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German Pages 598 [600] Year 2007
Martin Schramm Das Deutschlandbild in der britischen Presse 1912-1919
Martin Schramm
Das Deutschlandbild in der britischen Presse 1912-1919
Akademie Verlag
Abbildung auf dem Einband: Punch, 31.5. 1916, S. 361. In seiner Karikatur „Weltmacht oder Niedergang" verhöhnt der Punch das deutsche Selbstverständnis vom Verteidigungskrieg mit der Anspielung auf die zahlreichen deutschen Greueltaten. Der Originaltext zur Karikatur: INJURED INNOCENCE. The German ogre. „HEAVEN KNOWS THAT I HAD TO DO THIS IN SELF-DEFENCE; IT WAS FORCED UPON ME." (Aside) „FEE, FI, FO, FUM!" [According to the Imperial Chancellor's latest utterance Germany is the deeply-wronged victim of British militarism.] © für alle Abbildungen in diesem Buch: The British Library. All Rights Reserved.
ISBN 978-3-05-004422-4 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2007 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.
Einbandgestaltung: Ingo Scheffler, Berlin Druck: MB Medienhaus, Berlin Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
Inhalt
5
Vorwort
11
Zur Einführung
13
1. Fragestellung
16
2. Forschungsstand
22
3. Quellenlage
25
Kapitel 1: Die Zeitungslandschaft in Großbritannien
29
1. Einflußfaktoren auf die Entwicklung der Presse
29
2. Presse und Politik in Großbritannien
31
2.1 Die strukturelle Veränderung der Presselandschaft
31
2.2 Probleme bei der Verwendung von Zeitungen als Quellenmaterial
34
2.3 Einflußmöglichkeiten der Presse auf die Meinungsbildung
37
2.4 Verknüpfung von Politik und Presse
40
3. Die deutsche Politik und die britische Presse
46
4. Die „öffentliche" Meinung
52
4.1 Regieren und öffentliche Meinung
52
4.2 Bilanz
54
Kapitel 2: Die Auswahl der Zeitungen
57
1. Auswahlkriterien
57
2. England
59
3. Regionen....
60
6
Deutschlandbild
4. Auswahl
62
5. Auflagenhöhe
67
Kapitel 3: Die Jahre vor Kriegsausbruch
73
1. Kaiser Wilhelm II
73
1.1 Thronbesteigung 1888
73
1.2 Silbernes Thronjubiläum 1913
75
1.3 Charakter des Kaisers
79
1.4 Bilanz
82
2. Das Kaiserreich
86
2.1 Die Berichterstattung über das deutsche Militär
87
2.1.1 Die Marinepolitik
87
2.1.2 Das deutsche Heer
102
2.1.3 Bilanz
110
2.2 Das politische Leben in Deutschland
111
2.2.1 Reichstagswahlen 1912
111
2.2.2. Machtverhältnisse in Deutschland
116
2.2.3 Wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Verhältnisse
125
2.2.4 Bilanz
129
2.3 Die deutsche Außenpolitik
132
2.3.1 Balkanpolitik
132
2.3.2 Die deutsch-österreichischen Beziehungen
136
2.3.3 Die deutsch-französischen Beziehungen
138
2.3.4 Die deutsch-russischen Beziehungen
141
2.3.5 Bilanz
146
3. Die deutsch-britischen Beziehungen
146
3.1 Überblick
147
3.2 Haldane-Mission
150
3.3 Deutsche Botschafter und andere Diplomaten
155
3.4. Königsbesuch in Berlin
162
Inhalt
7
3.5 Gesellschaftliche Ereignisse
168
3.6 Spionage
169
3.7 Kolonien
173
3.8 Letzte Entspannungen vor der Julikrise
175
3.9 Bilanz
179
4. Entente und Triple-Entente
190
5. Die Lage vor Kriegsausbruch
194
Kapitel 4: Die Julikrise 1914
201
1. Die innenpolitischen Verhältnisse in Großbritannien
201
2. Die Reaktionen auf das Attentat von Sarajevo
210
3. Von „Sarajevo" zum österreichischen Ultimatum
217
4. Die Konfliktparteien
222
4.1 Österreich und Serbien
222
4.2 Rußland
231
4.3 Deutschland
236
4.4 Frankreich
240
5. Die Diskussion um die Vorgehensweise Großbritanniens
242
5.1 Die liberale Presse
243
5.2 Die konservative Presse
249
5.3 Schottland, Wales und Irland
258
5.3.1 Schottland
258
5.3.2 Wales
260
5.3.3 Irland
262
5.3.4 Zusammenfassung
264
5.4 Bilanz
265
5.5 Statistische Untersuchung der Pressemeinungen zur Intervention
286
6. Kriegsbegeisterung
292
7. Die Beeinflussung der britischen Presse in der Julikrise 1914
300
7.1 Einfiihrung
300
8
Deutschlandbild
7.2 Maßnahmen der Interventionisten
302
7.3 Beeinflussungsversuche der Interventionsgegner
307
Kapitel 5: Der Erste Weltkrieg
317
1. Home Front - Journalismus im Krieg
317
1.1 Zensurpraxis
317
1.2 Der tatsächliche Kenntnisstand der Journalisten
323
1.3 Bilanz
326
2. Die Darstellung des Krieges
329
2.1 Kriegsdauer
329
2.2 „The Great War" - „The World War"?
333
2.3 Der Kriegsverlauf
335
2.3.1 Der Landkrieg
335
2.3.2 Der Seekrieg
348
2.3.3 Die Lage in Deutschland
356
2.4 Bilanz
359
3. Die britische Kriegspropaganda
362
3.1 Einführung
362
3.2 Kriegsschuld
365
3.2.1 Vor der Intervention Großbritanniens
366
3.2.2. Nach Kriegsausbruch
371
3.3. Das deutsche Spionagenetz in Großbritannien
374
3.4. Die deutschen Greueltaten
377
3.4.1 Louvain
382
3.4.2 Lusitania
383
3.4.3 Der Bryce-Report
386
3.4.4 Der Fall Edith Cavell
390
3.4.5 Die Exekution von Kapitän Fryatt
393
3.4.6 Sonstiges
393
3.4.7 Zweifel an Greuelmeldungen
395
Inhalt
9
3.5 Die Rekrutierung der Freiwilligen
400
3.6 Das Verhalten der Alliierten
406
3.7 Repressalien
407
3.8 Ausschreitungen gegen Deutsche in Großbritannien
410
3.9 Bilanz
411
4. Friedensinitiativen und Opposition zum Krieg
426
4.1 Verhandlungsfrieden oder bis zum bitteren Ende?
426
4.2 Deutsche Friedensvorschläge
430
4.3 Friedensinitiativen des Papstes
432
4.4 Friedensinitiativen aus den USA
434
4.5 Der Lansdowne Letter 1917
435
4.6 Exkurs: Christmas Truce 1914
438
4.7 Bilanz
441
5. Die Kriegsziele in den Zeitungen
443
5.1 Territoriale Veränderungen
443
5.2 Bestrafung der Aggressoren und Kriegsverbrecher
446
5.3 Moralische Ziele
448
5.4 Siegfrieden
449
5.5 Mäßigende Stimmen
451
5.6 Bilanz
453
Kapitel 6: Kriegsende und Neubeginn
457
1. Die militärische Niederlage Deutschlands
457
2. Die Waffenstillstandsbedingungen
460
3. Deutschland bei Kriegsende
468
3.1 Vor Kriegsende
468
3.2 Das Kriegsende
470
3.3 Nach Kriegsende
471
3.3.1 Fortsetzung der Beschuldigungen
471
3.3.2 Mäßigende Stimmen
472
10
Deutschlandbild
4. Die Lage im „neuen" Deutschland
474
4.1 Das Ende der deutschen Monarchien
474
4.2 Die Versorgungslage der Deutschen
477
4.3 Der Spartakusaufstand
478
4.4 Die Wahlen zur Nationalversammlung
479
4.5 Die politische Reorganisation Deutschlands
482
5. Die bevorstehende Friedenskonferenz
485
6. Die innenpolitische Lage in Großbritannien
486
7. Bilanz
493
Schlußbetrachtung
497
Anhang
515
1. Abkürzungsverzeichnis
515
2. Zeitungsbiographien
516
3. Kurzbiographien relevanter Personen
523
4. Tafelteil
529
Quellen- und Literaturverzeichnis
567
1. Ungedruckte Quellen
567
2. Zeitungen und Zeitschriften
568
3. Gedruckte Quellen
568
4. Nachschlagewerke und Lexika
573
5. Literatur
574
Register
590
1. Personenregister
590
2. Ortsregister
596
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im November 2005 von der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Die Druckfassung wurde überarbeitet, an wenigen Stellen gekürzt und verschiedentlich ergänzt. Neben der Universität Bayreuth als Ganzes gilt mein besonderer Dank meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Hermann Hiery, der nicht nur die Bearbeitung des vorliegenden Themas anregte, sondern sich weit darüber hinaus um dessen Umsetzung mehr als verdient gemacht hat. Dasselbe gilt für den Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Dieter Weiß, der mir über das normale Maß hinaus seine Unterstützung zuteil werden ließ. Ferner ist das Deutsche Historische Institut London hervorzuheben. Nicht nur durch einen großen Beitrag zur Finanzierung dieser Arbeit, sondern auch durch Ratschläge und Unterstützung haben seine Mitarbeiter, allen voran Herr Dr. Dominik Geppert, sowie Herr Prof. Dr. Hagen Schulze, Herr Prof. Dr. Lothar Kettenacker und Herr Dr. Benedikt Stuchtey Anteil an dieser Arbeit. Meine größte Wertschätzung gilt den zahlreichen Verbesserungsvorschläge meiner kritischen Korrekturleser. Hervorzuheben ist hier Frau Jessica Bocan, die die Arbeit seit Jahren begleitet. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem Herrn Dr. Werner Blankenburg, Frau Heike Gerhold, Herrn Roland Kreutzer, Herrn Marcus Mühlnikel, Herrn Philipp Somrowsky, Herrn Bernhard Sturm sowie meinen Kollegen Joachim Samuel Eichhorn und Marco Hedler. Sie alle trugen zum Gelingen dieser Arbeit bei. Gesondert erwähnt sei Herr Björn Thies, der sich in der Phase der Drucklegung um letzte Verbesserungen bemühte und dem darüber hinaus für die Erstellung des Registers zu danken ist. Zudem darf ich Herrn Manfred Karras vom Akademie Verlag meinen Dank aussprechen, der sich neben zahlreichen Ratschlägen auch um die Aufnahme ins Verlagsprogramm verdient gemacht hat. Zu Dank verpflichtet bin ich auch all den namentlich nicht genannten Bibliothekaren, Kritikern und Freunden, die durch ihre Bemühungen die Erstellung der Arbeit erleichtert haben. Nennen möchte ich die British Library Newspaper Library, die British Library, die National Archives, ehem. Public Record Office, das House of Lords Record Office, die British Library of Political and Economic Science, das Times Newspaper Limited Archive (alle London), die Bodleian Library, Oxford, das Churchill Archives Center, Cambridge, die John Ryland's University Library, Manchester, das
Deutschlandbild
12
Politische Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin, das Staatsarchiv Troppau, das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, sowie ganz besonders die Universitätsbibliothek Bayreuth. Last but not least möchte ich mich besonders bei meiner Frau Ulrike und ihrer sowie meiner Familie bedanken. Sie ließen mir in materieller und ideeller Hinsicht die größtmögliche Hilfe zu Teil werden. Ohne ihre Unterstützung, Geduld und das großzügige Hinwegsehen über meine Launen wäre die Fertigstellung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Bayreuth, im Juli 2006
Martin Schramm
Zur Einführung
„Der europäische Frieden hat keinen gefährlicheren Feind, als die billige Sensationspresse. Wird es von Journalisten dieses Schlages doch schon offen ausgesprochen, dass ein grosser Krieg für die Presse eine goldene Ernte bedeuten würde."1 Mit diesen Worten warnte der deutsche Botschaftsrat Richard von Kühlmann im August 1912 den deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vor dem Einfluß der britischen Presse auf die internationale Politik. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 schien sich diese Prophezeiung erfüllt zu haben. Ganz bewußt bezog ein unter dem Synonym „Germanicus" schreibender Autor schon 1915 die Presse in die Kriegsschulddiskussion mit ein. Nicht die seriösen Blätter, „sondern jene vielen Hetz- und Radaublätter, die jede Sensation zu einem Geschäft ausnutzen" stellte er an den Pranger: „Diese Zeitungen mit ihren aufreizenden Überschriften, ihrer gehässigen Sprache, ihrer Verhetzungspolitik haben schon lange, bevor der Krieg begann, den Boden unterminiert, haben eine gereizte Stimmung geschaffen, die sich dann, beim Ausbruch des großen Völkerbrandes, in so furchtbarer Weise entlud."3 Zahlreich waren derartige Beschuldigungen, mit denen die britische Presse wegen ihrer Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges überschüttet wurde. Die Zeitungen hätten „den Weltkrieg systematisch vorbereitet"4. Während sich die deutsche Presse dem Feind gegenüber meist anständig verhalten habe, sei die Auseinandersetzung von der Gegenseite durch einen geistigen Krieg vorbereitet worden.5 Nach Kriegsausbruch habe die Presse „mit den gleichen Mitteln der Unwahrheit und der Täuschung den Kampf während des Krieges"6 fortgesetzt. Geschickt hätten es Deutschlands Gegner geschafft, „mit Hilfe der Presse den weitaus größten Teil der
' ΡAAA, London R 5640, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, auch ΡAAA, London 1333. Im weiteren Verlauf nur Bethmann genannt. 3 Germanicus: Das Gift der Presse im Weltkriege, Leipzig 1915, S. 3. 4 Schiemann, Theodor: Wie die Presse unserer Feinde den Krieg vorbereitet und erzwungen hat, Berlin 1919, S. 25, vgl. Romberg, Martin: Der Lügenfeldzug gegen Deutschland, Schwerin/Mecklenburg 1915, S. 7, Loeb, Moritz: Der papierne Feind. Die Weltpresse als Schürer des Deutschenhasses, Augsburg 1918, Kellen, Tony: Die Presse als Verleumderin. Ein Beitrag zur Geschichte des Weltkriegs, Regensburg 1918. 5 Vgl. Kellen, Presse, S. 6. 6 Schiemann, Presse, S. 25. 2
14
Deutschlandbild
gesamten Kulturwelt auf ihre Seite zu bringen" 7 . Es habe sich eine „wohl mit schwerem Gelde bezahlte [...] Hetz- und Lügenpresse" 8 durchgesetzt, die die Deutschen als Barbarenhorde und Raubgesindel darstellte. Dennoch wurde die Vorgehensweise der britischen Propaganda, die in der Presse einen wesentlichen Bestandteil hatte, trotz aller schlechten Auswirkungen für Deutschland auch mit einer zwiespältigen Anerkennung bedacht. Sie habe es „in der wahrhaft genialsten Weise" 9 verstanden, so niemand anders als Adolf Hitler, zur Stabilisierung der alliierten Front und sogar zum Zusammenbruch Deutschlands beizutragen. Tatsächlich sind für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg eine Reihe von Pressefehden zwischen Deutschland und Großbritannien nachweisbar. 10 Anläßlich der KrügerDepesche111 von 1896 habe eine „sehr allgemeine und tiefgehende Erbitterung" 12 der englischen Presse gegenüber Wilhelm II. geherrscht. Während der Marokkokrise 1905/06 stellte sie sich auf die Seite Frankreichs. Die entstandenen Verstimmungen bedauerte der englische König gegenüber dem deutschen Staatssekretär des Äußeren, Tschirschky. Laut Edward VII. seien die Mißverständnisse „hauptsächlich durch Verschulden der Presse" 13 entstanden. Zu einem journalistischen „Dauerbrenner" wurde das deutsch-englische Marinewettrüsten vor dem Krieg. 14 Zu nennen ist hier beispielsweise die Veröffentlichung von William LeQueuxs Fortsetzungsgeschichte „The Invasion of 1910"15. Daß es dabei nicht nur um die Warnung vor einem möglichen deutschen Angriff ging, zeigt die Art und Weise der Annoncierung dieser Geschichte. Unter persönlicher Einflußnahme des Besitzers der Daily Mail wurde der Vormarsch der deut-
7
Loeb, Feind, S. IV. Pacher, Gustav von: Die Dreiverbandspresse. Ihr Anteil an der Kriegsentfachung und ein Weg zu ihrer Bekämpfung, Leipzig 1915, S. 19. 9 Hitler, Adolf: Mein Kampf, München 9 1941, S. 201, vgl. auch S. 202. 10 Vgl. z.B. Steiner, Zara: Britain and the Origins of the First World War, London, Basingstoke 1977, S. 29, 49, 52f, 131, Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918, 2 Bände, München 3 1994f, Bd. 2, S. 656, 663, 665. 11 Mit der Krüger-Depesche gratulierte Wilhelm II. dem Präsidenten der südafrikanischen Republik Transvaal zur erfolgreichen Abwehr des militärischen Einfalls unter Jameson. Obwohl dessen Operation nicht die offizielle Unterstützung der britischen Regierung hatte, erregte das Telegramm des Kaisers in England als Einmischung in innere Angelegenheiten große Empörung. 12 Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871-1914. Sammlung der Diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes, im Auftrage des Auswärtigen Amtes, hg. von Johannes Lepsius, Albrecht Mendelssohn Bartholdy und Friedrich Thimme, 40 Bände, Berlin 1922-1927, Bd. 11, Dok. 2620 vom 7.1.1890, S. 40, Hatzfeld an AA. 13 GP 21-2, Nr. 7196 vom 15.8.1906, S. 453, Memorandum Tschirschkys, vgl. Rosenberger, Bernhard: Zeitungen als Kriegstreiber? Die Rolle der Presse im Vorfeld des Ersten Weltkrieges, Köln, Weimar, Wien 1998, S. 149. 14 Vgl. z.B. Massie, Robert: Die Schalen des Zorns. Großbritannien, Deutschland und das Heraufziehen des Ersten Weltkrieges, Frankfurt/Main 1998. 15 Diese Fortsetzungsgeschichte wurde auch als Buch veröffentlicht: LeQueux, William: The Invasion of 1910. With a full account of the siege of London, London 1906. 8
Zur Einfuhrung
15
sehen Truppen so geleitet, daß möglichst viele Orte betroffen waren, die eine hohe Auflagensteigerung für die Zeitung versprachen. Mit Anzeigen in anderen Zeitungen wurde die Marschroute der folgenden Tage angekündigt. Als der entscheidende Tag schließlich bevorstand, machten in preußischblau gekleidete Plakatträger mit Pickelhaube darauf aufmerksam. 16 In der Literatur spricht nicht zuletzt Cate Haste aufgrund derartiger Querelen davon, daß ,,[t]he press campaign against Germany continued from 1910 till the outbreak of war."17 Auch Modris Eksteins geht davon aus, daß sich die englische Presse „schon vor dem Krieg hochgradig antideutsch gebärdet hatte"18. In die selbe Richtung geht der Vorwurf des Historikers Sidney Fay. Er stellte 1932 fest, daß die britische Presse Deutschland fortgesetzt beschuldigt habe, einen Krieg unvermeidlich zu machen. Diese habe zur Schaffung einer Atmosphäre beigetragen, die genau diesen Krieg unumgänglich gemacht hätte.19 Erst jüngst wurde für die Vorkriegszeit von einer „HomogenisieJO
rung des Deutschlandbildes hin zum Negativen" gesprochen. Auch für den Krieg selbst wurde der Beitrag der Presse sehr hoch veranschlagt. Durch sie habe die Entente den Krieg überhaupt erst gewonnen.21 Bald nach Ausbruch 22 der Kämpfe sei „neben dem Krieg der Waffen ein Krieg der Worte" entbrannt. Von der „Hetz- und Greuelpropaganda der feindlichen Auslandspresse während des Völkerringens"23 sprach in der Zwischenkriegszeit der Auslandspressechef der NSDAP, Ernst Hanfstaengel. Noch nie habe „in einem Kriege die Presse eine so tiefgehende Wirksamkeit ausgeübt wie in diesem fürchterlichen Weltbrand."24 Auch in der Forschung wird den Zeitungen eine besondere Rolle zugebilligt, da sie die preiswerteste Form schriftlicher Propaganda darstellt. Noch in den 1960er Jahren strich Quaker in seinem Stan16
Vgl. Knightley, Philip: Die Geschichte der Spionage im 20. Jahrhundert. Aufbau und Organisation, Erfolge und Niederlagen der großen Geheimdienste, Stuttgart 1989, S. 20f, Steiner, Origins, S. 156, Joll, James: Die Ursprünge des Ersten Weltkrieges, München 1984, S. 303 f. 17 Haste, Cate: Keep the Home Fires burning. Propaganda in the First World War, London 1977, S. 19. 18 Eksteins, Modris: Tanz über Gräben. Die Geburt der Moderne und der Erste Weltkrieg, Reinbek 1990, S. 196f. 19 Vgl. Fay, Sidney: Der Einfluß der Vorkriegspresse in Europa, in: Berliner Monatshefte X (1932), S. 411445, hier S. 426, Rosenberger, Zeitungen, S. 32-35, Hugendubel, Paul: Die Vorbereitung des Weltkrieges durch die französische Presse, München 1936, S. 61. 20 Vgl. Wittek, Thomas: Auf ewig Feind? Das Deutschlandbild in den britischen Massenmedien nach dem Ersten Weltkrieg, München 2005, S. 82 mit Bezug zu Dose, Gerd: ,The Soul of Germany'. Bemerkungen zum angloamerikanischen Deutschlandbild vor und zu Beginn des Ersten Weltkrieges, in: Diller, HansJürgen/Kohl, Stephan u.a. (Hg.): Images of Germany, Heidelberg 1986, S. 21-55, hier S. 24. 21 Vgl. Eberle, Joseph: Großmacht Presse. Enthüllungen für Zeitungsgläubige, Forderungen für Männer, Regensburg, Wien 1920, S. 18, Stem-Rubarth, Edgar: Die Propaganda als politisches Instrument, Berlin 1921, S. 3. 22 Kellen, Presse, S. 6. 23 Grünbeck, Max: Die Presse Großbritanniens. Ihr geistiger und wirtschaftlicher Aufbau, 2 Bände, Leipzig 1939, Bd. 1,S. VII. 24 Kellen, Presse, S. 5.
16
Deutschlandbild
dardwerk zur Propaganda die Vorzüge der Zeitungen gegenüber Radio und Fernsehen heraus.25 Dies galt noch viel stärker am Anfang des 20. Jahrhunderts. Besonders einer Person wurde die Schuld für diese Entwicklung angelastet. Mit seinem auflagenstarken Zeitungsimperium und seiner deutschlandkritischen Einstellung war der Pressezar Alfred Harmsworth - Lord Northcliffe26 - als Feindbild für die deutsche Seite geradezu prädestiniert.27 Jahrzehnte habe er sich als ,,[e]iner der Hauptschürer und Hauptveranlasser des heutigen Krieges"28 darum bemüht, die Bevölkerung auf den bevorstehenden Krieg vorzubereiten. Auch ein ehemaliger Korrespondent der Times in Berlin sah in Northcliffe einen der Hauptverantwortlichen am Ausbruch des Ersten Weltkrieges.29 Für den Krieg wurde seine Macht als so groß eingeschätzt, daß davon ausgegangen wurde, er habe sogar den Sturz von Regierungen herbeigeführt.30 Auch der langjährige Generalstabschef der österreichisch-ungarischen Armee, Franz Conrad von Hötzendorf griff Northcliffe in seinen Memoiren an.31 Sogar ein wesentlicher Beitrag am Sieg der Alliierten wurde ihm persönlich zugeschrieben.32 Angeblich habe selbst Hitler den Sturz des Kaisers auf die Propaganda Northcliffes zurückgeführt.33
1. Fragestellung Da die Rolle, die die britische Presse vor dem Ausbruch und während des Ersten Weltkrieges spielte, bislang weitgehend vernachlässigt wurde, soll es Aufgabe dieser Arbeit sein, eine längst überfällige Forschungslücke zu schließen. Das Zeitungswesen eignet sich besonders gut zur Beschreibung der Stimmungslage vor dem Ersten Weltkrieg, da in ihr das politische Tagesgeschehen zeitnah wiedergegeben und diskutiert wird. Auch wenn es dabei zu widersprüchlichen Äußerungen kommt, so wird es doch möglich sein, 25 26
27 28
29
Vgl. Qualter, Terence: Propaganda and Psychological Warfare, New York 21965, S. 92. Zu Northcliffe vgl. z.B. Bourne, Richard: Lords of the Fleet Street. The Harmsworth Dynasty, London 1990, S. 3-73. Vgl. Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 60. Blatchford, Robert: Englands Furcht und Haß, Leipzig 1915, S. 3 (Einleitung von Gustav Goldstein), vgl. Aigner, Dietrich: Das Ringen um England. Das deutsch-britische Verhältnis. Die öffentliche Meinung 1933-1939. Tragödie zweier Völker, München, Esslingen 1969, S. 17, Wanderscheck, Hermann: Weltkrieg und Propaganda, Berlin 1936, S. 216.
Vgl. Lowe, Charles: The Tale of a .Times' Correspondent, London 1927, S. 207, Taylor, Sally: The Great Outsiders. Northcliffe, Rothermere and the Daily Mail, London 1996, S. 142. 30 Vgl. Clarke, Tom: My Northcliffe Diary, London, Southampton 1931, S. 79. 31 Vgl. Conrad von Hötzendorf, Franz: Aus meiner Dienstzeit 1906-1918,5 Bände, Wien, Leipzig, München 1921-1925, Bd. 5, S. 93. 32 Vgl. Fyfe, Hamilton: Northcliffe. An intimate Biography, New York 1930/ND 1969, S. 255. 33 Vgl. Clarke, Tom: Northcliffe in History. An intimate Study of Press Power, London, New York, Melbourne, u.a. 1950, S. 175.
Zur Einführung
17
grundsätzliche Strömungen und Tendenzen der vorherrschenden Ansichten herauszuarbeiten.34 Im Mittelpunkt wird der Zeitraum von 1912 bis Anfang 1919 stehen. Der Untersuchungsbeginn wurde auf die Reichstagswahlen vom Januar 1912 gelegt. Dieser Zeitpunkt bietet sich aus verschiedenen Gründen an. So sind die angespannten deutschbritischen Beziehungen aus dem Jahr 1911, die besonders auf der Verwicklung des Vereinigten Königreichs in die deutsch-französische Marokkokrise beruhen, hinlänglich bekannt.35 Auf deren Untersuchung und ein noch weiteres Ausgreifen wurde deshalb an dieser Stelle verzichtet. Statt dessen wurde der Schwerpunkt auf die unmittelbaren Vorkriegsbeziehungen gelegt, die bislang nicht die nötige Aufmerksamkeit gefunden haben. Die Reichstagswahlen waren zudem besonders interessant, da sich Großbritannien als Mutterland der Demokratie sah. Sie versprachen somit von vornherein, ausfuhrlich in den Zeitungen behandelt zu werden. Aufgrund der freien Berichterstattung der englischen Zeitungen und ihrer weiten Verbreitung bieten sie sich im folgenden als Gradmesser fur die zeitgenössische Sicht der Ereignisse an. Dabei war auf eine selektive Auswahl der zu untersuchenden Ereignisse zu achten, um die Thematik nicht zu weit ausufern zu lassen. Zahlreiche britische Politiker versicherten nach dem Krieg in ihren Memoiren, daß sie unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg nicht mit einem deutsch-englischen Konflikt gerechnet haben. Außenminister Edward Grey ging für die ersten Monate des Jahres 1914 davon aus, daß „the international sky seemed clearer than it had been."36 Winston Churchill konstatierte: „Naval rivalry had at the moment ceased to be a cause of friction."37 Insgesamt bescheinigte er dem Kaiserreich gegenüber England für jene Zeit eine zuvorkommende Politik. Noch am 23. Juli 1914 hatte Finanzminister David Lloyd George das deutschbritische Verhältnis als stark verbessert dargestellt.38 Auf deutscher Seite hatte der Botschafter in London Ende 1912 berichtet, daß „die deutsch-englischen Beziehungen [...] seit langem nicht so günstig gewesen [sind] wie heute"39. Entgegen dieser positiven
34
Vgl. Schütz, Rüdiger: Die deutsch-englische Entfremdung im Spiegel der britischen Presse von 1897 bis 1903, Diss. Aachen 1969, S. 3. 35 Vgl. Hildebrand, Klaus: Das vergangene Reich - Deutsche Aussenpolitik von Bismarck bis Hitler, Berlin 2 1999, S. 308-313. 36 Grey, Edward: Twenty-Five Years 1892-1916, 3 Bände, London 1928, Bd. 2, S. 112. 37 Churchill, Winston: The World Crisis 1911-1918,2 Bände, London 1938, Bd. 1, S. 143. 38 Vgl. The Parliamentary Debates (Official Report), House of Commons, Fifth Series, Bd. 65 (1914), Sp. 727, Lloyd George am 23.7.1914, Hazlehurst, Cameron: Politicians at War. July 1914 to May 1915. A Prologue to the Triumph of Lloyd George, London 1971, S. 61,111, Massie, Schalen des Zoms, S. 755, Ferguson, Pity, S. 70, Amery, Leopold: My Political Life, 3 Bände, London, New York, Toronto u.a. 1953-1955, Bd. 2, S. 9. 39
Die Auswärtige Politik des Deutschen Reiches 1871-1914, hg. vom Institut für Auswärtige Politik in Hamburg, 4 Bände, Berlin 1928, Bd. IV-1, Dok. XXXIV, 12651 vom 20.12.1912, S. 336, Lichnowsky an Bethmann, vgl. APDRIV-1, Dok. XXXIII, 12284 vom 15.10.1912, S. 269, Kühlmann an Bethmann, APDR IV-1, Dok. XXXIII, 12447 vom 27.11.1912, S. 313, Lichnowsky an AA.
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Einschätzungen trat England an der Seite der deutschen Gegner in den Krieg ein. Danach setzte sich ein Grad feindlicher Propaganda durch, der bis dato in der Geschichte ohne Parallele war. Einer der Hauptträger dieser Agitation war die britische Presse. Aufgabe der vorliegenden Arbeit wird es sein, den Wandel des britischen Deutschlandbildes zu untersuchen. Gegliedert ist die Arbeit in sechs Hauptabschnitte. Am Anfang stehen die Darstellung der britischen Zeitungslandschaft und das Auswahlverfahren der verwendeten Quellen (Kapitel 1 und 2). Die anschließende Aufarbeitung des Themengebietes erfolgt in vier chronologisch gegliederten Kapiteln (Kapitel 3 bis 6). Eine weitere thematische Unterteilung ist insbesondere nötig, um Veränderungen der Berichterstattung aufzeigen zu können. Der erste Abschnitt (Kapitel 3) wird die Vorkriegszeit von 1912 bis zum Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand Ende Juni 1914 umfassen. Schwerpunktartig wird unter anderem dargelegt, wie Kaiser Wilhelm II. in der britischen Presse beurteilt wurde. Ebenfalls von großer Bedeutung wird das deutsche Militär sein. Zusammen mit einer Darstellung des politischen Lebens in Deutschland wird daraus abgeleitet, welchen Stellenwert und welche Beachtung das Kaiserreich in Großbritannien genoß. Besonders die deutsche Flottenpolitik spielte für das Vereinigte Königreich eine große Rolle. Sie stelle durch die von der Presse hervorgerufene Angst eine wesentliche Ursache für den Weltkrieg dar.40 Anhand einer Betrachtung der deutschen Außenpolitik soll daraufhin überprüft werden, wie das Kaiserreich in die internationalen Beziehungen eingeordnet wurde. Insbesondere die Frage, ob Deutschland als ausgemachter Störenfried galt, ist zu klären. Dies bezieht sich auch auf das folgende Kapitel über die deutsch-britischen Beziehungen. Niedhart geht davon aus, daß der deutsch-britische Gegensatz entscheidend zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beitrug.41 Es gilt also zu klären, wie die Presse die Beziehungen tatsächlich schilderte. Waren sie so problematisch, wie die fatalen Ereignisse der folgenden Zeit erwarten lassen oder bahnte sich nach den großen Differenzen während der Zweiten Marokkokrise 1911 ein Wandel an? Um einen Vergleich auf internationaler Ebene zu ermöglichen, soll zudem das britische Verhältnis mit seinen Entente-Partnern kurz angesprochen werden, wie auch die internationale Lage selbst. Hier soll der Frage nachgegangen werden, ob das Wettrüsten tatsächlich als „the prime cause of the death struggle"42 angesehen wurde. Im zweiten Teil (Kapitel 4) wird die sogenannte Julikrise 1914 analysiert. Zunächst wird hier die innenpolitische Situation in Großbritannien aufgezeigt, da diese gerade in der Julikrise einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Berichterstattung der Zeitungen ausübte. Das entscheidende Ereignis, das die Kettenreaktion auslöste, die zum 40
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Vgl. Metz, Ilse: Die deutsche Flotte in der englischen Presse, der Navy Scare vom Winter 1904/05, Berlin 1936, S. 123. Vgl. Niedhart, Gottfried: Geschichte Englands im 19. und 20. Jahrhundert, München 2 1986, S. 143. Waters, Wallscort: .Secret and Confidential'. The Experience of a Military Attachö, New York 1926, S. 375.
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Kriegsausbruch führte, war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand. Hier stellt sich die Frage, ob politisch motivierte Attentate zu dieser Zeit tatsächlich als „gang und gäbe" 43 betrachtet wurden, oder ob die Reaktion Österreichs 44 mit Verständnis bedacht wurde. Daraufhin werden die einzelnen Etappen auf dem Weg zum Kriegseintritt Englands erörtert. Es gilt zu erklären, ob die post-hoc-Sicht der Forschungsliteratur, die deutsche Weltpolitik habe die Weltsituation grundlegend verändert und „schnurstracks zum Weltkrieg" 45 gefuhrt, mit der zeitgenössischen Sicht übereinstimmt. Hinzu kommen Betrachtungen zur Rolle der involvierten Staaten. Lange Zeit herrschte in der Forschung die Meinung vor, daß der Kriegsausbruch von den Menschen in Europa begeistert aufgenommen wurde. Gejubelt worden sei überall 46 , von „karnevalistischer Fröhlichkeit" 47 ist die Rede. Erst in jüngster Zeit erhob Sösemann Zweifel an dieser Sicht.48 Durch eine Untersuchung der Zeitungsartikel sollen die beiden Meinungen für Großbritannien überprüft werden. Mittels einer quantitativen Auswertung gilt es aufzuzeigen, zu welchem Zeitpunkt der Krise sich wie viele Zeitungen für oder gegen eine britische Intervention aussprachen. Außerdem soll auf regionale Unterschiede der verschiedenen Landesteile des Vereinigten Königreiches, England, Schottland, Wales und auch Irland, eingegangen werden. Es wird sogar davon ausgegangen, daß die Times selbst direkten Einfluß auf die Interventionsentscheidung der britischen Regierung ausgeübt hat. 49 Inwieweit die Presse tatsächlich auf die Ereignisse Einfluß nahm oder ob auf die Journalisten eingewirkt wurde, bleibt einem weiteren Abschnitt überlassen. Im dritten, umfangreichsten Teil der Arbeit (Kapitel 5), wird der Erste Weltkrieg betrachtet. Besonders an dieser Stelle ist daraufhinzuweisen, daß es in erster Linie um die Wahrnehmung der Ereignisse, respektive deren Darstellung in den Zeitungen geht und nicht um die historischen Fakten. Schon 1866 behauptete ein früher Medienforscher, die Tagespresse sei eine Armee, deren „Erfolge spotten der Tragweite der gezogenen Ka43
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Haffner, Sebastian: Die sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, Hamburg 1964/ND Bergisch Gladbach 2001, S. 27. Österreich wird synonym für Östeneich-Ungam verwendet. Vgl. Geiss, Imanuel: Die Kriegsschuldfrage - das Ende eines nationalen Tabus, in: ders. (Hg.): Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, München, Wien 1978, S. 204-229, hier S. 215, vgl. S. 210, 226-228, Fischer, Fritz: Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911 bis 1914, Düsseldorf 2 1969 und ders.: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf 1964.
Vgl. Haffner, Todsünden, S. 33, Keegan, John: The First World War, London 1999, S. 81, Joll, Ursprünge, S. 265, Schröder, Karsten: Parlament und Außenpolitik in England 1911-1914 dargestellt an der englischen Deutschlandpolitik von der Agadirkrise bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, Göttingen, Frankfurt, Zürich 1974, S. 190. 47 Craig, Gordon: Geschichte Europas. Vom Wiener Kongreß bis zur Gegenwart, München 1995, S. 360. 48 Vgl. Sösemann, Bemd: Medien und Öffentlichkeit in der Julikrise 1914, in: Kronenburg, Stephan/Schichtel, Horst (Hg.): Die Aktualität der Geschichte. Historische Orientierung in der Mediengesellschaft. Siegfried Quandt zum 60. Geburtstag, Gießen 1996, S. 193-232. 49 Vgl. Fischer, Heinz-Dietrich: Die großen Zeitungen. Porträts der Weltpresse, München 1966, S. 72.
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nonen, machen das Wunder der Zündnadel zu Schanden. Die Tagespresse ist eine Großmacht, die sich nicht ignorieren läßt und deren Eingreifen in die Geschicke der Völker um so gewaltiger erscheint, je weniger sie wählerisch ist in ihren Mitteln."50 Inwieweit dies für den Krieg zutrifft, steht hier im Mittelpunkt. Um dem Thema gerecht zu werden, ist es nötig, auf die Einbindung der Presse in die Kriegsanstrengungen Großbritanniens einzugehen. Zensurpraxis und die Kluft zwischen dem tatsächlichen Wissen der Journalisten und der Weitergabe von Informationen spielen eine wichtige Rolle. Wie sich dies auf die Darstellung der Kriegsereignisse auswirkt, folgt in einem weiteren Abschnitt. Den Hauptkomplex dieses Kapitels bildet die britische Kriegspropaganda gegen Deutschland. Es wird gezeigt, wie sich das Deutschlandbild veränderte. Einzelbeispiele sollen darlegen, welche Formen und Ausmaße dies annahm. Anhand einer statistischen Auswertung von Rekrutierungszahlen kann gezeigt werden, welche Auswirkungen die Propaganda auf die kurzfristigen Kriegsanstrengungen der Alliierten hatte. Zu nennen sind hier auch die Behandlung von Kriegszielen und Friedensinitiativen während des Krieges. Den Abschluß wird das Kapitel über das Kriegsende bilden (Kapitel 6), beispielsweise, wie der militärische Sieg der alliierten Truppen aufgenommen wurde. Auf eine mögliche Veränderung der Waffenstillstands- und Friedensbedingungen im Herbst 1918 soll ebenfalls eingegangen werden. Darüber hinaus steht der Umgang mit der sich gründenden neuen deutschen Republik im Vordergrund. Wie stellte sich die Lage des Kriegsgegners nach der Einstellung der Kampfhandlungen dar und wie sollte mit dem Staat fortan umgegangen werden? Zum Abschluß wird hier die politische Reorganisation Deutschlands unter die Lupe genommen. Mit den Wahlen zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung im Januar 1919 schließt sich der Kreis zu den Reichstagswahlen 1912. Um das Thema abzurunden, ist es nötig, auch einen Blick auf die innenpolitische Lage Großbritanniens und einen Ausblick auf die bevorstehende Friedenskonferenz zu geben. Mit einer bilanzierenden Schlußbetrachtung wird die Arbeit abgeschlossen. Über die reine Darstellung hinaus, wie das Zeitgeschehen in den Printmedien präsentiert wurde, soll insbesondere für die Julikrise 1914 das Zustandekommen der Berichterstattung näher beleuchtet werden. Welche Kontakte hatten Journalisten zu Politikern? Welche Auswirkungen hatte dies und inwieweit fand das Pressewesen des Vereinigten Königreiches in Deutschland Beachtung? Da es für den vorliegenden Untersuchungszeitraum keine demoskopischen Angaben über Fragen des politischen Alltags gibt51, stellen die Zeitungen ein wichtiges Hilfsmittel für die Abbildung der zeitgenössischen Meinung dar. Sie eignen sich hervorragend zur Widerspiegelung des Zeitgeistes der untersuchten Epoche.52 Auch wenn sie letztlich 50
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Molitor, Wilhelm: Die Großmacht der Presse. Ein Wort für unsere Tage aus der mitteleuropäischen Staatengruppe, Regensburg, New York 1866, S. 9. Vgl. Mayer, Martin: Geheime Diplomatie und öffentliche Meinung. Die Parlamente in Frankreich, Deutschland und Großbritannien und die erste Marokkokrise 1904-1906, Düsseldorf 2002, S. 11. Vgl. Sösemann, Medien, S. 193.
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nicht gleichzusetzen sind, so trägt die Presse als veröffentlichte Meinung doch wesentlich zur Bildung der öffentlichen Meinung bei.53 Eine diesbezügliche Messung ist aber äußerst schwierig.54 Problematisch ist beispielsweise die Beurteilung des Einflusses von Zeitungen auf ihre Leser.55 Diese können von der Sicht des Blattes völlig unberührt bleiben, wenn sie nur die Sport- oder Unterhaltungsseiten lesen.56 Außerdem steht nicht fest, ob Leser tatsächlich die Meinung der Zeitung übernehmen, selbst wenn sie deren Leitartikel ausgiebig studiert haben. Bei der Auswertung der Zeitungen ist zudem darauf zu achten, daß es sich eben nicht um die Meinung der Zeitung als solches handelt, sondern im Normalfall um die Ansicht des Korrespondenten oder Redakteurs. Aufgrund dieser Subjektivität wurde nicht zu unrecht vor dem unkritischen Gebrauch von Zeitungen als Geschichtsquelle gewarnt.57 Wichtig bei der Annäherung an das Thema ist, daß es nicht um die Darstellung historischer Realitäten geht. Diese wurden nur soweit als nötig mit einbezogen. Zentraler Aspekt ist dagegen die Perzeption des Deutschlandbildes („Image") in der britischen Presse.58 Bei der Untersuchung der Meinung von Zeitungen ist zu berücksichtigen, daß sich Stellungnahmen vor allem in den Leitartikeln finden. Korrespondentenberichte und Ereignismeldungen, die den größten Teil des Inhalts ausmachen und vor dem Krieg in der Regel neutral wiedergegeben wurden, bringen für die Darlegung einer Meinung deshalb nur wenig. Bei der Untersuchung der Zeitungen stand die Wiedergabe repräsentativer Artikel im Vordergrund. Aber auch Minderheitenmeinungen durften nicht vernachlässigt werden. Bei den Artikeln kommt es auch immer darauf an, wer sie wann und warum schrieb.59 Problematisch dabei ist, daß sie in britischen Zeitungen gewöhnlich nicht namentlich gekennzeichnet wurden. Außerdem ist auf die Beeinflussung von interner und externer Seite hinzuweisen. So konnten Redakteure oder Zeitungsbesitzer ebenso auf den Artikelschreiber einwirken, wie Politiker oder andere Lobbyisten.60 53
Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 231, Peters, Christoph: Deutschland und die Deutschen im Spiegel britischer Tageszeitungen. Die Berichterstattung der überregionalen Presse Großbritanniens 1989-1994, Münster 1999, S. 13. 54 Zur dieser Problematik vgl. z.B. auch Requate, Jörg: Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 5-32. 55 Eine ausfuhrliche Darstellung der Problematik bringt Wittek, Auf ewig Feind, S. 25-40. 56 Vgl. Boyce, David: Crusaders without chains: power and the press barons 1896-1951, in: Curran, James/Smith, Anthony/Wingate, Pauline (Hg.): Impacts and Influences. Essays on media power in the twentieth century, London, New York 1987, S. 97-112, hier S. 217. 57 Vgl. Bauer, Wilhelm: Die moderne Presse als Geschichtsquelle, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins fur Buchwesen und Schrifttum 4, Nr. 3/6 (1921), S. 9f, S. 10. 58 Vgl. Wendt, Bernd (Hg.): Das britische Deutschlandbild im Wandel des 19. und 20. Jahrhundert, Bochum 1984, Einleitung, S. 8. 59 Vgl. Royle, Edward: Newspapers and Periodicals in Historical Research, in: Brake, Laurel/Jones, Aled/Madden, Lionel (Hg.): Investigating Victorian Journalism, New York 1990, S. 48-59, S. 48. 60 Vgl. Wiener, Joel: Sources for the Study of Newspapers, in: Brake, Laurel/Jones, Aled/ Madden, Lionel (Hg.): Investigating Victorian Journalism, Houndmills, Basingstoke, Hampshire 1990, S. 155-165, hier S. 155.
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Beim Verfassen von Texten muß der Autor den Termindruck berücksichtigen, ebenso wie den zur Verfugung stehenden Raum.61 Wichtig ist ferner, daß es kein einziges homogenes Deutschlandbild geben kann. Vielmehr existieren zahlreiche verschiedene Einzelbilder, die durch verschiedene gesellschaftliche oder politische Sichtweisen beeinflußt und zu einem sehr heterogenen Gesamtbild werden.62 Das „Deutschlandbild" stellt also lediglich einen idealtypischen Begriff dar, der in seinen zahlreichen Facetten behandelt werden muß.63 Nicht zuletzt deshalb ist kein automatischer Zusammenhang zwischen dem Deutschlandbild in der britischen Presse und der Deutschlandpolitik der Regierung herstellbar.64
2. Forschungsstand Vor allem in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstand eine Reihe von Werken zu den deutsch-britischen Beziehungen und deren Problematik aus der Sicht der britischen Presse. Für das Kaiserreich liegt sowohl für die Vorkriegszeit als auch für den Krieg selbst eine Reihe von Einzelstudien vor.65 Aufgrund der zeitlichen Nähe zu den Ereignissen, der ideologischen Vorbelastung und der damit verbundenen Voreingenommenheit der Autoren, können diese jedoch nicht als wissenschaftlich fundiert anerkannt werden. So berücksichtigt Hugendubel in seiner Untersuchung zur französischen Presse mit 20 Zeitungen zwar eine recht breite Quellenbasis, aber schon der an die Arbeit gestellte Anspruch stellt sie ins Abseits. Ganz bewußt war es von Anfang an das Ziel des Autors, „ein Bild zu geben von der Art und dem Umfang der französischen Pressehetze,
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Vgl. Lippmann, Walter: Die öffentliche Meinung, Bochum 1964/ND 1990, englische Originalausgabe New York 1922, S. 240f. 62 Vgl. Wendt, Deutschlandbild, Einleitung, S. 13. 63 Vgl. Alter, Peter: Herausforderer der Weltmacht. Das Deutsche Reich im britischen Urteil, in: Hildebrand, Klaus (Hg.): Das Deutsche Reich im Urteil der Großen Mächte und europäischen Nachbarn (1871-1945), S. 159-177, hier S. 160. 64 Vgl. Wendt, Deutschlandbild, Einleitung, S. 10. 65 Vgl. z.B. Appel, Heinrich: Die ersten deutschen Kolonialerwerbungen im Lichte der englischen Presse. Ein Beitrag zur Geschichte der Kolonialpolitik Bismarcks, Hamburg 1934, Bauermann, Wemer: Die Times und die Abwendung Englands von Deutschland um 1900, Köln 1939, Dreyer, Johannes: Deutschland und England in ihrer Politik und Presse 1901, Berlin 1934/ND 1965, Herkenberg, Karl: The Times und das deutsch-englische Verhältnis im Jahre 1898, Berlin 1925, Jux, Anton: Der Kriegsschrecken des Frühjahrs 1914 in der europäischen Presse, Berlin 1929, Metz, Navy Scare, Primke, Werner: Die Politik der Times von der Unterzeichnung des Jangtseabkommens bis zum Ende der deutsch-englischen Bündnisbesprechungen (Oktober 1900 bis Mai 1901), Diss. Berlin 1936, Schöttle, Hermann: Die Times in der ersten Marokkokrise mit besonderer Berücksichtigung der englisch-deutschen Beziehungen, Berlin 1930/ND Vaduz 1965, Schütz, Entfremdung. Für die deutsche Seite vgl. Goebel, Theo: Deutsche Pressestimmen in der Julikrise 1914, Stuttgart 1939, Voegtle, Erich: Die englische Diplomatie und die deutsche Presse 1898-1914. Ein Beitrag zu den deutsch-englischen Beziehungen der Vorkriegszeit, Würzburg 1936.
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die eine wesentliche Schuld am Ausbruch des Weltkrieges"66 treffe. Auch für die Betrachtung Großbritanniens ist derartige Beschuldigungsliteratur nachzuweisen.67 Eine einzige Ausnahme bei der Untersuchung der britischen Presse vor dem Krieg ist im Werk Zimmermanns zu sehen.68 Obwohl sich der Autor durch umfangreiches Quellenstudium um eine objektive Darstellung bemühte, kann aber auch er die zeitliche Nähe zu den Ereignissen nicht verbergen. Es ist nicht zu übersehen, daß er Deutschlands Rolle möglichst positiv darstellen wollte. Außerdem beschränkte sich der Verfasser auf den Zeitraum vom Attentat von Sarajevo bis zur britischen Kriegserklärung. Diese Eingrenzung entbehrt zwar nicht jeder Grundlage, erfaßt sie doch die Ereignisse, die unmittelbar zum Krieg führten. Die zeitliche Begrenzung muß aber von vornherein den Blickwinkel einengen, da die englische Presse im Juli 1914 sehr stark auf die Krise in Nordirland fixiert war.69 Deutschland hatte deshalb bis zum Ausbruch des Krieges nur einen sehr untergeordneten Stellenwert in der Berichterstattung inne. Eine etwas weiter gefaßte Abhandlung zur europäischen Vorkriegspresse70 veröffentlichte Sidney Fay im Anschluß an sein umfangreiches Werk zum Ursprung des Ersten Weltkrieges.71 Sein Aufsatz befaßt sich mit dem Zeitungswesen der Ententemächte und Deutschlands. Aufgrund des Textumfanges kann Fay trotz einiger wichtiger Ansätze nur als Anregung verstanden werden. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geriet die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg vorübergehend in den Hintergrund. Spätestens mit der sogenannten FischerKontroverse in den 1960er Jahren erlangte der „Große Krieg" von 1914-1918 wieder die Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaft. Nach mehreren Wellen intensiver Beschäftigung mit der Thematik erlebte die Weltkriegsforschung in den letzten Jahren einen erneuten Aufschwung. Es liegt eine Fülle von Literatur vor, die nahezu jeden 75
Aspekt der Vorgeschichte des Krieges erfaßt. Die Diplomatiegeschichte wurde ebenso ausführlich behandelt wie innenpolitische Hintergründe oder die Rolle der verschiedenen beteiligten Länder.73 66 67
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Hugendubel, Vorbereitung, S. 9. Vgl. u.a. Germanicus, Presse, Kellen, Presse, Loeb, Feind, Pacher, Dreiverbandspresse, Schiemann, Presse. Vgl. Zimmermann, Walter: Die englische Presse zum Ausbruch des Weltkrieges, Berlin 1928. Problematisch ist bei dieser Arbeit, daß sämtliche Zitate übersetzt wurden. Ebenfalls ausführlich wird die Presse von Ernst Anrieh betrachtet. Dieser Autor bezieht sich jedoch auf die Arbeit Zimmermanns und bringt keine neuen Aspekte ein. Vgl. Anrieh, Ernst: Die englische Politik im Juli 1914. Eine Gesamtdarstellung der Julikrise, Stuttgart, Berlin 1934.
Vgl. Kapitel 4: 1. Die innenpolitischen Verhältnisse in England. Vgl. Fay, Vorkriegspresse, S. 411-445. 71 Vgl. Fay, Sidney: Der Ursprung des Weltkrieges, 2 Bände, Berlin 1930. 72 Vgl. Kennedy, Paul: Idealists and Realists: British Views of Germany 1864-1939, in: Transactions of the Royal Historical Society 25 (1975), S. 137-156, S. 137. Ausführliche Literaturverzeichnisse zum Ersten Weltkrieg finden sich u.a. in: Ferguson, Niall: The Pity of War, London, New York, Toronto u.a. 1998, S. 546-587 und Strachan, Hew: The First World War, Bd. 1, To Arms, Oxford 2001, S. 1141-1190. 73 Zum vorliegenden Thema vgl. v.a. Steiner, Origins. 70
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Dennoch fallt bei der neueren Literatur auf, daß sich bezüglich des Deutschlandbildes in der britischen Presse mit Hinblick auf den Ersten Weltkrieg und seine Vorgeschichte seit 1945 in der Forschung wenig getan hat.74 Zwar versteht es sich von selbst, daß auch in neueren Arbeiten häufig auf Zeitungen als Quellen zurückgegriffen wird, beispielsweise um die Stimmungslage der Bevölkerung zu zeigen. 75 Außerdem gibt es für verschiedene Aspekte der deutsch-britischen Beziehungen des letzten Jahrhunderts und der Bedeutung der Presse ausführliche Studien.76 Für den Ersten Weltkrieg spielen sie trotz umfassender Darstellungen in der Literatur aber keine große Rolle. 77 Erst in jüngster Zeit erschienen von Reinermann und Rebentisch zwei bedeutende Studien über den Kaiser.78 Wittek befaßte sich mit dem Deutschlandbild in der britischen Presse nach dem Ersten Weltkrieg. Nicht als einziger verweist er ausdrücklich auf den unzureichenden Forschungsstand für die vorangegangene Zeitspanne.79 Darüber hinaus laufen verschiedene Projekte, die sich mit der Zeit nach dem Krieg und den längerfristigen Aspekten vor dem Krieg befassen.80 Für die hier angestrebte Fragestellung und den Untersuchungszeitraum liegen allerdings nur Werke vor, die verschiedentlich auf die Presse verweisen oder geringen Umfangs sind.81 Meist sind Einzelzitate zu finden, die 74
Für die deutsche Presse liegt von sozialwissenschaftlicher Seite eine relativ neue Studie über ihre Rolle beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor: Rosenberger, Zeitungen. 75 Vgl. Bunselmeyer, Robert: The Cost of the War 1914-1919. British Economic War Aims and the Origins of Reparation, Hamden/Connecticut 1975, u.a. S. 22,113, 129, 144, 183, Carroll, Eber: Germany and the Great Powers 1866-1914. Α Study in Public Opinion and Foreign Policy, New York 1938, S. 769-818, Mayer, Geheime Diplomatie, Schöllgen, Gregor: Imperialismus und Gleichgewicht. Deutschland, England und die orientalische Frage, München 1984, Searle, Geoffrey: Corruption in British Politics 18951930, Oxford 1987, Gannon, Franklin: The British Press and Germany 1936-1939, Oxford 1971. 76 Vgl. z.B. Glaeßner, Gert-Joachim: Don't trust the Germans? Anmerkungen zum Deutschland-Bild in der britischen Presse, in: Deutschland-Archiv 22 (1989), S. 1027-1034. 77 Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 53. 78 Vgl. Reinermann, Lothar: Der Kaiser in England. Wilhelm II. und sein Bild in der britischen Öffentlichkeit, Paderborn, München, Wien u.a. 2001, Rebentisch, Jost: Die vielen Gesichter des Kaisers. Wilhelm II. in der deutschen und britischen Karikatur (1888-1918), Berlin 2000. Hinzu kommt: Kohlrausch, Martin: Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie, Berlin 2005. Dieser Titel bezieht sich in erster Linie auf deutschsprachige Quellen. 79 Vgl. Wittek, Auf ewig Feind, S. 13. Siehe auch Kohlrausch, Monarch, S. 22f. 80 Die wichtigste zu nennende Arbeit ist von Dominik Geppeit. Die Veröffentlichung seiner Habilitationsschrift wird in etwa zeitgleich mit der vorliegenden Dissertation erfolgen. Der Titel lautet: „Pressekriege" und „Zeitungsfehden". Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen, 1896-1912. 81 Vgl. z.B. Gebele, Hubert: Die Probleme von Krieg und Frieden in Großbritannien während des Ersten Weltkriegs. Regierung, Parteien und Öffentliche Meinung in der Auseinandersetzung über Kriegs- und Friedensziele, Frankfurt/Main, Bern, New York u.a. 1987, Pribram, Alfred: Austria-Hungary and Great Britain 1908-1914, London, New York, Toronto 1951/ND Westport/Connecticut 1971, v.a. S. 216-262, Ude, Wilhelm: Europäische Nationen im Spiegel britischer Zeitschriften in den Jahren 1890-1914. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des ersten Weltkrieges. (I. Teil), Diss. Phil. Göttingen 1954, Searle, Corruption, Kießling, Friedrich: Gegen den ,großen Krieg'? Entspannungen in den internationalen Beziehungen 19111914, München 2002, S. 15, Dose, Gerd: ,The Soul of Germany'. Bemerkungen zum angloamerikanischen Deutschlandbild vor und zu Beginn des Ersten Weltkrieges, in: Diller, Hans-Jürgen/Kohl, Stephan
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zur Untermauerung aufgestellter Thesen dienen sollen. Dies ist jedoch nicht zulässig: Da die Äußerungen der zeitgenössischen Presse derart unterschiedlich, ja gegensätzlich sind, könnte mit der gezielten Auswahl eines Zitats beinahe jeder Sachverhalt - vermeintlich - belegt werden.82 Oft genug werden aber auch in ausführlicheren Darstellungen zum Krieg die britischen Zeitungen und Journalisten nicht oder nur wenig berücksichtigt.83 Dies ist um so bemerkenswerter, da der Erste Weltkrieg an sich eines der literarisch am besten erfaßten Themen der historischen Forschung ist.84 Gerade in dieser Zeit gab es kein anderes Medium, das auch nur annähernd mit der Presse konkurrieren konnte.85 Nicht verwundern können daher zahlreiche Hinweise auf den großen Forschungsbedarf, der über das Deutschlandbild in der britischen Presse besteht.86 Eine systematische Auswertung der britischen Presse steht also noch aus.
3. Quellenlage Um das Deutschlandbild der britischen Presse von 1912 bis 1919 ausloten zu können, mußte auf eine möglichst breite Quellenbasis zurückgegriffen werden.87 Wie in Kapitel 2 näher erläutert wird, mußte wegen der großen Bedeutung der Hauptstadt die Londoner Presse im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus wurden auch Zeitungen aus den verschiedenen Landesteilen des Vereinigten Königreiches berücksichtigt. Die Zeitungen zeichnen sich vor allem durch ihre Aktualität, Universalität durch die Bearbeitung aller The-
u.a. (Hg.): Images of Germany, Heidelberg 1986, S. 21-55. Ebenfalls anzuführen ist hier eine Magisterarbeit der LMU München, die sich ausfuhrlich mit der Karikaturenzeitschrift Punch befaßt. Sie ist allerdings nicht publiziert: Loohs, Alexandra: Das Deutschlandbild in der britischen Satirezeitschrift Punch. Von der Zweiten Marokkokrise bis zum Vertrag von Locamo (1911-1925), unveröffentlichte Magisterarbeit München 1998. 82
Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 112. Eine positive Ausnahme stellen die Arbeiten von Morris dar, der auf breiter Basis die Presse, ihre Besitzer, die Herausgeber, Journalisten und ihre Widersprüche unter die Lupe nimmt. Er befaßt sich vor allem mit längerfristigen Entwicklungen, weniger mit dem unmittelbaren Geschehen vor dem Krieg. Vgl. Morris, Anthony: Radicalism against War, 1906-1914. The Advocacy of Peace and Retrenchment, London 1972 und ders.: The Scaremongers. The Advocacy of War and Rearmament 1896-1914, London, Boston, Melbourne u.a. 1984. 83 Vgl. Salewski, Michael: Der Erste Weltkrieg, Paderborn 2003, Mommsen, Wolfgang: Die Urkatastrophe Deutschlands. Der Erste Weltkrieg 1914-1918, Stuttgart lo 2002. 84 Vgl. Mosier, John: Myth of the Great War. A New Military History of World War, New York 2002, S. 1. 85 Vgl. Ferris, Paul: The House of Northcliffe. A Biography of an Empire, New York 1971, S. 196. 86 Vgl. z.B. Peters, Spiegel, S. 22, auch Müller, Sven: Die Nation als Waffe und Vorstellung. Nationalismus in Deutschland und Großbritannien im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2002, S. 70. Ein Korrespondent der Times wunderte sich darüber schon 1927: Lowe, Tale, S. 208. 87 Vgl. Altmann, Gerhard: Die Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkrieges aus britischer Sicht. Forschungsstand und offene Fragen, unveröffentlichte Magisterarbeit, Freiburg 2001, S. 89f.
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men und dem regelmäßigen Erscheinen als Periodika aus.88 Damit geht einher, daß von sämtlichen britischen Zeitungen, einem Großteil der Blätter aus den ehemaligen Dominions und zahlreichen anderen Presseorganen ein Exemplar in der British Library Newspaper Library archiviert wird. Damit stand eine schier unendliche Fülle von Quellenmaterial zur Verfügung. Eingeschränkt wurde die Quellenbasis im großen und ganzen nur durch wenige Fehlbestände. Besonders bei den Provinzzeitungen waren einzelne Ausgaben nicht nachweisbar.89 Bedauerlich war dies, wenn für den Untersuchungszeitraum entscheidende Tage, wie der 3. August 1914 oder der 9. November 1918, fehlten.90 Vereinzelt konnten längere Zeitabschnitte wegen des schlechten Zustandes der Zeitungen oder wegen Verlustes nicht eingesehen werden.91 Neben der British Library Newspaper Library92 wurde eine Reihe von Archiven aufgesucht. Dabei lag der Schwerpunkt auf Materialien, die im Zusammenhang mit Personen aus dem Umfeld der untersuchten Zeitungen standen. Hierzu gehören beispielsweise Mitglieder der englischen Regierung und des deutschen diplomatischen Korps. Festgestellt wurde, daß es eine Reihe von wichtigen Kontakten zwischen diesen Personengruppen gab. Auch wenn diese nicht zwangsläufig ein freundschaftliches Verhältnis miteinander pflegten, so gab es doch regen Schriftverkehr zwischen den jeweiligen Herausgebern und Eigentümern der Zeitungen. Zudem hatten die meisten Spitzenpolitiker in verschiedenen Zeiträumen mehr oder weniger engen Kontakt zu den Herausgebern und Journalisten der Zeitungen. Eingeschränkt wurde dieser Teil der Quellenbasis durch die Zeitungen selbst: „[...] it seems that the only national newspapers which have preserved their office papers are the Guardian and The Times."93 Bei der Herangehensweise an das Thema wurde versucht, auf nicht gedruckte Leserbriefe zurückzugreifen. Da Zeitungen jedoch aufgrund der enormen Menge von Zuschriften diese nicht archivieren, konnten dazu keine Quellen gefunden werden. Zudem 88
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Vgl. Fischer Lexikon. Publizistik. Massenkommunikation, hg. von Noelle-Neumann, Elisabeth/Schulz, Winfried/Wilke, Jürgen, Frankfurt/Main 5 1999, S. 417f. Beispielsweise fehlten von der Birmingham Daily Post der 1. bis 12.1.1912 und der 25. bis 28.2.1913. Weitere fehlende, unleserliche oder beschädigte Ausgaben z.B. B'ham Post, 21.1.1913, S. 6f, 2.9.1918; Cambria Daily Leader, 28.1.1919; Yorkshire Post, 6.4.1917, 22.7.1912, S. 8; Western Mail, 15.11.1917; People, 1.12.1918; John Bull, 4.9.1915; Evening Express, 20.6.1913; Liverpool Daily Post, 1.1.1912; Daily Sketch, 1. und 2.1.1917,4.1.1917,20.1.1917,26.1.1917,30.1.1917,3.2.1917,5.2.1917; South Wales Daily News, 29.6.1912; Daily Mirror, 9.1.1912,17.8.1912; Scotsman, 13.5.1918; Chronicle, 28.1.1919; Daily Express, 18.12.1917; Evening News, 14.11.1918; Irish Times, 2.2.1912. Vgl. Yorkshire Post, 9.11.1918; Cambria Daily Leader, 3.8.1914. Vgl. Cambria Daily Leader, Januar bis April 1912; Western Mail, Dezember bis August 1917; South Wales Daily News, Oktober bis Dezember 1912, Mai bis August 1917; Irish Independent, Januar bis April 1916, Januar 1919. Vgl. The Encyclopaedia of the British Press 1422-1992, hg. von Dennis Griffiths, New York 1992, S. 638640. Inwood, Stephen: The Role of the Press in English Politics during the First World War, with special reference to the Period 1914-1916, unveröffentlichte PhD. Thesis, Oxford 1971, S. 405, Hervorhebung im Original.
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legten nicht alle Journalisten Wert auf den Erhalt ihrer Korrespondenz. Typisch für den Umgang mit Journalisten scheint ein Brief an Churchill, dem die Antwort eines Journalisten weitergeleitet wurde: „Just burn when read."94 Nicht zuletzt aus diesem Grund kann es nicht verwundern, daß in den Archiven besonders für die so wichtige Julikrise nur wenig Material nachzuweisen ist. Für die beteiligten deutschen Personen ist zudem zu bedauern, daß der Nachlaß entscheidender Personen aus der Londoner Botschaft nicht mehr greifbar ist. So wurde der Nachlaß des Botschaftsrates Kühlmann, der intensive Kontakte zur Presse pflegte, im Zweiten Weltkrieg zerstört.95 Auch ein großer Teil der Unterlagen von Botschafter Lichnowsky erlitt schwere Schäden und enthält keine bedeutenden Dokumente für den Untersuchungszeitraum.96 Dennoch konnte auf ein großes Potential an Archivalien zurückgegriffen werden, die eine umfassende Behandlung der Einflußfaktoren auf die Journalisten ermöglichten. Noch umfangreicheres Material boten die Quellenpublikationen. Neben den autobiographischen Werken beteiligter Personen liegen auch die Aktenpublikationen der verschiedenen Länder für die Vorkriegszeit vor. Hier wurde vor allem auf die deutschen und englischen Dokumente zurückgegriffen, aber auch die österreichische Aktensammlung wurde auf wichtige Inhalte untersucht. Auffällig ist, daß in den Memoiren zeitgenössischer Politiker weder Zeitungen noch Journalisten häufig genannt werden. Oft finden sie überhaupt keine Erwähnung. Nicht ein einziges Mal taucht der Besitzer der News of the World, Lord Riddell, in den 2.000-seitigen Memoiren von Lloyd George auf. Ähnliches ist auch für die Erinnerungen von Politikern wie Churchill, Grey und Asquith festzustellen.97 Dennoch konnte auf umfangreichstes Quellenmaterial aller Schattierungen zurückgegriffen werden, das eine ausgezeichnete Basis für die Untersuchung des Deutschlandbildes in der britischen Presse und der Macht der Massenmedien98 im frühen 20. Jahrhundert darstellt.
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CU, CAC, CHAR/2/64/1, Hamilton an Churchill am 28.7.1914. Vgl. Schöllgen, Gregor: Richard von Kühlmann und das deutsch-englische Verhältnis 1912-1914. Zur Bedeutung der Peripherie in der europäischen Vorkriegspolitik, in: Historische Zeitschrift 230 (1980), S. 293-337, S. 295. 96 Vielen Dank schuldet der Verfasser dem Direktor des Zemsky Archiv ν Opave (Staatsarchiv Troppau), Dr. Karel Müller, für die Mühe bei der Bewertung des Nachlasses des Fürsten Lichnowsky (Rodinny archiv a üstredni sprava Lichnovskych - RAUSL). 97 Vgl. Inwood, Press, S. 390. Siehe hierzu auch das Quellenverzeichnis. 98 Vgl. Wilke, Jürgen: Auf dem Weg zur .Großmacht': Die Presse im 19. Jahrhundert, in: Wimmer, Rainer (Hg.): Das 19. Jahrhundert. Sprachgeschichtliche Wurzeln des heutigen Deutsch, Berlin, New York 1991, S. 73-94, hier S. 73. 95
Kapitel 1: Die Zeitungslandschaft in Großbritannien
1. Einflußfaktoren auf die Entwicklung der Presse In einer Zeit, in der die Entwicklung von Radio und Kino noch in ihren Anfangen steckte, stellte die Presse das einzige Massenmedium dar.1 In einer Art letztem „Goldenen Zeitalter"2 konnte allein sie breiten Bevölkerungskreisen als Informationsquelle dienen. Die Aufgabe der Presse wurde dabei als „reporter-in-chief to the nation"3 gesehen. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts bezeichnete Wilhelm Molitor als Vertreter einer frühen Generation von Medienforschern die Tagespresse als eine Art „Armee": Deren „Erfolge spotten der Tragweite der gezogenen Kanonen, machen das Wunder der Zündnadel zu Schanden." Nur folgerichtig ist daher ihre Bezeichnung als „Großmacht"4. Darüber hinaus wurde sie nach dem Ersten Weltkrieg sogar als „Weltmacht" betrachtet: „Größer als der Einfluß der Priester und Gelehrten ist der Einfluß der Journalisten. Sie reißen Gedankenwelten nieder und bauen neue auf."5 Aufgrund seiner Anschaulichkeit hat der Terminus „Großmacht" auch in die moderne Medienwissenschaft Einzug gehalten.6
' Vgl. z.B. Seymour-Ure, Colin: Northcliffe's Legacy, in: Catterall, Peter/Seymour-Ure, Colin/Smith, Adrian (Hg.): Northcliffe's Legacy, Houndmills, Basingstoke, Hampshire 2000, S. 9-25, hier S. 9 und Sanders, Michael/Taylor, Philip: Britische Propaganda im Ersten Weltkrieg 1914-1918, Berlin 1990, S. 12. Ein ausführliches Verzeichnis zur Literatur über die britische Presse und diesbezügliche Archivalien finden sich in: Linton, David/Boston, Ray (Hg.): The Newspaper Press in Britain. An annotated bibliography, London, New York 1987 und Linton, David (Hg.): The Twentieth-Century Newspaper Press in Britain. An annotated Bibliography, London, New York 1994. 2
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Robbins, Keith: Politicians, Diplomacy and War in Modern British History, London, Rio Grande 1994, S. 85: „In retrospect, at least, the years before 1914 appear as a last dying .Golden Age' [of the press] before the advent of radio and, later still, of television." Vgl. Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 11. Cook, Edward: The Press in War-Time, London 1920, S. 5-9. Molitor, Großmacht, S. 9, vgl. Stem-Rubarth, Propaganda, S. 72. Eberle, Großmacht Presse, S. 19. Wilke, Presse, S. 73-94.
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Dabei ist die Wandlung der Presse vom reinen Informationslieferanten fur die gebildete Elite hin zu „the chief instrumentality for voicing public opinion" 7 auf Entwicklungen aus dem 19. Jahrhundert zurückzuführen. 8 Erfindungen und technologischer Forschritt ermöglichten die billigere Herstellung von mehr Druckerzeugnissen in kürzerer Zeit. Zu nennen sind hier beispielsweise die Verbreitung der Satz- und Drucktechnik ab 1811 und die Verbesserung der Stereotypie seit 1829. Hinzu kommen die Einführung des Rotationsdrucks 1861 und des Linotypes 1884. Zur allgemeinen qualitativen Verbesserung trug der Farbdruck bei. Besonders geschickt nutzte die Daily Mail ab ihrer Gründung 1896 die neuen Möglichkeiten: Zwischen 30 und 50 Prozent der Herstellungskosten wurden gegenüber der Konkurrenz eingespart.9 Zudem kamen Erfindungen auf anderen Gebieten ebenfalls dem Pressewesen zugute. So ermöglichten ab 1835 der Bau der Eisenbahn, der rasche Ausbau des Schienennetzes sowie die Erfindung der Telegraphie in Verbindung mit dem Mörse-Apparat von 1837 eine deutliche Beschleunigung der Nachrichtenverbreitung und der Auslieferung der Zeitungen in Gebiete abseits der Hauptstädte. Erste Druckertelegraphen konnten ab 1855 benutzt werden. 10 Nach der Verlegung der ersten Transatlantik-Kabel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde zudem der Nachrichtenaustausch zwischen den Kontinenten beschleunigt. Um Zeitungen für die Masse der englischen Bevölkerung bezahlbar zu machen, war noch ein weiterer Schritt nötig. Im Jahr 1835 zahlte zum Beispiel allein die Times £48.516 an Zeitungssteuer - 4p pro Ausgabe." Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Preis durch andere Steuern hoch gehalten. Damit waren Zeitungen für die breite Bevölkerung zu teuer - ein Luxusartikel für die Besitzenden. Erst die schrittweise Abschaffung der Newspaper Stamp Duty bis 1855, die Aufhebung der Anzeigensteuer 11 1853 und der Papiersteuer 1861 machten die Senkung des Verkaufspreises möglich. Damit entfielen die „Steuern auf das Wissen" 13 , wie es Max Grünbeck ausdrückte. Vor allem die Anzeigensteuer spielte eine große Rolle, da sich die Zeitungen zum Großteil aus den Gewinnen der Annoncen finanzierten, Daily Telegraph und Times beispielsweise zwischen 50 und 60 Prozent. Der Verkaufspreis verschiedener Blätter konnte dadurch erstmals unter den Herstellungskosten liegen.14 7
Zitiert in: Rosenberger, Zeitungen, S. 4. Ursprünglich in: Scott, Jonathan: Five Weeks. The Surge of Public Opinion on the Eve of the Great War, New York 1927, S. 16. 8 Zur allgemeinen Entwicklung vgl. z.B. Wittek, Auf ewig Feind, S. 41-58. 9 Vgl. Pierce, Robert: Lord Northcliffe: Trans-Atlantic Influences, Austin 1975, S. 16. 10 Vgl. Fischer Lexikon, S. 436, Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 19, 25. 1 ' Vgl. Stutterheim, Kurt von: Die englische Presse. Von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 1933, S. 35. 12 Vgl. Lee, Alan: The Structure, Ownership and Control of the Press, 1855-1914, in: Boyce, George/Curran, James/Wingate, Pauline (Hg.): Newspaper History from the seventeenth century to the present day, London 1978, S. 117-129, hier S. 117. 13 Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 10. 14 Vgl. Lee, Structure, S. 119.
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Von besonderer Bedeutung war dazu die Einführung der allgemeinen Schulpflicht. Im Gefolge des Elementary Education Act und der Abschaffung des Schulgeldes entstand ab 1870 ein völlig neuer Leserkreis. Die dadurch erhöhte Nachfrage sorgte für eine größere Auflage, die die Produktionskosten pro Exemplar verringerten. Durch erhöhten Zuspruch wurden die Zeitungen wiederum für Anzeigenkunden attraktiver. Der Preis konnte weiter reduziert werden, was sie für eine größere Leserschaft attraktiv machte. Dies endete schließlich mit den billigen Massenblättern, die für einen halben penny verkauft wurden. Darüber hinaus beeinflußte die Ausweitung des Wahlrechts das Interesse der potentiellen Wähler und der Zeitungen zueinander. Zwar waren in Großbritannien prozentual wesentlich weniger Menschen wahlberechtigt als ab 1871 im Deutschen Kaiserreich. Dennoch waren es 1867 immerhin ca. 2,5 Millionen Menschen.15 Die Presse war somit ein Kommunikationsmittel zwischen Politikern, deren Anhängern, Gegnern und den Unentschlossenen.16 Es ist aber zu beachten, daß bei der vorliegenden Zeitungsdichte und Auflage bei weitem nicht alle Einwohner Großbritanniens eine Zeitung lasen, geschweige denn kauften. Neben Analphabetismus standen Armut und harte Lebensbedingungen weiter Bevölkerungskreise einer Massenpresse im Wege. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Hindernisse langsam überwunden.
2. Presse und Politik in Großbritannien 2.1 Die strukturelle Veränderung der Presselandschaft Die Folge oben genannter Prozesse war eine weitreichende strukturelle Veränderung der Presselandschaft. Neben billigeren Zeitungen mit einer höheren Auflage umfaßte dies eine starke Professionalisierung, Kommerzialisierung und Zentralisierung des Zeitungswesens. Damit ging vor allem ein Teil der vielfältigen Provinzpresse Großbritanniens verloren.17 Auf dem Zeitungsmarkt konkurrierten zwei Modelle. Diese waren einerseits die seriöse, ernsthafte Presse, andererseits die sogenannte Boulevardpresse. Die Erstgenannte wurde als „Fourth estate, with proprietorship a form of public service and journalists a species of public philosopher"18 bezeichnet. Sie stand Ende des 19. Jahrhunderts „moralisch und geistig auf einer sehr hohen Stufe"19. Seriöse Zeitungen seien weniger gelesen, als vielmehr studiert worden. Diese Zeitungen befaßten sich vor allem mit politischen und sozialen Inhalten. In anspruchsvollen, gut recherchierten 15
Vgl. Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 5, 12. Vgl. Baylen, Joseph: The British press, 1861-1918, in: EBP, S. 33-46, hier S. 33, Pierce, Northcliffe, S. 3. 17 Vgl. Lee, Structure, S. 128, Baylen, British press, S. 35. 18 Lee, Structure, S. 118. 19 Stutterheim, Presse, S. 45. 16
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Artikeln wurden wichtige Themen ausführlich dargestellt. Ein spezielles Interesse an der Wissenschaft hatte der Daily Telegraph. Zusammen mit dem New York Herald finanzierte er beispielsweise 1871 die Expedition Stanleys, um den in Afrika vermißten Livingston aufzuspüren.20 Besonders die Leitartikel warteten mit Analysen und Erörterungen auf, die auch Alternativlösungen für Problemfragen ansprachen. Zur Verdeutlichung des intellektuellen Anspruches wurde sie beispielsweise im Scotsman noch bis ins 20. Jahrhundert hinein ohne Überschriften oder Titel abgedruckt. Als wichtigste Aufgaben wurden die „objektive" Information und Aufklärung der Leserschaft betrachtet. Diese Zeitungsgruppe wandte sich vor allem an das Besitz- und Bildungsbürgertum. Generell waren diese Blätter teurer als ihre Konkurrenten von der Boulevardpresse und hatten eine wesentlich geringere Auflage. Mit dem einsetzenden Wandel der Zeitungswelt wurde jedoch auch sie dazu gezwungen, bestimmte Rubriken den Umständen anzupassen - beispielsweise gehörte Mode fortan fest zum Repertoire.21 Dem gegenüber stand die Entwicklung der Boulevardpresse gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Als Repräsentant ersten Ranges ist hier Lord Northcliffe zu nennen.22 Für die neu hinzukommenden Leserschichten gründete er Zeitungen, bei denen Triviales und Amüsantes im Mittelpunkt standen. Der Historiker Inwood stellte dazu fest: „Northcliffe did not aspire to become a popular educator. His intention was to sell newspapers; to entertain, not to enlighten."23 Die Yellow Press in ihrer Gesamtheit gilt als „an industry, with proprietors as businessmen and journalism a trade or craft."24 Der neu hinzugekommene Kundenkreis verlangte nach leichter Kost. Im Vordergrund stand hier nicht die nüchterne Information der Leser. Die neuen Zeitungen wollten mit den red hot news unterhalten. Das waren Themen wie Sport und Verbrechen, Mode und Gesundheit. Auch Nachrichten über prominente Personen, Katastrophen und Unglücksfälle wurden ausführlich behandelt. Wenn es keinen Aufhänger gab, so mußte einer gefunden werden. Zentraler Aspekt war dabei die Anzahl der verkauften Zeitungen. Auf die Frage, welches Ereignis sich dafür am besten eigne, antwortete der Journalist Kennedy Jones von der Evening News mit „Krieg". Des weiteren: „Next to a State Funeral comes a First-class Murder"25. Auch der Stil unterschied sich von der klassischen englischen Zeitung: „Der alte .Observer' hatte die Meldung von der Schlacht von Trafalgar so veröffentlicht, als wenn ein Kind von einer Postkutsche überfahren worden sei. Harmsworth ließ ein Kind
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Vgl. Stutterheim, Presse, S. 42. Vgl. Startt, James: Good Journalism in the Era of the New Journalism: The British Press, 1902-1914, in: Wiener, Joel (Hg.): Papers for the Millions. The New Journalism in Britain, 1850s to 1914, New York, Westport/Connecticut, London 1988, S. 275-298, hier S. 275, Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 45. 22 Vgl. z.B. auch Williams, Kevin: Get me a murder every day! A History of Mass Communication in Britain, London 1998. 23 Inwood, Press, S. 2. 24 Lee, Structure, S. 118. 25 Jones, Kennedy: Fleet Street & Downing Street, London 1919, S. 200. vgl. S. 198f. 21
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von einer Postkutsche überfahren, als habe Nelson die Schlacht von Trafalgar gewonnen."26 Der Zeitungsstoff verflachte und vulgarisierte sich. Artikel waren schlechter recherchiert und hatten weniger Tiefgang. Dafür wurde darauf geachtet, den Lesern möglichst viel Abwechslung zu bieten, sie nicht zu langweilen.27 Im Mittelpunkt stand der Unterhaltungswert, oder wie es Lord Northcliffe formulierte: „[...] if a dog bites a man, that ain't news; if a man bites a dog, that's news."28 Eine Problembehandlung fand in den wenigsten Fällen statt. Dafür wurde mit Stereotypen und Vorurteilen gearbeitet.29 Oberstes Ziel war, wie bereits erwähnt, eine möglichst hohe Auflage. Aus diesem Grund wandten sich solche Zeitungen mehr an die bevölkerungsstarken unteren sozialen Schichten. Je billiger die Zeitung war, desto mehr Verbreitung fand sie in diesen Kreisen.30 Dies gilt heute wie damals insbesondere für die illustrierten Zeitungen, die tabloids. Fast schon bösartig zitiert ein Vertrauter C.P. Scotts den ehemaligen Premier Salisbury. Mit Blick auf die Daily Mail und den Daily Mirror habe dieser gesagt „that Mr Harmsworth [Lord Northcliffe] had invented a paper for those who could read but could not think, and another for those who could see but could not read."31 Politik hatte innerhalb der Berichterstattung der einzelnen Boulevardzeitungen eine völlig unterschiedliche Wertigkeit. So stand beim Massenblatt Star in der Außenpolitik insbesondere Deutschland relativ häufig im Mittelpunkt. In den meisten Fällen war es jedoch so, daß Blätter wie der Daily Mirror trotz ihres Umfanges nur wenige Berichte über auswärtige Angelegenheiten brachten. Im Unterschied zu den seriösen Blättern blieb selbst die Innenpolitik, wie beispielsweise die Berichte aus den Houses of Parliament, in der Daily Mail auf ein geringes Maß beschränkt.32 Im Mittelpunkt standen dagegen unterhaltende Rubriken und domestic affairs. Eine klare Trennungslinie zwischen den unterschiedlichen Arten von Zeitungen kann jedoch nicht gezogen werden. Gerade mit steigendem Konkurrenzkampf wurde eine Kombination aus beiden möglich. Bestes Beispiel hierfür ist die Daily Mail. Sie zeichnete sich zwar durch einen hohen Anteil von Anzeigen und Klatsch aus, umgekehrt baute sie im Laufe der Zeit ein Korrespondentennetz aus, das schneller und zuverlässiger arbeitete als das der meisten Konkurrenten. Zu beachten ist in jedem Fall, daß billige Massenblätter, wie Daily Mirror und Daily Express, als Einflußgröße für die englische Elite nicht in Betracht kamen. Allein schon aufgrund der Themen wurden sie in
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Stutterheim, Presse, S. 54. Vgl. Pierce, Northcliffe, S. 13, Lorenz, Theodor: Die englische Presse, Halle/Saale 1907, S. 39. 28 Wiener, Sources, S. 161. 29 Vgl. z.B. Wittek, Auf ewig Feind, S. 392. 30 Vgl. Lee, Structure, S. 124. 31 Hammond, John: C Ρ Scott of the Manchester Guardian, London 1934, S. 95. 32 Vgl. Chalaby, Jean: Northcliffe: Proprietor as Journalist, in: Catterall, Peter/Seymour-Ure, Colin/Smith, Adrian (Hg.): Northcliffe's Legacy, Houndmills, Basingstoke, Hampshire 2000, S. 27-44, S. 31. 27
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höheren gesellschaftlichen Kreisen kaum wahrgenommen.33 Umgekehrt fanden die respektablen Zeitungen kaum Einzug in die unteren Volksschichten. Hier war neben den Themen vor allem der Preis ausschlaggebend. So kostete die Times das Sechsfache eines Volksblattes. Nach Preissenkungen war es 1913 immer noch das Doppelte. Wegen des eingeschränkten Angebots an Zeitungen außerhalb Londons erreichten am ehesten die Provinzzeitungen alle sozialen Schichten. Einen besonderen Vorteil genoß das englische Zeitungswesen hinsichtlich der Pressefreiheit.34 Im Gegensatz zum übrigen Europa konnte der englische Journalismus auf eine lange Tradition freier Meinungsäußerung zurückblicken. Bereits im Jahre 1644 erschien die Streitschrift Areopagitica von John Milton. Sie gilt heute als Symbol für den Kampf um die freie Berichterstattung in England. 1688 übernahm das Parlament die oberste Kontrollinstanz über die Presse. Nachdem dieser zeitlich begrenzte printing act sieben Jahre später nicht mehr verlängert wurde, hatte das Pressewesen die formale Unabhängigkeit erreicht. Mit der Zulassung der freien Berichterstattung aus dem Parlament war 1771 auch die letzte Hürde für den freien Journalismus gefallen. Mit gewissen Einschränkungen, beispielsweise durch Zensur in Kriegszeiten und die Begrenzung des Leserkreises durch Zeitungssteuern und Analphabetismus, besteht seitdem die freie Berichterstattung der englischen Presse.35 Erst nach der 2. Marokkokrise 1911 kam es zur Einrichtung einer Institution, die im Krisenfall auf die freiwillige Selbstzensur der Presse baute. Das Bekanntwerden britischer Küstenverteidigungsanlagen in der Morning Post weckte die Sorge der militärischen Führung, einem potentiellen Feind unnötigerweise kriegswichtige Informationen zukommen zu lassen. Bestehend aus Vertretern des War Office der Admiralty und der Presseorganisationen wurde das Joint Committee of Admiralty, War Office and Press Representatives eingerichtet, um die Veröffentlichung von für den potentiellen Feind relevanten Informationen zu verhindern.36 Für die alltägliche Berichterstattung spielte dies jedoch keine Rolle.
2.2 Probleme bei der Verwendung von Zeitungen als Quellenmaterial Bei der Verwendung von Zeitungen als Quellen sind mehrere Probleme zu beachten.37 Zusätzlich zur Unsicherheit bei der Bestimmung der Auflagenhöhe38 kommt, daß eine Feststellung der tatsächlichen Zahl der Leser eines verkauften Exemplars unmöglich ist. 33
Vgl. Watt, Donald: The British Reactions to the Assassination at Sarajevo, in: European Studies Review 1 (1971), S. 233-247, hier S. 236. In der Memoirenliteratur britischer Politiker tauchen Boulevardzeitungen folgerichtig kaum auf. 54 Vgl. Fischer Lexikon, S. 431. 35 Vgl. Fischer Lexikon, S. 431. 36 Vgl. Rose, Tania: Aspects of Political Censorship 1914-1918, Hull 1995, S. 12. 37 Vgl. schon Röckeisen, Antoinette: Die Presse als Geschichtsquelle, Diss. München 1952. 38 Siehe Kapitel 2, Abschnitt 5: Auflagenhöhe.
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Wurde es beispielsweise nur innerhalb der Familie oder auch im Freundes- und Bekanntenkreis herumgereicht? Hinzu kommt die Auslage in coffee houses und reading rooms. Vermutungen gehen so weit, daß ein verkauftes Exemplar bis zu dreißig Leser haben konnte. Eine derartige Hochrechnung der Auflage für jede Zeitung ist dabei nicht zulässig. Dies liegt insbesondere daran, daß einzelne Blätter dazu neigten, ihre Auflage zu erhöhen, obwohl nur ein deutlich geringerer Teil verkauft wurde. Der dadurch entstehende Verlust wurde durch die höheren Anzeigenpreise wegen der höheren Auflage mehr als wett gemacht. Eine weitere ungeklärte Frage muß bleiben, ob und wie einzelne Zeitungsartikel rezipiert wurden, das heißt wie die Wechselwirkungen zwischen Zeitungen und ihren Lesern tatsächlich aussahen. Aufzeichnungen dazu sind so gut wie nicht vorhanden und können nicht verallgemeinert werden. Außerdem standen bei den Massenblättern die Angelegenheiten des alltäglichen Lebens mehr im Mittelpunkt als bei seriösen Zeitungen. Diese wurden mehr von der interessierten Schicht gekauft, um sich mit den politisierenden Leitartikeln zu befassen. Damit erklärt sich auch der Umstand, daß sich bei der Daily Mail Anzeigen auf der ersten Seite befanden, während die Westminster Gazette ausführliche Leitartikel anbot.39 Inwieweit der Leitartikel von einem Käufer überhaupt gelesen oder reflektiert wurde, ist ebenfalls nicht nachweisbar. So bedeutet es nicht automatisch, daß ein Leser alle Artikel einer gekauften Zeitung liest. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, so folgt nicht zwangsläufig, daß der Leser auch mit der Meinung des Autors übereinstimmen muß.40 Eine Gleichsetzung der in verschiedenen Zeitungen vertretenen Meinungen - der „veröffentlichten Meinung" - mit der „öffentlichen Meinung" ist somit nicht möglich. War es zu Beginn dieser Arbeit noch ein Ziel, das Zustandekommen einzelner Artikel zu erklären, so mußte dieses Unterfangen bald aufgegeben werden. Die Zuordnung bestimmter Artikel zu bestimmten Autoren ist in den meisten Fällen unmöglich. Dies liegt zum einen daran, daß insbesondere Leitartikel nicht namentlich gekennzeichnet wurden. Hinzu kommt, daß beispielsweise bei der Times Leitartikel auch von mehreren Personen verfaßt sein konnten.41 Obwohl zahlreiche Artikel in den Nachlässen von Journalisten nachgewiesen werden konnten, so bedeutet dies nicht zugleich, daß diese auch deren Verfasser waren. Darüber hinaus ist darauf zu achten, daß Inhalt, Tendenzen und Umfang eines Artikels durch eine Vielzahl von Auslesevorgängen beeinflußt werden. So druckte die Ti-
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Vgl. Robertson Scott, John: ,We' and Me. Memories of four eminent Editors I worked with, a discussion by Editors of the future of Editing, and a candid account of the founding and the editing, for twenty-one years, of my own magazine, London 1956, S. 49. Vgl. Wiener, Sources, S. 159, Robbins, Keith: Public opinion, the press and pressure groups, in: Hinsley, Francis (Hg.): British Foreign Policy under Sir Edward Grey, Cambridge, London, New York u.a. 1977, S. 70-87, hier S. 73, Fay, Vorkriegspresse, S. 434. Vgl. Harmsworth, Alfred (Lord Northcliffe): Newspapers and their Millionaires, with some further Mediations about us, London 1922, S. 5, Bauer, Presse, S. 9.
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mes 1896 den vierfachen Umfang an Leitartikeln wie die Daily Mail.42 Das gesamte Tagesgeschehen konnte dennoch bei weitem nicht gemeldet, geschweige denn erörtert werden. Die Informationsbreite wurde also durch Entscheidungen der Redakteure eingeschränkt. Diese mußten das potentielle Interesse der Käufer für bestimmte Themen einfließen lassen, ließen sich aber auch von persönlichen Interessen und Lebensumständen leiten.43 Für den internationalen Kontext ist darauf hinzuweisen, daß die Zeitungen in der Vorkriegszeit wegen der politischen Gepflogenheiten im allgemeinen einen höflichen Ton anschlugen. Journalisten konnten sich wesentlich freier äußern als Politiker, die weit mehr auf die diplomatische Etikette Rücksicht nehmen mußten. Aber auch in Pressekreisen war „der Austausch von Höflichkeiten, die Beteuerung der Friedensliebe oder die gegenseitige Versicherung bester Absichten natürlich bei allerlei Anlässen Standard" 44 . Zugleich ist darauf zu achten, daß diese formelhaften Aussagen einen tieferen Sinn hatten. So wurde beispielsweise darauf geachtet, ob und in welcher Reihenfolge Staaten bei Reden oder Artikeln erwähnt wurden. 45 Die Zeitungsartikel sind in verschiedene Gruppen einzuteilen. Am neutralsten gehalten waren Ereignisberichte. Diese sagten über die politische Tendenz der Zeitung im allgemeinen sehr wenig aus. Korrespondentenberichte versuchten eher richtungsweisend zu wirken. Zu beachten ist hier jedoch, daß diese Artikel genauso wie Leserbriefe nicht der Meinung der Herausgeber und Eigentümer entsprechen mußten. Bei wichtigen Ereignissen wurde aber darauf geachtet, daß bei divergierender Meinung der „richtige" Sachverhalt in den Leitartikeln klargestellt wurde. Hierbei scheuten sich auch die Eigentümer nicht, persönlich Einfluß zu nehmen. Anders als bei Korrespondentenberichten war bei Leitartikeln völlig unklar, wer diese verfaßt hatte 46 Im Daily Sketch wurden die Leitartikel beispielsweise generell mit „The Man in the Street" unterzeichnet. Der Herausgeber der Daily Mail, Thomas Marlowe, signierte grundsätzlich keinen Artikel: „I shall not leave a scrap of paper behind." 47 Bei der Times gab es auch Leitartikel, zu denen fünf Autoren beitrugen. 48 Außerdem kam es vor, daß sich Journalisten nicht mehr erinnern konnten, welche Artikel sie verfaßt hatten. 49 Der Umfang der Berichterstattung einzelner Zeitungen war sehr unterschiedlich. Während die Massenblätter mehr Interesse an den human interests zeigten, spielte bei 42
Vgl. Lippmann, Öffentliche Meinung, S. 241, Wiener, Sources, S. 158, Robbins, Politicians, S. 88. Vgl. Schulz, Winfried: Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Analyse der aktuellen Berichterstattung, Freiburg, München 1976, S. 7-11, Royle, Newspapers, S. 48-51, Hudson, Miles/Stanier, John: War and the Media. A Random Searchlight, New York 1998, S. 304. 44 Kießling, Entspannungen, S. 86. 45 Vgl. Kießling, Entspannungen, S. 87, 318. 46 Vgl. Buchow, Wolfgang: Deutschland in der englischen Presse 1945-1949, Diss. Berlin 1973, S. 14, Bauer, Presse, S. 9, Schütz, Entfremdung, S. 2. 47 Clarke, Northcliffe Diary, S. 32, vgl. S. 31, 101. 48 Vgl. Harmsworth, Newspapers, S. 5. 49 Vgl. Buchow, Presse, S. 14, Anm. 1. 43
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den ernsten Organen die Politik eine viel wichtigere Rolle. Folglich waren die Anzahl der untersuchten Artikel und die Länge der entsprechenden Texte unterschiedlich. Dafür gab es mehrere Einflußgrößen. Sonntagszeitungen konnten beispielsweise gar nicht so viele Artikel veröffentlichen. Sie waren pro Ausgabe zwar wesentlich umfangreicher als die Tagespresse, erschienen aber nur einmal pro Woche. Unter der Tagespresse umfaßte der Daily Herald weniger Seiten und war kleinformatiger als beispielsweise Daily Mail, Daily Chronicle oder Yorkshire Post. Dieselbe Problematik gilt fur die illustrierten Tageszeitungen. Sie waren zwar hinsichtlich der Seitenzahl umfangreich, ihr Format war aber kleiner. Die schriftliche Berichterstattung nahm aufgrund der zahlreichen Bilder weniger Raum ein. Eine Untersuchung von Anzahl und Länge der Artikel zu auswärtigen Angelegenheiten kann deshalb nur bedingt hilfreich sein. In Blättern mit weniger Auslandsberichterstattung mußte der einzelne Artikel größeren Einfluß haben. Immerhin ergibt sich ein Bild, inwieweit die Zeitungen im relativen Vergleich ihre Leserschaft mit auswärtigen Angelegenheiten konfrontierten.50
2.3 Einflußmöglichkeiten der Presse auf die Meinungsbildung Hinsichtlich der Einflußmöglichkeiten der Presse sind die unterschiedlichsten Meinungen festzustellen.51 Weitgehende Einigkeit besteht darin, daß die Presse tatsächlich ein gewisses Gewicht bei der Veränderung von Meinungen haben konnte. Für den langjährigen englischen Botschafter in Washington, Bryce, erschien die Macht der Presse sogar als „the greatest danger ahead of Democracy" . Uneinigkeit herrscht darüber, welche Art von Zeitung tatsächlich Einfluß ausübte - entweder die seriösen, politisch angesehenen Blätter mit relativ geringer Auflage oder die Massenblätter der yellow press und wie groß dieser war.53 So heißt es beim Herausgeber der Times, daß deren Gewicht auch in Zeiten besonders niedriger Auflage „remained far greater than that of the Daily Mail, which sold ten or twenty times as many copies."54 Diese Sicht wird vielfach in der Literatur übernommen. Demnach sei die Times „England's most powerful newspaper"55
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Weitreichende Schlußfolgerungen auf die Größe eines Artikels in cm2 zu stützen hält der Verfasser für nicht zulässig. Zu unterschiedlich waren Formate und Schriftgrößen der verschiedenen Zeitungen. Vgl. auch das sehr theoretische „Codebuch der Inhaltsanalyse" in: Rosenberger, Zeitungen, S. 355-383. 51 Zur zeitgenössischen Sicht vgl. Scott-James, Rolf: The Influence of the Press, London 1913, Grünbeck, Presse, Bd. 2, S. 247. 52 Asquith, Herbert: Memories and Reflections 1852-1927, 2 Bände, Boston 1928, Bd. 1, S. 276. 53 Vgl. Robbins, Public opinion, S. 73. 54 Steed, Henry [Wickham]: The Press, London 1938, S. 141, vgl. Startt, James: Journalists for Empire. The Imperial Debate in the Edwardian Stately Press, 1903-1913, New York, Westport/Connecticut, London 1991, S. 7, Koss, Stephen: The Rise and Fall of the Political Press in Britain, 2 Bände, London 19811984, Bd. 1, S. 412. 55
Ross, Stewart: Propaganda for War. How the United States Was Conditioned to Fight the Great War of 1914-1918, Jefferson/North Carolina, London 1996, S. 35, vgl. S. 139.
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gewesen oder hatte als „die unbestritten führende Tageszeitung [...] kaum zu überschätzendefn] politischen Einfluß"56. Rosenberger betont darüber hinaus, daß die auflagenstarken Zeitungen nicht zugleich die Meinungsführer sein mußten.57 Die Höhe der Auflage wird dabei vom Einfluß der Zeitung abgekoppelt. Diesen Einfluß fuhrt J.A. Spender auf das ausgewählte Publikum zurück, an das sich die respektablen Zeitungen wandten. So erreichte Northcliffe mit seinen zahlreichen Zeitungen und hohen Auflagen zwar wesentlich mehr Menschen58, den engeren persönlichen Kontakt zu Politik- und Wirtschaftsgrößen hatten jedoch Männer wie Spender und C.P. Scott vom Manchester Guardian,59 Dies wird durch die Sicht eines ehemaligen Premierministers unterstrichen, wonach die Daily Mail „a journal 'written by office boys for office boys' gewesen sei."60 Dennoch gibt es auch eine Reihe von Stimmen, die sich gegen den größeren Einfluß der seriösen Zeitungen aussprechen. So ist es nicht verwunderlich, daß Northcliffe den Einfluß seiner Massenblätter als sehr groß ansah. Er sprach davon, daß „the power of the Press is to sup-Press"61. Steiner betont darüber hinaus, daß die großen Auflagen der Massenblätter einen viel größeren Teil der Bevölkerung erreichten: „The respectable press were not the papers creating mass opinion."62 Der Vertraute Northcliffes von der Daily Mail, Tom Clarke, unterstreicht dies ebenfalls: „Whatever he [Northcliffe] might do through The Times in the way of influencing public opinion, he could do far more through the Mail, with its millions."63 Differenzierter wird die Frage nach dem Einfluß bei Thomas gesehen. Er verweist auf die Aussage eines Journalisten, der die Ansicht vertrat: „If you want people to think something, write to The Times. If you want them to do something, write to the Daily Mail,"64 Für die Zeit des Krieges ist dabei zu beachten, daß die meisten Freiwilligen der britischen Armee aus denjenigen sozialen Schichten kamen, die auf die billigen halfpenny-B\äXXer zurückgriffen. Im Gegensatz zu beiden Ansichten ging Zimmermann davon aus, daß der Einfluß der Northcliffe-Presse fast so groß gewesen sei, wie der aller anderen Zeitungen zusam-
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Schütz, Entfremdung, S. 5, vgl. Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 51, Frey, Werner: Sir Valentine Chirol. Die britische Position und Politik in Asien 1895-1925, Zürich 1976, S. 226, Morris, Scaremongers, S. 374. 57 Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 104. 58 Vgl. McEwen, John: The Press and the Fall of Asquith, in: Historical Journal 21,4 (1978), S. 863-883, hier S. 865. 59 Vgl. Spender, John [Alfred]: Life, Journalism and Politics, 2 Bände, London, Toronto, Melbourne 1927, Bd. 2, S. 135, Riddell, George: More Pages from my Diary 1908-1914, London 1934, S. 14, Eintrag vom 16.12.1908, Boyce, Crusaders, S. 103. 60 Jones, Fleet Street. S. 202. Jones schreibt Disraeli diese Worte zu. Da dieser bei der Gründung der Daily Mail aber schon tot war, muß es sich aus dem historischen Kontext um Salisbury gehandelt haben. 61 Robertson Scott, Memories, S. 27. 62 Steiner, Origins, S. 167f, vgl. Inwood, Press, S. 1. 63 Clarke, Northcliffe Diary, S. 51. 64 Thomas, William: The Story of the Spectator 1828-1928, Freeport/New York 1928/ND 1971, S. 8.
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men. 65 Hier wird der Einfluß auf ein Zeitungskonsortium projiziert, das sich an alle sozialen Schichten wenden konnte. Doch auch hier ist auf vorsichtige Stimmen zu verweisen. So warnt Gebele ausdrücklich davor, Northcliffes Einfluß zu überschätzen, obwohl sogar ein Geheimdienstdossier über ihn angelegt worden war. 66 Generell einschränkende Bemerkungen zum Einfluß der Presse macht der Herausgeber des Daily Express. Er vertritt zwar die Meinung, daß Männer wie Northcliffe großen Erfolg haben konnten „in leading masses of people into channels of minor action, such, for instance, as suddenly beginning the cultivation of peas and roses" 67 . Dennoch habe er bei groß angelegten politischen Kampagnen nicht den gewünschten Erfolg erzielen können - obwohl er Besitzer von Zeitungen beider Kategorien war. Eine andere Sicht hinsichtlich der Einflußmöglichkeiten der Presse geht dahin, daß sie vor allem darauf beruhte, daß Politiker von ihrer Macht überzeugt waren, die zwar nicht den angenommenen Umfang hatte, aber allein durch den Glauben daran eine entsprechende Wirkung entfalten konnte. 68 Beachtenswert ist darüber hinaus, daß trotz der insgesamt steigenden Auflagen noch lang nicht alle Briten überhaupt in den Genuß kamen, eine Zeitung zu lesen oder zu kaufen. Dies lag nach wie vor an der mit heute nicht zu vergleichenden Bildungssituation und an den wirtschaftlichen Verhältnissen. 69 Der wichtigste Zeitungsmagnat auf den britischen Inseln war Lord Northcliffe. 70 Nicht nur von deutscher Seite wurde ihm nachgesagt, daß er es gewesen sei, der zu Kriegsbeginn Kitchener auf den Posten des Kriegsministers gehoben habe und später Lloyd George zum Premier gemacht habe. 71 Für die Entwicklung des modernen Journalismus in Großbritannien nach amerikanischem Vorbild wurde ihm nur mit geringen Einschränkungen die Hauptverantwortung attestiert.72 So ist es nicht verwunderlich, daß er sich selbst gerne „Chief' 7 3 nennen ließ und firmenintern auch so unterzeichnete. Seine Bekannten und Untergebenen übernahmen diesen Begriff und fugten „Napoleon of Fleet Street" 74 und, in Anlehnung an den König gleichen Namens aus dem 9. Jahr65
Vgl. Zimmermann, Presse, S. 9. Vgl. Gebele, Probleme, S. 64, auch Anm. 4. 67 Blumenfeld, Ralph: The Press in my Time, London 1933, S. 49, vgl. S. 50. 68 Vgl. Gebele. Probleme, S. 64, Inwood, Press, S. 25. 69 Vgl. Robbins, Politicians, S. 90. 7U Eine jüdische Abstammung Northcliffes konnte weder vom Verfasser, noch in der Literatur belegt werden. Vgl. Wanderscheck, Weltkrieg, S. 232, Anm. 2. Anderslautende Aussagen deutscher Politiker sind ausgesprochen unwahrscheinlich. 71 Vgl. Dibelius, Wilhelm: England, Band 1, Leipzig, Berlin 31924, S. 410, Kellen, Presse, S. 67, Greenwall, Harry: Northcliffe. Napoleon of Fleet Street, London 1957, S. 104. 72 Vgl. ΡAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 8, Pierce, Northcliffe, S. 1, Seymour-Ure, Legacy, S. 12, Ayerst, David: Garvin of the Observer, London, Sydney, Dover/New Hampshire 1985, S. 69. 73 Pound, Reginald/Harmsworth, Geoffrey: Nortcliffe, London 1959, S. 239, vgl. Angell, Norman: After All. The Autobiography, London 1951, S. 179. 74 Pound/Harmsworth, Northcliffe, S. 226f, vgl. Stutterheim, Presse, S. 51, Rowland, Peter: Lloyd George, London 1975, S. 403. 66
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hundert, „Alfred the Great"75 hinzu. Nach dem Krieg erinnerte sich Steed daran, daß er sich am Telefon gerne als „The Old Man, the Devil himself' 76 bezeichnete, wenn er nicht gleich erkannt wurde. Wie viel Aufmerksamkeit er genoß, zeigt seine häufige Erwähnung in Erinnerungen der deutschen Kriegsgegner.77 Seine eigene Macht schätzte er sehr hoch ein. Beispielsweise berichtete der österreichische Botschafter aus London, Northcliffe habe behauptet: „In jeder Zeitungsredaktion Deutschlands und Österreich-Ungarns habe ich jemanden, der mir berichtet."78 Er selbst wollte aber möglichst im Hintergrund bleiben. Sein Name durfte nur mit ausdrücklicher Genehmigung in seinen Zeitungen erwähnt werden.79
2.4 Verknüpfung von Politik und Presse Innerhalb des Vereinigten Königreichs gab es eine enge Verknüpfiing zwischen Journalismus und Politik. Beispielsweise waren 41 Journalisten und 24 Zeitungseigentümer im Jahre 1910 Mitglieder des englischen Unterhauses.80 Auch wenn es in der Öffentlichkeit wenig bekannt war, so verstanden sich Journalisten als Vertreter der politischen Elite. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzufuhren, daß sie meist derselben sozialen Schicht wie die Politiker selbst angehörten. Boyce schrieb deshalb mit Recht über Northcliffe: „[...] he was a journalist, and to be a journalist was already to be at least half a politician".81 Ihre Macht beruhte auf intimen Kenntnissen und effektiven Informationskanälen.82 Der Vorteil der Journalisten bestand darin, nicht auf politische Konstellationen Rücksicht nehmen zu müssen. Eingeschränkt wurde dies im Falle finanzieller Anhängigkeiten, die insbesondere bei verschiedenen konservativen Zeitungen mit der Conservative Party vorlagen.83 Zwar betonte der langjährige Premierminister Asquith, daß die Regierung in Großbritannien für den Untersuchungszeitraum „never had an official organ". Dennoch gibt er zu, daß „the relations of English Ministers with the Press have been at times pregnant 75
Owen, Louise: The Real Lord Northcliffe. Some Personal Recollections of a Private Secretary 1902-1922, London, New York, Toronto u.a. 1922, S. 16. 76 TNL Archive/HWS/3, undatiertes Memorandum „My Experience of and Relations with Lord Northcliffe", ca. 1922. 77 Vgl. z.B. Baden, Max von: Erinnerungen und Dokumente, Berlin, Leipzig 1927, S. 29, 38,42, 55, 69,71, 90, 174, 176, 221, 383, 652, 678, 680. 78 ÖUAP 1, Nr. 892 vom 14.1.1909, S. 745f, Mensdorff aus London. 79 Vgl. Owen, Real Lord Northcliffe, S. 46f, Aitken, William (Lord Beaverbrook): Men and Power 19171918, London 1956, S. xxi. 80 Vgl. Lee, Alan: The Origins of the Popular Press 1855-1914, London 1980, S. 294-296, Kennedy, Paul: The Rise of the Anglo-German Antagonism 1860-1914, London 6 1996, S. 89f. 81 Boyce, Crusaders, S. 100. 82 Vgl. Boyce, Crusaders, S. 99. 83 Vgl. Gebele, Probleme, S. 60, Inwood, Press, S. 45, 59f.
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and intimate" 84 . Auch der von Lord Northcliffe angestellte Journalist und Herausgeber Jones bestätigt die Beziehungen zwischen Regierung und Presse: „It must not be thought because the front doors were banged, barred and bolted against journalists, Fleet Street was in complete ignorance of all that went on behind them." 85 Im wesentlichen waren dies also keine offiziellen Partnerschaften. Vielmehr verliefen die hauptsächlichen Kontakte zwischen Journalisten untereinander und mit Politikern auf informellen Wegen. 86 Auch wenn es keine offiziellen Kontakte zwischen Downing Street und Fleet Street gab, so existierten doch viele informelle Beziehungen. Allein schon aufgrund der Nähe der beiden Straßen im Zentrum Londons waren persönliche Gespräche leicht zu arrangieren. 87 Es konnte eine lebhafte Korrespondenz zwischen Regierungspolitikern mit Zeitungsvertretern nachgewiesen werden. 88 Letztere pflegten sich auch untereinander zu schreiben. Die Kontakte waren dabei nicht auf die jeweilige Parteizugehörigkeit beschränkt. Selbst persönliche Animositäten, wie sie beispielsweise Lloyd George gegenüber Lord Northcliffe hegte, verhinderten den Kontakt nicht. Bei guten Beziehungen waren auch private Treffen und Dinnereinladungen keineswegs ungewöhnlich. 89 Um die vielfältigen Kontakte aufzuzeigen, bietet sich der Herausgeber der WestminsΛΛ ter Gazette, Spender , an. Dieser kannte Außenminister Grey bereits aus der gemeinsamen Studienzeit in Oxford. Ihre freundschaftlichen Beziehungen waren so eng, daß der Journalist dem Politiker 1924 bei der Ordnung der politischen Dokumente zur Verfassung seiner Memoiren zur Hand ging. Hinsichtlich politischer Informationen wollte der Journalist jedoch keine Vorteile aus seiner Verbindung mit Grey geschlagen haben. 91 Auch mit Premierminister Asquith und dessen Frau hatte er regelmäßige private Treffen. Die Einschränkung der politischen Bedeutung durch die Betonung, Spender habe sich über derartige Themen viel mehr mit der Frau des Regierungschefs als mit diesem selbst unterhalten, ist mehr als zweifelhaft. 92 Neben diesen beiden hochkaräti84
Asquith, Memories, Bd. 1, S. 281, vgl. Bonham-Carter, Violet: Winston Churchill. As I knew him, London 1965, S. 170f, Wanderscheck, Weltkrieg, S. 9. 85 Jones, Fleet Street, S. 95. 86 Vgl. Aitken, William (Lord Beaverbrook): Politicians and the Press, London 1923, S. 9-11. Zur neuesten Forschung siehe auch Wittek, Auf ewig Feind, insbes. S. 186-193 u.a. 87 Vgl. Steiner, Zara: The Foreign Office and Foreign Policy, 1898-1914, Cambridge 1969, S. 186, Sanders/Taylor, Propaganda, S. 14. 88 Siehe Quellen- und Literaturverzeichnis. 89 Vgl. Riddell, George: War Diary 1914-1918, London 1933, S. 4, 11, Scott, Charles [Prestwich]: The Political Diaries 1911-1928, hg. von Trevor Wilson. London 1970, S. 64, 91, Eintrag vom 27.7.1914, Kennedy, Antagonism, S. 89f. 90 Zu Spender vgl. u.a. Gade, Christel: Gleichgewichtspolitik oder Bündnispflege? Maximen britischer Außenpolitik (1909-1914), Göttingen, Zürich 1997, S. 115f. " Vgl. Spender, John [Alfred]: Men and Things, London, Toronto, Melbourne u.a. 1937, S. 17,168f. 92 Vgl. Spender, Life, Bd. 1, S. 151-153, vgl. Trevelyan, George: Sir Edward Grey. Sein Leben und Werk. Eine Grundlegung englischer Politik, Essen 1938, S. 251.
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gen Politikern räumt Spender intensive Kontakte zum ehemaligen Premier Rosebery sowie mit Kriegsminister Haidane ein.93 Das erste Treffen mit Winston Churchill fand bereits im Jahre 1900 statt - im Hause von Lord Northcliffe, mit dem er zeitweise ebenfalls enge Kontakte pflegte.94 Auch zu ausländischen Diplomaten war Spender auf Tuchfühlung. So nahm er während der ersten Marokkokrise 190*5/06 kurz hintereinander an zwei Dinner-Einladungen teil: Bei der einen diskutierte er mit dem französischen Botschafter Cambon dessen Sicht der Dinge, bei der anderen war der deutsche Botschafter Metternich der Gesprächspartner.95 Ähnliche Verbindungen sind für fast alle Pressemagnaten oder Herausgeber nachweisbar. So stand Lord Riddell von der News of the World in besonders engem Kontakt mit David Lloyd George. Ferner hatte er Verbindungen mit Politikern von MacDonald von der Labour Party, über den damals liberalen Churchill, hin zu den konservativen J.L. Garvin vom Observer und Northcliffe, die ihrerseits wiederum sehr gut bekannt waren. Auch hohe Militärs zählten zu Riddells regelmäßigen Gesprächspartnern.96 Auf der Seite der Politiker stellt David Lloyd George ein ausgezeichnetes Beispiel für die engen Verflechtungen mit der Presse dar. So schrieb Tom Clarke über ihn: „[...] he knew how to treat, and even flatter, the humblest working journalist, and he was very rarely inaccessible to the press. He knew the secrets of edition times and therefore the way to get the widest publicity for his speeches. [...] He thought the best time to make a big speech was Saturday afternoon, in time for the evenings to get a small 'bite'. Then the Sunday papers gave a full report, and the morning papers on Monday always followed up."97 In den Quellen finden sich Kontakte zu den meisten der bedeutenderen Journalisten. Neben Lord Riddell98 verband ihn auch mit C.P. Scott vom Manchester Guardian eine langjährige Freundschaft.99 Lloyd George selbst lobte ihn als „friend in whose wisdom I had implicit faith."100 Hinzu kam Henry Dalziel von der auflagenstarken Reynolds 's Newspaper. Doch auch mit der politischen Gegenseite pflegte Lloyd George enge Kontakte. Dabei sind die Lords Beaverbrook, Northcliffe und dessen Bruder Rothermere nur die Spitze des Eisbergs. Wie hoch er deren Bedeutung einschätzte, zeigt 93
Vgl. Spender, Life, Bd. 1, S. 153, Robertson Scott, Memories, S. 37. Vgl. Spender, Life, Bd. 1, S. 162, 166-169. 95 Vgl. Spender, Life, Bd. 1, S. 191. 96 Vgl. Riddell, More Pages, S. 49, Eintrag vom 30.3.1912, S. 61, Eintrag vom 16.5.1912, S. 162, Eintrag vom 19.6.1913, Gollin, Alfred: The Observer and J. L. Garvin 1908-1914. Α Study in a great Editorship, London, New York, Toronto 1960, S. 58-61. 97 Clarke, Tom: My Lloyd George Diary, London 1939, S. 12, vgl. Lloyd George, Frances: The years that are past, London, Melbourne, Sydney u.a. 1967, S. 74. 98 Vgl. Chirol, Valentine: Fifty Years in a Changing World, London 1927, S. 329, Aitken, Men and Power, S. xxii, F. Lloyd George, The years, S. 58f. 99 Vgl. F. Lloyd George, The years, S. 54. Taylor, Alan (Hg.): My Darling Pussy. The letters of Lloyd George and Frances Stevenson 1913-41, London 1975, S. 173. 100 Lloyd George, David: War Memoirs, 6 Bände, London 1933-1936, Bd. 2, S. 584. 94
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die Anzahl der wirtschaftlichen Posten und Adelsprädikate, die auf Initiative Lloyd Georges an diese Personengruppe vergeben wurde.101 Krönender Abschluß seines Engagements war der Kauf des liberalen Daily Chronicle durch ein liberales Konsortium, das die Zeitung unter seine Kontrolle brachte. Schon vorab waren ähnliche Versuche mit anderen Zeitungen, der Westminster Gazette und der Daily News, in Betracht gezogen worden.102 Eine gängige Art, die Zuwendung der Politiker an Presseleute zum Ausdruck zu bringen, war deren Erhebung in den Adelsstand. So erhielt Lord Northcliffe 1904 die baronetcy, ein Jahr später die barony. 1917 schließlich wurde er Viscount. Auch sein Bruder erhielt eine peerage - Lord Rothermere.103 Hinzu kam insbesondere im Krieg eine Reihe von politischen Aufgaben fur Pressemagnaten in den verschiedensten Ämtern. Trotz dieser engen Kontakte und Zuwendungen kann nicht davon gesprochen werden, daß die englische Presse von der Politik abhängig war. Außenminister Grey war machtlos, wenn seine Empfehlungen an die Presse nicht umgesetzt wurden.104 Auch andere Politiker standen der Presse nicht immer wohlwollend gegenüber. So zeigte Churchill im Herbst 1912 seine kritische Distanz gegenüber Zeitungen mit der Aussage: „I never read them now. They don't matter."105 Zugleich zeigt dieser Satz jedoch, daß er zu anderen Zeiten sehr wohl bewußt auf sie zurückgriff. Doch besonders die newcomer der Boulevardpresse waren den etablierten Politikern ein Dorn im Auge. Sie kamen nicht aus den sozialen Kreisen der Regierungselite und fühlten sich daher auch nicht an die ungeschriebenen Gesetze der Clubs und an soziale Verpflichtungen gebunden.105 So war besonders die Northcliffe-Presse nicht immer kooperativ, wenn die Regierung zum Ausdruck brachte, daß bestimmte Korrespondenten in bestimmten Hauptstädten nicht gerne gesehen würden, um die diplomatischen Beziehungen nicht zu belasten.107 Gerade für den Posten in Berlin betrachtete Northcliffe aber den gebürtigen Amerikaner Wile als so geeignet, daß er weder auf die deutschen Gegenbemühungen, noch auf den Einspruch der britischen Botschaft Rücksicht nahm.108 Zudem ging er soweit, gegenüber Lloyd George die Behauptung aufzustellen, „that the Editor of a great London journal was better informed about what was happening in the capitals of the world
101
Vgl. Grigg, John: Lloyd George: From Peace to War 1912-1916, London 1985, S. 452, Wrigley, Chris: Lloyd George, Oxford, Cambridge/USA 1992, S. 149, Pound/Harmsworth, Northcliffe, S. 376. 102 Vgl. Rowland, Lloyd George, S. 45If. 103 Vgl. Baylen, British press, S. 41, Aitken, Men and Power, S. xxiv. 104 Vgl. Fay, Vorkriegspresse, S. 421-423. 105 Riddell, More Pages, S. 104, Eintrag vom 26.11.1912. 106 Vgl. Steiner, Zara: The Foreign Office under Sir Edward Grey, 1905-1914, in: Hinsley, Francis (Hg.): British Foreign Policy under Sir Edward Grey, Cambridge, London, New York u.a. 1977, S. 22-69, hier S. 66, Gollin, Alfred: Proconsul in Politics a study of Lord Milner in Opposition and in Power, London 1964, S. 575. 107 Vgl. Robbins, Public opinion, S. 81. 108 Vgl. Pound/Harmsworth, Northcliffe, S. 327.
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than any Cabinet Minister."109 Premierminister Asquith schrieb darüber hinaus schon lange vor seinem durch Northcliffe mit geförderten Sturz: „I hate & distrust the fellow & and all his works, and will never make any overture to him"110. Wie groß der Einfluß einzelner Zeitungen auf die Politik dabei sein konnte, zeigt der Versuch der konservativen Regierung unter Arthur Balfour, sich 1903 gemeinsam mit Deutschland am Bau der Bagdadbahn zu beteiligen. Ein Sturm der Entrüstung in den konservativen, aber parteiunabhängigen Blättern Times und Daily Mail trug dazu bei, daß die Regierung zur Einstellung dieses Projekts gezwungen wurde." 1 Wie sehr die Journalisten umgekehrt auf ihre Unabhängigkeit achteten, zeigt der Kauf des Daily Chronicle durch ein Konsortium um Lloyd George im letzten Kriegsjahr. Obwohl die Zeitung als liberal einzustufen ist, trat der Herausgeber zurück. Er sah die Unabhängigkeit der Berichterstattung nicht mehr gewährleistet. War eine Beeinflussung innerhalb Englands schon schwer, so erwies sich dies von außerhalb als schier aussichtslos. Immer wieder beklagten die ausländischen Botschafter, daß eine Einwirkung auf die Zeitungen weit schwieriger sei als anderswo. Versuche in diese Richtung seien kaum erfolgversprechend.112 In der Tat war die englische Presse die unabhängigste im europäischen Vergleich.113 Nicht immer waren die Politiker dabei sehr froh über die Kontakte ihrer Kollegen. So klagte Churchill angesichts der Krise in Irland im Juli 1914: „The Daily Mail again seems to have received secret information of the death agony of the conference."114 Auch in der Zeit davor gab es immer wieder Unmut über undichte Stellen im Kabinett, die den Manchester Guardian, die Times, den Observer oder die Westminster Gazette mit vertraulichen Informationen versorgten." 5 Nicht selten zogen sich so Zeitungen den Unwillen von Politikern zu.116 Sollten einzelne Blätter zu unbequem werden, so bestand die Möglichkeit, ihnen wichtige Information vorzuenthalten, indem sie aus der circula-
109
Lloyd George, War Memoirs, Bd. 1, S. 48. Asquith, Herbert: Letters to Venetia Stanley, hg. Von Michael und Eleonor Brock, Oxford, New York 1982, S. 99f, Brief vom 10.7.1914. 111 Vgl. Fay, Vorkriegspresse, S. 423f, Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd. 2, S. 681. 112 Vgl. Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914, hg. im Auftrage des Auswärtigen Amtes von Max Montgelas und Walter Schücking, 5 Bände, Berlin 2 1922, Bd. 1, Nr. 43 vom 14.7.1914, S. 68f, Lichnowsky an AA, DDK 1, Nr. 52 vom 15.7.1914, S. 77f, Lichnowsky an AA, Österreich-Ungarns Außenpolitik. Diplomatische Aktenstücke des Österreichisch-Ungarischen Ministeriums des Äußern. Ausgewählt von Ludwig Bittner, Alfred Pribram, Heinrich Srbrik und Hans Übersberger, bearbeitet von Ludwig Bittner und Hans Übersberger, 8 Bände, Wien, Leipzig 1930, Bd. 8, Nr. 10180 vom 10.7.1914, S. 391, Mensdorffaus London, ÖUAP 8, Nr. 10335 vom 17.7.1914, S. 477f, Mensdorff aus London. 110
113
Vgl Fay, Vorkriegspresse, S. 443, Carroll, Germany, S. vii. Churchill, Winston und Clementine: Speaking for Themselves. The Personal Letters, hg. von Mary Soames, London, New York, Toronto, u.a. 1998, S. 94, Brief vom 23.7.1914. 115 Vgl. Robbins, Keith: Sir Edward Grey. A Biography of Lord Grey of Fallodon, London 1971, S. 205, Rowland, Lloyd George, S. 213f. 116 Vgl. Startt, Good Journalism, S. 286. 114
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tion list des Foreign Office gestrichen wurden. Umgekehrt konnte ihnen eine bevorzugte Behandlung zugute kommen." 7 Neben den Beziehungen zwischen Politikern und Journalisten beeinflußten noch eine ganze Reihe weiterer Größen den Inhalt der Zeitungen. Als Beispiel sind hier die Beziehungen zwischen den Journalisten, den Herausgebern und den Besitzern der Zeitungen zu nennen. So wurde H.A. Gwynne von der Morning Post zu einem regen Briefwechsel mit deren Besitzerin gezwungen. Der Grund dafür ist deren Weigerung, in ihr Haus ein Telefon einbauen zu lassen." 8 Dies verdeutlicht jedoch zugleich ein weitreichendes Problem hinsichtlich der Betrachtung der Kontakte zwischen einzelnen Personen: Gerade in den angesehenen und reichen gesellschaftlichen Kreisen war das Telefon bereits so verbreitet, daß abgesehen von persönlichen Treffen auch dadurch der Umfang schriftlicher Aufzeichnung verringert wurde. An dieser Stelle sei noch auf die Verantwortung von A.G. Gardiner gegenüber der Familie Cadbury, den bekannten Schokoladenfabrikanten und Quäkern, als Besitzer der Daily News und des Star19, hingewiesen. Besonders massiv griff Lord Northcliffe in die Berichterstattung seiner Blätter ein. Zeitweise schrieb er täglich wertende Kommentare bezüglich der Qualität der Ausgaben an seine Herausgeber.120 Hinzu kommen Kontakte, Ratschläge und der Einfluß persönlicher Loyalitäten zwischen Journalisten verschiedener Zeitungen mit Militärs oder Freunden, die zumeist 121
informell abliefen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel von Geoffrey Dawson von der Times. Schon aus ihrer gemeinsamen Zeit aus Südafrika kannte er den konservativen Politiker Lord Milner sehr gut. Nach seinem Amtsantritt als Herausgeber der Times ging seine Abhängigkeit angeblich sehr weit: „Dawson, in his relations with Lord Milner, retained the deferential air of a private secretary; he would come round 'to ask for instructions', or 'to get approval' of the way the paper was to handle, or had handled, certain subjects. She seemed to take it for granted that it was Milner, rather than Dawson, who controlled the policy of the paper [Times] during the latter's editorship."122 Auch wenn diese Sichtweise von Lady Milner übertrieben sein mag, so wirft sie doch ein bezeichnendes Licht auf die vermeintliche Unabhängigkeit der Journalisten.
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Vgl. Morris, Scaremongers, S. 372, Robbins, Public opinion, S. 81. Vgl. Wilson, Keith (Hg.): The Rasp of War. The Letters of Η. A. Gwynne to The Countess Bathurst 1914-1918, London 1988, S. 11. 119 Vgl. Koss, Stephen: Fleet Street Radical. A. G. Gardiner and the Daily News, London 1973, S. 63, Inwood, Press, S. 59. 120 Vgl. TNL Archive/NOR/2/1 /5-NOR/2/1 /9. Hier finden sich Memoranden Northcliffes zu zahlreichen Ausgaben der Times und Stellungnahmen zur Qualität und seiner Zufriedenheit mit den jeweiligen Ausgaben aus den Jahren 1915-1919. 121 Vgl. Inwood, Press, S. 3. 122 TNL Archive/Lord Milner File, Miscellaneous Papers, Brief von Michael Foot an Stanley Morrison am 12.2.1950.
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Zum Abhängigkeitsverhältnis auf persönlicher Ebene kommen die Beziehungen auf journalistisch-geschäftlicher Ebene. So stand von vornherein zu erwarten, daß Zeitungen derselben press group auch auf das Korrespondentennetz der Schwesterblätter zurückgreifen konnten. Es sind problemlos zahlreiche Verweise der Abendzeitung Evening News auf die tagsüber erscheinende Daily Mail und auf das Aushängeschild der Northcliffe-Gruppe, die Times nachzuweisen.123 Dies diente nicht zuletzt dazu, potentielle neue Leser auf diese Blätter aufmerksam zu machen. Dasselbe gilt für die von den Cadburys kontrollierten Daily News und Star.m Doch auch konkurrierende Zeitungen waren sich nicht zu schade, sich mit den Rivalen zu befassen125 oder darauf zu verweisen, sei es, um eine opponierende Meinung zu vertreten oder um auf einen Wissensoder Nachrichtenvorsprung zurückzugreifen.126 Dabei konnte der Amtsantritt eines neuen Herausgebers bei einer anderen Zeitung sogar einen Leitartikel Wert sein.127
3. Die deutsche Politik und die britische Presse Besonders nach dem Ersten Weltkrieg wurde die britische Presse von deutscher Seite als sehr schlecht angesehen. Viel schlimmer als die französische Presse wurde sie als ,,verlogenste[...] und gefährlichste[...], die es auf Gottes Erdboden gibt, gefahrlich darum, weil sie die Welt beherrscht"128 bezeichnet. Daß dabei der hohe Organisationsgrad und die qualitative Arbeit der ,,bestorganisierte[n] journalistische[n] Macht der Welt" 129 anerkannt wurde, spielt nur eine untergeordnete Rolle. So ist es nicht verwunderlich, daß es innerhalb der deutschen politischen Führung ein intensives Interesse an der Presse anderer Länder gab. Ausgiebig sammelte der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Jagow, Informationsmaterial über ausländische Zeitungen. Diese wurden anschließend unter anderem an den Botschafter in London weitergeleitet. Zu nennen ist beispielsweise eine „Übersicht über österreichische Preßverhältnisse und die bemerkenswerteren politischen Zeitungen und Zeitschriften Cisleithaniens und Bosniens und der Herzegowina"130 ebenso wie Einschätzungen über
123
Zur Daily Mail vgl. z.B. Evening News, 13.5.1912, S. 4, 23.1.1914, S. 1. Zur Times vgl. Evening News, 3.1.1914, S. 1,27.7.1914, S. 4. 124 Vgl. Star, 20.1.1912, S. 4, 30.4.1912, S. 4. 125 Vgl. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62244/74, Diktat Northcliffes an Robinson am 29.11.1912. 126 Vgl. Star, 30.4.1912, S. 4, 24.3.1913, S. 4. 127 Vgl. Chronicle, 10.8.1912, S. 4. Bericht über den Amtsantritt von Geoffrey Robinson. 128 Germanicus, Presse, S. 11, vgl. Kellen, Presse, S. 57-78. 129 Jung, Arthur: Die 7. Großmacht im Kriege. Ein Umblick über die Presse des feindlichen und des neutralen Auslandes und eine Untersuchung über das Wesen der Presse und ihre Bedeutung für unsere nationalen Interessen, Berlin 1916, S. 57-59. 130 Ρ AAA, London 1333, 146-177. Dokument vom 18.5.1913.
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die italienische Presse. 131 Dabei fehlten auch die Kontakte britischer Journalisten mit ausländischen Regierungen nicht.132 In der Zentralstelle für Auslandsdienst wurde zudem ein eigenes Lektorat mit zahlreichen Mitarbeitern betrieben, das sich um die Äußerungen der ausländischen Presse kümmerte. 133 Kaum Verständnis gab es auf deutscher Seite für die unabhängige Berichterstattung der englischen Presse. Im Kaiserreich bestand erst seit Einführung des Reichspressegesetzes 1874 die Pressefreiheit. Der Umgang damit war den deutschen Politikern lange nicht so selbstverständlich wie ihren englischen Kollegen. Besonders Bismarck wirkte unter Einsatz großer finanzieller Mittel aus dem sogenannten Weifenfonds114 massiv auf die Berichterstattung verschiedener Zeitungen ein. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung galt als Sprachrohr des Eisernen Kanzlers. Die Vorstellung, daß eine derartige Beeinflussung in England nicht stattfand, war für die deutsche Führungsspitze nicht nachvollziehbar. So zeigte sich der Kaiser 1898 gegenüber dem Zaren davon überzeugt, daß die positivere Darstellung Deutschlands in den englischen Zeitungen auf eine direkte Initiative der englischen Königin zurückginge. 135 Immer wieder wurde die Überzeugung geäußert, daß die englische Presse in wichtigen Momenten sehr diszipliniert sei.136 Aus diesem Grund wurde hinter Angriffen britischer Zeitungen auf Deutschland zumindest eine versteckte Beteiligung einzelner Regierungsmitglieder oder angesehener Persönlichkeiten vermutet. Deshalb gab es immer wieder Beschwerden über „the constant attacks [against Germany] in the English press" 137 , wie es Reichskanzler Bülow 1904 ausdrückte. Die Besorgnis darüber reichte bis zur deutschen Vertretung in China, wo über die Gehässigkeit der englischen Zeitungen geklagt wurde. 138 Den Versicherungen, es liege nicht in der Macht der englischen Regierung, auf Äußerungen der Presse Einfluß zu nehmen, wurde kaum Glaube geschenkt.' 39
131
Vgl. ΡAAA, London 1334, 33-63, Jagow an Lichnowsky am 23.4.1914. Vgl. ΡAAA, R 5641, Kaiserliche Gesandtschaft Athen an Bethmann am 19.6.1913. 133 Vgl. Koszyk, Kurt: Deutsche Pressepolitik im Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1968, S. 245f. 134 Vgl. Wilke, Jürgen: Medienpolitik - historisch gesehen: Von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, in: Universitas 41,1 (1986), S. 143-152, hierS. 150. 135 Vgl. Wilhelm II: Briefe an den Zaren 1894-1914, hg. von Walter Goetz, Berlin 1920, S. 309 vom 30.5.1898: „In a private inquiry I found out that Η. Μ. the Queen herself through a friend of hers had sent word to the British Papers, that she wished this unnoble and false game to cease." Deutsche Übersetzung auf S. 51. 136 Vgl. GP 39, Nr. 15864 vom 20.4.1914, S. 597, Lichnowsky an Bethmann. 137 British Documents on the Origins of the War 1898-1914, hg. von George Gooch und Harold Temperley, 11 Bände, London 1926-1938, Bd. Ill, Nr. 65 vom 28.1.1904, S. 56, Lascelles an Marquess of Lansdowne. 138 Vgl. ΡAAA, R 5641, Wendschuh aus Nanking an Bethmann am 17.1.1913. 139 Vgl. Β DOW III, Nr. 97 vom 12.6.1905, S. 79, Lascelles an Lansdowne, BDOW VI, Nr. 84 vom 19.2.1908, S. 134, Memorandum, GP 39, Nr. 15849 vom 10.3.1914, S. 559, Bethmann an Lichnowsky, GP 39, Nr. 15864 vom 20.4.1914, S. 597, Lichnowsky an Bethmann. 132
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Dies stellte auch der englische Botschafter in Berlin, Goschen, mit Besorgnis fest. 140 Lediglich Kühlmann betonte, daß die Meinungen über das „Offiziösentum" der britischen Presse weit auseinandergingen. Er stellte dabei fest, daß es kein eigentliches Pressbureau der Regierung gebe. Vielmehr kämen die Kontakte auf informeller Ebene zustande, beispielsweise bei gemeinsamen Frühstücken mit Journalisten und Politikern. 141 Etwas übertrieben ist dagegen die umgekehrte Einschätzung, daß die englische Presse in ihrem Handeln vollkommen frei gewesen sei. 142 Kritik am Umgangston britischer Zeitungen gegenüber Deutschland wurde aber nicht nur von deutscher Seite geübt. Selbst von britischen Zeitungen wurde Verständnis geäußert. So schrieb der Daily Chronicle im Herbst 1912: „Our German friends have good reason when they complain of the partisan reports which appear in a section of the British Press, intended to embitter the relations between the two countries." 143 Ähnlich äußerte sich der englische Botschafter in Wien, Fairfax Cartwright, während der Bosnienkrise 1908.144 Außenminister Grey teilte Botschafter Goschen mit, daß er über die deutsche Sichtweise nicht überrascht sei.145 Dieser fand seinerseits: „Our Press is not much better than the German" 146 . Da der Presse fur die diplomatischen und politischen Entscheidungsprozesse eine hohe Einflußkraft nachgesagt wurde, gab es entsprechende Versuche, auf den Meinungsbildungsprozeß der Zeitungen einzuwirken. Diese beschränkten sich nicht auf sachliche Argumentation, sondern umfaßten die Hinzuziehung finanzieller Mittel. Auch über die Bismarck-Zeit hinaus gab es massive Bestechungsversuche. So sah ein Plan vor, selbst die eigentlich so deutschlandkritische französische Presse jährlich mit 50.000 Francs zu unterstützen, um die Beziehungen der beiden Länder zu beeinflussen. 147 Im April 1913 übersandte der deutsche Botschafter in Paris, Schön, dem Reichskanzler „eine Bescheinigung über die im Rechnungsjahr 1912 diesseits fur Pressezwecke verausgabte Summe" 148 . Besorgnis wurde auch über die hohen Beträge geäußert, die andere Regierungen für solche Zwecke ausgaben. So kam aus der Gesandtschaft in Athen
140
Vgl. Goschen, William: The Diary 1900-1914, hg. von Christopher Howard, London 1980, S. 251, Eintrag vom 24.11.1911, S. 247 und Eintrag vom 2.11.1911. 141 Vgl. ΡAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 12f. 142 Vgl. Jung, Großmacht, S. 63f. 143 Chronicle, 1.11.1912, S. 6. 144 Vgl. GP 26,1, Nr. 9159 vom 16.12.1908, S. 341, Tschirschky an Bülow, vgl. hierzu schon BDOW I, Nr. 63 vom 1.2.1898, S. 43f (erhalten 7.2.1898), Lascelles an Salisbury. 145 Vgl. BDOW VI, Nr. 210 vom 31.12.1909, S. 319, Grey an Goschen: „I am not surprised that the German Chancellor is annoyed and disappointed by what seem to him to be anti-German articles and speeches here." 144 Goschen, Diary, S. 247, Eintrag vom 1.11.1911. 147 Vgl. Kießling, Entspannungen S. 144f, S. 274, Keiper, Gerhard: Biographische Studien zu den Verständigungsversuchen zwischen Deutschland und Frankreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Frankfurt/Main 1997, S. 40-44. 148 ΡAAA, R 1489, Schoen an Bethmann am 19.4.1913.
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die Meldung, daß allein der französische Journalist Dubosq mit 60.000 Francs „subventioniert" werde. Zudem werde der Korrespondent der Times unterstützt. 149 Ein ähnlicher Notenwechsel ist selbst mit der Gesandtschaft in Beirut festzustellen. 150 Um die Mitwirkung geeigneter Kandidaten zur Verfolgung der deutschen Ziele mußte sich das Auswärtige Amt in der Berliner Wilhelmstraße dabei kaum Gedanken machen. So bot sich ein Mann namens Harmer nach seiner Rückkehr nach London Anfang 1912 an, in den Dienst der Botschaft zu treten. Vorbild sollte seine Tätigkeit für die kaiserliche Vertretung in Madrid sein. Auf Empfehlung des Botschafters Metternich stimmte Berlin zu, den Kandidaten probeweise auf ein Jahr einzustellen. Dabei wurde darauf geachtet, daß sein „Gehalt" für die Zeit, in der er nicht in London weilte, nach unten angepaßt wurde. 151 Der deutsche Kaiser 152 fühlte sich in seinem Selbstverständnis „totally indifferent to newspaper gossip" 153 . Aus seinem Umfeld wird jedoch berichtet, „welchen Wert der Kaiser der englischen Presse beimißt und wie er sich durch diese gekränkt und bedroht fühlt" 154 . Daß es den Kaiser persönlich traf, wenn die Berichterstattung nicht seinen Vorstellungen entsprach, geht auch aus seinen persönlichen Äußerungen hervor. 155 So wurde das Abonnement der englischen Karikaturehzeitschrift Punch kurzzeitig abbestellt, bis der kaiserliche Zorn über die nicht genehme Darstellung Deutschlands wieder abgeklungen war. 156 Während der Algeciras-Konferenz glaubte Wilhelm im Verhalten der englischen Politiker und der Presse eine klare Linie zu erkennen. Ihr Ziel sei die Verhinderung einer deutsch-französischen Annäherung gewesen. Dadurch würde nicht nur ein wirtschaftlicher Konkurrent ausgeschaltet, sondern auch das französische Heer und die Flotte zur britischen Verfügung stehen.157 Zum Umgang Wilhelms mit der ausländischen Presse sind sehr kritische Stimmen nachweisbar. Als besonders problematisch wurde erachtet, daß er nur Zeitungsausschnitte las, sich aber nicht mit kompletten Zeitungsausgaben befaßte: „Das Auswärtige Amt, das die Zeitungsausschnitte übersendet, hat es so vollständig in der Hand, nach eigenem Ermessen die Lektüre des Kaisers über die Tagesereignisse zu erweitern oder einzuschränken, ja ihn tendenziös zu beeinflussen. Ich habe häufig die Empfindung gehabt, daß die vorgelegten Artikel in merkwürdiger Weise zu den Absichten stimmen, 149
Vgl. ΡAAA, R 5642, Von Quadt aus Athen an Bethmann am 17.5.1914. Vgl. Ρ AAA, R 1489, Mutius aus Beirut an Bethmann am 10.1.1914. 151 Vgl. ΡAAA, R 5644, Metternich an Bethmann am 26.2.1910. Siehe hierzu auch Ρ AAA, R 5644 vom 6.4.1912, 27.10.1912, 8.3.1913, 7.9.1912, 22.4.1912, 31.12.1913,4.3.1914, 30.9.1913. 152 Zu Wilhelm II. vgl. Reinermann, Kaiser. 153 Wilhelm II., Briefe, S. 401 vom 8.5.1909, vgl. Fay, Vorkriegspresse, S. 415f. 154 Zedlitz-Trützschler, Robert von: Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof. Aufzeichnungen des ehemaligen Hofmarschalls Wilhelms II., Berlin 1923, S. 98 vom 21.11.1904. 155 Vgl. Wilhelm II., Briefe, S. 400-402 vom 8.5.1909, BDOWI. Nr. 63 vom 1.2.1898 (erhalten am 7.2.1898), S. 43, Lascelles an Salisbury. 156 Vgl. Koszyk, Pressepolitik, S. 12, Fay, Vorkriegspresse, S. 415. 157 Vgl. GP 21-2, Dok. 7202 vom 17.10.1906, S. 464, Metternich an Bülow. 150
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die das Auswärtige Amt gerade in einzelnen Fragen verfolgte. Es kommt dadurch zeitweise zu einem vollständigen Einspinnen des Kaisers in gewisse, dem Auswärtigen Amt genehme Anschauungen."158 Meldungen über die Beschwerden des Kaisers über die britische Presse erreichten sogar den englischen König.159 Dabei war Wilhelms Verhältnis zu Presseleuten nicht nur angespannt. So berichtet J.A. Spender von der Westminster Gazette von mehreren persönlichen Gesprächen mit ihm. Unter anderem unterhielten sich die beiden anläßlich des kaiserlichen Geburtstagsbanketts 1906 in Berlin und beim Besuch Wilhelms in Großbritannien 1911 im Hause des Kriegsministers Haidane.160 Angeblich habe sogar der Kaiser Northcliffe kennenlemen wollen. Der deutschlandkritische Pressemagnat ließ zwar seine Zigarren aus Deutschland importieren161, legte aber keinen gesteigerten Wert auf die Bekanntschaft Wilhelms II. Northcliffe habe dazu gesagt: „I have escaped from the wily Kaiser, my dear. It was made known to me that he wished me to be presented to him. I thought otherwise, so here I am at home, just going to bed."162 Aus den Erinnerungen der Botschaftsangehörigen in London geht hervor, daß die „Berichterstattung über die Presse [...] einen wesentlichen Teil der Sekretärsarbeit aus[machte]."163 Besonders Bülow soll an den Äußerungen der Presse sehr interessiert gewesen sein. Dabei waren einzelne Personen jeweils für die Bearbeitung bestimmter Zeitungsgruppen zuständig. Kühlmann stellte in seinen Memoiren sogar fest: „Zu den wichtigsten und zeitraubendsten meiner Aufgaben gehörte der Empfang der Besucher, vor allem sowohl der Londoner als der internationalen Journalisten. Dies war nun eine höchst delikate Angelegenheit; denn die Herren waren Künstler im Fragen und äußerst wißbegierig, für mich andernteils auch sehr wertvoll, weil ich durch ihre Mitteilungen mit der Zeit das ungeheuer komplizierte Getriebe der Presse in einer Weltstadt kennenlernte." In jahrelanger Arbeit fertigte er eine ausführliche Zusammenstellung über „die Verhältnisse und Persönlichkeiten der einflußreichen englischen Presse, Eigentümer der Zeitungen, Kapitalverflechtungen etc. [...], um so meinen Nachfolgern einen wesentlichen Teil der mühsamen Detailarbeit zu ersparen, die ich hatte leisten müssen."164
158
Zedlitz-Trütschler, Kaiserhof, S. 106 vom 29.1.1905, vgl. Franke, Lydia: Die Randbemerkungen Wilhelms II. in den Akten der auswärtigen Politik als historische und psychologische Quelle, Leipzig, Straßburg, Zürich 1934, S. 117f. 159 Vgl. Esher, Reginald: Journals and Letters, hg. von Maurice Brett, 4 Bände, London 1934-1938, Bd. 2, S. 136-138, Memorandum an den König am 18.1.1906. 160 Vgl. Spender, Life, Bd. 1, S. 205-207. 161 Vgl. Hammerton, John: With Northcliffe in Fleet Street. Α Personal Record, London 1932, S. 74. 162 Owen, Real Lord Northcliffe, S. 47. 163 Kühlmann, Richard von: Erinnerungen, Heidelberg 1948, S. 303, vgl. Schöllgen, Kühlmann, S. 303. 164 Kühlmann, Erinnerungen, S. 303f. Dieser über 100-seitige Bericht, der die wichtigen englischen Tagesund Wochenzeitungen beschreibt und politisch einordnet, ist heute im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes unter dem Aktenzeichen PAAA, R 5640, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912 einsehbar. Vgl. Ρ AAA, R 5964 und PAAA, London 1335.
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Darin wird eine differenzierte Beschreibung der Presseorgane des Vereinigten Königreiches getroffen. So findet Kühlmann den Begriff „Rinnstein-Presse" für die englische Zeitungswelt „nicht zu hart."165 Des weiteren stellt er für das gesamte Land ein deutliches Übergewicht der unionistischen gegenüber der liberalen Presse fest.166 Während die Zeitungen Lord Northcliffes und die Massenblätter im allgemeinen schlecht wegkommen, läßt er dem Manchester Guardian und dem Scotsman großes Lob zuteil werden.167 Auch einzelne Journalisten werden nach Charakterzügen und hinsichtlich ihrer Position gegenüber Deutschland beschrieben, darunter J.A. Spender, dem Kühlmann sogar die Berufung auf den Botschafterstuhl in Washington zutraute.168 Mit diesem Herausgeber der als „liberalparteiofFiziös" bezeichneten Westminster Gazette pflegte Kühlmann selbst intensive Kontakte. Für den Botschaftsrat war Spender um so interessanter, da dieser seinerseits eng mit dem britischen Außenminister Grey und dem Premier Asquith befreundet war. Nach dem Krieg betrachtete er die Ergebnisse der Beziehungen eher kühl: „Viel hat bei diesen häufigen Bemühungen nicht herausgeschaut."169 Grundsätzlich ist ein intensiver Notenwechsel über Äußerungen der britischen Presse zwischen der Deutschen Botschaft in London und der Berliner Wilhelmstraße festzustellen. Dies umfaßt das Versenden ganzer Zeitungen oder einzelner Artikel.170 Der Vortragende Rat des Auswärtigen Amtes, Wilhelm von Stumm, sah es bei seinem Eintreffen in London als notwendig an, mit J.A. Spender als „mit den maßgebenden Stellen in Fühlung stehende Persönlichkeit^..]" 171 Kontakt aufzunehmen. Anfragen hinsichtlich der politischen Einordnung von Zeitungen und deren Äußerungen wurden aus der Botschaft möglichst schnell nach Berlin übermittelt.172 Veränderungen innerhalb der Zeitungen wurden ebenfalls mitgeteilt. So berichtete Lichnowsky im Februar 1914 über den Wechsel an der Spitze des foreign department der Times, als Steed die Führung von Braham übernahm, und über die Preissenkungen der Zeitung.173 Umgekehrt wurde ge-
165
ΡAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 2. Vgl. Ρ AAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 2 und 3. 167 Vgl. ΡAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 4. 168 Vgl. z.B. ΡAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 11, vgl. Blatt 9f. 169 Kühlmann, Erinnerungen, S. 305. 170 Vgl. ΡAAA, R 5642, Lichnowsky an Bethmann am 25.4.1914, ΡAAA, London 1333, 190. Ohne Datierung: Kuvert mit zahlreichen Zeitungen und Artikel: u.a. Telegraph 14.12.1912, Evening Standard 17.12.1912, Times 10.2.1913, Guardian, 28.1.1913, Lichnowsky, Karl von: Auf dem Wege zum Abgrund. Londoner Berichte, Erinnerungen und sonstige Schriften, 2 Bände, Dresden 1927, Bd. 2, S. 213-217,219, 226, 228. 166
171
GP 28, Nr. 10304 vom 7.5.1909, S. 158, Aufzeichnung des Vortragenden Rates Stumm. Vgl. ΡAAA, R 5639, Kühlmann an Bethmann am 30.12.1911. Hier wird der Daily Graphic behandelt. 173 Vgl. Ρ AAA, R 5641, Lichnowsky an Bethmann am 27.5.1913, Ρ AAA, R 5642 am 27.2.1914 und 11.3.1914, Ρ AAA, R 5642, Tschirschky an Bethmann am 17.7.1913. 172
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meldet, wie britische Zeitungen auf Ereignisse in Deutschland reagierten, beispielsweise auf eine Reichstagsrede Jagows. 174 Insgesamt bleibt festzustellen, daß sich die deutsche Politik intensiv mit den Vorgängen in den ausländischen Zeitungen befaßte. Insbesondere gilt dies fur die englische Presse, die bis ins Detail aufmerksam verfolgt wurde. Dabei reichte das Spektrum der Beziehungen von intensiven, fast freundschaftlichen Kontakten bis zu sehr distanzierten Stellungnahmen, die ihrerseits die politischen Beziehungen der beiden Länder belasteten.
