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German Pages 421 [423] Year 2015
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 332 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Verena Brandt
Das englische Disclosure-Verfahren Ein Modell für Zugang zu Information und Beweis im deutschen Zivilprozess?
Mohr Siebeck
Verena Brandt, geboren 1978; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Regensburg; Referendariat am OLG Celle; Forschungssemester an der Universität Oxford; Studium (Master of Law) an der Universität Cambridge; Wissenschaftliche Assistentin am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht; Notarassessorin in Hamburg; 2012 Promotion; seit 2012 Notarin in Hamburg.
e-ISBN PDF 978-3-16-152793-7 ISBN 978-3-16-152512-4 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2012 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis April 2014 berücksichtigt. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Peter Gottwald, der die Arbeit angeregt hat, danke ich von Herzen für seine vielfältige Förderung. Er hat mir wertvolle Hinweise und Denkanstöße gegeben. Herrn Professor Dr. Herbert Roth bin ich für die sehr rasche und freundliche Zweitbegutachtung dankbar. Herr Professor Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann hat mich während meiner Zeit am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht und viele Jahre darüber hinaus in vielerlei Hinsicht freundschaftlich bei der Fertigstellung dieses Projekts unterstützt. Dafür gebührt ihm mein herzlichster und aufrichtigster Dank. Den Direktoren des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Basedow, LL.M. (Harvard), Herrn Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan) sowie Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann, bin ich für die Aufnahme dieser Arbeit in die Schriftenreihe „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“ sehr verbunden. Danken möchte ich auch meinen ehemaligen Kollegen am MaxPlanck-Institut für viele anregende Gespräche, insbesondere meinen Freunden Herrn Dr. Walter Doralt und Frau Dr. Birke Häcker, M.A. (Oxford). Besonders prägend für die Erstellung dieser Arbeit war mein Forschungssemester an der University of Oxford, mein Master-Studium an der University of Cambridge sowie meine anschließende Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut. Während meiner Zeit in England haben mir insbesondere Professor Adrian Zuckerman (Oxford) und Professor Neil Andrews (Cambridge) hilfreiche Einblicke in das englische Zivilprozessrecht gewährt, wofür ich Ihnen meinen aufrichtigen Dank schulde. Frau Maria Schweinberger, Frau Cara Warmuth, Frau Gundula Dau und Frau Ingeborg Stahl bin ich für ihre wertvollen Korrekturarbeiten sehr verbunden. Ohne die unermüdliche und verständnisvolle Unterstützung meiner geliebten Familie wäre die berufsbegleitende Fertigstellung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Meinem Mann und meinen Kindern kann ich für ihre Geduld und ihren Rückhalt nicht genug danken. Hamburg, im Dezember 2014
Verena Brandt
Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis ........................................................................................ XI Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XXIII
Einleitung................................................................................................... 1 Teil I:
Rechtslage de lege lata........................................................15
Kapitel 1: Rahmenbedingungen .................................................................. 16 Kapitel 2: Disclosure in England ................................................................ 41 Kapitel 3: Das funktionale Äquivalent in Deutschland................................77 Kapitel 4: Auswertung .............................................................................. 130
Teil II:
Rechtslage de lege ferenda: Regelungsbedarf in Deutschland .................................... 145
Kapitel 5: Meinungsstand in der Literatur................................................. 146 Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele ........................... 156 Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele am Maßstab des Rechts auf Beweis, des Grundsatzes der Waffengleichheit sowie der Stellung der Wahrheitsfindung ................................................. 182 Kapitel 8: Vereinbarkeit der disclosure mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft? ................................................................ 226 Kapitel 9: Schlussfolgerung aus Teil II ..................................................... 268
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Inhaltsübersicht
Teil III: Ausblick: Nutzbarmachung des Grundgedankens der englischen disclosure ................. 275 Kapitel 10: Machbarkeit einer Anleihe ....................................................... 276 Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten ................ 314 Kapitel 12: Auswertung der Lösungsmodelle und Entwicklung eines Vorschlags anhand des Prüfungsrasters aus Teil I ................... 341
Teil IV: Gesamtergebnis und Thesen ............................................ 363 Literaturverzeichnis .................................................................................... 373 Sachverzeichnis .......................................................................................... 391
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis .......................................................................... XXIII
Einleitung................................................................................................... 1 A. B. C. D.
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Skizzierung des Themas ......................................................................... 1 Aufbau und Struktur .............................................................................. 6 Methode ................................................................................................. 7 Herausforderungen und Probleme im Umgang mit der Themenstellung...................................................................................... 9 I. Allgemeine Herausforderungen der Zivilprozessrechtsvergleichung .....................................................10 II. Besondere Herausforderungen der englisch-deutschen Prozessrechtsvergleichung............................................................. 11 Begrenzung der Themenstellung ........................................................... 13
Teil I:
Rechtslage de lege lata........................................................15
Kapitel 1: Rahmenbedingungen ..................................................................... 16 A.
B. C. D.
Institutionelle Rahmenbedingungen ......................................................16 I. Die Gerichte .................................................................................. 16 II. Der Verfahrensgang ...................................................................... 17 III. Die Verfahrensabschnitte .............................................................. 18 IV. Verhältnis von materiellem Recht zum Prozessrecht .....................21 V. Unterscheidung von Rechts- und Tatsachenfragen ........................21 Die juristischen Protagonisten ............................................................... 24 I. Der Richter .................................................................................... 24 II. Der Anwalt .................................................................................... 27 Reformen der jüngeren Vergangenheit ..................................................30 I. England ......................................................................................... 30 II. Deutschland ................................................................................... 32 Wesentliche Grundprinzipien ................................................................ 32
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Allgemeines zum Zugang zu Information und Beweis ..........................33 Historische Anmerkungen ..................................................................... 35 I. England ......................................................................................... 35 II. Deutschland ................................................................................... 37
Kapitel 2: Disclosure in England ................................................................... 41 A.
B.
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Überblick .............................................................................................. 41 I. Allgemeines zum Beweisrecht .......................................................41 1. Beweismaß.............................................................................. 42 2. Beweislastverteilung ............................................................... 42 3. Tatsachenvermutungen und Rechtsvermutungen .....................44 4. Beweislastumkehr ................................................................... 44 II. Documentary disclosure ................................................................ 45 1. Der Verfahrenspfad fast track .................................................45 2. Der Verfahrenspfad multi-track ..............................................47 3. Disclosure auf den Verfahrenspfaden fast track und multi-track .............................................................................. 48 a) Standard disclosure .......................................................... 49 b) Specific disclosure ............................................................ 51 c) Offenlegung und Einsichtnahme .......................................52 4. Der Verfahrenspfad small claims track ...................................53 III. Andere Formen der disclosure .......................................................53 1. Information request................................................................. 53 2. Augenscheinsobjekte .............................................................. 54 3. Zeugenvernehmung vor dem trial ...........................................55 Vorprozessualer Informationszugang ....................................................55 I. Pre-action protocols ...................................................................... 55 1. Ziel ......................................................................................... 55 2. Bisherige Anwendungsgebiete für pre-action protocols ..........56 3. Typischer Ablauf des erwarteten frühen Informationsaustauschs ........................................................... 57 4. Besonderheiten bei personal injury claims ..............................59 5. Bedeutung der pre-action protocols für die disclosure ............59 6. Erfahrungen der Praxis mit den pre-action protocols ..............60 II. Vorprozessuale disclosure ............................................................. 61 1. Vor Inkrafttreten der CPR .......................................................61 2. Nach Erlass der CPR ............................................................... 62 III. Verhältnis der pre-action protocols zur pre-action disclosure ...................................................................................... 64 Grenzen ................................................................................................ 65 I. Schutz von geheimhaltungsbedürftigen Interessen.........................65 1. Ausgangspunkt und limits of disclosure in order to protect other interests .........................................................65
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2. Privilege against self-incrimination ........................................67 3. Legal professional privilege ....................................................68 4. Public interest immunity und protection of journalists’ sources .................................................................................... 70 5. Without prejudice privilege .....................................................71 II. Verbot der fishing expeditions .......................................................71 Sanktionen ............................................................................................ 74 Kosten................................................................................................... 74
Kapitel 3: Das funktionale Äquivalent in Deutschland .................................. 77 A.
Zugang zu Information und Beweis ......................................................77 I. Grundstruktur durch die allgemeinen Regeln zum Sachvortrag ................................................................................... 78 1. Verteilung der Verantwortung für die Darlegung und den Beweis von Tatsachen ......................................................78 a) Definition ......................................................................... 78 b) Verteilung ........................................................................ 80 2. Erklärungspflicht des Gegners, § 138 Abs. 2 ZPO ..................81 3. Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht, § 138 Abs. 1 ZPO ........................................................................................ 82 II. Informationszugangsrechte ............................................................ 83 1. Prozessrecht ............................................................................ 83 2. Materielles Recht .................................................................... 84 3. Bestehen einer ungeschriebenen Aufklärungs- bzw. Prozessförderungspflicht .........................................................86 a) Die Ansicht Stürners.........................................................86 b) Die Auffassung Peters’ .....................................................87 c) Nemo tenetur-Urteil 1990 des BGH ..................................88 d) Zwischenergebnis ............................................................. 90 III. Prozessleitende Anordnungen von Amts wegen ............................90 IV. Zwischenergebnis .......................................................................... 90 V. Entwicklung von Ausgleichsmechanismen durch Rechtsprechung und Gesetzgeber ..................................................91 1. Materiellrechtlicher Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB .............................................................................. 91 a) Grundlagen ....................................................................... 91 b) Anwendungsbeispiele .......................................................91 c) Erfordernis einer Sonderverbindung .................................92 d) Kritik ................................................................................ 93 2. Neuere materiellrechtliche Informationsansprüche..................94 3. Widerlegbare Rechts- und Tatsachenvermutungen und materielle Beweislastumkehr ..................................................95 4. Sekundäre Darlegungslast .......................................................97
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a) Voraussetzungen und Rechtsfolge ....................................97 b) Fälle ................................................................................. 98 5. Der prima facie-Beweis ........................................................ 100 6. Sanktionierung der Beweisvereitelung .................................. 101 7. Sonderfall Arzthaftungsrecht ................................................ 103 8. Gefährdungshaftung .............................................................. 104 9. § 142 ZPO............................................................................. 105 a) Bezugnahmeerfordernis .................................................. 105 b) Ermessen ........................................................................ 107 c) Nutzung der neu geschaffenen Möglichkeiten in der Praxis ....................................................................... 109 d) Zusammenfassung .......................................................... 110 10. Zwischenergebnis ................................................................. 111 Vorprozessualer Zugang zu Informationen.......................................... 111 I. Geltendmachen materiellrechtlicher Auskunftsansprüche ............ 111 II. Selbstständiges Beweisverfahren ................................................. 111 III. Vorprozessuale Korrespondenz zwischen möglichem Gläubiger und Schuldner ............................................................. 113 Grenzen .............................................................................................. 115 I. Schutz von geheimhaltungsbedürftigen Interessen....................... 115 1. Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung ................................. 115 2. Schutz der Vertrauenssphäre zwischen Rechtsanwalt und Mandant ......................................................................... 116 3. Schutz des Unternehmensgeheimnisses ................................. 117 a) Gegenüber der Öffentlichkeit ......................................... 118 b) Gegenüber dem Prozessgegner ....................................... 118 aa) Materiellrechtliche Ebene ........................................ 119 bb) Rein prozessuale Ebene............................................ 120 cc) Alternative Schutzmechanismen .............................. 121 II. Verbot des Ausforschungsbeweises ............................................. 124 Sanktionen .......................................................................................... 127 Kosten................................................................................................. 128
Kapitel 4: Auswertung ................................................................................. 130 A.
Funktionsweise ................................................................................... 130 I. Zusammenfassung zum Informationszugang ............................... 130 II. Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten und Vermutungen ............................................................................... 131 III. Erklärungspflichten des Gegners ................................................. 132 IV. Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht ....................................... 132 V. Beweiswürdigung, Beweisvereitelung, prima facie-Beweis ......... 133 VI. Urkundenvorlage ......................................................................... 133 1. Vergleich zu England und Bewertung ................................... 134
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2. Verhältnis zu den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast ...................................................................... 136 VII. Materiellrechtliche Informationsansprüche .................................. 137 1. Vergleich zur englischen Lösung .......................................... 137 2. Abgrenzung zur sekundären Darlegungslast .......................... 138 Vorprozessualer Zugang zu Informationen.......................................... 139 Grenzen .............................................................................................. 141 Sanktionen .......................................................................................... 143 Kosten................................................................................................. 144
Teil II:
Rechtslage de lege ferenda: Regelungsbedarf in Deutschland .................................... 145
Kapitel 5: Meinungsstand in der Literatur .................................................. 146 A. B. C. D.
Die Ansicht in der Literatur bis 1990 .................................................. 146 I. Vertreter einer aufklärungsfreundlicheren Auffassung ................ 146 II. Gegner der aufklärungsfreundlicheren Auffassung ...................... 148 Die Meinung in der Literatur seit 1990 ............................................... 149 I. Zustimmung zur Entscheidung des BGH ..................................... 149 II. Vertreter einer aufklärungsfreundlicheren Auffassung ................ 151 Die Ansicht in der Literatur nach der ZPO-Reform des Jahres 2002 ................................................................................... 152 Konsequenzen für das weitere Vorgehen ............................................ 153
Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele ............................ 156 A.
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Erste Fallgruppe: Behebung des Informationsdefizits ......................... 156 I. Veterinärmedizinerin ................................................................... 156 II. HIV-kontaminierte Blutkonserven ............................................... 157 III. Erfassung von Ferngesprächsdaten mittels einer Fangschaltung ............................................................................. 158 IV. Auswertung der ersten Fallgruppe ............................................... 159 Zweite Fallgruppe: Keine Behebung des Informationsdefizits ............ 162 I. Anzeigenblatt .............................................................................. 162 II. Nemo tenetur 1996 ...................................................................... 164 III. Lockvogel ................................................................................... 165 IV. Auswertung durch Vergleich der 1. und der 2. Fallgruppe ........... 166 1. Anzeigenblatt und Fangschaltung ......................................... 166 2. Nemo tenetur 1997 und Veterinärmedizinerin ....................... 167 3. Unfallzeuge und Lockvogel .................................................. 168 Dritte Fallgruppe: Beispiele aus dem englischen Recht ....................... 170 I. Waugh v. British Railways Board ................................................ 170
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II. Harrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. ....................................... 172 III. Auswertung der 3. Fallgruppe ..................................................... 174 Vierte Fallgruppe: Änderung der Rechtslage durch § 142 ZPO n. F. ... 176 I. Vertrauensfrau ............................................................................. 176 II. Aufwendungen durch Vormieterin .............................................. 176 III. Einsicht in Unterlagen des streitunbeteiligten Arztes ................... 176 IV. Auswertung der 4. Fallgruppe ..................................................... 177 Zwischenergebnis ............................................................................... 178
Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele am Maßstab des Rechts auf Beweis, des Grundsatzes der Waffengleichheit sowie der Stellung der Wahrheitsfindung .................................................... 182 A.
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Recht auf Beweis ................................................................................ 183 I. England ....................................................................................... 183 II. Deutschland ................................................................................. 184 III. Auswertung ................................................................................. 185 Grundsatz der Waffengleichheit .......................................................... 185 I. England ....................................................................................... 186 1. Allgemeines .......................................................................... 186 2. Equal access to information .................................................. 186 II. Deutschland ................................................................................. 187 1. Rechtsprechung..................................................................... 187 a) Rechtsprechung des BVerfG zum Beweisrecht ............... 188 b) Ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung................. 189 2. Literatur ................................................................................ 190 III. Zwischenergebnis ........................................................................ 190 Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel? .................. 191 I. England ....................................................................................... 191 1. Pflicht zur Prozesswahrheit ................................................... 191 2. Wahrheitsfindung als Ziel des Verfahrens ............................. 193 a) Wahrheitsfindung ist nicht Ziel des Verfahrens .............. 193 aa) Pollock und Maitland ............................................... 193 bb) Lord Chancellor Viscount Simon ............................. 193 cc) Air Canada-Fall: Lord Denning und Lord Wilberforce .............................................................. 194 dd) Zwischenergebnis .................................................... 194 b) Wahrheitsfindung als Ziel des Verfahrens ...................... 195 aa) Higgins v. Higgins ................................................... 195 bb) Erstinstanzlicher Richter im Air Canada-Fall........... 195 cc) Lord Denning in Harmony Shipping und Sir Donaldson in Davies v. Eli Lilly & Co. .................... 196 dd) Jolowicz und Lord Woolf ......................................... 196 ee) Zuckerman ............................................................... 197
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3. Bedeutung des overriding objective ...................................... 197 4. Bedeutung des disclosure-Verfahrens für den Stellenwert der Wahrheitsfindung ......................................... 198 5. Zwischenergebnis ................................................................. 199 6. Jones v. University of Warwick: Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel? .................................... 199 a) Die Entscheidung ........................................................... 200 b) Dogmatische Einordnung ............................................... 201 7. Zwischenergebnis zum Stellenwert der Wahrheitsfindung in England ................................................ 201 II. Deutschland ................................................................................. 202 1. Prozessmodell, Prozesszweck, Prozessmaximen und Verfahrensgrundsätze............................................................ 202 2. Die herkömmliche Prozesszweckdiskussion .......................... 204 3. Die Stellung der Wahrheitsfindung in der Prozesszweckdiskussion ....................................................... 205 a) Formeller und materieller Wahrheitsbegriff ..................... 205 b) Exkurs: Materiale und prozedurale Verfahrensgerechtigkeit .................................................. 206 c) Auffassung von Stürner ................................................... 207 d) Ansicht des BGH............................................................. 207 e) Meinung des übrigen Schrifttums .................................... 209 4. Die Wahrheitspflicht der Parteien........................................... 211 5. Wandel des Prozesszwecks? .................................................. 212 6. Stellungnahme ...................................................................... 212 a) Zwischenergebnis Prozesszweck ..................................... 212 b) Zwischenergebnis Stellung der Wahrheitsfindung ........... 213 7. Das Verhältnis von Wahrheitsfindung und Persönlichkeitsrecht am Beispiel der Verwertung rechtswidrig erlangter Tatsachen und Beweismittel ................ 216 a) Einführung ..................................................................... 216 (1) Hormonpräparate ..................................................... 218 (2) Fangschaltung .......................................................... 218 (3) Mithören von Telefongesprächen .............................. 219 b) Auswertung der Fälle ...................................................... 219 III. Rechtsvergleichende Betrachtung ................................................ 221 1. Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel ............... 221 2. Unterschiedliche Wahrheitskonzepte ..................................... 222 3. Ursachen für die verschiedenen Wahrheitskonzepte ............... 223 4. Zwischenergebnis ................................................................. 224
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Kapitel 8: Vereinbarkeit der disclosure mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft? ........................................................................ 226 A.
Mitwirkungspflichten und der Grundsatz der Parteiherrschaft ............. 227 I. Das disclosure-Verfahren und das englische adversarial principle ...................................................................................... 227 1. Die traditionelle Sichtweise .................................................. 227 a) Herrschaft über Verfahren, Streitgegenstand und Tatsachen ....................................................................... 227 b) Herrschaft über die zu berücksichtigenden Regeln ......... 228 c) Die „emotionale“ Facette ................................................ 229 d) Sporting theory of justice ................................................ 229 e) Zwischenergebnis ........................................................... 230 2. Die neuere Sichtweise ........................................................... 230 a) Wahre Gerechtigkeit durch offene Informationen ........... 230 b) Wahre Gerechtigkeit durch Vermeidung der Prozessverschleppung ..................................................... 231 aa) Durch frühen Informationsaustausch ........................ 231 bb) Durch die Stärkung der Stellung des Richters .......... 232 cc) Durch einen funktionaleren Einsatz der disclosure und den Grundsatz der proportionality ............. 232 dd) The parties’ duty to cooperate .................................. 233 ee) Case management .................................................... 234 3. Rolle der barristers ............................................................... 236 4. Grenzen ................................................................................ 237 5. Auswertung: Disclosure und das adversarial principle ......... 237 6. Zwischenergebnis ................................................................. 239 II. Mitwirkungspflichten und der deutsche Beibringungsgrundsatz ................................................................ 240 1. Aus traditioneller englischer Perspektive .............................. 240 2. Aus deutscher Sicht: Inhalt und Reichweite .......................... 241 3. Kritik an der Verhandlunsgsmaxime ..................................... 243 4. Grenzen, die in der ZPO selbst angelegt sind ........................ 245 a) Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht........................... 245 b) Verfahrenskonzentration................................................. 247 c) Materielle Prozessleitung gem. §§ 139, 141, 142, 144 ZPO ......................................................................... 248 d) Amtswegige Beweisaufnahme ........................................ 249 5. Bewertung und Zwischenergebnis ......................................... 250 III. Rechtsvergleichende Auswertung ................................................ 251 IV. Vereinbarkeit der disclosure mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft ........................................................................... 252
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1. Veränderung der Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht ........................................................................... 252 2. Verstoß gegen den nemo tenetur-Grundsatz .......................... 253 a) Kritische Würdigung der Herleitung aus dem ersten nemo tenetur-Fall des BGH ............................................ 253 b) Herleitung in Anlehnung an den Schutz vor Selbstbelastung im Strafverfahren?................................. 256 c) Zwischenergebnis ........................................................... 257 3. Verstoß gegen den Grundsatz der Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises .................................................. 257 a) Erste Fallgruppe: Beweisantrag ins Blaue hinein ............ 258 b) Zweite Fallgruppe: Fehlende Substantiiertheit ................ 259 c) Zwischenergebnis ........................................................... 261 4. Veränderung der Beweislastverteilung .................................. 261 a) Beruht die Etablierung von Darlegungs- und Beweislasten auf dem Beibringungsgrundsatz? .............. 261 b) Privatautonomer, ökonomischer und liberaler Begründungsansatz ......................................................... 262 c) Praktische Relevanz der dogmatischen Begründung ....... 263 d) Stellungnahme ................................................................ 265 Zwischenergebnis ............................................................................... 267
Kapitel 9: Schlussfolgerung aus Teil II ........................................................ 268 A. B. C.
Gerechtigkeitsfunktion ........................................................................ 268 Exkurs: Einige Anmerkungen zur Effizienzfunktion ........................... 271 Fazit .................................................................................................... 273
Teil III: Ausblick: Nutzbarmachung des Grundgedankens der englischen disclosure ................. 275 Kapitel 10: Machbarkeit einer Anleihe .......................................................... 276 A.
Grundsätzliche Möglichkeit einer Anleihe im common law ................ 276 I. Meinungsstand ............................................................................ 276 II. Zwischenergebnis ........................................................................ 279 III. Discovery in einer kontinental geprägten Rechtsordnung – Die japanische Erfahrung ............................................................ 279 1. Historische Entwicklung zwischen civil law und common law .......................................................................... 280 2. Die Reform von 1996 ............................................................ 281 a) Einführung eines Erkundigungsrechts der Parteien ......... 282 b) Pflicht zur Dokumentenvorlage ...................................... 283
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B.
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c) Lockerung des Subsidiaritätserfordernisses bei der Parteivernehmung ........................................................... 285 3. Die Reform von 2003 ............................................................ 285 a) Erkundigung vor Klageerhebung .................................... 286 b) Maßnahmen zur Beweisgewinnung vor Klageerhebung ............................................................... 287 c) Dogmatische Grundlage ................................................. 289 4. Zwischenergebnis ................................................................. 289 IV. Rechtskulturelle Besonderheiten in England und Deutschland ................................................................................. 290 1. Besonderheiten des englischen Rechts .................................. 291 a) Kostenstruktur des englischen Rechts ............................. 291 b) Passivere Stellung des Richters ...................................... 293 2. Besonderheiten des deutschen Rechts ................................... 294 a) Existenz materiellrechtlicher Auskunftsansprüche .......... 294 b) Starkes Verhaftetsein in den Kategorien des materiellen Rechts und des Prozessrechts ....................... 295 c) Der deutsche Beibringungsgrundsatz .............................. 296 3. Schlussfolgerungen aus diesen Besonderheiten ..................... 298 Gefahren, denen im Umsetzungsmodell zu begegnen ist ..................... 299 I. Voraussetzungen der Aufklärungspflicht werden zu niedrig angesetzt ..................................................................................... 299 1. Anforderungen an die Substantiierungslast ........................... 299 2. Ausnahmen ........................................................................... 300 II. Überfrachtung des Prozesses mit irrelevantem Tatsachenstoff ............................................................................. 301 III. Widersprüchliche Ergebnisse gegenüber materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen .................................. 302 IV. Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses wird nicht gewährleistet ............................................................................... 304 1. Möglichkeit der Verankerung eines Geheimverfahrens ......... 304 a) Arten von Geheimverfahren ........................................... 304 b) Rechtlicher Ausgangspunkt ............................................ 305 c) Geheimverfahren in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten als Vorbild? .............................................. 305 d) Reichweite des Anzeigenblatt-Falls ................................ 306 e) In camera-Verfahren ...................................................... 307 2. Sonderproblematik im Rahmen von § 142 ZPO n.F. ............. 308 3. Auflösung des Konflikts und Ergebnis zum Schutz des Unternehmensgeheimnisses ............................................ 309 V. Steigerung der Prozesskosten ...................................................... 310 VI. Mentalitätsbedingte Besonderheiten ............................................ 311
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten.................. 314 A.
B. C.
Umsetzungsmodelle in der Literatur ................................................... 314 I. Einführung eines gesonderten Verfahrens zur Informationsbeschaffung ............................................................. 314 II. Einführung eines vorprozessualen Informationsbeschaffungsverfahrens ........................................... 315 1. Greger ................................................................................... 315 2. Gottwald ............................................................................... 315 III. Sonstige prozessrechtliche Modelle für erweiterte Informationszugangsrechte .......................................................... 315 1. Gottwald ............................................................................... 315 2. Greger ................................................................................... 317 3. Zettel .................................................................................... 317 4. Drenckhahn ........................................................................... 318 IV. Materiellrechtliches Modell für erweiterte Informationszugangsrechte nach Osterloh-Konrad ...................... 319 V. Gemischte prozessrechtliche und materiellrechtliche Modelle für erweiterte Informationszugangsrechte ...................... 319 1. Lüderitz ................................................................................ 319 2. Stürner .................................................................................. 320 a) Die Auffassung Stürners in seiner Habilitationsschrift 1976 ................................................ 320 aa) Allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht ............. 321 bb) Vorprozessuale kostensanktionierte Informationspflicht .................................................. 322 cc) Vorbereitender materiellrechtlicher Informationsanspruch ............................................... 324 b) Die Auffassung Stürners zu verbleibenden Defiziten im Jahr 2006 ................................................... 325 3. Beckhaus .............................................................................. 326 Der Kommissionsentwurf 1975 ........................................................... 327 Umsetzungsmodelle des Soft-law und der europäischen Gesetzgebung...................................................................................... 329 I. Storme-Kommission .................................................................... 329 II. ALI/UNIDROIT Principles .......................................................... 331 III. RL 2004/48/EG ........................................................................... 333 1. Ziel und Inhalt der Richtlinie ................................................ 333 2. Umsetzungsbedarf im Hinblick auf Art. 6 RL ....................... 334 3. Umsetzung in Deutschland .................................................... 334 4. Gelungenheit der Umsetzung in Deutschland ........................ 335 IV. Weißbuch von 2008 im Kartellrecht ............................................ 337
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 12: Auswertung der Lösungsmodelle und Entwicklung eines Vorschlags anhand des Prüfungsrasters aus Teil I ..................... 341 A.
B.
C.
Funktionsweise ................................................................................... 341 I. Prozessrechtliche Anknüpfung .................................................... 342 II. Lösung der Gerechtigkeitsfunktion .............................................. 346 1. Grundprämisse ...................................................................... 346 2. Disclosure-Verfahren oder allgemeine erweiterte Mitwirkungspflicht des Gegners ........................................... 346 3. Vergleich der Vorschläge Gottwalds und Drenckhahns ......... 348 4. Lösung anhand der parteibeherrschten Modelle .................... 349 a) Verankerung der Regeln über die sekundäre Darlegungslast als Grundnorm ....................................... 350 b) Mitwirkungspflicht des Gegners ..................................... 351 c) Unbezifferte Klageanträge im Rahmen der Stufenklage ..................................................................... 354 III. Anmerkungen zur Effizienzfunktion und zum vorprozessualen Informationsaustausch ....................................... 355 1. Gründe für und gegen die Einführung von pre-action protocols ............................................................................... 355 2. Regelungsort ......................................................................... 357 3. Zulässigkeitsvoraussetzung oder kostenrechtlich sanktionierter Kodex ............................................................. 357 4. Voraussetzungen des vorprozessualen Informationsaustauschs ......................................................... 358 5. Regelungsvorschlag für Verankerung in der ZPO ................. 359 Grenzen .............................................................................................. 359 I. Ausforschungsbeweis .................................................................. 359 II. Weigerungsrechte ........................................................................ 359 III. Zumutbarkeitskriterium im Übrigen ............................................ 360 IV. Keine fehlende Verhältnismäßigkeit ............................................ 360 Sanktionen und Kosten ....................................................................... 361
Teil IV: Gesamtergebnis und Thesen ............................................ 363 A. B.
Gesamtergebnis................................................................................... 363 Thesen ................................................................................................ 367
Literaturverzeichnis .................................................................................... 373 Sachverzeichnis .......................................................................................... 391
Abkürzungsverzeichnis a. a.A. A.A.L.R a.a.O. ABl. Abs. A.C. AcP ADR a.E. a.F. AktG ALI All E.R. Alt. AMG
Aufl. AuR Az.
auch andere Ansicht The Anglo-American Law Review am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Law Reports, Appeal Cases Archiv für civilistische Praxis Alternative Dispute Resolution am Ende alte Fassung Aktiengesetz vom 6.9.1965 (BGBl. I S. 1089) The American Law Institute All England Law Reports Alternative Arzneimittelgesetz in der Bekanntmachung vom 12.12.2005 (BGBl. I S. 3394) American Journal of Comparative Law American Law Review Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Arbeitsrechtliche Praxis Artikel Atomgesetz in der Bekanntmachung vom 15.7.1985 (BGBl. I S. 1565) Auflage Arbeit und Recht, Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis Aktenzeichen
BAG Bd. BGBl. BGH BGHZ BRAK BRAK-Mitt BRAO BT-Drucks. Buff.L.Rev.
Bundesarbeitsgericht Band Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesrechtsanwaltskammer BRAK-Mitteilungen Bundesrechtsanwaltsordnung Drucksache des Deutschen Bundestags Buffalo Law Review
Am.J.Comp.L. Am.L.Rev. Anh. Anm. AnwBl AP Art. AtomG
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
BVerfG BVerfGE bzw.
Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise
CA CCZ Ch. Civ C.J.Q. C.L.J. Const.L.J. CPO CPR CPRC
Court of Appeal Corporate Compliance Zeitschrift High Court of Justice; Law Reports, Chancery Division (seit 1890) Civil Division Civil Justice Quarterly Cambridge Law Journal Construction Law Journal Civilprozeßordnung v. 30.1.1877 Civil Procedure Rules Civil Procedure Rules Committee
DB DJZ DRiZ DStR DWIR
Der Betrieb Deutsche Juristenzeitung (1.1896-41.1936) Deutsche Richterzeitung (1.1909-27.1935; 28.1950 ff.) Deutsches Steuerrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht
ebd. ECtHR EG E.H.R.R. Einl. E.I.P.R. EMRK
ebenda European Court of Human Rights Europäische Gemeinschaften European Human Rights Reports Einleitung European Intellectual Property Review Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4.11.1950 (BGBl 1952 II S. 685) endgültig et alii Europäische Union Court of Appeal, Civil Division (England u. Wales) High Court of England and Wales
endg. et al. EU EWCA EWHC f. / ff. FamFG FG FR FRCP FS GebrMG gem.
folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit v. 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586) Festgabe Final Report Federal Rules of Civil Procedure Festschrift Gebrauchsmustergesetz in der Bekanntmachung v. 28.8.1986 (BGBl. I S. 1455) gemäß
Abkürzungsverzeichnis GeschmacksMG GG GKG GPÜ GRUR GVG HaftPflG
XXV
Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (Geschmacksmustergesetz) v. 12.3.2004 (BGBl. I S. 390) Grundgesetz Gerichtskostengesetz v. 5.5.2004 (BGBl. I S. 718) Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt v. 15.12.1975 in der Fassung v. 21.12.1989 (BGBl. II S. 1361 ff.) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gerichtsverfassungsgesetz
Harv.L.Rev. Hastings Int’l & Comp. L. Rev. HGB HL h.M. Hrsg.
Haftpflichtgesetz in der Bekanntmachung v. 4.1.1978 (BGBl I S.145) Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen v. 22.10.1987 (BGBl. I S. 2294) Harvard Law Review Hastings International and Comparative Law Journal Handelsgesetzbuch v. 10.5.1897 (RGBl. S. 219) House of Lords herrschende Meinung Herausgeber
I.C.L.Q. insb. IR i.S.d. i.V.m.
International and Comparative Law Quarterly insbesondere Interim Report im Sinne des in Verbindung mit
J. JA J.I.P.L. J.P.I.L. JR JuS JW JZ jZPG jZPV
Justice Juristische Arbeitsblätter Journal of Personal Injury Law Journal of Personal Injury Litigation Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung japanisches Zivilprozessgesetz japanische Zivilprozessverordnung
Kap. KOM
Kapitel Kommissionsdokument(e)
LAG LG L.J. LM
Landesarbeitsgericht Landgericht Lord Justice Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Law Quarterly Review
HalbleiterschutzG
L.Q.R.
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
L.S. LT LuftVG
Legal Studies Law Times Reports Luftverkehrsgesetz in der Bekanntmachung v. 10.5.2007 (BGBl. I S. 698)
MarkenG
Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen v. 25.10.1994 (BGBl. I S. 3082) Monatsschrift für Deutsches Recht Master of the Rolls Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit weiteren Nachweisen
MDR M.R. MüKoBGB MüKoZPO m.w.N. n.F. NJ NJOZ NJW NJW-RR Nr. Nw.U.L.Rev. NZI
neue Fassung Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift, RechtsprechungsReport Nummer Northwestern University Law Review Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung
OLG OLGR öZPO
Oberlandesgericht OLG-Report österreichische Zivilprozessordnung
PatG
Patentgesetz in der Bekanntmachung v. 16.12.1980 (BGBl. 1981 I S. 1) Practice Directions Produkthaftungsgesetz
PD ProdHaftG Q.B. Q.B.D. r. R. RabelsZ RG RGBl. RIW RL Rn. R.P.C.
Queen’s Bench Division Law Reports, Queen’s Bench Division (1891–1901, seit 1952) Queen’s Bench Division of the High Court of Justice; Law Reports, Queen’s Bench Division (1875–1890) rule Regina; Rex Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsgericht Reichsgesetzblatt Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer Reports of Patent, Design and Trade Mark Cases
Abkürzungsverzeichnis
XXVII
RSC RVG
Rules of the Supreme Court Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte v. 5.5.2004 (BGBl. I S. 718, 788)
s. S. SGB SortenschutzG
section Seite Sozialgesetzbuch Sortenschutzgesetz in der Fassung v. 19.12.1997 (BGBl I S. 3164) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung
StGB StPO TRIPs Tul.L.R. u.a. U.Chic.L.R. UmwHG Unif.L.Rev. UrhG US U.S. UWG
Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights Tulane Law Review unter anderem University of Chicago Law Review Umwelthaftungsgesetz v. 20.12.1990 (BGBl I S. 2634) Uniform Law Review Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) v. 9.9.1965 (BGBl. I S. 1273) United States (Vereinigte Staaten von Amerika) United States Reports Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb in der Bekanntmachung v. 3.3.2010 (BGBl. I S. 254)
v. VersR vgl.
vom; versus Versicherungsrecht vergleiche
W.L.R. WTO WoM WZG
Weekly Law Reports Welthandelsorganisation (World Trade Organisation) Wohnungswirtschaft und Mietrecht Warenzeichengesetz
ZEuP ZfRV ZIP ZPO ZRP ZVglRWiss ZZP ZZPInt
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für den Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International
Einleitung A. Skizzierung des Themas Der Prozess der Sachverhaltsaufklärung ist von herausragender Bedeutung für das Gerichtsverfahren. Oft sind es vor allem Tatsachenfragen und nicht Rechtsfragen, die den Kernbereich der Differenzen zwischen den Parteien ausmachen.1 So gibt es auf der einen Seite die Geschichte des Klägers und auf der anderen Seite die des Beklagten; nicht selten sind beide so diametral entgegengesetzt, dass man sich wundern mag, ob beide Seiten wirklich über denselben Sachverhalt sprechen. Der Richter kann den Fall aus eigener Wahrnehmung nicht beurteilen. Gleichwohl ist er dazu berufen, ein Urteil in der Sache zu fällen. Es stellt sich die Frage, wie ein Zivilverfahren sicherstellt, dass die Versionen von Kläger und Beklagtem schließlich zu einer in sich geschlossenen Sachverhaltsdarstellung verschmelzen. In diesem Zusammenhang wiederum erlangt die nächste Fragestellung Bedeutung, was eigentlich die Zielsetzung des Zivilprozesses ist: lediglich die Streitschlichtung zwischen den beteiligten Parteien oder die Ermittlung der (absoluten) Wahrheit bzw. Wirklichkeit?2 Die Fakten eines Falls werden in allen Rechtsordnungen in der mündlichen Verhandlung durch die Erhebung von Beweisen ermittelt.3 In England, wie in allen übrigen common law-Ländern sowie – mit Einschränkungen – in Japan, gibt es darüber hinaus noch ein zusätzliches Mittel, mit Hilfe dessen Sachverhaltsaufklärung bereits vor der mündlichen Verhandlung betrieben wird: das Verfahren der discovery, oder wie es in England 4 neuerdings heißt: So auch die Einschätzung von Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 36. Zu dem Verhältnis von Wahrheit und Wirklichkeit s. Greger, Beweis, 1978, S. 28 ff. 3 Der Begriff der Sachverhaltsermittlung wird hier in einem weiten Sinne als Gegenbegriff zur Rechtsfindung verwendet. Der Begriff ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass tatsächlich eine „Ermittlung“ stattfindet. Eine solche ist jedenfalls in Deutschland dem Strafprozess sowie dem Verwaltungsprozess vorbehalten. Im Zivilprozess wird hingegen nicht ein Sachverhalt ermittelt, sondern lediglich eine Überprüfung der von den Parteien aufgestellten Behauptungen auf ihre Richtigkeit hin vorgenommen, s. Bernhardt, in: FG Rosenberg, 1949, S. 9, 25. 4 Der Bezug auf das englische Zivilprozessrecht schließt grundsätzlich – sofern nicht ein anderes ausdrücklich bestimmt ist – auch das Zivilprozessrecht von Wales ein, da beide Länder von denselben zivilprozessualen Regeln regiert werden. 1 2
2
Einleitung
disclosure. Dieses verlangt von den Parteien, dass sie vor der Verhandlung eine Liste mit sämtlichen relevanten Unterlagen, die sich in ihrem Einflussbereich befinden, erstellen und der anderen Seite gestatten, Einsicht in ihre jeweils aufgelistete Dokumentation zu nehmen. 5 Darüber hinaus können beide Parteien von der jeweils anderen Seite die Gewährung sonstiger Informationen, die Beantwortung von Fragen und die Besichtigung von Augenscheinsobjekten verlangen. Einen derartigen Verfahrensabschnitt gibt es in Deutschland nicht. Aus deutscher Perspektive ist der erstaunlichste Aspekt dieses Mechanismus, dass er eine Partei zwingt, Informationen offenzulegen, die sie unter Umständen gar nicht offenlegen möchte, etwa weil diese nachteilig für ihre eigene Angriffs- oder Verteidigungslinie sind. Dies scheint auf den ersten Blick mit dem deutschen Dispositions- und Beibringungsgrundsatz nicht vereinbar zu sein, der die Festlegung des Streitgegenstands ebenso wie die Entscheidung darüber, welche Tatsachen in das Verfahren eingeführt werden, grundsätzlich der Herrschaft der Parteien unterstellt. Allerdings ist die Existenz bzw. Einführung einer so genannten „allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht“ bzw. „allgemeinen Prozessförderungspflicht“ für den deutschen Zivilprozess immer wieder in der Literatur diskutiert,6 jedoch im Großen und Ganzen von der Rechtsprechung7 und auch von weiten Teilen der Lehre8 verworfen worden, indem man sich auf den angeblich im deutschen Zivilprozess geltenden Rechtssatz nemo contra se edere tenetur berief. Die Idee einer solchen allgemeinen prozessualen AufklärungsMatthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.06. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976; Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399; Koller, VersR 1990, S. 553, 558; Paulus, ZZP 104 (1991), S. 397 ff.; Schlosser, JZ 1991, S. 599 ff.; Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 7, A 15 ff.; Roth, ZZP 109 (1996), S. 271 ff.; Weber, ZZPInt 5 (2000), S. 59 ff.; Katzenmeier, JZ 2002, S. 533 ff.; Waterstraat, ZZP 118 (2005), S. 459 ff. 7 BGH v. 26.6.1958, NJW 1958, S. 1491, 1492; BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151; BGH v. 12.11.1991, NJW 1992, S. 1817; BGH v. 17.10.1996, NJW 1997, S. 128, 129; BGH v. 18.5.1999, NJW 1999, S. 2887; BGH v. 7.12.1999, NJW 2000, S. 1108, 1109. 8 Konzen, Rechtsverhältnisse, 1976, S. 234 ff.; ebenso noch zur Rechtslage de lege lata Gottwald, ZZP 92 (1979), S. 364 ff., der aber für eine Regelung de lege ferenda eintritt, vgl. Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 7, A 15 ff.; Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 83; Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 16 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 137; G. Lüke, JuS 1986, S. 2, 3; Winkler v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, 1986, S. 214 f.; Schreiber, JR 1991, S. 413, 416; Vorwerk, MDR 1996, S. 870; Messer, in: FS 50 Jahre BGH 2000, S. 67, 78 ff.; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 25 ff., insb. Rn. 30, der in seiner Argumentation die Rechtslage de lege lata und de lege ferenda zwar nicht trennt, im Ergebnis aber keinen Änderungsbedarf sieht und meint, die deutsche Regelung sei „durchaus zeitgemäß“; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 109, Rn. 8; Schilken, Zivilprozessrecht, 2010, Rn. 155; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 2012, § 138, Rn. 30; MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 130; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 2014, § 138, Rn. 12; ZöllerVollkommer, ZPO, 2014, Einl., Rn. 55. 5 6
A. Skizzierung des Themas
3
pflicht besteht darin, dass in Fällen, in denen die risikobelastete Partei keinen Zugang zu den Informationen oder Beweismitteln hat, die sie benötigt, um die die Klage oder die Verteidigung begründenden Tatsachen zu substantiieren oder zu beweisen, unter Umständen zum Zwecke der Wahrheitsfindung auch die nicht darlegungs- und beweisbelastete Partei zur Sachverhaltsaufklärung mit herangezogen werden kann. 9 In jüngerer Zeit finden sich in der Literatur zunehmend Stimmen, die eine solche prozessuale Aufklärungspflicht befürworten, allerdings in einer abgeschwächten Form.10 Ein großzügigeres Informationsbeschaffungssystem steht in dem Ruf, in einem modernen Zivilprozessrecht gerade in Zeiten knapper öffentlicher Kassen unersetzlich zu sein, weil es ein zügiges und effektives Verfahren ermögliche und unnötige Verfahren vermeide.11 Auch auf europäischer Ebene gibt es zwei Initiativen, die sich für eine disclosure-freundliche Regelung aussprechen, so zum einen die StormeKommission12 im Jahr 1993 und zum anderen die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure13 aus dem Jahr 2004. Darüber hinaus beschäftigt sich das von der Europäischen Kommission am 2. April 2008 herausgegebene Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EGWettbewerbsrechts“ (im Folgenden „Weißbuch“) mit der Frage, ob im Bereich der privaten Kartellrechts-Durchsetzung die Einführung einer documentary disclosure sinnvoll sein könnte. 14 Berücksichtigt man zudem die neueren Rechtsentwicklungen in anderen europäischen civil law-Ländern, die in größerem Umfang als die deutsche ZPO Mitwirkungs- und Kooperationspflichten beider Prozessparteien statuieren, 15 so mag man sich die Frage Stürner, ZZP 104 (1991), S. 208. Für eine umfassende prozessuale Aufklärungspflicht eintretend: Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, passim; für eine demgegenüber abgeschwächte Form plädierend: Schlosser, JZ 1991, S. 599 ff.; Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 7 ff.; Katzenmeier, JZ 2002, S. 533 ff.; Waterstraat, ZZP 118 (2005), S. 459 ff; eine Lösung auf materiellrechtlicher Ebene befürwortet Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 195 ff; für eine Lösung auf beiden Ebenen: Beckhaus, Informationsdefizite, 2010, S. 357 ff. 11 Deguchi, in: FS Leipold, 2009, S. 555, 565. 12 Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch: Storme-Entwurf (Art. 4), abgedruckt in: Storme (Hrsg.), Rapprochement, 1994, S. 185 ff.; Roth, ZZP 109 (1996), S. 271, 291 betont, dass der Storme-Entwurf eine sich in Europa abzeichnende Entwicklung aufgreife, die die „Vereinzelung“ des deutschen Zivilprozessrechts verdeutliche. 13 Principle 16.2, abgedruckt in: (2004) 9 Unif.L.Rev., S. 758 ff. 14 Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts, KOM(2008) 165 endg. v. 2.4.2008. 15 Am weitesten geht insofern Österreich, das anstelle der Verhandlungsmaxime ein Kooperationsmodell praktiziert, das eine abgeschwächte Form des Untersuchungsgrundsatzes darstellt, und dem Richter in größerem Umfang eine Beweiserhebung von Amts wegen gestattet, vgl. Rassi, ZZP 121 (2008), S. 165 ff. Umgekehrt sieht die österreichische 9
10
4
Einleitung
stellen, ob es nicht vielleicht an der Zeit ist, sich in Deutschland mit der Thematik der disclosure auseinanderzusetzen, anstatt pauschal darauf zu verweisen, dass diese ein Instrument des common law sei und folglich für ein kontinentaleuropäisches Rechtssystem nicht als Anregung dienen könne. 16 Anderenfalls droht der Anschluss in Europa hinsichtlich eines modernen Zivilprozessgesetzbuches ebenso verpasst zu werden, wie der internationale Anschluss.17 Denn bereits jetzt steht einem Deutschen unter bestimmten Umständen die Möglichkeit offen, im Wege der Beweishilfe vor den USGerichten eine pre-trial discovery durchzuführen – auch in Bezug auf Dokumente, die sich nicht in den USA befinden 18 – und die so zu Tage geförderten Tatsachen sodann in das deutsche Erkenntnisverfahren einzuführen.19 Die Gefahr, dass auf die hierzulande so gefürchtete amerikanische pre-trial discovery zurückgegriffen wird, ist umso größer, je mehr sich das deutsche Recht gegen einen offenen Informationsaustausch sperrt.20 Eine weitere Folge dieser Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene ist die Gefahr der Entstehung eines Sonderprozessrechts für bestimmte Bereiche des materiellen Rechts, die zwar dem besonders viruZPO hinsichtlich der Editionspflichten vergleichbar restriktive Regelungen wie die deutsche ZPO vor, vgl. §§ 303 ff. öZPO. Interessanter für den mit dieser Arbeit verfolgten Ansatz ist das französische Modell, das bereits 1975 mit Art. 11 Code de Procédure Civile Mitwirkungspflichten der Parteien ohne Rücksicht auf die Beweislast statuiert hat (vgl. dazu Rouhette, Frankreich, 2003, S. 167, 176, 190; Schlosser, JZ 1991, S. 599, 602; Wagner, ZEuP 2001, S. 441, 460 f.) Auch in den Prozessordnungen der Schweizer Kantone bestehen neben den Möglichkeiten amtswegiger Beweisaufnahme Auskunfts- und Vorlagepflichten der Parteien, die von materiellen Auskunftsansprüchen unabhängig sind (dazu Gottwald, Aufklärungspflicht im Rechtsvergleich, 1995, S. 21, 36 ff. sowie Stadler, in: FS Beys, Bd. 2, 2003, S. 1625, 1635). 16 Stadler, in: FS Beys, Bd. 2, 2003, S. 1625, 1627, beklagt überdies zu Recht, die Diskussion kranke an einer undifferenzierten Gleichsetzung von Ausforschungsbeweis und allgemeiner Aufklärungspflicht. 17 Diese Befürchtung äußern Schlosser, JZ 1991, S. 599 ff., Wagner, ZEuP 2001, S. 441, 465 ff. und Greger, BRAK-Mitt 4/2005, S. 150, 154. Auch die mit der staatlichen Zivilgerichtsbarkeit in Konkurrenz stehende Schiedsgerichtsbarkeit hat sich der Problematik der discovery/disclosure sehr viel offener und lösungsbereiter gestellt, s. Wagner, ZEuP 2001, S. 441. 18 Vgl. dazu Kraayvanger, RIW 2007, S. 496 f. unter Hinweis auf eine Entscheidung des US District Court for the Southern District of New York, Re Application of Gemeinschaftspraxis Dr. med. Schottdorf. 19 Diese Möglichkeit steht seit der Intel-Entscheidung des US Supreme Court aus dem Jahr 2004 jedem zu, soweit der Gegner sich in einem der amerikanischen Jurisdiktion unterliegenden Bereich aufhält, vgl. Intel Corp. v. Advanced Micro Devices, Inc., U.S. 241 (2004), S. 542 ff., besprochen bei Kraayvanger, RIW 2007, S. 496, bei Kraayvanger/ Richter, RIW 2007, S. 177 sowie bei Coester-Waltjen, in: Essays Kerameus, 2009, S. 257, 261 ff. S. dazu auch ausführlich Boyle, (2010) 29 C.J.Q., S. 73 ff. 20 Wagner, ZEuP 2001, S. 441.
A. Skizzierung des Themas
5
lenten Regelungsbedarf in einigen wenigen Rechtsgebieten, wie etwa dem Recht des geistigen Eigentums oder dem Kartellrecht, nicht zuletzt auch auf europäischen Druck hin Rechnung trägt, die sich jedoch nicht unbedingt widerspruchsfrei in das Gesamtkonzept der ZPO einfügt, was von der Europäischen Kommission durchaus in Kauf genommen wird, wie sich aus dem Commission Staff Working Paper zum Weißbuch ergibt: „[The Community rules on disclosure of evidence in the IP Directive 2004/48/EG] provide useful points of reference when considering ways to improve access to evidence in competition cases. They also illustrate that in certain areas of law the presence of specific problems, such as a very asymmetric distribution of the available information […] can require solutions that differ to some extent from the general legal regime in civil litigation.“21
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage, ob die Anleihe einer Form von disclosure aus dem englischen Recht auch für das deutsche Zivilverfahren wünschenswert sein könnte, und wie eine solche Anleihe im deutschen Zivilprozess in einer Art und Weise umgesetzt werden könnte, die mit den Verfahrensgrundsätzen und Wesensmerkmalen des deutschen Zivilprozesses kompatibel ist. Sehr bewusst erfolgt die Untersuchung anhand der englischen disclosure, und nicht etwa anhand der amerikanischen discovery. 22 Die Missstände der amerikanischen discovery sind oft, umfassend und wohl auch zu Recht beklagt worden. 23 Auch ist die Frage, ob sich Deutschland auf Commission Staff Working Paper, Rn. 86. Die Einstellung der deutschen Rechtswissenschaft gegenüber der amerikanischen discovery bezeichnet Stadler als regelrechte „discovery-Phobie“, vgl. Stadler, in: FS Beys, Bd. 2, 2003, S. 1625, 1627. 23 Vgl. dazu etwa Junker, Discovery, 1987, passim; Stürner, Justizkonflikt, 1986, S. 3, 11 ff.; Zekoll/Bolt, NJW 2002, S. 3129 ff.; Langbein, (1985) 52 U.Chic.L.R., S. 823 ff. Die amerikanische discovery wird aus kontinentaleuropäischer Sicht gemeinhin auf Grund des Bestehens weit reichender Offenlegungspflichten, die weitgehend unabhängig von einer vorhergehenden Substantiierung bzw. einer Prüfung der Erheblichkeit des jeweiligen Vorbringens sind, wegen der Zulässigkeit ausforschender fishing expeditions sowie der fehlenden Existenz umfassender Weigerungsrechte von vornherein als Vorbild ausgeschlossen. Die in der amerikanischen discovery liegende Missbrauchsgefahr (auch als nuisance value bezeichnet) – also die Gefahr, dass die discovery bewusst und strategisch zum wirtschaftlichen Nachteil des Gegners eingesetzt wird – wird zum einen durch weitere Besonderheiten des amerikanischen Rechts gesteigert, wie etwa das hohe Prozesskostenrisiko (keine Kostenerstattung auch bei Prozessgewinn) sowie Erfolgshonorare für Rechtsanwälte, zum anderen durch den damit teils im Zusammenhang (Erfolgshonorar), teils im Widerspruch (keine Kostenerstattung auch bei Prozessgewinn) stehenden soziologischen Faktor eines ausgesprochen klagewilligen „Verbraucherverhaltens“. Als Beispiel für letzteres werden die Klageverhältnisse im Zusammenhang mit dem Medikament Lipobay genannt: Obgleich nur 12 Prozent der betroffenen Patienten in den USA leben, machen ihre Klagen 99,9 Prozent des Gesamtklagevolumens aus, vgl. zu alldem Huff, ZZP 120 (2007), S. 491 ff. In Extremfällen sollen 35 Millionen Schriftstücke angefordert worden sein und umgekehrt 21 22
6
Einleitung
Grund der Neufassung des § 142 ZPO auf dem Weg zum amerikanischen discovery-Verfahren befindet, wiederholt aufgeworfen und erörtert worden24 und soll hier nicht noch einmal thematisiert werden. Die vorliegende Untersuchung geht von der Prämisse aus, dass die Entwicklung amerikanischer Verhältnisse in Bezug auf ein discovery-Verfahren nicht nur unrealistisch, sondern auch rechtspolitisch nicht wünschenswert ist.25 Sie beschäftigt sich allein mit der Fragestellung, ob der erst durch die Fortentwicklung im USamerikanischen Recht so in Verruf geratene Ursprungsmechanismus der englischen disclosure in der in seinem Herkunftsland heute praktizierten Form, die mit den amerikanischen Auswüchsen wenig gemein hat, als Inspirationsquelle dienen könnte und sollte.
B. Aufbau und Struktur Der erste Teil dieser Untersuchung gilt der Analyse der Situation de lege lata in England und Deutschland; nach einer Darstellung der Rahmenbedingungen (Teil I, Kapitel 1) wird die Funktionsweise der englischen disclosure erläutert (Teil I, Kapitel 2) und untersucht, mittels welcher Mechanismen das deutsche System das fehlende Vorhandensein einer disclosure zumindest teilweise ausgleicht (Teil I, Kapitel 3). Der zweite Teil widmet sich der Frage, ob de lege ferenda für den deutschen Zivilprozess ein disclosure-ähnlicher Mechanismus entwickelt werden sollte. Dabei wird in einem ersten Schritt anhand von Fallbeispielen geprüft, ob ein Bedarf für eine disclosure-ähnliche Lösung in Deutschland besteht, ob also das deutsche Prozessrecht, gemessen an seinen eigenen Prinzipien und Zwecksetzungen, aber auch im Vergleich zu denen der englischen Zivilprozessrechtsordnung, zu unbefriedigenden Ergebnissen kommt (Teil II, soll der Adressat eines discovery-Begehrens ganze Wagenladungen an Dokumenten geliefert haben, in der Hoffnung, die um discovery ersuchende Partei werde die wenigen relevanten Dokumente darin nicht entdecken, so Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 50. Das darin liegende faktische Erpressungspotential (Sichtung des Materials durch teure Rechtsanwälte und zugleich fehlende Kostenerstattung selbst im Fall des Obsiegens) wirft ein fragwürdiges Licht sowohl auf die produzierten hohen Vergleichszahlen wie auch auf diesen ursprünglich aus Gerechtigkeitsgedanken praktizierten Mechanismus als solchen. Ein weiteres Problem stellt sich insbesondere für deutsche Unternehmen, die sich im discovery-Verfahren mit dem Konflikt konfrontiert sehen, entweder gegen deutsche Bestimmungen des Datenschutzrechtes zu verstoßen oder aber in den USA wegen Vorhaltung von Informationen nach den Regeln des contempt of court verurteilt zu werden, so Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 50 sowie Heidenberger, RIW 1995, S. 705, 707, Fn. 27. 24 Lüpke/Müller, NZI 2002, S. 588 ff.; Zekoll/Bolt, NJW 2002, S. 3129 ff.; Kraayvanger/ Hilgard, NJ 2003, S. 572 ff.; Prütting, Informationsbeschaffung, 2003, S. 703 ff.; ders., AnwBl 2008, S. 153 ff.; Junker, Access to Documentary Evidence, 2010, S. 51 ff., 60 ff. 25 Vgl. statt aller und m.w.N. Huff, ZZP 120 (2007), S. 491 ff.
C. Methode
7
Kapitel 5, 6 und 7). In einem zweiten Schritt wird untersucht, ob ein disclosure-ähnlicher Mechanismus mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft vereinbar wäre (Teil II, Kapitel 8). Nachdem diese Fragen im zweiten Teil bejaht worden sind und ein Bedarf für eine der disclosure vergleichbare Lösung im deutschen Recht ausgemacht worden ist (Teil II, Kapitel 9), geht es im dritten Teil im Rahmen eines Ausblicks um die Problematik, ob eine Übertragung aus dem englischen Zivilprozessrecht möglich ist, welchen Schwierigkeiten dabei begegnet und auf welche Besonderheiten Rücksicht genommen werden muss (Teil III, Kapitel 10). Dabei werden am Beispiel Japans auch die Erfahrungen einer Mischrechtsordnung ausgewertet, die eine Art von discovery-Instrumentarium in eine ansonsten kontinental geprägte Rechtsordnung eingeführt hat. Nach der Erörterung möglicher Umsetzungsmodelle (Teil III, Kapitel 11) wird ein eigener Lösungsvorschlag entwickelt (Teil III, Kapitel 12). Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Thesen (Teil IV).
C. Methode Ausgangspunkt der Analyse ist die Herausarbeitung der Funktion der disclosure. Dies ist erforderlich und wichtig, weil „Unvergleichbares nicht sinnvoll verglichen werden kann und weil das Einzige, was in der Rechtswissenschaft vergleichbar ist, dasjenige ist, das die gleiche Funktion erfüllt“. 26 Zur Ermittlung der Funktion ist dabei so weit wie möglich von der eigenen Terminologie, Struktur und Denkungsweise abzuweichen, um sicherzustellen, dass die Grenzen weder zu eng noch zu weit gezogen werden.27 Was also ist die Funktion der disclosure? Die disclosure gibt den Parteien Einblick in alle für den Rechtsstreit wesentlichen Informationen und Unterlagen der anderen Seite. Die Beteiligten sollen so Zugang zu allen notwendigen Beweismitteln erlangen, die sie für ihren Vortrag benötigen, unabhängig davon, ob sich die Beweismittel in ihren eigenen Händen oder in denen des Gegners befinden. Gleichzeitig sollen die Parteien damit über zusätzliche Mittel verfügen, um den Sachvortrag der Gegenseite zu erschüttern und zu entkräften.28 Die disclosure soll also dabei helfen, ein etwaiges Informationsgefälle zwischen den Parteien auszugleichen, und dadurch zur Förderung der Waffengleichheit zwischen den Parteien und zur Wahrheitsfindung beitragen. 29 Ein Begründungsmodell dafür, warum ein solcher Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 1996, S. 34. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 1996, S. 34 f. 28 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.02; Andrews, Civil Processes, 2013, Rn. 4.16. 29 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.2. 26 27
8
Einleitung
Mechanismus wünschenswert sein kann, liefert Paulus, allerdings im Hinblick auf die US-amerikanische discovery. Diese ziele auf die weitestgehende Beseitigung der Divergenz zwischen „Recht haben“ und „Recht bekommen“. Ein Staat, der einerseits Rechte einräume, andererseits aber das Monopol für die Durchsetzung eben dieser Rechte für sich in Anspruch nehme und so diese Divergenz verursache, müsse auch die Mittel zur Verfügung stellen, die für den Gleichlauf beider Seiten erforderlich sind. 30 Diese Überlegung ist nicht durch Spezifika des US-amerikanischen Rechts begründet, sondern wäre grundsätzlich auch auf das englische und deutsche Recht übertragbar, da auch in diesen Rechtsordnungen das Monopol der Rechtsdurchsetzung grundsätzlich beim Staat liegt und der Einzelne sich dem Konflikt der fehlenden Kongruenz von „Recht haben“ und „Recht bekommen“ ausgesetzt sieht. Begrüßenswerter Nebeneffekt der disclosure ist, dass sie Kläger und Beklagtem erlaubt, die Stärken und Schwächen des jeweiligen Sachvortrags früh zu erkennen.31 Die so ermöglichte realistischere Prognose der Erfolgsaussichten der Klage oder der Verteidigung erhöht wiederum die Chancen außergerichtlicher Streitbeilegung durch Vergleich oder auf anderem Wege.32 Denn wenn bereits die Tatsachen umfassend auf dem Tisch liegen, sind die Parteien in der Regel eher bereit, sich auf einen frühen Vergleich einzulassen, als wenn die Tatsachenlage noch unklar ist und jede Partei hofft, dass sich im Rahmen der Beweiserhebung ihr jeweiliger Tatsachenvortrag bestätigen werde. Das disclosure-Verfahren hat daher zwei grundlegende Funktionen: (1) Eine Partei soll nicht dadurch benachteiligt werden, dass sie nicht über Informationen verfügt, die sie benötigt, um ihren Fall zu substantiieren und zu beweisen. „Wahre Gerechtigkeit“ soll dadurch erreicht werden, dass zwischen den Parteien ein Zustand der Waffengleichheit hergestellt wird (Gerechtigkeitsfunktion).33 (2) Die disclosure soll frühen und umfassenden Informationsaustausch zwischen den Parteien bewirken – mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung, der Kostenersparnis sowie der Förderung früher Streitbeilegung durch Vergleich auf der Basis von möglichst umfassender Information anstelle von bloßer Spekulation (Effizienzfunktion).34
Paulus, ZZP 104 (1991), S. 397, 401. Paulus, ZZP 104 (1991), S. 397, 401. 32 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.2. 33 Naylor v. Preston Area Health Authority [1987] 1 W.L.R. 958, 967, Davies v. Eli Lilly & Co [1987] 1 W.L.R. 428, 431, Black & Decker Inc v. Flymo Ltd [1991] 1 W.L.R. 753. 34 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.02. Diese zweite Funktion übersieht Kischel, ZVglRWiss 104 (2005), S. 10, 16 f. 30 31
D. Herausforderungen und Probleme im Umgang mit der Themenstellung
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Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Vergleich der englischen disclosure und des deutschen funktionalen Äquivalents anhand der Gerechtigkeitsfunktion, da insofern das hier interessierende Spannungsfeld zwischen Parteiherrschaft und Wahrheitsermittlung zu Tage tritt. Ob durch ein disclosureVerfahren tatsächlich eine Effizienzsteigerung eintritt, wäre in erster Linie im Rahmen einer empirischen Untersuchung zu klären, die ein eigenes Thema darstellt. Auf die Effizienzfunktion wird daher nur zur Abrundung des Bildes im Rahmen eines Exkurses eingegangen. In die funktionale Untersuchung soll aber auch die Zwitterstellung der disclosure einfließen: Sie ist einerseits ein zivilprozessuales Verfahrensstadium und verbrieft andererseits einen prozessualen Informationsanspruch. Bei der Suche nach funktionalen Äquivalenten ist dabei insbesondere von Verfahrensstadien, aber auch von Informationszugangsmöglichkeiten auszugehen, die eine vergleichbare Funktion erfüllen. Die Frage nach der Funktion wird für die gesamte Untersuchung von Bedeutung sein. Sowohl das englische als auch das deutsche Konzept zur Erfüllung der soeben beschriebenen Gerechtigkeitsfunktion werden anhand des folgenden Fragenkatalogs, der sich wiederum nach Funktionen untergliedert, untersucht: (1) Wie funktionieren die disclosure und ihr deutsches Gegenstück? (2) Gibt es Zugang zur Information vor Klageerhebung? (3) Inwiefern können Parteien und Dritte Zugang zu Informationen verweigern, wenn sie ein schutzwürdiges Interesse an deren Geheimhaltung haben, und welche sonstigen Grenzen bestehen? (4) Welche Sanktionen bestehen, um den jeweiligen Zugang zur Information durchzusetzen? (5) Welche Kosten entstehen?
D. Herausforderungen und Probleme im Umgang mit der Themenstellung Welche besonderen Herausforderungen stellen sich nun bei einer rechtsvergleichenden Studie im Zivilprozessrecht im Allgemeinen und für den länderspezifischen Prozessvergleich zwischen England und Deutschland im Besonderen? Und welche konkreten Schlüsse ergeben sich daraus für die Vorgehensweise dieser Arbeit?
10
Einleitung
I.
Allgemeine Herausforderungen der Zivilprozessrechtsvergleichung
Eine rechtsvergleichende Studie im Prozessrecht ist in dreierlei Hinsicht mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert, die sich bei einer rechtsvergleichenden Untersuchung im materiellen Recht nicht stellen.35 Eine erste Problematik ergibt sich daraus, dass im vergleichenden Prozessrecht sehr wenig Grundlagenforschung36 betrieben worden ist. Anders als in der materiellen Rechtsvergleichung gibt es hier nur wenige Standardwerke, auf die in der Darstellung zurückgegriffen werden kann.37 Eine zweite Besonderheit ist darin zu sehen, dass das Prozessrecht schon kraft seiner Natur dasjenige Recht ist, das die Verfahrensausgestaltung und die Rechte und Pflichten der Beteiligten sowie Dritter vor Gericht regelt. Der wünschenswerte Versuch, über das law in the books hinauszugehen und das law in action zu ermitteln, ist daher zwar einerseits noch wichtiger als im materiellen Recht, weil das Prozessrecht ja gerade das law in action selbst zum unmittelbaren Regelungsgegenstand hat; auf der anderen Seite ist das law in action in einer prozessrechtsvergleichenden Themenstellung besonders schwer zu erfassen, weil auch das praktische und alltägliche Leben im ausländischen Gerichtssaal für den Rechtsvergleicher nur schwer greifbar ist. Diese rechtssoziologische Besonderheit haben auch Stürner/Stadler vor Augen, wenn sie vom „Zivilprozess als situativer Erfahrung“ sprechen.38 Dies ist eine Problematik, der vollständig begegnen zu können, die vorliegende Untersuchung nicht für sich in Anspruch nehmen kann und will. Sie ist sich aber bei der Abhandlung dieser Besonderheit bewusst und weist an den relevanten Stellen darauf hin, dass sich hier im Gerichtsalltag im Einzelfall auch Abweichungen ergeben können. In Teil III, Kapitel 10 werden die Besonderheiten beider Rechtsordnungen beleuchtet, anhand derer derartige Wechselwirkungen zwischen Rechtsordnung und sozialer Wirklichkeit besser zu prognostizieren sind. Eine dritte Besonderheit besteht darin, dass das Zivilprozessrecht eine Zwitterstellung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht innehat.39 Es ist von seiner Zielsetzung her auf die Durchsetzung materiellen Privatrechts Gilles, Prozessrechtsvergleichung, 1996, S. 129. Nach dem Weltkongress der International Association of Procedural Law im sizilianischen Taormina im Jahr 1995 war man überwiegend der Meinung, dass es im Bereich der zivilprozessualen Rechtsvergleichung fast keine theoretischen Grundlagen gebe, siehe Stürner/Stadler, Prozeßrechtsvergleichung, 1995, S. 263, 282. 37 Zu nennen sind aber insbesondere: Cappelletti (Hrsg.), Civil procedure, International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. 16, Stand 2014, und die Publikationen anlässlich der von der International Association of Procedural Law veranstalteten 13 Weltkongresse für Prozessrecht sowie zahlreicher weiterer rechtsvergleichender Symposien zum Zivilprozessrecht. 38 So Stürner/Stadler, Prozeßrechtsvergleichung, 1995, S. 263, 281 ff. 39 Stürner/Stadler, Prozeßrechtsvergleichung, 1995, S. 263, 276. 35 36
D. Herausforderungen und Probleme im Umgang mit der Themenstellung
11
gerichtet und damit auf die Verwirklichung der Rechtspositionen von Bürgern gegenüber Bürgern, die einander im Wesentlichen auf gleichgeordneter Ebene begegnen. Dennoch gehören seine Regelungen dem öffentlichen Recht an,40 weil sie dem Bürger die Möglichkeit eigenhändiger Rechtsdurchsetzung nehmen, indem sie ihm zur Realisierung seiner Ansprüche allein das staatliche Gericht zur Seite stellen, das durch seinen Richter staatliche Gewalt ausübt. Das im Wesentlichen auf freier Willensentschließung beruhende Privatrecht wird insofern durch die besondere Problematik des Verhältnisses Staat – Bürger überlagert, so dass in sehr viel stärkerem Maße als im materiellen Privatrecht verfassungsrechtliche Fragestellungen an Einfluss gewinnen. Letztere wiederum erklären sich nicht zuletzt aus den jeweiligen kulturellen und historischen Gegebenheiten. Die zu vergleichenden Verfahrensrechte sollten daher auch in ihrem verfassungsrechtlichen, historischen und kulturellen Kontext ausgewertet werden, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten. 41 Dieser Besonderheit wird in Teil II, Kapitel 7 Rechnung getragen. Dort wird die Frage des Informationszugangs im jeweiligen verfassungsrechtlichen Kontext der beiden Länder gewürdigt.42 Ferner werden in Teil I, Kapitel 1 und Teil III, Kapitel 10 die jeweiligen historischen und rechtskulturellen Besonderheiten einbezogen. II. Besondere Herausforderungen der englisch-deutschen Prozessrechtsvergleichung Ferner wird die Prozessrechtsvergleichung durch einige Besonderheiten erschwert, die speziell in den Ländern England und Deutschland im jeweiligen Umgang mit dem Zivilprozessrecht bestehen.43 In England, „für welches das Prozessrecht zunächst nichts anderes war, als Zweckmäßigkeitsregeln, erdacht und angewandt durch den Richter“,44 ist das Zivilprozessrecht traditionell als praktischer und nicht als akademischer Bereich betrachtet worden. Sehr treffend beklagte Birks: „[The ivory tower mentality] is glad to have been relieved by history of the need to expel from the universities the study of the dirty machinery of litigation. […] The worst it has so far done is to perpetuate the pernicious distinction between the so-called academic phase of
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 2, Rn. 7. Vgl. Stürner/ Stadler, Prozeßrechtsvergleichung, 1995, S. 263, 275 ff. 42 Unter der Fragestellung des Rechts auf Beweis sowie des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit. 43 Im Jahr 2009 wurde eine gemeinsame rechtsvergleichende Konferenz der Wissenschaftlichen Vereinigung für internationales Verfahrensrecht e.V. und der Faculty of Law der Oxford University zum Thema „Litigation in England and Germany. Legal professional services, key features and funding“ abgehalten, vgl. hierzu den gleichnamigen Tagungsband von Gottwald (Hrsg.), Litigation in England and Germany, 2010. 44 So Habscheid, in: FS Baumgärtel, 1990, S. 105, 106. 40 41
12
Einleitung
legal education and the vocational phase. The word ,academic‘ stands for taking things seriously, getting to the bottom of them and finding out the truth. The vocational stage is in desperate need of academic attention.“ […] „The result is that in the area of practise and procedure, especially civil procedure, the library is almost dead.“45
Auch Jolowicz konstatiert, dass diese Vernachlässigung von „academic or scientific study of procedure“46 häufig Missverständnisse zur Folge habe. Erst in den vergangenen 20 Jahren hat sich in England allmählich eine Prozessrechtswissenschaft entwickelt, wie insbesondere die Arbeiten von Jacob, 47 Andrews, 48 Zuckerman 49 und Jolowicz 50 zeigen, 51 so dass Jolowicz nunmehr schreibt: „the scholary study of civil procedure in England is at best in early adulthood“. 52 Dies wird besonders deutlich, wenn man in der englischen Literatur versucht, Konzepten wie denen des adversarial principle oder des search for truth sowie der disclosure nachzugehen. Während in der deutschen Rechtswissenschaft eine intensive Auseinandersetzung mit Themenkomplexen wie dem Prozesszweck, der Wahrheitsfindung und der Parteiherrschaft stattgefunden hat, gibt es in England wenig wissenschaftlichen Diskurs zu diesen Fragestellungen. Am ehesten wird man noch in den oft sehr weit ausholenden englischen Urteilen oder in den oben zitierten Werken fündig. Eine Aufarbeitung in wissenschaftlichen Artikeln fehlt jedoch nahezu vollständig. Für die vorliegende Untersuchung wird diese Problematik dadurch verstärkt, dass das Prozessrecht in vergleichender Perspektive in England traditionell erst recht kaum akademische Bedeutung erlangt hat. Insbesondere die Lösungsmodelle der civil law-Länder wurden oft von vornherein ohne eingehende Auseinandersetzung als „un-English“ oder „not workable in England“ bezeichnet, weil sie weder über eine jury, noch über ein trial, noch über die „vitally important practice of cross-examination“ verfügen.53 Was die wissenschaftliche Durchdringung anbelangt, stellt sich die Situation in Deutschland eher umgekehrt dar. Das law in the books stand traditionell sehr im Zentrum der wissenschaftlichen Bemühungen, im Bereich des materiellen Rechts wie auch im Prozessrecht. Dies wird nicht zuletzt in der verhältnismäßig langen Tradition der Kodifikationen, auf die Deutschland Birks, (1998) 18 L.S., S. 397, 405 f., 410. Jolowicz, Nationalbericht England zur Weltkonferenz für Prozeßrecht in Taormina, Sizilien, 1995, zitiert nach Gilles, Prozeßrechtsvergleichung, 1996, S. 80 f. 47 Jacob, Fabric, 1987. 48 Andrews, Principles, 1994; ders., Civil Procedure, 2003; ders., Civil Processes, 2013. 49 Zuckerman, Justice in Crisis, 1999, S. 1–52; ders., Civil Procedure, 2013, passim. 50 Jolowicz, Civil procedure, 2000. 51 So auch M. Stürner, ZVglRWiss 103 (2004), S. 349, 354. 52 Jolowicz, Comparison, 2002, S. 721. 53 Jolowicz, Nationalbericht England zur Weltkonferenz für Prozeßrecht in Taormina, Sizilien, 1995, zitiert nach Gilles, Prozeßrechtsvergleichung, 1996, S. 80 f. 45 46
E. Begrenzung der Themenstellung
13
zurückblicken kann, deutlich, wohingegen in England stets das case law vorherrschte und erst in der jüngeren Vergangenheit Gesetzestexte entstanden, die aber selten derart umfassend und erschöpfend eine Materie regeln, dass man sie als Kodifikationen einordnen könnte. In der traditionellen Rechtsvergleichung wird gerne das Bild des deutschen Wissenschaftlers und Praktikers bemüht, der sich lieber auf zugrunde liegende Theorien als auf die praktischen Realitäten stützt. Dies hat Couture, der sich seinerseits auf Keyserling bezog, ironisch angemerkt: „If you put a German in front of two doors, one bearing a notice ,Entrance to Heaven‘, the other ,Entrance to a Course of Lecture on Heaven‘, he will choose the latter. Much of the material of the German school, in the field of procedure, belongs to ,the course of lectures‘ and not to legal reality.“54
Ob es tatsächlich berechtigt ist, der deutschen Prozessrechtswissenschaft einen theoretischen und der englischen einen praktischen Ansatz zuzuschreiben, und ob diese Einschätzung nicht vielmehr auf rechtsvergleichenden Vorurteilen beruht, mag an dieser Stelle dahingestellt sein. In jedem Fall bemüht sich die vorliegende Untersuchung, (1) praktische Erwägungen möglichst mit einzubeziehen, indem sie sich dem Thema anhand von Fallbeispielen nähert (Teil II, Kapitel 6) und (2) die englische Rechtslage trotz der nur spärlich vorhandenen theoretischen Aufarbeitung der zu Grunde liegenden Prinzipien auch auf die die disclosure prägenden theoretischen Konzepte hin zu untersuchen (Teil II, Kapitel 7 und 8).
E. Begrenzung der Themenstellung Weitestgehend ausgeklammert werden sollen die Möglichkeiten der Heranziehung Dritter zur Sachverhaltsaufklärung. Sie stellen ein komplexes Thema für sich dar und sind unter dem dieser Untersuchung zugrunde liegenden Blickwinkel auf das „Spannungsfeld zwischen Parteiherrschaft und Wahrheitsermittlung“ allenfalls am Rande von Interesse, da sie anders als die Vorlagepflichten der Parteien den Grundsatz der Parteiherrschaft nicht berühren. Nur überblicksartig behandelt werden soll ferner die Frage des Informationszugangs im Bereich des Rechts des geistigen Eigentums. Hier ist schon früh erkannt worden, dass die allgemeinen Regeln den Anforderungen zum Schutz gegen Produktpiraterie nicht gerecht werden. Aus diesem Grund hat sich die Rechtsprechung weitestgehend zu einer Sonderdogmatik verselbstständigt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es aber, eine allgemeine zivilprozessuale Lösung aus den allgemeinen Grundsätzen und Erfahrungen zu 54
Couture, (1950) 25 Tul.L.R., S. 1, 4.
14
Einleitung
gewinnen, um so das Entstehen von Sonderprozessrecht für einzelne materielle Rechtsgebiete gerade zu verhindern. Methodisch soll daher nicht aus einem Sonderbereich heraus eine allgemeine Regelung entwickelt werden. Als Beispiel für eine mögliche Lösung mag das Recht des geistigen Eigentums indes dienen, insbesondere auch um einen umfassenden Überblick über die Situation in Deutschland de lege lata zu erhalten. Nicht behandelt werden ferner die Möglichkeiten der vorprozessualen Beweissicherung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, die ebenfalls ein eigenes Thema für sich darstellen.
Teil I
Rechtslage de lege lata
Kapitel 1
Rahmenbedingungen Bevor eine nähere Untersuchung der disclosure erfolgt, ist es erforderlich, sich ein Bild von den beiden Rechtssystemen zu machen, in die die rechtlichen Möglichkeiten des Informationszugangs eingebettet sind. Denn man wird nicht ohne Weiteres das englische trial mit der deutschen mündlichen Verhandlung vergleichen können und den deutschen Anwalt nicht ohne Weiteres mit dem englischen barrister.1 Wie sind also die institutionellen und personellen Rahmenbedingungen in beiden Ländern ausgestaltet? Wie hat man sich in groben Zügen den Ablauf eines Zivilverfahrens vorzustellen? Wie gestaltet sich das Verhältnis von materiellem Recht zu Prozessrecht? Welche Rechte und Pflichten haben die am Verfahren beteiligten juristischen Protagonisten? Welches sind die wesentlichen Grundprinzipien beider Rechtsordnungen? Wie gestaltet sich der Zugang zur Information in beiden Ländern? Und schließlich: Welche historischen Ursprünge haben das englische disclosure-Verfahren und dessen funktionale deutsche Entsprechungen? Diese Fragestellungen sollen im Folgenden in der gebotenen Kürze und nur, soweit sie für die eigentliche Themenstellung relevant sind, skizziert werden.
A. Institutionelle Rahmenbedingungen I.
Die Gerichte
Wenn in der Rechtsvergleichung die Rede vom englischen Zivilprozess ist, so geschieht dies in der Regel – wenn auch nicht immer explizit – im Hinblick auf das Verfahren vor dem High Court of Justice. 2 Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass für die Verfahren vor anderen Gerichten, wie etwa den county courts, 3 mitunter andere Abläufe gelten. 4 Auch diese Untersuchung Vgl. zu diesem methodischen Problem ganz allgemein Großfeld, RabelsZ 39 (1975), S. 5 ff. 2 Zweigert/Kötz, Comparative Law, 1998, S. 208; Kötz, in: FS Zajtay, 1982, S. 277, 290. 3 Für Streitwerte unter GBP 50.000 sind in der Regel die county courts zuständig, vgl. PD 29, Abs. 2.2. Grundsätzlich geht das englische Recht jedoch von einer konkurrierenden sachlichen Zuständigkeit beider Gerichte aus, es sei denn eine ausschließliche Zustän1
A. Institutionelle Rahmenbedingungen
17
wird sich vorwiegend auf das High Court-Verfahren konzentrieren, weil die disclosure besonders in den komplexeren Klagen vor dem High Court relevant wird. Die Situation in Deutschland wird anhand des Verfahrens vor dem funktional am ehesten vergleichbaren Landgericht betrachtet. Nicht unterbleiben soll allerdings auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit das Verfahren der disclosure auch auf der unteren Ebene der county courts bzw. der Amtsgerichte sinnvoll ist und gegebenenfalls einer Einschränkung bedarf, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen.5 II. Der Verfahrensgang Der Verfahrensgang im Zivilprozess war in England und Deutschland traditionell sehr unterschiedlich. Das ist sehr anschaulich bei Cohn beschrieben worden. Sein Bild vom deutschen Zivilverfahren war das „eines Eisenbahnzuges […], der auf einer vorgezeichneten Linie von Station zu Station sich dem Endpunkte der Linie nähert. Klage, Klagebeantwortung, Beweisbeschluss, Beweisaufnahme […], weitere Schriftsätze, Urteil usw. bilden die Stationen auf diesem Wege.“6
Demgegenüber vergleicht er den englischen Zivilprozess mit einer „Theatervorstellung“, besser sollte man vielleicht sagen: mit der Vorbereitung und Durchführung einer Theatervorstellung. Diese beginnt mit dem „Vorverfahren, […] [das die] Vorbereitung der Bühne [ist], auf der die Aufführung vonstatten gehen soll. Die Hauptverhandlung gleicht der Aufführung selbst. Ihr folgt die Kritik, die freilich den Eindruck der Aufführung manchmal ganz zu beseitigen vermag. Wer der Hauptverhandlung aufmerksam beiwohnt, weiß alles, was in der Sache zu wissen nötig ist; […]. Das Vorverfahren dient nur der Aufstellung der Kulissen. Der Richter als die Hauptperson des Dramas nimmt an ihr gar nicht teil […]. Die Hauptverhandlung bildet […] das überragend wichtige Hauptstück dieses Verfahrens. Sie stellt den Höhepunkt des Ganzen dar.“7
digkeit des county court oder des High Court ist begründet. Es steht dem High Court frei, Verfahren an die county courts zu verweisen. Besonderheiten gelten für personal injury cases. Vgl. zu alldem ausführlich Sime, Practical Approach, 2011, Rn. 2.18-2.35. 4 Diese Unterschiede sind jedoch mit der Ablösung der separaten Verfahrensregeln der Rules of the Supreme Court 1965 für das Verfahren vor dem High Court of Justice sowie der County Court Rules für die Prozesse vor den county courts durch das Inkrafttreten der einheitlichen Prozessordnung der Civil Procedure Rules 1998 am 26. April 1999 nahezu vollständig weggefallen. 5 Vgl. Kötz, in: FS Zajtay, 1982, S. 277, 292, der meint, der englische Prozess sei eher ideal für die großen Fälle um erhebliche Vermögenswerte und verhalte sich zum deutschen Zivilprozess „wie der Rolls Royce zum Volkswagen“: Er sei eindrucksvoll, aber mit dem anderen komme man auch zum Ziel. 6 Cohn, Der englische Gerichtstag, 1956, S. 15. 7 Cohn, Der englische Gerichtstag, 1956, S. 17.
18
Kapitel 1: Rahmenbedingungen
Auch wenn zahlreiche Reformen8 in beiden Ländern die beschriebenen Gegensätze deutlich abgemildert haben, so ist es doch bei dem grundsätzlichen Unterschied zwischen der deutlich spannungsgeladeneren Bühne des englischen trial und der eher nüchternen deutschen mündlichen Verhandlung geblieben. III. Die Verfahrensabschnitte Als wichtige Besonderheit des englischen Zivilprozesses galt traditionell die Untergliederung in zwei Verfahrensabschnitte: das trial und das pre-trial, die im Folgenden auch als Hauptverfahren und Vorverfahren bezeichnet werden. Der Abschnitt des Vorverfahrens beginnt mit Erhebung der Klage und dauert bis zur Anordnung des Hauptverfahrens bzw. bis zur vergleichsweisen oder anderweitigen Beendigung des Verfahrens. 9 Ziel des Vorverfahrens ist es, den Sachverhalt bereits in dieser Phase weitgehend zu klären. Im Idealfall soll der Rechtsstreit auf dieser Grundlage sodann durch Vergleich, Anerkenntnis oder Rücknahme beendet werden, ohne dass es zur Hauptverhandlung kommt. Lässt sich eine Beendigung im Vorverfahren nicht erreichen, so ist der Sinn des Vorverfahrens jedenfalls darin zu sehen, dass ein Überraschungssieg im Hauptverfahren häufig vermieden werden kann, da die Sachlage u.a. aufgrund der Durchführung der disclosure bereits weitgehend geklärt ist.10 Eine beachtenswerte Folge des englischen Vorverfahrens ist, dass es auf Grund der besseren Einschätzbarkeit der Tatsachenlage zur Verfahrensbeendigung durch Vergleichsabschluss beiträgt. In der Tat soll nur ca. ein Prozent der anhängigen Verfahren auch tatsächlich das Stadium des Hauptverfahrens erreichen, während 99 Prozent der Fälle anscheinend bereits im Vorverfahren beigelegt werden können.11 Allerdings ist dieses Ergbnis auch durch das englische Kostenrecht bedingt; denn zum einen sind die Anwaltskosten in EngVon großer Bedeutung sind insofern insbesondere die Vereinfachungsnovelle von 1976, die auf die Erledigung des Verfahrens in einem umfassend vorbereiteten Termin zur mündlichen Verhandlung abzielte (vgl. dazu unten, S. 39) sowie die Civil Procedure Rules 1998 (CPR), die dem Richter weitreichende case management-Kompetenzen einräumen, vgl. dazu unten, S. 30 f., 232 f., 234 f., 294. 9 Vgl. dazu Bunge, Zivilprozess, 2005, S. 118 ff. 10 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.02; Andrews, Civil Processes, 2013, Rn. 4.16. 11 So Hartwieg, Tatsachen- und Normarbeit im Rechtsvergleich, 2003, S. 48; Kessel, ZVglRWiss 92 (1993), S. 395, 396. Demgegenüber berichtet Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 34.03 für das Jahr 2001 am Beispiel der Queen’s Bench Division lediglich von 81 Prozent der Verfahren, die vor dem trial durch Vergleich, Ausstreichung (striking out) oder Rücknahme beendet wurden. Der Prozentsatz der Verfahren, die das trial vor den county courts erreichen, soll nach Andrews jedoch deutlich geringer sein, vgl. Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 34.05. 8
A. Institutionelle Rahmenbedingungen
19
land vergleichsweise hoch 12 (nicht zuletzt auch auf Grund der durch die disclosure generierten Kosten), zum anderen werden selbst im Fall eines Prozesssieges nicht sämtliche angefallenen Kosten erstattet, sondern allenfalls diejenigen, die verhältnismäßig sind – und auch diese nur nach einer entsprechenden Ermessensentscheidung des Gerichts, in die das gesamte Verhalten der Parteien vor und während des Prozesses einzubeziehen ist.13 Insofern ist es nur schwer möglich, aus der prozentualen Anzahl der Prozesse, die im Vorverfahren beendet werden, genauere Rückschlüsse auf die kostenunabhängige vergleichsfördernde Wirkung der disclosure zu ziehen oder diesbezüglich Prognosen zu treffen.14 Auf jeden Fall aber herrscht Einigkeit über das Bestehen einer solchen vergleichsfördernden Wirkung, wenn auch das konkrete Ausmaß schwer messbar ist.15 Die historisch bedingte strikte Differenzierung zwischen trial und pre-trial wurde durch das Inkrafttreten der Civil Procedure Rules (CPR) im Jahr 1999 deutlich entschärft.16 Das pre-trial stand vor Erlass der CPR unter der Herrschaft der Parteien, wohingegen der trial judge erst im trial involviert wurde. Die neuen verfahrensleitenden Kompetenzen des Gerichts hat der Richter jedoch während des gesamten Verfahrens und damit auch bereits in der pre-trial Phase anzuwenden, so dass er schon vor dem trial Kenntnis von Sachstand, angebotenen Beweismitteln und rechtlichen Argumenten erhält.17 Der Schriftsatzwechsel 18 (statements of case) 19 diente historisch nicht der richterlichen Überzeugungsbildung, sondern vielmehr der Benachrichtigung des Gegners, der auf die entscheidenden Aspekte des zu erwartenden gegnerischen Vortrags in der Hauptverhandlung vorbereitet werden sollte, um Überraschungstaktiken zu verhindern. Der Richter selbst las die Schriftsätze nicht. 20 Dies hat sich durch die Woolf-Reformen insofern geändert, als die Schriftsätze nunmehr auch der Information des Gerichts dienen, das auf dieser Basis mittels seiner case management-Kompetenzen prozessleitende Anordnungen trifft.21 Kessel, ZVglRWiss 92 (1993), S. 395, 396. Vgl. dazu im Einzelnen S. 291 ff. 14 Die im Vergleich zu Deutschland erheblich größere Vergleichsbereitschaft kann auch auf Besonderheiten im System der Rechtsschutzversicherungen sowie auf mentalitätsbedingte Spezifika zurückzuführen sein, so Graef, Judicial Activism, 1996, S. 67. 15 Greger, JZ 2002, S. 1020, 1022 ff.; M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), S. 310, 323 f. 16 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.103. 17 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.103 ff., der von einer „functional convergence of pre-trial and trial processes“ spricht. 18 Zu den Schriftsätzen gehören insbesondere die Klageschrift (claim form) mit den Angaben nach CPR 16.2 nebst entsprechender Begründung gem. CPR 7.4 i.V.m. CPR 16.4 (particulars of the claim) und die Verteidigungsschrift (defence). 19 Dieser Begriff hat den früheren Begriff der pleadings ersetzt. 20 Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 51 f. 21 Sobich, ZVglRWiss 103 (2004), S. 69, 74. Vgl. dazu ausführlich unten, S. 234 ff. 12 13
20
Kapitel 1: Rahmenbedingungen
Im deutschen Zivilprozess gibt es demgegenüber kein dem pre-trial herkömmlicher oder neuerer Prägung entsprechendes Vorverfahren.22 Allerdings verfügt auch der deutsche Zivilprozess über eine Phase, in der die mündliche Verhandlung vorbereitet wird, gem. § 272 Abs. 2 ZPO entweder durch frühen ersten Termin (§ 275 ZPO) oder durch schriftliches Vorverfahren (§ 276 ZPO). Es steht dem Gericht frei, für welche der beiden Möglichkeiten es sich entscheidet. Im Verfahren ohne Anwaltszwang wird in der Praxis häufig ein früher erster Termin angeordnet, um den Sach- und Streitstand mit den Parteien zu erörtern und gegebenenfalls richterliche Hinweise gem. § 139 ZPO zu erteilen.23 Eine entsprechende Anordnung ergeht durch das Gericht nach Eingang der Klage und in Unkenntnis des Vorbringens des Beklagten.24 Die Parteien müssen während dieses Abschnitts der Prozessvorbereitung sämtliche Tatsachen vortragen, auf die sie ihren Angriff oder ihre Verteidigung stützen wollen, und ihr Vorbringen hinreichend substantiieren. Ein Unterschied zum englischen Vorverfahren besteht jedoch darin, dass dieser vorgenannte Abschnitt der Prozessvorbereitung etwas stärker auf die richterliche Überzeugungsbildung ausgerichtet ist als die englischen particulars of the claim, die sich auch nach den Woolf-Reformen primär an den Gegner richten. Zum anderen werden im frühen ersten Termin und im schriftlichen Vorverfahren nur diejenigen Beweismittel verfügbar gemacht, auf die die Parteien sich selbst beziehen bzw. deren Vorlage durch das Gericht gem. § 273 Abs. 2 Nr. 5 ZPO angeordnet wird, wohingegen in England ein umfassender wechselseitiger Informationsaustausch erfolgt. Freilich erfolgt auch im englischen Recht während des Vorverfahrens nur ein Zugang zu den Beweismitteln und nicht eine Beweisaufnahme als solche, die dem trial vorbehalten ist. Hartwieg spricht insofern vom „prognostisch-frühen“ Entscheiden des englischen Zivilverfahrens, das er dem „wahrheitserhärtetspäten“ Entscheiden des deutschen Prozesses gegenüberstellt. 25 Neben der Vorbereitung des Termins zur mündlichen Verhandlung durch frühen ersten Termin oder schriftliches Vorverfahren ist noch der Termin zur Güteverhandlung zu erwähnen, der seit der Reform von 2002 obligatorisch dem Termin zur mündlichen Verhandlung vorausgeht, wenn kein Ausnahmetatbestand eingreift. Ziel der Güteverhandlung ist, wie auch im englischen Vorverfahren, die gütliche Beilegung des Rechtsstreits (§ 278 Abs. 2 ZPO). Allerdings gilt auch hier, dass im Unterschied zum englischen Vorverfahren der deutsche Gütetermin nicht auf Basis eines geschaffenen Zugangs zu InforAm ehesten könnte man das englische pre-trial noch mit dem Vorverfahren im deutschen Strafprozess vergleichen, im Rahmen dessen sämtliche relevanten Fakten und Beweismittel durch die Staatsanwaltschaft ermittelt werden, bevor es zum Hauptverfahren kommt. 23 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 104, Rn. 3 ff. 24 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 104, Rn. 3. 25 Hartwieg, ZZPInt 5 (2000), S. 19–58. 22
A. Institutionelle Rahmenbedingungen
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mationen und Beweismitteln der jeweiligen Gegenseite erfolgt, sondern lediglich auf Grundlage von Behauptungen und Vermutungen durchgeführt wird. IV. Verhältnis von materiellem Recht zum Prozessrecht Zu den institutionellen Rahmenbedingungen gehört auch das Verhältnis von materiellem Recht zum Prozessrecht. In Deutschland werden beide Bereiche traditionell strikt voneinander getrennt, was in England nicht mehr der Fall ist. 26 Die scharfe Unterscheidung im deutschen Recht wird auf das Nachwirken der pandektistischen Lehre zurückgeführt, derzufolge das Recht die Klage legitimiert.27 Auch im englischen Recht wurde vormals klar zwischen materiellem Recht und Prozessrecht getrennt, indes in genau umgekehrter Reihenfolge: „If I have no action I have no right.“28 Mit den Judicature Acts 1973–1975 wurde dieses aktionenrechtliche Denken im englischen Recht jedoch allmählich aufgegeben.29 Dieser Unterschied wird an späterer Stelle relevant werden, wenn zu zeigen sein wird, dass aus Sicht deutscher höchstrichterlicher Rechtsprechung – anders als aus Perspektive des englischen Rechts – die Frage des Zugangs zur Information als Frage des materiellen Rechts gesehen wird, die nicht prozessual gelöst werden soll: „Ob eine Partei Ansprüche gegen die andere auf Erteilung von Auskünften, Rechnungslegung, Herausgabe von Unterlagen usw. hat, ist eine Frage des materiellen Rechts. […] Eine allgemeine Auskunftspflicht kennt das materielle Recht jedoch nicht, und es ist auch nicht Aufgabe des Prozessrechts, sie einzuführen.“30
V. Unterscheidung von Rechts- und Tatsachenfragen Die dogmatische Unterscheidung von Rechts- und Tatsachenfragen31 hat im deutschen Zivilprozess in zweierlei Hinsicht Bedeutung. Zum einen zeitigt sie Auswirkungen für die Frage der Revisibilität richterlicher Entscheidungen. Denn nur Rechtsfragen, nicht aber Tatsachenfragen können mit dem Rechtsmittel der Revision angegriffen werden.32 Zum anderen – und das ist für diese Untersuchung der wichtigere Aspekt – erstreckt sich der im deutschen Recht geltende Beibringungs- und Dispositionsgrundsatz ausschließlich auf Tatsachenfragen, wohingegen die Benennung der entscheidenden Rechtsnormen, Gerichtsentscheidungen und LiteraVgl. Jolowicz, Civil Procedure, 2000, S. 81; Großfeld, RabelsZ 39 (1975), S. 5, 13. Großfeld, RabelsZ 39 (1975), S. 5, 13. 28 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 81. 29 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 82 ff. 30 BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151. 31 Vgl. dazu Kuchinke, in: FS Beys, 2003, S. 873 ff.; Mitsopoulos, ZZP 2007, S. 107 ff. 32 Vgl. Rogoz, Ausländisches Recht, 2008, S. 43. 26 27
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Kapitel 1: Rahmenbedingungen
turmeinungen nicht zwingend Aufgabe der Parteien und ihrer Vertreter ist.33 Zwar wird in der Regel auch die juristische Aufarbeitung des Falls durch die Partei oder ihren Anwalt dem Prozesssieg förderlich sein.34 Jedoch darf der Partei kein Nachteil erwachsen, wenn sie die relevanten rechtlichen Aspekte nicht von sich aus ins Spiel bringt. Der Richter selbst ist verpflichtet, das Recht zu kennen. Wendet er einen einschlägigen Rechtssatz nicht an, kann seine Entscheidung erfolgreich mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Mit anderen Worten: Unterlässt eine Partei den Vortrag von Tatsachen, die ihren Anspruch stützen, obwohl sie dafür darlegungsbelastet ist, hat sie die negativen Konsequenzen hieraus zu tragen. Stützt sie demgegenüber ihren Anspruch auf eine falsche, nicht einschlägige Norm, so hat der Richter der Klage gleichwohl stattzugeben, wenn die vorgetragenen Tatsachen den Tatbestand einer anderen Anspruchsnorm erfüllen.35 Diese originär richterliche Verpflichtung wird mit dem Rechtssatz iura novit curia, die skizzierte Unterscheidung der Verantwortungsbereiche auch mit dem Satz da mihi facta dabo tibi ius bezeichnet.36 Auch das englische Recht kennt eine Unterscheidung von matters of fact und matters of law. Diese Unterscheidung war historisch von großer Bedeutung in den common law-Gerichten. Solange dort noch eine jury in zivilrechtlichen Streitigkeiten beteiligt war, war diese für die Entscheidung der Tatsachenfragen, der Richter demgegenüber für die Bewertung der Rechtsfragen funktionell zuständig.37 Es wird vermutet, dass die Richter die Tatsachenfragen, die in der Praxis häufig die wahren Streitpunkte eines Verfahrens ausmachen, nicht aus der Hand geben wollten.38 So entwickelte sich ein System, in dem der Beweis faktisch in den legal burden of proof und den evidential burden of proof gespalten wurde:39 „It thus became a matter for the judge to rule on the preliminary question whether an issue of fact should be put to the jury at all; this required the judge to decide whether the party carrying the burden of proof had gone far enough in discharging it for the other party to be called upon to make an answer. Two questions were made out of one: it was for the jury to decide whether the burden of proof of a particular alleged fact had been discharged, but it
Rogoz, Ausländisches Recht, 2008, S. 42. Gottwald, Fact-finding, 1993, S. 67, 68. 35 MüKoZPO-Rauscher, 2013, Einl., Rn. 322. 36 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 293, Rn. 2. 37 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 301. 38 Rogoz, Ausländisches Recht, 2008, S. 52 im Anschluss an Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 301 ff. 39 Bunge, Zivilprozess, 2005, S. 143 f.; Rogoz, Ausländisches Recht, 2008, S. 52. Zu weiteren Einzelheiten des Beweisrechts und der Aufspaltung in den evidential burden und den legal bzw. persuasive burden vgl. unten, S. 41 ff. 33 34
A. Institutionelle Rahmenbedingungen
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was for the judge to decide whether sufficient evidence had been produced for that question actually to be put to the jury in the first place.“40
Die umfangreiche Judikatur zur Unterscheidung von matters of fact und matters of law ist auch heute noch – trotz des nahezu vollständigen Wegfalls der jury in Zivilverfahren41 – von Relevanz. Sie hat Bedeutung für das Präzedenzfallsystem.42 Da die Bindung an den precedent nur in Bezug auf Rechtsfragen eintritt, stellt die Qualifizierung als Tatsachenfrage ein Mittel dar, diese Bindung zu umgehen.43 Der Satz iura novit curia beansprucht auch im englischen Recht Geltung, so dass das Gericht nicht gehalten ist, die rechtliche Würdigung auf die von den Parteien genannten Normen und Fälle zu beschränken.44 Nach gängiger Praxis
Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 302. Vgl. zu den Hintergründen dieses Wegfalls kurz unten, S. 24 sowie ausführlich Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 31.01 und 34.06-34.10. Heute wird in englischen Zivilverfahren weniger als ein Prozent der Fälle unter Beteiligung einer jury verhandelt, vgl. Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 34.08. Selbst im US-amerikanischen Recht, in dem der jury auch heute noch eine größere Bedeutung als in England zukommt, werden nur noch etwa zehn Prozent der zivilverfahrensrechtlichen Fälle, die in das Stadium des trial gelangen, vor einer jury verhandelt, so Huber, Modellregeln, 2008, S. 352: Ein zivilrechtliches jury-Verfahren setzt erstens ein Verfahren at law (im Gegensatz zu Verfahren in equity) voraus, zum anderen muss die Beteiligung der jury von einer Partei explizit beantragt werden, was zum Beispiel häufig bei Klagen natürlicher Personen gegen große Unternehmen auf Schadensersatz wegen Gesundheitsschädigungen der Fall sei, vgl. Huber, Modellregeln, 2008, S. 352. 42 Nach der sogenannten binding rule of the precedent bzw. stare decisis sind die unteren Gerichte an die Entscheidungen der oberen Gerichte gebunden (vertikale Bindung). „Entscheidung“ meint dabei die ratio decidendi – also den Hauptgrund für die Entscheidung – nicht aber die obiter dicta. Die sonstigen Begründungserwägungen entfalten anders als die ratio decidendi keine Bindungswirkung. Grund für diese im Grundsatz bestehende strenge Bindung ist das Streben nach Rechtssicherheit. Dies ging sogar soweit, dass sich das House of Lords als oberstes Gericht bis zum Jahr 1966 an seine eigenen Entscheidungen gebunden sah (horizontale Bindung). Nunmehr kann das House of Lords bzw. der seit 2009 existierende Supreme Court von seinen eigenen Entscheidungen ausnahmsweise abweichen, wenn eine solche Abweichung gerechtfertigt ist. Auch der Court of Appeal ist an seine eigenen Entscheidungen grundsätzlich gebunden, es sei denn sie stehen zu einer späteren Entscheidung des House of Lords bzw. des Supreme Court im Widerspruch, enthalten offensichtlich grobe Fehler, wie die Nichtanwendung eines Gesetzes, oder sind in sich widersprüchlich. Eine gewisse Flexibilität ergibt sich ferner aus dem Umstand, dass das Gericht jeweils zu prüfen hat, ob der Tatbestand des Präzedenzfalls und des zu entscheidenden Falls übereinstimmen – ein Kriterium, das in der Praxis nie in Gestalt völliger Deckungsgleichheit erfüllt sein wird, so dass insofern ein gewisser Ermessensspielraum besteht. Vgl. zu alldem ausführlich Schmitthoff, JZ 1967, S. 1 ff. sowie Lundmark, JuS 2000, S. 546 ff. 43 Rogoz, Ausländisches Recht, 2008, S. 53. 44 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 7.13. 40 41
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Kapitel 1: Rahmenbedingungen
tragen die Parteien in England in den statements of case nicht nur die Tatsachen, sondern auch die entscheidenden rechtlichen Erwägungen vor.45
B. Die juristischen Protagonisten I.
Der Richter
Was den deutschen Juristen auf den ersten Blick erstaunen mag, ist die verhältnismäßig geringe Anzahl von Richtern in England. Allerdings werden nur diejenigen, die am House of Lords – bzw. an dem im Jahr 2009 geschaffenen Supreme Court –, am Court of Appeal, am High Court of Justice sowie als circuit judge und district judge an den county courts Recht sprechen, als judge bezeichnet.46 Jedoch gibt es noch andere Kategorien von Personen, wie recorder, die – wenngleich sie nach englischem Verständnis nicht Richter im eigentlichen Sinne sind – gleichwohl eine ähnliche Ausbildung genossen haben und praktisch eine vergleichbare Funktion erfüllen wie ein deutscher Richter.47 Daher müssen sie im Rahmen dieses funktionalen Ansatzes ebenfalls berücksichtigt werden. Indes verbleibt selbst bei Berücksichtigung dieser Gruppe nach wie vor ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen der Anzahl der Richter in England und Deutschland.48 Eine Beteiligung von Laienrichtern gibt es im englischen Zivilprozess der Gegenwart grundsätzlich nicht mehr. Eine Ausnahme gilt nur in einigen Familienangelegenheiten, insbesondere Unterhaltssachen, die vor juristisch nicht ausgebildeten, sogenannten magistrates verhandelt werden,49 in Verfahren, wegen Betrugs oder Ehrverletzung sowie in Fällen, in denen eine juryBeteiligung explizit beantragt wird, 50 was in der Praxis jedoch selten geschieht. Gleichwohl hat die zentrale Rolle, welche die jury früher spielte, das Prozessrecht, insbesondere das Beweisrecht, entscheidend geprägt und zeitigt auch heute noch viele Auswirkungen. Aufgabe der Geschworenen war im klassischen jury-Prozess die Beurteilung der Tatsachenfragen, wohingeZuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 7.13. Graef, Judicial Activism, 1996, S. 21 f. 47 Kötz, in: FS Zajtay, 1982, S. 277, 289. 48 Markesinis, (1990) C.L.J., 233. Anfang April 2009 gab es in England und Wales 419 district judges, 640 circuit judges, 109 High Court judges, 38 Court of Appeal judges und 12 Supreme Court judges, mithin insgesamt 1.218 Richter, vgl. Lundmark, ZfRV 2010, 78, 83–86. Demgegenüber waren in Deutschland am 31.12.2012 14.903 Richter bei den ordentlichen Gerichten beschäftigt. Selbst wenn man auf englischer Seite die Anzahl der ca. 1.400 recorder berücksichtigt, verbleibt eine erhebliche Diskrepanz. Recorder sind freiwillige Teilzeitrichter, die über mindestens sieben Jahre Berufserfahrung als barrister oder solicitor verfügen, vgl. Lundmark, ZfRV 2010, 78, 85. 49 Lundmark, ZfRV 2010, 78, 83. 50 Vgl. s. 69 Supreme Court Act 1981 sowie s. 66 County Courts Act 1984. 45 46
B. Die juristischen Protagonisten
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gen dem Richter die Bewertung der Rechtsfragen oblag.51 Die Geschworenen verloren jedoch zunehmend an Einfluss. Zum einen entzogen die Berufsrichter ihnen Kompetenzen, indem sie insbesondere im Vertrags- und Handelsrecht zunehmend auch rein tatsächliche Fragen als Rechtsfragen klassifizierten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde zum anderen Kritik an der Institution der jury laut, weil eine Anfälligkeit für Korruption sowie Parteilichkeit befürchtet wurde.52 Eine Ernennung zum High Court- oder circuit-Richter53 erfolgt nur, wenn der Anwärter sich durch herausragenden Erfolg in der beruflichen Praxis auszeichnet.54 Nur selten erfolgt eine Berufung zum Richter vor Vollendung des 50. Lebensjahrs.55 Auch master müssen vor ihrer Ernennung einige Jahre als barrister oder solicitor praktiziert haben. 56 Ein englischer Richter hat somit durchschnittlich deutlich mehr Praxiserfahrung als sein deutscher Kollege, der zuvor in der Regel nicht als Rechtsanwalt tätig war und sein Amt häufig bereits in seinen späten Zwanzigern oder frühen Dreißigern übernimmt. In England besteht traditionell die Sorge, „[that t]he judge who opens his mouth closes his mind“.57 Ein Richter, der zu viele Fragen stellt, so fürchtete man, „descends into the arena and is liable to have his vision clouded by the dust of the conflict“. 58 Die Konsequenz dieser Sichtweise war, dass der Richter grundsätzlich die Fakten eines Falls nicht kannte, wenn er den Gerichtssaal betrat. Es stand ihm weder zu, sich vor dem trial in den wesentlichen Sach- und Streitstand einzuarbeiten, noch Fragen an die Parteien oder an Zeugen zu richten. Der Widerstand gegen einen zu aktiven Richter war so stark, dass der Court of Appeal in Jones v. National Coal Board den Rechtsstreit mit der Begründung an den High Court zurückverwies, dass der erstinstanzliche Richter zu viele Fragen gestellt habe.59 In der englischen Literatur wird dieser Fall gerne herangezogen, um die Rolle des Richters im Zivilverfahren zu illustrieren. 60 Selbst wenn man diese Entscheidung als Einzelfallentscheidung der Rechtsprechung werten möchte, so kann man S. oben, S. 22. So Gilmore, The Death of Contract, Ohio 1995, S. 108. 53 Circuit oder district judges sind Richter der county courts, vgl. Andrews, Civil Process, 2008, Rn. 204. 54 Andrews, Civil Processes, 2013, Rn. 26.15; Zweigert/Kötz, Comparative Law, 1998, S. 214. 55 Bernstorff, Einführung in das englische Recht, 2005, S. 27. 56 Andrews, Civil Process, 2008, Rn. 2.04. 57 Zweigert/Kötz, Comparative Law, 1998, S. 273. 58 Yuill v. Yuill [1945], 15, 20. 59 Jones v. National Coal Board [1957] 2 Q.B. 55; vgl. dazu Schmitthoff, JZ 1972, S. 39, 41. 60 Jacob, Fabric, 1987, S. 11; Zweigert/Kötz, Comparative Law, 1998, S. 273. 51 52
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daraus, dass die Wissenschaft diesen Fall so häufig zitiert, zumindest darauf schließen, wie die Rolle des Richters von anderen juristischen Akteuren empfunden wird. Im Verlauf der 80er- und frühen 90er-Jahre wurde die Position des Richters dann jedoch gestärkt, indem ihm verfahrensleitende Kompetenzen (managerial powers) zugestanden wurden.61 Diese Bestrebung zum Ausbau der Richtermacht gipfelte im Jahr 1995 in Lord Woolfs Zwischenreport zur Reform des englischen Zivilprozessrechts, in dem er feststellte, es existiere „no alternative to a fundamental shift in the responsibility for the management of civil litigation from litigants and their advisers to the courts“. 62 Dementsprechend heißt es in den am Ende der Reformbewegung in Kraft getretenen neuen CPR: „The court must further the overriding objective [of dealing with cases justly] by actively managing cases“.63 Im Gegensatz zu den judges haben die masters und recorders schon immer eine deutlich aktivere Rolle bei der Vorbereitung des Vorverfahrens am High Court of Justice innegehabt.64 Eine solche Differenzierung gibt es im deutschen System nicht. All diejenigen, die eine rechtsprechende Funktion erfüllen und dabei unabhängig sind, werden als Richter bezeichnet. 65 Aus anglo-amerikanischer Sicht, wie sie durch Kaplan/von Mehren/Schaefer beschrieben ist, ist der deutsche Richter ein „paterfamilias“, „constantly descending to the level of the litigants, as an examiner, patient or hectoring, as counsel and adviser“.66 Diese Einschätzung rührt daher, dass die Aufgabe des deutschen Richters auch die formelle und materielle Verfahrensleitung umfasst.67 Insbesondere die materielle Verfahrensleitung durch den Richter mag für den anglo-amerikanischen Juristen befremdlich anmuten: Gemäß § 139 ZPO hat der Richter mit den Parteien die rechtlichen und tatsächlichen Aspekte des Falls zu erörtern und darauf hinzuwirken, dass sie hinreichende Tatsachen vortragen, um den Tatbestand, auf den sie sich berufen, zu belegen. Soweit offensichtlich ist, Zu weiteren Einzelheiten siehe K. Schmidt, Abschied von der Mündlichkeit, 1997, S. 25 ff.; siehe auch Ashmore v. Corporation of Loyds [1992] 1 W.L.R. 446, sowie hierzu Andrews, Principles, 1994, Rn. 3-014. 62 Interim Report, S. 18. 63 CPR 1.4. 64 Auf die aktive Rolle der masters und recorders und die Vernachlässigung dieses Aspekts in der deutschen Literatur weist zu Recht hin Kötz, in: FS Zajtay, 1982, S. 277, 289; ders., JA 1991, S. 257 mwN. 65 Von diesen Berufsrichtern sind die ehrenamtlichen Richter in Handelssachen zu unterscheiden, die zu zweit zusammen mit dem Vorsitzenden Berufsrichter eine Kammer für Handelssachen besetzen, § 105 GVG. Ehrenamtliche Richter sind Laienrichter, die über entsprechende praktische Erfahrung als Prokurist, Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer verfügen, § 109 Abs. 1 Nr. 3 GVG. 66 Kaplan/von Mehren/Schaefer, 71 (1957) Harv.L.Rev., S. 1443, 1472. 67 Vgl. dazu ausführlich unten, S. 248 ff. 61
B. Die juristischen Protagonisten
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dass eine Partei einen Umstand irrtümlich für unerheblich gehalten hat, kann das Gericht sein Urteil in der Regel68 nur dann auf diesen Umstand stützen, wenn es die Partei zuvor darauf hingewiesen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat (§ 139 Abs. 2 S. 1 ZPO). Diese Vorschrift hat zum Ziel, überflüssige Streitpunkte und zeitliche Verzögerungen zu vermeiden, indem sie den Parteien dazu verhilft, sich auf die wesentlichen Aspekte des Falles zu konzentrieren. Der Richter soll die Parteien dabei in kooperativer Weise unterstützen. 69 Aus der deutschen Praxis wird jedoch berichtet, dass mancher Richter diese im Gesetz angelegte „Funktionsteilung zwischen Anwalt und Richter“ 70 durch „überaktives“ bzw. parteiliches Verhalten „aus vermeintlich sozialen Gründen“ verletze.71 Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der ZPO auch in Deutschland die Rolle des Richters sehr viel passiver ausgestaltet war. Damals überwog eine liberale Sichtweise, die jede Form der Verfahrensleitung als unangemessene Beschränkung der Parteiherrschaft ansah.72 II. Der Anwalt Die englische Anwaltschaft ist – anders als die deutsche – zweigeteilt in die Gruppe der solicitors auf der einen und die der barristers auf der anderen Seite. Die meisten englischen Anwälte sind solicitors, und nur ein verhältnismäßig kleiner Prozentsatz gehört den barristers an.73 Solicitors leisten die allgemeine rechtliche Beratung ihrer Mandanten und bereiten gerichtliche Verfahren vor. 74 Demgegenüber ist die Erörterung des Falles vor Gericht, zumindest vor dem High Court of Justice, dem Court of Appeal und dem House of Lords bzw. dem Supreme Court traditionell das Privileg der barristers.75 Sie hatten im traditionellen common law-Prozess die komplexen Das gilt nicht, wenn eine bloße Nebenforderung betroffen ist, § 139 Abs. 2 S. 1 ZPO. Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 139, Rn. 1. Vgl. unten, S. 248 f. 70 So der Ausdruck von Kötz, in: FS Zajtay, 1982, S. 277. 71 So Birk, NJW 1985, S. 1489, 1490. 72 Ähnlich Zuckerman/Coester-Waltjen (1999) 18 C.J.Q., S. 291; vgl. unten S. 37 f. sowie ausführlich S. 243 ff. 73 So war beispielsweise in den Jahren 2011/2012 lediglich ein Zehntel aller englischen Anwälte als barristers qualifiziert: Nach dem Annual Statistics Report 2012 der Law Society waren in England und Wales am 31.7.2012 insgesamt 121.778 zugelassene solicitors (d.h. solicitors mit einem practising certificate) tätig. Demgegenüber waren dem Bar Barometer 2012 des General Council of the Bar of England zufolge im Dezember 2011 nur 15.581 barristers zugelassen. 74 Zweigert/Kötz, Comparative Law, 1998, S. 212. 75 Solicitors durften demgegenüber traditionell nur in den magistrates’ courts und den county courts auftreten sowie vor der eigentlichen Hauptverhandlung im pre-trial auch vor den masters im High Court of Justice. Der Court and Legal Services Act 1990 zielte darauf 68 69
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Kapitel 1: Rahmenbedingungen
Regeln des Beweisrechts, insbesondere der Zulassung zum Beweis im juryProzess, zu beherrschen. 76 Der solicitor ist also der überwiegend parteiberatende Anwalt, der barrister hingegen der prozessführende, 77 wobei der barrister in der Regel keine vertraglichen Beziehungen zu dem Mandanten hat und sich vor allem Wahrheit und Gerechtigkeit, nicht aber den Interessen des Mandanten verpflichtet sieht. 78 Diese Zweiteilung der Anwaltschaft ist vielerorts als großer Nachteil bezeichnet worden, weil die zweifache Prüfung des Falls die Dauer des Verfahrens in die Länge und die Kosten in die Höhe treibe.79 Anders als in Deutschland gibt es in England keine Streitwert abhängigen, gesetzlich festgelegten Rechtsanwaltsgebühren. Die Anwaltsgebühren werden ausschließlich durch Vereinbarung festgesetzt – in der Regel auf Basis eines Stundenhonorars. Ihre Höhe ist somit abhängig von der Komplexität des Falls und dem Ruf der involvierten Anwälte. Die Aufgabe des deutschen Rechtsanwalts umfasst neben der Vorbereitung des Falles auch die Vertretung vor Gericht. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) ist der Anwalt nicht nur seinem Mandanten, sondern auch der Rechtspflege verpflichtet. 80 Anders als der englische Anwalt darf er wegen der Gefahr der Zeugenbeeinflussung nicht mit den Zeugen in Kontakt treten. Auch ist es ihm ob seiner Funktion als Rechtspflegeorgan grundsätzlich 81 verwehrt, mit seinem Mandanten ein Erfolgshonorar zu vereinbaren, da ein finanzielles Interesse des Anwalts am Ausgang des Rechtsstreits als unvereinbar mit seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege angesehen wird (§ 49 b Abs. 2 S. 1 BRAO).82 Wenngleich eine Verpflichtung gegenüber dem Gericht in jüngerer Vergangenheit auch in
ab, das Monopol der barristers zur Prozessvertretung im trial abzuschaffen, und gestattete den solicitors – sofern sie ein spezielles right of audience erworben haben – als sogenannte advocate solicitors vor den höheren Gerichten aufzutreten, vgl. Andrews, Civil Process, 2008, Rn. 207. Gleichwohl hat sich de facto die Lage seither kaum geändert. Zu denkbaren Gründen, vgl. Kessel, ZVglRWiss (1993), S. 395, 401; Zweigert/Kötz, Comparative Law, 1998, S. 212. 76 Cannon, (2006) 25 C.J.Q., S. 327, 331. 77 So Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 92. 78 Magnus, Anwaltsprivileg, 2010, S. 163 f. Vgl. ferner unten, S. 313. 79 Vgl. die Nachweise bei Kessel, ZVglRWiss 92 (1993), S. 395, 396, 402. 80 Zuckerman/Coester-Waltjen (1999) 18 C.J.Q., S. 291, 293. 81 Ein Ausnahmetatbestand wurde jedoch durch Gesetz vom 12.6.2008 (BGBl. I S. 1000) mit Wirkung zum 1.7.2008 in § 4a RVG i.V.m. § 49b Abs. 2 S. 1 BRAO eingefügt. Danach sind Erfolgshonorare unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise zulässig, wenn der Auftraggeber auf Grund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse bei verständiger Betrachtung ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde. 82 Zuckerman/Coester-Waltjen (1999) 18 C.J.Q., S. 291, 293.
B. Die juristischen Protagonisten
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England betont worden ist,83 wurden dem englischen Anwalt keine vergleichbaren Beschränkungen hinsichtlich der Gebührengestaltung auferlegt. Während der englische Anwalt mit der Befragung von Zeugen und der Ermittlung und Analyse von Dokumenten und Informationen beschäftigt ist, die er im Rahmen der disclosure von der Gegenseite erhalten hat, beschränkt sich die Arbeit des deutschen Anwalts darauf, gemeinsam mit dem Mandanten die diesem bekannten Fakten herauszuarbeiten, Vergleichsgespräche zu führen und auf Hinweise und Anordnungen des Gerichts zu reagieren. Auskunftsbegehren können grundsätzlich nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, sofern auch ein entsprechender materiellrechtlicher Auskunftsanspruch besteht, so dass der deutsche Anwalt im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung stärker auf die Kooperation der Gegenseite angewiesen ist, als der englische Anwalt.84 Auch in der mündlichen Verhandlung spielt der deutsche Anwalt eine wesentlich passivere Rolle als der barrister, weil umgekehrt dem deutschen Richter mehr verfahrensleitende Befugnisse zukommen als dem englischen judge: Der deutsche Richter ist es, der die Befragung der Zeugen leitet, und erst wenn er seine Befragung beendet hat, erhält auch der Anwalt die Möglichkeit, Fragen zu stellen.85 Auch ansonsten spielt der Rechtsanwalt nur eine relativ untergeordnete Rolle in der mündlichen Verhandlung. 86 Da die tatsächlichen Umstände des Falls ebenso wie Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Regel bereits umfassend in den vorbereitenden Schriftsätzen vorgetragen werden müssen, um nicht wegen Verspätung präkludiert zu werden (§§ 282, 296 ZPO), findet ein wesentliches Wortgefecht zwischen den Anwälten nicht statt. Lediglich wenn der Richter Fragen oder abweichende Ansichten zu dem in den Schriftsätzen geäußerten Sach- oder Rechtsvortrag äußert, kann es zu einer verbalen Auseinandersetzung kommen, die jedoch in Stil und Intensität nicht mit dem Plädoyer des Anwalts im Zivilverfahren am High Court of Justice vergleichbar ist. Darüber hinaus obliegt die rechtliche Würdigung des Falls ohnehin allein dem Richter, der sämtliche rechtlichen Aspekte zu berücksichtigen hat, unabhängig davon, ob sie von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht. Anderes gilt im englischen Recht, das den Anwälten nicht nur die Beibringung der Tatsachen, sondern auch der rechtlichen Gesichtspunkte auferlegt, und zwar auch dann, wenn diese für ihre Angriffs- oder Verteidigungslinie ungünstig sind. 87 Die Verpflichtung zur Beibringung der Präjudizien wird als wesentliche Aufgabe der 83 Vernon v. Bosley (No 2) [1999] Q.B. 18, CA; Copeland v. Smith (Practice Note) [2000] 1 W.L.R. 1371. 84 Vgl. dazu ausführlich unten, S. 84 ff. sowie S. 91 ff. 85 Vgl. dazu Kötz, in: FS Zajtay, 1982, S. 277 ff. sowie ders., JA 1991, S. 257; ferner Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 92, 96 ff. 86 Dies wird insbesondere kritisiert von Birk, NJW 1985, S. 1489. Nachdenklich auch Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 92, 109 f. 87 Langbein, ZVglRWiss 86 (1987), S. 141.
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Kapitel 1: Rahmenbedingungen
barristers angesehen, auf deren Einhaltung die Gerichte sich in der Regel verlassen.88
C. Reformen der jüngeren Vergangenheit I.
England
Im Jahr 1994 wurde Lord Woolf aufgefordert, eine Bestandsaufnahme des englischen Zivilprozessrechts vorzunehmen. In seinem Abschlussbericht, den er 1995 vorlegte, sprach er sich für einen einheitlichen Verfahrenskodex mit nahezu revolutionärem Charakter aus. Er sah die bisherigen Regeln als zu bürokratisch und zu teuer an. Insbesondere hielt er das strenge Festhalten am Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens (adversarial principle) unter dem Aspekt der Waffengleichheit für unangemessen.89 Von den CPR, die aus dem Abschlussbericht entwickelt wurden und die am 26. April 1999 in Kraft traten,90 erhoffte man sich „the beginnings of a new legal culture“. 91 Die CPR sind in erster Linie geprägt von dem so genannten overriding objective,92 das zum Ziel hat, mit den anhängigen Fällen unter Einsatz verhältnismäßiger Kosten in einer Art und Weise zu verfahren, die gerecht ist und in einem angemessenen Verhältnis zu Streitwert, Bedeutung und Komplexität steht und die finanzielle Situation der Parteien berücksichtigt.93 Das overriding objective muss von Gericht und Parteien in jedem Verfahrensstadium beachtet werden (CPR 1.2 und 1.3). Folgende wesentliche Neuerungen dienen seiner Umsetzung: die Einteilung und Zuweisung der erstinstanzlichen Verfahren zu einem von drei Verfahrenspfaden (tracks),94 die Ausstattung des Richters mit Kompetenzen zur Verfahrensleitung (case management powers) sowie die erhebliche Begrenzung des Ausmaßes der
Kötz, JA 1991, S. 257, 259; Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 92, 98. Vgl. den Überblick bei Kengyel, ZVglRWiss 101 (2002), S. 260, 265–267. 90 Bei den CPR handelt es sich um kein Gesetz im formellen Sinne, sondern um ein statutory instrument, das auf Grundlage der Ermächtigung des Civil Procedure Act (CPA) 1997 durch das Rule Committee erlassen wurde. Die CPR treffen einheitliche Verfahrensregeln für Prozesse vor den county courts, dem High Court und dem Court of Appeal. Vgl. zu alldem Andrews, Civil Processes, 2013, Rn. 2.01 ff. 91 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 387. 92 Vgl zum overriding objective unten, S. 197. 93 CPR 1.1(2)(c). 94 Abhängig von der Komplexität des Falles sowie der Höhe des Streitwertes weist der Richter den Rechtsstreit einem von drei Verfahrenspfaden zu: (CPR 26.5, 26.8(1)): dem small claim track (CPR 26.6(1)), dem fast track (CPR 26.6(4)) oder dem multi-track (CPR 26.6(6)). 88 89
C. Reformen der jüngeren Vergangenheit
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documentary disclosure.95 Vor Inkrafttreten der CPR bestand das Regime der RSC und CCR (Rules of the Supreme Court und County Court Rules), für deren Interpretation allgemeine (also keine prozessrechtsspezifischen) common law- und equity-Grundsätze galten.96 Unter den CPR dominiert nunmehr das overriding objective als Auslegungstopos, so dass erstmalig allgemeine Prinzipien Vorrang vor einzelnen Vorschriften haben.97 Die CPR wurden bewusst als „neuer Verfahrenskodex“ (new procedural code, vgl. CPR 1.1(1)) bezeichnet, um Richter und Anwälte davon abzuhalten, sich auf Fallrecht aus der Zeit vor Erlass der CPR zu beziehen.98 Im Laufe der Zeit hat sich diese strikte Sichtweise allerdings nicht durchsetzen können. 99 Zwar ist Fallrecht aus der Zeit vor Erlass der CPR, das im Widerspruch zu den CPR steht, nicht mehr relevant. Demgegenüber ist Fallrecht, das mit den CPR vereinbar ist, grundsätzlich zu beachten, solange nicht die Neuerungen, die sich durch die neue Kultur der CPR, insbesondere durch das overriding objective, ergeben haben, eine abweichende Interpretation verlangen.100 Zwar gibt es zurückhaltendere Stellungnahmen, die umgekehrt davon ausgehen, dass das alte Fallrecht grundsätzlich nicht mehr anwendbar ist.101 In Praxis und Schrifttum ist jedoch überwiegend zu beobachten, dass das alte Fallrecht mitherangezogen wird, es sei denn es widerspricht ausdrücklich den CPR, insbesondere dem overriding objective. Auch diese Arbeit verfährt entsprechend unter Berufung auf folgende Feststellung Zuckermans: „Where the overriding objective has largely left established rules and principles undisturbed, previous authority is at the very least of persuasive value“.102
95 Woolf, Interim Report, 1995, S. 164–180 und ders., Final Report, 1996, S. 124–130. Zu weiteren Einzelheiten der Neugestaltung der disclosure-Regeln siehe unten, S. 45 ff. 96 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.21. 97 So Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.21. 98 In diesem Sinne entschied Master of the Rolls, Lord Woolf, in Biguzzi v. Rank Leisure plc: „Earlier authorities are no longer generally of any relevance once the CPR applies“, vgl. Biguzzi v. Rank Leisure plc, [1999] 1 W.L.R. S. 1926, 1934. 99 Vgl. Grainger/Fealy, Civil Procedure, 2000, S.10–18. Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 1.22; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 2.36 ff. 100 Sobich, ZVglRWiss 103 (2004), S. 69, 76; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 2.35. Kritisch zu der Entscheidung Biguzzi v. Rank Leisure, insbesondere im Hinblick auf die Überprüfung von Ermessensentscheidungen: M. Stürner, ZVglRwiss 99 (2000), S. 310, 334 f. Zu einem neueren, rigoroseren Ansatz vgl. M. Stürner, ZVglRWiss 103 (2004), S, 349, 356 f. 101 Godwin v. Swindon [2002] 1 W.L.R. 997, Rn. 42. 102 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 2.39.
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Kapitel 1: Rahmenbedingungen
II. Deutschland Auch das deutsche Zivilprozessrecht wurde in jüngerer Vergangenheit mehrfach reformiert. Diese Änderungen waren jedoch nicht vergleichbar weitreichend wie die englische Neuordnung. Mit der Reform von 2002 wurde eine deutliche Verfahrensbeschleunigung, größere Transparenz für alle Beteiligten und die Verbesserung der Kommunikation mit dem Gericht angestrebt.103 Hauptmerkmale der Reform sind die Stärkung der ersten Instanz und die Beschneidung der Tatsachenebene in der Berufungsinstanz. Gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht die in der ersten Instanz festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an ihrer Richtigkeit und Vollständigkeit begründen. Neue Tatsachen dürfen gem. § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nur berücksichtigt werden, soweit dies gem. § 529 Abs. 2 ZPO zulässig ist.104 Andere wesentliche Elemente sind die Einführung der obligatorischen Güteverhandlung (278 Abs. 2 ZPO),105 die Neufassung der Regelung über die materielle Verfahrensleitung des Gerichts (§ 139 ZPO)106 sowie die Ausweitung der Fälle, in denen die Vorlage von Dokumenten angeordnet werden kann (§ 142 ZPO).107
D. Wesentliche Grundprinzipien Sowohl im englischen als auch im deutschen Zivilprozessrecht gilt der Grundsatz der Parteiherrschaft. Das Recht, ein Verfahren einzuleiten, steht den Parteien und nicht dem Richter zu. Gleiches gilt für die Befugnis, den Streitgegenstand zu definieren und über ihn zu verfügen, sowie für die Einführung des Tatsachenstoffs in den Prozess. In England ist dieser Grundsatz als so genanntes Gegnerprinzip (adversarial principle) ausgestaltet; in Deutschland heißt er Dispositions- und Beibringungsgrundsatz. Wenn man im Rahmen eines disclosure-Regimes oder erweiterter Mitwirkungspflichten einer Partei auferlegt, Informationen preiszugeben, die sie eigentlich nicht offenlegen möchte, kann man in Konflikt mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft geraten. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem
103 Vgl. Bamberger, ZRP 2004, 137 ff. zur Zwecksetzung und den Auswirkungen der Reform. 104 Das Recht, neue Tatsachen vorzutragen, war bereits zuvor durch die Reformen von 1924, 1933 und 1976 erheblich eingeschränkt worden, s. dazu Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 133, Rn. 21. 105 S. 20, 272 f. 106 Vgl. unten, S. 248 f. 107 Vgl. dazu ausführlich S. 105 ff. sowie S. 176 ff.
E. Allgemeines zum Zugang zu Information und Beweis
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englischen adversarial principle und dem deutschen Dispositions- und Beibringungsgrundsatz wird in Teil II Kapitel 8 erfolgen.108
E. Allgemeines zum Zugang zu Information und Beweis Informations- und Beweiszugang finden in England im Wege der disclosure sowie der Beweisaufnahme statt. 109 Die disclosure erfolgt – soweit die so genannten pre-action protocols dies vorschreiben110 – noch vor Anhängigkeit des Rechtsstreits und zusätzlich während des Vorverfahrens.111 In der Hauptverhandlung kann Beweis entweder mündlich durch Zeugen und Sachverständige erbracht werden, oder aber durch Urkunden oder Augenscheinsobjekte. 112 Hervorzuheben ist, dass anders als in Deutschland der Parteibeweis keine eigene Beweismittelkategorie darstellt, sondern vielmehr dem Zeugenbeweis unterfällt.113 Prozessuale Informationsbeschaffung in Deutschland findet im Wesentlichen einstufig im Rahmen der Beweisaufnahme statt. Der Richter ordnet die Beweisaufnahme durch Zeugen (§§ 373 ff. ZPO), Sachverständige (§§ 402 ff. ZPO), Parteien (§§ 445 ff. ZPO), Urkunden (§§ 415 ff. ZPO) oder Augenscheinsobjekte (§§ 371 ff. ZPO) an, soweit eine entscheidungserhebliche Tatsache zwischen den Parteien streitig ist und ein entsprechender Beweisantrag seitens der beweisbelasteten Partei vorliegt. Allerdings gibt es auch in Deutschland im Rahmen der Klageschrift und der Klageerwiderung nebst weiteren vorbereitenden Schriftsätzen, der Terminsvorbereitung durch den Vorsitzenden gem. § 273 ZPO, der Parteianhörung gem. § 141 ZPO sowie der Anordnung der Urkundenvorlage gem. § 142 ZPO einen vorgeschalteten Informationsaustausch. Daneben erfüllen insbesondere materiellrechtliche Aus-
Vgl. unten, S. 227. Andrews meint, „the distinction between disclosure and evidence will lose its historical significance […] once courts and lawyers begin to regard both as instruments whose common purpose is to provide the parties, including potential parties, as well as the court, with ,access to information‘“, vgl. Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 26.108, unter Verweis auf die Ausweitung der sogenannten Norwich Pharmacal – Rechtsprechung. 110 Dieser Aspekt wird unten näher untersucht, vgl. S. 55 ff. 111 Vgl. dazu sogleich ausführlich unten, S. 45 ff. 112 Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 31.03-04. 113 Vgl. dazu unten, S. 35. In England galt zwar zunächst die Unzulässigkeit der Parteiaussage als Beweismittel (nemo testis in re sua esse debet). Davon löste sich das englische Recht jedoch im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der equity-Rechtsprechung, die in der Tradition des kanonischen Rechts steht. Vgl. dazu sowie zu den Hintergründen und Perspektiven Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269 ff. 108 109
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Kapitel 1: Rahmenbedingungen
kunftsansprüche sowie die Regeln über die sekundäre Darlegungslast – wie unten gezeigt werden wird – teilweise die Funktion der disclosure.114 Die oben bereits erwähnte Tatsache, dass der Parteibeweis in Deutschland nicht unter die Kategorie des Zeugenbeweises fällt, hat praktisch weit reichende Auswirkungen. Im Fall des Zeugenbeweises gilt, dass die Vernehmung eines jeden einzelnen Zeugen, den die beweisführende Partei als Beweis oder Gegenbeweis anbietet, durch den Richter erfolgen muss, es sei denn, der Richter sieht die zu beweisende Tatsache bereits anderweitig als erwiesen an. Demgegenüber muss der Richter dem Beweisangebot der Parteivernehmung nicht nachkommen. Praktisch kommt es nur selten zu einer Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO, weil die Aussagen der Parteien wegen ihres Interesses am Ausgang des Rechtsstreits von den Gerichten üblicherweise als nicht sehr verlässlich angesehen werden.115 Allerdings steht es dem Gericht stets frei, die Parteien informell gem. § 141 ZPO anzuhören. Eine solche Anhörung kann jedoch nicht als Beweis verwertet, sondern nur als Parteivortrag berücksichtigt werden. 116 Freilich findet sie so Eingang in die richterliche Entscheidungsfindung, da diese gem. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht nur auf Basis der Beweisaufnahme, sondern auch unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen zu erfolgen hat. Auch der Sachverständigenbeweis wird in Deutschland als eigenständige Beweismittelkategorie behandelt, für die die Regeln über den Zeugenbeweis nicht unmittelbar gelten.117 Dies liegt darin begründet, dass der Sachverständige im Prozess eine besondere Stellung als neutrale Auskunftsperson innehat, die nicht im Lager einer Partei steht. Seine Aufgabe ist es, dem Gericht das technische Spezialwissen zu vermitteln, über das es nicht von sich aus verfügt.118 In der Zeit vor Geltung der CPR war der englische Sachverständige zwar formal auch neutral; allerdings gab es auf beiden Seiten Sachverständige, die von den jeweiligen Parteien oder ihren Anwälten ausgewählt und instruiert wurden und sich folglich nicht selten parteiisch verhielten.119 Nunmehr darf sich eine Partei nur noch mit Genehmigung des Gerichts auf die Auskunft des Sachverständigen als Beweismittel stützen.120 Des Weiteren wird die Verpflichtung des Sachverständigen, das Gericht bei der Lösung des Vgl. S. 77 ff., insb. S. 84 f., 91 ff., 94 f., 97 ff., 105 ff. Zuckerman/Coester-Waltjen (1999) 18 C.J.Q., S. 291, 302. 116 MüKoZPO-C. Wagner, 2013, § 141, Rn. 2 ff. Zu den Besonderheiten beim VierAugengespräch vgl. MüKoZPO-C. Wagner, 2013, § 141, Rn. 4 sowie unten, S. 188 f. 117 Kraft der Verweisung in § 402 ZPO gelten die Vorschriften über den Zeugenbeweis jedoch entsprechend, soweit nicht in den §§ 403 ff. ZPO abweichende Vorschriften enthalten sind. 118 MüKoZPO-W. Zimmermann, 2012, § 402, Rn. 2. 119 Vgl. zur Rolle des Sachverständigen nach dem Recht vor Inkrafttreten der CPR Reynolds/Rinderknecht, ZVglRWiss 92 (1993), S. 215 ff. 120 CPR 35.4(1). 114 115
F. Historische Anmerkungen
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Falls zu unterstützen, nunmehr verstärkt betont (CPR 35.3: „overriding duty to the court“).121 Bevor eine Beweisaufnahme nach deutschem Recht überhaupt stattfinden kann, muss auf Grund des Beibringungsgrundsatzes das Beweismittel grundsätzlich zuvor von der Partei benannt und zum Beweis angeboten werden. Das zum Teil in der englischen Literatur bestehende Vorurteil, der Richter könne aus eigener Initiative Zeugen vernehmen, ist daher nicht richtig. Allerdings ist eine prozessleitende Anordnung der Urkundenvorlegung, der Inaugenscheinnahme, der Begutachtung durch einen Sachverständigen sowie der Anhörung der Parteien von Amts wegen und die Parteivernehmung von Amts wegen gem. §§ 141–144, 448 ZPO möglich.
