkosten, um eine Haftung auszuschließen, treten gewissermaßen an die Stelle des allgemeinen Lebensrisikos, was eine identische Behandlung nahelegt. Prüfkosten sind deswegen nicht vom Schutzzweck des § 280 Abs. 1 BGB erfasst. Eine Schadenszurechnung entfällt, weshalb ein Kostenersatz auf Schadensersatzbasis ausscheidet. Prüfkosten sind also nicht – weder nach § 439 Abs. 2 BGB, noch auf Basis von § 437 Nr. 3 BGB i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB – ersatzfähig. Schließt ein Käufer 274
Für einen Überblick über die angerissenen Möglichkeiten einer Abgrenzung der Schadensarten siehe etwa BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 27 ff.; Arnold, ZJS 2009, 22, 25; Bach, ZJS 2013, 1, 1 jeweils m.w.N. 275 Zur Relevanz dieses Zurechnungskriteriums auch im Vertragsrecht siehe aus der st. Rspr. zuletzt BGH, Versäumnisurteil vom 22. Sep. 2016 – VII ZR 14/16 = NJW 2016, 3715, 3716; sowie die Darstellungen bei MünchKomm BGB/Oetker, § 249 Rn. 123; BeckOK BGB E59/J. W. Flume, § 249 Rn. 288, jeweils mit z.w.N. 276 BGH, Urteil vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13 = NJW 2014, 2190, 2191; BeckOK BGB E59/J. W. Flume, § 249 Rn. 288.
III. Folgefragen
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somit die von ihm erkennbaren Alternativursachen aus, bevor er Nacherfüllung verlangt, so zeichnet er sich damit zwar von einer Haftung frei, sollte sich das Nacherfüllungsverlangen als unbegründet erweisen. Er handelt dabei jedoch auf eigene Kosten. (c) Geschäftsführung ohne Auftrag Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag scheiden aus. Prüfpflichten zielen nicht etwa auf eine Klärung der Mangelursache, sondern darauf ab, Alternativursachen auszuschließen und somit eine Haftung des Käufers zu verhindern. Mit anderen Worten betreibt der Käufer kein fremdes, sondern vielmehr ein eigenes Geschäft, sodass Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag ausscheiden.277 (d) Bereicherungsrecht Auch bereicherungsrechtliche Ansprüche scheiden aus: Die Prüfpflichten des Käufers zielen auf die Falsifizierung von Alternativursachen ab und helfen dem Verkäufer somit regelmäßig nicht bei dessen Aufgabe der Mangelfeststellung.278 Es fehlt daher bereits an einer Bereicherung. Anders wäre dies nur dann, wenn der Verkäufer ausnahmsweise von dem Ausschluss von Alternativursachen derart profitiert, dass sich sein Aufwand bei einer Mangelsuche reduziert. Denkbar wäre in dem Fall zwar eine Nichtleistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB) in Gestalt der Aufwendungskondiktion. Diese dient aber nicht zum Ersatz von Reflexvorteilen und setzt deswegen strenge Anforderungen an ein Unmittelbarkeitskriterium zwischen Be- und Entreicherung.279 Ein bloßer Nebeneffekt durch die Überprüfung von Alternativursachen genügt dem nicht. (e) Fazit Festzuhalten ist folglich, dass Kosten des Käufers für die Überprüfung von Alternativursachen nicht ersatzfähig sind, weder im Mangelfall noch bei Mangelfreiheit der Kaufsache. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Überlegungen zum Abschreckungspotential einer Kostenbelastung zu verstehen.
277
Ebenso Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 439. Der Fall unterscheidet sich insoweit von der umgekehrten Situation, dass der Verkäufer auf ein (unberechtigtes) Nacherfüllungsverlangen hin Untersuchungen einleitet. In dem Fall, der unten noch genauer zu begutachten sein wird (F.IV.2.), kommt durchaus eine Leistungskondiktion in Betracht. 279 BGH, Urteil vom 19. Sep. 2014 – V ZR 269/13 = NJW 2015, 229, 232; BeckOK BGB E59/Wendehorst, § 812 Rn. 152, jeweils m.w.N. 278
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B. Vertraglicher Schadensersatz
(2) Definition von Abschreckung Das Postulat, ein Käufer dürfe nicht abgeschreckt werden, seine potentiellen Gewährleistungsrechte geltend zu machen280 , birgt die Gefahr, missverstanden zu werden. Zwei Dinge gilt es dabei zu beachten: Erstens kann es bei der Überlegung, ob ein Käufer abgeschreckt wird, nicht um eine faktische Abschreckung des Einzelnen gehen. Da die „Abschreckungsüberlegung“ letztlich nur eine Hilfsfrage zur Bestimmung der verkehrserforderlichen Sorgfalt ist, muss auch hierbei ein objektiver (gruppenspezifischer) Maßstab281 angelegt werden: Es ist entscheidend, ab wann ein redlicher Vertreter aus dem Käuferkreis abgeschreckt worden wäre. Zweitens kann es keine feste Grenze geben, ab der eine Abschreckung eintritt, etwa ab pauschalen Kosten in Höhe von 1000 e oder solchen in Höhe des Kaufpreises. Eine derartige Grenze könnte den Gegebenheiten verschiedener Einzelfälle ersichtlich nicht gerecht werden. So besehen führt das Postulat, ein Käufer dürfe nicht abgeschreckt werden, nicht unmittelbar weiter. Es kleidet lediglich die Ausgangsfrage, was der Verkehr im Einzelfall erfordert, anders ein. Dennoch lassen sich durch den Fokus auf eine Abschreckungswirkung Abhängigkeiten ausmachen, die für eine Bestimmung des im Verkehr Erforderlichen hilfreich sein können. Ein Versuch in diese Richtung soll im Folgenden unternommen werden, wobei m.E. die entscheidenden Faktoren in der Wahrscheinlichkeit der Alternativursache (4) sowie im Kaufpreis (5) zu sehen sind. Klarstellend voranzustellen ist die Bemerkung, dass in der individuellen Leistungsfähigkeit des Käufers kein relevanter Faktor zu sehen ist (3). (3) Keine Abhängigkeit von der Leistungsfähigkeit des Käufers Die individuelle Leistungsfähigkeit ist eine vergleichsweise gut zu handhabende Größe, weil sie im Einzelfall einfach bestimmt werden kann. Auch leuchtet ein Zusammenhang mit einer Abschreckungswirkung durch eine Kostenbelastung zunächst ein: Wer im Extremfall Überprüfungskosten nicht aufbringen kann, der unterlässt die Überprüfung. Will er zudem nicht Gefahr laufen, den Verkäufer zu Unrecht zur Nacherfüllung aufzufordern und dadurch gegebenenfalls schadensersatzpflichtig zu werden, so wird er gar nichts unternehmen. Er wird von der Geltendmachung seiner potentiellen Gewährleistungsrechte abgeschreckt. Eine entsprechende Überlegung dürfte einer Entscheidung des BGH zugrunde gelegen haben, in der zur individuellen Leistungsfähigkeit Stellung genommen wurde.282 Zu entscheiden war, welche Schutzmaßnahmen der Veranstalter von Eishockeyspielen zum Schutz der Zuschauer vor Verletzungen treffen muss. 280 S. Kaiser, NJW 2008, 1709, 1710; Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 50; Majer, ZGS 2008, 209. 281 BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 60; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 21; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 58 f. 282 BGH, Urteil vom 29. Nov. 1983 – VI ZR 137/82 = NJW 1984, 801.
III. Folgefragen
81
Dabei führte der BGH aus: „Welche Maßnahmen im einzelnen zu treffen sind, bestimmt sich nach den jeweiligen Umständen der Veranstaltung, vor allem nach der Intensität und Häufigkeit der sich für die Zuschauer ergebenden Gefährdung, wobei auch der finanziellen Belastbarkeit des Veranstalters (bzw. des Eigentümers der Sportanlage) bei Abwägung der Zumutbarkeit eine gewisse, wenn auch untergeordnete Bedeutung zukommt.“283 Grundsätzlich lassen sich die Ausführungen zur Haftung nach § 823 BGB auf die hier untersuchte Frage übertragen: Abstrakt besehen geht es hier wie dort um die Ausfüllung des Fahrlässigkeitsmaßstabs (§ 276 Abs. 2 BGB) und zwar durch Vorsorgeaufwand mit dem Ziel, bestimmte Gefährdungen zu verhindern. Dies würde bedeuten, dass ein wenig solventer Käufer nur geringere Kosten zur Falsifizierung von Alternativursachen tragen müsste – mit anderen Worten dürfte er sich früher abschrecken lassen. Ungeachtet der Übertragbarkeit auf eine vertragliche Haftung ist der Ansatz allerdings verfehlt. Auch eine nur „untergeordnete Bedeutung“284 der finanziellen Belastbarkeit des konkreten Schuldners ist mit dem objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB285 nicht zu vereinbaren.286 Neben dem eindeutigen Wortlaut des § 276 Abs. 2 BGB erfordert auch der Vertrauensschutz im Rechtsverkehr, dass Sorgfaltsanforderungen unabhängig von subjektiven Aspekten bestimmt werden.287 Deswegen wird ein Handelnder an den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Angehörigen seines Verkehrskreises gemessen. Was dabei für Fähigkeiten des Handelnden gilt, muss umso mehr für dessen finanzielle Leistungsfähigkeit gelten: Sie ist für den Verkehr ebenso schwierig einzuschätzen und kann sich zudem jederzeit ändern. Die subjektive Leistungsfähigkeit eines Käufers muss deswegen ausgeblendet werden. Sie darf auch keine untergeordnete Bedeutung bei der Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen haben. Somit scheidet es auch aus, eine mögliche Abschreckungswirkung aufgrund geringer Leistungsfähigkeit zur Bestimmung der angemessenen Kostenbelastung zu bemühen. Dies hält ein Gericht allerdings nicht davon ab, eine durchschnittliche Leistungsfähigkeit anhand der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Verkehrskreis in seine Überlegungen einzubeziehen. Die verkehrserforderliche Sorgfalt bestimmt sich anerkanntermaßen gruppenspezifisch.288 Es ist dogmatisch m.E. nicht zu 283 BGH, Urteil vom 29. Nov. 1983 – VI ZR 137/82 = NJW 1984, 801, 802, Hervorhebung hinzugefügt. 284 BGH, Urteil vom 29. Nov. 1983 – VI ZR 137/82 = NJW 1984, 801, 802. 285 Statt aller BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 72; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 20 m.w.N. 286 Ebenfalls kritisch MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 61. 287 MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 55; BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 72. 288 BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 73; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 21; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 58 f.
82
B. Vertraglicher Schadensersatz
beanstanden289 , die angemessene Kostenbelastung bei einem Verbraucherkäufer geringer einzuordnen als bei einem mittelgroßen Unternehmen und zwar mit dem Argument, die Leistungsfähigkeit des durchschnittlichen Verbrauchers sei beschränkt und er würde deswegen schon durch geringere Kosten abgeschreckt. Auch dieser – wenngleich dogmatisch gangbare Weg – ist kritisch zu sehen: Er birgt die Gefahr, dass der relevante Verkehrskreis so eng umrissen wird, dass sich effektiv doch eine subjektive Leistungsunfähigkeit auf die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes auswirkt.290 Dies würde zu einer Risikoverschiebung zu Lasten des Vertragspartners führen, der dann das gefährdende Verhalten (ersatzlos) hinnehmen muss. Die Leistungsfähigkeit sollte m.E. aus diesen Gründen gänzlich unberücksichtigt bleiben, um eine Verwässerung des objektiven Sorgfaltsmaßstabs zu verhindern. Wer dem so bestimmten objektiven Maßstab nicht genügen kann, muss von dem gefährdenden Verhalten absehen. Andernfalls ist ihm nach etablierter Dogmatik ein Übernahmeverschulden anzulasten.291 (4) Abschreckung in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit der Alternativursache Angemessene Überprüfungskosten sind m.E. in zentraler Weise von der Wahrscheinlichkeit der Alternativursache abhängig. Diese Abhängigkeit folgt nicht nur aus den oben angestellten Wirtschaftlichkeitsüberlegungen292 , sondern auch aus Überlegungen dazu, wann sich ein Käufer redlicherweise abschrecken lassen darf. Die Wahrscheinlichkeit einer Alternativursache indiziert bis zu einem gewissen Grad die Mangelwahrscheinlichkeit, wobei diese nicht als Gegenwahrscheinlichkeiten verstanden werden dürfen. Mängel und Alternativursachen können gleichzeitig vorliegen. Gleichwohl dürfte eine recht starke Indizwirkung nicht abzustreiten sein. Je wahrscheinlicher ein Mangel ist, desto eher ist das Ansinnen des Käufers nachzuvollziehen, Gewährleistungsrechte einzufordern. Entsprechend ist es auch leichter nachzuvollziehen, je geringer die Wahrscheinlichkeit der Alternativursache ist; und umso schwerer, je höher sie ist. Dies wird anhand einer Grenzbetrachtung deutlich: Ein Käufer erkennt in einem Extremfall eine Alternativursache, die mit 99%iger Wahrscheinlichkeit vorliegt. Dies bedeutet, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kein Mangel vorliegt. Möchte der Käufer trotzdem Gewährleistungsrechte einfordern, so er289
Insbesondere lässt sich – um einem nicht fernliegenden Einwand zuvorzukommen – eine Bezugnahme auf die Leistungsfähigkeit nicht generell mit dem Argument verhindern, „Geld habe man zu haben“. Es handelt sich hierbei nicht um Geldschulden, für die das BGB von einem übernommenen Beschaffungsrisiko ausgeht. Vielmehr handelt es sich nur um eine Konkretisierung dessen, was im Verkehr erforderlich ist. Im Verkehr sind mitnichten stets unbegrenzte Kosten erforderlich. 290 Vgl. BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 77. 291 Statt aller BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 75 mit z.w.N. in Fn. 326. 292 Oben aa)(4).
III. Folgefragen
83
scheint es im Verkehr erforderlich, dass er vorher sehr hohe Kosten zur Falsifizierung der Alternativursache auf sich nimmt. Sind nämlich nur geringe Kosten nötig und kann damit die Alternativursache nicht falsifiziert werden, so bedeutet dies effektiv, dass der Verkäufer ohne Regressmöglichkeiten mit einem fast sicher nicht bestehenden Recht konfrontiert wird. In der „Abschreckungsterminologie“ formuliert ist deswegen zu konstatieren: Ein Käufer, der entschlossen ist, ein Gewährleistungsrecht geltend zu machen, obwohl er annähernd sicher eine Alternativursache erkannt hat, darf sich redlicherweise nicht von sehr hohen Kosten für deren Falsifizierung abschrecken lassen. In einem solchen Fall ist es m.E. auch nicht zu beanstanden, dass die Kostengrenze so hoch angesetzt wird, dass Käufer aus wirtschaftlichen Überlegungen von der Klärung der Angelegenheit absehen. Umgekehrt sind bereits niedrige Kosten abschreckend, wenn sie nur dazu dienen, eine fernliegende Alternativursache zu falsifizieren. Mathematisch ließe sich dieser Zusammenhang beispielsweise durch eine Kehrwertfunktion beschreiben:
f (x) =
1 x
Diese müsste verschoben werden: 1 −1 1−x x = 1−x
f (x) =
Für den Definitionsbereich D=[0;1] würde dies den folgenden Graphen beschreiben:
84
B. Vertraglicher Schadensersatz
5
4
f(x)
3
2
x 1−x
1
0
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
x Übertragen auf die hier untersuchte Situation würde diese Einordnung bedeuten, dass die Kostengrenze, ab der sich ein Käufer redlicherweise abschrecken lassen darf (und deswegen die Überprüfung nicht im Verkehr erforderlich ist) proportional zum Kehrwert der Wahrscheinlichkeit der Alternativursache verhält:
Abschreckungsgrenze ∼
p(Alternativursache) 1 − p(Alternativursache)
Dadurch läuft die Kostenbelastung bei niedrigen Wahrscheinlichkeiten gegen 0; bei sicheren Alternativursachen gegen ∞. Dabei ergibt es ersichtlich keinen Sinn, dass ein Käufer nahezu unendlich hohe Kosten aufwendet, um Alternativursachen zu falsifizieren. Dieses Szenario bei sehr hohen Wahrscheinlichkeiten ist anders zu interpretieren: Es besagt schlicht, dass ein Käufer bei einer fast sicheren Alternativursache nicht risikolos Gewährleistungsrechte einfordern kann. (5) Abschreckung in Abhängigkeit vom Kaufpreis Die oben beschriebene Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit lässt noch keine Bezifferung der Kostengrenze zu, weil ihr ein Bezugspunkt fehlt. Nachdem die Leistungsfähigkeit des Käufers als Bezugsgröße auszuschließen ist 293 , kommt alleine der Kaufpreis als zuverlässig bekannte Größe in Betracht. Ein Zusammenhang scheint auch hier naheliegend: Bei einer Produktionsmaschine im Wert von 293
Oben (3).
III. Folgefragen
85
500.000 e erscheinen Überprüfungskosten von 1.000 e weniger abschreckend als beim Kauf einer Bohrmaschine für 200 e.294 M.E. ist es sinnvoll, dass sich die Abschreckungsgrenze grundsätzlich proportional zum Kaufpreis (bzw. einem Bruchteil davon) verhält. Dahinter stehen zwei Überlegungen: Zum einen ist der Kaufpreis ein Indikator für den (wirtschaftlichen) Wert einer Sache. Je höher der Wert einer Sache ist, desto höhere Kosten wird ein Käufer typischerweise bereit sein, in Kauf zu nehmen. Umgekehrt besteht bei einem geringen Warenwert die Gefahr eines Phänomens, das treffend als rationale Apathie bezeichnet worden ist295 : Übersteigen die zu erwartenden Kosten den Nutzen einer Maßnahme (vorwiegend eines Gerichtsverfahrens), so steht zu erwarten, dass die betroffene Person von der Maßnahme Abstand nimmt. Als Kosten in diesem Sinne können ebenso Überprüfungskosten begriffen werden, die gegebenenfalls den Nutzen der Geltendmachung eines Gewährleistungsrechts übersteigen und so zur Abschreckung des Käufers führen können. Dem lässt sich dadurch entgegenwirken, dass man die erforderliche Kostenbelastung gerade dann als sehr gering beziffert, wenn der Kaufpreis – stellvertretend für den zu erwartenden Nutzen – gering ist.296 Zum anderen dürfte zumindest ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Kaufpreis und denjenigen Kosten bestehen, die durch ein Nacherfüllungsverlangen beim Verkäufer entstehen. Ein höherer Preis wird des Öfteren mit einer höheren Komplexität der Kaufsache und dadurch bedingt auch mit aufwendigeren Untersuchungen korrelieren. Diese Kosten muss der Verkäufer unabhängig davon, ob das Nacherfüllungsverlangen letztlich berechtigt war oder nicht, ohne Ersatzmöglichkeit tragen, sofern der Käufer seinen Überprüfungspflichten nachgekommen ist bzw. wegen zu hoher Kostenbelastung keine Überprüfungen durchführen musste. In Anbetracht dieses Umstandes, dass ein Risiko auf den Vertragspartner übergeht, wird ein redlicher Käufer höhere Kosten für die Überprüfung der Alternativursache akzeptieren, bevor er sich abschrecken lässt.297
294
Zu der Korrelation – allerdings im Kontext von Transportkosten – siehe auch Augenhofer, NJW 2019, 1988, 1989. 295 Weber, VuR 2013, 323, 325 m.w.N. 296 Vgl. zu der intuitiven Korrelation von verkehrserforderlicher Sorgfalt und Kaufpreis auch eine handelsrechtliche Entscheidung zum Umfang der Untersuchungsobliegenheit des § 377 Abs. 1 HGB OLG Koblenz, Urteil vom 7. Juli 2016 – 2 U 504/15, Ls. 2, Rn. 22. Gleichwohl hat die dort getroffene Aussage, dass eine handelsrechtliche Untersuchung durch Stichproben, die mindetens 15% des Warenwerts ausmachen, nicht vom Verkehr erwartet wird, keinen Aussagegehalt für die hier interessierende Frage. Die (i.a.R. anlasslose) handelsrechtliche Untersuchung auf etwaige Mängel und die Falsifizierung von Alternativursachen anlässlich eines Mangelverdachts betreffen ganz unterschiedliche Situation. Zum Handelsrecht – insbesodnere zu den sich aus der Untersuchungs- und Rügelobliegenheit ergebenden Besonderheiten – noch unten unter D. 297 Diese Überlegung stimmt auch mit der oben dargestellten Kosten-Nutzen-Analyse überein, aa)(4).
86
B. Vertraglicher Schadensersatz
Nimmt man eine Proportionalität zwischen dem Kaufpreis und der Abschreckungsgrenze an, so steht noch eine Einordnung dergestalt aus, welcher Bruchteil des Kaufpreises als Proportionalitätsfaktor (typischerweise) angebracht erscheint. Dies ist die eigentlich entscheidende Frage, weil sie eine größenordnungsmäßige Aussage zulässt. Leider ist dazu – soweit ersichtlich – keinerlei Anhaltspunkt in der Rechtsprechung oder in Literaturaussagen zu finden. Das folgende Modell ist dementsprechend nur ein Vorschlag, der in erster Linie zur Diskussion einladen soll. Eine Einordnung erscheint am ehesten für den Fall möglich, dass der Käufer eine Alternativursache für ebenso wahrscheinlich hält wie einen Mangel. M.E. ist es in einem solchen „50/50-Fall“ angemessen, dass der Käufer maximal Kosten in Höhe von einem Viertel des Kaufpreises für eine Überprüfung aufwenden muss. Ein „50/50-Fall“ bedeutet, dass nach der Einschätzung des Käufers ein Unsicherheitsrisiko besteht, welches in gleichem Umfang aus den Sphären des Käufers und des Verkäufers stammt. Kosten von mehr als einem Viertel des Kaufpreises erscheinen in einem solchen Fall nach meinem Dafürhalten abschreckend. Insbesondere darf nämlich nicht vergessen werden, dass es sich bei den Kosten für die Falsifizierung der Alternativursachen um nicht ersatzfähige Kosten handelt, die dem Käufer nur dazu dienen, sich von einer Haftung wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens freizukaufen.298 Darüber hinaus scheint die Situation auch aus der Perspektive des Verkäufers nicht unbillig: Er trägt zweifelsohne das Risiko, dass die verkaufte Sache einen Mangel aufweist und damit einhergehend auch ein gewisses Risiko, dass er wegen eines vermeintlichen Mangels zu Unrecht in Anspruch genommen wird. Bis zu einem gewissen Grad299 ist dies ein allgemeines Lebensrisiko.300 Dieses wird durch die Überprüfungspflicht des Käufers mit Kosten bis zu einem Viertel des Kaufpreises deutlich minimiert – es besteht hingegen keine Notwendigkeit, das Risiko gänzlich zu eliminieren. Abgesehen davon ist Folgendes zu beachten: Es wird noch zu zeigen sein301 , dass es dem Käufer grundsätzlich obliegt, den Verkäufer unaufgefordert über seinen Verdacht einer Alternativursache zu informieren, sofern er wegen zu hoher Kosten diese nicht falsifizieren musste. Der Verkäufer hat dadurch die Chance einer eigenständigen Bewertung der Sachlage mit der Option, dem Nacherfüllungsverlangen des Käufers nicht nachzukommen. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es nicht unbillig, wenn der Käufer bei einer Wahrscheinlichkeit einer Alternativursache von 0,5 „nur“ 25% des Kaufpreises zur Falsifizierung aufwenden muss. Erachtet man demnach ein Viertel des Kaufpreises als Abschreckungsgrenze bei einer Wahrscheinlichkeit einer Alternativursache von 0,5 für angemessen, so 298
Oben (1). Siehe dazu aber auch noch E.II.2.c). 300 Vgl. BGH, Urteil vom 12. Dez. 2006 – VI ZR 224/05 = NJW 2007, 1458, Rn. 14 m.w.N.; aus dem wettbewerbsrechtlichen Kontext statt vieler Ahrens, NJW 1982, 2477, 2478. 301 Unten 2., insb. 2.a). 299
87
III. Folgefragen
folgt, dass der Proportionalitätsfaktor a =
Kau f preis 4
beträgt, denn:
p(Alternativursache) 1 − p(Alternativursache) 0, 5 Kau f preis = a· 4 1 − 0, 5 Kau f preis = a·1 4 Kau f preis =a 4
Abschreckungsgrenze = a ·
Somit gilt insgesamt für die Abschreckungsgrenze:
Abschreckungsgrenze =
Kau f preis p(Alternativursache) · 4 1 − p(Alternativursache)
Der dazugehörige Graph sieht wie folgt aus:
Abschreckungsgrenze
2 · KP
1.5 · KP
Kau f preis 4
p(Alternativursache) · 1−p(Alternativursache)
KP
0.5 · KP 0.25 · KP 0.2
0.4 0.5 0.6 p(Alternativursache)
0.8
88
B. Vertraglicher Schadensersatz
Daraus würde beispielsweise folgen: Schätzt der Käufer die Wahrscheinlichkeit einer Alternativursache redlicherweise gering ein – etwa mit 0,25 –, so muss er maximal Kosten von rund 10% des Kaufpreises aufwenden. Andererseits muss der Käufer Kosten bis zur Höhe des Kaufpreises hinnehmen, wenn er die Wahrscheinlichkeit der Alternativursache redlicherweise auf 0,8 schätzt. Bei einer Wahrscheinlichkeit von 0,9 wäre eine Abschreckung durch Kosten erst ab der doppelten Kaufpreissumme anzuerkennen. Bei den letztgenannten beiden Beispielen dürfte die recht hohe Kostenschwelle regelmäßig dazu führen, dass eine mögliche Falsifizierung der Alternativursache nicht aufgrund der Kostenbelastung jenseits dessen liegt, was im Verkehr erforderlich ist. Gleichzeitig wird die Falsifizierung aber wirtschaftlich sinnlos sein und ein Käufer wird darauf verzichten. In der Konsequenz bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder lässt der Käufer die Angelegenheit auf sich beruhen, oder er fordert dessen ungeachtet Gewährleistungsrechte ein. Dies bleibt ihm unbenommen, allerdings läuft er dann Gefahr, sich schadensersatzpflichtig zu machen, wenn sich die Sache als mangelfrei erweist. In Anbetracht der hohen Wahrscheinlichkeiten von Alternativursachen ist m.E. dieses Ergebnis sachgerecht und stützt das vorgeschlagene Modell. (6) Abschließende Bemerkungen zur „Berechnung“ der Abschreckungsgrenze Abschließend sollen drei Aspekte für die Anwendung der beschriebenen Überlegungen Erwähnung finden. Erstens soll erneut betont werden, dass es auf die Frage danach, was der Verkehr als erforderlich ansieht, keine pauschale Antwort geben kann. Entscheidend müssen immer die Umstände des Einzelfalles sein. Alleine deswegen können die gemachten Ausführungen nur Anhaltspunkte liefern, die stets anhand der Gegebenheiten im Einzelfall auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden müssen. Zweitens sollte die Bestimmung einer Abschreckungsgrenze in der beschriebenen Art und Weise vorwiegend als Hilfs- und Auffangüberlegung dienen. Sofern Erfahrungswerte dahingehend bestehen, welche konkreten Überprüfungen der einschlägige gruppenspezifische Sorgfaltsmaßstab fordert, dürften Überlegungen zu einer Kostengrenze kaum relevant sein. Fehlen solche Erfahrungswerte aber, so kann eine Obergrenze der Kostenbelastung bei einer Negativauswahl denkbarer Überprüfungen helfen. Außerdem dürfte eine Kostengrenze immer dann hilfreich sein, wenn externer Sachverstand für die Überprüfung nötig wäre und zu entschieden ist, ob dieser zugekauft werden muss/hätte zugekauft werden müssen. Drittens ist bei der Berechnung auf die hier dargestellte Weise zwangsläufig eine Bestimmung der Wahrscheinlichkeit der fraglichen Alternativursache nötig. Dabei muss dem Käufer ein gewisser Einschätzungsspielraum zugebilligt werden bzw. für die gerichtliche Kontrolle im Rückblick dürfen keine übermäßig strengen Maßstäbe angelegt werden. Entscheidend ist eine redliche ex ante Bewertung durch eine Durchschnittsperson aus der Gruppe des Käufers, die insb.
III. Folgefragen
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nicht durch spätere Erkenntnisse beeinflusst sein darf.302 Dies bringt eine leider nicht zu umgehende Unsicherheitskomponente mit sich, der ein Gericht im Zweifel durch eine relativ käufergünstige Einschätzung gerecht werden sollte. cc) Zusammenfassung zur Kostenbelastung Die Überprüfung von Alternativursachen wie sie der BGH (zu Recht) in seiner Lichtrufanlagenentscheidung303 als Aspekt der verkehrserforderlichen Sorgfalt fordert, ist mit Kosten verbunden. Die Bestimmung einer Kostengrenze, die das im Verkehr Erforderliche von dem nicht mehr Erforderlichen abgrenzt, gestaltet sich schwierig. Dennoch sind einige Abhängigkeiten auszumachen, die für eine Bestimmung typischerweise herangezogen werden können. Dazu gehören insbesondere der zu erwartende Schaden beim Verkäufer im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Überlegung, die Wahrscheinlichkeit einer Alternativursache und der Kaufpreis. 2. Verbleibende Unsicherheiten Selbst durch die aufwändigsten Untersuchungen kann nicht in jedem Fall Sicherheit erlangt werden. Erst recht können Unsicherheiten dann verbleiben, wenn „nur“ eine Prüfung entsprechend der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt geschuldet ist. Im Folgenden soll deswegen die Situation beleuchtet werden, dass der Käufer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt hat. Er hält aber auch danach sowohl einen Mangel als auch eine Alternativursache als Auslöser des Mangelsymptoms für möglich. Anschaulich ist etwa der Fall, dass ein bestimmter Verdacht nur durch eine Überprüfung auszuräumen wäre, die so hohe Kosten mit sich brächte, dass sie nicht als im Verkehr erforderlich gelten kann. Die Überprüfung ist deswegen nicht durchzuführen, der Verdacht einer Alternativursache aber bleibt. In dieser Konstellation stellen sich zwei Fragen: Erstens ist zu klären, ob der Käufer trotz der verbliebenen Unsicherheiten Nacherfüllung verlangen darf, ohne sich gegebenenfalls schadensersatzpflichtig zu machen. Bejahendenfalls stellt sich die zweite Frage, ob in einer solchen Konstellation zumindest ein Informationsaustausch zwischen Käufer und Verkäufer erfolgen muss. Beim Käufer bestehen nämlich Verdachtsmomente, die möglicherweise auch für den Verkäufer interessant sind. Zu erörtern ist deswegen, ob beziehungsweise wann etwaige Bedenken des Käufers dem Verkäufer mitgeteilt werden müssen. Die erste Frage hat eine klare Antwort, die bereits der BGH in der Lichtrufanlagenentscheidung gegeben hat304 : „Bleibt [trotz der gebotenen Überprüfung von Alternativursachen] ungewiss, ob tatsächlich ein Mangel vorliegt, darf der 302
Dazu schon oben aa)(3), sowie etwa BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 85, 79 m.z.w.N. 303 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147. 304 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, unter II.2.c).
90
B. Vertraglicher Schadensersatz
Käufer Mängelrechte geltend machen, ohne Schadensersatzpflichten wegen einer schuldhaften Vertragsverletzung befürchten zu müssen, auch wenn sich sein Verlangen im Ergebnis als unberechtigt herausstellt.“ Eine verbleibende Unsicherheit ist insoweit also für den Käufer unerheblich. Diese Feststellung führt allerdings zur zweiten Frage. Ein Käufer könnte gleichwohl angesichts der verbliebenen Unsicherheit zu einer Kommunikation mit dem Verkäufer verpflichtet sein. Möglicherweise muss der Käufer dem Verkäufer seine verbliebene Unsicherheit mitteilen. Zumindest denkbar wäre es dann auch, die Verletzung einer solchen Pflicht abermals als Anknüpfungspunkt für einen Schadensersatzanspruch des Verkäufers zu bemühen.305 Zu klären ist deswegen, ob den Käufer eine Informationspflicht trifft (a) und ob eine solche wiederum schadensersatzbewehrt ist (b). a) Informationspflicht des Käufers über verbliebene Unsicherheiten Die Frage, wie mit verbleibenden Unsicherheiten umzugehen ist, wurde bislang wenig erörtert. Kaiser geht davon aus, dass der Käufer (wohl unaufgefordert) seine weiterhin bestehenden Bedenken dem Verkäufer mitteilen muss.306 Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn den Käufer eine Aufklärungspflicht träfe. Als Ausnahme von dem Grundsatz, dass es jeder Partei obliegt, sich die für sie relevanten Informationen zu beschaffen, haben Pflichten zum Informationsaustausch enge Grenzen.307 Eine Aufklärungspflicht zeichnet sich dabei dadurch aus, dass sie zu einer unaufgeforderten Kommunikation verpflichtet.308 Eine Aufklärungspflicht besteht nach der etablierten Formel des BGH, wenn „der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind.“309 Beispiele aus der Rechtsprechung finden sich vorwiegend im vorvertraglichen Bereich, wenn bestimmte Informationen bereits für einen Vertragsschluss ent305
Denkbar wäre es ebenso, die vorangegangene Feststellung zu revidieren, wonach der Käufer keine Pflichtverletzung durch das unberechtigte Nacherfüllungsverlangen begehe. Man könnte nämlich auch den Standpunkt vertreten, ein Käufer lege nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag, wenn er bei verbliebenen Unsicherheiten Nacherfüllung verlange, ohne Kommunikationspflichten nachzukommen. Das verhaltensbezogene Pflichtverletzungsverständnis lässt diese Einordnung zu. Alleine der Übersichtlichkeit wegen empfiehlt es sich aber, einen derartigen Aspekt gegebenenfalls als separate Pflichtverletzung zu begreifen. Inhaltlich ergeben sich dadurch keine Unterschiede. 306 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712; zustimmend Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 474. 307 Für einen Überblick über die verschiedenen Erscheinungsformen siehe etwa MünchKomm BGB/Bachmann, § 241 Rn. 121 ff.; BeckOK BGB E59/Sutschet, § 241 Rn. 77. 308 Aus der Rechtsprechung zuletzt BGH, Urteil vom 11. Aug. 2010 – XII ZR 192/08 = NJW 2010, 3362, Rn. 22 mit zahlreichen w.N. auf eine st. Rspr.; MünchKomm BGB/Bachmann, § 241 Rn. 121; BeckOK BGB E59/Sutschet, § 241 Rn. 77. 309 BGH, Urteil vom 11. Aug. 2010 – XII ZR 192/08 = NJW 2010, 3362, Rn. 22 m.w.N.
III. Folgefragen
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scheidend sind.310 Ebenso kann aber auch nach Vertragsschluss eine Aufklärung über bestimmte Aspekte geboten sein.311 Entscheidend ist letztlich, ob in der hier untersuchten Situation eine Mitteilung nach der Verkehrsanschauung erwartet werden kann. Die Situation ist – zur Erinnerung – diejenige, dass ein Käufer die von ihm erwarteten Überprüfungen auf Alternativursachen durchgeführt hat, aber nach wie vor unsicher ist, ob nicht doch eine Alternativursache bestehen könnte. Beispielsweise kann ein Käufer eine mögliche Alternativursache erkennen, diese jedoch nicht falsifizieren, weil die Kosten so hoch wären, dass die Durchführung der Untersuchung nicht von ihm erwartet werden kann. Gerade deswegen verbleibt dem Käufer ein konkreter Verdacht und es ist zu fragen, ob er diesen dem Verkäufer (unaufgefordert) mitteilen muss.312 Kaiser nimmt eine Aufklärungspflicht mit dem Argument an, der Käufer ermögliche so dem Verkäufer, die Kaufsache unter dem Vorbehalt der Kostenerstattung zu untersuchen.313 Im Ergebnis ist dem weitgehend zuzustimmen, die genannte Begründung ist m.E. allerdings nicht tragfähig. Der Verkäufer hat sicherlich ein rein wirtschaftliches Interesse daran, seine „Nacherfüllung“ unter einen Vorbehalt der Kostenerstattung zu stellen, sollte sich das Nacherfüllungsverlangen als unberechtigt herausstellen. Dieses Interesse ist aber nicht schützenswert und darf deswegen auch nicht als Begründung für eine Aufklärungspflicht herhalten: Es ist eine, wenn nicht gar die zentrale Erkenntnis aus der Lichtrufanlagenentscheidung, dass der Käufer gefahrlos Nacherfüllung verlangen kann, sofern er dabei die verkehrserforderliche Sorgfalt beobachtet. Er kann also erstens (ungeachtet eines Kostenvorbehalts) wirksam Nacherfüllung verlangen.314 Damit ist eine Aufgabenzuweisung verbunden: Es ist Aufgabe des Verkäufers, bei Zweifeln hinsichtlich der Mangelfreiheit diese festzustellen. Zweitens kann der Käufer 310 BGH, Urteil vom 28. Juni 2006 – XII ZR 50/04 = NJW 2006, 2618; BGH, Urteil vom 11. Aug. 2010 – XII ZR 192/08 = NJW 2010, 3362; BGH, Urteil vom 15. Nov. 2006 – XII ZR 63/04 = NJW-RR 2007, 298; BGH, Urteil vom 8. Dez. 1989 – V ZR 246/87 = NJW 1990, 975; siehe auch BeckOK BGB E59/Sutschet, § 241 Rn. 81. 311 Siehe etwa BGH, Urteil vom 3. Aug. 2005 – XI ZR 170/04 = NJW 2005, 1579. 312 Es geht dabei nicht – um einem Missverständnis vorzubeugen – darum, ob der Käufer Informationen herausgeben muss, die möglicherweise für den Verkäufer bei dessen Suche nach einem Mangel von Bedeutung sein könnten. Dazu eingehend Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, 284 ff. Solche Auskunftspflichten des Käufers, die auf dem Käufer bereits vorliegende oder mit vernachlässigbarem Aufwand zu beschaffende Informationen („Schauen Sie doch bitte einmal, ob das rote Licht blinkt!“) gerichtet sind und die durch explizite Nachfrage des Verkäufers ausgelöst werden, sind unproblematisch aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB abzuleiten. 313 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712; siehe zu einem solchen Kostenvorbehalt auch Schwarze, NJW 2015, 3601, 3605. 314 Und dies zeitigt alle Rechtsfolgen, die das Gesetz daran knüpft. Insbesondere ist dem Verkäufer dadurch eine Nachfrist gesetzt, die – lässt der Verkäufer sie verstreichen – das Tor zu weiteren Rechtsbehelfen öffnet.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
gefahrlos Nacherfüllung verlangen. Damit ist eine Risiko- und Kostenzuweisung verbunden: Der Verkäufer muss die Kosten für die „Nacherfüllung“ tragen, sofern dem Käufer kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Dies gilt – insoweit ist die Entscheidung unmissverständlich – auch und gerade bei verbliebenen Unsicherheiten.315 Vor diesem Hintergrund kann der Versuch eines Verkäufers, seine „Nacherfüllung“ unter einen (für den Käufer freiwilligen) Kostenvorbehalt zu stellen, nur so verstanden werden, dass er die beschriebene Aufgaben- und Kostenzuweisung unterlaufen möchte. Es steht zu besorgen, dass damit versucht wird, den Käufer entweder doch noch davon abzuhalten, überhaupt Nacherfüllung zu verlangen oder aber ihm die Kosten aufzuerlegen. Mit anderen Worten würde eine verbliebene Unsicherheit dazu genutzt, dem Käufer das gesamte Unsicherheitsrisiko aufzubürden. Dies ist nicht schützenswert316 und kann dementsprechend auch nicht als Begründung für eine Aufklärungspflicht des Käufers dienen. Es muss vielmehr – entsprechend der allgemein anerkannten Voraussetzungen für eine Aufklärungspflicht – untersucht werden, ob „der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind.“317 Einen Präzedenzfall für verbliebene Unsicherheiten nach einer Überprüfung von Alternativursachen gibt es nicht. Im Übrigen ist das Bestehen einer Aufklärungspflicht stets eine Frage des Einzelfalls.318 Dennoch lassen sich einzelne Anhaltspunkte formulieren. Von Bedeutung ist dabei zunächst der Grundsatz, dass Informationsdefizite zum allgemeinen Lebensrisiko gehören.319 Eine Aufklärungspflicht ist eine Ausnahme, weil es nur unter besonderen Umständen geboten ist, das Informationsdefizit zu beseitigen. Für den vorliegend untersuchten Fall sind m.E. zwei Aspekte hervorzuheben. Eine etwaige Aufklärungspflicht lässt sich zunächst inhaltlich begrenzen (aa). Vor diesem Hintergrund ist durch eine Interessenabwägung zu entscheiden, ob dem Käufer die Aufklärung nach Treu und Glauben abverlangt wird (bb).
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BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, unter II.2.c). Eine entsprechende Wertung ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung im werkvertraglichen Kontext zu entnehmen, BGH, Urteil vom 2. Sep. 2010 – VII ZR 110/09 = NJW 2010, 3649, Ls. 2. Danach darf ein Werkunternehmer auch und gerade in Unsicherheitssituationen Untersuchungsmaßnahmen nicht von einer Erklärung des Kunden abhängig machen, dass er die Kosten trage, falls sich der Mangelverdacht zerschlägt. Diese Wertung ist auf die hier gestellte Frage zu übertragen. A.A. Schwarze, NJW 2015, 3601, 3605. 317 BGH, Urteil vom 11. Aug. 2010 – XII ZR 192/08 = NJW 2010, 3362, Rn. 22 m.w.N. 318 BGH, Urteil vom 25. März 2009 – XII ZR 117/07 = NJW-RR 2009, 1101, 102; BGH, Urteil vom 28. Juni 2006 – XII ZR 50/04 = NJW 2006, 2618, 2618 m.w.N. 319 Vgl. MünchKomm BGB/Bachmann, § 241 Rn. 136. 316
III. Folgefragen
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aa) Inhaltliche Begrenzung Es ist nicht Sinn und Zweck einer Aufklärungspflicht, den Gläubiger über Umstände zu unterrichten, die er bereits kennt oder die ihm nur deswegen verborgen geblieben sind, weil er nicht die Sorgfalt an den Tag gelegt hat, die zur Wahrung seiner eigenen Interessen von ihm erwartet werden konnte.320 Mit anderen Worten sind solche Umstände nicht aufklärungspflichtig, die der andere Teil ohne Weiteres selbst erkennen kann oder hätte erkennen können.321 Für den untersuchten Fall bedeutet dies Folgendes: Ist eine potentielle Alternativursache offensichtlich und ist klar, dass bspw. wegen einer zu hohen Kostenbelastung deren Falsifizierung vom Käufer nicht erwartet werden kann, so ist über diesen Umstand auch nicht aufzuklären. Effektiv wird eine Aufklärungspflicht deswegen vorwiegend bei atypischen Umständen in Betracht kommen. Nutzt ein Käufer beispielsweise die Kaufsache in ungewöhnlicher Weise, ohne dass der Verkäufer davon Kenntnis hat, und legt gerade diese Nutzung die Alternativursache nahe, so kommt insoweit auch eine Aufklärungspflicht in Betracht, wenn die Alternativursache nicht falsifiziert werden konnte. bb) Interessenabwägung Es ist dann aber immer noch im Wege einer Interessenabwägung zu klären, ob das Informationsgefälle unbillig ist und deswegen nach Treu und Glauben die Aufklärung erwartet werden kann. Ein schützenswertes Interesse des Verkäufers besteht – wie oben dargelegt – nicht darin, den Käufer zur Zustimmung zu einer Nacherfüllung unter Kostentragungsvorbehalt zu bewegen322 und sich so des Unsicherheitsrisikos zu entledigen. Anzuerkennen ist demgegenüber ein Informationsinteresse des Verkäufers angesichts einer zweiten, leicht anders nuancierten Überlegung: Zum einen steht es dem Verkäufer selbstverständlich frei, einem Nacherfüllungsverlangen seines Vertragspartners nicht nachzukommen, wenn er es als unberechtigt erachtet. Für eine solche Entscheidung sind alle Umstände interessant, die dem Verkäufer eine Risikobewertung ermöglichen, insbesondere solche, die eine verbliebene Unsicherheit nach einer Prüfung durch den Käufer betreffen. Anders als bei dem oben behandelten und „verurteilten“ Versuch, die Nacherfüllung unter den Vorbehalt der Kostentragung durch den Käufer zu stellen, ist es nicht zu beanstanden, wenn sich ein Verkäufer dazu entschließt, auf das Nacherfüllungsverlangen nicht zu reagieren. Er erkauft sich dies gewissermaßen mit einem erheblichen Risiko: Hat er sich geirrt und bestand tatsächlich ein Nacherfüllungsanspruch, so hat er durch seine Weigerung auf sein Recht zur zweiten Andienung verzichtet und dem Käufer die einschneidenden Rechtsbehelfe des 320
BGH, Urteil vom 2. Feb. 1996 – V ZR 239/94 = NJW 1996, 1339, 1340 m.w.N.; MünchKomm BGB/Bachmann, § 241 Rn. 135. 321 MünchKomm BGB/Bachmann, § 241 Rn. 135. 322 A.A. Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712.
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Rücktritts, eines Schadensersatzes statt der Leistung etc. eröffnet. Für eine solche Entscheidung benötigt der Verkäufer nachvollziehbarer Weise die Informationen, die für eine Risikoeinschätzung maßgeblich sind. Ob dies allein zur Begründung einer Aufklärungspflicht genügen kann, mag indes bezweifelt werden. Obwohl ein solches Vorgehen des Verkäufers legitim ist, bricht es doch zu einem gewissen Grad mit der im Gesetz angelegten Ideallösung. Ebenso wie der Gesetzgeber den Verkäufer in erster Linie zur Beseitigung eines Mangels verpflichtet, ist davon auszugehen, dass die Beseitigung von Unsicherheiten gegenüber einer „Eskalation“ der Streitigkeit zu bevorzugen ist. Deswegen ist ein Informationsinteresse des Verkäufers zu relativieren, sofern es auf die Entscheidung abzielt, das (nach den Maßstäben der Lichtrufanlagenentscheidung) berechtigte Nacherfüllungsverlangen des Käufers zu ignorieren. Zum anderen könnte aber eine Aufklärungspflicht auch gerade dem Ziel dienlich sein, Unsicherheiten möglichst kostengünstig zu beseitigen und so die bevorzugte Lösung herbeizuführen: Ein Verkäufer, der sich der Unsicherheiten annehmen und sie beseitigen möchte, hat ein nachvollziehbares Interesse daran, über verbliebene Unsicherheiten hinsichtlich Alternativursachen in Kenntnis gesetzt zu werden. Möglicherweise beeinflusst dies nämlich entscheidend seine Vorgehensweise. Hält er die vom Käufer in Erwägung gezogene Alternativursache für recht wahrscheinlich, so ist denkbar, dass er sie aus Kostengründen zunächst ausräumen möchte, bevor er andere Schritte zur Klärung der Mangelfreiheit einleitet. Wird der Verkäufer hingegen nicht über die betreffende, mögliche Alternativursache unterrichtet, so gestaltet sich die Klärung vielleicht deutlich kostenintensiver. Dieser Aspekt einer möglichen Kostensenkung durch eine Aufklärung sollte m.E. den Ausschlag geben. Dafür spricht nicht zuletzt, dass der Verkäufer im Hinblick auf solche Alternativursachen323 , die bei Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt durch den Käufer nicht ausgeschlossen werden konnten, ein Unsicherheitsrisiko trägt, welches der Sphäre des Käufers entstammt. Wird ihm dieses „fremde“ Risiko aufgebürdet, so erscheint es nur angemessen, dass die sich daraus ergebende Kostenbelastung minimiert wird. Dies erreicht – nach dem Gesagten – eine Aufklärung dadurch, dass sie dem Verkäufer die Möglichkeit einräumt, der Alternativursache nachzugehen. Dies ist für den Käufer auch unmittelbar erkennbar. Ferner ist bei umgedrehter Perspektive die Belastung für den Käufer gering: Nachdem bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die potentielle Alternativursache erkennbar war (und lediglich nicht falsifiziert werden musste oder konnte), hat der Käufer genau die Informationen, die er nur noch an den Verkäufer weitergeben muss. Es ist also insoweit mit keiner besonderen Belastung verbunden. Auch muss sich der Käufer redlicherweise eingestehen, dass die verbliebenen Unsicherheiten aus seiner eigenen Sphäre stammen und deswegen nicht dem Verkäufer zum Nachteil gereichen sollten. 323
Also gerade keine Mängel.
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Ein „Risiko“, welches der Käufer durch eine Aufklärung eingeht, ist hingegen der oben beschriebene Umstand, dass der Verkäufer sich dazu entschließen könnte, das Nacherfüllungsverlangen zu ignorieren. Mit der Aufklärung über verbliebene Unsicherheiten befördert der Käufer zweifelsohne die Vermutung, dass die Sache gar nicht mangelhaft sein könnte.324 Entsprechend nahe liegt die Befürchtung, dass ein Verkäufer dies zum Anlass nehmen könnte, keine Nacherfüllungsbemühungen zu unternehmen. Trotzdem dürfte diese Gefahr eher gering sein, weil ein Verkäufer diesen Schritt nicht leichtfertig gehen wird. Er geht nämlich selbst ein beträchtliches Risiko ein, wenn er ein Nacherfüllungsverlangen ignoriert. Verfolgt der Käufer die Angelegenheit weiter und stellt sich heraus, dass ein Mangel vorlag, so dürften die Nachteile für den Verkäufer erheblich sein. Kosten für die Klärung der Mangelfrage – auch durch Sachverständigengutachten – wären vom Verkäufer im Wege eines Schadensersatzanspruchs zu ersetzen. Hinzu tritt die oben bereits angerissene Konsequenz, dass der Verkäufer unmittelbar den Weg zu den scharfen Gewährleistungsrechten eröffnet, die grundsätzlich unter dem Vorbehalt einer erfolglos verstrichenen Nachfrist stehen. Abseits dieser Überlegungen, die sich auf eine Fehleinschätzung durch den Verkäufer gründen, setzt dieser auch seine Beziehung zu dem Vertragspartner und seinen Ruf aufs Spiel. Oftmals dürfte einem Verkäufer mehr an einer Lösung gelegen sein, die auf eine Pflege der Kundenbeziehung abzielt, auch wenn damit Kosten verbunden sind. Dies gilt umso mehr, wenn der Käufer mit offenen Karten gespielt hat und dem Verkäufer die verbliebene Unsicherheit offenbart hat. cc) Zusammenfassung Nach alldem geht eine Interessenabwägung zugunsten des Verkäufers aus. Nach Treu und Glauben kann deswegen vom Käufer erwartet werden, dass er den Verkäufer über verbliebene Unsicherheiten aufklärt. Hält der Käufer also nach Durchführung der gebotenen Überprüfungen von Alternativursachen es noch immer für möglich, dass die Ursache der Fehlfunktion nicht in einem Mangel begründet liegt, so muss er dies dem Verkäufer zusammen mit dem Nacherfüllungsverlangen unaufgefordert mitteilen. Dies gilt aber nur, sofern der Verkäufer die dafür relevanten Umstände nicht bereits kennt oder ohne Weiteres erkennen kann. Praktisch relevant werden dürfte diese Aufklärungspflicht deshalb nur bei atypischen Sachverhalten wie beispielsweise der Nutzung des Kaufgegenstandes in atypischer Weise oder in einer außergewöhnlichen Umgebung. 324 Siehe auch Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 286, der diskutiert, ob es dem Käufer unzumutbar sei, Auskunft zu erteilen, weil er sich dadurch zum „Anwalt der Gegenpartei“ mache. Die dabei in den Blick genommene Auskunftspflicht bezieht sich allerdings auf jeden Informationsvorsprung, der für die Feststellung der Störungsursache relevant sein kann. Dies ist inhaltlich bedeutend weitergehend als die hier untersuchte Aufklärung über vermutete Alternativursachen.
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b) Schadensersatz bei Verletzung einer Informationspflicht Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb eine solche Informationspflicht nicht auch schadensersatzbewehrt sein sollte. Kann der Verkäufer nachweisen, dass der Käufer eine Informationspflicht schuldhaft verletzt hat und dass gerade wegen der unterbliebenen Information über mögliche Alternativursachen ein Schaden entstanden ist, dann ist dieser auch im Wege eines Schadensersatzanspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Eine derartige Schadensersatzhaftung wird indes als Argument gegen eine Aufklärungspflicht ins Feld geführt.325 Ein Haftungsrisiko sei insbesondere deshalb unangemessen, weil der Käufer mangels fachlicher Kompetenz regelmäßig nicht in der Lage sei, die Relevanz der Umstände zu erkennen.326 Dieser Kritikpunkt läuft allerdings auf Basis der hier angedachten Aufklärungspflicht, die sich nur auf verbliebene Unsicherheiten bezieht, leer. Es handelt sich dabei um potentielle Alternativursachen, die der Käufer bei Anwendung der ihm abverlangten Sorgfalt als solche erkannt und lediglich (aus welchen Gründen auch immer327 ) nicht falsifiziert hat. Im Hinblick auf solche erkannte Alternativursachen erscheint weder eine Aufklärungspflicht unzumutbar, noch ein damit korrelierendes Haftungsrisiko. Umgekehrt formuliert besteht nämlich von vornherein dort keine Aufklärungspflicht und auch kein Haftungsrisiko, wo ein Käufer mangels Sachkunde eine potentielle Alternativursache nicht erkennen konnte. Den beschriebenen Bedenken sollte dadurch Rechnung getragen sein. c) Zusammenfassung Verbleiben Unsicherheiten trotz der im Verkehr erforderlichen Prüfung, so kann der Käufer ohne ein Risiko Nacherfüllung verlangen. Er ist aber zugleich aufgrund der vertraglichen Beziehung dazu verpflichtet, den Verkäufer über etwa verbliebene Bedenken zu informieren, sofern diese nicht offensichtlich oder dem Verkäufer bereits bekannt sind. 3. Unsicherheiten in rechtlicher Hinsicht Die bisherige Untersuchung hat sich auf Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht beschränkt, die Frage also, ob eine Kaufsache „defekt“ ist, oder ob nicht vielmehr ein Umstand aus der Käufersphäre eine Mangelerscheinung hervorruft. Denkbar ist aber auch, dass die maßgeblichen Tatsachen bekannt sind und somit keine Unsicherheit in tatsächlicher Hinsicht besteht, der Käufer aber eine falsche Konsequenz in der rechtlichen Bewertung zieht: Er hält die Sache für mangelhaft (und fordert Gewährleistung ein), obwohl eine „korrekte“ Subsumtion unter § 434 BGB zum Ergebnis geführt hätte, dass die Sache vertragsgemäß ist. 325
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 288. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 288. 327 Aber im Einklang mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt.
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III. Folgefragen
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Es bedarf keiner Weisheiten über zwei Juristen und die Anzahl der von ihnen vertretenen Ansichten, um die grundlegende, über eine Mangelfrage hinausgehende Bedeutung solcher Rechtsirrtümer zu erkennen. Unterschiedliche Rechtsauffassungen sind allgegenwärtig, auch bei korrekter Anwendung juristischer Methodik. Neben der Bewertung des Tatsachenvortrags der Parteien ist es gerade die Entscheidung von Rechtsfragen, die die Kernaufgabe der Gerichte ausmacht. Wann immer dieser Fall eintritt, kann er als Rechtsirrtum der unterlegenen Partei begriffen werden. Ist ein Schaden dadurch erwachsen, dass ein letztlich als unzutreffend beurteilter Rechtsstandpunkt eingenommen wurde und steht dafür eine Verschuldenshaftung im Raum, so liegt regelmäßig die Verteidigung nahe, eine solche Schädigung sei nicht schuldhaft erfolgt. Man habe mit guten Gründen auf die Richtigkeit der Einschätzung vertraut.328 Tatsächlich dürften die hier vorwiegend untersuchten Gewährleistungsstreitigkeiten nicht mehr und nicht weniger anfällig für Rechtsirrtümer sein, als andere Streitigkeiten auch. Gerade deswegen drängt sich die Frage auf, ob Rechtsirrtümer im gewährleistungsrechtlichen Kontext den allgemeinen Grundsätzen (a) und b) folgen, oder ob eine großzügigere Entlastungsmöglichkeit besteht (c). a) Allgemeine Einordnung von Rechtsirrtümern Ausgiebig besprochen werden Rechtsirrtümer im Kontext des Verzugs (§ 286 BGB), bei der Frage nämlich, ob wegen eines Rechtsirrtums kein Vertretenmüssen der Nichtleistung vorliegt und somit kein Verzug eingetreten ist. Die Behandlung von Rechtsirrtümern im Allgemeinen kann davon aber abstrahiert werden. Einigkeit herrscht dahingehend, dass ein unverschuldeter Rechtsirrtum ein Verschulden ausschließt. Diesen Grundsatz tragen eine ständige Rechtsprechung329 und die Zustimmung in der Lehre330 . Das deutsche Zivilrecht folgt also nicht einem Unentschuldbarkeitsdogma („error iuris nocet“).331 In Abgrenzung zu einem Rechtsirrtum („error iuris“) kann kaum angezweifelt werden, dass die bloße Unkenntnis einer Rechtsnorm kaum einmal entschuldigt 328
Vgl. Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 400. Zuletzt BGH, Urteil vom 12. Apr. 2012 – XII ZR 48/10, unter II.4.b)aa). Diese Ansicht lässt sich in den höchstrichterlichen Entscheidungen zurückverfolgen auf RG, Urteil vom 19. Okt. 1934 – II 100/43 = RGZ 146, 133, 144 f., wo eine etwas strengere Herangehensweise (auch ein unverschuldeter Rechtsirrtum wirke nur in ganz besonderen Fällen entlastend) aufgegeben wurde; siehe ansonsten nur Staudinger (2019)/Caspers, § 276 Rn. 55 mit etlichen Nachweisen. 330 Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 400; Staudinger (2019)/Caspers, § 276 Rn. 55; BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 63; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 73 ff. 331 Instruktiv zu rechtsgeschichtlichen sowie rechtsvergleichenden Hintergründen MayerMaly, AcP 170 (1970), 133, 138 ff., wobei eine kategorische Unentschuldbarkeit des Rechtsirrtums auch im römischen Recht und entgegen der Wendung „error iuris nocet“ durchaus in Frage gestellt wird. 329
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B. Vertraglicher Schadensersatz
(„ignorantia iuris nocet“).332 Wenn eine Norm ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist, dann muss das Kennenmüssen weitestgehend außer Frage stehen. Dogmatisch ist dies so zu lösen, dass es fast ausnahmslos333 der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entspricht, dass sich ein Verkehrsteilnehmer in den Bereichen Kenntnis von Rechtsnormen verschafft, in denen er agiert.334 Daran ändert auch die teilweise beklagte „Normenflut“335 nichts, würde die Erheblichkeit der Unkenntnis einer Rechtsnorm doch nichts weniger als den grundlegenden Geltungsanspruch einer Rechtsordnung in Frage stellen. Es bedarf vor diesem Hintergrund auch keiner Relativierungsversuche etwa dahingehend, Datenbanken und Suchmaschinen ließen das Problem weniger kritisch werden.336 Mit oder ohne Datenbanken muss eine Rechtsordnung die Kenntnis ihrer Normen weitestgehend voraussetzen, sonst stellt sie sich selbst in Frage. Anders gestaltet sich die Situation bei einem Rechtsirrtum im eigentlichen Sinne, also einer Fehlvorstellung über den konkreten Normbefehl. Dieser kann nämlich auch bei der korrekten Anwendung juristischer Methodik oftmals nicht zweifelsfrei bestimmt werden. Befindet sich ein Verkehrsteilnehmer unverschuldeterweise in einem solchen Irrtum über den Normbefehl, so lässt dies nach der soeben beschriebenen allgemeinen Meinung im Rahmen einer Verschuldenshaftung das Vertretenmüssen entfallen. Diese Absage an eine Unentschuldbarkeit des Rechtsirrtums bewirkt aber nicht, dass der sich rechtlich Irrende mit Milde behandelt würde. Entscheidend ist vielmehr, ob der Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht, d.h. ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet worden ist. Die Anforderungen des Verkehrs an die Klärung von Rechtsfragen definiert der BGH aber äußerst streng: „Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich, Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten“.337 Auch das Einholen von verlässlichem Rechtsrat lässt aber nur ein eigenes Verschulden entfallen, während eine Fehleinschätzung durch den An332
Siehe nur Staudinger (2019)/Feldmann, § 286 Rn. 164; vgl. auch BGH, Urteil vom 30. Sep. 1958 – VI ZR 193/57 = NJW 1958, 2066, 2066 (im Straßenverkehr ist die Kenntnis aller maßgeblichen Bestimmungen der StVO nötig); OLG Bremen, Urteil vom 17. Feb. 1955 – 2 U 196/53 = NJW 1956, 27, 28; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 73. 333 Siehe aber sogleich unten b) zu einer gewissen Ausnahme, anknüpfend an die Erkennbarkeit von rechtlichen Unsicherheiten. 334 Vgl. BGH, Urteil vom 30. Sep. 1958 – VI ZR 193/57 = NJW 1958, 2066. 335 Siehe die Darstellungen bei Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906; Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 134 m.w.N. 336 Vgl. Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 906. 337 BGH, Urteil vom 25. Okt. 2006 – VIII ZR 102/06 = NJW 2007, 428, unter II.2.a); BGH, Urteil vom 12. Apr. 2012 – XII ZR 48/10, unter II.4.b)aa); BGH, Urteil vom 11. Juli 2012 – VIII ZR 138/11, unter II.2.b); BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 – X ZR 157/05 = NJW 2006, 3271, unter II.3.c); BGH, Urteil vom 6. Dez. 2006 – IV ZR 34/05 = NJW-RR 2007, 382, unter II.1.a)aa); BGH, Urteil vom 4. Juli 2001 – VIII ZR 279/00 = NJW 2001, 3114, unter II.3.d); vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Juni 1994 – XI ZR 210/93 = NJW 1994, 2754, unter II.3.; BGH, Urteil vom 11. Jan. 1984 – VIII ZR 255/82 = NJW 1984, 1028, unter I.3.b); BGH, Urteil vom
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walt, einen Mieterschutzverein o.Ä. wiederum nach § 278 S. 1 BGB zugerechnet wird.338 Klar ist demnach zunächst, dass ein Verhalten entgegen einer (objektiv) klaren Rechtslage339 haftungsrechtlich stets relevant ist. Entweder hat sich der Verkehrsteilnehmer nicht/ungenügend um die Erforschung der Rechtslage gekümmert oder bspw. ein Anwalt hat falsch beraten (§ 278 S. 1 BGB) oder der Mandant hat entgegen der Beratung gehandelt. Nicht ganz einhellig wird aber die Situation bei einer (objektiv) unklaren340 Rechtslage beurteilt. Insoweit postuliert der BGH, dass das Risiko einer Falscheinschätzung der Rechtslage im Grundsatz jeder selbst tragen müsse und es nicht auf das Gegenüber abwälzen dürfe. Fahrlässig handele bereits, wer sich erkennbar im Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewege, in dem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit seines Verhaltens in Betracht ziehen müsse.341 Also: Bei unklarer Rechtslage haftet, wer sich trotzdem eines Rechts berühmt. Damit offenbart sich die „Prüfpflicht“ in rechtlicher Hinsicht effektiv als reiner Anknüpfungspunkt für eine Haftung und nicht342 als Chance für eine Haftungsfreistellung. Für diese Fallgestaltungen besteht somit durchaus, was Thole als „verkappte Risikohaftung“ beschreibt.343 Es folgt daraus letztlich, dass ein Rechtsirrtum nur ganz ausnahmsweise nicht zu vertreten ist, etwa dann, wenn eine bislang gefestigte Rechtsprechung weitgehend unvermittelt geändert wird.344 Wenngleich die beschriebene Position des BGH sehr dominant ist, bestehen für die Situation einer unklaren Rechtslage auch andere Einschätzungen. Es wird 18. Apr. 1974 – KZR 6/73 = NJW 1974, 1903, unter III.; BAG, Urteil vom 29. Aug. 2013 – 2 AZR 273/12, unter II.2.b)dd)(3)(b)(aa) (Rn. 34 nach juris). 338 BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 – X ZR 157/05 = NJW 2006, 3271, unter II.3.c); BGH, Urteil vom 25. Okt. 2006 – VIII ZR 102/06 = NJW 2007, 428, unter II.2.b); Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 413; Harke, NZM 2016, 449, 457; MünchKomm BGB/Grundmann, § 286 Rn. 122. 339 Also jedenfalls dann, wenn eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung besteht und nach juristischer Methodik schlechthin nur eine einzige Beurteilung möglich ist. Siehe dazu etwa die Darstellung bei Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 401 ff. 340 Keine gefestigte höchstrichterliche Rechtssprechung; keine oder unterschiedliche Bewertungen im Schrifttum, s. Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 403 f. 341 BGH, Urteil vom 25. Okt. 2006 – VIII ZR 102/06 = NJW 2007, 428, unter II.3.b)aa); BGH, Urteil vom 16. Dez. 1986 – KZR 36/85 = GRUR 1987, 564, unter 3. m.w.N. 342 Im Gegensatz zu der Prüfpflicht mit Blick auf tatsächliche Unsicherheiten entsprechend der Lichtrufanlagenentscheidung. Dazu ausführlich oben II.1. 343 Thole, AcP 209 (2009), 499, 520; ähnlich MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 74 („kommt einer Garantiehaftung nahe“). 344 BGH, Urteil vom 7. März 1972 – VI ZR 169/70 = NJW 1972, 1045, unter II.3., wobei die Entscheidung insoweit sogar „großzügig“ für den Irrenden ausgefallen ist, als der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung immerhin instanzgerichtliche Entscheidungen entgegengestanden hatten, die – wenn auch mit anderer Begründung – Vorboten einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung waren. A.A. Thole, AcP 209 (2009), 499, 520.
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darin teilweise ein erlaubtes Risiko gesehen. Solange die Rechtslage nicht eindeutig sei und das Verhalten auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt beruhe, bestehe kein Fahrlässigkeitsvorwurf.345 Die strenge Beurteilung durch den BGH ist gleichwohl richtig. Zunächst überzeugt der Einwand nicht, es werde eine Risikohaftung oder Garantiehaftung errichtet, die nicht gut in das System der Verschuldenshaftung passe.346 Es handelt sich dabei um ein Scheinargument, denn eine Verschuldenshaftung bedeutet nicht, dass ein Verhalten (hier das Sichberufen auf eine unklare Rechtslage) zwangsläufig (unter entsprechenden Sorgfaltsvorkehrungen) risikolos möglich sein muss. Ein durch ein bestimmtes Verhalten hervorgerufenes und nicht auszuräumendes Risiko kann bei einer Verschuldenshaftung schlicht der Anlass dafür sein, dass eben dieses Verhalten unterbleiben muss, sofern der Verkehrsteilnehmer nicht gewillt ist, ein Haftungsrisiko einzugehen. Das wohl gewichtigere Argument liegt in dem Postulat, niemand dürfe bei rechtlicher Unsicherheit gezwungen werden, ein Recht endgültig aufzugeben.347 Dies ist aber, wie zutreffend bemerkt wurde348 , insoweit verfehlt, als dieser Fall gerade nicht eintritt, wenn sich das Risiko realisiert. Objektiv (bzw. nach Auffassung des letztentscheidenden Gerichts) besteht das Recht gerade nicht und es wird somit niemandem abverlangt, darauf zu verzichten.349 Diesem Einwand zum Trotz muss die Forderung, niemand dürfe bei rechtlicher Unsicherheit gezwungen werden, ein Recht endgültig aufzugeben350 , durchaus ernst genommen werden. Gemeint sein dürfte – ganz ähnlich der hier bereits ausführlich behandelten Frage vor dem Hintergrund von Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht351 – dass der umgekehrt gelagerte Fall verhindert werden müsse: Obwohl objektiv ein Recht besteht, bewirkt das Haftungsrisiko bei einer Geltendmachung eine Abschreckung und deswegen „verkümmert“ das Recht. Mag dies im Einzelfall auch zu bedauern sein, so muss trotzdem im Bewusstsein bleiben, dass eine Haftungsfreistellung im zivilrechtlichen Kontext automatisch bedeuten würde, dass dem Gegenüber das Risiko der unklaren Rechtslage 345
BAG, Urteil vom 13. Juni 2002 – 2 AZR 391/01 = NZA 2003, 44, unter II.2.b)cc); BAG, Teilurteil vom 22. März 2001 – 8 AZR 536/00; obgleich eine Risikotragung bejahend im Ergebnis großzügiger BAG, Urteil vom 19. Aug. 2015 – 5 AZR 975/13, Orientierungssatz 2, Rn. 31; aus dem Schrifttum etwa Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 153; Rittner, FS Hippel zum 70. Geburtstag, S. 391, 413; Staudinger (2019)/Feldmann, § 286 Rn. 167 f.; Damler/Zeyher, AcP 218 (2018), 905, 943; generell zur Ungleichbehandlung von Rechts- und Tatsachenirrtümern auch Baumann, AcP 155 (1956), 495, 504. 346 Mayer-Maly, AcP 170 (1970), 133, 153; vgl. auch Thole, AcP 209 (2009), 499, 520; MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 74, wobei die Letztgenannten dies nicht explizit als Argument bemühen. 347 MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 75. 348 Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 410. 349 Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 410. 350 MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 75. 351 Oben 1.b)bb).
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auferlegt würde. Mit Blick auf rechtliche Unsicherheiten lässt sich das aber nicht rechtfertigen, denn die Betroffenen sind in Anbetracht der unklaren Rechtslage gleichermaßen unschuldig und machtlos. In dem Fall sollte derjenige das Risiko tragen, der gestützt auf eine rechtlich unsichere Lage handelt und es in der Hand hätte, durch Nicht-Handeln das Risiko zu umgehen.352 Seine „Grenzinitiative“353 in rechtlich unsicherem Gebiet kann mit Blick auf die Weiterentwicklung rechtlicher Begriffe zwar durchaus als wünschenswert erachtet werden.354 Die Schäden durch (rückblickend besehen erfolglose) Pionierarbeit sollten trotzdem nicht dem Gegenüber aufgebürdet werden, sondern dem Pionier, der sich ex ante auch Vorteile erhofft hatte. Die soeben beschriebene „paritätische Ohnmacht“ in Anbetracht rechtlicher Unsicherheiten stellt den zentralen Unterschied zu den zuvor behandelten verbleibenden Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht355 dar. Dort steht regelmäßig die Möglichkeit im Raum, dass ein Mangel – und somit ein Umstand aus dem Verantwortungsbereich des Verkäufers – ursächlich für die Fehlfunktion und die sich ergebende Unsicherheitslage war. Darin ist auch ein Anknüpfungspunkt dafür zu sehen, dass der Verkäufer unter Umständen das Risiko verbliebener Unsicherheiten tragen sollte. b) Einschränkung: Erkennbarkeit rechtlicher Unsicherheiten Die Diskussion fokussiert sich – entsprechend der gegebenen Darstellung – auf die Behandlung von Rechtsirrtümern in objektiv unklaren Fällen. Diese Frage ist mit den obigen Argumenten zugunsten einer strengen Handhabung zu entscheiden. Unabhängig davon, ob die Rechtslage objektiv klar oder unklar ist, unterliegt die Haftung für Rechtsirrtümer aber einer Beschränkung, die sich aus der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik ergibt und die unter besonderen Umständen eine Entlastung für Rechtsirrtümer bewirken sollte: Fahrlässigkeit bedarf als eine Grundvoraussetzung der Erkennbarkeit der haftungsbegründenden Umstände.356 Da der haftungsrechtliche Vorwurf in der Geltendmachung eines aus rechtlichen Gründen nicht bestehenden Rechts besteht, muss sich die Erkennbarkeit auch 352
Ebenso Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 410; vgl. auch Haertlein, MDR 1/2009, 1, 3. Eine Ausnahme wird man wohl dort machen müssen, wo eine „Entscheidungsnotlage“ dergestalt besteht, dass auch das Nicht-Handeln zum haftungsrechtlichen Vorwurf gereicht und kein „Ausweg“ etwa in Gestalt des § 372 BGB zu Gebote steht, dazu Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 412; siehe auch MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 76. 353 Siehe für den Begriff Löwisch, Deliktsschutz relativer Rechte, S. 217 im Kontext des gewerkschaftlich betriebenen Arbeitskampfes. 354 Götz, Schädigende Rechtsverfolgung, S. 202 im Kontext der prozessualen Geltendmachung vermeintlicher Rechte. 355 Oben 2. 356 BeckOK BGB E59/Lorenz, § 276 Rn. 28 ff.; BeckOGK BGB 2021/Schaub, § 276 Rn. 60 ff.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
auf den Rechtsirrtum beziehen. Maßgeblich ist ein gruppenspezifischer Sorgfaltsmaßstab. Für einen Verbraucherkäufer gelten demnach andere Maßstäbe als beispielsweise für ein Unternehmen. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung der Rechtsprechung zu sehen, „[d]er Schuldner [müsse] die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten“.357 Diese Verhaltensanforderungen sind sachgerecht, sie können aber nur ausgelöst werden, wenn überhaupt für die betroffene Person ein Anlass dazu besteht, die Rechtslage zu prüfen, Rechtsrat einzuholen etc. Andernfalls wird die Verschuldenshaftung tatsächlich systemwidrig zu einer Risiko- oder Garantiehaftung umgedeutet.358 Das bedeutet nun nicht, dass diese Erkennbarkeit rechtlicher Unsicherheiten nicht ihrerseits sehr streng zu handhaben wäre. Sobald sich ein Rechtsstreit abzeichnet, muss ausnahmslos jeder Verkehrsteilnehmer damit rechnen, dass er die Rechtslage nicht vollends überblickt. Dasselbe gilt, wenn er mit einer Forderung konfrontiert wird und diese bestreiten möchte, denn alleine die offensichtlich abweichende Auffassung seines Gegenübers muss ihn für eine möglicherweise andere Bewertung sensibilisieren. Generell gilt: Je komplexer die Angelegenheit359 und je schadensträchtiger ein Ansinnen sein kann, desto weniger Raum bleibt für das Argument, die Notwendigkeit eines rechtlichen Hinterfragens sei nicht erkennbar gewesen. Unter diesen Rahmenbedingungen kann insbesondere dann die Verantwortlichkeit für einen Rechtsirrtum entfallen, wenn im Verlauf einer späteren Streitigkeit ein erster Schritt gemacht wird und dadurch keine sonderlich hohen Schäden zu besorgen sind: Stellt sich für einen redlichen Käufer die Situation als einfacher Gewährleistungsfall dar, so kann ihm im Hinblick auf eine später entscheidende Rechtsfrage360 eventuell kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er Nacherfüllung verlangt hat, ohne „wegen dieser Banalität“ vorher Rechtsrat eingeholt zu haben.361 Bestreitet aber daraufhin der Gegenüber einen Anspruch, dann muss dies als Warnsignal verstanden werden. Fortan müssen rechtliche Unsicherheiten in Erwägung gezogen werden und es besteht das oben diskutierte Haftungsrisiko für ab diesem Zeitpunkt entstehende Schäden. Anknüpfungspunkt für eine Haftung ist dann das weitere Verfolgen, wenn sich letztlich herausstellt, dass die Position des Prätendenten rechtlich falsch war.