4. Die „öffentliche" Meinung175 4.1 Regieren und öffentliche Meinung Der englische Außenminister Grey schrieb nach dem Krieg „Governments cannot go ahead of public opinion" 176 . Sein Kurs in der Julikrise 1914 sei von der Bevölkerung gestützt worden. Der Begriffpublic opinion selbst taucht in zeitgenössischen Dokumen177
178
170
ten ebenso auf, wie in Memoiren und in der Forschungsliteratur . Eine genauere Darstellung, wie sich diese public opinion äußerte, sucht man jedoch nicht nur bei Grey vergeblich. Auch wenn die Zeitungen in erster Linie als „veröffentlichte Meinung" zu bezeichnen sind, so erkannte Wilhelm II. dennoch richtig180, daß die Presse auch ein wichtiger Maßstab für die „öffentliche Meinung" im England jener Zeit war. Obwohl der Begriff der „öffentlichen Meinung" schon in den literarischen Klassikern von Shakespeare, John Locke und Niccolo Machiavelli auftaucht, bleibt die Definition bis heute sehr vage. Spätestens mit dem 18. Jahrhundert kann er als gebräuchlich angesehen werden. 181 Von deutscher Seite wurde die englische Presse noch in den 1920er Jahren als „die unentbehrliche Grundlage des englischen Staatslebens" gesehen: „Sie schafft und leitet die öffentliche Meinung." 182 Eine Gleichsetzung der öffentlichen Mei174
Vgl. ΡAAA, R 5762, Lichnowsky an Bethmann am 16.5.1914. Vgl. Kaase, Max/Schulz, Winfried (Hg.): Massenkommunikation. Theorien, Methoden, Befunde, Opladen 1989. 176 Grey, Years, Bd. 3, S. 275. 177 Vgl. DDK 1, Nr. 36 vom 12.7.1914, S. 57, Lichnowsky an AA, DDK 1, Nr. 72 vom 18.7.1914, S. 100, Jagow an Lichnowsky, ÖUAP 8, Nr. 10180 vom 10.7.1914, S. 391, Mensdorff aus London. 178 Vgl. Jagow, Gottlieb von: Ursachen und Ausbruch des Weltkrieges, Berlin 1919, S. 152, Grey, Years, Bd. 2, S. 207, Clarke, Northcliffe Diary, S. 51. 179 Vgl. Tuchman, August 1914, S. 171, Haste, Home Fires, S. 1, Kennedy, Antagonism, S. 87. 180 Vgl. Wilhelm II, Briefe, S. 400 vom 8.5.1909: „Yet the fact must be taken note ofthat the papers mostly create public opinion." 181 Vgl. Fischer Lexikon, S. 366f. 182 Dibelius, England, S. 413. 175
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nung mit der Presse ist jedoch höchst problematisch.183 So ist es eine schwer meßbare Größe, ob Zeitungen tatsächlich die Meinung ihrer Leser wiedergeben, oder ob Leser die Meinungen der Zeitungen übernehmen: „The question is often asked: How many people take their political opinions from their daily paper?"184 So kann es sein, daß Leser an den Wertungen einer Zeitung überhaupt nicht interessiert sind, sondern lediglich ihren Informationsbedarf über Sportergebnisse decken. Zudem zeigen die Modelle der Schweigespirale und des Bandwagon-effect, daß eine Mehrheit durchaus in den Glauben verfallen kann, zur Minderheit zu gehören. Dies geschieht, indem die eigentliche Minderheit durch ihre Aggressivität und Lautstärke die verhaltenere Mehrheit zum Schweigen bringt.186 187
Obwohl es also seit jeher Kritik an der Gleichsetzung der „öffentlichen Mei188 nung" mit den Äußerungen der Presse und damit von einzelnen Zeitungen gibt, verstanden sich die zeitgenössischen Blätter durchaus als Repräsentanten dieser Meinung. Dabei sollte der Eindruck erweckt werden, daß die Meinung des einfachen Mannes nicht dirigiert, sondern reflektiert wurde.189 Das jeweilige Zeitungsorgan gäbe die public opinion, die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung, wieder. In vielen Leitartikeln wurde versucht, die Allgemeingültigkeit der Meinung des Verfassers zu vermitteln. Die Leute in „this country" oder schlicht „we" seien der Ansicht, daß dies oder jenes geschehen oder unterbleiben müsse. Besonders in den Massenblättern wurde auf eine Differenzierung von Themen verzichtet. Wenn überhaupt, dann wurden divergierende Ansichten als nebensächliche Randerscheinung abgetan.190 Die wahren Absichten wurden nur selten offenbart. So sagte Lord Northcliffe nur hinter verschlossenen Türen: „God made people read so that I could fill their heads with facts, facts, facts - and later tell them whom to love, whom to hate and what to think."191 Höchst komplex wirkte sich die „öffentliche Meinung" auf die Regierungspraxis der Politiker aus. So beinhaltete die „öffentliche Meinung" immer eine massive irrationale Komponente.192 Zusammen mit dem hohen Rechtfertigungsdruck, der daraus entstand, 183
Zur allgemeinen Problematik vgl. Requate, Jörg: Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 5-32. 184 Asquith, Memories, Bd. 1, S. 279, vgl. Schaarschmidt, Thomas: Außenpolitik und öffentliche Meinung in Großbritannien während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71, Frankfurt/Main 1993, S. 702. 185 Vgl. Fischer Lexikon, S. 378f. 186 Vgl. Boyce, David: Public Opinion and Historians, in: History 63 (1978), S. 214-228, hier S. 217. 187 Vgl. Sauerwein, Jules: The Molders of Public Opinion, in: Wright, Quincy (Hg.): Public Opinion and World-Politics, Chicago 1933, S. 25-93, hier S. 32, Kennedy, Antagonism, S. 102. 188 Zur öffentlichen Meinung vgl. Fischer-Lexikon, S. 366-382. 189 Vgl. Clarke, Northcliffe in History, S. 153. 190 Vgl. Hazlehurst, Politicians, S. 34. 191 Zitiert in: Cudlipp, Hugh: The Prerogative of the Harlot. Press Barons & Power. William Randolph Hearst. Northcliffe. Rothermere the First. Henry Robinson Luce. Beaverbrook, London, Sydney, Toronto 1982, S. 82, vgl. Taylor, Philip: British Propaganda in the Twentieth Century. Selling Democracy, Edinburgh 1999, S. 5. 192 Vgl. Fischer Lexikon, S. 376.
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konnten die Regierenden einerseits in ihrem Handeln beeinflußt werden, andererseits konnte die öffentliche Meinung instrumentalisiert werden, um eine bestimmte Vorgehensweise zu rechtfertigen.193 Auch wenn der Verweis auf die „öffentliche Meinung" häufig nur Vorwand gewesen sein mag, so erzielte er oft genug die erhoffte Wirkung.194 Dies beruht darauf, daß in Zeitungen sowohl Meinungen wiedergegeben werden als auch öffentlich verfugbar sind.195 Wie bereits gezeigt wurde, unterliegen die Artikel einer Reihe von Auswahlprozessen, die ihren Inhalt beeinflussen. Sie drücken somit in erster Linie die Meinung der Verfasser aus. Die auf den ersten Blick fur die Bestimmung der öffentlichen Meinung geeigneten Leserbriefe sind bei genauerer Betrachtung ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Da sie von den Zeitungen nicht archiviert werden196, ist es nicht möglich, zu bestimmen, wie viele mit welcher Meinung über ein bestimmtes Thema die Zeitungen erreichten. Es kann lediglich festgestellt werden, welche Briefe der Redakteur für den Druck auswählte.197
4.2 Bilanz In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verfugte das Vereinigte Königreich bereits über ein weit ausgebautes Netz an Printmedien. Sie erreichten aufgrund technischer Neuerungen und Reformen auf dem Bildungssektor sowie im Wahlrecht einen großen Teil der Bevölkerung. Diese nahm das Angebot in steigendem Maße an, so daß auch das Interesse der Politiker an ihren potentiellen Wählern stieg. Daraus entstand ein feingliedriges Netz an informellen Kontakten zwischen Politikern und Journalisten, die durch Kooperation versuchten, die gemeinsamen Ziele zu fordern. Gerade für England wurde „das Zusammenspiel von Regierung und halboffiziöser Presse, deren wichtigste Vertreterin fraglos die Times ist", als „außerordentlich glatt und reibungslos"198 bezeichnet. Es ist aber darauf zu achten, daß weder Politiker immer in der Lage waren, den Inhalt der Zeitungen zu beeinflussen, noch umgekehrt durch die Berichte beeinflußt wurden. Es handelte sich vielmehr um ein informelles Netz. Die hauptsächlichen Kon-
193
Vgl. Sanders/Taylor, Propaganda, S. 11, Müller, Nation, S. 12, Kießling, Entspannungen, S. 275. Vgl. Fay, Vorkriegspresse, S. 417. 1,5 Vgl. Boyce, Public Opinion, S. 217. 196 Diese Auskunft wurde dem Verfasser von Seiten der meisten angeschriebenen Zeitungen mitgeteilt. Von einigen Blättern war keine Stellungnahme zu erhalten. Persönliche Auskunft und freundliche Unterstützung wurde dem Verfasser insbesondere von der John Ryland's University Library Manchester und den Times Archives London zuteil, die allerdings auch keine Leserbriefe archiviert haben. 194
197 198
Vgl. Boyce, Public Opinion, S. 221. Bauermann, Times, S. 8, vgl. Jung, Großmacht, S. 73.
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takte und Absprachen verliefen hinter verschlossenen Türen, sei es bei privaten Einladungen oder in den Räumlichkeiten der gemeinsam besuchten Clubs.199 Die Bedeutung der Presse für die Politik verschiedener Länder war auch der deutschen Regierung nicht verborgen geblieben. Aus diesem Grund gab es eine Reihe von Bemühungen, nicht nur über die Bestrebungen von Zeitungen Informationen zu erhalten, sondern diese aktiv zu beeinflussen. Dies konnte entweder auf persönlicher, fast freundschaftlicher Basis geschehen oder mit Hilfe weitaus weltlicherer Bemühungen durch Geld. Gerade die britische Presse legte jedoch sehr großen Wert auf ihre Eigenständigkeit. Bei allen Interaktionen zwischen den verschiedenen Kreisen war das oberste Ziel die Förderung der eigenen Zeitung oder die Unterstützung des eigenen Landes auch wenn dies häufig nur vorgespiegelt worden sein mag. Wie gezeigt wurde, eignet sich die Presse aus den genannten Gründen nur bedingt als uneingeschränkter Maßstab der „öffentlichen Meinung". Dennoch kann durch eine sorgfaltige und umfangreiche Auswahl an zu untersuchenden Zeitungen ein weitreichender Einblick in die verschiedenen Facetten der „veröffentlichten Meinung" Großbritanniens gewonnen werden.
Vgl. Kennedy, Paul: The Realities behind Diplomacy. Background Influences on British External Policy, 1865-1980, London, Boston, Sydney 1981, S. 56.
Kapitel 2: Die Auswahl der Zeitungen
1. Auswahlkriterien Ein zentrales Problem, das es im Vorfeld dieser Arbeit zu lösen galt, war die Suche nach einem geeigneten Querschnitt der britischen Zeitungswelt. So berichtete der Botschaftsrat Kühlmann im August 1912 nach Berlin, daß in Großbritannien und Irland 2353 Zeitungen erschienen seien.1 Für das Jahr 1910 gehörten dazu alleine 121 größere englische Provinzzeitungen.2 Zusammen mit der dominierenden Presse in London sowie den zahlreichen Blättern in Schottland, Wales und Irland stellt dies eine in ihrer Quantität nicht zu untersuchende Masse dar. Deshalb mußte nach einer möglichst repräsentativen Auswahl gesucht werden. Dabei war als erstes darauf zu achten3, daß nicht zu wenige Zeitungen untersucht und ausgewertet wurden. Eine Präjudiz, daß Presseorgane derselben politischen Richtung von vornherein in jedem Fall die gleiche Meinung vertreten und die gleichen Ziele verfolgen, ist nicht zulässig. Eine Beschränkung auf nur eine Zeitung einer parteipolitischen Ausrichtung, wie sie bei Rosenberger vorgenommen wird4, ist ebensowenig zulässig wie die ausschließliche Verwendung von sogenannten „Sprachrohren"5. Auf der anderen Seite mußte darauf geachtet werden, daß die Quellenbasis der vorliegenden Untersuchung nicht unnötig aufgebläht wurde. Deshalb wurden vor allem politische Ereignisse untersucht und nur in geringem Umfang gesellschaftliche Geschehnisse. Sport-, Wirtschafts- und Religionszeitungen und dergleichen wurden deshalb von vornherein ausgeschlossen. Sie waren neben der geringen Auflage für eine Untersuchung der deutsch-britischen Beziehungen nicht geeignet, da hierin kaum relevantes Material
1
Vgl. Ρ AAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 14. Vgl. Lee, Origins, S. 277. 3 Vgl. hierzu auch das Verfahren bei Müller, Nation, bes. S. 27. 4 Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 117. Dieser Autor wählte je eine Zeitung aus vier verschiedenen religiösen oder politischen Richtungen. Zudem werden Zeitungen mit einer Auflagenhöhe zwischen 30.000 und 245.000 in ihrer Wirkung gleichgesetzt. Auch bei Wittek, Auf ewig Feind ist die Quellenbasis relativ dünn, auch wenn hier der Schwerpunkt mehr auf der Interaktion beteiligter Personen liegt. 5 Vgl. Wittek, Auf ewig Feind, S. 22. 2
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zu erwarten ist. Besonders wichtige diesbezügliche Ereignisse fanden darüber hinaus Eingang in die ausgewertete Tagespresse. Aus demselben Grund wurden Monatsschriften weitgehend ausgeschlossen. Gerade für die Zeit der Julikrise 6 hatten die Berichte aufgrund des redaktionellen Vorlaufs eine zeitlich viel zu große Distanz, um aktuell zu sein, geschweige denn um Einfluß auf das Geschehen nehmen zu können. Außerdem erreichten Monatsblätter in der Regel nur ein zahlenmäßig sehr geringes und ohnehin politisch vorgeprägtes Publikum. So klagte beispielsweise der anti-deutsche Journalist Robert Blatchford: „The service papers and the Clarion had no public audience." 7 Besonderer Wert soll jedoch auf die Untersuchung der Tagespresse gelegt werden, die den aktuellsten Bezug hatte und weite Teile der Bevölkerung erreichte. Dabei war darauf zu achten, daß alle politischen Richtungen angemessen vertreten waren. Analog zur Parteipolitik waren dies die Liberalen und die Konservativen, bzw. Unionisten. Letztere hatten ursprünglich den Liberalen nahegestanden. Mit dem Aufkommen der Home Äw/e-Debatte um die legislative Selbständigkeit Irlands richteten sich diese Zeitungen dagegen. 8 Damit hatte sich in den 1880er Jahren eine Verschiebung der Presselandschaft Großbritanniens zugunsten der konservativen Seite vollzogen, die sich bis zum Kriegsausbruch fortsetzte. 9 Hinzu kamen die Labour-Bewegung und einzelne Zeitungen, die zwar einer politischen Richtung nahestanden, sich selbst aber als völlig unabhängig betrachteten. 10 Ein weiteres Auswahlkriterium war die Berücksichtigung sowohl angesehener Zeitungen als auch der Boulevardpresse. Insgesamt wurden 27 Tageszeitungen und 6 Wochenschriften untersucht. Diese finden sich fast vollständig in der Auflistung der Deutschen Botschaft über die wichtigen britischen Zeitungen." Mit dabei ist auch die wöchentliche Karikaturenzeitschrift Punch, das Gegenstück zum deutschen Simplicissimus. Mit dem Punch fallt eines der ausgewählten Presseorgane dadurch aus dem Rahmen, daß die Aufmerksamkeit der Leser weniger durch Texte als vielmehr durch ,,Hervorragende[...] Karikaturen" 12 erlangt werden sollte. Zwar war diese „British Institution" 13 vorwiegend im Besitz- und Bildungsbürgertum verbreitet, seine Auswertung drängte sich jedoch geradezu auf, da
6
Siehe Kapitel 4: Die Julikrise. Blatchford, Robert: My Eighty Years, London 1931, S. 223. Blatchford wollte ausdrücklich vor der Gefahr durch Deutschland warnen. 8 Vgl. Lorenz, Presse, S. 21. 9 Vgl. Müller, Nation, S. 49, Kennedy, Realities, S. 55. 10 Vgl. Müller, Nation, S.51. " Vgl. Ρ AAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912. 12 Handbuch der Auslandspresse 1918, hg. von der Auslandsstelle des Kriegspresseamts, Berlin 1918, S. 43, vgl. ΡAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 70. 13 Altick, Richard: Punch. The Lively Youth of a British Institution 1841-1851, Columbus 1997, vgl. Simonis, Henry: The Street of Ink. An Intimate History of Journalism, London, New York, Toronto u.a. 1917, S. 257. 7
Die Auswahl der Zeitungen
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hier oft durch eine einzige Karikatur der Inhalt eines mehrspaltigen Leitartikels ausgedrückt wurde.
2.
England
Von zentraler Bedeutung innerhalb der britischen Zeitungslandschaft ist die Hauptstadt. Sie dominierte nicht nur bei der Einwohnerzahl, sondern noch stärker hinsichtlich der Menge der dort herausgegebenen Zeitungen. So waren in London über ein Drittel sämtlicher englischen Morgenzeitungen beheimatet.14 Hinzu kommt, daß die dortigen Auflagen sowohl die der Provinzzeitungen Englands als auch der anderen Landesteile Schottland, Wales und Irland - um ein Vielfaches überstiegen. Durch die geographische Nähe erfolgte mit der Londoner Presse zugleich die Abdeckung von dessen weiterer Umgebung einschließlich Südenglands. Diese Gebiete konnten mit Hilfe moderner Transportmittel bis zum Morgentee beliefert werden. Dabei war die Vorherrschaft so groß, daß im weiteren Umkreis der Hauptstadt keine bedeutenden Provinzzeitungen entstehen konnten.15 Aus diesen Gründen ist es dieser Arbeit nicht abträglich, daß 14 der ausgewählten Tageszeitungen, sowie alle sieben Wochenblätter in London herausgegeben wurden. Um eine ausschließliche Betrachtung der Hauptstadt zu vermeiden, wurden vier weitere englische Großstädte ausgewählt.16 Mit dem Guardian war in Manchester die einzige Provinzzeitung ansässig, die überregionale Bedeutung erlangte. Zwar verfugte Lord Northcliffe mit dem Manchester Courier über eine eigene Zeitung in dieser Region. Deren Bedeutung ist jedoch vernachlässigbar.17 Die Wichtigkeit dieser Industrieund Handelsstadt wird dadurch verdeutlicht, daß es der einzige Ort war, an dem mehre18 re Londoner Zeitungen eine eigene Ausgabe herausbrachten. Für einige Zeit hatte der Daily Sketch sogar seinen Hauptsitz in Manchester. Der Manchester Guardian besaß vor allem im nordenglischen Raum Verbreitung. Doch auch in der Hauptstadt, in die der Hauptsitz zwischen 1959 und 1961 verlagert wurde, war der Guardian nicht unbekannt. Für seine journalistische Qualität wurde er von deutscher Seite sehr gelobt: Er sei „unbestritten das vornehmste Provinzorgan Englands" und „eines der vornehmsten Organe Englands überhaupt"19. Trotz seines Handicaps als Provinzblatt genoß der Manchester Guardian in London hohes Ansehen. In Ermangelung einer anerkannten liberalen Londoner Morgenzeitung - die Westminster Gazette war ein Abendblatt - und 14
Vgl. Lee, Structure, S. 12. Vgl. Jung, Großmacht, S. 61, Robbins, Public opinion, S. 79, Fay, Vorkriegspresse, S. 427. 16 Vgl. Altmann, Kriegsschuldfrage, S. 89f. 17 Vgl. Hutcheon, William: Gentlemen of the Press. Memories and Friendships of Forty Years, London 1933, S. 133. 18 Vgl. Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 260. 19 ΡAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 81. 15
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durch die freundschaftliche Verbindung des Herausgebers und Besitzers C.P. Scott mit Lloyd George wurde dem Guardian auch eine große politische Bedeutung zuteil.20 Sogar mit der Times wurde er verglichen.21 Weite Verbreitung hatte die Liverpool Daily Post mit ebenfalls liberaler Grundeinstellung. Als konservative Gegenspielerin wurde die Yorkshire Post ausgewählt. In Leeds herausgegeben hatte auch sie in Nordengland einen breiten Leserkreis. Zu guter Letzt wurde die Birmingham Daily Post untersucht. Sie war das wichtigste Blatt der zweitgrößten Stadt Englands. Verbreitet war sie vor allem in Mittelengland. Diese Auswahl der bedeutendsten Regionalzeitungen Englands stimmt mit der Sicht in der Literatur überein. Ihnen wurde bescheinigt, daß sie es geschafft hatten, sich gegen den dominierenden Einfluß Londons zu behaupten.22 Auch die zeitgenössische deutsche Bewertung sieht diese vier Zeitungen, die nach London die vier größten Städte23 repräsentieren, als die wichtigsten an.24 Der große Vorteil der Provinzzeitung lag darin, daß sie alle Bevölkerungskreise ansprach. Den hohen Spezialisierungsgrad auf ein bestimmtes Publikum gab es dort nicht.
3. Regionen Auf regionaler Ebene wurden die wichtigsten Zeitungen der drei weiteren Landesteile des Vereinigten Königreiches untersucht. Dabei ist darauf zu verweisen, daß diese in ihrer Art mehr den englischen Provinzzeitungen glichen als der Londoner Presse. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Auflage als auch der Aufmachung. Für Schottland hielt Premierminister Asquith den Scotsman aus Edinburgh und den Glasgow Herald für die anerkanntesten Zeitungen des Landes.25 Diese Sicht des Politikers hat sich auch in der Literatur durchgesetzt26 und findet in der Denkschrift Kühlmanns Bestätigung.27 Um die dritte wichtige Stadt Schottlands abzudecken, wurde auf den Evening Express aus Aberdeen zurückgegriffen. Diese älteste Abendzeitung der Nordhälfte Schottlands war nach zeitgenössischer Einschätzung in allen sozialen
20
Vgl. Robbins, Politicians, S. 135f, Scott, Diaries, Einleitung von Trevor Wilson, S. 21. Inwood bezeichnet den Guardian als „perhaps the best newspaper in the country", vgl. Inwood, Press, S. 52. 21 Vgl. Hammond, C Ρ Scott of the Manchester Guardian, S. 59, Inwood, Press, S. 53. 22 Vgl. Robbins, Public opinion, S. 79, Ensor, Robert: England 1870-1914, Oxford 1936/ND 1975, S. 535. 23 Vgl. Lee, Origins, S. 277. 24 Vgl. Ρ AAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 77, 80f, 84, Handbuch der Auslandspresse, S. 17, S. 36-38, Dibelius, England, S. 412f. 25 Vgl. Asquith, Memories, Bd. 1, S. 280. 26 Vgl. Dibelius, England, S. 412, Handbuch der Auslandspresse, S. 31,46, Lorenz, Presse, S. 56f. 27 Vgl. Ρ AAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 86f.
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Die Auswahl der Zeitungen
Schichten verbreitet und ist wegen ihrer ständig steigenden Auflage und der politisch yo
neutralen Position von Interesse. Für Wales wurden die South Wales Daily News, die Western Mail und der Cambria Daily Leader ausgewählt. Die beiden erstgenannten Zeitungen waren in Cardiff ansässig. Die deutsche Botschaft schätzte dabei die South Wales Daily News als „das bedeutendste liberale Organ fur das südliche Wales"29 ein. Doch auch der Western Mail wurde weite Verbreitung zugesprochen. Unverständlicherweise widmete Kühlmann in seiner Denkschrift30 dem Cambria Daily Leader keine Aufmerksamkeit. Dieses in Swansea ansässige Massenblatt hatte die bei weitem höchste Auflage31 in diesem Landesteil. Analog der Londoner Boulevardpresse wandte sie sich an die breite Bevölkerung. Zu beachten ist, daß die walisischen Zeitungen ein starkes Gewicht auf Nachrichten aus der Region legten.32 Eine große Besonderheit innerhalb der britischen Presselandschaft stellen die irischen Zeitungen dar. Abgesehen von den „üblichen" parteipolitischen Unterschieden spielte auf der „Grünen Insel" die Frage der Home Rule eine noch größere Rolle als im Rest des Königreiches. So vertrat die angesehene Irish Times - in Anlehnung an die Londoner Times - die protestantisch-englandfreundlichen Kreise.33 Ihr gegenüber stand der Irish Independent. Wie der Name bereits sagt, stand diese Zeitung in erster Linie hinter den Interessen der katholischen Iren. Dasselbe gilt in ausgeprägterer Form für Freeman's Journal. Einschränkungen sind hierbei durch die kriegsbedingte Zensur zu berücksichtigen. Für Freeman 's Journal ist ferner zu erwähnen, daß der Erhaltungsgrad der Zeitung für manche Zeitabschnitte zu schlecht war. Somit konnte nicht der ganze Zeitraum abgedeckt werden, immerhin jedoch die so wichtige Julikrise. Auch hier stimmen die ausgewählten Zeitungen von ihrer Bedeutung mit der zeitgenössischen Einschätzung überein.34
28
Vgl. NPDAG 69, S. 181. PAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 83f, vgl. Handbuch der Auslandspresse, S. 46, Jones, Aled: The New Journalism in Wales, in: Wiener, Joel (Hg.): Papers for the Millions. The New Journalism in Britain, 1850s to 1914, New York, Westport/Connecticut, London 1988, S. 165-181, hierS. 166f. 30 Vgl. PAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912. 31 Vgl. NPDAG 69, S. 168. 32 Vgl. z.B. Western Mail, 6.1.1912, S. 6f. 33 Vgl. PAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 88, Handbuch der Auslandspresse, S. 33. 34 Vgl. PAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 87, Handbuch der Auslandspresse, S. 33, Lorenz, Presse, S. 56f. 29
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4. Auswahl Auf politischer Ebene wurde darauf geachtet, daß die zahlenmäßige Überlegenheit der konservativen Presse berücksichtigt wurde. So sind von den 14 Londoner Zeitungen fünf der liberalen Grundhaltung zuzuordnen, wobei die Daily News und der Morning Leader bereits im Mai 1912 verschmolzen. Sie sind für den weitaus größten Teil des Untersuchungszeitraumes nur einfach zu werten. Dem gegenüber stehen acht konservative Blätter, die teilweise von der entsprechenden Partei finanziell unterstützt wurden, andernteils ihre Grundeinstellung vollkommen unabhängig zum Tragen brachten. Ausgeglichener ist die Situation für die Provinzzeitungen, die sich ungefähr die Waage halten. Bei der Labour-Presse ist auf ein schwerwiegendes Problem hinzuweisen: So gab es zahlreiche dieser Partei ideologisch nahestehende Blätter.35 Eine Zeitung, die ähnlich dem deutschen Vorwärts die Arbeiterbewegung Großbritanniens nach außen vertreten konnte, gab es jedoch nicht.36 Als bekannteres Blatt ist der Daily Citizen zu nennen. Da dieser nach seiner Gründung 1912 jedoch bereits 1915 wieder eingestellt werden mußte, entspricht seine Bedeutung nicht den anderen hier verwendeten Zeitungen. Dem gegenüber steht der Daily Herald, eine sozialistische Tageszeitung, die in den 1920er und 30er Jahren eine enorme Wichtigkeit in der Pressewelt erlangte.37 In der Vorkriegszeit konnte das Blatt jedoch nur eine verhältnismäßig geringe Auflage aufweisen, die allerdings die der anderen sozialistischen Zeitungen überstieg. Die genaue Auflistung der insgesamt 33 ausgewählten Zeitungen und deren politische Ausrichtung ist den Tabellen 1 und 2 zu entnehmen. An der Spitze der Londoner Presse stand seit Jahrzehnten die Times. Sowohl von zeitgenössischer englischer und deutscher Seite als auch in der Literatur wird sie als „Blatt nicht im großen, sondern im größten Stil"38 bezeichnet. Innerhalb der Presse sei sie eine „selbständige Großmacht"39 gewesen und das „führende Blatt"40 des Landes. Zu beachten ist dabei jedoch, daß die Times seit dem Jahre 1908 nicht mehr der klassischen britischen Presse in ihrer traditionellen Form zuzurechnen ist. In einer Auseinandersetzung „füll of intrigue and counter
35
36 37
38 39
40
Vgl. Hopkin, Deian: The Left-Wing Press and the New Journalism, in: Wiener, Joel (Hg.): Papers for the Millions. The New Journalism in Britain, 1850s to 1914, New York, Westport/Connecticut, London, 1988, S. 225-241, S. 226. Vgl. Jung, Großmacht, S. 61. Vgl. Taylor, Alan: English History 1914-1945, Oxford 31975, S. 319, Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 378. Noch heute genießt der Daily Herald unter anderem Namen und auf der anderen Seite des politischen Spektrums große Bekanntheit. Er wird heute als „The Sun" vertrieben. Jung, Großmacht, S. 66. Widenmann, Wilhelm: Marine-Attache an der kaiserlich-deutschen Botschaft in London 1907-1912, Göttingen 1952, S. 135. Kühlmann, Erinnerungen, S. 290, vgl. PAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 44.
Die Auswahl der Zeitungen
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intrigue"41 gelang es dem Begründer des Boulevardblattes Daily Mail, die respektable Times zu übernehmen. Zwar wurde danach darauf geachtet, daß die Times ihr Gesicht nach außen nicht zu sehr veränderte.42 Dennoch ist der eingetretene Wechsel bei der Untersuchung nicht zu vernachlässigen. Spätestens im Verlaufe des Krieges intervenierte Northcliffe mehr und mehr in die Politik der Zeitung und kommentierte gegenüber den Redakteuren oft täglich das Erscheinungsbild und den Inhalt.43 Auf internationaler Ebene wurde die Times häufig als das Sprachrohr der Regierung angesehen 44 Dem Besitzer der Times unterstanden zwei weitere der untersuchten Zeitungen. Die Daily Mail wurde von deutscher Seite unter dem Eindruck des Krieges als „das Blatt der großen Masse" und als „gefährliche Macht im Staate"45 bezeichnet und zudem auf ihre Deutschfeindlichkeit hingewiesen. Ein Mitarbeiter der Daily Mail verstand die Zeitung als „well-established money-maker, with no rival to be afraid o f : „Among us in the mail office there was a feeling of ascendancy over all the other papers"46. Die Evening News verstand sich selbst als „London's Predominant Evening Journal"47. Trotz der Nähe dieser Schwesterblätter wurden alle drei Zeitungen dieser Gruppe berücksichtigt. Dies lag zum einen daran, daß Northcliffe noch wesentlich mehr Zeitungen besaß, so daß ein gewisser Teil seines Presseimperiums berücksichtigt werden mußte, um die realen Verhältnisse wiederzugeben. Auf der anderen Seite ist zu beachten, daß alle drei Zeitungen über einen eigenen Redaktionsstab verfügten, so daß durchaus unterschiedliche politische Meinungen vertreten wurden. So betont auch Inwood: „[...] the subjects chosen and the method of treatment in The Times and the Daily Mail are as opposite as the poles."48 Eine besonders hohe Auflage hatte das „Premium Picture Paper" Daily Sketch vorzuweisen. Die politische Bedeutung innerhalb der Oberschicht ist hier weitgehend zu vernachlässigen, da sich die Zeitung von der Thematik fast ausschließlich an untere soziale Schichten wandte. Hinzu kommt als tabloid der Daily Mirror. Diese Zeitung wurde ursprünglich von Lord Northcliffe gegründet, aber noch vor dem Krieg an dessen Bruder Lord Rothermere verkauft. Obwohl auch gewisse liberale Tendenzen darin festzustellen sind, bleibt nach der Auswertung der Artikel festzustellen, daß der Mirror am ehesten unionistisch-konservative Ideale vertrat. Als letzte der illustrierten Zeitungen hatte der Daily Graphic zwar eine relativ niedrige Auflage, innerhalb der deutschen Führung genoß er jedoch einiges an Ansehen, da er vor allem in der gesellschaftlichen Oberschicht verbreitet war - und weil er „stets be41
Camrose, William: British Newspapers and Their Controllers, London, Toronto, Melbourne u.a. 1947, S. 23. 42 Vgl. Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 59, Chirol, Fifty Years, S. 236. 43 Vgl. TNL Archive/NOR/2/l/5-NOR/2/l/9. 44 Vgl. Morris, Scaremongers, S. 373, Koss, Gardiner, S. 216. 45 Handbuch der Auslandspresse, S. 22, zur Evening News vgl. S. 28. 46 Clarke, Northcliffe Diary, S. 50. 47 Z.B. Evening News, 26.9.1918, S. 1. 48 Inwood, Press, S. 15, Hervorhebung im Original.
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müht gewesen [ist], dem deutschen Standpunkt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen."49 Auch Northcliffe hielt den Graphic für „a better paper than most people are aware."50 Des weiteren ist das Sensationsblatt Daily Express zu nennen, das im Laufe des Krieges unter die Kontrolle von Lord Beaverbrook fiel. Dabei ist jedoch darauf zu achten, daß dieser zwar schon enge Kontakte zu Politikern pflegte, allen voran Lloyd George. Seine Stellung war jedoch noch nicht mit der späteren Machtposition im Zweiten Weltkrieg zu vergleichen.51 Der Daily Telegraph ist die zweite große seriöse konservative Tageszeitung. Ihr wurden gute Kontakte zum königlichen Hof nachgesagt.52 Entsprechend gediegen wirkte auch die Aufmachung. Das Blatt wurde vor allem durch das berühmte Interview mit Kaiser Wilhelm 1908 bekannt. Daraus läßt sich jedoch keine germanophobe Haltung ableiten.53 Auf liberaler Seite ist an erster Stelle der Daily Chronicle zu nennen, nach deutscher Einschätzung neben der Daily News „das führende liberale Organ Londons, augenblicklich wohl das bedeutendste."54 Selbst Lord Northcliffe schenkte dem Chronicle einiges an Aufmerksamkeit. Kurz vor Ausbruch des Krieges brachte er seine Überraschung über das schnelle Wachstum der Zeitung zum Ausdruck.55 Daneben stehen mit ebenfalls sehr hohen Auflagen die Daily News und der Star. Sie gehörten beide demselben Besitzer, arbeiteten im Vergleich jedoch weit unabhängiger, als beispielsweise Daily Mail und Evening News. Das politisch bedeutendste liberal-imperialistische Organ innerhalb Londons war die Westminster Gazette. Sie hatte zwar eine sehr niedrige Auflage, ihre Aussagen sind aber vor dem Hintergrund zu sehen, daß der Herausgeber Spender ein enges persönliches Verhältnis zu Premierminister Asquith und Außenminister Grey vorzuweisen hatte: „Under his [Spender's] guidance the Westminster came to be the highest reputed publication in the class of evening papers that were small in circulation but large in political influence."56 Die guten Beziehungen Spenders waren auch in der deutschen Botschaft bekannt.57 Um seine politische Bedeutung beneidete ihn angeblich sogar Northcliffe. 58
49
Ρ AAA, R 5639, Kühlmann an Bethmann am 30.12.1911. Harmsworth, Newspapers, S. 10. 51 Vgl. Startt, Good Journalism, S. 275, Anm. 1 auf S. 295, Boyce, Crusaders, S. 104. Im Handbuch der Auslandspresse wird der Name Beaverbrook fälschlicherweise mit dem des Herausgebers Blumenfeld gleichgesetzt. Vgl. Handbuch der Auslandspresse, S. 21. 52 Vgl. Ρ AAA, R 5639, Kühlmann an Bethmann am 12.8.1912, Handbuch der Auslandspresse, S. 25. 53 Vgl. Reinermann, Kaiser, S. 325-353. 54 Handbuch der Auslandspresse, S. 20. 55 Vgl. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62199/10, Northcliffe an Marlowe am 9.6.1914. 56 Startt, Journalists for Empire, S. 21, vgl. Spring Rice, Cecil: The Letters and Friendships. A Record, hg. von Stephen Gwynn. 2 Bände, New York 1929, Bd. 2, S. 129, Anm. 1. 57 Vgl. Widenmann, Marine-Attache, S. 134. 58 Vgl. Inwood, Press, S. 47, Robertson Scott, Memories, S. 48. 50
65
Die Auswahl der Zeitungen Tabelle 1: Die ausgewählten Zeitungen WochenPolitische
Tageszeitungen
Englische Schottland
Richtung
Wales
Irland
zeitungen
Provinz London
London
Konserva-
Birmingham
Daily Express
Scotsman
Daily Post
tiv
Western Mail
Irish Times
John Bull
Yorkshire Post
Daily Graphic
Observer
(Leeds)
Daily Mail
People
Daily Mirror Daily Sketch Daily Telegraph Evening News Times Liberal
Manchester
Daily Chronicle
Glasgow Herald
Guardian Daily Leader
News
&
(Morning
Leader)
South
Wales
Lloyd's
Daily News
Liverpool Daily Post
Weekly
News News
and
of
the
World
Mercury
Reynolds's
Star
Newspaper
Westminster Gazette Labour
Daily Herald
Unab-
Evening Express
Cambria
hängig
(Aberdeen)
Daily Leader
Punch
National-
Irish
Irisch
pendent
Inde-
Freeman's Journal
Anders als bei den Tageszeitungen verfügten die Konservativen bei den Wochenblättern über kein ausgesprochenes Übergewicht. Im Gegenteil, die liberale News of the World war mit garantiert mehr als zwei Millionen Exemplaren damals die auflagenstärkste Zeitung der Welt. Kontrolliert wurde die wenig politisierende Zeitung von Lord Riddell, einem engen Freund des Chancellor of the Exchequer und späteren Premier Lloyd George. Wesentlich politischer ausgerichtet, dafür auflagenschwächer, war Rey-
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nolds 's Newspaper59. Deren Herausgeber Dalziel war ebenfalls mit Lloyd George befreundet. Als ausgesprochenes Massenblatt erreichte Lloyd's Weekly News vor allem die unteren Schichten. Von der politischen Ausrichtung ist es die letzte der hier berücksichtigten betont liberalen Zeitungen.60 Die schlechteste Bewertung seitens Deutschland erhält mit Abstand John Bull. Zimmermann bezeichnete nach dem Krieg diese Wochenzeitschrift als „eines der unerfreulichsten Presseerzeugnisse Englands. Sensation um jeden Preis ist die Losung dieses Blattes, dessen Leser die breitesten Volksschichten des Landes sind."61 Diese negative Einschätzung hatte sich bereits vor dem Krieg an der deutschen Botschaft durchgesetzt.62 Verstärkt wurde diese von der Forschung63 unterstützte Sicht durch das besonders anti-deutsche Verhalten der Zeitschrift im Kriege.64 Mit seiner Auflage von über einer Million Exemplaren wandte sich John Bull an die einfachen Volksschichten und versuchte durch Sensationsberichte Auflage und Geld zu machen. In der internationalen Politik gehörte das Blatt zur imperialistisch-chauvinistischen Gruppe.65 Besonders schlecht kam der Herausgeber Horatio Bottomley weg, von dem kein Nachlaß nachgewiesen werden konnte. Mehrfach in Finanzskandale verwickelt, wurde er aus diesem Grund gezwungen, sein Parlamentsmandat niederzulegen.66 Als genaues Gegenteil von John Bull ist der Observer zu betrachten. Als angesehenste der Sonntagszeitungen hatte er die niedrigste Auflage. Besonders der Herausgeber Garvin - „der tanzende Derwisch"67 - hatte es Kühlmann aufgrund seiner journalistischen Fähigkeiten angetan. Garvin hatte lange unter Lord Northcliffe gearbeitet. Nach /o dem Verkauf des Observer an die Astors ließ der enge Kontakt allerdings etwas nach. Die letzte der untersuchten Zeitungen ist People. Viel gelesen, habe es vor allem „der Befriedigung primitivsten Unterhaltungsbedürfnisses"69 gedient.
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Vgl. Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 247, Handbuch der Auslandspresse, S. 45. Sehr häufig findet sich in der Literatur die fehlerhafte Schreibweise „Reynold's News". 60 Vgl. PAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 66, Handbuch der Auslandspresse, S. 21. 61 Zimmermann, Presse, S. 268. 62 Vgl. PAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 65. 63 Vgl. McEwen, Fall of Asquith, S. 867, DeGroot, Blighty, S. 177. 64 Vgl. Handbuch der Auslandspresse, S. 34, Dibelius, England, S. 416, Widenmann, Marine-Attache, S. 95. 65 Vgl. Bunselmeyer, Cost, S. 137. 66 Vgl. Star, 1.2.1912, S. 1; Daily News, 15.3.1912, S. 5, 17.5.1912, S. 1; Sketch, 17.5.1912, S. 7. 67 PAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 10, vgl. Handbuch der Auslandspresse, S. 42. 68 Vgl. Gollin, Observer, S. 391. 69 Handbuch der Auslandspresse, S. 43.
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5. Auflagenhöhe Ein zentraler Aspekt der vorliegenden Arbeit ist die Frage nach der Auflage der untersuchten Zeitungen. Dabei war der „circulation fight"70, wie es der Herausgeber des Daily Express Blumenfeld nannte, eine relativ neue Auseinandersetzung in der britischen Pressewelt. Zurückzuführen ist sie auf die oben geschilderten Gründe für die Ausweitung der potentiellen Leserschaft und des damit verbundenen Aufkommens des sogenannten New Journalism.71 Es ist darauf zu achten, daß die Auflagen der damaligen Zeit noch lange nicht an spätere Zahlen heranreichen konnten. So entwickelte sich die richtige Massenpresse erst nach 191872, die Times erreichte erst 1995 mit 680.000 Stück ihre höchste Verkaufsrate. Dennoch konnten die Londoner Tageszeitungen in der Addition immerhin auf eine Auflage von mehreren Millionen Stück verweisen, die sie entsprechend interessant für Anzeigenkunden machten.74 Im einzelnen hatten vor allem die Londoner Zeitungen eine weitaus höhere Auflage als die größten vergleichbaren deutschen Tageszeitungen.75 Lord Northcliffe ging so weit, daß er die Entwicklung der Auflagenzahlen seiner Zeitungen als Bestätigung für die Unterstützung seiner „Politik" durch die Leser sah. Als Spender während des Burenkrieges versuchte, den Pressezaren in seinen Äußerungen zu mäßigen, soll er gesagt haben: „,Yes, but we are right', and he pressed a button and called for the circulation ledger. 'Look, Spender,' he said, 'here we began our campaign. See, up, up, up. No, Spender, we are right.'"76 Die Bestimmung der exakten Auflagenhöhen erwies sich als äußerst problematisch. Erst ab 1931 überprüfte das Audit Bureau of Circulations die Auflagenhöhe zum Schutz der Anzeigenkunden.77 Die Sicht, daß „newspapers and periodicals guarded their circulation figures like state secrets"78 ist etwas übertrieben. Oft genug kam es vor, daß auflagenstarke Zeitungen die Zahlen veröffentlichten.79 Deren Zuverlässigkeit ist jedoch mit äußerster Vorsicht zu genießen. So behauptete die Evening News im März 1914, daß 300.000 Exemplare der Times an die Händler ausgeliefert worden seien - und damit
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Blumenfeld, Press, S. 105. Vgl. Kennedy, Antagonism, S. 361. 12 Vgl. Lee, Structure, S. 123. 75 Vgl. Engel, Matthew: Tickle the Public. One hundred Years of the Popular Press, London 1996, S. 332. 74 Vgl. Seymour-Ure, Legacy, S. lOf. 75 Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 117. 76 Robertson Scott, Memories, S. 74. 77 Vgl. EBP, S. 635. 78 Zitiert in: McEwen, John: The National Press during the First World War: Ownership and Circulation, in: Journal of Contemporary History 17,3 (1982), S. 459-486, hier S. 465, Anm. 9. 79 Vgl. John Bull, 2.10.1915, S. 5,4.8.1915, S. 13; News of the World, 3.12.1916, S. 1,18.11.1917, S. 1; Daily Mail, 30.9.1912, S. 11, 20.12.1918, S. 2, Daily News, 8.1.1913, S. 1; Evening News, 30.9.1912, S. 3. 71
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68 on
die Nachfrage noch nicht einmal gestillt worden sei. Dagegen heißt es sowohl in der History of the Times als auch in Northcliffes privaten Aufzeichnungen, daß noch in der zweiten Dezemberhälfte 1913 durchschnittlich nur knapp 50.000 Exemplare verkauft wurden.81 Darüber hinaus wurden der Times noch im Juni 1914 nur 140.000 verkaufte Exemplare bescheinigt - selbst dies ist eine sehr hohe Steigerung innerhalb sehr kurzer Zeit.82 Weitere Schwierigkeiten hinsichtlich der Bestimmung der Auflagenhöhe der Zeitungen wurden folgendermaßen zusammengefaßt: „We can only guess at the circulations of most of them during the period of secrecy between the 1850s and the 1930s. Then all but a few papers jealously guarded the volume of their sales; it was usually much less than was commonly supposed. And now most of their business books have long ago gone for waste paper. Even papers with a continuous existence have, more often than not, suffered changes of ownership and their records too have gone. And papers that [...] have had continuity of ownership, have only imperfect records."83 Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist der Unterschied zwischen der reinen Auflage und den tatsächlichen Verkaufszahlen. Von der Gesamtauflage des Daily Chronicle in Höhe von 464.000 Stück wurden nach dessen eigenen Angaben 14,6 Prozent nicht verkauft.84 Umgekehrt konnte ein verkauftes Exemplar mehrere Leser haben. Zudem waren die Auflagenhöhen der Zeitungen starken Schwankungen ausgesetzt. So erhöhte sich die Auflage der Times kurz vor Kriegsausbruch um 144 Prozent.85 Hinzu kommt, daß die Auflagen im Krieg ebenfalls starken Schwankungen unterlagen. Bei besonders wichtigen Ereignissen gab es die bekannten Steigerungen im Tagesrhythmus. Dabei erreicht der Daily Mirror nach einer Anzeige in der Westminster Gazette am 7. Juni 1916 sogar eine Auflage von 1,5 Millionen Exemplaren.86 Eine exakte Feststellung der Auflage jeder Zeitung für einen bestimmten Tag ist allein aus diesen Gründen nicht möglich. Ziel dieser Arbeit kann es daher nicht sein, nach 80
Vgl. Evening News, 16.3.1914, S. 1. Zu den Auflagenzahlen im allgemeinen und der diesbezüglichen Geheimniskrämerei siehe auch Cunningham, John: National daily newspapers and their circulations in the UK, 1908-1978, in: Journal of Advertising History 4 (1981), S. 16-18. Hier findet sich eine Schätzung der Auflagen, die den in Tabelle 2 genannten Zahlen im wesentlichen entspricht. 81 Vgl. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62265/94-97 vom 20.10.1913, History of the Times: The 150th Anniversary and Beyond 1912-1948, 2 Bände, Chapters I-XII, 1912-1920, London 1952/ND Millwood/New York 1985, Bd. 1, S. 140. 82 Vgl. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62270/82 vom 4.6.1914. 83 Wadsworth, Alfred: Newspaper Circulations 1800-1954, in: Transactions of the Manchester Statistical Society Session 121 (1953-54), S. 1-41, hier S. 1, vgl. McEwen, Press, S. 465. 84 Vgl. Chronicle, 23.5.1914, S. 1, Jones, Fleet Street, S. 208. 85 Vgl. McEwen, Press, S. 481. Siehe auch TNL Archive/GGD/1, Dawson an Willert am 27.8.1914: „The circulation is enormous. It has more than doubled since the war began and is steadily going up." Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 150, Daily Mail, 28.7.1914, S. 5: „We are informed by the publisher of The Times that the issue of yesterday was immediately out of print owing to the demand caused by its exclusive European and Irish news. The supply to-day has been greatly increased." 86 Vgl. Westminster Gazette, 3.8.1916, S. 7.
Die Auswahl der Zeitungen
69
exakten Zahlen für bestimmte Tage zu suchen. Es reicht vielmehr eine grobe Orientierung bei der Größenordnung - Tausende, Zehntausende oder Hunderttausende - aus. In Verbindung mit dem Preis und den behandelten Themen ergibt sich daraus eine gute Einschätzung der jeweiligen Zeitung und dem von ihr erreichten Publikum. Tabelle 2: Auflage 87 und Preis der ausgewählten Zeitungen (alphabetisch) Tageszeitungen Zeitung
Auflage
Preis
Seit
Zeitung
Auflage
Preis
Seit
26.300
ip
1857
Freeman's Journal
30.000*
ip
1763
Cambria Daily Leader
100.000*
•Λρ
1861
Glasgow Herald
55.000
ip
1782/3
Daily Chronicle
450.000
•Λρ
1855
Irish Independent
80.000*
•Λρ
1891
Daily Express
350.000
•Λρ
1900
Irish Times
45.000
ip
1859
Daily Graphic
60.000
ip
1890
Liverpool Daily Post and Mercury
45.000*
ip
1811
Daily Herald
100.000*
•Λρ
1896
Manchester dian
49.000
ip
1821
Daily Mail
950.000
•Λρ
1896
Scotsman
45.000*
lp
1817
1.100.000
•Λρ
1903
South Wales Daily News
40.000*
Ip
1872
Daily News & Leader
550.000
•Λρ
1846
Star
500.000
•Λρ
1888
Daily Sketch
800.000
•Λρ
1910
Times
150.000
l-3p
1788
Daily Telegraph
240.000
ΐρ
1855
Western Mail
50.000*
ip
1869
Evening Express
45.000
•Λρ
1878
Westminster Gazette
20.000
ip
1893
Evening News
600.000
•Λρ
1881
Yorkshire Post
46.600
ip
1754
Birmingham Daily Post
Daily Mirror
Guar-
* Auf Literaturbasis geschätzte Zahl, da fur diesen Zeitpunkt keine genauen Angaben vorliegen.
87
Die Auflagen wurden im wesentlichen zusammengestellt nach McEwen, Press, Lee, Structure, Lee, Origins, Zimmermann, Presse und Wadsworth, Circulations. Vergleichszahlen für die deutsche Presse finden sich in: Fischer, Heinz-Dietrich (Hg.): Deutsche Zeitungen des 17.-20. Jahrhunderts, Pullach bei München 1972.
Deutschlandbild
70
Wochenzeitungen Zeitung
Auflage
John Bull Lloyd's
Weekly
News News of the World Observer
Preis
Seit
Zeitung
Auflage
Preis
Seit
1.000.000
ip
1906
People
550.000
ip
1881
1.450.000
ip
1842
Punch
0 . Ang.
3p
1841
2.000.000
ip
1843
600.000
ip
1850
175.000
ip
1791
Reynolds's Newspaper
Nach der Zusammenstellung von McEwen betrug die Gesamtauflage der 17 großen Londoner Tageszeitungen knapp 5,9 Millionen Exemplare. Demnach wurden für die vorliegende Arbeit deutlich über 90 Prozent davon berücksichtigt.88 Damit wurde das Ziel, einen möglichst hohen Anteil der Gesamtauflage der Zeitungen bei gleichzeitiger Berücksichtigung aller sozialen Schichten zu erreichen, realisiert. Die Auflagen der anderen, nicht berücksichtigten Zeitungen lagen am unteren Rand des Spektrums. Unbedingt zu beachten ist, daß die ausgewählten Zeitungen eine enorme Spanne in ihrer Auflage hatten. Am besten wird dies durch den Vergleich von Daily Mirror und Westminster Gazette deutlich. Die erstgenannte hatte zeitweise bis zu 1.000.000 Exemplare gedruckt. Dagegen hatte die Gazette mit ihren 20.000 nur zwei Prozent dieser Auflage vorzuweisen. Nicht ausgewählt wurde eine Reihe von Zeitungen, die nur über eine geringe Auflage verfügten und deren politisches Spektrum durch andere abgedeckt wurde. Hinzu kommt, daß Blätter wie Pall Mall Gazette, Globe und Standard entweder bereits vor dem Krieg massive Auflagenverluste hinzunehmen hatten oder ihr Erscheinen kurz nach dem Krieg einstellen mußten.89 Kühlmann teilt in seiner Denkschrift diese Ansicht.90 Auch die Morning Post, die mit ihrer sehr konservativen Einstellung auf den ersten Blick ein interessantes Untersuchungsobjekt darstellte, hatte mit Leserschwund zu kämpfen. Sie verschwand bald nach dem Krieg durch die Verschmelzung mit dem Daily Telegraph aus dem Straßenbild.9'
88
Vgl. Tabelle 2, McEwen, Press, S. 468,471, Lee, Origins, S. 293. Noch heute erreichen englische Provinzzeitungen nur einen Bruchteil der Auflage großer Londoner Blätter, vgl. EBP, S. 623-625.
89
Vgl. Inwood, Press, S. 5, 9.
90
Vgl. Ρ AAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912, Blatt 43, 51. " Vgl. Robbins, Public opinion, S. 78, Baylen, British press, S. 40.
Die Auswahl der Zeitungen
Abbildung 1: Die Auflagen der Tageszeitungen in Tausend
Daily M i r r o r O n l y Μ Iii D u l y Sketch Evening News Daily N e w s t
Leader Sur
Daily Chronicle Daily E x p r e s s Daily Telegraph Times C a m b r i a Daily Leader Daily Herald Irish Independent Daily Graphic G l a s g o w Herald Western M a i l Manchester Guardian Y o r k s h i r e Post Evening Irish T i m e s L i v e r p o o l Daily Post Scotsman South Wales Daily N e w s Freeman's Journal B i r m i n g h a m Daily Post Westminster Gazette
71
72
Deutschlandbild
Allein 28,9 Prozent aller Tageszeitungen entfielen auf Lord Northcliffe {Daily Mail, Evening News, Times). Mit 17,8 Prozent Anteil folgte die Daily News Gruppe (Daily News & Leader, Star), deren Haupteigentümer der Schokoladenfabrikant Cadbury war. An dritter Stelle kam der Bruder Lord Northcliffes, Lord Rothermere, mit 17 Prozent (Daily Mirror). Zusammen kontrollierten die beiden fast 50 Prozent der Gesamtauflage. Eine Abhängigkeit zwischen ihren Zeitungsgruppen konnte aber nicht nachgewiesen werden. Als Viertes folgte Edward Hulton vom Daily Sketch. Er hatte 13,6 Prozent Marktanteil. Damit lenkten die vier größten Zeitungsmagnaten 77,3 Prozent der Londoner Pressewelt. Dabei konnten die Leser jedoch nie sicher sein, wem die von ihnen gelesene Zeitung gehörte.92 Northcliffe selbst lachte angeblich über Redakteure, die nicht wußten, daß die Zeitung, in der sie ihn kritisierten, ihm gehörte.93
Abbildung 2: Die Auflagen der Sonntagszeitungen
Ihn. 1 * ü
92 93
1
is * f.
Vgl. Lee, Structure, S. 125. Vgl. Stutterheim, Presse, S. 49.
» 5 "§
s | 285. ?
fr |
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Kapitel 3: Die Jahre vor Kriegsausbruch
1. Kaiser Wilhelm II. 1.1 Thronbesteigung 1888 Mit großer Zurückhaltung, teilweise sogar besorgt, wurde die Thronbesteigung Wilhelms II. im Jahre 1888 von der britischen Presse aufgenommen: „For our part we fear that after the death of the Emperor Frederick the feeling of brotherly sympathy that bound Englishmen to Germans, politically as well as socially, will tend to soon disappear."1 Er besitze große Fähigkeiten und einen starken Willen. Er werde seinen eigenen Weg gehen: „But where that way will lead no one can tell."2 Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die Entlassung Bismarcks. Die junge Majestät sei voller Energie: „[...] he believes in nobody but himself."3 Dennoch zeigt Reinermann in seiner Studie über Wilhelm, daß dessen Bild in der britischen Öffentlichkeit bis zum Ersten Weltkrieg eher postiv als negativ war. Es gab immer wieder Rückschläge, wie beispielsweise die Krügerdepesche 1896.4 Dennoch stellte Reinermann fest, daß auf alle Tiefpunkte eine Erholung und deutliche Verbesserung des Verhältnisses folgte. In jedem Fall wurde Wilhelm nicht nur von der Presse in Deutschland, sondern vor allem auch in Großbritannien als schillernde Persönlichkeit wahrgenommen. Das Interesse der Leser antizipierend wurde ihm große Aufmerksamkeit in der Berichterstattung zuteil.5 Egal, ob er in Wilhelmshaven oder Lübeck zu Gast war, ob es um seine Eßgewohnheiten oder seine Gesundheit ging, der Kaiser war stets einen Artikel wert.6 So rief im 1 2 3 4 5
6
Chronicle, 16.6.1888, S. 4, vgl. Reinermann, Kaiser, S. 37-65. Guardian, 16.6.1888, S. 9, vgl. z.B. Times, 16.6.1888, S. 13. Chronicle, 19.3.1890, S. 4, vgl. Guardian, 19.3.1890, S. 4. Vgl. Reinermann, Kaiser, S. 154-157. Zum Wilhelmbild in Großbritannien vgl. Reinermann, Kaiser. Diese Studie deckt den größten Teil von Wilhelms Betrachtung in der britischen Presse ab und wartet mit zum Teil erstaunlichen Ergebnissen auf. Vgl. z.B. Times, 6.3.1914, S. 5: „Emperor William at Wilhelmshaven." 12.8.1913, S. 8: „Emperor William at Lübeck." 29.5.1914, S. 8: „Health of the Emperor William." Daily News, 14.7.1914, S. 1: „What the Emperor William Eats."
74
Deutschlandbild
Spätsommer 1912 das kaiserliche Unwohlsein die Presse auf den Plan: „The Kaiser's Illness" 7 wurde ausführlich behandelt. Über die Art der Krankheit herrschte allerdings keine Übereinstimmung: Von „swelling of the throat" und „feverish symptoms" 8 ist im Daily Sketch die Rede - jener Illustrierten, die kein Interesse an seinem Thronjubiläum zeigte. Die weiteren Diagnosen reichten von einer normalen Erkältung 9 , über rheumatische Beschwerden 10 bis zur Verspannung seiner Nackenmuskulatur". Große Aufmerksamkeit erregte auch ein Zwischenfall bei der Taufe des Passagierschiffes Imperator: „Kaiser escapes death by Inches" 12 - je nach Bericht hätte ihn ein schwerer Holzblock oder eine riesige Kette fast getroffen. 13 Dieses große Interesse ist nicht zuletzt auf sein ambivalentes Verhältnis zum Empire zurückzuführen. Als Enkel Königin Victorias verband ihn eine enge verwandtschaftliche Beziehung zum englischen Königshaus. Durch zahlreiche Ehrentitel, wie beispielsweise der eines englischen Admirals, wurde die Bande mit dem Land gestärkt. Andererseits standen zahlreiche Konflikte zwischen den beiden Staaten, die immer wieder das Interesse auf sich zogen. Zu nennen sind hier beispielsweise die Krüger-Depesche und das Daily Telegraph-Interview 14 , das Premierminister Asquith als „the greatest personal humiliation" 15 für den Kaiser bezeichnete. Zudem erregte Wilhelm durch sein forsches Auftreten einen hohen Grad an Aufmerksamkeit. Er wurde zu einer unentbehrlichen Persönlichkeit für die Boulevardpresse in England und Amerika, „where, of course, the Kaiser, as newspaper material, has no rival."16 Dies macht auch die umfangreiche Berichterstattung der Zeitungen anläßlich seines 25-jährigen Thronjubiläums deutlich, das ein zentraler Aspekt der Untersuchung sein muß.
7
News of the World, 1.9.1912, S. 8, vgl. Westminster Gazette, 27.8.1912, S. 7; Star, 27.8.1912, S. 1; Mirror, 27.8.1912, S. 5; Graphic, 28.8.1912, S. 5; Chronicle, 29.8.1912, S. 4. 8 Sketch, 27.8.1912, S. 6. ' V g l . Graphic, 29.8.1912, S. 4. 10 Vgl. Mirror, 28.8.1912, S. 4. " Vgl. Scotsman, 27.8.1912, S. 5. 12 Star, 23.5.1912, S. 1. 13 Vgl. Sketch, 24.5.1912, S. 6; Evening News, 23.5.1912, S. 4; Westminster Gazette, 23.5.1912, S. 10; Daily Express, 24.5.1912, S. 1. 14 Im sogenannten Daily Telegraph-Interview hatte der Kaiser die englischen Erfolge im Burenkrieg so dargestellt, als ob diese vor allem seinen guten Ratschlägen zu verdanken seien. Dies wirkte sehr belehrend und herablassend, was in England wenig erfreut aufgefaßt wurde. Vgl. Winzen, Peter: Das Kaiserreich am Abgrund. Die Daily-Telegraph-Affäre und das Haie Interview von 1908. Darstellung und Dokumentation, Stuttgart 2002. 15 Asquith, Herbert: The Genesis of the War, London, New York, Toronto u.a. 1923, S. 27. 16 Graphic, 14.6.1913, S. 5.
Die Jahre vor Kriegsausbruch
75
1.2 Silbernes Thronjubiläum 1913 Aufgrund der diplomatisch-journalistischen Etikette war von vornherein nicht mit einer allzu kritischen Betrachtung des Kaisers zu rechnen. Bei solchen Festlichkeiten in Verbindung mit dem Verwandtschaftsverhältnis und der allgemeinen Höflichkeit gegenüber Staatsoberhäuptern wurde dies als unschicklich betrachtet. Dennoch können anhand der Artikel durchaus Rückschlüsse auf das Bild Wilhelms in der Presse vor dem Krieg gezogen werden. Um dies genauer zu differenzieren, ist es zudem nötig, Artikel aus der Zeit vor dem Jubiläum und bis zum Kriegsausbruch heranzuziehen. Bereits vor dem 15. Juni 1913 wurde die Bevölkerung von dem bevorstehenden Ereignis in Deutschland informiert.17 Zum Jahrestag selbst wurde dem Kaiser freundlich gratuliert und Glückwünsche übermittelt.18 Über den Ablauf der diversen Veranstaltungen im In- und Ausland wurde ausfuhrlich berichtet. So gab beispielsweise der deutsche Botschafter in London einen großen Empfang mit zahlreichen Gästen aus der englischen High Society. Viel wichtiger als die reine Berichterstattung sind an dieser Stelle die Bewertungen über Wilhelm und das von ihm regierte Land. Hierbei wird die Bedeutung des Kaisers schon mittels des Umfangs der Berichterstattung deutlich. In 14 von 17 englischen Tageszeitungen wurde das Thronjubiläum ausfuhrlich behandelt. Davon brachten die meisten mindestens einen Leitartikel.19 Nur drei Zeitungen kümmerten sich wenig oder gar nicht um dieses Ereignis. Der Daily Sketch behandelte Auslandsmeldungen generell recht wenig. Beim Daily Herald ist die sozialistische Grundeinstellung als Ursache dafür anzusehen. Als Vertreter der Arbeiterklasse lehnte der Daily Herald das in seinen Augen autokratische System Deutschlands ab. Es gab daher keinen Grund, auf das Thronjubiläum einzugehen. Überraschenderweise brachte auch die Evening News hierzu kaum Nachrichten. Trotz des generell großen Interesses an den Beziehungen zu Deutschland blieb es in diesem Fall dem Schwesterblatt Daily Mail überlassen, ausführlich zu berichten. Dies zeigt die redaktionelle Unabhängigkeit der beiden Zeitungen voneinander. Abgesehen vom national-irischen Blatt Freeman 's Journal widmeten auch die schottischen und irischen Zeitungen dem Ehrentag des Kaisers ausfuhrliche Berichte und Leitartikel, wobei auch auf die lokalen Festlichkeiten eingegangen wurde.20 17
Vgl. Telegraph, 24.5.1913, S. 11; Scotsman, 29.5.1913, S. 7; Observer, 8.6.1913, S. 14; Daily Express, 14.6.1913, S. 6; Graphic, 14.6.1913, S. 5; Daily News, 14.6.1913, S. 1; Guardian, 14.6.1913, S. 10; Times, 14.6.1913, S. 7 , 9 ; Chronicle, 12.6.1913, S. 1.
18
Vgl. Daily Express, 16.6.1913, S. 4,12f; Daily Mail, 17.6.1913, S. 4; Liverpool Daily Post, 17.6.1913, S. 7.
" Vgl. Β'ham Post, 16.6.1913, S. 6; Chronicle, 16.6.1913, S. 1; Daily Express, 16.6.1913, S. 4; Graphic, 16.6.1913, S. 4; Daily Mail, 17.6.1913, S. 4; Daily News, 16.6.1913, S. 6; Telegraph, 16.6.1913, S. 12f; Guardian, 14.6.1913, S. 10,16.6.1913, S. 8; Times, 14.6.1913, S. 9; Liverpool Daily Post, 16.6.1913, S. 6; Westminster Gazette, 16.6.1913, S. 1. 20 Vgl. Glasgow Herald, 16.6.1913, S. 9, 17.6.1913, S. 8; Scotsman, 16.6.1913, S. 6; Evening Express, 16.6.1913, S. 2; Irish Independent, 17.6.1913, S. 4; Irish Times, 16.6.1913, S. 6.
76
Deutschlandbild
Lediglich eine marginale Berichterstattung über das Thronjubiläum ist in den walisischen Zeitungen nachzuweisen. Weder in den beiden seriösen Zeitungen noch im Cambria Daily Leader, der sich zu dieser Zeit lieber mit Finanzproblemen in Deutschland befaßte21, spielte das Ereignis eine nennenswerte Rolle. Die Festlichkeiten selbst waren demnach „though very elaborate and hugely attended [...] rather flat"22. Ebenfalls einen geringen Umfang nahm die Berichterstattung bei den Wochenzeitungen ein. John Bull ging nicht auf das Jubiläum ein. Dies lag daran, daß diese Sensationszeitung sich vor allem auf die englische Innenpolitik und ihre Skandalgeschichten konzentrierte. Zudem sah John Bull das Kaiserreich und damit das Thronjubiläum sehr negativ. Ebenfalls nicht thematisiert wurde es in der liberalen Lloyd's Weekly News. Wenig Raum wurde ihm in People und in Reynolds 's Newspaper eingeräumt. Zurückzuführen ist dies darauf, daß die meisten Sonntagszeitungen, abgesehen vom Observer, der Außenpolitik wenig Aufmerksamkeit widmeten. Außerdem fand das Thronjubiläum an einem Sonntag statt. Für eine Vorberichterstattung war deshalb der zeitliche Abstand sehr groß. Dasselbe gilt für einen Rückblick. Berichte von den Ereignissen am 15. Juni waren in den Ausgaben vom selben Tag nicht möglich, da der Redaktionsschluß vor den eigentlichen Feierlichkeiten lag. So ist es nicht verwunderlich, daß nur der Observer und die News of the World, also zwei von sechs Wochenzeitungen, Leitartikel brachten.23 Wichtigster Aspekt in der Darstellung Wilhelms II. war die lange Friedensperiode während seiner Regierungszeit.24 Der Kaiser habe selbst ganz maßgeblich zu dessen Erhalt beigetragen. Er sei ein besserer Freund des Friedens als der Zar.25 Der konservative Daily Express bezeichnete ihn sogar als „the safest bulwark of European peace"26. Es sei ihm nicht nur gelungen, außenpolitische Probleme zu überwinden, sondern auch, sich gegen die radikalen pan-germanischen Elemente im Inneren durchzusetzen. In einem Kommentar, zeitgleich im Daily Chronicle und der Daily News veröffentlicht, wurde die Frage behandelt, ob der Kaiser „War Lord or Peacemaker" sei. Allein die Tatsache, daß er seit 25 Jahren den Frieden bewahrt habe, spreche für sich. In den Worten des Journalisten „the Kaiser really has been the true and central factor of that past peaceful policy of Germany. [...] Kaiser Wilhelm does not want war, not only because peace will pay Germany better, but because he sincerely prefers peace for its own sake."27 Dafür habe er sich beharrlich eingesetzt. Zugleich habe er sein Land so
21
Vgl. Cambria Daily Leader, 16.6.1913, S. 4. Cambria Daily Leader, 23.6.1913, S. 4. 23 Vgl. Observer, 15.6.1913, S. 10; News of the World, 22.6.1913, S. 8. 24 Dies bezieht sich auf den Frieden mit den europäischen (Groß-) Mächten, nicht auf außereuropäische Konflikte, beispielsweise innerhalb der deutschen Kolonien oder in China. 25 Vgl. Guardian, 14.6.1913, S. 10: „With all his enthusiasm for the army, he is perhaps the best friend of peace in Europe; certainly a far better friend than the Tsar". 26 Daily Express, 14.6.1913, S. 6. 27 Daily News und Chronicle, je 16.6.1913, S. 6. 22
Die Jahre vor Kriegsausbruch
77
stark machen wollen, daß niemand es wage, Deutschland zum Krieg zu provozieren. Eine gewisse Stärke auf beiden Seiten sei auch der Dreh- und Angelpunkt für eine dauerhafte deutsch-englische Verständigung.28 Positive Äußerungen hinsichtlich der Bewahrung des europäischen Friedens durch den Kaiser fanden sich auch in konservativen Zeitungen. So verwies der Daily Telegraph auf die Reichstagsrede des deutschen Kanzlers. Die Bezeichnung „Prince of Peace"29 oder „Peace Emperor"30, wie es in den unterschiedlichen Übersetzungen hieß, „was not an undeserved tribute, and it is one which will be heartily endorsed in this country."31 Dies war darüber hinaus jener Begriff, der eigentlich dem Vater Wilhelms, Friedrich III., zuteil werden sollte. Bei der Thronbesteigung wurde noch befürchtet, Wilhelm würde dem nicht gerecht werden können.32 Auf die Vielzahl der Fehleinschätzungen Wilhelms, beispielsweise anläßlich seiner Thronbesteigung33, wies der Evening Express hin: „He was credited with ambitious aspirations, the realisation of which could not be attained without war, and his frequent allusions to the great days of his illustrious grandfather fostered the suspicion that he himself would eagerly avail himself of any opportunity of winning distinction as soldier."34 Dies hätte sich jedoch als vollkommen falsch erwiesen. Zwar hätte Deutschland unter Wilhelm wiederholt am Rande eines Krieges gestanden, „but he has never actually drawn the sword." Dies wurde als um so bedeutender gesehen, da er im militärischen Sinne mächtiger sei „than any of the long line of Louis and has proved himself to be eminently more pacific." 35 Ein Widerspruch wurde nicht darin gesehen, daß „Germany's peace is that of a strong man armed." Die Glaubwürdigkeit dieser Berichte wird dadurch gestärkt, daß sie sich eben nicht auf die Zeit des Thronjubiläums beschränken. So bestätigte die South Wales Daily News - obwohl sie dem Jubiläum selbst keine Beachtung geschenkt hatte - den Sachverhalt: „People in this country are too apt to think of the Kaiser as the great War Lord, or as the Emperor who sent the telegram to Kruger, or, again as a man of blood and iron who delights in rattling the sabre." Er habe sein Gewicht aber mehr als einmal gegen die Kriegstreiber in Deutschland in die Waagschale geworfen: „He has by this time given abundant proof of the absolute sincerity of this desire for peace in Europe and the main28
Vgl. ebd.: „To be strong and friendly on both sides seems to me to be the pivotal condition of a permanent Anglo-German understanding." 29 Telegraph, 16.6.1913, S. 13, vgl. News of the World, 15.6.1913, S. 9; Westminster Gazette, 14.6.1913, S. 11. 30
Guardian, 16.6.1913, S. 8, vgl. Reynolds's, 15.6.1913, S. 1; Times, 14.6.1913, S. 9; Irish Independent, 17.6.1913, S. 4. 31 Telegraph, 16.6.1913, S. 13, vgl. News of the World, 15.6.1913, S. 9; Glasgow Herald, 17.6.1913, S. 8. 32 Vgl. Guardian, 16.6.1888, S. 9. 33 Vgl. Chronicle, 18.6.1888, S. 4: „Not much light is thrown on the future by the manifestoes which the new German Emperor has issued to his Army and Navy. Their tone is in rather sharp contrast to that which characterised the first proclamations of his illustrious and ever-to-be-lamented father." 34 Evening Express, 16.6.1913, S. 2. 35 Glasgow Herald, 17.6.1913, S. 8.
78
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tenance of conditions which ensure it." 36 Derartige Artikel ziehen sich durch den gesamten Untersuchungszeitraum. 37 Bemerkenswerterweise kommt Deutschland dabei auch im internationalen Vergleich gut weg. Obwohl es immer als das Land erscheine „most thoroughly prepared for instant war" 38 , sei es neben Österreich-Ungarn doch die einzige Macht gewesen, die innerhalb der letzten zwölf Jahre in keinen Krieg verwickelt gewesen sei. Deutlich herauszuarbeiten ist eine differenzierte Bewertung des kaiserlichen Auftretens. Ganz bewußt wurde auf seine herausfordernden Gesten eingegangen, beispielsweise auf „another ,shining armour' oration." 39 Oft sei er in schimmernder Wehr erschienen, habe mit dem Säbel gerasselt und die gepanzerte Faust geschüttelt. Dennoch habe er selbst niemals das Schwert gezogen oder andere dazu gezwungen. 40 Deshalb zog Reynolds's Newspaper den Schluß, sein Wunsch „to go down to history as the ,Peace Emperor' is, with certain reservations, perfectly sincere. [...] His homage to peace is no mere lip-service. It comes from a real and deep sense of the awful responsibility to Heaven" 41 . Derartige Äußerungen reichen von der eben zitierten linksliberalen Reynolds 's Newspaper bis auf die andere Seite des politischen Spektrums. 42 Die Aufrichtigkeit der kaiserlichen Beteuerung, er wünsche sich weitere 25 Friedensjahre 43 , wurde nicht in Frage gestellt. Ganz bewußt betonte die News of the World die Wandlung des Kaisers. Sei er früher in erster Linie als „War-Lord" und mögliche Gefahr für Europa gesehen worden, so habe sich dies geändert: „But now we know that, though the martial spirit and the martial traditions are carefully cherished by the Emperor, that still over all abides a sincere devotion to the cause of peace." 44 Der Kaiser wurde also zu dieser Zeit als friedfertiger Monarch gesehen. Auf dem Gebiet der Innenpolitik wurde ihm besonderes Lob für die Vernichtung des politischen Testaments Friedrich Wilhelms IV. zuteil. Darin wurden seine Nachfolger aufgefordert, die verfassungsmäßigen Rechte abzuschaffen und durch einen Staatsstreich von oben die alten absolutistischen Formen wieder herzustellen. Die Vorgänger Wilhelms II. hatten diese Aufforderung zwar nicht befolgt, aber auch nicht beseitigt.
36
South Wales Daily News, 12.8.1913, S. 4. Vgl. z.B. Daily News, 5.2.1912, S. 6; Chronicle, 29.6.1912, S. 1, 6.2.1912, S. 4, 29.8.1912, S. 4; Star, 6.1.1912, S. 2; Guardian, 28.1.1913, S. 8; Evening Express, 31.12.1912, S. 2; Western Mail, 20.5.1913, S. 4; Chronicle, 6.2.1912, S. 4; Liverpool Daily Post, 20.10.1913, S. 6. 38 Irish Times, 23.5.1913, S. 4, vgl. Irish Independent, 17.6.1913, S. 4. 39 Morning Leader, 8.2.1912, S. 4. 40 Vgl. Reynolds's, 15.6.1913, S. 1: „He has rattled the sabre, appeared in shining armour and shaken the mailed fist; but he has never drawn the sword or done the last act which would have forced others to draw it." Observer, 28.1.1912, S. 8. 41 Reynolds's, 15.6.1913, S. 1, vgl. Chronicle, 17.6.1913, S. 6. 42 Vgl. z.B. Chronicle, 16.6.1913, S. 1; Telegraph, 16.6.1913, S. 13; Times, 14.6.1913, S. 9; Daily Mail, 17.6.1913, S. 5; Daily Express, 14.6.1913, S. 6. 43 Vgl. Daily News, 17.6.1913, S. 1. 44 News of the World, 22.6.1913, S. 8. 37
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Zur Vernichtung des Dokuments hieß es, Wilhelm „acted like a statesman, and the world, and history, will think well of him for what he did."45 Allein die Times beklagte den Verlust des Dokuments „in the interests of history"46, erkannte aber sehr wohl die hehren Motive des Kaisers an.
1.3 Charakter des Kaisers Der Charakter des Kaisers wurde übergreifend als widersprüchlich geschildert.47 Einerseits beteuere er, den Frieden erhalten und die Freundschaft Englands zu wollen, andererseits treibe er aber die deutsche Marinerüstung voran, die gerade die Freundschaft zu England gefährde. Deshalb wurde Wilhelm als emotional und „a little baffling" 48 eingeschätzt. Trotz fortschreitenden Alters wurde er häufig als youthful betrachtet, wobei dies mehr auf seinen Charakter als auf sein Äußeres zu beziehen ist.49 Als negativste Eigenschaften wurden ihm Intoleranz und eine Mischung aus Großmut und dominierender Arroganz vorgeworfen. Im Gegensatz dazu wurden ihm eine ganze Reihe von positiven Eigenschaften und Fähigkeiten zugesprochen: „Not only has he been soldier and sailor, statesman and diplomatist, but he has gained notoriety, if not fame, as a social reformer, moralist, playwright, and artist."50 Diese Einschätzung des Kaisers wurde in der Reynolds's Newspaper vom Leitartikel der Times des Vortages übernommen. Hier wurde angedeutet, daß auch Kritik berechtigt gewesen sei. Aber niemand „however rare and however varied may be his gifts, can fill so many characters with entire success." Außerdem seien die Kritiker „not always just or moderate in their censure"51 gewesen. Der Kaiser mit seiner „fascinating personality" sei früher ein enfant terrible gewesen, das noch manches Schmunzeln verursache. Er habe aber gezeigt, daß er aus seinen Fehlern 1erne.53 Besonders hervorgehoben wurde im Manchester Guardian, daß man seiner Freundschaft vertrauen könne. Er sei „incapable of treachery"54. Auch sein Sinn für Realität wurde gewürdigt. Insgesamt wurden seine Charaktereigenschaften überwiegend positiv gezeichnet. Daraus resultierte die Darstellung, daß der Kaiser in seinem Land beliebt
45
Star, 17.6.1913, S. 4, vgl. Chronicle, 17.6.1913, S. 1; Times, 17.6.1913, S. 8; Daily Mail, 17.6.1913, S. 4f; Mirror, 17.6.1913, S. 4; News of the World, 22.6.1913, S. 8; Telegraph, 17.6.1913, S. 11.
46
Times, 18.6.1913, S. 9.
47
Vgl. Guardian, 16.6.1913, S. 8; Daily Express, 16.6.1913, S. 4; Observer, 15.6.1913, S. 10. Telegraph, 16.6.1913, S. 13, vgl. Times, 14.6.1913, S. 9. 4 ' Vgl. Reinermann, Kaiser, S. 158. 48
50 51 52
Reynolds's, 15.6.1913, S. 1. Times, 14.6.1913, S. 9, vgl. 16.6.1913, S. 8. Evening Express, 16.6.1913, S. 2.
" Vgl. Westminster Gazette, 16.6.1913, S. 2. 54 Guardian, 14.6.1913, S. 10.
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sei. Während der Daily Graphic ähnlich wie die Times davon ausging, daß der Kaiser zwar mit den Linksradikalen, den Sozialisten und Republikanern55, nicht auf gutem Fuße stehe, sei er fur die breite Masse der Bevölkerung „a great man and a beloved man"56. Eine gegensätzliche Position nahm der Observer ein. Im Unterschied zur allgemeinen Beliebtheit des englischen Königs bei seinem Volk, sei der Kaiser „admired and respected by his people rather than liked or beloved"57. Noch deutlicher kam dies eine Woche später zum Ausdruck. Hier wurde der Grund für die vielen Besucher in Berlin mehr der Neugier auf die geschmückte Hauptstadt, als dem Interesse am eigentlichen Festakt zu Ehren des Kaisers zugeschrieben.58 Eine einheitliche Meinung hinsichtlich der Beliebtheit Wilhelms in Deutschland gab es also nicht. Zweifelnde Stimmen wie die des Observer blieben jedoch die Ausnahme. Während die Liberalen die Popularität des Kaisers ohnehin bereitwilliger zugaben, so überwog dies auch in konservativen Kreisen bis hin zur Daily Mail Ρ Als Ursache für seine Beliebtheit in Deutschland sind die Erfolge zu nennen, die dem Kaiser zugeschrieben wurden. Von einer „extraordinary expansion"60 Deutschlands während seiner Regierungszeit war die Rede. Trotz schwieriger internationaler Umstände seien auf wirtschaftlicher, sozialer und militärischer Ebene große Fortschritte erzielt worden. Dies sei zu einem großen Teil dem persönlichen Einsatz Wilhelms zu verdanken. Seine Amtszeit „has brought Germany to the front rank of civilised nations. [...] Germany has enjoyed more than at any of her time of her history, the advantages of universal regard, the pleasures of wealth, and the blessings of peace."61 Diese Einschätzung ging, abgesehen vom sozialistischen Daily Herald, durch die Reihen aller Zeitungen. Immer wieder wurde von seiner Regierungszeit als „one of the most remarkable periods in the development of that country"62 gesprochen. Noch deutlicher wurde die Times, die dem Kaiser oft kritisch gegenübergestanden hatte. Nun hieß es, zum Amtsantritt habe Wilhelm Deutschland bereits als die erste Macht auf dem europäischen Festland vorgefunden, anschließend „he has made her a great WorldPower."63 Das Bemerkenswerteste an der Erreichung dieser Position als „one of the greatest industrial and commercial nations in the world" mit der wahrscheinlich stärksten Armee und der zweitstärksten Marine sah die Irish Times im bereits erwähnten zeit-
55
Der Graphic verwendete hier den in England gebräuchlichen Terminus „Radicals" für die Liberalen. Graphic, 14.6.1913, S. 5, vgl. Times, 16.6.1913, S. 8. "Observer, 15.6.1913, S. 6, vgl. Β'harn Post, 16.6.1913, S. 6. 58 Vgl. Observer, 22.6.1913, S. 14: „The crowds in the streets, which were never denser, were unmistakably animated by a desire to view the decorations rather more than they were by any spirit of festive rejoicing." 59 Vgl. Daily Mail, 17.6.1913, S. 5. 60 Telegraph, 16.6.1913, S. 13. 61 Daily Express, 14.6.1913, S. 6, vgl. Glasgow Herald, 17.6.1913, S. 8; Westminster Gazette, 16.6.1913, S. 2; Liverpool Daily Post, 16.6.1913, S. 6. 62 Telegraph, 16.6.1913, S. 16, vgl. Graphic, 16.6.1913, S. 4. 63 Times, 14.6.1913, S. 9, vgl. Telegraph, 16.6.1913, S. 16. 56
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gleichen Erhalt des Friedens: „That Germany has won her place as a world-Power without fighting for it is the Kaiser's greatest achievement."64 Dieser Aufstieg Deutschlands wurde als persönlicher Verdienst des Kaisers verstanden. Wie Rebentisch fur die britischen Karikaturen festgestellt hat65, wurde Wilhelm auch in der Tagespresse als deijenige betrachtet, der die Fäden der deutschen Politik in der Hand hielt. Eingeschränkt wurde dies lediglich dadurch, daß die süddeutschen Staaten „hate the Prussian domination, and their attitude towards the masterful Sovereign who personifies that domination is more respectful than fond."66 Anerkennung erhielt der Kaiser fur den Aufbau der deutschen Marine: „[...] until he came to the throne there was no German Navy. The immense fleet which now exists is a monument to his teal and creative activity."67 Daß dies nicht nur positiv für Großbritannien gesehen wurde, wird dadurch deutlich, daß auch diese anerkennende Stimme betonte „that such a navy is a luxury and not a necessity for Germany." Eine Frontstellung Wilhelms gegen England wurde in seinem Engagement für Deutschland nicht gesehen. Mehrfach wurde auf die engen verwandtschaftlichen Bindungen des Kaisers an das Königreich hingewiesen. Am weitesten ging der Daily Chronicle mit seiner Anerkennung. Dort hieß es für Deutschland und England nicht nur, daß „in the souls of the two peoples there is little or no difference", sondern, daß „the strongest element of his [Wilhelms] blood and character, in qualities both good and bad, but, unmistakably marked, the most prominent of present-day Germans, the Emperor himself, is, in simple fact, an Englishman."68 Viel habe er seiner englischen Mutter zu verdanken. Auch wenn die Sympathiebekundungen selten so weit gingen, so ist dennoch eine weitreichende Beliebtheit des Monarchen auf der Insel zu beobachten: „There is no more popular figure among royal visitors to London, for the Kaiser is a man, the sort of man whom Englishmen delight to honour."69 Trotz seiner Vorliebe für eine starke Flotte sei er „probably the best friend that England has among the rulers of Europe."70 Der Daily Telegraph führte Wilhelms Interesse an der Flotte sogar auf seine englischen Wurzeln zurück: „The son of an English mother, and, in his youth, a frequent guest in British circles in which naval strength was reckoned the one essential condition of national greatness, he had early imbibed a lively conviction of the indispensability of sea power to any state that aspires to play a prominent part in 'world-politics.'" 71
64
Irish Times, 16.6.1913, S. 6. Vgl. Rebentisch, Gesichter, S. 246. 66 Western Mail, 16.6.1913, S. 4. 67 Glasgow Herald, 17.6.1913, S. 8. 68 Chronicle, 16.6.1913, S. 6, vgl. Scotsman, 16.6.1913, S. 6. 69 Daily Express, 16.6.1913, S. 4, vgl. Telegraph, 16.6.1913, S. 13; Chronicle, 17.6.1913, S. 6. 70 Guardian, 14.6.1913, S. 10, vgl. 16.6.1913, S. 8. 71 Telegraph, 16.6.1913, S. 16, vgl. Scotsman, 16.6.1913, S. 6, Reinermann, Kaiser, S. 133f. 65
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Die deutschen Bemühungen um eine starke Marine seien dem deutsch-englischen Verhältnis deshalb ebenso wenig abträglich, wie umgekehrt Bestrebungen in England, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Im Gegenteil, eine starke deutsche Flotte „has made her [Germany's] friendship worth having even for the strongest naval Power."72 Der Glasgow Herald bemängelte dabei zwar, daß der Kaiser „has proved on more than one occasion a very uncomfortable thorn in our side." Besonders die Flottenpolitik habe sehr viel Geld gekostet, „but we respect him all the more because he is a gallant patriot who sets the interests of his own country before those of any and every other country. If we were Germans we should shout with the utmost heartiness for the Kaiser."73 Sehr schmeichelhaft war darüber hinaus, daß Wilhelm seinen Einfluß sehr geschickt eingesetzt habe, um die von Bismarck begonnene Arbeit zu konsolidieren und dabei den Frieden zu bewahren.
1.4 Bilanz Nach eingehender Untersuchung ist festzustellen, daß die britische Zeitungswelt den Kaiser als sehr positiven Faktor in Europa wahrnahm. Deshalb wurde auch die Ankündigung, er wolle das Vereinigte Königreich demnächst besuchen, freundlich aufgenommen: „England will gladly extend the wärmest of welcomes to the Kaiser should he be able to fulfil the wish he personally expressed in Berlin yesterday of visiting this country in the year of his Silver Jubilee."74 Recht hartnäckig brachte der Daily Express immer wieder Falschmeldungen von einer bevorstehenden Reise des Kaisers nach England.75 Trotz einiger Gegensätze zwischen dem Kaiser und England betonte die Zeitung, daß sich die Engländer auf „many happy returns"76 des Kaisers freuen würden. Eine Differenzierung zwischen Londoner Zeitungen, der englischen Provinzpresse und den anderen Landesteilen Großbritanniens ist in diesem Fall nicht nötig. Zwar unterschieden sich die Bewertungen des Kaisers in manchen Nuancen, dabei handelt es sich jedoch nicht um Unstimmigkeiten, sondern lediglich um leicht abweichende Betrachtungsweisen, die auch innerhalb der einzelnen Zeitungsgruppen festzustellen sind. Besondere Anerkennung wurde dem Kaiser ob seiner Verdienste für die Entwicklung Deutschlands auf wirtschaftlichem und auch auf militärischem Gebiet zuteil. Als per-
72
Guardian, 16.6.1913, S. 8. Glasgow Herald, 17.6.1913, S. 8, vgl. Scotsman, 16.6.1913, S. 6. 74 Daily Mail, 17.6.1913, S. 4, vgl. Daily Express, 19.6.1913, S. 3; Sketch, 17.6.1913, S. 6. 75 Vgl. Daily Express, 20.11.1912, S. 5,5.3.1913, S. 1,6.3.1913, S. 1,28.5.1913, S. 1. Siehe auch Evening News, 5.1.1912, S. 1; Daily News, 5.1.1912, S. 1; Reynolds's, 7.1.1912, S. 7. 76 Daily Express, 16.6.1913, S. 4. 73
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sönliches Merkmal wurde ihm seine Modernität hoch angerechnet.77 Dazu zählten sein Faible für schnelle Fortbewegungsmittel und seine Sozialpolitik. Daß diese Betrachtungsweise nicht auf eine allgemeine Höflichkeit gegenüber hochrangigen Adligen oder Politikern anderer Länder zurückzuführen ist, zeigt die skeptische Darstellung des deutschen Kronprinzen. Dabei war es keineswegs positiv gemeint, daß er ganz nach dem Vater komme: „Hot-headed, enthusiastic, impatient of restraint, he is very much what his royal father was at his age"78. Er sei „one of those unfortunate people who seem to be always getting in trouble." Aufgrund seines „anti-English outburst in the Reichstag two years ago, his more recent bellicose writings [...] and the present attack on his brother-in-law" glaubte man „that he has thrown in his lot with the Pan-German Party."79 Auch das gespannte Verhältnis zwischen Vater und Sohn blieb nicht unberücksichtigt: „Kings rarely get on well with their eldest sons."80 Innerhalb Deutschlands hielt besonders der Observer den Kronprinzen für wesentlich populärer als den Kaiser.81 Die Presse des Vereinigten Königreichs zeichnete ihn dagegen nicht im besten Licht. Vor allem seine Äußerungen zur Zabern-Affare wurden ihm negativ angerechnet.82 So machte selbst der ultra-konservative und sehr kritische John Bull keinen Hehl aus seiner Hoffnung, daß Wilhelm II. noch lange regieren werde.83 Auch die liberale Daily News wünschte dem Kaiser ein langes Leben: „Let him live to a normal age and Germany will have completed its emancipation. Then the Crown Prince may come to the Throne without the power of doing mischief. But then he too will be growing old and will have ceased to want to do mischief."84
77
Vgl. Reinermann, Kaiser, insbes. S. 124-126, Hiery, Hermann: Angst und Krieg. Die Angst als bestimmender Faktor im Ersten Weltkrieg, in: Bosbach, Franz (Hg.): Angst und Politik in der europäischen Geschichte, Dettelbach 2000, S. 167-224, hier S. 221. 78 Evening News, 17.10.1913, S. 4. 79 Daily Mail, 21.10.1913, S. 6, vgl. John Bull, 1.11.1913, S. 639: „[...] the German Crown Prince, the Emperor's enfant terrible and the darling hope of the Pan-German party". 80 Daily News, 10.1.1914, S. 6, vgl. z.B. Daily Herald, 4.11.1913, S. 3: „[...] the German Crown Prince has once again offended the Emperor William. These disagreements between the Kaiser and his heir [...] are becoming very frequent occurrences"; Daily Mail, 17.10.1913, S. 7: „The German Crown Prince has again rebelled against the Kaiser's Government". 81 Vgl. Observer, 10.10.1913, S. 5: „The Crown Prince William is undoubtedly the most popular Royal personage in Germany." 15.6.1913, S. 6: „At the moment his son and heir, the Crown Prince, is undoubtedly much more popular with the broad masses of the nation." Siehe auch 21.12.1913, S. 13, 11.1.1914, S. 11. 82 Vgl. Daily Mail, 6.1.1914, S. 5: „Crown Prince in Disgrace. - Support of Alsatian Tyrant." Mirror, 7.1.1914, S . 1 , 3 ; Graphic, 9.1.1914, S. 4; News of the World, 11.1.1914, S. 9. 83 Vgl. John Bull, 1.11.1913, S. 639: „ A Chauvinistic Emperor, backed up by a huge army and a powerful navy, is not likely to conduce to the peace of the world, and it will be wise for Britain and her friends and allies to keep this fact well in view as the day of his [the Crown Prince's] accession - which we trust will be long deferred - draws near." 84 Daily News, 10.1.1914, S. 6: „Long Life to the Kaiser."
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Ungeachtet der freundlichen Aussagen gegenüber Kaiser Wilhelm war er nicht über jede Kritik erhaben. Bereits angesprochen wurde das widersprüchliche Verhalten des deutschen Staatsoberhauptes, das oft zu Mißverständnissen gefuhrt habe: „The Kaiser has, indeed, more than once so embittered international feeling as to endanger the world's peace." 85 Auf der einen Seite sehe er sich als Freund Englands und Mann des Friedens. Im Gegensatz dazu „[he] has done more than any ruler or statesman or government to antagonise the one and to jeopardise the other." Nach 25 Regierungsjahren sei der impulsive und wankelmütige Kaiser „still something of an enigma to Europe" 87 . Noch 1912 [sic!] schrieb die Daily Mail·. „Although the Emperor William has paid a number of visits to this country, very little is generally known about him." 88 Im Mittelpunkt der Kritik standen vor allem die außenpolitischen Umgangsformen Wilhelms. So sei bei seinen Reden immer wieder zu bemerken, daß das Kaiserreich aus den Siegen von Königgrätz und Sedan geschaffen worden sei.89 Gegenüber anderen sei seine Haltung oft „arrogant, ungenerous, and unjust" 90 gewesen. Der liberale Guardian warf ihm vor, die deutsche Armee sei Dreh- und Angelpunkt seiner Politik.91 Den härtesten Vorwurf erhob der Daily Express: „The Kaiser's only failure has been in foreign politics, and it has been a complete failure, too." Obwohl er es verneine, sei seine Außenpolitik „distinctly Bismarckian" gewesen, „a policy of energy and even rudeness, consisting in showing Germany's mailed fist to any nation who declined to grasp her friendly hand the minute it was stretched" 92 . Als Beispiele wurden erneut das Krügertelegramm und der Panthersprung von Agadir genannt. Ebenfalls skeptisch betrachtet wurde sein Anspruch auf das Gottesgnadentum seiner Herrschaft. 93 Aus der Sicht der britischen Zeitungen wurde Wilhelm als starker Herrscher betrachtet. Sie stimmten mit der Sicht vom persönlichen Regiment94 des Kaisers überein. „In both Russia and Austria the monarch is swallowed up by the bureaucracy, which under the shadow of his name conducts well or ill the effective business of government." Auch in Deutschland gebe es eine effektive Bürokratie, die den Kaiser jedoch nicht beherrschen würde: „William II. is a king who rules as well as reigns." 95 Noch weiter ging der Observer. In kritischer Weise stellte er fest, daß die persönliche Macht 85
Liverpool Daily Post, 16.6.1913, S. 6. Daily Express, 16.6.1913, S. 4, vgl. Chronicle, 17.6.1913, S. 6; Telegraph, 16.6.1913, S. 13. 87 Β'ham Post, 16.6.1913, S. 6, vgl. Irish Independent, 17.6.1913, S. 4. 88 Daily Mail, 27.4.1912, S. 4. 89 Vgl. Glasgow Herald, 8.2.1912, S. 8. 90 Times, 14.6.1913, S. 9, vgl. Observer, 15.6.1913, S. 10. " Vgl. Guardian, 14.6.1913, S. 10: „[...] the army is the pivot of his politics". n Daily Express, 14.6.1913, S. 6. 93 Vgl. Times, 14.6.1913, S. 9: „He believes that he holds his Crown by Divine right, as Divine right was understood by the Bourbons and by the Stuarts". 94 Vgl. Eyck, Erich: Das Persönliche Regiment Wilhelms II., Politische Geschichte des Deutschen Kaiserreiches von 1890-1914, Zürich 1948, Härtung, Fritz: Das persönliche Regiment Wilhelms II., Berlin 1952. 95 Daily News, 16.6.1913, S. 6. 86
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und die Initiative des Kaisers „are still by far the strongest factors in the German political system." 96 In Verbindung mit seiner Popularität ergibt sich daraus ein Schluß, der aus der Perspektive der Nachkriegszeit überraschen kann. Die Birmingham Daily Post schrieb: „[...] nothing now is in the least likely to depose him [Wilhelm] from that position. A successful war could hardly leave him more securely installed as the leader of his people; an Imperial disaster could hardly destroy the halo of quasi-sanctity which 97
surrounds him." Auch der Observer glaubte „[William] has not parted with one jot of his power, and in some ways holds it in a more tenacious grip than ever." 98 Bedenkt man, wie „sang- und klanglos" der Kaiser 1918 abdanken mußte, so erscheint es erstaunlich, daß diese Äußerungen fielen. Bei einer Berücksichtigung der Länge und Härte des Krieges kann die Veränderung der politischen Lage in Deutschland aber nicht verwundern. Die zukünftigen Entwicklungen konnten 1913/14 nicht abgesehen werden. Für die englische Presse war zu diesem Zeitpunkt klar, daß der Kaiser sehr fest im Sattel saß und ein baldiges Ende seiner Macht weder in Sicht noch wünschenswert sei. 99 Für die Berichterstattung über das Thronjubiläum ist festzustellen, daß es entgegen den Erwartungen nicht zu einer befangenen Darstellung des Kaisers aus Gründen der Höflichkeit kam. Dies trifft dafür in größerem Umfang auf die kaiserlichen Geburtstage zu. Zwar deutlich weniger umfangreich, aber dennoch sehr aufmerksam, berichteten sowohl Tages- als auch Wochenzeitungen über diese. 100 Die Lobpreisungen gingen dabei wesentlich weiter als beim Thronjubiläum. So scheute sich Lucien Wolf nicht zu behaupten: „[...] there never was a life more truly admirable". Der Autor dieses Artikels betonte, daß die Sicht von der mailed fist des Kaisers völlig verfehlt sei. Vielmehr sei er „a very excellent Pacifist". Noch nicht einmal die Ablehnung der Sozialisten ihm gegenüber sei verdient: „[...] his Majesty himself is a very good Socialist."101 Gerade vor diesem Hintergrund ist es um so bedeutender, daß die Journalisten ihre Meinung ansonsten eben nicht zurückhielten. Vielmehr kritisierten sie den Kaiser, wo es in ihren Augen gerechtfertigt war. Umgekehrt überwog die positive Charakterisierung seiner Person als Mensch, als friedliebender Monarch und als Freund Englands. Daß er das Königreich sehr schätzte, wurde nicht bezweifelt und „no one will question his title to be a great ruler" 102 . Diese überwiegend positive Einschätzung des deutschen Monarchen spiegelt sich auch in der Vorkriegsliteratur wider. Deutschland wurde zwar wiederholt als möglicher 96
Observer, 15.6.1913, S. 10. Β'ham Post, 16.6.1913, S. 6. 98 Observer, 15.6.1913, S. 10. 99 Vgl. Daily News, 10.1.1914, S. 6. 100 Vgl. Western Mail, 29.1.1912, S. 4; People, 28.1.1912, S. 12; Lloyd's, 28.1.1912, S. 2; Sketch, 30.1.1913, S. 8f; Observer, 28.1.1912, S. 9f; Telegraph, 28.1.1912, S. 11. 101 Graphic, 27.1.1912, S. 4. 102 Reynolds's, 15.6.1913, S. 1, vgl. Daily Express, 16.6.1913, S. 4. 97
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Bösewicht dargestellt, diese Sicht ist aber bei weitem nicht die alleinige. So schrieb der außerordentlich deutschlandkritische Journalist Wile von der Daily Mail anläßlich des Thronjubiläums ein fast schon verherrlichendes Buch über Deutschland: „Weder eine frühere noch eine moderne Regierung weist eine so imponierende Entwicklung eines Volkes zu Einfluß und Macht auf." Das Reich Wilhelms befinde sich auf dem Gipfel nationaler Größe und sei führend in Wissenschaft, Kultur und Industrie. Was die Zukunft auch noch bringen möge, „hat der Kaiser doch ein Vierteljahrhundert friedlich regiert, ruhmreich durch die Errungenschaften einer durchgeistigten und emsigen Kulturarbeit."103 Im Unterschied zur häufig negativen Darstellung Wilhelms in Karikaturen104, sind die schriftlichen Äußerungen für den Untersuchungszeitraum überwiegend positiv. Dies ist auf der einen Seite auf die international relativ ruhigen Verhältnisse zurückzuführen, andererseits eignen sich positive Karikaturen weitaus weniger als negative Darstellungen, um die Aufmerksamkeit von Lesern zu erlangen. Ein wesentlicher regionaler Unterschied ist darüber hinaus ebenfalls nicht festzustellen. Dasselbe gilt auch für die Äußerungen innerhalb des untersuchten Zeitraumes. Der Aussage Grenvilles ist demnach zuzustimmen: „Before the war the Kaiser was certainly not viewed by the British public as an ogre who meant harm to the Empire he admired so much."105
2. Das Kaiserreich Ebenso wie für Wilhelm II. zeigten die Zeitungen auch großes Interesse an seinem Reich. Vor allem das Militär, aber auch der Staat an sich wurden aufmerksam beobachtet. Die Forschung konnte sich nicht auf eine einheitliche Meinung bezüglich des Standes der deutsch-britischen Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg einigen. Es wurde von einer Verschärfung des deutsch-englischen Antagonismus vor dem Ersten Weltkrieg gesprochen. Bei Niedhart heißt es sogar, daß sich Deutschland und Großbritannien „vor 1914 im Zustand des ,trockenen Kriegs'" 106 befunden hätten. Das Marinewettrüsten wurde dabei als eine der wesentlichen Ursachen für den Ausbruch des Krieges gesehen107, nicht zuletzt, weil andere Reibungspunkte weitgehend fehlten.108 103
Wile, Frederick: Rings um den Kaiser, Berlin "1913, S. 6, vgl. S. 5. Vgl. Rebentisch, Gesichter, S. 174f. 105 Grenville, John: Imperial Germany and Britain: From Cooperation to War, in: Birke, Adolf/Recker, Marie-Luise (Hg.): Das gestörte Gleichgewicht. Deutschland als Problem britischer Sicherheit im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Upsetting the balance. German and Britisch [sic!] Security Interests in the nineteenth and twentieth Century, München, London, New York u.a. 1990, S. 81-95, hier S. 86. 106 Niedhart, Geschichte Englands, S. 143. 107 Vgl. Sanders/Taylor, Propaganda, S. 22, Metz, Presse, S. 123, Joll, Ursprünge, v.a. S. 104-113, Keegan, First World War, S. 19, Niedhart, Geschichte Englands, S. 143, Marder, Arthur: From the Dreadnought to Scapa Flow. The Royal Navy in the Fisher Era, 1904-1919, 5 Bände, London 1961-1970, Bd. 1, S. 431 104
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Gegen diese Sichtweise in der Forschungsliteratur wurde bereits Widerspruch laut. Robert Massie stellte die These auf, daß auf den britischen Inseln „ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit die Aufregung früherer Jahre über die deutsche Herausforderung zur See verdrängt"109 hatte. Dies habe vor allem daran gelegen, daß seit 1909 der Vorsprung der Royal Navy auf die deutsche Marine kontinuierlich zunahm. England habe das Wettrüsten lange vor Kriegsausbruch auch ohne formlichen Vertrag de facto für sich entschieden.110 Trotz vorangegangener Konflikte wurde hier von einer spürbaren Verbesserung der Beziehungen ausgegangen.111 Festgemacht wurde dies vor allem an Äußerungen von Politikern, wie Lloyd George112, oder am Abschluß des deutsch-englischen Abkommens über die portugiesischen Kolonien." 3 Es stellt sich daher die Frage, wie deutsche Marine und Armee in den Monaten vor dem Krieg tatsächlich gesehen wurden.
2.1 Die Berichterstattung über das deutsche Militär 2.1.1 Die Marinepolitik Ein Schwerpunkt der Literatur in der Auseinandersetzung mit dem Kaiserreich ist die Betrachtung des Militärs. Auch hinsichtlich der Beziehungen zum Vereinigten Königreich nimmt es eine zentrale Stellung ein. Aufgrund der geographischen Lage stand dabei aus zeitgenössischer britischer Sicht die Berichterstattung über die deutsche Marine im Mittelpunkt. Traditionell betrachtete das Vereinigte Königreich seine maritime Überlegenheit als Lebensnotwendigkeit. Daher wurde der Aufbau der deutschen Flotte zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Bedrohung und Herausforderung empfunden. Besonders auf dem Ge-
und 432: „[...] the naval rivalry did not cause the war; but it ensured that when war did break out, Great Britain would be on the side of Germany's enemies." 108 Vgl. Grenville, Imperial Germany, S. 85. 105 Massie, Schalen des Zorns, S. 721. 110 Vgl. Massie, Schalen des Zorns, S. 722, Berghahn, Volker: Sarajewo, 28. Juni 1914. Der Untergang des alten Europa, München 1997, S. 80, Schröder, England, S. 118, Joll, Ursprünge, S. 111. 111 Vgl. z.B. Hillgruber, Andreas: Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege, Göttingen 1979, S. 40, Haffner, Todsünden, S. 31f, Schmitt, Bemadotte: The Origins of the First World War, London, Reading, Fakenham 1958, S. 5, Tumer, Leonard: Origins of the First World War, London 1970, S. 78, Ferguson, Pity, S. 70, Massie, Schalen des Zorns, S. 723-727. 112
Vgl. Pari. Deb. 65 (1914), Sp. 727, Lloyd George am 23.7.1914. Siehe auch Hazlehurst, Politicians, S. 61, 111.
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Nach jahrelangen Verhandlungen einigten sich Deutschland und England in der ersten Jahreshälfte 1914 über eine mögliche Aufteilung der portugiesischen Kolonien, sollte dies aufgrund finanzieller Schwierigkeiten dieses Landes nötig werden. Der Vertrag wurde noch kurz vor Kriegsausbruch unterzeichnet, durch die weitere Entwicklung wurde aber die Ratifikation hinfällig. Vgl. hierzu Langhome, Richard: AngloGerman Negotiations concerning the future of the Portuguese Colonies, 1911-1914, in: Historical Journal 16(1973), S. 361-387.
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biet der Großkampfschiffe kam es zu einem intensiven Wettrüsten, wobei sich die Briten darum bemühten, den two power standard114 aufrecht zu erhalten. Einen Höhepunkt erreichte die Konfrontation 1908/09 aufgrund der deutschen Marinevorlage. Zu dieser Zeit waren die deutsch-englischen Beziehungen auf politischer und emotionaler Ebene besonders angespannt." 5 Es gab sogar Befürchtungen, daß die Engländer die deutsche Herausforderung zur See durch einen militärischen Präventivschlag gewaltsam beenden wollten, wie sie es 1807 gegen Dänemark praktiziert hatten.116 Während des Untersuchungszeitraumes stellte beispielsweise die Daily Mail ein derartiges Vorhaben in Abrede." 7 Umgekehrt schürte aber die Evening News die Emotionen mit der Aussage, daß England zwar nicht in der Lage sei, Deutschland zu Lande anzugreifen, aber: „[...] if she wanted to smash her neighbour on the sea the time for such a move would obviously be the present."118 Daran besonders hervorzuheben ist, daß beide Blätter aus demselben Zeitungskonsortium stammten. Da die Aussagen noch nicht einmal zeitlich besonders weit voneinander getrennt sind, mußte ihre Glaubwürdigkeit aus deutscher Sicht um so mehr leiden. So ist es nicht verwunderlich, daß das Wettrüsten eine starke Belastung der deutschbritischen Beziehung bedeutete. Der langjährige englische Premier und Minister Lloyd George behauptete nach dem Krieg, der Aufbau der deutschen Flotte sei für den Ersten Weltkrieg mitverantwortlich gewesen. Außerdem habe dies dazu beigetragen, daß sich Großbritannien auf der Seite der Gegner Deutschlands eingereiht habe: „The blustering zeal which he [the Kaiser] threw into the building of his redoubtable navy was regarded as a threat not only to Britain's supremacy at sea but to her actual security."119 Wie groß die Aufmerksamkeit fur die deutsche Marine war, zeigt, daß jede kleine Änderung, die bekannt wurde, sofort eine Meldung wert war. Ob ein neues Schiff vom Stapel lief120, ein deutsches Schiff eine Kollision hatte121 oder ob der Ausbau des Marinestützpunktes Helgoland fortschritt122, die Korrespondenten berichteten an das Mutterblatt.123 Dabei waren die Stellungnahmen auch kritischer Zeitungen keineswegs immer
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Der two power standard bezeichnet die englische Maxime, daß die eigene Kriegsmarine stärker sein sollte als die beiden nachfolgenden Seestreitkräfte zusammen. 115 Vgl. Ferro, Marc: The Great War 1914-1918, London 1973, S. 20, Schröder, England, S. 29, Liverpool Daily Post. 17.10.1912, S. 6. 116 Vgl. z.B. Baumgart, Imperialismus, S. 30, Charmley, John: Splendid Isolation? Britain and the balance of power 1874-1914, London 1999, S. 315. 117 Vgl. Daily Mail, 27.5.1912, S. 4: „The false assertion that the British Fleet planned last year a treacherous attack on the German Navy is now known". 118 Evening News, 7.11.1912, S. 4. 1 " Lloyd George, War Memoirs, Bd. 1, S. 7. 120 Vgl. z.B. Times, 16.6.1913, S. 7, 23.2.1914, S. 7. 121 Vgl. Times, 10.12.1913, S. 7. 122 Vgl. Daily Mail, 8.9.1913, S. 5. 123 Vgl. Times, 6.8.1913, S. 5, 9.2.1914, S. 5, 21.2.1914, S. 8, 23.2.1914, S. 7; Daily Mail, 24.11.1913, S. 10, 20.4.1914, S. 8; Chronicle, 23.1.1914. S. 1; Telegraph, 5.8.1913, S. 9.
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negativ. So betrachtete ausgerechnet der konservative Observer die deutsche Marine als „one of the greatest achievements of its kind in history" 124 . Den Schwerpunkt in Großbritannien nahm eine andauernde Diskussion um den Marineetat der Royal Navy ein. Dabei sind zwei Fraktionen zu unterscheiden. Die konservative Zeitungsgruppe sprach sich mehrheitlich für eine weitere Aufrüstung aus, während der größte Teil der Liberalen für eine maßvolle Ausgabenpolitik plädierte. Hauptargument für die weitere Bewaffnung war die britische Sicherheitslage. Churchill drückte dies wie folgt aus: „The vital importance of our security on the seas is a doctrine which can never be preached too often." 125 Auf diese Aussage des führenden liberalen Marineexperten konnten sich die Konservativen berufen, wenn die deutsche Politik als herausfordernd dargestellt wurde. Besonders der Daily Telegraph tat sich dabei hervor. Nicht allein der Schutz von Handel und Schiffahrt sei deutsche Maxime, sondern „to raise the naval position of the Empire to such a degree that she will be too formidable, as a maritime enemy, to be lightly challenged by the greatest naval Powers." 126 Die Einschätzung, daß die Briten nichts von der Risikoflotten-Theorie des deutschen Marineministers gewußt hätten127, ist demnach falsch. Die Verfechter einer starken britischen Marine scheuten sich nicht vor verzerrender Darstellung. So wurde in der Daily Mail unter Verweis auf Lord Roberts festgestellt, daß Deutschland nach Fertigstellung seiner Pläne „in the near future" über 29 Dreadnoughts verfügen würde. Dem könne Großbritannien zum momentanen Zeitpunkt nur 27 gegenüberstellen. 128 Die Bauquote der Briten bis zum Zeitpunkt der deutschen Fertigstellung blieb dabei außen vor. Derartige verfälschende Vergleiche stießen Premierminister Asquith bereits Anfang 1911 sauer auf: „This is most misleading, as it is not explained that the German figures includes a year's programme in advance of the English one." 129 Keine Diskussion gab es über die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Seesuprematie Großbritanniens. 130 Deren Gefährdung wurde als nicht hinnehmbar betrachtet: „Her insular position, the nature of her food supply, the dispersion of her Empire, and her enormous oversea trading and shipping interests make that principle paramount. Its maintenance [of the supremacy at sea] is the first necessity of our existence as a na124
Observer, 15.6.1913, S. 10, vgl. Times, 14.6.1913, S. 9. Times, 19.7.1913, S. 9. 126 Telegraph, 1.12.1913, S. 11, vgl. Glasgow Herald, 21.3.1912, S. 8; Guardian, 21.3.1912, S. 6. 127 Vgl. French, David: Spy Fever in Britain, 1900-1915, in: Historical Journal, 21,2 (1978), S. 355-370, hier S. 355, Marder, Dreadnought, Bd. 1, S. 106-122. 121 Vgl. Daily Mail, 27.6.1912, S. 6. 129 OBL, Mss. Asquith 24, 2, undatierte Notizen Anfang 1911, vgl. OBL, Mss. Asquith 24, 1. 130 Vgl. z.B. Glasgow Herald, 3.2.1914, S. 8, 5.2.1914, S. 8, 18.3.1914, S. 8; Irish Independent, 23.7.1912, S. 4; Graphic, 13.3.1912, S. 4, 17.7.1912, S. 4; Chronicle, 19.3.1912, S. 4; Daily Express, 3.4.1912, S. 4; Daily Mail, 13.3.1912, S. 4; Telegraph, 17.5.1912, S. 10; B'ham Post, 10.2.1912, S. 8; Evening Express, 10.2.1912, S. 4,11.7.1914. S. 2; Westminster Gazette, 20.10.1913, S. 1,18.9.1912, S. 1; Irish Times, 16.10.1912, S. 6. 125
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tion"131. Eine starke Flotte „keeps the peace as neither umbrella no[r] mackintosh can avert rain."132 In diesem oder ähnlichem Sinne äußerte sich die gesamte konservative Blätterwelt in zahllosen Artikeln.133 Selbst der ansonsten germanophile Daily Graphic stimmt dem zu. Im Rahmen der naval holidaym wurden Churchills Vorschläge als „idotic" bezeichnet: „If the Germans choose to try and rival us, our business is not to complain but to build more."135 Großbritannien dürfe keine Schwäche zeigen, da dies Deutschland nur noch mehr anspornen würde. Eine stärkere deutsche Marine würde keineswegs zu einem besseren Verhältnis zu Großbritannien fuhren, wie es der deutsche Staatssekretär des Reichsmarineamtes Tirpitz angenommen hatte.136 Auch der liberale Manchester Guardian hielt diese Sicht für „a dangerous doctrine"137. Die konservativen Zeitungen griffen darüber hinaus die Politik der liberalen Regierung Asquith wiederholt scharf an. Die Ausgabenbeschränkungen seien „a policy of despair, a policy of ruins."138 Lloyd George würde nur wirtschaftlich denken, wo die Verteidigung der Nation betroffen sei.139 Der Telegraph warf der Regierung die Gefahrdung der Sicherheit des Landes vor, da Armee und Marine mehr Geld benötigen würden.140 Dies war auch die Schlußfolgerung verschiedener Hochrechnungen der zu erwartenden Flottenstärken. Bei der momentanen Konstruktionsrate käme Großbritannien mit 57 Dreadnoughts im Jahre 1920 dem Ziel eines Verhältnisses von 2:1 gegenüber Deutschland keineswegs nahe. Bestenfalls sei dann ein Verhältnis von 3:2 erreicht. In Anbetracht der Baurate Österreichs, Italiens und - erstaunlicherweise - sogar des Bündnispartners Japan, würde dies für Großbritannien bedeuten, im Konfliktfall kein einziges Großkampfschiff in Heimatgewässer verlagern zu können.141 Dies stelle eine elementare Bedrohung des Empires dar. Deshalb setzte die Yorkshire Post auf das Prinzip der Abschreckung: „[...] it is the duty of the nation to make preparations for war, in order that peace may be secured"142. Dies galt nicht nur in außenpolitischer Sicht. Für den Fall einer militärischen Konfrontation und einer eventuellen Niederlage seien sämtliche 131
Telegraph, 1.12.1913, S. 11, vgl. Graphic, 22.11.1913, S. 4, 13.3.1914, S. 4. Telegraph, 13.1.1914,S. 11. 133 Vgl. Telegraph, 5.8.1913, S. 9, 7.11.1913, S. 11; Daily Mail, 20.10.1913, S. 8; Times, 9.7.1913, S. 6; John Bull, 29.11.1913, S. 804; Daily Express, 21.1.1914, S. 4,23.1.1914, S. 4, 18.3.1914, S. 1, 9. 132
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Das „Flottenfeierjahr" (naval holiday) sah einen Baustop für deutsche und englische Großkampfschiffe fur die Dauer von einem Jahr vor. Dies wurde als möglicher erster Schritt hin zu einer deutsch-englischen Marinekonvention und dauerhaften Rüstungsbeschränkungen gesehen, gelangte aber nie zur Ausführung.
135
Graphic, 22.11.1913, S. 4, vgl. 13.3.1914, S. 4; Daily Express, 20.10.1913, S. 6. Vgl. Daily Express, 20.10.1913, S. 6; Daily Mail, 23.2.1914, S. 8; Observer, 16.11.1913, S. 15. '"Guardian, 26.2.1914, S. 8. 136
138
Daily Express, 6.8.1913, S. 4, vgl. Glasgow Herald, 13.1.1914, S. 6.
139
Vgl. Graphic, 23.1.1914, S. 4: Lloyd George „only becomes economical where the defence of the nation is concerned." 140 Vgl. Telegraph, 4.2.1914, S. 10 und bereits 20.10.1913, S. 10. 141
Vgl. Observer, 19.5.1912, S. 10.
142
Yorkshire Post, 19.2.1912, S. 6, vgl. 19.3.1912, S. 6, 25.3.1912, S. 6.
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Sozialreformen der letzten Jahrzehnte in Gefahr.143 Als besonders nachdrücklich erwies sich die Western Mail in ihrer Forderung nach einer starken Marine: Churchill „absurdly exaggerated terms of the efficiency of the provision which has been made for naval defence." 144 Hinsichtlich der Verantwortung für den Rüstungswettlauf wurden keine Zweifel offengelassen: „The Germans have, however, made an important and aggressive move by greatly increasing the normal effectiveness of their Navy, a step which necessitates retaliatory precautions on our part."145 Auch wenn die Völker beider Länder sich nicht feindlich gesonnen seien, gelte für die Marinepolitik: „Ever since 1900 Germany has been the aggressor."146 Auch ein Teil der Liberalen stützen die Sicht einer aggressiven deutschen Politik. So vertrat die News of the World die Ansicht: „Germany sets the pace."147 Dabei erregten nicht nur die absoluten Zahlen der vorhandenen deutschen Schiffe die Aufmerksamkeit. Im Blickpunkt stand auch der permanente Zustand von vier Fünftel der deutschen Flotte auf Kriegsniveau. Dem müsse um jeden Preis begegnet werden.148 Marinefragen seien eine Frage von Leben und Tod. Etwas eigenartig wirkt dabei jedoch die Forderung, daß das Land in der Lage sein müsse, jeden Angriff selbst im ungünstigsten Fall aus eigener Kraft abwehren zu können.149 Damit wurde zwischen den Zeilen Deutschland quasi das Recht auf eine eigene Bautätigkeit abgesprochen. Auch die schottischen Zeitungen ließen hinsichtlich der Seeherrschaft keine Fragen offen. So sei das Vereinigte Königreich zur Wiederherstellung der freundlichen Beziehungen zu Deutschland zu manchen Konzessionen, beispielsweise in Afrika, bereit: „But one thing we cannot and will not concede. In respect of maritime power Great Britain must retain the pre-eminence that has never been challenged since Trafalgar."150 Auch hier wurde Deutschland als die treibende Kraft angesehen.151 Besonders sicher in der Deutung historischer Ereignisse meinte der Evening Express zu sein: Was vor dem deutsch-französischen Krieg durch Moltke und Roon für die Armee geleistet wurde, sei nun für die deutsche Marine in Planung, Wachsamkeit deshalb unabdingbar.152 Der Wunschvorstellung des Observer entsprach der 16:10 Standard, also die 60prozentige Überlegenheit der britischen Marine in der Nordsee. Die Überseeflotte sollte unberücksichtigt bleiben. Als Grund dafür nannte die Sonntagszeitung ein historisches Beispiel: Zu Zeiten Napoleons hätte die britische Marine auf dem Papier eine Überle143
Vgl. Yorkshire Post, 24.7.1912, S. 6.
144
Western Mail, 19.3.1912, S. 4, vgl. 18.5.1912, S. 6, 18.7.1912, S. 4, 26.12.1912, S. 4, 14.3.1913, S. 4.
145
Western Mail, 1.1.1913, S. 4.
146
Glasgow Herald, 17.10.1912, S. 8.
147
News of the World, 30.6.1912, S. 8, vgl. Glasgow Herald, 19.3.1912, S. 6; Irish Times, 13.3.1912, S. 4. Vgl. Times, 24.7.1912, S. 7; News of the World, 19.5.1912, S. 8.
148 149
Vgl. News of the World, 30.6.1912, S. 8, vgl. 28.7.1912, S. 8f.
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Evening Express, 12.2.1912, S. 2, vgl. 13.3.1912. S. 2.
151
Vgl. Evening Express, 23.7.1912, S. 2. Vgl. Evening Express, 6.8.1913, S. 2.
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genheit von 60 Prozent über die gegnerische Koalition gehabt. Bei der Schlacht von Trafalgar sei dieses Verhältnis dennoch genau umgekehrt gewesen. Ein solches Risiko dürfe nicht mehr eingegangen werden. 153 Der dezidierte Kurs des Observer in Marinefragen ist dabei vor dem Hintergrund des engen Verhältnisses des Herausgebers Garvin mit dem langjährigen Ersten Seelord, Admiral John Fisher zu sehen. Von diesem erhielt er mehrfach vertrauliche oder sogar geheime Informationen. 154 Bestens informiert zeigte sich auch Lord Northcliffe. In einem Brief an Churchill beschwerte er sich über die Bitte, aus der britischen Botschaft in Berlin Informationen zurückzuhalten: ,At the request of the British Embassy in Berlin I am holding back news about the German naval scheme. I do not like doing this sort of thing, and I consider that an Ambassador takes great responsibility upon himself in making such a request." 155 Besonderes Wohlwollen erweckte der Vergleich Churchills hinsichtlich der Notwendigkeit einer Marine für beide Länder. Für Deutschland sei die Flotte „luxury", für Großbritannien „necessity": „[...] Our naval power involves British existence. It is existence to us; it is expansion to them." 156 Außerdem würde sich fur Deutschland ohne Flotte nichts Wesentliches ändern: „If she had not a single battleship she would still be the dominant Power in Europe." 157 Auch Premierminister Asquith betonte in seinen Memoiren, daß eine zu starke deutsche Flotte eine potentielle Bedrohung für das Königreich darstellte. 158 Der Daily Express verdeutlichte dies mit Hinweis auf die Abhängigkeit des Inselreiches von seinen überseeischen Besitzungen. Dennoch wurde das Selbstbestimmungsrecht Deutschlands grundsätzlich anerkannt - zumindest nach außen: „[...] we have no wish to dictate to her [Germany] what her naval armaments shall be." 159 Jedes Land habe das Recht, so viel zu rüsten, wie es zur Aufrechterhaltung seiner Sicherheit als notwendig erachte. 160 Die Konsequenzen folgten jedoch auf der Hand: „Our freedom, commerce, and food depend upon our warships and their efficiency. If Germany chooses to go on well we shall go on also. If it cost us the last shilling and the last man, we dare not to fall behind." 161 Die britischen Rüstungen seien dabei keinesfalls als Bedrohung für das Fatherland, wie Deutschland häufig genannt wurde, zu verstehen, sondern reiner Selbstschutz.162 Außerdem, so eine weitere Argumentationsschiene, sei es nicht nur Deutschland, vor dem Großbritannien gewappnet sein müsse. Mit Österreich und Italien gebe es noch 153
Vgl. Observer, 15.12.1912, S. 10. Vgl. Ayerst, Garvin, S. 80. 155 BL. Mss., Northcliffe Papers, Add. 62156/39, Northcliffe an Churchill am 1.8.1912, vgl. ebd., Add. 62156/34-36 vom 11.4.1913. Northcliffe pflegte Churchill mit „My dear Winston" anzusprechen. 156 Observer, 11.2.1912, S. 8, vgl. Mirror, 10.2.1912, S. 4. 157 South Wales Daily News, 23.7.1912, S. 4, vgl. Evening News, 23.7.1912, S. 4. 158 Vgl. Asquith, Genesis, S. 124-127. 159 Glasgow Herald, 30.1.1912, S. 6. 160 Vgl. Telegraph, 12.2.1912, S. 10; Observer, 25.5.1913, S. 12; Times, 9.2.1912, S. 9. 161 Daily Express, 18.1.1912, S. 4. 162 Vgl. Daily Express, 20.5.1912, S. 6, 13.3.1912, S. 4; Times, 18.3.1912, S. 9. 154
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andere Länder, deren Stärke zu berücksichtigen sei. 163 Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, daß diese beiden Länder nicht besonders gut aufeinander zu sprechen seien und die Bauprogramme mehr gegeneinander als füreinander gedacht seien. 164 Das britische Empire müsse zudem nicht nur in den Heimatgewässern und im Mittelmeer präsent sein, sondern auf allen Weltmeeren. 165 In der engen Verbindung mit Frankreich und den Absprachen bezüglich des Mittelmeeres wurde kein Grund gesehen, die eigene Bautätigkeit einzuschränken: „[...] no prudent man in private life would leave the protection of his honour to another, and though France's friendship is welcomed, we must provide for our own safety." 166 Fast schon amüsant ist dabei der Hinweis der pro-französischen Evening News: „France is not even our ally. She is our very good friend, with whom we have a cordial understanding, but it is commonly understood that this understanding is based upon the fact that we have, or are supposed to have, a supreme Navy, while France has a great and splendidly organised army." 167 Außerdem müsse ein eventueller Truppentransport in jeden Teil des Empires gesichert werden können: „In other words, we need an Imperial Squadron, a Mediterranean Squadron, and a North Sea Fleet." 168 Da die deutsche Regierung keine Rücksicht auf die Briten nehme, gebe es dazu auch umgekehrt keinen Anlaß. Es wurde bereits von den Zeitgenossen darauf hingewiesen, daß Deutschland nicht allein die britische Marine berücksichtigen müsse. Besonders auf die Ankündigung Rußlands, die deutsche Marine überflügeln zu wollen, wurde mit Verständnis fur den deutschen Schiffbau reagiert. 169 Rußland werde 1912 wahrscheinlich sogar mehr Geld für seine Flotte ausgeben als Deutschland. 170 Aus dessen forciertem Bauprogramm ergebe sich für das Kaiserreich die Gefahr eines Zweifronten-Krieges zu Lande und zu Wasser. 171 Als Konsequenz daraus könne Deutschland gar kein bilaterales Abkommen mit Großbritannien in Marinefragen schließen. Wenn überhaupt, dann sei so etwas nur unter Beteiligung zumindest sämtlicher europäischer Großmächte auf internationaler Ebene möglich. Unverständnis über die undifferenzierte Betrachtung der deutschen und französisch-russischen Aufrüstung zur See äußerte die Daily News. Diese seien bis vor kurzem als Hauptbedrohung Groß-
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Vgl. Daily Mail, 10.1.1913, S. 4. Vgl. Glasgow Herald, 20.10.1913, S. 8; Observer, 21.1.1912, S. 8. 165 Vgl. Telegraph, 13.1.1914, S. 11; Daily Express, 6.8.1913, S. 4,11.7.1912, S. 4; Daily Mail, 8.10.1913, S. 9; Β'ham Post, 20.10.1913, S. 6; Chronicle, 27.3.1913, S. 6; Daily News, 16.2.1912, S. 6. 166 Scotsman. 21.10.1913, S. 6. 167 Evening News, 11.6.1912, S. 4. 168 Glasgow Herald, 15.3.1913, S. 8. 169 Vgl. Sketch, 15.8.1912, S. 6; Scotsman, 5.7.1912, S. 6; Westminster Gazette, 19.3.1912, S. 1; South Wales Daily News, 6.7.1912, S. 6; Chronicle, 8.7.1912, S. 6, 5.2.1914, S. 6: „[...] there can be no doubt that the increase in the Russian Baltic fleet has a real bearing on German shipbuilding; and it is too often overlooked in this country that Russian naval expenditure has actually gone ahead of German." 170 Vgl. Chronicle, 1.4.1912, S. 4. 171 Vgl. Glasgow Herald, 22.6.1912, S. 8. 164
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britanniens betrachtet worden. Obwohl die Wachstumsrate dieser Flotten größer sei als die deutsche, spiele dies keine Rolle mehr: „The reason for the change is that we have substituted an understanding with for hostility to France and Russia. When we have done the like with Germany we shall in like manner cease to look upon the German 172 fleet as a menace and the Germans to look upon the British fleet as a menace." Dagegen wies die Times darauf hin, daß der two power standard unbedingt aufrechterhalten werden müsse. Noch 25 Jahre zuvor seien Frankreich und Rußland die entscheidenden Faktoren gewesen. Niemand hätte damals damit gerechnet, daß sich die Situation innerhalb so kurzer Zeit dahingehend verändern würde, daß Deutschland zu einer bestimmenden Einflußgröße würde. Dennoch ändere sich damit nichts an britischen Vorgaben. 173 Eine dezidiert opponierende Stellung bezog der Großteil der liberalen Zeitungen gegenüber den konservativen Anhängern einer massiven Flottenrüstung. Bei einer Gegenüberstellung der Ausgaben der beiden Hauptkonkurrenten betonte der Daily Chronicle, daß Deutschland im Vergleich weit weniger Geld für die Flotte ausgebe als Großbritannien. Am ungünstigsten für England war das Verhältnis demzufolge in den Jahren 1909/10. Dennoch habe das deutsche Marinebudget zum Höhepunkt der naval scare nur 56 Prozent der englischen Ausgaben betragen. In den anderen Jahren seit Beginn des deutschen Flottenbaus sei es meist weniger als die Hälfte, teilweise nur ein Drittel gewesen. 174 Folgerichtig wurde erklärt, daß Deutschland trotz hoher Militärausgaben „cannot be charged with making the pace on the naval side." Dies sei mittlerweile selbst in Großbritannien so offensichtlich geworden, daß „the British advocates of naval expansion are driven from their old field, the German peril, to find new perils elsewhere." 175 Selbst Rußland gebe im Jahr 1913 mehr für seine Marine aus als Deutschland. 176 Hinsichtlich der italienischen und österreichischen Rüstungsbestrebungen fragte die Daily News „what does their shipbuilding matter to us if we have the friendship of Germany?" 177 Früher habe es geheißen, Deutschland würde bis 1912 25 Dreadnoughts gebaut haben. Tatsächlich seien es dann nur neun gewesen. 178 Genau demselben Schema folge die Panikmache in diesem Jahre, um die Aufrüstung weiter voranzutreiben: „The plain fact of the matter is that every single statement made by our Admiralty in 1908 in regard to German shipbuilding has proved untrue." 179 Deshalb müsse der Panikmache und zunehmenden Verschwendung von Finanzmitteln ein Ende gesetzt wer-
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Daily News, 25.4.1912, S. 4. ' " V g l . Times, 18.3.1912, S. 9. 174
Vgl. Chronicle, 22.10.1913, S. 6.
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Chronicle, 25.11.1913, S. 6.
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Vgl. Chronicle, 10.2.1913, S. 6. Daily News, 1.1.1914, S. 3. Vgl. Daily News, 25.8.1913, S. 4. Star, 26.7.1912, S. 4.
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den.180 Auf weitere Forderungen der Marine könne es nur eine Antwort geben: ,An emphatic insistence upon a stern revision downwards."181 Dabei soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, daß die liberalen Zeitungen bereit waren, die britische Seeherrschaft zu gefährden. Selbst die so liberale Westminster Gazette akzeptierte dies als „sad necessity"182. Nichtsdestotrotz gab es eine Reihe von Stimmen, die sich maßvoll äußerten. So lehnte der Morning Leader kurz vor seiner Verschmelzung mit der Daily News die navy estimates der Regierung wegen der ohnehin großen Überlegenheit gegenüber Deutschland als übertrieben ab. Besonders bei den Kriegsschiffen der zweiten Linie sei Deutschland chancenlos unterlegen.184 Vom Star mußte sich selbst die britische Regierung schwere Vorwürfe anhören. So sei nicht Deutschland der Schrittmacher: „[...] we are setting the pace for Europe in 1 RS
naval armaments." Die neue Marinevorlage sei „largely, if not entirely, due to the anti-Germanism of our Foreign Office." Die Politik der liberalen Regierung wurde des Verrats an ihren eigenen Idealen und einer Politik „which is leading us swiftly and surely towards war with Germany"186 beschuldigt. Auch die South Wales Daily News trat klar für den Erhalt einer 60-prozentigen Überlegenheit der britischen Flotte ein. Da diese jedoch erreicht sei, gebe es keinen Grund für eine weitere „extravagance"187. Die scharfe Kritik beinhaltete auch die Warnung vor einer Belastung der deutsch-britischen Beziehungen durch das Rüstungsprogramm.188 Dabei ist zu beachten, daß sich derartige 1RQ Warnungen nicht nur auf einzelne Zeitungen beschränkten. Auch der Daily Chronicle und die Daily News sprachen sich gegen die herausfordernde Politik der Regierung und die Verschwendung finanzieller Resourcen aus: „Mr. Churchill's Navy Estimates represent not only financial disaster, but a revolution in British naval policy."190 Außerdem sei dies „the surest way to encourage a new German navy law". Bislang sei das deutsche Flottengesetz moderat und kein Grund zur Beunruhigung gewesen.191 Deshalb dürfe das Bauprogramm Churchills nicht umgesetzt werden, da es nicht „a 60 per cent superiority, but one of cent per cent."192 erstrebe. Im Zweifelsfalle besitze Großbritan-
180
Vgl. Daily News, 4.2.1914, S. 6, 5.2.1914, S. 6.
181
Daily News, 23.1.1914, S. 6. Westminster Gazette, 13.3.1912, S. 1, vgl. 23.7.1912, S. 1.
182 183 184 185 186
Vgl. Morning Leader, 13.3.1912, S. 4, 14.3.1914, S. 6. Vgl. Chronicle, 17.1.1912, S. 3. Star, 25.7.1912, S. 4, vgl. 6.6.1913, S. 4. Star, 23.7.1912, S. 4.
187
South Wales Daily News, 17.1.1914, S. 6.
188
Vgl. Star, 7.6.1913, S. 4.
189
Vgl. Chronicle, 11.3.1912, S. 6,23.7.1912, S. 6.
190
Daily News, 13.3.1912, S. 4. Vgl.Guardian, 8.3.1912, S. 8. Guardian, 16.5.1913, S. 6.
192
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nien ohnehin wesentlich größere Baukapazitäten für Großkampfschiffe: „[...] here is really no need for feverish haste, and every reason to take matters calmly."193 Zwar wurde von konservativer Seite massive Kritik an dieser Haltung laut, besonders der Manchester Guardian und die Cocoa Press der Cadburys - Daily News und Star standen im Kreuzfeuer der Rüstungsbefurworter.194 Dennoch waren diese maßvollen Stimmen so zahlreich, daß keineswegs davon gesprochen werden kann, daß die gesamte britische Presse - oder die öffentliche Meinung - hinter weiteren massiven Aufrüstungen zur See stand. Sehr unterschiedlich wurde der Vorschlag Churchills hinsichtlich einer naval holiday aufgenommen. Der Plan sah eine Einstellung des britischen Bauprogramms vor, sollte Deutschland seinerseits auf eine weitere Aufrüstung verzichten. Als „very appropriate" betrachteten liberale Zeitungen wie die Liverpool Daily Post den Vorschlag. Dies sei darauf zurückzufuhren, daß sich die Beziehungen der beiden Länder in letzter Zeit verbessert hätten. Allerdings sei dies nicht der allein ausschlaggebende Faktor. Auch andere Länder müßten mit einbezogen werden. Große Hoffnung auf Erfolg machte sich der Autor jedoch nicht: „[...] the ruling class in the German Empire is still dominated by the military idea, and until the pacific intentions of the mass of the people make a real impression on the minds of those in power, we fear that no serious step towards disarmament will be made."195 Ganz ähnlich sah die Westminster Gazette die Problematik. Dennoch sollte das Angebot am besten jedes Jahr wiederholt werden: „[...] what we have to guard against in all these suggestions is the reaction which comes from the feeling that they have been rejected and that their rejection is evidence of some deep-lying hostility to this country."196 Besonders die liberalen Zeitungen machten sich Hoffnungen auf eine positive Antwort aus Deutschland: „Our resources are ample. Our wealth is vast. We can keep our lead without laying a crushing load of taxation upon our people."197 Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wurde dieser Vorschlag rundheraus abgelehnt. Sollte es tatsächlich ernst gemeint sein, so wäre dies „most dangerous talk"198, da Deutschland dieses Verhalten nur als Schwäche Großbritanniens und als Ermutigung für weitere Bauten ansehen würde. Außerdem berge dieses Vorgehen Probleme hinsichtlich Frankreich und Rußland: „Our friends might regard that as grossly unfair and disloyal to them."199 In Frankreich werde dies genau so gesehen: „It is pointed out that Germany would be only too likely to devote the money saved on naval
193
Chronicle, 16.5.1912, S. 6. Vgl. Evening News, 11.3.1912, S.4,12.3.1912, S. 4. 195 Liverpool Daily Post, 20.10.1913, S. 6. 196 Westminster Gazette, 20.10.1913, S. 1. 197 Star, 27.3.1912, S. 4, vgl. Chronicle, 28.3.1913, S. 6. 1,8 People, 30.3.1913, S. 12. 199 People, 30.3.1913, S. 12, vgl. Scotsman, 22.10.1913, S. 8; Evening News, 20.10.1913, S. 4. 194
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expenditure to increasing her military preparations against France."200 Noch schlimmer bewertete es der extremistische John Bull. Er sah Großbritannien schon: „On the Knee!"201 Der Glasgow Herald befürchtete dagegen, daß als einziges Ergebnis die Mißverständnisse zwischen beiden Ländern wachsen würden. Insbesondere könnte der Eindruck entstehen, daß Großbritannien unter dem Druck der Rüstungsausgaben als erstes nachgeben könnte.202 Zum Vorschlag Churchills gab es eine klare Berichterstattung über die Presse nach Berlin. Sehr richtig meldete Kühlmann an den Reichskanzler, daß in der Presse bis auf die Daily Mail „ein vernünftiger und sachlicher Ton eingehalten worden"203 war. Insbesondere die liberale Presse, allen voran die regierungsnahe Westminster Gazette, „steht dem Gedanken einer internationalen Rüstungsbeschränkung auf vertraglicher Grundlage grundsätzlich sympathisch gegenüber und billigt deshalb im allgemeinen die Vorschläge des Ministers". Ebenso richtig berichtete Kühlmann über die vorwiegend ablehnenden Stimmen aus der konservativen Presse, wobei hier der Times besondere Aufmerksamkeit gezollt wurde. Nicht einverstanden war der Daily Express mit der Umsetzung des von Churchill vorgeschlagenen 16:10 Standards. England werde gegen Ende des Jahres 1914 nur 33 gegenüber 29 deutschen Schlachtschiffen haben. Dies sei keineswegs ein 60prozentiger Vorsprung: „The proposed battleship construction is lamentably insufficient."204 Außerdem sei dieselbe Überlegenheit auch bei kleineren Kriegsschiffen nötig, was ebenso nicht der Fall sei.205 Die Anerkennung dieses Verhältnisses durch Tirpitz in einer Reichstagsrede Anfang 1913 wurde folgerichtig nur bedingt begrüßt. Ohnehin „the hope of wearing down the naval resistance of the British Empire was obviously illusory."206 Zugleich wurde dieser Standard insgesamt in Frage gestellt. In Anbetracht der wachsenden Luftflotten und der überseeischen Verpflichtungen des Landes könne das 16:10 Verhältnis allein für die Nordsee gelten, nicht für die gesamten Flotten der beiden Länder. Die Daily Mail forderte darüber hinaus, daß das Verhältnis überdacht werden müsse, wenn der große Vorsprung der Royal Navy in den langsam aber sicher veraltenden pre-Dreadnoughts durch technischen Fortschritt schwinden sollte.207 Außerdem sollte die Bedeutung von Tirpitz' Aussagen nicht überbewertet werden: „It is not an offer in any sense. It is not an act but a speech", die trotz allem „deserves the closest attention."208 Ebenfalls zurückhaltend bewertete die Times diese Rede. Es seien 200
Irish Times, 22.10.1913, S. 6, vgl. Times, 3.1.1914, S. 8; Chronicle, 22.10.1913, S. 6; Graphic, 5.2.1914, S. 4. 201 John Bull, 31.3.1913, S. 761. 202 Vgl. Glasgow Herald, 29.3.1913, S. 8; Star, 28.3.1912, S. 4. 203 GP 39, Nr. 15580 vom 20.10.1913, S. 57, Kühlmann an Bethmann. 204 Daily Express, 23.7.1912, S. 4. 205 Vgl. Daily Express, 10.7.1912, S. 4. 206 Daily Express, 8.2.1913, S. 4. 207 Vgl. Daily Mail, 8.2.1913, S. 4; B'ham Post. 8.2.1913, S. 8. 208 Daily Mail, 10.2.1913, S. 4.
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noch nicht einmal Verhandlungen über ein Abkommen im Gange: „There is really nothing very new about the speeches, except the conciliatory spirit which they breathe and the circumstances in which they were made." Außerdem sei es ohnehin undenkbar, daß sich Großbritannien und Deutschland in Marinefragen dauerhaft die Hände binden ließen. Mehrheitlich sahen die Zeitungen die Äußerungen Tirpitz' jedoch positiv. Die Rede sei zwar tatsächlich nicht mit einer schriftlichen Vereinbarung gleichzusetzen, „but it is fantastic to imagine that a naval agreement will ever be embodied in a formal document."209 Jetzt blieben als einziges Problem noch die Dreadnoughts der britischen Kolonien: „If the Colonial Dreadnoughts are direct additions to the British fleet, available and used for precisely the same purposes as ships built out of British money, then we can hardly dispute the justice of Germany treating them as a raising of the ratio beyond 16 to 10." Selbst die News of the World, die sonst eher vorsichtig reagierte, begrüßte den Vorschlag der naval holiday. Allerdings wurde dies durch die erneute Befürchtung eingeschränkt, daß das freiwerdende Geld der deutschen Armee zugute kommen könnte.210 So war auch deutliche Kritik an der Ablehnung von Tirpitz' Stellungnahme zu hören. Besonders Garvin vom Observer mußte sich dies gefallen lassen. Die ganze Zeit sei eine Anerkennung der britischen Seeherrschaft durch Deutschland gefordert worden. Jetzt, da dies erfolgt sei, passe es wieder nicht. Ohne Rücksicht auf die „fire-eaters" solle deshalb bedacht gehandelt werden: „[...] we cannot afford to ignore a fair offer from Germany."211 Jede Möglichkeit zur Rüstungsbeschränkung sollte ergriffen werden. Noch wesentlich mehr Gewicht ließ der Star den Aussagen Tirpitz' zuteil werden. Millionen könnten fortan von beiden Ländern gespart werden, ohne daß sich das gegenseitige Kräfteverhältnis verschiebe. Zudem wurde ein bindender Charakter festgestellt, obwohl dies aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar ist. Während andere Zeitungen daraufhinwiesen, daß es sich lediglich um eine Rede handelte, ging der Star davon aus: „Now [...] the ratio is settled"212. So weit ging jedoch nicht einmal der liberale Daily Chronicle, der davor warnte daß die Rede „must not be pressed to mean more then is in it."213 Sie könne zwar sehr wohl mehr bedeuten, in ihrer momentanen Form gehe sie jedoch weder auf die Kriegsschiffe der britischen Dominions ein noch darauf, was nach der Veraltung der britischen pre-Dreadnoughts mit dem 16:10 Verhältnis zu geschehen habe. Auch der national-irische Irish Independent war zufrieden: ,Although coming
209 2,0 211 212 213
Daily News, 10.2.1913, S. 4. Vgl. News of the World, 9.2.1913, S. 9. Liverpool Daily Post, 10.2.1913, S. 6, vgl. Mirror, 8.2.1913, S. 3; Graphic, 8.2.1913, S. 5. Star, 8.2.1913, S. 4. Chronicle, 10.2.1913, S. 6.
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somewhat late in the day, the German acceptance of a standard of warships as between the British and German Navies is to be cordially welcomed."214 Wie bei allen wichtigen Ereignissen der bilateralen Beziehungen berichtete der deutsche Botschafter auch anläßlich der Reichstagsrede von Tirpitz über die Reaktionen der englischen Zeitungen. Die Erklärungen „erregen in der hiesigen Presse das größte Aufsehen und werden von fast sämtlichen fuhrenden Blättern in Leitartikeln besprochen."215 Wieder wird explizit auf die Westminster Gazette und deren enge Verbindungen zum Außenministerium hingewiesen. Insgesamt wurde dadurch in Berlin der Eindruck erweckt, daß die Tirpitz-Rede in Großbritannien einen größtenteils positiven Effekt hervorgerufen habe. Selbst die so deutschfreundliche Westminster Gazette warnte davor, daß Großbritannien dem Vorbild der anderen Großmächte folgen müsse, falls die Royal Navy die unbedingte Sicherheit der Inseln nicht mehr garantieren könne. Wenn die deutsche Marine ähnlich stark werde wie die britische, müsse über die Einfuhrung der Wehrpflicht und 1ή über feste Bündnisse nachgedacht werden. In seinen Erinnerungen stellt es der Staatssekretär des Reichsmarineamtes Tirpitz so dar, als ob die „Flottenpanik" in Großbritannien nichts anderes gewesen sei als ein Mittel, um die für die britischen Rüstungen benötigten finanziellen Mittel durch die Houses of Parliament zu bekommen. Der ,,wachsende[...] Einfluß der kriegstreiberischen Northcliffe Presse" sei dabei als bedauerliches Übel in Kauf zu nehmen gewesen. Einen Kriegsgrund hätte dies auf deutscher Seite jedoch niemals dargestellt, genauso, wie umgekehrt der Bau der deutschen Flotte fur die Briten.217 In der Tat wurde die deutsche Rüstung nicht nur vom militärischen Standpunkt aus als kritikwürdig betrachtet: „The cost of our excessive armaments, occasioned by German policy, hampers enormously the progress of social reform in this country: that policy is responsible also for the maintenance of mischievous jingoism here, which demands universal military service and an ever increasing expenditure on the Navy; and it gives an immense impetus to the project of tariff imposition."218 Andererseits wurde dem Kaiserreich offene Anerkennung für ,,[t]he almost phenomenal progress in naval strength" zuteil. Deutschland tue nichts anderes als Großbritannien in der Vergangenheit selbst getan habe. „We recognise fully the rights of German defence, even to the extent of acting as a deterrent to ourselves in what we think are inconceivable circumstances." Umgekehrt müsse Deutschland aber auch die britischen Interessen anerkennen ")
2,4 215 216 217 218
Irish Independent, 10.2.1913, S. 4, vgl. S. 5. GP 39, Nr. 15563 vom 8.2.1913, S. 12, Lichnowsky an Bethmann. Vgl. Westminster Gazette, 25.9.1912, S. 1; Guardian, 20.10.1913, S. 8; Daily News, 20.10.1913, S. 6. Vgl. Tirpitz, Alfred von: Erinnerungen, Berlin, Leipzig 1927, S. 177. South Wales Daily News, 14.9.1912, S. 6.
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- „the effective mastery of the seas."219 Deshalb seien die Konsequenzen klar: „Our Empire was conquered by the sword, and by the sword alone it will be held."220 Diesbezüglich gab es keinerlei Diskussionsbasis: Vom radikal-liberalen Manchester Guardian bis zum erzkonservativen John Bull wurde die britische Seeherrschaft als unabdingbares Muß fur die sichere Existenz des Landes mit seinem Empire gesehen. Allein der pazifistische Daily Herald lehnte jegliche Art von Rüstung grundsätzlich ab und trat deshalb auch nicht explizit für die Royal Navy ein. Insgesamt ließ die gesamte britische Presse keinen Zweifel an ihrer Haltung: „The trident must remain in our grasp, and, to retain it, we must be ready for further sacrifices."221 Allein die Frage, wie dies zu geschehen habe, wurde unterschiedlich beantwortet. So traten insbesondere, aber nicht nur, die konservativen Zeitungen für eine Forcierung der Flottenrüstung ein. Im Gegensatz dazu stand der größte Teil der liberalen und wenige konservative Zeitungen, die die Überlegenheit der britischen Marine als ausreichend oder mehr betrachteten. Eine weitere Steigerung der Rüstungsausgaben zogen sie erst fur den Fall in Betracht, wenn Deutschland seinerseits mehr Geld ausgebe. Im Untersuchungszeitraum wurde dies von dieser Zeitungsgruppierung jedoch nicht für notwendig erachtet, da Deutschland das Flottenwettrüsten eindeutig verloren habe. Daß England vor dem Krieg seine Vorherrschaft zur See gegenüber Deutschland hatte behaupten können, wurde somit nicht nur durch die späteren Ereignisse gezeigt.222 Bereits vor dem Krieg vertraten Anhänger sämtlicher politischer Richtungen diese Ansicht. Dazu gehört auch der konservative Daily Telegraph, der trotz seiner Argumentation zugunsten einer Flottenverstärkung klar machte, es gebe „no longer any question as to the superior strength of our Navy in comparison with that of Germany"223. Zudem waren die Briten sehr stolz auf ihren technischen Vorsprung, beispielsweise beim Stapellauf des neuesten Schlachtschiffes Queen Elisabeth. Erstmals nur mit Ölantrieb ausgestattet und mächtiger als alle Dreadnoughts zuvor, sei es der klare Beweis britischer Überlegenheit: „The truth is that in every class of Dreadnoughts our builders have outstripped the Germans."224 Die South Wales Daily News bezog klar gegen eine weitere Hochrüstung Stellung, da ein isolierter Krieg Großbritanniens gegen den Dreibund völlig undenkbar sei. Für die Vertretung dieser Sicht mußte sich sogar der in Mili2,9
Graphic, 20.3.1912, S. 4. Evening News, 23.10.1912, S. 4. 221 Daily Mail, 16.1.1912, S. 6. 222 Während des Ersten Weltkrieges fand nur eine große Seeschlacht zwischen England und Deutschland statt. Ohne Entscheidung wurde das Gefecht abgebrochen. Beide Seiten nahmen den Sieg für sich in Anspruch. Bei höheren englischen Verlusten war es den Deutschen jedoch nicht gelungen, die englische Seeherrschaft in Frage zu stellen oder die Blockade der deutschen Häfen aufzubrechen. 223 Telegraph, 25.9.1913, S. 11, vgl. 30.7.1914, S. 10: „German predominance among the Continental fleets is far less pronounced than it was; the change has been in progress since the events in 1909, and will even become more marked if the Russian shipbuilding activity is accompanied by not less persistent efforts to raise the esprit de corps and professional efficiency of the officers and men". 224 South Wales Daily News, 17.10.1913, S. 4, vgl. 19. und 21.3.1912, je S. 4, 22.10.1913, S. 4. 220
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tärfragen hoch angesehene Korrespondent der Times, Repington, aus den eigenen Reihen herbe Kritik gefallen lassen: „I have marked some of the passages which I think require modification if your article is to represent the view of The Times. That view is that it is really absurd to contemplate a war between Great Britain and the whole Triple Alliance without assuming that France will also be engaged."225 Die Sicht von der qualitativen Überlegenheit wurde aber nicht überall anerkannt: „[...] the nation cannot depend for its existence on some factor which cannot be seen and measured and which may not really exist." Schon Nelson habe gesagt: „Only numbers can annihilate."226 Dafür zeigte man sich überzeugt, daß Großbritannien im Zweifelsfalle schneller aufrüsten könne, als es die deutschen Kapazitäten ermöglichten. Erst wenn andere Länder ihre Bauraten beschleunigen würden, müsse reagiert werden.227 Auch der Star zeigte sich sehr selbstsicher: „[...] it is impossible to overtake us or to outmatch us in the piling up of naval armaments." Wenn Deutschland diese Tatsache akzeptiere, „then it ought to be easy for the two nations to live on good terms with each other."228 Völlig absurd scheint dagegen die deutsche Bewertung der britischen Marinepolitik. Ausführliche Berichte aus der deutschen Botschaft in die Wilhelmstraße erwecken den Eindruck intensiver und kompetenter Beschäftigung mit der Thematik.229 So bescheinigte der deutsche Marineattache Widenmann der Presse grundsätzlich große Bedeutung für die britische Flottenrüstung, auch in den Dominions™ Bei genauerer Betrachtung kommen jedoch höchst fragwürdige Einschätzungen ans Licht. So meldete Widenmann nach dem Bekanntwerden der deutschen Baupläne Anfang 1912, daß die Presse in Großbritannien darauf sehr ablehnend reagiert habe. Es wäre aber ganz falsch, „wenn man sich in Deutschland irgendwie von englischem Pressegeschrei oder Drohungen im Parlament, die folgen werden, beeinflussen lassen wollte."231 Noch absurder ist die Feststellung des Marineattaches Coerper, dem gewiß schien, „daß mit der zunehmenden Stärke Deutschlands zur See die Preßhetzereien gegen uns abnehmen, der Wunsch nach Anbahnung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Ländern in England immer stärker werden wird." Diese vollständige Fehleinschätzung ist nicht nur aus der post Aoc-Sicht festzustellen. Schon anläßlich der Reichstagsrede von Tirpitz wurde es vom Glasgow Herald als völlig lächerlich dargestellt, daß die Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen auf die stärkere deut-
225
TNL Archive/GGD/1, Dawson an Repington am 27.1.1914, Hervorhebung im Original. Daily Mail, 5.5.1913, S. 6. 227 Vgl. Glasgow Herald, 20.3.1912, S. 8f, 16.5.1912, S. 8,3.2.1913, S. 8. 228 Star, 10.2.1912, S. 2. 229 Vgl. ΡAAA, London 1019, 7. 230 Vgl. Widenmann, Marine-Attache, S. 139f. 231 GP 31, Nr. 11381 vom 4.3.1912, S. 171, Bethmann an Metternich, Anlage des Marineattachds in London, Widenmann, an den Staatssekretär des Reichsmarineamts von Tirpitz. 232 G p 2 3 ^ N f 7 7 g 5 v o m i4 3 1907, s. 50, Aufzeichnung des Marineattach6 Coerper in London. 226
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sehe Marine zurückzuführen sei: „It is probably only a Prussian in the modern world with the possible exception of a Mexican - who would contend that the proper method of conquering a man's heart is to threaten to blow his head off." 233 Die einzige Möglichkeit, das Wettrüsten zu beenden, sei „to show Germany that she cannot outbuild Great Britain."234 Folgerichtig wurden die britischen Pressestimmen gegenüber Deutschland erst dann freundlicher, als sie sich sicher waren, das Flottenwettrüsten fur sich entschieden zu haben. Derartige Stimmen sind bereits für Anfang 1912 nachzuweisen. Nach der Reichstagsrede Tirpitz' Anfang 1913 war man sich sicher. Diejenigen Zeitungen, die weiterhin fur eine Verstärkung der Aufrüstung zur See plädierten, begründeten dies meist mit anderweitigen Verpflichtungen Großbritanniens auf der gesamten Welt, nicht mehr mit der Bedrohung durch Deutschland. Nur noch in wenigen Ausnahmefallen wurde Deutschland als - potentiell - gefährlicher Gegner gesehen. Um eine Bedrohung von vornherein auszuschließen, sollte das Bauprogramm unverändert durchgeführt oder sogar ausgebaut werden. 2.1.2 Das deutsche Heer Anlaß zur ausführlichen Berichterstattung über das deutsche Heer boten die Herbstmanöver 1912 und 1913. Diese waren nicht nur für die Korrespondenten der großen Londoner Zeitungen interessant.235 Beispielsweise berichtete auch die Liverpool Daily Post fast täglich darüber.236 Umgekehrt waren die Manöver Anlaß für einen ausgiebigen Notenwechsel zwischen der Londoner Botschaft und Berlin. Bereits im Mai 1912 stellten britische Zeitungen erste Bittgesuche, ihre Korrespondenten im Herbst zu den Manövern zuzulassen. Den Berichten angefügt waren im Zweifelsfalle Charakteristiken über die zu erwartenden Personen. So kam der vermeintliche Korrespondent des Daily Telegraph sehr gut weg: „Rittmeister a.D. Battine war in gleicher Eigenschaft schon im letzten Jahr bei unseren Kaisermanövern anwesend. Er hat im allgemeinen vernünftige und taktvolle Berichte an seine Zeitung eingeschickt. Bald nach seiner Rückkehr suchte er mich hier auf und machte aus seinem Unmut über seinen Kollegen von der ,Times', den Oberstleutnant a.D. Repington, keinen Hehl."237 Repington war seinerseits wegen seiner kritischen Berichterstattung in deutschen Regierungskreisen äußerst unbeliebt. Als sich die Entsendung Battines zerschlug, setzte sich Lichnowsky für dessen Alternative ein: „Ich würde es unter diesen Umständen sehr zweckmäßig finden, wenn Herr Bartlett, der hier
233
Glasgow Herald, 16.2.1914, S. 8. Irish Times, 8.2.1913, S. 6. 235 Vgl. z.B. Times, 1.7.1913, S. 7, 9.9.1913, S. 3, 13.9.1913, S. 5, 10.9.1913, S. 5; Daily Mail, 15.9.1913, S. 5; Guardian, 10.9.1913, S. 6. Auch von den Manövern in Österreich wurde berichtet, in: Times, 19.9.1913, S. 5. Der Zugang der Korrespondenten zum eigentlichen Geschehen war eingeschränkt. 234
236 237
Vgl. Liverpool Daily Post, 9.9.1913, S. 6, 11.9.1912, S. 7, 13.9.1912, S. 7. PAAA, R 5639, Militärattache Ostertag aus London an das Kriegsministerium am 17.5.1912.