F. Historische Anmerkungen I.
England
Die ersten Elemente einer Form von disclosure findet man im law of equity vor dem Court of Chancery.122 Das law of equity wurde als Ergänzung des common law nach den Grundsätzen der Billigkeit seit dem 14. Jahrhundert entwickelt. 123 Die damalige Form der disclosure weicht von der modernen discovery und disclosure wesentlich ab. Sie diente in erster Linie der Information des Kanzlers, nicht aber wie heute der Information der Parteien. 124 Darüber hinaus musste damals nur der Beklagte seine Unterlagen offenlegen. Der Kläger selbst war einer solchen Verpflichtung nur dann unterworfen, wenn der Beklagte gegen ihn Widerklage erhob.125 Im common law gab es vor dem 19. Jahrhundert keinerlei Form von disclosure. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe: Zum einen war im frühen common law und noch bis zum Jahr 1851 jede Form von Parteibeweis – und als solcher wurde die Informationsbeschaffung durch eine Partei angesehen – untersagt.126 Denn die Aussage einer Partei wurde wegen des starken Eigeninteresses am Ausgang des Rechtsstreits von vornherein als unglaubhaft angesehen, so dass als wesentliche Erkenntnisquelle die Sichtweise einer jury Dreymüller, ZVglRWiss 101 (2002), S. 471, 477 f., 481. Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257; Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.11. 123 Die Kanzlei des Königs (Chancery) war für die Vollstreckung der Urteile nach dem common law zuständig. Erachtete sie diese für unbillig, versagte sie ihnen die Vollstreckung. Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit das law of equity als eigenständige Rechtsquelle, vgl. dazu Kocher, Funktionen, 2007, S. 137 ff. 124 Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 259. 125 Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 266. 126 Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 266; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 277. 121 122
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Kapitel 1: Rahmenbedingungen
hinzugezogen wurde, die sich meist aus Vertretern der Dorfgemeinschaft zusammensetzte.127 Zum anderen betrachtete man den Richter in den common law-Verfahren eher als Streitschlichter, dem die Befugnis, eine disclosureAnordnung durchzusetzen, nicht zustand.128 Demgegenüber vertraute der Kanzler in den equity-Verfahren auf die Schriftsätze sowie die obligatorische Parteibefragung, 129 da er die jury für Beweiszwecke ungeeignet hielt. Insbesondere die Dorfgemeinschaft konnte mit der zunehmenden Anonymität infolge raschen Bevölkerungswachstums nicht mehr herangezogen werden, um verlässlich den Fall aus eigener Anschauung zu beurteilen.130 Gleichwohl war das Mittel der disclosure nicht ausschließlich den Klagen vorbehalten, die sich auf das law of equity stützten. Vielmehr konnte auch ein Kläger, der einen common law-Anspruch geltend machte, vor dem Court of Chancery eine disclosure-Anordnung beantragen. 131 Einen entsprechenden Antrag konnte er zum einen noch vor der Klageerhebung in der Hauptsache stellen, um den Sachverhalt der zukünftigen common law-Klage besser beurteilen zu können; zum anderen war auch eine Antragstellung während des bereits anhängigen common law-Verfahrens möglich – das dann suspendiert werden musste – mit dem Ziel, Zugang zu Beweismitteln zu erhalten.132 In der Mitte des 17. Jahrhunderts war diese Form der Nutzung des disclosureVerfahrens ein Hauptbetätigungsfeld des Court of Chancery geworden. 133 Den Nachteil dieser Entwicklung hat Charles Dickens in Bleak House beschrieben: „Equity sends questions to Law, Law sends questions back to equity; Law finds it can’t do that […]. And thus, through years, and lives and lives, everything goes on constantly beginning over and over again, and nothing ever ends“. 134 Dieses rechtliche Hin und Her fand schließlich auf Grund mehrerer Gesetzesänderungen ein Ende:135 Zunächst ließ der Evidence Act 1851 den Zeugenbeweis durch die Parteien zu. Sodann wurde für den Beklagten, der vom Kläger ebenfalls discovery begehrte, das Erfordernis der Widerklage abgeschafft. Der Common Law Procedure Act ließ ferner im Jahr Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257. Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 258; zu dem Wandel der Befugnisse des Richters im englischen Recht, s.a. oben, S. 24 ff. 129 Holdsworth, History of English Law, 1924, S. 336. 130 Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 258; Holdsworth, History of English Law, 1924, S. 281. 131 Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 262; Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.11. 132 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.11. 133 Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 262. 134 Charles Dickens, Bleak House, Oxford, Ausgabe von 1999, S. 108 f. 135 Vgl. dazu ausführlich Goldstein (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 266 ff. sowie Matthews/ Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.11 ff. 127 128
F. Historische Anmerkungen
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1854 erstmals ein discovery-Begehren vor den common law-Gerichten zu, ohne dass es der vorherigen Antragstellung bei den equity-Gerichten bedurfte.136 Im Jahr 1873 verschmolzen schließlich mit dem Judicature Act das law of equity und das common law zu einer Jurisdiktion.137 Damit hielt das discovery-Verfahren endgültig Einzug in den common law-Prozess. Der Richter konnte – mit oder ohne entsprechenden Parteiantrag – während eines laufenden Verfahrens eine Partei verpflichten, unter Eid Dokumente vorzulegen.138 Es herrscht keine völlige Gewissheit darüber, wie das Court of Chancery seinerseits im 14. Jahrhundert zu dem discovery-Verfahren gekommen war.139 Einigkeit besteht jedoch dahingehend, dass es das discovery-Verfahren entweder von den englischen Kirchengerichten140 und damit indirekt aus dem Römischen Recht übernommen hat,141 oder aber von frühen Gerichtspraktiken der englischen Krone. 142 Die Verschmelzung von common law und law of equity und damit die Verankerung einer discovery in den common lawVerfahren führte auch dazu, dass sich der Charakter derselben änderte. Während es sich in den mittelalterlichen equity-Verfahren bei der disclosure um ein Verfahren zu Beweiszwecken gehandelt hatte, diente sie nunmehr als Verfahren zum umfassenden Informationsaustausch zwischen den Parteien zum Zweck der Vorbereitung des trial.143 II. Deutschland Im gemeinen Recht hatte der Kläger dem Beklagten vor Klageerhebung die Klageschrift mit allen dazugehörenden Dokumenten zuzuleiten, damit es entweder schon gar nicht zum Prozess kam oder der Beklagte die Rechtmäßigkeit des geltend gemachten Anspruchs überprüfen konnte. 144 Der Beklagte war nur ausnahmsweise zur Urkundenedition verpflichtet, wenn der Staat Kläger war. 145 Es galt der Grundsatz der ausschließlichen Parteiherrschaft (judex ex officio non procedit) für den gesamten Verlauf des Verfahrens.146
Jolowicz, in: Essays Kerameus, 2009, S. 535, 537. Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 266 f. 138 Jolowicz, in: Essays Kerameus, 2009, S. 535, 537 f. 139 Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 264. 140 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.11. 141 Kerly, Historical Sketch, 1980, S. 100 f. 142 Dawson, History of Lay Judges, 1960, S. 148. Vgl. Goldstein, (1981) 10 A.A.L.R., S. 257, 264. 143 Stürner, Anglo-American and Continental Civil Procedure, 2004, S. 9, 11. 144 Koch, Civil-Prozeß, 1855, S. 437. 145 Koch, Civil-Prozeß, 1855, S. 437. 146 Bomsdorf, Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, 1971, S. 38 ff.; Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 32 f. 136 137
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Kapitel 1: Rahmenbedingungen
Die demgegenüber vom aufgeklärten Absolutismus geprägte und auf einem strengen Untersuchungsgrundsatz basierende AGO 147 , die nach dem Vorbild des Corpus Iuris Fridericianum aus dem Jahr 1781 geschaffen wurde und den Richter mit Befugnissen zur Wahrheitsfindung ausstattete, sah in § 224 vor, dass die Parteien alle in ihren Händen befindlichen, zur Aufklärung der Sache dienenden Urkunden und „schriftlichen Nachrichten“ dem Gericht vorzulegen hätten und dass jeder, egal ob Partei oder Dritter, der eine zur Aufklärung streitiger Tatsachen dienende Urkunde in Besitz hatte, auf eine richterliche Anordnung hin zur Vorlage verpflichtet war.148 Ausnahmen bestanden nur für vereinzelte Bereiche, wie etwa für Privataufzeichnungen.149 Daneben wurde auch der Richter mit einem umfangreichen Ermittlungsapparat ausgestattet, damit die Wahrheit Oberhand gewinne und nicht „Kunst, Witz und Verschlagenheit des Sachwalters“.150 Die ZPO trat am 30. Januar 1877 in Kraft. Ihre Ideenwelt war vom französischen Recht beeinflusst. Wie das französische Recht hatte sie daher das Konzept vom liberalen Staat im Blick, der sich in die Rechtsstreitigkeiten zwischen seinen Bürgern nicht einmischt. Der Richter des Jahres 1877 hatte sich passiv zu verhalten.151 Theoretische Grundlagen lieferte auch die Rechtswissenschaft zur Verhandlungsmaxime, die sich in Deutschland anhand des gemeinen Rechts im 18. Jahrhundert entwickelte. 152 Sie bevorzugte eine gegenüber der AGO deutlich eingeschränktere Editionspflicht. Der Gegner sollte zur Vorlegung von Urkunden gem. §§ 374 f. ZPO nur verpflichtet sein, wenn er die Herausgabe nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften schuldete, wenn die Urkunde ihrem Inhalte nach eine gemeinschaftliche des Gegners und des Beweisführers war oder wenn sich der Gegner im Prozess auf die Urkunde bezogen hatte. In der Entwurfsbegründung wird die Anlehnung an die allgemeine Zeugnispflicht abgelehnt, weil der Zeuge „durch die eidliche Angabe, daß er zur Sache nichts auszusagen wisse, vor weiteren Zumuthungen geschützt“ sei, „während eine allgemeine Editionspflicht nöthigen würde, mühsame Nachforschungen anzustellen und den Inhalt von Urkunden, auch wenn sie für den Rechtsstreit Erhebliches nicht enthalten, vorzulegen. Das Streben nach materieller Wahrheit [dürfe] […] nicht dahin führen, daß in das freie Verfügungsrecht des Inhabers von Urkunden eingegriffen wird – und ein solcher ungerechtfertigter Eingriff würde vorliegen, wenn die Vorlegung von Urkunden erzwungen werden könnte, auf deren Einsicht nur der Inhaber, nicht auch der Gegner ein Recht hat. Nach dem Entwurf besteht die Editionspflicht [daher] nur als Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten von 1792. Koch, Civil-Prozeß, 1855, S. 438 f. 149 Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 1880, S. 325. 150 So Carl Gottlieb Suarez, zitiert nach Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 33. 151 Meyer, JR 2004, S. 1. 152 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 34. 147 148
F. Historische Anmerkungen
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privatrechtliche Verpflichtung, während die Zeugnispflicht eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht ist“.153
Die Kehrseite dieser liberalen Ausgestaltung des Zivilprozesses waren die teils erheblichen Verzögerungen im Verfahrensablauf.154 Demgegenüber präsentierte die österreichische Zivilprozessordnung aus dem Jahr 1895 das Bild eines Staates, der in dem Bestreben, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, auch dem Richter Verantwortung für das Verfahren übertrug. 155 Diese maßgeblich von Klein156 geprägte Ideenwelt wurde in der Folgezeit auch in Deutschland aufgegriffen, indem der Grundsatz der Parteiherrschaft durch ein gewisses Maß an richterlicher Verfahrensleitung eingeschränkt wurde. Im Jahr 1933 wurde in Anlehnung an § 178 öZPO eine Wahrheitspflicht der Parteien festgeschrieben, die dem ehemals schrankenlosen Grundsatz der Parteiherrschaft eine weitere Grenze zog.157 In Deutschland wurde das Klein’sche Gedankengut unter dem Stichwort der „sozialen Prozessauffassung“ (im Gegensatz zur „liberalen Prozessauffassung“ der Entstehungszeit) diskutiert.158 In den 70er-Jahren kam es schließlich zu weit reichenden Reformen, die sich mit Effizienzfragen auseinandersetzten und darauf abzielten, die Verfahrensdauer zu verkürzen, die Gerichte zu entlasten und den Zivilprozess funktionaler zu gestalten.159 Hier ist insbesondere die am 1. Juli 1977 in Kraft getretene Vereinfachungsnovelle (Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren vom 3. Dezember 1976) zu nennen, die der Beschleunigung des Prozesses durch Verfahrenskonzentration dienen sollte.160 Ziel war die Vorbereitung des Prozesses dergestalt, dass möglichst nur ein Termin zur mündlichen Verhandlung und gegebenenfalls Beweisaufnahme stattfinden musste.161 Dies sollte durch eine gründlichere Vorbereitung der mündlichen Verhandlung seitens des Gerichts und durch die Möglichkeit der Zurückweisung verspäteten Vorbringens erreicht werden. Der Novelle lag
Hahn (Hrsg.), Die gesammten Materialien, Erste Abtheilung, 1880. S. 325. Vgl. zu diesem „Zeitfaktor“ in den liberalen Zivilprozessordnungen rechtsvergleichend Kengyel, ZVglRWiss 101 (2002), S. 260, 264 f. 155 Kengyel, ZVglRWiss 101 (2002), S. 260, 261. 156 Klein, Pro futuro, 1891; ders, Zeit- und Geistesströmungen im Prozeß, 1958. 157 Vgl. Meyer, JR 2004, S. 1, 2 f. sowie ausführlich unten, S. 82 f., 211 f. 158 S. dazu unten, S. 243 ff. 159 Vgl. hierzu ausführlich Adler, Verhältnis von Richter und Parteien, 2005, S. 322 ff. 160 So durch die Einführung von Fristen in den §§ 275 Abs. 1, 276 Abs. 1 und 3, 277 Abs. 1 und 3 ZPO sowie verschärfte Präklusionsmöglichkeiten gem. § 296 ZPO und durch die in § 282 ZPO verankerte Prozessförderungspflicht, derzufolge die Parteien unabhängig von einer gerichtlichen Anordnung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel so zeitig vorzubringen haben, wie es einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. 161 MüKoZPO-Rauscher, 2013, Einl., Rn. 80. 153 154
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Kapitel 1: Rahmenbedingungen
die Vorstellung von einem aktiven Richter mit Belehrungs- und Fürsorgepflichten gegenüber den Parteien zu Grunde.162
162
MüKoZPO-Rauscher, 2013, Einl., Rn. 80.
Kapitel 2
Disclosure in England Insgesamt gibt es vier Formen von disclosure: Urkundenoffenlegung (documentary disclosure), Informationsoffenlegung (disclosure by means of information requests), Offenlegung von Augenscheinsobjekten (disclosure of real evidence) sowie Zugang zu Zeugenaussagen vor dem trial.1 Die Darstellung des Konzepts und des Ablaufs erfolgen exemplarisch anhand der documentary disclosure, die in der Praxis die größte Bedeutung hat. Die Regelungen gelten entsprechend für die anderen Formen der disclosure, so dass in der Darstellung im Wesentlichen auf die Ausführungen zur documentary disclosure verwiesen werden kann. Soweit sich Abweichungen ergeben, werden diese gesondert erläutert.
A. Überblick I.
Allgemeines zum Beweisrecht
Eine allgemeine Betrachtung zum Beweisrecht findet sich in der Regel2 nicht in den Darstellungen zum disclosure-Verfahren.3 Gleichwohl sollte im RahMatthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.05 ff und 21.01 ff. So enthält etwa die umfangreiche, mehr als 800-seitige Monographie zur disclosure von Matthews/Malek, Disclosure, 2012, keinen Abschnitt zum Beweisrecht. Ein neuerer Ansatz findet sich aber bei Andrews, Civil Procedure, 2003, der unter dem Titel „Access to information: disclosure and evidence“ neben der eigentlichen disclosure und den privileges einen kurzen Überblick zu dem Thema „Evidence in general“ bietet. 3 Dies ist darauf zurückzuführen, dass das law of evidence historisch als eigenständige Materie angesehen wurde, die insbesondere im Hinblick auf die Fragen der admissability of evidence als dem materiellen Recht zugehörig betrachtet wurde, vgl. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 2.31, der die Sinnhaftigkeit dieser Differenzierung indes bezweifelt, vgl. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 2.32. Praktische Auswirkungen hatte diese Differenzierung für Zuständigkeitsfragen. Das materielle Recht ergibt sich aus dem Richterrecht, dem common law bzw. dem law of equity sowie aus parlamentarischen statutes. Demgegenüber wird das Prozessrecht durch das Rule Committee erlassen. Der Civil Procedure Act 1997 ermächtigte dieses Rule Committee allerdings darüber hinaus auch zu Regelungen des Beweisrechts, da man erkannte, dass beide Bereiche eng miteinander verquickt sind. Diese Kompetenz geht jedoch nicht so weit, Rechte zu beschneiden, die nach wie vor als dem materiellen Recht zugehörig betrachtet werden, so 1 2
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Kapitel 2: Disclosure in England
men dieser Untersuchung eine solche nicht fehlen. Denn das Beweisrecht spielt – wie später noch aufzuzeigen sein wird – für die Betrachtung des deutschen funktionalen Äquivalents eine nicht unerhebliche Rolle, dergestalt, dass ein Großteil der Funktionen nicht zuletzt auf beweisrechtlicher Ebene gelöst wird. Hinsichtlich der Beweisbedürftigkeit unterscheidet das englische Recht drei Kategorien von Tatsachen, die dem Beweis (proof) oder Gegenbeweis (disproof) zugänglich sein sollen: facts in issue, relevant facts und collateral facts.4 Facts in issue sind solche, die entweder unmittelbar oder mittelbar eine streitige Tatsache zu beweisen geeignet sind (streitrelevante Tatsachen). 5 Relevant facts, die auch als circumstantial evidence bezeichnet werden, sind Tatsachen, von deren Vorliegen oder Nichtvorliegen Rückschlüsse auf eine streitrelevante Tatsache gezogen werden können (Indiztatsachen).6 Collateral facts sind solche Umstände, die die Voraussetzungen für eine Zulassung eines Beweismittels kennzeichnen (condition precedent) oder Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit von Zeugen oder ihre Kompetenz (insbesondere im Bereich des Sachverständigenbeweises) zulassen (mittelbare Tatsachen).7 Als Beweisformen werden oral evidence, documentary evidence, real evidence und die sogenannte circumstantial evidence anerkannt.8 1. Beweismaß Das Beweismaß (standard of proof) ergibt sich im englischen Beweisrecht aus einer Gegenüberstellung von Wahrscheinlichkeiten hinsichtlich der Behauptungen beider Seiten (proof on a balance of probabilities 9 ): „If, therefore, the evidence is such that the tribunal can say ,we think that it is more probable than not‘, the burden is discharged, but if the probabilities are equal, it is not“.10 2. Beweislastverteilung Was die Beweislastverteilung (burden of proof) anbelangt, wird zwischen persuasive burden und evidential burden differenziert. Evidential burden (auch burden of adducing evidence) regelt die Zulassung der Partei zur Beweisführung; persuasive burden (auch ultimate burden oder legal burden) etwa das legal professional privilege. Vgl. dazu Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 2.31 ff. 4 Blackstone’s Civil Practice 2011, Rn. 47.1. 5 Phipson on Evidence-Bagshaw, 2010, Rn. 7-03. 6 Blackstone’s Civil Practice 2011, Rn. 47.3. 7 Blackstone’s Civil Practice 2011, Rn. 47.4. 8 Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 31.03. 9 Vgl. dazu Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 31.17 ff. 10 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-54.
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verteilt das Risiko der Nichterweislichkeit.11 Der evidential burden ist nicht statisch einer bestimmten Partei zugewiesen. Vielmehr wechselt er zwischen den Parteien hin und her. Demgegenüber ist von Anfang an feststellbar, welche Partei den persuasive burden trägt, „remaining unchanged throughout the trial exactly where the pleading places it, and never shifting“.12 Den hinund herwandernden evidential burden trägt im Ausgangspunkt zunächst die Partei, der auch der persuasive burden zugewiesen ist. 13 Der persuasive burden wiederum ist der Partei zugewiesen „who substantially asserts the affirmative of the issue“. 14 Der evidential burden einer Seite ist jeweils erfüllt, wenn entweder die beweisbelastete Partei selbst den Beweis geführt hat oder mit Hilfe eines Beweismittels des Gegners, insbesondere durch Vernehmung eines gegnerischen Zeugen, die Beweisführung gelungen ist.15 Wenn am Ende des trial sämtliche Beweisblöcke abgearbeitet sind und die behauptete Tatsache nicht bewiesen ist, verliert die Partei den Fall, die für die behauptete Tatsache den persuasive burden trägt.16 Diese Differenzierung zwischen den beiden Beweislastbegriffen entstammt historisch dem Richterrecht, den Strukturen des common law und dem dort praktizierten jury-System, die dem Kontinentaleuropäer nicht ohne Weiteres eingängig sind. In einem ersten Schritt prüft der Richter, ob die von der einen Seite behaupteten Tatsachen und angebotenen Beweismittel überhaupt derart beschaffen sind, dass sie der jury eine hinreichende Wahrscheinlichkeit vermitteln können. Es findet also in gewissem Umfang eine dem kontinentaleuropäischen System grundsätzlich fremde, antizipierte Beweiswürdigung statt. 17 Erst wenn der Richter sowohl die Tatsachen als auch die Beweise zugelassen hat, der evidential burden der einen Seite also erfüllt ist, findet die eigentliche Beweisaufnahme statt, im Rahmen derer für die Frage der Erweislichkeit der persuasive burden gilt. Der evidential burden regelt also das Risiko der Zulassung zum Beweis und der persuasive burden das Risiko der Nichterweislichkeit. Sollten die Behauptungen und Beweismittel der einen Seite zum Beweis zugelassen und auch für erwiesen erachtet sein, wechselt der evidential burden auf die andere Seite über, das heißt für die Behauptungen und Beweismittel der anderen Seite gelten die erläuterten zwei Schritte mit den korrelierenden Lasten entsprechend.18 Dieses Hin- und HerwechPhipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-02. Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-06. Cross meint demgegenüber, dass es in der Rechtsprechung durchaus auch Fälle eines „shifting“ dieses „burden“ gebe, vgl. Cross and Tapper on Evidence, 1995, S. 81. 13 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-03, 6.06. 14 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-06. 15 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-03. 16 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-06. 17 Schröder, Beweisrecht, 2007, S. 220. 18 Vgl. zu alldem Habscheid, in: FS Baumgärtel, 1990, S. 105, 115–117. 11 12
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seln zwischen beiden Seiten wiederholt sich solange, bis entweder eine Seite ihren burden nicht erfüllen kann oder bis die andere Seite keine entgegenstehenden Einwände oder Beweismittel mehr vortragen kann. Obgleich es im englischen Zivilprozess selbst fast keine Prozesse mit einer juryBeteiligung mehr gibt,19 ist es bei diesem Verfahren geblieben. 3. Tatsachenvermutungen und Rechtsvermutungen Ähnlich wie im deutschen Recht existieren auch im englischen Recht Tatsachenvermutungen und Rechtsvermutungen (presumptions of fact and law), die ihrerseits jeweils widerlegbar (rebuttable) und unwiderlegbar (irrebuttable) sein können. 20 In der Regel handelt es sich um widerlegbare Vermutungen. 21 Sie haben keinen Einfluss auf den evidential oder den persuasive burden of proof.22 Die Tatsachenvermutung beschreibt „the readiness of the court to draw certain repeated inferences as a result of common human experience“. 23 Diese Beschreibung erinnert eher an den deutschen Anscheinsbeweis als an die deutsche Tatsachenvermutung. 24 Die Grenze zwischen Rechts- und Tatsachenvermutungen ist im Einzelnen schwer zu ziehen. Rechtsvermutungen basieren auf dem Recht, wohingegen Tatsachenvermutungen auf allgemeiner Lebenserfahrung und gesundem Menschenverstand beruhen.25 Als Rechtsvermutung gilt beispielsweise die Annahme, dass eine Person, von der die Angehörigen und Freunde sieben Jahre lang nichts gehört haben, tot ist.26 4. Beweislastumkehr Der Begriff der Beweislastumkehr (reverse burden of proof) scheint dem englischen Beweisrecht in Zivilverfahren nahezu unbekannt zu sein. In Phipson on Evidence ist nur in den Abschnitten, die das Beweisrecht in Strafverfahren betreffen, ein Hinweis zum reverse burden of proof enthalten,27 bei Schröder gar kein Nachweis. Allerdings findet sich der Begriff in materiellrechtlichen Lehrbüchern, so etwa dem law of tort. 28 Demnach obliege der Nachweis einer negligence zwar dem diese geltend machenden Kläger, allerdings statuiere s. 11 des Civil Evidence Act 1968, dass falls eine Siehe oben, S. 24. Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-16. 21 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-16. 22 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-17. 23 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-17. 24 Vgl. sogleich unten, S. 95 ff. 25 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-18. 26 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-26. 27 Phipson on Evidence-Auburn, 2010, Rn. 6-12-6.15, 6.32-6.48. 28 Winfield & Jolowicz, Tort, 2006, Rn. 5-80. 19 20
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strafrechtliche Verurteilung vorausgegangen ist, die Beweislast für das Nichtvorliegen einer negligence beim Beklagten liegt. II. Documentary disclosure Der Begriff document wird sehr weit ausgelegt und umfasst: „anything in which information of any description is recorded“,29 also zum Beispiel persönliche Notizen, Aktenvermerke, aber auch Briefe Dritter, die nicht an dem Rechtsstreit beteiligt sind,30 sowie elektronische Dokumente und Audio- und Videomaterial. 31 Von besonderer Bedeutung sind gegenwärtig insbesondere die elektronischen Dokumente, zu denen neben E-Mails und Kurznachrichten mittels Mobiltelefonen auch Datenbanken sowie solche Dokumente gehören, die zwar gelöscht worden sind, sich aber noch auf einem Server oder einem sonstigen back up-System befinden. 32 Art und Umfang der disclosureAnordnung hängt von dem Verfahrenspfad ab, dem das Verfahren zugewiesen wird. Im Folgenden ist daher zu klären, wie die Sachverhaltsaufklärung auf den verschiedenen Verfahrenspfaden jeweils abläuft. 1. Der Verfahrenspfad fast track Der Richter weist einen Fall dem fast track und damit dem county court zu, wenn er nicht unter die Bestimmungen des small claim track fällt, einen Gegenstandswert von bis zu 25.000 GBP hat, wenn zudem das trial voraussichtlich nicht länger als einen Tag dauern und sich der Sachverständigenbeweis auf einen Sachverständigen pro Partei und Bereich beschränken wird.33 Er bietet ein Verfahren für Fälle mittleren Umfangs, die die detaillierte Vorbereitung der großen Fälle nicht erfordern und die stattdessen in einem kurzen Zeitfenster verhandelt werden können, das den Parteien einerseits genügend Zeit gibt, den Fall vorzubereiten, andererseits aber einer Prozessverschleppung vorbeugt. 34 Das Gericht erteilt seine verfahrensleitenden Anordnungen in der Regel zum Zeitpunkt der Zuweisung zu einem
CPR 31.4. Schlosser, JZ 1991, S. 599, 601. 31 Blackstone’s Civil Practice, 2011, Rn. 48.10. Vgl. hierzu Practice Direction 31 B – Disclosure of Electronic Documents. 32 Blackstone’s Civil Practice, 2011, Rn. 48.11. Vgl. ausführlich zu den durch die sogenannte e-disclosure verursachten Problemen Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.64 ff. und Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Kapitel 7 sowie Jackson, Preliminary Report, 2009, S. 373 ff. Zu den datenschutzrechtlichen Problemen der e-disclosure vgl. Scheben/Klos/Geschonneck, CCZ 2012, S. 13 ff. 33 Wobei es maximal zwei Bereiche geben darf, in denen ein Sachverständigenbeweis erforderlich ist; vgl. CPR 26.6(4) und(5). 34 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 26.01. 29 30
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track.35 Mit Zuweisung zu einem track gibt der Richter einen Zeitplan vor, der das trial spätestens 30 Wochen nach Zuweisung vorsieht. 36 Zugleich ordnet er an, welche Schritte die Parteien bis zum trial zu unternehmen haben.37 Dazu gehören insbesondere Anordnungen hinsichtlich der Dokumentenvorlage (documentary disclosure), des Austauschs von schriftlichen Zeugenerklärungen (witness statements) sowie der Einholung von Sachverständigengutachten (expert evidence).38 Im fast track-Verfahren wird grundsätzlich standard disclosure angeordnet, es sei denn der Richter ist der Auffassung, dass gar keine disclosure erforderlich ist, oder aber er ordnet specific disclosure an. 39 Daneben wird normalerweise der Austausch von schriftlichen Erklärungen aller Zeugen, auf die die Parteien sich jeweils beziehen wollen, sowie der Sachverständigengutachten erfolgen. 40 Idealerweise sollen sich die Parteien jedoch auf einen gemeinsamen Sachverständigen (single joint expert) einigen. Neben diesen Anordnungen werden die Parteien von dem Richter zur Vorbereitung des trial einen sogenannten listing questionnaire erhalten, der auch als pre-trial checklist bezeichnet wird, verbunden mit der Aufforderung, diesen ausgefüllt innerhalb einer bestimmten Frist, die spätestens acht Wochen vor dem trial endet, zurückzusenden.41 Kommen die Parteien dieser Aufforderung nicht nach, so kann das Gericht die Klage und die Verteidigung für hinfällig erklären (striking out), vgl. CPR 28.5(3). Kommt nur eine Partei dieser Aufforderung nicht oder nicht vollständig nach, so kann das Gericht nach seinem Ermessen geeignete Maßnahmen treffen. 42 Diese pre-trial checklist enthält unter anderem folgende Erklärungen der Parteien: die Bestätigung, dass die jeweilige Partei alle verfahrensleitenden Anordnungen erfüllt hat oder eine Erklärung darüber, bis zu welchem Zeitpunkt noch nicht befolgten Anordnungen nachgekommen werden wird; die Mitteilung, ob nach Auffassung der Parteien weitere Anordnungen erforderlich sind und ob diese mit der Gegenpartei bereits abgestimmt sind; eine Erklärung, wieviele Zeugen die Partei im trial vernehmen möchte, welche Sachverständigen sie für ihre Beweisführung benötigt sowie Hinweise, ob diese ein Gutachten vorlegen werden bzw. ob diese bereit sind, im trial auszusagen, und ob es sich um einen mit der Gegenseite abgestimmten gemeinsamen Sachverständigen (single joint expert) handelt.43 PD 28, Abs. 2.1. CPR 28.2(4). 37 CPR 28.2(1). 38 CPR 28.3(1). 39 CPR 28.3(2). 40 CPR 28.3(2); Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 26.06 ff. 41 CPR 28.5. 42 CPR 28.5(4). 43 Vgl. Form N170. Vgl. allgemein zur Bedeutung und Handhabung der sogenannten forms: CPR 4 sowie PD 4 – forms. 35 36
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Folgender Zeitplan für die genannten Verfahrensschritte entspricht gem. PD 28, Abs. 3.12 einem typischen fast track-Fall: Disclosure
innerhalb von 4 Wochen
Austausch der schriftlichen Zeugenaussagen
innerhalb von 10 Wochen
Versenden der pre-trial checklist durch das Gericht
innerhalb von 20 Wochen
Zurücksenden der ausgefüllten checklist
innerhalb von 22 Wochen
Verhandlung (trial)
innerhalb von 30 Wochen
Nach Erhalt der zurückgesandten pre-trial checklists erteilt das Gericht, soweit erforderlich, weitere Anordnungen. 44 Ferner kann es nach seinem Ermessen einen Zeitplan für das trial aufstellen. 45 Das Gericht wird ferner anordnen, dass die Parteien innerhalb von vier bis sieben Tagen vor dem trial ein sogenanntes trial bundle bei Gericht zu hinterlegen haben, das sämtliche Dokumente, die als Beweismittel zugelassen werden sollen, und gegebenenfalls ein case summary enthält.46 2. Der Verfahrenspfad multi-track Der multi-track kommt für Verfahren, die nicht dem small claims track oder dem fast track unterfallen, zur Anwendung, 47 d.h. in der Regel für komplexere Klagen mit einem Streitwert von mehr als 25.000 GBP. Er findet vor den Royal Courts of Justice oder vor so genannten civil trial centres statt.48 Wesentliche Unterschiede gegenüber dem fast track sind zum einen, dass die Verfahrensleitung in der Regel ein Vorverfahrensrichter (master oder district judge) übernimmt,49 dass die Möglichkeit einer case management conference (CMC) sowie einer pre-trial review vorgesehen ist50 und dass drittens individuellere verfahrensleitende Anordnungen ergehen können als auf dem fast track.51 Die CMC kann bereits nach Zuweisung auf den multi-track zu nahezu jedem Zeitpunkt des Verfahrens abgehalten werden. 52 Die pre-trial review CPR 28.6(1). CPR 28.4, 28.6(1)(b). 46 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 26.21 f. 47 CPR 26.6(6). 48 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 27.01 f. 49 Civil Court Practice, 2014, Bd. 1, general note CPR 29[2]. 50 CPR 29.3. 51 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 27.12 ff. 52 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 27.07; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 12.62. 44 45
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Kapitel 2: Disclosure in England
kann das Gericht nach Erhalt der zurückgesandten pre-trial checklists anordnen. Sie findet in der Regel vor dem Richter statt, der auch für das trial zuständig ist.53 Ziel der CMC ist es, die wahren Streitpunkte zwischen den Parteien herauszufiltern und Nebenkriegsschauplätze durch striking out oder summarisches Urteil (summary judgment) 54 beizulegen. 55 Das striking out entfaltet im Gegensatz zum summarischen Urteil keine Rechtskraft. 56 Wesentliches Kennzeichen des multi-track ist, dass er sehr viel weniger formalisiert abläuft als der fast track. Der multi-track soll den konkreten Umständen des Falls Rechnung tragen und dem overriding objective zur Durchsetzung verhelfen. Deshalb können auch auf dem multi-track einfachere Fälle, in denen die pre-action protocols beachtet wurden, mit Standardanordnungen und ohne mündliche Anhörungen – ähnlich wie auf dem fast track – abgehandelt werden,57 wohingegen in hochkomplexen Streitigkeiten eine deutlich umfangreichere Prozessleitung, insbesondere anlässlich der CMC und der pre-trial review, erfolgt.58 Hier können individuelle Anordnungen getroffen werden, so zum Beispiel Anordnungen einer specific disclosure (vgl. dazu sogleich) oder einer Zwischenzahlung (interim payment).59 Gesonderte Vorschriften bestehen für die Verfahrensleitung des Handelsgerichts (Commercial Court).60 3. Disclosure auf den Verfahrenspfaden fast track und multi-track Auf den Verfahrenspfaden fast track und multi-track61 gibt es zwei Formen von documentary disclosure: standard disclosure62 und specific disclosure.63 Vgl. Bunge, Zivilprozess, 2005, S. 125; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 12.70. Das summary judgment ergeht nach mündlicher Verhandlung vor dem Vorverfahrensrichter auf einen entsprechenden Antrag einer Partei nebst affidavit, sofern Klage oder Verteidigung keine Aussicht auf Erfolg haben und ein trial nicht rechtfertigen (CPR 24.2), vgl. Bunge, Zivilprozess, 2005, S. 138 f.; M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), S. 310, 324 sowie ausführlich Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 20.01 ff. und Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 9.45 ff. 55 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 27.07. 56 Bunge, Zivilprozess, 2005, S. 126. 57 Vgl. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 12.5 ff. 58 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 27.01. 59 Bei einem interim payment erhält der Kläger in Vorwegnahme des Endurteils bereits einen Teil der von ihm eingeklagten Geldsumme zugesprochen, sofern er bei dem Vorverfahrensrichter einen entsprechenden Antrag stellt, eine eidesstattliche Versicherung (affidavit) abgibt und überwiegende Erfolgsaussichten bestehen (CPR 25.6-25.8), vgl. dazu Bunge, Zivilprozess, 2005, S. 130 ff. sowie ausführlich Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 10.300 ff. und Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 18.04 ff. 60 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 27.39 ff. 61 CPR 31.1(2). 62 CPR 31.6. 63 CPR 31.12. 53 54
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Innerhalb der durch das overriding objective gesetzten Grenzen hat das Gericht Ermessen darüber, ob es eine disclosure-Anordnung erlässt und gegebenenfalls welcher Art und welchen Ausmaßes sie sein soll. 64 Das Erfordernis der Anordnung durch das Gericht ist durch die CPR (wieder) eingeführt worden. Demgegenüber hatte die zuvor bestehende Regelung (RSC, 24, r. 2) vorgesehen, dass die Parteien automatisch ohne vorhergehende richterliche Anordnung innerhalb von 14 Tagen nach Austausch der Schriftsätze alle streitrelevanten Dokumente offenzulegen haben.65 Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass trotz des gegenwärtig bestehenden Erfordernisses einer richterlichen Anordnung in der Praxis de facto oft automatisch eine disclosure auch ohne bzw. schon vor einer entsprechenden Anordnung des Gerichts stattfindet. Dies ist eine Folge der Vorgaben der preaction protocols, die unten näher erläutert werden.66 Bei den Regelungen zur disclosure handelt es sich um disponibles Recht, so dass die Parteien schriftlich einen Verzicht oder eine Beschränkung der disclosure vereinbaren können (CPR 31.5(1)(c)).67 a) Standard disclosure Soweit nichts Gegenteiliges angeordnet ist, bezieht sich eine disclosureAnordnung auf dem Verfahrenspfad des fast track auf den Umfang der standard disclosure.68 Dasselbe gilt für den multi-track, allerdings nur für Verfahren wegen Körperverletzung. Für alle anderen multi-track-Verfahren wurde die grundsätzliche Anordnung der standard disclosure mit Wirkung zum 1. April 2013 auf Empfehlung von Lord Justice Jackson durch die in CPR 31.5(2) bis (8) nunmehr geregelte sogenannte menu option ersetzt. 69 Im Rahmen der standard disclosure sind Unterlagen unter folgenden Voraussetzungen offenzulegen: Erstens muss entweder ihre Offenlegung durch eine einschlägige practice direction 70 vorgeschrieben sein oder ihr Inhalt Bezug zum Vortrag einer der beiden Parteien aufweisen (CPR 31.6). Zweitens müssen sich die Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.17 ff., 15.45 ff., 15.58 ff. Die ursprüngliche Fassung der RSC von 1875 hatte wiederum gerade keine automatische disclosure bzw. discovery – wie sie damals noch hieß – vorgesehen, sondern dem Gericht bei deren Anordnung einen weiten Ermessensspielraum eingeräumt, vgl. RSC, order 31, r. 12, sowie Huber, Modellregeln, 2008, S. 287. 66 S. 55 ff. 67 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.19. 68 CPR 31.5(1) und (2). 69 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.18 ff. 70 Practice directions enthalten Auslegungs- und Interpretationshinweise zur Anwendung der CPR, geben Querverweise und enthalten einige Formulare. Sie wurden ursprünglich durch die Richter am High Court selbst verfasst. Mit Erlass der CPR wurden durch das Lord Chancellor’s Department jedoch zugleich practice directions für die CPR formuliert. Dazu kritisch Jolowicz, 59 (2000) C. L.J., S. 53 ff. 64 65
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Unterlagen gegenwärtig in der Kontrolle der jeweiligen Partei befinden oder in der Vergangenheit befunden haben, das heißt sie müssen entweder in ihrem körperlichen Besitz sein oder die Partei muss ein Recht zum Besitz oder zur Einsicht haben.71 Alternativ ist es ausreichend, wenn der Partei das Recht zusteht, Kopien der Unterlagen anzufertigen.72 Die dritte Voraussetzung ist, dass die Unterlagen relevant für das streitige Rechtsverhältnis sind.73 Das Verständnis dessen, was unter den Begriff der Relevanz zu fassen ist, hat sich mit der Einführung der CPR grundlegend gewandelt. In der Zeit vor Erlass der CPR wurde die Relevanz von Unterlagen anhand der so genannten Peruvian Guano-Formel 74 überprüft. Im Fall Peruvian Guano war das Gericht der Auffassung, dass die Offenlegung jeglicher Unterlagen verlangt werden könne, „[that] may fairly lead [the party] to a train of enquiry“ sofern sie geeignet waren, entweder die eigene Argumentation zu stützen oder aber die des Gegners zu unterwandern. 75 Erfasst waren daneben auch solche Dokumente, die lediglich Hintergrundinformationen zu dem Rechtsstreit lieferten.76 Dieser Ansatz war Gegenstand häufiger Kritik, weil er dem Missbrauch Tür und Tor öffne. Aufgrund der weitgefassten Peruvian GuanoFormel wurden die Parteien sehr häufig mit Unmengen irrelevanter Unterlagen überschwemmt, die zu lesen und auszuwerten hunderte teurer Anwaltsstunden kostete (nicht selten in doppelter Höhe, weil sowohl der solicitor als auch der barrister involviert waren). 77 Dies war in zweierlei Hinsicht ein nicht selten genutzter Schachzug. Zum einen konnten beispielsweise die wenigen wirklich wichtigen Dokumente in der Schwemme unwichtiger Dokumente gut verborgen werden, so dass die Gefahr, dass die Gegenseite die entscheidenden Unterlagen auffand, erheblich minimiert wurde. Zum anderen konnte die disclosure regelrecht als Waffe eingesetzt werden, da selbst im Fall des Obsiegens die angefallenen Anwaltskosten nicht zwingend vollständig erstattet wurden. Es konnte also ohne Weiteres passieren, dass ein Kläger trotz Prozesssieges nach Beendigung des Prozesses finanziell deutlich schlechter stand als vorher, da die angefallenen Anwaltskosten die eigentliche Klageforderung um ein Vielfaches überstiegen. Deshalb wurde mitunter dem Gegner eine so umfangreiche Papierdokumentation geliefert, dass er seine Klage wegen der immensen auf ihn zukommenden Kosten nicht mehr weiterCPR 31.8(1). CPR 31.8(2). 73 Vgl. zum Relevanzbegriff M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), S. 310, 324; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.48 ff.; Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 26.15 ff. 74 Compagnie Financière et Commerciale du Pacifique v. Peruvian Guano Co (1882) 11 Q.B.D. 55. 75 Compagnie Financière et Commerciale du Pacifique v. Peruvian Guano Co (1882) 11 Q.B.D. 55, 63. 76 So Jolowicz, in: Essays Kerameus, 2009, S. 535, 538. 77 M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), S. 310, 323. 71 72
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verfolgen wollte, sich auf für ihn nachteilige Vergleichsabschlüsse einließ oder aber von vornherein gar nicht Klage erhob, weil er schon aus dem vorprozessualen Schriftverkehr wusste, dass er die Menge der offengelegten Unterlagen kostenmäßig nicht würde bewältigen können.78 Die CPR sollten diesem Missstand durch Reduzierung der immensen Kosten und Verkürzung der überlangen Verfahrensdauer abhelfen, um so eine gerechtere und verhältnismäßigere Lösung herbeizuführen. Die standard disclosure wurde daher auf die unmittelbar relevanten Dokumente beschränkt. Die Offenlegung bloß mittelbar relevanten Materials kann hingegen im Rahmen der standard disclosure grundsätzlich nicht mehr verlangt werden. 79 Darüber hinaus ergeben sich aus dem overriding objective weitere Beschränkungen dergestalt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein muss, die Vorteile der disclosure also gegenüber den Nachteilen (Kosten und Aufwand) überwiegen müssen. Auch die Ablösung der automatic disclosure durch das Erfordernis einer richterlichen Anordnung sowie die Differenzierung nach standard disclosure und specific disclosure sollten das Verfahren entschlacken. Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hinzuweisen, dass in der Praxis wegen der pre-action protocols gleichwohl in der Regel eine automatische Offenlegung, jedenfalls im Umfang der standard disclosure, erfolgt.80 Die Verpflichtung zur Urkundenoffenlegung bleibt während des gesamten Prozesses bestehen. 81 Sobald eine Partei Kenntnis von der Existenz eines Dokuments erlangt, das die obigen Kriterien erfüllt, muss sie es offenlegen. 82 Die Parteien müssen zumutbare Recherchen nach relevanten Unterlagen anstellen.83 Der Maßstab der reasonableness bezieht sich dabei auf die Anzahl der Unterlagen, die Komplexität des Verfahrens, den Aufwand und die Kosten für die Beschaffung der Unterlagen sowie den Grad an Wahrscheinlichkeit, dass die Dokumente im Rahmen der Suche aufgefunden werden.84 b) Specific disclosure Sofern eine specific disclosure – insbesondere in multi-track-Verfahren – von einer Seite begehrt wird, wird sie in der Regel – nicht zuletzt auch wegen des overriding objective – erst angeordnet, nachdem die standard disclosure einschließlich der Einsichtnahme erfolgt ist.85 Sie wird angeordnet, wenn das Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 1.03. Three Rivers District Council v. Bank of England (No 4) [2003] W.L.R. 210, Rn. 27. 80 S. 49 sowie ausführlich S. 55 ff. 81 CPR 31.11(1). 82 CPR 31.11(2). 83 CPR 31.7(1). 84 CPR 31.7(2). 85 Blackstone’s Civil Practice, 2011, Rn. 48.30. 78 79
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Gericht Zweifel hat, dass sämtliche offenzulegenden Unterlagen bezeichnet worden sind oder dass die Suche nach den Unterlagen im erforderlichen Umfang vorgenommen worden ist. 86 In diesem Fall kann das Gericht eine Anordnung dahingehend erlassen, wie mit spezifischen Problemen des Falles umgegangen werden soll. Welche Unterlagen bei Anordnung der specific disclosure vorzulegen sind, ist nicht unstreitig, da die CPR hierzu schweigen. Grundsätzlich denkbar ist im Rahmen der specific disclosure auf dem Pfad des multi-track die Anordnung von „train of inquiry“-Dokumenten nach der alten Peruvian Guano-Formel.87 Nach Auffassung von Zuckerman ist allerdings nur unter außergewöhnlichen Umständen, wie etwa bei Verdacht erheblichen Betrugs, die Anordnung der specific disclosure im Umfang des früher relevanten Peruvian Guano-Tests angebracht.88 Demgegenüber berichtet Hollander, dass zunehmend Anordnungen der specific disclosure stattfänden, denen der Peruvian Guano-Relevanztest zugrunde liegt.89 c) Offenlegung und Einsichtnahme Die disclosure ist ein zweistufiges Verfahren. Im ersten Schritt obliegt es den Parteien, die Existenz der betreffenden Unterlagen offenzulegen, indem sie eine Liste mit den relevanten Dokumenten in sinnvoller Reihenfolge und mit einer möglichst präzisen Benennung erstellen. 90 Die Parteien müssen dabei angeben, ob die jeweiligen Unterlagen zur Einsicht zur Verfügung gestellt werden oder ob ein so genanntes privilege bezüglich konkreter Dokumente geltend gemacht wird.91 Ferner muss für den Fall, dass ein Dokument nicht zur Verfügung gestellt werden kann, ein Grund dafür angegeben werden, sei es, dass das Dokument nicht aufgefunden werden konnte, sei es, dass aus näher auszuführenden Gründen Nachforschungen gar nicht erst erfolgt sind.92 Darüber hinaus muss durch die Partei und ihren solicitor ein disclosure statement (eine Offenlegungserklärung) abgegeben werden. 93 Dieses muss zum einen bestätigen, dass die Partei eine ordnungsgemäße Suche vorgenommen hat und alle relevanten Dokumente aufgelistet hat, und zum anderen näher darlegen, welche Nachforschungen die Partei angestellt hat.94
Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.58. Blackstone’s Civil Practice, 2011, Rn. 48.18 a.E. 88 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.62. 89 Hollander, Disclosure, 2004, S. 151, 154. 90 CPR 31.10(2)(3)(4). 91 Vgl. dazu sogleich unten, S. 65 ff. 92 Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 26.32. 93 CPR 31.10(5). 94 Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 26.32. 86 87
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Im zweiten Schritt hat jede Partei der jeweils anderen Seite auf ihr Verlangen hin zu gestatten, Einsicht in die aufgelisteten Unterlagen, für die kein Privileg geltend gemacht wurde, zu nehmen.95 4.
Der Verfahrenspfad small claims track
Im small claims-Verfahren mit einem grundsätzlichen Streitwert bis zu GBP 10.000 96 finden die Vorschriften über die disclosure keine Anwendung. 97 Stattdessen wird das Gericht normalerweise eine eingeschränkte Form der Urkundenoffenlegung durch Standardanordnungen verfügen: 98 Demgemäß muss jede Partei der anderen Seite bis spätestens 14 Tage vor der Verhandlung Kopien derjenigen Dokumente offenlegen, auf die sie ihren Angriff oder ihre Verteidigung zu stützen beabsichtigt.99 Solche Dokumente können zum Beispiel bereits eingeholte Sachverständigengutachten, schriftliche Zeugenaussagen, Skizzen, Photographien, Rechnungen, Schadensschätzungen oder Vertragsdokumente sein. 100 Die Einholung von Sachverständigengutachten bedarf einer gesonderten Anordnung des Gerichts.101 III. Andere Formen der disclosure Neben der documentary disclosure gibt es drei weitere Formen der disclosure: Informationsgesuche, Inaugenscheinnahme von Gegenständen und Zugang zu Zeugenaussagen bereits vor dem trial.102 1. Information request Einem Gesuch auf Informationserteilung (information request) kann gem. CPR 18 durch das Gericht stattgegeben werden, wenn eine zuvor an den Gegner gerichtete Anfrage einer Partei unbeantwortet geblieben ist. Entspricht das Gericht dem Antrag, so verfügt es, dass der Gegner dem Antragsteller die begehrten Details und Klarstellungen liefern muss. 103 Der Antragsteller hat dabei Anspruch auf Informationen, die relevante Tatsachen betreffen, die er zur Untermauerung seines Angriffs oder seiner Verteidigung benötigt, sofern keine Einwendungen (objections to requests) bestehen.104 Die CPR 31.3(1). CPR 26.6 (3). 97 CPR 27.2(1)(b). 98 PD 27, appendix A. 99 PD 27, appendix A, form A 1. 100 PD 27, appendix A, form B 1, C 1. 101 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 25.06 ff. 102 Vgl. hierzu ausführlich Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 20.01 ff. und 23.01 ff. 103 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 20.04. 104 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 20.06, 20.33 ff. sowie zu den objections to requests, die über die privileges hinausgehen, ausführlich Rn. 20.38 ff. und 20.76 f. 95 96
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gerichtliche Verfügung kann zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens ergehen. Gem. CPR PD 18 1.1 wird von der Partei jedoch erwartet, dass sie zuvor der anderen Partei einen preliminary request for further information or clarification übersandt hat, im Rahmen dessen sie sich um die Erteilung der Information bereits bemüht hat. Bei dem preliminary request for further information or clarification hat die informationssuchende Partei klarzustellen, dass das Auskunftsbegehren gem. CPR 18 erfolgt.105 Der Gegner hat seine Antwort mit einem statement of truth zu versehen.106 Auf dem small claims track findet CPR 18 keine Anwendung, allerdings kann das Gericht hier aus eigener Initiative eine Partei auffordern, weitere Informationen zu erteilen.107 Sehr häufig kommen Anordnungen gem. CPR 18 auf dem multi-track zum Einsatz. In der Praxis gibt es kaum Entscheidungen, die sich mit umstrittenen Anordnungen nach CPR 18 befassen, obwohl von ihnen sehr rege Gebrauch gemacht wird. Dies führen Matthews/Malek zum einen darauf zurück, dass sie in der Regel von den Parteien weitgehend anstandslos befolgt werden, zum anderen darauf, dass es sich bei ihrer Anordnung um Ermessensentscheidungen des erstinstanzlichen Gerichts handelt, die anzugreifen nicht sehr erfolgversprechend ist.108 Vorläufer von CPR 18 waren zum einen die früheren requests for further and better particulars sowie die interrogatories, denen zufolge seit dem Jahr 1875 eine Partei ohne Beteiligung des Gerichts zu einem bestimmten Zeitpunkt – bzw. im Fall der Anordnung durch das Gericht zu jedem beliebigen Verfahrenszeitpunkt – der Gegenseite schriftliche Fragebögen übermitteln konnte, die diese durch affidavit, also unter Eid bzw. an Eides Statt, beantworten musste. In der Folgezeit schränkte das englische Recht jedoch schon bald – im Jahr 1892 – den Anwendungsbereich der interrogatories dahingehend ein, dass es ihren Gebrauch in allen Fällen von der gerichtlichen Gestattung abhängig machte.109 2. Augenscheinsobjekte Mit einem Antrag auf Zugang zu Augenscheinsobjekten vor der Hauptverhandlung kann der Antragsteller das Gericht um Untersuchung von Gegenständen des Gegners (einschließlich der Entnahme von Proben), medizinische Untersuchung einer Person sowie um Einsichtnahme in Pläne ersuchen.110
CPR PD 18 1.5(1). CPR 22.1(1)(b). 107 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 20.04, 20.22. 108 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 20.05. 109 Vgl. zu alldem Jolowicz, in: Essays Kerameus, 2009, S. 535, 540. 110 Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 23.01. 105 106
B. Vorprozessualer Informationszugang
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3. Zeugenvernehmung vor dem trial Ebenfalls dem Recht der equity-Gerichte entstammt die Idee der depositions, die ab dem 19. Jahrhundert auch im common law zugelassen waren. Wo es für die Gewährung von Rechtsschutz erforderlich war, konnte das Gericht anordnen, dass ein bestimmter Zeuge bereits vor dem trial vernommen wurde. Anwendungsfälle waren Unvermögen des Zeugen, im trial zu erscheinen, etwa wegen Auslandsaufenthalts oder Krankheit.111 Die Formulierung in den CPR zu evidence by deposition ist demgegenüber sehr viel großzügiger gehalten und gewährt den Parteien ganz allgemein das Recht, die Vernehmung einer Person bereits vor dem trial zu beantragen.112 Das Gericht scheint hier ein breites Ermessen zu haben, in der Literatur wird jedoch die Vermutung geäußert, dass es trotz des Wortlauts der einschlägigen Vorschriften der CPR 34.8-34.11 nicht zu einer nennenswerten Ausdehnung gegenüber den alten depositions kommen wird.113
B. Vorprozessualer Informationszugang Lord Woolf war in seinem Bericht „Access to Justice“ zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorprozessuale Phase an Bedeutung gewinnen müsse.114 Diese Erkenntnis führte zu zwei wesentlichen Änderungen: zum einen zur Einführung der pre-action protocols; zum anderen zur Verankerung einer relativ weit reichenden vorprozessualen disclosure für sämtliche Klageverfahren.115 I.
Pre-action protocols
1. Ziel Die vorprozessualen Verfahrensprotokolle (pre-action protocols) enthalten Empfehlungen für eine gute vorprozessuale Vorgehensweise (Code of good practice), deren Einhaltung von den Gerichten erwartet wird. 116 Sie sollen einen frühzeitigen und umfassenden Informationsaustausch zwischen den Parteien ermöglichen mit dem Ziel der Prozessvermeidung oder -verkürzung.117 Die künftigen Prozessparteien sollen jeweils erhärten können, ob ihre
So Jolowicz, in: Essays Kerameus, 2009, S. 535, 541. CPR 34.8(1). 113 So Jolowicz, in: Essays Kerameus, 2009, S. 535, 541. 114 Final Report, S. 107. 115 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.108 f. 116 Vgl. PD (Pre-action conduct), 1.1. 117 Andrews, Civil Processes, 2013, Rn. 4.03. 111 112
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Angriffs- oder Verteidigungslinie überhaupt Aussicht auf Erfolg hat, so dass es gegebenenfalls gar nicht erst zum Prozess kommt. 118 Sofern dennoch Klage erhoben wird, soll der frühe Informationsaustausch einen Vergleichsabschluss auf informierter Grundlage, jedenfalls aber einen effizienten Verfahrensablauf für Parteien und Gericht ermöglichen. 119 Die Protokolle skizzieren umfassend die einzelnen Schritte, welche die Parteien in puncto Informationsaustausch unternommen haben sollten, bevor sie Klage erheben.120 Da es sich bei den in den practice directions enthaltenen Verfahrensprotokollen jedoch regelungstechnisch nur um einen Kodex von Empfehlungen handelt, sind diese nicht rechtsverbindlich und damit nicht im eigentlichen Sinne durchsetzbar und erzwingbar. Allerdings wird für ihre Einhaltung dadurch ein Anreiz geschaffen, dass eine etwaige Nichtbeachtung im Rahmen der Verfahrensleitung (zum Beispiel durch Verweigerung einer beantragten Fristverlängerung oder Ausklammerung bestimmter Streitpunkte) sowie der Kostenentscheidung (in Abweichung vom Grundsatz der Unterliegendenhaftung bzw. durch Verurteilung zur Kostenerstattung auf indemnity-Basis121) negativ zu Lasten der sich nicht konform verhaltenden Partei berücksichtigt werden kann.122 2. Bisherige Anwendungsgebiete für pre-action protocols Bislang gibt es in folgenden Bereichen, die als besonders zeit- und kostenintensiv erachtet werden, Verhaltensprotokolle für eine gute Prozessvorbereitung:123 – – – – –
bei Ansprüchen wegen Körperverletzung (personal injury) bei Ansprüchen mit geringem Streitwert wegen Körperverletzung infolge von Verkehrsunfällen (low value personal injury claims in road traffic accidents) bei Ansprüchen mit geringem Streitwert wegen Körperverletzung gegenüber dem Arbeitgeber und der öffentlichen Hand (low value personal injury claims (employers’ and public liability)) im Arzthaftungsrecht (resolution of clinical disputes) bei bau- und ingenieursrechtlichen Streitigkeiten (construction and engineering disputes)
Vgl. PD (Pre-action conduct), 6.1. Vgl. PD (Pre-action conduct), 1.1, 6.1. 120 Vgl. PD (Pre-action conduct), 7.1 und Annex A (für die Verfahren, für die kein spezielles pre-action protocol Anwendung findet) sowie im Einzelnen die derzeit bestehenden spezifischen pre-action protocols. 121 Dazu sogleich unten, S. 74 ff. 122 CPR 44.3 (5) (a) sowie PD (Pre-action conduct), 4.6. 123 Abgedruckt in Civil Court Practice 2014, Bd. 1, S. 2727 ff. 118 119
B. Vorprozessualer Informationszugang
– – – – – – – –
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bei Ansprüchen wegen Beleidigung und Verleumdung (defamation) in Haftungsfällen von Berufsträgern (professional negligence) bei Klagen gegen die öffentliche Hand (judicial review) bei Ansprüchen wegen Erkrankung (disease and illness claims), bei Ansprüchen wegen Baufälligkeit der Unterkunft (housing disrepair), bei Herausgabeansprüchen wegen Mietrückständen ( possession claims based on rent arrears) bei Herausgabeansprüchen wegen Zahlungsrückständen bei Hypotheken (possession claims based on mortgage arrears) sowie bei Schadensersatzansprüchen wegen Verschlechterung der Mietsache bei Gewerbeimmobilien (claims for damages in relation to the physical state of commercial property at termination of a tenancy (dilapidations protocol)).
3. Typischer Ablauf des erwarteten frühen Informationsaustauschs Die meisten Protokolle zielen auf einen schriftlichen Informationsaustausch. Das Protokoll für bau- und ingenieursrechtliche Streitigkeiten sieht ein vorprozessuales Treffen innerhalb von 28 Tagen nach Erhalt des Antwortschreibens des künftigen Beklagten vor, im Rahmen dessen die jeweilige Ursache der strittigen Punkte zu klären ist und der Versuch unternommen werden soll, die Differenzen auch ohne Inanspruchnahme der Gerichte aus dem Weg zu räumen und für den Fall des streitigen Verfahrens bereits im Vorfeld eine Einigung über die Einbeziehung von Sachverständigen und den Umfang der disclosure zu erzielen.124 Auch in den Bereichen, für die es kein spezielles Verhaltensprotokoll gibt, erwartet das Gericht von den Parteien nicht zuletzt auf Grund des overriding objective ein umsichtiges Verhalten im Hinblick auf einen frühen Informationsaustausch. 125 Diese Sichtweise hat Lord Woolf in Ford v. GKR Construction Ltd bestätigt.126 Sehr bewusst wurde allerdings auf ein general preaction protocol für all diejenigen Fälle, die nicht bereits durch ein spezielles Protokoll abgedeckt sind, verzichtet. Ein solches hatte zwar das englische Justizministerium im Jahr 2001 vorgeschlagen, um einer Zersplitterung des Verfahrensrechts entgegenzuwirken. Man entschied sich jedoch gegen seine 124 Leipold, Oral and written elements within the introductory phase of civil procedure, S. 4., abrufbar unter: , zuletzt abgerufen am 30.5.2011. Vgl. zur Problematik der bisher in der Praxis regelmäßig fehlenden Sanktionierung Zuckerman, Court Management, 2010, S. 1, 13 f., sowie Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 437 sowie unten, S. 60. 125 Vgl. Pre-action Protocol for personal injury claims, 2.4: „In accordance with the spirit of the civil justice reforms, the court will expect to see the spirit of reasonable preaction behaviour applied in all cases, regardless of the existence of a specific protocol“. 126 Ford v. GKR Construction Ltd (2000) 1 All E.R. 802, 810.
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Verankerung, da man es für mit dem overriding objective, das für unterschiedliche Rechtsbereiche ein hohes Maß an Flexibilität gewährleisten soll, nicht vereinbar erachtete.127 Stattdessen bleibt es bei den allgemeinen Vorgaben der PD (pre-action conduct), die jeweils nach den konkreten Umständen anzuwenden und gegebenenfalls zu modifizieren sind. Vor Klageerhebung soll im Normalfall der potentielle Kläger dem potentiellen Beklagten in einem Schreiben seine Ansprüche im Einzelnen unter Beifügung aller wesentlichen Dokumente darlegen und begründen sowie weitere relevante Dokumente, die er im Besitz des Anspruchsgegners vermutet, benennen und gegebenenfalls anfordern sowie etwaige Vorschläge zu einer außergerichtlichen Streitbeilegung (ADR) unterbreiten. 128 Der potentielle Beklagte hat den Erhalt dieses Schreibens dem Anspruchsteller unverzüglich (innerhalb von 14 Tagen) zu bestätigen und dem potentiellen Kläger mitzuteilen, ob eine Versicherung an dem Fall beteiligt sein wird, ob er noch weitere Informationen benötigt, um seine full response zu geben, sowie ein Datum zu nennen, zu dem letztere erwartet werden kann. 129 Sofern er einen Anwalt konsultieren möchte und deshalb nicht innerhalb von 14 Tagen antwortet, hat er dies unter Nennung einer neuen Frist mitzuteilen. 130 Sodann soll der Beklagte sich innerhalb einer angemessenen Zeit dazu äußern, ob er den geltend gemachten Anspruch ganz oder teilweise anerkennt. Ist dies nicht der Fall, hat er eine detallierte und begründete schriftliche Erwiderung unter präziser Angabe von Gründen abzugeben. Dabei hat er Stellung zu beziehen, welche der vom potentiellen Kläger genannten Fakten er für zutreffend erachtet und welche er bestreitet. Ferner hat er alle relevanten Dokumente aufzuführen, auf die er sich bezieht, und Kopien der vom Anspruchsteller angeforderten Dokumente zu übermitteln oder etwaige Weigerungsgründe anzugeben. Schließlich muss er zu den ADR-Vorschlägen Stellung beziehen, gegebenenfalls eine Widerklage ankündigen und um Vorlage derjenigen relevanten Unterlagen bitten, die er seinerseits sehen möchte.131 Nachdem der potentielle Kläger dieses Schreiben, insbesondere unter Bereitstellung der geforderten Kopien beantwortet hat, sollen die Parteien idealerweise in der
127 Civil Justice Council, General Pre-Action Protocol and Practice Direction on Protocols, Response to Consultations vom 8.10.2008, S. 6: „The prevailing view expressed was that creating a ,one size fits all‘ protocol for situations where there is no specific protocol might give rise to more problems than solutions.“, abrufbar unter: , zuletzt abgerufen am 22.10.2014. 128 PD (Pre-action conduct) Annex A 2.1 und 2.2. 129 PD (Pre-action conduct) Annex A 3.1 und 3.2. 130 PD (Pre-action conduct) Annex A 3.5. 131 PD (Pre-action conduct) Annex A 4.1-4.4.
B. Vorprozessualer Informationszugang
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Lage sein, den Streit beizulegen, jedenfalls aber die wahren Streitpunkte zu erkennen, was kostenvermeidend wirken soll.132 4. Besonderheiten bei personal injury claims Das pre-action protocol for personal injury claims, das insbesondere auf Verfahren wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung bei Verkehrsunfällen und Arbeitsunfällen Anwendung findet, ist auf künftige fast track-Verfahren zugeschnitten, soll aber sinngemäß auch für multi-track-Verfahren gelten, bei denen ebenfalls ein „,cards on the table‘ approach“ erwartet wird.133 Folgende Besonderheiten gegenüber dem oben bereits beschriebenen Ablauf bestehen in diesen Fällen: Die Parteien sollen sich auf einen Sachverständigen einigen, der den potentiellen Kläger sodann begutachtet und dem der Beklagte Fragen stellen kann. Weitere Sachverständigengutachten sollen – soweit erforderlich – erst nach Klageerhebung und nur mit Erlaubnis des Gerichts eingeholt werden.134 Die offenzulegenden Dokumente sind in Annex B des Protokolls im Einzelnen sehr detailliert nach Sachverhaltskategorien aufgeführt. Das Gericht erwartet von den Parteien, dass sie das Gerichtsverfahren nur als letzten Ausweg wählen und zuvor im Wege der Verhandlung, gegebenenfalls unter Einbeziehung eines Mediators oder eines neutralen Dritten, versucht haben, ihre Differenzen beizulegen. 135 Keine näheren Angaben finden sich allerdings zum Austausch von witness statements, die aber gerade bei Arbeits- und Verkehrsunfällen eine nicht unerhebliche Rolle spielen dürften. 5. Bedeutung der pre-action protocols für die disclosure Für die disclosure sind die vorprozessualen Protokolle von großer Bedeutung. Denn selbst wenn eine disclosure im Prozess nicht angeordnet wird, wird eine Partei vorprozessual, wenn sie die pre-action protocols einhalten will, das meiste für den Prozess relevante Material bereits offengelegt haben, bevor sie überhaupt weiß, ob es später im Prozess zu einer disclosureVerfügung kommen wird. Daraus können sich als negative Konsequenzen Kostenprobleme und ein sogenanntes front loading 136 des Rechtsstreits er-
PD (Pre-action conduct) Annex A 5 und 6. Pre-action Protocol for personal injury claims, 2.4. 134 Pre-action Protocol for personal injury claims, 2.14. 135 Pre-action Protocol for personal injury claims, 2.16. 136 Mit dem Begriff des front loading wird eine Verlagerung des Rechtsstreits in die vorprozessuale Phase bezeichnet, in der ein zeitintensiver und teurer Informationsaustausch stattfindet, der, so die Kritiker, auf die Vorbereitung eines aufwendigen Gerichtsverfahrens ausgerichtet ist. Zu diesem Gerichtsverfahren komme es aber in der Vielzahl der Fälle, die durch Vergleichsabschluss enden, gar nicht, vgl. Loughlin/Gerlis, Civil Procedure, 2004, S. 77 f. 132 133
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geben. Zwar wird das eigentliche Gerichtsverfahren durch die Einführung der pre-action protocols verkürzt, da ein umfassender Informationsaustausch bereits stattgefunden hat und so ein zielführenderes case management möglich ist. Allerdings wird aus der Praxis berichtet, dass eine außergerichtliche Einigung später zustandekommt als vor Erlass der CPR, weil viele Anwälte den Abschluss des Protokollverfahrens abwarten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, einen Vergleich ohne Kenntnis sämtlicher im Rahmen des Protokollverfahrens gegebenenfalls noch aufzudeckender Tatsachen abgeschlossen zu haben.137 Eine große Herausforderung, die der Einsatz der pre-action protocols mit sich bringt, ist, dass das unten138 im Einzelnen dargestellte Verbot des Ausforschungsbeweises (fishing expedition) nicht umgangen wird.139 Diese Gefahr besteht indes, wenn es einer zukünftigen Partei möglich ist, der anderen Seite in die Karten zu sehen, bevor überhaupt Klage erhoben worden ist, geschweige denn der Klagegegenstand und der Umfang der Verteidigung klar umrissen sind. Daher kann konsequenterweise von den Parteien auch nur verlangt werden, dass sie die Unterlagen vorlegen, die unmittelbar den geltend gemachten Angriff oder die geltend gemachte Verteidigung stützen. 6. Erfahrungen der Praxis mit den pre-action protocols Schriftlichen Umfragen bei den Mitgliedern des Commercial Litigators Forum in der zweiten Jahreshälfte 2008 zufolge geben mehr als 90 Prozent der befragten Praktiker an, mit einer Kostensanktion für mangelnde Beachtung von pre-action protocols noch nicht in Berührung gekommen zu sein.140 Diese Zahl ist allerdings auch darauf zurückzuführen, dass es für viele Bereiche, mit denen sich die größeren Kanzleien beschäftigen, die in dem Commercial Litigators Forum vertreten sind, insbesondere im Handels- und Gesellschaftsrecht, kein spezielles pre-action protocol gibt.141 Darüber hinaus sind die Gerichte allgemein sehr zurückhaltend mit der Verhängung von Sanktionen bezüglich der von ihnen im Verfahren getroffenen prozesslei-
Engelhardt, Woolf-Reform, 2007, S. 70. S. 71 ff. 139 Das wird auch in den einzelnen Protokollen explizit betont, vgl. zum Beispiel Preaction Protocol for personal injury claims, 2.13. 140 So Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 437. 141 So Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 437. Gerade für den Bereich commercial litigation wird in der Praxis die Auffassung vertreten, dass ein Bedarf für ein pre-action protocol nicht bestehe und auch PD pre-action conduct in diesen Fällen nicht angewendet werden solle, da die Befolgung zeit- und kostenintensiv sei, ohne dass dem ein entsprechender Nutzen gegenüberstünde, vgl. dazu im Einzelnen die Nachweise in Jackson, Final Report, 2010, S. 345 ff. Jackson, Final Report, 2010, S. 354 plädiert noch weitergehend für eine gänzliche Abschaffung der Abschnitte III und IV der PD pre-action conduct. 137 138
B. Vorprozessualer Informationszugang
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tenden Anordnungen.142 Ferner sind die pre-action protocols primär auf den fast track zugeschnitten, wohingegen sich die Befragten eher mit Verfahren des multi-track befassen, auf dem jedoch bereits vor Einführung der preaction protocols eine „cooperative pre-action activity to a greater or lesser extent“ zu beobachten war.143 Allerdings wird auch unabhängig davon berichtet, dass es – solange man eine gewisse Bereitschaft zur Kooperation und zum Informationsaustausch an den Tag legt – schwer sei, im Einzelnen einen Verstoß gegen die protocols nachzuweisen.144 II. Vorprozessuale disclosure Als zweites Mittel des Informationszugangs vor Klageerhebung haben die CPR die Möglichkeit einer vorprozessualen disclosure eingeführt, um einer künftigen Prozesspartei in solchen Fällen zu helfen, in denen die andere Partei ihre Kooperationsbereitschaft unter den pre-action protocols versagt. 145 Gem. CPR 31.16 kann eine Partei, der die zur Klageerhebung notwendigen Unterlagen fehlen, einen Antrag auf Gewährung vorprozessualer disclosure stellen. 1. Vor Inkrafttreten der CPR Vor Inkrafttreten der CPR war ein Antrag auf disclosure vor Klageerhebung grundsätzlich unzulässig. 146 Der Grund für diese Einschränkung war die Angst vor dem Ausforschungsbeweis (fishing expeditions): 147 Denn wenn man einem zukünftigen Kläger zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal eine Klageschrift eingereicht worden ist, Zugang zu Informationen und Unterlagen des Gegners gestattet, besteht die Gefahr, dass die disclosure missbraucht wird, indem auf Basis bloßer Spekulation im gegnerischen Revier Ausforschung betrieben wird. Auf der anderen Seite erkannte man auch, dass unter gewissen Umständen ein potentieller Kläger ohne eigenes Verschulden Informationslücken haben kann, die ihn daran hindern, ein Verfahren überhaupt in Gang bringen zu können. In diesem Sinne war anerkannt, dass derjenige, der einen körperlichen Schaden infolge fehlerhafter ärztlicher Behandlung erlitten hat, seinen Anspruch typischerweise nur dann näher substantiieren kann, wenn er für seine Klagebegründung auf die Kran-
Zuckerman, Court Management, 2010, S. 13 f. So Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 437. 144 So Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 437. 145 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.109. 146 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.108. 147 Vgl. dazu sogleich ausführlich, S. 71 ff. 142 143
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kenakte zurückgreifen kann.148 Deshalb wurde ausnahmsweise in Verfahren wegen Körperverletzung ein vorprozessualer Zugang zur disclosure gestattet.149 2. Nach Erlass der CPR Seit Inkrafttreten der CPR kann ein potentieller Kläger unabhängig von der Art des zu Grunde liegenden Lebenssachverhalts einen Antrag auf vorprozessuale disclosure stellen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) Antragsteller und Antragsgegner sind voraussichtlich („likely to be“) Parteien eines zukünftigen Rechtsstreits (CPR 31.16(3)(a)(b)). (2) Die Unterlagen, deren Offenlegung begehrt wird, sind so beschaffen, dass sie – wenn Klage bereits erhoben worden wäre – von einer Anordnung der standard disclosure erfasst sein würden (CPR 31.16(3)(c)). (3) Die Anordnung vorprozessualer disclosure ist entweder unter dem Aspekt der fairen Verfahrensgestaltung wünschenswert, dient der Vermeidung des erwarteten Streitverfahrens oder führt zu einer Kosteneinsparung (CPR 31.16(3)(d)). Eine Prüfung der Erfolgsaussichten der potentiellen Klage erfolgt nicht, es sei denn der potentielle Beklagte kann nachweisen, dass eine Klage offensichtlich aussichtslos wäre.150 Im Fall Black v. Sumitomo Corp., in dem es um angeblich wettbewerbswidriges Verhalten eines Kupferhändlers ging, entschied Lord Justice Rix, dass es für das Merkmal „likely to be“ nicht darauf ankomme, dass das Entstehen eines Rechtsstreits zwischen den Parteien „more probable than not“ sei. Vielmehr legte er das Merkmal wie folgt aus: „[I]f a proceeding was issued, they would be likely to be parties to this“.151 Darüber hinaus war er der Auffassung, dass der Begriff „likely“ lediglich im Sinne von „may well“ auszulegen sei.152 In Snowstar Shipping Company Limited v. Graig Shipping Plc unterzog Justice Morison die potentielle Klage einer „credibility“Prüfung.153
Black v. Sumitomo Corp. [2002] 1 W.L.R. 1562; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.108. 149 Administration of Justice Act 1969, s. 21(1) i.V.m. RSC, Ord. 24, r. 7A. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.108 ff. 150 Total E & P Soudan SA v. Edmonds [2007] EWCA Civ 50, zitiert nach Blackstone’s Civil Practice 2011, Rn. 48.72. 151 Black v. Sumitomo Corp. [2002] 1 W.L.R. 1562, Rn. 71. 152 Black v. Sumitomo Corp. [2002] 1 W.L.R. 1562, Rn. 72. 153 Snowstar Shipping Company Limited v. Graig Shipping Plc, Fortis Bank, [2003] EWHC 1367 (Comm), Rn. 32 f. 148
B. Vorprozessualer Informationszugang
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Nach dem Wortlaut der CPR sowie den obigen Ausführungen im Fall Black v. Sumitomo käme eine vorprozessuale disclosure in nahezu allen Fällen in Betracht, in denen die Beteiligten wahrscheinlich (im Sinne von „may well be“) Parteien eines künftigen Rechtsstreites werden, sofern die begehrten Unterlagen von einer standard disclosure erfasst wären. Als begrenzendes Element stünde allein das Erfordernis zur Verfügung, dass die disclosure wünschenswert ist, weil sie der Streitvermeidung oder der fairen Verfahrensgestaltung dient bzw. zu einer Kostenersparnis führt. Auch dieses Erfordernis wird man jedoch häufig bejahen können,154 so dass sich die Frage stellt, ob das englische Recht nicht auch noch sonstige Grenzen zieht, um zu verhindern, dass die Gegenseite „ausgeforscht“ wird. Diese Problematik sprach Lord Justice Rix in Black v. Sumitomo Corp. an und betonte die Bedeutung des Ermessenselements einer pre-action disclosure-Anordnung, das bereits im Bermuda-Fall 155 postuliert worden war: „otherwise an order for pre-action disclosure should be made in almost every dispute“. 156 Es müsse daher dabei bleiben, dass eine entsprechende Anordnung die Ausnahme darstelle, es sei denn es ergebe sich bereits aus der Art der begehrten Unterlagen, dass diese denknotwendig vor Klageerhebung herangezogen werden müssen, wie etwa in potentiellen Verfahren wegen Körperverletzung.157 Nur so könne der Grundsatz gewahrt werden, dass das Mittel der vorprozessualen disclosure dem Antragsteller lediglich ermöglichen soll, seinen Fall im Einzelnen darzulegen und zu substantiieren. 158 Dieser Schutz vor Ausforschungsbegehren durch das Ermessenselement des Gerichts wird sogleich näher untersucht.159 Für große Unsicherheit sorgt der Umstand, dass sich schwer subsumieren lässt, welche Fälle CPR 31.16 eigentlich im Blick hat. Man sollte meinen, dass es neben den (unproblematischeren) Fällen, in denen der vorprozessuale Zugang der Prozessvermeidung dienen soll, um diejenigen Fälle geht, in denen sich der potentielle Kläger in Informationsnot befindet und nicht über das Material verfügt, das er für eine Klageerhebung benötigt. Dies scheint neben dem Ziel der gänzlich vorprozessualen Streitbeilegung der Sinn vorprozessualer disclosure zu sein: „it is a powerful argument against an
Daran fehlt es aber, wenn der Antragsteller selbst über hinreichendes Material verfügt, um seine Klage erheben zu können, vgl. First Gulf Bank v. Wachovia Bank National Association [2005] EWHC 2827 (Comm), zitiert nach Blackstone’s Civil Practice 2011, Rn. 48.72. 155 Bermuda International Securities Ltd v. KPMG [2001] EWCA Civ. 269. 156 Black v. Sumitomo Corp. [2002] 1 W.L.R. 1562, Rn. 85. 157 Black v. Sumitomo Corp. [2002] 1 W.L.R. 1562, Rn. 83, 85. 158 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.112 ff., insb. 15.114, 15.121 ff. Vgl. dazu ausführlicher unten, S. 71. 159 Unten, S. 77 ff. 154
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order that the applicant can make a case without the disclosure sought.“160 Verfügt der potentielle Kläger demnach über sämtliches Material, das er für eine Klageerhebung benötigt, fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf vorprozessuale disclosure. Umgekehrt gilt jedoch: „the more speculative the claim, the less inclined the court is to grant the application“.161 Dieses Spannungsverhältnis ist auch von Malek beobachtet worden: „If a party can make a case without pre-action disclosure, then that can be used as a ground for refusing disclosure. If a party needs documents in order to formulate or even know whether he has a good claim, then he is met with the argument that the claim is speculative.“ 162 Auch ein Mitglied des Commercial Litigators Forum wird in Bezug auf die pre-action disclosure mit den Worten zitiert: „Sixty per cent of the cases are unlikely to obtain it because they are either good claims that don’t need it, or weak claims that won’t get it.“ 163 Entscheidend ist mithin, dass der Kläger nicht sämtliches Material vorliegen hat, aber jedenfalls schon so viel, dass seine Klage nicht spekulativ erscheint. In der Praxis wird kritisiert, das Verfahren der pre-action disclosure dauere so lang, dass man auch gleich Klage erheben könne.164 Ferner verursache es unnötig hohe Kosten, weil die disclosure faktisch zweimal durchgeführt werde.165 III. Verhältnis der pre-action protocols zur pre-action disclosure Im Anwendungsbereich der pre-action protocols wird eine pre-action disclosure grundsätzlich nicht angeordnet, weil es dafür regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. 166 Eine Ausnahme gilt aber vermutlich dann, wenn der potentielle Kläger bereits nachweisen kann, dass der potentielle Beklagte seine Mitwirkung versagt hat. Im Rahmen der oben bereits erwähnten Befragung der Mitglieder des Commercial Litigators Forum bejahten mehr als 50 Prozent die Frage „Has the availability of pre-action disclosure resulted in the earlier identification of issues or the disposal of weak claims?“ 167 Allerdings wurde die durch die
XL London Market Ltd v. Zenith Syndicate Management Ltd [2004] EWHC 1882 (Comm), Rn. 24. 161 Snowstar Shipping Company Limited v. Graig Shipping Plc, Fortis Bank, [2003] EWHC 1367 (Comm), Rn. 33. 162 Malek, Disclosure Regime, 2009, S. 283, 288. 163 Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 439. 164 Vgl. die Nachweise bei Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 439. 165 Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 439. 166 Blackstone’s Civil Practice 2011, Rn. 48.72 a.E. 167 Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 438 f. 160
C. Grenzen
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informellen pre-action protocols bewirkte disclosure und nicht die pre-action disclosure selbst als „success story“ bewertet.168
C. Grenzen I.
Schutz von geheimhaltungsbedürftigen Interessen
Das englische Recht erkennt an, dass es Situationen gibt, in denen das Interesse einer Person, ein spezielles Dokument nicht offenzulegen, schützenswert ist. 1. Ausgangspunkt und limits of disclosure in order to protect other interests Im Ausgangspunkt wird betont, dass – abgesehen von klar definierten Ausnahmefällen – niemand das Recht habe, dem Gericht relevante Informationen oder Unterlagen mit dem Argument vorzuenthalten, diese seien vertraulichen Inhalts oder gehörten der Privatsphäre an.169 Dem liegt die Überzeugung zu Grunde, „[that j]ustice is better served by candour than by suppression“.170 Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass Aspekte der Privatsphäre und der Vertraulichkeit nicht als schützenswert anerkannt werden.171 Ihnen wird – mit einigen Ausnahmen172 – nur ein so genannter „absoluter“173 Schutz verwehrt. Demgegenüber bleibt ein „relativer“ Schutz möglich und auch wünschenswert (limiting disclosure in order to protect other interests). Der Richter hat in jedem Fall, in dem derartige Interessen betroffen sind, ein Interesse an Vertraulichkeit und Schutz der Privatsphäre ermessenssteuernd zu berücksichtigen und zu prüfen, inwieweit etwa durch Ausschluss der Öffentlichkeit die vertrauliche Information geschützt werden kann, ohne dass dadurch die
So Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 439. So Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.74. 170 So Lord Edmund-Davies in Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 543; Alfred Crompton Amusement Machines Ltd v. Customs and Excise Commissioners (No. 2) [1974] A.C. 405, [1973] 2 All E.R. 1169. 171 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.74. 172 Eine Ausnahme stellt insbesondere das legal professional privilege dar, vgl. sogleich unten, S. 68 ff. 173 Die Begriffe „absoluter“ und „relativer“ Schutz sind Stadler, Unternehmensgeheimnis, 1989, entnommen, die diese in Bezug auf den US-amerikanischen und den deutschen Umgang mit dem Schutz des Unternehmensgeheimnisses verwendet hat. Den Begriff des absoluten Schutzes verwendet auch die englische Literatur im Hinblick auf das legal professional privilege, vgl. etwa Phipson on Evidence-Hollander, 2010, Rn. 23-09 ff.; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 16.1. 168 169
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effiziente Rechtspflege im konkreten Fall aufs Spiel gesetzt wird.174 Ferner hat Lord Edmund-Davies ausgeführt, dass dem Gericht das Ermessen zusteht, eine Widersetzung gegenüber einer disclosure-Anordnung als rechtmäßig anzusehen, wenn (i) ein Vertrauensverhältnis besteht, (ii) eine Offenlegung der fraglichen Information zur Verletzung solcher ethischen oder sozialen Werte führen würde, die das öffentliche Interesse betreffen, und (iii) insgesamt dem öffentlichen Interesse durch Ausschluss des betreffenden Informationsmaterials besser gedient wäre. 175 Nach der Entscheidung des House of Lords in Science Research Council v. Nassé 176 ist im Rahmen der Ermessensentscheidung eine zweistufige Prüfung erforderlich: In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob die vertrauliche Information notwendig ist, um die Streitfragen gerecht zu lösen, was etwa dann nicht der Fall ist, wenn die Information auch aus anderen Quellen ohne eine Vertraulichkeitsverletzung erlangt werden kann. 177 In einem zweiten Schritt ist eine Abwägung zu treffen, ob eine gerechte Lösung auch ohne Preisgabe der Vertraulichkeit erreicht werden kann, etwa durch Schwärzung vertraulicher irrelevanter Teile des Materials.178 Eine wichtige Fallgruppe ist der Schutz des Unternehmensgeheimnisses ( protection of the parties’ commercially sensitive information).179 Hier geht es um Konstellationen, in denen einer Partei nicht mit der Geheimhaltung vor der Allgemeinheit gedient ist, sondern in denen es ihr gerade auf die Geheimhaltung vor dem Prozessgegner ankommt, etwa weil dieser Konkurrent ist.180 Dieses Spannungsfeld taucht häufig in Patentrechtsstreitigkeiten auf, in denen eine Partei eine Erfindung oder einen bestimmtem technischen Prozess vor dem Gegner geheim halten möchte.181 In derartigen Fällen sieht das englische Recht die Möglichkeit vor, dass die disclosure nur gegenüber einem bestimmten Personenkreis (etwa Sachverständigen und Parteivertretern) erfolgen muss – Zug um Zug gegen das Versprechen, diese Information dem prozessbeteiligten Konkurrenten gegenüber nicht offenzulegen und sie ausschließlich für das laufende Verfahren zu verwenden.182 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.74. D v. National Society for the Prevention of Cruelty to Children [1978] A.C. 171, 245, [1977] 1 All E.R. 598, 618. 176 Science Research Council v. Nassé; BL Cars Ltd (formerly Leyland Cars) v. Vyas [1980] A.C. 1028, [1979] 3 All E.R. 673. 177 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.77. 178 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.77. 179 Vgl. dazu Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.104-15.107. 180 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.104. 181 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.104. Vgl. dazu ausführlich Enchelmaier, GRURInt 2012, S. 503 ff. 182 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.105; Warner-Lambert Co v. Glaxo Laboratories Ltd [1975] R.P.C. 354 (CA). 174 175
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Wird dem Betroffenen ein privilege gewährt, so ist ihm gestattet, die Einsichtnahme (inspection) in das jeweils geschützte Dokument zu verweigern, nicht jedoch die Offenlegung (disclosure) als solche. Im Wesentlichen gibt es drei Kategorien von Privilegien: der Schutz vor Selbstbelastung, die Vertraulichkeit anwaltlicher Beratung und der Schutz von Informationen, an deren Geheimhaltung ein öffentliches Interesse besteht. 2. Privilege against self-incrimination Das aus dem common law stammende privilege against self-incrimination (Schutz vor Selbstbelastung) sieht vor, dass eine Person davor geschützt ist, Einsicht in Dokumente gewähren zu müssen, die sie oder ihren Ehepartner183 unter Umständen einer Strafverfolgung aussetzen können 184 oder die einer Verfolgungsbehörde die Entscheidung erleichtern, ob ein Strafverfahren eingeleitet werden soll oder nicht.185 Allerdings muss dieses Risiko mehr als „contrived, fanciful or remote“,186 nämlich „real and appreciable“ sein.187 Problematisch ist jedoch, dass der Schutz vor Selbstbelastung den Gebrauch der disclosure in wichtigen Bereichen des Rechts des geistigen Eigentums und des Warenzeichenmissbrauchs unterwandern kann. Dies wurde in dem vom House of Lords entschiedenen Fall Rank Film Distributors Ltd v. Video Information Centre 188 deutlich. Die Kläger hatten wegen vermuteter Piraterie von geistigen Eigentumsrechten eine Anton Piller order189 erwirkt, die ihnen gestattete, die Räumlichkeiten der Beklagten nach Raubkopien zu durchsuchen und etwaige Kopien an sich zu nehmen. Ferner wurden die Beklagten verpflichtet, den Klägern Informationen über die Verletzungshandlungen zu geben sowie diesbezüglich Dokumente offen- und gegebenenfalls vorzulegen. Das House of Lords entschied, dass die Anton Civil Evidence Act 1968, s. 14 (1). Blunt v. Park Lane Hotel Ltd [1942] 2 K.B. 253. 185 Den Norske Bank ASA v. Antonatos [1998] Q.B. 271. 186 Rank Film Distributors Ltd v. Video Information Centre [1982] A.C. 380. 187 Rank Film Distributors Ltd v. Video Information Centre [1982] A.C. 380. 188 Rank Film Distributors Ltd v. Video Information Centre [1982] A.C. 380. 189 Für Fälle, in denen ein Risiko besteht, dass essentielle Informationen noch vor der disclosure oder der Beweisaufnahme zerstört oder beiseite geschafft werden, sieht das englische Recht die Möglichkeit einer Anton Piller order vor, vgl. Anton Piller KG v. Manufacturing Processes Ltd [1976] Ch. 55. Es handelt sich dabei um eine einstweilige Maßnahme, die es dem Antragsteller erlaubt, die Räume des Antragsgegners nach möglichem Beweismaterial zu durchsuchen und sodann Kopien von aufgefundenen Beweisunterlagen anzufertigen, „when there is a paramount need to prevent a denial of justice to the plaintiff“, vgl. Lock International Corp v. Beswick [1989] 3 All E.R. 373, 384. Diese ist mittlerweile in s. 7 des Civil Procedure Act 1997 i.V.m. CPR 25.1(1)(h) kodifiziert. Sie kommt hauptsächlich auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, aber auch im Arbeitsrecht, Familienrecht und im Vollstreckungsrecht zur Anwendung. 183 184
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Piller order nur im Hinblick auf die Durchsuchung und Mitnahme der Raubkopien rechtmäßig sei. Demgegenüber stünde der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Auskunftserteilung sowie der Urkundenvorlage das privilege against self-incrimination entgegen.190 Dies erschwerte die Durchsetzung der geistigen Eigentumsrechte erheblich. Um dem entgegenzuwirken, wurde im Jahr 1988 191 die Möglichkeit der Berufung auf den Schutz vor Selbstbelastung durch eine Änderung von s. 72 des Supreme Court Act 1981 im Bereich des geistigen Eigentums aufgehoben.192 Der notwendige Schutz des Betroffenen wurde dadurch sichergestellt, dass die im Wege des disclosureVerfahrens offengelegten Informationen nur im Zivilverfahren, nicht aber in einem möglichen Strafverfahren verwendet werden dürfen.193 3. Legal professional privilege Das ebenfalls dem common law entspringende Privileg anwaltlicher Beratung schützt die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen anwaltlichem Berater und Mandant (legal advice privilege) sowie der Prozessvorbereitung (litigation privilege) im Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant.194 Diesem zusammenfassend als legal professional privilege bezeichneten Schutz kommt große praktische Bedeutung zu. Die Vertretung durch einen Anwalt wird im traditionellen common law-Prozess als eine der Grundfesten angesehen, die aus der Tradition des adversarial proceeding resultiert.195 Wäre der Anwalt genötigt, Informationen offenzulegen, die sein Mandant ihm vertraulich und zum Zweck rechtlicher Beratung offenbart hat, so würde dieses fundamentale Recht, sich im Prozess nicht selbst vertreten zu müssen, empfindlich unterlaufen.196 Dies gilt auch für die Kommunikation mit dem sogenannten in-house-lawyer, der juristisch und nicht lediglich verwaltend tätig ist, und zwar unabhängig davon, ob er weisungsabhängig ist oder nicht.197 Das litigation privilege setzt gegenüber dem legal advice privilege, welches Siehe zu diesem Fall die Besprechung von Zuckerman, C.J.Q. 2006, S. 427. Durch den Copyright, Designs and Patents Act 1988, § 28. 192 Zu weiteren Bereichen, in denen die Berufung auf das privilege against selfincrimination abgeschafft wurde, vgl. Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 29.35. 193 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 16.03, Rn. 29.33 f. 194 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 16.7 f. 195 Vgl. Lord Simon of Glaisdale in Waugh v. British Railways Board [1980] A.C., 521, 536: „So the adversary system calls for legal representation if it is to operate with such justice as is vouchsafed to humankind. This system of adversary forensic procedure with legal professional advice and representation demands that communications between lawyer and client should be confidential, since the lawyer is for the purpose of litigation merely the client’s alter ego“. 196 D. Respondent v. National Society for the Prevention of Cruelty to Children Appellants (HL), [1977] 2 W.L.R. 201, 231 f. 197 Magnus, Anwaltsprivileg, 2010, S. 204. 190 191
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lediglich verlangt, dass die Information vertraulich und zum Zweck rechtlicher Beratung erfolgt, zusätzlich voraus, dass ein gerichtliches Verfahren bereits in Gang gesetzt oder aber konkret in Betracht gezogen wurde. Nur wenn der unter solchen Voraussetzungen erfolgte Informationsaustausch mit einem Dritten zu dem überwiegenden Zweck erfolgt, in diesem Prozess verwendet zu werden, ist er von dem litigation privilege erfasst. Das legal professional privilege erstreckt sich auch auf den Informationsfluss im Rahmen eines ständigen Beratungsverhältnisses198 sowie auf jeglichen Informationsaustausch, der zwischen juristischem Berater und Mandant außerhalb oder vor der Anstrengung eines Gerichtsverfahrens stattfindet.199 Voraussetzung dafür, dass Unterlagen unter den Schutz anwaltlicher Beratung fallen, ist, dass sie vorrangig zum Zweck anwaltlicher Beratung oder zur Prozessvorbereitung erstellt worden sind (created for the dominant purpose of gathering evidence for the use in proceedings). 200 Der Schutz entfällt nur dann, wenn die Kommunikation zur Begehung einer Straftat oder eines Betrugs (crime-fraud exception) erfolgt,201 sowie dann, wenn der Mandant selbst die Inhalte der Kommunikation freiwillig offenlegt (waiver).202 Ferner kann das legal professional privilege gem. CPR 31.20 im Fall einer sogenannten inadvertant disclosure entfallen, wenn also die relevante Information nicht freiwillig durch den Mandanten offengelegt wird, sondern durch einen Dritten ohne Wissen und Wollen des Mandanten. Voraussetzung ist allerdings, dass das Gericht die Verwendung gestattet.203 Das legal professional privilege ist mehr als nur ein bloßes Beweisverwertungsverbot. Es wird – nicht nur im Strafrecht, sondern auch im Zivilverfahren – als absolutes Recht 204 angesehen, das niemals Gegenstand einer Abwägung im Einzelfall sein kann:205 „[…] A man must be able to consult his lawyer in confidence, since otherwise he might hold back half the truth. The client must be sure that what he tells his lawyer in confidence
Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 29.39. D. Respondent v. National Society for the Prevention of Cruelty to Children Appellants (HL), [1977] 2 W.L.R. 201, 232. 200 Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 543. Siehe dazu ausführlich unten, S. 170 ff. 201 Vgl. dazu ausführlich Magnus, Anwaltsprivileg, 2010, S. 221 ff. 202 Magnus, Anwaltsprivileg, 2010, S. 224 ff. 203 Vgl. hierzu, insb. zu dem Ineinandergreifen der Grundsätze des common law, wonach der Schutz grundsätzlich mit dem Verlust der Unterlagen entfällt, und dem law of equity, wonach in solchen Fällen unter bestimmten, im einzelnen sehr strittigen Voraussetzungen eine injunction zur Untersagung der Verwendung der Unterlagen beantragt werden kann, Magnus, Anwaltsprivileg, 2010, S. 233 ff. 204 Lord Taylor of Gosforth, in R. v. Derby Magistrates’ Court, [1996] A.C. 487, 508 f. 205 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 16.1; Phipson on Evidence-Hollander, 2010, Rn. 23-09 ff. 198 199
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will never be revealed without his consent. Legal professional privilege is thus much more than an ordinary rule of evidence, limited in its application to the facts of a particular case. It is a fundamental condition on which the administration of justice as a whole rests.“206
Begründet wird die Absolutheit damit, dass das privilege nicht nur dem Interesse des einzelnen Mandanten diene. Vielmehr bestehe es „in the wider interest of all those hereafter who might otherwise be deterred from telling the whole truth to their solicitors.“207 Spätestens seit dem Inkrafttreten des Human Rights Act 1998 (HRA) wird es überdies als materiellrechtliches Privileg angesehen, so dass es nicht nur im Prozess, sondern auch gegenüber etwaigen außerprozessualen Urkundsvorlagebegehren, insbesondere auch gegenüber öffentlich-rechtlichen Anordnungen, geltend gemacht werden kann.208 Es unterfällt dem Schutz von Art. 6 EMRK als Bestandteil des right of fair trial und der Waffengleichheit sowie dem Schutz des Art. 8 EMRK als Bestandteil des Rechts auf Schutz des Privatlebens.209 Unter letzterem Aspekt genießt es – anders als unter Art. 6 EMRK – jedoch keinen absoluten Schutz.210 4. Public interest immunity und protection of journalists’ sources Demgegenüber ist für den nachstehend erörterten Schutz von Informationen, deren Geheimhaltung dem öffentlichen Interesse dient (public interest immunity), anerkannt, dass dieser nicht absoluter Natur, sondern vielmehr Gegenstand einer Interessenabwägung ist. 211 Die public interest immunity gewährt nicht nur ein Recht, sondern begründet auch eine Pflicht der betroffenen Partei, die Offenlegung von Informationen zu verweigern, wenn das öffentliche Interesse dies gebietet, weil ihm anderenfalls Schaden zugefügt würde.212 Dies kann sich entweder aus dem Inhalt der Dokumente ergeben (so beispielsweise Berichte diplomatischen Inhalts sowie Unterlagen, die die nationale Sicherheit betreffen) oder aber daraus, dass sie einer bestimmten schützenswerten Kategorie von Unterlagen angehören (zum Beispiel Kabinettsprotokolle).213
206 Lord Taylor of Gosforth in der House of Lords-Entscheidung R. v. Derby Magistrates Courts, [1996] 1 A. C. 487, 507. 207 Lord Taylor of Gosforth in der House of Lords-Entscheidung R. v. Derby Magistrates Courts, [1996] 1 A. C. 487, 508. 208 Phipson on Evidence-Hollander, 2010, Rn. 23-05 f.; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 16.28. 209 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 16.2, 16.14 ff. 210 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 16.2. 211 Phipson on Evidence-Hollander, 2010, Rn. 23-15. 212 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 29.62. 213 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 29.62 f.
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Bei dem Erlass einer Vorlageanordnung ist ferner die Vertraulichkeit der Quellen von Journalisten zu berücksichtigen. So entschied das House of Lords in British Steel Corp v. Granada Television, die protection of journalists’ sources gebiete es, dass der Richter im Rahmen einer Interessenabwägung die Vertraulichkeit journalistischer Quellen gegen das Aufklärungsinteresse abzuwägen hat. 214 Infolge dieser Entscheidung wurde der Contempt of Court Act 1981 erlassen, dessen s. 10 regelt, dass im Grundsatz die Vertraulichkeit der journalistischen Quellen zu einer Verweigerung der disclosure berechtigt, es sei denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Offenlegung zur Wahrung von Gerechtigkeit oder nationaler Sicherheit oder zur Abwendung eines Verbrechens erforderlich ist. 5. Without prejudice privilege Ein weiteres Privileg stellt das so genannte without prejudice privilege dar, demzufolge sämtliche Kommunikation, die zwischen den Parteien im Rahmen eines aufrichtigen Vergleichsbemühens offengelegt worden ist, nicht als Beweismittel zuzulassen ist. 215 Hintergrund ist, dass die Parteien in ihrer Verhandlungs- und Vergleichsbereitschaft nicht durch die Sorge behindert werden sollen, dass ihre Aussagen im Rahmen dieser Gespräche in einem späteren trial gegen sie verwendet werden können.216 Es ist nicht erforderlich, dass die Dokumente auch mit dem entsprechenden Hinweis without prejudice versehen werden, ausreichend ist die Vorlage zum Zweck von Vergleichsgesprächen.217 II. Verbot der fishing expeditions Die Anordnung der disclosure ist „intended to assist parties to establish a case they already have“. 218 Demgegenüber versteht Zuckerman unter einer fishing expedition219 ein Auskunfts- oder Vorlagebegehren, durch das der Antragsteller herauszufinden versucht „whether [he] might have a case at all“.220 Andrews präzisiert diese Definition dahingehend, dass die disclosure nicht dazu verwendet werden dürfe, Beweismaterial zu erlangen, wenn der Kläger ohne dieses nicht über hinreichende Beweismittel verfügen würde, um seine Klage zu untermauern.221 Fishing expeditions sind nach englischem Recht – So British Steel Corp v. Granada Television [1981] A. C. 1096 (HL). Phipson on Evidence-Hollander, 2010, Rn. 24-18. 216 L.J. Oliver in Cutts v. Head [1984] Ch. 290, 306. 217 Chocoladenfabriken Lindt & Spruengli AG v. Nestlé Co Ltd [1978] R.P.C., 287. 218 Zuckerman, Civil Procedure, 2006, Rn. 14.89. 219 Auch als roving expedition bezeichnet, vgl. Blackstone’s Civil Practice, 2011, Rn. 48.31. 220 Zuckerman, Civil Procedure, 2006, Rn. 14.89. 221 Andrews, Civil Procedure 2003, Rn. 26.57. 214 215
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anders als nach US-amerikanischem Recht222 – unzulässig.223 Demgegenüber war die Definition der fishing expedition nach altem Recht deutlich enger.224 Der Grund dafür, dass Andrews und Zuckerman darüber hinaus auch die Suche nach Beweismitteln, die eine Partei zur schlüssigen Darlegung ihrer Klage benötigt, als fishing expedition bezeichnen, mag darin liegen, dass beide225 die Unzulässigkeit von fishing expeditions lediglich im Kontext der vorprozessualen (pre-action) disclosure diskutieren.226 Hier ist die Gefahr des ungerechtfertigten „Stöberns“ in der Privatsphäre des Gegners deutlich größer, weil der Informationssuchende noch nicht einmal eine Klage erhoben hat. Allgemeine Ausführungen zum Verbot der fishing expeditions bei normalen disclosure-Anordnungen, die nicht als pre-action-Anordnung ergehen, finden sich demgegenüber kaum. Der Erlass von pre-action disclosure-Anordnungen steht im Ermessen des Richters, der besonders genau zu prüfen hat, ob das Begehren nicht möglicherweise mit dem Ziel einer fishing expedition verfolgt wird. Bestehen insofern Zweifel, ergeht eine pre-action disclosure-Anordnung nicht. Dies gilt umso mehr, wenn die Offenlegung von Dokumenten begehrt wird, die möglicherweise einem privilege unterliegen oder jedenfalls sensible wirtschaftliche Daten betreffen. 227 In diesem Fall haben die Antragsteller das Klageverfahren abzuwarten und dort die Frage des Bestehens eines privilege im Rahmen der normalen disclosure zu klären.228 Im Rahmen der Ermessens222 Fishing expeditions wurden allerdings auch im amerikanischen Recht erst mit Inkrafttreten der Federal Rules 1938 gestattet; zu den fishing expeditions s. Hickman v. Taylor 329 U.S. 495 (1947). 223 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.112. 224 Vgl. dazu Matthews/Malek, Disclosure, 2012, Rn. 5.30. 225 Andrews, Civil Procedure 2003, Rn. 26.57 f. sowie Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.112 ff. 226 Für den Fall der pre-action disclosure wurde bereits oben das Spannungsverhältnis zwischen „guten Klagen“, die keine disclosure brauchen, und „schwachen Klagen“, im Rahmen derer ein Informationszugang wegen der Gefahr der Ausforschung nicht stattfindet, aufgezeigt, vgl. oben S. 64. 227 Snowstar Shipping Company Limited v. Graig Shipping Plc, Fortis Bank, [2003] EWHC 1367 (Comm). Vgl. dazu Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.114. 228 Snowstar Shipping Company Limited v. Graig Shipping Plc, Fortis Bank, [2003] EWHC 1367 (Comm), Rn. 35. Die Antragsteller befanden sich in Verhandlungen mit den Antragsgegnern über den Verkauf eines Containerschiffs, den die Antragsgegner durch ein bestimmtes Finanzierungsmodell ermöglichen wollten, das von der Zustimmung der Steuerbehörden abhängig war. Nach monatelanger Korrespondenz, in der es immer wieder um ausstehende Prüfungen bzw. Genehmigungen der Steuerbehörden ging, begehrten die Antragsteller Einsichtnahme in die Korrespondenz mit der Steuerbehörde, um nachvollziehen zu können, weshalb eine Durchführung des Geschäfts unterblieb. Nach dem Scheitern der without prejudice-Verhandlungen stellten die Antragsteller Antrag auf pre-action disclosure hinsichtlich der gesamten Korrespondenz mit den Finanzbehörden. Sie legten dafür eine Klageschrift im Entwurf vor, die sie auf Schadensersatz wegen Vertragsverlet-
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prüfung werden ferner die Erfolgsaussichten des Klagebegehrens berücksichtigt. Selbst wenn diese den oben dargestellten229 „may well“- bzw. „credibility“-Test erfüllen und somit die Anordnung einer pre-action disclosure dem Grunde nach rechtfertigen, gilt mit den Worten von Justice Morison: „the more speculative the claim, the less inclined the court is to grant the application, and its weakness is a factor which I take into account when considering whether pre-action disclosure should be made“.230 Hintergrund dieser Beschränkungen ist, dass die Gegenseite nicht belästigt und in ihrer Privatsphäre gestört werden soll, es sei denn der Informationssuchende verfügt bereits über genügend Material, um diesen Eingriff zu rechtfertigen.231 Umgekehrt ist im englischen Recht anerkannt, dass es besondere Konstellationen gibt, in denen aus Gerechtigkeitserwägungen einem disclosureErsuchen nachzugeben ist, obwohl es dem Grunde nach die Voraussetzungen einer fishing expedition erfüllt. 232 Als derartige besondere Sachverhaltskonstellation wird der Fall anerkannt, dass ein Patient von dem behandelnden Krankenhaus volle Aufklärung über sämtliche Abschnitte des Behandlungsablaufs anstrebt:233 Dies wird aus dem Votum von Lord Justice Rix in Black v. Sumitomo deutlich, in dem er zur Bedeutung der Ermessensausübung bei der Anordnung der pre-action-disclosure ausführt: „if the case is a personal injury claim and the request is for medical records, it is easy to conclude that pre-action disclosure ought to be made; but if the action is a speculative commercial action and the disclosure sought is broad, a fortiori if it is ill-defined, it might be much harder.“234
Allerdings soll der Umfang des disclosure-Begehrens auf dasjenige zu beschränken sein, was der Patient von dem Krankenhausträger auch unabhängig von einem Zivilverfahren hätte verlangen können. 235 Besteht ein solches Informationsrecht unabhängig von dem Zivilverfahren nicht, so hat der Richter sein Ermessen in der Regel dahingehend auszuüben, dass er eine pre-action disclosure nicht gewährt.236
zung (breach of contract), hilfsweise auf Irreführung (misrepresentation), stützten. Sie waren der Auffassung, dass es bereits zu einer bindenden Verkaufsvereinbarung mit den Antragsgegnern gekommen war. 229 S. 62 ff. 230 Snowstar Shipping Company Limited v. Graig Shipping Plc, Fortis Bank, [2003] EWHC 1367 (Comm), Rn. 33. 231 Andrews, Civil Procedure 2003, Rn. 26.57. 232 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.112. 233 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.113. 234 Black v. Sumitomo Corp. [2002] 1 W.L.R. 1562, 1587, Rn. 83. 235 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.113. 236 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 15.114.
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D. Sanktionen Es steht im Ermessen des Gerichts, wie es verfährt, wenn eine Partei nicht sämtliche offenzulegenden Unterlagen in der disclosure-Liste aufführt oder wenn eine Partei der Gegenseite die Einsichtnahme in Unterlagen verweigert, die keinem Privileg unterfallen. Das Gericht kann – je nachdem, ob die Weigerung auf Seiten des Klägers oder auf Seiten des Beklagten vorliegt – die Klage abweisen oder die vorgebrachte Verteidigung für hinfällig erklären (durch ein striking out). Darüber hinaus kann es die rechtsbrüchige Partei wegen Missachtung der Justiz (contempt of court) bestrafen und in Haft nehmen, bis sie der Vorlageanordnung nachkommt.237
E. Kosten Die für die Vorbereitung des Verfahrens, die eigene Beratung und Verteidigung sowie die im Rahmen der disclosure proceedings anfallenden Kosten trägt zunächst die Partei, die diese veranlasst hat. Eine etwaige Kostenerstattung erfolgt sodann nach Abschluss des Verfahrens gemäß der Kostenentscheidung des Gerichts. Gem. CPR 44.2(2)(a) trägt grundsätzlich die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits. 238 Die grundsätzlich erstattungsfähigen Kosten erfassen gem. CPR 44.1(1) u.a. Gebühren (fees), Abgaben (charges), Auslagen (disbursements), Aufwendungen (expenses) und Honorare (remuneration). Zu den Gebühren zählen u.a. Gerichtsgebühren und Sachverständigengebühren. 239 Die Anwaltskosten sind ebenfalls erstattungsfähig – die Gebühren des solicitor als fees und die des barrister, der nicht durch den Mandanten, sondern seinen solicitor beauftragt wird, als disbursements.240 Allerdings kann das Gericht auch eine Kostenentscheidung treffen, die von der Kostentragungspflicht der unterliegenden Partei abweicht.241 Dem Gericht steht dabei gem. CPR 44.2(1) Ermessen nicht nur hinsichtlich des „Ob“ der Kostenerstattung, sondern auch hinsichtlich der Höhe der erstattungsfähigen Kosten zu. Im Rahmen seiner Ermessensausübung hat das Gericht gem. CPR 44.2(4) sämtliche Umstände zu berücksichtigen, so – neben Vergleichsangeboten, payments into court sowie einem etwaigen Teilunterliegen – vor allem das Verhalten der Parteien. Zu dem ermessensrelevanten Verhalten der Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 28.01 ff. Dieser Grundsatz wurde vor Inkrafttreten der CPR mit dem Schlagwort costs follow the event umschrieben. 239 Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 43.01. 240 Bunge, Zivilprozess, 2005, S. 183. 241 CPR 44.2(2)(b). 237 238
E. Kosten
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Parteien gehört gem. CPR 44.2(5) auch das vorprozessuale Verhalten, insbesondere die Befolgung etwaiger pre-action protocols sowie sonstiger Vorgaben der practice directions. Bei der Entscheidung über die Höhe der erstattungsfähigen Kosten ist der u.a. im overriding objective 242 und in CPR 44.3(1)-(5), 44.4(1) verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Das Gericht muss insbesondere berücksichtigen, ob die Kosten in verhältnismäßiger Weise entstanden sind. Ferner haben auch hier gem. CPR 44.4(3) das inner- und vorprozessuale Verhalten der Parteien, etwaige Bemühungen, den Rechtsstreit beizulegen, die Bedeutung des Rechtsstreits für die Beteiligten, die in Streit stehenden Werte, die Komplexität der zu entscheidenden Fragen sowie die aufgewandte Zeit in die Ermessensausübung einzufließen. Für die disclosure bedeutet das: Sofern einem Unternehmen etwa Personalkosten für die Vorbereitung der Liste sämtlicher Dokumente entstehen, sind diese als expenses grundsätzlich erstattungsfähig.243 Gleiches gilt für die expenses und fees, die der Gegenseite für die Prüfung der Liste sowie die Sichtung und Auswertung etwaigen offengelegten Materials, auch durch sachverständige Personen oder den Rechtsbeistand entstehen. Missbrauchsverhalten nach Art einer discovery blackmail,244 mittels derer der Gegner eine Vielzahl irrelevanter Unterlagen angeboten bekommt, die zu sichten und auf ihre Relevanz zu prüfen hohe Kosten auslösen würde, kann der Richter bei seiner Kostenentscheidung negativ berücksichtigen. An der Verhältnismäßigkeitsprüfung kann auch die Höhe des Anwaltshonorars scheitern, da nur solche Stundensätze voll erstattet werden können, die angemessen sind.245 Ziel der CPR war nicht zuletzt die Senkung der Kosten durch die Einführung des overriding objective. Zu einer Kostensenkung ist es jedoch nicht gekommen. Die Kosten sind, ganz im Gegenteil, weiter gestiegen. 246 Dem erneuten Ziel der Wahrung der Verhältnismäßigkeit sowie der Reduzierung der Kosten dienten die im Jahr 2010 unterbreiteten Vorschläge des Civil Procedure Rules Committee (CPRC) zu sogenannten orders for cost capping, die im April 2013 eingeführt wurden: 247 Gem. CPR 3.19 kann das Gericht eine Anordnung erlassen, derzufolge künftige Kosten – also Kosten, die für solche Tätigkeiten entstehen, die erst nach Erlass des order for cost capping In der zum 1. April 2013 in Kraft getretenen Neufassung heißt es nunmehr sogar ausdrücklich: „the overriding objective of enabling the court to deal with cases justly and at proportionate cost“. 243 O’Hare/Brown, Civil Litigation, 2011, Rn. 38.005. 244 S. oben, S. 50 f. 245 Bunge, Zivilprozessrecht, 2005, S. 183. 246 So Zuckerman, Court Management, 2010, S. 1. 247 Ministry of Justice (Hrsg.), Proposals for Reform of Civil Litigation Funding and Costs in England and Wales. Implementation of Lord Justice Jackson’s Recommendations, 2010, Rn. 182 ff. 242
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Kapitel 2: Disclosure in England
vorgenommen worden sind – nur bis zu einem bestimmten Betrag erstattet werden können. Eine solche Anordnung kann der Richter in jedem Verfahrensstadium erlassen, wenn (a) diese dem Interesse der Gerechtigkeit dient, (b) eine nicht unerhebliche Gefahr besteht, dass ohne Erlass des order for cost capping unverhältnismäßig hohe Kosten entstehen würden, und (c) dieser Gefahr weder durch die richterliche Prozessleitung, noch durch eine gründliche Prüfung im Rahmen der Kostenentscheidung begegnet werden kann.248 Im Rahmen der Ermessensausübung, ob eine solche Anordnung zu erlassen ist, hat das Gericht insbesondere Umstände wie eine finanzielle Ungleichheit zwischen den Parteien, das Verfahrensstadium, die bereits entstandenen Kosten sowie die Angemessenheit der Kosten, die zur Ermittlung der anzuordnenden Kostengrenze erforderlich sind, zu berücksichtigen.249
248 249
CPR 3.19(5). CPR 3.19(6).
Kapitel 3
Das funktionale Äquivalent in Deutschland A. Zugang zu Information und Beweis Es stellt sich nunmehr die Frage, ob und, wenn ja, auf welche Art und Weise das deutsche Recht die oben1 herausgearbeitete Hauptfunktion der englischen disclosure gewährleistet, ob und wie es also sicherstellt, dass gleichberechtigter Informationszugang der (gegebenenfalls auch zukünftigen) Parteien besteht (Gerechtigkeitsargument). Diese Funktion wird dann virulent, wenn erstens der darlegungs- und beweisbelasteten Partei Informationen oder Beweise fehlen, um ihren Anspruch schlüssig darzustellen oder zu beweisen, und wenn zweitens die andere Partei über diese Informationen oder Beweismittel verfügt, diese aber nicht offenlegt. Dabei gilt es insbesondere zu untersuchen, welche Lösung bereitsteht, wenn es um die Offenlegung von für die jeweilige Person nachteiligen Informationen geht, da dann die Gewährung von Informationszugriffen wegen des Beibringungsgrundsatzes besonders problematisch ist. In einem ersten Schritt ist die Grundstruktur zu klären, in die sich die Regeln über Zugang zu Information und Beweis einfügen (Kapitel 3, A.I.). Aus diesen allgemeinen Vorgaben ergibt sich bereits das Grundmuster der Verteilung der Verantwortung für die Darlegung und den Beweis von Tatsachen im Prozess, aus dem jeweils folgt, welche Seite welche Informationen offenzulegen hat. Sodann ist zu prüfen, ob im deutschen Recht als Äquivalent zur englischen disclosure Offenlegungspflichten in Form von Informationspflichten bestehen (Kapitel 3, A.II.) oder sich infolge von Anordnungen des Gerichts ergeben können (Kapitel 3, A.III.). Diese ersten Schritte fragen nach den verhältnismäßig offensichtlichen denkbaren Äquivalenten. In einem nächsten Schritt gilt es schließlich, alle weiteren Elemente anhand einer funktionalen Betrachtung einzubeziehen (Kapitel 3, A.V.). An diese Darstellung des allgemeinen Umgangs des deutschen Rechts mit Informationsdefiziten der darlegungsbelasteten Partei schließt sich sodann die Prüfung spezieller Problemfelder anhand des in der Einleitung dargestellten Fragenkatalogs2 an (vorprozessualer Informationszugang, Grenzen des Infor1 2
Vgl. oben, S. 7 ff. S. 9.
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Kapitel 3: Das funktionale Äquivalent in Deutschland
mationszugangs, Sanktionen für den Fall der Nichtgewährung und Kosten), vgl. Kapitel 3, B.–E.3 I.
Grundstruktur durch die allgemeinen Regeln zum Sachvortrag
Inwieweit werden also durch die sehr ausdifferenzierten allgemeinen Regeln zum Sachvortrag bereits die Grundstrukturen für den Zugang zu Information und Beweis im deutschen Zivilprozess geschaffen, mit anderen Worten: Inwieweit wird durch diese Lastenzuweisung zum Parteivortrag mittelbar eine Offenlegungsobliegenheit kreiert? Diese Frage stellt sich denknotwendig vorab, denn wenn auf Grund der Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast die Obliegenheit zur Beschaffung des Informationsmaterials ohnehin bereits bei der besser informierten Partei liegt, sind weitgehende Aufklärungspflichten u.U. gar nicht erst erforderlich. 1. Verteilung der Verantwortung für die Darlegung und den Beweis von Tatsachen Es besteht Einigkeit, dass das deutsche Recht den Parteien sehr klar definierte Verantwortungsbereiche für die Darlegung und den Beweis der Tatsachen4 zuweist. a) Definition Für jedes einzelne Tatbestandsmerkmal steht im Grundsatz von vornherein fest, welche der Parteien die korrelierenden Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat. Diesen Verantwortungsbereichen sind gleichzeitig Lasten zugewiesen. Wer die Verantwortung für die Darlegung einer Tatsache hat, trägt auch die Last, den Prozess zu verlieren, falls diese Tatsache nicht in den Prozess eingeführt wird – und zwar weder durch ihn selbst, noch durch seinen Gegner (objektive Darlegungs- und Behauptungslast). 5 Die subjektive Darlegungsund Behauptungslast – die Last, diese Tatsachen auch in den Prozess einzuführen – trägt primär die objektiv darlegungsbelastete Partei. 6 Allerdings Vgl. zur Betrachtung des deutschen Rechts unter einem ähnlichen Blickwinkel insbesondere Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007; Beckhaus, Informationsdefizite, 2010 im Anschluss an Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399 ff.; Schlosser, JZ 1991, S. 599 ff. und Katzenmeier, JZ 2002, S. 533 ff. Rechtsvergleichende Ausführungen finden sich insbesondere bei Lang, Aufklärungspflicht, 1999; Schaaff, Discovery, 1983; Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung, 2007; und Huber, Modellregeln, 2008. 4 Die Darlegungs- und Beweislastregeln gelten demgegenüber nicht für Rechtsfragen oder Probleme der Auslegung, vgl. MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 96. 5 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 286, Rn. 50. 6 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 286, Rn. 52. 3
A. Zugang zu Information und Beweis
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kann mitunter auch der Gegner herangezogen werden, sofern ihn eine Substantiierungslast oder sekundäre Darlegungslast trifft.7 Vergleichbares gilt für die Verantwortung zum Beweis einer Tatsache. Wer zwar die Tatsachen darlegen, sie aber im Fall des Bestreitens durch die Gegenseite nicht beweisen kann, trägt die Last, den Prozess aus diesem Grunde zu verlieren (Beweislast).8 Innerhalb der Beweislast wird weiter nach der subjektiven Beweislast und der objektiven Beweislast unterschieden. Die subjektive bzw. formelle Beweislast regelt, wer im eigenen Interesse zur Beweisführung tätig werden muss, indem er Beweisanträge stellt und Beweismittel beibringt. 9 Die objektive Beweislast (auch als materielle Beweislast bzw. als Feststellungslast bezeichnet) entscheidet darüber, wer das Risiko der Nichterweislichkeit einer Tatsache und damit des Prozessverlustes trägt. 10 Die objektive Beweislast kommt also aus der Gerichtsperspektive am Ende eines Prozesses zum Tragen, die subjektive Beweislast insbesondere aus Perspektive der Parteien während des gesamten Verfahrens, weil sie daran ihr Prozessverhalten auszurichten haben. Allerdings muss auch das Gericht von Anfang an die subjektive Beweislast im Auge haben und einer Partei, die sich dieser nicht bewusst ist, gem. § 139 Abs. 1 ZPO einen richterlichen Hinweis erteilen.11 Von der objektiven und subjektiven Beweislast, die beide abstraktgenerell festgelegt sind, ist die konkrete Beweisführungslast zu unterscheiden, die im Prozess mehrfach zwischen den Parteien hin- und herwechseln kann und die die Abfolge von Hauptbeweis und Gegenbeweis regelt. 12 Gleiches gilt für die Substantiierungslast13 im Bereich der Darlegungslasten, die anders als die abstrakt-generelle objektive und subjektive Darlegungslast von den Umständen des konkreten Falls abhängt.14
Siehe dazu ausführlich unten S. 97 ff. MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 100. 9 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 4; MüKoZPOPrütting, 2013, § 286, Rn. 98. 10 Allerdings handelt es sich bei der objektiven Beweislast anders als bei der subjektiven Beweislast nicht um eine Last im technischen Sinne, da sie kein Tätigwerden der Parteien zur Vermeidung von Nachteilen erfordert, sondern eine besondere Form gesetzlicher Risikoverteilung darstellt, so MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 100. 11 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 98. Überdies richtet sich nach ihr die Verteilung der Darlegungslast. 12 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 6; MüKoZPOPrütting, 2013, § 286, Rn. 103. 13 Zur Substantiierungslast des Gegners s. sogleich unten, S. 81 f., zur Substantiierungslast in Gestalt der sekundären Darlegungslast, S. 97 ff. sowie allgemein zur Substantiierungslast beider Parteien, S. 299 ff. 14 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 41. 7 8
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Kapitel 3: Das funktionale Äquivalent in Deutschland
b) Verteilung Es gilt die allgemein anerkannte Grundregel, dass „[d]iejenige Partei, deren Prozeßbegehr ohne die Anwendung eines bestimmten Rechtssatzes keinen Erfolg haben kann, […] die Beweislast dafür [trägt], daß die Merkmale des Rechtssatzes im tatsächlichen Geschehen verwirklicht sind.“ 15 Aus dieser Grundregel ergibt sich, dass jede Partei die ihr günstigen Tatsachen – also diejenigen Tatsachen, die den Eintritt der jeweils geltend gemachten Rechtsfolge ausfüllen – darlegen und gegebenenfalls beweisen muss,16 wenn nicht das Gesetz durch besondere Beweislastnormen17 oder eine Beweislastvereinbarung 18 die Verteilung der Beweislast ausdrücklich anders regelt. Dieser Grundregel zufolge trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, während der Beklagte für den Vortrag anspruchshindernder oder -vernichtender Einwendungen und Einreden zuständig ist. Dabei richtet sich die Verteilung der Darlegungslast nach der Zuweisung der Beweislast.19 Relativ umstritten ist, welche sachlichen Gründe hinter der jeweiligen Beweislastverteilung, insbesondere hinter den besonderen Beweislastnormen stehen.20 Denkbar sind hier vor allem Kriterien der Gefahrenbereiche sowie der Wahrscheinlichkeit bestimmter Umstände, dergestalt dass derjenige, der die größere Nähe zum Beweismittel hat, oder derjenige, der sich auf die weniger wahrscheinlichen Tatsachen beruft, die Beweislast zu tragen hat.21 Die Auffassung, die der Verteilung nach Gefahrenbereichen zuneigt, ist für den hier interessierenden Zugang zu Information und Beweis insofern relevant, als eine solche Verteilung zur Folge hätte, dass eine Informationsnot der darlegungsbelasteten Partei sehr viel seltener entstehen würde. So meint insbesondere Prütting, es lasse sich eine Beweislastverteilung „nach den Geboten der Gerechtigkeit, der Billigkeit und der prozessualen Waffengleichheit“ nachweisen.22 Allerdings darf dies nicht zu dem Fehlschluss verleiten, Rosenberg, Beweislast, 1965, S. 12. Dieser Grundsatz wird auch als Normentheorie bezeichnet. 16 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 286, Rn. 62; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 7. 17 Wie zum Beispiel in §§ 179 Abs. (1), 282, 345, 358, 363, 442 Abs. (3), 611 a Abs. (1) S. 2, 636 Abs. (2), 2366 BGB. Darüber hinaus kann sie gem. § 292 ZPO auch durch gesetzliche Vermutungen ausdrücklich geregelt werden. 18 Vgl. dazu Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 35. 19 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 99. 20 Vgl. dazu Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 286, Rn. 67 ff.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 15, die von Beweislastprinzipien sprechen; MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 117 ff. 21 Eine gute Übersicht über den Sach- und Streitstand im Einzelnen bietet Schwab, in: FS Bruns, 1978, S. 505, 511 ff. 22 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 108. 15
A. Zugang zu Information und Beweis
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die Beweislast könne in einem konkreten Fall nach den Geboten der Gerechtigkeit, der Billigkeit und der prozessualen Waffengleichheit verteilt werden. Vielmehr muss die Beweislast auch nach Prütting wie auch das (sonstige) materielle Recht im Wesentlichen durch den Gesetzgeber rechtssatzmäßig bestimmt sein. Die Gebote der Gerechtigkeit, der Billigkeit und der prozessualen Waffengleichheit geben also allenfalls die Gründe für die Verteilung, nicht aber normative Verteilungskriterien an. 23 Ferner wird vertreten, die Beweislastverteilung richte sich nach einem Wahrscheinlichkeitskriterium, da häufig Regeltatbestände von der einen Seite und Ausnahmetatbestände von der anderen Seite zu beweisen seien.24 Dabei werden jedoch Aspekte der Beweislast mit denen der Beweiswürdigung vermischt.25 Nur bei letzterer gilt es, Fragen der Wahrscheinlichkeit zu berücksichtigen. Losgelöst davon können Wahrscheinlichkeitskriterien jedenfalls keine normativen Verteilungskriterien darstellen. Die genannten Gründe können somit zwar teilweise Erklärungsansätze für vorhandene Beweislastnormen liefern, jedoch keine eigenständigen Rechtssätze begründen, aus denen Beweislastnormen abzuleiten wären. 26 Es bleibt somit dabei, dass die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Grundsatz davon ausgeht, dass jede Partei diejenigen Voraussetzungen einer Norm darlegen und beweisen muss, aus denen sie selbst vorteilhafte Rechtsfolgen herleiten möchte, so dass die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast mittelbar aus dem jeweiligen materiellen Recht folgt. 2. Erklärungspflicht des Gegners, § 138 Abs. 2 ZPO Gem. § 138 Abs. 2 ZPO hat sich jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. § 138 Abs. 3 ZPO statuiert, dass alle Tatsachen, die vom Gegner nicht explizit oder konkludent bestritten werden, als zugestanden gelten. Aus dieser Rechtsfolge ergibt sich, dass es sich bei der „Erklärungspflicht“ nicht um eine Pflicht im eigentlichen Sinne, sondern um eine Last handelt. 27 Fraglich ist, welche Anforderungen an ein wirksames Bestreiten zu stellen sind, ob es also ausreicht, das Vorliegen einer bestimmten Tatsache zu verneinen (einfaches Bestreiten), oder ob das Hinzufügen positiver Angaben erforderlich ist (qualifiziertes Bestreiten). Grundsätzlich ist ein einfaches Bestreiten ausreichend. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann aber auch eine Substantiierung durch den Gegner erforderlich sein.28 Diese kann dann zur Folge haben, dass eine Partei auch solche So Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 20. Reinecke, Beweislastverteilung, 1976, S. 35 ff. 25 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 18. 26 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 15. 27 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 32. 28 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 36. 23 24
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Kapitel 3: Das funktionale Äquivalent in Deutschland
Umstände offenlegen muss, die sie lieber verschwiegen hätte. Die Frage, ob und inwieweit substantiiert bestritten werden muss, hängt davon ab, wie substantiiert die darlegungspflichtige Partei vorgetragen hat. 29 Auf eine allgemeine Behauptung der darlegungspflichtigen Partei hin reicht es aus, wenn der Gegner einfach bestreitet, wohingegen bei einem detaillierten Tatsachenvortrag ein qualifiziertes Bestreiten in Gestalt einer Stellungnahme zu den einzelnen Punkten erforderlich ist. 30 Darüber hinaus wird ein substantiiertes Bestreiten in der Regel dann verlangt, wenn sich die konkreten Tatsachen ohnehin im eigenen Wahrnehmungsbereich des Gegners abgespielt haben. 31 Drittens ist ein substantiiertes Bestreiten in den Fällen der so genannten „negativen Tatsachen“ erforderlich.32 Um eine negative Tatsache handelt es sich etwa bei dem Fehlen des rechtlichen Grundes im Rahmen des Kondiktionsanspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Für dieses trägt nach allgemeinen Regeln der Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast. Da er aber unmöglich das Nichtvorliegen jedes denkbaren rechtlichen Grundes vortragen kann, reicht das Behaupten des Fehlens. Der Schuldner als Gegner dieser Behauptung darf sich aber dann nicht damit begnügen, das Fehlen eines rechtlichen Grundes zu bestreiten, das Vorliegen eines rechtlichen Grundes also zu behaupten, sondern er muss vielmehr konkretisieren, worin seiner Ansicht nach der rechtliche Grund besteht. Der Gläubiger genügt sodann seiner Darlegungslast, wenn er die Umstände, die für eine causa sprechen, widerlegt.33 Dies ändert aber nichts daran, dass der Gläubiger nach wie vor die Darlegungslast für das Nichtvorliegen des rechtlichen Grundes trägt. Ähnlich wird auch verfahren, wenn der Kläger vorträgt, dass der Beklagte ihm einen bestimmten Umstand arglistig verschwiegen habe. Hier muss der Beklagte substantiiert bestreiten, wann und mittels welcher Erklärungen er dem Kläger den fraglichen Umstand mitgeteilt hat.34 3. Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht, § 138 Abs. 1 ZPO Der Umfang der Erklärungspflicht wird darüber hinaus durch die Wahrheitsund Vollständigkeitspflicht geregelt: § 138 Abs. 1 ZPO sieht vor, dass jede Partei die tatsächlichen Umstände des Falls umfassend und der Wahrheit entsprechend vortragen muss. Daraus könnte man versucht sein abzuleiten, 29 BGH v. 3.2.1999, NJW 1999, S. 1404, 1405; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 36. Zur Substantiierungslast beider Parteien in Abgrenzung zum Ausforschungsbeweis, vgl. unten, S. 124 ff., S. 257 ff. und S. 299 ff. 30 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 35. 31 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 36. 32 BGH v. 5.11.1980, NJW 1981, S. 577. 33 Baumgärtel/Laumen/Prütting-Jährig, Handbuch der Beweislast, Bd. 6, 2010, § 812, Rn. 19 ff., 29, 34. 34 Vgl. dazu MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 103.
A. Zugang zu Information und Beweis
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dass jede Partei sämtliche Tatsachen, die für den Rechtsstreit relevant sind, offenlegen muss unabhängig davon, ob sie für die Partei selbst von Vor- oder von Nachteil sind, was im Ergebnis zu einer Art prozessualer Aufklärungspflicht führen könnte. Allerdings herrscht Einigkeit, dass § 138 Abs. 1 Alt. 2 ZPO nicht in diesem Sinne auszulegen ist, sondern den Parteien lediglich eine Pflicht zur subjektiven Wahrheit auferlegt. Das bedeutet, dass § 138 Abs. 1 Alt. 2 ZPO nur die bewusste Lüge und die bewusste Unterdrückung oder Verschleierung von Tatsachen verbietet. 35 Der Unterschied lässt sich an folgendem Beispiel veranschaulichen: Eine Partei wird in der Regel keine Kenntnis über die subjektiven Elemente eines Tatbestands haben, wie beispielsweise den fehlenden guten Glauben. Solange der Kläger es für möglich hält, dass der Beklagte nicht in gutem Glauben gewesen ist, ist es nach § 138 Abs. 1 Alt. 2 ZPO zulässig, dass er dies behauptet, auch wenn der Kläger es nicht sicher weiß. Denn solange er es für möglich hält, lügt er nicht. Ein gleichermaßen eingeschränkter Anwendungsbereich besteht für die Vollständigkeitspflicht nach § 138 Abs. 1 Alt. 1 ZPO. Die Pflicht zur Vollständigkeit verbietet einer Partei daher nicht, Umstände, die sie nicht für relevant erachtet, im Rahmen des Sachvortrages wegzulassen. 36 Die Vollständigkeitspflicht, obgleich an sich selbstständig, besteht nur im Rahmen der Wahrheitspflicht. Eine Sanktion im Fall des Verstoßes ist gesetzlich nicht geregelt. Nach h.M. darf jedoch die Tatsachenbehauptung, die vorsätzlich unter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO aufgestellt worden ist, nicht zugrundegelegt werden. 37 Ferner kann eine bewusst wahrheitswidrige Behauptung einen strafrechtlich relevanten Betrug i.S.d. § 263 StGB darstellen und überdies zu zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen führen.38 II. Informationszugangsrechte 1. Prozessrecht Da die disclosure ein prozessuales Instrument ist, liegt es nahe, zunächst zu untersuchen, inwieweit das deutsche Prozessrecht den Prozessparteien Informationszugangsrechte gewährt. Die ZPO regelt nur zwei Fälle, in denen eine prozessuale Offenlegungspflicht besteht. Diese beziehen sich auf Urkunden i.S.d. ZPO. Urkunde i.S.d. ZPO ist die Verkörperung einer Gedankenerklärung durch Schriftzeichen, die allgemein bekannt ist oder dem Gericht verständlich gemacht werden kann, auch wenn sie nicht von vornherein zum Beweis bestimmt war.39 Eine urkunZöller-Greger, ZPO, 2014, § 138, Rn. 3. Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 138, Rn. 7b. 37 MüKoZPO-C. Wagner, 2013, § 138, Rn. 16. 38 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 65, Rn. 70 f. 39 Musielak-Huber, ZPO, 2014, § 415, Rn. 4. 35 36
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Kapitel 3: Das funktionale Äquivalent in Deutschland
denbezogene Vorlagepflicht besteht zum einen, wenn der Gegner des Beweisführers dem Beweisführer nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts zur Herausgabe oder Vorlegung der Urkunde verpflichtet ist, § 422 ZPO. Zum anderen schuldet der Gegner der beweispflichtigen Partei die Vorlage solcher Urkunden, auf die er selbst irgendwann im Laufe des Prozesses zur Beweisführung, wenn auch nur im vorbereitenden Schriftsatz, Bezug genommen hat, vgl. § 423 ZPO. Unter der hier interessierenden Fragestellung, inwieweit eine Partei zur Offenlegung ihr ungünstiger Information, die sie nicht freiwillig erteilen möchte, verpflichtet ist, ist letztere Vorschrift kaum von Bedeutung. Denn eine Partei wird sich gerade nicht freiwillig auf Dokumente beziehen, die für sie von Nachteil sind. Der Vorschrift des § 422 ZPO kommt dagegen eine große praktische Bedeutung zu. Sie kann allerdings erst abschließend gewürdigt werden, wenn die materiellrechtlichen Ansprüche, auf die sie sich bezieht, im Folgenden erörtert worden sind.40 Den Sonderfall einer prozessualen Auskunfts- und Vorlagepflicht regeln §§ 235 f. FamFG (§ 643 ZPO a.F.). Danach kann der Richter im Unterhaltsprozess von sich aus von den Parteien Auskünfte und Belege über Einkünfte, Vermögen sowie persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse verlangen, soweit diese für die Unterhaltsberechnung relevant sind. Diese Informationen kann er gegebenenfalls auch bei Arbeitgebern, Sozialleistungsträgern und Finanzämtern von Amts wegen einholen, wenn eine Partei der Aufforderung nicht nachkommt. Diese Regelung hat also in dreierlei Hinsicht eine Sonderstellung inne. Neben der bereits erwähnten Tatsache, dass sie ausnahmsweise eine prozessuale Vorlagepflicht normiert (die weit über die materiellrechtliche Auskunftspflicht des § 1605 BGB hinausgeht), stellte sie bis zum Jahr 2002 die einzige Norm dar, die den Zugriff auf Informationen in den Händen Dritter gewährt. Schließlich – und das erscheint als die bemerkenswerteste Besonderheit – statuiert sie eine Ausnahme vom Beibringungsgrundsatz und stellt damit „die erste Normierung eines parteiunabhängigen richterlichen Informationsbeschaffungsrechts dar“.41 2. Materielles Recht Der funktionale Ansatz erfordert, dass eine Lösung nicht nur im Prozessrecht gesucht wird, sondern auch im materiellen Recht. Denn die Tatsache, dass das englische Recht die fraglichen Funktionen durch das prozessrechtliche Mittel der disclosure löst, bedeutet nicht, dass auch die deutsche Lösung im Prozessrecht verankert sein muss.
40 41
Dazu sogleich unten. Greger, BRAK-Mitt 4/2005, S. 150, 151.