357
BGH, Urteil vom 25. Okt. 2006 – VIII ZR 102/06 = NJW 2007, 428, unter II.2.a). Dazu Thole, AcP 209 (2009), 499, 520; ähnlich MünchKomm BGB/Grundmann, § 276 Rn. 74 („kommt einer Garantiehaftung nahe“), sowie schon oben a). 359 Vgl. Thole, AcP 209 (2009), 499, 543, der allerdings einen insgesamt milderen Umgang mit Rechtsirrtümern fordert und diesen Zusammenhang dementsprechend für die Vermeidbarkeit von Rechtsirrtümern im Allgemeinen postuliert. 360 Etwa eine Vertragsauslegung zu Ungunsten des Käufers. 361 Vgl. Thole, AcP 209 (2009), 499, 543. 358
III. Folgefragen
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Als ein weiteres Beispiel für fehlende Erkennbarkeit lässt sich etwa der folgende Fall konstruieren: Ein Vermieter kündigt seinem Mieter mit der Erläuterung, der Mieter habe – was zutrifft – zwei Monate in Folge seine Miete nicht vollständig bezahlt. Der Vermieter erachtet den aufgelaufenen Mietrückstand von insgesamt 80% einer Monatsmiete als einen „nicht unerheblichen Teil“ der Miete i.S.d. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. a) BGB. Darin liegt ein Rechtsirrtum362 , für den sich der Vermieter auch nicht entschuldigen kann. Ein so „gefährliches“ Ansinnen wie die Kündigung einer Wohnraummiete will nämlich stets auch rechtlich sorgfältig geprüft sein. Der Vermieter haftet also für die Schäden des Mieters. Gleichzeitig unterliegt aber der Mieter, der in der Stresssituation auf die Kündigung und die plausible Erklärung des Vermieters hin auszieht, bei dem Umzugskosten und vielleicht eine höhere Miete anfallen, demselben Rechtsirrtum. Es stellt sich dann die Frage eines Mitverschuldensanteils. In Anbetracht typischerweise geringerer rechtlicher Vorbildung eines Mieters erscheint es in einem solchen Fall denkbar, die Erkennbarkeit des Rechtsirrtums für den Mieter mit der Konsequenz zu verneinen, dass § 254 Abs. 1 BGB gar nicht eingreift. Die beschriebene Einschränkung der Verantwortlichkeit für Rechtsirrtümer über deren Erkennbarkeit dürfte letztlich aber nur selten relevant sein, weil die Erkennbarkeit auch für den juristischen Laien regelmäßig gegeben sein dürfte. Insgesamt bleibt es damit bei einer strengen Handhabung von Rechtsirrtümern. c) Bedeutung für kaufrechtliche Sachverhalte Grundsätzlich sind Rechtsirrtümer im kaufrechtlichen Kontext ebenso gut denkbar wie in anderen Fallgestaltungen auch. Verweigert etwa ein Käufer kommentarlos die Zahlung, weil er fälschlicherweise meint, ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB entfalte – wie § 320 BGB363 – auch Wirkung, ohne dass die Einrede erhoben wird, so ist der Verzugseintritt davon abhängig, ob der Rechtsirrtum als entschuldigend einzuordnen ist. Gleiches gilt, wenn der Käufer meint, er sei wirksam vom Vertrag zurückgetreten, weil er dem Irrglauben unterliegt, das deutsche Recht billige dem Käufer ein unbedingtes Rücktrittsrecht zu. Hinsichtlich eines Nacherfüllungsverlangens beschreibt Herrler einen erdachten Rechtsirrtum in Anlehnung an die Lichtrufanlagenentscheidung des BGH: Ein Käufer nimmt den Verkäufer wegen eines Mangels in Anspruch, obwohl er erkennt, dass eine fehlerhafte Installation der Kaufsache durch einen (vom Käufer selbst beauftragten) Installateur für das Problem verantwortlich ist. Er meint aber, Verkäufer und Installateur seien wechselseitig für Fehler des jeweils anderen verantwortlich.364 362 In Anlehnung an § 569 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 BGB ist erst ab einem Rückstand, der eine Monatsmiete erreicht hat, von einem nicht unerheblichen Teil auszugehen, BGH, Urteil vom 27. Sep. 2017 – VIII ZR 193/16, unter II.1. 363 BGH, Urteil vom 14. Feb. 2020 – V ZR 11/18 = NJW 2020, 2104, Ls. 1. 364 Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 475.
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Lenkt man den Blick allerdings auf die für Nacherfüllungsverlangen zentrale Problematik von Unsicherheiten hinsichtlich der Mangelhaftigkeit einer Kaufsache an sich, dann erscheinen Rechtsirrtümer gleichwohl eher unwahrscheinlich und somit nicht übermäßig praxisrelevant (aa). Angesichts der trotzdem verbleibenden Möglichkeit von Rechtsirrtümern fragt sich dennoch, was die soeben beschriebenen Grundsätze zur Behandlung von Rechtsirrtümern für die hier untersuchten Unsicherheiten über die Mangelhaftigkeit bedeuten. Sie bedeuten nach hier vertretener Auffassung eine relativ strenge Handhabung, die auch einen Käufer mit einem Haftungsrisiko belegt (bb). Dieser Befund wird aber – insoweit anders als bei Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht – nicht durch eine übermäßige Abschreckungswirkung wieder in Frage gestellt (cc). aa) Rechtsirrtümer bei der Mangelhaftigkeit Die Frage eines Mangels ist naturgemäß sehr stark durch Tatsachen geprägt. Es nimmt daher nicht Wunder, dass – soweit ersichtlich – Rechtsirrtümern hinsichtlich der Mangelhaftigkeit einer Kaufsache bislang keine sonderliche Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Definiert als Diskrepanz zwischen Ist- und SollBeschaffenheit kann ein Rechtsirrtum nur bei der Bestimmung des Geschuldeten nach § 434 BGB auftreten. Auch dabei ist allerdings vieles eine Tatsachenfrage und keine Rechtsfrage. Von vornherein verbleibt dort kein Raum für rechtliche Unsicherheiten, wo eine Beschaffenheit vertraglich klar definiert ist (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB). Aber auch dann, wenn der Inhalt einer Vereinbarung, die als Maßstab für die Mangelfreiheit dienen soll, zunächst unklar ist (etwa bei mündlich geschlossenen Verträgen), so liegt darin zu weiten Teilen eine Tatsachenfrage. Der (buchstäbliche) Inhalt eines Vertrags ist eine Tatsachenfrage; gleiches gilt für die Umstände des Vertragsschlusses und andere Faktoren, die für eine Vertragsauslegung relevant sein können. Erst diese Vertragsauslegung im engeren Sinne ist eine Rechtsfrage365 , über die ein Käufer im Irrtum sein kann. Ähnliches gilt für die Bestimmung eines Mangels bei fehlender Vereinbarung (§ 434 Abs. 1 S. 2 BGB): Nur soweit nach Klärung der maßgeblichen Umstände eine Vertragsauslegung nötig ist, um zu bestimmen, was die „nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung“ ist, kommt bei § 434 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB ein Rechtsirrtum in Betracht. Was die „gewöhnliche Verwendung“ (§ 434 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB) einer Sache ist, wird grundsätzlich auf der Tatsachenebene zu entscheiden sein. Nur selten wird es einmal auf eine Auslegung der Norm an sich und damit auf eine Rechtsfrage ankommen.366 Als Gegenbeispiel kann allerdings die in den vergangenen Jahren intensiv diskutierte Abschalteinrichtung bei Kraftfahrzeugen die365
Vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2004 – VIII ZR 164/03, unter II.1.a)aa). Zur – freilich realitätsfernen – Veranschaulichung: Meint „gewöhnlich“ i.S.d. Norm in 51%, 80% oder 90% der vergleichbaren Fälle. 366
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nen. Die tatsächlichen Umstände, dass Fahrzeuge mit Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung versehen waren, wie diese funktionierten etc., war bald klar. Es bedurfte aber der Klärung der Rechtsfrage durch den BGH, dass bei einem Kfz die „gewöhnliche Verwendung“ i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB dadurch betroffen ist, dass die Betriebserlaubnis gefährdet wird.367 Diese Aufstellung zeigt, dass Rechtsirrtümer hinsichtlich der Mangelhaftigkeit einer Kaufsache zwar möglich sind, praktisch aber keine sonderlich große Rolle spielen dürften. Daran wird, möglicherweise nach einer Übergangsphase mit leicht erhöhter Rechtsunsicherheit, auch das zum 1. Januar 2022 in Kraft tretende Gesetzes zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags vom 25. Juni 2021368 nichts ändern. An dem Umstand, dass Sachmängel weitgehend von tatsächlichen Umständen abhängen, ändert sich nichts. Dass Rechtsirrtümer – wenn auch selten – möglich sind, gibt Anlass zu der Überlegung, wie damit umzugehen ist. bb) Konsequenz für ein Nacherfüllungsverlangen Wer in einer vertraglichen Beziehung ein nicht bestehendes Recht einfordert und dabei nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag legt, trägt ein Haftungsrisiko aus § 280 Abs. 1 BGB.369 Entsprechend dem oben dargelegten, strengen Umgang mit Rechtsirrtümern lässt derjenige, der in rechtsirrender Weise ein Recht behauptet, fast immer die verkehrserforderliche Sorgfalt vermissen370 : Entweder hat er sich nicht erkundigt, insb. keinen nötigen Rechtsrat eingeholt, oder der Rechtsrat war falsch, oder – im Fall einer objektiv unklaren Rechtslage – er hat sich entschieden, trotz des Risikos einer Fehleinschätzung das Recht geltend zu machen. Das bedeutet aber, dass auch derjenige, der von einem Mangel ausgeht, sich dabei rechtlich irrt und Nacherfüllung verlangt, grundsätzlich für die dadurch entstehenden Schäden einstehen muss. Zwar wird diese Einordnung des Rechtsirrtums primär im Kontext eines Verzugseintritts diskutiert, es besteht aber kein Grund, weshalb die dabei geltenden Grundsätze nicht allgemeingültig sein sollten. Das bedeutet konkret: Wenn der Rechtsirrtum i.R.d. Verzugs einen Fahrlässigkeitsvorwurf nicht entfallen lässt, dann gilt dasselbe auch dann, wenn ein Verkehrsteilnehmer zu Unrecht ein Recht behauptet, ohne dass dadurch eine Frage des Verzugs betroffen wäre. Die hier untersuchte gewährleistungsrechtlichen Situation ermöglicht tatsächlich einen anschaulichen Vergleich: Der (Zahlungs-)Verzug eines Käufers kann dann von einem Rechtsirrtum abhängig sein, wenn der Käufer sich auf ein mangelbedingtes 367 BGH, Hinweisbeschluss vom 8. Jan. 2019 – VIII ZR 225/17 = NJW 2019, 1133, unter II.1.a). 368 BGBl. I S. 2133. 369 Zu der Konzeption von verhaltensbezogenen Pflichten im Detail oben I.1. 370 Oben aa).
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Zurückbehaltungsrecht beruft und sich in rechtlicher Hinsicht über das Vorliegen des Mangels irrt. Dieser Fall kann keinen anderen Verschuldensvorwurf beinhalten als das Einfordern nicht bestehender Gewährleistungsrechte, basierend auf einem Rechtsirrtum über die Mangelhaftigkeit der Kaufsache. Der Käufer haftet somit quasi standardmäßig für Rechtsirrtümer.371 Damit ist aber auch klar, dass sich Rechtsirrtümer schwerlich nach derselben „Prüfpflichten-Formel“ bewerten lassen, die der BGH in der Lichtrufanlagenentscheidung richtigerweise372 für Tatsachenirrtümer etabliert hat.373 Die oben beschriebene Rechtsprechung zu Rechtsirrtümern nutzt zwar eine ähnliche Formulierung: „Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich, Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten“.374 Während aber die Prüfpflicht in tatsächlicher Hinsicht die realistische Aussicht auf eine Haftungsfreistellung bereithält375 , ist dies bei rechtlichen Unsicherheiten – wie soeben dargelegt (a) – kaum einmal der Fall. Das, was als Pflicht beschrieben wird, „die Rechtslage sorgfältig [zu] prüfen“376 , ist also primär ein Anknüpfungspunkt für eine Haftung, nicht hingegen eine (realistische) Chance auf Haftungsfreistellung. Die allgemeine Handhabung von Rechtsirrtümern beansprucht also auch bei der Geltendmachung von Nacherfüllung Geltung mit der Konsequenz einer möglichen Schadensersatzhaftung des Käufers. cc) Keine durchgreifenden Gründe für eine abweichende Handhabung Trägt ein Käufer, der Nacherfüllung verlangt, somit grundsätzlich das Risiko einer rechtlichen Falschbeurteilung der Mangelhaftigkeit und droht ihm deswegen eine Schadensersatzhaftung, so drängt sich auch hier die Problematik einer (Über-)Abschreckung auf.377 Ein Haftungsrisiko sollte auch hierbei idealerweise nicht dazu führen, dass ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer von der Gel371
Eine Haftung entfällt beispielsweise nur dann, wenn eine gefestigte Rechtsprechung (hier insbesondere: über Aspekte des § 434 BGB) unvermittelt geändert wird. 372 Dazu oben ab II.1. 373 A.A. Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 475; Thole, AcP 209 (2009), 499, 534. 374 BGH, Urteil vom 25. Okt. 2006 – VIII ZR 102/06 = NJW 2007, 428, unter II.2.a); BGH, Urteil vom 12. Apr. 2012 – XII ZR 48/10, unter II.4.b)aa); BGH, Urteil vom 11. Juli 2012 – VIII ZR 138/11, unter II.2.b); BGH, Urteil vom 12. Juli 2006 – X ZR 157/05 = NJW 2006, 3271, unter II.3.c); BGH, Urteil vom 6. Dez. 2006 – IV ZR 34/05 = NJW-RR 2007, 382, unter II.1.a)aa); BGH, Urteil vom 4. Juli 2001 – VIII ZR 279/00 = NJW 2001, 3114, unter II.3.d); vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Juni 1994 – XI ZR 210/93 = NJW 1994, 2754, unter II.3.; BGH, Urteil vom 11. Jan. 1984 – VIII ZR 255/82 = NJW 1984, 1028, unter I.3.b); BGH, Urteil vom 18. Apr. 1974 – KZR 6/73 = NJW 1974, 1903, unter III.; BAG, Urteil vom 29. Aug. 2013 – 2 AZR 273/12, unter II.2.b)dd)(3)(b)(aa) (Rn. 34 nach juris). 375 Dazu im Detail oben 2. 376 BGH, Urteil vom 25. Okt. 2006 – VIII ZR 102/06 = NJW 2007, 428, unter II.2.a). 377 Dazu im Kontext von Tatsachirrtümern und der daraus resultierenden Haftung schon im Detail oben 1.b)bb).
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tendmachung seiner Rechte abgeschreckt wird. Ein Abweichen von der dargestellten Handhabung ist vor diesem Hintergrund aber nicht angezeigt. Zum einen ist es grundsätzlich nicht zu begründen, das Risiko einer rechtlichen Falschbeurteilung dem Gegenüber aufzubürden. Das im Rahmen der allgemeinen Einordnung378 vorgebrachte Argument verfängt im hiesigen Kontext ebenso: Rechtliche Unsicherheiten hinsichtlich der Mangelfrage unterfallen der Verantwortungssphäre des Käufers ebenso wenig wie derjenigen des Verkäufers. Anders als im tatsächlichen Bereich, wo der Verkäufer als Schuldner der Mangelfreiheit typischerweise den besseren „Zugang“ zu dieser Frage hat, hat er keine in irgendeiner Weise bessere Stellung als der Käufer, soweit rechtliche Fragen betroffen sind.379 Beide Seiten sind gleichermaßen zur Rechtserkenntnis imstande oder eben nicht. Von dieser dogmatischen Hürde abgesehen ist aber in der hier untersuchten Situation das Haftungsrisiko speziell wegen rechtlicher Unsicherheiten ohnedies als gering einzustufen. Dies liegt vor allem daran, dass Rechtsirrtümer mit Blick auf die Mangelhaftigkeit einer Kaufsache von vornherein schwer denkbar sind.380 Mit anderen Worten: Wer über einen Mangel irrt, wird in aller Regel einem Tatsachenirrtum erlegen sein, für den nicht die strengen Regeln über Rechtsirrtümer gelten, sondern die oben dargelegten Grundsätze.381 Zudem kann die oben beschriebene Beschränkung einer Haftung aufgrund fehlender Erkennbarkeit rechtlicher Unsicherheiten382 insbesondere solchen Käufergruppen eine Entlastung verschaffen, die als juristisch unbefangen gelten müssen. Davon unabhängig begrenzt vorwiegend ein Mitverschulden (bzw. die korrespondierende Schadensminderungsobliegenheit des Verkäufers gemäß § 254 Abs. 1 BGB) die Ersatzfähigkeit von Schäden erheblich.383 Ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen hat zwar abstrakt besehen ein nicht unerhebliches Schädigungspotential384 , und zwar ungeachtet der Frage, ob ein Rechtsirrtum oder ein Tatsachenirrtum zugrunde liegt. Dieses Schädigungspotential kann sich aber nicht ohne Weiteres entfalten. Ein Verkäufer verstößt gegen § 254 Abs. 1 BGB, wenn er beispielsweise auf ein unspezifiziertes Nacherfüllungsverlangen hin blindlings aufwändige Untersuchungen in die Wege leitet und Rechtsrat einholt. Vielmehr muss ein Verkäufer – insbesondere ein Unternehmer-Verkäufer – mit Nacherfüllungsverlangen wirtschaftlich sinnvoll umgehen. Das wird oftmals eine vorgelagerte Erörterung von vermeintlichen Mangelsymptomen erfordern, 378
Oben a). Ähnlich Haertlein, MDR 1/2009, 1, 3. 380 Dazu soeben aa). 381 Oben insbesondere II. 382 Oben b). 383 Die große Bedeutung von § 254 Abs. 1 BGB betont auch Herrler, MittBayNot 6/2008, 471, 475. 384 Allgemein zu denkbaren Schadensposten sogleich IV. 379
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um entscheiden zu können, welche Reaktion durch den Verkäufer überhaupt sinnvoll ist. Liegt nun aber ein Rechtsirrtum dem Nacherfüllungsverlangen zugrunde, dann besteht zumindest eine realistische Chance, dass beispielsweise aufwändige Überprüfungen der Kaufsache auf Mängel gar nicht erst durchgeführt werden. Schildert nämlich der Käufer die Funktionalität in einer Weise, die der Verkäufer als vertragsgemäß erachtet, dann wird für den Verkäufer keine Veranlassung zu Überprüfungen der Mangelhaftigkeit in tatsächlicher Hinsicht bestehen. Führt er sie dennoch durch, ist ein Schadensersatzanspruch nach § 254 Abs. 1 BGB zu kürzen. In einem so gelagerten Fall reduzieren sich erstattungsfähige Reaktionsmöglichkeiten des Verkäufers also von vornherein auf das Einholen von Rechtsrat. Auch dabei gelten dann aber strenge Voraussetzungen, denn nach ständiger Rechtsprechung sind nicht schlechthin alle adäquat kausalen Rechtsanwaltskosten ersatzfähig, sondern nur solche, die aus Sicht des Betroffenen erforderlich und zweckdienlich waren.385 Erforderlich dürfte Rechtsrat nur dann sein, wenn der Verkäufer nicht selbst – beispielsweise weil von ihm als kommerziellem Verkäufer grundlegende Kenntnisse im Kaufrecht zu erwarten sind – den Rechtsirrtum des Käufers mit hinreichender Sicherheit erkennen kann. Vertritt etwa ein Verbraucher-Käufer einen abwegigen Standpunkt, dann bedarf es wohl kaum einmal der Einschaltung eines Rechtsanwalts auf Seiten des UnternehmerVerkäufers.386 Gleichwohl ist es dem Verkäufer selbstverständlich nicht zu verwehren, auch vorprozessual Rechtsrat einzuholen, wenn die Lage aus seiner Sicht ernsthaft unklar erscheint und er sicherstellen möchte, sich nicht selbst vertragsbrüchig zu verhalten, wenn er dem Käufer eine Nacherfüllung verweigert. Vor dem Hintergrund, dass derlei Rechtsfragen aber (zumindest im hier besprochenen Zusammenhang) äußerst selten sein dürften387 , trägt dies kaum zu einer Erhöhung des Haftungsrisikos bei. Insgesamt erscheint das Risiko, das in der speziellen Gewährleistungssituation von Rechtsirrtümern ausgeht, sehr überschaubar zu sein. Deswegen kann auch keine Sorge vor Abschreckung eine andere Behandlung von Rechtsirrtümern fordern, zumal dem die beschriebenen dogmatischen Hindernisse entgegenstünden. Diese (insgesamt strenge) Einordnung von Rechtsirrtümern im Kontext des Kaufrechts wird – entgegen Thole388 – auch nicht durch ein Urteil des BGH vom 16. 1. 2009389 in Frage gestellt. Das Gericht hatte zu entscheiden, ob Schadensersatz geschuldet wird, wenn eine Vertragspartei etwas verlangt, was nach dem Ver385
Siehe nur BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 197/14 = NJW 2015, 3447, Rn. 55; BGH, Urteil vom 23. Jan. 2014 – III ZR 37/13 = NJW 2014, 939, Rn. 48; BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10 = NJW 2012, 2427, Rn. 70; BGH, Urteil vom 10. Jan. 2006 – VI ZR 43/05 = NJW 2006, 1065, unter II.1. m.w.N. Zu der Erstattungsfähigkeit von vorprozessualen Rechtsverteidigungskosten noch genauer unten IV.3. 386 Vgl. Haertlein, MDR 1/2009, 1, 2. 387 Oben aa). 388 Thole, AcP 209 (2009), 499, 521. 389 BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262.
III. Folgefragen
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trag nicht geschuldet ist. Dabei wurde festgehalten, dass grundsätzlich ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB bestehe.390 Weiterhin: „Im Sinne von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vertreten hat die Vertragspartei diese Pflichtwidrigkeit aber nicht schon dann, wenn sie nicht erkennt, dass ihre Rechtsposition in der Sache nicht berechtigt ist, sondern erst, wenn sie diese Rechtsposition auch nicht als plausibel ansehen durfte.“391 Darin liegt aber keine Aussage dahingehend, Rechtsirrtümer müssten anhand einer (verglichen mit den oben dargestellten Grundsätzen: milderen) Plausibilitätskontrolle beurteilt werden. Der unglücklichen Beschreibung als „Rechtsposition“ zum Trotz ging es in der Sache nämlich nicht um einen Rechtsirrtum, sondern um einen Irrtum im tatsächlichen Bereich.392 Dem Fall lag der Verkauf eines Grundstücks zugrunde. Ein darauf stehendes Gebäude sollte abgerissen, das Grundstück parzelliert und die Teile mit Einfamilienhäusern bebaut werden. Die Käuferin sollte die nötigen Genehmigungen zur Teilung des Grundstücks und zur Neubebauung beantragen und der Kauf anschließend vollzogen werden. Das Vorhaben stockte u.a. wegen des Widerspruchs eines Nachbarn und weil die Behörden zunächst einen Abriss des alten Gebäudes verlangten. Letztlich forderte die Verkäuferin irgendwann den Kaufpreis, was die Käuferseite zunächst mit Verweis darauf verweigerte, dass wegen der Probleme die Baugenehmigung noch nicht vorliege. Die Verkäuferseite fragte zudem393 bei der Baubehörde an, ob denn die Käuferin, die nach dem Vertrag dazu verpflichtet gewesen wäre, bereits eine Baugenehmigung beantragt habe. Die Baubehörde erteilte schriftlich die Auskunft, es seien in der Sache noch keine Bauanträge gestellt worden. Diese Auskunft stellte sich nachträglich als falsch heraus, sie ließ die Verkäuferseite allerdings (nachvollziehbarer Weise) glauben, die Käuferin hintertreibe den Vollzug arglistig, denn die Beantragung der Genehmigungen oblag ja qua Vertrag der Käuferin. Die Verkäuferseite erklärte daraufhin den Rücktritt. Der Irrtum, dem die Verkäuferseite erlegen war, bestand darin, dass sehr wohl Bauanträge gestellt worden waren. Dies war ein Tatsachenirrtum – eine Rechtsfrage wurde nicht falsch beurteilt394 : Vielmehr wäre ein Rücktritt zumindest gestützt auf § 324 BGB sicherlich möglich gewesen, hätte die Käuferin tatsächlich entgegen dem Vertrag keinen Bauantrag gestellt, dies aber wahrheitswidrig gegenüber der Verkäuferseite behauptet. Eine Aussage zu den hier interessierenden Rechtsirrtümern kann dem Urteil also nicht entnommen werden. 390
BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Ls. 1. BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, Ls. 2. 392 Das Urteil gehört somit thematisch zu der oben ausführlich diskutierten Frage, wie mit tatsächlichen Unsicherheiten umzugehen ist und wurde auch dort besprochen. Das Urteil ist generell sowohl wegen der in Ls. 1 behaupteten pauschalen Pflichtverletzung durch das Einfordern eines nicht bestehenden Rechts zu kritisieren (oben I.3.), als auch wegen dem verfehlten Sorgfaltsmaßstab einer „Plausibilitätskontrolle“ in Ls. 2 (oben II.5.). 393 Was genau sie dazu veranlasst hat, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. 394 A.A. Thole, AcP 209 (2009), 499, 521. 391
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B. Vertraglicher Schadensersatz
d) Zusammenfassung Rechtsirrtümer werden mit Blick auf eine Entschuldigungsmöglichkeit zu Recht streng behandelt. Das gilt auch im kaufrechtlichen Kontext und hat zur Konsequenz, dass ein Käufer, der Nacherfüllung verlangt, das Risiko einer rechtlichen Fehleinschätzung insofern trägt, als er für daraus erwachsende Schäden grundsätzlich haftbar gemacht werden kann. Praktisch ist dieses Risiko aber als sehr gering einzuschätzen, weil Rechtsirrtümer bezüglich eines Mangels kaum denkbar sind und die Schadensminderungsobliegenheit des Verkäufers oftmals Schäden verhindern bzw. deren Ersatzfähigkeit entgegenstehen wird. 4. Doppelirrtum Letztlich stellt sich noch die Frage, wie eine Kumulation von Tatsachen- und Rechtsirrtum haftungsrechtlich zu bewerten ist. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund interessant, dass der BGH bei trotz angemessener Überprüfungen verbleibender Unsicherheiten (in tatsächlicher Hinsicht) eine Geltendmachung des vermeintlichen Mangels ohne Haftungsrisiko in Aussicht stellt.395 Mehrere Irrtümer müssen aber letztlich schlicht getrennt voneinander untersucht werden. Dabei können zwei Konstellationen danach unterschieden werden, ob die Irrtümer voneinander unabhängig sind oder nicht: Rechts- und Tatsachenirrtum können voneinander abhängen. Ein Käufer geht wegen einer falschen Vertragsauslegung (Rechtsirrtum) davon aus, seine erworbene Teichpumpe müsse 10.000 Liter pro Stunde umwälzen können. Eine korrekte Vertragsauslegung hätte ergeben, dass die Pumpe 5.000 l/h leisten muss. Der Käufer führt eine Messung durch, bei der er auch eine Durchflussmenge von 5.000 l/h misst. Er zieht zu dünne Schläuche als Ursache in Erwägung und prüft deswegen, ob er die vom Hersteller empfohlenen Durchmesser verbaut hat. Dies hat er zwar getan, gleichwohl weisen die Schläuche tatsächlich einen geringfügig zu kleinen Schlauchdurchmesser auf. Dies war allerdings für den Käufer nicht erkennbar, denn die verbauten Schläuche entsprachen genau den vorgeschriebenen Spezifikationen des Pumpenherstellers, waren aber aufgrund einer fehlerhaft produzierten Charge im Innendurchmesser zu klein. Bei korrekt dimensionierten Schläuchen hätte die Pumpe sogar eine Leistung von 6.000 l/h erreicht. Der Käufer genügt durch seine Überprüfung den Sorgfaltsanforderungen mit Blick auf tatsächliche Unsicherheiten und haftet folglich nicht dafür, dass er Nacherfüllung verlangt hat, obwohl er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die tatsächlichen Umstände anders hätte bewerten müssen. Davon unberührt bleibt aber der Vorwurf, der Käufer habe – ganz unabhängig von etwaigen Überprüfungen in tatsächlicher Hinsicht – Nacherfüllung verlangt,
395
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, unter II.2.c), sowie oben 2.
IV. Schaden
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obwohl er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt den Rechtsirrtum hätte erkennen müssen (gegebenenfalls Rechtsrat einholen etc.396 ). Dieses Nacherfüllungsverlangen kann für verschiedene Schäden des Verkäufers kausal werden, für welche der Käufer dann auch grundsätzlich haftet. Rügt der Käufer beispielsweise nur, die Pumpe fördere zu wenig Wasser, so mag der Verkäufer daraufhin tatsächliche Überprüfungen der Kaufsache anstellen. Allerdings wird in derlei Fällen das oben bereits Gesagte397 zum Mitverschulden des Verkäufers erneut besondere Relevanz haben. Ein vorschnelles Tätigwerden des Verkäufers schmälert gegebenenfalls einen Ersatzanspruch. Beispielsweise wäre es in der Konstellation angezeigt, den Käufer zu fragen, woran er die Behauptung festmache. Die Erläuterung, eine Messung habe nur 5.000 l/h ergeben, würde den Verkäufer sicherlich aufhorchen lassen und von etwaigen Untersuchungen der Kaufsache abhalten, denn seiner Auffassung nach wäre die Sache bei diesem Wert ja vertragsgerecht. Denkbar sind auch voneinander unabhängige Irrtümer. Der Käufer meint erneut fälschlicherweise, ihm stehe nach dem Vertrag eine Pumpe mit einer Fördermenge von 10.000 l/h zu. Geschuldet sind tatsächlich 5.000 l/h. Er misst 4.000 l/h. Die Ursache liegt erneut in einem geringfügig zu kleinen Schlauchdurchmesser, der für den Käufer nicht erkennbar war. Die Schläuche entsprachen genau den vorgeschriebenen Spezifikationen des Pumpenherstellers, waren aber aufgrund einer fehlerhaft produzierten Charge im Innendurchmesser zu klein. Auch hierbei genügt der Käufer seinen Sorgfaltspflichten mit Blick auf den vermeintlichen Sachmangel, soweit er auf tatsächlichen Unsicherheiten beruht. Eine Haftung scheidet daran anknüpfend aus. Es verbleibt der Vorwurf, Nacherfüllung trotz des Rechtsirrtums verlangt zu haben. In dem Fall wird man aber bei der Schadenszurechnung Einschränkungen entsprechend der Grundsätze zu rechtmäßigem Alternativverhalten machen müssen: Soweit ein Schaden auch ohne den Rechtsirrtum entstanden wäre, kann er dem Käufer nicht zugerechnet werden. Nicht erstattungsfähig sind demnach insbesondere Kosten für eine Untersuchung der tatsächlichen Umstände. Wäre der Käufer nämlich dem Rechtsirrtum nicht erlegen gewesen, dann hätte er dennoch risikolos Nacherfüllung verlangen dürfen. Die Alternativursache der zu dünnen Schläuche, die die Diskrepanz zwischen den gemessenen 4.000 l/h und den (tatsächlich) geschuldeten 5.000 l/h erklärt hätte, war nämlich für den Käufer unabhängig von dem Rechtsirrtum nicht erkennbar. IV. Schaden Rechtsfolge eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB ist es, dass der Käufer dem Verkäufer die Schäden zu ersetzen hat, die aufgrund der Pflichtverletzung, d.h. 396 Für Details zu dem strengen Umgang mit Rechtsirrtümern und der Begründung dafür siehe oben 3.a). 397 Oben 3.c)cc).
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B. Vertraglicher Schadensersatz
wegen des unberechtigten Nacherfüllungsverlangens unter Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, entstanden sind. Es wird sich dabei regelmäßig um Untersuchungsaufwand des Verkäufers handeln (1.). Anlässlich einer vermutlich unbedachten Formulierung des BGH in seiner Lichtrufanlagenentscheidung398 ist klarzustellen, dass der Käufer keinen Ersatz für Kosten schuldet, wenn der Verkäufer sich zu einer überobligatorischen Störungsbeseitigung entscheidet (2.). Auch sonstige Schäden sind zu ersetzen (3.). 1. Untersuchungskosten des Verkäufers Im Regelfall wird ein Verkäufer durch ein Nacherfüllungsverlangen nicht unmittelbar zu Schaden kommen. Vielmehr ist es das grundsätzlich freiwillige Verhalten des Verkäufers, namentlich in Gestalt von Untersuchungen, welches zu Vermögenseinbußen führt. Anschaulich ist auch hierbei die Lichtrufanlagenentscheidung des BGH: Dem Verkäufer waren Kosten entstanden, weil er einen seiner Mitarbeiter zur Überprüfung der verkauften, als mangelhaft gerügten Lichtrufanlage geschickt hatte. Dieser musste 424 km zurücklegen und war 6 Stunden lang beschäftigt, während derer er nicht anderweitig eingesetzt werden konnte.399 Denkbar sind auch Kosten in Gestalt von Verbrauchsmaterial zur Überprüfung der Gegebenheiten; ferner etwa Ersatzteile, die zur Behebung des vermeintlichen Defekts verbaut werden. Derlei Schadensposten, die formal besehen auf Willensentschlüssen des Geschädigten beruhen, sind regelmäßig ersatzfähig, sie bedürfen dazu aber einer Klarstellung: Der Willensentschluss eines Geschädigten schließt eine Haftung des Schädigers grundsätzlich nicht aus400 , etwa indem er den Kausalzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Schädigers und der Vermögenseinbuße durchbricht. Sobald aber der Geschädigte durch eigene Entscheidungen den Umfang von Schädigungen beeinflussen kann, drängt sich die Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung geradezu auf: Ob als Haftungsbeschränkung im Sinne der Lehre vom Schutzzweck der Norm401 oder unter dem Schlagwort der „psychischen Kausalität“402 , es ist eine wertende Entscheidung nötig, inwiefern die ursprüngliche „Verursachung“ noch als Zurechnungsgrundlage dienen kann, sofern der Geschädigte selbst über Gestalt und Umfang der Schädigung entscheidet. In Anlehnung an die „Herausforderungsfälle“ aus dem deliktsrechtlichen Kontext403 hat sich auch im Vertragsrecht die Formulierung etabliert, entscheidend sei, ob der Geschädigte „durch das vertragswidrige Verhalten des Bekl. heraus398
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147. BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 5. 400 MünchKomm BGB/Oetker, § 249 Rn. 168 m.w.N.; Staudinger (2017)/Schiemann, § 249 Rn. 47. 401 Etwa BGH, Urteil vom 17. Sep. 2015 – I ZR 47/14 = BeckRS 2016, 4199, Rn. 31 m.w.N.; BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 321. 402 Staudinger (2017)/Schiemann, § 249 Rn. 47. 403 Für einen Überblick dazu m.w.N., siehe etwa jurisPK BGB/Lange, § 823 Rn. 54 ff. 399
IV. Schaden
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gefordert worden ist und [sein Verhalten] keine ungewöhnliche oder unsachgemäße Reaktion hierauf darstellt“.404 Anders formuliert: Die Schadenszurechnung entfällt nur im Ausnahmefall, wenn nämlich die schädigende Reaktion des Vertragspartners gänzlich ungewöhnlich und unsachgemäß ist.405 Im Rahmen dieser Vorgabe sind aber alle Vermögensnachteile zuzurechnen, ungeachtet beispielsweise dessen, ob die Reaktion mehr oder weniger schadensträchtig ausgefallen ist. Eine solche Schadenszurechnung, die nur bei ungewöhnlichen und unsachgemäßen Reaktionen durchbrochen wird, überzeugt: Erstens entspricht dies dem vertragsrechtlichen Grundverständnis, dass Vertragspartner die Eigenheiten der von ihnen ausgesuchten Gegenüber hinnehmen müssen. Man hat also nur seinen Vertragspartner und nicht notwendigerweise einen optimalen Vertragspartner. Zweitens ist der Geschädigte in jedem Fall gehalten, den Schaden zu minimieren. Fällt ihm ein Verschulden zur Last, so ist sein Ersatzanspruch um seinen Mitverschuldensanteil zu kürzen, § 254 Abs. 1 BGB. Auch ein Schädiger ist somit nicht schutzlos einer beliebigen Reaktion des Geschädigten ausgeliefert. Vielmehr muss sich auch diese daran messen lassen, was im Verkehr in der jeweiligen Situation als erforderlich gilt. Eine solche Lösung mithilfe des § 254 Abs. 1 BGB erscheint auch mit Blick auf die Rechtsklarheit gegenüber einer Lösung vorzugswürdig, die eine Schadenszurechnung großzügiger verneint. Die dafür nötigen Kriterien müssten normativ entwickelt werden, während im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB auf einen relativ konturierten Verschuldensbegriff zurückgegriffen werden kann. Daraus folgt für die hier interessierende Situation: Die Kosten für Untersuchungen durch den Verkäufer als Reaktion auf ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen sind grundsätzlich zurechenbar und somit ersatzfähig. Mit dem (unberechtigten) Nacherfüllungsverlangen stellt der Käufer die mangelfreie Lieferung in Frage und fordert den Verkäufer zu einer Untersuchung der Mangelfreiheit heraus.406 Eine Schadenszurechnung entfällt bei Untersuchungskosten nur ausnahmsweise dann, wenn die Untersuchungen gänzlich ungewöhnlich und unsachgemäß waren. Derlei Fälle sind aber schwer vorstellbar, sofern die Untersuchungen darauf gerichtet sind, die Mangelfreiheit der Sache zu klären. Relevanter als die Unterbrechung der Zurechnung dürfte auch in den hier untersuchten Konstellationen die Haftungsbegrenzung im Wege des Mitverschuldens sein. Denkbar sind etwa Fälle, in denen ein Verkäufer unbillig großen Aufwand für die Untersuchungen betreibt. Man denke etwa an die Lichtrufanlagen-
404 BGH, Versäumnisurteil vom 22. Sep. 2016 – VII ZR 14/16 = NJW 2016, 3715, Rn. 23; ähnlich BGH, Urteil vom 17. Okt. 2000 – X ZR 169/99 = NJW 2001, 512, unter 2.d); BGH, Urteil vom 29. Okt. 1987 – IX ZR 181/86 = NJW 1988, 1143, 1145. 405 Vgl. dazu sehr deutlich auch BGH, Urteil vom 13. Okt. 2016 – IX ZR 149/15 = NJW 2017, 1600, Rn. 11 m.z.w.N. 406 Vgl. auch Klöhn, EWiR 24 (2008), 267, 268.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
entscheidung (der Verkäufer schickt einen Servicemitarbeiter zum Käufer), man stelle sich nun aber vor, dass gleich drei Mitarbeiter geschickt werden. Ebenso denkbar ist die umgekehrt gelagerte Situation: Obwohl eine große Heizungsanlage zu untersuchen ist, wird zunächst nur ein Angestellter geschickt. Weil er die Verkleidungen der Anlage nicht alleine demontieren kann, rückt er tags darauf mit Verstärkung erneut an. In beiden Beispielen dürfte das Vorgehen nicht der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entsprochen haben, sodass etwa im ersten Fall zumindest die Kosten für den dritten Mitarbeiter; im zweiten Fall die Kosten für den gesamten ersten Besuch nicht ersetzt verlangt werden könnten. Der Schadensersatzanspruch des Verkäufers wäre nach § 254 Abs. 1 BGB entsprechend zu kürzen. Bedeutsam ist bei einem solchen Mitverschulden, dass es sich um ein Verschulden des Verkäufers handelt. Der Sorgfaltsmaßstab ist deswegen anhand der Verkehrskreiszugehörigkeit des Verkäufers zu beurteilen. Insbesondere von einem Unternehmer-Verkäufer wird regelmäßig zu erwarten sein, dass er mit Nacherfüllungsverlangen routiniert und wirtschaftlich sinnvoll umgeht. Dies mag beispielsweise – abhängig von den Gegebenheiten des Einzelfalles – auch erfordern, dass zunächst einmal versucht wird, im Wege einer „Ferndiagnose“ typische Probleme auszuschließen, bevor überhaupt Untersuchungen vor Ort durch einen Mitarbeiter vorgenommen werden. 2. Grundsätzlich kein Ersatz für die Störungsbeseitigung Der BGH sprach in seiner Entscheidung im Lichtrufanlagenfall aus, die Verkäuferin könne Schadensersatz verlangen. Anlass zu Kritik gab der BGH allerdings mit der Formulierung, die Verkäuferin könne „Schadensersatz wegen ihrer Aufwendungen für die Beseitigung der Störung der Rufanlage“ verlangen.407 Dies hört sich so an, als schulde der Käufer Kostenersatz, wenn der Verkäufer die Alternativursache beseitigt. Insoweit wurde das Urteil kritisiert. Richtig sei zwar, dass der Käufer seine Schäden ersetzt verlangen könne. Die Beseitigung der (nicht mangelbedingten) Störung hingegen sei weder geschuldet noch könnten Aufwendungen zu diesem Zwecke kompensiert werden.408 Ob die Lichtrufanlagenentscheidung aber überhaupt die kritisierte Aussage getroffen hat darf m.E. im Lichte des zugrundeliegenden Sachverhaltes durchaus bezweifelt werden (a). Davon unabhängig ist die geäußerte Kritik an einer Ersatzfähigkeit von Beseitigungskosten begründet. Dabei verdient allerdings die Abgrenzung zwischen Beseitigungskosten und Untersuchungskosten besondere Aufmerksamkeit (b).
407
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 6, Hervorhebung hinzugefügt. 408 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1711; Thole, AcP 209 (2009), 499, 542; Thelen, BRJ 02/ 2012, 151, 155; siehe auch Sutschet, JZ 2008, 637, 639; Klöhn, EWiR 24 (2008), 267, 268.
IV. Schaden
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a) Aussage der Lichtrufanlagenentscheidung Der BGH gewährt Schadensersatz für die Beseitigung der Störung.409 Diese Formulierung ist aber vor dem Hintergrund des entschiedenen Falls zu verstehen. In der Sache beschäftigt sich die Entscheidung mit Untersuchungskosten, nicht jedoch mit Kosten für die Beseitigung einer Alternativursache, was ein Blick auf die eingeklagten Positionen zeigt. Die Alternativursache für die Fehlfunktion im Lichtrufanlagenfall war eine unterbrochene Kabelverbindung, die ein Servicetechniker festgestellt hatte, nachdem er zum Käufer gefahren war, um die dort eingebaute Lichtrufanlage zu untersuchen.410 Eingeklagt wurden vom Verkäufer die Kosten für die Anfahrt (0, 30 Euro km · 424km) sowie sechs Stunden Arbeitszeit à 90 e, während derer der Mitarbeiter anderweitig hätte eingesetzt werden können. Es ist naheliegend, dies als Kosten zu verstehen, die weitestgehend für die Untersuchung notwendig waren. Demgegenüber dürften nach billigem Ermessen beim Wiederherstellen der Kabelverbindung an sich keine nennenswerten Kosten angefallen sein.411 Das Urteil führt an anderer Stelle zum Entstehen der Alternativursache aus, dass es möglicherweise versäumt worden war, die Verbindung nach einer Überprüfung der Anlage (durch den Installateur) „wieder anzuklemmen“.412 Eine Kabelverbindung anzuklemmen dürfte für einen Servicetechniker kaum der Rede wert sein, nachdem im Wege der Untersuchung geklärt wurde, was angeklemmt werden muss, und wenn die Bauteile (Klemme, Kabel) ja bereits vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund sollten die Ausführungen des BGH m.E. nicht im Sinne einer abstrakten Regel verstanden werden, wonach Kosten für die Beseitigung von Alternativursachen im Wege des Schadensersatzes zu ersetzen seien. Vielmehr beschränkt sich die Aussage des BGH – ungeachtet der unglücklichen Formulierung – auf die (soweit ersichtlich einhellig geteilte) Feststellung, Untersuchungskosten seien zu ersetzen. b) Beseitigungskosten und Abgrenzung zu Untersuchungskosten Ungeachtet dessen, wie die Lichtrufanlagenentscheidung letztlich zu verstehen ist, betrifft die beschriebene Kritik einen wichtigen Punkt: Sind Beseitigungskosten bezüglich der Alternativursachen im Wege des Schadensersatzes ersatzfähig? Die Frage wird einhellig und zu Recht verneint (aa). Allerdings ist nicht jede faktische Beseitigung einer Alternativursache auch schadensrechtlich als solche zu qualifizieren. Vielmehr wird oftmals in einer Beseitigung eine gebotene – und somit ersatzfähige – Untersuchung zu sehen sein (bb).
409 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 6, Hervorhebung hinzugefügt. 410 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 5. 411 Ebenso Kaiser, NJW 2008, 1709, 1711. 412 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 14.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
aa) Keine Ersatzfähigkeit von Beseitigungskosten Bei einer Beseitigung von Alternativursachen entfällt die Schadenszurechnung zum Käufer.413 Mit dem Nacherfüllungsverlangen stellt der Käufer die mangelfreie Lieferung in Abrede und fordert seinen Vertragspartner heraus, die Mangelfreiheit zu untersuchen. Das Nacherfüllungsverlangen ist aber niemals eine Herausforderung, eine Alternativursache auch zu beseitigen. Das Herausforderungkriterium für die Schadenszurechnung414 ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der anhand eines redlichen Verkehrsteilnehmers unter den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist. Diese Analyse führt aber aufgrund zweier Erwägungen zu dem Schluss, dass keine Herausforderung zur Beseitigung einer Alternativursache besteht. Erstens muss von vornherein jedem Verkäufer klar sein, dass ihn ein Nacherfüllungsverlangen allenfalls zur Mangelbeseitigung verpflichtet. Entdeckt er bei seiner Untersuchung keinen Mangel, sondern eine Alternativursache, also einen Umstand, der die Sache mangelhaft erscheinen lässt aber gerade kein Mangel ist, so steht für den Verkäufer fest, dass ihn insoweit keine vertraglichen Pflichten treffen. Er muss dann wissen, dass die Beseitigung einer solchen Alternativursache überobligatorisch erfolgt.415 Ob demgegenüber ein Vergleich mit der Selbstvornahmerechtsprechung des BGH trägt416 , darf bezweifelt werden. Danach dürfe der Verkäufer die Kosten für die Beseitigung eines Nichtmangels genauso wenig auf den Käufer abwälzen, wie der Käufer die Kosten für eine Mangelbeseitigung auf den Verkäufer abwälzen darf.417 Dieses Ergebnis entspricht sicherlich einem grundlegenden Gerechtigkeitsempfinden; beide Situationen sind aber nicht so gestaltet, dass ein belastbarer Vergleich gezogen werden könnte. Die Selbstvornahmerechtsprechung gründet auf der Missachtung des explizit normierten Nachfristsetzungserfordernisses für Schadensersatz statt der Leistung. Hat der Käufer nicht erfolglos zur Nacherfüllung aufgefordert, so darf er keinen Schadensersatz statt der Nacherfüllung verlangen (und diese Wertung darf auch durch andere Instrumente nicht umgangen werden). Demgegenüber stellt sich hier schlicht die Frage, ob die Pflichtverletzung „unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen trotz Erkennbarkeit von Alternativursachen“ den Gegenüber zur Beseitigung der Alternativursache herausfordert. Ein vergleichbares Nachfristsetzungserfordernis gibt es nicht. 413
Thole, AcP 209 (2009), 499, 540; nicht explizit auf die Schadenszurechnung abstellend, aber im Ergebnis ähnlich Thelen, BRJ 02/ 2012, 151, 155; Sutschet, JZ 2008, 637, 639; siehe aber auch Kaiser, NJW 2008, 1709, 1711, die § 254 Abs. 1 BGB für verwirklicht hält und dazu stringenter Weise eine Schadenszurechnung bejahen müsste. 414 Bzw. für die Analyse dessen, wann ein Posten noch vom Schutzzweck der Norm umfasst ist. 415 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1711; Thelen, BRJ 02/ 2012, 151, 155. 416 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1711. 417 Kaiser, NJW 2008, 1709, 1711.
IV. Schaden
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Nur zur Veranschaulichung418 ließe sich die Selbstvornahmerechtsprechung in der Schadenszurechnungsterminologie etwa so formulieren: Der Käufer darf sich durch einen Mangel nicht zur Mangelbeseitigung herausgefordert fühlen. Der Grund dafür ist die Wertungsentscheidung, dass vorher der Verkäufer erfolglos zur Nacherfüllung aufgefordert worden sein muss. Bei der hiesigen Frage, ob sich der Verkäufer durch das unberechtigte Nacherfüllungsverlangen zur Beseitigung einer Alternativursache herausgefordert fühlen darf, gibt es keine vergleichbare Wertungsentscheidung im Gesetz. Dessen ungeachtet spricht ein zweiter Aspekt gegen die Zurechnung von Beseitigungskosten. Er besteht im Schutz der Entscheidungsfreiheit des Käufers. Der Käufer hat – für jeden ersichtlich – ein Interesse daran, selbst zu entscheiden, ob, in welcher Art und durch wen er eine Alternativursache beseitigen lässt. Wenn feststeht, dass kein Mangel vorliegt und deswegen die Herstellung der Funktionsfähigkeit der Kaufsache nicht auf Kosten des Verkäufers erreicht werden kann, dann muss der Käufer selbst entscheiden können, wie er mit diesem Befund weiter umgehen möchte. Aus demselben Grund wird auch eine Ersatzfähigkeit von Beseitigungskosten auf Basis eines konkludenten Reparaturvertrages zu verneinen sein.419 Beispielsweise könnte der Verkäufer eines Heizkessels zur Nacherfüllung aufgefordert werden, weil das System ständig Druck verliert. Die Ursache ist aber nicht ein Mangel des Heizkessels, sondern der Umstand, dass eine Heizleitung in einem anderen Teil des Hauses leck geworden ist, was der Käufer auch anhand von deutlichen Wasserflecken und Schimmelbildung hätte erkennen müssen. Der Heizungsinstallateur darf sich gewiss nicht alleine durch das Nacherfüllungsverlangen dazu herausgefordert fühlen, (ohne weitere Absprache) die Wohnzimmerwand aufzustemmen und die Leitung zu reparieren. Möglicherweise stünden dem Käufer nämlich Gewährleistungsansprüche wegen des Lecks gegen einen Dritten zu; möglicherweise will der tüchtige Heimwerker ein solches Problem auch lieber in Eigenregie beheben.420 Ein Verkäufer darf sich also nicht durch ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen zur Beseitigung von Alternativursachen herausgefordert fühlen. Erkennt er eine solche, so muss er den Käufer darauf hinweisen. Erklärt dieser sich mit einer Störungsbeseitigung durch den Verkäufer einverstanden, so liegt darin der Abschluss eines gesonderten Reparaturvertrags.421 418 Und unter Missachtung des Umstandes, dass ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung bereits an der erfolglosen Nachfristsetzung scheitert, sodass Überlegungen zur Schadenszurechnung streng genommen fehl am Platz sind. 419 Dazu im Detail unten F.II.2.a)bb). 420 Unter diesem Blickwinkel erscheint auch der soeben verworfene Vergleich mit der Selbstvornahmerechtsprechung doch tragfähiger: Dieselben Argumente der Entscheidungsfreiheit des Verkäufer über das Wie der Mangelbeseitigung liegen zu einem gewissen Grad auch dem Nachfristsetzungserfordernis und der Selbstvornahmerechtsprechung zugrunde. Trotzdem überwiegen m.E. die Unterschiede, sodass der oben beschriebene Vergleich wenig belastbar ist. 421 Dazu noch unten F.II.2.b).
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B. Vertraglicher Schadensersatz
bb) Abgrenzung zwischen Beseitigung und Untersuchung Die bisher beschriebene Ersatzfähigkeit von Untersuchungskosten und Ersatzunfähigkeit von Beseitigungskosten kann m.E. aber in dieser Pauschalität nicht bestehen bleiben. Oftmals wird eine probate Untersuchung gerade darin bestehen, eine vermeintliche Alternativursache auszuschließen, sie dadurch gegebenenfalls sogar (irreversibel) zu beheben. Dies kann einem Verkäufer kaum verwehrt werden und wäre geradezu weltfremd. Wenn die Deckenlampe nicht mehr leuchtet, dann besteht die „Untersuchung“ auf Mangelfreiheit möglicherweise darin, eine neue Glühbirne einzudrehen. Bleibt das Display einer Heizungsanlage schwarz, dann „untersucht“ der Verkäufer die Mangelfreiheit auch dadurch, dass er eine uralte Schmelzsicherung in der Hauselektrik ersetzt422 bevor er die Heizungsanlage an sich aufwendig unter die Lupe nimmt. Dasselbe dürfte im Übrigen auch für die Lichtrufanlagenentscheidung gelten: Wahrscheinlich hat der Servicetechniker die Mangelfreiheit mit endgültiger Sicherheit dadurch festgestellt, dass die Lichtrufanlage nach dem Wiederherstellen der Kabelverbindung auch wieder funktioniert hat. Dann wäre aber auch das Verbinden der Anlagen bei genauerem Hinsehen eine Untersuchung und keine Beseitigung. Die Abgrenzungsfrage, wann eine Beseitigung einer potentiellen Alternativursache als Untersuchung angesehen werden darf und dann auch einen Kostenersatz nach sich zieht, muss demselben Herausforderungstest folgen. Entscheidend ist, ob sich der Verkäufer zu der Untersuchung durch Beseitigung herausgefordert fühlen darf. Dahinter steht die Überlegung, wie sich ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer in der konkreten Situation verhalten hätte und somit letztlich die Frage, ob der Verkäufer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt hat. Diesen Test wird man dergestalt ausfüllen können, dass der Verkäufer den Nutzen der Maßnahme mit Blick auf seine Untersuchung der Mangelfreiheit gegen die Belastung des Käufers423 abwägen muss. Daraus lassen sich die folgenden Anhaltspunkte ableiten: (a) Ist die Mangelfreiheit bereits mit (hinreichender) Sicherheit geklärt, dann steht für den Verkäufer fest, dass ihn keine Gewährleistungsrechte treffen und jede zeitlich danach erfolgende Beseitigung einer Alternativursache ist für den Verkäufer nutzlos. Der Verkäufer darf sich deswegen nicht zu einer Beseitigung einer Alternativursache herausgefordert fühlen. (b) Ist möglicherweise der Verantwortungsbereich einer dritten Person betroffen, dann muss der Zurechnungszusammenhang ebenfalls unterbrochen 422 423
Kostenpunkt: wenige e. Unter der Annahme, dass die Kosten dem Käufer in Rechnung gestellt werden sollen.
IV. Schaden
119
sein. Andernfalls wird dem Käufer gegebenenfalls eine Regressmöglichkeit genommen. (c) Maßnahmen, die jenseits von Kosten erhebliche Unannehmlichkeiten für den Käufer bedeuten (Aufstemmen der Wand) sind im Regelfall auch mit dem Käufer abzusprechen. (d) Bei Beseitigungen zwecks Untersuchung der Mangelfreiheit sind reversible Maßnahmen tendenziell kein Problem: Stellt sich heraus, dass in den obigen Beispielen weder die Glühbirne noch die alte Sicherung ursächlich waren, dann können sie notfalls auch wieder getauscht werden und es entstehen zumindest keine Materialkosten. (e) In allen anderen Fällen dürfte die Höhe der entstehenden Kosten ein entscheidender Faktor sein und zwar vorwiegend im Vergleich zu alternativen Untersuchungsmethoden. Ist die Beseitigung einer Alternativursache zwecks Untersuchung merklich billiger als eine Untersuchung, die die Alternativursache nicht beseitigt, so wird sich der Verkäufer dazu oft herausgefordert fühlen dürfen. Er trägt dann nämlich auch einem Interesse des Käufers Rechnung. Für den Fall nämlich, dass eine Schadensersatzpflicht des Käufers für Untersuchungskosten besteht, wird dieser an der Geringhaltung der Kosten interessiert sein. Diese Punkte können als Orientierung dienen. Stets wird aber im konkreten Einzelfall zu klären sein, welche Maßnahmen als adäquate Untersuchungen zu qualifizieren sind. Es ist aber entgegen einiger kategorischer Aussagen in der Literatur sehr wohl denkbar, dass auch die Beseitigung einer Alternativursache eine Untersuchung ist, zu der sich ein Verkäufer durch ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen herausgefordert fühlen darf und deren Kosten folglich ersatzfähig sind. 3. Sonstige Schäden Die ersatzfähigen Schäden sind nicht auf die beschriebenen Fälle von Untersuchungskosten beschränkt. Vielmehr sind jegliche Schäden, die kausal und zurechenbar durch das unberechtigte Nacherfüllungsverlangen entstanden sind, zu ersetzen. Ein weiterer Schadensposten, der in derlei Fällen gut vorstellbar ist, betrifft Transportkosten. Bei beweglichen Kaufgegenständen, die nicht eingebaut oder ortsgebunden zu nutzen sind, wird der Ort der Nacherfüllung, den Vorgaben des BGH zu § 269 Abs. 1 BGB folgend424 , oftmals beim Verkäufer liegen.425 424
BGH, Urteil vom 13. Apr. 2011 – VIII ZR 220/10 = NJW 2011, 2278. Dies gilt auch in Verbraucherkonstellationen: Der EuGH hat die nationalrechtliche Ausgestaltung des Nacherfüllungsortes explizit bestätigt EuGH, Urteil vom 23. Mai 2019, C-52/18 [ECLI:EU:C:2019:447], Christian Fülla/Toolport GmbH, Rn. 32. Identisches wird unter der 425
120
B. Vertraglicher Schadensersatz
Oftmals werden Verkäufer (wohl der Einfachheit halber) bei einem Mangelverdacht die Transportkosten für das Einsenden übernehmen. Beispielsweise verfährt Amazon im Regelfall so426 , ebenso die Elektrowerkzeughersteller Bosch427 und Festool428 . Zerschlägt sich die Mangelvermutung aber, so werden dem Kunden Kosten in Rechnung gestellt. Bei diesen Beispielen dürfte die Rechtslage wohl zusätzlich durch vertragliche Abreden überlagert sein. Sie zeigen aber grundsätzlich die Bereitschaft von Verkäufern, prophylaktisch Transportkosten zu übernehmen. In Verbraucherkonstellationen besteht dafür der zusätzliche Anreiz, dass dem Verbraucher ohnedies ein Vorschuss aus § 475 Abs. 6 BGB zusteht.429 M.E. darf sich ein Verkäufer angesichts eines Nacherfüllungsverlangens seines Vertragspartners auch regelmäßig dazu herausgefordert fühlen, den Transport zum Nacherfüllungsort zu übernehmen. Dies entspricht nicht nur gängiger Praxis, sondern wird oftmals auch Kosten reduzieren und dem Vertragspartner Umstand ersparen. Stellt sich aber die Mangelfreiheit heraus und hätte der Käufer bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eine Alternativursache erkannt, dann sind diese Transportkosten (ebenso wie die Untersuchungskosten und der anschließende Rücktransport) zu ersetzen. Ferner sind auch Kosten für eine außergerichtliche Rechtsverteidigung in Gestalt von Rechtsrat denkbar.430 Die Erstattungsfähigkeit von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten wird allerdings bei der Schadenszurechnung sehr streng gehandhabt. Nach ständiger Rechtsprechung sind nicht schlechthin alle adäquat kausalen Rechtsanwaltskosten ersatzfähig, sondern nur solche, die aus Sicht des Betroffenen erforderlich und zweckdienlich waren.431 Daraus folgen einige Einschränkungen. Grundsätzlich muss die fast alltägliche Situation eines Nacherfüllungsverlangens als „einfach gelagert“ eingeordnet werden, sodass Rechtsrat überhaupt nur erforderlich ist, wenn der Verkäufer beispielsweise „geschäftlich ungewandt“ neuen RL 2019/771 gelten, wie deren EG 56 klarstellt. Im Kontext von Verbrauchsgüterkäufen ist lediglich wichtig, dass der Ort der Nacherfüllung und damit einhergehende Belastungen nicht an der Vorgabe rütteln, dass die Nacherfüllung unentgeltlich und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten zu erfolgen hat. 426 https://www.amazon.de/gp/help/customer/display.html/?nodeId= G9YLFT3UJRGDDADT (letzter Zugriff 9.04.2022 21:50 Uhr). 427 https://www.bosch-professional.com/de/media/de/repairform/Servicebedingungen.pdf, dort unter 4.2 (Stand November 2021, letzter Zugriff 9.04.2022 21:53 Uhr). 428 https://www.festool.de/service/hallo-hotline/fragen-zur-rundum-reparatur (letzter Zugriff 9.04.2022 21:54 Uhr). 429 Siehe zu der Verbraucherkonstellationen noch genauer unten C.V. 430 Sobald die Streitigkeit in einem Prozess ausgetragen wird, gelten zumindest nach Ansicht des BGH besondere Regeln. Dazu unten E. 431 Siehe nur BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 197/14 = NJW 2015, 3447, Rn. 55; BGH, Urteil vom 23. Jan. 2014 – III ZR 37/13 = NJW 2014, 939, Rn. 48; BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10 = NJW 2012, 2427, Rn. 70; BGH, Urteil vom 10. Jan. 2006 – VI ZR 43/05 = NJW 2006, 1065, unter II.1. m.w.N.
V. Darlegungs- und Beweislast
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ist.432 Zudem dürfte die Einschaltung eines Rechtsanwalts niemals als unmittelbare Reaktion auf ein Nacherfüllungsverlangen erforderlich sein. Erst wenn sich in der weiteren Entwicklung des Sachverhalts abzeichnet, dass unüberwindbare Differenzen zwischen Verkäufer und Käufer bestehen, wird man die Einschaltung eines Rechtsanwalts vorprozessual eventuell für erforderlich halten können. Auch insoweit wird man aber bei einem Unternehmer-Verkäufer typischerweise eher streng sein müssen. Oftmals wird alleine ob des Tätigkeitsfelds eines solchen Verkäufers eine grundlegende Sachkunde auch in Rechtsfragen zu erwarten sein. Anwaltliche Unterstützung bringt dann keinen ersichtlichen Mehrwert, insbesondere wenn für den Verkäufer die Differenzen erkennbar bei Tatsachen und nicht bei Rechtsfragen liegen. Dies gilt umso mehr, als man von einem Unternehmer-Verkäufer regelhaft die Erkenntnis erwarten kann, dass für ihn grundsätzlich nichts zu tun ist, wenn aus seiner Sicht keine Ansprüche des Käufers bestehen. Vielmehr liegt es dann am Käufer, die weitere Entwicklung – konkret in Gestalt einer Klage – vorzugeben. Ab dann ist Rechtsrat regelmäßig erforderlich, aber auch von prozessualen Normen abgedeckt.433 4. Zusammenfassung Ein Verkäufer wird durch ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen zur Untersuchung der Mangelfreiheit aufgefordert. Auch die Transportkosten zum Ort der Nacherfüllung stellen, sofern sie vom Verkäufer übernommen worden sind, ersatzfähige Schadensposten dar. Im Übrigen sind alle kausalen und zurechenbaren Schäden vom Käufer zu ersetzen. Darunter fallen grundsätzlich auch Kosten für eine vorprozessuale Rechtsverteidigung, wobei allerdings stets ein recht strenges Erforderlichkeitskriterium erfüllt sein muss. Daran wird es aber sehr oft fehlen. Kategorisch nicht erstattungsfähig sind Kosten für die Beseitigung von Alternativursachen, die nicht auch als sachdienliche Untersuchung der Mangelfreiheit gewertet werden können. In dem Fall handelt der Verkäufer auf eigene Kosten. V. Darlegungs- und Beweislast Die Frage einer Haftung für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen führt zu besonderen Problemen hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislastverteilung. Dies wurde ansatzweise bereits im Kontext des korrekten Pflichtverletzungsverständnisses relevant.434 Dabei ging es um die Frage, inwieweit die Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB für oder gegen ein erfolgs- beziehungsweise ein verhaltensbezogenes Pflichtverletzungsverständnis spricht. Die beweislastba-
432
Vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 197/14 = NJW 2015, 3447, Rn. 55. Zur gerichtlichen Geltendmachung, dabei auch zu § 91 ZPO, noch genauer unten E. und E.II.3. 434 Oben I.2.c). 433
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B. Vertraglicher Schadensersatz
sierten Überlegungen waren ein Aspekt von mehreren, die im Ergebnis ein verhaltensbezogenes Pflichtverletzungsverständnis erfordern.435 Für solche verhaltensbezogenen Pflichten ergibt sich im Zusammenspiel mit den allgemeinen Grundsätzen zur Darlegungs- und Beweislast (1.) ein untypisches und uneinheitliches Bild. Es gibt Anlass zu der Überlegung, ob Modifikationen der Darlegungs- und Beweislastverteilung bei der Pflichtverletzung angezeigt sind, um Unbilligkeiten zu verhindern (2.) Demgegenüber präsentiert sich die Darlegungs- und Beweislastverteilung für die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs, namentlich für das zugrundeliegende Schuldverhältnis sowie den Schaden, als relativ unproblematisch (3.). 1. Grundbegriffe und Grundregel der Beweislastverteilung Entscheidend für eine insgesamt befriedigende Lösung einer Streitigkeit ist nicht allein der sachgerechte Ausgleich in materieller Hinsicht. Es geht also nicht nur um die Frage, unter welchen Umständen ein Käufer angebrachterweise wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens Schadensersatz schulden soll. Ebenso wichtig ist die prozessuale Geltendmachung eines solchen Anspruchs. Scheitert etwa ein solcher Anspruch regelmäßig an Beweis- oder auch schon an Darlegungsproblemen, so droht der materielle Ausgleich unterlaufen zu werden. Um die Frage beantworten zu können, ob mit dem materiellen Ausgleich eine adäquate prozessuale Durchsetzungsmöglichkeit einhergeht, sollen vorab einige Grundbegriffe geklärt werden. In einem Zivilprozess, der dem Beibringungsgrundsatz folgt, obliegt es grundsätzlich den Parteien, die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen.436 Dies äußert sich zunächst in der Darlegungslast437 , die sozusagen eine erste Hürde errichtet: Nur wenn schlüssiger438 Tatsachenvortrag zu einer bestimmten Frage vorliegt, kann dieser Einzug in ein Verfahren halten. Die objektive Darlegungslast wirkt sich für das Gericht aus, denn sie zeichnet vor, wie zu entscheiden ist, wenn es an relevantem Tatsachenvortrag fehlt.439 Grundsätzlich ist dann zu Lasten derjenigen Partei zu entscheiden, die die subjektive Darlegungslast trägt.440 Die subjektive Darlegungslast wiederum betrifft unmittelbar die Parteien, denn sie regelt, welche Partei die jeweils entscheidungserheblichen Tatsachen vortra-
435
Oben I.2.f). Nomos Handkommentar ZPO/Saenger, § 286 Rn. 52, 84. 437 Oder „Behauptungslast“, siehe etwa Nomos Handkommentar ZPO/Saenger, § 286 Rn. 84. 438 So die Terminologie, wenn eine Partei der Darlegungslast nachkommt, Nomos Handkommentar ZPO/Saenger, § 286 Rn. 85. 439 BeckOK ZPO E41/Bacher, § 284 Rn. 68. 440 BeckOK ZPO E41/Bacher, § 284 Rn. 68. 436
V. Darlegungs- und Beweislast
123
gen muss.441 Die subjektive Darlegungslast liegt bei derjenigen Partei, die auch die objektive Beweislast trägt.442 Liegt ein Vortrag der darlegungsbelasteten Partei vor, den die Gegenseite wirksam bestritten hat, so muss das Gericht Beweis erheben, sofern die Partei, die die subjektive Beweislast trägt, ein Beweismittel angeboten hat.443 Die subjektive Beweislast bestimmt also, welche Partei Beweismittel beibringen muss.444 Die subjektive Beweislast liegt i.d.R.445 bei derjenigen Partei, die auch die objektive Beweislast trägt.446 Die objektive Beweislast ist wiederum unmittelbar für das Gericht relevant: Sie bestimmt, wie das Gericht zu entscheiden hat, wenn ein non liquet vorliegt, wenn also nach erfolgter Beweiserhebung immer noch Unklarheit über eine entscheidungserhebliche Tatsache besteht.447 Zu entscheiden ist dann gegen die (objektiv) beweisbelastete Partei. Letztlich entscheidend ist also die objektive Beweislast, weil sie im Regelfall auf die subjektive Beweislast sowie die subjektive und objektive Darlegungslast durchschlägt. Wer die objektive Beweislast trägt, ist eine Frage des materiellen Rechts. Im Grundsatz gilt die ungeschriebene Regel, dass der Anspruchsteller die für ihn günstigen Tatbestandsmerkmale beweisen muss.448 Für die Beweislastverteilung im Rahmen eines vertraglichen Schadensersatzanspruches aus § 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB gilt deswegen zunächst folgendes: Der Gläubiger trägt die objektive Beweislast für das zugrundeliegende Schuldverhältnis, die Pflichtverletzung sowie den Schaden (inklusive der haftungsausfüllenden Kausalität).449 Das Vertretenmüssen ist wegen des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB als Einwendungstatbestand ausgestaltet, dessen Nichtvorliegen günstig für den Schuldner ist. Dar441 BeckOK ZPO E41/Bacher, § 284 Rn. 69; Nomos Handkommentar ZPO/Saenger, § 286 Rn. 88. 442 BeckOK ZPO E41/Bacher, § 284 Rn. 69. Die Gegenseite kann aber unter Umständen eine sog. sekundäre Darlegungslast treffen, die ein für den objektiv Darlegungsbelasteten negatives Urteil noch verhindern kann. Zur von der Rechtsprechung entwickelten Figur der sekundären Darlegungslast genauer unten 2.c). 443 BeckOK ZPO E41/Bacher, § 284 Rn. 65. 444 BeckOK ZPO E41/Bacher, § 284 Rn. 65. 445 Außer wenn Umstände von Amts wegen zu ermitteln sind, Nomos Handkommentar ZPO/Saenger, § 286 Rn. 54. 446 BeckOK ZPO E41/Bacher, § 284 Rn. 65; MünchKomm ZPO/Prütting, § 284 Rn. 101. 447 BeckOK ZPO E41/Bacher, § 284 Rn. 64; Nomos Handkommentar ZPO/Saenger, § 284 Rn. 33; MünchKomm ZPO/Prütting, § 284 Rn. 97. 448 Allg. M., siehe nur BGH, Urteil vom 6. Okt. 2016 – VII ZR 185/13 = NJW 2017, 386, 387; BGH, Urteil vom 13. Nov. 1998 – V ZR 386-97 = NJW 1999, 352, 353 m.w.N.; Stein/Jonas/Thole, § 286 ZPO Rn. 105; BeckOK ZPO E41/Bacher, § 284 Rn. 72; Musielak/Voit (2019), § 286 ZPO Rn. 35; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 116 Rn. 7; Braun, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, S. 717 f.; Jacoby, Zivilprozessrecht, Rn. 555. 449 BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 78.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
aus wird geschlossen, dass (grundsätzlich) der Schadensersatzschuldner zum fehlenden Verschulden vortragen und dies gegebenenfalls auch beweisen muss.450 Dieser trägt deswegen die objektive Beweislast für das Vertretenmüssen. Im Grundsatz hat also der Gläubiger die Pflichtverletzung, der Schuldner das Vertretenmüssen zu beweisen. 2. Beweislastverteilung bei verhaltensbezogenen Pflichten Die korrekte Verteilung der Beweislast verkompliziert sich bei verhaltensbezogenen Pflichten und deren Verletzungen. Bei verhaltensbezogenen Pflichten, die sich gerade nicht über einen Erfolg definieren lassen, muss der geschuldete Pflichtenkanon anhand der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestimmt werden.451 Ob die verkehrserforderliche Sorgfalt beachtet wurde, ist also nicht, wie die Legaldefinition von Fahrlässigkeit in § 276 Abs. 2 BGB vermuten lassen würde, eine Frage von Verschulden, sondern bereits eine Frage der Pflichtverletzung. Diese Verquickung der Kategorien „Pflichtverletzung“ und „Vertretenmüssen“ bei den verhaltensbezogenen Pflichten wirft die Frage auf, wie sich die Beweislast verteilt. Eine Bestandsaufnahme offenbart insgesamt vier verschiedene Herangehensweisen (a), die allerdings teilweise unter dem Korrektiv einer Beweislastverteilung nach Sphären (b), teilweise modifiziert durch eine sekundäre Darlegungslast (c) zu verstehen sind. Daneben ist ein bislang soweit ersichtlich noch nicht diskutierter Lösungsansatz denkbar: Etwaige Darlegungs- und Beweisprobleme wurzeln darin, dass der belasteten Partei Informationen fehlen. Es muss untersucht werden, ob solche Informationsdefizite (und damit verbunden auch die Frage von Darlegungsund Beweisproblemen) nicht bereits auf materiellrechtlicher Ebene zu bewältigen sind, nämlich in Gestalt eines Auskunftsanspruchs des Schadensersatzgläubigers gegen den Schuldner (d). Erwägenswert ist ferner ein Anscheinsbeweis (e). Der Vergleich der Konzepte erlaubt eine Bewertung (f). a) Grundlegende Ansätze in der Literatur Eine Bestandsaufnahme zeigt insgesamt vier grundlegende Einschätzungen, wie die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei verhaltensbezogenen Pflichten zu handhaben sei.
450 Allg. Meinung, siehe nur BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 78; Jauernig/Stadler, § 280 Rn. 25; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 154. 451 Zu der Konstruktion verhaltensbezogener Pflichten siehe im Detail oben I.1.a). Zur Notwendigkeit einer Differenzierung bei der Beweislast und betreffend erfolgs- bzw. verhaltensbezogene Pflichten, siehe etwa Stein/Jonas/Thole, § 286 ZPO Rn. 165.