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allgemein einen großen Ruf als geschickter und tüchtiger Berichterstatter genießt, zugelassen und gut aufgenommen werden würde." Lichnowsky lag um so mehr daran, da er den Sohn des Eigentümers des Daily Telegraph persönlich sehr gut kenne und von dessen deutschfreundlicher Gesinnung überzeugt war. Auf den Korrespondenten des Daily Express glaubte Lichnowsky dagegen gut verzichten zu können, da „die genannte Zeitung [...] nach wie vor als ein politisches Sensationsblatt von untergeordneter Bedeutung anzusehen [ist]."238 Dasselbe gilt für den Vertreter des Daily MirrorP9 Bei der Frage nach der Zulassung englischer Fotographen griff sogar Wilhelm persönlich ein ablehnend.240 Sehr bezeichnend für die deutsche Unsicherheit sind die sich immer wieder verändernden Meldungen, wer denn nun nach Deutschland kommen werde: Nach der Absage Battines und dem folgenden Austausch gegen Bartlett hieß es Mitte August 1912 plötzlich wieder, daß doch Battine kommen werde241 - nur damit am Ende keiner der beiden erschien. Die Krönung des Ganzen war schließlich eine Klage des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Jagow, an die Londoner Botschaft. Die Berichte des letztlich entsandten Korrespondenten Trapman seien nach dem Vorbild des Obersten Repington verfaßt worden. Die optimistische Einschätzung der Londoner Botschaft hinsichtlich der zu erwartenden Berichterstattung des Daily Telegraph habe sich als vollkommen falsch erwiesen. Die größte Verärgerung herrschte darüber, daß dies „sehr wesentlich dazu beigetragen habe [...], das französische Selbstgefühl in bedenklicher Weise zu steigern."242 Schenkt man den Erinnerungen Repingtons Glauben, so war dies genau die beabsichtigte Wirkung der relativierenden Berichte über die Stärke der deutschen Armee. Ganz bewußt versuchten einige Zeitungen, die Qualität des deutschen Militärs in Frage zu stellen. Dies sei nicht nur geschehen, „because these weaknesses existed, but because opinion was everything in war, and it had become a danger to us and to the French to allow the notion to prevail that the Germans were invincible."243 Angeblich habe der deutsche Botschafter daraufhin im britischen Kriegsministerium sogar - erfolglos - auf die Abberufung Repingtons als Korrespondent gedrängt. Beispiele für derartige Berichte finden sich im außenpolitisch sonst kaum interessierten John Bull244 oder im Daily Mirror, der die türkische Niederlage im Balkankrieg mit der deutschen Waffenhilfe in Verbindung setzt.245 Amüsiert stellte die Irish Times fest, daß die Pickelhaube zwar 238
Ρ AAA, R 5642, Lichnowsky an Bethmann am 26.7.1913. Zur Auswahl der Korrespondenten vgl. zudem PAAA, R 5639, Militärattachi Ostertag aus London an das Kriegsministerium am 4.5.1912 und 17.5.1912, PAAA, R 5639, Heeringen an Jagow am 19.6.1912, PAAA, R 5639, Artikel des Daily Express, PAAA, R 5642, Bericht vom 14. und 15.8.1913. 240 Vgl. PAAA, R 5639, Telegramm des Chefs des Militär-Kabinetts am 26.8.1912. 241 Vgl. PAAA, R 5642, Zimmermann an den Kriegsminister am 18.8.1913. 242 PAAA, London 1333, 217-218, Jagow an Kühlmann am 18.9.1913. 243 Repington, Charles: Vestigia, London 1919, S. 303, vgl. Waters, Secret and Confidential, S. 300. 244 Vgl. John Bull, 16.3.1912, S. 340. 245 Vgl. Mirror, 31.10.1912, S. 4. 239
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imposant wirke, „but in manoeuvres the men wear it anywhere rather than on their heads, a fact which bears eloquent testimony to its discomfort."246 Auch seien Artillerie und Kavallerie qualitativ nicht mit der Infanterie vergleichbar. Außerdem wurde die Hoffnung ausgedrückt, daß, wenn das deutsche Heer „found itself face to face with a mobile foe, imbued with a great national spirit and a fixed determination to fight to the last [...] then it is quite within the bounds of possibility that the [...] German military machine might fail to give as good results as a machine less powerful, less perfect, but more flexible and constructed of a more highly-temperatured steal."247 Die Daily Mail verwies zudem darauf, daß Deutschland seit 40 Jahren im Frieden lebe. Ob das Heer tatsächlich so „formidable"248 sei, wie angenommen, sei schon lange nicht mehr bewiesen worden. Im großen und ganzen wurde das deutsche Heer aber in beeindruckender Weise geschildert. Es sei unmöglich „not to be impressed by the wonderful discipline and smartness that prevails throughout all ranks of the German army."249 Die Armee sei „perhaps slightly ahead of times"250 und ,,[w]ithout a shadow of doubt [...] the most powerful, disciplined, and organised army in the world. The theoretical instruction is excellent, and the materiel perfect." Trotz einiger Verbesserungsmöglichkeiten würde die deutsche Armee eine weniger gute schnell und rücksichtslos niederwerfen. Seit dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 sei das Kaiserreich zu „one of the foremost military Powers on the Continent"251 geworden. Um diesem Paroli bieten zu können, arbeiteten die Konservativen auf das gemeinsame Ziel hin, selbst eine starke Armee aufzubauen. So wurde immer wieder auf die deutschen Anstrengungen verwiesen. Ob dies bei Manövern war oder beim Fortschritt in der Luftfahrt. Wenn vom „extraordinary progress which Germany has achieved in the past five months in airmanship"252 berichtet wurde, so war abzusehen, daß bald die Forderung nach eigenen Entwicklungen laut werden würde.253 Dies wurde am effektivsten dadurch erreicht, indem Deutschland als treibende Kraft der Rüstungsspirale dargestellt wurde. Besonders Frankreich sei „in a perilous inferiority"254 gebracht worden. Die Ententemächte würden nur auf deutsche Anstrengungen reagieren.255 Die Tatsache, daß 5 SA Deutschlands „position which she occupies in Europe is still strategically uninviting" , 246 247 248 249 250 251
Irish Times, 30.10.1912, S. 6. Telegraph, 12.9.1913, S. 9. Daily Mail, 27.11.1912, S. 6. Telegraph, 10.9.1913, S. 9. Telegraph, 8.9.1913, S. 12. Telegraph, 16.6.1913, S. 12.
252
Daily Mail, 16.2.1914, S. 7, vgl. Observer, 26.10.1913, S. 17; Times, 24.11.1913, S. 5, 25.2.1914, S. 7.
253
Vgl. Daily Mail, 20.2.1914, S. 6: „We want fast Aeroplanes."
254
Daily Express, 10.6.1914, S. 1. Vgl. z.B. Times, 25.6.1913, S. 7,2.7.1913, S. 7, 22.7.1913, S. 7, 19.8.1913, S. 5; Daily Mail, 17.6.1913, S. 5. 256 Times, 20.8.1913, S. 5. 255
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wurde zwar zusammen mit dem Recht auf Aufrüstung zugestanden. Durch die Betonung der Times, von ihr [!] sei die deutsche Rüstung nie als aggressiv oder provokativ bezeichnet worden, wurde aber auf unterschwelliger Ebene sehr wohl deutlich, daß die deutschen Rüstungen so empfunden werden konnten. 257 Weiterhin wurde konstatiert, daß durch die Verstärkung der deutschen Armee deren Offensiv- und Erstschlagskraft stark zugenommen habe. Die Meinung Lloyd Georges 258 , Deutschland habe bei seinem lebensnotwendigen Heer nicht wie Englands Marine eine 60-prozentige Überlegenheit über den nächsten Rivalen, wurde verworfen. Vielmehr müßten die anderen Mächte „henceforth keep constantly before their eyes, in considering the adequacy and the preparedness of their own defences, the profound modification in the balance of military power which the [German] Army Act will cause within the next few months." 259 Wenn es dazu kommen solle, müsse Deutschland als militärisch fuhrende Macht auch die 1f\ 0 Spitze bei Abrüstungsbemühungen übernehmen. In Rüstungsfragen gab es zwei grundsätzlich verschiedene Standpunkte. Auf der einen Seite standen wieder vorwiegend konservative Zeitungen, die in Deutschland mit V i seiner „Mailed Fist" den Hauptverursacher für das Wettrüsten nicht nur zur See, sondern auch zu Lande sahen: „France has taken action only because German proposals were known to be imminent" 262 . Da Deutschland wesentlich bevölkerungsreicher als Frankreich sei, bleibe diesem Land kaum etwas anderes übrig, als zum System der dreijährigen Dienstzeit zurückzukehren. 263 Deutsche Versuche, auf die englische Regierung einzuwirken, damit diese die Zeitungen zu Stellungnahmen gegen die dreijährige fran-
257
258
Vgl. Times, 4.7.1913, S. 9: „We have refused all along to describe this immense addition to the immediate striking power of Germany as aggressive or provocative. We can appreciate the reasons which have been urged for making it, and understand how they have weighed with the military authorities and the Government. We accept the Chancellor's references to its worth for the maintenance of peace 'and - if that must be for successful defence. At the same time, we must insist again that none of Germany's neighbours, and least of all we ourselves, can disregard the adoption of a scheme which enables Germany to strike at her own moment, and to strike more promptly and more heavily than at any former time. All of them must henceforth keep constantly before their eyes, in considering the adequacy and the preparedness of their own defences, the profound modification in the balance of military power which the Army Act will cause within the next few months." Siehe auch Observer, 5.10.1913, S. 13 und 26.10.1913, S. 17.
Vgl. Chronicle, 1.1.1914, S. 1: „The German army is vital, not merely to the existence of the German Empire, but to the very life and independence of the nation itself, surrounded as Germany is by other nations each of which possesses armies almost as powerful as her own. [...] Germany has nothing which approximates to a two-Power standard." 259 Times, 4.7.1913, S. 9, vgl. Telegraph, 28.6.1913, S. 10. 260 Vgl. News of the World, 22.6.1913, S. 8. 261 Observer, 30.3.1913, S. 11. 262 Β'ham Post, 3.3.1913, S. 6, vgl. Graphic, 15.5.1913, S. 4; Chronicle, 1.3.1913, S. 1; Daily Express, 3.3.1913, S. 1; Scotsman, 23.4.1912, S. 6. 263 Vgl. Daily Mail, 18.2.1913, S. 6,27.2.1913, S. 4,6.3.1913, S. 6; Daily Express, 3.3.1913, S. 1; Graphic, 15.5.1913, S. 4; Glasgow Herald, 19.2.1913, S. 8.
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zösische Dienstzeit ermahnten, wurden zurückgewiesen.264 Als ausgesprochen unpassend empfand der gemäßigte Daily Graphic den Zeitpunkt der neuen deutschen Rüstungsvorlagen. Während Diplomaten sich um bessere Beziehungen bemühten, sei dies nur hinderlich.265 Ohnehin erschaffe Deutschland mit der neuen Heeresvorlage eine Armee „that will be such a menace as Europe has never known since Napoleon."266 Dabei wurde auch der Militarisierungsgrad der beiden Gesellschaften gegenübergestellt. Um das Potential Deutschlands aufzuzeigen, wurde festgestellt, daß Deutschland noch weitere Armeekorps hinzufugen könne, „owing to the fact that nothing like the whole of the annual contingent is called up for service."267 Diese Sicht von der hohen Militarisierung in Deutschland konterkarierte auch der Daily Express, wie der Observer nicht gerade die deutsch-freundlichste Zeitung. Bei einer Gegenüberstellung der Bevölkerungszahl und der Armee kam J. Ellis Barker zu dem Schluß, daß Deutschland über ein um 50 Prozent stärkeres stehendes Heer verfügen müßte als Frankreich. Ein Blick auf die Zahlen zeige jedoch „that the standing armies of France and Germany are practically equally strong."268 Darüber hinaus berufe Deutschland jährlich wesentlich weniger Rekruten ein als möglich. Während Frankreich alle Rekruten einberufe, seien es in Deutschland nur zwei Drittel.269 Der Daily Graphic stellte 1913 fest, daß die deutsche Armee „will have been increased in three years almost as much as it was increased in the preceding thirtynine years."270 Im Scotsman wurde darüber hinaus ein Artikel der Fortnigtly Review wiedergegeben. Darin wurde darauf hingewiesen, daß die Stärke des französischrussischen Zweibundes 2.000.000 Soldaten gegenüber nur 1.300.000 aus Deutschland und Österreich-Ungarn betrage: „The balance of military power in Europe has thus been turned against Germany even if allowance be made for the fact that a considerable portion of the Russian Army is in Asia, and could not be transferred to the battlefields of Europe except after some delay."271 Diese zeitgenössische Sichtweise, die allerdings keineswegs verallgemeinert werden darf, entspricht den neuesten Forschungen. So betonte Niall Ferguson vor wenigen Jahren, daß Deutschland nicht so militaristisch gewesen sei, wie es den Eindruck erweckte. Im Gegenteil habe es jahrelang am wenigsten für die Aufrüstung seiner Armee getan. Dies spiegelt sich sowohl in der prozentualen Ausbildung der Rekruten wider als auch im finanziellen Aufwand der beiden Bündnissysteme. Ferguson kommt dabei zu 264
Vgl. GP 39, Nr. 15676 vom 17.6.1914, S. 271, Lichnowsky an Bethmann.
265
Vgl. Graphic, 25.4.1912, S. 4.
266
People, 9.3.1913, S. 12.
267
Observer, 24.3.1912, S. 8, vgl. Glasgow Herald, 30.6.1913, S. 8.
268
Star, 31.3.1913, S. 4. Zur Einberufungspraxis vgl. Baumgart, Winfried: Deutschland im Zeitalter des Imperialismus 1890-1914. Grundkräfte, Thesen und Strukturen, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 5 1986, S. 25, Charmley, Splendid Isolation, S. 380. 270 Graphic, 18.3.1913, S. 4. 271 Scotsman, 28.8.1913, S. 4. 269
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dem nur auf den ersten Blick paradoxen Ergebnis, daß ein militaristischeres Deutschland den Krieg hätte verhindern können, indem eine noch stärkere Armee die anderen Länder abgeschreckt hätte. 272 Die Sicht vom hochmilitaristischen Deutschland wurde insbesondere durch die alliierte Kriegspropaganda verschärft, die diesem die langjährige Aufrüstung und Vorbereitung des Krieges vorwarf. 273 Im Unterschied zu den Vorwürfen gegen das Vorantreiben des Rüstungswettlaufs durch Deutschland findet sich eine Reihe von Stimmen, die die deutschen Rüstungsbemühungen als nachvollziehbar bezeichneten. Zwar müsse sich Frankreich vor Deutschland schützen. Für Deutschland spiele aber neben Frankreich, das zudem seit 1876 keine so weitreichenden militärischen Maßnahmen ergriffen hätte 274 , noch Rußland eine Rolle. Dies wurde noch dadurch verstärkt, daß „the basis of the present French military system is not defence but offence." Zudem sei die französische Armee organisiert „as when it was intended to be the instrument of an ambitious and adventurous foreign policy." 275 Für Deutschland sei Rüstung deshalb unabdingbar: „[...] had the Germans not made themselves strong they would not have enjoyed, as they have done, forty-two years of uninterrupted peace since the establishment of the Empire." 276 Außerdem hob die Westminster Gazette hervor, daß die deutsche Heeresaufrüstung in den letzten Jahren zugunsten höherer Ausgaben für die Marine sehr moderat ausgefallen sei.277 Dieselbe Auffassung vertrat der Daily Chronicle: „For a number of years Germany diverted a good deal of money from military sources to naval. The efficiency of some parts of her army was, in the view of competent observers, seriously jeopardised by lack of money. Her military increases, then, are to a certain degree more apparent than real, in that she has to make certain deficiencies good." 278 Gerade die russische Armee spielte vielfach eine große Rolle. In einem Konflikt mit Rußland stünden Deutschland nicht nur numerisch überlegene Kräfte gegenüber. Hinzu käme, daß Österreich-Ungarn ein großer Unsicherheitsfaktor sei, da das Land „is more a Slav than a German Power, with the Magyars as uncertain balancing factor." 279 Auf Rußland wälzte auch die South Wales Daily News die Hauptverantwortung ab. Nicht nur für seine eigene Aufrüstung sei das Land verantwortlich, sondern auch die Ausweitung der französischen Dienstzeit habe das Zarenreich durch Drohungen forciert. Rußland sei deshalb ein „notoriously unscrupulous ally" 280 . Dieselbe Ansicht vertraten auch
272
Vgl. Ferguson, Pity, bes. S. 142, auch S. 26-30, 89-92, 107. Vgl. Β'ham Post, 24.8.1918, S. 4. 274 Vgl. Reynolds's, 23.2.1913, S. 1. 275 Daily News, 26.2.1913, S. 6. 276 Yorkshire Post, 25.2.1913, S. 6, vgl. 10.3.1913, S. 6. 277 Vgl. Westminster Gazette, 5.1.1914, S. 1. 278 Chronicle, 19.2.1913, S. 6. 279 Western Mail, 3.3.1913, S. 4. 280 South Wales Daily News, 7.6.1913, S. 6. 273
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die Daily News und die Westminster Gazette. Aufgrund ihrer Bedeutung meldete Lichnowsky deren Sichtweise nach Berlin.281 Generell ist jedoch zu beachten, daß die weltweiten Rüstungen nicht als positiver Faktor wahrgenommen wurden.282 Immer wieder wurden die hohen Militärausgaben und die Truppenverstärkungen als Gefahr für den Frieden betrachtet. „The accumulation of explosive material on so tremendous a scale is itself a danger to peace, and this for two reasons. In the first place it makes war easier as a military problem, and in the second place it tends to create so burden-some a situation for the average man that he is likely to welcome war as a happy release."283 Dies war bei weitem keine Einzelstimme, die auf pazifistische Londoner Kreise beschränkt blieb. Im Gegenteil war die Befürchtung, daß „War will result simply because the price of peace can no longer be paid"284 im ganzen Land verbreitet. Daraus leitete Reynolds 's Newspaper sogar eine eventuelle Unvermeidlichkeit des Krieges ab: „The coming European conflagration, and come it must and will unless the people of Europe definitely and positively set their faces against it was hoped, by every reasonable being, had died ages ago."285 Schwere Kritik angesichts der Rüstungsausgaben wurde an den Industriellen und ihren Profiten laut: „There was a time when men died gladly on the battlefield for a king or for a faith. But the nations of the world are refusing to die for a cannon king's dividend."286 Namentlich genannt wurde in diesem Fall Hugenberg, der drei Jahrzehnte später eine so wichtige Rolle bei der Machtergreifung Hitlers spielen sollte. Besondere Aufmerksamkeit erregte ein Skandal um die Firma Krupp. Konkret ging es dabei um Bestechung innerhalb der Ministerien, um frühzeitig an Informationen für bevorstehende Aufträge zu kommen. Dabei sei zu beachten, daß es keinen Grund anzunehmen gebe, daß es in Großbritannien viel anders sei.287 Die Irish Times sah die Affare sogar als „the biggest military scandal of modern times."288 Doch auch hier fehlte der Verweis auf weitere Bestechungsskandale andernorts nicht. Stimmen, die weder in Frankreich noch in Deutschland den „Schuldigen" am Wettrüsten sahen, waren selten. Vereinzelt wurde jedoch auch für den Ausgang des Balkankrieges die deutsche Aufrüstung als logische Konsequenz gesehen, da Deutschlands internationale Situation durch die Stärkung der slawischen Balkanstaaten geschwächt wurde.289 Hervorzuheben ist dabei, daß Großbritannien in Heeresfragen als quasi unbe281
Vgl. GP 39, Nr. 15646 vom 5.6.1913, S. 194, Lichnowsky an Bethmann. Vgl. Irish Independent, 23.3.1912, S. 5; South Wales Daily News, 21.11.1913, S. 4; Daily Herald, 23.5.1912, S. 3, 18.5.1912, S. 4. 283 Graphic. 3.3.1913, S. 4. 284 Glasgow Herald, 3.3.1913, S. 8, vgl. Scotsman, 13.5.1912, S. 6; Cambria Daily Leader, 6.3.1913, S. 4. 285 Reynolds's, 9.3.1913, S. 1, vgl. John Bull, 6.1.1912, S. 6. 286 Star, 19.4.1913, S. 4, vgl. 26.4.1913, S. 4. 287 Vgl. Star, 19.4.1913, S. 4, 22.4.1913, S. 4; Chronicle, 21.4.1913, S. 6; Daily Herald, 21.4.1913, S. 3, 22.4.1913, S. 1; Guardian, 22.4.1913, S. 8; Irish Independent, 22.4.1913, S. 4. 288 Irish Times, 22.4.1913, S. 6. 289 Vgl. Irish Times, 30.6.1913, S. 6. 282
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teiligte Macht dastand. Allerdings wurde durchaus wahrgenommen, daß die Verstärkungen der „kontinentalen" Armeen ein Vorteil für Großbritannien darstellten, da dadurch der Druck von der britischen Marine genommen würde: „So long as the German Navy does not threaten our predominance on, and control of, the sea, we can afford to regard the increases in the numbers and striking force of the German Army as a matter of Continental politics."290 So zeigte sich auch der Glasgow Herald über die deutschen Ausgaben für Befestigungsanlagen an dessen Ostgrenze froh: „Germany cannot largely increase her expenditure upon land force and at the same time add largely to her navy"291. Im Vergleich zur britischen Marine erregte das Heer nur verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit. Es wurde verschiedentlich Kritik an der mangelhaften militärischen Vorbereitung, insbesondere wegen des Rückstandes in der Luftfahrt l a u t / " So weissagte der Daily Express eine Veränderung der Kriegführung durch den bevorstehenden Einsatz von Flugzeugen. Eine mögliche Gefahr für das Inselreich trotz der überlegenen Marine sei nicht auszuschließen. Großbritannien sei ,,[n]o longer an island."294 Um ΛΛί
diesen Mißstand zu beheben, startete der Daily Express eine monatelange Kampagne. Bestärkt wurden derartige Bestrebungen durch Meldungen der ersten Bombenabwürfe aus Flugzeugen im türkisch-italienischen Krieg.296 Dabei kamen die zweifelhaften Berichte von Überflügen deutscher Luftschiffe über Großbritannien sicherlich nicht zufallig.297 Diese Berichte verbreiteten sich im Laufe der Zeit über die gesamte Insel.298 So sah sich die Daily News bemüßigt auszusprechen, was sie von den angeblichen Überflügen hielt: „The airships turn out on inquiry to be fire-balloons, shooting stars, comets, searchlights, practical jokes or village idiots."299 In Armeefragen überwogen die zurückhaltenden Stimmen bei weitem. So wurde die Umwandlung der britischen Freiwilligenarmee in eine Wehrpflichtigenarmee mehrheitlich abgelehnt. Unter Verweis auf die Westminster Gazette wurde vom Cambria Daily Leader festgestellt, daß für die Landmächte Frankreich und Deutschland diese Einberufungspraxis notwendig sei: „[...] for us with our sea frontiers it would mean a division of resources and energy which would mean a net loss of power on the balance."300 Auch 290
Scotsman, 9.4.1913, S. 8, vgl. 31.3.1913, S. 6. Glasgow Herald, 10.3.1913, S. 6. 292 Die Luftwaffe war zu diesem Zeitpunkt noch keine eigenständige Waffengattung. 291 Vgl. Westem Mail, 20.3.1913, S. 4,24.3.1913, S. 4; John Bull, 8.3.1913, S. 347; Scotsman, 4.3.1913, S. 6, 9.4.1913, S. 8; Mirror, 17.2.1913, S. 7; Glasgow Herald, 6.2.1913, S. 8; Graphic, 28.2.1913, S. 4. 294 Daily Express, 5.3.1913, S. 1, vgl. Observer, 6.4.1913, S. 10. 295 Vgl. Daily Express, 20.6.1912, S. 6, 17.9.1912, S. 1, 4,19.9.1912, S. 4, 28.11.1912, S. 4, 2.12.1912, S. 6, 27.2.1913, S. 4. 8.3.1913, S. 6, 10.3.1913, S. 6, 6.5.1913, S. 6. 296 Vgl. Evening News, 21.9.1912, S. 4. 297 Vgl. Daily Mail, 10.2.1913, S. 4, 25.2.1913, S. 4. 298 Vgl. Evening News, 24.2.1913, S. 1; South Wales Daily News, 14.2.1913, S. 4. 299 Daily News, 1.3.1913, S. 6. 300 Cambria Daily Leader, 27.1.1913, S. 4, vgl. Star, 7.2.1913, S. 4, 18.2.1912, S. 4. 291
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andere Zeitungen stimmten mit der Sicht überein, daß für Großbritannien eine kleine gut ausgebildete Berufsarmee wesentlich zweckmäßiger sei. Sie könne ohnehin nur dazu dienen, raids, lokal angelegte kleinere Invasionsvorhaben des Gegners, zu zerschlagen. Für die Abwehr einer groß angelegten Invasion sei die Marine zuständig. Auch eine überseeische Verwendung großer britischer Truppenkontingente wurde nicht erwartet.301 Außerdem sei ein Massenheer kaum mit dem Erhalt der Seesuprematie vereinbar.302 Vorwürfe, diese einführen zu wollen, richteten sich in erster Linie an Blätter wie den extremen John Bull, der - für den unvermeidlichen Konflikt mit Deutschland - ein eigenes Schema für die Einführung einer Art allgemeinen Wehrpflicht veröffentlichte.303 2.1.3 Bilanz Abschließend kann festgestellt werden, daß das deutsche Militär einen sehr großen Stellenwert in der englischen Presse einnahm. Von Einzelereignissen bis hin zur politischen Gesamtkonstellation wurde dessen Bedeutung erörtert. Hinsichtlich der Landstreitkräfte wurde Deutschland als stärkste Macht Europas angesehen. Besonders durch die große Offensivkraft der kaiserlichen Armee wurden die Gegenbemühungen der £>ite«fe-Partner gerechtfertigt. Die Times kam dennoch zu dem Schluß, daß sich die Situation Deutschlands durch die gemeinsamen Anstrengungen Rußlands und Frankreichs verändert habe: „France had become proof against intimidation. Germany was still the stronger, but not so much the stronger that France must needs submit to be treated by her as less than an equal. The recent increase in the German Army has rendered the position less favourable to Germany than before." 304 Insgesamt waren es auch hier die konservativen Zeitungen, die vor den von Deutschland ausgehenden Gefahren warnten. Diese hätten am ehesten dem Vorwort von William LeQueux Invasionsroman zugestimmt. Sein Ziel war es: „To arouse our country to a sense of its own lamentable insecurity" - „To be weak is to invite war; to be strong is to prevent it."305 Kritik wurde von britischer Seite verschiedentlich an den Militaristen und deutschen „Jingoes" geübt. Allen voran stand General Bernhardi nach der Veröffentlichung seines Buches Deutschland und der nächste Krieg im Blickpunkt.306 Aber auch der Historiker Treitschke wurde bereits als „the literary prophet of German aggressi307 on" gesehen.
3U
' Vgl. Chronicle, 10.3.1913, S. 6. Vgl. Liverpool Daily Post, 23.1.1913, S. 6; Reynolds's, 1.12.1912, S. 1; Daily News, 6.12.1912, S. 8. 303 Vgl. John Bull, 6.1.1912, S. 6, 20.1.1912, S. 72. 304 Times, 16.3.1914, S. 9. 305 LeQueux, Invasion of 1910, S. ix-x. 306 Vgl. South Wales Daily News, 29.9.1913, S. 4. 307 Observer, 28.4.1912, S. 8. 302
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Auf der Gegenseite stand eine ganze Reihe von Zeitungen, die das Wettrüsten an sich verurteilten, aber nicht Deutschland als explizit Schuldigen ausmachten. Ohnehin wurde bei den Schuldzuweisungen das gesamte Spektrum abgedeckt. Dies reichte von Vorwürfen unnötiger deutscher Aufrüstung über deren Rechtfertigung wegen der Entwicklungen auf dem Balkan, bis hin zum Verständnis für die deutsche Reaktion aufgrund der Vorgehensweise Frankreichs und Rußlands, in deren Mitte Deutschland zwangsläufig bedroht sei. Meinungen, die keine bedrohliche Situation durch die andauernden Rüstungen sahen, waren dagegen fast nicht vorhanden. Lediglich die Äußerung des Scotsman, daß vor sieben Jahren ebenso wie vor 30 Jahren Rüstungs- und Zivilausgaben sich annähernd die Waage gehalten hätten, nun aber das Verhältnis zugunsten der friedlichen Verwendung der Geldmittel auf 57,3 Prozent zu 42,7 verschoben hätten, deuten die wenigen optimistischen Stimmen in dieser Richtung an.308 Angesichts der Rüstungensbestrebungen wurde der Militarismus von pazifistischer Seite als allgemeine Gefahr für Europa betrachtet: „Militarism is the enemy here as there. There is no doubt that militarism is lifting up its head once more in England, and we must take care that it is hit hard wherever it shows itself."309
2.2 Das politische Leben in Deutschland Ähnlich wie der Kaiser selbst wurde auch „sein" Land aufmerksam beobachtet. Über das Militär hinaus spielten dabei politische und gesellschaftliche Ereignisse eine wichtige Rolle. Den Auftakt für den hier zu untersuchenden Zeitraum bilden die letzten Reichstagswahlen des Kaiserreiches im Januar 1912. Da sich Großbritannien im Selbstverständnis als Mutterland der Demokratie sah, mußte dieses Ereignis große Beachtung in der Presse finden. So ist es nicht verwunderlich, daß sich in diesem Zeitraum Hunderte von Artikeln zu diesem Thema in den britischen Zeitungen finden. Daher ist es auch nicht möglich, die Kommentierung der Wahlen bis ins letzte Detail darzustellen. Es kann nur um ein Herausarbeiten der zentralen Betrachtungslinien gehen. 2.2.1 Reichstagswahlen 1912 Bereits vor dem eigentlichen Beginn der Wahlen warteten zahlreiche Zeitungen mit Vorberichten auf. Diese umfaßten insbesondere die Darstellung des politischen Lebens in Deutschland, Wahltaktiken und Wahlprognosen.310 Besonders ausführlich waren die
308
Vgl. Scotsman, 2.1.1913, S. 4.
30
" Star, 28.4.1913, S. 4, vgl. 31.5.1913, S. 4; Observer, 28.4.1912, S. 8.
310
Vgl. Times, 9.1.1912, S. 6; Daily News, 6.1.1912, S. 5; Chronicle, 8.1.1912, S. 1; Graphic, 9.1.1912, S. 4.
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Berichte am 12. Januar 1912, dem Tag der Reichstagswahl.311 Als mögliche politische Folgen wurden neue Militärvorlagen erwartet.312 Innenpolitisch sah der Daily Mirror in der bevorstehenden Wahl ein Duell im Mittelpunkt: „The Kaiser v. Herr Bebel."313 Im Vergleich zu sonstigen Ereignissen ist in diesem Fall eine unterschiedliche Berichterstattung der national-irischen Zeitung festzustellen. Hier stand das katholische Zentrum im Mittelpunkt, „the most solid and stable of all the political groups."314 Bereits am 4. Januar kündigte die Times das Ereignis an: „[The elections] will be awaited with interest all over the world"315. Zugleich wurde jedoch vor einer Überschätzung der Ergebnisse gewarnt: „Even well-informed subjects of countries in which popularly-elected Assemblies are the real repositories of political power are sometimes inclined to forget that the Reichstag does not govern in Germany, and cannot govern under the existing constitution." Allein ein großer Sieg der Sozialdemokraten würde einiges an Aufmerksamkeit erregen. Die eingeschränkte Bedeutung der Wahl zeige sich auch daran, daß selbst zu diesem Zeitpunkt, eine gute Woche vor dem Termin, kein richtiger Wahlkampf entbrannt sei: „It is only now, little more than a week before the polls, that the semi-official organ has indicated to the electorate the attitude of the Government. Even now the indication is very imperfect." Dem Wähler werde allein gesagt, daß er gegen die SPD stimmen müsse. Besonders deutlich wurde die Daily Mail in ihrer Kritik an den Machtbefugnissen des Reichstages: „Our difficulty in understanding German institutions arises from the fact that we are living in the twentieth century, whereas Germany from the constitutional standpoint has not yet reached the year 1649." Der Reichstag hätte lediglich auf dem Papier gewisse Rechte, „but in reality its authority is exceedingly restricted." Das Schlimmste, zu dem das Parlament fähig sei, „would be in some small degree to annoy the Imperial Government." Deshalb sei Deutschland „in fact, still an autocracy, tempered by a modest measure of parliamentary criticism."316 Das Eigenartige daran sei, daß „the German electorate is a broader democracy than our own." 317 Es gebe in Deutschland keinerlei Verknüpfung mit Besitz, sondern lediglich eine Bindung an eine Altersgrenze, um als Mann zur Wahl zugelassen zu werden. In der Tat war das allgemeine, gleiche Männerwahlrecht vom prozentualen Anteil der Wahlberechtigten demokratischer als in Großbritannien, wo nur ca. 60 Prozent der volljährigen männlichen Briten an die Urnen durften.318
311
Vgl. Β'ham Post, 12.1.1912, S. 7; Yorkshire Post, 12.1.1912, S. 6; Morning Leader, 12.1.1912, S. 1; Sketch, 12.1.1912, S. 6; Graphic, 12.1.1912, S. 4; Daily News, 12.1.1912, S. 1. 312 Vgl. Irish Independent, 8.1.1912, S. 4. 313 Mirror, 8.1.1912, S. 5. 314 Irish Independent, 8.1.1912, S. 4. 3,5 Times, 4.1.1912, S. 7. 316 Daily Mail, 5.1.1912, S. 4. 317 Daily Mail, 6.1.1912, S. 4. 318 Vgl. Müller, Nation, S. 50, 291, 327.
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Dennoch stand das deutsche Wahlrecht immer wieder in der Kritik. Die auf den Einwohnerzahlen von 1866 basierenden Wahlkreise hätten bei der letzten Wahl 1907 dafür gesorgt, daß die SPD bei über drei Millionen Stimmen nur 43 Parlamentssitze erhalten habe, die Konservativen mit zwei Millionen Stimmen aber 112 Mandate: „A system that produces this unfair result is even more unsatisfactory than our own."319 Darüber hinaus hätte das deutsche Parlament weniger Machtbefugnisse als sämtliche anderen Vertretungen außer der russischen Duma. Da es auch keine Möglichkeiten gebe, auf das Kabinett einzuwirken, sei unabhängig vom Wahlergebnis nicht mit einer Änderung der Außenpolitik zu rechnen.320 Diese kritische Sicht der deutschen Verfassungswirklichkeit wurde nicht nur von konservativen Zeitungen vertreten, sondern fand sich auch in liberalen Blättern wieder. Beispielsweise nahm der Labour-Fübicr Ramsay MacDonald dazu im Daily Chronicle ausführlich Stellung.321 Nur in wenigen Fällen wurde zugegeben, daß das deutsche System auch Vorteile gegenüber der britischen Demokratie hatte. So erwähnte der Manchester Guardian das deutsche Interpellationsrecht lobend, das in Großbritannien wesentlich schwerer umzusetzen sei: „[...] both in France and Germany general debates on foreign policy arising out of an interpellation are of great frequency."322 Als eine von wenigen differenzierte diese Zeitung das deutsche Wahlsystem auch im Detail. So wurde hier eine Unterscheidung zwischen dem demokratischen Wahlrecht auf Reichsebene und dem preußischen Drei-Klassen-Wahlrecht getroffen, das über den Bundesrath die eigentliche Bremse auf dem Weg zur Demokratisierung sei. Dennoch wurde den Wahlen eine große außenpolitische Bedeutung beigemessen. Angesichts der deutschen diplomatischen Niederlage in der Marokkokrise „no scapegoat can be found at home; therefore Great Britain has to bear the burden of that devoted animal."323 Deshalb sei die Reaktion der deutschen Wähler für Großbritannien von besonderem Interesse. Der Daily Telegraph wies daraufhin, daß die Wahl teilweise sogar als „the .English' election"324 bezeichnet werde, „because so many angry speeches are being delivered against this country". Dies wurde in Anlehnung an die nationalistisch geprägte „Hurrah election" als Vorteil für die anti-englischen Parteien gesehen. Der Daily Chronicle stellte um so dankbarer fest: „We look, happily, in vain for any indication of bellicose, anti-English feeling among the mass of the German people."325 Die Irish Times befürchtete angesichts dieser Problematik bei einem Wahlsieg der SPD
319
South Wales Daily News, 12.1.1914, S. 4, vgl. 12.1.1914, S. 4; Glasgow Herald, 4.1.1912, S. 8; Scotsman, 4.1.1912, S. 4; Telegraph, 3.1.1912, S. 10; Times, 15.1.1912, S. 9. 320 Vgl. Graphic, 8.1.1912, S. 4. 321 Vgl. Chronicle, 27.1.1912, S. 4. 322 Guardian, 6.4.1912, S.4. 323 Scotsman, 10.1.1912, S. 8, vgl. Daily News, 8.1.1912, S. 1,12.1.1912, S. 4; Irish Times, 5.1.1912, S. 4. 324 Telegraph, 3.1.1912, S. 10, vgl. Chronicle, 15.1.1912, S.6; Irish Times, 13.1.1912, S. 6. 325 Chronicle, 15.1.1912, S. 6.
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sogar einen Appell der Regierung an den Patriotismus der Bevölkerung: „The resultant wave of Jingoism may sweep the country into war." Mit Bekanntwerden der Wahlergebnisse setzte sich in Großbritannien der Eindruck eines überwältigenden Sieges der SPD durch. Von „sweeping success of the Socialists" und „liberal landslide" wurde gesprochen. Der Daily Express sprach sogar von der „Red Flood in Germany."329 Die Wortwahl konservativer und liberaler Zeitungen unterschied sich dabei kaum.330 Um Erklärungsversuche für den Wahlausgang waren die Zeitungen nicht verlegen. Da bereits im Vorfeld von der außenpolitischen Bedeutung gesprochen worden war, scheute sich die große Sonntagszeitung People nicht, als Grund für den Erfolg der SPD die Marinepolitik der Regierung auszumachen. Diese Marinepolitik „had been proved antagonistic to German feeling."331 Mit Zufriedenheit wurde festgestellt, daß „a third of the total members of electors in Germany are on the side of the party whose ideals are the antitheses of those of the governing powers."332 Dies wurde besonders angesichts der internationalen Lage mit der überwundenen Marokkokrise hervorgehoben: „[...] it is plain that the German people have not been greatly influenced by the Chauvinists' clamour for a bigger navy."333 Auch wenn aufgrund der legislativen Lage in Deutschland zunächst keine Änderung der Außenpolitik zu erwarten sei, wurde doch betont, daß die „belicose foreign policy"334 der deutschen Jingoes zu den Erfolgen der SPD beigetragen habe. Die demokratischste der deutschen Parteien würde nach Möglichkeit auch der Marinerivalität mit Großbritannien ein Ende setzen.335 Die Wahl sei demnach als „Jingo Rebuff' 336 und „Great Peace Demonstration"337 zu verstehen. Dies könne nur positive Folgen für den Frieden in Europa haben: „The German Government will not rattle the sword-hilt so loudly in the face of Europe with the knowledge that four and a quarter millions of men marching shoulder to shoulder, and in military step, have gone to the polls in favor [sic!] of a policy of peace and patriotic progress."338
326
Irish Times, 5.1.1912, S. 4. People, 14.1.1912, S. 1, vgl. Sketch, 15.1.1912, S. 7; Observer, 14.1.1912, S. 9; South Wales Daily News, 15.1.1912, S. 5; Mirror, 13.1.1912, S. 3; Guardian, 13.1.1912, S. 9. 328 Reynolds's, 14.1.1912, S. 1. 329 Daily Express, 15.1.1912, S. l.vgl. Daily News, 13.1.1912, S. 1; Evening News, 13.1.1912, S. 1. 330 Vgl. Evening Express, 26.1.1912, S. 3; Westminster Gazette, 15.1.1912, S. 1; Glasgow Herald, 13.1.1912, S. 9; Chronicle, 13.1.1912, S. 1; Daily Mail, 15.1.1912, S. 4; Morning Leader, 13.1.1912, S. 1, 15.1.1912, S. 1. "'People, 14.1.1912, S. 1. 332 B'ham Post, 15.1.1912, S. 6. 333 B'ham Post, 27.1.1912, S. 8, vgl. 13.1.1912, S. 8. 334 Reynolds's, 21.1.1912, S. 1, vgl. Evening Express, 12.1.1912, S. 2. 335 Vgl. Liverpool Daily Post, 13.1.1912, S. 6. 336 Star, 13.1.1912, S. 2, vgl. Daily News, 15.1.1912, S. 4. 337 Star, 15.1.1912, S. 2. 338 Star, 15.1.1912, S. 2. 327
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Innenpolitisch betrachtet erkannte der Observer zwar die großen Erfolge der SPD an, machte zugleich aber auf die Stimmenverluste der liberalen Parteien aufmerksam. Für die Regierung bedeute dies: „The 'blue-black bloc,' formed by what are called the great reactionary groups, is chipped, but not shattered."339 Seine Zufriedenheit drückte der Scotsman aus: „The Right have suffered heavily". Selbst der Fraktionsfuhrer der Konservativen, Heydebrand „who figured so prominently in the anti-British polemic in the Chamber, will have to take the chances of a second ballot."340 Dennoch hatte sich fur die Daily Mail nicht viel geändert. Nach wie vor sei der Reichstag „a mere shadow of a Parliament." Er habe nicht das Recht der Gesetzesinitiative oder könne die Verfassung ändern. Der Kanzler sei weiter ausschließlich dem Kaiser verantwortlich, ein Eingriff in den Militärhaushalt sei angesichts der langjährigen Vorlagen nicht denkbar: „If there is to be any change, then, it will be one for the worse." Unter diesen Umständen könnten die Spannungen in Europa sogar zunehmen: „The lesson for us in this country is plain. At whatever cost we must make ourselves safe."341 Das neu gewählte deutsche Parlament bleibe „a fresh Geman debating society"342. Als bedenklich empfand die Times die Verluste der gemäßigten Parteien zugunsten der SPD: „The German nation is splitting up into two irreconcilably hostile camps, the one representing all the old forces of uncompromising resistance to change, the other representing modern democratic forces in an extreme and in principle avowedly revolutionary shape." Dies könne zu einer gefährlichen Situation in einem Land führen „where the forces of resistance [...] have retained absolute control of the machinery of the State"343. Im Gegensatz zu den tatsächlichen politischen Auswirkungen, die die Daily Mail in den Vordergrund rückte, legte die Daily News den Schwerpunkt der Wahlen auf ihre Aussagekraft hinsichtlich der Stimmung der deutschen Bevölkerung: „So far as the German people are concerned, they have given the best proofs they could of their love of peace." Deutschland werde oft als anti-demokratische Nation verstanden. Dies sei jedoch keineswegs so: „In no European country is the democratic majority of the electors so large or so determined."344 Noch weiter ging der Manchester Guardian: „Had the Socialists done badly it would have been put down to the feeling against this country, and as they have done so well it must be counted as a favourable omen for peace."345 Es sei eine Wahl „against the madness of an Anglo-German war" 346 gewesen. Der Morning Leader gestand ein, daß das Wahlergebnis keine kurzfristigen Auswir-
339
Observer, 14.1.1912, S. 8, vgl. Graphic, 15.1.1912, S. 5.
340
Scotsman, 15.1.1912, S. 6.
341
Daily Mail, 16.1.1912, S. 4, vgl. Morning Leader, 23.1.1912, S. 4. Daily Mail, 24.1.1912, S. 4.
342 343 344 345 346
Times. 15.1.1912, S. 9. Daily News, 27.1.1912, S. 4. Guardian, 15.1.1912, S. 6, vgl. Glasgow Herald, 24.1.1912, S. 8. Star, 6.2.1912, S. 2.
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kungen auf die Regierungspolitik haben müsse, „but it seems a very short-sighted vision which iscontent to look no further than that."347 In jedem Fall, so die Liverpool Daily Post, sei das Erstarken der SPD „evidence of the tendency of opinion there, as elsewhere, in the direction of increased control by the democracy."348 Noch könne sich das Parlament nicht gegen den Reichskanzler durchsetzen. Doch genau dagegen werde mit dem Wahlergebnis protestiert: „Sooner or later the Government must bend to the will of the people."349 Sehr positiv wurde gesehen, daß die SPD für den Fall eines Krieges einen Generalstreik ausrufen wolle.350 Dennoch sah die Irish Times gerade auch darin eine Gefahr. Die herrschende Klasse sei damit bedroht, früher oder später die Macht zu verlieren. Deshalb bestehe die Gefahr, daß sie zum Machterhalt einen Krieg riskieren würde, um die innenpolitische Lage unter Kontrolle zu halten.351 Das eindeutige Fazit der liberalen Seite lautete daher: „The German bogey has vanished, and even the antiGerman Press is silenced. Its occupation is gone. Germany and Great Britain are nearer to a friendly understanding than they have been for ten years. We know that neither the Kaiser nor his people aim at aggression."352 Große Aufmerksamkeit erregten die Wahlergebnisse einzelner Städte. Fast schon als sensationell wurden die Wahlerfolge der SPD im katholischen Düsseldorf und in Köln gesehen. Unverhohlene Schadenfreude wurde ob der Siege der Partei in Berlin und in der kaiserlichen Garnisonsstadt Potsdam laut.353 Allein „in the .Kaiser's District'"354 sei die Mehrheit der SPD um weniger als zehn Stimmen vereitelt worden: „A few additional votes on the Socialist side, and Berlin would have been 'all red.' That is, indeed, a strong protest against the existing system of rule in the Fatherland, against militarism, Protection, and the absence of responsible Parliamentary government - and another striking link in the chain of evidence pointing to the peaceable disposition of the German people."355 2.2.2. Machtverhältnisse in Deutschland Die Verfassungslage in Deutschland wurde parteiunabhängig sehr kritisch betrachtet. Abgesehen von den Wahlen kam es auch während der Berichterstattung zum Thronjubiläum Wilhelms zu diesbezüglichen Anmerkungen. Die Verfassung sei „neither truly
347
Morning Leader, 15.1.1912, S. 4.
348
Liverpool Daily Post. 18.1.1912, S. 6. South Wales Daily News, 24.1.1912, S. 4.
349 350
Vgl. Irish Times, 17.1.1912, S. 6.
351
Vgl. Irish Times, 17.1.1912, S. 6. Daily News, 5.2.1912, S. 6.
352 353
Vgl. Sketch, 26.1.1912, S. 6; Westminster Gazette, 23.1.1912, S. 7; Mirror, 23.1.1912, S. 3; Glasgow Herald, 26.1.1912, S. 9; Chronicle, 26.1.1912, S. 4; Daily Express, 26.1.1912, S. 1; Star, 13.1.1912, S. 2.
""Chronicle, 23.1.1912, S. 4. 355 Chronicle, 23.1.1912, S. 4.
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absolutist nor genuinely democratic"356 und daher „both anomalous and inconvenient." Die Yorkshire Post war sich sicher: „The Constitution of the Empire is a curious combination of autocracy and democracy."357 Das Regierungssystem „appears an odd and hazardous experiment." Die preußische Kammer werde nach einem „archaic suffrage system"359 gewählt. Da Wilhelm kein Demokrat sei und ihm zudem eine „semimediaeval attitude"360 gegenüber Parteien nachgesagt wurde, stehe es nicht zu erwarten, daß demokratische Verfassungsreformen von ihm unterstützt würden.361 Außerdem glaube er „that he holds his Crown by Divine right, as Divine right was understood by the Bourbons and by the Stuarts"362. So rief Wilhelm den Unmut einiger englischer Zeitungen hervor, weil er zwar den Präsidenten der beiden preußischen Kammern die Hand geschüttelt habe, nicht aber dem Präsidenten des demokratisch gewählten Reichstages. 363 Die vergeblichen Reformbewegungen um dieses Wahlrecht verglich der Observer sogar mit der Home Rule Crisis in Irland364, die 1913/14 das schärfste innenpolitische Problem in Großbritannien darstellte. Des weiteren stand die Verantwortlichkeit der Regierung im Blickpunkt. Besonders während der ZabernafFäre365 kam dies zum Ausdruck. Aufgrund der Unzufriedenheit des Parlaments mit der Vorgehensweise der Regierung in dieser Angelegenheit sprach es dem Reichskanzler Bethmann Hollweg mit 293:54 Stimmen das Mißtrauen aus.366
356
B'ham Post, 16.6.1913, S. 6. Yorkshire Post, 26.1.1912, S. 6. 358 Daily News, 16.6.1913, S. 6, vgl. Graphic, 8.12.1913, S. 4. Hier wird von „extraordinary anomalies of the Constitutional situation" gesprochen. 359 Observer, 22.6.1913, S. 14, vgl. Chronicle, 24.1.1914, S. 6; Times, 26.1.1914, S. 9; Daily Express, 14.6.1913, S. 6: „[Germany has] an electoral system which can probably claim t o b e the most unfair in Europe". Hier setzte der Verfasser des Artikels das preußische Wahlrecht mit dem Wahlrecht auf Reichsebene gleich. 357
360
B'ham Post, 16.6.1913, S. 6. Vgl. B'ham Post, 16.6.1913, S. 6: „[...] the King of Prussia, who is also German Kaiser, is no democrat, and no movement in the direction of constitutional reform seems likely to receive much encouragement from him." 362 Times, 14.6.1913, S. 9. 363 Vgl. Chronicle, 30.1.1914, S. 1; Daily Mail, 30.1.1914, S. 5. 364 Vgl. Observer, 24.5.1914, S. 15. 365 Ausgelöst wurde diese Affäre durch einen jungen preußischen Offizier, der in der Garnison Zabem im Reichsland Elsaß-Lothringen Dienst tat. Bei einer Auseinandersetzung beschimpfte Leutnant Günther von Forstner einen Zivilisten als „Wackes", ein für Elsässer benutztes Schimpfwort, was in etwa Rowdy oder Tunichtgut bedeutet. Im weiteren Verlaufkam es zu gegenseitigen Beschimpfungen. Es folgten wütende Demonstrationen und Proteste der Bevölkerung. Durch Festnahmen, die das Militär eigenständig ohne die nötige polizeiliche Legitimation vornahm, kam es zu einer weiteren Eskalation. Der Umgang der Reichsregierung erregte im Parlament so großes Mißfallen, daß dem Kanzler das Mißtrauen ausgesprochen wurde. Da dieser jedoch allein dem Kaiser gegenüber verantwortlich war, konnte er nicht zum Rücktritt gezwungen werden. Vgl. Schoenbaum, David: Zabem 1913. Consensus Politics in Imperial Germany, 1913, London 1982, Mackay, Richard: The Zabem Affair, 1913-1914, Lanham, New York, London 1991. 361
366
Vgl. Times, 5.12.1913, S. 9. Es gab vier Enthaltungen.
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Dies habe die Meinung der empörten Bevölkerung widergespiegelt, die „in revolt against the domineering oppression of a military caste"367 sei. Da der Kanzler jedoch nur dem Kaiser gegenüber verantwortlich war und nicht dem Parlament, konnte er einen Rücktritt vermeiden, wie es in keinem „constitutional country"368 denkbar sei. Dies rief die äußerst scharfe Kritik der britischen Presse hervor.369 Die Affäre wurde zu einer Auseinandersetzung zwischen zivilen und militärischen Autoritäten stilisiert.370 Im bewußten Gegensatz wurde das französische Parlament als positives Beispiel gesehen. Erst vor kurzem sei die Regierung wegen eines Mißtrauensvotums mit 25 Stimmen Mehrheit zurückgetreten. In Deutschland hätten nicht einmal 239 Stimmen Mehrheit dafür ausgereicht.371 Im Sinne der Realpolitik äußerte die Irish Times dafür einen gewissen Grad an Verständnis: Wenn der Kanzler zurückgetreten wäre, hätte dies einen Präzedenzfall dargestellt: „It may be taken for granted, therefore, that the Emperor will try to keep the present Imperial Chancellor in office." 372 Daß der Kanzler bei der Verteidigung der Vorfälle gegen die eigene Überzeugung handelte, wurde nicht bekannt.373 Die Auseinandersetzung mit diesen Umständen ist als heftiger Vorwurf gegen die deutsche Verfassungswirklichkeit zu bezeichnen. Die Kritik, nicht über eine repräsentative Regierung zu verfügen, verband die Daily Mail mit dem Vorwurf Deutschland sei „a military autocracy."374 Diese Sicht beschränkt sich nicht auf die Zeit der Reichstagswahlen. Auch ein Jahr später hieß es in derselben Zeitung, daß der Reichstag „is not very much more powerful than any of our suburban debating societies."375 Die Macht liege allein beim Kaiser. Wie gut das Boulevardblatt informiert sein konnte, zeigt dabei die Anspielung auf die Eintragung Wilhelms ins goldene Buch der Stadt München: suprema lex regis voluntas. Derartig harsche Äußerungen finden sich beispielsweise auch in der South Wales Daily News: „Let a weaker man succeed the present ruler and the country would be entirely in the grip of a military despotism"376. Im Mittelpunkt der Kritik am deutschen Militarismus stand General Bernhardi, der in seinem Buch „the deliberate philosophy and almost the reli367
Yorkshire Post, 5.12.1913, S. 6, vgl. Times, 4.12.1913, S. 8, 5.12.1913, S. 9; Guardian, 6.12.1913, S. 8. Scotsman, 6.12.1913, S. 8. 369 Vgl. z.B. Star, 10.12.1913, S. 4: „One imagines with amusement the storm that would be created here did Mr. Asquith, adopting Herr von Bethmann Hollweg's language, tell the British House of Commons: 'Your vote of want of confidence has no effect on me. Any attempt to influence the King's decisions thereby is unconstitutional: the King alone is empowered to appoint and dismiss Prime Ministers.' International relations are not secure while a German Chancellor can scorn the people's elected representatives thus." 370 Vgl. Chronicle, 5.12.1913, S. 6. 371 Vgl. Irish Independent, 5.12.1913, S. 4. 372 Irish Times, 9.12.1913, S. 6, vgl. Westminster Gazette, 11.12.1913, S. 1. 373 Vgl. Kaiser, David: Germany and the Origins of the First World War, in: Journal of Modern History 55,3 (1983), S. 442-474, hier S. 462. 374 Daily Mail, 31.1.1912, S. 4. 375 Daily Mail, 22.3.1913, S. 4. 376 South Wales Daily News, 29.1.1914, S. 4, vgl. 24.1.1914, S. 6; Glasgow Herald, 10.2.1913. S. 8. 368
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gion of destruction" ausdrückte und der Historiker Treitschke, „the literary prophet of German aggression". Auch wenn der deutsche Militarismus schon davor skeptisch betrachtet wurde 378 , so erreichte die Diskussion erst durch die Zabern-Affäre ihren Höhepunkt. Nach den Ereignissen in der kleinen elsässischen Garnisonsstadt stand dieses Thema wochenlang im öffentlichen Interesse. Von allen politischen Seiten wurde scharfe Kritik am Vorgehen der deutschen Militärs geübt. Dies reichte vom sozialistischen Daily Herald bis hinein in die konservativsten Reihen. Seitenweise wurden Artikel über Zwischenfalle, Hintergründe und Stellungnahmen abgedruckt. 379 Anhand der Zabern-Affäre habe man gesehen, wozu „Sabre Dictatorship" und „primitive barbarism" 380 fuhren könne. Über die Verurteilung eines verantwortlichen Offiziers wurde Zufriedenheit geäußert: .Arrogant militarism has received a staggering blow in Germany" 381 . Nun stehe nur noch die Verurteilung der Vorgesetzten aus. Das Ganze habe insofern etwas Gutes für sich gehabt, da der Soldat wenigstens gezeigt habe, „what an anomalous power [lies] in the hands of the military in relation to civic government" 382 . In Deutschland gebe es die Vorstellung, daß die Armee niemals Fehler begehe: „The army has been made a god." 383 Den Höhepunkt erreichten Berichterstattung und Proteste im Januar 1914 nach der Verkündung weiterer Urteile über angeklagte deutsche Offiziere. Diesen wurde als Vorgesetzten die Verantwortung für das Verhalten ihrer Untergebenen angelastet. Im Vorfeld hatte die Times erklärt, daß das Urteil zeigen werde, „whether law or military caprice is supreme in Germany" 384 . Unter diesem Motto erfolgte dann auch die Bewertung, als bekannt wurde, daß sowohl die Strafe des bereits verurteilten Leutnants von Forstner aufgehoben wurde, als auch dessen Vorgesetzte freigesprochen wurden. Die große Überraschung und das Unverständnis darüber wird an den Kommentaren der Zeitungen sehr deutlich:, Amazing End of [a] Sensational German Court-Martial: Whitewash All Round." Das Ergebnis des Kriegsgerichts „was hailed with jubilation in military circles, and it is hailed as a great triumph for the Army." 385
377
Observer, 28.4.1912, S. 8. Vgl. Β'ham Post, 16.6.1913, S. 6; Observer, 29.3.1914, S. 15; Guardian, 14.6.1913, S. 10, 16.6.1913, S. 8: „German militarism is not to be confused with the warlike spirit; both the French and the English are naturally much more bellicose than the German." 379 Die enorme Anzahl der Artikel kann hier nicht wiedergegeben werden. Als Beispiel soll der Manchester Guardian angefühlt werden, der Anfang Dezember allein drei Leitartikel in Folge brachte: 4.12.1913, S. 8, 5.12.1913, S. 8, 6.12.1913, S. 8, vgl. z.B. auch Westminster Gazette, 2.12.1913, S. 7,4.12.1913, S. 8; Glasgow Herald, 2.12.1913, S. 7; Scotsman, 4.12.1913, S. 9; Evening News, 2.12.1913, S. 1. 380 Reynolds's, 7.12.1913, S. 9. 381 News of the World, 7.12.1913, S. 8, vgl. Chronicle, 20.12.1913, S. 4. 382 Β'ham Post, 6.12.1913, S. 8. 383 Daily Express, 4.12.1913, S. 4. 384 Times, 8.1.1914, S. 6. 385 Reynolds's, 11.1.1914, S. 3, vgl. Westminster Gazette, 10.1.1914, S. 7; Evening News, 10.1.1914, S. 1. 378
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In Anspielung auf die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick, schrieb die Daily Mail, daß offenbar „a man clad in officer's uniform and armed with a sabre, can do ifl/:
anything in Germany'" . Eine derartige Ungerechtigkeit sei in England nicht denkbar, da anders als in Deutschland Soldaten und Zivilisten vor dem Gesetz gleich und Militärund Zivilgerichtsbarkeit nicht getrennt seien. Mit unverhohlener Kritik zitierte die Daily News den Angeklagten Reuter, der „held that it would have been a good thing if the blood of unarmed and peaceful citizens had been shed for the protection of military prestige and honour." Dies gebe die Ansichten der preußischen Militärkaste wieder. Zusammmen mit dem Urteil sei daraus der Schluß zu ziehen „that the sabre and not the law rules in Germany."387 Außerdem wurde der Eindruck erweckt, daß „military authority above the law"388 gehoben würde. Das zeige die wahren Machtverhältnisse in Deutschland. In Großbritannien, den USA und Frankreich werde auf lange Sicht die Politik von der öffentlichen Meinung gemacht, da die Minister dem Parlament und der Wählerschaft verantwortlich seien. In Deutschland sei die Situation vollkommen anders: „[...] the dominant power in German life and policy is not the voice of the people, the wisdom of great thinkers and philosophers, or even the sagacity of statesmen, but simply a powerful military caste which has arrogated to itself a place above the law and the Government."389 Das deutsche Volk habe „nothing to do with the direction of imperial policy." Die Macht liege allein beim Kaiser und dessen Kanzler, „who is, in effect, the instrument of a personal, dynastic, and absolutist policy." Deutschland würde nicht regiert von „Parliaments and votes, but by an aristocratic caste of soldiers and bureaucrats, with the Emperor at their head."390 Dessen Macht unterscheide sich kaum von den mittelalterlichen Hohenzollern: „He can make war and conclude peace, can summon or dissolve the Federal Council and the Imperial Diet at his pleasure"391. Einzig und allein der Daily Sketch konnte der Angelegenheit etwas Positives abgewinnen. Zwar sollte Zabern nicht imitiert werden, aber auch in England „officers should not be so ashamed of their uniforms. [...] an officer should be proud of his trade."392 Auch mit den Nachwehen der Krise zeigte sich die Presse alles andere als zufrieden. Der Rücktritt des Statthalters im Reichsland, Wedel, der sich in der Folgezeit der Krise für die Belange der Elsässer stark gemacht hatte, sei die „immediate stultification of
386
Daily Mail, 12.1.1914, S. 7, vgl. Guardian, 9.1.1914, S. 8. Daily News, 12.1.1914, S. 8, vgl. Times, 12.1.1914, S. 10; Observer, 11.1.1914, S. 9: „'Sabre rule' remains paramount over the civil law in Germany. That is the essence of the historic triumph which the Army achieved over the people." Vgl. S. 11; Chronicle, 12.1.1914, S. 6. 388 Evening Express, 12.1.1914. S. 4. 389 South Wales Daily News, 14.1.1914, S. 4, vgl. Glasgow Herald, 13.1.1914, S. 6. 390 Daily Mail, 13.1.1914, S. 4. 391 Glasgow Herald, 11.12.1913, S. 8. Auf den Hinweis, daß die Hohenzollern im Mittelalter nur eine unbedeutende Rolle unter den Adelsgeschlechtern spielten, wurde verzichtet. 392 Sketch, 17.1.1914, S. 3. 387
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every form of civil jurisdiction"393. Ironisch kommentiert wurde das neue Kommando des Obersten von Reuter: In Bromberg „[he] may drill Poles instead of Alsatians."394 Als Abschluß verkündete der Star, daß das deutsche Parlament zukünftig keine Mißtrauensvoten mehr aussprechen wolle: „The result was really another victory for militarism."395 Das Volk, allen voran die Sozialdemokraten, sei mit den Vorkommnissen aber alles andere als einverstanden. Diese hätten noch zu wenig Macht und Durchsetzungsvermögen, um etwas an den bestehenden Verhältnissen ändern zu können. Immerhin wurde die Überzeugung ausgedrückt, daß die Junker in „the long run [...] are doomed to defeat." 396 Dieselbe Hoffnung drückte auf der anderen Seite des politischen Spektrums der Manchester Guardian aus.397 Die Vorgänge von Zabern erklärten in den Augen der Zeitungen in jedem Fall, warum das Reichsland „remains spiritually united with France." Auch wenn dem in der historischen Forschung überzeugend widersprochen wurde, ist es aus der zeitgenössischen Aufregung heraus doch verständlich, daß der Glasgow Herald die Konflikte um das Reichsland als „a European question" sah: „[...] perhaps it should be called The European Question."398 Auffallig ist, daß gerade der national-irische Irish Independent der Zabern-Affäre wenig Aufmerksamkeit schenkte. Angesichts der ähnlich gelagerten Problematik wäre zu erwarten gewesen, daß besonders die katholischen Iren gegenüber den Vorgängen im Elsaß Stellung nahmen, um damit indirekt auf ihre eigene Situation aufmerksam zu machen. Dies konnte allerdings nicht bestätigt werden. Dafür war es die unionistische und regierungsnahe Irish Times, die ausführlich berichtete.399 Einigkeit herrschte darin, daß die Tage der Regierung gezählt gewesen wären, wenn es in Deutschland ein „parliamentary regime instead of a semi-autocratic Government"400 gegeben hätte. Vielfach wurde die Hoffnung auf einen Sturz Bethmanns401 und eine Parlamentarisierung zum Ausdruck gebracht. Schon die Versetzung des in Zabern ansässigen Regiments wurde als „one of the most striking victories won by public opinion in the history of modern Germany"402 gesehen. Viel wichtiger war jedoch die
3.3
Graphic, 29.1.1914, S. 4. Times, 3.2.1914, S. 5. 3.5 Star, 24.2.1914, S. 4. 3.6 Times, 26.1.1914, S. 9. 3.7 Vgl. Guardian, 12.1.1914, S. 8: „The affair, of course, cannot end where it is now, and, though the very moderate Liberals who voted with the Left against the Chancellor in the first Reichstag debate on the matter are said by our correspondent to be weakening, it is to be hoped they will join in the demand for a revision of the military law into something more in accordance with democratic principles and common sense. If they do not, there are storms ahead." 3.4
3.8 399 400 401 402
Glasgow Herald, 2.12.1913, S. 6, zur Forschung vgl. Schoenbaum, Zabern und Mackay, Zabern Affair. Vgl. z.B. Irish Times, 13.1.1914, S. 4. Daily Mail, 5.12.1913, S. 7. Vgl. z.B. Times, 8.12.1913, S. 11,4.12.1913, S. 8. Daily Mail, 6.12.1913, S. 5, vgl. Daily Express, 2.12.1913, S. 1.
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große Chance, die die Demokraten ausnutzen sollten: „[...] never in recent years have the Champions of Parliamentary government in Germany enjoyed a better opportunity for advancing the cause they have at heart."403 Falls, „after this vote, the Chancellor resigns or is dismissed, then Parliamentary Rule [in Germany] is fact"404. Kein Kanzler könne dann zukünftig mehr ein Mißtrauensvotum ignorieren und im Amt verbleiben. Teilweise wurde der Sturz der Regierung schon als beschlossene Sache betrachtet.405 Da es dennoch nicht zum Rücktritt Bethmanns kam, war die Enttäuschung in der Presse umso größer. So fühlte sich der Korrespondent der Daily Mail ins 16. Jahrhundert zurückversetzt, als er die Begründung für den nicht erfolgten Rücktritt in einem Artikel mit der Überschrift „The Kaiser above the Reichstag"406 wiedergab. Der Kanzler habe keine Einschränkung der kaiserlichen Machtmittel hinnehmen wollen. Bedauernd wurde festgestellt, Deutschland sei „pleased with her Tudor system."407 Trotzdem drückte die Western Mail ihre Zukunftshoffnungen aus. Die Reaktionen hätten gezeigt: „[...] the principle of military despotism, however much it may be upheld by Royal decree and court-martial, is not likely to survive much longer. The Zabem incidents, and not less the Zabem court-martial will probably probe its deathblow."408 Als Anhänger einer starken britischen Armee konnte sich die Zeitung aber nicht verkneifen, daß die Vorherrschaft des Militärs in Deutschland nichts mit der Wehrpflicht zu tun habe. Somit würde das politische System in Großbritannien bei Einführung eines National Service unberührt bleiben.409 Auch die Westminster Gazette drückte die Hoffnung aus, daß Deutschland früher oder später eine repräsentative Regierungsform erhalten werde. Obwohl das Militär aus der Zabern-Affäre zunächst als Sieger hervorgegangen sei, hätten die Demokraten doch starken zahlenmäßigen Zulauf erhalten.410 Allerdings war die Enttäuschung spürbar, als die Krise kurzfristig keine Änderungen brachte. So wurde die Wiederholung der Reichstagsdebatte über die Affare Ende Januar als „a comparatively tame and uninteresting affair" gesehen: „The Reichstag has sunk into its usual condition of lethargic acquiescence". Bedauernd vertrat die Zeitung die Ansicht, daß „apparently military tyranny is not so unpopular in Germany as we have 403
B'ham Post, 9.12.1913, S. 6, vgl. Daily Mail, 8.12.1913, S. 9; Times, 5.12.1913, S. 9. Graphic, 8.12.1913, S. 5. 405 Vgl. Star, 4.12.1913, S. 4: „The grotesque defence [of the occurences by the Chancellor in the Reichstag] has apparently made the downfall of the Government certain." 406 Daily Mail, 10.12.1913, S. 7: Der Berliner Korrespondent meldete: „I was carried back to the sixteenth century for half an hour this afternoon while 1 listened to Dr. von Bethmann-Hollweg, the Imperial Chancellor, addressing the Reichstag on the fallacy of Parliamentary Government." Vgl. 13.1.1914, S. 4; Daily Express, 5.12.1913, S. 1; Yorkshire Post, 8.12.1913, S. 6; Graphic, 8.12.1913, S. 4; Daily News, 6.12.1913, S. 6. 407 Daily Mail, 15.12.1913, S. 6. 408 Western Mail, 12.1.1914, S. 4. 409 Vgl. Western Mail, 12.1.1914, S. 4. 410 Vgl. Westminster Gazette, 13.1.1914, S. 1, 8. 404
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been led to believe. There has been no revolt, no reaction against it."411 Noch enttäuschter war das Dubliner Blatt einen Monat später: „[...] the result of the struggle is a complete triumph for the forces of reaction - a result utterly unexpected by the rest of Europe."412 Berichterstatter der Times während der Zabern-Affare war der spätere Auslandsredakteur Steed. Nachträglich erschienen ihm die Ereignisse als „a pertinent reminder of the precarious quality of European peace" 413 - eine Befürchtung, die in seiner Berichterstattung nur am Rande angesprochen wurde. Das Besondere an seiner Anwesenheit war, daß er trotz seiner bekanntermaßen deutschlandkritischen Sicht unerkannt am Prozeß gegen die verantwortlichen Offiziere teilnehmen konnte 414 Für seine Berichte aus Straßburg wurde Steed ausdrücklich von C/i/e/Northcliffe gelobt: „I meant to tell you how pleased I was about Zabern"415. Ebenso aufmerksam wie die britische Presse die Vorgänge in Elsaß-Lothringen verfolgte, so verfolgte auch die deutsche Botschaft die Berichterstattung in der britischen Presse. Mit Bedauern meldete Lichnowsky nach Berlin, „daß die Blätter der beiden großen englischen Parteien sich dabei fast durchweg zu Ungunsten des Militärs und des in Elsaß-Lothringen angewandten Regierungssystems ausgesprochen haben." Erklärt wurde dies mit französischen Einflüssen und dem mangelnden Verständnis der Zeitungen für die historische Rolle des preußischen Militärs. Als Ergebnis stellte der Botschafter fest, „daß die Vorgänge in Zabern und die sich daran anschließenden parlamentarischen Verhandlungen uns in der öffentlichen Meinung Englands sehr geschadet haben."416 Es werde einige Zeit vergehen, bis der ungünstige Eindruck vergessen sein werde. Etwas relativierend empfahl er eine Woche später, die Vorgänge „in Vergessenheit geraten zu lassen. Heldengestalten ä la Reuter und Forstner sind dem hiesigen Publikum unverständlich und unsympathisch, und alles, was an Säbelregiment erinnert, widerspricht dem politischen Empfinden des Briten."417 Die Gemütslage in Großbritannien sei jedoch zu dieser Zeit so günstig gewesen, daß er keine dauerhafte Beeinträchtigung mehr befürchtete, zumindest solange sich Vorfälle wie in Zabern nicht wiederholten. Zur Berichterstattung über die politischen Machtverhältnisse in Deutschland ist auch der Umgang mit der polnischen Minderheit in Preußen zu zählen. Dieser wurde als
411
Irish Times, 26.1.1914, S. 4. Irish Times, 28.2.1914, S. 6. 413 Steed, Henry [Wickham]: Through Thirty Years 1892-1922. A Personal Narrative, 2 Bände, New York 1925, Bd. 1,S. 381. 414 Vgl. TNL Archive/HWS/3, undatierte Aufzeichnung Steeds „My Experience of and Relations with Lord Northcliffe", ca. 1922, S. 11, Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 382. History of the Times, Bd. 1, S. 117. 415 TNL Archive/HWS/1, Northcliffe an Steed am 22.1.1914. 416 Ρ AAA, R 5642, Lichnowsky an Bethmann am 31.1.1914. 417 Ρ AAA, R 5642, Lichnowsky an AA am 7.2.1914. 412
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drückender als die Lage in Elsaß-Lothringen dargestellt.418 Es sei nicht verwunderlich, daß der Kaiser bei einem Besuch Posens, in „Germany 's Ireland"419, nur kühl empfangen wurde. Alles in allem spielte die Frage der polnischen Bevölkerung in Deutschland aber keine herausragende Rolle in den britischen Zeitungen. Hinzu kam noch das Problem der dänischen Minderheit in Schleswig. Wie überall habe sich das Reich die dortigen Probleme selbst zuzuschreiben: „Nothing fosters the sense of nationality more than deliberate efforts to destroy it. They have failed as hopelessly in Schleswig as they have failed to destroy the French national spirit in Alsace-Lorraine, and that obstinately persistent thing, the Polish national spirit, in Posen."420 Auch das innenpolitische Konfliktpotential zwischen den traditionellen Kräften in Deutschland und der SPD wurde nur selten thematisiert. Immer wieder wurde von kleineren Zwischenfallen berichtet: „Social Democrats refuse to cheer the Kaiser."421 Vor allem der Daily Herald stand dabei auf Seiten der SPD.422 Angesichts ihres Wahlerfolges wurde erstaunlich differenziert mit der politischen Ausrichtung der SPD umgegangen. In Deutschland werde zwar von der „red peril" gesprochen. Im Unterschied zu Großbritannien sei ein deutscher Sozialist aber „a very different fellow from his British comrade": „He is a patriot, the friend and champion of his own country, not the apologist - like our Keir Hardie - for every foreign foe or rival. He has no delusions on the subject of armaments, and no intention of foregoing the ambitions of German expansion." Die marxistische Doktrin sei längst zurückgelassen worden: „German Socialism [...] is evolutionary not revolutionary."423 Das Ziel der SPD sei nicht Anarchie, sondern die Einfuhrung einer parlamentarischen Monarchie. Damit wurde sie zugleich als Gegenspieler des Kaisers gesehen: „The Kaiser abhors Socialism, and Socialists, on their part, whatever their feelings towards the Kaiser may be, abhor the political system of which the Kaiser is the head."424 So wurde wiederholt über verschiedene Auseinandersetzungen der SPD mit dem politischen System oder dem Kaiser berichtet.425 Dennoch könne sie nicht mit britischen Sozialisten verglichen werden, sondern mehr mit den „Radicals or moderate Liberals in England."426 Die SPD sei, so die Irish Times, zwar eine „Umsturzpartei"421, aber eben eine friedliche. Entsprechend positiv wurde der Parteivorsitzende August Bebel bewertet. Er habe als
4,8
Vgl. Daily Mail, 27.8.1913, S. 4: „The Poles are the Irish of the Continent"; Times, 1.9.1913, S. 7; Daily Herald, 31.1.1914, S. 4. 419 Daily Mail, 27.8.1913, S. 4, vgl. Chronicle, 27.8.1913, S. 1. Dort heißt es jedoch „Prussia's Ireland." 420 Irish Times, 29.5.1914, S. 6, vgl. Graphic, 4.6.1913, S. 4. 421 Chronicle, 21.5.1914, S. 1. 422 Vgl. z.B. Daily Herald, 23.6.1914, S. 2. 42 ' Daily Express, 15.1.1912, S. 4. 424 Western Mail, 29.1.1912, S. 4. 425 Vgl. Daily News, 18.5.1912, S. 1; Telegraph, 19.2.1912, S. 11; Glasgow Herald, 24.9.1913, S. 8. 426 Daily Express, 15.1.1912, S. 4, vgl. Irish Times, 13.1.1912, S. 6; B'ham Post, 13.1.1912, S. 8. 427 Irish Times, 12.3.1912, S. 6.
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„great apostle of liberty"428 gearbeitet. Nur widerwillig dürfte der Daily Herald das Urteil des Daily Express aufgenommen haben, wonach Bebel aber zugleich auch ein Patriot gewesen sei.429 Als herausragende Persönlichkeit der SPD wurde sein Tod im August 1913 nicht nur ausfuhrlich erörtert, sondern auch offenkundig bedauert 430 Etwas übertrieben wurde er nach Bismarck als „the most popular politician the Fatherland has ever known"431 gewürdigt. Insgesamt hat sich der Eindruck bestätigt, daß die SPD zwar große Veränderungen innerhalb des Staates wolle, dennoch als staatsbejahend gesehen wurde 432 Abgesehen von der SPD war es vor allem eine deutsche Partei, die in einer bestimmten Region Großbritanniens das Interesse weckte: Das katholische Zentrum. Vor allem die ebenfalls katholischen Iren sahen in dieser Partei eben keine reine Glaubenspartei. In einem Artikel wurde ein Autor zitiert, nach dessen Meinung allein das Zentrum „reflects in the clearest manner the German idea of Empire, because it contains all tribes and classes of the nation."433 Im Reichstag ,,[i]t holds the balance of power"434. Ansonsten spielten die Parteien in ihrer politischen Ausrichtung nur eine größere Rolle, wenn dies für Großbritannien, wie im Falle der Flottenrüstung, von größerer Bedeutung war. 2.2.3 Wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Verhältnisse Sehr positiv wurde der deutsche Staat in seinem Gesamtbild bewertet. Des Kaisers Herrschaft „has brought Germany to the front rank of civilised nations", „the gloomy days are by far less numerous than the bright"435. Deutschland stehe „by right of numbers, of material and moral progress, as well as of armed power, in the forefront of the nations."436 Unter Wilhelm sei das Land zu „one of the paramount factors in cosmic history"437 geworden. Die Durchführung einer Wahlrechtsreform in Preußen „would bring Germany abreast of England in constitutional freedom". Hinsichtlich „its federal system and in its local government it has long been ahead of us."438 Große Anerkennung wurde dem Kaiserreich für seine Sozialgesetzgebung zuteil. Sie sei „a generation ahead of France's" und, nicht ohne zweifelhaftes Eigenlob von englischer Seite, „only
428 429 430
Daily Herald. 19.8.1913, S. 6. Vgl. Daily Express, 14.8.1913, S. 1. Vgl. Scotsman, 15.8.1913, S. 6; Cambria Daily Leader, 18.8.1913, S. 5; Evening Express, 14.8.1913, S. 2; Liverpool Daily Post, 14.8.1913, S. 9; B'ham Post, 14.8.1913, S. 6; Chronicle, 14.8.1913, S. 4; Daily Herald, 14.8.1913, S. 3; Mirror, 14.8.1913, S. 5; People, 17.8.1913, S. 8; Times, 14.8.1913, S. 7f.
431
Daily Mail, 14.8.1913, S. 5.
432
Vgl. Hillgruber, Rolle, S. 22.
433
Irish Independent, 10.7.1913, S. 4.
434
Irish Times, 6.9.1912, S. 4.
435
Daily Express, 14.6.1913, S. 6.
436
Chronicle, 16.6.1913, S. 6. Telegraph, 16.6.1913, S. 12. Guardian, 16.6.1913, S. 8.
437 438
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in the last few years that England has drawn abreast of her."439 Bemerkenswert ist diese Anerkennung besonders deshalb, weil sie von liberalen Zeitungen ausgesprochen wurde, die sich selbst als die Verkörperung des Modernismus betrachteten.440 Auf wirtschaftlicher Ebene wurde Deutschland als Konkurrent betrachtet. Das deutsche Wachstum „has automatically provoked an acute rivalry between the Fatherland and Great Britain". Als Begründung wurde „the colossal increase in manufacturers, in trade, and in population" angegeben. Als Beispiele wurden die Verdoppelung von Kohle- und Eisenproduktion sowie der Aufbau der deutschen (Handels-)Marine aufgelistet. Es sei diese „extraordinary expansion which makes the reign of the German Emperor so memorable."441 Zugleich wurde nicht übersehen, daß Deutschland „one of our best customers"442 sei. Mit einer Mischung aus Anerkennung und Schockierung wurde der Fortschritt Deutschlands wahrgenommen. Mehrfach wurde auf das enorme Wachstum der deutschen Produktion auf verschiedensten Gebieten hingewiesen.443 Es machte sich die Erkenntnis breit, daß das Kaiserreich zu Großbritannien aufgeschlossen hatte, teilweise sogar vorbeigezogen war. So stellte der Cambria Daily Leader verblüfft fest, daß es „Medical Lessons from Germany" gebe.444 Besonders unzufrieden war der Daily Sketch darüber, daß Griechenland acht kleinere Kriegsschiffe in Stettin bauen ließe „because for practically the same price as those quoted by other firms they offered a greater speed, a more extended range of action, and quicker delivery."445 Sehr verwundert und voller Unwillen war die Daily Mail. Sie fragte, wie es sein könne, daß etwas, das in England oder Schottland für 51.000 Pfund hergestellt werde, in Deutschland nur 34.000 kosten würde. Sei dies nur, um in den englischen Markt einzudringen oder: „Is it due to cheaper labour, better machinery, more scientific organisation, or what? It is of really vital importance to the future of British industry that these questions should be frankly put and clearly answered."446 Diese Kritik setzte sich beim Kauf deutscher Lokomotiven fort. Trotz der hohen Preise komme die einheimische Industrie nicht mit der Produktion hinterher. Daher müßten deutsche Loks importiert werden.447 Der Daily Express war erstaunt darüber, daß deutsches Leder aus Kostengründen sogar in der britischen Marine verwendet wurde.448 Dagegen wurde stolz berichtet, wenn sich britische Unternehmer im Wettbewerb mit Deutschland durchgesetzt hatten, beispielsweise bei einem Auftrag der Guildhall
439 440 441
Guardian, 16.6.1913, S. 8, vgl. Daily News, 16.6.1913, S. 6. Vgl. hierzu auch den konservativen Daily Express, 14.6.1913, S. 6. Telegraph, 16.6.1913, S. 13, vgl. 16.6.1913, S. 16; Graphic, 16.6.1913, S. 4, 23.10.1913, S. 4.
442
Reynolds's, 29.9.1912, S. 1, vgl. Scotsman, 6.4.1912, S. 8; Chronicle, 17.6.1913, S. 6, 29.11.1913, S. 5.
443
Vgl. Scotsman, 29.10.1913, S. 8; Irish Independent, 3.11.1913, S. 4; Daily Express, 4.9.1912, S. 4.
444
Vgl. Cambria Daily Leader, 21.10.1912, S. 4.
445
Sketch, 4.7.1912, S. 6.
446
Daily Mail, 17.5.1913, S. 4. Vgl. Daily Mail, 18.2.1914, S. 7, 24.2.1914, S. 7, 25.2.1914, S. 4; Chronicle, 1.12.1913, S. 6. Vgl. Daily Express, 1.8.1912, S. 1.
447 448
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School of Music, die sich schließlich gegen die deutschen Produkte entschieden hatte. 449 Auch die Behauptung eines Professors, daß „[it] takes ten Germans to do the work of two Englishmen" 450 , wurde genüßlich zitiert. Der Bericht, daß mit der Zunahme der Eisenbahngeschwindigkeiten in Deutschland „A new branch of Anglo-German rivalry" 451 eröffnet worden sei, kann kaum als tiefgehender Konflikt interpretiert werden. Dasselbe gilt für das gleichzeitige Auslaufen eines deutschen und englischen Schiffes aus New York im Mai 1914. Obwohl von offizieller deutscher Seite der Charakter eines Wettrennens abgelehnt wurde, war sich der illustrierte Daily Sketch sicher, daß, „as the Vaterland has attained a speed of 26.3 knots to the Mauretania's 27, and as both ships leave New York on the same day, all England and all Germany will want to know which does the faster passage." 452 Wie überall gab es auch im Wettbewerb auf wirtschaftlicher Ebene mäßigende Äußerungen. So kritisierte der Star, daß unter der Führung von Neville Chamberlain Stimmung gegen die Verwendung billigerer deutscher Schienen beim Bau der Tram in Birmingham gemacht wurde. 453 Ein zwangsläufiges Konfliktpotential aus wirtschaftlichen Interessen konnte nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil. Rivalitäten auf diesem Gebiet gebe es schon lange: „Who would have it otherwise?" Eine derartige Konkurrenz „is the life of trade; it is the driving power of economic progress, and most of the material improvements in civilised existence are to be traced to it." 454 Daß Deutschland das erste Land war, das Großbritannien auch innerhalb der eigenen Grenzen zusetzen konnte 455 , wurde verständlicherweise nicht freudig aufgenommen. Der entstandene Vorsprung Deutschlands sollte schnellstmöglich aufgeholt werden 456 Einen Grund für ernsthaften Konfliktstoff auf diesem Gebiet bot aber auch dies nicht 4 5 7 Es gab zwar einen deutlich spürbaren Wettbewerb. Es überwog aber die Bereitschaft zu Anerkennung und Kooperation. So wurden in einem Leserbrief neben der Problematik der deutschen Erfolge im zivilen Schiffsbau die Leistungen eben auch anerkannt: „Like it or not, no Englishman can refuse to admire!" 458 In Wirtschaftskreisen gab es überhaupt keinen Zweifel an der Notwendigkeit deutsch-englischer Zusammenarbeit. In einem
449
Vgl. Daily Express, 25.10.1912, S. 5f. Daily Express, 14.1.1914, S. 5. 431 Westminster Gazette, 26.2.1913, S. lf. 452 Sketch, 7.5.1914, S. 6. 453 Vgl. Star, 7.2.1912, S. 2. 454 Telegraph, 24.5.1913, S. 11. 455 Vgl. Ferro, Great War, S. 19. 456 Auf einen Bericht, wonach Deutschland neue, schnellere Flugzeuge baue, kam nur Tage später die Forderung nach eigenen Modellen. Vgl. Daily Mail, 16.2.1914, S. 7,20.2.1914, S. 6; Times, 5.5.1914, S. 8. 457 Vgl. Berghoff, Hartmut: Großbritannien und Deutschland 1880-1914: Wirtschaftliche Rivalität oder internationale Arbeitsteilung?, in: Mommsen, Wolfgang (Hg.): Die ungleichen Partner. Deutsch-Britische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens der DeutschEnglischen Gesellschaft E.V., Stuttgart 1999, S. 82-97, hier S. 96f. 458 Daily Mail, 18.6.1914, S. 4. 450
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Artikel über deutsch-englische Wirtschaftsbeziehungen ließ der DeutschlandKorrespondent der Daily Mail, Wile, einen deutschen Geschäftsmann zu Wort kommen: „Destroy Germany and England annihilates her richest customer, the mainspring of her golden oversea business. Destroy England, and Germany wipes out the market which is the life-hood of her own bounding prosperity."459 Als Grund fur eine ernsthafte, geschweige denn für eine militärische Auseinandersetzung wurde die wirtschaftliche Rivalität nicht gesehen.460 Aus zeitgenössischer Sicht präsentierte sich das Geschehen also ganz anders als in der Interpretation Kennedys, der in wirtschaftlichen Aspekten den Hauptgrund für eine deutsch-englische Entfremdung entdeckt zu haben meint.461 Eine sehr umfassende Berichterstattung fand sich zu gesellschaftspolitischen Ereignissen. So waren beispielsweise die Bayreuther Festspiele, die Wagners und deren Familienstreitereien eine feste Größe in den Zeitungen.462 Nicht ohne Augenzwinkern wurde darauf hingewiesen, daß Bayreuth nicht die erste Wahl für die Ausrichtung der Festspiele gewesen sei: „Had it come of Royal squandering the theatre would undoubtedly have been placed at Munich, with the rest of Ludwig the Second's magnificence."463 Unglücksfalle wurden sowohl im zivilen, als auch im militärischen Bereich mit Bedauern aufgenommen.464 Ohne Einschränkungen wurde den Opfern und deren Angehörigen Bedauern ausgesprochen. Dies trifft insbesondere auch für die zahlreichen Abstürze deutscher Militär-Luftschiffe zu, die als potentielle Bedrohung für die britischen Inseln gesehen wurden: „[...] there can, on our part, be room only for the sentiment of sympathy on the occasion of the destruction of the Zeppelin airship L2, with a loss of about thirty lives."465 Als militärische Folge wurde aus den Unglücksfallen die Vermutung abgeleitet, daß Zeppeline entweder nur in gutem Wetter einsetzbar oder Flugzeugen generell unterlegen seien.466 Eine dauerhafte Beeinträchtigung des Fortschritts in der Luftfahrt wurde durch die Abstürze nicht erwartet.467 Dasselbe Verhalten ist auch für Unglücksfälle in der deutschen Marine festzustellen. So ist über den „loss of sixty-
459
Daily Mail, 11.12.1913, S. 6. Vgl. Telegraph, 16.6.1913, S. 13. 461 Vgl. Kennedy, Antagonism, S. 464. 462 Vgl. Times, 25.5.1914, S. 31, 27.5.1914, S. 8; Daily Mail, 2.2.1914, S. 6; Daily News, 7.2.1914, S. 6; Observer, 24.5.1914, S. 13, 8.6.1913, S. 14: Guardian, 22.5.1913, S. 8, 5.5.1913, S. 8, 31.3.1913, S. 6. 463 Guardian, 2.4.1913, S. 6. 464 Vgl. z.B. den Selbstmord der Prinzessin Sophie von Sachsen-Weimar, in: Times, 19.9.1913, S. 6; Daily News, 20.9.1913, S. 1; Observer, 21.9.1913, S. 9. Der Absturz deutscher Luftschiffe im Herbst 1913 wird z.B. behandelt in: Telegraph, 11.9.1913, S. 11; Reynolds's, 19.10.1913, S. 6; Chronicle, 10.9.1913, S. 1; Daily Express, 11.9.1913, S. 1; Westminster Gazette, 17.10.1913, S. 9; South Wales Daily News, 18.10.1913, S. 6. 445 Western Mail, 18.10.1913, S. 6, vgl. Liverpool Daily Post, 18.10.1913, S. 6, 13.9.1913, S. 7; Cambria Daily Leader, 10.9.1913, S. 1, 18.10.1913, S. 1; Evening Express, 10.9.1913, S. 2. 466 Vgl. Mirror, 21.3.1913, S. 1; Glasgow Herald, 18.10.1912, S. 8. 467 Vgl. Scotsman, 12.9.1913, S. 4. 440
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six brave men" aufrichtiges Bedauern festzustellen. Gerade bei Schiffskatastrophen wurde Großbritannien zu sehr an die eigene Geschichte erinnert, um nicht betroffen zu sein: „England has paid too heavy a toll to the sea, has had mourning carried into too many homes, and has too many of her sons hourly exposed to the dangers of the deep, not to feel a thrill of warm sympathy with the German Navy and the German people in the present calamity."468 Auch Todesfälle, wie der des bayerischen Prinzregenten Luitpold 469 oder Unglücke in deutschen Bergwerken470 wurden der diplomatischen Etikette entsprechend gewürdigt. Weniger ernsthafte Ereignisse, wie beispielsweise Sportwettkämpfe, wurden ebenfalls ausgiebig besprochen. Hier wurde naturgemäß Freude ausgedrückt, wenn die Engländer am Schluß auf der Siegerseite standen. Nichtsdestotrotz wurden aber auch deutsche Leistungen lobend anerkannt. Auch wenn es manchmal so schien, als ob eine deutsch-englische Hochzeit gerade in der Boulevardpresse mehr Aufmerksamkeit erregte als ähnliche Angelegenheiten zwischen England und Frankreich, so konnte eine politische Komponente dabei nicht festgestellt werden. Unglücksfalle in Frankreich471 oder Rußland wurden ebenso mit Bedauern bedacht. Hier wie dort wurde gegebenenfalls gefordert, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Immerhin kann durch die Auswertung der diesbezüglichen Artikel geschlußfolgert werden, daß gesellschaftspolitische Ereignisse in Deutschland im Rahmen der kommerziellen Interessen der Zeitungen ungezwungen und unvoreingenommen gesehen wurden. Eine über das „normale" hinausgehende, negative oder befangene Berichterstattung über die deutsche Gesellschaft gab es nicht. 2.2.4 Bilanz In der Forschung wurde dem Kaiserreich vorgeworfen, ein konservatives und altmodisches Land gewesen zu sein.472 Diese Ansicht wurde besonders mit der mangelnden Verantwortlichkeit der Minister gegenüber dem Parlament und dem Dreiklassenwahlrecht im wilhelminischen Preußen begründet. Das Land sei 1914 „trotz seiner konstitutionellen Formen noch ein absolutistischer Staat"473 gewesen. England selbst betrachtete sich als das Mutterland der Demokratie. Eine Bewertung Deutschlands aus Sicht der zeitgenössischen britischen Zeitungen bietet sich daher für eine Überprüfung der historischen Forschung an. Das Staatswesen insgesamt wurde als modern betrachtet. Der These Eksteins, Deutschland „repräsentierte am Vorabend des Krieges mehr als jeder andere Staat In-
468
Times, 6.3.1913, S. 7, vgl. Mirror, 6.3.1912, S. 1; Cambria Daily Leader, 5.3.1913, S. 1. Vgl. Sketch, 12.12.1912, S. 6, 13.12.1912, S. 7; Times, 13.12.1912, S. 59. 470 Vgl. Mirror, 13.8.1912, S. 1; Daily Herald, 12.8.1912, S. 5. 471 Vgl. Liverpool Daily Post, 10.6.1912, S. 6f; Daily News, 10.6.1912, S. 1. 472 Vgl. z.B. Massie, Schalen des Zorns, S. 693. 473 Craig, Geschichte Europas, S. 289. 469
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novation und Erneuerung"474 ist daher zuzustimmen. Daß es einen enormen Aufstieg zur größten Industriemacht innerhalb kurzer Zeit hinter sich gebracht hatte, war auch den Zeitgenossen nicht verborgen geblieben. Besonders fortschrittlich wurde Deutschland bei der Sozialgesetzgebung eingeschätzt. Weiterhin war das Land bei der Technologie und den Naturwissenschaften führend und der Aufstieg von der europäischen Großmacht zur Weltmacht abgeschlossen.475 Einen starken Gegenpol zu den militaristischen Tendenzen bildeten in den Augen der Presse die progressiven Tendenzen in der deutschen Bevölkerung. Es dürfe nicht vergessen werden „that Berlin is the most Radical capital in Europe. All the members for Berlin in the Reichstag are Progressives, and all are returned by majorities over the Conservative candidates the like of which has never been known in England."476 Durch die intensiven Proteste der SPD und der Liberalen gegen den deutschen Militarismus muß dieser von den Engländern als weiter verbreitet und bedrohlicher wahrgenommen worden sein, als er es in Wirklichkeit war. Betont werden soll an dieser Stelle nochmals, daß die englische Presse nicht zurückhaltend mit dem Kaiserreich umging. Dort, wo sie Kritik für angemessen hielt, brachte sie diese auch in beißender Form und ohne Rücksichtnahme vor. Gerade dadurch werden aber die positiven Aussagen um so glaubwürdiger. Von Rückständigkeit war bis auf die wenigen genannten Ausnahmen keine Rede. Aus den Leistungen des Kaiserreiches heraus zog der Manchester Guardian den Schluß, daß so „far from being a Conservative country, Germany as a whole is in many respects the most Liberal in Europe." An der Spitze des Staates stehe mit dem Kaiser ,,[a] modern of the moderns in his views of most departments of life"477. Diese Sicht blieb weder auf liberale Kreise beschränkt noch auf die Zeit des Thronjubiläums. Die weite Welt beschreibe ihn als den modernsten und progressivsten der zeitgenössischen Herrscher.478 Der Kaiser sei „[the] most modern of monarchs and men"479. Deutsche [!] Zweifel an dieser Sicht, relativierte der Observer. Es müsse bedacht werden, daß der Deutsche „is the world's most inveterate critic. He criticises for the sheer satisfaction of being in opposition. In his heart, I believe he thinks better of the Imperial Jubilar who is commemorating twenty-five great years of sovereignty than he is willing to admit for publication" 480
474
Eksteins, Gräben, S. 14, vgl. auch S. 15, 100, 110-141, 183. Vgl. Times, 14.6.1913, S. 9. 476 Guardian, 26.5.1913, S. 8. 477 Guardian, 16.6.1913, S. 8. 478 Vgl. Observer, 15.6.1913, S. 6: „The wide world is fond of describing the Kaiser as the most modem and progressive of present rulers." Vgl. Hiery, Angst, S. 221. 479 Observer, 29.3.1914, S. 15. 480 Observer, 15.6.1913, S. 6. 475
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Über den Kaiser hinaus wurde trotz einiger Kritikpunkte auch sein Reich als „a progressive modern State"481 gesehen. Dabei wurde es nicht als etwas Neues betrachtet, daß „in so essentially modern a State as Germany a small militarist party should exist which pretends to dictate the choice of Ministers"482. Berlin sei im europäischen Vergleich „the most modern and the best administered of European capitals"483. Es verfuge über eine einmalige, „overwhelming majority for the progressive parties"484. Besonders positiv wurde hier auch die herausragende Größe der SPD bewertet. Die demokratische und fortschrittliche Sozialdemokratie sei „far and away the strongest party" 485 und ein Gegenpol zu den hohen Forderungen der Armee. Dabei wurde der häufig kritisierte Militarismus nicht immer nur als bedrohlich wahrgenommen. Streiche ä la Hauptmann von Köpenick sorgten immer wieder für Belustigung. Ein Herr Wolter habe es geschafft, die Garnison Straßburgs und den Sohn des Kaisers zu übertölpeln. Niemand sei darauf gekommen, daß die Truppeninspektion von Wolter angeordnet worden sei: „[...] he got hold of the Emperor's secret telegraphic code." - „Since the spacious days of Koepenick, Germany - civilian Germany - has not laughed so much." Auch der Daily Express schätzte die Angelegenheit als „very delicious" ein: „But it has its moral, for it emphasis the perils of the cast-iron machine which stifles thought and independence."486 Diese Art von Obrigkeitshörigkeit war durchaus kein auf Deutschland beschränktes Phänomen.487 So gab es einen dem Hauptmann von Köpenick ähnlich gearteten Fall auf der Kanalinsel Isle of Wight.m Noch peinlicher war ein Vorfall unter Mitwirkung der bekannten Schriftstellerin Virginia Woolf. Hierbei gelang es, die Besatzung des neuesten Schlachtschiffes der Royal Navy, der HMS Dreadnought, davon zu überzeugen, daß ein Besuch des abessinischen Kaisers bevorstand. Die erfolgreiche Durchführung der Aktion - mit geschwärzten Gesichtern und falschen Bärten - führte schließlich sogar zur Thematisierung im Parlament.489 Insgesamt bleibt festzustellen, daß Deutschland bis unmittelbar vor Kriegsausbruch als Land der wirtschaftlichen und technischen Progressivität und der Modernität gesehen wurde, das auf mancher Ebene, wie dem Wahlsystem in Preußen und der Herr-
481
Times, 8.12.1913, S. 11, vgl. Graphic, 5.1.1914, S. 4; Daily News, 16.6.1913, S. 6.
482
Graphic, 5.1.1914, S. 4.
483
Daily Mail, 17.6.1913, S. 4.
484
Guardian, 16.6.1913, S. 8. Observer, 29.3.1914, S. 15, vgl. Times, 8.12.1913, S. 11.
485 486
Daily Express, 7.2.1913, S. 4, vgl. Daily Mail, 7.2.1913, S. 5; Graphic, 6.2.1913, S. 5.
487
Vgl. Joll, Ursprünge, S. lOlf.
488
Vgl. Sketch, 21.6.1912, S. 7.
489
Vgl. Pari. Deb. 14 (1910), Sp. 339f vom 24.2.1910, Bell, Quentin: Virginia Woolf. A Biography, 2 Bände, London 1972/ND in einem Band London 1982, S. 157-161, Joll, Ursprünge, S. 102.
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schaftsform im Reich als anachronistisch betrachtet wurde490 - eine Sicht, die der damalige Premierminister teilte.491
2.3 Die deutsche Außenpolitik Bei einem quantitativen Vergleich der Berichterstattung der deutschen Außenpolitik mit anderen zeitgenössischen Themen ist festzustellen, daß diese nur relativ wenig Raum in den Zeitungen einnahm. Eine Ausnahme bilden hier nur die deutsch-britischen Beziehungen, die weiter unten gesondert behandelt werden.492 2.3.1 Balkanpolitik Äußerst umfangreich wurde die spannungsgeladene Lage auf dem Balkan beobachtet. Dies ist mit Ausnahme des pazifistischen Daily Herald in sämtlichen der untersuchten Zeitungen zu beobachten. 493 Dabei waren vor allem die Kriege der Balkanstaaten gegen das Osmanische Reich, aber auch der italienisch-türkische Krieg von Interesse. Angesichts der Balkanproblematik ist darauf hinzuweisen, daß Deutschland in dieser Krise keine zentrale Rolle einnahm. Das deutsche Verhalten wurde lediglich thematisiert, wenn es für die Gesamtheit des Konflikts von Bedeutung war. Häufig wurde das Kaiserreich bei den Berichten über den Balkankrieg überhaupt nicht oder nur am Rande ...
494
erwähnt. Bereits im Frühjahr 1912 wurde die Lage in Südosteuropa als ernst eingeschätzt: „Not since 1903, the year of the great Macedonian revolt, has an Easter been celebrated amid circumstances so disquieting as those of the present time."495 Im weiteren Verlauf des Jahres mehrten sich die besorgten Stimmen, besonders im Hinblick auf mögliche gesamteuropäische Verwicklungen. Dies ist für alle politischen Richtungen und unabhängig von der Region feststellbar: „The prospect, in short, could not well be blacker than it is."496 Besonders groß wurde die Gefahr für den Fall einer Intervention Österreichs und Rußlands eingeschätzt. Eine große militärische Auseinandersetzung auf europäi490
Vgl. Krumeich, Gerd: Das Zweite Reich. Das Wilhelminische Deutschland, von seinen Nachbarn aus gesehen: in: Martin, Bernd (Hg.): Deutschland in Europa. Ein historischer Rückblick, München 1992, S. 168-184, hier S. 168. 4,1 Vgl. Asquith, Genesis, S. 142. 492 Siehe Kapitel 3, Abschnitt 3: Die deutsch-britischen Beziehungen. 4.3 Dies gilt auch für den außenpolitisch wenig interessierten Daily Sketch, vgl. z.B. 26.6.1912, S. 6, 24.10.1912, S. 6. Siehe auch Glasgow Herald, 10.9.1912, S. 6, 10.9.1912, S. 6; Irish Independent, 1.10.1912, S. 4; Chronicle, 25.10.1912, S. 1, 3,6f; Irish Times, 10.10.1912, S. 4; Telegraph, 18.12.1912, S. 1 Of; Evening News, 7.10.1912, S. 1,4; News of the World, 6.10.1912, S. 9; Mirror, 4.10.1912, S. 4. 4.4 Vgl. Reynolds's, 12.1.1913, S. 1; Telegraph, 14.10.1912, S. 10, 15.10.1912, S. 10, 16.10.1912, S. 10. 495 Times, 6.4.1912, S. 7. 496 Graphic, 11.10.1912, S. 4, vgl. Star, 26.11.1912, S. 4, 12.12.1912, S. 4; Irish Independent, 9.4.1913, S. 4.
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scher Ebene sei dann nur noch sehr schwer zu vermeiden. Dies sah nicht nur der konservative Daily Graphic91 so, sondern auch der liberale Daily Chronicle: „[...] if once a single Great Power put an army on the Balkan peninsula it would be difficult to prevent the others most interested from following suit."498 Diese Befürchtungen sind über den gesamten Herbst und Winter 1912/13 festzustellen. Hoffnungsvolle Artikel finden sich zunächst selten: „The Powder Magazine of Europe is endangered by this war"499. Wie bedrohlich die Lage war, zeigt die Einschätzung des Daily Express: „It is a very serious crisis". Angesichts der erst kurz zurückliegenden Zweiten Marokkokrise ist es bemerkenswert, daß es weiter heißt „more serious perhaps, than those wich have preceded in the last three years." Im schlimmsten Fall könne es so weit kommen, daß Großbritannien in „the greatest war of the world"500 verwickelt würde. Noch weiter ging der Daily Telegraph: Die Krise sei „perhaps one of the most serious which have confronted this country for at least half a century"501. Der Schuldige war schnell ausgemacht. Ein Jahrzehnt nach den Königsmorden in Serbien wurde das Land wieder als Unruhestifter gesehen. Es suche die Auseinandersetzung mit Österreich. Dabei sei das kleine Land „determinded to run the risk of a great European war."502 Wegen eines Zugangs zur Adria „they are prepared to bathe half Europe in blood".503 Bereits zu Beginn der Krise wollte der Star Großbritannien in der Rolle des Vermittlers sehen: „It is the duty of England to be the bridge between the Alliance and the Entente."504 Um einen Kompromiß zu erreichen, sei es unabdingbar, klarzumachen, daß Großbritannien „will take no part in a war over Austro-Servian rivalries." Die Warnungen gingen auch in Richtung des russisch-französischen Zweibundes: „If we recklessly back up Russo-French chauvinism, we shall assuredly make Armageddon inevitable." Als höchst wichtiger Faktor wurde das Verhalten Deutschlands für den Fortgang der Balkankrise gesehen. Gerade im Hinblick auf die Einwirkung des Kaiserreiches auf Österreich stand für den Daily Herald fest „that upon Germany depends the peace of Europe."505 Entsprechend positiv wurde die Rolle Deutschlands gezeichnet, als sich dessen friedliche Absichten herauskristallisierten.506 Deutschland wolle den Frieden bewahren und deshalb keinerlei Änderung des Vertrages von Bukarest, der den zweiten 4,7
Vgl. Graphic, 12.10.1912, S. 4, 27.11.1912, S. 4. Chronicle, 14.10.1912, S. 6, vgl. Daily Express, 1.2.1913, S. 1; Evening News, 9.10.1912, S. 1, 9.11.1912, S. 2; B'ham Post, 3.12.1912, S. 6; News of the World, 8.12.1912, S. 8; Sketch, 2.11.1912, S. 6; Mirror, 18.2.1913, S. 3; Star, 9.11.1912, S. 4; Irish Times, 15.10.1912, S. 6. 4M Graphic, 9.10.1912, S. 4. 500 Daily Express, 11.11.1912, S. 6. 501 Telegraph, 8.11.1912, S. 13. 50J Daily Express, 20.11.1912, S. 1,4. 503 News of the World, 1.12.1912, S. 8, vgl. Irish Times, 26.11.1912, S. 6. 504 Star, 9.11.1912, S. 4. 505 Daily Herald, 2.11.1912, S. 8, vgl. Telegraph, 4.2.1913, S. 10. 506 Vgl. Skrivan, Aleä: Schwierige Partner. Deutschland und Österreich-Ungarn in der europäischen Politik der Jahre 1906-1914, Hamburg 1999, S. 310. 498
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Balkankrieg beendet hatte, zulassen. Darüber sei es sogar zu Verstimmungen mit dem Dreibundpartner Österreich gekommen. Der Kaiser hätte angeblich gesagt „I do not like Austria to rattle with my sword."507 Mit Blick auf die angespannte Situation wurde besonders die Bereitschaft zur Kooperation mit Großbritannien positiv gesehen. So lobte der Evening Express das Kaiserreich: „Not for ten years at least have the Governments of Great Britain and Germany been in such close and sympathetic touch as in the past month."508 Im Zweifelsfalle würde Deutschland zwar an der Seite Österreichs stehen: „If Austria were to pursue a course which would lead to an attack by Russia, all the world knows that Germany would stand by her ally in shining armour as she stood by her in 1908."509 Dies wurde aber nicht ausschließlich negativ, sondern vor dem Hintergrund politischer Notwendigkeiten gesehen. Deutschland sei angesichts der Krise „as much in earnest in her desire for peace as is Great Britain or France."510 Vorwiegend die liberalen Zeitungen stellten die Rolle Deutschlands positiv heraus. „No Power has performed greater services to the Concert of Europe"511. Die Politik Österreichs und Rußlands sei „admirably designed for keeping unrest and trouble alive in the Balkans". Im Gegensatz dazu ,,[t]he attitude of Germany [...] appears to be that best suited for the occasion."512 Diese Sicht blieb nicht auf das deutsche Verhalten hinsichtlich der Balkankrise beschränkt. Darüber hinaus freute sich die Liverpool Daily Post „Germany does not want war. To one who has been in touch with German opinion during the last year the idea that Germany desires to embark upon a general European conflict is absurd."513 Nachdem der Konflikt im Sommer 1913 weitgehend zum Ende gekommen war, resümierte die South Wales Daily News „that, of course, that German influence through-out the whole of the Balkan conflict has been profoundly pacific and conciliatory."514 Um die Rolle Großbritanniens im Vergleich dazu nicht in den Schatten geraten zu lassen, wurde der Hauptverdienst für das gelungene Krisenmanagement Außenminister Grey zugesprochen. Er wurde nicht nur als Initiator der Botschafterkonferenz gesehen, sondern auch als Hauptprotagonist: „Sir Edward Grey's personal success has been a national triumph and an international blessing."515 Vergleichbar mit der positiven Darstellung der Zusammenarbeit in den Zeitungen sind die freundlichen Worte der Diplomaten und Politiker, die sie während der Krise 507
Chronicle, 12.8.1913, S. 1, vgl. Graphic, 8.9.1913, S. 4. Evening Express, 21.12.1912, S. 4. 509 Star, 3.12.1912, S. 4. 510 Telegraph, 18.1.1913, S. 3. 511 Star, 31.3.1913, S. 4. 512 Chronicle, 12.8.1913, S. 6, vgl. Guardian, 7.8.1913, S. 6,11.8.1913, S. 6; Daily News, 18.6.1913, S. 1. 513 Liverpool Daily Post, 17.10.1912, S. 9. 514 South Wales Daily News, 12.8.1913, S. 4. 515 Western Mail, 17.5.1913, S. 6, vgl. Mirror, 31.5.1913, S. 1, 3; News of the World, 18.5.1913, S. 8, South Wales Daily News, 8.4.1913, S. 4. 508
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aneinander richteten. Vor allem der deutschen Botschafter Lichnowsky und der britischen Außenminister Grey fanden die beidseitige Kooperation so lobenswert 516 , daß auch zukünftig enger Kontakt gehalten werden sollte „da diese Methode im vergangenen Winter ausgezeichnete Ergebnisse gehabt habe." 517 Wie gewohnt gab es auch zu dieser Zeit Gespräche über die Äußerungen von Zeitungen. Kühlmann berichtete beispielsweise in die Wilhelmstraße, daß Grey seiner Hoffnung Ausdruck verliehen habe, daß „die Haltung der englischen Presse [...] einwandfrei [sei] und [...] zur Beruhigung beitrage]." 518 Hinsichtlich der Auswirkungen der Kriege hielt sich die Times mit ihren Prognosen vorsichtig zurück. Jedenfalls bedeuteten die türkischen Niederlagen „The practical extinction of the Ottoman dominion in Europe." Hinsichtlich anderer Folgen „Time alone can enable us to grasp the full significance of this new Risorgimento, and help us slowly to see what seed will grow and what will not of those that it has sown." 519 Dennoch wurde die diplomatische Lösung der Balkankrise 1912/13 als großer Erfolg für die europäische Diplomatie gesehen. Die Daily Mail bewertete den Erfolg der Verhandlungen um so größer, weil „this Balkan question has for half-century been the terror of Europe." 520 Wichtig bei der Kommentierung des Konflikts und dessen Folgen war die Zusammenarbeit der britischen mit der deutschen Diplomatie als Erfolgsgarant für den Erhalt des Friedens, bzw. die Lokalisierung des Konflikts: „[...] the chief reason for the favourable turn that events have taken is the cordial co-operation between England and Germany" 521 . Auch der Glasgow Herald führte die Lokalisierung des Krieges auf die verbesserten Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien zurück. 522 An diese erfolgreiche Kooperation erinnerte sich Ex-Premier Asquith noch in seinen Memoi523
ren. Sehr hoffnungsvoll zeigte sich der Daily Telegraph anläßlich des Thronjubiläums Wilhelms mit Blick auf die Balkankrise: „Beneficent results happen often from inauspicious beginnings, and no one would have imagined that so disturbing an event as the 516
Vgl. APDR 4-1, XXXIII, Dok. 12447 vom 27.11.1912, S. 313, Lichnowsky an AA und ebd. Dok. 12481 vom 4.12.1912, S. 317-319, Lichnowsky an AA. 517 APDR 4-II, XXXIV, Dok. 14188 vom 20.10.1913, S. 632, Kühlmann an AA, vgl. APDR 4-1, XXXIII, Dok. 12284 vom 15.10.1912, S. 270, Kühlmann an Bethmann. Zu den deutsch-englischen Beziehungen in der Balkankrise vgl. APDR, Bd. 4-1, Kapitel 53-55. 518 APDR 4-1, XXXIII, Dok. 12337 vom 6.11.1912, S. 289, Kühlmann an AA. " ' T i m e s , 30.5.1913, S. 9. 520 Daily Mail, 26.3.1913, S. 4. 521 Guardian, 29.11.1912, S. 8, vgl. Westminster Gazette, 30.11.1912, S. 1; Evening Express, 7.12.1912, S. 4; Irish Independent, 30.11.1912, S. 4; Daily Express, 28.11.1912, S. 1; B'ham Post, 2.12.1912, S. 8; Yorkshire Post, 28.11.1912, S. 7; Glasgow Herald, 7.12.1912, S. 6; Star, 11.11.1912, S. 4; Irish Times, 23.2.1912, S. 6. 522 Vgl. Glasgow Herald, 26.2.1913, S. 8. 523 Vgl. Asquith, Genesis, S. 143.
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outbreak of hostilities in the Balkan Peninsula could have had, for us, at all events, the fortunate issue that Downing-street and the Wilhelmstrasse see eye to eye with one another in the international crisis."524 Der Star ging so weit, Deutschland und Großbritannien gleichgestellt als „The Unselfish Nations"525 zu bezeichnen. Hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang, daß Deutschland nicht nur dasselbe Ziel wie Großbritannien verfolge, sondern auch mit Frankreich konform gehe.526 Die in der Literatur vertretene Sicht527, daß es bereits im Herbst 1912 zu einer deutlichen diplomatischen Annäherung gekommen sei, wird durch die Darstellung der Ereignisse in der britischen Presse voll bestätigt. Kießling hat zwar berechtigterweise davor gewarnt, die Ergebnisse der Botschafterkonferenz zu überschätzen.528 Das Wichtige für die vorliegende Arbeit ist jedoch der Eindruck, den die Kooperation der beiden Länder in der Presse und damit gegenüber der Öffentlichkeit erweckt hat: Die deutschbritischen Beziehungen hatten sich nach dem Schock der Zweiten Marokkokrise deutlich erholt. Die beiden Länder wurden als hauptverantwortlich für die friedliche Lösung des Konflikts unter den Großmächten angesehen. Diese Anerkennung der Kooperation findet sich in fast allen Zeitungen. Waren die Stimmen anfangs noch zurückhaltender, so häuften sich diese mit fortschreitender Dauer und wurden darüber hinaus zuversichtlicher im Tonfall. Besonders hervorzuheben ist auch die artikulierte Hoffnung auf weitere fruchtbare Zusammenarbeit: „It is an excellent foundation on which to build an enduring fabric of friendliness and mutual confidence, and we trust that both Downing Street and the Wilhelmstrasse will make the most of it."529 2.3.2 Die deutsch-österreichischen Beziehungen Einer der Hauptvorwürfe gegen Deutschland in bezug auf den Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist die Erteilung des sogenannten Blankoschecks an Österreich, der bedingungslosen Garantie, die Donaumonarchie in jedem Fall zu unterstützen. Die daraus folgende offensive Strategie der Österreicher habe unter ausdrücklicher Billigung des Kaiserreiches schließlich zum Weltkrieg geführt. Ob der unvernünftigen Vorgehensweise Deutschlands hätten die anderen Großmächte nicht mit einem derartigen Verlauf der Ereignisse rechnen müssen. Zur Überprüfung dieser Sicht bieten sich die britischen Zeitungen an, da deren Land einerseits nicht mit dem deutsch-österreichischen Zweibund verbunden war, auf der anderen Seite aber auch kein fester Bestandteil der opponierenden französisch-
524
Telegraph, 16.6.1913, S. 13. Star, 28.11.1912, S. 4. 526 Vgl. Chronicle, 13.8.1913, S. 4. 527 Vgl. Crampton, Richard: The Hollow Detente. Anglo-German Relations in the Balkans 1911-1914, London 1979, S. 172. Siehe auch Hazlehurst, Politicians, S. 35. 528 Vgl. Kießling, Entspannungen, S. 191f. "'Graphic, 28.11.1912, S. 4. 525
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russischen Allianz war. Somit konnten diese Zeitungen das deutsch-österreichische Verhältnis relativ neutral betrachten. Grundsätzlich wurde der Zweibund, bzw. unter Einschluß Italiens der Dreibund, als Verteidigungsbündnis gegen Rußland betrachtet. 530 Dabei gab es keinerlei Zweifel daran, daß Deutschland im Bündnisfall an der Seite Österreich-Ungarns stehen würde. 531 Selbst der sich so selten zu außenpolitischen Themen äußernde Daily Herald war von einer deutschen Intervention im Falle eines russischen Angriffs auf Österreich überzeugt. 532 Der für am wahrscheinlichsten gehaltene Bündnisfall war dabei eine serbischösterreichische Auseinandersetzung unter Verwicklung Rußlands. Deutschland müsse „in the process of asserting and defending its interests" und „in defence of her own i l l
security" eingreifen. Eine Alternative zum Beistand „in shining armor" im Konfliktfall wurde nicht diskutiert. Analog wurde auch damit gerechnet, daß bei einer Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Österreich auf der einen Seite und Rußland auf der anderen Seite automatisch Frankreich mit in den Konflikt gezogen würde. 534 Auch eine Verwicklung Großbritanniens wurde dann nicht mehr ausgeschlossen. 535 Anlaß zu ausgiebiger Diskussion über das deutsch-österreichische Bündnis war eine Rede von Reichskanzler Bethmann Anfang Dezember 1912. Sehr klar hatte dieser die Bereitschaft Deutschlands zur Erfüllung seiner Bündnisverpflichtungen gemacht. Die Times sah darin jedoch nichts Unerwartetes. Noch nicht einmal in Rußland könne dies für Aufsehen sorgen: „The reference to the action of Germany in the event of an attack upon Austria has been accepted with calm, because Russia already knew that Germany in such a contingency would, and must, stand by her ally" 536 . Deutschland müsse seinem Verbündeten beistehen „unless she wished to see her ally crushed like an eggshell between the overwhelmingly superior Slav forces." 537 Auch die vorzeitige Verlängerung des Dreibundes wurde als normales Verhalten interpretiert. Dies sei auf die ernste Situation am Balkan zurückzuführen und stelle für Großbritannien kein Problem dar. 538 Als Bündnisfall wurde nicht nur ein unprovozierter Angriff des Zarenreiches auf die Donaumonarchie angesehen: „A Russian intervention on behalf of Servia would almost
530 531
532
Vgl. Irish Times, 11.12.1912, S. 6. Vgl. Liverpool Daily Post, 3.12.1912, S. 6; Graphic, 3.12.1912, S. 4; Telegraph, 4.12.1912, S. 10, 3.12.1912, S. 11; Daily Express, 3.12.1912, S. 4; Daily Mail, 3.12.1912, S. 9; Western Mail, 25.11.1912, S. 4.
Vgl. Daily Herald, 3.12.1912, S. 1. Graphic, 3.12.1912, S. 4, vgl. Evening Express, 23.11.1912, S. 4. 534 Vgl. Graphic, 3.12.1912, S. 4. 535 Vgl. B'ham Post, 3.12.1912, S. 6. "'Times,4.12.1912, S. 7. 537 Chronicle, 3.12.1912, S. 6. 538 Vgl. Yorkshire Post, 10.12.1912, S. 6. 533
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certainly be regarded as such an attack."539 Der Ausgang eines Krieges erschien dem Guardian auf jeden Fall ungünstig. Weder eine österreichische Ägäisküste, noch ein russisches Konstantinopel sei in britischem Interesse. Deshalb gebe es keinen Grund für eine Intervention: „If we were involved in war, it would not be for any British interest, but only because our 'ententes' with France and Russia had degenerated into virtual alliances. 'Entente' or alliance is still the question, and strict, undeviating neutrality will settle it definitely in the sense required by all British interests."540 Abschließend kann festgestellt werden, daß es für die britische Presse feststand, daß Deutschland den Österreichern im Zweifelsfalle beistehen würde. Daran hatte sich seit den 1880er Jahren wenig geändert. Schon damals hatte der Manchester Guardian auf Bismarcks Maxime hingewiesen: „[...] the existence of Austria is absolutely necessary to Germany."541 Zu dieser Zeit nannte der Daily Chronicle das Bündnis „the bulwark of European peace." Jene Mächte „that are restless in Europe" und „hungry-eyed"542 seien Rußland und Frankreich. Die Erfüllung der deutschen Bündnispflichten wurde dabei ganz bewußt nicht nur für den Fall eines direkten, unprovozierten russischen Angriffs auf die Donaumonarchie, sondern insbesondere auch für eine russische Intervention in einen serbischösterreichischen Konflikt erwartet. Dies umfaßte auch jene Konstellation, wie sie schließlich im Juli 1914 eintrat. Eine Überraschung kann das deutsche Verhalten demnach nicht gewesen sein. Die Erteilung eines Blankoschecks war von den Zeitungen schon Jahre zuvor antizipiert worden. 2.3.3 Die deutsch-französischen Beziehungen Neben dem Verhältnis zu Österreich erweckten die deutsch-französischen Beziehungen ein gewisses Maß an Interesse. Auch über 40 Jahre nach Ende des Krieges von 1870/71 wurde die Annexion Elsaß-Lothringens als das zentrale Problem gesehen: „[...] the question of the two lost provinces has contributed more than anything else to the estrangement between France and Germany."543 Dennoch wurde für den Untersuchungszeitraum eine leichte Entspannung zwischen den beiden Ländern wahrgenommen. Trotz der Unruhen in Elsaß-Lothringen anläßlich der Zabem-Afifare verhalte sich Frankreich ruhig. Dies sei um so erfreulicher „because it is understood that negotiations are now proceeding between France and Germany intended to establish more cordial relations between the two countries."544 Es wurden Stimmen laut, wonach das Reichs-
539
Guardian, 26.11.1912, S. 8.
540
Guardian, 26.11.1912, S. 8. Guardian, 8.2.1888, S. 5.
541 542 543 544
Chronicle, 6.2.1888, S. 4. Irish Times, 20.5.1913, S. 4. Yorkshire Post, 5.12.1913, S. 6, vgl. Scotsman, 2.12.1913, S. 6.
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land kein Interesse mehr an einer Rückkehr zu Frankreich hätte. Zu eng seien die Bindungen und gemeinsamen Interessen mit Süddeutschland geworden, so daß „they can never again become French."545 Eine ausführliche Analyse der deutsch-französischen Beziehungen veröffentlichte das Parlamentsmitglied Compton-Rickett. Im Zentrum stand Elsaß-Lothringen. Frankreich würde seine Hoffnung auf Rückgewinnung der verlorenen Provinzen niemals aufgeben. Da „[it] is France, and France alone, who constitutes the imminent danger to Germany"546, solle das Kaiserreich zumindest auf Teile des Reichslandes verzichten. Im Austausch könne es französische Kolonialgebiete erhalten. Zusammen mit einer Lösung der deutsch-britischen Marinefragen würde dies zur Entspannung der europäischen Lage führen: „The ill-will and the suspicions of the past score of years would then vanish like the vapours of the night."547 Auch wenn diese Idee für einen Zeitungsartikel sehr klar umrissen war, so war sie dennoch nicht weit verbreitet. Die klare Ablehnung der obigen Vorschläge in einem Interview des Daily Mail- Korrespondenten in Deutschland mit Professor Delbrück konnte daher kaum verwundern.548 Nur in der Daily News kann dieser Gedanke ebenfalls nachgewiesen werden. Auch hier hieß es, die verlorenen Provinzen seien „the sole obstacle against a friendly relationship between France and Germany"549. Pathetisch legte der Verfasser dar, daß eine Rückgabe der Provinzen an Frankreich die Herzen der Franzosen berühren würde.550 Sicherlich gab es auch Stimmen, die die deutsch-französischen Beziehungen nicht im besten Licht erscheinen ließen. Zu nennen ist hier beispielsweise die Besprechung eines deutschen Buches, dessen Autor Adolf Sommerfeld beim nächsten Sieg über Frankreich eine Aufteilung vorsah. Auch England sollte einen Teil davon abbekommen.551 Lediglich ein Vorfall in Nancy fand für kürzere Zeit einiges an Beachtung.552 Sehr besorgt war zunächst der Star, der die Folgen der Anfeindungen französischer Studenten gegen deutsche Reisende verurteilte: „Their conduct was more than foolish: it was criminal": „Every nation suffers from irresponsible idiots who think nothing of imperil545
Chronicle, 1.12.1913, S. 6. Daily Mail, 25.6.1913, S. 4. 547 Daily Mail, 25.6.1913, S. 4, vgl. 10.7.1913, S. 4. 548 Vgl. Daily Mail, 24.7.1913, S. 6. 549 Daily News, 14.5.1914, S. 4. 550 Vgl. Daily News, 14.5.1914, S. 4: „I have often dreamt a dream. [...] It was that the German Emperor restored the provinces of Alsace-Lorraine to France. It was that this beau geste - a 'gesture,' an act unparalleled in the history of generosity and chivalry - touched the French people to their hearts, excited cries of'Vive l'Empereur' and 'Vive rAllemagne,' and secured, decisively and magnificently, international peace. Yes, a startling, a quixotic dream - but, after the French General Election, I have been dreaming it again." 551 Vgl. Sketch, 29.8.1913, S. 7. 552 Vgl. B'ham Post, 18.4.1913, S. 6; Yorkshire Post, 17.4.1913, S. 7; Liverpool Daily Post, 17.4.1913, S. 7; Mirror, 16.4.1913, S. 4; Glasgow Herald, 19.4.1913, S. 7; Scotsman, 19.4.1913, S. 9; Graphic, 18.4.1913, S. 8; Chronicle, 16.4.1913, S. 1; Daily News, 17.4.1913, S. 1,19.4.1913, S. 1; Telegraph, 17.4.1913, S. 546
11.
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ling peace and plunging their country into the awful horrors of war."553 Deutschland solle den Vorfall aber nicht überbewerten. Das Verhalten der Zivilisten gegen deutsche Touristen wurde dabei im Zusammenhang mit dem Rüstungswettlauf gesehen. Obwohl das Verhalten der beiden Regierungen „wholly praise-worthy"554 gewesen sei, sei der offenkundig gewordene Chauvinismus auf beiden Seiten ein bedenkliches Phänomen. Der Manchester Guardian konstatierte „a dangerous state of feeling."555 Die Problematik sah der Scotsman in den möglichen Folgen eines anfanglich unbedeutenden Zwischenfalls: , A small spark may kindle a flame which might involve the whole Continent."556 Entsprechende Erleichterung machte sich breit, als der Vorfall bereits wenige Tage später als „Closed"557 eingestuft wurde. Auch die Landung eines deutschen Zeppelins in der Nähe des französischen Luneville fand sich in den Schlagzeilen der Zeitungen wieder.558 Hierbei wurde jedoch von Anfang an kaum mit einem größeren Konflikt gerechnet, auch wenn der Daily Mirror mit etwas Schadenfreude vermutete, daß militärische Geheimnisse in französische Hand geraten sein könnten.559 Lobend hob die Daily Mail den korrekten Umgang der Franzosen mit der Luftschiffbesatzung hervor. Dies sei vor vier Jahren bei einem ähnlichen Vorfall im russischen Teil Polens ganz anders gewesen. Außerdem relativierte die Daily Mail den militärischen Wert eines Fluggerätes, das schon durch einen leichten Wind so vom Kurs abgebracht werde, daß es in einem potentiell feindlichen Gebiet notlanden müsse: „In war, of course, Z4 would have become easy prize of the French troops."560 Insgesamt wurde der Vorfall schnell und ohne dauerhafe Beeinträchtigung bereinigt: „France and Germany are to be congratulated upon the happy issue of the airship incident."561 Ausgesprochen pathetisch und übertrieben verkündete der Daily Herald anläßlich der Rückgabe des Luftschiffes: „No Proof of Espionage and no outbreak of war!"562 Dies wurde durch den Abschluß eines Luftfahrtabkommens563 verstärkt, das den beiderseitigen Schutz verirrter Flugzeuge vorsah. Dank dieser Vereinbarung habe es beim Rücktransport notgelandeter deutscher Flugzeuge auf französischem Boden keine Probleme gegeben.564
553
Star, 16.4.1913, S. 4. Liverpool Daily Post, 21.4.1913, S. 6, vgl. Daily News, 17.4.1913, S. 6. 555 Guardian, 16.4.1913, S. 6. 556 Scotsman, 18.4.1913, S. 6. 557 Guardian, 21.4.1913, S. 7. 558 Vgl. Yorkshire Post, 4.4.1913, S. 7; Lloyd's, 6.4.1913, S. 2; Western Mail, 4.4.1913, S. 5; Liveipool Daily Post, 5.4.1913, S. 7; Sketch, 4.4.1913, S. 7; Daily Herald, 4.4.1913, S. 5. 559 Vgl. Mirror, 4.4.1913, S. 4, 5.4.1913, S. 1, 4; Daily Express, 4.4.1913, S. 1, 5.4.1913, S. 1. 560 Daily Mail. 5.4.1913, S. 4. 561 Star, 5.4.1913, S. 4, vgl. Evening News, 8.4.1913, S. 4. 562 Daily Herald, 5.4.1913, S. 1. 563 Vgl. Times, 30.7.1913, S. 7. 564 Vgl. Times, 1.10.1913, S. 5,4.2.1914, S. 8. 554
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Wie Kießling gezeigt hat, herrschte trotz des Wettrüstens und des Konflikts auf dem Balkan nach der Beilegung der Zweiten Marokkokrise keine akute Kriegsgefahr mehr zwischen Deutschland und Frankreich. Im Gegenteil, die beiden Regierungen gaben sich Mühe, kleinere Probleme, wie die Grenzverletzung durch den notgelandeten Zeppelin, aus der Welt zu schaffen. Es ist dabei aber darauf zu achten, daß die Entspannung keineswegs soweit ging, daß alle Probleme bereinigt worden wären oder sich ein freundschaftliches Verhältnis angebahnt hätte. 565 Wilhelm selbst befürchtete: „Die Engländer versuchen alles, um uns zu hindern mit Frankreich d 'accord zu werden und die beiden Länder politisch zu nähern." 566 Sein persönliches Geschick, eine Annäherung zu erreichen hielt sich allerdings in Grenzen - dagegen versuchten sich die britischen Zeitungen keineswegs in einer Vergiftung der deutsch-französischen Beziehungen. Die Kombination aus fehlenden Negativereignissen und einzelnen Lichtblicken zeigt vielmehr, daß sich die deutsch-französischen Beziehungen in der Sicht der britischen Presse zu dieser Zeit auf dem Wege der Besserung befanden. 2.3.4 Die deutsch-russischen Beziehungen Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes wies das deutsch-russische Verhältnis zunächst relativ wenig konkretes Konfliktpotential auf. Intensives Interesse zeigten Zeitungen aller Couleur vor allem am Treffen des Kaisers mit dem Zaren in Baltisch Port im Sommer 1912 - ein aus der Sicht der Zeitungen imperiales Ereignis. 567 Die WestCCQ
minster Gazette Schloß daraus auf gute deutsch-russische Beziehungen. Eine konkrete Erwartungshaltung wurde mit dem Treffen jedoch nicht verbunden. So berief sich der Irish Independent auf französische Beobachter, die feststellten, daß „the Imperial meetings had sometimes been attended or followed by serious difficulties between the two Governments, while at other times they had been coincident with the return of a better state of feeling." 569 Mehr Konfliktstoff bot die sogenannte Liman von Sanders-Affäre 570 . Auf Bitten der Regierung des Osmanischen Reiches brach im Dezember 1913 eine deutsche Militärmission auf, um die Reorganisation der türkischen Armee zu leiten. Als Generalinspek565
Vgl. Kießling, Entspannungen, S. 194,206. GP 19-2, Nr. 6255 vom 26.11.1905, S. 525, Wilhelm II. an Bülow, vgl. GP 21-2, Nr. 7202 vom 17.10.1906, S. 463f, Metternich an Bülow, GP 21-2, Nr. 7180 vom 4.5.1906, S. 425/427, Metternich an Bülow. 567 Vgl. Cambria Daily Leader, 24.6.1912, S. 1,4.7.1912, S. 1; South Wales Daily News, 4.7.1912, S. 4; Graphic, 6.7.1912. S. 5; Chronicle, 5.7.1912, S. 1; Daily News, 4.7.1912, S. 1. 568 Vgl. Westminster Gazette, 5.7.1912, S. 1; Graphic, 8.7.1912, S. 4f. 569 Irish Independent, 8.7.1912, S. 4, vgl. Irish Times, 4.7.1912, S. 6. 570 Zur Liman von Sanders-Krise vgl. z.B. Crampton, Richard·. The Balkans, 1909-1914, in: Hinsley, Francis (Hg.): British Foreign Policy under Sir Edward Grey, Cambridge, London, New York u.a. 1977, S. 254270, hier S. 270, Lowe, John: The Great Powers, Imperialism and the German Problem, 1865-1925, London, New York 1994. S. 211, Steiner, Origins, S. 119. 564
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teur der Truppen im Bezirk Konstantinopel hätte der deutsche General Liman die militärische Kontrolle über die Meerengen übernehmen sollen. Dies wollte Rußland auf keinen Fall dulden. Sogar von Krieg war die Rede. Nach einer gemeinsamen Note der Ententemächte und Verhandlungen wurde das Vorhaben aufgegeben. Auffällig ist, daß Großbritannien trotz der Beteiligung an der diplomatischen Note kein tiefergehendes Interesse daran hatte. Dies glaubte nicht nur der deutsche Botschafter Lichnowsky.571 Auch der Diplomat im Außenministerium, Nicolson, war der Ansicht, daß „there is a certain disinclination on our part to pull the chestnuts out of the fire for Russia."572 Außenminister Grey glaubte nicht, daß „the thing is worth all the fuss that Sazonow makes about it"573. Großbritannien könne Rußland aber nicht den Rücken kehren. Selbst gegenüber Lichnowsky bekundete Grey sein Desinteresse an der Angelegenheit.574 Fast parallel zu den Ereignissen um die Mission Limans spielte sich in Deutschland die Zabern-Affare ab.575 Während die innenpolitische Krise jedoch mit einer sehr umfangreichen Berichterstattung von der englischen Presse bedacht wurde, finden sich über Liman von Sanders nur sehr wenige Artikel.576 Diese sind zudem völlig uneinheitlich. So war der Daily Chronicle der Meinung, daß die russischen Bedenken nicht verwunderlich seien, da die Mission einen starken Einflußgewinn Deutschlands auf das Osmanische Reich bewirken würde.577 Dagegen hieß es in der Daily News, die deutCIO
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sehen Aufgaben in der Türkei seien „purely of a technical Character." Ausführliche Stellungnahmen sucht man meist vergebens. Hinweise, daß es eine politisch wichtige Angelegenheit sei, gab es lediglich vereinzelt.580 Nur wenige Zeitungen beschäftigten sich ausführlicher mit diesem Thema. Das englische Desinteresse an dieser Angelegenheit betont der Manchester Guardian. Dieser hielt die gemeinsamen Noten Rußlands, Frankreichs und Großbritanniens gegen Limans Auftrag für „[a] Ridiculous Protest."581 Die Türkei „does not see why she should not please herself whom she appoints to her military commands." Der Guardian äußerte Unverständnis: „Why it should be right for us to lend British Admirals and wrong for Germany to lend her gen-
571
Vgl. Lichnowsky, Abgrund, Bd. 2, S. 163. Grey machte gegenüber Lichnowsky deutlich, daß er selbst nichts gegen die Berufung Limans habe. 572 BDOW X-l, Nr. 393 vom 2.12.1913, S. 352, Nicolson an O'Beime. 573 BDOW X-l, Nr. 457 vom 2.1.1914, S. 407, Grey an Goschen. 574 Vgl. APDR 4-II, XXXVIII, Dok. 15485 vom 15.12.1913, S. 641f, Lichnowksy an AA. 575 Die Höhepunkte beider Krisen lagen im Dezember und Januar 1913/14. 576 Vgl. Times, 2.12.1913, S. 7, 3.12.1913, S. 7,4.12.1913, S. 7, 8.12.1913, S. 9, 22.1.1914, S. 5; Graphic, 18.12.1913, S. 8. Die Artikel waren meist sehr kurz und gaben die Nachrichten ohne eigene Kommentare wieder. 577 Vgl. Chronicle, 17.12.1913, S. 4. 578 Die Begriffe Osmanisches Reich und Türkei wurden in der britischen Presse weitgehend synonym verwendet. 579 Daily News, 16.12.1913, S. 1. 580 Vgl. Observer, 2.11.1913, S. 11. 581 Guardian, 16.12.1913, S. 8.
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erals we cannot imagine". Im Gegenteil, es sei besser „that a German rather than a Russian should be in high Turkish command." Des weiteren verurteilte der Manchester Guardian, daß Großbritannien in dieser Frage „was led by Russia."582 Wieder einmal stellte sich die bedeutende nordenglische Zeitung auf die Seite Deutschlands. Unterstützung gewährte die Yorkshire Post: „If the Young Turks think the efficiency of their army, and the defence of their Capital and the Dardanelles, can be best attained by the placing of a German at the head of an Army corps, we, for our part, can view the appointment with goodwill, and best wishes for success."583 Zugunsten des Zarenreiches trat der Daily Telegraph ein. In einem Artikel des prorussischen Journalisten Dillon584 machte er sich die Argumentation Rußlands zu eigen. Dillon gab zwar zu, daß mit General von der Goltz bereits vor Liman von Sanders ein deutscher Offizier eine hohe Funktion innerhalb der türkischen Armee innegehabt hatte. Die Positionen seien jedoch nicht zu vergleichen: „Von der Goltz Pasha was not the head of an organised body of officers, responsible for their deeds and misdeeds to the 585
Sultan or the War Minister." Die Kompetenzen Limans seien viel weitreichender. Im Gegensatz zum Manchester Guardian betonte Dillon, daß die Mission des deutschen Generals nicht mit der des britischen Marineoffiziers Limpus zu vergleichen sei. Während der Deutsche eine ganze Armee unter sich habe, „the former [Limpus] has a navy, not to modernise, but to create, and must create it out of nothing."586 Deshalb äußerte der englische Jounalist Verständnis dafür, daß Rußland und Frankreich versuchen würden, ihre Interessen zu wahren. Als Kompromißlösung schlug er vor, den britischen Marineberater aus dem Osmanischen Reich abzuziehen, damit Deutschland umgekehrt dasselbe mit Liman tun könne. Im gleichen Atemzug wurde aber schon wieder an der Durchführbarkeit dieses Vorschlages gezweifelt: „[...] there is no convincing reason why it should [be practicable]. Between the two missions there is no interdependence."587 Analysiert man diesen Artikel in seiner Gesamtheit, so wird ersichtlich, daß der Verfasser nicht in der Lage war, eine klare Argumentationslinie zu finden. Auf der einen Seite steht hier die Warnung vor dem starken Machtgewinn des Kaiserreiches, andererseits wurde ausgeführt, daß die Mission Limans „is not in itself an aggressive measure. Indeed, it is unusually pacific." Rußland hingegen betrachte sie „as the beginning of the liquidation of Turkey". Aufgrund seiner pro-russischen Haltung sprach sich Dillon letztlich gegen eine Fortsetzung der deutschen Bemühungen aus. Britische Interessen sah aber auch er nicht gefährdet. Auf die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis wies 582
Guardian. 16.12.1913, S. 8. Von der Times wurde zudem berichtet, daß es bei der Reorganisation der türkischen Marine ein Abkommen mit der englischen Industrie gebe, in: Times, 4.12.1913, S. 7. 583 Yorkshire Post, 18.12.1913, S. 6. 584 Vgl. EBP, S. 201, Eintrag zu Dillon. 585 Telegraph, 27.12.1913, S. 9, vgl. S. 10. 586 Telegraph, 27.12.1913, S. 9, vgl. S. 10. 587 Telegraph, 27.12.1913, S. 10.
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die Irish Times hin. Zwar wäre Liman als Offizier des Osmanischen Reiches tätig, „the arrangement would in practice place the effective control of this immensely important strategic position in German hands." Deshalb: „The suspicions of the Triple Entente on the subject of the German Mission are perfectly intelligible." 588 Nach Abbruch der Mission Limans gab es noch weniger Artikel, die sich damit befaßten. Deutschland sei enttäuscht über das Scheitern. 589 Besonderes Aufsehen erregte dies aber nicht. Nur der Observer behauptete „that Germany has suffered a disastrous diplomatic defeat" 590 . Allein schon anhand der geringen Anzahl der diesbezüglichen Artikel muß diese Meinung jedoch in Frage gestellt werden. So wurde der Abbruch der Mission in mehreren Zeitungen gar nicht erwähnt. Die seltenen Berichte, die dieses Thema behandelten, waren meist nur Nachrichten, keine Kommentare. Somit kann keine Rede davon sein, daß das Ende der Affäre allgemein als diplomatische Niederlage Deutschlands gesehen wurde. Nach Auswertung der vorliegenden Quellen kann der Nachweis erbracht werden, daß die Liman von Sanders-Affare nicht nur bei englischen Politikern wenig Interesse hervorrief. Vor allem an der breiten Masse der Bevölkerung, die keine anspruchsvollen Zeitungen las, mußte sie wegen mangelnder Berichte fast völlig vorbeigehen. Eine Verschärfung der internationalen Lage konnte damals nicht abgeleitet werden, zumal die Angelegenheit durch das Eingreifen des Kaisers friedlich beigelegt worden sei.591 Davon, daß England das deutsche Vorgehen nicht hatte hinnehmen können, wie Fritz Fischer behauptete 592 , kann nicht gesprochen werden. Lediglich aus Verbundenheit zur Triple-Entente Schloß man sich dem Zarenreich an. Von britischer Seite gab es kein gehobenes Interesse an dieser Angelegenheit. Dennoch wird anhand der Zeitungsartikel klar, daß die deutsch-russischen Beziehungen bei weitem nicht so entspannt empfunden wurden wie das deutsch-französische Verhältnis. So ging die deutsch-russische Pressefehde im Frühjahr 1914 nicht unbemerkt an den seriösen Zeitungen vorbei. Sowohl die Erklärung einer großen russischen Tageszeitung „Russia desires peace, but is ready for war" 593 , als auch die deutsche Antwort, notfalls ebenso kriegsbereit zu sein, wurde in mehreren Blättern veröffentlicht.594 Zu beachten ist hier, daß die Aussagen der deutschen und russischen Zeitungen nicht mit deren Regierung oder der gesamten Bevölkerung gleichgesetzt wurden. Das Verhalten des £«te/ite-Partners Rußland wurde im Vergleich mit Deutschland ebenfalls kritisch gesehen. So wurde bei der Verhaftung russischer Offiziere in Deutschland die Ansicht vertreten, daß „the Russian authorities have made every effort to hush up the
588
Irish Times, 16.12.1913, S. 4.
589
Vgl. Chronicle, 23.1.1914, S. 1, 5. Observer, 25.1.1914, S. 13.
5,0 591 592 593 594
Vgl. Daily Express, 14.3.1914, S. 1. Vgl. Fischer, Weltmacht, S. 29. Chronicle, 13.3.1914, S. 1, vgl. Daily Mail, 13.3.1914, S. 7. Vgl. Chronicle, 14.4.1914, S. 1.
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affair." 595 Auch die Erhöhung russischer Zölle wurde kritisch bewertet. Auch wenn „the German Press is arguing itself into a totally unreasonable attitude" 596 , hätte dies doch neuen Nährstoff fur die anti-russische Kampagne geliefert. Besonders die Times kritisierte Deutschland wegen der andauernden Pressekampagne gegen Rußland: .Almost all German journalists seem now completely to lose their heads at the mention of Russia." 597 Diese Einzelfälle wurden als Vorboten einer möglicherweise bevorstehenden Auseinandersetzung zwischen der „germanischen" und der sich ausbreitenden „slawischen" Rasse gesehen. 598 Von einem unmittelbar bevorstehenden militärischen Konflikt von deutscher Seite aus war jedoch nirgends die Rede. Nur ganz vereinzelt wurde die deutsche Bevölkerung kritisch gesehen: „Like their Emperor, they would deny that they want war - no one does want war - but they do long for the fruits of the war." 599 Eine klare Warnung sprach der Scotsman angesichts der deutschrussischen Verwicklungen aus. Großbritannien dürfe sich trotz des drohenden Bürgerkrieges in Irland nicht von außenpolitischen Ereignissen ablenken lassen: „It would, as Lord Cromer points out in the Times, be an extreme misfortune for ourselves and for the cause of international peace if the disturbance now threatened found the British Government in a position in which they were unable to speak in the councils of Europe with the weight and effect that come from having behind them the support of a united people." 600 Die Irish Times wies darauf hin, daß es derartige deutsche Pressekampagnen gegen Rußland schon seit Bismarcks Zeiten immer wieder gegeben habe, ohne sich auf den Frieden auszuwirken: „These attacks were not seriously meant, and, after they had served their purpose, were dropped as suddenly as they had been begun." 601 Das Interesse Großbritanniens sei der Erhalt des europäischen Friedens, deshalb würde es im Konfliktfall niemals auf der Seite des Friedensbrechers stehen. Deutliche Unzufriedenheit zeigte Reichskanzler Bethmann angesichts der Berichterstattung der Times über die deutsch-russische Pressefehde. Er zweifle nicht daran, daß der am 10.3.1914 eingegangene Artikel 602 ein gutes Bild der Stimmung in Großbritannien wiedergebe. Er bedauerte aber „die Einseitigkeit und Voreingenommenheit der Darlegungen des Blattes". Die „darin enthaltenen Entstellungen der Wahrheit und Insinuationen [geben] gleichzeitig einen wertvollen Fingerzeig dafür ab, wie solche Stimmungen in England erzeugt und wie sie verallgemeinert werden." 603
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Times, 18.3.1914, S. 7. Times, 11.4.1914, S. 7. 597 Times, 10.4.1914, S. 5, vgl. 9.3.1914, S. 7,13.3.1914, S. 6,16.3.1914, S. 8. 598 Vgl. Times, 14.4.1914, S. 7. 599 B'ham Post, 16.6.1913, S. 6. 600 Scotsman, 12.3.1914, S. 6. 601 Irish Times, 12.3.1914, S. 6, vgl. Western Mail, 16.3.1912, S. 4. 601 Vgl. GP 39, Nr. 15847 vom 10.3.1914, S. 556f, Lichnowsky an Bethmann. 603 GP 39, Nr. 15849 vom 10.3.1914, S. 559. Bethmann an Lichnowsky. 5,6
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2.3.5 Bilanz Eine Bewertung der deutschen Außenpolitik anhand britischer Zeitungsartikel bringt folgendes Ergebnis: Die deutsche Balkanpolitik wurde als friedfertig und geschickt dargestellt. Mehrfach wurde betont, daß Deutschland in dieser Angelegenheit nicht hinter seinem Bündnispartner Österreich-Ungarn stehe604, sondern mit England und Frankreich zusammenarbeite. Dies war ein Grund dafür, daß die deutsch-französischen Beziehungen als ruhig geschildert wurden. Hinzu kamen Annäherungen auf anderen Gebieten, wie beispielsweise das Luftverkehrsabkommen. Sicherlich wurden die deutsch-französischen Beziehungen nicht als freundschaftlich gesehen. Die Zeit der schweren Konflikte zwischen den beiden Nachbarn, wie die beiden Marokkokrisen, schien zu diesem Zeitpunkt aber beendet. Im Vergleich dazu wurden die deutschrussischen Beziehungen nicht so positiv geschildert. Im Gegenteil, durch Streitereien, wie der Liman von Sanders-Krise oder dem Pressekrieg im Anfang 1914, wurde auf das latente Konfliktpotential zwischen Deutschland und Rußland hingewiesen. Die Meinung, Deutschland sei „ever ready for another ,Panthersprung'" 605 wurde nur selten ausgesprochen. Im Falle des Daily Herald ist dies auch ironisch zu verstehen: „Germany, official Germany, is undoubtedly aiming to be a great, and if possible the greatest world-Power. Naturally! This is the aim of the capitalist class of every country [...] Germany is denounced as being militarist, reactionary and aggressive. (By implication, England is, of course, nothing of the kind.)" 606 Außerdem wurde die Frage gestellt, ob Deutschland sich in seinem Umgang mit Elsaß-Lothringen tatsächlich so sehr vom englischen Verhalten in Irland unterscheide. Die nachträgliche Feststellung Edward Greys, daß „The highest morality, for a German Government, was the national interest" 607 war aus zeitgenössischer Sicht vollkommen nachvollziehbar. Dies entsprach zwar nicht immer den britischen Interessen, unterschied sich von der politischen Ausrichtung aber nicht von der anderer Staaten. Alles in allem erschien die deutsche Außenpolitik in der englischen Presse im Vorkriegsjahr als ausgesprochen ruhig. Von Kriegstreiberei war bis auf wenige Ausnahmen keine Rede.