A. Zugang zu Information und Beweis
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In Deutschland bestehen im materiellen Recht diverse Informationsansprüche, die sich auch aus Ansprüchen auf Rechnungslegung, Rechenschaftslegung sowie Vorlage eines Bestandsverzeichnisses ergeben können. 42 Hier interessieren vor allem diejenigen Ansprüche, die die Verfolgung weiterer Rechte ermöglichen sollen. 43 Dazu gehört der Anspruch aus § 1605 Abs. 1 BGB, demzufolge der Unterhaltsberechtigte Auskunft über das Einkommen und das Vermögen des unterhaltspflichtigen Verwandten oder des geschiedenen Ehegatten (§ 1580 BGB) verlangen kann. Gleiches gilt für § 2314 BGB, der dem Pflichtteilsberechtigten, der nicht Erbe ist, das Recht gibt, zur Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs von dem Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu verlangen. Daneben gibt es Ansprüche, die nicht primär auf die Vorbereitung weiterer Ansprüche abzielen, sondern eher der Kontrolle dienen. In diese Gruppe gehört der Anspruch des Geschäftsherrn gegen den Beauftragten auf Auskunft und Rechnungslegung über den Stand des Geschäfts und die Ausführung des Auftrags gem. § 666 BGB, der gleichzeitig auch eine Art Grundnorm ist, auf die in anderen Vorschriften verwiesen wird, wie beispielsweise in § 681 BGB für den Geschäftsführer ohne Auftrag, in § 713 BGB für den Geschäftsführer der Gesellschaft bürgerlichen Rechts sowie für den Erben gegen den Testamentsvollstrecker gem. § 2218 BGB. In eine vergleichbare Kategorie sind auch der Auskunftsanspruch des Unternehmers gegen den Handelsvertreter gem. § 86 Abs. 2 HGB sowie die Informationsrechte der Gesellschafter einer Personengesellschaft gem. §§ 716 BGB, 118 HGB einzuordnen. 44 Ebenfalls der Kontrolle und damit mittelbar der Vorbereitung etwaiger Folgerechte dient der Auskunftsanspruch des Erben gegen den Erbschaftsbesitzer gem. § 2027 Abs. 1 BGB. Des Weiteren bestehen besondere materiellrechtliche Ansprüche auf Inaugenscheinnahme einer Sache oder auf Vorlage eines Dokuments. Gem. § 809 BGB kann derjenige, der gegen den Besitzer einer Sache einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich darüber Gewissheit verschaffen möchte, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, verlangen, dass der Besitzer ihm die Sache zur Besichtigung vorlegt oder die Besichtigung gestattet, wenn die Besichtigung der Sache aus diesem Grund für ihn von Interesse ist. Gem. § 810 BGB kann die Offenlegung eines Dokuments verlangen, wer ein besonG. Lüke, JuS 1986, S. 2, 3. Diese „Informationspflichten“ hat Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 287–292 in fünf Gruppen unterteilt: Informationspflichten aus Rechtsverhältnissen, die die Wahrnehmung bzw. Achtung fremder Interessen der anderen Seite zur wesentlichen Pflicht haben; Informationspflichten, die an den rechtswidrigen Eingriff in einen fremden Rechtskreis anknüpfen; Informationspflichten, die der Klärung des Anspruchsinhalts bzw. bestehender Einwendungen dienen; Informationspflichten, die die zweckentsprechende Nutzung eines erworbenen Rechts sichern sollen sowie Informationspflichten ohne bestehendes Rechtsverhältnis aus besonderem sozialem Kontakt. 43 So auch Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 5. 44 Vgl. dazu G. Lüke, JuS 1986, S. 2, 3 f. 42
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Kapitel 3: Das funktionale Äquivalent in Deutschland
deres Interesse an einer Einsichtnahme geltend machen kann, und sofern eine der folgenden Alternativen erfüllt ist: Das Dokument muss entweder ursprünglich in seinem Interesse ausgestellt worden sein oder ein Rechtsverhältnis zwischen ihm und einem Dritten näher spezifizieren oder Vertragsverhandlungen oder eine sonstige Rechtsbeziehung zwischen ihm und einem Dritten dokumentieren. Die genannten Auskunfts- bzw. Informationsansprüche setzen – mit Ausnahme des § 810 Alt. (1) BGB – das Bestehen einer materiellrechtlichen Sonderbeziehung voraus.45 Sämtliche materiellrechtlichen Auskunftsansprüche bestehen unabhängig von jeglichem Prozessrecht. Sie können bereits vorprozessual und ohne die Absicht einer späteren Prozessführung geltend gemacht werden. Darüber hinaus können sie im Rahmen eines Rechtsstreits in Form einer Stufenklage (§ 254 ZPO) oder mittels einer eigenständigen Klage geltend gemacht werden. Schließlich können sie auch während des laufenden Prozesses als rein materiellrechtliche Ansprüche verfolgt werden. Letzteres kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Kläger die begehrten Dokumente nicht zur Schlüssigmachung oder Substantiierung seiner Klage, sondern lediglich zu Beweiszwecken im Rahmen der mündlichen Verhandlung (§ 422 ZPO) benötigt.46 3. Bestehen einer ungeschriebenen Aufklärungs- bzw. Prozessförderungspflicht a)
Die Ansicht Stürners
In seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 1976 argumentiert Stürner, dass über die soeben dargestellten Informationsansprüche hinaus eine ungeschriebene allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht darlegungsbelasteten Partei im Zivilprozess existiere. Aus dem deutschen Grundgesetz ergebe sich ein Anspruch auf ein wirksames Verfahren, das der Erforschung der Wahrheit über die oben genannten Informationsrechte hinaus diene. Stürner folgert aus Art. 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, dass der deutschen Zivilprozessordnung eine derartige umfassende Aufklärungs- und Offenlegungspflicht innewohne.47 Konkret stützt er diesen Anspruch auf eine Analo-
45 Bezüglich weiterer erst in jüngerer Vergangenheit eingeführter spezialgesetzlicher materiellrechtlicher Informationsansprüche vgl. unten, S. 94 f. 46 Das Zusammenspiel der materiellrechtlichen Informationspflichten ist derart komplex, dass es ein eigenständiges Thema darstellt, das den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Für eine umfassende Aufarbeitung sei daher verwiesen auf Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, passim sowie insb. S. 27–47 sowie 121–183 und auf Winkler v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, 1986, passim. 47 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 31 ff., S. 48 ff.
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gie zu §§ 138 Abs. 1, Abs. 2, 423, 445 ff., 372a, 656 Abs. 1 ZPO.48 Zu diesem Ergebnis gelangt Stürner nach einer umfassenden Auswertung der Korrekturen an der ursprünglichen Regelung des Gesetzgebers, die die Rechtsprechung und der Gesetzgeber im Laufe der Zeit vorgenommen haben, indem er versucht, die verschiedenen Ansätze der Rechtsprechung zu einem in sich geschlossenen System auszubilden.49 Diese Aufklärungspflicht entsteht seines Erachtens, wenn für die darlegungs- und beweisbelastete Partei bestimmte Informationen, die sie zur Geltendmachung ihres Anspruchs benötigt, typischerweise unerreichbar sind.50 In einer solchen Konstellation sollen bereits Anhaltspunkte ausreichen, um die Verpflichtung des Gegners auszulösen, umfassend Auskunft über den fraglichen Aspekt zu erteilen und sämtliche Dokumente und Augenscheinsobjekte vorzulegen.51 Sollte der Gegner dieser Pflicht nicht nachkommen, so werde die vom Kläger behauptete Tatsache widerlegbar vermutet.52 b) Die Auffassung Peters’ Peters geht von dem Bestehen einer prozessualen Mitwirkungspflicht des Gegners in Gestalt einer allgemeinen Prozessförderungspflicht aus und verankert diese dogmatisch in einer Analogie zu den gesetzlich geregelten Einzelfällen der §§ 138 Abs. 1 und 2, 371 a, 423, 445 ff. ZPO.53 Er unterscheidet drei Kategorien: erstens die spezialgesetzlichen Normen, die den Parteien prozessuale Mitwirkungspflichten in bestimmten Fällen auferlegen, wie zum Beispiel §§ 138 Abs. 1 und 2, 372 a, 423 sowie §§ 445 ff. ZPO, zweitens die sonstigen anerkannten prozessualen Konstruktionen, die den Parteien eine Mitwirkung abverlangen, sowie drittens das Bestehen bestimmter materiellrechtlicher Auskunftsansprüche. 54 Innerhalb der ersten Gruppe der gesetzlich normierten prozessualen Mitwirkungspflichten differenziert Peters nach Mitwirkungspflichten bei der Sachverhaltsschilderung und Mitwirkungspflichten bei der Beweisführung. Als Mitwirkungspflichten bei der Sachverhaltsschilderung wertet er die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht aus § 138 Abs. 1 ZPO, die dem Gegner abverlangte Erklärungslast gem. § 138 Abs. 2 ZPO sowie die persönliche Anhörung der Parteien durch den Richter zum Zweck der Aufklärung des Sachverhalts. Unter die Kategorie der Mitwirkungspflichten bei der Beweisführung soll Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 92 ff. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 380. Siehe ausführlich zu der Auffassung Stürners unten, S. 320 ff. 50 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 112 ff. 51 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 134 ff. 52 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 242 ff. 53 Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399 ff. 54 Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399. 48 49
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zum einen die Pflicht des nicht beweisbelasteten Gegners fallen, unter den Voraussetzungen des § 372 a ZPO zur Feststellung der Abstammung Untersuchungen zu dulden und zum anderen die Pflicht des Gegners, sich über eine zu beweisende Tatsache vernehmen zu lassen, wenn dies von der anderen Partei gem. § 445 ZPO beantragt wird oder wenn das Gericht die Vernehmung gem. § 448 ZPO von Amts wegen anordnet; schließlich ordnet Peters dieser Kategorie die prozessuale Vorlagepflicht für Urkunden gem. § 423 ZPO sowie die Beweiserhebung von Amts wegen zur Urkunden- und Aktenvorlegung, zur Inaugenscheineinnahme und zur Begutachtung durch einen Sachverständigen gem. §§ 142–144 ZPO zu.55 Zu der zweiten Gruppe von Heranziehungsmöglichkeiten der besser informierten Partei zur Sachverhaltsaufklärung zählt Peters die sogleich unter Abschnitt V darzustellende Verlagerung der Beweislast auf den Gegner sowie die Berücksichtigung einer Weigerung des Beweisgegners, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, im Rahmen des § 286 ZPO. Die dritte Gruppe der materiellrechtlichen Mitwirkungspflichten findet ihre prozessuale Verankerung in § 422 ZPO, der dazu führt, dass die materiellrechtlich bestehenden Auskunfts- und Vorlageansprüche, die ohnehin einklagbar und vollstreckbar sind, darüber hinaus auch noch innerhalb des Hauptprozesses dergestalt sanktionsbewehrt sind, dass eine Nichtvorlage die Folge des § 427 ZPO auslösen kann, so dass die Behauptungen des Beweisführers über den Inhalt der Urkunde als bewiesen angenommen werden können. c) Nemo tenetur-Urteil 1990 des BGH In einer Entscheidung aus dem Jahr 1990 sprach sich der BGH jedoch explizit gegen die Annahme einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht aus. In diesem nemo tenetur-Fall machten die Kläger als Erben der ehemaligen Mitgesellschafter des Beklagten Schadensersatzansprüche wegen treuewidrig verlagerten Gewinns auf eine andere Gesellschaft geltend. Die Gesellschaft fiel in Konkurs. Als das Konkursverfahren über das Privatvermögen der Erblasser eröffnet wurde, leistete der Beklagte Zahlungen in die Konkursmasse und erhielt im Gegenzug die Zustimmung des Konkursverwalters zum Ausscheiden der Erblasser aus der Gesellschaft. Der Beklagte führte das Unternehmen alleine weiter. In der Folgezeit kam es zu einem Vorprozess, in dem rechtskräftig festgestellt wurde, dass der Beklagte unter Verletzung seiner Gesellschaftertreuepflicht den Konkurs treuewidrig herbeigeführt habe und verpflichtet sei, den Klägern als Erben jeglichen Schaden zu ersetzen, der den Erblassern durch die Konkurseröffnung und die Vereinbarungen mit dem 55 Diese legt er dabei sehr extensiv aus, indem er in Anlehnung an §§ 134, 142 ZPO bereits eine Bezugnahme auf den Inhalt genügen lässt. Ferner soll § 423 ZPO analog auch für die Vorlage von Augenscheinsobjekten anwendbar sein. Vgl. zu beiden Aspekten Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399, 402.
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Konkursverwalter entstanden war. Insbesondere wurde der Beklagte verpflichtet, die gezogenen Gewinne anteilig herauszugeben. Kernfrage des sich anschließenden Schadensersatzverfahrens wegen treuewidrig verlagerten Gewinns war, ob die Kläger die Ansprüche im Einzelnen hinreichend konkret vorgetragen hatten.56 Das Berufungsgericht gab der Klage statt. Zwar hätten die Kläger keinen konkreten Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich die Ansprüche im Einzelnen ergäben. Sie hätten jedoch so viele Indizien und Anhaltspunkte dargetan, dass die Möglichkeit eines konkreten Verlagerungssachverhalts wahrscheinlich und plausibel sei. Dies stelle einen hinreichenden „Substantiierungsersatz“ dar, so dass ausnahmsweise davon ausgegangen werden könne, dass die Kläger ihrer Darlegungslast genügt hätten. Denn es bestehe eine Situation, in der die Kläger typischerweise keine genauere Kenntnis über den Verlagerungssachverhalt haben können und folglich kein höheres Maß an Substantiierung leisten könnten. 57 Den Beklagten treffe daher eine erweiterte Aufklärungspflicht, die ihm auch zumutbar sei. Dieser sei er nicht nachgekommen. Diese rechtliche Würdigung hielt der BGH demgegenüber für rechtsfehlerhaft. Ein spezialgesetzlicher materiellrechtlicher Anspruch auf Urkundenvorlage könne nicht ausgemacht werden. Auch für einen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB fehle es an den erforderlichen Voraussetzungen. Denn ein solcher bestehe nur, wenn der Leistungsanspruch dem Grunde nach gegeben ist, was hier jedoch gerade unklar sei. Auf einen allgemeinen prozessualen Aufklärungsanspruch, wie er insbesondere von Stürner postuliert worden sei, könnten sich die Kläger ebenfalls nicht berufen, da es auf Grund der Verhandlungsmaxime allein Sache der Parteien sei, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und die Beweismittel beizubringen. Ob eine Partei Ansprüche auf Erteilung von Auskünften, Rechnungslegung oder Vorlage von Urkunden habe, sei allein Frage des materiellen Rechts, das jedoch eine allgemeine Aufklärungspflicht nicht vorsehe. Eine solche Aufklärungspflicht einzuführen sei auch nicht Aufgabe des Prozessrechts, da es bei dem Grundsatz bleiben müsse, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt.58
BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151. So die kursorische Zusammenfassung in BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151. 58 Allerdings wies der BGH den Fall an das Berufungsgericht zurück, weil dieses den Sachverhalt bislang nicht unter Berücksichtigung der so genannten sekundären Behauptungslast gewürdigt habe. Es sei nicht auszuschließen, dass der Beklagte seiner insoweit bestehenden Prozessförderungspflicht bislang nicht nachgekommen ist, vgl. BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151, 3152. Der Ausgang des Verfahrens vor dem Berufungsgericht ist unbekannt. Zur sekundären Beweislast vgl. sogleich unten, S. 97 ff. 56 57
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d) Zwischenergebnis Mit diesen mehr als knappen Ausführungen des BGH, die eher einer Aneinanderreihung von Behauptungen, denn einer fundierten Auseinandersetzung mit der These von erweiterten Mitwirkungs- bzw. Aufklärungspflichten gleichen, steht jedoch fest, dass derzeit de lege lata eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht oder Prozessförderungspflicht nach Stürner und Peters nicht besteht. Ohne Begründung reißt der BGH mit seiner Anmerkung, es sei auch nicht Aufgabe des Prozessrechts, eine solche Aufklärungspflicht einzuführen, die in Teil II dieser Arbeit im Fokus stehende Frage an, ob de lege ferenda eine Neuregelung des Rechts des Informationszugangs erfolgen sollte. Zu der Frage, weswegen dies nicht die Aufgabe des Prozessrechts sei, schweigt der BGH. Für diesen Abschnitt, in dem allein die Rechtslage de lege lata dargestellt wird, kann jedoch festgehalten werden, dass eine allgemeine Prozessförderungspflicht bzw. eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht derzeit nicht anerkannt ist. III. Prozessleitende Anordnungen von Amts wegen Gem. §§ 142–144 ZPO hat das Gericht die Möglichkeit, prozessleitende Anordnungen zur Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf Urkunden, Augenscheinsobjekte und eine Sachverständigenbegutachtung zu treffen und gem. § 141 ZPO das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen. Dabei enthalten die §§ 142–144 ZPO systematisch keine Vorschriften über die Anordnung der Beweisaufnahme, denn sie sind nicht im Abschnitt über die Beweisaufnahme enthalten. Vielmehr stellt die Möglichkeit der Anordnung prozessleitender Maßnahmen eine Ausprägung des Grundsatzes der materiellen Prozessleitung durch den Richter dar. Diese Aufklärungsmöglichkeit des Gerichts ist durch das Zivilprozessreformgesetz deutlich erweitert worden,59 was zu einer Einschränkung der Parteiherrschaft zugunsten eines Ausbaus der Richtermacht geführt hat. Sinn und Zweck derartiger prozessleitender Anordnungen ist, dass das Gericht sich im Interesse der Sachverhaltsaufklärung möglichst früh einen umfassenden Überblick über den zu Grunde liegenden Sachverhalt verschaffen können soll.60 IV. Zwischenergebnis Es hat sich gezeigt, dass das geschriebene Recht an sehr verschiedenen, aber vereinzelten Stellen Informationszugangsrechte gewährt. Diese sind in erster Linie materiellrechtlicher Art. Das fehlende Anerkennen eines allgemeinen 59 60
Vgl. dazu sogleich unten, S. 105 ff. BT-Drucks. 14/4722, S. 78 f.
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prozessualen Aufklärungsanspruchs de lege lata durch die Rechtsprechung beruht auf einer Berufung auf den angeblich bestehenden Grundsatz, dass keine Partei gehalten sei, dem Gegner für seinen Prozesssieg Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt. V. Entwicklung von Ausgleichsmechanismen durch Rechtsprechung und Gesetzgeber Allerdings haben Rechtsprechung und Gesetzgeber in den vergangenen Jahrzehnten zum Ausgleich von Informationsdefiziten weitere Mechanismen entwickelt und bereits bestehende Institute weiter ausgebaut. Diese weiteren Mosaiksteine sollen im Folgenden kurz dargestellt werden, um eine Übersicht über das gesamte Tableau zu der Frage zu erhalten, wie das Fehlen eines allumfassenden Rechts auf Zugang zu Information und Beweis in Situationen kompensiert wird, in denen eine Seite diese dringend benötigt, um ihre Rechte geltend machen zu können. 1. Materiellrechtlicher Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB a) Grundlagen Über die spezialgesetzlich statuierten Auskunftsansprüche hinaus ist das Bestehen einer sich aus § 242 BGB ergebenden materiellrechtlichen Auskunftspflicht anerkannt worden und mittlerweile gewohnheitsrechtlich etabliert.61 Danach wird Auskunft im Einzelfall dort geschuldet, wo sich aus dem Wesen des Rechtsverhältnisses ergibt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder über den Umfang seines Rechtes im Ungewissen, der Verpflichtete aber in der Lage ist, unschwer solche Auskünfte zu erteilen, die zur Beseitigung jener Ungewissheit geeignet sind. 62 Der BGH leitet diese Pflicht aus Treu und Glauben ab und betrachtet sie als Nebenpflicht des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses. Bei diesem Anspruch handelt es sich jedoch nicht um einen allgemeinen materiellrechtlichen Auskunftsanspruch innerhalb bestehender Rechtsverhältnisse. 63 Vielmehr müssen die Voraussetzungen jeweils im Einzelnen vorliegen. b) Anwendungsbeispiele Ein materiellrechtlicher Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB ist beispielsweise einem Vermieter, der Räumungsklage erheben wollte, hinsichtlich der
Vgl. statt aller MüKoBGB-Krüger, 2012, § 259, Rn. 6 sowie § 260, Rn. 12. BGH v. 28.10.1953, NJW 1954, S. 70; BGH v. 6.2.1962, NJW 1962, S. 731; BGH v. 20.1.1971, NJW 1971, S. 656. 63 Hök, MDR 1995, S. 773. 61 62
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Identität der in der Wohnung befindlichen Personen zuerkannt worden. 64 Gleiches gilt für den Sicherungsgeber gegenüber dem Sicherungsnehmer wegen des Verbleibs des Sicherungsgutes. 65 Auch der Mieter kann im Fall einer Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter, der sich dann aber doch entscheidet, die Wohnung erneut zu vermieten, einen Auskunftsanspruch über die Gründe geltend machen, die ihn dazu bewogen haben, die Wohnung doch wieder zu vermieten.66 c) Erfordernis einer Sonderverbindung Voraussetzung des Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB ist das Bestehen einer Sonderverbindung zwischen den Beteiligten, die sich aus Vertrag, Delikt sowie sonstigen gesetzlichen Schuldverhältnissen, insbesondere auch des Sachenrechts, Erbrechts sowie Familienrechts ergeben kann. 67 Als ausreichend wurden seitens des BGH auch die „Nachwirkungen eines angebahnten Rechtsverhältnisses“ angesehen. 68 Als Anspruchsberechtigter kommt neben den Parteien des Schuldverhältnisses grundsätzlich auch der in einen Vertrag zugunsten Dritter bzw. in einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Einbezogene in Betracht. 69 Als nicht ausreichend wird demgegenüber das Verhältnis der Miterben untereinander angesehen.70 Ausnahmsweise wurden Auskunftsansprüche von der Rechtsprechung jedoch auch außerhalb einer bestehenden Sonderverbindung gewährt: in analoger Anwendung des § 2028 Alt. 1 BGB (Auskunftsanspruch bei häuslicher Gemeinschaft) wird im Erbrecht ein Auskunftsanspruch angenommen, sofern für das Bestehen einer rechtlichen Sonderverbindung jedenfalls ausreichende Anhaltspunkte bestehen.71 Hier geht es um Fälle, in denen etwa ein Erbe oder ein Pflichtteilsberechtigter zur Vorbereitung der Geltendmachung eines etwaigen Pflichtteilsergänzungsanspruchs gem. § 2325 BGB wegen vom Erblasser gemachter Schenkungen von dem Beschenkten Auskunft über die tatsächlich erfolgte Schenkung bzw. deren Umfang begehrt, oder aber in denen ein Nacherbe von dem vom Vorerben Beschenkten zur Feststellung unentgeltlicher Verfügungen nach § 2113 Abs. 2 BGB Informationen verlangt. In dieOLG Hamburg, ZMR 1999, S. 106. OLG Braunschweig, BB 1956, S. 903. 66 LG München I, WoM 1986, S. 219. Anders sieht dies Krüger, der meint, der Auskunftsanspruch könne nicht dazu dienen, dem ehemaligen Mieter Material für einen möglicherweise gegebenen Schadensersatzanspruch an die Hand zu geben; dies sei vielmehr ein Problem des Beweisrechts, vgl. MüKoBGB-Krüger, 2012, § 260, Rn. 35; im Ergebnis ebenso LG München II, WoM 1986, S. 220. 67 MüKoBGB-Krüger, 2012, § 260, Rn. 13. 68 BGH v. 19.2.1982, NJW 1982, S. 1807, 1808. 69 MüKoBGB-Krüger, 2012, § 260, Rn. 14. 70 BGH v. 7.12.1988, NJW-RR 1989, S. 450. 71 Winkler v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, 1986, S. 48 ff. 64 65
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sen Konstellationen steht der Erblasser bzw. nach dem Tod des Vorerben der Vorerbe als „primär zuständige Auskunftsperson“ nicht mehr zur Verfügung.72 Diese Rechtsprechung entwickelte sich sukzessive aus einer Haltung, die zunächst noch strikt auf einem Rechtsverhältnis zwischen möglicherweise Pflichtteilsergänzungsberechtigtem und dem potentiell Beschenkten beharrte,73 sodann aber in der möglichen subsidiären Ausfallhaftung des Beschenkten nach § 2329 Abs. 1 BGB ein bedingtes Rechtsverhältnis74 sah und später Anhaltspunkte für ein solches bedingtes Rechtsverhältnis 75 für ausreichend erachtete.76 In der Entscheidung BGHZ 18, 67 hatte der BGH noch darauf bestanden, dass ein bestimmtes feststehendes Rechtsverhältnis nur Auskunftsansprüche generieren könne, die unmittelbar auf das Rechtsverhältnis bezogen sind. Der Bestand der Forderung müsse mithin bereits feststehen, anderenfalls wäre ein Auskunftsanspruch nicht denkbar. In BGHZ 58, 237 wurde das Bestehen einer Sonderverbindung hingegen lediglich vermutet. Der BGH gab die Beschränkung auf die Frage des Umfangs auf und ließ als Inhalt des Auskunftsanspruchs die Klärung der vorrangigen Frage zu, ob überhaupt eine ein rechtliches Verhältnis begründende Verfügung getätigt wurde.77 Darüber hinaus sind ganz allgemein Auskunftsansprüche zur Vorbereitung von Schadensersatzansprüchen im Vertragsrecht angenommen worden, wenn bereits der begründete Verdacht einer Rechtsverletzung besteht, obgleich die anspruchsbegründenden Merkmale, insbesondere die Pflichtverletzung, noch nicht feststehen.78 Der Auskunftsanspruch ist hier somit nicht nur auf Informationen zur Höhe des Anspruchs beschränkt, sondern kann auch eingesetzt werden, um den Anspruch dem Grunde nach darzulegen.79 d) Kritik Diese sukzessive Ausweitung des materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs durch die Rechtsprechung ohne Lieferung einer Begründung insbesondere im Bereich der Schadensersatzansprüche ist in der Literatur vielfach angegriffen worden. 80 Insbesondere wird ihr vorgeworfen, dass sie die allgemein anerkannten Darlegungslasten verschiebe und die Grenzen zum unzulässigen So Winkler v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, 1986, S. 50. BGH v. 6.7.1955, BGHZ 18, 67. 74 OLG Celle v. 18.11.1965, NJW 1966, S. 1663; BGH v. 1.3.1971, BGHZ 55, S. 378, 380. 75 BGH v. 15.3.1972, BGHZ 58, S. 237; BGH v. 27.6.1973, BGHZ 61, S. 180. 76 Vgl. zu dieser Entwicklung Winkler v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, 1986, S. 48 ff. sowie Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 122 ff. 77 Winkler v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, 1986, S. 49. 78 MüKoBGB-Krüger, 2012, § 260, Rn. 16 mwN. 79 Vgl. Nachweise bei MüKoBGB-Krüger, 2012, § 260, Rn. 16. 80 Vgl. statt aller MüKoBGB-Krüger, 2012, § 260, Rn. 16 und 37. 72 73
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Ausforschungsbeweis verwische, indem sie einerseits darauf bedacht sei, solche Fälle auszuscheiden, in denen die Auskunft nur auf Verdacht begehrt wird, 81 und andererseits betont, im Interesse der materiellen Rechtsgewährung dürften die Grenzen nicht zu eng gezogen werden.82 2. Neuere materiellrechtliche Informationsansprüche Ein weiteres Mittel zur Bekämpfung der Informationsnot stellen die diversen spezialgesetzlichen materiellrechtlichen Auskunftsansprüche dar, die durch die Gesetzgebung in den vergangenen Jahrzehnten ergänzt wurden. So kann gemäß der erst im Jahr 1990 eingeführten Vorschrift des § 8 UmwHG, der von einer Umwelteinwirkung Geschädigte Auskünfte von Inhabern potentiell ursächlicher Anlagen verlangen, soweit jene zur Feststellung seines Anspruchs erforderlich sind. Auch im Bereich des geistigen Eigentums ist der Gesetzgeber nicht untätig geblieben. Hier ist eine Ausweitung der Möglichkeiten der Informations- und Beweismittelbeschaffung mit dem am 1. September 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums geschaffen worden. Dieses Gesetz dient in erster Linie der Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vom 30. April 2004 (Enforcement-Richtlinie),83 die die Mitgliedstaaten der EU zur Harmonisierung von Vorschriften zum Zweck der effektiven Durchsetzung der Immaterialgüterrechte verpflichtet. Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Rahmen der Umsetzung für den in der Literatur überwiegend 84 geforderten materiellrechtlichen Weg entschieden und in den Sondergesetzen des geistigen Eigentums einen Anspruch auf Informations- und Beweismittelbeschaffung verankert, der eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung“ voraussetzt (§§ 140 c PatG, 24 c GebrMG, 19 a, 128, 135 MarkenG, 9 HalbleiterschutzG, 101 a UrhG, 46 a GeschmMG, 37 c SortenschutzG). Eine Bewertung dieser Art der Umsetzung erfolgt in Teil III der Arbeit im Rahmen der Prüfung möglicher Umsetzungsmodelle.85 Im deutschen Urheberrecht sind die Neuerungen insbesondere in den Fällen relevant, die nicht unter den bisherigen § 101 a UrhG (nunmehr § 101 Abs. 1 UrhG n.F.) fallen, in denen also Auskunftsansprüche nicht gegenüber BGH v. 28.11.1989, NJW 1990, S. 1358. Vgl. dazu MüKoBGB-Krüger, 2012, § 260, Rn. 16 und 37. 83 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, berichtigte Fassung, ABl. L 195 v. 2.6.2004, S. 16 ff. 84 Bornkamm, in: FS Ullmann, 2006, S. 893, 896; Ahrens, GRUR 2005, S. 83; Tilmann, GRUR 2005, S. 737. 85 Vgl. unten, S. 335 ff. 81 82
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dem Rechtsverletzer, sondern gegenüber Dritten geltend gemacht werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Rechtsverletzung offensichtlich ist und dass ein Handeln in gewerbsmäßiger Form vorliegt. Gem. § 101 Abs. 2 UrhG n.F. kann etwa der Hersteller von Markenturnschuhen, der bei einem Spediteur mehrere Container mit Schuhen findet, die Fälschungen der von ihm hergestellten Originalturnschuhe darstellen, von dem Spediteur unverzüglich Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg dieser Turnschuhe verlangen, da die Rechtsverletzung offensichtlich ist.86 Ein weiteres relevantes Beispiel87 sind Auskunftsansprüche gegen den Internetzugangsvermittler (AccessProvider), wenn etwa ein Musikverlag entdeckt, dass ein Internetanbieter komplette Musikalben eines bei dem Musikverlag unter Vertrag stehenden Künstlers zum Download anbietet. Bislang konnte der Musikverlag eine Unterlassungs- und Schadensersatzklage erst einreichen, wenn es ihm zuvor auf sonstige Weise gelang, Kenntnis über die Identität des Rechtsverletzers zu erlangen. Der nunmehr geschaffene unmittelbare Auskunftsanspruch gegen den Internetprovider als Dritten setzt allerdings voraus, dass die behauptete Urheberrechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß begangen wurde. 88 Gleiches gilt für den bisher in § 101 a UrhG verankerten Auskunftsanspruch gegen den Verletzer selbst. Auch hier ist nunmehr gewerbsmäßiges Handeln erforderlich. Das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit löst das alte Tatbestandsmerkmal des Handelns im geschäftlichen Verkehr ab. Der Unterschied besteht darin, dass sich das Ausmaß bei Gewerbsmäßigkeit allein aus der Anzahl der Rechtsverletzungen ergibt, also anders als früher auch bei rein privatem Handeln vorliegen kann.89 3. Widerlegbare Rechts- und Tatsachenvermutungen und materielle Beweislastumkehr In einigen Fällen, in denen sich der Gläubiger in einer Situation befindet, in der ihm typischerweise die notwendigen Informationen fehlen, um seinen Anspruch geltend zu machen, schafft das Gesetz durch die Statuierung von widerlegbaren Tatsachenvermutungen Abhilfe, mit dem Ergebnis, dass der 86 Beispiel abrufbar auf der Seite des Bundesjustizministeriums unter , zuletzt abgerufen am 31.10.2010. 87 Beispiel ebenfalls abrufbar auf der Seite des Bundesjustizministeriums unter , zuletzt abgerufen am 31.10.2010. 88 Diese Anforderung wurde durch eine Änderung des Rechtsausschusses eingefügt, vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. v. 9.4.2008, S. 35. 89 Kitz, NJW 2008, S. 2374, 2375.
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Gläubiger infolge der Vermutung so behandelt wird, als hätte er einen Umstand dargelegt. So wird zum Beispiel gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB n.F. vermutet, dass der Schuldner die Pflichtverletzung auch schuldhaft begangen hat. Diese Vermutung zugunsten des Gläubigers durch Beweis des Fehlens von Verschulden zu widerlegen, obliegt dem Schuldner. Ähnliche Vermutungen finden sich im Recht des Verbrauchsgüterkaufs in § 476 BGB, für die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht in § 179 Abs. 1 BGB sowie für den gutgläubigen Erwerb gem. § 932 BGB. Vergleichbare Ergebnisse hat die Rechtsprechung im Bereich der Produzentenhaftung und der Arzthaftung durch eine Beweislastumkehr geschaffen, um dem Verbraucher bzw. Patienten in Fällen zu helfen, in denen er typischerweise außerhalb des Geschehensablaufs steht und so das erforderliche Verschulden, die objektive Pflichtverletzung und/oder die Kausalität nicht darlegen, geschweige denn beweisen kann.90 In Fällen der Produzentenhaftung muss der Geschädigte nicht aufklären, ob eine Pflichtverletzung des Produzenten vorliegt, sondern kann sich auf den Nachweis beschränken, dass ein Schaden durch einen im Organisationsbereich des Produzenten entstandenen verkehrswidrigen Zustand einer Sache ausgelöst worden ist. 91 Im Ergebnis ähnlich, wenngleich im Einzelfall sehr viel komplexer, ist die in einem gesonderten Abschnitt darzustellende Rechtslage im Bereich der Arzthaftung.92 Der Fall des non liquet und damit das Risiko des Prozessverlusts geht in Fällen der Beweislastumkehr nicht zu Lasten desjenigen, der nach den allgemeinen Regeln beweisbelastet wäre, sondern zu Lasten seines besser informierten Gegners. Auf Grund ihrer weit reichenden Folgen ist anerkannt, dass die durch Richterrecht statuierte Beweislastumkehr ultima ratio sein muss.93 Sie kann nicht bereits dann einschlägig sein, wenn eine Partei sich im Einzelfall in Beweisnot befindet, sondern vielmehr nur, wenn dies bei vergleichbaren Fällen typischerweise der Fall ist. 94 Aus Gründen der Rechtssicherheit wird daher dem Richter ein Ermessensspielraum nicht zugestanden. Ganz grundsätzlich zu unterscheiden von der Beweislastumkehr, bei der eine Ermessensentscheidung im Einzelfall unzulässig ist, sind sonstige Beweiserleichterungen, zu denen ein Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung berechtigt ist und die folglich in seinem Ermessen stehen. In diese Kategorie gehören auch die in den folgenden Abschnitten darzustellenden Grundsätze
Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 535. So Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozesrecht, 2010, § 115, Rn. 28. 92 S. 103. 93 Vgl. Assmann, Beweiserleichterung und Beweisumkehr, 1995, S. 183, 202. 94 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 123; Leipold, Beweismaß und Beweislast, 1985, S. 22. 90 91
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über den prima facie-Beweis sowie die Sanktionierung der Beweisvereitelung.95 Klassisches Beispiel für eine Beweislastumkehr ist die Hühnerpest-Entscheidung des BGH.96 Danach obliegt dem Hersteller entgegen § 823 Abs. 1 BGB die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Verschuldens, wenn bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines Industrieprodukts eine Person oder eine Sache dadurch einen Schaden erleidet, dass das Produkt fehlerhaft hergestellt wurde. Auf dieser Basis wurde auch in der Folgezeit unter den genannten Voraussetzungen an einer Beweislastumkehr für das Merkmal des Verschuldens festgehalten. Ein weiterer wichtiger Anwendungsfall ist das Arzthaftungsrecht, das jedoch Elemente vierer Fallgruppen, nämlich die Ausweitung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche, Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr, den prima facie-Beweis sowie die Grundsätze über die sekundäre Darlegungs- und Beweislast in sich vereinigt.97 4. Sekundäre Darlegungslast a) Voraussetzungen und Rechtsfolge Des Weiteren hat die Rechtsprechung – ursprünglich für den Bereich des Wettbewerbsrechts – die so genannten Grundsätze über die sekundäre oder abgestufte Darlegungslast entwickelt. Diese finden Anwendung, wenn die eine Partei für Umstände die Darlegungslast trägt, die in der Sphäre der anderen Partei liegen. Voraussetzung ist, dass die eine Seite, die die Darlegungslast trägt, in Unkenntnis über die Umstände ist, weil sie außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und auch keine sonstigen Aufklärungsmöglichkeiten hat, wohingegen die andere Seite die benötigte Information über diese Umstände ohne Weiteres erteilen kann und ihr dies auch zumutbar ist.98 Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, genügt die begünstigte Partei ihrer Darlegungslast zunächst, wenn sie lediglich Anhaltspunkte vorträgt. Sodann muss die andere Partei die entsprechenden Details offenlegen und so ihrer so genannten „sekundären Darlegungslast“ genügen.99 Es wird also eine Last zu substantiiertem Bestreiten ausgelöst, obgleich die primär darlegungsbelastete Partei ihrerseits nicht substantiiert vorgetragen 95 Anders wohl aber Habscheid, in: FS Baumgärtel, 1990, S. 105, 109, der auch die Fälle der Beweisvereitelung, der groben Verletzung von Berufspflichten sowie der Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten in die Fallgruppe der Beweislastumkehr einordnet. 96 BGH v. 26.11.1968, NJW 1969, S. 269. 97 Vgl. dazu sogleich unten, S. 103 f. 98 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 37; MüKoZPO-Peters, 2013, § 138, Rn. 21 f. jeweils mwN. 99 BGH v. 1.12.1982, BGHZ 86, S. 23, 29; BGH v. 7.12.1998, BGHZ 140, S. 156, 158.
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hat. Diese sekundäre Darlegungslast hat die Rechtsprechung aus § 138 Abs. 2 BGB abgeleitet und wendet sie nunmehr ganz allgemein, losgelöst von wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten, an. 100 Wenn die andere Partei ihr nicht nachkommt, wird unter Anwendung von § 138 Abs. 3 BGB unwiderlegbar vermutet, dass die Behauptung der eigentlich darlegungsbelasteten Partei zutrifft, obgleich sie nicht hinreichend substantiiert war. Begründet wird die sekundäre Darlegungslast mit der allgemeinen Pflicht zu redlicher, mit den Geboten von Treu und Glauben zu vereinbarender Prozessführung.101 Teilweise ist die fehlende Mitwirkung aber auch im Rahmen von § 286 ZPO gewürdigt worden, um die Möglichkeit offenzuhalten, auch die Beweggründe für die Verweigerung mit einzubeziehen. 102 Dritter Ansatz ist die Prozessförderungspflicht in Verbindung mit der Wahrheitsund Vollständigkeitspflicht, wie Peters sie vorgeschlagen hat. 103 Diese hat sich jedoch in der Rechtsprechung nicht durchsetzen können.104 b) Fälle Sehr ausführlich hat sich das Reichsgericht mit der sekundären Darlegungslast in einem grundlegenden Fall aus dem Jahr 1941 beschäftigt, in dem der Kläger Zweifel an der tatsächlichen Vereinigung von Kopierbetrieben bezüglich der von der Beklagten geführten Firma „Vereinigte Fotokopierapparate GmbH“ hatte. In diesem Fall nahm das Reichsgericht „auch unter dem Gesichtspunkt der jetzt unter § 138 Abs. 1 vorgeschriebenen Mitwirkung zur richtigen Rechtsfindung“ weit reichende Mitwirkungspflichten des Beklagten an, nicht nur durch „vollständige und wahrheitsgemäße Erklärung über tatsächliche Umstände“, sondern auch durch „Beibringung wesentlicher Unterlagen zur Rechtfertigung seiner Firmenwahl“. 105 In einem Abänderungsverfahren hat der BGH einem unterhaltsverpflichteten Beklagten die Pflicht auferlegt, detaillierte Angaben über sein Einkommen zu machen. 106 Besonders häufig hat der BGH die vorstehenden Grundsätze in Wettbewerbsverfahren und später auch in Verfahren über Kennzeichenstreitsachen angewendet.107 BGH v. 1.12.1982, BGHZ 86, S. 23, 29; BGH v. 30.9.1980, NJW 1981, S. 113, 114. BGH v. 20.1.1961, NJW 1961, S. 826, 828; BGH v. 13.7.1962, NJW 1962, S. 2149, 2150. Kritisch hierzu MüKoZPO-C.Wagner, 2013, § 138, Rn. 22. 102 BGH v. 12.1.1960, NJW 1960, S. 821. 103 Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399 ff.; ihm folgend MüKoZPO-C.Wagner, 2013, § 138, Rn. 22. Vgl. oben, S. 87 f. 104 Vgl. oben, S. 88 f. 105 RGZ 166, S. 240, 242. 106 BGH v. 15.10.1986, NJW 1987, S. 1201. 107 Fezer, Markenrecht, 2009, § 24, Rn. 58 c. BGH v. 20.1.1961, NJW 1961, S. 826 – Pressedienst; BGH v. 13.7.1962, NJW 1962, S. 2149 – Bärenfang. 100 101
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In der Pressedienst-Entscheidung hatte ein Pressedienst mit der Mitwirkung zahlreicher namentlich genannter Bundesrichter, OLG-Präsidenten, Landgerichtspräsidenten etc. geworben. Der konkurrierende Kläger, der ebenfalls einen Pressedienst betrieb, bestritt, dass es sich bei den genannten Personen um echte Mitarbeiter handelte, weil sie nicht laufend Beiträge lieferten. Demgegenüber trug der beklagte Pressedienst vor, die Genannten hätten sich bereit erklärt, gelegentlich Beiträge zu liefern. Der BGH sah den beklagten Pressedienst auf Basis der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast als verpflichtet an, nähere Details über die angebliche Mitarbeit offenzulegen, weil er sie unschwer geben könne, der Kläger hingegen nicht. Allerdings sei ihm nicht zumutbar, die Namen aller derer preiszugeben, die laufend Beiträge leisteten. Denn auch außerprozessual gelte für Auskunftspflichten unter Mitbewerbern vielfach eine Grenze dahingehend, dass ein Interesse bestehe, seine Lieferanten oder Kunden nicht dem Konkurrenten offenzulegen. Zumutbar sei aber die Nennung der Anzahl derjenigen, die tatsächlich Beiträge leisten.108 Ein Jahr später kam es zum Streit zwischen zwei Herstellern des Likörs „Bärenfang“, einer ostpreußischen Spezialität. Das in Köln ansässige Unternehmen der Beklagten warb mit der Angabe „nach einem alten ostpreußischen Familienrezept hergestellt“. Demgegenüber bezweifelte die Klägerin, deren Firma in Ostpreußen gegründet worden war, dass die Beklagte über ein derartiges Rezept verfügte. Der BGH nahm in diesem Fall nicht nur eine Last auf Darlegungsebene an, sondern sogar eine Pflicht („Darlegungspflicht“) und zwar auch auf Beweisebene („Beweispflicht“109). Begründet wurde dies damit, dass es dem Gedanken von Treu und Glauben, der auch im Prozessrecht gilt, widersprechen würde, wenn man nicht hinsichtlich derjenigen tatsächlichen Umstände, deren Aufklärung nach Lage der Sache vom Kläger billigerweise nicht erwartet werden kann, eine Mitwirkung des Beklagten in Gestalt einer „Darlegungs- und Beweispflicht“ verlangte.110 Allerdings gerät die Rechtsprechung insbesondere in den wettbewerbsund kennzeichenrechtlichen Fällen sehr schnell in Konflikt mit etwaigen schützenswerten Unternehmensgeheimnissen, zu denen auch die Organisation und Sicherung des Vertriebssystems gehört.111 Überdies sind die Grenzen zu beachten, die durch die Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises gezogen werden.112
BGH v. 20.1.1961, NJW 1961, S. 826, 828. BGH v. 13.7.1962, NJW 1962, S. 2149, 2150. 110 BGH v. 13.7.1962, NJW 1962, S. 2149, 2150. 111 Fezer, Markenrecht, 2009, § 24, Rn. 58 c. Vgl. dazu sogleich unten, S. 117 ff. 112 Vgl. dazu unten, S. 124 ff. 108 109
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5. Der prima facie-Beweis Ein vergleichbarer Effekt wird durch die Anerkennung des Anscheinsbeweises (prima facie-Beweis) erreicht. Der Anscheinsbeweis kommt zur Anwendung, wenn bestimmte typische Geschehensabläufe nach allgemeiner Lebenserfahrung nur auf eine bestimmte Ursache hindeuten. 113 Sofern die begünstigte Partei also darlegen und gegebenenfalls beweisen kann, dass der dem Rechtsstreit zu Grunde liegende Lebenssachverhalt mit einem solchen allgemeinen Erfahrungssatz übereinstimmt, ist es an der anderen Partei, den Beweis des ersten Anscheins zu erschüttern. Um den Anscheinsbeweis erschüttern zu können, muss die andere Partei darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass auf Grund eines atypischen Geschehensablaufs in dem konkreten Fall der Erfahrungssatz keine Anwendung findet.114 Systematisch ist der Anscheinsbeweis nicht als Beweislastregel anzusiedeln. Vielmehr ist er in die Kategorie der Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO einzuordnen, im Rahmen derer die allgemeine Lebenserfahrung Berücksichtigung findet.115 Bei den anzuwendenden Erfahrungssätzen werden zwingende Erfahrungsgesetze, Erfahrungsgrundsätze und einfache Erfahrungssätze unterschieden, die sich hinsichtlich der Reichweite ihrer Wahrscheinlichkeit voneinander unterschieden.116 Von zwingenden Erfahrungsgesetzen sind Ausnahmen nicht denkbar. So steht bei Vorliegen eines Alibis fest, dass die fragliche Person eine bestimmte Handlung nicht begangen haben kann, weil sie nicht gleichzeitig an zwei Orten anwesend sein kann.117 Bei Erfahrungsgrundsätzen sind hingegen Ausnahmen denkbar, jedoch spricht für die Erfahrungsgrundsätze eine hohe Wahrscheinlichkeit, die sie für den Anscheinsbeweis tauglich macht. So gilt im Straßenverkehr, dass derjenige, der ein Verkehrszeichen nicht beachtet oder bei trockener Witterung von der sauberen Fahrbahn abkommt, in der Regel schuldhaft handelt.118 In diese Gruppe gehört auch der Auffahrunfall. Im Rahmen des deliktischen Schadensersatzanspruchs gem. § 823 Abs. 1 BGB wird zugunsten des Klägers, der Eigentümer des ersten Autos ist, und zulasten des Eigentümers des auffahrenden Autos auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung vermutet, dass der Auffahrende schuldhaft gehandelt hat, etwa weil er unaufmerksam war oder zu dicht aufgefahren ist. Wenn jedoch der Beklagte das Gericht davon überzeugen kann, dass ein atypischer Geschehensablauf vorlag, etwa weil der Fahrer des vorderen WaBGH v. 5.3.2002, NJW 2002, S. 1645. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 286, Rn. 138 f. 115 Vgl. MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 48, 51. Nach Auffassung von Musielak, Beweislast, 1975, S. 120 ff. reduziert der Anscheinsbeweis demgegenüber auch das Beweismaß. 116 Vgl. MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 56 ff. 117 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 57. 118 Vgl. MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 58. 113 114
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gens plötzlich abgebremst hat, so ist der Beweis des ersten Anscheins erschüttert und es verbleibt bei den allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln, so dass der Kläger das Verschulden des Auffahrenden darlegen und gegebenenfalls beweisen muss. Einfache Erfahrungssätze sind demgegenüber als solche nicht hinreichend wahrscheinlich, um die Anwendung des Anscheinsbeweises zu rechtfertigen. 119 Sie können jedoch Teil der Beweiswürdigung im Rahmen eines Indizienbeweises sein.120 6. Sanktionierung der Beweisvereitelung Ein weiteres Element, das das deutsche funktionale Äquivalent kennzeichnet, ist die Sanktionierung der Beweisvereitelung. Hier handelt es sich gegenüber den vorgenannten Mechanismen insofern um eine Sonderkonstellation, als eine Beweisvereitelung ein vorwerfbares Verhalten des Beweisgegners dahingehend verlangt, dass dieser schuldhaft die Beweisführung der beweisbelasteten Seite erschwert oder unmöglich macht. Unter einer Beweisvereitelung versteht man ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten der nicht beweisbelasteten Partei, durch das ein an sich möglicher Beweis verhindert oder erschwert wird und so die Beweisführung der Gegenpartei zum Scheitern gebracht wird.121 Erforderlich ist, dass ohne die Handlung des Gegners der beweispflichtigen Partei deren Beweisführung möglich gewesen wäre. Die Handlung des Gegners kann auch bereits vor dem Prozess stattgefunden haben.122 Subjektiv ist neben dem einfachen Verschuldenselement erforderlich, dass der Gegner auch die Störung der Beweisfunktion vorsätzlich oder fahrlässig verursacht hat.123 Folgende Beispiele aus der Rechtsprechung, in denen der Tatbestand der Beweisvereitelung angenommen wurde, seien genannt:124 – – –
Eine Partei gibt die ihr allein bekannte Anschrift eines Unfallzeugen nicht bekannt.125 Eine Partei entbindet den Arzt nicht von der Schweigepflicht, obwohl ihr dies zumutbar ist.126 Ein Arzt bewahrt den Tupfer nicht auf, den er versehentlich bei einer Operation in der Wunde zurückgelassen hatte und den er dann später durch eine zweite Operation aus der Wunde entfernte.127
Vgl. dazu die Nachweise bei Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 286, Rn. 138 f. Vgl. MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 60. 121 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 80. 122 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 82. 123 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 83. 124 So die Zusammenstellung bei MüKoZPO-Prütting, 2013, § 286, Rn. 81. 125 BGH v. 12.1.1960, NJW 1960, S. 821. 126 BGH v. 8.12.1971, NJW 1972, S. 1131. 127 BGH v. 16.4.1955, VersR 1955, S. 344. 119 120
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Ein Arzt unterlässt die Erstellung der vorgeschriebenen Dokumentation über das Krankheitsbild und den Krankheitsverlauf.128 Ein Arzt legt ein erbetenes Röntgenbild nicht vor.129
Hoch umstritten ist, welche Rechtsfolgen sich aus dem Tatbestand der Beweisvereitelung ergeben sollen. Die Vorschläge reichen von einer Berücksichtigung im Rahmen der freien Beweiswürdigung130 über eine Postulierung einer ungünstigen, widerlegbaren Fiktion131 bis hin zur Beweislastumkehr.132 Hier lohnt es sich, zunächst die gesetzlich geregelten Fälle der Beweisvereitelung zu betrachten. Sehr häufig arbeitet das Gesetz mit der Möglichkeit, die Wahrheit des Vorbringens der jeweils anderen Seite im Rahmen der Beweiswürdigung anzunehmen. So ordnet § 371 Abs. 3 ZPO an, dass im Fall der Vereitelung einer zumutbaren Einnahme des Augenscheins die Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit des Gegenstandes als bewiesen angesehen werden können. Ebenso können gem. § 427 S. 2 ZPO die Behauptungen des Beweisführers über die Beschaffenheit und den Inhalt der Urkunde als bewiesen angenommen werden, wenn der Gegner der Anordnung der Urkundenvorlage nicht nachkommt und eine Abschrift der Urkunde nicht vorliegt. Auch wenn er die Urkunde in der Absicht, ihre Benutzung einer Partei zu entziehen, beseitigt oder zur Benutzung untauglich macht, können die Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit und den Inhalt der Urkunde gem. § 444 ZPO als bewiesen angesehen werden. Ein Fall der Berücksichtigung im Rahmen der freien Beweiswürdigung findet sich ferner in § 446 ZPO, demzufolge das Gericht unter Berücksichtigung der gesamten Sachlage, insbesondere der für die Weigerung vorgebrachten Gründe, nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob es die behauptete Tatsache als erwiesen ansehen will, wenn der Gegner die Parteivernehmung ablehnt. Das Gesetz sieht mithin für die gesetzlich geregelten Fälle der Beweisvereitelung die Berücksichtigung im Rahmen der freien Beweiswürdigung vor. Der BGH hat sich bislang nicht auf eine bestimmte Rechtsfolge festgelegt und spricht von „Beweiserleichterungen bis zur Beweislastumkehr“.133 Wichtiges Kriterium bei der Auswahl der Reichweite der Rechtsfolge sei der Grad des Verschuldens.134
BGH v. 27.6.1978, BGHZ 72, 137. BGH v. 6.11.1962, NJW 1963, S. 389. 130 Gerhardt, AcP 169, S. 307; Peters, ZZP 82 (1969), S. 218; Musielak-Foerste, 2014, § 286, Rn. 62, Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 20. 131 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 246 ff. 132 Blomeyer, AcP 158 (1959), S. 97, 102 f. 133 BGH v. 27.6.1978, BGHZ 72, 132, 138; BGH v. 17.1.2008, NJW 2008, S. 982, 985, Rn. 23. 134 Laumen, NJW 2002, S. 3739, 3746. 128 129
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Allerdings wird auch die durch den BGH vorgenommene Beweislastumkehr von manchen nicht der Kategorie der Umkehr der Beweislast, sondern vielmehr der Beweiswürdigung zugeordnet, weil die Umkehr der Beweislast eine starre Rechtsfolge darstelle, wohingegen im Rahmen der Beweiswürdigung auch eine Erschütterung des Beweiswertes zu beachten sei.135 Überzeugend ist die vermittelnde Lösung, die eine Umkehr der Beweislast bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Handeln und eine Berücksichtigung im Rahmen der Beweiswürdigung bei leicht fahrlässiger Beweisvereitelung annimmt.136 Dies hat den Vorteil, dass die im Verhältnis starre Rechtsfolge der Beweislastumkehr nur bei schwereren Verschuldensformen einschlägig ist und die Flexibilität der Beweiswürdigung für die leichteren Verschuldensfälle verbleibt.137 7. Sonderfall Arzthaftungsrecht Interessant sind die Entwicklungen im Arzthaftungsrecht, die sich im Grenzbereich zwischen Beweiserleichterungen, Beweislastumkehr, Anscheinsbeweis, sekundärer Darlegungslast und materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen bewegen. Diese sind sehr komplex und stellen ein Thema für sich dar. Hier soll es genügen, einen kurzen Überblick zu geben.138 Im Arzthaftungsrecht wird von Rechtsprechung und Literatur seit Jahrzehnten versucht, eine interessengerechte Risikoverteilung zwischen Arzt und Patient zu erreichen. Die enge Verknüpfung zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht zeigt sich in diesem Bereich besonders deutlich; die verfahrensrechtliche Risikozuweisung spiegelt die haftungsrechtliche Zuweisung nach materiellem Recht wider.139 Die h.M. hält nach wie vor am grundsätzlichen Modell der Verschuldenshaftung sowie der allgemeinen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast fest. Weder die Statuierung eines Gefährdungshaftungstatbestandes noch eine generelle Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des Arztes haben sich durchsetzen können. Vielmehr Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 286, Rn. 188; Laumen, MDR 2009, S. 177, 179. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 20; Stein/JonasLeipold, ZPO, 2008, § 286, Rn. 188. 137 Wobei Laumen, MDR 2009, S. 177, 179, zu Recht darauf verweist, dass mit „Umkehr der Beweislast“ nur die Umkehr der Beweisführungslast gemeint sein kann. Dies ergebe sich zum einen aus den gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen der Beweisvereitelung in den Fällen der §§ 371 Abs. 3, 427, 441 Abs. 3, 444 und 446 ZPO. Zum anderen stünde die gegnerische Partei sonst besser, als wenn die andere Partei die Beweisführung nicht vereitelt hätte. 138 Eine detailreiche Abhandlung findet sich etwa bei Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 2008, Rn. 514 ff. 139 So Krämer, in: FS Hirsch, 2008, S. 387, 388; ebenso: Leipold, Beweismaß und Beweislast, 1985, S. 24 ff. sowie Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 181 ff. 135 136
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bleibt es wegen der besonderen Situation des Arztes, der nach Ansicht des BGH mit der Schwierigkeit konfrontiert sei, dass ohne sein Verschulden ein negativer Behandlungsverlauf „infolge der Unberechenbarkeit des lebenden Organismus ausnahmsweise auch schicksalhaft“ 140 auftreten könne, dabei, dass der Patient grundsätzlich sowohl das Vorliegen eines Behandlungsfehlers als auch die haftungsbegründende Kausalität nachzuweisen hat. Hiervon werden jedoch Ausnahmen und Aufweichungen zugunsten des Patienten zugelassen. Liegt ein so genannter grober Behandlungsfehler des Arztes vor, den der Patient nachzuweisen hat, so kommen dem Patienten im Rahmen des Nachweises der haftungsbegründenden Kausalität „Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“ zugute. Die Rechtsprechung begründet dies mit der Tatsache, „dass das von dem Behandlungsfehler in das Behandlungsgeschehen hineintretende Aufklärungserschwernis, um dessen Verteilung es nach der Billigkeit geht, darin liegt, dass das Spektrum der für den Misserfolg in Betracht kommenden Ursachen gerade wegen der besonderen Schadensneigung des Fehlers verbreitert oder verschoben wird.“141 Das Vorliegen eines solchen groben Behandlungsfehlers nimmt der BGH an, wenn der Arzt einen Fehler begangen hat, der einem Arzt „schlechterdings“ nicht unterlaufen darf.142 Zu einer Beweiserleichterung soll es aber selbst bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers nur dann kommen, wenn der Fehler zur Herbeiführung des Schadens geeignet ist, wenn also die Kausalitätsfeststellung durch die Belastung des Behandlungsgeschehens mit dem konkreten Behandlungsfehler erschwert ist.143 8. Gefährdungshaftung Ein weiteres Beispiel dafür, wie die deutsche Rechtsordnung die strukturelle Wissensunterlegenheit der einen Partei ausgleicht, ist die Statuierung von Ansprüchen der Gefährdungshaftung. Im Rahmen der Gefährdungshaftung wird abweichend von dem sonst im Deliktsrecht geltenden Verschuldensprinzip die Einstandspflicht nicht vom Verschulden, also von der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens, abhängig macht. 144 Ihr liegt die Erwägung zu Grunde, dass jeder, der zu seinem Nutzen einen gefährlichen Betrieb einrichtet und unterhält, auch die Schäden zu tragen hat, die in Verwirklichung dieses Risikos typischerweise eintreten (Zurechnungsgrund).145 So muss beispielsweise im Rahmen von Ansprüchen wegen Produkthaftung die verletzte Partei anders als im Rahmen des allgemeinen deliktischen Anspruchs nach BGH v. 14.3.1978, NJW 1978, S. 1681, 1682. BGH v. 27.10.1982, BGHZ 85, 212, 216. 142 BGH v. 3.11.1998, NJW 1999, S. 862. 143 BGH v. 27.10.1982, BGHZ 85, 212, 217. 144 MüKoBGB-G. Wagner, 2013, Vor § 823, Rn. 16. 145 So Palandt-Sprau, BGB, 2014, Einf. v. § 823, Rn. 6. 140 141
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§ 823 Abs. 1 BGB das Verschulden des Herstellers nicht darlegen und beweisen, vgl. § 1 Abs. 1 ProdHaftG. Die typische Unkenntnis der genauen Abläufe des Herstellungsvorgangs auf Seiten des Verbrauchers wird auf diese Art und Weise kompensiert. Weitere Anwendungsfälle dieses Gedankens bestehen in sonstigen Fällen, in denen „es neuartige Gefahrenquellen haftungsrechtlich einzufangen gilt“, 146 so etwa für Kraftfahrzeuge in § 7 StVG, für den Bahnbetrieb gem. § 1 HaftPflG, für Arzneimittel in § 84 AMG, für Kernkraftwerke in §§ 25 ff. AtomG, für Luftfahrzeuge in § 33 LuftVG und für umweltgefährdende Anlagen in § 1 UmwHG. 9. § 142 ZPO Die Neufassung des § 142 ZPO, bei dem es sich strukturell um eine Maßnahme der materiellen Prozessleitung des Gerichts und somit um eine Ergänzung zu § 139 ZPO handelt,147 durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001 hat eine weit reichende Änderung dahingehend gebracht, dass der Gegner der darlegungsbelasteten Partei nunmehr auch im deutschen Recht bei der Urkundenvorlage stärker zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung herangezogen wird. 148 Vor der Neufassung regelte § 142 Abs. 1 ZPO a.F. die Möglichkeit der amtswegigen Anordnung der Vorlage von den in den Händen einer Partei befindlichen Urkunden, „auf die sie149 sich bezogen hat“. Demgegenüber bezieht sich § 142 Abs. 1 S. 1 ZPO nunmehr auf die amtswegige Anordnung der Vorlage von Urkunden, „auf die sich eine150 Partei bezogen hat“. a) Bezugnahmeerfordernis Obgleich der Wortlaut von § 142 Abs. 1 S. 1 ZPO, insbesondere im Vergleich zu der ursprünglichen Fassung, eindeutig zu implizieren scheint, dass die Bezugnahme durch die darlegungsbelastete Partei ausreichend ist, ist die dahingehende Interpretation der Norm alles andere als unumstritten.151 Viel-
MüKoBGB-G. Wagner, 2013, Vor § 823, Rn. 16. Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 142, Rn. 1. 148 Gottwald, Gutachten, 65. Juristentag, 2004, A 107, 112. 149 Hervorhebung durch Verf. 150 Hervorhebung durch Verf. 151 Die Regelung, die der Reformgesetzgeber 2002 getroffen hat, bleibt weit hinter den Vorschlägen der Kommission für das Zivilprozessrecht aus dem Jahr 1977 zurück, vgl. Bericht der Kommission, 1977. Darin war zum einen das Bezugnahmeerfordernis in § 142 ZPO gänzlich gestrichen, zum anderen eine an § 142 ZPO angepasste Regelung für den Urkundsbeweis vorgesehen worden, die eine grundsätzliche Vorlagepflicht für Urkunden statuiert. Konkret hatte die Kommission folgenden Wortlaut vorgeschlagen: 146 147
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mehr gibt es sowohl obergerichtliche Rechtsprechung als auch gewichtige Stimmen in der Literatur, die eine sehr viel einschränkendere Interpretation für zutreffend erachten. 152 Nach Ansicht des OLG Frankfurt hat die Neufassung des § 142 Abs. 1 ZPO nichts an dem „bewährten Grundsatz des Zivilprozessrechts geändert, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt“.153 Deshalb dürfe dem Gegner der beweisbelasteten Partei die Vorlage einer Urkunde gem. § 142 Abs. 1 ZPO nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 422, 423 ZPO auferlegt werden. Einer derartigen Interpretation, dass der nicht beweisbelasteten Partei die Vorlage einer in ihrem Besitz befindlichen Urkunde zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch gem. § 142 Abs. 1 ZPO nur dann auferlegt werden dürfe, wenn auch die Voraussetzungen der §§ 422, 423 ZPO vorliegen, hat der BGH indes mittlerweile eine Absage erteilt154 und sich damit einer Meinung in der Literatur 155 angeschlossen. Die einschränkende Auslegung sei zum einen mit dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 ZPO unvereinbar, aus dem sich ergebe, dass es ausreichend sei, wenn eine Partei sich auf die Urkunde berufen habe. Zum anderen entspreche eine derart restriktive Interpretation nicht dem Willen des Gesetzgebers, demzufolge § 142 Abs. 1 ZPO „§ 142 ZPO (1) Das Gericht kann einer Partei aufgeben, Urkunden und andere zur Verwahrung bei Gericht geeignete Gegenstände vorzulegen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich erscheint. […]“, vgl. Bericht der Kommission, 1977, S. 332. „§ 419 ZPO: (1) Der Gegner ist verpflichtet, die Urkunde vorzulegen, wenn 1. der Beweisführer glaubhaft macht, daß er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts ihre Herausgabe oder Vorlegung verlangen kann, 2. der Gegner selbst zur Beweisführung auf sie Bezug genommen hat. (2) Der Gegner ist auch sonst zur Vorlegung der Urkunde verpflichtet. Dies gilt nicht, soweit er glaubhaft macht, daß 1. ihm mit Rücksicht auf die über die Entscheidung des Rechtsstreits hinausreichenden Folgen die Vorlegung nicht zugemutet werden kann oder 2. er durch die Vorlegung überwiegend schutzwürdige Belange Dritter, insbesondere ein Persönlichkeitsrecht, ein Geschäftsgeheimnis oder eine Verschwiegenheitspflicht, verletzen würde“. Vgl. Bericht der Kommission, 1977, S. 350 f. Nicht ganz verständlich ist allerdings, aus welchem Grunde für § 419 Abs. 2 eine derart weite Fassung vorgeschlagen worden ist, die weder ein Relevanzkriterium noch die Erforderlichkeit der Information zur Voraussetzung hat. 152 OLG Frankfurt a.M. v. 18.10.2006, OLGR Frankfurt 2007, S. 466; Stein/JonasLeipold, ZPO, 2005, § 142, Rn. 21 f. 153 OLG Frankfurt a.M. v. 18.10.2006, OLGR Frankfurt 2007, S. 466, Abschnitt B III 4 b) (3). Anders aber Saenger, ZZP 121 (2008), S. 139, 146: „Der alte Grundsatz, wonach keine Prozesspartei gehalten ist, dem Gegner für dessen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt, gilt wohl nicht mehr“. 154 BGH v. 26.6.2007, BGHZ 173, 23. 155 Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 142, Rn. 2; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 2014, § 142, Rn. 1; Zekoll/Bolt, NJW 2002, S. 3129, 3130; Kraayvanger/Hilgard, NJ 2003, S. 572, 574.
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unabhängig davon eingreifen soll, ob ein materiellrechtlicher Herausgabeanspruch besteht oder nicht. Drittens bestehe aber auch der behauptete Wertungswiderspruch nicht, da ein eigenständiger Anwendungsbereich der §§ 422, 423 ZPO verbleibe. Denn wenn – so der BGH weiter – die Voraussetzungen dieser Normen vorlägen, treffe den Gegner kraft Gesetzes eine unbedingte Vorlagepflicht, wohingegen im Anwendungsbereich des § 142 ZPO erst noch eine Anordnung des Gerichts erfolgen müsse, die lediglich im Ermessen des Gerichts stehe. Darüber hinaus seien auch die Sanktionen im Fall der Nichtbefolgung in beiden Fällen verschieden. Während im Fall der §§ 422, 423 ZPO die speziellen Rechtsfolgen des § 427 ZPO eingriffen, insbesondere § 427 S. 2 ZPO, demzufolge das Gericht die Richtigkeit der Aussage der beweisbelasteten Partei unterstellen dürfe, sei im Fall des § 142 ZPO die Vorschrift des § 427 S. 2 ZPO allenfalls mittelbar im Rahmen der allgemeinen Beweiswürdigung über § 286 ZPO anwendbar.156 Der BGH trat auch denjenigen entgegen, die in der von den Voraussetzungen der §§ 422, 423 ZPO losgelösten Anwendung des § 142 Abs. 1 ZPO die Ermöglichung des an sich unzulässigen Ausforschungsbeweises sahen. Denn § 142 Abs. 1 ZPO befreie die beweispflichtige Partei nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast. Die Norm dürfe gerade nicht zum Zweck der bloßen Informationsgewinnung herangezogen werden, sondern lediglich im Fall schlüssigen und auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags der Parteien.157 Erforderlich ist demnach allein die Bezugnahme durch eine der beiden Parteien, wobei diese nicht explizit zu erfolgen braucht, sondern sich auch konkludent aus dem Sachvortrag oder aber den vorgelegten Unterlagen ergeben kann. 158 Das Bestehen eines materiellrechtlichen Herausgabe- oder Vorlageanspruchs ist nicht erforderlich.159 b) Ermessen Die Anordnung steht im Ermessen des Gerichts. Diese Ermessensentscheidung hat anhand einer Interessenabwägung zu erfolgen. Sofern also entscheidungserheblicher Vortrag unverständlich oder unpräzise ist oder entscheidungserhebliche Tatsachen streitig sind, muss das Gericht das Interesse der jeweils darlegungs- und beweisbelasteten Partei an der Klärung des Sachverhalts Vgl. zum Ganzen BGH v. 26.6.2007, BGHZ 173, 23. BGH v. 26.6.2007, BGHZ 173, 23, Rn. 20. Saenger, ZZP 121 (2008), S. 139, 151 meint, damit sei die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers, die Befugnisse des Richters nur behutsam zu erweitern, ein frommer Wunsch geblieben. Die §§ 142 ff. ZPO dient damit nicht nur dem Erschließen vom Informationsquellen für das Gericht zum besseren Verständnis, sondern auch dem Bereitstellen vom Beweismitteln. 158 Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 142, Rn. 6. 159 BT-Drs 14/722, S. 92; Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 142, Rn. 2. 156 157
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gegen die erkennbar betroffenen Interessen des Urkundenbesitzers abwägen.160 Im Rahmen der Ermessensausübung sind – wie auch schon vor der Neufassung der Vorschrift – nach dem Willen des Gesetzgebers sowohl der Erkenntniswert als auch berechtigte Belange des Geheimnis- und Persönlichkeitsschutzes zu berücksichtigen.161 Allerdings ist bei der Abwägung auch mit einzubeziehen, dass der Gesetzgeber die Rechtslage betreffend den Prozessgegner anders ausgestaltet hat als in Bezug auf den Dritten, dem er in § 142 Abs. 2 ZPO weit reichende Weigerungsrechte, insbesondere auch aus Gründen der Zumutbarkeit, eingeräumt hat. Da der Gesetzgeber auf die Einräumung derartiger Weigerungsrechte bei der Vorlageanordnung gegenüber den Prozessparteien bewusst verzichtet hat, insbesondere auf das Kriterium der Zumutbarkeit, dürfen diese Aspekte nicht durch die Hintertür der Ermessensentscheidung eingeführt werden. Diese Sachregelung ist auch interessengerecht, weil die Situation des Dritten von der des Gegners grundverschieden ist. Der Gegner ist auf Grund des bestehenden Prozessrechtsverhältnisses zu einer weiter reichenden Mitwirkung verpflichtet als ein unbeteiligter Dritter:162 Während ersterer gem. § 138 ZPO zur Wahrheit und Vollständigkeit verpflichtet ist, steht letzterem gem. §§ 142 Abs. 3, 383 ZPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Zumutbarkeitserwägungen haben aber insofern einzufließen, als sie grundrechtsrelevant sind. So darf die Vorlage von persönlichen Unterlagen, die in den intimen Bereich fallen, wie etwa einer Tagebuchaufzeichnung, gem. Art. 1 i.V.m. 2 Abs. 1 GG nicht verlangt werden. Auch Unterlagen, die der Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant in dem fraglichen Rechtsstreit entstammen, dürfen nicht gem. § 142 ZPO angefordert werden, da dieses Vertrauensverhältnis aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten schützenswert ist. 163 Wie weitgehend die Ermessensentscheidung von den oberen Instanzen überprüft werden wird, bleibt abzuwarten. An sich steht dem Berufungs-, und Revisionsgericht nur die Prüfung des Vorliegens eines Ermessensfehlers, nicht aber das Fällen einer eigenständigen Ermessensentscheidung zu. So betreffen die bislang ergangenen Berufungs- und Revisionsentscheidungen überwiegend eindeutige Ermessensfehler in Gestalt des Ermessensnichtgebrauchs, in denen das betreffende Gericht die Anordnung der Vorlage streiterheblicher Unterlagen nach § 142 ZPO noch nicht einmal in Betracht gezogen hat.164 Vgl. Drenckhahn, Urkundsvorlagepflichten, 2007, S. 120. BT-Drucks. 14/6036, S. 120; Zekoll/Bolt, NJW 2002, S. 3129, 3130 f.; ZöllerGreger, ZPO, 2014, § 142, Rn. 8. 162 Stürner, JZ 1985, S. 453, 457; Konrad, NJW 2004, S. 710, 711. 163 Kraayvanger/Hilgard, NJ 2003, S. 572, 574. Vgl. dazu sogleich ausführlich unten, S. 116 f. sowie S. 308 f. 164 So etwa OLG Saarbrücken v. 30.4.2003, MDR 2003, S. 1250; BGH v. 26.6.2007, NJW 2007, S. 2989. 160 161
A. Zugang zu Information und Beweis
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c) Nutzung der neu geschaffenen Möglichkeiten in der Praxis Im Sommer 2005 beauftragte das Bundesministerium der Justiz ein Forscherteam mit der Evaluation der ZPO-Reform aus Sicht der Richter und Rechtsanwälte anhand einer bundesweiten,165 repräsentativen und auf Zufallsstichproben basierenden schriftlichen Befragung.166 Diese ergab, dass in der Praxis von § 142 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 ZPO n.F. auffallend selten Gebrauch gemacht wird. Von den befragten Richtern am Landgericht 167 geben 31 Prozent an, noch nie die Möglichkeit einer amtswegigen Anordnung der Urkundenvorlage gegenüber der Gegenpartei genutzt zu haben, am Amtsgericht168 sind es sogar 37 Prozent. Demgegenüber erlassen nur 7 Prozent der befragten Richter am Landgericht eine solche Anordnung häufig und am Amtsgericht sogar nur 5 Prozent. Sehr hoch ist an beiden Gerichten der Prozentsatz derer, die selten von der Möglichkeit des § 142 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 ZPO Gebrauch machen: am Landgericht 62 Prozent und am Amtsgericht 58 Prozent der Befragten. 169 Eine noch deutlichere Sprache sprechen die Zahlen hinsichtlich der Anordnung der Urkundenvorlage gegenüber Dritten. Hier geben 66 Prozent der befragten Richter am Amtsgericht bzw. 70 Prozent der Richter am Landgericht an, noch nie eine solche Anordnung erlassen zu haben, lediglich ein Prozent bzw. zwei Prozent ordnen die Urkundenvorlage gegenüber Dritten häufig an. Die verbleibenden 33 bzw. 28 Prozent machen selten von dieser Möglichkeit Gebrauch.170 Nicht einbezogen wurde in die Umfrage jedoch das Land Hamburg. Die Umfragen waren an eine Feldphase für eine allgemeine Aktenanalyse gekoppelt. An Letzterer beteiligten sich das Hanseatische OLG sowie die Hamburger Amts- und Landgerichte unter Verweis auf die richterliche Unabhängigkeit nicht, die es lediglich erlaube, die Akten durch die mit den Verfahren selbst befassten Richter analysieren zu lassen, was jedoch mit den Evaluationsmethoden der Forschergruppe nicht vereinbar war, die eine Auswertung durch eine nicht befasste Person verlangte, vgl. Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 34. Zur Methodik allgemein vgl. Hommerich/ Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 20–41. 166 Die Ergebnisse dieser Evaluation sind niedergelegt in Hommerich/Prütting/Ebers/ Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 38. 167 Insgesamt wurden 480 Richter am Landgericht befragt, von denen 247 und damit 51,5 Prozent ausgefüllte Fragebögen zurücksandten, vgl. Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/ Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 38. Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/ Traut, a.a.O., 2006, S. 39 werten dies als eine außerordentlich hohe Beteiligung, die sie auf die hohe Akzeptanz der Befragungen zurückführen. 168 Insgesamt wurden 484 Richter am Amtsgericht befragt, von denen 230 die Fragebögen bearbeitet haben. Die Rücklaufquote betrug also 47,5 Prozent und ist somit ähnlich hoch wie am Landgericht, vgl. Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 38. 169 Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 113. 170 Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 113. 165
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Umso mehr erstaunt, dass die Neuregelung gleichwohl positiv bewertet wird. 54 Prozent der befragten Richter sind der Auffassung, die Sachverhaltsaufklärung werde durch die Anordnungsmöglichkeiten nach §§ 142, 144 ZPO verbessert, und nur 46 Prozent meinen, dass dies nicht der Fall sei. Unter den befragten Anwälten finden sogar 76 Prozent, dass die Urkundenvorlagemöglichkeit nach § 142 ZPO zur Sachverhaltsaufklärung beiträgt, lediglich fünf Prozent sind der gegenteiligen Auffassung.171 Möglicher Erklärungsansatz für dieses Auseinanderfallen könnte allerdings die angewandte Fragetechnik sein. Nach der Häufigkeit der Anordnungen wurde wie folgt gefragt: „Durch die Neuregelung der Vorlagepflichten sollte das Instrumentarium der gerichtlichen Aufklärung verbessert werden. Wie häufig treffen Sie Anordnungen nach §§ 142, 144 ZPO?“172
Demgegenüber war die Frage nach der Bewertung sehr viel allgemeiner gehalten und enthielt keinen Bezug zu der Änderung der §§ 142, 144 ZPO (die Anordnung einer Urkundenvorlage von Amts wegen war ja bereits vor der Reform nach diesen Vorschriften möglich): „Tragen Ihrer Erfahrung nach gerichtliche Anordnungen nach den §§ 142, 144 ZPO zu einer verbesserten Sachaufklärung bei?“173
Es wäre also denkbar, dass die Bewertungsfrage sehr viel allgemeiner auf die Existenz der §§ 142, 144 gemünzt verstanden worden ist und nicht auf die konkreten Veränderungen durch die Neufassung. Dafür spricht insbesondere die Tatsache, dass von der Anordnungsmöglichkeit gegenüber Dritten, die erst durch die Neufassung eingeführt worden ist, lediglich ein bzw. zwei Prozent Gebrauch machen, wohingegen 66 bzw. 70 Prozent angeben, diese Möglichkeit noch nie genutzt zu haben. d) Zusammenfassung Abschließend lässt sich festhalten, dass Deutschland durch die Neufassung des § 142 ZPO zwar keine Neuordnung seines zivilprozessualen Selbstverständnisses vollzogen hat, jedoch mit der Neufassung eine gewisse Bereitschaft an den Tag legt „to proceed along a road previously treated as an abomination of common law procedure“.174
Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 114. Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 417. 173 Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 417. 174 Hunter, SchiedsVZ 2003, S. 155, 161. 171 172
B. Vorprozessualer Zugang zu Informationen
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10. Zwischenergebnis Im Laufe der Jahre hat der BGH eine differenzierte Rechtsprechung insbesondere im Hinblick auf § 242 BGB, die Regelungen über die sekundäre Darlegungslast und die Beweisvereitelung entwickelt, die man durchaus als den Versuch deuten könnte, die problematischen Auswirkungen seiner eigenen, sehr engen Auslegung des Beibringungsgrundsatzes abzumildern. Aber auch der Gesetzgeber hat Abhilfe zugunsten der nicht informierten Partei mittels weiterer materiellrechtlicher Informationsrechte sowie der Reformierung des § 142 ZPO geschaffen. Diese Mittel werden in ihrem Zusammenspiel untereinander, aber auch im Vergleich zum englischen Recht im rechtsvergleichenden Teil einer umfassenden Analyse unterzogen und bewertet.175
B. Vorprozessualer Zugang zu Informationen Es gibt grundsätzlich drei Wege, auf denen eine Partei bereits vor Klageerhebung Zugang zu Informationen erhalten kann. I.
Geltendmachen materiellrechtlicher Auskunftsansprüche
Zum einen kann der zukünftige Kläger gegenüber dem potentiellen Beklagten einen materiellrechtlichenen Auskunftsanspruch geltend machen, sofern ein solcher in Betracht kommt. Dieser kann auch bereits vor Erhebung der Hauptsacheklage und unabhängig von dieser eingeklagt werden. Schließlich wird in der Literatur die Existenz eines materiellrechtlichen präparatorischen Auskunftsanspruchs diskutiert.176 Dieser betrifft allerdings im Wesentlichen die Rechtslage de lege ferenda und wird deshalb in Teil III näher erläutert. II. Selbstständiges Beweisverfahren Der andere Weg, vorprozessual an Informationen und Beweismittel zu gelangen, ist die Anstrengung eines selbstständigen Beweisverfahrens. Dieses dient insbesondere der Beweissicherung, Prozessvermeidung und Prozessbeschleunigung.177 Das selbstständige Beweisverfahren ist gem. § 485 Abs. 1 ZPO zulässig, wenn entweder die andere Seite zustimmt oder die Gefahr besteht, dass anderenfalls Beweismittel verloren gehen, oder der Zugang zu ihnen erschwert Vgl. sogleich unten, S. 130 ff. Vgl. statt aller insb. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 261 ff.; Winkler v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, 1986, passim; Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht, 1996, S. 142 ff., Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, passim. 177 Ulrich, AnwBl 2003, S. 26, 27. 175 176
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wird. Als Beweismittel stehen der Augenscheinsbeweis, der Zeugenbeweis und der Sachverständigenbeweis zur Verfügung. Wenn eine Zustimmung der Gegenseite nicht vorliegt und ein Beweissicherungsbedürfnis nicht festgestellt ist, kann ein selbstständiges Beweisverfahren gleichwohl vor Klageerhebung beantragt werden, wenn ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Zustands einer Person oder des Zustands oder Werts einer Sache, der Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels oder des Aufwands für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels besteht (§ 485 Abs. 2 S. 1 ZPO). Ein solches rechtliches Interesse ist gegeben, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Hauptsacheverfahren vermieden werden kann (§ 485 Abs. 2 S. 2 ZPO), oder aber wenn anderenfalls der Eintritt der Verjährung droht.178 Als Beweismittel ist im Fall des Abs. 2 jedoch lediglich der Sachverständigenbeweis zugelassen. Insbesondere das selbstständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO ist für den hier interessierenden Bereich relevant. Der Antragsteller hat im Rahmen seines Antrags den Gegner, die Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll, und die Beweismittel, auf die er zurückgreifen will, zu bezeichnen und sein rechtliches Interesse an der Feststellung glaubhaft zu machen. Das selbstständige Beweisverfahren besteht gem. § 492 Abs. 1 ZPO in der Beweisaufnahme über die bezeichneten Tatsachen. Sollte es trotz des Ergebnisses des selbstständigen Beweisverfahrens noch zu einem Hauptprozess zwischen den Parteien kommen, so steht das Ergebnis der selbstständigen Beweisaufnahme gem. § 493 Abs. 1 ZPO dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich, sofern sich jedenfalls eine der Parteien auf Tatsachen beruft, auf die die selbstständige Beweiserhebung sich bezogen hat. In der Praxis kommt das selbstständige Beweisverfahren primär in Baurechtsstreitigkeiten179 sowie in patent-, urheber- und wettbewerbsrechtlichen Verfahren180 zur Anwendung. In Arzthaftungsfragen ist die Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Feststellung höchst strittig,181 jedenfalls ist aber wegen des Ziels der Streitvermeidung seine Zweck-
178 Gem. § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB wird durch die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens die Verjährung gehemmt. 179 Breyer, New Trends in Pre-Action, 2008, S. 179, 192; ebenso Ulrich, AnwBl 2003, S. 26, 27 sowie Pauly, MDR 1997, S. 1087 ff. 180 Vgl. hierzu, insbesondere zu der so genannten „Düsseldorfer Praxis“ und den Auswirkungen der Enforcement-Richtlinie, Kühnen, GRUR 2005, S. 185 ff., Stadler, in: FS Leipold, 2009, S. 201, 211 ff. sowie Enchelmaier, GRURInt 2012, S. 503, 513 f. 181 Umfangreiche Hinweise zur Judikatur finden sich bei Ulrich, AnwBl 2003, S. 26, 27.
B. Vorprozessualer Zugang zu Informationen
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mäßigkeit in Frage gestellt.182 Dies liegt daran, dass der Sachverständige vor Erstellung seines Gutachtens in der Regel auf eine umfangreiche Dokumentation zurückgreift – also auf die Sammlung der Aufzeichnungen, die anlässlich der Behandlung des Patienten gefertigt wurden und zu der neben den Aufzeichnungen des Arztes Ausdrucke technischer Geräte (EKG- oder CTGStreifen), Röntgen- und Sonographiebilder gehören 183 –, die jedoch wegen der Unzulässigkeit des Urkundsbeweises im selbstständigen Beweisverfahren nicht ohne Weiteres zur Verfügung steht.184 Allerdings findet § 142 ZPO Anwendung, da diese Vorschrift als Klammerregel in allen Verfahren gilt, die von der ZPO geregelt sind. 185 Die Zweckmäßigkeit wird ferner wegen der Unzulässigkeit des Partei- und Zeugenbeweises, insbesondere der Vernehmung des behandelnden Arztes, die für die Aufklärung des Sachverhalts in Arzthaftungsprozessen in der Regel erforderlich ist, angezweifelt.186 Überdies berichtet Ulrich aus der Praxis der selbstständigen Beweisverfahren, dass sie nicht zu der erhofften Verfahrensbeschleunigung führen – nicht zuletzt deshalb, weil das Verfahren häufig nur schleppend betrieben werde. Für Richter sei das Verfahren weniger attraktiv, weil sie im Rahmen ihrer Erledigungsstatistik für die Bearbeitung selbstständiger Beweisverfahren keine Punkte erhalten.187 III. Vorprozessuale Korrespondenz zwischen möglichem Gläubiger und Schuldner Der dritte Weg, bereits im Vorfeld eines Prozesses an Informationen und Beweismittel zu gelangen, ist die vorprozessuale Kommunikation zwischen möglichem Schuldner und möglichem Gläubiger. So wird in der Regel derjenige, der einen Anspruch gegen einen anderen zu haben glaubt, diesen Anspruch zunächst außerprozessual geltend machen bevor er Klage erhebt. Anderenfalls läuft er Gefahr, falls der Beklagte nach Klageerhebung den geltend gemachten Anspruch sofort anerkennt, die Kosten des Rechtsstreits gem. § 93 ZPO selbst tragen zu müssen. Er wird vermutlich entweder mündlich, in der Regel aber eher schriftlich, seinen Anspruch jedenfalls dem Inhalt nach gegenüber dem Gegner benennen und mindestens kurz den Grund skizzieren, aus dem er seinen Anspruch herleiten zu können glaubt. Der Gegner wird sich also etwa mit dem Begehren konfrontiert sehen, der Gegenseite einen Betrag x als Kaufpreis für die bereits übergebene Sache y Vgl. Ulrich, AnwBl 2003, S. 26, 28; Rehborn, MDR 1998, S. 16 ff. Rehborn, MDR 1998, S. 16, 17. 184 Rehborn, MDR 1998, S. 16 ff. 185 Schlosser, in: FS Sonnenberger, 2004, S. 135, 151; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 2012, § 142, Rn. 3. 186 Rehborn, MDR 1998, S. 16, 17. 187 Ulrich, AnwBl 2003, S. 26, 27. 182 183
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zu schulden, oder einen Betrag x zu zahlen, weil in dieser Höhe die Sache des A durch ein Fehlverhalten des B beschädigt worden sei. Häufig wird man auch eine Frist finden, die der Anspruchsteller dem Anspruchsgegner setzt und nach deren erfolglosem Ablauf er rechtliche Schritte einzuleiten droht. Mitunter wird ein solches Schreiben auch bereits von einem Anwalt verfasst sein. Im Rahmen derartiger Korrespondenz ist teilweise bereits eine Versicherung beteiligt. So wird sich etwa A oder sein Anwalt, wenn A selbst oder sein Auto bei einem Verkehrsunfall mit dem Fahrzeug des B zu Schaden gekommen ist, an die Kfz-Haftpflichtversicherung des B wenden und seinen Anspruch in der skizzierten Art geltend machen. Wie detailliert die sich ergebende vorprozessuale Korrespondenz sich – gegebenenfalls unter Beteiligung von Anwälten und der Versicherung – gestaltet, ist in der Praxis sehr unterschiedlich. So wird es Beteiligte geben, denen es auf eine möglichst schnelle Abwicklung ankommt und die erkannt haben, dass es diesem Ziel zuträglich ist, wenn möglichst alle Karten möglichst früh auf den Tisch gelegt werden. Dies setzt aber in der Regel voraus, dass beide Seiten zu einem kooperativen, vorausschauenden Kommunikationsstil bereit sind. Ist eine Partei eher zurückhaltend mit der Offenlegung von Details, so wird oft auch die andere Seite vorsichtig sein, zu viele, insbesondere für sie nachteilige Informationen preiszugeben. In der Praxis, hält häufig jedenfalls eine Partei ihre Informationen zurück. Dies ist mitunter auch durch das Verhalten der Anwälte bedingt,188 sofern diese einen eher konfrontativen, mitunter verbalpolternden Stil praktizieren, teils aber auch mentalitätsbedingt. Engelhardt konstatiert, dass es an einer echten vorprozessualen tatsächlichen oder sachlichen Auseinandersetzung häufig fehle und dass Anspruchschreiben ausschließlich mit dem Ziel verfasst würden, die Gegenseite in Verzug zu setzen bzw. der negativen Kostenfolge des § 93 ZPO zu entgehen. 189 Eine tatsächliche vorprozessuale Sachverhaltsermittlung findet jedoch in der Praxis nicht selten in Verkehrsunfallsachen statt, in denen der Versicherer des angeblichen Schädigers in Anspruch genommen wird. Hier ist oft – begleitet durch die Rechtsabteilung der Versicherung – ein reger vorprozessualer Austausch von Informationen und Sachverständigengutachten anzutreffen. Im Klageverfahren ist dann meist das gerichtlich in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten entscheidend.190 188 Aber selbst wenn ein Anwalt grundsätzlich kooperativ und an einer Sachverhaltsaufklärung interessiert ist – was überwiegend der Fall sein wird –, wird er aufgrund seiner Stellung als Parteivertreter seinem Mandanten eine Offenlegung ihm nachteiliger Informationen nicht unbedingt nahelegen, solange eine Aufklärungspflicht nicht besteht und die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht gem. § 138 Abs. 1 ZPO eine Informationsgewährung nicht gebietet. 189 Engelhardt, Woolf-Reform, 2007, S. 130. 190 Dies spiegeln jedenfalls die praktischen Erfahrungen wider, die die Verfasserin in ihrer fünfmonatigen Tätigkeit bei einem auf die Vertretung von Versicherungen in Ver-
C. Grenzen
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C. Grenzen Die Möglichkeit der nicht beweisbelasteten Partei, im Rahmen der dargestellten Mechanismen Zugang zu Informationen der Gegenseite zu erlangen, besteht nicht grenzenlos. Grenzen werden gezogen durch schutzwürdige Belange der Gegenseite sowie durch das System der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast: Das Beweisinteresse der nicht informierten Partei kann zum einen mit schützenswerten Interessen des Gegners an der Geheimhaltung der Information kollidieren. Die Gewährung des Informationszugangs ist zum anderen dort ausgeschlossen, wo sie der Partei, von der die Information ersucht werden soll, nicht zumutbar ist, weil ein missbräuchliches Begehren etwa zum Zweck der Ausforschung der Privatsphäre vorliegt.191 I.
Schutz von geheimhaltungsbedürftigen Interessen
1. Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung Zunächst stellt sich die Frage, ob im deutschen Recht ein Privileg besteht, eine Information zurückhalten zu dürfen, wenn die Partei sich oder einen Angehörigen durch die Auskunftserteilung der Gefahr strafrechtlicher Belangung aussetzen würde. In diesem Sinne steht es im Strafprozess dem Angeklagten frei, ob er sich zu der Anklage äußern möchte (vgl. §§ 136 Abs. 1 kehrsunfällen spezialisierten Rechtsanwalt sowie ihrer sechsmonatigen Gerichtsstation am Amtsgericht in der Referendarzeit gesammelt hat. In der Regel ließ die beklagte Versicherung ihrem Anwalt eine – je nach Komplexität des Falls – ca. 25 bis 100 Seiten starke Akte vorprozessualer Korrespondenz zukommen. Darin waren meist mindestens ein, häufig auch zwei bis drei außergerichtliche Sachverständigengutachten enthalten, da üblicherweise nur diejenigen Fälle an den Rechtsanwalt zur Vorbereitung der Klageerwiderung weitergeleitet wurden, in denen es trotz umfassender Aufklärungsbemühungen entweder in tatsächlicher oder aber in rechtlicher Hinsicht nicht zu einer Einigung kam. In der Regel handelte es sich um Fälle, in denen die Versicherung – anders als der durch den Versicherten angeblich Geschädigte – zu dem Ergebnis kam, dass ein haftungsauslösender Tatbestand nicht gegeben sei. Bis zum Eintritt in das Klageverfahren war nur die Rechtsabteilung der in Anspruch genommenen Versicherung mit der Regulierung befasst, nicht aber der Anwalt. Nach der persönlichen Erfahrung der Verfasserin war in diesen Fällen ein Informationsdefizit der einen oder anderen Seite, das die jeweils andere Seite grundsätzlich hätte befriedigen können, jedoch nicht befriedigt hat, in der Mehrzahl der Fälle nicht gegeben. Auch im Laufe des Gerichtsverfahrens kam häufig nichts Neues zu Tage. Meist hing die Frage der Haftung von den Ergebnissen der Sachverständigenbegutachtungen ab, und hinsichtlich dieser fanden sich in der Akte meist widersprechende Gutachterstellungnahmen. Es hing also in der Regel alles von den Ergebnissen des durch das Gericht zu bestellenden Sachverständigen ab. 191 Lang, Aufklärungspflicht, 1999, S. 21.
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S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO). Im Zivilprozess hingegen findet sich keine vergleichbare Regelung, die die Partei vor strafrechtlicher Verfolgung schützt. 192 Für ein vergleichbar umfassendes Aussageverweigerungsrecht besteht im Zivilverfahren indes auch kein Bedürfnis, weil die Partei – anders als im Strafprozess – nicht den weit reichenden Befugnissen der Amtsermittlung ausgesetzt ist. 193 Gleichwohl besteht auch im Zivilverfahren Einigkeit darüber, dass die Wahrheitspflicht dort ihre Grenze findet, wo die Partei sich anderenfalls der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde oder wo sie ihre Ehre verletzen würde.194 Diese Einschränkung bietet jedoch keinen umfassenden Schutz. Denn der Richter kann das Verhalten einer Partei gem. § 286 ZPO frei würdigen, so dass das Schweigen einer Partei aus Furcht vor strafrechtlicher Belangung zu ihrem Nachteil gereichen kann.195 Im Rahmen des materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs besteht kein Weigerungsrecht des Auskunftsschuldners, auch wenn er sich durch die Auskunft möglicherweise selbst belastet. Dies wird mit der „gesteigerten Verantwortlichkeit gegenüber dem Informationsgläubiger“ im Rahmen der materiellrechtlichen Sonderbeziehung begründet.196 Auch die Gefahr der Strafverfolgung für einen Dritten stellt keinen Umstand dar, der der Zumutbarkeit des Auskunftsanspruchs von vornherein entgegenstehen würde.197 2. Schutz der Vertrauenssphäre zwischen Rechtsanwalt und Mandant Sodann ist fraglich, ob im deutschen Recht ein dem legal professional privilege vergleichbares Verweigerungsrecht besteht. Ein ähnlich ganzheitliches Konzept wie in England wird in Deutschland jedoch nicht diskutiert. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass in Deutschland eine allgemeine Aufklärungspflicht, sei sie materiellrechtlicher oder prozessualer Natur, gerade nicht anerkannt ist, so dass sich folglich auch die Frage nach deren Grenzziehung nicht oder jedenfalls nicht in vergleichbarem Maße stellt. Auf der anderen Seite ist zu erwarten, dass die Wertungen, die hinter dem englischen legal professional privilege stehen, jedenfalls seit der Neufassung des § 142 ZPO auch in Deutschland an Brisanz gewinnen werden, da spätestens ab diesem Zeitpunkt in gesetzlich manifestierter Form in gewissem Umfang Editionspflichten bestehen, ohne dass diesen entsprechende Weigerungs192 Lediglich der Zeuge kann sich gem. § 384 Nr. 2 ZPO auf ein Weigerungsrecht berufen, wenn er durch seine Angaben einen seiner Angehörigen im Sinne des § 383 Nr. 1 bis 3 ZPO oder sich selbst der Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat aussetzen würde. 193 Lang, Aufklärungspflicht. 1999, S. 77. 194 MüKoZPO-C. Wagner, 2013, § 138, Rn. 15. 195 Lang, Aufklärungspflicht, 1999, S. 76. 196 Lang, Aufklärungspflicht, 1999, S. 76 mwN. 197 BGH v. 24.3.1994, BGHZ 125, 322, 331.
C. Grenzen
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rechte gegenüberstehen. 198 Insofern ist eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik von großer praktischer Relevanz. Im Folgenden werden die verstreuten Ansatzpunkte erläutert, die zum Schutz der Vertrauenssphäre zwischen Anwalt und Mandant in Deutschland existieren. Dem Rechtsanwalt steht gem. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, soweit ihm kraft seines Standes geheim zu haltende Tatsachen anvertraut worden sind. Es ist anerkannt, dass sämtliche Umstände, die einem Rechtsanwalt anlässlich seiner Beauftragung anvertraut werden, von diesem Zeugnisverweigerungsrecht umfasst werden. 199 Das anwaltliche Berufsgeheimnis schützt nach h.M. nicht nur das Allgemeininteresse an der anwaltlichen Berufsausübung, sondern daneben auch ganz konkret das Individualinteresse des einzelnen Mandanten daran, dass Informationen, die er seinem Rechtsanwalt anvertraut hat, nicht weiter offenbart werden.200 Fraglich ist, ob und inwieweit auch der umgekehrte Informationsfluss vom Rechtsanwalt zum Mandanten, wie zum Beispiel die Erteilung eines bestimmten Rates oder die Mitteilung einer Rechtsauffassung, geschützt ist. Nach h.M. ist dies nicht der Fall, weil das Verweigerungsrecht nur dem Anwalt, nicht aber dem Mandanten zusteht.201 Doch auch hinsichtlich der durch die Partei ihrem Anwalt anvertrauten Umstände bietet das Zeugnisverweigerungsrecht des Anwalts keinen allumfassenden Schutz. Denn das Gericht kann die Berufung des Anwalts auf sein Zeugnisverweigerungsrecht sowie die fehlende Entbindung des Anwalts durch die Partei von seiner Schweigepflicht gem. § 286 ZPO als beweisvereitelndes Verhalten werten. Dabei geht das Gericht von einer Vorenthaltung von Beweismitteln und damit von sanktionierter Beweisvereitelung aus, wenn das Verhalten der Partei als vorwerfbar und missbilligenswert einzustufen ist.202 3. Schutz des Unternehmensgeheimnisses203 Ein Themenbereich, der in Deutschland anders als in England großen Diskussionsbedarf ausgelöst hat, betrifft die Problematik, wie ökonomisch sensible Informationen – insbesondere vor Konkurrenten – geschützt werden können und müssen. In Frage stehen dabei zum einen kaufmännische Informationen, wie Umsätze, Geschäftskalkulationen, Kundenlisten und Einkaufspreise.204 Zum anderen geht es um Daten, die den Inhalt der GeschäftsKonrad, NJW 2004, S. 710. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 2012, § 383, Rn. 12. 200 Magnus, Anwaltsprivileg, 2010, S. 19 mwN. 201 Vgl. Magnus, Anwaltsprivileg, 2010, S. 70 f. 202 Magnus, Anwaltsprivileg, 2010, S. 56 f. mwN. 203 Vgl. hierzu Gottwald, BB 1979, S. 1780. 204 MüKoZPO-Damrau, 2012, § 384, Rn. 14. 198 199
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aktivität selbst betreffen, also Herstellungsverfahren und sonstige Daten technisch-inhaltlicher Art. Die Frage der Geheimhaltungsmöglichkeit stellt sich für diese beiden Geheimnisarten nicht nur im Rahmen prozessualer Sachverhaltsaufklärung, sondern bereits bei der außer-, bzw. vorprozessualen Geltendmachung von Auskunftsansprüchen aus materiellem Recht, insbesondere auf dem Gebiet des geistigen Eigentums. Verfassungsrechtlich ist der Schutz des Unternehmensgeheimnisses in Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) sowie in Art. 12 GG (Berufsfreiheit) verankert.205 Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses besteht im Interesse des Einzelnen sowie im Interesse des Gemeinwohls, indem er einen Anreiz für Wettbewerb schafft.206 Im Ausgangspunkt gilt, dass diese als Unternehmens-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis bezeichneten Interessen keinen absoluten Schutz genießen. Das bedeutet, dass derjenige, der über solche geheimen Informationen verfügt, sich nicht ohne Weiteres auf ein Weigerungsrecht berufen kann. Vielmehr ist zu differenzieren. a) Gegenüber der Öffentlichkeit Stellt nicht der Gegner, sondern die allgemeine Öffentlichkeit die Gefahr für das Geheimnis dar, ist der Konflikt relativ einfach aufzulösen. Denn dem Interesse des Geheimnisträgers ist bereits dann Genüge getan, wenn die fragliche Information nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Schutz ist hier gem. § 172 Nr. 2 GVG möglich, demzufolge die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann, wenn anderenfalls ein schützenswertes Interesse an der Geheimhaltung von wichtigen Geschäfts-, Erfindungs-, oder Steuergeheimnissen verletzt würde. Flankierend kann gem. § 174 Abs. 3 S. 1 GVG denjenigen, die anwesenheitsberechtigt sind, eine gem. § 353 d Nr. 1 und 2 StGB strafbewehrte Geheimhaltungspflicht auferlegt werden. 207 b) Gegenüber dem Prozessgegner Problematischer gestaltet sich die Rechtslage, wenn die Gefahr für das Geheimnis in der Kenntniserlangung durch den Gegner liegt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn der Gegner der Konkurrent des Geheimnisträgers ist. Hier ist im Einzelnen Vieles unklar. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht das Auskunftsinteresse des Berechtigten nur soweit, wie ihm nicht im Einzelfall ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Gegners entgegensteht. Besteht ein solches berechtigtes Geheimhaltungsinteresse, kann der Geheimnisträger ein Weigerungsrecht gegenüber dem Informationsgesuch Vgl. Osterloh-Konrad, Geheimnisschutz und Informationsinteresse, 2009, S. 9 f. mwN. Stürner, JZ 1985, S. 453 f.; Osterloh-Konrad, Geheimnisschutz und Informationsinteresse, 2009, S. 9 f. 207 Lang, Aufklärungspflicht, 1999, S. 80. 205 206
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geltend machen. Dieses wird zumeist unmittelbar aus der Norm gelesen, die dem Grunde nach den Informationsanspruch gewährt. In der Regel wird dies aus dem Kriterium der Zumutbarkeit abgeleitet, das entweder im Gesetzestext vorhanden ist bzw. anderenfalls als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die Norm hineingelesen wird.208 Was die Abwägung der Interessen anbelangt, gilt, dass ein berechtigtes Offenlegungsinteresse jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn die Erteilung der Auskunft nicht erforderlich ist, um eine effektive Rechtsdurchsetzung sicherzustellen.209 Schwieriger ist es, wenn ohne die Befriedigung des Auskunftsbegehrens die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht mehr möglich ist. Hier ist weiter zu differenzieren. Die Frage des Geheimnisschutzes kann insofern in zweierlei Hinsichten auftreten: aa) Materiellrechtliche Ebene Zum einen kann sie sich im Rahmen der materiellrechtlichen Ansprüche etwa der Besichtigungsansprüche nach §§ 809, 242 BGB stellen, und zwar sowohl vor-, bzw. außerprozessual als auch bei der prozessualen Geltendmachung solcher Ansprüche. Hier findet eine Abwägung zwischen dem Rechtsverfolgungsinteresse des Berechtigten und dem Geheimhaltungsanliegen des Verpflichteten statt. Allerdings werden im Ergebnis nicht allzu extensive Weigerungsrechte anerkannt. Denn die Gewährung des materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs ist bereits Ausdruck einer materiellrechtlichen Abwägung der beteiligten Interessen. 210 Denkbar ist allerdings, dass in geheimnissensiblen Bereichen erhöhte Anforderungen an das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen gestellt werden, so etwa im Rahmen des Besichtigungsanspruchs in Bezug auf technische Vorgänge und Maschinen gem. § 809 Alt. 2 BGB, wo nicht nur eine „gewisse“, sondern eine „erhebliche“ Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des Hauptanspruches verlangt wird.211 Im Rahmen von § 242 BGB finden schützenswerte Geheimhaltungsinteressen über das Zumutbarkeitskriterium Eingang, im Rahmen dessen diese mit dem Aufklärungsinteresse des Gläubigers abzuwägen sind. Sofern die Informationen nur erforderlich sind, um die Richtigkeit einer Auskunft zu überprüfen, kann das Gericht anordnen, dass diese einem Wirtschaftsprüfer oder einem son-
Wagner, JZ 2007, S. 706, 715. Lang, Aufklärungspflicht, 1999, S. 83. 210 Stürner, JZ 1985, S. 453, 455 ff. 211 BGH v. 8.1.1985, BGHZ 93, 191, 206 f. 208 209
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stigen zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichteten Dritten erteilt werden.212 bb) Rein prozessuale Ebene Zum anderen kann die Problematik auf rein prozessualer Ebene auftauchen, in Fallgestaltungen, in denen das Unternehmensgeheimnis nicht selbst den Streitgegenstand bildet, in denen aber dessen Offenlegung für einen erfolgreichen Prozessausgang erforderlich ist. Dies betrifft zum Beispiel Fälle, in denen der Geheimnisträger das Geheimnis offenlegen müsste, um mit seiner Klage erfolgreich zu sein. Aber auch für den Beklagten kann sich die Problematik stellen, wenn ihm die Darlegungslast zugewiesen ist, so in Einzelfällen kraft besonderer Darlegungs- und Beweislastverteilung oder ganz generell für das Bestehen von Einwendungen und Einreden; und schließlich in den Fällen, in denen dem Beklagten nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast analog § 138 Abs. 2 ZPO eine Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung auferlegt ist. Als dritte Fallgruppe ist in diesem Zusammenhang unabhängig von der Kläger- oder Beklagtenstellung die Situation zu nennen, in der das Gericht gem. § 142 ZPO n.F. gegenüber dem Gegner der darlegungsbelasteten Partei die Vorlage einer Urkunde, auf die sich eine der Parteien bezogen hat, auferlegt. Solche Fallgestaltungen, in denen eine der beiden Seiten zwar nicht unmittelbar auskunftsverpflichtet ist, jedoch einer Auskunftsobliegenheit unterliegt, wenn sie den Prozess nicht verlieren will, treten häufig in produkthaftungs-, patent- und urheberrechtlichen Streitigkeiten auf. So obliegt etwa dem Hersteller gem. § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG der Nachweis, dass der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte. Um diesen Nachweis erfolgreich führen zu können, muss der Hersteller seine Konstruktionsmethoden offenlegen. In einer Patentrechtsstreitigkeit muss der klagende Patentinhaber grundsätzlich beweisen, dass sein Patent verletzt wird, und dazu unter Umständen interne geheime Prozesse preisgeben. Bei einem Verfahrenspatent obliegt gem. § 139 Abs. 3 S. 1 PatentG dem Patentverletzer im Fall der Produktidentität der Nachweis, dass er zur Herstellung nicht das patentierte klägerische Verfahren genutzt hat. Dieser Gegenbeweis wird ihm aber nur gelingen können, wenn er umgekehrt sein Verfahren offenlegt, an dessen Geheimhaltung vor dem klagenden Konkurrenten er ein wirtschaftliches Interesse hat. Eine typische urheberrechtliche Konstellation, in der die Frage des Geheimnisschutzes auftritt, ist der Streit um den urheberrechtlichen Schutz eines Computerprogramms, der gem. 212 Köhler/Bornkamm, UWG, 2011, § 9, Rn. 4.19, 4.22; BGH v. 2.4.1957, GRUR 1957, S. 336 – Rechnungslegung; BGH v. 7.12.1979, GRUR 1980, S. 227 – Monumenta Germaniae Historica; BGH v. 13.2.1981, GRUR 1981, S. 535 – Wirtschaftsprüfervorbehalt.
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§§ 2 Abs. 2, 69 a Abs. 3 UrhG nur besteht, falls das Programm eine persönliche geistige Schöpfung darstellt, was wiederum nur dann der Fall ist, wenn es sich von bereits bekannten und bestehenden Programmen unterscheidet. Auch dieser Nachweis kann nur gelingen, wenn der Urheber des Computerprogramms die genauen und oft geheimen Einzelheiten des Programms offenlegt.213 Soweit die nicht beweisbelastete Partei zur Aufklärung herangezogen wird und aus diesem Grunde ihrem Geheimnis Offenbarung droht, besteht eine sehr starke Tendenz zum Schutz dieses Geheimnisses, so dass das Überwiegen des Geheimhaltungsinteresses in der Regel angenommen wird.214 Eine Ausnahme besteht für Streitigkeiten über die Richtigkeit von Werbeangaben. Hier wird mit dem Gedanken des widersprüchlichen Verhaltens argumentiert. Denn wenn derjenige, der sich auf die Geheimhaltung berufen möchte, seinerseits zuvor mit dem Inhalt gerade der Informationen, die er nunmehr schützen möchte, öffentlich Werbung gemacht hat, kann er sich nicht später auf deren Sensibilität berufen. 215 Demgegenüber wird im Ergebnis der Abwägung das Geheimhaltungsinteresse der beweisbelasteten Partei relativ selten geschützt.216 cc) Alternative Schutzmechanismen Selbst wenn das Offenlegungsinteresse das Geheimhaltungsinteresse überwiegt, gilt, dass – so weit möglich – ein schonender Umgang mit dem Geheimnis stattfinden sollte, etwa durch Schwärzung sensibler Teile der Daten, deren Kenntnis für die Rechtsverfolgung nicht erforderlich ist. Es stellt sich allerdings die Frage, ob von derartigen alternativen Mechanismen hinreichend Gebrauch gemacht wird. Denn häufig wird die Allesoder-Nichts-Lösung der nur alternativen Gewährung von Informationszugang oder Geheimnisschutz nicht befriedigen und die Möglichkeit der Schwärzung nicht zur Verfügung stehen, wenn wie in den oben skizzierten produkthaftungs-, patent,- und urheberrechtlichen Streitigkeiten die sensiblen Daten gerade die entscheidungsrelevanten sind. Zwar bestehen spezialgesetzliche Regelungen, denen zufolge der Geheimnisschutz zu gewährleisten ist. So regelt etwa § 139 Abs. 3 S. 2 PatentG, dass in Bezug auf Verfahrenspatente bei Anwendung der widerlegbaren Vermutung der Herstellung mit dem 213 Vgl. zu den genannten Fallkonstellationen Kersting, Wirtschaftsgeheimnis, 1995, S. 87–91. 214 Vgl. etwa BGH v. 13.7.1962, NJW 1962, S. 2149, 2150; s. auch Stadler, Unternehmensgeheimnis, 1989, S. 118. 215 Vgl. insofern die bereits dargestellte Pressedienst-Entscheidung, BGH v. 20.1.1961, NJW 1961, S. 826, 828; Schaaff, Discovery, 1983, S. 152, Lang, Aufklärungspflicht, 1999, S. 82. 216 Stadler, Unternehmensgeheimnis, 1989, S. 117.
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patentierten Verfahren im Fall von Produktidentität bei der Erhebung des Gegenbeweises die berechtigten Interessen des Beklagten an der Wahrung seiner Herstellungs- und Betriebsgeheimnisse zu berücksichtigen sind. Wie dieser Schutz zu gewährleisten ist, wird jedoch nicht geregelt. Der in § 139 Abs. 3 S. 2 enthaltene Gedanke der Rücksichtnahme auf berechtigte Belange des Beklagten entstammt Art. 35 GPÜ und wurde zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung in das deutsche Patentrecht übernommen. 217 Dieser Vorschrift wird jedoch kein über den allgemeinen, auch im Prozessrecht geltenden, Grundsatz von Treu und Glauben hinausgehender Regelungsgehalt beigemessen, 218 so dass hinsichtlich der rechtlichen Zulässigkeit konkreter Schutzmechanismen auf die folgenden Erwägungen verwiesen werden kann. Für diese Fälle würde sich eventuell eine vermittelnde Lösung anbieten, bei der etwa nur einem neutralen, zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten der Zugang zu der sensiblen Information gewährt wird, wie dies im materiellen Recht bereits teilweise anhand des Wirtschaftsprüfervorbehalts geschieht. Eine solche Lösung ist vor allem für die Hauptgruppe der problematischen Fälle relevant, in denen das Geheimnis nicht selbst Gegenstand des Verfahrens ist, sondern nur „bei Gelegenheit“ des Verfahrens aufgedeckt zu werden droht, und in denen es zweitens um den Schutz des Geheimnisses vor dem Konkurrenten geht. Eine derartige Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen dem Interesse einer Partei an der Wahrung ihres Unternehmensgeheimnisses und dem Offenlegungsinteresse der Gegenpartei mittels eines Geheimverfahrens ist im Schrifttum vielfach diskutiert worden.219 In der Entscheidung, in der der BGH sich mit diesem Konfliktfeld im Jahr 1992 erstmals auseinandersetzte, löste er dieses jedoch, ohne auf die wissenschaftliche Diskussion einzugehen und ohne eine eigentliche Abwägung zu treffen, zugunsten des Schutzes des Unternehmensgeheimnisses auf. 220 In diesem Fall ging es um eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs. Die Klägerin machte geltend, dass die Beklagte ihre Leistungen zu nicht kostendeckenden Kampfpreisen mit dem Ziel anbiete, durch ihre überlegene Finanzkraft ihre Mitbewerber aus dem Markt zu drängen. Ein solches Verhalten wäre nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Tat als unlauter i.S.d. UWG zu bewerten.221 Um schlüssig vortragen zu können, dass das Verhalten der Beklagten allein darauf abzielte, die Klägerin aus dem Markt zu drängen, hatte die Klägerin versucht, mit Hilfe einer selbst erstellten Kalkulation zur Kostensituation der Beklagten aufzuzeigen, dass das Geschäft der Beklagten Benkard/Rogge/Grabinski, Patentgesetz, 2006, § 139, Rn. 123. Benkard/Rogge/Grabinski, Patentgesetz, 2006, § 139, Rn. 123. 219 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976; ders., JZ 1985, S. 453; Gottwald, BB 1979, S. 1780; Lachmann, NJW 1987, S. 2206; Stadler, Unternehmensgeheimnis, 1989; dies., NJW 1989, S. 1202; Kersting, Wirtschaftsgeheimnis, 1995, S. 276 ff. 220 BGH v. 12.11.1991, NJW 1992, S. 1817. 221 BGH v. 10.12.1985, NJW 1986, S. 1877; BGH v. 26.4.1990, NJW 1990, S. 2468. 217 218
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ein Verlustgeschäft darstellen müsse. Die Richtigkeit der Daten über ihre Kostenstruktur wurde von der Beklagten bestritten. Dabei erachtete der BGH das einfache Bestreiten durch bloßes Negieren als ausreichend. Ein qualifiziertes Bestreiten mittels der Vorlage der tatsächlichen Zahlen wurde ihr nicht abverlangt. Denn es sei der Beklagten nicht zumutbar, die Kostenstruktur ihres Anzeigenblattes, insbesondere ihre Gewinnsituation, im Rechtsstreit offenzulegen. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Parteien miteinander in hartem Wettbewerb stehen. In einem solchen Fall sei die Aufdeckung derartiger Betriebsinterna grundsätzlich geeignet, die Erfolgsaussichten eines Unternehmens im Wettbewerb nachhaltig zu beeinträchtigen. Umgekehrt befand sich die Klägerin insofern in einem Konflikt, als sie kraft Natur der Sache keinen genaueren Einblick in die Geschäftsbücher der Beklagten hatte. Im Berufungsverfahren vor dem OLG war sodann auf Antrag der Klägerin hin über ihre Behauptung, das Geschäft der Beklagten stelle ein Verlustgeschäft dar, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben worden. Der Sachverständige hatte, ohne Gericht oder Klägerin davon zu unterrichten, bei der Beklagten Einsicht in die Geschäftsunterlagen genommen, insbesondere in deren Jahresabschlüsse und eine von der Beklagten für betriebsinterne Zwecke erstellte Kostenträgerzeitrechnung. In seiner Begutachtung legte der Sachverständige die Grundlagen seiner Begutachtung nicht offen, weil er der Meinung war, dass sie Geschäftsgeheimnisse der Beklagten beträfen. Das Berufungsgericht hat die Klage auf Grundlage dieses Gutachtens abgewiesen. Dies verletzt nach Ansicht des BGH die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG und stellt keine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung i.S.d. § 286 ZPO dar, weil der Klägerin die wesentliche Grundlage der Entscheidung des Gerichts nicht offenbart worden ist und weil auch das Gericht die Feststellungen des Sachverständigen nicht gem. § 286 ZPO auf ihre Schlüssigkeit prüfen konnte, weil diese auch dem Gericht unbekannt waren. Noch pauschaler als der BGH hat das OLG Köln die Zulässigkeit von Geheimverfahren abgelehnt, indem es entschied: „Eine Art Geheimverfahren im Zivilprozeß, um Betriebsgeheimnisse zu wahren, ist mit dem geltenden Zivilprozeßrecht unvereinbar.“222 Nach Auffassung des BGH wäre ein Geheimverfahren vermutlich auch de lege ferenda unzulässig. Denn es wurde nicht die mangelnde gesetzliche Normierung des Geheimverfahrens bemängelt, sondern die Zulässigkeit wegen des zu gewährenden rechtlichen Gehörs sowie wegen des in § 286 ZPO verankerten Erfordernisses der freien richterlichen Beweiswürdigung abgelehnt.
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OLG Köln v. 3.5.1995, NJW-RR 1996, S. 1277.
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Ob diese Ansicht auch für die Rechtslage de lege ferenda überzeugend ist, insbesondere im Vergleich zu den Entwicklungen im Arbeitsrecht sowie im Vergleich zu den Anforderungen, die sich durch die Neufassung des § 142 ZPO ergeben, wird in Teil III untersucht.223 II. Verbot des Ausforschungsbeweises Grenze jeder Heranziehung des Gegners zur Mitwirkung bei der Informationsbeschaffung ist ferner der Ausforschungsbeweis, an dessen Unzulässigkeit trotz der vorstehend beschriebenen Versuche, der Partei in Beweisnot zu helfen, festgehalten wird. Eine explizite Verankerung der Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises findet sich im Gesetz nicht. Sie ist jedoch für die durch den Beibringungsgrundsatz beherrschten Verfahren anerkannt. Keine Bedeutung entfaltet die Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises demgegenüber in Verfahren, die durch den Untersuchungsgrundsatz geprägt sind, so etwa in Abstammungsverfahren.224 Hinsichtlich der Terminologie des Ausforschungsbeweises sowie hinsichtlich der Grenzen zulässigen und unzulässigen Verhaltens besteht viel Unklarheit. Im Ausgangspunkt gilt, dass der Begriff des Ausforschungsbeweises eng auszulegen ist, weil seine Unzulässigkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht des Gerichts darstellt, angebotene Beweise zu erheben.225 Nach allgemeiner Auffassung ist ein Beweisantrag dann auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gerichtet, wenn er entweder für eine völlig vage und unsubstantiierte Behauptung aufgestellt wird, mithin ein Beweisermittlungsantrag vorliegt, der einen schlüssigen Tatsachenvortrag überhaupt erst ermöglichen soll, oder wenn er zwar hinreichend konkretisiert ist, aber ohne jeden Anhaltspunkt „ins Blaue hinein“ gestellt wird.226 Im ersten Fall geht es also um die fehlende Bestimmtheit von Behauptungen und Beweismitteln, im zweiten Fall um fehlende Anhaltspunkte für den behaupteten Sachverhalt. 227 Die Unterschiede zwischen beiden Fallgruppen sind im Einzelfall nur schwer fassbar. In die erste Kategorie gehören diejenigen Fälle, in denen es an einem hinreichenden Tatsachenvortrag fehlt, in der zweiten Kategorie geht es um die Fälle, in denen ein solcher vorhanden ist, dieser aber nur auf Vermutungen beruht. Die Nähe beider Fallgruppen ergibt sich daraus, dass in den Fällen, in denen nur Vermutungen aufgestellt werden, in der Regel auch ein hinreichend genauer Tatsachenvortrag fehlt.228 Die zweite Vgl. unten, S. 304 ff. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 116, Rn. 17. 225 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 284, Rn. 42. 226 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 116, Rn. 14; MüKoZPOPrütting, 2013, § 284, Rn. 79. 227 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 284, Rn. 42. 228 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 284, Rn. 50. 223 224
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Schwierigkeit beruht auf dem Umstand, dass der Grad der Substantiierung, der im Einzelnen verlangt wird, schwankt. So können in manchen Fällen schlichte Behauptungen ausreichen, in anderen ist ein substantiierter Vortrag erforderlich. 229 In ersteren Fällen ist ein schlichtes Behaupten zulässig, in letzteren dagegen nicht, so dass ein unzulässiger Ausforschungsbeweis vorliegen kann, wenn das Tatsachenmaterial erst aus der Beweisaufnahme gewonnen werden soll. 230 Nicht zu verwechseln ist der Sachvortrag „ins Blaue hinein“ mit der Frage der Wahrscheinlichkeit des behaupteten Beweisergebnisses, das für die Frage der Zulässigkeit eines Beweisantrages vollkommen unerheblich ist.231 Beispiel für die erste Kategorie ist ein Fall, in dem der Beklagte auf Flugblättern verbreitete, der Kläger weise in seinem Betrieb vorwiegend weiblichen Arbeitskräften schwere Arbeit zu. Auf Unterlassung wegen ehrenrühriger Äußerungen in Anspruch genommen, trug der Beklagte jedoch nur allgemein vor, der Kläger weise seinen Mitarbeiterinnen Schwerarbeit zu und berief sich zum Beweis auf das Zeugnis eines Vorarbeiters sowie auf Sachverständigenbeweis. Angaben, welche konkreten Arbeiten von Frauen verrichtet werden müssen, machte der Beklagte nicht, weil er die beteiligten Arbeitnehmerinnen nicht den Repressalien des Klägers aussetzen wollte. 232 Den Beklagten trifft in diesem Fall die substantiierte Darlegungslast für die Wahrheit seiner Behauptung. Denn es ist anerkannt, dass derjenige, der in allgemeiner Form ehrenrührige Tatsachenbehauptungen aufstellt, sich grundsätzlich zu deren Berechtigung näher erklären können und Beweise für seine Darstellung nennen können muss.233 Der BGH stellte fest, dass der Beklagte dieser Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Seine fehlenden Darlegungen könne er auch nicht durch Anträge auf Beweisaufnahme ersetzen. Dies könne allenfalls dann zugelassen werden, wenn den Beweisführer fehlende Sachkunde daran hindert, die zur näheren Substantiierung erforderlichen Umstände selbst zu ermitteln. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor, weil der Beklagte sehr wohl über die zur Substantiierung erforderlichen Kenntnisse verfüge, diese jedoch bewusst zurückgehalten habe.234 Für den zweiten Fall gilt Folgendes: Aus dem System der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, die nicht zwingend mit den tatsächlichen Möglichkeiten einer Partei zur Beweisführung übereinstimmt, ergibt sich, dass die Parteien mitunter einen nur vermuteten Sachverhalt vortragen können, was die Wahrheitspflicht wegen ihres eingeschränkten Anwendungsbereichs nicht Vgl. oben, S. 81 f., 97 f. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 284, Rn. 47. 231 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 284, Rn. 80. 232 BGH v. 9.7.1974, NJW 1974, S. 1710. 233 MüKoBGB-Rixecker, 2012, Anhang zu § 12, Rn. 150. 234 BGH v. 9.7.1974, NJW 1974, S. 1710. 229 230
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verbietet. Ein solches Verhalten gilt als zulässig und darf nach BGH, NJW 1995, S. 2111 nur ausnahmsweise, wenn die Behauptungen von der Partei ohne Anhaltspunkte willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue“ hinein aufgestellt wurden, als unzulässig bewertet werden, wobei bei der Annahme derartiger Willkür Zurückhaltung geboten und diese in der Regel nur bei Fehlen jeglicher rechtlicher Anhaltspunkte zu rechtfertigen ist.235 In der Rechtsprechung der Instanzgerichte wird häufig zu Unrecht ein Beweisantrag als unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag mit dem Argument abgelehnt, die Tatsachen, über die Beweis erhoben werden solle, seien lediglich vermutet. 236 In dem vom BGH am 25.4.1995 entschiedenen Fall ging es um eine solche Konstellation, in der von den Vorinstanzen zu Unrecht ein unzulässiger Ausforschungsbeweis angenommen worden war: In diesem Fall hatten die Kläger dem Beklagten in der Filiale einer Bank Geld zum Zwecke der Kapitalanlage in einem Fonds übergeben, den der Beklagte mit hohen Renditen beworben hatte. Tatsächlich tätigte die Bank mit diesem Geld jedoch keine Anlagegeschäfte, sondern finanzierte die Rückzahlung früherer Einlagen. Nach Zusammenbruch des Systems nahmen die Kläger den Beklagten auf Rückzahlung in Anspruch, weil er von dem betrügerischen Vorgehen der Betreiber der Bank gewusst habe und trotzdem Geld zur gemeinsamen Veruntreuung von den Kunden angenommen habe. Der Beklagte bestritt dies und behauptete, er sei lediglich als Vermittler auf Provisionsbasis tätig geworden.237 Das Berufungsgericht war der Auffassung, die Kläger hätten mit ihrer Behauptung eine Vermutung ins Blaue hinein aufgestellt, weshalb diese unbeachtlich und einer Beweisaufnahme nicht zugänglich sei. Der BGH war zwar auch der Auffassung, dass es sich bei der Behauptung der Kläger um eine bloße Vermutung gehandelt habe. Allerdings könne es einer Partei häufig nicht erspart bleiben, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben könne, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Unzulässig sei ein solches Verhalten ausschließlich dann, wenn ohne Anhaltspunkte aufs Geratewohl willkürlich Behauptungen aufgestellt würden. Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Kläger seien jedoch nicht feststellbar.238 Die Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises bildet somit für mögliche erweiterte Mitwirkungspflichten eine Grenze und ist von Bedeutung für eine
BGH v. 25.4.1995, NJW 1995, S. 2111, 2112. Vgl. Hartwieg, Tatsachen- und Normarbeit im Rechtsvergleich, 2003, S. 52. Stein/ Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 284, Rn. 42 weisen zutreffend darauf hin, dass in den veröffentlichten Entscheidungen der Obergerichte nur selten die Zurückweisung eines Beweisantrags als zulässig beurteilt wird. 237 BGH v. 25.4.1995, NJW 1995, S. 2111. 238 BGH v. 25.4.1995, NJW 1995, S. 2111, 2112. 235 236
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etwaige Änderung der Rechtslage. Auf sie wird deshalb zurückzukommen sein.239
D. Sanktionen Eine echte Durchsetzbarkeit der Informationszugangsrechte besteht nur in zwei Bereichen. So kann zum einen der materiellrechtliche Aufklärungsanspruch mittels Auferlegung eines Zwangsgeldes durchgesetzt werden (§ 888 Abs. 1 ZPO). Zum anderen können im Fall des § 372 a ZPO, wenn also körperliche Untersuchungen, insbesondere Blutentnahmen für die Feststellung der Abstammung erfolgen sollen, diese Maßnahmen durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes zwangsweise durchgesetzt werden (§§ 372 a Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 390 Abs. 1 ZPO) bzw. – bei wiederholter Weigerung – durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs (§ 372 a Abs. 2 S. 2 ZPO). Aber auch ansonsten bleibt die Weigerung einer Partei, an der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, nicht ohne Folge. Neben den gesetzlich geregelten Fällen der §§ 371 Abs. 3 427 S. 2, 444, 446 ZPO240 gibt § 286 ZPO dem Gericht ein sehr weit reichendes Ermessen bei der Bewertung der gesamten Umstände des Falls und damit auch bei der Bewertung des Verhaltens einer Partei. Wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass eine Partei eine konkrete Beweisaufnahme vereitelt hat, so kann es dies in die Würdigung des Falles einbeziehen, indem es die Behauptung der darlegungsbelasteten Partei als wahr unterstellt. 241 So ist etwa die Behauptung der darlegungsbelasteten Partei als richtig anzunehmen, wenn für ihre Behauptung nur ein Zeuge zur Verfügung stand, dessen Namen nur der Gegner kannte und dessen Offenlegung er verweigerte. 242 Vergleichbares gilt für den Fall verweigerter Urkundenvorlegung bei gerichtlicher Anordnung gem. § 142 ZPO. Kommt eine Partei dieser nicht nach, so kann ihr Vorbringen als ungenügend substantiiert bzw. die Partei als beweisfällig angesehen werden.243 Geht es um eine dem Gegner günstige Tatsache, so ist das Verhalten der nicht vorlegenden Partei gem. § 286 ZPO zu würdigen.244 Verstößt der Gegner der darlegungsbelasteten Partei gegen seine sekundäre Darlegungslast, so gilt das Vor-
Vgl. unten, S. 253 ff. und S. 257 ff. Vgl. dazu oben, S. 102 f. 241 Vgl. oben, S. 101 ff. 242 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 2012, § 286, Rn. 32, Anh. zu § 286, Rn. 29. BGH v. 12.1.1960, NJW 1960, S. 821.Vgl. auch oben, S. 101 ff. 243 MüKoZPO-C. Wagner, 2013, § 144, Rn. 13. 244 MüKoZPO-C. Wagner, 2013, § 144, Rn. 13. 239 240
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Kapitel 3: Das funktionale Äquivalent in Deutschland
bringen der darlegungsbelasteten Partei gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.245 Im Bereich des Urkundenbeweises darf das Gericht gem. § 444 ZPO den behaupteten Inhalt einer Urkunde als bewiesen unterstellen, wenn die Gegenseite die Urkunde unterdrückt hat, um die Beweisführung zu vereiteln. Ähnliches gilt gem. § 427 S. 2 ZPO. Wenn eine Partei sich weigert, eine Urkunde vorzulegen, obwohl eine entsprechende Vorlageanordnung durch das Gericht ergangen ist, so können die Behauptungen des Beweisführers über Beschaffenheit und Inhalt der Urkunde als bewiesen angenommen werden. Primär kann allerdings eine vom Beweisführer beigebrachte Abschrift der Urkunde als richtig angesehen werden, § 427 S. 1 ZPO. Erging eine Vorlageanordnung nach § 142 ZPO gegenüber einem Dritten, so gelten gem. § 142 Abs. 2 S. 2 i.V.m. §§ 386 ff. ZPO die gleichen Folgen wie gegenüber Zeugen.
E. Kosten Die Kosten des Rechtsstreits hat gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO grundsätzlich die unterliegende Partei zu tragen. Zu den Kosten des Rechtsstreits gehören die Gerichtsgebühren, die gesetzlich abhängig vom Streitwert festgelegt sind, sowie die Kosten der Rechtsverfolgung. Letztere werden jedoch gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO nur erstattet, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung notwendig waren. Bezogen auf die Anwaltskosten legt § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO jedoch fest, dass die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei in jedem Fall zu erstatten sind, die Reisekosten eines nicht am Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts hingegen nur, soweit seine Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war. Die Kosten mehrerer Anwälte sind gem. § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO nur insoweit erstattungsfähig, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen bzw. sofern in der Person des Anwalts ein Wechsel eintreten musste. Bei teilweisem Obsiegen bzw. Unterliegen werden die Kosten verhältnismäßig zwischen den Parteien geteilt oder gegeneinander aufgehoben, § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Eine Abweichung vom Grundsatz der Unterliegendenhaftung gilt insbesondere dann, wenn der Beklagte durch sein Verhalten nicht zur Klage Anlass gegeben hat und er den Anspruch sofort anerkannt hat, vgl. § 93 ZPO. Die Gerichtsgebühren sind gesetzlich im GKG festgelegt und ergeben sich aus der Höhe des Streitwertes. Wird zusätzlich zum Hauptanspruch ein materieller Informationsanspruch (auf Rechnungslegung, Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung oder Vor
245
Vgl. oben, S. 97.
E. Kosten
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legung eines Vermögensverzeichnisses) im Wege der Stufenklage geltend gemacht, so ist gem. § 44 GKG nur der höhere der geltend gemachten Ansprüche für die Wertbestimmung entscheidend.
Kapitel 4
Auswertung A. Funktionsweise I.
Zusammenfassung zum Informationszugang
Der prozessuale Zugang zu Information und Beweis erfolgt im deutschen Recht im Wesentlichen einstufig, über die Beweisaufnahme, flankiert durch die prozessleitenden Anordnungen und Hinweispflichten des Gerichts (§§ 141–144 und § 139 ZPO) sowie eine in der Praxis eher als Formalismus gehandhabte vorgeschaltete Güteverhandlung. Im englischen Recht erfolgt der Zugang auch nach den Woolf-Reformen im Grundsatz noch zweistufig, durch ein vorgelagertes disclosure-Verfahren und sodann das eigentliche trial. In beiden Verfahrensordnungen gibt es in gewissem Umfang Prozessleitungsbefugnisse bzw. case management-Kompetenzen des Gerichts, in Deutschland jedoch in ausgeprägterem Umfang als in England. Die Funktionen der disclosure werden in Deutschland auf verschiedensten Ebenen wahrgenommen. Von Anfang an waren auf prozessualer Ebene Vorschriften über den Urkundenbeweis und auf materiellrechtlicher Ebene Informationsansprüche vorgesehen. Im Laufe der Zeit wurde das Problem der unverschuldeten Beweisnot und die daraus resultierende materiellrechtliche Ungerechtigkeit zunehmend als Problem erkannt. Abhilfe wurde zum einen auf prozessualer Ebene über die Regeln der sekundären Darlegungslast geschaffen, zum anderen auf materieller Ebene über die Entwicklung des Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB und den Ausbau weiterer spezialgesetzlicher Auskunftsansprüche, insbesondere auf dem Gebiet des geistigen Eigentums. Drittens wurden Lösungen herangezogen, die auf der Ebene zwischen materiellem und Prozessrecht angesiedelt sind, etwa der Ausbau von Beweiserleichterungen, Beweislastverschiebungen, die Sanktionierung der Beweisvereitelung sowie die Schaffung von Tatbeständen der Gefährdungshaftung. Einschneidendstes Mittel auf prozessualer Ebene ist die Neufassung des § 142 ZPO und die damit verbundene starke Ausweitung der richterlichen Prozessleitungsbefugnisse, die Elemente einer disclosure in sich trägt. Insgesamt handelt es sich bei der disclosure um einen einheitlichen Mechanismus, wohingegen das deutsche Äquivalent allenfalls in Summe auf verschiedensten Ebenen die gleiche Funktion erfüllt. Große Bedeutung kommt im deutschen Recht dem Beweisrecht zu, wohingegen dieses im englischen
A. Funktionsweise
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Recht unter der untersuchten Fragestellung eher ein Schattendasein führt. Im Einzelnen hat der Vergleich Folgendes ergeben: II. Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten und Vermutungen Wenn die Darlegungs- und Beweislast im deutschen Recht dergestalt verteilt wäre, dass sie jeweils bei der Partei liegt, die auch den Zugang zu den Informationen und Beweismitteln hat, so würde sich ein Großteil der Probleme, die in England über das Verfahren der disclosure gelöst werden, schon gar nicht stellen. Zwar wird verschiedentlich behauptet, im deutschen Zivilprozess bestehe eine Verteilung der Beweislast nach Gefahrenbereichen oder Wahrscheinlichkeiten. 1 Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Die grundsätzliche Verteilung ergibt sich allein aus den materiellrechtlichen Vorschriften. Diese tragen den Problemen typischer Informationsnot zwar teilweise Rechnung, so § 280 Abs. 1 S. 2 BGB hinsichtlich des Verschuldens bei Pflichtverletzung des Schuldners, § 179 BGB hinsichtlich des Nachweises der Vertretungsmacht sowie §§ 932, 935 BGB bezüglich des Merkmals des fehlenden guten Glaubens. Allerdings gibt es ebenso Fälle, in denen einer typischen Informationsnot nicht über eine derartige materielle Regelung Rechnung getragen wird. Hier hat teilweise die Rechtsprechung Abhilfe geschaffen, indem sie in Fällen von Informationsnot zu Mitteln der Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr gegriffen hat, so insbesondere im Arzthaftungsrecht und im Rahmen der Produzentenhaftung. 2 Ein flächendeckendes Bild der Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast an die besser informierte Partei ergibt sich daraus jedoch nicht und kann sich daraus auch nicht ergeben, weil die objektive Beweislast eine materielle Entscheidung trifft, zu wessen Lasten die Nichterweislichkeit eines Tatbestandsmerkmals gehen soll. Diese kann aber nicht stets zu Lasten der besser informierten Partei gehen, sondern sie hat grundsätzlich bei der Seite zu liegen, die Rechte aus einer Norm herleiten möchte. Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in Deutschland führt mithin zu dem Ergebnis, dass eine grundlegend andere Ausgangslage als in England nicht besteht und eine Informationsnot – die in England über das disclosure-Verfahren behoben wird – in vergleichbarer Weise entstehen kann. In England kommt es demgegenüber sehr viel seltener zu einer Umkehr der Beweislast als in Deutschland, was damit zu erklären ist, dass es auf Grund der Möglichkeit der disclosure zu einer der Lage in Deutschland vergleichbaren Situation der Beweisnot deutlich seltener kommt.3
Vgl. S. 80 f. S. 95 ff., 103 f. 3 S. 44 f. 1 2
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Kapitel 4: Auswertung
III. Erklärungspflichten des Gegners Zwar hat sich auch in Deutschland der Gegner der darlegungsbelasteten Partei zu dem Vorbringen des Klägers zu erklären, so dass man auf die Idee kommen könnte, hierin eine prozessuale Aufklärungspflicht oder gar eine Art disclosure-Verpflichtung zu sehen. Die Erklärungspflicht des Gegners gem. § 138 Abs. 2 ZPO ist jedoch nicht mit einer prozessualen Aufklärungspflicht vergleichbar, weil der Anwendungsbereich der Erklärungspflicht sehr begrenzt ist, setzt er doch zunächst voraus, dass der Gegner sich zu einem Punkt bereits seinerseits hinreichend erklärt hat. Dies hilft der darlegungsbelasteten Partei jedoch nicht weiter, wenn sie noch nicht einmal in der Lage ist, einen hinreichend substantiierten Vortrag zu liefern. Ferner bezieht sich die Erklärungspflicht des Gegners nur auf die von der darlegungspflichtigen Partei vorgetragenen Tatsachen, nicht aber auf sonstige Umstände. 4 Nach englischem Recht sind demgegenüber im Rahmen der standard disclosure Unterlagen vorzulegen sowie Informationen zu erteilen, die auf Grund eines erfolgreichen request for further information zur Untermauerung des eigenen Angriffs oder der eigenen Verteidigung durch den Richter angeordnet werden.5 Im deutschen Recht hat die Rechtsprechung die Erklärungspflichten des Gegners zwar im Laufe der Zeit durch Statuierung der sekundären Darlegungslast weiter ausgebaut, wenn die Seite, die die Darlegungslast trägt, in Unkenntnis über bestimmte Umstände ist, weil sie außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und auch keine sonstigen Aufklärungsmöglichkeiten hat, wohingegen die andere Seite die benötigte Information über diese Umstände ohne Weiteres erteilen kann und ihr dies auch zumutbar ist.6 Diese reicht jedoch nicht so weit, dass aus ihr eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht oder inhaltliche Prozessförderungspflicht abgeleitet werden könnte. 7 Eine solche wird von der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung vehement abgelehnt.8 IV. Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht Wegen des eingeschränkten Anwendungsbereichs im Sinne subjektiver Wahrheit und Vollständigkeit begründet auch die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO keine Verpflichtung zur Offenlegung von Informationen im Sinne der englischen disclosure. Gleichwohl ist sie ein kleines Mosaiksteinchen in dem Gesamtbild des deutschen funktionalen ÄquiStein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 25. Vgl. S. 53 f. 6 S. 97 ff. 7 So aber Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, passim sowie ähnlich Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399 ff., vgl. oben S. 86 ff. 8 S. 88 f. 4 5
A. Funktionsweise
133
valents. Auf sie wird – auch im Vergleich zur englischen Rechtslage9 – unten noch ausführlicher zurückzukommen sein, weil sie für das Spannungsfeld von Parteiherrschaft und Wahrheitsermittlung und damit für die Zulässigkeit einer Änderung der Rechtslage de lege ferenda von großer Bedeutung ist.10 V. Beweiswürdigung, Beweisvereitelung, prima facie-Beweis Abhilfe bei Informationsdefiziten wird aber nicht nur über die Stellschraube der Darlegungs- und Beweislasten im weiteren Sinne, sondern auch über die Möglichkeit der freien Beweiswürdigung des Gerichts gem. § 286 ZPO geschaffen. Hier können beispielsweise im Einzelnen nicht dargelegte Umstände durch nach allgemeiner Lebenserfahrung anerkannte typische Geschehensabläufe ersetzt werden, so etwa das Verschulden des auffahrenden oder des bei guten Straßen- und Witterungsverhältnissen von der Straße abkommenden Fahrzeugführers.11 Hierher gehören aber auch viele Fälle, in denen ein beweisvereitelndes Verhalten einer Seite zu deren Last und damit zugunsten der informationsbedürftigen Partei gewürdigt wird. Ein solches kann im Fall eines schuldhaften Verhaltens der nicht beweisbelasteten Partei angenommen werden, durch das ein an sich möglicher Beweis verhindert oder erschwert wird und das die Beweisführung der Gegenpartei zum Scheitern bringt. Handelt die nicht beweisbelastete Partei dabei vorsätzlich, kann es sogar zu einer Umkehr der Beweislast kommen.12 Umgekehrt kommt es in England praktisch kaum zu einem Ausgleich des Informationsdefizits auf Beweisebene, weil aufgrund der disclosure ein solches sehr viel seltener entsteht. VI. Urkundenvorlage Prozessuale Vorschriften zur Urkundenvorlage enthalten §§ 422, 423 ZPO im Rahmen des Beweisverfahrens sowie § 142 ZPO im Rahmen der Prozessleitung des Gerichts. Die Bedeutung der §§ 422, 423 ZPO ist bei Informationsdefiziten der darlegungs- und beweisbelasteten Partei gering, weil § 422 ZPO das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs voraussetzt und § 423 ZPO die Anordnung der Urkundenvorlage nur gegenüber demjenigen erlaubt, der sich auf die Urkunde auch bezogen hat, was der Gegner in den Konstellationen der Beweisnot des Beweisführers gerade vermeiden wird. Auch § 142 Abs. 1 ZPO a.F. setzte eine Bezugnahme voraus. Umso gewichtiger ist die Neufassung des § 142 ZPO im Jahr 2002, derzufolge das Gericht
S. 191 f. S. 211 f. 11 S. 100 f. 12 S. 101 ff. 9
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Kapitel 4: Auswertung
nunmehr auch dem Gegner der darlegungsbelasteten Partei die Vorlage von Urkunden aufgeben kann, auf die sich dieser gar nicht bezogen hat.13 Das ist nicht ganz unbrisant, jedenfalls dann, wenn eben jener Gegner in privatautonomer Ausübung seiner Entscheidungsfreiheit – die prozessual im Beibringungsgrundsatz ihren Niederschlag gefunden hat – die fraglichen Urkunden gerade nicht erwähnen möchte, etwa weil diese seiner eigenen Angriffsoder Verteidigungslinie zum Nachteil zu gereichen drohen. 1. Vergleich zu England und Bewertung Dies könnte bedeuten, dass deutsche Gerichte nunmehr ähnlich den englischen Gerichten die Vorlage sämtlicher relevanter Unterlagen anordnen können. Das ist aber aus zweierlei Gründen nicht der Fall. Zum einen ermöglicht § 142 ZPO anders als das englische Recht nur die Vorlage solcher Urkunden, auf die sich überhaupt irgendeine Partei bezogen hat, greift also nicht ein, wenn die darlegungsbelastete Partei von der Existenz eines den Gegner belastenden Dokuments keine Kenntnis hat und sich folglich auch nicht auf dieses beziehen kann. Zum anderen steht die Anordnung im Ermessen des Gerichts, wohingegen eine standard disclosure auf den Verfahrenspfaden multi-track14 und fast track in der Regel angeordnet wird.15 Obwohl § 142 Abs. 1 S. 1 ZPO damit den Gegner der darlegungsbelasteten Partei auch nicht annähernd so weit wie das englische Recht mit heranzieht, bringt die Vorschrift immerhin die aus deutscher Perspektive geradezu revolutionär erscheinende Möglichkeit mit sich, dem Gegner die Vorlage von Urkunden aufzuerlegen, auf die er sich selbst nicht bezogen hat, und ihn somit entgegen dem deutschen Dogma vom nemo contra se edere tenetur gleichwohl in gewissem Umfang zwingt, „die Waffen gegen sich selbst auszuhändigen“.