V. Darlegungs- und Beweislast
125
aa) Position 1 Eine erste Position kombiniert zunächst streng die in § 280 BGB angelegte Beweislastverteilung mit der verhaltensbezogenen Bestimmung von Pflichten. Es bleibe dabei, dass der Gläubiger die Pflichtverletzung zu beweisen habe, auch wenn die Pflichtverletzung verhaltensbezogen bestimmt werde (und somit das Vertretenmüssen effektiv in der Pflichtverletzung aufgehe und damit ebenfalls vom Gläubiger zu beweisen sei).452 Allerdings bestehe die Möglichkeit von Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt der Beweislastverteilung nach Sphären.453 Die Beweislastumkehr für das Vertretenmüssen finde weiterhin Anwendung. bb) Position 2 Die vorangegangene Einschätzung wird mit einer Modifikation geteilt: Das Verschmelzen von Pflichtverletzung und Vertretenmüssen beschränke sich auf die objektiven Sorgfaltsanforderungen. Dafür trage der Gläubiger die volle Beweislast.454 Das subjektive Element eines unverschuldeten Tatsachen- oder Rechtsirrtums hingegen könne nicht in der Pflichtverletzung aufgehen. Insoweit verbleibe dem Vertretenmüssen eine eigenständige Bedeutung.455 Die objektiven Sorgfaltsanforderungen und das tatsächliche Verhalten des Käufers seien also vom Verkäufer darzulegen und zu beweisen; für die subjektiven Aspekte des Vertretenmüssens, konkret einen unverschuldeten Tatsachen- oder Rechtsirrtum, gelte weiterhin die Beweislastumkehr und der Käufer müsse sich insoweit entlasten.456 Dieses Ergebnis wird teilweise aber ebenfalls unter den Vorbehalt einer Beweislastumkehr nach Sphärengesichtspunkten gestellt.457 cc) Position 3 Eine dritte Stellungnahme beschäftigt sich insbesondere mit der Bedeutung der Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB in solchen Fällen. Konkret wird der Umstand thematisiert, dass die Beweislastumkehr weitgehend leerlaufe, wenn die Sorgfaltsanforderungen bei verhaltensbezogenen Pflichten der Pflichtverletzung zugeschrieben würden. Gleichwohl rechtfertigt diese Ansicht ein Leerlaufen des
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NK-BGB/Dauner-Lieb, § 280 Rn. 40; Palandt/Grüneberg, § 280 Rn. 35; HKK/Schermaier, §§ 280-285 Rn. 97. 453 NK-BGB/Dauner-Lieb, § 280 Rn. 40; Palandt/Grüneberg, § 280 Rn. 37; HKK/Schermaier, §§ 280-285 Rn. 97. 454 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 345 ff.; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 144. 455 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 347; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 144, 145; Staudinger (2019)/Löwisch, § 280 Rn. D 21. 456 Vgl. BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 347. 457 BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 351 ff.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB damit, dass die Norm teleologisch zu reduzieren sei.458 Die ratio legis des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB decke nur eine Beweislastumkehr bei erfolgsbezogenen Pflichten. Bei verhaltensbezogenen Pflichten könne die Norm hingegen nicht zur Anwendung kommen.459 Im Ergebnis trägt somit der Gläubiger bei verhaltensbezogenen Pflichten die volle Beweislast für die Pflichtverletzung und ein Vertretenmüssen. Auch tritt diese Ansicht einer Korrektur der Beweislastverteilung nach Sphärenüberlegungen entgegen.460 Stattdessen sei Beweisschwierigkeiten durch sekundäre Darlegungslasten zu begegnen.461 dd) Position 4 Einen gänzlich anderen Weg geht Ahrens: Pflichtverletzung und Vertretenmüssen seien zu einer „zu vertretenden Pflichtverletzung“ zusammenzufassen und dann für Beweislastzwecke richterrechtlich zu zergliedern.462 Diese Zergliederung richte sich danach, welche Aspekte eher rechtsbegründender Natur und welche eher rechtshindernder Natur seien. Erstere müssten dann vom Gläuber, letztere vom Schuldner dargelegt bzw. bewiesen werden. Es bestehe dadurch richterliche Freiheit für eine „unverkrampft sachangemessene“ Zuweisung von Darlegungs- und Beweislast.463 Eine weitere Korrektur nach Sphärenüberlegungen dürfte sich bei dieser Herangehensweise erübrigen, weil solche Überlegungen bereits bei der ursprünglichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast berücksichtigt werden können.464 ee) Zwischenergebnis und Konsequenz für das unberechtigte Nacherfüllungsverlangen Es besteht also weitgehende Einigkeit465 , dass auch bei verhaltensbezogenen Pflichten der Gläubiger grundsätzlich die Pflichtverletzung darzulegen und zu beweisen hat. Dies wird auch nicht angezweifelt, beschäftigen sich die Diskussionen in der Lehre doch vorrangig mit der Frage, ob die Beweislastumkehr für das Verschulden Anwendung finden kann oder leerlaufen muss oder teleologisch zu reduzieren ist. 458 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 46; Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 220. 459 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 40 ff.; Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 214 f., 220. 460 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 242; wohl auch Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 221. 461 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 242; Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, vgl. S. 221, 70 ff. 462 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 221, 222 (Kapitel 10 Rn. 13, 16 f.) 463 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 222 (Kapitel 10 Rn. 18). 464 Vgl. Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 222 (Kapitel 10 Rn. 18). 465 Mit Ausnahme der gänzlich einzelfallbasierten Lösung von Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 222 (Kapitel 10 Rn. 18). Siehe zu der Lösung aber sogleich f)aa).
V. Darlegungs- und Beweislast
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Für das hier untersuchte unberechtigte Nacherfüllungsverlangen ist diese Diskussion um eine teleologische Reduktion der Beweislastumkehr zweitrangig. Zutreffend ist nämlich die Analyse, dass bei verhaltensbezogenen Pflichten die Bestimmung einer Pflichtverletzung auf der Basis von objektiven Sorgfaltsanforderungen zu erfolgen hat466 , weil die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ein objektiver Standard ist. Dann ist es aber auch folgerichtig, dass sich die Relevanz der Diskussion um die Beweislastumkehr für ein Verschulden überhaupt nur auf dessen subjektive Aspekte wie einen unverschuldeten Tatsachen- oder Rechtsirrtum beziehen kann. Alle anderen Aspekte sind der Pflichtverletzung zuzuordnen, für die von vornherein keine Beweislastumkehr normiert ist. Für den verbleibenden Anwendungsbereich der Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, d.h. für die subjektiven Aspekte des Verschuldens aus dem Verantwortungsbereich des Schuldners ist eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Gläubigers m.E. sinnvoll und teleologisch geboten.467 Einer teleologischen Reduktion468 ist deswegen entgegenzutreten. Unverschuldete Tatsachen- oder Rechtsirrtümer dürften aber ohnedies eher selten und damit praktisch wenig relevant sein. Von Bedeutung für die hier untersuchte Konstellation ist m.E. aber die Tatsache, dass die objektiven Sorgfaltsanforderungen – und damit die Kernvoraussetzungen für eine Pflichtverletzung – regelmäßig von den konkreten Gegebenheiten beim Käufer abhängen. Um in der konkret für die hier untersuchten Fälle genutzten Terminologie zu bleiben: Aus den objektiven Sorgfaltsanforderungen sind Prüfpflichten des Käufers auf Alternativursachen hin abzuleiten, allerdings hängen diese unmittelbar von den Gegebenheiten beim Käufer ab. Plakativ: Wenn es tropft, muss der Käufer andere Alternativursachen überprüfen, als wenn es qualmt oder knallt. Von solchen Umständen hat der Verkäufer möglicherweise keine Kenntnis und dies erzeugt strukturelle Beweisschwierigkeiten für den Verkäufer. Diese sind aber gänzlich unabhängig von der Beweislastumkehr des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Sie können insbesondere nicht – wie die obigen Ausführungen zum verbleibenden Anwendungsbereich dieser Norm gezeigt haben – durch § 280 Abs. 1 S. 2 BGB behoben werden. Solche Bedenken dahingehend, dass es teilweise unbillig sein könnte, dem Gläubiger den vollen Beweis eines Sorgfaltsverstoßes des Schuldners abzuverlangen, werden von allen soeben beschriebenen Literaturansätzen auch adressiert. Gemein ist ihnen allen eines: Sie wollen diesen Bedenken im Einzelfall
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BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 344 ff.; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 144. Siehe zur Sinnhaftigkeit einer Beweislastumkehr auch bei verhaltensbezogenen Pflichten bereits oben I.2.c). 468 Gefordert von Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 46; Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, S. 220. 467
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B. Vertraglicher Schadensersatz
durch eine Beweislastumkehr469 , eine sekundäre Darlegungslast470 oder durch freie richterliche Beweislastverteilung471 Rechnung tragen. Diejenigen Ansätze, die mit einer Beweislastumkehr oder mit sekundären Darlegungslasten arbeiten, bedürfen weiterer Ausführungen zu ihren Voraussetzungen und Wirkungen (b) und c). b) Beweislastverteilung nach Gefahrbereichen Eine Beweislastverteilung nach Gefahrbereichen ist in Rechtsprechung und Lehre seit langem bekannt. Es geht dabei allgemein um die Umverteilung der Beweislast in Situationen, in denen eine Partei Umstände aus der Sphäre des Prozessgegners zu beweisen hätte (aa). Dies kann möglicherweise auch für den untersuchten Fall eines unberechtigten Mangelbeseitigungsverlangens fruchtbar gemacht werden (bb). aa) Allgemeine Aussage Vor der Schuldrechtsmodernisierung 2002 wurde die Beweislastverteilung für positive Vertragsverletzungen § 282 a.F. (analog) BGB entnommen. Die Norm wies in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich die Beweislast für ein Vertretenmüssen des Schuldners für eine Unmöglichkeit der Leistung dem Schuldner zu. Der Norm wurde aber die allgemeinere Wertung entnommen, dass Umstände aus dem Gefahrenbereich einer Partei von dieser darzulegen- und zu beweisen seien, weil diese Partei dazu besser in der Lage sei respektive der Prozessgegner keinen Einblick in diesen Gefahrenbereich habe und deswegen in unzumutbare Beweisnot geraten könne.472 Diese Gefahrenbereichslehre findet explizite Erwähnung in den Materialien zur Reform und wurde auch in Urteilen auf die neue Rechtslage übertragen.473 Ganz konkret im Hinblick auf die hier interessierenden Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB führt die Regierungsbegründung wie folgt aus: „Bei der Verletzung von Schutzpflichtverletzungen [sic.] im Sinne von § 241 Abs. 2 RE 469
NK-BGB/Dauner-Lieb, § 280 Rn. 40; BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 351. Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 242; Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, vgl. S. 221, 70 ff. 471 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 221, 222 (Kapitel 10 Rn. 13, 16 f.). 472 Eine ausfürliche Darstellung der alten Rechtslage findet sich bei Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 43 m.w.N., 44 ff.; kürzer bei BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 345 ff.; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 152 f.; aus der Rechtsprechung beispielhaft BGH, Urteil vom 19. Mai 1965 – I b ZR 97/63 = NJW 1965, 1583, 1584 unter II.3.c)aa); BGH, Urteil vom 11. Feb. 1957 – VII ZR 256/56 = NJW 1957, 746, LS.; BGH, Urteil vom 8. Mai 1958 – II ZR 304/56 = NJW 1958, 1629, LS.; BGH, Urteil vom 12. März 1987 – VII ZR 172/86 = NJW 1987, 1938, 1939 unter 3. 473 BGH, Urteil vom 22. Okt. 2008 – XII ZR 148/06 = NJW 2009, 142, 142 f. (Rn. 15, 16); BGH, Urteil vom 12. Jan. 2017 – III ZR 4/16 = NJW-RR 2017, 622, LS. 2; BGH, Urteil vom 5. Okt. 2016 – XII ZR 50/14 = NJW-RR 2017, 635, Rn. 31. 470
V. Darlegungs- und Beweislast
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muss demgegenüber positiv festgestellt werden, worin die Pflichtverletzung an sich besteht. Die Beweislast dafür trägt der Gläubiger, weil es sich um den Tatbestand der Pflichtverletzung handelt. Dem Gläubiger kommen hier allerdings unter dem Gesichtspunkt der Sphärentheorie (Palandt/Heinrichs, § 282 Rdnr. 8 ff.) Beweiserleichterungen zugute.“474 Entsprechend ist anerkannt: Wenn feststeht, „dass als Schadensursache nur eine solche aus dem Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners in Betracht kommt, muss dieser sich nicht nur hinsichtlich der subjektiven Seite, sondern auch hinsichtlich der objektiven Pflichtwidrigkeit entlasten.“475 In dem zitierten Fall hatte sich der Beklagte im Erdgeschoss einer Scheune eine Reparaturwerkstatt eingerichtet und die Ursache eines Brandes konnte eingegrenzt werden. Der Brand war zweifelsohne während einer Reparatur von dem zu reparierenden Fahrzeug ausgegangen und wurde deswegen von dem Gericht dem Bereich des Beklagten zugeordnet.476 Ebenso erging beispielhaft ein Urteil zulasten eines Gastes auf einem Campingplatz, obwohl der Schadensersatzgläubiger kein Fehlverhalten des Gastes nachweisen konnte.477 Es konnte nur festgestellt werden, dass ein Brand entweder durch fahrlässiges Hantieren mit einer Zigarette durch den Gast selbst oder durch einen Defekt an der Bordelektrik ausgelöst worden war. Weil beide möglichen Ursachen zur Sphäre des Gastes gehörten, nahm der BGH eine Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung an. Der Gast vermochte seine (vermutete) Fahrlässigkeit nicht zu widerlegen.478 Eine solche Beweislastumkehr darf sinnvollerweise aber nur den Zweck verfolgen, Beweisprobleme zu lösen, die daraus resultieren, dass Aspekte aus der Sphäre des Prozessgegners stammen und Kenntnismöglichkeiten des Gläubigers nicht bestehen. Aus dieser Beobachtung muss folgen, dass die Sphärentheorie nicht etwa pauschal auf „die Pflichtverletzung“ anzuwenden ist. Wenn eine Pflichtverletzung verschiedene Teilaspekte aufweist, so muss für jeden Teilaspekt untersucht werden, ob eine Umkehr der Beweislast angezeigt ist.
474
BT-Drucks. 14/6040 S. 136. BGH, Urteil vom 22. Okt. 2008 – XII ZR 148/06 = NJW 2009, 142, Rn. 16; BGH, Urteil vom 16. Feb. 2005 – XII ZR 216/02 = BeckRS 2005, 03025, unter II.2; zuletzt BGH, Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 = NJW 2018, 2956, Rn. 14 m.w.N., wobei in dem Fall die Beweislast gerade nicht wechseln konnte, weil die Schadensursache nicht im alleinigen Verantwortungsbereich des Schadensersatzschuldners lag. Zustimmend aus dem Schrifttum BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 88; s. auch MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 152; NK-BGB/Dauner-Lieb, § 280 Rn. 40. Siehe aber auch zur Relativierung des Gesetzgeberwillens und zur Fundamentalkritik an einer Beweislast(um)verteilung nach Sphärengesichtspunkten Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 4-17, sowie (dies aber im Kontext der haftungsbegründen Kausalität) Rn. 88. 476 BGH, Urteil vom 22. Okt. 2008 – XII ZR 148/06 = NJW 2009, 142, Rn. 17, 18. 477 BGH, Urteil vom 16. Feb. 2005 – XII ZR 216/02 = BeckRS 2005, 03025. 478 BGH, Urteil vom 16. Feb. 2005 – XII ZR 216/02 = BeckRS 2005, 03025, unter II.2. m.w.N. 475
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B. Vertraglicher Schadensersatz
bb) Anwendung auf und Klarstellungen für den Fall eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens Eine solche Konstellation mehrerer Teilaspekte, die erst gemeinsam eine Pflichtverletzung darstellen, liegt bei einem unberechtigten Nacherfüllungsverlangen vor. Die Anwendung einer Beweislastumkehr auf dieses Problem bedarf deswegen einiger Klarstellungen. Bei einem unberechtigten Nacherfüllungsverlangen kommt nach den obigen Ausführungen479 eine Haftung in Betracht, wenn der Käufer Nacherfüllung verlangt (1), obwohl dies objektiv unberechtigt ist (2) und obwohl er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte Alternativursachen erkennen können (3). Diese Aspekte sind separat im Hinblick auf eine Beweislastumkehr zu untersuchen. (1) Nacherfüllungsverlangen Der erste, wenn auch banal anmutende Teil der Pflichtverletzung besteht schlicht darin, dass der Käufer überhaupt Nacherfüllung verlangt hat. Ist dieser Aspekt strittig, etwa weil der Käufer sich auf den Standpunkt stellt, er habe gar nicht Nacherfüllung verlangt, sondern den Verkäufer nur unverbindlich zu einer Fehlfunktion befragt, dann muss der Verkäufer darüber Beweis führen. Die Umstände, die Aufschluss darüber geben, ob tatsächlich ein Nacherfüllungsverlangen ausgesprochen wurde, betreffen gleichermaßen die Sphäre des Käufers und die des Verkäufers und es bestehen keine strukturellen Beweisschwierigkeiten. Insoweit muss es also dabei bleiben, dass der Verkäufer die Beweislast für diesen Aspekt der Pflichtverletzung trägt. (2) Mangelfreiheit Zum Zweiten ist eine Pflichtverletzung des Käufers überhaupt nur dann denkbar, wenn sein Nacherfüllungsverlangen unberechtigt war, d.h. wenn die Sache tatsächlich mangelfrei war. Auch hierfür trägt der Verkäufer die Beweislast, ohne dass eine Beweislastumkehr in Betracht käme. Die Mangelhaftigkeit oder Mangelfreiheit bei Gefahrübergang liegt unmittelbar in der Sache und nicht in der Sphäre des Käufers begründet. Eine Beweislastumkehr scheidet aus. (3) Erkennbarkeit von Alternativursachen Anders verhält es sich bei dem Aspekt der Erkennbarkeit von Alternativursachen unter Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Alternativursachen an sich, also solche Umstände, die die Sache trotz ihrer Mangelfreiheit mangelhaft erscheinen lassen, liegen in Abgrenzung zu Mängeln gerade nicht in der Sache selbst begründet.480 Vielmehr stammen sie aus der 479 480
Oben I. und II. Dazu schon oben II.4.c).
V. Darlegungs- und Beweislast
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Sphäre des Käufers und der Verkäufer hat typischerweise keine Kenntnis bzw. Kenntnismöglichkeit davon. Je nach den Gegebenheiten beim Käufer können ganz unterschiedliche Alternativursachen vorliegen oder zumindest in Betracht kommen. Eine Tauchpumpe für den Gartenteich kann, ohne mangelhaft zu sein, etwa dann nicht wie erwartet funktionieren, wenn der Käufer sie mit zu großen oder auch mit zu kleinen Pumpschläuchen zu betreiben versucht; wenn die Stromversorgung sporadisch wegen Problemen im Stromnetz des Käufers ausfällt; wenn das Wasser zu viel Schlammanteile enthält etc. Mitunter mag ein Verkäufer bei einer Untersuchung der Kaufsache Rückschlüsse auf eine Alternativursache ziehen können. Dies ist insbesondere dann denkbar, wenn die Ware bestimmte Abnutzungserscheinungen oder Beschädigungen aufweist, die auf einen bestimmten Fehlgebrauch hinweisen. Es ist aber auch denkbar, dass Alternativursachen keine derartigen Spuren hinterlassen haben, sondern schlicht irgendwelche Umstände aus der Sphäre des Käufers dafür verantwortlich sind, dass die Sache nicht wie erhofft funktioniert hat. Solange ein Verkäufer keine Einblicke in die Gegebenheiten beim Käufer hat, kann er solche Alternativursachen nicht eingrenzen. Erachtet man es als unbillig, ihm dennoch die Beweislast für solche Umstände aufzubürden, dann wäre es insoweit sinnvoll – zunächst aber auch nur insoweit – einen Wechsel der Beweislast anzunehmen. Der Käufer müsste dann beweisen, dass keine Alternativursachen erkennbar waren. (4) Zusammenfassung Zusammenfassend ist deswegen Folgendes festzuhalten: Bei Anwendung der etablierten Voraussetzungen erscheint es möglich, fehlende Informationen des Verkäufers von den Gegebenheiten beim Käufer für eine Beweislastumkehr nach Sphärengesichtspunkten heranzuziehen. Insgesamt müsste die Lösung dann so aussehen, dass der Verkäufer eine Geltendmachung eines Gewährleistungsrechts trotz Mangelfreiheit der Sache beweist. Der Käufer hätte sodann den Entlastungsbeweis zu führen, dass bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt keine Alternativursachen erkennbar waren. Ob dies einen letztlich gangbaren, dem Käufer zumutbaren Weg darstellt, wird noch eingehender zu untersuchen sein.481 c) Sekundäre Darlegungslasten Dem Problem von Beweisschwierigkeiten auf Verkäuferseite könnte außer durch eine Beweislastumkehr auch durch sekundäre Darlegungslasten begegnet werden.482 481
Unten f), insb. f)bb)(3). Vgl. Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 242; Keilmann, Dem Gefälligen zur Last, vgl. S. 221, 70 ff.; Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 275. 482
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Sekundäre Darlegungslasten stellen eine Ausnahme von dem oben (1.) dargestellten Grundsatz dar, dass die Darlegungslast der Beweislast folgt. Eine sekundäre Darlegungslast trifft also die nicht beweisbelastete und somit die normalerweise auch nicht darlegungsbelastete Partei. Besteht eine solche sekundäre Darlegungslast, so wird diese Partei zum substantiierten Bestreiten von Tatsachenbehauptungen der Gegenseite gezwungen. Als Ausfluss der Erklärungspflicht aus § 138 Abs. 2 ZPO darf sich eine Partei, die eine sekundäre Darlegungslast trägt, nicht darauf beschränken, Tatsachenbehauptungen der anderen Partei pauschal zu bestreiten (und jene dadurch zur Beweisführung zu zwingen). Vielmehr muss die bestreitende Partei einen eigenen Beitrag zur Sachaufklärung leisten, und substantiiert darlegen, dass die Behauptungen der Gegenseite nicht zutreffen. Versäumt die sekundär darlegungsbelastete Partei dies, so gelten die Behauptungen der Gegenseite nach heute483 allgemeiner Auffassung als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).484 Somit stellt sich eine sekundäre Darlegungslast ebenso wie die Umkehr der Beweislast aus Sphärengesichtspunkten als ein Instrument dar, um Informationsdefizite bei einer Prozesspartei zu kompensieren.485 Indem der Prozessgegner gezwungen wird, substantiierte Gegendarstellungen vorzunehmen, wird eine Sachverhaltsaufklärung erreicht. Eine sekundäre Darlegungslast ist aber verglichen mit der Beweislastumkehr das mildere Mittel, denn die Beweislast bleibt unverändert.486 Diese Verwandtschaft zwischen den beiden Instituten erklärt auch die folgenden, soweit ersichtlich einhellig akzeptierten Voraussetzungen: „Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei in der Regel dann, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen.“487 Diese Definition ist etwas weiter, als die oben für eine Beweislastumkehr angeführte: 483
Siehe aber bspw. die Darstellung bei Baumgärtel/Laumen/Prütting/Laumen, Kap. 22 Rn. 36 m.z.N. auf eine überholte Ansicht, wonach ein Nichterfüllen einer sekundären Darlegungslast vom Gericht schlicht frei zu würdigen sei. 484 Statt aller BGH, Urteil vom 20. Okt. 2005 – IX ZR 276/02 = NJW-RR 2006, 552, Rn. 11 m.w.N. Zum Ganzen siehe auch BeckOK ZPO E41/von Selle, § 138 Rn. 20; Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 260; Nomos Handkommentar ZPO/Wöstmann, § 138 Rn. 4; Hoeren/Sieber/Holznagel MultimediaR-Hdb/Sesing, Teil 18.5 Rn. 9-12; Lüke, Zivilprozessrecht I, § 20 Rn. 2; Zöller ZPO/Greger, § 138 Rn. 8b. 485 Hoeren/Sieber/Holznagel MultimediaR-Hdb/Sesing, Teil 18.5 Rn. 10; Wieczorek/Schütze, Vor § 286 Teil A Rn. 59. 486 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 260; vgl. Maultzsch, NJW 2006, 3091, 3094. 487 BGH, Urteil vom 18. Dez. 2019 – XII ZR 13/19 = NJW 2020, 755, Rn. 35 mit Verweis auf eine st. Rspr. Daraus siehe etwa BGH, Urteil vom 3. Mai 2016 – II ZR 311/14 = NJW 2017, 886, Rn. 19; BGH, Urteil vom 8. Jan. 2014 – I ZR 169/12 = NJW 2014, 2360, Rn. 17 mit zahlreichen w.N.
V. Darlegungs- und Beweislast
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Sie stellt formal besehen nicht auf den Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners ab, sondern alleine auf die Unkenntnis bestimmter Tatsachen. Für den hier interessierenden Fall dürfte sich daraus kein Unterschied ergeben. Der Fall, dass der Verkäufer keine Kenntnis von den Gegebenheiten beim Käufer hat, entspricht genau der genannten Definition. Besondere Bedeutung mag allerdings dem Zumutbarkeitskriterium bei dem Versuch zukommen, einer sekundären Darlegungslast des Käufers Grenzen zu setzen.488 Angewandt auf die Situation einer Schadensersatzklage wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens würde eine sekundäre Darlegungslast des Käufers Folgendes ergeben: Der Verkäufer hätte ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen darzulegen und notfalls zu beweisen. Im Hinblick auf die Erkennbarkeit von Alternativursachen bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hingegen dürfte sich ein Verkäufer mit einer an sich unsubstantiierten Behauptung begnügen.489 Möglich wäre also eine Behauptung ins Blaue hinein oder auch nur eine pauschale Aussage dergestalt, der Käufer habe trotz Erkennbarkeit einer Alternativursache Nacherfüllung verlangt. Es wäre dann Sache des Käufers, diese Behauptung dadurch zu widerlegen, dass er die Gegebenheiten bei sich schildert und beschreibt, welche Prüfungen er durchgeführt hat bzw. weshalb er von ihnen abgesehen hat. Der Käufer dürfte also gerade nicht die unsubstantiierte Behauptung des Verkäufers ebenso unsubstantiiert bestreiten. Entscheidende Bedeutung käme dann dem Gericht zu, denn es müsste im Einzelfall entscheiden, wie umfangreich die Darstellungen des Käufers sein müssen, um der sekundären Darlegungslast Genüge zu tun. Als Anhaltspunkte könnten dabei folgende Überlegungen dienen: Kann der Käufer überzeugend darlegen, dass er sich mit dem Problem beschäftigt hat? Kann er potentielle Alternativursachen benennen, die er falsifiziert hat? Kann er konkrete Überprüfungen darlegen, die er ohne Erfolg durchgeführt hat? Auf Basis dieser Schilderungen könnte der Verkäufer dann dazu vortragen, welche Überprüfungen seiner Auffassung nach in der beschriebenen Situation angezeigt gewesen wären. Zusammenfassend würde eine Lösung mithilfe einer sekundären Darlegungslast beim Käufer also dazu führen, dass dieser zur Sachverhaltsoffenlegung gezwungen wird, soweit die konkreten Gegebenheiten bei ihm betroffen sind. d) Alternativlösung: Auskunftsanspruch Unbilligkeiten aufgrund fehlender Informationen kann nicht nur auf prozessualer Ebene Rechnung getragen werden. In anderem Kontext sind (materiellrechtliche) Auskunftsansprüche anerkannt. Sie zielen darauf ab, einer Partei bestimmte Informationen aus der Sphäre seines Gegenüber zukommen zu lassen. 488
Dazu sogleich unten f)bb)(3). Vgl. Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 50 Rn. 3; Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 260; Hoeren/Sieber/Holznagel MultimediaR-Hdb/Sesing, Teil 18.5 Rn. 9. 489
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Soweit ersichtlich wurden Auskunftsansprüche bislang nicht im Kontext von Beweisschwierigkeiten diskutiert, die sich aus dem Konstrukt verhaltensbezogener Pflichten ergeben. Dies soll im Folgenden insbesondere deswegen geschehen, weil – wie zu zeigen sein wird – im Kontext von Auskunftspflichten eine relativ klare Rechtsprechungslinie besteht, deren zugrundeliegende Wertungsentscheidungen möglicherweise auch hier fruchtbar gemacht werden können. Konkret würde das Modell dann so aussehen, dass ein Verkäufer durch Auskunftsverlangen Kenntnis von den Gegebenheiten beim Käufer erlangen kann. Durch diese Informationen würde er dann gegebenenfalls in die Lage versetzt, eine Sorgfaltspflichtverletzung des Käufers zu etablieren. Ein solcher Auskunftsanspruch würde – um ein Missverständnis zu vermeiden – nicht erst in der Prozesssituation relevant, sondern bereits vorprozessual. Auskunftspflichten sollen grundsätzlich eine Partei bei der Entscheidung über zukünftiges Verhalten unterstützen490 und werden durch Nachfragen ausgelöst. Idealerweise würde also ein Informationsaustausch bereits vor einem Zivilprozess stattfinden und dadurch entweder einen Prozess von vornherein verhindern491 oder aber in einem späteren Schadensersatzprozess die Darlegungs- und Beweisnöte des Verkäufers beseitigen. So besehen präsentiert sich ein Auskunftsanspruch als in Erwägung zu ziehende Alternative zu einer Modifikation von Darlegungs- und Beweislasten im Prozess. Die in der Rechtsprechung mittlerweile etablierte Auskunftspflicht definiert der BGH wie folgt: „Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen[.]“492 Mit anderen Worten leitet die Rechtsprechung also aus § 242 BGB einen Auskunftsanspruch ab. Dieser ist mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt.493 Die dogmatische Verankerung bei § 242 BGB anstatt bei § 241 Abs. 2 BGB dürfte dabei eine rein historisch bedingte sein. Alle die soeben zitierten Urteile des BGH fußten, auch wenn sie teilweise nach 2002 ergingen, noch auf Verträgen, die vor dem 1.1.2002 geschlossen worden waren. Für sie galt nach Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB weiterhin das alte Schuldrecht, unter dem es den heutigen § 241
490
BeckOK BGB E59/Sutschet, § 241 Rn. 77; MünchKomm BGB/Bachmann, § 241 Rn. 62. Wenn der Verkäufer erkennen muss, dass dem Käufer kein Sorgfaltsverstoß vorzuwerfen ist. 492 BGH, Urteil vom 6. Feb. 2007 – X ZR 117/04 = NJW 2007, 1806, Rn. 13 mit zahreichen weiteren Nachweisen. 493 MünchKomm BGB/Krüger, § 260 Rn. 12; BeckOGK BGB 2021/Röver, § 260 Rn. 49 m.w.N. 491
V. Darlegungs- und Beweislast
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Abs. 2 BGB noch nicht gab und Nebenpflichten generell § 242 BGB entnommen wurden.494 Entscheidungen neueren Datums auf dem Gebiet des Zivilrechts gibt es nur von Instanzgerichten, welche sich zur Begründung der jeweils angenommenen Auskunftspflicht aus § 242 BGB lediglich auf die BGH-Rechtsprechung beziehen.495 Meines Erachtens ist eine Auskunftspflicht nunmehr auf § 241 Abs. 2 BGB zu stützen, als sogenannte „selbstständige Nebenpflicht“496 . Inhaltlich ergibt sich daraus aber keinerlei Unterschied. Die relevante Frage ist vielmehr die, wann die Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch vorliegen (aa) und ob ein Auskunftsanspruch auch in der hier untersuchten Situation passt (bb). aa) Voraussetzungen Entsprechend der genannten Definition ist zu untersuchen, ob in der betreffenden Konstellation eine Ungewissheit über ein Recht vorliegt, die der Anspruchssteller nicht verschuldet hat, und ob der Anspruchsgegner unschwer darüber Auskunft erteilen kann. Die beiden letzteren Punkte wären unproblematisch wie folgt zu beantworten: Ein Käufer dürfte Informationen über die Gegebenheiten beim Käufer zweifelsohne nur dann verlangen, wenn er es nicht schuldhaft versäumt hat, die Informationen sich selbst zu beschaffen. Hat beispielsweise der Käufer angeboten, dass sich der Verkäufer die Gegebenheiten anschauen kann und hat er dieses Angebot ausgeschlagen, so kann er nicht später darüber Auskunft verlangen. Ein Käufer müsste zudem nur über solche Umstände Auskunft erteilen, die er entweder kennt oder von denen er ohne nennenswerten Aufwand Kenntnis erlangen kann. Problematisch erscheint bei genauerer Analyse aber die zentrale Voraussetzung, dass eine Unsicherheit über ein Recht vorliegen muss. (1) Ausgangspunkt Ein Auskunftsanspruch erfordert prinzipiell eine Ungewissheit über das in Frage stehende Recht, ansonsten besteht kein Grund, die andere Vertragspartei um Auskunft zu ersuchen. Ob dies auch auf eine Situation passt, in der der Verkäufer 494
Auch handelte es sich in den Urteilen nicht um Dauerschuldverhältnisse, für die Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB eine Geltung des neuen Schuldrechts ab dem 1.1.2003 angeordnet hätte. 495 Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 23. Juli 2008 – 7 U 175/07; LG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 2015 – 35 O 52/14; LG Köln, Urteil vom 4. Aug. 2014 – 26 O 43/14, wobei hier gar keine Verankerung im Gesetz vorgenommen wird. Die einzige höchstrichterliche Rechtsprechung nach 2002 ist Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. Feb. 2010 – VII R 19/09 = NJW-RR 2010, 1160, wobei allerdings § 242 BGB als Anspruchsgrundlage nicht generell diskutiert wurde, sondern nur dessen Anwendbarkeit im Steuerrecht. 496 Siehe für den Begriff BeckOK BGB E59/Sutschet, § 241 Rn. 43.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
mit Unkenntnis von den Gegebenheiten beim Käufer zu kämpfen hat, erscheint aber zunächst einmal fraglich. Dies liegt daran, dass sich viele (vorwiegend ältere) Urteile zu Auskunftsansprüchen allein mit der Konstellation befassen, dass ein (deliktischer Schadensersatz-)Anspruch dem Grunde nach besteht und lediglich Informationen benötigt werden, um die Schadenshöhe beziffern zu können.497 So lag die Sache beispielsweise auch bei einem Fall vor dem LG Düsseldorf aus 2015498 : Es war klar, dass dem Kläger ein Erfolgshonorar für die Durchführung einer Transaktion zustand. Nur die Höhe desselben war noch unklar, denn der Beklagte verweigerte eine Auskunft über den genauen Transaktionswert.499 Im hier untersuchten Fall würde eine solche Auskunftspflicht dem Verkäufer nichts nützen. Ihm geht es letztlich um das Ob eines Schadensersatzanspruchs, denn mithilfe von Informationen über die Gegebenheiten beim Käufer möchte er zeigen, dass bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestimmte Überprüfungen angezeigt waren, die eine Alternativursache offenbart hätten. Dem Verkäufer geht es hingegen nicht um den Umfang eines ihm wegen des unberechtigten Nacherfüllungsverlangens entstandenen Schadens, weil dieser beim Verkäufer entstanden ist und keine Darlegungs- und Beweisnöte bestehen. Allerdings ist im Laufe der Zeit eine Weiterentwicklung und Ausdehnung von Auskunftsansprüchen erfolgt. Wie eingangs zitiert wird heute die Formel bemüht, wonach ein Auskunftsanspruch bei Ungewissheit über „das Bestehen oder den Umfang“ des Anspruchs in Betracht kommt. Für diese Ausdehnung lässt sich anführen, dass ein Auskunftsanspruch, der ein sicheres Bestehen eines Anspruchs voraussetzt, in einigen Fällen leerliefe mit der Konsequenz, dass ein Anspruchsinhaber seinen Anspruch mangels nötiger Informationen nicht geltend machen könnte. Ob dies ein Problem darstellt, dem zu begegnen wäre, ist eine normative Frage, die hier zunächst ausgeklammert werden soll (dazu aber sogleich). Das entgegengesetzte Extrem – keinen Nachweis über einen bestehenden Anspruch zu fordern – wäre aber ersichtlich dem Auskunftsschuldner gegenüber unbillig. Er müsste dann ohne nachvollziehbaren Anlass Informationen herausgeben. Gerichte haben diesen Konflikt dergestalt gelöst, dass sie eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines Anspruchs fordern. So formulierte der BGH 2002 etwa: „Soll die begehrte Auskunft einen vertraglichen Schadensersatzanspruch belegen, muß dieser nach allgemeiner Meinung nicht bereits dem Grund nach feststehen; vielmehr reicht schon der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung aus.“500 497 Siehe etwa BGH, Urteil vom 28. Nov. 1989 – VI ZR 63/89 = NJW 1990, 1358, 1358; BGH, Urteil vom 18. Jan. 1978 – VIII ZR 262/76 = NJW 1978, 1002, unter I.1. m.w.N. 498 LG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 2015 – 35 O 52/14. 499 LG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 2015 – 35 O 52/14, Rn. 60. 500 BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juli 2002 – VIII ZR 64/01 = NJW 2002, 3771, Rn. 9; ebenso BGH, Urteil vom 1. Aug. 2013 – VII ZR 268/11 = NJW 2014, 155, Rn. 20 m.w.N.
V. Darlegungs- und Beweislast
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Auf Basis dieser Formel käme also ein Auskunftsanspruch des Verkäufers gegen den Käufer in Betracht, sofern ein begründeter Verdacht eines Anspruchs besteht. Dies ist dann der Fall, wenn ein begründeter Verdacht eines Sorgfaltsverstoßes des Käufers besteht. (2) Kritik an der Reichweite In der Literatur ist diese Rechtsprechung nicht ohne Kritik geblieben.501 Dabei spielt der Kritikpunkt unmittelbar in die hiesige Problemstellung hinein. Er besteht nämlich darin, dass eine Auskunftspflicht die allgemeinen Darlegungslasten und -risiken verschiebe.502 Je schneller und je umfangreicher ein Vertragspartner zur Auskunft verpflichtet ist, desto weiter wird der allgemeine Grundsatz verdrängt, dass jede Partei die ihre Position stützenden Tatsachen darlegen und notfalls beweisen muss. Ein Auskunftsanspruch bereits bei dem Verdacht einer Vertragsverletzung bewirke effektiv, dass eine vertragsbrüchige Partei bei der Aufklärung mithelfen müsse, vielleicht sogar durch Einräumen des Fehlverhaltens. Diese Abkehr von dem allgemeinen Grundsatz gehe – auch vor dem Hintergrund des § 242 BGB – nicht an.503 Die Feststellung, dass ein Auskunftsanspruch der beschriebenen Art mit den allgemeinen Grundsätzen zur Darlegungslast kollidiert, ist nicht zu bestreiten. Zwar muss nach wie vor der Anspruchssteller die nötigen Tatsachen darlegen, er kann dies aber eben mit den Informationen tun, die er mithilfe eines Auskunftsanspruchs erlangt hat. Die Wertung, welche dem allgemeinen Grundsatz zur Darlegungslast zugrunde liegt, ist also unzweifelhaft betroffen. Gleichwohl wäre es gerade dann, wenn ein Auskunftsanspruch dies zur Konsequenz hätte, ein für das untersuchte Problem gangbarer Alternativweg. Es sprechen verschiedene Gründe für einen Auskunftsanspruch auch in Fällen einer noch nicht feststehenden Vertragsverletzung. Zunächst handelt es sich bei dem Grundsatz zur Darlegungslast eben nur um einen Grundsatz. Einem solchen immanent ist die Möglichkeit von Ausnahmen. Dieser Umstand wird nicht zuletzt dadurch evident, dass die bereits beschriebenen Institute einer Beweislastumkehr und einer sekundären Darlegungslast ebenfalls den allgemeinen Grundsatz zur Darlegungslast modifizieren. Des Weiteren ist der dogmatische Anknüpfungspunkt richtigerweise nicht unmittelbar § 242 BGB, sondern der Vertrag selbst. Wie oben dargelegt sollte nach gegenwärtiger Rechtslage eine Auskunftspflicht der Vorschrift des § 241 Abs. 2 BGB als Ergebnis einer Auslegung der Parteivereinbarung entnommen werden.504 Ist dies im Einzelfall möglich, so besteht meines Erachtens auch eine hinreichende Grundlage für eine gewisse Modifikation der allgemeinen 501
Siehe MünchKomm BGB/Krüger, § 260 Rn. 16. MünchKomm BGB/Krüger, § 260 Rn. 16. 503 MünchKomm BGB/Krüger, § 260 Rn. 16. 504 Oben d). 502
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Darlegungsregel. Auf diese Auslegung nimmt § 242 BGB natürlich dergestalt Einfluss, dass zu fragen ist, wie ein redlicher Verkehrsteilnehmer den Vertrag unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen muss. Daran ist nichts auszusetzen. In der Tat schlägt auch Krüger im Kontext seiner oben angeführten Kritik an dem Konstrukt die schlichte Vertragsauslegung als Lösung vor.505 Seine Kritik an der Rechtsprechung dürfte daher wohl weniger auf den dogmatischen Aufhänger des § 242 BGB als auf die (niedrigen) Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch bezogen sein. Dieser Kritikpunkt ist gut nachvollziehbar. Im Rahmen einer Vertragsauslegung analysiert würde die Rechtsprechung nämlich Folgendes postulieren: Ein objektiver Beobachter im Sinne des § 157 BGB versteht (im Hinblick auf Treu und Glauben) einen Vertrag regelmäßig so, dass bei einem begründeten Verdacht einer Vertragsverletzung der vermeintlich Vertragsbrüchige zur Auskunft verpflichtet ist. Dies erscheint aber durchaus fraglich, schließlich müsste dazu jede Willenserklärung als für den sie Abgebenden als teilweise belastend verstanden werden. Eine Partei würde mit anderen Worten versprechen, im Falle des Verdachts, sie habe den Vertrag gebrochen, Auskunft über die Umstände des vermeintlichen Vertragsbruchs zu geben. Dies erscheint zunächst einmal unverständlich. Andererseits sind aber auch folgende Aspekte zu bedenken: Erstens muss jeder Auskunftsanspruch seinem Sinn und Zweck nach begrenzt werden. Er dient lediglich zur Informationsbeschaffung, wo dies dem Anspruchssteller nicht möglich ist. Ein Auskunftsanspruch zwingt den Auskunftsschuldner also nicht etwa dazu, eine Vertragsverletzung einzuräumen. Er verpflichtet lediglich dazu, auf Nachfragen der anderen Partei wahrheitsgemäß die tatsächlichen Gegebenheiten zu offenbaren, die mit der vermeintlichen Vertragsverletzung im Zusammenhang stehen. Dies trägt zum einen dazu bei, dass aus der Auskunftspflicht keine unbillige Ausforschungsmöglichkeit wird506 und nimmt somit dem Anspruch zu einem gewissen Grad seinen Schrecken. Zum anderen bedeutet es, dass der eigentliche Nachweis einer Vertragsverletzung nach wie vor dem Anspruchssteller obliegt. Auch dies relativiert die Tragweite eines Auskunftsanspruchs. In manchen Fällen dürfte insoweit kein nennenswerter Unterschied bestehen. Wenn aber beispielsweise die vermutete Pflichtverletzung in dem Bruch einer Exklusivvereinbarung besteht507 , dann besiegelt die Auskunft, es sei tatsächlich mit einem Konkurrenten ein Vertrag geschlossen worden, die Frage nach einer Vertragsverletzung. Im Gegensatz dazu wäre im hier untersuchten Fall durch eine Auskunft über die Gegebenheiten beim Käufer allerdings noch kein Urteil über eine Sorgfaltspflichtverletzung gefällt. Es 505
MünchKomm BGB/Krüger, § 260 Rn. 16 am Ende. Vgl. zu diesem Bedenken etwa MünchKomm BGB/Krüger, § 260 Rn. 37; BGH, Urteil vom 9. Nov. 2017 – III ZR 610/16 = ZIP 2017, 2476, Rn. 28. 507 Vereinfacht nach BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juli 2002 – VIII ZR 64/01 = NJW 2002, 3771. 506
V. Darlegungs- und Beweislast
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würde immer noch dem Verkäufer obliegen, auf der neu erlangten Informationsbasis eine Verletzung von Prüfpflichten darzulegen und zu beweisen. Zweitens ist zu bedenken, dass eine Wechselseitigkeit des Versprechens bestünde: Beide Parteien würden ein solches Versprechen abgeben und wären gleichermaßen verpflichtet und berechtigt. Ein Vertragspartner würde sich einem Auskunftsanspruch bei Informationsnöten der anderen Partei also nur im Gegenzug dazu aussetzen, dass er auch selbst Auskunft verlangen kann, wenn ihm unverschuldeterweise nötige Informationen fehlen. Restlos vermag dies die Bereitschaft zu einer Auskunftspflicht jedoch allenfalls bei einem reinen Tauschgeschäft zu erklären. Bei allen Verträgen, bei denen eine Sachleistung einer Geldleistung gegenüber steht, ist diese Spiegelbildlichkeit kein schlagendes Argument. Bei einem Kauf etwa ist die fehleranfällige Leistung diejenige des Verkäufers. Bei der ihr gegenüberstehenden Zahlungspflicht des Käufers besteht keine nennenswerte Fehleranfälligkeit – zumindest bestehen keine Darlegungsprobleme im Fall einer Nichtleistung. Würde aber eine Partei realistischerweise mit der Auskunftspflicht ungleich größere Risiken eingehen als ihr Gegenüber, so gelangte ein objektiver Beobachter eher nicht zu einer Auslegung mit diesem Ergebnis. Auch eine zeitliche Überlegung ändert daran meines Erachtens nichts: Man könnte zwar darauf abstellen, dass die Auslegung einer Willenserklärung an den Zeitpunkt ihrer Abgabe anknüpft und dass eine redliche Partei zu diesem Zeitpunkt nicht von einer Pflichtverletzung ihrerseits ausgehe. Dies aber als Argument dafür heranzuziehen, dass eine Partei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereitwillig Auskunftspflichten übernehme, weil sie den Vertrag ohnehin nicht breche, ist gewiss eine Überdehnung. Vertragsverletzungen sind an der Tagesordnung. Sie sind nicht zu verhindern und es ist daher anzunehmen, dass eine vernünftige Person auch mit der Möglichkeit rechnet, dass ihr selbst Vertragsverletzungen unterlaufen können. Dann ist aber auch anzunehmen, dass ein Verkehrsteilnehmer nicht bereitwillig Auskunftspflichten für den Verdachtsfall auf sich laden möchte. Insgesamt ist daher festzuhalten, dass auf Basis einer schlichten Vertragsauslegung ein Auskunftsanspruch im Regelfall nicht angenommen werden kann. Insoweit liegt allerdings noch keine Überlegung im Hinblick auf den Maßstab von Treu und Glauben vor. Dabei könnte § 242 BGB möglicherweise für eine rechtsfortbildende Korrektur fruchtbar gemacht werden. Ob man dies dogmatisch als Auslegung nach § 157 BGB unter Einfluss des § 242 BGB oder als separate Anwendung des § 242 BGB versteht ist zweitrangig.508 Inhaltlich ist die Überlegung letztlich die, ob nicht (zumindest im Rahmen vertraglicher Beziehungen) eine Einschränkung des Grundsatzes angezeigt ist, dass die Darlegungslast beim Anspruchsberechtigten liegt. Ein starkes Indiz für die Notwendigkeit einer solchen normativen Korrektur ist sicherlich der Umstand, dass zahlreiche Urteile einen Auskunftsanspruch aus 508
Vgl. dazu MünchKomm BGB/Krüger, § 242 Rn. 120.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
§ 242 BGB abgeleitet haben. Offensichtlich empfand es eine Vielzahl von Richtern als angebracht, die Darlegungslast in gewisser Weise zu modifizieren. Als Argument dafür muss eine Kombination mehrerer Aspekte herangezogen werden, die sich letztlich auch in der etablierten Definition des Auskunftsanspruchs widerspiegeln: Ausgangspunkt der Überlegung ist die Gefahr einer „Rechtsverkümmerung“. Trägt stets der Rechteinhaber die volle Darlegungslast, so droht die Gefahr, dass er wegen fehlender Informationen ihm zustehende Rechte nicht geltend machen kann. Allerdings bringt dieser Aspekt alleine keinen Mehrwert. Das Risiko, ein Recht mangels Kenntnis seiner Existenz nicht geltend machen zu können, ist allgegenwärtig. Dessen ungeachtet hat der Gesetzgeber die Darlegungs- und Beweislast dem Rechteinhaber auferlegt. Entsprechend kann das Risiko an sich, ein Recht mangels Informationen nicht geltend machen zu können, nicht als Argument für eine Modifikation der Darlegungsregeln herhalten. Anders ist dies aber möglicherweise dann, wenn zu der allgemeinen Gefahr, ein Recht nicht geltend machen zu können, ein Informationsgefälle hinzutritt, wenn sich also Informationen von Relevanz für den Gläubiger beim Schuldner befinden. Beispielsweise finden sich Informationen bezüglich der Schadenshöhe tendenziell beim Schädiger, wenn die Pflichtverletzung eine Missachtung einer Exklusivvereinbarung ist.509 Der Schädiger weiß, mit wem und in welchem Umfang er die Exklusivvereinbarung gebrochen hat. Entsprechend hat der BGH in einem derart gelagerten Fall einen Auskunftsanspruch bejaht.510 Liegt ein Informationsgefälle vor, so lässt sich daran zweifeln, ob die strikte Regel – der Gläubiger ist vollständig darlegungsbelastet – noch zu rechtfertigen ist. Dieser Grundsatz etabliert nämlich eine strenge Parität zwischen den Beteiligten, wobei der Informationszugang für die Beteiligten gerade nicht gleich ausgestaltet ist. Dieser ungleiche Informationszugang kann, wie im obigen Beispiel einer verletzten Exklusivvereinbarung, mit einer Pflichtverletzung einhergehen, dem muss aber nicht so sein. Der hier interessierende Fall veranschaulicht, dass ein Informationsgefälle auch schlicht aufgrund tatsächlicher Gegebenheiten bestehen kann. Es sind mitunter die konkreten Gegebenheiten beim Käufer, die bestimmte Prüfpflichten fordern. Wenn der Käufer einer Heizungsanlage in einem Altbau bereits mehrfach Undichtigkeiten im Leitungssystem zu beheben hatte, dann muss er das System möglicherweise (erneut) überprüfen, bevor er beim Verkäufer Mängel des neuen Heizkessels anmahnt. Bei einem Neubau besteht dafür in der Regel kein Anlass. Die Kenntnis von solchen Umständen aus der Käufersphäre ist aber essenziell, um eine Pflichtverletzung des Käufers darzulegen und dennoch kann einem Verkäufer diese Kenntnis verschlossen sein. 509 Vereinfacht nach BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juli 2002 – VIII ZR 64/01 = NJW 2002, 3771. 510 BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juli 2002 – VIII ZR 64/01 = NJW 2002, 3771.
V. Darlegungs- und Beweislast
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Auch ein Informationsgefälle ist an sich aber als allgemeines Lebensrisiko einzustufen und liefert noch keinen Grund dafür, dass der besser Informierte dem anderen Auskünfte erteilen muss.511 Anders ist es allerdings dann, wenn die Betroffenen ein Schuldverhältnis verbindet.512 Dann bestehen nämlich regelmäßig gesteigerte Verhaltens- und/oder Schutzpflichten.513 Seit 2002 normiert § 241 Abs. 2 BGB dies unmissverständlich. Insbesondere bei zugrundeliegenden (hier interessierenden) vertraglichen Schuldverhältnissen wird jedem Beteiligten besondere Rücksicht abverlangt. Meines Erachtens ist es gerechtfertigt, diese Rücksichtnahmepflicht so weit zu verstehen, dass sie auch eine Auskunftserteilung begründen kann. Voraussetzung sollte sein, dass der verpflichteten Partei abverlangt werden kann, die eigenen Interessen denjenigen der anderen Partei unterzuordnen. Als Kriterium für diese Frage kommen nur Schutzwürdigkeitsüberlegungen in Betracht. Mit anderen Worten muss im Kontext eines redlichen, kooperativen Vertragsverhältnisses eine Partei mit den eigenen Interessen zurückstecken, wenn die andere Partei schutzwürdiger ist. Aus diesem Grund ist der Rechtsprechung uneingeschränkt zuzustimmen, soweit eine Auskunftspflicht bejaht wird, wenn eine Pflichtverletzung bereits feststeht und nur noch Informationen für die Schadensausfüllung ersucht werden.514 Dann ist das Interesse des Geschädigten an einem Ausgleich als völlig legitim einzustufen, schließlich steht ein Fehlverhalten des anderen ja fest. Das Interesse des Schädigers hingegen kann nur so aussehen, dass er einer Entschädigungspflicht wegen Darlegungs- und Beweisnöten des anderen Teils entgehen möchte. Dies ist ersichtlich nicht oder zumindest weit weniger schützenswert. Dass eine Pflichtverletzung sicher vorliegt, dürfte allerdings eher selten sein. Vielmehr werden Unsicherheiten auch bereits bei dem Ob einer Pflichtverletzung bestehen. Auch in dieser Konstellation ist aber eine Abwägung der Schutzwürdigkeit der Parteien möglich. Es erscheint dann angebracht, schlicht die Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung als Kriterium heranzuziehen, denn sie korreliert mit der jeweiligen Schutzwürdigkeit. Je wahrscheinlicher eine Pflichtverletzung ist, umso schutzwürdiger erscheint der Anspruchsinhaber; je weniger wahrscheinlich es zu einer Pflichtverletzung gekommen ist, desto schützenswerter ist der in Anspruch Genommene darin, seine eigenen Interessen nicht denen des anderen Teils hintanzustellen. Konsequent ist daher eine „hälftige“ Verteilung der Unsicherheit mit der Konsequenz, dass der eventuelle Anspruchsinhaber dann schutzwürdiger ist, wenn eine Pflichtverletzung des anderen Teils überwiegend wahrscheinlich ist. Entsprechend kann auch dann schon ein Auskunftsanspruch bestehen, wenn mit über511
Explizit BGH, Urteil vom 7. Mai 1980 – VIII ZR 120/79 = NJW 1980, 2463, Rn. 13. BGH, Urteil vom 18. Jan. 1978 – VIII ZR 262/76 = NJW 1978, 1002, Rn. 10 m.w.N. 513 BGH, Urteil vom 18. Jan. 1978 – VIII ZR 262/76 = NJW 1978, 1002, Rn. 10. 514 Vgl. BGH, Urteil vom 28. Nov. 1989 – VI ZR 63/89 = NJW 1990, 1358, Rn. 7; Rn. 18 BGH, Urteil vom 18. Jan. 1978 – VIII ZR 262/76 = NJW 1978, 1002, Rn. 10. 512
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B. Vertraglicher Schadensersatz
wiegender Wahrscheinlichkeit eine Pflichtverletzung vorliegt. Dies entspricht der Formulierung in einem Urteil des OLG München.515 Mit Vorsicht zu genießen ist hingegen eine andere Formulierung, wonach es für einen Auskunftsanspruch im vertraglichen Kontext ausreiche, wenn ein begründeter Verdacht einer Vertragsverletzung bestehe.516 Nicht zu beanstanden ist dies, soweit man die Formulierung als Synonym für „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ versteht.517 Ein „begründeter Verdacht“ könnte aber auch als niedrigere Hürde verstanden werden. Bei unbedarfter Herangehensweise kann ein Verdacht auch dann schon bestehen und begründet sein, wenn die Wahrscheinlichkeit eines Mangels geringer als 50% ist. Ein Verständnis, demzufolge die Voraussetzungen geringer sind und keine überwiegende Wahrscheinlichkeit vorliegen muss, ist meines Erachtens abzulehnen. Es findet keine Stütze in den obigen Überlegungen zur Schutzwürdigkeit. Erst ab einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung erscheint der Anspruchsinhaber schützenswerter als der andere Teil. Im Übrigen wurde mit Recht darauf hingewiesen, dass ein Auskunftsanspruch unter Abwägung der beteiligten Interessen nicht zu einer Ausforschungsmöglichkeit ausufern darf.518 Es muss also verhindert werden, dass eine Partei nur einen Pflichtverletzungsverdacht vorschützt, um unredlicherweise an Informationen des Gegenüber zu gelangen. Um dies zu verhindern darf die Schwelle für einen Auskunftsanspruch nicht zu niedrig sein. Die Grenze „überwiegender Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung“ erscheint daher angemessen. Umgekehrt zeigen die obigen Ausführungen aber auch, dass ab dieser Grenze der Anspruchsinhaber schützenswerter ist. Ihm kann dann die Gefahr von unzulässiger Ausforschung nicht entgegengehalten werden. (3) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist somit Folgendes festzuhalten: Zu Recht wird ganz überwiegend ein allgemeiner Auskunftsanspruch angenommen, der sich aus Treu und Glauben, beziehungsweise nach hier vertretener Ansicht aus § 241 Abs. 2 BGB, ergibt. Liegt ein vertragliches Schuldverhältnis zugrunde, so kann die Auskunft auch auf das „Bestehen“ einer Pflichtverletzung519 gerichtet sein, und nicht nur auf eine Haftungsausfüllung. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung besteht.
515 OLG München, Urteil vom 23. Feb. 2017 – 23 U 2748/16, Rn. 55; Ebenso BeckOGK BGB 2021/Röver, § 260 Rn. 56. 516 BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juli 2002 – VIII ZR 64/01 = NJW 2002, 3771, Rn. 9. 517 So etwa BeckOK BGB E59/Lorenz, § 260 Rn. 12. 518 Vgl. MünchKomm BGB/Krüger, § 260 Rn. 37; BGH, Urteil vom 9. Nov. 2017 – III ZR 610/16 = ZIP 2017, 2476, Rn. 28. 519 Beziehungsweise genauer: auf tatsächliche Umstände, die möglicherweise eine Pflichtverletzung des Gegenüber darstellen.
V. Darlegungs- und Beweislast
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bb) Anwendung bei einem vermuteten Sorgfaltsverstoß Die Analyse hat gezeigt, dass ein Auskunftsanspruch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs voraussetzt. Somit stellt sich die Frage, ob beziehungsweise wann diese im hier untersuchten Fall eines Schadensersatzanspruchs wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens gegeben ist. Obgleich es letztlich eine Frage des Einzelfalles ist, lassen sich Anhaltspunkte ausmachen. Dabei bietet sich eine getrennte Untersuchung danach an, ob die Mangelfreiheit der Kaufsache bereits feststeht (1) oder nicht (2). (1) Situation vor Beweis der Mangelfreiheit Im Vorfeld eines Verfahrens und des Beweises der Mangelfreiheit der Kaufsache dürfte ein Auskunftsanspruch regelmäßig ausscheiden. Dies beruht auf der folgenden Überlegung: Generell kommen zwei Indikatoren für einen Sorgfaltsverstoß des Käufers in Betracht. Erstens sind dies Umstände aus der Käufersphäre, die nahelegen, dass eine Alternativursache habe erkannt werden müssen. Wenn solche Umstände dem Verkäufer aber bekannt sind, dann liegt kein Informationsdefizit vor und ein Auskunftsanspruch scheidet von vornherein aus. Zweitens ließe sich überlegen, ob der Mangelfreiheit der Kaufsache in dem Kontext Bedeutung beizumessen ist. Es ließe sich argumentieren, dass bei Mangelfreiheit der Kaufsache das Problem in der Sphäre des Käufers liegen müsse und dementsprechend ein Sorgfaltsverstoß des Käufers überwiegend wahrscheinlich sei, wenn trotzdem ein Nacherfüllungsverlangen ausgesprochen wurde. Diese Überlegung trägt aber jedenfalls nicht, solange die Mangelfreiheit der Kaufsache noch nicht feststeht. Mit anderen Worten scheidet die Argumentation zumindest bis zu dem Zeitpunkt aus, an dem in einem Prozess die Mangelfreiheit bewiesen ist. Daraus lässt sich bereits ein erstes Zwischenergebnis für die hier angedachte Alternativlösung mittels eines Auskunftsverlangens formulieren: Gegenüber den Lösungen „Beweislastumkehr“ und „sekundäre Darlegungslast“ bringt sie jedenfalls keinen Vorteil dahingehend, dass sie vorprozessual eingreifen könnte und dadurch möglicherweise Verfahren sogar verhindern würde.520 (2) Situation nach Beweis der Mangelfreiheit Somit verbleibt die Frage, ob ein Auskunftsanspruch zumindest dann bestehen kann, wenn auch eine Beweislastumkehr oder eine sekundäre Darlegungslast zu begründen sind. Dies betrifft eine Situation in einem Prozess, in der dem Verkäufer bereits der Nachweis der Mangelfreiheit gelungen ist. Entscheidend dürfte dann sein, ob man dem Nachweis der Mangelfreiheit und somit der Feststellung, 520 Wobei auch dies bei genauerem Hinsehen keinen allzu großen Vorteil mit sich brächte: Selbst wenn ein Auskunftsanspruch bestünde, so müsste auch dieser eingeklagt werden, wenn der Käufer sich einer Auskunft verweigert.
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B. Vertraglicher Schadensersatz
dass der Käufer objektiv zu Unrecht Nacherfüllung verlangt hat, die oben beschriebene Indizwirkung für einen Sorgfaltsverstoß des Käufers beimessen will. Zwei Gründe sprechen aber meines Erachtens entschieden gegen diesen Schluss. Es fehlt erstens an einer logischen Verknüpfung zwischen der Mangelfreiheit und einem Sorgfaltsverstoß. Zwar bedeutet die Mangelfreiheit der Kaufsache, dass eine Alternativursache vorgelegen haben muss. Sie liefert aber keinerlei Anhaltspunkte für ein vorwerfbares Fehlverhalten des Käufers. Es ist immer möglich (und darin besteht letztlich eine zentrale Aussage der oben ausführlich behandelten Lichtrufanlagenentscheidung des BGH521 ), dass Alternativursachen auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar waren. Zweitens würde eine solche Einschätzung das verhaltensbezogene Modell der Sorgfaltspflichten bis zu einem gewissen Grad konterkarieren. Die verhaltensbezogene Pflicht lässt anders als eine erfolgsbezogene gerade nicht den Rückschluss von einem Erfolg auf ein Fehlverhalten zu. Die Situationen sind zwar nicht gleich, denn der Schluss von der Mangelfreiheit auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Sorgfaltsverstoßes wäre weniger weitreichend, als ein erfolgsbezogenes Pflichtverletzungsverständnis. Er würde nämlich zunächst nur zu dem Auskunftsanspruch, nicht aber zu einer Umkehr der Beweislast führen. Dennoch entzieht das verhaltensbezogene Pflichtenverständnis m.E. einer solchen Indizwirkung die Grundlage. (3) Zwischenergebnis Ein Auskunftsanspruch zur Lösung von Beweisnöten des Verkäufers führt nicht weiter und muss verworfen werden. Die Kernvoraussetzung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs wird in aller Regel nicht gegeben sein. e) Anscheinsbeweis Als Lösung für Beweisschwierigkeiten des Verkäufers wäre letztlich auch ein Anscheinsbeweis denkbar. Ein Anscheinsbeweis kann dann angenommen werden, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Umstand den Schluss auf einen anderen Umstand zulässt.522 Dann müsste sich aus dem Nacherfüllungsverlangen trotz Mangelfreiheit der Kaufsache nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Fehlverhalten des Käufers ableiten lassen. Einen solchen Erfahrungssatz gibt es aber nicht und dies behauptet soweit ersichtlich auch niemand. Im Übrigen wäre ein Anscheinsbeweis in dieser Pauschalität – genauso wie der oben beschriebene Auskunftsanspruch – unvereinbar mit dem verhaltensbezogenen Pflichtverletzungsverständnis. Ein Anscheinsbeweis scheidet in der untersuchten Konstellation folglich ebenfalls aus. 521 522
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, sowie oben I. und II. Statt aller Musielak/Voit/Foerste, § 286 Rn. 23 m.w.N.
V. Darlegungs- und Beweislast
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f) Stellungnahme Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, dass sowohl Auskunftsansprüche als auch ein Anscheinsbeweis als Lösungen für die untersuchte Problematik ausscheiden. Damit reduzieren sich die Lösungen für Informationsdefizite beim Verkäufer auf drei Möglichkeiten: Eine Beweislastumkehr, eine sekundäre Darlegungslast des Käufers sowie eine freie richterliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Diese lassen sich mit Hinblick auf ihre dogmatischen Grundlagen (aa) und anhand ihrer Wirkungen (bb) bewerten. aa) Dogmatische Grundlagen Sowohl die Beweislastumkehr als auch eine sekundäre Darlegungslast stehen auf einer etablierten Grundlage. Beide können sich auf eine lange Rechtsprechungstradition stützen und sind mittlerweile anerkannt. Zudem hat der Reformgesetzgeber einen weiteren Anknüpfungspunkt geschaffen. Mit der Aussage der Regierungsbegründung zur Schuldrechtsmodernisierung, dem Gläubiger kämen unter dem Gesichtspunkt der Sphärentheorie Beweiserleichterungen zugute523 , hat der Gesetzgeber die Institute gewissermaßen legitimiert. Beide Institute bauen auf dem klassischen Verständnis524 auf, wonach der Schadensersatzgläubiger die Pflichtverletzung darzulegen und zu beweisen hat. Demgegenüber betritt der Ansatz von Ahrens, wonach bei verhaltensbezogenen Pflichten die Darlegungs- und Beweislast generell frei durch das Gericht festzulegen sei525 , Neuland. Mit dem Postulat, es sei ein einheitlicher Prüfungspunkt einer „zu vertretenden Pflichtverletzung“ zu betrachten, der für Beweislastzwecke richterrechtlich zu zergliedern sei526 , bricht diese Ansicht mit der klassischen Herangehensweise. Dabei sind die für diese Ansicht vorgebrachten Argumente in der Sache zweifelsohne stichhaltig: Es ist zutreffend, dass bei verhaltensbezogenen Pflichten die Zuordnung zu den Kategorien Pflichtverletzung und Vertretenmüssen unklar ist.527 Dadurch wird die klassische Einordnung der Pflichtverletzung als rechtsbegründender und des Vertretenmüssens als rechtshindernder Aspekt verwischt. Die klassische Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, die an diese Kategorien anknüpft528 will dementsprechend nicht recht auf verhaltensbezogene Pflichten passen. Auch ist es zutreffend, dass die klassische Verteilung zu einem gewissen Grad auf der Grundannahme aufbaut, eine Pflichtverletzung habe Indizwirkung im 523
BT-Drucks. 14/6040 S. 136. Welches ebenfalls in der Regierungsbegründung zur Schuldrechtsmodernisierung aufgegriffen wird, siehe BT-Drucks. 14/6040 S. 136. 525 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 222 (Kapitel 10 Rn. 18). 526 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 222 (Kapitel 10 Rn. 13). 527 Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 220 (Kapitel 10 Rn. 9). 528 Dazu bereits oben 1. 524
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B. Vertraglicher Schadensersatz
Hinblick auf das Verschulden.529 Dies mag bei erfolgsbezogenen Pflichten möglich und sachgerecht sein. Bei verhaltensbezogenen Pflichten passt die Überlegung nicht530 und birgt die Gefahr, dass sich der Schuldner einer reinen verhaltensbezogenen Pflicht durch eine Beweislastregel effektiv einer Erfolgshaftung ausgesetzt sieht.531 De lege ferenda mögen diese Argumente durchaus für eine gesonderte Behandlung von erfolgsbezogenen und verhaltensbezogenen Pflichten mit unterschiedlichen Regeln für die Darlegungs- und Beweislasten sprechen. De lege lata fehlt dafür aber die nötige Grundlage. Angesichts der expliziten Bezugnahme des Reformgesetzgebers532 auf Beweisschwierigkeiten bei Pflichten aus § 242 Abs. 2 BGB533 und der Aussage, dass selbige durch Beweiserleichterungen nach der Sphärentheorie zu lösen seien, bleibt für einen neuen dogmatischen Weg wohl kein Raum. Vor diesem Hintergrund ist eine Beweislastumkehr oder eine sekundäre Darlegungslast zu favorisieren. bb) Wirkungen Die verbleibenden Lösungsansätze einer Beweislastumkehr und einer sekundären Darlegungslast unterscheiden sich vorwiegend darin, auf welche Art und Weise sie Beweisnöten begegnen. Unterschiede lassen sich dabei in negativer Hinsicht dahingehend ausmachen, wie groß bei den beiden Lösungen die Komponente von Rechtsunsicherheit ist (1). Zudem lassen sich in positiver Hinsicht Unterschiede darin ausmachen, wie effektiv Beweisnöte beseitigt werden (2). Letztlich muss in umgekehrter Perspektive die Belastung für den Käufer eingepreist werden (3), was gegebenenfalls zu Modifikationen in den Lösungsansätzen führen muss (4). Diese Vorarbeiten lassen eine abschließende Bewertung zu (5). (1) Rechtsunsicherheit Sowohl eine Beweislastumkehr als auch eine sekundäre Darlegungslast stellen Ausnahmen von einer Regel dar und setzen sich damit zwangsläufig dem Vorwurf aus, Rechtsunsicherheit zu erzeugen. Gleichwohl haben diese richterrechtlich entwickelten und mittlerweile etablierten Institute klare Voraussetzungen.534 Diese Voraussetzungen liegen jeweils in einer Situation vor, in der ein Verkäufer keinerlei Kenntnismöglichkeiten von den Gegebenheiten beim Käufer hat. Insoweit ist das Bedenken hinsichtlich Rechtsunsicherheit unbegründet – jedenfalls bestehen keine Unterschiede zwischen den beiden Lösungsalternativen.
529
Vgl. Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 220 (Kapitel 10 Rn. 11). Dazu ausführlich oben I.1. 531 Vgl. Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 220 (Kapitel 10 Rn. 11). 532 BT-Drucks. 14/6040, S. 136. 533 Das sind in aller Regel verhaltensbezogene Pflichten. 534 Im Detail oben b)aa) und c). 530
V. Darlegungs- und Beweislast
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Sehr wohl besteht aber bei der konkreten Anwendung ein Unterschied bezüglich der Rechtsklarheit. Eine Beweislastumkehr wirkt denkbar eindeutig: Die Beweislast wechselt von dem klagenden Verkäufer zum Käufer. Der Käufer muss sodann nach den allgemeinen Beweisregeln den Entlastungsbeweis erbringen, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. Anders ist dies bei einer sekundären Darlegungslast. Das dadurch vom Käufer geforderte substantiierte Bestreiten ist nämlich weit weniger klar umrissen. Wann das Bestreiten hinreichend substantiiert ist, also wann der Käufer seine Gegebenheiten hinreichend genau geschildert hat, hängt von der Entscheidung des Gerichts im konkreten Fall ab. Ein Gericht würde sich zwar bei dieser Entscheidung davon leiten lassen, ab wann es die Darlegungs- und Beweisnöte des Verkäufers als ausgeräumt erachtet. Auch dieser Anhaltspunkt ändert aber wenig daran, dass im Vorfeld kaum abzuschätzen sein dürfte, wann genau ein Käufer seiner sekundären Darlegungslast Genüge getan hat. Darunter leidet die Rechtsklarheit, was für die Lösung durch eine Beweislastumkehr spricht. Ähnliche Erwägungen zur Rechtsunsicherheit würden im Übrigen auch gegen die oben bereits mangels hinreichender dogmatischer Grundlage verworfene Lösung sprechen535 : Eine Lösung, wonach die Darlegungs- und Beweislast bei verhaltensbezogenen Pflichten mehr oder minder frei durch ein Gericht verteilt werden soll536 , leidet in noch größerem Maße an der Unsicherheit darüber, welche Darlegungs- und Beweislastverteilung das konkret mit dem Fall befasste Gericht als sachgerecht erachtet. Eine solche (zweifelsohne äußerst) flexible Lösung würde mit anderen Worten durch signifikante Abstriche bei der Rechtsklarheit erkauft. Auch deswegen ist diese Lösung m.E. zu verwerfen. Die eben getroffene Einschätzung, dass der Aspekt von Rechtsklarheit für eine Beweislastumkehr und gegen eine sekundäre Darlegungslast spreche, wird allerdings bestritten und stattdessen das Gegenteil gefolgert. Es sei (sogar) verfassungsrechtlich geboten, dass die Beweislast vor dem Prozess feststehe und sie dürfe nicht von aus der konkreten Situation geborenen Beweisschwierigkeiten beeinflusst werden.537 Mit Blick auf die Beweislast dürfe mit anderen Worten keinerlei Rechtsunsicherheit bestehen. Deswegen müsse Beweisschwierigkeiten bei unveränderter Beweislast durch die Verteilung der konkreten Darlegungslast begegnet werden.538 M.E. ist diese Position nicht stichhaltig, und zwar aus drei Gründen: Erstens muss bereits die Einschätzung angezweifelt werden, dass bei einer Beweislastumkehr aus Sphärengesichtspunkten die Beweislastverteilung zu Prozessbeginn nicht feststünde. Sicherlich würde es noch der Entscheidung des Gerichts im Prozess bedürfen, dass die Voraussetzungen für die Beweislastumkehr 535
Oben aa). Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 221, 222 (Kapitel 10 Rn. 13, 16 f.) 537 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 17 mit Verweis auf: BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 1979 – 2 BvR 878/74 = BVerfGE 52, 131. 538 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 17. 536
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B. Vertraglicher Schadensersatz
vorliegen. Sofern die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr aber abstrakt klar sind – und dem ist m.E. aufgrund der langjährigen, konsistenten Rechtsprechungstradition so539 – kann darin kein Problem gesehen werden. Insoweit unterscheidet sich eine Beweislastumkehr in keiner Weise von jeder anderen abstraktgenerellen Norm, die noch der gerichtlichen Anwendung auf den konkreten Fall bedarf. Zweitens scheint die beschriebene Ansicht davon auszugehen, dass für die Beweislast andere Maßstäbe im Hinblick auf Rechtsklarheit bestünden, als für die konkrete Darlegungslast. Andernfalls ist nicht ersichtlich, weshalb aufgrund von Beweisschwierigkeiten die Darlegungslast beeinflusst werden dürfe, die Beweislast hingegen nicht. Eine solche Unterscheidung ist aber nicht überzeugend. Für alle Beteiligten ist unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit allein entscheidend, inwiefern es ihnen möglich ist, einen Prozess zu prognostizieren. Ob ihnen dies erschwert wird, weil die Beweislastverteilung nicht klar ist, oder weil sie nicht wissen, welche Partei überhaupt darlegungsbelastet ist, kann keinen entscheidenden Unterschied machen. Richtschnur sollte demgegenüber schlicht sein, in welchem Umfang den Parteien eine Prognose erschwert ist. Dies ist nach meinem Dafürhalten und entsprechend der obigen Ausführungen bei einer sekundären Darlegungslast in höherem Maße der Fall, als bei der Beweislastumkehr. Drittens erscheint eine Unterscheidung zwischen Beweislastumkehr und sekundärer Darlegungslast vor dem Hintergrund willkürlich, dass beide Instrumente oftmals dasselbe Endergebnis zeitigen werden: Den Anreiz zur Sachverhaltsaufklärung bewirkt die sekundäre Darlegungslast dadurch, dass die Behauptungen der Gegenseite als zugestanden nach § 138 Abs. 3 ZPO gelten, wenn kein hinreichend substantiiertes Bestreiten erfolgt.540 Tritt dies ein, so ist der Fall entschieden und es ist eine rein sprachliche Feinheit, ob der Käufer unterliegt, weil er keinen Entlastungsbeweis erbringen konnte oder weil die für ihn ungünstigen Behauptungen des Verkäufers als zugestanden gelten. Diese Überlegungen wären indes müßig, wenn es – wie behauptet – tatsächlich eine verfassungsrechtliche Vorgabe gäbe, die einer Beweislastumkehr entgegenstünde. Dem in diesem Kontext zitierten541 Beschluss des BVerfG542 kann eine dahingehende Vorgabe aber nicht entnommen werden. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bewegt sich zwar im arzthaftungsrechtlichen Kontext, er knüpft aber sehr wohl an die auch hier relevante, allgemeine schuldrechtliche Beweislastverteilung nach § 282 BGB a.F. an. Es wird ausgeführt, dass „die Gerichte sich im jeweiligen Einzelfall die typische beweisrechtliche Stellung der Parteien und mithin die beweisrechtliche Grundpro539
Oben b)aa). BGH, Urteil vom 20. Okt. 2005 – IX ZR 276/02 = NJW-RR 2006, 552, Rn. 11 m.w.N.; BeckOK ZPO E41/von Selle, § 138 Rn. 20; Ahrens, Beweis im Zivilprozess, S. 260; Nomos Handkommentar ZPO/Wöstmann, § 138 Rn. 4. 541 Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 17. 542 BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 1979 – 2 BvR 878/74 = BVerfGE 52, 131. 540
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blematik bewußt machen [müssten], und [die Verpflichtung hätten], im konkreten Fall insgesamt gesehen für eine faire, zumutbare Handhabung des Beweisrechts Sorge zu tragen“.543 Dem schließt sich die Aussage an, „[d]ies [wolle] nicht besagen, daß Beweislastnormen nicht generell im voraus bestimmt, sondern in jeder Prozeßlage erst neu zu erstellen wären“. Dem wird – umgekehrt formuliert – entnommen, dass die Beweislastverteilung stets im Voraus bestimmt sein müsse544 und dass deswegen eine Modifikation der Beweislast aufgrund von Beweisschwierigkeiten nicht in Betracht komme. Dieser Schluss ist nicht zwingend. Auch bei einer Beweislastumkehr nach Sphären lässt sich argumentieren, die Beweislastverteilung sei im Voraus bestimmt: und zwar in Gestalt einer richterrechtlich entwickelten abstrakten Regel. Auch davon abgesehen ergibt sich aus dem beschriebenen Kontext und auch aus den weiteren Ausführungen in der BVerfG-Entscheidung, dass das Erfordernis einer Bestimmung der Beweislast im Vorfeld keine in Stein gemeißelte Regel darstellen soll. Sie wird nämlich explizit unter den soeben zitierten Vorbehalt einer fairen Verteilung der Beweislast im konkreten Einzelfall gestellt. Dadurch ist gerade eine Ausnahme geschaffen, die Raum für eine Berücksichtigung von Beweisnöten schafft. Zusammenfassend ist deswegen die Fundamentalkritik an einer durch Beweisschwierigkeiten ausgelösten Beweislastumkehr unbegründet. Vielmehr erzeugt die alternative Lösung einer sekundären Darlegungslast größere Rechtsunsicherheit, was eher gegen sie spricht. (2) Effektivität und unterschiedliche Wirkungsweisen Zur Beseitigung von Beweisschwierigkeiten ist eine Beweislastumkehr das effektivere und tatsächlich sogar das effektivste Mittel. Sie beseitigt Beweisschwierigkeiten komplett, indem sie dem Käufer den Entlastungsbeweis auferlegt. Eine sekundäre Darlegungslast des Käufers wirkt demgegenüber in anderer Weise. Ausgangspunkt wird regelmäßig eine Behauptung des Verkäufers ins Blaue hinein sein, auf deren Basis ein schuldhaftes Fehlverhalten des Käufers unzweifelhaft ist. Kommt der Käufer seiner Pflicht zum substantiierten Bestreiten nicht nach, so gelten die Behauptungen des Verkäufers als zugestanden. Das Gericht entscheidet auf Basis der zugestandenen Behauptungen und auf diese Weise erübrigen sich Beweisschwierigkeiten des Verkäufers. Praktisch wird dies selten vorkommen, denn der Käufer wird eine Gegendarstellung vornehmen und dabei die Gegebenheiten bei sich schildern. Dem Verkäufer wird dabei zuzugestehen sein, die Ausführungen durch Nachfragen zu lenken und so an diejenigen Angaben zu gelangen, die aus seiner Sicht für ein etwaiges Fehlverhalten des Käufers relevant sind.