3. Die deutsch-britischen Beziehungen Auf den vorangegangenen Seiten wurde dargelegt, wie die deutsche Politik und das Staatswesen allgemein betrachtet wurden. Die deutsch-britischen Beziehungen blieben dabei bewußt weitgehend unberücksichtigt. Aufgrund der zahlreichen verschiedenen
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Vgl. Skrivan, Partner. Daily Herald, 13.11.1912, S. 8. Daily Herald, 22.1.1913, S. 10. Grey, Years, Bd. 1, S. 217.
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Aspekte und der Uneinigkeit in der Literatur soll diesem Thema ein eigenes Kapitel gewidmet werden. Auf der einen Seite der Forschung stehen hier jene Publizisten, die eine starke Verbesserung der deutsch-englischen Beziehungen vor dem Krieg konstatiert haben.608 Eine gegensätzliche Position bezieht Paul Kennedy, der sich intensiv mit den deutschbritischen Beziehungen befaßt hat. Er ist der Meinung, daß Deutschland und Großbritannien „drifted steadily apart in the late nineteenth and early twentieth centuries"609. Daher sei „the wartime-struggle between London and Berlin [...] but a continuation of what had been going on for at least fifteen or twenty years before the July crisis itself' 610 gewesen. Neben Kennedy findet sich eine Reihe weiterer Autoren, die diesen Standpunkt vertreten. Auch wenn es Anzeichen für eine Entspannung gegeben habe, so hätte sich die internationale Lage vor dem Krieg insgesamt verschärft.611 Gemeinsam ist beiden Gruppen, daß diese Behauptungen meist ohne Begründung oder Verweise in den Text eingehen. Hier soll deshalb gezeigt werden, wie in den Zeitungen die Beziehungen der beiden Länder in den beiden Vorkriegsjahren dargestellt wurden.
3.1 Überblick Aus der historischen Entwicklung heraus „erschien den Engländern die Freundschaft mit den Deutschen so selbstverständlich wie ,ham and eggs' zum Frühstück und so solide wie der Tower von London."612 Sowohl der Protestantismus, die gemeinsame (Mehrheits-) Religion, als auch die Verwandtschaft der Herrscherhäuser trugen zur engen Verbindung der beiden Länder bei. Im letzten Krieg, an dem sowohl das Vereinigte Königreich als auch Deutschland, bzw. zu diesem Zeitpunkt noch die deutschen Teilstaaten, teilgenommen hatten, war der gemeinsame Feind Napoleon I. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hatte es seit Generationen keine größeren Konflikte mehr zwischen den beiden Ländern gegeben. Der Irish Independent ging sogar so weit zu behaupten, daß beide Länder „have never been at war before" 613 . Die Westminster Gazette stellte fest, daß sich die deutsch-britischen Beziehungen von denen der meisten anderen Länder unterschieden: „[...] they have nothing to conceal and no racial or historical animosities to divide them."614 Die gegenwärtigen Probleme miteinander würden vielmehr aus dem Verhältnis zu dritten Mächten resultieren.
608
Vgl. Haffner, Todsünden, S. 31f, Schmitt, Origins, S. 5, Hillgruber, Rolle, S. 40. Kennedy, Antagonism, S. 464, vgl. S. 451. 610 Kennedy, Antagonism, S. 452f: „To the uniformed observer [...] the Anglo-German relationship now seemed less tense [...] a certain optimism had returned to Anglo-German relations". 611 Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 66, Sanders/Taylor, Propaganda, S. 22, Haste, Home Fires, S. 19. 612 Breitenstein, Deutsche, S. 67, vgl. Reinermann, Kaiser, S. 98, Robbins, Public opinion, S. 75. 613 Irish Independent, 31.12.1912, S. 4. 614 Westminster Gazette, 25.9.1912, S. 1. 609
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Das bedeutet jedoch nicht, daß es keinerlei Unstimmigkeiten gegeben hätte. So war es der Daily Telegraph, der aufgrund kolonialer Differenzen mit Bismarck feststellte, daß „for some time past a good deal of tension has existed." Wie gut die Beziehungen dabei eigentlich eingeschätzt wurden, geht daraus hervor, daß derartige Auseinandersetzungen als „family quarrel"615 betrachtet wurden. Solche Verstimmungen wurden als ungewöhnlich betrachtet. So zeigte sich die Times zuversichtlich, daß die Probleme gelöst werden würden: „There is room enough for England and Germany in the waste places of the world, and there is no reason whatever why they should not be friends wherever they meet across the seas as they have long been friends in Europe."616 Auch nach der Thronbesteigung Wilhelms II. und der Entlassung Bismarcks gab es diplomatische Schwierigkeiten zwischen Deutschland und Großbritannien. Den bekannten Auftakt bildete die sogenannte Krüger-Depesche. Diese wurde oft als Initialzündung fur verschlechterte Beziehungen der beiden Länder herangezogen. So hielt der Manchester Guardian das Verhalten Wilhelms II. während der Krüger-Depesche 1896 zumindest für „unstatesmanlike".617 Doch schon Churchill hatte in seinen Erinnerungen festgestellt, sie habe „only a temporary ebullition of anger"618 hervorgerufen. Wichtig ist an dieser Stelle hervorzuheben, daß die meisten Zeitungen den Jameson-Raid gegen die Burenrepublik ablehnten - aber eben auch das Telegramm des deutschen Kaisers. Angesicht so massiver Konflikte wie der Faschoda-Krise zwischen Frankreich und Großbritannien ist das Krüger-Telegramm als geringfügige diplomatische Unstimmigkeit zu sehen. Die neuere Forschung hat auch gezeigt, daß es bei weitem keine so großen Nachwirkungen hatte, wie früher angenommen wurde.619 Dasselbe gilt für das viel zitierte Daily Telegraph-Interview, „The .Kaiser Crisis'"620, das in Deutschland weit mehr Aufsehen erregte als in Großbritannien621, genau wie für den umstrittenen Tangerbesuch 1905.622 Eine schwere Belastungsprobe für die deutsch-britischen Beziehungen stellte die Zweite Marokkokrise dar, die sich durch die zweite Jahreshälfte 1911 zog. Als ,A Bolt from the Blue" sah der Daily Chronicle die vermeintliche Landung kleinerer deutscher Truppenkontingente in dem nordafrikanischen Sultanat an: „[...] the situation may develop in a very ugly way."623 Auf Verständnis stieß deshalb auch die sogenannte Man615
Telegraph, 5.3.1885, S. 4, vgl. Guardian, 3.3.1885, S. 5; Chronicle, 7.3.1885, S. 4. '"Times,4.3.1885, S. 9. 6,7 Guardian, 4.1.1896, S. 7, vgl. 6.1.1896, S. 5. 6 " Churchill, World Crisis, Bd. 1, S. 9. 6 " Vgl. Telegraph, 23.5.1912, S. 11; Chronicle, 2.1.1896, S. 4. Siehe insbes. Reinermann, Kaiser, S. 149f, 488. 620 Chronicle, 11.11.1908, S. 4. 621 Vgl. Reinermann, Kaiser, S. 351, 489, Rebentisch, Gesichter, S. 243. Zur Sicht des Kaisers vgl. Wilhelm II.: Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878-1918, Leipzig, Berlin 1922, S. 99: „Ich habe unter dieser ganzen Angelegenheit seelisch schwer gelitten." 622 Vgl. Telegraph, 3.4.1905, S. 8; Chronicle, 3.4.1905, S. 4, 6.3.1906, S. 4, Reinermann, Kaiser, S. 285. 623 Chronicle, 3.7.1911, S. 6, vgl. Times, 3.7.1911, S. 9.
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sion-House-Rede Lloyd Georges, die in all ihrer Deutlichkeit als Warnung gegenüber Deutschland gedacht war: „Governments do not use grave language of this kind, which is certain to attract attention throughout the world, except for grave causes." 624 Die vorangegangene deutsche Forderung „is nothing less than a claim for absolute European predominance. Neither France nor Great Britain could have entertained them for a moment without confessing themselves overborne by German power." 625 Damit erfuhren die deutsch-britischen Beziehungen im Rahmen der Marokkokrise eine schwere Belastungsprobe. Diese endete keineswegs abrupt mit dem Jahreswechsel 1911/12 oder der diplomatischen Beilegung der Krise. Immer wieder bezogen sich die jti/
Zeitungen auf diesen Tiefpunkt der beidseitigen Beziehungen: „Some of the events of last summer have proved on what a delicate edge of chance stood the alternatives of peace and war" 627 . Nachträglich wurde darauf hingewiesen, daß auch ein Krieg im Rahmen des Möglichen gelegen hätte. So äußerte der ehemalige Botschafter in Deutschland, Frank Lascelles: „It was generally believed in the summer and autumn last year that Great Britain and Germany were on the verge of war." 628 Ähnlich hörte sich der Bischof von Winchester an. 629 Entsprechend wenig zuversichtlich klang der englische Boschafter in Berlin zum Jahresende 1911. In seinem Tagebucheintrag schrieb er: „1911 has been a bad year. [...] Anglo-German very fishy relations and wars, rumours of war, Revolutions and Strikes all over the World!" 630 Kurz darauf berichtete er über die angespannte Lage in Deutschland: „That public opinion in Germany is still in a high state of irritation against Great Britain is an unfortunate fact which cannot be gainsaid" 631 . Dieser Eindruck wird von deutscher Seite bestätigt. Während der Marokkokrise hätte sich die gesamte deutsche Bevölkerung in größter Erregung befunden. Besorgt habe der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes über die von ihm mit angeheizte Stimmung geäußert, „die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los"632. Auch der Vertraute des Kaisers, Alfred Ballin, berichtete noch im Juni 1912 von seiner England-Reise, daß hinsichtlich der Stimmung gegenüber Deutschland alle Parteiunterschiede verschwänden: „Auf Liberalen, Konservativen, wie auf der Arbeiterpartei 624
Chronicle, 22.7.1911, S. 4, vgl. 25.7.1911, S. 4; Times, 22.7.1911, S. 9. Times, 22.7.1911, S. 9, vgl. 24.7.1911, S. 9. 626 Vgl. Schöllgen, Gregor: „Germanophobia". Deutschland, England und die orientalische Frage im Spiegel der britischen Presse 1900-1903, in: Francia 8 (1980), S. 407-426, hier S. 425f, Steiner, Edward Grey, S. 43. 627 Telegraph, 12.2.1912, S. 10, vgl. Morning Leader, 17.2.1912, S. 4; Chronicle, 6.2.1912, S. 4; Irish Times, 24.1.1912, S. 6; Glasgow Herald, 14.5.1912, S. 8. 628 Chronicle, 29.6.1912, S. 1, vgl. Scotsman, 5.1.1912, S. 4; Daily Mail, 27.1.1912, S. 4. 629 Vgl. Chronicle, 31.1.1912, S. 5. 630 Goschen, Diary, S. 254, Eintrag vom 31.12.1911. 631 BDOW VI, Nr. 485 vom 12.1.1912 (erhalten am 15.1.1912), S. 655, Goschen an Grey, vgl. BDOW VI, Nr. 210 vom 31.12.1909, S. 319, Grey an Goschen. 632 Hutten-Czapski, Bogdan Graf von: Sechzig Jahre Politik und Gesellschaft, Band 2, Berlin 1936, S. 62. 625
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lastet die deutsche Gefahr und Ungewißheit gleich einem Alpdruck." Noch bevor er englischen Boden betreten habe, habe er schon Stimmen gehört, die von „the bad feeling between the two nations"633 gesprochen hätten. Mit einigem Stolz wiesen Journalisten wie Robert Blatchford in ihren Memoiren auf ihren Anteil an den deutsch-britischen Spannungen, beispielsweise der „Great War Scare" von 1909, hin.634 Etwas erstaunt wirkt der Viscount Esher in einem Brief Anfang 1910. Die Spannung zwischen den beiden Staaten „is a newspaper tension, but it is severe for all that."635 Zu den Artikeln Blachtfords schrieb der Verwalter von Windsor Castle und damit Vertrauter der Königsfamilie: „I don't think political crime can go much lower than that."636 Zusammen mit der weit verbreiteten Literatur über einen kommenden deutsch-englischen Krieg stellten die zahlreichen Pressekampagnen der Länder die Ausgangslage der deutsch-britischen Beziehungen in einem denkbar ungünstigen Licht dar. Dies war ein bekanntes Mittel zum Austragen diplomatischer Unstimmigkeiten. So erinnerte Spender von der Westminster Gazette an die englischfranzösischen Spannungen anläßlich der Faschoda-Krise und der Dreyfus-Affäre: „[...] there would almost certainly have been war, if there had been no Channel between us."638 Ähnliche Auseinandersetzungen gab es auch zwischen Deutschland und Großbritannien, beispielsweise wegen der Flottenrüstung oder der Handelsrivalität.639 Anders als die deutsche Außenpolitik im allgemeinen erreichte das deutsch-britische Verhältnis einen enormen Grad an Aufmerksamkeit. Das Verhältnis der beiden Länder „overshadows all the matters in the world of foreign affairs." 640 Deshalb ging die Betrachtung der Beziehungen weit über die Armee oder Marine hinaus. Über den gesamten Untersuchungszeitraum verteilt finden sich Ereignisse, die in der Presse ausfuhrlich diskutiert wurden. Zu nennen sind beispielsweise die Haldane-Mission Anfang 1912, die zweimalige Neubesetzung des deutschen Botschafterpostens in London, der Besuch des britischen Königspaares in Berlin, das kaiserliche Thronjubiläum und der Besuch einer Flottendelegation in Kiel.
3.2 Haldane-Mission Das erste aufsehenerregende Ereignis der deutsch-britischen Beziehungen war der Besuch des britischen Kriegsministers Haidane in Berlin, der mit einer Unmenge von Ar-
633 634 635 636 637 638 639 640
GP 31, Nr. 11574 vom 14.6.1912, S. 512, Ballin an Bethmann. Vgl. Blatchford, Eighty Years, S. 228. Esher, Journals and Letters, Bd. 2, S. 434, Esher an M.V.B, am 4.1.1910. Esher, Journals and Letters, Bd. 2, S. 426, Esher an M.V.B, am 9.12.1909. Vgl. Ferro, Great War, S. 26. Spender, Life, Bd. 1,S. 184. Vgl. Steiner, Origins, S. 20, 29, 32,40,49, 60,13 lf. Chronicle, 9.5.1912, S. 4.
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tikeln, Berichten und Spekulationen bedacht wurde.641 Lord Haidane wurde als besonders geeignet für die delikate Aufgabe angesehen: „No Englishman knows Germany better than he or more fully commands the confidence of the German people. He stands in the front rank of our own statesman, and he is peculiarly well acquainted with the practical needs we have to serve in an understanding with Germany." In Erinnerung an die jüngsten Ereignisse wurde allerdings angezweifelt „whether the moment is as propitious as the man."642 Schon vorab wurde deshalb erwartet, daß allein die Anwesenheit Haldanes in Deutschland „should have the effect to some degree of inspiring a calmer attitude towards the question of Anglo-German relations."643 Einigkeit herrschte darin, daß der Besuch trotz der Ankündigung644 weder privater Natur noch wegen der deutschen Universitäten erfolgt sei: „[...] it is unlikely that questions of merely academic import should have occupied most of his time."645 Daß dies zutraf, wurde spätestens klar, als Premierminister Asquith einräumte, der Besuch habe „official significance"646 besessen, auch wenn er informell und nicht bindend gewesen sei. Die Vorteile eines informellen Besuchs wurden darin gesehen, daß „matters of great delicacy can be discussed with much greater freedom and hope of mutual understanding than through formal diplomatic channels."647 Die Tatsache, daß Grey nicht selbst nach Berlin ging, sondern statt dessen Haidane in „Privater Mission", kann damit begründet werden, daß dadurch noch größere Hoffnungen auf erfolgreiche Verhandlungen geweckt worden wären mit entsprechend großer Enttäuschung bei einem Scheitern.648 Die Bedeutung des „most discussed international event of the moment" 649 wurde meist sehr hoch eingeschätzt. Über die tatsächliche Tragweite des Besuchs herrschte aber keine Einigkeit.650 Die Daily News hoffte, daß sich der Besuch als „a turning-point in the latter history of Anglo-German policy"651 erweisen würde. Noch weitergehend 641
Vgl. Β'ham Post, 10.2.1912, S. 9, 27.2.1912, S. 6; Chronicle, 15.2.1912, S. 1; Daily Express, 10.2.1912, S. 1; Daily Mail, 9.2.1912, S. 5; Daily News, 8.2.1912, S. 1, 15.2.1912, S. 1; Graphic, 10.2.1912, S. 5; Guardian, 12.2.1912, S. 7; Lloyd's, 18.2.1912, S. 8; Mirror, 16.2.1912, S. 3; Morning Leader, 10.2.1912, S. 1; Observer, 3.3.1912, S. 9; Reynolds's, 18.2.1912, S. 3; Scotsman, 10.2.1912, S. 9; Sketch, 12.2.1912, S. 1; South Wales Daily News, 10.2.1912, S. 6; Star, 9.2.1912, S. 1; Telegraph, 9.2.1912, S. 11, 13.2.1912, S. 11, 15.2.1912, S. l l ; T i m e s , 9.2.1912, S. 8, 16.2.1912, S. 6; Westminster Gazette, 10.2.1912, S. 9; Yorkshire Post, 16.2.1912, S. 7.
642
Graphic, 9.2.1912, S. 4, vgl. Guardian, 9.2.1912, S. 6.
643
Chronicle, 9.2.1912, S. 4.
644 645
646 647 648
Vgl. Chronicle, 8.2.1912, S. 1; Westem Mail, 9.2.1912, S. 4. Telegraph, 12.2.1912, S. 10, vgl. Yorkshire Post, 10.2.1912, S. 8; Evening Express, 9.2.1912, S. 2; Times, 9.2.1912, S. 9; Guardian, 9.2.1912, S. 6. South Wales Daily News, 15.2.1912, S. 4, vgl. Guardian, 15.2.1917, S. 6. Liverpool Daily Post, 15.2.1912, S. 6. Vgl. Langhome, Richard: Great Britain and Germany, 1911-1914, in: Hinsley, Francis (Hg.): British Foreign Policy under Sir Edward Grey, Cambridge, London, New York u.a. 1977, S. 288-314, hier S. 290.
649
Chronicle, 14.2.1912, S. l . v g l . Evening News, 9.2.1912, S. 1.
650
Vgl. Evening News, 8.2.1912, S. 1. Daily News, 10.2.1912, S. 4.
651
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vermutete die Western Mail, daß der Zweck der Reise ,,[t]o cement an Entente with Germany" 652 sei. In dieselbe Richtung ging das konservative Wochenblatt People, das das Ziel „to bring about better relations between the two nations" 653 allerdings etwas vorsichtiger formulierte. Um dies zu erreichen, gab beispielsweise der Scotsman zu „that we ought to consider the German standpoint and German suceptibilites." 654 Dies müsse umgekehrt aber auch der Fall sein. Eher skeptisch betrachtete die Times die Reise: „[...] to the man in the street, the whole affair wears, however unjustly, too much the appearance of overtures which the Government are endeavouring to carry on under a cloak." 655 Dennoch registrierte sie: „The speech of the emperor William in opening the new Reichstag was conspicuously free from any menace. It was firm, dignified, and unprovocative; and we are convinced that a similar attitude on our part will have a calming influence on Germany." Darüber hinaus befürchte die Times „that Lord Haldane's mission may not quite unintentionally increase the misunderstanding." 656 Bereits vorab war die Zeitung in Person von Korrespondent Repington an vertrauliche Informationen gelangt. Auch er ging davon aus, daß universitäre Angelegenheiten vorgeschoben seien: „The truth seems to be that the tension between us and Germany has become serious, and that something had to be done (1) to see whether any arrangement of an amicable character was open to us and (2) to satisfy the Radical tail that all possible had been done to come to such an arrangement, so that, if it failed, the party might stomach the natural consequences, namely increased estimates - - or at all events not decreased naval estimates as promised by McKenna." Der inoffizielle Charakter der Reise diene dazu, daß nach einem - wahrscheinlichen - Scheitern kein politischer Schaden entstünde. Dementsprechend sollten auch die Berichte der Times abgefaßt sein: „[...] it would be best to underline the unofficial and private character of the journey, so that failure and retreat may subsequently be covered." 657 Mit der Bitte um Diskretion bezüglich der - ohne Namen zu nennen - vertraulich erhaltenen Informationen wurde auch die Bitte um Weiterleitung an Northcliffe ausgedrückt. Dieser setzte die zurückhaltende Berichterstattung in seinen anderen Zeitungen fort. So äußerte zwar auch die Evening News keine Zweifel an einer potentiellen politischen Bedeutung, zeigte aber klar, daß ihr die Vorstellung „negotiations means give and take" 658 wenig behagte. Die Daily Mail betonte zudem, daß die Haldane-Mission keine Beeinträchtigung bestehender Freundschaften nach sich ziehen dürfe. 659 Dem schlossen sich insbesondere
652
Western Mail, 12.2.1912, S. 5, vgl. Morning Leader, 10.2.1912, S. 4. People, 11.2.1912, S. 1. 654 Scotsman, 12.2.1912, S. 6. 655 Times, 9.2.1912, S. 9. 656 Times, 9.2.1912, S. 9. 657 TNL Archive/BNS/1, Repington an Buckle am 8.2.1912. 658 Evening News, 9.2.1912, S. 4. 659 Vgl. Daily Mail, 10.2.1912. S. 4; Evening Express, 9.2.1912, S. 2; Telegraph, 12.2.1912, S. 10. 653
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konservative Zeitungen an. So übte der Daily Sketch Kritik daran, daß „a powerful section of the Liberal Party" bestrebt wäre, die Entente Cordial mit Frankreich zugunsten einer engeren Verbindung mit Deutschland aufzugeben. Deshalb wurde befürchtet „that Lord Haldane's visit is but a prelude to a vital change in the foreign policy of the British Government."660 Im Gegensatz dazu sah der liberale Manchester Guardian durch die Annäherung an Deutschland keine Beeinträchtigung bestehender Verpflichtungen: „On the contrary, it is a fulfilment of them and the necessary complement to them."661 Der Daily Telegraph empfahl zuerst „tone, temper, and spirit" zwischen den beiden Ländern zu verbessern: „[...] then the limitation of armaments will come automatically in an atmosphere where confidence has banished suspicion."662 Kurzfristig betrachtet wurde die Haldane-Mission als Erfolg gewertet. Mißtrauen auszuräumen, um zu einer Verständigung zu kommen, sei eine schwierige Aufgabe gewesen, so die liberale Liverpool Daily Post: „Lord Haldane's visit has effected this change of atmosphere and cleared the air of misunderstandings and misconceptions."663 Der Daily Chronicle drückte seine Hoffnung aus „that there is now every prospect of a complete understanding being arrived at between this country and Germany." Der Besuch „is bearing remarkable fruit."664 Der Glasgow Herald brachte zum Ausdruck, daß „with the disappearance of these recurring ebullitions of popular feeling our relations with Germany will tend to improve." Sehr positiv sprach er schon von „Our friends across the North Sea"665. Die zuversichtlichen Reden deutscher Politiker hinsichtlich des Besuchs wurden freundlich aufgenommen.666 Diese positiven Meldungen beschränken sich keineswegs auf die liberale Betrachtungsweise. Unzweifelhaft habe „Lord Haldane's Mission", wie es beispielsweise schon am 12. Februar 1912 in der Birmingham Daily Post hieß, entgegen aller anderslautenden Behauptungen einen diplomatischen Hintergrund. Es sei zwar noch kein „agreement" mit Deutschland erreicht, aber „we [have] substantial ground for believing that Lord Haldane's visit is intended to pave the way to such a desirable consumption." Eine Entente, vergleichbar mit Frankreich, wurde hier abgelehnt. Dies sei „inconsistent with the fundamentals of our foreign policy. For good or ill, we are committed to a close friendship with France and Russia"667. Der deutschfreundliche Daily Graphic stellte fest, daß als Ergebnis des Besuchs keine Entente mit Deutschland zu erwarten sei, aber: „[...] we feel certain that a very great deal of good will result from his visit, especially if the frank and friendly spirit which dictated it is made the rule in all future intercourse
""Sketch, 10.2.1912, S. 6. 661
Guardian, 15.2.1917, S. 6.
662
Telegraph, 12.2.1912, S. 10.
663
Liverpool Daily Post, 15.2.1912, S. 6.
664
Chronicle, 16.2.1912, S. 1.
665
Glasgow Herald, 12.2.1912, S. 8.
666
Vgl. Graphic, 16.2.1912, S. 4.
667
Β'ham Post, 12.2.1912, S. 6.
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between Downing Street and the Wilhelmstrasse."668 Auch der konservative Daily Telegraph stellte „a marked improvement in the official relations between the British and German Governments" fest. Die Beziehungen seien nun „more satisfactory and cordial than for some time past."669 Noch hoffnungsvoller zeigte sich die Irish Times ob des erfolgreichen Besuchs Haldanes und einer zuversichtlichen Rede des deutschen Reichskanzlers. Deshalb hielt die Zeitung es für möglich „that a permanent understanding is in sight."670 Im Gegensatz zu diesen Äußerungen wird die Haldane-Mission in der Literatur vielfach als gescheitert betrachtet.671 In der Tat war ein durchschlagender Erfolg aufgrund der gegensätzlichen Positionen beider Länder von Anfang an unwahrscheinlich: „The British continued to insist that the Germans should reduce their naval programme; the Germans continued to insist that they would not do so unless the British concluded a non-aggression pact." Diese Einschätzung wird auf den ersten Blick durch die Zeitungen bestätigt. Noch nicht einmal der deutschfreundliche Manchester Guardian sah drei Monate nach dem Besuch das Ergebnis als erfolgreich an. Die geweckten Hoffnungen „have not yet been fulfilled, and there was a time when failure seemed inevitable."673 Auch in anderen liberalen Zeitungen, die so große Hoffnungen in den Besuch gesetzt hatten, machte sich Unzufriedenheit breit: „[...] it does not appear as if Lord Haldane's mission to Berlin had produced any appreciable effect upon the relations between Germany and this country."674 Enttäuschung herrschte über die unveränderte Einbringung der MarineVorlagen beider Länder, die nicht so maßvoll wie erhofft seien. Immerhin: „[...] they have not become the subject of such dangerous Press campaigns as in other recent years."675 Ganz anders sah dagegen der Herausgeber der regierungsnahen Westminster Gazette den Ausgang der Mission in seinen Erinnerungen: „It was said afterwards that Haldane's visit to Berlin had been a failure, but that was scarcely the impression I got at the time. I saw Haldane almost immediately after he returned, and he seemed not displeased."676 Diesen Eindruck versuchte er auch den Lesern seiner Zeitung zu vermitteln. Im Herbst 1912 erfreute sich die Westminster Gazette darüber, daß Haldanes Besuch in Deutschland „has, we believe, done lasting good, and on all political issues the relations of the two Governments are at this moment of the best."677 668
Graphic, 12.2.1912, S. 4, vgl. 15.2.1912, S. 4; Chronicle, 15.2.1912, S. 4. Telegraph, 22.2.1912, S. 11. 670 Irish Times, 16.2.1912. S. 6. 671 Vgl. Langhome, Great Britain, S. 288, Hildebrand, Klaus: Deutsche Außenpolitik 1871-1918, München 2 1994. S. 38. 672 Charmley, Splendid Isolation, S. 374. 673 Guardian, 23.5.1912, S. 6, vgl. Yorkshire Post, 13.5.1912, S. 6. 674 Evening Express, 23.4.1912, S. 2, vgl. Daily News, 22.4.1912, S. 1. 675 Chronicle, 1.4.1912, S. 4. 676 Spender, Life, Bd. 2, S. 5. 677 Westminster Gazette, 25.9.1912, S. 1. 669
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Bei der Bewertung der Haldane-Mission ist festzustellen, daß sie kurzfristig ein sehr positives Echo in der Presse hervorgerufen hat. Sie wurde als Möglichkeit gesehen, die beidseitigen Beziehungen auf eine freundlichere Basis zu stellen. Als konkrete Vereinbarungen jedoch ausblieben, ging die anfängliche Euphorie, die vor allem in liberalen Kreisen geherrscht hatte, zurück. Teilweise wurde die Mission dann tatsächlich als gescheitert angesehen. Längerfristig änderte sich diese Perspektive wieder. In den deutsch-britischen Beziehungen bildete die Haldane-Mission den Auftakt zu einer Reihe von positiven Ereignissen, die eine wesentliche Entspannung im Verhältnis zwischen Deutschland und Großbritannien vor dem Ersten Weltkrieg hervorrief: „The improvement has not been sudden; it dates back as far as Lord Haldane's visit to Berlin towards the beginning of last year" 678 .
3.3 Deutsche Botschafter und andere Diplomaten Als zweites Aufmerksamkeit erregendes Ereignis ist die Ernennnung des Freiherrn Adolf Marschall von Bieberstein zum Botschafter in London anzuführen. Bereits Ende Januar 1912 wurde der bevorstehende Rücktritt Wolff-Metternichs als Botschafter gemeldet. 679 Anfang April 1912 erwartete der Daily Express fälschlicherweise Baron Stumm als neuen Mann. 680 In der zweiten Maiwoche wurde dann die Vermutung zur Gewißheit, daß in der deutschen Botschaft in London eine Veränderung bevorstand. Als wahrscheinlicher Nachfolger Wolff-Metternichs wurde nun Marschall angenommen. 681 Sehr höflich nahmen die Zeitungen vom scheidenden Botschafter Abschied: „The cause of Anglo-German amity has not suffered in his hands, and the cause of peace owes him much." 682 Seine Tätigkeit wurde jedoch von zwei Seiten gesehen: Zwar sei der Frieden erhalten geblieben, dennoch wurde auf die Spannungen zwischen Deutschland und Großbritannien während seiner Amtszeit hingewiesen. 683 Die Erwartungen an den Amtsantritt Marschalls waren zunächst vorsichtig optimistisch gehalten: „We expect him, however, to be neither Anglophil nor Anglophobe, but simply an Ambassador." 684 Ob die Berufung Marschalls tatsächlich zu besseren Beziehungen beitragen werde, würde die Zukunft zeigen. Dies lag nicht zuletzt an seiner Verantwortung für das viel diskutierte Krüger-Telegramm von 1896, auf das bereits
678
Chronicle, 20.5.1913, S. 6. Vgl. Daily News, 30.1.1912, S. 1. 680 Vgl. Daily Express, 1.4.1912, S. 1. 681 Vgl. Cambria Daily Leader, 10.5.1912, S. 1; Morning Leader, 8.5.1912, S. 1; Westminster Gazette, 7.5.1912, S. 11; Star, 6.5.1912, S. 1; Western Mail, 15.5.1912, S. 4. 682 Graphic, 10.5.1912, S. 4, vgl. 23.5.1912, S. 4. 683 Vgl. Chronicle, 10.5.1912, S. 1. 684 Western Mail. 15.5.1912, S. 4, vgl. Scotsman, 13.5.1912, S. 6. 685 Vgl. Lloyd's, 12.5.1912, S. 14. 679
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mehrfach hingewiesen wurde. Dennoch sei sein Willkommen keine Frage: „[...] he will be nevertheless, receive the most cordial welcomes when he arrives in London, and all good Englishmen will trust that his mission of peace and reconciliation will be crowned with success."687 Von seinem Eintreffen im Juni 1912 wurde gesondert berichtet.688 Als gutes Omen wurde gedeutet, daß bei seiner Ankunft in Harwich „[...] the sun broke out from the clouds"689. Groß waren die Spekulationen, warum ausgerechnet Marschall nach London geschickt wurde: „Does he come to us merely as the successor of count WolffMetternich or as an ambassador with a special mission?"690 Der Manchester Guardian betrachtete die Entsendung Marschalls durch die Wilhelmstraße als „a sign of the importance that she attaches to her relations with us." Die Zeitung hoffte auf jeden Fall „that the new appointment will make for good."691 Über die gesamte Bandbreite der politischen Zuordnung wurde der ehemalige Staatssekretär des Äußeren gelobt. Dies reicht von der liberal-imperialistischen Westminster Gazette über die Daily News und der Anerkennung als „the most distinguished of living statesmen"692 über den gemäßigt konservativen Daily Graphic, der in Marschall „Germany's finest diplomatist - perhaps the most brilliant in Europe"693 sah, bis hin zum Daily Telegraph 694 Beeindruckt zeigt sich die South Wales Daily News über die Wahl des neuen Botschafters. Er wurde als „Germany's Strong Man" gesehen. Kein deutscher Diplomat hätte eine größere Reputation. Zwar hätten sich die Beziehung in letzter Zeit leicht verbessert, „but the need for a better understanding is still urgent. And for this work no man in the Kaiser's entourage is so well fitted as Baron Marschall von Bieberstein."695 Die Bedeutung der Berufung wird durch die Aussage klar: „In Germany they do not set eagles to catch flies."696 So wurde der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß die Neubesetzung „would mark the opening of a new chapter in Anglo-German relations."697 Zwei Tage darauf erklärte die Zeitung, daß Marschall nicht zum Zweck untergeordneter Verhandlungserfolge nach London komme. Die deutsche Regierung habe ihn gewählt, „because they want to bring about an understanding with England, and in Germany it is believed that if any man can 686 687 688
Vgl. Sketch, 25.9.1912, S. 6; South Wales Daily News, 25.9.1912, S. 4. Liverpool Daily Post, 13.5.1912, S. 7. Vgl. South Wales Daily News, 19.6.1912, S. 5; Chronicle, 19.6.1912, S. 1; Daily Express, 19.6.1912, S. 5.
689
Mirror, 19.6.1912, S. 3.
690
Daily Mail, 18.6.1912, S. 6. Guardian, 13.5.1912, S. 6.
6.1 6.2
Daily News, 19.6.1912, S. 6, vgl. Westminster Gazette, 13.5.1912, S. 1.
693
Graphic, 7.5.1912, S. 4, vgl. Times, 10.5.1912, S. 9.
694
Vgl. Telegraph, 13.5.1912, S. 12. South Wales Daily News, 7.5.1912, S. 4, vgl. Reynolds's, 19.5.1912, S. 4. South Wales Daily News, 10.5.1912, S. 4. Daily News, 7.5.1912, S. 4.
695 6.6 6.7
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157 AQff
do that it is Herr von Bieberstein." Die Chancen daraus wurden als so groß gesehen, daß nicht einmal Frankreich Grund hätte, einer Annäherung der beiden Länder zu mißtrauen: „Germany can strike at us only through France. Therefore it is the interest of France as well as the interest of all Europe that an Anglo-German understanding should be established."699 Besonders bemerkenswert ist, daß selbst der sozialistische Daily Herald der Ernennung Marschalls eine gewisse Aufmerksamkeit schenkte. Trotz seiner Tätigkeit im Auswärtigen Amt und als Botschafter in Konstantinopel wurde er nicht als imperialistischer Gegner gesehen, vielmehr weckte seine Ernennung die Hoffnung, daß „the fires of jingoism will perforce begin to burn low" und „that there is here to be laid the foundations of the long-awaited Anglo-German entente"700. Eine gegensätzliche Position zu diesen Stimmen nahmen vor allem die unionistischen Organe des Lord Northcliffe ein. Auch hier wurde es als Kompliment aufgefaßt, daß Deutschland „the ablest and most widely known of the German diplomatic cor/w"701 entsende. Die in ihn gesetzten großen Hoffnungen - "so freely expressed in quarters not often well informed" - wurden aber als übertrieben bewertet. Zwar bestünde die Hoffnung, daß sich Marschall für bessere Beziehungen einsetzen würde und kleinere diplomatische Schwierigkeiten ausgeräumt würden, aber: „We have no reason to suppose that the policy of Germany has of late undergone substantial modifications."702 Die Daily Mail befürchtete sogar, daß „Baron Marschall's diplomatic luggage much more likely contains paraphernalia resembling an ultimatum than an olive branch."703 Auch außerhalb des Presseimperiums von Northcliffe wurde gebremst. Die Idee, bei Marschalls Ernennung handle es sich um eine „special mission", wurde als „fantastic nonsense"704 bezeichnet. Pikanterweise drückte die Irish Times ihre Hoffnung auf eine bessere Zusammenarbeit mit Marschall als mit seinem Vorgänger aus. In Konstantinopel habe er enge Kontakte zur Presse gehabt: „[...] it is fair to suppose that his relations with the foreign correspondents had a good deal to do with his success"705. Da man in Marschalls Alter seine Gewohnheiten nur schwer ändere, sei zu erwarten, daß er in London ähnlich verfahren werde. Obwohl seine Ankunft nicht überall so freudig begrüßt wurde wie in den meisten liberalen und mehreren konservativen Zeitungen, zeigen die vielen positiven Äußerungen, daß eine zusehends bessere Stimmung zwischen den beiden Ländern herrschte. Als Fortsetzung der Haldane-Mission sah der
6.8 6.9 700
Daily News, 9.5.1912, S. 6. Star, 8.5.1912, S. 2. Daily Herald, 11.5.1912, S. 6.
701
Times, 10.5.1912, S. 9.
702
Times, 13.5.1912, S. 9, vgl. B'ham Post, 19.6.1912, S. 6.
703
Daily Mail, 19.6.1912, S. 4.
704
Mirror, 14.5.1912, S. 3, vgl. 19.6.1912, S. 1; Irish Times, 11.5.1912, S. 6.
705
Irish Times, 16.5.1912, S. 6.
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Morning Leader in der Ernennung Marschalls „[...] the work of re-establishing on a firm basis the broken relations between England and Germany"706. Auch wenn es nach wie vor keine konkreten Einigungen zwischen dem Kaiserreich und dem Empire gab, hofften immer mehr Zeitungen, daß durch Ergebnisse auf nachgeordneter Ebene eine langsame, aber kontinuierliche Annäherung erreicht werden könnte. Daß die Zeitungen mit ihrer Vermutung recht hatten, die Berufung Marschalls solle zur Verbesserung der Beziehungen beitragen, wird durch ein Gespräch des neuen Botschafters mit Grey deutlich: „Der Wunsch, daß zwischen Deutschland und England freundschaftliche Beziehungen hergestellt würden, und die Mißverständnisse, welche eine Zeitlang dieselben trübten, ihr Ende fänden, kam beidseitig entschieden zum Ausdruck."707 Persönlich machte Grey einen guten Eindruck auf den neuen Vertreter des Kaisers. Er glaubte, daß sich dieser ehrlich um eine Verständigung bemühen wolle. Nach den positiven Reaktionen über die Wahl Marschalls reagierten die meisten Zeitungen im September 1912 bestürzt auf die Meldung vom überraschenden Tod des erst kürzlich ernannten Botschafters. Beinahe überall wurde ausführlich, zum Teil auch in Leitartikeln, berichtet.708 Übertrieben besorgt um die deutsch-britischen Beziehungen zeigte sich der Daily Chronicle, indem er versicherte, der Tod Marschalls habe nichts mit dessen harter Arbeit in London zu tun. Sein Gesundheitszustand sei schon bei seiner Ankunft nicht besonders gut gewesen.709 Über seine Absichten waren sich die Zeitungen noch immer nicht einig: „He came to us possibly as a peacemaker, possibly as a powerful, resourceful enemy". Großbritannien habe sich geschmeichelt gefühlt „that Germany had sent us her best man" 710 . Nicht zuletzt deshalb wurde aufrichtig kondoliert. Angesichts der positiven Kommentare zu seiner Ernennung ist es nicht überraschend, daß er auch nach seinem Tod als „one of the greatest figures in modern diplomacy and the most remarkable and vigorous personality in German official life since Bismarck"711 gesehen wurde. Seine Entsendung „was both a compliment to this country and a proof of the desire of those in high quarters Germany to have done with distrust and bickering."712 Im Moment gebe es nichts, was die beidseitigen Beziehungen ernsthaft stören könnte: „But it must frankly be admitted hat possibilities of misunderstanding remain, and that there is great need for a
706
Morning Leader, 8.5.1912, S. 4, vgl. Liverpool Daily Post, 13.5.1912, S. 7; Chronicle, 9.5.1912, S. 4. GP 31, Nr. 11433 vom 25.6.1912, S. 239, Marschall an AA, vgl. BDOW VI, Nr. 591 vom 25.6.1912, S. 757, Grey an Goschen. 708 Vgl. Star, 24.9.1912, S. 1; Scotsman, 25.9.1912, S. 9; Irish Independent, 25.9.1912, S. 5; Graphic, 25.9.1912, S. 1; Daily Mail, 25.9.1912, S. 5; Daily News, 25.9.1912, S. 1, 6; Evening News, 24.9.1912, S. 1; Chronicle, 25.9.1912, S. 6; B'ham Post, 25.9.1912. S. 6; Yorkshire Post, 25.9.1912, S. 6f. 709 Vgl. Chronicle, 25.9.1912, S. 6. 710 Western Mail, 25.9.1912, S. 4, vgl. S. 5. 711 Mirror, 25.9.1912, S. 1, vgl. 25.9.1912, S. 3; Daily Express, 25.9.1912, S. 4; Telegraph, 25.9.1912, S. 10; Evening Express, 24.9.1912, S. 2; Liverpool Daily Post, 25.9.1912, S. 6; Daily Express, 25.9.1912, S. 1. 7,2 Liverpool Daily Post, 25.9.1912, S. 6. 707
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wise diplomacy."713 Dennoch zeigte sich die liberale Reynolds's Newspaper sehr besorgt über die möglichen Auswirkungen: „The cause of international peace has suffered a severe blow by the death of Marschall Von Bieberstein."714 Keineswegs wurde Marschall von den germanophilen Zeitungen als reiner Freund Englands dargestellt: „He was first, last, and all the time a good German."715 Der Tod des Botschafters sei „no less weighty a loss to Great Britain than to his own country."716 Selbst in der kurzen Zeit, in der Marschall nur hatte wirken können, sei ein Anfang gemacht worden.717 Anders sah dies die Daily Mail. Sie drückte ebenfalls höflich aus, daß sich Großbritannien durch die Entsendung des hochrangigen Diplomaten geehrt fühlen könne. Viel erreicht hatte er in ihren Augen jedoch nicht: „It cannot, unfortunately, be said that he had made much progress in this direction. But there was good hope for supposing that the task would have been facilitated by his personal qualities."718 Dennoch zeigte sich Botschaftsrat Kühlmann zufrieden mit der Berichterstattung über den Tod seines Vorgesetzten. So hätten fast alle Zeitungen darüber berichtet und das zudem in positiv gehaltenen Artikeln. Dies wurde insbesondere fur die Westminster Gazette und die Times festgestellt.719 Erneut zeigt sich, daß die Zeitungen nicht in übertriebenem Maße der diplomatischen Etikette folgten. Nicht nur Höflichkeiten wurden in den Nachrufen ausgesprochen, sondern auch Probleme beim Namen genannt. Als möglicher Ersatz für den verstorbenen Marschall von Bieberstein war zunächst der deutsche Botschafter in Washington im Gespräch.720 Entsprechend groß war dann die Überraschung, als Fürst von Lichnowsky721 die Nachfolge antrat. Der Daily Express erkannte in ihm zwar „The Kaiser's Friend"722, verwies aber zugleich darauf, daß er nicht nur dem Mann auf der Straße, sondern sogar dem Kenner auswärtiger Angelegenheiten nahezu unbekannt sei.723 Anschaulich zeigt ein Bericht der Yorkshire Post die Unsicherheit der Presse über die Berufung des Fürsten. Trotz eines ausfuhrlichen Berichtes konnte sie ihn kaum einschätzen.724 Ohne Näheres zu wissen, schrieb die Liverpool Daily Post die Ernennung seinen diplomatischen Fähigkeiten und „his strong ad-
713
Liverpool Daily Post, 25.9.1912, S. 6. ""Reynolds's, 29.9.1912, S. 1. 7,s Chronicle, 25.9.1912, S. 6, vgl. Guardian, 25.9.1912, S. 6. 716 Irish Times, 25.9.1912, S. 4, vgl. Guardian, 25.9.1912, S. 6; Star, 24.9.1912, S. 1. 717 Vgl. Irish Times, 25.9.1912, S. 4. 718 Daily Mail, 25.9.1912, S. 4. 719 Vgl. GP 31, Nr. 1436 vom 25.9.1912, S. 250f, Kühlmann an Bethmann. 720 Vgl. Cambria Daily Leader, 26.9.1912, S. 1. 721 Vgl. Young, Harry: Prince Lichnowsky and the Great War, Athens/Georgia 1977. 722 Daily Express, 17.10.1912, S. 1. 723 Vgl. Daily Express, 17.10.1912, S. 4. 724 Vgl. Yorkshire Post, 18.10.1912, S. 6.
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vocacy of an understanding with Great Britain, and his well-known hospitality and social gifts" 725 zu. Zuversichtlich rechnete die Zeitung damit, daß die durch den Todesfall gestörten Hoffnungen auf bessere Beziehungen durch den „country gentleman" erneuert würden. Er verfuge zwar nicht über „the skilled arts of professional diplomacy" seines Vorgängers, „but, all the same, the prince has a long and honourable record in the diplomatic service of his country. He comes in the prime of life and at the height of his powers, which, we doubt not, will be devoted to the fostering of the best possible relations between Germany and Great Britain."726 Die Überraschung über die Ernennung Lichnowskys wird noch in den Memoiren bri727
tischer Politiker erkennbar. Besonders seine Beliebtheit wird vielfach herausgestri728 chen. Diese ging so weit, daß neben Lichnowsky nur noch der US-Vertreter ähnlich großes Interesse in der Öffentlichkeit hervorgerufen habe.729 Dennoch schätzte Asquith nicht den Fürsten selbst als die wichtigste Kraft in der Londoner Botschaft ein, sondern dessen Vertreter Kühlmann. Nicht ohne Stolz schrieb der Botschafter in seinen Erinnerungen von den vertrauensvollen Beziehungen, die er während seiner Amtszeit nicht nur mit der Regierung, sondern auch mit der Öffentlichkeit hergestellt habe.730 Dies hatte er vor allem durch eine Reihe betont maßvoller und englandfreundlicher Reden erreicht. Besonders die Hoffnung auf Zusammenarbeit „on a basis of mutual confidence"731 und die Anerkennung „that for [Great Britain ] it is a vital necessity to have a fleet stronger than any other"732 kam besonders gut an. Obwohl in der Wilhelmstraße wiederholt der Verdacht umging, daß Lichnowsky „wiederum völlig von Grey eingewickelt worden"733 sei, wußte das Auswärtige Amt die Bemühungen Lichnowskys zu schätzen. Aus diesem Grund wurden ihm im April 1914 die Bezüge aufgestockt. Vor allem die 130.000 Mark Repräsentationsgelder stellten in 725
Liverpool Daily Post, 23.10.1912, S. 9. Liverpool Daily Post, 17.10.1912, S. 6. 727 Vgl. Asquith, Genesis, S. 105. 728 Vgl. Young, Lichnowsky, S. 48, Asquith, Genesis, S. 104, Nicolson, Harold: Die Verschwörung der Diplomaten. Aus Sir Arthur Nicolsons Leben 1849-1928, Frankfurt/Main 1931, S. 404, Nicolson, Harold: Sir Arthur Nicolson. First Lord Camock, London 1931, S. 392, Wile, Kaiser, S. 278, Grey, Years, Bd. 2, S. 151,214. 729 Vgl. Young, Lichnowsky, S. 51. 730 Vgl. Lichnowsky, Karl von: Meine Londoner Mission, (Flugschriften des Bundes Neues Vaterland Nr. 7/8), Berlin 1919, S. 14f, Lichnowsky, Abgnind, Bd. 1, S. 74. 731 Mirror, 3.2.1913, S. 5, vgl. Chronicle, 1.12.1912, S. 1,2.12.1912, S. 6; Lloyd's, 1.12.1912, S. 2; Liverpool Daily Post, 19.10.1912, S. 8; Telegraph, 7.2.1913, S. 10. 732 Star, 19.10.1912, S. 4, vgl. Irish Times, 19.10.1912, S. 6. 733 DDK 1, Nr. 6 vom 27.6.1914, S. 8, Zimmermann an Bethmann, vgl. GP 37-1, Nr. 14850 vom 23.3.1914, S. 392, Lichnowsky an AA, Randbemerkung Jagows über Lichnowsky: „Lichnowsky will schon wieder nachgeben." 726
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der Londoner High Society eine ordentliche Summe dar.734 Nur vereinzelte Stimmen schilderten die Lage des neuen Botschafters alles andere als rosig: „The new Ambassador boldly faces the fact that there has been, and still is, grave tension in the relations between Great Britain and Germany."735 Auf lange Sicht machte er jedoch einen sehr guten Eindruck in der britischen Presse. Über den gesamten Untersuchungszeitraum verteilt, finden sich positive Äußerungen über ihn.736 Wie die bisher behandelten offiziellen Anlässe zeigen, waren die englischen Zeitungen bei der diesbezüglichen Berichterstattung meist höflich. Da Kritik eher selten laut wurde, kann daraus leicht der Eindruck entstehen, daß die eigentliche Meinung in nach außen schicklichen, aber versteckt kritischen Äußerungen steckte. Ein Gegenbeispiel ist der Tod des deutschen Staatssekretärs des Äußeren, Kiderlen-Wächter, zum Jahresende 1912. Im Mittelpunkt stand hier die vor nicht langer Zeit beigelegte Marokkokrise. Die meisten Zeitungen verwiesen zumindest kurz auf seine Rolle beim Panthersprung nach Agadir, „a stroke whose brusqueness was Bismarckian, yet which Bismarck would never have made."737 Oer Daily Telegraph wies daraufhin, daß diese Aktion hauptsächlich von Kiderlen forciert worden sei. Auch wenn vor allem die Entsendung des Kriegsschiffes aus britischer Sicht problematisch gewesen sei, so sei die deutsche Vorgehensweise „by no means inexplicable from the point of view of Teutonic interests. Germany believed herself to be somewhat unfairly treated as one of the co-signatories of the Treaty of Algeciras"738. An verschiedenen Stellen wird jedoch deutlich, daß die Zeitungen trotz des Todesfalles nicht vor harscher Kritik zurückschreckten. Kiderlen wurde vorgeworfen, daß er im Laufe der Krise „did not apparently shrink from such a colossal conflict." Er sei der Vertreter einer „arrogant diplomacy" gewesen und „not beneficial to his country". Er habe „several serious miscalcualtions" gemacht und „consequently dragged Germany into embarrassing and even perilous situations."739 Außerdem hätte er eine „reputation for tactlessness"740 gehabt. Noch nicht einmal seine mangelnden Qualitäten als Redner im Parlament blieben ungenannt.741 Erstaunlicherweise war es in diesem Fall gerade die deutschlandkritische Daily Mail, die Kiderlen lobte als „One who served his country well." Sein Tod werde mit „universal regret"742 aufgenommen. Dennoch wurde auch hier auf die Verantwortung Kiderlens für die jüngsten Ereignisse hingewiesen. Insgesamt schnitt Kiderlen bei den deutsch-
734
Vgl. Ρ AAA, Personalakte Lichnowsky, 8878, AA an Lichnowsky am 31.4.1914. Irish Times, 19.10.1912, S. 6. 736 Vgl. Liverpool Daily Post, 14.1.1914, S. 6, 4.6.1914, S. 7. 737 Chronicle, 31.12.1912, S. 4, vgl. Sketch, 31.12.1912, S. 6; Mirror, 31.12.1912, S. 1,4. 738 Telegraph, 31.12.1912, S. 8, vgl. Guardian, 31.12.1912, S. 8. 739 Evening Express, 31.12.1912, S. 2. 740 B'ham Post, 31.12.1912, S. 6. 741 Vgl. Guardian, 31.12.1912, S. 8; Western Mail, 31.12.1912, S. 4. 742 Daily Mail, 31.12.1912, S.4. 735
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landkritischen Blättern Lord Northcliffes relativ gut ab, trotz - oder wegen - seiner Marokkopolitik, die deren frankreichfreundlicher Haltung Vorschub leistete.743 Mit Verwunderung wurde die Ernennung Gottlieb von Jagows zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes aufgenommen - „scarcely anyone knows anything about him."744 Die Militärmaschinerie Deutschlands dominiere Europa. Ganz anders sei es auf diplomatischer Ebene: „Diplomacy is very largely a game of personalities, and Germany has no personalities available for the game."745 Anhand dieses Beispiels werden zwei Aspekte der deutsch-britischen Beziehungen in den Zeitungen deutlich. Auf der einen Seite wird klar, daß die Höflichkeitsfloskeln weit weniger verbreitet waren als zunächst angenommen. Die Zeitungen bemühten sich zwar um angemessene Formulierungen, in den meisten Fällen wurden die Deutschland betreffenden Artikel höflicher und weniger direkt verfaßt, als dies in der heutigen Presse in Großbritannien üblich ist. Die Zeitungen scheuten sich jedoch nicht, im Zweifelsfalle Kritik gegenüber Deutschland klar zum Ausdruck zu bringen. Auf außenpolitischer Ebene zeigen sowohl der Tod Marschalls und die Nachfolge Lichnowskys als auch der Tod Kiderlen-Wächters und die Berufung Jagows ins Auswärtige Amt, daß die Presse eine Schwäche der deutschen Diplomatie ausgemacht zu haben glaubte: Die neu berufenen Beamten gehörten nicht mehr der Schule Bismarcks an und waren auf internationaler Ebene relativ unbekannt und unerfahren.
3.4. Königsbesuch in Berlin Neben den explizit außenpolitischen Ereignissen spielten in den deutsch-britischen Beziehungen auch die Reisen der Monarchen eine große Rolle. Wie Wilhelm II. bei seinen zahlreichen Englandreisen dort empfangen wurde, hat der Historiker Reinermann aufgezeigt. Während des Untersuchungszeitraums ist an Reisen ersten Ranges nur der Besuch des englischen Königspaares in Berlin anläßlich der Hochzeit der Tochter des Kaisers zu nennen. Bereits im März 1913 tauchte ein erster Vorbericht über die bevorstehende Hochzeit im Daily Herald auf.746 Hierin wurde die Hoffnung ausgedrückt, daß dadurch der Konflikt zwischen den Hohenzollern und den Weifen beigelegt würde. Letztere hatten durch ihre Niederlage im deutsch-deutschen Krieg von 1866 ihre Krone und das Territorium Hannover verloren. Darüber hinaus war der Besuch König Georges V. in Berlin für den Daily Herald uninteressant.
743
Zu Northcliffes Zeitungen vgl. Daily Mail, 31.12.1912, S. 4; Times, 31.12.1912, S. 7. Darüber hinaus siehe auch Irish Times, 31.12.1912, S. 4. 744 Irish Times, 10.1.1913, S. 6. 745 Irish Times, 10.1.1913, S. 6. 746 Vgl. Daily Herald, 18.3.1913, S. 1.
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Bei den folgenden Ankündigungen in anderen Zeitungen wurde darauf hingewiesen, daß aufgrund der angespannten Lage in Europa die Abwicklung der Reise als offizieller Staatsbesuch „impracticable"747 sei. Dennoch sei zu beachten, daß „kings can never wholly sever their private from their official personalities"748. In einer Unmenge von Artikeln berichteten die Zeitungen in der Folgezeit vom Besuch der Royais bei ihrer deutschen Verwandtschaft. Dazu gehörte auch die Falschmeldung, daß Außenminister Grey mit nach Deutschland reisen werde.749 Darüber hinaus wurde die Hochzeit von Dublin bis London, von Swansea bis Aberdeen zu einem Medienereignis erster Güteklasse.750 Für wie wichtig die Reise des englischen Königs nach Deutschland erachtet wurde, zeigen die Berichte der Londoner Botschaft nach Berlin. Schon einen Monat vor dem Ereignis bemerkte Lichnowsky, daß die Ankündigung der königlichen Teilnahme an der Hochzeit in Deutschland zwar von freundschaftlicher Wärme gekennzeichnet sei, Jedoch von einer gewissen Zurückhaltung nicht frei ist; von Begeisterung kann nicht die Rede sein."751 Zusätzlich interessierte die Rolle einzelner Pressevertreter. Wie Lichnowsky nach Berlin berichtete, ersuchte zumindest ein britischer Journalist im Außenministerium um Richtlinien für die Berichterstattung. Nach Mitteilung eines nicht näher spezifizierten Gewährsmannes, sprach sich Grey dafür aus, Drittländer aus den Artikeln über die Hochzeit möglichst herauszulassen. Die Meinung Greys sei hinreichend bekannt. Es sollte alles vermieden werden „was so gedeutet werden könne, als habe die Entente oder der Besuch in Paris eine Spitze gegen irgendeine Macht. Dies sei keineswegs der Fall. Die Entente hindere England durchaus nicht an einem freundschaftlichen Verhältnis zu Staaten, die außerhalb stünden."752 Freudig überrascht zeigte sich die Mehrzahl der Zeitungen von der vorzeitigen Entlassung dreier verurteilter englischer Spione aus deutscher Haft. Die Begnadigung durch den Kaiser im Vorfeld des Besuchs wurde dankbar als „Gracious Act" 753 und „The Kaiser's Clemency"754 aufgenommen. Wilhelms Verhalten wurde um so höher eingeschätzt, da es für möglich erachtet wurde „that the news of their release will be
747 748 749 750
Sketch, 3.4.1913, S. 7, vgl. Graphic, 3.4.1913, S. 5. Daily News, 4.4.1913, S. 6. Vgl. Daily Express, 17.4.1913, S. 1, 18.4.1913, S. 1. Vgl. Freeman's Journal, 22.5.1913, S. 7, 23.5.1913, S. 7; Irish Independent, 24.5.1913, S. 5; Chronicle, 3.4.1913, S. 1; Times, 21.5.1913, S. 8; Observer, 25.5.1913, S. 13; B'ham Post, 24.5.1913, S. 10; Yorkshire Post, 22.5.1913, S. 7; Liverpool Daily Post, 23.5.1913, S. 7; Cambria Daily Leader, 19.5.1913, S. 1, 25.5.1913, S. 1; Western Mail, 22.5.1913, S. 5; Scotsman, 22.5.1913, S. 7; Evening Express, 22.5.1913, S. 2.
751
GP 39, Nr. 15866 vom 22.4.1914, S. 601, Lichnowsky an Bethmann.
752
GP 39, Nr. 15862 vom 17.4.1914, S. 594, Lichnowsky an Bethmann.
753
Yorkshire Post, 20.5.1913, S. 6, vgl. Lloyd's, 25.5.1913, S. 6; Sketch, 20.5.1913, S. 7; Graphic, 20.5.1913, S. 5; Chronicle, 20.5.1913, S. 6; Evening News, 19.5.1913, S. 1.
754
Liverpool Daily Post, 20.5.1913, S. 6, vgl. Mirror, 20.5.1913, S. 3; Telegraph, 20.5.1913, S. 11.
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received with some degree of ill-will on the part of the German press and public."755 Nichts sei fur einen Monarchen schwerer zu vergeben als das Verhalten von Spionen. Mit ihrer Entlassung habe der Kaiser seinen guten Willen gegenüber seinem Gast deutlich gemacht.756 Außerdem wurde es positiv empfunden, daß die britische Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht wurde, daß das eigene Land eben nicht „a harmless lamb among the military wolves of Europe" sei. Im Gegenteil kontrollierten War Office und Admiralty wahrscheinlich die effizientesten Geheimdienste der Welt: „It is stated, we believe truthfully, that there is not a fortress or a warship in Germany as to the disposition of which our military authorities have not good information."757 Nichts, so der Daily Graphic, „could have more deeply touched the hearts of the British people than the pardon he graciously bestowed yesterday on the three British officers imprisoned in German fortresses on charges of espionage."758 Wie schon die Entlassung zweier Spione nach der Ermordung des französischen Präsidenten Carnot gezeigt habe, sei der Kaiser sehr großherzig.759 Auch der Daily Express zeigte sich mit dem Kaiser sehr zufrieden: „His Imperial Majesty could not have chosen a happier moment for this gracious act of clemency"760. Um so höher zu bewerten sei der Akt dadurch, daß die Spione rechtmäßig in einem „open trial" verurteilt worden seien, auch wenn die Strafen teilweise sehr hart gewesen seien. Eine politische Bedeutung wurde vom Daily Express darin aber nicht gesehen.761 Auch die Daily Mail zweifelte an politischen Folgen durch die Begnadigungen. Außenpolitik werde bestimmt „by weightier and more permanent influences than the kindliness of sovereigns or even the sentiments of their subjects. But Englishmen will be grateful to the Kaiser for the good feeling which has prompted the exercise of his clemency at a very felicitously chosen moment."762 Neben diesem höflichen Akt begeisterte die Zeitungen vor allem der herzliche Empfang des Königspaares: „It is remarkable how intense is the enthusiasm with which our King and Queen have been greeted."763 Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, daß nicht nur die Verwandtschaft, sondern die deutsche Bevölkerung an sich begeistert gewesen sei: „[...] the cheers raised for King George during his private drives through the streets are significant of the national feeling."764 Der Daily Mirror freute sich sogar darüber „a severe attack of Anglomania, the characteristic symptom being an unboun755
Western Mail, 20.5.1913, S. 4. Vgl. Liverpool Daily Post, 20.5.1913, S. 6. 757 Liverpool Daily Post, 20.5.1913, S. 6. 758 Graphic, 20.5.1913, S. 4. 759 Vgl. Graphic, 20.5.1913, S. 4. 760 Daily Express, 20.5.1913, S. 1. 761 Vgl. Daily Express, 20.5.1913, S. 4. 762 Daily Mail, 20.5.1913, S. 6, vgl. Evening News, 19.5.1913, S. 4. 763 Western Mail, 24.5.1912, S. 6, vgl. Graphic, 22.5.1913, S. 5. 764 Lloyd's, 25.5.1912, S. 1, vgl. Reynolds's, 25.5.1913, S. 1; Sketch, 22.5.1913, S. 7; Evening Express, 22.5.1913, S. 2; Chronicle, 24.5.1913, S. 6. 756
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ded admiration for everything English" in Deutschland feststellen zu können. Besondere Zufriedenheit wurde darüber geäußert, daß für den englischen König, im Gegensatz zum russischen Zaren, keine scharfen polizeilichen Schutzmaßnahmen nötig wa766
ren. Auf politischer Ebene wurde die Heirat vor allem von dem Standpunkt aus betrachtet, daß die an sich verfeindeten Häuser der Weifen und Hohenzollern nun gemeinsam eine Eheschließung zu feiern haben.767 Zwischen Luise von 76R Preußen und Ernst August von Cumberland wirke „Love as the Arch-Peacemaker." Durch diese Liebesheirat „love match"769 - bestünden die besten Möglichkeiten, die lang anhaltende Auseinandersetzung beizulegen770, auch wenn der Herzog von Cumberland seine Ansprüche auf den Thron von Hannover nicht offiziell aufgegeben habe.771 Besonders hervorgehoben wurde dabei, daß die Hochzeit auch zur Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen beitragen könne, da Ernst August „[is] himself a British Prince of Blood"772. Über den Ausgleich zwischen Hohenzollern und Weifen hinaus bedeutete der königliche Besuch in Berlin in den Augen vieler Zeitungen auch die Chance auf bessere deutsch-britische Beziehungen. Es gebe Anzeichen „that the Royal visit to Germany has definitely contributed to the strengthening of good feeling between the two nations."773 Wie dieser Gefuhlswandel zustande gekommen sei, konnte die Yorkshire Post nicht erklären „but that there is greater cordiality between the Governments of the Great Powers is not likely to be questioned by any observer of current politics."774 Zufriedenheit über die sich bessernden Beziehungen findet sich in einer Reihe weiterer Zeitungen.775 Auch wenn die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Herrscherhäusern „constitute a flimsy foundation upon wich to base the hope of permanent peace"776, anerkannte der Evening Express doch, daß sogar anglophobe deutsche Zeitungen über den Königsbesuch positiv berichteten. Selbst „so little Anglophile a politician as count Reventlow is moved to confess that the King's visit has opened a new and more hopeful chapter in Anglo-German intercourse."777
765
Mirror, 20.5.1913. S. 4. Vgl. Mirror, 20.5.1913, S. 4. 767 Vgl. Β'ham Post, 19.5.1913, S. 6. 768 News of the World, 6.4.1913, S. 8. 769 Guardian, 25.4.1913, S. 8, vgl. Times, 3.4.1913, S. 7. 770 Vgl. Sketch, 26.5.1913, S. 6; Mirror, 25.5.1913, S. 1,4, lOf; Scotsman, 26.5.1913, S. 6; Graphic, 24.5.1913, S. 4; Chronicle, 20.5.1913, S. 6; Daily Mail, 22.5.1913, S. 4; Times, 20.5.1913, S. 7. 771 Vgl. Guardian, 25.4.1913, S. 8. 772 Graphic, 19.5.1913, S. 4. 773 B'ham Post, 27.5.1913, S. 6. 774 Yorkshire Post, 24.5.1913, S. 8. 775 Vgl. Western Mail, 20.5.1913, S. 4; South Wales Daily News, 20.5.1913, S. 4. 776 Evening Express, 22.5.1913, S. 2. 777 Graphic, 28.5.1913, S. 4. 764
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Hinsichtlich der politischen Bedeutung herrschte keine Einigkeit in der Presse. So gehörte die Birmingham Daily Post zu jenen konservativen Zeitungen, die den Besuch nach anfanglichen Zweifeln rückwirkend aufwerteten: „What was originally intended to be a purely private visit became converted into a State visit of deep significance."778 Unter den liberalen Blättern war es vor allem die Liverpool Daily Post, die in ihren Hoffnungen sehr weit ging. Sogar eine Entspannung im Rüstungswettlauf könne die Folge sein. In jedem Fall „Nothing but good can come of sincere encouragement of Anglo-German rapprochement."779 Wie selbstverständlich war es fur den radikalliberalen Guardian „that good may come of the King and Queen's visit to Berlin"780. Für die Beobachtung der britischen Presse durch die deutsche Botschaft war insbesondere die Westminster Gazette von Bedeutung. Darin unterstützte J.A. Spender, der Freund Greys, dessen versöhnliche Politik gegenüber Deutschland: „It is scarcely possible to exaggerate the benefits which may come to the world from a good understanding between Germany and Great Britain"781. Keine diplomatischen Würden wollten die Northcliffe-Zeitungen dem Besuch zuteil werden lassen. Gegenüber ihren liberalen Gegenspielern stellte die Times herablassend fest, daß „Reigning Sovereigns in these days can never take a journey for any purpose, or go on a visit to their own nearest relatives, without affording amateur politicians of a certain class a welcome opportunity for unfounded speculations and unsolicited advice."782 Folglich bestand auch die Daily Mail darauf, daß der Besuch keine politische Bedeutung habe. Wie der Besuch des Kaisers zur Enthüllung des Denkmals fur Queen Victoria sei es „purely a domestic affair" 783 . Nichts sei lächerlicher - „more ridiculous than to attribute any political significance to this visit of affectionate courtesy."784 Dem schlossen sich weitere Zeitungen an. Der Observer, dessen Herausgeber Garvin als ehemaliger Mitarbeiter ebenfalls der Northcliffe-Gruppe nahestand, gab eine veränderte Situation in der internationalen Politik zu: „No competent politician can mistake the significance of what is happening with respect to the new phase in Anglo-German relations". Es dürfe aber nicht übersehen werden, daß sich trotz der freundlichen Stimmung gegenüber den britischen Monarchen an den Grundzügen und Prinzipien britischer Außenpolitik nichts ändere.785 Nicht nur die deutsch-britischen Beziehungen seien von Bedeutung, sondern die Lage in Gesamteuropa. Deshalb sollten keine voreiligen Schlüsse gezogen werden.786
778
B'ham Post, 27.5.1913, S. 6.
779
Liverpool Daily Post, 24.5.1913, S. 6. Guardian, 21.5.1913, S. 6.
780 781
Westminster Gazette, 20.5.1913, S. 1.
782
Times, 3.4.1913, S. 7.
783
Daily Mail, 3.4.1913, S. 6.
784
Daily Mail, 20.5.1913, S. 6, vgl. 22.5.1913, S. 4.
785
Vgl. Observer, 18.5.1913, S. 10; Irish Independent, 23.5.1913, S. 4. Vgl. Observer, 25.5.1913, S. 12.
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Eine dritte Gruppe von Zeitungen zeigte sich über die Bedeutung des Besuchs unsicher. Der Scotsman betonte, er sei „of a purely private and domestic character, and has no direct bearing on the political relations of Germany and this country". Dennoch sei die Familienbande ein wichtiger Faktor. Auch wenn dadurch nicht alle Konflikte verhindert werden könnten: ,,[I]t is a factor making for European peace"787. Unentschlossen wirkte die South Wales Daily News in ihrer mehrdeutigen Interpretation. Auf der einen Seite sei es „absurd to pretend that the presence of the King and Queen in Berlin on such an occasion has some occult diplomatic significance". Zugleich sei es „equally absurd to argue that the interchange of Royal visits has no effect on the mind of nations."788 Sehr widersprüchlich schildert der Daily Telegraph die Bedeutung des Besuchs: „Nominally, the occasion will be without diplomatic significance; but it goes without saying that no such remarkable assemblage of the high Sovereigns of Europe could be regarded [...] as other than a deeply significant and reassuring demonstration of amity."789 Ähnlich hin- und hergerissen äußerten sich Daily Express und Graphic™ Selbst die deutschfreundliche Daily News schwankte in ihrer Einschätzung. Einerseits warnte sie vor einer Übertreibung der Bedeutung des Besuches, nichtsdestotrotz dränge sich aber „the general impression of a distinct improvement in Anglo-German relations"791 auf. Eine einheitliche Bewertung der Zeitungen ist aufgrund der verschiedenen, teilweise sogar widersprüchlichen Meinungen, die quantitativ keine eindeutige Mehrheit aufweisen, nicht möglich. Einigkeit herrschte lediglich dahingehend, daß die Royais von den Deutschen sehr herzlich empfangen worden seien. Dies wurde jedoch nur von einem Teil der Zeitungen, vorwiegend den linksliberalen, als Beleg fur „the average German's desire to be on good terms with England"792 gesehen. Dagegen wirkt die Überzeugung des Manchester Guardian, daß bei einer Teilnahme des französischen Präsidenten an Stelle des Zaren „there would [...] have been a demonstration of popular enthusiasm which would have surprised Europe and might even have affected the course of international policy"793 sehr übertrieben. Dennoch waren auch die zurückhaltenderen Blätter froh über die sich verbessernden Beziehungen. Dies wurde jedoch auf die gesamtpolitische Entwicklung zurückgeführt, nicht auf den königlichen Besuch als singuläres Ereignis. Für das bessere Verhältnis verantwortlich sei die Zusammenarbeit während der Balkankriege gewesen. Daraus
787
Scotsman, 21.5.1913, S. 8, vgl. 26.5.1913, S. 6.
788
South Wales Daily News, 26.5.1913, S. 4.
789
Telegraph, 19.4.1913, S. 10.
790
Vgl. Daily Express, 17.5.1913, S. 4; Graphic, 22.5.1913, S. 4.
791
Daily News, 24.5.1913, S. 6.
792
Guardian, 26.5.1913, S. 8, vgl. 24.5.1913, S. 8.
793
Guardian, 26.5.1913, S. 8.
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könne sich auch eine Einigung hinsichtlich der Bagdadbahn und der portugiesischen Kolonien ergeben.794 Auffällig ist die unterschiedliche Bewertung des königlichen Besuchs im Vergleich mit der Haldane-Mission. Während letztere in deutschfreundlichen Kreisen fast euphorische Erwartungen weckte, waren die Kommentare ein Jahr später wesentlich vorsichtiger. Dies ist auf das Ausbleiben konkreter Ergebnisse der Haldane-Mission zurückzuführen. Man wollte nicht erneut enttäuscht werden. Dennoch wurden die möglichen positiven Wirkungen des Besuchs hervorgehoben. Dies geschah allerdings weniger auf politischer, sondern vielmehr auf emotionaler Ebene.
3.5 Gesellschaftliche Ereignisse Auch andere Besuche in Deutschland erweckten die Aufmerksamkeit der Presse.795 Dies gilt nicht nur für den Aufenthalt des Prince of Wales in Wiesbaden und Heidelberg796, sondern auch für Aufenthalte außerhalb der königlichen Familie. Zu nennen sind hier beispielsweise Bildungsreisen. Die „Invasion" englischer Studenten in Deutschland sei ein „Movement for International Peace."797 Deutsch-englische Heiraten wurden während des gesamten Untersuchungszeitraumes positiv aufgenommen und kommentiert.798 Besonders erfreulich wertete die Western Mail den Besuch von zwanzig Kölner Studenten in Cardiff, „for there is an immediate and urgent need that every appropriate means should be utilised for establishing a better understanding between the two countries."799 Selbst so einfache Mittel wurden demnach als geeignet für die Verbesserung der bilateralen Beziehungen gesehen: „The greater the degree of personal intercourse between the two peoples and the greater the acquaintance with each other's language and literature, the greater the fund of goodwill."800 Ähnlich positiv wurde der Besuch verschiedener Bürgermeister, unter anderem aus Berlin und Nürnberg, in Glasgow gesehen. Zwar könne man politisch nicht viel von Deutschland lernen: „But we fear that in matters of municipal government and administration it is we who should be scholars
794
Vgl. B'ham Post, 19.5.1913, S. 6. Vgl. z.B. Deckait, Gerald: Deutsch-Englische Verständigung. Eine Darstellung der nichtoffiziellen Bemühungen um eine Wiederannährung der beiden Länder zwischen 1905 und 1914, Diss. München 1967. 796 Vgl. Mirror, 22.3.1913, S. 4, 25.3.1913, S. 4. 7.7 Chronicle, 15.7.1912, S. l.vgl. 16.7.1912, S. 1, Günther Hollenberg: Englisches Interesse am Kaiserreich. Die Attraktivität Preußen-Deutschlands für Konservative und Liberale Kreise in Großbritannien 1860-1914, Wiesbaden 1974, S. 294. 7.8 Vgl. Observer, 21.1.1912, S. 10; Daily Mail, 7.1.1914, S. 5; Daily News, 5.1.1914, S. 1; Chronicle, 9.10.1913, S. 7; Lloyd's, 11.1.1914, S. 5; News of the World, 4.1.1914, S. 1; Minor, 8.1.1914, S. 8. 799 Western Mail, 22.8.1913, S. 4. 800 Western Mail, 22.8.1913, S. 4. 795
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rather than teachers." 801 Selbst ein politisch kaum bedeutender Besuch norddeutscher Journalisten bei der Union Castle Steamship Company war der deutschen Botschaft einen Bericht nach Berlin wert: Am gemeinsamen Frühstück hatten auch zahlreiche englische Journalisten teilgenommen. Lawson vom Daily Telegraph hielt die Hauptrede und ließ auch in seiner Zeitung von dem Besuch berichten. 802 Das germanophobe Sensationsblatt John Bull von Horatio Bottomley warnte im Juni 1914 vor einer deutschen „Invasion". Hier wurde die Zufriedenheit darüber ausgedrückt, daß „the Immigration Board refused admission to three German clerks, on the ground that the market is already overstocked with the native article." 803 Ansonsten dominierte der freundliche Ton bei gesellschaftspolitischen Begebenheiten. So nannte der konservative Daily Sketch, der hinsichtlich der deutsch-englischen Beziehungen eher zu den Skeptikern zählte, eine Reihe von Ereignissen, die zu einer Annäherung beigetragen hatten. Aufgeführt wurden die Reisen Haldanes und des Königspaares, die Freilassung englischer Spione und der geplante Besuch Wilhelms in England: „This succession of friendly acts is bound to lead to a closer understanding between the Teutons and ourselves" 804 . Auch Schüler- und Studentenbesuche wurden als Beitrag ,,[to] Cement Α National Friendship" 805 gesehen. Ähnliches gilt fur Handelskongresse, Freundschaftsvereine 806 und den Ausbau der deutsch-englischen Telefonleitungen, weil Ä07
die alten überlastet seien.
3.6 Spionage Ein permanentes Ärgernis zwischen den beiden Ländern waren Spionagevorwürfe. So blieben Sichtungen von - vermeintlichen - Luftschiffen immer ein Grund zur Unruhe. Bis nach Cardiff hätte es demnach die deutschen Zeppeline verschlagen. 808 Kein Wunder, daß sich eine seriöse Zeitung über die Meldungen lustig machte, insbesondere, wenn sich herausstellte, daß es sich um einen „fire balloon" 809 gehandelt hatte. Anders verhielt es sich bei konkreten Spionagefallen. Besonders der Fall des Bertrand Stewart, der in Deutschland verhaftet worden war, erregte großes Aufsehen. 810 An 801
Glasgow Herald, 30.6.1914, S. 8, vgl. 30.6.1914, S. 10, 1.7.1914, S. 10. Vgl. Ρ AAA, R 5762, Lichnowsky an Bethmann am 28.5.1914. 803 John Bull, 20.6.1914, S. 9: „Another German Invasion." 804 Sketch, 2.9.1913, S. 5. 805 Graphic, 10.7.1913, S. 10, vgl. Sketch, 2.4.1914, S. 7; Chronicle, 3.4.1914, S. 5; Times, 27.10.1913, S. 7. 806 Vgl. Times, 25.6.1914, S. 7; Star, 29.8.1913, S. 5; Daily Mail, 7.8.1913, S. 5, 7, 22.5.1914, S. 7. 807 Vgl. Daily Mail, 21.2.1914, S. 6. 808 Vgl. Cambria Daily Leader, 3.2.1913, S. 1. 809 Yorkshire Post, 28.2.1913, S. 6. 810 Vgl. Western Mail, 1.2.1912, S. 4; News of the World, 4.2.1912, S. 9; Sketch, 5.2.1912, S. 6; Glasgow Herald, 2.2.1912, S. 9; Star, 1.2.1912, S. 1; Scotsman, 3.2.1912, S. 10, 5.2.1912, S. 7; Graphic, 2.2.1912, 802
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seiner Schuld wurde gezweifelt.811 Die harte Strafe gegen den Engländer wurde abgelehnt: „[This] will assuredly tend to impose a check upon the movement for a 'rapprochement' between Great Britain and Germany."812 Anders als später anläßlich der Begnadigung der Spione wurde der Prozeßverlauf unmittelbar nach dem Urteil als ungerecht dargestellt. Es habe sich um „Mediaeval Methods"813 und "A Judicial Outrage" gehandelt: „Whether guilty or not, Mr. Stewart has not had a fair trial."814 Besonders die Aussage des einzigen wirklichen Belastungszeugen, eines „polyglot criminal"815, wurde stark angezweifelt. Als geradezu naiv ist die Behauptung der Zeitung zu bezeichnen, daß der Angeklagte eigentlich gar nicht schuldig sein könnte, da er es nicht zugegeben hatte.816 Zeitungen, die sich hinter die deutsche Justiz stellten, waren selten. Immerhin versuchte der deutschfreundliche Daily Graphic zu versichern: „The assumption that Mr. Stewart has not had a fair trial is utterly unwarranted, and is a gratuitous insult to the German people."817 Sehr maßvoll war die Daily News. Hier ist die Bemühung klar zu erkennen, keine Verschlechterung der deutsch-britischen Beziehungen zu riskieren. Deshalb wurde die Agitation gewisser Zeitungen scharf angegriffen: „The truth of the matter is that some at least of the journalists who are engaged in trying to work up this agitation are thinking a good deal less of securing Mr. Stewart's liberty than of making bad blood between Qio
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this country and Germany." Dennoch wurde die deutsche „Spy Mania" weitgehend verurteilt. Es sei keineswegs so, daß es unter jungen Engländern aus gehobenen Gesellschaftskreisen schick sei, durch Deutschland zu reisen, um an geheime militärische Informationen zu kommen.820 Daß die Berichterstattung über Spionage dabei selbst überzogen war, zeigt die tatsächliche Anzahl verurteilter „Agenten". Nur drei Engländer waren zu diesem Zeitpunkt in deutscher Festungshaft821 - reichlich wenig für eine allumfassende Spionagemanie. Am härtesten ging John Bull mit Deutschland ins Gericht. Das reißerische Sensationsblatt fragte sogar „where is the Casus Belli?" Die Antwort wurde prompt gegeben: „[...] it is at hand in the recent trial of Mr. Stewart." Umgehend wurde gefordert, daß S. 6; Daily Express, 3.2.1912, S. 1; Daily News, 1.2.1912, S. 1; Telegraph, 7.8.1912, S. 9; Times, 8.2.1912, S. 6. " ' V g l . Lloyd's, 4.2.1912, S. 1. 812 Evening Express, 5.2.1912, S. 2, vgl. People, 4.2.1912, S. 13; Reynolds's, 4.2.1912, S. 1. 813 Daily Express, 6.2.1912, S. 1. 814 South Wales Daily News, 6.2.1912, S. 4. 815 Daily Express, 7.2.1912, S. 4, vgl. 5.2.1912, S. 4,6.2.1912, S. 1, 7.2.1912, S. 1; Irish Times, 7.2.1912, S. 4. 816 Vgl. South Wales Daily News, 6.2.1912, S. 4; Daily Express, 5.2.1912, S. 4. 817 Graphic, 7.2.1912, S. 4. 818 Daily News, 7.2.1912, S. 7. 819 Liverpool Daily Post, 31.1.1912, S. 7. 820 Vgl. Chronicle, 6.2.1912, S. 4. 821 Vgl. Daily Express, 5.2.1912, S. 1.
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das Außenministerium gegen die Verurteilung protestieren müsse: „And if our Protest were unheeded? Then we would, without further ceremony, sink every blessed German ship to the bottom of the sea. We could do it to-day. To-morrow it may be too late."822 Auf großes Unverständnis stieß auch die Verhaftung von fünf Seglern in Eckemforde M l
im Sommer 1912. Sie hatten als Urlaubserinnerung die Hafenanlagen fotographiert.824 Ungehalten wies die Western Mail darauf hin „that this espionage fever is doing serious injury to the relations of the two countries, and tending to nullify the efforts of those who are working for a better understanding."825 Schon die Zusammensetzung der Verdächtigen zeige alles: „Artist, Engineer, Solicitor and two Doctors."826 Die unbedeutendsten Aktionen von Engländern wären in Deutschland schon verdächtig. Mit einer Mischung aus Kritik und Hohn machte die News of the World auf die einzige Möglichkeit zur Vermeidung von Unannehmlichkeiten aufmerksam: „[...] to avoid the country until such time as the clouds of suspicion which darken the political horizon between the two countries have been removed."827 Einige Zufriedenheit wurde nach der schnellen Entlassung der Verdächtigen geäußert.828 Mit einer Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit nahm der Daily Graphic die Angelegenheit. Es gebe „more hospitable and picturesque waters than those of Kiel Bay" für Urlauber. Falls es wirklich nötig sein sollte, die Nordsee in der Nähe deutscher Befestigungen zu erkunden, würden die Toursiten gut daran tun „to consult German susceptibilities in the mater of cameras and to make as little demand as possible on the German sense of humour."829 Deutschfreundliche Zeitungen, wie der Manchester Guardian, waren darum bemüht, die Sache herunterzuspielen. Nach der Freilassung wurde gehofft, daß „any mischief that might have been caused will now, we hope, be laughed away in amusement."830 Dennoch wollte der Guardian sich nicht die Möglichkeit entgehen lassen, aus der Angelegenheit etwas Positives herauszuziehen. Nun sei die Gelegenheit, auf Spionage generell zu verzichten. Deutschland und England seien „the two Powers who are suffering most by it." Da Spionage schon im Krieg unehrenhaft sei, könne sie im Frieden nicht gerechtfertigt werden. Die Empfehlung ging so weit, den Verzicht in einem schriftlichen Abkommen zu fixieren: „Let England and Germany, who have the most need, be the first to begin."831
822
John Bull, 17.2.1912, S. 206.
823
Vgl. John Bull, 31.8.1912, S. 269; Cambria Daily Leader, 7.8.1912, S. 1; Star, 5.8.1912, S. 1; Mirror, 8.8.1912, S. 4; Graphic, 6.8.1912, S. 7, 8.8.1912, S. 7; B'ham Post, 6.8.1912, S. 4, 7.8.1912, S. 5. 824 Vgl. Mirror, 9.8.1912, S. 3,4, 10.8.1912, S. 3, Bilder auf S. 8f. 825 826
Western Mail, 9.8.1912, S. 4. Mirror, 6.8.1912, S. 3, vgl. 7.8.1912, S. 3.
827
News of the World, 11.8.1912, S. 8, vgl. Sketch, 7.8.1912, S. 6, 9.8.1912, S. 6.
828
Vgl. Mirror, 9.8.1912, S. 3f; Daily Herald, 17.8.1912, S. 1; Evening News, 8.8.1912, S. 1. Graphic, 9.8.1912, S. 4.
825 830
Guardian, 9.8.1912, S. 6. "'Guardian, 10.8.1912, S. 8.
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Auch in England war die Furcht vor - insbesondere deutschen - Spionen verbreitet. Gerade in den Jahren 1912 und 1913 finden sich zahlreiche Artikel über Prozesse, Festnahmen und Verdächtigungen. Dies begann bereits Anfang 1912 und zieht sich bis ins Jahr 1913, ehe es dann stark zurückging. 832 Auch bei diesen Fällen wurde betont, daß der Umgang der Briten mit Spionen nicht so harsch sei: „Germany less lenient." 833 Die deutschen Angeklagten hätten immer eine offene und faire Verhandlung bekommen: „Their convictions were indisputably just. Their sentences were light." 834 Im großen und ganzen war die Berichterstattung über deutsche Spione jedoch recht zurückhaltend. Die Gerüchte von einem mehrere tausend Mann umfassenden deutschen Spionagenetz, das nach Kriegsbeginn aufkam, findet sich vor dem Krieg in erster Linie in Romanen. An erster Stelle ist hier William LeQueux mit Spies of the Kaiser. Plotting the Downfall of England aus dem Jahre 1909 zu nennen. Zum Schluß wurde darin die Frage gestellt: „I am wondering what is to be the outcome of all this organised espionage in England. What will happen? When will Germany strike? WHO KNOWS?" 835 In den beiden Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges spielen derartige Vorwürfe in der Presse aber nur eine untergeordnete Rolle. Fast gänzlich zum Erliegen kamen sie nach der Begnadigung der in Deutschland inhaftierten britischen Spione im Rahmen des Besuchs King Georges in Berlin. Nicht einmal John Bull ritt noch auf dem Thema herum. Von einem allgemeinen „spy fever" 836 kann fur den Untersuchungszeitraum nicht gesprochen werden. Die vermeintliche Spionagemanie wurde eher ins Lächerliche gezogen. So wurde die Anklage gegen einen Deutschen zurückgezogen, der sich wegen eines Streites mit seiner Frau selbst angezeigt hatte. Beweise für eine Spionagetätigkeit konnten nicht gefunden werden. 837 Darüber hinaus wurde gegen „[...] the mischievous sensationalism of a portion of the Tory Press" 838 Stellung bezogen. Manche Zeitungen „are doing their utmost to train the relations of Britain and Germany to the limit." 839 Diese Verhalten „to work up antiGerman felling" sei „monstrous. It should be criminal." 840 Die Gründe dafür seien ei-
832
Vgl. Sketch, 11.1.1912, S. 6; Graphic, 10.2.1912, S. 5; Daily Express, 10.2.1912, S. 1,25.10.1913, S. 1; Daily News, 10.2.1912, S. 1; Evening News, 22.7.1912, S. 1; News of the World, 28.7.1912, S. 6; Daily Herald, 14.3.1913, S. 1; Chronicle, 26.6.1913, S. 3; People, 5.4.1914, S. 1. 833 Mirror, 24.7.1912. S. 5, vgl. Evening News, 30.8.1912, S. 4. 834 Daily Express, 6.2.1912, S. 4. 835 LeQueux, William: Spies of the Kaiser. Plotting the Downfall of England, London 1909/ND London, Portland 1996, S. 219, Hervorhebung im Original. Dieses Buch erschien 1996 in einer Neuauflage. In der Literatur vgl. Ferguson, Pity, S. 2,14, Stafford, David: Spies and Gentlemen: The Birth of the British Spy Novel, 1893-1914, in: Victorian Studies 24 (1980/1981), S. 489-509, hier S. 498f. 836 French, Spy Fever, S. 355-370. 837 Vgl. Chronicle, 19.11.1913, S. 7; Daily Express, 19.11.1913, S. 5. 838 Westminster Gazette, 28.5.1912, S. 7. 839 Reynolds's, 16.3.1913, S. 1. 840 Reynolds's, 20.10.1912, S. 1, vgl. Daily Herald, 31.10.1912, S. 5.
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nerseits, daß die höheren Auflagen im Kriegsfall locken würden, andererseits, damit die eigenen Prophezeiungen eintreten würden. 841
3.7 Kolonien Zu einer offenen Thematisierung kam es über die kolonialen Ansprüche des Kaiserreiches. Dabei zeigte sich lediglich die Times empört, daß es angeblich Gespräche über die Rückgabe Sansibars an Deutschland gebe. 842 Erst später wurde bekannt, daß es um die portugiesischen Kolonien ging. 843 In einem Abkommen wurde deren mögliche Aufteilung zwischen Deutschland und England geregelt, falls Portugal in Finanznöte geraten sollte. Da über die Verhandlungen zu dieser Zeit jedoch sehr wenig in die Öffentlichkeit drang, kann dies nicht als Gradmesser für die deutsch-britischen Beziehungen verwendet werden. Bemerkenswert ist hier lediglich, daß an der deutschen Botschaft bekannt war, daß Teile der Londoner Presse längst über Details der Verhandlungen unterrichtet seien. Im Gegensatz zur deutschen Presse hätte diese jedoch „absolut dichtgehalten" 844 . Sehr selbstkritisch ging der Daily Chronicle mit der britischen Kolonialpolitik gegenüber Deutschland ins Gericht: „Germany has been out of humour with us since 1884". Trotz gemeinsamer Erforschung gewisser Gebiete „all our foreign policy was directed towards shutting Germany out of the best parts and confining her energies to disconnected areas, some of them almost the rejected of other nations for their supposed worthlessness." Im spanisch-amerikanischen Krieg stand Großbritannien auf der Seite der USA und machte deutsche Erwerbungen auf den Philippinen unmöglich. Ähnliche Vorwürfe wurden hinsichtlich der Bagdadbahn und der Bosnienkrise laut: „And, lastly, by our moral and perhaps promised material support given to France in 1909-11 we enabled her to aquire a protectorate over Morocco and made it impossible for Germany to get any political foothold in that region." 845 Der Verdacht, daß Großbritannien den Ausbau des Kolonialreiches verhindern wolle, sei nachvollziehbar: „[It] must be admitted that Germany is not without ground for complaint." 846 Dabei wurden die deutschen Ambitionen im allgemeinen gar nicht abgelehnt: „[...] they are quite natural." 847 So verwies sogar die Daily Mail darauf, „that Portugal's Colonies were not Britain's to give away" - wenn Portugal aber selbst Verhandlungen mit Deutschland aufnähme, würde sich dadurch auch die Position Großbritanniens verändern. Generell vertrat die Daily Mail die offizielle Sicht des Außenministeriums: „We 841
Vgl. Star, 17.2.1912, S. 2. Vgl. Times, 25.10.1913, S. 7. 843 Vgl. Chronicle, 3.11.1913, S. 1. 844 Tirpitz, Alfred von: Der Aufbau der deutschen Weltmacht, Hamburg 1924, S. 403, Dok. vom 2.11.1913, Marineattache der Londoner Botschaft an das Reichsmarineamt. 845 Chronicle, 17.6.1912, S. 4. 846 Chronicle, 6.2.1912, S. 4. 847 Liverpool Daily Post, 4.1.1912, S. 6. 842
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have no wish whatever to keep Germany from 'a place in the sun.'" 848 Auch von dieser - gegenüber Deutschland eher kritisch eingestellten - Seite war Bereitschaft vorhanden, über koloniale Themen zu verhandeln. Einmal mehr ausgesprochen gut informiert war die Times. So wußte der Auslandsredakteur schon im Mai 1914 sehr gut über den Stand der deutsch-britischen Verhandlungen über die mögliche Aufteilung des portugiesischen Besitzes Bescheid. 849 Dabei gehe es um einen „square deal" 850 . Dies dürfe aber nicht darauf hinauslaufen, daß eine Partei alles gebe und die andere nur nehme. Erstaunlich, daß der deutsche Botschafter ausgerechnet aus einem Gespräch mit dem Herausgeber der Westminster Gazette ableitete, „daß auch ein nützliches Abkommen über die kolonialen Fragen erzielt werden kann, wenn sich [ein für] beide Teile befriedigender Ausweg hinsichtlich der Flottennovelle finden läßt."851 Als Ergebnis der Untersuchung der Zeitungsartikel über koloniale Fragen ist festzufiO
stellen, daß diese in den Zeitungen keine besondere Rolle spielten. Von Auseinandersetzungen in dieser Frage war so gut wie keine Rede mehr. Selbst die Zeitungen Northcliffes äußerten so lange Verständnis für Deutschlands Streben nach einem „Platz an der Sonne", bis britische Interessen berührt wurden. Doch auch hier wurde Kompromißbereitschaft nicht generell verweigert. Einen positiven Eindruck hinterließ der Abschluß der deutsch-englischen Gespräche über den Bau der Bagdadbahn. 853 Ein Vertrag sollte deren Organisation und Finanzierung gemäß der deutschen und englischen Interessen regeln. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde der Vertrag am 15. Juni 1914 paraphiert. 854 Der Daily Graphic fand es schon im August 1913 „pleasant to know that the Bagdad question is now practically settled, and that without leaving any of the parties to it seriously aggrieved." 855 Auch wenn sich der tatsächliche Abschluß der Verhandlungen noch einige Zeit hinzog, blieb das Urteil gleich. Das Ergebnis sei „a vastly improved atmosphere of mutual confidence between the two Powers." 856 Betont wurde, daß die Regierung in Berlin „was very careful to obtain the recognition of this country" 857 . Auch der Guardian äußerte seine Be-
848
Daily Mail, 22.1.1912, S. 4. Vgl. TNL Archive/HWS/2, Steed an Maitland am 21.5.1914. 850 Daily Mail, 21.2.1912, S. 6. 851 GP 31, Nr. 11379 vom 29.2.1912, Metternich an Bethmann. 852 Vgl. Grenville, Imperial Germany, S. 92. 853 Zu den Verhandlungen über das Bagdadbahn-Abkommen vgl. GP 37-1. 854 Vgl. GP 37-1, Nr. 14900 vom 15.6.1914, S. 448, Lichnowsky an AA. Noch Mitte Juli 1914 setzten sich beide Seiten fur eine Umsetzung des Vertrages ein. Vgl. GP 37-1, Nr. 14910 vom 14.7.1914, S. 466f, Lichnowsky an AA und GP 37-1, Nr. 14915 vom 22.7.1914, S. 469, Jagow an Wedel. Wegen des Ausbruchs des Kriegs wurde der Vertrag nicht mehr von den Parlamenten ratifiziert. 855 Graphic, 30.8.1913, S. 4. 856 Graphic, 10.12.1913, S. 4. 857 Telegraph, 18.6.1914, S. 12. 849
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friedigung: „[It has been] one of the riddles of British diplomacy in the last ten years Qf Ο why it should ever have made any difficulties about this railway." Nach Untersuchung der britischen Zeitungen muß bezüglich der Bagdadbahn eine Forschungsmeinung revidiert werden. Fritz Fischer behauptete, die Bagdadbahn-Pläne hätten nur das Mißtrauen Englands hervorrufen können. 859 Dies mag für die Zeit zu Beginn des Projekts korrekt sein. Wie mittels des Vertragsabschlusses belegt werden kann, waren 1914 die Politiker beider Seiten aber sehr wohl bereit, die neue Eisenbahnlinie zu akzeptieren. Diese Zustimmung gilt auch für die Presse. Ein Mißtrauen gegenüber der Bagdadbahn kann während der Verhandlungen, vor allem 1914, nicht festgestellt werden. In einzelnen Fällen wurde sogar die Befriedigung darüber ausgedrückt, daß Deutschland diese Bahn baue und die russischen Projekte noch nicht zur Ausführung kämen, da diese anders als die deutschen eine Gefahr für Indien bedeuten würden. 860 Der vollzogene Meinungswandel wird am eindrucksvollsten durch die Times gezeigt. Ausgerechnet diese Zeitung, die in den Jahren zuvor einer der schärfsten Geg861 ner der deutschen Bagdadbahn-Bemühungen war , erklärte nun ihre ablehnende Haltung mit einem einfachen Grund: „The offer made to us was not good enough." 862 Bei den neuen Verhandlungen, die im Gange seien, sei eine Einigung durchaus vorstellbar.
3.8 Letzte Entspannungen vor der Julikrise Bezeichnend für den Stand der deutsch-britischen Beziehungen 1914 sind mehrere Ereignisse, die nur wenige Wochen vor dem Eintreten der Julikrise stattfanden. Dies ist zum einen der Besuch einer britischen Flottendelegation bei der Kieler Woche im Juni 1914, zum anderen die Verleihung der Ehrendoktorwürde in Oxford. Auffällig ist, daß die Mehrzahl der Titelträger aus Deutschland kam. 863 Die politisch bedeutendste Person war dabei der deutsche Botschafter, dessen Bemühungen „the cause of vastly improved relations between Great Britain and Germany" 864 gewesen seien. Die Vergabe der Ehrendoktorate und insbesondere der ausgesprochen freundliche Umgangston mit Lichnowsky sind ebenfalls ein Indiz dafür, daß von englischer Seite kaum noch Ressentiments gegenüber Deutschland bestanden. Diesen Eindruck vermittelte Lichnowsky unmittelbar vor Kriegsausbruch auch dem Kanzler, dessen Sohn ebenfalls in Oxford
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Guardian, 11.12.1913, S. 8, vgl. 11.2.1914, S. 8, 17.6.1914, S. 10. Vgl. Fischer, Weltmacht, S. 28. 860 Vgl. Guardian, 11.12.1913, S. 8. 861 Vgl. Fay, Vorkriegspresse, S. 423f. 862 Times, 8.6.1912, S. 9. 863 Dies waren der Musiker Richard Strauss, der Jurist Ludwig Mitteis, der Herzog von Sachsen-CoburgGotha, der US-Botschafter und der ehemalige englische Botschafter in Washington Lord Bryce. Vgl. Times, 25.6.1914, S. 4, Ferguson, Pity, S. 24f. 864 Telegraph, 4.6.1914, S. 10. 859
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studiert hatte.865 Er hielt die auswärtige Lage des Kaiserreiches für sehr befriedigend. Insbesondere mit England sei das Verhältnis so gut wie lange nicht.866 Sehr stolz hatte er unmittelbar nach der Verleihung der Doktorwürde von seiner Rede und deren Eindruck in Großbritannien nach Berlin berichtet: „Sämtliche bedeutenderen Blätter bringen heute Berichte über die gestrige Feier und geben meine Rede in zum Teil sehr ausführlichen Auszügen an bevorzugter Stelle wieder."867 Die besonders positiv gehaltenen Artikel des Daily Telegraph, des Daily Chronicle und der Westminster Gazette fugte er zur Untermauerung seines Berichtes bei. Als letzter Gradmesser der deutsch-britischen Beziehungen vor dem Krieg bietet sich der Besuch einer englischen Flottendelegation in Deutschland an.868 Anläßlich der Kieler Woche und der Wiedereröffnung des ausgebauten Kaiser-Wilhelm-Kanals869 gingen sieben Großkampfschiffe870 der Royal Navy vom 23. bis zum 30. Juni 1914 in der deutschen Hafenstadt vor Anker. 8 " Da die letzte offizielle Entsendung englischer Kriegsschiffe bereits neun Jahre zurücklag, war dem Ereignis allein deswegen schon Aufmerksamkeit gewiß.872 In der Literatur wurde dagegen die Ansicht geäußert, daß „[the] atmosphere between the two navies was decidedly cool throughout the visit"873. Von Beginn an wurde auf die Bedeutung dieses Besuchs, fur den sogar eine Teilnahme des Ersten Seelords Winston Churchill im Gespräch war874, hingewiesen. Noch ein Jahr vorher hätte niemand gewagt, dies vorherzusagen.875 Vor allem waren es wieder die liberalen Zeitungen, die in dem Besuch „a substantial and most welcome proof of our improved relations"876 sahen. Der Daily Chronicle bedauerte, daß die innenpolitisch angespannte Lage in Großbritannien noch mehr Aufmerksamkeit für den Flottenbesuch verhindert habe. Von den diversen Flottenbesuchen in russischen, schwedischen, norwegischen und dänischen Gewässern sei der in Deutschland am bemerkenswertesten. Dies zeigt sich auch am Umfang der Berichterstattung. So verwendete die Liverpool Daily Post am 30. Juni auf den Besuch in Kiel den vierfachen Umfang im Vergleich zum Aufenthalt in St.
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Vgl. Ferguson, Pity, S. 24f. Vgl. Lichnowsky, Mission, S. 27. 867 Ρ AAA, R 5762, Lichnowsky an Bethmann am 4.6.1914. 868 Vgl. Massie, Schalen des Zorns, S. 723-727. 869 Heute Nord-Ostseekanal. 870 Dabei handelte es sich um die Dreadnoughts King George V,, Ajax, Audacious und Centurion. Hinzu kamen die Kreuzer Southampton, Birmingham und Nottingham. Paradoxerweise war die Audacious am 27.9.1914 eines der ersten englischen Großkampfschiffe das im Krieg verloren ging. 871 Parallel dazu wurde eine weitere Flottendelegation in das russische Kronstadt entsandt. 872 Vgl. Western Mail, 25.6.1914, S. 5; Liverpool Daily Post, 27.6.1914, S. 7, 27.6.1914, S. 7, 9; Glasgow Herald, 23.6.1914, S. 9, 29.6.1914, S. 10. 873 French, Spy Fever, S. 364. 874 Vgl. Times, 23.5.1914, S. 8, Lichnowsky, Abgrund, Bd. 2, S. 195. 875 Vgl. Chronicle. 24.6.1914, S. 6; Daily News, 24.6.1914, S. 4. 876 Chronicle, 24.6.1914. S. 6, vgl. Daily News, 24.6.1914, S. 4. 864
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Petersburg. Noch größer ist der Unterschied im Scotsman, der bis zum Verhältnis von 25:3 Zeilen mehr über den Deutschlandbesuch berichtete. 878 In der History of the Times heißt es für Anfang Juli 1914, trotz des Todes des österreichischen Erzherzogs: „The only Continental news of any interest was the visit to Kiel." 879 Vor allem die liberalen Zeitungen reagierten positiv auf den Besuch: „Nothing but good can come from the friendly meeting of the two forces. The truth is, no nation in Europe is so close to ourselves in blood, in intellectual and political outlook, and in character as the German, and it is natural that whatever superficial difficulties there appear to be Englishmen going to Germany feel that they are going to a country closely akin to their own." 880 Auch dieQQ1 Hoffnung auf einen deutschen Gegenbesuch im folgenden Jahr wurde ausgesprochen. Auch auf konservativer Seite dominierten die positiven Stimmen. So fand es der Daily Graphic wünschenswert „that 882 it should be made clear that the present relations of the two countries are excellent" . Auch der Daily Telegraph, der dem Besuch keine politische Bedeutung zugestand, ging davon aus, er werde „undoubtedly contribute to a friendly feeling between the United Kingdom and Germany." 883 Besonderes Aufsehen wurde erregt, als der Kaiser Wilhelm in seiner Funktion als Admiral der englischen Marine kurzzeitig das Kommando über die britische Flottendelegation übernahm. 884 Berichte über die kurzzeitige Verhaftung Lord Brasseys taten der Stimmung in Kiel keinen Abbruch. Er geriet beim alltäglichen Rudern in den abgesperrten Bereich des Kriegshafens. Dabei wurde er von einem Polizisten aufgegriffen. In einigen Blättern wurde daraus ein Fall von unrechtmäßiger Verhaftung wegen angeblicher Spionage. Da sich das Problem aber schnell löste, läßt sich nur erahnen, wie massiv die Zeitungen auf eine tatsächliche Arretierung reagiert hätten. 885 Namentlich zu nennen sind hier die Blätter Lord Northcliffes. Diese hatten laut eines Berichts des deutschen Botschafters aus St. Petersburg die Anweisung ,,[t]o minimise as much as possible the visit at Kiel and for the same purpose to make an affair of greatest importance of the visit in Russia." 886 Seine Informationen beruhten auf einem Gespräch mit dem Vertreter der Times in der russischen Hauptstadt. 877
Vgl. Liverpool Daily Post, 30.6.1914, S. 8. Vgl. Scotsman, 30.6.1914, S. 8,29.6.1914, S. 10, 24.6.1914, S. 9,23.6.1914, S. 7. 879 History of the Times, Bd. 1, S. 180. 880 Chronicle, 27.6.1914, S. 4, vgl. Westminster Gazette, 1.7.1914, S. 11. 881 Durch den Beschüß englischer Hafenstädte durch deutsche Kriegsschiffe ging diese Hoffnung auf eine ganz unerwartete Art und Weise in Erfüllung. 882 Graphic, 23.6.1914, S. 4. 883 Telegraph, 24.6.1914, S. 9. 884 Vgl. Daily Express, 26.6.1914, S. 1; Graphic, 26.6.1914, S. 9; Mirror, 26.6.1914, S. 4; Times, 26.6.1914, S. 7. 885 Vgl. Times, 27.6.1914, S. 7. 886 Ρ AAA, London 1019, 88b, Pourtales aus St. Petersburg an das AA am 16Juni 1914, Abschrift für London. 878
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Lord Brassey stellte aber in Briefen und bei Korrespondenten richtig, daß „the reports that I have been arrested as a spy is utterly without foundation"887. Da er nach der Überwindung der Sprachschwierigkeiten sogleich zurückgebracht worden sei, löste sich die ganze Angelegenheit in Wohlgefallen auf. Angeblich hätte sie bei den abendlichen Tischgesprächen bereits für Amüsement gesorgt.888 Diese Schilderung der Vorgänge wurde nach der Rückkehr von Brassey nochmals in einem Gespräch mit dem Herausgeber der Times bestätigt.889 Eine Anekdote mit Spitze gegen die Presse meldete der britische Botschaftsrat Rumbold vom Kieler Besuch. Auf die Frage des Daily MailKorrespondenten an einen Offizier nach der Stimmung unter den Seeleuten, habe dieser geantwortet: „There is nothing the matter with the feeling if the - - Press would only leave it alone."890 Zudem wurde auch in diesem Zusammenhang betont, daß „our present relations with Germany are perfect"891. Diese Einschätzung wird sowohl in der Memoirenliteratur der 892
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Nachkriegszeit geteilt , als auch in zeitgenössischen Aktensammlungen bestätigt. Oberbefehlshaber Warrender brachte seine Zufriedenheit mit einem Funkspruch zum Abschied zum Ausdruck: „Friends in past and friends for ever"894. Bis in die Aufzeichnungen von Schulthess' Geschichtskalender finden sich die Eintragungen von den herzlichen Telegrammen, die zum Abschied der Flottendelegation zwischen dem Oberbefehlshaber der Briten und Admiral von Coerper - dem ehemaligen Marineattache an der Londoner Botschaft - ausgetauscht wurden.895 Die größte Sorge des britischen Vertreters bezog sich auf die Ergebnisse der Sportwettkämpfe: „Speaking generally, our men were entirely outclassed in all the usual sports - running, jumping, &c. - and in the tug-of-war the German simply walked away with us, in spite of the fact that on of our teams was an Olympia' team."896 Die gute Atmosphäre bestätigte Rumbold in seinem Bericht an das Außenministerium: „I think it may be said that this result was largely due to the fact that the larger portion of the Press did not seek to invest that visit with any political significance, but regarded it as what it 887
BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62199/14, Brassey an den Herausgeber der Daily Mail am 28.6.1914. Vgl. Mirror, 27.6.1914, S. 4; Scotsman, 27.6.1914, S. 9. 889 Vgl. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62199/12, Robinson an Marlowe am 2.7.1914. 8,0 Rumbold, Horace: The War Crisis in Berlin. July-August 1914, London 21944, S. 65, vgl. BDOW XI, Nr. 6 vom 2.7.1914 (erhalten am 6.7.1914), S. 6f, Rumbold an Grey. 891 Daily News, 27.6.1914, S. 1, vgl. Telegraph, 27.6.1914, S. 11. 8,2 Vgl. Churchill, World Crisis, Bd. 1, S. 150f. 893 Vgl. BDOW XI, Nr. 6 vom 2.7.1914 (erhalten am 6.7.1914), S. 7, Rumbold an Grey, GP 39, Nr. 15603 vom 25.6.1914, S. 105f, Wilhelm II. an George V., GP 39, Nr. 15604 vom 27.6.1914, S. 106, George V. an Wilhelm II. 894 Hase, Georg von: Die zwei weissen Völker! Deutsch-Englische Erinnerungen eines deutschen Seeoffiziers, Leipzig 1920, S. 33, vgl. Massie, Schalen des Zoms, S. 724-727. 895 Vgl. Schulthess' Europäischer Geschichtskalender, Neue Folge, 30. Jahrgang 1914,2 Bände, München 1917, Bd. 1, S. 368, Eintrag vom 4.7.1914. 896 BDOW XI, Nr. 7 vom 3.7.1914 (erhalten am 6.7.1914), S. 11, Rumbold an Grey. 888
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was, namely, a friendly visit to a German port of a portion of a fleet, other portions of which were visiting the ports of other countries."897 Auch die Monarchen tauschten hinsichtlich des Besuches der Flottendelegation Dankestelegramme aus.898 Zusammen mit den zahlreichen eindeutigen Aussagen bezüglich des freundlichen Umgangs der deutschen und englischen Seeleute untereinander und mit der Bevölkerung899 ist die Behauptung Frenchs, die Atmosphäre sei ausgesprochen kühl gewesen900, nicht aufrechtzuerhalten. Sogar Times und Daily Mail widersprachen dem. Diese beiden Blätter standen Deutschland aber gerade in Marinefragen sehr reserviert gegenüber. Sie wiesen darauf hin, daß Großbritannien hinsichtlich der Eröffnung des Kanals am wenigsten Grund zur Freude habe. Eine weiterreichendere politische Bedeutung des Besuchs wurde verneint.901 Es ist also der Abschlußbewertung der Birmingham Daily Post zuzustimmen: „In all respects the visit seems to have been a complete success."902 Dem Schloß sich der Berliner Korrespondent der Times an.903 Allein, daß ein derartiger Flottenbesuch nach so langer Pause durchgeführt wurde, ist schon ein Indiz für bessere deutsch-englische Beziehungen. Dabei erfolgten erneut keine konkreten politischen Einigungsgespräche. Es handelte sich vielmehr um einen unverbindlichen, freundlichen Austausch zur Hebung der Stimmung zwischen den beiden Ländern. Wie die Ernennung Lichnowskys zum Botschafter und der Königsbesuch in Berlin, hatte diese gewollte oder ungewollte Strategie ausgesprochen viel Erfolg. Unmittelbar vor dem Kriegsausbruch hatte sich die Tonart der Zeitungsberichte so sehr verbessert, daß diese in keinster Weise darauf hindeutete, daß die beiden Länder am Rand einer der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte standen.
3.9 Bilanz Wie der Erlanger Historiker Kießling zutreffend festgestellt hat, muß bei der Untersuchung öffentlicher Äußerungen darauf geachtet werden, daß diese nicht immer wörtlich genommen werden dürfen. Es gab eine ganze Reihe standardisierter Formulierungen, mit denen die Friedensliebe oder beste Absichten zum Ausdruck gebracht werden konn-
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BDOW XI, Nr. 6 vom 2.7.1914 (erhalten am 6.7.1914), S. 6f, Rumbold an Grey. Vgl. GP 39, Nr. 15603 vom 25.6.1914, S. 105f, Wilhelm II. an George V., GP 39, Nr. 15604 vom 27.6.1914, S. 106, King Georges V. an Wilhelm II. 899 Vgl. Daily News, 24.6.1914, S. 1,25.6.1914, S. 1; Telegraph, 25.6.1914, S. 12f, 27.6.1914, S. 15. 900 Vgl. French, Spy Fever, S. 364. 901 Hier wurde vor allem auf die Verkürzung des Seeweges von Kiel nach Wilhelmshaven von 500 auf 80 Seemeilen hingewiesen. Vgl. Times, 25.6.1914, S. 7; Daily Mail, 25.6.1914, S. 7, 24.6.1914, S. 8. 902 B'ham Post, 1.7.1914. S. 6. 903 Vgl. Times, 8.7.1914, S. 7: „The British naval visit to Kiel, although its final festivities were dimmed by the tragedy of Serajevo, was a great success and gave fine proof of naval comradeship the world over and of German hospitality." 898
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ten.904 Bei vorsichtiger Verwendung geben derartige Aussagen dennoch eine Menge Information preis. In der Berichterstattung über die deutsch-britischen Beziehungen ist ein eindeutiger Wandel im Tonfall festzustellen. Allein schon die Verwendung deutscher Begriffe in der Presse ist ein Indiz für Ungezwungenheit. So wurden weder Kaiser, „Weltpolitik"905 oder „Real Politik"906 zwangsläufig als etwas Negatives gesehen, ebenso wie der „Realpolitiker"907 Marschall. Ob die Engländer allerdings besonders viel damit anfangen konnten, daß die Berliner „weltstaedtisch"908 seien - „world cityish" - sei dahingestellt. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums wurde noch viel mehr vom sich andeutenden Wandel und einer möglichen Verbesserung der Beziehungen gesprochen. Auch fanden sich solche Äußerungen überwiegend in deutschfreundlichen Zeitungen. Im Laufe der Zeit verschob sich dies immer mehr auch in Richtung der frankophilen, deutschlandkritischen Zeitungen. Besonders für das Jahr 1914 fällt eine Häufung von deutschfreundlichen Artikeln auf. Weitgehendes Desinteresse ist beim Daily Herald festzustellen, der sich nur in sehr wenigen Artikeln mit Deutschland befaßte. Artikel, in denen die deutsch-britischen Beziehungen als schlecht bezeichnet wurden, konnten nur in einem Fall nachgewiesen werden. Das Sensationsblatt John Bull bildete einen Herd permanenter Unruhe. Da von Deutschland nichts Gutes zu erwarten sei, gebe es nur eine mögliche Antwort: „As she is not a fool, it is well to ask, what is her game? The obvious answer is that she is trying to lull us into false security. [...] We shall soon be disillusioned."909 Ansonsten wurden bei wohlwollenden Aussagen höchstens gewisse Einschränkungen gemacht. Beispielsweise hieß es einmal, daß die guten Beziehungen einen späteren Konflikt nicht zwangsläufig verhindern könnten.910 Zusammen mit den zahlreichen positiven Äußerungen englischer Regierungspolitiker ist daher dem ehemaligen deutschen Botschafter in London zuzustimmen, wenn er von einer „erheblich bessere[n] Stimmung"911 gegenüber Deutschland sprach: Die Verständigung mit England sei erreicht gewesen.912 Einzelne Stimmen meinten sogar, darin eine Belastung für die englisch-französische Entente auszumachen.913
904
Vgl. Kießling, Entspannungen, S. 86. Β'ham Post, 25.5.1912, S. 6. 906 Chronicle, 11.5.1912, S. 4, vgl. Times, 25.9.1912, S. 7. 907 Daily Mail, 19.6.1912, S. 4. 908 Graphic, 19.5.1913, S. 4. 909 John Bull, 31.3.1913, S. 761. 910 Vgl. B'ham Post, 1.7.1914, S. 6: „Sentiment alone, however warm and friendly, will not prevent wars." 911 Lichnowsky, Abgrund, Bd. 1, S. 74, vgl. ders., Mission, S. 15,27, Asquith, Genesis, S. 142. 912 Vgl. Lichnowsky, Mission, S. 32; ders., Abgrund, Bd. 1, S. 35, GP 39, Nr. 15600 vom 10.5.1914, S. 101, Lichnowsky an Jagow. 913 Vgl. GP 39, Nr. 15584 vom 5.11.1913, S. 64, Kühlmann an Bethmann, Lichnowsky, Abgrund, Bd. 1, S. 39f, Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 388. 905
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Dennoch ist es auch im Untersuchungszeitraum keineswegs so gewesen, daß die deutsch-britischen Beziehungen nur eitel Sonnenschein gewesen sind. Neben zahlreichen Verweisen auf frühere Probleme gab es immer wieder Hinweise auf die Spionageproblematik oder „More Anti-British Attacks in Germany"914 sowie „den „ill-will in Germany towards this country"915. Die preußischen [sic!] Ambitionen auf die Hegemonie in Europa „are, and must be for a generation, a constant menace to peace."916 Das Bemerkenswerte an der Auswertung mehrerer tausend Zeitungsartikel ist jedoch, daß diese Stimmen vor Kriegsausbruch immer seltener wurden. Vielmehr häuften sich die Äußerungen, die das gute Verhältnis zwischen Deutschland und Großbritannien herausstrichen. Je näher der Erste Weltkrieg rückte, desto häufiger und herzlicher wurden diese Stimmen. Zusehends schlossen sich dem auch Zeitungen an, die sich zu Beginn des Untersuchungszeitraums sehr abweisend verhalten hatten. Ein Beispiel hierfür ist die Evening News. Sie hielt noch im Juli 1912 den Terminus „Perfect Amity", wie ihn Premierminister Asquith für den Stand der deutsch-britischen Beziehungen verwendet hatte, für „a trifle strong for the situation to which it was applied, since it would imply in its highest sense not only the absence of all present cause of quarrel, but of all need for precaution for the future."917 Kein halbes Jahr später brachte sie selbst die Überschrift „Friends with Germany." Die Zeitung sei in der Position „to prepare its readers for striking developments tending to a permanent improvement of Anglo-German relations."918 Das Wichtigste für die Evening News war dabei, daß das Verhältnis zu Frankreich dadurch nicht belastet werde. Bei der Daily Mail hieß es sogar noch Mitte 1913, daß „For the moment the new military position has its effect upon naval competition, and had relieved the tension between Germany and Great Britain."919 Wenige Monate freute sie sich nicht mehr nur über ein Nachlassen der Spannungen, sondern darüber, daß „in recent months British relations with Germany have markedly improved"920. Dasselbe kann auch für die Birmingham Daily Post gezeigt werden. Dort hieß es im Dezember 1913: „Nobody has yet discovered a magic cure for Anglo-German differences. It is highly improbable that anybody will. But at least we may hope for a helpful solvent in a mutual recognition of economic interests and commercial ambitions."921 Direkt vor Kriegsausbruch wurde dann betont, wie sehr sich das englische Deutschlandbild in den vergangenen zehn Jahren gewandelt habe: „Mutual
914
Daily Express, 14.10.1912, S. 1. Daily Mail, 27.5.1912, S. 4. 916 Daily Express, 29.4.1913, S. 4. 917 Evening News, 26.7.1912, S. 4. 9,8 Evening News, 3.12.1912, S. 1. 919 Daily Mail, 25.6.1913, S. 4. Eine Unterüberschrift des Artikels lautete: „The End ofNaval Competition." 920 Daily Mail, 20.10.1913, S. 8. 921 B'ham Post, 11.12.1913, S. 6. 9,5
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appreciation has been fostered by mutual knowledge, and, in its turn, has made far easier the task of those who seek peace and friendship."922 Besonders deutliche Worte fand die Irish Times gegen Deutschland. Zu Jahresbeginn 1912 widersprach sie Professor Delbrück und machte klar: „The time is not yet ripe for formal diplomatic steps in the direction of an understanding."923 Noch im Mai 1913 warnte sie, daß Deutschland nur für eine gewisse Zeit und zu einem gewissen Preis an einer Freundschaft mit Großbritannien interessiert sei: „The price is the weakening of Anglo-French friendship, and the time until that friendship is weakened."924 In Anlehnung an die Äneis von Vergil warnte die Irish Times vor einem Danaergeschenk: Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes925: „The hour when Great Britain should be most on her guard against Germany is the hour when she makes gifts." 926 Doch auch diese harte Position begann nach und nach aufzuweichen. Anfang 1914 war auch hier die Annäherung vollzogen: „The improvement in Anglo-German relations is, happily, maintained and strengthened." Betont werden muß an dieser Stelle, daß die gerade genannten Zeitungen Deutschland gegenüber generell eher kritisch eingestellt waren. Im Gegensatz dazu gab es andere konservative und vor allem liberale Zeitungen, die die deutsch-britischen Beziehungen wesentlich früher im positiven Licht darstellten. Dies ist mit auf die engen Beziehungen der Journalisten zur Politik zurückzuführen. So hatte Außenminister Grey schon im Spätherbst 1911 erklärt, daß jeder Schritt zur Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen willkommen sei.927 Sehr erfreut dürfte er zu Jahresbeginn 1912 gewesen sein, als in der Presse vermehrt Artikel auftauchten, die eine Entspannung des Verhältnisses feststellten. Den Auftakt machte hier eine Reihe von liberalen Zeitungen. Der Star meinte im Februar 1912: „The Anglo-German sky is evidently brighter"928. Im Oktober 1912 hoffte er auf weitere Entwicklungen: „An Anglo-German understanding is now within sight, if not within reach."929 Im Mai 1913 freute er sich dann über „change of hearts"930. Die Liverpool Daily Post wähnte die Beziehungen schon 1912 „on the highway to improvement."931 Ähnlich gestimmt spricht der Daily Chronicle kurz nach der Haldane-Mission von „a clearer AngloGerman atmosphere"932. Zweifellos wünsche die große Mehrheit der Engländer bessere
922
Β'ham Post, 1.7.1914, S. 6.
923
Irish Times, 3.1.1912, S. 4. Irish Times, 16.5.1913. S. 6. „Was es auch sei, ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke machen." Irish Times, 5.2.1914, S. 4, vgl. South Wales Daily News, 10.5.1912, S. 4. Vgl. PRO/FO8OO/110/168. Grey an Mrs. Phillips am 28.11.1911.
924 925 926 927 928 929
Star, 17.2.1912, S. 2. Graphic, 16.5.1913, S. 4.
930
Star, 20.5.1913, S.4.
931
Liverpool Daily Post, 13.2.1912, S. 6, vgl. 21.3.1912, S. 6. Chronicle, 20.5.1912, S. 6.
932
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Beziehungen zu Deutschland. 933 Ähnliche Äußerungen finden sich reihenweise in liberalen Blättern. Diese Aussagen aus der ersten Jahreshälfte 1912 sind jedoch nicht auf die Presselandschaft im allgemeinen hochzurechnen, da diese Zeitungen als besonders deutschfreundlich einzustufen sind. Der Versuch, bessere Beziehungen herbeizureden, war deshalb nicht auszuschließen. Klar zu erkennen ist dabei, daß die meisten konservativen Zeitungen wesentlich zurückhaltender in der Bewertung der deutsch-britischen Beziehungen waren. Hier drückten vor allem Willensbekundungen und Hoffnungen den Wunsch nach Entspannung aus. Im Daily Express hieß es: „We recognise dangers and appreciate and, in a sense, fear the greatness of our rivals. But we want to be friends, and we warmly welcome any sane method of obtaining a genuine and self-respecting friendship." 934 Dabei hoffte die Zeitung auf eine europaweite Verständigung. Diese sollte nicht nur Deutschland und Großbritannien umfassen, sondern auch Deutschland und Frankreich: „Then, indeed, Europe would be united, and peace would be assured." 935 Um klar zu machen, daß es so weit aber noch lange nicht sei, wurde darauf verwiesen, daß dies nur möglich werden könne, wenn Großbritannien aus einer Position der Stärke heraus handle. Auch beim Daily Telegraph war es Anfang Januar 1912 eher eine Hoffnung als eine Feststellung: „It is common ground among men of all parties in this country that the one thing most to be desired at this moment is the restoration of good relations between England and Germany. Any step that promises to lead in that direction is to be encouraged" 936 . Die eintretenden Verbesserungen ließen sich jedoch nicht aufhalten, auch nicht in der Berichterstattung der Zeitungen. Der große Unterschied zwischen der deutschlandfreundlichen und der deutschlandkritischen Gruppe ist am Zeitpunkt des Meinungsumschwunges festzumachen. Bei der einen Fraktion wurden die Äußerungen schon Anfang 1912 zuversichtlicher, meist im Rahmen der Haldane-Mission. Die Neubesetzungen des Botschafterpostens stellten in ihren Augen eine vielversprechende Fortsetzung dar. Der andere Teil der Zeitungen berichtete zurückhaltender über die Haldane-Mission, die aber nicht negativ bewertet wurde. Erst die Kooperation Deutschlands und Großbritanniens während der Balkankriege ließ auch hier das Eis schmelzen. Bei den meisten konservativen Zeitungen dauerte es also ein knappes Jahr länger, bis die Anzeichen besserer Beziehungen offener ausgesprochen wurden. Eine Vorreiterrolle übernahm der Daily Graphic, der schon vor dem Balkankrieg nachhaltig Stellung bezogen hatte. Von „a very gratifying improvement in Anglo-German relations" 937 über „improved relations [...] which [...] offer every prospect of durability" 938 und „a very solid improve-
933 934 935 936 937 938
Vgl. Guardian, 25.4.1912, S. 6. Daily Express, 8.5.1912, S. 4. Daily Express, 24.5.1913, S. 4. Telegraph, 4.1.1912, S. 8. Graphic, 3.2.1913, S. 4. Graphic, 10.2.1913, S. 4.
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ment"939 reichen die Aussagen. Bewußt wurde der Gegensatz zu den schlechteren Beziehungen früherer Zeiten gezogen: „[...] both officially and unofficially are less clouded at this moment than they have been for years."940 Doch auch die anderen konservativen Blätter hielten sich immer weniger zurück. Anläßlich der Zusammenarbeit bei der Balkankrise sprach die Birmingham Daily Post von „Evidence of the excellent Anglo-German understanding"941. Beim Daily Telegraph hieß es im Februar 1913 „that the relations between Berlin and London now rest on a more satisfactory basis than has been the case at any period during the last ten or twelve years."942 Besonders zufrieden meldete Kühlmann im November 1912: „Selbst Mr. Garvin, welcher unter den hiesigen Journalisten zu den verbissensten Gegnern Deutschlands zählt, beginnt, etwas einzulenken." Der Botschaftsrat berichtet weiter, daß Garvin, der den Observer und die Pall Mall Gazette unter Kontrolle hatte, wegen der Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts „besondern Tribut des Dankes verdiene."943 Die Zufriedenheit, daß zu diesem Zeitpunkt sogar deutschlandkritische Zeitungen in ihrer Meinung umgeschwenkt hatten, ist hier nicht zu übersehen. Insgesamt ist festzustellen, daß die Verbesserungen der Beziehungen in Hunderten von Artikeln dargestellt wurden. Die verschiedenen Formen der Ausdrucksweise „improved Anglo-German relations" oder „improvement in Anglo-German relations" konnten unter anderem in 56 Artikeln, zumeist Leitartikel, nachgewiesen werden. Besonders die liberalen Zeitungen taten sich in diesem Zusammenhang hervor. Allen voran sind hier der Daily Chronicle und der Star zu nennen. Aber auch die Westminster Gazette sprach zu dieser Zeit zufrieden von „a great improvement in Anglo-German relations"944. Diese Zeitungen neigten zur früheren und positiveren Darstellung Deutschlands. Doch auch konservative Blätter wie der Scotsman oder der Daily Telegraph sparten nicht mit positiven Äußerungen. Wichtig ist auch, daß sich diese Berichte nicht auf eine Region beschränkten. Sowohl in London, in der englischen Provinz als auch in den drei anderen Teilregionen sind diese Äußerungen zu finden.945 Als alternative Formulie-
939
Graphic, 7.5.1913, S. 4. Graphic, 16.5.1913, S. 4. 941 B'ham Post, 2.12.1912, S. 8. 942 Telegraph, 7.2.1913, S. 10. 943 ΡAAA, R 5640, Kühlmann an Bethmann am 13.11.1912. 944 Westminster Gazette, 1.1.1913, S. 1. 945 Vgl. B'ham Post, 2.12.1912, S. 8,19.5.1913, S. 6; Chronicle, 6.2.1912, S. 4, 29.4.1912, S. 6, 23.7.1912, S. 6,1.1.1914, S. 6,5.2.1914, S. 6; Daily Express, 15.2.1912, S. 4,27.5.1912, S. 4; Daily News, 8.2.1913, S. 4, 24.5.1913, S. 6,10.10.1913, S. 1, 27.12.1913, S. 6,10.4.1914, S. 4; Daily Mail, 11.10.1913, S. 5, 20.10.1913, S. 8; Evening News, 3.12.1912, S. 1; Glasgow Herald, 26.2.1913, S. 8, 24.10.1913, S. 8; Graphic, 3.2.1913, S. 4,10.2.1913, S. 4, 7.5.1913, S. 4,20.10.1913, S. 8,13.12.1913, S. 6; Guardian, 940
17.7.1912, S. 7, 31.12.1912, S. 8, 11.12.1913, S. 8; Irish Times, 30.5.1913, S. 4, 5.2.1914, S. 4; Liverpool Daily Post, 13.2.1912, S. 6, 17.2.1912, S. 6, 27.3.1913, S. 6, 20.10.1913, S. 6; Scotsman, 17.2.1913, S. 6, 16.5.1913, S. 6,20.10.1913, S. 8, 10.12.1913, S. 9; South Wales Daily News, 7.5.1912, S. 4,12.8.1913, S. 4, 20.10.1913, S. 6; Star, 6.2.1912, S. 2, 14.4.1913, S. 4, 6.2.1912, S. 2, 14.4.1913, S. 4; Telegraph,
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rung wurde auf die „growing friendliness towards Great Britain among all classes of Germans" 946 verwiesen oder von „friendly relations" 947 gesprochen. Vor allem die gemeinsamen Interessen auf dem Balkan hätten dazu beigetragen. Noch vor einem Jahr sei es um die Beziehungen schlecht bestellt gewesen. Nun schließe das Jahr „with quite a pleasant, if not a cordial, relationship between the two Powers." 948 Besonders deutlich wird der Stand der deutsch-englischen Beziehungen zum Jahreswechsel 1913/14. In mehreren Artikeln über das vergangene Jahr und in Ausblicken für das kommende wurde die Besserung des Verhältnisses bemerkt. So vermerkte der Daily Telegraph an Silvester 1913, daß es zu einem „marked improvement in the relations between Great Britain and Germany, which has been in steady progress throughout the year" 949 gekommen sei. Dies wurde am Neujahrstag in einem weiteren Leitartikel bekräftigt. 950 Dieses „considerable improvement" 951 wurde auch in der Western Mail bestätigt. Aufmerksam wurden auch die Stellungnahmen zu den deutsch-britischen Beziehungen in Deutschland verfolgt. Zufrieden konstatierte der Cambria Daily Leader, daß die Berliner Presse „is paving the way to a better understanding between the two countries"952, auch wenn es wie überall noch „panicky journals" gebe. Die Mehrheit der Presse gebe jedoch sehr freundschaftliche Kommentare ab, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen seien. Besonders die liberalen Zeitungen verfolgten die positiven Artikel in Deutschland. 953 Ähnliches ist für die Beobachtung der Reden deutscher Politiker und Diplomaten zu erkennen. Bereits im Dezember 1912 wurden die Reichstagsreden des Kanzlers und seines Staatssekretärs im Auswärtigen Amt als „eminently pacific" betrachtet. Ausdrücklich wurde hervorgehoben, daß die Beistandszusicherung für Österreich keinesfalls provokant sei: „It is nothing more than a statement that Germany in case of need would observe her obligations to her allies, as, of course, would every honourable Power." 954 Anläßlich einer Reichstagsrede des deutschen Außenministers verglich der Star die deutsch-englischen Beziehungen sogar mit dem englischen Verhältnis zu den USA. Unter Hinweis auf den 100-jährigen Frieden zwischen dem Königreich und seiner ehemaligen Kolonie wurde gefragt: „Why cannot that example of agreement be follo-
31.12.1913, S. lOf, 1.1.1914, S. lOf, 5.2.1914. S. 13,4.6.1914, S. 10, 22.2.1912, S. 11, 17.5.1913, S. 12; Times, 25.6.1914, S. 7. 944 B'ham Post, 27.5.1913, S. 6. 947 Cambria Daily Leader, 25.5.1913, S. 1, vgl. Irish Independent, 24.5.1913, S. 5; Times, 25.9.1912, S. 7. 948 Graphic, 31.12.1912, S. 4. ^Telegraph, 31.12.1913, S. 10, vgl. Daily News, 27.12.1913, S. 6. 950 Vgl. Telegraph, 1.1.1914, S. lOf. 951 Western Mail, 31.12.1913, S. 4. 952 Cambria Daily Leader, 13.12.1913, S. 4. 953 Vgl. Star, 6.2.1912, S. 2. 954 Times, 3.12.1912, S. 7, vgl. Scotsman. 10.12.1913, S. 9.
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wed by England and Germany?"955 Derartige positive Aussagen von Ansprachen finden sich über den gesamten Untersuchungszeitraum. Wegen ihres moderaten Tons wurde selbst über eine Rede des Staatssekretärs im Reichsmarineamt, Tirpitz, anerkennend berichtet.956 Die Bemühung deutscher Politiker um eine Entspannung wurde in der britischen Presse also durchaus gewürdigt. Auch Politiker drückten frühzeitig ihre Hoffnung auf bessere Beziehungen und die Λί
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31.7. Datum
1.8.
3.8.
4.8.
I
Da für den Großraum London über 9 0 % der Gesamtauflage untersucht wurde, ist davon auszugehen, daß die interventionistischen Zeitungen erst am 1. August eine relative Mehrheit und am 3. August die absolute Mehrheit unter den Zeitungen erreichten. Ähnliches gilt auch für die Provinzzeitungen Großbritanniens. Auffallig ist dabei jedoch, daß am 27. Juli dort noch keine einzige Zeitung direkt für eine Intervention Stellung nahm. Viel größer als in London war die Anzahl der unentschlossenen Zeitungen. Erst mit zunehmender Dauer der Krise setzte der Meinungsbildungsprozeß ein. Daraufhin nahm die Anzahl der Unentschlossenen ab. Bei der Polarisierung der Ansichten setzten sich auch hier die Interventionisten durch - aber auch erst unmittelbar vor Kriegsausbruch. Im Vergleich zwischen London und der Provinz gibt es also leichte Unterschiede. Die Entwicklung hin zum Kriegsausbruch ist jedoch sehr ähnlich. Für die Gesamtheit der britischen Zeitungen ist festzuhalten, daß zu Beginn der akuten Krise am 27. Juli eine große Mehrheit gegen eine Intervention Stellung bezog. Lediglich die Northcliffe-Gruppe mit ihrer sehr hohen Auflage sprach sich schon zu diesem Zeitpunkt für einen Kriegseintritt aus, sollte eine Lokalisierung des Krieges scheitern. Nach und nach schwenkten die meisten Zeitungen um, bis am 4. August nur noch wenige Blätter gegen einen Kriegseintritt waren. Für die deutsche Seite mußte dies schwerwiegende Konsequenzen haben. Wie bereits ausgeführt, wurde dadurch der Eindruck einer pazifistischen Haltung der britischen Bevölkerung erweckt.
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6. Kriegsbegeisterung Eine der gängigsten Forschungsmeinungen zum Ersten Weltkrieg ist, daß die Menschen 1914 voller Begeisterung in den Krieg gezogen seien. Gejubelt worden sei überall.732 Auch Lloyd George sprach von „warlike crowds"733, die sich in den ersten Augusttagen 1914 in Whitehall und Downing Street gedrängt hätten. Schon vor der Julikrise sei Europa „deeply ready for war"734 gewesen. In Anlehnung an die Memoiren Lloyd Georges stellt Schröder sogar die Frage, ob sich die englische Regierung angesichts der hysterischen Massen einem Kriegseintritt hätte entziehen können.735 Umgekehrt sei „die britische Bevölkerung zu Beginn des Krieges enthusiastisch und kritiklos in ihr Schicksal ergeben"736 gewesen. Erst in jüngerer Zeit wurden vermehrt Zweifel an dieser Sicht geäußert.737 Im folgenden soll mittels einer Auswertung der britischen Presse ein Beitrag zur Forschungsdiskussion geleistet werden. Methodisch muß hier darauf geachtet werden, daß es nicht zu einer einseitigen Wiedergabe von Zeitungsmeinungen kommt. Um nicht ausschließlich die Meinung der Redakteure zu berücksichtigen, muß versucht werden, über die normale Berichterstattung hinaus ein möglichst breites Spektrum der Bevölkerung zu erfassen. Dies soll anhand der Auswertung von Berichten über Demonstrationen und Reden, durch Leserbriefe und Anzeigen geschehen. Ein Indiz für die Stimmung in der Bevölkerung sind die Äußerungen in Leserbriefen.738 Um überhaupt Ergebnisse erzielen zu können, sind mehrere Probleme zu beachten. So muß gerade während einer gravierenden Krise damit gerechnet werden, daß Zeitungen bei der Veröffentlichung von Leserbriefen darauf achteten, daß diese den eigenen Anschauungen nicht zuwider liefen. Auch die Möglichkeit, sie als schlechtes Beispiel abzudrucken, um ihre Argumentation widerlegen zu können, muß in Betracht gezogen werden. Außerdem ist es nicht möglich, von der Anzahl der tatsächlich eingesandten auf die veröffentlichten Briefe und deren Repräsentativität zu schließen.739 732
Vgl. Haffner, Todsünden, S. 33, 11. Keegan, First World War, S. 81, Ferro, Great War, S. 11, Schulin, Emst: Die Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Michalka, Wolfgang (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung. Wahrnehmung. Analyse, hg. im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, München, Zürich 1994, S. 3-27, hier S. 8, Massie, Schalen des Zorns, S. 776. 733 Lloyd George, War Memoire, Bd. 1, S. 65, vgl. S. 68. 734 Steiner, Origins, S. 257, vgl. S. 241, Nipperdey, Deutsche Geschichte, Bd. 2, S. 684. 735 Vgl. Schröder, England, S. 206f, Eksteins, Gräben S. 94, Lloyd George, War Memoirs, Bd. 1, S. 39. 736 Sanders/Taylor, Propaganda, S. 19. 737 Vgl. Ferguson, Pity, S. 174-211, Sösemann, Medien, S. 193-232. 738 Aufgrund der gängigen Praxis der Zeitungen konnte hierbei nur auf gedruckte Briefe zurückgegriffen werden, da Leserbriefe nach Auskunft der Zeitungen nicht archiviert werden. 739 Dieses Probleme sprach die Times selbst an, in: Times, 3.8.1914, S. 8: „We have received a large number of letters from correspondents of various shades of opinion on the crisis which confronts Great Britain; but for reasons of space and on account of the rapid development of events we are able to publish only a few of the more representative ones."
Die Julikrise 1914
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Darüber könnte nur eine eigens durchgeführte Untersuchung der Zeitungsarchive Aufschluß bringen. 740 Rückschlüsse auf die allgemeine Stimmung der Bevölkerung können daher anhand von Leserbriefen nicht ohne weiteres gezogen werden. Dies wurde bereits bei der ersten Auswertung der veröffentlichten Leserbriefe bestätigt. Auffällig ist, daß besonders die Times auch Leserbriefe abdruckte, in denen für eine englische Neutralität geworben wurde. So wurde selbst dem strikten Interventionsgegner Norman Angell und dem Liberalen Joseph King Platz eingeräumt, um ihre Meinung auszudrücken. Mit den bereits angeführten Argumenten sprachen sie sich in aller Deutlichkeit für Neutralität aus.741 Umgehend wurden diese Aussagen benutzt, um in der nächsten Ausgabe darauf zu antworten. Mit den Hinweisen auf die englischen Interessen, der Gefahrdung der Vormachtstellung durch die deutsche Flotte und die Verpflichtungen des Landes wurde die Meinung der Anti-Interventionisten nicht nur von den Journalisten der Times, sondern auch in Leserbriefen abgelehnt: „There are worse evil than war at the present time." 742 Unterstützt wurden die unbekannten Leser von den Meinungsäußerungen bekannter Zeitgenossen. Zu nennen ist beispielsweise Valentine Chirol. Er war bis 1912 Auslandsredakteur der Times und galt wegen seiner Korrespondententätigkeit in Berlin als Deutschlandexperte. 743 Im Gegensatz zu den konservativen Zeitungen waren die Liberalen voll mit Briefen gegen das Eingreifen. Dabei setzten sie auf die Veröffentlichung der Ansichten von gesellschaftlich angesehenen Persönlichkeiten. Zu nennen ist hier wieder Joseph King. Hinzu kommen das Oberhausmitglied Jardine und der Herausgeber des Economist, Hirst. Letzterer erinnerte an das erst kurz zurückliegende Vorgehen der USA, weil Mexiko sich geweigert hatte der amerikanischen Flagge zu salutieren: „The provocation given by Servia was one which hardly any Power could have endured - certainly Great Britain and the United States have taken action on much less serious grounds." 744 Am 1. August wandte sich Lord Welby gegen einen „Unholy War" 745 . Im Daily Chronicle riefen mehrere Hochschuldozenten gegen die Intervention auf. 746 Der Manchester Guardian unterstützte dies durch 16 Leserbriefe. 747 Zwei Tage später sprach sich die Kunstfakultät der Universität Cambridge für Neutralität aus. 748 In der Daily
740
Die größte Schwierigkeit einer derartigen Untersuchung wird im Auffinden alter Leserbriefe liegen. Die Problematik dabei ist, daß ein großer Teil der damaligen Zeitungen schon vor Jahrzehnten ihr Erscheinen einstellten. 741 Vgl. Times, 1.8.1914, S. 6, Leserbriefe von King, Angell, Fleetwood und Jersey. 742 Times, 3.8.1914, S. 8, Leserbrief von Sydenham, vgl. 4.8.1914, S. 5, Leserbrief von Jones. Letzterer war als Fellow am Deutschen Archäologischen Institut des Trinity College, Oxford tätig. 743 Vgl. Times, 3.8.1914, S. 8. 744 Daily News, 31.7.1914, S. 4, vgl. S. 7; Guardian, 31.7.1914, S. 10. 745 Daily News, 1.8.1914, S. 6. 746 Vgl. Chronicle, 1.8.1914, S. 1. 747 Vgl. Guardian. 1.8.1914, S. 10; Star, 1.8.1914, S. 4. 748 Vgl. Chronicle, 3.8.1914, S. 4.
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News bezogen in mehr als 20 Leserbriefen, unter anderem der Historiker Trevelyan749 und der Schriftsteller Thomas Hardy, das Parlamentsmitglied Ponsonby und die Bischöfe von Hereford und Lincoln gegen die Intervention Stellung.750 Am eindrucksvollsten ist die Sammlung von über 30 Leserbriefen im Manchester Guardian vom 3. August.751 In Äußerungen mit aussagekräftigen Überschriften wie „Despotie Russia", „Refusing to be Fooled" oder „This horrible Crime" brachten die Verfasser ihre ablehnende Haltung zum Ausdruck. Darunter war beispielsweise eine Stellungnahme, unterzeichnet vom Courtney of Penwith, Ramsay MacDonald, dem Führer der Labour Party, dem Herausgeber der Daily News, Gardiner, und dem Publizisten Hammond und ein Brief Charles Roden Buxtons. Anders als in der relativ neutralen Berichterstattung äußerten sich mehrere Leser des konservativen Daily Mirror fur englische Neutralität. Angepaßt an das Niveau der Leserschaft wurde hier von der Intervention als „insanity" und „mad idea"752 gesprochen. Insgesamt kann für die Auswertung der Leserbriefe folgendes festgestellt werden. Es gab eine ganze Reihe von Veröffentlichungen, die sich für eine Intervention aussprachen. Diese finden sich vor allem in den konservativen Zeitungen. Unter diesen nimmt die Times eine herausragende Stellung ein. Im Gegensatz zur Sicht von einer allgemeinen Begeisterung sprachen sich aber auch viele Briefe für eine unbedingte Neutralität aus. Bemerkenswert ist hierbei ein signifikanter Unterschied zwischen den Hauptvertretern der konservativen und liberalen Zeitungen. So konnten in der Times sowohl Stimmen für, wie auch gegen die Intervention gefunden werden. Bei Kommentierungen wurde die Argumentation der Interventionsgegner nach Möglichkeit widerlegt. Selbst eine Stellungnahme der österreichischen Regierung über ihr Vorgehen gegen Serbien wurde unkommentiert wiedergegeben. Besonders die Times versuchte damit, nach außen eine möglichst objektive Berichterstattung zu wahren. Im Gegensatz dazu brachten die liberalen Blätter Manchester Guardian, Daily News und Daily Chronicle lange Zeit keinerlei interventionistische Stimmen. Erst unmittelbar vor Kriegsausbuch deutete sich hier eine Änderung an.753 Auffällig ist zudem, daß sich mehrere Autoren von Leserbriefen wiederholt äußerten. Insbesondere gilt dies für Joseph King und Francis Hirst, die sich mehrfach in den liberalen Zeitungen zu Wort meldeten. Ein weiterer Indikator für die Meinung der Bevölkerung ist das Stattfinden von Kriegs- und Antikriegsdemonstrationen, sowie die Anzahl der Beteiligten. Zu denken sei hier nur an das bekannte Bild vom Odeonsplatz in München. In der Vergrößerung ist
749 750 751 752 753
Vgl. Ferguson, Pity, S. 182. Vgl. Daily News, 3.8.1914, S. 6. Vgl. Guardian, 3.8.1914, S. 9. Hinzu kommen noch mehrere Stellungnahmen auf anderen Seiten. Mirror, 30.7.1914, S. 7. Vgl. Daily News, 4.8.1914, S. 4.