Allerdings wurde auch hinsichtlich der alten Fassung von § 142 ZPO bereits vertreten, dass das Bezugnahmeerfordernis trotz des eindeutigen Wortlauts des § 142 ZPO faktisch nicht bestehe. Denn § 272 b ZPO a.F. gestatte dem Richter, zur Vorbereitung des Verhandlungstermins die Vorlegung von Urkunden anzuordnen (Diese Vorschrift findet sich jetzt in § 273 Abs. 2 Nr. 5 ZPO und ist nunmehr an §§ 142, 144 ZPO angepasst, indem die Vorschrift unmittelbar auf die §§ 142, 144 ZPO verweist.). Eine solche Auslegung entspreche überdies den Regelungen der §§ 143 ZPO, 45, 102 HGB. Vgl. dazu Nagel, Grundzüge des Beweisrechts, 1967, S. 343; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1985, S. 410. 14 Seit der Reform der CPR im Jahr 2013 allerdings nur noch in Verfahren wegen Körperverletzung, vgl. oben, S. 49. 15 Streng genommen besteht zwar auch im englischen Recht unter dem Aspekt des overriding objective volles Ermessen des Gerichts darüber, ob eine Anordnung erfolgt oder nicht. In der Praxis findet aber eine Anordnung im absoluten Regelfall statt. Im deutschen Recht handelt es sich demgegenüber bei § 142 Abs. 1 S. 1 ZPO um eine echte Ermessensvorschrift. 13
A. Funktionsweise
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Diese Ausweitung ist umso gewichtiger, als sie nicht erst im Rahmen der Beweisaufnahme, sondern bereits zu einem früheren Zeitpunkt zum Tragen kommt und den Beteiligten somit unter Umständen schon vor der mündlichen Verhandlung Zugang zu Dokumenten ermöglicht.16 § 142 ZPO kann somit als Vorschrift angesehen werden, die den Parteien bereits während der Substantiierungsphase helfen kann – zumindest sofern nicht das Verbot des Ausforschungsbeweises umgangen wird. Deshalb muss die Bezugnahme auf das Dokument auch hinreichend konkret sein.17 Denn nach dem Willen des Gesetzgebers muss § 142 ZPO im Lichte des Beibringungsgrundsatzes ausgelegt werden und darf daher nicht dazu missbraucht werden, die Details eines bislang nicht näher substantiierten Falles zu ermitteln. 18 Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte mit § 142 ZPO n.F. keine pre-trial discovery nach amerikanischem Vorbild geschaffen und das Verbot des Ausforschungsbeweises nicht zugunsten von fishing expeditions aufgeweicht werden.19 Nicht ausreichend wäre es daher, einfach nur zu behaupten, auf der Gegenseite existiere eine schriftliche Dokumentation zu einer bestimmten Fragestellung. Vielmehr darf eine Vorlageanordnung gem. § 142 ZPO nur dann ergehen, wenn die Bezug nehmende Partei die fraglichen Dokumente näher spezifizieren und identifizieren kann, etwa nach Datum oder näherem Inhalt. Damit ist selbst in den Fällen, in denen § 142 ZPO eingreift, die Rechtslage eine andere als in England. Während in Deutschland der Beibringungsgrundsatz so ausgelegt wird, dass eine Partei von der anderen die Vorlage einer (für diese nachteiligen) Urkunde nur dann verlangen kann, wenn sie sie vorher identifizieren kann, wird in England einer Partei abverlangt, solche nachteiligen Dokumente von sich aus offenzulegen, ohne dass die andere Seite zuvor diese Dokumente näher spezifiziert, geschweige denn von ihrer Existenz auch nur in irgendeiner Weise gewusst haben muss. Eine weitere Schwäche von § 142 ZPO ist, dass der Erlass einer Vorlageanordnung im Ermessen des Gerichts steht. In Anbetracht der klar und deutlich zum Ausdruck gebrachten Ansicht des BGH und des Gesetzgebers zur Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises ist es mehr als unwahrscheinlich, dass ein Amts- oder Landgericht in einem Fall die Vorlage von Urkunden anordnen wird, in dem auch nur die geringsten Zweifel daran aufkommen könnten, dass die vorangehende Spezifizierung hinreichend konkret ist. Was die Rechtsfolge anbelangt, ist § 142 ZPO so auszulegen, dass die Anordnung nicht nur auf Vorlage einer Urkunde, sondern auch – als Minus – auf die Erteilung der Auskunft über eine gespeicherte Information gerichtet Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 142, Rn. 1. Zekoll/Bolt, NJW 2002, S. 3129, 3130. 18 Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 142, Rn. 2. 19 BT-Drucks. 14/6036, S. 120; ebenso BGH v. 14.6.2007, NJW-RR 2007, S. 1393, 1394. 16 17
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Kapitel 4: Auswertung
sein kann, „um groteske Umständlichkeit zu vermeiden, wenn Auskunft anstatt Vorlage den Belangen des konkreten Prozesses genügt“.20 2. Verhältnis zu den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast Das Verhältnis von § 142 Abs. 1 ZPO zu den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast ist seit dem Jahr 2007 höchstrichterlich geklärt.21 In dem damals zur Entscheidung stehenden Fall nahm der Kläger, der zu einem Immobilienerwerb zwecks Steuerersparnis angeworben und dem vom Verkäufer eine Mietgarantie erteilt worden war, die finanzierende Bank auf Schadensersatz in Anspruch, nachdem der Verkäufer in Insolvenz gefallen war. Er war der Auffassung, die Bank müsse sich das bewusst wahrheitswidrige Vorspiegeln vollkommen überhöhter Wohnwerte und erzielbarer Mieten durch den Verkäufer zurechnen lassen. Entscheidend war nach Ansicht des Revisionsgerichts die Frage, ob die Verschiebung zwischen Verkehrswert und Kaufpreis so wesentlich war, dass die Bank von einer sittenwidrigen Übervorteilung des Käufers durch den Verkäufer ausgehen musste.22 In diesem Zusammenhang war fraglich, ob überhaupt ein wirksames Bestreiten der eigenen Kenntnis der Sittenwidrigkeit durch die Beklagte vorlag. Denn man hätte argumentieren können, dass die Beklagte auf die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe Kenntnis von dem krassen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gehabt, ihr unstreitig vorhandenes Bewertungsgutachten des Objekts hätte vorlegen müssen, um überhaupt die Behauptung des Klägers substantiiert bestreiten zu können. Eine solche Obliegenheit hätte sich aus den Grundsätzen über die sekundäre Behauptungslast ergeben können, denenzufolge die nicht darlegungsbelastete Partei substantiiert – und nicht nur einfach – bestreiten muss, wenn die beweisbelastete Partei ohne ihr Verschulden keinen Zugang zu der entscheidenden Information hat, wohingegen die nicht beweisbelastete Partei ohne Weiteres auf diese zugreifen kann und ihr dies auch zumutbar ist. Der Anwendung dieser Grundsätze hat der BGH indes eine Absage erteilt. Zwar könne eine Partei grundsätzlich durchaus verpflichtet sein, dem Beweispflichtigen eine ordnungsgemäße Darlegung durch nähere Angaben über zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörende Verhältnisse zu ermöglichen. Jedoch folge eine zivilprozessuale Pflicht der nicht beweisbelasteten Partei zur Vorlage von Urkunden einzig und allein aus den speziellen Vorschriften der ZPO gem. §§ 422, 423 ZPO bzw. aus einer gerichtlichen Anordnung i.S.d. § 142 ZPO; aus den Grundsätzen über die sekundäre Beweislast könne sie hingegen nicht abgeleitet werden.23 Die Voraussetzungen der §§ 422, 423 ZPO lägen Schlosser, in: FS Sonnenberger, 2004, S. 135, 143. BGH v. 26.6.2007, BGHZ 173, 23. 22 BGH v. 26.6.2007, BGHZ 173, 23. 23 BGH v. 26.6.2007, BGHZ 173, 23, Rn. 16. 20 21
A. Funktionsweise
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jedoch nicht vor, da weder ein materiellrechtlicher Herausgabeanspruch hinsichtlich des Bewertungsgutachtens bestand, noch die beklagte Bank sich ihrerseits zur Beweisführung auf das Wertgutachten bezogen hatte. Geht es mithin nicht um die Erteilung von Auskünften bzw. die Abgabe von Erklärungen, sondern um die Vorlage von Urkunden, ist § 142 ZPO vorrangig anzuwenden und schließt die Anwendbarkeit der Grundsätze der sekundären Darlegungslast aus. VII. Materiellrechtliche Informationsansprüche Die nur vereinzelte Befriedigung des Informationsbedürfnisses im Prozessrecht ist darauf zurückzuführen, dass sie im deutschen Recht als Angelegenheit des materiellen Rechts betrachtet wird. 24 Hier stehen zum einen spezialgesetzliche Informationsansprüche in Gestalt von Ansprüchen auf Rechnungslegung, Rechenschaftslegung sowie Vorlage eines Bestandsverzeichnisses, insbesondere im Bereich des Erbrechts und des Rechts des geistigen Eigentums zur Verfügung.25 Daneben wurde aber auch ein Auskunftsanspruch aus § 242 BGB durch die Rechtsprechung im Rahmen bestehender Schuldverhältnisse etabliert, wenn sich aus dem Wesen des Rechtsverhältnisses ergibt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, der Verpflichtete sich aber in der Lage befindet, unschwer solche Auskünfte zu erteilen, die zur Beseitigung jener Ungewissheit geeignet sind.26 1. Vergleich zur englischen Lösung Es wurde gezeigt, dass – von den dargestellten Ausnahmen abgesehen – das Bestehen eines Rechtsverhältnisses grundsätzlich Voraussetzung des Auskunftsanspruchs nach § 242 BGB ist.27 Daher ist der informationsbedürftigen Partei durch das materielle Recht nicht geholfen, wenn ein spezialgesetzlicher Auskunftsanspruch nicht zur Verfügung steht und ein Auskunftsanspruch aus § 242 BGB nicht einschlägig ist, weil das Bestehen des Rechtsverhältnisses selbst fraglich ist. Von diesem Grundsatz werden – insbesondere im Erbrecht und im vertraglichen Schadensersatzrecht – diverse Ausnahmen zugelassen, für die ein klarer Grund jedoch nicht erkennbar ist. Ebenso wenig ist erkennbar, weshalb der BGH mit der Anerkennung dieses Anspruchs seine ansonsten bestehende Grundposition teilweise aufgibt, dass niemand gezwungen werden solle, sich durch die begehrte Auskunft selbst „ans Messer“ zu liefern, indem er dem Gläubiger die notwendigen Informationen zur GeltendVgl. oben, S. 89. Vgl. oben, S. 84 ff. und S. 94 f. 26 Vgl. oben, S. 91 ff. 27 Vgl. oben, S. 92 f. 24 25
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machung eines Anspruchs gegen sich selbst offenlegen muss. Es stellt sich die Frage, auf Grund welcher Wertung es gerade in den von § 242 BGB erfassten Fällen bzw. in den spezialgesetzlich geregelten Fällen gleichwohl für angemessen und geboten erachtet wird, den Beklagten bzw. Schuldner zu zwingen, die Waffen gegen sich selbst bereit zu stellen. Eine Erklärung findet sich jedoch nicht. Auch Stürner stellt fest, dass die bestehenden Einzelregeln materiellrechtlicher Informationspflichten kein geschlossenes System ergeben. Vielmehr sei die bestehende Lage von historischen Zufällen abhängig.28 Diese dogmatische Fragwürdigkeit des fortbestehenden Bestrebens der Rechtsprechung, Informationszugangsrechte im materiellen Recht zu verankern, stellt einen Nachteil der deutschen Lösung dar. Gegenüber der englischen prozessualen Lösung der disclosure besteht noch ein weiterer Nachteil in der Verankerung des Informationszugangs im materiellen Recht: Wenn der Schuldner die gewünschte Information auf eine vor- oder außerprozessuale Geltendmachung hin nicht erteilt, muss der Gläubiger diese mittels einer umständlichen eigenständigen Klage oder aber mittels der nahezu ebenso zeitaufwendigen Stufenklage (§ 254 ZPO) erstreiten, wohingegen im englischen Recht aus der Nichtbefolgung einer disclosureAnordnung oder eines request for further information negative Rückschlüsse zu Lasten der sich widersetzenden Partei gezogen werden können. 2. Abgrenzung zur sekundären Darlegungslast In ihren Voraussetzungen ist die sekundäre Behauptungslast sehr ähnlich strukturiert wie der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB.29 Beide setzen voraus, dass der Gläubiger bzw. Kläger einem unverschuldeten Informationsdefizit unterliegt und der Schuldner bzw. Beklagte demgegenüber zumutbarerweise die Auskunft unschwer erteilen kann. Einziger Unterschied ist auf Tatbestandsseite, dass im Fall des Auskunftsanspruchs grundsätzlich eine Sonderverbindung zwischen Gläubiger und Schuldner bestehen muss, was für die Anwendung der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast nicht erforderlich ist. Für letztere ist das zwischen den Parteien bestehende Prozessrechtsverhältnis ausreichend. Die Unterschiede auf Rechtsfolgenseite sind demgegenüber gravierend. Während im Fall des § 242 BGB präventiv, also vor Entstehen eines Rechtsstreites zwischen den Parteien, das Informationsdefizit mittels eines Auskunftsanspruchs behoben werden kann, kommt die sekundäre Darlegungslast erst in der Prozesssituation zum Tragen. Wird die Information also bereits benötigt, um überhaupt schlüssig vortragen bzw. Klage erheben zu können (etwa weil die Identität des potentiellen Beklagten zuvor unbekannt ist), hilft das Konstrukt der sekundären Darlegungs28 29
Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 287. So auch Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399, 405.
B. Vorprozessualer Zugang zu Informationen
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last nicht weiter. Auf der anderen Seite ist der Vorteil der sekundären Darlegungslast darin zu sehen, dass sie zugleich eine Form der Sanktionierung bereithält. Kommt nämlich der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, so ist das Vorbringen des Klägers gem. § 138 Abs. 2 ZPO als zugestanden zu betrachten. Wird demgegenüber die nach § 242 BGB begehrte Auskunft nicht erteilt, bleibt nur der Weg der Auskunftsklage oder – soweit möglich – der Stufenklage gem. § 254 ZPO.
B. Vorprozessualer Zugang zu Informationen Gravierende Unterschiede bestehen zwischen dem englischen und dem deutschen Recht hinsichtlich des vorprozessualen Zugangs zu Informationen. Hier stehen auf der englischen Seite die vorprozessualen pre-action protocols und die pre-action disclosure dem Auskunftsanspruch nach § 242 BGB, sonstigen materiellrechtlichen Informationsansprüchen sowie dem selbstständigen Beweisverfahren auf deutscher Seite gegenüber. Die vorprozessualen pre-action protocols stellen einen Weg dar, ohne Inanspruchnahme von Gerichten, das heißt im Wesentlichen ohne zusätzliche Kosten, einen Informationsaustausch unmittelbar zwischen den Beteiligten herbeizuführen. Funktional vergleichbar könnten insofern auf deutscher Seite der spezialgesetzliche Auskunftsanspruch und der Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB sein, denn auch diese stellen ein Instrumentarium dar, auf das bereits vorprozessual zurückgegriffen werden kann. Die protocols und die Auskunftsansprüche erfüllen jedoch unterschiedliche Zwecke. Während es bei den pre-action protocols um einen gegenseitigen Informationsaustausch geht, dienen Informationsansprüche lediglich der Information ei ner Partei. Des Weiteren kommen beide Mechanismen in unterschiedlichen Stadien einer Kommunikation zum Einsatz. Die pre-action protocols sind auf den Informationsaustausch zwischen künftigen Parteien eines Rechtsstreits im Hinblick auf diesen Rechtsstreit und auf die vorprozessuale Streitbeilegung ausgelegt. Sie bezeichnen die Beteiligten als Kläger und Beklagten, auch wenn beide sich formal mangels Klageerhebung noch nicht in diesem Stadium befinden. Es wird bereits zwischen zwei Kontrahenten streitig verhandelt. Demgegenüber ist bei der Ausübung der deutschen materiellrechtlichen Informationsansprüche eine derartige konflikttechnische Verdichtung häufig noch nicht gegeben. Ein funktionales Äquivalent für den englischen standardisierten vorprozessualen Informationsaustausch gibt es in Deutschland mithin nicht. Hier findet ein echter Informationsaustausch mit dem Ziel der Streitbeilegung bzw. der Prozessvorbereitung allenfalls auf freiwilliger Basis statt. Ein solcher ist mitunter zu beobachten, wenn Versicherungen und/oder Anwälte beteiligt sind, die auf einen solchen Austausch beiderseitig Wert legen.
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Kapitel 4: Auswertung
Funktional vergleichbar sind aber die englische pre-action disclosure und der deutsche Auskunftsanspruch aus § 242 BGB sowie etwaige spezialgesetzliche materiellrechtliche Informationsansprüche. Gemeinsam ist beiden Mechanismen, dass sie eingesetzt werden können, wenn eine Partei nicht über die erforderliche Information verfügt, die sie benötigt, um ihre Klage zu erheben oder zu substantiieren. Aber auch hier bestehen erhebliche Unterschiede, vor allem hinsichtlich ihrer jeweiligen Voraussetzungen. Die preaction disclosure setzt voraus, dass die Parteien potentiell Parteien eines künftigen Rechtsstreits sind, dass die begehrten Dokumente unter den Anwendungsbereich der standard disclosure fallen und dass ihre Offenlegung vor Klageerhebung wünschenswert ist, um eine Klage zu vermeiden, jedenfalls aber um Kosten zu sparen. Keine eindeutige Linie besteht hinsichtlich der ersten Voraussetzung, bezüglich derer von „wahrscheinlich“, über „may well“ bis hin zu „credibility of a prospective claim“ viel vertreten wird.30 Klar ist aber, dass die Schwelle deutlich niedriger ist als im deutschen Recht, das in der Regel am Erfordernis eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien festhält. Allerdings wird im englischen Recht ein etwaiges spekulatives Element im Rahmen der Ermessensausübung zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt, so dass auch hier der vorprozessuale Zugang zu Dokumentenmaterial zwischen zwei Parteien, die nicht bereits durch ein Rechtsverhältnis verbunden sind, die Ausnahme bleibt.31 Ob im Ergebnis durch dieses Element ein vergleichbarer Schutz vor Ausforschung erreicht wird, ist denkbar, jedoch nicht eindeutig auszumachen. Das deutsche selbstständige Beweisverfahren soll im Anwendungsbereich des § 485 Abs. 2 ZPO ebenso wie die pre-action protocols der Prozessvermeidung und Konfliktbeilegung dienen. Allerdings ist im selbstständigen Beweisverfahren bereits ein Gericht mit der Sache befasst, wohingegen sich die Phase der pre-action protocols gänzlich ohne Gerichtsbeteiligung vollzieht. Dafür ist das selbstständige Beweisverfahren in seinen Wirkungen deutlich weiter gehend, indem es eine Bindung an das gefundene Beweisergebnis vorsieht. Bezogen auf die investierten Ressourcen (insbesondere die Involvierung des Gerichts) kommt der Vorteil des selbstständigen Beweisverfahrens dann zum Tragen, wenn es zum Prozess kommt, weil dann eine Berufung auf die Bindungswirkung hinsichtlich des Beweisergebnisses erfolgen kann. Ein Teil des Verfahrens ist also in gewisser Weise bereits vorweggenommen. Das ist bei den pre-action protocols nicht der Fall, zumal der Informationsaustausch hier häufig without prejudice erfolgt und im Prozess folglich einem privilege unterliegt. Kommt es hingegen nicht zum Prozess, weil die Parteien sich auf Basis des in Übereinstimmung mit den pre-action protocols vollzogenen Informationsaustauschs vergleichen, so ist dem engli30 31
Vgl. oben, S. 62 ff. S. 63 f.
C. Grenzen
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schen Recht mit seinen pre-action protocols eine Konfliktbeilegung ohne richterliche Beteiligung gelungen, dem deutschen Recht mit seinem selbstständigen Beweisverfahren hingegen nicht. Allerdings darf dennoch bezweifelt werden, ob das englische Verfahren auch tatsächlich ressourcensparender abgelaufen ist, weil die eingesparten Gerichtsressourcen möglicherweise durch ein Mehr an Stunden und Gebühren für den die standard disclosure in der pre-action-Phase vorbereitenden Anwalt aufgewogen werden.
C. Grenzen Sowohl im englischen als auch im deutschen Recht werden den Möglichkeiten der Heranziehung des Prozessgegners in zweierlei Hinsicht Grenzen gezogen. Zum einen erkennen beide Rechtsordnungen an, dass der Mitwirkungs- und Informationsverpflichtete unter bestimmten Voraussetzungen seine Mitwirkung verweigern kann, wenn er ein schützenswertes Interesse an der Geheimhaltung der Information hat.32 Zum anderen sind sich beide Rechtsordnungen darin einig, dass ausforschende Beweisanträge bzw. fishing expeditions unzulässig sind.33 An dieser Stelle hören die Gemeinsamkeiten jedoch auf, da die Auslegung, was unter einem schützenswerten Interesse zu verstehen ist und unter welchen Voraussetzungen ein Informationsbestreben in den Bereich des unzulässigen Ausforschens abgleitet, erheblich differieren. Im Hinblick auf die Privilegien ist schon der Ausgangspunkt unterschiedlich. Während das englische Recht davon ausgeht, dass grundsätzlich Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten bestehen und die Berufung auf ein Privileg die Ausnahme bleiben muss, geht das deutsche Recht vom umgekehrten Standpunkt aus, dass das Auskunftsinteresse des Berechtigten von vornherein nur soweit reicht, als ihm nicht im Einzelfall ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Gegners entgegensteht. Besonders virulent werden diese unterschiedlichen Ansätze im Bereich des Schutzes des Betriebsgeheimnisses, das im deutschen Recht eine große Rolle spielt, in England demgegenüber nicht als eigenständige privilege-Kategorie, sondern als Unterfall des limiting disclosure in order to protect other interests thematisiert wird. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Weigerungsrechte, so wird der Grund für die so unterschiedlichen Ausgangspunkte deutlich. Die schwache Ausprägung von Weigerungsrechten im englischen Rechtssystem, die dem common law entstammen, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das englische common law von Richtern entwickelt wurde, die ihrerseits ebenso wie die Anwälte die Gewährung von privileges vor allem „unter dem Aspekt 32 33
S. 65 ff. S. 71 ff. und S. 124 ff.
142
Kapitel 4: Auswertung
verhinderter Wahrheitsfindung“34 betrachten und anders etwa als der deutsche Gesetzgeber nicht so sehr unter dem Einfluss mächtiger Interessengruppen standen. Diesem Aspekt wird in Teil II nachgegangen.35 Umgekehrt stellt sich die Situation im Hinblick auf das Anwaltsprivileg dar. Dieses führt in Deutschland ein Schattendasein und begegnet lediglich als Kehrseite der strafrechtlich sanktionierten anwaltlichen Schweigepflicht. Demgegenüber wird es in England als bedeutendes Korrelat des adversarial principle behandelt. Auch dies wird historisch-kulturellen Einflüssen in Gestalt des gesellschaftlichen Ansehens und der rechtspolitischen Einflussmöglichkeiten der Anwaltschaft in England zugeschrieben.36 Hinsichtlich des Ausforschungsbeweises bzw. der fishing expedition gehen beide Rechtsordnungen von einer Unzulässigkeit aus. Allerdings wird der Begriff des Ausforschungsbeweises bzw. der fishing expedition sehr unterschiedlich definiert. Nach deutscher Auffassung ist ein Beweisantrag dann auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gerichtet, wenn er entweder für eine völlig vage und unsubstantiierte Behauptung aufgestellt wird, wenn also ein Beweisermittlungsantrag vorliegt, der einen schlüssigen Tatsachenvortrag überhaupt erst ermöglichen soll, oder wenn der Beweisantrag zwar hinreichend konkretisiert ist, aber ohne jeden Anhaltspunkt „ins Blaue hinein“ gestellt wird. 37 In England gilt ein Informationszugangsbegehren als unzulässig, wenn es darauf ausgerichtet ist, „to enable a party to frame a new case“. Geht es um Informationszugang bevor überhaupt Klage erhoben ist, wird die Zulässigkeit dahingehend eingeschränkt, dass die disclosure nicht dazu verwendet werden darf, Beweismaterial zu erlangen, ohne das der Kläger nicht über hinreichende Beweismittel verfügen würde, um seine Klage zu stützen.38 Erstere Definition lässt einen deutlich größeren Spielraum zu, sich Informationsmaterial zu beschaffen, weil nur das ausgeschlossen sein soll, was zu einem neuen Streitgegenstand (framing of a new case) gehören würde. Demgegenüber ist die zweite Definition vergleichbar eng wie die deutsche Definition. Hier hängt viel davon ab, was die Praxis tatsächlich aus den Fällen macht. In Deutschland neigen viele Gerichte dazu, sehr schnell einen Ausforschungsbeweis in Konstellationen anzunehmen, die sich auf den Gegenstand des üblichen Informationsaustauschs der standard disclosure beziehen. Diese Urteile haben jedoch häufig vor den Obergerichten keinen Bestand.39 Bei der Lektüre von Fällen und Rechtsprechung gewinnt man den Eindruck, So Stürner, in: FS Stiefel, 1987, S. 763, 780 f. S. 91 ff. 36 So Magnus, Anwaltsprivileg, 2010, S. 251 ff., 254 ff., 289. 37 S. 124 ff. 38 S. 71 f. 39 S. 126. 34 35
D. Sanktionen
143
dass das Problem den deutschen Zivilprozess sehr viel mehr umzutreiben scheint, als den englischen. Auf der anderen Seite bestehen auch in England Ungereimtheiten, wenn eine pre-action disclosure einerseits dann abgelehnt wird, wenn der Kläger bereits über hinreichend Material verfügt, und wenn andererseits aber einem Kläger, der noch nicht über ausreichende Unterlagen verfügt, der Vorwurf der „speculative claim“ und damit der unzulässigen Ausforschung gemacht wird. 40 Auch in England gibt es demnach keine griffige Formel, die ein als zulässig erkanntes Bedürfnis nach Ausgleich eines Informationsdefizits von dem unzulässigen Ausforschungsbegehren abgrenzt. Dieser Frage ist in Teil II nachzugehen.
D. Sanktionen Das deutsche Recht sanktioniert verweigerte Mitwirkungshandlungen grundsätzlich mit Prozessnachteilen im Rahmen der Beweiswürdigung oder durch Umkehr von Darlegungs- und Beweislasten. Mit Ausnahme von § 372 a ZPO kennt das deutsche Zivilprozessrecht keine unmittelbar durchsetzbare Pflicht an der Wahrheitsfindung mitzuwirken.41 Eine solche besteht aber bezüglich der materiellrechtlichen Auskunftsansprüche.42 Demgegenüber sieht der englische Zivilprozess für den Fall der verweigerten Mitwirkung und Aufklärung nicht nur Prozessnachteile vor, sondern überdies auch die Anwendung von Zwangsmaßnahmen wegen contempt of court. Wie das Entstehen dieser Sanktion, die den Courts of Chancery entstammt, historisch zu erklären ist, ist unklar und „mag […] zufälliger Gerichtsverfassung des Mittelalters zu verdanken sein“,43 wenn man berücksichtigt, dass das Verfahren der Courts of Chancery ebenso wie der kontinentale Prozess an den italienisch-kanonischen Prozess anknüpft, dem derartige Maßnahmen fremd waren. Als Erklärungsansatz für ihr Überleben könnte aber – so Stürner – die stärkere Neigung der Angloamerikaner zur materiellen Wahrheit, die prozessualen Fiktionen ablehnend gegenüber steht, dienen. 44 Dies wird in Teil II näher zu untersuchen sein.45
Vgl. S. 64. So auch Adloff, Vorlagepflichten und Beweisvereitelung, 2007, S. 282 ff. 42 S. 127 f. 43 Stürner, in: FS Stiefel, 1987, S. 763, 779. 44 Stürner, in: FS Stiefel, 1987, S. 763, 780 f. 45 S. 191 ff. 40 41
144
Kapitel 4: Auswertung
E. Kosten In England wie in Deutschland gilt im Grundsatz das Prinzip der Unterliegendenhaftung. Allerdings kann der deutsche Richter davon nur ausnahmsweise, insbesondere in den Fällen des sofortigen Anerkenntnisses gem. § 93 ZPO abweichen, wohingegen sein englischer Gegenspieler ein weites Ermessen hat, das gesamte Verhalten der Parteien während und vor dem Prozess, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung der pre-action protocols und unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit und des overriding objective, zu würdigen.46 Zweiter gravierender Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen ist, dass in Deutschland jedenfalls die gesetzlichen Anwaltsgebühren durch die Kostenerstattung abgedeckt sind, wohingegen in England auch die Reichweite der Kostenerstattung im Ermessen des Richters steht. Soweit ein Mandant seinem Anwalt in Deutschland nur die gesetzlichen Gebühren schuldet, steht er im Fall des Obsiegens deutlich besser da als in einem englischen Verfahren. Umgekehrt erhält er im Fall einer Gebührenvereinbarung in England möglicherweise eine weiter reichende Kostenerstattung als in Deutschland, wo die Erstattungsfähigkeit auf die Höhe der gesetzlichen Gebühren beschränkt ist. Insgesamt stellt das Kostenrisiko in England aber eine deutlich größere Unsicherheit als in Deutschland dar, weil sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ der Kostenerstattung auch im Fall des Obsiegens fraglich sind, was dadurch verschärft wird, dass im englischen Prozess in der Regel zwei Anwälte (solicitor und barrister) auf jeder Seite mit der Sache befasst sind und die Anwaltskosten auf Grund der Durchführung der disclosure und wegen des Fehlens einer gesetzlichen Gebührenordnung deutlich höher auszufallen drohen. Dieser Umstand ist im Rahmen etwaiger Umsetzungsmodelle in Teil III zu berücksichtigen.
46
S. 74 f.
Teil II
Rechtslage de lege ferenda: Regelungsbedarf in Deutschland Bislang ist festgestellt worden, dass das deutsche Recht mit den dargestellten Instrumentarien nicht zu denselben Ergebnissen kommt wie das englische Recht. Es wurde gezeigt, dass das englische Recht einen großzügigeren Zugang zu Information und Beweis gewährt, insbesondere im vorprozessualen Bereich mittels der pre-action protocols und der pre-action disclosure. Um diagnostizieren zu können, ob dies Anlass zu Reformbestrebungen in Deutschland sein sollte (Darstellung des Meinungsstandes hierzu in Kapitel 5), sind drei Fragen zu klären. Zunächst stellt sich die Frage, ob das englische und das deutsche Recht hinsichtlich des Ausmaßes der Gewährung von Zugang zu Information und Beweis im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen (Kapitel 6). Sodann ist zu klären, ob das deutsche Recht in seiner Ziel- und Zwecksetzung den großzügigen Zugang zu Information und Beweis überhaupt als förderungswürdiges Prinzip anerkennt (Kapitel 7). Schließlich ist fraglich, ob eine wie auch immer geartete Form von disclosure oder allgemeiner Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei mit den Grundsätzen der Parteiherrschaft vereinbar wäre (Kapitel 8).
Kapitel 5
Meinungsstand in der Literatur Im Schrifttum ist wiederholt die Frage aufgeworfen worden, ob der im deutschen Zivilprozessrecht gewährte Zugang zu Information und Beweis ausreichend ist oder ob die skizzierten bestehenden Mechanismen einer Ausweitung bedürfen.
A. Die Ansicht in der Literatur bis 1990 I.
Vertreter einer aufklärungsfreundlicheren Auffassung
Erste Vertreter einer aufklärungsfreundlicheren Ausgestaltung des Zivilprozesses finden sich in den Gruppen derer, die die Praktizierung des Verhandlungsgrundsatzes in seiner Reinform in Frage stellten. So kritisierte v. Hippel, der Zivilprozess basiere nach wie vor auf der Vorstellung eines Zweikampfes der Parteien, die jeweils das ihnen Günstige auf eigene Faust zu erkunden und zu beweisen hätten und dem Gegner keinerlei Rücksicht schuldeten. 1 Insbesondere fehle es an einem Informativverfahren außerhalb der zivilprozessualen Fallentscheidung. 2 Demgegenüber forderte v. Hippel eine Wahrheitspflicht, die den Parteien auferlegt, alles zu unterlassen, was eine Ermittlung der Wahrheit vereiteln oder erschweren könnte, und die von ihnen verlangt, an der Aufklärung des Streitfalls mitzuarbeiten.3 Die Parteien stünden in einer echten Aufklärungsgemeinschaft unter gerichtlicher Führung.4 Auch Cohn meint, die wechselseitigen Wahrheits- und Aufklärungspflichten der Parteien des Zivilprozesses sollten ausgebaut werden. Denn ein Verfahren, in dem es eigentlich um Individualrechtsschutz geht, werde nicht dadurch besser, dass – wie im deutschen Zivilprozess unter Einfluss von Franz Klein geschehen – Autorität, Verantwortung und Arbeitslast des Gerichts ständig ausgeweitet werden. Die von Klein befürwortete Stärkung richterlicher Befugnisse habe in Deutschland zu einer Verantwortungsv. Hippel, Wahrheitspflicht, 1939, S. 222. v. Hippel, Wahrheitspflicht, 1939, S. 209 ff. 3 v. Hippel, Wahrheitspflicht, 1939, S. 381. 4 v. Hippel, Wahrheitspflicht, 1939, S. 303, 307. 1 2
A. Die Ansicht in der Literatur bis 1990
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losigkeit der Parteien, zur Überlastung der Gerichte und so zu einer „Degeneration des Prozessrechts“ geführt. 5 Dieser Entwicklung habe eine vermeintlich liberale Denkrichtung zu Grunde gelegen, die fehlerhafterweise Freiheit und Pflichtenlosigkeit gleichgesetzt habe.6 Der überzeugendere Weg sei es demgegenüber, die Parteien unter Aufsicht des Gerichts einander sehr weitgespannte gegenseitige Wahrheits- und Aufklärungspflichten erfüllen zu lassen. Denn auf diese Weise würde die Eigensucht der Parteien in den Dienst der Wahrheitsfindung gestellt.7 Zehn Jahre später entwickelte Stürner seine oben bereits dargestellte Theorie, derzufolge eine ungeschriebene allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht darlegungsbelasteten Partei im Zivilprozess existiert.8 Aus dem deutschen Grundgesetz (Art. 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) ergebe sich ein Anspruch auf ein wirksames Verfahren, das der Erforschung der Wahrheit über die oben genannten Informationsrechte hinaus diene, woraus Stürner folgert, dass der deutschen Zivilprozessordnung eine umfassende Aufklärungs- und Offenlegungspflicht innewohne.9 Er betont, dass die ursprüngliche Fassung der ZPO sehr viel stärker auf die Risikobewältigung aus eigener Kraft gesetzt und so die Freiheitssphäre des anderen Teils in sehr viel stärkerem Maße gewichtet habe. Die lediglich punktuelle Regelung von Informationszugangsrechten im Gesetz sei folglich nicht Ausdruck mangelnden Überblicks, sondern Ausdruck eben jenes Respekts der Freiheitssphäre des anderen Teils. Die Rechtsentwicklung habe aber die Gewichtung zugunsten verstärkter Aufklärungspflichten verschoben.10 Koller argumentiert im Stürner’schen Sinne, die Parteien hätten ein Recht auf Wahrheit und Gerechtigkeit. Für eine Aufklärungsobliegenheit spreche auch die Entwicklung im englischen, französischen und amerikanischen Recht. Durch eine Aufklärungsobliegenheit werde die Verhandlungsmaxime nicht abgeschafft, weil es Sache der aufklärungsbedürftigen Partei bleibe, die Voraussetzungen für einen legitimen Aufklärungsbedarf vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, dass sie nicht hinreichend aufgeklärt worden sei. Auch in die Beweislastverteilung werde nicht eingegriffen, weil die Regelungen über die Beweislast dem Gegner keine prozessfreie Sphäre schaffen, sondern ihn nur davor bewahren sollen, das Risiko des „non liquet“ zu tragen.11
Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 61. Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 61. 7 Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 60. 8 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 92 ff. Siehe dazu bereits oben, S. 86 f. sowie ausführlich unten, S. 320 ff. 9 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 31 ff., S. 48 ff. 10 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 380. 11 Koller, VersR 1990, S. 553, 558. 5 6
148
Kapitel 5: Meinungsstand in der Literatur
II. Gegner der aufklärungsfreundlicheren Auffassung Gegen das Bestehen bzw. die Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht ist in der Literatur die Auffassung vertreten worden, sie sei mit der Verhandlungsmaxime nicht vereinbar.12 G. Lüke führt dazu aus, dass eine prozessuale Aufklärungspflicht die Gewichte der den Prozessrechtssubjekten zugewiesenen Positionen zugunsten des Gerichts verschiebe, mit der Folge einer eindeutigen, in der ZPO so nicht vorgesehenen Hinwendung zum Untersuchungsgrundsatz.13 Arens meint, eine prozessuale Aufklärungspflicht würde die Richtermacht verstärken und damit die Geltung der Verhandlungsmaxime noch weiter einschränken, 14 ja die Unterschiede zwischen Verhandlungs- und Inquisitionsmaxime weitgehend aufheben.15 Es stelle sich die Frage, was die durch die Privatautonomie gewährte Freiheit noch wert sei, wenn die Parteien den Prozess zwar noch in Gang setzen, dann aber alles in der Hand des Richters liegt. 16 Die Möglichkeit, den Prozess selbst zu führen, sei Garantie der persönlichen Freiheit und Selbstverantwortung. Überdies sei eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht auch gar nicht erforderlich, weil sich die meisten Fälle bereits mit Hilfe materiellrechtlicher Auskunftspflichten befriedigend lösen ließen.17 In ähnlicher Weise argumentiert Gerhardt, ausweitende Änderungen seien deshalb nicht erforderlich, weil die problematischen Fälle bereits hinreichend über die Grundsätze des venire contra factum proprium gelöst seien.18 Prütting kritisiert, die Stürner’sche Auffassung unterwandere faktisch die objektive Beweislast. Es gehöre zum kontradiktorischen Verfahren, dass die nicht beweisbelastete Partei weder zur Sachverhaltsaufklärung beitragen müsse, noch Nachteile aus einem verbleibenden non liquet zu tragen habe. Keine Partei sei verpflichtet, bei der Sachverhaltsermittlung die Sache des Gegners zu betreiben. Allerdings stimmt Prütting Stürner dahingehend zu, dass Aufklärungsmöglichkeiten so umfassend wie möglich ausgeschöpft werden sollten und eine Beweislastentscheidung auf Grund Beweislosigkeit nur eine ultima ratio darstellen dürfe. Er plädiert daher für eine Lösung auf Ebene materiellrechtlicher Aufklärungspflichten. Denn der prozessuale Grundsatz nemo contra se edere tenetur werde dann nicht verletzt, wenn der Gegner auf
Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 26 ff.; G. Lüke, JuS 1986, S. 2, 3. G. Lüke, JuS 1986, S. 2, 3. 14 Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 20 f. 15 Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 18. 16 So Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 21. 17 Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 21. 18 Gerhardt, AcP 169 (1969), S. 289 ff. 12 13
B. Die Meinung in der Literatur seit 1990
149
Grund materiellrechtlicher Sonderverbindung zur Information, Auskunft, Rechenschaft oder Aufklärung verpflichtet werde.19 Gottwald kritisiert das Stürner’sche Konstrukt zur Rechtslage de lege lata dahingehend, dass das Prozessrecht die Aufklärungsinteressen einer Partei nicht stärker berücksichtigen dürfe als das materielle Recht.20
B. Die Meinung in der Literatur seit 1990 Mit seiner oben21 bereits skizzierten Entscheidung vom 11. Juni 199022 hat der BGH der Idee der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht eine Absage erteilt und damit die Diskussion in der Literatur über erweiterte Mitwirkungspflichten des Gegners der darlegungsbelasteten Partei erneut entfacht. Insbesondere wird in der Literatur nach Ablehnung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht de lege lata durch den BGH die Einführung einer solchen de lege ferenda diskutiert. I.
Zustimmung zur Entscheidung des BGH
Der Auffassung des BGH hat sich Leipold23 uneingeschränkt angeschlossen. Auch ihmzufolge ist eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der Parteien abzulehnen. Sie lasse sich weder aus § 138 ZPO noch aus sonstigen Erwägungen herleiten. Ein allgemeines Auskunftsrecht kenne auch das materielle Recht nicht, und es sei nicht Aufgabe des Prozessrechts, sie einzuführen, da die einschlägigen ZPO-Vorschriften auf den materiellrechtlichen Pflichten aufbauen, ohne sie prinzipiell zu erweitern. Allerdings schließe die Ablehnung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht nicht aus, die Nähe einer Partei zu Tatsachen und Beweis und die Möglichkeit der Informationsgewinnung bei der Beurteilung der Darlegungs- und Beweislast zu berücksichtigen, insbesondere durch Beweislastverschiebungen. Das vor- und innerprozessuale Verhalten einer Partei könne ferner im Rahmen der freien Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Auch könne eine Partei, die Behauptungen des Gegners bestreite, gehalten sein, dieses Bestreiten im Einzelnen zu substantiieren. All das bleibe jedoch deutlich hinter der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien zurück. Auch im materiellen Recht gehöre es zur Freiheit des Einzelnen, zu entscheiden, über welche Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 137. Später bestätigt in MüKoZPO-Prütting, 2013, § 284, Rn. 17. 20 Gottwald, ZZP 92 (1979), S. 364, 367; ebenso Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 137 ff. sowie Arens, ZZP 96 (1983), S. 1 ff. 21 S. 88 f. 22 BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151. 23 Vgl. zu diesem gesamten Absatz Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 26-31. 19
150
Kapitel 5: Meinungsstand in der Literatur
Angelegenheiten er reden und über welche er schweigen wolle. An dieser Einschätzung ändere auch die Tatsache nichts, dass einige ausländische Rechtsordnungen sehr weit reichende prozessuale Aufklärungspflichten der Parteien etabliert haben. Insbesondere müsse man – bevor man aus der USamerikanischen pre-trial discovery Argumente für das deutsche Recht gewinnen wolle – die grundlegenden Systemunterschiede beachten.24 Schreiber mahnt an, dass im Fall der Zulassung einer allgemeinen Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei die subjektive Beweislast des Beweisführers praktisch entfalle. Denn wenn die nicht beweisbelastete Partei ihrer Aufklärungspflicht nachkomme, werde eine non liquet-Situation in der Regel vermieden. Komme sie ihrer Pflicht demgegenüber nicht nach, werde der Beweisführer von seiner subjektiven Beweislast befreit und die Beweiswürdigung nach § 286 ZPO falle zu seinen Gunsten aus. Der eigentlich nicht Beweispflichtige verliere also den Prozess. Wenn auch die objektive Beweislast nicht verändert worden sei, so werde doch im Ergebnis das Prozessrisiko anders verteilt, als dies nach den Wertungen des materiellen Rechts der Fall sein sollte. Für die Etablierung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht bestehe im Übrigen auch keinerlei Bedürfnis, da dem Informationsinteresse der darlegungs- und beweisbelasteten Partei durch die Rechtsprechung zur sekundären Darlegungslast genügt werde.25 Auch Senninger meint, die Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht würde eine Abkehr von der Verhandlungsmaxime bedeuten, auf der die Regelungen über die Behauptungs- und Beweislast im Zivilprozess beruhen.26 Vorwerk wendet gegen die Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht ein, dass der Sach- und Streitstoff mit einer Unzahl von Tatsachen und Urkunden überfrachtet werde, die für die Entscheidung irrelevant seien, so dass eine längere Verfahrensdauer die Folge sei. Zum anderen begründe die Statuierung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht strafrechtlich zugleich eine Garantenpflicht gem. § 13 StGB, so dass sich die im Rahmen der Aufklärungspflicht zurückhaltend agierende Partei zugleich der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetze, was eine Vielzahl strafrechtlicher Ermittlungsverfahren provoziere. Überdies sieht Vorwerk in der Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht die Gefahr einer Kollision mit dem verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht.27
Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 31. Schreiber, JR 1991, S. 415, 416. 26 Senninger, Referat, 61. Juristentag, 1996, S. I 11, I 14. 27 Vorwerk, MDR 1996, S. 870. 24 25
B. Die Meinung in der Literatur seit 1990
II.
151
Vertreter einer aufklärungsfreundlicheren Auffassung
Trotz der Entscheidung des BGH plädiert Peters weiterhin für erweiterte Mitwirkungspflichten des Gegners und meint, der Satz, keine Partei sei gehalten, dem Gegner die Waffen für den Prozesssieg zu verschaffen, habe spätestens im Jahr 1933 mit der Einführung der Wahrheitspflicht nach § 138 ZPO an Gültigkeit verloren. Auch sei es verfehlt von einer Aufhebung der Trennung zwischen Verhandlungs- und Inquisitionsmaxime zu sprechen, da es bei der Prozessförderungspflicht nicht um Amtsermittlung, sondern alleine um die Verteilung der Lasten zwischen den Parteien gehe.28 Die ablehnende Grundsatzhaltung des BGH bei gleichzeitiger Gewährung von sporadischen Informationszugangsrechten führe dazu, dass sich im konkreten Prozess eine verlässliche Prognose zu den Erfolgsaussichten nicht treffen lasse.29 Überdies seien Mitwirkungspflichten jenseits des Auskunftsanspruchs derzeit nicht erfasst, so etwa die Preisgabe einer nur dem Gegner bekannten Adresse eines Zeugen oder im Schadensersatzprozess die körperliche Untersuchung auf schon vorhandene Vorerkrankungen. Schließlich finde nur auf Basis einer allgemeinen Prozessförderungspflicht die von der Rechtsprechung im Rahmen des § 286 ZPO berücksichtigte Beweisvereitelung ihre Rechtfertigung.30 Schlosser konstatiert, das Verständnis von der Verhandlungsmaxime sei überkommen und stoße sich mit dem „modernen Menschenrechtspostulat ‚Zugang zu Information und Beweismitteln‘“. Insoweit sei Deutschland rückständig. 31 Tatsächlich seien Aufklärungspflichten und/oder -obliegenheiten notwendiges Korrelat der Verhandlunsgmaxime.32 Nach Auffassung von Gottwald ist eine Stärkung der ersten Instanz als Kompensation zu einer Entlastung der Rechtsmittelgerichte erforderlich. Deshalb schlägt er u.a. die Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht vor, um die „Sachverhaltsarbeit“ möglichst rasch und effizient zu gestalten und in erster Instanz abschließen zu können. 33 Dadurch könnten insbesondere auch vorbereitende Klagen und Stufenklagen, die wiederum zu selbstständig anfechtbaren Teilurteilen, Rechtsmittelverfahren und zur gesonderten Zwangsvollstreckung führen, insbesondere in Unterhaltsstreitigkeiten und in wettbewerbsrechtlichen Schadensersatzprozessen vermieden werden.34
Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399, 408. Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399, 406. 30 Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399, 406 f. 31 Schlosser, JZ 1999, S. 599. 32 Schlosser, JZ 1999, S. 599, 603. 33 Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 7, A 14. 34 Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 7, A 14 f. 28 29
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Kapitel 5: Meinungsstand in der Literatur
Stadler meint, der Rechtsprechung sei eine der Rechtssicherheit dienende Systematisierung bislang nicht gelungen und verweist diesbezüglich auf die Entscheidung BGH, NJW 1997, 128,35 in der der BGH die Anwendung der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast unter Verweis auf das Fehlen „besonderer Umstände“ abgelehnt hat. Allerdings plädiert Stadler nicht für die Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei, sondern ist – wie Stürner – der Auffassung, eine solche bestehe bereits de lege lata, wie sich aus einer Rechtsanalogie zu § 138 Abs. 1 und 2 ZPO sowie den Vorschriften über die Mitwirkung der Partei an der Beweisaufnahme ergebe.36 Aus einer völlig anderen Warte heraus argumentiert Greger zugunsten einer Aufklärungspflicht: Er spricht nicht von einer Aufklärung, die sich die Parteien gegenseitig schulden, sondern davon, dass „das Gericht […] in die Lage versetzt werden [müsse], auch von sich aus Sachverhaltsaufklärung zu betreiben oder eine solche durch andere Stellen zu veranlassen, um die Parteien zu wahrem und vollständigem Vortrag des Sachverhalts zu zwingen“.37 Demgemäß gehe es gerade nicht um „Munitionsverschaffung für den Gegner, sondern um Informationsverschaffung für das Gericht“.38 Denn derzeit müssten sich Richter statt reale Sachverhalte zu beurteilen „in erheblichem Umfang damit beschäftigen, aus bruchstückhaftem Vorbringen der Parteien unter Anwendung komplizierter Regeln zur Darlegungs- und Beweislast einen Sachverhalt herauszufiltern, der häufig nicht mit der Realität übereinstimmt“.39
C. Die Ansicht in der Literatur nach der ZPO-Reform des Jahres 2002 Für viel Unruhe hat in der Literatur die Neufassung des § 142 ZPO gesorgt. Während manche der Meinung sind, dass dadurch Teile der beklagten Probleme ganz oder teilweise behoben worden sind, gehen andere von einer nicht wünschenswerten Verschiebung von der Parteiherrschaft in Richtung Richtermacht aus. Schlosser spricht in diesem Zusammenhang positiv von der Erschließung „einer (vernünftigen) Ausforschungsmöglichkeit“.40 Saenger ist demgegenüber sehr skeptisch und fürchtet, dass durch einen extensiven Gebrauch der §§ 142 und 144 ZPO der Beibringungsgrundsatz obsolet werde, was durch das Erfordernis eines Ausgleichs struktureller Informationsdefizite Siehe dazu unten, S. 164 f. Stadler, Unternehmensgeheimnis, 1989, S. 80 ff. 37 Greger, JZ 1997, S. 1077, 1080. 38 Greger, JZ 1997, S. 1077, 1080. 39 Greger, JZ 2002, S. 1020, 1026. 40 Schlosser, JZ 2003, S. 427, 428. 35 36
D. Konsequenzen für das weitere Vorgehen
153
allein nicht gerechtfertigt werden könne. Das Verhältnis von Parteiherrschaft und Richtermacht sei nach der Neuregelung völlig offen.41 Greger kritisiert trotz der Neufassung des § 142 ZPO den derzeitigen Ansatz zur Informations- und Beweisbeschaffung und meint, dieser sei unter rechtsstaatlichen und verfahrensökonomischen Gesichtspunkten nicht hinnehmbar. Insbesondere beanstandet er, dass die Parteien als die unmittelbarsten Wissensträger ihre Informationen dem Gericht grundlos vorenthalten dürfen und dass erst in dritter Instanz festgestellt werde, wer für einen bestimmten Umstand die Darlegungslast trägt. 42 Katzenmeier beklagt, dass es nach der Rechtslage de lege lata nach wie vor Unstimmigkeiten und Lücken gebe, insbesondere durch das Erfordernis der Sonderbeziehung für den materiellrechtlichen Auskunftsanspruch. 43 Der Gesetzgeber habe mit der Neufassung der §§ 142, 144 ZPO das Potential einer Betonung der Verantwortung der Parteien für eine vollständige und ökonomische Prozessführung noch nicht ausgeschöpft. Wechselseitige Parteipflichten sollen seiner Auffassung nach zu einer offeneren Kommunikation in einem freiheitlichen, von den Parteien verantwortungsbewusst geführten Prozess beisteuern.44
D. Konsequenzen für das weitere Vorgehen Bei dem Versuch, die vorgebrachten Argumente der Befürworter und der Gegner der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht zu analysieren, lassen sich drei Hauptpunkte ausmachen, um die sich die Diskussion rankt. Der erste Streitpunkt entzündet sich im Wesentlichen an der Frage, ob der deutsche Weg „lückenbehaftet“, 45 „unstimmig“, 46 „Flickwerk“ 47 , „ein kaum mehr überschaubares Dickicht“, 48 „eine unübersichtliche Gemengelage“ 49 , „rückständig“50, „pflichtenlos“,51 und „degeneriert“52 sei, oder ob die Regelungen über die sekundäre Darlegungslast, die Berücksichtigung beweisverei-
Saenger, ZZP 121 (2008), S. 139, 153. Greger, BRAK-Mitt 4/2005, S. 150, 154. 43 Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 535. 44 Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 537. 45 Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 535. 46 Paulus, ZZP 104 (1991), S. 397, 403; Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 535. 47 Schlosser, JZ 1991, S. 599, 603. 48 Waterstraat, ZZP 118 (2005), S. 459, 484. 49 Greger, BRAK-Mitt 4/2005, S. 150, 151. 50 Schlosser, JZ 1991, S. 599, 603; Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 537 f. 51 Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 61. 52 Zitiert nach Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 61. 41 42
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Kapitel 5: Meinungsstand in der Literatur
telnden Verhaltens und die materiellrechtlichen Auskunftsansprüche eine adäquate Lösung des Problems der Informationsnot darstellen.53 Die zweite Thematik, um die eine Auseinandersetzung entbrannt ist, ist die, ob ein disclosure-Verfahren bzw. erweiterte prozessuale Mitwirkungsoder Aufklärungspflichten mit dem deutschen Beibringungsgrundsatz und den sich daraus ergebenden Vorgaben hinsichtlich der objektiven und subjektiven Beweislastverteilung vereinbar wären oder ob sie zwangsläufig zu einer Stärkung der Richtermacht führen würden.54 Der dritte Einwand, der in der Literatur gegen die Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht angeklungen ist, ist getragen von der Sorge, durch eine solche Pflicht könne anstelle einer Vereinfachung der Verfahren in erster Instanz eine Verkomplizierung eintreten.55 Diesen Themenkomplexen geht die Arbeit in getrennten Kapiteln nach. Der erste Komplex soll unter der Fragestellung abgehandelt werden, ob die deutsche Lösung defizitär ist. Dazu soll anhand von Fallbeispielen (Kapitel 6) ermittelt werden, ob das deutsche Recht tatsächlich lückenhaft ist. Maßstab für die Ermittlung der eigenen Lückenhaftigkeit (Kapitel 7) soll dabei einerseits die Frage sein, ob die erzielten Ergebnisse mit den Anforderungen des Gebots der Wahrheitsfindung sowie des Rechts auf Beweis und des Grundsatzes der Waffengleichheit vereinbar sind. Andererseits soll die Frage, ob die deutsche Lösung defizitär ist, aber auch an den Anforderungen des englischen Rechts zu den genannten Aspekten der Wahrheitsfindung, des Rechts auf Beweis sowie der Waffengleichheit gemessen werden. Dies ist aus zweierlei Gründen interessant: zum einen, um die Frage der behaupteten Rückständigkeit des deutschen Rechts im Vergleich zu einer anderen Rechtsordnung untersuchen zu können; zum anderen aber auch deshalb, weil das englische Recht im Rahmen dieser Untersuchung unter Umständen eine Vorbildfunktion für die Rechtslage de lege ferenda ausüben soll. Der zweite Komplex gilt der Untersuchung der Vereinbarkeit eines disclosure-Verfahrens mit einem parteibeherrschten Verfahren (Kapitel 8). Hier wird zunächst betrachtet, wie es dem englischen Prozessrecht gelingt, ein disclosure-Verfahren mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft zu verein53 So insbesondere Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 21 bezüglich der materiellrechtlichen Ansprüche, Gerhardt, AcP 169 (1969), S. 289 ff. bezüglich der Berücksichtigung beweisvereitelnden Verhaltens sowie Schreiber, JR 1991, S. 415, 416 bezüglich der sekundären Darlegungslast. 54 So insbesondere Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 137, MüKoZPO-Prütting, 2013, § 284, Rn. 17, Schreiber, JR 1991, S. 415, 416 und Senninger, Referat, 61. Juristentag, 1996, S. I 11, I 14 bezüglich der Verhandlungsmaxime und der Beweislast sowie Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 20 f. bezüglich der Stärkung der Richtermacht. 55 So Senninger, Referat, 61. Juristentag, 1996, S. I 11, I 14 sowie Vorwerk, MDR 1996, S. 870.
D. Konsequenzen für das weitere Vorgehen
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baren, um so mögliche Anregungen für die deutsche Betrachtungsweise zu gewinnen. Zum anderen soll geklärt werden, ob eine Vereinbarkeit eines disclosure-Verfahrens bzw. erweiterter Mitwirkungspflichten mit dem deutschen Verhandlungsgrundsatz gegeben wäre. Der dritte Einwand – die Sorge um die Verkomplizierung des Verfahrens – wird in Teil III behandelt, da er der Frage des Änderungsbedarfs als solcher nicht entgegensteht, sondern vielmehr die Frage der konkreten Ausgestaltung einer Änderung betrifft.
Kapitel 6
Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele Im Folgenden soll anhand von Fallbeispielen untersucht werden, inwieweit das deutsche Recht bei der Gewährung von Zugang zu Information und Beweis im Einzelfall tatsächlich zu defizitären Ergebnissen kommt. Dabei werden zunächst diejenigen Fälle dargestellt, in denen auf einen der in Teil I Kapitel 3 dargestellten Mechanismen zum Ausgleich des Informationsgefälles zurückgegriffen wurde (Abschnitt A). Dem werden diejenigen Fälle gegenübergestellt, in denen das unverschuldete Informationsdefizit nicht ausgeglichen wurde (Abschnitt B). Schließlich werden – wiederum anhand von Fallbeispielen – englische Fälle erörtert, in denen ein Zugang zur Information erfolgte (Abschnitt C.). Unter Abschnitt D. wird schließlich anhand von jüngeren Beispielen untersucht, inwieweit sich die Rechtslage durch die Neufassung des § 142 ZPO geändert hat. Dieses Kapitel schließt mit einer zusammenfassenden Auswertung der Ergebnisse dieser Fallbeispiele (E.).
A. Erste Fallgruppe: Behebung des Informationsdefizits I.
Veterinärmedizinerin
Die Klägerin war im Jahr 1970 Studentin an der beklagten Tierärztlichen Hochschule. In dieser Zeit erkrankte sie schwer und begab sich in verschiedene ärztliche Behandlungen. Erst acht Jahre später wurde eine alte Infektion mit dem Virus leptospira bratislava festgestellt. Die Klägerin behauptete nun, bei der Beklagten sei im Sommer 1970 mit dem fraglichen Virus experimentiert worden. Sie habe in dieser Zeit einen auf dem Gelände der Beklagten frei herumlaufenden Welpen auf den Arm genommen. Bei der Berührung des Hundes müsse sie sich infiziert haben. Die Beklagte habe dabei ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht genügt. Die Beklagte behauptete demgegenüber, bei ihr sei nie mit dem fraglichen Virus experimentiert worden. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hätte sich zwar der behauptete Umstand, dass der Hund mit dem Virus infiziert war, auch durch den erfolgreichen Nachweis ersetzen lassen, dass in der fraglichen Zeit bei der Beklagten mit einem solchen Virus experimentiert worden sei. Dieser Nachweis sei jedoch auf Grund der glaubhaften Aussage eines Zeugen sowie nach den Ausführungen eines Sachverständigen nicht gelungen. Der Antrag der Klä-
A. Erste Fallgruppe: Behebung des Informationsdefizits
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gerin, die im Bundesarchiv archivierten Unterlagen über sämtliche Leptospirenforschung der Beklagten heranzuziehen, wurde als unzulässiger Ausforschungsbeweis abgelehnt. Der BGH entschied, dass die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts den Anforderungen des § 286 ZPO nicht genüge.1 In der Urteilsbegründung werden verschiedene der oben angesprochenen Mechanismen des funktionalen Äquivalents angesprochen. Zunächst prüfte der BGH, ob dem Informationsdefizit der Klägerin durch einen Beweis des ersten Anscheins abgeholfen werden kann, lehnte dies jedoch ab. Die Grundsätze der Rechtsprechung, nach denen bei einem Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften ein Beweis des ersten Anscheins für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen diese Vorschriften und dem auf der fehlenden Sicherung beruhenden Unfall anzunehmen sei, seien bei einem derart singulären Verlauf nicht einschlägig. Als nächstes prüfte der BGH eine Umkehr der Beweislast auf Grund des Umstands, dass die Beklagte keine Unterlagen mehr darüber vorlegen konnte, um welche Hunde es sich gehandelt habe und woran diese erkrankt waren. Eine Beweislastumkehr lehnte der BGH im Ergebnis jedoch ab, da eine „Befundsicherungspflicht“ wie sie einen Arzt gegenüber einem Patienten treffen kann, für die beklagte Hochschule nicht bestehe. Allerdings sei der Antrag der Klägerin auf Beiziehung der im Bundesarchiv lagernden Forschungsberichte zu Unrecht abgelehnt worden. Denn das Berufungsgericht sei unzutreffenderweise davon ausgegangen, der Beweisantrag diene der Ausforschung und sei somit rechtsmissbräuchlich. Hierzu führt der BGH aus: „Die Kl., die in Beweisnot ist, ist berechtigt, eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts anzustreben. Sie darf, ohne sich dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auszusetzen, dabei auch die Behauptung aufstellen, das archivierte Material enthalte die vermißten Hinweise auf Experimente mit Leptospiren des Typs Bratislava. Das ist keine Behauptung ‚ins Blaue hinein‘, weil tatsächlich überhaupt mit Leptospiren gearbeitet worden ist, weil nicht auszuschließen ist, dass es Bestände mit diesem Virus bei der Bekl. gegeben hat und weil die Kl. verständlicherweise den nicht ganz hergeholten Verdacht haben kann, sie habe sich in der tierärztlichen Hochschule mit diesem Virus infiziert. Schon gar nicht durfte das BerGer. den Beweisantrag mit der Erwägung ablehnen, es sei ihm nicht zuzumuten, die offensichtlich sehr umfangreichen Unterlagen durchzusehen.“2
II. HIV-kontaminierte Blutkonserven Interessant ist ferner ein vom BGH entschiedener Fall zur Verwendung HIVkontaminierter Blutkonserven. Hier ging es – sehr vereinfacht – um folgenden Sachverhalt: Ein verunfallter Patient erhielt im Krankenhaus eine Bluttransfusion. Jahre später wurde bei ihm eine Infizierung mit dem HIV-Virus 1 2
BGH v. 4.7.1989, NJW 1989, S. 2947, besprochen u.a. bei Schlosser, JZ 1991, S. 599, 605. BGH v. 4.7.1989, NJW 1989, S. 2947, 2948.
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Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele
festgestellt. Der Patient, der sich diese Infektion nicht anders erklären konnte, verklagte das Krankenhaus auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Hier kam der BGH dem klagenden Patienten über eine Kombination von zwei Grundsätzen zu Hilfe:3 der Dokumentationspflicht sowie der sekundären Darlegungslast. Der an HIV erkrankte Patient hatte im Prozess behauptet, die bei der Behandlung mit Blutkonserven verwendeten Präparate seien HIVkontaminiert gewesen. Das beklagte Krankenhaus unterließ nähere Ausführungen zu den verwendeten Konserven mit dem Argument, die Produkte seien von dritter Seite hergestellt worden. Der BGH entschied, dass das Krankenhaus nach den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast verpflichtet gewesen wäre, nähere Angaben zu dem verwendeten Produkt zu machen, da dieses sich in der Sphäre des Krankenhauses befunden hätte, so dass der Patient typischerweise über die genauen Details in Unkenntnis sei, wohingegen das Krankenhaus auf Grund der diesem obliegenden Dokumentationspflicht über Herkunfts- und Gewinnungsnachweise hätte verfügen und diese zumutbarerweise offenlegen können. Obgleich also der Vortrag des klagenden Patienten unsubstantiiert und daher grundsätzlich unbeachtlich war, ging der BGH davon aus, dass die klägerseits vorgetragene Kontamination gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt, weil das beklagte Krankenhaus eine gebotene und zumutbare Mitwirkung bei der Aufklärung unterlassen habe. Nach den allgemeinen Regeln musste der Kläger aber auch die haftungsbegründende Kausalität zwischen der Behandlung mit den HIV-kontaminierten Blutkonserven und dem Ausbruch der HIV-Erkrankung nachweisen. Diesbezüglich half der BGH dem Patienten mit der Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis, indem er von einem typischen Geschehensablauf ausging. Wenn eine Behandlung mit HIV-kontaminierten Blutkonserven erfolge, und der Patient weder einer HIV-gefährdeten Risikogruppe angehört noch durch die Art seiner Lebensführung einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt ist, bestehe ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass eine nach der Behandlung ausgebrochene HIV-Infektion auf die Behandlung mit den HIV-infizierten Konserven zurückzuführen ist.4 III. Erfassung von Ferngesprächsdaten mittels einer Fangschaltung Eine durch anonyme Anrufe belästigte Frau vermutete hinter diesen Anrufen die Freundin ihres ehemaligen Freundes. Als sie von der vermuteten Anruferin darauf verklagt wurde, diese Behauptung zu unterlassen, verlor sie den Prozess, weil sie nicht nachweisen konnte, dass die vermutete Anruferin die BGH v. 14.6.2005, NJW 2005, S. 2614. BGH v. 14.6.2005, NJW 2005, S. 2614 ff.; vgl. dazu auch Katzenmeier, NJW 2005, S. 3391, 3392 sowie Spickhoff, NJW 2006, S. 1630, 1634. 3 4
A. Erste Fallgruppe: Behebung des Informationsdefizits
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Anrufe auch tatsächlich getätigt hatte. Da die Anrufe nicht aufhörten, ließ sie mit Hilfe einer von der Post eingerichteten Fangschaltung prüfen, von welchem Anschluss die Anrufe getätigt wurden. Die Fangschaltung bestätigte ihren Verdacht, woraufhin die belästigte Frau die Anruferin auf Abgabe einer Unterlassungserklärung sowie auf Ersatz der Kosten für die Fangschaltung verklagte. Das Landgericht gab der Klage statt, die Berufung der Anruferin wurde im Wesentlichen zurückgewiesen. Die Anruferin wehrte sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die zivilprozessuale Verwertung der Daten, die mittels der Fangschaltung gewonnen worden waren.5 Das BVerfG erklärte die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Zwar sei durch die Fangschaltung in das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 10 Abs. 1 GG eingegriffen worden und setze sich dieser Eingriff durch die Verwertung der Ergebnisse im anschließenden Zivilprozess fort. Dem Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG der Beschwerdeführerin stehe jedoch eine empfindliche Beeinträchtigung des Opfers durch die belästigenden anonymen Anrufe in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie in seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) gegenüber. Das Opfer sei in solchen Fällen typischerweise relativ schutzlos gestellt, so dass Fangschaltungen und Zählvergleichseinrichtungen ein besonders wirksames und oft sogar das einzige Mittel der Gegenwehr darstellten. Zwar sei an sich für einen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG eine gesetzliche Grundlage erforderlich, die hier nicht bestehe. Jedoch sei ein ausreichender Schutz der Betroffenen nicht gewährleistet, wenn wegen fehlender gesetzlicher Grundlage Fangschaltungen nicht mehr durchgeführt werden dürften. Daher gehe bei einer Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlichen Mangel der fehlenden gesetzlichen Eingriffsgrundlage und dem verfassungsrechtlichen Defizit, das im Fehlen des Persönlichkeits- und Gesundheitsschutzes gegenüber anonymen Anrufen liegt, der Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 GG vor. Die fehlende Eingriffsermächtigung führe also – jedenfalls für eine Übergangszeit – nicht zur Unzulässigkeit der Gesprächsbeobachtung.6 IV. Auswertung der ersten Fallgruppe Vergleicht man die Judikatur in den soeben erörterten Fällen mit der im ersten Teil dargestellten Rechtslage, so stellt man fest, dass das deutsche Recht im Einzelfall einem großzügigen Ausgleich von Informationsdefiziten nicht so ablehnend gegenüber steht, wie man es auf Grund der zitierten Thesen des BGH im nemo tenetur-Fall 1990 hätte annehmen können, in dem der BGH geurteilt hatte, den Parteien obliege nicht ein Verhalten, das der 5 6
BVerfG v. 25.3.1992, NJW 1992, S. 1875. BVerfG v. 25.3.1992, NJW 1992, S. 1875 f.
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Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele
Wahrheitsfindung am besten diene, vielmehr sei es nach dem Verhandlungsgrundsatz Sache der Parteien, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und die Beweismittel zu benennen. Ob eine Partei Anspruch auf Erteilung von Auskünften und Herausgabe von Urkunden habe, sei allein eine Frage des materiellen Rechts. Dieses aber kenne eine allgemeine Aufklärungspflicht nicht, und es sei demnach nicht Aufgabe des Prozessrechts, eine solche einzuführen.7 In keinem der dargestellten Fälle löste der BGH die Informationsnot mittels der von ihm in der nemo tenetur-Entscheidung 1990 betonten materiellrechtlichen Auskunftsansprüche. Vielmehr griff der BGH in der Veterinärmedizinerin-Entscheidung auf einen als zulässig erachteten Beweisermittlungsantrag zurück, indem er der informations- und beweislosen Klägerin Zugang zu archivierten Dokumenten aus der Sphäre ihres Gegners zusprach. In der Entscheidung HIV-kontaminierte Blutkonserven sprang der BGH dem informationsbedürftigen Kläger mit einer Kombination der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast und den Anscheinsbeweis bei. Gleichwohl wäre die Gewährung eines materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs nicht weit hergeholt gewesen. In beiden Fällen befand sich der Kläger in Informationsnot und der Beklagte konnte diese beheben. Auch hatte zwischen beiden ein Rechtsverhältnis bestanden, war die Veterinärmedizinerin doch bei der Beklagten angestellt gewesen und der verunfallte Patient im HIV-Fall von der Beklagten im Rahmen eines Krankenhausvertrages behandelt worden, was für das Erfordernis einer Sonderverbindung ausreichen muss, wenn schon die „Nachwirkungen eines angebahnten Rechtsverhältnisses“ ein solches rechtfertigen.8 Doch der BGH dachte einen solchen Anspruch gar nicht erst an,9 sondern wählte einen anderen, nämlich einen prozessualen Weg. Die Einschätzung des BGH hinsichtlich des Nichtvorliegens eines Ausforschungsbeweises bezogen auf den Umstand, dass die Klägerin im Veterinärmedizinerin-Fall nur vermutete Tatsachen vorgetragen hat, liegt zwar auf einer Linie mit den oben dargestellten Grundsätzen zum Ausforschungsbeweis. Bemerkenswert ist an diesem Fall jedoch der Umstand, dass nach Auffassung des BGH die Vorlage ganzer Forschungsberichte angeordnet werden sollte, obgleich sich der Beweisantrag der Klägerin nicht auf ein spezielles Dokument bezog. Denn auch die nicht hinreichend genaue Bezeichnung eines Beweismittels kann einen Ausforschungsbeweisantrag darstellen.
BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151. BGH v. 19.2.1982, NJW 1982, S. 1807, 1808. Vgl. oben, S. 92. 9 Problematisch wäre – jedenfalls im Veterinärmedizinerin-Fall – allerdings sicherlich gewesen, ob sich die Informationsnot der Klägerin gerade aus dem Wesen des Rechtsverhältnisses ergeben hätte. Allerdings ist auch dieses Kriterium nicht stringent von der Rechtsprechung gefordert worden, vgl. oben, S. 91 ff. 7 8
A. Erste Fallgruppe: Behebung des Informationsdefizits
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Auch der Fall der HIV-kontaminierten Blutkonserven ist interessant. In diesem Fall konnte der Kläger weder Beweis dafür erbringen, dass die Blutkonserven, mit denen er behandelt worden war, HIV-kontaminiert waren, noch konnte er nachweisen, dass er sich durch die Behandlung infiziert hatte. Er stellte die seiner Klage zu Grunde liegenden Behauptungen vielmehr auf, weil er sich seine Infektion sonst nicht hätte erklären können, sie basierten also auf Vermutungen. Der BGH wies das klägerische Begehren nicht wegen unzulässigen Ausforschungsbeweises ab, sondern kam dem Kläger mit der kumulativen Anwendung der Regeln über den Anscheinsbeweis und der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast zu Hilfe. In der Fangschaltungs-Entscheidung ist zwar im Ergebnis ein unverschuldetes Informationsdefizit behoben worden. Dies geschah allerdings nicht durch das mit einer Unterlassungsklage zunächst befasste Zivilgericht. Aus diesem Grund kritisiert Schlosser die Regelungen des deutschen Rechts zum Thema Zugang zu Information und Beweis. Er meint, die Entscheidung des BVerfG entspringe den Denkkategorien des materiellen Rechts, was die Gefahr in sich berge, dass ihre weit reichende prozessuale Bedeutung nicht erkannt werde. Die Aussage sei im konkreten Fall, dass es ein verfassungsrechtlich begründetes Postulat gebe, dass der Zugang zu Informationsquellen zu erzwingen sei, wenn dies für einen effizienten Rechtsschutz nötig ist. Diesem Postulat messe das BVerfG ein sehr großes Gewicht bei, wenn es sogar bereit sei – wenn auch nur temporär –, auf das Erfordernis zu verzichten, dass in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG gem. Art. 10 Abs. 2 GG nur auf Grund Gesetzes eingegriffen werden dürfe.10 Dass das BVerfG somit den prozessualen Gehalt der Grundrechte betont, führt Schlosser auf die seines Erachtens nach als rückständig einzuordnende deutsche Prozessrechtsdoktrin zurück, die „die Entwicklung der führenden ‚westlichen‘ Rechtsordnungen zur generellen Anerkennung des Rechts auf Zugang zu den Informationsquellen nicht mitvollzogen [habe].“ 11 Ohne Einrichtung der Fangschaltung hätte das Opfer den Verletzer nicht verklagen können, weil es seine Behauptungen dann ins Blaue hinein hätte aufstellen müssen. Das BVerfG habe mit seiner Entscheidung die Möglichkeit einer „Ausforschung“ verfassungsrechtlich erzwungen. Dies gebiete es, vieles an Traditionsgut des deutschen Prozessrechtsdenkens neu zu problematisieren.12 So verlockend diese Argumentation auf den ersten Blick auch klingen mag, erscheint die Schlussfolgerung aus der gegebenen Begründung doch als sehr weitreichend. Es war nicht erst das BVerfG, das dem Opfer der Anrufe Recht gab, sondern bereits das zuvor durch das Opfer angerufene Zivilgericht. Auch dieses gestattete die Verwertung der aus der Fangschaltung Schlosser, NJW 1992, S. 3275. Schlosser, NJW 1992, S. 3275. 12 Schlosser, NJW 1992, S. 3275, 3276. 10 11
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Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele
gewonnenen Ergebnisse, so dass in diesem Fall eine fehlende Gewährung von Zugang zu Informationsquellen durch die Zivilgerichte nicht festgestellt werden kann. Allein das vor Einrichtung der Fangschaltung angerufene Gericht gab der Verteidigung des Opfers nicht Recht. Hier hätte in der Tat ein Zugang zu der Information, welche Anrufe von dem fraglichen Anschluss aus getätigt worden waren, zu einem Erfolg der Verteidigung führen können. Allerdings ist rein tatsächlich fraglich, ob das Opfer hinreichend konkrete Anhaltspunkte wirklich vortragen konnte, zum anderen hätte auch ein Zugang zu der Anrufliste unter Umständen gleichwohl nicht weiterhelfen können, falls diese von einem anderen Anschluss aus getätigt worden sind. Des Weiteren wäre fraglich gewesen, ob ein solcher Zugang nicht seinerseits wieder eine Verletzung von Art. 10 GG mit sich gebracht hätte. Es darf bezweifelt werden, ob das BVerfG tatsächlich eine Aussage der Tragweite treffen oder in Kauf nehmen wollte, dass der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis temporär wegen der rückständigen deutschen Prozessrechtsdoktrin im Hinblick auf den Zugang zu Informationsquellen zu dulden sei. Vielmehr ist aus den Urteilsgründen nur die höhere Gewichtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Opfers gegenüber dem Recht aus Art. 10 Abs. 1 GG zu erkennen. Daraus weiter reichende Wertungen herauszulesen mag zwar sehr wünschenswert sein. Anhaltspunkte dafür sind jedoch nicht in ausreichendem Umfang erkennbar.
B. Zweite Fallgruppe: Keine Behebung des Informationsdefizits I.
Anzeigenblatt
In dem bereits erwähnten13 Anzeigenblatt-Fall machte die klagende Herausgeberin eines wöchentlich erscheinenden regionalen Anzeigenblattes mit ihrer Klage einen Anspruch auf Unterlassung wettbewerbswidrigen Verhaltens gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte war die Verlegerin der einzigen in derselben Stadt erscheinenden Tageszeitung sowie eines wöchentlich erscheinenden kostenlosen Anzeigenblattes. Als wettbewerbswidriges Verhalten sah die Klägerin den Vertragsschluss der Beklagten mit der Stadt an, demzufolge sich die Beklagte verpflichtete, der Stadt in ihrem Anzeigenblatt einige Seiten kostenfrei zur Verfügung zu stellen, auf denen diese dann die Anzeigen des Amtsblatts der Stadt schalten konnte. Diese Vereinbarung war nach Ansicht der Klägerin auf Verdrängung der Mitbewerber im Anzeigengeschäft gerichtet. Dies begründete sie insbesondere damit, dass die Beklagte angeblich durch die unentgeltliche Verbreitung des Anzeigenblatts unter Ein-
13
S. 122 f.
B. Zweite Fallgruppe: Keine Behebung des Informationsdefizits
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beziehung des Amtsanzeigers laufend erhebliche Verluste in Kauf nehme, mit dem Ziel, das Anzeigenblatt der Klägerin aus dem Markt zu drängen.14 Das Berufungsgericht hat – vom BGH nicht beanstandet – befunden, dass die Klägerin, die für das Vorliegen einer unbilligen Behinderung die Beweislast trägt, mit Hilfe einer selbst erstellten Kostenkalkulation zur Kostensituation der Beklagten im Hinblick auf deren Anzeigenblatt detailliert und schlüssig vorgetragen habe. Gleichwohl könne – so der BGH – dieses Vorbringen nicht gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelten, auch wenn die Beklagte sich mit einfachem Bestreiten begnügt hat, ohne ihrerseits ihre Kalkulationsgrundlagen offenzulegen. Denn wenn die Parteien auch gem. § 138 Abs. 1 ZPO verpflichtet seien, ihre Erklärungen vollständig und der Wahrheit entsprechend abzugeben, so richte sich die Substantiierungspflicht doch nach den Umständen des Einzelfalls. Insbesondere finde sie ihre Grenze im subjektiven Wissen der Partei und in der Zumutbarkeit weiteren Vorbringens. Eine allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei bestehe nicht. Der Beklagten sei hier nicht zumutbar gewesen, die Kostenstruktur ihres Anzeigenblattes und insbesondere ihre Gewinnsituation offenzulegen, da die Parteien miteinander in hartem Wettbewerb stünden und die Aufdeckung der fraglichen Betriebsinterna folglich grundsätzlich geeignet sei, die Erfolgsaussichten des Unternehmens im Wettbewerb nachhaltig zu beeinträchtigen.15 Dennoch wies der BGH den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurück. Denn das Berufungsgericht hätte dem Antrag der Klägerin auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nachkommen müssen. Der vom Berufungsgericht bestellte Sachverständige habe in die Geschäftsunterlagen der Beklagten, deren Kenntnis er für die Begutachtung für erforderlich gehalten hatte, Einsicht genommen, diese jedoch weder dem Gericht noch der Klägerin zur Verfügung gestellt. Auch in seinem schriftlichen Gutachten habe er die wesentlichen Grundlagen seiner Begutachtung nicht offengelegt, weil diese seiner Ansicht nach Geschäftsgeheimnisse der Beklagten betrafen. Diese Verfahrensweise widerspricht nach Auffassung des BGH jedoch dem Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG und steht überdies im Widerspruch zu § 286 ZPO, da das Gericht das Gutachten des Sachverständigen ohne Offenlegung seiner wesentlichen tatsächlichen Grundlagen nicht habe würdigen können.16 Schlosser weist jedoch zu Recht darauf hin, dass man in Anbetracht der Tatsache, dass der BGH gleichzeitig der Auffassung ist, dass die Beklagte zu einer Offenbarung nicht verpflichtet war, kaum erwarten könne, dass ein erneut bestellter Sachverständiger, dem die
BGH v. 12.11.1991, NJW 1992, S. 1817. BGH v. 12.11.1991, NJW 1992, S. 1817, 1818. 16 BGH v. 12.11.1991, NJW 1992, S. 1817. 14 15
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Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele
sensible Information gar nicht erst gegeben wird, zu einem für die Klägerin günstigeren Urteil kommen wird.17 II. Nemo tenetur 1996 Hier stritten die Parteien darum, wem der Erlös aus einer Zwangsversteigerung zusteht. Der Kläger – der in einem internationalen Kaufvertrag als finanzierende Bank für den Verkäufer auftrat – war Inhaber einer bill of lading in Bezug auf die Güter, die Gegenstand des Kaufvertrages gewesen waren und die später im Wege der Zwangsversteigerung veräußert wurden. Der Beklagte war ein Gläubiger des Käufers, der die fragliche Zwangsversteigerung betrieben hatte. Die Zwangsversteigerung erfolgte in Vollziehung eines dinglichen Arrests wegen eines Geldanspruchs, der nichts mit dem internationalen Kaufvertrag zu tun hatte. Der Erlös wurde hinterlegt. Mit Klage und Widerklage begehrten die Parteien jeweils vorrangige Befriedigung (§ 805 ZPO).18 Voraussetzung für den Erfolg der Klage war, dass der klagenden Bank nach wie vor ein Anspruch gegen den Verkäufer zustand, da das Pfandrecht ein akzessorisches Recht ist. Allerdings war das Bestehen eines solchen zu Grunde liegenden Anspruchs der Bank gegen den Verkäufer zwischen den Parteien streitig. Dem Beklagten, der zu dem internationalen Kaufvertrag keinen Bezug hatte, fehlten jegliche Kenntnisse über genauere Inhalte der Rechtsbeziehung zwischen der klägerischen Bank und dem Verkäufer. Allerdings nahm er an, dass die Forderung bereits befriedigt worden sei. Mangels genauerer Kenntnis konnte er seine Verteidigung jedoch nicht näher substantiieren. Er bot Beweis für seine Annahme an, durch Benennung der Sachbearbeiterin der klagenden Bank, die für die Bearbeitung des Falles zuständig war, als Zeugin. Der BGH wies dieses Beweisangebot als unzulässigen Ausforschungsantrag zurück. Nach Ansicht des Gerichts hätte vorrangig eine nähere Substantiierung der Verteidigung durch den Beklagten erfolgen müssen. Weiterhin versuchte der Beklagte damit zu argumentieren, dass es einem allgemeinen Erfahrungssatz entspreche, dass eine wirtschaftlich agierende Bank nicht sechs Jahre lang gewartet hätte, um ihre Forderung durchzusetzen. Daher streite der Beweis des ersten Anscheins zugunsten des Beklagten dafür, dass die zu Grunde liegende Forderung bereits erloschen sei. Auch dieser Verteidigung gab der BGH nicht Recht, weil ein solcher Erfahrungssatz seiner Meinung nach nicht existierte. Er gestattete dem Beklagten auch nicht, Einsicht in die Unterlagen der Klägerin zu nehmen, aus denen der Beklagte hätte nachvollziehen können, ob die Forderung bereits befriedigt war oder nicht. Denn nach Auffassung des 17 18
Schlosser, NJW 1992, S. 3275, 3277. BGH v. 17.10.1996, NJW 1997, S. 128.
B. Zweite Fallgruppe: Keine Behebung des Informationsdefizits
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BGH bestand kein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB, da ein Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagtem ja nicht bestand. Man hätte vielleicht erwartet, dass der BGH dem Beklagten zu Hilfe kommt, indem er dem Kläger eine Erklärungspflicht entweder auf Grund der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht gem. § 138 BGB oder aber unter Anwendung der Grundsätze über die abgestufte Darlegungslast auferlegt. Dies war jedoch nicht der Fall. Ersteres wurde nicht einmal angedacht und Letzteres zwar angesprochen, jedoch schlussendlich verworfen. Der BGH führte insoweit aus: „Das Berufungsgericht hat sich stattdessen auf den prozessualen Grundsatz gestützt, dass die an sich beweisbegünstigte Partei dann ein nur pauschales Vorbringen des darlegungsbelasteten Gegners substantiiert bestreiten muss, wenn dieser außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während die andere Partei sie kennt und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind. […] Eine solche Zumutbarkeit setzt aber stets besondere Anknüpfungspunkte voraus. […] [G]rundsätzlich [ist] keine Partei – über materiellrechtliche Auskunftspflichten hinaus – verpflichtet, dem Gegner das Material für den Prozeßsieg zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt. […] Der Umstand, dass die Darlegung im Einzelfall der beweisbelasteten Partei schwerer fällt als ihrem Gegner, genügt allein nicht, um diesem eine weitere Obliegenheit zum Bestreiten aufzuerlegen.“19
Damit war die Verteidigung des Beklagten erfolglos, weil sein Vorbringen nicht als hinreichend substantiiert eingestuft wurde. III. Lockvogel Eine Partnerschaftsvermittlungsagentur schaltete eine Werbeanzeige, in der sie eine Dame mit Foto und näheren Angaben als partnersuchend darstellte. Der Kläger meldete sich daraufhin bei der Agentur, bekundete Interesse und unterzeichnete die ihm vorgelegten Unterlagen zum Abschluss eines Vermittlungsvertrages. Als in den ihm sodann vorgelegten Partnerschaftsvermittlungsvorschlägen die Daten der besagten Dame nicht enthalten waren und ihm auch auf Nachfrage keine Auskünfte erteilt wurden, war er an dem Vermittlungsvertrag nicht mehr interessiert und forderte die Rückzahlung des vereinbarten Honorars. Er hielt den Vertrag für sittenwidrig, weil er auf Grund eines „Lockvogelangebots“ – unter Verwendung eines Originalfotos mit einer angeblich partnersuchenden Kundin, die tatsächlich jedoch gar nicht vermittlungsbereit war – zustandegekommen sei.20 Das Berufungsgericht gab der Klage unter Anwendung der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast statt. Es legte als unbestritten zu Grunde, dass die abgebildete Dame tatsächlich nicht vermittlungsbereit gewesen sei. Das Bestreiten der Beklagten sei unbeachtlich, weil sie trotz der ihr oblie19 20
BGH v. 17.10.1996, NJW 1997, S. 128, 129. BGH v. 17.1.2008, NJW 2008, S. 982 ff.
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Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele
genden sekundären Beweislast erst verspätet, nämlich in der mündlichen Verhandlung, die vom Kläger zum Zweck der Ladung als Zeugin beantragten Daten der Dame, nämlich Namen und ladungsfähige Anschrift, mitgeteilt habe, so dass eine Beweisaufnahme nicht mehr möglich war. Überdies spreche für die Richtigkeit der Behauptung des Klägers, dass die Anzeige nur in bestimmten Regionen Deutschlands geschaltet worden war, wohingegen die Zeugin in Belgien wohnte, was ihre Bereitschaft, sich in den fraglichen Regionen vermitteln zu lassen, zweifelhaft erscheinen lasse.21 Der BGH hielt die Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast demgegenüber nicht für anwendbar, weil der verlangte Nachweis von Name und ladungsfähiger Anschrift nicht mehr Teil des den Parteien obliegenden Tatsachenvortrags sei, sondern sich auf die daran anschließende und auf dem Parteivorbringen beruhende Beweisführung beziehe. 22 Die Mitteilung von Name und Anschrift könne vielmehr allenfalls nach den Grundsätzen über die Beweisvereitelung berücksichtigt werde, die jedoch als Rechtsfolge nicht das Zugeständnis des Vortrags der an sich darlegungs- und beweispflichtigen Partei vorsehe, sondern allenfalls die Würdigung im Rahmen des § 286 ZPO. Da letztere durch das Berufungsgericht nicht vorgenommen worden sei, sei der Rechtsstreit zurückzuverweisen.23 Der BGH ließ jedoch bereits anklingen, dass er auch bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen der Beweisvereitelung, insbesondere hinsichtlich des erforderlichen Schuldvorwurfs, Bedenken habe.24 IV. Auswertung durch Vergleich der 1. und der 2. Fallgruppe 1. Anzeigenblatt und Fangschaltung Zwischen dem Anzeigenblattfall und dem Fangschaltungsfall besteht nach Auffassung von Schlosser ein Konflikt. Denn wenn man im Interesse des effektiven Rechtsschutzes schon entgegen der Verfassung eine Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses hinnehmen müsse, dann müsse man sich bei Verdacht einer Wettbewerbsbehinderung auch über seine Kalkulationsgrundlagen ausforschen lassen. Auf Grund des Fangschaltungsfalls könne nicht mehr daran festgehalten werden, Fälle wie den Anzeigenblattfall unter das Ausforschungsverbot zu subsumieren. 25 Diese Schlussfolgerung ist indes nicht zwingend. Oben wurde bereits erläutert, dass die von Schlosser aus dem Fangschaltungsfall gezogenen Wertungen als zu weitreichend erschei-
BGH v. 17.1.2008, NJW 2008, S. 982 f., Rn. 7-9. BGH v. 17.1.2008, NJW 2008, S. 982 f., Rn. 18. 23 BGH v. 17.1.2008, NJW 2008, S. 982 f., Rn. 19. 24 BGH v. 17.1.2008, NJW 2008, S. 982 f., Rn. 23. 25 Schlosser, NJW 1992, S. 3275, 3277. 21 22
B. Zweite Fallgruppe: Keine Behebung des Informationsdefizits
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nen. 26 Der Vergleich mit dem Anzeigenblattfall ist überdies deshalb nicht überzeugend, weil es im Anzeigenblattfall um die hochkomplexe Frage des Schutzes des Betriebsgeheimnisses ging, die ein Thema für sich darstellt und durch allgemein gehaltene Schlussfolgerungen aus dem Fangschaltungsfall, die sich mit dem Schutz des Unternehmensgeheimnisses nicht auseinandersetzen, nicht unterlaufen werden sollte. 2. Nemo tenetur 1997 und Veterinärmedizinerin Ein Widerspruch besteht jedoch zwischen dem nemo tenetur-Fall 1997 und dem Veterinärmedizinerin-Fall. Im nemo tenetur-Fall 1997 ist dem BGH zwar insofern zuzustimmen, als er einen materiellrechtlichen Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB abgelehnt hat, da in der Tat zwischen den Parteien kein Rechtsverhältnis i.S.d. § 242 BGB bestand. Zutreffend war auch, dass der BGH die Zulässigkeit eines Beweises des ersten Anscheins mangels Existenz eines Satzes der allgemeinen Lebenserfahrung, wie er vom Beklagten behauptet worden war, abgelehnt hat. Allerdings überzeugt das Urteil insofern nicht, als ein Anwendungsfall für eine prozessual abgestufte Darlegungslast negiert worden ist. Der BGH hat nicht näher ausgeführt, was er unter „besonderen Anknüpfungspunkten“ versteht und wann derartige besondere Anknüpfungspunkte beispielsweise vorgelegen hätten. Auch erläutert er nicht, woraus er diese Voraussetzung ableitet. Dieses Ergebnis erscheint nicht interessengerecht, da der Beklagte keinen Einblick in die Rechtsbeziehung zwischen Kläger und Verkäufer hatte und er auch nicht die Möglichkeit gehabt hätte, sich einen solchen zu verschaffen. Die Behauptung, die der Bank zustehende Forderung sei bereits beglichen worden, gab er nicht „ins Blaue hinein“ ab, sondern weil er davon ausging, dass eine wirtschaftlich agierende Bank nicht sechs Jahre warten werde, bis sie eine ihr zustehende Forderung eintreibt. Wieso hier – anders als im Fall der Veterinärmedizinerin der Satz, dass die Partei „in Beweisnot […] berechtigt [sei], eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts anzustreben“ nicht gelten soll ist nicht erkennbar. Sowohl die Veterinärmedizinerin als auch der Vollstreckungsgläubiger stellten Behauptungen auf Basis von Vermutungen auf, für die sie Anhaltspunkte vorbringen konnten und die sie nicht „schlechterdings ins Blaue hinein“ vorbrachten. Im Veterinärmedizinerin-Fall durfte diese sogar, „ohne sich dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auszusetzen“, die Behauptung aufstellen, das begehrte archivierte Beweismaterial enthalte Hinweise auf bestimmte Experimente, ohne zu wissen, dass dies tatsächlich so sei und an welcher Stelle des umfangreichen archivierten Materials sich ein derartiger Hinweis finden solle. Im nemo tenetur-Fall 1997 durfte der Beklagte demgegenüber noch nicht einmal die Vernehmung einer namentlich genann26
Vgl. oben, S. 161 f.
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Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele
ten Zeugin – der Bankangestellten – für seine Behauptung beantragen. Wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung schon eine allgemeine Aufklärungspflicht ablehnt, so sollte sie doch jedenfalls in sich konsistent bleiben. Indem sie dies nicht tut, schafft sie Rechtsunsicherheit. Eine solche Vorgehensweise läuft darüber hinaus – rein faktisch – Gefahr, die Unterdrückung von Informationen durch die Parteien weiter zu fördern.27 Eine Schlussfolgerung, die man aus den dargestellten Entscheidungen ziehen könnte, ist, dass die Rechtsprechung sich anscheinend leichter damit tut, den Zugang zu Informationsquellen für (u.U. sogar verfassungsrechtlich) geboten zu erachten, wenn das Informationsbegehren nicht gegenüber dem Klagegegner, sondern gegenüber einem Dritten geltend gemacht wird, so im Veterinärmedizinerin-Fall gegenüber dem Bundesarchiv im Wege der Amtshilfe und im Fangschaltungs-Fall gegenüber der deutschen Post.28 3. Unfallzeuge und Lockvogel In sich unschlüssig wirkt auch die Rechtsprechung zur Beweisvereitelung. So wurde in der im 1. Teil genannten Unfallzeugen-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 196029 die Weigerung der nicht beweisbelasteten Partei, einen nur ihr bekannten Unfallzeugen namhaft zu machen im Rahmen der freien Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO zu ihren Lasten gewertet. Ein solcher Schluss sei insbesondere dann rechtlich möglich, wenn die Partei keine Gründe angeben kann, die nach den auch im Prozessrecht geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben ihre Weigerung berechtigt erscheinen lassen.30 Demgegenüber hat der BGH im Lockvogel-Fall angedeutet, dass er weder in der verspäteten Mitteilung der Angaben zu dem einzigen Zeugen, noch in der fehlenden Angabe von Gründen für dieses Verhalten ein beweisvereitelndes Verhalten sieht (wobei der BGH über diesen Aspekt nicht abschließend entschieden hat). Hintergrund könnte jedoch sein, dass im Unfallzeugenfall31 der Kläger den Sachverhalt aus eigener Anschauung kannte und ihm nur das entsprechende Beweismittel fehlte. Im Lockvogel-Fall dagegen konnte der Kläger – da er die Zeugin gar nicht kannte – nicht aus eigener Anschauung seine Behauptungen vortragen. Sein entsprechender Vortrag stützte sich mithin eher auf – zugegebenermaßen nachvollziehbare – Vermutungen. Es könnte also einmal mehr die Sorge vor unzulässiger Ausforschung gewesen sein, die den BGH zu dieser Entscheidung bewogen hat. In den Entscheidungsgründen tauchen derartige Erwägungen jedoch nicht auf. 27 28
fest.
Greger, JZ 2002, S. 1020, 1027. Für den Fall der Veterinärmedizinerin stellt dies auch Schlosser, JZ 1991, S. 599, 605
BGH v. 12.1.1960, NJW 1960, S. 821. BGH v. 12.1.1960, NJW 1960, S. 821. 31 BGH v. 12.1.1960, NJW 1960, S. 821. 29 30
B. Zweite Fallgruppe: Keine Behebung des Informationsdefizits
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Im Lockvogel-Fall mag zwar die Auffassung des BGH, die fehlende Offenlegung des Namens und der Anschrift der einzigen Zeugin eher als Problem der Beweisvereitelung denn als Frage der sekundären Darlegungslast zu behandeln, aus seiner eigenen Judikatur heraus verständlich sein, weil die fehlende Offenlegung von Zeugendaten in der Vergangenheit wiederholt als Problem der Beweisvereitelung angesehen worden ist. Dabei wird jedoch verkannt, dass es sich bei den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast und die der Beweisvereitelung nicht um zwei Mechanismen handelt, die lediglich unterschiedliche Rechtsfolgen regeln (Erklärungslast über relevante Tatsachen im Rahmen der sekundären Darlegungslast und Last, Angaben zu Beweismitteln zu machen im Rahmen der Grundsätze der Beweisvereitelung) bei ansonsten identischen Anwendungsvoraussetzungen. Vielmehr haben beide Regelungen vollkommen unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen. Die Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast setzen insbesondere kein Verschulden voraus, die Regeln über die Beweisvereitelung hingegen schon – und zwar ein doppeltes. Daran wird es aber oft fehlen. So deutet auch der BGH im Lockvogel-Fall bereits an, dass er an dem Vorliegen des erforderlichen doppelten Schuldvorwurfs Zweifel habe. Der Zugang zu Beweismitteln wird demnach unter erheblich strengere Voraussetzungen gestellt als der Zugang zu Informationen. Ein sachlicher Differenzierungsgrund hierfür ist jedoch nicht erkennbar. Zwar ist es sicherlich richtig, dass es eine weniger weit reichende Abweichung vom normalen Verfahrensablauf darstellt, wenn die informationsbedürftige Seite ihre Informationslücke im Wechselspiel der Tatsachenerklärungen schließen kann, als wenn erst Beweis erhoben werden muss. Allerdings ging es hier nicht um einen Fall, in dem die Partei in Informationsnot lediglich unsubstantiiert vorgetragen hat und den Mangel an Substanz durch eine Beweisaufnahme hätte schließen wollen. Vielmehr genügte ihr Vortrag den Substantiierungsanforderungen. In Abgrenzung zum unzulässigen Ausforschungsbegehren konnte sie jedenfalls genügend Anhaltspunkte für ihre Vermutung angeben, um diese nicht als „Vermutung ins Blaue hinein“ erscheinen zu lassen. In jedem Fall zeigt auch die Lockvogel-Entscheidung die Irritation der Instanzgerichte und die Schwierigkeiten, die dort bestehen, die verschiedenen Mechanismen im Einzelfall korrekt voneinander abzugrenzen, was zu einer Vielzahl von Fällen führt, in denen erst in letzter Instanz feststeht, welcher der verschiedenen Mechanismen überhaupt zur Anwendung zu kommen hat und welcher nicht. Dies könnte dafür sprechen, die Bewältigung von Informationsdefiziten einer verständlicheren Regelung zuzuführen. Damit soll nicht gesagt sein, dass die fehlende Kompetenz einiger Weniger, das Recht korrekt anzuwenden, Anlass zu Reformbestrebungen geben sollte. Liegen die Abgrenzungsprobleme aber ohne Not gewissermaßen auf der Hand, weil ein klares Konzept hinter der Vielzahl an ineinandergreifenden und sich über-
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Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele
schneidenden Elementen nicht erkennbar ist, so kann allein dies einen Reformbedarf rechtfertigen.
C. Dritte Fallgruppe: Beispiele aus dem englischen Recht Im Folgenden sollen zwei Fälle dargestellt werden, in denen im englischen Recht diskutiert wurde, ob eine disclosure gewährt werden soll oder nicht. Die Ausgangslage der in England und Deutschland entschiedenen Fälle ist jedoch eine grundverschiedene. Während in England grundsätzlich eine disclosure stattfindet, es sei denn ein Ausnahmetatbestand in Gestalt eines privilege liegt vor, findet in Deutschland ein disclosure-ähnlicher Mechanismus grundsätzlich nicht Anwendung, es sei denn ein Auskunftsanspruch ist spezialgesetzlich vorgesehen, oder ein sonstiger Ausgleichsmechanismus greift ausnahmsweise ein, weil – vereinfacht gesprochen – ein Bedürfnis für die Schließung eines Informationsgefälles festgestellt wird. Diese unterschiedliche Ausgangslage spiegelt sich auch in dem gesichteten Fallmaterial wieder: Zunächst besteht eine starke Diskrepanz hinsichtlich der Anzahl der einschlägigen Fälle. In Deutschland ist die Rechtslage nicht sehr eindeutig, so dass oft und in mannigfaltigsten Facetten die Frage des Informationszugangs aufgeworfen wird. In England hingegen ist die Rechtslage hinsichtlich des „Ob“ der disclosure relativ eindeutig, so dass es insofern nur selten zum Rechtsstreit kommt. Zweitens geht es in den englischen Fällen in der Regel um sehr spezielle Fragen bezüglich der genauen Reichweite eines privilege, aus denen für die hier interessierenden Fragestellungen nur wenig Rückschlüsse gezogen werden können. Folglich gibt es insofern kaum relevantes Fallmaterial. Eine unmittelbare Vergleichbarkeit zu den deutschen Fällen ist kaum gegeben, gleichwohl werden gewisse Grundtendenzen erkennbar. I.
Waugh v. British Railways Board
In einem Rechtsstreit über den tödlichen Unfall eines Eisenbahnangestellten infolge einer Kollision zweier Züge, entbrannte zwischen der klagenden Ehefrau des Verstorbenen und der beklagten Eisenbahngesellschaft eine Auseinandersetzung über die Vorlage eines Unfallberichts, der u.a. auch Zeugenaussagen enthielt. Die Klägerin begehrte bereits vor der Hauptverhandlung Zugang zu diesem Unfallbericht, der von der Beklagten für die Eisenbahnaufsicht gefertigt worden war und abschließend auch deren Anwalt zur Kenntnis und weiteren Beratung übergeben werden sollte. Dieser Unfallbericht war – wie die Beweisaufnahme ergab – für zweierlei Zwecke gefertigt
C. Dritte Fallgruppe: Beispiele aus dem englischen Recht
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worden: zum einen aus internen Gründen für die eigene Sicherheit der Eisenbahngesellschaft, zum anderen, um eine rechtliche Einschätzung für den voraussichtlich anstehenden Gerichtsstreit zu erhalten. Die Beklagte verweigerte die Vorlage des Berichts mit der Begründung, dass der Bericht durch das legal professional privilege geschützt sei.32 Wäre der zweite Grund für die Fertigung des Unfallberichts das einzige Motiv gewesen, so wäre nach englischem Recht der Bericht nicht vorzulegen, weil er für die Prozessvorbereitung gefertigt worden wäre. Umgekehrt wäre er nach englischem Recht eindeutig vorzulegen gewesen, wenn er nur für den „internen“ Gebrauch gefertigt worden wäre, weil er dann nicht von einem Weigerungsrecht erfasst gewesen wäre. Der Rechtsstreit entbrannte, weil beide Zwecke zugleich vorlagen und somit das Bestehen des Weigerungsrechts fraglich war. Das House of Lords entschied, „that the due administration of justice strongly required that a document such as the internal inquiry report, which […] would almost certainly be the best evidence as to the cause of the accident, should be disclosed.“33 Lord Simon of Glaisdale war der Meinung, dass in diesem Fall ein Konflikt zwischen zwei Prinzipien zu Tage trete: Zum einen gelte das Prinzip, dass sämtliches relevantes Material offenzulegen sei. Zum anderen stelle das Recht, dass eine Partei ihre Karten verdeckt halten dürfe und sie allein berechtigt sei, die Früchte ihrer prozessrechtlichen Bemühungen zu genießen, Ausfluss des adversarial principle dar (wie es vor Inkrafttreten der CPR verstanden wurde): „The first principle is that the relevant rules of law should be applied to the whole body of relevant evidence – in other words, in principle all relevant evidence should be adduced to the court.“34 Zu dem zweiten Prinzip führte Lord Simon of Glaisdale aus: „This system of adversary forensic procedure with legal professional advice and representation demands that communications between lawyer and client should be confidential, since the lawyer is for the purpose of litigation merely the client’s alter ego.“35 „Historically, the second principle – that a litigant must bring forward his own evidence to support his case, and cannot call on his adversary to make or aid it – was fundamental to the outlook of the courts of common law. The first principle – that the opponent might be compelled to disclose relevant evidence in his possession – was the doctrine of the Chancery, a court whose conscience would be affronted by forensic success contrary to justice obtained merely through the silent non-cooperation of the defendant. […] The conflict between the Chancery and the courts of common law was, here as elsewhere, ultimately resolved by compromise and accommodation. I can see no intrinsic reason why the one principle rather than the other should prevail in a situation where they are counterindicative. Neither is absolute: both are subject to numerous exceptions. […] The Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, HL, siehe dazu Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 3.15 ff. 33 Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 522. 34 Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 522, 535. 35 Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 522, 536. 32
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numerous exceptions to the principle that all relevant evidence should be disclosed arise partly from historical reasons (the tensions between the courts of common law, where questions of fact were tried, and the Court of Chancery, where the remedy of discovery was developed), partly from considerations of justice, partly from wider social considerations.“36
Der Konflikt wurde durch Etablierung des sogenannten dominant purpose test gelöst. Danach ist eine Berufung auf das litigation privilege nur zulässig, wenn der vorrangige Grund die Benutzung in einem etwaigen Prozess war, nicht dagegen, wenn – wie in diesem Fall – dieser Grund gleichwertig neben einem anderen steht.37 II. Harrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. Das Kaufhaus Harrods verklagte die Zeitung Times auf Schadensersatz wegen breach of confidence (Verletzung der Vertraulichkeit).38 Times hatte in zwei Ausgaben sehr kritisch über den Umgang von Harrods mit seinen führenden Angestellten, insbesondere über den hohen Durchsatz an Führungskräften am Beispiel der Kündigung zweier Angestellter berichtet. Harrods war der Auffassung, dass die fraglichen Angestellten hinsichtlich der Details ihrer Trennung von ihrem Arbeitgeber einer Vertraulichkeitsverpflichtung gegenüber Harrods unterlägen und Times dies auch hätte erkennen müssen. Demgegenüber vertrat Times die Ansicht, dass die Veröffentlichung der kundgetanen Details im öffentlichen Interesse liege, weil sie das unzutreffende Bild korrigiere, das Harrods von sich selbst in der Öffentlichkeit pflege und insbesondere aus konkretem Anlass der Trennung von leitenden Angestellten transportiert habe. Dafür nannte Times die Namen von insgesamt 30 Angestellten, die das Unternehmen Harrods verlassen mussten und bezüglich derer es zu arbeitsrechtlichen Unregelmäßigkeiten seitens ihres Arbeitgebers gekommen sei. Es kam zum Streit über die von der beklagten Times begehrte Anordnung von further disclosure im Zwischenverfahren (interlocutory proceedings). Einen dahingehenden Antrag verfolgte Times, weil seitens Harrods im pre-trial eine umfassende und sorgfältige, den Anforderungen einer standard disclosure genügende Suche nach Unterlagen und eine entsprechende Anfertigung einer disclosure-Liste nicht erfolgt sei. Times war der Auffassung, die Trennung von den 30 in ihrer Klageerwiderung namentlich genannten leitenden Angestellten „is clearly an issue between the parties and your client is obliged to make full disclosure accordingly“.39 Diese disclosure Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 522, 536. Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 522. 38 Harrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. [2006] EWHC 83 (Ch) sowie [2006] EWCA Civ 294 (CA). 39 Harrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. [2006] EWHC 83 (Ch), 2006 WL 63664, Rn. 30. 36 37
C. Dritte Fallgruppe: Beispiele aus dem englischen Recht
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sollte die Offenlegung der Details einer jeden Trennung von leitenden Angestellten seit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der fraglichen Artikel in der Times erfassen. Des Weiteren sei Harrods verpflichtet, sämtliche Unterlagen in Bezug auf ein anderweitiges Klageverfahren der in den Zeitungsartikeln namentlich genannten leitenden Angestellten gegen Harrrods wegen Vertragsverletzung offenzulegen. Times meinte, diese Unterlagen zu benötigen, weil es ihr obliege, nachzuweisen, dass sie guten Grund hatte, anzunehmen, dass die in den Zeitungsartikeln wiedergegebenen Umstände der Wirklichkeit entsprechen und dass die Offenlegung dieser Umstände im öffentlichen Interesse liege. Harrods vertrat demgegenüber die Auffassung, dass das Begehren der Times, die Konditionen der Arbeitsverhältnisse der namentlich genannten 30 Angestellten offenzulegen, unverhältnismäßig sei und zu immensen zeitlichen Verzögerungen führen würde. Nach Auffassung des High Court fallen die Arbeitsverträge sowie sämtliche Unterlagen, die sich auf die Entlassung der 30 genannten Angestellten beziehen, grundsätzlich unter die Reichweite der standard disclosure, weil sie erforderlich sind, um die von Times behauptete systematische Verletzung von Arbeitsrecht nachzuweisen. 40 Diese Anordnung sei auch nicht unverhältnismäßig, da aus der schriftlichen Zeugenaussage des in-house-Anwalts von Harrods hervorging, dass dieser bereits intern die Unterlagen der 30 genannten ehemaligen Angestellten zur Prozessvorbereitung gesichtet habe. 41 Der High-Court-Richter glaubte auch nicht, dass die Anordnung das Verfahren übermäßig in die Länge ziehen würde, da nach seiner Erfahrung selbst wenn er die Offenlegung der 30 Akten verlangen würde, nur einzelne Dokumente hieraus tatsächlich in der Hauptverhandlung als Beweismittel präsentiert werden würden.42 Allerdings war der Richter des High Court-Verfahrens davon ausgegangen, dass Times den Nachweis führen müsse, dass die in dem Zeitungsartikel generell vertretene These, dass die Beschäftigungs- und Entlassungspraktiken von Harrods in den Jahren 1999 bis 2005 gegen die Vorschriften des Arbeitsrechts verstoßen hätten, richtig ist. Demgegenüber erklärte Harrods vor dem Court of Appeal, dass es diese These der Times nicht mehr angreifen wolle. 43 Harrods wehrte sich nunmehr ausschließlich gegen die Informationen, die durch die beiden namentlich in dem Artikel genannten ehemaligen Angestellten offengelegt und infolgedessen publiziert worden waren. Der Court of Appeal hielt die disclosure-Anordnung im Grundsatz aufrecht, beschränkte sie jedoch auf Grund der StreitgegenstandsbeschränHarrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. [2006] EWHC 83 (Ch), 2006 WL 63664, Rn. 35. 41 Harrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. [2006] EWHC 83 (Ch), 2006 WL 63664, Rn. 42 ff. 42 Harrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. [2006] EWHC 83 (Ch), 2006 WL 63664, Rn. 39. 43 Harrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. [2006] EWCA Civ 294, Rn. 31–34. 40
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kung von Harrods dahingehend, dass lediglich die Unterlagen bezogen auf die zwei namentlich genannten ehemaligen Mitarbeiter offenzulegen seien, nicht jedoch diejenigen bezüglich aller weiteren 28 Mitarbeiter.44 Der Court of Appeal stellte jedoch klar, dass die teilweise Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht auf ein Fehlurteil des High Court-Richters zurückzuführen sei, sondern vielmehr auf die nunmehrige Erklärung von Harrods, die publizierten Inhalte nur bezogen auf diese beiden Personen anzugreifen: „I am not persuaded that the judge was wrong to make the order that he did on the case that was presented to him. The case has been altered in this Court by the undertaking that the claimant is now prepared to give.“45 Der Fall illustriert damit die Tragweite der zulässigerweise erteilten disclosure-Anordnung, wenn der Fall so gewesen wäre, dass Harrods sich gegen die allgemeine These der Times gewehrt hätte. III. Auswertung der 3. Fallgruppe Dass ein Unfallbericht, wie er in Waugh v. British Railways Board gefertigt worden ist, einem deutschen Kläger zu Beweiszwecken oder zur Substantiierung seiner Darlegungen zur Verfügung gestellt worden wäre, erscheint mehr als unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist eher, dass der BGH einen Informationszugang unter Hinweis auf den Satz, dass niemand verpflichtet sei, die Waffen gegen sich selbst auszuliefern, abgelehnt hätte. Allerdings hätte sich die Beweisnot nicht in vergleichbarer Form wie in England gestellt, weil das deutsche Recht für solche Fälle einen Tatbestand der Gefährdungshaftung vorgesehen hat. Gem. § 1 Abs. 1 HPflG ist der Bahnunternehmer zum Schadensersatz verpflichtet, wenn bei Betrieb einer Bahn ein Mensch getötet wird. Dieser Anspruch steht der Ehefrau – sofern sie Erbin geworden ist – gem. § 1922 BGB zu, anderenfalls jedenfalls teilweise gem. § 5 Abs. 2 HPflG in ihrer Eigenschaft als Unterhaltsberechtigter. Der in Waugh v. British Railways Board in Streit stehende Unfallbericht könnte in einem gedachten Parallelfall ins Spiel kommen, sofern der Bahnunternehmer gem. § 4 HPflG einwendet, dass den Verstorbenen ein Mitverschulden getroffen habe, wofür der Bahnunternehmer allerdings beweisbelastet ist.46 Eine Möglichkeit der Ehefrau, an die Inhalte dieses Reports zu gelangen, um die Erfolgsaussichten ihrer Klage besser einschätzen zu können, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob ihren verstorbenen Mann ein Mitverschulden traf, ist nach deutschem Recht nicht erkennbar. Sofern sie einen über die Haftungshöchstgrenze des § 9 HPflG hinausgehenden Schaden geltend machen möchte, trifft sie die volle Darlegungs- und Beweislast. Wäre für diesen speziellen Fall aber ein Tatbestand der Gefährdungshaftung nicht gegeben, etwa Harrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. [2006] EWCA Civ 294, Rn. 42. Harrods Ltd. v. Times Newspapers Ltd. [2006] EWCA Civ 294, Rn. 34. 46 Filthaut, Haftpflichtgesetz, 2010, § 4, Rn. 118. 44 45
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weil es sich um einen normalen Arbeitsunfall in der Betriebsstätte des Arbeitgebers gehandelt hätte, wäre das Informationsdefizit der Ehefrau nicht ausgeglichen worden.47 Als gesichert kann angesehen werden, dass in Deutschland ein derart weit reichender Informationszugriff wie im Fall Harrods v. Times Newspapers nicht gewährt worden wäre. Im oben48 in Teil I dargestellten Flugblätter-Fall hat sich gezeigt, dass im deutschen Recht derjenige, der eine ehrenrührige Tatsache über einen anderen verbreitet, die Richtigkeit seiner Behauptung zu beweisen hat. Ein vergleichbarer Fall von Informationsnot hätte also auch in Deutschland entstehen können. Ein Zugang zu den arbeitsrechtlichen Unterlagen wäre in Deutschland einem außenstehenden Journalisten niemals gewährt worden. Liegt die Berichterstattung allerdings im überragenden öffentlichen Interesse und gelingt der Beweis, dass der Verbreiter mit der presseüblichen Sorgfalt recherchiert hat, bevor er die Nachricht verbreitet hat, kann unter Umständen eine Beweislastumkehr angenommen werden, so dass die fehlende Aufklärbarkeit zu Lasten des Verletzten geht.49 Umgekehrt wäre es in England in dem nemo tenetur-Fall 1997 eine Selbstverständlichkeit gewesen, von der klagenden Bank zu verlangen, die Unterlagen, die ihre Beziehung zu dem Verkäufer betreffen, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob die Forderung bereits befriedigt worden ist, im Rahmen der standard disclosure offenzulegen, weil diese Streitfrage relevant für die Lösung des Rechtsstreits ist und es nicht um das „framing of a new case“ geht. Eine Gewährung von Informationszugang überzeugt in diesem Fall, da sie den Informationsmangel, für den der Beklagte nichts kann und den zu beseitigen dem Kläger ein Leichtes wäre, nicht zum Nachteil des Beklagten gereichen lässt. Ob im Anzeigenblatt-Fall in England ein Informationszugriff erfolgt wäre, ist nicht ohne Weiteres vorhersehbar, weil insofern ebenso wie in Deutschland der Schutz des Betriebsgeheimnisses in Frage gestanden hätte.
47 Allerdings ist insofern zu beachten, dass nach deutschem Recht eine Haftung des Arbeitgebers gem. § 104 SGB VII im Falle eines Personenschadens ohnehin nur dann besteht, wenn der Arbeitgeber vorsätzlich gehandelt hat oder es sich um einen wegebezogenen Unfall handelt. 48 S. 125 f. 49 Soehring, GRUR 1986, S. 518, 520.
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D. Vierte Fallgruppe: Änderung der Rechtslage durch § 142 ZPO n. F. Es fragt sich, inwieweit sich die Rechtslage in Deutschland durch die Neufassung von § 142 ZPO zugunsten eines großzügigeren Informationszugangs geändert hat. I.
Vertrauensfrau
Im Vertrauensfrau-Fall verlangte die Klägerin nach Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses von ihrem ehemaligen Arbeitgeber Schadensersatz wegen Minderverdienstes und Schmerzensgeld wegen Mobbings am Arbeitsplatz. Im Hinblick auf das angebliche Mobbing trug sie vor, darüber sei durch die Vertrauensfrau der Beklagten ein umfassendes Protokoll hinsichtlich Zeitpunkt, Umfang und Intensität des Mobbings geführt worden. Das LAG Berlin war der Auffassung, das Vorbringen der Klägerin sei zu unsubstantiiert. Den Antrag auf Beweisaufnahme durch Vernehmung der Vertrauensfrau als Zeugin lehnte das LAG Berlin ab, weil es auf Ausforschung gerichtet sei.50 II. Aufwendungen durch Vormieterin In einem, dem LG Ingolstadt im Jahr 2002 unmittelbar nach Inkrafttreten der Neufassung des § 142 ZPO vorliegenden Fall wurde um ausstehende Mietforderungen gestritten, denen der Beklagte werterhöhende Aufwendungen durch die Vormieterin im Wege der Aufrechnung entgegenhielt. Die Unterlagen, aus denen sich dies ergebe, seien in einem Leitz-Ordner der Vormieterin mit der Aufschrift „Bürogebäude“ enthalten, der sich nunmehr im Besitz des Insolvenzverwalters befinde. Das LG Ingolstadt ordnete die Vorlage dieses Ordners an, weil es dies für geboten und erforderlich hielt.51 Denn nach dem Vortrag des Beklagten befänden sich darin Unterlagen, die für die rechtliche Beurteilung des Falls von Bedeutung seien. III. Einsicht in Unterlagen des streitunbeteiligten Arztes Das OLG Saarbrücken hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem der Kläger Schadensersatz wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers verlangte. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige erstellte ein Gutachten, jedoch ohne die Krankenunterlagen der behandelnden – am Verfahren nicht beteiligten – Klinik beizuziehen. Dies war von den Instanzgerichten nicht beanstandet worden. Das OLG war jedoch der Auffassung, dass das Gericht die 50 LAG Berlin v. 13.12.2002 – 6 Sa 1628/02, juris Rechtsprechung Nr. KARE 6000007387. 51 LG Ingolstadt, ZInsO 2002, S. 990.
D. Vierte Fallgruppe: Änderung der Rechtslage durch § 142 ZPO n. F.
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Vorlage der Krankenunterlagen gem. § 142 ZPO hätte anordnen müssen. Es sei anerkannt, dass der Kläger nicht verpflichtet sei, die Krankenhausunterlagen beizuziehen. Vielmehr sei die Beiziehung Aufgabe des Prozessgerichts auf Grund seiner Prozessförderungspflicht. Dies gelte umso mehr, als das Krankenhaus ohnehin gem. § 810 BGB zur Vorlage der Unterlagen verpflichtet sei.52 IV. Auswertung der 4. Fallgruppe Die Neuregelung des § 142 ZPO hat die Informationszugangsrechte erheblich erweitert. Wie der Fall der Vertrauensfrau zeigt, bleibt jedoch – zu Recht – der Beweisermittlungsantrag an Stelle eines für den Kläger möglichen substantiierten Tatsachenvortrags unzulässig. Allerdings bestehen hinsichtlich des konkreten Umfangs der Vorlagepflicht gem. § 142 ZPO erhebliche Unsicherheiten, wie die dargestellten Fälle gezeigt haben. Uhlenbruck meint, die Anordnung des LG Ingolstadt liege „in bedenklicher Nähe zum Ausforschungsbeweis“, hält sie aber noch für zulässig, weil es nicht darum gehe, dass der Beklagte sich durch die Einsicht erst Kenntnis von ihm günstigen Umständen verschaffen wolle. 53 Demgegenüber vertritt Leipold, allein der Ordner sei konkret bezeichnet worden. Konkrete Behauptungen über die werterhöhenden Verwendungen seien nicht aufgestellt worden. Es sei also darum gegangen, mithilfe des Ordners konkrete Tatsachen überhaupt erst herauszufinden.54 Nach Ansicht von Prütting haben sowohl das OLG Saarbrücken, als auch das LG Ingolstadt den Anwendungsbereich des § 142 ZPO deutlich überdehnt.55 Wagner wiederum ist der Auffassung, die auf das Mietobjekt erbrachten Leistungen seien durchaus substantiiert vorgetragen worden, und es fehle lediglich an einer detaillierten Beschreibung der vorzulegenden Urkunde. 56 Das Fehlen der konkreten Beschreibung sei indes kein Grund, das Vorlagebegehren abzulehnen. Denn es sei nicht ersichtlich, weshalb eine Urkunde nur dann einer Vorlageverpflichtung unterliege, wenn die die Vorlage begehrende Partei diese Urkunde kenne und sich die genauen Details derselben gemerkt habe. Falls sich in dem vorzulegenden Ordner sonstiges geheimhaltungsbedürftiges Material befinde, solle der Adressat insofern sein Geheimhaltungsinteresse geltend machen und das sensible Material entfernen.57 Zwar bestehe bei einem Verzicht auf das Konkretisierungserfordernis der vorzulegenden Urkunde eine Missbrauchsgefahr dahingehend, dass etwa der Kläger eines Produkthaftungsprozesses die Vorlage sämtlicher OLG Saarbrücken v. 30.4.2003, MDR 2003, S. 1250. Uhlenbruck, NZI 2002, S. 589, 590. 54 Leipold, in: FS Gerhardt, 2004, S, 563, 573. 55 Prütting, AnwBl 2008, S. 153, 159. 56 Wagner, JZ 2007, S. 706, 713. 57 Wagner, JZ 2007, S. 706, 713. 52 53
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Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele
Dokumente begehre, die die Konstruktion eines bestimmten Produkts betreffen. In einem solchen Fall könne jedoch die Vorlage anhand des Zumutbarkeitskriteriums gesteuert werden dahingehend, dass das Informationsinteresse in einem krassen Missverhältnis zum Umfang der begehrten Aufklärung stehe.58 § 142 ZPO hat nach alledem eine Ausweitung des deutschen status quo mit sich gebracht. Die entschiedenen Fälle und dazu ergangenen Stellungnahmen im Schrifttum zeigen jedoch, dass die alten Unsicherheiten im Umgang mit der Grenzziehung zum unzulässigen Ausforschungsbeweis fortbestehen. Man wird allerdings auch zu berücksichtigen haben, dass gerade die Frage, ob hinreichend konkret vorgetragen worden ist, in Fällen wie dem des LG Ingolstadt, allein aus der Lektüre des knapp gehaltenen Tatbestandes und der kurzen Urteilsgründe nur schwer nachzuvollziehen ist, so dass dieser Umstand die Bewertung erheblich erschwert und für die sehr unterschiedlichen Bewertungen im Schrifttum mitursächlich sein mag.
E. Zwischenergebnis Ist das deutsche Modell nach alledem lückenhaft? Die Fallbeispiele und die Auswertung des ersten Teils ergeben unter der „Gerechtigkeitsfunktion der disclosure“ folgende Hauptprobleme der deutschen Rechtslage: 1. Der BGH hält nach wie vor floskelhaft daran fest, dass das materielle Recht und nicht das Prozessrecht der Ort für die Lösung von Informationszugangsrechten sei. Die tatsächliche Praxis – auch des BGH – spricht demgegenüber jedoch teilweise eine andere Sprache. Das führt zu mannigfachen Folgeproblemen: a. Die Anforderungen an den materiellrechtlichen Auskunftsanspruch werden in schwer vorhersehbarer Weise immer weiter aufgeweicht, indem in manchen Fällen auf das Erfordernis der Sonderverbindung verzichtet wird und in anderen nicht. Der Weg einer prozessrechtlichen Lösung wird – wo ein materiellrechtlicher Anspruch auch bei großzügigster Auslegung nicht denkbar ist – durch die gefühlte Verpflichtung, an dem angeblichen Grundsatz nemo contra se edere tenetur festhalten zu müssen, häufig nicht gewählt. Wo er doch eröffnet wird, sieht sich eine Partei, der notwendige Informationen fehlen, mit einem Sammelsurium verschiedenster Einzelmechanismen konfrontiert. Obgleich der BGH die Bedeutung des Grundsatzes des nemo contra se edere tenetur betont, lässt er durchaus zu, dass die Parteien sich gegenseitig in die Karten 58
Wagner, JZ 2007, S. 706, 713.
E. Zwischenergebnis
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sehen, so zum Beispiel wenn er eine Beweislastumkehr oder eine sekundäre Darlegungslast annimmt. Oft bleibt schwer vorhersehbar, wo der BGH in einem konkreten Fall die Grenze zum unzulässigen Ausforschungsbeweis zieht.59 Es besteht daher erhebliche Rechtsunsicherheit, ob und – wenn ja – auf welchem Wege Zugang zu Informationen gewährt werden wird. Als Konsequenz sollen Anwälte in Deutschland wegen des Fehlens einer disclosure sogar auf die Einleitung eines Strafverfahrens hinwirken, um damit Zugang zu der breiten Palette an strafrechtlichen Aufklärungsmitteln zu erhalten, die ihnen im Zivilprozess verschlossen bleiben.60 b. Die deutsche Rechtsprechung hat wiederholt versucht, das Problem der unverschuldeten Informations- und Beweisnot auf andere Weise in den Griff zu bekommen: Sie hat Einfluss auf die Verteilung der Beweislast genommen. Dies ist aber nicht der primär interessengerechte Weg. Die Beweislast entscheidet darüber, wer am Ende das Risiko der Unaufklärbarkeit und somit des Prozessverlusts zu tragen hat, wenn trotz allseitiger Bemühungen eine Aufklärung nicht erzielt werden kann. Sie ist Ausfluss materiellrechtlicher Risikozuweisung anhand materiellrechtlicher Gerechtigkeitsmaßstäbe. Mit prozessualen Opportunitäten sollte sie daher nichts zu tun haben. Die Frage – die eine wichtige ist – für wen der Zugang zu dem Informations- oder Beweismittel leichter ist, ist daher nicht im Rahmen der Zuweisung der Beweislast zu berücksichtigen. c. Die Abgrenzung von nicht erforderlicher Substantiierung und unzulässiger Ausforschung ist im Einzelfall schwer zu ziehen. Diese ist allerdings auch im englischen Recht nicht unproblematisch. Auch die flächendeckende Verankerung von erweiterten Mitwirkungs- oder Aufklärungspflichten kommt nicht umhin, im Einzelfall eine Wertungsentscheidung treffen zu müssen, ob ein Verhalten die Grenze zum unzulässigen Ausforschungsbeweis überschreitet oder nicht. Allerdings würde ein klares Bekenntnis zu erweiterten Mitwirkungspflichten dazu führen, dass ein Großteil der Fälle, in denen sich die Instanzgerichte dem Dogma des BGH vom nemo tenetur verpflichtet sahen, entfällt. d. Die dogmatische Verankerung der Grundsätze über die Beweisvereitelung ist nach der gegenwärtigen Rechtslage problematisch. Hier wäre die Schaffung einer Rechtsgrundlage zweckmäßig, um den gegenwärtigen Widerspruch aufzulösen, dass einerseits bestritten wird, dass eine Mitwirkungslast besteht, andererseits aber die Nichtbefolgung der Mitwirkung mit einer für die Partei negativen Rechtsfolge sanktioniert wird. e. Im Ergebnis führt die schwere Abgrenzbarkeit der prozessrechtlichen Instrumente untereinander sowie zu den materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Weder dem deutschen Gesetz59 60
Greger, JZ 2000, S. 842, 847. So Schlosser, JZ 1991, S. 599, 604.
180
Kapitel 6: Defizite der deutschen Lösung? Fallbeispiele
geber noch der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist es gelungen, ein in sich stimmiges Konzept der Mitwirkungspflichten der Parteien im Zivilprozess zu entwerfen. Auch die Möglichkeit, beweisvereitelndes Verhalten im Rahmen der Beweiswürdigung negativ zu berücksichtigen, vermag der Informations- und Beweisnot nicht umfassend abzuhelfen, weil sie zum einen ein schuldhaftes Verhalten der Partei voraussetzt und zum anderen nur bei Beweisnot, nicht aber bei Informationsnot hilft, bei der der darlegungspflichtigen Partei ein hinreichend substantiierter Vortrag schon gar nicht möglich ist. 61 Dies hat der Lockvogelfall eindrucksvoll illustriert. Hier können zwar unter Umständen Verlagerungen im Bereich der Darlegungs- und Beweislast oder die Vorschriften über die sekundäre Darlegungslast helfen. Die derzeit praktizierten Verlagerungen bleiben aber vereinzelt, und die Vorschriften über die sekundäre Beweislast können dort nicht helfen, wo der Partei wegen des Informationsdefizits noch nicht einmal die Erhebung einer schlüssigen Klage oder die Formulierung eines hinreichend konkreten Klageantrags möglich ist.62 Hier können allenfalls materiellrechtliche Ansprüche helfen. Diese setzen jedoch ein Rechtsverhältnis voraus, an dem es oft fehlt. Die Diskussion um Bestehen, Reichweite und Grenzen der Mitwirkungspflichten ist durch weit reichende Unsicherheiten im Umgang mit dem angeblichen nemo tenetur-Grundsatz, mit den Grenzen des Verbots des Ausforschungsbeweises sowie Inhalt und Grenzen des Verhandlungsgrundsatzes, gepaart mit der Furcht vor der amerikanischen pre-trial discovery, geprägt.63 2. Es besteht kein Zugang zu Dokumenten, die die Partei in Informationsnot nicht näher spezifizieren kann. Jolowicz merkt hierzu an: „from a comparative point of view, what seems most striking to an English common lawyer, is that it is impossible for a party to obtain production of a document from his opponent unless he is aware, independently of the proceedings, that the document in question exists“.64 Daran hat auch die Neufassung des § 142 ZPO nichts geändert. Denn diese Norm setzt nach wie vor voraus, dass die in Beweisnot geratene Partei auf die fragliche Urkunde Bezug nehmen kann. Dies bedeutet zum einen, dass die Partei überhaupt Kenntnis von der Existenz der Urkunde hat. Zum anderen muss die Kenntnis der Partei aber auch so weit reichen, dass sie die Urkunde hinreichend genau bezeichnen kann. Bei letzterem Kriterium bleibt es trotz der Entscheidung des LG Ingolstadt. Bei dem gegenwärtigen Gesetzeswortlaut ist insbesondere in Anbetracht der Gesetzesbegründung nicht davon auszugehen, dass die Gerichte sich über dieses Konkretisierungserfordernis hinSo auch Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 88. Ähnlich auch Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 88. 63 So auch jüngst Ahrens, in: Essays Kerameus, 2009, S. 1 ff. 64 Jolowicz, Comparison, 2002, S. 721, 736. 61 62
E. Zwischenergebnis
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wegsetzen werden. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus der rechtstatsächlichen Evaluation von Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut. 65 Würde das Bezugnahmeerfordernis großzügig ausgelegt, müsste es einen viel höheren Prozentsatz von Fällen geben, in denen eine Vorlage angeordnet wird. Da dies nicht der Fall ist, wird deutlich, wie wenig relevant die Fälle sind, die § 142 ZPO n.F. de lege lata erfasst. Der Großteil der problematischen Fälle ist der, in denen die Partei entweder von der Existenz der Urkunde keine Kenntnis hat, oder aber nur eine vage Vermutung diesbezüglich, so dass sie sie nicht hinreichend genau bezeichnen kann. Die Entscheidung des LG Ingolstadt ist insofern eine Ausnahme geblieben, und es ist nicht erkennbar, wie sich dies in Zukunft ändern sollte. Für die genannten Problemfälle hält § 142 ZPO also keine Lösung bereit.66 Dies ist nach englischer Rechtslage anders, da dort die Parteien auf Anordnung des Gerichts grundsätzlich die Existenz aller entscheidungserheblichen Unterlagen offenzulegen haben, unabhängig von jeglicher Bezugnahme durch den Gegner.
65 Hommerich/Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, S. 113 f. 66 So im Ergebnis auch Drenckhahn, Urkundsvorlagepflichten, 2007, S. 159 ff.
Kapitel 7
Auswertung der Fallbeispiele am Maßstab des Rechts auf Beweis, des Grundsatzes der Waffengleichheit sowie der Stellung der Wahrheitsfindung Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob die dem deutschen Zivilprozessrecht zugrunde liegenden Wertungen die fehlende flächendeckende Informationsgewährung als regelungsbedürftiges Defizit erscheinen lassen. Wertungsbasis ist dabei das Recht auf Beweis, der Grundsatz der Waffengleichheit, der Zweck des Zivilprozesses sowie die Aufgabeder Wahrheitsfindung. Es ist sicherlich ein problematisches Unterfangen, aus dem Prozesszweck, der Stellung der Wahrheitsfindung sowie den verfassungsrechtlich überlagerten Grundsätzen der Waffengleichheit und des Rechts auf Beweis Schlussfolgerungen für die konkrete Ausgestaltung des Rechts de lege ferenda ziehen zu wollen, da die Verfassung häufig nur einen Rahmen vorgibt, für den verschiedene Ausgestaltungen denkbar sind1 und der Prozesszweck nicht zuletzt aus der Rechtslage de lege lata abgeleitet wird.2 Zwingende Schlussfolgerungen werden sich aus einer derartigen Auswertung nicht ohne Weiteres ergeben. Gleichwohl erscheint eine nähere Beschäftigung mit diesen genannten Begriffen, die in der Diskussion um die allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht immer wieder fallen, geboten. Denn der in der Literatur anzutreffenden These, dass die deutsche Lösung defizitär sei, fehlt häufig ein expliziter Maßstab, an dem die Rechtslage gemessen wird. Die Stellung der Wahrheitsfindung in der Dogmatik des Zivilprozesses, die Existenz und der Inhalt des Grundsatzes der Waffengleichheit sowie die Frage der Existenz eines verfassungsrechtlich verbürgten Rechts auf Beweis können dabei einen Maßstab bilden, der – wenn er auch keine zwingenden Rückschlüsse zulässt – jedenfalls Schlussfolgerungen auf wünschenswert erscheinende, zweckmäßige Veränderungen zulässt. Wenn sich etwa ergibt, dass die Wahrheitsfindung einen hohen Stellenwert in der Prozessrechtsdogmatik innehat, könnte dies eher dafür sprechen, Infor1 Vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 29 f. So auch Gaul, AcP 168 (1968), S. 27, 62, der darauf hinweist, dass die Aussagekraft des Prozesszwecks zur Lösung prozessualer Einzelprobleme nicht überbewertet werden dürfe. 2 Vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 29 f.
A. Recht auf Beweis
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mationszugangsrechte zu erweitern. Gleiches gilt, falls sich ein Recht auf Beweis herleiten lässt, oder der Grundsatz der Waffengleichheit den Ausgleich von Informationsasymmetrien gebietet. Eine herausgehobene Bedeutung der Wahrheitsfindung, ein Recht auf Beweis und/oder ein auf die Behebung von Informationsdefiziten ausgerichteter Grundsatz der Waffengleichheit würden den Ausgleich von Informationsdefiziten dann zwar nicht zwingend erfordern, auf Basis der zu Grunde liegenden Wertungen jedoch als wünschenswert erscheinen lassen. Ein solches Ergebnis in Kombination mit der im Rahmen der Fallbeispiele aufgezeigten fehlenden flächendeckenden Lösung des deutschen Rechts würde einen Befund darstellen, der de lege ferenda in Richtung erweiterter Informationszugangsrechte weist und somit die oben zitierten Thesen, das deutsche Recht sei „rückständig“ und „unmodern“, mit Inhalten füllt.
A. Recht auf Beweis Es fragt sich zunächst, ob in England und Deutschland ein Recht auf Beweis besteht. I.
England
Nach Zuckerman besteht im englischen Zivilprozess ein Recht auf Zugang zum Beweis (right of access to evidence), da der Anspruch auf Rechtsschutz hinfällig sei, wenn das Gericht dem Rechtsschutzsuchenden nicht bei der Sicherung der erforderlichen Beweismittel behilflich ist, die dieser benötigt, um seine Rechte geltend zu machen. Das so begründete Recht auf Zugang zum Beweis hält er insbesondere in einem adversary system, wie es das englische Zivilverfahren ist, für wichtig, weil es in einem solchen System den Parteien obliegt, die entscheidenden Beweismittel zu ermitteln und dem Gericht vorzulegen. 3 Nach Auffassung von Zuckerman gibt es abgesehen von Korruption und Befangenheit nichts, was das öffentliche Vertrauen in die Rechtspflege mehr untergraben würde als das Gefühl, dass die Gerichte einschlägige Beweismittel nicht berücksichtigt haben.4 Er betrachtet das Recht auf Zugang zum Beweis überdies als Bestandteil des Rechts auf ein gerechtes Verfahren (right to fair trial) gem. Art. 6 EMRK. Folge dieser Sichtweise ist, dass in England eine Grundannahme (general presumption) besteht, dass alle relevanten Beweismittel für beide Seiten zugänglich (accessible) sein sollen und im Ergebnis als Beweismittel zuzu-
3 4
Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.210. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.210.