543 544
BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 1979 – 2 BvR 878/74 = BVerfGE 52, 131, unter B.I.1)b). Baumgärtel/Laumen/Prütting/Repgen, § 280 Rn. 17.
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Unter der Annahme, dass die Angaben des Käufers korrekt und vollständig sind, werden Beweisschwierigkeiten des Verkäufers auf diesem Wege komplett beseitigt. Anerkennenswerte Beweisschwierigkeiten können sich nämlich nur aus fehlender Sachverhaltskenntnis ergeben. Dieser Umstand wird im beschriebenen Idealfall durch das substantiierte Bestreiten gerade behoben. Aufbauend auf den so gewonnenen Erkenntnissen muss der Verkäufer dann ein Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt darlegen und notfalls beweisen. Der insoweit nötige Beweis kann sich aber nur noch auf die Sorgfaltsanforderungen beziehen, also bspw. auf die Frage, ob in der konkreten Situation das Leitungsnetz hätte auf Lecks untersucht werden müssen. Solche Aspekte sind allgemein zugänglich und führen zu keinen anerkennenswerten Beweisschwierigkeiten des Verkäufers.545 Mit anderen Worten sind die Beweisschwierigkeiten wegen fehlender Sachverhaltskenntnis beseitigt. Ob mit diesem Idealfall vollständiger und korrekter Sachverhaltsaufklärung aber stets gerechnet werden kann, erscheint fragwürdig. Dem stehen nämlich zwei Aspekte entgegen: Zum einen eine vermutlich nicht sonderlich ausgeprägte Bereitschaft des Käufers zur Informationsherausgabe und zum anderen das Fehlen einer effektiven Kontrolle. Ein Käufer wird grundsätzlich wenig geneigt sein, die Umstände aus seiner Sphäre im Detail zu erläutern. Schließlich muss er selbst dann, wenn er glaubt, sich völlig korrekt verhalten zu haben, erwarten, dass der Verkäufer all seine Darstellungen im Hinblick auf eine Pflichtverletzung zu deuten versuchen wird. In jedem Falle ist es für solche Aspekte, die Anlass zu Zweifeln an einer Mangelhaftigkeit geben würden, nicht fernliegend, dass ein Käufer sie verschweigen könnte. Verhält es sich sogar so, dass ein Käufer Indizien für eine Alternativursache ignoriert und ihnen zum Trotz Nacherfüllung verlangt hat, so steht nicht zu erwarten, dass er genau diese Indizien im Prozess bereitwillig schildern wird. Dem wird man bis zu einem gewissen Grad dadurch entgegenwirken können, dass man dem Verkäufer im Prozess gestattet, die Ausführungen durch Fragen zu lenken. Dieser wird am ehesten eine Vorstellung davon haben, in welcher Art sich etwaige Alternativursachen gezeigt haben könnten. Alternativ kann das Gericht selbstverständlich den Käufer zu bestimmten Ausführungen anhalten. Dass ein Käufer eine solche Frage bewusst falsch beantwortet, dürfte in Anbetracht der Konsequenzen eher unwahrscheinlich sein. Dies wäre nämlich ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO und (versuchter) Prozessbetrug (§ 263 StGB).546 Jenseits dezidierter Fragen muss aber damit gerechnet werden, dass ein Käufer keine dem Verkäufer allzu nützliche Darstellung wählen wird. Auch dies würde zwar einen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO darstellen, der jede Partei explizit zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Erklärung über Tatsachen verpflichtet. Sofern dem Käufer aber kein berechnendes Verschweigen von erkennbar ent545
Siehe dazu schon oben b)bb)(3). Vgl. Schönke/Schröder/Perron, § 263 Rn. 69 ff.; siehe für die zivilrechtliche Perspektive etwa BeckOK ZPO E41/von Selle, § 138 Rn. 36. 546
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scheidenden Umständen nachgewiesen werden kann, wird ein solcher Verstoß kaum jemals Konsequenzen haben. Ein Käufer wird sich regelmäßig darauf zurückziehen können, er habe bestimmte Aspekte nicht erwähnt, weil er sie nicht für erheblich gehalten habe. Die Chance, dass derlei Unaufrichtigkeiten überhaupt enttarnt werden, dürfte zudem sehr gering sein. Die am Verfahren Beteiligten (mit Ausnahme des Käufers) tappen ja sozusagen im Dunkeln. Soweit es um eine inhaltlich vermeintlich falsche Aussage geht ist es noch vorstellbar, dass ein Verkäufer diese bestreitet und den Käufer in den Beweis zwingt. Sofern aber Umstände einfach nicht erwähnt werden, stellt auch dies keine effektive Kontrollmöglichkeit dar. Die einzige „Kontrollmöglichkeit“ liegt in der Hand des Gerichts. Solange das Gericht die Behauptungen des Käufers noch nicht als hinreichend substantiiert ansieht muss der Käufer weitere Details liefern, um die Konsequenz des § 138 Abs. 3 ZPO zu vermeiden. Ein Gericht wird aber dieses Substantiierungserfordernis nicht überdehnen. Schließlich muss stets auch damit gerechnet werden, dass sich der Käufer völlig korrekt verhalten hat und schlechthin keinerlei Anhaltspunkte für eine Alternativursache bestanden haben. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich eine sekundäre Darlegungslast verglichen mit einer Beweislastumkehr als ein weniger effektives Mittel zur Beseitigung von Beweisschwierigkeiten erweist. Eine sekundäre Darlegungslast erscheint dann praktikabel, wenn gewisse Anhaltspunkte für Umstände bestehen, die der Käufer idealerweise darlegen soll.547 Mit einem Anhaltspunkt, wonach gesucht wird, geht nämlich auch eine Kontrollmöglichkeit einher – notfalls dadurch, dass der Käufer in den Beweis gezwungen wird. Ohne jeden Anhaltspunkt erscheint eine Lösung in Gestalt einer sekundären Darlegungslast allerdings fragwürdig. (3) Zumutbarkeit für den Käufer Die soeben geschilderte Problematik einer fehlenden Kontrollmöglichkeit folgt letztlich aus einer Umkehr der Perspektive. Es wäre nicht mehr am Verkäufer, einen bestimmten Umstand positiv darzulegen, sondern der Käufer müsste statt547
Zielführend ist deswegen eine sekundäre Darlegungslast beispielsweise zur Ermittlung des Fahrers, wenn ein Fahrzeug zu lange auf einem Krankenhausparkplatz abgestellt war, der nur für eine bestimmte Dauer mit Parkscheibe kostenlos genutzt werden darf. Der Fahrzeughalter muss den tatsächlichen Fahrer nennen. Andernfalls gilt die Behauptung, er sei der Fahrer und somit der Vertragspartner des Parkplatzbetreibers gewesen, als zugestanden. Alleine die Anwesenheit des Fahrzeuges auf dem Parkplatz kann dabei als Anhaltspunkt dafür dienen, welche Art von Information von dem sekundär Darlegungsbelasteten erlangt werden kann, siehe BGH, Urteil vom 18. Dez. 2019 – XII ZR 13/19 = NJW 2020, 755; siehe auch BGH, Urteil vom 6. Okt. 2016 – I ZR 154/15 = GRUR 2017, 386, zu einer sekundären Darlegungslast eines Inhabers eines Internetanschlusses, wenn (vermutlich durch Dritte) Urheberrechtsverletzungen begangen wurden. Auch dabei fungiert die Urheberrechtsverletzung als Anhaltspunkt dafür, welche Information erlangt werden kann.
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dessen wegen des Perspektivenwechsels einen negativen Umstand substantiieren, den Umstand nämlich, dass keine (Anhaltspunkte für) Alternativursachen bestanden. Dieser Perspektivenwechsel an sich betrifft eine Beweislastumkehr ebenso wie oder in noch höherem Maße als die sekundäre Darlegungslast548 : Ohne eine Modifikation müsste der Verkäufer in positiver Weise ein Fehlverhalten des Käufers darlegen und beweisen. Diese Perspektive wandelt sich durch die Beweislastumkehr hin zu dem gesamten negativen Beweis, dass den Käufer kein Verschuldensvorwurf treffe. Bei beiden Lösungsoptionen stellt der Perspektivenwechsel aber für den betroffenen Käufer ein großes Problem dar. Die substantiierte Darlegung und der Beweis negativer Tatsachen sind naturgemäß schwierig, weil auf deren Vorhandensein lediglich mithilfe des Nichtvorliegens bestimmter Umstände geschlossen werden kann.549 Diese Problematik des Beweises negativer Tatsachen ist bekannt, tritt sie doch immer dann auf, wenn das Gesetz die Abwesenheit eines Umstandes zum Tatbestandsmerkmal erhebt. Als Beispiele seien etwa § 812 Abs. 1 S. 1 BGB und § 1578b Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB genannt: Die Leistungskondiktion erfordert die Abwesenheit eines Rechtsgrundes; die Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs von den ehelichen Lebensverhältnissen auf einen angemessenen Lebensbedarf hängt unter anderem davon ab, dass dem Unterhaltsberechtigten durch die Ehe keine Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit entstanden sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. In solchen Fällen sind Beweisschwierigkeiten allein ob der negativen Natur des zu Beweisenden anerkannt und werden regelmäßig abzumildern versucht. Die Rechtsprechung zu § 812 Abs. 1 S. 1 BGB lässt es beispielsweise genügen, dass der Bereicherungsgläubiger die vom Bereicherungsschuldner behaupteten Rechtsgründe ausräumt.550 In der Sache ist dies nichts anderes als eine Art551 sekundäre Darlegungslast des Bereicherungsschuldners: Er muss – ohne selbst primär beweis- und darlegungsbelastet zu sein – Rechtsgründe darlegen und dem Gläubiger somit die Gelegenheit zum Widerlegen konkreter Umstände geben. Im Kontext des § 1578b Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB wird in ständiger Rechtsprechung von einer sekundären Darlegungslast des Unterhaltsberechtigten hinsicht548
Er führt lediglich nicht dazu, dass die Effektivität der Lösung geschmälert wird. BGH, Urteil vom 27. Sep. 2002 – V ZR 98/01 = NJW 2003, 1039, 1039; BGH, Urteil vom 20. Mai 1996 – II ZR 301/95 = NJW-RR 1996, 1211, Ls.; Hoeren/Sieber/Holznagel MultimediaR-Hdb/Sesing, Teil 18.5 Rn. 13; Stieper, ZZP 123 (2010), 27, 28, 30 f. 550 BGH, Urteil vom 27. Sep. 2002 – V ZR 98/01 = NJW 2003, 1039, 1039; BGH, Urteil vom 20. Mai 1996 – II ZR 301/95 = NJW-RR 1996, 1211; implizit auch BGH, Urteil vom 29. Sep. 1989 – V ZR 326/87 = NJW 1990, 392, 393 m.w.N. 551 Das Konstrukt weicht insoweit von der klassischen sekundären Darlegungslast ab, als die Rechtsprechung zumindest nicht explizit eine Substantiierung der vom Schuldner behaupteten Rechtsgründe fordert. 549
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lich ehelicher Nachteile ausgegangen.552 Der Unterhaltsberechtigte muss also konkrete Nachteile darlegen, die ihm angeblich durch die Ehe entstanden sind und der Unterhaltsschuldner erbringt den Beweis des Fehlens solcher ehelicher Nachteile dadurch, dass er die konkret behaupteten Nachteile widerlegt. Dieses Vorgehen leuchtet unmittelbar als eine sehr effektive Lösung von Schwierigkeiten beim Beweis negativer Tatsachen ein, denn es wandelt in den genannten Fällen die zu beweisende negative Tatsache durch einen Perspektivenwechsel in die Widerlegung konkreter Umstände um. Diese Bestandsaufnahme beim Beweis negativer Tatsachen zieht zwei Schlussfolgerungen für den hier untersuchten Fall nach sich. Erstens ist kein Unterschied zu erkennen im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit der Beteiligten in den verschiedenen Situationen. Ein Käufer würde durch die Beweislastumkehr oder die sekundäre Darlegungslast in dieselbe Situation gebracht, in der er negative Tatsachen darzulegen bzw. zu beweisen hätte. Gibt diese Schwierigkeit bei § 812 Abs. 1 S. 1 BGB und § 1578b Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB Anlass für Entlastungen, so kann im hier untersuchten Fall nichts anderes gelten, wenn der Käufer erst durch eine von Beweisschwierigkeiten des Verkäufers ausgelöste Beweislastumkehr oder durch eine sekundäre Darlegungslast vor dieses Problem gestellt wird. Zweitens kann dieses Problem aber nicht in derselben Weise gelöst werden wie bspw. im Falle des § 812 Abs. 1 S. 1 BGB oder des § 1578b Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB. Es wäre evident zirkelschlüssig, den Schwierigkeiten des Käufers durch eine sekundäre Darlegungslast des Verkäufers zu begegnen. Der Verkäufer wäre dann zur substantiierten Darlegung eines Fehlverhaltens des Käufers verpflichtet, was ihm aufgrund der fehlenden Kenntnis der Gegebenheiten beim Käufer nicht möglich ist und weshalb überhaupt erst eine Umkehr der Beweis- bzw. der Darlegungslast vorgenommen wurde. Andere Lösungsmöglichkeiten sind nicht ersichtlich. Dann müssen sich die beschriebenen Probleme aber so auswirken, dass trotz allem die Anwendung einer Beweislastumkehr oder einer sekundären Darlegungslast zu hinterfragen ist. Es wäre nämlich nicht zu rechtfertigen, Beweisschwierigkeiten beim Verkäufer zum Anlass zu nehmen, den Käufer in ähnliche Beweisschwierigkeiten zu bringen. Der Verkäufer ist nun einmal in der Gläubigerrolle und hat deswegen auch das Risiko zu tragen, dass ihm die prozessuale Durchsetzung seines behaupteten Anspruchs nicht gelingt. Dieses Risiko kann durch die Institute einer sekundären Darlegungslast und einer Beweislastumkehr zwar abgemildert werden, aber es wäre unbillig dies auch dann zu tun, wenn der Prozessgegner in ähnliche Beweisschwierigkeiten gebracht würde und dadurch effektiv die Prozessrollen getauscht würden. Bei der sekundären Darlegungslast kann diese Einschränkung unverkrampft der in ständiger Rechtsprechung anerkannten Definition entnommen werden: „Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungs552
BGH, Urteil vom 26. Okt. 2011 – XII ZR 162/09 = NJW 2012, 74, Rn. 23; BGH, Urteil vom 24. März 2010 – XII ZR 175/08 = NJW 2010, 1813, Rn. 20 m.w.N.
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belasteten Partei in der Regel dann, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen.“553 Das Zumutbarkeitskriterium hat bislang vorwiegend bei der Diskussion Bedeutung erlangt, welche Informationen inhaltlicher Natur herausgegeben werden müssen, insb. im Hinblick auf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse.554 Es eröffnet aber allgemein Spielräume für eine Interessenabwägung im Einzelfall.555 Für die hier angestellten Erwägungen dürfte gelten, dass dem Käufer eine sekundäre Darlegungslast dann unzumutbar ist, wenn sie darauf hinauslaufen würde, dass er negative Tatsachen substantiiert darlegen müsste.556 Bei der Beweislastumkehr ist eine solche Einschränkung nicht bekannt. Als Auslöser wird lediglich darauf abgestellt, „dass als Schadensursache nur eine solche aus dem Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners in Betracht kommt[.]“557 Auch hierbei lässt sich aber eine Einschränkung konstruieren: Soweit ersichtlich bestanden in den Fällen, in denen bislang eine Beweislastumkehr angenommen wurde, konkrete Anhaltspunkte: In dem eingangs bereits als Beispiel bemühten Urteil des 12. Zivilsenats vom 22. Oktober 2008 war ein Brand entstanden und zwar während einer Reparatur in der Werkstatt, die sich der Beklagte als Mieter in einer Scheune eingerichtet hatte.558 Durch den klaren Bezug zu Brandgefahren war die vom BGH angenommene Beweislastumkehr nicht unbillig weitreichend und der Beklagte nicht unbillig belastet. Effektiv beschränkte sich die ihm dadurch auferlegte Beweisbelastung nämlich auf das Falsifizieren
553
BGH, Urteil vom 18. Dez. 2019 – XII ZR 13/19 = NJW 2020, 755, Rn. 35 (Hervorhebung hinzugefügt) mit Verweis auf eine st. Rspr. Daraus siehe etwa BGH, Urteil vom 3. Mai 2016 – II ZR 311/14 = NJW 2017, 886, Rn. 19; BGH, Urteil vom 8. Jan. 2014 – I ZR 169/12 = NJW 2014, 2360, Rn. 17 mit zahlreichen w.N. 554 Vgl. zur allgemeinen Substantiierungspflicht BGH, Urteil vom 12. Nov. 1991 – KZR 18/90 = NJW 1992, 1817, 1819; explizit zur sekundären Darlegungslast Hoeren/Sieber/Holznagel MultimediaR-Hdb/Sesing, Teil 18.5 Rn. 11; Zöller ZPO/Greger, § 284 Rn. 34b; Baumgärtel/ Laumen/Prütting/Laumen, Kap. 22 Rn. 34. 555 Hoeren/Sieber/Holznagel MultimediaR-Hdb/Sesing, Teil 18.5 Rn. 11; Baumgärtel/ Laumen/Prütting/Laumen, Kap. 22 Rn. 34. 556 Dies gilt jedenfalls für einen redlichen Käufer, der nicht positive Kenntnis von ihn belastenden Umständen hat und diese möglicherweise in Verletzung seiner Wahrheitspflicht aus § 138 Abs. 1 ZPO zu verschweigen gedenkt. In Ermangelung von Indizien für unredliches Verhalten des Käufers muss aber davon ausgegangen werden, dass er sich redlich verhält. 557 BGH, Urteil vom 22. Okt. 2008 – XII ZR 148/06 = NJW 2009, 142, Rn. 16; BGH, Urteil vom 16. Feb. 2005 – XII ZR 216/02 = BeckRS 2005, 03025, unter II.2; zuletzt BGH, Urteil vom 19. Juli 2018 – VII ZR 251/17 = NJW 2018, 2956, Rn. 14; BeckOK BGB E59/Lorenz, § 280 Rn. 88; s. auch MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 152; NK-BGB/Dauner-Lieb, § 280 Rn. 40. 558 BGH, Urteil vom 22. Okt. 2008 – XII ZR 148/06 = NJW 2009, 142, Rn. 16.
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der Vermutung, dass er sich im Hinblick auf Brandschutzvorkehrungen falsch verhalten habe. Gleiches gilt, wenn dem Besitzer eines Campingwagens die Beweislast für das Nichtverschulden eines Feuers auferlegt wird, weil klar ist, dass entweder die Bordelektrik oder fahrlässiges Hantieren mit einer Zigarette die Ursache für den Brand gewesen sein muss.559 Auch in diesem Fall bestehen konkrete Anhaltspunkte, die dem Schuldner als Anknüpfungspunkt für ein Falsifizieren des Vorwurfes dienen können. Ob nun der etablierten Definition entnommen oder ihr aufgrund der beschriebenen Probleme hinzugefügt: Auch eine Beweislastumkehr sollte unter einem Zumutbarkeitsvorbehalt stehen. Unzumutbar ist es, wenn die Beweislastumkehr dazu führen würde, dass negative Tatsachen zu beweisen wären. (4) Zwischenergebnis und Konsequenzen Die pauschale Anwendung sowohl einer sekundären Darlegungslast als auch einer Beweislastumkehr in Fällen von Beweisnöten des Verkäufers würde zu einer unbilligen Belastung des Käufers führen, da dann mitunter negative Tatsachen substantiiert darzulegen oder zu beweisen wären. Deswegen sind (soweit nicht ohnedies bereits der Fall) die Institute unter einen Zumutbarkeitsvorbehalt zu stellen. Eine sekundäre Darlegungslast oder Beweislastumkehr ist dann unzumutbar, wenn sie die substantiierte Darlegung oder den Beweis negativer Tatsachen zur Folge hätte. Dies schränkt die Anwendung der Institute für den hier untersuchten Fall ein, schließt sie bei genauerer Betrachtung aber nicht aus. Wenn der Fall nämlich so gelagert sein sollte, dass der Verkäufer konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Käufers hat, so lässt sich das Problem des negativen Tatsachenbeweises umgehen. In dieser Konstellation lässt sich eine sekundäre Darlegungslast oder Beweislastumkehr nämlich so verstehen, dass sie sich nur auf das Widerlegen der konkreten Anhaltspunkte bezieht. Beschränkt man die Institute der Beweislastumkehr und der sekundären Darlegungslast in dieser Weise, so werden Unbilligkeiten verhindert, weil der Käufer in Gestalt der Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten hinreichende Anknüpfungspunkte für seinen Entlastungsbeweis bzw. seine substantiierte Entlastungsdarlegung hat. Ihm würde also gerade nicht der (unbeschränkte) Nachweis fehlenden Verschuldens auferlegt. Diese Lösung dürfte im Übrigen auch für Gerichte besser handhabbar sein, weil recht einfach zu beurteilen wäre, wann der Käufer konkrete Anhaltspunkte substantiiert bestritten hat bzw. wann er sie durch Beweis widerlegt hat. Der „Nachteil“ dieser Lösung besteht darin, dass sie insoweit „zulasten“ des Verkäufers ginge, als die zunächst erwogene Modifikation der Darlegungs- bzw. Beweislast eingeschränkt wird. Das ist aber zu rechtfertigen: Die gerichtliche 559
BGH, Urteil vom 16. Feb. 2005 – XII ZR 216/02 = BeckRS 2005, 03025.
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Geltendmachung von Ansprüchen geht zwangsläufig mit dem Risiko einher, einen Anspruch nicht beweisen zu können. Dieses Risiko trägt die beweisbelastete Partei – im hier untersuchten Fall der Verkäufer, der eine Rücksichtnahmepflichtverletzung des Käufers behauptet. Auch wenn Beweisnöte grundsätzlich dazu führen können, dass dieses Risiko verlagert wird, so muss dies ersichtlich dort seine Grenze finden, wo die andere Partei (gleichsam) in unbillige Beweisnöte gebracht würde. Es muss dann bei der ursprünglichen Risikoverteilung bleiben. Beschränkt man die Modifikationen auf Fälle, in denen konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten bestehen, so dürften die Modifikationen insgesamt stark an Bedeutung verlieren. Es sind nur schwer Fälle vorstellbar, in denen der Verkäufer einen konkreten Anhaltspunkt für ein Fehlverhalten des Käufers benennen kann und trotzdem Beweisnöte bestehen. (5) Bewertung Auch wenn in Folge der soeben beschriebenen Einschränkungen 560 die Konstellationen sehr selten sein dürften, in denen auf Beweisnöte des Verkäufers reagiert werden kann, so bedarf es für diese Situationen dennoch einer abschließenden Abwägung. Zu klären ist nämlich, ob eine Beweislastumkehr oder nur eine sekundäre Darlegungslast angebracht ist. Im Hinblick auf Rechtsklarheit gilt im Ausgangspunkt, dass eine Beweislastumkehr vorzuziehen ist 561 . Allerdings dürfte die soeben diskutierte Einschränkung 562 , dass nur bei konkreten Anhaltspunkten für ein Fehlverhalten eine Modifikation der Darlegungs- oder Beweislast in Betracht kommt, die Unterschiede weitgehend einebnen: Die oben beschriebenen Bedenken übermäßiger Rechtsunsicherheit gründeten bei der sekundären Darlegungslast nämlich darauf, dass ein Gericht hätte entscheiden müssen, wann die (generellen, unspezifizierten563 ) Ausführungen des Käufers bezüglich des Nichtvorliegens erkennbarer Alternativursachen hinreichend substantiiert sind. Eine solche Entscheidung wäre kaum vorherzusehen und ließe entsprechend die Rechtsklarheit leiden. Wenn aber mit der angedachten Beschränkung nur konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten eine sekundäre Darlegungslast auslösen, so besteht auch inhaltlich die Aufgabe des Käufers nur darin, die konkreten Anhaltspunkte substantiiert zu bestreiten. Dies ist zwar immer noch eine einzelfallabhängige Frage, sie dürfte allerdings wegen der klaren Fragestellung bedeutend einfacher zu beantworten sein. In ähnlicher Weise relativiert die Beschränkung auf konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Käufers die Feststellung, dass sich eine Beweislastumkehr durch ihre größere Effektivität gegenüber einer sekundären Darlegungslast 560
Oben (3) und (4). Oben (1). 562 Oben (3). 563 Also nicht auf die Falsifizierung eines konkreten Anhaltspunktes bezogenen Ausführungen. 561
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abhebt. Wird nämlich ein Käufer mit einem konkreten Anhaltspunkt für ein Fehlverhalten konfrontiert, so entfallen die oben beschriebenen Befürchtungen unvollständiger und nicht zu kontrollierender Auskünfte des Käufers 564 : Er muss nach beiden Lösungen zu dem konkreten Anhaltspunkt Stellung nehmen und dadurch Unklarheiten im Sachverhalt aufklären. Die einzigen Unterschiede liegen dann in folgenden zwei Punkten: Erstens besteht formal besehen ein Unterschied zwischen der Pflicht zur nur substantiierten Darlegung einerseits und der Beweispflichtigkeit andererseits. In der Praxis dürfte dies aber bedeutungslos sein. Vor dem Hintergrund, dass Beweisnöte des Verkäufers Auslöser für die Modifikationen waren, wird ein Gericht sinnvollerweise so hohe Hürden für eine substantiierte Darlegung errichten, dass danach keine Beweisnöte des Verkäufers mehr verbleiben können. Zweitens besteht ein Unterschied darin, dass eine Beweislastumkehr sich nur auf den Gesamtaspekt der „bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbaren Alternativursachen“ sinnvoll anwenden lässt. Damit ginge eine Beweislastumkehr über die Beseitigung der ursprünglichen Beweisschwierigkeiten hinaus, denn sie würde dem Käufer auch den Entlastungsbeweis für die Sorgfaltsanforderungen aufbürden, obwohl insoweit gar keine anerkennenswerten Beweisschwierigkeiten bestehen können. Für eine so weitreichende Maßnahme besteht aber keine Notwendigkeit. Sobald dem Verkäufer nämlich über Unklarheiten in tatsächlicher Hinsicht hinweggeholfen ist, kann von ihm die Darlegung bzw. der Beweis erwartet werden, dass eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt. Entsprechend den obigen Ausführungen erzielt die sekundäre Darlegungslast (in dem reduzierten Anwendungsbereich) die Aufklärung der tatsächlichen Gegebenheiten angesichts konkreter Anhaltspunkte ebenso effektiv wie eine Beweislastumkehr. Bedenkt man zudem, dass bei dem reduzierten Anwendungsbereich kein nennenswerter Unterschied der Lösungen im Hinblick auf Rechtsunsicherheit besteht, entscheidet dies die Abwägungsfrage. Die Beweislastumkehr schießt bei ansonsten mit der sekundären Darlegungslast vergleichbaren Wirkungen über das Ziel hinaus und ist deswegen zu verwerfen. Zusammenfassend ist also Beweisnöten des Verkäufers mit einer sekundären Darlegungslast des Käufers zu begegnen und nicht durch eine Umkehr der Beweislast. Diese sekundäre Darlegungslast des Käufers wird allerdings nicht bereits durch eine pauschale Behauptung ausgelöst, der Käufer habe trotz Erkennbarkeit von Alternativursachen Nacherfüllung verlangt. Vielmehr muss der Verkäufer konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Käufers benennen. Umgekehrt muss der Käufer dann aber auch nur diese Anhaltspunkte substantiiert bestreiten.
564
Oben (2).
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3. Schuldverhältnis und Schaden Unproblematischer sind demgegenüber Darlegungs- und Beweislast bei den übrigen Tatbestandsmerkmalen eines Schadensersatzanspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB. Entsprechend dem beschriebenen Grundsatz565 obliegen Darlegung und gegebenenfalls Beweis des Kaufvertragsschlusses dem Verkäufer als Gläubiger, wobei dahingehende Streitpunkte in den hier untersuchten Fallgestaltungen kaum denkbar sind. Gleiches gilt für den Schaden, die haftungsausfüllende Kausalität inbegriffen.566 Der Verkäufer muss also darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ihm ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist. Ihn trifft ferner die Darlegungs- und Beweislast für diejenigen Umstände, die für die Schadenszurechnung relevant sind. Soweit lediglich Untersuchungsaufwand des Verkäufers ersetzt werden soll, dürften hierbei kaum einmal besondere Probleme entstehen, weil sich die Schadenszurechnung grundsätzlich daraus ergibt, dass ein (unberechtigtes) Nacherfüllungsverlangen den Verkäufer zu Untersuchungen „herausfordert“.567 Zumindest denkbar sind aber auch Fallgestaltungen, in denen der Verkäufer weiteren Ausgleich fordert, bspw. mit der Argumentation, ihm sei wegen seiner Beschäftigung mit dem unberechtigten Nacherfüllungsverlangen ein günstiges Geschäft entgangen. In solchen Fällen sind Darlegung und Beweis von Schaden und Kausalitätsfragen eventuell schwieriger. Die Darlegungs- und Beweislast treffen dabei – wie beschrieben – den Verkäufer; die Nicht-Beweisbarkeit geht zu seinen Lasten. Soweit allerdings die genaue Schadenshöhe oder auch die haftungsausfüllende Kausalität unsicher sind, findet zu Gunsten des Verkäufers § 287 ZPO Anwendung.568 Die Norm setzt das Beweismaß herab. Der Verkäufer als Schadensersatzgläubiger muss nur ausreichend greifbare Anhaltspunkte bieten569 auf deren Basis dem Gericht etwa eine Schadensschätzung bzw. Annahmen über die haftungsausfüllende Kausalität erlaubt sind. Zur Abgrenzung dieser Fälle sei bemerkt, dass (außer bei ungewöhnlichen und unsachgemäßen Reaktionen des Verkäufers) der Einwand, der Verkäufer habe „falsch“ reagiert, nicht die Schadenszurechnung betrifft.570 Behauptet der Käufer etwa, die Untersuchungskosten seien unnötigerweise hoch ausgefallen, so 565
Oben 1. BGH, Urteil vom 1. Juli 1980 – VI ZR 112/79 = NJW 1980, 2186, unter II.2.b)bb); BGH, Urteil vom 17. Dez. 1968 – VI ZR 212/67 = NJW 1969, 553, unter II.1.b); BeckOGK BGB 2021/Riehm, § 280 Rn. 368; MünchKomm BGB/Ernst, § 280 Rn. 146. 567 Dazu schon oben IV.1. 568 MünchKomm ZPO/Prütting, § 287 Rn. 16, 13; Musielak/Voit/Foerste, § 287 Rn. 3; BeckOK ZPO E41/Bacher, § 287 Rn. 3, 8; Nomos Handkommentar ZPO/Saenger, § 287 Rn. 7 f. 569 BGH, Urteil vom 23. Nov. 2006 – IX ZR 21/03 = NJW-RR 2007, 569, Rn. 21. 570 Auch hierzu oben IV.1. 566
V. Darlegungs- und Beweislast
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liegt darin vielmehr die Behauptung eines Mitverschuldens des Verkäufers, § 254 Abs. 1 BGB. Darlegungs- und beweisbelastet für die Umstände, die diese Einwendung571 tragen, ist der Käufer.572 Soweit die Ursächlichkeit des Mitverschuldens für den Schaden und somit die Quotelung unsicher ist kommt auch hierbei – allerdings dann zugunsten des Käufers – das reduzierte Beweismaß des § 287 ZPO zum Tragen.573 4. Zusammenfassung Für die Darlegungs- und Beweislastverteilung in dem hier untersuchten Fall einer Schadensersatzforderung wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens ergibt sich insgesamt Folgendes: Der Verkäufer trägt die Darlegungs- und Beweislast für den Kaufvertragsschluss. Er muss ferner im Regelfall die Pflichtverletzung darlegen und beweisen. Da es sich um eine verhaltensbezogene Pflicht handelt, umfasst dies zugleich die Frage der Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Zu weiten Teilen trägt der Verkäufer also auch die Darlegungsund Beweislast für Umstände, die üblicherweise dem Verschulden zugeschrieben werden. Anhand typischer Anwendungsprobleme sowie einer Problembeschreibungen durch den Käufer oder auch durch eine eigene Untersuchung der Kaufsache selbst wird der Verkäufer oftmals ein Fehlverhalten des Käufers erkennen, darlegen und beweisen können. Gelegentlich wird dies aber nicht gelingen, weil die Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in hohem Maße abhängig ist von den Gegebenheiten beim Käufer. Solche Beweisschwierigkeiten des Verkäufers sind allerdings regelmäßig hinzunehmen. Eine Entlastung des Verkäufers würde notwendigerweise mit einer Belastung des Käufers einhergehen und dies wäre nicht zu rechtfertigen. Ausnahmsweise kann Beweisschwierigkeiten des Verkäufers durch eine sekundäre Darlegungslast des Käufers begegnet werden. Dies ist aber nur dann möglich, wenn der Verkäufer konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Käufers darlegen kann. In der Konstellation muss der Käufer die behaupteten Anhaltspunkte substantiiert bestreiten, um zu verhindern, dass sie als zugestanden gelten. Der Verkäufer trägt letztlich die Darlegungs- und Beweislast für seinen Schaden sowie die Schadenszurechnung.
571 BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 – X ZR 139/96 = NJW 2000, 217, unter II.1.b)bb); BeckOGK BGB 2021/Looschelders, § 254 Rn. 343. 572 Vgl. BGH, Urteil vom 24. Sep. 2013 – VI ZR 255/12 = NJW 2014, 217, Ls. 2; BeckOGK BGB 2021/Looschelders, § 254 Rn. 344. 573 Vgl. BeckOGK BGB 2021/Looschelders, § 254 Rn. 345.
C. Verbrauchsgüterkäufe Verbrauchsgüterkäufe, also entsprechend der Legaldefinition des § 474 Abs. 1 BGB „Verträge, durch die ein Verbraucher von einem Unternehmer eine bewegliche Sache kauft“, unterliegen einem besonderen Regelungssystem. Weitgehend vorgezeichnet durch europarechtliche Vorgaben bezwecken die Regelungen einen besonderen Schutz des Verbrauchers. Im Folgenden soll erörtert werden, was die gefundenen Ergebnisse für die Verbraucherkonstellation bedeuten und in wie weit sie Geltung beanspruchen können. Pflichtverletzung und Vertretenmüssen sind auch in Verbraucherkonstellationen entsprechend der obigen Grundsätze zu bestimmen (I.). Ein besonderes Augenmerk ist aber auf Sonderregeln des Verbraucherschutzes zu richten, welche möglicherweise Auswirkungen auf die bisher dargestellten Grundsätze für eine Haftung wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens haben können. Dabei handelt es sich um die Vermutung des § 477 BGB (II.), sowie um die europarechtlichen Forderungen nach Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung und deren Freiheit von erheblichen Unannehmlichkeiten (III.). Das sich dadurch ergebende Bild ist einer Kontrolle zu unterziehen, die sich den effet utile des europarechtlichen Verbraucherschutzes zum Maßstab macht (IV.). Auch die Rechtsfolgenseite eines Schadensersatzanspruchs wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens ist auf die Konformität mit europarechtlichen Vorgaben zum Verbraucherschutz zu überprüfen (V.). Es wird dabei jeweils zu zeigen sein, dass einzelne Änderungen beim Verbrauchsgüterkauf durch Gesetz vom 25.6.2021 (BGBl. I S. 2133) und mit Wirkung vom 1. Januar 2022 für die hier interessierenden Aspekte ohne Belang sind. I. Pflichtverletzung und Vertretenmüssen bei Verbraucherkonstellationen Der Umstand, dass ein Verbraucher i.S.d. § 13 BGB haften soll, ändert nichts an der haftungsrechtlichen Grundkonzeption. Gestützt auf den Kaufvertrag kommt eine Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Auch hierbei verletzt das Einfordern von Gewährleistungsrechten gegebenenfalls eine verhaltensbezogene Pflicht, wenn der Verbraucher nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag legt. Letztere verlangt auch dem Verbraucher grundsätzlich Prüfpflichten ab, wobei auch er für einfache Fahrlässigkeit haftet. Entscheidend ist auch hier, dass
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C. Verbrauchsgüterkäufe
die konkreten Sorgfaltsanforderungen entsprechend allgemeiner Fahrlässigkeitsdogmatik gruppenspezifisch zu bestimmen sind. Der Verbraucher muss demnach prüfen, was ein durchschnittlicher, redlicher Verbraucher an seiner Stelle überprüft hätte, bevor er den Verkäufer auf Nacherfüllung in Anspruch genommen hätte. Dieser Maßstab wird regelmäßig nur sehr geringe Anforderungen an den Verbraucher stellen, weil weder besondere Fertigkeiten noch beispielsweise ein etwa nötiges technisches Verständnis erwartet werden können. Gleichwohl besteht zunächst kein Anlass dafür, jegliche Prüfpflicht kategorisch auszuschließen. Auch von dem Verbraucher kann verlangt werden, dass er die Stromversorgung seines Haushaltsgerätes überprüft. II. Vermutung des § 477 BGB Eine Besonderheit in Verbraucherkonstellationen stellt § 477 BGB dar. Die Norm stellt eine Beweiserleichterung für den Käufer dar, falls sich ein Mangel innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang zeigt.1 Ihr wird eine Bedeutung für die Haftung wegen eines unbegründeten Nacherfüllungsverlangens beigemessen.2 Ein Einfluss dieser Beweiserleichterung auf die untersuchte Haftungsfrage ist aber nicht selbsterklärend. Im Gegenteil: § 477 BGB scheint damit – zumindest bei unbedarfter Herangehensweise – wenig zu tun zu haben. § 477 BGB führt zu einer Beweiserleichterung hinsichtlich bestimmter Aspekte eines Mangels.3 Die Haftung wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens knüpft hingegen an die Erkennbarkeit von Alternativursachen an. Misst man dieser Unterscheidung – wie hier vertreten4 – zentrale Bedeutung bei, so ist die Folgerung naheliegend, dass eine Mangelvermutung zumindest keine direkten Auswirkungen auf die Suche nach Alternativursachen haben kann. Zudem hat eine Beweiserleichterung vorwiegend Bedeutung in einer Prozesssituation. Besteht aufgrund von § 477 BGB eine Mangelvermutung, so obliegt dem Verkäufer im Prozess der Beweis, dass kein Mangel bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Misslingt der Beweis, so verliert er den Prozess. Wenn der Verkäufer die Vermutung hingegen widerlegen kann, dann läuft der Prozess wieder nach den allgemeinen Regeln ab, wonach auch der Verbraucherkäufer für die Mangelhaftigkeit beweispflichtig ist. Auch diese Überlegung lässt an einer Bedeutung des § 477 BGB für die hier untersuchte Haftungsfrage zweifeln, die notwendigerweise einen vorprozessualen Ursprung hat. Letztlich besteht ein grundsätzliches konzeptionelles Problem: Ebenso wie ein Mangel unsicher sein kann, können auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 477 BGB unsicher sein. Wollte man den Verbraucher tatsächlich im Anwen1
Zukünftig (ab 1.01.2022) 1 Jahr, dazu sogleich 2.a). Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 298 ff. 3 Insoweit bestand noch nie Uneinigkeit. Lediglich die genaue Reichweite der Vermutungswirkung war längere Zeit umstritten. Dazu – in der gebotenen Kürze – sogleich unten 2.b)aa). 4 Siehe dazu insbesondere oben B.II.1.c)aa) und B.II.5. 2
II. Vermutung des § 477 BGB
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dungsbereich des § 477 BGB von jeglichen Vorprüfungspflichten und damit von einer Haftung befreien5 , dann müsste stringenterweise die Frage gestellt werden, wie mit Unsicherheiten über die Tatbestandsvoraussetzungen des § 477 BGB umzugehen ist. Diesen Vorüberlegungen zum Trotz bestehen aber sehr wohl zwei Begründungsansätze, weshalb eine Mangelvermutung Auswirkungen auf die untersuchte Haftungsfrage haben kann. Erstens bestünde ein Zusammenhang, wenn die Beweislast für einen geltend gemachten Anspruch zugleich über die haftungsrechtliche Vorwerfbarkeit entscheiden würde, falls sich der Anspruch als unbegründet herausstellt. Diese ältere Ansicht wurde aber mit guten Gründen bestritten und ist spätestens seit der Lichtrufanlagenentscheidung als überholt anzusehen (1.). Zweitens hätte § 477 BGB dann einen Einfluss auf die Haftungsfrage, wenn der Norm zusätzlich eine Wertentscheidung beizumessen wäre, wonach sich Verbraucher generell nicht mit Alternativursachen beschäftigen müssten (2.). 1. Kein Gleichlauf zwischen Beweislast und Haftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen 1992 hatte das LG Hamburg einen Fall zu entscheiden, in dem ein Werkbesteller einen Mangel gerügt hatte, der allerdings – wie eine Untersuchung durch den Werkunternehmer ergab – auf die Leistung eines anderen Unternehmers zurückging. Gegenstand des Verfahrens war die Frage einer Haftung für die unbegründete Geltendmachung der Mängelansprüche.6 Gestützt wurde die Haftung letztlich auf die Überlegung, die Beweislast für die Mangelhaftigkeit in einem hypothetischen Prozess und die Haftung für die unbegründete Rechtsverfolgung müssten sich im Gleichlauf befinden.7 Übertragen auf den Verbrauchsgüterkauf würde dies Folgendes bedeuten: Im Anwendungsbereich des § 477 BGB trüge der Käufer nicht mehr die Beweislast für einen Mangel und wäre deswegen auch nicht haftungsrechtlich verantwortlich, wenn sich ein Nacherfüllungsverlangen als unberechtigt herausstellt. Der Rückschluss des LG Hamburg wurde zu Recht kritisiert.8 Das entscheidende Argument besteht m.E. darin, dass ein Gleichlauf von Beweislast und Haftung zu einer gänzlich undifferenzierten Behandlung führen würde9 und mit der verschuldensabhängigen Anspruchsgrundlage des § 280 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren ist. Es nimmt daher nicht wunder, dass der BGH in seiner wegwei5 So Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 303, vorbehaltlich einer Missbrauchssituation bei positiver Kenntnis vom Nichtbestehen des Gewährleistungsrechts. 6 LG Hamburg, Urteil vom 3. Mai 1992 – 308 S 209/91 = NJW-RR 1992, 1301. 7 LG Hamburg, Urteil vom 3. Mai 1992 – 308 S 209/91 = NJW-RR 1992, 1301, 1301; Schulze-Hagen, IBR 1992, 493, 493. 8 Siehe etwa die Darstellung m.w.N. bei Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 208 ff. 9 Zu Recht Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 209.
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C. Verbrauchsgüterkäufe
senden Lichtrufanlagenentscheidung10 auf diese Ansicht des LG Hamburg nicht einmal mehr Bezug genommen hat. Die Vermutungswirkung des § 477 BGB im Sinne einer Beweislastumkehr für den Mangel kann folglich keinen unmittelbaren Einfluss auf eine Haftung für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen nehmen. 2. § 477 BGB als Wertentscheidung gegen Prüfpflichten Möglicherweise ist dies aber aufgrund europarechtlicher Vorgaben doch anders zu sehen. Der EuGH hat in Sachen Faber/Autobedrijf Hazet Ochten11 zur Auslegung der dem § 477 BGB zugrundeliegenden Richtlinie Stellung genommen. Die Ausführungen lassen möglicherweise den Schluss zu, dass die in Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44 angelegte Vermutung auch eine Wertentscheidung beinhaltet, wonach sich der Verbraucher nicht um Alternativursachen kümmern müsse (b). Der Analyse soll eine Einordnung der gegenwärtigen und zukünftigen Bedeutung von Richtlinie und EuGH-Rechtsprechung für das deutsche Recht vorangestellt werden (a). a) § 477 BGB im europarechtlichen Kontext § 477 BGB beruht auf Art. 5 Abs. 3 der „Verbrauchsgüterkaufrichtlinie“ RL 1999/44, wobei diese Richtlinie eine Mindestharmonisierung (Art. 8 Abs. 2 RL 1999/44) vorsieht. Der deutsche Gesetzgeber hätte also über die Richtlinienvorgabe hinausgehen dürfen, nicht hingegen dahinter zurückbleiben. Die deutsche Norm und ihre europarechtliche Vorgabe waren mit Blick auf ihren Regelungsgehalt lange umstritten. Diskutiert wurden insbesondere eine Beschränkung der Norm auf eine rein zeitliche Vermutung sowie die Frage, ob ein unstreitig nach Gefahrübergang entstandener Mangel die Vermutung eines Grundmangels rechtfertige.12 Diese Aspekte sind seit der EuGH-Entscheidung in Sachen Faber/Autobedrijf Hazet Ochten13 zugunsten eines sehr verbraucherfreundlichen Verständnisses entschieden. Aufgrund der Mindestharmonisierung musste der BGH den Vorgaben Folge leisten und hat seine eigene Rechtsprechung entsprechend angepasst.14 Daher sind die Ausführungen des EuGH letztlich sowohl wegen der Richtlinienvorgabe als auch aufgrund der Adaption durch die deutschen Gerichte für die Auslegung des § 477 BGB bedeutsam. 10
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015, C-497/13 [ECLI:EU:C:2015:357], Froukje Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV. 12 Eine umfassende und übersichtliche Darstellung der Positionen findet sich in BGH, Urteil vom 12. Okt. 2016 – VIII ZR 103/15 = NJW 2017, 1093, Rn. 29 ff. 13 EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015, C-497/13 [ECLI:EU:C:2015:357], Froukje Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV. 14 BGH, Urteil vom 12. Okt. 2016 – VIII ZR 103/15 = NJW 2017, 1093. 11
II. Vermutung des § 477 BGB
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Daran wird sich auch in näherer Zukunft voraussichtlich nichts ändern: § 477 BGB wird zwar zum 1. Januar 2022 geändert.15 Die Änderung wurde nötig, weil die EU am 20 Mai 2019 eine neue Richtlinie beschlossen hat, die die RL 1999/44 ersetzt. Die Änderungen beschränken sich allerdings auf Aspekte, die hier nicht weiter von Relevanz sind: Die vollharmonisierende (Art. 4 RL 2019/771) Richtlinie fordert in Art. 11 Abs. 1 S. 1 RL 2019/771 zukünftig eine Vermutungswirkung innerhalb eines Jahres16 ab Gefahrübergang, anstatt der bisherigen 6 Monate. Ferner wird die Vermutung zukünftig auch für Waren mit digitalen Elementen gelten (Art. 11 Abs. 1 S. 2 RL 2019/771). Davon abgesehen weisen Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44 und Art. 11 Abs. 1 S. 1 RL 2019/771 aber keine inhaltlichen Unterschiede auf und die neue Richtlinie ist der direkte „Nachfolger“ der RL 1999/44.17 Deswegen wird die bisherige Rechtsprechung des EuGH insoweit auch zukünftig für das Verständnis von Art. 11 RL 2019/771 entscheidend sein. b) Rückschluss aus der EuGH-Rechtsprechung – Faber Die EuGH-Entscheidung in Sachen Faber/Autobedrijf Hazet Ochten18 hatte große Bedeutung für eine lange geführte Debatte für die Reichweite des § 477 BGB bzw. allgemeiner der auf Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44 beruhenden Vermutungen. Der BGH hat seine bis dahin abweichende Rechtsprechung aufgegeben und ist in allen geforderten Punkten (aa) dem EuGH gefolgt.19 Umsetzungsgebot (Art. 288 Abs. 3 AEUV und Gemeinschaftstreue (Art. 4 Abs. 3 AEUV) ließen dem BGH insoweit keine andere Möglichkeit.20 Die Darstellung soll sich aus diesem Grund auf die jetzt relevante Auslegung beschränken.21 15
Das „Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags“ ist abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/ Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/Bgbl_Regelung_des_Verkaufs_von_Sachen_mit_ digitalen_Elementen.pdf;jsessionid=BB8BB1A588AC6313CE8FDA300E50441D.1_cid289? __blob=publicationFile&v=2 (Aufruf 20.04.2022 13:54 Uhr). 16 Mit einer Öffnungsklausel auf 2 Jahre in Art. 11 Abs. 2 RL 2019/771. 17 Bezugnahmen auf die alte RL 1999/44 sind sogar explizit per Anordnung in Art. 23 RL 2019/771 i.V.m. einer Entsprechungstabelle im Anhang als Bezugnahmen auf die neue Richtlinie zu lesen. Der Anhang nennt Art. 11 RL 2019/771 als Entsprechung von Art. 5 RL 1999/44. 18 EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015, C-497/13 [ECLI:EU:C:2015:357], Froukje Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV. 19 BGH, Urteil vom 12. Okt. 2016 – VIII ZR 103/15 = NJW 2017, 1093. 20 Eingehend BGH, Urteil vom 12. Okt. 2016 – VIII ZR 103/15 = NJW 2017, 1093, Rn. 37 ff. m.z.w.N. auf die diesbezügliche europarechtliche Rechtsprechung. 21 Eine ausführliche und sehr präzise Darstellung der früheren Positionen findet sich in dem Urteil, mit dem der BGH 2017 seine Rechtsprechung geändert hat, BGH, Urteil vom 12. Okt. 2016 – VIII ZR 103/15 = NJW 2017, 1093, Rn. 29 ff.; siehe zu der Streitfrage aus der Literatur auch stellvertretend für viele Tröger, AcP 212 (2012), 296; Oetker/Maultzsch, Vertragliche SV, S. 106 f.; Gutzeit, JuS 2017, 357; Gsell, JZ 2017, 576; Oechsler, BB 2015, 1923; Sagan/Scholl, JZ 2016, 501; Gruber, ZEuP 2010, 648.
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C. Verbrauchsgüterkäufe
Eine eingehende Untersuchung erfordert hierbei die Frage, ob den Vorgaben durch den EuGH – mittelbar – auch eine Bedeutung für die hier untersuchte Haftung eines Verbrauchers für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen zu entnehmen ist (bb). aa) Aussagen des EuGH Die Aussagen des EuGH zu Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44 haben zum einen eine inhaltliche, die Reichweite der Vermutung betreffende Dimension. Zum anderen betreffen sie die beweisrechtlichen Anforderungen, um die Norm auszulösen. Inhaltlich hat der EuGH klargestellt, dass Art. 5 Abs. 3 RL 1999/44 nicht nur rein zeitlich eine Vertragswidrigkeit bei Lieferung vermuten lässt. Die Norm führt vielmehr auch dann zu einer Mangelvermutung, wenn die Mangelerscheinung nachweislich erst nach Gefahrübergang aufgetreten ist. Es wird dann vermutet, dass die Vertragswidrigkeit „zum Zeitpunkt der Lieferung ‚zumindest im Ansatz‘ bereits vorlag“.22 Abseits davon macht der EuGH Vorgaben für die beweisrechtlichen Anforderungen, d.h. für die Frage was der Verbraucher darlegen und beweisen muss, um in den Genuss der Vermutung zu kommen. Nach früherem deutschem Verständnis war dem Verbraucherkäufer „die Darlegungs- und Beweislast dafür auferlegt, dass der von ihm gerügte Mangel auf eine Abweichung von der geschuldeten Sollbeschaffenheit und nicht auf eine nicht in die Verantwortlichkeit des Verkäufers fallende andere Ursache, etwa auf eine unsachgemäße Handhabung der Sache [...] oder auf einen üblichen Verschleiß [...], zurückzuführen ist“.23 Der EuGH sieht das grundlegend anders: „Der Verbraucher muss nur das Vorliegen der Vertragswidrigkeit beweisen. Er muss weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist.“24 Der Käufer muss also lediglich das Auftreten eines Mangelsymptoms innerhalb der Vermutungsfrist darlegen, sodass ein dafür verantwortlicher Grundmangel vermutet wird. Die Hürden für das Eingreifen der Vermutung sind somit sehr stark reduziert, sodass die Norm letztlich eine Art Haltbarkeitsgarantie innerhalb von 6 Monaten seit der Lieferung etabliert.25 Insbesondere wenn diese Regelung ab 2021 für ein oder gar 2 Jahre ab Lieferung gelten soll, wird abzuwarten sein, ob nicht der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 3 a.E. RL 2019/771 (dann Art. 11 Abs. 1 S. 1 a.E. RL 2019/771) eine Hochkonjunktur erleben wird. 22
EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015, C-497/13 [ECLI:EU:C:2015:357], Froukje Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV, Rn. 72. 23 BGH, Urteil vom 12. Okt. 2016 – VIII ZR 103/15 = NJW 2017, 1093, Rn. 30. 24 EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015, C-497/13 [ECLI:EU:C:2015:357], Froukje Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV, Rn. 70, Hervorhebung hinzugefügt. 25 Gutzeit, JuS 2016, 459, 462 („Quasi-Haltbarkeitsgarantie“); kritisch Ruckteschler, ZEuP 2016, 528, 541.
II. Vermutung des § 477 BGB
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bb) Bedeutung jenseits einer Mangelvermutung Diesen Vorgaben durch den EuGH könnte jedenfalls auch eine Bedeutung für den hier untersuchten Fall zukommen. Eine potentielle Haftung des Verbrauchers aus § 280 Abs. 1 BGB, wenn sich sein Nacherfüllungsverlangen als unberechtigt herausstellt, hängt nach den vorangegangenen Ausführungen in zentraler Weise davon ab, ob er Alternativursachen hätte erkennen müssen.26 Ob sich ein Verbraucher aber überhaupt mit Alternativursachen beschäftigen muss, erscheint in Anbetracht der beschriebenen EuGH-Rechtsprechung fraglich. Dahin führen zwei Gedankenschritte. Zunächst scheinen die Ausführungen, wonach der Verbraucher „weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen [müsse], dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist“27 geradezu auf Alternativursachen nach dem hiesigen Verständnis gemünzt zu sein. Alternativursachen rufen nämlich eine Mangelerscheinung (in der Formulierung des EuGH eine „Vertragswidrigkeit“) hervor, ohne dass deren Grund in der Sachbeschaffenheit zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs liegt. Es sind also notwendigerweise Umstände, die dem Verkäufer gerade nicht zuzurechnen sind. Die Aussage des EuGH lässt sich deswegen durchaus umformulieren: Der Käufer muss keinerlei Ausführungen zu Alternativursachen machen. Unmittelbar gilt diese Aussage selbstredend nur für die Frage, mit der sich der EuGH befasst hat, d.h. für das tatbestandliche Eingreifen der Mangelvermutung in einem Mangelprozess. Im Interesse einer in sich schlüssigen Rechtslage muss aber der folgende, zweite Gedanke zugelassen werden: Wäre der Verbraucher zur Vermeidung einer Haftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen gehalten, im Vorfeld Alternativursachen auszuschließen, so wäre es fragwürdig, ihn in einem Mangelprozess explizit von einer solchen Belastung zu befreien. Dem Verbraucher würde dann nämlich suggeriert, dass er sich mit Blick auf Gewährleistungsrechte keine Sorgen um Alternativursachen machen müsse. Gleichzeitig würde ein Nacherfüllungsverlangen ohne vorherige Überprüfung von möglichen Alternativursachen dem Verbraucher aber zur Haftung gereichen können. Dies wäre durchaus fragwürdig. Um das zu verhindern müsste dem EuGH eine – vom Kontext der Beweislastumkehr – losgelöste Wertungsentscheidung zugeschrieben werden, wonach der Verbraucherkäufer sich um Alternativursachen keine Gedanken machen müsse – und zwar auch im Kontext einer Haftung für ein unberechtigtes Mangelbeseitigungsverlangen. Die „Umsetzung“ dieser Vorgabe ins deutsche Recht würde schlicht bedeuten, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt generell von Verbrauchern keine Überprüfung von Alternativursachen fordert. Eine Haftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen würde dadurch ausscheiden. 26
Ausführlich oben B.II. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015, C-497/13 [ECLI:EU:C:2015:357], Froukje Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV, Rn. 70. 27
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C. Verbrauchsgüterkäufe
Ob der EuGH-Rechtsprechung aber tatsächlich eine derartige Vorgabe zu entnehmen ist, erscheint dennoch zweifelhaft. Zurückhaltung gebietet zunächst der Umstand, dass die hier angedeutete Konsequenz fernab dessen liegt, womit der EuGH in seinem Urteil befasst war. Die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit eines Verbrauchers war weder Gegenstand des Urteils an sich, noch etwaiger Überlegungen in der Urteilsbegründung. Hinzu kommt, dass es nicht zwingend ist, die Ausführungen des EuGH dazu, was der Verbraucher nicht darlegen müsse28 , mit „Alternativursachen“ im hier verwendeten Sinne zu übersetzen. Wenn der EuGH feststellt, der Verbraucher müsse „den Beweis erbringen, dass das verkaufte Gut nicht vertragsgemäß ist, da es zum Beispiel nicht die im Kaufvertrag vereinbarten Eigenschaften aufweist oder sich nicht für den Gebrauch eignet, der von einem derartigen Gut gewöhnlich erwartet wird“29 , so hat er ersichtlich die Situation vor Augen, dass die Beschaffenheit der Sache nicht den vertraglichen Anforderungen entspricht. Effektiv entbindet der EuGH den Verbraucher von dem Nachweis, dass nicht er selbst nach Lieferung diese Beschaffenheit negativ verändert hat. Eine Veränderung der Beschaffenheit nach Lieferung durch den Käufer stellt aber nur eine Form von Alternativursachen dar. Eine weitere typische Alternativursache ist beispielsweise auch die falsche Bedienung der Kaufsache, ohne dass deren Beschaffenheit leidet. Diese Situation scheint jedoch nicht Gegenstand der Überlegungen gewesen zu sein und dementsprechend sollte auch dem Urteil nicht vorschnell eine Bedeutung für diese Konstellation beigemessen werden. Ein dritter Aspekt, der gegen das angedachte, weite Verständnis des EuGH spricht, besteht in der Reichweite der Aussage selbst: Sinnvollerweise muss die Forderung, wonach ein Verbraucher sich um Alternativursachen keine Gedanken machen müsse, generelle Geltung beanspruchen und dürfte nicht auf den Anwendungsbereich des § 477 BGB beschränkt sein.30 Andernfalls würde dieselbe Frage nach der Verteilung des Unsicherheitsrisikos nur auf eine andere Ebene verlagert: Es würde gestritten, ob und wann der Verbraucher für eine Fehleinschätzung der Sachlage bspw. mit Blick auf eine Widerlegung der Vermutung des § 477 BGB haftet. In Anbetracht des Umstandes, dass sich der EuGH ausschließlich mit den Voraussetzungen und Wirkungen der Vermutung befasst hat, erscheint es allerdings fragwürdig, dem Urteil eine darüber weit hinausgehende Aussage zu entnehmen. Dieses Bedenken berührt zudem den Geltungsanspruch der RL 1999/44: Sie befasst sich ausschließlich mit vertragswidrigen Waren und den Verbraucherrech-
28 EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015, C-497/13 [ECLI:EU:C:2015:357], Froukje Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV, Rn. 70. 29 EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015, C-497/13 [ECLI:EU:C:2015:357], Froukje Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV, Rn. 70. 30 In diese Richtung noch vor der EuGH-Entscheidung in Sachen Faber Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 303 („zumindest im Anwendungsbereich des § 476“).
III. Unentgeltlichkeit und keine erheblichen Unannehmlichkeiten
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ten bei Vertragswidrigkeiten.31 Die hier untersuchte Haftung gründet aber gerade darauf, dass die Waren sich als mangelfrei herausstellen. Für diese Situation fehlt der Richtlinie – zu deren Auslegung der EuGH Stellung genommen hat – ein Geltungsanspruch. Darüber hinaus fehlt es nicht nur aufgrund der Mangelfreiheit an einem Geltungsanspruch, sondern auch wegen des Umstandes, dass es sich um einen Ausgleich im Wege des Schadensersatzes handelt. Diesbezüglich fordert EG 6 RL 1999/44, eine „Angleichung [der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den Verbrauchsgüterkauf dürfe] jedoch nicht die Bestimmungen und Grundsätze des innerstaatlichen Rechts über die Regelung der vertraglichen und außervertraglichen Haftung beeinträchtigen.“ Diese Negativabgrenzung zum nationalen Schadensersatzrecht erhält im Übrigen auch die Nachfolgerichtlinie RL 2019/771 aufrecht, indem sie in EG 18 klarstellt, die „Richtlinie sollte nationales Recht unberührt lassen, soweit [... insbesondere Fragen von] Schadensersatz [betroffen sind].“ cc) Ergebnis Es sprechen zusammenfassend die besseren Gründe dafür, aus der Entscheidung des EuGH in Sachen Faber kein Verbot von Prüfpflichten abzuleiten. Insbesondere in Anbetracht dessen, dass sich die europarechtlichen Vorgaben zunächst in einer Regelung des Mangelfalls erschöpfen, wäre eine weitaus deutlichere Stellungnahme des EuGH zu dem konkreten Problem nötig gewesen. III. Unentgeltlichkeit und keine erheblichen Unannehmlichkeiten Die Nacherfüllung muss entsprechend der Richtlinienvorgabe für den Verbraucher unentgeltlich sein (Art. 3 Abs. 3 S. 1 RL 1999/44) und darf keine erheblichen Unannehmlichkeiten erzeugen (Art. 3 Abs. 3 S. 3 RL 1999/44). Eine direkte Aussage zu der Frage, ob und in welchem Umfang Prüfpflichten auch bei Verbraucherkäufen angezeigt sind, lässt sich diesen Vorgaben aber auch nicht entnehmen. Es ist die Nacherfüllung, die unentgeltlich sein muss und keine erheblichen Unannehmlichkeiten mit sich bringen darf. Dies sagt nichts darüber aus, was erstens im Vorfeld eines Nacherfüllungsverlangens gelten muss und was zweitens dann gilt, wenn gar kein Anspruch auf Nacherfüllung bestand.32 Die soeben33 im Kontext der Mangelvermutung beschriebenen Zweifel an dem Geltungsanspruch der RL 1999/44 sind hier ebenso angezeigt.
31
Siehe nur Artt. 2, 3 RL 1999/44, EG 6, 7 RL 1999/44. Vgl. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 306. 33 Oben II.2.b)bb). 32
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C. Verbrauchsgüterkäufe
IV. Effet utile des Verbraucherschutzes Dies alles soll aber nicht den Blick darauf verstellen, dass sehr wohl ein dogmatisch gangbarer Weg besteht, den Verbraucher aufgrund der Richtlinie generell von Prüfpflichten zu entbinden. Wenn Prüfpflichten ein Hemmnis für die effektive Durchsetzung der Richtlinie bedeuten würden, dann könnte der Grundsatz der Effektivität (effet utile) solche Prüfpflichten verbieten. Diese vom EuGH sehr oft genutzte „Auslegungsmethode“34 zielt darauf ab, einer Regelung zur Wirksamkeit zu verhelfen.35 Prüfpflichten erfordern einen gewissen Aufwand und bergen ein Abschreckungsrisiko.36 Sie können somit die Wirksamkeit nicht nur der Mangelvermutung sondern auch des Verbraucherschutzrechts in Gänze dergestalt beeinträchtigen, dass Verbraucher seltener Gewährleistungsrechte einfordern. Damit ist aber keineswegs bereits entschieden, dass der effet utile ein Verbot der Prüfpflichten nach sich ziehen muss. Entscheidend ist vielmehr, in welchem Umfang die Wirksamkeit der Regeln geschützt werden muss. Verschiedentlich hat der EuGH den effet utile in einem Sinne „voller Wirksamkeit“ verstanden und Ergebnisse verworfen, welche die Wirksamkeit des EURechts auch nur „abgeschwächt“37 oder „geschmälert“38 hätten.39 Ein solch absolutes Verständnis würde Prüfpflichten ausschließen. Für die hier betrachtete Frage kommt ein solches Verständnis allerdings nicht in Betracht. Die Richtlinie selbst erkennt nämlich an mehreren Stellen an, dass eine gewisse Belastung des Käufers möglich ist. So muss die Nacherfüllung ohne erhebliche Unannehmlichkeiten erfolgen (Art. 3 Abs. 3 S. 3 RL 1999/44); die Beschränkung auf eine bestimmte Form der Nacherfüllung ist u.a. davon abhängig (Art. 3 Abs. 3 S. 2 Spiegelstrich 3 RL 1999/44); sind erhebliche Unannehmlichkeiten entstanden, so wird ein Minderungsrecht ausgelöst (Art. 3 Abs. 5 Spiegelstrich 3 RL 1999/44). Wenn aber sogar im Mangelfall eine gewisse Belastung des Käufers nicht zu beanstanden ist, so muss dies umso mehr bei einer Unsicherheitslage im Vorfeld gelten. Die Verbraucherschutzregeln können deswegen jedenfalls keinen absoluten Wirksamkeitsanspruch dergestalt haben, dass jegliche Prüfpflichten von vornherein ausgeschlossen sein müssen.
34 Für eine methodologische Einordnung und Bewertung dieses Auslegungsstils siehe Potacs, EuR 2009, 465. 35 Siehe nur GHN/Mayer, Art. 19 EUV Rn. 57 f. m.z.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH. 36 Zur Abschreckung durch Prüfpflichten im Allgemeinen siehe oben B.III.1.b)bb). 37 EuGH, Urteil vom 19. Juni 1990, C-213/89 [ECLI:EU:C:1990:257], The Queen/Secretary of State for Transport, ex parte: Factortame Ltd und andere, Rn. 21. 38 EuGH, Urteil vom 9. März 1978, C-106/77 [ECLI:EU:C:1978:49], Staatliche Finanzverwaltung/S.p.A. Simmenthal, Rn. 19/20 (zitiert nach EUR-Lex). 39 Für eine eingehende Analyse der Spielarten des effet utile siehe Potacs, EuR 2009, 465, 466.
IV. Effet utile des Verbraucherschutzes
171
Andererseits muss der effet utile zumindest so verstanden werden, dass eine Regelung nicht sinnentleert40 , ernsthaft gefährdet41 oder ihr ein nicht unerheblicher Teil ihrer praktischen Wirksamkeit42 genommen werden darf. Prüfpflichten im Vorfeld eines Nacherfüllungsverlangens dürften allerdings einen solchen Effekt kaum zeitigen, immer vorausgesetzt dass der Prüfungsumfang der Situation angemessen ist. Diese Einordnung findet ihre Bestätigung auch in Stellungnahmen des EuGH in anderem Kontext: Erst kürzlich hat der EuGH zur Frage des Nacherfüllungsortes Stellung beziehen müssen.43 In dem Zusammenhang hat der Gerichtshof explizit klargestellt, dass Art. 3 Abs. 3 S. 3 RL 1999/44 nicht etwa fordert, dem Verbraucher dürften keinerlei Unannehmlichkeiten entstehen.44 Vielmehr sei entscheidend, dass der Verbraucher „keiner Belastung ausgesetzt wird, die geeignet wäre, einen durchschnittlichen Verbraucher von der Geltendmachung seiner Ansprüche abzuhalten.“45 Man wird dem EU-Recht deswegen auch kein Verbot von Prüfpflichten, sondern nur eine inhaltliche Vorgabe entnehmen können: Sie müssen ihrem Umfang nach so begrenzt sein, dass sich der Verbraucher redlicherweise nicht abschrecken lässt und somit die Wirksamkeit der Verbraucherschutzregeln nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Daneben ist dem EU-Recht wohl eine parallele, etwas konkretere Wertung zu entnehmen: Ebenso wie laut EuGH durch den Ausschluss erheblicher Unannehmlichkeit sichergestellt werden soll, dass eine Abschreckung minimiert wird, wird auch die Forderung von Unentgeltlichkeit im Hinblick darauf zu verstehen sein. Dann ist Art. 3 Abs. 3 S. 1 RL 1999/44 wohl die Wertung zu entnehmen, dass eine finanzielle Belastung in besonderem Maße abschreckend wirke. Konsequenterweise muss dann bei der Bestimmung des Umfangs von Prüfpflichten besondere Zurückhaltung geübt werden, sofern die Prüfpflichten zu nennenswerten Kosten beim Verbraucher führen würden. Andernfalls stünde zu besorgen, 40 EuGH, Urteil vom 11. Dez. 2007, C-438/05 [ECLI:EU:C:2007:772], Finnish Seamen’s Union/Viking Line ABP und OÜ Viking Line Eesti, Rn. 69; EuGH, Urteil vom 11. Feb. 1999, C-390/95 P [ECLI:EU:C:1999:66], Antillean Rice Mills NV/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Rn. 67. 41 EuGH, Urteil vom 14. Feb. 2008, C-450/06 [ECLI:EU:C:2008:91], Varec SA/Belgischer Staat, Rn. 39. 42 EuGH, Urteil vom 31. März 1998, C-68/94 und C-30/95 (verbunden) [ECLI:EU:C:1998:148], Französische Republik/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Rn. 171. 43 EuGH, Urteil vom 23. Mai 2019, C-52/18 [ECLI:EU:C:2019:447], Christian Fülla/Toolport GmbH; siehe auch die Besprechungen bei Weller/Darazs, ZEuP 2020, 944; Augenhofer, NJW 2019, 1988; Looschelders, JA 2020, 61. 44 EuGH, Urteil vom 23. Mai 2019, C-52/18 [ECLI:EU:C:2019:447], Christian Fülla/Toolport GmbH, Rn. 40. 45 EuGH, Urteil vom 23. Mai 2019, C-52/18 [ECLI:EU:C:2019:447], Christian Fülla/Toolport GmbH, Rn. 40.