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der begeisterte Adolf Hitler zu erkennen.754 Aufnahmen dieser Art von englischer Seite sind in der Literatur selten zu finden.755 Die damaligen Anti-Kriegsdemonstrationen wurden in der Forschung bislang weitgehend vernachlässigt. Besonders zutreffend ist dies für die Kundgebung am Sonntag, den 2. August 1914. Aufgerufen dazu wurde vom Daily Herald.756 In der Literatur wurde diese Veranstaltung weitgehend als völliger Fehlschlag interpretiert.757 Schröder beruft sich hierbei sogar auf die Aussage des russischen Botschafters.758 Dieser konnte aber kein Interesse daran haben, von einer großen Friedensdemonstration nach St. Petersburg zu berichten. Im gewissen Grad ist Gebele zuzustimmen, der das Scheitern dieser Bewegung mit dem englischen Kriegseintritt konstatiert.759 Nur weil die Gegnerschaft zum Krieg nach dessen Ausbruch stark nachließ, so bedeutet dies nicht, daß dies vorher ebenso gewesen sein muß. Der Daily Herald stellt die Kundgebung in seiner Montagsausgabe jedenfalls als vollen Erfolg dar. Mehrere große Gewerkschaften hätten sich angeschlossen. Als Redner traten vor allem Spitzenfunktionäre der Labour Party auf. Darunter waren die Mitgründer der Partei Keir Hardie, Η. M. Hyndman und Cunninghame Graham, sowie George Lansbury und Arthur Henderson. Unterstützung fanden sie bei den Frauenrechtlerinnen Margaret Bondfield, Mrs. Despard und Mary Macarthur. Alle sprachen sich für die Beibehaltung der englischen Neutralität aus. So sagte Lansbury „we [...] are determined to carry on with all our strength the fight against militarism." Der Hinweis auf Arbeitsniederlegungen von Bergleuten in Südwales sei von „Loud Cheers" begleitet worden. Bei kleineren Auseinandersetzungen Gegendemonstranten „had to beat a retreat, and it was plain that in Trafalgar Square peace had conquered."760 Die abschließende Resolution nahm nochmals gegen die Intervention Stellung. Bestätigt wurde der Bericht des Daily Herald von Daily News und Manchester Guardian. Es seien so viele Menschen gewesen, daß eine Straße für den fließenden Verkehr nur unter Schwierigkeiten habe freigehalten werden können. Mit nicht weniger als 20.000 Teilnehmern sei es „the biggest demonstration ever seen in Trafalgar Square"761 gewesen. Gegen die Neutralitätsforderungen der Redner sei nur wenig Widerspruch laut geworden.762 Dem stimmte der Manchester Guardian zu, nur sei es „the
754
Vgl. Ferguson, Pity, S. 175f. Vgl. Eksteins, Gräben, Bild 9 im Bildteil zwischen den Seiten 272 und 273. 756 Vgl. Herald, 29.7.1914, S. 5, 31.7.1914, S. 1,1.8.1914s S. 5, Carsten, Francis: War against War. British and German Radical Movements in the First World War, London 1982, S. 25. 757 Vgl. Brock, Britain, S. 156, Massie, Schalen des Zoms, S. 776, Schröder, England, S. 175, Kennedy, Antagonism, S. 458f, Joll, Ursprünge, S. 285. Letzterer betont die Notwendigkeit einer umfassenden Forschungsarbeit zur Kriegsbegeisterung in England. Einen neueren Ansatz dazu bot Ferguson, Pity, S. 174755
211. 758
Vgl. Schröder, England, S. 175, Anm. 123. Vgl. Gebele, Probleme, S. 127. 760 Daily Herald, 3.8.1914, S. 1. 761 Daily Herald, 3.8.1914, S. 1, vgl. S. 2. 762 Vgl. Daily News. 3.8.1914, S. 7. 759
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biggest Trafalgar Square demonstration held for years"763 gewesen, nicht die größte überhaupt. Ganz im Sinne des Manchester Guardian sei der Haupttenor der Veranstaltung die Weigerung, für Rußlands Auseinandersetzung in den Krieg zu ziehen, gewesen. Einschränkungen bezüglich der Bedeutung dieser Demonstration wurden von Seiten der Times laut. Unter den Menschen seien viele Ausländer gewesen, mehrheitlich Deutsche. Im Gegensatz zu den wenigen Gegendemonstranten in den liberalen Zeitungen, bemerkte der Berichterstatter der Times, daß „a strong body of anti-Socialists began to make its presence felt in the crowd." Das Singen „of the 'Red Flag' was answered with the strains of 'God save the King' and 'Rule Britannia.'" Als Antwort auf das Hissen einer Roten Fahne ,,[a] Union Jack was waved and the cheering and singing of patriotic songs grew louder than ever."764 Nicht bestritten wurde dagegen die Anwesenheit von mehreren Tausend Menschen. Auch die bereits angesprochene Resolution wurde nicht bezweifelt. Hinsichtlich der Demonstration herrscht unter Kriegsbefürwortern und Gegnern also keine Einigkeit. Beide Seiten versuchten, die Veranstaltung zu ihren Gunsten auszulegen. Der Daily Herald und die liberalen Blätter betonten dabei die Dominanz der Interventionsgegner. Die Times führte die große Anzahl der Menschen auf einen hohen Ausländeranteil zurück. Wie groß der Anteil der Interventionisten unter den Teilnehmern war, kann anhand der Zeitungsberichte nicht verifiziert werden. Zu widersprüchlich sind hierzu die einzelnen Artikel. Insgesamt überwiegt jedoch der Teil, wonach es sich tatsächlich um eine große Friedensdemonstration gehandelt habe. Neben den liberalen Blättern findet sich diese Formulierung auch im illustrierten Daily Graphic765. Der Daily Mirror brachte am folgenden Tag ein Foto der Demonstration: „The picture shows the scene at the meeting at Trafalgar Square arranged by Socialists yesterday to protest against Great Britain taking part in the war."766 Zu erkennen sind zahlreiche Menschen. Aufgrund der schlechten Bildqualität konnte eine genaue Zahl jedoch nicht ermittelt werden. In jedem Fall sind es, wie von der Times angegeben, mehrere tausend Menschen, die als Interventionsgegner anzusehen sind. Die Angabe des Daily Herald mit mindestens 20.000 Personen scheint dagegen zu hoch gegriffen. Neben dieser Kundgebung „resolutions are being passed by religious, political, and Labour organisations all over the countries."767 In Ostlondon, dem Wohngebiet der Arbeiter, hätten sich beispielsweise mehrere Protestzüge gegen die Intervention gewandt. Tausende von Flugblättern seien dort verteilt worden.768 Am Tag darauf 763
Vgl. Guardian, 3.8.1914, S. 10, Keiger, Union Sacrie, S. 45. Times, 3.8.1914, S. 8. 765 Vgl. Graphic, 3.8.1914, S. 9: , A demonstration of peace was held in Trafalgar Square to protest against Great Britain going to war." 766 Mirror, 3.8.1914, S. 12. 747 Daily News, 2.8.1914, S. 1. 761 Vgl. Daily Herald, 1.8.1914, S. 4, vgl. Guardian, 4.8.1914, S. 4, Morris, Radicalism, S. 412. 764
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kündigte Reynolds 's Newspaper für den folgenden Dienstag ein „great mass meeting" an „to give expression to the voice of British women in support of the stand which their country is making for peace in the present great European crisis."769 In Manchester wurde am selben Tag eine Versammlung einberufen „with a view to urge his majesty's advisers to use their influence to preserve the peace of Europe in the present crisis."770 Sehr zur Zufriedenheit des Daily Herald vermeldete auch die Times eine Resolution von streikenden Minenarbeitern in Süd-Wales. Darin wurde die Regierung zur Neutralität aufgefordert.771 Neben diesen öffentlichen Kundgebungen gab es noch weitere Aktivitäten der Interventionsgegner. Mehrere Gruppen von Hochschuldozenten sprachen sich gegen eine englische Kriegsbeteiligung aus. Allein von der Universität Cambridge unterzeichneten über 60 Lehrkräfte einen solchen Aufruf.772 Auf politischer Ebene setzten sich speziell die Liberalen für den Frieden ein. Der Minister John Simon hielt hierzu eine Rede in 771 Manchester. In London wurden mehrere Treffen von Parteimitgliedern abgehalten, um den Kriegseintritt zu verhindern.774 Auch noch nach der Rede Greys im Unterhaus waren nicht alle Parlamentarier mit dessen Kurs einverstanden.775 Kurz vor Kriegsausbruch wurde mit der Gründung des British Neutrality Committee ein letzter verzweifelter Versuch unternommen, den Frieden zu bewahren. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten unter anderem der Labour-Führer MacDonald, der Historiker Trevelyan und der Herausgeber der Daily News, Gardiner. Bekannte Persönlichkeiten sympathisierten mit der neu formierten Friedensgruppierung. Dazu gehörten die Oberbürgermeister von Manchester und Glasgow. Aus dem religiösen Bereich zählten die Bischöfe aus Hereford und Lincoln dazu.776 Wie ernst die Sache von diesen Leuten genommen wurde, zeigt einer ganzseitigen Anzeige im Manchester Guardian. Am 4. August hieß es: „Britons, DO YOUR DUTY and keep your Country out of A WICKED and STUPID WAR."777 Die Verschwörung müsse umgehend zerschlagen werden, sonst werde es zu spät sein. Noch am Tag der englischen Kriegserklärung an Deutschland wurde diese Anzeige von der Daily News in ähnlicher Form veröffentlicht.778 '"Reynolds's, 2.8.1914, S. 4. 770 Guardian, 4.8.1914, S. 11. 771 Vgl. Times, 3.8.1914, S. 8; Daily Herald, 3.8.1914, S. 1, 5. 772 Vgl. Chronicle, 3.8.1914, S. 4; Daily News, 3.8.1914, S. 7; Guardian, 3.8.1914, S. 10,1.8.1914, S. 10; Times, 1.8.1914, S. 6. 773 Vgl. Times, 27.7.1914, S. 7. 774 Vgl. Guardian, 31.7.1914, S. 9,1.8.1914, S. 10,4.8.1914, S. 11. 775 Vgl. Daily Herald, 4.8.1914, S. 2; Guardian, 4.8.1914, S. 11. 776 Vgl. Chronicle, 3.8.1914, S. 4. Ferner sind hier Lord Welby, Sir William Mathor, Sir Albert Spicer, Sir Arthur Haworth, Sir William Hartley, Mr. D. A. Thomas, Professor Sir J. J. Thomson, Dr. Horton, Mr. Richard Whiteing, Mr. W. T. Stubbs, Mr. Ernest Schuster, Mr. M. P. Price aufgeführt." Siehe auch Guardian, 3.8.1914, S. 9; Graphic, 3.8.1914, S. 3; Daily Herald, 3.8.1914, S. 2. 777 778
Guardian, 4.8.1914, S. 4. Vgl. Daily News, 5.8.1914, S. 7.
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Neben diesen Bemühungen um die englische Neutralität gab es eine ganze Reihe von interventionistischen Aktivitäten. Wie im Falle der Trafalgar Square-Kundgebung konnte auch für diesbezügliche Kundgebungen keine genaue Teilnehmerzahl ermittelt werden. Bestes Beispiel dafür ist eine Kundgebung vor dem Buckingham Palace. Die Daily Mail geht davon aus, daß die Menschenmasse von anfanglich 10.000 Menschen auf 60.000 zugenommen habe. Von mindestens 20.000 spricht der Daily Sketch, während der Daily Telegraph eine Steigerung von 5.000 auf 10.000 Demonstranten schätzte.779 Hinsichtlich des Verhaltens der Bevölkerung wurde mehrfach betont, daß es kein „mafficking" oder „warmongering" gegeben habe.780 Dennoch gibt es eine Reihe von Indizien, die auf das Gegenteil schließen lassen. So warnte der Daily Mirror schon am 31. Juli vor ,,[t]he Fool in the Street". Früher seien Kriege vor allem durch Leute wie Katharina von Rußland oder Friedrich dem Großen gemacht worden. „Now war is, we firmly believe, not made so much by such puppets, as by the clamour of boobies in the streets."781 Dieser Vorwurf deutet bereits daraufhin, daß sich in England so etwas wie aufkommende Kriegsbegeisterung einstellte. Besonders für die letzten Friedenstage können dafür zahlreiche Belege angeführt werden. So schrieb der Daily Sketch am 3. August 1914 bedauernd, daß London „has kept its head very well during the crisis, but last night there were signs that the exemplary calmness was to end."782 Anschließend ist von „orderly enthusiasm"783 und „popular ovation"784 für das Königspaar die Rede, aber 78 S
auch davon, daß „eulogistic references to the Entente Cordiale were loudly cheered." Zudem seien Rule Britannia und die Marseillaise gesungen worden. Durch die Straßen „processions, carrying Union Jacks and the French tricolour, marched continually, cheering and singing." Die „demonstration of patriotism and loyalty became almost ecstatic"786. Der Daily Herald erhob deshalb den Vorwurf es hätten „mafficking de-
779 780 781
Vgl. Daily Mail, 4.8.1914, S. 3; Sketch, 4.8.1914, S. 4; Telegraph, 4.8.1914, S. 7. Vgl. Graphic, 4.8.1914, S. 1; Daily Mail, 4.8.1914, S. 3; Star, 3.8.1914, S. 4. Mirror, 31.7.1914, S. 7.
782
Sketch, 3.8.1914, S. 4.
783
Graphic, 4.8.1914, S. 1, vgl. S. 12.
784
Chronicle, 4.8.1914, S. 1, vgl. Yorkshire Post, 4.8.1914, S. 11.
785
Express, 3.8.1914, S. 1.
786
Times, 4.8.1914, S. 4.
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monstrations"787 stattgefunden. Die Behauptungen „the British public is dead against 7QO
war" mußten somit von den Interventionsgegnern selbst korrigiert werden. Somit muß das Ergebnis dieser Untersuchung eine teilweise Bestätigung der bisherigen Forschungsmeinung sein: Es gab in England eine gewisse Begeisterung für das Eingreifen in den Krieg. Die Behauptung, unter den Großmächten sei überall gejubelt 780 worden , kann in dieser Formulierung jedoch zumindest für England nicht aufrecht erhalten werden. Sicherlich gab es viele Stimmen, die eine Intervention propagierten. Von einer einheitlichen Meinung kann aber keine Rede sein. Sowohl die AntiKriegsdemonstration auf dem Trafalgar Square vom 2. August als auch Loyalitätsbekundungen gegenüber dem Königspaar wurden je nach der Gesinnung des Berichterstatters sehr unterschiedlich bewertet. Für die Stimmung des Volkes hinsichtlich einer Kriegsbeteiligung kann an dieser Stelle kein abschließendes Ergebnis vorgelegt werden. Nachgewiesen wurde aber, daß die These von einer allumfassenden Kriegsbegeisterung und einem Bestreben, unbedingt in den Krieg ziehen zu wollen, für England nicht haltbar ist. Zu viel Widerspruch wurde in Leserbriefen laut, zu viele Leitartikel verschiedener Zeitungen sprachen sich gegen die Intervention aus. Noch am 4. August hieß es im Leitartikel des Manchester Guardian „we hold it to be a patriotic duty for all good citizens to oppose to the utmost the participation of this country in the greatest crime of our time."790 Den Kampf für den Frieden aufzugeben, käme einem Dolchstoß in den Rücken gleich. Neben diesen Bemühungen, für die Neutralität zu werben, setzten sich noch zahlreiche andere Personen und Vereinigungen dafür ein. Zu nennen ist hier das British Neutrality Committe mit seinen großformatigen Anzeigen. Hinzu kommen Aufrufe von Hochschullehrern und zahlreiche Leserbriefe von unbekannten Bürgern, Intellektuellen und Personen des öffentlichen Lebens. Daneben stehen die Bemühungen der englischen Finanzwelt791, eines großen Teils des Kabinetts792 und der liberalen Partei die Intervention zu verhindern. 787
Daily Herald, 4.8.1914, S. 1, vgl. S. 2; Daily Mail, 5.8.1914, S. 3, 5. Die Verwendung von „mafeking" als Verb hat seinen Ursprung im Burenkrieg. Die Nachricht vom Ende der 217-tägigen Belagerung britischer Truppen in der südafrikanischen Stadt Mafeking wurde in London mit Freudendemonstrationen aufgenommen. Als „to maffick" fand dieses Verhalten Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch. Die Umschreibung im Oxford English Dictionary lautet: „extravagant demonstrations of exultation on occasions of national rejoicing." Es handelt sich also um übermäßige Jubelkundgebungen bei Ereignissen nationaler Begeisterung. 788 Sketch, 27.7.1914, S. 3, vgl. Star, 30.7.1914, S. 4,3.8.1914, S. 4; Guardian, 28.7.1914, S. 8; Chronicle, 31.7.1914, S. 4. 789 Vgl. Haffner, Todsünden, S. 11,33. 750 Guardian, 4.8.1914, S. 6. 791 Vgl. BL, Mss., Riddell Diaries, Add. 62958/55 vom 31.7.1914, Grey, Years, Bd. 2, S. 189, Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 8, Sketch, 1.8.1914, S. 3; Guardian, 1.8.1914, S. 10. m Vgl. u.a. Grey, Years, Bd. 2, S. 187f, Schröder, England, S. 158, S. 162, Scheff, Thomas: Bloody Revenge. Emotions, Nationalism, and War, Boulder, San Francisco, Oxford 1994, S. 89, Morris, Radicalism, S. 376-420, Hazlehurst, Politicians, S. 33. 793 Vgl. Massie, Schalen des Zorns, S. 767.
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Die Sicht Lloyd Georges, die Hysterie der Massen habe die Staatsmänner in den Krieg getrieben794, kann unter diesen Umständen als fadenscheinige Ausrede entlarvt werden. Bezeichnend für die angebliche Hysterie ist der Menschenauflauf in Downing Street und Whitehall am Abend des 2. August vor der entscheidenden Kabinettssitzung. Die Anwesenden jubelten allen Ministem zu. Auffallig ist dabei, daß „Sir Edward Grey 705
and Mr. John Bums especially were warmly welcomed." Dabei handelte es sich ausgerechnet um jene Kabinettsmitglieder, deren Positionen nicht unterschiedlicher hätten sein können. Während Grey für den Fall der britischen Neutralität sein Ausscheiden aus der Regierung ankündigte, trat Burns zurück, weil England intervenierte.796 Bei genauerem Hinsehen könnte sogar vermutet werden, daß die Menschen mehr gegen eine Intervention waren: Grey war derjenige, der bei allen Hinweisen auf die Freundschaft mit Frankreich immer wieder das Fehlen jeglicher Bündnisverpflichtungen betont hatte. Burns war ein bekannter Gegner der Intervention. Der Jubel der Menschen ist deshalb höchstens als Loyalitätsbekundung gegenüber der Regierung zu verstehen. Von einer großen Anzahl von Menschen auf Kriegsbegeisterung zu schließen, ist ohnehin nicht zulässig. Hinzu kommen vielfaltige Stellungnahmen gegen die Intervention, für die englische Neutralität. Von einer allgemeinen Kriegsbegeisterung in England vor dem Krieg kann nicht gesprochen werden.797 Wie Sösemann bereits für einige ausgewählte Zeitungen festgestellt hat798, gab es also in der britischen Presse nichts, was einer allgemeinen umfassenden Kriegsbegeisterung nahe gekommen wäre, auch wenn es zahlreiche zustimmende Äußerungen gegeben haben mag.799 Gerade die britischen Politiker standen bis in den August hinein eben nicht unter einem unwiderstehlichen Druck der veröffentlichten Meinung.
7. Die Beeinflussung der britischen Presse in der Julikrise 1914 7.1 E i n f ü h r u n g Wie bereits gezeigt, legte die britische Presse sehr großen Wert auf ihre unabhängige Berichterstattung. Dies bedeutet jedoch nicht, daß es im Europa der Vorkriegszeit keine Versuche gegeben hätte, auf Zeitungen des eigenen Landes oder die anderer Staaten
794
Vgl. Lloyd George, War Memoirs, Bd. 1, S. 39, Schröder, England, S. 206. Sketch, 3.8.1914, S. 4. 796 Vgl. Telegraph, 4.8.1914, S. 7. 797 Vgl. hierzu die Untersuchung Sösemanns, Medien, S. 194, 225. 798 Vgl. Sösemann, Medien, S. 225f, Reinermann, Kaiser, S. 439. 799 Vgl. Joll, Ursprünge, S. 285. 795
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Einfluß zu nehmen. Bekannt sind beispielsweise die engen Verbindungen Bismarcks zur Norddeutschen Allgemeinen Zeitung800 und auch zur Kölnischen Zeitung*0* Außerhalb des deutschen Machtbereichs betonte Skrivan die Bestechlichkeit der französischen Presse.802 Dies ging nach Ansicht des österreichischen Botschafters so weit, daß er selbst nur schwer einwirken könne, da die finanziellen Aufwendungen Rußlands so hoch seien.803 Die Selbstperzeption völliger Unabhängigkeit der britischen Presse ist dabei nicht mit dem Fehlen jeglicher Verbindungen zwischen Journalisten und der Politik gleichzusetzen. So bemühte sich beispielsweise C.P. Scott vom Manchester Guardian während der 2. Marokkokrise um Kooperation mit der Regierung. Nach Kontakten mit Außenminister Grey, Premier Asquith und dem Chancellor of the Exchequer, Lloyd George, versprach er letzterem „not to write anything on the situation until he had seen him."804 Der ehemalige Premier Rosebery appellierte im April 1913 vor dem Presseclub an die Vernunft der Journalisten: „You [...] have a power more than any other body of men to promote or avert the horrors of war."805 Sehr weit ging die Freiheit der Presse bei der (Nicht-)Annahme von Bestechungsgeldern. Wie im folgenden zu zeigen sein wird, klagten ausländische Botschafter wiederholt, daß eine direkte Beeinflussung der Berichterstattung nur sehr schwer machbar sei. Dennoch waren die Kontakte der Journalisten auch für das Zustandekommen der Artikel in der Julikrise von großer Bedeutung. Um die Auswirkungen auf die Krise selbst zu zeigen, soll an dieser Stelle dargelegt werden, inwieweit von welcher Seite mit welchem Erfolg versucht wurde, auf die Presse einzuwirken. Problematisch für diesen Aspekt der Arbeit war die Quellenlage. Besonders der Umfang schriftlicher Überlieferungen für die entscheidende Zeitspanne ließ sehr zu wünschen übrig. Bestes Beispiel hierfür ist Lord Northcliffe. So ließ der allein in der British Library mit 244 Bänden erhaltene Nachlaß auf umfangreiches relevantes Material hoffen. Hinzu kommen Dokumente im Archiv der Times. Obwohl der Besitzer so großer Tageszeitungen wie Times, Daily Mail und Evening News eine ausführliche Korrespondenz mit Spitzenpolitikern, Staatsbediensteten, Journalisten und Zeitungseigentümern pflegte, konnten für die Julikrise nur wenig aufschlußreiche Aufzeichnungen nachgewiesen werden. Dies gilt im wesentlichen auch für die anderen beteiligten Personen. Trotz der Tragweite der herannahenden Krise finden sich nur wenige schriftliche Äuße-
800
Vgl. Wilke, Medienpolitik, S. 149-151. Vgl. Pflanze, Otto: Bismarck, Band 2, Der Reichskanzler, München 1998, S. 528. 802 Vgl. Skrivan, Partner, S. lOlf, S. 309, Fay, Vorkriegspresse, S. 420,435f. 803 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10220 vom 12.7.1914 (eingeg. 15.7.1914), S. 411, Privatschreiben von Szdcsen aus Paris. 804 Hammond, John: C. P. Scott, 1846-1932, in: Muller, Frederick (Hg.): C. P. Scott, 1846-1932. The Making of the „Manchester Guardian", London 1946/ND 1974, S. 31 -74, hier S. 47. 805 Zitiert in Gebele, Probleme, S. VI. 401
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rangen. Selbst im Nachlaß Lloyd Georges806 tauchen zur Presse kaum relevante Aufzeichnungen auf. Dies kann vielfältige Ursachen haben. Eine Erklärung ist die Ablenkung der Entscheidungsträger durch die Krise in Irland. Diese absorbierte einen großen Teil der Aufmerksamkeit. Deshalb erscheint es plausibel, daß aufgrund der Plötzlichkeit der Ereignisse in Europa die diesbezüglichen Entscheidungen sehr schnell getroffen werden mußten und deshalb mündlich zustande kamen. Dies wurde durch unmittelbare Nähe des Londoner Regierungsviertels mit der Fleet Street, dem Sitz vieler Zeitungen, begünstigt. Hinzu kommt, daß sich das Telefon zunehmender Beliebtheit erfreute und eine schnellere Kommunikation ermöglichte.807 Auch dies verringert den Umfang schriftlicher Aufzeichnungen. Dadurch wird jedoch nicht erklärt, warum auch in Memoiren kaum verwertbares Material zu finden ist. Dabei ist es nicht wie beispielsweise in Bismarcks Erinnerungen808, daß nur politische Gegner durch Nichterwähnung mißachtet werden. Auch befreundete Journalisten kommen in den Memoiren britischer Politiker kaum vor. Dies ist auch umgekehrt zu beobachten. Die Journalisten verzichteten in ihren Memoiren häufig sogar auf die Veröffentlichung von Kontakten, die in ihren privaten Aufzeichnungen nachweisbar sind. Eine positive Ausnahme stellt hier Steed dar, der umfassend auf seine Aktivitäten während der Julikrise einging.809 Aufgrund der Gesamtlage drängt sich jedoch der Schluß auf, daß die engen Beziehungen zwischen Politik und Presse in den Publikationen bewußt wenig thematisiert wurden. Der Hauptgrund liegt in der Aufrechterhaltung des Bildes einer unabhängigen Presse.
7.2 Maßnahmen der Interventionisten Versuche, auf die Meinung in Großbritannien Einfluß zu nehmen, sind auf verschiedene Art erfolgt. Beispielsweise richteten deutsche und österreichische Zeitungen ihre Berichterstattung auch an das Ausland, um die Interessen ihres Landes zu fordern. Durch eine möglichst überzeugende Argumentation sollte versucht werden, die eigene Sache plausibel zu machen. Dabei ist darauf zu achten, daß der Leserkreis deutschsprachiger Zeitungen in Großbritannien sehr niedrig gewesen sein muß. Wenn überhaupt, beschränkte sich dieser auf das Bildungsbürgertum, das diese Blätter nicht nur lesen, sondern auch bezahlen konnte. Darüber hinaus erreichten die Meinungen ausländischer Zeitungen britische Leser durch die Wiedergabe von Fremdartikeln. Hierbei erfolgte ein Selektionsprozeß durch 806
Vgl. HLRO/Lloyd George Papers. Vgl. CU, CAC, GLLD 8/6, Cockerell an George Lloyd am 1.8.1914. 808 Vgl. Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Drei Bände in einem Band, Stuttgart, Berlin 1928. 809 Vgl. Steed, Thirty Years. 807
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die Redaktion. Leicht konnte dafür gesorgt werden, daß die in Übersetzung abgedruckten Artikel entweder der eigenen Sicht entsprachen oder durch Kommentare deren Argumentation widerlegt wurde. Ohne eindeutige Trennungslinien feststellen zu können, ist es dabei auffallig, daß die liberalen Zeitungen eher zur Wiedergabe deutscher Artikel neigten. Umgekehrt beriefen sich die Northcliffe-Blätter vor allem auf Frankreich. 810 Zu erklären ist dies mit dem engen Kontakt, den beispielsweise der französische Botschafter in London, Paul Cambon, mit Henry Wickham Steed, dem Auslandsredakteur der Times, hatte. 811 Steed wurde in Paris so hoch eingeschätzt, daß er bereits am 31. Juli die Mitteilung von der für den folgenden Tag anstehenden französischen Mobilmachung erhielt. Bedingung war lediglich, daß diese Information nicht vorzeitig an französische Zeitungen weitergegeben wurde. 812 Darüber hinaus berichtet der Daily Λ/α/7-Redakteur Clarke, daß der Londoner Korrespondent des Figaro, Coudourier de Chassigne, direkt um Unterstützung für sein Land bat: „Cannot Lord Northcliffe and the Mail do something?" 813 Da dies ohnehin der Meinung des Pressebarons entsprach, rannte der Franzose offene Türen ein. Doch nicht nur mit der Times kommunizierte die französische Regierung auf diesem Wege. Mindestens ein Mal traf sich Cambon auch mit dem Herausgeber der Westminster Gazette.8I4 Auch der russische Botschafter zählte zu den Kontaktpersonen der Times in der Julikrise. Benckendorff beschwerte sich noch am frühen Abend des 1. August über die Haltung der britischen Regierung: „'We have not been able to get the faintest indication of your Government's attitude,' he said, 'not as much as that,' and he snapped his fingers with an expressive gesture." 815 Am Mittag des folgenden Tages äußerte sich Cambon ganz ähnlich. 816 Schon am 25. Juli hatte der Botschafter aus St. Petersburg gemeldet, daß der russische Außenminister Sazonow sehr besorgt über die Haltung der britischen Presse sei: „With the exception of the ,Times,' nearly the whole of English press was on the side of Austria" 817 . Die Bedeutung dieser Gespräche Steeds wird dadurch um so größer, daß er während eines großen Teils der Krise die Geschicke der Zeitung leitete. Dies lag daran, daß sowohl der Besitzer als auch der Herausgeber nicht zur Verfügung standen. 818 Northcliffe befand sich wegen der vermeintlich besorgniserregenderen Situation in Irland. Dawson war ebenfalls abwesend und hatte zudem Ende Juli einen Verkehrsunfall, bei dem er ein 8,0
Vgl. Daily Mail, 25.7.1914, S. 6, 12.8.1914, S. 2; Times, 21.10.1913, S. 8, 3.1.1914, S. 8. Vgl. TNL Archive/HWS/2, Steed an Marlowe am 2.5.1931, Haie, Publicity, S. 462, Nicolson, Verschwörung, S. 432. 8,2 Vgl. PRO/F0800/94/516, Memorandum von Montgomery am 31.7.1914. 813 Clarke, Northcliffe Diary, S. 63f. 8I< Vgl. Spender, Life, Bd. 2, S. 14. 811
815
Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 12. Vgl. Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 13-15. 8,7 BDOW XI, Nr. 125 vom 25.7.1914, S. 94, Buchanan an Grey. 818 Vgl. TNL Archive/H WS/3, undatierte Aufzeichnung Steeds „My Experience of and Relations with Lord Northcliffe", ca. 1922, S. 19. 816
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Kind überfuhr: „I spent the whole of Thursday the 30th of July recovering my spirits in the country" 819 . Erst in den folgenden Tagen kümmerte er sich wieder mehr um die Zeitung. So bemängelte er am 31. Juli „that The Times was taking too purely European a view of the situation, and went in search of Grigg, who wrote me a splendid article for that night, pointing out how the 'Empire, and indeed the whole world, would be involved." Am folgenden Tag traf er sich mit dem konservativen Abgeordneten George Lloyd, der sich sehr für eine Intervention stark machte. Am 2. August sah er mehrmals Winston Churchill. Während Asquith versucht habe, sein Kabinett zusammenzuhalten, sei Churchill zweifellos bereit gewesen „to join A. J. B[alfour] in trying to form an alternative Government if things went wrong." Nach der Kabinettssitzung traf Dawson bei Churchill mit Grey zusammen. Dieser zeigte ihm „the pencil draft of the note which he was just sending to Cambon." Im Gegensatz zu den Hoffnungen Cambons lehnte Northcliffe die Anregungen von Baron Rothschild ab. Im Namen der englischen Finanzwelt versuchte der Bankier, ein Ende der interventionistischen Artikel zu erwirken.821 Damit erreichte er jedoch nichts. Im Gegenteil war man bei der Times ganz anderer Meinung: „It is a dirty German Jew trick to keep us neutral and to make England play the German game. The only proper answer is a stiffer article than ever tomorrow" 822 . Besonders empört war Steed über Rothschild „who seems to have imagined that the £70,000 mortgage he held on the P[rinting] H[ouse] S[quare] property entitled him to dictate to the Paper." 823 Der erneute Versuch des Barons, Northcliffe dazu zu bringen „to use his influence to keep England neutral" 824 scheiterte am folgenden Tag. Spätestens am 31. Juli begannen zwei konservative Parlamentarier aus der zweiten Reihe ihre Bemühungen um eine englische Intervention. George Lloyd, nicht zu verwechseln mit David Lloyd George, und Leopold Amery bezogen dabei auch die Presse in ihre Anstrengungen mit ein. Für Amery spielte dabei die belgische Neutralität keinerlei Rolle. Ihm ging es allein um die Gefahrdung Großbritanniens durch eine Niederlage Frankreichs. 825 Inwieweit die beiden auf Anordnung höherrangiger Konservativer handelten, konnte nicht nachgewiesen werden. Aufgrund der Hierarchie innerhalb der Partei ist eine Verknüpfung jedoch nicht auszuschließen. Am Telefon habe George Lloyd 819
TNL Archive/Dawson Papers, Photographs of Geoffrey Dawson Documents, 1905-1929 (Taken from Microfilm, Documents returned to Mrs Dawson in 1952), Robinson an Maxse, 13.8.1918, Unterstreichung aus dem Original übernommen, vgl. History of the Times, Bd. 1, S. 207. 820 TNL Archive/Dawson Papers, Photographs of Geoffrey Dawson Documents, 1905-1929 (Taken from Microfilm, Documents returned to Mrs Dawson in 1952), Robinson an Maxse, 13.8.1918. 821 Vgl. Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 8f, Ferguson, Pity, S. 195, Watt, Reactions, S. 246f. 822 TNL Archive/HWS/2, Steed an Marlowe am 2.5.1931. Ein etwas anderer Wortlaut findet sich bei Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 9. 823 TNL Archive/H WS/3, undatierte Aufzeichnung Steeds „My Experience of and Relations with Lord Northcliffe", ca. 1922, S. 21, vgl. TNL Archive/HWS/2, Steed an Marlowe am 2.5.1931. 824 Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 11, vgl. Pound/Harmsworth, Northcliffe, S. 463. 825 Vgl. Amery, Life, Bd. 2, S. 20.
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gefordert „that our own political leaders should voice even more definitely than they had done their readiness to support the Government in doing its duty [in standing] by France." Nach einem weiteren Gespräch, in dem Amery mitgeteilt wurde, „that the Government was absolutely rotten and in favour of betrayal all along the line", telefonierte er mit dem Herausgeber der Morning Post, Gwynne, „to urge him to write as strongly as he could" 827 . George Lloyd seinerseits machte sich in diesem Sinne auf den Weg zum Herausgeber der Times, Dawson. In Anbetracht der Vorbereitungen für die bevorstehenden Sonntagsblätter wurde am folgenden Tag der Herausgeber des Observer, Garvin, mit einbezogen „to write all he 030
could [...] to stiffen things" . Anschließend fand im Hause Lord Lansdownes ein Treffen statt, das Amery als „council of war" 829 bezeichnete. Anwesend waren unter anderem der ehemalige Außenminister Lansdowne, der Führer der konservativen Opposition, Bonar Law, und Henry Wilson, Verantwortlicher für die Mobilisierung eines britischen Expeditionskorps. Am 2. August begann sich bei Amery mehr Zuversicht einzustellen. Dabei konnte auf Informationen zurückgegriffen werden, die Dawson direkt von Churchill und Grey erhalten hatte. Hierauf wurde die Zufriedenheit darüber geäußert „that as a matter of fact things had taken a much more favourable tone between 5.0[sic!] and 6.30, that the rotten element in the Cabinet had been largely talked round. I went on to the Daily Express and saw Blumenfeld and then Gwynne at the Morning Post, both of whom confirmed the better turn of affairs" 830 . Die Kontakte blieben an den beiden folgenden Tagen bestehen. 831 Stolz schrieb die Frau George Lloyds ihrem Mann von der Anerkennung, die ihm Amery für seinen Einsatz zuteil werden ließ: „If England does the right thing, even at the eleventh hour, it will be largely owing to you, as Mr. Amery said when he left" 832 . Kurz vor dem Kriegseintritt Englands machte sich Amery dann für zwei weitere Punkte stark: „I went down to The Times office to stir up Dawson both on Kitchener and on the Expeditionary Force." 833 Nach Kriegsausbruch weitete Amery seine Aktivitäten zumindest auf Birmingham aus, wo er sich bei der Birmingham Daily Post engagierte. 834
826
Amery, Diaries, S. 103 vom 31.7.1914, vgl. Amery, Life, Bd. 2, S. 16. CU, CAC, AMEL 7/12, Eintrag vom 31.7.1914, Blatt 2, vgl. Amery, Diaries, Bd. 1, S. 103, Eintrag vom 31.7.1914 und Amery, Life, Bd. 2, S. 16. 828 CU, CAC, AMEL 7/12, Eintrag vom 1.8.1914, vgl. Amery, Diaries, Bd. 1, S. 104, Eintrag vom 1.8.1914, Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 7, Wilson, Henry: His Life and Diaries, hg. von Charles Callwell, 2 Bände, London, Toronto, Melbourne, u.a. 41927, Bd. 1, S. 153f. 829 Amery, Diaries, Bd. 1, S. 104, Eintrag vom 1.8.1914. 830 CU, CAC, AMEL 7/12, Eintrag vom 2.8.1914, vgl. Amery, Diaries, Bd. 1, S. 106, Eintrag vom 2.8.1914, Amery, Life, Bd. 2, S. 19. 831 Vgl. CU, CAC, AMEL 7/12, Eintrag vom 3.8.1914, Amery, Diaries, Bd. 1, S. 108, Eintrag vom 3.8.1914. 832 CU, CAC, GLLD 4/19, Lady Lloyd an George Lloyd am 1.8.1914. 833 Amery, Life, Bd. 2, S. 22 vom 3.8.1914. 834 Vgl. Amery, Life, Bd. 2, S. 25. 827
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Betont werden muß, daß auch innerhalb der Interventionisten-Gruppe der Konservativen und der Times keine absolute Einigkeit über die zu treffenden Maßnahmen herrschte. Erste Kritik äußerte Lord Milner. Er mißbilligte die Angriffe gegen den angeblich deutschfreundlichen Kriegsminister Haidane: „If it is necessary for good and effective patriotism to hate the nation to which your country happens to be opposed, I am afraid I don't possess that virtue." Für den Fall, daß die Regierung den anti-interventionistischen Strömungen des Landes nachgeben sollte, forderte Steed: „We must pull off our wigs and go bald-headed against the Government." Er war der Ansicht, daß selbst im Falle der Nicht-Intervention „we shall have preserved the dignity of The Times as a national institution and our influence will be doubled when, as is sure to happen, events compel us to make war in self-defence." 835 Den gegenteiligen Standpunkt nahm der Herausgeber der Daily Mail, Marlowe, ein: „ A t t a c k the Government in a moment of national crisis? Impossible! The country would never forgive us." 836 Da sich die Regierung kurz darauf zur Intervention entschloß, kam es diesbezüglich zu keinen weiteren Differenzen. Ebenfalls keine Einigkeit herrschte in den Redaktionen der Northcliffe-Gruppe hinsichtlich der Entsendung von Truppen nach Frankreich. Während Northcliffe zuerst strikt dagegen war - „Not a single soldier shall leave this country. Say so in the paper tomorrow." 837 - weigerte sich Thomas Marlowe, diesen Kurs zu verfolgen. Unter Rücktrittsdrohungen hätte eine „battle royal" zwischen diesem und Northcliffe stattgefunden, bei der sich letztlich Marlowe durchsetzte. Neben diesen Interventionsbefurwortern gab es auch Bemühungen um den Erhalt der britischen Neutralität. Einer der Unentschlossenen im Kabinett, Finanzminister David Lloyd George, sei in einer schwierigen Position gewesen: „He was bombarded with telegrams from friends like Scott of the Manchester Guardian, who had wired saying that any Liberal who supported the war would never be allowed by Liberals to enter another Liberal Cabinet." 838 Dem Leitartikel der Times bescheinigte er einen „monstrous character" 839 , weil er im Kriegsfall Frankreich und Rußland Unterstützung zusagte. In seinen Memoiren klagte ein Mitarbeiter Northcliffes, Tom Clarke, über die Anfeindungen, die sich Northcliffe von der liberalen Presse, besonders von der Daily News unter Gardiner, gefallen lassen mußte: „Even when the 1914 war came [...] the false prophets of Germany's peaceful aims could not, or would not, see how their German
835
Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 10. Fyfe, Northcliffe, S. 174. 837 Clarke, Northcliffe in History, S. 100, vgl. Clarke, Northcliffe Diary, S. 28, 65. Ferris, House of Northcliffe, S. 197. 838 Riddell, War Diary, S. 5, vgl. Hammond, C Ρ Scott of the Manchester Guardian, S. 180. 839 Scott, Diaries, S. 91 vom 27.7.1914, vgl BL, Mss., C.P. Scott Papers, Add. 50901/145 Memorandum zum 27.7.1914. Lloyd George habe gesagt: „As to the European situation there could be no question of our taking part in any war in the first instances." Siehe auch Morris, Radicalism, S. 387. 836
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'friends' had tricked and deceived them. There was no cessation of the vendetta against Northcliffe by the chronic pacifists." 840
7.3 Beeinflussungsversuche der Interventionsgegner Viel eher als auf den britischen Inseln selbst wurde die Bedeutung der dortigen Presse von den Regierungen in Berlin und Wien erkannt.841 Um den weiteren Verlauf der Krise zu beeinflussen, forderte der österreichische Außenminister Berchtold 842 bereits am 9. Juli seinen Botschafter in London dazu auf, „den ganzen großen gesellschaftlichen Einfluss, über den Euer Exzellenz in England verfügen, und das Gewicht Ihrer langjährigen freundschaftlichen Verbindungen sowie die privaten Beziehungen sämtlicher Herren der Botschaft und des Generalkonsulates aufzubieten, damit in der englischen Presse eine uns freundliche, Serbien abträgliche Stimmung erzeugt werde." Berchtold „rechne mit Bestimmtheit darauf, dass [sie!] es Euer Exzellenz gelingen wird, während der nächsten Wochen eine Pressecampagne in unserem Sinne zu unterhalten." 843 Im Falle von entstehenden Kosten solle deren Bewilligung telegraphisch beantragt werden. Als Folge dieser Anordnung traf sich schon wenig später der Wirtschaftsattache, Baron Franckenstein, mit dem Herausgeber der Westminster Gazette, Spender. 844 Er versicherte, daß das Attentat von Serbien ausgegangen sei und seine Regierung Wiedergutmachung fordern müsse: „He begged me, therefore, to use my influence in the Press and, so far as I could, with other newspapers, against encouraging the Serbians to resist. I assured him that if the Austrian Government could produce proofs of the complicity of the Serbs and made any reasonable demand for satisfaction, we should not only not encourage them to resist, we should advise them to give full satisfaction as speedily as possible." 845 Als der deutsche Diplomat Schubert in ähnlichem Sinne an ihn herangetreten sei, habe Spender den Ernst der Lage erkannt: „I thought the best thing I could do in the circumstances was to write in the sense in which I had spoken to Baron Francken840
Clarke, Northcliffe in History, S. 95. Vom Attentat auf Franz Ferdinand bis zum 9. Juli konnten zum Notenwechsel zwischen der Botschaft in London und Wien in der Aktensammlung zur österreichischen Außenpolitik nur zwei Dokumente nachgewiesen werden. 842 Anders als sein Biograph Hantsch 1955 annahm, sind zumindest noch Ausschnitte von Berchtolds Tagebüchern aus dem Jahr 1914 vorhanden. Sie sind im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien nachweisbar. Ihre Auswertung ergab keine weiteren Erkenntnisse. Die Vermutung, daß der Außenminister aus Furcht vor der Gestapo Teile seiner Aufzeichnungen vernichten ließ, ist dennoch nicht auszuschließen. Vgl. Hantsch, Hugo: Die Tagebücher und Memoiren des Grafen Leopold Berchtold, in: Südost-Forschungen 14 (1955), S. 205-215, hierS. 207. 841
843
ÖUAP 8, Nr. 10158 vom 9.7.1914, S. 382, Berchtold nach London (und in ähnlichem Sinne an Paris). Aus Spenders Erinnerungen geht nicht eindeutig hervor, ob er sich bereits am 10.7., am 15.7. oder an beiden Tagen mit Franckenstein traf. Dies spielt für seine Berichterstattung jedoch keine wesentliche Rolle. 845 Spender, Life, Bd. 2, S. 9. 844
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stein and Baron Schubert, and this I did on July 17th."846 Kurz nach den Gesprächen bedankte er sich bei den Österreichern für die Zusammenarbeit: „I am greatly obliged to you for providing me with so much useful material.... I am on the watch, and you may rely upon me to do my utmost to deal fairly with the situation."847 Nach dem Erscheinen des Artikels berichtete Spender: „For this I received warm thanks from MensdorfT and Franckenstein who said it was exactly what they wanted."848 Tatsächlich fand der Artikel die volle Zustimmung des Botschafters.849 Bei einem späteren Gespräch zwischen Spender und Grey versicherte der Außenminister, er habe sich den Diplomaten gegenüber im selben Sinne geäußert. Dies muß auf deutscher Seite den Eindruck von der Intimität zwischen Grey und Spender verstärkt haben. Trotz der umgehend getroffenen Maßnahmen warnte Mensdorff vor zu großen Erwartungen. In London Einfluß zu nehmen sei schwerer als anderswo.850 Daraufhin wiederholte Außenminister Berchtold die Wichtigkeit der Aufgabe des Botschafters. Bei zielbewußten und andauernden Bemühungen erwarte er sehr wohl Erfolg. Darüber hinaus versicherte er, in Wien werde alles getan, um auf die dortigen Korrespondenten einzuwirken.851 Neben der Westminster Gazette war die Times das Hauptziel der österreichischen Diplomatie. So meldete die Botschaft am 16. Juli das Erscheinen eines Leitartikels zur Lage auf dem Balkan.852 Nach einem Gespräch mit Steed sei dieser Bericht trotz einiger Belehrungen „viel günstiger als alles, was seit langem aus seiner Feder kam." 853 Nicht nur von der österreichischen Botschaft, sondern auch von der deutschen wurde dieser Artikel sehr positiv eingeschätzt. Lichnowsky warnte jedoch vor militärischen Mäßnahmen, die den Umschwung der öffentlichen Meinung gegen Österreich hervorrufen würden.854 Dem stimmte Jagow zwar zu, betonte aber zugleich, in England müsse getan werden, „was irgend möglich ist, daß sie [die öffentliche Meinung] sich nicht zu sehr für Serbien begeistert, denn von Sympathie und Antipathie bis zur Entfachung eines Weltbrandes ist doch noch ein weiter Weg."855 Der betroffene Redakteur der Times erinnerte sich in seinen Memoiren vollkommen anders. Erst am 18. Juli, nicht am 14., wie Mensdorff telegraphierte, habe er völlig überraschend eine Einladung zum Essen mit dem Botschafter erhalten: „Had the King 846
Spender, Life, Bd. 2, S. 10, vgl. Westminster Gazette, 17.7.1914, S. 1. Franckenstein, George: Facts and Features of my Life, London, Toronto, Melbourne u.a. 1939, S. 148. 848 BL, Mss., Spender Papers, Add. 43492/166, Aufzeichnungen Spenders vom August 1914, vgl. hierzu auch BL, Mss., Add. 43492/164-174. 849 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10336 vom 17.7.1914 (eingeg. am 20.7.1914), S. 480, Mensdorffaus London. Beilage zu Nr. 10336 vom 15.7.1914, Spender an Franckenstein. 850 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10180 vom 10.7.1914, S. 391, Mensdorffaus London. 851 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10203 vom 11.7.1914, S. 402, Berchtold nach London. 852 Vgl. Times, 16.7.1914, S. 9. 853 ÖUAP 8, Nr. 10304 vom 16.7.1914, S. 461, Mensdorffaus London, vgl. ÖUAP 8. Nr. 10335 vom 17.7.1914 (eingeg. am 20.7.1914), S. 477f, Mensdorffaus London. 854 Vgl. DDK 1, Nr. 55 vom 16.7.1914, S. 81f, Lichnowsky an AA. 855 DDK 1, Nr. 72 vom 18.7.1914, S. 100, Jagow an Lichnowsky. 847
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invited me to luncheon at Buckingham Palace I should have been less surprised." 856 Obwohl ihm MensdorfF seit 1904 bekannt gewesen sei, „I had never cultivated his acquaintance, nor had I ever called at the Austro-Hungarian Embassy." Da er sich über den Ernst der Lage nicht bewußt gewesen sei, habe er die Einladung mehrfach „foolishly" abgelehnt. Erst als die Botschaft nach drei Absagen weiter auf einen Besuch Steeds drängte, „I felt that there must be some imperative reason for Count Albert Mensdorff s persistence in the face of three rebuffs. Thus I lost three precious days, and have never ceased to regret it." 857 Der Botschafter habe ihn gebeten „to use your [Steed's] influence in the British press to make the position of Austria-Hungary in this crisis rightly understood." Serbien müsse bestraft werden: „[...] if The Times will give the lead, the rest of the press will follow, British public opinion will remain friendly to us, and the Offi
conflict may be localised." Steed habe daraufhin den Botschafter vor den Folgen eines Krieges für Österreich gewarnt. Die Versicherung von Mensdorff, er habe verläßliche Informationen, daß England neutral bleiben werde, bezweifelte er. Aufgrund des Gesprächs sei der Redakteur zu dem Ergebnis gekommen, daß Österreich mit deutscher Rückendeckung auf dem Balkan angreifen werde. Mit dieser Schlußfolgerung, sei er ins Foreign Office geeilt. Dort habe er auf die Frage nach Belegen geantwortet: „Mensdorff has invited me to luncheon." 859 Diese Begründung erschien dem Diplomaten Tyrell jedoch nicht ausreichend. Steeds Widerspruch folgte umgehend: „'To my mind that proves everything,' I said. 'Mensdorff would never have invited me to luncheon or talked as he has just talked unless he had been instructed to get hold of the British press through The Times [...]'" 86 °. Da auch dies nicht genügte, eilte Steed ins Times Office, um den am folgenden Tag zu veröffentlichenden Leitartikel „A Danger to Europe" 861 vorzubereiten. Obwohl es dagegen Proteste gab, zeigte sich Steed stolz,: „[...] it was thanks chiefly to them [the leading articles] that, when the crisis reached its height at the end of July, the British people knew broadly what was at stake and were, in some measure, prepared for the fateful choice awaiting them." Eigenartig an Steeds Ausführung ist, daß er sich erst nach dem 17. Juli erstmals mit Mensdorff getroffen haben wollte. Im Gegensatz dazu führt der österreichische Botschafter bereits den positiven Leitartikel vom 16. Juli auf ein Gespräch zwischen den beiden zurück. 863 Für diesen Widerspruch gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten. Auf der einen Seite könnte Mensdorff versucht haben, den Eindruck zu erwecken, er habe
856
Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 406. Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 406f. 858 Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 407. 859 Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 409, vgl. TNL Archive/HWS/2, Steed an Marlowe am 2.5.1931. 860 Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 409. 861 Times, 22.7.1914, S. 9, vgl. Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 410f. 862 Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 41 If. 863 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10304 vom 16.7.1914, Mensdorff aus London, ÖUAP 8, Nr. 10335 vom 17.7.1914 (eingeg. am 20.7.1914), S. 477f, Mensdorff aus London. 857
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persönlich mit Steed gesprochen. Damit hätte er den Bericht auf seinem Erfolgskonto verbuchen können. Gleichzeitig hätte er damit gezeigt, daß er die Anweisung aus Wien befolgte. Auf der anderen Seite steht die Möglichkeit, daß Steed sich nach dem Krieg nicht mehr genau erinnern wollte, wann er mit wem zusammengetroffen war. Gerade der österreichfreundliche Ton des genannten Artikels hätte zu diesem Zeitpunkt wenig Begeisterung hervorgerufen. Der Bericht hatte sowohl auf deutscher als auch auf österreichischer Seite den Eindruck erweckt, daß sogar die kritische Times den österreichischen Kurs nicht ablehnte, wenn auch nicht vollständig befürwortete. Nach Auswertung der einschlägigen Quellen steht mit Sicherheit fest, daß Steed in seinen Memoiren falsche Angaben machte. Er hatte in jedem Fall schon vor dem 17. Juli mit Botschaftsangehörigen gesprochen, darunter mit größter Wahrscheinlichkeit auch Mensdorff. Anschließend verfaßte er den genannten Artikel. Dies ist anhand der Datierung der Berichte aus London nach Wien zu belegen. So trägt die Nachricht Mensdorffs in der österreichischen Aktensammlung das Absendedatum 17. Juli, eingegangen drei Tage darauf. Die Kurzversion erreichte Wien bereits am 16. Juli. Um einen Druckfehler in der publizierten Version auszuschließen wurden auch die Originale im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv überprüft. Auch sie tragen die genannten Daten.864 Diese Angaben können nur dann falsch sein, wenn der Botschafter vorhergesehen hätte, daß es im weiteren Verlauf der Ereignisse für ihn persönlich von Vorteil sein würde, ein Gespräch mit dem Journalisten vorzutäuschen - und das in doppelter Ausführung. Da der katastrophale Fortgang der Geschehnisse jedoch noch nicht absehbar war, ist die Vorstellung vollkommen absurd, daß Mensdorff von einem Gespräch nach Wien berichtete, das nocht gar nicht stattgefunden hatte. Zudem machte sich der Botschafter auch in seinem Tagebuch eine kurze Notiz zum genannten Treffen. 865 Anders sieht es dagegen bei Steed aus, der seine Erinnerungen erst nach dem Krieg verfaßte. Bei ihm war nicht nur das Risiko eines Irrtums größer. Viel näher liegt, daß er bewußt falsche Angaben machte, um sich vor Anfeindungen wegen seines österreichfreundlichen Verhaltens zu schützen. Somit schlägt der Versuch der hausinternen Geschichtsschreibung der History of the Times fehl, die Richtigkeit von Steeds Memoiren zu belegen. Der dort postulierte, nachträgliche Datierungsfehler866, ist aufgrund der Quellenlage auszuschließen. Die drei wertvollen Tage, deren nutzloses Verstreichen Steed in seinen Memoiren bedauerte867, fehlten ihm nur in seiner manipulierten Erinnerung.
864
Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Bestand Politisches Archiv, Annex, Politische Telegramme K. 24, Mensdorff am 16.7.1914 und ebd., Bestand Presseleitung (Literarisches Bureau) K. 128 (=Englische Presse 1907-1918), Mensdorff am 17.7.1914.
865
Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Nachlaß Mensdorff, Eintrag vom 13.7.1914. Die Tatsache, daß Mensdorff bereits den 13. Juli als Zeitpunkt des Treffens notierte, kann als einfacher Datierungsfehler um einen Tag erklärt werden. Seine Glaubwürdigkeit leidet darunter nicht, da die Zusammenkunft für diesen Fall sogar noch früher stattgefunden hätte.
866 867
Vgl. History of the Times, Bd. 2, S. 106f. Vgl. Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 406f.
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Über Journalisten hinaus versuchte Mensdorff mit Hilfe ehemaliger Spitzenpolitiker indirekt, Zeitungen auf die Seite Österreich-Ungarns zu ziehen. So bat er Lord Lansdowne „etwas fur uns zu thun". 868 Auf die Bitte, in entsprechendem Sinne zu handeln, antwortete dieser, daß er sich bei der Times für Österreich stark gemacht habe. ExPremierminister Rosebery habe Verständnis für Österreich geäußert und wolle versuchen, auf die Presse einzuwirken. Bis Ende Juli wurde der Ballplatz in Wien über die englischen Presseäußerungen auf dem Laufenden gehalten. So sei der Leitartikel der 871 Morning Post ungünstig, der des Daily Graphic günstig ausgefallen. Mit der Nachricht über den „vorzüglichen" Leitartikel des Observer872 vom 26. Juli endet die Berichterstattung dazu. Schon lange vor dem Krieg hatte sich die deutsche Botschaft um Kontakte zur britischen Presse bemüht. Nach Steeds Angaben habe Kühlmann versucht „to ,rope me in'" 873 - ihn einzuwickeln. Nach seiner Einschätzung war der deutsche Botschaftsrat der eigentlich maßgebende Mann in London, nicht Lichnowsky. Durch Kühlmanns Bemühungen habe er bemerkt, „how many of the more important British journalists were already in Kühlmann's net and to guess the origin of many an apparently innocent but really envenomed criticism of France in English newspapers." Wie gut dessen Kenntnisse von der britischen Zeitungslandschaft waren, zeigt auch sein bereits mehrfach erwähntes Memorandum. 874 Diese Kontakte blieben auch in London nicht verborgen. Spender berichtet: „Northcliffe charged me with having been unduly intimate with Kühlmann, and seemed to suggest that there was something treasonable in our relations." 875 Wesentlich besser schildert Steed dagegen sein Verhältnis zu Lichnowsky, den er regelmäßig getroffen habe. 876 Etwas später als von österreichischer Seite setzten die Anweisungen des deutschen Auswärtigen Amtes ein. Erstmals wurde Lichnowsky am 12. Juli aufgefordert, „tunlichst auf die dortige Presse einzuwirken, dabei aber sorgfältig alles [zu] vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, als hetzten wir die Österreicher zum Kriege." Es solle eine Stimmung geschaffen werden, „die in dem Attentat [auf Franz Ferdinand] ebenso wie seiner Zeit in der Ermordung des serbischen Königspaares, den Ausfluß einer mit dem Kulturgewissen Europas unvereinbaren politischen Verbrechermoral sieht, und die es begreiflich erscheinen läßt, daß die Nachbarmonarchie sich gegen die-
868
Vgl. Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Nachlaß Mensdorff, Tagebucheintrag vom 13.7.1914. Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10335 vom 17.7.1914 (eingeg. am 20.7.1914), S. 477f, Mensdorff aus London. 870 Sitz des Österreich-ungarischen Außenministeriums. 871 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10456 vom 21.7.1914, S. 563, Mensdorff aus London. 872 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10735 vom 26.7.1914, S. 748, Mensdorff aus London. 873 Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 386. 874 Vgl. ΡAAA, London 1333, Kühlmann an Bethmann am 30.8.1912. 875 Spender, Life, Bd. 2, S. 5. 876 Vgl. Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 385-387. 869
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se dauernde Bedrohung von serbischer Seite zur Wehr setzt."877 Seinem Biographen zufolge habe Lichnowsky dies nur sehr widerwillig getan: „[...] perhaps he considered such a task beneath his princely dignity."878 Staatssekretär Jagow teilte am 14. Juli den Vertretungen in Rom und Bukarest mit, daß die gesamten Sympathien der europäischen Kulturwelt auf der Seite Österreichs sein müßten. Entsprechend sollte auf die Presse eingewirkt werden.879 Auf die Anfrage, ob Geldmittel benötigt würden und in welcher Höhe 880 , kam von Flotow aus Rom zunächst eine Absage: „[...] wegen hochsommerlicher Abwesenheit aller Vertrauens- und Mittelspersonen Geldverwendung erschwert."881 Erst am 25. Juli forderte er 30.000 bis 40.000 Mark an.882 Wichtig war ihm, auch auf die von Rom schwer zu erreichenden Zeitungen in Mailand einzuwirken.883 Flotows österreichischer Kollege, Merey, reagierte auf die Aufforderung Berchtolds zur Einflußnahme auf die Presse zurückhaltend. In Rom werde mit einer friedlichen Lösung des Konflikts am Balkan gerechnet. Für den Fall einer Einflußnahme befürchtete er, daß vorzeitig der Eindruck eines unmittelbar bevorstehenden Konflikts entstehen würde. Außerdem warnte er, daß noch nicht einmal die ins Auge gefaßten 50.000 Lire pro Zeitung den erhofften Erfolg garantieren könnten.884 Dennoch drängte Berchtold zum Handeln. Wenn es dem Botschafter angemessen erscheine, könnte auch mehr Geld zur Verfügung gestellt werden.885 Nochmals versuchte sich Merey rückzuversichern. Da ihm ein verläßlicher Mittelsmann fehle, „müßte ich dieses unsaubere und riskante Geschäft selbst besorgen, wozu noch kommt, daß hiesige Journalisten über Bestechungsbeträge grundsätzlich keine Quittungen ausstellen."886 Da er am Gelingen der Aktion zweifelte und keine Verantwortung für so hohe Summen übernehmen wollte, was zudem gegen seine Überzeugung sei, wollte M6rey, daß Berchtold das Risiko tragen sollte, falls sich das Unternehmen als nutzlos herausstellen sollte. Immerhin empfahl der Botschafter geeignete Wege, um den Geldtransfer nötigenfalls diskret durchführen zu RR7 können. Die österreichischen Versuche der Einflußnahme gelangten über den deutschen Botschafter in Wien auch an die Regierung in Berlin.888 877
DDK 1, Nr. 36 vom 12.7.1914, S. 57, Jagow an Lichnowsky, vgl. Lichnowsky, Abgrund, Bd. 1, S. 128f, Bd. 2, S. 237, ders., Mission, S. 28, siehe auch DDK 1, Nr. 44 vom 14.7.1914, S. 69, Jagow an die Vertretungen in Rom und Bukarest. 878 Willis. Edward: Prince Lichnowsky. Ambassador of Peace. A Study in Prewar Diplomacy 1912-1914, Berkeley, Los Angeles 1942, S. 237. 875 Vgl. DDK 1, Nr. 44 vom 14.7.1914, S. 69, Jagow an die Vertretungen in Rom und Bukarest. 880 Vgl. DDK 1, Nr. 47 vom 15.7.1914, S. 72, Jagow an Flotow in Rom. 881 DDK 1, Nr. 54 vom 16.7.1914, S. 81, Flotow an AA. 882 Vgl. DDK 1, Nr. 167 vom 25.7.1914, S. 180, Flotow an AA. 883 Vgl. DDK 1, Nr. 59 vom 17.7.1914, S. 86, Flotow an AA. 884 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10222 vom 12.7.1914, Merey aus Rom. 885 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10245 vom 13.7.1914, S. 433, Berchtold nach Rom. 886 ÖUAP 8, Nr. 10290 vom 15.7.1914, S. 455, Merey aus Rom. Die Bewilligung erfolgte am 16. Juli, vgl. ÖUAP 8, Nr. 10306 vom 16.7.1914, S. 462, Berchtold nach Rom. 887 Vgl. ÖUAP 8, Nr. 10290 vom 15.7.1914, S. 455, Merey aus Rom. 888 Vgl. DDK 1, Nr. 128 vom 22.7.1914, S. 147f, Tschirschky an Bethmann.
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Wesentlich deutlicher als der Österreicher warnte Lichnowsky vor seinen begrenzten Möglichkeiten. Er habe bereits versucht „vertraulich und vorsichtig Fühlung zu nehmen", verspreche sich aber „angesichts der bekannten Unabhängigkeit der hiesigen [englischen] Presse derartigen Einwirkungen gegenüber wenig Erfolg." Alle Serben auf eine Stufe mit den ägyptischen Arabern oder den mexikanischen Indianern zu stellen, werde sehr schwer. „So sehr man [...] eine unnachsichtige strafrechtliche Verfolgung der Mörder begreifen wird, so wenig, fürchte ich, wird die öffentliche Meinung dafür zu haben sein, daß man die Angelegenheit auf das politische Gebiet hinüberspielt und sie zum Ausgangspunkt militärischer Maßnahmen gegen ein Volk von Verbrechern QOQ
macht." Mehrmals kam es daraufhin zum Meinungsaustausch zwischen Lichnowsky und dem Außenminister. Dieser betonte wiederholt die Wichtigkeit der Aufgabe des Botschafters. 890 Zufrieden schätzte Lichnowsky den Artikel der Times vom 16. Juli 1914 als sehr serbienkritisch ein.891 Selbst der russische Botschafter sah den Leitartikel der Times „as an encouragement to Austria to take strong measures against Serbia." 892 Die Westminster Gazette vom 17. Juli habe die Lage ruhig und sachlich erörtert. Dabei verwies Lichnowsky auf das enge Verhältnis Spenders zu Grey. Er ging davon aus, „daß die Ansichten des Ministers dabei nicht ohne Einfluß gewesen seien, und daß meine wiederholten Besprechungen mit ihm dazu beigetragen haben, das Recht Österreichs auf Genugtuung zu berücksichtigen." 893 Die folgende Meldung, Grey habe dementiert, diesen Artikel veranlaßt zu haben 894 , mußte in der deutschen Hauptstadt nicht zwangsläufig geglaubt werden. Wer von der deutschen Botschaft außerdem kontaktiert wurde, konnte im einzelnen nicht verifiziert werden. Die Bemühungen setzten sich jedoch fort. So nahm der bekannte Reeder, Alfred Ballin, Kontakt zur Times auf. Über den Miteigentümer der Zeitung, Walter, den er erst vor kurzem bei den Kieler Wochen getroffen hatte, versuchte der Vertraute Wilhelms II. die Veröffentlichung der deutschen Sicht zu erreichen: „It must be stated again; Russia alone forces the war upon Europe. Russia alone must carry the full weight of responsibility." 895 Am 1. August griff sogar der deutsche Reichskanzler ein. An diesem Tag fand Spender ein persönliches Telegramm Bethmanns auf seinem Schreibtisch vor, „begging me to publish the following despatch which he had sent to Count Tschirschky" , in dem die friedlichen Absichten Deutschlands dokumentiert werden sollten.897 Einen Tag spä889
DDK 1, Nr. 43 vom 14.7.1914, S. 68f, Lichnowsky an AA. Vgl. DDK 1, Nr. 48, vom 15.7.1914, S. 73, Jagow an Lichnowsky, DDK 1, Nr. 52 vom 15.7.1914, S. 77f, Lichnowsky an AA, DDK 1, Nr. 55 vom 16.7.1914, S. 81f, DDK 1, Nr. 72 vom 18.7.1914, S. 100. 891 Vgl. Lichnowsky, Abgrund, Bd. 2, S. 240f, Lichnowsky an AA am 16.7.1914. 892 History of the Times, Bd. 1, S. 188. 893 DDK 1, Nr. 76 vom 17.7.1914, S. 103f, Lichnowsky an Bethmann. 89 " Vgl. DDK 1, Nr. 92 vom 20.7.1914, S. 117, Lichnowsky an Bethmann. 895 Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 18. 896 Spender, Life, Bd. 2, S. 15. 897 Vgl. DDK 2, Nr. 396 vom 30.7.1914, S. 125f, Bethmann an Tschirschky. 890
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ter drahtete Lichnowsky nach Berlin, es sei ihm bis dahin gelungen, eine für Deutschland freundliche Stimmung zu erhalten. Er warnte vor herausfordernden Aktionen. Es gebe aber in England keine Absichten, Deutschland den Krieg zu erklären. 898 Die österreichische Botschaft hatte sogar noch nach der englischen Kriegserklärung an Deutschland regen Kontakt zu britischen Journalisten. 899 Erst am 4. August meldete Lichnowsky: „Hiesige öffentliche Meinung nimmt seit gestern entschiedene Stellung gegen uns." 900 Ob für diesen Stimmungsumschwung eine massive Beeinflussung der Presse von Seiten der Regierung verantwortlich war, konnte aufgrund der dürftigen Quellenlage nicht festgestellt werden. In einer der wenigen diesbezüglichen Äußerungen teilte Asquith seiner Frau am 29. Juli mit: „We have arranged to see the representatives of the Press daily, so as to tell them what they may, and what they may not publish." 901 Angesichts der britischen Pressepolitik muß sich dies aber in erster Linie um militärische Informationen gehandelt haben, nicht um Meinungsäußerungen. Daß das Verhältnis der Presse zu führenden Politikern sehr eng war, zeigt der Anruf des englischen Generalstabschefs, John French, beim Herausgeber der News of the World, Lord Riddell, am Abend des 2. August. Ist es schon eigenartig, daß er sich bei einem Journalisten erkundigte, ob es Krieg geben werde, ob Großbritannien verwickelt werde und wer für diesen Fall das Oberkommando übernehmen werde, so ist es noch verwunderlicher, daß Riddell nur in den Speisesaal gehen mußte, um die gewünschte Auskunft zu erhalten. Von den dort anwesenden Politikern wurde mitgeteilt „that I [Riddell] thought we should be in the war, that we should send an army to the continent, and that he [French] would be in command." 902 Am besten lasse er sich gleich am folgenden Tag in 10 Downing Street sehen. Wie groß die Quellenproblematik bei der Untersuchung der Interaktionen zwischen Journalisten mit Politikern und Diplomaten ist, wurde bereits gezeigt. Dennoch konnte nachgewiesen werden, daß es eine Reihe von intimen Gesprächen gab, die sich direkt auf die veröffentlichten Artikel auswirkten. Bezüglich der britischen Intervention gilt dies sowohl für den zustimmenden Fall als auch für ablehnende Stimmen. Albertini geht sogar davon aus, daß noch der Artikel der Westminster Gazette vom 3. August auf das Einwirken Kühlmanns zurückführen ist.903 Fest steht zudem, daß sämtliche Gruppen versuchten, die anderen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dies gilt einmal für die Diplomaten Deutschlands und Österreichs, die auf diesem Weg dazu beitragen wollten, Großbritannien aus dem Krieg herauszuhalten. Britische Journalisten wollten ihrerseits diese Länder vor einem Krieg und der damit verbundenen englischen Intervention warnen. Außerdem sollten die eigene Regierung und die Bevölkerung darauf eingeschwo898
Vgl. DDK 3, Nr. 676 vom 2.8.1914, S. 146f, Lichnowsky an AA. Vgl. Franckenstein, Life, S. 161. 900 DDK 3, Nr. 732 vom 3.8.1914. S. 183, Lichnowsky an AA. 901 Asquith, Margot: The Autobiography, London 1962, S. 280f. 902 Riddell, War Diary, S. 6. 903 Vgl. Albertini, Origins, Bd. 3, S. 478. 899
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ren werden. Im Gegensatz dazu versuchten andere britische Journalisten, ihr Land neutral zu halten. Sollte der Krieg nicht lokalisiert werden können, sollte wenigstens das Vereinigte Königreich nicht durch die direkte Beteiligung in Mitleidenschaft gezogen werden. Im dritten Fall nutzten vor allem konservative Politiker ihren Einfluß dazu, auf Zeitungen einzuwirken, um die liberale Regierung zu beeinflussen. Dabei ist zu beachten, daß gerade die Northcliffe-Gruppe den Eindruck einer Majorität von Interventionsbefurwortern erweckte. In Wirklichkeit sind deren Artikel jedoch auf einen sehr kleinen Personenkreis zurückzufuhren. Selbst in der offiziellen Geschichte der Times wird betont, daß die Leitartikel in den letzten Vorkriegstagen „did not reflect official views; they did not reflect public opinion; they represented the convictions of The Times."904 Auffällig ist dabei, daß es gerade die radikal konservativen Zeitungen waren, die meinten, die liberale Regierung auf Kurs bringen zu müssen. In jedem Fall irrten sie sich, was die Entscheidungsträger Grey, Asquith und Churchill angeht: Times und Daily Mail „were pushing against a door that was not only unbarred but flung wide open." 905 Der Krieg stand vor der Tür.
904 905
History of the Times, Bd. 1, S. 206. Morris, Scaremongers, S. 381.
Kapitel 5: Der Erste Weltkrieg
1. Home Front - Journalismus im Krieg 1.1 Zensurpraxis Mit Beginn des Krieges stellte sich die Frage, wie die Presse mit der Informationsweitergabe umgehen sollte. Zentrales Problem war dabei der Zwiespalt zwischen offener Berichterstattung einerseits und militärischer Geheimhaltung andererseits. Traditionell genossen die britischen Zeitungen einen hohen Grad an Pressefreiheit. Wie der Burenkrieg mit den schweren Angriffen auf die Regierung gezeigt hatte, konnte dies auch im Kriegsfall gelten. Dennoch war es keineswegs so, daß militärische Informationen beliebig weitergegeben werden durften. Nach Ende der 2. Marokkokrise hatten sich militärische Führung und Presse im Joint Standing Committee darauf geeinigt, im Konfliktfall keine kriegswichtigen Informationen preiszugeben. Auch in der Julikrise hatten sich die Zeitungen an diese Abmachung gehalten. Dennoch gab es ein tiefes Mißtrauen des Militärs gegenüber der Presse und ihren Korrespondenten.1 Dieses Problem sollte mit der Einfuhrung der offiziellen Zensur Anfang August 1914 behoben werden. Die freiwillige Selbstbeschränkung sollte in offizielle Bahnen gelenkt werden. Zwei Hauptaufgaben wurden fortan dem Press Bureau zugewiesen. An erster Stelle stand: „The issue to the Press for publication of official war news and of other official communications directly or indirectly relating to the war." Die andere Funktion war: „The censorship of the Press, that is to say, the determination of what unofficial news may or may not be published and the passing or stopping of Press cablegrams."2 Das Press Bureau sollte demnach als Kommunikationsmittel zwischen der Regierung und der Presse dienen und zugleich die Verbreitung von Informationen verhindern, die dem Feind nützlich sein könnten. Politische Kritik sollte nicht zensiert werden.3
1
Vgl. Gibbs, Philip: Adventures in Journalism, London 1923, S. 230.
2
PRO/HO 139/17/66, Buckmaster am 26.10.1914, Notice to all Officers of the Press Bureau, vgl. Riddell,
3
Vgl. PRO/HO 139/17/66, Memorandum Buckmasters am 15.12.1914.
War Diary, S. 2.
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Um die vom Press Bureau herausgegebenen Informationen zu erhalten, mußten die Zeitungen eine entsprechende Genehmigung vorweisen. Fast alle hier untersuchten Zeitungen hatten diese Bewilligung erhalten.4 Bei unerwünschtem Verhalten einzelner Blätter konnte mit einem völligen oder zeitweisen Ausschluß vom Informationsstrang reagiert werden. Die Leitlinien für die Presse wurden im sogenannten Defence of the Realm Act, kurz DORA, zusammengefaßt, die im Detail immer wieder verändert wurden.5 Zudem wurde wöchentlich eine Pressekonferenz in den Räumen der Newspaper Proprietors' Association abgehalten.6 Die Zensurbestimmungen galten vom 6. August 1914 bis zum 20. April 1919. Dabei waren die Zeitungen nicht verpflichtet, jede Ausgabe dem Zensurbüro vorzulegen, auch wenn dies in Zweifelsfragen freiwillig gemacht wurde.7 Wie frei die Berichterstattung der Presse dabei sein konnte, zeigen die direkten Angriffe auf die Zensurbehörden. Schon am 28. August beschwerte sich die Irish Times darüber: „There is good reason to believe that the German advance has penetrated more deeply into France than the public has been authoritatively informed. If there is bad news, the public ought to have it. Nothing is to be gained by subjecting people to unnecessary anxiety."8 Northcliffe beschwerte sich im Dezember 1914 darüber, daß die Zeitungen „part and parcel of a foolish conspiracy to hide bad news"9 sein sollten. Reynolds 's Newspaper kritisierte, daß die Zensur dazu verwendet werde „to conceal the worst phases of the failure and to press on only glowing reports of minor successes"10. Die Admiralität berichtete: „A general complaint of the Newspaper representatives was, that there was a want of co-ordination amongst the censors."' 1 Der Herald12 forderte direkt: „Abolish the Press Bureau."13 Der Observer stimmte zu, daß dem Feind durch die Presse keine verwertbaren Informationen zukommen durften, aber „[...] the censorship must not so far repress the newspapers as to turn journalism into a compulsory process of deceiving the people."14 Selbstverständlich, so die 4
Vgl. PRO/HO 139/l/l-Part 1 vom 24.10.1914, vgl. Brief des Press Bureau an Freemaso's Chronicle vom 12.11.1914 und Verteilerliste des Press Bureau vom 1.12.1914. 5 Vgl. Cook, Press, S. 24-26. Lovelace, Colin: British Press Censorship during the First World War, in: Boyce, George/Curran, James/Wingate, Pauline (Hg.): Newspaper History from the seventeenth century to the present day, London 1978, S. 307-319, Anmerkungen auf S. 394-396, hier S. 312. 6 Vgl. Riddell, War Diary, S. 18. 7 Vgl. Riddell, War Diary, S. 16. 8 Irish Times, 28.8.1914, S. 4. 9 TNL Archive/NOR/1/2/58, Northcliffe an Murray am 1.12.1914. 10 Reynolds's, 7.11.1915, S. 1. " PRO/HO 139/6/22, Bericht des Admiralty, War Office and Press Committee Meetings am 21. und 24.8.1915. 12 Für den Daily Herald ist zu beachten, daß er seit der Ausgabe vom 3.10.1914 nur noch wöchentlich als The Herald erschien. In den Fußnoten sind diese beiden Bezeichnungen nicht mit dem Glasgow Herald zu verwechseln, der immer als solcher zitiert wird, da sich sein Name nicht änderte. "Herald, 20.3.1915, S. 9. 14 Observer, 21.2.1915, S. 8.
Der Erste Weltkrieg
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Evening News, müßten die Berichte der Kriegsberichterstatter zensiert werden, um dem Gegner keine Informationen preiszugeben.15 Dennoch wurde auch hier nicht mit Kritik gespart. Noch im Januar 1918 wurde bemängelt, daß „[...] we are still unable to grasp the principles on which that remarkable institution is run." Die Einrichtung leiste im großen und ganzen gute Arbeit „why it refuses to allow us to say so in detail we shall probably never discover. For the article is now Spurlos versenkt."16 Derartige Kritik an den Behörden zieht sich durch den gesamten Krieg. Sie wurden nicht oder kaum zensiert.17 Steed kritisiert noch in seinen Memoiren die DORA-Bestimmungen. Die Mehrheit der Minister „strangely underestimated the national capacity for discipline and 18 self-sacrifice." Damit wollte er zum Ausdruck bringen, daß die Moral der Bevölkerung auch bei wahrheitsgemäßer Berichterstattung nicht zusammengebrochen wäre. Daily Mail und Evening News erhoben sogar die offensive Anschuldigung „that the Government are 'feeding the Huns.'" 19 Zudem forderten die Zeitungen die Regierung auf: „Teil the Truth"20, beispielsweise die Daily Mail hinsichtlich der Schiffsverluste. Diese Artikel wurden nicht zensiert. Die Beschwerden der Journalisten über die Zensurpraxis werden beispielsweise durch den Umgang mit dem Untergang des Schlachtschiffes Audacious, das im Juli 1914 zur britischen Flottendelegation nach Kiel gehört hatte, deutlich.21 Nachdem es auf eine Mine gelaufen war, sank es als eines der ersten Großkampfschiffe der Royal Navy im Oktober 1914. Besorgt schrieb Asquith über den Ersten Lord der Admiralität, Churchill: „[...] he has suffered to-day a terrible calamity on the sea, which I dare not describe [...] it is known only to him & me, and for a long time will & must be kept secret."22 Nachdem die Angelegenheit doch im Kabinett diskutiert worden war, wurde beschlossen, diese nicht veröffentlichen zu lassen.23 Die Schwierigkeit bei der Geheimhaltung lag in diesem Fall darin, daß die Olympic, ein Schwesterschiff der Titanic, mit 1.000 Passagieren an Bord, versucht hatte, die Audacious in Schlepptau zu nehmen, bevor sie sank. Abgesehen von der Crew, die fast vollständig gerettet wurde, gab es also Hunderte von Augenzeugen. Bald nach dem Untergang wurden in amerikanischen Zeitungen Augenzeugenberichte der Passagiere der Olympic und von diesen aufgenommene Bilder des sinkenden Schiffs veröffentlicht. Beides durfte zum Ärger der britischen Zeitungen von diesen nicht publiziert werden.24 Der Grund für die Geheimhaltung lag darin, daß sich die deutsche Marinefuhrung trotz 15
Vgl. Evening News, 16.10.1915, S. 2. Evening News, 11.1.1918, S. 2. 17 Vgl. Times, 7.8.1917, S. 7, Rose, Political Censorship, S. 15. Zum Aufbau der Zensur vgl. ebd., S. 10-41. 18 Steed, 30 Years, Bd. 2, S. 77. 19 Star, 26.1.1916, S. 2. 20 Daily Mail, 1.5.1917, S. 4. 21 Vgl. Churchill, World Crisis, Bd. 1, S. 356. 22 Asquith, Letters, S. 287, Brief vom 27.10.1914. 23 Vgl. Asquith, Letters, S. 290, Brief vom 28.10.1914. 24 Vgl. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62208/80, Bullock an Northcliffe am 16.11.1914. 16
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dieser Bilder nicht sicher sein konnte, ob das Schiff tatsächlich gesunken oder nur beschädigt war. Um diese Unsicherheit zu verstärken, wurde zudem ein Schiff nach dem Vorbild der Audacious verkleidet. Immerhin drückte die Admiralität ihre Zufriedenheit über das Stillschweigen der Presse aus.25 Diese hatte die streng vertrauliche Mitteilung vom Untergang des Schiffes mit der Aufforderung erhalten, daß „[...] the Press are earnestly requested to treat this information as strictly confidential and to make no reference whatever by comment or otherwise to this loss and news agencies are requested not to circulate it."26 Vorzeitig vom Untergang erfahren hatte die Evening News. Sie stand im Verdacht, den Funkverkehr der Admiralität mitgehört zu haben. Entsprechend scharf wurde von der Regierung reagiert: „We told W.S.C[hurchill] to send for the Editor and say he would be court-martialled if he did not reveal the name of the correspondent."27 Deshalb wagte auch die Evening News keine Veröffentlichung. Umgehend protestierten die Pressevertreter über das Veröffentlichungsverbot. Sogar an den König und den Premier wandten sie sich 28 Alle Beschwerden halfen jedoch nichts. Erst nach Kriegsende wurden der Verlust des Schiffes und die Umstände offiziell bekanntgegeben. Mit einer gehörigen Portion Ironie titelte die Daily Mail: „An open secret revealed after four years."29 Dann gestand auch Cook vom Press Bureau die Absurdität der Geheimhaltung ein.30 Doch nicht nur, weil ihnen verboten wurde, Informationen zu veröffentlichen, die mehr als ein offenes Geheimnis waren, beschwerten sich Journalisten über die Informationspolitik der Militärs: „The lying from headquarters in France conceals a lamentable state of affairs." 31 Vor allem Northcliffe verstand die Aufklärung der Bevölkerung über die wahre Lage auch als Chance: „The real news will come as a great blow, but as a great incentive."32 Er rechnete nicht mit einem Zusammenbruch der Moral, sondern mit der Bereitschaft zu größeren Opfern. Um die Zensurbestimmungen zu umgehen, wandten sich die Journalisten sogar direkt an Politiker. So legte der Herausgeber der Daily Mail, Marlowe, Lloyd George einen zensierten Artikel vor. Daß Sätze wie „Thousands were killed largely through
25
Vgl. PRO/FO8OO/88/218, Admiralty Paper vom 4.12.1914. HLRO/BM/Buc. 1, Buckmaster am 28.10.1914. 27 Hobhouse, Charles: Inside Asquith's Cabinet. From the Diaries of Charles Hobhouse, hg. von Edward David, London 1977, S. 203, Eintrag vom 28.10.1914. 28 Vgl. HLRO/SP/S/13/15/16, Stamfordham an Strachey am 17.12.1914, Asquith, Letters, S. 295, Brief vom 29.10.1914. 29 Daily Mail, 15.11.1918, S. 4, vgl. Mirror, 15.11.1918, S. 4f; Daily News, 14.11.1918, S. 8; Lloyd's, 17.11.1918, S. 5. 30 Vgl. Cook, Press, S. 148f. 31 TNL Archive/WDM/2/120, Northcliffe an Derby am 24.2.1916. 32 BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62172/206, Northcliffe an Horby am 15.6.1915. 26
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lack of ammunition on our side" oder „They fought and they died for want of forethought"33 zensiert wurden, ist aus heutiger Sicht aber kaum überraschend.34 Die Zensurpraxis war dabei keineswegs stringent. So bedeutete der Genehmigungsstempel eines Zensors nicht automatisch die Druckfreigabe eines Artikels, sondern lediglich die Auslieferungsgenehmigung.35 Damit konnte auch im Nachhinein noch ein Verstoß gegen die Zensurauflagen festgestellt werden, wie beispielsweise bei der Veröffentlichung der Niederlage von Möns durch die Times, die die Zensur passiert hatte. Diese Methode ergab sich aus dem enormen Umfang des zu zensierenden Materials, das jeden Rahmen praktischer Kontrollmöglichkeiten sprengte. Deshalb mußte es sich von vornherein im wesentlichen um eine freiwillige Selbstzensur der Zeitungen handeln. Weniger die Androhung von Konsequenzen als patriotisches Pflichtbewußtsein sorgten dafür, daß die Zeitungen dem Feind von sich aus keine Informationen überlassen wollten.36 Zu Strafverfahren gegen Zeitungen kam es deshalb nur selten.37 Außerdem standen den Behörden andere effektive Repressionsmöglichkeiten zur Verfügung. So konnten die andauernde Papierknappheit und die Zuteilung der Ressourcen durch die Regierung einzelne Zeitungen zur Raison rufen. Auch die Informationsweitergabe durch das Press Bureau gehört hierher. Hatten die Zeitungen zu Kriegsbeginn noch von den rapide steigenden Auflagen profitiert, setzten bald erste Schwierigkeiten ein.38 So verteuerten sich die Zeitungen aufgrund des Papiermangels, auch wenn sie nach besten Möglichkeiten damit versorgt wurden: „It was announced this afternoon that the situation as regard to paper, is going to be even worse than we feared."39 Die Seitenzahl mußte verringert und das Format verkleinert werden.40 Im Februar 1915 befaßte sich die Führung der Times mit der sinkenden Nachfrage.41 Besonders die ohnehin schwachen sozialistischen Zeitungen litten unter den Folgen des Krieges. So mußte der Daily Citizen eingestellt werden, der Daily 33
HLRO/LGP/D/18/1/2-3. Marlowe an Lloyd George am 25.5.1915, vgl. HLRO/LGP/D/18/1/3 vom 28.5.1915 und HLRO/LGP/D/18/1/13-30-37, undatiert. 34 Vgl. auch Robbins, Keith: Foreign Policy, Government structure and public opinion, in: Hinsley, Francis (Hg.): British Foreign Policy under Sir Edward Grey, Cambridge, London, New York u.a. 1977, S. 533546, hier S. 543. 35 Vgl. Cook, Press, S. 35, 125. 36 Vgl. Cook, Press, S. 42, Hiley, Nicholas: The News Media and British Propaganda 1914-1918, in: Becker, Jean-Jaques/Audoin-Rouzeau, Stephane (Hg.): Les Societes europiennes et la guerre de 1914-1918. Actes du colloque orgnisö ä NanterTe et k Amiens du 8 aul 1 dicembre 1988, Nanterre 1990, S. 175-181, hier S. 179. 37 Vgl. Taylor, English History, S. 148, DeGroot, Gerard: Blighty. British Society in the Era of the Great War, London, New York 1996, S. 186, Hiley, News Media, S. 179. 38 Vgl. Steed, Press, S. 157. 39 BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62226/89, Evans an Northcliffe am 20.2.1918, vgl. HLRO/BP/BBK/H/43, Rider an Beaverbrook am 1.3.1918, Bainbridge, Cyril (Hg.): One hundred Years of Journalism. Social Aspects of the Press, Houndmills, Basingstoke, Hampshire u.a. 1984, S. 77. 40 Vgl. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62326/126, Manchester Courier an Northcliffe am 11.8.1914. 41 Vgl. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62245/3, Northcliffe an Robinson am 21.2.1915.
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Herald änderte wegen seines nur noch wöchentlichen Erscheinens seinen Namen in The Herald. Auch die Belegschaft wurde stark reduziert. Beispielweise entsandte allein die kleine Westerminster Gazette 90 Mann an die Front, von denen viele nie zurückkehrten.42 Kritik erregte nicht nur die Zensur an sich, sondern auch ihre Handhabung. So klagte der Daily Chronicle darüber, daß seine freiwillig eingereichten Artikel beschnitten würden, während andere Zeitungen vollkommen ohne Prüfung veröffentlichen könnten.43 Ohnehin wirkte die Zensurpraxis auf manchen lächerlich: „Anyone who troubles to follow the press communiques carefully will see that constantly news arrives of places being 'retaken' by British troops when no previous statement had been made of their having been lost."44 Die genauen Richtlinien für die Zeitungen konnten im Press Bureau Book of Instructions15 nachgelesen werden, das die Arbeit der Journalisten hinsichtlich der Zensurbestimmungen erleichtem und dirigieren sollte. So durften keinerlei Bewegungen von Truppen, deren Bezeichnung oder der Zustand der Einheiten erwähnt werden. Ebenso waren Meldungen über Operationspläne, Versorgungstransporte oder Reserven an Truppen und Material unzulässig. Auch Schiffsbewegungen durften nicht gemeldet werden.46 Ganz bewußt wurde auf die Kooperationsbereitschaft der Zeitungen gesetzt: „All newspapers and news agencies are invited to exercise on their own part the utmost care in considering whether any particular piece of news or comment can be directly or indirectly of assistance to the enemy. It is hoped that where news is plainly dangerous newspapers will assist the bureau by stopping it themselves."47 In den Richtlinien wurden auch Kleinigkeiten angesprochen. Beispielsweise wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Erlaubnis der Veröffentlichung einer Landungsoperation nicht zugleich bedeute, daß die Anmarschroute publiziert werden dürfe. Ebenfalls sollte der Aufenthalt namhafter Persönlichkeiten nicht preisgegeben werden, soweit sie sich in geheimer Mission befanden. Dabei war auch darauf zu achten, daß die Abwesenheit von Kabinettsmitgliedern in der Berichterstattung nicht aufzufallen hatte. Von Gefallenen durfte erst 30 Tage nach ihrem Tod berichtet werden. Der Ort des Geschehens hatte mit „in Flanders" oder „at the Dardanelles" möglichst vage zu bleiben. Ähnlich spezielle Regeln galten auch für Flugzeugabstürze48 oder die Wetterbeobachtung.49 Bei Un-
42 43 44 45 46 47 48 49
Vgl. Spender, Life, Bd. 2, S. 23. Vgl. Sanders/Taylor, Propaganda, S. 27. HLRO/BLP/35/2/22, Cox an Bonar Law am 12.11.1914. Vgl. PRO/HO 139/19/78, Press Bureau Book of Instructions vom 1.7.1915. Vgl. Cook, Press, S. 88. PRO/HO 139/19/78, Press Bureau Book of Instructions vom 1.7.1915, S. 1. Vgl. PRO/T 1. 12137/6751, Press Bureau am 6.6.1918, vgl. auch 4.9.1918. Vgl. PRO/T 1. 12137/6751, Serial No. D. 657, Press Bureau am 13.4.1918: „[...] it has now been decided that the publication of all weather reports must be prohibited".
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klarheiten wurden die Journalisten über die Hintergründe aufgeklärt. Beispielsweise könne eine zu detaillierte Beschreibung von Versenkungen durch deutsche U-Boote dem Gegner Informationen über die Fracht der Schiffe oder die Beeinträchtigung des britischen Überseehandels geben. 50 Bei der Betrachtung der Zensur ist also darauf zu achten, daß sich diese vor allem auf militärische Informationen bezog, weniger auf politische Inhalte. Außerdem waren die Zeitungen dazu angehalten, sich freiwillig an die Bestimmungen zu halten. Dies war nötig, da eine vollständige Überprüfung aller britischen Zeitungen durch eine Behörde kaum zu bewältigen war. Wie gut diese Kooperation funktionierte, wird durch die wenigen Strafverfahren gegen Zeitungen belegt.
1.2 Der tatsächliche Kenntnisstand der Journalisten Worüber die Zensurpraxis keine Auskunft gibt, ist das tatsächliche Wissen der Journalisten über das Kriegsgeschehen. Wegen des Mißtrauens der Militärs gegenüber der Presse und dem Monopol des Press Bureau auf offizielle Meldungen, liegt auf den ersten Blick die Vermutung nahe, daß die Zeitungen nur sehr begrenzt auf andere Informationen zurückgreifen konnten. Wie die vorangegangenen Kapitel jedoch gezeigt haben, pflegten die Journalisten enge Kontakte zu hochrangigen Politikern und Militärs. Besonders gute Beziehungen hatte beispielsweise der ehemalige Oberst Repington zu den aufeinanderfolgenden Oberbefehlshabem des britischen Expeditionskorps, John French und Douglas Haig.51 Repington war fast Dauergast bei Politikern und Befehlshabern, darunter auch die verbündeten Generäle Petain, Nivelle, Foch und Pershing. Auch der italienische König war sein Gastgeber. 52 Selbst die Daten für den Beginn bevorstehender Offensiven konnte Repington dadurch in Erfahrung bringen. 53 Ohne Beschönigung schrieb er in seinen Memoiren: „We obtained insignificant results at the cost of heavy loss." 54 Auch über die Verluste herrschte unter den Journalisten Klarheit. Dazu schrieb Northcliffe: „Our losses last year make up a shocking tale. I should not like to say how many men were thrown away at Passchendaele and Cambrai." 55 Von seinem Patenkind wurde Northcliffe über die Verhältnisse an der Front informiert: 980 seiner Kameraden seien gefallen, weil sie
50
Vgl. UL, BLPES, ARR, Lansbury Papers 7/203, Press Bureau am 29.7.1915 und ebd., 7/205 am 27.7.1915. 51 Vgl. History of the Times, Bd. 1, S. 274, Haig, Douglas: The Private Papers 1914-1919, hg. von Robert Blake, London 31952, S. 84, Eintrag vom 22.1.1915. 52 Vgl. Repington, War, Bd. 1, S. 157,263 und auch S. 31,46, 53, 170f, Bd. 2, S. 87. 53 Vgl. Repington, War, Bd. 1, S. 35. 54 Repington. War, Bd. 1, S. 36. 55 Zitiert in: Pound/Harmsworth, Northcliffe, S. 620, Northcliffe an Rothermere am 17.2.1918.
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ohne eigene Artillerieunterstützung angreifen mußten. 56 Northliffe antwortete darauf, daß der Zensor die Verlustzahlen nicht passieren lassen würde: „The public is not supposed to know the losses" 57 . Auch der Auslandskorrespondent des Manchester Guardian wußte Bescheid. Einer seiner Bekannten hatte ihm mitgeteilt, daß bei einem Angriff nur 38 von 3.000 Soldaten unversehrt geblieben seien. Sämtliche Offiziere seien entweder verwundet worden, ums Leben gekommen oder in Kriegsgefangenschaft geraten.58 Schon im Herbst 1914 hatte Gwynne von der Morning Post der Besitzerin der Zeitung seine Einschätzung über den Kriegsverlauf gegeben: „[...] we have certainly lost nearer 60,000 than 50,000 [men]. This out of our small Army is pretty heavy." 59 Den von der militärischen Führung gemachten Angaben glaubten die Journalisten dabei nicht zwangsläufig. So bezweifelte Repington die Angaben des Generals Charteris über deutsche Verluste an der Somme. 60 In einem Brief an Northcliffe brachte er seine Sicht der Dinge zum Ausdruck: „I do not agree that 'victory is assured'. It is only assured if our efforts are not only continued but increased." 61 Die Somme-Offensive habe mit den Franzosen zusammen fast 500.000 Opfer gefordert. Kurz darauf sah er sich in seiner Einschätzung bestätigt, als ihm Churchill ein Memorandum vorlegte: „It showed our heavy losses and the probably slight comparative losses of the Germans" 62 . Die Höhe der Verluste und die eigenen Besuche an der Front ermöglichten den Journalisten auch eine einigermaßen zutreffende Bewertung der Lage. So wurde die Frühjahrsschlacht Ende März 1918 als „the worst defeat in the history of the Army" 63 bezeichnet. Direkt von Lloyd George erhielt C.P. Scott die Information, daß die Bedingungen in Rußland „were far worse than supposed." Die Verluste hätten bereits sechs Millionen Mann erreicht, von denen ein Drittel in Gefangenschaft geraten sei.64 Auch die Folgen der russischen Revolution, „where the situation seems to grow more hopeless every day" 65 , waren absehbar. Nach dem Krieg gestand Spender ein, alles über die verschiedenen Offensiven gewußt zu haben: „[...] but nothing could be said about it in the papers." 66 Die Öffentlichkeit lese nur über Siege: „[...] the cost is concealed." 67
56
Vgl. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62282/172-173, Alfred Pemberton an Northcliffe am 3.6.1915. BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62282/174, Northcliffe an Pemberton am 6.6.1915. 58 Vgl. UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 2/4/11-13, Dell an Sharp am 7.11.1915. 59 Wilson, Rasp, S. 48, Gwynne an Lady Bathurst am 11.11.1914. 60 Vgl. Repington, War, Bd. 1, S. 259, Mosier, Myth, S. 240. 61 TNL Archive/BNS, Repington an Northcliffe am 17.10.1916. 62 Repington, War, Bd. 1, S. 294, Eintrag vom 1.8.1916. 63 Repington, War, Bd. 2, S. 257, Eintrag vom 27.3.1918. 64 Vgl. Scott, Diaries, S. 146, Eintrag vom 17.10.1915. 65 TNL Archive/GGD/1, Dawson an Northcliffe am 26.7.1917, vgl. bereits TNL Archive/HWS/1, Steed an Northcliffe am 4.5.1917. 66 Spender, Life, Bd. 2, S. 73, vgl. Repington, War, Bd. 1, S. 287,294, Churchill, World Crisis, Bd. 2, S. 1077. 67 Riddell, War Diary, S. 210, Eintrag vom 19.9.1916. 57
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Repington war also nicht der einzige, der sich aufgrund seiner persönlichen Beziehungen über das wahre Geschehen informieren konnte. Auf höchster Ebene korrespondierten die Journalisten mit Politikern. Diese nahmen dabei kein Blatt vor den Mund. So drückte Churchill seine Unzufriedenheit gegenüber C.P. Scott aus: „That we are QQI winning the war with our present methods is, I fear, undeniable. That we are in great danger of losing it is increasingly in evidence." Dabei ließ sich Churchill auch darüber aus, daß die Regierung in seinen Augen unfähig sei, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um den Krieg zu gewinnen:,Above all the 'will to conquer' is not there." 68 Auch Lord Riddell von der News of the World erörterte mit seinem Intimus Lloyd George und anderen Politikern, darunter ebenfalls Churchill, den Krieg.69 Zudem fungierte er als Verbindungsmann zwischen dem pressebewußten Lloyd George und den Journalisten.70 Dieser stand seinerseits mit zahlreichen weiteren Zeitungsbesitzern und Herausgebern auf vertrautem Fuße.71 Andere Kontakte bestanden beispielsweise zwischen Garvin und Admiral Fisher.72 Mit der Bitte, dies für sich zu behalten, schrieb der letztgenannte an Scott eine Einschätzung über Bonar Law: „He said three days ago that he was convinced I was 'mad'." 73 Scott beruhigte ihn daraufhin: „[...] we have not a few more madmen."74 Die Kontakte beschränkten sich dabei nicht auf die Beziehungen innerhalb der Hauptstadt. Trotz des anfanglichen Verbots von Kriegsberichterstattern an der Front konnten die meisten namhaften Zeitungsbesitzer und Herausgeber durch Besuche in den Kampfgebieten einen Eindruck von der Lage gewinnen. Auch mit Soldaten auf Heimaturlaub hatten die Journalisten Kontakt.75 Über Korrespondenten neutraler Länder versuchte Northcliffe direkt aus Deutschland Informationen zu erhalten.76 Bereits zum siebten Mal hielt sich Northcliffe im August 1916 an der Front auf. Dabei bekam er deutsche Kriegsgefangene zu Gesicht und bezeichnete die deutschen Stellungen als Festungen: „[...] it is ridiculous to speak of these vast underground strongholds as mere dug-outs".77 Später folgten weitere Reisen.78 Aufgrund seiner engen 68
MGA/334/91, Churchill an Scott am 2.4.1916, Hervorhebung im Original, vgl. MGA/334/61, Churchill an Scott am 19.11.1915, Scott, Diaries, S. 127,137,141,186-188,214,300,307, Churchill, Letters, S. 193, Winston an Clementine am 24.3.1916. 69 Vgl. Riddell, War Diary, S. 44, Eintrag vom 1.12.1914, S. 71, Eintrag vom 1.4.1915, S. 77, Eintrag vom 17.4.1915, S. 84, Eintrag vom 2.5.1915, S. 111, Eintrag vom 6.7.1915, S. 259, Eintrag vom 30.7.1917. 70 Vgl. Riddell, War Diary, S. 181, Eintrag vom 13.5.1916. " Vgl. Wilson, Rasp, S. 327. Zu nennen sind neben Riddell von der News of the World, Lord Bumham (Daily Telegraph), Henry Dalziel (Reynolds'[s] News), Lord Beaveibrook (Daily Express), Lord Rothermere (Daily Mirror), C.P. Scott (Manchester Guardian), Robert Donald (Daily Chronicle). 72 Vgl. CU, CAC, FISR 3/9/2498, Garvin an Fisher am 20.12.1915. 73 CU, CAC, FISR 3/13/2812, Fisher an Scott am 22.12.1916. 74 CU, CAC, FISR 3/13/2819, Scott an Fisher am 24.12.1916. 75 Vgl. Pound/Harmsworth, Northcliffe, S. 472. 76 Vgl. Pound/Harmsworth, Northcliffe, S. 505. 77 HLRO/LGP/E/2/21 /1 -1, Northcliffe an Lloyd George am 6.8.1916. 78 Vgl. Pound/Harmsworth, Northcliffe, S. 519.
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Verbundenheit zum Generalstab bot Northcliffe an „to put his whole press at [its] disposal"79. Dies ist unter anderem auf seine mehrmaligen Treffen mit Oberbefehlshaber Haig zurückzufuhren.80 Der wiederum bezeichnete Spender als „A charming fellow"81. Bei dessen Besichtigungstouren der Front von Ypem bis Verdun traf er unter anderem den französischen Spitzenpolitiker Clemenceau.82 Wenige Wochen nach Beginn der deutschen Offensive bei Verdun weilte auch Lord Burnham vom Daily Telegraph dort.83 Um die Kooperation der Journalisten zu sichern, wurden sie vorab über wichtige Ereignisse informiert, zugleich aber um Geheimhaltung gebeten. Dadurch sollte beispielsweise die Gefahrdung des Königs auf seinen Reisen verhindert werden.84 Nicht selten gab es Neid und Mißgunst über gute Kontakte der Presse zu politischen Gegnern und deren Bereitwilligkeit, interne Informationen weiterzugeben.85 Auch deshalb wurde bei der Weitergabe von Interna empfohlen, bei der Veröffentlichung unverfängliche Formulierungen wie „we have reason to believe"86 zu verwenden. Nicht ohne schlechtes Gewissen unterhielten sich die Journalisten über ihre zwiespältige Situation, die Wahrheit zu kennen, aber nicht verbreiten zu dürfen. So sagte Lord Rothermere: „We're telling lies, we know we're telling lies, we daren't tell the public the truth, that we're losing more officers than the Germans, and that it's impossible to get through on the Western Front."87 Nicht zu übersehen ist die Resignation in manchen Briefen. So schrieb der Pariser Korrespondent des Manchester Guardian, Robert Dell, an seine Tochter, daß eine Einstellung der Kämpfe für den Kriegsverlauf keine große Rolle spielen würde: „[...] it would be much more sensible and would come to the same thing in the end; except that there would be no more killed."88
1.3 Bilanz Eine große Anzahl von Journalisten wußte also bis ins Detail über die Zustände an der Front Bescheid. Nicht nur Verlustzahlen, Frontverlauf und Bedingungen waren ihnen bekannt, teilweise wurden sie schon vorab über den nächsten Angriffstermin informiert. Diese Intimität hatte bereits mit Kriegsausbruch begonnen, als Dawson es als „surely
79
Esher, Journals and Letters, Bd. 4, S. 58, Eintrag vom 17.10.1916. Vgl. Haig, Private Papers, S. 164f, Einträge vom 9.-11.9.1916. 81 Haig, Private Papers, S. 259f, Eintrag vom 11.10.1918. 82 Vgl. Spender, Life, Bd. 2, S. 24, 76. 83 Vgl. Bertie, Diary, Bd. 1, S. 349, Eintrag vom 24.5.1916. 84 Vgl. PRO/HO 139/27/110, Part 7, Anweisung des Press Bureau am 20.5.1918. 85 Vgl. Aitken, Politicians and the War, S. 323. 86 HLRO/BM/Brad. 8, Brade an Blumenfeld am 1.4.1916. 87 Masterman, Lucy: C. F. G. Masterman. A Biography, London, Edinburgh 1939/ND 1968, S. 296, vgl. Taylor, Selling Democracy, S. 1. 88 UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/4,16-17, Robert Dell an Sylvia Dell am 22.10.1915. 80
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the most extraordinary fact in modern history" bezeichntete, daß das britische Expeditionskorps die Insel verlassen konnte, ohne daß dies in den Zeitungen erwähnt wurde, obwohl die Journalisten Bescheid wußten. Eine ähnlich ambivalente und intensive Verknüpfung von Presse und Politik wurde auch für Deutschland und Frankreich festgestellt.90 Diese Kontakte erfüllten über freundschaftliche Verbindungen hinaus den Zweck, die Neugierde der Journalisten zu befriedigen. Ihr Drang nach Informationen konnte dadurch in geregelte Bahnen gelenkt werden. Die wichtigste Erkenntnis dieses Abschnitts ist, daß sich die Journalisten nicht an der Täuschung der Öffentlichkeit beteiligten, weil sie es nicht besser wußten, sondern gerade weil sie es besser wußten. Bis auf wenige Ausnahmen hätte auch in ihren Augen die Verbreitung der ganzen Wahrheit eine starke Gefährdung der Moral von Bevölkerung und kämpfender Truppe mit sich bringen können. Ganz anders sah dies auf dem zivilen Sektor aus. Hier waren die Zeitungen im Vergleich zu anderen kriegführenden Mächten in ihrer Berichterstattung relativ frei. Dies zeigt sich beispielsweise an der starken Agitation der Zeitungen, die 1916 zum Sturz des Premierministers Asquith beitrug. Eine Kontrolle der Presse von Seiten der Regierung war nur in Ansätzen möglich. Insgesamt betrachtet, konnte das Militär mit der Selbstbeschränkung der Presse zufrieden sein. Diese verhielt sich in den meisten Fällen absolut loyal zum Militär und den Bemühungen, den Krieg zu gewinnen91, wobei allerdings nur bedingt Einigkeit über die notwendige Vorgehensweise herrschte. So kam es weit mehr als in Friedenszeiten zu gegenseitigen schweren Beschuldigungen verschiedener Zeitungen. Der Star erhob die Klage: „The Northcliffe Press are trying to hustle Lord Kitchener into Conscription"92. In den Augen des Herald bestimmte Northcliffe sogar die Regierungspolitik: „There is to be a General Election in November. Lord Northcliffe has said it. Also Mr. Lloyd George has received his orders (not, as yet, his marching orders) from the same potentate."93 Bereits 1916 und 1917 hatte die Zeitung vor der Macht Northcliffes gewarnt. Er habe dafür gesorgt, daß Haidane und Simon ihre Posten hätten räumen müssen. Nun sei auch das Kabinett Asquith gefallen.94 Besonders für seine relativ offene Berichterstattung über den Krieg wurde Northcliffe als „Inner Enemy" bezeichnet: „The Harmsworth map boosts Germany higher than she has ever boosted herself." 95 Die Times und ihre Ableger „have done more damage to public opinion at home and to our national reputation abroad than all the blunders of the Censorship."96 In ähnlicher Form mit zum Teil
89
TNL Archive/GGD/1, Dawson an Child am 14.8.1914.
90
Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 325, Bavendamm, Spionage und Verrat, S. 8 0 , 1 4 4 , 1 4 8 , 1 7 7 , 2 6 5 .
91
Vgl. DeGroot, Blighty, S. 181.
92
Star, 28.5.1915, S. 4.
w
Herald, 27.7.1918, S. 5.
94
Vgl. Herald, 9.12.1916, S. 9, 24.11.1917, S. 9.
95
Star, 12.10.1915. S. 4.
96
Star, 4.11.1915, S. 2.
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etwas gemäßigterer Ausdrucksweise schlossen sich andere Zeitungen diesen Vorwürfen „„ 9 7 an. Wegen ihrer Angriffe auf Kriegsminister Kitchener kam es sogar zu öffentlichen Verbrennungen der Daily Mail. Die Zeitung verteidigte allerdings ihren Kurs: „We regret the fate of our poor Daily Mail, but are resigned to their martyrdom of our action results in increasing the supply of the right kind of shells at the front."98 Umgekehrt fuhren die Northcliffe-Blätter Angriffe gegen die „Hide-the-Truth newspapers throughout the country, from the Daily Telegraph down to the Daily News"99. Deren Haltung sei es „that no criticism of the Government is to be permitted."10° Auch intern gab es Diskussionen über die Auseinandersetzungen mit anderen Zeitungen. So sprach sich ein Mitarbeiter Northcliffes dagegen aus, daß die permanenten Angriffe der Daily News auf seine Person unbeantwortet blieben: „The time to pulverise it, and all the gang it represents, is when this country has been badly hammered, and begins to realise where it stands."101 Northcliffe zeigte sich allerdings wenig beeindruckt: „I do not in the least mind personal attacks nor do I care what the public think about me."102 Auf der Gegenseite empfahl Edward Cadbury dem Herausgeber der Daily News: „I feel now we must keep our eyes open for any further opportunity of exposing the Harmsworth press. I think they have, to some extent, put themselves in our hands, and especially in a few months' time, when people get tired of the war, we shall be able to rub in the responsibility of Northcliffe for it."103 Trotz dieser Querelen leisteten die Zeitungen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für die alliierten Kriegsanstrengungen. Diese waren ohnehin das oberste Ziel der Journalisten. Wie Steed in seinen Memoiren festhielt, waren sich er und Northcliffe über das letztendliche Ziel einig: „[...] how best to damage and defeat the enemy."104 Dies beschränkte sich aber keineswegs auf die Northcliffe-Gruppe. Ganz bewußt stellten sich auch diejenigen Zeitungen, die bis zum 4. August gegen die Intervention Stellung bezogen hatten, hinter den Kurs der Regierung.105 Die Irlandfrage, die noch eine gute Woche vorher die Berichterstattung dominiert hatte, wurde vollkommen verdrängt: „'To Hell with politics,' said Gwynne with savage brusquerie, 'I'm for the country.'"106 97
Vgl. Chronicle, 30.10.1915, S. 6, 1.12.1915, S. 6; Daily Express, 22.5.1915, S. 4; Daily News, 1.5.1915, S. 4. 98 Daily Mail, 31.5.1915, S. 4, Hervorhebung im Original. 99 Daily Mail, 28.12.1915, S. 4, Hervorhebung im Original. 100 Evening News, 25.4.1916, S. 2, Hervorhebung im Original. 101 BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62251/111, Fräser an Northcliffe am 5.12.1914, Hervorhebung im Original. 102 BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62251/114, Northcliffe an Fraser am 15.12.1914. 103 UL, BLPES, ARR, A. G. Gardiner Papers 1/7, Edward Cadbury an Gardiner am 7.12.1914. 104 Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 33. 105 Vgl. Reinermann, Kaiser, S. 443, DeGroot, Blighty, S. 180, Taylor, Trouble Makers, S. 133, Fyfe, Northcliffe, S. 189, 246, Gibbs, Adventures, S. 230. 106 Hutcheon, Gentlemen, S. 168.
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2. Die Darstellung des Krieges 2.1 Kriegsdauer Weit verbreitet ist die Sicht, wonach die Zeitgenossen mit einem schnellen Ende des Ersten Weltkrieges gerechnet hätten. Neben Kriegsminister Kitchener sei Lord Northcliffe einer der wenigen gewesen, die die wahren Ausmaße des bevorstehenden Krieges vorhergesehen hätten. Sein Redakteur Steed berichtet: „'This is going to be a long, long war,' he said to me on August 6 th ; and he held to his view against all arguments from people who were technically better qualified than he to form an opinion." 107 Diese Aussage ist insofern glaubwürdig, da Steed bekennt, er selbst habe noch nach der Marneschlacht mit einem Kriegsende im Frühjahr 1915 gerechnet. Die Sicht von der Erwartung einer schnellen Entscheidung wird auch in den Memoiren von Politikern und Journalisten 108 vertreten und einem weiten Spektrum der Literatur von James Joll bis A.J.P. Taylor geteilt.109 Auch Zeitungen verwiesen im Laufe des Krieges darauf: „There was, indeed, we think, a general belief that the fate of the world was to be settled within a few days, perhaps within a few hours of the outbreak of war." 110 Zeitgenössische Presseberichte ermöglichen die Überprüfung, inwieweit es sich dabei tatsächlich um eine „universale Annahme" 111 handelte. Tatsächlich gab es zu Kriegsbeginn große Hoffnung auf eine baldige Entscheidung. So wurde in der South Wales Daily News darauf verwiesen, daß die Finanzschwäche Deutschlands gar keine langfristigen Kriegsanstrengungen zulasse. 112 Zur Aufrechterhaltung dieser Hoffnung trugen auch die Äußerungen alliierter Politiker bei. So erwartete der französische Präsident Poincare Anfang 1915 das Kriegsende im Laufe des Jahres. 113 Steed von der Times war sich zwar nicht ganz sicher, hoffte aber zu diesem Zeitpunkt „that the worst should be over before the end of the summer" 114 . Darüber hinaus gab es eine Reihe von Zeitungen, die immer wieder die nahe Entscheidung erwarteten. In seiner gewohnt übertriebenen Art versichert John Bull im Mai 1915 das
107
Steed, Thirty Years, Bd. 2, S. 33, vgl. History of the Times, Bd. 1, S. 217f. Vgl. Aitken, Politicians and the War, S. 173, Blumenfeld, Diary, S. 246, Eintrag vom 29.7.1914. 109 Vgl. Joll, Ursprünge, S. 148, Baumgart, Imperialismus, S. 27, Kolko, Gabriel: Das Jahrhundert der Kriege, Frankfurt/Main 1999, S. 35, Ferro, Great War, S. 189,210, Robbins, Foreign Policy, S. 536, Winter, Jay: The Great War and the British People, Houndmills, Basingstoke, Hampshire u.a. 1987, S. 29, Taylor. Trouble Makers, S. 132. "" Daily Express, 4.8.1915. S. 4, vgl. Graphic, 4.8.1917, S. 4. 11 ' Hobson, Rolf: Maritimer Imperialismus. Seemachtideologie, seestrategisches Denken und der Tirpitzplan 1875 bis 1914, Oslo, München 2004, S. 55. 112 Vgl. South Wales Daily News, 18.8.1914, S. 4. 113 Vgl. South Wales Daily News, 2.1.1915, S. 5. 114 TNL Archive/HWS 1, Steed an Willison am 31.1.1915. 108
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baldige Ende: „It's nearly over [...] The End in Sight."115 Mit dem Eintreten einer neuen Lage, beispielsweise dem unbeschränkten U-Boot-Krieg durch Deutschland Anfang 1917, wurde angenommen, daß ,,[t]he last phase of the war"116 begonnen habe. Diese zuversichtlichen Stimmen beschränkten sich keineswegs auf Sensationszeitungen ä la John Bull. Auch der Observer zeigt sich überzeugt, daß, selbst wenn der Krieg nicht innerhalb des folgenden Jahres beendet sein sollte, „its issues, we venture to think, will be irrevocably decided before the end of that time."117 Auffällig ist dabei, daß diese Hoffnungen mit zunehmender Kriegsdauer vorsichtiger wurden. Zweieinhalb Jahre später war beim Observer keine Spur mehr von Zuversicht zu finden. Nicht einmal die Einschätzung Kitcheners habe sich als zutreffend erwiesen: „The three years are about over without bringing the Allies visibly nearer to their goal."118 Die Behauptung, nur Kitchener habe einen langen Krieg vorhergesagt119, ist allerdings stark verklärt. Beispielsweise hatte der Glasgow Herald schon am 17. August, also bevor die ersten schweren Kämpfe begannen, konkret gewarnt: „The war may be a long war, and it is necessary for us to be prepared to continue the struggle."120 Doch zwei Jahre später erinnerte sich die Zeitung nicht mehr an ihre eigene Stellungnahme. Mit der Ausnahme Lord Kitcheners habe kaum jemand mit einem langen Krieg gerechnet.121 Doch auch die Westerminster Gazette zweifelte an einem schnellen Kriegsende. Schon am 3. August 1914 schrieb sie: „There are some sanguine people who speak of this war being over in a few weeks. We have no faith in that forecast."122 Daraus leitete die Daily Mail die Forderung nach mehr Freiwilligen für die Armee ab: „There are thousands of men who have not joined the Army because they honestly believe that the war will be over before they can fire a shot."123 Diese Ansicht sei falsch. Anfang 1915 bremste die Birmingham Post124 die Hoffnung ihrer Leser: „No one is able to tell, even approximately, how long this war will last."125 Harsche Kritik übte der Daily Mirror im Mai an „the sky-blue vision of our dreamers"126. Mitnichten sei ein baldiges Ende zu erwarten. Dies sei allein schon daraus ersichtlich, daß Deutschland noch große Gebietsteile seiner Gegner besetzt halte. Schon bald nach Kriegsausbruch machte das Schreckgespenst des Abnutzungskrieges - „war of attrition"127 - die Runde 115
John Bull, 27.5.1916, S. 6. "'Irish Times, 2.2.1917, S. 4. "'Observer, 3.1.1915, S. 8. 118 Observer, 29.7.1917, S. 6. 119 Vgl. Irish Independent, 5.8.1918, S. 2; Graphic, 2.8.1915, S. 4; Star, 4.8.1917, S. 2. 120 Glasgow Herald, 17.8.1914, S. 6. 121 Vgl. Glasgow Herald, 4.8.1916, S. 8. 122 Westminster Gazette, 3.8.1914, S. 1. 123 Daily Mail, 9.11.1914, S. 4, vgl. Evening News, 15.12.1914, S. 4. 124 Die Birmingham Daily Post wurde während des Krieges in Birmingham Post umbenannt. 125 Β'ham Post, 5.2.1915, S. 6. 126 Mirror. 21.5.1915, S. 5. 127 Daily Express, 5.12.1914, S. 4.
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und implizierte damit eine lange Kriegsdauer. So hieß es in der Evening News im Mai 1915 „The right place for an Englishman who now talked of the total defeat of Germany by next month would be a lunatic asylum." 128 Ein Jahr später schrieb der Daily Graphic: „To assume that our enemy is already beaten, or nearly beaten, is palpably absurd. He is still able on the western front to meet attacks with counter-attacks" 129 . Northcliffe scheute sich dabei nicht, den Leichtsinn derjenigen Politiker anzuprangern, die mit einem schnellen Sieg rechneten. 130 Doch auch fuhrende Politiker hatten erkannt, daß nicht mit einem schnellen Ende zu rechnen war. Im privaten Kreis sagte Lloyd George im Mai 1915. „I fear that eighteen months or two years hence we shall be in just the same mess - trenches blown up - air raids - destroyers sunk. In fact, I am confident that the war will last a long time - perhaps three years." 131 Über zwei Jahre später rechnete Clemenceau mit zwei weiteren Jahren. 132 Wie schon zu Beginn erwies sich auch während des Kriegs die Westerminster Gazette als vorsichtig. So wurde die Dauer des Kriegs schon 1915 als von den Friedensbedingungen abhängig gesehen. 133 In Erinnerung an die Jahre zuvor warnte sie zu Neujahr 1918 vor weiteren falschen Vorhersagen. 134 Auf der anderen Seite gab es alljährliche Wiederholungen, die das Kriegsende noch vor Jahresfrist erwarteten: „Brag and falsehood cannot obscure the plain fact that the tide has turned decisively in favour of the Allies." 135 Deutsche Offensiven wurden mit Vorliebe als „the last desperate attack" dargestellt. Wie in diesem Fall bei Verdun, seien die eingesetzten Truppen „all that is left of the German armies." 136 Die Überschriften lauteten: „Confidence of Allied Victory in 1917."137 Notfalls tat man etwas überrascht über das Nichteintreten der eigenen Prophezeiung. 138 Wie in den Jahren zuvor hieß es auch 1918: „The optimists among us believe that the present year will witness the definite defeat of Germany and the end of the world-war" 139 . Immerhin hielt es der Glasgow Herald für möglich - aber auch nicht mehr - daß dem so sein könnte. Wegen der vielen irrigen Vorhersagen eines baldigen Kriegsendes wurde die Presse im Laufe der Zeit vorsichtiger. Aus heutiger Sicht scheint es klar, daß die deutsche Niederlage spätestens im Sommer 1918 besiegelt war. Aus zeitgenössischer Sicht präsentierte sich dies jedoch anders. So hatte Amery noch im Juni seine Befürchtung aus128
Evening News, 24.5.1915, S. 2.
129
Graphic, 7.8.1916, S. 4, vgl. Daily Mail, 7.10.1916, S. 4; Mirror, 9.11.1917, S. 5. Vgl. CU, CAC, FISR 3/7/2336-76, Northcliffe an Fisher am 24.2.1915.
150 131
Riddell, War Diary, S. 84, Eintrag vom 2.5.1915.
132
Vgl. Repington, War, Bd. 2, S. 74, Eintrag vom 6.10.1917. Vgl. Westminster Gazette, 13.2.1915, S. 1.
,33 134
Vgl. Westminster Gazette, 1.1.1918, S. 1.
135
Evening Express, 5.8.1916, S. 1.
136
Sketch, 26.2.1916, S. 5.
137
Reynolds's, 31.12.1916, S. 3, vgl. Scotsman, 12.1.1917, S. 4.
138
Vgl. Reynolds's, 18.11.1917, S. 1. Glasgow Herald, 10.1.1918, S. 4.
139
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gesprochen, daß für die Alliierten „there is now no reasonable prospect of their acquiring a definite military ascendancy over the Germans till the autumn of 1919 or spring of 1920."140 Nicht zuletzt aufgrund der engen Kontakte der Journalisten zu hohen Regierungskreisen mußte sich diese Sicht auch in den Zeitungen wiederfinden. So stellte der Daily Graphic am 3. August 1918 fest: „[...] the end is not yet in sight."141 Ende August 1918 hieß es: „[...] the Prussian is a fighter to the finger tip"142. Die Regenerationsfähigkeit der Kombattanten in Bürgerkriegen sei besonders groß „and this is Europe's civil war."143 Deshalb sei eine Vorhersage der Kriegsdauer nicht möglich. Der Herald war sich nicht sicher, ob es nicht „A Seven Years' War?" 144 werden würde. Der Daily Mirror stellte fest: „Many of us believe that the end is by no means near"145. Diese Befürchtung wurde sogar noch im September 1918 wiederholt.146 Erst im Herbst 1918 mehrten sich die Stimmen, die von einem baldigen Sieg überzeugt waren. Dabei ist jedoch zu betonen, daß sich diese Meldungen zunächst kaum von Verlautbarungen aus den Jahren 1916 und 1917 unterschieden, die irrtümlicherweise das baldige Kriegsende angekündigt hatten. Meldungen wie „The worst is over"147, „peace is in sight"148 oder „The Turn of the Tide"149 waren, wie erläutert, bereits während der gesamten Kriegsdauer in der einen oder anderen Form gängig. Dennoch stellte sich spätestens mit Ende September 1918 eine Änderung des Tonfalls ein: „Germany's collapse may be nearer than we have thought"150. Dies wird am Beispiel der Westerminster Gazette klar. Aufgrund ihrer vorsichtigen - und weitestgehend zutreffenden Äußerung über die Kriegsdauer gewinnen ihre veränderten Einschätzungen im Spätsommer 1918 an Gewicht. Im Unterschied zu anderen Zeitungen, deren Berichte sich kaum von den Jahren zuvor unterschieden, wagte sie es jetzt, offen vom bevorstehenden Sieg zu sprechen.151 Erst im November 1918 hatte sich dann die Gewißheit des Sieges eingestellt: „Probably we are writing for the last time of the military side of a war in being."152 Hinsichtlich der Kriegsdauer konkurrierten somit zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Meinungen. Auf der einen Seite standen die permanenten Wiederholungen
140
CU, CAC, CHAR/27/054/1 -19, Amery an Churchill am 19.6.1918, Memorandum on War Aims and Military Policy vom 19.06.1918. 141 Graphic, 3.8.1918, S. 2. 142 Cambria Daily Leader, 30.8.1918, S. 2. 143 South Wales Daily News, 3.8.1918, S. 4. 144 Herald, 17.8.1918. S. 5. 145 Mirror, 6.8.1918, S. 6. 146 Vgl. Mirror, 19.9.1918, S. 6. 147 Cambria Daily Leader, 12.9.1918, S. l,vgl. Daily News, 13.9.1918, S. 4. 148 Yorkshire Post, 14.10.1918, S. 4, vgl. Reynolds's, 6.10.1918, S. 1. 149 Star, 3.8.1918, S. 2. 150 Glasgow Herald, 28.9.1918, S. 4. 151 Vgl. Westminster Gazette, 4.9.1918, S. 1. 152 Cambria Daily Leader, 9.11.1918, S. 2.
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der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende. Mit dieser Aussicht sollte die Bevölkerung für immer neue Kriegsanstrengungen mobilisiert werden. Dabei sollten auch diejenigen mit einbezogen werden, die bis zum jeweiligen Zeitpunkt noch nicht durch besonderes Engagement für die Sache der Alliierten aufgefallen waren. Ihnen wurde suggeriert, daß sie noch im letzten Moment auf den sich dem Ziel nähernden „Zug des Sieges" aufspringen könnten. Auf der anderen Seite standen die Warnungen vor einem langanhaltenden Konflikt. In Verbindung mit der Verbreitung von Siegeszuversicht sollte die Moral der Bevölkerung aufrechterhalten werden. Die Bedrohung durch den Feind sei zwar groß, der Sieg bei entsprechender Opferbereitschaft aber gewiß. Bei genauerer Betrachtung sind diese eigentlich gegensätzlichen Ansichten den Umständen des Krieges hervorragend angepaßt. Die Zeitungen wanderten auf einem schmalen Grat zwischen einem kurzfristigen, vermeintlich letzten Aufbäumen für den Sieg und einer andauernden Kraftanstrengung. Im Idealfall sollte dabei das Erste in das Zweite übergehen. Bei aller Widersprüchlichkeit gibt der Erfolg dieser Taktik recht. Zu beachten ist dabei, daß es keineswegs nur Stimmen gab, die ein baldiges Kriegsende erwarteten. Wie Förster schon für den deutschen Generalstab gezeigt hat153, gab es auch unter den britischen Zeitungen Stimmen, die vor einem langen Abnutzungskrieg warnten. Dies stellte sich nicht erst im Laufe des Krieges ein, sondern verstärkte sich in dieser Zeit. Doch auch schon zu Kriegsbeginn gab es zahlreiche Befürchtungen - eben nicht nur von Kitchener und Northcliffe.154
2.2 „The Great War" - „The World War"? In seinen Memoiren brüstet sich der Journalist Repington, die Bezeichnung „The First World War·" für den militärischen Konflikt zwischen 1914 und 1918 geprägt zu haben.155 Entsprechend lautet auch der Titel seiner Erinnerungen. Während die Auseinandersetzung heute besonders in Deutschland als der Erste Weltkrieg bekannt ist, dominierte im Französischen lange Zeit die Bezeichnung La Grande Guerre. Auch im Englischen hatte sich der Begriff First World War lange nicht durchgesetzt. In den Memoiren der beteiligten Personen überwiegt vielmehr die Bezeichnung The Great War.156 Angesichts dieser begrifflichen Unstimmigkeiten lohnt es sich, zu untersuchen, wie sich die Titulierung dieses Krieges aus zeitgenössischer Sicht tatsächlich entwickelte.
153
Vgl. Förster, Stig: Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges, 1871-1914, in: Burkhardt, Johannes (Hg.): Lange und kurze Wege in den Ersten Weltkrieg. Vier Augsburger Beiträge zur Kriegsursachenforschung, München 1996, S. 115-158. 154 Vgl. Müller, Nation, S. 108. 155 Vgl. Repington, War, Bd. 2, S. 391, Eintrag zum 10.9.1918. 156 Vgl. z.B. Chirol, Fifty Years, S. 338, Repington, Vestigia, S. 293, Taylor, English History, S. 26, Anm. 1.
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Bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde der Begriff Great War für verschiedene Auseinandersetzungen gebraucht. Am gängigsten war die Bezeichnung für die Verbindung der französischen Revolutionskriege mit den folgenden napoleonischen Kriegen. Darauf wurde auch in der Presse vor und noch während des Krieges hingewiesen.' 57 Darüber hinaus war es nichts Ungewöhnliches, einen Krieg als great zu bezeichnen. Dies traf als „great continental war"158 bereits für den deutsch-französischen Krieg zu, obwohl hier nur zwei Mächte beteiligt waren. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde vor „the possible consequences of a great war"159 in Europa gewarnt. Angesichts des Konflikts auf dem Balkan sprach People von einem möglichen „great European war."160 Als der Erste Weltkrieg sich dann tatsächlich näherte, erinnerte der Observer an seine Überzeugung „that the Great War, if it ever come at all, would come with utter unexpectedness."161 Auch die South Wales Daily News sah „Peril of Great War."162 Von der Überschrift ausgehend setzte sich die Großschreibung des Begriffes schnell durch.163 Zu beachten ist jedoch, daß dies weder von allen, noch von den einzelnen Zeitungen konsequent angewendet wurde.164 Die Bezeichnung Great War blieb dabei keineswegs auf Großbritannien beschränkt. Schon am 4. August sprach auch die New York Times von einem „Great War of Eight Nations"165. Daneben wurde noch eine Reihe von anderen Bezeichnungen verwendet. So war „World-War"166 neben „Great War" sehr verbreitet. Zu beachten ist dabei, daß der Begriff world war zwar vereinzelt erst nach dem Kriegseintritt der USA Verwendung fand167, in den meisten Zeitungen hatte er sich aber lange vorher etabliert, im Observer beispielsweise schon im November 1914, also noch vor dem Kriegseintritt Italiens.168 Daneben standen die Bezeichnung „World-Wide War"169, „Great World-War"170 oder
157
Vgl. Keiger, Union Sacrte, S. 39, vgl. z.B. Times, 1.1.1912, S. 9.24.7.1912, S. 7; Scotsman, 31.7.1914, S. 6; Herald, 10.6.1916, S. 8. 158 Chronicle, 21.7.1870, S. 4. vgl. Times. 20.7.1870, S. 9. 159
Glasgow Herald, 30.6.1913, S. 8, vgl. Irish Independent, 7.9.1912, S. 4.
160
People, 10.11.1912, S. 1.
161
Observer, 26.7.1914, S. 10. South Wales Daily News, 27.7.1914, S. 5.
162 163
164 165 166
167 168
169 170
Vgl. z.B. TNL Archive/GGD/1, Dawson an Shadwell am 5.8.1914, Evening News, 10.8.1914, S. 2; Guardian, 26.9.1914, S. 8, 9.11.1917, S. 4; Evening News, 10.8.1914, S. 2; Sketch, 14.12.1916, S. 5, 12.11.1918, S. 3; Daily Express, 8.1.1915. S. 8; Liverpool Daily Post, 3.8.1915, S. 4; Observer, 2.5.1915, S.3. Vgl. z.B. Guardian, 7.9.1914, S. 4; Evening News, 23.10.1918, S. 2,17.12.1918, S. 2. New York Times, 5.8.1914, S. 1. Graphic, 11.7.1916, S. 4, vgl. Star, 4.8.1915, S. 4; Irish Independent, 3.8.1915, S. 2; Lloyd's, 16.1.1916, S. 8. Vgl. Irish Times, 9.11.1918, S. 6; Daily Express, 24.8.1917, S. 2; Scotsman, 16.9.1918, S. 4. Vgl. Observer, 8.11.1914, S. 8; Telegraph, 21.9.1916, S. 8; Irish Independent, 3.8.1915, S. 2; Liverpool Daily Post, 13.12.1916, S. 4; Lloyd's, 16.1.1916, S. 8; Times, 4.8.1915, S. 7. Times, 4.11.1914, S. 13, vgl. Daily Express, 3.8.1916. S. 4. Daily Express, 6.1.1915, S. 8.
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„the World's Greatest War"171. In Anlehnung an das Wort „suicide" bezeichnete der Star den Krieg als „Europicide"172. Es kann festgestellt werden, daß der bis heute verwendete Begriff Great War bereits vor Kriegsausbruch für den anstehenden Konflikt Verwendung fand. Während des Krieges verbreitete er sich schnell weiter, bis er bei weitem dominierte. Am gängigsten waren dabei die Schreibweisen Great War und great war. Daneben existierten noch zahlreiche andere Begriffe, darunter auch der Terminus world war, wobei auch hier Groß-173 und Kleinschreibung174 nebeneinander standen. Der Begriff First World War konnte dagegen für den größten Teil des Krieges nicht nachgewiesen werden. Wie eingangs erwähnt, kam dieser Begriff erst gegen Ende des Krieges langsam auf.
2.3 Der Kriegsverlauf Die Bereitschaft, die harten Waffenstillstands- und die späteren Friedensbedingungen anzunehmen, untermauert die Sicht, daß Deutschland aufgrund der absoluten militärischen Niederlage keine andere Wahl hatte, als diese anzuerkennen. Wie die meisten Kriege der Geschichte verlief aber auch der Erste Weltkrieg keineswegs linear von seinem Ausbruch bis zu einer vermeintlich vorhersehbaren Niederlage des Deutschen Kaiserreiches.175 An deutschen Erfolgen sind beispielsweise die Siege über Rußland und Rumänien zu nennen. Auch an der Westfront hielten deutsche Truppen noch am Tag des Waffenstillstandes umfangreiche Gebiete der Gegner besetzt. Ziel soll es an dieser Stelle sein, darzulegen, wie der Verlauf des Ersten Weltkrieges in der britischen Presse dargestellt wurde. Besonders auf Niederlagen und Erklärungsmuster dafür soll eingegangen werden. Doch auch Einzelaspekte, wie beispielsweise die Behandlung der immensen Verluste auf beiden Seiten werden beleuchtet. Aufgabe dieses Abschnitts wird es sein, aufzuzeigen, wie die Zeitungen die Kriegsereignisse darstellten, insbesondere, ob die Furcht der Militärs vor Geheimnisverrat berechtigt war oder nicht. 2.3.1 Der Landkrieg „So far as I was concerned, the war started on the afternoon of Monday, July 27th, 1914, at a hurriedly convened meeting of the Admiralty, War Office, and Press Committee"176, resümierte der Besitzer der News of the World, Lord Riddell, in seinen Aufzeichnungen. Er spielte dabei auf das erste Treffen des Joint Standing Comittee an. Als Folge der Agadir-Krise gegründet, bestand diese Kommission aus den genannten " ' D a i l y Express, 13.1.1915, S. 8. 172 Star, 16.1.1916, S. 2. 173 Vgl. Chronicle, 12.11.1918, S. 1; Glasgow Herald, 2.8.1915, S. 6. 174 Vgl. Daily Express, 24.8.1917, S. 2; Telegraph, 21.9.1916, S. 8. 175 Vgl. z.B. Ferguson, Pity und Mosier, Myth. 176 Riddell, War Diary, S. 1, vgl. S. 2.
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Einrichtungen. Im Official Secrets Act von 1911 einigte man sich darauf, daß die Presse im Konfliktfall keine militärisch relevanten Informationen veröffentlichen sollte.177 Dabei handelte es sich zunächst um eine freiwillige Selbstbeschränkung, die bis zum Kriegsausbruch bestand. Am 6. August wurde dann die militärische Pressezensur formell eingeführt.178 Eines der Hauptprobleme der Presse bestand in der Folgezeit darin, ihre Leser über die Kriegsereignisse zu informieren, ohne gegen die Auflagen zu verstoßen. Dabei mußte sie anfangs mit der effektivsten Form der Nachrichtenbeschränkung zurechtkommen: Der neue Kriegsminister Kitchener verbot den Aufenthalt von Kriegsberichterstattern an der Front.179 Der Grund dafür war die „tendency in the armed forces to mistrust the press"180. Erst mit fortschreitender Kriegsdauer wurde diese Bestimmung gelockert. Bereits unmittelbar nach Kriegsbeginn sind zwei gegensätzliche Tendenzen festzustellen. So veröffentlichte die Presse keinerlei Meldungen von der Verschiffung des britischen Expeditionskorps nach Frankreich. Der Daily Graphic informierte seine Leser bezüglich der englischen Truppen lediglich darüber, daß „it is forbidden to mention the places to which they have gone. Never mind. They are here [in France]."181 Auf der anderen Seite mußte sich Northcliffe wegen der offenen Berichterstattung der Times über die Niederlage des britischen Expeditionskorps bei Möns schwere Kritik gefallen lassen: „I think you ought to realise the harm that has been done by Sunday's publication in the 'Times'" 182 , forderte Churchill. Northcliffe rechtfertige die Veröffentlichung des Artikels damit, daß dieser vom Press Bureau „was not merely passed, but carefully edited, and accompanied by a definite appeal to publish it. there was no other possible 183
conclusion except that this was the Government's deliberate wish." Auch im Parlament wurde über den Artikel, auf185den auch andere Zeitungen zurückgriffen 184 , kurz nach dessen Erscheinen debattiert.
177
Vgl. Morris, Scaremongers, S. 372. Vgl. Riddell, War Diary, S. 9f. Eintrag vom 6.8.1914, Sanders/Taylor, Propaganda, S. 17-26. 179 Zur Zensur im Ersten Weltkrieg vgl. Lovelace, Press Censorship, v.a. S. 310 und Gebele Probleme, S. 2028. 180 Taylor, Selling Democracy, S. 12. 181 Graphic, 22.8.1914, S. 4, vgl. Asquith, Memories, Bd. 2, S. 31. 182 CU, CAC, CHAR/2/64/23, Churchill an Northcliffe am 5.9.1914. Der selbe Brief findet sich in BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62156/60. 183 BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62156/61, Northcliffe an Churchill am 7.9.1914, Hervorhebung im Original, vgl. Fyfe, Hamilton: Sixty Years of Fleet Street, London 1949, S. 175f, Knightley, Phillip: The First Casualty. From the Crimea to Vietnam: The War Correspondent as Hero, Propagandist, and Myth Maker, New York, London 1975, S. 90-92. 184 Vgl. Glasgow Herald, 31.8.1914, S. 6. 185 Vgl. Pari. Deb. 66 (1914), Sp. 371-373, Anfrage von Wiliams an den Premier und dessen Antwort am 31.8.1914. 178
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Schon zu Beginn erkannten die Zeitungen das Ausmaß des gerade begonnenen Krieges. Der Irish Independent stellte fest: „World's Greatest Battle begun." 186 Sehr problematisch wirkte sich dieser Superlativ auf die weitere Berichterstattung aus, da das Interesse der Leser am Leben erhalten werden mußte. Aus heutiger Sicht wirkt der andauernde Verweis auf die jeweils „größte Schlacht" etwas eigenartig. Für South Wales Daily News und Evening News fand diese Anfang September statt.187 War es gerade einmal etwas ruhiger, kam es zumindest zum „Greatest Air Raid of the War" 188 . Eine Inflation von „Greatest Battles" ist für das Jahr 1917 festzustellen. Diese fanden beispielsweise im März, April, Juni und August statt.189 Mit Einsetzen der deutschen Frühjahrsoffensive herrschte dann weitgehend Einigkeit, daß dies nun wirklich „The Greatest Battle of the War" 190 sei. Vor allem für die Aufrechterhaltung der Moral an der Heimatfront war es notwendig, den Kriegsverlauf als für die Alliierten günstig darzustellen. Beginnend mit dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien wurde über ihre Niederlagen berichtet. Besonders hervorgehoben wurde der tapfere und erfolgreiche Kampf der eigentlich unterlegenen belgischen Armee. Vom „German Defeat before Liege" 191 und „Germans repulsed in Belgium" 192 wurde berichtet. Die Deutschen seien „on the run" 193 . Die erste Schlacht an der Mame Anfang September 1914 wurde als großartiger Erfolg dargestellt, da der deutsche Vormarsch gestoppt wurde. 194 Ob dieser tatsächlich so überwältigend war und den alliierten Soldaten zugeschrieben werden kann, wird in der Literatur jedoch durchaus kontrovers gesehen. 195 Häufig wurden sehr voreilig eigene Erfolge aufgebauscht. So wurde bereits Mitte August gemeldet, der deutsche Überraschungsangriff im Westen „has completely failed." 196 Dabei rückten die Deutschen noch weitere zwei Wochen auf alliiertes Territorium vor, das sie zum größten Teil bis Kriegsende hielten. Alltäglich waren die Berichte über zurückgeschlagene deutsche Angriffe oder Gegenangriffe. 197 Wenn sich die eigenen Einschätzungen als falsch herausstellten, wurden sie nur sehr zögerlich und unvoll-
186
Irish Independent, 13.8.1914, S. 3. Vgl. South Wales Daily News, 5.9.1914, S. 5; Evening News, 9.9.1914, S. 2. 188 Daily Express, 13.2.1915, S. 1. 189 Vgl. Reynolds's, 4.3.1917, S. 1; People, 22.4.1917, S. 7; Daily Mail, 8.6.1917, S. 3; Glasgow Herald, 31.7.1917, S. 4; Daily Mail, 1.8.1917, S. 2. 1,0 Graphic, 23.3.1918, S. 1, vgl. Irish Independent, 22.3.1918, S. 3; Cambria Daily Leader, 23.3.1918, S. 1; Daily Mail, 23.3.1918, S. 2; Times, 23.3.1918, S. 7. " ' D a i l y Mail, 6.8.1914, S. 5. 192 Graphic, 6.8.1914, S. 1, vgl. Telegraph, 15.8.1914, S. 7. 1,3 Mirror, 8.8.1914, S. 2, vgl. Times, 8.8.1914, S. 6. 194 Vgl. Daily News, 10.9.1914, S. 1; Guardian, 10.9.1914, S. 4,12.9.1914, S. 6; Irish Independent, 12.9.1914, S. 4f; Scotsman, 12.9.1914, S. 6; Daily Express, 12.9.1914, S. 1; Telegraph, 12.9.1914, S. 7. 195 Vgl. Mosier, Myth und Keegan, World War. 196 Glasgow Herald, 17.8.1914, S. 6. 1,7 Vgl. Reynolds's, 2.12.1917, S. 1; Evening Express, 3.11.1914, S. 3, 17.8.1917, S. 3. 187
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ständig berichtigt. So hieß es unmittelbar vor den verheerenden Niederlagen der Russen bei Tannenberg und an den Masurischen Seen 1914, Ostpreußen werde von den Truppen des Verbündeten überrannt.198 Nach sehr unvollständiger Aufklärung über den wahren Sachverhalt hätten die Soldaten des Zaren bereits wenige Wochen später den Deutschen „a disaster of the first magnitude"199 beigebracht. Ähnliches gilt für den Rest des Krieges. Selbst der serbischen Armee wurde eine große Bedeutung beigemessen. Schon im August 1914 hieß es, die Kämpfe seien ein „Decisive Disaster for Austria."200 Auch der britische Angriff an der Somme im Juli 1916 wurde als großer Erfolg dargestellt.201 Noch im Dezember des Jahres bescheinigte Reynolds 's Newspaper der Offensive, daß sie „for ever killed the legend of German invincibility"202. In der Literatur wird die Schlacht dagegen als „perhaps the most bloody defeat in Britain's history" bezeichnet. Dem ganz ähnlich, wurden vom französischen Teil der Westfront während des gesamten Krieges enorme Erfolge vermeldet, auch wenn sich der Frontverlauf meist nur geringfügig änderte.204 Beispielsweise wurde im November 1915 vom „'Complete Defeat' of the Germans in France"205 gesprochen. Typisches Beispiel fur die manipulative Berichterstattung ist der deutsche Angriff auf Verdun im Februar 1916. Bereits am 29. Februar, wenige Tage nach dem Beginn der Offensive, wurden die deutschen Anfangserfolge negiert: „The situation at Verdun now bears a much healthier complexion ." Dies sei „The Turn of the Tide."206 Trotz wiederholt erfolgreicher deutscher Angriffe wurden die Kämpfe von Anfang an als „The Victory of Verdun"207 dargestellt. Als kurz nach der Eröffnung der Offensive das Fort Douaumont durch deutsche Soldaten eingenommen wurde, hieß es beschwichtigend, es habe sich ohnehin nur um eine Befestigung gehandelt „which was dismantled at the beginning of the war, and which contained not a single gun."208 Sollte das Fort wirklich gefallen sein „they were attacking a deserted structure. [...] The capture of Douaumont, should it be eventually confirmed, does not in the least carry the meaning which would have attached to it three or four years ago. [...] To-day it would mean less than the capture of any other of the fortified positions north of Verdun." 209 Nach der Rückeroberung des Forts im Oktober 1916 hieß es dann, dies müsse „peculiarly galling
1,8 199 200 201 202
Vgl. South Wales Daily News, 27.8.1914, S. 5. Graphic, 30.10.1914, S. 4. Western Mail, 27.8.1914, S. 5, vgl Glasgow Herald, 22.8.1914, S. 6. Vgl. News of the World, 9.7.1916, S. 6; Daily Mail, 31.7.1916, S. 4; Times, 22.7.1916, S. 7. Reynolds's, 31.12.1916, S. 1.
203
Knightley, First Casualty, S. 100.
204
Vgl. z.B. Western Mail, 10.8.1914, S. 3; Observer, 16.5.1915, S. 11; Times, 19.2.1915, S. 8.
205
Reynolds's, 28.11.1915, S. 1.
206
Western Mail, 29.2.1916, S. 4. Star, 3.3.1916, S. 4, vgl. 18.3.1916, S. 2. Telegraph, 28.2.1916, S. 8. Times. 28.2.1916, S. 9.
207 208 209
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21Π
to Germany" sein. Warum die Festung beim Verlust an die Deutschen so viel unbedeutender gewesen war als bei der Rückeroberung, wurde nicht erklärt. Viel seltener als von großen Erfolgen war von einer ungünstigen Kriegsentwicklung die Rede. Wenn, dann geschah dies meist im Rückblick. Beispielsweise meldete der Daily Chronicle im Sommer 1917, daß die Alliierten 1915 den größten Teil ihrer Bemühungen in Offensiven an der Westfront investiert hatten. Aber: „None succeeded; and most were terribly costly." 2 " Beim Eingestehen von Niederlagen wurden diese umgehend eingeschränkt. Zwar sei die Schlacht an den Masurischen Seen „one indisputable triumph in the field on a large scale that can be put to Germany's credit"212. Der weitere Kriegsverlauf hätte dies jedoch längst relativiert. Nur in wenigen Einzelfallen wurden die Rückschläge beim Namen genannt. Etwas leichter fiel dies bei den Verbündeten. Beispielsweise wurde schon im Mai 1915 relativ offen zugegeben, daß deutsche Truppen im Osten 80 Meilen auf russisches Territorium vorgedrungen seien: „The Berlin headquarters claim marked successes."213 Der Fall Warschaus, fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem britischen Kriegseintritt, wurde sogar ohne zeitliche Verzögerung gemeldet.214 Allerdings war die Bevölkerung darauf bereits vorbereitet worden.215 Nicht zu übersehen ist dagegen der Schock, der durch die de /ac/o-Kapitulation Rußlands Ende 1917 ausgelöst wurde.216 Darüber half auch der Zorn über „Lenin's treachery"217 nicht hinweg. Der einzige Fall, in dem ausführlich dokumentiert werden kann, daß britische Zeitungen die bedrohliche Lage an der Front relativ unverhüllt darstellten, war die Serie deutscher Großangriffe, die im März 1918 begann: „We have been so long on the offensive in France that people have almost forgotten the rules governing the defence" hieß es im Manchester Guardian. Entscheidend seien aber nicht die ersten Tage einer Offensive, sondern das, was danach komme. Deutlicher wurde die Yorkshire Post, die zugab, daß einiges an Boden aufgegeben werden mußte, die Linien aber nicht durchbrochen worden seien.219 Die South Wales Daily News warnte schon zu Beginn, daß es Wochen dauern werde, bis der Angriff zurückgeschlagen sein werde.220 Diese ungewohnte Offenheit diente vor allem dazu, die letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Keine Ausrede konnte dabei das Überraschungsmoment sein. Schon am 17. Februar warnte People, daß es sich zu diesem Zeitpunkt um die Ruhe vor dem Sturm 210
Scotsman, 26.10.1916, S. 4.
211
Chronicle, 1.8.1917, S. 2.
212
Daily News, 6.2.1915, S. 4. Reynolds's, 2.5.1915, S. 1.
213 2,4
Vgl. Daily News, 6.8.1915, S. 4; Reynolds's, 8.8.1915, S. 1.
215
Vgl. Times, 31.7.1915, S. 7.
216
Vgl. Chronicle, 30.11.1917, S. 4.
2.7
Daily Express, 19.12.1917, S. 2. Guardian, 22.3.1918, S. 4.
2.8 219 220
Vgl. Yorkshire Post, 25.3.1918, S. 5. Vgl. South Wales Daily News, 23.3.1918, S. 4.
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handle. 221 Wie bedrohlich die Lage im Februar 1918 für die Alliierten war, zeigt eine Stellungnahme Lord Milners: „It is not now a question of destroying Prussian militarism. The question is, whether Prussian militarism should destroy us" 222 . Nach mehreren Wochen fast ununterbrochener schwerster deutscher Angriffe, stellte Reynolds's Newspaper eine vor Jahresfrist undenkbare Frage bezüglich des nächsten deutschen Angriffs: „[...] shall we have strength enough to resist it?" 223 Noch Ende Juni 1918 bezeichnete das Blatt die Lage für die Alliierten als „the greatest crisis of the war." 224 Auch Überschriften wie „The Great Retreat and Reconstruction" 225 wären in ihrer Offenheit vorher kaum vorstellbar gewesen. Immer wieder wurden die Namen der verlorengegangenen Städte genannt und vor weiteren Rückschlägen gewarnt. Das Erstaunliche daran sei, daß „despite their sanguinary losses since the offensive began on March 21, the German Army remains a marvel of efficiency and power." 226 Trotz der eigenen Stärke sei die Lage ernst. Auch wenn an der „Splendid Gallantry of [the] British Line" 227 nicht gezweifelt wurde - sie mußte doch zurückweichen: „Further German Advance." 228 Die Times gab sogar zu „that the Germans have broken clean through the defensive line which we held in France when the great battle began" 229 . Doch auch hier gibt es genügend Beispiele, daß die Situation entschärft dargestellt wurde. So war es bei der Westerminster Gazette zuerst nur , A Slight Retirement." 230 Immer wieder gab es hoffnungsvolle Überschriften: „Germans checked South of the Somme." 231 Die weitere Entwicklung wurde aber nicht mehr so extrem wie in den vorangegangen Jahren geleugnet. Erst im Juli 1918 entspannte sich die Lage dann wirklich, was umgehend vermeldet wurde. 232 Dennoch muß betont werden, daß in den Zeitungen fast während des gesamten Krieges der Eindruck erweckt wurde, die Alliierten würden meist siegen. Deshalb war es für diese unumgänglich, für Rückschläge entsprechende Erklärungen zu finden. Besonders leicht fiel dies für die deutschen Anfangserfolge. Diese seien auf die bessere Vorbereitung des Kaiserreiches auf den Krieg zurückzuführen: „Germany was in the supremely
221 222 223 224
Vgl. People, 17.2.1918, S. 6. Milner, Alfred: Fighting for Our Lives, London 1918, S. 7, Eintrag vom 21.2.1918. Reynolds's, 12.5.1918, S. 1. Reynolds's, 30.6.1918, S. 1, vgl. News of the World, 2.6.1918, S. If; Westminster Gazette, 8.8.1918, S.
1. 225
Observer, 31.3.1918, S. 6. Evening Express, 30.5.1918, S. 2. 227 Guardian, 23.3.1918, S. 5. 228 Guardian, 26.3.1918, S. 5. 229 Times, 25.3.1918, S. 9. 230 Westminster Gazette, 27.3.1918, S. 5. 231 Graphic, 27.3.1918, S. 5. 232 Vgl. Reynolds's, 7.7.1918, S. 1. 226
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enviable position of being prepared for war on a European scale. Britain was not." 233 . Angesichts dessen seien die deutschen Erfolge vor allem gegen das zahlenmäßig stark unterlegene britische Expeditionskorps 234 nicht besonders groß gewesen. 235 Ähnlich wurden auch Rückschläge der Verbündeten erklärt: „Everyone knows that the disaster in Galicia was not due to any failure on the part of the Russian soldier or of his officers; it was due solely to the temporary inability of the arsenals to supply ammunition on the unprecedented scale required by the present war." 236 Rußland sei weder auf industrieller Ebene so weit entwickelt wie Deutschland, noch habe es sich 40 Jahre gezielt auf den Krieg vorbereitet. Als diese Argumentation wegen der fortschreitenden Kriegsdauer nur noch schwer aufrechtzuerhalten war, wurden die russischen Rückschläge darauf zurückgeführt „that the great German drive on the East front in the summer of 1915 was made practicable by German influences" 237 . Eigenartig ist dagegen eine Begründung der Times aus dem Jahre 1915. Es müsse mit weiteren deutschen Erfolgen gerechnet werden, weil: „[...] if she does not win them now she may never attain them." 238 Auch das Wetter wurde als „Verbündeter" Deutschlands für Mißerfolge verantwortlieh gemacht: „We can beat the Germans; we cannot beat the French mud" . Im August 1917 wurde das Scheitern der eigenen Offensive fast ein Jahr zuvor auf schwere Regenfälle zurückgeführt. 240 Schon im Januar 1915 hatte es geheißen: „How the Floods helped the Germans on the Aisne." 241 Nur selten wurde derartigen Thesen widersprochen. So wies der Daily Mirror im Artikel „A Hint from Gott?" zurück, daß das Wetter auf Seiten der Deutschen stehe: „General Weather [...] is neutral" 242 . Immer wieder wurde das Überraschungsmoment 243 den Deutschen zugute gehalten oder deren Vorteil durch kürzere Verbindungslinien. 244 Auch Verrat in den eigenen Reihen wurde als Erklärungsmuster nicht ausgeschlossen. 245 An der Ostfront wurden deutsche Erfolge hauptsächlich auf deren gut ausgebautes Schienennetz zurückgeführt. 246 Für das Jahr 1917 wurde zudem die endgültige Niederlage Rußlands als Grund für den ausbleiben-
233
Reynolds's, 30.7.1916, S. 1, vgl. Scotsman, 3.8.1915, S. 4; Graphic, 4.8.1915, S. 4; B'ham Post, 31.7.1915, S. 6.
234
Vgl. Daily Mail, 2.9.1914, S. 4.
235
Vgl. Star, 31.7.1915, S. 2. Graphic, 5.8.1915, S. 4.
236 237
Graphic, 1.3.1917, S. 4.
238
Times, 17.5.1915, S. 9.
239
Yorkshire Post, 16.12.1916, S. 6.
240
Vgl. Chronicle, 2.8.1917, S. 2. Daily News, 16.1.1915, S. 1. Mirror, 25.1.1917, S. 5.
241 242 243 244 245 246
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Scotsman, 5.8.1915, S. 4. Star, 5.3.1918, S. 4. Daily Mail, 6.7.1916, S. 4; Chronicle, 1.8.1917, S. 2. Irish Times, 15.2.1915, S. 4.