184
Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
lassen (admissable) sind.5 Diese Grundannahme findet ihren Niederschlag in der grundsätzlichen Verpflichtung, alle relevanten Beweismittel und Informationen offenzulegen, auch wenn sie für die eigene Argumentation von Nachteil sind und auch wenn sie vertraulichen oder die Privatsphäre betreffenden Inhalt haben. II. Deutschland In der deutschen zivilprozessualen Literatur taucht neuerdings der Begriff vom verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Beweis auf. Er ist von Habscheid geprägt worden. Dieser argumentierte, dass der Grundsatz des Justizgewährungsanspruchs, dem Verfassungsrang zuerkannt wird, neben den schon länger anerkannten Komponenten des Rechts auf Gehör und des Zugangs zum Gericht auch voraussetze, dass die Parteien die Möglichkeit erhalten, den Beweis ihrer Tatsachenbehauptungen zu führen.6 Auch Katzenmeier geht von einem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf Beweis aus.7 Das BVerfG ist dem jedenfalls im strafrechtlichen Bereich gefolgt, allerdings hat es das Recht auf Beweis dem Anspruch auf ein faires Verfahren entnommen.8 Folge der Anerkennung eines verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Beweis ist, dass alle verfahrensmäßigen Einschränkungen dieses Rechts einer besonderen Legitimation bedürfen.9 Schlosser leitet aus der Fangschaltungs-Entscheidung des BVerfG darüber hinaus ab, dass das BVerfG mit dieser Entscheidung ein prozessuales Menschenrecht auf Zugang zu Informationsquellen postuliere; freilich dürfe dieses nicht verabsolutiert werden, wo wichtige und verfassungsrechtlich geschützte Belange der Gegenpartei dem Zugang zu den Informationsquellen entgegenstehen.10 Der Schutz verfassungsrechtlich geschützter Belange dürfe aber umgekehrt nicht dazu führen, dass ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr gewährt werde. Letzteres wäre aber auf dem vom BGH im Anzeigenblatt-Fall11 vorgezeichneten Weg, dass der Sachverständige nicht auf Basis der Information entscheiden dürfe, der Fall. Denn wenn es schon nötig sei, sensible Informationen dem klagenden Mitbewerber vorzuenthalten, sei es allemal das kleinere Übel, wenn die Information wenigstens den Sachverständigen erreicht. Nicht der Totalentzug des Zugangs zu der Informationsquelle, sondern die Einschränkung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem
So Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.212. Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 ff. 7 Katzenmeier, ZZP 116 (2003), S. 375, 377. 8 BVerfG v. 20.12.2000, NJW 2001, 2245, 2246. 9 Katzenmeier, ZZP 116 (2003), S. 375, 377; MüKoZPO-Prütting, 2013, § 284, Rn. 18. 10 Schlosser, NJW 1992, S. 3275, 3276. 11 Siehe oben, S. 162 ff. 5 6
B. Grundsatz der Waffengleichheit
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Teilaspekt sei dann das dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Mittel.12 III. Auswertung Im englischen und deutschen Recht wird ein Recht auf Beweis anerkannt. Allerdings wird diesem jeweils eine unterschiedliche Reichweite zugeschrieben. In England wird aus dem Recht auf Beweis im Grundsatz ein Recht auf Zugang zu allen relevanten Unterlagen – unter dem Vorbehalt des Bestehens eines privilege – hergeleitet, weil ein System, das den Parteien erlaubt, einschlägige Unterlagen ihrem Gegner vorzuenthalten, effektiven Rechtsschutz versage.13 Demgegenüber wird ein Recht auf Zugang zu Informationsquellen für das deutsche Recht nur von Schlosser aus der oben dargestellten Fangschaltungs-Entscheidung des BVerfG abgeleitet. Aus diesem Urteil ergibt sich ein solches Recht jedoch nicht. Das BVerfG hat sich in diesem Urteil nicht generell mit der Frage des Zugangs zu Informationsquellen auseinandergesetzt. Vielmehr hat es in einem sehr speziellen Fall auf Grund einer Verletzung in dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht die Verwertung der mittels einer Fangschaltung gewonnenen Daten zugelassen. Im Ergebnis ist damit zwar faktisch in dem konkreten Fall der rechtswidrige Zugang zu einer Informationsquelle legitimiert worden. Es erscheint jedoch sehr fraglich, ob aus dieser Entscheidung eine derart verallgemeinernde Aussage im Sinne einer Herleitung eines Rechts auf Zugang zu Informationsquellen gezogen werden kann, wie Schlosser dies getan hat.14 Dem Recht auf Beweis kommt nach dem sonstigen gegenwärtigen Stand von Rechtsprechung und Literatur in Deutschland keine Bedeutung dahingehend zu, dass eine Erweiterung der Informationszugangsrechte geboten oder wünschenswert wäre.
B. Grundsatz der Waffengleichheit Ferner könnte sich die Zweckmäßigkeit eines disclosure-Verfahrens bzw. erweiterter Mitwirkungspflichten oder allgemeiner Aufklärungspflichten aus dem Grundsatz der Waffengleichheit ergeben.
Schlosser, NJW 1992, S. 3275, 3277. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.211. 14 Vgl. bereits oben, S. 161. 12 13
186 I.
Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
England
1. Allgemeines Ein solcher Grundsatz der procedural equality ist in den CPR selbst verankert. Im overriding objective ist festgeschrieben, dass die Gerichte sicherstellen müssten, „that the parties are on equal footing“.15 Zander führt insofern aus: „the aim is that so far as practicable one should try to have a level playing field between the two sides“. 16 Gewährleistet ist damit nach Zuckerman nicht, dass den Parteien eine gleiche Behandlung zuteil wird, wohl aber, dass sie gleiche prozessuale Rechte haben. 17 Auf diese Weise sollen die CPR das Prinzip der equality of arms des Art. 6 EMRK inkorporieren. 18 Probleme der procedural equality wirft im englischen Recht die Beteiligung geistig eingeschränkter Personen, insbesondere geistig Behinderter, sowie Minderjähriger auf.19 2. Equal access to information Als weiteres wichtiges Anwendungsbeispiel wird von Zuckerman der gleiche Zugang der Parteien zu den Dokumenten genannt: Sofern nur einer Partei Zugang zu den Dokumenten der Gegenseite gewährt würde, läge ein Verstoß gegen den Grundsatz der procedural equality vor.20 Andrews beschreibt den gleichen Zugang zur Information (equal access to information) als eine von vier Facetten des Grundsatzes der procedural equality (neben neutrality and equal respect, no discrimination und overcoming practical disadvantages).21 Seiner Auffassung zufolge würde es eine gravierende Ungleichheit der Parteien bedeuten, wenn eine Seite Zugang zu einer zentralen Information hätte, die der anderen Seite weder bekannt noch zugänglich ist.22 Aus diesem Grund stellte in Verfahren unter staatlicher Beteiligung das früher geltende Verbot, den Staat zu einer discovery zu verpflichten, obwohl er seinerseits in den Genuss der Dokumentenvorlage des Gegners kam, einen Verstoß gegen den Grundsatz der procedural equality dar. 23 Seit dem Inkrafttreten des Crown Procedure Act 1947 besteht ein derartiges Verbot nicht mehr. Allerdings kann der Staat nach wie vor – sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen – CPR 1.1(2)(a). Zander, State of justice, 2000, S. 5. 17 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.152. 18 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.152. 19 Herb, Gemeinschaftsrecht, 2007, S. 92 f. 20 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.153. 21 Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 6.26–6.30. 22 Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 6.30; Andrews, Civil Processes, 2013, Rn. 25.93, 25.96 ff.; Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.153. 23 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.153. 15 16
B. Grundsatz der Waffengleichheit
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ein Weigerungsrecht in Gestalt der public interest immunity geltend machen, über deren Vorliegen das Gericht entscheidet.24 Auch der oben25 erörterte Fall Waugh v. British Railways Board wird unter dem Stichwort der procedural equality diskutiert. Nach Auffassung von Andrews wurde der Zugang zu dem überragend wichtigen Unfallbericht durch Schaffung des dominant purpose test gewährt, damit sichergestellt ist, dass alle Parteien gleichen Zugang zu Information und Beweis haben.26 Allerdings taucht in der Entscheidung weder eine explizite Berufung auf die procedural equality, noch auf den equal access to relevant information or evidence auf. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte eine Entscheidung des Court of Appeal beanstandet, in der sich eine Behörde erfolgreich auf public interest immunity berief. Der Kläger, der durch die beklagte Behörde als Pflegekind in eine Familie eingewiesen worden war, hatte die Behörde verklagt, weil er in seiner Pflegefamilie misshandelt worden sei. Er begehrte Einblick in die Akte der Behörde, die jedoch unter Verweis auf public interest immunity die Einsicht verweigerte. 27 Dieses vom Court of Appeal gebilligte Verhalten verstößt nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Art. 6 EMRK.28 II. Deutschland Es stellt sich die Frage, ob ein der procedural equality vergleichbarer Grundsatz auch im deutschen Recht existiert. Ein solch eigenständiger Grundsatz findet sich indes weder im Grundgesetz noch in der Zivilprozessordnung. Diskutiert wird jedoch, ob ein Grundsatz der Waffengleichheit 29 aus dem allgemeinen Gleichheitssatz in Gestalt des Willkürverbots sowie dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten ist.30 1. Rechtsprechung In der Rechtsprechung taucht im Zivilprozessrecht – anders als im Strafprozessrecht – eine explizite Berufung auf den Grundsatz der prozessualen Vgl. oben, S. 70. S. 170 f. 26 Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 6.30 und 27.23. 27 Gaskin v. Liverpool City Council [1980] 1 W.L.R. 1549, CA. 28 Gaskin v. UK, (1990) 12 E.H.R.R. 36. 29 Anders als der englische Begriff der procedural equality bemüht der deutsche Begriff der Waffengleichheit die liberale Vorstellung vom Prozess als Kampf der Parteien. Allerdings ist auch in der englischen Literatur der Begriff von der equality of arms bekannt, vgl. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.152 unter Rückgriff auf Art. 6 EMRK. Kwaschik, Parteivernehmung, 2004, S. 87 schlägt alternativ den Begriff der „Mitwirkungsgleichheit“ vor. 30 Zum Grundsatz der Waffengleichheit im Lichte des Art. 6 EMRK vgl. Schlosser, NJW 1995, S. 1404 ff. 24 25
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
Waffengleichheit in der Judikatur erst sehr spät auf.31 Zuvor klang er allerdings im allgemeineren Gewand des allgemeinen Gleichheitssatzes in der Rechtsprechung des BVerfG an.32 Der BGH und die Obergerichte stützen den Grundsatz der Waffengleichheit weder auf das Grundgesetz noch die ZPO, sondern setzten ihn als selbstverständlich voraus.33 a) Rechtsprechung des BVerfG zum Beweisrecht Nach der Rechtsprechung des BVerfG zielt der Grundsatz der Waffengleichheit auf eine Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter und die Gleichheit der Rechtsanwendung durch den Richter im Interesse materieller Gerechtigkeit.34 Aus ihm wurden praktische Konsequenzen zugunsten der benachteiligten Partei insbesondere im Bereich der Prozesskostenhilfe gezogen. 35 Im Beweisrecht gibt es zwei interessante verfassungsgerichtliche Entscheidungen. Eine betrifft die Frage, ob sich bei typischen beweisrechtlichen Ungleichgewichtslagen im Arzthaftungsrecht aus dem Grundsatz der Waffengleichheit Rechtsfolgen für eine von der bisherigen Praxis abweichende Handhabung der Beweislastverteilung ziehen lassen. Dies wurde vom BVerfG in einer sehr knappen Entscheidung mit Stimmengleichheit abgelehnt.36 Die zweite Entscheidung betraf die Frage, ob der Grundsatz der Waffengleichheit beim klassischen Vier-Augen-Gespräch es gebietet, der Gegenseite, soweit dieser keine Beweismittel zur Verfügung stehen, auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 445 ff. ZPO den Rückgriff auf das Beweismittel der Parteivernehmung einzuräumen. Bei einem Vier-AugenGespräch geht es um eine Konstellation, in der ein streitrelevantes Gespräch ausschließlich zwischen einer Partei des Rechtsstreits sowie einem (in der Regel rechtsgeschäftlichen) Vertreter der Gegenseite stattgefunden hat. Da im deutschen Recht die Parteien selbst nicht als Zeugen in Betracht kommen, steht zum Beweis über den Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs nur ein Zeuge zur Verfügung. Das BVerfG hat entschieden, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör und das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes es gebieten können, dass nicht nur der Zeuge der Gegenpartei, sondern auch die Partei gem. § 141 ZPO bzw. gem. § 448 ZPO zum umstrittenen Inhalt eines OLG Celle v. 7.5.1969, NJW 1969, S. 1905. BVerfG v. 22.1.1959, BVerfGE 9, 124, 130. 33 Vgl. dazu die Nachweise bei Kwaschik, Parteivernehmung, 2004, S. 88. 34 BVerfG v. 25.7.1979, BVerfGE 52, 131, 156; BVerfG v. 29.4.1980, BVerfGE 54, 117, 125; vgl. auch Vollkommer, in: FS Schwab, 1990, S. 503, 508. 35 BVerfG v. 22.1.1959, BVerfGE 9, 124, 130 (noch zum allgemeinen Gleichheitssatz); BVerfG v. 6.6.1967, BVerfGE 22, 83, 86. 36 BVerfG v. 25.7.1979, BVerfGE 52, 131; vgl. im Gegensatz dazu das abweichende Sondervotum BVerfGE 52, 143. 31 32
B. Grundsatz der Waffengleichheit
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Vier-Augen-Gesprächs informatorisch angehört bzw. als Partei vernommen wird. Auf die Frage, ob sich dieses Ergebnis auch aus dem Grundsatz der Waffengleichheit ergebe, ist das BVerfG allerdings nicht mehr eingegangen.37 b) Ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung In seiner Entscheidung vom 27. Juni 1986 vertrat das OLG Schleswig die Auffassung, dass die Prozessführung durch eine nicht hinreichend aufgeklärte Partei jedenfalls dann die durch die Grundsätze der Waffengleichheit gebotene Gleichwertigkeit der Prozessstellung beeinträchtige, wenn das Informationsgefälle auch vom Gericht mit zu verantworten ist.38 Ferner gibt es eine Reihe von Entscheidungen des BGH, in denen sich dieser auf ein Gebot möglichst weitgehender Waffengleichheit stützte. 39 So hatte der BGH die später vor dem BVerfG auf dem Prüfstand stehenden Besonderheiten für den Arzthaftungsprozess entwickelt, um das typische Informationsgefälle zwischen Arzt und Patient auszugleichen.40 Der BGH stellte klar, dass der Grundsatz der Waffengleichheit im Arzthaftungsprozess es zunächst gebiete, dass der Arzt dem klagenden Patienten Aufschluss über sein Vorgehen in dem Umfang gibt, in dem ihm dies ohne Weiteres möglich ist, und er insoweit auch zumutbare Beweise erbringt.41 Der BGH spricht insofern von einer „Beweispflicht“. Dieser könne er etwa durch Vorlage einer ordnungsgemäßen Dokumentation nachkommen. Allerdings trage der von dem behandelnden Arzt vorzulegende Operationsbericht nicht schon die Vermutung der Richtigkeit in sich. Vielmehr erfordere die „Waffengleichheit“, dass der Arzt gleichzeitig in zumutbarem Umfang Umstände darlegt und unter Beweis stellt, aus denen sich die allgemeine Vertrauenswürdigkeit der Aufzeichnung ergibt, so etwa dass der erstellte Bericht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Operation abgefasst und nicht etwa BVerfG v. 21.2.2001, NJW 2001, S. 2531. OLG Schleswig v. 27.6.1986, NJW 1986, S. 3146. Im Prozess vor dem Landgericht hatte das Gericht den Anwalt des abwesenden Klägers erst im Termin zur mündlichen Verhandlung auf die Unschlüssigkeit der Klage hingewiesen und diesen aufgefordert, die Unschlüssigkeit im Laufe des Termins zu beseitigen. Dies gelang dem Anwalt im laufenden Termin nicht, da er hierfür weitere Informationen benötigt hätte. Gegen das klageabweisende Urteil wehrte sich der Kläger mit der Berufung vor dem OLG Schleswig. Das OLG Schleswig sah einen Verfahrensmangel darin, dass das LG § 139 ZPO verfassungswidrig ausgelegt und angewandt habe. Auch im Anwaltsprozess verstoße eine restriktive Auslegung des § 139 ZPO gegen den Grundsatz der Waffengleichheit im Prozess sowie den Grundsatz der fairen Verfahrensgestaltung. 39 Vgl. dazu Vollkommer, in: FS Schwab, 1990, S. 503, 511. 40 BGH v. 14.3.1978, NJW 1978, S. 1681; BGH v. 24.6.1980, NJW 1980, S. 2751; BGH v. 17.4.1984, NJW 1984, S. 1823; BGH v. 31.5.1988, NJW 1988, S. 2302. 41 BGH v. 14.3.1978, NJW 1978, S. 1681 ff. 37 38
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
erst nach Erkennbarwerden eines Zwischenfalls abgewandelt worden ist. Dies gelte selbst dann, wenn der Patient die Verlässlichkeit des Operationsberichts nur allgemein in Frage gestellt habe, da man von ihm mangels Einblicks in die Einzelheiten des klinischen Betriebs nicht mehr zu erwarten habe. Im Sinne dieser Zumutbarkeitsgrenze könne auch der Formulierung FranzkiFranzkis 42 zugestimmt werden, dass im Arztfehlerverfahren eine ganz „typenreine Verhandlungsmaxime“ nicht möglich sei.43 2. Literatur In der Literatur hat der Grundsatz der Waffengleichheit bislang nur in Grenzen Widerhall gefunden.44 Diejenigen, die einen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit anerkennen, stützen ihn auf den allgemeinen Gleichheitssatz in Verbindung mit dem Grundsatz der Rechts- und Sozialstaatlichkeit (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. 3 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 1 GG).45 III. Zwischenergebnis Im englischen Recht taucht anders als im deutschen Recht der equal access to information als konkretes Element eines Grundsatzes der Waffengleichheit auf. Diesem Grundsatz wird im englischen Recht durch seine Verankerung im overriding objective eine herausragende Bedeutung zuerkannt. In der Judikatur spielt er insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, ob ein privilege besteht, eine erhebliche Rolle. Im deutschen Recht ist ein Rückgriff auf den Grundsatz der Waffengleichheit bislang nur sehr zurückhaltend erfolgt. Zur Behandlung von Informationsgefällen gibt es zwei Entscheidungen des BVerfG: eine zum Arzthaftungsrecht sowie eine zu Vier-Augen-Gesprächen, wobei in letzterer eine Befassung mit dem Grundsatz der Waffengleichheit unterblieb und die Entscheidung vielmehr allgemein auf den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und den Anspruch auf rechtliches Gehör gestützt wurde. Vollkommer weist zu Recht darauf hin, dass die Frage, ob faktische Ungleichgewichte – etwa auf Grund eines Informationsgefälles – eine Regulierung nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit gebieten, davon abhängt, ob man diesem Grundsatz ein formales oder ein materielles Verständnis zu Grunde legt. Im ersten Fall sei das faktische Ungleichgewicht hinzunehmen, weil es demzufolge ausreichend ist, den Parteien rein formal die gleiche prozessuale Stellung zuzubilligen. Demgegenüber gebiete ein Franzki/Franzki, NJW 1975, S. 227; Franzki, DRiZ 1977, S. 36. BGH v. 14.3.1978, NJW 1978, S. 1681, 1682. 44 Allerdings finden sich interessante Abhandlungen insb. bei Schwab/Gottwald, Verfassung und Zivilprozeß, 1984; Vollkommer, in: FS Schwab, 1990, S. 503; Jung, Waffengleichheit im Zivilprozeß, 1990; Kwaschik, Parteivernehmung, 2004, passim. 45 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 1, Rn. 28; Vollkommer, in: FS Schwab, 1990, S. 503, 504. 42 43
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materielles Verständnis, dass tatsächlich eine gleichwertige Möglichkeit zur Ausübung der prozessualen Rechte bestehen muss, so dass ein faktisches Ungleichgewicht nicht hinzunehmen sei.46 Doch selbst wenn man sich letzterer Auffassung anschließen sollte, führt der Grundsatz der Waffengleichheit in Deutschland noch ein Schattendasein, so dass sich aus diesem allenfalls Lösungen für konkrete Einzelfälle ergeben, nicht aber für die allgemeinere Frage, ob eine Änderung der Gesetzeslage de lege ferenda zu erfolgen hat oder wünschenswert wäre.
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel? Es fragt sich weiter, ob sich aus der Aufgabe der Wahrheitsfindung Rückschlüsse darauf ergeben, dass großzügige Informationszugangsrechte geboten oder wünschenswert sind. I.
England
In der englischen Literatur fehlt es an einer dogmatischen Auseinandersetzung mit dem Stellenwert der Wahrheitsfindung im Zivilprozess. Dies sollte nach Cohn auch nicht weiter verwundern, da es müßig sei, nach theoretischen Konzepten Ausschau zu halten, wo eine Prozesstheorie fehle.47 Diese im Jahr 1967 getroffene Aussage Cohns hat auch heute noch eine gewisse Berechtigung: Die Problematik der fehlenden umfassenden dogmatischen Aufarbeitung wurde oben48 bereits erläutert. Als Vorgehensweise für diese Untersuchung wurde jedoch festgelegt, dass die fehlende Dogmatik dem Versuch, aus Rechtsprechung und Literatur theoretische Grundlinien herauszuarbeiten, nicht entgegenstehen soll.49 Denn nur so ist ein annähernd ausgewogener Vergleich mit der Rechtslage in Deutschland möglich. 1. Pflicht zur Prozesswahrheit Cohn ist der Auffassung, dass es an einer ausdrücklichen Feststellung über das Bestehen einer Wahrheits- und Aufklärungspflicht sowie deren Stellenwert fehle, weil das Bestehen von Wahrheits- und Aufklärungspflichten ebenso wie ein sehr hoher Stellenwert der Wahrheitsfindung als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt werde.50 Dies hatte auch bereits Erdsiek vertreten, demzufolge die Pflicht zur Prozesswahrheit stets als selbstverständlich geVollkommer, in: FS Schwab, 1990, S. 503, 518 f. Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 49. 48 Vgl. S. 11 ff. 49 Oben, S. 13. 50 Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 49. 46 47
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
golten habe.51 So habe traditionell jeder mit „clean hands“ vor das königliche Gericht kommen müssen.52 Hartwieg meint demgegenüber, im englischen Recht existiere keine Verpflichtung, die Wahrheit im Prozess vorzutragen. 53 Dem steht jedoch die bereits angesprochene Stellung der barristers entgegen, die nicht Parteivertreter sind,54 sondern vielmehr Gehilfen des Richters bei der Wahrheitsfindung.55 Sie sind verpflichtet, ihre Macht einzusetzen für den „pursuit of justice and to elucidate the truth“.56 Überdies dürfte die Einschätzung Hartwiegs jedenfalls seit Inkrafttreten der CPR nicht mehr zutreffend sein, da sowohl die Schriftsätze als auch die Beantwortungen eines order for further information gem. CPR 18.1 mit einem statement of truth versehen sein müssen, in dem die jeweilige Partei und ihr Anwalt erklären, dass alle in dem Schriftsatz enthaltenen Erklärungen nach Auffassung der unterzeichnenden Partei bzw. des unterzeichnenden Anwalts der Wahrheit entsprechen.57 Unklar ist allerdings, inwieweit es sich bei der Verpflichtung des barrister sowie der Partei um eine subjektive oder eine objektive Pflicht zur Wahrheit handelt. Viel spricht dafür, dass nur eine Pflicht zu subjektiver Wahrheit gemeint sein kann, da einer Partei nicht die Abgabe einer Erklärung abverlangt werden kann, dass ihr Vortrag der absoluten Wirklichkeit entspreche. Man wird wohl sinnvollerweise nur die Versicherung erwarten können, dass nach ihrer Kenntnis der entsprechende Vortrag mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Anders mag dies allenfalls bei dem barrister sein, der nicht Parteivertreter ist, sondern der dem Aufdecken der Wahrheit helfen soll, 58 indem er insbesondere Ungenauigkeiten der Partei bei der Beantwortung von Fragen nachzugehen hat.59 Aber auch bezüglich des barrister scheint es nur schwer möglich, mehr zu verlangen als eine Erklärung, dass die gemachten Angaben seinem gegenwärtigen Kenntnisstand entsprechen, der sich aus den Aussagen der Partei, etwaigen Nachfragen sowie sonstigen Erkenntnissen ergibt.
Erdsiek, DJZ 39 (1934), S. 272. Erdsiek, DJZ 39 (1934), S. 272. 53 Hartwieg, Tatsachen- und Normarbeit im Rechtsvergleich, 2003, S. 84: „As far as I could observe the English system there is no rule which demands a duty of pleading the truth“. 54 Erdsiek, DJZ 39 (1934), S. 272, 274. 55 Erdsiek, DJZ 39 (1934), S. 272, 274. 56 So Lord Pearce in Rondel v. Worsley [1917] 3 W.L.R. 1666 (HL), Rn. 1711 f. Im Ergebnis ebenso Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 92, 100. 57 Vgl. CPR 22.1(1)(4)(6). 58 Im Ergebnis ebenso Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 92, 100. 59 Hollander, Disclosure, 2004, S. 151, 155. 51 52
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel?
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2. Wahrheitsfindung als Ziel des Verfahrens Das Gebot der Wahrheitsfindung im Zivilprozess ist nicht explizit in den CPR verankert. Im Folgenden werden jedoch die sehr vereinzelten und mitunter widersprüchlichen Stellungnahmen in der englischen Kasuistik und Literatur zur Frage des Stellenwertes der Wahrheitsfindung ausgewertet. a) Wahrheitsfindung ist nicht Ziel des Verfahrens aa) Pollock und Maitland Pollock und Maitland haben sich in ihrer Darstellung aus dem Jahr 1895 zur mittelalterlichen Gerichtspraxis zwar nicht mit der Frage nach dem Stellenwert der Wahrheitsfindung im Gefüge möglicher Prozesszwecke auseinandergesetzt, aber doch jedenfalls mit der Frage, ob es Aufgabe des Richters sei, die tatsächliche Wahrheit aufzudecken. Insoweit führen sie aus: „We are often reminded of a cricket match. The judges sit in Court, not in order that they may discover the truth […]. The English judge will […] play the umpire rather than the inquisitor.“60 Die Aufgabe des Richters im englischen Zivilprozess des Mittelalters ist danach nicht die der Wahrheitsfindung, sondern lediglich die der neutralen Entscheidung eines Schiedsrichters, der nach bestimmten vorgegebenen Regeln über einen Wettkampf zwischen zwei Parteien wacht. Bei einer so verstandenen Aufgabe des Zivilrichters könnte man schlussfolgern, dass der Zivilprozess nicht primär auf die Wahrheitsfindung ausgerichtet ist, sondern auf das Obsiegen der „besseren“ Partei im freien Kräftespiel. Eine derartige Schlussfolgerung erscheint jedoch gerade im englischen Prozessrecht alles andere als zwingend. Denn nur weil es nicht Aufgabe des Richters ist, die Wahrheit aufzudecken, bedeutet dies nicht, dass das Herausfiltern der Wahrheit nicht Aufgabe des adversiellen Aufeinandertreffens der Parteien ist. Aus den Ausführungen Pollocks und Maitlands lassen sich demnach keine Rückschlüsse auf die Stellung der Wahrheitsfindung ziehen. bb) Lord Chancellor Viscount Simon Das Votum von Lord Chancellor Viscount Simon im Fall Hickman v. Peacey, der dem House of Lords im Jahr 1945 zur Entscheidung vorlag, lässt demgegenüber schon eher den Schluss zu, dass der Zivilprozess nicht der Aufdeckung der absoluten Wahrheit, sondern allenfalls einer relativen Wahrheit anhand der vorgelegten Beweismittel diene: „A court of law […] is not engaged in ascertaining ultimate verities: it is engaged in determining what is the proper result to be arrived at, having regard to the evidence before it.“61 60 61
Pollock/Maitland, History of English Law, Bd. 2, 1895, S. 671. Hickman v. Peacey [1945] A.C. 304, 318.
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cc) Air Canada-Fall: Lord Denning und Lord Wilberforce Diese Auffassung findet sich auch noch zum Ende des 20. Jahrhunderts in den Entscheidungen des Court of Appeal und des House of Lords im Air Canada-Fall.62 Die Kläger – verschiedene internationale Airlines –, die sich gegen die Steigerung der Nutzungsgebühren für den Flughafen Heathrow wehrten, begehrten die Offenlegung von politischen Dokumenten. Die Beklagten – der Staatssekretär und die British Airport Authority – beriefen sich demgegenüber auf das Privileg der öffentlichen Immunität. Im Court of Appeal betonte Lord Denning: „The due administration of justice does not always depend on eliciting the truth. It often depends on the burden of proof […]. If the plaintiff fails to prove his case – for want of any admission by the defendant – no injustice is done to him […] [e]ven though the truth may not have been ascertained […].“63
Diese Ansicht teilte auch Lord Wilberforce im House of Lords: „On this point I agree […] There is no higher or additional duty to ascertain some independent truth. It often happens, from the imperfection of evidence, or the withholding of it […] that an adjudication has to be made which is […] known not to be, the whole truth of the matter: yet if the decision has been in accordance with the available evidence and with the law, justice will have been fairly done […].“64
Führt man die Aussagen von Lord Denning und Lord Wilberforce zusammen, so betonen beide, dass der Ausrichtung auf die Wahrheitsfindung insofern Grenzen gezogen sind, als Regelungen über die Beweislast bestehen. Sofern Beweismittel nicht zur Verfügung stehen oder unterdrückt werden, muss ein Ergebnis akzeptiert werden, das gegebenenfalls nicht der Wahrheit entspricht, sofern es verfahrensmäßig zustande gekommen ist. Dennoch scheinen beide im Ausgangspunkt selbstverständlich von einem hohen Stellenwert der Wahrheitsfindung auszugehen, der durch die genannten Aspekte aber eingeschränkt werde und folglich nicht „Selbstzweck“ sei. dd) Zwischenergebnis Die zitierten Ausführungen sprechen für einen auf die Findung der formellen Wahrheit ausgerichteten Prozess im Sinne einer verfahrensgemäß zustandegekommenen Wahrheit, die nicht zwangsläufig mit der Wirklichkeit übereinstimmen muss. Die zu erreichende Gerechtigkeit ist danach nur die Gerechtigkeit zwischen den Parteien und zwar auf der Basis dessen, was sie in den Prozess einführen.
Air Canada v. Secretary of State for Trade [1983] 2 A.C. 394. Air Canada v. Secretary of State for Trade [1983] 2 A.C. 394, 411. 64 Air Canada v. Secretary of State for Trade [1983] 2 A.C. 394, 438 f. 62 63
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Allerdings stammen die zitierten Stimmen sämtlich aus der Zeit vor Erlass der CPR. b) Wahrheitsfindung als Ziel des Verfahrens Demgegenüber gibt es Stellungnahmen aus der Zeit vor und nach Erlass der CPR, die von einem eher au die Findung materieller Wahrheit ausgerichteten Verfahren ausgehen. aa) Higgins v. Higgins Ein hoher Stellenwert wurde der Wahrheitsfindung in dem von Cohn dargestellten Fall Higgins v. Higgins – einem Scheidungsverfahren wegen Ehebruchs – eingeräumt. 65 Nach damaliger Rechtslage war Ehebruch ein absoluter Scheidungsgrund. Eine Ausnahme bestand jedoch dann, wenn der klagende Teil seinerseits Ehebruch begangen hatte. 66 Im Fall Higgins v. Higgins hatte die klagende Ehefrau ihrem Anwalt und dem Gericht gegenüber erklärt, sie habe keinen Ehebruch begangen. Dies stellte sich jedoch später als unrichtig heraus, als sie nach Scheidung der Ehe ein Kind zur Welt brachte. In dem Wiederaufnahmeverfahren, welches der geschiedene Ehemann daraufhin anstrengte, meinte die Klägerin, die Interessen des Kindes sowie des Kindsvaters geböten eine Aufrechterhaltung der Scheidung. Das Gericht befand jedoch, dass Offenheit und Ehrlichkeit vor Gericht in diesem Fall höher zu bewerten seien als die Interessen einzelner Parteien.67 bb) Erstinstanzlicher Richter im Air Canada-Fall Auch der erstinstanzliche Richter Justice Bingham im obigen Air CanadaFall hatte entschieden, „[that t]he concern of the court must surely be to ensure that the truth is elicited, not caring whether the truth favours one party or the other but anxious that its final decision should be grounded on a sure foundation of fact. […] In [the judge’s] judgment documents are necessary for fairly disposing of a cause or for the due administration of justice if they give substantial assistance to the court in determining the facts upon which the decision in the cause will depend.“68
Die Wahrheitsfindung wurde nach Auffassung des erstinstanzlichen Richters demnach als zentrale Aufgabe des Richters angesehen, die nicht davon abhängen kann, ob die fraglichen Informationen der einen oder der anderen Seite
Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 48. Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 48. 67 Dargestellt nach Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 48. 68 Zitiert nach Air Canada v. Secretary of State for Trade [1983] 2 A.C. 394, 410. 65 66
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zum Vorteil gereichen. Diese Entscheidung wurde allerdings durch die vorgenannte Entscheidung des House of Lords im Air Canada-Fall aufgehoben.69 cc) Lord Denning in Harmony Shipping und Sir Donaldson in Davies v. Eli Lilly & Co. In der Entscheidung Harmony Shipping Co SA v. Davies sagte Lord Denning, Master of the Rolls im Jahr 1979: „the primary duty of the court is to ascertain the truth by the best evidence available“. 70 Dieser Ausspruch Lord Dennings steht jedoch im Widerspruch zu seiner Aussage im oben zitierten Air Canada-Fall. Es gab aber auch noch andere Stimmen, die den Ruf nach „wahrer Gerechtigkeit“ auf Basis sämtlicher Informationen anstelle eines in Reinform praktizierten adversarial system laut werden ließen. 71 So betonte Master of the Rolls, Sir Donaldson im Jahr 1987: „litigation is not a war or even a game. It is designed to do real justice between opposing parties and, if the court does not have all the relevant information, it cannot achieve this object.“72 dd) Jolowicz und Lord Woolf Die neuere Auffassung von Sir Donaldson zum adversarial principle wird auf lange Sicht nicht ohne Auswirkung auf die Einordnung der Wahrheitsfindung bleiben. Rein tatsächlich hat diese neuere Auffassung bereits durch die Woolf-Reform Unterstützung erfahren, wenngleich die Reform weder mittelbar noch unmittelbar auf eine Änderung des zivilprozessualen Wahrheitsbegriffs abzielte; indem sie jedoch das strenge Verständnis des adversarial principle abmilderte, hat sie de facto auch auf den Wahrheitsbegriff Einfluss genommen. Nach den Woolf-Reformen verlieh Jolowicz seiner Hoffnung auf einen Wandel Ausdruck, indem er auf die Erwartungshaltung des juristischen Laien abstellt: „Will the judges not come, in time, to recognise […] that the evidence made available, should, so far as possible, reveal the truth?“73 „It is, after all, at best an akward notion that the judge has no business with the truth: it is a notion that runs counter to a non-lawyer’s idea of what a judge’s role should be […]“.74
Air Canada v. Secretary of State for Trade [1983] 2 A.C. 394, 438, vgl. oben, S. 194 f. Harmony Shipping Co SA v. Davies, [1979] 1 W.L.R. 1380, 1385. 71 S. dazu sogleich unten, S. 230 ff. 72 Davies v. Eli Lilly & Co [1987] 1 W.L.R. 428, 431. 73 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 383. 74 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 391. 69 70
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ee) Zuckerman Zuckerman führt zum neuen Regime der CPR aus, dass das Gebot der Wahrheitsfindung (imperative of ascertaining the truth) als selbstverständlich von den CPR vorausgesetzt werde.75 Denn das Gericht sei sowohl vor als auch nach Einführung der CPR verpflichtet, den Fall in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Sachverhaltsumständen und dem Recht zu entscheiden. 76 So heißt es auch in einer Fußnote zum dritten Entwurf zu CPR 1.1 (overriding objective), dass „seeking the truth is so obviously part of the court’s role that it does not need to be stated expressly in the Rules“.77 Allerdings gelte das Gebot der Wahrheitsfindung nicht absolut, da auch das Gericht fehlbar sei und kein System die Übereinstimmung der Entscheidung mit der Wirklichkeit gewährleisten könne.78 Gäbe es hingegen einen Test, der eine derartige Überprüfung ermöglichen würde, so würde man diesen selbstverständlich verwenden.79 Das Bestreben, möglichst mit der Wirklichkeit übereinstimmende Urteile zu erzielen, liege auch der Gewährung von Zugang zu sämtlichen relevanten Beweismitteln zu Grunde.80 Zuckerman zufolge besteht ein dem kontinentaleuropäischen Recht vergleichbares Konzept formeller Wahrheit im englischen Recht gerade nicht.81 Ein derart zweigespaltener Wahrheitsbegriff in eine formelle und eine materielle Wahrheit sei dem englischen System fremd.82 Eine entscheidende Rolle spielen in diesem Zusammenhang nach seiner Auffassung die weitgehenden Informationszugangsrechte des englischen Rechts.83 3. Bedeutung des overriding objective Als explizites overriding objective wurde in den CPR das Ziel verankert, es den Gerichten zu ermöglichen, mit den Fällen gerecht zu verfahren (enabling the court to deal with cases justly, CPR 1.1(1)).84 Ging es also vor Inkrafttreten der CPR ausschließlich darum, materiellrechtliche Gerechtigkeit zu Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.32. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.34. 77 Zitiert nach Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.32. 78 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.34. 79 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.34. 80 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.34. 81 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.212. 82 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.212. 83 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 3.212. 84 Zu den einzelnen Elementen des overriding objective, vgl. bereits oben, S. 30 f. Dieser ursprüngliche Wortlaut von CPR 1.1(1) (so genanntes Mark I overriding objective) wurde zum 1. April 2013 auf Basis der Empfehlungen des Sir Rupert Jackson Report on Civil Litigation Costs um das Element verhältnismäßiger Kosten („and at proportionate cost“) ergänzt (so genanntes Mark II overriding objective). 75 76
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erlangen („doing substantive justice“85), so ist nunmehr mit dem overriding objective auch eine Form von prozeduraler Gerechtigkeit verankert: „the rules are now overlaid with an overriding objective that establishes a procedural discipline designed to enable the court to do substantive justice by the use of no more than appropriate ressources and within a reasonable time […] [and reflect] an overarching concept of procedural justice“.86
Zu dem overriding objective gehört gem. CPR 1.1(2): „(a) ensuring that the parties are on an equal footing; (b) saving expense; (c) dealing with the case in ways which are proportionate – (i) to the amount of money involved; (ii) to the importance of the case; (iii) to the complexity of the issues; and (iv) to the financial position of each party;(d) ensuring that it is dealt with expeditiously and fairly; and (e) allotting to it an appropriate share of the court’s resources, while taking into account the need to allot resources to other cases.“
Die Elemente (a) bis (e) begründen damit eigenständige prozedurale Ziele der prozessualen Waffengleichheit sowie der Kosten- und Zeiteffizienz, die neben dem Ziel der materiellen Gerechtigkeit stehen. Allerdings wird berichtet, dass das Ziel der kumulativen Verfolgung der prozeduralen und materiellen Gerechtigkeit in der Praxis bislang nicht geglückt ist.87 Dies sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Gerichte die ihnen durch die CPR zugewiesenen court management powers nicht durchsetzen. Zwar erfolge eine Anordnung prozessleitender Verfügungen, indes fehle es an einer Durchsetzung und Sanktionierung. 88 Dies wiederum habe seine Ursache darin, dass „[m]any judges are still convinced that no matter how long it takes and how much it costs it is better to reach judgments that reflect the true application of the law to the true facts than to insist on compliance with court orders.“89 4. Bedeutung des disclosure-Verfahrens für den Stellenwert der Wahrheitsfindung Ein weiteres Element, das sehr prägend für die Stellung der Wahrheit ist, ist das disclosure-Verfahren. Dieses soll u.a. dabei helfen, ein etwaiges Informationsgefälle zwischen den Parteien auszugleichen und dadurch zur Wahrheitsfindung beitragen.90 Im Fall Flight v. Robinson betonte Master of the Rolls, Lord Langdale: „However disagreeable it may be to make the disclosure – however contrary to his personal interest – however fatal to his claims, he is Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.22. Zuckerman, Civil Procedure, 2006, Rn. 1.3. 87 Zuckerman, Court Management, 2010, S. 1, 13. 88 Zuckerman, Court Management, 2010, S. 1, 13 f. 89 Zuckerman, Court Management, 2010, S. 1, 14. 90 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn 15.2. Vgl. dazu oben, S. 7. 85 86
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compelled to set forth, on oath, all he knows, believes, or thinks in relation to the matters in question.“91 Auch Sir Edmund Davies betonte in D. Respondent v. National Society for the Prevention of Cruelty to Children Appellants die Rechtfertigung des disclosure-Verfahrens durch das Ziel der Wahrheitsfindung: „It is a serious step to exclude evidence relevant to an issue, for it is in the public interest that the search for truth should, in general, be unfettered. Accordingly, any hindrance to its seeker needs to be justified by a convincing demonstration that an even higher public interest requires that only part of the truth should be told.“92
5. Zwischenergebnis Der zunächst dargestellten These des auf das Herausfinden der formellen Wahrheit ausgerichteten Verfahrens stehen damit gewichtige neuere Stimmen, insbesondere von Zuckerman und Jolowicz sowie von Lord Denning in Harmony Shipping Co SA v. Davies entgegen. Gerade das Instrument der disclosure wird als wesentliches Element eines auf Wahrheit ausgerichteten Verfahrens angesehen, wie die Fälle Flight v. Robinson und D. Respondent v. National Society for the Prevention of Cruelty to Children Appellants zeigen. Allerdings sind die prozedurale Gerechtigkeit und die Zeit- und Kosteneffizienz neben der materiellen Gerechtigkeit als Verfahrensziele im overriding objective anerkannt worden. 6. Jones v. University of Warwick: Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel? Aufschluss über die Stellung der Wahrheitsfindung gibt die Prüfung der Frage, wie die englische Rechtsordnung zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel steht. Hier geht es um Konstellationen, in denen ein Informations- oder Beweismittel zwar vorhanden ist, aber von der beweisbelasteten Partei in rechtswidriger Art und Weise erlangt wurde, weshalb sich die Frage stellt, ob dieses im Prozess überhaupt zugelassen werden kann. Diese Problematik ist in England im Fall Jones v. University of Warwick im Jahr 2003 aufgeworfen worden.93
Flight v. Robinson (1844) 8 Beav 22. D. Respondent v. National Society for the Prevention of Cruelty to Children Appellants [1977] 2 W.L.R. 201, 242. 93 Jones v. University of Warwick [2003] EWCA Civ 151, 954. 91 92
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a) Die Entscheidung Die Klägerin begehrte nach einem Arbeitsunfall, bei dem sie sich eine Verletzung an der Hand zugezogen hatte, Schadensersatz von ihrem Arbeitgeber. Dieser bestritt die Haftung dem Grunde nach nicht. Er wandte sich jedoch gegen die Behauptung der Klägerin, eine Behinderung ihrer Hand bestehe weiterhin. Zum Beweis dieser Behauptung wollte er eine Videoaufnahme in den Prozess einführen, die durch seine Versicherung veranlasst worden war. Ein durch die Versicherung beauftragter Vertreter hatte sich Zugang zum Haus der Klägerin verschafft, indem er vorgab, eine Marktuntersuchung durchzuführen. Dabei filmte er die Klägerin ohne ihr Wissen. Der medizinische Sachverständige des Beklagten kam nach Auswertung des Films zu dem Ergebnis, dass beide Hände der Klägerin voll funktionstüchtig seien. Die Klägerin widersprach der Zulassung des Videos, weil es auf Grund Hausfriedensbruchs und unter Verletzung des Rechts auf Privatsphäre nach Art. 8 Abs. 1 EMRK zustande gekommen sei. Der erstinstanzliche Richter entschied, dass das Videoband nicht zuzulassen sei. Auf die Berufung des Beklagten hin wurde das Urteil aufgehoben. Der Court of Appeal wies die weitere Berufung der Klägerin zurück. Nach Auffassung des Court of Appeal besteht ein nicht ohne Weiteres aufzulösender Konflikt zwischen zwei widerstreitenden öffentlichen Interessen: einerseits dem Interesse, dass im Prozess die Wahrheit so weit wie möglich ans Licht gebracht werden soll, und andererseits der Maßgabe, dass ein Gericht die Verwertung unzulässiger Beweismittel nicht dulden geschweige denn fördern soll. Bei der Abwägung solle nicht nur der konkrete Rechtsstreit berücksichtigt werden, sondern vielmehr auch die Konsequenzen für die zivilprozessuale Rechtsdurchsetzung allgemein.94 Die Gewichtung der widerstreitenden Interessen hänge von den Umständen des Einzelfalls ab.95 Im konkreten Fall entschied der Court of Appeal, dass das Verhalten der Versicherung der Beklagten nicht derart unerhört gewesen sei, dass ihr Vorbringen unberücksichtigt bleiben sollte. Überdies hätte das Gericht einen Ausschluss der Beweismittel für künstlich und unerwünscht gehalten, da dies dann die erneute Einholung von Sachverständigenmeinungen erfordert hätte. 96 Das Gericht betonte gleichwohl, dass das Verhalten der Versicherung unzulässig und ungerechtfertigt gewesen sei und dies bei der Kostenentscheidung berücksichtigt werden müsse.97
Jones v. University of Warwick [2003] EWCA Civ 151, 954, Rn. 25. Jones v. University of Warwick [2003] EWCA Civ 151, 954, Rn. 28. 96 Jones v. University of Warwick [2003] EWCA Civ 151, 954, Rn. 28. 97 Jones v. University of Warwick [2003] EWCA Civ 151, 954, Rn. 30. 94 95
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b) Dogmatische Einordnung Systematisch wird die Problematik im englischen Recht unter dem Aspekt „Relevance, admissability and the discretion to exclude“ behandelt. 98 Dogmatisch werden diese Aspekte wie folgt miteinander verknüpft: Damit ein Beweismittel in den Prozess eingeführt werden kann, muss es admissable sein. Admissable ist das Beweismittel wiederum, wenn es (1) hinreichend relevant ist und (2) wenn und soweit es nicht seitens des Gerichts (a) auf Grund gesetzlicher Regelung (b) oder in Ausübung seines Ermessens ausgeschlossen wird. 99 Die Frage der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel stellt sich im englischen Recht unter dem Aspekt (2b). Dass die Rechtswidrigkeit der Erlangung überhaupt zum Ausschluss des Beweismittels führen kann, ist erst seit Einführung der CPR der Fall.100 Vor dem Jahr 1999 hatte ein Richter keinerlei Ermessen, ein Beweismittel, das „relevant“ war, auszuschließen, selbst wenn es in rechtswidriger Weise, etwa durch Diebstahl,101 erlangt worden war. Begründet wird diese ablehnende Haltung mit der Geltung des Grundsatzes der Parteiherrschaft. Die verletzte Partei wird dabei auf die separate Geltendmachung von Rechtsbehelfen wegen der Rechtsverletzung bei der Erlangung der Beweismittel verwiesen: „in civil cases the court has traditionally conceived his function as that of doing business between the parties according to the evidence the parties choose to present. From this standpoint it is immaterial how the parties come by their evidence. Any unlawfulness in obtaining the evidence can be left to the injured party as an independent grievance for which the party can pursue whatever legal remedies are available.“102
7. Zwischenergebnis zum Stellenwert der Wahrheitsfindung in England Eine Wahrheitspflicht der Parteien wird im englischen Zivilprozessrecht selbstverständlich vorausgesetzt und folgt aus dem außerprozessualen estoppelPrinzip. Im Rahmen der CPR hat die Wahrheitspflicht dadurch Verankerung gefunden, dass die Schriftsätze und die Befolgung eines request for further information mit einem statement of truth versehen werden müssen. Letzteres legt nahe, dass die Wahrheitspflicht auf eine Pflicht zur subjektiven Wahrhaftigkeit beschränkt ist. Als Sanktion steht insbesondere eine contempt of court-Bestrafung sowie die Möglichkeit des striking out zur Verfügung. Zur Stellung der Wahrheitsfindung im Zivilprozess gibt es in Judikatur und Schrifttum unterschiedliche, oft gegenläufige Einschätzungen. Sie reichen von Blackstone’s Civil Practice, Oxford 2011, Rn. 47.5-47.7. Blackstone’s Civil Practice, Oxford 2011, Rn. 47.5. 100 Vgl. 32.1 (2) CPR: The court may use its power under this rule to exclude evidence that would otherwise be admissable. 101 J. Crompton in R v. Leatham, [1861–1873], All E.R.1646: „It matters not how you get it. If you steal it even it would be admissible in evidence“. 102 Dennis, Law of evidence, 2002, S. 251. 98 99
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der Einschätzung, dass es im Zivilverfahren nicht um „discovering the truth“, „ascertaining ultimate verities“ oder „eliciting the truth“ gehe, bis hin zur genau gegenteiligen Einschätzung, dass eben dies die „primary duty of the court“ sei. Die Stellung des barrister, der nicht Parteivertreter ist, sondern Gehilfe des Richters bei der Wahrheitsfindung, spricht eher für die Aufgabe der Wahrheitsfindung. Weitaus gewichtiger wiegt aber noch die Etablierung des disclosure-Verfahrens, das im englischen Prozess als Mittel zur Wahrheitsfindung dient. Auch die Lösung der Problematik der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel spricht für einen hohen Stellenwert der Wahrheitsfindung. Zwar gibt es seit Einführung der CPR erstmals die Möglichkeit, rechtswidrig erlangte Beweismittel überhaupt auszuschließen. Der Fall Jones v. University of Warwick hat aber gezeigt, dass der Wahrheitsfindung der Vorrang eingeräumt wurde. Allerdings handelt es sich dabei um eine Ermessensentscheidung des Gerichts im Einzelfall. Der Verweis, dass nicht nur der konkrete Fall, sondern auch „the effect of the decision on litigation generally“103 berücksichtigt werden müsse, lässt aber erwarten, dass die Abwägung gerade nicht nur den Einzelfallkriterien Rechnung getragen hat. Überdies war die „Rechtswidrigkeit“ der Erlangungshandlung durchaus nicht unerheblich, immerhin enthielt sie ein doppeltes Rechtswidrigkeitselement, das „Sich-Zugang-Verschaffen“ unter Täuschung sowie das heimliche Filmen. Trotz dieses doppelten Rechtswidrigkeitselements ist die Abwägung zugunsten der Berücksichtigung des Beweismittels ausgefallen. Es scheint damit eine Tendenz zu bestehen, die Rechtswidrigkeit der Erlangung des Beweismittels eher nicht durch den Ausschluss des Beweismittels zu Lasten der Wahrheitsfindung zu sanktionieren, solange andere Sanktionsmöglichkeiten, wie etwa eine Berücksichtigung auf Kostenebene bestehen: „Excluding the evidence is not […] the only weapon in the court’s armoury. The court has other steps it can take to discourage conduct of the type […]“.104Auf Grund des overriding objective ist allerdings davon auszugehen, dass das Gebot materieller Wahrheitsfindung nicht das unbeschränkte alleinige Verfahrensziel sein kann, sondern nur im Rahmen der Berücksichtigung prozessualer Waffengleichheit sowie der Kosten- und Zeiteffizienz. II. Deutschland 1. Prozessmodell, Prozesszweck, Prozessmaximen und Verfahrensgrundsätze Wenn im Folgenden im deutschen Recht von Verfahrensgrundsätzen, Prozessmaximen, dem Prozesszweck und dem Prozessmodell die Rede ist, hilft es, sich vorab das Ineinandergreifen dieser Begriffe vor Augen zu führen. Verfahrensgrundsätze im weiteren Sinne sind alle Rechtsgrundsätze, an denen der Ge103 104
Jones v. University of Warwick [2003] EWCA Civ 151, 954, Rn. 25. Jones v. University of Warwick [2003] EWCA Civ 151, 954, Rn. 30.
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel?
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setzgeber die Regelungen des Verfahrensablaufs und des Verhältnisses von Gericht und Parteien ausgerichtet hat. 105 Verfahrensgrundsätze im engeren Sinne sind die das Wesen des Zivilprozesses prägenden Prozessmaximen, zu denen die Grundsätze gehören, die die Verteilung der Aufgaben zwischen Gericht und Parteien regeln, die Dauer des Verfahrens beeinflussen und die Durchführung des Beweises sowie die Beweiswürdigung betreffen.106 Diese Prozessmaximen haben keine Rechtsnormqualität und entfalten ihre Bedeutung dadurch, dass sie in einzelnen Verfahrensnormen realisiert sind und zu deren Auslegung herangezogen werden können. Sie entwickeln sich als das Ergebnis einer Auswahl zwischen mehreren Gestaltungsalternativen, die in engem Zusammenhang mit dem Prozesszweck steht. Der Prozesszweck wiederum kennzeichnet die Aufgabe des Zivilprozesses und beeinflusst die Wahl der Prozessmaximen, die zur Verwirklichung des Prozesszwecks beitragen sollen.107 Der Prozesszweck wird überwiegend dualistisch im Sinne des Schutzes subjektiver Rechte und der Bewährung des objektiven Rechts gesehen. 108 Er wird geprägt durch das Prozessmodell, das als allgemeine Wertvorstellung Ausdruck des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger im Zivilrechtsstreit ist und vorgibt, auf welche Weise der Prozesszweck erreicht werden soll. Wesentliche Prozessmodelle sind dabei das liberale und das soziale Prozessmodell. Nach dem liberalen Prozessmodell ist der Zivilprozess eine rein private Angelegenheit der Parteien ohne Interesse für die Allgemeinheit.109 Die Parteien sollen folglich vor dem Richter und der Staatsgewalt geschützt werden. Das durch Klein geprägte soziale Prozessmodell sieht den Zivilprozess eher als „staatliche Wohlfahrtseinrichtung“. Ob der Schutz subjektiver Rechte oder die Bewährung des objektiven Rechts im Vordergrund steht, hängt davon ab, inwieweit Akzente des liberalen oder des sozialen Prozessmodells überwiegen.110 Dieser Zusammenhang würde konkret bedeuten: In einem sozialen Prozessmodell wäre der Prozesszweck hauptsächlich auf die Bewährung der Rechtsordnung gerichtet. Wenn aber die Bewährung der Rechtsordnung Hauptzweck des Zivilprozesses ist, würde dies dazu führen, dass die Rechtsordnung ohne Rücksicht auf das Parteiverhalten berücksichtigt werden müsste, dass also dem Amtsermittlungsgrundsatz vor dem Beibringungsgrundsatz der Vorzug zu geben wäre.111 Demgegenüber würde ein liberal geprägtes Prozessmodell eher einen Prozesszweck stützen, der auf den Schutz subjektiver Rechte ausgerichtet So MüKoZPO-Rauscher, 2013, Einl., Rn. 287. So MüKoZPO-Rauscher, 2013, Einl., Rn. 288. 107 So MüKoZPO-Rauscher, 2013, Einl., Rn. 289. 108 Reischl, ZZP 116 (2003), S. 81, 90. Siehe zum Prozesszweck sogleich im Einzelnen, S. 204 ff. 109 So die Definition von Meyer, JR 2004, S. 1. 110 Reischl, ZZP 116 (2003), S. 81, 90. Ähnlich sind auch die Überlegungen von Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 151 ff. 111 Bericht der Kommission, 1961, S. 166 f. 105 106
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ist, was wiederum zu einer stärkeren Ausprägung des Beibringungsgrundsatzes führen würde. Es fragt sich nun, ob der Wahrheitsfindung in diesem Gefüge Raum zu gewähren ist. Dies wäre in zweierlei Hinsicht denkbar. So könnte man argumentieren, dass ein Verfahren, das primär auf die Bewährung des objektiven Rechts ausgerichtet ist, auch der Wahrheitsfindung einen hohen Stellenwert einräumen muss, weil auf der Basis einer unwahren Tatsachenlage eine Bewährung des objektiven Rechts nicht denkbar ist.Umgekehrt könnte man aber auch argumentieren, dass im vorherrschend liberalen Prozessmodell die Durchsetzung subjektiver Rechte gerade voraussetzt, dass die Wahrheit ermittelt wird.112 Damit hat die Wahrheitsfindung in beiden Prozessmodellen Bedeutung. Denn sowohl die Bewährung des objektiven Rechts als auch der Schutz subjektiver Rechte setzen idealerweise das Herausfiltern des wahren Sachverhalts im Laufe des Prozesses voraus – und nicht nur einer „formellen“ Wahrheit. Dennoch gibt es einen gravierenden Unterschied. Während im liberal geprägten Prozessmodell dem Beibringungsgrundsatz ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, ist dies im sozial geprägten Zivilprozess nicht in gleicher Weise der Fall. Im liberalen Zivilprozess kann es somit eher zum Konflikt der Wahrheitsfindung mit dem Beibringungsgrundsatz kommen als im sozialen Zivilprozess. Im liberalen Prozessmodell kommt es mithin entscheidend darauf an, an welcher Stelle die Wahrheitsfindung anzusiedeln ist, ob sie also über der Parteiherrschaft steht oder nicht. Ersteres wäre insbesondere dann der Fall, wenn sie neben dem Individualrechtsschutz und der Bewährung der objektiven Rechtsordnung auf Ebene des Prozesszwecks anzusiedeln wäre. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. 2. Die herkömmliche Prozesszweckdiskussion113 Wesentliche Elemente in der herkömmlichen Prozesszweckdiskussion sind der Schutz des Einzelnen, die Herstellung und Erhaltung von Rechtsfrieden, die Wahrung der Rechtsordnung, die Herstellung von Rechtsgewissheit sowie die Rechtsfortbildung. 114 Ersterer Zweck ist nach Zettel am naheliegendsten, denn der Staat habe auf Grund des Selbsthilfeverbots eine Einrichtung zur DurchIn diesem Sinne zeigt Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 152 sowie 156 ff., dass etwa die Verwaltungs- Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit, die dem Schutz subjektiver Rechte dienen, die Erzielung der Wahrheit bei der Beschaffung der tatsächlichen Grundlagen des Urteils fordern. 113 Die Suche nach dem Prozesszweck wird seitens v. Hippel, Wahrheitspflicht, 1939, S. 170 f., in Frage gestellt. Insbesondere im späten 19. Jahrhundert sei sie gleichbedeutend „mit dem unerfüllbaren Wunsche nach einem zivilprozessualen ‚Stein der Weisen‘, der als pseudo-metaphysische Einheitsschablone sichere Auflösung schwieriger Prozeßfragen ermöglicht“. 114 Vgl. dazu etwa die Darstellung bei Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 147 ff. 112
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel?
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setzung privater Rechte schaffen müssen. 115 Dieser Prozesszweck habe auch dazu geführt, dass der Zivilprozess von der Dispositionsmaxime regiert werde. 116 Das Verbot der Selbsthilfe wiederum bestehe um des Rechtsfriedens willen, so dass der Rechtsfrieden zwar nicht der alleinige Prozesszweck sein könne, da er ja lediglich Folge der Verwirklichung subjektiver Rechte sei, aber immerhin auch ein gleichgeordneter Prozesszweck. 117 Die in jeder Verwirklichung subjektiver Rechte zugleich auch liegende Wahrung der Rechtsordnung wird von Grunsky118 lediglich als Nebeneffekt betrachtet, der keinen Eigenwert besitze. Das objektive Recht sei um des Einzelnen willen da und nicht umgekehrt. 119 Echter Zweck des Zivilprozesses sei somit nur die Durchsetzung subjektiver Rechte. Nach richtiger Auffassung verhalten sich aber der Schutz des Einzelnen und die Wahrung der Rechtsordnung wie zwei Seiten ein und derselben Medaille. Den einen Zweck verfolgt der Bürger, den anderen die Gemeinschaft aller Bürger.120 Deshalb besteht auch kein Rangverhältnis zwischen beiden.121 3. Die Stellung der Wahrheitsfindung in der Prozesszweckdiskussion a) Formeller und materieller Wahrheitsbegriff Bevor es um die Frage geht, ob und, wenn ja, welche Stellung der Wahrheitsbegriff in der Prozesszweckdiskussion einnimmt, ist zu klären, was unter „Wahrheit“ überhaupt zu verstehen ist. In der zivilprozessualen Diskussion sind zwei Wahrheitsbegriffe anzutreffen: der formelle und der materielle. Das Prinzip der formellen Wahrheit wird von der h.M. aus der Geltung des Beibringungsgrundsatzes im Zivilprozess abgeleitet.122 Denn auf Grund des Beibringungsgrundsatzes habe das Gericht unbestrittene Tatsachen und Geständnisse als wahr zu unterstellen, ohne sie zu prüfen (vgl. §§ 138 Abs. 3, 288 ZPO) und im Fall der Nichterweislichkeit eines bestrittenen Umstandes eine Beweislastentscheidung zu treffen, die sich ebenfalls nicht mit der materiellen Wahrheit Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 147. Problemtisch ist demgegenüber, ob mit dem Prozesszweck des Individualrechtsschutzes auch die Geltung des Beibringungsgrundsatzes korreliert werden kann. Dies wird verneint von Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 163, der aus dem Umstand, dass in den Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Verwaltungsgerichtsprozesses der Untersuchungsgrundsatz gilt und diese gleichwohl der Durchsetzung subjektiver Rechte dienen, folgert, dass zwischen dem Prozesszweck der Durchsetzung subjektiver Rechte und der Verhandlungsmaxime keine notwendige Verbindung besteht. 117 Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 147 f. 118 Grunsky, Grundlagen, 1974, S. 5. 119 Grunsky, Grundlagen, 1974, S. 6. 120 Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 152. 121 Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 152. 122 Wichtige Vertreter des Prinzips der formellen Wahrheit sind insbesondere Wach, Grundfragen, 1914, S. 27 und Grunsky, Grundlagen, 1974, S. 5. 115 116
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
decken müsse.123 Urteilsgrundlage könne mithin ein anderer als der historische Sachverhalt sein, ohne dass das Urteil in irgendeiner Form fehlerhaft sei. 124 Demgegenüber geht es bei dem Prinzip der materiellen Wahrheit um die Ermittlung des tatsächlich Geschehenen.125 Vertreter der materiellen Wahrheit sehen den Begriff der formellen Wahrheit als ein „Relikt aus der Scholastik des mittelalterlichen Gelehrten-Prozesses, in welchem der Richter an starre Beweisregeln und Eidesregeln gebunden war“.126 Nach Meinung von Rosenberg/ Schwab/Gottwald ist der Unterschied zwischen formeller und materieller Wahrheit jedoch nur gradueller Natur, weil etwa auch im Rahmen der Untersuchungsmaxime, bei der es auf jeden Fall um die Ermittlung der materiellen Wahrheit geht, das Gericht sehr stark auf die Mitwirkung der Parteien angewiesen sei. 127 b) Exkurs: Materiale und prozedurale Verfahrensgerechtigkeit Nicht zu verwechseln mit dem formellen und materiellen Wahrheitsbegriff, aber doch eng damit verwandt, ist die Diskussion um die materiale und prozedurale Verfahrensgerechtigkeit. Prütting definiert die prozedurale Gerechtigkeit als ein Konzept, das der Einhaltung und korrekten Durchführung eines als gerecht angesehenen Verfahrens eine eigenständige Funktion bei der Erzeugung von Gerechtigkeit beimisst, die neben der materialen Gerechtigkeit, die die Durchsetzung von materiellrechtlichen Normen im Einzelfall beschreibt, Geltung beansprucht.128 Dies ergebe sich insbesondere aus dem Phänomen der Rechtskraft und dem Anspruch auf rechtliches Gehör.129 Für den Fall der materiellen Rechtskraft, die die Unangreifbarkeit einer Entscheidung nach einem bestimmten Instanzenzug festlegt, gelte, dass diese im Gegensatz zur materiellen Gerechtigkeit des Einzelfalls stehen könne, wenn die Entscheidung unrichtig ergangen ist. Gleichwohl sei diese Beschränkung der materiellen Einzelfallgerechtigkeit erforderlich, um die Vollstreckbarkeit der Entscheidung und damit die Gewährung effektiven Rechtsschutzes, von Rechtsstaatlichkeit und von Gesamtgerechtigkeit zu gewährleisten. 130 Auch das Postulat des rechtlichen Gehörs demonstriere den eigenständigen Gehalt der prozeduralen Verfahrensgerechtigkeit, weil die objektiv richtige Entscheidung des Einzelfalls nicht immer von einem zuvor gewährten rechtlichen Gehör abhängt und umgekehrt 123 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 22; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 77, Rn. 6. 124 Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 42. 125 Gaul, AcP 168 (1968), S. 27, 49; E. Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, 1973, S. 34. 126 Gaul, AcP 168 (1968), S. 27, 49. 127 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 77, Rn. 6. 128 Prütting, in: FS Schiedermair, 2001, S. 445, 447. 129 Prütting, in: FS Schiedermair, 2001, S. 445, 447 f., 449 ff. 130 Prütting, in: FS Schiedermair, 2001, S. 445, 447–449.
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel?
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die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs keinesfalls eine materiell richtige Entscheidung sicherstellt.131 c) Auffassung von Stürner Stürner hatte argumentiert, dass der verfassungsrechtlich verankerte Justizgewährungsanspruch ein auf die Wahrheitsfindung gerichtetes Verfahren garantiere. Denn wenn beiden Parteien ein Rechtsdurchsetzungsanspruch zustehe, setze dies denknotwendig die Prüfung der wahren Rechtslage voraus.132 Primärer Zweck des Zivilprozesses sei der Individualrechtsschutz durch Wahrheitsfindung. 133 Dass der primäre Zweck des Prozesses im Individualrechtsschutz liege, sei zu erkennen, wenn man sich von der rechtspolitischen und rechtssoziologischen Prozesszweckdiskussion löse und von der vom einfachen Recht geprägten Struktur des Zivilprozesses ausgehe: Das Verfahren werde durch den Antrag einer Partei eingeleitet, die damit entweder die Erfüllung eines ihr zustehenden materiellen Rechts verlange (Leistungsantrag, § 253 ZPO) oder aber der Gefährdung ihr zustehender materiell subjektiver Rechte vorbeuge (Feststellungsantrag, § 256 ZPO). Gleichzeitig sei das Verfahren darauf gerichtet, die Gegenseite vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme zu schützen – durch Geltendmachung von Verteidigungsrechten und Feststellung der fehlenden Berechtigung der Inanspruchnahme, indem die Klagerücknahme von der Zustimmung der Gegenseite abhängig gemacht wird (§ 269 ZPO).134 Ein so verstandener Individualrechtsschutz für beide Seiten könne aber nur durch das Finden der materiellen Wahrheit gewährleistet werden, anderenfalls könne nicht gleichzeitig zwei gegnerischen Parteien Rechtsschutz gewährt werden.135 d) Ansicht des BGH Zur Bedeutung der Wahrheitsfindung im Zivilprozess führte der BGH in der hier als Nemo tenetur-Fall 1990 bezeichneten Entscheidung aus: „Daß im Zivilprozess die Wahrheitspflicht wesentliche Bedeutung hat, erlaubt nicht den Schluß, die Parteien seien generell zu einem Verhalten verpflichtet, das am besten der Wahrheitsfindung diene. Weder die Aufgabe der Wahrheitsfindung noch das Rechtsstaatsprinzip hindern den Gesetzgeber daran, den Zivilprozess der Verhandlungsmaxime zu unterstellen und es in erster Linie den Parteien zu überlassen, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und die Beweismittel zu benennen.“136
Prütting, in: FS Schiedermair, 2001, S. 445, 448. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 29 ff., insb. S. 48 ff. 133 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 49 ff. 134 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 49 f. 135 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 50 ff. 136 BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151. 131 132
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
Diesen Ausführungen lassen sich drei Thesen entnehmen. Erstens wird die Wahrheitsfindung als Aufgabe des Zivilprozesses bezeichnet. Zweitens sollen die Parteien nicht zu einem Verhalten verpflichtet seien, das am besten der Wahrheitsfindung dient. Und drittens postuliert der BGH die Verhandlungsmaxime als Grenzen der Wahrheitspflicht der Parteien. Diese Sichtweise des BGH blieb keine Einzelfallentscheidung und wurde in mehreren Entscheidungen konsolidiert.137 Die Wahrheitsfindung wird vom BGH damit als „Aufgabe“ des Zivilprozesses, nicht aber als „Zweck“ bezeichnet. Es fragt sich, ob zwischen den Begriffen des „Zwecks“ und der „Aufgabe“ echte, graduelle Unterschiede bestehen, oder ob es sich insoweit im Wesentlichen um Synonyme handelt. Denn mit Rauscher wurde oben138 definiert, dass der Prozesszweck die Aufgabe des Zivilprozesses kennzeichne, so dass es sich eigentlich um Synonyme handeln müsste. Diesbezüglich ist aufschlussreich, dass der BGH auch den Begriff des „Prozesszwecks“ kennt und verwendet. Nach Auffassung des BGH sind Prozesszwecke des Zivilverfahrens sowohl die Sicherung des Rechtsfriedens als auch die Bewährung des objektiven Rechts durch den Schutz des sich auf seinem Boden ergebenden subjektiven Rechts.139 Der BGH sieht somit sowohl subjektive Elemente (Schutz des subjektiven Rechts) als auch objektive Elemente als Bestandteile des Prozesszwecks an, räumt der Wahrheitsfindung als solcher jedoch im Rahmen des Prozesszwecks keinen eigenständigen Platz ein. Damit werden die Begriffe des Prozesszwecks und der Prozessaufgabe durch den BGH nicht synonym verwendet. Es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Prozesszweck und Prozessaufgabe in der Terminologie des BGH zueinander stehen. Hier geben die anderen beiden vorstehend herausgefilterten Thesen des BGH im Nemo tenetur-Fall 1990 Aufschluss. Bei der Prozessaufgabe scheint es sich um etwas Relatives zu handeln. Denn der Prozessaufgabe der Wahrheitsfindung sind Grenzen gezogen, nämlich die durch die Geltung der Verhandlungsmaxime bedingten. Die Prozessaufgabe in der Terminologie des BGH kann somit allenfalls mit den Prozessmaximen auf einer Stufe, jedenfalls aber nicht über diesen stehen. Anderenfalls wäre eine Grenzziehung durch die Prozessmaxime des Verhandlungsgrundsatzes nicht denkbar. Damit ist im Ergebnis klar, dass der BGH – anders als Stürner – die Wahrheitsfindung nicht an oberster Rangstelle verortet. Wenn Stürner den „absoluten“ Prozesszweck im Individualrechtschutz durch Wahrheitsfindung sieht, so kann in einem solchen Konstrukt eine im Verhältnis dazu „dienende“ Prozessmaxime dem absoluten Zweck keine Grenzen ziehen. Die Verhandlungsmaxime als solche kann also nach Stürner nicht als Argument gegen einen 137 BGH v. 26.6.1958, NJW 1958, S. 1491; BGH v. 18.5.1999, NJW 1999, S. 2887 f.; BGH v. 7.12.1999, NJW 2000, S. 1108, 1109. 138 Vgl. S. 203. 139 BGH v. 8.10.1953, BGHZ 10, S. 333, 336.
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel?
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auf Wahrheitsfindung ausgerichteten Zivilprozess dienen. Im Ergebnis lässt sich daher aus dem Prozessverständnis des BGH für erweiterte Mitwirkungspflichten de lege ferenda kein Argumentationsmaterial gewinnen. Zwar erachtet der BGH die Wahrheitsfindung als Aufgabe, sieht diese aber den Grenzen der Verhandlungsmaxime ausgesetzt und betont daher gegenüber der Wahrheitspflicht die Bedeutung der Parteiherrschaft bei der Sammlung des Tatsachenstoffs und der Beweismittel. e) Meinung des übrigen Schrifttums Nach Auffassung von Hellwig 140 , Wurzer, 141 Niese 142 und Gehrlein 143 ist der Zweck des Zivilprozesses aus moralisch-ethischen Aspekten auf Wahrheit und Gerechtigkeit ausgerichtet. Auch Gaul argumentiert, Zweck des Zivilprozesses sei die Verwirklichung des sachlichen Rechts auf der Grundlage der Wahrheit.144 Dem stehe der Beibringungsgrundsatz nicht entgegen, da dieser nur auf dem Erfahrungswert beruhe, dass die aktive Mitwirkung der Parteien der Wahrheitsfindung besser diene als die Ermittlung des Richters. 145 Bernhardt sieht die Wahrheitspflicht als „eine regulative Idee, als obersten Maßstab des Prozeßgesetzes“, durch die die Verwirklichung der Gerechtigkeit erreicht werden solle.146 Nur ein auf der Wahrheit beruhendes Urteil sei gerecht, und nur ein gerechtes Urteil könne zur Bewährung der Rechtsordnung beitragen. 147 E. Schmidt geht vom Prinzip der materiellen Wahrheit aus und definiert den Zweck des Zivilprozesses als „richterliche Schlichtung sozialer Konflikte an Hand des je festzustellenden wie zu konkretisierenden Rechts auf der Grundlage materieller Wahrheit.“148 Grunsky verneint demgegenüber wegen der Möglichkeit des Geständnisses, des Verzichts und des Anerkenntnisses die Einordnung der Wahrheitsfindung als Prozesszweck. 149 Er folgt damit der Auffassung Wachs, der meint, im Zivilprozess gehe es nur um das Finden einer „formellen Wahrheit“, also einer verfahrensmäßig zustande gekommenen Erkenntnis des Gerichts, nicht aber um die Ermittlung des tatsächlich Geschehenen (materielle Wahrheit).150 Ähnlich Hellwig, Lehrbuch, 1907, S. 41 ff. Wurzer, ZZP 48 (1920), S. 463, 474. 142 Niese, Prozesshandlungen, 1950, S. 16, 19. 143 Gehrlein, ZZP 119 (1997), S. 451, 479. 144 Gaul, AcP 168 (1968), S. 27, 53. 145 Gaul, AcP 168 (1968), S. 27, 50. 146 Bernhardt, JZ 1963, S. 245, 246. 147 Bernhardt, JZ 1963, S. 245, 246 f. 148 E. Schmidt, Zweck des Zivilprozesses, 1973, S. 38. 149 Grunsky, Grundlagen, 1974, S. 4. 150 Wach, Vorträge, 1896, S. 149; ders., Grundfragen, 1914, S. 27. Auf der anderen Seite definiert Wach den Zweck des Zivilprozesses als „Wahrung der Gerechtigkeit“, vgl. Wach, Handbuch, Bd. 1, 1885, S. 5. 140 141
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hatte bereits Mittelstaedt formuliert: „Der Richter soll sich nicht um den wahren Sachverhalt kümmern, er geht ihn nichts an, sondern er soll den Streitstoff, der ihm vorgelegt wird, entscheiden.“151 Die Feststellung der objektiven Wahrheit sei nicht Prozesszweck, sondern allenfalls „Mittel zum Zweck“ oder „zufälliges Resultat“, weil der Richter infolge des Verhandlungsgrundsatzes unbestrittenen Vortrag als wahr unterstellen muss, unabhängig davon, ob der Vortrag der Wahrheit entspricht. 152 Die Ausrichtung auf eine „materielle Wahrheit“ sei demnach nur im Offizialverfahren, so zum Beispiel im Strafprozess denkbar.153 Brehm meint, die Stürner’sche „neue Wahrheit“ sei nichts anderes als die „formelle Wahrheit“ Wachs.154 Darüber hinausgehend ist er der Auffassung, der grundlegende Irrtum einer Einordnung der Wahrheitsfindung als Prozesszweck liege in der Annahme, „nur ein Urteil, das der materiellen Rechtslage entspreche, könne wahrhaft gerecht sein.“ 155 Es komme nämlich „nicht allein darauf an, ob dem Urteil tatsächlich der wahre Sachverhalt zu Grunde gelegt wird. Mindestens genauso wichtig [sei] […] es, daß die Wahrheit verfahrensgemäß ermittelt wurde.“ 156 Die Wahrheit sei in der ZPO mithin nicht verabsolutiert. Allerdings betont er, dass die Verneinung eines auf Wahrheitsfindung angelegten Zivilprozesses nicht dahingehend missverstanden werden dürfe, dass die Wahrheitsfindung gering geachtet werde; vielmehr sei die Wahrheitsfeststellung auch bei Ablehnung eines zivilprozessualen Wahrheitszwecks eine der wesentlichen Aufgaben des Richters.157 Auch Arens wehrt sich gegen eine Verabsolutierung des Wahrheitsgedankens und betont, dass das Spannungsverhältnis von Wahrheitspflicht und Verhandlungsmaxime bei der Bestimmung des Prozesszwecks nicht einseitig zugunsten der Wahrheitsfindung aufgelöst werden dürfe.158 Larenz ordnet die Wahrheitsfindung als „sehr wichtige[n], aber nicht einzige[n] Zweck des Zivilprozesses“ ein. 159 Dies entspricht der heute überwiegenden Meinung in der Literatur, die die Wahrheitsfindung nicht als Zweck des Zivilprozesses, sondern lediglich als Mittel zum Zweck oder als Zwischenziel ansieht.160
Mittelstaedt, JW 1913, Zugabe zu Nr. 20, S. 64, 65. Wach, Vorträge, 1896, S. 26, sowie ders., Grundfragen, 1914, S. 149. 153 Wach, Vorträge, 1896, S. 149. 154 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 25. 155 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 26. 156 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 27. 157 Stein/Jonas-Brehm, ZPO, 2014, vor § 1, Rn. 25 f. 158 Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 12. 159 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 1995, S. 195. 160 So zum Beispiel Wach, Grundfragen, 1914, S. 26 f.; Chudoba, Beweisantrag, 1992, S. 163 f.; Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 28; Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 12; Zeuner, in: FS Beys, Bd. 2, 2003, S. 1787, 1790 f. 151 152
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4. Die Wahrheitspflicht der Parteien Möglicherweise lassen sich aus der Wahrheitspflicht der Parteien Rückschlüsse auf den Stellenwert der Wahrheitsfindung im dogmatischen Gefüge des Zivilprozessrechts gewinnen. Die enge Verquickung von Wahrheitspflicht und Wahrheitsfindung drängt sich auf, und das mögliche konfliktbeladene Verhältnis beider klingt insbesondere in der oben zitierten Entscheidung des BGH an. Die im darstellenden Teil 161 bereits skizzierte Pflicht zur subjektiven Wahrhaftigkeit und Vollständigkeit i.S.d. § 138 Abs. 1 ZPO war nicht seit jeher in der ZPO verankert. Vielmehr wurde sie erst im Jahr 1933 gesetzlich etabliert. Zuvor war der Grund der fehlenden Normierung umstritten.162 Während die einen der Auffassung waren, dass das Bestehen der Wahrheitspflicht als selbstverständlich vorausgesetzt wurde,163 meinten die anderen, die fehlende Normierung entspringe einer bewussten Entscheidung gegen eine solche Pflicht; sie sei dem liberalen Zeitgeist der CPO mit ihrem Zweikampfgedanken, der auch die Prozesslüge gestatte, geschuldet.164 Welche Ansicht zutrifft, lässt sich anhand der Entstehungsgeschichte der CPO nicht eindeutig klären. 165 Kommt eine Partei ihrer Pflicht zu subjektiver Wahrhaftigkeit nicht nach, so hat das erkennende Gericht die Behauptung unberücksichtigt zu lassen.166 Eine Strafsanktion, etwa in Gestalt einer negativen Kostenfolge, gilt im deutschen Zivilprozess nicht.167 Unter Umständen kommt aber eine Strafbarkeit wegen Prozessbetrugs in Betracht. Aus der Pflicht zur subjektiven Wahrhaftigkeit lässt sich jedoch kein Rückschluss herleiten für die Frage, ob die Wahrheitsfindung Zweck des Zivilprozesses ist. Denn ein auf Wahrheitsfindung ausgerichteter Prozess bedingt nicht eine Wahrheitspflicht, wie das Beispiel des Strafprozesses zeigt, in dem es auf Grund der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes weniger Einschränkungen des Strebens nach Wahrheitsermittlung gibt und in dem der Angeklagte dennoch schweigen darf. Selbst wenn eine Verbindung zwischen Wahrheitspflicht und Wahrheitsfindung in der einen Richtung bestünde, ließe dies jedenfalls nicht den Umkehrschluss zu, dass überall dort, wo die Wahrheitspflicht regiert, auch eine
S. 82 f. Vgl. dazu Olzen, ZZP 98 (1985), S. 403, 413 f. 163 Hellwig, Lehrbuch, 1907, S. 44. 164 Nelte, Wahrheitspflicht, 1935, S. 6.; Kress, Wahrheitspflicht, 1939, S. 9. Ein vehementer Gegner war insbesondere Wach, Grundfragen, 1914, S. 35, der provokativ fragte: „Und die Zivilpartei sollte rechtlich verpflichtet sein, um der Wahrheit […] willen als Zeuge in eigener Sache gegen ihr eigenes Fleisch zu wüten? Wer das behauptet, ermangelt der tieferen Einsicht in das Wesen des Zivilprozesses, ja des Rechts und seines Verhältnisses zur Moral“. 165 Olzen, ZZP 98 (1985), S. 403, 413. 166 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 14. 167 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 14. 161 162
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
Wahrheitsfindung der primäre Zweck ist. Vielmehr kann die Wahrheitsfindung hier auch lediglich Mittel zum Zweck sein. 5. Wandel des Prozesszwecks? Greger meint, dass sich – unabhängig von obiger Diskussion – der Zweck des Zivilprozesses ohnehin gewandelt habe. Prozessuale Prinzipien, die seit dem vorvergangenen Jahrhundert das Agieren der Beteiligten bestimmt hätten, würden durch neue Maximen, Verfahrensregeln und Verhandlungsformen verdrängt.168 Dieser Wandel sei drei wesentlichen Entwicklungen geschuldet. Die erste sei die Entwicklung „von der Arena zum Verhandlungstisch“. 169 Die zweite Entwicklung sei die „von der Parteiherrschaft zum Prozessmanagement“.170 Der dritte Wandel sei der „von der Konfrontation zur Kooperation“.171 So werde nunmehr der konsensualen Konfliktbereinigung Vorrang vor der kontradiktorischen Rechtsdurchsetzung im Prozess eingeräumt. Ferner werde die Parteiherrschaft durch die Stärkung der richterlichen Prozessleitungsmacht zurückgedrängt. An die Stelle des Zweikampfes vor dem Richter sei infolge des Ausbaus der Hinweispflichten des Gerichts gem. § 139 ZPO sowie der erweiterten Editionspflichten gem. §§ 142, 144 ZPO die Kooperation der Parteien mit dem Gericht getreten. Ein kooperativer anstelle eines konfrontativen Weges sei etwa mit der Etablierung der sekundären Behauptungslast beschritten worden. Damit würden Billigkeit, Ausgleich und Menschlichkeit in den Vordergrund gestellt, so dass das Ziel des Zivilverfahrens das Befrieden mittels konstruktiver Wahrnehmung des Rechts sein sollte.172 6. Stellungnahme Was hat man daraus zu schließen? a) Zwischenergebnis Prozesszweck Weder Rechtsprechung noch herrschende Lehre räumen der Wahrheitsfindung einen Platz in der so genannten Prozesszweckdiskussion ein. Als Elemente der Prozesszweckdiskussion werden von der h.M. lediglich anerkannt: Feststellung und Durchsetzung subjektiver Rechte von Privatrechtssubjekten, Bewährung und Fortbildung der Privatrechtsordnung, also des objektiven Rechts, sowie die Befriedung durch materielle Konfliktentschärfung. Streitig ist dabei die genauere Einordnung der einzelnen Elemente, insbesondere ob als Hauptzweck,
Greger, in: FS Beys, 2003, S. 459. Greger, in: FS Beys, 2003, S. 459, 461. 170 Greger, in: FS Beys, 2003, S. 459, 464. 171 Greger, in: FS Beys, 2003, S. 459, 465. 172 Greger, in: FS Beys, 2003, S. 459, 472. 168 169
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel?
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als Nebenzweck oder als bloßer Reflex. Dabei sind einige173 der Auffassung, dass sämtliche Elemente den Prozesszweck in einem Sowohl-als-auch-Verhältnis ausmachen, während andere nur die Durchsetzung subjektiver Rechte, die Bewährung der Privatrechtsordnung oder den Rechtsfrieden als Hauptzweck und die jeweils anderen Elemente lediglich als Nebenzweck oder als Reflex ansehen. Es dürfte allerdings heute nicht mehr streitig sein, dass das der CPO zu Grunde liegende liberale Prozessmodell durch eine soziale Komponente überlagert worden ist. Die Ideen von Klein, denen zufolge dem Prozess als „Massenerscheinung“ und als staatlicher „Wohlfahrtseinrichtung“ eine soziale Bedeutung zukomme, haben auch in der deutschen Prozessualistik Eingang gefunden. 174 Durch die Novellengesetzgebung hat dieser Gedanke seine positivrechtliche Verankerung erfahren, indem die Parteiherrschaft zugunsten stärkerer richterlicher Prozessleitung sowie durch die Verankerung der Wahrheitspflicht eingeschränkt worden ist. Daraus folgert Gaul zu Recht, dass seitdem kein Zweifel mehr daran bestehen könne, dass der Zivilprozess zugleich auch der Bewährung des objektiven Rechts diene.175 Auch Bernhardt hatte bereits unter Berufung auf Rosenberg 176 betont, dass es nicht um ein dogmatisches „Entweder-Oder“ gehe, sondern um die sich ergänzenden Gegensätze des objektiven und subjektiven Rechts: Der Zivilprozess diene sowohl den Parteien zur Durchsetzung ihrer Rechte als auch dem staatlichen Interesse an der Bewährung der Rechtsordnung und der Erhaltung und Herstellung des Rechtsfriedens.177 Das Gebot der Wahrheitsfindung stellt mithin keinen Prozesszweck dar. b) Zwischenergebnis Stellung der Wahrheitsfindung Brehm betont die Aufgabe des Richters, die Wahrheitsfindung zu fördern. Diese ist in der Tat insbesondere durch seine Pflicht zur materiellen Verfahrensleitung verankert, die dazu beiträgt, die Wahrheit herauszufinden, wenn auch in den durch den Dispositions- und Beibringungsgrundsatz gesetzten Grenzen.178 Umgekehrt sind der Ermittlung der Wahrheit durch verschiedene prozessuale Vorschriften Grenzen gezogen, zum Beispiel durch die Präklusion verspäteten Vorbringens (§§ 282, 296 ZPO), die Zeugnisverweigerungsrechte (§§ 383, 384 ZPO) sowie die Beweisverbote. Überdies steht es den Parteien wegen des Beibringungsgrundsatzes frei, übereinstimmend dem Gericht eine nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmende Tatsachengrundlage zu unterbreiten.179 Indes
So zum Beispiel Gaul, AcP 168 (1968), S. 27, 46 f. So Gaul, AcP 168 (1968), S. 47. 175 Gaul, AcP 168 (1968), S. 48. 176 Rosenberg, Lehrbuch, 1927, S. 2 f. 177 Bernhardt, in: FG Rosenberg, 1949, S. 9. 178 Zweigert/Kötz, Comparative Law, 1998, S. 273. 179 Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 37. 173 174
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
stellt Stürner 180 – und ihm folgend Lorenz 181 – fest, dass Letzteres nur ein scheinbarer Konflikt ist: Denn indem die Parteien sich auf einen Sachverhalt einigen, der von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht, ordnen sie die Sach- und Rechtslage im Verhältnis zueinander neu und schaffen so eine neue Wahrheit durch ihr Einigsein. 182 Überdies werden die Kontrahenten des Rechtsstreits in der Regel gegenläufige Interessen verfolgen, so dass davon auszugehen ist, dass sie sich bei der Sachverhaltsdarstellung gegenseitig kontrollieren und nicht eine Partei der Wahrheit zuwider eine ihr ungünstige Tatsache zugesteht.183 Allerdings überzeugt es nicht, die angebliche nicht verbürgte Wahrheitsfindung durch eine Berufung auf die vorgenannten prozessualen Vorschriften zu untermauern, wie einige 184 es versuchen. Dass diese einer Wahrheitsfindung Grenzen ziehen, ist unbestritten. Gleichwohl stellt sich doch die Frage, ob die Wahrheitsermittlung nicht Gebot des Zivilprozesses ist und ob die genannten Vorschriften nicht lediglich als Einschränkungen eines solchen Postulates einzuordnen sind. Sehr überzeugend führt Greger aus, dass im Idealfall der wirkliche und der für wirklich gehaltene Sachverhalt übereinstimmen und dass dies auch anzustreben sei. Abweichungen seien wegen des Dispositionsgrundsatzes, des Beibringungsgrundsatzes, des Prozessbetrugs, falscher Zeugenaussagen o.ä. denkbar. Derartiges müsse die Rechtsordnung hinnehmen, eine richtige Sachverhaltsermittlung in jedem Einzelfall könne nicht gewährleistet werden. Ein solches Auseinanderklaffen sei jedoch grundsätzlich unerwünscht. Wichtig sei daher, dass die vorhandenen Mittel zur Wahrheitsfindung optimal ausgenützt würden.185 Für diese These Gregers spricht die Einbeziehung der Erkenntnisse der Verfahrenspsychologie. So plädiert Meier für die Einbeziehung der Verfahrenspsychologie bei der Rechtssetzung und Ausgestaltung des Verfahrens anhand eines Fragenkatalogs: Wie sehen die Betroffenen das Verfahren? Was für Empfindungen haben sie dabei? Welche Bedürfnisse haben sie? Werden diese Bedürfnisse befriedigt? Anhand einer Auswertung dieser Fragestellungen kommt Meier rechtsordnungsübergreifend zu dem Ergebnis, dass es für die Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 51. Lorenz, ZZP 11 (1998), S. 35, 37. 182 Diese Argumentation hält indes Wagner, Prozessvertäge, 1998, S. 622, Fn. 52 nicht für überzeugend, da durch diesen Versuch Dispositionsmaxime und Wahrheitspostulat nicht miteinander „versöhnt“ werden könnten. 183 Bernhardt, in: FG Rosenberg, 1949, S. 9, 13 f. 184 So aber Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 37 mit dem Argument, schon ein oberflächlicher Blick mache klar, dass der Entdeckung der Wahrheit natürliche Grenzen gesetzt seien, so dass es wenig sinnvoll sei, dem Zivilprozess einen Zweck voranzustellen, dessen Erreichen von vornherein in Frage gestellt sei. 185 Greger, Beweis, 1978, S. 2. 180 181
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel?
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Akzeptanz – insbesondere eines nachteiligen Urteils – nicht nur darauf ankomme, ein möglichst perfektes Urteil zu erzielen, sondern dass es auch darum gehe, ein Verfahren einzurichten, das den Parteien die Möglichkeit gebe, Fairness zu erfahren und zu erleben.186 Er stützt seine Ergebnisse auf experimentelle und rechtstatsächliche Untersuchungen US-amerikanischer Forscher, namentlich des Juristen Laurens Walker und des Sozialpsychologen John Thibaut.187 Diese haben die Frage untersucht, welche Bedeutung das Ausmaß der Verfahrenskontrolle darauf hat, ob ein Verfahren als fair empfunden wird, und kamen zu dem Ergebnis, dass das adversary model gegenüber dem so genannten angeblichen inquisitorial model des europäischen Zivilprozesses unter dem Gesichtspunkt der Fairnessbeurteilung durch die Parteien vorgezogen werde.188 Erklärung für diese Fairnessbeurteilung könnte mithin also auch ein unterschiedliches Wahrheitskonzept in beiden Rechtskreisen sein, dem im angloamerikanischen Rechtskreis ein höherer Stellenwert zukommt als im deutschen Rechtskreis. Diese Erkenntnisse zur Fairnessbeurteilung könnten Anreiz für das deutsche Zivilprozessrecht sein, zukünftig die bislang zugewiesene Stellung der Wahrheitsfindung zu hinterfragen. Denn der eigenständige Wert der Fairness wird nach Maier in jüngerer Vergangenheit vermehrt auch in Verfahren zur Verteilung von Gütern und Lösung von Konflikten in der Ökonomie erkannt und betont, da der moderne Marktteilnehmer – anders als der traditionelle homo oeconomicus – nicht nur die Maximierung von materiellem Eigennutzen, sondern auch immaterielle Werte, wie das Erleben von Fairness, anstrebe.189 Damit sollte im Greger’schen Sinne eines unbestritten sein: Selbst wenn die Wahrheitsfindung nicht garantiert ist, ist ihre Erforschung gleichwohl Idealziel des Zivilprozesses.190 Oder anders formuliert: ein Verfahren ist umso qualitativ hochwertiger, je größer die Schnittmenge zwischen formeller und materieller Wahrheit ist.191 Diese Erkenntnis hilft im Rahmen der Fragestellung dieses Teils durchaus weiter. Denn aus der fehlenden Garantie wäre nur zu schließen, dass eine Öffnung für mehr Zugang zu Information und Beweis nicht zwingend geboten ist. Dennoch sollte ein Verfahren, das sich mit obiger Prämisse messen möchte, bestrebt sein, ein möglichst hohes Maß an materieller Wahrheitsfindung und damit auch einen möglichst großzügigen Zugang zu Information und Beweis sicherzustellen, solange dieser nicht an berechtigte GegeninteMeier, in: FS Leipold, 2009, S. 679, 694. Thibaut/Walker, Procedural Justice, 1975. Vgl. dazu auch Röhl, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1993, S. 1 ff; Bierbrauer/Klinger, Verfahrensgerechtigkeit, 2008, S. 507, 508 ff. 188 Meier, in: FS Leipold, 2009, S. 679, 680. 189 Meier, in: FS Leipold, 2009, S. 679, 681. 190 So Lorenz ZZP 111 (1998), S. 35, 36. 191 So Unberath, ZZP 120 (2007), S. 323, 324; ebenso Bernhardt, in: FG Rosenberg, 1949, S. 9, 32. 186 187
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
ressen stößt. Solche Gegeninteressen können jedoch häufig Persönlichkeitsrechte des Gegners darstellen. Ihr Verhältnis ist im Folgenden anhand der Rechtslage für rechtswidrig erlangte Tatsachen und Beweismittel zu klären. 7. Das Verhältnis von Wahrheitsfindung und Persönlichkeitsrecht am Beispiel der Verwertung rechtswidrig erlangter Tatsachen und Beweismittel a) Einführung In jüngerer Zeit werden Aspekte des Persönlichkeitsschutzes in einer Weise betont, die nicht ohne Einfluss auf die Stellung der Wahrheitsfindung sowie die Zulässigkeit erweiterter Mitwirkungspflichten des Gegners bei der Sachverhaltsermittlung bleibt. So spricht Zeuner von unübersehbaren Beschränkungen der Wahrheitsermittlung im Beweisrecht durch verstärkte Rücksichtnahme auf Aspekte des Persönlichkeitsschutzes.192 Leipold meint, das vom BVerfG anerkannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die starke Betonung des Datenschutzes in der gegenwärtigen Rechtsentwicklung ließen die im Verhältnis zu ausländischen Rechtsordnungen eingeschränkteren Zugangsrechte zu Information und Beweis im deutschen Zivilprozessrecht als zeitgemäß erscheinen. 193 Vergleichbares klingt auch bei Rosenberg/Schwab/Gottwald194 an. Das Spannungsfeld von allgemeinem Persönlichkeitsrecht und Wahrheitsfindung soll im Folgenden am Beispiel der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel untersucht werden. Dabei geht es um Fälle, in denen die Informations- und Beweisnot einer Partei dadurch kompensiert wird, dass diese Partei sich die benötigten Informationen oder Beweise in rechtswidriger Weise beschafft. Hier stellt sich die Frage, ob die so erlangten Informationen bzw. Beweise im Zivilprozess verwertet werden dürfen. Eine Befugnisnorm zur Ablehnung des Beweismittels ist erforderlich, sofern die beweisbelastete Partei für eine erhebliche und beweisbedürftige Tatsache ein Beweismittel angeboten hat. Denn anderenfalls würde durch die fehlende Berücksichtigung erheblichen Vortrags einer Partei ohne rechtlichen Grund der verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör 195 sowie der Justizgewährungsanspruch, demzufolge das Gericht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes auch zur vollständigen Nachprüfung in
Zeuner, in: FS Beys, Bd. 2, 2003, S. 1787, 1808. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 30 f. 194 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 109, Rn. 8: die der Ablehnung der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht zugrundeliegende Haltung, dass grundsätzlich niemand seinem Gegner helfen müsse, liege auf einer Linie mit dem strikten Schutz der Privatsphäre sowie dem Schutz privater Geheimnisse und Geschäftsgeheimnisse im deutschen Zivilprozess. 195 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, vor § 128, Rn. 65 f. 192 193
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel?
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tatsächlicher Hinsicht verpflichtet ist, 196 verletzt. Eine solche Befugnisnorm sieht die ZPO jedoch – anders als die StPO – nicht vor.197 Es ist daher streitig, wie in Fällen zu verfahren ist, in denen der Beweisführer die Beweismittel unter Eingriff in die Rechte des Beweisgegners gewonnen hat und sie nunmehr in den Prozess einführen möchte. Während einige unter Hinweis auf die Wahrheitsermittlung, die stets Vorrang vor dem Schutz individueller Interessen haben soll, 198 oder wegen des ausreichenden Schutzes vor rechtswidrigen Handlungen durch materiellrechtliche Vorschriften 199 von einer gänzlichen Verwertbarkeit derartiger Beweismittel ausgehen, lehnen andere diese wegen der Einheit der Rechtsordnung 200 und wegen des das Prozessrecht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben 201 rundweg ab. Nach einer vermittelnden Auffassung kommt es auf die Schwere der Rechtsverletzung an. Danach ist ein rechtswidrig erlangtes Beweismittel nur dann unverwertbar, wenn durch die Beweisgewinnung in verfassungsrechtlich geschützte Individualpositionen eingegriffen wird, und dieser Eingriff nicht durch eine Güterabwägung gerechtfertigt ist.202 Demgegenüber hindert ein Verstoß gegen einfaches Recht die Verwertbarkeit nicht. Das prozessuale Beweisverwertungsverbot wird im Fall eines Verstoßes gegen ein verfassungsrechtlich geschütztes Individualrechtsgut unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet. 203 Dieser Auffassung ist die Rechtsprechung gefolgt und geht im Fall eines Eingriffs in ein verfassungsrechtlich geschütztes Individualgut nur dann von einer zulässigen Beweisverwertung aus, wenn der Eingriff ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Nach Auffassung des BVerfG reicht bei der Abwägung zwischen dem Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das bloße Interesse, sich Beweismittel zu sichern, nicht aus.204 Dem Interesse an der Verwertung komme nur dann das größere Gewicht zu, wenn weitere, über das bloße Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzukommen, die ergeben, dass das Verwertungsinteresse trotz der Grundrechtsbeeinträchtigung schutzbedürftig ist. 205 Im Folgenden Stein/Jonas-Brehm, ZPO, 2014, vor § 1, Rn. 287, 295. Brinkmann, AcP 206 (2006), S. 746, 750; Katzenmeier, ZZP 2003, S. 375, 378. 198 So z.B. Werner, NJW 1988, S. 993 ff. 199 Dauster/Braun, NJW 2000, S. 313, 317. 200 So LAG Berlin v. 15.2.1982, JZ 1982, S. 258; LG Kassel v. 31.8.1989, NJW-RR 1990, S. 62; Siegert, NJW 1957, S. 690; Konzen, Rechtsverhältnisse, 1976, S. 244 ff. 201 So Baumgärtel, ZZP 69 (1956), S. 203 ff. 202 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 284, Rn. 56; Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 286, Rn. 15 a. 203 Vgl. OLG Karlsruhe v. 25.2.2000, NJW 2000, S. 1577, 1587. 204 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 110, Rn. 24 f. 205 BVerfG v. 9.10.2002, BVerfGE 106, 28, 49 f.; BVerfG v. 13.2.2007, NJW 2007, S. 753, 758. 196 197
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
wird das Spannungsverhältnis zwischen Wahrheitsermittlung und Persönlichkeitsrecht anhand dreier Fallbeispiele näher beleuchtet. (1) Hormonpräparate Im Hormonpräparate-Fall machte die Klägerin gegenüber dem beklagten Arzt Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen ungewollter Schwangerschaft und Geburt eines Kindes mit der Begründung geltend, der Beklagte habe ihr gesagt, die Hormonpräparate, die sie seinerzeit einzunehmen begann, hätten empfängnisverhütende Wirkung. Dies bestritt der Beklagte im Prozess und legte eine Patientenkarte vor, deren Inhalt seine Behauptung stützte. Demgegenüber macht die Klägerin geltend, die Patientenkarte sei erst nachträglich angefertigt worden. Zum Beweis ihrer Behauptung über den Inhalt des ärztlichen Behandlungsgesprächs, in dem die strittige Aussage des Arztes gefallen sein soll, möchte sie eine Tonbandaufnahme einführen, mit der sie heimlich das Behandlungsgespräch aufgezeichnet hat. Zur Frage der Verwertbarkeit der Tonbandaufnahme führt der BGH aus: „Ohne Verfahrensfehler hat das BerGer. freilich eine beweisrechtliche Verwertung der vom Kl. gefertigten Tonaufzeichnung über ein solches Beratungsgespräch abgelehnt. Wie das BerGer. zutreffend ausführt, hat der [sic!] Kl. mit der ohne Wissen des Bekl. gefertigten Tonaufzeichnung gegen das gem. Art. 1, 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Persönlichkeitsrecht des Bekl. verstoßen. Über die Frage, ob eine in solcher Weise erstellte Aufzeichnung als Beweismittel in einem Zivilprozeß verwendet werden darf, ist auf Grund einer Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Verletzten und dem Interesse des Verletzers an der beweismäßigen Verwertung zu entscheiden; dabei kann dem Interesse des Verletzers nur in besonderen Ausnahmefällen der Vorrang zukommen […]. Das BerGer. hat hier eine eingehende Abwägung der beiderseitigen Interessen vorgenommen und auf dieser Grundlage eine beweismäßige Verwertung der vom Kl. hergestellten Tonaufzeichnung abgelehnt. Dies läßt entgegen der Rüge der Revision keinen Rechtsfehler erkennen.“ 206
Die Abwägung zwischen dem Interesse an der beweismäßigen Verwertung und dem Persönlichkeitsrecht zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat der BGH im Ergebnis nicht beanstandet. (2) Fangschaltung Anders als der Hormonpräparate-Fall liest sich jedoch die oben207 dargestellte Fangschaltungs-Entscheidung, in der das BVerfG die Verwertbarkeit eines Beweismittels, das unter Grundrechtsverstoß erlangt worden war, zuließ.208
BGH v. 3.6.1997, NJW 1998, S. 155. S. 158 f. 208 BVerfG v. 25.3.1992, NJW 1992, S. 1875. 206 207
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(3) Mithören von Telefongesprächen Mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2002 hat das BVerfG eine jahrelange und durch den BGH gebilligte Praxis der Fachgerichte, auf Antrag Beweismittel zu verwerten, die durch eine Mithör-Einrichtung am Telefon ohne Wissen des Gesprächspartners gewonnen wurden, für unzulässig erklärt.209 Nach Auffassung des BVerfG stellt die zivilgerichtliche Verwertung von Zeugenaussagen über den mittels einer Mithöreinrichtung ohne Wissen des Gesprächspartners wahrgenommenen Inhalt von Telefongesprächen einen Eingriff in das Recht am gesprochenen Wort als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Das Selbstbestimmungsrecht der Kommunikationsteilnehmer solle den Sprecher auch dazu befähigen, sich auf mögliche Folgen seiner Kommunikation einzustellen und Äußerungen von rechtlicher Relevanz zu unterlassen, wenn ihm bewusst ist, dass ein Dritter zuhört und somit das Gehörte in einer künftigen rechtlichen Auseinandersetzung im Wege des Beweises eingeführt werden kann.210 Der Eingriff durch die Mithöreinrichtung sei auch nicht gerechtfertigt. Zwar stehe im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Erfordernis einer wirksamen Rechtspflege sowie das Streben nach einer materiell richtigen Entscheidung gegenüber, weshalb die Gerichte grundsätzlich hinsichtlich erheblicher und beweisbedürftiger Umstände die von den Parteien angebotenen Beweismittel zu berücksichtigen hätten. 211 Dieses schlichte Beweisinteresse rechtfertige eine Persönlichkeitsbeeinträchtigung jedoch nur, wenn weitere Aspekte hinzutreten, aus denen sich eine besondere Schutzbedürftigkeit ergibt, so zum Beispiel, wenn der Beweisführer sich in einer notwehrähnlichen Lage befinde, er sich Verleumdungen durch einen unbekannten Anrufer ausgesetzt sehe, der sich als eine andere Person ausgibt, oder aber wenn er Opfer nicht anders abwehrbarer krimineller Angriffe auf seine berufliche Existenz, etwa durch Produktpiraterie, sei.212 b) Auswertung der Fälle Allen drei Fällen ist gemeinsam, dass eine Partei zum Beweis der von ihr behaupteten Umstände ein Beweismittel in den Prozess einführen wollte, das in rechtswidriger Art und Weise erlangt worden ist. Im Fall der Hormonpräparate ist eine Tonbandaufnahme in rechtsverletzender Weise gefertigt worden, im Mithör-Fall wurde ein Telefongespräch mittels einer Mithöreinrichtung abgehört und im Fall der Fangschaltung sind Sachverhaltsumstände mittels einer BVerfG v. 9.10.2002, NJW 2002, S. 3619. BVerfG v. 9.10.2002, NJW 2002, S. 3619, 3622. 211 BVerfG v. 9.10.2002, NJW 2002, S. 3619, 3624. 212 BVerfG v. 9.10.2002, NJW 2002, S. 3619, 3624. 209 210
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
ebenfalls rechtsverletzenden Fangschaltung ermittelt worden. In allen drei Fällen wurde in Grundrechte der Gegenseite eingegriffen. Dennoch sind sie im Ergebnis anders entschieden worden, im Hormonpräparate- und im MithörFall wurde dem Beweisinteresse der informationsbedürftigen Partei nicht abgeholfen, im Fangschaltungs-Fall hingegen schon. Es stellt sich die Frage, ob dieses Ergebnis durch Besonderheiten in den jeweiligen Sachverhalten zu erklären ist. Ein erster Unterschied zwischen den Fällen besteht darin, dass im Hormonpräparate-Fall und im Mithör-Fall „nur“ das Beweisinteresse in Frage stand, im Fangschaltungs-Fall dagegen zusätzlich auch das Persönlichkeitsinteresse des Verletzers. Darüber hinaus bestand im Fangschaltungs-Fall eine klare Beweisnot, wohingegen im Hormonpräparate-Fall möglicherweise noch das Mittel des Zeugenbeweises des Ehemannes zur Verfügung stand. Ein dritter Unterschied ergibt sich daraus, dass im Fangschaltungs-Fall die Rechtsverletzung, die den Beweis ermöglichte, erst begangen wurde, nachdem die behauptete schädigende Handlung begangen worden war, wohingegen im Hormonpräparate-Fall und im Mithör-Fall die Persönlichkeitsverletzung durch die Patientin (Tonbandaufnahme) bzw. den Geschäftspartner (Mithören) und die behauptete Handlung (fehlerhafte Aufklärung des Arztes bzw. vertragliche Vereinbarung am Telefon) gleichzeitig stattfanden. Es fragt sich, ob diese Besonderheiten die unterschiedliche Bewertung der Fälle erklären können. Im Fangschaltungs-Fall wog der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht möglicherweise besonders schwer, war die Beweisnot besonders groß und wurde der Eingriff erst als Reaktion auf die schädigende Handlung vorgenommen, wohingegen er im Hormonpräparate- und im Mithör-Fall rein vorsorglich simultan erfolgte. Auf der anderen Seite stand dem Persönlichkeitsinteresse des Verletzers in der Fangschaltungs-Entscheidung nicht „nur“ der Eingriff in das Persönlichkeitsinteresse des Gegners, sondern zusätzlich ein Eingriff in das verfassungsrechtliche Fernmeldegeheimnis gegenüber, der ohne Vorhandensein einer gesetzlichen Grundlage erfolgte. Vermutlich war es eine Kombination aus zwei Aspekten, die zu der unterschiedlichen Bewertung der Fälle geführt hat: Zum einen des Aspekts, dass das Persönlichkeitsinteresse in der Abwägung in der Regel jedenfalls gegenüber dem schlichten Beweisinteresse überwiegen soll und zum anderen des Umstands, dass im Fangschaltungs-Fall das rechtswidrige Beweismittel erst geschaffen wurde, nachdem die Persönlichkeitsverletzung bereits begangen worden war. Dafür gibt es zwar in der Hormonpräparate-Entscheidung keine expliziten Anhaltspunkte, jedoch heißt es jedenfalls im Mithör-Fall, dass das schlichte Beweisinteresse die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung nur rechtfertige, wenn besondere Umstände hinzutreten. Daraus ergibt sich auch für die oben aufgeworfene Frage, ob sich ein Recht auf Beweis – wie von Schlosser angenommen – aus dem Fangschaltungs-Fall ableiten lässt, dass dies nicht der Fall ist. Vielmehr soll das Beweisinteresse
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gegenüber dem Persönlichkeitsrecht nur ausnahmsweise den Vorrang haben. Für Fälle der Informationsnot kommt es damit aus der Perspektive des Rechts auf Beweis auf eine Einzelfallabwägung an, die keine generalisierenden ex-ante Schlüsse auf eine etwaige Rechtslage de lege ferenda zulässt, im Rahmen derer es ja auch um Beschneidungen der freien Entschließung einer Partei, was sie in den Prozess einführen möchte und was nicht, gehen wird. III. Rechtsvergleichende Betrachtung 1. Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel In Jones v. University of Warwick wurde anders als im Hormonpräparate-Fall und im Mithör-Fall eine Verwertbarkeit der rechtswidrig erlangten Beweismittel gestattet. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den drei Fällen könnte auch hier darin liegen, dass die heimlichen Aufzeichnungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten getätigt worden sind. Im Hormonpräparate-Fall ist die Aufnahme bereits gemacht worden, bevor überhaupt ein Rechtsstreit oder irgendeine Form der Auseinandersetzung zwischen den Parteien bestand. In Jones v. University of Warwick ergibt sich aus dem Sachverhalt nicht eindeutig, ob die Aufnahmen erst während des laufenden Verfahrens oder bereits im Vorfeld gemacht worden sind. Fest steht aber jedenfalls, dass sie erst erfolgten, als bereits ein Streit zwischen den Parteien entbrannt war. In letzterem Fall bestanden daher aus Sicht der Beklagten bereits Anhaltspunkte für einen (möglicherweise auch erst späteren) Prozessbetrug der Klägerin. Das kann im Hormonpräparate-Fall nicht so gewesen sein. Dort erfolgte die Aufnahme wohl rein vorsorglich, für den Fall, dass der Inhalt des Gesprächs irgendwann einmal in noch nicht näher erkennbaren Umständen als Beweismittel benötigt werden könnte. Auf der anderen Seite konnten in Jones v. University of Warwick zu dem Zeitpunkt, zu dem die Aufnahmen getätigt wurden, ebenfalls keine erhärteten Anhaltspunkte für einen Prozessbetrug bestehen. Denn das Problem der Beklagten bestand ja nicht darin, dass sie aus eigener Wahrnehmung Gewissheit über den strittigen Umstand – die fehlende fortbestehende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Hand der Klägerin – hatte und es ihr lediglich an Mitteln fehlte, dies zu beweisen. Vielmehr verhielt es sich so, dass sie Letzteres allenfalls für möglich hielt und somit erst „ausforschen musste“, ob dies auch tatsächlich zutraf.213 Überdies wurde auch im Mithör-Fall das fragliche Gespräch zu einem Zeitpunkt mitgehört, zu dem zwischen den Parteien bereits Uneinigkeiten über die korrekte Vertragserfüllung entstanden waren. Schließlich bestand umgekehrt in 213 Ein weiterer Unterschied der beiden Fälle liegt darin, dass in dem vom BGH zu entscheidenden Fall die Klägerin selbst den unzulässigen Mitschnitt getätigt hatte, wohingegen in Jones v. University of Warwick die Hilfe Dritter dafür in Anspruch genommen wurde.
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Jones v. University of Warwick die Besonderheit des doppelten Rechtswidrigkeitselements – in Gestalt des „Sich-Zugang-Verschaffens“ durch Täuschung sowie des heimlichen Filmens. Hier hätte man in Anbetracht der Schwere des Eingriffs erwarten können, dass das Beweisinteresse gegenüber dem Persönlichkeitsrecht zurückstehen muss. Dies war jedoch nicht der Fall. Das englische Recht gab dem Beweisinteresse und der Wahrheitsfindung den Vorrang. Die Sachverhaltsunterschiede wiegen somit nicht derart schwer, dass sie die im Hinblick auf das Beweisinteresse zurückhaltendere Lösung des deutschen Rechts zu erklären vermögen. Vielmehr scheint in England und in Deutschland die Lösung dieser Rechtsfrage unterschiedlich gehandhabt zu werden. 2. Unterschiedliche Wahrheitskonzepte Sowohl mit Blick auf die Wahrheitspflicht der Parteien als auch hinsichtlich der konkreten Verankerung des Gebots der Wahrheitsfindung werden in England und Deutschland ähnliche Diskussionen geführt. In beiden Ländern geht es um die subjektive und die objektive Wahrheitspflicht, um materiale und prozedurale Verfahrensgerechtigkeit und um die Frage, ob der Zivilprozess primär auf das richtige Beurteilen einer mit der Wirklichkeit übereinstimmenden Tatsachenlage gerichtet ist. Dennoch hat das Beispiel der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel einen unterschiedlichen Befund ergeben. In Deutschland wurden derartige Beweismittel – mit Ausnahme der Entscheidung im Fangschaltungsfall – nicht im Rahmen der Beweisaufnahme zugelassen. Sämtlichen Fällen ist gemeinsam, dass eine Verwertung des rechtswidrig erlangten Beweismittels nicht zulasten der in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigten Partei zugelassen wurde. Diesem wurde Vorrang vor dem Interesse an der beweismäßigen Verwertung und damit vor der Beseitigung des Informationsdefizits durch Zugang zu Information und Beweis eingeräumt. In England stellt sich die Rechtslage insofern genau umgekehrt dar. Dem Zugang zu rechtswidrig erlangten Beweismitteln wird hier im Rahmen der Ermessensausübung mehr Gewicht eingeräumt als dem Schutz des Persönlichkeitsrechts. Der Persönlichkeitsrechtsverletzung wird nur auf der Kostenebene Rechnung getragen. Dieses Ergebnis spricht dafür, dass der Wahrheitsermittlung in England größeres Gewicht eingeräumt wird als in Deutschland.214 Auch Cohn meint, dass das englische Recht der Wahrheitsfindung einen höheren Rang einräume als das deutsche Recht. Dies zeigt er an der Beurteilung des rechtskräftigen Urteils auf, das in England wie in Deutschland grundsätzlich Nicht zutreffend erscheint somit die Auffassung von Dreymüller, ZVglRWiss 101 (2002), S. 471, 475, derzufolge der Wahrheitsfindung in England geringeres Gewicht zukomme, weil es in England nicht darauf ankomme, ob der geltend gemachte Anspruch dem Kläger auch tatsächlich zustehe, sondern darauf, ob die Entscheidung gemessen an der Prozessführung der Partei gerecht erscheine. 214
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auch dann Bestand haben soll, wenn sich nachträglich ergibt, dass die vom Gericht angenommenen Tatsachen nicht der Wirklichkeit entsprechen. 215 Während allerdings das deutsche Recht nur einen sehr eng gefassten Katalog an Wiederaufnahmegründen vorgibt, gilt im englischen Recht viel allgemeiner, dass nach den Grundsätzen des law of equity eine eigenständige Klage auf Aufhebung des Urteils erhoben werden kann, wenn es durch Täuschung erwirkt worden ist. 216 In Deutschland ist insofern die Restitutionsklage einschlägig, insbesondere § 580 Nr. 1–3 ZPO. Danach kann eine Restitutionsklage erhoben werden, wenn der Gegner sich durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat, wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt wurde, oder aber wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat. Das deutsche Recht erkennt damit – anders als das englische Recht – die falschen Angaben des Gegners im Rahmen der Anhörung, die in der Praxis anstelle der förmlichen Vernehmung die Regel ist – nicht als Restitutionsgrund an. In diesem wichtigen und häufigsten Fall einer prozessualen Täuschungshandlung kann in Deutschland das Urteil nicht aus der Welt geschafft werden. Diese strenge Linie ist zwar im Laufe der Zeit abgemildert worden, indem die Rechtsprechung gem. § 826 BGB die Vollstreckung aus einem derartigen Urteil für unzulässig erklärt hat. Auch wenn damit die empfindlichste Auswirkung eines derartigen durch „einfache“ Täuschung erwirkten Urteils reduziert ist, so bleibt es doch dabei, dass das Urteil in Deutschland – anders als in England – in der Welt bleibt. Es sagt aber darüber hinaus auch einiges über die unterschiedliche Gewichtung der Wahrheit in beiden Ländern aus.217 Überdies wird auch hier einmal mehr deutlich, dass die Lösung eines prozessualen Problems in Deutschland in das materielle Recht verlagert wird. 3. Ursachen für die verschiedenen Wahrheitskonzepte Auch Stürner geht davon aus, dass das kontinentaleuropäische und das angloamerikanische Wahrheitskonzept divergieren.218 Für dieses Phänomen liefert er zwei primär historische Erklärungsansätze, die jedoch auf das US-amerikanische und nicht auf das englische Recht zugeschnitten sind. Gleichwohl sind diese Beobachtungen Stürners in Bezug auf das US-amerikanische Recht auch Ansatzpunkte für das Verständnis des englischen Rechts. Eine mögliche ErkläCohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 56 f. So wurde etwa im Fall Stern v. Friedmann [1953] W.L.R. 969 zehn Jahre nach Erlass des Urteils eine Klage auf Aufhebung des rechtskräftigen Urteils wegen frauds gestattet. 217 Cohn, in: FS v. Hippel, 1967, S. 41, 56 f. 218 Stürner, in: FS Stiefel, 1987, S. 763, 781. 215 216
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Kapitel 7: Auswertung der Fallbeispiele
rung sieht Stürner in der jedenfalls traditionell stärkeren Mitwirkung von Laien am Verfahren. Der Laie kann nach der Auffassung Stürners etwa mit Wahrheitsfiktionen, die dem gelehrten Prozess entstammen, weniger anfangen und ist eher bestrebt, die Rechtslage auf der Grundlage der „echten Wahrheit“ zu beurteilen. Letzteres führt Stürner insbesondere auch auf die bei einem Laien vermutete Überzeugung eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit zurück. 219 Der zweite Erklärungsversuch ist, dass in Kontinentaleuropa auf Grund der politischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts eine gewisse Furcht vor überflüssigen justiziellen Eingriffen bestehe, die als obrigkeitsstaatlicher Zugriff verstanden werden, so dass Ziel der Prozessrechtsordnung auch sei, vor solchen Ausprägungen zu schützen. Dank des Fehlens derartiger Erfahrungen mit totalitären Regimen seien die USA mit weiter gefassten Mitwirkungspflichten bei der Sachverhaltserforschung und mit enger gefassten Weigerungsrechten der Parteien unbefangener und daher großzügiger.220 4. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis für den deutschen Ansatz zur Frage des Stellenwerts der Wahrheitsfindung wurde mit Greger, Unberath und Bernhardt festgehalten, dass ein Verfahren umso hochwertiger ist, je größer die Schnittmenge zwischen formeller und materieller Wahrheit ist. Dies wurde unter anderem mit den Erkenntnissen der Verfahrenspsychologie nach Meier begründet. Auf dieser Basis wurde der Schluss entwickelt, dass ein möglichst großzügiger Zugang zu Information und Beweis sicherzustellen ist, solange dieser nicht auf berechtigte Gegeninteressen stößt. Als solcherart berechtigte Gegeninteressen werden in Deutschland – anders als in England – die Rechte des „Opfers“ im Fall der rechtswidrigen Schaffung oder Erlangung von Beweismitteln durch die informationsbedürftige Partei empfunden. Diese Grenzen sind im Folgenden zu akzeptieren. Sie zeigen aber, dass das Problem der Informationsnot in Deutschland noch brisanter ist als in England. Dort dürfte es auf Grund des Bestehens eines flächendeckenden disclosure-Verfahrens ohnehin deutlich seltener zu einer rechtswidrigen Erlangung von Informationsquellen kommen, wie insbesondere die im Vergleich zu Deutschland nur spärlich vorhandene Judikatur zur Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel zeigt. Sofern darüber hinaus gleichwohl Informationslücken entstehen, können diese in England in der Regel auch durch rechtswidrige Mittel geschlossen werden, in Deutschland ist dies hingegen auf Grund des Stellenwertes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht der Fall. Dies spricht dafür, dass die Vermeidung von Informationsnot in Deutschland umso viru219 Stürner, in: FS Stiefel, 1987, S. 763, 782; so auch Kersting, Wirtschaftsgeheimnis, 1995, S. 174 f. 220 Stürner, in: FS Stiefel, 1987, S. 763, 782.
C. Wahrheitsfindung als Prozesszweck bzw. als Prozessziel?
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lenter ist, so dass ein großzügiger Informationszugang wünschenswert ist – solange er innerhalb der durch die berechtigten Gegeninteressen gesteckten Grenzen erfolgt.
Kapitel 8
Vereinbarkeit der disclosure mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft? Es stellt sich die Frage, ob ein disclosure-Verfahren mit dem deutschen Dispositions- und Beibringungsgrundsatz vereinbar wäre. Parallel dazu soll untersucht werden, wie sich das englische disclosure-Verfahren mit dem adversarial principle verträgt. Letztere Fragestellung ist deshalb von Interesse, weil die Antwort, wie die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft in England gelingt, Lösungsansätze für die Vereinbarkeit mit deutschen Prozessrechtsgrundsätzen aufzeigen könnte. Allerdings ist zunächst fraglich, ob im englischen Recht überhaupt Prozessrechtsgrundsätze existieren, die dogmatisch der Bedeutung des deutschen Dispositions- und Beibringungsgrundsatzes vergleichbar sind. Denn während das deutsche Zivilprozessrecht – wie auch das sonstige deutsche Recht – in der Tat sehr stark durch das Bestehen von Rechtsprinzipien geprägt wird, gilt das englische Recht demgegenüber – jedenfalls in der traditionellen Rechtsvergleichung – als das „gelebte“ Recht, das Recht der Praxis und der Praktiker, in dem Rechtsprinzipien eine eher untergeordnete Rolle spielen. Unabhängig davon, ob es sich dabei nicht ohnehin um ein rechtsvergleichendes Vorurteil handelt, bedarf diese Einschätzung – jedenfalls für den Bereich des Zivilprozessrechts – der Korrektur. Zum einen gab es bereits in der Ära vor den Woolf-Reformen einen Grundsatz, der auch aus Sicht der Praxis den Zivilprozess maßgeblich regierte1 und der in den Entscheidungen der Gerichte nicht selten als Begründungsansatz herangezogen wurde: das adversarial principle.2 Zum anderen wurde im Jahr 1998 durch die Implementierung der Woolf-Reformen eine „prozessrechtliche Kodifikation“3 geschaffen, durch die eine gewisse Abkehr von der eher ablehnenden englischen Haltung gegenüber 1 Das adversary system wird von Hartwieg als das „einzige Verfahrensprinzip“ des englischen Zivilverfahrens vor der Woolf-Reform bezeichnet, vgl. Hartwieg, Sachvortrag 1988, S. 75. 2 Siehe dazu sogleich ausführlich unten, S. 227 ff. 3 Vgl. zu der Frage, ob die CPR als Kodifikation zu werten sind, bejahend M. Stürner, ZVglRWiss 103 (2004), S. 349, 355 f; ablehnend demgegenüber Zuckerman, Civil Procedure 2013, Rn. 2.1, der zu Recht darauf hinweist, dass wichtige Bereiche – wie etwa legal professional privilege sowie public interest immunity nicht von den CPR erfasst werden, sondern nach wie vor den allgemeinen Regelungen des common law unterliegen.
A. Mitwirkungspflichten und der Grundsatz der Parteiherrschaft
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der Kodifikationsidee eingetreten ist. Damit hielt fast zwangsläufig auch eine gewisse Form von Dogmatismus Einzug in das englische Zivilprozessrecht.4 Dies äußert sich vor allem darin, dass durch die CPR, insbesondere durch das overriding objective, einige allgemeine Grundsätze aufgestellt wurden, die Vorrang vor Einzelfällen und Einzelfallregeln haben.5
A. Mitwirkungspflichten und der Grundsatz der Parteiherrschaft Es fragt sich also, wie sich die disclosure bzw. ein disclosure-ähnlicher Mechanismus zu den Grundprinzipien des englischen und des deutschen Zivilprozesses verhält. Ein möglicher Konflikt mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft und dem adversarial principle liegt auf der Hand, wenn man einer Partei auferlegt, Informationen offenzulegen, die sie gar nicht offenlegen möchte. Dies ist im Einzelnen näher zu untersuchen. I.