172
C. Verbrauchsgüterkäufe
dass eine dadurch bedingte Abschreckung die Wirksamkeit der Richtlinienvorgaben (für die tatsächlichen Mangelfälle) beeinträchtigt. Die deutsche Rechtslage trägt diesen Forderungen m.E. vollumfänglich Rechnung: Der Umfang der Prüfpflichten wird durch die gruppenspezifische46 , an der Gruppe der Verbraucher ausgerichtete, Bestimmung auf ein angemessenes Maß begrenzt. Insbesondere lässt die Bestimmung dessen, was im Verkehr erforderlich ist, nicht nur Raum für die Einbeziehung von Abschreckungspotential, sondern fordert dies sogar.47 Damit findet genau der Aspekt Berücksichtigung, der für eine Schmälerung des effet utile verantwortlich sein könnte. An diesem Ergebnis ändert auch der Aspekt von Rechtsunsicherheit nichts.48 In der Literatur wurde teilweise eine Rechtsunsicherheit als „erhebliche Unannehmlichkeit“ für den Verbraucher angesehen.49 Der Kontext war dabei jeweils die vom BGH propagierte Bestimmung des Nacherfüllungsortes anhand der Umstände des Einzelfalls.50 Die damit einhergehende Unsicherheit über den Nacherfüllungsort erzeuge eine Rechtsunsicherheit, die eine erhebliche Unannehmlichkeit für den Verbraucher im Sinne der RL 1999/44 darstelle.51 Diese Sichtweise dürfte in Anbetracht der EuGH-Entscheidung, die die einzelfallabhängige Bestimmung des Nacherfüllungsortes ungeachtet der im Verfahren vorgetragenen Bedenken zur Rechtsunsicherheit52 billigt53 , als überholt gelten. Die beschriebene Argumentation zur Rechtsunsicherheit lässt sich zwar grundsätzlich auf das hier untersuchte Problem übertragen. Auch die situationsabhängige Bestimmung der Prüfpflichten erzeugt eine gewisse Rechtsunsicherheit, weil erst die spätere gerichtliche Klärung den Umfang der Prüfpflichten zweifelsfrei bestimmt. Hier wie dort stellt dies aber keinen Umstand dar, der als erhebliche Unannehmlichkeit qualifiziert werden könnte. Vielmehr handelt es sich dabei um ein allgemeines Lebensrisiko, welchem auch ein Verbraucher tagtäglich ausgesetzt ist, wenn er in beliebigen Lebensbereichen sein Handeln an dem im Verkehr Erforderlichen ausrichten möchte. Auch der europarechtlich vorgezeichnete Verbraucherschutz sucht dies m.E. zu Recht nicht zu beseitigen. Im Übrigen wäre der Gewinn an Rechtssicherheit durch die kategorische Entbindung eines Verbrauchers von Prüfpflichten wahrscheinlich geringer als es zunächst den Anschein hat: In keinem Fall bezweckt nämlich die RL 1999/44 den 46
Dazu bereits ausführlich oben B.II.1.b)cc) und B.II.5. Zur Abschreckungswirkung B.III.1.b)bb). 48 A.A. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 307. 49 Jaensch, NJW 2012, 1025, 1030; Cziupka, NJW 2013, 1043, 1044; Brors, NJW 2013, 3329, 3331. 50 BGH, Urteil vom 13. Apr. 2011 – VIII ZR 220/10 = NJW 2011, 2278. 51 Jaensch, NJW 2012, 1025, 1030; Cziupka, NJW 2013, 1043, 1044; Brors, NJW 2013, 3329, 3331. 52 EuGH, Urteil vom 23. Mai 2019, C-52/18 [ECLI:EU:C:2019:447], Christian Fülla/Toolport GmbH, Rn. 21. 53 EuGH, Urteil vom 23. Mai 2019, C-52/18 [ECLI:EU:C:2019:447], Christian Fülla/Toolport GmbH, Rn. 45. 47
V. Modifikationen bei der Schadenszurechnung?
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Schutz eines missbräuchlichen Nacherfüllungsverlangens. Aus diesem Grund wurde (trotz der grundsätzlichen Ablehnung von Prüfpflichten) gefordert, dass in Ausnahmefällen ein Missbrauchsvorwurf gemacht und somit doch eine haftungsrechtliche Vorwerfbarkeit bestehen könne.54 Dies soll Fälle von positiver Kenntnis erfassen, aber auch solche, bei denen keinerlei Anhaltspunkte für eine Mangelhaftigkeit bestanden haben.55 Ob aber tatsächlich keinerlei Anhaltspunkte für eine Mangelhaftigkeit vorhanden waren, wird im Einzelfall durchaus fraglich sein. Zwischen letzterer Konstellation und solchen Fällen, bei denen der Verbraucher durch die geboten eng umrissenen Prüfpflichten eine Alternativursache erkannt hätte, besteht sicherlich ein fließender Übergang. In jeden Fall erzeugt auch eine Befreiung von Prüfpflichten mit gleichzeitiger Rückausnahme für Sonderfälle einen gewissen Grad an Rechtsunsicherheit und relativiert somit zusätzlich die Kritik an Prüfpflichten. Zusammenfassend verfangen die Argumente gegen Prüfpflichten eines Verbrauchers im Vorfeld eines Nacherfüllungsverlangens nicht. Insbesondere unterlaufen sie nicht die praktische Wirksamkeit des Verbraucherschutzrechts. Sofern der Umfang der Prüfpflichten den Verbraucher nicht unzumutbar belastet und keine Abschreckung eines redlichen Verbrauchers zu befürchten ist, macht das Europarecht insoweit keine Vorgaben. V. Modifikationen bei der Schadenszurechnung? Liegen die haftungsbegründenden Elemente eines Schadensersatzanspruchs vor, so stellt sich die Frage, ob europarechtliche Vorgaben auch auf die Schadenszurechnung Einfluss nehmen. Das Argumentationsmuster wäre identisch: Abgeschreckt wird ein Verbraucher nicht nur durch die Sorgfaltsanforderungen, die er einzuhalten hat, um eine Haftung zu umgehen. Abschreckend dürfte nach billigem Ermessen auch schlicht der mögliche Schadensersatz wirken. Gilt es nun aber, eine Abschreckung des Verbrauchers vor der Geltendmachung von Rechten zu verhindern, um eine effektive Durchsetzung des Verbraucherschutzrechts zu erzielen, dann muss auch die Schadenszurechnung einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Besonders augenfällig ist ein gewisser Widerspruch bei einem Transportkostenvorschuss auf Basis des § 475 Abs. 6 BGB (ab 1.1.2022 § 475 Abs. 4 BGB). Stellt sich sein Nacherfüllungsverlangen als unberechtigt heraus und trifft ihn ein Verschulden, so müsste er dem Verkäufer den Transportkostenvorschuss nach den allgemeinen Regeln im Wege des Schadensersatzes zu zurückerstatten.56 Brisant ist nun aber, dass gerade dieser Transportkostenvorschuss in besonderer Weise dazu dient, eine Abschreckung des Verbrauchers vor der Geltendmachung von
54
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 303. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 303. 56 Oben B.IV.3. 55
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C. Verbrauchsgüterkäufe
Gewährleistungsrechten zu verhindern.57 Wohl aus diesem Grund ist – soweit ersichtlich – einhellig anerkannt, dass der Anspruch auf Transportkosten auch bei einem bloßen Mangelverdacht besteht58 , also in einer Situation, in der die Kaufsache potentiell mangelfrei und ein Käufer für ein Nacherfüllungsverlangen haftbar ist. Dieses Ziel, eine Abschreckung zu verhindern, wird ersichtlich weniger effektiv gefördert, wenn ein Verbraucher bei seinen Erwägungen einpreisen muss, dass der Vorschuss gegebenenfalls in Form eines Schadensersatzes zurückgezahlt werden muss. Provokant formuliert könnte man sogar noch einen Schritt weitergehen: Der Transportkostenvorschuss animiere den Käufer geradezu zur Geltendmachung von Rechten und damit auch zum Eingehen eines Haftungsrisikos. Ist der Fisch dann am Haken, wird ihm der Köder in Rechnung gestellt. Eine Lösung könnte etwa so aussehen: Gestützt auf den effet utile wird die Ersatzfähigkeit von Posten dahingehend modifiziert, dass Schäden dann nicht ersatzfähig sind, wenn ihre Erstattungsfähigkeit den Verbraucher von der Geltendmachung seiner Gewährleistungsrechte abschrecken würde. Ein solcher „Übergriff“ auf die nationalen Rechtsordnungen ginge aber entschieden zu weit. Er lässt sich weder begründen noch ist er für einen Ausgleich der Interessen nötig (1.). Selbst beschränkt auf den soeben geschilderten Fall eines Transportkostenvorschusses, bei dem ein Konflikt recht offensichtlich ist, lässt sich eine Modifikation des deutschen Schadensrechts nicht begründen (2.). 1. Keine allgemeine Modifikation des nationalen Schadensrechts Die angedachte Modifikation nationaler Schadensrechte liegt in zweifacher Hinsicht außerhalb des Regelungsbereichs der Richtlinien für Verbrauchsgüterkäufe.59 Die europarechtlichen Vorgaben berühren Fälle von Mangelfreiheit nicht und sie verweigern sich generell einer Einflussnahme auf die nationalen Regelungen des Schadensersatzes.60 Beide Aspekte konnten aber bereits bei der oben geführten Diskussion um den Einfluss des Europarechts auf die Sorgfaltsanforderungen bei Prüfpflichten61 57 BGH, Urteil vom 13. Apr. 2011 – VIII ZR 220/10 = NJW 2011, 2278, Rn. 37 zur Lage noch vor der Einführung des § 475 Abs. 6 BGB 2018. Darauf allerdings bezugnehmend die Regierungsbegründung zur Reform des Bauvertragsrechts BT-Drs. 18/8486, 45; zur europarechtlichen Grundlage EuGH, Urteil vom 23. Mai 2019, C-52/18 [ECLI:EU:C:2019:447], Christian Fülla/Toolport GmbH, Rn. 56. 58 BGH, Urteil vom 19. Juli 2017 – VIII ZR 278/16 = NJW 2017, 2758, Rn. 31; MünchKomm BGB/Lorenz, § 475 Rn. 51; BeckOGK BGB 2021/Augenhofer, § 475 Rn. 83. 59 Dazu schon oben II.2.b)bb). 60 Zumindest nach hier vertretener Lesart von EG 6 RL 1999/44 und EG 18 RL 2019/771. Primär gemeint sein dürfte dabei zwar jeweils, dass keine Regelungen zum Schadensersatz wegen eines Mangels getroffen werden. Wenn aber selbst davor zurückgeschreckt wird, dann muss das erst Recht für die nationalen Regelungen zum Schadensersatz als solche gelten. 61 Oben IV.
V. Modifikationen bei der Schadenszurechnung?
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nicht verhindern, dass der effet utile des Verbraucherschutzes trotzdem gewisse Vorgaben macht, wenngleich diese für die deutsche Rechtslage ohne Bedeutung sind. Dennoch sprechen verschiedene Erwägungen entschieden dafür, keine Einflussnahme durch EU-Recht auf die Schadenszurechnung eines Schadensersatzanspruchs wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens anzunehmen. Erstens ist der Grad der Beeinflussung bei Vorgaben betreffend die Schadenszurechnung ungleich höher als bei Vorgaben hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung von Sorgfaltsanforderungen: Bei der oben erörterten Bestimmung von Sorgfaltsanforderungen, also bei der Frage was „im Verkehr erforderlich“ ist, bezieht das deutsche Recht keine feste Position. Vielmehr ist die im Verkehr erforderliche Sorgfalt per se situationsabhängig. Es ist anzunehmen, dass das deutsche Recht auch zu einem gewissen Grad offen für Anregungen ist, wenn von EUSeite für die Situation „Verbrauchsgüterkauf“ vereinheitlichte Regeln aufgestellt werden und aus selbigen bestimmte Verhaltensanforderungen abgeleitet werden können. Demgegenüber bezieht das deutsche Recht auf der Rechtsfolgenseite eines Schadensersatzanspruchs eine klare Position: Es gilt der Grundsatz der Totalreparation, § 249 Abs. 1 BGB. Ein Schädiger soll den Zustand herstellen, der ohne die Schädigung bestehen würde, und das bedeutet nun einmal im Grundsatz den Ersatz aller Schäden. Eine Vorgabe dergestalt, dass in Verbraucherkonstellationen einzelne Schadensposten wegen einer Abschreckungswirkung nicht ersatzfähig seien, würde also einem Grundverständnis des deutschen Schadensrechts widersprechen. Zweitens ist eine Beschränkung der Ersatzfähigkeit für eine angemessene Lösung nicht nötig. Die soeben angestellten Überlegungen gründen auf der Frage: Was wäre, wenn der Verbraucher (alleine) durch die potentielle Schadenshöhe abgeschreckt würde? Diese Frage ist aber im Ansatz falsch, weil sich auch ein Verbraucher redlicherweise von der potentiellen Schadenshöhe nicht abschrecken lässt, sofern er seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist. Deren Ausgestaltung nach den oben dargestellten Regeln62 stellt nicht nur sicher, dass das Unsicherheitsrisiko angemessen verteilt wird. Sie eröffnet dem Käufer letztlich auch einen weitestgehend sicheren Weg aus einem Haftungsrisiko, indem auch bei verbleibenden Unsicherheiten eine risikolose Geltendmachung eines Gewährleistungsrechts möglich ist, sofern nur dem Verkäufer die Zweifel mitgeteilt werden.63 Ist aber bei korrektem Verhalten des Käufers ein Haftungsrisiko minimal, so sollte die mögliche Schadenshöhe keine entscheidende Rolle mehr spielen. Drittens würde eine Modifikation der ersatzfähigen Schadensposten zugunsten des Verbrauchers letztlich einen schadensersatzfreien Raum kreieren. Innerhalb dessen (also immer dann, wenn ein Schadensposten einen Verbraucher ab62 Insbesondere: verkehrskreisabhängige Bestimmung (B.II.1.b)cc); Ziel der Falsifizierung nur von Alternativursachen (B.II.5.); keine Haftung bei verbleibenden Unsicherheiten (B.III.2.). 63 Dazu insbesondere B.III.2.a).
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C. Verbrauchsgüterkäufe
schrecken könnte) käme es dann streng genommen auch nicht mehr auf ein Vertretenmüssen an. Das erscheint aber überhaupt nicht sinnvoll. Auch die Kehrseite einer solchen Lösung, dass der Verkäufer sanktionslos geschädigt werden dürfte, wäre nicht zu begründen. Zusammenfassend sollte deswegen die angemessene Verteilung des Unsicherheitsrisikos unverändert durch eine entsprechende Ausgestaltung der Sorgfaltsanforderungen erfolgen, nicht hingegen durch eine Modifikation auf der Rechtsfolgenseite eines Schadensersatzanspruchs. 2. Keine Modifikation im Fall des Transportkostenvorschusses Dies gilt im Allgemeinen genauso wie in dem Sonderfall eines Transportkostenvorschusses. Auch dieser Fall liefert keine Gründe, welche über die beschriebenen, grundlegenden Bedenken hinweghelfen könnten. Der Unterschied zu der bereits untersuchten (allgemeinen) Situation ist letztlich nur der, dass bei einem Transportkostenvorschuss die widerstreitenden Interessen etwas deutlicher hervortreten: Der Vorschuss zielt gerade darauf ab, eine Abschreckung des Käufers vor der Geltendmachung seiner (bestehenden) Gewährleistungsrechte zu verhindern.64 Steht für den Verbraucher zu besorgen, dass er einen solchen Vorschuss gegebenenfalls erstatten muss, so wird die Bereitschaft zur Geltendmachung von Gewährleistungsrechten generell sinken, also auch für die „schützenswerte“ Situation, in der Gewährleistungsrechte bestehen. Richtig dürfte deswegen sein, dass die Effektivität eines Transportkostenvorschusses mit Blick auf den Zweck der Regelung durch die Erstattungsfähigkeit zu einem gewissen Grad leidet. Klar ist aber auch, dass die Wirksamkeit eines Transportkostenvorschusses durch eine potentielle Abschreckung im ungünstigsten Fall etwas geschmälert, keinesfalls aber vollständig unterlaufen wird. Ein gänzliches Unterlaufen der Wirksamkeit ist zwar keine notwendige Voraussetzung dafür, dass zum Schutz des europarechtlichen effet utile Vorschriften des nationalen Rechts zurückstehen müssen.65 Gleichwohl sinkt das Bedürfnis nach einer Modifikation, wenn die Wirksamkeit der europarechtlichen Regelung nur reduziert wird. M.E. ist die hier zum Gegenstand der Überlegungen gemachte Beeinträchtigung der Wirksamkeit vernachlässigbar. Das Abschreckungspotential von Transportkosten ist aus drei Gründen minimal: Erstens ist eine Haftung generell bereits durch die oben ausgeführte Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen auf ein angemessenes Maß beschränkt. Ob vor dem Hintergrund überhaupt noch eine Abschreckungswirkung anzuerkennen ist, mag bezweifelt werden66 Zweitens handelt es sich bei Transportkosten typischerweise nicht um besonders hohe Summen. Wenn doch, dann korrelieren sie normalerweise zumindest
64
Oben V. Zur Wirkungsweise des effet utile im Detail oben IV. 66 Dazu schon soeben 1. 65
VI. Zusammenfassung zur Verbraucherkonstellation
177
mit dem Warenwert und verlieren so in Relation zu dem Nutzen einer (erhofften) Gewährleistung für den Verbraucher an Schrecken. Drittens hat eine potentielle Rückzahlungspflicht des Verbrauchers generell ein geringeres Abschreckungspotential als derjenige Fall, den der Transportkostenvorschuss nach dem Willen des Gesetzgebers eigentlich betrifft: Der Vorschuss soll verhindern, dass der Verbraucher in Vorlage treten muss.67 Abschreckend ist daran nicht nur, dass der Verbraucher zunächst für die Summe aufkommen muss, sondern auch, dass er das Beitreibungsrisiko auch dann trägt, wenn sein Begehren berechtigt war. Die Komponente des Beitreibungsrisikos entfällt aber in dem hier beleuchteten „gespiegelten“ Fall, denn hierbei befindet sich der Verbraucher in der Schuldnerrolle. Ein Beitreibungsrisiko trägt vielmehr der Verkäufer, der die Rückzahlung des Transportkostenvorschusses notfalls auf dem Klageweg durchsetzen muss. Aus diesen Gründen ist keine Modifikation der Ersatzfähigkeit eines Transportkostenvorschusses angezeigt. Das deckt sich auch mit der Einschätzung, dass im Fall der Mangelfreiheit ein Transportkostenvorschuss (sogar verschuldensunabhängig) im Wege der ungerechtfertigten Bereicherung zu erstatten sei.68 Daran ändert auch die eingangs beschriebene Befürchtung nichts, der Verbraucher könne durch einen Transportkostenvorschuss „geködert“ werden. Auch einem Verbraucher muss das Verständnis abverlangt werden, dass im Grundsatz nur berechtigte Ansprüche geltend gemacht werden dürfen und dass letztlich grundlose Leistungen des Verkäufers gegebenenfalls zu ersetzen sind. Deswegen darf sich auch ein Verbraucher redlicherweise nicht durch einen Vorschuss dahingehend „ködern lassen“, Rechte unter Missachtung seiner Sorgfaltspflichten einzufordern. 3. Zusammenfassung Zusammenfassend besteht also keine Rechtfertigung für eine Modifikation eines Schadensersatzanspruchs dahingehend, dass einzelne Schadensposten aufgrund von Abschreckungspotential nicht ersatzfähig seien. Eine angemessene Verteilung des Unsicherheitsrisikos wird durch die Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen an den Verbraucher erreicht und es bedarf keiner weiteren Entlastungen. VI. Zusammenfassung zur Verbraucherkonstellation Insgesamt sind unberechtigte Nacherfüllungsverlangen durch einen Verbraucher gegenüber einem Unternehmer nach allgemeinen Maßstäben zu beurteilen. Auch ein besonderer Verbraucherschutz wirkt sich nicht so aus, dass ein Verbraucher 67 BT-Drs. 18/8486, 45; BGH, Urteil vom 13. Apr. 2011 – VIII ZR 220/10 = NJW 2011, 2278, Rn. 37. 68 BeckOGK BGB 2021/Augenhofer, § 475 Rn. 83. Dazu allerdings auch noch unten F.IV. Den Verbraucher schützt in derlei Konstellationen nämlich oftmals der Einwand einer Entreicherung.
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C. Verbrauchsgüterkäufe
von Prüfpflichten im Vorfeld eines Nacherfüllungsverlangens entbunden wäre. Die besonderen Schutzvorschriften bei Verbrauchsgüterkäufen stellen lediglich Anforderungen an den Umfang der Prüfpflichten: Sie dürfen auf einen redlichen Verbraucher nicht abschreckend wirken. Diesen Vorgaben wird die deutsche Lösung, die für Verbraucher auch die Prüfpflichten gruppenspezifisch an den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Verbrauchers ausrichtet, gerecht. Eine Abschreckungswirkung, ausgehend alleine von einem potentiellen Schadensersatz, ist demgegenüber nicht anzuerkennen und führt zu keinen weiteren Modifikationen. All dies gilt sowohl für die Rechtslage vor dem 1. Januar 2022, als auch für die Rechtslage nach diesem Zeitpunkt.
D. Handelskäufe Neben Verbraucherschutzregeln besteht ein weiteres, für das Kaufrecht relevantes Sonderprivatrecht in Gestalt des Handelsrechts. Zwar steht dabei, anders als bei der Beteiligung von Verbrauchern, keine Schutzbedürftigkeit einer Partei im Raum, die (zumindest auf den ersten Blick1 ) Modifikationen der Verteilung des Unsicherheitsrisikos vermuten ließe. Gleichwohl kennt das Handelsrecht ein zentrales Anliegen, das im Hinblick auf seine Bedeutung auch für Unsicherheiten über Mängel zu untersuchen ist. Das Anliegen besteht in der Beschleunigung der Vertragsabwicklung im Handelsverkehr.2 Im Mittelpunkt dieser Bemühung steht die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit des § 377 HGB, die möglicherweise Einfluss auf die Verteilung des Unsicherheitsrisikos hat. In Analogie zu der zuvor herausgearbeiteten Begrenzung von Sorgfaltspflichten durch eine kollidierende Obliegenheit zu schnellem Handeln3 wurde insbesondere die Frage aufgeworfen, inwieweit die von § 377 HGB etablierte Obliegenheit den Handelskäufer zu ganz besonders schnellem Agieren anhält und so auf den Sorgfaltsmaßstab für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen durchschlägt.4 Diese Frage übersieht aber, dass eine Mängelanzeige i.S.d. § 377 HGB und ein Nacherfüllungsverlangen des Handelskäufers voneinander zu unterscheiden sind. Es handelt sich dabei um verschiedene Verhaltensweisen eines Käufers, die nicht notwendigerweise zusammenfallen und dementsprechend voneinander getrennt zu untersuchen sind (I.). Erst diese Analyse eröffnet einen unverstellten Blick auf das eigentliche Problem: Liefert die handelsrechtliche Besonderheit der Mängelanzeige einen separaten Anknüpfungspunkt für eine mögliche Haftung des Käufers, wenn die Mängelanzeige unbegründet ist (II.)? Vor dem Hintergrund ist dann zu untersuchen, ob Besonderheiten des Handelsrechts zusätzlich die Haftungsmöglichkeit für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen modifizieren (III.).
1
Dazu, dass darin aber letztlich ein Trugschluss liegt und die allgemeine Lösung auch dem Verbraucherschutz ausreichend Rechnung trägt, schon soeben C., insb. C.II. und C.IV. 2 Siehe nur MünchKomm HGB/Maultzsch, Vor § 343 Rn. 4; Baumbach/Hopt/Merkt, Einleitung vor § 1 Rn. 5. 3 Oben B.II.4.a)bb). 4 Unter anderem unter diesem Aspekt analysiert die Frage Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 312.
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D. Handelskäufe
I. Die Mängelanzeige in Abgrenzung zu einem Nacherfüllungsverlangen § 377 Abs. 1 HGB „zwingt“ den Käufer zu einer Untersuchung von Waren unverzüglich nach Ablieferung durch den Verkäufer und soweit dies nach ordnungsgemäßem Geschäftsgange tunlich ist. Zeigt sich dabei ein Mangel, so ist dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu machen. Die Mängelanzeige ist aufgrund des § 377 Abs. 2 HGB eine Voraussetzung für die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten, damit aber nicht identisch. Die Mängelanzeige ist eine (reine) Tatsachenmitteilung, die unabhängig von einem Willen des Erklärenden eine Rechtsfolge zeitigt, nämlich den Erhalt von Mängelrechten. Sie ist deswegen eine geschäftsähnliche Handlung.5 Demgegenüber stellt ein Nacherfüllungsverlangen einen Gewährleistungsanspruch fällig, weil ein dahingehender Wille besteht. Es handelt sich deswegen um eine Willenserklärung.6 Alleine aufgrund der unterschiedlichen Rechtsnatur ist eine getrennte Untersuchung von Mängelanzeige und Nacherfüllungsverlangen angezeigt. Darüber hinaus ist aber auch anerkannt, dass beides zusammenfallen kann, mitnichten aber zusammenfallen muss. Es bleibt einem Käufer zwar unbenommen, mit der Mangelanzeige direkt Nacherfüllung zu verlangen, verpflichtet ist er dazu aber nicht. Eine ordnungsgemäße Mängelanzeige erfordert nämlich nicht, dass dem Verkäufer mitgeteilt wird, welche Rechtsbehelfe ergriffen werden sollen.7 Rechtlich besehen handelt es sich also bei einer Mängelanzeige i.S.d. § 377 Abs. 1 HGB und bei einem Nacherfüllungsverlangen um unterschiedliche Dinge, die im Einzelfall durch Auslegung zu unterscheiden sind. II. Haftung für eine unbegründete Mängelanzeige Eine handelsrechtliche Mängelanzeige kann ebenso unberechtigt sein wie ein Nacherfüllungsverlangen, wenn der Käufer irrtümlich von einem Mangel ausgeht. In beiden Fällen handelt es sich ersichtlich um dieselbe Materie, sodass es auch nicht viel an Phantasie braucht, um sich eine unbegründete Mängelanzeige vorzustellen. Beispielsweise sind bei Maschinen Bedienungsfehler denkbar: Überprüft ein Händler von Elektrowerkzeugen eine Lieferung stichprobenartig aufgrund von § 377 Abs. 1 HGB auf deren Funktionalität, dann kann er dabei 5 Allgemeine Meinung, siehe etwa EBJS/Achilles, § 377 Rn. 157 f. m.z.w.N.; KKRD HGB/Roth, § 377 Rn. 11; MünchKomm HGB/Grunewald, § 377 Rn. 69; Baumbach/Hopt/Leyens, § 377 Rn. 32; Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Steimle/Dornieden, § 377 Rn. 41; aus der Rechtsprechung deutlich BGH, Urteil vom 17. Okt. 2000 – X ZR 97/99 = NJW 2001, 289, unter II.1.b)bb). 6 BeckOGK BGB 2021/Höpfner, § 439 § 13; MünchKomm BGB/Westermann, § 439 Rn. 6. 7 So schon ausdrücklich RG, Urteil vom 13. März 1923 – III 344/22 = RGZ 106, 359, 362 („Über die auf Grund der angezeigten Mängel zu erhebenden Ansprüche brauchte sie sich im Augenblick und im Rahmen der Mängelrüge noch nicht schlüssig zu machen und zu äußern“). Ebenso BGH, Urteil vom 14. Mai 1996 – X ZR 75/94 = NJW 1996, 2228, Ls. sowie unter II.3.; MünchKomm HGB/Grunewald, § 377 Rn. 68 m.w.N.
II. Haftung für eine unbegründete Mängelanzeige
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ebenso wie beispielsweise ein Endabnehmer die Maschine fehlerhaft bedienen und die daraus resultierende „Fehlfunktion“ fälschlicherweise als Mangel deuten. Zeigt er den vermeintlichen Mangel beim Verkäufer an, so liegt (objektiv) eine unbegründete Mängelanzeige vor. Ähnliches ist auch immer dann vorstellbar, wenn eine irgendwie geartete Materialprüfung durchgeführt werden muss: Als „wasserdicht“ verkauftes Leder muss durch einen sog. Wassertropfentest untersucht werden8 ; gefärbte Oberstoffe durch Reibversuche auf Farbechtheit9 ; Textil-Fasern müssen gegebenenfalls durch Vornahme einer Neocarminprobe auf Fremdfaserbeimischungen hin untersucht werden10 ; Lebensmittel sind zumindest nach Aussehen, Geruch und Geschmack zu untersuchen, bei Verdachtsgründen ggf. auch durch chemische und technische Analysen11 etc. Bei all diesen Untersuchungen besteht ein Risiko von falschen Ergebnissen, sei es nun bedingt durch einem Prüfverfahren inhärente Gefahren von falsch positiven Ergebnissen oder aber schlicht durch Fehler bei der Durchführung. Anschaulich – wenn auch vielleicht eher unwahrscheinlich – ist eine Verwechslung von Proben. Verwechselt der Käufer in seinem Lager die Waren von zwei Verkäufern oder auch nur verschiedene Chargen von demselben Verkäufer, so kann die Untersuchung sogar ein korrektes Ergebnis liefern und trotzdem wäre der Schluss, dass eine bestimmte Ware mangelhaft sei, falsch. Eine darauf gestützte Mängelanzeige wäre unbegründet. Wie eine solche Situation zu behandeln ist, soll im Folgenden untersucht werden. Erstaunlich ist dabei, dass die Frage soweit ersichtlich bislang nicht diskutiert worden ist. Dabei erscheint das Schädigungspotential einer unbegründeten Mängelanzeige kein anderes zu sein als das eines unbegründeten Nacherfüllungsverlangens. Eine identische Behandlung würde sich daher anbieten (1.). Ein entscheidender Unterschied ist auch nicht darin zu sehen, dass die Mängelanzeige formal besehen – ob begründet oder nicht – noch keine unmittelbaren Rechtsfolgen zeitigt und somit eine andere „Qualität“ besitzt als ein Nacherfüllungsverlangen. Sie fordert den Verkäufer vielmehr in vergleichbarer Weise zu Vermögensdispositionen heraus (2.). Ohne Bedeutung ist dabei ferner, dass § 377 HGB nur Obliegenheiten des Käufers normiert (3.). Erkennt man danach in einer unbegründeten Mängelanzeige grundsätzlich einen Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Käufers, so müssen konsequenterweise ähnliche Fragen zu der inhaltlichen Ausgestaltung gestellt werden, wie im Rahmen des unberechtigten Nacherfüllungsverlangens. Auch insoweit lässt sich das beschriebene Konzept ohne Brüche übertragen (4.).
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BGH, Urteil vom 13. März 1996 – VIII ZR 333/94. BGH, Urteil vom 3. Dez. 1975 – VIII ZR 237/74 = NJW 1976, 625, unter II. 10 BGH, Urteil vom 14. Okt. 1970 – VIII ZR 156/68 = BeckRS 1970, 30932347, unter 3. 11 BGH, Urteil vom 19. Juni 1991 – VIII ZR 149/90 = NJW 1991, 2633, unter II.1.a). 9
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1. Schädigungspotential als Anknüpfungspunkt für eine Rücksichtnahmepflicht „Für den Käufer liegt es auf der Hand, dass von ihm geforderte Mangelbeseitigungsarbeiten auf Seiten des Verkäufers einen nicht unerheblichen Kostenaufwand verursachen können. Die innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses gebotene Rücksichtnahme auf die Interessen der gegnerischen Vertragspartei erfordert deshalb, dass der Käufer vor Inanspruchnahme des Verkäufers im Rahmen seiner Möglichkeiten sorgfältig prüft, ob die in Betracht kommenden Ursachen für das Symptom, hinter dem er einen Mangel vermutet, in seiner eigenen Sphäre liegen.“12 In dieser Feststellung sieht der BGH in der Lichtrufanlagenentscheidung (zu Recht) die Grundlage für eine Haftung des Käufers für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen: Ein Schädigungspotential ist also Anlass für eine Rücksichtnahmepflicht des Vertragspartners, die inhaltlich dadurch bestimmt wird, was im Verkehr erforderlich ist. Diese Überlegung lässt sich ohne Schwierigkeiten auf eine unberechtigte Mängelanzeige übertragen. Tatsächlich dürften potentielle Schäden weitgehend identisch sein. Hier wie dort können Untersuchungskosten anfallen, wenn der Verkäufer die Behauptung seines Vertragspartners überprüft. Dies wird er bei einem Nacherfüllungsverlangen regelmäßig tun, ebenso gut vorstellbar ist dies aber auch bei einer Mängelanzeige. Was etwa in dem soeben zitierten Lichtrufanlagenfall an Fahrtkosten und Zeitaufwand entstanden ist13 , wird in vergleichbarer Weise anfallen, wenn der Verkäufer auf eine Mängelanzeige hin einen Mitarbeiter zum Käufer schickt, um dort die Waren auch noch einmal zu untersuchen. Je nach Fallgestaltung sind zudem auch weitere Transportkosten denkbar.14 Birgt die unbegründete Mängelanzeige aber eine Gefahr von mit dem unbegründeten Nacherfüllungsverlangen vergleichbaren Schädigungen, dann sollte dieser Umstand auch grundsätzlich in gleicher Weise zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Verkäufers verpflichten. 2. Keine grundlegend andere „Herausforderung“ des Verkäufers Gleichwohl ist diese Einschätzung eines Schädigungspotentials mit Blick darauf zu hinterfragen, dass eine Mängelanzeige eine andere „Qualität“ besitzt als ein Nacherfüllungsverlangen. Durch die Mängelanzeige zeigt der Käufer eben nur einen Mangel an, sodass sogar bei einer berechtigten Anzeige nicht unmittelbar Rechtsfolgen eintreten. Es wird nur der Verlust von Rechten verhindert (§ 377 Abs. 2 HGB). Demgegenüber stellt ein (begründetes) Nacherfüllungsverlangen einen Nacherfüllungsanspruch fällig. Der Verkäufer „muss“ dann tätig werden. Dieser Unterschied dürfte aber letztlich aus folgendem Grund bedeutungslos sein: Wenn das Schädigungspotential einer Verhaltensweise der maßgebliche 12
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, unter II.2.c). Zu den Untersuchungskosten im Kontext von einem unberechtigten Nacherfüllungsverlangen oben B.IV.1. 14 Auch dazu im Kontext eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens oben B.IV.3. 13
II. Haftung für eine unbegründete Mängelanzeige
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Aspekt dafür ist, dass bei der Verhaltensweise besondere Rücksicht auf die Interessen des Gegenüber zu nehmen ist, dann ist der soeben beschriebene Umstand nur relevant, wenn er das Schädigungspotential der Mängelanzeige gegenüber dem des Nacherfüllungsverlangens merklich verringert. Sinnvollerweise können dabei nur solche Schäden für die rechtliche Beurteilung relevant sein, die dem Käufer nach schadensrechtlicher Dogmatik zuzurechnen wären. Die Schadenszurechnung bestimmt sich – da es sich i.a.R. um „freiwillige“ Kosten des Verkäufers für Untersuchungen, ggf. auch Transport, handeln wird – anhand der Frage, ob sich der Verkäufer zu solchen Aufwendungen redlicherweise hat herausgefordert fühlen dürfen.15 Eine solche Herausforderung zu Untersuchungen erfolgt durch eine Mängelanzeige i.S.d § 377 Abs. 2 HGB ebenso wie durch ein Nacherfüllungsverlangen. Ein etwaiges „Mehr an Herausforderung“ durch ein Nacherfüllungsverlangen ist irrelevant, denn die Mängelanzeige genügt, um den Verkäufer nachvollziehbarer Weise zu eigenen Untersuchungen zu bewegen. Dahinter stehen mehrere Überlegungen: Erstens wird durch die Mängelanzeige die ordnungsgemäße Lieferung in Frage gestellt. Es steht dann zu erwarten, dass ein redlicher Verkehrsteilnehmer eine solche Behauptung verifizieren oder falsifizieren möchte, weil er sichergehen will, dass er seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Alleine schon deswegen muss im Grundsatz damit gerechnet werden, dass der Verkäufer auf eine Mängelanzeige hin Untersuchungen einleitet. Abseits dieses ideellen Interesses ist zweitens ein Beweissicherungsinteresse des Verkäufers gegeben. Indem die ordnungsgemäße Leistung des Verkäufers in Frage gestellt wird, wird zugleich ein möglicher Rechtsstreit über die Angelegenheit angedeutet. Der Verkäufer muss zunächst davon ausgehen, dass der Käufer eine berechtigte Mängelanzeige ausgesprochen hat und damit einen Ausschluss seiner Gewährleistungsrechte nach § 377 Abs. 2 HGB verhindert hat. Dann können aber Gewährleistungsrechte auch mit erheblichem zeitlichem Verzug nach den allgemeinen Regeln geltend gemacht werden. Wird der Verkäufer erst dann mit Blick auf eine Beweissicherung tätig, dann hat er möglicherweise Nachteile. Dies erklärt umgekehrt eine unmittelbar auf eine Mängelanzeige folgende Untersuchung. Diese direkte Reaktion des Verkäufers dient drittens nicht alleine seinen eigenen Beweissicherungsinteressen. Vielmehr verhält sich der Verkäufer durch eine schnelle, eigene Untersuchung im Einklang mit der Intention des § 377 HGB, die Abwicklung von Handelsverträgen im Interesse des gesamten Handelsverkehrs zu beschleunigen.16 Je schneller Streitfragen geklärt werden, desto eher kann die Ware im Verkehr weiter verwendet werden. Davon profitiert auch der Käufer. 15
Zu der Schadenszurechnung bei einem unbegründeten Nacherfüllungsverlangen oben B.IV.1. 16 Statt vieler Baumbach/Hopt/Leyens, § 377 Rn. 1; KKRD HGB/Roth, § 377 Rn. 2; BeckOK HGB E32/Schwartze, § 377 Rn. 1.
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Folglich darf sich ein Verkäufer durch eine Mängelanzeige grundsätzlich zu Untersuchungen herausgefordert fühlen. Umgekehrt bedeutet dies aber, dass schon die Mängelanzeige ein mit dem Nacherfüllungsverlangen vergleichbares Schädigungspotential birgt und deswegen in ähnlicher Weise zur Rücksichtnahme verpflichtet. 3. Keine andere Beurteilung aufgrund bloßer Obliegenheiten Teilweise scheint die Ansicht zu bestehen, dass der bloße Obliegenheitscharakter des § 377 HGB einer Haftung des Käufers entgegenstehe. „Eine Haftung des Käufers wird demgegenüber gerade nicht angeordnet, so dass aus einem Verstoß gegen die in § 377 HGB geregelten Verhaltensgebote auch keine Schadensersatzpflicht des Käufers resultiert.“17 Aus dieser Aussage geht nicht klar hervor, ob man sich hier tatsächlich gegen die Idee einer Schadensersatzhaftung wegen einer unbegründeten Mängelanzeige gewandt hat. Die Aussage lässt sich nämlich auch so verstehen, dass eine Nichterfüllung von Untersuchungs- und Rügeobliegenheit keine Schadensersatzpflicht nach sich ziehen könne. Diese Aussage ist uneingeschränkt zu teilen: Richtig ist nämlich in der Tat, dass § 377 HGB nach einhelliger Ansicht nur Obliegenheiten normiert18 , deren Nichterfüllung keine Konsequenzen jenseits des Verlusts von Gewährleistungsrechten zeitigt. Ein Käufer haftet also sicherlich nicht, weil er die Waren nicht untersucht und er haftet auch nicht deshalb, weil er einen Mangel nicht anzeigt. Demgegenüber wäre der eingangs zitierten Ansicht zu widersprechen, falls sie eine Haftung für eine falsche Mängelanzeige als ausgeschlossen erachten sollte. Rein dogmatisch würde die beschriebene Aussage bei der hier erwogenen Haftung bereits ins Leere laufen, weil die Pflicht, gegen die gegebenenfalls durch eine falsche Mängelanzeige verstoßen wird, in einer Rücksichtnahmepflicht zu sehen ist und nicht etwa in § 377 Abs. 1 oder 2 HGB. Zudem läge ganz generell ein Trugschluss vor, würde aus der Abwesenheit einer Pflicht zu einem bestimmten Verhalten auf die Haftungsfreiheit für dieses Verhalten geschlossen. Dafür existiert keine logische Notwendigkeit. Wer eine andere Person verprügelt, ist dazu sicherlich nicht verpflichtet und dessen ungeachtet haftet er für die Körperverletzung. Allenfalls die gegenteilige Situation, in der eine Pflicht zu einem bestimmten Verhalten besteht, mag dazu führen, dass die (ordnungsgemäße) Erfüllung der Pflicht nicht gleichzeitig eine Schadensersatzverpflichtung hervorruft. 17
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 311. Siehe nur KKRD HGB/Roth, § 377 Rn. 2; MünchKomm HGB/Koch, § 377 Rn. 34; Baumbach/Hopt/Leyens, § 377 Rn. 21, 32; Nomos Handkommentar HGB/Stöber, § 377 Rn. 36; nicht zuletzt auch Staub HGB/Brüggemann, § 377 Rn. 60, 69, den i.Ü. Derkum zur Begründung der eingangs zitierten Aussage anführt. Dies dürfte ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Aussage tatsächlich nicht als Ausschluss einer Haftung für eine falsche Mängelanzeige gemeint war. 18
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Im Übrigen unterscheidet sich bei genauerem Hinsehen die hier diskutierte Situation einer Mängelanzeige mit Blick auf ihren Obliegenheitscharakter gar nicht von einem Nacherfüllungsverlangen. Ob begründet oder nicht, zu einem Nacherfüllungsverlangen ist ebenfalls niemand verpflichtet. Es besteht allenfalls eine „Obliegenheit“ des Käufers, Nacherfüllung zu verlangen, wenn er seine Gewährleistungsrechte nicht im Wege der Verjährung verlieren möchte. Trotzdem sieht sich der Käufer einem Haftungsrisiko ausgesetzt, wenn er dabei nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet. Dies soll natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Obliegenheitscharakter des § 377 HGB der diskutierten Haftung dann entgegenstehen müsste, wenn darin gleichzeitig eine Wertungsentscheidung zu sehen wäre dahingehend, dass für eine falsche Mängelanzeige eine Haftung ausgeschlossen sein sollte. Eine solche Wertungsentscheidung ist aber nicht zu erkennen. Im Gegenteil spricht die Intention hinter § 377 HGB, den Handelsverkehr zu beschleunigen, gegen eine solche Annahme: Auch eine falsche Mängelanzeige verlangsamt die Abwicklung eines Vertrages. Es ist deswegen vielmehr davon auszugehen, dass es auch im Interesse des § 377 HGB liegt, wenn bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als falsch erkennbare Mängelanzeigen sanktioniert werden mit dem Ziel, dass die verkehrserforderliche Sorgfalt beobachtet wird und unbegründete Mängelanzeigen gerade verhindert werden. 4. Konsequenz: Haftung wie beim unberechtigten Nacherfüllungsverlangen Aus diesen Gründen muss ein Käufer auch bei einer Mängelanzeige auf die Interessen seines Vertragspartners Rücksicht nehmen. Es handelt sich dabei um eine verhaltensbezogene Pflicht, die der Käufer dann verletzt, wenn er bei einer Mängelanzeige nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet. Dies ist wiederum dann der Fall, wenn er einen Mangel anzeigt, obwohl er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass sonstige Umstände für das Mangelsymptom ursächlich sind. Im Ausgangspunkt gilt für die inhaltliche Ausgestaltung dieser Pflicht nichts anderes, als für die Verhaltensgebote bei der Geltendmachung von Nacherfüllung: Der Käufer hat eine Prüfpflicht Umstände betreffend, welche die Ware nur mangelhaft erscheinen lassen. Der Käufer haftet für (einfache) Fahrlässigkeit und wird an den Fähigkeiten und Kenntnissen eines durchschnittlichen Kaufmanns seiner Branche gemessen (§ 347 Abs. 1 HGB). Praktisch besonders relevant dürfte aber im Handelsverkehr eine besondere Gruppe von Alternativursachen sein, die in dieser Art beim bürgerlichen Kauf nicht entstehen, weil sie mit der Untersuchungsobliegenheit des § 377 Abs. 1 HGB zusammenhängen (a). Gleichzeitig führt die Rügeobliegenheit des § 377 Abs. 2 HGB zu einer inhaltlichen Begrenzung etwaiger Prüfpflichten (b).
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a) Alternativursachen „anlässlich“ einer Untersuchungsobliegenheit Falsche Mängelanzeigen dürften – wie eingangs beschrieben19 – insbesondere dann denkbar sein, wenn der Käufer bei Untersuchungen der Ware Fehler macht. Es handelt sich um eine Alternativursache, also um einen Umstand aus dem Zuständigkeitsbereich des Käufers, wenn er beispielsweise einer anderen Warenlieferung Stichproben entnimmt, dort einen Mangel entdeckt und in der Folge einen „falschen“ Mangel rügt. Auch liegt eine Alternativursache vor, wenn ihm bei technischen Analysen handwerkliche Fehler unterlaufen und er deswegen verfälschte Ergebnisse erhält. Der Käufer muss die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag legen, um derlei Fälle zu verhindern. In der Sache wird dies aber schlicht bedeuten, dass er die Untersuchungen i.S.d. § 377 Abs. 1 HGB an sich sorgfältig durchführen muss. Dies ist nämlich ein offensichtlich probates Mittel, um Alternativursachen wie die beschriebenen auszuschließen. Letztendlich wird der Kaufmann also im Hinblick auf die Haftung wegen einer unbegründeten Mängelanzeige vorwiegend daran zu messen sein, ob Untersuchungen nach § 377 Abs. 1 HGB sorgfältig (§ 347 Abs. 1 HGB) durchgeführt worden sind. Dieser Befund fügt sich auch zu einem stimmigen Gesamtbild, denn soweit es um den Verlust von Gewährleistungsrechten wegen einer unterbliebenen Anzeige geht, wird der Kaufmann nach einhelliger Auffassung an demselben Kriterium gemessen: Ein Mangel löst nämlich genau dann die Rügeobliegenheit aus, wenn er durch eine mit verkehrsüblicher Sorgfalt eines Kaufmanns (§ 347 Abs. 1 HGB) durchgeführte (aufgrund der jeweiligen Umstände gebotene) Überprüfung erkennbar gewesen wäre.20 Umgekehrt erscheint es sinnvoll, dass ein Käufer dann haftet, wenn er gegen diese Sorgfaltsanforderungen verstößt, deswegen irrtümlich von einem Mangel ausgeht und durch seine unbegründete Mängelanzeige dem Vertragspartner Schäden zufügt. Auch dies macht – um das bereits adressierte Bedenken21 erneut kurz aufzugreifen – die Untersuchungsobliegenheit nicht etwa zu einer verkappten Untersuchungspflicht. Es bleibt dem Käufer gänzlich unbenommen, die Ware nicht zu untersuchen. Nur wenn er einen Mangel anzeigt, der tatsächlich gar nicht besteht, dann erscheint es auch sachgerecht, ihn bezüglich einer eventuellen Haftung an dem Verhalten zu messen, das vom Gesetz als ordnungsgemäßer Normalfall vorgesehen ist. Gleiches gilt dann auch für den – wohl eher hypothetischen – Fall einer Mängelanzeige ins Blaue hinein.22 Diese wird zwar als (wirksame) Mängelanzeige 19
Oben II. Oetker HGB/Koch, § 377 Rn. 38; KKRD HGB/Roth, § 377 Rn. 8; EBJS/Achilles, § 377 Rn. 74 f.; vgl. auch Baumbach/Hopt/Leyens, § 377 Rn. 28; Haag/Löffler/Stadie, § 377 Rn. 13. 21 Soeben 3. 22 Hypothetisch ist der Fall alleine schon deswegen, weil die Mängelanzeige erkennen lassen muss, welcher Mangel geltend gemacht wird. Pauschale Aussagen genügen nicht, sodass kaum ein Käufer auf die Idee kommen dürfte, wahllos erdachte Mängel zu rügen. Zu den Anforde20
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gemäß § 377 Abs. 2 HGB erachtet, die dem Käufer seine Gewährleistungsrechte erhält, sofern er einen tatsächlich bestehenden Mangel hinreichend genau beschreibt, also sozusagen zufällig ins Schwarze trifft.23 Rügt er aber durch seine Anzeige ins Blaue hinein einen gar nicht bestehenden Mangel, dann ist dies als Sorgfaltsverstoß zu werten, der zu einer Schadensersatzpflicht dem Verkäufer gegenüber führt. Realitätsnäher dürfte allerdings der Fall sein, dass ein Käufer auf einen Verdacht hin einen Mangel rügt oder nachdem er Informationen über einen vermutlichen Mangel aus einer anderen Quelle als einer Untersuchung erlangt hat. Bei einer Anzeige auf einen Verdacht hin24 gilt aber auch das Gesagte: Der Käufer geht das Risiko einer Falschbeurteilung ein und haftet dementsprechend für eine Anzeige, wenn sich der Verdacht später als unbegründet erweist. Bei anderweitigen Informationen wird im Einzelfall zu entscheiden sein, ob es nicht der verkehrserforderlichen Sorgfalt entsprochen hätte, die Informationen nochmals zu überprüfen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Haftung für eine Mängelanzeige insbesondere insoweit von einer Haftung für ein Nacherfüllungsverlangen unterscheidet, als die Untersuchungsobliegenheit des § 377 Abs. 1 HGB einen recht konkreten Anknüpfungspunkt für korrektes Verhalten des Käufers darstellt. Oftmals wird er sich daran messen lassen müssen, ob der Irrtum über einen Mangel, der zu der unbegründeten Mängelanzeige geführt hat, bei einer ordnungsgemäßen Untersuchung der Ware nicht entstanden wäre. b) Begrenzung von Prüfpflichten durch die Rügeobliegenheit Eine weiterer Unterschied zur Situation bei einem unberechtigten Nacherfüllungsverlangen folgt bei der Mängelanzeige aus den engen zeitlichen Vorgaben der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit. Etwaige Prüfpflichten des Käufers, gerichtet auf den Ausschluss von Alternativursachen, müssen aus systematischen Gründen ohne Kollision mit anderen Obliegenheiten des Verpflichteten auskommen, sodass insgesamt ein widerspruchsloses Idealverhalten möglich ist.25 Diese Überlegung gewinnt hier eine besondere Bedeutung, denn § 377 Abs. 1 i.V.m. 2 HGB setzt den Käufer unter erheblichen Zeitdruck. Es soll unverzüglich untersucht werden und unverzüglich ab Erkennbarkeit muss ein Mangel gerügt werden. Die von der Rechtsprechung jeweils zugebilligten Zeitfenster hängen von den Umständen des Einzelfalls ab, rungen an eine ordnungsgemäße Anzeige siehe etwa MünchKomm HGB/Grunewald, § 377 Rn. 66. 23 EBJS/Achilles, § 377 Rn. 56; Baumbach/Hopt/Leyens, § 377 Rn. 20. 24 Gemeint ist ein Verdacht, der ordnungsgemäßer Weise durch eine Untersuchung noch hätte verifiziert werden sollen. Nicht gemeint ist ein Verdacht, der trotz gebotener Untersuchungen nicht weiter präzisiert werden konnte. In dem Fall setzt sich ein Käufer keinerlei Verschuldensvorwürfen aus, wenn er den Mangelverdacht anzeigt. 25 Dazu im Rahmen des unberechtigten Nacherfüllungsverlangen oben B.II.4.a).
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sind allerdings – vor dem Hintergrund der erstrebten Beschleunigung des Handelsverkehrs – notorisch klein.26 Insbesondere bemisst sich die Untersuchungsfrist schlicht nach dem Zeitaufwand, der für eine unverzügliche Untersuchung der Ware nötig ist27 , die danach noch gewährte Rügefrist beläuft sich i.d.R. auf weniger als zwei Tage.28 Möchte sich ein Käufer gegen eine Fehleinschätzung absichern und etwaige Alternativursachen überprüfen, dann können ihm nur solche Prüfungen abverlangt werden, die sich mit den zeitlichen Erwartungen des § 377 HGB vereinbaren lassen.29 Inhaltlich werden Prüfpflichten deswegen sehr stark begrenzt sein. Alle zeitintensiven Überprüfungen von Alternativursachen müssen regelmäßig ausscheiden. Der Käufer muss also nur schnell zu falsifizierenden Anhaltspunkten für Alternativursachen nachgehen, die ihn nicht daran hindern, noch rechtzeitig einen Mangel anzeigen zu können. Unbeeinflusst von dieser Vorgabe bleibt aber die zuvor beschriebene Verpflichtung, die nach § 377 Abs. 1 HGB gebotene Untersuchung sorgfältig durchzuführen, denn dadurch entsteht keinerlei Verzögerung. Dies zeigt abermals, dass sich ein Vorwurf wegen einer unbegründeten Mängelanzeige sehr oft darauf beschränken wird, der Käufer sei wegen einer unsorgfältigen Untersuchung irrtümlich von einem Mangel ausgegangen. Ebenfalls unbeeinflusst durch den Ausschluss zeitintensiver Überprüfungen bleibt die Konsequenz bei nicht durchzuführenden Untersuchungen: Verbleibende Unsicherheiten muss der Käufer dem Verkäufer i.d.R. unaufgefordert mitteilen.30 Diese für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen untersuchte Rechtslage ist genauso auf die hier interessierende Situation zu übertragen: Erkennt ein Käufer Anhaltspunkte für etwaige Alternativursachen, muss diese (etwa wegen der Beschränkung von Prüfpflichten aus zeitlichen Gründen) aber nicht falsifizieren, so darf er zwar (risikolos) den vermeintlichen Mangel anzeigen. Er muss aber gleichzeitig den Verkäufer über seine Unsicherheiten aufklären, um so dem 26
Dazu etwa Baumbach/Hopt/Leyens, § 377 Rn. 23 zur Untersuchungsfrist mit zahlreichen Anhaltspunkten aus der Rechtsprechung und Rn. 35 zur Rügefrist, ebenfalls mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 27 Baumbach/Hopt/Leyens, § 377 Rn. 35. 28 Baumbach/Hopt/Leyens, § 377 Rn. 35; MünchKomm HGB/Grunewald, § 377 Rn. 62, 81 (zur Frist ab Erkennen verdeckter Mängel); EBJS/Achilles, § 377 Rn. 132 jeweils m.V. auf zugrundeliegende Gerichtsentscheidungen. 29 Denkbar wäre es zwar auch, die Untersuchungsfristen mit Blick auf Prüfpflichten des Käufers auszudehnen. Dies würde aber zum einen dem beschriebenen Interesse der Beschleunigung zuwiderlaufen. Zum anderen würde es eine weitere Unsicherheitskomponente erzeugen. Der Vertragspartner hat nämlich keine Einblicke in die Gegebenheiten beim Käufer, die möglicherweise zu überprüfende Alternativursachen hervorrufen und somit letztlich zu einer Ausdehnung der Fristen i.R.d. § 377 HGB führen würden. Es sollte deswegen bei den kurzen Fristen bleiben, in die sich etwaige Prüfpflichten einfügen müssen. Ist dies zeitlich nicht möglich, so entspricht eine Überprüfung nicht der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt; das Nicht-Überprüfen kann dementsprechend kein Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Käufers sein. 30 Dazu ausführlich oben B.III.2.
III. Haftung für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen
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Verkäufer eine möglichst informierte Entscheidung über dessen weiteres Vorgehen zu ermöglichen. 5. Zusammenfassung Es gilt somit für eine unbegründete Mängelanzeige Ähnliches wie für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen: Eine Haftung besteht dann, wenn der Käufer bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass tatsächlich Alternativursachen für das Mangelsymptom verantwortlich waren. Die Sorgfaltsanforderungen folgen auch dabei grundsätzlich identischen Regeln. Sie sind allerdings inhaltlich mitunter anders auszufüllen als beim Nacherfüllungsverlangen. Insbesondere liegt aufgrund des auf dem Käufer lastenden Zeitdrucks der Fokus weniger auf gesonderten Überprüfungen von Alternativursachen, sondern primär darauf, dass die ohnedies geschuldeten Untersuchungen der Ware sorgfältig durchgeführt werden. III. Haftung für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen beim Handelskauf Neben der Haftung für eine unbegründete Mängelanzeige besteht im Handelsrecht grundsätzlich dieselbe Haftungsmöglichkeit für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen wie beim bürgerlichen Kauf. Das Zusammenspiel mit der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit des Kaufmanns dürfte allerdings dazu führen, dass diese Haftungsmöglichkeit praktisch weniger relevant ist. Erkennt nämlich ein Käufer einen (vermutlichen) Mangel, dann wird er diesen regelmäßig anzeigen, um die Rechtsfolge des § 377 Abs. 2 HGB zu verhindern. Dadurch ist der Ball bereits dem Verkäufer zugespielt und es ist entsprechend der obigen Ausführungen damit zu rechnen, dass etwa durch Untersuchungen darauf reagiert wird. Die Angelegenheit dürfte dann in diesem Zuge oftmals bereits geklärt werden. Die Frage einer möglichen Haftung des Käufers wegen der Mängelanzeige beurteilt sich nach den soeben dargelegten Regeln, während es zu einem (unberechtigten) Nacherfüllungsverlangen dann gar nicht mehr kommen wird. Gleichwohl verbleiben für ein Nacherfüllungsverlangen verschiedene Fälle: Reagiert der Verkäufer beispielsweise nicht, weil er die Anzeige nur zur Kenntnis nimmt und abwartet, welche Rechte der Käufer genau einfordern möchte, so muss der Käufer zu einem Nacherfüllungsverlangen übergehen. Dasselbe gilt, wenn das Problem im Rahmen der Mängelanzeige nicht zur Zufriedenheit des Käufers geklärt werden konnte, sodass der Käufer nach wie vor von einem Mangel überzeugt ist, während der Verkäufer diesen leugnet. Kommt es in derlei Fällen zu einem (sachlich) unberechtigten Nacherfüllungsverlangen, also einem Nacherfüllungsverlangen ohne tatsächlich vorhandenem Mangel, dann gelten die allgemeinen Grundsätze. Einzelne Aspekte des Haftungskonzepts sind allerdings vor dem Hintergrund der handelsrechtlichen Konstellation zu hinterfragen (1.).
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D. Handelskäufe
Neben solche Fälle sachlich unberechtigter Nacherfüllungsverlangen tritt speziell im Handelsrecht eine weitere Fallgruppe. Unbegründet kann ein Nacherfüllungsverlangen nämlich nicht nur sein, weil kein Mangel vorliegt. Vielmehr bietet die (Verletzung einer) Rügeobliegenheit die Grundlage für die besondere Konstellation, dass die Ware zwar einen Mangel aufweist, das Nacherfüllungsverlangen aber dennoch aufgrund des Präklusion der § 377 Abs. 2 HGB unbegründet ist (2.). 1. Nacherfüllungsverlangen trotz Mangelfreiheit Ein Kaufmann haftet nach dem für den bürgerlichen Kauf ausführlich erörterten Konzept31 für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen, wenn bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt Alternativursachen erkennbar waren. Der wichtigste Unterschied – sehr wohl aber im Einklang mit dem beschriebenen Konzept32 – dürfte dabei sein, dass die Sorgfaltsanforderungen, die an einen Kaufmann in Ausübung seines Handelsgewerbes gestellt werden, vergleichsweise streng sind (vgl. § 347 HGB). Der Verkehrskreis, an dem der Handelskäufer gemessen wird, ist geschäftserfahren und besitzt typischerweise tiefergehende Kenntnisse von der Funktionsweise der Kaufgegenstände.33 So können möglicherweise Alternativursachen erkannt und überprüft werden, obwohl dies beispielsweise von einem Verbraucher nicht zu erwarten wäre. Auch innerhalb der Gruppe von Kaufleuten bestehen natürlich Unterschiede etwa hinsichtlich der Sachkunde durch Spezialisierung, sodass auch insoweit die Umstände des Einzelfalles letztlich entscheidend sein müssen. Doch auch die abstrakten Kriterien sind im Hinblick auf handelsrechtliche Besonderheiten zu hinterfragen. So stellt sich zum einen die Frage, ob Prüfpflichten des Käufers vor dem Hintergrund des § 377 Abs. 1 HGB grundsätzlich umfassender zu bemessen sind (a). Zum anderen ist zu der Idee Stellung zu nehmen, erhöhte Kooperationspflichten zwischen Kaufleuten für Modifikationen des Haftungssystems fruchtbar zu machen (b). a) Auswirkungen des § 377 HGB Es wurde in Erwägung gezogen, einen Handelskäufer aufgrund der Wertungen des § 377 HGB zu „umfangreicheren Untersuchungsmaßnahmen bis hin zur Einholung eines Sachverständigengutachtens“ anzuhalten.34
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Oben B.I.-B.V. Oben B.II.5.: Maßgeblich ist eine gruppenspezifische Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs. 33 Vgl. Baumbach/Hopt/Leyens, § 347 Rn. 1. 34 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 311, der die Idee aber letztlich mit Verweis auf den bloßen Obliegenheitscharakter des § 377 HGB verwirft. 32
III. Haftung für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen
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M.E. ist zu präzisieren: Eine Ausweitung der Intensität35 der für den bürgerlichen Kauf festgestellten Prüfpflichten betreffend Alternativursachen trägt die Norm nicht, denn damit beschäftigt sie sich überhaupt nicht. Zu überlegen ist aber, ob nicht Prüfpflichten ihrem Gegenstand nach zu erweitern sind und zwar hin zu einer Prüfpflicht betreffend Mängel. Während nämlich die Zuständigkeitsbereiche beim bürgerlichen Kauf insbesondere dadurch voneinander abgegrenzt sind, dass es Aufgabe des Verkäufers ist, die Mangelfreiheit sicherzustellen und ein Käufer deswegen nicht zur Suche nach Mängeln, sondern nur nach Alternativursachen verpflichtet ist36 , scheint dies im Handelsrecht anders zu sein. § 377 Abs. 1 HGB verpflichtet den Käufer augenscheinlich zur Suche nach Mängeln. Muss er aber bei Ablieferung der Ware nach Mängeln suchen, dann liegt ein Erst-recht-Schluss nahe, wonach er erst recht danach suchen müsse, wenn er angesichts eines Mangelsymptoms Nacherfüllung verlangen möchte. Übertragen in die Terminologie von Prüfpflichten müsste der Handelskäufer also in Anbetracht eines Mangelsymptoms gerade nicht nur Alternativursachen ausschließen, sondern aktiv auf Mängel hin prüfen. Gegen eine so grundlegende Ausweitung der Prüfpflichten spricht aber der folgende Aspekt: Es läge ein Trugschluss in der Annahme, § 377 Abs. 1 HGB verpflichte in einer Weise zur Suche nach Mängeln, die auf eine grundlegend erweiterte Verantwortlichkeit des Käufers mit Blick auf Mängel schließen ließe. Auch im Rahmen des § 377 HGB ist nämlich anerkannt, dass ein Käufer nicht etwa Mangelursachen untersuchen und bezeichnen muss. Vielmehr muss er – genau wie für ein wirksames Nacherfüllungsverlangen37 – lediglich Mangelsymptome bezeichnen und anzeigen.38 Hinter diesem Normverständnis stehen Sinn und Zweck des § 377 HGB. Der Verkäufer soll (lediglich) möglichst schnell in die Lage versetzt werden, etwaigen Problemen nachzugehen und gegebenenfalls Beweise zu sichern.39 Dafür genügt eine Beschreibung des Erscheinungsbildes, also der Symptome. Die Norm zielt hingegen nicht auf eine Verschiebung des Risikos einer mangelhaften Lieferung vom Verkäufer auf den Käufer ab.40 § 377 HGB sollte deswegen auch keine Bedeutung hinsichtlich der hier untersuchten Haftung für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen beigemessen 35
Jenseits der ohnehin erhöhten Anforderungen aufgrund des soeben beschriebenen Sorgfaltsmaßstabs eines Kaufmanns. 36 Oben B.II.1.c)aa), B.II.5. 37 Dazu oben B.II.4.d). 38 BGH, Urteil vom 18. Juni 1986 – VIII ZR 195/85 = NJW 1986, 3136, unter II.1.; ebenso Thamm/Möffert, NJW 2004, 2710, 2711 (unter IV.), allerdings mit Verweis (dort. Fn. 27) auf eine Entscheidung aus dem werkvertraglichen Kontext, die ihrerseits nicht mit § 377 HGB befasst war; EBJS/Achilles, § 377 Rn. 177, 183; KKRD HGB/Roth, § 377 Rn. 12; BeckOK HGB E32/Schwartze, § 377 Rn. 56, 55; MünchKomm HGB/Koch, § 377 Rn. 98. 39 BGH, Urteil vom 18. Juni 1986 – VIII ZR 195/85 = NJW 1986, 3136, unter II.1. Heymann/Horn, § 377 Rn. 91. 40 MünchKomm HGB/Koch, § 377 Rn. 98; BeckOK HGB E32/Schwartze, § 377 Rn. 56.
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werden. Die Norm erschöpft sich darin, auf das schnelle Erkennen und Benennen von Mangelsymptomen hinzuwirken, sowie in den Rechtsfolgen, wenn der Untersuchungs- und Rügeobliegenheit nicht nachgekommen wird. Zu der nachgelagerten Frage hingegen, welche Sorgfalt bei einem Nacherfüllungsverlangen an den Tag gelegt werden muss, schweigt die Norm. Auch im Handelsverkehr folgt die Haftung des Käufers somit den gleichen Regeln, die auch beim bürgerlichen Kauf gelten. Entscheidend ist letztlich (nur), ob der Käufer durch gebotene Prüfungen Alternativursachen für das Mangelsymptom hätte erkennen können. Grundlegend weitergehende Prüfpflichten, gerichtet auf Mängel der Kaufsache, treffen auch den Handelskäufer nicht. b) Erweiterte Kooperationspflichten? Derkum nimmt für den Handelsverkehr gesteigerte Mitwirkungspflichten an, die dazu führen sollen, dass sich der Käufer auf Nachfrage des Verkäufers an der Feststellung der Störungsursache zu beteiligen habe.41 Nach dem hier befürworteten Konzept erlangt diese Frage keine besondere Bedeutung, was allerdings einer vorangestellten Einordnung bedarf: Im Gegensatz zur hier vertretenen Ansicht42 lehnt Derkum generell – also auch für den bürgerlichen Kauf – Aufklärungspflichten betreffend Alternativursachen weitestgehend ab. Stattdessen habe der Käufer (nur) Auskunftspflichten betreffend ihm schon vorliegender Informationen, wenn der Verkäufer gezielt nachfrage.43 Diese bloße Auskunftspflicht müsse nun im Handelsverkehr dahingehend modifiziert werden, dass auf Nachfrage hin nicht nur vorliegende Informationen mitgeteilt werden müssten, sondern dass der Käufer Informationen über mögliche Störungsursachen aus der eigenen Sphäre zu beschaffen habe.44 M.E. muss der Käufer ohnedies mögliche Störungsursachen aus der eigenen Sphäre – „Alternativursachen“ in der hier bevorzugten Terminologie – überprüfen.45 Andernfalls geht er ein Haftungsrisiko ein, wenn er Nacherfüllung verlangt. Das bedeutet: Soweit mögliche Alternativursachen für den Käufer erkennbar waren, sind diese nach dem hier vertretenen Konzept idealerweise bereits falsifiziert, wenn es zum Nacherfüllungsverlangen kommt. Informationen darüber müssen nicht mehr beschafft, sondern allenfalls dem Verkäufer mitgeteilt werden. Dazu ist der Käufer selbstverständlich auch nach §§ 241 Abs. 2, 242 BGB
41
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 316. Oben B.III.2.a). 43 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 286 ff. 44 Zur Abgrenzung und Klarstellung: Auskunftspflichten betreffend Informationen, die dem Käufer bereits vorliegen oder die mit vernachlässigbarem Aufwand beschafft werden können („Schauen Sie doch bitte einmal, ob das rote Licht blinkt!“) bestehen auch nach hier vertretener Auffassung unproblematisch als Ausfluss vertraglich geschuldeter Kooperation, §§ 241 Abs. 2, 242 BGB. 45 Dies ist die Quintessenz aus den vorangegangenen Untersuchungen unter B. 42
III. Haftung für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen
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verpflichtet, wenn der Verkäufer beispielsweise danach fragt, welche möglichen Ursachen denn vom Käufer bereits wodurch ausgeschlossen worden seien. Wurden die Alternativursachen hingegen nicht falsifiziert, dann ist dies entweder im Zusammenspiel mit einem Nacherfüllungsverlangen haftungsrechtlich relevant, der Käufer schuldet Schadensersatz und ein sachgerechter Ausgleich wird durch die Schadensersatzpflicht erzielt. Oder aber die Überprüfung durfte berechtigterweise unterbleiben, beispielsweise weil die Kostenbelastung zu hoch und deswegen abschreckend gewesen wäre.46 Bezüglich der deswegen verbliebenen Unsicherheiten trifft den Käufer aber nach hier vertretener Auffassung eine Aufklärungspflicht, d.h. er muss dem Verkäufer ungefragt seine Zweifel hinsichtlich potentieller Alternativursachen mitteilen, wenn er Nacherfüllung verlangt.47 Auf Basis dieses Konzepts scheidet aber eine Informationsbeschaffungspflicht des Käufers (auch des Handelskäufers) aus logischen Gründen aus. Es wäre widersinnig, den Käufer zu einer Informationsbeschaffung zu verpflichten, von der er zuvor aus Wertungsgründen entbunden wurde. Gleichwohl ist eine Konstellation denkbar, in der auch eine Informationsbeschaffungspflicht zumindest erwägenswert erscheint. Es handelt sich dabei um Fälle, bei denen eine Alternativursache vom Käufer zunächst nicht hat erkannt werden können, beispielsweise weil besondere Fachkunde nötig gewesen wäre, die im Verkehrskreis des Käufers nicht erwartet werden kann. Den Käufer trifft in dem Fall selbstverständlich keine Aufklärungspflicht und er kann risikolos Nacherfüllung fordern. Wenn nun aber der Verkäufer auf ein Nacherfüllungsverlangen hin die Möglichkeit einer bestimmten Alternativursache erkennt, so wäre durchaus zu erwägen, dem Käufer – auf diese Möglichkeit durch den Verkäufer hingewiesen – auch Mitwirkungspflichten bei der Untersuchung aufzuerlegen. Tatsächlich sprechen dafür gute Gründe: Insbesondere hätte dem Käufer, wäre die potentielle Alternativursache erkennbar gewesen, auch eine Überprüfung oblegen. Ferner wird man dann, wenn sich ein Käufer beispielsweise zunächst nur unverbindlich wegen der Fehlfunktion an den Verkäufer wendet und dieser ihn auf die potentielle Alternativursache aufmerksam macht, fordern müssen, dass der Käufer diese falsifiziert, bevor er risikolos Nacherfüllung verlangen kann. Eine Informationsbeschaffungspflicht des Käufers wäre somit letztlich nichts weiter als ein Korrelat zu seinen Prüfpflichten, die ihn in dem konkreten Fall nur zufällig nicht getroffen haben. Dennoch bestehen auch Bedenken. Das zentrale Problem an einer solchen „nachgeschobenen Prüfpflicht“ in Gestalt von Informationsbeschaffungspflichten liegt darin, dass das Risiko für den Käufer schwer kalkulierbar würde. Die „Zusage“ der Lichtrufanlagenentscheidung, der Käufer könne bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt risikolos Nacherfüllung verlangen48 , würde untergraben. Der Käufer müsste nämlich immer damit rechnen, dass mögliche 46
Oben B.III.1.b)bb). Details dazu, auch zur inhaltlichen Begründung, oben B.III.2.a). 48 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, unter II.2.c). 47
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D. Handelskäufe
Alternativursachen, die er selbst nicht erkennen konnte, vom Verkäufer nach dem Nacherfüllungsverlangen benannt werden. Die Folge wäre, dass der Käufer sie im Rahmen einer Informationsbeschaffungspflicht auf seine Kosten überprüfen müsste. Dies würde aber erhebliche Unsicherheiten erzeugen und sicherlich auch abschreckend wirken. Beim bürgerlichen Kauf scheiden Informationsbeschaffungspflichten in der beschriebenen Form deswegen kategorisch aus. In diesem Kontext wurden sie allerdings soweit ersichtlich auch von niemandem gefordert. Im Handelsrecht (und nur für diesen Bereich fordert Derkum Informationsbeschaffungspflichten49 ) mag zumindest eine Abschreckungsgefahr zu einem gewissen Grad durch die erstrebte Beschleunigung des Handelsverkehrs relativiert werden, denn ein Käufer wird tatsächlich Alternativursachen typischerweise schneller überprüfen können (sofern er die nötigen Fähigkeiten besitzt).50 Gleichwohl würde die ohnedies vergleichsweise komplizierte Rechtslage bei Unsicherheiten über Mängel weiter verkompliziert und es entstünde zusätzliches Streitpotential. Es erscheint deswegen im Interesse des Rechtsverkehrs an sich vorzugswürdig, auch im Handelsverkehr keine Modifikation gegenüber der Rechtslage beim bürgerlichen Kauf vorzunehmen und keine Informationsbeschaffungspflichten des Käufers anzunehmen. Wenn der (Handels-)Käufer zum Zeitpunkt seines Nacherfüllungsverlangens die verkehrserforderliche Sorgfalt beobachtet hat, dann erscheint es sachgerecht, die Klärung der Störung letztlich dem Verkäufer aufzubürden. Bei abstrahierender Betrachtungsweise liegt dies auch im Interesse des Verkäufers, für den mit dem Nacherfüllungsverlangen klar ist, dass es von nun an ihm obliegt, die Mangelfreiheit seiner Leistung sicherzustellen. Stellt sich dabei heraus, dass dem Käufer ein Verschuldensvorwurf zu machen ist, dann erreicht der Schadensersatzanspruch des Verkäufers einen sachgerechten Ausgleich. Trifft den Käufer hingegen kein Verschuldensvorwurf, so verwirklicht sich aus Sicht des Verkäufers ein Unsicherheitsrisiko, welches dem Verkauf von Waren immanent ist. Dass ein Verkäufer dieses Restrisiko tragen muss, ist sachgerecht. 2. Nacherfüllungsverlangen trotz Präklusion Im Handelsverkehr besteht aufgrund des § 377 Abs. 2 HGB eine besondere Fallkonstellation, die beim bürgerlichen Kauf so nicht möglich ist: Die Ware ist mangelhaft und gilt dennoch aufgrund einer unterlassenen oder verspäteten Rüge als genehmigt. Gewährleistungsrechte bestehen deswegen nicht51 ; ein Nacherfüllungsverlangen ist unbegründet.52 49
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 316. Vgl. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 316. 51 Statt aller EBJS/Achilles, § 377 Rn. 193 f.; BeckOK HGB E32/Schwartze, § 377 Rn. 66, jeweils m.w.N. 52 Vergleichbar damit sind allenfalls Fälle, wie beispielsweise das Einfordern von Gewährleistungsrechten trotz Verjährung. Sie sind, da sie mit Unsicherheiten über Mängel nichts zu tun haben, hier, ebenso wie oben im Rahmen des bürgerlichen Kaufs, ausgeblendet. 50
III. Haftung für ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen
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Verlangt der Käufer trotzdem Nacherfüllung, so ist auch hierbei zu fragen, ob er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt hat. Dies erfordert insbesondere – entsprechend den vorangegangenen Untersuchungen – eine Unterscheidung danach, ob ein Tatsachenirrtum oder aber ein Rechtsirrtum vorgelegen hat. Im Falle eines Rechtsirrtums setzt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt sehr strenge Maßstäbe.53 Es rettet den Käufer nicht vor einer Haftung, wenn er die Norm des § 377 HGB nicht kennt; wenn er darüber irrt, worin die Rechtsfolge des § 377 Abs. 2 HGB besteht; wenn er bei klarem Sachverhalt von einer zu langen Rügefrist ausgeht etc. Derlei Fälle dürften in Anbetracht dessen, dass Teilnehmer am Handelsverkehr typischerweise rechtliche Grundkenntnisse besitzen, aber eher bedeutungslos sein. Umgekehrt dürften aber kaum Zweifel an der Angemessenheit einer Haftung des Käufers bestehen, wenn er als Kaufmann eine so zentrale Norm wie § 377 HGB nicht kennt oder grundlegend falsch verstanden hat und auch dann, wenn er zentrale Entscheidungen beispielsweise zur Länge der Rügefrist nicht kennt.54 Denkbar ist aber auch hier55 , dass die versäumte Rüge die Konsequenz eines Tatsachenirrtums war. Zumindest vorstellbar ist beispielsweise, dass ein Käufer eine tatsächlich schnell verderbliche Ware nicht als besonders gefährdet einschätzt und deswegen nicht innerhalb von Stunden, sondern erst am darauffolgenden Tag den Mangel anzeigt. Möglicherweise liegt darin nicht einmal ein Sorgfaltsverstoß, wenn der Verkäufer vorher missverständlich damit geworben hatte, die Ware sei jetzt länger haltbar, oder wenn ungünstige Umstände dazu geführt haben, dass der Käufer die Lieferung der Milch mit derjenigen der Erdnüsse verwechseln durfte. Praktisch dürften derlei Konstellationen, in denen ein Verschuldensvorwurf tatsächlich entfällt, in Anbetracht der vergleichsweise hohen kaufmännischen Sorgfaltsanforderungen (§ 347 HGB) allerdings ebenfalls äußerst selten sein. Vielmehr schlägt ein Sorgfaltsverstoß in Gestalt einer unterlassenen Untersuchung, einer verspäteten Anzeige etc. regelmäßig auch auf ein (deswegen) unbegründetes Nacherfüllungsverlangen durch. Wer bei gebotener Untersuchung und somit bei Anwendung der im Handelsverkehr erforderlichen Sorgfalt einen Mangel entdeckt und angezeigt hätte, der lässt in gleicher Weise diese Sorgfalt vermissen, wenn er später Nacherfüllung verlangt. Insgesamt wird dem Käufer bei einem Nacherfüllungsverlangen trotz Ausschlusses der Gewährleistung nach § 377 Abs. 2 HGB also sehr oft ein Ver53
Oben B.III.3. Zu – letztlich unbegründeter – Kritik an strengen Haftungsmaßstäben bei Rechtsirrtümern oben B.III.3.a). 55 Ähnlich zu dem oben (B.III.3.c)cc) diskutierten Fall, BGH, Urteil vom 16. Jan. 2009 – V ZR 133/08 = NJW 2009, 1262, in dem einem unwirksamen Rücktritt ein Tatsachenirrtum zugrunde gelegen hatte und nicht etwa ein Rechtsirrtum. Der tatsächlich Irrende wurde deswegen richtigerweise milder behandelt, als es der Fall bei einem Rechtsirrtum gewesen wäre. 54
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D. Handelskäufe
schuldensvorwurf zu machen sein, woraus eine vertragliche Haftung für die dem Verkäufer entstandenen Schäden resultiert. In der Praxis dürften vorwiegend Fälle von Bedeutung sein, in denen Streit über die Frage zugrunde liegt, ob ein Mangel verdeckt i.S.d. § 377 Abs. 3 HGB war und deswegen nicht hat angezeigt werden müssen. In derartigen Fällen sind nämlich Schäden des Verkäufers in Gestalt von Untersuchungskosten gut vorstellbar, die dann auch im Rahmen der allgemeinen Regeln für die Schadensausfüllung56 zu ersetzen sind. Demgegenüber werden insbesondere die beschriebenen Rechtsirrtümer auch jenseits des Umstandes, dass sie sehr selten vorkommen dürften, kaum relevant sein. Sollte ein Rechtsirrtum vorliegen, dann bestehen immer noch die beschriebenen57 Beschränkungen im Haftungsumfang. Ist beispielsweise ersichtlich, dass im konkreten Fall gar keine tatsächlichen Unklarheiten bestehen, dann verstößt ein Verkäufer durch etwaige Untersuchungen gegen seine Schadensminderungsobliegenheit (§ 254 Abs. 1 BGB). Ferner gelten mit Blick auf Rechtsanwaltskosten, die bei rechtlichen Streitfragen grundsätzlich nahe liegen, vergleichsweise strenge Anforderungen an die haftungsausfüllende Kausalität. Nur für den Betroffenen erforderlicher und zweckdienlicher Rechtsrat ist erstattungsfähig.58 Insbesondere bei einem erkennbaren Irrtum des Käufers über den Regelungsgehalt des § 377 HGB wird vorprozessualer Rechtsrat für einen geschäftsgewandten Verkäufer zumeist unnötig und damit auch nicht erstattungsfähig sein. IV. Zusammenfassung der Situation bei Handelskäufen Handelskäufe folgen bei den hier untersuchten Unsicherheiten über Mängel grundsätzlich den gleichen Regeln wie der bürgerliche Kauf. Insbesondere die grundlegenden Haftungsregeln im Falle eines unbegründeten Nacherfüllungsverlangens sind weder in Anbetracht des § 377 HGB noch aufgrund etwaiger gesteigerter Kooperationspflichten zwischen Handelsleuten zu modifizieren. Dennoch wirkt sich § 377 HGB in zweierlei Hinsicht aus. Zum einen bietet die von der Norm verlangte Mängelanzeige einen eigenständigen Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Käufers, wenn sie unbegründet ist. Das Konzept für die Haftung wegen eines unbegründeten Nacherfüllungsverlangens kann direkt übertragen werden. Den Unterschieden – insbesondere dem Zeitdruck bei einer Mängelanzeige – trägt das Haftungskonzept problemlos dadurch Rechnung, dass kollidierende Obliegenheiten für die Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen herangezogen werden. Dadurch beschränkt sich die Haftungsandrohung effektiv auf Fälle, in denen die gebotenen Untersuchungen nach § 377 Abs. 1 HGB 56
Oben B.IV. Oben B.III.3.c)cc). 58 BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 197/14 = NJW 2015, 3447, Rn. 55; BGH, Urteil vom 23. Jan. 2014 – III ZR 37/13 = NJW 2014, 939, Rn. 48; BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10 = NJW 2012, 2427, Rn. 70; BGH, Urteil vom 10. Jan. 2006 – VI ZR 43/05 = NJW 2006, 1065, unter II.1. m.w.N. 57
IV. Zusammenfassung der Situation bei Handelskäufen
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ohne die gebotene Sorgfalt durchgeführt werden und deswegen fälschlicherweise ein Mangel angenommen und gerügt wird. Zum anderen lässt § 377 HGB einen Sonderfall entstehen, der in dieser Form beim bürgerlichen Kauf nicht denkbar ist: Obwohl die Sache mangelhaft ist, ist ein Nacherfüllungsverlangen wegen der Präklusion des § 377 Abs. 2 HGB unbegründet. In diesem Fall ist dem Käufer regelmäßig ein Verschuldensvorwurf zu machen, wenn er Nacherfüllung verlangt, und er haftet folglich auch für dadurch entstehende Schäden.