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den Erfolg genannt: „If Russia had played the part expected of her, 'the pride of Prussian militarism,' as the Prime Minster has said, would probably have been humbled." 247 Deshalb wurde die de /acio-Kapitulation der neuen Machthaber in Rußland als „Bolshevik Betrayal" 248 an den Alliierten verurteilt. Ein bewährtes Muster im Umgang mit Niederlagen war die Gegenüberstellung verschiedener Kriegsschauplätze. So erinnerte der Star nach deutschen Erfolgen in Italien daran „that we are apt to forget that it is after all only a portion of the theatre of war" 249 . Dafür hätten sich die Deutschen am Chemin des Dames zurückziehen müssen. Trotz dieser überwiegend positiven Darstellung des Kriegsverlaufs für die Alliierten sind dennoch auch eindeutig negative Stellungnahmen zur eigenen Lage nachzuweisen. Nicht immer konnte verschwiegen werden, daß sich die Frontlinie zugunsten der Deutschen verschoben hatte, nicht immer wurde versucht, dies zu umschreiben. Schon im August 1914 konnte das Eindringen deutscher Truppen nach Frankreich und Belgien nicht geleugnet werden. Es wurde bekannt, daß die deutsche Vorhut bereits auf 30 Meilen an Paris herangerückt war. 250 Sehr konkret war die Rede vom „retreat from Möns" 251 und einem „further retirement of the Allied Forces in France" 252 . Diese anfanglichen Rückschläge wurden jedoch keineswegs als peinliche Niederlagen bezeichnet. So hieß es zur Schlacht von Möns: „[...] it is a matter for surprise that the British force was not completely out of action within a fortnight of its landing." 253 Damit wurde ausgedrückt, daß sich die Truppen mehr als bewährt hätten. Auch die russische Niederlage bei Tannenberg wurde nicht ausschließlich negativ gesehen. Immerhin habe sie zu „a certain diversion in favour of the Western Allies" 254 beigetragen. Derartige Berichte sind während des gesamten Krieges nachzuweisen. Sei es nun, daß im Mai 1915 vor dem möglichen Fall der hart umkämpften belgischen Stadt Ypern gewarnt 255 oder vom russischen Rückzug an der Ostfront berichtet wurde. 256 Für die Italienfront gestand man im Herbst 1917 einen schweren Rückschlag ein. 257 Zum deutschen Einmarsch ins rumänische Konstanza hieß es: „The blow is serious. We shall not attempt to minimize it." 258 Umgekehrt müsse dies aber auch für die französischen Er-
247
Scotsman, 31.12.1917, S. 4, vgl. Telegraph, 4.8.1917, S. 4, 31.12.1917, S. 6.
248
Graphic, 30.11.1917, S. 4.
249
Star, 3.11.1917, S. 2. Vgl. Glasgow Herald, 3.9.1914, S. 3; Scotsman, 3.9.1914, S. 4. Glasgow Herald, 31.8.1914, S. 6.
250 251 252 253
Scotsman, 31.8.1914, S. 4. Irish Independent, 3.8.1915, S. 2.
254
Chronicle, 4.8.1915, S. 6.
255
Vgl. Chronicle, 6.5.1915, S. 6. Vgl. Telegraph, 15.5.1915, S. 8.
256 257 258
Vgl. Sketch, 1.11.1917, S. 7; Daily Express, 1.11.1917, S. 1. Times, 25.10.1916, S. 9.
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folge bei Verdun gelten. Zu beachten ist dabei jedoch, daß in den seltensten Fällen der volle Umfang alliierter Rückschläge oder Verluste preisgegeben wurde.259 Es fallt auf, daß den deutschen Soldaten immer wieder Anerkennung von britischen Zeitungen zuteil wurde. Nach ihren Leistungen im Feld sei die deutsche Armee „a marvellously powerful and efficient piece of machinery. It has done wonders on the Eastern and on the Western front as an engine both of defence and of offence." 260 Es fielen sogar auf den ersten Blick freundliche Worte: „[...] we gladly echo the tribute thus paid to the men of the Prussian Guard. They are indeed doughty fighters, foemen worthy of our steel, and their defeat will ad lustre to the already glowing record of Britain's New Army."261 Bei genauerem Hinsehen wird aber der eigentliche Sinn des Lobes erkenntlich: Wo viel Feind', da viel Ehr'. Es sollte bewiesen werden, daß die vom Kaiser geschmähte „contemptible [British] little army" den preußischen Truppen sehr wohl ein ebenbürtiger, ja überlegener Gegner sei: „Our Men better than the German."262 Ganz deutlich macht der Manchester Guardian einen weiteren Punkt: „To believe that the enemy is weaker than really he is, is to underestimate one 's task"263. Mit der Warnung vor der deutschen Stärke sollte die eigene Bevölkerung auf den weiterhin notwendigen Widerstand unter Inkaufnahme entsprechender Verluste eingeschworen werden. Des weiteren ist zu betonen, daß sich der tatsächliche Frontverlauf trotz aller Beschönigungen nur kurze Zeit verheimlichen ließ. Deshalb wurde nach Möglichkeiten gesucht, negative Veränderungen in möglichst positivem Licht darzustellen: ,Antwerp has fallen, but it has fallen with honour."264 Auch an der Alpenfront zeichneten sich die Alliierten aus. So hatten die Italiener die Tagliamento-Linie erreicht - „after a retreat conducted with masterly skill."265 Auch die Überschrift „Allies' Fine Retreat"266 der News of the World wirkt auf den heutigen Leser befremdlich. Ein gängiges Muster zur Verharmlosung von Rückschlägen war die Versicherung, daß sich die alliierten Truppen nur in längst vorbereitete Stellungen zurückzogen.267 Umgekehrt machten sich britische Zeitungen über ähnlich geartete deutsche Erklärungen lustig: „I have no doubt that when at last we get the Germans on the run [...] will report that a strategic retirement has been effected to much stronger positions on the other side of the frontier. I wonder when the enemy will effect a strategic retirement on Berlin!"268
259 260 261 262 263 264
Vgl. Knightley, First Casualty, S. 92f. Scotsman, 3.6.1915, S. 6. People, 23.7.1916, S. 8. Daily Mail, 7.9.1914, S. 5, vgl. Daily News, 7.9.1914, S. 1. Guardian, 31.12.1915, S. 6. Daily News, 12.10.1914, S. 4.
265
Daily Express, 3.11.1917, S. 2.
266
News of the World, 12.12.1915, S. 1.
267
Vgl. Reynolds's, 24.3.1918, S. 1.
268
Sketch, 19.7.1916, S. 5.
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Als im Februar und März 1917 der tatsächlich zur Frontverkürzung geplante Rückzug der deutschen Truppen auf die sogenannte „Siegfriedstellung" durchgeführt wurde, erschien dies als großartig erkämpfter Erfolg der Alliierten. Es sei kein strategischer Rückzug, vielmehr sei sicher „that the strategic of the Hun has been dictated by the British and French High commands, and that our enemies are going back because they found it impossible to remain where they were." 269 Hatte das schlechte Wetter früher einen Vormarsch der Alliierten verhindert, so wurde diesmal bedauert, daß das gute Wetter einen schnellen Rückzug der Deutschen begünstigt habe. 270 Überhaupt seien deutsche Erfolgsberichte nicht ernst zu nehmen: „Germans explaining away defeat." 271 Es sei kaum notwendig „to warn readers not to accept this or any other official account of German victories at the face value." 272 Ein zentrales Element zur Aufrechterhaltung der Moral war die unüberwindbare Siegeszuversicht der britischen Zeitungen. 273 Obwohl Deutschland den Krieg lange vorbereitet und den geeignetsten Zeitpunkt dafür gewählt habe, sei es nicht in der Lage gewesen, die Alliierten zu besiegen. Zwar sei Deutschland noch nicht besetzt, vom militärischen Gesichtspunkt aber bereits geschlagen. 274 Nur vereinzelt wurden warnende Stimmen übernommen, „that the present Allied successes on the Western front must not be interpreted as indicating the early collapse of Germany's military 275
resistance." Auf die Frage, ob Deutschland den Krieg gewinnen könne, antwortete die South Wales Daily News zwei Wochen nach Kriegsausbruch: „Nothing is certain in warfare, but it is difficult to resist the conclusion that Germany simply cannot win." 276 Trotz der zum Teil prekären militärischen Lage der Alliierten dominierte die Sicht, der Krieg werde mit Sicherheit gewonnen. 277 Schon im August 1914 verkündete der Cambria Daily Leader selbstsicher „that war waged with the sordid, brutal motives of the Kaiser can have but one ending" 278 - den Sieg der Alliierten. Recht zuversichtlich war auch John Bull, der die Parallele zog „1815 - Waterloo; 1915 - Berlin." 279 Mit jedem weiteren Kriegstag werde die Überlegenheit der Alliierten größer, da sie im Gegensatz zu 269
Evening News, 19.3.1917, S. 2, vgl. Scotsman, 20.3.1917, S. 4; Daily News, 20.3.1917, S. 4; People, 18.3.1917, S. 1; Guardian, 19.3.1917, S. 5; Mirror, 21.3.1917, S. 3. 270 Vgl. Times, 19.3.1917, S. 9. 271 Liverpool Daily Post, 25.4.1917, S. 5. 272 Scotsman, 4.5.1915, S. 4. 273 Vgl. Western Mail, 18.2.1915, S. 4; Observer, 22.7.1917, S. 6; South Wales Daily News, 13.12.1916, S. 4; Mirror, 20.1.1917, S. 5; Chronicle, 31.5.1915, S. 8. 274 Vgl. Star, 4.2.1915, S. 4; Yorkshire Post, 28.12.1916, S. 4. 275 Herald. 10.8.1917, S. 7. 276 South Wales Daily News. 17.8.1914, S. 4. 277 Vgl. Cambria Daily Leader, 4.8.1915, S. 4; Westem Mail, 4.8.1915, S. 4. 278 Cambria Daily Leader, 12.9.1914, S. 4, vgl. People, 6.9.1914, S. 8; News of the World, 20.9.1914, S. 4, 8. 279
John Bull, 2.1.1915, S. 5, vgl. 26.2.1916, S. 6f, 6.1.1917, S. 14f.
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den Mittelmächten auf weltweite Reserven zurückgreifen könnten. 280 Deutschland werde nie in der Lage sein, auch nur für eine kurze Zeitspanne die nötige numerische Überlegenheit für den Sieg zustande zu bringen.281 Auch bei Niederlagen stand der letztendliche Sieg nicht in Frage. Temporäre Rückschläge seien in jedem Krieg unvermeidlich. 282 Obwohl sich immer wieder das Gegenteil herausstellte, die Frontlinien kaum verändert fortbestanden, wiederholten sich die Behauptungen, wonach „the tide has turned decisively in favour of the Allies." 283 Trotz deutscher Erfolge an der Ostfront „we were never more calmly certain of the thorough victory of the Allies than we are to-day." 284 Kurz gab die Daily News zu bedenken, daß Deutschland den Kampf möglicherweise noch lange fortsetzen könne, aber: „[...] she cannot now fight victoriously." 285 Außerdem bauten die Briten auf neue Verbündete, wie Italien, die den Krieg nun endgültig entscheiden würden. 286 Regelmäßig wurden diese zuversichtlichen Äußerungen wiederholt, beispielsweise zum Jahrestag des Kriegsausbruchs 1916: „Now after two years of war we have broken the power of the enemy, and are witness of their declining strength. On the other hand, the power of the Allies become increasingly strong, both in regard to relative numbers and to unity of purpose and plan." 287 Obwohl sich an der Gesamtlage des Krieges nichts Wesentliches verändert hatte, hörte sich dies auch 1917 ganz ähnlich an: ,After three long years the tables are turned." 288 Eines der schrecklichsten Kapitel des Ersten Weltkrieges stellen die enormen Verluste an Mensch und Material dar. Für die Kriegsanstrengungen der beteiligten Länder ist dabei ein schwerer Interessenskonflikt festzustellen. Auf der einen Seite mußte den Angehörigen im Regelfall der Verbleib der Soldaten mitgeteilt werden. Dies konnte bei zu hohen Gefallenenzahlen zur Untergrabung der Moral an der „Heimatfront" führen. Andererseits konnten Verlustmeldungen ohnehin nicht verheimlicht und die Bevölkerung ihrerseits auf die Notwendigkeit weiterer Kraftakte aufmerksam gemacht werden. Dabei war die Veröffentlichung von Gefangenenzahlen zunächst eine Möglichkeit, die Größenordnung alliierter Erfolge einzuordnen. So mußte es für jeden Leser offensichtlich sein, daß ein „British Victory in France" 289 , bei dem 400 Gefangene gemacht worden waren, nicht besonders groß gewesen sein konnte. Als bedeutender erschienen
280
Vgl. B'ham Post, 30.10.1915, S. 8; Irish Times. 5.2.1915, S. 4; Glasgow Herald, 2.8.1916, S. 6; Daily Mail, 8.8.1916, S. 4; Irish Times, 5.2.1915, S. 4. 281 Vgl. B'ham Post, 12.5.1915, S. 6. 282 Vgl. Reynolds's, 6.9.1914, S. 1. 283 Evening Express, 5.8.1916, S. 1, vgl. schon People, 13.9.1914, S. 1. 284 Observer, 25.7.1915, S. 8. 285 Daily News, 4.8.1915, S. 4. 286 Vgl. Glasgow Herald, 24.5.1915, S. 8; Scotsman, 27.5.1915, S. 6. 287 Scotsman, 5.8.1916, S. 6, vgl. Westminster Gazette, 4.8.1916, S. 1; Telegraph, 4.8.1916, S. 8. 288 Star, 5.10.1917, S. 2. 289 People, 28.1.1917. S. 1.
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Zahlen, die beispielsweise an die 10.000 heranreichten.290 Wie problematisch diese Angaben sind, zeigt die Schlacht an der Somme im September 1916: Obwohl seit dem 1. Juli fast 500.000 [sie!] Gefangene291 gemacht worden seien, hielten sich die tatsächlichen Gebietsgewinne der Alliierten sehr in Grenzen. Deutsche Erfolge spiegelten sich ebenfalls in Gefangenenzahlen wider. Zwar wurden die offiziellen deutschen Angaben auch in Großbritannien veröffentlicht, ihr Wahrheitsgehalt jedoch in Frage gestellt. Dennoch geben Überschriften wie „30,000 Prisoners and 600 guns Claimed by Enemy"292 das negative Stimmungsbild wieder. Umgekehrt zeigten Meldungen von mehreren hundert gefangenen alliierten Soldaten die geringe Bedeutung deutscher Erfolge.293 Selten wurde der Krieg in seinem ganzen Ausmaß dargestellt. Berichte, wonach weltweit ohne die Berücksichtigung von Hunger und Krankheit bereits mit 30 Millionen direkt betroffenen Opfern durch die Kampfhandlungen gerechnet werden müsse, waren selten.294 Dennoch wurden die schweren Verluste unter den Soldaten nicht verheimlicht. Schon im August 1915 meldete der Daily Chronicle bedrückt, daß allein im britischen Expeditionskorps ein Vielfaches an Opfern zu beklagen sei als die ursprünglich 160.000 entsandten Soldaten.295 Die Daily Mail sprach von 330.000 Betroffenen. 296 Im Dezember 1915 wurden offiziell 510.230 Opfer gemeldet, von denen knapp 110.000 ums Leben gekommen seien.297 Bis zum vorangegangen Juli habe dies nur für den britischen Frontabschnitt durchschnittlich 760 Opfer pro Tag bedeutet. Bei der Annahme, die Franzosen würden an ihrem zwölf Mal so langen Frontabschnitt nur sechs Mal so hohe Verluste erlitten haben, bedeute dies allein 310.000 Tote.298 Im August 1918 schätzte der Daily Express dann 900.000 Gefallene.299 Auch die Familien von Politikern und Journalisten wurden durch den Krieg direkt betroffen. So fielen ein Sohn des Führers der konservativen Partei, Bonar Law, bei den Kämpfen in Palästina300 und der Enkel des ehemaligen Premiers Gladstone.301 Dennoch soll nicht der Eindruck erweckt werden, daß die Berichterstattung der Presse in diesem Punkt der Realität entsprach. Ganz bewußt, so Churchill in seinen Memoi-
29ü
Vgl. Westminster Gazette, 10.4.1917, S. 5. Vgl. Cambria Daily Leader, 20.9.1916, S. 2, 22.8.1918, S. 1; Daily News, 23.9.1916, S. 1; Westminster Gazette, 28.9.1916, S. 5. 292 Westem Mail, 25.3.1918, S. 3. 293 Vgl. Daily Express, 12.7.1917, S. 1. 294 Vgl. Herald, 10.8.1917, S. 7. 295 Vgl. Chronicle, 5.8.1915, S. 6. 296 Vgl. Daily Mail, 3.8.1915, S. 4. 2,7 Vgl. Mirror, 3.12.1915, S. 5. 298 Vgl. Irish Independent, 28.7.1915, S. 4; Graphic, 30.10.1915, S. 4; South Wales Daily News, 30.10.1915, S. 4. 299 Vgl. Daily Express, 30.8.1918, S. 2. 300 Vgl. Aitken. Politicians and the War, S. 256. 301 Vgl. Sketch, 16.4.1915. S. 1, Lucy, Henry: The Diary of a Journalist, 3 Bände, London 1920-1923, Bd. 3, S. 271. 291
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ren, seien die höheren eigenen Verluste von den Zensurbehörden unterdrückt worden.302 Auch Lloyd George gab in seinen Memoiren zu, daß die eigenen Verluste die der Deutschen bei weitem überstiegen.303 Im Gegensatz zu diesen Aussagen nach dem Krieg betonten die britischen Zeitungen während der Kämpfe, daß die Verluste der Deutschen die der Alliierten bei weitem überstiegen. So wurde bereits am 8. August der Verlust der Deutschen allein beim Angriff auf Lüttich auf 25.000 Mann geschätzt.304 Angesichts der enormen deutschen Verluste wurde im weiteren Kriegsverlauf von „Trains Full of Dead" 305 und einem „German Holocaust"306 gesprochen: „Like cattle driven to the slaughter, the German troops have been sacrificed to the mad strategy of Berlin."307 Im Juni 1916 wurde gemeldet, daß die deutsche Seite seit Beginn der Offensive gegen Verdun im Februar bereits 1916 1ΛΟ
eine Million Mann verloren habe. Vor der Unzuverlässigkeit deutscher Angaben 309 wurde beständig gewarnt. Wenn zugegeben wurde, daß die Verbündeten schwere Verluste hatten hinnehmen müssen, wurde betont: „[...] not as heavy as the enemy"310. Dies gilt sogar für die Ostfront, wo die deutschen Truppen einer zahlenmäßig weitaus stärkeren Armee gegenüberstanden. 3 " Als die Rückschläge in der deutschen Frühjahrsoffensive 1918 erklärt werden mußten, wurde darauf verwiesen, daß die Angreifer schon kurz nach Beginn der Offensive circa 15% der 500.000 Angreifer verloren hätten.312 Immer wieder wurde von den enormen deutschen Verlusten berichtet.313 Die Brutalisierung der Berichterstattung wird durch Zeilen wie „it matters little to the Allies where Germans are killed so long as they are killed"314 deutlich. Auch nach Kriegsende wurden die Verlustzahlen weiter interessiert betrachtet. Angesichts der Berichte während des Krieges mußte es für die Leser überraschend sein, als vorgerechnet wurde, daß die Deutschen „nur" 1,6 Millionen Gefallene hatten, das Bri302
Vgl. Churchill, World Crisis, Bd. 2. S. 1077. Vgl. Lloyd George, War Memoire, Bd. 4, S. 2219. Mosier, Myth, S. 1,189. 304 Vgl. South Wales Daily News, 8.8.1914, S. 4f; Daily Mail, 8.8.1914, S. 3; Times, 29.8.1914, S. 9; Chronicle, 8.8.1914, S. 1. 305 Reynolds's, 25.4.1915, S. 1. 306 News of the World, 8.11.1914, S. 4. Der Begriff „Holocaust" taucht in verschiedenen Zusammenhängen wiederholt auf. Vgl. z.B. Chronicle, 22.10.1915, S. 6; Scotsman, 2.3.1916, S. 4: „The Verdun holocaust has thus far brought them [the Germans] only profound disappointment, which, when the full truth is known, should pass into rage and despair." Die Times sprach nach den Ereignissen von Louvain von „A Ruthless Holocaust." In: Times, 3.9.1914, S. 4. 303
307
News of the World, 8.11.1914, S. 4. Vgl. Graphic, 12.6.1916, S. 5. 309 Vgl. Scotsman, 4.9.1914, S. 4; Cambria Daily Leader, 7.11.1914, S. 5; Irish Times, 30.5.1918, S. 2. 310 Scotsman, 31.8.1914, S. 4. 311 Vgl. Guardian, 6.8.1915, S. 6. 312 Vgl. Daily Express, 23.3.1918, S. 2. 313 Vgl. Lloyd's, 15.3.1916, S. 6; Glasgow Herald, 11.8.1914, S. 5. 314 Graphic, 23.6.1917, S.4. 308
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tish Empire zusammen mit den Franzosen aber fast 1,9 Millionen. 315 Nicht berücksichtigt wurden dabei die Verluste der anderen Alliierten. Dagegen hatte Reynolds's Newspaper schon im August 1915 behauptet, daß allein Preußen über 1,7 Million Tote, Verwundete und Vermißte zu beklagen habe. 316 Erst nach dem Krieg kam die Wahrheit ans Tageslicht. So schätzte Churchill in seinen Memoiren, daß die eigenen Verluste im selben Frontabschnitt bestenfalls im Verhältnis 3:2 höher waren, oft genug noch mehr: ..During the whole war the Germans never lost in any phase of the fighting more than the French whom thev fought, and frequently inflicted double casualties upon them" 317 . Dabei habe es keine Rolle gespielt, ob sich die Alliierten in der Offensive oder der Defensive befunden hätten. 2.3.2 Der Seekrieg Angesichts der großen Opferzahlen an den Fronten spielt der unspektakuläre Verlauf des Seekrieges oft nur eine untergeordnete Rolle bei der Betrachtung des Ersten Weltkrieges. Wegen der traditionell hohen Bedeutung der britischen Marine für das Inselreich ist ihre Beobachtung durch die Öffentlichkeit jedoch auch für den Ersten Weltkrieg nicht zu vernachlässigen. Schon im Dezember 1914 klagte Pressemogul Northcliffe darüber, daß die Leistung der Marine zu gering eingeschätzt werde. Deshalb „more needs to be published (without giving anything away) of the magnificent work done by the Navy." 318 Vor allem die Franzosen wüßten vom Beitrag der Royal Navy für die Kriegsanstrengungen viel zu wenig. Neben kleineren Gefechten waren die zwei wichtigsten Elemente bei der Betrachtung des Seekrieges die Schlacht am Skagerrak, im englischen die Battle of Jutland, und der gegenseitige Versuch, durch eine Blockade der Häfen die Kapitulation des Feindes zu beschleunigen. 319 Durch die Unterbrechung der Versorgung sollte der Gegner von Rohstoff· und Lebensmittellieferungen abgeschnitten werden. Während die britische Blockade im wesentlichen durch Überwasserschiffe vollzogen wurde, setzte die deutsche Seite fast ausschließlich U-Boote ein. Bei der Betrachtung der eigenen Flotte zeigten sich die Zeitungen zu Beginn des Krieges überzeugt, daß „the complete annihilation of the enemy's fleet should only be a question of time." 320 Schon am 6. August wurde mit der Versenkung eines Minenlegers der erste Erfolg der Royal Navy gemeldet. 321 Eigene Verluste wurden als sehr bedauer515
Vgl. South Wales Daily News, 28.12.1918, S. 3. Die genauen Zahlen sind bis heute unsicher. Winter geht beispielsweise von 722.785 getöteten Briten aus. Vgl. Winter, British People, S. 73. 316 Vgl. Reynolds's. 29.8.1915, S. 1. 3,7 Churchill, World Crisis, Bd. 2, S. 965, Hervorhebung im Original, vgl. ebd., S. 961-966 und Appendix J. 318 TNL Archive/NOR/1/2/59, Northcliffe an Murray am 7.12.1914. 319 Vgl. Marsden, Arthur: The Blockade, in: Hinsley, Francis (Hg.): British Foreign Policy under Sir Edward Grey, Cambridge, London, New York u.a. 1977, S. 488-515 und Hobson, Maritimer Imperialismus, S. 77. 320 Evening Express. 7.8.1914, S. 2. 321 Vgl. Evening Express, 6.8.1914, S. 2.
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lieh dargestellt, aber nicht als Bedrohung der englischen Seemacht. 322 Auch im Seekrieg wurden die unangenehmen Meldungen in ihrem ganzen Ausmaß oft erst nach langer Verzögerung preisgegeben. Beispielsweise meldete der Daily Chronicle im August 1918, daß Deutschland dem Sieg niemals näher gewesen sei, als im Frühjahr 1917: „Our merchant tonnage had been reduced by the action of the submarine to a desperate figure." 323 Bei größeren Verlusten fielen auch kritische Worte wie „A Serious Naval Incident". Im großen und ganzen sei die Navy aber „brilliantly successful" 324 . Rückblickend wurde im Herbst 1914 die Verschiffung des britischen Expeditionskorps, die Versenkung einzelner deutscher Schiffe und die Aufrechterhaltung der Versorgung als Erfolge der Marine dargestellt. Im Gegensatz dazu: „The enemy's merchant shipping is interned in German and neutral ports." 325 Während der gesamten Kriegszeit wurden derartige Meldungen zum Teil übertrieben, oft aber auch zu Recht abgedruckt. 326 Im Dezember 1914 wurde mit einer einzigen Ausnahme die Versenkung sämtlicher deutscher Kriegsschiffe gemeldet, die vor Kriegsbeginn in Übersee stationiert waren. Zufrieden wurde die Frage „What remains of Germany's peculiar pride - her Welt-politik?" 327 gestellt und mit „AH the work of the Kaiser and his fellow-workers of a quarter of a century lies in ruins" beantwortet. Anders als in der Zeit vor dem Krieg wurde von deutschen Opfern nicht mehr mit Respekt gesprochen. Als Text zu einem Bild des sinkenden Kriegsschiffs Blücher hieß es beispielsweise „Huns who kill no more." 328 Die anfanglichen Hoffnungen auf eine schnelle, vollständige Entscheidung des Seekrieges erfüllten sich jedoch nicht. Im Laufe der Zeit festigte sich der Eindruck, daß die deutsche Flotte ihre Häfen nicht für eine Entscheidungsschlacht verlassen würde. 329 Dies wurde vor allem auf die Überlegenheit der Royal Navy zurückgeführt. Die deutsche Führung wolle nicht den Verlust ihrer Flotte riskieren, ohne dafür einen gewissen Erfolg zu erzielen. Deshalb besaß die deutsche Marine zu Beginn des Krieges nur sehr wenige Möglichkeiten, den britischen Handel zu stören. Um diese Unzulänglichkeiten in der deutschen Seekriegsführung gegen Großbritannien abzugleichen, wurde Anfang Februar 1915 die Blockade der britischen Inseln, beginnend mit dem 18. des Monats, verkündet. Nach geltendem Seerecht hätte mit Ausnahme von der recht ungenau definierten Konterbande keine der kriegsführenden Mächte neutrale Güter auf feindlichen Schiffen oder feindliche Güter auf neutralen
322
Vgl. People, 3.1.1915, S. 1; Evening Express, 19.8.1914, S. 3; Times, 28.5.1915, S. 8, 26.9.1914, S. 8; Chronicle, 23.9.1914, S. 4; News of the World, 27.9.1914, S. 9, 13.9.1914, S. 9.
323
Chronicle, 8.8.1918, S. 2.
324
Graphic, 18.12.1917, S. 4.
325
News of the World, 25.10.1914, S. 8.
326
Vgl. Irish Independent, 29.8.1914, S. 5.
327
Telegraph, 11.12.1914, S. 8. Reynolds's, 31.1.1915, S. 5, vgl. Evening Express, 25.5.1916, S. 3. Vgl. Reynolds's, 23.1.1916, S. 1.
328 329
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Schiffen beschlagnahmen dürfen. Dabei wurde Konterbande in drei Kategorien eingeteilt. Militärische Güter wie Waffen und Munition fielen vollständig darunter. Die zweite Gruppe konnte sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke gebraucht werden, beispielsweise Baumwolle oder Kupfer. Hierzu zählten auch Nahrungs- und Futtermittel, die allerdings nur dann konfisziert werden durften, wenn nachgewiesen werden konnte, daß sie für militärische Zwecke vorgesehen waren. Sollte die Lieferung über neutrale Häfen vonstatten gehen, war auch dies nicht zulässig. Außerdem hätte eine Blockade vollständig wirksam sein müssen, um anerkannt zu werden. Beide Punkte wurden von beiden Mächtegruppen in der einen oder anderen Form mißachtet.330 Für die deutsche Flotte hätte dies bedeutet, daß sie feindliche oder neutrale Handelsschiffe auf Konterbande durchsuchen hätte müssen. Erst bei Verstößen hätten die Schiffe unter Rettung der Besatzung versenkt werden dürfen. Aufgrund praktischer Gegebenheiten war dies für die hauptsächlich eingesetzte Waffe, das U-Boot, völlig undenkbar. Schon eine schwache Bewaffnung der Handelsschiffe hätte dem leicht verwundbaren U-Boot schwere Schäden zufügen können. Außerdem war eine Aufnahme der Besatzungsmitglieder anderer Schiffe aus Raumgründen gar nicht denkbar. Über Funk hätten die Handelsschiffe sehr schnell Kriegsschiffe zu Hilfe rufen können. Zumindest wäre der Standort des U-Boots verraten gewesen. So kam es während des ganzen Krieges nur zu vereinzelten Rettungsaktionen von U-Booten. Die deutsche Führung proklamierte aus den genannten Gründen ein Sperrgebiet um die britischen Inseln. Darin sollten sämtliche Schiffe ohne Vorwarnung torpediert werden. Dies stellte einen eklatanten Verstoß gegen geltendes Seerecht dar. Die britischen Zeitungen zeigten sich anfangs nur wenig von der deutschen Ankündigung einer Blockade beeindruckt. Da die deutsche U-Boot-Flotte rein zahlenmäßig viel zu klein war, um den britischen Welthandel ernsthaft zu gefährden, sparten sie nicht mit Spott. Von „Paper Blockade"331 oder „Farcical 'Blockade'" 332 ist die Rede. Schon wenige Tage nach ihrem offiziellen Beginn wurde deren „Pitiful Failure"333 bekannt gegeben. Lediglich acht von 1.381 Schiffen seien versenkt worden, der Seehandel nicht beeinträchtigt worden: „The Kaiser blockades Britain with his Mouth."334 Fast hob sich Großbritannien über die anderen betroffenen Länder heraus: „Other nations are angry. We are only amused."335 Auch die vor dem Krieg maßvollen Zeitungen sparten nicht an Deutlichkeit: „Germany can no more effectively blockade this country than it can bombard the planet Jupiter."336 Trotz der - vermeintlichen - deutschen Erfolglosigkeit, wurde dieses
330 331 332 333 3M 335 336
Vgl. Marsden, Blockade, S. 489f. B'ham Post, 6.2.1915, S. 6, vgl. Glasgow Herald, 6.2.1915, S. 6. Reynolds's, 7.2.1915, S. 3, vgl. Daily Express, 6.2.1915, S. 4. People, 28.2.1915, S. 7, vgl. Scotsman, 25.2.1915, S. 6; News of the World, 14.3.1915, S. 9. Daily Express, 6.2.1915, S. 1, vgl. Evening News, 26.2.1915, S. 4. Daily Express, 18.2.1915, S. 4. Daily News, 17.2.1915, S. 6.
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Vorgehen schwer verurteilt. Von „Policy of Barbarism" 337 und „Germany's piratical policy" 338 war die Rede, die „hitherto unknown to civilised warfare" 339 gewesen sei. Ein Erfolg Deutschlands „would be the triumph of tyranny and savagery." 340 Die deutsche Seekriegsführung zeige „how the teaching of the Treitschkes and the Bernhardis has limited the governing intelligence of the country" 341 . Zu Beginn des Krieges wurde der U-Boot-Krieg nicht als ernsthafte Gefahr für das Wohlergehen der britischen Inseln betrachtet. Erst mit der Weiterentwicklung der deutschen U-Boot-Waffe, ihrer zahlenmäßigen Verstärkung und steigender Versenkungszahlen, wuchs das Bewußtsein für ihr Bedrohungspotential: „Great Britain is a beleaguered fortress1,342 hieß es im Februar 1917. Dabei waren sich die Zeitungsbesitzer über den wahren Verlauf des U-Bootkrieges durchaus bewußt. So hatte Lord Beaverbrook vom Daily Express aus Regierungskreisen erfahren „how grave was the Sub-marine menace". 343 Doch nur vereinzelt und wohl dosiert wurden die Informationen an die Leser weitergegeben. So wurde die Lage im Juni 1917 als „still very serious" 344 bezeichnet. Die Zeitungen befanden sich dabei in einer prekären Lage. Auf der einen Seite mußte der Bevölkerung die Gefahr und die damit verbundene Notwendigkeit größerer Anstrengungen vermittelt werden. Andererseits durften dem Feind keine verwendbaren Informationen preisgegeben werden und die eigene Bevölkerung nicht in Panik verfallen. Deshalb wurde in der Berichterstattung ein Kompromißkurs gefahren. So sei selbst die Versenkung von sechs Millionen Schiffstonnen im Jahre 1917 „no cause for concern on the part of the country" 345 , da die Produktion steige. Daß mit jedem Schiff auch die ausgebildete Besatzung verloren ging, wurde möglichst wenig thematisiert. Erst mit deutlichem zeitlichen Abstand wurden größere Verluste zugegeben. So wurde im Herbst 1917 zufrieden gemeldet, daß in der vorangegangen Zeit die Versenkungszahlen bei großen Schiffen so gering waren, wie seit Beginn des uneingeschränkten U-BootKrieges im Februar nicht mehr. Zugleich wurde zugegeben, daß der Höchststand an Verlusten im April 1917 lag „and though the losses have continued to be high they have never got out of hand" 346 . Da dieser Zustand überwunden sei, gebe es keinen Grund mehr zur Beunruhigung. Auch wenn steigende Verluste angeprangert wurden, überwog doch der optimistische Ton. So meldete die Daily Mail die Zunahme der durchschnittlichen Schiffsverluste pro Woche vom November 1917 zur ersten Woche 1918 von acht 337
Reynolds's, 7.2.1915, S. 3.
338
Scotsman, 25.2.1915, S. 6.
339
News of the World, 7.2.1915, S. 9. Evening Express, 8.2.1915, S. 2.
340 341 342 343 344
Liverpool Daily Post, 8.2.1915, S. 6. Daily Mail, 3.2.1917, S. 2. HLRO/BP/BBK/C/184/45b, Rider an Beaverbrook am 26.1.1917. Evening News, 21.6.1917, S. 2, vgl. Liverpool Daily Post, 14.6.1917, S. 4; News of the World, 6.5.1917, S. 5.
345
People, 24.3.1918, S. 3.
346
Daily News, 8.11.1917, S. 2, vgl. Guardian, 21.6.1917, S. 4.
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auf 18: „If the situation is hopeful to-day, it is because changes are in progress at the Admiralty" 347 . Spätestens ab Sommer 1918 wurde die Entwicklung im Seekrieg zusehends positiv betrachtet. Zwar gebe es immer noch erhebliche Verluste. Im Vergleich zum Vorjahr hätten sich diese jedoch bei steigender Baurate mehr als halbiert. 348 Für August 1918 hieß es dann: „The tonnage destroyed by the enemy in August is less than in any month since the ruthless submarine war began." Dennoch warnte die Daily Mail noch Ende September 1918 vor zu großem Optimismus: „The danger is still there" 349 . Deutlich früher als die deutsche Marine über ihren Gegner, verhängte die Royal Navy eine Blockade über die deutschen Häfen. Im Unterschied zu historischen Vorbildern handelte es sich nicht um eine Nahblockade, wie beispielsweise gegen Napoleon. Diesmal sollte die Blockade der feindlichen Häfen mittels einer Abriegelung der gesamten Nordsee erreicht werden. Dies hatte den Vorteil, daß sich die britischen Schiffe nicht der unmittelbaren Gefahr der deutschen Küste aussetzen mußten. Wie kurzlebig das Gedächtnis der Zeitungen war, zeigt, daß bereits im November 1914 „the closing of the North Sea by the British Admiralty" als „the most drastic step that has been taken on the side of the Allies during the war" 350 bezeichnet wurde. Die eigene Blockade wurde also nicht als Reaktion auf deutsches Verhalten, sondern als legitimes Mittel der Kriegsführung betrachtet. Erst mit Aufnahme der deutschen Blockade einige Monate später wurde ein Zusammenhang hergestellt. Das Ziel der Briten wurde dabei in deutlichsten Worten dargestellt. Selbst die Aufnahme von Nahrungsmitteln auf die Konterbande-Liste wurde gerechtfertigt: „[...] all wheat landed in Germany would pass into the hands of the German Government and could be used for feeding German soldiers. It thus became contraband" 351 . Folgerichtig war vom Ziel der „economic destruction" 352 die Rede. Die Frage „Can Germany Starve?" 353 wurde keineswegs als Grund für Mitleid gesehen: „A nation that deliberately sows the wind with hate will reap the whirlwind of disgust". Die Lebensmittelrationierungen in Deutschland und die folgende Unterernährung der Bevölkerung wurden als Konsequenz des Krieges betrachtet und auch begrüßt: „It must be a weakening factor of considerable importance in the war." Zugleich wurde jedoch vor zu großen Hoffnungen gewarnt „that Germany can be 'starved into surrender.'" 354 Dies wurde zwar als Ziel gesetzt, die tatsächliche Umsetzungsmöglichkeit jedoch bezweifelt.
347
Daily Mail, 10.1.1918, S. 2. Vgl. Cambria Daily Leader, 22.8.1918, S. 3. 349 Daily Mail, 26.9.1918, S. 2. 350 Star, 3.11.1914, S. 2. 351 Graphic, 31.8.1915, S. 4, vgl. Times, 5.2.1915, S. 9. 352 News of the World, 7.3.1915, S. 8. 353 Glasgow Herald, 22.3.1915, S. 8, vgl. Star, 20.2.1915, S. 2; Irish Times, 18.8.1914, S. 4. 354 Chronicle, 31.1.1917, S. 4, vgl. Daily Express, 26.1.1916, S. 4. 348
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Immer wieder wurde hervorgehoben, daß sich Deutschland nicht an das Seekriegsrecht halte, beispielsweise durch die Verwendung von Minen, die auch noch durch als neutral gekennzeichnete Schiffe verlegt würden. 355 Umgekehrt halte sich Großbritannien an dieses Recht. Nur in Einzelfallen müsse es dagegen verstoßen, weil es von Deutschland dazu gezwungen werde. 356 Auf die Anschuldigung, daß die britische Blockade deutscher Häfen ebenso unvollständig und damit unzulässig sei, wie umgekehrt, wurde geantwortet, „if the blockade were not effective we should nevertheless persist in it in the hope and resolution of making it so." 357 Für die eigene Seite wurde also das internationale Recht deutlich weiter ausgelegt. Tatsächlich erfüllte auch die britische Blockade nicht die geforderten Standards. Im Unterschied zur Betrachtung Deutschlands stellt dies für die britischen Zeitungen jedoch kein Problem dar, da eigenes fragwürdiges Verhalten immer durch die Deutschen provoziert worden sei. Beispielsweise war die britische Blockade ebenfalls nicht vollständig wirksam, da die kaiserliche Flotte weiter die Ostsee kontrollierte. 358 Der Ärger führender britischer Admiräle darüber blieb der Presse nicht verborgen, nur weil sie nicht darüber berichtete. So klagte der ehemalige erste Seelord John Fisher im September 1917 bei C.P. Scott: „[...] perhaps the most striking war event is that the German Fleet is careering about the Baltic, doing its own sweet will unmolested [...] and yet we are five times stronger than our enemies at sea and look idly on while the Baltic is made a German lake!" 359 Wie frei die Presse auf gewissen Gebieten berichten konnte, zeigen die Forderungen nach „Stop Supplying Germany" 360 . Gemeint waren damit die Unzulänglichkeiten der alliierten Blockade. Noch immer unterscheide die britische Regierung zwischen Nahrungsmittellieferungen für die deutsche Zivilbevölkerung und für Soldaten. Dabei handle es sich um „relics of those Hague tomfooleries with which Germany amused herself while she was getting ready for war." 361 Deshalb müsse die Regierung dies sofort unterbinden. Auch nach der Schlacht am Skagerrak wurde eine Verschärfung der Blockade gefordert: „The more it is tightened, and the more the German people are made to realise the power of the British fleets, the sooner the war will be over." 362 Sollte die Blockade innerhalb der nächsten Monate nicht verschärft werden, „we shall find all our difficulties very greatly increased,"363 Immer wieder schimpfte die Daily Mail in
355
Vgl. Yorkshire Post. 3.11.1914, S. 4. Vgl. Irish Times, 18.2.1915, S. 4; Guardian, 6.2.1915, S. 6. 357 Chronicle, 31.7.1916, S. 4. 358 Vgl. Hobson, Maritimer Imperialismus, S. 80. 359 Fisher, John: Fear God and Dread Nought. The Correspondence of Admiral of the Fleet Lord Fisher of Kilverstone, hg, von Arthur Marder, 3 Bände, London 1952-1959, Bd. 3, S. 480, Fisher an C.P. Scott am 10.9.1917. 360 Reynolds's, 12.12.1915, S. 1. 361 Sketch, 12.1.1915, S. 5. 362 Daily Express, 15.6.1916, S. 4. 363 Daily Mail, 1.2.1916, S. 4, Hervorhebung im Original. 356
354
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den nächsten Monaten über „Our Half Blockade." 364 Erst im Herbst 1917 beruhigte sich das Blatt, auch wenn es immer noch hieß, daß die Blockade „is not so good that it cannot be bettered." 365 Das spektakulärste Ereignis des Seekriegs im Ersten Weltkrieg war das auf deutscher Seite als „Schlacht am Skagerrak" bekannt gewordene Aufeinandertreffen der deutschen Hochseeflotte mit der britischen Grand Fleet vom 31. Mai auf den 1. Juni 1916. Die Berichterstattung über diese Seeschlacht bietet insofern tieferen Einblick in die Presse auf englischer Seite, da die Berichte über den Ausgang der Kämpfe sehr schnell die Zeitungen erreichten. Durch die hektische Weiterverarbeitung der Meldungen aus der Admiralität konnten die Zensurbehörden nicht wie gewohnt in die Berichterstattung eingreifen. Einigkeit herrschte darüber, daß es sich um die größte Seeschlacht des Krieges, ja sogar seit Trafalgar handelte. 366 Auf beiden Seiten habe es schwere Verluste gegeben. 367 Die ersten Meldungen von der Schlacht am Skagerrak erweckten alles andere als einen guten Eindruck für die Briten. Auch wenn die Nachrichten noch fragmentarisch seien, wurde von „severe losses" 368 gesprochen. Nüchtern betrachtet müsse zugegeben werden, daß die eigenen Verluste „are much heavier than those of the Germans, but relatively to naval strength the losses on the one side are offset by those on the other." 369 Sehr besorgt meldete die Daily News, daß das Ergebnis der Seeschlacht „has been the gravest disaster sustained [...] by a British naval force" 370 seit Beginn des Krieges. Sollten die Zahlen der Admiralität sich als korrekt erweisen, so hätten die Briten das doppelte an Verlusten erlitten. Auch wenn die britische Seeherrschaft nicht in Gefahr sei: „Defeat in the Jutland engagement must be admitted" 371 . Auch der Vertraute Lloyd Georges, Lord Riddell von der News of the World, hatte kurz nach den ersten Meldungen über die Schlacht am Skagerrak den Eindruck „that we have suffered a severe reverse." 372 Vor allem auf taktischer Ebene wurde das deutsche Vorgehen widerwillig als gelungen anerkannt. Die Verwicklung nur eines Teils der englischen Flotte mit fast der gesamten deutschen Marine hätte so nicht stattfinden dürfen. 373 Über derartige Einschätzungen und das ungeschickte Vorgehen der Presse klagte ein Mitarbeiter des Official Press Bureau noch nach dem Krieg. Ohne den Namen der Zei364
Daily Mail, 20.3.1917, S. 4, vgl. 15.2.1916, S. 4, 9.6.1916, S. 4, 23.6.1916, S. 4.
365
Daily Mail, 4.9.1917, S. 4.
366
Vgl. Observer, 4.6.1916, S. 8; Westminster Gazette, 3.6.1916, S. 5; South Wales Daily News, 3.6.1916, S. 4f; Irish Independent, 3.6.1916, S. 2; Irish Times, 3.6.1916, S. 4. 367 Vgl. Yorkshire Post, 3.6.1916, S. 7. 368 369 370 371 372
373
Mirror, 3.6.1916, S. 5. Chronicle, 3.6.1916, S. 4. Daily News, 3.6.1916, S. 4. Daily News, 3.6.1916, S. 4. Riddell, War Diary, S. 186, Eintrag vom 2.6.1916, vgl. Scott, Diaries, S. 210, Eintrag vom 5.6.1916, Repington, War, Bd. 1, S. 212, Eintrag vom 3.-5.6.1916, Bonham-Carter, Churchill, S. 486f. Vgl. Guardian, 3.6.1916, S. 6.
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tung zu nennen, wurde besonders die Times für ihren Artikel angegriffen, in dem von schweren eigenen Verlusten die Rede war.374 Zurückzuführen waren die Berichte allerdings auf ein Kommunique der Admiralität, das diesen Eindruck erweckte. Deshalb konnte die Presse für ihre Berichte nicht belangt werden. Von offizieller Seite starteten jedoch Bemühungen, den anfänglich negativen Eindruck zu korrigieren. So wurde bald darauf verwiesen, daß trotz der hohen Verluste die Seeherrschaft ungefährdet bleibe.375 Außerdem wurde zunächst auf die relativen Verluste der Flotten hingewiesen: „[...] the enemy has also lost severely, quite as severely as ourselves in proportion to his naval strength, and possibly even more so. We must never lose our sense of proportion."376 Zwar hieß es, angesichts der eigenen Verluste sei die Versenkung der deutschen Schiffe „not a good return for the price paid". Insgesamt sei es aber dennoch ein Sieg gewesen, „for the Germans were glad to get away, and our ships kept the sea."377 Die Hoffnung, daß eine genauere Untersuchung der Zahlen ein noch besseres Licht auf die Schlacht werfen würde, bestätigte People in einem Rückblick eine Woche nach den Kämpfen. Was auf den ersten Blick „looked to the landsman like a reverse, really was a victory, and a substantial victory, too." Die Verlustzahlen hatten sich geändert: „Not only were the losses of the German fleet heavier than ours in proportion to the actual strength of the respective navies; they were absolutely heavier"378. Tatsächlich hatten die Briten weit mehr als doppelt so hohe Verluste an Menschenleben und Schiffstonnage. Relativ zur Flottenstärke verschob sich das Verhältnis einsatzfähiger Großkampfschiffe nach der Schlacht jedoch zugunsten der Royal Navy.379 Schnell setzten die Rechtfertigungen für den ersten Eindruck eines deutschen Erfolgs ein. Dieser sei durch unterschiedliche Meldungen der Admiralität entstanden: „Our Admiralty handled the publicity end of the Battle of Jutland so stupidly that even the most friendly organs in the United States swallowed the German boasts."380 So seien die Leitartikel der Morgenzeitungen vom 3. Juni bereits geschrieben gewesen, als die korrekten Zahlen eingetroffen seien. Diese hätten belegt, daß es sich eben nicht um einen deutschen Erfolg gehandelt habe. Ein noch größerer Erfolg sei nur deshalb ausgeblieben, weil „The German Fleet ran away": „This does not look like a German naval victory."381 Des weiteren stand für den Star fest: „We attacked; we forced the fighting; and the battle ended with the British Fleet in undisputed command of the sea." Eine Woche später verhöhnte die Zeitung Deutschland, daß sich die Hochseeflotte doch er-
374
Vgl. Cook, Press, S. 169-171 und den Artikel der Times vom 3.6.1916, S. 9. Vgl. Times, 5.6.1916, S. 9. ""People,4.6.1916, S. 8. 375
377 378
379 380 381
People, 4.6.1916, S. 8, vgl. News of the World, 4.6.1916, S. 6; South Wales Daily News, 5.6.1916, S. 4. People, 11.6.1916, S. 8, vgl. Yorkshire Post, 5.6.1916, S. 5; Graphic, 5.6.1916, S. 5; Daily News, 6.6.1916, S. 1,4. Vgl. Keegan, First World War, S. 295f. Star, 23.6.1916, S. 2. Star, 3.6.1916, S. 2, vgl. Irish Times, 8.6.1915, S. 4.
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neut zum Kampf stellen solle, wenn es sich um einen deutschen Sieg gehandelt habe.382 Je größer die zeitliche Entfernung zur Schlacht wurde, desto höher wurden die deutschen Verluste, desto größer wurde der britische Sieg. 383 Schließlich wurde die Schlacht zum „Greatest Victory since Trafalgar" 384 . Bei genauerer Betrachtung wird dies allerdings stark relativiert, focht die britische Marine seit dieser Zeit doch keine Seeschlacht von annähernd dieser Größenordnung aus. Dennoch kann der britischen Presse insgesamt ein relativ offener Umgang mit den Geschehnissen auf See bescheinigt werden. Dies lag in erster Linie daran, daß die Royal Navy während eines Großteils des Krieges die Weltmeere tatsächlich fast uneingeschränkt beherrschte. Lediglich die deutschen U-Boote stellten abschnittsweise eine größere Bedrohung dar. Dabei wurde darauf geachtet, daß die Bevölkerung nicht zu sehr beunruhigt wurde. Das wahre Ausmaß der Gefahr und der Verluste an Mensch und Material, beispielsweise nach Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges im Februar 1917, erreichten die Zeitungen in ihrem ganzen Umfang nicht. 2.3.3 Die Lage in Deutschland Nach dem Krieg wunderte sich ein Autor darüber, daß die Times es geschafft hatte, „in regelmäßigen Abständen durchaus zutreffende Bilder über die wirtschaftlichen Zustände, über Stimmung und Kriegsentschlossenheit in Deutschland, ja über die Verwaltung ίο*
in den besetzten Gebieten zu bringen" . Dies ist auf die Kommunikationsverbindungen zwischen Deutschland und neutralen Staaten zurückzufuhren. So konnten Journalisten aus Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden oder Schweden trotz der Kriegszeit ihre Redaktionen verhältnismäßig gut mit Informationen versorgen. Bis zum amerikanischen Kriegseintritt galt dies auch für US-Journalisten, die allerdings keine direkte Verbindung in ihr Land hatten, da die Briten unmittelbar nach Kriegsausbruch die transatlantische Kabelverbindung zwischen Deutschland und den USA gekappt hatten. Neben den Ereignissen im Land- und Seekrieg stand auch der innere Zustand des Kaiserreichs im Blickpunkt des Interesses. Besonders den Problemen des Kriegsgegners wurde viel Aufmerksamkeit geschenkt, sei es auf wirtschaftlicher, politischer oder sozialer Ebene. Schon im September 1914 wurde von Nahrungsmittelknappheit in Deutschland berichtet. 386 Dies zieht sich durch den gesamten Krieg. Für die Stadtbevölkerung in Deutschland werde es schwer, die steigenden Preise bezahlen zu können. 387 Daß auch im Vereinigten Königreich nicht alles wie gewohnt lief, zeigt eine Meldung des Irish Independent. Dieser gab zu, daß auch in Dublin die Lebensmittelpreise anstiegen.
382
Vgl. Star, 9.6.1916, S. 2.
383
Vgl.Mirror, 5.6.1916, S. 3; Glasgow Herald, 5.6.1916, S. 7.
384
News of the World, 11.6.1916, S. 6.
385
Dibelius, England, S. 405.
386
Vgl. z.B. Daily News, 15.9.1914, S. 3, siehe auch B ' h a m Post, 28.10.1915, S. 6.
387
Vgl. Star. 30.10.1915, S. 4.
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Selbstverständlich sei dies in Berlin aber weitaus stärker.388 Die Evening News zeigte sich wenig später darüber erfreut: „To be quite frank, we are glad to hear that Germany is short of food" 389 . Die deutsche Friedensinitiative vom Dezember 1916 wurde auf die Nahrungsmittelknappheit in Deutschland zurückgeführt. 390 Besonders ab Anfang 1918 häuften sich die Meldungen von der Verschlimmerung der Lebensmittelversorgung in Deutschland. Während des gesamten Krieges sei sie noch nie so schlecht gewesen. 391 Dennoch warnte beispielsweise die Yorkshire Post vor einer Überbewertung der durch die Blockade verursachten Versorgungsprobleme in Deutschland: „Germany will not be starved into surrender." 392 Damit sollte betont werden, daß der Krieg an der Front entschieden werde. Neben der Nahrungsmittellage standen die wirtschaftlichen Fragen im Vordergrund. Während sich das Leben in Großbritannien durch den Krieg kaum verändert habe, hätten ausgetauschte oder geflüchtete Kriegsgefangene berichtet, daß in Deutschland ,,[t]he chimneys rarely smoked" 393 und Bahnhöfe verlassen gewesen seien. Hoffnungsvoll meldete der Cambria Daily Leader im Juli 1917: „From an absolutely reliable source we learn that the economic situation is growing very menacing in Germany." 394 Diese und andere Umstände wurden als „Signs of Weakness" 395 interpretiert. Doch auch hier wurden immer wieder Warnungen vor dem deutschen Durchhaltewillen geäußert. Das Land sei nicht ökonomisch zusammengebrochen und zeige auch keine Anzeichen, daß dies in naher Zukunft geschehen würde. 396 Streiks und Unruhen wurden sowohl aus Deutschland 397 , als auch aus Österreich gemeldet. 398 Die Daily News sprach im Sommer 1917 von der „terrible internal condition of Austria" 399 . In Deutschland würden selbst Soldaten an „Stop the War" 400 Unruhen teilnehmen. Wiederholt berichteten Zeitungen von Meutereien in der kaiserlichen Armee. Auch wenn dies keine Auswirkungen auf die Frontlinie hatte, sollte damit die Hoffnung auf einen baldigen Zusammenbruch Deutschlands genährt werden. 401
388
Vgl. Irish Independent, 30.10.1915, S. 4. Evening News, 18.12.1916, S. 2. 390 Vgl. Daily Mail, 18.12.1916, S. 4. 3,1 Vgl. Chronicle, 4.4.1918, S. 2; B'ham Post, 19.1.1918, S. 4; Glasgow Herald, 15.8.1918, S. 4. 392 Yorkshire Post, 17.7.1917, S. 4. 393 Sketch, 9.1.1918, S. 7. 394 Cambria Daily Leader, 17.7.1917, S. 2. 3,5 B'ham Post, 31.7.1916, S. 4. 396 Vgl. Graphic, 4.8.1915, S. 7. 397 Vgl. Daily Express, 13.12.1916, S. 4. 398 Vgl. B'ham Post, 22.1.1918, S. 4; Sketch, 1.2.1918, S. 7. 399 Daily News, 11.7.1917, S. 2. 400 Daily Express, 20.6.1916, S. 1. 401 Vgl. Reynolds's, 6.1.1918, S. 1; Evening Express, 19.2.1915, S. 3; Glasgow Herald, 7.1.1918, S. 7. 389
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Vor allem zu Kriegsbeginn wurde wiederholt auf „The Latent Bad Feeling of South Germans" 402 gegenüber den Preußen hingewiesen. Mit dem vermeintlichen Gegensatz zwischen Nord- und Süddeutschland ging die Hoffnung auf eine schwächere Kampfmoral, ja sogar auf die Spaltung der gegnerischen Truppen einher. Je unwahrscheinlicher derartige Hoffnungen wurden, desto seltener fanden die ihren Weg in die Zeitungen. Auf politischer Ebene wurde zuversichtlich von jeder vermeintlichen oder tatsächlichen Regierungskrise in Deutschland berichtet.403 Zufrieden wurde „The Crisis in Germany" 404 gemeldet. Kanzlerwechsel in Deutschland wurden umgehend an die Leser weitergegeben. Dies gilt sowohl für den Sturz Bethmanns und die Nachfolge durch Michaelis405 im Juli, als auch für Hertling406 im Oktober 1917. Gerade beim Rücktritt Bethmanns wurde hervorgehoben, daß „Germany [...] in a highly perturbed political state"407 sei. Mit den Worten „When the Rats are ready to go" kommentierte der Daily Express die Regierungskrise in Deutschland. Darüber herrschte aber keineswegs ungeteilte Freude, auch wenn die Times betonte, daß es keinen Grund gebe, den Rücktritt zu bedauern.409 Die Ablösung Bethmanns sah aber nicht nur der liberale Manchester Guardian als „a famous victory for the Junkers"410. Auch auf konservativer Seite wurde diese Sicht geteilt. 4 " Die Daily Mail stimmte in den Tenor über den Rücktritt Bethmanns ein: „The Mailed Fist Wins."412 Dies lag daran, daß Bethmann trotz seiner verantwortlichen Position bei Kriegsausbruch im Vergleich zu den preußischen Militaristen als relativ gemäßigt galt. Deshalb wurde auch vor zu großen Erwartungen gewarnt. Mit großen Auswirkungen auf den deutschen Kriegskurs wurde nicht gerechnet, auch wenn „the situation is a delicate one"413. Betont wurde aber: „The Chancellor may change; but the policy of Germany does not change. [...] So long as the Kaiser and the Crown Prince remain, so long as the Junker element holds the upper hand in the foreign an military policy of Germany, so long as Hindenburg and Ludendorff continue to direct the strategy of the war, there is hardly a hope of moderate counsels prevailing in Germany."414 Die Bevölkerung der alliierten Länder müsse sich darüber im klaren sein „that the political crisis of
402 403
Westminster Gazette, 11.1.1915, S. 4, vgl. Daily Express, 4.11.1914, S. 4. Vgl. Scotsman, 25.8.1917, S. 6.
404
Irish Times, 10.7.1917, S. 4.
405
Vgl. Liverpool Daily Post, 16.7.1917, S. 4,17.7.1917, S. 4; Yorkshire Post, 21.7.1917, S. 6.
406
Vgl. B'ham Post, 31.10.1917, S. 4.
407
Scotsman, 10.7.1917, S. 4.
408
Daily Express, 11.7.1917, S. 2.
409
Vgl. Times, 16.7.1917, S. 9. 410 Guardian, 16.7.1917, S. 4, vgl. Cambria Daily Leader, 16.7.1917, S. 2. Liverpool Daily Post, 16.7.1917, S.4. 411 Vgl. Mirror, 16.7.1917, S. 5. 412 413 4,4
Daily Mail, 16.7.1917, S. 4. Irish Independent, 11.7.1917, S. 2. Scotsman, 16.7.1917, S. 4, vgl. 18.7.1917, S. 4.
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the chief enemy is a mere domestic phase of the great war such as does not affect the fundamental issues." 415 Deshalb würden sich dadurch auch keine großen Veränderungen auf den Schlachtfeldern ergeben. Bei der Bewertung der inneren Lage in Deutschland muß darauf geachtet werden, daß sich die Zeitungen mit widersprüchlichen Aspekten auseinandersetzen mußten. Auf der einen Seite bemühten sie sich darum, die Lage in Deutschland als möglichst schlecht zu schildern, auch wenn die Informanten darauf bestanden, daß sie einen anderen Eindruck hatten. 416 Nicht nur an der militärischen Front, sondern auch in der Heimat sei die Lage für Deutschland prekär. Andererseits wurde aber immer wieder betont, daß dies nicht überbewertet werden dürfe. Damit versuchte die Presse eine Gratwanderung zwischen zwei Polen. Der Bevölkerung sollte Hoffnung auf eine Schwächung Deutschlands und damit auf eine Verkürzung des Krieges gemacht werden. Für den Fall, daß dies nicht eintreten sollte, durfte aber auch die Enttäuschung nicht zu groß werden.
2.4 Bilanz Bei der Betrachtung der Kriegsereignisse versuchten die britischen Zeitungen während des gesamten Krieges den Eindruck zu erwecken, daß sich die alliierten Truppen auf der Siegerstraße befänden. Der Verlauf der Kampfhandlungen wurde für die Alliierten fast ausnahmslos als günstig dargestellt. Sie seien entweder auf dem Vormarsch, oder stünden kurz davor. Bereits am 9. August 1914 wurde konstatiert, daß die deutsche Strategie gescheitert sei.417 Auch diese Art der Berichte zieht sich durch den ganzen Krieg. An der Gewißheit, den Sieg zu erringen, wurde kein Zweifel gelassen. Sehr kritisch äußerte sich im Nachhinein der Journalist Wrench zu derartigen Meldungen: „Nothing has strack me so much in paging through the newspaper and periodical files of the early war years as this facile optimism. The wish was certainly father to the thought. We read of allied advances and captured prisoners, but we rarely heard of the devastating effects of German counter-attacks." 418 Die Manipulation der Darstellung ging jedoch bei weitem nicht so weit, wie in der Literatur vermutet wird. So ist die Behauptung Knightleys, wonach die deutschen Siege in den Grenzschlachten „remained completely unreported in Britain until after the war was over" 419 nur bedingt zutreffend. Schon Ende August 1914 hieß es im Manchester Guardian, daß die englischen Trappen nach dem ersten Zusammentreffen mit den Deutschen „retreated due south, and not south-west, as we had imagined." 420 Dennoch soll hier nicht der Eindruck erweckt wer-
415 416 417 418 419 420
Graphic, 16.7.1917, S. 4, vgl. Reynolds's, 15.7.1917, S. 1. Vgl. Knightley, First Casualty, S. 89. Vgl. Telegraph, 9.8.1914, S. 6: „German Strategy. - How it has failed." Wrench. Struggle, S. 134. Knightley, First Casualty, S. 92. Guardian, 29.8.1914, S. 6.
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den, daß die Berichterstattung der englischen Presse immer wahrheitsgemäß erfolgte. 421 Die häufig maßlos übertriebenen Berichte über die Siege der Briten 422 und ihrer Alliierten 423 waren allgegenwärtig. Die Presse kooperierte dabei nicht nur mit der Regierung, sondern suchte nach dem eigenen Vorteil. So neigte sie zu Übertreibungen der Meldungen aus dem Krieg, um interessant zu bleiben: „In the absence of real news, it is no wonder that the press exaggerated relatively insignificant events, such as air raids." 424 In anderen Fällen erhielt mancher Journalist direkt von Lloyd George seine Anweisungen, eigentlich untergeordnete militärische Erfolge im rechten Licht darzustellen. 425 Wie Churchill in seinen Memoiren für das Jahr 1915 zugab „the truth could not be told; the case could not be argued" 426 . Dafür, daß sie sich an diese Spielregel hielten, wurde die Leistung der Presse nach dem Krieg für den „excellent service in sustaining the Home Front" 427 gelobt. Trotz ihrer Skepsis gegenüber den Journalisten wußten die Militärs deren Kooperationsbereitschaft zu schätzen. So erhielt Blumenfeld, der Herausgeber des Daily Express, schon am 3. August 1914 ein Dankesschreiben aus dem War Offlee: „[...] we very much appreciate here the public spirit in which Editors have cooperated with the War Office with regard to the publication of news" 428 . Die Bitten der militärischen Führung um Zurückhaltung hatten ihre Wirkung nicht verfehlt 429 Insgesamt ist die Berichterstattung über den Verlauf des Kriegs als sehr ambivalent zu bezeichnen. So wurden immer wieder Rückschläge beim Namen genannt. Dies trifft in größerem Umfang vor allem auf die deutsche Ostfront zu, die sich während des gesamten Krieges wesentlich mehr in Bewegung befand als die Schützengrabenlinien im Westen. Doch auch von dort wurden deutsche Siege gemeldet. Deren Geheimhaltung war aufgrund der Art der Berichterstattung von vornherein unmöglich. Obwohl zu Beginn des Krieges über einen längeren Zeitraum keine Kriegsberichterstatter an der Front zugelassen waren, konnte der Frontverlauf nicht verheimlicht werden. Besonders über Journalisten neutraler Länder gelangten über Umwege Informationen nach Großbritannien. So hätte die weitgehende Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen niemals verheimlicht werden können, da sich Amerikaner in Antwerpen und Brüssel aufhalten 421
Unberücksichtigt bleibt hier die fehlerhafte Weitergabe von Nachrichten, die nicht auf die gezielte Desinformation von Seiten der Zeitungen zurückzufuhren ist. Angeführt wurde bereits die zurückhaltende Informationspolitik der Regierung und des Militärs. Ebenfalls erschwerend wirkte das rasante Voranschreiten der Ereignisse, das es oft gar nicht ermöglichte, die neuesten Informationen zu verbreiten. 422 Vgl. News of the World, 3.10.1915, S. 6; Glasgow Herald, 4.8.1916, S. 6; Star, 3.8.1917, S. 2; Scotsman, 17.8.1914, S. 5; Chronicle, 27.9.1916, S. 4. " " V g l . Irish Independent, 9.9.1914, S. 3; Chronicle, 19.12.1914, S. 1; Daily News, 19.10.1914, S. 1. 424 DeGroot, Blighty, S. 184, vgl. S. 186, Hiery, Angst, S. 200. 425 Vgl. Aitken, Men and Power, S. 291. 426 Churchill, World Crisis, Bd. 2, S. 1134. 427 Cook, Press, S. 186. 428 HLRO/BM/Brad. 1 vom 3.8.1914. 42 ' Vgl. Riddell, War Diary, S. 2.
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konnten. Schon aus diesem Grund war es für die Zeitungen unumgänglich, auch über Negativereignisse zu berichten. Da diese ohnehin die Bevölkerung erreicht hätten, wären sämtliche Meldungen der Presse unglaubwürdig geworden, wenn der Umfang andauernder Falschmeldungen zu sehr publik geworden wäre. Anhand von Ortsnamen konnte der Frontverlauf gut nachvollzogen werden. Ohnehin neigen Leser zensierter Zeitungen dazu, diese noch aufmerksamer zu lesen und ihre Informationen auch zwischen den Zeilen herauszulesen. 430 Schließlich hatten sie auch noch andere Quellen. So mag Lloyd George zwar durchaus damit recht haben, daß „the public at home, official and unofficial, were all dosed day by day with tendentious statements about victories won, and progress made towards more assured and even greater triumphs. [...] The reports passed on to the Ministers were, as we all realised when it was too late, grossly misleading. Victories were much overstated. Virtual defeats were represented as victories, however limited their scope." 431 Dennoch kann von einer vollständigen Irreführung der gesamten Bevölkerung nicht die Rede sein. So wies nicht nur Churchill in einem Memorandum aus dem Juni 1915 das Kabinett daraufhin, daß die Royal Navy zwar die See beherrsche, die Lage zu Lande jedoch ganz anders aussehe: „The German Armies have successfully defended their own territory, and have conquered Belgium and large areas in France and Poland. They will very likely clear Galicia. [...] The Russian Army is so short of munitions that, though they may hold large forces on their front, no decisive intervention can be counted on from them for many months. [...] The French offensive has up to the present failed completely. Their army is now at its maximum, and no expansion is possible." 432 In abgeschwächter Form konnte der Durchschnittszeitungsleser ähnliche Informationen aus der Presse gewinnen. Dies wurde durch persönliche Informationsquellen verstärkt, da zumindest die große Masse der Briten Bekannte oder Verwandte an der Front hatte. Umgekehrt erreichten die Soldaten die Zeitungen aus dem Heimatland. 433 So teilte NorthclifFe im Dezember 1914 mit, daß 50.000 Exemplare bereits am Nachmittag desselben Tages die Schützengräben erreichen würden 434 Auch im Hinblick auf die Verluste war die Berichterstattung wesentlich freier, als auf den ersten Blick hätte vermutet werden können. Zwar wurden die Opfer auf deutscher Seite bei weitem übertrieben. Die Schätzungen für die eigene Seite klafften oft weit auseinander, waren widersprüchlich und manipuliert. Dennoch mußte der Bevölkerung das Ausmaß der Verluste klar werden, wenn von Hunderttausenden Verwundeten,
430
Vgl. Gellately, Robert: Hingeschaut und weggesehen. Hitler und sein Volk, Stuttgart, München 2002, S. 20. 431 Lloyd George, War Memoirs, Bd. 4, S. 2219. 432 CU, CAC, CHAR/21/39/53, Churchill ans Kabinett am 18.6.1915, vgl. CU, CAC, CHAR/21/39/61, Wilson, Rasp, S. 293, Wilson an Bathurst am 18.6.1918. 433 Vgl. Fussell, Paul: The Great War and Modern Memory, London, Oxford, New York 1977, S. 65, Ferguson, Pity, S. 237. 434 Vgl. BL. Mss., Northcliffe Papers, Add. 62165A/64, NorthclifFe an Cecil am 15.12.1914.
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Vermißten und Gefallenen gesprochen wurde. Darüber hinaus können die exakten Zahlen für ein bestimmtes Datum auch heute nicht ermittelt werden. Wie die einzelnen Kämpfe tatsächlich verliefen, welche Hintergründe und welche Folgen zu berücksichtigen waren, mußte dem Großteil der Bevölkerung in ihrer ganzen Breite verschlossen bleiben. Dies hätte fatale Folgen für die Moral der Bevölkerung haben können. Damit dies so blieb, trug die Presse ihr möglichstes dazu bei. „Never was Press control in any country so effective as in Great Britain during the first six months of the war"435 zeigte sich Churchill in seinen Memoiren überzeugt. Noch effektiver sei jedoch die freiwillige Selbstbeschränkung durch die Newspaper Press Association. Wie gezeigt, war die Zensur aber keineswegs so rigide436, wie angenommen wurde. Es war vor allem eine freiwillige Bereitschaft der Zeitungen, wichtige Nachrichten zu unterdrücken. Diese kann auf mehrere Ursachen zurückgeführt werden. An erster Stelle standen sicher die patriotischen Interessen. Aber auch die Loyalitäten zu befreundeten Politikern und Journalisten sind nicht zu vernachlässigen.437 Das Erstaunliche am Verhalten der britischen Presse hinsichtlich der Berichterstattung über die Kriegsereignisse ist eben nicht, wie stark die Presse durch die Zensur in ihrer Berichterstattung eingeschränkt wurde, sondern was trotzdem ohne Konsequenzen veröffentlicht werden konnte und durfte 438
3. Die britische Kriegspropaganda 3.1 Einführung Mit den Worten „An dieser feindlichen Kriegspropaganda habe auch ich unendlich gelernt" zollte kein geringerer als Adolf Hitler den Alliierten Anerkennung für ihre „Arbeit" im Ersten Weltkrieg. Aus seiner Sichf waren sie „mit unerhörter Geschicklichkeit und wahrhaft genialer Berechnung"439 vorgegangen. Auch Generalstabschef Erich Ludendorff respektierte die Leistungen der Gegner auf diesem Gebiet.440 In der Literatur herrscht weitgehende Einigkeit darüber, daß für einen erfolgreichen Krieg nicht nur die Lage an der Front zählt, sondern neben wirtschaftlichen Faktoren auch die Propa-
435
Churchill. World Crisis, Bd. 2, S. 1133. Vgl. Fussell, Great War, S. 87. 437 Vgl. Marquis, Alice: Words as Weapons: Propaganda in Britain and Germany during the First World War, in: Journal of Contemporary History 13 (1978), S. 467-498, hier S. 478. 438 Vgl. Müller, Nation, S. 28. 439 Hitler, Mein Kampf, S. 193f, vgl. S. 201. 440 Vgl. Ludendorff, Erich: Meine Kriegserinnerungen 1914-1918, Berlin 1919, S. 290. 436
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gandafront 441 eine unerläßliche Rolle spielt.442 Ein französischer Satiriker habe dazu gesagt, es gebe zwei Kriege: „[...] the one fought and the one talked" 443 . Einen zentralen Beitrag der alliierten Propagandaarbeit 444 leisteten die britischen Zeitungen. Deren wichtigste Aufgabe, so ein deutscher Schriftsteller im Jahr 1918, sei es gewesen, „Haß gegen Deutschland und seine Verbündeten zu säen" 445 . Das geeignete Mittel dazu war die Berichterstattung über deutsche Greueltaten. Schon vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren derartige Meldungen in Großbritannien, wie auch die Herabsetzung anderer Länder, nichts Ungewöhnliches. 446 Als Bestandteil bewaffneter Auseinandersetzungen wurde dies immer wieder thematisiert. So beschuldigte der Daily Herald noch zehn Jahre nach Ende des Burenkrieges die Jingo Press, sie habe vor dessen Ausbruch 1899 über die schlechte Behandlung von Engländern in den Burenstaaten berichtet: „It was these infamous lies that created in this country the war fever" 447 . Ganz ähnliche Vorwürfe, wie sie den Deutschen später gemacht wurden, hatten sich die Engländer dabei gefallen lassen müssen. Von wiederholten Verletzungen der Genfer Konventionen, der Verwendung von Dum-Dum-Geschossen und der Mißachtung der Flagge des Roten Kreuzes war die Rede. 448 Unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 gehörten während der Balkankriege 1912/13 Meldungen über Massaker der Truppen verschiedener Länder immer wieder zur Berichterstattung. 449 Den dortigen Staaten wurde vorgeworfen, daß sie „appear to be hardly distinguishable from barbarians." 450 Dieser Behauptung lagen die vielfältigen Berichte von Greueltaten zugrunde. So wurde von den Greueltaten der Bulgaren 451 ebenso berichtet, wie von epirotischen 452 und türkischen 453 Menschenrechtsver-
441
Zum Organisationsschema der britischen Propaganda im Ersten Weltkrieg vgl. Sanders/Taylor, Propaganda, S. 216-219. 442 Vgl. Lasswell, Harold: Propaganda Technique in World War I, Cambridge/Massachussetts, London 1927/ND 1971, S. 214. 443 Ferguson, Pity, S. 246. 444 Zur Propaganda vgl. u.a. Sanders, Michael: Wellington House and British Propaganda during the First World War, in: Historical Journal, 18,1 (1975), S. 119-146, bes. S. 119-121, MacKenzie, John: Propaganda and Empire. The Manipulation of British Public Opinion 1880-1960, Manchester 1984, Haste, Home Fires, S. 21-47. 445 Kellen, Presse, S. 7. 446 Vgl. Hiery, Angst, S. 192. 447 Daily Herald, 26.12.1912, S. 8. 448 Vgl. Vallentin, Wilhelm: Hunnen in Süd-Afrika. Betrachtungen über englische Politik und Kriegsführung, Berlin 1902, S. 55, vgl. S. 55-82. 449 Vgl. Cambria Daily Leader, 31.12.1912, S. 1, 24.7.1913, S. 1; Yorkshire Post, 9.11.1912, S. 8; Daily Herald, 8.8.1912, S. 1; Star, 31.10.1912, S. 1; Irish Independent, 28.7.1912, S. 5; Graphic, 2.10.1912, S. 4; Daily Mail, 25.10.1912, S. 7; Evening News, 23.7.1913, S. 1; Guardian, 3.9.1912, S. 6. 450 Telegraph, 4.7.1913, S. 10, vgl. Reynolds's, 20.7.1913, S. 1. 451 Vgl. Telegraph, 19.7.1913, S. 12; Reynolds's, 27.7.1913, S. 2. 452 Vgl. Daily News, 7.5.1914, S. 1. Epirus: Westgriechischer Landesteil, bewohnt von den Epiroten. 453 Vgl. Telegraph, 26.7.1913, S. 12; Daily News, 6.8.1913, S. 5; Times, 17.6.1914, S. 7.
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letzungen. Die männliche Bevölkerung ganzer Dörfer sei von bulgarischen Truppen ausgelöscht worden.454 Auch über die Verbrechen im mexikanischen Bürgerkrieg wurde berichtet.455 Ebenso gab es Berichte aus Femasien über die Mißhandlung von Koreanern durch Japaner: „Toasted Alive"456. Selbst die diplomatischen Partner Großbritanniens kamen nicht ungeschoren davon. So wurde Rußland für sein Verhalten in Persien schwer kritisiert: „The Triumphant Beast in Persia."457 Aus Marokko wurde von einem „Massacre of French in Fez"458 berichtet. Mit dem Kriegseintritt des Vereinigten Königreichs in der Nacht vom 4. auf den 5. August 1914 wurde absehbar, daß wie jeder andere zeitgenössische Krieg, auch dieser nicht frei von Greueltaten sein werde. Für die britische Regierung ergab sich dabei ein besonderer Rechtfertigungsdruck. Da ein großer Teil des Landes einem Kriegseintritt ablehnend gegenüber gestanden hatte459, mußte das Vorgehen des Landes der breiten Bevölkerung nun plausibel gemacht werden. Das besondere Problem bestand darin, daß Großbritannien zu dieser Zeit keine Wehrpflicht hatte. Die britische Armee war also auf Freiwilligenmeldungen angewiesen, um ihren Verbündeten zu Hilfe eilen zu können. Aus diesem Grund wurde auf die Rechtmäßigkeit und Ehrenhaftigkeit des englischen Verhaltens hingewiesen.460 Weiterhin wurden die eigenen Interessen als Interventionsgrund betont 461 Hatte Belgien vor dem britischen Kriegseintritt nur eine untergeordnete Rolle gespielt, so änderte sich dies ganz massiv. Churchill faßte es in seinen Memoiren in die Worte, daß „every British heart burned for little Belgium."462 Mehr und mehr rückte das kleine Land in den Mittelpunkt: „We are at war, and the immediate occasion for our going to war is the German attack on Belgium. It is an unprovoked attack against an entirely unoffending nation, and a crime against the comity and civilisation of Western Europe, which, if tolerated, would set back the international clock for many
454
Vgl. Irish Independent, 10.9.1913, S. 4. Vgl. Star, 6.12.1913, S. 5: „'Atrocities.' - Federal Tales of the Mexican Rebels. - Tortures. - Men and Women blown up by Dynamite." 456 Sketch, 22.7.1912, S. 6. 457 Daily Herald, 23.8.1912, S. 4. 458 Daily Express, 23.4.1912, S. 5. 459 Vgl. Kapitel 4. 460 Vgl. z.B. die Rede „Through Terror to Triumph." von Lloyd George in der Queenshall, London am 19.9.1914: „Why is our honour as a country involved in this war? Because in the First Instance, we are bound by honourable obligations to defend the independence, the liberty, the integrity, of a small neighbour that has always lived peaceably." In: HLRO/LGP/C/36/2/29, S. 4. 441 Vgl. Daily Mail, 6.8.1914, S. 7: „The maintenance of Belgian and Dutch independence is vital to the British Empire, as the seaports of Belgium and Holland dominate the Channel and the North Sea, our main lines of communication by water." 442 Churchill, World Crisis, Bd. 1, S. 164, vgl. Spender, John [Alfred]: Fifty Years of Europe. A Study in Pre-War Documents, London, Toronto, Melbourne, Sydney 1933, S. 419, Brock, Britain, S. 176-178. 455
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a long year." 463 Schnell fanden die Zeitungen daran Gefallen, England kämpfe fur „little Belgium" 464 . Am bekanntesten in diesem Zusammenhang ist eine Rede des britischen Premiers Asquith. Darin bezeichnete er die Garantie Deutschlands, die Integrität Belgiens im Falle der englischen Neutralität wahren zu wollen, als „infamous proposal." 465 Dies war besonders deshalb wichtig, da eines der Hauptargumente für die Intervention die Möglichkeit einer deutschen Annexion belgischer Gebiete war. Deshalb mußte die Erklärung des Kaiserreiches als unzumutbar dargestellt werden, da ansonsten der offizielle Grund für das englische Eingreifen weggefallen wäre. Dies geschah auf eine denkbar einfache Weise. Da Deutschland nicht einmal durch vertragliche Verpflichtungen die Neutralität gewahrt hatte, könne auch nicht mit der Einhaltung anderer Versprechen gerechnet werden. Besondere Empörung rief zudem eine Äußerung des deutschen Kanzlers hervor. Bethmann hatte in einem Gespräch mit dem englischen Botschafter bedauert, daß England für „a scrap of paper" 466 in den Krieg ziehe. Daran wurde auch während der Krieges immer wieder erinnert. 467 Dies bestätigte den Eindruck der Engländer „For the Right!" 468 zu kämpfen. Aus Dankbarkeit für die englische Unterstützung habe in Antwerpen sogar eine Demonstration stattgefunden. 469 In den Zeitungen wurde die belgische Neutralität zum Bindeglied zwischen den vormaligen Interventionsgegnern und den Kriegsbefürwortern. 470
3.2 Kriegsschuld „The German cause may make the strongest appeal to our hearts, for the French are the aggressors" 471 hieß es in der Times unmittelbar nach Ausbruch des deutschfranzösischen Krieges 1870. Als nicht direkt in die Kampfhandlungen verwickelt, konnten die britischen Zeitungen diesen Krieg als neutrale Beobachter von außen verfolgen. 463
Chronicle, 5.8.1914, S. 4, vgl. Daily News, 5.8.1914, S. 4; Mirror, 5.8.1914, S. 3; Daily Express, 5.8.1914, S. 4; Telegraph, 5.8.1914. S. 7; Yorkshire Post, 5.8.1914, S. 6; B'ham Post, 7.8.1914, S. 4; Lloyd's, 9.8.1914, S. 8. 464 Daily Mail, 12.8.1914, S. 2, vgl. 20.8.1914, S. 4, Ferro, Great War, S. 124. 465 Times, 7.8.1914, S. 7, vgl. Graphic, 7.8.1914, S. 4; Daily News, 7.8.1914, S. 4; News of the World, 27.12.1914, S. 8. 466 Β DOW XI, Nr. 671 vom 6.8.1914 (eingetroffen am 19.8.1914), S. 351, Goschen an Grey: „He [Bethmann] said that the step taken by His Majesty's Government was terrible to a degree, just for a word .neutrality' a word which in war time had so often been disregarded - just for a scrap of paper." 467 Vgl. Westminster Gazette, 19.4.1915, S. 1; Chronicle, 14.12.1916, S. 1; Star, 10.1.1917, S. 2; Graphic, 2.3.1917, S. 4; Herald. 31.3.1917, S. 9; Lloyd's, 31.1.1915, S. 10; Daily Express, 9.4.1917, S. 2; News of the World, 22.7.1917, S. 4. 468 People, 9.8.1914, S. 6, vgl. Graphic, 5.8.1914, S. 4; News of the World, 9.8.1914, S. 3: „Britain to stand for justice and liberty", S. 4: „Britain strikes for Liberty." 469 Vgl. Times, 8.8.1914, S. 5. 470 Vgl. Keiger, Union Sacree, S. 48, Samuel, Herbert: Memoirs, London 1945, S. 105. 471 Times, 21.7.1870, S. 8.
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Wesentlich anders sah dies im Jahre 1914 aus. Als eine der umstrittensten Historikerkontroversen 472 der deutschen Nachkriegsgeschichte, vertrat Fischer die These von der Hauptschuld Deutschlands am Krieg. 473 Zahlreiche Historiker und Publizisten schlossen sich dem bis heute an oder widersprachen. 474 Ziel dieser Arbeit kann es nicht sein, eine Lösung dieser Frage anzustreben. Durch die Auswertung bislang weitgehend vernachlässigter Quellen kann dieser Diskussion jedoch eine neue Komponente hinzugefugt werden. Anhand zeitgenössischer Zeitungen läßt sich zeigen, wie die Frage nach der Verantwortung für den Kriegsausbruch aus damaliger Sicht betrachtet wurde. Der besondere Vorteil einer solchen Untersuchung liegt darin, daß anders als bei Memoiren die Erfahrungen aus dem Krieg selbst keinen Einfluß auf die Darstellung ausüben konnten. Für den Untersuchungszeitraum ist dabei die Zeit vor und nach der britischen Kriegserklärung voneinander abzugrenzen. 3.2.1 Vor der Intervention Großbritanniens Als engster Vertrauter des Vereinigten Königreiches im Konzert der Mächte wurde dem unmittelbaren Nachbarn Frankreich hinsichtlich einer möglichen Kriegsschuld nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Lediglich der Daily Mirror forderte die Republik auf, alles dafür zu tun, daß Rußland nicht gegen Österreich in den Krieg ziehe. 475 Hinzu kommt noch ein Leserbrief in derselben Zeitung. Darin wird Frankreich als „the dangerous corner" bezeichnet: „France is spoiling for a fight. She wants her 'revenge' - long prayed for, long planned." 476 Aufgrund des vermeintlichen Desinteresses Frankreichs am Balkan und seinen innenpolitischen Schwierigkeiten wurde die Frage nach seiner Verantwortung für einen möglichen Krieg aber kaum thematisiert. Wie bereits an anderer Stelle eingehend erörtert, sah dies für Österreich ganz anders aus 477 Hier soll nochmals darauf verwiesen werden, daß die österreichischen Maßnahmen als hart, teilweise sogar als zu hart betrachtet wurden. Auf breiter Front wurde der Donaumonarchie jedoch ein hoher Grad an Verständnis zuteil. Nur wenige Stimmen machten die Doppelmonarchie für einen bevorstehenden europäischen Krieg verantwortlich. Erst am 28. Juli sprachen die ersten Zeitungen von der Gefährlichkeit ihres
472
Vgl. z.B. Moses, John: The Politics of Illusion: The Fischer controversy in German historiography, London 1975; Böhme, Helmut: 'Primat' und 'Paradigmata'. Zur Entwicklung einer bundesdeutschen Zeitgeschichtsschreibung am Beispiel des Ersten Weltkrieges, in: Lehmann, Hartmut (Hg.): Historikerkontroversen, Göttingen 2000, S. 87-139. 473 Vgl. Fischer, Fritz: Deutschland und der Ausbruch des Weltkrieges - In Erwartung des Blitzsieges, in: Schieder, Wolfgang (Hg.): Erster Weltkrieg. Ursachen, Entstehung und Kriegsziele, Köln, Berlin 1969, S. 29-70, hier S. 54, Fischer, Weltmacht, S. 104. 474 Vgl. Berghahn, Zeitalter, S. 52, Haffner, Todsünden, S. 11, Ferguson, Pity. 475 Vgl. Mirror, 29.7.1914, S. 7. 476 Mirror, 30.7.1914, S. 7. 477 Vgl. Kapitel 4: 4.1 Österreich und Serbien.
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Vorgehens hinsichtlich möglicher gesamteuropäischer Auswirkungen. 478 Sehr scharf formulierte die Times am Tag darauf den Vorwurf, Österreich habe alles getan „to prevent the prevention of war, and to cut off, both for herself and others all possibility of escape from war." 479 Dies bezog sich in erster Linie noch auf den Konflikt mit Serbien. Erst im August wurde die Verantwortung Österreichs für einen gesamteuropäischen Krieg deutlicher gemacht:, A great European Monarchy has denied to a little nation the elementary rights of an independent Government." 480 Dies bedeutete jedoch nicht zugleich die Befürwortung einer englischen Intervention. Hervorzuheben ist, daß diese Meinung vor allem in den letzten Tagen vor dem englischen Kriegseintritt geäußert wurde. 481 Auch wenn von anderer Seite ebenfalls eine Mitverantwortung Österreichs in Betracht gezogen wurde, stand hinsichtlich eines europäischen Krieges von Anfang an Rußland im Blickpunkt der Kritiker. Bereits nach der Übergabe des österreichischen Ultimatums an Serbien wurde die Verantwortung des Zarenreichs für den weiteren Fortgang der Auseinandersetzung hervorgehoben 482 Schon am 25. Juli warnte der Daily Sketch vor einer Ausweitung der Krise: „The greatest danger at the moment is the Russian war party, which is always difficult to repress when Slav questions are raised." 483 Selbst die Daily Mail, die an ihren Sympathien für Rußland keinen Zweifel ließ, gab zu, daß „the general opinion was that subsequent developments must depend on the attitude of Russia." 484 Auch der seriöse Daily Telegraph vertrat die Meinung „that the outcome of the crisis mainly, if not entirely, depends on the attitude of Russia in her role of protectress of the Slavs." 485 Deutschland habe im Falle eines russischen Eingreifens keine andere Wahl, als ebenfalls zu intervenieren: „The real pivot of the situation lies, primarily in St. Petersburg, and only in a secondary degree in Berlin." 486 Die Krise sei durch ,,[t]he intrigues of Russia with Servia" hervorgerufen worden. Die Mobilisierung der russischen Armee „would precipitate Armageddon." 487 Den Höhepunkt erreichte die Warnung vor einem russischen Vorgehen am Tag nach der österreichischen Kriegserklärung an Serbien. In fast allen Tageszeitungen wurde die Bedeutung des weiteren Verhaltens von Rußland
478
Vgl. Daily Express, 28.7.1914, S. 4; Daily Mail, 28.7.1914, S. 4. Times, 29.7.1914, S. 7. 480 Times, 2.8.1914, S. 3, vgl. S. 4; Reynolds's, 2.8.1914, S. 1. 481 Vgl. People, 2.8.1914, S. 8; Times, 3.8.1914, S. 7. 482 Vgl. Chronicle, 24.7.1914, S. 1: „Much depends upon the attitude of Russia." Daily News, 25.7.1914, S. 1: „The all-important factor is Russia", vgl. S. 4. 483 Sketch, 25.7.1914, S. 5. 484 Daily Mail, 25.7.1914. S. 5f, hier S. 6, vgl. S. 4. 485 Telegraph, 25.7.1914, S. 11. 486 Telegraph, 27.7.1914, S. 10, vgl. S. 11: „It is the attitude of Russia, indeed, that the danger of the present crisis centres." Vgl. Daily Herald, 27.7.1914, S. 1; Daily News, 27.7.1914, S. 3; Guardian, 27.7.1914, S. 8; News of the World, 26.7.1914, S. 1: „Everything depends upon Russia." 487 Chronicle, 29.7.1914, S. 6. 479
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herausgestellt: „The fate of Europe now rests with Russia." 488 Wenn es zu einem russisch-österreichischen Krieg kommen sollte, wäre eine Kettenreaktion unvermeidlich. Der Daily Express widersprach der französischen Temps. Provokativ habe diese erklärt, der nächste Schritt liege bei Deutschland: „No. The next step, if there must be one, is with St. Petersburg." 489 Dessen Weigerung, eine Neutralitätserklärung abzugeben, „would set Europe ablaze overnight." 490 Sollte Rußland tatsächlich mobilisieren, so müsse Deutschland darauf reagieren: ,At a certain point in Russia's mobilisation Germany cannot wait." 491 Somit irrt Botschafter Lichnowsky in seiner Annahme, daß es dem „mit militärischen Verhältnissen wenig vertrauten Engländern [...] schwer zu erklären [war], weshalb nicht wir, ähnlich wie es Rußland getan, uns auch auf die Mobilmachung beschränken konnten." 492 Deutschlands wesentlicher Vorteil liege in seiner Mobilisierungsgeschwindigkeit: „How, then, can she be expected to give away points to her Russian rival in exactly that matter in which she feels herself strong?" 493 Schon eine Teilmobilisierung Rußlands wurde als ausreichend betrachtet, um deutsche Gegenmaßnahmen hervorzurufen. 494 Auch der Manchester Guardian unterstrich die besondere Verantwortung Rußlands: „Everyone professes to be anxious to 'localise' the war. [...] But only one Power can do it, namely Russia." Rußland trage daher die Hauptverantwortung. 495 Noch am 1. August wurde die Folge des Zustandes drohender Kriegsgefahr in Deutschland als unmittelbare Folge von dessen Mobilmachung bezeichnet. 496 Dagegen standen zunächst keine Äußerungen, die den möglichen Kriegsausbruch der deutschen Seite anlasteten. Wie in Kapitel 4 zu den einzelnen Konfliktparteien gezeigt, wurde vielmehr die Friedfertigkeit des Landes betont. Erst ab August 1914 mehrten sich anderslautende Stimmen. Gefördert wurde dies durch die russische Erklärung, wonach deren Mobilmachung eine reine Reaktion auf das deutsche Vorgehen sei. 497 In diesen Tagen setzte ein Meinungswandel der Zeitungen ein. Noch am 30. Juli hatte der Daily
488
Daily Express, 29.7.1914, S. 1, vgl. Daily News, 29.7.1914, S. 4; Yorkshire Post, 29.7.1914, S. 6: „So far as we can see, the peace of Europe depends solely upon Russia"; Telegraph, 29.7.1914, S. 10. 489 Mirror, 29.7.1914, S. 7. 490 Daily Express, 29.7.1914, S. 1, vgl. Sketch, 29.7.1914, S. 8f. 491 Telegraph, 31.7.1914, S. 8, vgl. Chronicle, 30.7.1914, S. 1; 31.7.1914, S. 1; Daily Express, 31.7.1914, S. 4. 492 Lichnowsky, Abgrund, Bd. 1, S. 48. 493 Telegraph, 31.7.1914, S. 8. 494 Vgl. Chronicle, 30.7.1914, S. 1; Daily Herald, 30.7.1914, S. 1. Der Telegraph, 30.7.1914, S. lOwarzwar der Meinung dies sei „a mere matter of precaution, but it is one of those unfortunate measures which, however necessary, are undoubtedly provocative." 495 Vgl. Guardian, 30.7.1914, S. 8, 3.8.1914, S. 6; Daily News. 3.8.1914. S. 6. 496 Vgl. Times, 1.8.1914, S. 8; Daily Mail, 1.8.1914, S. 4. 497 Vgl. Daily Mail, 1.8.1914, S. 5.
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Sketch den Zaren als den entscheidenden Mann über Krieg und Frieden bezeichnet.498 Zwei Tage später hieß es: „If the Kaiser raises his hand to signal war the map of Europe will be torn to shreds."499 Danach häuften sich derartige Beschuldigungen in den konservativen Zeitungen. So bezeichnete der Observer am 2. August das deutsche Ultimatum an Rußland als „the real Declaration of War."500 Ziel sei „the establishment of complete German control of the Balkans, the Dardanelles, Asia Minor, and of the land and sea routes to Egypt and India." Rußland habe auf diese Gefahr nicht anders reagieren können. Deutschland und Österreich wollten die Neutralität Englands erreichen, um es zu isolieren. Letztlich „it is against Britain that their blow is chiefly aimed."501 Vom folgenden Tag an wurde die Schuld am Ausbruch des Krieges zusehends dem Kaiserreich angelastet. Ein Akt „of deliberate outrage has been done against this country by Germany [...] we have been wantonly challenged to throw ourselves instantly into a war in which we had proclaimed ourselves to have no direct interests"502. Unabhängig davon, ob Deutschland gewinne oder verliere, „history will record the fact that overweening German ambition is the one and only reason for the present war. Germany has forced war on Europe". Seit Tagen schon „it has been evident that Germany intended to plunge Europe into a horrible war."503 Am letzten Tag vor der englischen Kriegserklärung an Deutschland hieß es dann nicht nur, daß Deutschland die Hauptschuld am Ausbruch des Krieges trage. Vielmehr sei es so „that Germany has deliberately brought on this crisis which now hangs over Europe."504 Diese Behauptungen der konservativen Presse aus den letzten Friedenstagen decken sich mit der These der deutschen Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges.505 Im Gegensatz dazu steht jedoch die Mehrheit der untersuchten Zeitungen. Nicht Deutschland, sondern Rußland wurde über den längsten Zeitraum der Julikrise von diesen als die verantwortliche Macht für die Ausweitung des Konfliktes gesehen. Wie Frankreich für Rußland, wurde Deutschland zugebilligt, seinem Partner Österreich notfalls beistehen zu müssen. Diese Sicht gilt auch für die konservativen Zeitungen. Diese änderten ihre Meinung erst, nachdem es tatsächlich zur Eskalation des Konfliktes gekommen war. Österreich und Serbien spielten nach Meinung der englischen Presse hinsichtlich der Verantwortung für die Ausweitung des Krisengebietes keine große Rolle. Auch für England selbst sahen die Zeitungen keine direkte Verantwortung. Nur vereinzelt wurde kritisiert, daß Rußland durch englische Zeitungen ermutigt werde, die dem Zarenreich
4.8
Vgl. Sketch, 30.7.1914, S. 3. Sketch, 1.8.1914, S. 6. 500 Observer, 2.8.1914, S. 6. 501 Times, 2.8.1914, S. 5. Der selbe Text wurde am nächsten Tag, 3.8.1914, S. 7 wiederholt. 502 Telegraph, 3.8.1914, S. 6. 503 Daily Express, 3.8.1914, S. 4. 504 Times, 4.8.1914, S. 7, vgl. Daily Mail, 4.8.1914, S. 6f; Sketch, 4.8.1914, S. 1, 3. 505 Vgl. Fischer, Weltmacht, S. 104, Geiss, Kriegsschuldfrage S. 210-213, 228. 4.9
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Unterstützung versprächen. 506 Dem Schloß sich der Daily Herald an. Am 4. August wurde postuliert, daß eine klare Aussage Englands einen Krieg hätte verhindern können: „Russia would not have shown that headlong anxiety to rush to arms; Germany would not have declared war; the catastrophe that confronts us might well have been averted." 507 Umgekehrt glaubten die konservativen Zeitungen eher, daß eine eindeutige Stellungnahme zugunsten Rußlands Deutschland von einem Krieg abgeschreckt hätte.508 Fazit für die Zeit vor dem englischen Kriegseintritt ist, daß nicht nur die deutschen Zeitungen Rußland die Verantwortung für die Ausweitung des Krieges anlasteten. 509 Vor dem Weltkrieg war die britische Presse nicht der Ansicht, daß dieser im kleinsten Kreise in Berlin und Wien beschlossen worden sei.510 Selbst der englische Premier vertrat in einem Brief vom 1. August 1914 die Ansicht, daß „the German Emperor's efforts for peace had been suddenly arrested & frustrated by the Czar's decree for a complete Russian mobilisation." 511 Noch nach dem Krieg bescheinigten verschiedene britische Politiker der deutschen Führung, allen voran Kaiser und Kanzler, den Krieg nicht gewollt zu haben. 512 Es war die russische Mobilisierung, die aus englischer Sicht für die Entlokalisierung der Krise sorgte.513 Da dies schon in den Zeitungen mehr als ein offenes Geheimnis war, mußte sich die russische Regierung dieser Wirkung ebenfalls bewußt sein.514 Die These Haffners, daß es an Deutschland lag, daß der Weltkrieg „fällig geworden war" 515 , kann aus zeitgenössischer britischer Sicht nur verneint werden.
506
Vgl. Daily News, 31.7.1914, S. 4: „One point is clear, which is that by the Press declaring that our duty to support France and Russia, Russia is thereby encouraged to make war on Austria, and a general war will necessarily follow." 507 Daily Herald, 4.8.1914, S. 5, vgl. Daily News, 29.7.1914, S. 4: „Left to herself Russia is not likely to take up that challenge. And, as we have said, there is no just ground for doing so." 508 Vgl. BL, Mss., Bertie Papers, Add. 63033/102 vom 30.7.1914, Bertie an Grey: „The feeling here is that peace between the Powers depends on England, that if she declare [sic!] herself solidaire with France + Russia there will not be war for Germany will not face the danger to her of her supplies by sea being cut off by the British Fleet." Vgl. Goodspeed, German Wars, S. 131: , Λ clear statement by Grey either of Britain's neutrality or of her belligerency on the side of the Entente would have prevented the war, in the first instance by restraining France and Russia, and in the second by causing Germany, much earlier to restrain Austria." 509 Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 257,273. 510 Vgl. Berghahn, Sarajevo, S. 101, 104. 511 Asquith, Letters, S. 139 vom 1.8.1914, vgl auch die Einschätzung Jagows, in: APDRIV-2, Dok. D72 vom 18.7.1914, S. 763. 512 Vgl. Grey, Years, Bd. 2, S. 25, 171, 227, 230-232, Lloyd George, War Memoire, Bd. 1, S. 55f. 5,3 Vgl. Anrieh, Politik, S. 64. 514 Vgl. Schröder, England, S. 156, Anm. 70. 5,5 Haffner, Todsünden, S. 11.
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3.2.2 Nach Kriegsausbruch Zu einer radikalen Änderung der Meinung hinsichtlich der Kriegsverantwortung kam es mit dem Kriegseintritt Großbritanniens. Die Meinungen der Julikrise, die vor allem Rußland als hauptverantwortlich für den Krieg sahen, wurden nicht mehr thematisiert. Der Feind Deutschland, nicht mehr der Verbündete Rußland, war nun der Sündenbock. Bereits unmittelbar nach Kriegsausbruch ließen die meisten Zeitungen keinen Zweifel daran.516 Die Situation vor dem Krieg wurde nun so dargestellt, als ob das Zarenreich sein bestes getan habe „to keep the controversy within the limits of a diplomatic discussion"517. Dies änderte sich bis zum Kriegsende nicht.518 Mehr und mehr wurde Deutschland als Alleinschuldiger betrachtet: „It is now apparent that Germany used the events of July of last year to bring about the war, and that even when Austria was ready for conciliation Berlin would have none of it."519 Allein der sozialistische Herald wagte es während des Krieges, klarer gegen die vollständige, alleinige Schuld aller Deutschen Stellung zu beziehen: „ We made no war. Our German brothers made no war. The war came upon us as the result of ambitions and complications which we had never been allowed to understand and about which our rulers had told us lies."520 Auch die Westerminster Gazette blieb anfangs ihrem vorsichtigen Kurs treu: „It will be for the historian rather than for us who are spectators to judge of the motives of those who have brought this catastrophe on Europe."521 Doch auch sie konnte sich dem allgemeinen Tenor der deutschen Verurteilung schon bald nicht mehr entziehen.522 Selbst für den Manchester Guardian, der lange für die Neutralität Englands eingetreten war, stand die M l
Kriegsschuldfrage nach dessen Ausbruch nicht mehr zur Disposition. Während die Anschuldigung, Deutschlands Ziel sei schon lange „the hegemony of Europe and the world-control which we and our allies exercise"524 gewesen, anfangs noch recht vage blieb, präzisierte sich diese mit dem Fortgang der Ereignisse. So lag für die Westerminster Gazette der Auftakt dafür bereits im Jahre 1912. Die Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen in diesem Zeitraum wurde nun als absichtliches Täuschungsmanöver dargestellt.525 Der Journalist Blatchford ging in seinen Erinnerun-
516
Vgl. Mirror, 5.8.1918, S. 6; Glasgow Herald, 7.8.1914, S. 4; Scotsman, 5.8.1914, S. 6, 6.8.1914, S. 4; Irish Independent, 5.8.1914, S. 4; Evening News, 5.8.1914, S. 2; Daily News, 18.9.1914, S. 4. 517 Telegraph, 20.2.1915, S. 8. 518 Vgl. z.B. Chronicle, 21.8.1915, S. 6; Times, 27.1.1916, S. 9; Lloyd's, 29.11.1914, S. 14. 519 Liverpool Daily Post, 2.8.1915, S. 4. 520 Herald, 5.5.1917, S. 9. 521 Westminster Gazette, 6.8.1914, S. 1. 522 Vgl. Westminster Gazette, 13.8.1914, S. 3. 523 Vgl. Guardian, 4.8.1915, S. 4, 3.2.1916, S. 6. 524 Western Mail, 5.8.1914, S. 4. 525 Vgl. Westminster Gazette, 1.9.1915, S. 1.
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gen sogar soweit, Deutschland vorzuwerfen, sich 40 Jahre lang gezielt auf den Ersten Weltkrieg vorbereitet zu haben.526 Es kam zu einer vollkommenen Umkehr der Argumentation. Nicht mehr der Zar, sondern ,,[t]he head of the German Government had but to whisper the word 'peace,' and there would have been no war."527 Als besonders schlimm betrachtete die Liverpool Daily Post das deutsche Verhalten. Als eine der Zeitungen, die bis zuletzt gegen eine Intervention Stellung bezog, fühlte sie sich verraten: „While Great Britain worked for the peace of Europe, Germany all the time had peace on her lips, but war in her heart."528 Die Behauptung, Deutschland führe einen Verteidigungskrieg, wurde bestritten: „Every time that Germany declares that this war was forced upon her neutral peoples regard her as persisting in a lie which can hardly deceive her own citizens. The evidence of her blood-guiltiness is conclusive."529 Die Bemühungen des Landes „to persuade neutral States that the war was forced upon her by this and other countries, is one of the most remarkable perversions of fact on record."530 Besondere Schuld wurde dem Kaiser angelastet: „He it was who took and kept the fatal decision to make war if Russia mobilised."531 Gegen Ende des Krieges forderte die Daily Mail die deutsche Bevölkerung auf, sich über Wilhelm Gedanken zu machen: „The fatal decisions which have brought such unimaginable woe upon Germany and Europe have in every case been his."5i2 Wilhelm II. wurde zu „the monarch who has ruthlessly endangered the civilisation of Europe in order that his ambitions may be satisfied."533 Auffällig dabei ist, daß Österreich bei der Diskussion um die Verantwortung weitgehend außen vor gelassen wurde. Nur kurz tauchten die österreichischen Protagonisten bei der Kriegsschulddiskussion auf, beispielsweise Berchtold anläßlich seines Rücktritts als „The Man who made the War."534 Selten wurde darauf verwiesen, daß dieses Land die Wahl zwischen Krieg und Frieden gehabt hätte.535 Nicht die Kriegserklärung der Donaumonarchie an Serbien wurde als ausschlaggebend betrachtet, sondern „Germany broke the peace of Europe by declaring war upon Russia."536 Dies lag daran, daß unter den Mittelmächten Deutschland als dominierender Faktor wahrgenommen wurde: „Can anyone believe that Germany, of all Powers, would be content to allow Austria, of her own initiative and without consultation, to drag her into a European war? Such a thing
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Vgl. Blatchford, Eighty Years, S. 248, Glasgow Herald, 26.10.1918, S. 4. B'ham Post, 5.9.1914, S. 6. Liverpool Daily Post, 7.8.1914, S. 4, vgl. South Wales Daily News, 7.8.1914, S. 4.
529
Scotsman, 28.10.1915, S. 6, vgl. Yorkshire Post, 6.8.1917, S. 4.
530
Yorkshire Post, 2.9.1914, S. 4.
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Herald, 6.4.1918, S. 6, vgl. Scotsman, 28.8.1914, S. 4.
532
Daily Mail, 21.9.1918, S. 2, Hervorhebung im Original, vgl. Telegraph, 20.2.1915, S. 8.
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Cambria Daily Leader, 7.8.1914, S. 4. Daily Mail, 14.1.1915, S. 4. Vgl. B'ham Post, 30.7.1917. S. 4. B'ham Post, 31.7.1915, S. 6.
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is unthinkable in view of the relations between Germany and Austria."537 Zu beachten ist dabei, daß die Unterstützung Deutschlands für Österreich im Laufe der Zeit uminterpretiert wurde. Der vor dem Krieg als selbstverständlich angesehene Beistand im Kriegsfalle wurde zu einer bewußten Herbeiführung des Krieges, den Großbritannien in seiner Unschuld nicht rechtzeitig erkannt habe: „[...] the full scope of the devilish conspiracy of the Germanic Powers to bring Europe under the iron heel of their oppression - that was somewhat gradual revelation to the people of this country"538. Die schweren Beschuldigungen gegen Deutschland, den Krieg verursacht zu haben, hatten ein wesentliches Ziel - die Mobilisierung der Bevölkerung. Dabei war es unumgänglich, die absolute und alleinige Verantwortung beim Kriegsgegner zu finden.539 Wären auch nur die kleinsten Zweifel an der eigenen Unschuld aufgekommen, wäre die Opferbereitschaft potentieller Rekruten leicht in Frage gestellt worden. Als Basis aller nachfolgenden Propaganda war diese Sichtweise von den Briten schon im Krimkrieg, gegen Afghanen, Araber, Buren und Napoleon praktiziert worden.540 Der eigentliche Anlaß für den Kriegsausbruch, das Attentat auf Franz Ferdinand, wurde weitgehend aus der Presse herausgehalten. Nur selten wurde über das Schicksal der Attentäter und ihrer Komplizen berichtet.541 Um die eigene Intervention nicht in Frage stellen zu müssen, mußte die Ermordung des Thronfolgers aus der Kriegsursachenforschung verbannt werden. Besonders geeignet waren dazu die Äußerungen des ehemaligen italienischen Premiers Giolitti. Dieser „enhüllte" Ende 1914, daß Österreich bereits seit August 1913 darauf aus gewesen sei, einen Krieg zu provozieren.542 In den Fällen, in denen die Zeitungen das Attentat doch thematisierten, wurde es mehr und mehr umgedeutet. Der Mord sei „only the match that fired the magazine"543 gewesen. Es gebe nicht die leiseste Spur einer Verwicklung Serbiens: „There is, in fact, more reason to believe that the crime was instigated by German agents than to suspect Serbia's complicity."544 Das Ziel sei gewesen, einen passenden Grund zu finden, um Italien mit in den Krieg hinein zu ziehen. Wie die Emser Depesche 1870 habe die Ermordung Franz Ferdinands nur zur Herbeiführung eines Krieges gedient.545 Im selben Licht wurden die angeblich vorgetäuschten Friedensbemühungen gesehen. Damit konnte das Attentat von Sarajevo als Kriegsursache beiseite geschoben werden. Da es ohneΒ'ham Post, 2.8.1917, S. 4, vgl. Western Mail, 7.8.1914, S. 4. B'ham Post, 5.8.1918, S. 4. 539 Vgl. Gebele, Probleme, S. 29, Joll, Ursprünge, S. 285. 540 Vgl. Ponsonby, Falsehood, S. 57. 541 Unter Berufung auf die Arbeiter Zeitung meldete beispielsweise Lloyd's Weekly Newspaper, daß sechs der elf Verurteilten in österreichischen Gefängnissen gestorben seien, in: Lloyd's, 5.8.1917, S. 2. Schon vorher war die Hinrichtung dreier Attentäter gemeldet worden, in: Irish Independent, 6.2.1915, S. 4. 538
542
Vgl. Chronicle, 7.12.1914, S. 1; Irish Independent, 6.2.1915, S. 4; South Wales Daily News, 2.12.1915, S. 4; Graphic, 30.10.1914, S. 4; Yorkshire Post, 13.1.1917, S. 4, Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 369. 543 News of the World, 27.12.1914, S. 8. 544 South Wales Daily News, 2.12.1915, S. 4. 545 Vgl. Daily Mail, 3.8.1914, S. 4; Westminster Gazette, 13.1.1917, S. 1.
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hin nur als Vorwand für den Krieg gesehen wurde, spielten die Hintergründe keine Rolle mehr: „Whether the man who killed the Archduke of Austria was actuated by instigations from the Serbian capital or not does not matter in the least now." 546 Steed Schloß sogar die Möglichkeit nicht aus, daß der Erzherzog bewußt geopfert werden sollte, um einen Kriegsvorwand zu erhalten.547 Somit konnte die serbische Verschwörung, die vor dem Krieg für fast alle Zeitungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststand, als unerheblich abgetan werden. Um keine Zweifel daran aufkommen zu lassen, wurde selten, aber mit einer gewissen Regelmäßigkeit darauf verwiesen. 548 Die Sicht von der deutschen Alleinschuld blieb nicht auf die Zeitungen beschränkt. Schnell fand sie ihren Weg in die zeitgenössische Literatur. 549 Begeistert griffen die Zeitungen auf die unfreiwilligen Enthüllungen des deutschen Botschafters zurück, der in ungewollt veröffentlichten Privataufzeichnungen die deutsche Regierung hinsichtlich der Kriegsschuld schwer belastet. 550 Der Erfinder der Kriminalfigur Sherlock Holmes, Arthur Conan Doyle, ging sogar so weit, wegen der Verantwortung für seinen Ausbruch den Krieg „The German War" 551 zu nennen. Diese Sicht setzte sich nach dem Krieg in zahlreichen Memoiren fort. 552
3.3 Das deutsche Spionagenetz in Großbritannien Schon vor dem Krieg wurde die Sorge vor einer Durchsetzung der britischen Gesellschaft mit deutschen Agenten thematisiert. 553 Es gab zeitweise eine ausgeprägte Furcht vor deutschen Spionen und Saboteuren. 554 Beispielsweise veröffentlichte die Morning Post 1907 die Warnung, es befanden sich 90.000 deutsche Reservisten und Spione in England. Zwei Jahre später erschien das Buch „Spies of the Kaiser" 555 von LeQueux. Dies führte zu einer starken Zunahme der Meldungen über vermeintliche Spionagetätigkeiten. Auch danach tauchten die Geschichten über deutsche Spione in den Zeitungen immer wieder auf. Selbst über die Registrierung aller Ausländer wurde nachge-
544
Cambria Daily Leader, 4.8.1915, S. 4. Vgl. Steed, Thirty Years, Bd. 1, S. 393f, 403, siehe auch Cook, Theodore: Kaiser, Krupp and Kultur, London 1915, S. 353 u.a. 548 Vgl. Yorkshire Post, 13.1.1917. S. 4. 549 Vgl. Brereton, Cloudesley: Who is Responsible? Armageddon & After, London 1914, S. 48. 550 Vgl. Daily Mail, 29.3.1918, S. 2, 29.3.1918, S. 2; Times, 22.3.1918, S. 7. 551 Doyle, Arthur [Conan]: The German War. Some Sidelights and Reflections, London 1914, v.a. S. I, 5564. 552 Vgl. Repington, War, Bd. 1, S. 18, Clarke, Northcliffe in History, S. 108. 553 Vgl. Haste, Home Fires, S. 108-139. 554 Vgl. Morris, Scaremongers, S. 148-163, French, Spy Fever, S. 355-370. 555 LeQueux, Spies. 547
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dacht. 556 Wie im Vorangegangenen gezeigt wurde, spielte die Angst vor Spionage unmittelbar vor dem Weltkrieg keine große Rolle in der Berichterstattung der Zeitungen. Mit Kriegsbeginn änderte sich dieses Bild. Täglich wurde auf verschiedenste Arten von der deutschen Agententätigkeit berichtet. So meldete die Daily Mail am 4. August einen „Spy Chase at Grimsby" 557 . Zwei Tage später wies sie darauf hin, es seien ,,[t]oo many Germans in England" 558 . Der Daily Sketch warnte vor „still 60,000 Germans in England: It is your duty to watch them." 559 Nur einen Tag später wußte der Daily Telegraph von „German Spies in England. - Seizure of Rifles. - Ammunition in Barrels" 560 . Von „Wholesale Arrests" und ersten Erschießungen in Paris wurde berichtet.561 Die Befürchtungen beschränkten sich dabei nicht auf einzelne Agenten, sondern wurden generell auf „ A l i e n s within our Gates" 562 ausgeweitet. Diese, so wurde verbreitet, würden in England über ein „Elaborate System of [...] Espionage" 563 verfügen. Es existiere ein „Network of Spies" 564 . Festnahmen wurden als „precautionary measures" 565 bezeichnet. Besonders zu Kriegsbeginn wurde die Spionagegefahr aufgebauscht. 566 Zusammen mit den späteren Angriffen der deutschen Marine auf englische Hafenstädte stellten die Spionageberichte ein Mittel dar, um der englischen Bevölkerung die unmittelbare Bedrohung des Inselreiches durch das deutsche Kaiserreich vor Augen zu führen. Gerade im Bewußtsein der unteren Schichten der Gesellschaft waren die Schlachtfelder Flanderns Hunderte von Meilen entfernt an einer fremden Küste. Dagegen leuchtete es viel mehr ein, gegen einen Feind zu kämpfen, der das eigene Mutterland direkt bedrohte. Widerspruch gegen diese Spionagekampagne wurde in den ersten Kriegswochen nur vereinzelt laut. Erneut war es der Daily Herald, der seinen Unmut am deutlichsten aussprach. Er bezeichnete die „spy-hunting mania" als „Triumph of Hell" 567 . Im Falle eines „Irish Doctor caught signalling to his Children" 568 machte er sich sogar über die „Spy Scare" lustig. Dem Schloß sich der Daily Mirror an. Hier wurde nachgefragt, ob etwa durch eine Mobilisierung der Deutschen in Kensington Gardens Madame Tussaud's 556
Vgl. French, Spy Fever, S. 355-357. Daily Mail, 4.8.1914, S. 3. 558 Daily Mail, 6.8.1914, S. 3. "'Sketch, 7.8.1914, S. 12. 560 Telegraph, 8.8.1914, S. 9. 561 Vgl. Telegraph, 6.8.1914, S. 5: „German Spies in the Metropolis." 13.8.1914, S. 4: Korrespondentenbericht aus Paris: „More Spies Shot." 562 Times, 23.8.1914, S. 4. 563 Telegraph, 11.8.1914, S. 8. 564 Daily Express, 13.8.1914, S. 2. Zur umfangreichen Berichterstattung vgl. z.B. Times, 6.8.1914, S. 3: „The Danger from Spies"; Mirror, 8.8.1914, S. 3: „Crushing the Spy Peril"; Lloyd's, 9.8.1914, S. 10: „A Crop of Spies." 565 Times, 10.8.1914, S. 3. 566 Vgl. Evening News, 6.8.1914, S. 1, 7.8.1914, S. 1,12.8.1914, S. 2, 2.9.1914, S. 2. 567 Daily Herald, 6.8.1914, S. 1. 568 Daily Herald, 13.8.1914, S. 6. 557
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und der Tower erobert werden sollen. Wenn es etwas gäbe „more ridiculous than the spy scare in England it is the alien scare."569 Dabei standen die Briten mit ihrer Spionagemanie keineswegs allein da. Ähnliches ist auch für Deutschland festzustellen.570 Die Behauptungen über ein deutsches Spionagenetz in England erwiesen sich im Nachhinein als unzutreffend. Es gab dort vor dem Krieg keine deutsche Spionageorganisation.571 Wie gering die Spionagegefahr tatsächlich war, zeigt eine Debatte im britischen Parlament. So wurde auf Anfrage bekanntgegeben, daß Ende August 1914 noch kein einziger deutscher Spion hingerichtet worden sei.572 Kurz darauf wurde verkündet, daß von circa 9.000 Anzeigen nur 90 überhaupt zu Festnahmen geführt hätten. Nur gegen einen der zu Kriegsbeginn festgenommenen deutschen Spione wurde ein Prozeß eröffnet. 573 Als Ergebnis der Untersuchungen sei festzuhalten, „that not a tittle of evidence has been obtained indicating any combination amongst alien enemies to commit acts hostile to this country, or of any kind of military organisation amongst them."574 Während des gesamten Krieges konnte kein Fall von Sabotage nachgewiesen werden.575 Selbst Premierminister Asquith bezeichnete in seinen Memoiren das Ganze als „spies and such a nonsense"576. Dennoch konnte es nicht im Interesse der Regierung sein, die Spionageberichte in den Zeitungen einzudämmen. Sie wurden von der Regierung in Zusammenarbeit mit der Presse instrumentalisiert, um zur Aufrechterhaltung der Moral in Großbritannien beizutragen. Gerade zu Kriegsbeginn, als es noch keine direkten deutschen Luftangriffe oder Beschießungen von Küstenstädten gab, war es unumgänglich, die direkte Bedrohung der Insel durch den Feind zu veranschaulichen. Eine ähnliche Furcht vor Spionen ist auch für Frankreich festzustellen.577 Umgekehrt wurde die unangebrachte „spy mania" in Deutschland angegriffen. Dies sei „all undignified, and unworthy of a great people."578 Viele Briten „have been arrested, including several well-known newspaper correspondents."579 Zur Spionageangst kam die Furcht vor den ,Aliens". Damit sind keine Außerirdischen gemeint, sondern im weitesten Sinne Ausländer. Besonders alle, die mit den Mittelmächten in Verbindung gebracht wurden, zählten dazu. Die gilt insbesondere auch für in Großbritannien eingebürgerte oder mit Engländern verheiratete Deutsche. Besonders diese Gruppe stellte eine vermeintlich besonders große Gefahr dar, da sie sich frei 569
Mirror, 18.8.1914, S. 3. Vgl. Müller, Nation, S. 66-70. 571 Vgl. Ferguson, Pity, S. 14, Morris, Scaremongers, S. 150, auch Boghardt, Thomas: Spies of the Kaiser. German covert operations in Great Britain during the first World War era, Basingstoke 2004. 572 Vgl. Pari. Deb. 66 (1914), Sp. 145, McKenna am 27.8.1914. 573 Vgl. Knightley, Spionage, S. 30f. 574 Pari. Deb. 66 (1914), Sp. 564, McKenna am 9.9.1914, vgl. French, Spy Fever, S. 365f. 575 Vgl. Bird, John: Control of Enemy Aliens in Great Britain 1914-1918, New York, London 1986, S. 344. 576 Asquith, Memories, Bd. 2, S. 59. 577 Vgl. Bavendamm, Spionage und Verrat, S. 40, 67, 78. 578 Daily Express, 8.8.1914, S. 4. 579 Times, 8,8.1914, S. 6, vgl. 7.8.1914, S. 7, 8.8.1914, S. 4. 570
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bewegen konnte und kaum von der eigenen Bevölkerung unterschied.580 Deshalb entwickelte sich im Laufe des Krieges eine weitgehende Einigkeit darüber, was mit feindlichen Zivilisten im eigenen Land zu geschehen hatte: „Intern them all!"581 Eine Ausnahme stellten in den Augen des Daily Express Elsäßer dar. Sie würden zwar als Deutsche betrachtet „but they are French in heart."582 Wenn die Regierung nicht handle „it may be confronted with a situation of the utmost gravity."583 Die Freilassung Internierter wurde oft sehr kritisch betrachtet.584 Es sei noch nicht einmal bekannt ,Jtow many 'naturalised' Germans are living with us now as British subjects, whilst in effect they are Germans. This is a very serious danger. " 585 Etwas zurückhaltender bewertete die Irish Times die Debatte. Es gebe 40.000 nicht naturalisierte Deutsche in Großbritannien. Dies könne zwar eine Gefahr darstellen, es dürfe aber nicht übersehen werden, daß viele davon „are perfectly harmless, and can prove that they are so"586. Über die Internierung hinaus forderte die Daily Mail „the exclusion of German capital, German exclusion of German capital, German ownership, and all forms of German peaceful penetration form British companies and industries."587 Deutliche Worte fand der Manchester Guardian für die Absicht, alle Deutschen im wehrfähigen Alter zu internieren: „We regret that this measure should have become necessary, and particularly that one reason for its necessity should be that their persons and property are not safe while they are at large."588
3.4 Die deutschen Greueltaten Ein wesentliches Mittel, um die Bevölkerung auf Kriegskurs zu bringen, war die propagandistische Herabsetzung des Gegners. Während des Ersten Weltkrieges wurde Deutschland von Seiten der Alliierten vorgeworfen, ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß von Greueltaten begangen zu haben. Für August 1914 sind dabei mehrere Stufen zu unterscheiden. Den Anfang machten Berichte über die schlechte Behandlung englischer Touristen in Deutschland. Mit diesen sei während der Krise und bei ihrer Abreise aus Deutschland sehr unfreundlich umgegangen worden.589 Mitte August hieß es: „Tou-
80
Vgl. Daily Express, 1.9.1914. S. 2. People, 23.7.1916, S. 8, vgl. Graphic, 13.5.1915, S. 4; Β'ham Post, 18.12.1917, S. 4; Sketch, 6.1.1915, S. 5; Glasgow Herald, 15.5.1915, S. 6; Evening News, 7.6.1916, S. 2. 82 Daily Express, 15.5.1915, S. 4. 83 Sketch, 13.5.1915, S. 5. 84 Vgl. Irish Times, 5.2.1915, S. 4. 85 Sketch, 15.5.1915, S. 5. 86 Irish Times, 14.5.1915, S. 4. 87 Daily Mail, 16.8.1918, S. 2. 88 Guardian, 14.5.1915, S. 6. 89 Vgl. z.B. Daily Mail, 4.8.1914, S. 3: Reisebericht einer Engländerin zur Abreise aus Hamburg: „Germans in the stations and trains jeered and made rude jests as we English-women passed. Our unfortunate 81
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rists brutally handed"590. Sie würden als Geiseln und Kriegsgefangene festgehalten. 591 Generell wurde ein „outburst of feeling against England"592 konstatiert. Selbst englische Frauen seien schlecht behandelt und beleidigt worden. 593 Besondere Kritik wurde auch am Umgang mit dem ausländischen Botschaftspersonal bei der Ausreise aus Deutschland geübt. So habe sich der Kaiser fur die „excesses committed by the crowd against the British Embassy" 594 entschuldigt. Empörung rief die Behandlung des französischen Botschafters Cambon hervor. Dieser habe via Dänemark das Land verlassen müssen. An der Grenze sei seine Weiterreise so lange verhindert worden, bis die Kosten in Höhe von £200 in Gold bezahlt worden seien. 595 Als unmöglich wurde das Verhalten der deutschen Soldaten in Belgien dargestellt. 596 Sie hätten sich beispielsweise Zutritt zu Häusern verschafft „treating everything as their own property". Zudem seien Einwohner gezwungen worden „to minister to their needs. An order, too, was issued that every Belgian should keep his door open day and night so that the conquerors should not be stayed if they desired to enter anywhere. Remember that the people of Liege had, most of them, their wives and families in the town and consider what such an order means!" 597 Sehr bald verschärften und häuften sich die Meldungen. Am 6. August wurde von der Niederbrennung des Ortes Vise berichtet.598 Ein Dorf sei angezündet worden „while people were at church"599. Dergleichen Berichte über die Brandschatzung besetzter Dörfer und Städte ziehen sich durch den gesamten August und durch alle Zeitungen. 600 Hinzu kamen Meldungen über Erschießungen von Zivilisten. Wieder war es der Daily American girl was roughly handled until I interfered, my age, I suppose, forcing their respect. One man kicked me on the knee accidentally, I believe, but all the other German laughed with delight." 590 Chronicle, 15.8.1914, S. I, vgl. Daily News, 15.8.1914, S. 3: „Tourists as War Prisoners." 5 " Vgl. Sketch, 15.8.1914, S. 10; Daily News, 15.8.1914, S. 3. 5,2 Times 9.8.1914, S. 2, vgl. 10.8.1914, S. 5; Telegraph, 8.8.1914, S. 8; Daily Mail, 8.8.1914, S. 3: „Assaults on Britons"; Daily Express, 12.8.1914, S. 2. 593 Vgl. Telegraph, 7.8.1914, S. 7: „Ladies insulted", 12.8.1914, S. 4. 5.4 Times, 7.8.1914, S. 6, vgl. Daily Express, 8.8.1914, S. 5: „British Insulted"; Telegraph, 8.8.1914, S. 8. 5.5 Vgl. Star, 8.8.1914, S. 2; Sketch, 11.8.1914, S. 2; Telegraph, 11.8.1914, S. 10. 5.6 Ähnlich erging es den Briten fur ihr Verhalten im Burenkrieg. Vgl. z.B. Vallentin, Hunnen, S. 55: „Die wiederholten Verletzungen der Genfer Konvention, die Verwendung von Dum-dumGeschossen [sie!] gegen die Buren, die Gefangennahme von Ärzten und Sanitätskolonnen, der Mißbrauch und die Nichtachtung der Flagge vom roten Kreuz, die schlechte, oft grausame Behandlung der Gefangenen, die Brutalitäten und Schandthaten gegen Frauen und Kinder, und schliesslich das Aufhetzen und Bewaffnen der wilden Eingeborenen gegen die eigene weiße Rasse - das alles spricht dafür, daß England und Englands Politik sich gewissenlos über alles bestehende Recht hinwegsetzt und Verträge und Konventionen niemals anerkennt, wenn es seinen eigenen Vorteil sucht." 5.7
Times, 17.8.1914, S. 9f, hier S. 10, vgl. 23.8.1914, S. 2. Vgl. Daily Express, 6.8.1914, S. 1. 599 Graphic, 12.8.1914, S. 8, vgl. Daily Mail, 18.8.1914, S. 8: „Invading German Armies sack and burn Belgian villages". 600 Vgl. Telegraph, 12.8.1914, S. 8; Times, 18.8.1914, S. 5; 20.8.1914, S. 5; Yorkshire Post, 21.8.1914, S. 3; Daily News, 25.8.1914, S. 5; Guardian, 26.8.1914, S. 8; News of the World, 23.8.1914, S. 5. 598
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Express; der als erstes brachte, daß „many civilians have been wantonly shot because a Belgian battalion hindered the crossing of the Meuse" 601 . Beinahe kein Tag verging ohne daß die Meldungen über deutsche Vergehen weiter gesteigert wurden. So wurde von wahllos beschossenen Eisenbahnzügen berichtet. Selbst Urlauber seien nicht vor mutwilligen Tötungen sicher.602 Französische Zivilisten seien bereits vor Kriegsausbruch erschossen worden. 603 Auch diese Meldungen finden sich den gesamten August hindurch. 604 Nachdem von verschiedenen Lesern mehr Beweise für die deutschen Greueltaten verlangt worden waren 605 , benannten die Zeitungen zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit ihrer Berichte Zeugen. Wie Ponsonby nach dem Krieg richtig erkannte, wurde dabei nicht viel Wert auf die Überzeugungskraft der Beobachter gelegt. So war als Beleg „the friend of the brother of a man who was killed" oder „an extremely respectable old woman" 606 ausreichend. Auch namentliche Aussagen wurden veröffentlicht. So bezeugte M. Gaudefroy-Demonhynes den Mord an fünf französischen Zivilisten an der deutsch-französischen Grenze.607 In der Stellungnahme eines belgischen Ministers wurden Opfer namentlich benannt. So sei Mrs. Deglimme dem Tode nur knapp entronnen. Der Bauer Jef Dierickx aus Neerhespen bezeugte verschiedene Grausamkeiten. 608 Bei der Ermordung eines Engländers in Belgien wurde sogar die Adresse eines Zeugen angegeben: „Mr. George Bonar, of the firm of Low and Bonar (Limited), of Dundee and 53, New Broad-street, E.C." 609 Als weiterer Beleg für deutsche Kriegsverbrechen wurden Fotos herangezogen. Ohne große Scheu verwendeten Zeitungen Bilder aus der Vorkriegszeit, um das Verhalten der Deutschen zu belegen.610 Dabei wurden nur wenige verschiedene Aufnahmen abgedruckt. Besonders häufige Verwendung fand das im Anhang abgebildete Foto. 6 " Einigkeit herrschte über den Grund, wodurch die Schäden verursacht worden seien. Deutsche Soldaten seien es gewesen, von denen „the inhabitants were driven out [...] while the Kaiser's soldiery fired the place from end to end, and destroyed what they could not
601
Daily Express, 6.8.1914, S. l.vgl. 10.8.1914, S. 5. Vgl. Telegraph, 12.8.1914, S. 8: „On Sunday they [German soldiers] fired upon a train running from Hasselt to Cortessem, killing a passenger. The same day, at Aiken, they fired upon holiday-makers, killing four." 603 Vgl. Daily Express, 12.8.1914, S. 3; Daily Mail, 12.8.1914, S. 3. 604 Vgl. Telegraph, 14.8.1914, S. 2: „Officials wife shot. - Murder of a Mayor"; Daily Mail, 17.8.1914, S. 6: „Outrages by Uhlans"; Yorkshire Post, 21.8.1914, S. 3; Reynolds's, 23.8.1914, S. 3; Guardian, 26.8.1914, S. 8; Observer, 30.8.1914, S. 7; News of the World, 23.8.1914, S. 5. 605 Vgl. Read, James: Atrocity Propaganda 1914-1919, New Haven 1941/ND New York 1972, S. 56. 606 Ponsonby, Falsehood, S. 23. 607 Vgl. Daily Mail, 12.8.1914, S. 3. 608 Vgl. Times, 26.8.1914, S. 7. 609 Times, 22.8.1914, S. 3. 610 Vgl. Lasswell, Propaganda Technique, S. 206, Ponsonby, Falsehood, S. 135-139. 611 Vgl. Anhang: 4.1. S. 455: Daily Telegraph War Picture. 602
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loot."612 Unklar blieb dagegen der Ort des Geschehens. So meldete die News of the World, die Gebäude befänden sich „near Brussels"613. Der Daily Chronicle nannte das Dorf Mouland bei Lüttich.614 Der Daily Graphic lokalisierte das Bild ebenfalls in der Nähe von Lüttich. Hier wurde jedoch von ,,[i]solated farmhouses"615 gesprochen. Obwohl es mehrheitlich hieß, die Bilder seien nahe Lüttich entstanden616, kann anhand dieses Beispiels dennoch die Problematik der Berichterstattung gezeigt werden. Die Zeitungen hatten große Schwierigkeiten, zuverlässige Aufnahmen und Nachrichten aus dem Kampfgebiet zu erhalten. Dies lag daran, daß Briten auf der deutschen Seite der Front selbstverständlich keinen Zugang hatten. Auf der anderen Seite wurde den englischen Kriegsberichterstattern der Zugang zur Front von der eigenen militärischen Führung ebenfalls verwehrt. Problematisch ist, daß anhand der Bilder keine Ortsbestimmungen vorgenommen werden können. Die Herkunft der Fotos wurde „Newspaper Illustrated]" zugeschrieben, ohne jedoch zu präzisieren. Daher kann den vereinzelten Bildern keine so weitreichende Beweiskraft zuteil werden, wie die Zeitungen dies vermitteln wollten. Im Gegenteil läßt sich von wenigen, wiederholten Aufnahmen nicht schlußfolgern, daß ,,[t]housands of homes have paid the same toll to merciless war"617. Bedenkt man zudem, daß Bilder aus der Vorkriegszeit als Belege für deutsche Kriegsverbrechen benutzt wurden, so verlieren sie in der Nachschau schnell an Überzeugungskraft. Nach dem Motto, Bilder könnten nicht lügen, wurden Aufnahmen von russischen Pogromen zur Bestätigung deutscher Greueltaten in Belgien herangezogen.618 Auch das Preisgeld, das Lord Northcliffe für ein nicht manipuliertes Foto deutscher Greueltaten ausgesetzt hatte, wurde niemals eingefordert.619 Mit Voranschreiten des Monats August wurden die Anschuldigungen immer schwerwiegender. Waren es zu Beginn vor allem Meldungen über Erschießungen und Brandschatzungen, so kamen weitere Verletzungen des Kriegsrechts hinzu. Es wurde der Vorwurf erhoben, deutsche Soldaten würden zur Tarnung belgische Uniformen benutzen.620 Genfer Konvention und Haager Landkriegsordnung würden mißachtet. Beson-
612
Chronicle, 18.8.1914, S. 1, vgl. Mirror, 18.8.1914, S. 6; Daily Express, 18.8.1914, S. 3; Graphic, 18.8.1914, S. 1; Sketch, 18.8.1914, S. 4; Guardian, 18.8.1914, S. 6; Telegraph, 18.8.1914, S. 10; News of the World, 23.8.1914, S. 4. 613 News of the World, 23.8.1914, S. 4. 614 Vgl. Chronicle, 18.8.1914, S. 1. In der deutschen Form heißt der Ort Moelingen. Er liegt an der belgischholländischen Grenze, ca. 20km nord-nord-westlich von Lüttich, 10 km südlich von Maastricht. 615 Graphic, 18.8.1914, S. 1, vgl. Telegraph, 18.8.1914, S. 10. 616 Vgl. Daily Express, 18.8.1914, S. 3; Sketch, 18.8.1914, S. 4; Guardian, 18.8.1914, S. 6; Telegraph, 18.8.1914, S. 10. Der Mirror, 18.8.1914, S. 6 machte keine nähere Angabe. " ' S k e t c h , 18.8.1914, S. 4. 618 Vgl. Ponsonby, Falsehood, S. 21, 136,139, Ferguson, Pity, S. 232. 619 Vgl. Sanders/Taylor, Propaganda, S. 120. 620 Vgl. Times, 13.8.1914, S. 6.
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ders der Mißbrauch von „Prisoners as Shields" und „Robbing the Dead" 621 wurde angeprangert. Hinzu kamen Vorwürfe, sowohl die weiße Fahne als auch die Rot-KreuzFahne seien mißachtet worden. Verwundete würden mißhandelt und getötet. Außerdem wurde die angebliche Verwendung der verbotenen Dum-Dum-Geschosse 624 verurteilt. 625 Gegen Ende des Monats August hatte die englische Greuelpropaganda ein Niveau erreicht, das kaum noch zu überbieten war. Der Daily Express sprach von „German blood Lust
626
. Selbst
ein Priester sei ermordet worden. Einen neuen Schub erreichte das Ganze am 26. August. In der Birmingham Daily Post wurde von einem alten Mann berichtet „hanged head downwards and burned alive" 627 . Die Hoffnung der Zeitung, es könne für solche Fälle Erklärungen geben, es seien vielleicht nur Einzelfalle oder es geschehe unabsichtlich, wirkt angesichts der fortgesetzten Berichte wie Hohn. Selbst der Manchester Guardian berichtete über diesen Fall. Hinzu kam hier noch, daß der Mann zuvor „had his arm sliced in three longitudinal cuts." Außerdem hätten die Deutschen einen schwer verwundeten Offizier aufgegriffen: „[They] propped him against a tree, and shot him. Finally they hacked his corpse with swords in different places." 628 Es hieß, Menschen seien bei lebendigem Leibe verbrannt, Frauen und Kinder verstümmelt worden. Des weiteren wurde von abgeschnittenen Händen und Ohren berichtet.630 Sieben Priester seien in Campenhout erschossen worden. 631 Den Abschluß dieser Liste von Anschuldigungen soll eine weitere Behauptung des Daily Express bilden. Diese Zeitung hatte sich hinsichtlich der antideutschen Greuelpropaganda besonders hervorgetan: „Near Tournai a German soldier tore a child from its mother's arms, hacked off both its legs, and handed back the tiny sacrifice to the distraught mother. These are not men, but monsters, and there is only one way with them - to kill and kill and kill." 632
621
Daily Express, 14.8.1914, S. 1. Vgl. z.B. Telegraph, 14.8.1914, S. 2; Sketch. 22.8.1914, S. 2; Guardian, 26.8.1914, S. 8. 623 Vgl. z.B. Telegraph, 14.8.1914, S. 2,22.8.1914, S. 8; Graphic, 14.8.1914, S. 3; Times, 21.8.1914, S. 7; Daily Express, 22.8.1914, S. 5; Daily Herald, 24.8.1914, S. 5. 624 StahlmantelgeschoO mit freiliegendem Bleikem an der Spitze. Der Name stammt aus dem ursprünglichen Herstellungsort Dum Dum bei Kalkutta. Da die Wirkung ähnlich Sprenggeschossen ist, rufen sie an Menschen schwer heilbare Gewebezerstörungen hervor. Ihre Benutzung ist völkerrechtlich untersagt. 625 Vgl. Telegraph, 14.8.1914, S. 2; Observer, 23.8.1914, S. 6; Daily Express, 24.8.1914, S. 3; Daily Herald, 25.8.1914, S. 5. 626 Daily Express, 25.8.1914, S. 3. 627 B'ham Post, 26.8.1914, S. 4. 628 Guardian, 26.8.1914, S. 8, vgl. Daily Mail. 26.8.1914, S. 4; Times, 26.8.1914, S. 7. 629 Vgl. Daily Express, 26.8.1914, S. 3,28.8.1914, S. 2. 630 Vgl. Daily Mail, 29.8.1914, S. 6: „Hands and Ears cut off." 631 Vgl. Times, 30.8.1914, S. 3. 632 Daily Express, 31.8.1914, S. 3. 622
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3.4.1 Louvain Die Glaubwürdigkeit derartiger Vorwürfe mußte sich in den Augen der englischen Zeitungsleser durch die Vorfälle in Louvain633 bestätigen. Dies wurde zu einem zentralen Ereignis der englischen Propaganda in den ersten Kriegswochen. Ende August hatten die deutschen Truppen die belgische Universitätsstadt besetzt. Die wahren Ereignisse des „Brandes von Löwen" vom 25. bis 30. August 1914 sind bis heute nicht restlos geklärt. Die deutsche Seite nannte als Begründung für die Repressalien Angriffe belgischer Freischärler auf deutsche Truppen. Dies wurde bestritten. Vielmehr hätten sich deutsche Soldaten irrtümlich gegenseitig beschossen. Fest steht, daß im Endeffekt ein Teil der Stadt, darunter die Universitätsbibliothek, abbrannte. Weiterhin fanden zahlreiche Erschießungen von Zivilisten durch deutsche Soldaten statt. Erste Meldungen über die Vorgänge wurden in der englischen Presse am 29. August veröffentlicht. Dabei wurde die Darstellung der belgischen Seite als korrekt betrachtet. Zudem wurden die Repressalien der Deutschen weit übertrieben. So hieß es in der Times ,,[t]he whole place was destroyed." Die gesamte Stadt mit 45.000 Einwohnern, „the intellectual metropolis of the Low Countries since the 15th century, is now no more than a heap of ashes."634. Dies sei ein Verbrechen „for which there can be no atonement, and humanity has suffered a loss which can never be repaired."635 Es wurde von „Butchery" und dem „massacre of Louvain"636 gesprochen. Während der ersten Tage der Meldungen über Löwen änderte sich der Grad der Berichterstattung. In den ersten beiden Tagen wurden vor allem die Einäscherung der Stadt und einzelne Erschießungen angeprangert. Am 31. August hieß es dann bereits, daß die Menschen ohne Rücksichtnahme auf Alter und Geschlecht erschossen worden seien: „Like Rabbits"637.
633
634
Flämisch „Leuven", französisch „Louvain", deutsch „Löwen". In der Literatur vgl. u.a. Tuchman, Barbara: August 1914, München 1966, v.a. S. 292-296, Uyttenhove, Pieter/Celis, Jo: De Wederopbouw van Leuven na 1914, Leuven 1991, Mayence, Fernand: Die Legende der Franktireurs von Löwen. Antwort auf das Gutachten des H. Professors Meurer von der Universität Würzburg, Louvain 1928, Schöller, Peter: Der Fall Löwen und das Weissbuch. Eine kritische Untersuchung der deutschen Dokumentation über die Vorgänge in Löwen vom 25.-28. August 1914, Köln, Graz 1958, Hahn, Wilhelm/Kühl, Johann (Hg.): Der Fall Löwen 1914 und was dort wirklich geschah. Eine kriegsgeschichtliche Antwort deutscher Soldaten auf die Beschuldigungen von Dr. Peter Schöller, Plön am See 1963, Hörne, John/Kramer, Alan: Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit. Hamburg 2004.
Times, 29.8.1914, S. 8, vgl. Western Mail, 29.8.1914, S. 4; Lloyd's, 30.8.1914, S. 2. Tatsächlich wurde circa ein Achtel der Stadt zerstört. Siehe Ponsonby, Falsehood, S. 21. 635 Times, 30.8.1914, S. 3, vgl. People, 30.8.1914, S. 7; News of the World, 30.8.1914, S. 4; Telegraph, 30.8.1914, S. 4. 636 News of the World, 30.8.1914, S. 2. 637 Daily News, 31.8.1914, S. 5, vgl. Guardian, 31.8.1914, S. 5. Siehe hierzu auch die Verschärfung der Berichterstattung vom 29. auf den 31. August: Guardian, 29.8.1914, S. 6, 31.8.1914, S. 5; Graphic, 29.8.1914, S. 6, 31.8.1914, S. 4; Daily News, 29.8.1914, S. 8: Observer, 30.8.1914, S. 6; Daily Mail, 31.8.1914, S. 4, 6; Mirror, 31.8.1914, S. 4; Chronicle, 31.8.1914, S. 2.
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Durch diese Ereignisse wurde Louvain zum Symbol für den Kampf gegen Deutschland. Ohne Ausnahme wurde das deutsche Verhalten verurteilt. Von einem „Unspeakable Crime" 638 und „Vandalism!" 639 ist die Rede. Freeman 's Journal klagte den „War of the Barbarians" 640 an. Es handle sich um „The Greatest Crime of the War" 641 und sei „A Ruthless Holocaust" 642 gewesen. Bilder sollten das Geschehen belegen. 643 Als besonders schlimm wurde aufgefaßt, daß die Stadt weit weg von der eigentlichen Front lag.644 Wilhelm II. wurde persönlich die Schuld angelastet: „The Kaiser, a single word from whom would have stopped this riot of savagery, has on the contrary done his best to kindle the lowest passions of his men, he has forgotten in his insolence and pride that there is One Who repays." 645 Wie bereits angesprochen, war Louvain bei weitem nicht der einzige Ort, von dem deutsche Grausamkeiten berichtet wurden. Doch aufgrund der Größe der Stadt und ihrer Bedeutung für Bildung und Forschung eignete sie sich besonders gut zur intensiven Berichterstattung. Da es sich jedoch nicht um einen Einzelfall handelte, sondern auch Orte wie Andenne, Dinant oder Tamines ein ähnliches Schicksal erdulden mußten, gab es in den Augen britischer Zeitungen um so mehr Grund, daß sich Großbritannien am Kampf gegen einen solchen Feind beteiligte. 3.4.2 Lusitania „The crowning infamy has now been perpetrated against civilization" 646 , meldete Reynolds 's Newspaper am 9. Mai 1915. Gemeint war damit die Versenkung des Passagierschiffes Lusitania durch ein deutsches U-Boot. Nur drei Jahre nach dem Untergang der Titanic mußte dem Untergang eines Luxusliners mit einer ähnlich hohen Opferzahl trotz der alltäglichen Kriegsereignisse besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. Schon durch die Verwendung von Giftgas und das Verhalten in Belgien habe sich Deutschland diskreditiert, aber: „Nothing that the Germans have done has horrified the civilised world so much as the murder of the innocent men, women, and children on board the Lusitania." 647 Die Lusitania sei in keiner Weise mit einem Kriegsschiff gleichzusetzen. Es habe sich weder auf der Liste der Hilfsschiffe der Admiralität befunden, noch sei es
638 639
Cambria Daily Leader, 8.9.1914, S. 1. Cambria Daily Leader, 29.8.1914, S. 5, vgl. Freeman's Journal, 29.8.1914, S. 5; Westminster Gazette, 29.8.1914, S. 5; South Wales Daily News, 31.8.1914, S. 5.
640
Freeman's Journal, 29.8.1914, S. 4.
641
Daily Mail, 8.9.1914, S. 10.
642
Times, 3.9.1914, S. 4. 643 Vgl. Western Mail. 8.9.1914, S. 7; Mirror, 8.9.1914, S. 6f; Chronicle. 8.9.1914, S. 5; Graphic, 8.9.1914, S. 7; Daily Express, 8.9.1914, S. 8. 644 645 646 647
Vgl. Irish Times, 30.8.1914, S. 3. Daily Mail, 8.9.1914, S. 4. Reynolds's, 9.5.1915, S. 1. Β'ham Post, 10.5.1915, S. 6.
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bewaffnet gewesen.648 Es sei „A Fiendish Crime", begangen vom „Teutonic devil"649. Vom rechtlichen Standpunkt aus wurde die Versenkung als „Murders"650 betrachtet: „Germany has damned herself beyond all repair in the eyes of the civilised world."651 Als Folge bezeichnete der Cambria Daily Leader Deutschland als „The Enemy of Mankind"652, die Westerminster Gazette als „The Enemy of the Human Race."653 Es sei um so schlimmer, da in amerikanischen Zeitungen vorab die Absicht veröffentlicht worden sei, das Schiff zu versenken.654 Das Verbrechen sei von langer Hand geplant worden.655 Es werde aber nicht weniger schlimm, nur weil die Opfer vorgewarnt worden seien.656 Wieder war es der Kaiser, dem die moralische Schuld an dem „act of terrorism"657 angelastet wurde.658 Das Ziel des Angriffs sei „wholesale murder, and nothing else" gewesen. Dies gelte für den Kaiser, die deutsche Regierung und das Volk, deshalb „in this matter there can be no division of guilt"659. Die Methode der „Frightfulness"660 habe sich im Landkrieg nicht bewährt und werde auch im Seekrieg nicht erfolgreich sein. Die Versenkung sei keine militärische Maßnahme und bringe Deutschland auch keinerlei militärischen Vorteile: „[...] it is a crime against humanity, against the laws of nations, against civilisation"661. Es sei lediglich eine „brutal savagery of Germany"662. Deutschland setze alles daran, den Sieg zu erringen. Dasselbe müsse auch für Großbritannien gelten: „An eye for an eye and a tooth for a tooth must be our watchword, and the sooner our people and those who lead them awake to a realisation of this the better it will be for them."663 In den Augen mancher Zeitung unterschied sich die Versenkung des Schiffes in ihrer Brutalität wenig von so vielen anderen deutschen Greueltaten, aber: „The difference is that it brings home to all, and especially to neutral countries, the reality of the charges which at first seemed so incredible that many refused to believe them."664 Entsprechend groß war die Hoffnung von Politikern, daß die USA aufgrund des Vorfalls in den Krieg
648
Vgl. Glasgow Herald, 8.5.1915. S. 8, 2.6.1915, S. 8; South Wales Daily News, 10.5.1915, S. 4. People, 9.5.1915, S. 12. 650 Daily News, 11.5.1915, S. 4. 651 News of the World, 9.5.1915, S. 8, vgl. Evening Express, 8.5.1915, S. 2. 652 Cambria Daily Leader, 10.5.1915, S. 4. 653 Westminster Gazette, 8.5.1915, S. 1. 654 Vgl. Lloyd's, 9.5.1915, S. 12; Sketch, 8.5.1915, S. 2; South Wales Daily News, 8.5.1915, S. 4. 655 Vgl. Daily Express, 8.5.1915, S. 4. 656 Vgl. South Wales Daily News, 10.5.1915, S. 4. 657 Irish Independent, 31.5.1915, S. 4. 658 Vgl. Sketch, 8.5.1915, S. 2. 659 Times, 8.5.1915, S. 9. 660 Chronicle, 13.2.1915, S. 6. 661 Western Mail, 8.5.1915, S. 4. 662 Yorkshire Post, 10.5.1915, S. 6. 663 People, 9.5.1915, S. 12. 664 Times, 10.5.1915. S. 9. 649
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eintreten würden.665 Außerdem sei mit der Versenkung der Weg der wehrdiensttauglichen jungen Männer vorgezeichnet: „It is impossible henceforth that excuses should shelter any healthy youth in Great Britain who stays away from the recruiting office." 666 Falls Deutschland denke „the loss of the Lusitania will dismay this country, they are entirely deceived."667 Der Widerstandwille würde nur weiter gestärkt. Bei einer genaueren Betrachtung fallt auf, daß dies keineswegs ein so außergewöhnlicher Fall war, wie ihn die Presse darstellte. Es hatte schon vorher Angriffe auf Schiffe mit zivilen Passagieren gegeben. Das besondere an diesem Angriff war die Bekanntheit des Schiffes und die enorm große Zahl von Opfern, unter denen sich viele Amerikaner befanden. Auch das Versenken anderer Passagierschiffe im weiteren Verlauf des Krieges rief große Empörung hervor.668 Zu beachten ist jedoch, daß ein gewisser „Gewöhnungseffekt" eintrat. Kein Schiffsuntergang erregte mehr so große Aufmerksamkeit wie der der Lusitania. Aus heutiger Sicht fallen bei ihrer Versenkung mehrere Punkte auf. So wurde nach dem Krieg schnell klar, daß das Schiff tatsächlich kriegswichtige Güter an Bord hatte. Ohne Zwang hatte der zuständige Marineminister Churchill zugegeben, daß die Lusitania Munition und Granathülsen an Bord hatte.669 Anhand der Veröffentlichung der Frachtpapiere, von denen es allerdings mehrere Ausfertigungen gibt, wurde dies später bestätigt.670 Erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg wurden schwerwiegende Indizien zusammengetragen, die den Eindruck erwecken, daß die Lusitania von der Admiralität bewußt der Gefahr durch deutsche U-Boote ausgesetzt wurde, um die Vereinigten Staaten zum Kriegseintritt zu bewegen.671 Daß diese These keineswegs etwas Neues war, zeigen die zeitgenössischen Zeitungsberichte. Sie wurde zwar nicht in Worten ausformuliert, trotz der Zensurbestimmungen mußte sich die Admiralität jedoch unangenehme Fragen gefallen lassen. So wollte der Glasgow Herald wissen, „why the Lusitania followed precisely the course upon which submarines would look for her, and the course which gave them their easiest opportunity of attack."672 Sie hätte leicht eine andere Route nehmen können. Außerdem sei es unerklärlich, warum das Schiff keinen Begleitschutz hatte.