Das disclosure-Verfahren und das englische adversarial principle
1. Die traditionelle Sichtweise a) Herrschaft über Verfahren, Streitgegenstand und Tatsachen Nach den Ausführungen von Andrews ist es in einem vom adversarial principle regierten System Sache der Parteien, „[to] dictate at all stages the form, content and pace of proceedings“.6 Diese Herrschaft charakterisiert er im Folgenden als die Herrschaft über die Einleitung (CPR 7.2.) und Gestaltung des Verfahrens, die Auswahl des tatsächlichen (statements of the case) und rechtlichen Rahmens, die Verhandlungsführung mit der anderen Seite vor Beginn der Hauptverhandlung, den Abschluss eines Vergleichs, die Klagerücknahme sowie die Beweisaufnahme.7 Gleichzeitig sieht er als Charakteristika des adversarial principle auch solche Elemente an, die im deutschen Recht nicht der Dispositionsmaxime, sondern vielmehr dem Beibringungsgrundsatz zugeordnet sind, also nicht die Frage der Verfahrensherrschaft, sondern die der Stoffsammlung betreffen. 8 Auch das Recht, Beweismittel zu präsentieren liegt grundsätzlich bei den Parteien. Nur ausnahmsweise kann das Gericht den Beweis aus eigener Initiative anordnen. Von dieser Kompetenz wird je-
Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 3.06 bezeichnet diesen „search for principles“ als „a modern trend“. 5 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.21. 6 Andrews, The adversarial principle, 1995, S. 169, 171. 7 Andrews, The adversarial principle, 1995, S. 169, 171. 8 So auch Stürner, Anglo-American and Continental Civil Procedure, 2004, S. 9, 33, Fn. 14. 4
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Kapitel 8: Disclosure und der Grundsatz der Parteiherrschaft
doch in der Praxis kaum Gebrauch gemacht.9 Das adversarial principle regelt damit zweierlei: zum einen das Verhältnis der verschiedenen Parteien zueinander, zum anderen das Verhältnis zwischen den Parteien auf der einen und dem Gericht auf der anderen Seite.10 Historisch kennzeichnet das adversarial principle seit dem 13. Jahrhundert den Zivilprozess in den common law-Verfahren.11 Demgegenüber galt in den equity-Verfahren der Untersuchungsgrundsatz. Mit der Verschmelzung beider Jurisdiktionen im ausgehenden 19. Jahrhundert konnte sich das adversarial principle durchsetzen. Ein auf Selbstinteresse und Eigeninitiative beruhendes Verfahren entsprach sehr viel mehr dem liberalen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts als ein paternalistisches System.12 b) Herrschaft über die zu berücksichtigenden Regeln Wichtig ist in diesem Zusammenhang die oben13 bereits angedeutete Besonderheit des englischen Rechts, das nach h.M. im Hinblick auf die Geltung des adversarial principle lange Zeit nicht zwischen Rechts- und Tatsachenfragen differenzierte. Nach h.M. war anders als im deutschen Recht nicht nur der Vortrag der tatsächlichen Umstände, die einen Tatbestand ausfüllen, Sache der Parteien, sondern auch die rechtliche Einordnung und Würdigung durch Vortrag von Präzedenzfällen, Rechtsnormen und Rechtsprinzipien: 14 „the legal framework within which the cause of action is to be considered“. 15 Diese Besonderheit ist historisch zu erklären. Die Verhandlung des Falls erfolgte in einem einzigen trial, und der Richter konnte und sollte vor dem trial keinerlei Kenntnisse über den Fall haben und sich folglich auch nicht auf die Verhandlung vorbereiten. Da das Urteil aber in der Regel unmittelbar im Anschluss an die Verhandlung verkündet werden sollte, war der Richter faktisch darauf angewiesen, dass die Parteien ihm nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht alle Zusammenhänge aufbereiteten, die zur Bewertung erforderlich und dienlich waren. Diese Parteiherrschaft über das Verfahren ging nach Auffassung von Zuckerman sogar soweit, dass die Parteien festlegen konnten, welche rechtlichen Aspekte eines Tatbestandes sie unstreitig stellen wollten: im Schadensersatzprozess wegen Vertrags-
Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 11.12. Andrews, Principles, 1994, Rn. 3-021. 11 Pollock/Maitland, History of English Law, Bd. 2, 1895, S. 671; Holdsworth, History of English Law, 1924, S. 280 f. 12 Jacob, Fabric, 1987, S. 5 f. 13 Vgl. oben, S. 21 ff. 14 Für weitere Nachweise s. Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 5.22 ff, 6.48, 6.85. 15 Andrews, The adversarial principle, 1995, S. 169, 171. 9
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A. Mitwirkungspflichten und der Grundsatz der Parteiherrschaft
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verletzung konnten die Parteien vorgeben, dass nur der Schaden, nicht aber die Vertragsverletzung als solche Gegenstand des Verfahrens sein soll.16 Allerdings wurde die Geltung des adversarial principle im Hinblick auf die Herrschaft über die der rechtlichen Würdigung zu Grunde liegenden Grundsätze jedenfalls in offensichtlichen Fällen von illegality, abuse sowie public interest eingeschränkt.17 Aber auch über diese Fälle hinaus gehört nach Auffassung von Jolowicz die Verpflichtung der Parteien zu rechtlichen Ausführungen der Vergangenheit an:18 „So long as the facts are before the court, the court may and should draw upon any rule of law that appears to it to be applicable, whether either party has formally placed reliance on that rule or not.“19 c) Die „emotionale“ Facette Teilweise lässt sich im englischen Schrifttum zum adversarial principle eine beinahe emotionale Facette feststellen: In den Zeiten vor den WoolfReformen bezeichnete Jacob das adversarial principle als „the fundamental, characteristic feature of English civil justice […] [which] is well settled and deeply rooted. It […] grew and developed out of the soil.“20Jacob schlussfolgert schließlich: das adversarial principle „reflects and responds to English cultural values, and conforms more closely with the English character of independence and ,fair play‘“.21 Das adversarial principle wird nicht selten – wie Jolowicz es formuliert hat – „almost as an article of faith“22 behandelt. Die Dogmenhaftigkeit der englischen Einstellung zum adversarial principle ist von Jolowicz stark kritisiert worden, der dem Wunsch Ausdruck verliehen hat, „[that w]e should, at least, deny to the proposition ,adversarial is the best‘ the status of a religious dogma that no loyal common lawyer dares to challenge“.23 d) Sporting theory of justice Daneben gibt es Stimmen, die dem adversarial principle die Konnotation eines sportlichen Wettkampfes beilegen (sporting theory of justice). In diesem Sinne wird in Bezug auf das englische Zivilprozessrecht auch gerne die Metapher der kriegerischen Auseinandersetzung oder aber auch des Spiels
Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 11.9. Siehe dazu unten, S. 237 f. 18 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 186 ff. 19 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 187. 20 Jacob, Fabric, 1987, S. 5. 21 Jacob, Fabric, 1987, S. 15. 22 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 175. 23 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 181. 16 17
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Kapitel 8: Disclosure und der Grundsatz der Parteiherrschaft
gebraucht.24 Jolowicz, der seinerseits jedoch nicht als Vertreter dieser Strömung missverstanden werden darf, hat diese Sichtweise interpretiert als Spiegelbild von Coutures25 Verständnis des Zivilverfahrens als „civilisation’s substitute for vengeance“,26 „[in which] the parties are adversaries not just in the sense that they are opposed to one another, but in the sense that the judge’s role is simply to pronounce who […] is the winner at the end of a forensic duel […]“.27 Ähnlich hat auch Lord Denning im Jahr 1979 im Fall Burmah Oil Co v. Bank of England entschieden: „In litigation as in war. If one side makes a mistake, the other can take advantage of it. No holds are barred.“28 e) Zwischenergebnis Das adversarial principle kennzeichnet traditionell den im englischen Zivilprozessrecht geltenden Grundsatz der Parteiherrschaft, demzufolge die Parteien Gegenstand und Ablauf des Verfahrens sowie die Beibringung von Tatsachen und Beweismitteln bestimmen. Es entstammt historisch dem common law-Prozess. Ihm liegt die Überzeugung zu Grunde, dass die Parteien im Wettstreit am besten die Fakten des Falles zu Tage fördern werden. Traditionell mit dem klassischen Verständnis verbunden war auch ein besonders passiver Richter, der sich jeglicher Intervention enthielt und der vor Beginn des trial keinerlei Kenntnisse über den Rechtsstreit hatte. Das oben bereits geschilderte Bild von der Theatervorstellung war für ein Verständnis des „gelebten Rechts“ ebenso hilfreich wie die im englischen Schrifttum verwandten Bilder vom Schiedsrichter in einem sportlichen Wettkampf oder einer kriegerischen Auseinandersetzung. Im Folgenden gilt es, das sich in den vergangenen 30 Jahren gewandelte Verständnis zu beleuchten, ebenso wie die Grenzen, die dem adversarial principle gezogen sind. 2. Die neuere Sichtweise a) Wahre Gerechtigkeit durch offene Informationen Fast zehn Jahre nach dem dictum Lord Dennings im Fall Burmah Oil Co v. Bank of England vertrat der Master of the Rolls, Sir John Donaldson, im Fall Davies v. Eli Lilly & Co im Jahr 1987 im Hinblick auf die sporting theory of justice die gegenteilige Sichtweise. Er entschied, das bestehende Recht auf discovery sei
Pound, (1906) 40 Am.L.Rev., S. 738 f. Couture, (1950) 25 Tul.L.R., S. 7. 26 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 177, Fn. 7. 27 Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 177. 28 Burmah Oil Co v. Bank of England [1979] 1 W.L.R. 473, 484. 24 25
A. Mitwirkungspflichten und der Grundsatz der Parteiherrschaft
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„peculiar to the common law jurisdictions. In plain language, they ask, ,should I be expected to provide my opponent with the means of defeating me?‘ The answer, of course, is that litigation is not a war or even a game. It is designed to do real justice between opposing parties and, if the court does not have all the relevant information, it cannot achieve this object.“29
Mit dieser Entscheidung wurde die sporting theory of justice zugunsten einer stärkeren Betonung der Gerechtigkeit aufgegeben. Als zentrales Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, formulierte Sir John Donaldson den umfassenden Zugang zur Information. b) Wahre Gerechtigkeit durch Vermeidung der Prozessverschleppung Daneben wurden aber auch Stimmen laut, die die dem adversarial system traditioneller Prägung innewohnende Tendenz zur Prozessverschleppung anprangerten. Denn „wahre Gerechtigkeit“ könne nicht durch einen Zermürbungskrieg erreicht werden.30 aa) Durch frühen Informationsaustausch Auch in diesem Zusammenhang wird das Potential der disclosure für die „wahre Gerechtigkeit“ betont, allerdings nicht nur durch die von Sir Donaldson geforderte umfassende Gewährung von Zugang zur Information, sondern insbesondere auch durch besonders frühen Zugang zur Information. Die Streitpunkte zwischen den Parteien sollten durch den Austausch von schriftlichen Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten so früh wie möglich herausgearbeitet werden, um so Prozessverschleppung zu vermeiden und „wahre Gerechtigkeit“ herzustellen. Dadurch sollten Situationen vermieden werden, wie sie im Fall Wilsher v. Essex Area Health Authority von Lord Justice Mustill beschrieben worden sind. Die Problematik in diesem Fall war, dass nach dem damaligen Recht Gutachterstellungnahmen in Verfahren wegen ärztlicher Sorgfaltspflichtverletzung nicht vor der Hauptverhandlung ausgetauscht wurden: „[…] the parties realised, soon after the case began, that they had misunderstood what the case was about […]. [I]t was fought ,in the dark. ‘ It lasted four weeks […] which not only imposed great pressure of time on all concerned […]. The judge had nothing to read beforehand except some pleadings which told him nothing […]. All this could have been avoided if there had been adequate clarification of the issues before the trial […][B]efore the Commercial Court […] it is now axiomatic […] that all the cards must be on the table before the trial begins […]. To me it seems wrong that in [medical negligence cases] […] this kind of forensic blind-man’s-buff should continue to be the norm.“31
Davies v. Eli Lilly & Co [1987] 1 W.L.R. 428, 431. Naylor v. Preston Area Health Authority [1987] 1 W.L.R. 958, 967 f. 31 Wilsher v. Essex Area Health Authority [1987] 2 W.L.R. 425, 461. 29 30
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Kapitel 8: Disclosure und der Grundsatz der Parteiherrschaft
In einem anderen Verfahren wegen ärztlicher Sorgfaltspflichtverletzung, in Naylor v. Preston Area Health Authority, hat das Gericht festgestellt, dass zur Vermeidung derartiger Situationen den Interessen der Justiz im Normalfall am besten mit einer allumfassenden disclosure von Sachverständigengutachten vor der Hauptverhandlung gedient wäre.32 Sir Donaldson stellte fest: „[a]lthough the English courts adhere […] to […] an adversarial procedure, we have moved far and fast from a procedure whereby tactical considerations [with no] relation to the achievement of justice were allowed to carry any weight […]. Justice is not achieved by a war of attrition […]. [N]owadays the general rule is that […] litigation is to be conducted with all the cards face up on the table […] put down well before the hearing […]. Accordingly, anything which enables the parties to appreciate the true strength or weakness of their positions at the earliest possible moment and at the same time enables them to enter upon fully informed and realistic discussions designed to achieve a consensual resolution of the dispute is very much in the public interest.“33
bb) Durch die Stärkung der Stellung des Richters34 Diese Tendenz, die Bedeutung des Vorverfahrens und der disclosure zu stärken, gipfelte schließlich in den Ergebnissen von Lord Woolf in seinem Abschlussbericht: „[w]ithout effective judicial control the adversarial process is likely […] to degenerate into an environment in which the litigation process is too often seen as a battlefield where no rules apply. In this environment, questions of expense, delay, compromise and fairness may have only low priority.“35
Daher wurde ein System der Verfahrensleitung eingeführt, das explizit dem Richter das Recht, aber auch die Pflicht zuweist, eine aktive und fördernde Rolle sowohl in der Hauptverhandlung als auch im Vorverfahren einzunehmen. Cannon betont in diesem Zusammenhang jedoch, dass dies zu keiner Einschränkung des Geltungsanspruchs des adversarial system führe, da die Kontrolle über die Zusammenstellung und Präsentation der Beweismittel kein essentieller Bestandteil des adversarial system sei.36 cc) Durch einen funktionaleren Einsatz der disclosure und den Grundsatz der proportionality Wichtiges Dogma der Woolf-Reformen war schließlich ein funktionalerer Einsatz der damals sehr ausufernden disclosure – mit dem Ziel der Förderung Naylor v. Preston Area Health Authority [1987] 1 W.L.R. 958. Naylor v. Preston Area Health Authority [1987] 1 W.L.R. 958, 967. 34 Zu dem schleichenden Wandel bereits vor Inkrafttreten der Woolf-Reformen in den 80er- und 90er-Jahren siehe ausführlich mit vielen Nachweisen, K. Schmidt, Abschied von der Mündlichkeit, S. 99 ff. 35 Woolf, Final Report, 1996, Kap. 3.3. 36 Cannon, (2006) 25 C.J.Q., S. 327, 331. 32 33
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wahrer Gerechtigkeit durch Vermeidung von Prozessverschleppung. Dies geschah in Ablösung der alten Peruvian Guano-Formel durch Einführung eines engen Relevanzbegriffs.37 Durch diese Beschränkung anhand des Relevanzbegriffs sollte das bereits38 erwähnte, in einem disclosure-Verfahren liegende, Missbrauchspotential der Erstickung des Gegners in Unmengen irrelevanter Unterlagen, die zu sichten Unsummen an Anwaltsstunden verursachte, vermieden werden. Die Folgen derartigen Missbrauchs waren vielseitig: lange Verfahrensdauer, schwere Auffindbarkeit der wirklich wichtigen Dokumente und steigender Druck der Einigung auf unklarer Tatsachenlage, um den ausufernden und häufig nicht erstattungsfähigen Anwaltsgebühren zu entgehen. Ein weiteres wichtiges Mittel zur Eindämmung ausufernder disclosureBegehren war die Einführung des proportionality-Grundsatzes.39 dd) The parties’ duty to cooperate Als wesentliche Veränderung der adversarial culture wird ferner die explizite Verankerung einer Kooperationspflicht der Parteien durch die CPR angesehen.40 So enthalten die CPR zum einen eine Bestimmung, dass das Gericht die Parteien ermutigen soll, miteinander während des Verfahrens zu kooperieren, CPR 1.4(2)(a). Zum anderen sind die Parteien gem. CPR 1.3 verpflichtet, „to help the court to further the overriding objective“. Insbesondere ersteres wird als besonders bedeutsame kulturelle Veränderung erachtet. Eine Kooperation der Parteien sei vor Inkrafttreten der CPR lediglich insoweit erforderlich gewesen, als die discovery-Vorschriften oder sonstige prozessuale Verpflichtungen dies geboten hätten.41 Im Übrigen habe es den Parteien offen gestanden, relevante Angriffs- und Verteidigungsmittel so spät in den Prozess einzuführen, dass es zu erheblichen Zeitverzögerungen, Prozessverschleppung oder einer nicht mehr möglichen Reaktion der Gegenseite kam.42 Ein derartiges Verhalten ist nunmehr nicht mehr opportun und kann auf Kostenebene sanktioniert werden. Nachvollziehbare Informationsersuchen haben die Parteien zügig und vernünftig zu beantworten.43 Die Verpflichtung zur Kooperation zwischen den Parteien beginnt nicht erst mit Erhebung der Klage, sondern besteht bereits als vorprozessuale Obligation im Vgl. dazu ausführlich oben, S. 50. Siehe hierzu bereits oben, S. 50 f. 39 Vgl. zur proportionality M. Stürner, ZVglRWiss 103 (2004), S, 349, 366 ff. sowie oben, S. 48 ff. 40 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.106 ff., insb. 1.110. 41 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.109 ff. 42 Zum Beispiel durch Zurückhalten der Einwendung des Beklagten, dass er gar nicht der richtige Prozessgegner sei, bis Verjährung eingetreten ist, s. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.112. Vgl. dazu auch Beever v. Ryder Plc. [2012] EWCA Civ 1737. 43 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.106 ff, insb. 1.111. 37 38
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Rahmen der pre-action protocols, deren Nichteinhaltung – wie gezeigt – erhebliche kostenrechtliche und sonstige Nachteile nach sich ziehen kann.44 Die Verpflichtung der Parteien und ihrer Anwälte, mit dem Gericht zu kooperieren, zeitigt ihre Bedeutung insofern, als das Gericht in Anbetracht seiner Verpflichtung zum case management auf eine Mitwirkung der Parteien angewiesen ist, da diesen ja nach wie vor die Herrschaft über Streitgegenstand und Sachverhalt obliegt.45 ee) Case management Als eines der zentralen Elemente des neuen Regimes der CPR, das eine gänzlich neue Kultur einläutete, gilt das neu eingeführte case management des Gerichts, durch welches die Verfahrenskontrolle den Parteien teilweise entzogen und dem Gericht übertragen wurde. 46 Das Gericht hat gem. CPR 1.4(1) durch seine Prozessleitung dem overriding objective zur Geltung zu verhelfen. Die so genannten allgemeinen court management powers sind in CPR 3.1(2) aufgeführt, die zusätzlich zu den speziellen, an verschiedenen Stellen der CPR genannten47 bestehen. Danach kann das Gericht insbesondere Fristen verlängern oder verkürzen, neu terminieren, anordnen, in welcher Reihenfolge strittige Punkte abzuarbeiten sind, Teile der Klage oder Gegenklage abtrennen und separat entscheiden, das Verfahren aussetzen sowie jede sonstige Maßnahme treffen, um das overriding objective zu verwirklichen und den Fall zu leiten. 48 Art und Ausmaß der prozessleitenden Anordnungen des Gerichts hängen insbesondere davon ab, welchem der drei Verfahrenspfade der Fall zugewiesen ist. 49 Relativ aufwendig sind insofern insbesondere die Verfahren des multi-track, so zum Beispiel handelsrechtliche Fälle vor dem Commercial Court, das seinerseits eine Abteilung der Queen’s Bench Divison darstellt, für die eine umfangreiche case management conference vorgesehen ist.50 Eine weitere Einschränkung der Parteiherrschaft stellt die Befugnis des Gerichts dar, gem. CPR 18.1(1) requests for further information zu erlassen, in denen das Gericht entweder die Erteilung näherer Informationen zu Umständen anordnet, die von den Parteien in den Schriftsätzen angesprochen worden sind, oder aber zu solchen Umständen, die die Parteien nicht angesprochen haben, die aber mit dem geltend gemachten Anspruch in Zusammenhang stehen. Derartige Anordnungen können also nicht nur auf Antrag einer Partei, sondern auch aus eigener Initiative des Siehe oben, S. 55 ff. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.107. 46 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.15. 47 Insb. CPR 26-30, vgl. dazu ausführlich oben, S. 45 ff. 48 Vgl. dazu auch Sobich, ZVglRWiss 103 (2004), S. 69, 73 f. 49 Vgl. oben, S. 45 ff. 50 Vgl. Andrews, Civil Process, 2008, Rn. 3.16. 44 45
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Gerichts erfolgen. 51 Diese requests haben die Parteien sodann unter Beifügung eines statement of truth innerhalb einer bestimmten gesetzten Frist zu beantworten. Gem. CPR 3.1(4) hat das Gericht im Rahmen seiner Anordnungen darauf zu achten, ob die Parteien sich an die CPR, die practice directions sowie die pre-action protocols halten. Sanktionen für fehlende Befolgung derartiger verfahrensleitender Anordnungen können gem. CPR 3.1(3) angedroht werden. Das Gericht hat die Befugnis, Schriftsätze gem. CPR 3.4 für hinfällig zu erklären (striking out), insbesondere wenn es keinen hinreichenden Grund für Klage oder Verteidigung sieht, wenn das Verhalten einer Partei missbräuchlich ist oder wenn eine Seite gegen die CPR, practice directions, pre-action protocols (CPR 3.4(2)) oder gegen einen gerichtlichen Beschluss52 verstößt. Ferner kann es das Verhalten durch einen nachteiligen Kostenbeschluss gem. CPR 3.8 berücksichtigen. Das striking out stellt die ultima ratio dar.53 Auch auf das Beweisverfahren kann das Gericht nunmehr Einfluss nehmen, insbesondere hinsichtlich Art und Umfang der disclosure und der Anzahl der zu vernehmenden Zeugen und Sachverständigen. 54 Das Gericht kann seine case management-Anordnungen grundsätzlich entweder auf Antrag einer Partei oder sogar von Amts wegen treffen (CPR 3.3(1)). Diese Verlagerung von Verantwortung auf das Gericht ist Ausdruck der Erkenntnis, dass in einem Gerichtsverfahren Ressourcen zum Einsatz kommen, die nicht unbeschränkt vorhanden sind und dass es neben der Aufdeckung des wahren Sachverhalts auch darum geht, dass dies in einem kosten- und zeitangemessenen Verfahren geschieht, weil anderenfalls keine Gerechtigkeit erzielt werden kann. 55 Demgegenüber hatte es aber auch Bedenken gegeben, dass case management-Kompetenzen dem Wesen des adversarial principle zuwiderlaufen könnten, da in einem adversarial system die Parteien innerhalb des Erlaubten frei sein müssten, das zu tun, was sie für richtig halten. Andrews bewertet die neuen case management-Kompetenzen als „overthrowing of many aspects of the adversarial principle“ und als „assault to this tradition“ weil sie einen „pre-trial official paternalism“ mit sich bringen, anstatt den Parteien zu vertrauen, dass sie ihre Fälle richtig vorbereiten.56 Er plädiert für weniger weit reichende Kompetenzen des Richters, die lediglich
Sime, Practical Approach, 2010, Rn. 16.03. So Sobich, ZVglRWiss 103 (2004), S. 69, 74. 53 Biguzzi v. Rank Leisure plc, [1999] 1 W.L.R. 1926. 54 M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), S. 310, 328. 55 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 1.92. 56 Andrews, The adversarial principle, 1995, S. 169, 180. Auch M. Stürner, ZVglRWiss 103 (2004), S, 349, 366 meint – ohne dies allerdings mit einer Kritik zu verbinden – das klassische adversary system sei „im Bereich des Verhandlungsgrundsatzes fast zur Unkenntlichkeit verändert“. 51 52
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darauf ausgerichtet sind, einen Missbrauch der discovery, überlange Verfahrensdauer und exzessive Mündlichkeit im trial einzudämmen.57 Bereits vor Inkrafttreten der CPR hatte es in gewissem Rahmen prozessleitende Kompetenzen des Gerichts gegeben, etwa wenn eine Partei eine Fristverlängerung beantragt hat58 sowie generell in komplexen Streitigkeiten, insbesondere Handelssachen. 59 Allerdings haben die CPR in der Tat zwei bedeutende Erweiterungen dieser Kompetenzen eingeführt: zum einen den Verfahrenszeitplan und zum anderen das overriding objective, das das gesamte Verfahren dem Verhältnismäßigkeitstest des Gerichts, insbesondere im Hinblick auf die disclosure sowie die Auswahl der Anzahl der Sachverständigen unterwirft. 60 Die case management-Kompetenzen sind jedoch insofern nicht mit der deutschen materiellen Prozessleitung des Gerichts vergleichbar, als die Beantragung der Beweisaufnahme ausschließlich Sache der Parteien und ihrer Anwälte bleibt und ein Richter, der selbst Zeugen verhört und damit dem Anwalt das primäre Fragerecht nimmt, die Grundsätze des fair trial verletzt.61 3. Rolle der barristers Eine entscheidende Rolle kommt dem barrister als dem prozessführenden Anwalt62 auf Grund der „Funktionsteilung zwischen Anwälten und Gericht“63 zu. Dieser hat dabei nicht nur die seiner Partei günstigen Umstände zu offenbaren: „It is an advocate’s duty to the court to reject a legal or factual point taken in his favour by the judge, or to remove a misunderstanding which is favourable to his own case. This duty is of vital importance […]. He is entrusted with great licence and potent weapons. These must not be used simply with an eye to his client’s advancement. They must be used in the pursuit of justice and to elucidate the truth“.64
Diese Pflichtenstellung des barrister hat neben den discovery- bzw. disclosure-Verpflichtungen bereits im traditionellen englischen Zivilprozess dazu geführt, dass eine Parteiherrschaft in Reinform nicht praktiziert wurde. Allerdings steht zu dieser Verpflichtung des barrister der Ausspruch Lord Andrews, The adversarial principle, 1995, S. 169, 180 ff. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 11.28. 59 Andrews, The adversarial principle, 1995, S. 169, 171. 60 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 11.29. 61 So Stürner, JZ 1986, S. 1089, 1093. In Jones v. National Coal Board [1957] 2 Q.B. 55 (CA), 64 wurde ein Fall zurückverwiesen, weil der Richter zu viele Fragen gestellt hatte: „he drops the mantle of a judge and assumes the robe of an advocate“. Dieser Fall beansprucht grundsätzlich auch nach Einführung der CPR noch Geltung, vgl. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 22.33. 62 Vgl. oben, S. 27 f. 63 Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 92. 64 So Lord Pearce in Rondel v. Worsley [1917] 3 W.L.R. 1666 (HL), Rn. 1711 f. 57 58
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Dennings im Fall Burmah Oil Co v. Bank of England im Widerspruch, in dem er sagte, dass im Prozess ähnlich wie im Krieg die Parteien Nutzen aus den Fehlern der Gegenseite ziehen dürfen.65 4. Grenzen Der reinen Parteiherrschaft waren bereits nach traditionellem Verständnis des adversarial principle Grenzen gesetzt. So gilt das adversarial principle in Familien- und Ehestreitigkeiten nur eingeschränkt und wird weitgehend durch den Untersuchungsgrundsatz überlagert. 66 Gleiches gilt für Verfahren, in denen es um die Betreuung Minderjähriger oder geistig Behinderter geht.67 Nur eingeschränkte Geltung beansprucht das adversarial principle ferner in Fällen der illegality of contract68 sowie in offensichtlichen Fällen von abuse or other matters of public interest.69 5. Auswertung: Disclosure und das adversarial principle Weder im englischen Schrifttum noch in der Rechtsprechung wird thematisiert, dass der disclosure-Mechanismus im Konflikt mit dem adversarial principle stehen könnte, obwohl es naheliegt, dass es eher einem inquisitorischen System entspricht, eine Partei gegen ihren Willen zu verpflichten, sämtliche relevanten Dokumente in ihrem Besitz offenzulegen. Eine solche Argumentationslinie fände ihr Korrelat in dem Ansatz der deutschen Rechtsprechung, die die prozessuale Aufklärungspflicht für mit dem Beibringungsgrundsatz unvereinbar hält. Um mögliches Argumentationsmaterial gegen die Linie des BGH gewinnen, sollen daher die wenigen Stellungnahmen des englischen Rechts zu diesem Konflikt näher beleuchtet werden. Es handelt sich dabei zum einen um die Worte von Lord Simon of Glaisdale in der bereits erwähnten House of Lords-Entscheidung Waugh v. British Railways Board aus dem Jahr 1987:70 „The issue exemplifies a situation […] covered by two valid legal principles which point each to a different forensic conclusion. […] The first principle is that […] in principle all relevant evidence should be adduced to the court. […] The second general principle arises out of the adversary (in contradiction to the inquisitorial) system of administration of justice.“71 Burmah Oil Co v. Bank of England [1979] 1 W.L.R. 473, 484. Jacob, Fabric, 1987, S. 9. 67 Zander, State of justice, 2000, S. 370. 68 Chitty on contracts, Bd. 1, 2010, Rn. 17-007. Zu Details der im Einzelnen komplizierten Rechtsprechung, s. ausführlich Herb, Gemeinschaftsrecht, S. 94 ff. 69 Dazu Andrews, ZZPInt 8 (2003), S. 69, 72; Jolowicz, (1989) C.L.J., S. 41, 43; Copeland v. Smith [2000] 1 W.L.R 1371, CA. 70 Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521. 71 Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 535. 65 66
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[…] Historically, the second principle – that a litigant must bring forward his own evidence to support his case, and cannot call on his adversary to make or aid it – was fundamental to the outlook of the courts of common law. The first principle – that the opponent might be compelled to disclose relevant evidence in his possession – was the doctrine of the Chancery, a court whose conscience would be affronted by forensic success contrary to justice obtained merely through the silent non-cooperation of the defendant […], and which therefore had some inclination to limited inquisitorial procedures. […] I can see no intrinsic reason why the one principle rather than the other should prevail in a situation where they are counter-indicative.“72 „[…] Your Lordships will therefore, I apprehend, be seeking some intermediate line which will allow each of the two general principles scope in its proper sphere.“73
Im gleichen Jahr vertrat Sir Donaldson, im ebenfalls bereits erwähnten Fall Davies v. Eli Lilly & Co: „In plain language, they ask, ,should I be expected to provide my opponent with the means of defeating me?‘ The answer, of course, is that litigation is not a war or even a game. It is designed to do real justice between opposing parties and, if the court does not have all the relevant information, it cannot achieve this object.“74
Demgegenüber vertrat Lord Justice Fox im Air Canada-Fall die gegenteilige Auffassung, die jedoch vereinzelt geblieben sein dürfte:75 „We were referred to some observations […] that the court should have all relevant information before it whichever party it might help: […]. As a general rule that is, of course, true, but it is subject to some qualification. […] Nor was any of them contemplating the possibility of a person being compelled to disclose information in his own favour which he preferred to keep private. In an adversarial system such as exists in the United Kingdom, a party is free to withhold information that would help his case if he wishes – perhaps for reasons of delicacy or personal privacy. He cannot be compelled to disclose it against his will. It follows in my opinion that a party who seeks to compel his opponent, or an independent person, to disclose information must show that the information is likely to help his own case.“76
Eine kritische Hinterfragung der disclosure – ohne allerdings den Versuch einer Beantwortung zu unternehmen – findet sich jüngst bei Malek: „There is nothing inherently unjust in having a system which does not require a party to disclose documents which undermine his case. Indeed our own criminal justice system does not require [disclosure] […]. To a civil lawyer, it is for a party to prove his case from what he has. He should not have to fish for evidence from his opponent. […] Not only is there a question of why a party should produce the very documents that undermine his case, but also whether he can be trusted to do so.“77
Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 536. Waugh v. British Railways Board [1980] A.C. 521, 537. 74 Davies v. Eli Lilly & Co [1987] 1 W.L.R. 428, 431. 75 Air Canada v. Secretary of State for Trade [1983] 2 A.C. 394. 76 Air Canada v. Secretary of State for Trade [1983] 2 A.C. 394. 77 Malek, Disclosure Regime, 2009, S. 283, 285. 72 73
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Das erhoffte Argumentationsmaterial gegen die nemo tenetur-Rechtsprechung des BGH lässt sich aus dem englischen Recht somit nicht gewinnen. Das Nebeneinander von adversarial principle und disclosure-Verfahren wird als Ergebnis historischer Gegebenheiten akzeptiert. Als Rechtfertigungsansatz findet sich nur der Hinweis, dass der Zugang zu allen Informations- und Beweismitteln erforderlich ist, um Gerechtigkeit herzustellen. 6. Zwischenergebnis Das adversarial principle gewährt den Parteien die Herrschaft über Einleitung, Streitgegenstand und Tatsachengrundlage des Verfahrens und enthält damit Elemente sowohl des Dispositions- als auch des Beibringungsgrundsatzes. Diese Herrschaft erstreckte sich nach h.M. – von offensichtlichen Fällen von illegality, abuse und public interest abgesehen – auch auf die Beibringung der für die Bewertung des Falles einschlägigen Rechtssätze. Dies ist historisch zu erklären, weil der Richter sich im klassischen common law-Prozess vor dem trial nicht mit dem Fall zu befassen hatte. Der Richter sollte wie ein Schiedsrichter den Fall nach den Regeln des sportlichen Wettkampfs entscheiden. Diese sporting theory of justice wurde im ausgehenden 20. Jahrhundert langsam durch die Erkenntnis abgelöst, dass es im Prozess um „wahre Gerechtigkeit“ gehe. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt mit der Einführung der CPR im Jahr 1999. Der strenge Adversarialismus der Parteien und die Passivität des Richters sind durch die Etablierung einer Verpflichtung der Parteien zur Kooperation sowie den Ausbau der verfahrensleitenden Kompetenzen des Richters deutlich abgemildert worden. Wahre Gerechtigkeit soll – neben den allgemeinen Vorgaben des overriding objective – konkret erreicht werden durch offenen und möglichst frühzeitigen Informationsaustausch, einen funktionalen Einsatz der disclosure und durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Verpflichtung der Parteien zur Kooperation, insbesondere durch offenen und frühzeitigen Informationsaustausch, über deren Einhaltung das Gericht mittels seiner verfahrensleitenden Kompetenzen wacht, stellt eine Einschränkung des Grundsatzes der Parteiherrschaft in Reinform dar. Ein gewisses Korrektiv desselben bestand allerdings auch schon vor den beschriebenen neueren Entwicklungen auf Grund der Rolle der barristers, die als Gehilfen des Gerichts bei der Förderung der Wahrheitsfindung betrachtet wurden. Ferner ergaben sich auch schon vor Inkrafttreten der CPR Grenzen aufgrund der Verpflichtung der Parteien, einander im Rahmen der heutigen disclosure und früheren – noch weiter reichenden – discovery, alle relevanten Dokumente vorzulegen, auch wenn diese für den eigenen Fall nachteilig waren. Gleiches gilt und galt für die Informationsersuchen (CPR 18 und die früheren interrogatories bzw. requests for further and better particulars).
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Dieser Konflikt wurde in der englischen Literatur und Judikatur nahezu gar nicht thematisiert. Er hat sich aus der Verschmelzung des vom adversarial principle geprägten common law und des law of equity mit seinem disclosure-Verfahren im 19. Jahrhundert ergeben und kommt konkret zum Tragen, wenn der disclosure-Verpflichtung ein dem common law entstammendes privilege entgegengehalten wird. Das eigentlich konfliktträchtige Nebeneinander von adversarial system und disclosure wird als historische Gegebenheit hingenommen. Lord Justice Fox drückte sein Unbehagen darüber im Air Canada-Fall aus, indem er sagte, „in an adversarial system […] [h]e cannot be compelled to disclose it against his will“, um dann aber im nächsten Satz diese allgemeine Schlussfolgerung unmittelbar wieder in ihr Gegenteil zu verkehren: „It follows in my opinion that a party who seeks to compel his opponent […] must show that the information is likely to help his case.“ Der Gegner kann demnach nach englischer Einschätzung auch in einem adversarial system zur Offenlegung gegen seinen Willen gezwungen werden, sofern nur die informationssuchende Partei zeigt, dass die begehrte Information für ihre Argumentationslinie förderlich ist. II. Mitwirkungspflichten und der deutsche Beibringungsgrundsatz Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist im deutschen Recht der Beibringungsgrundsatz. Lohnend ist daher, sich zu vergegenwärtigen, woraus dieser Grundsatz überhaupt resultiert und was genau er besagt. 1. Aus traditioneller englischer Perspektive Aus Sicht von Jacob ist in den kontinentaleuropäischen civil law-Ländern, in denen seiner Meinung nach ein „inquisitorisches“ System herrscht, die Lage anders als in England: „under the inquisitorial system, the basic assumptions are […] that the court comes under a state duty forthwith to take that dispute under its control […] [and] to search for the underlying truth“. 78 Ähnlich ist auch die Einschätzung der amerikanischen Prozessualisten, die das deutsche Zivilverfahren als inquisitorial bewerten. 79 Auch Lord Denning meinte in dem bereits zitierten Fall Jones v. National Coal Board im Hinblick auf den kontinentaleuropäischen Zivilprozess: „In the system of trial which we have evolved in this country, the judges sit to hear and determine the issues raised by the parties, not to conduct an investigation or examination on behalf of the society at large, as happens, we believe, in some foreign countries.“80
Jacob, Fabric, 1987, S. 8. Vgl. dazu die Nachweise bei Langbein, (1985) 52 U.Chic.L.R., S. 823 ff.; ders., (1988) 82 Nw.U.L.Rev., S. 763 ff. 80 Jones v. National Coal Board [1957] 2 Q.B. 55, 63. 78 79
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Diese Einschätzung beruht auf der vergleichsweise passiven Rolle des Anwalts im Rahmen der Beweisaufnahme sowie der relativ aktiven Rolle des Richters.81 2. Aus deutscher Sicht: Inhalt und Reichweite Die Einordnung des deutschen Zivilverfahrens durch englische Rechtswissenschaftler als „inquisitorial“ erstaunt den deutschen Juristen: Denn Grundcharakteristikum des deutschen Zivilprozesses ist neben dem Dispositionsgrundsatz der Beibringungsgrundsatz, der gerade im Gegensatz zum Inquisitionsgrundsatz steht.82 Dispositions- und Beibringungsgrundsatz zusammen repräsentieren die Grundsätze von Parteifreiheit und Parteiverantwortung. 83 Im Zivilprozess treffen beide Maximen zusammen, dies ist jedoch nicht denknotwendig der Fall.84 Der Dispositionsgrundsatz kennzeichnet das Recht der Parteien, über den Rechtsstreit im Ganzen zu verfügen, ihn durch Initiative des Klägers in Gang zu setzen, den Streitgegenstand zu bestimmen, den Rechtsstreit durch Anträge maßgeblich zu beeinflussen und ihn auch vorzeitig ohne Urteil zu beenden.85 In Verfahren, die vom Dispositionsgrundsatz geprägt sind, haben die Parteien also die Herrschaft über das Verfahren und Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 92, 106. Vgl. auch Jacob, Fabric, 1987, S. 7, der als Merkmal des adversarial principle definiert: „the court plays an inactive, passive, noninterventionist role“. Allerdings gibt es auch im common law-Kreis Autoren, die diese Einschätzung anzweifeln. So meint Zuckerman, Justice in Crisis, 1999, S. 1, 31;„ [i]t may come as a surprise to many common lawyers but the German system is largely adversarial.“ Langbein, (1985) 52 U.Chic.L.R., S. 823, 841 konstatiert, „[o]utside the realm of fact-gathering German cicil procedure is as adversarial as our own.“ Darauf hat auch M. Stürner, ZVglRWiss 99 (2000), S. 310, 330 hingewiesen. Gleiches gilt für Jolowicz, Civil procedure, 2000, S. 219, der betonte: „as a general rule, continental civil procedure […] is not considered to be ,inquisitorial‘“. Dieser Ansicht schloss sich auch Hunter, SchiedsVZ 2003, S. 155, 160 f., an, indem er feststellte: „However, contrary to a common misconception among common law lawyers, the burden of introducing the facts and circumstances of a case in Germany is on the parties and not the court, just as in Anglo-Saxon procedure. To this extent, both procedures are at their heart adversarial“. 82 Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 191 weist indes auf „zwei Zerrbilder“ hin, die auch in der deutschen Diskussion um den Beibringungsgrundsatz kontrastiert würden: zum einen „das abstoßende Bild des Zivilrichters als Inquisitor, der rücksichtslos in die Privatsphäre der Parteien eindringt und ihre privatesten Angelegenheiten vor die Schranken des Gerichts zerrt“. Und andererseits „das erschreckende Bild eines edelwollenden Richters“, „der gleichsam mit gefesselten Händen einen von tückischen Parteien unterbreiteten verschiedentlich fingierten Sachverhalt entscheiden muß“. 83 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, vor § 128, Rn. 146 f. 84 Im Verwaltungsprozess sowie im echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt zwar der Dispositionsgrundsatz, jedoch gekoppelt mit dem Untersuchungsgrundsatz anstelle des Beibringungsgrundsatzes, vgl. §§ 26 FamFG, 86 VwGO. 85 Musielak-Musielak, 2014, Einl., Rn. 35. 81
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die Verfügungsfreiheit über den Streitgegenstand86 und bestimmen die Einleitung sowie die Beendigung des Verfahrens durch Rücknahme, Verzicht, Anerkenntnis und Vergleich. 87 Der Beibringungsgrundsatz – auch als Verhandlungsmaxime bezeichnet 88 – besagt, dass die Parteien auch die Herrschaft über den Tatsachenstoff haben; dem Gericht ist es grundsätzlich untersagt, Tatsachen, die nicht von den Parteien vorgetragen sind, bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, 89 mit Ausnahme offenkundiger oder gerichtsnotorischer Tatsachen.90 Der Beibringungsgrundsatz setzt sich auch im Beweisverfahren fort, in dem eine Beweisaufnahme nach der Konzeption der ZPO grundsätzlich nur dann zu erfolgen hat, wenn zumindest eine Partei dies beantragt. 91 Der Beibringungsgrundsatz ist zwar in der ZPO nicht explizit verankert, wird aber im Umkehrschluss aus einigen Vorschriften, u.a. aus §§ 228, 282, 288, 331, 617 und 622 ZPO hergeleitet. Das Gegenteil des Beibringungsgrundsatzes ist der Untersuchungsgrundsatz, bei dem der Richter von Amts wegen Initiativen zur Erforschung des Sachverhalts durch Ermittlung von Tatsachen und Aufnahme von Beweisen anzustellen hat. Der Untersuchungs- oder Inquisitionsgrundsatz gilt in denjenigen Verfahren, in denen ein öffentliches Interesse an der Aufklärung der Wahrheit besteht, so insbesondere im Strafprozess und im Verwaltungsprozess, sowie – im Bereich des Zivilverfahrens – in Kindschaftssachen 92 und in einigen Ehe- und Scheidungssachen. 93 Der Beibringungsgrundsatz erstreckt sich nicht auf die Beibringung der anzuwendenden Rechtssätze. Im deutschen Zivilprozess gilt das Prinzip iura novit curia, das Gericht ist also völlig frei, den Sachverhalt – auf Basis der ihm vorgetragenen Tatsachen und gegebenenfalls nach richterlichem Hinweis gem. § 139 Abs. 1 und 2 – rechtlich völlig anders zu würdigen als die Parteien. Zwar wurden hiergegen Stimmen erhoben, die argumenMüKoZPO-Rauscher, 2013, Einl., Rn. 291. Zöller-Greger, 2014, vor § 128, Rn. 9. 88 Zu den Begrifflichkeiten des Beibringungs- und des Verhandlungsgrundsatzes sowie ihren unterschiedlichen Nuancierungen, vgl. Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 21 ff. und S. 30 ff. 89 BGH v. 10.1.1978, MDR 1978, S. 567. 90 Die Wahrung des rechtlichen Gehörs setzt allerdings voraus, dass das Gericht den Parteien zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, vgl. Becker-Eberhard, Verhandlungsgrundsatz, 2001, S. 15, 23. Nach a.A. bedürfen derartige Tatsachen wegen § 291 ZPO zwar keines Beweises, jedoch eines entsprechenden Parteivortrages, vgl. hierzu die Streitdarstellung bei Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 102 ff. 91 Zu den Ausnahmen, denen zufolge prozessleitende Anordnungen gem. §§ 142, 144 ZPO auch von Amts wegen zulässig sind, s. oben, S. 90. Eine amtswegige Beweisaufnahme ist unter den Voraussetzungen der §§ 372a, 448 ZPO zulässig, vgl. S. 249 f. 92 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 77, Rn. 4. 93 Der Untersuchungsgrundsatz gilt gem. §§ 26, 127 Abs. 1 FamFG in Verfahren über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Ehe sowie gem. § 127 Abs. 2 FamFG in Scheidungsverfahren, s. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 77, Rn. 42. 86 87
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tierten, aus der Dispositionsbefugnis über das materielle Recht folge auch die Dispositionsbefugnis über das Prozessrecht,94 weshalb es dem Kläger, jedenfalls aber beiden Parteien übereinstimmend95 unbenommen sein müsse, dem Gericht den Sachverhalt zur Überprüfung lediglich auf Basis bestimmter Anspruchsgrundlagen zu unterbreiten bzw. im Rahmen der Beurteilung bestimmte präjudizielle Rechtsverhältnisse als bestehend vorzugeben. 96 Nach h.M. kommt den Parteien jedoch eine solche Ausschaltungsbefugnis bzw. Möglichkeit der Rechtsfolgenbehauptung grundsätzlich nicht zu.97 Zum einen sei dies mit der Stellung des Richters und dem Grundsatz des iura novit curia nicht vereinbar.98 Zum anderen bestehe keine Deckung der Wirkungen materieller und prozessrechtlicher Disposition.99 3. Kritik an der Verhandlunsgsmaxime Der ursprünglichen Konzeption der CPO und des Verhandlungsgrundsatzes lag ein streng liberales Prozessverständnis zu Grunde, demzufolge der Zivilprozess eine Art sportlicher Wettkampf ist, in dem der Geschicktere gewinnen soll.100 Kritik an einem so verstandenen Verhandlungsgrundsatz wurde insbesondere von denjenigen geübt, die die soziale Komponente des Zivilprozesses, die diesem als „Massenphänomen“ zukomme, betonen. Prominente Vertreter sind insbesondere Menger,101 Klein102 und Wassermann.103 Unter dem Oberbegriff dieser sozialen Komponente verbergen sich verschiedenste Einzelströmungen. Vereinfacht gesagt geht es jedoch jeweils um die Einschränkung der reinen Parteiherrschaft durch Ausbau der Richtermacht. Motive dafür waren bei Klein zum einen der Schutz der Unbemittelten und Schwachen (insbesondere der „besitzlosen Volksklassen“), in deren Hand die Parteimacht wird zu „eine[r] Waffe, die, weil [sie] sie nicht zu handhaben [wüssten], leichter [sie] selbst verletzt, als daß sie in [ihrer] Hand erfolgreich wider den Gegner wirken würde“. 104 Zum anderen betrachtete Klein seit der IndusWürthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses, 1977, S. 61 ff. Schlosser, Parteihandeln, 1968, S. 33 ff., 96 ff. 96 So insb. Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses, 1977, S. 61 ff., 75. 97 Vgl. statt aller und m.w.N. Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 2014, § 308, Rn. 4. 98 MüKoZPO-Becker-Eberhard, 2013, § 253, Rn. 72. 99 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 77, Rn. 10, die allerdings Ausnahmen für den Fall des Geständnisses präjudizieller Rechtsverhältnisse sowie bei sogenannten eingeschränkten Anerkenntnissen zulassen, vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 112, Rn. 5 und § 132, Rn. 43. 100 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 49. 101 Menger, Besitzlose Volksklassen, 1908. 102 Klein, Pro futuro, 1891; ders, Zeit- und Geistesströmungen im Prozeß, 1958. 103 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978. 104 Klein, Pro futuro, 1891, S. 20. 94 95
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trialisierung das Wirtschaftsleben als treibende Kraft, die dem Zivilprozess eine öffentliche Funktion zukommen lasse, was eine effiziente und funktionsfähige Zivilrechtspflege voraussetze.105 Wassermann geht davon aus, dass ein Zusammenspiel aus veränderten Fakten und Wertvorstellungen,106 dem Einfluss des Grundgesetzes, 107 dem bereits vollzogenen Wandel zur Kooperationsmaxime 108 sowie – darauf aufbauend – dem Verständnis von der Gerichtsverhandlung als sozialer Institution109 weg vom liberalen hin zum sozialen Prozessmodell geführt habe. Ausgangspunkt der CPO aus dem Jahr 1877 sei eine Wettkampfordnung zwischen vorgestellt Gleichen gewesen, bezüglich derer eine Chancen- und Waffengleichheit fingiert worden sei. 110 Demgegenüber hatten die industrielle, hochorganisierte Massengesellschaft, die Errungenschaften der Nachrichtentechnik und das massiv angestiegene Bevölkerungswachstum mit den sich daraus ergebenden Abhängigkeitsverhältnissen zu einer gänzlich abweichenden Realität geführt,111 die gleichzeitig auch mit geänderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen der organisierten Massen verbunden sei, die aus ihrer politischen Bedeutungslosigkeit herausträten. 112 Dem habe das Grundgesetz mit seiner Sozialstaatsbestimmung Rechnung getragen.113 Aus dieser folge, dass die Betätigung des freien Willens der Parteien im Prozess nicht schrankenlos erfolgen dürfe und deshalb eine Stärkung der richterlichen Aufklärungsbefugnisse nötig sei, die jedoch nicht im Sinne eines Gegensatzes von Richter- oder Parteiherrschaft, sondern vielmehr als prozessuale Arbeitsgemeinschaft zwischen Parteien und Gericht zu praktizieren sei.114 Weitere Folge sei eine Förderung des Effizienzgedankens im Hinblick auf das Verhältnis von Dauer, Kosten und Mühe einerseits und der richtigen Entscheidung andererseits.115 Diese Probleme könnten jedoch nicht durch einen „Maximenkult“ gelöst werden, in dem die Verhandlungsmaxime ideologisch überhöht werde. Ein Abschied von den Begriffen der Verhandlungs- und Inquisitionsmaxime sei förderlich, im Grundsatz solle es jedoch bei einem kontradiktorischen Verfahren bleiben, angereichert durch 105 Klein, Zeit- und Geistesströmungen im Prozeß, 1958, S. 25; vgl. Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 13 ff. 106 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 49 ff. 107 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 68 ff. 108 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 97 ff. 109 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 129 ff. 110 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 49. 111 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 49 f. 112 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 50 f. 113 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 68 ff. 114 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 86 ff. Die Idee einer Arbeitsgemeinschaft zwischen Parteien und Gericht bei der Stoffsammlung findet sich bereits bei Rosenberg, Lehrbuch, 1927, S. 171. 115 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 90 ff.
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Kooperationselemente.116 Auf diese Kritik an der Verhandlungsmaxime wird unten117 noch zurückzukommen sein, wenn untersucht wird, welcher Begründungsansatz bezüglich des Beibringungsgrundsatzes überzeugt. 4. Grenzen, die in der ZPO selbst angelegt sind Der unbegrenzten Herrschaft der Parteien über den Tatsachenstoff sind heute jedoch – nicht zuletzt auch infolge des Einflusses der Strömung des sozialen Zivilprozesses – bereits de lege lata durch die ZPO selbst Grenzen gesetzt, und zwar durch viererlei Normkomplexe: durch die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht der Parteien gem. § 138 Abs. 1 ZPO, durch die der Verfahrenskonzentration dienenden Vorschriften der §§ 272, 275, 276, 282, 296 und 358 a ZPO, durch die materiellen Prozessleitungsbefugnisse des Gerichts gem. § 139 ZPO und die Möglichkeit der Anordnung der Urkundenvorlage, der Inaugenscheinnahme und der Sachverständigenbegutachtung von Amts wegen gem. §§ 142, 144 ZPO sowie durch die Möglichkeit der amtswegigen Beweisaufnahme gem. §§ 448, 372 a ZPO. a) Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht Die oben in Teil I zur Rechtslage de lege lata118 sowie im Rahmen des Abschnitts „Wahrheitsfindung“119 in Teil II bereits erörterte Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht zieht der freien Herrschaft der Parteien, dem Gericht einen Sachverhalt zu unterbreiten, eine Grenze. Allerdings handelt es sich insofern nur um eine sehr schwache Grenze, da die Lesart der Wahrheitspflicht nach h.M. nur die des Verbots der Prozesslüge ist.120 Becker-Eberhard spricht von einer Interpretation, die „so restriktiv wie irgend möglich [ist] […], unter Beibehaltung des größtmöglichen Spielraums für den Verhandlungsgrundsatz“.121 Dieser Hinweis Becker-Eberhards ist jedoch nicht als Kritik an dem beschränkten Anwendungsbereich des § 138 Abs. 1 ZPO aufzufassen. Er weist zu Recht darauf hin, dass es den Parteien möglich sein muss – gerade weil die Beibringung der Tatsachen und Beweismittel ihnen zugewiesen ist –, anspruchsbegründende oder anspruchsvernichtende Tatsachen zu behaupten, auch wenn sie über ihr tatsächliches Vorliegen noch im Unklaren sind und erst die Beweisaufnahme endgültige Gewissheit verschaffen soll, ohne dadurch gegen das Wahrheitsgebot zu verstoßen. 122 Mit dem Beibringungsgrundsatz Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 103 ff., 108 ff. Vgl. unten, S. 261 ff. 118 S. 82 f. 119 S. 211 f. 120 Vgl. dazu oben, S. 82 f. 121 Becker-Eberhard, Verhandlungsgrundsatz, 2001, S. 15, 23. 122 Becker-Eberhard, Verhandlungsgrundsatz, 2001, S. 15, 24 f. Zahlreiche Beispiele finden sich insofern bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 65, 116 117
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vertrage sich folglich nur eine Interpretation der Wahrheitspflicht, die aus ihr eine Pflicht zur subjektiven Wahrhaftigkeit mache.123 Hoch problematisch ist das Verhältnis von Wahrheitspflicht und Beibringungsgrundsatz insbesondere in Fällen, in denen die Parteien übereinstimmend Unwahres vortragen oder in denen eine Partei wider besseres Wissen ein unzutreffendes Geständnis ablegt. Grundsätzlich hat das Gericht Unbestrittenes gem. § 138 Abs. 3 ZPO seinem Urteil zu Grunde zu legen, egal ob es mit der Realität übereinstimmt oder nicht. Eine Beweisaufnahme steht bei unstreitigem Vortrag auf Grund des in § 138 Abs. 3 ZPO zum Ausdruck kommenden Beibringungsgrundsatzes folglich grundsätzlich gerade nicht offen.124 Auch das Geständnis einer Partei gem. § 288 ZPO ist der richterlichen Überprüfung wegen des Verhandlungsgrundsatzes entzogen. Dass dies für den Fall des übereinstimmenden unbewusst unrichtigen Vortrags und für das unbewusst unrichtige Geständnis gilt, ist unstreitig. Divergenzen bestehen nur in der Bewertung der Rechtslage, wenn bewusst unrichtig vorgetragen bzw. Geständnis abgelegt wird. Nach h.M. gilt für diesen Fall im Ergebnis auf Grund des Beibringungsgrundsatzes jedoch nichts anderes als bei unbewusst unrichtigem Vortrag bzw. Geständnis. § 138 Abs. 1 ZPO ist demnach in beiden Fällen nicht einschlägig – im Fall des unbewusst unrichtigen Vortrags nicht, weil § 138 Abs. 1 nur die bewusste Lüge verbiete und im Fall des bewusst unrichtigen Vortrages nicht, weil § 138 Abs. 1 ZPO nur einschlägig sei, wenn Tatsachen zu eigenen Gunsten behauptet werden.125 Ein bewusst unrichtiges Geständnis sei jedoch für die gestehende Partei ungünstig und folglich von § 138 Abs. 1 ZPO nicht erfasst. Überdies sei – wenn § 138 Abs. 1 ZPO in diesen Fällen gelten würde – die Vorschrift des § 290 ZPO überflüssig.126 Eine Ausnahme gelte nur für den Fall des kollusiven, betrügerischen Zusammenwirkens mit der Gegenseite zum Nachteil eines Dritten; hier könne das Gericht das Geständnis im Rahmen der freien Beweiswürdigung nachteilig werten.127 Nach anderer Auffassung, insbesondere Bernhardts, gebietet die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO jedoch, dass das Gericht den ihm übereinstimmend vorgetragenen Sachverhalt auf seine Richtigkeit prüfen dürfe, weil die Parteien gegen die ihnen obliegende Verpflichtung zur Wahrheit verstoßen hätten. Die Wahrheitspflicht sei der Disposition der Parteien entzogen, da sie nicht nur zwischen den Prozessparteien als gegenseitige Pflicht beRn. 63. Genannt werden dort u.a.: Der Vortrag von inneren Vorgängen bezüglich des Gegners, wie Wille, Kenntnis, Vorsatz, der Vortrag von hypothetischen Abläufen für die Tatbestände der §§ 119 Abs. 1 S. 1, 2078, 139, 140, 2085 BGB. 123 Becker-Eberhard, Verhandlungsgrundsatz, 2001, S. 15, 25. 124 Musielak-Stadler, ZPO, 2014, § 138, Rn. 15. 125 MüKoZPO-Prütting, 2013, § 288, Rn. 35. 126 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 65, Rn. 67. 127 Musielak-Huber, 2014, § 288, Rn. 10.
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stehe, sondern auch als Wahrheitsgebot gegenüber dem Gericht.128 Es handele sich folglich um eine öffentlich-rechtliche Pflicht, auf deren Einhaltung die Parteien nicht verzichten können.129 Es sei nicht möglich, aus der materiellrechtlichen Verfügungsbefugnis der Parteien auf eine Dispositionsbefugnis über den Streitstoff zu schließen. Korrelat der materiellrechtlichen Verfügungsbefugnis sei infolge der Dispositionsmaxime lediglich eine Dispositionsmöglichkeit über die Rechtsverhältnisse. Fälschlicherweise werde die materiellrechtliche Verfügungsbefugnis, die sich prozessual in der Verfügungsbefugnis über Rechtsverhältnisse fortsetze, mit einer angeblichen Verfügungsbefugnis über den Streitstoff in Zusammenhang gebracht.130 Letztere könne aber nicht bestehen – zum einen wegen der öffentlich-rechtlichen und daher nicht verzichtbaren Wahrheitspflicht der Parteien,131 zum anderen, weil man über Tatsachen schon begrifflich nicht disponieren und diese ungeschehen machen könne. 132 Aus der Öffentlich-Rechtlichkeit der Wahrheitspflicht sowie aus ihrem „ganzheitlichen“ Charakter folgert Bernhardt weiter, dass die Wahrheitspflicht es verbiete – anders als von der h.M. angenommen – unwahre, der Partei ungünstige gegnerische Einlassungen gelten zu lassen.133 Das Gebot der Wahrheit stehe über dem Beibringungsgrundsatz, da nur ein auf der Wahrheit beruhendes Urteil gerecht sei und nur ein gerechtes Urteil zur Bewährung der Rechtsordnung beitragen könne. 134 Demgegenüber verzichten die Parteien nach liberaler Prozessauffassung partiell auf die Rechtsverfolgung, wenn sie übereinstimmend einen Vortrag der Überprüfung des Gerichts entziehen und die Ermittlung der Wahrheit somit auf die zwischen ihnen streitigen Punkte beschränken. b) Verfahrenskonzentration Schließlich führen auch die zum Zweck der Verfahrenskonzentration eingeführten Vorschriften der §§ 282, 296 ZPO zu einer Einschränkung des Beibringungsgrundsatzes. Denn der Freiheit der Parteien, Tatsachenstoff beliebig in den Prozess einzuführen, ist aus verfahrensökonomischen Gründen eine zeitliche Schranke gesetzt, die es erlaubt, im Fall des Verstoßes dieses Vorbringen zu präkludieren. Nach Auffassung von Rosenberg/Schwab/Gottwald rechtfertigt es diese Beschränkung, von einem Beibringungsgrundsatz nicht 128 Bernhardt, JZ 1963, S. 245, 247, der sich dabei auf den Vorspruch zur Novelle von 27.10.1933 bezieht: „Keiner Partei kann gestattet werden, das Gericht durch Unwahrheiten irrezuführen“. 129 Cahn, AcP 198 (1998), S. 35, 37; Bernhardt, JZ 1963, S. 245, 247. 130 Bernhardt, JZ 1963, S. 245, 246. 131 Bernhardt, JZ 1963, S. 245, 247. 132 Bernhardt, JZ 1963, S. 245, 246. 133 Bernhardt, JZ 1963, S. 245, 247. 134 Bernhardt, JZ 1963, S. 245, 246 f.
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in Reinform, sondern vielmehr in Gestalt einer Kooperationsmaxime zu sprechen.135 Mit dem Begriff der Kooperationsmaxime wird an die freilich weiter reichende Interpretation Hahns136 angeknüpft. Teilweise wird die aus § 282 Abs. 1 ZPO resultierende Pflicht auch als „allgemeine Prozessförderungspflicht“137 bezeichnet.138 Dieser Ausdruck erscheint jedoch irreführend, weil § 282 Abs. 1 ZPO keine Regelung zum Umfang von Mitwirkungshandlungen, etwa in Gestalt von informationellen Mitwirkungspflichten, trifft, sondern lediglich bezüglich ihres Zeitpunktes.139 c) Materielle Prozessleitung gem. §§ 139, 141, 142, 144 ZPO Gem. § 139 ZPO obliegt dem Gericht die materielle Prozessleitung. Es hat darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben ergänzen, Beweismittel bezeichnen und sachdienliche Anträge stellen (§ 139 Abs. 1 S. 2 ZPO). Die materielle Prozessleitung dient einerseits der Konzentration und Beschleunigung, andererseits dem Bewirken eines möglichst richtigen Prozessergebnisses. Auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf sich das Gericht nur stützen, wenn es der Partei zuvor Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (§ 139 Abs. 2 S. 1 ZPO). Damit sollen insbesondere Überraschungsentscheidungen vermieden werden. Die Vorschrift des § 139 ZPO dient der einfachgesetzlichen Verankerung des verfassungsrechtlichen Rechts auf Gehör140 und der Sicherstellung eines fairen Verfahrens im Sinne der Waffengleichheit. 141 Sie kommt insbesondere in Fällen, in denen mindestens eine Partei nicht anwaltlich vertreten ist, zum Tragen. Der sich zugunsten der einen Partei auswirkende richterliche Hinweis wirkt in der Regel gleichzeitig auch zulasten der Gegenseite, sofern die adressierte Partei ihr Verhalten dem richterlichen Hinweis entsprechend ausrichtet und neuen Sachvortrag einbringt oder Anträge stellt.142 Insofern sind die Bestimmungen
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 77, Rn. 5. Hahn, Kooperationsmaxime im Zivilprozess?, 1983, passim. 137 Diese bezieht sich inhaltlich auf eine andere Form von Mitwirkungshandlungen, als das von Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399, mit dem Begriff der allgemeinen Prozessförderungspflicht umschriebene Konzept, vgl. S. 87 f. 138 So zum Beispiel Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1985, § 30 VII 4. 139 Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399 sowie Morhard, Informationspflicht, 1993, S. 110, der für eine „Prozeßförderungspflicht inhaltlicher Art“ plädiert. 140 Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 139, Rn. 5. 141 Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 2014, § 139, Rn. 1. 142 So Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 92, 108. 135 136
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des § 139 ZPO nach klassischem Verständnis der Untersuchungsmaxime zuzuordnen.143 Zur materiellen Prozessleitung des Gerichts gehören auch die prozessleitenden Anordnungen gem. §§ 141, 142 und 144 ZPO. Demzufolge kann das Gericht von Amts wegen das persönliche Erscheinen der Parteien zum Zweck ihrer Anhörung, die Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten sowie die Einholung von Sachverständigengutachten anordnen. Insbesondere zweitere Möglichkeit wurde oben 144 bereits umfassend erläutert. Diese Vorschriften bringen eine erhebliche Einschränkung der Verhandlungsmaxime reiner Prägung mit sich, können doch mit Ausnahme der Zeugenanhörung alle Aufklärungsmittel, die für ein etwaiges späteres Beweisverfahren vorgesehen sind, von Amts wegen bereits im Rahmen der Prozessleitung des Gerichts zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung herangezogen werden. Hintergrund dieser Einschränkungen ist nach Rosenberg/Schwab/ Gottwald ein gewisser Pragmatismus.145 Die Möglichkeit der Anordnung von Amts wegen wird damit als Durchbrechung des Beibringungsgrundsatzes gewertet.146 Bezüglich § 142 ZPO bleibt es jedoch dabei, dass das Gericht nicht von sich aus die Vorlage jeglicher Urkunden verlangen kann, die es für interessant oder prozessförderlich erachtet, sondern vielmehr nur solcher Urkunden, auf die sich jedenfalls eine Partei bezogen hat.147 d) Amtswegige Beweisaufnahme Die im Rahmen der materiellen Prozessleitung vorgesehenen Möglichkeiten der Heranziehung von Aufklärungsmitteln von Amts wegen finden ihre Entsprechung im Beweisverfahren. Auch hier können Beweismittel von Amts wegen angeordnet werden. Ferner besteht die besonders eingriffsintensive Möglichkeit der Anordnung der körperlichen Untersuchung in Abstammungsverfahren. Diese beweisrechtlichen Befugnisse des Gerichts sind erst recht als partielle Durchbrechung des Verhandlungsgrundsatzes zu werten. Gem. §§ 445 f. ZPO besteht die Möglichkeit, den Gegner im Rahmen der Beweisführung als Partei vernehmen zu lassen und somit zur Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung heranzuziehen. Im Rahmen dieser Parteivernehmung, die außer auf Antrag des Gegners auch durch Anordnung von Amts wegen gem. § 448 ZPO durchgeführt werden kann, hat im Fall der § 445 f. ZPO der Gegner – bei amtswegiger Anordnung die Partei, deren Vernehmung
143 So Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978, S. 99 und Jolowicz, Comparison, 2002, S. 721, 737. 144 Vgl. S. 105 ff. sowie S. 176 ff. 145 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 77, Rn. 8. 146 Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 2014, § 144, Rn. 1. 147 Siehe oben, S. 105 ff.
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angeordnet wird – das jeweilige Wissen preiszugeben.148 Anders als bei der Anordnung des persönlichen Erscheinens durch das Gericht gem. § 141 ZPO zum Zweck der informatorischen Befragung handelt es sich hier um ein echtes Beweismittel. Gem. § 372 a ZPO hat jede Person – soweit es zur Feststellung der Abstammung erforderlich ist – Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blutproben, zu dulden, es sei denn die Untersuchung kann dem zu Untersuchenden nicht zugemutet werden. 5. Bewertung und Zwischenergebnis Die dem Beibringungsgrundsatz gezogenen Grenzen sind zum einen Grenzen, die sich aus richterlichen Handlungsbefugnissen ergeben, zum anderen solche, die sich aus Pflichten ergeben, die (zumindest auch) gegenüber dem jeweiligen Gegner bestehen. Der Beibringungsgrundsatz besteht folglich nicht unbegrenzt und in Reinform, sondern wurde aus Pragmatismus (Prozessleitung, prozessleitende Anordnungen von Amts wegen und Verfahrenskonzentration) sowie aus Gerechtigkeitsgedanken (Wahrheitspflicht) Beschränkungen unterzogen. Wegen der durch die Einführung der Wahrheitspflicht entstehenden Konflikte mit den Vorschriften der § 138 Abs. 3 und § 288 ZPO, die ihrerseits Ausdruck der Verhandlungsmaxime sind, ist in der Folgezeit vertreten worden, die Verhandlungsmaxime existiere nicht mehr.149 Insbesondere Weyers hat starke Kritik an der Verhandlungsmaxime geäußert. Da die Beibringung des Tatsachenstoffs und der Beweismittel jedoch nach wie vor Sache der Parteien, nicht aber des Gerichts ist, ist der deutsche Zivilprozess immer noch vom Verhandlungsgrundsatz und nicht vom Untersuchungsgrundsatz geprägt. 150 Die dargestellten Grenzen sind gegenüber diesem Gesamteindruck eines parteibeherrschten Verfahrens untergeordnet und fallen auch in ihrer Gesamtschau nicht derart gravierend ins Gewicht, dass dies eine andere Beurteilung rechtfertigen würde. Die Vorschriften der Verfahrenskonzentration und die Wahrheitspflicht stellen für die Parteiherrschaft die am wenigsten gewichtigen Einschränkungen dar. Die Verfahrenskonzentration zieht dem Recht der Parteien, neue Umstände in den Prozess einzuführen und Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 402. So zum Beispiel Bernhardt, in: FG Rosenberg, 1949, S. 9, 24 ff.; Weyers, in: FS Esser, 1975, S. 193, 200 ff.; Olzen, ZZP 98 (1985), S. 403, 415. 150 In eine ähnliche Richtung argumentiert Damrau, Prozeßmaximen, 1975, S. 20, dass es bei der Verhandlungsmaxime primär um die Aufgabe der Stoffsammlung, nicht aber um die Berechtigung zur Stoffsammlung gehe. Wenn die Aufgabe der Stoffsammlung bei den Parteien liege, schließe das nicht aus, dass auch das Gericht in besonderen Fällen tätig werde. Anders sei dies nur, wenn man die Berechtigung zur Stoffsammlung bei den Parteien sähe, dann sei eine Mitwirkung des Gerichts ausgeschlossen. 148 149
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Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen, nur eine zeitliche Grenze, die im wohlverstandenen Interesse beider Seiten liegt, da sie einer Prozessverschleppung entgegenwirkt und beiden Seiten dazu verhilft, möglichst rasch zu einem den Rechtsstreit beendenden Urteil und damit zu einem Zustand zu gelangen, der für beide Seiten wünschenswert sein dürfte. Auch die gegenseitige Wahrheitspflicht stellt wegen ihres eingeschränkten Anwendungsbereichs (s.o., S. 82 f.) keine gravierende Beschränkung der Parteiherrschaft dar und wird seitens der Parteien in der Regel auch nicht als solche empfunden, zumal sie beide Seiten schützt. Die übrigen Einschränkungen können unter Umständen als nur dem Interesse einer Partei dienend empfunden werden, nämlich dem Interesse derjenigen, die es unterlassen hat, sachdienliche Anträge zu stellen oder ein bestimmtes Beweismittel zu benennen. Die hier stattfindende richterliche Überwachung und gegebenenfalls sogar richterliche Intervention gem. den §§ 139, 141, 142 und 144 ZPO steht am ehesten mit der Grundidee der Verhandlungsmaxime im Konflikt, die gerade die Parteien vor jeglicher Form richterlicher Intervention schützen wollte. Insbesondere die letztgenannten Einschränkungen führen mithin dazu, dass es zwar im Wesentlichen bei einem parteibeherrschten Verfahren bleibt, aber einem solchen, das auch durch Elemente der Richterinitiative geprägt ist. III. Rechtsvergleichende Auswertung Unter dem Begriff des adversary system werden in England u.a. Parteibefugnisse zusammengefasst, die in Deutschland mit dem Dispositionsgrundsatz und dem Beibringungsgrundsatz gekennzeichnet werden. Die deutsche Differenzierung zwischen Befugnissen im Hinblick auf die Herrschaft über den Rechtsstreit und die Herrschaft über die Tatsachengrundlage und die Beweisführung kennt das englische Recht nach h.M. jedoch nicht. Die umfassenden Befugnisse der Parteien in Deutschland werden faktisch durch weit reichende Interventionsmöglichkeiten des Richters eingeschränkt. Zwar hat der Richter grundsätzlich eine Beweisaufnahme in Bezug auf erhebliche und bestrittene Behauptungen der Parteien anzuordnen, wenn entsprechende Beweisangebote der Parteien vorhanden sind. Allerdings kommt es in der Praxis nicht selten vor, dass das Gericht einem solchen Antrag nicht nachkommt, indem es die Behauptung als nicht hinreichend substantiiert, als Versuch unzulässiger Ausforschung oder aber – was eher selten vorkommt – als unzulässigen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht einordnet.151 Auch wenn der deutsche Richter keinesfalls inquisitorisch von Amts wegen den Sachverhalt erforscht, ist er doch jedenfalls durch die Möglichkeit prozessleitender Anordnungen gem. §§ 142–144 ZPO und Fragerechte gem. 151
So Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 3.
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§139 ZPO sowie durch die Möglichkeit der Anordnung einer Beweisaufnahme von Amts wegen deutlich stärker involviert als der englische Richter traditioneller Prägung. Mit den durch die Woolf-Reformen eingeführten case management-Kompetenzen des Richters hat insofern jedoch eine deutliche Annäherung an den deutschen Zivilprozess stattgefunden. Aus der englischen Literatur lassen sich keine Rückschlüsse für die Vereinbarkeit erweiterter Mitwirkungs- bzw. Aufklärungspflichten des Prozessgegners mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft gewinnen. Zwar hat der Grundsatz der Parteiherrschaft in England auch nach den Woolf-Reformen einen höheren Stellenwert als in Deutschland, insbesondere im Beweisverfahren. Allerdings wird der Widerspruch des disclosure-Verfahrens mit dem adversarial principle nahezu gar nicht diskutiert, und das Nebeneinander beider als historische Gegebenheit akzeptiert. IV. Vereinbarkeit der disclosure mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft Dass erweiterte Aufklärungspflichten mit dem Dispositionsgrundsatz vereinbar sind, ist unbestritten. Sehr viel schwieriger gestaltet sich die Frage, ob erweiterte Mitwirkungspflichten der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei tatsächlich – wie von einigen behauptet – im Widerspruch zum Beibringungsgrundsatz stünden.152 Im Folgenden soll deshalb untersucht werden, ob und inwieweit erweiterte Mitwirkungspflichten mit dem Beibringungsgrundsatz in Einklang zu bringen wären. Dabei werden konkret diejenigen Aspekte des Beibringungsgrundsatzes untersucht, bezüglich derer in der Literatur Einwände im Hinblick auf die Vereinbarkeit erhoben wurden: 1. die Veränderung der Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht, 2. der Verstoß gegen den angeblichen nemo tenetur-Grundsatz, 3. die Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises und 4. die Veränderung der Beweislastverteilung und der Rollenverteilung zwischen den Parteien untereinander. 1. Veränderung der Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht Würden erweiterte Mitwirkungspflichten des Gegners tatsächlich zugunsten richterlicher Inquisition die Geltung des Beibringungsgrundsatzes faktisch abschaffen oder jedenfalls zu einer nicht wünschenswerten tatsächlichen „Erweiterung des richterlichen Ermessensspielraums“ führen? Gegenüber einem 152 Dies vertreten insbesondere Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 18 ff., G. Lüke, JuS 1986, S. 2, 3, der meint, erweiterte Mitwirkungspflichten der Parteien würden zu einem Untersuchungsgrundsatz führen sowie Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 137, der mit dem aus der Verhandlungsmaxime abzuleitenden angeblichen Grundsatz des nemo contra se edere tenetur argumentiert, vgl. ausführlich oben, S. 148 ff. Ferner ist dieser Ansicht Senninger, Referat, 61. Juristentag, 1996, S. I 11, 14.
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solchen Einwand merkt Stürner zu Recht an: „Unter dem Verhandlungsgrundsatz beansprucht die risikobelastete Partei die Mitwirkung des Gegners, unter dem Untersuchungsgrundsatz zieht das Gericht den Gegner zur Aufklärung heran.“ 153 Auch Peters meint, von „weitgehender Aufhebung der Unterschiede zwischen Verhandlungs- und Inquisitionsmaxime“ 154 zu sprechen, sei ein Missverständnis, weil es nicht um Amtsinitiative, sondern um eine abweichende Verteilung der Lasten der Parteien untereinander gehe.155 Katzenmeier betont zutreffend, Anknüpfungspunkt zur Begründung prozessualer Pflichten solle gerade die Parteiverantwortung sein.156 Ob es zu einer Erweiterung richterlicher Befugnisse kommt, ist eine Frage der konkreten Ausgestaltung. Sowohl ein disclosure- bzw. discovery-Verfahren als auch erweiterte Mitwirkungspflichten sind entweder in einer Ausgestaltung mit einer Stärkung richterlicher Befugnisse oder aber in einer Variante ohne gesteigerte gerichtliche Kompetenzen möglich. So ist das disclosure-Verfahren nach neuem englischen Recht an verfahrensleitende Kompetenzen des Richters gekoppelt, was auf das alte discovery-Verfahren nicht zutraf. Erweiterte Mitwirkungspflichten des Gegners sind ebenfalls sowohl mit einer Stärkung richterlicher Befugnisse denkbar, so etwa mit der neu geschaffenen Möglichkeit des § 142 ZPO n.F., als auch ohne derartige Kompetenzen, wie etwa bei Schaffung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht im Stürner’schen Sinne. Eine zwingende Veränderung der Rollenteilung zwischen Parteien und Gericht folgt aus erweiterten Mitwirkungspflichten des Gegners somit nicht. 2. Verstoß gegen den nemo tenetur-Grundsatz Das am häufigsten gegen die Erweiterung der Mitwirkungspflichten der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei ins Feld geführte Argument ist die Existenz eines angeblichen Rechtssatzes, demzufolge niemand verpflichtet werden könne, die Waffen gegen sich selbst seinem Gegner für dessen Prozesssieg auszuliefern. Abgeleitet wird dieser angebliche Rechtssatz aus dem Beibringungsgrundsatz.157 a) Kritische Würdigung der Herleitung aus dem ersten nemo tenetur-Fall des BGH Interessant ist aber, wo dieser Grundsatz eigentlich herkommen soll. Der oft zitierte Satz nemo contra se edere tenetur findet in der ZPO selbst keine Stürner, ZZP 104 (1991), S. 208, 215. So aber Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 18. Ähnlich G. Lüke, JuS 1986, S. 2, 3. 155 Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399, 408. 156 Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 537. 157 so beispielsweise BGH v. 7.2.2008, DWIR 2008, S. 288. 153 154
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Verankerung. 158 In der Literatur wird er den hier als nemo tenetur-Urteilen bezeichneten Fällen entnommen, die sich auf das jeweils vorangegangene nemo tenetur-Urteil159 stützen. Es lohnt sich daher, das Urteil des BGH,160 in dem dieser sich erstmals auf diesen Grundsatz bezog, zu analysieren. Es fällt zweierlei auf: erstens, dass es in dem Urteil eigentlich um den unzulässigen Ausforschungsbeweis ging; zweitens, dass der nemo tenetur-Grundsatz nur am Rande aufgestellt wurde, und zwar ohne Begründung, aber stattdessen unter Berufung auf einen Aufsatz von Dunz aus dem Jahr 1956, in dem der angebliche nemo tenetur-Grundsatz aber tatsächlich gar nicht auftaucht, sondern in dem ebenfalls der unzulässige Ausforschungsbeweis Gegenstand ist. Im Einzelnen: Der erste nemo tenetur-Fall beschäftigte sich rechtlich mit einem Beweisantrag, der bereits in den ersten beiden Instanzen wegen Verstoßes gegen das Ausforschungsverbot als unzulässig abgelehnt wurde. 161 Es verklagte der persönlich haftende Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft seine Mitgesellschafter auf Zulassung zur Geschäftsführung. Dabei berief er sich auf eine Klausel im Gesellschaftsvertrag, derzufolge dem persönlich haftenden Gesellschafter ein Anspruch auf Zulassung zusteht. Die Beklagten beriefen sich demgegenüber auf die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Ausnahmeregel, dass dies nicht gelten solle, wenn schwerwiegende Bedenken gegen die persönliche oder fachliche Eignung des Gesellschafters bestehen. Sie behaupteten eine solche fehlende Eignung und verlangten die Fachprüfung des Klägers durch einen Sachverständigen. Diese Begutachtung wurde vom BGH abgelehnt, weil der Beweisantrag darauf abziele, den Beklagten das erforderliche Material für den Prozesssieg überhaupt erst zu verschaffen. Es fehle an jeglichem behaupteten Tatsachenvortrag, der durch die Prüfung und Befragung des Klägers durch Gericht oder Sachverständige in irgendeiner Weise einer Überprüfung zugeführt werden könnte. Ein solches Verhalten ziele auf eine Ausforschung ab, die unzulässig sei, weil keine Partei gehalten sei, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfüge.162 Den ersten Sätzen des BGH kann man ohne Weiteres folgen. Es wäre in der Tat erforderlich gewesen, dass die Beklagten konkrete Sachverhaltskonstellationen vortragen, aus denen sich eine solche Ungeeignetheit ergibt. So wäre es sicherlich ausreichend gewesen, zu behaupten, dass der Kläger in Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 83. BGH v. 26.6.1958, NJW 1958, S. 1491; BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151; BGH v. 12.11.1991, NJW 1992, S. 1817; BGH v. 17.10.1996, NJW 1997, S. 128, 129; BGH v. 18.5.1999, NJW 1999, S. 2887; BGH v. 7.12.1999, NJW 2000, S. 1108, 1109. 160 BGH v. 26.6.1958, NJW 1958, S. 1491. 161 BGH v. 26.6.1958, NJW 1958, S. 1491. 162 BGH v. 26.6.1958, NJW 1958, S. 1491. 158 159
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einer bestimmten Situation in einer bestimmten Art und Weise gehandelt habe und dass sich daran seine fehlende fachliche Eignung zeige. Ein solcher konkreter Tatsachenvortrag war den beklagten Mitgesellschaftern ohne Weiteres möglich und zumutbar. Da sie dies unterließen, handelt es sich bei ihrem Beweisantrag unzweifelhaft um einen unzulässigen Ausforschungsantrag. Anstatt konkrete Umstände zu behaupten, wollten sie den Sachverhalt durch eine Beweisaufnahme erst ermitteln. Diese Bewertung kann sich in der Tat nicht zuletzt auf die Ausführungen von Dunz stützen, der sagt, ein Beweisansinnen sei u.a. dann unzulässig, wenn es an einer zu beweisenden Tatsachenbehauptung fehle, und der Beweisantrag lediglich in der Hoffnung gestellt werde, das Beweisergebnis werde schon irgendetwas für den Beweisführer Verwertbares enthalten. 163 Auch geht dieses Ergebnis konform mit dem englischen Recht, das ein derartiges Ansinnen ebenfalls als fishing expedition und somit als unzulässig erachten würde. Die Unzulässigkeit eines solchen Ausforschungsantrags begründet Dunz mit der Geltung des Beibringungsgrundsatzes: außerhalb des Offizialverfahrens dürfe das Gericht nur über eine von einer Partei vorgetragene Tatsachenbehauptung Erhebungen anstellen und sei zur Einführung von Prozessstoff gegen oder ohne den Willen der Parteien nicht befugt.164 Der Nachsatz des BGH, dass niemand gehalten sei, dem Gegner Material zu verschaffen, tat an dieser Stelle in keiner Weise Not. Richtig erscheint es aber jedenfalls, diese Aussage auf die konkrete Situation zu beziehen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der BGH mit diesen wenigen Worten, die er der Unzulässigkeit des Beweisermittlungsantrags nachschob, einen allgemeinen selbstständigen – von der Unzulässigkeit des Beweisermittlungsantrags losgelösten – Grundsatz hätte begründen wollen. In den folgenden Jahrzehnten taucht dieser angebliche Grundsatz, dass niemand gehalten sei, dem Gegner die Waffen gegen sich selbst auszuliefern, weder in der Judikatur noch im Schrifttum wieder auf. Erst nachdem Stürner im Jahr 1976 in seiner Habilitationsschrift die Existenz einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht herleitete, gab es eine Welle neuerer Entscheidungen und Literaturstimmen, die sich mit diesem angeblichen Grundsatz auseinandersetzten. In diesen nunmehr diskutierten Konstellationen ging es aber nicht mehr um das, was man unter einem Ausforschungsbeweis versteht. In den fraglichen Fällen wurde folglich – anders als in den genannten beiden frühen Beiträgen – auch nicht auf die Regeln über den unzulässigen Ausforschungsbeweis zurückgegriffen, obwohl die Begründung sich auf den im soeben zitierten ersten nemo tenetur-Urteil aufgestellten Satz stützte, dass keine Partei gehalten sei, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt. In 163 164
Dunz, NJW 1956, S. 769. Dunz, NJW 1956, S. 769.
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diesen späteren Entscheidungen verselbstständigte sich der Nachsatz des BGH aus dem Jahr 1958 zu einem vom Ausforschungsbeweis losgelösten Grundsatz, der zur Ablehnung von Auskunftsansprüchen aus § 242 BGB und zur Nichtanwendung der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast herangezogen wurde. Dies geschah jedoch nicht in einer bewussten Fortentwicklung dieses angeblich in der Entscheidung vom 26. Juni 1958 postulierten Grundsatzes, sondern unter unmittelbarer Berufung auf die genannte Entscheidung sowie den Aufsatz von Dunz, ohne klarzustellen, dass die dort behandelten Sachverhalte in erheblichen Punkten abwichen. Deshalb ist der angebliche nemo tenetur-Grundsatz nicht aus der Rechtsprechung des BGH herzuleiten. b) Herleitung in Anlehnung an den Schutz vor Selbstbelastung im Strafverfahren? Möglicherweise ist die Berufung auf den nemo tenetur-Grundsatz auf eine unreflektierte Anlehnung an den Schutz vor Selbstbelastung im Strafverfahren zurückzuführen. 165 Das aus dem Strafprozessrecht166 stammende Gedankengut, dass aus der Aussageverweigerung keine negativen Schlüsse gezogen werden dürfen, damit dem Angeklagten die Wahl zwischen einem die Strafverfolgung fördernden Verhalten und der Lüge erspart wird, ist auf das Zivilprozessrecht jedoch nicht übertragbar.167 Zwar kann auch im Zivilprozess der Konflikt entstehen, entweder durch die Gewährung von Aufklärung den eigenen Prozessverlust herbeizuführen oder aber die Unwahrheit sagen zu müssen; Allerdings ist die Lage aus viererlei Gründen nicht vergleichbar.168 Zum einen besteht im Strafprozessrecht eine Schutzbedürftigkeit nur deshalb, weil sich eine Zwangslage für den Angeklagten daraus ergibt, dass gewichtige Rechtsgüter, wie Freiheit, persönliche Ehre und die ganze Existenz, auf dem Spiel stehen, wohingegen es im Zivilprozess nur um bürgerlichrechtliche Ansprüche geht. 169 Zum zweiten wird durch die großzügige Berücksichtigung der Zwangslage im Strafprozess und eine daraus etwa resultierende Straffreiheit des Angeklagten niemand unmittelbar geschädigt, wohingegen im Zivilprozess die nachteiligen Folgen eines Rechts auf Verweigerung erweiterter Mitwirkung voll zu Lasten des jeweiligen Gegners ginge.170 Der dritte Unterschied besteht darin, dass im Strafprozess das durch das Aussageverweigerungsrecht des Angeklagten entstehende Informationsdefizit durch den staatlichen Ermittlungsapparat ausgeglichen wird, was im Dies wird bei Ahrens, in: Essays Kerameus, 2009, S. 1. angedeutet. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 4 S. 1 StPO. 167 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 57 f. 168 Vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 58 ff. 169 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 58 f. 170 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 59. 165 166
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Zivilprozess nicht der Fall ist. 171 Diese Wertung wird auch aus dem StGB selbst deutlich. § 142 StGB sichert nämlich die Verpflichtung zur Selbstbezichtigung in Fällen ab, in denen es nach der ratio des Gesetzes um die Aufklärbarkeit zivilrechtlicher Ansprüche geht. 172 Der angebliche nemo tenetur-Grundsatz kann damit auch nicht als Parallelwertung zum strafrechtlichen Satz des nemo tenetur se ipsum accusare hergeleitet werden. c) Zwischenergebnis Eine tragfähige Herleitung des nemo tenetur-Grundsatzes ergibt sich damit weder aus der Rechtsprechung noch aus einem Vergleich zum Strafrecht. In dem Fall, in dem der BGH erstmals von einem angeblichen Grundsatz sprach, dass niemand verpflichtet sei, die Waffen gegen sich selbst auszuliefern, berief er sich auf die Autorität von Dunz, der seinerseits aber nur (richtige) Aussagen zur Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises getroffen hatte. Auch in dem dem BGH vorliegenden Fall ging es um die Konstellation eines unzulässigen Ausforschungsbeweises. Eine über die Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises hinausgehende Bedeutung kommt dem Satz, niemand dürfe gehalten sein, gegen sich selbst die Waffen auszuliefern, nicht zu. Sofern in Rechtsprechung und Literatur später eine Berufung auf den Satz vom nemo tenetur in Konstellationen erfolgte, in denen es gar nicht um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis ging, geschah dies in der irrtümlichen Annahme, der Satz vom nemo contra se edere tenetur stelle einen zwingenden allgemeinen Rechtssatz dar, der über die Fälle des Ausforschungsbeweises hinaus Geltung beansprucht. 3. Verstoß gegen den Grundsatz der Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises Da der Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises damit aber in der Tat für das deutsche Zivilprozessrecht eine immense Bedeutung zukommt, ist nun zu prüfen, ob erweiterte Mitwirkungspflichten zu einem unzulässigen Ausforschen führen könnten.173 Oben wurde allerdings bereits aufgezeigt, dass ein unzulässiger Ausforschungsbeweis tatsächlich sehr viel seltener vorliegt als die Rechtsprechung der Instanzgerichte vermuten lassen würde. Nur in Fällen, in denen der Beweisantrag zwar hinreichend konkretisiert war, aber ohne jeden Anhaltspunkt „ins Blaue hinein“ gestellt wurde (erste Fallgruppe), oder in denen ein Beweisantrag für eine völlig vage und unsubstantiierte Behauptung aufgestellt wurde, mithin ein Beweisermittlungsantrag vorlag, der einen schlüssiVgl. zu diesen vier Argumenten Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 58 ff. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 59. 173 Einen Verstoß sieht Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 284, Rn 45, als gegeben an. 171 172
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gen Tatsachenvortrag überhaupt erst ermöglichen sollte (zweite Fallgruppe), wurde die Beweisaufnahme als unzulässig abgelehnt.174 Hintergrund ist, dass der Begriff des Ausforschungsbeweises eng auszulegen ist, weil er eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht des Gerichts darstellt, angebotene Beweise zu erheben.175 Daran kann und soll durch etwaige erweiterte Mitwirkungspflichten nicht gerüttelt werden. Im Gegenteil würde es bei einer Erweiterung von Mitwirkungspflichten sehr viel seltener zu der zweiten Fallgruppe unzulässiger Ausforschungsbeweise kommen. Denn wenn der Gegner zur Erteilung relevanter Informationen verpflichtet ist, mithin der Partei im Rahmen der Substantiierung ihres Vortrages behilflich ist, wird es sehr viel seltener zu der Situation kommen, dass eine Seite für nicht hinreichend substantiierten Vortrag einen (unzulässigen) Beweisantrag stellt. Nun könnte man argumentieren, dass durch erweiterte Mitwirkungspflichten die Regeln über den unzulässigen Ausforschungsbeweis unterlaufen würden, weil der Gegner durch die Hintertür der Mitwirkungspflichten gerade doch zur Sachverhaltsaufklärung mit herangezogen wird. Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn es ein „Unwerturteil“ dahingehend gäbe, dass die Mitwirkung des Gegners in diesen Konstellationen nicht wünschenswert ist. Entscheidend ist somit, welches „Unwerturteil“ hinter dem unzulässigen Ausforschungsbeweis steht. Die Antwort ist nicht einfach und dies war es vermutlich, weshalb im ersten nemo tenetur-Urteil 1958 der nemo teneturGrundsatz ins Spiel kam. Denn der Grund, weshalb man nicht ausforschen dürfe, wurde darin gesehen, dass der Gegner nicht „gegen sich selbst die Waffen ausliefern müsse“. Richtigerweise ist jedoch zu differenzieren. a) Erste Fallgruppe: Beweisantrag ins Blaue hinein In der ersten Fallgruppe werden Behauptungen „ins Blaue hinein“ aufgestellt; die eine Seite hat dabei noch nicht einmal Anhaltspunkte für ihren Vortrag und möchte durch eine Beweisaufnahme herausfinden, ob sie überhaupt Anlass zu Klage oder Verteidigung hat. Diese Fallgruppe deckt sich mit der englischen Definition von der unzulässigen fishing expedition („finding out whether one has a case at all“). Dies soll nicht gestattet werden, und es waren diese Konstellationen, in denen die Berufung auf den nemo tenetur-Grundsatz erfolgte. Eine Partei darf nicht, wenn es gar nicht um einen echten Fall der Informationsnot geht, sondern um einen Fall, in dem niemand weiß und wissen kann, ob er nicht möglicherweise Ansprüche gegen einen anderen hat, diesen mit einer Klage „belästigen“ und dann auch noch von ihm verlangen, ihm belastendes Material zu übergeben. Das ist gemeint, wenn Anhaltspunkte 174 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 116, Rn. 14; MüKoZPOPrütting, 2013, § 284, Rn. 79. Vgl. dazu bereits oben, S. 124 ff. 175 Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 284, Rn 42.
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anstelle von schlichten Behauptungen ins Blaue hinein gefordert werden. Man mag diese Fälle auch mit dem Respekt vor der Privatsphäre des anderen bezeichnen. Hier sollte niemand Klage erheben dürfen und niemand sich verteidigen müssen, weil es dafür keine Veranlassung gibt. Dabei muss es auch im Fall einer Erweiterung der derzeit bestehenden Mitwirkungspflichten des Gegners bleiben. Diese dürfen nicht dazu führen, dass der Gegner bereits im Darlegungsstadium dem Kläger einen Klagegrund auf dem Silbertablett servieren muss. b) Zweite Fallgruppe: Fehlende Substantiiertheit In der als zweite Fallgruppe bezeichneten Konstellation liegen die Dinge jedoch anders. Hier hat die eine Seite Vermutungen und Anhaltspunkte für ihre Argumentation, allerdings kann sie sie nicht den Substantiierungsanforderungen entsprechend konkretisieren. Um hier zu erkennen, ob eine Umgehung der Grundsätze über den unzulässigen Ausforschungsbeweis droht, ob es also auch hier ein „Unwerturteil“ gibt, das es verbietet, einer informationsbedürftigen Partei Zugang zu diesen Informationen, die sie wegen des unzulässigen Ausforschungsbeweises nicht durch die Beweisaufnahme ermitteln darf, gegebenenfalls schon vorher durch einen Informationsaustausch zwischen den Parteien zu verschaffen, ist zu prüfen, was dogmatisch hinter dem Substantiierungsgebot steht. Die dogmatische Herleitung der Substantiierungslast ist bislang nicht dezidiert untersucht worden. Aus dem Gesetz ergibt sich das Erfordernis der Substantiierung nicht.176 Die Begründung des Erfordernisses der Substantiierung ist jedoch besonders wichtig, denn die Parteien werden eine Nichtberücksichtigung ihres Vortrages wegen fehlender Substantiiertheit als besonders ungerecht empfinden.177 Ausdrücklich stellt der BGH klar, dass die Substantiierungslast keine allgemeine Wahrheitsermittlungs- oder Prozessbeschleunigungsfunktion habe und es auch nicht darum gehe, den Gegner in die Lage zu versetzen, sich möglichst eingehend auf Behauptungen einzulassen. Vielmehr habe sich die Substantiierung am Zweck der Darlegung zu orientieren.178 Einen tragfähigen Ansatz für die Herleitung der Substantiierungslast liefert Brehm. Er begründet die Substantiierungslast mit dem Gebot der Prozessförderung und der Erforderlichkeit, dem Gegner eine Erklärung zu dem ei-
176 Vgl. Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 55, der darauf hinweist, dass die ZPO den Begriff „bestimmter Tatsachenbehauptungen“ nicht verwende und das Merkmal der Bestimmtheit lediglich in § 253 ZPO für die Angabe eines bestimmten Klagegrundes gebrauche. 177 So Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 3; Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 52. 178 BGH v. 18.5.1999, NJW 1999, S. 2887, 2888.
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genen Vorbringen zu ermöglichen.179 Wenn es dem Richter verwehrt sei, von sich aus Tatsachen in den Prozess einzuführen, müssten ihm die Parteien wenigstens eine Sachverhaltsschilderung liefern, die so konkret sei, dass es ihm ermöglicht werde, Rechtsnormen auf diese anzuwenden.180 Diese Erwägung für sich genommen führe allerdings noch nicht zu einer Substantiierungslast, da der Richter theoretisch auch auf Basis einer groben Skizze durch Beweisaufnahme den Sachverhalt ermitteln könne und die Parteien sich das so Ermittelte anschließend als Sachvortrag zu eigen machen könnten. 181 Jedoch sei die Verantwortlichkeit der Parteien durch die nach der Grundkonzeption der ZPO (insbesondere in § 138 Abs. 2 und 3 ZPO) vorgesehenen Regeln der Darlegungslast, die durch ein System von Behauptung und Gegenbehauptung eine Entlastungsfunktion haben, dergestalt konkretisiert, dass Thema des Prozesses nur die streitigen Behauptungen sind.182 Denn die Hilfe staatlicher Gerichte sei dort nicht erforderlich, wo Meinungsverschiedenheiten nicht bestehen.183 Deshalb müsse bereits vor der Beweisaufnahme durch hinreichend bestimmte Behauptungen klar sein, welche Aspekte zwischen den Parteien streitig seien.184 Den Parteien obliege es folglich, an dem Herausfiltern der erheblichen Punkte mitzuwirken.185 Wenn es aber bei der Substantiierungslast primär um ein Gebot der Prozessförderung geht, insbesondere auch darum, dem Gegner eine Erwiderung auf den eigenen Vortrag zu ermöglichen, dann steht dabei eher eine Zweckmäßigkeitsfrage im Vordergrund. Es stellt den ressourcenschonenderen Weg dar, wenn beide Parteien für ihre eigene Argumentationslinie hinreichend konkreten Sachvortrag erbringen und nicht das Gericht diesen erst ermitteln muss. Unter solchen Vorzeichen spricht jedoch nichts dagegen, einen Informationsaustausch der Parteien im „Sachvortragsstadium“ vorzusehen; dies dient nur der Prozessförderung und der Möglichkeit der Stellungnahme zum Vortrag des Gegners. Dies gilt umso mehr, als es nach dem Begründungsansatz Brehms bei der Substantiierungslast auch um ein Herausfiltern des streitigen Sachverhalts und damit um eine Entlastung des Gerichts geht. Auch dem Gericht ist durch einen Informationsaustausch zwischen den Parteien gedient. Sicherlich spielt bei der Substantiierungslast auch der Gedanke eine Rolle, der oben als Respekt vor der Privatsphäre des Gegners bezeichnet worden ist. Aber er steht nicht im Vordergrund. Deshalb steht er der Frage des „Ob“ eines Informationsaustauschverfahrens bzw. der gesteigerten MitwirBrehm, Bindung des Richters, 1982, S. 63 f., 99. Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 60. 181 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 61 f. 182 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 62 f. 183 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 64. 184 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 64. 185 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 66. 179 180
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kungspflichten nicht entgegen; ihm ist jedoch im Rahmen der konkreten Ausgestaltung Rechnung zu tragen. c) Zwischenergebnis Damit dürfen nur in den Fällen der ersten Fallgruppe erweiterte Mitwirkungspflichten nicht zu einer Unterwanderung des Ausforschungsverbots führen. In den Fällen der zweiten Fallgruppe steht das Ausforschungsverbot demgegenüber der Durchführung eines Informationsaustauschs, der dazu führt, dass es zu einem Fall fehlender Substantiiertheit gar nicht erst kommt, nicht entgegen. 4. Veränderung der Beweislastverteilung Der Einführung erweiterter Mitwirkungspflichten wird des Weiteren entgegengehalten, dass sich aus dem Beibringungsgrundsatz eine Rollenverteilung zwischen den Parteien ergebe, die wiederum eine entsprechende Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten statuiere, die mit derartigen erweiterten Pflichten nicht vereinbar wäre.186 Dieser Vorwurf ist in zwei Schritten zu untersuchen. Zunächst ist fraglich, ob und inwieweit sich aus dem Beibringungsgrundsatz Anforderungen an das Bestehen von Darlegungs- und Beweislasten ergeben. Sodann ist zu prüfen, ob aus dem Darlegungsgrundsatz auch Anforderungen an die konkrete Verteilung dieser Lasten zwischen den Parteien folgen. Welche Anforderungen aus dem Beibringungsgrundsatz abzuleiten sind, ergibt sich wiederum aus dessen Sinn und Zweck. Dieser ist im Folgenden zu untersuchen. a) Beruht die Etablierung von Darlegungs- und Beweislasten auf dem Beibringungsgrundsatz? Hinsichtlich der dogmatischen Herleitung der Darlegungs- und Beweislast wird mitunter behauptet, die mit der Darlegungs- und Beweislast verbundene Zuweisung des Prozessrisikos an eine der beiden Parteien sei unmittelbare Folge des Beibringungsgrundsatzes. Das Erfordernis einer derartigen Zuweisung ergebe sich in einem Verfahren, das nicht von Amtsermittlung, sondern vom Parteibetrieb gekennzeichnet sei. 187 Diese Herleitung überzeugt jedoch nicht. Jedes Verfahren, auch das von der Untersuchungsmaxime geprägte, muss sich mit der Frage auseinandersetzen, wie im Fall der Nichterweislich-
186 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 137. Später bestätigt in MüKoZPO-Prütting, 2013, § 284, Rn. 17. 187 Anders/Gehle, Assessorexamen, 2010, Rn. 365; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 2012, Anh. zu § 286, Rn. 1.
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keit eines Tatbestandsmerkmals zu verfahren ist.188 Denn ebenso wie es den Parteien misslingen kann, eine Tatsache zu ermitteln, kann dies auch trotz Geltung des Untersuchungsgrundsatzes dem Richter missglücken. Auch für diesen Fall muss eine Beweislast zugewiesen sein. Im Verwaltungsverfahren geschieht dies in ähnlicher Weise wie im Zivilprozess. Im Strafverfahren erfolgt die Zuweisung durch Statuierung der Beweislastregel in dubio pro reo. Daraus ergibt sich, dass auch in Verfahren, in denen der Untersuchungsgrundsatz gilt, eine objektive Beweislast und damit das Risiko des Prozessverlusts einer der Parteien zugewiesen sein muss. Allein die Darlegungslast und die subjektive Beweislast (Beweisführungslast), die regeln, wer den jeweiligen Tatsachenstoff in den Prozess einzuführen und einen Beweis anzutreten hat, entfallen in Verfahren, die vom Untersuchungsgrundsatz regiert werden. 189 Nach h.M. „gestattet“ der Beibringungsgrundsatz den Parteien nicht nur die Einführung der Tatsachen in den Prozess, sondern er „gibt ihnen dies auch auf“.190 Fraglich ist jedoch, inwieweit aus dem Beibringungsgrundsatz auch Rückschlüsse darauf gezogen werden können, wie diese Lasten zwischen den Parteien verteilt sind. Dies hängt davon ab, welchen Begründungsansatz man hinter dem Beibringungsgrundsatz sieht. b) Privatautonomer, ökonomischer und liberaler Begründungsansatz Für die Rechtfertigung und dogmatische Herleitung des Beibringungsgrundsatzes gibt es im Wesentlichen drei mögliche Ansätze, die hier als „privatautonome“, als „ökonomische“ und als „liberale“ Begründung bezeichnet werden sollen.191 Entweder man begründet den Beibringungsgrundsatz damit, dass er – da es im Zivilverfahren um die Durchsetzung privater Rechte geht – die konsequente prozessuale Verlängerung des im materiellen Privatrecht geltenden Grundsatzes der Privatautonomie ist: So wie die Parteien im Wesentlichen frei darüber verfügen können, mit wem sie zu welchen Konditionen welchen Vertrag abschließen wollen, so sollen sie auch frei entscheiden können, welche Tatsachen sie in den Prozess einführen möchten und welche nicht (in den Grenzen des § 138 ZPO). Oder aber man stützt den Beibringungsgrundsatz auf einen eher zweckmäßigen, ökonomischen Ansatz, demzufolge die Sachverhaltssammlung am ökonomischsten – das heißt unter 188 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 7 mwN; Habscheid, in: FS Baumgärtel, 1990, S. 105, 107. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2008, § 286, Rn. 56. 189 Habscheid, in: FS Baumgärtel, 1990, S. 105, 110; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 115, Rn. 4 bezüglich der subjektiven Beweislast. 190 Musielak, in: FG Wissenschaft 50 Jahre BGH, 2000, S. 193. 191 Diese Terminologie wird in Weiterentwicklung der von Weyers verwendeten Begriffe der „technischen“ (hier: „ökonomischen“) und der „ideologischen“ (hier: „liberalen“) Begründung benutzt.
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möglichst geringem Einsatz von Ressourcen und unter weitestmöglicher Erreichung des anvisierten Zieles – durch die Parteien (und nicht durch das Gericht) bewirkt werden kann, weil es um die Durchsetzung der eigenen privaten Rechte eben dieser Parteien geht, an deren Wahrung beide ein ureigenes Interesse haben. 192 Dritter Begründungsansatz ist der Wunsch der liberalen Väter der ZPO, die Prozessparteien vor richterlicher Willkür zu schützen.193 c) Praktische Relevanz der dogmatischen Begründung Die Frage der Begründung und Herleitung der Verhandlungsmaxime ist nicht nur theoretischer Art. Sie hat Einfluss auf den Umgang mit dieser Maxime, insbesondere darauf, inwieweit aus ihr konkrete Handlungsanweisungen für zu lösende Einzelprobleme gezogen werden können, etwa für die hier interessierende Frage, wie mit der Situation umzugehen ist, dass die eigentlich darlegungs- und beweisbelastete Partei nicht über die erforderlichen Informationen verfügt, um ihren Anspruch einklagen zu können, die Gegenpartei demgegenüber schon. Eine aus dem „ökonomischen“ Ansatz 194 hergeleitete Verhandlungsmaxime ist – mit den Worten von Weyers – eine „auf eine langfristige Optimierung des Aufwands-Erfolgs-Verhältnisses im Zivilprozeß angelegte Leitlinie für den Durchschnitt, kein Dogma zur perfektionistischen Behandlung von Einzelfällen“. 195 Sie hindert also nicht, in einer solchen Situation der Beweisnot auch von der sonst als ökonomisch angesehenen Verfahrensweise abzuweichen und auch die andere Partei zur Sachverhaltsaufklärung heranzuziehen. Von dieser Sichtweise unterscheidet sich der „privatautonome“ Ansatz dadurch, dass er – wieder mit einem Weyer’schen Zitat – „die Billigung einer unschädlichen Grauzone zu einem subjektiven Recht auf Blinde-Kuh-Spiel mit der Rechtsordnung hochstilisiert“.196 Eine so verstandene Verhandlungsmaxime könnte es also geradezu gebieten, die gegnerische Partei nicht heranzuziehen, eben weil ihr die Vorenthaltung der Information in Ausübung ihrer Privatautonomie zusteht. Der „liberale“ Begründungsansatz, demzufolge der Beibringungsgrundsatz dem Schutz der Parteien vor richterlicher Willkür dient, ist für die auf S. 252 f. behandelte Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht, nicht aber für das hier interessierende Verhältnis der Parteien untereinander ausschlaggebend, so dass 192 Ähnlich auch Weyers, in: FS Esser, 1975, S. 193, 200, der von einer „ideologischen“ Rechtfertigung einerseits und einer „technischen“ Begründung andererseits spricht. 193 Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 12 und Chudoba, Beweisantrag, 1992, S. 122 betonen, dass dieser Ansatz jedenfalls mitursächlich für die Entscheidung zugunsten des Beibringungsgrundsatzes war. 194 Weyers, in: FS Esser, 1975, S. 193, 200. 195 „Technische“ Begründung nach Weyers, in: FS Esser, 1975, S. 193, 204. 196 Weyers, in: FS Esser, 1975, S. 193, 205.
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sich bei Zugrundelegung dieses Verständnisses aus dem Beibringungsgrundsatz keine Schlussfolgerungen für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ergeben. Wichtig aber ist, eines klarzustellen: Egal für welchen dieser Ansätze man sich auch entscheiden mag, bleibt es selbstverständlich dabei, dass dies keinerlei Auswirkung auf die Dispositionsmaxime haben darf. Nach dieser ist es Angelegenheit der Parteien, über den Streitgegenstand zu bestimmen und zu verfügen. Dies ergibt sich eindeutig aus den Vorschriften der Zivilprozessordnung. Ihre Rechtfertigung ist klar. Sie ist prozessuale Fortsetzung der materiellrechtlichen Privatautonomie. Es steht dem Richter nicht zu, eine vom Kläger auf einen vertraglichen Anspruch gestützte Forderung auf Grundlage einer davon völlig unabhängigen, auf einem anderen Lebenssachverhalt gründenden, vom Kläger nicht vorgetragenen deliktischen Handlung zuzuerkennen. Über diese privatautonome Herleitung des Dispositionsgrundsatzes besteht Einigkeit. Demgegenüber kann eine ebenfalls „privatautonom“ verstandene Verhandlungsmaxime Auswirkungen für den Umgang mit der Beweisnot haben, die nicht zu unterschätzen sind.197 Denn wenn man in ihr ein verbürgtes Recht der Prozessparteien sieht, so liegt es nahe, dem Begriff der „Behauptungslast“ nicht nur die Bedeutung beizumessen, dass eine Prozesspartei für den Vortrag der Tatsachen verantwortlich ist, für die sie die Beweislast trägt, sondern ihr gleichzeitig auch ein Recht zuzuschreiben, sich auf Information über eben diese Tatsachen beschränken und die Information über Tatsachen, die Grundlage für Einwendungen oder Einreden des Gegners sein könnten, verweigern zu dürfen. Auch dem „ökonomischen“ Verständnis der Verhandlungsmaxime entspricht es, die Verantwortung für den Vortrag der Tatsachen zunächst einmal in Übereinstimmung mit der Beweislast zuzuweisen. Ein „ökonomisches“ Verständnis würde indes nicht daran hindern, in einem zweiten Schritt in einer Situation der Informationsnot der behauptungsbelasteten Seite dem Gegner gleichwohl eine Auskunftspflicht aufzuerlegen, wenn er die Informationen ohne Weiteres beschaffen kann und ihm dieses auch zumutbar ist. Es macht aus dieser Perspektive ökonomisch betrachtet durchaus Sinn, in Anlehnung an die Beweislast einer Partei nicht nur die Last zuzuweisen, dass sie im Fall der Nichterweislichkeit einer behaupteten Tatsache den Prozess verliert, sondern sie bereits im Vorfeld die dementsprechende Last tragen zu 197 Für ein „liberales Verständnis“, demzufolge nicht nur die Dispositionsmaxime, sondern auch der Beibringungsgrundsatz prozessuale Entsprechung der materiellrechtlichen Privatautonomie seien: Brehm, Bindung des Richters, 1982, S. 18; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 77, Rn. 4; Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, vor § 128, Rn. 149; MüKoZPO-Rauscher, 2013, Einl., Rn. 290, 307; Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 536.
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lassen, im Verfahren zu unterliegen, wenn eine tatbestandsbegründende Tatsache nicht vorgetragen werden kann. Denn man kommt zunächst am schnellsten zu einem Ergebnis, wenn jede Partei sich im ersten Schritt für den Vortrag bestimmter Tatsachen verantwortlich fühlt. Gleichzeitig ist dies auch die konsequente Fortsetzung des Gedankens der Beweislast und ergibt sich so zusätzlich auch als ein Gebot des materiellen Rechts. Es ist aber ein weiterer Schritt erforderlich, um in der Behauptungslast gleichermaßen im Gegenschluss das Recht der Partei zu etablieren, sich dem Informationsbedürfnis der Gegenseite für den Tatsachenbereich, für den sie nicht aus dieser Last heraus verantwortlich ist, auch aus jedem anderen Grund zu entziehen. Einem solchen Gegenschluss liegt eher das Verständnis von einem Wettkampf zu Grunde. Ein Verfahrensverständnis, das demgegenüber die Wahrheitsfindung in den durch die Parteiherrschaft vorgegebenen natürlichen Grenzen, gleichwohl als ein erstrebenswertes Ziel anerkennt, wird demgegenüber eher bestrebt sein, die Informationsnot der einen Seite durch die andere Seite ausgleichen zu lassen, wenn es dieser ohne Weiteres möglich ist. Die Behauptungslast wäre bei einer solchen Auslegung auch nicht ihres Sinnes beraubt. Denn wenn der behauptungsbelasteten Partei das Erlangen der Information nicht gelingt, weil auch die Gegenseite die benötigten Informationen nicht geben kann, trägt die behauptungsbelastete Partei nach wie vor das Risiko des Prozessverlusts. d) Stellungnahme Selbst wenn man den „privatautonomen“ Begründungsansatz zu Grunde legen würde, folgt aus dem Verhandlungsgrundsatz nicht, dass die Regelungen über die konkrete Verteilung der Darlegungs- und Beweislast durch erweiterte Mitwirkungspflichten ausgehebelt würden. Die jeweilige objektive Last wird durch erweiterte Mitwirkungspflichten ohnehin nicht berührt.198 Sie hat auch nichts mit dem Beibringungsgrundsatz zu tun. Vielmehr ist sie Ausfluss des materiellen Rechts. 199 Auch die subjektive Last bleibt bei erweiterten Mitwirkungspflichten jedenfalls im Ausgangspunkt bestehen.200 Sie beeinflusst die Frage des Entstehens eines non liquet wiederum nur mittelbar, indem im Fall gesteigerter Mitwirkungspflichten der Gegenseite der Fall eines non liquet
198 Vgl. auch Habscheid, in: FS Baumgärtel, 1990, S. 105, 107, demzufolge all diejenigen, die in einer Heranziehung der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei einen Verstoß gegen die Zuweisungsregeln dieser beiden Lasten sehen, außer Betracht lassen, dass die Beweislast nicht die Verteilung des Beweises zwischen den Parteien des Zivilprozesses regelt. Vielmehr besage die Beweislast, wer den Prozess im Falle eines non liquet verliert. 199 Siehe oben, S. 80 f. 200 So auch Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399, 407 f.
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seltener auftreten wird.201 Aus dem materiellen Recht ergibt sich jedoch kein verbürgter Anspruch der Gegenseite der beweispflichtigen Partei auf eine non liquet-Entscheidung. Vielmehr stellt diese lediglich eine ultima ratio für den eigentlich nicht erwünschten Fall der Nichterweislichkeit dar.202 Soweit die subjektiven Lasten durch erweiterte Mitwirkungspflichten verändert werden, ist darin gleichwohl kein Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz zu sehen, weil das „ökonomische“ Begründungsmodell und das „liberale“ Begründungsmodell (auf das in Teil III noch zurückzukommen sein wird), nicht aber das „privatautonome“ Modell überzeugen. In der Tat ist es in einem privaten Rechtsstreit, in dem primär keine öffentlichen Interessen, sondern private Interessen auf dem Spiel stehen, sinnvoll, die Beibringung der Tatsachen den Parteien zu überlassen, da auf diese Art und Weise im kontradiktorischen Verfahren ein Großteil der relevanten Fakten zur Sprache kommen wird. Dies hat jedoch nur im Ausgangspunkt zu gelten und widerspricht nicht der Heranziehung weiterer Aufklärungsbeiträge, die die Parteien nicht unbedingt aus eigener Initiative erbringen würden. Zu einem solchen Widerspruch käme es allenfalls bei einem „privatautonomen“ Verständnis der Verhandlungsmaxime, das jedoch nicht überzeugt. Zum einen hat Bernhardt zu Recht gegen die diesem Verständnis zu Grunde liegende Ableitung der Dispositionsbefugnis der Parteien über den Sachverhalt aus der Dispositionsbefugnis über die materiellen Ansprüche eingewandt, dass aus der Freiheit, über Rechtsverhältnisse zu disponieren, nicht die Befugnis folge, über deren Entstehungstatsachen zu verfügen. Denn über Tatsachen könne man nicht verfügen, weil sie in der Vergangenheit liegen und nicht ungeschehen gemacht werden könnten. Sie hätten sich entweder zugetragen oder nicht. Eine Disposition sei hier schon begrifflich nicht möglich. 203 Zum anderen überzeugt das „privatautonome“ Begründungsmodell aber auch nach dem heutigen Prozessverständnis nicht mehr, das nicht mehr ausschließlich liberal im Sinne des Goldschmidt’schen204 Konzepts vom Prozess als eines Kampfs, in dem jeder nur seinen Vorteil wahrnimmt und zu seinen Gunsten taktiert,205 geprägt ist, sondern das auch von einer „sozialen“ Komponente überlagert ist. Das gilt selbst dann, wenn ein „privatautonomes“ Modell ursprünglich der CPO des Jahres 1877 zu Grunde gelegen haben mag. Peters, in: FS Schwab, 1990, S. 399, 407 f. geht zutreffend von einer Verringerung der non liquet-Fälle aus, weil zum einen die erweiterte Einlassung des Beweisgegners die Behauptungen des Beweisführers vervollständige und unstreitig werden lasse und zum anderen – falls es zu einer Beweisaufnahme wegen weiterhin strittiger Behauptungen komme – die vorhandenen Beweismittel weitgehend zugänglich würden. 202 Ebenso Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 138; Stürner, ZZP 98 (1985), S. 237, 255; Mohrhard, Informationspflicht, 1993, S. 121. 203 Bernhardt, in: FG Rosenberg, 1949, S. 9, 14 f. 204 Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, 1925, S. 292. 205 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 57. 201
B. Zwischenergebnis
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B. Zwischenergebnis Für die hier interessierende Thematik bedeutet dies, dass der Hinweis der Gegner erweiterter Mitwirkungspflichten, diese seien mit dem Beibringungsgrundsatz nicht vereinbar, als solcher nicht verfängt. Auch der Beibringungsgrundsatz ist nicht Selbstzweck und dient nur der Verwirklichung des jeweiligen Prozessmodells. Dieses ist aber normativ geprägt und unterliegt somit dem Wandel der Zeit. Das in seiner Entstehungszeit als gerecht und richtig empfundene rein liberale Prozessmodell wurde mittlerweile durch soziale Akzente überlagert, weil sich die Überzeugung durchgesetzt hat, dass angesichts nicht unerschöpflich vorhandener Ressourcen ein Verfahren bereitstehen muss, das die Vielzahl an Verfahren in einer angemessenen Zeit bewältigt. Dies gebietet ein erhöhtes Maß an Kooperation sowohl mit dem Gericht als auch mit dem Gegner. Einem so verstandenen Beibringungsgrundsatz stehen erweiterte Mitwirkungspflichten jedoch nicht zwingend entgegen, sondern können – im Gegenteil – gerade in seinem Sinne sein. Der dem vermeintlich widersprechende Grundsatz vom nemo contra se edere tenetur ergibt sich weder aus der Rechtsprechung des BGH noch aus einer Parallelwertung zum Strafrecht. Vielmehr erfolgt die Berufung auf ihn auf Basis einer irrtümlich vollzogenen Verallgemeinerung über die Konstellationen des unzulässigen Ausforschungsbeweises hinaus. Auch das Verbot des unzulässigen Ausforschungsbeweises steht erweiterten Mitwirkungspflichten als solchen nicht entgegen, weil der Ausforschungsbeweis zum einen nur einen geringen Anwendungsbereich hat und zum anderen auch nicht durch Informationsaustausch im Sachvortragsstadium unterlaufen zu werden droht, weil das hinter dem Ausforschungsbeweis stehende „Unwerturteil“ – von einer kleinen Fallgruppe abgesehen – vorwiegend Prozessförderungs- und Entlastungsfunktion hat. Die durch den Ausforschungsbeweis gezogenen Grenzen sind jedoch im Rahmen des Umsetzungsmodells zu berücksichtigen. Auch die Rollenverteilung zwischen den Parteien, insbesondere die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen ihnen spricht nicht gegen erweiterte Mitwirkungspflichten. Die Verteilung der objektiven Lasten ergibt sich aus dem materiellen Recht und wird durch erweiterte Mitwirkungspflichten nicht beeinflusst. Die subjektiven Lasten würden zwar durch Mitwirkungs- oder Aufklärungspflichten betroffen, allerdings widerspricht dies nicht dem Beibringungsgrundsatz heutiger Prägung. Auch die Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien muss durch erweiterte Mitwirkungspflichten nicht berührt werden, weil diese nicht nur durch Pflichten gegenüber dem Gericht, sondern auch in Gestalt von Pflichten der Parteien untereinander gestaltbar sind.
Kapitel 9
Schlussfolgerung aus Teil II A. Gerechtigkeitsfunktion 1. Die Fallbeispiele haben ergeben, dass das deutsche Recht im Einzelfall zu anderen Ergebnissen kommt als das englische Recht. Zwar steht die deutsche Rechtsprechung der Abhilfe von Informationsdefiziten nicht so ablehnend gegenüber, wie man es auf Grund der in den nemo tenetur-Urteilen getroffenen generalisierenden Aussagen, dass keine Partei gehalten sei, die Waffen gegen sich selbst auszuliefern, hätte erwarten können. Dies haben insbesondere der Fall der Veterinärmedizinerin sowie der HIV-kontaminierten Blutkonserven gezeigt. In diesen Fällen hat der BGH auch nicht – trotz seines Dogmas, Informationsdefizite seien primär über materiellrechtliche Ansprüche zu lösen – auf das materielle Recht zurückgegriffen, sondern vielmehr auf die prozessrechtlichen Elemente des deutschen funktionalen Äquivalents. Allerdings ist für die Entscheidung im Einzelfall, wann Informationsdefizite auszugleichen sind und wann nicht, eine überzeugende Abgrenzung nicht gelungen, wie insbesondere der Vergleich des Falls der Veterinärmedizinerin und der zweiten nemo tenetur-Entscheidung ergeben haben. Hier bestehen auch seitens des BGH große Unsicherheiten hinsichtlich der richtigen Handhabung der Regeln über den unzulässigen Ausforschungsbeweis. Große Schwierigkeiten bestehen auch bei der Abgrenzung der Instrumente der Beweisvereitelung und der sekundären Darlegungslast, wie der Lockvogel-Fall gezeigt hat. Den demgegenüber großzügigen Informationszugang im englischen Recht haben die Fälle Waugh v. British Railways Board und Harrods v. Times Newspaper illustriert. Durch die Neufassung des § 142 ZPO ist der Informationszugang im deutschen Recht zwar weiter ausgebaut worden, allerdings haben sich hier neue Abgrenzungsprobleme zu den Regeln über die sekundäre Darlegungslast und zu den materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen ergeben. Das deutsche Recht bietet nach alledem keine flächendeckende, überzeugende Lösung an, deren Wertungen im konketen Fall verständlich erscheinen. Dies sorgt für große Rechtsunsicherheit im Einzelfall. Insbesondere wenn es an einer materiellrechtlichen Sonderverbindung zwischen den Parteien fehlt, werden Informationsdefizite häufig nicht behoben. Soweit eine Partei überdies keine Kenntnis von konkreten Unterlagen in der Hand des Gegners hat, die die benötigten Informationen enthalten, hilft ihr auch § 142
A. Gerechtigkeitsfunktion
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ZPO n.F. nicht weiter. Der Fall des LG Ingolstadt ist vereinzelt geblieben und auf große Ablehnung gestoßen. 2. Dieses Ergebnis legt nahe, dass für das deutsche Recht eine rechtssicherere und einen großzügigeren Informationszugang gewährende Lösung erstrebenswert wäre. Zwar ergibt sich dies für das deutsche Recht weder aus dem Recht auf Beweis noch aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, da diesen sehr viel weniger konkrete Rückschlüsse für die Frage des Informationszugangs zu entnehmen sind als etwa in England. Allerdings wäre eine großzügigere Behebung von Informationsdefiziten auf Grund der Stellung der Wahrheitsfindung im deutschen Zivilprozess wünschenswert. Zwar ist diese – ebenso wie in England – nicht Zweck des Zivilprozesses. Allerdings gilt, nicht zuletzt auch aus Gründen der Verfahrenspsychologie, dass – innerhalb der Grenzen der prozeduralen Verfahrensgerechtigkeit – ein Verfahren umso hochwertiger ist, je größer die Schnittmenge zwischen formeller und materieller Wahrheit ist. Bei der Gewährung von Informationszugang ist jedoch das Persönlichkeitsrecht des Gegners als Grenze zu berücksichtigen, wie das Beispiel der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel (Hormonpräparate) gezeigt hat. Hier fällt die Abwägung – anders als in England (Jones v. University of Warwick) – eher zugunsten des Persönlichkeitsschutzes als zugunsten des Beweisinteresses aus. Die zugrundeliegenden unterschiedlichen Wahrheitskonzepte in England und Deutschland haben vermutlich historische Ursachen. 3. Solcherart wünschenswerte großzügigere Behebung von Informationsdefiziten im deutschen Recht ist auch mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft vereinbar. In England wird hinsichtlich der Vereinbarkeit des disclosureVerfahrens mit dem Grundsatz des adversarial principle, das auch nach den Woolf-Reformen insbesondere im Hinblick auf das Beweisverfahren noch strenger an der Parteiherrschaft festhält als das deutsche Recht, trotz des an sich auf der Hand liegenden Konflikts kein großer Diskussionsbedarf gesehen. Nur sehr vereinzelt ist die Problematik aufgekommen, insbesondere wenn ein privilege einschlägig war. Das Nebeneinander wird hier aber aus historischen Gründen akzeptiert. Argumentationshilfen für das deutsche Recht ergeben sich hieraus nicht. Die Analyse des deutschen Beibringungsgrundsatzes hat jedoch ergeben, dass dieser erweiterten Mitwirkungspflichten nicht per se entgegen steht. Zum einen besteht er ohnehin nicht in Reinform, sondern hat diverse Einschränkungen, insbesondere durch die Vorschriften der §§ 138, 139, 142, 144, 372, 372a, 445, 448 ZPO, erfahren. Zum anderen hat aber auch die Untersuchung einzelner Facetten des Beibringungsgrundsatzes, insbesondere hinsichtlich des Ausforschungsbeweises, des angeblichen nemo tenetur-Grundsatzes, der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast und der Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht sowie der Par-
270
Kapitel 9: Schlussfolgerung aus Teil II
teien untereinander ergeben, dass erweiterte Mitwirkungspflichten auch im deutschen Recht zulässig sind, sofern – zusätzlich zu den durch das erwähnte Persönlichkeitsrecht gezogenen Grenzen – das Verbot des unzulässigen Ausforschungsbeweises akzeptiert wird und das Defizit durch erweiterte Parteipflichten und nicht durch den weiteren Ausbau von Richtermacht behoben wird. Es hat sich ferner ergeben, dass an der Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises auch bei einem großzügigen Informationszugang wie dem englischen disclosure-Verfahren festgehalten werden kann. Fast alle Fälle, die nach deutschem Recht derzeit eine unzulässige Ausforschung darstellen, würden auch in England als unzulässige fishing expedition behandelt. Über die Unzulässigkeit des Informationszugangs in diesen wenigen Fallgruppen hinaus konnte eine eigenständige Bedeutung des angeblichen Grundsatzes vom nemo contra se edere tenetur im deutschen Recht nicht gefunden worden. Die jüngere Rechtsprechung des BGH hat sich in Konstellationen, in denen es nicht um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis ging, zu Unrecht auf diesen angeblich bestehenden Grundsatz berufen, in der irrigen Annahme, ihm sei in früheren Entscheidungen ein eigenständiger Wert über die Fälle des Ausforschungsbeweises hinaus zuerkannt worden. Die Bedeutung der Darlegungs- und Beweislastverteilung wird in Deutschland zu Unrecht gegen erweiterte Mitwirkungspflichten ins Feld geführt. An der normativen materiellrechtlichen Entscheidung der Tragung des „non liquet“ und damit der objektiven Darlegungs- und Beweislast kann und soll nicht gerüttelt werden, sie bleibt von einer Erweiterung der Mitwirkungspflichten unberührt. Ebenso wenig kann und soll an der subjektiven Darlegungs- und Beweislast insofern etwas geändert werden, als die Beschaffung des Tatsachenmaterials nicht mehr Sache der Parteien wäre. Vielmehr bleibt es bei der Beschaffung durch die Parteien selbst, ein weiterer Ausbau der Richtermacht wird nicht angestrebt. Allein die Verteilung der subjektiven Darlegungs- und Beweislast wird durch erweiterte Mitwirkungspflichten modifiziert. Diese ist aber auch modifizierbar, weil sie – anders als die Zuweisung der Herrschaft über den Streitgegenstand an die Parteien (und nicht an das Gericht) – lediglich durch Zweckmäßigkeitserwägungen begründet ist. An dem Umstand, dass die Zuweisung der Herrschaft als solche an die Parteien neben Zweckmäßigkeitserwägungen auch und vor allem eine „liberale“ Rechtfertigung hat, soll nicht gerüttelt werden. Lediglich die interne Verteilung der subjektiven Darlegungs- und Beweislast wird mit Zweckmäßigkeiten begründet. Die objektive Verteilung hat eine normative Rechtfertigung und bleibt unangetastet. 4. Anregungen für eine somit wünschenswerte Veränderung des deutschen Rechts auf Informationszugang kann dabei die englische disclosure bieten. Sie dient verschiedenen Zielen: Sie soll im Vorfeld der mündlichen Verhandlung Zugang zu Beweismitteln ermöglichen, um Vergleichsgespräche zwischen den Parteien zu fördern und sie soll Überraschungen in der mündlichen
B. Exkurs: Einige Anmerkungen zur Effizienzfunktion
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Verhandlung vermeiden; „but most importantly, it assists the parties and the court to get to the truth of the matter“.1 Hauptzweck der disclosure ist mithin ihre Funktion bei der Wahrheitsfindung. Diese kommt insbesondere zum Tragen, wenn die beweisbelastete Partei selbst unverschuldet keinen Zugang zu sämtlichen erforderlichen Beweismitteln hat. Es wurde gezeigt, dass diese Situation auch im deutschen Zivilprozess entstehen kann. Das Aufkommen dieser Problematik haben die dargestellten Mechanismen der materiellen Informationsansprüche und der diversen prozessualen Mittel – angefangen von der sekundären Darlegungslast, über die Beweislastumkehr, die Vorlageverpflichtung gem. § 142 ZPO sowie die Berücksichtigung zugangsvereitelnden Verhaltens im Rahmen der Beweiswürdigung – zwar reduziert, jedoch nicht gänzlich beseitigt.
B. Exkurs: Einige Anmerkungen zur Effizienzfunktion Darüber hinaus weist das deutsche System deutliche Schwächen auch im Hinblick auf die zweite Funktion der disclosure auf: die Effizienzfunktion. Diese oben 2 bereits erwähnte zweite Funktion ist zwar nicht wesentlich von dem hier untersuchten Spannungsfeld von Parteiherrschaft und Wahrheitsermittlung betroffen. Einige Anmerkungen seien jedoch gleichwohl gestattet, um ein abgerundetes Bild von dem Mechanismus der disclosure zu erhalten. Die Effizienzfunktion der disclosure besteht darin, den Parteien eine möglichst frühe Einschätzung der Stärken und Schwächen ihres Falles zu erlauben, um so eine möglichst schnelle und effiziente Abwicklung zu erreichen, gegebenenfalls frühe Vergleichsabschlüsse zu fördern und Überraschungen in der Hauptverhandlung zu verhindern. Diese Funktion wird im deutschen Zivilprozess deshalb nicht so zufriedenstellend wie im englischen System erfüllt, weil der Informationsaustausch (i) (ii) (iii) (iv)
nicht so früh wie im englischen Recht stattfindet, nicht so systematisch und nicht so umfassend ist wie in England, obwohl aber auch im deutschen Recht ein möglichst früher, systematischer und umfassender Informationsaustausch als wünschenswert bewertet wird.
Im vorprozessualen Stadium ist in Deutschland kein standardisiertes Informationsaustauschverfahren vorgesehen. Vorprozessualer Informationsaustausch findet allenfalls in den spezialgesetzlich geregelten Fällen materiellrechtlicher Auskunftsansprüche sowie auf freiwilliger Basis bzw. zur Vermeidung 1 2
Malek, Disclosure Regime, 2009, S. 283, 284. Siehe S. 8.
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Kapitel 9: Schlussfolgerung aus Teil II
der negativen Kostenfolge des § 93 ZPO statt, wenn beide Seiten ein kooperatives Verhalten als wünschenswert erachten. Auch das selbstständige Beweisverfahren kann die Funktion der pre-action protocols nicht erfüllen, weil es anders als letzteres bereits unter Inanspruchnahme der Ressourcen des Gerichts erfolgt. 3 Dass aber ein früher, systematischer und umfassender Informationsaustausch unter dem Aspekt der Effizienzsteigerung wichtig ist, entspricht auch der Sichtweise in Deutschland. Dieser Aspekt hat nicht zuletzt deshalb zunehmend an Bedeutung gewonnen, weil die stetig wachsende Arbeitsbelastung der Gerichte, die sich in einem immensen Anstieg der Eingangszahlen widerspiegelt4 und der wegen leerer Staatskassen kein entsprechender Zuwachs an juristischem Personal gegenübersteht, die Gerichte schon lange an die Grenzen des Machbaren gebracht hat. Um dieser Belastung der Gerichte abzuhelfen, sind bereits verschiedene Versuche unternommen worden: So sollten etwa durch die Einführung einer obligatorischen Güteverhandlung (§ 278 Abs. 2 ZPO n.F.) im Jahr 2002 die Parteien frühzeitig an einen Tisch gebracht werden, um u.a. auf einen frühen Vergleichsabschluss hinzuwirken. Dieser Änderung war indes zunächst kein Erfolg beschieden. Die Anwälte stellten routinemäßig einen Antrag darauf, von einem Gütetermin abzusehen, da „die Parteien hoffnungslos zerstritten seien“. 5 Die Justizverwaltung förderte diesen Trend, indem sie Standardformulare für die gleichzeitige Anberaumung von Güteverhandlung und anschließendem Termin zur mündlichen Verhandlung bereitstellte.6 Für diese mangelnde Akzeptanz des Gütetermins werden zwei wesentliche Gründe genannt. Zum einen seien Richter und Anwälte nicht für diese Form der Streitbeilegung fortgebildet worden. Zum anderen habe man verkannt, dass es zusätzlich erforderlich gewesen wäre, einen Weg offenerer Informationspolitik einzuschlagen.7 Für die Parteien besteht in der Regel nur dann zu einem frühen Zeitpunkt des Verfahrens Anreiz zu einem Vergleichsabschluss, wenn die Karten weitestgehend offen auf dem Tisch liegen. Denn nur dann haben sie auch tatsächlich die Möglichkeit, die eigenen Erfolgsaussichten verhältnismäßig realistisch einzuschätzen und so, anstatt zusätzliche Kosten auf sich zu laden und weitere Zeit verstreichen zu lassen, auf Grund eigenständiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage und auf gut informierter Basis zu einem fairen Vergleichsabschluss zu kommen. Zwar wird die obligatorische Güteverhandlung mittlerweile von den Beteiligten, insbesondere von Seiten der Richter, die Vgl. zu alldem bereits oben S. 111 ff. sowie S. 139 ff. Greger, JZ 2004, S. 805, 811. 5 Greger, JZ 2004, S. 805, 811. 6 Greger, JZ 2004, S. 805, 811. 7 So zu beiden Punkten Greger, JZ 2002, S. 1020, 1027 sowie Gottwald, Gutachten, 65. Juristentag, 2004, A 107, A 110. 3 4
C. Fazit
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nunmehr in der Regel eine Güteverhandlung anordnen, etwas besser akzeptiert. Jedoch bewerteten in einer im Jahr 2004 durchgeführten Umfrage nach wie vor 51 Prozent der befragten Anwälte die Einführung der obligatorischen Güteverhandlung als negativ.8 Die Einführung des Gütetermins war somit nicht so erfolgreich, wie man sich erhofft hatte.9 Sie könnte aber in der Praxis besser angenommen werden, wenn ihre Effizienz durch einen früheren und umfassenderen Informationsaustausch gesteigert würde.10 Ein solcher, möglichst vorprozessualer, Informationsaustausch könnte in Gestalt eines standardisierten Informationsaustauschs vergleichbar den englischen pre-action protocols stattfinden, jedenfalls aber im Rahmen gegenseitiger Informationsgewährung vor der mündlichen Verhandlung. Dies würde den Parteien gestatten, die Stärken und Schwächen beider Seiten noch vor oder spätestens im Gütetermin zu erkennen und Einblick in die Beweismittel der Gegenseite zu erhalten. Auch in den Fällen, in denen es daraufhin nicht zu einem Vergleichsabschluss kommt, wären die Richter gleichwohl erheblich entlastet, da die Verfahrensleitung des Gerichts durch die bereits erfolgte Vorbereitung der Verhandlung durch die Parteien vereinfacht würde. Überdies könnte ein früherer und umfassenderer Informationsaustausch bewirken, dass in erster Instanz bessere Ergebnisse erzielt werden, was dazu beitragen könnte, dass die Parteien zufriedener mit den Resultaten wären, und so die Anzahl der Rechtsmittel sinken würde. Die Einführung einer Form von disclosure und pre-action protocols könnte somit erwägenswert sein, bevor radikalere Maßnahmen ergriffen werden, wie sie im Rahmen der so genannten „Großen Justizreform“ diskutiert wurden, in der die Forderung nach einer kompletten Abschaffung der Berufungsinstanz gestellt wurde, um so die Gerichte zu entlasten.11
C. Fazit Weder im deutschen noch im englischen Zivilprozess ist nach alledem die disclosure ein zwingendes Mittel, um Wahrheitsfindung zu ermöglichen. Es sind auch viele andere Wege denkbar, und der deutsche Weg ist sicher einer davon. Aber der deutsche Weg ist nicht der beste. Zu viele Lücken verbleiben im deutschen Recht, die mit den zur Verfügung stehenden Mechanismen nicht dogmatisch stringent lösbar sind, obgleich das deutsche Recht durchaus auf Stringenz und Systematik Wert legt. Zu oft verbleibt es in der ex anteSituation bei Rechtsunsicherheit darüber, ob ein Informationszugang gestattet Bamberger, ZRP 2004, S. 137, 138. Greger, JZ 2002, S. 1020, 1027. 10 Greger, JZ 2004, S. 805, 806. 11 Heister-Neumann, ZRP 2005, S. 12 ff. 8 9
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Kapitel 9: Schlussfolgerung aus Teil II
werden wird. Auch die englische Lösung hat ihre Defizite. Sie ist mit Kosten und Zeit verbunden. Aber sie ist Anreiz genug, der deutschen Lösung Anhaltspunkte für die Zweckmäßigkeit einer weitergehenden Öffnung zu großzügigerem Informationszugang für die Parteien zu bieten. Die Untersuchung der Stellung der Wahrheitsfindung und des Grundsatzes der Parteiherrschaft in England hat gezeigt, dass es einen großzügigeren Informationszugang geben kann, ohne dass damit zwangsläufig die Erhebung der Wahrheitsfindung zum Prozesszweck oder der Abschied vom Grundsatz der Parteiherrschaft verbunden wäre. Teil III soll nun der Suche nach einer „besseren“ Lösung dienen. Ausgangspunkt auf der Suche nach dieser „besseren Lösung“ ist dabei das englische Recht. Zentral wird sein, inwieweit bei dieser Lösung die erkannten Schwächen des englischen Wegs möglichst vermieden werden können und wie eine Lösung aussehen kann, die auch den deutschen Besonderheiten Rechnung trägt.
Teil III
Ausblick: Nutzbarmachung des Grundgedankens der englischen disclosure Ließe sich ein der englischen disclosure entsprechenden, in der deutschen Prozesskultur funktionierender Mechanismus für das deutsche Recht entwickeln, mit dem vergleichbare Vorteile wie mit der englischen disclosure erzielt werden, ohne dass erhebliche Nachteile daraus entstehen?
Kapitel 10
Machbarkeit einer Anleihe In der Rechtsvergleichung besteht Einigkeit dahingehend, dass Anleihen in einer anderen Rechtsordnung nicht dergestalt erfolgen dürfen, dass Einzelprobleme willkürlich aus einem Gesamtgebilde rechtlicher Regelungen herausgerissen werden. 1 Diese Problematik, die sich bei einer Anleihe in einem fremden Rechtssystem ganz allgemein stellt, hat Damaška sehr eindrücklich aufgeworfen, indem er betonte: „[i]n seeking inspiration for change, it is perhaps natural for lawyers to go browsing in a foreign law boutique. But it is an illusion to think that this is a boutique in which one is always free to purchase some items and reject others“2 „[as] the music of law changes […] when the musical instruments and the players are no longer the same“. 3 Habscheid warnt insbesondere vor der Gefahr vorschneller Importe aus dem common law-Rechtskreis, insbesondere aus den USA, nach Kontinentaleuropa: „Europäische Jungjuristen, die in den USA studieren verfallen der vis attractiva des amerikanischen Rechts und importieren es dann, häufig unreflektiert, nach Europa.“4
A. Grundsätzliche Möglichkeit einer Anleihe im common law I.
Meinungsstand
Die besonderen Probleme, die Habscheid im Hinblick auf Anleihen aus einem Land der common law-Familie in ein civil law-Regime angesprochen hat, sollen im Folgenden untersucht werden. In der Tat ist nach Ansicht einiger eine solche Anleihe weder möglich noch wünschenswert.5 Jacoby, ZZP 74 (1961), S. 145, 160. Damaška, (1997) 45 Am.J.Comp.L., S. 839, 852. 3 Damaška, (1997) 45 Am.J.Comp.L., S. 839, 840. 4 Habscheid, in: FS Baumgärtel, 1990, S. 105, 106. 5 Siehe die Nachweise bei Gilles, Prozeßrechtsvergleichung, 1996, S. 121: In den vorbereitenden Nationalberichten zu der Weltkonferenz für Prozessrecht in Taormina im Jahr 1995 seien insbesondere aus Ländern, die der common law-Familie zugehören, wie England, USA und Israel starke Zweifel hinsichtlich einer „Transplantierbarkeit“ von Prozessrechtselementen aus dem civil law-Kreis in den common law-Kreis und umgekehrt angemeldet worden. 1 2
A. Grundsätzliche Möglichkeit einer Anleihe im common law
277
Dies könnte umso problematischer sein, wenn es sich bei dem anzuleihenden Mechanismus um ein besonders charakteristisches Wesensmerkmal des common law-Rechtskreises handelt, was bezüglich der disclosure teilweise vertreten wird. In diesem Sinne wird die Ansicht geäußert, dass in einem nicht dem common law angehörenden Land wie Deutschland kein Bedürfnis für eine disclosure bestehe. 6 So haben etwa Zweigert/Kötz wie folgt argumentiert: „Der entscheidende Umstand, der ein gut Teil der Besonderheiten des angloamerikanischen Verfahrens verständlich werden lässt, liegt in der Tatsache, dass dieses Verfahren sich aus dem Geschworenenprozeß (jury trial) entwickelt hat. […] Daraus ergibt sich vor allem, dass der Prozeß […] auf Grund einer einzigen, fortlaufenden […] mündlichen Verhandlung (trial) entschieden wird. Aus der Tatsache, dass der angloamerikanische Prozeß sich auf eine einzige mündliche Verhandlung zusammendrängt, ergeben sich eine Reihe weiterer Konsequenzen […]. Eine erste Konsequenz liegt darin, dass der Vorbereitung des Prozesses durch die Anwälte eine enorme Bedeutung zukommt. […] Jeder Anwalt […] muß vor Prozeßbeginn mit ,seinem‘ Zeugen sprechen […]. Ferner eröffnet das anglo-amerikanische Prozessrecht aus dem genannten Grunde jeder Partei die Möglichkeit, schon vor dem trial von ihrem Gegner die Erteilung von Auskünften und die Vorlage von Dokumenten zu verlangen, die für das kommende Verfahren von irgendeiner Bedeutung sein könnten.“7
Dieser Argumentation zufolge ist daher der Mechanismus der disclosure in dem Kontext eines Systems zu sehen, das – anders als Deutschland – aus einer jury-Tradition stammt und in dem es auf Grund des trial als einer einzigen fortlaufenden Verhandlung besondere Notwendigkeiten im Hinblick auf die Prozessvorbereitung durch Zeugenbefragung und Dokumentenvorlage gebe. So verlockend überzeugend diese Analyse auf den ersten Blick auch sein mag und so zutreffend sie im Hinblick auf die Tradition der Zeugenbefragung auch ist, lässt sie doch die historischen Ursprünge der disclosure außer Betracht. Denn die disclosure entspringt – wie oben8 gezeigt wurde – weder der common law-Tradition im Allgemeinen, noch dem jury-System im Besonderen. Vielmehr ist sie in den Gerichten der equity entstanden und 600 Jahre lang dort praktiziert und weiterentwickelt worden. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie schließlich auch in den common law-Gerichten übernommen – und dies gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem die Bedeutung der jury in Zivilverfahren zu schwinden begann. In den Gerichten der equity ist das jury-System seit jeher verworfen worden, so dass es in der Chancery auch nie einen Grund für eine Hauptverhandlung gab, die als durchgehende einheitliche Verhandlung konzipiert war. Graef, Judicial Activism, 1996, S. 35 f.: „Accordingly, unlike the English system there is no need to have elaborate interrogatory and discovery procedures because the court may simply require a further appearance before it at a later date“. 7 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 1996, S. 266. 8 Vgl. hierzu und zum Folgenden, S. 35 ff. 6
278
Kapitel 10: Machbarkeit einer Anleihe
Näher liegt es eher, noch einen Schritt weiterzugehen und zu argumentieren, dass die historischen Ursprünge die disclosure sogar näher in die Tradition des civil law als in die des common law rücken. Die Analyse von Zweigert/Kötz zeigt aber, dass es umso erstaunlicher ist, dass die common law-Gerichte nicht viel früher das discovery-Verfahren für sich nutzbar gemacht haben, eben weil die Erhebung des Dokumentenbeweises erst im trial unter Beteiligung einer jury nur schwer zu bewältigen war. Denn in einem unter Beteiligung einer jury geführten Prozess, in dem die jury letztlich für die Sachverhaltsfeststellung zuständig ist, stellt naturgegebenermaßen die Erhebung eines Urkundsbeweises im trial eher die Ausnahme dar, weshalb die Ermittlung im pre-trial im Wege der discovery durchaus hilfreich gewesen wäre. Auch wenn es an den equity-Gerichten selbst nie eine jury gab, nutzten diese wiederum umgekehrt gleichwohl ihrerseits mitunter das jury-Verfahren, indem sie im laufenden Verfahren entstandene Tatsachenfragen zur Beurteilung an ein common law-Gericht verwiesen.9 In eine ähnliche Richtung wie Zweigert/Kötz argumentierte auch Leipold, als er feststellte: „Was insbesondere die […] pretrial discovery des US-amerikanischen Rechts angeht, so müssen, ehe man eine Übernahme empfiehlt oder hieraus jedenfalls Argumente für das deutsche Recht gewinnen will, auch die grundlegenden Unterschiede beachtet werden, also etwa die Verknüpfung der discovery mit dem jury System […].“10
Zwar bezieht sich Leipold dabei auf die US-amerikanische pre-trial discovery. Gleichwohl ist auch insofern festzustellen, dass die Verknüpfung von discovery und jury-System – wie gezeigt – historisch unzutreffend ist. Es gibt aber auch andere Stimmen, die insbesondere in den jüngeren Veränderungen auf der Grundlage der Woolf-Reformen eine Hinentwicklung des englischen Prozessrechts zu dem kontinentaleuropäischen System mit der Perspektive einer zukünftigen Verschmelzung der Systemunterschiede zwischen common law und civil law sehen und bereits jetzt dem englischen Prozessrecht eine Sonderstellung zwischen civil law und common law einräumen. In diesem Sinne charakterisiert Andrews die Zwitterstellung, die England zivilprozessual zwischen Kontinentaleuropa und den USA einnimmt: „In fact English Law is sandwiched between civil law Europe and the distinctive Common Law system of the USA.“ 11 Und Murray/Stürner prognostizieren angesichts der „signs of convergence to date“ in Gestalt der neu definierten Rolle des Richters in England und ersten „experiments with fact discovery in Europe“ (zum Beispiel in Gestalt der Neufassung des § 142 ZPO in Deutschland): Jolowicz, in: Essays Kerameus, 2009, S. 535, 546. Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn. 31. 11 Andrews, Civil Process, 2008, Fn. 1.02. 9
10
A. Grundsätzliche Möglichkeit einer Anleihe im common law
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„ …over time it can be expected that the face of English justice will bear a greater resemblance to justice as practised elsewhere within the European Union than traditional common law aficionados ever deemed possible. These changes in the jurisdiction that was the main source of the American civil justice tradition show that there is real potential for convergence between common law – civil law systems in our current era.“12
Ein kurzer Blick auf die Reformen des deutschen Zivilprozessrechts zeigt überdies, dass dieses sich auch in der Vergangenheit nicht unbeeinflusst von den Strömungen ausländischer Rechtsordnungen entwickelt hat. Die insbesondere als Grundlage der österreichischen ZPO entwickelten Konzepte Franz Kleins zum sozialen Zivilprozess haben in Deutschland in der Einführung des § 138 Abs. 1 ZPO sowie der Ausweitung des § 139 ZPO ihren Widerhall gefunden. Aber auch aus der Welt des common law finden sich Anklänge im deutschen Zivilprozess – jedoch erst in jüngerer Vergangenheit: so etwa die Idee, die Revision von einer speziellen Zulassung abhängig zu machen (wie dies in England der Fall ist) sowie das US-amerikanische Konzept der ADR, das mit § 15 a EGZPO sowie § 278 ZPO Einzug in das deutsche Zivilprozessrecht gehalten hat.13 II. Zwischenergebnis Es spricht nach alledem nichts Grundsätzliches gegen eine Anleihe des deutschen Rechts im englischen Recht. Bei dem disclosure-Verfahren handelt es sich nicht um einen Mechanismus, der sich aus den Besonderheiten des common law-Verfahrens ergeben hat, sondern vielmehr um ein Erbe der equity-Gerichte, so dass der zu implantierende Mechanismus selbst nicht auf eine enge Verquickung mit den Erfordernissen des jury-Wesens zurückblickt. Dazu kommt, dass das englische Recht seinerseits mittlerweile eine „Zwitterstellung“ zwischen common law und civil law innehat. III. Discovery in einer kontinental geprägten Rechtsordnung – Die japanische Erfahrung Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Mittel zur Informationsbeschaffung in Japan gegeben werden. Dieser Exkurs ist deshalb interessant, weil das japanische Zivilprozessrecht seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sehr stark an das deutsche Zivilprozessrecht angelehnt ist, jedoch nunmehr seit Mitte der 90-er Jahre über eine Art discovery verfügt. Das japanische Beispiel kann mithin demonstrieren, inwieweit Elemente eines discovery-Verfahrens auch in einem civil law-Prozess denkbar sind.