E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz Die bisherige Analyse eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens hat bei abstrakter Betrachtung m.E. eine angemessene Lösung für die Unsicherheitssituation bezüglich eines Mangels dargetan. Durch eine angemessene Bestimmung der Sorgfaltspflichten kann eine sachgerechte Verteilung des Unsicherheitsrisikos erreicht werden. Bei dieser Analyse ist aber eine Erwägung noch gänzlich außer Betracht geblieben, und zwar der Vergleich der hier untersuchten außergerichtlichen Geltendmachung eines Rechts mit einer gerichtlichen. Mit anderen Worten: Wie haftet der Prätendent, wenn er direkt klagt, anstatt (zunächst) außergerichtlich den vermeintlichen Anspruch einzufordern. Dem Vergleich beider Vorgehensweisen kommt unter verschiedenen Gesichtspunkten Bedeutung zu. So kann einerseits gefragt werden, inwieweit sich die Haftung bei außergerichtlichem Vorgehen und bei einem gerichtlichen Verfolgen des eigenen Standpunktes unterscheiden darf, eventuell sogar muss, oder ob die Situationen vielmehr gleich zu behandeln sind. Zum anderen müssen die Befunde für die einzelnen Situationen an ihrer „Steuerungsfunktion“ gemessen werden: Ist das Haftungsrisiko in der ein oder anderen Situation geringer, so wird der (vermeintliche) Gläubiger sein Verhalten daran ausrichten. Diese Verhaltenssteuerung mit Blick darauf, ob beispielsweise ein Prätendent zwecks einer Haftungsreduzierung unmittelbar Klage erheben sollte anstatt sich zunächst um eine außergerichtliche Lösung zu bemühen, kann eventuell auch Rückschlüsse zulassen, ob die gefundenen Lösungen sachgerecht sind. Nach der gegenwärtigen höchstrichterlichen Rechtsprechung besteht tatsächlich ein grundlegender Unterschied zwischen der prozessualen Geltendmachung und einer außergerichtlichen: Derjenige, der prozessual vorgeht, kommt in den Genuss eines Haftungsprivilegs (I.). Dieses Haftungsprivileg ist in der Literatur als verfehlt dargestellt worden. Der geäußerten Kritik ist beizupflichten (II.). Das prozessuale Haftungsprivileg sollte aufgegeben werden, sodass auch bei der prozessualen Geltendmachung eines Rechts eine materiell-rechtliche Haftung möglich ist, die im Grundsatz den gleichen Regeln folgt, wie bei der außergerichtlichen Rechtsverfolgung (III.). Deswegen erübrigt es sich, die hier favorisierte haftungsrechtliche Bewertung eines Nacherfüllungsverlangens an dem prozessualen Haftungsprivileg zu messen (IV.).
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E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz
I. „Rechtfertigung“ prozessualer Geltendmachung Ein Haftungsprivileg bei einer prozessualen Geltendmachung eines vermeintlichen Rechts firmiert unter den Begriffen „Rechtfertigung prozessualer Geltendmachung“ sowie „Recht auf Irrtum“. Erstere Beschreibung beruht wohl auf dem Umstand, dass eine Haftung für eine unberechtigte Rechtsverfolgung zunächst vorwiegend aus deliktsrechtlicher Perspektive – und dabei unter dem Aspekt der Rechtswidrigkeit – analysiert worden ist. Oft zitiert findet sich die Formulierung des BGH im Kontext eines unbegründeten Konkursantrages: „Wer sich zum Vorgehen gegen seinen Schuldner eines staatlichen, gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahrens bedient, greift auch dann nicht unmittelbar und rechtswidrig in den geschützten Rechtskreis des Schuldners ein, wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt ist und dem anderen Teil aus dem Verfahren Nachteile erwachsen.“1 Das Schlagwort „Recht auf Irrtum“ dürfte insofern treffender sein, als ein Haftungsprivileg nach der Rechtsprechung ebenso im Vertragsrecht besteht.2 Klingt die soeben zitierte Entscheidung noch recht kategorisch3 und auf den Gläubiger gemünzt4 , so sind doch im Zuge weiterer Entscheidungen Modifikationen oder Klarstellungen etabliert worden. Klar ist zum einen, dass das Haftungsprivileg kein „Freifahrtschein“ ist. Es kommt nur demjenigen zugute, der das Verfahren „subjektiv redlich“ betreibt.5 Bei Vorsatz und wohl auch bei Fällen von (grob) leichtfertigem Verkennen der fehlenden Berechtigung kommt sehr wohl eine Haftung wegen der Rechtsverfolgung in Betracht.6 Zum anderen ist die Parteirolle irrelevant, sodass auch derjenige, der sich zu Unrecht gerichtlich verteidigt, von dem Haftungsprivileg profitieren kann.7 Letztlich nehmen Schutz1 BGH, Urteil vom 3. Okt. 1961 – VI ZR 242/60 = NJW 1961, 2254, 2255; bereits einige Jahre zuvor kam derselbe Gedanke im Zusammenhang mit der Frage auf, ob ein unbegründetes Verfahren verbotene Eigenmacht sein könne, BGH, Urteil vom 7. März 1956 – V ZR 106/54 = NJW 1956, 787, wobei interessant ist, dass schon in diesem Urteil eine Übertragung der Argumentation auf vertragliche Ansprüche en passant bejaht wurde. Siehe auch BGH, Urteil vom 30. Jan. 1989 – II ZR 175/88 = BeckRS 1989, 31066301, Orientierungssatz 1; für einen allgemeinen Überblick zur deliktsrechtlichen Komponente der Rechtsprechung Staudinger (2009)/Hager, § 823 Rn. H 17 ff. 2 BGH, Urteil vom 7. März 1956 – V ZR 106/54 = NJW 1956, 787; BGH, Urteil vom 12. Nov. 2004 – V ZR 322/03 = NJW-RR 2005, 315, 316 unter II.2.; BGH, Urteil vom 4. Nov. 1987 – IVb ZR 83/86 = NJW 1988, 2032, unter 1.b); LG Stuttgart, Urteil vom 28. Okt. 2010 – 36 O 59/10 KfH, Rn. 30. 3 Durch ein Verfahren wird nicht (i.S.v. „niemals“) rechtswidrig eingegriffen. 4 Der Gläubiger greift durch das Betreiben nicht in den Rechtskreis des Schuldners ein. 5 Beispielhaft BGH, Urteil vom 20. Mai 1986 – IX ZR 132/84 = NJW 1985, 1959, unter 5.a); BGH, Urteil vom 13. März 1979 – VI ZR 117/77 = NJW 1979, 1351, unter II.1.b)aa); BGH, Urteil vom 11. Nov. 2003 – VI ZR 371/02 = NJW 2004, 446, unter II.1.a). 6 Siehe etwa BGH, Urteil vom 3. Okt. 1961 – VI ZR 242/60 = NJW 1961, 2254, 2255; BGH, Urteil vom 26. Juni 2001 – IX ZR 209/98 = DStR 2001, 1490, unter III.2.b, allerdings im Kontext einer Haftung aus § 826 BGB. 7 BGH, Urteil vom 11. Nov. 2003 – VI ZR 371/02 = NJW 2004, 446, unter II.1.b).
II. Kritik an dem Haftungsprivileg
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rechtsverwarnungen eine Sonderrolle ein, wobei dies vorwiegend mit einem besonderen Schädigungspotential begründet wird.8 Abseits dieser Klarstellungen bleibt es aber bei einer zentralen Grundaussage: Bei einer nur fahrlässigen Fehleinschätzung der Sach- oder Rechtslage besteht kein materiell-rechtliches Haftungsrisiko, wenn die Durchsetzung mithilfe eines staatlichen Verfahrens verfolgt wird. Insbesondere bestehen keinerlei Prüfpflichten mit Blick auf die Sach- und Rechtslage.9 Mit letzterer Aussage wird ein Widerspruch zu der bisher diskutierten, außergerichtlichen Rechtsverfolgung besonders deutlich, zeichnet sich die Herangehensweise der Lichtrufanlagenentscheidung doch gerade dadurch aus, dass sie dem Rechtsverfolger Prüfpflichten auferlegt. Im Kern gilt also: Wer „einfach“ Nacherfüllung verlangt, der haftet nach materiellem Recht. Wer direkt auf Nacherfüllung klagt haftet hingegen nicht. II. Kritik an dem Haftungsprivileg Das beschriebene Haftungsprivileg ist verschiedentlich kritisiert worden.10 Die Kritik soll im Folgenden nur vergleichsweise kurz skizziert werden, weil den Punkten weitestgehend zuzustimmen ist. Zu diesem Zweck ist aber vorab klarzustellen, wogegen sich die Kritik genau richtet und worin ein Gegenkonzept besteht. Angegriffen wird in erster Linie die Pauschalität des soeben geschilderten Haftungsprivilegs, wonach eine materiell-rechtliche Fahrlässigkeitshaftung bei der prozessualen Geltendmachung kategorisch ausscheide. Das Gegenmodell besteht darin, eine materiell-rechtliche Haftung grundsätzlich zuzulassen.11 Es be8
Dazu etwa Thole, AcP 209 (2009), 499, 509 f.; Antomo, Schadensersatz wegen der Verletzung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung?, S. 437, jeweils m.z.w.N.; Ahrens, NJW 1982, 2477, 2477. 9 BGH, Urteil vom 3. Okt. 1961 – VI ZR 242/60 = NJW 1961, 2254, 2255; BGH, Urteil vom 11. Nov. 2003 – VI ZR 371/02 = NJW 2004, 446, unter II.1.a); BGH, Urteil vom 25. März 2003 – VI ZR 175/02 = NJW 2003, 1934, 1935. 10 Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, S. 196 f., 308; Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 362; Kaiser, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 531, 542 ff., 549; Thole, AcP 209 (2009), 499, 534; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 131; Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 352 ff.; Haertlein, MDR 1/2009, 1, 4; MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 823; Götz, Schädigende Rechtsverfolgung, S. 108, 197; Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, S. 204 ff, 299 ff.; Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung, S. 99 ff., zusammenfassend S. 106; Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 272; Weitnauer, AcP 170 (1970), 437, 449; Weitnauer, JZ 1962, 489, 490; Baur, JZ 1962, 95, 96; Schultz-Süchting, Schadensersatz bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme eines gerichtlichen Verfahrens, S. 106. 11 Thole, AcP 209 (2009), 499, 525; Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 352 ff.; Haertlein, MDR 1/2009, 1, 4; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 132; im Kontext des Deliktsrechts Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 444; MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 823.
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E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz
hauptet dabei soweit ersichtlich niemand, dass ein Unsicherheitsrisiko bei einer möglichen Haftung wegen des Betreibens eines Prozesses, der sich später als unberechtigt herausgestellt hat, gänzlich unberücksichtigt bleiben sollte. Es wird vielmehr explizit darauf hingewiesen, dass eine Haftung moderat eingestellt sein müsse, um ebendiese Verkümmerung des Rechtsschutzes zu vermeiden, um die sich auch die Rechtsprechung sorgt.12 Das zentrale Argument gegen die pauschale Freistellung von einer materiellrechtlichen Fahrlässigkeitshaftung besteht darin, dass ein solches Haftungsprivileg argumentativ nicht ausreichend untermauert ist. Die befürchtete Verkümmerung des Rechtsschutzes aufgrund der Abschreckungswirkung eines Haftungsrisikos rechtfertigt die pauschale Haftungsfreistellung nicht (1.). Verfassungsrechtliche Vorgaben fordern den Ausschluss der Fahrlässigkeitshaftung ebenfalls nicht (2.). Der verfahrensrechtliche Schutz, den ein zu Unrecht in Anspruch genommener genießt, ist nicht so ausgestaltet, dass er den Schutz durch eine materiellrechtliche Haftung verdrängt oder obsolet macht (3.). Das Haftungsprivileg nach dem Verständnis der Rechtsprechung führt ferner zu fragwürdigen Anreizen zugunsten einer prozessualen Klärung von Streitfragen (5.). 1. Keine zwangsläufige Verkümmerung des Rechtsschutzes durch Abschreckung Ein zentrales Argument für das Haftungsprivileg wird darin gesehen, dass in Anbetracht des ansonsten bestehenden Haftungsrisikos die Zugänglichkeit staatlicher Verfahren eingeengt würde (und so der Rechtsschutz zu verkümmern drohe).13 Ein schlagendes Argument, weshalb dieser Umstand ein so pauschales Haftungsprivileg, nämlich den Ausschluss jeder Fahrlässigkeitshaftung bei einer prozessualen Geltendmachung, rechtfertigen sollte, ist bislang aber nicht gefunden worden. Niemand stellt in Abrede, dass ein Haftungsrisiko grundsätzlich ein Abschreckungspotential birgt. Im außergerichtlichen Bereich führt das nach recht einhelliger Ansicht, inklusive der höchstrichterlichen Rechtsprechung, zu gewissen Modifikationen bei den Sorgfaltsanforderungen.14 Wenn nun im prozessualen Kontext das Abschreckungspotential hingegen zu einem gänzlichen Haftungsausschluss führen soll, so stünde zu vermuten, dass das Abschreckungspotential dort fundamental anders, nämlich erheblich höher ist. Dem ist aber nicht so. Es besteht kein grundlegender, allenfalls ein gradueller Unterschied zwischen der prozessualen und der außerprozessualen Geltendmachung. In beiden Konstellationen entstehen durch die Rechtsverfolgung Kosten bzw. Schäden. Steht für den Rechtsverfolger zu besorgen, dass ihm Kosten auferlegt werden, so wirkt dies mehr oder weniger abschreckend – und zwar abhängig 12 Vgl. Thole, AcP 209 (2009), 499, 526; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 132; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 444; MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 823. 13 Etwa BGH, Urteil vom 13. März 1979 – VI ZR 117/77 = NJW 1979, 1351, unter II.1.b)cc); BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 8. 14 Im Detail oben B.II.
II. Kritik an dem Haftungsprivileg
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von denselben Faktoren, die für die außergerichtliche Geltendmachung bereits diskutiert wurden15 , insbesondere von einer Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung der Sachlage durch den Rechtsverfolger, vom Aufwand zur Minimierung der Unsicherheiten und von der Höhe zu erwartender Schäden. Danach wird das Abschreckungspotential bei prozessualem Vorgehen durchaus höher sein als bei der außergerichtlichen Rechtsverfolgung. Die Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung wird sich zwar nicht nennenswert zwischen beiden Alternativen unterscheiden; ebenso wenig variiert der Aufwand, der für eine Reduzierung der Unsicherheiten nötig wäre16 . Die zu erwartenden Schäden werden allerdings typischerweise bei einer gerichtlichen Klärung höher sein. Die Kosten einer außergerichtlichen Rechtsverfolgung werden nämlich oftmals in ähnlicher Höhe auch beim gerichtlichen Vorgehen anfallen17 und zusätzlich entstehen noch Gerichts- und gegebenenfalls Anwaltskosten. Auch das Schädigungspotential des Verfahrens an sich, bspw. durch die öffentlichkeitswirksame Infragestellung der Zuverlässigkeit des Beklagten, wird regelmäßig höher sein als bei der außergerichtlichen Rechtsverfolgung. Daraus folgt, dass insgesamt das Abschreckungspotential eines Verfahren in der Regel etwas höher einzuschätzen ist. Aus einem nur graduell höheren Abschreckungspotential ergibt sich aber keine Grundlage für den gänzlichen Ausschluss einer Fahrlässigkeitshaftung. Hinzu tritt eine ganz grundsätzliche Überlegung zur Ambivalenz einer Abschreckungswirkung. Thole ist zuzustimmen, dass das Argument einer Abschreckung stets ein zweischneidiges Schwert ist.18 Im Fall einer tatsächlich berechtigten Rechtsverfolgung gilt es selbstverständlich, eine Abschreckung zu verhindern, denn durch eine Abschreckung würde das bestehende Recht nicht durchgesetzt und die Wertungen des materiellen Rechts würden dadurch unterlaufen. Ist die Rechtsverfolgung hingegen tatsächlich unberechtigt, so erzielt eine Abschreckung nüchtern betrachtet einen positiven Effekt: Es wird nicht geklagt, der Beklagte wird nicht unberechtigterweise belastet und auch die staatliche Ressource „Gerichte“ wird nicht unnötig in Anspruch genommen. Auch vor diesem Hintergrund scheint eine pauschale Freistellung von einer Haftung für ein unberechtigtes Betreiben eines Verfahrens zweifelhaft. Ferner spiegelt das diskutierte Haftungsprivileg eine Wertungsentscheidung wider, die fragwürdig ist. Wer nämlich durch ein Haftungsprivileg einem prozessualen Vorgehen so weit wie möglich den Schrecken nimmt, der animiert stark zu eben diesem gerichtlichen Vorgehen.19 Dadurch werden mehr bestehende An15
Oben B.III.1.b)bb). Es geht dabei nämlich primär um Unsicherheiten bei der Sachlage, weniger um Rechtsirrtümer. Siehe zur Sonderrolle des Rechtsirrtums von schon oben B.III.3. 17 Soweit die Klärung der Sachlage betroffen ist. 18 Thole, AcP 209 (2009), 499, 513; im Allgemeinen zu Verhaltenssteuerung durch Prozesskosten Bokelmann, ZRP 1973, 164. 19 Dazu auch noch sogleich unten 5. 16
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E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz
sprüche geltend gemacht, aber auch mehr Ansprüche, die nicht bestehen. Fördert man dies, so bringt man letztlich zum Ausdruck, es sei per se vorzugswürdig, dass ein nicht bestehender Anspruch eingeklagt wird, verglichen damit, dass ein bestehender Anspruch nicht geltend gemacht wird. Das hat prinzipiell zwar für sich, dass mit Blick auf die streitgegenständlichen Ansprüche der materiellen Rechtslage in höherem Maße zur Geltung verholfen wird.20 Diese gesteigerte „Verwirklichung“ der tatsächlichen Rechtslage wird aber nur in geringem Maße mit einem Allgemeingut in Gestalt von staatlichen Ressourcen erkauft. Es zahlt dafür vielmehr der Einzelne, der zu Unrecht in Anspruch genommen wird und dessen Schäden21 pauschal nicht ersatzfähig sein sollen. Letztlich stellt das Prozessrecht selbst die mit einer Abschreckung begründete, weitgehende Haftungsfreistellung in Frage. Der prozessuale Kostenerstattungsanspruch des § 91 ZPO birgt auch ein Abschreckungspotential22 , indem er der unterlegenen Prozesspartei die Kosten des Rechtsstreits inklusive der gegnerischen Rechtsverteidigungskosten auferlegt. Damit hat eine Norm des Prozessrechts genau den Effekt, der durch Ausschalten der materiell-rechtlichen Haftung bekämpft werden soll. Drohte der Rechtsschutz tatsächlich so schnell wegen eines Haftungsrisikos zu verkümmern, so fragt sich durchaus, wie die Existenz des § 91 ZPO gerechtfertigt werden kann. In gewisser Weise dürfte § 91 ZPO sogar abschreckender wirken als eine materielle Fahrlässigkeitshaftung. Der prozessuale Kostenerstattungsanspruch ist nämlich verschuldensunabhängig. Während also ein Prätendent durch besondere Sorgfalt einer materiellrechtlichen Haftung entgegenwirken könnte, ist ihm dies bei § 91 ZPO nicht möglich. Ein derartiger „Vergleich“ der Haftung nach § 91 ZPO mit einer materiellrechtlichen Haftung ist natürlich nur bedingt relevant, wenn das eigentliche Argument darin besteht, in Summe sei das Haftungsrisiko abschreckend. Dann müsste aber zumindest beantwortet werden, weshalb die materiell-rechtliche Haftung zurückstehen muss und nicht eine Haftung aus dem Prozessrecht. Dahingehende Überlegungen finden sich aber in der Rechtsprechung nicht. Die genannten Punkte deuten alle darauf hin, dass mit Blick auf eine Abschreckungswirkung kein grundsätzlicher Unterschied zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Rechtsverfolgung besteht. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine den Umständen des Einzelfalles angepasste Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen nicht ebenso eine Überabschreckung verhindern würde wie bei der außergerichtlichen Geltendmachung von Rechten.
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Sofern nämlich korrekt entschieden wird – wovon auszugehen ist – wird der bestehende Anspruch durchgesetzt. Besteht der Anspruch nicht, so unterliegt der Kläger. 21 Jenseits der von § 91 ZPO erfassten Posten. Dazu noch genauer unten 3. 22 Thole, AcP 209 (2009), 499, 513.
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2. Keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit „Eine andere Beurteilung [als das beschriebene Haftungsprivileg bei prozessualem Vorgehen] würde die freie Zugängigkeit der staatlichen Rechtspflegeverfahren, an der auch ein erhebliches öffentliches Interesse besteht, in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise einengen.“23 Damit bringt der BGH in der Lichtrufanlagenentscheidung – wenn auch eher im Vorbeigehen – einen verfassungsrechtlichen Aspekt in Stellung. Gemeint sein dürfte der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch. Als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips verlangt er als Korrelat zu dem Selbsthilfeverbot, welches dem Bürger auferlegt ist, dass bei privaten Streitigkeiten die Möglichkeit einer staatlich organisierten Streitbeilegung besteht.24 Dabei ist auch klar, dass sich diese Forderung nicht etwa in der bloßen Existenz eines Verfahrens erschöpft. Vielmehr sind dem Verfassungsrecht auch Vorgaben hinsichtlich des Zuganges zu einem solchen Verfahren zu entnehmen. Dass diese Vorgaben aber ein materiell-rechtliches Haftungsrisiko für den Fall einer unberechtigten Rechtsverfolgung pauschal ausschließen, muss bezweifelt werden. Die abstrakte Forderung, die aus dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch folgt, stützt einen pauschalen Haftungsausschluss jedenfalls nicht (a). Im Gegenteil sprechen Ausführungen des BVerfG unter zwei Gesichtspunkten für eine Haftungsmöglichkeit bei einem unberechtigten Betreiben von Verfahren (b) und c). a) Abstrakte verfassungsrechtliche Vorgabe Bereits mehrfach wurde das Bundesverfassungsgericht mit der Überprüfung von Normen im Hinblick darauf beschäftigt, ob sie den Zugang zu Rechtsschutz zu sehr einschränken.25 Dabei besteht eine klare Linie mit Blick auf den Prüfungsstandard – bis hin zu einem Nichtannahmebeschluss, „da die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind“.26 Diese klare Linie besagt, dass der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf.27 Dies ist eine hohe Hürde und dass der Fall durch ein materiell-rechtliches 23
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13. Siehe nur BVerfG, Beschluss vom 12. Feb. 1992 – 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337, Rn. 28 m.w.N. 25 Etwa BVerfG, Beschluss vom 12. Feb. 1992 – 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337; BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 370/84 = BVerfGE 69, 381; BVerfG, Beschluss vom 11. Feb. 1987 – 1 BvR 475/85 = BVerfGE 74, 228; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3. Jan. 2007 – 1 BvR 737/04; BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2012 – 1 BvR 285/11. 26 BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3. Jan. 2007 – 1 BvR 737/04, Rn. 6. 27 Statt aller BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3. Jan. 2007 – 1 BvR 737/04, Rn. 6 m.w.N. 24
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Haftungsrisiko eintreten soll, ist sehr zweifelhaft.28 Vor allem ist – abermals – die Pauschalität eines Haftungsprivilegs nicht durch die verfassungsrechtliche Forderung gedeckt: Ob unzumutbare Erschwernisse bestehen, bedarf einer Abwägung der betroffenen Interessen. Es ist schwerlich einzusehen, wie jedes materiellrechtliche Haftungsrisiko, ungeachtet der konkreten Ausgestaltung und unabhängig von den Umständen des Einzelfalls, zu einer unzumutbaren Erschwernis des Zugangs zu den Gerichten führen sollte. Im Übrigen bestehen Sachgründe für eine materiell-rechtliche Haftung. Wird ein Haftungsprivileg bei prozessualem Vorgehen nicht gewährt, so wird die Situation lediglich genauso behandelt wie das außerprozessuale Vorgehen. Allgemeiner noch, es wird behandelt wie ein „normales“ schädigendes Verhalten eines Verkehrsteilnehmers. Ein Sachgrund für eine Haftungsmöglichkeit liegt in eben diesem Umstand, dass eine Haftungsmöglichkeit für ein schädigendes Verhalten der vom materiellen Recht avisierte Normalfall ist.29 Wollte man dies mit Verweis darauf bestreiten, dass die besondere Prozesssituation keinen solchen Vergleich zulasse, so liegt ein Sachgrund jedenfalls in kollidierenden Interessen der Verfahrensgegner begründet.30 Die Kehrseite des Haftungsprivilegs besteht nun einmal darin, dass der zu Unrecht in Anspruch Genommene die Schädigung durch das Verfahren ersatzlos hinnehmen muss. Die beschriebene verfassungsrechtliche Vorgabe, der Zugang zu Rechtsschutz dürfe nicht unzumutbar erschwert werden, stützt also ein pauschales Haftungsprivileg nicht. b) Tendenz zu einer Einzelfallbetrachtung Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts stützen dieses Ergebnis, indem sie eine Tendenz zu einer einzelfallabhängigen Betrachtung aufweisen. Dies zeigt sich beispielsweise bei einer Entscheidung zu einer (mittlerweile überholten) Norm aus dem WEG, bei der es letztlich um die angemessene Höhe von Prozesskosten ging.31 Die Ausführungen sind aber ebenso für die Frage nach einer materiell-rechtlichen Haftung (neben dem Prozesskostenrisiko) von Bedeutung. Gegenstand der Entscheidung war eine Norm aus dem WEG zur Festlegung des Geschäftswerts einer Streitigkeit.32 Die Bestimmung des Geschäftswerts 28
Ebenso Thole, AcP 209 (2009), 499, 515; Bergmann, AcP 211 (2011), 804, 817. Vgl. Thole, AcP 209 (2009), 499, 515; siehe auch Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, 127 f. m.w.N. in Fn. 439 dazu, inwiefern gerichtliche und außergerichtliche Geltendmachung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellen, der durch eine unterschiedliche Behandlung künstlich auseinandergerissen wird. 30 Thole, AcP 209 (2009), 499, 515. 31 BVerfG, Beschluss vom 12. Feb. 1992 – 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337. 32 § 48 Abs. 2 WEG i.d.F. vom 30.07.1973 lautete: „Der Richter setzt den Geschäftswert nach dem Interesse der Beteiligten an der Entscheidung von Amts wegen fest“. Im Nachgang zu der Entscheidung wurde die Regelung mehrmals geändert und ins Gerichtskostengesetz überführt. Die § 48 Abs. 2 a.F. WEG heute entsprechende Norm findet sich seit 1.12.2020 in § 49 GKG. 29
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(heute Streitwert) wirkte sich auf die Prozesskosten aus mit dem Effekt, dass ein Kläger unter Umständen schon einen Kostenvorschuss hätte leisten müssen, der sein wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung zu einem erheblichen Teil aufzehrte, von einer Kostentragung bei Unterliegen und von Anwaltskosten einmal ganz zu schweigen.33 Für die Frage, ob und wann dieses Kostenrisiko den Zugang zu Rechtsschutz unzumutbar erschwert, hat das Gericht primär darauf abgestellt, ob das Risiko in einem angemessenen Verhältnis steht zum subjektiven Interesse des Rechtssuchenden an der Entscheidung. Dabei dürfe ein vernünftig abwägender Rechtssuchender von einer Anrufung der Gerichte nicht in aller Regel Abstand nehmen.34 Bei der überprüften Norm (§ 48 Abs. 2 a.F. WEG) bestehe ein Auslegungsspielraum und es müsse (lediglich) bei der Auslegung der obigen Vorgabe Rechnung getragen werden. Wenn man nun aber das subjektive Interesse des Klägers an der Entscheidung zum Maßstab erklärt, dann wird zugleich deutlich, dass für den Zugang zu Rechtsschutz eine tendenziell einzelfallbasierte Herangehensweise favorisiert wird. Damit verträgt sich die pauschale Gewährung eines Haftungsprivilegs nur schwerlich. Stattdessen ist das Gegenmodell, wonach eine materiell-rechtliche Fahrlässigkeitshaftung grundsätzlich in Betracht kommt, geradezu prädestiniert, um im Einzelfall eine Überabschreckung zu verhindern. Bei der Bestimmung dessen, was im Verkehr erforderlich ist, kann im prozessualen Kontext einer Abschreckungsgefahr genauso Rechnung getragen werden, wie es im vorprozessualen Bereich der Fall ist.35 c) Relative Wertigkeit von Rechtsschutz Die soeben skizzierte Entscheidung hält einen weiteren Anhaltspunkt bereit, der gegen eine pauschale Haftungsfreistellung spricht. Ausgangspunkt der Überlegungen des Gerichts war – wie beschrieben – der Konsens, dass der Zugang zu Rechtsschutz nicht unzumutbar, das heißt in mit Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise, erschwert werden darf.36 Dabei sei das Kostenrisiko in Relation zum subjektiven Interesse des Klägers der entscheidende Maßstab.37 Diese Für einen Überblick über die Historie siehe BeckOK Kostenrecht E32/Toussaint, § 49 GKG Rn. 4 und 4.1. 33 Vgl. die Sachverhaltsdarstellung des BVerfG, Beschluss vom 12. Feb. 1992 – 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337, unter A.II.2. 34 BVerfG, Beschluss vom 12. Feb. 1992 – 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337, unter C.I.1.b). 35 Zu der Bedeutung von Abschreckung im vorprozessualen Bereich ausführlich oben B.III.1.b)bb) und noch sogleich unter III. 36 BVerfG, Beschluss vom 12. Feb. 1992 – 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337, unter C.I.1.b) (Rn. 42). 37 BVerfG, Beschluss vom 12. Feb. 1992 – 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337, unter C.I.1.b) (Rn. 44).
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Feststellung überprüft das Gericht sodann im Wege einer Grenzbetrachtung, und zwar anhand des Falles eines nur geringfügigen wirtschaftlichen Interesses des Klägers. Bei konsequenter Anwendung müsste in dem Fall das Kostenrisiko – im konkreten Fall ging es um Gerichtsgebühren – gegen Null streben. Dem sei aber doch nicht so, weil auch der Staat ein anerkennenswertes Interesse an einer Gebühr habe und nicht erwartet werden könne, dass Gerichte praktisch kostenlos zur Verfügung gestellt würden.38 Mit anderen Worten: In diesen Fällen ist ein Abschreckungsrisiko gerechtfertigt, und zwar aufgrund eines kollidierenden, auf Geld gerichteten, staatlichen Interesses. Diese Einordnung ermöglicht einen Vergleich mit dem hier untersuchten Fall, denn das pauschale Haftungsprivileg der Rechtsprechung reduziert das Haftungsrisiko des Klägers zum Nachteil des Beklagten: Es wird mehr geklagt und deswegen wird auch mehr zu Unrecht geklagt. In diesen Fällen bleibt der zu Unrecht Verklagte auf seinen Schäden sitzen. Mit dem Interesse des Klägers auf einen möglichst einfachen Zugang zu Rechtsschutz konkurriert deswegen auch ein Interesse des Beklagten. Von Umstand und Ärgernissen abgesehen handelt es sich um das auf Geld gerichtete Interesse einer Privatperson. Wenn der Staat, der generell dienende Funktion hat, als Schuldner des allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs sein finanzielles Interesse in die Waagschale werfen darf, dann muss dies erst recht für eine Privatperson gelten. Deren Interessen können auch nicht etwa mit der lapidaren Aussage abgetan werden, unberechtigt in Anspruch genommen zu werden, gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko.39 Dies verschleiert nur einen Zirkelschluss: Es würde nur dann zum allgemeinen Lebensrisiko gehören, (ersatzlos) durch ein unberechtigtes Verfahren geschädigt zu werden, wenn das Haftungsprivileg eine sachgerechte Abwägung der beteiligten Interessen abbilden würde. d) Zwischenergebnis Verfassungsrechtliche Vorgaben fordern kein pauschales Haftungsprivileg bei der prozessualen Verfolgung eines Anspruchs. Es bestehen zwar durchaus verfassungsrechtliche Vorgaben hinsichtlich des Zugangs zu Rechtsschutz. Diesen kann aber bei der Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen Rechnung getragen werden. Einem pauschalen Haftungsausschluss steht ferner entgegen, dass er auf Kosten des (zu Unrecht) Beklagten erkauft wird, ohne dass eine Abwägung der beteiligten Interessen möglich ist.
38 BVerfG, Beschluss vom 12. Feb. 1992 – 1 BvL 1/89 = BVerfGE 85, 337, unter C.I.1.b) (Rn. 44). 39 Vgl. BGH, Urteil vom 12. Dez. 2006 – VI ZR 224/05 = NJW 2007, 1458, Rn. 19, allerdings zur außergerichtlichen Rechtsverfolgung jenseits einer vertraglichen Sonderverbindung. Die Entscheidung ist korrekt ergangen. Siehe auch Ahrens, NJW 1982, 2477, 2478.
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3. Kein umfänglicher Schutz des Verfahrensgegners durch das Prozessrecht Die Rechtsprechung stellt sich zur Begründung des Haftungsprivilegs bei prozessualem Vorgehen auf den Standpunkt, es bedürfe auch einer materiell-rechtlichen Haftung grundsätzlich nicht, „weil der Schutz des Prozessgegners regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren nach Maßgabe seiner gesetzlichen Ausgestaltung gewährleistet wird.“40 Beachtlich ist aber, dass sich diese Einschätzung auch in einer etwas anderen Form findet. So formuliert der Große Senat des BGH unter Berufung auf einige vorhergegangene höchstrichterliche Urteile, eine Haftung wegen der Einleitung eines staatlichen Verfahrens scheide grundsätzlich aus. Dies liege darin begründet, dass „der Schutz des Prozessgegners regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren nach Maßgabe seiner gesetzlichen Ausgestaltung gewährleistet wird. Wo dies allerdings nicht der Fall ist, muss es beim uneingeschränkten Rechtsgüterschutz verbleiben, den § 823 I und § 826 BGB gewähren [...].“41 Letztere Formulierung lädt auf den ersten Blick gerade dazu ein, im Einzelfall zu prüfen, ob Schäden des zu Unrecht Verklagten nach prozessualen Normen ersatzfähig sind. Verneinendenfalls müsste ein materiell-rechtlicher Ausgleich möglich bleiben. Würde man allerdings damit ernst machen, so bliebe von dem Haftungsprivileg wenig übrig. Es würde nur insoweit greifen, als materiellrechtliche Haftungsnormen im Anwendungsbereich von prozessualen Normen verdrängt würden, was aber letztlich keinen Unterschied in der haftungsrechtlichen Gesamtbewertung bewirken würde. Entsprechend ist der vermeintlichen Ausnahme von dem Haftungsprivileg wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden.42 Letztendlich muss die zitierte Entscheidung des Großen Senats wohl so eingeordnet werden, dass zum einen eine Hintertür bei dem Haftungsprivileg offen gehalten werden sollte und dass es zum anderen gar nicht primär um die genaue inhaltliche Reichweite desselben ging. Vielmehr sollte wohl die argumentative Basis dafür gelegt werden, dass das Haftungsprivileg nicht in den außergerichtlichen Bereich (konkret: Schutzrechtsverwarnungen) zu erstrecken sei43 , wo selbstredend kein Schutz durch prozessuale Normen bestehen kann. Nichtsdestotrotz ist eine Formulierung, nach der das prozessuale Haftungsprivileg dort keine Gültigkeit beanspruchen könne, wo das Prozessrecht keinen
40 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, Rn. 13 m.w.N., Hervorhebung hinzugefügt. 41 BGH, Beschluss vom 15. Juli 2005 – GSZ 1/04 = NJW 2005, 3141, unter B.III.2.b), Hervorhebung hinzugefügt. 42 Siehe für eine ebenfalls kritische Bewertung von Auswirkungen des Haftungsprivilegs vor dem Hintergrund der beschriebenen „Ausnahme“ auch MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 822. 43 BGH, Beschluss vom 15. Juli 2005 – GSZ 1/04 = NJW 2005, 3141, unter B.III.2.b).
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Schutz bietet, Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die den Schutz durch das Prozessrecht gerade nicht als ausreichend erachten.44 Ihnen ist zuzustimmen. Ganz grundlegend lassen sich nämlich zwei Mechanismen ausmachen, die einen Schutz des Prozessgegners erreichen könnten: Zum einen Haftungstatbestände, die erlittene Schäden kompensieren, und zum anderen solche Vorschriften, die idealerweise eine Schädigung von vornherein verhindern sollen. Beide Mechanismen gewähren aber nur einen lückenhaften Schutz, wie sogleich kurz zu zeigen sein wird. Ist dieser prozessuale Schutz aber nur lückenhaft, so verbietet sich ein direkter Schluss auf die Daseinsberechtigung des pauschalen Haftungsprivilegs. Ein nur lückenhafter Schutz bei Haftungstatbeständen des Prozessrechts zeigt sich daran, dass diese entweder in ihrer Reichweite beschränkt sind oder aber, dass sie nur für bestimmte Konstellationen Ausgleichsansprüche bereithalten. So unterliegt der unberechtigt Klagende zwar im Rechtsstreit45 und haftet deswegen dem Prozessgegner verschuldensunabhängig nach § 91 ZPO. Erstattungsfähig sind dabei aber nur Kosten für eine zweckentsprechende Rechtsverteidigung. Andere Haftungstatbestände sind auf ganz spezielle Konstellationen zugeschnitten: § 945 ZPO hilft nur, soweit beispielsweise eine einstweilige Verfügung sich als von Anfang an ungerechtfertigt herausstellt; § 302 Abs. 4 S. 3 ZPO greift nur ein, wenn Schäden durch die Vollstreckung eines Vorbehaltsurteils entstanden sind und sich der Anspruch des Klägers, vorbehaltlich dessen das Urteil ergangen ist, als unbegründet herausgestellt hat; ganz ähnlich ersetzt § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO nur Schäden aufgrund der Vollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren Urteils oder aufgrund einer Leistung zur Abwendung derselben.46 Für sonstige Schäden durch ein Verfahren bestehen aber keine Anspruchsgrundlagen. Vorstellbar ist es also beispielsweise, dass ein Verkäufer zu Unrecht wegen eines vermeintlichen Mangels verklagt wird und – weil dies publik wird und Zweifel an der Qualität des Produkts aufkommen – einen anderen Auftrag verliert.47 Eine Anspruchs44 Etwa Thole, AcP 209 (2009), 499, 511 f.; Haertlein, MDR 1/2009, 1, 4; Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 376 ff, 385; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 128 f.; Götz, Schädigende Rechtsverfolgung, S. 108. 45 Von falschen Entscheidungen abgesehen. 46 Siehe – wie hier – auch die Darstellung bei Haertlein, MDR 1/2009, 1, 4; Hösl, Kostenerstattung bei außerprozessualer Verteidigung, S. 150; dazu aber auch Staudinger (2018)/Oechsler, § 826 Rn. 549, der eine „Deprivilegierung des Vorsatztäters“ durch diese Normen – im Umkehrschluss – als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers für einen unvollkommenen Schutz des zu Unrecht prozessual in Anspruch Genommenen deutet. Ob aus einer Deprivilegierung des Vorsatztäters im Prozessrecht aber wirklich auf einen Privilegierungswillen zugunsten des Fahrlässigkeitstäters im materiellen Recht geschlossen werden kann, muss bezweifelt werden. In jedem Fall aber erklärt dieser Begründungsansatz nicht die Bemühungen des BGH, das prozessuale Haftungsprivileg dadurch zu rechtfertigen, dass der zu Unrecht in Anspruch Genommene geschützt sei. 47 Weitere Beispiele, die allerdings im hier untersuchten, kaufrechtlichen Kontext wenig relevant sein dürften, finden sich etwa bei Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 377.
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grundlage im Prozessrecht, die einen solchen Schaden potentiell ersetzen könnte, existiert nicht. Mit Blick auf Haftungstatbestände ist also ein umfänglicher Schutz des Beklagten durch das Prozessrecht nicht gewährleistet. Neben Vorschriften, die Schäden ausgleichen, hält das Prozessrecht aber auch Verfahrensregeln (im engeren Sinne) bereit. Sie regeln die Modalitäten für die institutionalisierte Streitbeilegung und führen sicherlich auch zu einem gewissen Grad dazu, dass die Beteiligten geschützt werden. Ganz allgemein gewährt das Gericht rechtliches Gehör48 und wahrt die grundsätzliche Waffengleichheit der Parteien, etwa durch Hinweise im Rahmen der materiellen Prozessleitung.49 Auch strukturiert das Gericht das Verfahren (§ 139 Abs. 1 S. 3 ZPO), sodass beispielsweise Streitfragen abgeschichtet werden und dadurch nachgelagerte Fragen gar nicht mehr kostspielig geklärt werden müssen. Ferner filtert das Gericht den Tatsachenvortrag nach Schlüssigkeit. Es muss zwar eine Partei durch einen Hinweis darauf aufmerksam machen, wenn es den bisherigen Vortrag für nicht hinreichend substantiiert erachtet.50 Gleichzeitig findet aber eine Streitigkeit bereits dort ihr Ende, wo ein Kläger beispielsweise den vermeintlichen Mangel nicht substantiiert darlegen kann.51 Während es außergerichtlich denkbar ist, dass ein Verkäufer auf die pauschale Mangelbehauptung hin Untersuchungen einleitet und Kosten anfallen, wird es im prozessualen Kontext dazu dann nicht kommen, wenn der Käufer bereits mit einer substantiierten Mangeldarstellung scheitert.52 Eine genauere Analyse, ob und bis zu welchem Grad solche Verfahrensregeln tatsächlich einen nennenswerten Schutz bewirken, soll hier unterbleiben.53 Jedenfalls umfänglich ist der dadurch erreichte Schutz auf keinen Fall und vor allem kann keine Ausgestaltung des Verfahrens an sich einen Schaden wie den 48 BVerfG, Beschluss vom 29. März 2017 – IV ZR 510/15 = NJW-RR 2017, 672, unter III.2.a). 49 BeckOK ZPO E41/von Selle, § 139 Rn. 5 ff.; Wieczorek/Schütze, § 139 ZPO Rn. 2, 83. 50 BGH, Beschluss vom 13. März 2008 – I ZB 59/07 = NJW 2008, 1742, unter II.2.c)bb) (Rn. 14); BGH, Urteil vom 10. Okt. 2006 – VI ZR 44/05 = NJW 2007, 370, unter II.2. (Rn. 18); Stein/Jonas/Kern, § 139 ZPO Rn. 29. 51 Nomos Handkommentar ZPO/Saenger, § 286 Rn. 85. Zur Konsequenz einer fehlenden Substantiierung auch oben B.V.1. Siehe im Allgemeinen zu der Frage nach adäquatem Schutz eines zu Unrecht Verklagten durch diese Verfahrensregeln Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 377; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 125. 52 Der Mehrwert dieses Schutzes dürfte in dem konkreten Beispiel aber kaum der Rede wert sein. Zum einen ist der Fall kaum denkbar. Zum anderen muss sich ein Verkäufer auch im außergerichtlichen Bereich vor dem Hintergrund seiner Schadensminderungsobliegenheit (§ 254 BGB) rechtfertigen, wenn er auf eine wenig substantiierte Mangelbehauptung hin aufwändige Untersuchungen einleitet. Die Umgehung von Kosten, die durch eine Klärung der Sachlage in einem solchen Fall entstehen würden, zieht also eher mit der materiellen Haftungslage gleich, als dass ein zusätzlicher Schutz gewährt würde. 53 Siehe dazu aber Thole, AcP 209 (2009), 499, 512; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 126; Fenn, ZHR 132 (1969), 344, 358 f.; Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 377; Schultz-Süchting, Schadensersatz bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme eines gerichtlichen Verfahrens, S. 106.
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soeben beschriebenen54 verhindern, der durch die Existenz des Verfahrens selbst entsteht.55 Der staatlich geregelte Prozess vermag zusammenfassend also durchaus in Form der Ausgestaltung des Verfahrens und in Form von speziellen Haftungstatbeständen einen gewissen Schutz zu gewähren, der so im außergerichtlichen Bereich nicht besteht. Dieser Schutz ist aber lückenhaft, sodass er jedenfalls keinen unmittelbaren Schluss dergestalt zulässt, die materiell-rechtliche Fahrlässigkeitshaftung wegen des Betreibens eines Prozesses müsse pauschal ausgeschlossen sein. 4. Rechtshängigkeit als Anknüpfung für eine strengere Haftung Das materielle Recht „kennt“ den Einfluss der prozessualen Rechtsverfolgung, und zwar gerade im Kontext einer (materiell-rechtlichen) Haftung: Die Rechtshängigkeit wirkt regelmäßig haftungsverschärfend. Am wohl prominentesten ist die verzugsbegründende Wirkung einer Leistungsklage oder eines Mahnbescheids (§ 286 Abs. 1 S. 2 BGB) und selbst ohne Verzug ist eine Geldschuld ab Rechtshängigkeit zu verzinsen (§ 291 S. 1 BGB). Im Rahmen eines Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses durchbricht die Rechtshängigkeit auch bei einem redlichen Besitzer die Privilegierung des § 993 BGB, der Besitzer schuldet fortan Nutzungen (§ 987 BGB) und Schadensersatz (§ 989 BGB). Generell verweist für Herausgabeansprüche § 292 Abs. 1 BGB ab Rechtshängigkeit auf die Regeln des EBV. Dasselbe gilt für den Erbschaftsbesitz (§ 2023 BGB). Im Rahmen bereicherungsrechtlicher Ansprüche versagt § 818 Abs. 4 BGB ab Rechtshängigkeit insbesondere das Berufen auf eine Entreicherung.56 Kurzum: Ab Rechtshängigkeit ist besondere Vorsicht geboten und es besteht (vereinzelt) ein besonderes Haftungsrisiko. Jenseits dieser Normen soll die Lage aus Sicht des prozessualen Haftungsprivilegs aber diametral anders sein: Ein Beklagter, der (wie sich später herausstellen wird: zu Unrecht) den Anspruch bestreitet, befindet sich in einer derjenigen Situationen, für welche die Rechtsprechung ein Haftungsprivileg annimmt.57 Einzelne Normen des materiellen Rechts ziehen also die Zügel an, während das prozessuale Haftungsprivileg ansonsten die Zügel lockerlässt. Das passt nicht recht zusammen. Mit anderen Worten: Die Existenz dieser, an die Einleitung eines Verfahrens anknüpfenden Haftungsverschärfungen stellt eine (sonstige) Haftungsprivilegierung in Frage. 54 Der Beklagte Verkäufer verliert Interessenten wegen Zweifeln an der Qualität seines Produkts, bedingt durch die (unberechtigte) Gewährleistungsklage. 55 Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 377 m.w.N. und mit weiteren Beispielen, in denen kein Schutz durch Verfahrensregeln gewährleistet werden kann. 56 Siehe dazu auch die Auflistungen von Normen bei Kaiser, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 531, 543 f.; Thole, AcP 209 (2009), 499, 518 f. 57 Siehe für eine Darstellung des Haftungsprivilegs und dessen Anwendung nicht nur zugunsten des irrenden Gläubigers, sondern auch des Schuldners, oben I.
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Ein besonders fragwürdiges Bild ergibt sich zudem dann, wenn die beschriebenen Verschärfungen mit der Privilegierung des Klägers zusammentreffen. Am Beispiel des § 989 BGB: Der verklagte Besitzer muss die Klageerhebung als Warnung verstehen und haftet im Fall seines Unterliegens scharf. Für diesen Fall seines Unterliegens ergibt sich auch ein überzeugendes Ergebnis: Beispielsweise entspricht es (in der Rückschau) zum Schutz des Eigentümers genau der Intention des § 989 BGB, wenn der Besitzer die streitgegenständliche Sache „wie ein rohes Ei“ behandelt, damit sie nicht beschädigt wird. Nicht überzeugend ist aber das Ergebnis, wenn sich die Klage als unbegründet herausstellt, weil der Besitzer beispielsweise ein Recht zum Besitz hat. Dem Besitzer sind nun dadurch Schäden entstanden, dass er während der Verfahrensdauer und aus (nachvollziehbarer) Angst vor einer Haftung darauf verzichtet hat, den Traktor in seinem Betrieb zu nutzen. Einen Ersatz dafür schuldet der Kläger aber nie.58 Auch wenn zwischen Kläger und Beklagtem eine zur besonderen Rücksichtnahme verpflichtende Vertragsverbindung besteht (§ 241 Abs. 2 BGB) und auch wenn der Kläger bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass sein Begehren unbegründet ist: Ihn schützt das prozessuale Haftungsprivileg. Auch das passt nicht zusammen. Es ist ohne Frage einzusehen, dass der Eigentümer vor der Abnutzung seines Eigentums durch den nicht berechtigten Besitzer besonders geschützt werden soll. Dass es aber gleichzeitig sachgerecht sein soll, dem berechtigten Besitzer die Nutzung der Sache zu entziehen, ohne dass dieser wenigstens die Chance auf einen Ersatz im Wege einer materiell-rechtlichen Haftung des zu Unrecht Klagenden hat, das erschließt sich nicht. Instinktiv würde man sogar das Gegenteil vermuten. Von dem Prätendenten sollte man dort eine gesteigerte Vorsicht und ein erhöhtes Haftungsrisiko erwarten, wo seine Klage in besonderem Maße ein Schadenspotential birgt, weil mit der Rechtshängigkeit eine besondere Haftungsandrohung für das Gegenüber einhergeht. Zumindest spricht ein höheres Schadenspotential gemeinhin für höhere Sorgfaltspflichten.59 5. Verfehlte Anreizsetzung zu prozessualem Vorgehen Das Haftungsprivileg bei prozessualem Vorgehen sucht die befürchtete Verkümmerung des Rechtsschutzes zu verhindern, die droht, wenn Verkehrsteilnehmer von der prozessualen Durchsetzung ihrer Rechte abgeschreckt werden.60 An der Geeignetheit des Haftungsprivilegs zu diesem Zweck wird auch kaum ein Zwei-
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Außer bei Arglist oder grober Leichtfertigkeit. Zu den Ausnahmen mit Nachweisen oben I. Siehe etwa MünchKomm BGB/Wagner, § 831 Rn. 44; Nomos Handkommentar BGB/A. Staudinger, § 823 Rn. 175, jeweils m.w.N. auf zugrundeliegende Rechtsprechung. 60 Zur Kritik an dieser Einordnung oben 1. 59
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fel bestehen, erhöht ein geringeres Haftungsrisiko doch letztlich die Attraktivität einer Klage. Die prozessuale Durchsetzung von Ansprüchen ist aber nun einmal nur eine Möglichkeit der Rechtsverfolgung, die neben die Option der außergerichtlichen Durchsetzung tritt. Niemand wird bestreiten, dass beide Möglichkeiten bestehen und miteinander dergestalt konkurrieren, dass ein vernünftiger Verkehrsteilnehmer Vor- und Nachteile abwägen wird, bevor er sich für das eine oder das andere Vorgehen entscheidet.61 Das Haftungsprivileg bei prozessualem Vorgehen erhöht somit die Attraktivität einer Klage nicht nur abstrakt, sondern insbesondere auch in Relation zum außergerichtlichen Vorgehen. Diese relative Förderung des Klagewegs ist zunächst vor dem Hintergrund fragwürdig, dass es schlicht wenig sinnvoll erscheint, denjenigen zu belohnen, der das schwerere Geschütz auffährt62 und damit unvermittelt schießt. Eine (außergerichtliche) Vorwarnung, der man nur notfalls auf dem Klageweg Nachdruck verleiht, entspricht wohl eher einem Idealbild der Streitbeilegung. Vor allem aber entspricht es der Wertung des § 93 ZPO63 , denn danach wird die Klageerhebung sogar mit einer Kostentragung sanktioniert, sofern der Beklagte zur Klage keine Veranlassung gegeben hat. Dabei ist anerkannt, dass erst dann eine Veranlassung zur Klage besteht, wenn der Kläger davon ausgehen darf, er werde nur im Wege der Klage zu seinem Recht kommen64 , etwa wenn Leistungsaufforderungen keinen Erfolg gebracht haben. Umgekehrt wird regelmäßig keine Veranlassung zur Klage in diesem Sinne vorliegen, wenn der Kläger bewusst zur Umgehung eines Haftungsrisikos den vorprozessualen Kontakt vermieden hat. Ebendiese Verhaltensweise, die das Haftungsprivileg fördert, sucht also § 93 ZPO zu verhindern. Dieser Kritikpunkt falscher Anreizsetzung ist deswegen zu teilen. Dabei ist die Privilegierung der Klage auch noch aus einem anderen Blickwinkel besehen fragwürdig: Ein materiell-rechtliches Haftungsrisiko wird in aller Regel verschuldensabhängig sein (insbesondere in Gestalt des hier untersuchten § 280 Abs. 1 BGB, ansonsten auch § 823 BGB). Es ist also dann besonders hoch einzuschätzen, wenn sich der vermutliche Gläubiger (bewusst) unsorgfältig verhält. Ein solches bewusst unsorgfältiges Verhalten liegt beispielsweise genau dann vor, wenn der Gläubiger Unsicherheiten erkennt, aber das scheut, was ihm die Lichtrufanlagenentscheidung als im Verkehr erforderlich abverlangt, nämlich seine Rechtsposition durch bestimmte Prüfpflichten abzusichern.65 Die Gründe sind irrelevant: Der Gläubiger mag den generellen Aufwand für Überprüfungen scheuen, er mag die Kosten scheuen. Jedenfalls aber ist sein materiell-rechtliches Haftungsrisiko in diesem Fall hoch und deswegen besteht auch der Anreiz, we61
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 103 f. Vgl. Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 386. 63 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 104; Wagner/Thole, NJW 2005, 3470, 3472; MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 823. 64 Siehe nur BGH, Urteil vom 22. Okt. 2015 – V ZB 93/13 = NJW 2016, 572, Rn. 19 m.w.N. 65 Oben B.II., insbesondere B.II.1. 62
II. Kritik an dem Haftungsprivileg
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gen des prozessualen Haftungsprivilegs direkt zu klagen. Zugleich entfällt bei einem prozessualen Vorgehen auch die Notwendigkeit, solchen Prüfpflichten noch nachzukommen. Provokant formuliert ist das Haftungsprivileg also eine Aufforderung zum unsorgfältigen Verhalten. Das kann nicht richtig sein. Insofern offenbart sich ein negativer Aspekt des prozessualen Haftungsprivilegs, der – in umgekehrter Stoßrichtung – soweit ersichtlich bislang eher zugunsten des Privilegs66 ins Feld geführt wurde: Das materielle Recht verfolge eine Verhaltenssteuerung, deren Nachdruck sich aus der stets im Hintergrund lauernden Gefahr einer gerichtlichen Durchsetzung speise.67 Die Verteuerung der gerichtlichen Durchsetzung durch hohe Haftungsrisiken berge die Gefahr von Überabschreckung, sodass letztlich der verhaltenssteuernde Effekt des materiellen Rechts konterkariert werde.68 So besehen spricht dies für ein Haftungsprivileg. Das Beispiel soeben zeigt aber, dass auch eine ins andere Extrem überzogene, zu weitreichende Haftungsfreistellung bei prozessualem Vorgehen denselben unerwünschten Effekt haben kann, dass einzelne Verhaltensgebote des materiellen Rechts „verpuffen“. Die Anreizsetzung zur Klage, die durch das Haftungsprivileg hervorgerufen wird, ist also aus diesen Gründen zu kritisieren. Gleichwohl muss der Anreiz in gewisser Weise relativiert werden, weil er nur in besonders gelagerten Fällen sehr deutlich ausfällt. Demgegenüber dürften typische Schadensposten, die im Rahmen einer materiell-rechtlichen Haftung relevant wären, recht oft auch von prozessualen Normen erfasst sein.69 Soweit dem so ist, kann zumindest keine klar verfehlte Anreizsetzung moniert werden, weil es für den vermeintlichen Gläubiger irrelevant ist, ob sein Haftungsrisiko letztlich aus § 280 Abs. 1 BGB oder aus § 91 ZPO folgt. Einen deutlichen Unterschied erreicht das Haftungsprivileg dort, wo das Verfahren an sich, respektive das außergerichtliche Vorgehen an sich, Schadenspotential birgt: Ist eine bestimmte Behauptung ehrverletzend, dann folgen Schäden alleine daraus, dass die Behauptung erhoben wird. Wird bei einer Vollstreckung ein entgegenstehendes Recht behauptet, so kann alleine daraus eine Wertminderung für den Vollstreckungsgegenstand folgen.70 In derartigen Konstellationen besteht ein klar erkennbarer, konkreter Vorteil des prozessualen Vorgehens, weil ein Ersatz für derlei Schäden dann pauschal ausgeschlossen ist (innerhalb der Grenzen des Haftungsprivilegs – es darf also insbesondere kein Fall des § 826 BGB vorliegen): Die materiell-rechtliche Haftung scheidet wegen des Haftungsprivilegs aus; prozessuale Normen erfassen die Schäden nicht. Die kritisierte An66
Zumindest in Gestalt einer in der Tendenz milden Haftung für eine unberechtigte Verfahrenseinleitung. 67 Vgl. Thole, AcP 209 (2009), 499, 526. 68 Thole, AcP 209 (2009), 499, 526. 69 Obwohl deren Schutz nicht umfassend ist. Dazu schon oben 3. Es gibt aber weite Überlappungen. Zu einem Beispiel sogleich. 70 Beispiele übernommen von Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 377.
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E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz
reizsetzung besteht also dann sehr deutlich, wenn durch die Klage oder die außergerichtliche Geltendmachung selbst Schäden zu erwarten sind. Solche Konstellationen dürften aber recht selten sein. Auch bei den hier untersuchten Gewährleistungsrechten sind solche Schäden, bedingt durch die Geltendmachung an sich beziehungsweise durch eine Klage, nur schwer vorstellbar. Denkbar ist es zwar, dass durch eine Mangelbehauptung die Qualität eines Produkts generell in Frage gestellt wird und andere Interessenten von einem Kauf des betroffenen Produkts abgeschreckt werden. Voraussetzung dafür wird aber regelmäßig sein, dass die Art und Weise der Geltendmachung überhaupt geeignet ist, solche Interessenten zu erreichen und zu beeinflussen. Im Regelfall wird eine solche Gefahr nicht bestehen, sodass umgekehrt auch der Anreiz, wegen eines reduzierten Haftungsrisikos direkt zu klagen, eher gering ausfällt. Soweit nämlich andere als die genannten Schäden durch die Geltendmachung an sich zu erwarten sind, wird selten ein klarer Anreiz zur Klage bestehen. Dies kann anhand des Lichtrufanlagen-Falls des BGH71 veranschaulicht werden, der bereits verschiedentlich im Fokus der Untersuchungen gestanden hat. Bei den dort entstandenen Schäden in Gestalt von Fahrtkosten und Arbeitsaufwand des Verkäufers handelte es sich um Kosten – wie es oft der Fall sein dürfte – für die Sachverhaltsaufklärung. Ein Mitarbeiter wurde geschickt, um die Störursache zu klären. Wäre in dem Fall anstatt des außergerichtlichen Nacherfüllungsverlangens direkt geklagt worden, so hätte sich vermutlich in der Sache wenig geändert. Die Störursache72 wäre dann in der ein oder anderen Weise im Zuge des Verfahrens geklärt worden, beispielsweise durch Sachverständigengutachten. Diese Kosten für die Sachverhaltsaufklärung wären dem unterlegenen Kläger nach § 91 BGB aufzuerlegen gewesen – und zwar sogar verschuldensunabhängig. In dem konkreten Fall hätte also – auch bei der gebotenen ex ante Einschätzung – kaum ein deutlicher Anreiz zur direkten Klage bestanden. Der Käufer hätte grundsätzlich mit ähnlichen Kosten zu rechnen gehabt, lediglich in anderer Einkleidung. Thole sieht zwar die Gefahr, dass andere Kostenpunkte wie Reisekosten und Verdienstausfall wegen der Gerichtstermine, sowie Kosten für den Einsatz von (eigenem) Personal zur Betreuung des Rechtsstreits nicht von § 91 ZPO erfasst seien.73 Dem ist aber nur für den letzten Punkt – den allgemeinen Prozessaufwand – zuzustimmen.74 Demgegenüber sind Reisekosten und Verdienstausfall
71
BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147, ausführlich zu dem Fall oben B.II.1. 72 Diese stammte aus dem Verantwortungsbereich des Käufers. Die Lichtrufanlage war gerade nicht mangelhaft. 73 Thole, AcP 209 (2009), 499, 517 f. 74 Für den Grundsatz, dass allgemeiner Prozessaufwand nicht ersatzfähig ist, siehe statt vieler die Darstellung bei BeckOK ZPO E41/Jaspersen, § 91 Rn. 118 m.w.N.
II. Kritik an dem Haftungsprivileg
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(wegen wahrzunehmender Termine75 ) sehr wohl von § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO erfasst.76 Das bedeutet gewiss nicht, dass zwischen gerichtlicher und außergerichtlicher Geltendmachung kein Unterschied bestünde. Die unterschiedlichen Haftungsnormen (§ 91 ZPO im prozessualen Kontext; materiell-rechtliche Normen wie § 280 Abs. 1 BGB im außerprozessualen Kontext) werden immer zu Unterschieden führen, die aber oftmals im Detail liegen dürften und die kaum so klar zu bezeichnen wären, dass ex ante eine klare Anreizsetzung zugunsten der Klage bestünde. Besteht in einem konkreten Fall also keine erkennbare Gefahr von Schädigungen durch die außergerichtliche Geltendmachung eines Rechts an sich bzw. den Prozess an sich, so kann dem Haftungsprivileg keine deutlich verfehlte Anreizsetzung zum prozessualen Vorgehen vorgeworfen werden. Es bleibt vielmehr dabei, dass eine Klage recht gut überlegt sein will, weil die (verschuldensunabhängige) Kostentragung bei Unterliegen empfindlich sein kann. Dieser Umstand relativiert also die Kritik verfehlter Anreizsetzung. Er ändert allerdings nichts daran, dass das Haftungsprivileg in denjenigen Fällen, in denen es sich auswirkt, mit der hinter § 93 ZPO stehenden Wertung kollidiert und insoweit kritisch zu sehen ist. 6. Kein entscheidender Vorteil durch Rechtsklarheit Das Konzept der Rechtsprechung, wonach eine materiell-rechtliche Haftung pauschal ausgeschlossen wird, kann ersichtlich für sich beanspruchen, eine sehr klare und einfach zu handhabende Lösung zu sein.77 Es bedarf keiner Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen im Kontext von prozessualem Vorgehen und die Rechtslage ist denkbar klar. Nimmt man aber das größere Bild in den Blick und bezieht die außergerichtliche Geltendmachung von vermeintlichen Rechten mit ein, so wird diese vermeintlich so klare Lösung bis zu einem gewissen Grade durchaus in Frage gestellt: Der Keil, den das prozessuale Irrtumsprivileg zwischen das prozessuale und das außerprozessuale Vorgehen treibt, ist seinerseits ein Quell von Rechtsunsicherheit. Verkehrsteilnehmer müssen sich nicht nur des Haftungspri75
Reisekosten und Verdienstausfall jenseits von wahrzunehmenden Terminen sind eher schwer vorstellbar, außer der Beklagte wollte beispielsweise bei einer Begutachtung des Kaufgegenstands durch einen Sachverständigen anwesend sein. Soweit dazu aber kein Termin durch das Gericht anberaumt ist, müssen derartige Kosten als unnötig eingestuft werden. Der Umstand, dass sie dann nicht von § 91 ZPO erfasst sind, ist ebenso wenig kritisch zu sehen wie der Umstand, dass im materiellen Recht § 254 BGB einen Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit sanktioniert. 76 Für Reisekosten ist § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO unmissverständlich; Verdienstausfall ist entweder von „Zeitversäumnis“ erfasst oder von der Verweisung in Hs. 2 der Norm, BGH, Urteil vom 2. Dez. 2008 – VI ZB 63/07 = NJW 2009, 1001, 1002 (Rn. 9); BeckOK ZPO E41/Jaspersen, § 91 Rn. 118 m.w.N. 77 Thole, AcP 209 (2009), 499, 525.
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E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz
vilegs an sich, sondern insbesondere auch der (in Anbetracht der soeben erörterten Aspekte) nicht übermäßig intuitiven Unterscheidung zwischen prozessualem und außerprozessualem Vorgehen bewusst sein, um den Gesamttopos „Geltendmachung von Rechten“ einigermaßen einordnen zu können. Umgekehrt sei hier behauptet, dass eine Lösung unter Aufgabe des prozessualen Haftungsprivilegs kein übermäßiger Quell von Rechtsunsicherheit wäre. Eine materiell-rechtliche Haftung wegen des Betreibens eines Verfahrens kann grundsätzlich – wie sogleich genauer zu erläutern sein wird – an dieselben Aspekte anknüpfen wie die vorprozessuale Haftung. Dann gilt einheitlich durch alle Stadien einer Rechtsverfolgung hindurch ein ähnlicher Haftungsstandard, was für sich genommen auch der Rechtsklarheit zuträglich ist. 7. Zusammenfassung Insgesamt verdient das Haftungsprivileg bei prozessualem Vorgehen keinen Zuspruch. Es dürfte zwar so sein, dass sich in sehr vielen Konstellationen – und so auch regelmäßig in den hier untersuchten, vermeintlichen Gewährleistungssituationen – das Haftungsprivileg gar nicht deutlich auswirken dürfte. Dennoch besteht keine Notwendigkeit einer pauschalen Privilegierung des Rechtsverfolgers, weder um diesen vor der Aufgabe seiner Rechte zu schützen, noch aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben. Im Gegenteil erfolgt eine Privilegierung auf dem Rücken des Gegenüber, was nicht zu rechtfertigen ist. Letztlich setzt die Haftungsfreistellung bei prozessualem Vorgehen potentiell fragwürdige Anreize, direkt zu klagen und eine vorprozessuale Klärung zu vermeiden. Dies kollidiert mit Wertungen der Rechtsordnung an anderer Stelle. III. Stattdessen: grundsätzlich identisches Konzept zur außergerichtlichen Geltendmachung Die Konsequenz aus den beschriebenen Problemen muss sein, dass auch bei der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen eine materiell-rechtliche Haftung grundsätzlich in Betracht kommt.78 Mit den Worten von Kaiser: „[Das Prozessrecht nimmt] den Parteien nicht das Risiko, dass sie bei Anspannung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätten erkennen können, ob der geltend gemachte und bestrittene Anspruch besteht oder nicht.“79 Die Klage ist somit letztlich nichts weiter, als ein alternatives bzw. zeitlich nachgeschaltetes, zusätzliches Mittel zur Durchsetzung eines vermeintlichen Anspruchs. Es folgt aus Sicht des materiellen Rechts denselben Regeln.
78 Kaiser, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 531, 549; Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 352 ff.; Haertlein, MDR 1/2009, 1, 4; Thole, AcP 209 (2009), 499, 525; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 132; im Kontext des Deliktsrechts Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 444; MünchKomm BGB/Wagner, § 823 Rn. 823. 79 Kaiser, FS Canaris zum 70. Geburtstag, Bd. I, S. 531, 543.
III. Alternativkonzept
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Demjenigen, der erwägt zu klagen, sind deswegen ebenfalls „Prüfpflichten“ aufzuerlegen (1.). Sie sind nach weitgehend gleichen Kriterien auszufüllen wie im vorprozessualen Bereich. Es gilt derselbe gruppenspezifische Sorgfaltsmaßstab und die Reichweite der Prüfpflichten ist insbesondere in Abhängigkeit von einem Schädigungspotential und der Wahrscheinlichkeit einer Fehleinschätzung festzulegen (2.). Die so bestimmten Prüfpflichten können ebenso wie im vorprozessualen Kontext dazu führen, dass Unsicherheiten verbleiben. Ein Unterschied zur vorprozessualen Geltendmachung besteht darin, welche Konsequenz aus verbleibenden Unsicherheiten zu ziehen ist. Unter Umständen müssen solche Unsicherheiten nämlich Anlass dazu geben, eine vorprozessuale Geltendmachung vorzuschalten (3.). 1. Prüfpflichten Als sehr hilfreich erwiesen hat sich im Kontext der Geltendmachung vermeintlicher Rechte die Konkretisierung der verkehrserforderlichen Sorgfalt durch Prüfpflichten. Es entspricht somit – als zentrales Postulat entgegen dem prozessualen Haftungsprivileg – der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, dass man ein Begehren überprüft, ehe man Klage erhebt. Wäre bei Durchführung einer gebotenen Überprüfung für den Kläger erkennbar gewesen, dass sein Begehren unbegründet ist, dann ist dies eine ausreichende Basis für eine Schadensersatzhaftung. Dies sollte jedenfalls im vertraglichen Bereich gelten, wo § 241 Abs. 2 BGB explizit Vertragspartnern eine gewisse Rücksicht abverlangt. Besteht keine Vertragsbeziehung, so sollte grundsätzlich dasselbe gelten, wobei allerdings die Reichweite von Prüfpflichten tendenziell etwas geringer eingestellt werden sollte, um der Existenz des § 241 Abs. 2 BGB im vertraglichen Kontext Rechnung zu tragen. Jenseits vertraglicher Beziehungen wird aber eine materiell-rechtliche Haftung ohnedies weit seltener in Betracht kommen, weil der als Anspruchsgrundlage vorwiegend in Betracht kommende § 823 BGB nicht das Vermögen des Geschädigten schützt.80 Inhaltlich hat sich die Prüfpflicht auf Umstände zu beziehen, die dem vermuteten Anspruch entgegenstehen: Was im gewährleistungsrechtlichen Kontext Alternativursachen sind, also Umstände jenseits eines Mangels, die eine Sache mangelhaft erscheinen lassen, ist bei Zahlungsverpflichtungen beispielsweise der Umstand, dass bereits gezahlt worden ist.81 Auch bedarf es nicht viel an Phantasie, sich Irrtümer über die Iden80 Ausgeschlossen ist das gleichwohl nicht: Trifft etwa eine Klage einen gesundheitlich angeschlagenen Menschen zur Unzeit, so ist durchaus denkbar, dass er dadurch weitere gesundheitliche Schäden erleidet. Für eine derartige Überlegung mit Blick auf eine Einschränkung des von der Rechtsprechung propagierten Haftungsprivilegs durch Treu und Glauben siehe auch BGH, Urteil vom 13. März 1979 – VI ZR 117/77 = NJW 1979, 1351, unter II.1.b)bb) sowie II.2.b)bb). 81 Vgl. dazu BGH, Urteil vom 13. März 1979 – VI ZR 117/77 = NJW 1979, 1351, dem dieser Fall – in sehr extremer Form – zugrunde lag. Es wurde ein Verfahren weiterbetrieben, obwohl
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E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz
tität eines Verantwortlichen auszumalen, wenn etwa bei der Errichtung eines Bauwerkes verschiedene Beauftragte tätig werden. Auch daraus kann sich gegebenenfalls ein Anhaltspunkt dafür ergeben, dass ein vermeintlicher Anspruch zumindest nicht gegen denjenigen besteht, der verklagt werden soll, sondern allenfalls gegen eine andere Person. Für eindringende Feuchtigkeit kann der fehlerhafte Einbau eines Balkontürelements durch den Lieferanten verantwortlich sein, möglicherweise ist aber auch eine unsachgemäß ausgeführte Abdeckung durch einen Dachdecker ursächlich.82 Diese als Beispiele gewählten Umstände ziehen etwa Folgendes nach sich: Wäre in der Lichtrufanlagenentscheidung83 die Käuferin nicht außergerichtlich vorgegangen, sondern hätte direkt auf Nacherfüllung geklagt, dann hätte dies nach der hier vertretenen Ansicht an ihrer Haftung aus materiellem Recht im Grundsatz84 nichts geändert. Sie hätte vor Klageerhebung ebenso wie vor einem außergerichtlichen Nacherfüllungsverlangen auf Alternativursachen prüfen müssen. Bei der gebotenen Überprüfung hätte sie die Alternativursache der gelösten Steckverbindung erkennen müssen und hätte deswegen aus § 280 Abs. 1 BGB für Schäden durch die Klage gehaftet. Ob eine solche materiell-rechtliche Haftung in Ergänzung zu der Haftung aus § 91 ZPO einen merklichen Unterschied gemacht hätte, steht allerdings auf einem anderen Blatt. In der Konstellation der Lichtrufanlagenentscheidung hätte sich wohl kein großer Unterschied ergeben.85 Auch einem Bauherrn kann (je nach Verkehrskreis zumindest eine laienhafte86 ) Überprüfung abverlangt werden, ob der gerügte Mangel wirklich aus der Sphäre des Verklagten stammen kann. Im obigen, an das Urteil des OLG Hamm angelehnten Beispiel würde das sicherlich nicht zu einer Haftung führen, denn ein Bauherr wird im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten kaum erkennen können, ob der Installateur einen Fehler gemacht hat oder ob der Dachdecker verantwortlich ist. Tropft es allerdings – um ein überzeichnetes Beispiel zu wählen – auf mehrfach mitgeteilt worden war, die fragliche Schuld sei bereits beglichen. Für den Fall sah auch der BGH die Notwendigkeit einer „wertenden Begrenzung“ des Rechts auf Irrtum. Nach hier vertretener Auffassung muss die Prüfpflicht aber bedeutend strenger gefasst werden: Es bedarf keines (erst recht nicht des mehrfachen) Hinweises, dass eine Schuld schon beglichen sei, um eine Haftung auszulösen. Das hat der Gläubiger vielmehr selbst und unaufgefordert zu prüfen. 82 Vgl. etwa die Konstellation in OLG Hamm, Urteil vom 29. März 2001 – 24 U 60/60, wo allerdings schlechthin alle Beteiligten Fehler gemacht haben. 83 BGH, Urteil vom 23. Jan. 2008 – VIII ZR 246/06 = NJW 2008, 1147. 84 Die in dem Fall angefallenen Untersuchungskosten des Verkäufers wären natürlich in der konkreten Form nicht entstanden. 85 Dazu schon oben II.5.: Die Kosten für die nötigen Sachverhaltsaufklärung im Verfahren wären aller Voraussicht nach auch von § 91 ZPO erfasst gewesen, sodass der Gegenüber insoweit keinen Grund gehabt hätte, auf die (verschuldensabhängige) materiell-rechtliche Haftung zurückzugreifen. Ein Unterschied bestünde aber mit Blick auf allgemeinen Prozessaufwand des zu Unrecht Verklagten. Allgemeinen Prozessaufwand bekäme der Verkäufer nur auf Basis des § 280 Abs. 1 BGB ersetzt. 86 Dazu sogleich noch genauer.