665
Vgl. HLRO/BLP/37/5/24, Bonar Law an Watson am 14.5.1915. Sketch, 8.5.1915, S. 2. 667 Daily News, 11.5.1915, S. 4. 648 Vgl. Irish Independent, 20.8.1915, S. 4. 669 Vgl. Churchill, World Crisis, Bd. 2, S. 769f. 670 Vgl. Butler, Daniel: The Lusitania. The Life, Loss, and Legacy of an Ocean Legend, Mechanicsburg 2000, S. 267-269, Peterson, Horace: Propaganda for War. The Campaign against American Neutrality, 1914-1917, Port Washington 1939/ND 1968, S. 120. 671 Vgl. Beesly, Patrick: Room 40. British Naval Intelligence 1914-18, San Diego, New York, London 1982, S. 84-122, bes. S. 122, Schröder, Joachim: Die U-Boote des Kaisers. Die Geschichte des deutschen UBoot-Krieges gegen Großbritannien im Ersten Weltkrieg, Dortmund 1999, S. 126f. 672 Glasgow Herald, 10.5.1915, S. 8, vgl. Liverpool Daily Post, 11.5.1915, S. 4; Times, 8.5.1915, S. 9. 666
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Diese Fragen wurden auch innerhalb der Regierungskreise gestellt. 673 Eine intensivere Untersuchung war jedoch aufgrund des Krieges nicht durchsetzbar. Wegen der Bedrohung durch einen äußeren Feind wurde darauf geachtet, daß der innere Zusammenhalt nicht gefährdet wurde. Ähnlich der Zwsi'iaw'a-Katastrophe kam es während des gesamten Krieges zu schweren Vorwürfen gegen die deutsche Seekriegsfuhrung. Von „brutal savagery" 674 , „Enemy Outrage" 675 , „methods of Barbarism" 676 und „Ruthless Murders" 677 war die Rede. Um zu betonen, daß sich der Gegner außerhalb der „üblichen" Kriegsfuhrung bewegte, wurden die deutschen U-Boot-Besatzungen mit Vorliebe als „Pirates" 678 bezeichnet. Die Männer an der Spitze der deutschen Marine waren folgerichtig die „ArchPirates" 679 . Besondere Empörung rief die Versenkung von Lazarettschiffen hervor. 680 Außerdem hätten deutsche U-Boot-Besatzungen auf Schiffbrüchige geschossen. 681 Schlimmer als die Versenkung der Lusitania sei der Untergang der Arabic. Zwar seien nicht so viele Menschen ums Leben gekommen, es handle sich aber um „wholsale murder" 682 , da das Schiff nach Westen lief und deshalb gar keine Munition an Bord gehabt haben könnte. 3.4.3 Der Bryce-Report Nach Belgien 683 und Frankreich war Großbritannien das dritte Land, das versuchte, das Geschehen durch offizielle Institutionen zu dokumentieren. Diese Aufgabe fiel der sogenannten Bryce-Kommission zu, die kurz nach der Versenkung der Lusitania den gleichnamigen Bericht veröffentlichte. 684 Die Kommission zur Untersuchung deutscher
673
Vgl. Esher, Journals and Letters, Bd. 3, S. 23 lf, Eintragung vom 9.5.1915. B'ham Post, 3.2.1915, S. 6. 675 B'ham Post, 6.8.1918, S. 5, vgl. Chronicle, 20.8.1915, S. 4. 676 Western Mail, 7.9.1914, S. 4. 677 Daily News, 30.3.1915, S. 4, vgl. Graphic, 6.12.1917, S. 4. 678 Western Mail, 21.12.1916, S. 4, vgl. 10.1.1918, S. 4; People, 30.5.1915, S. 1,30.5.1915, S. 1; News of the World, 21.2.1915, S. 8,4.4.1915, S. 8; Lloyd's, 25.4.1915, S. 1; Evening Express, 15.2.1915, S. 3, 3.8.1917, S. 3; Liverpool Daily Post, 1.12.1915, S. 6; Daily Express, 19.2.1915, S. 1; Evening News, 24.7.1915, S. 2. 679 Telegraph, 24.9.1918, S. 6. 680 Vgl. Cambria Daily Leader, 9.1.1918, S. 1; News of the World, 21.11.1915, S. 9; People, 3.3.1918, S. 7; Guardian, 8.8.1917, S. 4; Times, 23.11.1916, S. 8; Evening News, 9.1.1918, S. 2. 681 Vgl. People, 2.5.1915, S. 12; Mirror, 30.12.1916, S. 3; Star, 2.7.1918, S. 2. 682 Telegraph, 20.8.1915, S. 6, vgl. Evening News, 20.8.1915, S. 2; Guardian, 20.8.1915, S. 4; Times, 20.8.1915, S. 7. 683 Vgl. z.B. Reports on the Violation of the Rights of Nations and of the Laws and Customs of War in Belgium, Volume II., Reports 13 to 22 of the Commission of Enquiry, published on behalf of the Belgian Legation, London 1915. 684 Vgl. Committee on Alleged German Outrages: Report of the Committee on Alleged German Outrages appointed by his Britannic Majesty's Government and presided over by The Right Hon. Viscount Bryce. 674
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Greueltaten in Belgien und Frankreich bestand vorwiegend aus Juristen. Sie wurde nach ihrem Vorsitzenden Lord Bryce benannt. Dieser genoß als ehemaliger britischer Botschafter in Washington und Träger des deutschen Ordens Pour le Merite besondere Anerkennung und Glaubwürdigkeit. Neben Zeugenaussagen seien auch Tagebücher gefangener oder gefallener deutscher Soldaten ausgewertet worden. In diesem Bericht wurde eine ganze Reihe von Greueltaten nach dem Einmarsch der deutschen Truppen festgehalten. Zweifelhafte Zeugenaussagen, so der Bericht, seien nicht berücksichtigt worden. 685 Dennoch enthielt das Dokument eine enorme Anzahl von Verbrechen deutscher Soldaten an belgischen Zivilisten. So hätten allein in Andenne 400 Menschen ihr Leben verloren. 686 Ähnliche Berichte gab es fur zahlreiche andere Orte, darunter Louvain. Besonders abscheulich mußten die Verletzungen von Kindern wirken. Beispielsweise habe ein 7-jähriges Mädchen eine Bajonettwunde aufgewiesen. 687 In einem anderen Fall sei eine Frau völlig grundlos aus einer Entfernung von 100 Metern erschossen 688 , andere seien verstümmelt worden. 689 Die Vorwürfe des Bryce-Report gingen dabei weit über die „normalen" Ausschreitungen von Soldaten gegenüber Zivilisten hinaus. So hätten deutsche Soldaten einen jungen Mann an ein Pferd gebunden und mitschleifen lassen: „The whole of his face was cut and torn and his arms and legs were bruised." 690 Als weitere Form der Verstümmelung „the cutting of one or both hands, is frequently said to have taken place." 691 Andernorts seien Zivilisten, darunter auch Kinder, vor den deutschen Truppen hergetrieben worden, um die belgischen Soldaten davon abzuhalten, zu schießen. Auch die weiße Fahne und das Rote Kreuz seien von den deutschen Soldaten zur Tarnung mißbraucht worden. 693 Zweck des Verhaltens sei es gewesen „to strike terror into the civil population and dishearten the Belgian troops" 694 . Als Ergbnis stellte der Bericht fest, daß „there were in many parts of Belgium deliberate and systematically organised massacres of the civil population", „that elaborate provisions had been made for systematic incendiarism at the very outbreak of the war, and that the burnings and destruction were frequent where no military necessity could
Formerly British Ambassador at Washington, London 1915 (Zitiert als Bryce-Report), vgl. OBL, Mss. Seiborne 213/15f, Report of the Committee on Alleged German Outrages. 685 Vgl. Bryce-Report, S. 6. 686 Vgl. Bryce-Report, S. 15. 687 Vgl. Bryce-Report, S. 20, 25-28, 5If. 688 Vgl. Bryce-Report, S. 24. 689 Vgl. Bryce-Report, S. 26. 690 Bryce-Report, S. 47. 691 Bryce-Report, S. 49. 692 Vgl. Bryce-Report, S. 53f. 693 Vgl. Bryce-Report, S. 59f. 694 Bryce-Report, S. 44.
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be alleged"695. Der Bryce-Report stellte also eine schwere Anklage gegen das deutsche Militär als Ganzes und seine Kriegsftihrung dar. In der Literatur wird der Bericht jedoch sehr kontrovers bewertet. So ist ein zentrales Problem, daß zwar alle 1.200 Fälle von „gentlemen of legal knowledge and experience" erfaßt worden seien, diese hätten jedoch „no authority to administer an oath"696 gehabt. Bereits in den 1920er Jahren wurden Zweifel an den Ergebnissen des Berichts laut.697 Doch erst spätere Untersuchungen deckten die gesamte Problematik des Berichts auf. So hatte schon während seiner Erstellung ein Kommissionsmitglied Zweifel am Wahrheitsgehalt. Nach dem Krieg gab auch Bryce zu, daß die aufgeführten Anschuldigungen nicht zu belegen waren. 1925, sieben Jahre nach Kriegsende, wurde der Report schließlich im englischen Unterhaus als frei erfunden zurückgenommen.699 Keiner der angeblichen Fälle von verstümmelten Kindern konnte tatsächlich nachgewiesen werden. Problematisch bei der heutigen Betrachtung des Berichts ist, daß trotz der Ankündigung, die Beweismaterialien im Archiv zugänglich zu machen, heute keine Dokumente mehr nachweisbar sind.700 Dies ist um so bedauerlicher, da sich darunter auch die angeblich erbeuteten deutschen Tagebücher befunden hätten. Einige im Bericht auf deutsch zitierte Passagen klingen für einen Muttersprachler sehr holprig.701 Die Kritik des Berichts fällt in der Literatur entsprechend vernichtend aus: „It was in itself one of the worst atrocities of the war"702, er sei „a blend of fact and fiction."703 Dennoch muß an dieser Stelle betont werden, daß sehr wohl deutsche Greueltaten in Belgien vorgekommen sind. Auch wenn die in den Kommissionsberichten genannten Grausamkeiten nach dem Krieg oft nicht belegt werden konnten704, so ist die geschätzte Zahl von circa 6.000 getöteten belgischen Zivilisten dennoch enorm hoch.705 Bei der Veröffentlichung des Bryce-Reports stellten sich die Zeitungen hinter dessen Ergebnisse. So wurde die absolute Glaubwürdigkeit der Kommission betont. Aufgrund ihrer Zusammensetzung könne sie nicht in Frage gestellt werden. Keinesfalls habe eines der Kommissionsmitglieder die Absicht „to make out a case against the Germans be-
695
Bryce-Report, S. 60f. Bryce-Report, S. 3f. 697 Vgl. Ponsonby, Falsehood, S. 128. 698 Vgl. Wilson, Trevor: The Myriad Faces of War. Britain and the Great War 1914-1918, Cambridge 1986, S. 182-191, Wilson, Trevor: Lord Bryce's Investigation into alleged German Atrocities in Belgium, 191415, in: Journal of Contemporary History 14 (1979), S. 369-383, hier bes. S. 374, 377. 699 Vgl. Sanders/Taylor, Propaganda, S. 124, Wilson, Investigation, S. 374. 700 Vgl. Read, Propaganda, S. 206, Horne/Kramer, Kriegsgreuel, S. 342f, Anm 27, Haste, Home Fires, S. 93. 701 Vgl. z.B. Bryce-Report, S. 14: „Ein paar Schüsse krachten und die fielen rücklings in das grüne Gras und verschliefen fur immer." 702 Peterson, Propaganda, S. 58, vgl. Ross, Propaganda, S. 51-56. 703 Wallace, Stuart: War and the Image of Germany. British Academics 1914-1918, London 1988, S. 179. 704 Vgl. Beham. Mira: Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik, München 21996, S. 27f, Brown, Alan: Techniques of Persuading: From Propaganda to Brainwashing, London 1963, S. 85. 705 Vgl. Read, Propaganda, S. 286, Knightley, First Casualty, S. 83, Vos, Belgien, S. 544, Anm. 51. 6,6
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cause they are our enemies"706. Die Kommission bestehe aus „men of unchallengeable reputation"707. Zur weiteren Stärkung der Glaubwürdigkeit wurde betont, daß die Kommission zu Beginn selbst Zweifel an den Beschuldigungen gegen Deutschland gehabt hatte.708 Drei Hauptpunkte seien festzustellen. So wurde aus dem Report wiedergegeben, daß „murder, lust and pillage prevailed over many parts of Belgium on a scale unparalleled in any war between civilised nations during the last three centuries". Darüber hinaus „both the killing of non-combatants and the burning of property were systematic, and not due to the soldiery getting out of hand, but due to orders". Außerdem zeige der Bericht, daß „the amount of unorganised brutality and licentiousness, into which a soldiery carrying out such orders very naturally fell, was altogether appalling."709 Selbst der Daily Herald bescheinigte dem Bryce-Report „indeed a terrible document" zu sein. Die Greueltaten erforderten strenge Bestrafung der Täter, es bedeute aber nicht, daß „as Germany has treated Belgium, so must she herself be treated."710 Zur Bestätigung wurde auch auf die Ergebnisse der belgischen und französischen Kommissionen verwiesen 7 ", die ebenso vorsichtig zu verwenden sind, wie der Bryce-Report selbst.712 Das Schlimme an dem Ergebnis sei, daß die Taten „have been perpetrated by individual Germans, and by Germany as a nation"713. Das Verhalten der nordamerikanischen Indianer - „scalping, burning, raping" - sei sehr schlimm gewesen. Dafür gebe es zumindest eine bedingte Ausrede:, After all, they were only savages." Von den Deutschen sei dies nicht zu erwarten gewesen, doch jetzt: „The responsibility for these deeds rests upon the nations of Germany themselves."714 Als ein zentraler Punkt wurde gesehen „that the German military authorities deliberately adopted the policy of terrorism in order to deter the Belgians from resisting the invasion of their country."715 Es handle sich also nicht um individuelle Ausschreitungen einzelner Soldaten, sondern um das 71 ft kollektive Verhalten einer ganzen Armee auf Anweisung. Von „Scientific Savagery" war deshalb die Rede. Als Ergebnis stand fest: „If civilisations [are] to continue the criminals must be punished."717 Nur ganz wenige Zeitungen stimmten nicht vollständig in den Tenor der Anerkennung für den Bericht ein. So bewertete der Manchester Guardian den Report etwas vorsichtiger. Eine Formulierung wie „The Commission are fully 706
Graphic, 13.5.1915, S. 4.
707
Daily Express, 13.5.1915, S. 4, vgl. Daily News, 13.5.1915, S. 4. Vgl. Times, 13.5.1915, S. 9.
708 709 710 711 7,2 713
Chronicle, 13.5.1915, S. 6, vgl. z.B. Sketch, 13.5.1915, S. 7. Daily Herald, 17.9.1914, S. 3. Vgl. Chronicle, 21.11.1914, S. 6; Evening News, 8.1.1915, S. 2. Vgl. Read, Propaganda, S. 57. Yorkshire Post, 13.5.1915, S. 6.
714
Yorkshire Post, 13.5.1915, S. 6, vgl. Evening News, 26.8.1914, S. 2.
715
Graphic, 13.5.1915, S. 4.
716
Glasgow Herald, 15.5.1915, S. 6. Daily Express, 13.5.1915, S. 4.
717
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convinced that [...]" deutete kritische Distanz aber nur an. Konkrete Zweifel am Wahrheitsgehalt wurden auch hier nicht geäußert. Die Zeitungen übernahmen bei der Bekanntmachung des Bryce-Reports also einen nicht zu unterschätzenden Anteil. Nicht nur, daß sie den Inhalt wiedergaben, sie betonten auch die Integrität der Kommissionsmitglieder und die daraus resultierende Glaubwürdigkeit. Auf die Problematik bei der Entstehung wurde nur sehr bedingt hingewiesen. So wurde weder Kritik an der nicht erfolgten Vereidigung der Zeugen geäußert, noch generell auf die Hindernisse bei der Verwendung von Aussagen schwer traumatisierter Augenzeugen hingewiesen. Die Veröffentlichung des Bryce-Reports stellt demnach eine gelungene Kooperation von Regierungsorganen und Presse zur Diskreditierung des Kriegsgegners dar. Auf den ersten Blick entsteht durch die zeitliche Nähe der Veröffentlichung des sogenannten Bryce Reports zur Versenkung der Lusitania der Eindruck eines gewollten Zusammenhangs. Aufgrund der engen zeitlichen Abfolge muß sich der Bericht zum Zeitpunkt des Untergangs bereits im Druck befunden haben.719 Außerdem war diese Untersuchungskommission lange vorher eingesetzt worden, um die gegen Deutschland vorgebrachten Beschuldigungen wegen des Verhaltens seiner Soldaten in Belgien zu prüfen.720 Wie die Untersuchungskommission zu den deutschen Greueltaten in Belgien, leitete Lord Bryce auch die Kommission bezüglich türkischer Verbrechen gegen die armenische Bevölkerung des Osmanischen Reiches.721 Die Details der Taten überstiegen hier sogar noch den eben genannten Report: „Finger-nails and toe-mails were forcibly extracted, noses whittled down, and the victims were slowly done to death with lingering agonies." Das Wichtigste für die alliierte Propaganda war die Verbindung dieser Vorgänge mit ihrem Hauptkriegsgegner Deutschland. So wurde davon berichtet, daß gelegentlicher Widerstand der Armenier mit Hilfe deutscher Offiziere schnell niedergemacht worden sei. Nicht nur erhebe sich keine deutsche Stimme gegen dieses Verhalten, sondern: „[...] this is the work decreed and ordained by the German Emperor, a most Christian potentate, the friend and ally and co-butcher of the Turk and ΤΤ)
Kurd!"
Τ)"\
Konsequenterweise wurden die Türken als „Huns of the East"
bezeichnet.
3.4.4 Der Fall Edith Cavell Mit der Hinrichtung von Edith Cavell durch deutsche Behörden in Belgien erreichte die anti-deutsche Propaganda im Herbst 1915 einen weiteren Höhepunkt. Die Kranken718 719 720 721
Guardian, 13.5.1915, S. 6. Vgl. Read, Propaganda, S. 200f. Vgl. Haste, Home Fires, S. 93. Zu den Massakern in Armenien vgl. z.B. Star, 22.8.1918, S. 3; Chronicle, 6.8.1915, S. 6; Times, 8.10.1915, S. 7, 14.12.1916, S. 9. Guardian, 6.8.1915, S. 6.
722
Star, 27.11.1915, S. 2, vgl. Graphic, 15.12.1916, S. 4; Guardian, 26.10.1915, S. 6.
723
Daily Express, 27.7.1916, S. 7.
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schwester hatte ihre Position dazu ausgenutzt, alliierten Soldaten über Holland die Flucht nach Großbritannien zu ermöglichen. Bei der Bewertung in der britischen Presse gab es zwei leicht differierende Ansichten über das deutsche Verhalten. Auf der einen Seite stand die Feststellung, daß die Krankenschwester zweifellos gegen Kriegsrecht verstoßen habe: „But it was not a crime that implied any moral delinquency or transgression of the normal rules of human conduct. On the contrary, it was prompted by the spirit of self-sacrifice and mercy that had guided her whole life, but of which not the tiniest measure was yielded to herself by the men who pursued her to the death."724 Deshalb sei das Todesurteil nicht zu rechtfertigen. Weiter hieß es aus dieser Sicht: „On strictly legal grounds we do not defend her act, nor did she. As a brave, patriotic woman she accepted the risk." Dennoch sei die Hinrichtung „one of the foulest, most damnable crimes ever perpetrated in the history of mankind."725 Der Manchester Guardian gab sogar zu: „There seems little doubt that Miss Cavell was given a fair trial, and no doubt that she was guilty of the offence charged against her."726 Auch wenn nach englischen Gesetzen ein ähnliches Urteil möglich gewesen wäre, zeige das Urteil aber „the spirit of the whole of German administration in Belgium, and not in Belgium alone, in its callousness and its brutality"727. Hätte es sich um einen Mann gehandelt, wäre die Hinrichtung sicher gerechtfertigt gewesen, nicht so bei einer Frau: „Gentlemen do not act like that."728 Die Irish Times betonte darüber hinaus, daß „her sex, her kindness to German wounded, and her charitable intentions in committing the undoubted offence against the law imposed upon Belgium by the conquerors, should have been regarded as good reasons for treating her with leniency."729 Bei der anderen Betrachtungsweise spielten die Hintergründe eine geringere Rolle. Die Hinrichtung einer Frau, zumal einer Krankenschwester, wurde als „Cynical Disregard for Dictates of Humanity"730 bezeichnet. Als „Butchers"731 bezeichnete der Daily Telegraph die Deutschen in diesem Zusammenhang. Es handle sich um .judicial murder"732, der die deutsche Mentalität repräsentiere. Auch wenn die Ermordung von Frauen in diesem Krieg leider nichts Besonderes sei, falle diese Hinrichtung aus dem Rahmen. Sie zeige „how the high German military judicial and administrative authorities are tarred with the same brush as the common soldiery who murdered, raped, and looted 724 725
Scotsman, 22.10.1915, S. 6, vgl. Telegraph, 22.10.1915, S. 8. People, 24.10.1915, S. 3, vgl. South Wales Daily News, 22.10.1915, S. 4; News of the World, 24.10.1915, S. 6.
726
Guardian, 22.10.1915, S. 6.
727
Guardian, 22.10.1915, S. 6.
728
Sketch, 18.10.1915, S. 3. Irish Times, 22.10.1915, S. 4.
729 730 731 732
Cambria Daily Leader, 22.10.1915, S. 1. Telegraph, 23.10.1915, S. 8. Yorkshire Post, 22.10.1915, S. 4, vgl. Lloyd's, 17.10.1915, S. 1, 24.10.1915, S. 1; Liverpool Daily Post, 22.10.1915, S. 4; Observer. 24.10.1915, S. 11; Graphic, 22.10.1915, S. 6f.
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on their way through Belgium." Beide Betrachtungsweisen unterschieden sich nur geringfügig. Es ging lediglich darum, ob die Hinrichtung nach den Buchstaben des Gesetzes legal gewesen sei, oder es sich um Mord gehandelt habe. Einigkeit bestand darin, daß selbst die Versenkung der Lusitania „did not rouse indignation to the pitch of intensity provoked by this latest crime."734 Um Cavells Verhalten und ihren Tod zu würdigen, wurde sie von den Zeitungen zur Märtyrerin erklärt. Sie selbst wurde als „lion-hearted British lady"735 und , A British Heroine"736 bezeichnet. Gestorben sei sie „not only in the cause of the land she loved, but in the cause of civilisation."737 In ihrer Bedeutung wurde Cavell mit einer anderen berühmten Märtyrerin gleichgesetzt. Die Krankenschwester sei für England in den Tod gegangen wie einst Jeanne d'Arc für Frankreich.738 Die wichtigste Schlußfolgerung für die Armee zog der Daily Mirror: „Miss Cavell must be avenged: Join to-day and make the Hun pay the uttermost farthing for his Crime."739 Der eigens für sie organisierte Trauergottesdienst fand dann auch im Beisein großer Prominenz statt, darunter der Premier und die Königin.740 Für das britische Selbstverständnis war die Haltung der Westerminster Gazette beispielhaft. Sie hatte betont, daß es undenkbar sei ,,[t]hat we should do to any German woman what they have done to her"741. Dennoch bedauerte Lord Riddell das gegen eine schwedische Spionin verhängte Todesurteil nur wenig: „If the sentence is confirmed, we shall be open to the same criticism as the Germans in the case of Edith Cavell."742 Die deutsche Propaganda schlug jedoch weder daraus Kapital, noch versuchte sie die schon vor dem Fall Cavell erfolgte Hinrichtung einer Spionin in Frankreich auszunutzen.743 Insgesamt wurde der Fall Cavell zu einem der größten Propagandaerfolge der Briten im Ersten Weltkrieg. Dies ging so weit, daß selbst von deutscher Seite zugegeben wurde, daß die Hinrichtung aus politischer Sicht ein schwerer Fehler gewesen sei.744 Die fragwürdigen Handlungen der Alliierten wurden dagegen nicht thematisiert.
733
B'ham Post, 22.10.1915, S. 6. South Wales Daily News, 22.10.1915, S. 4, vgl. Chronicle, 22.10.1915, S. 6, 30.10.1915, S. 6. 735 Cambria Daily Leader, 22.10.1915, S. 4. 736 Westminster Gazette, 22.10.1915, S. 4. 737 Scotsman, 30.10.1915, S. 8. 738 Vgl. Liverpool Daily Post, 25.10.1915, S. 4. 739 Mirror, 23.10.1915, S. 1. 740 Vgl. People, 24.10.1915, S. 1; News of the World, 31.10.1918, S. 8. 741 Westminster Gazette, 22.10.1915, S. 1. 742 Riddell, War Diary, S. 146, Eintrag vom 5.1.1916. 743 Vgl. Lasswell, Propaganda Technique, S. 32, Messinger, Gary: British Propaganda and the State in the First World War, Manchester, New York 1992, S. 18, Knightley, First Casualty, S. 82. 744 Vgl. Lancken Wakenitz, Oscar von der: Meine dreißig Dienstjahre, Berlin 1931, S. 238f, vgl. S. 238-250. 734
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3.4.5 Die Exekution von Kapitän Fryatt Auf die Hinrichtung der Krankenschwester Cavell im Oktober 1915 folgte im Sommer 1916 die Exekution des Handelsschiffkapitäns Fryatt.745 Dieser hatte versucht, mit seinem Schiff ein deutsches U-Boot zu rammen. Nach deutschem Verständnis verstieß dies gegen Kriegsrecht. Nach seiner Gefangennahme wurde er deshalb hingerichtet. In den Augen der Presse war dieser Fall noch schlimmer als die Hinrichtung der Krankenschwester. Wenn auch völlig unmenschlich, sei dies unter Umständen mit den Buchstaben des Gesetzes zu rechtfertigen gewesen. Fryatt dagegen „was not even charged with any act for which he could rightly be put upon his trial." Deshalb sei dies „Germany's crowning infamy"746. Jedes Handelsschiff sei zur Selbstverteidigung beT/flO
rechtigt. Erneut wurde die persönliche Schuld des Kaisers betont. Wie bei Cavell handle es sich um Judicial Murder."749 Wegen deutscher Taten wie dem Überfall auf Belgien sowie der Hinrichtung Cavells und Fryatts wurde Deutschland vom Daily Express als „Empire of Hell"750 bezeichnet. Die Hinrichtung Fryatts sei mit einem bestimmten Ziel erfolgt: „It has been committed deliberately with the object of terrorising the officers of our merchant service and frightening them from offering any resistance."751 Der Fall Fryatt zeige erneut „that we are dealing, not with civilised human beings, but with ravening wolves against whose depredations all humanity must arm itself."752 In ihrer Empörung über die deutsche Tat beschrieben britische Artilleristen ihre Granaten sogar mit dem Schriftzug „To Capt. Fryatts Murderers"753. 3.4.6 Sonstiges Derartige Vorwürfe blieben nicht auf diese Fälle beschränkt. Sie wurden in ähnlicher Form während des gesamten Krieges erhoben. Dabei kam es zu andauernden Steigerungen. Zu denken sei hier nur an angeblich verstümmelte Krankenschwestern. Belgischen Kindern sollen die Hände abgeschnitten worden sein, damit sie im nächsten Krieg nicht gegen Deutschland kämpfen könnten. Besonders populär waren Geschichten von gekreuzigten Kanadiern, Amerikanern oder Mädchen.754 Auch die Meldung, daß tote 745
Vgl. Granier, Gerhard: Pirat oder Kriegsmann? Die aktive Teilnahme von Handelsschiffen am Seekrieg von 1914-1918 und die Fälle der Kapitäne Fryatt und Blaikie, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 62 (2003), S. 459-470. 746 Β'ham Post, 1.8.1916, S. 4, vgl. Scotsman, 29.7.1916, S. 6, Irish Times, 29.7.1916, S. 6. 747 Vgl. Yorkshire Post, 29.7.1916, S. 6; Evening News, 29.7.1916. S. 2; Guardian, 29.7.1916, S. 6. 748 Vgl. Cambria Daily Leader, 31.7.1916, S. 2; Times, 29.7.1916, S. 9. 749 Western Mail, 29.7.1916, S. 4, vgl. South Wales Daily News, 29.7.1916, S. 4; Graphic. 29.7.1916, S. 4. 750 Daily Express, 31.7.1916, S. 4. 751 Daily Mail, 31.7.1916, S. 4. 752 Telegraph, 1.8.1916, S. 8. 753 Ferguson, Pity, Bildteil zwischen S. 178 und 179, Bild 10. 754 Vgl. Ponsonby, Falsehood, S. 67-70: The Mutilated Nurse; S. 71-77: The Criminal Kaiser; S. 78-82: The Belgian Baby without Hands; S. 91-93: The Crucified Canadian; S. 102-113: The Corpse Factory.
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deutsche Soldaten in einer ,J(adaververwertungsanstalt"155 weiterverarbeitet würden, wurde verbreitet. Diese Berichte wurden zwar nach dem Krieg im britischen Parlament widerrufen 756 , verfehlten während des Krieges ihre Wirkung aber nicht.757 Neben diesen zentralen Propagandaereignissen, auf die während des gesamten Krieges immer wieder verwiesen wurde, stand noch eine Reihe von anderen Geschehnissen im Blickpunkt der Presse, die sich nicht an einem konkreten Datum festmachen lassen. Eine besonders delikate Situation ergab sich bei der Berichterstattung über britische Kriegsgefangene. Auf der einen Seite durften die Angehörigen nicht zu sehr beunruhigt werden, um die Moral an der Heimatfront nicht zu gefährden, andererseits durfte nicht der Eindruck entstehen, daß der Gegner Kriegsgefangene gut behandeln würde, um die Soldaten nicht zur vorzeitigen Aufgabe zu ermutigen. Nach den anfänglichen Meldungen äußerst schlechter Behandlung relativierten sich die Berichte mit Fortschreiten des Krieges etwas. So hieß es im Mai 1915 über die Überprüfung von Kriegsgefangenenlager durch Amerikaner „that the lot of British prisoners has improved" 758 . Derartige Berichte über die verbesserten Bedingungen in Deutschland tauchten immer wieder auf.759 Dies wurde vor allem auf amerikanische, nicht auf deutsche Initiativen zurückgeführt. 760 Dennoch blieben deutsche Kriegsgefangenenlager ein negativer Dauerbrenner für die Zeitungen. Die „Wittenburg Camp Horrors" 761 und die Bedingungen in „Ruhleben" 762 , wo „exceptionally barbarous conditions" 763 herrschen würden, blieben allgegenwärtig. 764 Wie bei den Taten in Belgien sei anzunehmen „that, as far as is convenient for German purposes, this is a general practice officially sanctioned." Sie würden „wantonly insulted and frequently struck" 765 . Die Soldaten müßten die Haft mit „short rations, insufficiently clothed amid insanitary surroundings" 766 ertragen. Es wurde sogar vermutet, daß Zivilinternierte absichtlich dem Hungertod preisgegeben würden. 767 Große Aufregung verursachten die Beschießungen englischer Küstenstädte durch Einheiten der deutschen Hochseeflotte. Dies war um so bemerkenswerter, da es seit
755 756
757 758 759 760
Times, 17.4.1917, S. 5, Hervorhebung im Original, vgl. Daily Mail, 17.4.1917, S. 4. Vgl. Pari. Deb. 188 (1925), Sp 2232, Henderson und Chamberlain am 1.12.1925, Sanders/Taylor, Propaganda, S. 124. Vgl. Read, Propaganda, S. 38-41, Knightley, First Casualty, S. 105. B'ham Post, 11.5.1915, S. 6. Vgl. Cambria Daily Leader, 2.3.1916, S. 5. Vgl. Cambria Daily Leader, 26.7.1916, S. 2.
761
Cambria Daily Leader, 9.9.1918, S. 1. Graphic, 27.6.1916, S. 4. 763 Times, 25.7.1916, S. 9. 764 Vgl. Graphic, 1.1.1915, S. 4; Scotsman. 23.4.1915, S. 5; People, 21.11.1915, S. 11, 26.5.1918, S. 4; Liverpool Daily Post, 25.5.1916, S. 4; Western Mail, 25.5.1916, S. 4; Yorkshire Post, 31.5.1918, S. 4. 762
765
Sketch, 7.5.1915, S. 5.
766
Daily Mail, 28.4.1915, S. 4. Vgl. Daily Mail, 5.7.1916, S. 4.
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einem Jahrhundert keine direkte Bedrohung der englischen Küste gegeben hatte. So ist es nicht verwunderlich, daß die Zeitungen sich mit einer stringenten Berichterstattung schwer taten. So versuchte der Star, die Bedeutung des Ereignisses zu minimieren. Die eine oder andere kurze Beschießung einzelner Orte durch deutsche Kriegsschiffe sei nicht zu verhindern. Diese würden sich jedoch mit der Annäherung britischer Flotteneinheiten umgehend zurückziehen. Keinesfalls müsse eine Invasion befurchtet wer76R
den. Auf der anderen Seite ist der Unwille der Zeitungen darüber, daß die Angriffe nicht verhindert werden konnten, zu spüren. Die Beschießung unbefestigter Städte sei nicht zu entschuldigen. Die Royal Navy dürfe aber wegen ihrer Gesamtstrategie nicht durch den Einsatz bei solch unbedeutenden Angriffen aufs Spiel gesetzt werden. 769 Auch die Greuelmeldungen aus den besetzten Gebieten setzten sich fort: „German Massacres of Innocent. [...] Old Men and Babies shot down. 770 Hinzu kamen "machinegun massacres", „scientific incendiarism", „systemtic pillage", „slaughter of hostages" und „the torture of women and children" 771 . Derartige Berichte finden sich in unzähliger Quantität während des gesamten Krieges. Besonders detailliert schilderte John Bull die angeblichen Vorkommnisse: „Peaceful village homes were set on fire at night; and when the little children ran from their beds they were tossed on Prussian bayonets, or bashed to pieces by the butts of German rifles. Girls of tender years, fleeing from the flames, were overtaken, dragged to the fields, and ravished; wives were torn from husbands' arms and shamed in their presence and that of their children - held back by William's Imps, who mocked at their madness." 772 Solche Meldungen blieben jedoch keineswegs auf den Sensationsjournalismus beschränkt. Artikel von ,^Satanic German Soldiery": „Baby Beheaded" 773 sind nicht nur in den Boulevardblättern, sondern auch in den meisten seriösen Zeitungen in der einen oder anderen Form nachzuweisen. 774 3.4.7 Zweifel an Greuelmeldungen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Greuelmeldungen wurden vor allem am Anfang des Krieges immer wieder geäußert. 775 Bezeichnend für das Wissen der Journalisten ist dabei ein Brief des Pariser Korrespondenten des Manchester Guardian. Darin fragte Robert Dell seine Tochter Ende September 1914: „[...] why is Auntie Rose furious because I said that we must not believe all the German atrocities? All the papers of the 768
Vgl. Star, 4.11.1914, S. 2. Vgl. Chronicle, 17.12.1914, S. 8. 770 Vgl. Star, 8.1.1915, S. 1. 771 Western Mail, 19.2.1915, S. 4. 772 John Bull, 7.8.1915, S. 6f. 773 News of the World, 16.5.1915, S. 9, Hervorhebung im Original. 774 Vgl. News of the World, 20.12.1914, S. 9; Lloyd's, 10.1.1915, S. 7; Graphic, 31.7.1916, S. 4, 21.11.1916, S. 4; Evening News, 24.5.1918, S. 2; Irish Times, 22.8.1914, S. 4. 775 Vgl. CU, CAC, CHAR/1/113/70, de Bendem an Churchill am 25.9.1915, vgl. Read, Propaganda, S. 2429. 769
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world were full of stories of English atrocities during the Transvaal war, but they were not all true."776 Selbst das deutsche Vorgehen in Louvain verglich Dell mit dem Verhalten der Briten im Burenkrieg: „The English army did burn farms and even villages in South Africa, but I am not sure that it could help doing so; it did so for exactly the same reasons as those alleged by the Germans for the burning of Louvain."777 Auch er selbst habe sich massiv gegen das deutsche Verhalten geäußert: „[...] but us condemn the Germans for what they do, not for any preposterous story that anyone tells about them." Er habe eine Geschichte gehört, wonach die Deutschen 15 unbewaffnete Bauern erschossen hätten, die sich mit erhobenen Händen ergeben hatten: „A story like that is a lie." Selbstverständlich habe es deutsche Greueltaten gegeben, aber genau so selbstverständlich „nine-tenths of the stories about them are false."778 Besonders die Soldaten des britischen Expeditionskorps zweifelten die Greuelmeldungen an: „All the officers that I have seen say that they have not come across a single case in France of illtreatment of inhabitants by the Germans unless the inhabitants have taken hostile action and the only case that we yet know of in France where the inhabitants have fired on the Germans is Senlis." Ein Krieg könne nicht ausgefochten werden, ohne daß Schäden entstünden „and correspondents of the wild Harmsworth type, when they see a house destroyed by shells, describe it as a German atrocity, whereas it may well have been destroyed by French or English shells." Er selbst sei mit den Korrespondenten Northcliffes unterwegs gewesen: „I know what liars they are."779 Dennoch stellte auch Dell nicht alles in Abrede. Vor allem die Kollektivstrafen gegen Ortschaften, aus denen ziviler Widerstand kam, seien maßlos übertrieben gewesen. Das generelle Problem sei, daß „at present all men are liars and it is almost impossible to arrive at the truth [...] It is impossible to believe anything that anyone says or any official statement of any Government." Bestes Beispiel sei die Kathedrale von Rheims, auf deren Turm sich entgegen anderslautender Berichte der Alliierten eben sehr wohl ein Aussichtsposten befunden hätte. Daß die Beschießung der Stadt aus der Sicht Dells gemäß den anerkannten Regeln der Kriegsfuhrung erfolgt sei, spiele für die Opfer der Zivilbevölkerung sowieso keine Rolle. Auch die Behauptung, daß nach dem deutschen Beschüß der Kathedrale „nothing but a heap of ruins" übrig geblieben sei, sei maßlos übertrieben. Die deutschen Greueltaten basierten in erster Linie auf Erzählungen vom Hörensagen: „The truth is that war is barbarism." Zu den deutschen Greueltaten schrieb Dell abschließend:, After the war, no self-respecting village will be without its German atrocity and the worst atrocities will have been committed in the districts where the Germans have never been."780 Auch die Geschichten über die schlechte Behandlung 776
UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/3, 56-67, Robert Dell an Sylvia Dell am 28.9.1914, vgl. UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/3,47, Robert Dell an Sylvia Dell am 25.9.1914. 777 UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/3, 56-67, Robert Dell an Sylvia Dell am 28.9.1914. 778 UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/3, 56-67, Robert Dell an Sylvia Dell am 28.9.1914. 779 UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/3,56-67, Robert Dell an Sylvia Dell am 28.9.1914. 780 UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/3, 56-67, Robert Dell an Sylvia Dell am 28.9.1914.
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britischer Verwundeter durch deutsche Soldaten entbehrten nach Meinung Dells jeglicher Grundlage. Im Gegenteil: „The English doctor at the hospital at Versailles says that the Germans treat the English wounded splendidly; not only is the first aid given to them more efficient than that given in the English army, but the Germans take them out of the trenches and carefully put them altogether on a bank or some place out of danger with a red-cross flag above them, so that the English ambulance bearers may find them."781 Er habe nicht den geringsten Zweifel „that everything that is said about the Germans here and in England is said about us in Germany."782 Auch der Herausgeber des Spectator, Strachey, sprach von „the alleged atrocities, which probably never occurred"783. Der Kriegsberichterstatter Gibbs betonte nach dem Krieg ebenfalls, daß er keinerlei Belege für die schlimmsten deutschen Greueltaten in Belgien finden konnte.784 Damit bestätigte er die kritische Sicht der verschiedenen Kommissionsberichte. Außerdem wurden zahlreiche Meldungen über deutsche Greueltaten, darunter auch der BryceReport als Ganzes, in Frage gestellt.785 So hätten sich die U-Boot-Besatzungen keineswegs so unmenschlich verhalten, wie behauptet. Admiral Sims betonte in den 1920ern: „The press accounts of the 'terrible atrocities' were nothing but propaganda". Oft genug hätten die Deutschen ihren Opfern auch geholfen. Jedermann erkenne nun „that the columns of most of our dailies were filled to overflowing with lies and poison propaganda during the war". Trotz dieser Relativierung deutscher Greuel erinnerte die Nation an die vielen unschuldigen Opfer, beispielsweise beim Untergang der Lusitania: „But the Admiral's confession gives us fresh hope that the truth, the plain unvarnished truth, may yet come out."786 Zu beachten ist hier, daß zwischen diesen Stellungnahmen ein vier Jahre andauernder Krieg währte, der das Selbstverständnis der „alten Welt" in ihren Grundfesten erschütterte. Angesichts der unglaublichen Opferzahlen konnten eben auch die deutschen Greuel stimmen. Auf den ersten Blick erstaunliche Zweifel äußerte die Times an einer angeblich deutschen Greueltat. Der ursprüngliche Vorwurf hatte gelautet, daß die Krankenschwester Grace Hume, bevor sie an den Folgen ihrer schweren Mißhandlungen starb, einen letzten Brief an ihre Schwester in England senden konnte. Schnell stellte sich jedoch heraus, daß die Schwester des angeblichen Opfers die Geschichte erfunden hatte.787 Mit deutlichen Vorwürfen an die Erfinderin kritisierte die Times die Vorgänge. Die genannte Krankenschwester habe sich zwar freiwillig gemeldet, sei aber nie an der Front in
781
UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/3, 56-67, Robert Dell an Sylvia Dell am 28.9.1914. UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/3, 56-67, Robert Dell an Sylvia Dell am 28.9.1914. 783 HLRO/SP/S/8/2/31, Strachey an Haidane am 6.10.1914. 784 Vgl. Gibbs, Philip: Realities of War, London 2 1920, S. 425, Gibbs, Philip: Now it can be told, New York, London 1920, S. 520. 785 Vgl. Beham, Kriegstrommeln, S. 28f. 786 The Nation, 18.4.1923, S. 458, vgl. 20.3.1929, S. 335. 787 Vgl. Haste, Home Fires, S. 84, Read, Propaganda, S. 37. 782
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Belgien gewesen, sondern sei weiterhin wohlauf in England. Die Existenz der angeblichen Überbringerin des Briefes konnte nicht nachgewiesen werden: „It is now described as a cruel hoax, but it is surely incredible that anyone should have been guilty of such pointless or such laborious malignity as to play a hoax of this kind." 788 Um die Glaubwürdigkeit der Presse nicht zu gefährden, forderte die Times sogar eine strafrechtliche Untersuchung des Falles. Es sei aber auch denkbar, daß deutsche Agenten die Geschichte in die Welt gesetzt hätten, um auch die bewiesenen deutschen Greueltaten in Frage zu stellen. Durch eine derartige Auseinandersetzung mit einzelnen Falschmeldungen konnte die Times die eigene Glaubwürdigkeit weiter steigern. Gerade weil sie anscheinend unseriösen Nachrichten auf den Grund ging und diese widerlegte, konnten die anderen um so größere Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen. Die Stimmung unter den Journalisten gab Wrench nach dem Krieg wieder. Er war von der Authentizität der Vorwürfe gegen Deutschland überzeugt: „Surely no selfrespecting Government would deliberately circulate lies about its opponents? It was only later on that I learnt that unsavoury events take place on all sides."789 Hatte es am Anfang des Kriegs noch Zweifel an den Greuelmeldungen gegeben, so ließ dies immer mehr nach.790 Ein gutes Beispiel dafür ist der britische Botschafter in Paris, Bertie. Er notierte unmittelbar nach dem Kriegsausbruch in seinem Tagebuch: „Of course each side will accuse the other of brutalities and atrocities, and there will be a good deal of putting away spies, genuine or otherwise." 79l Auch zwei Tage später ging er noch davon aus, daß die Presse in ihren Berichten über die schlechte Behandlung von Briten in Deutschland stark übertreibe.792 Nicht zuletzt wegen des Dauerfeuers der Presse schwand seine kritische Distanz innerhalb weniger Tage.793 Bereits am 24. August klang Bertie dann ganz anders: „The cruelties of the Germans are terrible. [...] such conduct is contrary to the customs of modern war and to International Law; it is a return to barbarism."794 Nach dem Untergang der Lusitania erinnerte er sich daran, daß er anfangs nicht an die deutsche Brutalität geglaubt habe: „[...] now I feel that I myself would, if I could, kill every combatant German that I might meet"795. Da die Propaganda sich also sogar innerhalb des gebildeten und gut informierten diplomatischen Korps Großbritanniens auswirken konnte, lassen sich die Folgen auf die durchschnittliche Bevölkerung, die im Gegensatz kaum an interne Informationen gelangen konnte, ermessen. Darüber hinaus verwies er auf den problematischen Umgang der Briten mit der Greuelpropaganda: „A critical weighing of evidence was regarded as pro-Germanism
788
Times, 18.9.1914, S. 9. Wrench, Struggle, S. 113. 790 Vgl. Graves, Robert: Good-Bye to All That. An Autobiography, London 31929, S. 99. 791 Bertie, Diary, Bd. 1, S. 12, Eintrag vom 7.8.1914. 7,2 Vgl. Bertie, Diary, Bd. 1, S. 14, Eintrag vom 9.8.1914. 793 Vgl. Bertie. Diary, Bd. 1, S. 16, Eintrag vom 12.8.1914. 794 Bertie, Diary, Bd. 1, S. 22, Eintrag vom 24.8.1914. 795 Bertie, Diary, Bd. 1, S. 165, Eintrag vom 12.5.1915. 789
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and lack of patriotism."796 Selbst im Parlament wurde betont, daß es keinerlei Belege für die Kreuzigung eines kanadischen Soldaten gebe.797 Die Behauptung Clarkes, sein Chef Northcliffe habe gewollt, daß die Wahrheit geschrieben werde, kann daher nur als falsch enttarnt werden.798 Für Journalisten galt die Regelung: „Don't want to hear about any good Germans"799. So gab auch der Korrespondent der Daily Mail erst nach dem Krieg zu, Propagandageschichten frei erfunden zu haben.800 Berichte über „Germans who fought like Heroes"801 waren unerwünscht. Nicht zuletzt deshalb hatten die Zeitungen zu Meinungsänderungen beigetragen. Mit der permanenten Wiederholung deutscher Greuelmeldungen und der Versicherung ihrer Authentizität, drangen diese immer tiefer ins Bewußtsein der Bevölkerung ein. Die Bereitschaft der Journalisten, nicht verifizierte Nachrichten zu bringen, ist dabei auch auf ihre Leiden im Krieg mit zurückzufuhren. So fiel zum Beispiel der Sohn des Herausgebers des Observer an der Somme.802 Nach einem deutschen Luftangriff auf London „Garvin's youngest child was unable to sleep for night fears." 803 Im Februar 1918 klagte Northcliffe beim ehemaligen Premier Rosebery über den Tod seines Neffen Vyvyan. Der Sohn von Lord Rothermere habe im Lazarett zu ihm gesagt: „Uncle, we don't mind being killed but we hate being butchered."804 Das Schiff des langjährigen Journalisten der Times, Amery, der beim Kriegsausbruch eine so große Rolle bei der Mobilisierung der konservativen Presse gespielt hatte, wurde auf einer Seereise von einem deutschen U-Boot torpediert, was seiner Karriere allerdings keinen Abbruch tat.805 Gerade wenn seriöse Zeitungen, wie die Times oder der Manchester Guardian, ihre kritische Distanz gegenüber den Greuelmeldungen fallen ließen, wurden sie um so glaubwürdiger. So erinnerte die Westerminster Gazette daran, daß sie sehr skeptisch gewesen sei: „With the Belgian Minister's statement before us, we can no longer maintain this reserve."806 Auch der Daily Graphic schrieb, daß er die Greuelmeldungen anfangs bezweifelt habe. Dies änderte sich immer mehr.807 Der Haß auf den Kriegsgegner wuchs mit jedem weiteren Artikel über Greueltaten. Übertreibungen und Verfälschungen spielten eine konstante Rolle in der Greuelpropaganda. Tatsächliche Beweise waren
796
Gibbs, Now, S. 520. Vgl. Pari. Deb. 71 (1915), Sp. 1624, Tannant am 12.5.1915. 798 Vgl. Clarke, Northcliffe in History, S. 109. 7,9 Ponsonby, Falsehood, S. 21. 800 Vgl. Knightley, First Casualty, S. 84, 106f. 801 Daily Herald, 31.8.1914, S. 2. 802 Vgl. Ayerst, Garvin, S. 157. 803 Ayerst, Garvin, S. 167. 804 TNL Archive/HWS/3, undatierte Aufzeichnung Steeds „My Experience of and Relations with Lord Northcliffe", ca. 1922, S. 28, vgl. in etwas anderem Wortlaut: Pound/Haimsworth, Northcliffe, S. 620, Northcliffe an Rothermere am 17.2.1918, Aitken, Men and Power, S. xxiiii, Fyfe, Northcliffe, S. 177. 805 Vgl. Amery, Life, Bd. 2, S. 88. 806 Westminster Gazette, 29.8.1914, S. 1. 807 Vgl. Graphic, 4.9.1914, S. 4. 797
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kaum zu erbringen. Dies den Lesern plausibel zu machen, war nicht schwer, da der größte Teil des in Frage kommenden Gebietes von deutschen Truppen besetzt war. Teilweise war die anti-deutsche Propaganda so stark, daß das Press Bureau einzelne Zeitungen zur Mäßigung anhalten mußte.808 Zu Recht wurde festgestellt, daß die Wahrheit das erste Opfer bei Ausbruch des Krieges war.809 Sie mußte während der folgenden vier Jahre viel erdulden. Die anfangs geäußerten Zweifel konnten nicht lange bestehen. Zu sehr hätte dies dem Patriotismus widersprochen, zu sehr die eigene Kriegsbeteiligung in Frage gestellt. Konkrete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Berichte über deutsche Greuel äußerte der Daily Chronicle. Obwohl es sicherlich Verstöße gegen das Kriegsrecht gebe, seien die „atrocity-mongering tales, of which the French Press is full, regarding the alleged butchery of peaceful villagers by German troops [...] probably not better founded than the 'franc-tireur' stories, in which the German newspapers revel by way of counterblast."810 Dennoch wurde auch von dieser Seite schon sehr bald die Sicht vom Kampf „Europe against the Barbarians"811 übernommen. Lediglich in der Schärfe der Formulierungen gab es Unterschiede. Mit zunehmender Dauer des Konflikts begann auch hier die anfangliche Unterscheidung zwischen preußischem Militarismus und der „normalen" Bevölkerung zu schwinden. Die Hoffnungen, „that these stories of burnt homes and massacred inhabitants are greatly exaggerated"812 wurden seltener. So revidierte auch der Daily Chronicle seine anfangs geäußerten Zweifel. Zwar habe bis jetzt kein Korrespondent die Massaker gesehen, „but many saw the survivors as they entered Brussels". Die Taten der Deutschen seien um so schlimmer, da „they were not the wild excesses of troops temporarily out of hand, but were a calculated policy of terrorism, done in cold blood by the order of superior officers. Nor were these isolated causes."813
3.5 Die Rekrutierung der Freiwilligen In der Definition Hastes heißt es: „The aim of propagandists is the direction and control of public opinion towards certain ends."814 Im Falle der englischen Kriegspropaganda war das wichtigste Ziel die Mobilisierung der eigenen Bevölkerung. In erster Linie mußte im Rahmen der englischen Kriegserklärung um die Zustimmung der Bevölkerung geworben werden. Gerade in einem Land ohne Wehrpflicht815, wie es Großbritan808
Vgl. Hiery, Angst, S. 200. Vgl. Haie, Publicity, S. 469. 810 Chronicle, 22.8.1914, S. 2, vgl. Daily Express, 21.8.1914, S. 3. 811 Daily News, 10.8.1914, S. 4. 812 Mirror, 12.8.1914, S. 7. 813 Chronicle, 26.8.1914, S. 4. 814 Haste, Home Fires, S. 1. 815 Zum Rekmtierungssystem in Friedenszeiten vgl. Osborne, John: The Voluntary Recruiting Movement in Britain, 1914-1916, New York, London 1982, S. 3-9. 809
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nien zu diesem Zeitpunkt war, konnte ein Krieg unter Großmächten nicht ohne eine große Zahl von Freiwilligen geführt werden. Von daher mußten besonders die wehrfähigen Männer und deren Bezugspersonen von der „Richtigkeit" des englischen Handelns überzeugt werden. Um diese an ihre Pflicht zu erinnern, wurden die Zeitungen als ein Hauptinstrument der Rekrutierungskampagnen verwendet. Vom ersten Kriegstag an wurden Anzeigen geschaltet. Darin hieß es „Your King and Country need you" 816 . Alle Wehrfähigen 817 wurden aufgefordert: „Join the Army to-day!" 818 Diese Anzeigenkampagne wurde in der Folgezeit fortgesetzt. Sie ist in den meisten Zeitungen in der einen oder anderen Form zu finden.819 Diese Kampagne wurde bereits im Herbst 1914 ausgeweitet: „Your King & Country need another 100,000 Men." 820 Mit der Zeit wurden die Forderungen immer nachdrücklicher: „To the Flag! - No More Waiting!" 821 Im August 1914 wurde dabei auf die problematische Situation nach der Niederlage von Möns verwiesen. 822 Auch die Appelle der Politiker wurden wiedergegeben. Beispielsweise hatte Premierminister Asquith gefordert: „We want every recruit that we can get."*23 Die sicherste Garantie den Sieg zu erringen „is to be found in the readiness of its recruitable manhood 824
to take their place promptly in the fighting line." Neben den Soldaten wurde auch die Zivilbevölkerung aufgefordert, ihre Aufgaben zu erfüllen: „The man in the street has to do his part, and it will be no small one." 825 Zum Ansporn verkündete ein Generalmajor in einem Leserbrief ,,[t]he Sources of Victory." Die Kräfte von der der Ausgang eines so großen Konflikts abhänge, seien nicht Pulver und Stahl „but those of a moral nature behind the material weapons. The forces come from two different sources - (1) from the Army or Navy itself, and (2) from the soul of the people. The second force, all history teaches, is incomparably the more power-
816
Cambria Daily Leader, 5.8.1914, S. 4, vgl. 20.8.1914, S. 3; Evening Express, 5.8.1914, S. 2, 8.8.1914, S. 2; Liverpool Daily Post, 7.8.1914, S. 3; Chronicle, 1.9.1914, S. 7. 817 In der Regel wurden damit die 17-30jährigen Männer angesprochen, manchmal erst ab 18. Es kam auch vor, daß kein Alter genannt wurde. 818 Daily Mail, 5.8.1914, S. 3, vgl. Times, 5.8.1914, S. 3. 819 Vgl. Daily Mail, 6.8.1914, S. 3: „Join the Army now", siehe auch 10.8.1914, S. 8; Times, 7.8.1914, S. 7; 10.8.1914, S. 5; Observer, 9.8.1914, S. 4: „Give all thou canst." Reynolds's, 23.8.1914, S. 5; News of the World, 9.8.1914, S. 4; 30.8.1914, S. 12: „Your King and Country need you"; Sketch, 28.8.1914, S. 5: „Meanwhile, for all young unmarried men there is but one thing to do - Enlist! and but one moment at which to do it - Now!" 820
Reynolds's, 8.11.1914, S. 7, vgl. People, 13.9.1918, S. 10. Evening News, 25.8.1914, S. 2. 822 Vgl. Evening News, 25.8.1914, S. 2; Glasgow Herald, 31.8.1914, S. 6. 823 Evening News, 28.8.1914, S. 2. 824 Β'ham Post, 5.11.1914, S. 6. 825 Chronicle, 5.8.1914, S. 4. 821
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fill."826 Jedermann, so waren sich die Zeitungen einig, müsse nun seine Pflicht erfüllen.827 Um dies zu unterstreichen, setzten sich neben Politikern auch andere Personen des öffentlichen Lebens dafür ein. Um der Theorie von einer deutschen Kriegsverschwörung Nachdruck zu verleihen, schrieb Arthur Conan Doyle im Daily Chronicle*2* Weitere Beispiele sind die Schriftsteller George Bernard Shaw und Herbert George Wells. 829 Ponsonby schätzt deren Einfluß sehr hoch ein: „Perhaps nothing did more to impress the public mind [...] than the assistance given in propaganda by intellectuals and literary nobles." 830 Da nicht zuletzt aufgrund der Zeitungsmeldungen eine große Zahl von jungen Männern in die Rekrutierungsbüros strömte, war Anfang September 1914 die Freude über „The Boom in Recruiting" 831 groß. Die Berichte vom Rückzug von Möns und die Intensivierung der Greuelgeschichten hatte zu einer Zahl von Freiwilligen gefuhrt, deren Andrang kaum bewältigt werden konnte. Hatten sich am 25. August noch 10.019 Männer gemeldet, so wurde mit ca. 33.000 Mann am 3. September ein Höhepunkt erreicht. 832 In den ersten vier Septembertagen 1914 meldeten sich mehr Männer zur Armee, als im gesamten Oktober. 833 Besonders Louvain und die Hunnenpropaganda spielten hier eine Rolle. Hinzu kommt noch die erste Veröffentlichung britischer Opfer am 25. August. 834 Die Begeisterung, zu den Fahnen zu eilen, währte allerdings nicht lange. Schon in der zweiten Septemberhälfte gingen die Zahlen stark zurück. Zunächst stabilisierten sie sich auf einem niedrigeren Niveau. 835 Die anfanglichen Höchstzahlen wurden in den nächsten eineinhalb Jahren nicht mehr annähernd erreicht. Wie in Abbildung 7 zu sehen ist, verlief die Rekrutierungskampagne alles andere als konstant. Mehrere Wellen sind zu beobachten. Wie bereits erwähnt, fand der einzige wirkliche Rekrutierungsboom nach den Ereignissen von Möns und Louvain statt. Danach nahmen die Meldungen deutlich ab.
826
Times. 8.8.1914, S. 9, vgl. Guardian, 8.8.1914, S. 9. Vgl. Lloyd's, 9.8.1914, S. 8: „[...] throughout the whole British Empire there is only one word that appeals to the people, and that word is Duty." Siehe auch Graphic, 21.8.1914, S. 4; Mirror, 26.8.1914, S. 5. 828 Vgl. Chronicle, 26.8.1914, S. 4: „The World-War Conspiracy. - Germany's Long Drawn Plot against us." Daily News, 28.8.1914, S. 4. 829 Zu Shaw vgl. Daily News, 11.8.1914, S. 4: „The peril of Potsdam." Zu Wells vgl. Chronicle, 7.8.1914, S. 4: „The Sword of peace." Wells trat während des Krieges aus Gewissensgründen von seinem Amt als Propaganda-Direktor zurück. 830 Ponsonby, Falsehood, S. 25, vgl. S. 128, Sanders/Taylor, Propaganda, S. 93. 831 Daily News, 3.9.1914, S. 4. 832 Vgl. Ferguson, Pity, S. 198. 833 Vgl. Beckett, Ian/Simpson, Keith: A Nation in Arms. A social study of the British army in the First World War, Manchester 1985, S. 7, Simkins, Peter: Kitchener's Army. The raising of the New Armies, 1914-1916, Manchester, New York 1988, S. 49-75. 834 Vgl. McEwen, Press, S. 481. 835 Vgl. Simkins, Kitchener's Army, S. 104-137. 827
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Abbildung 7: Zahl der Rekruten vom 4.8.-28.12.1914 in Tsd./Woche
Quelle: PRO/WO 162/3.
Die Regierung war deshalb bereits im Oktober 1914 unter anderem an Northcliffe mit der Bitte um die Unterstützung der Rekrutierungsbemühungen herangetreten. Dieser wollte sich darauf nicht einlassen, „until our men (our correspondents at the front) are treated properly, and facilities given them to help recruiting by telling about our army." Obwohl dieser Forderung nicht entsprochen wurde, zeigte er sich von seinen 837
Möglichkeiten überzeugt: „I can get 500,000 men, but I must do it my own way." Auch wenn es zunächst zu keiner formalen Zusammenarbeit kam, so taten auch Northcliffes Zeitungen alles, um die Armee mit Männern zu versorgen. Wie die anderen Blätter auch konnten sie auf mehrere propagandistische Ereignisse zurückgreifen. Diese erleichterten es, die Bedrohung des Vereinigten Königreichs darzustellen. Neben der Betonung der Niederträchtigkeit des Gegners wurde damit an die Bereitschaft appel-
836
Vgl. Asquith, Memories, Bd. 1, S. 277f.
837
Clarke, Northcliffe Diary, S. 71, Eintrag vom 4.10.1914, vgl. S. 70.
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liert, die Heimat zu verteidigen, auch wenn dies auf den Schlachtfeldern Flanderns zu geschehen hatte. Die Nation sollte weiter mobilisiert werden.838 Im November 1914 folgte eine zweite Spitze bei den Rekrutierungszahlen. Erneut kamen zwei Ereignisse zusammen. Der Kriegseintritt des Osmanischen Reiches und die damit verbundene Bedrohung Ägyptens, sowie die Beschießung der englischen Küstenstadt Yarmouth durch die Einheiten der kaiserlichen Marine erregten große Aufmerksamkeit. Parallel dazu lief eine neue Kampagne zur Gewinnung von mehr Rekruten in der Presse: „Your King and Country Need another 100,000 Men."839 Es handle sich um „The National Task"840. Dies reichte jedoch nicht, um die Rekrutierungsbüros gleichmäßig auszulasten. Bis auf kleinere Ausschläge, beispielsweise nach der zweiten Beschießung der englischen Küste Mitte Dezember, verlief die Rekrutierung bis zum Frühjahr 1915 relativ konstant. Die nächste Spitze folgte nach der Versenkung der Lusitania und der anschließenden Veröffentlichung des Bryce-Reports. Doch auch nach diesen Ereignissen fielen die Freiwilligenmeldungen auf ein Niveau ab, das zum Teil niedriger war als zuvor. Auch danach setzten sich die Zeitungen dafür ein, daß den Generälen an der Front nicht die Männer ausgingen. Immer wieder wurde das Problem beim Namen genannt. So stellte der Daily Express im Herbst 1915 fest, die Zahl der Freiwilligen sei zu gering, um die Verluste abzugleichen: „We must have more men or we shall lose the war. Voluntaryism seems to us to have exhausted its possibilities"841 Immer lauter wurden die Forderungen nach der Wehrpflicht. Besorgt wurde Anfang Oktober 1915 im Kriegsministerium festgestellt, daß sich weit weniger als die benötigten 35.000 Rekruten pro Woche melden würden.842 Als letzter Versuch, das Freiwilligenheer zu erhalten, wurde deshalb im Herbst 1915 das nach ihrem Vorsitzenden benannte Derby-Scheme ins Leben gerufen.843 Besonders die Gegner der Wehrpflicht hofften auf einen Erfolg, also genügend Freiwillige, um die gewünschte Stärke der Armee zu erreichen, beziehungsweise aufrechtzuerhalten.844 In persönlichen Schreiben versuchte Derby die Presse auf sein Programm einzuschwören. So teilte er Ende Oktober 1915 verschiedenen Journalisten mit, daß die Zahlen zwar besser seien als noch vor kurzem, der Eindruck, es seien genug, jedoch täusche. Deshalb bat er: „Please therefore do everything you can to encourage men to come forward."845
""Vgl. Graphic, 31.5.1915, S.4. 839 Times, 28.10.1914, S. 9, vgl. 4.11.1914, S. 7, 7.11.1914, S. 9f; Guardian, 7.11.1914, S. 6. 840 Times, 7.11.1914, S. 10. 841 Daily Express, 7.10.1915, S. 4, Hervorhebung im Original. 842 Vgl. PRO/WO 159/4, Memorandum am 8.10.1915. 843 Vgl. Douglas, Voluntary Enlistment, S. 579. 844 Vgl. Reynolds's, 7.11.1915, S. 1. 845 HLRO/BM/Der. 4, Derby an Blumenfeld am 28.10.1915, vgl. HLRO/SP/S/5/2/3, Deity an Strachey am 28.10.1915.
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Selbst Northcliffe, der lange für die Einfuhrung der Wehrpflicht plädiert hatte, sicherte Derby seine Unterstützung zu: „I am going to help your scheme as much as I can - and I think I can help it." Dabei regte er an, daß in den Zeitungen in vollem Umfang über deutsche Siege berichtet werden sollte, dann „you would get lots of recruits."846 Umgehend revanchierte sich Derby: „Thanks very much for what you are doing in the way of help and the Leader in the Times today does this to an exceptional extent."847 Northcliffe wollte auf diesem Weg einerseits zum Erfolg des Landes beitragen, fur den Fall des Scheiterns des Programms aber um so heftiger für die Wehrpflicht eintreten. So drückte die Times ihre Hoffnung aus, daß „the whole nation will at last be together on this vexed and vital question."848 Alles in allem erreichte das Programm, das vom 11. Oktober bis zum 11. Dezember lief, einen guten Anfangserfolg.849 Dem Derby-Scheme sehr gelegen kam die Hinrichtung der Krankenschwester Cavell, die die Emotionen überkochen ließ.850 Bald nach den Trauerfeierlichkeiten für die Krankenschwester sanken die Freiwilligenmeldungen jedoch auf das bis dahin niedrigste Niveau. Die Wehrpflicht war nicht mehr aufzuhalten. Doch auch danach endeten die Bemühungen der Zeitungen um die zukünftigen Soldaten nicht. Mit Appellen an die Opferbereitschaft von Zivilisten851 und Soldaten versuchte die Presse auf die Männer einzuwirken: „England rightly expects that every man will do his duty"852. Sicherlich sind die einzelnen Rekrutierungsspitzen nicht monokausal auf die Bemühungen der Presse zurückzuführen. Sie mußte auf die entsprechenden Ereignisse warten, um dann das Beste daraus zu machen. Dennoch ist ein Zusammenhang zwischen den Freiwilligenmeldungen, der anti-deutschen Greuelpropaganda und deren Veröffentlichung in der Presse zu sehen. Durch Meldungen über deutsche Greueltaten, Anzeichen eines englischen Rückzuges in Frankreich und die Einschwörung auf die Gerechtigkeit der englischen Sache wurde ein moralischer und sozialer Druck auf mögliche Soldaten aufgebaut, der nicht zu unterschätzen ist. Dies gilt insbesondere für die ersten Kriegswochen. Sehr schnell hatte die Propaganda ihr Potential an Herabsetzungen und Beschuldigungen aber ausgeschöpft. So ist es umgekehrt nicht verwunderlich, daß nach der Gewöhnung an die Propaganda die Freiwilligenmeldungen wieder zurückgingen. Bei günstigen Propagandaereignissen gelang es den Zeitungen aber bis Ende 1915 im-
846 847
TNL Archive/WDM/2/98, Northcliffe an Derby am 20.10.1915. TNL Archive/WDM/2/99, Derby an Northcliffe am 23.10.1915, vgl. TNL Archive/WDM/2/100, Nortcliffe an Derby am 25.10.1915, TNL Archive/WDM/2/106, Derby an Northcliffe am 2.11.1915, TNL Archive WDM/2/113 vom 12.11.1915.
848
Times, 23.10.1915, S. 7.
849
Vgl. Reader, Patriotism, S. 125.
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Vgl. Willis, Holy War, S. 231.
851
Vgl. News of the World, 21.10.1917, S. 4.
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Sketch, 10.7.1916, S. 5, vgl. News of the World, 23.12.1917, S. 2.
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mer wieder, in Zusammenarbeit mit den Regierungsbehörden, die ihrerseits auf die Unterstützung der Presse bauten, zahlreiche Rekruten für die Front zu gewinnen. Erst danach mußte die Wehrpflicht eingeführt werden.
Abbildung 8: Zahl der Freiwilligen der Territorial Forces (Okt. 1914 - Dez. 1915 in Tsd./Woche) - Kriegseintritt des Osmanischen Reiches • Erste Beschießung der britischen Küste durch deutsche Flotteneinheiten
- Versenkung der Lusitania - Bryce-Report
Englisch — — Schottisch · • • · Walisisch
Quelle: BL, Statistics of the Military Effort of the British Empire during the Great War 1914-1920, hg. von His Majesty's Stationery Office, London 1922, S. 365f.
3.6 Das Verhalten der Alliierten Im Gegensatz zum unmenschlichen Verhalten der deutschen Truppen wurde das der Alliierten positiv dargestellt. So seien die deutschen Kriegsgefangenen von den Belgiern gut behandelt worden: „Like the civilians they are very well treated by their captors. [...] They get the same rations as the Belgian soldiers. They had all to-day written post-cards to their homes. They may buy chocolates and cigars or cigarettes."853 Ein Franzose, dessen Frau getötet und dessen Haus zerstört worden sei, habe sogar einen 853
Times, 12.8.1914, S. 8.
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wehrlosen Deutschen beschützt: „That is a true example of the chivalry that is opposed to Attila-swaggering"854. Nur selten wurden Andeutungen gemacht, wonach auch die Alliierten das Kriegsrecht nicht einwandfrei befolgten. In den wenigen Fällen, in denen dies erkennbar wurde, wurde es als berechtigte Vorgehensweise dargestellt. Dazu gehörte beispielsweise die Blockade deutscher Häfen als legitimes Mittel der Kriegsführung.855 Obwohl auch die Alliierten Giftgas einsetzten, wurde dessen Verwendung durch Deutschland als „Diabolical"856 scharf verurteilt. Es sei „Foul Fighting"857. So sehr dieses Mittel zur Kriegsfuhrung abzulehnen sei, wie der Premierminister richtig festgestellt habe, bleibe jedoch keine andere Wahl, als diese Waffe ebenfalls einzusetzen.858 Es sei an der Zeit mit adäquaten Mitteln zu reagieren: „protests and appeals to civilisation or to the Hague will not stop the Germans killing our soldiers with poisonous gas. What might stop them is the knowledge that two can play that game."859 Furchtbar seien die Leiden der Soldaten: „'Devilry, thy name is Germany!'" 860 Angesichts der massiven Anschuldigungen wirkt es beinahe lächerlich, wenn der Daily Graphic betont: „People who are about to win never feel it necessary to indulge in manifestations of hatred against their foes; they are too cheerful."861 Selbst 862
die Daily Mail betonte, daß „the Britsih are bad haters." Das Land müsse den Gegner nicht hassen, um mit allen Mitteln für den Sieg zu kämpfen. Umgekehrt würde Deutschland gerade England bis aufs Blut hassen.863 Nicht Frankreich oder Rußland stünden im Mittelpunkt der deutschen Feindschaft. Vielmehr sei die gängige Begrüßungsformel in Deutschland „'Gott strafe England!' (God punish England!)" Deshalb dürfe nie vergessen werden „that this is a war against us and that our empire, our sea power, our commerce are the prizes for which Germany is striving with all her might."864
3.7 Repressalien Ein großes Problem stellte die Frage nach Repressalien für deutsche Vergehen dar. Besonders deutlich wurde einmal John Bull. Die deutschen U-Boot-Mannschaften verhielten sich wie Piraten. Entsprechend müßten sie auch behandelt werden: „Hang them
854 855
Mirror, 22.8.1914, S. 5. Vgl. Times, 26.8.1914, S. 7.
856
People, 2.5.1915, S. 12, vgl. Cambria Daily Leader, 24.4.1915, S. 1.
857
Daily Express, 24.4.1915, S. 1.
858
Vgl. Chronicle, 12.5.1915, S. 6; Guardian, 19.5.1915, S. 7. Daily Mail, 7.5.1915, S. 4.
859 860
Daily Mail, 8.5.1915, S. 8.
861
Graphic, 9.11.1914, S. 4.
862
Daily Mail, 12.12.1914, S. 4. Vgl. Evening News, 8.8.1914, S. 2, Müller, Nation, S. 114.
863 864
Daily Mail, 17.5.1915, S. 4, vgl. Graphic. 6.10.1915, S. 4, 30.9.1916, S. 4.
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Now!" 865 Verschiedentlich wurde auf biblische Inhalte verwiesen: „'Vengeance is Mine' - saith the Lord"866 oder „An Eye for an Eye, A Life for a Life. - God's Law."867 868
Lord Kitchener solle die zu gute Behandlung Deutscher in England überdenken. Die Idee, deutsche U-Boot-Besatzungen anders als gewöhnliche Kriegsgefangene zu behandeln, stieß dabei in höchsten Kreisen auf Mißbilligung. So hieß es in einem Schreiben des königlichen Sekretärs Stamfordham an den Premier: „In the King's opinion they have but obeyed orders, brutal and inhuman though those orders may be. In any case either they are criminals and should be tried and punished as such; or they are prisoners of war and ought to be treated accordingly"869. Auch von anderer Seite wurden Repressalien fur gut befunden. Zufrieden berichtete der Daily Mirror über Luftangriffe, die als Vergeltung auf Freiburg geflogen wurden.870 Der Daily Express empfahl, deutsche Kriegsgefangene auf alle Schiffe, die in See stächen, zu bringen, um deren Torpedierung zu verhindern.871 Die französische und britische Bevölkerung habe, anders als die deutsche, die volle Last des Krieges mittragen müssen. Es sei lächerlich „to pretend that the German people have no responsibility for the murders of British women and children. The gloating satisfaction expressed in the German Press is proof that the people approve and applaud. Theirs is the ultimate responsibility. Theirs should be the immediate punishment. Justice and common sense both support the call for reprisals."872 People forderte Konsequenzen: „Our soldiers, sailors and citizens should throw all thoughts of mercy to the four winds and think only of the Lusitania, of Nurse Cavell, of Capt. Fryatt, and o f - vengeance."873 Insgesamt ist festzustellen, daß gegenüber dem Einsatz von Repressalien eine kritische Distanz vorherrschte. Der Daily Chronicle warnte, daß „a policy of reprisals against German towns, however it might be justified on other grounds, would decidedly not mean helping to shorten the war, but just the reverse; since the machines employed on it would be switched off the most profitable field of operations to a comparatively sterile one."874 Die Daily News war der Ansicht, daß es ein Dutzend Gründe gäbe, warum auf Sanktionen verzichtet werden sollte: „The first argument against reprisals is their proved futility."875 Dafür sollten die Anstrengungen, den Krieg zu gewinnen, intensiviert werden.
865
John Bull, 20.3.1915, S. 4f, Hervorhebung im Original.
866
John Bull, 15.5.1915, S. 6f. John Bull, 7.10.1916, S. 9. Vgl. John Bull, 15.8.1914, S. 2. OBL, Mss. Asquith 4, 94f, Stamfordham an Asquith am 16.4.1915. Vgl. Mirror, 29.1.1916, S. 3; Glasgow Herald, 26.12.1917, S. 5; Graphic, 17.4.1917, S. 4.
867 868 869 870 871
Vgl. Daily Express, 3.2.1917, S. 1.
872
Daily Express, 19.6.1917, S. 2.
873
People, 30.7.1916, S. 8. Chronicle, 18.6.1917, S. 2. Daily News, 16.6.1917, S. 2.
874 875
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Die Daily Mail differenzierte die Wahl der Mittel für Repressalien: „The Daily Mail is for reprisals against men, munition factories, aerodromes, and the whole paraphernalia of war, but is vigorously opposed to copying the Hun and his unspeakable one
crimes." Selbst die ansonsten sehr extreme Evening News warnte vor der Anwendung zu drastischer Konsequenzen. So sei nach dem deutschen Giftgaseinsatz die Benutzung derselben Waffe durch britische Truppen gerechtfertigt, davon seien aber Soldaten betroffen. Maßnahmen gegen Frauen und Kinder seien eine ganz andere Sache: „If German soldiers have crucified a child with bayonets shall we in turn crucify German children? No, it will not do."877 Das Selbstverständnis des Landes im Blick, warnte der Star vor Repressalien, „for with Germany in blood "7and R7ft we cannot compete successfully ft 0 murder of that kind." Auch die Times betonte dazu: „That is not the British way." Dabei ist darauf zu achten, daß mit zunehmender Kriegsdauer ähnliche Handlungsmuster der Kriegsparteien völlig unterschiedliche Bewertungen erhielten. So wurden deutsche Luftangriffe fast ausschließlich als militärisch unbedeutend, erfolglos, dafür aber als grausam gegen die Zivilbevölkerung dargestellt. Im Gegensatz dazu wirkten alliierte Luftangriffe präzise und erfolgreich.880 Zivile Opfer durfte es dabei höchstens als Kolateralschaden geben, um sich nicht mit dem Feind auf eine Stufe zu stellen. Daß allein schon die technischen Voraussetzungen keine großen Unterschiede in der Präzision von Luftangriffen erlaubten, wurde nach Möglichkeit außen vor gelassen. So wurde beispielsweise der Eindruck erweckt, daß noch aus einer Höhe von 13.000 Fuß (circa 4.000m) die zielgenaue Bombardierung von Munitionsfabriken möglich gewesen wäre881 - eine technische Leistung, die selbst im Zweiten Weltkrieg kaum denkbar war. Angesichts eines Luftangriffs betonte Reynolds's Newspaper, daß hierfür dasselbe wie für das deutsche Verhalten in Belgien und im Seekrieg gelte. Die Deutschen sollten sich keinen Illusionen hingeben: „This latest 'frightfulness' brings not a shred of military advantage to those who perpetrated it, but only increases the determination of this country to see the struggle through to a victorious issue."882 QQ1 Auch Vorwürfe von absichtlichen Angriffen auf Krankenhäuser wurden erhoben. Entsprechend wenig gewürdigt wurden abgestürzte Zeppeline. Hierbei hieß es nicht, die Besatzung sei gefallen, sondern: „The whole of the crew were destroyed."884 Auch die Luftangriffe wurden 876
Daily Mail, 14.2.1916, S. 4. Evening News, 21.10.1915, S. 4, vgl. 14.4.1917, S. 2. 878 Star. 29.7.1916, S. 2, vgl. Scotsman, 31.7.1916, S. 4; Daily Express, 31.7.1916, S. 4. 879 Times, 1.8.1916, S. 9. 880 Vgl. Yorkshire Post, 13.2.1915, S. 6; Cambria Daily Leader, 16.8.1918, S. 1, 9.9.1918, S. 3,2.1.1915, S. 5; Reynolds's, 6.12.1914, S. 1; News of the World, 3.1.1915, S. 4; Daily Express, 24.8.1918, S. 2, 13.2.1915, S. 1; Graphic, 1.8.1918, S. 3. 881 Vgl. News of the World, 30.12.1917, S. 1. 882 Reynolds's, 17.10.1915, S. 8, vgl. Liverpool Daily Post, 25.9.1916, S. 4. 883 Vgl. Mirror, 26.3.1917, S. 1. 884 Times, 25.9.1916, S. 9. 877
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als „Murder"885 bezeichnet, die Zeppelin-Besatzungen als „Baby-Killers"886. Dabei wurde betont, daß keiner der Luftangriffe wirklichen militärischen Schaden verursacht hätte.887
3.8 Ausschreitungen gegen Deutsche in Großbritannien Immer wieder wurde während des Krieges betont, daß sich die Alliierten vollkommen an die Regeln der Kriegsführung halten würden. Dennoch gab es eine ganze Reihe von anti-deutschen Ausschreitungen im Ersten Weltkrieg, die in der Literatur eingehend betrachtet wurden.888 Besonders intensiv wurden diese nach der Versenkung der Lusitania und dem kurz darauf veröffentlichten Bryce-Report. Zahlreiche Geschäfte seien zerstört worden.889 Auffallig ist dabei, daß die Zeitungen diese Unruhen nicht verschwiegen. Die Briten seien eigentlich „a phlegmatic people, rather slow to anger", durch die vorangegangenen Ereignisse „at last we are roused to an ugly pitch."890 Ein Widerspruch zu obiger Behauptung wurde darin nicht gesehen. Dennoch lehnte der Großteil der Zeitungen die Ausschreitungen ab. Angesichts der Luj/ia/jza-Katastrophe und der deutschen Verhaltensweise seien sie zwar nachvollziehbar, aber: „Acts of vengeance on Germans in our midst help us in no way, and discredit us abroad. The surest way to obtain a righteous vengeance on the Germans is to serve in the Army if possible and kill German soldiers, or, if that is impossible, to do something at home that will help the nation through the time of crisis."891 Außerdem erhöhe dies die Gefahr für die britischen Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft. Selbst der Daily Express, eine der schärfsten anti-deutschen Zeitungen, sprach von „deplorable anti-German riots, which do the country no good"892. Zu ihrem eigenen Schutz sollten am besten alle Deutschen interniert werden.893 Trotz dieser zumeist kritischen Haltung gegenüber den Ausschreitungen, standen die Zeitungen schon aus zeitgenössischer Sicht in der Kritik. Selbst aus dem Home Office wurde der Vorwurf laut, daß „The papers, header by the Harmsworth Press, are now
885 886
News of the World, 19.9.1915, S. 7, vgl. 17.10.1915, S. 9, Graphic, 28.9.1916, S. 4. Lloyd's, 2.4.1916. S. 6, vgl. South Wales Daily News, 20.10.1916, S. 5; Daily Express, 8.6.1915, S. 4; Daily News, 8.9.1915, S. 1; Sketch, 28.5.1915, S. 12.
887
Vgl. Times, 25.9.1916, S. 9.
888
Vgl. Panayi, Panikos: Anti-German Riots in London during the First World War, in: German History 7 (1989), S. 184-203, hier u.a. S. 186-188. Hier wird betont, daß es unterschiedliche Erklärungsansätze fur die Unruhen gibt. Sie seien eben nicht monokausal auf die Lusitania-Versenkung zurückzufuhren.
889
Vgl. Westminster Gazette,13.5.1915, S. 10; Daily News, 13.5.1915, S. 5; Evening Express, 13.5.1915, S. 2.
8.0 8.1 852 893
South Wales Daily News, 13.5.1915, S. 4, vgl. Guardian, 12.5.1915, S. 6. Mirror, 13.5.1915, S. 2, Hervorhebung im Original, vgl. Chronicle, 12.5.1915, S. 6. Daily Express, 14.5.1915, S. 4. Vgl. Times, 13.5.1915, S. 9.
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engaged in a deliberate campaign to stimulate loot and outrage of the worst description against defenceless and unoffending people." 894 Auch in der Literatur wurde eine Mitschuld gewisser Zeitungen, allen voran John Bull, an den Ausschreitungen festgestellt.895 Dieser hatte auch kein Problem mit der Rechtfertigung: „The Vendetta Justified. - 'Away with the Germans' - The only Policy." 896
3.9 Bilanz Obwohl die Propaganda ein Phänomen so alt wie der Krieg selbst ist, erreichte sie im Ersten Weltkrieg eine neue Dimension. Der wesentliche Unterschied zu früheren Kriegen war die Rationalisierung und Modernisierung des Propagandaapparates. 897 Die Bedeutung der Presse für die Propaganda ist kaum zu überschätzen. Sie setzte sich für die Aushebung neuer Armeen ein, regte die Zeichnung von Kriegsanleihen an und trug dazu bei, die Moral an der Front und in der Heimat aufrechtzuerhalten. Außerdem konnte sie rechtfertigen, warum auch Großbritannien das Kriegsrecht brechen mußte. 898 So ist es nicht erstaunlich, daß den Zeitungen auch aus Regierungskreisen hohe Anerkennung zuteil wurde: „[The] Press is, after all, the principal channel through which the Government is able to influence public opinion." 899 Darüber hinaus mußten die Zeitungen auch wirtschaftliche Zwänge berücksichtigen: „A paper which during the War refrained form printing dubious German atrocity stories, could not hope to do as well as one which appeared with alluring tales of German corpse factories." 900 Dabei ist darauf zu achten, daß die Propaganda in den Zeitungen weniger ein Ergebnis der Regierungskontrolle, als der Selbstmobilisierung der Presse war. Beinahe jeder Journalist wußte um die nötigen Kriegsanstrengungen für einen Sieg. Deshalb sollte das eigene Land bestmöglich gefordert werden. 901 Ein Hauptpunkt war dabei das Einschwören der Bevölkerung auf den Sieg als oberstes Kriegsziel: „Stand Together!" 902 Schon am 5. August, in der ersten Ausgabe nach dem britischen Kriegseintritt, appellierte die South Wales Daily News an die Einheit der Nation: „[...] patriotism requires that all classes shall rally to the support of the Government and prepare at once for the severest trial which has ever tested the fibre and the courage of the British people." 903 Auch die
894
PRO/HO 139/22/93, Press Bureau am 13.5.1915. Vgl. French, Spy Fever, S. 370. 896 John Bull, 22.5.1915, S. 6f. 897 Vgl. Haste, Home Fires. S. 2. 898 Vgl. Hudson/Stanier, War and the Media, S. 55, Marquis, Words. S. 488, Simonis, Street of Ink, S. 338, Read, Propaganda, S. 5. 899 PRO/HO 139/9/36/ Part 3. Memorandum des Minister of Labour am 16.1.1918. 900 Angell, Norman: The Public Mind. Its Disorders: Its Exploitation, New York 1927, S. 125. 901 Vgl. Ferguson, Pity, S. 444. 902 Observer, 9.5.1915, S. 10. 903 South Wales Daily News, 5.8.1914, S. 4. 8,5
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irischen Nationalisten, die sich noch kurz vorher auf einen Bürgerkrieg eingerichtet hatten, betonten nun: „Every Nationalist Irishman is prepared to do his duty, and tens of thousands of Unionist Irishmen are prepared to stand with their countrymen in the ranks of their country's defenders."904 Dem Schloß sich auch die Irish Times an.905 Bei der Forderung nach einem gemeinsamen Kampf gegen einen gemeinsamen Feind waren sich alle Zeitungen einig, nur so könne der Sieg errungen werden.906 Auch der konservative Daily Express betonte: „We must get on with the war. It makes no difference who is at the head of the Government - Unionist, Radical, Labour, or Socialist - so long as we get on with the war."907 Daß auch die Labor Party hinter dem König stand, wurde besonders gewürdigt.908 Selbst diejenigen Journalisten, die sich in der Julikrise am deutlichsten gegen eine Intervention ausgesprochen hatten, unterstützten die Kriegsanstrengungen. Beispielhaft ist hier C.P. Scott vom Manchester Guardian, der noch am 4. August eindeutig gegen eine Intervention Stellung bezogen hatte. Mit der Kriegserklärung an Deutschland stellte er sich aber in den Dienst der Regierung, um deren Kriegsanstrengungen zu fordern.909 Seinen anti-interventionistischen Gesinnungsgenossen machte er seinen Standpunkt deutlich. In einem Schreiben an den Manchester and Salford Trades and Labour Council betonte er zwar, daß Großbritannien seiner Meinung nach nicht in den Krieg hätte eintreten dürfen, „but once in it the whole future of our nation is at stake and we have no choice but to do the utmost we can to secure success."910 Während des gesamten Krieges ließ Scotts Zeitung keinen Zweifel an ihrer Position aufkommen, auch wenn sie bei manchen Ereignissen weniger anti-deutsch als viele andere Zeitungen reagierte. Kritik an seiner Haltung wies Scott mit deutlichen Worten zurück: „[...] you can't fight this war as one fought the Boer war [...] because it stands on a wholly different footing as regards its origin and objects"911. Selbst der bekannte Schriftsteller G.B. Shaw mußte nach einer Bitte um Veröffentlichung eines kritischen Leserbriefes eine Absage akzeptieren: „I suppose one's duty now is to encourage and unite people and not to exercise and divide."912 Dementsprechend wurden auch die Leitartikel im Manchester Guardian verfaßt.913 Damit befand sich Scott in Übereinstimmung mit den Kriegsgegnern aus dem Parlament. Auch sie stellten sich nach dem Kriegseintritt hinter den Regierungskurs 914 Diese Einheit, ähnlich dem deutschen Burgfrieden, setzte sich nicht nur inner904
Freeman's Journal, 5.8.1914, S. 6. Vgl. Irish Times, 5.8.1914, S. 4. 906 Vgl. Star, 15.10.1915, S. 4; Scotsman, 26.1.1917, S. 4; Evening News, 7.8.1914, S. 2. 907 Daily Express, 8.4.1916, S. 4, Hervorhebung im Original. 908 Vgl. Telegraph, 19.9.1914, S. 6. 909 Vgl. Hammond, C.P. Scott, 1846-1932, S. 52, Hammond, C Ρ Scott of the Manchester Guardian, S. 181. 910 MGA/333/111, Scott an Melior am 7.8.1914, vgl. Scott, Diaries, S. 99f. 911 MGA/333/162, Scott an Emily Hobhouse am 19.12.1914. 912 BL, Mss., G .B. Shaw Papers, Add. 50517/190, C.P. Scott an Shaw am 16. September 1914. 913 Vgl. Guardian, 12.5.1915, S. 6, 3.2.1916, S. 6. 914 Vgl. Pari. Deb. 65 (1914), Sp. 2090, Dickinson am 6.8.1914. 905
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halb Großbritanniens durch, sondern übertrug sich in großem Maße auch auf Irland und die Dominions des British Empire.915 Nicht zuletzt deshalb wird der britischen Propaganda eine hohe Effektivität zugesprochen. Der besondere Erfolg beruhte dabei nicht zuletzt auf der Unbefangenheit der Zielgruppe. Obwohl Propaganda längst bekannt war, waren ihre „Opfer" kaum vorbereitet. 916 Zum ersten Mal in der Geschichte „Propaganda had been put on a professional basis." 917 Winston Churchill nannte in seinen Memoiren das Jahr 1915 als „the sun of newspaper power began [...] to glow with unprecedented and ever increasing heat. [...] All were on one side and the enemy on the other." 918 Besonders die erste Jahreshälfte 1915 war „a special time of hate" 919 gewesen. Doch bereits unmittelbar nach Kriegsausbruch hatte die Herabsetzung alles Deutschen begonnen. Schnell wurden nicht mehr nur die preußischen Militaristen als Feindbild gesehen. Mehr und mehr wurde dies auf die gesamte deutsche Bevölkerung übertragen. Am Ende hatte sich, nach über vier Kriegs- und Propagandajahren, die Gleichsetzung der Deutschen mit den bestialischen Hunnen fest in das Bewußtsein der englischen Bevölkerung eingeprägt. Kaiser Wilhelm II. wurde als die Verkörperung des Teufels selbst betrachtet. Im Daily Express verglich der bekannte Journalist Sidney Dark das deutsche Verhalten mit „The Reign of Beelzebub" 920 . Wilhelm II. wurde nicht nur in der Gesamtheit, sondern auch für einzelne tatsächliche oder vermeintliche Greueltaten verantwortlich gemacht. Dies gilt fur das Verhalten der deutschen Soldaten in Belgien ebenso, wie für die Versenkung der Lusitania oder der Hinrichtung der Krankenschwester Cavell. Zusammen mit dem Tod des Kapitäns Fryatt und dem Bryce-Report bildeten diese Ereignisse die Eckpfeiler der britischen Propaganda, auf die während des gesamten Krieges immer wieder verwiesen wurde. 921 Die Wochenzeitungen People und John Bull spielten deshalb auf eine mögliche Geisteskrankheit des Kaisers an: „We believe the man to be mad." 922 Außerdem wurde ihm die Verantwortung für den Kriegsausbruch angelastet. 923 Zeitgleich warfen ihm Times und Daily Mail vor, er habe „the party of .keeper of the peace'" 924 aufgegeben.
915
Vgl. Keiger, Union Sacr6e, S. 49, Morris, Scaremongers, S. 2. Vgl. Read, Propaganda, S. 2. 917 Haste, Home Fires, S. 2, vgl. Hudson/Stanier, War and the Media, S. 54, Read, Propaganda, S. 1. 918 Churchill, World Crisis, Bd. 2, S. 1134. 919 French, Spy Fever, S. 370, vgl. Wilson, Investigation, S. 369. 920 Daily Express, 28.8.1914, S. 4. 921 Vgl. z.B. Daily News, 5.8.1916, S. 4; Daily Express, 16.12.1916, S. 4; Glasgow Herald, 31.7.1916, S. 6. 922 John Bull, 22.8.1914, S. 4, vgl. 15.8.1914, S. 3: „The Kaiser's Brain. [...] Somewhere at the back of the dictionary there is a lump of Latinity to the effect that whom the Gods wish to destroy they first make mad. Do you remember the articles we published a year or two ago on the state of the kaiser's brain?" People, 9.8.1914, S. 7: „The Kaiser's Madness." 923 Vgl. z.B. Guardian, 8.8.1914, S. 4; Times, 14.8.1914, S. 5; Daily Mail, 8.8.1914, S. 2, 11.8.1914, S. 3. 924 Times. 11.8.1914, S. 5. 916
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Wie problematisch der plötzliche Wandel des britischen Bildes von Wilhelm war, zeigt ein Artikel der Daily Mail. In völliger Umkehrung der Vorkriegsartikel hieß es nun, der Kaiser sei gar nicht „the most modern and progressive of monarchs". Vielmehr sei er in Wirklichkeit „the most medieval of kings." Diese Information habe der Korrespondent von Vertrauten des Kaisers in „ultra-confident moments" erhalten. Niemand in Deutschland sei schwerer für eine neue Idee zu gewinnen. Sein Geschmack für Kunst, Musik und Literatur wurde beschrieben „as at least three generations behind his time."925 Bedenkt man, wie umfassend die positiven Berichte über Wilhelm vor dem Krieg waren, so ist es nur zu verständlich, daß das Staatsoberhaupt des Kriegsgegners in einem anderen Licht dargestellt werden mußte. Hatte er anläßlich des 25-jährigen Thronjubiläums noch eine sehr gute Presse gehabt, so wurde ihm nun vorgeworfen, daß „Kaiserism contra mundum, Prussia against the universe" stehe. Dies sei ein Hauptergebnis seiner Regierungszeit: „since, twenty-four years ago, he began to be a war-lord and provide for the unfortunate people whose vanity was swayed by his swaggering."926 Das Land des Kaisers wurde wegen seiner angeblichen Beteiligung an den Greueltaten als eine Nation von Barbaren und Wilden gesehen.927 Dies führte zu einer massiven Abneigung gegen alles Deutsche, was wiederum eine ganze Reihe von recht abstrusen Folgen zeitigte. Dazu gehören die Ausschreitungen gegen deutsche Geschäfte nach der Versenkung der Lusitania oder die Namensänderung adliger Familien mit deutschem Bezug. Neben den bekannten Battenbergs konnte sich nicht einmal die Königsfamilie dieser Tendenz entziehen. Sie hatte nicht nur Wurzeln in Sachsen-Coburg-Gotha und im ehemaligen Königreich Hannover, sondern war über die Tochter Queen Victorias, der Mutter Wilhelms II., direkt mit dem modernen Attila, Wilhelm II., verwandt. Da diese engen Beziehungen zum Vorkriegsdeutschland automatisch Zweifel an der Loyalität der Familien hervorriefen, bemühten sich diese darum, einen möglichst patriotischen Eindruck zu erwecken. So wurde die Namensänderung der Königsfamilie in „House of Windsor"928 übergreifend positiv bewertet.929 Lange Zeit sei Windsor schon die Residenz des Herrschers gewesen und „even if the selection was not so admirable, the change in the name of the Royal House is welcome."930 Die Namensänderung sei „a symbol of the disruption in the relations between this country and Germany which has
925
Daily Mail, 11.8.1914, S. 3. Mirror, 25.8.1914, S. 5. 927 Vgl. Hiery, Angst, S. 186, Sanders/Taylor, Propaganda, S. 116, Haste, Home Fires, S. 50-107,179. 928 Liverpool Daily Post, 18.7.1917. S. 4, vgl. Chronicle, 18.7.1917, S. 2; Westminster Gazette, 17.7.1917, S. 5. 929 Vgl. hierzu auch Pogge von Strandmann, Hartmut: Nationalisierungsdruck und königliche Namensänderung in England. Das Ende der Großfamilie europäischer Dynastien, in: Ritter, Gerhard/Wende, Peter (Hg.): Rivalität und Partnerschaft. Studien zu den deutsch-britischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Anthony Nicholls, Paderborn, München, Wien u.a. 1999, S. 69- 91, hier S. 85-91. 930 Liverpool Daily Post, 18.7.1917, S. 4, vgl. Yorkshire Post, 18.7.1917, S. 4; Irish Independent, 18.7.1917, S. 2. 926
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been produced by the war; it marks the character of the gulf that separates the two peopies" 931 . Auch das Verbot fur Mitglieder der königlichen Familie, deutsche Titel zu fuhren, wurde begrüßt. 932 Selbst die gemäßigte Westerminster Gazette schrieb, daß der König „wisely and opportuenly" 933 gehandelt habe. Die Anordnung des Königs „is dictated by a natural desire to remove the Hun stigma from patriotic British subjects." 934 Wie tief sich der Haß ins Bewußtsein der Bevölkerung eingegraben hatte, zeigt auch, daß nicht einmal der König es wagte, zu widerstehen. Als sich der ehemalige österreichungarische Botschafter Mensdorff 1924 erstmals nach dem Krieg wieder in England aufhielt, unterhielt er sich mit dem König auch über die Namensänderung im Juli 1917. Mensdorff, so der König, „koenne sich keinen Begriff machen von der Atmosphaere, die damals in England geherrscht habe; es sei fuer ihn, den Koenig, eine absolute Notwendigkeit gewesen, wenn er und sein Haus nicht Gefahr laufen wollten, die Krone zu verlieren." 935 Zu dieser Problematik zählen auch die Anfeindungen selbst gegen hohe Regierungsbeamte, wie den ehemaligen Kriegsminister Haidane, wegen ihrer Affinität zu Deutschland. Sie hatten beispielsweise einen Teil ihrer Ausbildung Jahrzehnte vor dem Krieg in Deutschland genossen oder ihr „spiritual home" 936 dort. Als Schlagwort wurde „Haidane must go" oder schlicht „H.M.G." 937 eingeführt. Auch nach Haldanes Ausscheiden aus hohen Regierungsämtem setzten sich die Angriffe gegen seine Person fort. 938 Schon daran sieht man, wie auch in den Zeitungen hervorgehoben wurde, daß sich dieser Krieg von vorangegangenen unterscheide. Einige Leute würden denken, daß er sich wenig auf die langfristigen Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien auswirken würde: „They argue that such wounds heal quickly, and they cite the speed and completeness with which, after the bitter wars of the past, we renewed good relations with France. They forget that those were conflicts of interest, and that this is a conflict of ideals and civilisations." 939 Ihren Ursprung hatte diese negative Darstellung Deutschlands im britischen Kriegseintritt. Aufgrund der Widerwilligkeit, mit der ein großer Teil der veröffentlich-
931
Scotsman, 18.7.1917, S. 4, vgl. Graphic, 18.7.1917, S. 4; Telegraph, 18.7.1917, S. 4. Vgl. Telegraph, 20.6.1917, S. 6; Star, 20.6.1917, S. 2; Daily News, 20.6.1917, S. 2; Times, 20.6.1917, S. 7. 933 Westminster Gazette, 20.6.1917, S. 1. 934 Daily Express, 20.6.1917, S. 2. 935 Ρ AAA, R 77114, Dufour an AA am 30.10.1924, vgl. Pogge von Strandmann, Nationalisierungsdnick, S. 71. 936 John Bull, 30.1.1915, S. 4, vgl. 29.6.1915, S. 6, 22.7.1916, S. 6, 5.8.1916, S. 6; Daily Express, 6.1.1915, S. 1. An Literatur vgl. Hollenberg, Interesse, S. 262. 937 People, 10.1.1915, S. 10, vgl. S. 3; Daily Express, 13.1.1915, S. 4, 12.11.1915, S. 4. 938 Vgl. Evening News, 6.12.1916, S. 2, 3.9.1917, S. 2, vgl. hierzu auch Haldanes Erinnerungen, in: Haidane, Richard: An Autobiography, London 4 1929, S. 270-287. 939 Irish Times, 18.7.1917, S. 4. 932
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ten Meinung dem britischen Kriegseintritt gegenüberstand, befand sich die Regierung besonders in den ersten Kriegswochen unter einem enormen Rechtfertigungsdruck. Somit eignete sich die Diskreditierung Deutschlands bestens, um die Bevölkerung auf den Krieg einzuschwören. Mit zunehmender Kriegsdauer wurde die Aufrechterhaltung der Moral der Bevölkerung und der Soldaten zu einem zentralen Anliegen. Die grausame Kriegsführung Deutschlands eignete sich dabei bestens, zu zeigen, was die Briten auf ihrer Insel erwarten würde, sollte der Feind den Krieg gewinnen. Wiederholt wurde in eigenen Berichten oder Meldungen über die Reden von Politikern die Uneigennützigkeit des britischen Verhaltens betont: „[...] we are fighting, not for ourselves alone, but for civilisation" 940 . Es sei ein „Fight for Humanity." 941 Es ist dabei keineswegs so, daß die verhängte Nachrichtensperre über Truppenbewegungen die Folge hatte, daß die deutschen Greueltaten bis in die dritte Kriegswoche ignoriert worden wären. 942 Fast unmittelbar nach Kriegsausbruch setzen die Greuelmeldungen ein. Die Daily Mail spricht bereits am 12. August von „More German Atrocities" 943 . Schon zu diesem Zeitpunkt hatte es geheißen, daß Großbritannien gegen „the greatest tyranny in living memory" 944 kämpfe. Da es sich beim Gegner um eine „tyranny" handle, kämpfe man einen „War of Liberation" 945 . Der Krieg entwickelte sich mehr und mehr zum Kreuzzug gegen das Böse. 946 Nicht zu vernachlässigen ist auch die religiöse Komponente des Krieges. So unterstrich die Daily Mail·. „[...] this war is in every truth a holy war." 947 Eine Unterscheidung zwischen dem deutschen Begriff „Gott" und dem englischen „God" führte der Daily Mirror ein: „[...] these names, in different nations, have varying connotations. [...] Gott, like Prussia, is 'justified by success.' When Prussia fails, perhaps this Gott will be dethroned for another." 948 Immer wieder wurde auf biblische Motive zurückgegriffen: „Herod must surely be jealous of the Kaiser. The slaughter of ten babies and the mutilation of fifty babies in a poor little kindergarten is a very Herodian triumph." 949 Überall standen „German Atrocities" 950 im Mittelpunkt. Zahlreiche Beispiele für deutsche Grausamkeiten in Belgien wurden wiedergegeben. Über ,Arson, Murde, an Pillage" 951 wurde aus dem Ort Termonde berichtet. Den Deutschen wurde „Warfare of
940
Yorkshire Post, 10.11.1914, S. 4. Observer, 20.9.1914, S. 7, vgl. Daily Express, 26.1.1916, S. 4. 942 Vgl. Horne/Kramer, Kriegsgreuel, S. 263. 943 Daily Mail, 12.8.1914, S. 3, vgl. Daily Express, 12.8.1914, S. 3. 944 Liverpool Daily Post, 11.8.1914, S. 4. 945 Star, 11.9.1914, S. 2, vgl. Gerard, James: My Four Years in Germany, New York 1917, S. 206. 946 Vgl. DeGroot, Blighty, S. 9, Ross, Propaganda, S. 19. 947 Daily Mail, 5.8.1918, S. 2. 948 Mirror, 2.12.1914, S. 7. 949 Star, 14.6.1917, S. 2, vgl. Sketch, 7.1.1918, S. 7. 950 Graphic. 13.1.1915, S. 4. 951 Liverpool Daily Post, 10.2.1915, S. 6, vgl. Daily News, 23.9.1914, S. 8. 941
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Savages"952 vorgeworfen. Nur wenige Zeitungen waren in ihrer Berichterstattung über die deutschen Greueltaten zurückhaltend. Doch selbst der zögerliche Scotsman schrieb: „There is scarcely a form of lawlessness which she [Germany] has not practised"953. Auch der gemäßigte Gardiner von der Daily News fiel in den allgemeinen Tenor ein. So gab er zwar zu bedenken, daß kein Krieg ohne Grausamkeiten ablaufe „but there is something in the story of Belgium that gives it a character of its own. It is something that we must probe if we would understand all that is meant by this war and all that is at stake in it. The Kaiser has taken Attila and his Huns as his model. But these horrors are not the work of real Huns. Attila did not talk of vulture or call himself 'the Scourge of God.' He was a rapacious barbarian and did not affect to be anything else. But Belgium has been desolated in cold blood, on calculated principles, by a nation of philosophers and intellectuals."954 Besonders hervorzuheben ist hier die Aufhebung der Unterscheidung zwischen deutschen Zivilisten und Soldaten. Sanders und Taylor gehen zwar davon aus, daß der Krieg in erster Linie gegen die militaristische preußische Führung geführt wurde955, mit zunehmender Kriegsdauer schwand diese Unterscheidung aber immer mehr. So hatte sogar die interventionistische Times am 1. August 1914 hervorgehoben, daß selbst im Falle eines englischen Eingreifens „this cannot be a war of national hatred."956 Großbritannien habe mit den Menschen Deutschlands keine Auseinandersetzung: „The German people are a kindred race, and they are now in friendlier relations with ourselves than for many years past."957 Auch als der englische Kriegseintritt bereits absehbar war, hieß es, „We go into the fray without hatred, without passion, without selfish ambitions, or selfish ends."958 Daily Chronicle und Reynolds's Newspaper hofften „that there will be no maffickings, no insane jabberings of foolish mobs such as disgraced us in the eyes of the world but fourteen years ago."959 Besonders in Leserbriefen wurde dies kurz nach Kriegsbeginn wiederholt gefordert.960 Bereits Ende August 1914 hatte sich dies jedoch geändert.961 Schnell wurde die deutsche Bevölkerung als ganzes zum Mitschuldigen. Da sie sich fuge, sei sie keineswegs besser als die politische Führung. Nach einem halben Jahr Krieg stellte der Daily Express fest: „War is War. [...] We cannot differentiate between the German people and
'"Telegraph, 6.5.1915, S. 8. 953 Scotsman, 6.2.1915, S. 8. 954 Daily News, 5.9.1914, S. 5. 955 Vgl. Sanders/Taylor, Propaganda, S. 211. 956 Times, 1.8.1914, S. 9. 957 Times, 3.8.1914, S. 7. 958 Times, 4.8.1914, S. 7. 959 Reynolds's, 9.8.1914, S. 1, vgl. Chronicle, 5.8.1914, S. 4. 960 Vgl. Times, 8.8.1914, S. 9: Leserbrief von Hampfylde Fuller „However strongly we may condemn the German Emperor, let us avoid any maligning of the German people. [...] Indeed everywhere we might discern evidence of a practical feeling of kindness towards the English". Siehe auch Times, 7.8.1914, S. 3. 961 Vgl. Graphic, 31.8.1914, S. 4; Observer, 30.8.1914, S. 6; Daily Mail, 24.8.1914, S. 4; News of the World. 30.8.1914, S. 1; Telegraph, 30.8.1914, S. 4.
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the German army. There is, indeed, no difference between them." 962 Weder protestiere das deutsche Volk gegen das Verhalten der eigenen Soldaten und schon gar nicht werde etwas dagegen unternommen. Im Gegenteil stehe es voll hinter derem Verhalten in seinen ganzen Auswüchsen. Als besonders geeignet fur die Kampagnen gegen Deutschland erwies sich der Begriff „Kultur": „We have learnt something of what 'Kultur' means in Belgium and France" 963 . Nach der Versenkung der Arabic hieß es „Kultur, no doubt, rode upon the torpedo sent by a brave German hand on its mission of murder." 964 Während des ganzen Krieges tauchte die negative Verwendung dieses Begriffs auf. 965 Bewußt wurden der Begriff „Kultur" der Deutschen gegen die „Humanity" 966 der Alliierten gesetzt. Kultur bedeute: „To rob and ravish and slaughter Belgians" 967 . Auch in Irland Schloß man sich der negativen Bewertung des Begriffs an. 968 Immer weiter schritt im Laufe des Krieges die Kriminalisierung 969 und Entmenschlichung des Gegners voran. Die Deutschen hätten Dinge getan „that we cannot regard them as men." 970 Der Daily Mirror setzte Deutschland sogar mit Krankheitserregern gleich. Daß testis Teutonica"971 ausgerottet werden sollte, impliziert schon der Begriff an sich. An Schmähungen für die Deutschen versuchten sich die Zeitungen zu übertreffen. Von „Wild Beasts Fighting under German Flag" 972 oder „Baby-Killers" 973 ist im Daily Sketch die Rede. Daneben standen individuelle Verunglimpfungen. Beispielsweise wurde der deutsche Thronfolger in Abwandlung des englischen Begriffes als „Clown Prince" 974 tituliert. Besonders beliebt war bei den Zeitungen die Verwendung von Schimpfnamen für den Kriegsgegner. Bereits im August 1914 kam die Bezeichnung „Hun" für alle Deutschen auf. Wesentlichen Anteil an dieser Bezeichnung hatte der Leitartikel der Times nach den Ereignissen in Louvain am 29. August 1914: „The March of the Huns" 975 . Nur einen Tag vorher hatte Lord Northcliffe einen Brief im Auftrag der Queen erhalten. Darin hieß es, „Her Majesty has learned from various sources that there is a great feel962 963 964 965
966 967 968
Daily Express, 25.2.1915, S. 4. Yorkshire Post, 12.9.1918, S. 4. Star, 20.8.1915, S.4. Vgl. Lloyd's, 3.1.1915, S. 10; Liverpool Daily Post, 5.2.1915, S. 6,9.1.1917, S. 4; Sketch, 17.5.1915, S. 4; Westminster Gazette, 5.11.1914, S. 4,4.3.1916, S. 1; Graphic, 31.8.1915, S. 4; Daily Express, 3.11.1914, S. 4,4.12.1914, S. 4, 22.1.1916, S. 6; Evening News, 6.10.1914, S. 4, 8.1.1915, S. 2. Sketch, 27.8.1918, S. 1. Scotsman, 17.2.1915, S. 8. Vgl. Irish Times, 13.1.1915, S. 4.
969
Vgl. z.B. Graphic, 17.7.1916, S. 4: „Germany has elected the role of the criminal; as criminals her people will in future be treated." 970 Sketch, 25.10.1916, S. 5.
971
Mirror, 3.4.1917, S. 5, Hervorhebung im Original.
972
Sketch, 9.1.1915, S. 1.
973
Sketch, 28.5.1915, S. 12.
974
Western Mail, 29.2.1916, S. 6. Times, 29.8.1914, S. 9.
975
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ing of ignorance, more particularly among the lower-middle class, regarding the cause of the present War" 976 . Doch schon vorher wurden Vergleiche mit den Hunnen gezogen. Am 11. August kritisierte der Daily Mirror, daß in Deutschland „Kaiserism, Attilaswaggering, and bogus Charlemagnery [...] must be latent and deeply felt." Dabei handele es sich um „[a] malady known for several centuries to Europe - the megalomania that affects certain anachronistic brains and makes them aim at a predominance in European affairs". Es wurde daraufhingewiesen, daß „[the] Prussians did not begin this pity Charlemagnery, this Attila humbug" 977 , sondern Napoleon Bonaparte. Dennoch war es der 777nes-Artikel, der für die rapide Verbreitung des Begriffs „Huns" sorgte. Schnell wurde er in anderen Zeitungen übernommen 978 Im Laufe des Krieges wurde er von so gut wie allen Zeitungen zur Benennung von allem, was mit dem Kriegsgegner zu tun hatte, verwendet. Die Deutschen kamen danach aus „Hunland" 979 und sangen „Gott mit Huns" 980 . Ebenso war von „Hun Aerodromes" 981 die Rede. Feindliche Flugzeuge A M
QOI
waren „Hun Machines" , Schiffe „Hun Raiders at Sea." Bethmann war der „Hun Chancellor" 984 . Auch die Wortkreation „Hun Fairness" 985 paßt in dieses Schema. „The Savage Huns" 986 wurde bald als Steigerung gebildet. Besonders weit ging John Bull mit seiner Wortschöpfung „Germ-Huns" 987 . Dabei handelt es sich um eine Mischung der Worte Germans - Deutsche, Huns - Hunnen und Germs - Bakterien. 988 Das „Adjektiv" „Hunnish" 989 fand ebenfalls Verwendung. Mit „Super-Hunnishness" 990 konnte sogar eine Art Superlativ gebildet werden. Die Verwendung dieser Termini ist fur die gesamte 976
977
BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62326/169, E.W. Wallington an Northcliffe am 28.8.1914: „Dear Lord Northcliffe, The Queen has read with much interest the article by Mr. Robert Blatchford which appeared in the 'Daily Mail' on Tuesday 25th instant. Her Majesty has learned from various sources that there is a great feeling of ignorance, more particularly among the lower-middle class, regarding the cause of the present War, and the Queen thinks it would be an excellent thing for Mr. Blatchford's revised edition of 'Germany and England' to be widely circulated, and also that it might be read to the working parties which have been started throughout the country. Her Majesty would like to have few copies of the revised pamphlet, so soon as it s published [...] P.S.: Since writing the above, the Queen has seen the paragraph in today's 'Mail', which fully deals with the points raised in my letter."
Mirror, 11.8.1914, S. 5, vgl. John Bull, 22.8.1914, S. 4: „[...] the success of German arms would mean the establishment of a hideous system of militarism - 'Kaiserism' is a good word for it". 978 Vgl. z.B. News of the World, 30.8.1914, S. 9. 979 Mirror, 13.7.1916, S. 5. 980 Sketch, 4.9.1918, S. 7. 981 People, 18.8.1918, S. 1. 982 News of the World, 3.6.1917, S. 5. 983 News of the World, 21.1.1917, S. 7. 984 Evening Express, 14.7.1917, S. 3. 985 Evening News, 20.2.1915, S. 2. 986 Evening Express, 17.2.1915, S. 3. 987 John Bull, 22.1.1916, S. 11. 988 Vgl. Symons, Bottomley, S. 165, Fussell, Great War, S. 77. 989 People, 2.4.1916, S. 8. 990 Evening News, 23.5.1917, S. 2.
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Kriegsdauer in allen Zeitungen nachzuweisen. 991 Schon bald reichte der Vergleich der Deutschen mit den Hunnen nicht mehr aus. So hieß es dann, es sei „[an] Insult to Attila" 992 , wenn man Wilhelm II. mit ihm vergleichen würde. Da die Niedertracht der Deutschen noch größer sei als die der Hunnen, solle Wilhelm das Schicksal Attilas teilen. 993 Allein der Daily Herald blieb standhaft. Diese Zeitung benutzte mit als erstes den Begriff Hun für die Deutschen. Im Artikel „The Modern Hun" kritisierte die Zeitung den Vergleich der deutschen Soldaten mit den Horden Attilas. Es könne sein, daß an den Gerüchten einiges wahr sei, doch „there is never any war in which barbarism in some degree does not occur. But we must not let ourselves be persuaded into the belief that these stories are even an approximate reflection of the truth." Ganz konkret wurde der Vorwurf erhoben, daß „some facts [are] to be discounted. There is the ingenuity of the war correspondent in search of favourable copy. There is the disordered imagination of the peasant who sees his home destroyed, his prospects ruined, often his brother or son killed in the war. We have to discount them by German kindness, of which the tales are also not infrequent." Das wirkliche Ziel „of this Press campaign is to jockey the public into the conviction that this war is a Holy war, waged against a foe who cares neither for morality nor for honour." 994 Damit brachte der Daily Herald die Zielsetzung nicht nur der Zeitungen, sondern insbesondere auch die Wünsche der Regierung und des Militärs auf den Punkt. Neben dem Terminus „Hun" kamen auch noch andere Verallgemeinerungen für Deutsche zum Einsatz. Bereits im deutsch-französischen Krieg 1870/71 war der Begriff „Fritz" aufgetaucht. 995 Im Ersten Weltkrieg wurde er dann wiederentdeckt: „Fritz Fails" 996 oder „Fritz held Up." 997 Auch dies kann, allerdings in deutlich geringerem
9,1
992 9,3
Da die Wiedergabe auch nur eines Bruchteils der Artikel, die sich mit den „Hunnen" beschäftigten, jeden Rahmen sprengen würde, soll hier nur eine kleine Auswahl gegeben werden: Cambria Daily Leader, 26.6.1918, S. 2; People, 10.1.1915, S. 6,12.5.1918, S. 1; News of the World, 13.5.1917, S. 5, 7.10.1917, S. 4, 12.5.1918, S. 1; Lloyd's, 29.10.1916, S. 2; Evening Express, 9.7.1917, S. 3. Im Sketch: 1914: 8.12., S. 6, 5.11., S. 2; 1915: 1.3., S. 2; 18.2., S. 1; 19.6., S. 3; 1916: 24.3., S .12; 1917: 29.1., S. 1; 1918: 2.8., S. 1; 28.8., S. 1; 4.9., S. 2; 7.9., S. 3; 10.9., S. 1; 11.9., S. 4f; 28.9., S. 5; 3.10., S. 7; 5.10., S. 4f; 9.10., S. 4f; 11.10. S. 5: 15.10., S. I; 27.11., S. 1,7; 11.12., S. 5; 12.12., S. 6. Die Verwendung des Begriffs brach keineswegs mit Kriegsende ab: Vgl. Sketch 1919: 9.1., S. 9; 29.1., S. 6, 9; 30.1., S. 4, 6f. Im Mirror 1918: 5.9., S. 4; 13.9., S. 4; 16.9., S. 4; 18.9., S. 1; 26.9., S. 2; 3.10., S. 1; 7.10., S. 3-5; 8.10., S. 5; 11.10., S. 1; 15.10., S. 4; 16.10., S. 3; 18.10., S. 1; 19.10., S. 1; 21.10., S. 4f; 22.10., S. 3; 25.10., S. 4f; 25.10., S. 8; 28.10., S. 4; 29.10., S. 4f; 1.11., S.4; 6.11., S. 4f; 11.11., S. 4; 14.11., S. 1,5; 15.11., S. 3; 20.11., S. 1; 20.11., S. 1; 21.11., S. 6f; 23.11., S. 4, 6; 3.12., S. 2; 3.12., S. 6f; 4.12., S. 1; 4.12., S. 8; 5.12., S. 7, 11; 6.12, S. 3; 10.12, S. l , 8 f ; 11.12., S. 8f; 17.12., S. 8; 20.12., S. 1; 21.12., S. 8; 23.12., S. 1; 28.12., S. 2; 28.12., S. 14. 1919: 15.1., S. 8; 17.1, S. 16; 24.1., S. 8; 25.1., S. 3. Daily Express, 13.1.1915, S. 4.
Vgl. B'ham Post, 31.8.1914, S. 4: „Whatever else they [the Germans] gain in this war, they will have achieved infamy greater than the fiery Hun. May the fate that met Attila at Chalons be speedily theirs." 994 Daily Herald, 22.8.1914, S. 3. 993 Vgl. Telegraph, 5.9.1870, S. 4. 996 Cambria Daily Leader, 4.12.1917, S. 1.
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Umfang, für den größten Teil der Zeitungen und den gesamten Kriegszeitraum nachgewiesen werden.998 Dagegen fand das weibliche Pendant „Greta"999 wesentlich spärlichere Verwendung. Aus dem Französischen wurde der Begriff „Boche" übernommen. Auch dieser Begriff fand seltener als „Hun", aber regelmäßig Verwendung.1000 Auch an sonstigen Schmähungen für den Kriegsgegner versuchten sich die Zeitungen zu übertreffen. So sprach Lloyd's Weekly News von „A Nation gone mad."1001 Regelmäßige Verwendung fand auch die Bezeichnung der Deutschen als „Barbarians"1002. Von anderen Zeitungen wurde beispielsweise „Mad Dog"1003 und „Beast"1004 verwendet. Den letzten Begriff hatte Lloyd George bereits Anfang 1915 in einer Rede verwendet.1005 Damit hatte die Herabsetzung des Gegners auch in offiziellen Kreisen Fuß gefaßt. Daneben stand die Bezeichnung Deutschlands als „Mad Dog of Europe"1006 und die Bezeichnung seiner Soldaten als „The Red Indians of Europe"1007. Hinzu kam der Vergleich mit „Jinghiz Khan"1008 und den „Afghan hillmen."1009 Bei der Betrachtung der Schimpfnamen ist zu beachten, daß die britischen Zeitungen des Ersten Weltkrieges weder die ersten noch die einzigen waren, die den Terminus „Hunne" zur Verunglimpfung ihrer Kriegsgegner verwendeten. Anfange der Hunnenpropaganda sind bereits für den deutsch-französischen Krieg nachzuweisen.1010 Die Behauptung1011, die Verwendung des Terminus sei auf die sogenannte Hunnen-Rede1012 zurückzuführen, ist demnach nur bedingt zutreffend. Zwar wurde wiederholt darauf
997
Cambria Daily Leader, 26.6.1918, S. 1. Vgl. z.B: Sketch, 9.4.1917, S. 5, 10.2.1913, S. 5; Evening News, 27.3.1917, S. 2, 7.7.1917. S. 2, 8.3.1918, S. 2; Graphic, 10.9.1918, S. 1,21.12.1916, S. 1. 999 Daily Mail, 22.8.1912, S. 4. I00u Vgl. u.a. Evening Express, 18.8.1917, S. 3, 3.8.1917, S. 3, 10.12.1917, S. 3; Mirror, 25.9.1918, S. 4; Star, 30.10.1915, S. 4; Graphic, 6.10.1915, S. 4; Daily Express, 30.8.1918, S. 2. 1001 Lloyd's, 17.1.1915, S. 10. 1002 Lloyd's, 22.8.1915, S. 6, vgl. 28.2.1915, S. 10; Liverpool Daily Post, 1.8.1916, S. 4; South Wales Daily News, 6.2.1915, S. 4. 1003 Evening News, 6.8.1914, S. 2, vgl. Daily Express, 23.4.1917, S. 2. 1004 Daily Express, 1.2.1917, S. 4. 1005 Vgl. Lloyd George, David: Through Terror to Triumph, London, New York, Toronto 1915, S. 76, Rede am 28.2.1915. 1006 Daily Express, 4.8.1914, S. 1,4. 1007 Chronicle, 19.8.1914, S. 1. 1008 Observer, 30.8.1914, S. 6. 1009 Reynolds's, 30.8.1914, S. 6. 1010 Vgl. Hiery, Angst, S. 189, Jeismann, Michael: Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792-1918, Stuttgart 1992, S. 192,134-141, 185, 207-234. 1011 Vgl. Jürgs, Frieden, S. 16, Reinermann, Kaiser, S. 16,44,211. 1012 Vgl. Sösemann, Bernd: Die sog. Hunnenrede Wilhelms II. Textkritische und interpretatorische Bemerkungen zur Ansprache des Kaisers vom 27. Juli 1900 in Bremerhaven, in: Historische Zeitschrift 222 (1976), S. 342-358. 9,8
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verwiesen 1013 , der Begriff selbst hatte aber schon vor der Hunnenrede in der einen oder anderen Form Verwendung gefunden. Schon zur Amtseinführung Wilhelms 1888 wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß es sich bei dem neuen Kaiser um „a sort of Attila raging for war" 1014 handeln könne. Rudyard Kipling hatte in einem Gedicht die Deutschen schon im Jahre 1902 wegen ihres Verhaltens gegenüber Venezuela mit den Hunnen verglichen: „In sight of peace - from the Narrow Seas - O'er half the world to run - With a cheated crew, to league a new - With the Goth and the shameless Hun!" 1015 Bereits zuvor hatte die britische Kriegsfuhrung in Südafrika auf deutscher Seite großes Mißfallen hervorgerufen. Deshalb sprach Vallentin in seinen „Betrachtungen über englische Politik und Kriegsführung" von den Briten als „Hunnen in Süd-Afrika" 1016 . Auch im Ersten Weltkrieg waren diese keineswegs allein mit der Verwendung des Begriffes. Anfang August hatte sowohl der Kladderadatsch1017 als auch die Kölnische Zeitung den Terminus Hunne für die Kampfweise der Feinde verwendet. 1018 Am 20. August berichtete die Norddeutsche Allgemeine Zeitung von den Schrecken an der Ostfront. Von ,,Russische[n] Schandtaten" war die Rede. Ganz ähnlich wie die britischen Berichte aus Belgien klangen hier die deutschen aus Ostpreußen. Besonders angebliche Verstümmelungen und Morde wurden angeprangert. Zur Beruhigung der Bevölkerung endete die Zeitung mit: „Endlich rückte deutsches Militär ein und jagte die russischen Hunnen schleunigst und gründlich weit über die Grenze." 1019 Im Unterschied zur britischen Propaganda fand dies jedoch keine so umfassende Verbreitung. Die Popularisierung des Begriffes „Hunnen" und die Gleichsetzung mit allem Deutschen, wie sie sich während des Ersten Weltkrieges durchsetzte, findet ihre Fortsetzung bis in die jüngste Zeit. Bei gegebenem Anlaß greifen auch heute noch die Zeitungen auf die Klischees des Ersten Weltkrieges zurück. Anläßlich einer Umfrage ist festgestellt worden, daß nur 60 Prozent der Europäer die Deutschen mögen würden: „Euro Folk shun Hun." 1020 Besonders bei Sportereignissen wird gerne auf die „Hunnen" zurückgegriffen. So wurde 1994 ein Boxer gewarnt: „Chris Eubank is risking a bloodbath in Berlin". Er müsse gegen Graciano Rocchigiani antreten: „Germany's reincarnation of Attila the Hun." 1021 Auch Bestseller-Autoren greifen auf die Begriffe zurück. 1022 Nicht 1013
Vgl. Telegraph, 17.3.1917, S. 7. Daily News, 16.6.1888, S. 4. 1015 Times, 22.12.1902, S. 9, vgl. Morris, Scaremongers, S. 54. 1016 Vallentin, Wilhelm: Hunnen in Süd-Afrika. Betrachtungen über englische Politik und Kriegsführung, Berlin 1902. 1017 Vgl. Kladderadatsch, 9.8.1914, S. 1. 1018 Vgl. Read, Propaganda, S. 16, 52, 63. 1019 Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 20.8.1914, S. 1. 1020 Mirror, 7.10.1992, S. 10. 1021 Sunday Mirror, 23.1.1994, S. 64. 1022 Vgl. Follet, Ken: The Eye of the Needle, London 1978/ND1998, S. 298, 46 If. Siehe hierzu auch Bleicher, Günther: Konstanten in der englischen Wahrnehmung Deutschlands, in: Süssmuth, Hans (Hg.): 1014
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zuletzt deshalb wird die Verwendung des Begriffs zu Recht als „propagandistischer Volltreffer" 1023 bezeichnet. In ihrer Propaganda hielten sich die Alliierten sehr eng an die Vorstellung des gerechten Krieges von Thomas von Aquin.1024 Die fürstliche Vollmacht - auctoritas principis - wurde dabei durch die Zustimmung des Volkes ergänzt. Der gerechte Grund causa justa - war unter anderem die Sühnung des gegen Belgien verübten Unrechts durch Deutschland. Die rechte Absicht - intentio recta - kristallisierte sich schnell als das Ziel, einen Krieg zur Beendigung aller Krieg zu fuhren, heraus: „The War that will end War"1025. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch das Hinzugewinnen weiterer Verbündeter. Der Kriegseintritt Italiens zeige, daß die Alliierten auf der richtigen Seite stünden: „[...] she is about to play in the great war for international freedom." 1026 Die Bedeutung des italienischen Kriegseintritts liege nicht allein im militärischen Aspekt: „It marks the progressive constitution of the Gottesgericht, the 'tribunal and judgement of God' that will punish the evildoers among the nations."1027 Daß fur die italienische Regierung weitaus profanere Gründe für die Intervention eine Rolle spielten, beispielsweise die Gewinnung der Brenner-Grenze zu Österreich und Territorien auf dem Balkan, dürfte einigen Journalisten zwar bekannt gewesen sein, wurde aber aus nachvollziehbaren Gründen nur sehr selten thematisiert.1028 Große Zufriedenheit herrschte dann auch über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen der USA zu Deutschland und der späteren Kriegserklärung.1029 Als Grund dafür wurde angegeben: ,J3ecause no nation that wishes for separate existence can keep out of war with Prussia."]mo Dies sei auch für die USA ein Krieg „for the safety and liberty of peoples, for securing them against arbitrary rule and the ambition and selfinterest of rulers - for making, as he [Wilson] before expressed it, 'the world a safe place for democracy."1031 In ihrer Bedeutung wurde die amerikanische Kriegserklärung an Deutschland mit der Unabhängigkeitserklärung des Landes und der Aufhebung der
Deutschlandbilder in Dänemark und England, in Frankreich und den Niederlanden, 5. Leutherheider Forum, Krefeld 1994, 5. Leutherheider Forum, Krefeld 1994, S. 39-42, hier S. 39. 1023 Hiery, Angst, S. 214, vgl. S. 218. I0M Vgl. Münkler, Herfried: Die neuen Kriege, Reinbek bei Hamburg 2002, S. 111, Lasswell, Propaganda Technique, S. 47. 1025 Wells, Herbert: The War that will end War, London 1914. 1026 Graphic, 26.5.1915, S. 4, vgl. Liverpool Daily Post, 13.12.1916, S. 4; Chronicle, 22.7.1916, S. 4; Evening News, 22.5.1915, S. 2. 1027 Times, 25.5.1915, S. 7, Hervorhebung im Original. 1028 Vgl. Herald, 11.5.1918, S. 8. 1029 Vgl. People. 4.2.1917, S. 8; News of the World, 4.2.1917, S. 1; Observer, 8.4.1917, S. 6; Liverpool Daily Post, 7.4.1917, S. 4. 1030 Mirror, 4.4.1917, S. 5, Hervorhebung im Original. 1031 Guardian, 6.12.1917, S. 4.
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Sklaverei durch Lincoln gleichgesetzt: „The United States come into the war a new world, to redress the balance of the old."1032 Für die kämpfende Truppe spielte die Propaganda ebenfalls eine wichtige Rolle. Je grausamer der Gegner in den Augen der Soldaten war, desto mehr mußte ihr Widerstandswille steigen. Unter keinen Umständen wollte man in die Hände eines blutrünstigen Gegners fallen, der Kriegsgefangene schlecht behandelte. Außerdem stieg mit der Grausamkeit des Gegners auch die Bereitschaft, das Vaterland oder die Familie mit dem eigenen Leben zu schützen. Zuerst bezog sich dies auf den englischen Bündnispartner: „What would happen should they [the Germans] have at their mercy the women and children of France?"1033 Wie im Vorangegangenen gezeigt wurde, war aber eines der Hauptargumente für die englische Intervention das Szenario eines Angriffes der siegreichen Kriegskoalition gegen England. Mit den Angriffen der deutschen Hochseeflotte auf englische Hafenstädte rückte die Verwundbarkeit des Inselreiches besonders ins Bewußtsein der Bevölkerung. Hier wurde der Grundstein gelegt, um das gesellschaftliche Umfeld für eine möglichst hohe Rekrutierungsrate zu schaffen. Zudem mußten auch die Menschen an der Heimatfront dafür gewonnen werden, die englischen Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Dies konnte durch den persönlichen Einsatz in Fabriken, als Krankenschwester oder durch die Zeichnung von Kriegsanleihen geschehen.1034 Eine weitere Zielgruppe der Propaganda waren andere Länder. Zum einen sollte die Freundschaft der Bündnispartner erhalten bleiben, zum anderen wurde versucht, neutrale Staaten, wie Italien und Rumänien, auf die Seite der Alliierten zu ziehen. Hierbei ging es nicht nur um moralische Unterstützung. Besonders heftig wurde der Kampf um die Gunst der Vereinigten Staaten geführt.1035 So verbreitete die englische Presse schon im August 1914 Berichte, wonach Amerikaner und selbst deren Botschafter in Deutschland schlecht behandelt worden seien.1036 Der letztendliche Kriegseintritt der USA 1917 ist nicht nur auf die englische Propaganda zurückzuführen. Die Ausnutzung von Vorfallen wie die Versenkung der Lusitania oder die Veröffentlichung der ZimmermannNote1037 trugen ebenso ihren Teil dazu bei. Versuche, die Deutschen einzuschüchtern und zu demoralisieren, lagen ebenfalls in der Absicht der Propagandisten. Wie der
1032
Irish Times, 7.4.1917, S. 4. Daily Mail, 24.8.1914, S. 4. 1034 Vgl. Observer, 9.8.1914, S. 4: „Fewest words and plainest are enough to commend to every man and woman, truly loving their country and able to help, the National Fund under the auspices and the treasurership of the Prince of Wales." 1035 Vgl. z.B. Reynolds's, 16.8.1914, S. 5: „America's sympathy necessary." 1036 Vgl. Times, 9.8.1914, S. 3, 10.8.1914, S. 5: .Americans ill-treated", vgl. 13.8.1914, S. 5. 1037 Diese Note wurde nach dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Zimmermann, benannt. Dabei handelt es sich um ein deutsches Angebot an Mexiko aus dem Januar 1917. Der Vorschlag lautete, im Falle eines Kiiegseintritts gemeinsam mit Japan gegen die USA vorzugehen. Als Kriegsgewinn wurde den Mexikanern die Rückgewinnung der 1845/48 an die USA verlorenen Gebiete in Aussicht gestellt. Vom britischen Geheimdienst abgefangen, rief die Veröffentlichung in den USA große Empörung hervor. 1033
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Kriegsverlauf jedoch zeigte, hatte dies höchstens einen gegenteiligen Effekt und trug zur Verstärkung des deutschen Widerstandes bei. Nicht bedacht worden waren die unbeabsichtigten Konsequenzen der Greuelmeldungen. Das Bild des Deutschen als Hunne hatte sich nach vier Jahren Propaganda fest in das angelsächsische Bewußtsein eingeprägt. 1038 Schon während des Krieges mußte dies Auswirkungen haben. So konnte mit einem Verhandlungsfrieden zwischen den Mächtekonstellationen nicht mehr gerechnet werden. Durch die Verteufelung des Gegners mußten Friedensbemühungen wie die des Papstes Benedikt XV. 1039 von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. In England selbst kam es zu einer Welle der Ablehnung alles Deutschen: „Let us hear no more about ,Made in Germany!'" 1040 . Vor ähnlichen Folgen der englischen Propaganda auf internationaler Ebene wurde schon kurz nach Kriegsausbruch gewarnt. Der Sohn des Eigentümers der Daily News, George Cadbury, äußerte gegenüber dem Herausgeber, die Angriffe der Daily Mail auf Menschen mit deutschen Namen oder in Großbritannien niedergelassene Deutsche zeige „the spirit that we must expect when the time for settlement comes, and when probably the unscrupulous papers will cry out for revenge without any regard as to what the result for the future may be." 1041 Mit dieser Befürchtung hatte der bekannte Schokoladenfabrikant Cadbury nur allzu recht. Die jahrelange Propaganda hatte so gute Dienste geleistet, daß die englische Regierung die gerufenen Geister nicht mehr los wurde. Jahrelang war die Alleinschuld Deutschlands gepredigt worden, jahrelang wurde der Kaiser als Hauptkriegsverbrecher dargestellt. So ist es nicht verwunderlich, daß die entsprechenden Artikel wider besseres Wissen in den Versailler Vertrag aufgenommen werden mußten. 1042 Alles andere hätte die Regierung völlig unglaubwürdig gemacht. Der Versailler Vertrag wurde vom andauernd propagierten Haß diktiert.1043 Der Grundstein dafür war von den Zeitungen im August 1914 gelegt worden. Eine weitere fatale Folge hatte die Greuelpropaganda des Ersten Weltkrieges für den Zweiten Weltkrieg. Trotz vieler Indizien glaubten die Menschen nicht an die Meldungen von deutschen Grausamkeiten. Nach den Lehren des Ersten Weltkrieges ist es nicht verwunderlich, daß der Wahrheitsgehalt derartiger Meldungen über die viel schlimmeren und realen Verbrechen der Nationalsozialisten angezweifelt wurde. 1044 Daraufbaute auch die NSPropaganda. Unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erinnerte der Völkische Beobachter an den Ersten Weltkrieg. Die englische Propaganda habe damals den Gipfel der Unaufrichtigkeit und der moralischen Heuchelei erreicht. Nun würde ver-
1038
Vgl. Hiery, Angst, S. 186, 189, Sanders/Taylor, Propaganda, S. 116.
1039
Vgl. Steglich, Wolfgang: Die Friedenspolitik der Mittelmächte 1917/18, Band 1, Wiesbaden 1964.
1040
Daily Express, 20.8.1914, S. 1.
1041
UL, BLPES, ARR, A. G. Gardiner Papers, 1/8, George Cadbury an Gardiner am 26.10.1914.
1042
Vgl. Ponsonby, Falsehood, S. 58-60.
1041
Vgl. Eksteins, Gräben, S. 378.
1044
Vgl. Laqueur, Walter: Was niemand wissen wollte. Die Unterdrückung über Hitlers .Endlösung', Frank-
furt/Main, Berlin, Wien 1982, S. 16-18.
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sucht, mit denselben Mitteln gegen Deutschland zum Erfolg zu kommen: „In den letzten Tagen ist nun die Propagandaleitung der Demokratien zu den Methoden der Kriegspropaganda eines Northcliff [sie!] zurückgekehrt: wahnwitzige Greuelmeldungen aus dem Reich, törichte Herabsetzung der Stärke und der Ehre des Gegners, glatte Fälschung der diplomatischen Vorgänge - das ist das Bild, das englische Ministerreden, demokratische Zeitungen und westlicher Rundfunk heute bieten." 1045 Es würden „Greuelmeldungen wie einst" 1046 verbreitet. Somit war die englische Propaganda von 1914-1918 weit mehr als nur ein Intermezzo. Besonders in der deutschen Nachkriegsliteratur wurde der englischen Propaganda, im Gegensatz zur deutschen, kriegsentscheidende Bedeutung zugemessen. 1047 Noch lange Zeit warf sie ihre Schatten auf die Nachkriegszeit. 1048 Zurecht klagte Ponsonby in den zwanziger Jahren: „The mischief done by the false cry ,Make Germany pay' continued after 1918 [...] Many of the old war lies survived for several years, and some survive even to this day." 1049 Es sei zurecht behauptet worden „that the injection of the poison of hatred into men's minds by means of falsehood is a greater evil in war-time than the actual loss of life. The defilement of the human soul is worse than the destruction of the human body." 1050
4. Friedensinitiativen und Opposition zum Krieg 4.1 Verhandlungsfrieden oder bis zum bitteren Ende? Stimmen, die sich nach dem Kriegsausbruch noch gegen die britische Beteiligung aussprachen, waren selten. Dies gilt auch für die liberalen Zeitungen, die sich zuvor vehement gegen die Intervention gestemmt hatten. Lediglich am 5. August wurden noch Stellungnahmen abgedruckt, die fur die englische Neutralität eintraten. Zu nennen ist hier eine große Anzeige der Neutrality League, die dazu aufforderte „Englishmen, Do Your Duty And Keep Your Country Out of a Wicked and Stupid War." 1051 Noch am selben Tag wurden Leserbriefe veröffentlicht, die sich fur die Aufrechterhaltung der Neutralität aussprachen. 1052 Diese Stimmen für die britische Neutralität beschränkten sich im wesentlichen auf die ersten Ausgaben nach der Kriegserklärung. Diese Einzel1045
Völkischer Beobachter, 3.9.1914, S. 2. Völkischer Beobachter, 4.9.1939, S. 4. ,047 Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 47-50, Kellen, Presse, S. 5-7. 1048 Vgl. Haste, Home Fires, S. 179-198. 1049 Ponsonby, Falsehood, S. 28. 1050 Ponsonby, Falsehood, S. 18. 1051 Daily News, 5.8.1914, S. 7. 1052 Vgl. Chronicle, 5.8.1914, S. 4. 1046
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fälle können damit erklärt werden, daß der Umschwung auf Interventionskurs zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig abgeschlossen war. Zudem erforderte die redaktionelle Arbeit, die Themen des folgenden Tages bereits mehrere Stunden vor der Ausgabe der Zeitung abzuschließen. Gerade die Veröffentlichung von bereits bezahlten oder im Druck befindlichen Anzeigen konnte nicht mehr ohne weiteres verhindert werden. Als der britische Kriegseintritt zum unumstößlichen Fakt geworden war, mußten die Zeitungen über ihren Kurs entscheiden. Um die eigenen Ziele zu erreichen, gibt es seit jeher entweder die Möglichkeit, einen Krieg bis zur Niederlage eines Beteiligten auszukämpfen, oder am Verhandlungstisch zu einer Lösung zu kommen. Um den Zeitungen die Entscheidung leichter zu machen, welchen Kurs sie verfolgten, gab es im Ersten Weltkrieg eine Direktive des Press Bureau. Diese besagte zu Friedensvorschlägen „that such discussions are not desirable, in the general interest of the Allies."1053 Dennoch gab es aufgrund der Unabhängigkeit der britischen Presse in politischen Fragen auch hier keine einheitliche Meinung. Aus diesem Grunde sind zwei Gruppen zu unterscheiden. Einige wenige Zeitungen, besonders aus dem Kreise der vormaligen Interventionsgegner, schlossen Verhandlungen mit den Kriegsgegnern nicht völlig aus. So stellte es in den Augen des Manchester Guardian einen schwerwiegenden Fehler dar, auf Friedensvorschläge nicht einmal Antwort zu geben: „It would at once put us hopelessly in the wrong with the Russian people, and give to Germany every advantage of consideration and influence with them for which she can hope, and, what is more serious, it would put the Government in the wrong with the British people."1054 Deutsche Vorschläge nur als diplomatisches Spiel abzutun, sei ein schwerer Fehler: „Things are much too serious for that." Dabei ist darauf zu achten, daß hier keine Bereitschaft signalisiert wurde, von den hauptsächlichen alliierten Kriegszielen abzuweichen. Die Räumung Belgiens, Frankreichs und des Balkans mit entsprechenden Reparationsleistungen stand außer Frage. Aber: „As Germany has asked for peace we ought at least to know on what terms she is prepared to conclude it"1055. Als einzige Ausnahme für die Zeit nach der englischen Kriegserklärung kann der sozialistische Daily Herald zu den Kriegsgegnern gezählt werden. Er verfolgte zunächst den gesamten August hindurch eine strikte Neutralitätspolitik. So wurde folgendes beklagt: „Without the consent of the British people, and against the feeling of the overwhelming mass of the nation, we are plunged into a European war"1056. Tags darauf wird von „More Anti-War Protests"1057 berichtet. Weiterhin wurde Rußland als der
1053
PRO/HO 139/19/78, Part 5, Locock (Foreign Office) an Cook (Press Bureau) am 21.6.1915.
1054
Guardian, 29.12.1917, S. 4. Guardian. 13.12.1916, S. 4. Daily Herald, 5.8.1914, S. 5.
1055 1056 1057
Daily Herald, 6.8.1914, S. 5.
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Hauptgegner dargestellt.1058 Selbst ein Boykottaufruf wurde abgedruckt: „To stop the war, let us cut off the supplies [...] Of every shilling we spend on tobacco or spirits, sixpence goes to the Government. That is to pay for the killing of our German brethren. I propose, therefore, that all who love peace should form a practical Peace League, binding themselves to buy no taxed goods until peace is restored."1059 Auch in den nächsten Wochen forderte der Daily Herald einen „War against War"1060 und kritisierte die englische Propaganda. Jedes Land behaupte, für die Zivilisation zu kämpfen. Diese Argumentation sei deshalb unbedeutend.1061 Wenn die Menschen nur verstünden „that no one wishes to deprive the other of his rightful possession, public opinion would stop this war."1062 Auch einzelne Organisationen traten gegen eine Fortfuhrung des Krieges ein.1063 Zu nennen sind hier beispielsweise das No Conscription Fellowship (NCF), das Fellowship of Reconciliation (FoR), die Union of Democratic Control (UDC) und die Independent Labour Party. Nur der Daily Herald bot fur diese Gruppen einen allerdings geringen Rückhalt in der Presse. Daß dieser eine Einzelstimme war, zeigt sich auch daran, daß er aufgrund wirtschaftlicher Probleme und Auflagenrückgangs sein Erscheinen im weiteren Verlauf des Krieges auf einmal wöchentlich reduzieren mußte.1064 Dennoch blieb die Zeitung ihrem Kurs treu. Während des gesamten Krieges versuchte sie, die Aufmerksamkeit für die Möglichkeit einer friedlichen Lösung aufrechtzuerhalten: „We do not know that Germany would not at this moment withdraw from France and Belgium, and thus admit the failure of her original aggression, as a basis for negotiation." Deshalb: „[...] let us for god's sake find out."1065 Sogar die Möglichkeit einer Volksabstimmung wurde in den Raum gestellt.1066 Anfang 1918 behauptete der Herald, der sich selbst als pazifistisch bezeichnete1067, dann: „The people of Great Britain are unwilling, and rightly unwilling, to fight for a one-sided or illiberal peace; they want peace on the basis of no annexations or indemnities, and they want it now."1068 Kurz
1058
Vgl. Daily Herald, 10.8.1914, S. 6: .After the enlightened peoples of France and Britain have assisted the progressive element in the German empire to abolish the arrogant world-ambition of the German War Lords, it will be their solemn duty to curb the more menacing despotism of Russia". Vgl. 18.8.1914, S. 3: „There is not the remotest reason for believing that a triumphant Russia will evince a new-bom concern for Polish interests." 1059 Daily Herald, 10.8.1914, S. 6. 1060 Daily Herald, 14.8.1914, S. 4. Vgl. Daily Herald, 22.8.1914, S. 3, 5. 1062 Daily Herald, 27.8.1914, S. 3. 1063 Vgl. Rose, Political Censorship, S. 45, Taylor, Trouble Makers, S. 132-166. 1064 Der Aufschwung der sozialistischen Zeitung nahm erst in den 1930er Jahren konkrete Formen an. In dieser Zeit avancierte der ehemalige Herausgeber Lansbury zum Vorsitzenden der Labour Party. 1065 Herald, 14.10.1916, S. 9, Hervorhebung im Original, vgl. 6.1.1917, S. 9. 1066 Vgl. Herald, 6.1.1917, S. 9. 1067 Vgl. Herald, 27.4.1918. S. 7. 1068 Herald, 16.2.1918, S. 7.
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darauf hieß es: „Have the Allies refused Peace? - The War must stop!" 1069 Es war also keineswegs so, daß die Zeitungen nicht in deutlichsten Worten gegen die Fortsetzung des Krieges Stellung nehmen konnten - allerdings verzichteten sie bis auf den Herald darauf und stellten sich hinter den Kurs der Regierung. Die klare Mehrheit der Presse lehnte Verhandlungen mit Deutschland grundsätzlich ab. Schon die Londoner Erklärung vom September 1914, wonach keiner der Alliierten einen Separatfrieden mit Deutschland abschließen würde, wurde begrüßt: ,Allies to the End." 1070 Nur ein halbes Jahr nach Kriegsausbruch verdeutlichte die Evening News ihren Standpunkt. Deutschland könne jederzeit Frieden haben: „[...] on our terms" 1071 . Diese Maxime unterstützte auch der in Friedenszeiten so gegensätzliche Daily Chronicle }ϋη Der Ort, an dem mit Deutschland verhandelt werde, seien die Schlachtfelder in Belgien und Frankreich 1073 : „No Hun-conditional Peace." 1074 Die meisten Zeitungen schlossen sich dieser Sicht an. Wurde schon die Diskussion im eigenen Land über mögliche Friedensgespräche abgelehnt 1075 , kam ein Treffen mit Vertretern des Gegners nicht in Frage: „No Premature Peace!" 1076 Pazifistische Kreise, die ihre Meinung wie der Herald zum Ausdruck brachten, mußten sich schwere Kritik aus allen politischen Lagern und Landesteilen gefallen lassen: „Men who want peace at any price constitute an enemy faction just as dangerous as the Kaiser's hosts." 1077 Wie üblich fand John Bull die schärfsten Worte. Die Pazifisten seien „Our only Danger now.". Deshalb wurde gefordert: „Beware of the 'PeaceMongers'; for Theirs is the Kingdom of - Prussia." 1078 Im Mittelpunkt der Kritik standen Männer wie Ponsonby, MacDonald und Trevelyan. 1079 Große Freude wurde ausgedrückt, wenn deren Friedensversammlungen gestört wurden: „Last Night's meeting broken up by Men in Khaki." 1080 Die Hauptkritik an Vereinigungen, die für einen Kompromißfrieden eintraten, läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen: „Their work is anti-national and unpatriotic." 1081 Dies wurde auch auf innenpolitischen Widerstand ausgedehnt, der gar nicht zwangsläufig pazifistisch sein wollte. Signifikant sind hier verschiedene Streikwellen, die sich unter anderem für bessere Arbeitsbedingungen oder
1069 ,07
Herald, 23.3.1918, S. 6f, vgl. 11.5.1918, S. 7.
° Glasgow Herald, 7.9.1914. S. 6, v g l . B'ham Post, 7.9.1914, S. 4; Reynolds's, 6.9.1914, S. 1; Telegraph, 6.9.1914, S. 5; Guardian, 7.9.1914, S. 4; Times, 7.9.1914, S. 9; Daily Express, 7.9.1914, S. 2.
1071
Evening News, 11.2.1915, S. 4.
1072
Vgl. Chronicle, 13.12.1916, S. 4. Vgl. Evening News, 2.8.1917, S. 2.
1073 1074
Daily Express, 23.6.1917, S. 1, vgl. 5.7.1918, S. 2.
1075
Vgl. Liverpool Daily Post, 29.9.1916, S. 4; Evening News, 16.8.1917, S. 2.
1076
Evening Express, 15.6.1917, S. 2, vgl. Reynolds's, 27.2.1916, S. 1; Chronicle, 8.5.1916, S. 4.
1077
Cambria Daily Leader, 6.8.1917, S. 2.
1078
John Bull, 3.4.1915, S. 6f, Hervorhebung im Original.
1079
Vgl. Evening Express, 25.5.1916, S. 1; Sketch, 30.11.1915, S. 2, 5; Scotsman, 25.5.1916, S. 4.
1080
Sketch, 30.11.1915, S. 2, vgl. 30.7.1917, S. 2. Daily Express, 5.8.1916, S. 4.