Murray/Stürner, German Civil Justice, 2004, S. 646. Vgl. zu diesen „absorbed external influences“: Prütting, International sources of German civil procedure, 2008, S. 252 f. 12 13
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Kapitel 10: Machbarkeit einer Anleihe
1. Historische Entwicklung zwischen civil law und common law Das japanische Zivilprozessgesetzbuch trat im Jahr 1890 nach dem Vorbild der deutschen ZPO von 1877 in Kraft und löste die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts geltende, aus dem chinesischen Recht stammende feudale Rechtsordnung ab. Mit einigen wenigen Ausnahmen stellte das Gesetzbuch eine fast wörtliche Übersetzung der deutschen Kodifikation dar.14 Eine wichtige Abweichung stellt die auch heute noch bestehende Ablehnung des Anwaltszwanges dar. Auch in den Verfahren vor höherinstanzlichen Gerichten existiert in Japan keine Verpflichtung zur Vertretung durch einen Anwalt. Folglich werden im Rahmen der Kostenentscheidung die Kosten für die Beiziehung eines Rechtsanwalts nie erstattet. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet das japanische Recht, insbesondere auch das Zivilprozessrecht, während der amerikanischen Besetzung unter den Einfluss des US-amerikanischen Rechtsverständnisses. Auf diese Weise fand das Gedankengut des adversary system und mit ihm das Kreuzverhör von Zeugen durch die Parteien anstelle der Zeugenbefragung durch den Richter im Jahr 1948 Eingang in das japanische Zivilprozessgesetzbuch. Sinn und Zweck war die mit der angestrebten Demokratisierung durch die Besatzungsmacht einhergehende Betonung der Parteiherrschaft.15 Mit dieser waren die bis dahin geltenden Vorschriften, die den Amtsbetrieb der Beweisaufnahme regelten, nicht vereinbar und wurden ebenfalls im Jahr 1948 abgeschafft.16 Nakamura hat zu der rechtstatsächlichen Entwicklung ausgeführt, dass mit der Reform von 1948 dem Richter die Aufgabe des beobachtenden Schiedsrichters eines sportlichen Wettkampfs zugewiesen und die Aufklärungsbefugnis des Gerichts in der Folgezeit sehr passiv gehandhabt wurde. Allerdings soll nach Nakamura mit dem Ende der US-amerikanischen Besatzung eine Rückkehr zu dem ursprünglichen Verständnis erfolgt sein.17 Demgegenüber haben sich die Vorschriften über das Kreuzverhör Nakamura zufolge mit Erfolg behauptet. Zwar sollen sie in der ersten Zeit nicht beliebt gewesen, später jedoch zunehmend positiv aufgenommen worden sein. Die positive Resonanz auf Seiten der Anwälte führt Nakamura darauf zurück, dass der Anwalt mit erfolgreicher Durchführung des Kreuzverhörs gegenüber seinem Mandanten seine Fähigkeiten präsentieren kann. Aus Sicht des viel
Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837. Nakamura, Zivilprozess im kontinentaleuropäischen und im angloamerikanischen Rechtskreis, 2006, S. 72, 82. 16 Nakamura, Zivilprozess im kontinentaleuropäischen und im angloamerikanischen Rechtskreis, 2006, S. 72, 82. 17 Nakamura, Zivilprozess im kontinentaleuropäischen und im angloamerikanischen Rechtskreis, 2006, S. 72, 82. 14 15
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beschäftigten Richters sei das Kreuzverhör deshalb angenehm, weil ihm vor der Verhandlung häufig wenig Zeit für die Vorbereitung der Sache bleibe.18 Dies zeige, dass eine Institution, die mit einem bestimmten Verfahrenstyp verbunden ist, mit der Zeit ihre eigenständige Bedeutung verlieren und in einem anderen Prozessgefüge praktiziert werden könne. 19 Demgegenüber scheiterte die im Jahr 1950 eingeführte ununterbrochene mündliche Verhandlung. Das gewünschte Ergebnis der Bekämpfung der Prozessverschleppung trat nicht ein. Nakamura erklärt diesen Fehlschlag damit, dass eine ununterbrochene mündliche Verhandlung nur in einem jury-System funktionieren könne.20 2. Die Reform von 1996 Trotz verschiedener kleinerer Reformen sah man spätestens in den 80erJahren ein größeres Reformbedürfnis, um den nicht nur in Japan beklagten Übeln von überlanger Verfahrensdauer, Unwirtschaftlichkeit und Wirkungslosigkeit beizukommen. 21 Die japanischen Mittel zur Beschaffung von Informationen und Beweis wurden als unzureichend empfunden. Ein Ausgleich wurde zwar durch Rechtsprechung und Literatur insbesondere durch eine Lockerung der Darlegungs- und Beweislast bewirkt. Eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen war jedoch nicht erfolgt. Im Reformprozess gewann die Idee der amerikanischen discovery zunehmend an Bedeutung. Man war sich aber auch der Gefahren der discovery, insbesondere der langen Verfahrensdauer und hoher Kosten bewusst, die durch eine zu ausufernde discovery entstehen konnten. Aus diesem Grund entschied man sich für einen Mittelweg. Dem Grunde nach sollte das Modell des deutschen Zivilprozesses beibehalten werden. Hinsichtlich der Frage des Zugangs zu Information und Beweis aber sollte eine abgeschwächte Form der amerikanischen discovery in dieses kontinental geprägte Verfahren eingebettet werden.22 Nach sechsjähriger Gesetzgebungsarbeit trat schließlich im Jahr 1996 ein neues Zivilprozessgesetzbuch in Kraft. Auch nach der Reform bleibt es seinen wesentlichen Strukturen treu und ist insgesamt weiterhin als kontinentale Rechtsordnung anzusehen. Eines der vier Hauptziele des Reformgesetzes war die Einführung von Mechanismen, die den Zugang zu Information und Beweis, insbesondere 18 Nakamura, Zivilprozess im kontinentaleuropäischen und im angloamerikanischen Rechtskreis, 2006, S. 72, 83. 19 So Nakamura, Zivilprozess im kontinentaleuropäischen und im angloamerikanischen Rechtskreis, 2006, S. 72, 83. 20 Nakamura, Zivilprozess im kontinentaleuropäischen und im angloamerikanischen Rechtskreis, 2006, S. 72, 83. 21 Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837, 840. 22 Vgl. zu alldem Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 121 ff., insb. S. 196 f.
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insoweit, als diese sich in den Händen des Gegners befinden, verbessern, um so ein wirkungsvolleres Verfahren und gerechtere Ergebnisse zu erzielen.23 Das Verbleiben in der kontinentalen Rechtsfamilie wird auch darin deutlich, dass sich der diskutierte radikale Ansatz, die skizzierte Problematik durch die Einführung eines discovery-Verfahrens zu lösen, im Ergebnis nicht durchsetzen konnte. Auf der anderen Seite ist der amerikanische Einfluss an dem Bestreben der japanischen Zivilprozessgesetzgebung erkennbar, eine Trennung zwischen trial und pre-trial zu etablieren.24 a) Einführung eines Erkundigungsrechts der Parteien Das neue Recht von 1996 hat mit § 163 jZPO ein Erkundigungsrecht der Parteien (tôjisha shôkai) nach dem Vorbild der US-amerikanischen written interrogatories25 eingeführt. Danach kann eine Partei von der gegnerischen Seite Aufklärung über diejenigen Tatsachen verlangen, die für die Vorbereitung des Sachvortrages und/oder der Beweisantritte erforderlich sind. Ausgenommen sind gem. § 163 Abs. 1 Nr. 1–6 jZPO nur Erkundigungen, die nicht hinreichend bestimmt sind (Nr. 1), die den Gegner beleidigen oder in Verlegenheit bringen (Nr. 2), sich wiederholende Erkundigungen (Nr. 3), Erkundigungen, die auf die Abgabe einer Meinungsäußerung zielen (Nr. 4), Erkundigungen, deren Beantwortung für den Gegner mit unangemessenen Kosten oder unangemessenem Zeitaufwand verbunden wäre (Nr. 5) sowie Erkundigungen, die Tatsachen betreffen, bezüglich derer gem. § 196 f. jZPO ein Aussageverweigerungsrecht besteht. Der zulässige Fragegegenstand ist sehr weit gefasst. Denkbar sind etwa in Produkthaftungsfällen Fragen nach Beanstandungen zu vergleichbaren Unfällen, in Arzthaftungsfällen Fragen zu den Namen der behandelnden Ärzte und Krankenschwestern oder den verabreichten Arzneimitteln sowie bei Verkehrsunfallstreitigkeiten zu den Anschriften von Mitfahrern. 26 Fishing expeditions werden für unzulässig gehalten.27 Sowohl Fragen als auch Antworten haben schriftlich zu erfolgen. Die anfragende Partei hat der Gegenseite eine Frist zur Beantwortung vorzugeben. Das Erkundigungsrecht setzt – aus deutscher Perspektive erstaunlicherweise – nicht voraus, dass die Informationen für die anfragende Partei nicht auf ande-
Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837, 840. Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837, 841. 25 Im Unterschied zu den US-amerikanischen interrogatories ist aber nur eine Befragung zu dem Beweisthema und nicht zu jedem beliebigen Sachverhalt, der mit dem zu entscheidenden Fall in irgendeiner Beziehung steht, zulässig. Überdies sieht das japanische Recht bei Verweigerung der Beantwortung keine Sanktion in Gestalt einer Bestrafung vor. 26 Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 172. 27 Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 173. 23 24
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rem Weg beschaffbar sind.28 Da es sich bei dem Erkundigungsrecht lediglich um eine Aufforderung durch eine Privatperson handelt, die auf Treu und Glauben basiert, sieht das Gesetz keine Sanktion für eine unberechtigte Antwortverweigerung vor.29 Damit besteht die Gefahr, dass der Gegner ihm ungünstige Umstände nicht mitteilen wird. Das Erkundigungsrecht wird dennoch nicht als wirkungslos eingestuft, weil eine unberechtigte Weigerung darauf hinweise, dass die befragte Person trotz der prozessualen Pflicht zu Treu und Glauben kein ernsthaftes Interesse an der Prozessführung zeige, was in den Gesamteindruck der Verhandlung einfließe und von dem Richter gewürdigt werden könne.30 Für die Einführung dieses Erkundigungsrechts werden verschiedene Argumente genannt: zum einen Ziele der Verfahrensbeschleunigung und -effektivierung, aber auch der Sicherung von Waffengleichheit bei Informationsgefällen sowie der Wahrheitsfindung.31 b) Pflicht zur Dokumentenvorlage Schon nach dem alten Recht war es gem. § 312 Nr. 1–3 jZPO a.F. möglich, in drei Fällen, die Vorlage bestimmter Dokumente anzuordnen. Dies galt – ähnlich wie im deutschen Recht – zum einen, wenn der Gegner selbst auf die Urkunde Bezug genommen hatte, wenn der Beweisführer einen Anspruch auf Herausgabe der Urkunde oder auf Einsicht hatte oder aber wenn die Urkunde zugunsten des Beweisführers oder im Hinblick auf ein Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Besitzer der Urkunde erstellt worden war. 32 Durch die Reform von 1996 wurde das Regel-Ausnahmeverhältnis umgekehrt. Demnach ist generell die Anordnung der Dokumentenvorlage zulässig, 33 außer wenn das Material Tatsachen enthält, die dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen (§ 220 Nr. 4 a jZPO), wenn es ein Regierungsgeheimnis enthält oder die Vorlage dem Gemeinwohl zuwiderläuft (§ 220 Nr. 4 b jZPO), wenn es Tatsachen enthält, die ein Arzt oder eine andere zur Verschwiegenheit verpflichtete Person in Ausübung ihrer gesetzlichen Pflichten erfahren hat, wenn es sich auf ein technisches oder berufliches Geheimnis bezieht (§ 220 Nr. 4 c jZPO) oder wenn es für den ausschließlichen Gebrauch seines Inhabers erstellt worden ist (§ 220 Nr. 4 d jZPO).34
Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 172. Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 174. 30 Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 175. 31 Vgl. die Nachweise bei Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 168. 32 Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837, 849. 33 Kakiuchi, Verfahrensrecht, 2011, Rn. 114; Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 177; Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837, 850. 34 Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837, 850. 28 29
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Einen Schwachpunkt dieser Neuregelung stellt der Umstand dar, dass die Partei in Informationsnot die Beweislast dafür trägt, dass ein Ausschlussgrund nach § 220 Nr. 4 jZPO nicht vorliegt. 35 Dies kann insbesondere im Hinblick auf solche Dokumente zum Problem werden, bezüglich derer ein Berufsgeheimnis nach § 220 Nr. 4 c i.V.m. § 197 Abs. 1 Nr. 3 jZPO oder der Eigengebrauch in Frage steht, dessen Voraussetzungen im Einzelnen sehr umstritten sind.36 Denn nach dem japanischen Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb setzt ein Berufsgeheimnis voraus, dass ein Geheimnis gewahrt wird, das für die Unternehmensaktivität wichtige technische oder geschäftliche Informationen enthält und nicht weithin bekannt ist. 37 Der Nachweis des Nichtvorliegens dieser Voraussetzungen wird für die Partei in Informationsnot nicht ohne Weiteres zu bewerkstelligen sein. Allerdings besteht für das Gericht die Möglichkeit, das Interesse am Geheimnisschutz und das Interesse an der Wahrheitsfindung gegeneinander abzuwägen und die Urkundenvorlage anzuordnen, wenn die Urkunde einen wichtigen Streitpunkt betrifft und anderweitiger Beweis nicht zu erlangen ist. 38 Über die Frage, ob ein Ausnahmefall nach § 220 Nr. 4 jZPO vorliegt, kann der Richter gem. § 223 Abs. 3 jZPO im Rahmen eines in camera-Verfahrens entscheiden. Er kann sich also die Urkunde von dem Urkundsbesitzer vorlegen lassen und die Parteien und ihre Anwälte ausschließen. Wird die Vorlage zu Unrecht verweigert, so kann das Gericht die behauptete Tatsache als wahr unterstellen.39 Durch die Reform von 1996 wurden die Anforderungen an die Konkretisierung gelockert. Nunmehr ist nicht mehr erforderlich, dass der Antragsteller das Dokument genau identifizieren kann. Ausreichend ist, wenn er so konkrete Angaben machen kann, dass wiederum dem Inhaber des Dokuments die Identifizierung möglich ist.40 Verweigert Letzterer seine Mitwirkung bei der Identifizierung, kann ihm die Vorlage gleichwohl aufgegeben werden. Kommt er auch dieser nicht nach, kann das Gericht die vom Antragsteller behauptete Tatsache gem. § 224 Abs. 3 jZPO als wahr unterstellen.41 Für den Fall, dass der Antragsteller von der Existenz der Dokumente keinerlei Kenntnis hat, kann der Antragsteller dem Gegner im Rahmen des Erkundigungsrechts gem. § 163 jZPO Fragen über die Existenz von Unterlagen und Zeugen stellen. Allerdings handelt es sich insoweit um ein relativ schwaches Mittel,
Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 183 f. Eindeutig sind von dieser Vorschrift Tagebücher erfasst. Strittig ist demgegenüber, ob auch Betriebsinterna unter diese Norm fallen, vgl. dazu Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 182 f. 37 Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 182. 38 Yoshida, Informationsbeschaffung, 2001, S. 183. 39 § 224 Abs. 1 jZPG. 40 Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837, 850. 41 Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837, 850. 35 36
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das nicht sanktionsbewehrt ist, sondern sich lediglich auf die Einhaltung anwaltlicher und gegnerischer Zuvorkommenheit stützt.42 Gem. § 231 jZPO finden die genannten Vorschriften über den Urkundsbeweis auf urkundsähnliche Gegenstände, wie Pläne, Fotografien oder Tonbänder entsprechende Anwendung.43 c) Lockerung des Subsidiaritätserfordernisses bei der Parteivernehmung Mit der Reform von 1996 wurde ferner das Subsidiaritätserfordernis im Rahmen der Parteivernehmung gelockert. Nach § 336 jZPO a.F. konnte eine Parteivernehmung nur erfolgen, wenn das Gericht auf Grund der Beweisaufnahme zu keiner Überzeugung kommen konnte. Da die Parteivernehmung im japanischen Zivilprozessrecht jedoch zunehmend eine größere Rolle spielte, wurde dieses Subsidiaritätserfordernis abgeschafft.44 Die einzige grundsätzliche Beschränkung der Parteivernehmung besteht noch darin, dass sie erst nach der Zeugenvernehmung erfolgen kann, wenn eine solche beantragt ist. Allerdings kann das Gericht die Reihenfolge nach Anhörung der Parteien ändern, wenn es dies für sachdienlich erachtet. Erscheint die zu vernehmende Partei nicht oder verweigert sie Eid oder Aussage ohne sachlichen Grund, kann die Behauptung des Gegners gem. § 208 jZPO als wahr unterstellt werden. 3. Die Reform von 2003 Im Jahr 2003 wurde der japanische Zivilprozess erneut einer größeren Reform unterzogen. Das Reformgesetz trat am 1. April 2004 in Kraft. Ziel war die Prozessförderung und Verfahrenskonzentration, da insbesondere Arzthaftungsprozesse, Bauprozesse und Prozesse im Bereich des geistigen Eigentums wegen der oft aufwendigen Sachverhaltsermittlung übermäßig lang andauerten.45 Im hiesigen Rahmen interessiert die neu eingeführte Möglichkeit der Informationsbeschaffung und Sammlung von Beweismitteln bereits vor Klageerhebung. Die neu geschaffenen Vorschriften zur Informationsbeschaffung vor Klageerhebung basieren auf dem bereits durch die Reform von 1996 eingeführten Erkundigungsrecht der Parteien, dessen Bestehen durch die Reform des Jahres 2003 unter bestimmten Voraussetzungen auf den Zeitraum vor Klageerhebung ausgedehnt wurde. Vorbild sind die englischen pre-action protocols. 46 Die Möglichkeit der Informations- und Beweisbeschaffung vor Klageerhebung soll es dem künftigen Kläger ermöglichen, vorauszusehen, ob Taniguchi, Civil procedure in Japan, 2003, S. 837, 851. Kakiuchi, Verfahrensrecht, 2011, Rn. 118. 44 Kakiuchi, Verfahrensrecht, 2011, Rn. 101. 45 Honma, in: FS Leipold, 2009, S. 581. 46 Deguchi, in: FS Leipold, 2009, S. 555, 565. 42 43
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er den Prozess gewinnen kann oder nicht, damit er eine besser fundierte Entscheidung fällen kann, ob er Klage erhebt oder nicht. Aussichtlose Klagen sollen so vermieden und Verfahren jedenfalls beschleunigt werden.47 a) Erkundigung vor Klageerhebung Das bestehende Rechtsinstitut des Erkundigungsrechts der Parteien gem. § 163 jZPO, das die Rechtshängigkeit eines Verfahrens voraussetzt, wurde auf den Zeitpunkt vor Klageerhebung ausgedehnt (§ 132 a jZPO), sofern der Informationssuchende dem Gegner gem. § 132-2 Abs. 1 jZPO schriftlich die beabsichtigte Klageerhebung mitgeteilt hat (so genannte Klageankündigung [teiso yokoku tsûchi]). Die Klageankündigung muss den Anspruch, der Gegenstand der Klage ist, umreißen und eine Übersicht über die relevanten Punkte enthalten (§ 132-2 Abs. 3 jZPO). Der voraussichtliche Kläger kann gem. § 132-2 Abs. 1 jZPO die Gegenseite nach denjenigen Punkten befragen, die zur Geltendmachung bzw. zum Beweis der streitentscheidenden Punkte eindeutig erforderlich sind. Er kann eine schriftliche Beantwortung innerhalb von vier Monaten nach Ankündigung verlangen. Der Gegner kann gem. § 132 b Abs. 1 jZPO seinerseits schriftliche Stellungnahme zu denjenigen Fragen verlangen, die für seine Verteidigung eindeutig erforderlich sind. Als eindeutig erforderlich wurden beispielsweise in Arzthaftungsfällen die Namen der beteiligten Ärzte und Krankenschwestern erachtet.48 Das Kriterium der Eindeutigkeit dient der Vermeidung von Missbräuchen.49 Ebenfalls zur Missbrauchsvermeidung wurde der Katalog unzulässiger Erkundigungen statuiert. Danach sind insbesondere Anfragen zu Geschäftsgeheimnissen des Gegners oder eines Dritten gem. § 132-2 Abs. 1 Nr. 3 jZPO unzulässig, aber auch zu Geheimnissen aus dem Privatleben des Gegners und Dritter gem. § 132-2 Abs. 1 Nr. 2 jZPO, wenn die Beantwortung der Fragen für den Geheimnisinhaber gesellschaftliche Nachteile haben würde. Gegenüber dem Erkundigungsrecht nach Klageerhebung besteht also ein weiter reichender Katalog unzulässiger Fragen. Dies wird damit begründet, dass der bestehenden Missbrauchsgefahr bei der Befragung vor Klageerhebung vorgebeugt werden muss. Zum einen komme es vor, dass die befragende Person schließlich doch keine Klage einreiche, zum anderen finde die vorprozessuale Befragung außergerichtlich statt.50 Die Folgen einer zu Unrecht verweigerten Beantwortung sind im Gesetz nicht festgelegt. Eine mittelbare Sanktion in Gestalt einer negativen Kostenentscheidung ist zwar nach Auffassung von Deguchi gem. § 63 jZPO denkbar, aber nicht sehr realistisch, da der Beweis, Honma, in: FS Leipold, 2009, S. 581, 585. Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 302. 49 Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 302. 50 Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 303 f. 47 48
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dass durch die fehlende Information eine Prozessverzögerung eingetreten ist, nur schwer gelingen dürfte.51 Es ist aber anerkannt, dass der Richter eine zu Unrecht nicht gewährte Antwort im späteren Prozess nach eigenem Ermessen würdigen kann.52 Überdies kann die befragende Partei im späteren Prozess hinsichtlich der unberechtigt unbeantwortet gebliebenen Punkte entweder eine durch das Gericht durchgeführte Befragung der Gegenseite gem. § 149 Abs. 3 jZPO oder aber eine Parteivernehmung gem. §§ 207 ff. jZPO beantragen. b) Maßnahmen zur Beweisgewinnung vor Klageerhebung Neben dem Erkundigungsrecht der Parteien vor Klageerhebung wurde durch die Reform von 2003 die Möglichkeit eingeführt, durch das Gericht Beweisbeschaffungsmaßnahmen anordnen zu lassen, um deren Ergebnisse im späteren Prozess als Beweismittel zu verwerten. Diese sogenannten Maßnahmen zur Beweisgewinnung vor Klageerhebung setzen ebenfalls eine Klageankündigung voraus. Sie können gerichtlich auf Antrag angeordnet werden innerhalb von vier Monaten nach der Ankündigung und nach Anhörung des Ankündigungsempfängers, sofern das Beweismittel im Fall der Klageerhebung offensichtlich erforderlich wäre, um die Behauptungen und Beweisanträge des Antragstellers zu stützen und das Beweismittel für den Antragsteller nur schwer zu beschaffen ist.53 Eine solche Anordnung kann auch zugunsten des künftigen Beklagten ergehen, sofern dieser einen dahingehenden Antrag stellt und die Klageankündigung des künftigen Klägers beantwortet hat. 54 Angeordnet werden können gem. § 132-4 Abs. 1 Nr. 1–4 jZPO folgende Maßnahmen: (Nr. 1) Ersuchen zur Übersendung von Dokumenten (zum Beispiel Krankenblatt, Augenscheinsprotokoll eines Verkehrsunfalls, Schriftstücke über Wertpapier-/Warengeschäfte), deren Ergebnisse als Urkundsbeweis verwertbar sind, (Nr. 2) Ersuchen einer Behörde, Schule, Handelskammer, Börse oder sonstigen Organisation, Nachforschungen anzustellen (zum Beispiel Feststellung des Börsenkurses einer bestimmten Ware zu einem bestimmten Zeitpunkt), (Nr. 3) Ersuchen eines Sachverständigen, ein Gutachten zu erstellen (zum Beispiel Feststellung von Baumängeln und Feststellung der Echtheit einer Urkunde) sowie (Nr. 4) Ersuchen eines Gerichtsvollziehers, die Besitzverhältnisse in Bezug auf eine Sache oder sonstige Zustände festzustellen (zum Beispiel Untersuchung der Lage einer Grenzlinie oder der Lage eines Gebäudes).55 Das Ersuchen eines Sachverständigen um Erstellung eines Gutachtens gem. § 132-4 Abs. 1 Nr. 3 jZPO basiert auf dem deutschen selbstständigen Beweisverfahren gem. § 485 ZPO, die UnterDeguchi, in: FS Leipold, 2009, S. 555, 563. Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 303. 53 Deguchi, in: FS Leipold, 2009, S. 555, 564. 54 Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, S. 304. 55 Deguchi, in: FS Leipold, 2009, S. 555, 564. 51 52
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suchung durch den Gerichtsvollzieher auf dem französischen constat.56 Die Anordnung erfolgt unter Fristsetzung nach Anhörung der Gegenseite und sonstiger Betroffener durch das Gericht.57 Die dem Gericht nach Erledigung übersandten Dokumente, Untersuchungsergebnisse und Gutachten hat dieses einen Monat lang aufzubewahren und dies den Parteien gem. § 132-6 Abs. 3 jZPO mitzuteilen, die sodann gem. § 132-7 Abs. 1 jZPO Akteneinsicht sowie die Fertigung von Abschriften verlangen können. Anders als im deutschen selbstständigen Beweisverfahren 58 ersetzt das Beweisgewinnungsverfahren jedoch nicht die Beweisaufnahme im späteren Prozess. Die Voraussetzungen einer Anordnung sind, neben der Geeignetheit der erstrebten Maßnahme zum Beweis, die Erforderlichkeit sowie die fehlende Unverhältnismäßigkeit gem. § 132-4 Abs. 1 jZPO. Es ist nachvollziehbar darzulegen, dass das Ergebnis der Maßnahme zur Verwendung als Beweismittel im Prozess geeignet ist.59 Zur Vermeidung einer Ausforschung sind ferner die begehrten Dokumente und Gegenstände der Untersuchung eindeutig zu benennen (§ 52.5 Abs. 4 und 5 jZPV).60 Die Maßnahme ist erforderlich, wenn der Antragsteller sich das Beweismittel nicht selbst beschaffen kann. Dies hat der Antragsteller glaubhaft zu machen, § 52.5 Abs. 6 jZPV. 61 Eine Maßnahme ist unverhältnismäßig, wenn die Beschaffung des Beweismittels überlange andauern würde oder dem Ersuchten eine unverhältnismäßig große Last auferlegt.62 Um die Gefahr eines etwaigen Missbrauchs zu minimieren, ist ein Verfahren vor Klageerhebung unzulässig, wenn die Partei mit ihrem Auskunftsbegehren die Aufdeckung von Geschäftsgeheimnissen oder Geheimnissen aus dem Privatleben des Gegners oder Dritter anstrebt oder wenn die Beantwortung der Frage für den Gegner oder Dritten gesellschaftliche Nachteile nach sich ziehen würde (§ 132 a Abs. 1 Nr. 2 und 3 jZPO).63 Die fehlende Befolgung einer Anordnung zur vorprozessualen Beweisgewinnung ist jedoch nicht sanktioniert, sondern kann durch das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung als negatives Indiz gewertet werden. 64 Die Kosten sind anders als die Kosten der Beweissicherung (§ 241 jZPO) nicht
Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 305. Honma, in: FS Leipold, 2009, S. 581, 586 f. 58 Beruft sich im deutschen Zivilprozess eine Partei auf Tatsachen, über die gem. § 485 ZPO bereits selbstständig Beweis erhoben worden ist, so steht diese Beweisaufnahme gem. § 493 Abs. 1 ZPO einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich. 59 Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 306. 60 Zitiert nach Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 306. 61 Zitiert nach Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 306. 62 Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 306. 63 Honma, in: FS Leipold, 2009, S. 581, 585 ff. 64 Yoshida, ZZPInt 9 (2004), S. 293, 307. 56 57
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Teil der Prozesskosten und sind damit gem. § 132-9 jZPO vom Antragsteller zu tragen. c) Dogmatische Grundlage Es fragt sich, auf welcher dogmatischen Grundlage das Erkundigungsrecht und die Beweissammlungsmöglichkeit vor Klageerhebung beruhen. Denn diese kommen ja gem. §§ 132 a, 163 jZPO in Betracht, ohne einen materiellrechtlichen Anspruch vorauszusetzen. Auch ein Prozessrechtsverhältnis besteht mangels Klageerhebung noch nicht. Der japanische Gesetzgeber hat dieses Problem dadurch zu lösen versucht, dass er ein prozessähnliches Verhältnis geschaffen hat. Durch die Klageankündigung, mit der die künftige Klage dem Gegner angekündigt wird und die Kernpunkte des beabsichtigten Antrags sowie der Gegenstand des Rechtsstreits mitgeteilt werden, soll nach Auffassung des Gesetzgebers ein solches prozessähnliches Verhältnis entstehen. Verbunden mit der Verpflichtung des Auskunftsbegehrenden, innerhalb von vier Monaten nach Ankündigung der Klageerhebung tatsächlich Klage zu erheben, soll eine Art Rechtshängigkeit durch die Zustellung der Ankündigungsschrift entstehen.65 4. Zwischenergebnis Das gegenwärtige japanische Zivilprozessrecht vereint Elemente des common law und des civil law. Es ist in seiner Entstehung im Wesentlichen dem deutschen Zivilprozessrecht nachempfunden, jedoch insbesondere seit der Zeit der amerikanischen Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend unter amerikanischen Einfluss geraten. Dies hatte Auswirkungen insbesondere auf die Beweisaufnahme, im Rahmen derer richterliche Kompetenzen zugunsten weiter reichender Parteiherrschaft zurückgedrängt wurden, so zum Beispiel durch Einführung der Techniken des amerikanischen Kreuzverhörs. Aber auch in der jüngeren Entwicklung gibt es zwei Reformwerke, die im Wesentlichen durch amerikanisches Gedankengut beeinflusst sind und so Elemente einer discovery in ein Zivilprozessrecht eingeführt haben, das viele wesentliche Gemeinsamkeiten mit dem deutschen Zivilverfahren aufweist. Durch die Reform des Jahres 1996 wurde ein Fragerecht der Parteien im schriftlichen Verfahren nach dem Vorbild der amerikanischen written interrogatories etabliert, das darauf abzielt, Lücken, die für den eigenen Sachvortrag oder entsprechende Beweismittel benötigt werden, zu schließen. Es findet seine Grenze in der Unzulässigkeit von fishing expeditions. Das Fragerecht ist nicht mit einer Sanktion versehen, eine fehlende Kooperation kann jedoch in die Beweiswürdigung einfließen. Durch die Reform von 2003 Dies soll jedenfalls nach Ansicht des japanischen Gesetzgebers der Fall sein, vgl. Honma, in: FS Leipold, 2009, S. 581, 586. 65
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wurde dieses Fragerecht bereits auf den Zeitraum vor Klageerhebung ausgedehnt, sofern eine so genannte Klageankündigung vorausgeht, die ein prozessähnliches Verhältnis schafft, das die dogmatische Grundlage des Fragerechts bildet. Gegenüber dem Fragerecht nach Klageerhebung unterliegt das Fragerecht vor Klageerhebung jedoch insofern Einschränkungen, als nur die für den Sachvortrag und die Beweisführung eindeutig erforderlichen Fragen gestattet werden, wohingegen Erkundigungen, die Geschäftsgeheimnisse betreffen, unzulässig sind. Des weiteren wurde durch die Reform von 1996 das Subsidiaritätserfordernis, das wie im deutschen Recht bei der Parteivernehmung bestand, abgeschafft und die prozessuale Verpflichtung zur Urkundenvorlage deutlich ausgeweitet, die ähnlich wie im deutschen Recht nur ausnahmsweise bestand und im Wesentlichen entweder von dem Bestehen materiellrechtlicher Ansprüche bzw. einer Bezugnahme des Gegners abhängig war. Schließlich wurden durch die Reform von 2003 weit reichende Maßnahmen zur Beweisgewinnung vor Klageerhebung eingeführt, die ebenfalls an eine Klageankündigung geknüpft sind. Sie ermöglichen dem künftigen Kläger bzw. Beklagten die Beschaffung von Beweismitteln, die für Klage bzw. Verteidigung offensichtlich erforderlich sind. Die Gefahr des Verlusts bzw. der Verschlechterung der Beweismittel setzt dieses Verfahren nicht voraus. Anders als das deutsche selbstständige Beweisverfahren i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO erstreckt sich das japanische Verfahren nicht nur auf den Sachverständigenbeweis, sondern auch auf zahlreiche andere Beweismittel, geht allerdings in seinen Wirkungen auch nicht so weit wie dieses. Stimmen in der Literatur, dass die genannten Neuerungen in der Praxis gescheitert wären, sind nicht anzutreffen. Eine Ausnahme bildet insofern nur der Versuch im Jahr 1950, die mündliche Verhandlung durch eine fortdauernde Hauptverhandlung ähnlich dem amerikanischen trial zu ersetzen. Das Beispiel des japanischen Zivilprozessrechts zeigt damit, dass eine behutsame Ausweitung bereits bestehender Instrumente zur Informationsbeschaffung grundsätzlich auch in einem kontinentalen Rechtssystem funktionieren kann, dass aber mit solchen Elementen Vorsicht geboten ist, die einen zu starken Bruch mit vorhandenen Traditionen mit sich bringen. IV. Rechtskulturelle Besonderheiten in England und Deutschland Nachdem damit nichts Grundsätzliches gegen den Versuch einer Anleihe besteht, ist nunmehr zu klären, auf welche rechtskulturellen Besonderheiten in einem deutschen Umsetzungsmodell Rücksicht zu nehmen wäre.
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1. Besonderheiten des englischen Rechts a) Kostenstruktur des englischen Rechts Besonderheiten ergeben sich zunächst aus der gegenüber dem deutschen Recht sehr andersartigen Struktur des englischen Kostenrechts, insbesondere im Hinblick auf die Frage, welche Kosten in einem Zivilverfahren insgesamt anfallen, wie diese Gesamtkosten zwischen den Parteien verteilt werden und inwieweit diese finanziellen Lasten gegebenenfalls auf Dritte verlagert werden können.66 Kosten sind gem. CPR 44.3(1) entweder auf der standard basis oder auf der indemnity basis erstattungsfähig. Auf der standard basis findet ein doppelter Test statt, der der reasonableness und der der proportionality, wohingegen es auf der indemnity basis nur auf die reasonableness ankommt.67 Die Erstattungsfähigkeit der Kosten hängt von zwei Voraussetzungen ab: zum einen muss die Gesamtsumme verhältnismäßig sein, zum anderen jeder einzelne Posten.68 Fehlt es an einer Verhältnismäßigkeit, so sind nur diejenigen Kosten erstattungsfähig, die bei angemessener Prozessführung entstanden wären.69 Die Erstattungsfähigkeit der Kosten stellt im englischen Zivilprozess damit einen hohen Risikofaktor für die Prozessführung dar. Selbst wenn eine Partei obsiegt, werden ihr unter Umständen die ihr entstandenen Kosten gar nicht oder aber nur zum Teil ersetzt. Die Beweislast für reasonableness und proportionality auf der standard basis trägt dabei der Kostengläubiger, weil jegliche Unklarheit zu Gunsten der zahlungspflichtigen Partei gelöst werden müsse. Zweifel bei Anwendung der reasonableness auf indemnity basis gehen demgegenüber zu Lasten der zahlungspflichtigen Partei und zu Gunsten des Kostengläubigers. 70 Ziel der indemnity basis ist es mithin auch, den Kostengläubiger für seine Kosten und Unannehmlichkeiten weitergehend zu entschädigen als auf der standard basis, auf der eine Entschädigung für Unannehmlichkeiten nicht vorgesehen ist. 71 Grundsätzlich werden jedoch die Kosten nur auf der standard basis und nicht auf der indemnity basis erstattet, 72 so dass der Kostengläubiger in der Regel keine
66 Siehe zu alledem ausführlich Breyer, Kostenorientierte Steuerung, 2006, passim; sowie Huber, Modellregeln, 2008, S. 326 f. und 327 f. 67 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 27.98. 68 Vgl. hierzu Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 36.35 ff. 69 Lownds v. Home Office [2002] 1 W.L.R. 2450, 2456. 70 CPR 44.3(3); Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 27.99. 71 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 27.100. 72 Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 27.135.
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volle Erstattung zu erwarten hat.73 Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann das Gericht die indemnity basis heranziehen.74 Das ist in Deutschland anders. Im deutschen Zivilprozess werden der voll obsiegenden Partei – außer in den Sonderfällen der §§ 93 ff. ZPO – grundsätzlich sämtliche ihr entstandenen Kosten ersetzt. Zwar ist die Kostenhaftung der unterliegenden Partei auch in England die Regel, von ihr kann das Gericht jedoch abweichen. Selbst wenn das englische Gericht von der grundsätzlichen Kostentragung der unterliegenden Partei ausgeht, steht die Höhe der konkret zu ersetzenden Kostenposten unter dem soeben dargestellten Verhältnismäßigkeitsvorbehalt. Dies kann insbesondere hinsichtlich der durch die disclosure verursachten Kosten relevant werden. Auf beiden Seiten kann sowohl für die Zusammenstellung der relevanten Unterlagen, als auch für die Sichtung und Auswertung erheblicher Stundenaufwand anfallen, der insbesondere bezogen auf die Bedeutung und die Komplexität des Falls angemessen sein muss. Ist er das nicht, läuft auch die obsiegende Partei Gefahr, diese – nicht unerheblichen – Kosten tragen zu müssen. Dieses Risiko wird durch den Umstand verschärft, dass in England in der Regel mit Stundenhonoraren gearbeitet wird, die ihrerseits angemessen sein müssen, um erstattungsfähig zu sein. Durch diesen Vorbehalt der proportionality besteht in England ein Steuerungsinstrument gegen missbräuchliches Verhalten im Rahmen der disclosure. Es ist ein wirkungsvolles Mittel, um einer discovery blackmail entgegenzuwirken, weil die Partei, die ihren Gegner mit Unmengen irrelevanter Unterlagen zu erdrücken versucht, selbst im Fall ihres Obsiegens riskiert, die Kosten für die Zusammenstellung der Unterlagen und die Anwaltskosten des Gegners für die Prüfung und Sichtung tragen zu müssen. Da es an einem vergleichbaren Steuerungsinstrument in Deutschland derzeit fehlt, die durch die disclosure verursachten Kosten gegebenenfalls auf Kostenebene dergestalt zu berücksichtigen, dass diese der obsiegenden Partei auferlegt werden können, falls diese in unverhältnismäßiger Art und Weise zusätzliche Kosten verursacht hat, ist auf Ebene des Umsetzungsmodells entweder auch eine vergleichbare Möglichkeit vorzusehen, oder aber ein anderes Mittel einzusetzen, das funktional vergleichbare Resultate bewirkt, ohne aber ein vergleichbares Missbrauchspotential zu entfalten, wie ein disclosure-Verfahren.
73
398.
Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 27.135; Huck v. Robson [2002] EWCA Civ
74 So etwa im Falle eines Part 36 offers, oder bei Vorliegen eines Fehlverhaltens des Kostenschuldners während des Verfahrens, vgl. Zuckerman, Civil Procedure, 2013, Rn. 27.136.
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b) Passivere Stellung des Richters Als weitere Besonderheit könnte die passivere Stellung des Richters im englischen Zivilprozess zu berücksichtigen sein. Ein derart weitreichender Informationszugang wie ihn die disclosure gewährleistet, könnte mithin nur deshalb erforderlich sein, weil er als notwendiges Korrelat in einem adversarial system fungiert, um das Fehlen der richterlichen Verfahrensherrschaft zu kompensieren. Dieses Argument klingt bei Arens (zur Rechtslage vor Einführung der CPR) an, der Hinweise auf die im englischen Recht bestehenden Aufklärungsrechte der Parteien untereinander für verfehlt hält, weil der englische Richter im Wesentlichen passiv bleibe und keinen Einfluss auf die inhaltliche Prozessentwicklung nehme.75 Gegen diese Argumentation sprechen jedoch die historischen Ursprünge der disclosure, die – wie oben ausgeführt – nicht in einem adversarial system sondern in den Gerichten der Chancery liegen.76 Insofern geht der Verweis auf das adversarial system mit seinem passiven Richter ins Leere. Überdies sind die Ausprägungen von Parteiherrschaft und Richteraktivität in England und Deutschland weder historisch noch gegenwärtig so entgegengesetzt, wie oft angenommen wird. Die historischen Ursprünge des Verhältnisses von Richtermacht zum adversarial principle sowie zum Beibringungsgrundsatz weisen durchaus erhebliche Gemeinsamkeiten auf: In einem adversary system bestehe die Grundannahme, „that the parties are themselves the best judges of how to pursue and serve their own interests […] free from the directions of or interventions by the court.“77 Diese Grundannahme, wie sie von Jacob beschrieben wird, stimmt weitestgehend mit den Grundparametern des deutschen Zivilprozesses am Ende des 19. Jahrhunderts überein. Dies war die Hochzeit des Liberalismus, in der eine soziale Verantwortung des Staates noch nicht anerkannt worden war. In dieser Periode wurde jegliche Einflussnahme des Staates abgelehnt und die Verantwortung für den Rechtsstreit voll und ganz in die Hände der Parteien gelegt. Dennoch war dem deutschen Zivilrichter bereits bei Inkrafttreten der CPO eine deutlich aktivere Stellung zugedacht als dem englischen Richter – insofern als § 130 CPO 1877 bestimmte: „Der Vorsitzende hat durch Fragen darauf hinzuwirken, daß unklare Anträge erläutert, ungenügende Angaben der geltend gemachten Thatsachen ergänzt und die Beweismittel bezeichnet, überhaupt alle für die Feststellung des Sachverhältnisses erheblichen Erklärungen abgegeben werden.“ Noch weitergehend waren die Kompetenzen des Richters im Verfahren vor den Amtsgerichten ausgestaltet. Dort sah § 464 CPO 1877 von vornherein vor, dass das Gericht darauf hinzuwirken habe, dass die Parteien 75 Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 20. Ähnlich auch Stein/Jonas-Leipold, ZPO, 2005, § 138, Rn 31. Reitz, ZZP 104 (1991), S. 381, 395f. 76 Siehe S. 35 ff. 77 Jacob, Fabric, 1987, S. 8.
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sich über alle erheblichen Tatsachen vollständig erklären und die sachdienlichen Anträge stellen. Für sämtliche Verfahren, also auch diejenigen vor den Landgerichten, konnte der Richter überdies bereits nach der ursprünglichen Konzeption der CPO von Amts wegen das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen sowie unter bestimmten Voraussetzungen die Vorlage von Urkunden oder Akten aufgeben und die Erhebung des Augen- und Sachverständigenbeweises anordnen, vgl. §§ 132–135 CPO 1877. Diese von Anfang an angelegten Kompetenzen wurden durch die Novellen der Jahre 1924, 1976 und 2002 lediglich weiter ausgebaut, oder – wie Stürner 78 es formuliert hat – „[i]n hundert Jahren Rechtsgeschichte vom Liberal- zum Sozialstaat wurden […] die Akzente verschoben – mehr nicht“. Gerade in der Gegenwart sind die beiden Systeme trotz der zunehmend mächtigeren Stellung des deutschen Richters nicht mehr so weit voneinander entfernt. Denn der englische Zivilprozess hat sich durch verschiedene Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre, insbesondere durch Schritte, wie die Einführung von verfahrensleitenden Kompetenzen des Richters, von dem traditionellen System des trial by battle entfernt und ist stärker in die Nähe des deutschen Zivilprozesses gerückt.79 Betrachtet man also die vergangenen hundert Jahre, so sieht man zwei Kurven, die sich im Ausgangspunkt fast berühren, sich dann jedoch immer weiter voneinander entfernen, um sich schließlich wieder aneinander anzunähern, bis sie sich im Endpunkt fast berühren. Wenn man sich dies auf einer Tangente vorstellt, die das Maß an Richtermacht kennzeichnet, so ist der Ausgangspunkt, an dem sich beide Kurven fast berühren, auch am Ausgangspunkt der Koordinate anzusiedeln, die die Richtermacht misst. Im Endpunkt fallen beide wieder fast zusammen, jedoch an einem anderen Punkt der Tangente, der ein sehr viel größeres Maß an Richtermacht kennzeichnet. Damit steht fest, dass auch in England die Sichtweise besteht, dass die disclosure auch dann sehr wohl ihren Platz hat und beizubehalten ist, wenn die Macht des Richters weiter ausgebaut wird. Die nach wie vor aktivere Rolle des deutschen Richters aufgrund seiner Befugnis zur materiellen Prozessleitung ist jedoch auf Umsetzungsebene dergestalt zu berücksichtigen, dass sie als Korrelat zur Verfügung steht, so dass keine so weitreichende Lösung wie in England angezeigt ist. 2. Besonderheiten des deutschen Rechts a) Existenz materiellrechtlicher Auskunftsansprüche Eine wesentliche Besonderheit des deutschen Rechts gegenüber dem englischen Recht ist die Existenz materiellrechtlicher Auskunftsansprüche. Diese Stürner, Richterliche Aufklärung, 1982, S. 7. Siehe Ashmore v. Corporation of Lloyds [1992] 1 W.L.R. 446; Andrews, Civil Procedure, 2003, Rn. 3.014. 78 79
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stellen zwar – wie bereits erläutert wurde – kein flächendeckendes funktionales Äquivalent dergestalt dar, dass es anstelle allgemeiner prozessualer Informationszugangsrechte allgemeine materiellrechtliche Informationszugangsrechte gäbe. Dennoch gilt es, dieser Besonderheit auf Ebene des Umsetzungsmodells Rechnung zu tragen, weil die in den materiellrechtlichen Vorschriften enthaltenen Wertungen nicht durch ein allgemeines prozessuales Informationszugangsrecht unterlaufen werden dürfen. b) Starkes Verhaftetsein in den Kategorien des materiellen Rechts und des Prozessrechts Die starke Betonung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche im deutschen Recht – ja der Rückzug auf das materielle Recht – ist darüber hinaus Ausdruck eines historisch bedingten Verfahrensverständnisses, das prägend für den deutschen Zivilprozess ist. Dieses historisch bedingte unterschiedliche Verfahrensverständnis ist überzeugend von Nakamura 80 skizziert worden: Während das deutsche Verfahrensverständnis auf den römischen Prozess zurückgeht, der sich von Anfang an an positivem Recht ausrichtete, basiert das englische Recht auf dem germanischen Prozess, der kein geschriebenes Recht kannte und in dem Naturrecht und im Volk verankerte Gerechtigkeit zentral waren. Grundlegende Elemente der Betrachtung waren also – so folgert Nakamura – im römischen Recht die Norm, im englischen Recht hingegen die Tatsache. Das an der Norm orientierte deutsche Verfahrensverständnis bringe demnach das Denken in den Kategorien des materiellen Rechts und des Prozessrechts mit sich. Der Zweck des Zivilprozesses sei folglich vor allem der Schutz des vom materiellen Recht anerkannten Rechts des Einzelnen. Im germanischen Recht gehe es demgegenüber mangels geschriebenen Rechts nicht um die Verteidigung desselben, sondern um die Ordnung von Gerechtigkeit und Frieden, die im Fall der Störung durch Klage auf Wiederherstellung der Ordnung gesichert wurde. Der Prozesszweck liege hier folglich in der Wiederherstellung des Rechtsfriedens. Dieser Gedanke lebe in England nach wie vor fort. Der Zweck des englischen Zivilprozesses sei die Findung der Gerechtigkeit, die Wiederherstellung der Ordnung der Gemeinschaft und des Friedens.81 Auch Schlosser meint, in Deutschland „wo man den Abschied vom ‚aktionenrechtlichen Denken‘ auf den Punkt gebracht hat“, sei „manches, was in anderen Rechtsordnungen im Prozessrecht verblieben ist“, „ins materielle Recht gerutscht“.82 Nakamura, Zivilprozess im kontinentaleuropäischen und im angloamerikanischen Rechtskreis, 2006, S. 72 ff. 81 Nakamura, Zivilprozess im kontinentaleuropäischen und im angloamerikanischen Rechtskreis, 2006, S. 72–76. 82 Schlosser, JZ 1991, S. 599, 606. 80
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Ferner weist auch Zöllner im Einzelnen nach, inwiefern im deutschen Recht eine Ausgliederung des Prozessrechts erfolgt ist. 83 Er wertet diese Ausgliederung aus dem materiellen Recht als Substanzverlust. Diesen Substanzverlust gelte es zu überwinden, was nur durch integratives, übergreifendes Denken überwunden werden könne, das die Substanzeinheit wiederherstellt. Denn materielles Recht werde durch das Prozessrecht in seiner Substanz mitgeformt, dem Prozess komme also nicht nur eine dienende Rolle zu.84 Dieses historisch bedingte Verhaftetsein des deutschen Rechts in den Denkkategorien des materiellen Rechts stellt eine Herausforderung dar, da sie dazu führen kann, dass eine Veränderung der gegenwärtigen Rechtslage rein tatsächlich von den players nicht angenommen wird. Selbst wenn man also mit Zöllner die Überwindung dieses Denkens als erstrebenswert ansieht, kann es dennoch dabei bleiben, dass eine als aufoktroyiert empfundene Änderung der Rechtslage von den an den Prozessen Beteiligten nicht umgesetzt wird. Auf dieses Problem wird unten zurückzukommen sein.85 c) Der deutsche Beibringungsgrundsatz Eine weitere Besonderheit des deutschen Rechts, die sich als problematisch für eine Erweiterung der Mitwirkungspflichten erweisen könnte, ist die starke Betonung des Beibringungsgrundsatzes, insbesondere in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, aber auch in weiten Teilen der Literatur, die für die deutsche Prozessrechtswirklichkeit sehr prägend geworden ist. 86 So scheint insbesondere dem BGH – wie die nemo tenetur-Entscheidungen gezeigt haben – eine disclosure nicht „adversarial genug“ zu sein, wenn nach seiner Auffassung schon eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht gegen den Beibringungsgrundsatz verstoßen würde. Anhand des englischen Beispiels wurde indes oben 87 gezeigt, dass ein disclosure-Verfahren nicht notwendigerweise im Widerspruch zu dem Grundsatz der Parteiherrschaft stehen muss. Dies hat Lord Langdale wie folgt auf den Punkt gebracht: „How disagreeable it may be to make the disclosure, however contrary to [a party’s] personal interests, however fatal to the claim upon which he may have insisted, he is required and compelled, under the most solemn sanction, to set forth all he knows, believes or Zöllner, AcP 190 (1990), S. 471, 474 ff. Zöllner, AcP 190 (1990), S. 471, 486. 85 S. 311 ff. 86 Sehr pointiert spricht Baumann, Grundbegriffe, 1970, S. 31 von einer Verhätschelung der Verhandlungsmaxime wie eines „Fetischs“. Auch Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 191 meint, man sei allzu schnell geneigt, sich auf den Beibringungsgrundsatz zurückzuziehen. 87 Vgl. oben, S. 227 ff. 83 84
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thinks in relation to the matters in question […] [By these means] the greatest security […] is afforded, for the discovery of all relevant truth, and by means of such discovery, this Court […] has, at all times, proved to be of transcendent utility in the administration of justice“.88
Oben wurde ferner gezeigt, dass auch in Deutschland erweiterte Mitwirkungspflichten nicht per se durch die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes ausgeschlossen würden.89 Dennoch gilt es als Problem zu berücksichtigen, dass man im deutschen Zivilprozessrecht „aus Angst vor dem Vorwurf der Inquisition in überspitztem Dogmatismus die Verhandlungsmaxime als starres Axiom betrachtet.“90 Dies könnte ein rechtstatsächliches Problem im Rahmen des gelebten Rechts darstellen, wenn von gesetzlich vorgesehenen erweiterten Mitwirkungspflichten kaum Gebrauch gemacht wird, weil das Denken in den Kategorien des Verhandlungsgrundsatzes und des vermeintlichen Grundsatzes des nemo contra se edere tenetur zu tief im Rechtsbewusstsein der Protagonisten verankert ist. Diese Gefahr besteht umso mehr, sofern etwaige Mitwirkungspflichten nicht empfindlich sanktioniert sind. Gegen die Stichhaltigkeit dieser Befürchtung spricht allerdings, dass im Laufe der Zeit die ursprünglich in der CPO von 1877 in Reinform angelegte Verhandlungsmaxime diverse schrittweise Einschränkungen erfahren hat: zum einen durch die Etablierung der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht, zum anderen durch die stufenweise Einführung und Erweiterung der richterlichen Frage- und später Aufklärungspflicht gem. § 139 ZPO über mehrere Jahrzehnte hinweg. Gerade derart langfristig angelegte, behutsam praktizierte und sukzessiv weiter ausgebaute Veränderungen gewähren den am Verfahren Beteiligten die Möglichkeit, diese schleichenden Veränderungen in ihr Rechtsbewusstsein und ihr Gerechtigkeitsempfinden zu inkorporieren. Auf der anderen Seite sind jedoch die Erfahrungen zu berücksichtigen, die in der Praxis seit dem Ausbau der von Amts wegen angeordneten Vorlage von Urkunden und der Inaugenscheinnahme gemacht worden sind und bezüglich derer eine nur geringe Akzeptanz beobachtet worden ist.91 Es ist denkbar, dass erweiterte Mitwirkungspflichten in vergleichbarer Weise wie die §§ 142, 144 ZPO n.F. der lang tradierten Mentalität widersprechen und so rein faktisch nicht – oder in nur geringem Umfang – gelebt werden, insbesondere sofern etwaige neu geschaffene Mitwirkungspflichten einen unterschiedlichen Grad an Mitwirkung zulassen sollten.
Lord Langdale, M.R. in Flight v. Robinson (1844) 8 Beav 22, 33 f. Vgl. oben, S. 240 ff., insb. S. 252 ff. 90 Bernhardt, in: FG Rosenberg, 1949, S. 9, 37. 91 Vgl. dazu insb. die oben, S. 109 ff., ausgewerteten Beobachtungen von Hommerich/ Prütting/Ebers/Lang/Traut, Rechtstatsächliche Untersuchung, 2006, passim. 88 89
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Eine eindeutige Antwort und Prognose ist insofern nicht ohne Weiteres möglich. Die Gefahr ist aber als nicht ganz fernliegend zu berücksichtigen. Diese Sorge sollte indes nicht Anlass dafür sein, erweiterte Mitwirkungspflichten von vornherein auszuschließen. Vielmehr sollte die Gefahr im Rahmen der konkreten Umsetzung berücksichtigt werden. 3. Schlussfolgerungen aus diesen Besonderheiten Folgende rechtskulturellen Besonderheiten, die im englischen und im deutschen Recht bestehen, müssen auf Ebene des Umsetzungsmodells berücksichtigt werden: Zunächst gibt es in Deutschland – von den Sonderfällen der §§ 93 ff. ZPO abgesehen – keine dem englischen Recht vergleichbare Möglichkeit, das Verhalten der Prozessparteien im Rahmen der Kostenentscheidung negativ zu berücksichtigen. Diese Möglichkeit stellt in England ein Mittel zur faktischen Sanktionierung fehlender Befolgung von disclosure-Anordnungen bzw. missbräuchlichen, die Gebote der proportionality missachtenden Verhaltens dar. Des Weiteren müssen die Wertungen der zahlreichen materiellrechtlichen Informationsansprüche des deutschen Rechts, die dem englischen Recht unbekannt sind, berücksichtigt werden. Die Fälle, in denen der Gesetzgeber bewusst die Möglichkeit eines Informationsanspruchs ausgeschlossen hat, dürfen nicht durch eine flächendeckende prozessuale Informationsmöglichkeit unterlaufen werden. Eng damit verbunden ist die historisch tief verankerte Tendenz der deutschen Rechtsmentalität, Informationszugang auf materieller und nicht auf prozessualer Ebene zu lösen. Es muss demnach eine Lösung gefunden werden, die mit dieser Tendenz nicht zu drastisch bricht und keinen Fremdkörper in der deutschen Rechtstradition darstellt. Schließlich ist der deutschen Mentalität, die erweiterte Mitwirkungspflichten traditionell als mit dem Beibringungsgrundsatz konfligierend wertet, Rechnung zu tragen. Obgleich auch in England ein solcher Konflikt des disclosure-Verfahrens mit dem adversarial principle besteht, wird dieses Nebeneinander historisch bedingt akzeptiert. Es sollte folglich zum einen darauf geachtet werden, dass die Mitwirkungspflichten eher so ausgestaltet sind, dass sie primär zwischen den Parteien untereinander bestehen und allenfalls subsidiär durch richterliche Aktionsmöglichkeiten abgesichert werden. Ein Modell, wie es der Erweiterung der §§ 142, 144 ZPO n.F. zu Grunde liegt, mittels dessen allein der Aktionsradius des Richters vergrößert wird, erscheint vor diesem Hintergrund problematisch, weil es die Sorge vor dem „discovery-Gespenst“ nährt und dem Vorwurf der Inquisition ausgesetzt zu sein droht. Eine zweite Schlussfolgerung, die für das Umsetzungsmodell gezogen werden sollte, ist die, dass auf eine wirkungsvolle und empfindliche Sanktionierung geachtet wird, eben weil erweiterte Mitwirkungspflichten
B. Gefahren, denen im Umsetzungsmodell zu begegnen ist
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nicht seit jeher im Rechtsbewusstsein der am deutschen Zivilverfahren Beteiligten verankert sind und die Gefahr der Zuwiderhandlung daher in beachtlichem Maße besteht.
B. Gefahren, denen im Umsetzungsmodell zu begegnen ist I.
Voraussetzungen der Aufklärungspflicht werden zu niedrig angesetzt
Die größte Gefahr, der im Umsetzungsmodell begegnet werden muss, ist, dass der in Anspruch Genommene vor unnötiger Belästigung und prozesswidriger Ausspähung nicht hinreichend geschützt wird. 92 Soweit es um schutzbedürftige Interessen des Gegners geht, werden diese unter dem Aspekt der Ausgestaltung der Weigerungsrechte gesondert behandelt. 93 In diesem Abschnitt geht es um die Anforderung, dass erweiterte Mitwirkungspflichten des Gegners nicht zu einer unzulässigen Ausforschung führen dürfen. Es sind also Mindeststandards zu formulieren, die als Voraussetzungen eines disclosure-Verfahrens bzw. erweiterter Mitwirkungspflichten anzusetzen sind. De lege lata sorgt die Substantiierungslast für diese Mindeststandards. 1. Anforderungen an die Substantiierungslast Welche Anforderungen an die Substantiierungslast zu stellen sind, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. Einigkeit besteht aber dahingehend, dass ein Kläger seine Klageforderung wenigstens so genau darzulegen hat, dass der Beklagte ihre Berechtigung überprüfen kann.94 Im Übrigen hängt das Maß der geforderten Substantiierung von der konkreten Prozesssituation sowie vom Umfang der erwidernden Einlassung des Gegners ab.95 Eine Partei muss auf substantiiertes gegnerisches Vorbringen grundsätzlich ihrerseits substantiiert erwidern.96 Sie kann sich also nicht mit dem bloßen Bestreiten des substantiierten gegnerischen Vortrages begnügen, sondern muss positiv den Geschehensablauf vortragen, wie er sich aus ihrer Sichtweise darstellt. Umgekehrt darf sie sich bei allgemeinen Behauptungen des
92 Dies betonen insbesondere Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 13 ff. als Gegner erweiterter prozessualer Mitwirkungspflichten sowie Schlosser, JZ 1991, S. 599, 608 als Befürworter. 93 Siehe sogleich unten, S. 302 ff. 94 MüKoZPO-C. Wagner, 2013, § 138, Rn. 18. 95 BGH v. 13.3.1996, NJW 1996, S. 1826, 1827; BGH v. 23.4.1991, NJW 1991, S. 2707, 2709. 96 BVerfG v. 6.6.1991, NJW 1992, S. 1031; BGH v. 4.6.1996, DB 1996, S. 1869, 1870; BGH v. 26.4.1989, NJW-RR 1989, S. 898, 899; BGH v. 17.3.1987, NJW 1987, S. 2008; Musielak-Stadler, ZPO, 2014, § 138, Rn. 10.
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Gegners auf schlichtes Bestreiten beschränken. 97 Die konkreten Anforderungen, die an einen substantiierten Vortrag im Einzelfall gestellt werden, sind indes sehr unterschiedlich ausgestaltet, insbesondere bestehen zwischen den einzelnen Rechtsgebieten starke Schwankungen. So ist beispielsweise einerseits immer wieder betont worden, dass in Arzneimittelfällen ebenso wie in Arzthaftungsfällen keine überhöhten Anforderungen an die Substantiierungspflicht gestellt werden dürften.98 Demgegenüber wird etwa bei Vaterschaftsanfechtungen ein besonderes Maß an Substantiierung gefordert, um den für die Schlüssigkeit erforderlichen Anfangsverdacht zu begründen.99 In diesem Sinne betont der BGH, das Maß der erforderlichen Substantiierung hänge vom Einzelfall ab. Zu berücksichtigen sei insbesondere, ob die Geschehnisse sich im Wahrnehmungsbereich der Partei abgespielt hätten und inwieweit der Vortrag der Gegenpartei Anlass zu einer weiteren Aufgliederung und Ergänzung der Sachdarstellung biete.100 2. Ausnahmen Wird der Gegner der darlegungsbelasteten Partei etwa im Rahmen eines disclosure-Verfahrens zur Mitwirkung herangezogen, kann dies dazu führen, dass erst diese Mitwirkung der darlegungsbelasteten Partei einen hinreichend substantiierten Vortrag ermöglicht. Deshalb dürfen Mitwirkungspflichten grundsätzlich erst dann eingreifen, wenn der Kläger eine schlüssige substantiierte Klage erhoben hat. Allerdings werden auch nach gegenwärtiger Rechtslage in bestimmten Konstellationen 101 Ausnahmen dann anerkannt, wenn eine Partei auf Grund unverschuldeter Informationsnot über eine für die substantiierte Schlüssigmachung erforderliche Information nicht verfügt, der Gegner sie aber ohne Weiteres geben kann und ihm dies auch zumutbar ist. Jedoch setzt dies derzeit grundsätzlich voraus, dass die Parteien durch ein Rechtsverhältnis miteinander verbunden sind. Anderes gilt nur, wenn eine sekundäre Darlegungslast besteht und das Begehren nicht als Ausforschungsbeweis zu werten ist. Wenn eine solche Mitwirkungspflicht nunmehr verallgemeinert werden soll, findet sie in der sekundären Darlegungslast einen Vorläufer, auf den sie BGH v. 24.2.1986, NJW-RR 1986, S. 980, 981; BGH v. 6.10.1989, NJW-RR 1990, S. 78, 80. 98 OLG Stuttgart v. 26.9.2000, NJOZ 2001, S. 151; BGH v. 19.3.1991, NJW 1991, S. 2351, 2352. 99 BGH v. 22.04.1998, NJW 1998, S. 2976; BGH v. 12.1.2005, NJW 2005, S. 497, 498; bestätigt durch BVerfG v. 13.02.2007, NJW 2007, S. 753. 100 BGH v. 25.11.1998, NJW-RR 1999, S. 360; BGH v. 17.9.1998, NJW-RR 1999, S. 361. 101 In den Fällen des Bestehens einer sekundären Darlegungslast bzw. eines materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB. 97
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sich beziehen kann. Es ist daher ein weiteres Begrenzungsmerkmal erforderlich, wenn die oben genannte Entlastungsfunktion und der grundsätzliche Schutz des Gegners vor Heranziehung zum Zweck der Substantiierung gewährleistet bleiben sollen. Voraussetzung müsste demnach zusätzlich sein, dass die nicht vollständig schlüssig vortragende Partei einen im Übrigen schlüssigen und substantiierten Sachvortrag erbracht hat und das Klagebegehren insgesamt nicht als Klage „ins Blaue hinein“ erscheint, indem für den unsubstantiierten Teil Anhaltspunkte genannt werden. Auf diesem dargestellten Standard zur Substantiierung muss ein Umsetzungsmodell aufbauen, wenn es sich nicht dem Vorwurf der Ausforschung ausgesetzt sehen will. II. Überfrachtung des Prozesses mit irrelevantem Tatsachenstoff Des Weiteren wird die Befürchtung geäußert, dass die Heranziehung des Gegners im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung zu einer Überfrachtung des Prozesses mit irrelevantem Tatsachenstoff und so zu einer Verlängerung des Verfahrens führen könnte.102 Die Gefahr der Überlastung des Verfahrens mit Details, die nicht entscheidungserheblich sind, hat in England insbesondere in der Zeit vor den Woolf-Reformen bestanden, da zum einen ein weiter Relevanzbegriff galt und zum anderen der Richter kaum mit verfahrensleitenden Kompetenzen ausgestattet war, um das Austragen von Kämpfen auf Nebenkriegsschauplätzen zu verhindern. Einer derartigen Entwicklung wären in Deutschland indes von vornherein dadurch Grenzen gezogen, dass im deutschen Zivilprozess eine strenge Relationstechnik praktiziert wird, derzufolge nur über streitige und entscheidungserhebliche Umstände Beweis erhoben wird. Der deutsche Richter hat seine prozessleitenden Befugnisse von Anfang an dahingehend auszuüben und gem. § 139 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 ZPO so früh wie möglich darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich vollständig und rechtzeitig über alle erheblichen Tatsachen erklären, ungenügende Angaben ergänzen und Beweismittel bezeichnen. Auch durch die soeben geschilderte Verpflichtung zur Formulierung präziser Klageanträge sowie zur gegebenenfalls substantiierten Begründung der Klage ist ein auf ausufernde Ausforschung gerichtetes Klagebegehren ausgeschlossen. Damit droht keine unnötige Verlängerung des Verfahrens vor Gericht.
102 Diese Sorge äußert Vorwerk, MDR 1996, S. 870 im Hinblick auf die Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht. Dazu Waterstraat, ZZP 118 (2005), S. 459, 473.
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III. Widersprüchliche Ergebnisse gegenüber materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen Bei Gottwald und Arens klingt die Sorge an, eine Erweiterung der Mitwirkungspflichten des Gegners könne zu Ergebnissen führen, die im Widerspruch zu den Wertungen des materiellen Rechts stehen, insbesondere zu den materiellrechtlichen Auskunftspflichten. 103 Gottwald betont, ein etwaiger Informationsanspruch müsse seine Grenze in der konkreten materiellrechtlichen Interessenwertung finden.104 Arens meint, im Rahmen materiellrechtlicher Auskunftsansprüche könne besser auf die Besonderheiten der gerade zwischen den Parteien unabhängig von dem Prozess bestehenden Rechtsbeziehungen abgestellt werden, als im Rahmen einer prozessualen Aufklärungspflicht. 105 Auch sei eine präzise Interessenabwägung auf Grund materiellrechtlicher Rechtsbeziehungen besser möglich als auf Grund bloßer Wahrscheinlichkeitsabstufungen im Prozess.106 Zu Recht fordert Gottwald, dass die Grenzen, die im materiellen Recht gezogen werden, durch erweiterte Mitwirkungspflichten des Gegners nicht unterlaufen werden dürfen. Derartige Grenzen müssen demnach auch im Rahmen erweiterter Mitwirkungspflichten beachtet werden. Allerdings ist nicht erkennbar, weshalb dies – wie von Arens behauptet – nicht möglich sein sollte. Die Besonderheiten, die sich aus materiellrechtlichen Sonderbeziehungen ergeben, werden auch nach geltendem Recht im Rahmen der ungeschriebenen Regeln über die sekundäre Beweislast berücksichtigt. In der Pressedienst-Entscheidung des BGH hat dieser festgehalten, dass das im Rahmen der Auskunftspflichten unter Mitbewerbern zu berücksichtigende Interesse des Anspruchsgegners, Informationen über seine Lieferanten und Kunden nicht gerade dem Anspruchsinhaber offenzulegen, erst recht im Rahmen der sekundären Darlegungslast gewährleistet werden müsse.107 Wenn allerdings ein materiellrechtlicher Auskunftsanspruch nicht besteht, ist fraglich, ob daraus abzuleiten ist, dass infolgedessen auch ein prozessualer Zugang zu der benötigten Information nicht erfolgen darf, weil das insofern vorrangige materielle Recht eine Informationszugangsmöglichkeit ausgeschlossen hat, oder ob im Gegenteil gerade in diesen Fällen ein Informationszugang erfolgen muss, weil das Informationsdefizit dann wenigstens prozessual auszugleichen ist. Diese nicht ganz einfache Abgrenzung kann anhand der Prüfung der Fragestellung getroffen werden, ob eine interessengerechte Informationszugangslücke besteht. Ist Letzteres der Fall, so darf ein prozessualer Informationszugang nicht erfolgen. Ist der fehlende InformationszuGottwald, ZZP 92 (1979), S. 362, 368; Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 23. Gottwald, ZZP 92 (1979), S. 362, 368. 105 Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 23. 106 Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 23. 107 BGH v. 20.1.1961, NJW 1961, S. 826, 828. 103 104
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gang demgegenüber nicht interessengerecht, so sollte die erweiterte Mitwirkungspflicht des Gegners dieses Defizit ausgleichen. Die entscheidende Frage ist somit, ob die Informationslücke interessengerecht ist. Diese Frage ist noch relativ einfach in denjenigen Fällen zu beantworten, in denen spezialgesetzliche Auskunftsansprüche bestehen. Sofern der Anwendungsbereich eines spezialgesetzlichen Auskunftsanspruchs eröffnet ist, aber auf Grund einer bestimmten Wertung ein Auskunftsanspruch im Ergebnis nicht gegeben ist, so ist diese Wertung auch bei erweiterten prozessualen Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen, es sei denn die Umstände, die zu einem Ausschluss des Anspruchs führen, liegen in der prozessualen Konstellation nicht vor. Letzteres kann etwa der Fall sein, wenn der materiellrechtliche Auskunftsanspruch versagt, weil im Ergebnis auf Grund einer speziellen Wertung ein selbstständig einklagbarer Anspruch ausscheidet, wohingegen eine Wahrheitsfiktion der Wertung nicht zuwiderlaufen würde. Schwieriger wird es, wenn ein Auskunftsanspruch aus § 242 BGB in Frage steht, weil hier geschriebene Wertungen oft fehlen werden. Gleichwohl muss auch hier dasselbe wie oben gelten. Es ist gegebenenfalls inzident zu prüfen, ob der Anwendungsbereich für einen materiellrechtlichen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB eröffnet wäre. Allerdings stellt sich die Frage, ob dies Ergebnis auch interessengerecht ist im Verhältnis zu denjenigen Fällen, in denen der Anwendungsbereich eines Auskunftsanspruchs nicht eröffnet ist. Ist ein solcher nämlich gar nicht eröffnet, bestünden gegebenenfalls spezielle Grenzen des materiellen Rechts auf prozessualer Ebene nicht, in allen anderen Fällen hingegen schon. Dies könnte zu dem widersprüchlichen Ergebnis führen, dass die informationssuchende Partei in den Fällen, die der Gesetzgeber für besonders virulent erachtet hat und in denen er ihr folglich einen materiellrechtlichen Auskunftsanspruch zur Verfügung gestellt hat, prozessual schlechter stehen würde, indem dem Informationsbegehren die Grenzen des materiellen Rechts gezogen werden, wohingegen in allen anderen Fällen, in denen die Informationsnot nach Auffassung von Gesetzgebung und Rechtsprechung weniger virulent ist, derartige Grenzen gerade nicht bestünden. In den Fällen, in denen der Anwendungsbereich eines materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs nicht eröffnet ist, würde der Informationszugang aber nicht grenzenlos erfolgen. Vielmehr wären nach wie vor berechtigte Geheimhaltungsinteressen sowie die soeben aufgestellten Grenzen des im Übrigen schlüssigen, substantiierten Vortrags, bei dem hinsichtlich des unschlüssigen Teils jedenfalls Anhaltspunkte vorgetragen werden müssen und der Etablierung einer Informationsnot, dergestalt, dass die darlegungsbelastete Partei keinen Zugriff auf die benötigte Information hat, ihr Gegner hingegen schon, zu berücksichtigen. Darüber hinaus könnte mit einem allgemeinen Zumutbarkeitskriterium gearbeitet werden, um Widersprüche zu den Fällen, in denen
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materiellrechtliche Auskunftsansprüche bestehen, aufzufangen und auszugleichen. IV. Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses wird nicht gewährleistet Besonders kritisch erscheint die Frage des Schutzes des Unternehmensgeheimnisses. Nach der gegenwärtigen Rechtslage wäre ein hinreichender Schutz der gewerblichen Geheimsphäre nicht gewährleistet, wenn man auf der einen Seite die Aufklärungspflichten im Zivilprozess ausdehnen würde, ohne gleichzeitig auf der anderen Seite Schutzmechanismen zur Wahrung der Geheimnisse zu gewährleisten.108 1. Möglichkeit der Verankerung eines Geheimverfahrens Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses könnte durch die Einführung eines Geheimverfahrens sichergestellt werden. a) Arten von Geheimverfahren Als beweisrechtliches Geheimverfahren wird in der Literatur ein Verfahren bezeichnet, bei dem – soweit schützenswerte Betriebsgeheimnisse bestehen – entweder der Gegenseite und/oder dem Anwalt der Gegenpartei und/oder dem Richter das Ergebnis der Beweisaufnahme vorenthalten wird.109 Die DurchZwar meint Wagner, JZ 2007, S. 706 ff. dass die Herausarbeitung, in welchen Fällen welchem Interesse der Vorrang einzuräumen sei, ohne weiteres der Rechtsprechung überlassen werden könne. Vgl. hierzu auch den Hinweis von McGuire, ZZP 121 (2008), S. 225, 227, auf den Diskussionsbeitrag von Rolf Stürner im Rahmen der Tagung der Zivilprozessrechtslehrervereinigung in Osnabrück am 8.4.2008. Bruns warnt demgegenüber aus zwei Gründen davor, die Konkretisierung der Rechtsprechung zu überlassen. Zum einen sei dies auf Grund der zu erwartenden Langwierigkeit der Etablierung einer gefestigten Rechtsprechung keine zweckmäßige Lösung. Zum anderen sei fraglich, ob im Rahmen einer solchen Rechtsprechung verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Parametern hinreichend Rechnung getragen werde, so der Diskussionsbeitrag von Alexander Bruns, vgl. McGuire, ZZP 121 (2008), S. 225, 227. Allerdings kritisiert auch Wagner zur Lage de lege lata grundsätzlich, dass im Rahmen der Neureglung des § 142 ZPO zur Frage der Interessenabwägung zwischen Aufklärungs- und Geheimhaltungsinteresse der Parteien keinerlei Anleitung und Konkretisierung gegeben worden sei, vgl. Wagner, JZ 2007, S. 706 ff. 109 Der Begriff des Geheimverfahrens wird hier – in Anlehnung an die Handhabung der allgemeinen zivilprozessualen Literatur – als Oberbegriff, u.a. für das in camera-Verfahren verwandt, vgl. Lachmann, NJW 1987, S. 2206, 2208; Stadler, NJW 1989, S. 1202, 1203; Kürschner, NJW 1992, S. 1804; Prütting/Weth, NJW 1993, S. 576. Demgegenüber wird im Wettbewerbsrecht und im Recht des geistigen Eigentums differenziert. Als Geheimverfahren wird dort ein Verfahren bezeichnet, in dem auch das Gericht von der Kenntnis der sensiblen Information ausgeschlossen wird und diese nur einem neutralen Sachverständigen zur Verfügung gestellt wird, der auf deren Basis ein Gutachten erstellt und die 108
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führung eines solchen Geheimverfahrens wird diskutiert für Konstellationen, in denen eine der Parteien anderenfalls vor der Wahl stünde, entweder ihr Betriebs-, Geschäfts-, Unternehmens- oder sonstiges Geheimnis gegenüber dem Konkurrenten preiszugeben oder aber das Geheimnis zu wahren und den Prozess wegen Beweisfälligkeit zu verlieren.110 Als Vorbild kann dabei das in § 87 c Abs. 4 HGB beschriebene Verfahren dienen, das vorsieht, dass bei einem Streit über die Provision eines Handelsvertreters dann, wenn der nicht beweisbelastete Gegner die Vorlage eines Buchauszuges verweigert, die Einsichtnahme durch einen neutralen Wirtschaftsprüfer oder Sachverständigen angeordnet werden kann. Eine derartige Einschaltung eines Beweismittlers ist oben bereits für die materiellrechtlichen Ansprüche de lege lata vorgestellt worden.111 Es wird vorgeschlagen, in den Fällen, in denen der Geheimnisträger zur Verweigerung der Auskunft berechtigt ist, nach dem Vorbild des § 87 c Abs. 4 HGB allgemein im Zivilprozessrecht ein beweisrechtliches Geheimverfahren zuzulassen. Ein solches Gheimverfahren wird von seinen Verfechtern als ultima ratio in Betracht gezogen, weil man ansonsten keine tragfähige Lösung für die Fälle der Kollision zwischen Aufklärungspflicht und Geheimnisschutz sieht.112 b) Rechtlicher Ausgangspunkt Die rechtliche Zulässigkeit derartiger Geheimverfahren ist in zweierlei Hinsicht fraglich: zum einen steht die Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art 103 GG in Frage, soweit der gegnerischen Partei entscheidungserhebliche Informationen vorenthalten werden. Zum anderen ist fraglich, wie ein Richter, dem die Tatsachen, die etwa ein Sachverständiger seiner Begutachtung zu Grunde gelegt hat, nicht vorgelegt worden sind, die Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens prüfen können soll, zu der er gem. § 286 ZPO verpflichtet ist. c) Geheimverfahren in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten als Vorbild? Das BAG hatte über die Zulässigkeit eines Verfahrens zu entscheiden, in dem streitig war, ob die antragstellende Gewerkschaft im Betrieb der Antragsgegnerin vertreten war, was zu bejahen ist, wenn mindestens ein ArbeitErgebnisse dem Gericht vorlegt. Bei einem in camera-Verfahren ist demgegenüber nur der jeweilige Gegner von der Kenntniserlangung ausgeschlossen, vgl. Westhoff, Zugang zu Beweismitteln, 2010, S. 80 f. 110 Prütting/Weth, NJW 1993, S. 576. 111 S. 122. 112 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 228. Vgl. auch Wagner, ZZP 108 (1995), S. 193, 211; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 116, Rn. 44.
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nehmer Mitglied der Gewerkschaft ist. Dafür trägt die Gewerkschaft die Beweislast. Die Information aber, ob ein Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied ist, wird von den Arbeitsgerichten als gegenüber dem Arbeitgeber schutzbedürftig angesehen. 113 Aus diesem Grund wurde in der Arbeitsgerichtsbarkeit ein Verfahren entwickelt, das die Feststellung dieser Tatsache ermöglicht, ohne dass der gegnerische Arbeitgeber Kenntnis von der Identität dieses Arbeitnehmers erlangt. Die Feststellung wird ermöglicht, indem der fragliche Arbeitnehmer vor einem Notar erscheint und dort an Eides Statt versichert, Arbeitnehmer des gegnerischen Betriebs zu sein. Vor Gericht wird sodann von der klagenden bzw. antragstellenden Gewerkschaft eine Liste mit ihren Mitgliedern vorgelegt. Der Richter prüft, ob sich der Name des Arbeitnehmers, der die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, auf dieser Liste befindet. Alternativ wird die Feststellung sogar so praktiziert, dass die Tatsachenbescheinigung ausweist, die vor dem Notar erschienene Person habe an Eides Statt versichert, Arbeitnehmer des fraglichen Betriebs zu sein und zusätzlich einen Mitgliedsausweis der betreffenden Gewerkschaft vorgelegt. Beide Formen des Geheimverfahrens werden für zulässig erachtet.114 Mit seiner Entscheidung vom 25.3.1992 hat auch das BAG jedenfalls die erstere Verfahrensweise gebilligt, bei der der Richter nur noch die Übereinstimmung der Namen auf der Mitgliederliste der Gewerkschaft mit der eidesstattlichen Versicherung vor dem Notar überprüft. Untersucht man diese Entscheidung anhand der beiden Parameter § 286 ZPO und Art. 103 GG, so kommt man zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen § 286 ZPO hier nicht in Frage stand, da dem Gericht sämtliche entscheidungserheblichen Informationen vorlagen – sofern man die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vor dem Notar für ausreichend erachtet und nicht der Auffassung ist, dass diese vor dem Gericht – wegen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme – noch einmal hätte wiederholt werden müssen. Das Gericht konnte selbst überprüfen, ob die Namen in der eidesstattlichen Versicherung mit denen auf der Liste der Gewerkschaft übereinstimmen. Lediglich ein Verstoß gegen Art. 103 GG kam hier in Frage, da weder den Parteien noch ihren Verfahrensbevollmächtigten die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Gewerkschaftszugehörigkeit eines Arbeitnehmers des Betriebes zu überprüfen. Das BAG ging jedoch nicht von einer Verletzung des Art. 103 GG aus. d) Reichweite des Anzeigenblatt-Falls Der BGH ist im oben115 bereits dargestellten Anzeigenblatt-Fall,116 in dem die schutzbedürftige Information nur einem Sachverständigen, nicht aber der Vgl. Nachweise bei BAG v. 25.3.1992, NJW 1993, S. 612. Vgl. Grunsky, AuR 1990, S. 105. 115 Vgl. S. 122 f. und S. 162 f. 113 114
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gegnerischen Partei und dem Gericht bekannt gemacht wurde, nicht auf die Diskussion in der Literatur über die Zulässigkeit des Geheimverfahrens eingegangen;117 so bleibt es der Auslegung überlassen, inwieweit aus der konkreten Entscheidung generelle Schlussfolgerungen für die Rechtslage de lege ferenda gezogen werden können. Prütting/Weth meinen, der BGH habe mit seiner Entscheidung im Anzeigenblatt-Fall die Zulässigkeit beweisrechtlicher Geheimverfahren generell abgelehnt.118 Dies überzeugt jedoch in der Pauschalität nicht, wenn man die rechtlichen Aspekte des Art. 103 GG sowie des § 286 ZPO bei der Analyse der Entscheidung trennt und differenziert, welche Form des Geheimverfahrens konkret vorliegt, welche Personen also von der Beteiligung ausgeschlossen werden sollen. Unzweifelhaft wird man dem Anzeigenblatt-Fall entnehmen können, dass der BGH mit Geheimverfahren, bei denen dem Richter eine Information vorenthalten wird, nicht einverstanden ist. Dies überzeugt auch, denn in der Tat kann es nicht sein, dass dem Richter als Entscheidungsträger nicht sämtliche relevanten Informationen vorgelegen haben. Die Rechtsprechung hat durch ein Organ der Judikative zu ergehen und kann nicht ungeprüft durch die Meinung eines Sachverständigen ersetzt werden. Sämtliche Beweismittel, die der Richter seiner Entscheidung zu Grunde legt, seien es nun Zeugenaussagen, Urkunden oder Sachverständigengutachten, hat der Richter auf ihre Schlüssigkeit zu prüfen. Anderenfalls liegt ein Verstoß gegen § 286 ZPO vor. Dieser Verpflichtung zur Überprüfung der Schlüssigkeit kann das Gericht jedoch nicht nachkommen, wenn ihm die Tatsachen, die der Sachverständige zu Grunde legt, unbekannt sind. Überdies handelt es sich bei einem Verfahren unter Ausschluss des Richters um eine überschießende Umsetzung dessen, was eigentlich erforderlich ist, weil das Geheimnis ja nicht vor Kenntniserlangung durch den Richter zu schützen ist. Richtigerweise ist also ein Geheimverfahren, in dem dem Richter die Gewährung der Information vorenthalten wird, als unwirksam anzusehen, weil der Richter ein Urteil nur fällen kann, wenn er alle entscheidungsrelevanten Umstände kennt und würdigen kann. Die Modelle, die auf einem Wirtschaftsprüfer- oder Sachverständigenvorbehalt beruhen, sind mithin nicht überzeugend. e) In camera-Verfahren Worin Prütting/Weth ebenfalls Recht zu geben ist, ist, dass der BGH auch solche Geheimverfahren nicht für zulässig erachtet, bei denen – wie im Anzeigenblattfall – weder der Partei noch ihrem Anwalt die Möglichkeit gegeben wird, von dem Betriebsgeheimnis Kenntnis zu nehmen. Denn dann BGH v. 10.12.1985, NJW 1986, S. 1877. Dies bemängelt auch Kürschner, NJW 1992, S. 1804. 118 Prütting/Weth, NJW 1993, S. 576, 577. 116 117
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wird der Partei jede Möglichkeit rechtlichen Gehörs abgeschnitten und sie hat keinerlei Möglichkeit, Einwände gegen die Einschätzung des Sachverständigen vorzubringen. Eine Frage, mit der sich der BGH in der fraglichen Entscheidung jedoch nicht auseinandergesetzt hat – weil sie auch gar nicht streitentscheidend war –, ist, wie die Rechtslage zu beurteilen gewesen wäre, wenn zwar nicht dem Kläger, wohl aber seinem Anwalt gegen eine Verschwiegenheitszusage Einblick gewährt worden wäre. Diese Frage ist von der Judikatur noch nicht entschieden worden, so dass die Einschätzung von Prütting/Weth, der BGH habe Geheimverfahren generell für unzulässig erklärt, zu weit greift. In diesem Fall wären Art. 103 Abs. 1 GG sowie § 285 ZPO gewahrt. Gem. § 285 ZPO muss beiden Parteien die Möglichkeit der Stellungnahme zum Beweisergebnis gegeben sein, die diese wiederum in zielführender Weise nur wahrnehmen können, wenn die Parteiöffentlichkeit bei der Beweisaufnahme gewahrt war. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet, dass das Gericht ein Beweisergebnis nicht verwerten darf, das die Parteien bzw. ihre anwaltlichen Vertreter nicht kannten und zu dem sie sich folglich nicht äußern konnten. 2. Sonderproblematik im Rahmen von § 142 ZPO n.F. Nachdem Ende der 80er-Jahre die beschriebene wissenschaftliche Diskussion über die Frage des Geheimnisschutzes aufgekommen war, verstummte sie bald nach der Anzeigenblatt-Entscheidung des BGH wieder. Erst in der jüngeren Vergangenheit ist sie wieder entflammt. Sie wird nunmehr unter spezielleren Vorzeichen geführt, nämlich im Rahmen von § 142 ZPO. Anders als bei der bisherigen Erweiterung von Mitwirkungspflichten, die durch die Rechtsprechung entwickelt worden war, wurde nunmehr erstmals eine gesetzliche Erweiterung statuiert. Die so gesetzlich erweiterten Mitwirkungspflichten haben den Konflikt mit der Frage des Geheimnisschutzes besonders offensichtlich gemacht. Für Vorlageanordnungen gegenüber Dritten ist die Problematik dadurch geregelt, dass der Dritte gem. § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO das Recht hat, die Vorlage zu verweigern, sofern ihm die Vorlage nicht zumutbar ist oder er zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 ZPO berechtigt ist. Unzumutbarkeit kann etwa bei erheblichem Aufwand, massiver Störung der eigenen Geschäftsabläufe und Verletzung der Privatsphäre vorliegen,119 wobei die Vertraulichkeitsinteressen durch die §§ 383 ff. ZPO abschließend geschützt sind.120 Auch die beratenden Rechtsanwälte der beiden Parteien können sich auf die in § 142 Abs. 2 ZPO postulierten und Dritten zustehenden Weigerungsgründe des Zeugnisverweigerungsrechts bzw. der 119 120
Zöller-Greger, ZPO, 2014, § 142, Rn. 12. Zekoll/Bolt, NJW 2002, S. 3129, 3133.
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Unzumutbarkeit berufen. Für Vorlageanordnungen gegenüber den Parteien selbst fehlt jegliche Regelung, wie mit schützenswerten Interessen umgegangen werden sollte. Wagner weist jedoch zutreffend darauf hin, dass aus der fehlenden Statuierung von Weigerungsrechten sowie der fehlenden Konkretisierung des Gesetzgebers, wie eine interessengerechte Abwägung zwischen Aufklärungs- und Geheimhaltungsinteresse der Parteien getroffen werden könnte, nicht geschlossen werden dürfe, dass die Editionspflichten der Parteien im Rahmen von § 142 ZPO grenzenlos bestehen. Vielmehr sei die konkrete Herausarbeitung der Rechtsprechung überlassen.121 Bedauerlicherweise wird die neuere Diskussion ausschließlich zu § 142 ZPO geführt und nicht auf die Mitwirkungsobliegenheiten etwa infolge der sekundären Darlegungslast ausgedehnt, im Rahmen derer sie sich ja ebenso stellt. Denn ein eventueller Geheimnisschutz beeinflusst bereits die Darlegungslast der geschützten Partei: Soweit sie das Geheimnis im Rahmen des Beweisverfahrens nicht offenbaren muss, kann sie sich mit allgemeinem, gegebenenfalls unsubstantiiertem Vortrag begnügen.122 3. Auflösung des Konflikts und Ergebnis zum Schutz des Unternehmensgeheimnisses Osterloh-Konrad meint, der Konflikt zwischen Informations- und Geheimnisschutzinteresse lasse sich nicht allseits verträglich auflösen, denn es sei wohl kaum mit einem Rechtssystem vereinbar, wenn die gegnerische Partei den Prozess verlieren würde, ihr die Gründe dafür aber nicht mitgeteilt würden.123 Welches Interesse überwiegt, sei im Einzelfall anhand eines Kriterienkatalogs124 zu entscheiden.125 Die Argumente, die gegen die Einführung eines Geheimverfahrens ins Feld geführt werden, vermögen im Ergebnis jedoch nicht zu überzeugen. Ein Geheimnisschutz, welcher nur um den Preis des Prozessverlusts gewährt wird, verdient seinen Namen nicht, wie Stürner und Stadler zutreffend angemerkt haben.126 Die Einführung eines in camera-Verfahrens mit dem Argument abzulehnen, es verletze die informationsbedürftige Partei in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör, ist nicht überzeugend, wenn die Partei ihrerseits So der Diskussionsbeitrag von Gerhard Wagner im Rahmen der Tagung der Zivilprozessrechtslehrervereinigung in Osnabrück am 8.4.2008, vgl. McGuire, ZZP 121 (2008), S. 225, 227. 122 So bereits zutreffend Wagner, ZZP 108 (1995), S. 193, 210. 123 Osterloh-Konrad, Geheimnisschutz und Informationsinteresse, 2009, S. 9, 42. 124 Vgl. dazu Osterloh-Konrad, Geheimnisschutz und Informationsinteresse, 2009, S. 9, 26 ff. und 32 ff. 125 Osterloh-Konrad, Geheimnisschutz und Informationsinteresse, 2009, S. 9, 42. 126 Stürner, JZ 1985, S. 453, 458; Stadler, NJW 1989, S. 1202, 1204. Ihnen folgend auch Schlosser, in: FS Großfeld, 1999, S. 997, 1005. 121
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auf dieses Recht verzichtet, um effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG erlangen zu können. Zwar wird vertreten, ein vorheriger Verzicht auf rechtliches Gehör sei nicht zulässig, weil dem Gericht der unverzichtbare Auftrag erteilt sei, die Parteien vor seiner Entscheidung zu hören.127 Darauf zu bestehen, einer Partei rechtliches Gehör zu gewähren und sie damit zu zwingen, den Prozess zu verlieren, wenn sie bei einem partiellen Verzicht auf rechtliches Gehör eine Aussicht hätte, den Prozess zu gewinnen, liefe auf einen Formalismus hinaus, der keinerlei Gleichlauf mehr mit den berechtigten Interessen einer Partei aufweist.128 Eine derartige Betonung der prozeduralen Gerechtigkeit auf Kosten der materiellen Gerechtigkeit überzeugt nicht, weil es nicht um die prozeduralen Rechte des Gegners oder eines Dritten geht, sondern um diejenigen der Partei selbst. Wenn schon der Eigenverantwortung der Partei eine solch große Bedeutung beigemessen wird wie im deutschen Recht, so muss ihr die Entscheidung, den Prozess bei voller Gewährung rechtlichen Gehörs verlieren zu müssen oder aber bei partieller Einschränkung desselben eine Aussicht auf Gewinn zu haben, möglich sein, wenn Dritte dabei nicht zu Schaden kommen. Als ultima ratio ist mithin ein in camera-Verfahren zulässig, wenn effektiver Rechtsschutz anderenfalls in jedem Fall ausscheidet und die Partei, deren rechtliches Gehör eingeschränkt wird, nach vorheriger Aufklärung durch das Gericht über die damit verbundenen Konsequenzen auf dieses verzichtet.129 Ein solches in cameraVerfahren bedarf einer gesetzlichen Verankerung, weil die Einschränkung des Rechts auf rechtliches Gehör auf Grund des Gesetzesvorbehalts nur durch Gesetz möglich ist. Bei diesem in camera-Verfahren muss die schutzbedürftige Information dem Gericht wegen § 286 ZPO und dem Vertreter der Partei wegen Art. 103 Abs. 1 GG gegen Verschwiegenheitszusage bekannt gemacht werden. V. Steigerung der Prozesskosten Eine weitere Gefahr, der im Umsetzungsmodell zu begegnen ist, könnte eine durch erweiterte Mitwirkungspflichten hervorgerufene Steigerung der Prozesskosten sein. Das bereits skizzierte Problem, dass die englische disclosure zur Überfrachtung der Gegenseite mit Papierdokumentation eingesetzt wurde, mit dem Ziel, die Gegenseite zu einem frühzeitigen, für sie ungünstigen Vergleich zu drängen, da anderenfalls die für die Sichtung des Materials entstehenden Anwaltskosten den Wert der Klageforderung um ein Vielfaches übersteigen würden, stellt sich im deutschen Recht jedoch nicht in vergleichbarem Maße. In Deutschland besteht – anders als in England – die Verpflichtung, der anderen Seite im Fall des Obsiegens die gesetzlichen Zöller-Greger, ZPO, 2014, vor § 128, Rn. 7 a. Stürner, JZ 1985, S. 453, 458; Stadler, NJW 1989, S. 1202, 1204. 129 So im Ergebnis auch Westhoff, Zugang zu Beweismitteln, 2010, S. 81 f. 127 128
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Anwaltskosten zu erstatten. Damit besteht für jede Seite ein Anreiz, zum Entstehen hoher Anwaltskosten auf der Gegenseite gerade nicht durch eigenes mißbräuchliches Verhalten beizutragen. Denn im Fall des Prozessverlusts würden die auf der Gegenseite für die Sichtung des Materials, mit dem man den Gegner absichtlich überfrachtet hat, entstehenden Anwaltskosten auf die Partei selbst zurückfallen. Auf Grund dieser andersartigen Kostenstruktur kann davon ausgegangen werden, dass die Gefahr einer discovery blackmail zum Zweck der Einschüchterung nicht in vergleichbarem Maße wie in England besteht, da die Partei sich damit für den Fall des Unterliegens selbst schaden würde. Sofern allerdings die Gegenseite durch einen Anwalt vertreten wird, der nicht auf Basis der gesetzlichen Gebühren sondern auf Stundenbasis abrechnet, bliebe es bei der skizzierten Thematik. Losgelöst von der speziellen Problematik etwaiger durch einen Missbrauch kreierter Kosten, stellt sich die allgemeine Frage, welche Kostenfolgen ein disclosure-Verfahren in Deutschland auslösen könnte. In England wird auch heute – trotz des neuen CPR-Regimes, das das gesamte Verfahren dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, insbesondere im Hinblick auf Kosten und Verfahrensdauer unterstellt – das Problem exzessiver Kosten als größte Schwäche des Zivilprozessrechts angesehen, gerade auch im Hinblick auf das disclosure-Verfahren. Hier haben die neueren technischen Entwicklungen von E-Mail und Internet zu einem weiteren Anstieg der zu sichtenden Datenmengen geführt. Nachdem das englische Zivilprozessrecht trotz des Verhältnismäßigkeitsvorbehalts das Kostenproblem auch nach Einführung der CPR nicht in den Griff bekommen hat, ist der oben bereits erwähnte Final Report von Lord Justice Jackson vom 21. Dezember 2009 mit der Idee der orders for cost capping vorgelegt worden, die im April 2013 durch CPR 3.19 in die Civil Procedure Rules eingeführt wurden.130 Das zeigt, dass das Risiko, die Anwalts- bzw. Prozesskosten selbst im Falle eines Obsiegens unter Umständen tragen zu müssen, keine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet, bzw. dass auch ohne Missbrauchsverhalten die durch die disclosure verursachten Kosten derart hoch sind, dass das englische Prozessrecht nach wie vor keinen Weg gefunden hat, dieses Problem nennenswert zu entschärfen. Dieser Problematik ist daher im Rahmen des Umsetzungsmodells Rechnung zu tragen, indem ein Modell gewählt wird, das mit möglichst geringen zusätzlichen Kosten verbunden ist. VI. Mentalitätsbedingte Besonderheiten Gegen erweiterte Mitwirkungspflichten könnte man ferner einwenden, dass die neuen Regelungen unter Umständen rechtstatsächlich nicht übernommen werden, weil das Nichtvorhandensein von prozessualen Offenlegungspflich130
Vgl. oben, S. 75 f.
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ten rechtskulturell zu sehr im Bewusstsein verankert ist. Für eine solche Gefahr spricht der Befund der von Prütting et al. geleiteten Untersuchung. Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass trotz der durch § 142 ZPO n.F. eröffnete weit reichenden Sachverhaltsaufklärungsmöglichkeiten von diesen kaum Gebrauch gemacht wird.131 Hintergrund dieser fehlenden Akzeptanz in der Praxis ist vermutlich der tradierte Grundsatz nemo tenetur, der für die deutsche Mentalität prägend geworden ist. 132 In diesem Sinne spricht auch Schlosser von dem im Recht immer zu beachtenden Stabilitätsinteresse, dass einmal eingebürgerte Denkgewohnheiten nicht leichthin aufzugeben seien.133 Auch Jolowicz meint, zwischen den Kontinentaleuropäern und den Engländern bestünden mentalitätsbedingte Unterschiede (differences in mindset), die für die unterschiedlichen Standpunkte zum disclosure-Verfahren verantwortlich seien.134 Allerdings betont er, dass diese Unterschiede nicht ein für allemal festgeschrieben seien, sondern dass es wechselseitige Beeinflussung gebe. So habe einerseits eine Veränderung der Gesetzeslage auf Dauer Einfluss auf die Mentalität, umgekehrt sollen wiederum Mentalitätsentwicklungen auch zu einer Veränderung der Gesetzeslage führen. 135 Der Sorge, eine Erweiterung der Mitwirkungspflichten werde rechtstatsächlich nicht übernommen werden, weil die Passivität im Sinne eines nemo contra se edere tenetur zu sehr im Bewusstsein verankert ist, könnte also entgegengehalten werden, dass dies allein ein temporäres Problem ist, weil die veränderte Gesetzeslage auf Dauer auch zu einer Mentalitätsveränderung führen wird. Dies mag umso mehr gelten, als der oben widerlegte Grundsatz des nemo contra se edere tenetur bereits an Brisanz verloren hat, weil zum einen in der Literatur zunehmend Mitwirkungspflichten der Gegenseite gefordert werden und zum anderen auch die Rechtsprechung trotz ihres Festhaltens an diesem Dogma rein faktisch diverse Möglichkeiten zur Heranziehung des Gegners entwickelt hat. In Verfahren, die dem Anwaltszwang unterliegen, wird es nicht nur auf die Mentalität der Parteien, sondern vor allem auf die der Anwälte ankommen. In England wird die absolute Integrität und Redlichkeit der barristers und solicitors als größtes „Bollwerk“ gegen die Gefahr des Verstoßes gegen
Vgl. oben, S. 109 f. Vgl. oben, S. 296 f. 133 Schlosser, JZ 1991, S. 599, 607. 134 Jolowicz, Comparison, 2002, S. 721, 736: „The mindset of the continental law is different. […] [I]t continues to give priority to respect for the privacy of the litigant. It is unwilling […] that the process should force the litigant to open his archives to inspection.“, so Jolowicz, Comparison, 2002, S. 721, 736. Dabei lässt Jolowicz jedoch außer Betracht, dass sowohl in Frankreich als auch in der Schweiz allgemeine Urkundenvorlagepflichten bestehen, vgl. oben S. 3 f. 135 Jolowicz, Comparison, 2002, S. 721, 736. 131 132
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Offenlegungsverpflichtungen angesehen. 136 Allerdings wird auch hier differenziert. So meint etwa Hollander, dass unter den barristers ein noch größerer Offenlegungsethos zu beobachten sei als unter den solicitors und dass unter den solicitors wiederum diejenigen, die zu den großen Anwaltsbüros gehören, die gründlichere Arbeit leisteten, weil sie den besseren Überblick über die Vorschriften hätten und eher bereit und in der Lage seien, viel Zeit darauf zu verwenden, etwaigen Ungenauigkeiten ihrer Mandanten bei der Beantwortung ihrer Nachforschungen nachzugehen. 137 Diese Beobachtung bestätigt allerdings einmal mehr die Sorge, dass zum einen ein disclosure-Verfahren dazu führen kann, dass in Verfahren, in denen kein Anwaltszwang besteht, die Einschaltung eines Anwalts erforderlich werden könnte, da für den Bürger nicht ohne Weiteres erkennbar ist, inwieweit ihn eine Offenlegungsverpflichtung betrifft und ob ihm ein etwaiges Weigerungsrecht zusteht. Dagegen spricht allerdings der Umstand, dass in England ein grundsätzlicher Anwaltszwang gerade nicht besteht.138 Zum anderen nährt dies die Befürchtung, dass ein disclosure-Verfahren jedenfalls in größeren Verfahren mit gesteigerten Kosten verbunden ist, zumal die Anwälte großer Büros möglicherweise auch deshalb mehr Zeit in die Vorbereitung der disclosure investierten, weil sie dabei mehr Stunden abrechnen können. Die mentalitätsbedingte Prägung der deutschen Prozessbeteiligten stellt mithin keinen Aspekt dar, der einer Erweiterung des gegenwärtigen status quo zur Frage der Heranziehung des Gegners entgegensteht. Allerdings ist ihr im Rahmen des Umsetzungsmodells dahingehend Rechnung zu tragen, dass eine Lösung gewählt wird, die sich möglichst ohne Brüche in die gegenwärtige Rechtslage einfügt.
Andrews, ZZPInt 8 (2003), S. 69, 71. Hollander, Disclosure, 2004, S. 151, 155. 138 Stürner, JZ 1986, S. 1089, 1090; Halsbury’s Laws of England, Bd. 65, 2008, Rn. 732 ff.; Zuckerman/Coester-Waltjen (1999) 18 C.J.Q., S. 291. 136 137
Kapitel 11
Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten Eine Umsetzung ist auf verschiedenen Ebenen denkbar. Zum einen kann ein materiellrechtlicher Weg beschritten werden (zum Beispiel durch Ausweitung materiellrechtlicher Auskunftspflichten hin zu einer materiellrechtlichen allgemeinen Aufklärungspflicht), zum anderen ein prozessrechtlicher Weg (zum Beispiel durch Einführung eines disclosure-Verfahrens oder durch Statuierung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht). Innerhalb des prozessualen Modells wiederum ist es einerseits möglich, eine solche Pflicht dergestalt zu konstituieren, dass diese durch den Richter zugewiesen, ihm also geschuldet wird, oder aber in der Art und Weise zu verfahren, dass die Parteien einander diese Pflichten wechselseitig schulden.
A. Umsetzungsmodelle in der Literatur I.
Einführung eines gesonderten Verfahrens zur Informationsbeschaffung
Jacoby – inspiriert durch das discovery-Verfahren des amerikanischen Zivilprozesses – schlägt folgende Reformierung des deutschen Zivilprozessrechts vor, um zu weitergehenden Informationszugangsrechten der in Beweisnot geratenen Partei zu gelangen: Zum einen regt er die Einführung eines parteilichen Erforschungsverfahrens an, welches das Gericht auf einen glaubhaft gemachten Antrag hin zu gestatten habe und im Rahmen dessen der Antragsgegner zur Beantwortung von gerichtlich gebilligten Fragen und zur Vorlage bestimmter bezeichneter Dokumente angehalten werden könne. 1 Komme der Gegner dieser Anordnung nicht nach, so könnten die behaupteten unaufgeklärten Tatsachen als erwiesen angesehen werden.2 Zum anderen soll der Antragsteller in derartigen Fällen von der Darlegungslast teilweise entbunden werden können.3
Jacoby, ZZP 74 (1961), S. 145, 165. Jacoby, ZZP 74 (1961), S. 145, 165. 3 Jacoby, ZZP 74 (1961), S. 145, 164. 1 2
A. Umsetzungsmodelle in der Literatur
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II. Einführung eines vorprozessualen Informationsbeschaffungsverfahrens 1. Greger Greger schlägt vor, nach Art der englischen pre-action protocols ein qualifiziertes Informationsaustauschverfahren zwischen den Parteien zur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage zu machen.4 Er regt an, ein Verfahren zur weitgehenden Aufbereitung des Tatsachenstoffes vor der mündlichen Verhandlung zu entwickeln.5 Da eine Stärkung der Rolle der Parteien bei der Sachverhaltsaufklärung auch Konsequenzen für die Anwaltschaft mit sich bringe, denen viel von der Aufklärungsarbeit zufiele, die derzeit von den Richtern geleistet wird, müsse dies im Vergütungssystem seinen Niederschlag finden, indem etwa für die außergerichtliche Aufklärungsarbeit eine Art Äquivalent zur früheren Beweisgebühr erwogen werde.6 2. Gottwald Auch Gottwald plädiert für einen umfassenden Informationsaustausch zwischen den Parteien bevor der Richter mit dem Fall befasst werde. Denn erst nach Kenntnis der Verteidigungslinie des Beklagten könne der Richter sinnvolle prozessleitende Maßnahmen treffen, so dass ihm die Akte erst vorgelegt werden solle, wenn die Klageerwiderung vorliege bzw. jedenfalls die Frist für die Klageerwiderung ergebnislos verstrichen sei.7 Ferner erwägt Gottwald auch nach der Neufassung der §§ 142, 144 ZPO, ob die richterliche Vorlageanordnung de lege ferenda auf eine vorprozessuale Anordnungsmöglichkeit erstreckt werden sollte. Hierzu schlägt er allerdings vor, zunächst die Erfahrungen des englischen Rechts mit den im Jahr 1997 eingeführten pre-action protocols sowie die des japanischen Zivilprozessrechts mit der vorprozessualen Urkundenvorlage abzuwarten.8 III. Sonstige prozessrechtliche Modelle für erweiterte Informationszugangsrechte 1. Gottwald Mit seinem auf dem 61. Deutschen Juristentag 1996 unterbreiteten Vorschlag möchte Gottwald in Anlehnung an das englische Prozessrecht sowie an die Vorschläge der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit von 1961 eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht einGreger, JZ 2002, S. 1020, 1026. Greger, BRAK-Mitt 4/2005, S. 150, 155. 6 Greger, BRAK-Mitt 4/2005, S. 150, 155. 7 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 2010, § 5, Rn. 29. 8 Gottwald, in: FS Leipold, 2009, S. 33, 42. 4 5
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten
führen.9 Er setzt mit diesem Vorschlag einen neuen Impuls in der zum damaligen Zeitpunkt verebbten Diskussion, die sich im Anschluss an die Thesen Stürners entzündet hatte. Nach Gottwalds Auffassung bedarf die Reform der Rechtsmittel einer Stärkung des erstinstanzlichen Verfahrens, wozu de lege ferenda eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei führen würde. Diese allgemeine Aufklärungspflicht will Gottwald in einem neuen § 138 Abs. 2 ZPO verankern, der die bestehende Erklärungspflicht ergänzen soll: „(2) Jede Partei hat sich über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären und zu streitigen Tatsachen alle relevanten Unterlagen vorzulegen, die sie in ihrem Besitz hat oder die sie sich ohne Weiteres beschaffen kann.“10
Zum Schutz des Betriebsgeheimnisses, des Persönlichkeitsrechts sowie der Verschwiegenheitspflicht schlägt Gottwald vor, im Rahmen des Urkundsbeweises die Möglichkeit einer Vorlage an einen Dritten nach dem Vorbild des § 87 c Abs. 4 HGB in § 422 Abs. 2 ZPO vorzusehen: „(2) Würde die Vorlegung schutzwürdige Belange Dritter, insbesondere deren Persönlichkeitsrecht, ein Geschäftsgeheimnis oder eine Verschwiegenheitspflicht verletzen oder ist die Vorlage aus einem sonstigen Grunde unzumutbar, so kann der Gegner bei Gericht beantragen, daß er von der Pflicht zur Vorlage entbunden wird oder einem sachverständigen Dritten die Einsicht nur soweit zu gewähren hat, wie es zur Feststellung der Richtigkeit oder Vollständigkeit der streitigen Tatsachen erforderlich ist.“11
Gottwalds Vorschlag trägt dem Umstand, dass eine Beweisnot sogar soweit gehen kann, dass eine Partei, der die notwendigen Informationen fehlen, um ihre Klage hinreichend substantiieren und folglich einen konkret bezifferten Klageantrag stellen zu können, dadurch Rechnung, dass er einen neuen Absatz in § 254 ZPO zur Zulässigkeit unbezifferter Klageanträge einfügen möchte. Der bisherige § 254 ZPO, der zu § 254 Abs. 2 ZPO werden soll, soll dabei in seinem Wortlaut unberührt bleiben und weiterhin für die Fälle gelten, in denen ein materiellrechtlicher Auskunfts- oder Rechnungslegungsanspruch besteht, wohingegen der neu einzufügende Absatz 1 die Fälle der prozessualen Aufklärungspflicht regelt: „(1) Hängt die bestimmte Angabe der Leistungen, die der Kläger beansprucht, von der Sachverhaltsaufklärung durch den Gegner ab, so kann der Kläger zunächst einen unbezifferten Klageantrag unter Angabe eines Mindestbetrages stellen. Er hat seinen Antrag zu beziffern, sobald die Gegenpartei die geschuldete Aufklärung erbracht hat oder endgültig verweigert.“12
Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 17. Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 19. 11 Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 19 f. 12 Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 19. 9
10
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Darüber hinaus unterbreitet Gottwald konkrete Formulierungsvorschläge, wie die Regeln über den Urkundenbeweis in den §§ 421, 422 Abs. 1, 2 und § 429 Abs. 1–3 ZPO entsprechend angepasst werden könnten. 13 Auf diese wird noch zurückzukommen sein.14 Es fragt sich, ob diese Vorschläge Gottwalds durch die Neufassung der §§ 142, 144 ZPO hinfällig geworden sind. Gottwald vertritt allerdings auch nach der Neufassung der §§ 142, 144 ZPO – die nur die richterliche Anordnung zum Gegenstand haben – die Auffassung, dass der Austausch von Informationen und Beweismitteln zwischen den Parteien nicht von einer richterlichen Anordnung abhängig sein sollte, da anderenfalls das Verfahren in vielen Fällen an einem raschen Fortschritt gehindert werde.15 Demgegenüber könne ein Austausch der relevanten Beweismittel unmittelbar zwischen den Parteien eine rasche Erledigung des Verfahrens ohne richterliche Befassung fördern.16 2. Greger Neben dem oben bereits angesprochenen vorprozessualen Informationsaustauschverfahren schlägt Greger auch im Übrigen vor, auf der Ebene der Gesetzgebung tätig zu werden, da ein Abrücken des BGH von seinem Standpunkt nicht zu erwarten sei.17 Auch er lehnt eine Amtsaufklärung durch den Richter ab und plädiert für einen modernisierten Verhandlungsgrundsatz, im Rahmen dessen der Prozessstoff weiterhin von beiden Parteien zu erbringen sei. Konkret schlägt Greger vor, die sekundäre Darlegungslast im Gesetz zu verankern,18 und eine „maßvolle“ Aufklärungspflicht im Stürner’schen Sinne in die ZPO einzuführen. 19 Anders als Stürners Vorschlag ist der Entwurf Gregers aber wohl eher als Statuierung einer Aufklärungspflicht der Parteien gegenüber dem Gericht einzuordnen.20 3. Zettel Zettel plädiert dafür, die in den Beschränkungen und Durchbrechungen des Beibringungsgrundsatzes sich abzeichnende Entwicklung konsequent weiter zu führen und dem Gericht nach dem Vorbild von § 183 S. 1 öZPO generell die Möglichkeit einzuräumen, neue Tatsachen und Beweise von Amts wegen in den Prozess einzuführen, allerdings nur in den Fällen, in denen es im Laufe Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 19 f. Vgl. unten, S. 354. 15 Gottwald, in: FS Leipold, 2009, S. 33, 42. 16 Gottwald, in: FS Leipold, 2009, S. 33, 42. 17 Greger, BRAK-Mitt 4/2005, S. 150, 155. 18 Greger, JZ 2000, S. 842, 846. 19 Greger, BRAK-Mitt 4/2005, S. 150, 155. 20 Greger, JZ 1997, S. 1077, 1080. 13 14
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des Prozesses konkrete Anhaltspunkte für diese neuen Tatsachen oder Beweise erhalten hat.21 Konkret schlägt er folgende Vorschrift vor: „(1) Die Parteien bestimmen durch ihre Anträge den Prozeßgegenstand. (2) Der Vortrag der Tatsachen und die Benennung und Beibringung der Beweismittel ist grundsätzlich Aufgabe der Parteien. (3) Das Gericht kann von Amts wegen neue Tatsachen und Beweismittel in den Prozeß einführen, wenn es im Laufe des Prozesses von ihnen Kenntnis erlangt hat und sie entscheidungserheblich sind. Diese Befugnis des Gerichts kann nicht durch Parteivereinbarung beschränkt werden.“22
4. Drenckhahn Drenckhahn schlägt vor, § 142 ZPO um eine allgemeine Aufklärungspflicht hinsichtlich sämtlicher entscheidungserheblicher Urkunden durch die Parteien auf Anordnung des Gerichts unabhängig von jeder Bezugnahme zu ergänzen.23 Sanktioniert werden soll diese Pflicht durch eine entsprechende Anwendung von § 426 ZPO, so dass die Partei über die wahrheitsgemäße Erfüllung dieser Pflicht vernommen werden können soll. Verweigert die Partei ihre Mitwirkung, so soll dies im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zu Ungunsten der Partei berücksichtigt werden können.24 Konkret soll in § 142 ZPO ein neuer Absatz mit folgendem Wortlaut vorangestellt werden: „(1) 1Das Gericht kann anordnen, dass die Parteien alle in ihrem Besitz befindlichen entscheidungserheblichen Unterlagen und sonstigen Unterlagen sowie deren Inhalt möglichst vollständig bezeichnen und auf Gründe, die einer Vorlage entgegenstehen können, hinweisen. 2§ 426 ZPO gilt entsprechend.“25
Dabei will Drenckhahn die bisherigen Absätze 1–3 de lege ferenda in Form der Absätze 2–4 beibehalten. Im Ergebnis soll also die Pflicht nach Absatz 1 der jeweils anderen Partei ermöglichen, sich nunmehr konkret auf eine Urkunde beziehen zu können, so dass das Gericht dann nach erfolgter Bezugnahme die Vorlage wie bislang auch anordnen kann. Es würde also bei der bisherigen relativ eng gefassten Möglichkeit der Vorlageanordnung bleiben, jedoch ergänzt um die Möglichkeit der Anordnung des Gerichts, alle entscheidungserheblichen, im eigenen Besitz befindlichen Unterlagen so genau zu bezeichnen, dass die Gegenseite in die Lage versetzt wird, sich auf diese zu beziehen. Schließlich will Drenckhahn die Regeln über den Urkundsbeweis in den §§ 420 ff. ZPO an die neuen Gegebenheiten insofern anpassen, als das Bedürfnis für einen ausführlichen Vortrag der Partei über ihre VerZettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 188 f. Zettel, Beibringungsgrundsatz, 1977, S. 189. 23 Drenckhahn, Urkundsvorlagepflichten, 2007, S. 183 f. 24 Drenckhahn, Urkundsvorlagepflichten, 2007, S. 185. 25 Drenckhahn, Urkundsvorlagepflichten, 2007, S. 185. 21 22
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mutung, dass die Gegenseite Urkunden im Besitz hat, durch die vorherige Offenlegung entfallen ist.26 IV. Materiellrechtliches Modell für erweiterte Informationszugangsrechte nach Osterloh-Konrad Osterloh-Konrad möchte die bestehenden Informationsdefizite durch eine Ausweitung materiellrechtlicher Auskunftsrechte lösen. Um dies zu erreichen formuliert Osterloh-Konrad modifizierte Voraussetzungen für den Auskunftsanspruch nach § 242 BGB, dem damit die Funktion eines allgemeinen vorbereitenden Informationsanspruchs zukommen soll. Zum einen soll er eine verschuldete Unkenntnis des Anspruchstellers nicht voraussetzen. Zum anderen habe dieser – anders als in Rechtsprechung und herrschender Lehre bislang überwiegend angenommen – das Bestehen eines Rechtsverhältnisses nicht zur Voraussetzung. Stattdessen sei als Korrektiv erforderlich, dass diejenigen Tatbestandsvoraussetzungen des Hauptanspruchs, die nicht von der Auskunftserteilung abhängen, feststehen und dass für das Bestehen des Hauptanspruchs hinreichende Anhaltspunkte vorliegen. Dieser allgemeine vorbereitende Informationsanspruch soll nach Osterloh-Konrad subsidiär gegenüber einer Verlagerung der Darlegungslast sein. Die fehlende Erforderlichkeit des Bestehens eines Rechtsverhältnisses leitet Osterloh-Konrad aus der erbrechtlichen Gerichtspraxis ab.27 V. Gemischte prozessrechtliche und materiellrechtliche Modelle für erweiterte Informationszugangsrechte 1. Lüderitz Lüderitz sieht aufgrund der Diskrepanz zwischen abstrakter Beweislastregelung und konkretem Behauptungs- und Beweisführungsvermögen einen Konflikt zwischen dem Informationsinteresse der einen Partei und dem Geheimhaltungsinteresse der anderen Seite, wobei er im Grundsatz davon ausgeht, dass sich Geheimhaltungs- und Informationsinteresse die Waage halten.28 Die Beweisnot der einen Seite gehe die andere grundsätzlich nichts an, es sei denn die eine Seite besitze Anhaltspunkte für die Richtigkeit ihrer Behauptungen, könne also Umstände vortragen, die den nur allgemein behaupteten Tatsachen einen Grad von Wahrscheinlichkeit verleihen.29 Zur Lösung dieses Konflikts schlägt Lüderitz ein Stufenmodell vor, in dem er das Ausmaß der Mitwirkungsobliegenheit bzw. -pflicht der nicht darlegungsbelasteten Partei in Relation setzt zum Grad der Wahrscheinlichkeit des Bestehens des geltend Drenckhahn, Urkundsvorlagepflichten, 2007, S. 185. Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 212 ff. 28 Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, 1966, S. 26 f. 29 Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, 1966, S. 27 f. 26 27
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten
gemachten Hauptanspruchs. 30 Die schwächste Mitwirkungsobliegenheit in Gestalt einer verstärkten Einlassungslast des Gegners, die gegebenenfalls auch den Vortrag von dem Gegner ungünstigen Tatsachen erfasse, besteht auf der ersten Stufe, im Rahmen derer der Anspruchsteller nur geringfügige Anhaltspunkte für seine Behauptungen vorbringen kann. 31 Auf der zweiten Stufe, auf der der Anspruchsteller zu einem Tatsachenvortrag, der die Schlüssigkeitsprüfung durch das Gericht ermöglicht, nicht in der Lage ist, soll nicht nur eine verstärkte Einlassungslast des Gegners bestehen, sondern die Behauptungslast vom Anspruchsteller auf den Gegner übergehen, sofern dieser die erforderlichen Kenntnisse hat, oder sich diese unschwer verschaffen kann. Voraussetzung der zweiten Stufe ist, dass schwerer wiegende Anhaltspunkte für die Existenz des Anspruchs bestehen.32 Auf der dritten Stufe wird dem Anspruchsteller ein materiellrechtlicher Auskunftsanspruch gegen die informierte Gegenseite gem. § 242 BGB gewährt, wenn der Anspruchsteller nicht in der Lage ist, einen Klageantrag zu formulieren, der den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO genügt. 33 Für den Auskunftsanspruch des § 242 BGB soll dabei die Voraussetzung des materiellen Rechtsverhältnisses entfallen, wenn ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für das Bestehen des geltend gemachten Hauptanspruchs besteht.34 2. Stürner Oben35 wurde bereits der Begründungsansatz für die nach Auffassung Stürners bereits de lege lata bestehende prozessuale Aufklärungspflicht dargestellt. a) Die Auffassung Stürners in seiner Habilitationsschrift 1976 Hier sind nun die Ausführungen Stürners zum Inhalt einer solchen allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht darzustellen, die ja auch de lege ferenda eingeführt werden kann, zumal Stürner hilfsweise einen Gesetzgebungsvorschlag präsentiert hat. Er sieht ein dreigleisiges System von Informationspflichten vor, das sich aus prozessualen und materiellrechtlichen Komponenten zusammensetzt.
Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, 1966, S. 35. Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, 1966, S. 29 f. 32 Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, 1966, S. 30 ff. 33 Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, 1966, S. 32 ff. 34 Lüderitz, Ausforschungsverbot und Auskunftsanspruch, 1966, S. 35 f. 35 S. oben S. 86 f. 30 31
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aa) Allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht Stürner schlägt vor, hinter der Vorschrift des §138 ZPO einen neuen § 138 a ZPO, in dem die allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht verankert werden soll, einzufügen: „(1) Jede Partei ist verpflichtet, bei der Aufklärung rechtserheblicher und begründeter Behauptungen der beweisbelasteten Partei mitzuwirken. (2) Die Aufklärungspflicht entfällt, wenn eine Aufklärung mit Rücksicht auf die über die Entscheidung des Rechtsstreits hinausreichenden Folgen nicht zugemutet werden kann oder wenn die Partei überwiegend schutzbedürftige Belange Dritter verletzen würde. (3) Wenn ein Rechtsstreit erkennbar bevorsteht, so ist die nicht beweisbelastete Partei verpflichtet, im Rahmen des Zumutbaren alle Beweismittel zu erhalten, die im Rechtsstreit voraussehbar von Wert sein könnten. (4) Pflichten zur Sicherung der Sachverhaltsaufklärung, die sich aus der Ausübung von Berufen oder Gewerben oder aus der Wahrnehmung fremder Interessen ergeben, bestehen auch im Hinblick auf einen möglichen Rechtsstreit.“36
Die allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht nach § 138 a ZPO möchte Stürner gemäß einem neu einzufügenden § 286 Abs. 3 ZPO sanktionieren: „(3) Hat die nicht beweisbelastete Partei schuldhaft ihre Aufklärungspflicht verletzt, so kann das Gericht die von der beweisbelasteten Partei aufgestellten Behauptungen als erwiesen ansehen. Diese Rechtsfolge tritt insbesondere nicht ein, 1. wenn das Gericht vom Gegenteil voll überzeugt ist, 2. wenn das Gericht bei geringfügigen Pflichtverstößen das Gegenteil für überwiegend wahrscheinlich hält, 3. wenn die überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine mißbräuchliche Behauptung der beweisbelasteten Partei spricht.“37
Für Urkundenvorlagepflicht, Duldung des Augenscheins und Untersuchung von Körper und Geist schlägt Stürner im Einzelnen folgende Regelungen vor: „Der Gegner ist im Rahmen seiner Aufklärungspflicht verpflichtet, die in seinen Händen befindliche Urkunde vorzulegen.“38 „Die nicht beweisbelastete Partei hat im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht den Augenschein und Untersuchungen an einer in ihren Händen befindlichen Sache zu dulden. Das Gericht kann gegebenenfalls die Vorlage anordnen.“39 „Die nicht beweisbelastete Partei hat im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht Untersuchungen ihres Körpers und Geistes zu ermöglichen, soweit die Untersuchung nach anerkannten Grundsätzen der Wissenschaft eine Aufklärung des Sachverhalts verspricht und dem zu Untersuchenden nach Art der Untersuchung ohne Nachteil für seine Gesundheit zumutbar ist.“40
Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 384. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 384. 38 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 384. 39 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 384. 40 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 384. 36 37
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bb) Vorprozessuale kostensanktionierte Informationspflicht Zur Bewältigung des Kostenrisikos sowie zur Vorbereitung der Rechtsverfolgung und zur Vermeidung unnötiger Prozesse wird die allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht in Stürners Modell durch eine ebenfalls prozessrechtliche Aufklärungspflicht ergänzt, die bereits vorprozessual wirken soll.41 Vorbild ist insbesondere § 93 ZPO:42 Danach ist der Beklagte von den Kosten eines Rechtsstreits befreit, wenn er die Klage sofort anerkennt und wenn er keinen Anlass zur Klage gegeben hat. Nach Stürner sei den Parteien eines künftigen Prozesses ein informationsfreundliches Verhalten im Rahmen ihrer Fähigkeiten und des ihnen Zumutbaren abzuverlangen, um der jeweiligen Gegenpartei Kosten zu ersparen.43 Als Sanktion sieht Stürner die Überwälzung der entstandenen Kosten vor, sofern die nichtinformierte Partei, nachdem sie die Information erlangt hat, im Prozess anerkennt oder verzichtet, da dann eindeutig feststehe, dass die fehlende Information die alleinige Ursache für sämtliche Prozesskosten war.44 Dies habe einen vergleichbaren Effekt wie ein materiellrechtlicher Schadensersatzanspruch, der aus der Verletzung einer Aufklärungspflicht resultiert.45 Die vorprozessuale kostensanktionierte Informationspflicht verpflichte die künftige Prozesspartei zur Auskunft und Aufklärung, sofern die Gegenpartei auf Grund unverschuldeter Unkenntnis Gefahr läuft, sich in eine ungünstige prozessuale Situation mit Kostenfolgen zu begeben. Zumutbarer Inhalt sei die Erteilung von Auskünften und das Gewähren der Sichtung von Beweisgegenständen und Urkunden.46 Dazu gehöre aber keine Aufklärung über Tatsachen und Beweismittel, die der Gegenseite nur Vorteile brächten, weil diese nicht dem Ziel der Verhinderung von Kostenschäden dienen würden.47 Geschuldet seien Auskünfte über solche Tatsachen, die sich im Prozess negativ für die Gegenseite auswirken würden, etwa die Veräußerung des Kaufgegenstandes im Fall des Streits über das angebliche Zustandekommen des Kaufvertrages.48 Ebenso müsse der mit Schadensersatzansprüchen bedrohte Arzt Auskunft über seine Behandlungsmethode geben und der mit Unterhaltsansprüchen plausibel konfrontierte Schuldner Auskünfte erteilen, die den Anspruchsteller
Der Minderung des Kostenrisikos kommt dabei die Hauptbedeutung zu. Die Prozessprognose und die Vermeidung unnötiger Prozesse bezeichnet Stürner als wünschenswerte potentielle Reflexwirkungen, vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 279. 42 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 270. 43 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 269. 44 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 284. 45 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 270. 46 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 279 ff. 47 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 278. 48 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 279. 41
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zu einer Bezifferung in die Lage versetzen.49 Auch die Sichtung von Beweisgegenständen sei erfasst, jedoch nicht die Duldung substanzbeeinträchtigender Untersuchungen oder Entnahmen. Eine körperliche Untersuchung der Gegenpartei sei ausgeschlossen, da unzumutbar. Verlangt werden könne aber die Vorlage bereits vorhandener Untersuchungsergebnisse, sofern diese keine Einblicke in den engeren persönlichen Geheimbereich gewähren und nur die Funktion körperlicher Organe beschreiben.50 Schließlich könne Urkundeneinsicht verlangt werden, so zum Beispiel seitens der nichtinformierten Versicherung die Vorlage von Schadensbelegen, oder seitens der Erben des Darlehensgläubigers die Vorlage einer Quittung durch den Darlehensschuldner.51 Gutachten, die die Gegenpartei zu ihrer eigenen Information erstellen ließ, sollen nur dann vorlagepflichtig sein, wenn die informationssuchende Partei solche Gutachten nicht selbst erstellen lassen kann und wenn sie den Rechtsstandpunkt der Gegenseite untermauern. Gutachten, die der Gegenpartei ungünstig sind, müsse sie demgegenüber nicht vorlegen, weil durch die Nichtvorlage der anderen Seite keine Kostenschäden entstehen können.52 Die vorprozessuale Informationspflicht soll drei Voraussetzungen haben. Erstens setze sie ein entsprechendes Verlangen der nichtinformierten Partei voraus. Ein unaufgefordertes Anzeigen von Umständen könne von der Gegenpartei nicht verlangt werden, da der nichtinformierten Partei nicht jede eigene Bemühung erspart werden solle. Allerdings dürften die Anforderungen an dieses Verlangen nicht überspannt werden, die allgemeine Aufforderung des Gläubigers an den Schuldner, Gründe für seine Leistungsverweigerung darzutun, müsse ausreichen.53 Zweitens sei die vorprozessuale Informationspflicht subsidiär, setze also voraus, dass der die Information Begehrende zur eigenen Information unverschuldet – also nicht auf Grund eigener Vergesslichkeit oder Unordnung – nicht in der Lage sei und dass sich die Vorgänge und Beweismittel in der gegnerischen Sphäre befinden und dem Einblick und Zugriff durch Außenstehende entzogen sind, so dass die Information anders nicht beschaffbar ist.54 Dritte Voraussetzung sei das Dartun eines gewissen Maßes an Plausibilität des Rechtsschutzbegehrens zum Schutz der informationspflichtigen Partei vor grundloser Belästigung. Diese Plausibilität liege stets vor, wenn nur die Anspruchshöhe oder das Bestehen von Einwendungen streitig sei. In diesem Sinne habe etwa der Schuldner eines Werklohnanspruchs die Besichtigung des Werkes zu dulden, wenn er sich auf Mängelrechte berufe. Sofern auch der Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 279. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 279 f. 51 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 280. 52 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 281. 53 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 275 f. 54 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 276 f. 49 50
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Anspruchsgrund selbst streitig sei, sei das Geltendmachen konkreter Anhaltspunkte für das Rechtsschutzbegehren erforderlich, wobei als Maßstab für den Vortrag von Anhaltspunkten die Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe herangezogen werden könnten, die für die Substantiierung im Prozess gelten.55 Berechtigte Geheimhaltungsinteressen seien grundsätzlich in gleicher Wiese zu berücksichtigen wie im Rahmen der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht. Allerdings gebiete im vorprozessualen Bereich anders als innerprozessual der Persönlichkeitsschutz darüber hinaus, dass die Inaugenscheinnahme der Wohnung des Gegners sowie die Information über Tatsachen, die über individuelle Abnormitäten Auskunft geben oder eine Bloßstellung der Persönlichkeit erlauben, nicht geschuldet seien, da hier die Förmlichkeiten der innerprozessualen Beweisaufnahme zum Schutz der Gegenpartei fehlen.56 Auch zum Zwecke des Schutzes des Unternehmensgeheimnisses sei ein weiter reichenderer Schutz als im innerprozessualen Bereich geboten; denn es fehle an einem § 174 Abs. 3 GVG vergleichbaren strafbewehrten Schutz gegen Weiterverbreitung des Geheimnisses. Zum anderen gehe es noch nicht um den endgültigen Wahrspruch und es könne sich im Prozessfall die Offenlegung des Geheimnisses noch erübrigen. Deshalb sei von einem Zugriff – in Gestalt der Preisgabe an einen neutralen Dritten, der nur das entscheidungserhebliche Ergebnis an die informationssuchende Partei weitergeben dürfe – allenfalls maßvoll Gebrauch zu machen.57 Die vorprozessuale kostensanktionierte Informationspflicht soll neben dem Verfahren gem. §§ 485 ff. ZPO bestehen. Auch zu etwaigen materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen bestehe kein Konkurrenzverhältnis, es stehe der Partei vielmehr frei, ob sie den materiellrechtlichen Informationsanspruch einklagen wolle, oder aber direkt ihre Hauptsacheansprüche verfolge mit Hilfe der prozessualen Aufklärungspflichten und ergänzt durch die vorprozessuale Informationspflicht. Letztere sei lediglich die risikoabsichernde Ergänzung der prozessualen Aufklärungspflicht.58 cc) Vorbereitender materiellrechtlicher Informationsanspruch Darüber hinaus besteht in dem Stürner’schen Konzept ein prozessvorbereitender materiellrechtlicher Informationsanspruch. Dieser stehe jeder Partei einer materiellrechtlichen Sonderverbindung gegen die Gegenseite zu, wenn die Gegenseite aufklärungsfähig ist und die Partei selbst unverschuldet nicht über die hinreichenden Unterlagen oder Kenntnisse verfügt, die erforderlich sind, um eine plausible Rechtsverfolgung vorzubereiten. Nur ausnahmsweise
Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 277. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 282. 57 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 283. 58 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 286. 55 56
A. Umsetzungsmodelle in der Literatur
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bestehe ein solcher Anspruch auch außerhalb einer materiellrechtlichen Sonderbeziehung, da eine Ausuferung vermieden werden müsse.59 Die grundsätzliche Beschränkung des materiellrechtlichen Informationsanspruchs leitet Stürner wie folgt her: das positive Recht selbst sehe ein Informationsbedürfnis in der Regel nur innerhalb rechtlicher Sonderbeziehungen vor. Vor allem aber stelle ein Informationsanspruch auf Offenbarung ungünstigen Prozessstoffs, der – anders als prozessuale Aufklärungspflichten – einklagbar und überdies auch noch zwangsweise durchsetzbar sei, einen empfindlichen Eingriff in die Rechtssphäre des Gegners dar. Ein solcher Eingriff sei aber nicht verhältnismäßig, wenn die vorprozessuale kostensanktionierte Informationspflicht als milderes Mittel zur Verfügung stehe. Demgegenüber sei der materiellrechtliche einklagbare und durchsetzbare Auskunftsanspruch – von wenigen Fällen abgesehen – „kein unverzichtbarer Bestandteil des Rechtsschutzes, sondern – überspitzt formuliert – prozesserleichternder Luxus“.60 Als Fälle, in denen auch außerhalb einer rechtlichen Sonderbeziehung ein Informationsanspruch gegeben sei, nennt Stürner das Informationsbedürfnis des potentiellen Gläubigers eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei begründetem Verdacht einer Schenkung durch den Erblasser, 61 sowie das Informationsbedürfnis des Insolvenzverwalters, der den begründeten Verdacht einer anfechtbaren Schenkung an den Ehegatten des Gemeinschuldners hegt.62 Weitere Voraussetzung des Informationsanspruchs sei neben der Sonderbeziehung ein Informationsinteresse, das eine gewisse Plausibilität des rechtlichen Angriffs oder der rechtlichen Verteidigung durch das Beibringen von Anhaltspunkten, die einen gewissen Wahrscheinlichkeitsgrad des vorgetragenen Rechtsstandpunkts ergeben, erfordere, um eine unbegründete Ausforschung und Belästigung der anderen Partei zu verhindern (ähnlich dem Erfordernis der Substantiierung im Prozess). 63 Dritte Voraussetzung ist die Unfähigkeit der informationssuchenden Partei, aus eigener Kraft Aufklärung zu betreiben (Grundsatz der Subsidiarität).64 b) Die Auffassung Stürners zu verbleibenden Defiziten im Jahr 2006 Im Jahr 2006 hat Stürner Vorschläge unterbreitet, die seiner Auffassung nach zur Behebung konkreter verbleibender Defizite geeignet sind. In der vorprozessualen Phase schlägt Stürner u.a. kostensanktionierte Informationspflichten nach englischem Vorbild, den Ausbau materiellrechtlicher AuskunftsanStürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 379 sowie im Einzelnen S. 319 f. Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 318. 61 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 319. 62 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 320 f. 63 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 329. 64 Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 336 ff. 59 60
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sprüche, insbesondere im Bereich der gewerblichen Schutzrechte und anderer wirtschaftlicher Delikte vor (zum Beispiel Wettbewerbsverletzungen, Regelverletzungen im Bereich des Wertpapierhandels). Solche materiellrechtlichen Auskunftsansprüche hätten zwar gegenüber innerprozessualen Aufklärungspflichten und vorprozessualen kostensanktionierten Pflichten den Nachteil, dass sie häufig eine Prozessdoppelung zur Folge hätten. Allerdings hätten sie den Vorteil, dass sie durch einstweilige Maßnahmen, die den Zugriff auf Beweismittel und damit deren Erhaltung erlauben, gesichert werden könnten.65 Im innerprozessualen Bereich soll nach Auffassung von Stürner die aus der Neufassung der §§ 142 ff. resultierende inhaltliche Zweispurigkeit zu den §§ 373, 422 f. ZPO zwischen partei- und amtswegiger Aufklärungsanordnung beseitigt werden. 66 Herzstück der innerprozessualen Neuerungen solle die Etablierung einer Generalklausel zumutbarer Mitwirkung nach französischem Vorbild sein, die den Parteien die nachteilssanktionierte Pflicht auferlegt, zumutbare Aufklärungsbeiträge zu leisten. Auf diese Art und Weise würde eine gesetzliche Grundlage für die in der Rechtsprechung mit großer Unsicherheit bereits praktizierten Mechanismen, wie etwa die Erklärungslast über Tatsachen in der eigenen Sphäre, welche der Gegner nicht kennen kann, die Pflicht zur Entbindung von Geheimhaltungspflichten sowie die Pflicht zur medizinischen Untersuchung, etabliert.67 Schließlich schlägt Stürner zur Auflösung des Spannungsfelds zwischen Parteiöffentlichkeit und Geheimnisschutz die Einrichtung eines Geheimverfahrens nach dem Vorbild anderer Rechtsordnungen vor, in dem eine volle Kenntnisnahme durch das Gericht und einen schweigepflichtigen Sachverständigen erfolgt, in dem der Gegenpartei jedoch nur die Art der Beweiserhebung sowie die unverfänglichen Ergebnisse offengelegt werden.68 3. Beckhaus Beckhaus69 plädiert im Anschluss an Stürner sowie die RL 2004/48/EG für die Einführung einer allgemeinen materiellrechtlichen und einer allgemeinen prozessualen Informationsleistungspflicht, die identische Tatbestandsvoraussetzungen haben sollen und unabhängig voneinander bestehen. Die Partei in Informationsnot soll dabei frei wählen können, ob sie zunächst gesondert den allgemeinen materiellrechtlichen Informationsanspruch geltend macht, im Wege der Stufenklage vorgeht oder aber unmittelbar Klage erhebt und sich dabei auf den allgemeinen prozessualen Informationsanspruch stützt. Bei anders nicht zu behebender Informationsnot und dem hinreichend wahrStürner, in: FG Vollkommer, 2006, S. 201, 212. Stürner, in: FG Vollkommer, 2006, S. 201, 213. 67 Stürner, in: FG Vollkommer, 2006, S. 201, 213. 68 Stürner, in: FG Vollkommer, 2006, S. 201, 215. 69 Beckhaus, Informationsdefizite, 2010. 65 66
B. Der Kommissionsentwurf 1975
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scheinlichen Bestehen des Hauptanspruchs soll die Verpflichtung der nicht risikobelasteten Partei zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung die Regel sein.70 Der Vorschlag Beckhaus’ zur materiellrechtlichen Informationsleistungspflicht zielt im Wesentlichen auf eine Kodifizierung des bestehenden materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB, allerdings modifiziert durch die von Osterloh-Konrad geforderten Erleichterungen. Im Unterschied zu Osterloh-Konrad postuliert Beckhaus jedoch keine Subsidiarität des materiellrechtlichen Informationsanspruchs.71 Der prozessrechtliche Informationsanspruch beruht im Wesentlichen auf den Vorarbeiten Gottwalds und Stürners und wurde durch einen Vorschlag zur Verankerung des Geheimnisschutzes ergänzt. Herzstück des Vorschlags ist neben der gesetzlichen Verankerung der materiellrechtlichen allgemeinen Informationsleistungspflicht ein neuer § 138 Abs. 2 ZPO: „Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Jede Partei hat zudem bei einer auf konkreten Anhaltspunkten beruhenden Tatsachenbehauptung des Gegners, die einen Anspruch hinreichend wahrscheinlich macht, alle verfügbaren oder beschaffbaren erheblichen Informationen zur Vorbereitung und Durchsetzung des infrage stehenden Anspruchs zu offenbaren, wenn der Gegner im Ungewissen über Bestehen oder Umfang seines Rechts ist, obwohl er sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen ausgeschöpft hat, es sei denn, die Offenbarung ist unzumutbar.“72
B. Der Kommissionsentwurf 1975 Die vom Bundesministerium der Justiz im Jahr 1964 einberufene Kommission für das Zivilprozessrecht hat in ihrem im Jahr 1975 vorgelegten Bericht zu dem hier interessierenden Thema des Zugangs zu Information und Beweis neben der oben73 bereits dargestellten Neufassung des § 142 ZPO insbesondere hinsichtlich § 286 Abs. 2 und 374 folgende Neuerungen vorgeschlagen: „(2) Absatz (1) gilt auch, wenn eine Partei den Beweis nicht führen kann, weil der Gegner das Beweismittel vorenthalten, entzogen oder unbrauchbar gemacht hat. (3) Hat der Gegner schuldhaft eine Pflicht verletzt, das Beweismittel zur Verfügung zu stellen, zu erhalten oder sonst seine Benutzbarkeit nicht zu beeinträchtigen, so kann das Gericht auch von einer Umkehrung der Beweislast ausgehen.“75
Beckhaus, Informationsdefizite, 2010, S. 400 ff. Beckhaus, Informationsdefizite, 2010, S. 338 ff. 72 Beckhaus, Informationsdefizite, 2010, S. 404. 73 Siehe S. 105 f., Fn. 151. 74 Heute nur denkbar als Abs. 3 und 4, da mittlerweile ein neuer Abs. 2 in § 286 ZPO eingefügt worden ist, der im Übrigen im Wesentlichen dem von der Kommission vorgeschlagenen § 286 Abs. 5 entspricht. 75 Bericht der Kommission, 1977, S. 332. 70 71
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten
Für den Urkundsbeweis schlägt die Kommission eine erweiterte Urkundenvorlagepflicht in § 142 Abs. 2 ZPO76 neben den Fällen des Herausgabe- oder Vorlageanspruchs nach materiellem Recht bzw. der Vorlegungspflicht des Gegeners im Falle der Bezugnahme vor: „Der Gegner ist auch sonst zur Vorlegung der Urkunde verpflichtet. Dies gilt nicht, soweit er glaubhaft macht, daß 1. ihm mit Rücksicht auf die über die Entscheidung des Rechtsstreits hinausreichenden Folgen die Vorlegung nicht zugemutet werden kann oder er durch die Vorlegung überwiegend schutzwürdige Belange Dritter, insbesondere ein Persönlichkeitsrecht, ein Geschäftsgeheimnis oder eine Verschwiegenheitspflicht, verletzen würde.“77
Explizit lehnt die Kommission jedoch eine allgemeine prozessuale Vorlegungspflicht für alle Urkunden nach ausländischem Vorbild ab. Gleiches gilt für eine Erweiterung der materiellrechtlichen Vorlegungspflicht nach § 810 BGB. Die Kommission begründet diese Ablehnung damit, dass der Urkundsbeweis gegenüber allen anderen Beweismitteln in seiner Wertigkeit solches Gewicht für den Prozessausgang habe, dass dies bei den Folgen verweigerter Mitwirkung berücksichtigt werden müsse.78 Zur Wahrung berechtigter Interessen sieht § 420 vor: „Ist im Falle des § 419 Abs. 2 nur ein Teil der Urkunde für den Beweis erheblich oder beschränkt sich nach § 419 Abs. 2 Satz 2 die Vorlegungspflicht auf einen Teil der Urkunde, so kann ein öffentlich beglaubigter Auszug vorgelegt werden. In dem Beglaubigungsvermerk soll der Gegenstand des Auszugs vermerkt und bezeugt werden, daß sich die Urkunde im Übrigen nicht auf diesen Gegenstand bezieht oder worauf die Auslassung sonst beruht.“79
§ 419 ZPO soll für die Verpflichtung einer Partei, den Augenschein an einer in ihren Händen befindlichen Sache zu dulden, entsprechend gelten (§ 372 S. 1 des Vorschlags der Kommission).80 Gem. § 372 S. 2 des Vorschlags kann das Gericht die Vorlegung anordnen, wenn sie zumutbar ist.