III. Alternativkonzept
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dem Dachboden, dann wird auch ein Laie nicht eine fehlerhafte Abdichtung der Bodenplatte als Ursache vermuten und das für die Bodenplatte zuständige Unternehmen risikolos verklagen dürfen. Nicht zielführend ist dabei87 der Versuch, Prüfpflichten auf „die eigene Sphäre“, den „eigenen Verantwortungsbereich“ o.Ä. zu begrenzen.88 Entscheidend ist nicht, ob Umstände, die dem vermeintlichen Anspruch entgegenstehen, eine Zugehörigkeit zu der einen oder anderen unkonturierten Sphäre aufweisen, sondern schlicht, ob sie für den jeweiligen Prätendenten unter dem ihm abverlangten Aufwand erkennbar waren. 2. Sorgfaltsmaßstab und Reichweite Für den Sorgfaltsmaßstab und die Reichweite einer Prüfpflicht gilt dasselbe, was bereits eingehend für den vorprozessualen Bereich besprochen wurde. Es gilt ein gruppenspezifischer Maßstab, das heißt maßgeblich sind die durchschnittlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Möglichkeiten des Personenkreises, dem der Kläger angehört89 ; es gilt ein einfacher Fahrlässigkeitsmaßstab ohne schwer handhabbare Modifikationen hin zu Leichtfertigkeit, grober Fahrlässigkeit, Evidenzkontrolle o.Ä.90 Der Gefahr einer Überabschreckung und damit dem zentralen Anliegen des prozessualen Haftungsprivilegs wird dennoch Rechnung getragen. Ebenso wie im vorprozessualen Kontext91 ist eine Abschreckungsgefahr im Rahmen der Reichweitenbestimmung von Prüfpflichten zu berücksichtigen. Prüfpflichten müssen so begrenzt sein, dass ein redlicher Verkehrsteilnehmer nicht abgeschreckt wird und der Rechtsschutz dadurch verkümmert. Entscheidend für eine materiell-rechtliche Haftung ist deswegen, ob Anhaltspunkte für ein Nichtbestehen des vermeintlichen Anspruchs bei solchen Überprüfungen erkannt worden wären, die unterhalb einer gedachten Abschreckungsgrenze rangieren. Für diese Hilfsüberlegung sind ähnliche Aspekte in Anschlag zu bringen wie im vorprozessualen Bereich, allem voran die potentiellen Schäden92 , die durch eine unberechtigte Klage beim Gegenüber verursacht werden. Dabei sind allerdings die Posten außen vor zu lassen, für die ein unterliegender Kläger ohnedies haftet, also insbesondere Posten, die typischerweise unter § 91 ZPO fallen. Diese verschuldensunabhängige Haftung beim Unterliegen kann der Kläger nicht beeinflussen und dem Prozessgegner entstehen „unterm Strich“ auch keine 87
Genauso wie im vorprozessualen Bereich, dazu schon im Detail oben B.II.1.c)bb). A.A. aber Thole, AcP 209 (2009), 499, 531; Götz, Schädigende Rechtsverfolgung, S. 201, der zumindest an Umstände aus der Sphäre des Klägers anknüpft, um insoweit einen besonders strengen Haftungsmaßstab (auch leicht fahrlässiges Verhalten könne haftungsrelevant sein) zu fordern. 89 Oben B.II.1.b)cc) m.N. für diese allgemeine Dogmatik der Fahrlässigkeit. 90 Zum Ganzen im vorprozessualen Kontext oben B.II.5. 91 Oben B.III.1.b)bb). 92 Oben B.III.1.b)aa)(2) und B.III.1.b)aa)(4). 88
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Nachteile. Als potentielle „Schäden“ einzubeziehen sind demgegenüber aber diejenigen Posten, die nicht von prozessrechtlichen Erstattungsansprüchen erfasst sind und die der Prozessgegner deswegen ohne Erstattungsmöglichkeit erleidet, sofern eine materielle Haftung des Klägers nicht besteht. Mit anderen Worten: genau diejenigen Schäden, an denen sich der Streit über die Rechtfertigung eines prozessualen Haftungsprivilegs entzündet. Das sind insbesondere allgemeiner Prozessaufwand sowie Schäden, die durch einen Prozess an sich verursacht werden können.93 Je höher solche drohenden Schäden (nach redlicher ex anteEinschätzung durch den Kläger) sind, desto größer ist auch der Aufwand, der dem Kläger zur Überprüfung seines Begehrens abverlangt werden kann, bevor man ihn von einer materiell-rechtlichen Haftung freistellt. Wer von der psychischen Angeschlagenheit seines Vertragspartners weiß, der muss etwas genauer prüfen, ob sein Anspruch wirklich bestehen kann, bevor er ohne ein materiell-rechtliches Haftungsrisiko klagen kann. Gleiches gilt, wenn dem Kläger die finanzielle Notlage des Gegenüber bekannt ist. Niemandem ist es zu verwehren, auch zu Beginn einer Pandemie, in einer Situation großer Knappheit von Schutzmasken und der Unsicherheit darüber, welche Masken überhaupt vor einem Virus schützen können, einen Hersteller wegen minderwertiger Qualität zu verklagen. Der Käufer sollte aber mit erhöhter Sorgfalt überprüfen, ob seine Messungen der Filterleistung nicht durch eigene Fehler beeinflusst waren und dass er nicht etwa versehentlich die Maske eines Konkurrenten getestet hat. Ist ihm insoweit ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen, dann haftet er grundsätzlich für einen Schaden, den der Verkäufer dadurch erleidet, dass ihn der Prozess zunächst als unseriösen „Krisengewinnler“ erscheinen lässt. Insoweit ist m.E. mit dem Dogma zu brechen, das immer wieder im Kontext des prozessualen Haftungsprivilegs betont worden ist und wonach ein Kläger seine Belange explizit nicht gegen die des Gegenüber abwägen müsse, er nicht erwägen müsse, ob eine Klage für den Gegner zur Unzeit komme etc.94 Richtig ist daran, dass sich kein Verkehrsteilnehmer zum Anwalt der Gegenseite machen und sich beispielsweise aktiv über eine besondere Schadensanfälligkeit informieren muss. Liegen ihm aber Informationen wie in den soeben beschriebenen Beispielen vor, dann muss er sein Verhalten auch entsprechend ausrichten, d.h. genauer prüfen, je schadensträchtiger sein prozessuales Vorgehen voraussichtlich sein wird. Als Einordnungshilfe für ein Schädigungspotential des prozessualen Vorgehens ist mit verschiedenen Stimmen aus der Literatur auch auf das jeweils in Betracht kommende Verfahren abzustellen. Ein Insolvenzantrag birgt ersichtlich ein hohes Risiko für den Geschäftsbetrieb des Betroffenen, während eine „gewöhnli93
Dazu schon genauer oben II.3. und II.5. Siehe aus den zahlreichen Urteilen zum prozessualen Haftungsprivileg nur BGH, Urteil vom 11. Nov. 2003 – VI ZR 371/02 = NJW 2004, 446, unter II.1.a); BGH, Urteil vom 25. März 2003 – VI ZR 175/02 = NJW 2003, 1934, unter II.1.a); BGH, Urteil vom 3. Okt. 1961 – VI ZR 242/60 = NJW 1961, 2254, 255, jeweils m.w.N. 94
III. Alternativkonzept
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che“ Leistungsklage abseits des allgemeinen Prozessaufwands seltener besondere Schäden wird erwarten lassen.95 Recht offensichtlich ist beispielsweise auch das Schädigungspotential bei einer unbegründeten Vollstreckungsintervention, alleine schon weil es dadurch regelmäßig zu Verzögerungen der Vollstreckung kommen wird.96 Zurückhaltung ist allerdings geboten, soweit es um die Einbeziehung von Strafanzeigen in das hier beschriebene Konzept geht.97 Dabei besteht sicherlich ein hohes Schädigungspotential. Gleichzeitig dürfte aber ein Interesse an effektiver Strafverfolgung erheblich stärker für eine risikoarme Möglichkeit von Strafanzeigen sprechen, als dies im rein zivilrechtlichen Kontext die Verhinderung von (Individual-)Rechtsverkümmerung tut. Neben die potentiellen Schäden durch ein prozessuales Vorgehen tritt zur Bestimmung einer Abschreckungsgrenze zudem eine redliche ex ante Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass ein Anspruch nicht besteht.98 Sind für den Kläger Anhaltspunkte erkennbar, die gegen den von ihm vermuteten Anspruch sprechen, dann muss eine Einschätzung erfolgen, wie wahrscheinlich diese sind. Für umso wahrscheinlicher ein Käufer bei redlicher ex ante Einschätzung solche Umstände halten muss, desto höher ist der Aufwand für deren Überprüfung, der für eine Freizeichnung von der materiell-rechtlichen Haftung erwartet werden kann. Sowohl potentielle Schäden als auch deren Wahrscheinlichkeit sind in Relation zu dem „Nutzen“ des Vorgehens zu sehen, d.h. regelmäßig in Relation zu setzen zu dem Wert des geltend gemachten Anspruchs.99 Geringerwertige Ansprüche sähen sich tendenziell einer größeren Gefahr von Rechtsverkümmerung ausgesetzt, wenn der Prüfungsaufwand nur anhand von Wahrscheinlichkeiten von Fehleinschätzungen und dem Schädigungspotential zu bemessen wären. Das Recht sollte aber dem „Wert“ eines Anspruchs grundsätzlich indifferent gegenüberstehen und Ansprüche gleichermaßen vor Rechtsverkümmerung schützen. Deswegen sollte der Aufwand für Überprüfungen, ab dem sich ein redlicher Verkehrsteilnehmer von der Geltendmachung seiner Rechte abschrecken lassen würde, umso geringer angesetzt werden, je geringwertiger das vermutete Recht ist. 3. Konsequenz bei verbleibenden Unsicherheiten Der Prätendent wird also daran gemessen, ob Anhaltspunkte für ein Nichtbestehen des vermeintlichen Anspruchs bei solchen Überprüfungen erkannt worden wären, die unterhalb einer gedachten Abschreckungsgrenze rangieren. Überprüfungen, deren Aufwand sich über einer Abschreckungsgrenze bewegt, können nicht verlangt werden. Diese Fälle werden sich regelmäßig dadurch aus95
Vgl. Thole, AcP 209 (2009), 499, 532; Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, S. 256. 96 Zur Exekutionsintervention und deren Schadenspotenzial ausführlich Haertlein, Exekutionsintervention und Haftung, S. 185 ff. 97 Dahingehend aber Thole, AcP 209 (2009), 499, 532. 98 Vgl. oben B.III.1.b)bb)(4). 99 Vgl. oben B.III.1.b)bb)(5).
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E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz
zeichnen, dass ein vermeintlicher Gläubiger einen möglichen Anhaltspunkt für das Nichtbestehen des Anspruchs erkennt, aber wegen zu hoher Kosten nicht überprüft. Solche Fälle müssen anders behandelt werden, als im vorprozessualen Kontext. Im vorprozessualen Bereich wird dem Prätendenten die Geltendmachung des vermuteten Rechts ohne Haftungsrisiko gestattet. Er muss aber im Regelfall den Gegenüber über seine Zweifel (unaufgefordert) aufklären.100 Dadurch wird dem Gegenüber insbesondere mit dem generellen Ziel der Kostenreduzierung die Möglichkeit eingeräumt, sein Vorgehen etwa in Gestalt von eigenen Untersuchungen an den Zweifelsmomenten des Prätendenten auszurichten. Eine Übertragung dieses Konzepts auf den Bereich der prozessualen Geltendmachung ist offensichtlich unsinnig, weil eine Information des Beklagten über Zweifel nichts mehr an den entstehenden Schäden ändern kann. Vielmehr sollte es in der Situation schlicht der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt entsprechen, dass ein Prätendent zunächst vorprozessual vorgeht. Tut er das nicht, sondern entschließt sich unmittelbar zu klagen, so liegt darin ein Sorgfaltsverstoß und ein Anknüpfungspunkt für eine materiell-rechtliche Haftung, wenn der Anspruch tatsächlich nicht besteht.101 Der vermutliche Gläubiger muss also sinnvollerweise die Zweifel zum Anlass nehmen, auf ein vorprozessuales Vorgehen umzuschwenken. Dies ist für ihn ohne Frage zumutbar, denn er trägt kein Haftungsrisiko.102 Gleichzeitig wird das unmittelbare weitere Vorgehen in der Unsicherheitssituation in die Hände des Schuldners gelegt, der auch die Konsequenzen tragen soll: Verweigert sich der Schuldner eines Beitrags zur Aufklärung der Angelegenheit, dann kann der Gläubiger ohne materiell-rechtliches Haftungsrisiko klagen. Entscheidet sich der Schuldner aber beispielsweise zu Untersuchungen, dann trägt er nach dem Gesagten die Kosten auch dann, wenn sich das Begehren als unberechtigt herausstellt. Idealerweise wird durch diese vorprozessuale Auseinandersetzung die Streitigkeit endgültig gelöst. Endet sie hingegen damit, dass der Schuldner einen Anspruch leugnet, so muss – wenn der Gläubiger daraufhin klagt – eine materiell-rechtliche Haftung erneut nach den bereits beschriebenen Aspekten beurteilt werden. Allerdings wird gegebenenfalls auf Basis fortgeschrittener Sachverhaltsaufklärung durch den Schuldner eine Wahrscheinlichkeitsprognose zu korrigieren sein. Muss der Gläubiger redlicherweise anerkennen, dass sich Zweifel an seinem Anspruch wegen einer Untersuchung und der ablehnenden Stellungnahme durch den vermeintlichen Schuldner erhärtet haben, dann steigt die Abschreckungs100
Oben B.III.2., insbesondere B.III.2.a). Ob sich der Kläger dann seinerseits (Stichwort: rechtmäßiges Alternativverhalten) mit dem Argument verteidigen kann, die vorprozessuale Geltendmachung hätte an der Unsicherheit nichts geändert und er hätte dann risikolos klagen dürfen, wird im Einzelfall zu entscheiden sein. Ein dahingehender Beweis dürfte aber kaum einmal zu erbringen sein. 102 Denn es handelt sich ja gerade um einen Fall verbliebener Unsicherheiten, in dem ohne Haftungsrisiko außergerichtlich vorgegangen werden kann, oben B.III.2. 101
IV. Zusammenfassung und abschließende Einordnung
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grenze an. Wäre das Nichtbestehen durch Überprüfungen mit einem Aufwand bis zu dieser (ggf. erhöhten) Abschreckungsgrenze erkennbar gewesen, dann haftet der Gläubiger wegen einer sich anschließenden, unberechtigten Klage aus materiellem Recht. Gleichwohl darf ein Gläubiger hinsichtlich einer Darstellung durch seinen vermeintlichen Schuldner durchaus kritisch sein: Er darf damit rechnen, dass sein Gegenüber Umstände gefärbt zu seinen Gunsten darstellt und muss sicherlich nicht dessen Darstellung als objektiv korrekt unterstellen. Liefert der Schuldner allerdings klare, nachvollziehbare Anhaltspunkte gegen den vermuteten Anspruch, dann muss der Gläubiger diese anerkennen und für sein weiteres Vorgehen berücksichtigen. Will oder kann der Gläubiger entsprechende Überprüfungen nicht durchführen, so trägt er eben, wenn er dennoch klagt, ein materiell-rechtliches Haftungsrisiko. Denkbar ist aber auch, dass ein vermeintlicher Schuldner nicht reagiert oder dass sein Tätigwerden an der redlichen Einschätzung durch den Gläubiger nichts ändert. In dem Fall liegt in einer Klage kein Sorgfaltsverstoß und eine materiellrechtliche Haftung scheidet aus. Dadurch, dass man mit dem hier vertretenen Konzept die vorprozessuale Geltendmachung im Fall von Zweifeln als im Verkehr erforderlich einstuft, wird letztlich eine relativ weitreichende Obliegenheit des vermeintlichen Gläubigers zur vorgeschalteten vorprozessualen Rechtsverfolgung etabliert. Das ist durchaus intuitiv: Zwar wird man ohne empirische Erhebungen kaum beurteilen können, ob dadurch insgesamt ein ökonomisch vorzugswürdiges Ergebnis erzielt wird. Jedenfalls aber wird dem vermeintlichen Schuldner, der Schädigungen gegebenenfalls ersatzlos hinnehmen soll, ermöglicht, bei der weiteren Entwicklung mitzuwirken. Eine Obliegenheit zur vorprozessualen Auseinandersetzung steht als Konsequenz des § 93 ZPO für den tatsächlich Berechtigten ohnedies außer Frage.103 Für den tatsächlich Unberechtigten sollte – als Konsequenz eines ansonsten bestehenden materiell-rechtlichen Haftungsrisikos – nichts anderes gelten. IV. Zusammenfassung und abschließende Einordnung Den vermutlichen Gläubiger treffen nach der hier vertretenen Ansicht bei der prozessualen Verfolgung grundsätzlich dieselben Prüfpflichten wie bei der außerprozessualen Geltendmachung. Sie sind nach denselben Kriterien auszufüllen. Dadurch ergibt sich ein einheitliches materiell-rechtliches Haftungsregime für die Rechtsverfolgung, das insbesondere deren Schädigungspotential Rechnung trägt. Eine Überabschreckung wird bei prozessualem Vorgehen ebenso wie im vorprozessualen Bereich durch eine adäquate Einstellung des Prüfungsaufwands verhindert. Praktische Unterschiede zwischen dem beschriebenen Konzept und dem Konzept eines prozessualen Haftungsprivilegs bestehen ohne Frage, sie dürften aber trotz allem überschaubar sein. Unterschiede ergeben sich nur insoweit, als Schä103
BeckOK ZPO E41/Jaspersen, § 93 Rn. 2.
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E. Gerichtliche Rechtsverfolgung als Referenz
den eines zu Unrecht in Anspruch genommenen Prozessteilnehmers nicht nach prozessualen Regeln ersatzfähig sind. Das betrifft zum einen den allgemeinen Prozessaufwand, der in aller Regel aber eher gering sein dürfte. Zum anderen ergeben sich dort Unterschiede, wo ein Verfahren an sich ein Schädigungspotential birgt. Dies wird aber nur in besonderen und seltenen Konstellationen der Fall sein. Gleichwohl: Besteht ein solches Schädigungspotential durch ein Verfahren und ist es für den Kläger erkennbar, so sprechen die besseren Argumente dafür, dass sich dies auch in einer materiell-rechtlichen Haftungsmöglichkeit des Rechtsverfolgers niederschlagen sollte, sofern der Kläger unsorgfältig ist und bei gebotenen Prüfungen seine fehlende Berechtigung hätte erkennen müssen. Auf der Basis eines solchen Gleichklangs zwischen vorprozessualer und prozessualer Rechtsverfolgung erübrigt sich letztlich die Frage, ob nicht die vorprozessuale Rechtsverfolgung haftungsrechtlich privilegiert werden müsse: Falsch ist das prozessuale Haftungsprivileg, nicht die vorprozessuale Haftung.
F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten Die bisherigen Feststellungen haben bereits gezeigt, dass sich eine sachgerechte Verteilung des Unsicherheitsrisikos mittels eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs bewerkstelligen lässt. Dies zeichnet bis zu einem gewissen Grad auch die folgenden Untersuchungen vor, denn von einer überzeugenden Lösung stünde zu erwarten, dass sie durch weitere Ausgleichsmöglichkeiten nicht grundlegend in Frage gestellt wird. Falls doch, so wäre auch die bisherige Analyse zu hinterfragen. Verschiedentlich wurde diskutiert, ob und gegebenenfalls wann einem Verkäufer sogar ein vertraglicher (Primär-)Anspruch im Kontext eines unbegründeten Nacherfüllungsverlangens zusteht, weil eine separate Abrede über die Kostentragung besteht (II.). Daneben sind Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (III.) und bereicherungsrechtliche Ausgleichsansprüche zu untersuchen (IV.). Letztlich ist zu dem Vorstoß Stellung zu nehmen, § 91 ZPO analog anzuwenden, um eine Gefährdungshaftung für die vorprozessuale Rechtsverfolgung zu etablieren und dem Verkäufer zu einem verschuldensunabhängigen Kostenerstattungsanspruch zu verhelfen (V.). Vorangestellt sei die grundlegende Einordnung, welche Kosten überhaupt für eine Übernahme in Betracht kommen (I.). I. Vorüberlegung Im Zusammenhang mit einem unberechtigten Nacherfüllungsverlangen werden ganz grundsätzlich zwei Kostenpunkte bedeutsam: Zum einen sind es diejenigen Kosten, welche dem Verkäufer für die Verifizierung der Mangelfreiheit entstehen. Der bisherigen Analyse zufolge sind diese Kosten dem Verkäufer zugewiesen, sofern den Käufer kein Verschulden trifft. Im Folgenden soll von „Untersuchungskosten“ gesprochen werden. Daneben treten gegebenenfalls Kosten für die Behebung der Störung, wenn der Verkäufer sich nicht auf die Untersuchung an sich beschränkt, sondern auch Alternativursachen beseitigt. Insoweit soll von „Beseitigungskosten“ die Rede sein. Da der Verkäufer mit der Verifizierung der Mangelfreiheit seinen Pflichten entsprochen hat, fällt eine darüber hinausgehende Beseitigung zweifelsohne in den Verantwortungsbereich des Käufers. Ein Beispiel aus dem – im Hinblick auf Mängel grundsätzlich mit dem Kaufrecht vergleichbaren – Werkvertragsrecht zeigt aber, dass die Praxis diese Diffe-
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
renzierung nicht immer nachvollzieht. In dem einer BGH-Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte ein Werkunternehmer auf eine Mängelrüge des Bestellers hin die folgende Abrede verlangt: „Sollte sich allerdings bei der Prüfung des von Ihnen angezeigten Mangels herausstellen, dass dieser nicht auf unsere Leistung zurückzuführen ist, oder aber seine Ursache im normalen Verschleiß bzw. in normaler Abnutzung hat, müssen wir im Hinblick auf die von uns dann aufgewendeten Kosten diese Arbeiten als Reparaturauftrag behandeln. Die in diesem Fall entstehenden Kosten für An- und Abfahrt, Fehlersuche und Freilegung der Schadstelle, Mängelbeseitigung, Wiederherstellung, Materialkosten, Kosten für Nebenleistungen müssen wir Ihnen dann berechnen.“1 Untersuchungskosten und Beseitigungskosten werden in einem Atemzug genannt und sollen nach der Klausel auch gleich behandelt werden. Aus rechtlicher Sicht erscheint hingegen eine getrennte Betrachtung geboten.2 II. Entschädigung aus einer gesonderten Abrede Verkäufer und Käufer können eine gesonderte Abrede des Inhalts treffen, dass der Käufer den Verkäufer für seine Aufwendungen zu entschädigen habe, falls sich ein Nacherfüllungsverlangen als unberechtigt herausstellen sollte. Die Wirksamkeit einer solche Abrede begegnet bei genauerer Betrachtung allerdings in einigen Konstellationen Bedenken. In erster Linie sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden: vertragliche Abreden bevor ein Mangelverdacht entstanden und zwischen den Parteien diskutiert worden ist (1.) und vertragliche Abreden, die erst danach getroffen werden (2.). 1. Abreden vor Entstehen eines Mangelverdachts Bei Abreden vor Entstehen eines Mangelverdachts wird es sich regelmäßig um den Fall handeln, dass bereits im ursprünglichen Vertrag eine Vereinbarung über bestimmte Kosten getroffen wurde. Vorwiegend die Verkäuferseite könnte geneigt sein, in den Kaufvertrag eine Klausel aufzunehmen, die ihr Aufwendungsersatz für den Fall gewährt, dass ein Käufer unberechtigterweise Nacherfüllung verlangt. Es wird sich dabei immer um Ersatz für die Untersuchungskosten handeln.3 Diese Konstellation dürfte aufgrund der folgenden drei Aspekte klar sein:
1
BGH, Urteil vom 2. Sep. 2010 – VII ZR 110/09 = NJW 2010, 3649, 27. Wohl auch Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 362, der die Unterscheidung zumindest für die Auslegung einer konkludenten Willenserklärung als relevant erachtet. 3 Fernliegend wäre hingegen eine Klausel, die Kostenersatz für die Beseitigung von Alternativursachen gewährt. Dies würde nämlich bedeuten, dass jedes unberechtigte Nacherfüllungsverlangen zugleich den Verkäufer mit der Beseitigung der Alternativursachen betraut. Dies wird oftmals weder im Interesse des Verkäufers noch des Käufers liegen. 2
II. Entschädigung aus einer gesonderten Abrede
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Erstens kann – sofern kein Verbraucher beteiligt ist4 – individualvertraglich eine solche Klausel vereinbart werden. An deren Wirksamkeit bestünden keine Bedenken. Zweitens ist demgegenüber aber eine Vereinbarung in AGB unwirksam.5 Den Käufer mit den Untersuchungskosten des Verkäufers zu belasten, bedeutet, dass der Käufer das gesamte Unsicherheitsrisiko trägt. Diese Verteilung entgegen dem gesetzlichen Normalfall stellt eine unangemessene Benachteiligung dar (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB). Die oben ausführlich diskutierte Beschränkung der Haftung des Käufers auf Fälle von Verschulden bei der Prüfung auf Alternativursachen erreicht nämlich vor allem, dass Käufer nicht von der Geltendmachung tatsächlich bestehender Gewährleistungsrechte abgeschreckt werden.6 Somit dient die Beschränkung der Käuferhaftung mittelbar auch der Erreichung des Vertragszwecks, den Käufer in den Genuss einer mangelfreien Kaufsache kommen zu lassen. Aufgrund der zu besorgenden Abschreckung würde eine Klausel zur Kostenübernahme bei unberechtigter Geltendmachung somit den Vertragszweck gefährden (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB).7 Handelt es sich drittens um einen Verbraucherkäufer, so steht die Unwirksamkeit gänzlich außer Frage. Jedenfalls aufgrund von § 476 Abs. 1 S. 1 BGB kann sich ein Verkäufer nicht auf eine Abrede berufen, die dem Verbraucher Kosten im Zusammenhang mit einem unberechtigten Nacherfüllungsverlangen auferlegt. Die Norm verbietet nämlich Abweichungen von den Verbraucherschutzregeln „vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer“, was bei einer Abrede bei Vertragsschluss (jedenfalls aber vor Entstehen eines Mangelverdachts) der Fall ist. Anzweifeln ließe sich allenfalls, ob eine Kostentragungsklausel wirklich von den „§§ 433 bis 435, 437, 439 bis 443 sowie von den Vorschriften dieses Untertitels [§§ 474 bis 479 BGB] abweicht“.8 Formal besehen sind diese Normen nämlich in Fällen von Mangelfreiheit nicht tangiert. Bereits die obigen Ausführungen zum europarechtlichen Hintergrund der Verbraucherschutzregeln haben allerdings gezeigt, dass diese Überlegung zu kurz greift: Auch die Richtlinienvorgaben in der maßgeblichen Auslegung nach dem EuGH erfordern einen ef-
4
Dazu sogleich. OLG Hamm, Urteil vom 27. Sep. 1999 – 13 U 71/99 = BeckRS 1999, 31160618; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 366-368. 6 Zur gesamten Konzeption oben B.II.; zur Abschreckung insbesondere B.III.1.b)bb). 7 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 367 f.; vgl. auch (noch zum AGBG) OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Okt. 1999 – 6 U 161/98 = NJW-RR 2000, 790, allerdings zu einer Klausel, die nach hier vertretener Ansicht unproblematisch gewesen wäre, weil sie an ein Vertretenmüssen des Käufers anknüpfte und somit nur die Rechtslage wiedergegeben hat (heute § 307 Abs. 3 S. 1 BGB). Das Gericht ging allerdings davon aus, dass nur eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit sachgerecht sei und wertete deswegen die AGB-Regelung als eine Verschärfung. 8 § 476 Abs. 1 BGB. 5
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
fektiven Schutz des Verbrauchers vor Abschreckung.9 Dieser äußert sich unter anderem in einer nach dem Verschuldensprinzip begrenzten Haftung, weil eine weiterreichende Haftung wegen der Kostenbelastung eine Abschreckung besorgen ließe und dadurch die Verbraucherschutzregeln in Gänze gefährdet würden. Nichts anderes schützt aber § 476 Abs. 1 S. 1 BGB. Dann aber muss – alleine schon zur Erreichung einer konsistenten Gesetzesauslegung – diese Norm auch einer Vereinbarung entgegenstehen, wonach der Verbraucher Kosten für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen zu tragen hat. Diese Kostentragung wäre nämlich gerade ein Mehr an Haftung gegenüber der Verschuldenshaftung mit der zuvor diskutierten10 Maßgabe, dass ein Verbraucher nicht abgeschreckt werden darf. Im Übrigen würde sich diese Einordnung in das einheitlich propagierte strenge11 Verständnis dessen einfügen, was eine nachteilige Abweichung von den Verbraucherschutzregeln i.S.d. § 476 Abs. 1 S. 1 BGB meint. Die Norm erfasse etwa jede Veränderung der Gesetzeslage zum Nachteil des Verbrauchers12 ; es sei unerheblich, auf welche Weise ein Nachteil entstehe13 ; konkret seien beispielsweise gesetzlich nicht vorgesehene Kostentragungspflichten unzulässig.14 Mit dem letztgenannten Beispiel sind zwar wohl in erster Linie Kostentragungspflichten gemeint, die mit einem Gewährleistungsrecht einhergehen, etwa Ein- und Ausbaukosten entgegen der EuGH-Entscheidung in Sachen Putz/Weber.15 Trotzdem fügt sich m.E. ein Verbot, dem Verbraucher die Untersuchungskosten im Fall der Mangelfreiheit aufzuerlegen, auch in diese Liste nahtlos ein: Auch eine solche Vereinbarung verändert den gesetzlichen Normalfall zulasten des Verbrauchers. Zusammenfassend gilt also für Vereinbarungen über eine Kostentragung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen, welche vor Entstehen eines Mangelverdachts, d.h. in aller Regel bei Vertragsschluss, getroffen werden: Sie sind individualvertraglich möglich, sofern kein Verbrauchsgüterkauf vorliegt. In dem Fall ist eine solche Vereinbarung nicht möglich, beziehungsweise ein Verkäufer darf sich nicht darauf berufen.
9
Oben C.IV. Oben B.III.1.b)bb) sowie C.IV. speziell zur Verbraucherkonstellation. 11 Vgl. BeckOGK BGB 2021/Augenhofer, § 476 Rn. 20; Staudinger (2014)/MatuscheBeckmann, § 475 Rn. 16, 19; NK-BGB/Büdenbender, § 475 Rn. 5; MünchKomm BGB/Lorenz, § 476 Rn. 8; BeckOK BGB E59/Faust, § 476 Rn. 10. 12 NK-BGB/Büdenbender, § 475 Rn. 5. 13 Staudinger (2014)/Matusche-Beckmann, § 475 Rn. 20; MünchKomm BGB/Lorenz, § 476 Rn. 8. 14 BeckOGK BGB 2021/Augenhofer, § 476 Rn. 21.1; Staudinger (2014)/MatuscheBeckmann, § 475 Rn. 21. 15 EuGH, Urteil vom 16. Juni 2011, C-65/09 und C-87/09 (verbunden) [ECLI:EU:C:2011:396], Gebr. Weber GmbH, Ingrid Putz/Jürgen Wittmer, Medianess Electronics GmbH; dazu etwa die Besprechung von Bien, ZEuP 2012, 644. 10
II. Entschädigung aus einer gesonderten Abrede
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2. Abreden nach Entstehen eines Mangelverdachts Eine andere Bewertung erfordert die Situation, dass eine Abrede erst zu einem späteren Zeitpunkt in Rede steht. Entscheidend ist der Zeitpunkt, in dem ein Mangelverdacht entstanden ist und dieser Mangelverdacht an den Verkäufer herangetragen wurde, typischerweise in Gestalt eines Nacherfüllungsverlangens. Bei dieser Fallgestaltung rückt ein anderer Aspekt in den Vordergrund. Es wurde verschiedentlich diskutiert, ob ein Nacherfüllungsverlangen in einer Unsicherheitssituation nicht (regelmäßig) mit einer konkludenten Einigung darüber einhergehe, dass der Käufer die Kosten übernehme, wenn sich sein Begehren als unbegründet herausstellen sollte (a). Daneben tritt die Frage, ob eine solche Vereinbarung ausdrücklich angesichts des Mangelverdachts getroffen werden kann (b). a) Konkludente Kostenübernahme Es wurde vorwiegend im Kontext des Werkrechts nach Möglichkeiten gesucht, durch die ein zu Unrecht in Anspruch genommener Werkunternehmer Kostenersatz von seinem Vertragspartner erlangen kann. Dabei wurde in Erwägung gezogen, ob nicht ein Nacherfüllungsverlangen grundsätzlich ein Angebot zur Kostenübernahme darstelle, sollte sich herausstellen, dass kein Mangel vorlag.16 Die dogmatische Konstruktion lässt sich auf das Kaufrecht übertragen.17 Zu unterscheiden sind dabei grundsätzlich zwei Stoßrichtungen, weil sie eine teilweise unterschiedliche Bewertung erfordern: Zum einen könnte sich eine konkludente Kostenübernahme auf die Untersuchungskosten des Verkäufers beziehen; zum anderen auf Beseitigungskosten, die dem Verkäufer bei der Behebung von Alternativursachen entstehen. Für beide Möglichkeiten ist es entscheidend, ob im Wege der Auslegung dem Nacherfüllungsverlangen eine entsprechende Aussage entnommen werden kann. aa) Übernahme von Untersuchungskosten Mit Blick auf eine Übernahme der Untersuchungskosten erscheint dies ausgeschlossen. Ein objektiver Erklärungsempfänger (§ 157 BGB) wird ein Nacherfüllungsverlangen kaum so deuten dürfen, dass der Käufer bereit sei, die Untersuchungskosten des Verkäufers zu übernehmen. Der Verkäufer muss wegen des wirksamen18 Nacherfüllungsverlangens nämlich auf seine Kosten tätig werden, um die Mangelfreiheit seiner Leistung sicherzustellen. Deswegen würde der Käufer ohne jede Not und ohne jeden Vorteil für sich selbst eine Zahlungspflicht 16 OLG Frankfurt, Urteil vom 15. Feb. 2012 – 4 U 148/11 = NJW-RR 2012, 1200, unter II.2.1. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juni 2007 – 21 U 164/06 = NJW-RR 2008, 331, 332. 17 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 353 ff. 18 Zur Wirksamkeit des Nacherfüllungsverlangens auch bei verbleibender Unsicherheit oben B.III.2.
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
eingehen. Es dürfte regelmäßig ausgeschlossen sein, dass eine Auslegung anhand von § 157 BGB zu diesem Ergebnis gelangt.19 bb) Übernahme von Kosten zur Beseitigung einer Alternativursache Schon eher denkbar ist es, dass der Käufer mit dem Nacherfüllungsverlangen zum Ausdruck bringt, er sei mit einer Kostentragung einverstanden, falls sich sein Nacherfüllungsverlangen als unberechtigt herausstellt und soweit die Kosten bei der Beseitigung der Alternativursachen entstehen. Verschiedentlich wurde dies als „Reparaturvertrag“ bezeichnet.20 Auch die Bewertung dieser Konstruktion erfolgt aber – zu Recht – geschlossen ablehnend.21 Lediglich die Begründung ist allerdings eine andere. Gegen eine dahingehende Auslegung sprechen entschieden zwei Erwägungen: Erstens steht regelmäßig zu erwarten, dass ein Käufer erst dann über eine Behebung der Alternativursache entscheiden möchte, wenn sicher ist, dass er nicht im Wege der für ihn kostenlosen Gewährleistung zum Ziel kommt. Dies ist aber erst nach einer Untersuchung und Verifizierung der Mangelfreiheit durch den Verkäufer der Fall. Auch danach ist es aber im Regelfall für den Käufer noch wichtig, die freie Entscheidung über eine Beseitigung der Alternativursachen zu haben. Möglicherweise ist er nämlich selbst dazu im Stande oder möchte bspw. unter mehreren Handwerkern auswählen können.22 Bei der Beauftragung im Zuge des Nacherfüllungsverlangens wäre er hingegen auf den ursprünglichen Vertragspartner festgelegt. 19 Medicus/Lorenz, SchuldR II BT, § 7 Rn. 41; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 353 ff., wobei beide nicht deutlich zwischen Untersuchungskosten und Kosten für die Behebung einer Alternativursache unterscheiden; vgl. auch aus dem Werkvertragsrecht Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 277; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juni 2007 – 21 U 164/06 = NJW-RR 2008, 331, Ls. 2; LG Kassel, Urteil vom 1. Feb. 2008 – 12 S 2/06, Rn. 20; OLG Celle, Urteil vom 8. Mai 2002 – 7 U 47/00, Ls. 1 und 2. 20 Bspw. bei Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 353. Treffend ist dies dann, wenn es beispielsweise um die Wiederherstellung einer vom Käufer beschädigten Sache geht. Bei abstrakter Betrachtung sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen eine sonstige Alternativursache behoben werden soll: Der Heizungsinstallateur wird wegen eines vermeintlichen Defekts des von ihm installierten Heizkessels gerufen und behebt letztlich das Problem kalter Räume durch Entlüften der Heizkörper. 21 OLG Frankfurt, Urteil vom 15. Feb. 2012 – 4 U 148/11 = NJW-RR 2012, 1200, unter II.2.1. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juni 2007 – 21 U 164/06 = NJW-RR 2008, 331, 332; Medicus/Lorenz, SchuldR II BT, § 7 Rn. 41; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 360 f. („nur in sehr engen Ausnahmefällen möglich“); Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 278; zur umgekehrten Aussage, dass nur bei explizitem Hinweis des Werkunternehmers dahingehend, dass der Besteller bei Mangelfreiheit für die Kosten aufkommen müsse, ein Vertrag in Betracht komme: OLG Karlsruhe, Urteil vom 13. Mai 2003 – 17 U 193/02; OLG Celle, Urteil vom 8. Mai 2002 – 7 U 47/00, Ls. 2; LG Kassel, Urteil vom 1. Feb. 2008 – 12 S 2/06, Rn. 20. 22 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 356 f. („Entscheidung über das ‚Ob‘ und ‚Wie‘“).
II. Entschädigung aus einer gesonderten Abrede
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Zweitens kann ein Beweissicherungsinteresse bestehen23 : Möglicherweise will der Käufer die Einschätzung seines Vertragspartners, dass kein Mangel vorliege, nochmals verifizieren, um gegebenenfalls einen Gewährleistungsprozess vorzubereiten. Eine vorschnelle Behebung der Störung könnte das unmöglich machen. Im Regelfall dürfte deswegen in einem Nacherfüllungsverlangen keine Willenserklärung zu sehen sein, die auf den Abschluss eines Vertrags zur Behebung einer etwaigen Alternativursache gerichtet ist. Aufgrund des Umstandes, dass die beschriebene Auslegung eines Nacherfüllungsverlangens nach § 157 BGB immer auch von den Umständen des Einzelfalles abhängt, kann ein anderes Ergebnis für besondere Umstände natürlich nicht ausgeschlossen werden. Allerdings ist dabei sehr große Zurückhaltung geboten. Derkum beschreibt beispielsweise die Situation, dass eine Eismaschine für den Jahrmarktsbetrieb nicht funktioniert. Die besondere Dringlichkeit könne dann für ein konkludentes Reparaturangebot bei der Mängelrüge sprechen.24 Auch in einem solchen Fall wäre aber zu überprüfen, ob ein mit dem Nacherfüllungsverlangen verknüpfter Reparaturauftrag wirklich zu einer erheblichen Beschleunigung führen könnte. Die Alternativlösung sieht nämlich regelmäßig so aus, dass der zur Nacherfüllung aufgeforderte Verkäufer seine Untersuchung durchführt. Mit dem Ergebnis „mangelfrei, aber Alternativursache“ konfrontiert, kann der Käufer direkt im Anschluss die Behebung der Alternativursache erbitten. Oftmals wird durch ein solches Vorgehen kaum eine Verzögerung eintreten und dem Käufer verbleibt trotzdem noch die freie Entscheidungsmöglichkeit in Kenntnis des konkreten Befundes. Von dem soeben Erörterten zu unterscheiden ist die Möglichkeit eines konkludenten Vertragsschlusses zu einem späteren Zeitpunkt: Der Verkäufer oder Werkunternehmer wird korrekterweise auf das Nacherfüllungsverlangen hin tätig und nimmt auf seine Kosten Untersuchungen vor. Dabei stellt sich heraus, dass der Kaufgegenstand tatsächlich mangelfrei war. Wird nach dieser Feststellung mit Billigung des Vertragspartners eine Beseitigung einer Alternativursache vorgenommen, so kann darin ein konkludenter Vertragsschluss liegen.25 Diese Konstellation hat dann aber nur noch wenig mit der hier untersuchten Unsicherheit über einen Mangel zu tun und sei deswegen nur am Rande zur Abgrenzung erwähnt. Zusammenfassend ist demnach festzuhalten: Es erscheint regelmäßig ausgeschlossen, dass einem Nacherfüllungsverlangen ein stillschweigendes Angebot auf Übernahme der Untersuchungskosten innewohnt. Auch eine Beauftragung zur Beseitigung einer etwaigen Alternativursache ist dem Nacherfüllungsverlangen regelmäßig nicht zu entnehmen. 23
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 359. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 361. 25 So geschehen in OLG Karlsruhe, Urteil vom 13. Mai 2003 – 17 U 193/02, unter II.1.b). 24
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
b) Ausdrückliche Kostenübernahme Scheidet eine konkludente Kostenübernahme regelmäßig aus, so bleibt lediglich noch die Möglichkeit einer expliziten Einigung zwischen Verkäufer und Käufer. Es bestehen grundsätzlich keine Bedenken, dass dies als privatautonome Entscheidung von Verkäufer und Käufer möglich und zu respektieren ist. Eine Klarstellung fordern vor diesem Hintergrund Wertungen aus der Rechtsprechung, die dem scheinbar entgegenstehen (aa). Möglicherweise anders zu bewerten ist eine derartige Abrede bei einem Verbrauchsgüterkauf (bb). aa) Keine entgegenstehende Aussage in der Rechtsprechung „Der in Anspruch genommene Auftragnehmer darf Maßnahmen zur Mängelbeseitigung nicht davon abhängig machen, dass der Auftraggeber eine Erklärung abgibt, wonach er die Kosten der Untersuchung und weiterer Maßnahmen für den Fall übernimmt, dass der Auftragnehmer nicht für den Mangel verantwortlich ist.“26 Diese Aussage aus der werkvertraglichen Judikatur ist eine unmissverständliche Missbilligung des Versuchs von Werkunternehmerseite, sich des Unsicherheitsrisikos zu entledigen. Nichts anderes gilt nach hier vertretener Auffassung auch für ein Nacherfüllungsverlangen im Kaufrecht, denn die Lichtrufanlagenentscheidung des BGH weist dem Verkäufer zu Recht das Unsicherheitsrisiko zu, sofern der Käufer seinen Prüfpflichten nachgekommen ist.27 Die Vorgabe, die Nacherfüllung dürfe nicht von der Übernahme der Kosten abhängig gemacht werden, kann aber nicht als Verbot einer dahingehenden, privatautonomen Absprache verstanden werden (etwa i.S.d. §§ 134, 138 Abs. 1 BGB). Die wiedergegebene Aussage erschöpft sich vielmehr darin, dass auch das Nacherfüllungsverlangen in einer Unsicherheitssituation ein wirksames Nacherfüllungsverlangen ist. Werkunternehmer oder Verkäufer können sich deswegen nicht darauf berufen, das Nacherfüllungsverlangen sei nicht wirksam gewesen, weil der Vertragspartner die Kostenübernahme verweigert habe. Vielmehr verhalten sie sich selbst – werden sie auf das Nacherfüllungsverlangen hin nicht tätig – vertragsbrüchig. Sie werden gegebenenfalls auch schadensersatzpflichtig, wenn beispielsweise aus der Verzögerung der Klärung ein zusätzlicher Schaden entsteht.28 Stimmt der Vertragspartner hingegen – aus welchen Gründen auch immer – zu, so ist darin eine privatautonome Entscheidung und Vereinbarung zu sehen, der 26
BGH, Urteil vom 2. Sep. 2010 – VII ZR 110/09 = NJW 2010, 3649, Ls. 2. Bereits oben B.III.2.a) ausführlich zu dieser Frage und gegen die insoweit a.A. von Kaiser, NJW 2008, 1709. 28 Deutlich BGH, Urteil vom 2. Sep. 2010 – VII ZR 110/09 = NJW 2010, 3649, Ls. 2, 3. In dem zugrundeliegenden Fall war ein Wasserschaden entstanden, weil ein Mangel nicht rechtzeitig behoben worden war. Ein Mitverschulden des Bestellers, der sich dem unberechtigten Ansinnen des Werkunternehmers oder Verkäufers auf Kostenübernahme verweigert hatte, wurde verneint. 27
II. Entschädigung aus einer gesonderten Abrede
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regelmäßig keine Nichtigkeitsgründe entgegenstehen. Allenfalls eine Anfechtungsmöglichkeit wäre in der Sonderkonstellation denkbar, dass der Verkäufer den Käufer darüber täuscht29 , er sei zur Kostenübernahme bei Mangelfreiheit verpflichtet. Diese Einschätzung spiegelt sich auch in zahlreichen instanzgerichtlichen Entscheidungen wider (zumindest aus dem werkvertraglichen Kontext), die eine Ersatzpflicht auf Basis einer expliziten Einigung über die Kostenübernahme durch den Besteller/Käufer für möglich erachten.30 Eine solche Vereinbarung verändert natürlich grundlegend die gesetzliche Verteilung des Unsicherheitsrisikos. Es liegt dann aber in der Verantwortung des Käufers, sich auf eine derartige Vereinbarung nicht einzulassen. bb) Sonderfall: Verbraucherkäufer und der Schutz des § 476 BGB Ob allerdings auch einem Verbraucherkäufer diese Eigenverantwortung auferlegt ist, bedarf einer gesonderten Untersuchung. Eine Vereinbarung zwischen Unternehmer und Verbraucher über eine Kostentragung könnte nämlich an § 476 Abs. 1 S. 1 BGB dergestalt scheitern, dass sich ein Unternehmer nicht auf die Vereinbarung berufen darf. Es müsste sich dafür aber um eine Vereinbarung handeln, die „vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer“ getroffen wurde (1) und die „zum Nachteil des Verbrauchers von [den Verbraucherschutzvorschriften] abweicht“ (2). (1) Vereinbarung „vor Mitteilung des Mangels“ § 476 Abs. 1 S. 1 BGB „verbietet“ Vereinbarungen vor Mitteilung eines Mangels. Die hier interessierende Situation ist – zur Erinnerung – die, dass ein Verbraucherkäufer Nacherfüllung wegen eines (vermeintlichen) Mangels verlangt, also wegen eines Mangelverdachts. Die Frage, die sich deswegen stellt, besteht darin, ob die Konfrontation des Verkäufers mit einem bloßen Mangelverdacht eine Mitteilung eines Mangels im Sinne der Norm darstellt. Wäre dies der Fall, so könnten Verbraucher und Unternehmer danach Abreden treffen, die dem Verbraucher den Schutz durch das Verbraucherschutzrecht entziehen. Ist die Mitteilung eines Mangelverdachts hingegen noch keine Mitteilung eines Mangels, so darf sich der Unternehmer auf solche Abreden nicht berufen.
29 Demgegenüber wäre die reine, nicht vom Verkäufer veranlasste Fehlvorstellung des Käufers, er sei bei Mangelfreiheit zur Übernahme der Untersuchungskosten verpflichtet, ein unbeachtlicher Motivirrtum. 30 Etwa OLG Frankfurt, Urteil vom 15. Feb. 2012 – 4 U 148/11 = NJW-RR 2012, 1200; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13. Mai 2003 – 17 U 193/02; OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juni 2007 – 21 U 164/06 = NJW-RR 2008, 331; siehe auch zu der inhaltlich teilweise parallelen Frage, wann eine wertsteigernde Nachbesserung (Verbesserung) vergütet werden muss Mankowski, NJW 2011, 1025, 1029; Ball, NZV 2004, 217, unter 6.c).
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
Der Wortlaut der Norm spricht für letztere Einordnung, denn ein Mangelverdacht oder ein nur vermeintlicher Mangel ist nun einmal etwas anderes als ein (konkreter, feststehender) Mangel. Demgegenüber liefert die Regelungssystematik der Norm möglicherweise einen gegenläufigen Anhaltspunkt. Zu dieser Systematik hat das LG Essen im Kontext einer leicht anders nuancierten Frage Stellung bezogen.31 Das Gericht hatte zu entscheiden, ob die Mitteilung eines (sicher bestehenden) Mangels dazu führt, dass der Verbraucher wirksam auf seine Rechte mit Blick auf andere Mängel verzichten kann. Diese Möglichkeit wird in der Literatur weitestgehend abgelehnt und es wird nur eine Vereinbarung bezüglich der sich aus einem konkreten Mangel ergebenden Rechte als möglich angesehen.32 Das LG Essen hat die Möglichkeit dennoch unter anderem mit dem systematischen Argument bejaht, § 476 Abs. 1 S. 1 BGB sei eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift zu der grundgesetzlich verbürgten Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).33 Das Tatbestandsmerkmal „(nach) Mitteilung eines Mangels“ sei demnach weit zu verstehen, weil es die Situation wieder dem Normalfall „Vertragsfreiheit“ zuführe. Diese Argumentation lässt sich auch auf die hier interessierende Frage übertragen. Wenn das Merkmal „Mitteilung eines Mangels“ weit zu verstehen ist, dann kann die Mitteilung eines Mangelverdachts zumindest eher darunter subsumiert werden, als wenn das Merkmal eng auszulegen wäre. Einen weiteren Anhaltspunkt liefert die Regierungsbegründung zur Schuldrechtsmodernisierung. Sie führt zu § 475 Abs. 1 S. 1 BGB a.F.34 aus, aufgrund der Beschränkung des § 476 Abs. 1 BGB auf Vereinbarungen vor Mitteilung eines Mangels würden „insbesondere Vergleiche von dem Verbot abweichender Vereinbarungen nicht erfasst“.35 Auch dies spricht dafür, dass bereits ein Mangelverdacht die Verbraucherschutzregeln wieder abdingbar macht. Die Legaldefinition des § 779 Abs. 1 BGB definiert einen Vergleich nämlich als einen Vertrag, der Ungewissheit im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt.36 Unsicherheiten bei Verbrauchsgüterkäufen, die man durch einen Vergleich ausräumen könnte, dürften vorwiegend die Mangelfrage betreffen. Würde aber eine Unsicherheit über einen Mangel eine Vereinbarung ausschließen, so würde auch das erklärte Ziel, Vergleiche zu ermöglichen, zu weiten Teilen nicht erreicht. 31
LG Essen, Urteil vom 17. Juni 2013 – 1 O 45/13. BeckOGK BGB 2021/Augenhofer, § 476 Rn. 28; BeckOK BGB E59/Faust, § 476 Rn. 23; MünchKomm BGB/Lorenz, § 476 Rn. 15; a.A. Erman/Grunewald, § 476 Rn. 2. 33 LG Essen, Urteil vom 17. Juni 2013 – 1 O 45/13, Rn. 66 (zitiert nach juris). 34 Wortlautidentisch zu § 476 Abs. 1 S. 1 BGB. Es wurde lediglich durch Gesetz vom 28.4.2017 (BGBl. I S. 969) und mit Wirkung vom 1.1.2018 die Nummerierung geändert. 35 BT-Drucks 14/6040, 244. 36 Vgl. auch LG Essen, Urteil vom 17. Juni 2013 – 1 O 45/13, Rn. 75 (zitiert nach juris) zu der etwas anders nuancierten Frage, ob die Mitteilung eines Mangels ein Verfügen über andere noch unbekannte Mängel ermöglicht. 32
II. Entschädigung aus einer gesonderten Abrede
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Umgekehrt würde aber der Verbraucherschutz in erheblichem Maße geschwächt, wenn eine Vereinbarung lediglich als Vergleich i.S.d. § 779 Abs. 1 BGB deklariert werden müsste, um Abweichungen von den Verbraucherschutzregeln zu ermöglichen. Dies lässt daran zweifeln, ob der Gesetzgeber wirklich eine derartige Ausnahme vor Augen hatte.37 Vielmehr ist eine zweite Deutung möglich: Die Erläuterung, es sollten Vergleiche ermöglicht werden38 , könnte auch so zu verstehen sein, dass Prozessvergleichen der Weg geebnet werden solle. Sprachlich wäre die Ungenauigkeit wohl damit zu erklären, dass der Prozessvergleich eine sehr große praktische Bedeutung hat. Ein solches Verständnis würde der Regierungsbegründung gerecht und es würde gleichzeitig der Verbraucherschutz gewährleistet. Dies liegt daran, dass der Prozessvergleich an die Stelle einer notariellen Beurkundung tritt (§ 127a BGB). Die gesetzlichen Belehrungspflichten bei einer notariellen Beurkundung (§§ 17 ff. BeurkG) sehen insbesondere vor, dass der Notar die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts belehren muss (§ 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG). Er soll darauf achten, dass unerfahrene und ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt werden.39 Obgleich diese Verpflichtung das Gericht nicht unmittelbar bindet40 , muss es ihr dennoch wegen der Fürsorgepflicht des Gerichts (§ 139 ZPO) auch bei einem Prozessvergleich nachkommen.41 Das Gericht muss also darauf achten, dass der Verbraucher nicht benachteiligt wird. Im Sinne des Verbraucherschutzes wäre es somit vorzugswürdig, die Regierungsbegründung so zu verstehen, dass (nur) Prozessvergleiche ermöglicht werden sollten. Dann würde sich insgesamt folgendes Bild ergeben: Eine normale vertragliche Vereinbarung zum Nachteil des Verbrauchers wäre in Unsicherheitssituationen nicht möglich, ein Prozessvergleich hingegen – unter Beobachtung durch das Gericht und zur Sicherstellung des Verbraucherschutzes – sehr wohl. Dass Sinn und Zweck des § 476 BGB in erster Linie auf den Verbraucherschutz ausgerichtet sind, ist unbestritten.42 Die Norm will den Verbraucher vor Absprachen schützen, deren rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen der Verbraucher nicht hinreichend überblicken kann.43 Dieselbe Wertung muss dann auch dem Tatbestandsmerkmal der „Mitteilung eines Mangels“ (§ 476 Abs. 1 S. 1 BGB) zugrunde liegen. Entscheidend muss sein, ob der Verbraucher die Bedeutung einer Vereinbarung mit dem Verkäufer 37 A.A. MünchKomm BGB/Lorenz, § 476 Rn. 13, der die Regierungsbegründung explizit so deutet, dass gerichtliche und außergerichtliche Vergleiche erfasst seien. 38 BT-Drucks 14/6040, 244. 39 BGH, Beschluss vom 3. Aug. 2011 – XII ZB 153/10 = BeckRS 2011, 21316, Rn. 20. 40 § 1 BeurkG; BeckOGK BGB 2021/Wollenschläger, § 127a Rn. 2.1. 41 BGH, Beschluss vom 3. Aug. 2011 – XII ZB 153/10 = BeckRS 2011, 21316, Rn. 21; Staudinger (2017)/Hertel, § 127a Rn. 32; BeckOGK BGB 2021/Wollenschläger, § 127a Rn. 2.1. 42 BeckOGK BGB 2021/Augenhofer, § 476 Rn. 3; NK-BGB/Büdenbender, § 475 Rn. 1; vgl. auch BeckOK BGB E59/Faust, § 476 Rn. 1; Staudinger (2014)/Matusche-Beckmann, § 475 Rn. 6; MünchKomm BGB/Lorenz, § 476 Rn. 1. 43 NK-BGB/Büdenbender, § 475 Rn. 2.
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
(typischerweise) überblicken kann. Mit Recht wird deswegen beispielsweise gefordert, dass auch bei Mitteilung eines konkreten, feststehenden Mangels keine Vereinbarung bezüglich sonstiger Mängel möglich ist.44 Soweit andere als der konkret mitgeteilte Mangel betroffen sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein durchschnittlicher Verbraucher die Tragweite einer Vereinbarung abschätzen kann. Die hier interessierende Konstellation ist dem nicht ganz unähnlich: Solange nur ein Mangelverdacht im Raum steht, ist die Situation zumindest verkompliziert, weil sowohl die Mangelfreiheit als auch die Mangelhaftigkeit als potentielle Szenarien betrachtet werden müssen. Entsprechend ist es auch schwerer abzuschätzen, worauf der Verbraucher genau verzichtet, wenn er sich beispielsweise auf eine Kostentragung für Untersuchungen einlässt. Je komplizierter die Situation ist, desto größer ist die Gefahr, dass die auf dem Spiel stehenden Rechte und Möglichkeiten nicht überblickt werden. Zu besorgen steht insbesondere, dass bei Verbrauchern eine falsche Vorstellung darüber besteht, welche Möglichkeiten auch im Falle von Mangelfreiheit bestehen. Wenn – ganz konkret – dem Käufer gar nicht bewusst ist, dass es in der Unsicherheitssituation dem Verkäufer obliegt, Klarheit über die Mangelfreiheit zu schaffen, dann könnte ein Verbraucher geneigt sein, ohne Not in eine Kostentragung hinsichtlich einer Untersuchung einzuwilligen. Der von § 476 BGB unstrittig verfolgte Verbraucherschutz spricht m.E. daher letztlich entscheidend für ein restriktives Verständnis der „Mitteilung eines Mangels“ i.S.d. § 476 Abs. 1 S. 1 BGB. Es muss sich dabei um einen konkreten, feststehenden Mangel handeln, während ein bloßer Mangelverdacht die Dispositionsbefugnis des Verbrauchers über Verbraucherschutzvorschriften nicht wiederherstellt. Zusammenfassend sollte m.E. deswegen Folgendes gelten: Wenn ein Verbraucher wegen eines vermeintlichen Mangels Nacherfüllung verlangt, so stellt dies keine Mitteilung eines Mangels im Sinne des § 476 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Kommt in der Folge eine Vereinbarung zwischen Verbraucher und Unternehmer zustande, die von Verbraucherschutzvorschriften abweicht (dazu sogleich), so kann sich der Unternehmer darauf nicht berufen. Eine Ausnahme gilt aber aufgrund des erklärten Gesetzgeberwillens für Prozessvergleiche. Unter der Ägide des Gerichts ist der Verbraucherschutz hinreichend gesichert und es werden trotzdem flexible Vereinbarungen ermöglicht. (2) Abweichung von Verbraucherschutzvorschriften Hat der Verbraucher in einer Unsicherheitssituation Nacherfüllung verlangt, so kann eine anschließende Vereinbarung unter § 476 Abs. 1 BGB fallen mit der 44 Staudinger (2014)/Matusche-Beckmann, § 475 Rn. 36; MünchKomm BGB/Lorenz, § 476 Rn. 15; BeckOGK BGB 2021/Augenhofer, § 476 Rn. 28; a.A. LG Essen, Urteil vom 17. Juni 2013 – 1 O 45/13, Rn. 64 (zitiert nach juris); Erman/Grunewald, § 476 Rn. 2.
II. Entschädigung aus einer gesonderten Abrede
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Konsequenz, dass sich der Verkäufer nicht darauf berufen darf. Voraussetzung dafür ist es aber, dass die Vereinbarung von den Verbraucherschutzvorschriften abweicht. Für die hier untersuchten Ausgleichsmöglichkeiten ist es demnach entscheidend, ob bzw. wann eine Vereinbarung über eine Kostentragung durch den Verbraucher von den Verbraucherschutzvorschriften abweicht. Ebenso wie bei vorangegangenen Überlegungen zu konkludenten Kostenübernahmen45 kommen auch hier grundsätzlich zwei Kostenpunkte in Betracht, die es separat zu betrachten gilt: Eine Vereinbarung kann auf die Untersuchungskosten abzielen oder es kann sich um eine Kostentragung für die Beseitigung einer etwaigen Alternativursache handeln. Letzteres fällt ersichtlich nicht unter § 476 Abs. 1 BGB: Eine Vereinbarung, wonach der Verkäufer im Falle der Mangelfreiheit die Alternativursache beseitigt und der Käufer zur Kostentragung verpflichtet wird, berührt die Verbraucherschutzvorschriften nicht. Bei Mangelfreiheit bestehen keine Gewährleistungsrechte und dementsprechend können auch keine Verbraucherschutzregeln (für Gewährleistungsfälle) betroffen sein. Anders ist dies aber bei Untersuchungskosten. Aus den oben genannten Gründen muss eine Vereinbarung, wonach der Käufer die Untersuchungskosten im Fall der Mangelfreiheit tragen muss, an § 476 Abs. 1 BGB scheitern.46 Der dabei letztlich tragende Abschreckungsgedanke greift in leicht nuancierter Weise ebenso: In der Unsicherheitssituation bergen die Verhandlungen zwischen Käufer und Verkäufer über eine Kostentragung für den Fall der Mangelfreiheit die Gefahr, dass ein Verbraucherkäufer von seiner Rechtsverfolgung Abstand nimmt. Der Umstand, dass es in denjenigen Fällen, in denen eine derartige Abrede tatsächlich relevant würde, evident nicht zu einer Abschreckung gekommen sein kann47 , muss irrelevant sein. Vielmehr verfolgt § 476 Abs. 1 BGB insoweit das Ziel, dass unzulässige Klauseln überhaupt nicht in Verhandlungen Einzug halten und somit die befürchtete Abschreckungswirkung von vornherein vermieden wird. Stellt sich die Rechtslage nun so dar, dass eine Kostenübernahme hinsichtlich der Beseitigung der Alternativursachen möglich wäre, eine Übernahme von Untersuchungskosten hingegen unzulässig ist, so stellt sich abschließend die Frage, wie eine Kombination zu behandeln wäre. Eine Kombination der zwei Punkte entspräche genau der Situation in dem eingangs bereits zur Anschauung herangezogenen Fall des BGH. Der Fall aus dem Werkvertragsrecht ist ebenso im kaufrechtlichen Kontext denkbar, wenn ein Verkäufer etwa folgende Vereinbarung vorschlägt:
45
Oben a). Oben 1. 47 Wäre es anlässlich eines Nacherfüllungsverlangens nämlich zu einer Abrede gekommen, wonach der Käufer die Untersuchungskosten des Verkäufers im Fall der Mangelfreiheit tragen muss, dann ist der Käufer ersichtlich gerade nicht abgeschreckt worden, seine vermeintlichen Rechte einzufordern. 46
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
„Sollte sich allerdings bei der Prüfung des von Ihnen angezeigten Mangels herausstellen, dass dieser nicht auf unsere Leistung zurückzuführen ist, oder aber seine Ursache im normalen Verschleiß bzw. in normaler Abnutzung hat, müssen wir im Hinblick auf die von uns dann aufgewendeten Kosten diese Arbeiten als Reparaturauftrag behandeln. Die in diesem Fall entstehenden Kosten für An- und Abfahrt, Fehlersuche und Freilegung der Schadstelle, Mängelbeseitigung, Wiederherstellung, Materialkosten, Kosten für Nebenleistungen müssen wir Ihnen dann berechnen.“48 Bei einer derartigen Klausel stellt sich die Frage, ob der unzulässige Teil (Übernahme der Untersuchungskosten) separiert werden und unwirksam sein kann, während der Rest (die Beauftragung zur Beseitigung der Alternativursachen) fortbesteht. Mit anderen Worten: Gilt im Rahmen des § 476 BGB auch bei individualvertraglich vereinbarten Klauseln ein Verbot der geltungserhaltenden Reduktion? Die Meinungen sind geteilt.49 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Problematik einer geltungserhaltenden Reduktion hier gar nicht entscheidend ist. Es dürfte als weitestgehend etabliert gelten, dass selbst im Kontext des AGB-Rechts, wo das Verbot einer geltungserhaltenden Reduktion im Grundsatz anerkannt ist, nur unteilbare Klauseln aufgrund des Verbots geltungserhaltender Reduktion in Gänze unwirksam sind. Ist eine Vertragsklausel – auch wenn sie rein sprachlich eine Einheit bildet – hingegen inhaltlich teilbar, dann sind die Teile separat zu behandeln und insbesondere mit Blick auf ihre Wirksamkeit zu bewerten.50 Dies ist bei der wiedergegebenen Klausel der Fall: Bereits rein sprachlich kann (i.S.e. „Blue-pencil-tests“) der Teil, der sich auf die Untersuchungskosten bezieht, aus der Klausel gestrichen werden. Es verbleibt eine sprachlich sinnvolle Klausel, wonach der Käufer die Kosten für die Beseitigung der Alternativursache tragen muss. Zwar ist eine sprachliche Teilbarkeit nur ein Indiz für die inhaltliche Teilbarkeit.51 Doch handelt es sich auch in der Sache bei den Untersuchungskosten einer- und den Beseitigungskosten andererseits um voneinander unabhängige Posten, die auch losgelöst voneinander sinnvoll vereinbart werden können. Die Klausel ist somit teilbar, sodass der Teil, der sich mit Beseitigungskosten befasst,
48
Entnommen dem zugrundeliegenden Fall von BGH, Urteil vom 2. Sep. 2010 – VII ZR 110/09 = NJW 2010, 3649, 27. 49 Für ein Verbot geltungserhaltender Reduktion: BeckOGK BGB 2021/Augenhofer, § 476 Rn. 63; Staudinger (2014)/Matusche-Beckmann, § 475 Rn. 108; OLG Hamm, Urteil vom 24. Mai 2011 – 19 U 162/10 = NJOZ 2012, 771; dagegen: MünchKomm BGB/Lorenz, § 476 Rn. 31; Soergel/Wertenbruch, § 475 Rn. 104; Deckenbrock/Dötsch, ZGS 2004, 62, 64; Lettl, JA 4/2009, 241, 244 f.; allgemein zum Konzept der geltungserhaltenden Reduktion von Vertragsklauseln Canaris, FS Steindorff, S. 519, 519 ff. 50 Siehe aus der Rechsprechung nur BGH, Urteil vom 10. Okt. 2013 – III ZR 325/12 = NJW 2014, 141, 142 (Rn. 14) m.w.N.; aus der Literatur stellvertretend BeckOGK BGB 2021/Bonin, § 306 Rn. 14 ff. 51 BeckOGK BGB 2021/Bonin, § 306 Rn. 18 m.w.N.
II. Entschädigung aus einer gesonderten Abrede
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nicht davon beeinflusst wird, dass die Abwälzung der Untersuchungskosten an § 476 BGB scheitert. Zusammenfassend gilt somit für ausdrückliche Kostenübernahmen eines Verbrauchers Folgendes: Solange ein konkreter Mangel noch nicht feststeht, d.h. insbesondere solange der Verkäufer einen Mangel noch grundsätzlich in Abrede stellt, ist eine Vereinbarung hinsichtlich einer Kostenübernahme von § 476 Abs. 1 BGB erfasst. Eine Vereinbarung, welche die Untersuchungskosten zur Klärung der Mangelfrage im Fall der Mangelfreiheit52 dem Käufer aufbürdet, scheitert an § 476 Abs. 1 BGB, sodass sich der Verkäufer darauf nicht berufen kann. Nicht zu beanstanden ist demgegenüber eine Vereinbarung, wonach der Verkäufer im Fall der Mangelfreiheit die Alternativursache beheben und der Käufer dafür die Kosten übernehmen solle. Auch dann, wenn beide Vereinbarungen in einer einheitlichen Klausel vereinbart wurden, erstreckt sich die Rechtsfolge des § 476 Abs. 1 BGB nur auf die unzulässige Abwälzung der Untersuchungskosten. c) Zusammenfassung zu Abreden nach Entstehen des Mangelverdachts Ein Nacherfüllungsverlangen lässt sich auch in einer Unsicherheitssituation nicht so verstehen, dass konkludent eine Kostenübernahme vereinbart wird. Weder erklärt der Käufer, Untersuchungskosten im Fall der Mangelfreiheit tragen zu wollen, noch wird der Verkäufer stillschweigend mit der Beseitigung einer Alternativursache beauftragt. Demgegenüber ist eine dahingehende ausdrückliche Vereinbarung im Grundsatz möglich. Grenzen sind aber bei Verbrauchsgüterkäufen gesetzt. So kann sich der Verkäufer auf eine Vereinbarung, wonach der Verbraucher die Untersuchungskosten tragen solle, nicht berufen. Eine ausdrückliche Beauftragung des Verkäufers mit der Beseitigung von Alternativursachen ist aber möglich. 3. Ergebnis zur Entschädigung aus einer gesonderten Abrede Es ist unter gewissen Einschränkungen möglich, dass ein zu Unrecht in Anspruch genommener Verkäufer Ersatz aus einer gesonderten Abrede verlangen kann – und nicht nur auf einen Schadensersatzanspruch entsprechend der Lichtrufanlagen-Rechtsprechung verwiesen ist. Dafür ist aber eine ausdrückliche Vereinbarung nötig, weil es insbesondere nicht möglich ist, ausgehend von dem Nacherfüllungsverlangen (in der Unsicherheitssituation) eine stillschweigende Abrede zu konstruieren. Eine solche Vereinbarung kann ferner nicht in Form von AGB getroffen werden, sondern muss individualvertraglich ausgehandelt sein. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Abwälzung der Untersuchungskosten auf den Käufer möglich, sofern es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf handelt. Ist ein Verbraucher beteiligt, so schließt § 476 Abs. 1 BGB eine solche Vereinbarung aus. Möglich wäre dies lediglich in einer reichlich unwahrscheinlichen 52
Im Mangelfall versteht sich das von selbst.
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
Sonderkonstellation: Die Vereinbarung müsste im Rahmen eines Prozessvergleiches geschlossen werden. Besteht im Rahmen dieser Einschränkungen ein solcher vertraglicher Anspruch, so liegt darin letztlich eine privatautonome Entscheidung der Vertragsparteien, die zu respektieren ist. Die gefundenen Ergebnisse zur Verteilung des Unsicherheitsrisikos nach dem hier vertretenen Modell und gestützt auf die Norm des § 280 Abs. 1 BGB stellt ein solcher Fall natürlich nicht in Frage. III. Geschäftsführung ohne Auftrag Ohne eine vertragliche Grundlage für einen Ausgleich der wegen eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens entstandenen Kosten ist konsequenterweise zu überprüfen, ob Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag bestehen können. Allerdings sieht sich ein solcher Ausgleich bereits der Kritik ausgesetzt, er könne vertragliche Wertungen unterlaufen und dürfe deswegen von vornherein nicht zur Anwendung kommen (1.). Im Übrigen sind Ersatzansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag aber auch tatbestandlich nicht verwirklicht (2.). 1. Anwendbarkeit im Kontext eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens Die gesamte bisherige Analyse einer möglichen vertraglichen Schadensersatzhaftung eines Käufers, der zu Unrecht Nacherfüllung verlangt, folgt allem voran dem Bestreben, eine adäquate Verteilung des Unsicherheitsrisikos zu erreichen. Diesem Zweck dient und diesen Zweck erreicht die Herangehensweise des BGH in der Lichtrufanlagenentscheidung, ggf. unter den beschriebenen Modifikationen. Dem entspricht die Einschätzung, dass eine Haftung aus Geschäftsführung ohne Auftrag per se ausscheiden müsse.53 Begründet wird dies damit, dass die GOA und insbesondere das – für die hier betrachtete Situation angedachte – „auchfremde Geschäft“ unter dem Vorbehalt abweichender vertraglicher Regelungen stehe.54 Die mittels der Haftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen erzielte Risikoverteilung zwischen Verkäufer und Käufer sei eine derartige vertragliche Regelung. Sie dürfe nicht durch einen (verschuldensunabhängigen) Anspruch aus GOA unterlaufen werden.55 Diese Einschätzung ist m.E. korrekt. Insbesondere dann, wenn man – wie hier befürwortet – der Unterscheidung zwischen einem Mangel und Alternativursachen besondere Bedeutung beimisst, lässt sich die Haftung für ein unberech53
Thole, AcP 209 (2009), 499, 540 f.; BeckOGK BGB 2021/Thole, § 677 Rn. 141. BeckOGK BGB 2021/Thole, § 677 Rn. 141; Thole, AcP 209 (2009), 499, 541; allgemein zum Vorrang vertraglicher Risikoverteilungen BGH, Urteil vom 15. Apr. 2004 – VII ZR 212/03 = NJW-RR 2004, 956, unter II.3. BGH, Urteil vom 18. Sep. 1986 – III ZR 227/84 = NJW 1987, 187, 189 unter III.2.b)bb); Bergmann, GOA als Subordinationsverhältnis, S. 170 ff.; Jauernig/Mansel, § 677 Rn. 7; PWW/Fehrenbacher, § 677 Rn. 15. 55 Thole, AcP 209 (2009), 499, 540 f.; BeckOGK BGB 2021/Thole, § 677 Rn. 141. 54
III. Geschäftsführung ohne Auftrag
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tigtes Nacherfüllungsverlangen als vertragliche Risikoverteilung auffassen. Die Verantwortlichkeit des Verkäufers für die Mangelfreiheit folgt unmittelbar aus dem Kaufvertrag und die grundsätzliche Verantwortlichkeit des Käufers für Alternativursachen stellt gewissermaßen die Negativabgrenzung des vertraglichen Pflichtenprogramms dar. Gleichwohl sollte der beschriebene Ausschluss nicht voreilig angenommen werden. Letztlich lässt sich nicht leugnen, dass die dargestellten Maßstäbe für die Verteilung des Unsicherheitsrisikos mithilfe eines Schadensersatzanspruchs stark normativ geprägt sind. Sie entstammen (nur) der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der verkehrserforderlichen Sorgfalt. Die vertragliche Risikoverteilung ist also nicht etwa – über jeden Zweifel erhaben – unmittelbar in der beschriebenen Ausprägung im Gesetz verankert. Sollte das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag (die Anwendbarkeit einmal unterstellt) in der untersuchten Situation einen Ersatzanspruch bereitstellen, so könnte ebenso hinterfragt werden, ob die (vermeintliche) vertragliche Risikoverteilung tragfähig ist. Dies ist aber nicht der Fall: Es wird zu zeigen sein, dass die Geschäftsführung ohne Auftrag tatbestandlich nicht auf das Tätigwerden eines Verkäufers passt. 2. Keine Geschäftsführung ohne Auftrag bei unberechtigtem Nacherfüllungsverlangen Der zu Unrecht in Anspruch genommene Verkäufer ist auf den Ersatz seiner Aufwendungen aus, die ihm bei der Untersuchung der Angelegenheit entstehen. Insoweit kommen §§ 670, 683 S. 1, 677 BGB in Betracht. Dabei muss allerdings allem voran differenziert werden, welches Verkäuferverhalten überhaupt als Geschäftsführung klassifiziert sein soll. Die Geschäftsführung könnte zunächst in der Überprüfung der Mangelfreiheit zu sehen sein, sodass die damit verbundenen Aufwendungen Gegenstand eines Erstattungsanspruchs wären (a). Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Verkäufer sonstige Untersuchungen mit Blick auf vermutete Alternativursachen anstellt oder gar Alternativursachen behebt (b). Schließlich wird diskutiert, ob nicht ganz allgemein die Überprüfung einer fremden Rechtsauffassung Ausgleichsansprüche aus GOA hervorrufe (c). Unabhängig von der Fragestellung, die für diese Arbeit Bedeutung hat, ist das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag in einzelnen Punkten bis heute lebhaft umstritten. Uneinigkeit besteht vor allem hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „für einen anderen“. Daraus resultiert die Frage nach der Ermittlung dieses für die GOA notwendigen Fremdgeschäftsführungswillens und insbesondere die Debatte, inwieweit dabei subjektive und inwieweit objektive Aspekte relevant sind.56 Zu den Grundsatzfragen will diese Arbeit keinen Beitrag leisten, zumal sie für 56 Für Überblicke, jeweils m.w.N., siehe etwa BeckOGK BGB 2021/Thole, § 677 Rn. 2248; Staudinger (2020)/Bergmann, Vor. § 677 Rn. 128 ff.; MünchKomm BGB/Schäfer, § 677 Rn. 36 ff.