76 Heute denkbar als § 423 a ZPO hinter § 422 (Vorlegungspflicht des Gegners nach bürgerlichem Recht und § 423 ZPO (Vorlegungspflicht des Gegners bei Bezugnahme). 77 Bericht der Kommission, 1977, S. 351. 78 Bericht der Kommission, 1977, S. 146. 79 Bericht der Kommission, 1977, S. 351. 80 Bericht der Kommission, 1977, S. 339.
C. Umsetzungsmodelle des Soft-law und der europäischen Gesetzgebung
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C. Umsetzungsmodelle des Soft-law und der europäischen Gesetzgebung I.
Storme-Kommission
Bei der Suche nach einer Lösung de lege ferenda sollen schließlich auch die Vorschläge berücksichtigt werden, die auf europäischer Ebene erarbeitet worden sind. In diesem Kontext ist der Storme-Entwurf aus dem Jahr 1993 zu nennen, der zunächst als europäisches Modell-Zivilprozessgesetzbuch konzipiert werden sollte, auf Grund fehlender Einigung in einigen wichtigen Teilbereichen81 im Ergebnis nur als Sammlung von Teilentwürfen veröffentlicht worden ist.82 Für den Bereich der Sachverhaltsaufklärung war Jolowicz zuständig. Er ist der Grundüberzeugung verpflichtet, „[that] it is in the interest of justice that as full information as possible should be available to the court.“83 Der Teilentwurf enthält lediglich Regeln zur Dokumentenvorlage, nicht aber bezüglich einer allgemeiner gehaltenen prozessualen Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung von Informationen und Augenscheinsobjekten. 84 Im Hinblick auf die Dokumentenvorlage sieht der Entwurf in Art. 4.1.1 eine ohne richterliche Anordnung bestehende, automatische Verpflichtung vor, zu Beginn des Verfahrens eine Liste mit sämtlichen Dokumenten anzufertigen, die sich im eigenen Besitz oder Zugangsbereich befinden und die für den Rechtsstreit relevant sind. Relevanz bedeutet dabei, dass ein Bezug zu jedenfalls einem der Streitpunkte gegeben sein muss. 85 Dieser Begriff ist daher nicht mit dem engen deutschen Begriff der Entscheidungserheblichkeit zu verwechseln, der Schlüssigkeit und Erheblichkeit voraussetzt. Ob der Relevanzbegriff des Storme-Entwurfs eher in dem sehr weiten Sinne der mittlerweile überholten Peruvian-Guano-Formel zu verstehen ist, oder aber im Sinne der moderneren englischen Formel von der unmittelbaren Relevanz, kann dahinstehen, da als Vorbild für eine deutsche Regelung in Überein-
81 Wie Gerichtsorganisation, Zuständigkeiten, Schiedsverfahren und Familienprozessrecht. 82 Storme (Hrsg.), Rapprochement, 1994, S. 54, 62. Die Teilentwürfe basieren auf Vorschlägen der Berichterstatter, die diese anhand von Länderberichten der zwölf beteiligten EU-Mitgliedstaaten erarbeitet haben. Die Berichterstatter selbst stammen überwiegend aus der Wissenschaft, teilweise aber auch aus der Praxis. Vgl. dazu weitergehend Storme, RabelsZ 56 (1992), S. 290, 298. 83 So Storme (Hrsg.), Rapprochement, 1994, S. 97. 84 Dies bemängelt auch Roth, ZZP 109 (1996), S. 271, 293 f. 85 So die Einzelbegründung zu Art. 4.1.1 in Storme (Hrsg.), Rapprochement, 1994, S. 129: „A document is relevant if, and only if, it relates to one or more of the matters in controversy between the parties“.
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten
stimmung mit dem deutschen Beweisrecht jedenfalls nur ein im Sinne von Entscheidungserheblichkeit verstandener Relevanzbegriff dienen kann.86 Die Grundstrukturen, in die diese discovery-Regeln eingebettet sein sollen, sind den deutschen Grundregeln zum Sachvortrag durchaus vergleichbar. Auch hier geht man von der Existenz der Beweislastverteilung aus, die im Wesentlichen der allgemeinen Grundregel des deutschen Rechts entspricht, wonach der Kläger die Beweislast für die anspruchsbegründenden, der Beklagte diejenige für die anspruchshindernden oder -hemmenden Tatsachen trägt, oder wie Storme es formuliert, dass der Kläger die Beweislast trägt „in respect of events which have effect of creating the rights“, wohingegen der Beklagte beweisbelastet ist „in respect of events which inhibit, annul or suspend rights“.87 Die Pflicht zur Anfertigung der Dokumentenliste entsteht erst, wenn gem. Art. 2.1.3.1 der der Klage zugrunde liegende Sachverhalt unter Benennung der Beweismittel skizziert worden ist. Inwieweit hier eine dem deutschen Recht vergleichbare Substantiierung gefordert ist, geht aus dem Entwurf nicht eindeutig hervor. Insofern erübrigt sich ebenfalls jede Spekulation, da im Hinblick auf eine deutsche Umsetzung, die ja derzeit ohne europarechtliche Vorgaben erfolgen könnte, jedenfalls grundsätzlich – wie oben bereits erörtert – an dem deutschen Substantiierungserfordernis festzuhalten ist.88 Der Ablauf der discovery soll zweistufig sein: zunächst soll eine Liste mit allen Dokumenten angefertigt und zur Verfügung gestellt werden und sodann Einsicht in alle von der Gegenseite geforderten Dokumente gewährt werden, sofern ein Weigerungsrecht nicht geltend gemacht wird. Unklar bleibt, wie genau der technische Ablauf der discovery in einer Rechtsordnung aussehen soll, die über kein pre trial-Verfahren verfügt, insbesondere ob der Austausch der Dokumentenlisten vor dem erkennenden Gericht stattfinden soll, oder aber – wie teilweise nach wie vor in England – vor einem anderen Organ.89 Für die Frage der in Art. 4.2.1 verankerten Weigerungsrechte ist der StormeEntwurf nicht hilfreich, da er die konkrete Ausgestaltung den jeweiligen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten überlässt. Insgesamt entspricht der Vorschlag – mit Ausnahme der sehr viel weiter reichenden Möglichkeiten der Heranziehung Dritter – weitgehend der zur Zeit der Tagung der Storme-Kommission noch geltenden Rechtslage im Eng-
86 Einen Überblick über den Meinungsstand zum Relevanzbegriff gibt Lang, Aufklärungspflicht, 1999, S. 228 f. 87 Storme (Hrsg.), Rapprochement, 1994, S. 65. Dieser Satz ist zwar nicht explizit in den Vorschlag des Entwurfs aufgenommen worden, wurde aber vom Generalberichterstatter Storme als allgemeiner Ausdruck der Konzepte der europäischen Länder betrachtet. 88 Vgl. zum Meinungsstand im Hinblick auf das Substantiierungserfordernis Lang, Aufklärungspflicht, 1999, S. 229 f. 89 Vgl. dazu Roth, ZZP 109 (1996), S. 271, 293.
C. Umsetzungsmodelle des Soft-law und der europäischen Gesetzgebung
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land vor den Woolf-Reformen, was nicht zuletzt auch an den Überzeugungen der Person des Berichterstatters Jolowicz liegen mag.90 II. ALI/UNIDROIT Principles Bedeutendes Projekt auf internationaler Ebene sind die im Jahr 2004 von ALI und UNIDROIT verabschiedeten Principles of Transnational Civil Procedure, die jedoch bislang nicht in staatliches Recht umgesetzt worden sind.91 Kengyel, ZVglRWiss 101 (2002), S. 260, 279. Dabei handelt es sich um ein von Geoffrey Hazard und Michele Taruffo Mitte der 90er Jahre initiiertes gemeinsames Projekt von UNIDROIT (der weltweit wichtigsten Organisation für Rechtsvereinheitlichung und Rechtsharmonisierung, an der ca. 60 Staaten beteiligt sind) sowie ALI (American Law Institute), das die Harmonisierung des Rechts der einzelnen US-Bundesstaaten zum Gegenstand hat. ALI beschloss im Jahre 1997, das Projekt auf Basis der ursprünglichen Entwurfsarbeiten von Hazard und Taruffo zu fördern, dem UNIDROIT im Jahre 2000 beitrat, allerdings unter gemeinsamer und grundlegender Umformulierung von Gegenstand und Ziel des Projekts. Die Principles definieren grundlegende verfahrensrechtliche Anforderungen an gerichtliche Verfahren. Unmittelbarer Ausgangspunkt und Anwendungsbereich der Principles ist der Prozess in Handelssachen, da die commercial litigation in der Regel außerhalb des Anwendungsbereichs des USamerikanischen jury-Verfahrens liegt und damit eines der größten prozesskulturellen Probleme, das es bei einer Harmonisierung zu überwinden gilt, weitestgehend außer Betracht bleiben konnte, vgl. Stürner, ZZP Int 11 (2006), S. 381, 383. Ferner wurden auf diesem Gebiet bereits erhebliche Vorarbeiten durch die mannigfachen Projekte der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit geleistet. Über den unmittelbaren Bereich der internationalen Handelssachen hinaus wird der Anwendungsbereich der Principles aber auch allgemein als Grundlage künftiger Reformen des Zivilprozesses gesehen, da sie weltweit akzeptierte und akzeptable Standards formulieren. Den Principles wurden so genannte Rules als Reporter’s Study als Anhang beigefügt. Diese Rules enthalten Musterbeispiele für die Umsetzung der allgemein gehaltenen Principles. Ausgangspunkt des von Hazard und Taruffo intendierten und von ALI unterstützten Projekts war in der Tat die Arbeit an einer Art Verfahrensrechtskodex für transnationale Zivilverfahren mit detaillierten Regelungen gewesen. Diese ursprünglich entwickelten Rules for Transnational Civil Procedure sollten einen Kompromiss zwischen dem Zivilprozess kontinentaler Prägung und dem amerikanischen Vefahrensrecht darstellen, waren jedoch im Ergebnis deutlich stärker an das amerikanische Modell angelehnt. Als UNIDROIT dem Projekt beitrat, geschah dies auf der Basis, dass anstelle der Rules zunächst Principles entwickelt werden sollten, da zum einen der Graben zwischen den Kulturen noch als zu tief erachtet wurde, um ein konkretes Verfahrensgesetzbuch zu entwickeln und zum anderen den einzelnen Staaten die Möglichkeit der Umsetzung gegeben werden sollte, die den jeweiligen einzelstaatlichen Besonderheiten Rechnung trägt. Aus diesem Grunde wurden am Ende auch nur die Principles und nicht auch die Rules, die Ausgangspunkt gewesen waren, und auch im Laufe der Arbeit an den Principles beständig weiterentwickelt wurden, den beiden Institutionen ALI und UNIDROIT zur formalen Annahme vorgelegt. Die Rules wurden gleichwohl als Annex beigefügt, um ein denkbares Umsetzungsmodell vorzustellen, das einen gangbaren Kompromiss zur Überbrückung der kulturellen Unterschiede darstellt. Vgl. zu alledem Stürner, RabelsZ 69 (2005), S. 201, 212 ff. 90 91
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten
Den Zugang zu Information und Beweis regeln die Principles in Principle 16, Sanktionen gegen Verstöße in Principle 17, Beweislast und Beweismaß in Principle 21, und die Aufgabenverteilung zwischen Partei und Gericht bei der Sachverhaltsaufklärung in Principle 22. Weigerungsrechte und Immunitäten finden sich in Principle 18. Principle 16.1 postuliert den Grundsatz, dass Gericht und Parteien grundsätzlich Zugang zu allen Beweismitteln haben sollen, die erheblich sind und nicht dem Schutz von Weigerungsrechten unterliegen. Dieser Grundsatz entspricht einer allgemeinen Tendenz und fordert, dass jegliches relevantes und nicht privilegiertes Beweismaterial – egal ob in den Händen einer Partei oder eines Dritten – als Informationsbasis für den Rechtsstreit zur Verfügung gestellt werden muss. 92 Die Principles erteilen ferner dem im deutschen Recht so oft bemühten nemo tenetur-Grundsatz eine Absage, indem sie in Principle 16.2, S. 2 statuieren: „Der Offenlegung kann nicht mit der Begründung widersprochen werden, dass das Beweismittel einer Partei oder dem offenlegenden Dritten nachteilig sein könnte.“ Eine dritte klare Aussage treffen die Principles mit Principles 16.1 und 16.2 dahingehend, dass das Zugangsrecht zu Information und Beweis nur bezüglich erheblicher, nicht privilegierter Beweismittel besteht, eine Beweisausforschung nach amerikanischem Vorbild also nicht zulässig ist. 93 Unklar ist demgegenüber, wie der verbürgte Anspruch der Parteien auf Zugang zu den relevanten, nicht privilegierten Beweismitteln aussehen soll.94 Principle 16.2 S. 1 sieht insofern lediglich vor, dass auf rechtzeitigen Antrag einer Partei das Gericht die Anordnung solchen Beweismaterials anordnen soll, sofern es sich in Besitz oder unter Kontrolle einer Partei oder eines Dritten befindet. Diese Regelung zur richterlichen Anordnung geht weiter als die §§ 142, 144 ZPO, die die Anordnung lediglich in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts stellen, wohingegen es sich bei Principle 16.2 S. 1 um eine Soll-Vorschrift handelt.95 Ferner lassen die Principles die Frage offen, ob und inwieweit wechselseitige Vorlageansprüche der Parteien unabhängig von einer richterlichen Anordnung bestehen und ab welchem Zeitpunkt eine richterliche Anordnung ergehen kann bzw. ein etwaiger Anspruch der Parteien auf Vorlage besteht, insbesondere ob diese bereits vorprozessual eingreifen können. Während die Principles selbst explizit keine Regelungen über die wechselseitigen Vorlageansprüche der Parteien mehr treffen, war in Rule 22.4 des Final Draft im März 2004 ursprünglich noch das Recht der Parteien vorgesehen, ein Vorlagebegehren direkt an die Gegenpartei zu richten, wobei
Stadler, in: Essays Kerameus, 2009, S. 1355, 1367. Gottwald, in: FS Leipold, 2009, S. 33, 42. 94 Gottwald, in: FS Leipold, 2009, S. 33. 41. 95 Gottwald, in: FS Leipold, 2009, S. 33, 41. 92 93
C. Umsetzungsmodelle des Soft-law und der europäischen Gesetzgebung
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diese verpflichtet sein sollte, dem Verlangen nachzukommen. 96 Recht allgemein gehalten sind ferner die Ausführungen zu beweisrechtlichen Weigerungsrechten und Immunitäten. So heißt es in Principle 18.1 nur ganz generell, dass bei der Offenlegung von Informationen und Beweismitteln Immunitäten und andere Formen des Schutzes von Parteien und Dritten beachtet werden sollen und bei der Abwägung der Verhängung mittelbarer und unmittelbarer Sanktionen durch das Gericht berücksichtigt werden sollen (Principle 18.2 und 18.3). Auf einen abschließenden Katalog allgemein anerkannter oder wünschenswerter Weigerungsrechte konnte man sich wegen weit reichender Diskrepanzen zwischen dem anglo-amerikanischen und dem kontinentaleuropäischen Verständnis ebenso wenig einigen wie auf einen Mindestkatalog. III. RL 2004/48/EG Im Bereich des geistigen Eigentums ist eine Ausweitung der Möglichkeiten der Informations- und Beweismittelbeschaffung mit dem oben 97 bereits angesprochenen, am 11. April 2008 verabschiedeten und am 1. September 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums geschaffen worden. Dieses Gesetz dient in erster Linie der Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vom 29. April 2004 (Enforcement-Richtlinie),98 die die Mitgliedstaaten der EU zur Harmonisierung von Vorschriften zum Zwecke der effektiven Durchsetzung der Immaterialgüterrechte verpflichtet. Die Enforcement-Richtlinie knüpft an das TRIPS-Übereinkommen vom 15. April 199499 an, erweitert den Schutz jedoch erheblich.100 1. Ziel und Inhalt der Richtlinie Ziel sowohl der Richtlinie als auch des Umsetzungsgesetzes ist die Stärkung der Stellung der Rechtsinhaber im Kampf gegen Produktpiraterie und sonstige Schutzrechtsverletzungen. Gem. Art. 6 RL besteht ein grundsätzliches Recht auf Auskunft. Dieses soll insbesondere Auskünfte über Ursprung und Vertriebswege von Waren und Dienstleistungen erfassen. Dieses Auskunftsrecht soll gem. Art. 6 Abs. 3 RL unbeschadet anderer weiter reichender BeGottwald, in: FS Leipold, 2009, S. 33, 42. S. 94 f. 98 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, berichtigte Fassung, ABl. EU Nr. L 157/45. 99 Das TRIPS-Übereinkommen ist eine internationale Vereinbarung, die im Wege der Rechtsangleichung einen möglichst wirksamen Schutz von Immaterialgüterrechten in ihren Mitgliedstaaten – den Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) – anstrebt. 100 Vgl. Grünbuch KOM(1998) 569 endg. v. 15.10.1998, S. 13 f. 96 97
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten
stimmungen bestehen. Es ist gem. Art. 6 Abs. 1 RL allerdings so umzusetzen, dass die Gerichte auf Antrag des Klägers die Möglichkeit haben, eine solche Anordnung unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu erlassen. 2. Umsetzungsbedarf im Hinblick auf Art. 6 RL In Deutschland war auf Grund des Erlasses der Richtlinie ein Umsetzungsbedarf gegeben, da das deutsche Recht den in Art. 6 postulierten Anforderungen in zweierlei Hinsicht nicht gerecht wurde. Zum einen sah das deutsche Recht keine Möglichkeit vor, die Vorlage von Beweismitteln durch den Gegner zu erzwingen. Vielmehr kam anstelle der Erzwingung als Sanktion verweigerter Mitwirkung nur eine negative Würdigung im Rahmen der §§ 286, 287, 427 ZPO in Betracht. Art. 6 RL wird demgegenüber so ausgelegt, dass dieser eine Erzwingbarkeit postuliere, obgleich eine solche im Wortlaut von Art. 6 RL nicht explizit enthalten ist. 101 Das immanente Erfordernis der Erzwingbarkeit wird aus der in Art. 3 Abs. 2 RL geforderten wirksamen Ausgestaltung der Maßnahmen sowie aus einem Vergleich mit Art. 43 Abs. 2 TRIPS – dem Art. 6 RL nachgebildet ist – der eine negative Beweiswürdigung als Sanktion noch explizit als ausreichend bezeichnet hatte, abgeleitet. 102 Zum anderen resultierte der Umsetzungsbedarf daraus, dass Art. 6 RL in Übereinstimmung mit seiner Überschrift so ausgelegt wird, dass er einen Anspruch der Parteien fordert, wohingegen der Erlass einer Vorlageanordnung gem. §§ 142, 144 ZPO im Ermessen des Gerichts steht.103 Auch der Beweisantrag gem. §§ 809 BGB, 422 ZPO ist wegen der hohen Anforderungen des § 809 BGB nicht vergleichbar weitreichend wie Art. 6 RL, der lediglich eine „hinreichende Begründung des Anspruchs“ verlangt, wohingegen mit Ausnahme der im Urheberrecht abgesenkten Anforderungen auf eine „gewisse Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung“ 104 in den anderen Bereichen des geistigen Eigentums, insbesondere dem Patentrecht („Erheblicher Grad an Wahrscheinlichkeit“) 105 deutlich strengere Anforderungen zu stellen waren.106 3. Umsetzung in Deutschland Die Richtlinie ließ offen, ob der Umsetzungsbedarf durch Schaffung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche oder im Wege einer prozessualen RegeVgl. Stadler, in: FS Leipold, 2009, S. 201, 202 f. So Stadler, in: FS Leipold, 2009, S. 201, 202 f. 103 Vgl. Stadler, in: FS Leipold, 2009, S. 201, 202 f. 104 Faxkarten-Entscheidung, BGH v. 2.5.2002, BGHZ 150, 380. 105 Hier gilt noch die Druckbalken-Entscheidung, BGH v. 8.1.1985, NJW-RR 1986, 480. 106 So Stadler, in: FS Leipold, 2009, S. 201, 202 f. 101 102
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lung zu befriedigen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Rahmen der Umsetzung für den in der Literatur überwiegend 107 geforderten materiellrechtlichen Weg entschieden und in den Sondergesetzen des geistigen Eigentums einen Anspruch auf Informations- und Beweisbeschaffung verankert, der lediglich eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung“ voraussetzt (§§ 140 c PatG, 24 c GebrMG, 19 a, 128, 135 MarkenG, 9 HalbleiterschutzG, 101 a UrhG, 46 a GeschmMG, 37 c SortenschutzG). Nach Auffassung des Gesetzgebers entspricht diese Form der Umsetzung der in den Auskunftsansprüchen der §§ 809, 810 BGB zum Ausdruck kommenden deutschen Systematik. 108 Demgegenüber hätte eine prozessuale Lösung den Vorteil gehabt, dass sie dem Informationsbedürfnis nicht nur in den von der RL unmittelbar erfassten Schutzrechtsinhaber-Fällen, sondern auch in allen anderen Fällen (etwa zugunsten des Erschaffers eines Produktionsverfahrens, das nicht patentiert worden ist oder zugunsten des Opfers einer Wettbewerbsverletzung im Rahmen der Berechnung des Verletzergewinns) gerecht geworden wäre.109 4. Gelungenheit der Umsetzung in Deutschland Die Gelungenheit der Umsetzung in deutsches Recht soll nunmehr exemplarisch anhand des § 140 c PatG untersucht werden. Gem. § 140 c Abs. 1 S. 1 PatG kann der Rechtsinhaber von demjenigen, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entgegen § 9 bis § 13 PatG eine patentierte Erfindung benutzt, die Vorlage einer Urkunde, Besichtigung einer Sache oder eines Verfahrens, das Gegenstand des Patents ist, verlangen, wenn dies zur Begründung seiner Ansprüche erforderlich ist. Dieser Anspruch erstreckt sich gem. § 140 c Abs. 1 S. 2 PatG auch auf die Vorlage von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen, sofern die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung besteht. Der Vorlage- und Besichtigungsanspruch ist gem. § 140 c Abs. 2 PatG ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Ferner kann der vermeintliche Verletzer geltend machen, dass die begehrte Besichtigung oder Vorlage vertrauliche Informationen zum Gegenstand hat. In diesem Fall trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz zu gewährleisten, § 140 c Abs. 1 S. 3 PatG. Die vorbezeichneten Ansprüche können gem. § 140 c Abs. 3 PatG im Wege einer einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 ZPO vorläufig durchgesetzt werden. Wenn die einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Gegners
107 Bornkamm, in: FS Ullmann, 2006, S. 893, 896; Ahrens, GRUR 2005, S. 837 ff.; Tilmann, GRUR 2005, S. 737. 108 BT-Drucks. 16/5048, S. 27. 109 So Stadler, in: FS Leipold, 2009, S. 201, 202 f.
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten
ergeht, trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten. Die Erstreckung auch auf Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen ist von Haedicke zu Recht scharf kritisiert worden, da diese in der Tat die Gefahr der Ausforschung mit sich bringt, wohingegen der aus derartigen Unterlagen zu ziehende Erkenntnisgewinn regelmäßig gering ist. 110 Haedicke weist zutreffend darauf hin, dass der Zugang zur Information nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, wenn ein Informationsanspruch hinsichtlich derartiger sensibler Daten zu Unrecht durchgesetzt wird und sich später herausstellt, dass eine Rechtsverletzung gar nicht vorlag.111 Zwar gewährt § 140 c Abs. 5 PatG einen Schadensersatzanspruch für den Fall, dass tatsächlich gar keine Verletzung vorlag oder drohte, so dass der vermeintliche Verletzer von demjenigen, der die Vorlage oder Besichtigung begehrt hat, den Ersatz des ihm durch das Begehren entstandenen Schadens verlangen kann. Allerdings wird der Schaden im Fall der zu Unrecht preisgegebenen sensiblen Information nur in den seltensten Fällen bezifferbar sein.112 Die für die Erstreckung auf Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen einschränkende Voraussetzung der im gewerblichen Ausmaß begangenen Rechtsverletzung erachtet Haedicke richtigerweise nicht als zielführende Einschränkung, da das Patentrecht – wie sich aus § 11 Nr. 2 PatG ergebe – ohnehin nur gewerbliches Handeln erfasse, und da überdies ein gewerbliches Ausmaß bereits dann anzunehmen sei, wenn die Verletzung zum Zwecke der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile vorgenommen werde, was bei Patentverletzungen in der Regel der Fall sei.113 Allerdings wird es zum einen häufig an dem Merkmal der Erforderlichkeit der Vorlage der Geschäftsunterlagen und zum anderen an der in der Gesetzesbegründung geforderten hinreichend genauen Bezeichnung der begehrten Unterlagen fehlen.114 Da das Umsetzungsmodell an das bisherige System materiellrechtlicher Auskunftsansprüche und somit insbesondere an die §§ 809, 810 BGB anknüpft, ist bezüglich der Maßnahmen zum Schutz berechtigter Geheimhaltungsinteressen in erster Linie an die dort bislang diskutierten Schutzmechanismen, allen voran den sogenannten Wirtschaftsprüfervorbehalt sowie das in camera-Verfahren zu denken.115 Die Sorge von Haedicke, dass der Gesetzgeber mit der Umsetzung der Enforcement-Richtlinie im Sondergebiet des Rechts des geistigen Eigentums – obgleich sich eine vergleichbare Beweisnot auch in vielen anderen Bereichen stelle – aus einem ausdifferenzierten zivilrechtlichen und zivilproSo Haedicke, in: FS Leipold, 2009, S. 53 ff. Haedicke, in: FS Leipold, 2009, S. 53, 55. 112 So Haedicke, in: FS Leipold, 2009, S. 53, 55. 113 Haedicke, in: FS Leipold, 2009, S. 53, 57. 114 BT-Drucks. 16/5048, S. 40. 115 Vgl. Haedicke, in: FS Leipold, 2009, S. 53, 59 f. 110 111
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zessualen Gefüge der Informationspflichten ausgebrochen sei, ohne in hinreichendem Umfang Sicherungsmaßnahmen für die zu Informationszwecken herangezogene Partei zu sorgen, erscheint berechtigt.116 Ob – wie im deutschen Umsetzungsmodell zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums gewählt – eine materiellrechtliche Lösung tatsächlich Vorzug vor einer prozessualen Lösung der Informationsnot verdient, wird sogleich117 zu untersuchen sein. IV. Weißbuch von 2008 im Kartellrecht In dem von der Europäischen Kommission am 2. April 2008 herausgegebenen Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“ beschäftigt sich die Kommission mit der Frage, wie dem Bedürfnis nach besserem Zugang zu Beweismitteln im Kartellrecht Rechnung getragen werden kann.118 Dieses gesteigerte Bedürfnis führt sie zum einen auf die große Tatsachenintensität des wirtschaftsnahen Kartellrechts, zum anderen auf die typische Informationsasymmetrie der kartellrechtlichen Fallgestaltungen, in denen sich die Beweismittel häufig in der Sphäre des Gegners oder eines Dritten befinden, zurück. Als dritten Faktor nennt sie die strengen Anforderungen vieler Mitgliedstaaten zum substantiierten Tatsachenvortrag.119 Das Weißbuch geht dabei davon aus, dass einerseits der im Kartellrecht bestehenden strukturellen Informationsasymmetrie entgegengewirkt werden muss und andererseits negative Auswirkungen von zu extensiven Offenlegungspflichten zu vermeiden sind. 120 Als derartige negative Auswirkungen werden im Commission Staff Working Paper fishing expeditions, discovery blackmail, sonstiger prozessrechtlicher Missbrauch sowie unkontrollierbare Kosten für potentielle Beklagte genannt.121 Die Kommission schlägt vor, dass für Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts ein Mindeststandard für die Offenlegung von Beweismitteln zwischen den Streitparteien festgelegt wird.122 Die – insbesondere noch im Grünbuch – in Betracht gezogene Alternativlösung durch eine Lockerung der Anforderungen an das Beweismaß bzw. eine Beweislastverschiebung hat die Kommission im Weißbuch nicht mehr verfolgt. Die Zugangsprobleme des Klägers in Kartellrechtsfällen zu Information und Beweis seien derart ausgeprägt, dass – wenn man die Informationsasymmetrie auf diese Weise ausgleichen wollte – Haedicke, in: FS Leipold, 2009, S. 53, 62. Vgl. unten, S. 342 ff. 118 Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts, KOM(2008) 165 endg. v. 2.4.2008. 119 Commission Staff Working Paper, Rn. 87. 120 Weißbuch KOM(2008) 165 endg. v. 2.4.2008, S. 5. 121 Commission Staff Working Paper, Rn. 70. 122 Weißbuch KOM(2008) 165 endg. v. 2.4.2008, S. 5 f. 116 117
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten
die Anforderungen an das Beweismaß derart stark gesenkt werden müssten (zum Beispiel Ausreichen eines plausiblen Verdachts), dass es umgekehrt zu einer erheblichen Missbrauchsgefahr sowie einer erheblichen Gefahr sachlich inkorrekter Entscheidungen käme.123 Ein vergleichbares Missbrauchspotential sieht die Kommission auch im Fall einer generellen Beweislastumkehr. Eine nur partielle Beweislastumkehr etwa für das Vorliegen eines Schadens würde den erheblichen Problemen potentieller Kläger, überhaupt zum Vorliegen einer Verletzungshandlung vortragen zu können, nicht gerecht werden.124 Mit ihrem Vorschlag lehnt sie sich an die Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums an. Der Zugang zu Beweismitteln soll dabei auf der Grundlage eines Tatsachenvortrags (fact pleading) gewährt werden, der zur Vermeidung unzulässiger Ausforschung sowie sonstiger Missbrauchsgestaltungen einer strengen gerichtlichen Prüfung hinsichtlich seiner Plausibilität sowie der Verhältnismäßigkeit des Offenlegungsbegehrens unterliegt.125 Im Einzelnen schlägt die Kommission vor, dass die einzelstaatlichen Gerichte unter folgenden Voraussetzungen befugt sein sollen, die Prozessparteien oder Dritte anzuweisen, genau bezeichnete Kategorien von relevanten Beweismitteln offenzulegen: (1) Der Kläger hat alle Tatsachen und Beweismittel, die ihm vernünftigerweise zugänglich sind, dargelegt; (2) Es gibt plausible Gründe für die Annahme, dass der Kläger durch einen Wettbewerbsverstoß des Beklagten einen Schaden erlitten hat. (3) Des Weiteren muss zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen sein, dass es dem Kläger unter vernünftigerweise zumutbaren Anstrengungen nicht möglich ist, die für eine Begründetheit der Klage weiterhin erforderlichen Beweise anderweitig beizubringen. (4) Der Kläger muss ferner die Beweismittelkategorien, für die er eine Offenlegung beantragt, genau genug bezeichnen. (5) Schließlich muss die Offenlegung für die Klage erheblich, erforderlich und verhältnismäßig sein. 126 Gleichzeitig soll der Missbrauchsgefahr entgegengewirkt und berechtigter Interessenschutz sichergestellt werden. Denn es sei eine allgemeine Regel des Gemeinschaftsrechts, dass vertrauliche Informationen, insbesondere Unternehmensgeheimnisse grundsätzlich schutzbedürftig seien.127 Allerdings sei es – in Anbetracht der Tatsache, dass in Kartellrechtsfällen vertrauliche Informationen sehr häufig eine zentrale Bedeutung spielen – unabdingbar, dass der gewährte Geheimnisschutz nicht unverhältnismäßig sei und nicht de facto das Schadensersatzbegehren aushebele. 128 Aus der europäischen Rechtsprechung zum Recht des geistigen Eigentums ergebe Commission Staff Working Paper, Rn. 91. Commission Staff Working Paper, Rn. 92. 125 Weißbuch KOM(2008) 165 endg. v. 2.4.2008, S. 5 f. 126 Weißbuch KOM(2008) 165 endg. v. 2.4.2008, S. 5 f. 127 Commission Staff Working Paper, Rn. 113. 128 Commission Staff Working Paper, Rn. 114. 123 124
C. Umsetzungsmodelle des Soft-law und der europäischen Gesetzgebung
339
sich, dass sowohl das Rechtsschutzinteresse des Opfers einer Rechtsverletzung von EU-Recht als auch das Recht auf Privatsphäre des Verletzers fundamentale Rechtspositionen im Gemeinschaftsrecht sind, die miteinander im Widerstreit stehen und die durch die nationalen Gerichte und Behörden im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssten.129 In die Abwägung einzubeziehen seien unter anderem insbesondere Art und Wert des geltend gemachten Anspruchs, die Bedeutung, die die fragliche Information bzw. das Beweismittel für die Substantiierung der Klage habe, sowie der Grad an Wahrscheinlichkeit, dass der Inhaber der vertraulichen Information eine Kartellrechtsverletzung begangen habe. Auf der anderen Seite seien Wert und Art der geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen abzuwägen. 130 Eine Geheimhaltung sei indes nur dann gerechtfertigt, wenn das Geheimhaltungsinteresse das Offenlegungsinteresse klar überwiege.131 Ferner sei bei der Abwägung zu berücksichtigen, ob es Mittel gebe, den Geheimhaltungsinteressen durch eine Beschränkung der Offenlegung Rechnung zu tragen. Eine solche Beschränkung könne etwa in einem Ausschluss der Öffentlichkeit, sowie in der Abgabe einer Verpflichtungserklärung, die offengelegte Information ausschließlich für den fraglichen Rechtsstreit zu verwenden, liegen, oder aber in einer Beschränkung der Vorlagepflicht dahingehend, dass die Offenlegung nur dem Anwalt, oder aber nur einem Gutachter gegenüber erfolgt, der dann seinerseits eine Zusammenfassung in einer Form erstellt, die den Geheimnisschutz sicherstellt.132 Überdies betont die Kommission, dass der bloße Umstand, dass die Offenlegung für den Offenlegenden ungünstige Folgen hat oder haben kann, keinen zulässigen Grund darstelle, sich einer Offenlegungsanordnung zu widersetzen. Vielmehr sei es dem Erfordernis, die Informationsasymmetrie auszugleichen, inhärent, dass jegliche relevanten Beweismittel unter den oben genannten Voraussetzungen offen gelegt werden. Demzufolge sei das alte Dogma des nemo contra se edere tenetur nicht berücksichtigungsfähig.133 Soweit es bei diesem Dogma darum gehe, unspezifische und ausufernde Offenlegungsbegehren (fishing expeditions) einzudämmen, sei dies ohnehin gewährleistet aufgrund der Anforderungen des fact-pleading, des Erfordernisses hinreichend konkrete Kategorien von Beweisen anzugeben, sowie der richterlichen Kontrolle im Hinblick auf Relevanz und Verhältnismäßigkeit der Offenlegungsanordnung.134 Ferner müsse eine angemessene Sicherung für Unternehmenserklärungen („Corporate Statements“) im Rahmen von KronzeugenCommission Staff Working Paper, Rn. 115 f. Commission Staff Working Paper, Rn. 116. 131 Commission Staff Working Paper, Rn. 116. 132 Commission Staff Working Paper, Rn. 117. 133 Commission Staff Working Paper, Rn. 120. 134 Commission Staff Working Paper, Rn. 120. 129 130
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Kapitel 11: Modelle zur Bewältigung von Informationsdefiziten
programmen und für die Untersuchungen durch Wettbewerbsbehörden gewährleistet werden.135 Die genannten Vorschläge des Weißbuchs zum Zugang von Informationen sind u.a. vom Bundesministerium für Justiz und vom Bundeskartellamt deutlich kritisiert worden, da sie von der Pflicht zur hinreichend genauen Substantiierung der vorzulegenden Beweismittel entbinden, was zu einer gegenseitigen Ausforschung führe, die mit den wesentlichen Grundgedanken des deutschen Rechts unvereinbar sei. Im Übrigen bestehe in Deutschland u.a. wegen der Vorschrift des § 142 ZPO, dem Auskunftsanspruch nach § 242 BGB sowie wegen des Instituts der sekundären Darlegungslast kein Bedürfnis für eine derartige Regelung.136
Weißbuch KOM(2008) 165 endg. v. 2.4.2008, S. 6. Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, des Bundesministeriums der Justiz, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Bundeskartellamts zum Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“ der Europäischen Kommission S. 7, abrufbar unter . 135 136
Kapitel 12
Auswertung der Lösungsmodelle und Entwicklung eines Vorschlags anhand des Prüfungsrasters aus Teil I Im Folgenden werden die soeben dargestellten Lösungsvorschläge für das deutsche Recht anhand der erarbeiteten Funktionen der disclosure, anhand des leicht modifizierten Prüfungsrasters aus Teil I sowie der dort erzielten rechtsvergleichenden Ergebnisse ausgewertet. Dabei werden als Maßstab die rechtskulturellen Besonderheiten, denen im Umsetzungsmodell begegnet werden soll, sowie die Gefahren, die aus einer Fruchtbarmachung des Grundgedankens der disclosure resultieren können, herangezogen.
A. Funktionsweise Ergebnis von Teil II war, dass es im deutschen Recht aus Gründen der Rechtssicherheit, der Effizienzsteigerung sowie zur Vermeidung von Lücken beim Informationszugang einer „flächendeckenden“ Lösung bedarf. Für eine solche bietet sich im Grundsatz entweder ein prozessrechtliches Modell an, etwa nach dem Vorbild des englischen disclosure-Verfahrens, des japanischen Erkundigungsrechts der Parteien und der erweiterten Vorlage- und Mitwirkungspflichten nach den Vorschlägen Stürners, Gottwalds, Drenckhahns, Gregers, Lüderitz sowie Beckhaus’. Alternativ kommt ein materiellrechtliches Modell, etwa der Vorschlag Osterloh-Konrads in Betracht. Prozessuale Modelle mit Vorlagepflichten und materiellrechtliche Modelle mit Auskunftsansprüchen stellen nach Ansicht von McGuire funktional äquivalente Regelungstechniken zur Behebung von Informationsdefiziten dar. 1 Dem ist im Grundsatz insofern zuzustimmen, als sowohl die prozessualen Vorlagepflichten als auch die materiellrechtlichen Auskunftsansprüche zumindest auch der Behebung von Informationsdefiziten dienen. Fraglich ist, welche Lösung für das deutsche Recht vorzugswürdig ist.
1 So McGuire, GRURInt 2005, S. 15, die allerdings gleichzeitig erhebliche Unterschiede zwischen beiden Ansätzen hinsichtlich der Durchsetzbarkeit, der Vermeidung von Missbrauch sowie in grenzüberschreitenden Sachverhalten betont, S. 16 ff.
342 I.
Kapitel 12: Auswertung der Lösungsmodelle
Prozessrechtliche Anknüpfung
Der Rechtsvergleich legt eine prozessuale Lösung des Problems nahe. 2 In England sind materielle Auskunfts- und Informationsverschaffungsansprüche unbekannt, der Informationszugang erfolgt vielmehr durch ein disclosureVerfahren auf prozessualem Wege. Demgegenüber meint der BGH, es sei nicht Aufgabe des Prozessrechts, allgemeine Auskunftspflichten einzuführen.3 Vielmehr seien Auskunftsansprüche eine Frage des materiellen Rechts.4 Es stellt sich die Frage, ob die oben ausgemachten Defizite besser durch eine Lösung auf materiellrechtlicher Ebene oder auf prozessualer Ebene behoben werden können und welche Lösung sich widerspruchsfreier in die gegenwärtige Rechtslage einfügt. In der Literatur gibt es zahlreiche Anhänger, die etwaige erweiterte Informationszugangsrechte im deutschen Recht auf materieller Ebene verorten. 5 Materiellrechtliche Lösungsmodelle bieten insbesondere der bereits dargestellte Vorschlag Osterloh-Konrads sowie das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums. Für eine materiellrechtliche Anknüpfung wird ins Feld geführt, dass die im Gesetz angelegte Funktionsteilung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht eine auf das materielle Recht ausgerichtete Lösung des Problems nahelege, weil in der ZPO wenig Rücksicht auf die Belange der nicht informierten Partei genommen werde, wohingegen im materiellen Recht vielfältige Auskunfts- und Rechenschaftspflichten bestünden, die im Rahmen der Stufenklage gem. § 254 ZPO durchsetzbar seien.6 Die ZPO scheine davon auszugehen, dass der Sachverhalt den Parteien bekannt ist.7 Dem Prozessrecht komme insofern nur ergänzende Funktion zu. In diese Richtung weise auch die Vorschrift des § 422 ZPO sowie die des § 371 Abs. 2 S. 2 ZPO, die Urkundsvorlagepflichten bzw. die Inaugenscheinnahme an das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs knüpfen.8 Über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus sei ein Auskunftsanspruch nur für das materielle Recht gem. § 242 BGB fortentwickelt worden. 9 Es könne daher nicht Aufgabe des Prozessrechts sein, eine dem Vgl. auch Schlosser, JZ 1991, S. 599, 606. BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151. 4 BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151. 5 So in jüngerer Zeit insb. Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, passim. Auch der BGH geht zwar nicht von einer wünschenswerten Erweiterung der Informationszugangsrechte, aber jedenfalls doch von einer richtigen Verortung der Informationszugangsrechte im materiellen Recht aus, vgl. BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151. 6 Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 138; Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 88. 7 Bernhardt, in: FG Rosenberg, S. 9, 25. Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 88. 8 Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 88. 9 Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 88 f. 2 3
A. Funktionsweise
343
materiellen Recht unbekannte allgemeine Aufklärungspflicht einzuführen. 10 Überdies spreche für eine materiellrechtliche Anknüpfung, dass den Besonderheiten der zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehung besser Rechnung getragen werden könne.11 Die für eine materiellrechtliche Lösung angeführten Argumente überzeugen jedoch insofern nicht, als hier nach einer Lösung de lege ferenda gesucht wird, so dass – selbst wenn man die gegenwärtige Rechtslage dahingehend werten wollte, dass derzeit eine Berücksichtigung der Informationsnot eher auf materiellrechtlicher Ebene erfolgt – dies nicht per se einer zukünftigen Lösung entgegenstünde.12 Für eine primär prozessuale Anknüpfung spricht sich Stürner aus. Ein noch so gut ausgebautes System materieller Informations- und Vorlagepflichten könne nicht sämtliche im Prozess auftauchenden Probleme lösen. So nutze es dem von einer Klage überraschten Beklagten wenig, dass er die Möglichkeit einer Informationsklage zur Substantiierung einer Einwendung gehabt hätte. Für diese Lösung sprächen auch Zweckmäßigkeitserwägungen. Wenn die Möglichkeit bestehe, die gesamte Aufklärung in einem Verfahren zu konzentrieren, so solle diese zunächst ausgeschöpft werden.13 Katzenmeier führt für einen prozessualen Ansatz überdies zu Recht ins Feld, dass das Verfahrensrecht in den vergangenen Jahrzehnten einen beständigen Funktions- und Legitimationszuwachs erfahren habe und dass es sich von einer dienenden supplementären hin zu einer komplementären Disziplin entwickelt habe.14 Unter Berufung auf Gilles15 betont er, das Prozessrecht sei nicht mehr bloßes „Rechtsdurchsetzungsrecht“, sondern „materiales Rechtsgewinnungsrecht“. 16 Die Richtigkeit dieser geforderten Aufhebung der grundsätzlichen Zweiteilung von materiellem Recht und Prozessrecht durch wechselbezogenes Denken wurde oben bereits unter Berufung auf Zöllner17 bejaht.18 Allerdings soll eine Lösung gefunden werden, die sich in die gegenwärtige Systematik einfügt, keinen Fremdkörper darstellt und auch nicht ohne Not mit einer bisher eingeschlagenen Systematik bricht. Eine prozessuale Anknüpfung würde sich aber sehr harmonisch in die gegenwärtige Rechtslage 10 Diesen Ausspruch des BGH v. 11.6.1990, NJW 1990, S. 3151 führt Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 88, nicht nur gegen die Existenz einer prozessualen Aufklärungspflicht sondern positiv für eine materiellrechtliche Verankerung von Mitwirkungspflichten ins Feld. 11 Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 23. 12 Ähnlich auch Beckhaus, Informationsdefizite, 2010, S. 275. 13 So die Argumentation Stürners, Aufklärungspflicht, 1976, S. 15 f. 14 Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 539. 15 Gilles, JuS 1981, S. 402, 408. 16 Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 539. 17 Zöllner, AcP 190 (1990), S. 471, 474 ff., 486, 494 f. 18 Vgl. oben, S. 296.
344
Kapitel 12: Auswertung der Lösungsmodelle
einfügen und keinen Fremdkörper darstellen. Bei den materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen handelt es sich um Ansprüche, die einer Partei losgelöst von einem Prozess zugestanden werden und die als solche einklagbar und durchsetzbar sind. Derartige einklagbare und durchsetzbare Ansprüche sind aber nicht in allen Fällen erforderlich. Vielmehr ist der Partei in Informationsnot häufig schon mit der Verhängung prozessualer Nachteile gegenüber der Gegenseite, insbesondere der Wahrheitsfiktion, gedient. Die prozessuale Anknüpfung stellt gegenüber der materiellen Anknüpfung einen weniger schwerwiegenden Eingriff in die Belange der Gegenseite dar, bringt also eine schonendere Inanspruchnahme mit sich. Demgegenüber würde die Gewährung selbstständig erzwingbarer materiellrechtlicher Ansprüche eine überschießende Umsetzung des ausgemachten Regelungsbedarfs darstellen, die über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus nicht erforderlich ist. 19 In vielen Fällen ist die Wahrheitsfiktion sogar für die informationsbedürftige Partei von schnellerer Hilfe, als der materiellrechtliche Auskunftsanspruch, der gegebenenfalls erst in einem langwierigen Verfahren vollstreckt werden muss. 20 Dem steht auch die gegenwärtige Systematik des Gesetzes nicht entgegen. Es mag zwar richtig sein, dass die Väter der ZPO den Ausgleich einer Informationsnot zunächst nicht im Auge hatten. Im Laufe der Zeit wurden jedoch mit den Instrumenten der Berücksichtigung beweisvereitelnden Verhaltens im Rahmen der Beweiswürdigung, mit den Regeln über die sekundäre Darlegungslast, mit den Erleichterungen im Rahmen der Beweisführung bis hin zur Umkehr der Beweislast, der Möglichkeit der amtswegigen Anordnung der Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten gem. § 142 ZPO n.F., der gerichtlich auferlegten Auskunftspflicht bei Unterhaltsstreitigkeiten gem. §§ 235 f. FamFG, sowie der Untersuchung zur Feststellung der Abstammung gem. § 372a ZPO prozessrechtliche Mittel zur Ausgleichung bestehender Informationsdefizite geschaffen. Aber auch aus anderen Gründen kann der prozessrechtlichen Lösung nicht das fehlende Einfügen in die Systematik entgegengehalten werden. Denn sie bietet ein widerspruchsfreieres Konzept als die materiellrechtliche Lösung, die – wenn sie über die bestehenden Informationsdefizite hinwegkommen will – mit einem allgemeinen materiellrechtlichen Anspruch arbeitet. Wenn ein solcher aber besteht, sind viele daneben stehenden materiellrechtlichen Informationsrechte – sofern sie nicht weitergehend auf Rechnungslegung gerichtet sind – ihres Sinnes beraubt, so dass viele tradierte Vorschriften des BGB bloße Makulatur darstellen, weil ihnen ein eigenständiger Bedeutungsgehalt nicht mehr zukommt. Überdies steht einer materiellrechtlichen
19 20
Gottwald, in: FS Stürner, 2013, S. 301, 311. Vgl. dazu ausführlich Beckhaus, Informationsdefizite, 2010, S. 279 f.
A. Funktionsweise
345
Lösung der Verzicht auf eine Sonderverbindung systematisch gesehen weniger gut an als einer prozessrechtlichen Lösung.21 Eine prozessuale Lösung deckt sich auch mit den Vorgaben der Principles of Transnational Civil Procedure, deren Principle 16.1 den Grundsatz postuliert, dass Gericht und Parteien grundsätzlich Zugang zu allen Beweismitteln haben sollen, die erheblich sind und nicht dem Schutz von Weigerungsrechten unterliegen. Nach zutreffender Ansicht von Stadler sind nach Principle 16.1 Regelungen, die die Prozesspartei oder Dritte nur unter engen Voraussetzungen zur Urkundenvorlage heranziehen (zum Beispiel nur wenn ein materiellrechtlicher Vorlageanspruch besteht), mit diesem Grundsatz nicht vereinbar.22 Damit sind als Lösungsmodelle das disclosure-Verfahren sowie die Vorschläge derer, die für eine Lösung zumindest auch auf prozessualer Ebene plädieren, interessant. Eine rein prozessuale Lösung haben Jacoby, Gottwald, Drenckhahn und Greger im Blick, ein gemischtes Modell favorisieren Stürner, Lüderitz und Beckhaus. Die Ergänzung der prozessualen Lösung durch ein materiellrechtliches Informationszugangsrecht, wie es Stürner, 23 Lüderitz und Beckhaus vorschlagen, überzeugt jedoch ebenfalls nicht. Ein allgemeines Informationszugangsrecht unterläuft die durch die spezialgesetzlichen Auskunftsansprüche gezogenen Wertungen und läuft faktisch darauf hinaus, das für einen materiellrechtlichen Auskunftsanspruch bestehende Erfordernis eines Schuldverhältnisses abzuschaffen. Ein derartiges Vorgehen würde einen erheblichen Bruch mit der gegenwärtigen Systematik des Gesetzes darstellen, auch wenn es im Einzelfall Aufweichungen des Kriteriums des Schuldverhältnisses gegeben hat. Selbstständig durchsetzbare Informationszugangsrechte sollten mithin nach wie vor nur in den durch das Gesetz statuierten Fällen bzw. in den von § 242 BGB erfassten Konstellationen bestehen. Der Bedarf für die Schaffung weiterer materiellrechtlicher Auskunftsansprüche wird einerseits durch erweiterte prozessuale Zugangsrechte erheblich reduziert werden und nur denjenigen Materien vorbehalten bleiben, in denen selbstständig durchsetzbare materielle Auskunftsansprüche erforderlich sind, wie etwa jüngst im geistigen Eigentum geschehen. Die auf die Spezialsituation des geistigen Eigentums zugeschnittene EnforcementRichtlinie, die durch eine Lösung auf materiellrechtlicher Ebene umgesetzt wurde, ist nicht auf das allgemeine Zivilverfahrensrecht übertragbar.
Vgl. Schlosser, JZ 1991, S, 599, 607, der betont, dass man über die Barriere der erforderlichen Sonderverbindung bei Anküpfung an das materielle Recht nicht hinwegkomme; a.A. Osterloh-Konrad, Informationsanspruch, 2007, S. 88 ff. und S. 222 ff. 22 Stadler, in: Essays Kerameus, 2009, S. 1355, 1367. 23 In Gestalt des vorbereitenden materiellrechtlichen Informationsanspruchs. 21
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Kapitel 12: Auswertung der Lösungsmodelle
II. Lösung der Gerechtigkeitsfunktion 1. Grundprämisse Prämisse auf der Suche nach einer besseren Lösung der Gerechtigkeitsfunktion innerhalb der prozessualen Modelle ist, dass das alte System lediglich vereinfacht, jedoch möglichst wenig in seinen Details angetastet wird, da auf Grund des dargestellten relativ unübersichtlichen Geflechts nicht abschließend vorhersehbar ist, welche Auswirkungen, Fernwirkungen und Kettenreaktionen das Drehen an einzelnen kleinen Schräubchen auslöst. Die Neuregelung soll also nicht grundlegend revolutionieren. Dies erschiene bei einem System, das sich aus derart vielen Facetten, aus Einflüssen der Rechtsprechung und der Gesetzgebung, aus allgemeinen wie aus speziellen Regeln für bestimmte Bereiche des materiellen Rechts, aus Richterbefugnissen und aus Parteikompetenzen, aus materiellrechtlichen und aus prozessualen, aus normierten und aus gewohnheitsrechtlich anerkannten Bausteinen zusammensetzt, als zu gefährliches Unterfangen. Ziel ist vielmehr, eine einfache Regelung, die die bestehenden Mechanismen nicht abschafft, sondern entweder integriert oder aber als subsidiäre Instrumentarien langsam aber sicher ihrer zusätzlichen Anwendungsbereiche entledigt, so dass sie sich im Laufe der Zeit auf die ihnen ursprünglich zugedachten Funktionen zurückentwickeln können. 2. Disclosure-Verfahren oder allgemeine erweiterte Mitwirkungspflicht des Gegners Fraglich ist, ob innerhalb der prozessualen Lösungsmöglichkeiten eher mit einer Art disclosure-Verfahren nach englischem Recht bzw. nach dem StormeEntwurf gearbeitet werden sollte bzw. nach dem von Jacoby geforderten Ausforschungsverfahren oder aber mit einer prozessualen Aufklärungspflicht bzw. sonstigen erweiterten Mitwirkungspflichten des Gegners. Prägendes Merkmal des disclosure-Verfahrens gegenüber den sonstigen prozessualen Lösungsmodellen, die für Deutschland diskutiert werden, ist, dass es ein Offenlegungsstadium vorsieht, in dem beide Seiten sämtliche relevanten Unterlagen bekanntgeben müssen, die sich in ihrem Besitz befinden. Das bedeutet, dass der jeweilige Gegner nicht erst dann zur Information herangezogen wird, wenn der jeweiligen darlegungsverpflichteten Partei bestimmte Informationen fehlen, sondern unabhängig von dieser Frage Auskunft geben muss. Diese Besonderheit des disclosure-Verfahrens macht seine Umsetzbarkeit im deutschen Recht jedoch problematisch. Es wurde gezeigt, dass das deutsche Zivilprozessrecht als Weg der Arbeitsteilung zwischen den Parteien sowie als Mittel der Arbeitserleichterung für das Gericht eine Vorgehensweise entwickelt hat, derzufolge für die Einbringung von Tatsachenvortrag in den
A. Funktionsweise
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Prozess im ersten Schritt diejenige Partei zuständig ist, die für die jeweilige Tatsache auch beweisbelastet ist. Nur wenn ihr dies aus Gründen, die sie nicht zu vertreten hat, insbesondere auf Grund struktureller Informationsasymmetrie nicht möglich ist, hat sie überhaupt – unter bestimmten weiteren Voraussetzungen – die Möglichkeit mit prozessualen Mitteln die Gegenseite zur Informationsgewinnung heran zu ziehen. Diese Grundhaltung ist in der deutschen Mentalität verankert. Von ihr abzuweichen bringt die Gefahr mangelnder Akzeptanz mit sich (s.o., S. 311 ff.). Dieses Risiko sollte nicht ohne Not eingegangen werden. Bezüglich dieser in Deutschland praktizierten Form des ersten Zugriffs bei der Einbringung des Sachverhalts sind Defizite oben auch nicht festgestellt worden. Die Gerechtigkeitsfunktion gebietet somit nur den Ausgleich von Informationsdefiziten, nicht aber den vollständigen wechselseitigen Informationsaustausch. Ein solcher könnte nur auf Grund der Effizienzfunktion in Betracht kommen. Ein Verfahren jedoch standardmäßig, auch wenn eine Informationsnot nicht besteht, mit einem umfassenden Informationsaustausch zu belasten, ist gerade unter Effizienzgesichtspunkten mehr als fraglich. Ist erst der Richter mit dem Fall befasst, so führt ein solcher Austausch eher zu einer Belastung, denn zu einer Entlastung des Verfahrens. Entweder die Parteien verfügen bereits über sämtliche relevanten Informationen, die sie benötigen. Dann ist ein solches Verfahren überflüssig und produziert nur Kosten und Zeit. Oder aber einer Partei fehlen bestimmte Informationen. Dann gilt aber auch für alle Informationen, die über die benötigten hinaus ausgetauscht werden, dass sie Zeit und Kosten verursachen. In Betracht kommt ein Informationsaustauschverfahren aus Effizienzgesichtspunkten jedoch vor Klageerhebung. Darauf wird sogleich einzugehen sein. Überdies sprechen die oben24 erläuterten – und mit der Gefahr mangelnder rechtstatsächlicher Akzeptanz verbundenen – mentalitätsbedingten Unterschiede dafür, ein formalisiertes Verfahren nach Art der englischen disclosure nicht zu wählen und statt dessen ein anderes Modell mit verstärkten Mitwirkungspflichten des Gegners zu etablieren, das weniger eigene Leistung von den jeweiligen Parteien verlangt. Entscheidend ist, ob der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei nur auferlegt werden soll, Unterlagen und Informationen, um die der Gegner gebeten hat, unabhängig vom Bestehen eines materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs zur Verfügung zu stellen, oder aber ob von ihr verlangt werden soll, aus eigener Initiative den Gegner über das Vorhandensein relevanter Informationen und Beweise zu informieren. Das bloße Beantworten einer Vorlageaufforderung des Gegners ist sehr viel einfacher ohne Zuhilfenahme eines Anwalts zu bewerkstelligen, als die Aufklärung aus eigener Initiative, da bei ersterer nur die Frage, ob ein Weigerungsrecht besteht, rechtliche Probleme aufwerfen kann, die – wenn sie aus
24
Siehe oben, S. 311 ff.
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Kapitel 12: Auswertung der Lösungsmodelle
eigener Anschauung nicht gelöst werden kann – gegebenenfalls einem Anwalt vorgelegt werden muss. Dies gilt umso mehr, als bereits jetzt in dem gegenwärtigen deutschen Rechtssystem eine Tendenz zum „überaktiven Richter“25 und „Richterprozess“26 ausgemacht wird. Diese wird nicht zuletzt damit begründet, dass es deutlich mehr schlechte Anwälte als Richter gäbe und so „die überwiegende Mehrheit der Rechtsanwälte auf Grund ihrer schlechten Parteivertretung die Richterschaft geradewegs zu einer solchen Machtausdehnung zwinge.“ 27 Deutschland bietet also kein den englischen barristers28 vergleichbares „Bollwerk“ auf, so dass es in der Tat, selbst wenn lediglich erweiterte Parteipflichten eingeführt werden und die Richtermacht unmittelbar nicht weiter ausgebaut wird, rein faktisch mittelbar doch zu einer Stärkung der Richterschaft kommen kann, weil die deutsche Anwaltschaft möglicherweise im Durchschnitt die von den englischen barristers geleistete Arbeit nicht erbringen können wird, so dass anders als in England erhebliche richterliche Kontrollbefugnisse zum Tragen kommen, der Verhandlungsgrundsatz also mittelbar – wie von Arens 29 befürchtet – unter Umständen noch weiter eingeschränkt wird. Dies spricht indes nicht gegen eine Ausweitung der Mitwirkungspflichten der nicht beweisbelasteten Partei, sondern ist lediglich bei der Ausgestaltung dahingehend zu berücksichtigen, dass ein dem englischen disclosure-Verfahren vergleichbares Verfahren für Deutschland nicht primär vorzugswürdig ist und folglich mit einem weniger formalisierten Aufklärungsverfahren die ausgemachten Lücken zu schließen sind. Damit bietet es sich zunächst an, zu prüfen, ob die Ergebnisse der disclosure nicht auch auf anderem Wege erzielt werden können, der an dieser in Deutschland hergebrachten Form der Tatsacheneinbringung nichts ändert. 3. Vergleich der Vorschläge Gottwalds und Drenckhahns Interessant sind insoweit die Vorschläge Gottwalds und Drenckhahns. Beide wollen de lege ferenda eine prozessuale Aufklärungspflicht einführen. Gottwald knüpft dabei an die Wahrheits- und Erklärungspflicht des § 138 Birk, NJW 1985, S. 1489 f., 1497. Brehm, AnwBl 1983, S. 183, 197. 27 So Graef, ZVglRWiss 95 (1996), S. 93, 107. Ebenso Stürner, JZ 1986, S. 1089, 1094, der meint, die Ursache für die deutsche Entwicklung zum Richterprozess liege darin, dass für den schlecht arbeitenden Anwalt ein dichtes Auffangnetz geschaffen worden sei. Auch Hartwieg weist darauf hin, dass nach der ZPO Mängel anwaltlichen Sachvortrags nicht zulasten der „schlecht“ vertretenen Partei zurückschlagen sollen, vgl. Hartwieg Tatsachenund Normarbeit im Rechtsvergleich, 2003, S. 48. 28 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass rein tatsächlich auch in England dieses „Bollwerk“ erst ab der Instanz des High Court of Justice, nicht aber auf Ebene der county courts besteht, da barristers in der Regel erst ab der Instanz des High Court of Justice involviert werden. 29 Arens, ZZP 96 (1983), S. 1, 20 f. 25 26
A. Funktionsweise
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ZPO an, Drenckhahn an die Anordnung der Urkundenvorlage gem. § 142 ZPO. Ziel und Motivation sind bei beiden im Wesentlichen identisch. In den unterschiedlichen Anknüpfungstatbeständen liegt jedoch ein struktureller und wesentlicher Unterschied. Gottwald setzt bei einem Verhalten an, das die Parteien einander schulden, Drenckhahn bei den verfahrensleitenden Kompetenzen des Richters. Gottwalds Vorschlag steht damit eher in der gedanklichen Tradition der Prozessförderungspflichten, Drenckhahns Empfehlung dagegen auf der Linie derer, die die materielle Prozessleitung des Richters weiter ausbauen wollen. Gottwalds Vorschlag gewährt dem Gegner einen Anspruch ohne notwendige Beteiligung des Gerichts, Drenckhahn stellt demgegenüber die Angelegenheit in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts und fordert eine richterliche Anordnung. Der zweite Unterschied ist darin zu sehen, dass Gottwalds Konzept auf einem einstufigen Modell beruht, Drenckhahns Entwurf hingegen auf einem zweistufigen. Nach den Erkenntnissen dieser Untersuchung überzeugt der Vorschlag Drenckhahns jedoch insofern nicht, als ein weiterer Ausbau der Richtermacht auf Kosten der Parteiherrschaft als nicht empfehlenswert eingestuft worden ist.30 Die deutsche Sorge um eine weitere Beeinträchtigung des Beibringungsgrundsatzes wäre umso größer, je weiter die Rechte des Gerichts ausgebaut würden. Dies ist in einem System, in dem der Richter bereits mit weit reichenden verfahrensleitenden Kompetenzen, insbesondere des § 139 ZPO sowie den prozessleitenden Informationsmöglichkeiten und amtswegigen Beweisaufnahmemöglichkeiten ausgestattet ist, auch durchaus verständlich. Auch hier gilt, dass ohne Not nicht die Rechte und damit auch nicht die Pflichten des Gerichts immer weiter ausgebaut werden sollten, bevor überhaupt versucht wurde, systemgerecht zunächst bei den Rechten und Pflichten der Parteien anzuknüpfen. Überdies erscheint der Vorschlag Drenckhahns auch insofern unnötig weitreichend zu sein, als er – ähnlich wie das englische disclosure-Verfahren – losgelöst von der Frage der Beweisnot wechselseitigen Informationsaustausch vorsieht. 4. Lösung anhand der parteibeherrschten Modelle Am besten mit der deutschen Prozesskultur vereinbar erscheint mithin ein Modell, das die Mitwirkungspflicht des Gegners betont. Damit scheidet das die Anordnungsmöglichkeiten des Gerichts erweiternde Modell Zettels ebenfalls aus. Der Vorschlag von Lüderitz knüpft zwar an die Mitwirkungspflichten des Gegners an. Allerdings überzeugt er aus zwei anderen Gründen nicht: Zum einen ist die Zuweisung zu den einzelnen Stufen anhand des Wahrscheinlichkeitskriteriums in der Realität nur schwer praktikabel, weil die Unterschiede der Wahrscheinlichkeitsgrade nicht ohne Weiteres greifbar sind, 30
Vgl. oben, S. 252 f., 296 f. und 311 ff.
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Kapitel 12: Auswertung der Lösungsmodelle
was wiederum zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen kann, die ja gerade vermieden werden sollen. Insbesondere den Wechsel von einem prozessualen zu einem materiellrechtlichen Modell vom Grad der Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines Anspruchs abhängig zu machen, erzeugt erhebliche Unklarheit. Zum anderen überzeugt der Vorschlag nicht, weil die Informationsnot der einen Partei auf der zweiten Stufe ultimativ durch eine Veränderung der Darlegungslasten gelöst werden soll. Allein die schwer wiegenden Anhaltspunkte für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs rechtfertigen jedoch eine solche endgültige Umkehr nicht. Es wurde oben bereits gezeigt, dass die Zuweisung von Lasten nicht über die anerkannten Fälle hinaus anhand von Wahrscheinlichkeitskriterien oder dem Aspekt der Beweisnähe erfolgen sollte.31 Die im Folgenden entwickelten Lösungsvorschläge basieren im Wesentlichen auf Impulsen, die Gottwald, Greger, Stürner, Beckhaus und das Weißbuch sowie die englischen pre-action protocols und die japanische Klageankündigung gesetzt haben. a) Verankerung der Regeln über die sekundäre Darlegungslast als Grundnorm Sinnvoll erscheint es zunächst, wie von Greger gefordert, die sekundäre Darlegungslast im Gesetz zu verankern. Dies erscheint aus verschiedenen Gründen geboten. Zum einen stellt die sekundäre Darlegungslast derzeit innerhalb der vorhandenen prozessualen Mittel zur Bewältigung von Informationsdefiziten eine Art Grundmodell dar. Die Regelungen über die Beweisvereitelung verlangen demgegenüber ein Verschulden und sind entsprechend auf sehr spezielle Konstellationen zugeschnitten. Auch die Regelungen über Beweiserleichterungen bzw. Beweislastverschiebungen geben eher auf Ausnahmekonstellationen eine Antwort, in denen nicht nur eine Mitwirkung der Gegenseite, sondern eine anderweitige finale Risikozuweisung angemessen ist. Da richtergeprägte Aufklärungsmittel auch nicht das Instrumentarium erster Wahl für den deutschen Zivilprozess darstellen, ist die Verankerung der sekundären Darlegungslast der passende Ansatzpunkt. Sie zieht richtigerweise in Fällen, in denen dies dem Gegner möglich und zumutbar ist, diesen zur Sachverhaltsaufklärung mit heran, wenn die an sich darlegungsbelastete Partei zur näheren Substantiierung aus Gründen, die sie nicht zu vertreten hat, nicht in der Lage ist. Die gesetzliche Kodifizierung dieser sekundären Darlegungslast ist überdies deshalb sinnvoll, weil eine explizite Verankerung den Bewusstseinswechsel weg von einer Kultur des nemo contra se edere tenetur fördern kann. Zum anderen soll hier ein
31
Siehe S. 80 f.
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flächendeckendes Konzept entwickelt werden, im Rahmen dessen auf eine Grundnorm an verschiedenen Stellen Bezug genommen werden kann. In Betracht kommt eine Verankerung der sekundären Darlegungslast in § 138 Abs. 2. § 138 Abs. 2 ZPO derzeitiger Fassung postuliert die Erklärungspflicht des Gegners zu den behaupteten Tatsachen einer Partei. Diese greift allerdings nach h.M. erst ein, wenn ein hinreichend substantiierter Vortrag der Partei vorliegt. Daran anknüpfend könnte ein § 138 Abs. 2, S. 2, 3, 4 und 5 wie folgt aussehen: „2Ist die darlegungsbelastete Partei zu einem hinreichend substantiierten Tatsachenvortrag aus Gründen, die sie nicht zu vertreten hat, nicht in der Lage, so hat sich ihr Gegner zu den nicht näher substantiierten Umständen gleichwohl zu erklären, wenn ihm dies ohne Weiteres möglich ist und die darlegungsbelastete Partei Anhaltspunkte für die vermutete Tatsache vorbringen und zu allen weiteren Tatbestandsmerkmalen schlüssig vortragen kann und alle ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat. 3Das gilt nicht, sofern dies zu einer unzulässigen Ausforschung führen würde, die Erklärung dem Gegner unzumutbar ist, oder die Informationserteilung außer Verhältnis zu dem Rechtsstreit steht. 4Eine Unzumutbarkeit kann sich insbesondere, aber nicht abschließend, aus überwiegenden schutzbedürftigen Interessen ergeben bzw. aus dem Umstand, dass anderenfalls die Wertungen des materiellen Rechts unterlaufen würden. 5Können etwaige überwiegende schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen allein dadurch gewahrt werden, dass die Verhandlung unter Ausschluss der informationsbedürftigen Partei stattfindet, so kann die geheimhaltungsbedürftige Information gegen ein unwiderrufliches Versprechen des Parteivertreters der ausgeschlossenen Partei, über diese Stillschweigen zu bewahren, in den Prozess eingeführt werden, wenn die auszuschließende Partei insoweit unwiderruflich auf ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verzichtet.“
Die mit Satz 3, 4 und 5 gezogenen Grenzen werden unten32 näher erläutert. b) Mitwirkungspflicht des Gegners Oben wurde allerdings aufgezeigt, dass die Regelungen über die sekundäre Darlegungslast in zweierlei Hinsicht nicht ausreichend sind. Zum einen erfassen sie auf Rechtsfolgenseite nur die Erklärungspflicht des Gegners. Demgegenüber erstrecken sie sich nicht auf die Vorlage von Urkunden, die Inaugenscheinnahme von Gegenständen sowie die ladungsfähige Benennung von Zeugen. Wie der Lockvogel-Fall gezeigt hat, können diese Informationsbeschaffungsformen nach derzeitigem Recht nur mittels der Regelungen über die Beweisvereitelung berücksichtigt werden, was deshalb nicht zufriedenstellend ist, weil diese Regeln nur in den Sonderfällen eines doppelten Verschuldens eingreifen und zum anderen nur eine negative Würdigung eines Verstoßes vorsehen, jedoch nirgends eine entsprechende Verpflichtung bzw. Obliegenheit postulieren, was aber für den mentalitätsbezogenen Wandel wichtig wäre. Das englische Beispiel hat gezeigt, dass in 32
S. 359 ff.
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Fällen der Informationsnot den Parteien sämtliche Informationsquellen zugänglich sein sollten und eine Differenzierung, weshalb nur Erklärungen des Gegners, nicht aber die Vorlage von Urkunden, die Gewährung einer Inaugenscheinnahme sowie die ladungsfähige Benennung von Zeugen auf Rechtsfolgenseite erfasst sein sollten, nicht erkennbar ist. Zum anderen ist im deutschen Recht jenseits der im soeben dargestellten Sinne (um die Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden, die Gewährung einer Inaugenscheinnahme sowie die ladungsfähige Benennung von Zeugen) erweiterten Erklärungspflicht die Verankerung einer allgemeinen Mitwirkungspflicht des Gegners als Auffangtatbestand erforderlich. Denn nur so kann eine flächendeckende Lösung erreicht werden. Sie schafft die bisher nicht vorhandene Grundlage, die Voraussetzung ist, um ein beweisvereitelndes Verhalten des Gegners über § 286 ZPO würdigen zu können. Nur wenn eine entsprechende Mitwirkungsverpflichtung der Parteien besteht, kann ein etwaiges Zuwiderhandeln auch sanktioniert werden. Überdies ist die Verankerung einer allgemeinen Mitwirkungspflicht dem Vollzug eines Wandels der rechtskulturellen Mentalität förderlich. Schließlich kann eine allgemeine Mitwirkungspflicht unter Umständen – sofern ein dogmatisches Mittel gefunden wird, um bereits eine „Vorwirkung“ zu erzeugen – auch nutzbar gemacht werden für einen vorprozessualen Informationsaustausch. Inhaltlich soll diese allgemeine Mitwirkungspflicht weitgehend deckungsgleich sein mit der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht, wie Stürner sie formuliert hat. Im Gegensatz zur Stürner’schen allgemeinen Aufklärungspflicht handelt es sich hier aber zum einen um eine Pflicht, die nicht de lege lata bereits besteht, sondern die erst de lege ferenda eingeführt werden soll. Zum anderen dient sie nur dazu, diejenigen Fälle zu erfassen, die nicht bereits unter die um die besondere Mitwirkungspflicht ergänzte erweiterte Erklärungspflicht des Gegners fallen und hat damit einen sehr viel kleineren Anwendungsbereich. Um dies zu verdeutlichen, ist die allgemeine Mitwirkungspflicht anders als in den Vorschlägen Stürners, Gottwalds und Beckhaus’ nicht an die schlichte Erklärungspflicht des Gegners in § 138 Abs. 2 ZPO anzukoppeln. Denn oben wurde als Prämisse festgelegt, dass die gegebenen Strukturen möglichst wenig aufgebrochen werden sollen, was zur Vorzugswürdigkeit erweiterter Mitwirkungs- bzw. Erklärungspflichten anstelle eines echten disclosure-Verfahrens geführt hat. Deshalb sollte es richtigerweise bei einer gesetzlichen Verankerung der bereits bestehenden sekundären Darlegungslast in § 138 Abs. 2 – wie oben dargestellt – bleiben, weil nicht erkennbar ist, weshalb dieses für Deutschland bereits gefundene und relativ weit reichende Instrumentarium wieder aufgegeben bzw. dadurch verwässert werden sollte, dass es nunmehr in einer allgemeinen Generalklausel aufgeht. Vorzugswürdig ist es, diese bereits bestehende überzeugende Lösung in § 138 Abs. 2 gesetzlich zu verankern, behutsam zu erweitern – wie oben aufgezeigt – und sodann eine davon losgelöste allgemeine Mitwirkungspflicht für alle
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verbleibenden Fälle zu statuieren. Allerdings führt die aufgezeigte mentalitätsbedingt ablehnende Haltung gegenüber derartigen Verpflichtungen gleichzeitig auch dazu, dass ein wohlbesonnener Kompromiss zu wählen ist. Einerseits sollte die Vorschrift keinen zu radikalen Bruch vollziehen, andererseits sollte sie hinreichend klarmachen, dass mit ihr der endgültige Abschied von jedem Rückzug auf das nemo contra se edere tenetur verbunden ist. Dies ist nur dann gewährleistet, wenn es sich um eine eigenständige Vorschrift handelt. Die Generalklausel könnte mithin in einem § 138 a Abs. 1 ZPO unter der Überschrift „Erweiterte Mitwirkungspflichten des Gegners“ verankert werden: „1Jede Partei ist, auch wenn sie nicht die primäre Darlegungs- und Beweislast trägt, gegenüber dem Gegner verpflichtet, an der Klärung rechtserheblicher Behauptungen der Gegenseite mitzuwirken. 2Diese Mitwirkungspflicht entfällt in den Fällen des § 138 Abs. 2 S. 3 und 4. 3§ 138 Abs. 2 S. 5 gilt entsprechend.“
Damit wäre nicht nur für die Fälle der echten Beweisvereitelung, sondern auch für die Fälle der Aufklärungsverweigerung in der Sachverhaltsbeibringungsphase eine dogmatische Grundlage für eine Mitwirkung geschaffen, deren Nichtbefolgung im Rahmen von § 286 ZPO gewürdigt werden kann. Die im Kommissionsentwurf von 1975 33 vorgeschlagene explizite Verankerung der Regelungen über die Beweisvereitelung in § 286 ZPO ist demnach nicht mehr erforderlich. Überdies war diese ohnehin unzureichend, weil sie lediglich eine Regelung zu den Rechtsfolgen einer Beweisvereitelung vorgeschlagen hat, jedoch eine Obliegenheit bzw. Verpflichtung zu einem entsprechenden Verhalten nicht vorsah.34 Die oben bereits angesprochene erforderliche Ausdehnung des § 138 Abs. 2 S. 2 in der hier vorgeschlagenen Fassung auf die Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten sowie die ladungsfähige Benennung von Zeugen könnte in Gestalt einer besonderen Mitwirkungspflicht in § 138 a Abs. 2 festgeschrieben werden: „1In den Fällen des § 138 Abs. 2 S. 2 erstreckt sich die Mitwirkungspflicht nach Abs. 1 auch auf die Erteilung von Auskünften, die Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten sowie die Benennung von Zeugen nebst ladungsfähiger Anschriften. 2 § 138 Abs. 2 S. 3, 4 und 5 gilt entsprechend.“
Vgl. S. 327 f. Insofern hat Stürner, Aufklärungspflicht, 1976, S. 382 zu Recht kritisiert, dass es naheliegen würde, zunächst einmal festzulegen, wann eine Aufklärungspflicht (bzw. richtiger eher eine Mitwirkungspflicht) besteht, bevor man die Folgen einer Verletzung dieser Pflicht regelt. Denn wenn die nicht risikobelastete Partei keine Aufklärungspflicht (besser: Mitwirkungspflicht) treffe, so sei Passivität ihr gutes Recht und an ihrem Verhalten gebe es dann auch nichts zu würdigen. 33 34
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Fälle wie der Lockvogelfall müssten nicht mehr künstlich und unzureichend über die Vorschriften der Beweisvereitelung gelöst werden. Überdies würde durch eine Vorschrift nach Art des hier vorgestellten § 138 a Abs. 2 ZPO in den allermeisten Fällen ein Rückgriff auf § 142 ZPO n.F. entbehrlich. Die Urkundenvorlage zur Sachverhaltsaufklärung wäre mithin auf Ebene der wechselseitig geschuldeten Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung – angeknüpft an die gegenseitigen Parteipflichten – gelöst, ein Rückgriff auf eine ermessensgesteuerte richterliche Anordnung müsste lediglich als Auffanglösung in den verbleibenden Fällen erfolgen. Diese Mitwirkungspflicht des Gegners setzt eine vorhergehende Identifizierung der vorzulegenden Urkunde, des Augenscheinsobjekts bzw. des zu benennenden Zeugen nicht voraus. Allerdings ist sie ähnlich wie die primäre Darlegungslast der darlegungsbelasteten Partei und die sekundäre Darlegungslast der nicht darlegungsbelasteten Partei ausgestaltet, so dass zunächst die darlegungsbelastete Partei Anhaltspunkte für das Vorhandensein etwaiger begehrter Urkunden, Zeugen und Augenscheinsobjekte vorzutragen hat, so dass, auch wenn diese Anhaltspunkte den Anforderungen einer Identifizierung nicht voll genügen, die erweiterte besondere Mitwirkungslast des Gegners ausgelöst wird. Wie von Stürner, 35 Gottwald 36 und Beckhaus 37 gefordert, sind die Regelungen über den Urkundenbeweis entsprechend zu harmonisieren. Anknüpfungspunkt für die Harmonisierung sollte aber nicht § 142 ZPO, sondern die hier vorgeschlagenen Voraussetzungen der besonderen Mitwirkungspflicht des neu zu schaffenden § 138 a Abs. 2 sein. § 422 ZPO ist demnach um einen Verweis auf § 138 a Abs. 2 zu ergänzen,38 so dass der Gegner nicht nur dann zur Vorlegung einer Urkunde verpflichtet ist, wenn der Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Herausgabe oder die Vorlegung der Urkunde verlangen kann, sondern auch dann wenn er diese nach § 138 a Abs. 2 fordern kann. Die in § 138 Abs. 2 S. 3 und 4 vorgesehenen Weigerungsrechte sowie die Möglichkeit des in § 138 Abs. 2 S. 5 zu ihrem Schutz vorgesehenen in camera-Verfahrens gelten entsprechend. c) Unbezifferte Klageanträge im Rahmen der Stufenklage Für die Fälle, in denen dem darlegungsbelasteten Kläger auf Grund seines Informationsdefizits noch nicht einmal die konkrete Bezifferung seines Klageantrags möglich ist, hat Gottwald sehr überzeugend die Möglichkeit einer Stufenklage vorgeschlagen, im Rahmen derer der Kläger zunächst auf Stürner, in: FG Vollkommer, 2006, S. 201, 213. Gottwald, Gutachten, 61. Juristentag, 2006, S. A 19. 37 Beckhaus, Informationsleistungspflicht, 2010, S. 406, 38 Vgl. auch den Vorschlag von Beckhaus, Informationsleistungspflicht, 2010, S. 406, der sich insoweit allerdings auf die von ihm vorgeschlagene Informationsleistungspflicht bezieht. 35 36
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erster Stufe einen unbezifferten Klageantrag stellt und diesen erst im zweiten Schritt – nach erteilter Information durch den Gegner – beziffert. Diese auf dem Vorschlag Gottwalds beruhende Möglichkeit sollte an die Voraussetzungen der erweiterten Erklärungspflicht des Gegners gem. § 138 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO in der hier vorgeschlagenen Fassung anknüpfen oder aber an die Voraussetzungen der soeben erläuterten erweiterten Mitwirkungspflicht gem. § 138 a ZPO. Wie von Gottwald vorgeschlagen, sollte mithin ein neuer § 254 Abs. 1 ZPO dem bisherigen § 254 ZPO, der dann zu § 254 Abs. 2 ZPO wird, vorangestellt werden: „(1) Hängt die bestimmte Angabe der Leistungen, die der Kläger beansprucht, von der erweiterten Erklärungspflicht des Gegners oder seiner Mitwirkungspflicht ab, so kann der Kläger zunächst einen unbezifferten Klageantrag unter Angabe eines Mindestbetrages stellen. Er hat seinen Antrag zu beziffern, sobald die Gegenpartei die geschuldete Aufklärung erbracht hat oder endgültig verweigert.“39
III. Anmerkungen zur Effizienzfunktion und zum vorprozessualen Informationsaustausch Soeben wurde bereits erläutert, dass ein disclosure-Verfahren zur Lösung der Gerechtigkeitsfunktion für das deutsche Recht nicht wünschenswert ist, dass es aber zur Befriedigung der Effizienzfunktion durchaus grundsätzlich in Betracht kommen kann. Es wurden allerdings auch bereits Zweifel angemeldet, das gerichtliche Verfahren vor dem Richter aus Effizienzgründen mit einem standardmäßigen Informationsaustausch zu versehen, da dies zu einem zeit- und kostenaufwendigen Durchlaufposten werden kann, zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits der Richter mit dem Fall befasst ist, so dass seine richterliche Kontrolle über den standardmäßigen Informationsaustausch wegen § 139 ZPO erforderlich ist. 1. Gründe für und gegen die Einführung von pre-action protocols Es fragt sich mithin, ob die Effizienzfunktion nicht auch durch einen vorprozessualen Informationsaustausch nach Art der englischen pre-action protocols gelöst werden kann. Denn zum einen ergaben die Anmerkungen zur Effizienzfunktion im zweiten Teil dieser Arbeit, dass ein standardmäßiger vorprozessualer Informationsaustausch gerade für den im deutschen Recht seit dem Jahr 2002 vorgesehenen obligatorischen Gütetermin nutzbar gemacht werden kann: Wenn die Parteien im Rahmen gegenseitiger Informationsgewährung vor der mündlichen Verhandlung Einblick in die Karten des Gegners erhalten, können sie eher die Stärken und Schwächen ihrer Argu39 So der Vorschlag Gottwalds, Gutachten, 61. Juristentag, 1996, A 19, wobei Gottwald anstelle der Formulierung „erweiterten Erklärungspflicht des Gegners oder seiner Mitwirkungspflicht“ den Passus „Sachverhaltsaufklärung durch den Gegner“ verwendet hat.
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mentation abschätzen und eine eigene Erfolgsprognose wagen. Dies ist auch für die Aufnahme von Vergleichsgesprächen förderlich. Ein möglichst früher Informationsaustausch erscheint unter dieser Prämisse wünschenswert. Ein pre-action-Informationsaustausch kann idealerweise sogar dazu führen, dass die Parteien die Gerichte nicht mehr weiter in Anspruch nehmen, weil sie die Aussichtslosigkeit der Klageerhebung bzw. Verteidigung bereits im Vorfeld erkennen. Für die Etablierung eines vorprozessualen Informationsaustauschs sprechen auch die positiven Erfahrungen, über welche die englische Praxis berichtet. Mehr als 50 Prozent der Befragten des Commercial Litigators Forum gaben zehn Jahre nach Inkrafttreten der CPR an, dass die pre-action protocols zu einer früheren Herauskristallisierung der strittigen Punkte und zu einer Erledigung von Klagebegehren mit schwachen Erfolgsaussichten geführt haben,40 so dass sie als „success-story“ bezeichnet wurden.41 Gegen ein Informationsaustauschverfahren wendet Beckhaus ein, dass es zur Verzögerung der Rechtsverfolgung kommen könne, wenn ein solches Verfahren in allen Fällen vorgeschrieben sei, etwa in solchen Fällen, in denen dem geltend gemachten Anspruch keine berechtigten Einwände entgegenstehen.42 Dies überzeugt jedoch nicht. Ob gegen einen Anspruch „berechtigte Einwände“ bestehen, oder nicht, ist ja der Kern der Streitigkeiten der Parteien. Gerade in den Fällen, in denen der Gegner lediglich „unberechtigte Einwände“ erhebt, kann ein Informationsaustauschverfahren sehr nutzbringend sein, da der Gegner die fehlende Berechtigung unter Umständen erst erkennt, wenn er mit dem Anspruchsteller sämtliche verfügbaren Informationen ausgetauscht hat. Nicht relevant ist damit die Differenzierung zwischen „berechtigten“ und „unberechtigten“ Einwänden. Entscheidend ist vielmehr, ob gegen den geltend gemachten Anspruch tatsächliche, oder rechtliche Einwände erhoben werden, mithin, ob der klägerische Sachvortrag bestritten, oder aber die rechtliche Würdigung angegriffen wird. Nur in ersterem Fall kann ein Informationsaustauschverfahren sinnbringend sein, wohingegen in zweiterem Fall der Austausch von Informationen zwischen den Parteien in der Regel nicht zu einer Konfliktlösung führen dürfte, eben weil es nicht fehlende Informationen sind, die zu einer divergierenden Bewertung führen, sondern unterschiedliche rechtliche Ansichten. In diesem Fall ist eine Verständigung nur durch die Beteiligung eines neutralen Richters oder einer anderen zur Entscheidung oder Schlichtung berufenen Stelle zu erwarten. Erfolgsversprechend kann in diesen Fällen insbesondere die obligatorische Güteverhandlung gem. § 278 Abs. 2 ZPO vor dem Richter sein. Letztere ist jedoch in den Fällen nicht von Erfolg gekrönt, in denen nicht alle relevanten Vgl. oben, S. 64 f. So Barkes, Ten years on, 2009, S. 435, 439. 42 Beckhaus, Informationsdefizite, 2010, S. 350 f. 40 41
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Informationen auf dem Tisch liegen und die Parteien sich erhoffen, das Blatt werde sich im Rahmen der Beweisaufnahme zu ihren Gunsten wenden. Liegt aber ein unstreitiger Sachverhalt vor und zeichnet sich in der Güteverhandlung ab, dass der Richter einer bestimmten Rechtsauffassung zugeneigt ist, kann dies die Motivation zu einer gütlichen Einigung steigern, da das weitere streitige Verfahren demgegenüber keinen Mehrwert erwarten lässt.43 2. Regelungsort Zentral für den Erfolg eines solchen Informationsaustauschverfahrens ist, dass ihm nicht ein ähnliches Schicksal beschieden ist, wie der – im Grundgedanken richtigen – obligatorischen Güteverhandlung nach § 278 Abs. 2 ZPO bzw. dem Schlichtungsversuch gem. § 15 a EGZPO und dass es nicht zu einem kosten- und zeitaufwendigen, lästigen und ergebnislosen pro-forma Verfahrensabschnitt degeneriert. Wichtig ist deshalb zum einen, dass bei der konkreten Ausgestaltung die relevanten Fachkreise ihre Expertise und Erfahrung einbringen. Neben Anwaltschaft und Richterschaft, sollten insbesondere auch Versicherungsvertreter beteiligt werden, die in die Regulierung von Personenschäden, Sachschäden, Bauprozessen und Arzthaftungssachen eingebunden sind. Zum anderen sollte eine Verankerung nicht in Gesetzesform erfolgen, sondern in Gestalt einer Rechtsverordnung. Dies vermeidet sperrige Gesetzesänderungsverfahren und ermöglicht – für einen praxisrelevanten und praxisgeprägten Bereich – schnelle und flexible Antworten auf neue tatsächliche Gegebenheiten und Erfahrungen. 44 Dass solche Protokolle von Praktikern für Praktiker geschrieben werden, erscheint von großer Bedeutung für die Akzeptanz der Protokolle. Überdies kann so besser darauf hingewirkt werden, dass die Protokolle derart einfache und verständliche eindeutige Verhaltensanweisungen vorgeben, dass im Idealfall auch die Partei selbst erkennen kann, was von ihr erwartet wird, ohne zwingend einen Rechtsanwalt konsultieren zu müssen. 3. Zulässigkeitsvoraussetzung oder kostenrechtlich sanktionierter Kodex Fraglich ist, in welcher Form die Einhaltung der Protokolle Eingang in die ZPO finden soll. In Betracht kommt zum einen die Erhebung ihrer Einhaltung zur Zulässigkeitsvoraussetzung, wie Greger45 es verlangt hat. Zum anderen könnten die Protokolle wie im englischen Recht lediglich als Kodex guten Allerdings werden gleichwohl zumindest diejenigen Fälle durch Urteil entschieden werden müssen, in denen jedenfalls ein Beteiligter mentalitätsbedingt auf einem Urteil besteht, das das Bestehen seines Anspruchs „schwarz auf weiß“ verbrieft. 44 So im Ergebnis auch die Anregungen von Engelhardt, Woolf-Reformen, 2007, S. 129 f. Dies zeigt nicht zuletzt die englische Erfahrung: Dort findet sich die konkrete Ausgestaltung der pre-action protocols in practice directions, vgl. oben, S. 56. 45 Greger, JZ 2002, S. 1020, 1026. 43
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vorprozessualen Verhaltens umgesetzt werden, deren fehlende Befolgung lediglich auf Kostenebene zu sanktionieren ist. Die Ausgestaltung als Zulässigkeitsvoraussetzung läuft Gefahr, die Protokolle zu einem sperrigen Verfahrensbestandteil zu machen, der Prozesse unnötig in die Länge zieht. Demgegenüber zeigt das Beispiel der englischen pre-action protocols mit der Möglichkeit der Kostensanktionierung eine überzeugende Lösung auf, wie ein derartiges Verfahren den Parteien nahegelegt wird, ohne zur unflexiblen Zulässigkeitsvoraussetzung zu werden. Sollten die Parteien der Auffassung sein, dass ein solches Verfahren den Prozess unnötig verlängern würde, ohne zur Streitbeilegung oder Prozessvorbereitung einen sinnvollen Beitrag leisten zu können, weil bereits alle Informationen vorliegen und allein über Rechtsfragen gestritten wird, ist es den Parteien unbenommen, auf ein derartiges Verfahren zu verzichten. Sofern sich ihre Einschätzung später im Prozess bewahrheitet, müssen sie auch nicht mit negativen Kostenfolgen rechnen. Allerdings müsste eine Art Generalklausel über die Einhaltung des vorprozessualen Informationsaustauschs etabliert werden, dessen konkrete Ausgestaltung dann durch – unter Beteiligung der Praxis erarbeitete – Protokolle erfolgt. Denn anderenfalls wäre eine Sanktionierung auf Kostenebene dogmatisch schwer zu verankern, wenn es an der Verankerung einer entsprechenden Obliegenheit fehlte. 4. Voraussetzungen des vorprozessualen Informationsaustauschs Zu klären sind ferner die dogmatische Verankerung sowie die konkreten Voraussetzungen, die eine Obliegenheit zu einem vorprozessualen Informationsaustausch in Gang setzen. Interessant ist insofern die Klageankündigung im reformierten japanischen Zivilprozess. Dort ist der Zugang einer Klageankündigung bei dem künftigen Beklagten Voraussetzung, um ein vorprozessuales Erkundigungsrecht auszulösen. Diese Klageankündigung stellt gleichzeitig die dogmatische Grundlage dafür dar, derartige vorprozessual wirkende Informationspflichten auszulösen. Eine derartige Regelung überzeugt, weil sie den künftigen Parteien Sicherheit und Klarheit darüber verschafft, ab welchem Zeitpunkt konkret eine Sanktionierung drohen kann. Ferner bietet sie ein überzeugendes Modell dafür an, wie vorprozessual wirkende Pflichten entstehen. Auch im materiellen deutschen Recht sind im Rahmen der Vertragsanbahnung gesteigerte gegenseitige Pflichten durch das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo (c.i.c.) denkbar, die nunmehr in § 311 Abs. 2 BGB kodifiziert ist. Ähnlich wie bei der c.i.c. wäre nur eine eingeschränkte Sanktionierung möglich. Dort ist nur zu ersetzen, was der anderen Seite zugestanden hätte, wenn es nie zu der Vertragsanbahnung gekommen wäre, hier kann die eine Seite maximal verlangen, so gestellt zu werden, als sei es nie zum Klageverfahren gekommen. Der gegenüber dem Bestehen materiellrechtlicher Informationsansprüche beschränkteren Legiti-
B. Grenzen
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mationsbasis des durch die Klageankündigung ausgelösten vorprozessualen Rechtsverhältnisses wird dadurch Rechnung getragen, dass es sich nur um eine Obliegenheit und nicht um eine echte Pflicht zum vorprozessualen Informationsaustausch handelt. 5. Regelungsvorschlag für Verankerung in der ZPO „1Die künftigen Parteien eines Rechtsstreits haben einander wechselseitige Informationen zu erteilen. 2Diese Obliegenheit entsteht, sobald dem künftigen Beklagten eine Klageankündigung des Klägers zugegangen ist. 3Der wechselseitige Informationsaustausch erstreckt sich auf Auskünfte, Augenscheinsobjekte und Urkunden. 4§ 138 Abs. 2 S. 3 und 4 gelten entsprechend.“
B. Grenzen Grenzen werden sämtlichen hier vorgeschlagenen Instrumentarien durch den Schutz der Privatsphäre gezogen. Die Bedeutung, diese Grenzen zu respektieren, wurde in Teil II u.a. im Rahmen der Problematik der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel aufgezeigt. I.
Ausforschungsbeweis
Wichtige Facette ist zum einen die Respektierung der durch die Unzulässigkeit des Ausforschungsbeweises nach dem hier vertretenen Verständnis gezogenen Grenzen. Diese wurden oben bereits dargestellt. Sie werden im Regelungsvorschlag des § 138 Abs. 2 S. 2 ZPO insbesondere darin deutlich, dass die darlegungsbelastete Partei Anhaltspunkte für die vermutete Tatsache vorbringen und alle übrigen Tatbestandsmerkmale vortragen können muss. Ferner ist sie explizit als Grenze im Rahmen des § 138 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 138 a Abs. 1 und 2 ZPO aufgenommen. II. Weigerungsrechte Eine weitere Grenze der Mitwirkungsverpflichtung des Gegners stellen überwiegende schutzwürdige Interessen des Gegners dar. Als solche sind insbesondere, aber nicht abschließend, das Betriebsgeheimnis und das Anwaltsprivileg in dem jeweils oben 46 definierten Umfang anzuerkennen. Diese Grenzen sind – wie S. 4 des Regelungsvorschlags klarstellt – gemeint, wenn § 138 Abs. 2 S. 3 ZPO in der hier vorgeschlagenen Fassung von Unzumutbarkeit spricht. Das Zumutbarkeitskriterium ist demgegenüber nicht dahingehend misszuverstehen, wie dies im nemo tenetur-Fall 1997 geschah. Dort
46
Vgl. oben, S. 116 f., S. 118 ff. und S. 304 ff.
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hatte der BGH zu Unrecht verlangt, dass konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein der Zumutbarkeit vorliegen, was im nemo tenetur-Fall 1997 abgelehnt wurde, weshalb die informationsbedürftige Partei zu Unrecht ihr Informationsdefizit nicht ausgleichen konnte. 47 Das Zumutbarkeitskriterium ist mithin keine von der informationsbedürftigen Partei darzulegende Voraussetzung, sondern vielmehr eine Einwendung, die die Gegenseite erheben kann, wenn sie glaubt, überwiegende schutzbedürftige Interessen stünden ihrer Mitwirkung entgegen. Zur Sicherung von überwiegenden berechtigten Geheimhaltungsinteressen ist als ultima ratio – wie von Stürner, Stadler, Beckhaus und Westhoff vorgeschlagen (s.o.)48 – die Zulässigkeit eines in camera-Verfahrens zu etablieren, wenn effektiver Rechtsschutz anderenfalls in jedem Fall ausscheidet und die Partei, deren rechtliches Gehör dadurch eingeschränkt wird, nach vorheriger Aufklärung durch das Gericht über die damit verbundenen Konsequenzen auf die volle Gewährung rechtlichen Gehörs verzichtet.49 Die Ergebnisse dieses Verfahrensabschnitts sind in einer gesonderten Beiakte zu führen, in die ein Recht auf Einsichtnahme nicht besteht. 50 Das Gericht ist in diesem Fall verpflichtet, lediglich das Ergebnis dieses Verfahrensabschnitts in sein Urteil aufzunehmen. III. Zumutbarkeitskriterium im Übrigen An der Zumutbarkeit kann es ferner im Einzelfall in Konstellationen fehlen, in denen der Anwendungsbereich eines materiellrechtlichen Auskunftsanspruchs nicht eröffnet ist (s.o.).51 Hier kann der zur Information herangezogene Gegner darlegen, dass und inwieweit durch seine Heranziehung die durch das materielle Recht gezogenen Wertungen unterlaufen würden. Dies ist in § 138 Abs. 2 S. 3 und 4 i.V.m. § 138 a Abs. 1 und 2 berücksichtigt. IV. Keine fehlende Verhältnismäßigkeit In Anlehnung an das englische Recht sollte als weitere Grenze die Einwendung fehlender Verhältnismäßigkeit vorgesehen werden. Dies ist eine Lehre, die aus dem englischen Recht gezogen werden kann, in dem teilweise ausufernde Mitwirkungspflichten zu unangemessen hohen Kosten und unangemessen großem Zeitaufwand führten. Insbesondere in kleineren Verfahren mit niedrigen Streitwerten vor den Amtsgerichten ist darauf zu achten, dass durch gesteigerte Mitwirkungspflichten nicht zu hohe Kosten bzw. eine BGH v. 17.10.1996, NJW 1997, S. 128. Siehe S. 309 f. 49 So im Ergebnis auch Westhoff, Zugang zu Beweismitteln, 2010, S. 81 f. 50 Westhoff, Zugang zu Beweismitteln, 2010, S. 81 f. 51 S. 302 ff. 47 48
C. Sanktionen und Kosten
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überlange Verfahrensdauer ausgelöst werden. Die Sorge der fehlenden Verhältnismäßigkeit wurde auch in der deutschen Literatur gegen erweiterte Mitwirkungspflichten geäußert. Ihr ist ebenfalls in § 138 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 138 a Abs. 1 und 2 Rechnung getragen.
C. Sanktionen und Kosten Als Sanktionen der fehlenden Einhaltung der erweiterten Erklärungspflicht des Gegners sowie der allgemeinen und besonderen Mitwirkungspflicht sind – wie im bisherigen deutschen prozessualen Äquivalent – die bereits erfolgreich praktizierten Sanktionen der negativen Berücksichtigung im Rahmen der Beweiswürdigung sowie der widerlegbaren Vermutung angemessen. Allerdings fehlt es derzeit an einer Sanktion für diejenigen Fallgestaltungen, in denen die informationsbedürftige Partei auf die Erteilung der Information angewiesen ist, um ihre Klage überhaupt beziffern zu können, in der ihr also weder die Beweiswürdigung noch die widerlegbare Vermutung der Richtigkeit des eigenen Vortrags der informationsbedürftigen Partei weiterhelfen.52 In derartigen Fällen stellt das englische Recht mit der Möglichkeit einer contempt of court-Androhung ein überzeugendes Lösungsmittel bereit. Eine solche könnte im deutschen Recht über die analoge Anwendung der Vorschriften über die Vollstreckbarkeit unvertretbarer Handlungen umgesetzt werden. 53 Daneben besteht die Möglichkeit der von Gottwald vorgeschlagenen Erhebung der Stufenklage gem. § 254 Abs. 1 in der hier formulierten Fassung. Die genannten Sanktionen sollten in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Das Gericht sollte zunächst auf das schwächste Sanktionsmittel zugreifen und nur wenn dies der informationsbedürftigen Partei nicht weiterhelfen kann, die nächste Stufe beschreiten. Auf erster Stufe steht die Beweiswürdigung, auf zweiter Stufe die widerlegbare Vermutung und auf dritter Stufe die Vollstreckung nach den Vorschriften über die Vollstreckbarkeit unvertretbarer Handlungen. Im Einzelfall kann aber auch die Beweiswürdigung das einschneidendste Mittel sein, und die widerlegbare Vermutung für den Gegner mit negativeren Konsequenzen verbunden sein, als die Vollstreckbarkeit. Das Gericht hat über das konkrete Mittel im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu befinden, in die die Effektivität der Maßnahme zur Behebung des Informationsdefizits, die konkreten Auswirkungen für den Gegner und der Grad der Vorwerfbarkeit des Verhaltens des Gegners, insbesondere ein etwaiges Verschulden einzubeziehen sind.
52 53
Vgl. zu dieser Differenzierung auch Beckhaus, Informationsdefizite, 2010, S. 393. So der überzeugende Vorschlag von Beckhaus, Informationsdefizite, 2010, S. 393 ff.
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Kapitel 12: Auswertung der Lösungsmodelle
Bei Nichtbefolgung der Obliegenheit zu vorprozessualem Informationsaustausch ist in § 93 a ZPO dem Richter die Möglichkeit einzuräumen, dieses Verhalten im Rahmen der Kostenentscheidung dahingehend zu berücksichtigen, dass – abweichend von der grundsätzlichen Kostenhaftung der unterliegenden Partei – der anderen Seite die Kosten ganz oder teilweise aufzuerlegen sind. In die Ermessensentscheidung hat dabei insbesondere einzufließen, inwieweit durch das informationsfeindliche Verhalten der Partei der Rechtstreit ganz oder teilweise hätte vermieden werden können bzw. – auch wenn eine Vermeidung nicht möglich gewesen wäre – inwieweit die Partei durch dieses Verhalten Kosten und Zeit verursacht hat. Schließlich ist – wie von Greger gefordert – der verstärkten Aufklärungsarbeit, die im Rahmen des vorprozessualen Informationsaustauschverfahrens durch die Anwälte anstelle der Richter geleistet werden muss, durch eine entsprechende Gebühr (vergleichbar der Beweisgebühr) Rechnung zu tragen.54
Greger, BRAK-Mitt 4/2005, S. 150, 155. Dagegen aber Engelhardt, Woolf-Reformen, 2007, S. 126 f. 54
Teil IV
Gesamtergebnis und Thesen A. Gesamtergebnis 1. Einer der Hauptunterschiede zwischen dem englischen und dem deutschen Zivilprozess liegt in der Art und Weise, wie Sachverhaltsaufklärung betrieben wird.1 Während es im englischen Zivilprozess ein Stadium gibt, in dem die Fakten des Falles noch vor der eigentlichen Beweisaufnahme aufgeklärt werden können, wird dies in Deutschland als mit dem Grundsatz der Parteiherrschaft unvereinbar angesehen. Nach englischem Verständnis handelt es sich bei dem disclosure-Verfahren um einen Mechanismus zur Erzeugung von Fairness und Gleichheit. 2 Demgegenüber ordnet das deutsche Zivilprozessrecht im Wesentlichen nur die Darlegung derjenigen Tatsachen an, die das Vorbringen der jeweiligen Partei stützen,3 weil es als mit dem Beibringungsgrundsatz unvereinbar angesehen wird, von einer Partei die Offenlegung von Informationen zu verlangen, die für ihre eigene Angriffs- oder Verteidigungslinie ungünstig sind. Eine Einschränkung ergibt sich aus dem Wahrheits- und Vollständigkeitsgebot (§ 138 ZPO), demzufolge solche Auslassungen unzulässig sind, die den Sachverhalt bewusst verschleiern oder unterdrücken. Nach englischem Recht ist eine Partei von einer umfassenden Offenlegungsverpflichtung nur insofern befreit, als sie einem Ausforschungsbegehren ausgesetzt ist oder sie ein privilege für sich in Anspruch nehmen kann. Das englische Recht scheint – wenn auch nicht explizit – dem strafprozessualen Grundsatz des nemo tenetur se ipsum accusare für das Zivilprozessrecht nur den Bedeutungsgehalt beizumessen, dass auch im Zivilprozess niemand gezwungen werden könne, Dokumente vorzulegen, die ihn der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen. 4 In der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung findet sich der Grundsatz demgegenüber vollkommen losgelöst von der strafprozessualen Problematik im zivilprozessualen Gewand wieder und verbietet dort, von einer Prozesspartei zu verlangen, Informationen offenzulegen, die ihrem eigenen zivilprozessualen Begehren nicht förderlich sind. Langbein, (1985) 52 U.Chic.L.R., S. 823, 824. Jacob, Fabric, 1987, S. 94. 3 Innerhalb der durch § 138 ZPO gezogenen Grenzen. 4 Re Arrows (No 4) [1995] 2 A.C. 75, 95. 1 2
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Gesamtergebnis und Thesen
2. Sowohl das englische als auch das deutsche Zivilprozessrecht lehnen es ab, die Suche nach der wahren Sachlage als selbstständiges Verfahrensziel anzuerkennen. Dies scheint seine Ursache darin zu haben, dass entgegen manchem rechtsvergleichenden Vorurteil keines der beiden Systeme inquisitorisch ist. Dass Letzteres seitens der englischen Wissenschaft in Bezug auf Deutschland oft anders empfunden wird, liegt daran, dass der Umfang der verfahrensleitenden Kompetenzen des deutschen Richters überschätzt wird. Um das Spannungsverhältnis aufzulösen, das sich aus einer strengen Anwendung des Grundsatzes der Parteiherrschaft in Bezug auf das Herausfiltern der wahren Tatsachenlage ergeben kann, bedienen sich beide Länder eines Instruments, das dagegen ansteuern soll: Deutschland löst das Problem, indem es u.a. dem Richter gegenüber den Parteien durch die Neufassung des § 142 ZPO zusätzliche Macht verleiht, und England dadurch, dass es sein disclosure-System beibehält. Die Tatsache, dass im englischen Zivilprozess trotz der Ausstattung des Richters mit verfahrensleitenden Kompetenzen durch die Woolf-Reformen das disclosure-Verfahren grundsätzlich beibehalten wurde, stimmt den deutschen Juristen nachdenklich. Gleiches gilt für die Tatsache, dass das ebenfalls vom Grundsatz der Parteiherrschaft dominierte englische Recht keinerlei Probleme damit zu haben scheint, von einer Partei die Offenlegung ihr ungünstiger Informationen und Dokumente zu verlangen. Nach alledem sieht man sich mit einer doch recht sonderbaren Situation konfrontiert: Auf der einen Seite steht das englische System, das sich selbst für so adversarial hält, dass es meint, die Ermittlung der wahren Rechtslage nicht als selbstständiges Ziel des Zivilprozesses anerkennen zu dürfen, das paradoxerweise jedoch gleichzeitig ein disclosure-System bereithält, das eben jenes adversarial principle erheblich einschränkt, und zwar um der Ermittlung der Wahrheit willen. Auf der anderen Seite findet sich das in der Rechtsvergleichung oft als inquisitorisch eingestufte deutsche System, das es nicht wagt, ein disclosure-Verfahren einzuführen, weil es glaubt, dadurch den Grundsatz der Parteiherrschaft in unvertretbarer Weise einzuschränken. 3. Die Sorge des BGH, dass die Einführung eines disclosure-Systems den deutschen Zivilprozess inquisitorisch machen könnte, ist nicht gerechtfertigt. Im Gegenteil: je mehr Informationen von den Parteien offen gelegt werden, desto weniger besteht ein Bedürfnis für richterliche Interventionen. 5 Erweiterte Mitwirkungspflichten der Parteien haben somit grundsätzlich nichts mit Amtsermittlung zu tun. Denn letztere betrifft allein die Frage, wie viel ein Richter aus eigener Initiative ohne vorherigen Antrag der Partei ermitteln darf, nicht aber wie viel Sachverhaltsaufklärung die Parteien sich gegenseitig schulden. In diesem Sinne hat Schlosser etwas zugespitzt formuliert: 5
Siehe auch Stürner, ZZP 104 (1991), S. 208, 215.
A. Gesamtergebnis
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„Hat man erst einmal die ,sporting theory of justice‘ im ursprünglichen Verständnis der Verhandlungsmaxime dingfest gemacht, so gibt es nur zwei moderne Fairness-Standards als Alternative: Richterliche Inquisition oder wechselseitige Parteiausforschung.“6
Die Änderung von § 142 ZPO im Jahr 2002 hat gezeigt, dass man sich auch in Deutschland dieses Dilemmas bewusst geworden ist; jedoch ist die Korrektur nicht an der richtigen Stelle erfolgt. Die Verantwortung für die Offenlegung von Dokumenten in die Hände des Richters zu legen, widerspricht gerade dem, was der BGH erreichen will, wenn er die Einführung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht ablehnt. Wenn der deutsche Dispositions- und Beibringungsgrundsatz beibehalten werden soll, so kann ein systemgerechter Ausgangspunkt für eine Verbesserung der Sachverhaltsaufklärung nur bei der Rechtsbeziehung der Parteien ansetzen.7 Der systemkonforme Weg wäre daher die Einführung gegenseitiger Aufklärungspflichten der Parteien gewesen, nicht aber ein Ausbau der richterlichen Kompetenzen. 4. Lord Woolf hatte in seinem Zwischenbericht gesagt, für England gebe es „no alternative to a fundamental shift in the responsibility for the management of civil litigation from litigants and their advisers to the courts“. 8 Demgegenüber ist es in Deutschland an der Zeit, zu erkennen, dass es keine überzeugende Alternative zu einer Verlagerung der Verantwortung für die Sachverhaltsaufklärung von den Gerichten zu den Parteien gibt, wenn der deutsche Zivilprozess im europäischen und internationalen Rechtsvergleich auch im 21. Jahrhundert noch konkurrenzfähig sein soll. 5. In einem vom Beibringungsgrundsatz beherrschten Verfahren ist als Mindeststandard das Erreichen der Wahrheit im formellen Sinne, also im Sinne einer verfahrensgemäß zustande gekommenen Entscheidung gewährleistet. Gleichzeitig muss aber auch sichergestellt sein, dass eine nur formelle Wahrheit im Gegensatz zu einer materiellen Wahrheit nur dann angestrebt wird, wenn dafür ein rechtfertigender Grund vorliegt. Dieser ist darin zu sehen, dass es eigenständige prozedurale oder sonstige Rechte gibt, die eines Schutzes bedürfen. In allen anderen Fällen muss es dabei bleiben, dass die materielle Wahrheit Ziel des Verfahrens ist. Mindestziel ist somit die formelle Wahrheit, Idealziel die Feststellung der materiellen Wahrheit. Gibt es Gründe, die das Erreichen dieses Zwecks in Frage stellen, so muss das Verfahren mithin jedenfalls auf eine formelle Wahrheit ausgerichtet bleiben. Dies ergibt sich aus dem Verständnis des Beibringungsgrundsatzes als einer Maxime, die zum einen ökonomisch und zum anderen liberal zu verstehen ist. Eine nur Schlosser, JZ 1991, S. 599, 603. So auch Schaaff, Discovery, 1983, S. 144. 8 Woolf, Interim Report, 1995, S.18. 6 7
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„technische“ 9 Begründung der Verhandlungsmaxime würde es nicht rechtfertigen, die Ausrichtung auf eine formelle Wahrheit als Mindestgarantie zu beschränken. Vielmehr müsste es bei einem nur „technischen“ Verständnis der Verhandlungsmaxime für alle Fälle bei einer anzustrebenden materiellen Wahrheit bleiben. Der Beibringungsgrundsatz hat neben dieser ökonomischen Facette aber seine relevante Begründung auch in dem Schutz des Einzelnen vor der Übermacht des Richters und des Staates. Mit diesem Begründungsansatz befindet man sich ebenso wie mit dem Streben nach materieller Wahrheit auf einer normativen Ebene. Auf dieser gibt es, wie am Beispiel der prozeduralen und materialen Gerechtigkeit sowie dem Individualrechtsschutz als Kehrseite der Bewährung des objektiven Rechts gezeigt, jedenfalls immer zwei Seiten, meist aber mehrere Facetten, die sich teils gegenseitig bedingen, teils einander ausschließen und die so zu einem Kompromiss miteinander finden müssen. Eine Auswertung der deutschen Judikatur hat ergeben, dass dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Regel Vorrang vor dem Aufklärungsinteresse der in Beweisnot geratenen Partei zukommt. Das hat das Beispiel der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel gezeigt. Dass man dies auch anders sehen kann, illustriert das englische Recht. Diese unterschiedliche Sichtweise hat Auswirkungen auf die Frage des Zugangs zu Information und Beweis, zeigt sie doch, dass im deutschen Recht dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenwärtig ein höheres Gewicht beigemessen wird, als in England. Wenn es nun zu beantworten gilt, ob das deutsche Recht defizitär ist, so muss man berücksichtigen, dass die Wertungen, an denen dies zu messen ist, andere sind als in England. Die Richtigkeit dieser Wertungen zu hinterfragen ist nicht Aufgabe dieser Dissertation. Hier geht es auch nicht um richtig oder falsch, sondern um Wertungen auf einer sehr abstrakten Ebene, die nicht einfach durch eine Gesetzesänderung nachhaltig modifiziert werden können. Derartige Gesetzesänderungen würden vermutlich auch daran scheitern, dass sie rechtstatsächlich nicht umgesetzt würden. Es wurde anhand der Fallbeispiele aber auch gezeigt, dass die deutsche Lösung zu Ergebnissen kommt, die losgelöst von diesen Fragen als defizitär zu werten sind. Zum einen, weil Rechtssicherheit auf Grund der Zersplitterung des Rechts nicht mehr gewährleistet ist. Zum anderen weil das deutsche Recht Gefahr läuft, den Beibringungsgrundsatz als solchen zum Selbstzweck zu erhöhen. Dies kann überschießende Folge der Betonung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sein. Es kann auch historisch aus den Erfahrungen des dritten Reiches zu erklären sein. Ebenso wie – zu Recht – darauf hingewiesen 9 Vgl. zu den Begriffen der „technischen“ bzw. „ökonomischen“ sowie der „privatautonomen“ und „liberalen“ Begründung des Beibringungsgrundsatzen ausführlich oben S. 262 ff.
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wird, dass die Wahrheit nicht Selbstzweck des Verfahrens sein kann, kann nichts anderes für den Beibringungsgrundsatz gelten – erst recht, ist man versucht zu sagen. Denn während die Stellung der Wahrheitsfindung nur normativ zu begründen ist, hat der Beibringungsgrundsatz neben seiner normativen Erklärung immer noch die technische, ökonomische Mittel-zum-ZweckFacette. Vielleicht bedingen sich beide Phänomene der fehlenden Rechtssicherheit beim Ausgleich von Informationsdefiziten und der Überbetonung der Verhandlungsmaxime wechselseitig, vielleicht auch nicht. Jedenfalls erscheinen sie nicht als erstrebenswerte Entwicklung, so dass Abhilfe wünschenswert ist. Abhilfe kann hier aber nicht so weit wie das englische disclosure-Verfahren gehen. Das wäre mit der Betonung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vereinbar, überdies aber auch rechtskulturell und rechtstatsächlich nur schwer durchsetzbar; eine stringente Verankerung eines prozessualen Rechts auf Zugang zu Information und Beweis, nicht im Sinne von Aufklärungspflichten aus eigener Initiative, aber im Sinne von Auskunft auf Anfrage des Gegners und nach substantiiertem Darlegen wäre hingegen interessengerecht und zulässig. Ferner besteht ein Bedürfnis für kostenrechtlich sanktionierten gesteigerten vorprozessualen Informationsaustausch. Dieser gewährleistet eine prozedurale Verfahrensgerechtigkeit neben der materialen. Letztere wird traditionell im deutschen Recht sehr stark betont, wie nicht zuletzt der stete Verweis auf die Lösung im materiellen Recht zeigt. Aber es gibt daneben auch eine prozedurale Verfahrensgerechtigkeit, und diese gebietet das gemeinsame Fördern einer grundsätzlich richtigen Entscheidung, wenn nicht andere Rechtsgüter das bloße Beharren auf der formellen Wahrheit gebieten.
B. Thesen I.
Der Rechtsvergleich zu England hat ergeben:
1. Die Situation unverschuldeter Informationsdefizite der beweisbelasteten Partei wird in England in vielen Fällen durch das disclosure-Verfahren vermieden. 2. Die Konstellation unverschuldeter Informationsdefizite ist auch dem deutschen Recht bekannt. Ihr wird im Wesentlichen durch materiellrechtliche Informationsansprüche entgegengewirkt, durch die Regeln über die sekundäre Darlegungslast, Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr, Berücksichtigung beweisvereitelnden Verhaltens auf Ebene der Beweiswürdigung, durch § 142 ZPO n.F. und durch das selbstständige Beweisverfahren. 3. Eine vergleichbar flächendeckende Lösung wie durch das englische disclosure-Verfahren wird im deutschen Recht jedoch nicht erreicht.
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Gesamtergebnis und Thesen
4. Die englischen pre-action protocols finden ein funktionales Äquivalent weder in den deutschen materiellrechtlichen Informationsansprüchen noch in dem selbstständigen Beweisverfahren. Einen standardisierten Informationsaustausch vor Klageerhebung gibt es in Deutschland nicht. Ein solcher vorprozessualer Informationsaustausch findet allenfalls auf freiwilliger Basis statt, insbesondere wenn Anwälte oder Versicherungen darauf hinwirken und kooperationsbereit sind. 5. Die Vielzahl an Mechanismen des deutschen Rechts, deren Anwendung teils dogmatischer Stringenz entbehrt, verursacht – wie insbesondere die Judikatur der Instanzgerichte zeigt – erhebliche Rechtsunsicherheit. 6. Erweiterte Mitwirkungspflichten der Parteien bedeuten keine Abkehr vom Grundsatz der Parteiherrschaft. Sie würden im Gegenteil dazu beitragen, der Tendenz, die Richtermacht immer weiter auszubauen, entgegenzuwirken. 7. Erweiterte Mitwirkungspflichten führen nicht zwangsläufig zu einer Erhebung der Wahrheitsfindung zum Prozesszweck. 8. Der Wahrheitsfindung kommt in beiden Ländern eine große Bedeutung zu. Ein disclosure-Verfahren bzw. erweiterte Mitwirkungspflichten tragen in erheblichem Maße zu ihrer Förderung bei. II. Die Analyse des deutschen Rechts hat ergeben: 1. Die Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast stehen erweiterten Mitwirkungspflichten nicht entgegen. a) Die objektive Darlegungs- und Beweislast bleibt von erweiterten Mitwirkungspflichten unangetastet. Das muss sie auch, weil die Zuweisung des non liquet normativ-materiellrechtlich begründet ist. b) Allein die subjektive Darlegungs- und Beweislast wird durch erweiterte Mitwirkungspflichten berührt. An ihrer grundsätzlichen Zuweisung an die Parteien wird jedoch ebenfalls nicht gerüttelt. Allein die Frage der Verteilung zwischen den Parteien untereinander ist betroffen. Das ist auch zulässig, weil der Verteilung der subjektiven Darlegungs- und Beweislast primär Zweckmäßigkeitserwägungen zu Grunde liegen. 2. Der angebliche nemo tenetur-Grundsatz ist nicht aus dem Beibringungsgrundsatz abzuleiten. Erweiterte Mitwirkungspflichten der nicht darlegungsbelasteten Partei sind nicht per se als unzulässiger Ausforschungsbeweis zu werten. Die in der Rechtsprechung unter dem irreführenden Dogma des nemo tenetur erörterten Fälle sind tatsächlich Fallgestaltungen, in denen es um unzulässige Beweisermittlungsanträge ging, deren Unzulässigkeit sich bereits aus dem allgemeinen Prozessrecht ergab. Eines darüber hinausgehenden Rückgriffs auf einen angeblichen nemo tenetur-Grundsatz hätte es nicht nur nicht bedurft, ein solcher war auch irreführend, weil er später in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu
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einem eigenständigen Begründungsansatz geworden ist, dem – in der irrigen Annahme damit auf eine alte Rechtsprechung zurückgreifen zu können – völlig andere Fallgestaltungen zugeordnet wurden, in denen eine Zurückweisung des klägerischen Begehrens nicht interessengerecht war. 3. Erweiterte Mitwirkungspflichten der Parteien müssen nicht denknotwendig zu einer Stärkung der richterlichen Aufklärungsbefugnisse führen. 4. Aus seiner dogmatischen Herleitung ergibt sich nicht, dass der Beibringungsgrundsatz erweiterten Mitwirkungspflichten entgegensteht. III. Als Parameter im Rahmen des vorgeschlagenen Umsetzungsmodells haben sich nach einer Darstellung des englischen Rechts, einer Analyse der Gefahren, die aus einer Fruchtbarmachung des Grundgedankens der disclosure resultieren können und nach den Erfahrungen, die Japan als Mischrechtsordnung gemacht hat, ergeben: 1. Die Anforderungen an die Aufklärungspflicht dürfen nicht zu gering angesetzt werden. Die gegenwärtigen Anforderungen an einen substantiierten Vortrag sind grundsätzlich beizubehalten. Ausnahmen können nur zugelassen werden, wenn eine Partei sich unverschuldet in Informationsnot befindet und im Übrigen einen schlüssigen Klagevortrag erbracht hat, der ihren Vortrag nicht als Vortrag „ins Blaue hinein“ erscheinen lässt. 2. Die Gefahr der Überfrachtung des Prozesses mit irrelevantem Tatsachenmaterial besteht auf Grund der strengen Relationstechnik sowie des Substantiierungserfordernisses nicht. 3. Erweiterte Mitwirkungspflichten dürfen nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen gegenüber den materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen führen, so dass die den materiellrechtlichen Auskunftsansprüchen gezogenen Grenzen auch im Rahmen prozessrechtlicher Mitwirkungspflichten zu beachten sind. 4. Der Schutz geheimhaltungsbedürftiger Umstände ist zu gewährleisten, insbesondere, aber nicht abschließend, hinsichtlich des Unternehmensgeheimnisses. Dafür ist als ultima ratio ein in camera-Verfahren zu etablieren. 5. Um den mentalitätsbedingten Besonderheiten Deutschlands Rechnung zu tragen, ist im Rahmen des Umsetzungsmodells ein Verfahren zu wählen, das so wenig wie möglich mit den gegenwärtigen Strukturen bricht. Dies erscheint erforderlich, um die rechtstatsächliche Akzeptanz der Lösung zu gewährleisten. Ein disclosure-Verfahren ist vor diesem Hintergrund eher skeptisch zu betrachten. Dies gilt umso mehr in Anbetracht der damit verbundenen Gefahr einer erheblichen Kostensteigerung. IV. Eine Anpassung des deutschen Rechts sollte – basierend auf den Impulsen, die die Vorschläge Gottwalds, Gregers, Stürners und Beckhaus’
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Gesamtergebnis und Thesen
sowie die englischen pre-action protocols und die japanische Klageankündigung gesetzt haben – wie folgt aussehen: 1. Erweiterte Erklärungspflicht des Gegners, § 138 Abs. 2 S. 2, 3, 4 und 5: Ist die darlegungsbelastete Partei zu einem hinreichend substantiierten Tatsachenvortrag aus Gründen, die sie nicht zu vertreten hat, nicht in der Lage, so hat sich ihr Gegner zu den nicht näher substantiierten Umständen gleichwohl zu erklären, wenn ihm dies ohne Weiteres möglich ist und die darlegungsbelastete Partei Anhaltspunkte für die vermutete Tatsache vorbringen und zu allen weiteren Tatbestandsmerkmalen schlüssig vortragen kann und alle ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat. Das gilt nicht, sofern dies zu einer unzulässigen Ausforschung führen würde, die Erklärung dem Gegner unzumutbar ist, oder die Informationserteilung außer Verhältnis zu dem Rechtsstreit steht. Eine Unzumutbarkeit kann sich insbesondere, aber nicht abschließend, aus überwiegenden schutzbedürftigen Interessen ergeben bzw. aus dem Umstand, dass anderenfalls die Wertungen des materiellen Rechts unterlaufen würden. Können etwaige überwiegende schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen allein dadurch gewahrt werden, dass die Verhandlung unter Ausschluss der informationsbedürftigen Partei stattfindet, so kann die geheimhaltungsbedürftige Information gegen ein unwiderrufliches Versprechen des Parteivertreters der ausgeschlossenen Partei, über diese Stillschweigen zu bewahren, in den Prozess eingeführt werden, wenn die auszuschließende Partei insoweit unwiderruflich auf ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verzichtet. Die Ergebnisse dieses Verfahrensabschnitts sind in einer gesonderten Beiakte zu führen, für die ein Recht auf Einsichtnahme nicht besteht. Das Gericht ist in diesem Fall verpflichtet, lediglich das Ergebnis dieses Verfahrensabschnitts in sein Urteil aufzunehmen. 2. Einführung einer allgemeinen Mitwirkungspflicht der Parteien, § 138 a Abs. 1 ZPO: Jede Partei ist, auch wenn sie nicht die primäre Darlegungsund Beweislast trägt, gegenüber dem Gegner verpflichtet, an der Klärung rechtserheblicher Behauptungen der Gegenseite mitzuwirken. Diese Mitwirkungspflicht entfällt in den Fällen des § 138 Abs. 2 S. 3 und 4. § 138 Abs. 2 S. 5 gilt entsprechend. 3. Einführung einer besonderen Mitwirkungspflicht der Parteien, § 138 a Abs. 2 ZPO: In den Fällen des § 138 Abs. 2 S. 2 erstreckt sich die Mitwirkungspflicht nach Abs. 1 auch auf die Erteilung von Auskünften, die Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten sowie die Benennung von Zeugen nebst ladungsfähiger Anschriften. § 138 Abs. 2 S. 3, 4 und 5 gilt entsprechend. Diese Mitwirkungspflicht des Gegners setzt eine vorhergehende Identifizierung der vorzulegenden Urkunde, des Augenscheinsobjekts bzw. des zu benennenden Zeugen nicht voraus. Allerdings
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ist sie ähnlich wie die primäre Darlegungslast der darlegungsbelasteten Partei und die sekundäre Darlegungslast der nicht darlegungsbelasteten Partei ausgestaltet, so dass zunächst die darlegungsbelastete Partei Anhaltspunkte für das Vorhandensein etwaiger begehrter Urkunden, Zeugen und Augenscheinsobjekte vorzutragen hat. 4. In den Fällen, in denen dem Kläger ein bezifferter Klageantrag nicht möglich ist, sollte – wie von Gottwald gefordert – zunächst ein unbezifferter Klageantrag unter Angabe eines Mindestbetrages zulässig sein, den der Kläger sodann zu beziffern hat, sobald die Gegenpartei die geschuldete Erklärung bzw. Mitwirkung erbracht hat oder endgültig verweigert. 5. Die künftigen Parteien eines Rechtsstreits haben einander wechselseitige Informationen zu erteilen. Diese Obliegenheit entsteht, sobald dem künftigen Beklagten eine Klageankündigung des Klägers zugegangen ist. Der wechselseitige Informationsaustausch erstreckt sich auf Auskünfte, Augenscheinsobjekte und Urkunden. § 138 Abs. 2 S. 3 und 4 gelten entsprechend. Diese Obliegenheit ist durch die Möglichkeit der Berücksichtigung im Rahmen der Kostenentscheidung in § 93 a ZPO zu sanktionieren. Konkrete Art und Umfang des vorprozessualen Informationsaustauschs sind unter Praxisbeteiligung nach dem Vorbild der englischen pre-action protocols für spezielle Typen von Streitigkeiten, wie Bausachen, Mietstreitigkeiten, Straßenverkehrsunfälle und Körperverletzungsfälle, in einer Rechtsverordnung zu regeln.
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Sachverzeichnis adversarial principle 12, 30, 32, 142, 171, 196, 226 ff., 251 f., 293, 298, 364 ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure 3, 331 ff., 345 Ausforschungsbeweis s. Beweis – Ausforschungsbeweis; s.auch fishing expedition Auskunftsanspruch − materiellrechtlicher 29, 85 ff., 89, 91 ff., 111, 116, 118 f., 130, 137 ff., 151, 153, 160, 165, 167, 178 f., 271, 294 f., 302 ff., 319 f., 325, 327, 340, 342 ff., 360 − prozessualer 83 f., 88 Aufklärungspflicht, allgemeine prozessuale − nach Drenckhahn 318 f., 348 f. − nach Gottwald 315 ff., 348 f. − nach Stürner 2 f., 86 ff., 138, 147 f., 152, 207 f., 253, 255, 320 ff., 343, 352 barrister 16, 25, 27 ff., 50, 74, 144, 192, 202, 236 f., 239, 312 f., 348 Beibringungsgrundsatz 2, 21, 32, 35, 77, 84, 111, 124, 134 f., 152, 154, 203 ff., 209, 213, 226 f., 237, 240 ff., 296 ff., 317, 349, 363, 365 ff. Betriebsgeheimnis s. Unternehmensgeheimnis Beweis − Arzthaftungsrecht 56, 96 f., 103, 112 f.,131, 188 ff., 300 − Ausforschungsbeweis 61, 71 ff., 94, 124 ff., 142, 157, 178 f., 254 ff., 258 f., 267 ff., 270, 300, 359, 368 − Beweismaß 42, 218, 332, 337 − Beweislastverteilung 42 f., 78 ff., 131, 261 ff.
− Beweislastumkehr 44, 95 ff., 102 ff., 131, 157, 175, 179, 271, 338, 367 − Beweisvereitelung 97, 101 ff., 111, 117, 130, 133, 151, 166, 168 f., 179, 268, 350 f., 353 f. − Beweiswürdigung 43, 81, 96, 100 ff., 107, 123, 133, 143, 149 f., 157, 168, 180, 203, 246, 271, 288 f., 318, 334, 344, 361, 367 − Gefährdungshaftung 103 f., 130, 174 f. − prima facie-Beweis 97, 100 f., 133 − non liquet 96, 147 f., 150, 265 f., 270, 368 − Recht auf Beweis 183 ff., 220, 269 − Rechtsvermutungen 44, 95 f. − selbstständiges Beweisverfahren 111 f. − Tatsachenvermutungen 44, 95 ff. case management 30, 47, 60, 234 ff. Civil Evidence Act 44 civil law 3, 12, 238, 240, 276, 278 ff. Civil Procedure Rules 19, 30 ff., 61 ff., 75, 197 ff., 234 ff., 311 common law 1, 4, 22, 27, 31, 35 ff., 43, 67 f., 110, 141, 171, 229 f., 241, 276 ff. contempt of court 71, 74, 143, 201, 361 Darlegungslast 3, 22, 78 ff., 86 f., 89, 93, 97 ff., 101, 103, 105, 107, 111, 115, 120, 125, 127 f., 131 ff., 143, 145, 147, 149 f., 158, 160 f., 163, 165 ff., 175, 179 f., 252 f., 256, 259 ff., 268 ff., 281, 300, 302 f., 309, 314, 317, 319, 340, 344, 346 f., 350 ff., 359, 367 f., 370 disclosure − documentary disclosure s. auch Dokumentenvorlage 3, 30 f., 41, 45 ff. − menu option 49
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Sachverzeichnis
− standard disclosure 46, 49 ff., 62 f., 132, 134, 140 ff., 172 f., 175 − specific disclosure 46, 48 f., 51 f. discovery 1, 4 ff., 35 ff., 75, 135, 150, 172, 180, 186, 230 f., 236, 239, 253, 278 ff., 297 f., 314, 330, 337 Dispositionsgrundsatz 21, 214, 241, 251 f., 264 document s. Dokument Dokument 45, 52, 65, 67, 86, 135, 160, 171, 180, 284 Dokumentenvorlage 46, 186, 277, 283 ff., 329; s. auch disclosure – documentary disclosure Effizienzfunktion 8 f., 271 ff., 347, 355 ff. Enforcement-Richtlinie 94, 326, 333 ff. Erforschungsverfahren nach Jacoby 314 Erklärungspflicht des Gegners 81, 132, 351 f., 355 fast track 45 f., 48 ff. Final Report − Lord Justice Jackson 311 − Lord Woolf s. auch Woolf-Reform fishing expedition 71 ff., 124 ff., 142, 255, 258, 270 Geheimverfahren 122 f., 284, 304 f., 307, 309, 326, 360 Gerechtigkeitsfunktion 8 f., 178, 268 ff., 346 ff. in camera-Verfahren; s. Geheimverfahren; s. Japan – in cameraVerfahren information request 53 f. Informationsanspruch − allgemeiner vorbereitender nach Osterloh-Konrad 319 − vorbereitender materiellrechtlicher nach Stürner 324 f. Informationsaustauschverfahren, vorprozessuales 315, 355 ff. Informationsleistungspflicht nach Beckhaus − allgemeine materiellrechtliche 326 f. − allgemeine prozessuale 326 f.
Informationspflicht, vorprozessuale kostensanktionierte nach Stürner, 322 ff. Inquisitionsmaxime, s. inquisitorial inquisitorial 215, 237 f., 240 ff., 244, 252, 297 f., 364 f. inspection 52 f., 67 interim payment 48 Japan − Dokumentenvorlage s. Dokumentenvorlage − Erkundigungsrecht der Parteien 282 f., 286 − historische Entwicklung 280 − in camera-Verfahren 284; s. auch Geheimverfahren − Parteivernehmung 285 − Reform von 1996 281 ff. − Reform von 2003 285 ff. jury 12, 22 ff., 28, 35 f., 43 f., 277 ff., 281 Klageankündigung 286 f., 289, 290, 350, 358 f., 369, 371 Kommission für das Zivilprozessrecht 327 Kosten 9, 18 ff., 28, 30, 50 f., 74 ff., 113, 128 f., 140, 144, 159, 244, 272, 274, 280 f., 288, 291 f., 310 f., 313, 322, 337, 347, 349, 360 ff. law of equity 35 ff., 223, 240 Mentalität 114, 297 ff., 311 f., 347, 351 ff., 369 Mitwirkungspflicht des Gegners − allgemeine 352 ff. − erweiterte 303, 351 ff. multi-track 47 ff. nemo contra se edere tenetur 2, 88, 134, 148, 159 f., 164, 167, 175, 178 f., 207, 239, 252 ff., 258, 267, 268 ff., 296 f., 312, 332, 339, 350, 353, 360 overriding objective 26, 30 f., 48, 51, 57, 186, 190, 197 ff., 202, 234, 239 Parteivernehmung 34 f., 102, 188, 249, 285 ff., 290
Sachverzeichnis Persönlichkeitsrecht 150, 159, 162, 185, 216 ff., 222, 269, 316, 328, 366 f. Peruvian Guano 50 ff., 233 pre-action disclosure 61 ff., 72 f., 139 f., 143, 145 pre-action protocols 33, 48, 51, 55 ff., 59 ff., 64 f., 75, 139 ff., 144, 235, 272 f., 315, 350, 355 f., 358, 367, 369, 371 pre-trial 4, 18 ff., 46 ff., 135, 150, 172, 180, 235, 278, 282 privilege − legal professional privilege 68 ff., 116, 171 − privilege against self-incrimination 67 f., 115, 256 − protection of journalists’ sources 70 f. − public interest immunity 70 f., 187 − without prejudice privilege 71 Principles of Transnational Civil Procedure s. ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure Prozessförderungspflicht 2, 86 f., 90, 98, 132, 151, 177, 248, 349 Prozesskosten 291 f., 310 f., s. auch Kosten Prozessleitung 90, 105, 133, 213, 234, 236, 248 ff., 294, 349 Prozessmaximen 202 ff., 208 Prozessmodell 202 ff., 213, 244, 267 Prozesszweck 12, 182, 191, 193, 202 ff., 274, 295, 368 rechtswidrig erlangte Beweismittel − in England 199 f., 221 ff. − in Deutschland 216 ff., 221 ff. Reformen − in England 30 f.; s. auch Woolf-Reform − in Deutschland 20 f., 32, 39 f., 105, 109 f., 279, 315 RL 2004/48/EG, s. EnforcementRichtlinie Sanktionen − allgemeine Mitwirkungspflicht 361 f. − besondere Mitwirkungspflicht 361 f. − erweiterte Erklärungspflicht 361
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Sekundäre Darlegungslast 97 ff., 136 f., 138 f., 350 f. small claims track 53 solicitor 25, 27 f., 50, 52, 70, 74, 144, 312 f. Storme-Entwurf 3, 329 ff., 346 Storme-Kommission 3, 329 ff. striking out 46, 48, 74, 201, 235 Stufenklage 86, 128, 138 f., 151, 326, 342, 354 f., 361 Stufenmodell nach Lüderitz 319 f., 349 f. Substantiierung 79, 81, 86, 89, 107, 125, 135, 163, 299, 330 summary judgment 48 trial 12, 16, 18 ff. 25, 37, 41, 43, 45 f., 53, 55, 71, 130, 228, 230 ff., 236, 239 f., 277, 282, 290 Unternehmensgeheimnis 66, 99, 117 ff., 122 f., 141, 167, 175, 304 ff., 316, 324, 338, 359, 369 Urkunde 38, 83 f., 88, 102, 106, 120, 128, 133 ff., 177, 180, 223, 283 f., 287, 318, 321, 328, 335, 354, 370 Verhandlungsmaxime s. Beibringungsgrundsatz Verhältnismäßigkeit 17, 51, 75, 185, 236, 239, 288, 292, 311, 334, 338 f., 360 ff. Verfahrensgerechtigkeit − materiale 206 f. − prozedurale 206 f. Verfahrenskonzentration 39, 245, 247 ff., 285 Wahrheitsbegriff − formeller 194, 197, 199, 205 f. − materieller 194, 197, 205 f. Wahrheitsfindung als Prozesszweck − in England 191 ff., 222 ff. − in Deutschland 202 ff., 222 ff. Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht 82, 132, 211, 245 f. Weißbuch EG-Kartellrecht von 2008 337 ff. Weigerungsrechte 108, 117, 119, 141, 224, 299, 309, 330, 332 f., 345, 354, 359 f.; s. auch privileges
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Sachverzeichnis
Wirtschaftsprüfervorbehalt 122, 336 Woolf-Reform 19, 130, 196, 226, 229, 232, 252, 269, 278, 301, 331, 364
Zivilprozessrechtsvergleichung 10 ff. Zumutbarkeit 116, 119, 163, 165, 308 f., 351, 359 f., 370