244
F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
die folgenden Überlegungen ohne Bedeutung sein dürften. Der Übersichtlichkeit halber soll die folgende Analyse der Herangehensweise der Rechtsprechung folgen. Danach ist das subjektive Kriterium des Fremdgeschäftsführungswillens insoweit objektiviert, als in den Fallgruppen des fremden und des auch-fremden Geschäfts ein Fremdgeschäftsführungswillen vermutet wird.57 a) Überprüfung der Mangelfreiheit Die Überprüfung der Mangelfreiheit erfolgt nicht für den Käufer. Soweit der Verkäufer die Mangelfreiheit der Kaufsache überprüft, liegt darin m.E. weder ein fremdes noch ein auch-fremdes Geschäft, weil er dadurch nicht den Rechts- und Interessenkreis des Käufers berührt.58 Vielmehr führt der Verkäufer sein eigenes Geschäft: Er stellt in einer Unsicherheitssituation sicher, dass er seiner eigenen vertraglichen Pflicht zur Lieferung mangelfreier Ware Genüge getan hat. Er erreicht durch sein Tätigwerden ebenso, dass er im Fall einer Mangelhaftigkeit nicht seine eigene Pflicht zur Nacherfüllung versäumt und beispielsweise den Weg zu Schadensersatzansprüchen eröffnet. In dem Fall der Überprüfung der Mangelfreiheit kommt es also nicht zur Vermutung eines Fremdgeschäftsführungswillens. Im Gegenteil: Selbst dann, wenn der Verkäufer irrtümlich von einem Geschäft des Käufers ausgeht und seinen Fremdgeschäftsführungswillen nachweisen kann, wäre dieser Fremdgeschäftsführungswille analog § 686 BGB unbeachtlich.59 b) Überprüfung/Beseitigung von Alternativursachen Dies ist dann anders zu beurteilen, wenn der Verkäufer Alternativursachen überprüft und gegebenenfalls sogar beseitigt. Alternativursachen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Ursachen für eine Fehlfunktion der Kaufsache jenseits eines Mangels darstellen und sie sind deswegen dem Rechts- und Interessenkreis des Käufers zuzurechnen. Die Überprüfung fällt wohl auch in den Interessenkreis des Verkäufers, der sich gegebenenfalls durch die Falsifizierung von Alternativursachen eine Hilfestellung bei seiner primären Aufgabe erhofft, die Mangelfreiheit sicherzustellen. Ebenso liegt es im Interessenkreis des Verkäufers, Alternativursachen im Hinblick darauf aufzuspüren, dass er dem Käufer dadurch eventu57 St. Rspr., siehe nur BGH, Urteil vom 5. Juli 2018 – III ZR 273/16 = NJW 2018, 2714, Rn. 20 m.w.N. 58 Ebenso Schwarze, NJW 2015, 3601; § 683 ausschließend auch Becker-Eberhard, LMK 2007, 220539, unter 2.; vgl. für die „Definition“ eines fremden bzw. auch-fremden Geschäfts etwa BGH, Urteil vom 5. Juli 2018 – III ZR 273/16 = NJW 2018, 2714, Rn. 20 m.w.N.; MünchKomm BGB/Schäfer, § 677 Rn. 39; a.A. Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 276, der allerdings nicht zwischen Überprüfungen der Mangelfreiheit und von Alternativursachen (dazu sogleich) unterscheidet. 59 Vgl. MünchKomm BGB/Schäfer, § 677 Rn. 40; ebenfalls sehr kritisch gegenüber der Anwendbarkeit der GOA bei Führung eigener Geschäfte für einen anderen BSG, Urteil vom 2. März 2000 – B 7 AL 36/99 R = NJW-RR 2001, 1282, 1284.
III. Geschäftsführung ohne Auftrag
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ell einen Sorgfaltsverstoß (Verletzung von Prüfpflichten) nachweisen kann. Die Überprüfung von Alternativursachen wäre deswegen ein auch-fremdes Geschäft. Der Fremdgeschäftsführungswille des Verkäufers wäre zu vermuten. Nicht entscheidend ist dabei, ob und inwieweit der Käufer solche Alternativursachen selbst idealerweise untersucht hätte, d.h. ob der Käufer seine Vorprüfungspflichten tatsächlich verletzt hat.60 Erstens trifft den Käufer von vornherein keine Vorprüfungspflicht im rechtlichen Sinne.61 Zweitens wird in jedem Fall eine Vorprüfungspflicht mit dem Nacherfüllungsverlangen gegenstandslos. In dem Zeitpunkt, in dem ein Verkäufer in die Verlegenheit kommt, Alternativursachen zu untersuchen, hat auch der Käufer keine derartige Pflicht/Obliegenheit mehr. Mit anderen Worten: Der Umstand, dass der Käufer vor einem Nacherfüllungsverlangen etwas hätte überprüfen sollen, macht eine dahingehende, spätere Überprüfung nicht zum Geschäft des Käufers. Vielmehr fällt die Überprüfung von Alternativursachen aus dem allgemeineren Grund in den Rechts- und Interessenkreis des Käufers, da sie seine Kaufsache mangelhaft erscheinen lassen und somit der Funktionstüchtigkeit potentiell im Wege stehen. Das bedeutet in der Konsequenz, dass die Überprüfung aller potentiellen Alternativursachen auch-fremde Geschäfte sind und nicht etwa nur die Überprüfung derjenigen, die der Käufer selbst im Vorfeld hätte überprüfen müssen. Es kommt deswegen ein Aufwendungsersatzanspruch des Verkäufers grundsätzlich auch für alle diese Überprüfungen in Betracht. Entscheidend ist dann, ob solche Überprüfungen auch im Interesse des Käufers liegen (§§ 677, 683 BGB). Dies erfordert, dass die Geschäftsführung für den Geschäftsherr objektiv, nach der Verkehrsanschauung, nützlich ist.62 Es liegt zunächst nahe, jede Untersuchung von Alternativursachen als objektiv nützlich zu qualifizieren. Schließlich erlangt der Käufer dadurch Kenntnis davon, ob bestimmte Umstände zu Problemen bei der Nutzung der Kaufsache führen können. Diese Überlegung greift aber zu kurz: Erstens dürfte ein ernsthafter Nutzen überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn die Kaufsache sich als mangelfrei herausstellt. Im Mangelfall hingegen ist das Interesse des Käufers so gelagert, dass vorrangig der Mangel beseitigt wird. Erst anschließend und gesetzt den Fall, dass überhaupt noch Probleme bestehen, richtet sich das Interesse des Käufers auf eine Klärung etwaiger Alternativursachen. Zweitens ist aber auch dann, wenn sich die Mangelfreiheit bewahrheitet, ein Interesse des Käufers an der (direkten, unaufgeforderten) Untersuchung von Alternativursachen fraglich. Es verfangen hierbei dieselben Argumente, die auch
60 In diese Richtung Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 379, wobei die Differenzierung konkret mit Blick auf einen möglicherweise entgegenstehenden Willen des Rechtsverfolgers thematisiert wird. 61 Dazu schon oben B.II.1.a). 62 BeckOGK BGB 2021/Thole, § 677 Rn. 168; BeckOK BGB E59/Gehrlein, § 677 Rn. 19; MünchKomm BGB/Schäfer, § 683 Rn. 9.
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
einer konkludenten vertraglichen Kostenübernahme63 durch den Käufer entgegenstehen: Es ist anzunehmen, dass sich ein Käufer erst dann, wenn die Mangelfreiheit feststeht und er im Wege der Gewährleistung nicht zum gewünschten Ziel kommt, mit Alternativursachen befassen möchte. Zum Schutz der Entscheidungsfreiheit des Käufers, ob und gegebenenfalls auf welchem Wege er die Angelegenheit weiter verfolgen will, muss ein Interesse des Käufers an der Untersuchung/Beseitigung der Alternativursachen verneint werden. Auch eine Überprüfung oder gar eine Behebung von Alternativursachen unterfallen somit im Grundsatz64 nicht der berechtigten GOA. Denkbar ist in diesen Konstellationen allenfalls die Abschöpfung einer etwaigen Bereicherung nach §§ 684 S. 1, 818 ff. BGB.65 c) Überprüfung der Rechtsauffassung des Käufers Abseits dieser Überlegungen wurde erwogen, Prüfungsaufwand mit einer gänzlich anderen Argumentation im Wege der Geschäftsführung ohne Auftrag zu ersetzen: Derjenige, der zu Unrecht ein Recht geltend macht, erhalte eine Hilfestellung, wenn der andere Teil ihn darauf hinweist. Die Hilfestellung bestehe darin, dass der Prätendent dabei unterstützt werde, einen zukünftigen, kostenintensiven Rechtsstreit zu vermeiden.66 Die Überlegung wurzelt in der Judikatur zum gewerblichen Rechtsschutz: Schon früh wurde mit der beschriebenen Argumentation Aufwendungsersatz aus GOA für Abmahnungen zugesprochen.67 Derjenige, der die Beseitigung der Störung verlangt, unterstütze den Störer. Er helfe dabei, die rechtswidrige Störung zu beseitigen und teure Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Für seine dazu nötigen Aufwendungen könne er Ersatz im Wege der GOA verlangen.68 Für Abmahnungen nach dem UWG wurde eine Ersatzpflicht sogar explizit normiert, ursprünglich in § 12 Abs. 1 S. 2 UWG, seit dem 2.12.2020 in § 13 Abs. 3 UWG. Die Verallgemeinerung der Argumentation und ihre Anwendung auf jedwede unberechtigte Inanspruchnahme wurde allerdings mit Recht kritisiert und auch
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Oben II.2.a)bb). Sonderkonstellationen sind natürlich denkbar, insbesondere bei Gefahr im Verzug: Droht beispielsweise eine Alternativursache Schäden zu verursachen, dann kann die Beseitigung auch zu Ersatzansprüchen nach GOA führen. Derlei Sonderfälle sollen hier aber ausgespart werden, weil sie aus sich heraus eine Legitimation für ein bestimmtes Verkäuferverhalten darstellen und nicht in der hier untersuchten Situation eines unberechtigten Nacherfüllungsverlangens wurzeln. 65 Dazu sogleich unten IV.4. 66 Hösl, Kostenerstattung bei außerprozessualer Verteidigung, S. 142 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 1. Feb. 2002 – 16 U 1/01 = NJW-RR 2003, 566, unter B. 67 BGH, Versäumnisurteil vom 15. Okt. 1969 – I ZR 3/68 = NJW 1970, 243, 245. 68 BGH, Versäumnisurteil vom 15. Okt. 1969 – I ZR 3/68 = NJW 1970, 243, 245; zum Ganzen MünchKomm UWG/Ottofülling, § 12 Rn. 144 ff. mit etlichen Nachweisen in Fn. 471. 64
IV. (Leistungs-)Kondiktion
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höchstrichterlich verworfen.69 Richtig ist es, mit dem BGH einen solchen Ersatz jedenfalls auf die besondere Situation im gewerblichen Rechtsschutz zu beschränken. Dort geht es in besonderem Maße um die Einhaltung von Spielregeln im Interesse eines insgesamt funktionierenden Marktes, weil das allen Beteiligten gleichermaßen zugute kommt. Es lässt sich dann auch die Aufgabe einer unrichtigen Position als Geschäft des Störers begreifen. Im Binnenverhältnis zweier Vertragspartner erscheint dies nicht sinnvoll. Sie handeln bei einer Konfrontation mit Ansprüchen allein im eigenen Interesse und führen somit kein (auch-) fremdes Geschäft. Zudem käme eine so begründete Ersatzpflicht letztlich einem verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch gleich.70 Das widerspräche dem Leitbild der Verschuldenshaftung im BGB und würde der Vielzahl der denkbaren Konstellationen nicht gerecht. Auch wäre durch einen solchen weitgehend bedingungslosen Ersatzanspruch zu besorgen, dass die Bereitschaft zur Rechtsverfolgung in Unsicherheitssituationen über Gebühr reduziert würde.71 3. Ergebnis zur Geschäftsführung ohne Auftrag Das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag hält keinen Aufwendungsersatzanspruch bereit, mit dem ein Verkäufer Untersuchungskosten liquidieren kann, die ihm auf ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen hin entstehen. Richtigerweise ist die GOA in dem Fall von vornherein gesperrt, weil sie sich einer differenzierteren, vertraglichen Risikoverteilung unterordnet. Ihre grundsätzliche Anwendbarkeit unterstellt bestünde dennoch tatbestandlich kein Ersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag, mit dem der Verkäufer Untersuchungskosten ersetzt verlangen könnte. IV. (Leistungs-)Kondiktion Als ein weiteres Instrument für eine „Entschädigung“ des zu Unrecht in Anspruch genommenen Verkäufers kommt ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich in Betracht. Der Blickwinkel wechselt dabei, weg von Schäden oder Aufwendungen des Verkäufers und hin zu einem Abschöpfen etwaiger Vorteile beim Käufer. 69
BGH, Urteil vom 12. Dez. 2006 – VI ZR 224/05 = NJW 2007, 1458, Rn. 16; Bergmann, AcP 211 (2011), 804, 826; Becker-Eberhard, ZZP 119 (2006), 120, 124; MünchKomm BGB/Schäfer, § 677 Rn. 64; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 374 ff. mit weiteren Nachweisen in Fn. 1475. 70 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 375, der auch auf eine Ähnlichkeit zu § 91 ZPO abhebt, dessen analoge Anwendung abzulehnen sei. Dem ist zuzustimmen (zu § 91 ZPO analog noch unten V.), wobei es dieses „Umwegs“ über § 91 ZPO m.E. nicht bedarf. 71 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 375, wobei in letzter Konsequenz nur verlangt wird, den Anspruch aus GOA auf Fälle der Verletzung von Vorprüfungspflichten zu beschränken und dadurch der gleichen Vorwerfbarkeitsprüfung zu unterziehen, die auch im Kontext des vertraglichen Schadensersatzes durchzuführen ist. M.E. ist es vorzugswürdig, die GOA tatbestandlich zu verneinen.
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
Grundlegend ist dabei eine Zusammenstellung dessen, was ein Käufer überhaupt in der untersuchten Konstellation erlangen kann (1.). Insoweit als diesbezüglich eine Kondiktion ernsthaft in Betracht kommt, handelt es sich auch um Leistungen des Bereicherungsgläubigers (2.). Entgegen einer gegenteiligen Einordnung besteht in den hier untersuchten Fällen auch kein Rechtsgrund (3.). Ein danach bestehender Ausgleichsanspruch erfährt gegebenenfalls durch eine Kenntnis der Nichtschuld aufseiten des Verkäufers eine Begrenzung (4.). Verbraucher sind zusätzlich durch § 241a BGB geschützt (5.). Ferner werden bereicherungsrechtliche Ansprüche oftmals dadurch begrenzt sein, dass ein Käufer nicht bereichert ist (6.). Der so umrissene und begrenzte Ausgleich führt zu keinem Wertungswiderspruch mit der vertraglichen Verteilung des Unsicherheitsrisikos (7.). 1. Erlangtes Etwas Was ein Käufer im Zuge einer vorprozessualen Rechtsverfolgung erlangt, hängt primär von dem Verhalten des Verkäufers und den Umständen des Falles ab. Typischerweise wird ein Verkäufer die Kaufsache und gegebenenfalls die Umstände beim Käufer untersuchen. Zeigt sich dabei eine Alternativursache, so erlangt der Käufer gegebenenfalls eine Information darüber, welcher Umstand tatsächlich für das Problem mit der Kaufsache verantwortlich ist.72 Denkbar ist ferner, wie etwa in der Lichtrufanlagenentscheidung geschehen, dass der Verkäufer die Alternativursache beseitigt.73 Irrelevant ist zunächst, ob dies überobligatorisch erfolgt ist oder weil die Beseitigung im konkreten Fall als Überprüfung der Mangelfreiheit gedient hat.74 In jedem Fall erlangt der Käufer die Beseitigung. Als Bereicherungsgegenstand sind auch Transportkostenvorschüsse möglich75 , wenn die Kaufsache beispielsweise an die Verkäuferniederlassung gebracht werden muss, weil dort der Nacherfüllungsort liegt. § 475 Abs. 6 BGB gewährt dem Verbraucher einen Anspruch darauf – auch wenn tatsächlich kein Mangel vorliegt.76 Auch im b2b-Bereich findet sich die Praxis, dass etwa Versandkosten für das Einschicken eines vermutlich defekten Elektrogeräts der Einfachheit halber vom Verkäufer/Hersteller in Form einer Paketmarke vorgeschossen werden.77 Sollte einmal der eher unwahrscheinliche78 Fall eintreten, dass der Käufer einem Rechtsirrtum erlegen und sein Nacherfüllungsverlangen deswegen unberechtigt war, dann ist ferner denkbar, dass der Käufer eine rechtliche Information 72
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 394. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 402 ff. 74 Zu der Konstellation oben B.IV.2.b). 75 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 395. 76 Oben C.V. mit entsprechenden Nachweisen. 77 Oben B.IV.3. 78 Dazu oben B.III.3. 73
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beziehungsweise die Aufklärung eines Rechtsirrtums erlangt. Das wurde nicht als tauglicher Bereicherungsgegenstand angesehen.79 Die Information erzeuge keinen erheblichen Vorteil, weil nur ein Gericht die rechtliche Bewertung abschließend vornehmen könne.80 In dieser Einschätzung findet ein vermögensorientiertes Verständnis des Bereicherungsrechts anklang, das zumindest in der neueren Literatur zugunsten eines gegenstandsorientierten Grundverständnisses erhebliche Kritik erfahren hat.81 Entschieden für ein gegenständliches Verständnis sprechen Wortlaut und Systematik: Herauszugeben ist ausweislich des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB das Erlangte. In systematischer Hinsicht bestärkt § 818 BGB dieses gegenständliche Verständnis: Erst auf einer zweiten Stufe überführt die Norm die Herausgabepflicht in eine Wertersatzpflicht und auch dies nur unter bestimmten Voraussetzungen. Kurzum: Das erlangte Etwas muss keinen Vermögenswert aufweisen und eine rechtliche Information kann im Ausgangspunkt ebenfalls ein tauglicher Bereicherungsgegenstand sein. 2. Durch Leistung des Verkäufers Auf Basis des Kaufvertrages ist es auch in einer Unsicherheitssituation82 Aufgabe des Verkäufers, sicherzustellen, dass die Kaufsache mangelfrei war.83 Soweit der Verkäufer bewusst, zweckgerichtet mit Blick auf diese Aufgabe tätig wird, liegt eine Einordnung als Leistung nahe.84 Alternativ lässt sich das Tätigwerden des Verkäufers auch als Erfüllung der vermeintlichen Nacherfüllungsverbindlichkeit begreifen.85 Namentlich Informationen über eine Alternativursache, die der Käufer durch eine Untersuchung des Verkäufers erlangt, sowie ein Transportkostenvorschuss,
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Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 395. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 395. 81 Siehe dazu nur die ausführlichen Darstellungen bei MünchKomm BGB/Schwab, § 818 Rn. 127 ff.; Staudinger (2007)/Lorenz, § 812 Rn. 65; BeckOK BGB E59/Wendehorst, § 812 Rn. 54 ff. 82 Und jedenfalls dann, wenn der Käufer seinen Sorgfaltspflichten Genüge getan hat. Falls dem nicht so ist besteht eine vertragliche Schadensersatzhaftung und das Problem stellt sich praktisch nicht. 83 Oben B.III.2.a). 84 Vgl. für diesen Leistungsbegriff aus der st. Rspr. statt vieler nur BGH, Urteil vom 23. Okt. 2003 – IX ZR 270/022 = NJW 2004, 1169, unter II.1. Als Leistungskondiktion ordnen diese Situation auch ein: Nassall, jurisPR-BGHZivilR 23/2010 Anm. 3, unter C.; Schwarze, NJW 2015, 3601, 3604; Faust, JuS 2008, 746, 748; Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 277; Lorenz, LMK 2008, 258620, unter 3.; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 394; Medicus/Lorenz, SchuldR II BT, § 7 Rn. 41. Siehe auch zu dem verwandten Fall einer überobligatorischen Verbesserung statt bloßer Nachbesserung Mankowski, NJW 2011, 1025, unter V. 85 So etwa Schwarze, NJW 2015, 3601, 3604; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 394. 80
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um den Kaufgegenstand an den Nacherfüllungsort zu verbringen, werden folglich im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB geleistet. Weniger klar ist die Einordnung einer (überobligatorischen) Beseitigung einer Alternativursache durch den Verkäufer, falls dieser beispielsweise ein Anschlusskabel austauscht, nachdem er daran Nagespuren gefunden hat. Zweckgerichtet im Sinne von auf die Erfüllung einer vermeintlichen Pflicht ausgerichtet kann dies jedenfalls dann schwerlich sein, wenn der Verkäufer erkannt hat, dass gar kein Mangel vorlag. Gleichwohl stellt die Existenz des § 814 Var. 1 BGB, der eine Leistungskondiktion86 bei Kenntnis der Nichtschuld ausschließt, klar, dass eine so verstandene Zweckgerichtetheit kein entscheidendes Merkmal der Leistungskondiktion sein kann. Entscheidend sollte schlicht sein, ob in dem Geschehen ein hinreichender Bezug zu einem Schuldverhältnis erblickt werden kann.87 Bei einer Beseitigung einer Alternativursache anlässlich eines unbegründeten Nacherfüllungsverlangens bestehen daran wenig Zweifel. Erlangt der Käufer eine Aufklärung über einen Rechtsirrtum, so dürfte die Einordnung als Leistung maßgeblich davon abhängen, ob der Verkäufer den Käufer zielgerichtet mit Blick auf die Absicherung seiner Pflicht zur mangelfreien Lieferung informiert.88 In dem Fall wird man von einer Leistung ausgehen können. Von größerer praktischer Relevanz dürfte eine eher mittelbare Information des Käufers im Wege einer vorprozessualen Rechtsverteidigung des Verkäufers sein. Eine Information über einen Rechtsirrtum erlangt der Käufer auch dann, wenn der Verkäufer einen Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung betraut. In einem solchen Geschehen wird man keine Leistung an den Käufer erblicken können. Vielmehr wäre allenfalls eine Nichtleistungskondiktion in Gestalt der Aufwendungskondiktion denkbar.89 Allerdings kann die Einordnung letztlich dahinstehen, da – um insoweit Ausführungen zum Inhalt eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs vorwegzunehmen – aufgrund der Unmöglichkeit einer Herausgabe nur Wertersatz in Betracht käme (§ 818 Abs. 2 BGB) und eine vom Gegenüber ausgehende rechtliche Information bei wertender Betrachtung stets als wertlos eingeordnet werden muss.90 Als Konsequenz der per se gegensätzlichen Interessenlagen kann eine Partei der rechtlichen Einordnung der Gegenseite in aller Regel nicht vertrauen.91 86
§ 814 findet nach seinem eindeutigen Wortlaut nur im Fall der Leistungskondiktion Anwendung BGH, Urteil vom 20. März 1986 – II ZR 75/85 = NJW 1987, 65, unter I.4.; MünchKomm BGB/Schwab, § 814 Rn. 5; Jauernig/Stadler, § 814 Rn. 2; BeckOK BGB E59/Wendehorst, § 814 Rn. 2 m.w.N. 87 Vgl. Staudinger (2007)/Lorenz, § 812 Rn. 5. 88 Für einen derartigen Fall wohl Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 395, der allerdings einen Bereicherungsgegenstand verneint und zu einer Einordnung in den Anwendungsbereich der Leistungs- oder Nichtsleistungskondiktionen konsequenterweise nicht Stellung bezieht. 89 Bergmann, AcP 211 (2011), 804, 829 f. 90 Bergmann, AcP 211 (2011), 804, 830. 91 Bergmann, AcP 211 (2011), 804, 830.
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3. Ohne Rechtsgrund Die beschriebenen Positionen erlangt der Käufer auch ohne Rechtsgrund. Diese Aussage bedarf allerdings einer Klarstellung, da sie wie folgt angezweifelt worden ist: Weil es Aufgabe des Verkäufers sei, die Mangelursache zu klären, sei auch die dazu nötige Untersuchung als vertraglich geschuldet und somit als mit Rechtsgrund erfolgt einzuordnen.92 Die Prämisse ist zwar korrekt, die gezogene Schlussfolgerung ist allerdings nicht zu teilen. Richtig ist, wie soeben schon betont wurde, dass jedenfalls dann, wenn der Käufer seinen Sorgfaltspflichten Genüge getan hat, es in den Zuständigkeitsbereich des Verkäufers fällt, die Mangelfreiheit sicherzustellen.93 Die durchgeführten Untersuchungen sind als Konsequenz des wirksamen Nacherfüllungsverlangens94 – wenn man so will – also durchaus mit Rechtsgrund erfolgt. Darauf kommt es aber bei § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB nicht an. Entscheidend ist schon nach dem klaren Wortlaut der Norm, dass das erlangte Etwas durch einen Rechtsgrund abgesichert ist. Zurecht ist deswegen darauf hingewiesen worden, dass der Kaufvertrag und die daraus resultierende Aufgabe der Sicherstellung der Mangelfreiheit keinen Rechtsgrund für das Behaltendürfen sonstiger Vorteile bildet.95 4. Oftmals: Ausschluss bei Kenntnis der Nichtschuld a) § 814 BGB im Anwendungsbereich der Leistungskondiktion Stellt die Beseitigung einer Alternativursache den Bereicherungsgegenstand dar, so drängt sich die Frage auf, wann die Kenntnis von der Nichtschuld einen Ausgleich ausschließt, § 814 BGB. Die Norm sperrt eine Leistungskondiktion, sofern der Leistende positive Kenntnis von der Nichtschuld hat.96 Ein Irrtum, sei er auch verschuldet, ist hingegen unschädlich.97 Entscheidend sind sicherlich die Umstände des Einzelfalls: Denkbar ist etwa, dass ein Verkäufer irrig von einem konkludent geschlossenen Reparaturvertrag ausgeht98 oder dass er sich bei der Behebung gar keine Gedanken über die Grenzen seiner Verkäuferpflichten gemacht hat. In diesen Fällen würde § 814 BGB tatsächlich eine Leistungskondiktion nicht sperren. Ein solches Ergebnis dürfte allerdings in den hier untersuchten Situationen gleichwohl selten sein: Trotz der 92
Nassall, jurisPR-BGHZivilR 23/2010 Anm. 3, unter C. Oben B.III.2.a). 94 Oben B.III.2.a) 95 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 397; Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 270, 277; zur – insoweit vergleichbaren Situation im Werkvertragsrecht – siehe auch Moufang/Koos, BauR 2/2007, 300, 303. 96 Allg. M., siehe nur Staudinger (2007)/Lorenz, § 814 Rn. 4; MünchKomm BGB/Schwab, § 814 Rn. 16 jeweils m.w.N. 97 BGH, Urteil vom 28. Nov. 1990 – XII ZR 130/89 = NJW 1991, 919, unter II.; BGH, Urteil vom 7. Mai 1997 – IV ZR 35/96 = NJW 1997, 2381, unter I.4.a). 98 Vgl. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 404. 93
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hohen Hürde des § 814 BGB in Form von Kenntnis und trotz des Umstandes, dass der Bereicherungsschuldner die Beweislast für die Kenntnis des Bereicherungsgläubigers trägt99 , wird § 814 BGB im Fall der Beseitigung einer Alternativursache einer Kondiktion oftmals entgegenstehen. Die Kenntnis der Nichtschuld ist einem Anscheinsbeweis zugänglich.100 Ungeachtet der Verkehrskreiszugehörigkeit des Verkäufers ist es kaum vorstellbar, dass dieser nicht erkennt, für die Beseitigung einer Alternativursache (also einer Störungsursache jenseits einer Mangelhaftigkeit) nicht verantwortlich zu sein. Auch bei der gebotenen Parallelwertung in der Laiensphäre101 wird in aller Regel klar sein, dass den Verkäufer keinerlei Pflichten im Hinblick auf Alternativursachen treffen. Wenn der Verkäufer die defekte Sicherung oder das durchgebissene Anschlusskabel eines Elektrogeräts als Ursache für das Nicht-Funktionieren erkennt, dann muss regelmäßig auch von der Kenntnis der Nichtschuld mit Blick auf eine Beseitigung ausgegangen werden. Der Verkäufer muss diesen Anscheinsbeweis widerlegen, was ihm realistischerweise nur gelingen dürfte, wenn er beispielsweise klare Anhaltspunkte für einen Reparaturauftrag mit dem Käufer darlegen kann. Einen Sonderfall wird man aber in solchen Konstellationen sehen müssen, in denen sich eine „Beseitigung“ einer Alternativursache als adäquate Untersuchung der Mangelfreiheit darstellt102 : Der Verkäufer verifiziert die Mangelfreiheit, indem er eine alte Verkabelung in der Hauselektrik beim Käufer austauscht, um diese als potentielle Ursache des Mangels auszuschließen. Die Störung wird dadurch behoben, allerdings war die Alternativursache für den Käufer nicht zu erkennen, sodass eine vertragliche Schadensersatzhaftung des Käufers ausscheidet. Einer Kondiktion könnte der Käufer mit der gleichen Argumention wie im vorangegangen Absatz und mit Verweis auf § 814 BGB entgegentreten. Es sei ohne Zweifel klar, dass die Beseitigung dieser Alternativursache unter keinen Umständen geschuldet sei, selbst wenn sich die Sache als mangelhaft herausgestellt hätte. Ein Anscheinsbeweis würde für die Kenntnis der Nichtschuld sprechen, der Verkäufer könnte diesen nicht erschüttern, und Vorteile des Käufers könnten in der Folge nicht kondiziert werden. Gleichwohl tragen Sinn und Zweck des § 814 Alt. 1 BGB eine Anwendung in diesem Fall nicht. Die Norm ist nach einhelliger Ansicht Ausdruck der Unzulässigkeit widersprüchlichen Verhaltens.103 99 BeckOK BGB E59/Wendehorst, § 814 Rn. 15; Jauernig/Stadler, § 814 Rn. 7; Staudinger (2007)/Lorenz, § 814 Rn. 12. 100 Zuletzt OLG Brandenburg, Urteil vom 10. Sep. 2019 – 3 U 73/18 = BeckRS 2019, 24879, Rn. 40; OLG Jena, Urteil vom 7. Aug. 2002 – 2 U 1353/01 = NJW-RR 2003, 267, unter 2.b); Staudinger (2007)/Lorenz, § 814 Rn. 13. 101 Staudinger (2007)/Lorenz, § 814 Rn. 4 m.w.N. 102 Zu der Konstellation im Kontext der Frage, welche Kosten im Rahmen eines Schadensersatzes zu ersetzen sind, schon oben B.IV.2.b)bb). 103 BGH, Urteil vom 20. März 1986 – II ZR 75/85 = NJW 1987, 65, unter II.2.b)aa); BGH, Urteil vom 18. Jan. 1979 – VII ZR 165/78 = NJW 1979, 763, unter 2.a)bb); MünchKomm BGB/Schwab, § 814 Rn. 2; BeckOK BGB E59/Wendehorst, § 814 Rn. 1.
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Einen sanktionswürdigen Selbstwiderspruch vermag man aber dann, wenn die „Beseitigung zwecks Untersuchung“ in der Situation als adäquates Vorgehen erscheint104 , kaum zu erblicken, denn der Verkäufer hat einen validen Grund für seine Leistung, auch wenn die Nichtschuld offenkundig ist. Gleichzeitig erscheint ein Schutz des Käufers nicht geboten, denn dieser wird in jedem Fall durch § 818 Abs. 3 BGB gewährleistet. b) § 814 BGB im Anwendungsbereich des § 684 S. 1 BGB Die Anwendung des § 814 BGB bereitet allerdings dann Probleme, wenn der Bereicherungsausgleich nicht im Kontext der Leistungskondiktion erfolgen soll, sondern als Konsequenz einer echten, unberechtigten GOA.105 Nach hier vertretener Ansicht stellt sich die Frage zwar nicht, weil sich die GOA in Gänze einer vertraglichen Verteilung des Unsicherheitsrisikos beugt und deswegen nicht zur Anwendung gelangt.106 Hält man §§ 684 S. 1, 818 ff. BGB demgegenüber für anwendbar107 , so dürfte nach wohl h.M. eine Begrenzung durch § 814 BGB ausgeschlossen sein. § 684 S. 1 BGB spreche nämlich nur eine Rechtsfolgenverweisung in das Bereicherungsrecht aus.108 § 814 BGB sei von der Verweisung nicht erfasst und deswegen nicht anwendbar. Andererseits wurde aber aus gutem Grund eine Pauschallösung kritisiert und betont, dass selbst bei einer Einordnung als Rechtsfolgenverweisung letztlich die materiell-rechtlichen Wertungen Vorrang haben müssten, sodass auch die Kondiktionssperre des § 814 BGB durchaus anwendbar sein könne.109 Mit anderen Worten: Wenn die Regelung des § 814 BGB ihrem Sinn und Zweck nach auf die fragliche Geschäftsführung passt, dann muss auch davon ausgegangen werden, dass der Verweis § 684 S. 1 BGB die Norm des § 814 BGB mit einbeziehen wollte. Die Norm „passt“ dann, wenn die ins Bereicherungsrecht verweisende Geschäftsführung in der Sache eine Leistung beschreibt.110 Dass dem in der hier untersuchten Situation so ist, wurde oben gezeigt.111 Aus diesem Grund sollte § 814 BGB in den hier untersuchten Fällen einer Beseitigung von Alternativursachen auch dann Anwendung finden, wenn man das Verkäuferverhalten als GOA im Sinne des § 684 S. 1 BGB einordnet. 104
Was insbesondere dann der Fall sein wird, wenn eine unmittelbare Untersuchung der Kaufsache ungleich aufwändiger gewesen wäre. Zu der parallelen Frage im Kontext des Schadensersatzes, wann sich ein Verkäufer zu einer derartigen Beseitigung zwecks Untersuchung herausgefordert fühlen darf, siehe erneut oben B.IV.2.b)bb). 105 Zur Konstellation kurz oben, am Ende von III.2.b). 106 Oben III.1. 107 So Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 403. 108 Eine Zusammenstellung findet sich etwa bei Staudinger (2020)/Bergmann, § 684 Rn. 5 m.z.N. 109 Loyal, JZ 2012, 1102, 1103; BeckOGK BGB 2021/Thole, § 684 Rn. 5. 110 Loyal, JZ 2012, 1102, 1109. 111 Oben 2.
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
5. b2c: Ausschluss durch § 241a BGB Bei einem Verbrauchsgüterkauf etabliert § 241a Abs. 1 BGB eine zusätzliche Hürde. Insoweit ein Tätigwerden des Verkäufers als „unbestellt“ eingeordnet werden muss, sperrt die Norm gegebenenfalls Ansprüche. Dabei ist, gestützt auf sehr deutliche Ausführungen des Gesetzgebers112 , unbestritten, dass nicht nur vertragliche Ansprüche, sondern auch (zumindest) Ansprüche aus Leistungskondiktion ausgeschlossen sind.113 Alle hier in Betracht kommenden Posten (Informationen über Alternativursachen, Beseitigung von Alternativursachen, Transportkostenvorschüsse) stellen „sonstige Leistungen“ i.S.d. § 241a Abs. 1 BGB dar.114 Entscheidend ist demnach, ob sie „bestellt“ wurden. Vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck des § 241a Abs. 1 BGB geht es dabei um das Ausfiltern unlauterer, insbesondere belästigender Vertriebsmethoden.115 Eine Leistung ist folglich dann nicht mehr zu missbilligen und von der Norm zu sanktionieren, wenn sie vom Verbraucher in zurechenbarer Weise angefordert worden ist.116 Als eine solche Bestellung/ein solches Anfordern muss man grundsätzlich auch ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen einordnen, denn es fordert den Verkäufer zweifelsohne zum Tätigwerden auf. Gleichwohl ist genauer zu untersuchen, welche Leistung im einzelnen durch ein Nacherfüllungsverlangen als bestellt gelten ist. Außer Frage steht dies bei Transportkostenvorschüssen: Der Unternehmer ist auch bei einem bloßen Mangelverdacht zu einem Transportkostenvorschuss verpflichtet.117 Tritt der Verkäufer mit einem Nacherfüllungsverlangen an den Verkäufer heran, so fordert er gleichsam in zurechenbarer Weise einen Vorschuss an. Die spätere Kondiktion eines solches Vorschusses sperrt § 241a Abs. 1 BGB folglich nicht. Demgegenüber ist eine Beseitigung einer Alternativursache nicht bestellt.118 Dem Nacherfüllung verlangenden Käufer geht es aus den dargelegten Gründen119 zunächst nur um eine Verfizierung oder Falsifizierung eines Mangels. Erst 112
BT-Drs. 14/2658, 46. BeckOK BGB E59/Sutschet, § 241a Rn. 9; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 369; BeckOGK BGB 2021/Fritzsche, § 241a Rn. 79; MünchKomm BGB/Finkenauer, § 241a Rn. 29 mit einerseits weiteren Nachweisen auf die ganz h.L., andererseits mit Verweisen auf Vorstöße hinsichtlich einer teleologischen Reduktion im Fall des § 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2, die für die hier untersuchten Fälle allerdings nicht weiter von Belang sind. 114 Vgl. Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 277; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 409. 115 BeckOGK BGB 2021/Fritzsche, § 241a Rn. 2. 116 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 409; Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 277; MünchKomm BGB/Finkenauer, § 241a Rn. 12. 117 Oben C.V. mit entsprechenden Nachweisen. 118 Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 278; Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 410. 119 Oben II.2.a)bb). 113
IV. (Leistungs-)Kondiktion
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wenn sein Vertragspartner die für den Käufer kostenneutrale Nacherfüllung verweigert, hat dieser Anlass, sich mit etwaigen Alternativursachen zu befassen. Er hat ein erkennbares Interesse daran, dass ihm noch die Entscheidung darüber verbleibt, ob und wie (insbesondere: durch wen) eine Alternativursache behoben werden soll. Sein Nacherfüllungsverlangen – sei es auch unbegründet – bestellt deswegen keine Beseitigung einer Alternativursache. Derkum spricht treffend davon, dass in der Beseitigung einer Alternativursache letztlich nichts anderes liege als die Aufdrängung eines gesonderten Reparaturvertrages unter Umgehung privatautonomer Entscheidungsmacht des Verbrauchers, was § 241a Abs. 1 BGB gerade zu verhindern suche.120 Weniger klar erscheint zunächst der dritte denkbare Bereicherungsgegenstand, nämlich die bloße Information über eine Alternativursache. Der Käufer „bestellt“ durch sein Nacherfüllungsverlangen zweifelsohne die Klärung der Mangelfrage. Wollte man den Aufgabenbereich des Verkäufers sehr streng auf die Untersuchung eines Mangels beschränken, dann wäre – mit einer ähnlichen Argumentation wie der soeben bei der Beseitigung von Alternativursachen angeführten und dem Ziel, dem Käufer auch mit Blick auf die Klärung von Alternativursachen seine privatautonome Entscheidungsfreiheit zu erhalten – weder die Untersuchung noch die eventuelle Information des Käufers bestellt. Gleichwohl erscheint eine solche Differenzierung zu kleinteilig und letztlich realitätsfern: Mängel und Alternativursachen sind so eng miteinander verwoben – sie erzeugen ja gerade beide ein Mangelsymptom –, dass es nicht angebracht erscheint, im Rahmen des § 241a Abs. 1 BGB danach zu differenzieren. Mit Recht wird deswegen schlicht als Oberbegriff auf eine „Diagnose“ abgestellt, die ein Verbraucher durch sein Nacherfüllungsverlangen bestelle.121 Mit anderen Worten kann es kaum einmal als unlauter angesehen werden, wenn ein auf Nacherfüllung in Anspruch genommener Verkäufer die Kaufsache und sonstige Umstände einer Fehlfunktion untersucht und dabei letztlich Alternativursachen ans Licht bringt. Dementsprechend muss eine solche Untersuchung als „(mit-)bestellt“ i.S.d. § 241a Abs. 1 BGB gelten und die Norm sperrt folglich einen Ersatz dafür nicht. Zusammenfassend steht § 241a Abs. 1 BGB also nur einem Ersatz für die Beseitigung von Alternativursachen entgegen. Eine Untersuchung und die daraus resultierende Information des Verbrauchers über eine Alternativursache sowie Transportkostenvorschüsse sind hingegen durch das Nacherfüllungsverlangen „bestellt“, sodass § 241a Abs. 1 BGB keine Ausgleichsansprüche sperrt.
120 Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 410, wobei dies freilich untechnisch zu verstehen ist, denn ein Reparaturvertrag scheidet mangels Rechtsbindungswillens auf Käuferseite regelmäßig aus (oben II.2.a)bb). Aufgedrängt wird – vielleicht etwas präziser – die Reparatur mit Vergütung auf Umwegen. 121 Lorenz, FS Medicus zum 80. Geburtstag, S. 265, 277; i.Erg. ebenso Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 409 f.
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
Dasselbe gilt für etwaige Ansprüche aus unberechtigter GOA (§§ 684 S. 1, 818 ff. BGB). Solche kommen entsprechend den obigen Ausführungen122 für einzelne der hier untersuchten Posten dann in Betracht, wenn man – entgegen der hier vertretenen Auffassung123 – Ansprüche aus GOA nicht als in Gänze ausgeschlossen erachten wollte. Ansprüche aus unberechtiger GOA weisen allerdings ein „Aufdrängungselement“ auf. Anders als die berechtigte GOA (dabei insbesondere Fälle der Nothilfe) kann die unberechtigte GOA deswegen nicht aufgrund von Schutzzweckerwägungen dem Anwendungsbereich des § 241a Abs. 1 BGB entzogen werden.124 Findet somit § 241a Abs. 1 BGB im Rahmen der §§ 684 S. 1, 818 ff. BGB grundsätzlich Anwendung, so gilt für die einzelnen denkbaren Posten das soeben im Kontext der Leistungskondiktion Erörterte. 6. Anspruchsumfang a) Herausgabe und Wertersatz Der Käufer als Bereicherungsschuldner muss den Bereicherungsgegenstand selbst herausgeben. Eine solche Herausgabe wird allerdings nur selten möglich sein. Denkbar ist sie etwa bei der Beseitigung einer Alternativursache, wenn eine solche Kondiktion nicht ohnedies durch § 814 BGB bzw. § 241a Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist. Dann sind nämlich Fälle vorstellbar, in denen eine Beseitigung reversibel ist. Dem wäre etwa so in den beschriebenen125 Fällen, in denen eine Glühbirne oder eine nur mehr mäßig vertrauenerweckende Sicherung der Hauselektrik getauscht wurde. Die Beseitigung in Gestalt dieser Gegenstände kann und muss herausgegeben werden, jedenfalls dergestalt, dass der Käufer die Wegnahme durch den Verkäufer duldet.126 Ferner denkbar ist eine Herausgabe in natura bei einem Transportkostenvorschuss, sofern – aufgrund von Eigentümlichkeit im Einzelfall – die Kaufsache letztlich doch nicht transportiert wurde. In aller Regel wird aber ein Transportkostenvorschuss nicht mehr herausgegeben werden können, weil er verbraucht ist. Ebenfalls unmöglich ist eine Herausgabe der erlangten Informationen über Alternativursachen oder deren Beseitigung, sofern nicht der soeben beschriebene Sonderfall von Reversibilität vorliegt. In all den Fällen hat der Käufer statt der Herausgabe Wertersatz zu leisten, § 818 Abs. 2 BGB.
122
Dazu soeben 4.b); zur Konstellation auch III.2.b). Oben III.1. 124 NK-BGB/Krebs, § 241a Rn. 41; BeckOGK BGB 2021/Fritzsche, § 241a Rn. 81; Jauernig/Mansel, § 241a Rn. 2; MünchKomm BGB/Finkenauer, § 241a Rn. 30. 125 Oben B.IV.2.b)bb). 126 Ebenso (abstrakt) Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 404. 123
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b) Wertbestimmung § 818 Abs. 2 BGB verpflichtet zum Ersatz des objektiven Werts, d.h. des Preises, der auf dem maßgeblichen Ankaufsmarkt für den Bereicherungsgegenstand hätte gezahlt werden müssen.127 Da es sich bei der Untersuchung von Alternativursachen bzw. deren Beseitigung um Dienst- oder Werkleistungen handelt ist deren Wert nach ständiger Rechtsprechung mit der üblichen, hilfsweise einer angemessenen Vergütung zu veranschlagen.128 Demnach schuldet der Käufer letztlich eine angemessene Vergütung, wenn er durch das Tätigwerden des Verkäufers Informationen über Alternativursachen oder deren Beseitigung erlangt. Einen Transportkostenvorschuss hat er einfach wertmäßig zu ersetzen. Dieser Zwischenbefund rückt aber Fragen nach Wertungswidersprüchen erneut in den Vordergrund: Wenn ein abzuschöpfender Vorteil im Sinne des Bereicherungsrechts letztendlich doch eine Vergütung des Verkäufers darstellt, dann wird eventuell die vertragliche Verteilung des Unsicherheitsrisikos ebenso gefährdet wie durch eine (nach hier vertretener Meinung deswegen gesperrten129 ) GOA. Gleichwohl gestattet das Bereicherungsrecht dem vermeintlich Bereicherten den Vortrag, er sei gar nicht bereichert, sodass diese Begrenzung des § 818 Abs. 3 BGB einer Diskussion von Wertungswidersprüchen vorgeschaltet werden muss. c) Begrenzung durch § 818 Abs. 3 BGB Der Käufer muss keinen Ersatz leisten, soweit er nicht bereichert ist, § 818 Abs. 3 BGB. Die Norm begrenzt die grundsätzliche Stoßrichtung des Bereicherungsrechts (die Abschöpfung eines zu Unrecht erlangten Vorteils) durch die Maßgabe, dass der Bereicherungsschuldner dadurch keine Vermögensminderung erleiden dürfe.130 Entscheidend für eine Entreicherung in diesem Sinne ist deswegen bei den hier untersuchten Fällen, ob die Leistungen des Verkäufers für den Käufer tatsächlich einen Nutzen haben, d.h. ob er sie verwerten kann. Wäre dem nicht so, dann würde die Ersatzpflicht das Vermögen des Käufers unter einen Wert sinken lassen, den es ohne die Bereicherung nicht unterschritten hätte und ohne dass dem ein Nutzen für den Käufer gegenüber stünde. 127 Statt vieler: BGH, Urteil vom 27. Feb. 1952 – II ZR 191/51 = NJW 1952, 697, unter I.3.; BGH, Urteil vom 21. März 1996 – III ZR 245/94 = NJW 1996, 3409, unter A.II.1.; BeckOK BGB E59/Wendehorst, § 818 Rn. 27, 30. 128 BGH, Urteil vom 1. Feb. 2007 – III ZR 281/05 = NJW 2007, 1130, Rn. 14; BGH, Urteil vom 17. Feb. 2000 – IX ZR 50/98 = NJW 2000, 1560, unter II.3.b)aa); BGH, Urteil vom 7. Jan. 1971 – VII ZR 9/70 = NJW 1971, 609, unter II.4.c); BGH, Urteil vom 25. Juni 1962 – VII ZR 120/61 = NJW 1962, 2010, unter II.1. 129 Oben III.1. 130 St. Rspr., siehe nur BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 – VIII ZR 214/16 = NJW 2017, 2997, Rn. 32; BGH, Urteil vom 7. März 2013 – III ZR 231/12 = NJW 2013, 2021, Rn. 27; Nomos Handkommentar BGB/Wiese, § 818 Rn. 9.
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
Eine solche Verwertung wird regelmäßig im Fall einer Beseitigung einer Alternativursache zu sehen sein, nämlich dann, wenn der Käufer die Kaufsache anschließend nutzt.131 Realistisch gesehen wird dabei – auch wenn es vor dem Hintergrund des subjektiven Maßstabs darauf eigentlich nicht ankommt – bereits die Nutzungsmöglichkeit entscheidend sein. Ein Käufer wird nämlich kaum einmal glaubwürdig darlegen können, dass er die Sache, bezüglich derer er einen Mangel angemahnt und Nachbesserung gefordert hat, nach der Beseitigung der Alternativursache nicht nutzt. Allerdings hat der Käufer – sollte ihm diese Ausgleichspflicht unlieb sein – immer noch die Möglichkeit, den Nutzen der Beseitigung dadurch zu verhindern, dass er sich der Kaufsache etwa durch Verkauf entledigt. Unter diesen Umständen ist sodann nur noch denkbar, dass der Käufer aus der Beseitigung der Alternativursache in anderer Form Nutzen zieht. Nochmals sei aber darauf hingewiesen, dass die Beseitigung einer Alternativursache ohnedies nur in Ausnahmefällen kondiziert werden kann.132 Zudem ist auch hier wieder die Argumentation denkbar, der Käufer hätte die Alternativursache – insbesondere angesichts einer Information über dieselbe (dazu sogleich) – selbst und kostengünstiger beheben können. Ein bereicherungsrechtlicher Ausgleichsanspruch wäre dann auf Materialkosten zu beschränken. Ebenfalls differenziert zu sehen ist die Verwertung von Informationen über Alternativursachen. Eine Entreicherung liegt jedenfalls dann vor, wenn der Käufer die Alternativursache nicht behebt oder beheben lässt, beispielsweise weil er Kosten einsparen möchte. Eine Verwertung unterbleibt dann in Gänze. Wird die Alternativursache aber behoben, dann ist es für eine Entreicherung entscheidend, ob und zu welchem Grad der Information ein Gegenwert zugeordnet werden kann. Konnte die Beseitigung aufgrund der Information kostengünstiger erfolgen, dann ist der Käufer insoweit bereichert. Ist demgegenüber beispielsweise bei der Vergütung eines Dritten, der letztlich mit der Behebung des Problems betraut wird, eine Diagnose inbegriffen, dann ist eine Information über eine Alternativursache durch den Verkäufer für den Käufer wertlos. Dies erscheint auch nicht unwahrscheinlich, denn ein Dritter wird sich selten blind auf eine Information verlassen wollen, wenn er selbst vertraglich für einen Erfolg (das Beheben eines bestimmten Problems) einstehen soll. Eine solche Untersuchung kann sich natürlich aufgrund der bereits vorhandenen Informationen einfacher und damit kostengünstiger gestalten. Insofern läge wiederum eine Bereicherung des Käufers vor. Beseitigt der Käufer die Alternativursache selbst, dann entscheidet über eine Bereicherung, ob der Käufer ohne die Information dazu überhaupt in der Lage gewesen wäre. Falls dem so ist, liegt keine Bereicherung vor. Andernfalls verwertet der Käufer die Information und ist deswegen bereichert. 131 132
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 405. Oben 4. und 5.
IV. (Leistungs-)Kondiktion
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Letztlich ist mit Blick auf Transportkostenvorschüsse in ähnlicher Weise zu fragen, ob sie sich im Vermögen des Käufers – konkret in Gestalt ersparter Aufwendungen – niedergeschlagen haben. Das ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls denkbar (der Käufer hätte die Sache auf eigene Kosten zum Verkäufer gebracht) oder ausgeschlossen (der Käufer hätte in Anbetracht des Risikos von einem Nacherfüllungsverlangen Abstand genommen). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass etwaige Bereicherungsansprüche des Verkäufers durch § 818 Abs. 3 BGB erhebliche Einschränkungen erfahren. Empfänglich für eine Beschränkung durch § 818 Abs. 3 BGB ist insbesondere ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich für Informationen über Alternativursachen. Nur bei deren wirtschaftlicher Verwertung kommt eine Abschöpfung in Betracht. Andernfalls besteht kein Anspruch des Verkäufers. 7. (Kein) Wertungswiderspruch zu der vertraglichen Verteilung des Unsicherheitsrisikos Derkum vertritt für die hier untersuchten Fälle ein leicht anderes Konzept: Aufgrund normativer Erwägungen, in concreto einem Vergleich mit einer Verbesserung sowie der Gefahr von Rechtsverkümmerung durch übermäßige Abschreckung, sei ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich gesperrt. Rückausgenommen seien aber Aufwendungen, die der Käufer erspart hat.133 Ob man aber dadurch im Einzelfall zu anderen Ergebnissen als nach der hier favorisierten, differenzierten Anwendung des § 818 Abs. 3 BGB gelangt, darf bezweifelt werden. Dessen ungeachtet erscheint der Ausschluss eines Bereicherungsausgleichs nicht überzeugend. Tatsächlich wird im Fall der Verbesserung, also der wertsteigernden Nachbesserung im Kaufrecht, eine Kondiktion des Vorteils „neu für alt“ verschiedentlich abgelehnt.134 Der Hintergrund dieser Einordnung ist die Sorge vor einer Überabschreckung des Käufers, weil die Kondiktion einer Verbesserung letztlich eine Kostenbelastung darstellt, die der Käufer selbst bei begründeter Nacherfüllung tragen müsste. Der Vergleich der hier betrachteten Situation mit der Situation einer Verbesserung mündet deswegen lediglich in der Frage, ob eine bereicherungsrechtliche Haftung ernsthaft besorgen lässt, dass ein Käufer von der Geltendmachung (bestehender) Gewährleistungsrechte abgeschreckt wird. Diese Frage ist letztlich identisch mit der bereits im Kontext der GOA135 gestellten: Unterläuft eine bereicherungsrechtliche Haftung die adäquate (vertragliche) Verteilung des Unsicherheitsrisikos in Gestalt einer situativen Bestimmung von Sorgfaltspflichten des Käufers? 133
Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 407 f. Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 407 mit entsprechenden Nachweisen in Fn. 1602. Allerdings steht dem zu einem gewissen Grad der erklärte Gesetzgeberwille entgegen, wonach „ein sonstiger Mehrwert [...] auf dem Wege der Vorteilsausgleichung Berücksichtigung finden [kann.]“(BT-Drs. 18/8486, 40). 135 Oben III.1. 134
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
Die Frage muss hier anders beantwortet werden, als im Kontext der GOA. Während dort die Tätigkeit ohne Ansehen des konkreten Nutzens zu vergüten wäre und die Aussicht, einem solchen Anspruch ausgesetzt zu sein, dementsprechend abschreckend wirken kann, ist das Abschreckungspotential einer bereicherungsrechtlichen Abschöpfung minimal. Durch die Begrenzung des § 818 Abs. 3 BGB und vor allem durch den Umstand, dass diese Norm auf den tatsächlichen Nutzen abstellt, kann sich ein Käufer regelmäßig sicher sein, dass er nur solche Kosten erstatten muss, die für ihn selbst „etwas wert“ sind. Dem wohnt aber kein Abschreckungspotential inne. Ebenfalls kein Abschreckungspotential liegt in der eventuell bestehenden Kondiktionsmöglichkeit von Transportkostenvorschüssen. Ihre (bereicherungsrechtliche) Ersatzfähigkeit gründet von vornherein darauf, dass sich der Käufer (ursprünglich) von der Geltendmachung seiner Gewährleistungsrechte hätte abschrecken lassen, wenn er den Transportkostenvorschuss nicht erhalten hätte. Nur wenn er sich dadurch nicht hätte abschrecken lassen korreliert der Vorschuss mit ersparten Aufwendungen und ist folglich bereicherungsrechtlich erstattungsfähig. Hätte aber der Transport auf eigene Kosten den Käufer nicht abgeschreckt, dann kann auch eine spätere bereicherungsrechtliche Erstattungspflicht nicht abschreckend sein. Insgesamt liegt somit in einem bereicherungsrechtlichen Ausgleich aller ernsthaft in Betracht kommenden Vorteile durch ein Tätigwerden des Verkäufers kein Abschreckungspotential, das Anlass zur Besorgnis geben würde. Anders als im Kontext der GOA besteht deswegen kein Grund, Bereicherungsansprüche des Verkäufers auszuschließen. 8. Ergebnis Ein Käufer sieht sich – verschuldensunabhängig – Ansprüchen aus Leistungskondiktion ausgesetzt, wenn der Verkäufer auf ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen hin tätig wird. Ein solcher Anspruch wird aber verschiedentlich ausgeschlossen sein, insbesondere bei Kenntnis der Nichtschuld. In den verbleibenden Anwendungsfällen können Vorteile abgeschöpft werden, die der Käufer durch das Tätigwerden des Verkäufers erlangt. Der praktisch bedeutsamste Vorteil dürfte dabei in einer Informationsgewinnung liegen, wenn nämlich der Käufer Informationen über eine Alternativursache erlangt. Ein Ausgleich im Rahmen einer Leistungskondiktion ist aber stets nur insoweit geschuldet, als das Erlangte dem Käufer einen tatsächlichen Nutzen gebracht hat. Diese Beschränkung des Bereicherungsumfangs ist entscheidend dafür, dass sich derartige Ausgleichsansprüche in das Gesamtbild stimmig einfügen: Der Bereicherungsumfang stellt nämlich sicher, dass potentielle Ausgleichsansprüche aus Leistungskondiktion keine anzuerkennende Abschreckungswirkung haben. Sie stellen deswegen auch nicht die Verteilung des Unsicherheitsrisikos in Frage, die nach hier vertretener Ansicht zentral auf einem vertraglichen Schadenser-
V. § 91 ZPO analog
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satzanspruch aufbaut, dessen inhaltliche Ausgestaltung unter anderem auf einer Abschreckungswirkung beruht.136 V. § 91 ZPO analog Nach vereinzelt vertretener Auffassung besteht ein weiterer Ausgleichsanspruch eines zu Unrecht in Anspruch genommenen Verkäufers. Eine Analogie zu § 91 ZPO gewähre einen (verschuldensunabhängigen) Ersatzanspruch, der auf Ersatz der notwendigen Rechtsdurchsetzungskosten gerichtet sei.137 Diese Analogiebildung wurde vielfach kritisiert138 und auch höchstrichterlich verworfen139 . Tatsächlich überzeugt die Analogiebildung nicht. Die hier untersuchten Konstellationen zeigen zudem, dass eine solche Lösung nicht zu adäquaten Ergebnissen führt. Die Regelung des § 91 ZPO wurde als nicht analogiefähige Sondernorm des Prozessrechts gesehen.140 Diese Aussage ist eine zutreffende Formulierung des Ergebnisses einer Analogieprüfung, für sich allein genommen allerdings noch kein Argument.141 Gleichwohl hat Becker-Eberhard überzeugend dargelegt, dass die Analogievoraussetzungen – allem voran eine planwidrige Regelungslücke – nicht vorliegen.142 Die Situation im Prozess zeichnet sich dadurch aus, dass Kosten unumgänglich sind, denn der zu Recht Klagende und auch der zu Unrecht in Anspruch genommene sind gezwungen, auf die Überzeugung des Gerichts in ihrem Sinne hinzuwirken.143 Eine damit korrelierende Risikohaftung des später Unterlegenen leuchtet unmittelbar ein. Vorprozessual besteht kein vergleichbarer Zwang. Derjenige, der sich im Recht glaubt, kann im Großen und Ganzen untätig bleiben.144 Entstehen gleichwohl Nachteile, so bietet das im Grundsatz auf eine Verschuldenshaftung aufbauende materielle Recht eine angemessene Lösung. 136
Im Detail oben B.III.1.b)bb). Aus der jüngeren Vergangenheit Bergmann, AcP 211 (2011), 804, 831 ff., 838, 843 m.w.N. in Fn. 118; davor etwa OLG München, Urteil vom 13. März 1958 – 6 U 544/58 = NJW 1958, 1000, 1002. 138 Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung, S. 126 ff. m.z.N. auf das damalige (1985) Meinungsbild in der Literatur; aus dem neueren Schrifttum ist die Diskussion weitgehend verschwunden, siehe aber Derkum, Geltendmachung nicht bestehender Rechte, S. 144 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 84 Rn. 61; Schnitzer, Ersatzfähigkeit außergerichtlicher Rechtsverfolgungsschritte, S. 34 ff.; Hösl, Kostenerstattung bei außerprozessualer Verteidigung, S. 155 ff. 139 BGH, Urteil vom 4. Nov. 1987 – IVb ZR 83/86 = NJW 1988, 2032, Ls. 2, unter 1.c); BGH, Urteil vom 12. Dez. 2006 – VI ZR 224/05 = NJW 2007, 1458, Rn. 19. 140 LG Düsseldorf, Urteil vom 30. Okt. 1963 – 10 S 178/63, 504 m.w.N. 141 Bergmann, AcP 211 (2011), 804, 833; Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung, S. 127. 142 Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung, S. 128 ff.; ebenso etwa Schnitzer, Ersatzfähigkeit außergerichtlicher Rechtsverfolgungsschritte, S. 35. 143 Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung, S. 131. 144 Vgl. Becker-Eberhard, Grundlagen der Kostenerstattung, S. 131. 137
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F. Sonstige Ausgleichsmöglichkeiten
Die Verschuldenshaftung – wechselt man den Blickwinkel – zeichnet sich dadurch aus, dass bei schuldlosem Verhalten eine Haftung gerade ausscheidet. Es entstehen haftungsrechtliche Freiräume, die aber keineswegs systemwidrig sein müssen. Vielmehr zeigen die hier untersuchten Konstellationen, dass zur Verhinderung von Rechtsverkümmerung bei der Geltendmachung vermeintlicher Rechte solche Freiräume sachgerecht sind. Das bestreitet soweit ersichtlich niemand und die Problematik wurde nicht zuletzt in dieser Arbeit aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Eine Gefährdungshaftung145 in Gestalt des § 91 ZPO analog würde demgegenüber jede einzelfallgerechte Verteilung des Unsicherheitsrisikos konterkarieren und ist deswegen zu verwerfen. VI. Zusammenfassung sonstiger Ausgleichsmöglichkeiten Dem Verkäufer, der zu Unrecht in Anspruch genommen wurde, stehen nur in sehr beschränktem Umfang Ausgleichsansprüche jenseits einer vertraglichen Schadensersatzhaftung zu. Möglich ist eine Ersatzpflicht aus einer dezidierten Abrede über eine Kostentragung des Käufers. Eine solche Abrede scheidet aber von vornherein bei Verbrauchsgüterkäufen aus. Zudem wäre eine solche Klausel in AGB unwirksam. Ferner kommt nur eine individualvertragliche Vereinbarung in Betracht, während eine konkludente Abrede in aller Regel mangels Rechtsbindungswillens des Käufers ausscheidet. In Anbetracht der erheblichen Nachteile für den Käufer dürften solche individualvertraglichen Vereinbarungen praktisch keine Rolle spielen. Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag stehen dem Verkäufer nicht zu. Sie sind durch die vertragliche Verteilung des Unsicherheitsrisikos in Gestalt situativ zu bestimmender Sorgfaltsanforderungen des Käufers verdrängt. Selbst wenn man das GOA-Recht für anwendbar halten wollte, wären dessen Voraussetzungen i.a.R. nicht gegeben. Nicht gesperrt ist ein bereicherungsrechtlicher Ausgleich. Ausgleichsfähig sind dabei aber nur solche Vorteile, die der Käufer tatsächlich verwertet hat bzw. aufgrund deren er Aufwendungen erspart hat. Den Käufer treffen auch keine Ausgleichsansprüche aus einer Gefährdungshaftung analog § 91 ZPO. Dadurch ergibt sich insgesamt ein stimmiges Bild: Die nach hier vertretener Auffassung sachgerechte Verteilung des Unsicherheitsrisikos durch eine vertragliche Schadensersatzhaftung wird durch sonstige Anspruchsgrundlagen nicht grundlegend in Frage gestellt. Eine Ersatzmöglichkeit des Verkäufers richtet sich somit im Großen und Ganzen danach, ob der Käufer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt an den Tag legt. Auf dem Weg wird sichergestellt, dass kein überzogenes Haftungsrisiko tatsächlich bestehende Ansprüche entwertet. Gleichzeitig ist darin eine normative Rechtfertigung dafür zu sehen, dass ein Verkäufer Schäden 145
837.
Als eine solche wird das Konstrukt auch offen anerkannt, Bergmann, AcP 211 (2011), 804,
VI. Zusammenfassung sonstiger Ausgleichsmöglichkeiten
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ersatzlos hinnehmen muss, wenn sie entstanden sind, obwohl sich der Käufer sorgfältig verhalten hat.
G. Ergebnisse 1. Unsicherheiten hinsichtlich der Mangelhaftigkeit einer Kaufsache werden durch die gegenwärtige Rechtslage adäquat gelöst. Unsicherheitssituationen erfahren keine unmittelbare Regelung im Gesetz. Die Verteilung des Risikos erfolgt vielmehr dadurch, dass aus der Unsicherheit erwachsene Nachteile vom Gegenüber gegebenenfalls ersetzt werden müssen. Im Mittelpunkt dieser Risikoverteilung steht ein vertraglicher Schadensersatzanspruch des Verkäufers gegen den (objektiv) zu Unrecht Nacherfüllung verlangenden Käufer. 2. Grundlegend ist die Erkenntnis, dass Vertragspartner auch bei der Rechtsverfolgung zu wechselseitiger Rücksicht verpflichtet sind. Dabei handelt es sich um eine verhaltensbezogene Pflicht, die der Käufer nicht unweigerlich durch ein objektiv unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen verletzt. Vielmehr liegt eine Pflichtverletzung nur dann vor, wenn der Käufer bei seinem Vorgehen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Anhand dieses Merkmals kann und muss im Einzelfall eine sachgerechte Risikoverteilung erfolgen. 3. Zielführend für die Bestimmung der verkehrserforderlichen Sorgfalt ist die Hilfsüberlegung, wonach die im Verkehr erforderliche Sorgfalt dem Prätendenten Prüfungen auferlegt, um seine vermeintliche Berechtigung (negativ) abzusichern. Zu überprüfen sind Alternativursachen, d.h. Umstände, die die Kaufsache mangelhaft erscheinen lassen, ohne einen Mangel darzustellen. Der Käufer wird an dem einfachen Fahrlässigkeitsmaßstab gemessen, wobei nach allgemeiner Dogmatik eine gruppenspezifische Bestimmung vorzunehmen ist. 4. Eine Begrenzung der Prüfpflichten erfolgt nicht durch Modifikationen des Sorgfaltsmaßstabs, etwa hin zu grober Fahrlässigkeit o.Ä. Zu begrenzen sind Prüfpflichten vielmehr inhaltlich. Der zu betreibende Aufwand für Überprüfungen muss so begrenzt sein, dass ein redlicher Käufer nicht durch die Prüfpflicht von der Geltendmachung seiner Rechte abgeschreckt wird. Die Abschreckungsgrenze ist maßgeblich in Abhängigkeit vom Schadenspotential der Rechtsanmaßung, von einer Wahrscheinlichkeitseinschätzung hinsichtlich etwaiger Alternativursachen sowie vom Kaufpreis abhängig.
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G. Ergebnisse
5. Danach umrissene Prüfpflichten entscheiden darüber, ob der Käufer eine Alternativursache hätte erkennen müssen und somit mittelbar auch darüber, ob in der Geltendmachung (wegen der Erkennbarkeit) eine Verletzung der Rücksichtnahmepflicht liegt. 6. Sind auf der Basis so bestimmter Prüfpflichten Unsicherheiten nicht auszuschließen, so eröffnet dies dem Käufer die Möglichkeit, risikolos Nacherfüllung zu verlangen. Verdachtsmomente für Alternativursachen muss er allerdings dem Verkäufer i.d.R. unaufgefordert mitteilen. Ihn trifft eine dahingehende Aufklärungspflicht. 7. Eine etwaige Verletzung so bestimmter Sorgfaltspflichten knüpft vorwiegend an Umstände aus der Sphäre des Käufers an. Dies kann den Verkäufer vor Beweisschwierigkeiten stellen, wenn er keine Kenntnismöglichkeit von den Gegebenheiten beim Käufer hat. Solchen Beweisschwierigkeiten kann im Einzelfall durch eine sekundäre Darlegungslast des Käufers entgegengewirkt werden. Eine notwendige Voraussetzung dafür besteht allerdings darin, dass der Verkäufer konkrete Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Käufers darlegen kann. 8. Verbrauchsgüterkäufe folgen grundsätzlich den gleichen Regeln. Insbesondere sind Verbraucher nicht pauschal von Prüfpflichten entbunden. Weder einzelne Normen aus dem Verbraucherschutzrecht noch dahinterstehende Wertungen fordern eine von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Behandlung. Verbraucherschutz wird nach diesem Konzept in hinreichender Weise vorwiegend dadurch erzielt, dass sich der relevante Sorgfaltsmaßstab nach allgemeiner Dogmatik an den Fähigkeiten eines durchschnittlichen Verbrauchers orientiert. 9. Gleiches gilt für Kaufverträge, die dem Handelsrecht unterfallen. Auch insoweit erweist sich das Haftungskonzept für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen als tragfähig, ohne dass Modifikationen aufgrund handelsrechtlicher Besonderheiten angezeigt wären. Weder die Regelung des § 377 HGB, noch besondere Kooperationspflichten führen zu einer grundsätzlichen Modifikation. Gleichwohl bietet eine (unbegründete) Mängelanzeige einen separaten Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Käufers. Auf eine solche Haftung lässt sich das für Nacherfüllungsverlangen beschriebene Konzept übertragen. 10. Einen Sonderfall im handelsrechtlichen Kontext stellt der Fall dar, dass trotz Präklusion – und deswegen unbegründet – Nacherfüllung verlangt wird. In dem Fall liegt regelmäßig eine Haftung des Käufers vor, weil der Sorgfaltsverstoß des Käufers, der zur Präklusion geführt hat, genauso auf ein unbegründetes Nacherfüllungsverlangen durchschlägt.
G. Ergebnisse
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11. Die sich insgesamt ergebende Verteilung des Unsicherheitsrisikos wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass nach Ansicht der Rechtsprechung bei einer gerichtlichen Geltendmachung materiell-rechtliche Ausgleichsansprüche weitestgehend ausgeschlossen wären. Diese Rechtsprechung ist verfehlt und sollte zugunsten einer materiell-rechtlichen Haftungsmöglichkeit auch bei prozessualer Geltendmachung aufgegeben werden. 12. Die Kehrseite der käuferseitigen Verschuldenshaftung für ein unberechtigtes Nacherfüllungsverlangen besteht darin, dass der Käufer keiner Haftung ausgesetzt ist, wenn er den Sorgfaltsanforderungen Genüge getan hat. Aus Verkäufersicht stellt sich die Situation dann so dar, dass er die Schädigung ersatzlos hinnehmen muss. (Nur) Insoweit realisiert sich ein allgemeines Lebensrisiko, unberechtigt in Anspruch genommen zu werden. 13. Die Verteilung des Unsicherheitsrisikos im Wege der vertraglichen Schadensersatzhaftung wird durch sonstige Ausgleichsansprüche eines zu Unrecht in Anspruch genommenen Verkäufers nicht nennenswert modifiziert. Insbesondere löst ein Tätigwerden des Verkäufers regelmäßig keine verschuldensunabhängigen Ersatzansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag aus. Bereicherungsrechtliche Ausgleichsansprüche bestehen, sind allerdings naturgemäß auf das Abschöpfen eines Vorteils durch das unberechtigte Nacherfüllungsverlangen begrenzt. Soweit der Käufer tatsächlich keinen Nutzen aus dem Tätigwerden des Verkäufers zieht, ist er entreichert.
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Sachregister Abschreckung 59–65, 72–89 – Kaufpreis 84 – Leistungsfähigkeit 80 – Wahrscheinlichkeit 82 Allgemeine Geschäftsbedingungen 229, 240 f. – Klauselkontrolle 229 Anscheinsbeweis 144 Aufklärungspflicht 70, 90–96, 192 f. Aufwendungsersatz 228, 245 f. Auskunftsanspruch 133–144 Behandlungsvertrag 26 Bereicherungsrecht 79, 247–261 Bereicherungsumfang 256–259 Beweislastumkehr 16–22, 125–131, 145–157 Beweissicherungsinteresse 183, 232 Blue-pencil-test 240 Doppelirrtum 110 Effet utile 170–174, 176 Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 212 Entreicherung 212, 257 Erfolgs-/Handlungsunrecht 23 Erfüllungsgarantie 18 f., 29 EuGH – Faber 165–169 Geltungserhaltende Reduktion 240 Geschäftsführung ohne Auftrag 79, 242–247, 253 – (Auch-)Fremdes Geschäft 244, 246 – Anwendbarkeit 242 Handelskauf 179–197 Integritätsinteresse 12–19, 25 f., 77 Kenntnis der Nichtschuld 251 ff.
Kondiktion 247–261 Kooperationspflichten 192 Käuferfalle 59 Kündigung 102 Learned-Hand-Formel 68–72 Lichtrufanlagenfall 5, 11, 28, 32–43 Mangelvermutung 162 f., 166 f., 169 f. Mängelanzeige 180–189 Nacherfüllungsort 75 f., 120, 171 f., 248 f. Obliegenheit – Gestattung der Nacherfüllung 47 – Nacherfüllungsverlangen 49 – § 377 HGB 184 Pflichtverletzung 6–32 – erfolgsbezogen 7 ff. – verhaltensbezogen 7 ff., 121, 124–127, 144 Präklusion 194 Recht auf Irrtum siehe Rechtfertigung prozessualer Geltendmachung Recht zur zweiten Andienung 56, 58 f., 75 f., 93 Rechtfertigung prozessualer Geltendmachung 200–226 Rechtsanwaltskosten 108, 120, 196 Rechtsirrtum 74, 96–111, 125, 127, 195 f., 248, 250 Rechtsverkümmerung 72, 140, 223, 259 Reparaturvertrag 117, 232, 251 Risikohaftung 100, 261 Rücksichtnahmepflicht – erfolgsbezogen 12–27, 29 Rügeobliegenheit 184–192
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Sachregister
Schadensminderungsobliegenheit 107, 110, 196 Sekundäre Darlegungslast 125, 127, 131 ff., 137, 145–157 Selbstvornahmerechtsprechung 58, 116 f. Sorgfaltsmaßstab – des Kaufmanns 185 f., 190, 195 – diligentia quam in suis 36 – Evidenzkontrolle 45 f., 56 – grobe Fahrlässigkeit 46, 49 f., 56 – Plausibilitätskontrolle 43 – Vertretbarkeit 46
Symptomrechtsprechung 52, 54 Transportkostenvorschuss 173 f., 176 f., 248 f., 254, 256, 258, 260 Unbestellte Leistungen 254 Verbrauchsgüterkauf 161–178 Vertretenmüssen 32–65 Ökonomische Analyse des Rechts siehe Learned-Hand-Formel