1081
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höhere Bezahlung einsetzten. Mit härtesten Maßnahmen sollte die Regierung antworten. Dabei war es nicht mxJohn Bull, der forderte: „Men who will not work must fight."1082 Die Streiks, die sich keineswegs auf die Endphase des Krieges beschränkten, gefährdeten die Kriegsanstrengungen des Landes: „[...] a stoppage among the workers engaged in producing arms and ammunition so urgently needed for the prosecution of the war would be a disaster and a crime past forgiveness."1083 Damit gaben Zeitungen ungewollt zu, daß der Krieg bei weitem nicht überall auf Begeisterung stieß. Zu den Streiks kamen noch „various societies and individuals whose object is to belittle the cause of the Allies and to exalt that of Germany."1084 Doch nicht nur diese Gruppen wurden für ihre vermeintliche Deutschfreundlichkeit angefeindet, sondern auch Zeitungen. Dabei spielte ihr loyaler Kurs im Krieg oft keine Rolle. Eine deutschlandfreundliche Vorkriegspolitik, besonders in der Julikrise, reichte dafür aus.1085 Umgekehrt mußte sich auch Northcliffe von verschiedenen liberalen Zeitungen schwere Vorwürfe für seine Kriegszielpolitik gefallen lassen: „We, too, have our Imperialists, who desire to prolong the war. We know them. These men are the enemies of democracy."1086 Northcliffes Ansichten wirkten zu extremistisch: „The triumph of Lord Northcliffe presumably means that even the discussion of peace is banished indefinitely."1087
4.2 Deutsche Friedensvorschläge Wenn aus Deutschland tatsächlich Verhandlungsangebote kamen, versuchten die Zeitungen, diese ihren eigenen Zielen entsprechend zu behandeln. Um in der Bevölkerung gar nicht den Eindruck entstehen zu lassen, daß der geforderte ehrenvolle Friede mit den genannten Zielen durch Verhandlungen erreicht werden könne, wurde die deutsche Unaufrichtigkeit umgehend hervorgehoben. Bestenfalls handle es sich, wie bei deutschen Vorschlägen Ende 1916, um einen „Peace Bluff' 1088 . Die Verhandlungsinitiativen wurden als „empty and insincere"1089 zurückgewiesen. Die Gründe für die deutschen Friedensinitiativen wurden sehr widersprüchlich behandelt. Auf der einen Seite stand hier die Meinung, daß Deutschland erkannt habe, den Krieg nicht mehr gewinnen zu können: „If the German General Staff had any hope if winning the war no offer of peace would, we may be sure, be permitted to emanate
1082
John Bull, 3.8.1918, S. 6, vgl. Western Mail, 25.9.1918, S. 4.
1083
People, 28.2.1915, S. 1. Daily Express, 5.8.1916, S. 4. Vgl. Evening News, 13.12.1916, S. 2; Graphic, 23.1.1917, S. 4. Star, 4.1.1918, S. 4. Herald, 9.12.1916, S. 9, vgl. 16.3.1918, S. 5.
1084 1085 1086 1087 1088 1089
News of the World, 17.12.1916, S. 6, vgl. 31.12.1916, S. 6. Reynolds's, 31.12.1916, S. 1, vgl. Scotsman, 1.1.1917, S. 5.
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from Berlin." 1090 In der Daily Mail hieß es: „Clearly Germany would not be talking so much about peace if she did not want it rather badly." 1091 Die Sicht, daß Deutschland die Friedensfühler nur wegen seiner sicheren Niederlage ausstrecken würde, um dadurch Vorteile zu erhalten, wurde während des ganzen Krieges von verschiedenen Seiten immer wieder betont. 1092 Im Gegensatz dazu stand die Meinung, daß Deutschland zum jeweiligen Zeitpunkt gerade im Zenit seiner Macht stand: „The position thus attained is as favourable as the enemy can ever hope to secure, and German diplomatists realise the importance of making peace overtures while they can still pretend that the Central Powers are in the ascendant." 1093 Da die Mittelmächte aber ihren Höhepunkt bereits überschritten hätten, die Alliierten dagegen immer stärker würden, gebe es keinen Grund, die Angebote anzunehmen: „[...] as the war goes on German prospects of any material advantage will surely disappear." 1094 Für den heutigen Betrachter wirkt diese Darstellung reichlich eigenartig. Es fällt auf, daß Deutschland für die Presse sowohl 19 1 5 1095 , 19 1 6 1096 als auch 19171097 den Höhepunkt seiner Macht erreicht hatte. Für die jeweils nahe Zukunft wurde zugleich aber mit einer Verschlechterung der Position der Mittelmächte gerechnet. Besonders seltsam wirkt dies angesichts der Tatsache, daß sich die alliierten Truppen während des gesamten Krieges angeblich auf dem Vormarsch befanden. Beinahe absurd klingt die Behauptung des Manchester Guardian: „If she was sure of her position she would not attack on the great scale." 1098 Vom Inhalt unterschieden sich beide Darstellungsweisen, die durchaus ineinander übergehen konnten, nur wenig voneinander. Zentral war, daß die deutschen Angebote nicht angenommen werden konnten. Ob diese gemacht wurden, weil Deutschland von der militärischen Situation dazu gezwungen wurde, oder sich nur den größtmöglichen Gewinn sichern wollte, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Ohnehin wurden die deutschen Friedensinitiativen nur als Täuschungsmanöver betrachtet. Der wirkliche Grund dafür sei: „[...] the German Government now wish to prepare the ground - for the next war!" 1099 Häufig wurde vom „Teutonic Peace Trick" 1100 gesprochen.
1090
News of the World, 15.8.1915, S. 6.
1091
Daily Mail, 13.1.1917, S. 4.
1092
Vgl. Lloyd's, 17.12.1916, S. 7; Times, 1.2.1915, S. 9; Evening News, 13.8.1918, S. 2. Evening Express, 13.12.1916, S. 1.
1093 1094 1095 1096
Liverpool Daily Post, 13.12.1916, S. 4. Vgl. Scotsman, 1.9.1915, S. 6. Vgl. Irish Times, 13.12.1916, S. 4; Observer, 17.12.1916, S. 8; Daily Mail, 13.12.1916, S. 4.
1097
Vgl. Daily News, 1.1.1917, S. 4; Daily Mail, 6.8.1917, S. 2; Irish Times, 1.12.1917, S. 6.
1098
Guardian, 23.3.1918, S. 4.
1099
Sketch, 14.12.1916, S. 5. Sketch, 6.5.1918, S. 3.
1100
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Auf das Gerede dürfe nichts gegeben werden: „A trick, above all, to veil a more vigorous prosecution of the war."1101 Die Alliierten hätten nicht die leiseste Absicht „of falling into this very palpable trap."1102 Mit der Diskussion über Friedensbedingungen sollte keine Zeit verschwendet werden. Außerdem wurde vermutet, daß die deutschen Bemühungen vor allem auf neutrale Mächte abzielten. Im weiteren Verlauf des Krieges wurde die Absicht unterstellt, die Kriegsbeteiligung der USA verzögern zu wollen." 03 Auf diese Art wurden sämtliche deutschen Friedensinitiativen während des Krieges schon im Ansatz abgelehnt. So sei die Friedensresolution des deutschen Reichstages vom Juli 1917 schon von vornherein nutzlos: „The Reichstag can do no more than express pious opinions."1104
4.3 Friedensinitiativen des Papstes Neben deutschen Friedensinitiativen standen Bemühungen des Papstes, die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu bekommen. Am bekanntesten ist die Note Benedikts XV. vom 1. August 1917, die im folgenden exemplarisch behandelt werden soll.1105 Bereits kurz nach ihrer Veröffentlichung wurde der päpstlichen Friedensnote unterstellt „that though the voice is the voice of the Vatican, the hand is the hand of Austria, with Germany standing behind her."1106 Dabei stimmten die liberale Reynolds's News mit People von der konservativen Seite überein. Selbst die Irish Times aus dem katholischen Land verwies darauf, daß der Papst zwar vom religiösen Standpunkt aufrichtig für einen Frieden eintrete, im politischen Bereich aber auf „the intimacy of the Vatican with Austria-Hungary, as the leading Roman Catholic Power"1107 verwiesen werden müsse. So ist es nicht verwunderlich, daß eine deutliche Mehrheit an Zeitungen dem Papst nicht den Rücken stärkte. Die Liverpool Daily Post zählte seine Initiative wie die deutschen Versuche zu den „Peace Traps"1108. Obwohl der Star auch im Krieg zu den gemäßigteren Zeitungen zu rechnen ist, stellte er klar: „[...] it is useless to cry 'Peace,
1,01
Daily Mail, 27.10.1915, S. 4, Hervorhebung im Original. Graphic, 15.12.1916, S. 4. "° 3 Vgl. Daily Mail, 30.7.1917, S. 4. " M B'ham Post, 27.7.1917, S. 4, vgl. Daily News, 27.7.1917, S. 2. 1105 Vgl. Steglich, Wolfgang (Hg.): Der Friedensappell Papst Benedikts XV. vom 1. August 1917 und die Mittelmächte. Diplomatische Aktenstücke des Deutschen Auswärtigen Amtes, des Bayerischen Staatsministeriums des Äusseren, des Österreichisch-Ungarischen Ministeriums des Äusseren und des Britischen Auswärtigen Amtes aus den Jahren 1915-1922, Wiesbaden 1970. 1106 Reynolds's, 19.8.1917, S. 1, vgl. People, 19.8.1917, S. 6. Sketch, 16.8.1917, S. 5, Telegraph, 16.8.1917, S.4. 1107 Irish Times, 16.8.1917, S. 2. 1108 Liverpool Daily Post, 15.8.1917, S. 4, vgl. 16.8.1917, S. 4. 1102
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peace,' when there is no peace."1109 Auch im katholischen Schottland wurden keine Zweifel gelassen: „[...] the Pope's conditions are impossible."1110 Nach der Veröffentlichung des vollen Textes stellte die Times fest, daß diese „more pro-German and more anti-Ally" sei, als die vorangegangene Zusammenfassung vermuten ließ. Die beste Antwort auf die Vorschläge des Papstes sei der Vormarsch der britischen Truppen." 11 Zufrieden wurde gemeldet, daß auch der amerikanische Präsident die päpstliche Initiative ablehnte." 12 Kritik mußte sich der Vatikan rückblickend für sein Verhalten zu Kriegsbeginn gefallen lassen: „Its cautious indifference to the fate of Belgium can never be forgotten."1113 Daß die Anschuldigungen gegen Deutschland zumindest in ihrer ganzen Härte schwer zu glauben waren, spielte dabei fur den Star keine Rolle. Immerhin gestand der Manchester Guardian dem Papst zu, daß seine Vorschläge „well-meaning", aber dennoch „highly ineffective"1114 seien. Auch die Yorkshire Post vertrat die Ansicht, daß die Friedensbemühungen des Oberhauptes der katholischen Kirche „must not be dismissed as if it were merely an extension of German endeavour to obtain an advantage." 1 ' 15 Positive Äußerungen finden sich dazu fast nur in der Westerminster Gazette und dem Evening Express. Dabei wurde jedoch betont, daß sich an den grundsätzlichen Kriegszielen nichts geändert habe, die der Papst in seiner Note nicht ausreichend berücksichtige.1116 Hoch geschätzt wurden die Bemühungen des Papstes dagegen beim katholischen Irish Independent: „No other ruler could intervene in an effort to end the strife with the same freedom as the Supreme Pontiff, because none can be so deeply and so impartially interested in the restoration of the blessings of peace to a distracted world."1117 Daneben war es lediglich der Herald, der mit der Befürwortung der Initiative seiner pazifistischen Linie treu blieb. Sozialismus und das Papsttum seien zwar „opposite poles"1118, in dieser Frage stimmten sie jedoch überein. Schon die ersten Friedensbemühungen des Papstes aus dem Jahr 1915 waren vom Herald freudig begrüßt woren: „[...] the lesson which the genuine pacifist has to learn is that every passing day makes peace more difficult. Now is the time, because by to-morrow there will be fresh obstacles set up"1119. Doch auch zu diesem Zeitpunkt ließen die meisten anderen Zeitungen keinen " 0 , Star, 30.8.1917, S. 2. Glasgow Herald, 16.8.1917, S. 4. vgl. 30.8.1917, S. 4. " " V g l . Daily Express, 16.8.1917, S. 1. 1112 Vgl. Scotsman, 30.8.1917, S. 4; Chronicle, 30.8.1917, S. 2; Times, 30.8.1917, S. 7; Yorkshire Post, 31.8.1917, S. 4; Graphic, 30.8.1917, S. 4; Telegraph, 30.8.1917, S. 4; Irish Independent, 30.8.1917, S. 2. " ' 3 Star, 15.8.1917, S. 2, vgl. Graphic, 15.8.1917, S. 4. 1114 Guardian, 17.8.1917, S. 4. " " Yorkshire Post, 16.8.1917, S. 4. 1110
" " V g l . Evening Express, 15.8.1917,S. 2; Westminster Gazette, 15.8.1917,S. 1. 1117 Irish Independent, 16.8.1917, S. 2. 1118 Herald, 25.8.1917, S. 9. " " H e r a l d , 7.8.1915, S. 9.
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Zweifel an ihrer gegensätzlichen Einstellung. Es würde schon von falschen Voraussetzungen ausgegangen: „[...] his Holiness has made a mistake in treating the two groups of combatants as if they were on the same footing. They are not." 1120 Deutlich wurde auf die moralische Überlegenheit der Alliierten verwiesen. Mag die These von Jürgs, daß die päpstliche Friedensinitiative 1915 nur wenig Aufmerksamkeit von den Regierungen erhalten habe, noch einigermaßen zutreffen 1121 , so ist darauf zu achten, daß dies 1917 nicht mehr der Fall war. Ausführlich wurde über die päpstliche Note berichtet. Die eindeutige Mehrheit der Zeitungen aller politischen Richtungen mit Ausnahme des Herald sahen jedoch diese Initiative zumindest kritisch, wenn nicht sogar strikt ablehnend.
4.4 Friedensinitiativen aus den USA Nicht nur der Papst, sondern auch der amerikanische Präsident Wilson stieß mit seinen Friedensvorschlägen aus der Zeit vor dem amerikanischen Kriegseintritt auf wenig Gegenliebe. Der Star bezeichnete die Note vom Dezember 1916 als „Christmas bombshell." Nach einigen Lobpreisungen über „one of the greatest Presidents of one of the greatest nations in the world" wurde der Standpunkt gegenüber Wilsons Vorschlägen deutlich gemacht: „We did not ask Lincoln to save Lancashire at the expense of American liberty, and we are confident that Mr. Wilson will not ask us to sacrifice our liberty in order to mitigate the hardships which the war inflicts upon Americans." 1122 Als Belgien überfallen worden war, hätte Wilson nichts gesagt, auch nicht, als der Eindruck erweckt wurde, daß Deutschland den Sieg davontragen würde: „If anxiety for the future of humanity and of civilisation had been the leading motive in President Wilson's mind, he would have taken action much earlier" 1123 . Der Präsident habe nichts zur Zerstörung Louvains gesagt, genausowenig wie gegen „the baby-killing at Whitby and Scarborough" und die Massaker gegen die Armenier. Nur bei Ereignissen wie der Versenkung der Lusitania und der Ancona habe Wilson protestiert: „[...] not because they were inhumane but because American citizens perished by their inhumanity." 1124 Die amerikanische Note habe lediglich „the effect of whitewashing Germany" 1125 . In Europa würden die freien Nationen gegen eine grausame Tyrannei um ihr Leben kämpfen - „there in America men are debating in academic security the old dreams of universal and everlasting peace." 1126 Der amerikanische Präsident „stumbles from one
1120
Yorkshire Post, 31.7.1915, S. 4. Vgl. Jürgs, Frieden, S. 296. 1122 Star, 22.12.1916, S. 2. 1123 Yorkshire Post, 22.12.1916, S. 4. 1124 Chronicle, 22.12.1916, S. 2. 1,25 Yorkshire Post, 26.12.1916, S. 4. 1126 Star, 23.1.1917, S. 2. 1121
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maladroit sentence to another." 1127 Auch wenn an seinen guten Absichten nicht gezweifelt wurde, blieb die Kritik: „A blunder, even a well-intentioned blunder, in a matter that intimately concerns the peace of the world and the future of civilisation, may be worse than a crime." 1128 Auch die meisten anderen Zeitungen lehnten Wilsons Vorschläge kompromißlos ab. 1129 Daran änderte sich auch nichts, wenn von der „sincerity of his statement" 1130 ausgegangen wurde: „Our part is to fight and not to talk." 1131 Wie bei anderen Friedensinitiativen war es erneut nur der Herald, der Wilsons Vorschläge mit deutlichen Worten begrüßte: „Well done, Wilson!" 1132 Der Umgang der britischen Zensur mit den Stellungnahmen der Presse zu Friedensinitiativen hatte sich also während des Krieges kaum geändert. Eine verbindliche Anweisung, pazifistische Strömungen zu unterdrücken, gab es nicht. Der Herald wurde trotz derartiger Äußerungen nicht belangt. Deshalb wiegt es um so schwerer, daß die meisten anderen Zeitungen davon keinen Gebrauch machten. Sie traten eindeutig dafür ein, den Krieg ohne Verhandlungen fortzusetzen, auch wenn diese von neutralen Mächten vorgeschlagen wurden.
4.5 Der Lansdowne Letter 1917 Wie scharf gegen Friedensinitiativen vorgegangen wurde, zeigen die Reaktionen auf den Leserbrief Lord Lansdownes an den Daily Telegraph am 29. November 1917.1133 Diese sind um so bemerkenswerter, da Lansdowne als Außenminister den Abschluß der Entente mit Frankreich zu verantworten hat und damit indirekt auch den Kriegseintritt Großbritanniens an der Seite des Landes. In seinem Leserbrief schlug Lansdowne die Koordinierung der alliierten Kriegsziele vor. 1134 Eine absichtliche oder leichtfertige Verlängerung des Krieges bezeichnete er als Verbrechen. Zu beachten ist, daß auch er hinter den bekannten Forderungen - „reparation" und „security" - stand. Des weiteren schlug er fünf Punkte vor: Deutschlands Position als Großmacht solle nicht in Frage gestellt werden, die deutsche Bevölkerung
1127
Scotsman, 22.12.1916, S. 4. Scotsman, 23.12.1916, S. 6. 1129 Vgl. Sketch, 22.12.1916, S. 5; Telegraph, 22.12.1916, S. 6; Daily Express, 23.12.1916, S. 4. 1130 Times, 22.11.1916, S. 9. 1131 Β'ham Post, 1.1.1917, S. 4. 1132 Herald, 27.1.1917, S. 9. 1133 Vgl. Daily Telegraph, 29.11.1917, S. 4 u.a. Ein Abdruck des Briefes findet sich in: Documents and Statements relating to Peace Proposals & War Aims (December 1916-November 1918), mit einer Einleitung von Goldsworthy Dickinson, London, New York 1919, S. 84-89. Fälschlicherweise wird der Brief hier auf den 28.11.1917 datiert. Er erschien aber erst einen Tag später. 1134 Zum Lansdowne Letter vgl. insbes. Newton, Douglas: The Lansdowne ,Peace Letter' of 1917 and the Prospect of Peace by Negotiation with Germany, in: Australian Journal of Politics and History 48 (2002), S. 16-39. 1128
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solle weiterhin selbst über ihre Regierung bestimmen und Deutschland dürfe nicht als Wirtschaftsmacht beseitigt werden. Zukünftig sollten politische Differenzen in internationaler Zusammenarbeit gelöst werden. Besonders problematisch war sein Vorschlag, die absolute Freiheit der Schiffahrt auf den Prüfstein zu stellen. Dies hätte die traditionelle Seemacht Großbritannien ihrer Vorteile in einem Krieg beraubt. Wohlgemerkt hatte Lansdowne diese Punkte zur Diskussion gestellt. Sie sollten nicht zwangsläufig so umgesetzt werden. Außerdem ist davon auszugehen, daß es sein Hauptziel war, die gemäßigten Kräfte in Deutschland zu stärken, um ein schnelleres Kriegsende zu ermöglichen. Den Auftakt zur Veröffentlichung dieses Briefes hatte ein Treffen des Lords mit dem Herausgeber der Times am 27. November 1917 gebildet. Während der Besprechung hatte Lansdowne klargemacht, daß es sein Wunsch sei, den Text in der Times zu veröffentlichen. Da Dawson mit dem Inhalt nicht einverstanden war, verweigerte er dies. Zum Abschied hatte der Journalist den Eindruck gewonnen, daß Lansdowne bereit war, von einer sofortigen Veröffentlichung abzusehen.1135 Dem entgegengesetzt erschien der Brief dennoch am 29. November, allerdings nicht in der Times, sondern im Daily Telegraph. Repington stellte unmittelbar darauf fest: „It makes a great stir."1136 Tatsächlich löste die Veröffentlichung eine heftige Diskussion in den Zeitungen aus. Von einer einheitlichen Meinung kann dabei nicht gesprochen werden. Auf der einen Seite schlossen sich eine ganze Reihe von Zeitungen der Aussage Bonar Laws an, der als Führer der Konservativen Schatzkanzler im Koalitionskabinett Lloyd George war und somit die Meinung der Regierung vertrat. Er hatte als unmittelbare Reaktion auf die Veröffentlichung von „a National Misfortune"1137 gesprochen. Deutlicher als bei der Birmingham Post war die Ablehnung kaum zu formulieren: „[...] the more we consider his letter the more we regret that it should ever have been written."1138 Wie gewöhnlich fand John Bull besonders scharfe Worte: „I regard the Lansdowne letter as a calamity. This is not the time to hold up our hands and shout 'Kamerad!'" 1139 Der Daily Express hielt es für einen „Inopportune Letter"1140. Der Observer lehnte Lansdownes Vorschläge als „apotheosis for the Kaiser and Hindenburg"1141 ab. Die hauptsächliche Kritik bestand darin, daß Lansdowne mit seinem Schreiben den Zusammenhalt der Alliierten gefährde. Diese würden ebenso wie er nach 1135
Vgl. TNL Archive/GGD/3, Lansdowne an Dawson am 27.11.1917, TNL Archive/GGD/3, Stellungnahme Dawsons zum Brief Lansdownes am 27.11.1917, TNL Archive/GGD/3, Dawson an Newton am 18.4.1929, History of the Times, Bd. 1, S. 335-338. 1136 Repington, War, Bd. 2, S. 143, Eintrag vom 30.11.1917. 1137 Mirror, 1.12.1917, S. 2, vgl. Daily Express, 1.12.1917, S. 2; People, 2.12.1917, S. 1; Graphic, 1.12.1917, S. 5. 1138 Β'ham Post, 1.12.1917, S. 6. " 3 * John Bull, 8.12.1917, S. 8f. " 4 0 Daily Express, 30.11.1917, S. 1. '"" Observer, 2.12.1917, S. 6.
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Frieden streben: „But they differ from him in this - they will run no risk of that patched-up peace"1142. Besonders die Möglichkeiten, die Lansdowne Deutschland eröffnet habe, wurden mißbilligt: „He has offered his gift to the enemy, and they will cherish it."1143 Der Daily Sketch hoffte deshalb: „All that has happened is the end of Lansdowne."1144 In Anspielung auf Shakespeares Schauspiel Henry V. forderte die Evening News die britische Nation auf, zu Lansdowne zu sagen: „I know you not, Old Man!" Die Zeitung schrieb, daß der ehemalige Außenminister zwar der letzte wäre, sein Land zu verraten, aber: „[...] he is old and in poor health and his desire, which is shared by everybody, to see an end to the hell of war in which we all suffer has led him to try a short cut to peace."1145 Von seiner hohen Reputation könne nach diesem Krieg nicht viel übrig bleiben. 90 Prozent der britischen Presse würden den Brief ablehnen.1146 Auch seine späteren Veröffentlichungen wurden von dieser Seite in ähnlichem Maße abgelehnt: „Lord Lansdowne's new epistle can do nothing but mischief.1147 Entgegen diesen deutlichen Ablehnungen gab es eine Reihe von Zeitungen, die die Initiative bei weitem nicht so negativ bewerteten. Sehr sachlich stellte der Irish Independent den Inhalt des Briefes dar. Dabei wurde dem Verfasser ein gewisses Maß Anerkennung zuteil: „No statesman in England has had a wider experience in international affairs." 1148 Da zudem bedauert wurde, daß der Brief nicht zur Zeit der päpstlichen Friedensinitiative veröffentlicht worden war, um damit beiden ein höheres Gewicht zu verleihen, ist damit eine positive Betrachtung festzustellen. Positiv sah die Daily News die Vorschläge: „Lord Lansdowne does an immeasurable service to humanity in setting before the men and women of all nations the duty of a will to peace." Es dürfe aber keine Mißverständnisse geben: „It spells no sacrifice of the permanent and primary aims of the war." Schon gar nicht stelle es einen Verrat gegenüber Belgien oder Serbien dar: „But it opposes to the ideal of military victory at any cost"1149. Die dreifache Basis „restoration, reparation, and security"1150 werde dabei nicht in Frage gestellt. Der Manchester Guardian hielt die Vorschläge für „a wise endeavour" eines Mannes „who has held all but the highest offices in the State"1151. Deshalb handle es sich um: „The Right
1142
Liverpool Daily Post, 30.11.1917, S. 4. Glasgow Herald, 1.12.1917, S. 4. 1,44 Sketch, 4.12.1917, S. 7. 1145 Evening News, 30.11.1917, S. 2, vgl. Times, 30.11.1917, S. 9. 1,46 Vgl. Irish Times, 1.12.1917, S. 6. 1147 Vgl. Daily Mail, 1.8.1918, S. 2; Glasgow Herald, 1.8.1918, S. 1; Scotsman, 6.3.1918, S. 4; Telegraph, 5.3.1918, S. 6; Irish Times, 1.8.1918, S. 2. 1,48 Irish Independent, 30.11.1917, S. 2. Daily News, 30.11.1917, S. 2. 1150 Daily News, 1.12.1917, S. 2. " 5 I Guardian, 30.11.1917, S. 4. 1143
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Road to Victory."1152 Die Yorkshire Post versuchte zu beruhigen. Eine Schwächung der Moral sei durch Lansdowne nicht zu erwarten.1153 Als unnötig empfand die Westerminster Gazette „the clamour and clatter which have been raised against Lord Lansdowne"1154. Direkte Beschuldigungen erhob der Star gegen Northcliffe wegen der Weigerung der Times, den Brief zu veröffentlichen. Jeder wisse, daß die Times englische Staatsmänner zensiere. Glücklicherweise könne sie aber nicht jede unabhängige Meinung unterdrücken. Keinesfalls sei der Brief eine weiße Flagge gegenüber Deutschland: „It is merely a mild and timid request for sanity."1155 Für die Bewertung des Lansdowne Letters durch die Presse ist also eine sehr differenzierte Betrachtung festzustellen. Bezeichnend dafür ist die South Wales Daily News, die es für unabdingbar hielt, daß sich die Regierung umgehend vom Inhalt distanzierte. Für sich selbst betonte sie aber, daß sie zwar Teile davon ablehnte, andere aber auch für gut befand.1156 Insgesamt betrachtet, stand einer starken liberalen Minderheit mit deutlichen Sympathien zumindest für einzelne Passagen aus Lansdownes Brief eine Mehrheit an vorwiegend konservativen Blättern gegenüber, die die Note ablehnten. Dabei ist es keineswegs so gewesen, daß Lansdowne die Anerkennung eines deutschen Sieges empfohlen hatte. Doch auch die maßvolle Forderung, etwas mehr Verhandlungsbereitschaft zu zeigen, wurde oft abgelehnt.
4.6 Exkurs: Christmas Truce 1914 Zu einem der bemerkenswertesten Ereignisse des Ersten Weltkrieges kam es Weihnachten 1914. Zwar gab es durchaus eine Reihe von Berichten, die über Kämpfe an den Weihnachtstagen berichteten.1157 Große Aufmerksamkeit erregten aber auch die spontanen Feuerpausen, zu denen es insbesondere an der deutsch-britischen Front gekommen war." 58 Schon wenige Tage später trafen erste Briefe beteiligter Soldaten bei ihren Familien ein, die an verschiedene Zeitungen weitergeleitet wurden. Unverzüglich reagierten andere Blätter und übernahmen derartige Berichte, wenn aus der eigenen Region keine ähnlichen Stellungnahmen zu bekommen waren.1159 Sowohl die Presse als auch
1152
Guardian, 3.12.1917, S. 4. Vgl. Yorkshire Post, 1.12.1917, S. 6. 1154 Westminster Gazette, 3.12.1917, S. 1. 1155 Star, 30.11.1917, S. 2. 1156 Vgl. South Wales Daily News, 1.12.1917, S. 4. " " Vgl. Glasgow Herald, 26.12.1914, S. 5; Scotsman, 2.1.1915, S. 9. 1158 Vgl. Brown, Malcolm/Seaton, Shirley: Christmas Truce, New York, London 1984, Hiery, Angst, S. 183, Weintraub, Stanley: Silent Night. The Story of the World War I Christmas Truce, New York, London, Toronto, u.a. 2001. 1159 Beispielsweise verwies die Yorkshire Post vom 2.1.1915, S. 9 auf einen Bericht der Daily News. 1153
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die Behörden wurden von dieser Entwicklung überrascht. Sie sahen die Veröffentlichung der Briefe nicht als Verstoß gegen die Zensurauflagen.1160 Dadurch erfuhren nicht nur einzelne Privatpersonen von Verbrüderungen der Soldaten, sondern die britische Öffentlichkeit als Ganzes. Die Ereignisse reichten von „a concert and dance in the open"" 61 über Fußballspiele bis zum Austausch von Süß- und Tabakwaren, sowie Spirituosen." 62 Auch Fotos wurden aufgenommen und zusammen Trauergottesdienste abgehalten. Besonders beeindruckt zeigten sich die Soldaten von der gemeinsamen Beerdigung Gefallener." 63 Auch das gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern hatte es den Soldaten angetan, beispielsweise wegen der musikalischen Begleitung durch einen deutschen Akkordeonspieler." 64 Das Singen von „God save the King" und „Deutschland über [sie!] Alles" durch britische Soldaten sei von deutscher Seite mit Applaus bedacht worden." 65 Die außergewöhnliche Bedeutung dieser Ereignisse war in den Berichten der Zeitungen nicht zu übersehen: „Probably no news since the war began has made a greater sensation"1166. An anderer Stelle hieß es, dies sei „certainly the most extraordinary celebration of it [Christmas] any of us will ever experience."1167 Die Absurdität der Lage bedurfte keiner näheren Erläuterung: „Our men, although at first somewhat suspicious of treachery, soon entered into the spirit of goodwill, and exchanged the compliments of the season, cigarettes, cigars, chocolate, &c., with the very men they have been doing their best to kill for five months past."1168 Ähnlich klang auch die Stellungnahme zu den Ereignissen in der Daily News: „Everything is quiet to-day, neither side firing, but I suppose we shall be at one another's throats again to-morrow. Rot! Isn't ^94,1169 Große Probleme warf der Umgang mit den beteiligten britischen Soldaten auf, da es sich bei den spontanen Waffenruhen um schwere Verstöße gegen die militärische Disziplin handelte. Auf der einen Seite hieß es deshalb: „The offenders are liable to severe punishment." Auf der anderen Seite wurde es als unwahrscheinlich angenommen „that any steps will be taken to bring the offenders to account for their misdeeds on Christmas Day"1170. Außerdem seien derartige Ereignisse in der Kriegsgeschichte nichts Un1160
Vgl. z.B. Liverpool Daily Post, 6.1.1915, S. 4; Sketch, 31.12.1914, S. 2; Telegraph, 6.1.1915, S. 5. Telegraph, 31.12.1914, S. 9, vgl. z.B. 9.1.1915, S. 8. 1162 Vgl. Westminster Gazette, 1.1.1915, S. 4; Daily News, 8.1.1915, S. 10; Scotsman, 2.1.1915, S. 9; South Wales Daily News, 6.1.1915, S. 7; Daily Mail, 1.1.1915, S. 4,4.1.1915, S. 9; Telegraph, 2.1.1915, S. 5; Manchester Guardian, 31.12.1914, S. 6,2.1.1915, S. 4, Weintraub, Silent Night, S. 110-111. " " Vgl. Daily News, 2.1.1915, S. 2. 1164 Vgl. Sketch, 5.1.1915, S. 12. 1165 Vgl. Westem Mail, 2.1.1915, S. 6; Evening News, 1.1.1915, S. 3. 1.66 Telegraph, 7.1.1915, S. 7. 1.67 South Wales Daily News, 6.1.1915, S. 7, vgl. Daily News, 6.1.1915, S. 2; Irish Times, 6.1.1915, S. 5. 1168 Telegraph, 7.1.1915, S. 7. 1169 Daily News, 2.1.1915, S. 2. 1170 Telegraph, 7.1.1915, S. 7. 1161
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gewöhnliches. Dies sei schon unter Wellington gegen die Franzosen und erst jüngst im russisch-japanischen Krieg 1905/06 vorgekommen. Um die eigenen Soldaten in Schutz zu nehmen, wurde wiederholt darauf hingewiesen, daß britische Soldaten nur auf deutsches Verhalten reagiert hätten, quasi um keine Spielverderber zu sein.1171 Dies war um so wichtiger, da nicht der Eindruck von Kriegsmüdigkeit unter den britischen Soldaten erweckt werden sollte. Es wurde betont, daß „the first steps seem to have been invariably taken by the Germans." 1172 Außerdem hätten deutsche Soldaten sogar zugegeben „they were not winning, but said they would have to fight on for the sake of the Fatherland." 1173 Da die Initiative von den Deutschen ausgegangen sei, habe es dort Bemühungen gegeben, alle Nachrichten über den Weihnachtsfrieden zu unterdrücken." 74 Zu beachten ist jedoch, daß es auch Berichte gab, in denen eindeutig britische Soldaten den ersten Schritt auf den Gegner zumachten: „It was all arranged privately, and started by one of our fellows going across!" 1175 Diese Sicht der Ereignisse fand über deutsche Zeitungen via neutraler Länder den Weg zurück in die englische Presse. 1176 Zumindest in den Zeitungen wurde darauf verwiesen, daß sich auf deutscher Seite vor allem Truppen süddeutscher Staaten an der Waffenruhe beteiligten. So hätten bayerische Soldaten gewarnt „that it would not be safe to go out opposite the next trench to the right, as it was held by Prussians, who would most likely fire, Christmas or no Christmas." 1177 Dies weckte die Hoffnung auf eine mögliche Spaltung innerhalb der deutschen Armee. Sollte sich dies bewahrheiten, so seien die Ereignisse um so bedeutender „because it seems to show an evident desire on the part of the Bavarians and Saxons to come to terms as soon as possible with the Allies, and that they are becoming heartily tired of being led to the slaughter in the interest of Prussia." Insgesamt stand diese Betrachtungsweise aber eher im Hintergrund. Demgegenüber finden sich fast euphorisch zu nennende Äußerungen von Soldaten, die trotz des bereits seit Monaten andauernden Sterbens an der Front von „the funniest and most amusing Christmas I have ever spent" 1178 berichteten. Selbst die Times brachte einen Brief, in dem es hieß: „You need not have pitied us on Christmas Day; I have seldom spent a more entertaining one, despite the curious conditions." 1179 Durch eine Reihe von Äußerungen wird klar, daß es bereits zu Weihnachten 1914 massive Anzeichen von Kriegsmüdigkeit gab. Dies wurde zwar nicht explizit in diese Worte gefaßt, doch durch Aussagen wie „a sudden friendship had been struck up" 1180 zwischen den Zeilen angedeutet. 1171 1172
Vgl. Telegraph, 7.1.1915, S. 7. Star, 7.1.1915, S. 3.
1173
Daily Mail, 31.12.1914, S. 8.
1174
Vgl. Westminster Gazette, 6.1.1915, S. 4; Telegraph, 9.1.1915, S. 8.
1175
News of the World, 3.1.1915, S. 5, vgl. Telegraph, 31.12.1914, S. 9.
1176
Vgl. Star, 9.1.1915, S. 3.
1177
Telegraph, 7.1.1915, S. 7, vgl. Times, 2.1.1915, S. 2. 1178 Daily News, 31.12.1914, S. 1, vgl. Telegraph, 31.12.1914, S. 9; Westminster Gazette, 31.12.1914, S. 4. 1179 Times, 2.1.1915, S. 2. '""Daily Mail, 1.1.1915, S. 4.
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Im Daily Chronicle ging die Formulierung so weit, davon zu sprechen, daß „all day long this crowd of enemies were friends." 1181 Die Westminster Gazette berichtete über „How Peace caputred the Trenches." 1182 Nicht zu übersehen war die Hoffnung der Soldaten auf eine angenehmere Zukunft - „all this talk of hate, all this fury at each other that has raged since the beginning of the war, quelled and stayed by the magic of Christmas." 1183 Diese Veröffentlichungen nach dem Weihnachtsfrieden 1914 zeigen, daß die massive Propaganda der Alliierten noch nicht die Wirkung gezeitigt hatte, jegliches Mitgefühl für den Gegner und jede Möglichkeit einer Kompromißlösung zu begraben. Ohnehin setzten bald Bemühungen ein, die Bedeutung des Weihnachtsfriedens zu minimieren. Nur weil ein paar deutsche Soldaten sich an Weihnachten mit ihren Gegnern fraternisierten, dürfe nicht damit gerechnet werden, daß der Krieg bald vorbei sei. 1184 Durch die weitere Entwicklung wurde die Hoffnung der Soldaten schnell zunichte gemacht und ad absurdum gefuhrt.
4.7 Bilanz Bei einer Gesamtbetrachtung der Friedensinitiativen ist festzustellen, daß die bisherige Forschungsmeinung bestätigt werden kann. Tatsächlich gab es hinsichtlich der britischen Entscheidung für den Kriegseintritt „virtually no public dissent from that decision, no protest that was noticed, no strikes, no 'war against war'." 1185 Selbst die vormals neutralitätsorientierten liberalen Zeitungen unterstützten den Kurs der Regierung, hielten sich aber bei der anti-deutschen Greuelpropaganda etwas zurück. Sogar einer der vehementesten Interventionsgegner, C.P. Scott vom Manchester Guardian, lehnte es ab, an einer Protestversammlung gegen den Krieg teilzunehmen. 1186 Trotz ihres Wissens berichteten die Zeitungen kaum von Anti-KriegsVersammlungen. So wurde dem Korrespondenten der Times, Repington, im Dezember aus Geheimdienstkreisen mitgeteilt „that there were 100 peace meetings a week throughout the country"" 87 . Eine Berichterstattung darüber kam aber wegen der Aufrechterhaltung der Moral für die Kriegsanstrengungen nicht in Frage. Derartige Versammlungen wurden wie die groß angelegten Friedensinitiativen des Papstes oder des amerikanischen Präsidenten als „Pacifist Poison" 1188 abgelehnt. Zu beachten ist, daß dies auch noch für Wilsons Äußerungen im Dezember 1916 gilt. Wenige Monate vor 1181
Chronicle, 31.12.1914, S. 7. '' 82 Westminster Gazette, 31.12.1914, S. 4. 1183 Times, 2.1.1915, S. 2. " 8 4 Vgl. Evening News, 2.2.1915, S. 4. 1185 Morris, Scaremongers, S. 2, vgl. Hudson/Stanier, War and the Media, S. 46. 1186 Vgl. Scott, Diaries, S. 99f vom 7.8.1914. 1187 Repington, War, Bd. 1, S. 409, Eintrag vom 12.12.1916. 1188 Evening News, 12.11.1917, S. 2.
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dem amerikanischen Kriegseintritt wurde der Präsident keineswegs so freundschaftlich behandelt, wie dies von einem potentiellen Alliierten zu erwarten gewesen wäre. Wie für Frankreich" 89 , ist auch für Großbritannien eine Tabuisierung der Friedensidee festzustellen. Jeder Vorschlag in diese Richtung wurde als unpatriotisch betrachtet. Lediglich der Herald widersetzte sich als einzige der nennenswerten Zeitungen mit deutlichen Worten diesem Trend. 1190 Somit hatte die Westminster Gazette für die britische Presse recht, wenn sie behauptete: „[...] there is no peace movement worth the name in any of the Allied countries which are fighting Germany." 1191 Der Grund dafür war, daß der Pazifist als bedrohlicherer Gegner als der eigentliche Feind oder der Spion galt, da er die eigenen Kriegsanstrengungen von innen heraus unterhöhlte. 1192 Dennoch zeigt der Herald, daß eben nicht jedes Wort gegen den Krieg gleich strafrechtliche Konsequenzen haben mußte, wovon Jürgs ausgeht." 93 Die Presse hatte sich zum größten Teil freiwillig den nationalen Zielen unterworfen. Die unumwundene Kritik an Friedensinitiativen und deren umgehende Ablehnung warf für die britische Regierung im weiteren Verlauf des Krieges große Probleme auf. Die permanente Konfrontation der Bevölkerung mit dem Minimalziel Siegfrieden schränkte den politischen Handlungsspielraum bis auf ein Minimum ein. Nur wenige Wochen nach Kriegsbeginn hätten Verhandlungen mit Deutschland schon einen enormen Gesichtsverlust für die Regierung bedeutet, ein Weg, der nur im Falle einer absolut aussichtslosen militärischen Lage hätte beschritten werden können - wie im Herbst 1918 auf deutscher Seite. Ein Kompromißfrieden aus Sicht der Alliierten wurde von politischer Seite nicht gewünscht. Angesichts des Frontverlaufs wäre es kaum möglich gewesen, die eigenen Ziele umfassend durchzusetzen. 1194 Umgekehrt verhärtete die ständige Betonung der eigenen Kriegsziele, deren Unabänderlichkeit und die gleichzeitig sehr vagen Formulierungen deren Position. Der Bevölkerung hätte eine plötzliche Änderung kaum plausibel gemacht werden können. Ein Versuch hätte einen schweren Schlag für die Moral dargestellt. Der Krieg mußte fortgesetzt werden.
1189
Vgl. Bavendamm, Spionage und Verrat, S. 127. Vgl. Postgate. Raymond/Vallance, Aylmer: Those Foreigners. The English People's Opinion on Foreign Affairs as reflected in their Newspapers since Waterloo, London, Bombay, Sydney 1937, S. 237. 1191 Westminster Gazette, 30.11.1915, S. 1. 1192 Vgl. Bavendamm, Spionage und Verrat, S. 148, 170. 1193 Vgl. Jürgs. Frieden, S. 326. 1194 Vgl. Steglich, Friedenspolitik, S. 415. 1190
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5. Die Kriegsziele in den Zeitungen 5.1 Territoriale Veränderungen Keine der europäischen Großmächte zog 1914 mit scharf umrissenen Zielen in den Krieg." 9 5 Während es bei Österreich-Ungarn sehr vage die Bestrafung Serbiens war, wollte Rußland ebenso Undefiniert seine Rolle als Schutzmacht der Slawen auf dem Balkan erfüllen. Deutschland baute seinerseits auf die Erfüllung der Bündnisverpflichtung gegenüber Österreich, genau wie Frankreich Rußland beistehen mußte. Obwohl auf britischer Seite eine Vielzahl von Gründen eine Rolle für die Intervention spielte 1196 , wurde der Kriegseintritt mit der Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschland begründet. So ist es nicht verwunderlich, daß während des Krieges andauernd auf Belgien verwiesen wurde. Als Kriegsziel spielte die Wiederherstellung der Unabhängigkeit dieses Staates eine entscheidende Rolle. So hieß es noch 1918 in einer Erklärung des Premierministers Lloyd George „that the righting of the initial wrong should take first place in the catalogue of British war aims." 1197 Auch davor hatte es geheißen: „Belgium shall once more be free and independent." 1198 Doch dies war nicht das einzige Ziel. Schon lange vor dem Krieg hatte der Parlamentarier Compton-Rickett konstatiert, daß für den Fall eines Kriegs mit Veränderungen der europäischen Landkarte zu rechnen sei. Sollte Deutschland verlieren, so sei hinsichtlich Elsaß-Lothringens „the restoration of these provinces [...] the first and irreducible terms of peace." 1199 Unmittelbar nach Kriegsausbruch bestätigte auch die Daily News, daß nach ihrer Ansicht ein alliierter Sieg „will assuredly be followed by the dissection of territory now under German rule, and probably by the complete collapse of the Austro-Hungarian State." 1200 Besonders konkret äußerte sich der Manchester Guardian. Betont wurde, es sei kein „war for our own profit". Wenn Deutschland die 1870/71 annektierten Gebiete verlieren solle: „Germany will be no loser; she will have lost only something which she is ought to never have taken". Dennoch herrschte über den Verbleib des Reichslandes lange keine einheitliche Meinung. Auf der einen Seite stand die Sicht, daß die Frage Elsaß-Lothringen „had practically no place at all in discussions of war and peace in this country. The complaint of the critics is that Alsace-Lorraine, and the other minor issues - we have always admitted that it is a mistake to put them in the same category as the Belgian question - were 1195
Vgl. Taylor, Politics, S. 93.
1196
Siehe Kapitel 4: Die Julikrise.
11,7
News of the World. 6.1.1918, S. 2.
1198 Chronicle, 22.7.1916, S. 4, vgl. B'ham Post, 1.1.1915, S. 6; Chronicle, 24.2.1916, S. 4. " " D a i l y Mail, 25.6.1913, S. 4. 1200 Daily News, 5.8.1914. S. 4.
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certainly not our original war aims". Zwar sei die Annexion durch Deutschland Unrecht gewesen: „[...] but manifestly no practical statesmanship will set itself such a task as the righting of all historical wrongs." Angeblich herrschte weitgehende Einigkeit, daß Bevölkerungsgruppen zukünftig nicht mehr einer Regierung untergeordnet sein sollten, die sie ablehnten: „[...] the acceptance of that principle involves the Allies in the obligation of determining fairly and justly what is the will of the people of AlsaceLorraine"1201. Damit spielte die Zeitung auf ein mögliches Referendum an. Auf der Gegenseite standen Blätter wie der Glasgow Herald. Auch dieser stimmte zu, daß Elsaß-Lothringen nicht zu den ursprünglichen Kriegszielen gehört habe. Die historischen Hintergründe - namentlich die Annexion nach dem Krieg 1870/71 und die Zabem-Affäre - hätten aber gezeigt, daß eine Re-Annexion durch Frankreich „is in full accordance with our programme of restitution and liberation, of the establishment of free governments in accordance with popular wishes."1202 Wesentlich deutlicher drückte sich der Scotsman über den Verbleib der Provinzen aus: „There will be no terms considered except their absolute surrender."1203 Auch die Ostverschiebung der Grenze ElsaßLothringens in das heutige Saarland wurde schon während des Krieges als möglich gesehen.1204 Die Problematik der Elsaß-Lothringen-Frage tauchte also schon bald nach Kriegsbeginn auf. Eine Einigkeit unter den Zeitungen herrschte jedoch nicht. Auch dadurch wird die relative Unabhängigkeit der Presse in politischen Fragen bestätigt. Eine verordnete Berichterstattung von oben gab es nicht. Elsaß-Lothringen blieb nicht das einzige Gebiet, über dessen Verbleib nach dem Krieg spekuliert wurde. Besonders Österreich-Ungarn wurde immer wieder als Land genannt, das Verluste würde hinnehmen müssen. „The break-up of the purely artificial unity [...] has long been foreseen as inevitable in the process of time and in face of the growing forces of nationality"1205 wurde schon bald nach Kriegsausbruch im liberalen Manchester Guardian für möglich gehalten. So wurden sowohl Italien als auch Rumänien Gebietsgewinne in Aussicht gestellt. Beide Länder waren zu diesem Zeitpunkt noch neutral. Im weiteren Verlauf des Krieges stellten sie sich aus genau diesen Gründen auf die Seite der Alliierten. Für Italien war dabei besonders wichtig, daß die Gebiete nicht an die Sprachgrenzen verschoben werden sollten, sondern über das Trentino hinaus an den Brenner. Da dies der vorgesehenen Neuordnung der Staatsgrenzen nach dem Nationalitätenprinzip widersprochen hätte, wurde in den Zeitungen häufig nur von den „adjoining territories"1206 gesprochen. Außerdem war die Rede von der Gründung eines eigenen slawischen Rei-
1201
Daily News, 14.1.1918, S. 2.
1202
Glasgow Herald, 10.8.1917, S. 4.
1203
Scotsman, 1.8.1917, S. 4.
1204
Vgl. Chronicle, 30.7.1917, S. 2. Guardian, 20.8.1914, S. 4. Graphic, 12.1.1917, S. 4.
1205 1206
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ches, der Abtretung Transsylvaniens an Rumänien und der Wiederherstellung eines böhmischen Königreiches.1207 Auch das Schaffen „of a new and greater Servia" wurde für möglich gehalten. Schnell hatte sich das negative Bild Serbiens aus der Julikrise in der Presse verändert. Das Land verwandelte sich auch in denjenigen Zeitungen zu „Gallant Serbia"1208, die vorher äußerst skeptisch gewesen waren. Es war also nicht nur Bottomley vom John Bull, der auf die Kurzlebigkeit öffentlicher Erinnerung baute.1209 Als Kompensation für Deutschland wurde der Zusammenschluß der deutschen und deutsch-österreichischen Gebiete vorgeschlagen.1210 Weitere Gewinner sollten Frankreich und Rußland sein. Im Rahmen der Ankündigung des Zaren, ein autonomes polnisches Königreich schaffen zu wollen 12 ", wurde von anderen deutschen und österreichischen Gebietsverlusten gesprochen: „It would mean the annexation of the Prussian province of Posen, the thrusting back of the Prussian border to the Mark of Brandenburg and to Pomerania. To Austria-Hungary it would mean the loss of all her territory beyond the Carpathians from Silesia to the Bukovina ΙΛΙΛ
and probably to the Rumanian frontier." Selbst die Forderung, alle europäischen Grenzen nach dem Nationalitätenprinzip neu zu ziehen, wurde erhoben.1213 Eine völlige Zerstörung Deutschlands oder die Beseitigung seiner Stellung als Großmacht wurde aber nur in wenigen Fällen gefordert. Dies beschränkte sich im wesentlichen auf das Sensationsblatt John Bull1214. Im Gegensatz dazu äußerten sich eine Reihe vor allem liberaler Zeitungen ausdrücklich gegen eine Zerstörung Deutschlands. Nicht zuletzt wurde dabei auf die Kriegszielreden alliierter Politiker verwiesen. So habe Lloyd George gesagt: „We are not fighting for the destruction of the German people, nor for the dismemberment of the 'ramshackle Empire.'" 1215 Dies, so der Premier weiter, treffe auch für Österreich-Ungarn zu. Darüber hinaus betonte er, daß Großbritannien nicht in den Krieg eingetreten sei „in order to alter the Imperial constitution of the
1207
Vgl. Graphic, 12.1.1917, S. 4; Daily Mail, 30.6.1917, S. 4, 7.1.1918, S. 2; Irish Times, 12.1.1917, S. 4; Telegraph, 7.1.1918, S. 4; B'ham Post, 12.1.1917, S. 4. 1208 Daily News, 13.10.1915, S. 8, vgl. 2.11.1915, S. 3. '20® Vgl. Symons, Bottomley, S. 162. 1210 Vgl. Guardian, 20.8.1914, S. 4; Daily News, 22.8.1914, S. 4; Chronicle, 24.2.1916, S. 4. 1211 Vgl. Times, 17.8.1914, S. 9: „The Tsar has pledged himself to reconstitute the kingdom of Poland. He promises to restore her territorial integrity and to grant her under his sceptre complete autonomy, religious freedom, and the use of her national tongue." 1212 Times, 17.8.1914, S. 9, vgl. Reynolds's, 16.8.1914, S. 5. 1213 Vgl. Reynolds's, 23.8.1914, S. 5: „If Germany and Austria could be beaten to the ground - as I hope and believe they will be - there must be some reconstruction of Europe; the map must be remade; and though perhaps it is too sanguine to hope for such a result, I do pray that in the reconstructed Europe this principle of nationality will be universally recognised." Selbst die „Befreiung" der Dänen wurde vorweggenommen. Vgl. Graphic, 17.8.1914, S. 4. 1214 Vgl. John Bull, 22.8.1914, S. 4, 10.3.1917, S. 10. Cook, Kaiser, S. 37. 1215 Daily News, 7.1.1918, S. 2, vgl. News of the World, 6.1.1918, S. 2.
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central powers."1216 Schon als Asquith noch Premier war, hatte sich dieser in ähnlichem Sinne geäußert.1217 Selbst die Evening News hob hervor, daß niemand eine Zerstörung Deutschlands als Nation wolle „but it is obviously necessary that the opportunity of doing again what she is doing now must be denied her."1218
5.2 Bestrafung der Aggressoren und Kriegsverbrecher Territoriale Veränderungen blieben keineswegs das einzige Kriegsziel. Schon vor Kriegsausbruch wurde die Forderung laut, daß Deutschland dafür bestraft werden müsse, den Krieg herbeigeführt zu haben. Es sei „evidently to Europe's interest to bring the war to speediest possible conclusion, and to force the Power that has wantonly risen against its brethren to pay the fullest penalty."1219 Der Daily Graphic schlug vor, auf eine neue Art den Frieden zu sichern: „The best way to secure the peace of the world is to prove to the peace-breaker that wars of aggression entail a terrible punishment for the aggressor."1220 Auch der Cambria Daily Leader betonte, daß die Pläne Deutschlands nicht nur durchkreuzt werden müßten, sondern auch deren Macher bestraft.1221 Bis ins letzte Kriegsjahr erstreckten sich diese Forderungen, als die Evening News zu ihren Bedingungen „the punishment of those 1ΊΉ
who have deliberately violated the law of nations" zählte. Lange vor den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg wollten verschiedene Zeitungen also, daß nicht nur die Verantwortlichen für bestimmte Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen würden, sondern auch diejenigen, die in den Augen der Zeitungen für den Kriegsausbruch verantwortlich waren. Auch wenn dieser Punkt nach dem Ende der Kampfhandlungen keine Umsetzung erfuhr, so war der spätere Anklagepunkt „Verbrechen gegen den Frieden" aus den Jahren 1945/46 bereits Teil der Kriegszieldiskussion des Ersten Weltkrieges. Daß individuelle Kriegsverbrechen ebenfalls geahndet werden sollten, ergab sich allein aus dem Kriegsverlauf. Besonders Wilhelm II. wurde große Schuld angelastet. Allein schon wegen seiner Rolle während des Kriegsausbruchs wurde verlangt, seine Regierungszeit zu beenden. So forderte der Daily Mirror am 11. August „An End to Kaiserism"1223. Der Daily Express erinnerte an das Schicksal Napoleons. Der Krieg werde erst beendet sein, „when the Kaiser Wilhelm [...] is either himself dead or a 12.6
South Wales Daily News, 7.1.1918, S. 2.
12.7
Vgl. Herald, 15.4.1916, S. 1; siehe z.B. auch Scotsman, 30.11.1917, S. 4.
12.8
Evening News, 1.1.1918, S. 2. Daily Express, 3.8.1914, S. 4, vgl. Lloyd's, 9.8.1914, S. 8: „Theirs [Austria's and Germany's] is the crime and theirs will be the punishment." 16.8.1914, S. 8; Guardian, 24.8.1914, S. 4.
1219
1220
Graphic, 24.1.1917, S. 4, vgl. 13.9.1918, S. 2.
1221
Vgl. Cambria Daily Leader, 3.2.1915, S. 4. Evening News, 7.1.1918, S. 2. Mirror, 11.8.1914, S. 5, vgl. Daily Mail. 8.8.1914, S. 2.
1222 1223
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permanent prisoner in some distant island of the seas"1224. Selbst die Daily News drückt die Hoffnung aus, daß die Hohenzollern „will join the rubbish heap of the Bourbons and Napoleons" 1225 . Es sei offenkundig geworden „that this pocket edition of that terrible man [Napoleon] must be rounded up and done for as a mad dog has to be knocked on the head."1226 Verschärft wurden die Forderungen beispielsweise nach dem Untergang der Lusitania: „[...] the Kaiser and his naval and military staffs must be surrendered and put on trial as common criminals, and not as soldiers or as privileged persons."1227 Nicht nur in seiner Funktion als oberster deutscher Kriegsherr, sondern vor allem wegen der - vermeintlichen - Verantwortung fur konkrete Einzelfalle, wie zum Beispiel der Hinrichtung der Krankenschwester Cavell, wurde der Kaiser zum personifizierten Feindbild aufgebaut. So ist es nicht verwunderlich, daß auch seine Herrschaft schnell ins Visier der Kriegsziele rückte: „We must smash the dynasty"1228. Auch in der zeitgenössischen Literatur wurde dies übernommen. Für diese Ziele gewannen die Zeitungen so bekannte Anhänger wie George Bernard Shaw, der ebenfalls dafür eintrat „to smash Hohenzollernism". Er wollte aber zugleich „discredit and if possible destroy the British equivalent"1230. Der Observer forderte als Bedingung für einen Friedensschluß die Auslieferung der „miscreants responsible for unnumbered atrocities"1231. Über den Kaiser hinaus stellte seine angeblich engste Gefolgschaft das größte Feindbild dar - der „Prussian militarism"1232. Dies wurde während des ganzen Krieges in verschiedenen Facetten aufrechterhalten.1233 Nach dessen Niederlage sei das Ziel „to restore order and respect for public law, to protect the weak, to repress atrocious inhumanity"1234. Eine genaue Definition, was der „Prussian militarism" sei, wurde nicht gegeben. Dies war auf der einen Seite so klar, daß eine Erläuterung nicht gegeben werden mußte, andererseits war es so vage, daß eine genaue Beschreibung gar nicht gegeben werden konnte. Es wurde lediglich verdeutlicht, daß es sich um ein „murderous thing"1235 handle, das sich auch nach über drei Kriegsjahren nicht geändert habe. Parallel dazu lief die Warnung: „If German militarism is not smashed in the course of this war it never will be smashed, and until it is smashed it must be puerile to talk of a peace
1224
Daily Express, 21.8.1914, S. 2.
1225
Daily News, 22.8.1914, S. 4. Reynolds's, 30.8.1914, S. 2.
1226 1227
Sketch, 10.5.1915, S. 2, vgl. Star, 15.5.1915, S. 3.
1228
Glasgow Herald, 31.7.1916, S. 6, vgl. Yorkshire Post, 26.12.1916, S. 4; People, 30.12.1917, S. 1; Graphic, 19.5.1915, S. 4; Daily Express, 23.6.1917, S. 2.
1229 1230 1231
Vgl. Cook, Kaiser, S. 87, Harrison, Austin: The Kaiser's War, London 1914, S. 251. UL, BLPES, ARR, A. G. Gardiner Papers, 1/32, Shaw an Gardiner am 28.12.1916. Observer, 20.7.1916, S. 6.
1232
Daily Mail, 12.9.1914, S. 4, vgl. B'ham Post, 1.1.1915, S. 6; Reynolds's, 6.1.1918, S. 1.
1233
Vgl. Daily Mail, 4.8.1916, S. 4; News of the World, 1.7.1917, S. 4.
1234
Daily Mail, 4.8.1916, S. 4. Evening News, 8.12.1917, S. 2.
1235
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to be negotiated by the representatives of the German democracy." 1236 Der Daily Sketch erweiterte dies zur Forderung nach der „destruction of Germany's power for evil."
5.3 Moralische Ziele Einen großen Raum nahmen auch die selbst auferlegten moralischen Ansprüche der Alliierten ein. So war in den Augen der Times ein zu verfolgendes Ziel „peace with honour" 1238 . In der Daily News verlieh am 10. August 1914 der Herausgeber der Zeitung Nation, Massingham, der Hoffnung Ausdruck, daß nach dem Sieg „possibly even a disarmed or lightly armed Europe, may accrue from a compact among those Powers whose capacity for civilisation is sufficiently developed." 1239 Der Schriftsteller Η. G. Wells brachte dies auf die Formel: „The War that will end War." 1240 Um die weitreichenden Ambitionen der Alliierten zu verdeutlichen, wurde auch von journalistischen Scharfmachern gerne auf die pazifistischen Ziele von Männern wie Wells zurückgegriffen. Dessen Hoffnung war es: „For this is now a war for peace. It aims straight at disarmament." 1241 Außerdem betonte Wells: „[...] we are fighting without any hatred of the German people. We do not intend to destroy either their freedom or their unity. But we have to destroy an evil system of government" 1242 . Am Ende des Krieges solle „a solid peace" 1243 stehen. Der Krieg werde gefuhrt, um eine Wiederholung zu verhindern: „No Next Time." 1244 Das Ziel der Alliierten sei Justice to all peoples and nationalities." 1245 Die Daily News baute in Anlehnung an den amerikanischen Präsidenten darauf: „The world as a whole must be made safe for democracy." 1246 Dennoch war die Forderung des Star, diejenigen Kräfte in Deutschland zu unterstützen, die für die Demokratisierung des Landes einträten, sehr ungewöhnlich: „Let us in every way hasten the growth of an understanding between the Germans who are fighting for German liberty and the free nations who are fighting against Prussian tyranny." 1247
1236
Western Mail, 6.6.1918, S. 2.
1237
Sketch, 5.8.1915, S. 5.
1238
Times, 6.8.1914, S. 7.
1239
Daily News, 10.8.1914, S. 4.
1240
Daily News, 14.8.1914, S. 4. In der Daily News, 17.8.1914, S. 5 hieß es: , A War for Progress of Humanity." Vgl. Ponsonby, Falsehood, S. 164.
1241 1242 1243 1244 1245 1246 1247
Wells, War, S. 11. Wells, War, S. 8. People, 6.8.1916, S. 8. Graphic, 6.8.1917, S. 4, vgl. Times, 6.8.1917, S. 7; Westminster Gazette, 3.8.1918, S. 1. Daily Express, 10.1.1918, S. 2. Daily News, 18.12.1917, S. 2. Star, 27.7.1917, S. 2.
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5.4 Siegfrieden Bereits kurz nach Kriegsbeginn wurde das zentrale Kriegsziel formuliert, wie es in den Zeitungen vertreten wurde: „This is a fight to an absolute finish."1248 Während des ganzen Krieges wurde dies immer wieder betont.1249 Auch wenn die militärische Lage nicht so gut aussah, gab es keine Frage „that there can be no peace until Germany is effectively defeated."1250 Der Kampf müsse bis zur deutschen Niederlage fortgesetzt werden1251, auch wenn diese noch nicht in Sicht sei. Es könne keinen permanenten Frieden auf der Welt geben „until the German Empire is decisively beaten of the battlefield!"1253 Der dafür zu bezahlende Preis spiele keine Rolle: „We must and shall win at any cost."1254 Die ganze Nation stehe hinter Lloyd George „and is prepared to fight, as it must fight, to the bitter end"1255. Der Observer lehnte den „Peace in a Pickelhaube"1256 ab. Diese Forderung unterstützten auch seriöse Zeitungen wie die Westerminster Gazette. 1257 Der Daily Sketch setzte sich bereits 1916 für eine Formel ein, die sich in dieser Form erst im Zweiten Weltkrieg durchsetzte: „Germany must surrender unconditionally!"1258 Nach dem Sieg werde genug Zeit für Friedensgespräche sein.1259 Eine Verhandlungslösung Schloß dies aus. Hinsichtlich eines deutschen Mitspracherechtes zur Beendigung äußerten sich die Zeitungen einheitlich: „[...] in the terms of settlement there can be no compromise."1260 Schärfer drückte sich John Bull aus: „Peace without Mercy."1261 Solche Forderungen beschränkten sich aber keineswegs auf diese extremistische Wochenzeitung. Auch der vor dem Krieg so deutschfreundliche Daily Chronicle ließ keine Zweifel aufkommen: „Nobody suggests that we should do well to conclude peace except on our terms, and nobody supposes that Germany's terms are likely at the present moment to bear."1262 Ein vorzeitiger Friedensschluß komme
1248
People, 20.9.1914, S. 10, vgl. Scotsman, 29.9.1916, S. 4; Graphic, 29.9.1916, S. 4; Glasgow Herald, 29.9.1916, S. 6. 1249 Vgl. John Bull, 3.2.1917, S. 15. 1250 Graphic, 11.6.1918, S. 2. 1251 Vgl. Reynolds's, 5.9.1915, S. 1, 9.1.1916, S. 1; Mirror, 10.12.1917, S. 6. 1252 Vgl. Evening Express, 29.9.1916, S. 2; Sketch, 6.8.1917, S. 5. 1253 Daily Express, 23.6.1917, S. 2, vgl. News of the World, 1.10.1916, S. 6; People, 30.12.1917, S. 1. 1254 News of the World, 19.9.1915, S. 6. 1255 Β'ham Post, 7.1.1918. S. 4, vgl. South Wales Daily News, 18.12.1916, S. 4; Glasgow Herald, 9.12.1914, S. 6,6.6.1916, S. 4; Graphic, 8.12.1916, S. 4; Daily Express, 2.7.1917, S. 2,5.8.1918, S. 2. 1256 Observer, 17.12.1916, S. 8. 1257 Vgl. Westminster Gazette, 30.5.1916, S. 7. 1258 Sketch, 22.12.1916, S. 5. 1259 Vgl. People, 13.1.1918, S. 6. 1260 Western Mail, 5.8.1915, S. 4, vgl. South Wales Daily News, 25.10.1915, S. 4. 1261 John Bull, 13.3.1915, S. 6. 1262 Chronicle, 14.12.1916, S. 4.
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deshalb nicht in Frage. Anders als bei früheren Friedensschlüssen wurde eine Beteiligung Deutschlands an den Friedensverhandlungen oft ausgeschlossen: „When a criminal is brought to trial, it is not usual to admit him to equal status with judge and jury."1264 Lediglich für den Fall, daß sich Deutschland von Grund auf wandeln sollte, könne dies einen gewissen Einfluß auf die Friedensbedingungen nehmen: „More clearly than ever, the Allies notify that they are always ready for peace with the German people, if and when they will bring themselves into line with the rest of the civilised world, but peace with Kaiserdom, peace with the unneighbourly system which makes statecraft an endless gabbing and plotting, and policy an incessant planning of the next war, is at this moment more than ever impossible."1265 Neben den Zeitungen erhoben auch Politiker diese Forderung.1266 Insbesondere auf den amerikanischen Präsidenten Wilson wurde in diesem Zusammenhang verwiesen.1267 Im Laufe des Krieges kristallisierte sich eine kurze, prägnante Formulierung für die alliierten Kriegsziele heraus. Immer wieder wurde dabei auf die Reden von Politikern verwiesen. So ließ die Daily Mail keinen Zweifel daran „that we seek adequate reparation for the past and adequate security for the future'"126*, wie es Premierminister Asquith und später sein Nachfolger Lloyd George versichert hatten. Fast unablässig tauchten Formulierungen wie „Penalties, Reparation and Guarantees"1269 auf. Eine alternative Ausdrucksweise lautete: „[...] the Allies are fighting for Restitution, for Reparation, and for Security"1270. Beide Forderungen meinten prinzipiell dasselbe. Es ging um die Räumung der von Deutschland besetzen Gebiete, um die Garantie, daß die Staatenwelt vor einer weiteren Aggression Deutschlands in der Zukunft besser geschützt würde, um die Bestrafung der Verantwortlichen auf deutscher Seite sowie die Entschädigungsleistungen für die entstandenen Zerstörungen und Opfer. Auch hier ist darauf zu achten, daß die Zeitungen der verschiedenen politischen Richtungen übereinstimmten.1271 Allein der sozialistische {Daily) Herald war deutlich zurückhaltender, der extreme John Bull weitaus fordernder. Er wollte „Annexation, Restitution, Indemnities, Retribution and Guarantees"1272. Am unmißverständlichsten war seine Forderung: „Never Again! -
1263
Vgl. B'ham Post, 15.12.1917, S. 4. Graphic, 16.8.1918, S. 2. 1265 Westminster Gazette, 4.4.1917, S. 1. 1266 Vgl. Telegraph, 23.7.1917, S. 6; Sketch, 12.7.1917, S. 5; Westminster Gazette, 23.7.1917, S. 1. 1267 Vgl. Irish Independent, 30.8.1917, S. 2. 1268 Daily Mail, 15.12.1916, S. 4, vgl. Liverpool Daily Post, 15.12.1916, S. 4; Observer, 17.12.1916, S. 8; Westminster Gazette, 15.12.1916, S. 1. 1269 News of the World, 31.12.1916, S. 1, vgl. Daily Mail, 22.12.1916, S. 4. 1270 Daily Express, 29.12.1917, S. 2, Hervorhebung im Original. 1271 Vgl. Sketch, 13.12.1916, S. 3; Chronicle, 28.12.1916, S. 4; B'ham Post, 20.12.1916, S. 4; Graphic, 20.12.1916, S. 4. 1272 John Bull, 2.6.1917, S. 11. 1264
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Not a vestige of the German Empire to be left." 1273 Schon lange vor der „KnockOut" 1274 -Erklärung vertrat also der Großteil der britischen Presse diese Forderung. Ein wesentliches Ziel, das in der Presse vertreten wurde, war somit die dauerhafte Sicherheit Europas vor Deutschland. Neben der belgischen Unabhängigkeit müsse dazu auch die Hollands und Frankreichs gewahrt bleiben. 1275 Die von Deutschland ausgehende Gefahr müsse ebenso beseitigt werden wie die Flottenrivalität mit England. 1276 Je nach der sozialen Herkunft wurde dies der Leserschaft in unterschiedlichen Formulierungen nahegebracht. Dies reichte von den Konservativen über deren gemäßigten Flügel bis zu den Liberalen. 1277
5.5 Mäßigende Stimmen Verschiedentlich wurde die Unzufriedenheit darüber ausgedrückt, daß die alliierten Kriegsziele zu vage seien. So forderte der Herald den Premier auf: „He must tell us what we are fighting for.Auch in den Reihen der Journalisten wurde die Kriegszielpolitik der Regierung nicht überall verstanden. So schrieb Dell an seine Tocher: „Nobody even knows what she [the Government] wants, - apparently to 'punish Germany', an edifying but unpractical object." 1279 Mäßigende Stimmen in der Kriegszieldiskussion waren aber selten zu finden. Den Grund hierfür erläutert Spender in seinen Memoiren. Seine Westerminster Gazette mußte sich bereits für die Worte „that our object in going to war was not, as it alleged [by a German newspaper], to humiliate and destroy Germany, but to establish law and freedom against German militarism" 1280 schwere Vorwürfe gefallen lassen. Dennoch waren nicht alle Journalisten auf einen für Deutschland demütigenden Siegfrieden aus. So drückte C.P. Scott schon am 15. November 1914 seine Sorgen gegenüber dem späteren israelischen Staatspräsidenten Chaijim Weizmann aus: „[...] it would be a great mistake to create a Germania irredenta." 1281 Auch Wells betonte zu Kriegsbeginn: „We are fighting Germany. But we are fighting without any hatred of the
1273
John Bull, 22.8.1914, S. 4. Newton, Peace Letter, S. 38. 1275 Vgl. Daily Mail, 6.8.1914, S. 7; Mirror, 5.8.1914, S. 5. 1276 Vgl. John Bull, 8.8.1914, S. 6 „It [the Government] would undoubtfully avail itself of the crisis to get rid, once and for all, of the German menace." 1277 Vgl. Daily Mail, 25.8.1914, S. 4; Telegraph, 15.8.1914, S. 7; Sketch, 28.8.1914, S. 5; Lloyd's, 16.8.1914, S. 8, 30.8.1914, S. 10: „Germany must be met at every turn and beaten to her knees, and everyone who can must help." 1278 Herald, 6.11.1915, S. 9, Hervorhebung im Original, vgl. Herald, 15.1.1916, S. 4. 1279 UL, BLPES, ARR, Robert Dell Papers 1/4, 18, Robert Dell an Sylvia Dell am 22.10.1915. 1280 Spender, Life, Bd. 2, S. 22. 1281 MGA/A/W35/2a, Scott an Weizmann am 15.11.1914, vgl. z.B. Guardian, 26.12.1916, S. 4. 1274
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German people." Die Forderung der Westerminster Gazette nach einer Konferenz am Ende des Krieges unter Einschluß aller kriegführenden und neutralen Mächte „to reestablish the law of nations on a sound basis"1283 stieß aber kaum auf Gegenliebe. Allein der Herald betrachtete die Hintergründe des Krieges wesentlich differenzierter als die meisten Zeitungen. Bereits kurz nachdem er sein Erscheinen auf einmal wöchentlich einschränken mußte, warnte er vor einer zu großen Verallgemeinerung. Das Ziel könne nicht sein, nur den Krieg zu gewinnen und den Frieden zu diktieren. Der Militarismus in Deutschland würde dennoch bleiben. Dabei sei zu beachten, daß fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung vor dem Krieg den Militarismus abgelehnt hätte. Der größere Teil der anderen Hälfte habe sich durch die überwältigende Überlegenheit der britischen Marine und die Größe der russischen Armee irreführen lassen. Deshalb sei Vorsicht geboten: „A nation which has seen its provinces torn from it by conquest will not feel that right and law have won." Es gebe nur einen Weg: „By making a settlement in which the better mind of the German people will see not merely a victory for the Allied Armies, but a triumph for European idealism."1284 Die Aufgabe „of dismembering Germany and deposing the Kaiser" hielt er fur „barbaric frivolity. The Germans, in the old phrase of the French revolution, must be free to 'choose their governors.'" 1285 Dabei sparte er auch nicht mit Kritik an den Hardlinern der konservativen Presse: „It is so easy to sit in an arm-chair and roar for ruthlessness!"1286 Selbst der Re-Annexion Elsaß-Lothringens durch Frankreich stand der Herald skeptisch gegenüber. Er empfahl eine Volksabstimmung: „We can all see that the peace of Europe was undermined for a generation because Bismarck carried out that annexation by force. It needs little imagination to realise that the peace of Europe may be endangered for a generation to come if the annexation is undone by force."1287 Für die Zeit nach dem Krieg betonte der Herald sogar: „[...] we know that the only guarantee of permanent peace is not the crushing of one set of armaments [...] but disarmament all round."1288 Ebenfalls am Friedenswillen der Alliierten zweifelte die sozialistische Zeitung nach der Verabschiedung der Friedensresolution des deutschen Reichstages im Juli 1917: „We can have peace without conquests to-morrow, if that is what we want. But is it? There stand in the way claims of annexation - French, Italian, and British - which have not behind them even the justification of nationality."1289 Trotz dieser zum Teil sehr scharfen Kritik an den Zielen der meisten anderen Zeitungen und der Regierung ist darauf zu achten, daß sich auch der Herald den zentralen
1282
Wells, War, S. 8. Westminster Gazette, 26.2.1916, S. 1. 1284 Herald, 3.10.1914, S. 7. 1285 Herald, 10.10.1914, S. 7. 1286 Herald, 11.12.1915, S. 9. 1287 Herald, 26.5.1917, S. 7. 1288 Herald, 13.11.1915, S. 9. 1289 Herald, 4.8.1917, S. 9. 1283
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Kriegszielforderungen nicht verschließen konnte. Vor der Räumung Belgiens und Frankreichs könne es keine Friedensgespräche geben. Dazu: „We have said that we desire no dishonourable peace."1290
5.6 Bilanz Durch die aufgezeigten Stellungnahmen zur Kriegszielpolitik wird klar, daß bereits im August 1914 wesentliche Elemente des späteren Versailler Vertrages zur Sprache gebracht wurden. Wie in vielen vorangegangenen Kriegen stellte ein wichtiges Ziel die Aufrechterhaltung der balance of power dar. Sie fehlte auch nicht bei der Behandlung der alliierten Kriegsziele.1291 Darüber hinaus ist an erster Stelle die Forderung nach territorialen Veränderungen zu nennen. So gab es einen weitreichenden Konsens, daß über den Verbleib Elsaß-Lothringens zumindest eine Volksabstimmung abgehalten werden müsse. Oft genug wurde aber auch eine unverzügliche Rückgabe gefordert, da die Annexion durch Deutschland ebenso vonstatten gegangen sei. Im Osten wurde mit einer Restauration Polens und damit verbundenen Gebietsverlusten Preußens und Österreichs gerechnet. Auf dem Balkan sollte ein neues Großserbien das spätere Jugoslawien - entstehen. Sämtliche dieser Ideen wurden bei den Pariser Friedensverträgen in ähnlicher Form durchgeführt. Auch die Absetzung des Kaisers wurde bereits ab August 1914 propagiert. Dasselbe gilt für die Brechung der deutschen Land- und Seemacht. Dies wurde später durch die Bestimmungen zum 100.000-Mann Heer und durch die Auslieferung der deutschen Hochseeflotte umgesetzt. In engem Zusammenhang damit standen konkrete Vorstellungen für die Nachkriegsregelungen im Falle eines alliierten Sieges. Dabei wurde über die Beschneidung der wirtschaftlichen Macht Deutschlands nachgedacht. Von einer Uneigennützigkeit der Briten kann keineswegs gesprochen werden. So wurde bereits am 24. August von Plänen berichtet, wonach der Patentschutz für deutsche Produkte aufgehoben werden solle. Damit sollte die monopolartige Übermacht Deutschlands auf dem Chemiesektor gebrochen werden.1292 Im August 1914 wurde weiterhin betont, daß das Vereinigte Königreich zur Wahrung der balance of power und wegen der Heiligkeit der Verträge, zur Wahrung der Integrität Belgiens und zum reinen Selbstschutz in den Krieg gezogen sei. Die obigen Forderungen zeigen aber auch, daß schon im August 1914 eine Abkehr von den „ehrenhaften" Interventionsgründen Englands zu beobachten ist.1293 Die Friedensbedingungen des Versailler Vertrages fanden bereits zu diesem Zeitpunkt ihren Ursprung. Sie sind nicht
1290
Herald, 8.5.1915, S. 9.
12,1
Vgl. Times, 4.12.1914, S. 9.
1292
Vgl. Daily Express, 24.8.1914, S. 2.
12,3
Vgl. Gebele, Probleme, S. 11-16.
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nur auf die hohen Verluste während des Krieges zurückzufuhren. 1294 Wie weit die journalistische Verrohung fortgeschritten war, kann anhand der Liverpool Daily Post gezeigt werden. Mit der Forderung ,,[t]he killing of Germans is the only way to peace" 1295 wurde das Töten von Gegnern zum Kriegsziel erhoben. Darüber hinaus mußte der englischen Führung klar sein, daß solche Vorstellungen den Weg zu einem Verständigungsfrieden verbauen würden. Zudem konnte nicht davon ausgegangen werden, daß sich die deutsche Seite ohne den größtmöglichen Widerstand beugen würde. Dies gilt um so mehr, als auch Bedingungen zu erwarten waren, die auf falschen Voraussetzungen beruhten. Zu denken ist hier an die Darstellung des Kaisers als Verantwortlicher fur den Kriegsausbruch und als Kriegsverbrecher. Selbst von englischer Seite wurde nach dem Krieg eingeräumt, daß diese Behauptung nicht richtig war. Kriegsziele auf dieser Basis zu formulieren, mußte den deutschen Widerstandswillen weiter stärken. Somit lief alles auf die bedingungslose Kapitulation des Gegners hinaus. Schon im August 1914 hatten auch die Engländer ihren Beitrag dazu geleistet, daß der Konflikt weiter ausartete, so daß er nur durch einen Siegfrieden entschieden werden konnte. 1296 Derartige Forderungen können mit den aggressiven Kriegszielen verglichen werden, die Fritz Fischer für Deutschland dargelegt hat. Der Historiker hat auf der Grundlage deutscher Kriegsziele nach Kriegsausbruch auf Deutschlands Hauptschuld an diesem geschlossen. 1297 Eine aggressive deutsche Kriegszielpolitik schon vor dem Ausbruch des Konflikts 1914 konnte Fischer dagegen nie nachweisen. 1298 Zudem hatte er keinen Vergleich zwischen den Kriegszielen der Mächte angestrengt. 1299 Tatsächlich hatte das Septemberprogramm von 1914 deutlich gemacht, daß ein deutscher Sieg fur die Verlierer harte Friedensbedingungen zur Folge gehabt hätte. 1300 Wie hier belegt werden konnte, unterschieden sich diese jedoch zwischen Großbritannien und Deutschland kaum. Auch die Briten wollten eine dauerhafte Schwächung des Kriegsgegners. Dazu gehörten militärische Maßnahmen, wirtschaftliche Beschränkungen und vor allem eine territoriale Neuordnung. Auf eine aggressive Vorkriegspolitik oder gar eine fahrlässige Herbeiführung des Krieges durch England kann dadurch jedoch nicht geschlossen werden.
1294
Vgl. Gebele, Probleme, S. 11. Liverpool Daily Post, 23.9.1916, S. 4. 1296 Vgl. z.B. Sketch, 28.8.1914, S. 5: „This, as I have said again and again, is not a war which will end in a treaty and the payment of a lump sum. It will, it must, end in the absolute beating down of one or other of the antagonists." 1297 Vgl. Fischer, Weltmacht, ders., Krieg der Illusionen. 1298 Vgl. Ferguson, Pity, S. 170. 1299 Vgl. Soutou, Georges-Henri: Die Kriegsziele des Deutschen Reiches, Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten während des Ersten Weltkrieges: ein Vergleich, in: Michalka, Wolfgang (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung. Wahrnehmung. Analyse, hg. im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, München, Zürich 1994, S. 28-53, hier S. 28. 1300 Vgl. Winter, Jay/Parker, Geoffrey/Habeck, Mary: Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert, Hamburg 2002, S. 31. 1295
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Die Gefahren der emotionalen Kriegszieldebatte wurden dabei durchaus erkannt. So legte George Cadbury, der Besitzer der Daily News, seinem Herausgeber Gardiner nahe, daß vor dem Friedensschluß „we must if possible educate men to think." Dabei betonte er: „[...] shall be doing not only a national but a world-wide good if the terms of settlement are such that it can be seen we have acted disinterestedly in the whole affair." In weiser Voraussicht warnte er vor möglichen Folgen: „To unduly humiliate Germany would simply be to lead to another war in time to come, if we can be guided by history in the past." 1301 Doch nicht nur der pazifistische Quäker Cadbury hatte die Problematik erkannt. Selbst die Times, die durchaus zu den antideutschen Scharfmachern zu zählen ist, warnte: „The settlement after the war must not bear in itself the seed of future war." 1302 Dazu zählte sie auch, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht nur für die Slawen, sondern auch fur die deutschsprachigen Österreicher gelten müsse. Wie der Historiker Müller richtig festgestellt hat, gewann die radikale Rechte für ihre Kriegszielpolitik nur wenige Anhänger. 1303 Dies bedeutet aber nicht, daß nicht schon die maßvolleren Zeitungen sehr weitreichende Ambitionen verfolgten. Angesichts chauvinistischer Äußerungen auf alliierter Seite sind Sorgen wie die des Pariser Korrespondenten des Manchester Guardian wenig verwunderlich: „I am convinced that a decisive victory of the Allies would be only less dangerous than a German victory." 1304 Die offene Kritik an den Forderungen hielt sich jedoch sehr in Grenzen. Lediglich der ehemalige Daily Herald äußerte sein Mißfallen massiv. Hatte er vor dem Krieg das deutsche Herrschaftssystem am deutlichsten kritisiert, so war er es, der betonte, daß die Wahl seines Regierungssystems eine Sache des deutschen Volkes sei. Daß der Herald als einziges Blatt mit dieser Schärfe gegen maßlose Kriegsziele eintrat, ist leicht erklärt. Der Vorwurf der Deutschfreundlichkeit wurde allzu leicht erhoben, der Kreis der potentiellen Verräter erweitert. Außerdem sahen auch die gemäßigten Journalisten schnell die Gefahr, die eventuelle Friedensgespräche für die Moral der kämpfenden Truppe und der Bevölkerung mit sich bringen könnten. Zurückhaltende Kriegsziele konnten deshalb den Weg in die öffentliche Diskussion kaum finden. Dies sollte eine große Rolle spielen, als der Krieg im Sommer 1918 eine entscheidende Wende nahm.
1301
UL. BLPES, ARR, A. G. Gardiner Papers, 1/8, George Cadbury an Gardiner am 21.12.1914. Times, 7.1.1918, S. 7. 1303 Vgl. Müller, Nation, S. 206. 1304 MGA/204/37a, Robert Dell an C.P. Scott am 9.4.1915. 1302
Kapitel 6: Kriegsende und Neubeginn
1. Die militärische Niederlage Deutschlands Nachdem die Großoffensiven an der Westfront zwischen März und Juli 1918 trotz einzelner Erfolge der deutschen Truppen nicht zum Sieg über die Alliierten geführt hatten, erholten sich diese nicht zuletzt durch den zunehmenden Einsatz amerikanischer Truppen von ihren Rückschlägen. Erstmals seit langem wurden im Juli wieder hohe Zahlen deutscher Gefangener gemeldet.1 Vor allem Anfang August häuften sich dann die Berichte über deutsche Rückschläge und alliierte Vorstöße. Als „Schwarzer Tag des deutschen Heeres" ging der 8. August in die Geschichte ein. Tatsächlich berichtete die Daily News am folgenden Tag von großen alliierten Erfolgen.2 Wie die meisten anderen Meldungen aus dieser Zeit unterschieden sich diese aber kaum von so vielen Berichten aus den Jahren zuvor. Schon am 2. August wurde einmal mehr vom „Turning Point of War"3 oder „The Turn of the Tide"4 gesprochen. Wie so oft hatte mit dem Cambria Daily Leader Anfang August 1918 eine Zeitung gehofft: „[...] we are in the last year of war."5 Auch danach ähnelten sich die Siegesmeldungen. So hieß es „British Still Advancing"6, „Big Advance of the British"7 oder „Further Sweeping Allied Gains."8 Anfang September wurde dann gemeldet: „Hindenburg Line Broken."9 Erst zu diesem Zeitpunkt ist ein deutlicher Umschwung in der Berichterstattung festzustellen. So ist es auf den ersten Blick nichts ungewöhnliches, daß die Irish Times Ende August behauptete, Gebiete seien unter relativ geringen Verlusten erobert worden. Ungewöhnlich ist dagegen, daß eine konkrete Zahl - 116 Quadratmeilen - genannt wurde. Zudem sei der Erfolg innerhalb einer Woche erzielt ' Vgl. Evening Express, 20.7.1918, S. 3. Vgl. Daily News, 9.8.1918, S. 4; Daily Express, 9.8.1918, S. 1. 'Cambria Daily Leader, 2.8.1918, S. 1. 4 Star, 3.8.1918, S. 2. 5 Cambria Daily Leader, 3.8.1918, S. 2. 6 Daily News, 26.8.1918, S. 1. 7 Western Mail, 22.8.1918, S. 3, vgl. Observer, 25.8.1918, S. 5. 8 Irish Independent, 10.8.1918, S. 5. 'Chronicle, 3.9.1918, S. 1. 2
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worden. Dies wurde in Relation zur vermeintlich erfolgreichen Großoffensive vom Sommer 1916 gesetzt, bei der innerhalb von vier Monaten unter viel höheren Verlusten nur 44 Quadratmeilen erobert worden seien.10 Obwohl Boulevardblätter schon oft vom bevorstehenden Sieg gesprochen hatten, waren vor allem seriöse liberale Zeitungen wie die Westminster Gazette damit eher zurückhaltend. Um so bedeutender ist ihr Meinungsumschwung im Spätsommer 1918. Nun maß auch sie den Ereignissen mehr Bedeutung bei: „We Speak Openly of Victory."11 Dies signalisierte den Lesern einen wirklich gravierenden Wandel der militärischen Lage. Während Blücher zur Zeit der napoleonischen Kriege „Marshall Forward" genannt worden sei, sei es nun an der Zeit, Hindenburg „Marschall Backwards"12 zu nennen. Immer offener wurde von der prekären militärischen Lage der deutschen Armee berichtet: „Germany's collapse may be nearer than we have thought"13. Mitte September verkündete Premierminister Lloyd George: „The Worst is Over."14 Die Glaubwürdigkeit dieser Meldungen wurde dadurch erhöht, daß ab Anfang August die Meldungen über die Anzahl deutscher Gefangener stetig zunahm. Beinahe täglich berichtete der Cambria Daily Leader im August zuerst von Tausenden, dann von Zehntausenden von gefangen genommenen Deutschen.15 Am 22. August war dann die Rede von 100.000 Mann innerhalb der vorangegangenen fünf Wochen.16 Dies verlief parallel in anderen Zeitungen.17 Dennoch verfiel die Presse keineswegs in eine Siegeseuphorie. Der Premier habe recht daran getan, die Soldaten daraufhinzuweisen, daß der Krieg noch nicht vorbei sei: „We fought not merely to clear the soil of those countries from the invader, but to secure the permanent conditions for our future peace and freedom." 18 Folgerichtig blieben die Zeitungen vorsichtig. Immer wieder wurde davon berichtet, daß sich der deutsche Widerstand verhärte, das Land noch nicht besiegt sei.19 Zwischendurch wurde auch nicht mehr verheimlicht, daß der deutsche Rückzug - vorerst - zum Stillstand gekommen sei.20 Ist es noch verständlich, daß im August 1918 davon berichtet wurde, der deutsche 21 Rückzug sei mit „tactical skill" ausgeführt worden, so zeigen die Warnungen aus dem 10
Vgl. Irish Times, 27.8.1918, S. 2; Scotsman, 27.8.1918, S. 4. " Westminster Gazette, 4.9.1918, S. 1. 12
Daily Express, 7.9.1918, S. 2.
13
Glasgow Herald, 28.9.1918, S. 4.
14
Scotsman, 13.9.1918, S. 4.
15
Vgl. Cambria Daily Leader, 9.8.1918, S. 1, 10.8.1918, S. 1, 12.8.1918, S. 1, 13.8.1918, S. 1.
16
Vgl. Cambria Daily Leader, 22.8.1918, S. 1. Vgl. z.B. Chronicle, 10.8.1918, S. 1; Daily News, 10.8.1918, S. 1.
17 18 19 20 21
Chronicle, 9.1.1919, S. 4. Vgl. z.B. Graphic, 9.9.1918, S. 5; Daily News, 12.8.1918, S. 1; Scotsman, 13.8.1918, S. 5. Vgl. Daily Express, 10.9.1918, S. 2. Scotsman, 5.8.1918, S. 4.
Kriegsende und Neubeginn
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Oktober 1918 wie wenig Vertrauen die Zeitungen in ihre eigenen Siegesmeldungen hatten. Am 19. des Monats hieß es im Daily Chronicle, der Krieg sei „by no means over, and may, if the enemy is fortunate, be prolonged a considerable distance into next year."22 Der „masterly retreat from the Mame [1914]"23 könne in größerem Umfang jederzeit wiederholt werden. Noch zwei Tage vor dem Waffenstillstand warnte die Birmingham Post, es gebe keinen Zweifel „that the German army can still offer stubborn resistance to the Allied attacks"24. Deutschland dürfe keinesfalls vertraut werden.25 Mit allen Mitteln zögere das Land das Kriegsende hinaus. In den Augen der Zeitungen spielten dabei mehrere Faktoren eine Rolle. Einerseits könne eine Neugruppierung deutscher Truppen in ausgebauten Stellungen erreicht werden.26 Andererseits wurde befurchtet, daß die Moral der alliierten Truppen untergraben werden könnte oder die Kriegsanstrengungen an der Heimatfront nachlassen würden.27 Als noch bedrohlicher wurde eine mögliche Spaltung der Alliierten empfunden. Immer wieder wurde vor der Verschlagenheit Deutschlands gewarnt. Deutschland wolle noch gar keinen Frieden. Die diesbezüglichen Initiativen würde anderen Zielen dienen: „Manifestly the enemy's real aim is to divide the Allies and weaken the forces which are proving too strong for them in the field." 28 Zudem sollte in den Augen der Times die Bestrafung des Kaisers und seiner Berater möglichst lange hinauszögert werden.29 Trotz dieser andauernden Warnungen nahmen die Siegesmeldungen im Oktober langsam definitive Züge an. Anders als während der längsten Zeit des Krieges, zeigten die Namen der eroberten Städte diesmal wirklich eine deutliche Veränderung der Frontlinie. Besonders die Eroberung von Cambrai30, das häufig nicht erreichte Ziel alliierter Angriffe und die Räumung der belgischen Kanalküste durch deutsche Truppen hinterließen einen tiefen Eindruck.31 Die deutschen Soldaten trennte von nun an mehr als nur die Nordsee von den britischen Inseln. Ungewöhnliche Ereignisse, wie die Ablösung General Ludendorffs32 oder die Kapitulation der deutschen Verbündeten, als erstes Bulgarien, erregten große Aufmerksamkeit.33 Die sei „The Beginning of the End."34
22
Chronicle, 19.10.1918, S. 2.
23
Daily Express, 10.10.1918, S. 2. Β'ham Post, 7.11.1918, S. 4.
24 25
Vgl. Telegraph, 16.9.1918, S. 6.
26
Vgl. Scotsman, 17.9.1918, S. 4; Daily News, 22.10.1918, S. 4. Vgl. Liverpool Daily Post, 21.10.1918, S. 4; Star, 25.10.1918, S. 4; Glasgow Herald, 22.10.1918, S. 4.
27 28
29 30
Irish Times, 17.9.1918, S. 2, vgl. Β'harn Post, 17.10.1918, S. 4; Evening News, 10.10.1918, S. 2; Star, 4.10.1918, S. 4. Vgl. Times, 22.10.1918, S. 7. Vgl. Irish Times, 10.10.1918, S. 2.
31
Vgl. Liverpool Daily Post, 18.10.1918, S. 4.
32
Vgl. Chronicle, 28.10.1918, S. 1. Vgl. Irish Independent, 1.10.1918, S. 2; Telegraph, 28.9.1918, S. 6.
33 34
Irish Times, 1.10.1918, S. 2.
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Plötzlich spielte das Wetter auch keine so große Rolle mehr: „Pursuit in heavy Rain." 35 Als bekannt wurde, daß die deutsche Delegation auf dem Weg sei36, die Waffenstillstandsbedingungen von Marschall Foch entgegenzunehmen, wurde die bevorstehende Einstellung der Kampfhandlungen langsam zur Gewißheit. Einen Bärendienst erwiesen sich die Zeitungen mit den Berichten über die Hintergründe der militärischen Niederlage. Bereits im September 1918 wurde festgestellt, daß innerhalb Deutschlands „the poison of mistrust has begun to spread." 37 Mit derartigen Meldungen leistete die britische Presse der sogenannten „Dolchstoßlegende" Vorschub, die die Niederlage der im Felde unbesiegten deutschen Truppen allein dem Zusammenbruch der Heimatfront zuschrieb. So stellte der Daily Sketch fest, daß es für die deutsche Armee weder ein Trafalgar noch ein Waterloo gegeben habe: „The German armies have not been rounded up, rolled up, or decisively defeated." Ein großer Teil der Truppen und der Marine sei intakt geblieben. Darüber hinaus wurde betont: „Not a single one of their leaders has made submission to Foch." 38 Auch die Daily News spielte den Anhängern der „Dolchstoßlegende" schon lange vor deren Erfindung in die Hände: „The causes which have brought the doom upon Germany so swiftly are not military causes alone. They are to be found in the grave internal condition of the country." 39 Am Tag des Waffenstillstandes Schloß sich der Daily Telegraph dem an: „The German home front has utterly collapsed." 40 Damit hatten verschiedene britische Zeitungen einen eigenartigen Beitrag zur Geschichtsklitterung deutscher Militärs geleistet.
2. Die Waffenstillstandsbedingungen Mit zunehmender Sicherheit über die bevorstehende deutsche Niederlage nahmen die Überlegungen über die Waffenstillstandsbedingungen zu. Dabei wurde die Diskussion über Friedensbedingungen noch im September 1918 von der britischen Regierung als Bedrohung für die Kriegsanstrengungen empfunden. So gab das Press Bureau im Auftrag des Foreign Office die Befürchtung weiter: „To allow it to be thought that any kind of peace with Bulgaria must have beneficial results would have a prejudicial effect on our relations with our Greek and Serbian Allies." 41 Die Zeitungen sollten dies deshalb unterlassen. Noch am 2. November 1918, also keine zwei Wochen vor der Unterzeichnung des Waffenstillstandes, hieß es: „[...] the publication of unauthorised terms of
35
Glasgow Herald, 7.11.1918, S. 5. Vgl. South Wales Daily News, 7.11.1918, S. 4. "Telegraph, 11.9.1918, S. 6. 38 Sketch, 14.11.1918, S. 7. 39 Daily News, 17.10.1918, S. 4, vgl. Cambria Daily Leader, 19.10.1918, S. 2. 1,0 Telegraph, 11.11.1918, S. 6. 41 PRO/T 1. 12137/6751, Press Bureau am 30.9.1918, Hervorhebung im Original. 36
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armistice with Germany and Austria, and all comment upon such terms, is very undesirable and should be avoided." 42 Wegen der Befolgung dieser Empfehlung herrschte über die wichtigste Forderung der Alliierten weitgehende Einigkeit. Es sei essentiell „that Germany should not be permitted to lay down her arms under conditions which would enable her to reopen the war should she fail subsequently to get peace terms to her liking." 43 Auch wenn Deutschland keine Hoffnung mehr auf den Sieg haben könne, habe das Land dennoch das Potential, weiteres Unheil anzurichten. Ein Rückzug intakter deutscher Armeen auf rückwärtige Verteidigungspositionen dürfe nicht gestattet werden. Die kaiserlichen Armeen dürften keinesfalls in der Lage sein, nach dem Waffenstillstand die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen. 44 Wenn dies gelänge, sei damit zu rechnen, daß sich das Land gegen die Abtretung Elsaß-Lothringens und die Zahlung von Reparationen zur Wehr setzen würde. 45 Treffend formulierte die Irish Times: „[...] the armistice, if Germany accepts it, must make her impotent in the field."46 Dabei sollte die Niederlage absolut sein: „[...] an unbeaten Germany will be a dangerous Germany, forming a rapidly increasing menace with the passing years" 47 . Selbst der gemäßigte Herald verlangte, daß die Waffenstillstandsbedingungen so gestaltet sein müßten, daß Deutschland die Kämpfe keinesfalls wieder aufnehmen könne. 48 Neben den Bedingungen eines Waffenstillstandes intensivierte sich angesichts des bevorstehenden Sieges auch die Kriegszieldiskussion. Wie bereits erläutert, war eine der Hauptforderungen die Zahlung umfangreicher Reparationen als finanzieller Ausgleich für die Kriegskosten der Alliierten. John Bull wollte schon im August 1918 10 Milliarden Pfund als Reparationsleistung. Wie lange die Zahlungen dauern würden, spielte für ihn keine Rolle. 49 Der Daily Graphic sprach zwei Monate später schon von 24 Milliarden. 50 Diese ohnehin massiven Forderungen verschärften sich nochmals nach Kriegsende. Die gängige Formulierung „Make Germany Pay" 51 fand vor allem vor den britischen Parlamentswahlen Mitte Dezember 1918 rege Verwendung. Die zu zahlenden Reparationen sollten nicht nur die reinen Kriegskosten, sondern beispielsweise auch die finanzielle Entschädigung für die Versenkung von Schiffen, die Zerstörung von
42 45 44
45 46 47 48 49 50 51
PRO/T 1. 12137/6751, Press Bureau am 2.11.1918. B'ham Post, 5.11.1918, S.4. Vgl. Yorkshire Post, 16.10.1918, S. 4; South Wales Daily News, 25.10.1918, S. 2; Chronicle, 14.10.1918, S. 2; Times, 8.11.1918, S. 7; Liverpool Daily Post, 12.11.1918, S. 4; Daily News, 28.10.1918, S. 4. Vgl. Western Mail, 14.10.1918, S. 2. Irish Times, 7.11.1918, S. 2. Western Mail, 7.10.1918, S. 2, vgl. 25.10.1918, S. 4; Observer, 20.10.1918, S. 6. Vgl. Herald, 2.11.1918, S. 5. Vgl. John Bull, 12.10.1918, S. 6f. Vgl. Graphic, 12.12.1918, S. 5. Evening News, 2.12.1918, S. 2, vgl. Times, 9.12.1918, S. 9.
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Häusern oder die Versorgung von Kriegsversehrten oder Hinterbliebenen gefallener Soldaten umfassen. Die Formulierung Lloyd Georges, daß Deutschland „up to the limit of her capacity" zahlen müsse, fand Zustimmung beim Daily Telegraph: „In war, as in litigation, the loser pays." 53 Auch die meisten anderen Zeitungen ließen keinen Zweifel daran, daß Deutschland für die Kriegskosten aufkommen müsse. 54 Zum Glück gebe es für Reparationen auch andere Möglichkeiten als nur Barzahlung. 55 Selbst gemäßigte Stimmen waren in ihrer Vorstellung eindeutig. So versicherte die Yorkshire Post zwar, daß es keine Absicht gebe „to impose upon Germany such an indemnity as would cover the expenditure which she has forced upon the Allies in defending their liberties and those of humanity against her wanton aggression." Diese Kosten könnten ohnehin von niemandem bezahlt werden. Dennoch: „The Allies would be themselves criminal if they did not demand compensation for destruction of the kind." 56 Die Forderungen wurden dabei als absolut legitim dargestellt. Als Beispiel wurde an den Krieg von 1870/71 erinnert: „That the loser should pay was the axiom laid down by Bismarck" 57 . Daß die deutsche Seite zu dieser Zeit bereit gewesen war, ihre ursprünglichen Forderungen zu reduzieren, was der Daily Telegraph sogar der britischen Diplomatie zuschrieb 58 , wurde nicht thematisiert. Dies hätte nicht ins Bild vom militaristischen Deutschland gepaßt. Ein weiterer Punkt waren erneut die Greueltaten. Noch vehementer als im Krieg wurden Strafverfahren gegen (vermeintliche) deutsche Kriegsverbrecher und deren Bestrafung gefordert. 59 Angesichts der bald möglichen Einsetzung eines Gerichts wurde im September 1918 eine Liste mit den Namen von U-Bootkommandanten als potentiellen Kriegsverbrechern veröffentlicht. 60 Feldmarschall Hindenburg wurde als einer der „chief organisers of atrocity and frightfulness" 61 bezeichnet. Auch der gemäßigte Daily Chronicle wollte nicht vergessen, daß Deutschland ohne die „policy of ruthlessness" den Krieg schneller verloren hätte. Die Zeitung ging dabei sogar soweit, zu behaupten „that in the long run no nation stands to gain more by the punishment of the guilty than the Germans" 62 . Es gehe nicht um Siegeijustiz: „We demand that Germany shall be 52
Vgl. Daily Express, 12.12.1918, S. 4. Telegraph, 30.11.1918, S. 6. 54 Vgl. z.B. Cambria Daily Leader, 7.11.1918, S. 2; Yorkshire Post, 28.11.1918, S. 4; Graphic, 2.12.1918, S. 4; Daily Mail, 3.12.1918, S. 4; Evening News, 10.10.1918, S. 2. 55 Vgl. South Wales Daily News, 29.11.1918, S. 2. 56 Yorkshire Post, 7.10.1918, S. 4, vgl. 23.11.1918. S. 5. " N e w s of the World, 1.12.1918, S. 4. 58 Vgl. Telegraph, 11.5.1871, S. 5. 59 Vgl. Sketch, 5.11.1918, S. 7, 9.11.1918, S. 1; Glasgow Herald, 14.10.1918, S. 4; Chronicle, 30.1.1919, S. 1; Daily Express, 4.11.1918, S. 2. 60 Vgl. Mirror, 6.9.1918, S. 6. 61 Mirror, 12.11.1918, S. 8. 62 Chronicle, 21.1.1919, S. 4. 53
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punished not because she was our enemy, but because she has committed a series of atrocious crimes against humanity." Konkret wurde gefordert, daß „the Kaiser and all his leading Ministers and military chiefs"63 mit ihrem Leben fur die Verbrechen bezahlen müßten. Besonders wegen der postulierten persönlichen Verwicklung des Kaisers in konkrete Einzelfälle, wie den Hinrichtungen der Krankenschwester Cavell und des Kapitäns Fryatt, stand er ganz oben auf der Liste.64 In seiner historischen Bedeutung wäre ein Prozeß gegen Wilhelm nur mit dem Verfahren gegen Maria Stuart zu vergleichen. Deshalb gab es auch Widerspruch, da ihm diese Ehre nicht zuteil werden sollte: „Dignity is what this vain man has most loved [...] it will be unfortunate if the procedure adopted to secure his punishment should bring with it the chance of a last and greatest piece of acting."65 Auch nach dem Waffenstillstand stand der Ex-Kaiser66 Wilhelm II. ganz oben auf der Liste der Zeitungen: „Get him, try him, and if you bring in a verdict of 'guilty,' hang him without circumstance"67. Dies wurde um so mehr gefordert, da einem Prozeß gegen den Kaiser in Deutschland nicht zu trauen sei. Er müsse und werde vor ein internationales Tribunal gebracht werden: „He is accused of the gravest of crimes against mankind, but he must have his fair chance of acquittal or conviction."68 Auf die Problematik derartiger Prozesse wurde nur vereinzelt hingewiesen. So warnte die Birmingham Post, daß bei einem Kriegstribunal der Allierten „it would be difficult, to say at least, to give an appearance of fairness."69 Auf keinen Fall dürfe damit ein Märtyrer für Deutschland geschaffen werden. Anderen Zeitungen ging es darüber hinaus nicht nur um die Bestrafung einzelner Kriegsverbrecher, sondern um „the general punishment of the German people and for the particular punishment of those German officials who have been individually responsible for breaches of the law of nations and of the law of humanity."70 Diese Kollektivstrafe stellte in den Augen der Zeitung „Justice"71 dar. Weitere Kriegsziele waren - unter anderem - die deutschen Kolonien und ElsaßLothringen. An der Notwendigkeit der Re-Annexion des Reichslandes durch Frankreich 72 bestand kein Zweifel , auch wenn weitergehendere Abtretungen Deutschlands an
63
Graphic, 2.12.1918, S. 4. Vgl. Mirror, 12.11.1918, S. 8, 14.11.1918, S. 3; Scotsman, 20.12.1918, S 4; Graphic, 30.11.1918, S. 3, 14.12.1918, S.4. 65 Glasgow Herald, 21.1.1919, S. 4. 66 Zwar wurde auch häufig vom Ex-Kaiser (z.B. Mirror, 14.11.1918, S. 3) gesprochen. Die plötzliche Umstellung fiel den Zeitungen jedoch nicht leicht. Noch bis ins Jahr 1919 wurde Wilhelm II. immer wieder als „Kaiser" tituliert (z.B. Mirror, 28.11.1918, S. 3; Glasgow Herald, 21.1.1919, S. 4). 67 Sketch, 2.12.1918, S. 5. 68 Daily Express, 29.11.1918, S. 4. 69 Β'ham Post, 26.11.1918, S. 4. 70 Graphic, 22.11.1918, S. 4. 71 Graphic, 2.12.1918, S. 4. 72 Vgl. Glasgow Herald, 17.12.1918, S. 4; Scotsman, 30.10.1918, S. 4; Telegraph, 26.11.1918, S. 6. 64
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Frankreich beispielsweise vom Glasgow Herald abgelehnt wurden.73 Ebenso komme es nicht in Frage, daß Deutschland noch einmal als Kolonialmacht auftreten dürfe: „The return of the German colonies is vetoed by humanity."74 Darüber herrschte fast völlige Einmütigkeit.75 Da Deutschland den Krieg verursacht habe, müsse es sich den Verlust der Gebiete selbst zuschreiben.76 Es wurde zugegeben, daß es in allen Kolonien der europäischen Mächte „Many crimes and ugly episodes" gegeben habe: „But no Great Power conscious of a civilising mission has behaved toward the natives as the Germans acted in South-West Africa. Here cruelty was erected into a system; the natives were robbed, exploited, oppressed; and not even the semblance of justice was accorded to them."77 Erst mit der Eroberung durch alliierte Truppen habe sich die Lage gebessert. Ohne intensive Beweisführung war klar: „Natives hate the Germans. - British Rule preferred in Old Colonies."78 Dies sollte sich möglichst auf sämtliche Eingeborenen in allen deutschen Schutzgebieten beziehen. Angesichts der Flottenrivalität zwischen Deutschland und Großbritannien aus der Zeit vor dem Krieg wurde besondere Freude ausgedrückt, als Admiral Beatty einen großen Teil der deutschen Hochseeflotte ausgeliefert bekam.79 In der Geschichte der Royal Navy sei dies, so der Daily Express, „Der Tag"80, die Daily News nannte es ,,'The Day' of the British Fleet."81 Wichtig für die Zeitungen war bei all diesen Bedingungen - wie während des Kriegs daß Deutschland keine Beteiligung an deren Aushandlung zugestanden werden sollte: „There will be no argument about the conditions of an armistice. Even Germany must now see that the idea of a 'Mixed Commission' is fantastic."82 Wenn der Kriegsgegner nicht bereit sei, die Forderungen zu akzeptieren, dann müsse er eben zur „unconditional surrender"83 gebracht werden. Angesichts der Bedingungen der Alliierten konnte darüber auch bei der deutschen Führung keinerlei Zweifel herrschen. Um den großen Bündnispartner zu ehren, druckte die Evening News die Überschrift „'U.S.' 'Unconditional Surrender.'" 84 Es gebe für Deutschland nur die Wahl, bedingungslos zu kapitulie73
Vgl. Glasgow Herald, 17.12.1918, S. 4. Daily Express, 12.9.1918, S. 2. 75 Vgl. Westem Mail, 24.10.1918, S. 4; South Wales Daily News, 7.10.1918, S. 2; Times, 24.10.1918, S. 7; B'ham Post, 31.1.1919, S. 4; Glasgow Herald, 24.10.1918, S. 4; Mirror, 2.1.1919, S. 3; Irish Times, 1.2.1919, S. 6. 76 Vgl. Liverpool Daily Post, 31.1.1919, S. 4. 77 Chronicle, 12.9.1918, S. 2. 78 Daily News, 12.12.1918, S. 6. 79 Vgl. B'ham Post, 22.11.1918, S. 4; Yorkshire Post, 22.11.1918. S. 5; People, 24.11.1918, S. 1,4; Lloyd's, 24.11.1918, S. 4; Mirror, 23.11.1918, S. 1; Graphic, 22.11.1918, S. 5. 80 Daily Express, 21.11.1918, S. 2. 81 Daily News, 22.11.1918, S. 1. 82 B'ham Post, 4.11.1918, S. 4, vgl. 6.11.1918, S. 4; Times, 14.10.1918, S. 9. 83 Scotsman, 12.10.1918, S. 4, vgl. 15.10.1918, S. 4; Daily Mail, 8.10.1918, S. 2; Irish Times, 10.10.1918. S. 74
2. 84
Evening News, 9.10.1918, S. 2, vgl. 24.10.1918, S. 2.
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ren oder weiter zu kämpfen: „Signs of compromise would only be interpreted by Germany as weakness, and encourage her still further to prolong the war."85 Ohnehin stehe Deutschland nicht auf der selben Ebene: „The Allies cannot allow equality to a nation which, in organising this war, committed the greatest of crimes."86 Je länger Deutschland das Ende hinauszögere, desto härtere Konsequenzen müsse das Land gewärtigen.87 Die Verhandlungspartner seien nicht in erster Linie die Regierungen der Kriegsgegner, sondern die militärische Führung. Deshalb hätten sich die Deutschen in erster Linie an den gemeinsamen Oberbefehlshaber der alliierten Truppen, den Franzosen Foch, zu wenden.88 Darüber hinaus wurde darauf verwiesen „that the armistice terms are not the QO
peace terms" . Dabei verglich die South Wales Daily News Deutschland mit einem Verbrecher, der vor Gericht gestellt werde und sich gegen die Strafe auch nicht mehr wehren könne. Wie bei einer Gerichtsverhandlung zwischen den Staaten, bei der Deutschland auf der Anklagebank saß, sollte wie bei den Waffenstillstandsbedingungen auch bei der bevorstehenden Ausarbeitung des Friedensvertrages keine Diskussion mit den Verlierern geduldet werden: „Plainly the Associated Powers will dictate terms to their own liking and if delegates of the Central Powers are admitted at all it will be as suppliants, not as judges." 90 Bald wurde diese Sicht auf Jedes" Deutschland ausgeweitet, egal wie es sich nach Kriegsende präsentieren würde. Dabei wurde während des Krieges lange verbreitet, daß die Staatsform und die Regierung des Gegners auf die Friedensbedingungen Einfluß haben würden. So hatte es im Juli 1917 von Regierungsseite geheißen, daß die Alliiertern „would [...] enter into negotiations with a free Government in Germany in a very different attitude of mind, temper, and spirit from that in which they would negotiate with a Government dominated by the aggressive, arrogant spirit of Prussian militarism."91 Dies wurde insbesondere vom amerikanischen Präsidenten in den Wochen vor der deutschen Kapitulation wiederholt und verstärkt. Nun hieß es, daß „[...] the only German Government with which President Wilson can deal on equal terms [...] is a democratically constituted Government"92. Immer deutlicher wurden die Forderungen: „The Kaiser must go." 93 Wilson trete offen dafür ein „that if the Germans will get rid of the Kaiser or, politically speaking, draw his teeth so that he can no longer exercise authority, they will obtain easier terms than if the allies negotiate with the existing rulers
85
Chronicle, 21.10.1918, S. 2. Yorkshire Post, 22.10.1918, S. 4. 87 Vgl. Scotsman, 18.9.1918, S. 4; Glasgow Herald, 17.9.1918, S. 4. 88 Vgl. South Wales Daily News, 6.11.1918, S. 2; Glasgow Herald, 16.10.1918, S. 4; Evening News, 15.10.1918, S. 1. 89 South Wales Daily News, 23.11.1918, S. 4, vgl. News of the World, 27.10.1918, S. 2. 90 Freeman's Journal, 12.11.1918, S. 2, vgl.South Wales Daily News, 23.11.1918, S. 4. " Irish Independent, 16.7.1917, S. 2. 92 B'ham Post, 16.10.1918, S. 4, vgl. Western Mail, 12.9.1918, S. 4. 93 Sketch, 25.10.1918, S. 2. 86
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of Germany"94. Diese Forderung nach einem Ende der Herrschaft der Hohenzollern als Vorbedingung für einen Waffenstillstand fand gegen Kriegsende immer mehr und immer deutlichere Fürsprecher.95 Vorsichtig formulierte der Daily Express: „A democratic Germany may escape humiliation."96 Vor allem die Westminster Gazette betonte, daß bei einem Frieden mit den Hohenzollern drastische Maßnahmen ergriffen werden müßten „to ensure that such a regime is shorn of its power for mischief." Falls das deutsche Volk jedoch aufrichtig und aus freiem Willen die alte Tyrannei ablösen sollte und das Staatssystem modernisiere „then we shall be prepared for the clean and honourable peace which will in due time end this quarrel and enable them to be partners with us in creating a new international society."97 Wenn die alliierten Bedingungen nach der Zerstörung des preußischen Militarismus erfüllt seien, dürfe Deutschland kein Friede aufoktroyiert werden, wie es umgekehrt mit Rußland in Brest-Litowsk geschehen sei.98 Dieser Standpunkt wurde bis zum Kriegsende vehement vertreten: „We can negotiate with a free people, but we must demand surrender from a military autocracy."99 In Anlehnung an Wilson stimmte dem auch der Daily Mirror zu. Auch wenn die Regierenden in Deutschland unter dem Krieg kaum gelitten hätten, sei dies im Volk anders: „And this means that they will think twice before doing it again."100 Wichtig ist dabei, daß die demokratischen Veränderungen in Deutschland aus dem Oktober 1918 nicht als die Erfüllung dieser Bedingung anerkannt wurden. Das Ziel der Alliierten müsse weiterhin sein „to cut down Hohenzolleraism at the root"101. Allein der Herald betrachtete die demokratischen Veränderungen in Deutschland als ausreichend: „The changes in the German constitution are water-tight [...] Could the issue be plainer? All is accomplished, all is won - peace; victory; democratisation of Germany; complete self-determination for the nationalities of Austria; the League of Nations, disarmament."102 Neben Wilson vertraten auch andere Politiker, beispielswiese Churchill, nach außen die Meinung „that surrender should be made easier for the German people by assurances that as Prussian militarism is destroyed for ever, they will receive fair treatment from the Allied Powers."103 Mit dem Waffenstillstand verstummten diese Ansichten jedoch zum größten Teil. Der Grund dafür ist leicht erklärt: Aus der Propagandaabtei94
Yorkshire Post, 25.10.1918, S. 4.
95
Vgl. Chronicle, 10.10.1918, S. 2, 16.10.1918, S. 2; Telegraph, 7.10.1918, S. 6; Irish Times, 14.10.1918, S. 4; Star, 7.11.1918, S. 4.
96
Daily Express, 25.10.1918, S. 2, Hervorhebung im Original, vgl. 5.11.1918, S. 2. Westminster Gazette, 8.10.1918, S. 1.
97 98 99 100 101 102 103
Vgl. Westminster Gazette, 16.10.1918, S. 1, 22.10.1918, S. 1. Westminster Gazette, 24.10.1918, S. 1. Mirror, 25.10.1918, S. 6. Chronicle, 14.1.1919, S. 4. Herald, 2.11.1918, S. 5. Irish Times, 8.10.1918, S. 2.
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lung der britischen Regierung wurde nach dem Krieg berichtet, daß die Spekulation auf größere deutsche Kapitulationsbereitschaft mit den Ankündigungen besserer Friedensbedingungen bei einem Abtritt der Hohenzollern einkalkuliert war. Als der Krieg dann gewonnen war, spielten die vorherigen Ankündigungen für Lloyd George keine Rolle mehr: „'Now they are down,' he said gleefully, 'we can do as we like.'" 104 Die harten Waffenstillstandsbedingungen wurden mit dem deutschen Verhalten vor und während des Kriegsausbruchs begründet. Das Land wurde als vollkommen unglaubwürdig dargestellt. Deutschland versuche alles, um seine Armeen möglichst intakt zurückziehen zu können: „[...] the German representatives are lying tricksters, not to be trusted in the slightest degree."105 Deshalb verlangten die Zeitungen in Anlehnung an Präsident Wilson „Granite Guarantees"106, daß Deutschland dazu gezwungen werden könne, die Forderungen zu erfüllen. Deutschland habe sich dies selbst zuzuschreiben. Trotz der harten Bedingungen warnte John Bull davor, daß diese nicht weit genug gingen. Die übergebenen Kriegsmaterialien könnte Deutschland leicht ersetzen und die Kämpfe wieder aufnehmen.107 Als es im Januar 1919 um die Verlängerung des Waffenstillstandes ging, hatte sich das Mißtrauen gegenüber Deutschland kaum verändert. Er dürfe nicht nur verlängert werden, es müsse auch darauf geachtet werden, daß die Bedingungen eingehalten würden: „[...] this will be a difficult matter with so very tricky and treacherous a people as the Germans. The Allies must have force in the background."108 Ganz bewußt wurde darauf hingewiesen, daß eben nur Waffenstillstand herrsche, kein Friede. Wenn der Deutsche einen Krieg gewinne, dann zeige das Land sich als gnadenloser Sieger: „[...] when he cannot win we have always found him looking out for the chance of a deal in which his mastery of all underhand and dishonest methods may give him the advantage. That is the danger that we have to face - the danger of forgetting that the war isn 't over"109. Von vielen Seiten wurde deshalb von einer vorzeitigen Demobilisierung der alliierten Truppen gewarnt.110
104
Fyfe, Hamilton: The Making of an Optimist, London 1921, S. 251.
105
South Wales Daily News, 14.10.1918, S. 2. Star, 8.10.1918, S. 4, vgl. 14.10.1918, S. 4, 15.10.1918, S. 4.
106 107 108
Vgl. John Bull, 23.11.1918, S. 6f, 30.11.1918, S. 7,1.12.1918, S. 6f. Daily Mail, 16.1.1919, S. 4.
109
Evening News, 28.1.1919, S. 2.
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Vgl. z.B. Evening Express, 9.1.1919, S. 2f; Yorkshire Post, 9.1.1919, S. 6.
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3. Deutschland bei Kriegsende 3.1 Vor Kriegsende Neben der rein militärischen Lage fand auch die Situation in Deutschland große Beachtung. In Anlehnung an das Ziel, das Ende der Hohenzollernmonarchie und/oder die Demokratisierung des Landes zu erreichen, wurden Reformbemühungen des politischen Systems aufmerksam verfolgt. Als die alliierten Forderungen nach einer Demokratisierung des Kaiserreiches im Herbst 1918 weitgehend erfüllt wurden, erkannten dies die meisten Zeitungen jedoch nicht an: „Neither the democratisation of the Prussian franchise, nor the reform of the Federal States, nor, greatest advance of all, the adoption of Ministerial responsibility in the Reichstag, will transform Germany at a step. Despotisms are not easily uprooted." 111 Wie auf außenpolitischer, so gelte auch auf innenpolitischer Ebene das Wort der deutschen Regierung nicht.112 Der Daily Express verwies auf ein deutsches Sprichwort: „He who has once lied is not believed even when he speaks the truth." Deshalb würde das deutsche Friedensangebot skeptisch betrachtet „because nobody dare trust Germany's good faith." 113 Im Oktober 1918 betonte die Western Mail, daß keine Änderung Deutschlands zu erwarten sei: „The Ethiopian may change his skin and the leopard his spots sooner than the Huns be fit to re-enter the circle of decent civilised humanity." 114 Selbst wenn es zu einer tatsächlichen Demokratisierung Deutschlands kommen sollte, so bedeute dies trotzdem nichts: „[It] might easily be just as bellicose and just as brutal as an autocratic Germany." 115 Zwar gebe es drei Deutschlands, das des Kaisers, das von Prinz Max von Baden und das des sozialitischen Revolutionärs Liebknecht: „But remember they are all Huns" 116 . Begründet wurde diese Einschätzung mit der Fortsetzung der von Grausamkeiten geprägten deutschen Kriegsführung. Wie sich Lloyd George in seinen Memoiren richtig erinnert 117 , kam es im Oktober 1918 zu einem weiteren Aufschrei der Empörung in der britischen Bevölkerung. Besonders die direkt betroffenen irischen Zeitungen ereiferten sich. Obwohl Deutschland um Frieden nachsuche „Germany has committed one of her 118 foulest crimes against humanity." Damit gemeint war die Versenkung des irischen Postschiffes Leinster, bei der circa 500 Menschen ums Leben kamen. Die sei „Hun's
' " Glasgow Herald, 7.10.1918, S. 4, vgl. Chronicle, 7.10.1918, S. 2. Vgl. Β'ham Post, 12.10.1918, S. 8; Scotsman, 30.10.1918, S. 4; Daily Express, 15.10.1918, S. 2. 113 Daily Express, 8.10.1918, S. 2. 114 Western Mail, 12.10.1918, S. 4, vgl. Liverpool Daily Post, 16.10.1918, S. 4. " s Graphic, 24.10.1918, S. 2. 116 Evening News, 9.11.1918, S. 2, vgl. 12.10.1918, S. 2; Cambria Daily Leader, 15.10.1918, S. 3. 117 Vgl. Lloyd George, War Memoirs, Bd. 6, S. 3288. " 8 Irish Times, 11.10.1918, S. 2. 112
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worst Crime since Lusitania"" 9 . Bereits nach dem ersten Torpedotreffer sei das Schiff dem Untergang geweiht gewesen. Doch noch während die Rettungsboote zu Wasser gelassen worden seien, habe ein zweiter Torpedo das Schiff getroffen, um den Untergang zu beschleunigen: „The intention was to massacre every soul on board, for the submarine came within close range - about 150 yards - and discharged first one torpedo and then the other with fiendish deliberation." 120 Dieses Verhalten könne nur dazu beitragen, den Willen der Alliierten zu verhärten und auf eine bedingungslose Kapitulation zu bestehen. Einmal mehr zog sich durch alle Arten von Zeitungen die Verurtei121 lung eines „Diabolical Crime" der Deutschen. Wenn es zum Friedensschluß komme, dürfe dies nicht vergessen werden. 122 Darüber hinaus wurde während des gesamten Herbstes an die zurückliegenden deutschen Verbrechen erinnert: „The revelation of the 'blonde beast' is a terrible one. The report shows that the Germans in 1918 were what they were in 1914"123. Besonders die populärsten Erfolge der britischen Propaganda Louvain, die Lusitania, Edith Cavell und Captain Fryatt - kamen wieder zur Sprache.124 Dennoch gab es einzelne Blätter, die eine gemäßigte Postion einnahmen. So erinnerte der Manchester Guardian an eine Rede von Ex-Premier Asquith. Im September 1918 hatte dieser verlangt, daß der Friedensschluß „must avoid unnecessaiy humiliations, dismemberment, or anything of the nature of a permanent boycott." 125 Sehr ungewöhnlich war darüber hinaus die Forderung, daß Deutschland vor dem Waffenstillstand die späteren Friedensbedingungen kennen müsse: „[...] in other words, the peace preliminaries must be included in the terms of the armistice." 126 Deutschland sollte damit implizit die Möglichkeit gegeben werden, den Kampf fortzusetzen, falls es mit diesen Bedingungen nicht einvestanden sei. Die ebenfalls liberale Westminster Gazette empfahl den Siegermächten sich anständig zu verhalten: „We shall not dismember Germany, as they dismembered Russia, or take from her any purely German territory. But we shall ask her to restore what she has taken from others, and we must take guarantees that another militarist Empire does not grow up on the ruins of the old." Sehr differenziert betrachtete die Daily News das bevorstehende Kriegsende. Zwar dürfte der Waffenstillstand „no loophole for the War Lords to escape" zulassen: „But the war being ended we must turn as resolutely to the task of rebuilding the structure of the world on a
119 120 121
Evening News, 11.10.1918, S. 1. Telegraph, 12.10.1918, S. 6. Irish Independent, 11.10.1918, S. 2, vgl. 12.10.1918, S. 2; People, 13.10.1918, S. 4; Sketch, 12.10.1918, S. 2; Mirror, 12.10.1918, S. 2; Western Mail, 14.10.1918, S. 3.
122
Vgl. Reynolds's, 13.10.1918, S. 1, Altmann, Kriegsschuldfrage, S. 45.
123
Star, 15.10.1918, S. 4, vgl. B'ham Post, 21.11.1918, S. 4; Cambria Daily Leader, 7.9.1918, S. 2, 11.10.1918, S. 1; Graphic, 8.10.1918, S. 2.
,24
Vgl. Mirror, 12.11.1918, S. 8, 18.11.1918, S. 8,2.12.1918, S. 11. '"Guardian, 28.9.1918, S. 6. 126 Guardian, 28.10.1918, S. 4.
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saner foundation - on the principle of co-operative effort instead of competitive force."127 Trotz dieser liberalen Stimmen war der überwiegende Teil der Zeitungen vor Kriegsende der Ansicht, daß sich Deutschland nicht verändert habe: „No Change of Heart. 12β
Still the old, bad Germany." Schon im März 1918 hatte die Evening News festgestellt: „Once a Hun, always a Hun."' 29 Diese Einstellung änderte sich in den verschiedenen Zeitungen auch gegen Kriegsende nicht.130
3.2 Das Kriegsende Erleichtert berichteten die Zeitungen über die Einstellung der Kämpfe am 11. November 1918. Noch an diesem Tag konnten Abendzeitungen wie die Westminster Gazette die freudige Nachricht verkünden: „The nations are at peace, and for us it is a victorious peace."131 Dabei sind die Meldungen eher von Erleichterung als von überschlagender Freude gekennzeichnet.132 Die Times sprach von „The happy close of hostilities in this greatest and most terrible of all wars"133. Der Daily Chronicle bezeichnete den 11. November als „the greatest date in history that any of us living are likely to see."134 Nach jahrelangen Kämpfen mit Hundertausenden Toten und noch mehr Verwundeten konnte die Freude über den keineswegs als stabil betrachteten Waffenstillstand nicht ungetrübt sein: „Above all, we think of the dead who have given their lives it the greatest cause that ever bound men together"135. Die Birmingham Post dämpfte zudem die Erwartungen mit dem Hinweis, es handle sich zwar um einen Waffenstillstand, aber noch nicht um einen Friedensschluß.136 Auf der anderen Seite standen Zeitungen wie der Daily Graphic, die überzeugt waren, daß es tatsächlich „Peace"137 sei, auch wenn es sich formal gesehen nur um einen Waffenstillstand handle. Auch der Daily Sketch freute sich: „It is finished", „Victory" und „Peace". Nach vier Jahren „The world is free. The powers of darkness and tyranny, who would have stamped us down, admit defeat."138 Das Erreichen der eigenen, ehrenvollen Ziele wurde über den militärischen Sieg hinaus als moralischer Erfolg gefeiert:
127
Daily News, 6.11.1918, S. 4. Evening News, 27.7.1917, S. 2. 129 Evening News, 6.3.1918, S. 2. 130 Vgl. Yorkshire Post, 8.10.1918, S. 4,22.10.1918, S. 4. Westminster Gazette, 11.11.1918, S. 1. 132 Vgl. Freeman's Journal, 12.11.1918, S. 2; Graphic, 12.11.1918, S. 1; Chronicle, 12.11.1918, S. 1. 133 Times, 12.11.1918, S. 9, vgl. Western Mail, 12.11.1918, S. 6. 134 Chronicle, 12.11.1918, S. 4. 135 Westminster Gazette, 11.11.1918, S. 1. 136 Vgl. Β'ham Post, 12.11.1918, S. 6; Western Mail, 12.11.1918, S. 6. 137 Graphic, 12.11.1918, S. 4, vgl. Guardian, 12.11.1918. S. 4. 138 Sketch, 12.11.1918, S. 11. 128
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„The war which began as a conflict of principles - the principle of international good faith against, that of international violence and outrage - has ended with the enthronement of law and justice before the eyes of the world." 139 Deshalb war der Tag des Waffenstillstandes „The Day of Glory" 140 und „A Glorious End." 141
3.3 Nach Kriegsende 3.3.1 Fortsetzung der Beschuldigungen Aufgrund der umfassenden Diskreditierung des Landes, insbesondere auch in der Endphase des Krieges, ist es in Hinblick auf die weitere Entwicklung der internationalen Lage von großer Bedeutung, die Behandlung Deutschlands nach dem Waffenstillstand am 11. November zu beleuchten. Wie nicht anders zu erwarten, setzte sich das tiefe Mißtrauen gegenüber allem Deutschen bis zum Kriegsende fort. Die jahrelange Darstellung Deutschlands als völlig unglaubwürdig, hatte ungeahnte Folgen. Es wurde weiter vermutet „that the German delegates have been exaggerating the perils of the internal situation in Germany in order to influence the Allied Governments to mitigate the armistice conditions and to bring about the speedy conclusion of a preliminary peace." 142 Besonders die Behandlung der sich in deutscher Kriegsgefangenschaft befindlichen alliierten Soldaten wurde intensiv beleuchtet. Zahlreiche Soldaten seien noch nach dem Waffenstillstand auf Hungermärschen ums Leben gekommen. 143 Selbst die Art der Freilassung der Gefangenen zeige das wahre Gesicht der Deutschen: „[...] even German bondage, cruel and oppressive as it has been, was kinder than the merciless manner in which the captives have been given their liberty." 144 Wieder war es der Herald, der versuchte, die Wogen ein wenig zu glätten. Ausgerechnet ein ehemalier Insasse des Internierungslagers Ruhleben, das während des Krieges als eines der schlimmsten in ganz Deutschland beschrieben wurde, kam zu Wort. Vor allem für die letzten Tage, so der Augenzeuge „one cannot say that one's recollections are unpleasant." 145 Diesen Stimmen wurde jedoch wenig Beachtung geschenkt. Auch nach dem Waffenstillstand war weiterhin von den „Huns" 146 die Rede. Die Daily Mail machte sich sogar die Mühe, die diesbezügliche Klage eines deutschen Journalisten zu behandeln. Wie Wilhelm II. 1900 bei der Militärexpedition gegen China gefordert hätte, sich wie die Hunnen zu verhalten, hätten es die deutschen Soldaten auch in diesem Krieg gemacht. 139
Liverpool Daily Post, 12.11.1918, S. 4.
140
South Wales Daily News. 12.11.1918, S. 4. Daily Mail, 12.11.1918, S. 2. Irish Times, 26.11.1918, S. 2.
141 142 143
Vgl. Mirror, 20.11.1918, S. 2; Sketch, 20.11.1918, S. 2.
144
Scotsman, 21.11.1918, S. 4, vgl. Lloyd's, 1.12.1918, S. 4.
145
Herald, 4.1.1919, S. 12.
146
People, 5.1.1919, S. 6, vgl. 2.2.1919, S. 6; John Bull, 11.1.1919, S. 5, 1.2.1919, S. 8.
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Louvain und die Versenkung der Lusitania hätten den Charakter der Deutschen gezeigt. Daran ändere auch der Waffenstillstand nichts: „Brutes they were and brutes they remain."147 Die Western Mail ging in ihrer Verallgemeinerung so weit zu sagen „Scratch a German, and you find a Hun"148 Deutschland würde nur eine Sache bedauern, nämlich „that she did not win the war." 149 „The old ambition has not been laid aside with the downfall of German power and pride."150 Die permanenten Versuche Deutschlands, die Waffenstillstandsbedingungen zu hintertreiben151, zeige die Notwendigkeit fur die Alliierten, eine starke Armee aufrecht zu erhalten. Bei den Auslieferungen von LKWs, Maschinengewehren und vielen anderen Gütern sei Deutschland im Rückstand: „There could be no more effective demonstration of the temper of the enemy, no more clear manifestation of the resolve to yield only what cannot, on any pretext, be retained."152 Die Vermutung, der Waffenstillstand sei einen Monat zu früh gekommen, äußerte der Daily Express. Die heimkehrenden deutschen Soldaten würden als Sieger behandelt: „There can be only one meaning to this. The Prussian military spirit is still hypnotising a backward people."153 Auch wenn sich Deutschland auf manchem Gebiet ändern möge, stünden zwei Dinge weiter fest: „[...] hatred of England, deep, bitter, rancorous hatred, and the desire for revenge."154 3.3.2 Mäßigende Stimmen Trotz der massiven Beschuldigungen finden sich bald nach Kriegsende erste Stimmen, die einen konstruktiven Umgang mit Deutschland in Betracht zogen. Allen voran ist hier wieder der Herald zu nennen. Schon in der ersten Oktoberhälfte war die Zeitung für einen schnellen gerechten Frieden eingetreten. Sie fragte, ob es den Preis wert sei, den Krieg bis auf deutsches Gebiet fortzusetzen: „[...] will our wounded suffer less on German soil? Will our dead be less irrevocably dead? No; now, as always, the question for us to consider is whether an honourable, lasting, constructive peace is not attainable without a further nightmare of blood and tears."155 Lloyd George habe öffentlich sein Wort gegeben „that if the Kaiser accepts President Wilson's terms, 'he can have peace to-morrow'? The terms are accepted. The to-morrow is here." Deshalb wollte die sozialistische Zeitung „A People's Peace - Now"156. Der Umgang Deutschlands mit 147
Daily Mail, 25.1.1919, S. 4. Western Mail, 21.11.1918, S. 2. 149 Evening News, 20.12.1918, S. 2, Hervorhebung im Original. 150 Scotsman, 29.1.1919, S. 6. 151 Vgl. Scotsman, 28.12.1918, S. 4. 152 Evening Express, 10.1.1919, S. 2, vgl. 13.1.1918, S. 2; Evening News, 14.1.1919, S. 2. 153 Daily Express, 17.12.1918, S. 4. 154 Evening News, 23.11.1918, S. 2. 155 Herald, 12.10.1918, S. 5. 156 Herald, 26.10.1918, S. 4. Hervorhebung im Original. 148
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Frankreich 1870/71 habe für enorme Probleme gesorgt. Dieser Fehler solle nicht wiederholt werden: „The only guarantee against that danger lies in the justice of the settlement itself."157 Neben dem sozialistischen Herald verlangte besonders die liberale Westminster Gazette, daß mit Deutschland nicht umgegangen würde, wie dieses Land seinerseits mit Rußland und Rumänien umgesprungen sei. Die Alliierten sollten nicht die Macht des Stärkeren ausnutzen, sondern für einen „Peace of Justice"158 eintreten. Nach dem Friedensschluß setzte die Zeitung diese Sichtweise fort. Es gehe für die Alliierten nicht darum „what they can do to a beaten enemy who must for the time-being accept everything, but what it is wise and just to do"159. Ein anderes Verhalten berge große Risiken. Spenders Blatt äußerte sogar Verhandlungsbereitschaft: „We are bound to treat with respect any honest appeal for consideration from a fallen enemy"160. Mit diesen maßvollen Äußerungen standen die liberalen Zeitungen keineswegs allein da. Auch der konseravtive Daily Telegraph erinnerte daran, wofür die Alliierten in den Krieg gezogen seien: „Let us never forget that it was for humanity they fought - not for inhumanity; for freedom and civilisation - not for the barbarities of a cruel revenge." Deshalb zog die Zeitung die Schlußfolgergung „that we must do all we can to help the German nation to find itself, to disavow its past, and to look forward to the future to win back the esteem of mankind."161 Bei der bevorstehenden Friedenskonferenz sollten nicht dieselben Fehler gemacht werden wie so oft in der Vergangenheit.162 Ganz bewußt versuchten sich die Zeitungen von Deutschland abzugrenzen. So befürwortete der Irish Independent zwar die Aufrechterhaltung der Blockade gegen Deutschland durch die Alliierten, „but they will not, we may be sure, copy Germany in her inhumanity to beaten foes."163 Deutschland müsse die Kriegsgegner um Brot bitten: „She, who never showed mercy, has now to implore it." Um sich von der Unmenschlichkeit des Kaiserreiches zu distanzieren, betonte der Daily Chronicle: „The allies will, no doubt, in these circumstances take such steps as humanity dictates, so far as they can do consistently with feeding their own populations."164 Damit unterstrich das Blatt die moralische Überlegenheit der Alliierten gegenüber Deutschland und wollte zugleich den Haß der eigenen Bevölkerung auf den Gegner dämpfen. Der liberale Star stimmte mit der Kritik des konservativen Observer zu. Es werde die Auflösung der deutschen Armee verlangt, aber zugleich die Blockade aufrecht erhalten. Indem Millionen von Soldaten zurück ins zivile Leben geschickt würden, denen durch
157
Herald, 30.11.1918, S. 9.
158
Westminster Gazette, 23.10.1918, S. 1, vgl. 31.10.1918, S. 1. Westminster Gazette, 12.11.1918, S. 1.
159 160
Westminster Gazette, 16.11.1918, S. 1.
161
Telegraph, 13.11.1918, S. 8.
162
Vgl. Telegraph, 14.11.1918, S. 6. Irish Independent, 12.11.1918, S. 2. Chronicle, 12.11.1918, S. 4.
163 164
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die Verweigerung von Rohstoffzufuhren die Möglichkeit auf die Ergreifung eines Berufs genommen werde, würde es Deutschland zugleich unmöglich gemacht, die Reparationen zu bezahlen. Dies sei „the most rapid process for making Bolsheviks that has yet been discovered."165 Auch der Manchester Guardian gab zu bedenken: „[...] if we want to make it possible for Germany not only to avert social disorder but to pay indemnities, we shall have to keep her going."166 Selbst der Daily Express, der keinen Hehl aus seiner Verachtung für Deutschland machte, wies daraufhin, daß die Aufrechterhaltung der dortigen Versorgung im Interesse der Alliierten sei: „Germany will never be able to pay her bills unless her people are fed and unless she puts her house in order and evolves some form of stable government." Außerdem gehe von Deutschland mehr Gefahr aus wenn es hungere: „A hungry nation is a dangerous nation. A starving nation will almost certainly be a nation of Bolshevists." Es sei zwar eine undankbare Aufgabe, Deutschland wieder auf die Beine zu helfen, wenn dies aber nicht geschehe „the great victory may prove not to be worth winning and the great sacrifices may be tragic waste."167 Selbst die Daily Mail Schloß sich dieser gemäßigten Sicht an: „There is no getting blood out of stone. If Germany were starved to death she could not pay what she owes. The Allies, if only from business considerations, may therefore be trusted to feed her sufficiently to enable her to
4. Die Lage im „neuen" Deutschland 4.1 Das Ende der deutschen Monarchien Fast ungläubig nahmen die Zeitungen den plötzlichen und doch unspektakulären Sturz des deutschen Kaisers zur Kenntnis: „The Hohenzollem regime has collapsed much more easily than did that of Napoleon; and nothing in William's career suggest that he is capable of a return from Elba, or that, even if he were, his people would welcome him." 169 Überrascht stellte der Observer fest: „The German Emperor did not fall like a meteor." Im Gegenteil: „Nothing in this time has been stranger than the insignificant effect of his disappearance."170 Dennoch setzte die Zeitung das Ende der Hohenzollern-
165
Star, 6.1.1919, S. 4.
166
Guardian, 10.1.1919, S. 4.
167
Daily Express, 13.11.1918, S. 2. Daily Mail, 13.11.1918, S. 2, vgl. Irish Times, 15.11.1918, S. 2. 169 Freeman' s Journal, 12.11.1918, S. 2. 170 Observer, 17.11.1918, S. 8. 168
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herrschaft in seiner politischen Bedeutung mit der französischen Revolution von 1789 und dem Anschlag der Thesen Luthers gleich.171 Ähnliches Staunen löste der Zusammenbruch des ganzen monarchischen Systems in Deutschland aus: „Nothing in European history, not even the upheaval in Russia, has prepared us for this sudden and overwhelming transformation." 172 In den Augen von Freeman's Journal „The crowns of Hapsburgs and Hohenzollerns and the minor satellites who clustered about them are toppling down like windblown apples" 173 . Um eine Parallele zu Wilhelms Sturz in der Geschichte zu finden, müsse bis zum Schicksal der persischen Könige Xerxes und Dareios zurückgegangen werden: „The downfall of Napoleon was slow and gradual compared to this [Wilhelm's fall]." 174 Es sei bezeichnend, daß ausgerechnet der bayerische Thron als erstes gestürzt sei „where the Wittelsbachs were commonly accounted the most popular and firmly-rooted of the German royal houses. It was swept away in a few hours - striking evidence of the bankruptcy of all the old Governments in Germany under the shock of four years of suffering culminating in disaster." 175 Ausfuhrlich wurde auf das Leben des Kaisers zurückgeblickt, nachdem dessen Abdankung - „one of the great dramatic events of the war" - verkündet worden war. Er sei „autocrat in civil as well as military affairs" gewesen. Keineswegs wurden seine verwandtschaftlichen Verhältnisse zu Großbritannien verschwiegen. Dennoch: „His was the 'mailed fist' and the 'shining armour'; the pastime of 'sabre-rattling' was his" 176 . Erstaunlicherweise wurde aber auch auf die Fortschritte in Deutschland unter seiner Herrschaft zurückgeblickt. Die Bevölkerung habe stark zu-, die Sterblichkeit abgenommen. Auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit habe nicht zuletzt auf dem früher von Großbritannien dominierten Sektor der Eisen- und Stahlproduktion enorm expandiert. Trotz seines Machtverlustes blieb Wilhelm weiter im Mittelpunkt des Interesses. Immer wieder wurden in den Monaten nach Kriegsende von Holland die Auslieferung des geflüchteten Kaisers und seine anschließende Bestrafung gefordert. 177 Über die delikate Lage Hollands, mit der Forderung konfrontiert zu werden, einen ins Exil geflüchteten Monarchen auszuliefern, waren sich die Zeitungen durchaus bewußt. Die Weigerung der Regierung, den Kaiser auszuliefern, stieß auf wenig Gegenliebe. 178 Nur wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, stelle er ein ständiges Bedro-
171
Vgl. Observer, 17.11.1918, S. 8. Glasgow Herald, 11.11.1918, S. 6, vgl. Telegraph, 11.11.1918, S. 6; Irish Independent. 12.11.1918, S. 2. 173 Freeman' s Journal, 12.11.1918, S. 2. 174 Times, 11.11.1918, S. 9. 175 Guardian, 11.11.1918, S. 4, vgl. Westminster Gazette, 11.11.1918, S. 1. 176 Western Mail, 11.11.1918, S. 2, vgl. Irish Independent, 11.11.1918, S. 2. 177 Vgl. Sketch, 6.12.1918, S. 3, 21.1.1919, S. 5; Evening News, 29.11.1918, S. 2; South Wales Daily News, 2.12.1918, S. 2; Graphic, 13.11.1918, S. 4. 178 Vgl. Irish Times, 23.11.1918, S. 6. 172
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hungspotential dar: „Europe will not be 'safe for democracy' or anything else until, coupled with the guarantees of the armistice, the ex-Kaiser is held fast as a prisoner in the Allies' hands."179 Deshalb stand seine Auslieferung im Vordergrund: „It may be a new precedent in international law to surrender him; but the very reason for asking for his surrender is to prevent his past crimes from becoming new precedents that would outrage the previous doctrines of international law."180 Keine Einigkeit herrschte darüber, ob Wilhelm vor Gericht gestellt werden sollte oder nicht. Napoleon habe vor seiner Verbannung nach St. Helena auch keinen Prozeß bekommen. Analog „there is no need to try the Kaiser before hanging him."181 Diesen Vergleich mit dem französischen Kaiser lehnte der Observer ab. Während der Franzose eine Welt vorgefunden hätte, die sich bereits im Krieg befand, hätte Wilhelm eine friedliche Welt in den Krieg gestürzt. Napoleon hätte ein würdevolleres Ende als die Verbannung verdient gehabt. Anders der Deutsche: „William II. deserves no noble end. If justice were done on Imperial guilt as it is executed on humbler crime, he would go to the scaffold. In passionless justice, he ought to be either hung or guillotined."182 Die Probleme eines Prozesses gegen den Kaiser waren bekannt. Eine Bestrafung des Kaisers hätte aus ihm zweifellos einen Märtyrer machen und zur Stärkung der monarchischen Bewegung in Deutschland führen können. Dies wollte beispielsweise Dawson von der Times unbedingt vermeiden.183 Außerdem sei Wilhelm nicht mehr und nicht weniger als Tausende seiner Untertanen ein Mörder. Deshalb sei es ungerecht, nur gegen ihn vorzugehen. Ohnehin könne kein zufriedenstellendes Gericht konstituiert werden. Hunderte von Herrschern hätten schon Kriege ausgelöst und seien dafür nicht bestraft worden.184 Trotz seiner Betrachtung trat sogar der Verfasser dieser Argumentation in der Daily News, einer vor dem Krieg ausgesprochen kaiserfreundlichen Zeitung, dafür ein, daß Wilhelm „should be securely and for ever exiled and guarded. He should be put away, because, being an incurable conspirator, he is a world-danger as long as he is at large."185 Das Problem bei der Behandlung des Kaisers liege darin, daß mit einer Anklage gegen ihn die Regel festgelegt würde „that all rulers and statesmen in every country who have any share in the responsibility for launching the war should be put upon their trial." Niemand könne behaupten, daß der Kaiser allein verantwortlich für den Krieg sei. Dasselbe gelte für die Greueltaten des Krieges: „Who will say that all the atrocities of the war were monopolised by the Germans? The record of the Russians during their march through Poland and into Galicia is horrible. The Turks massacred half a nation.
I7
' Daily Mail, 13.11.1918, S. 2, vgl. Chronicle, 19.11.1918, S. 2. Graphic, 22.11.1918, S. 4.
180 181 182 183 184 185
Western Mail, 30.11.1918, S. 4. Observer, 1.12.1918, S. 6. Vgl. OBL, Mss. Dawson 67, 150, Dawson an Halifax am 7.12.1918. Vgl. Daily News, 5.12.1918, S. 4. Daily News, 5.12.1918, S. 4.
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The Bulgarians behaved according to the traditions of warfare in the Balkans. Nor does that exhaust the list. If we appeal to justice, then it must be all or none."186
4.2 Die Versorgungslage der Deutschen Wie tief das Mißtrauen gegenüber Deutschland saß, zeigt die Diskussion um dessen Versorgungslage. Nur wenige Tage nach Kriegsende nahm die Daily Mail eindeutig Stellung gegen Nahrungsmittellieferungen an Deutschland. Zuerst müsse Großbritannien versorgt, dann - wohlgemerkt im November - die Ernte abgewartet werden.187 Dabei wurde die deutsche Darstellung der Situation in Frage gestellt. Für die Times kam anfangs eine Aufhebung der Blockade überhaupt nicht in Frage. Eine Hungersnot in Deutschland sei nicht zu befürchten.188 Selbst der Manchester Guardian betonte: „[...] the maintenance of the blockade, coupled with the surrender of railway wagons and engines, need not and will not provoke starvation."189 Deutschland sei sehr wohl in der Lage, sich monatelang selbst zu versorgen. Das eigentliche Problem liege auf psychologischer Ebene und so solle es auch behandelt werden.190 Auf der ganzen Welt herrsche Nahrungsmittelknappheit, deshalb werde es keine zeitnahen Verbesserungen in Deutschland geben. Auch die Birmingham Post bezweifelte die Aufrichtigkeit Deutschlands. Die Nahrungsmittelknappheit werde nur vorgetäuscht, um nicht so viele Lokomotiven an die Alliierten abgeben zu müssen.191 Diese Haltung stieß jedoch im Laufe der Zeit immer mehr auf Widerspruch. So betonte der Observer bald, daß die Alliierten für die Ernährung Deutschlands sorgen müßten: „It is a duty which will increase for some time the economic embarrassment of the peoples who did not force the war, but there is no escaping from it." Es sei jedoch unumgänglich: „It is a security against both Kaiserism and Bolshevism."192 Das Ernährungsproblem der Mittelmächte sei „a very serious and anxious one". Die Alliierten könnten dies nicht einfach beiseite schieben „as though it were no concern of ours."193 Es sei zwar wahr „that the Germans have made this bed for themselves". Die deutsche Regierung hätte den Krieg fortgesetzt, bis alle Reserven verbraucht waren und vorher die Schiffe versenken lassen, die dem Land nun Erleichterung hätten bringen können: „But imperative that the Allied Governments should show that they are better men than the late rulers of Germany."194 Die Daily News warnte sogar davor, daß die Aufrechter186
Guardian, 28.11.1918, S. 4. Vgl. Daily Mail, 19.11.1918, S. 2. 188 Vgl. Times, 28.11.1918, S. 7. 189 Guardian, 23.11.1918, S. 6. 1,0 Vgl. Guardian, 29.11.1918, S. 4. 191 Vgl. Β'ham Post, 20.11.1918, S. 4; Scotsman, 15.1.1919, S. 4. 1.2 Observer, 17.11.1918, S. 8. 1.3 Westminster Gazette, 16.11.1918, S. 1. 194 Westminster Gazette, 16.11.1918, S. 1. 187
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haltung der Nahrungsmittelblockade „combined with loose and flamboyant talk about impossible indemnities, is calculated to produce results in Germany hardly less disastrous to the Allies than to the German themselves." 195 Zunehmend wurde die Problematik erkannt. Beobachter verglichen die Lage in Deutschland mit der Situation im Dreißigjährigen Krieg. Wenn von außen keine Hilfe komme, würden Epidemien, Unruhen und der Bolschewismus drohen. 196 Mit deutlichen Worten kritisierte der Manchester Guardian Ende 1918 „The Slaughter of the Innocents." Besonders die Kindersterblichkeit sei sehr hoch, aber: „Nobody wants to kill babies, not even German babies" 197 . Selbst die Times mit ihrer sehr ablehnenden Haltung gegenüber Deutschland befürwortete bald die Versorgung des Landes mit Nahrungsmitteln und wichtigen Rohstoffen. Dies sei jedoch noch nicht genug. Zu beachten ist dabei, daß dies aus reinen Eigeninteressen der Alliierten erfolgen sollte: „They must seriously consider what measures they can properly undertake to preserve that ordered liberty in Germany without which there can be no peace." 198 Churchill behauptete in seinen Memoiren, daß angesichts der Versorgungslage in Deutschland „Public opinion in the Allies countries was callous." 199 Außerdem hätte der mögliche Vorwurf der Deutschfreundlichkeit die Politiker eingeschüchtert. Wie gezeigt wurde, waren jedoch bei weitem nicht alle Zeitungen so abgestumpft, wie Churchill es glauben machen wollte. Auch wenn es immer wieder Kritik an den vermeintlich pro-deutschen Forderungen nach Lebensmittellieferungen gab, beispielsweise vom Daily Express an George Lansbury 200 , erregte die schwierige Lage in Deutschland sehr wohl Aufmerksamkeit in der britischen Presse. Zu betonen ist dabei, daß nicht Mitleid der hauptsächliche Beweggrund für diese Reaktion war. Im Zentrum des Interesses stand vielmehr die notwendige Stabilität in Deutschland. Diese sollte einen dauerhaften, beständigen Frieden gewährleisten 201 und dem Land ermöglichen, die geforderten Reparationen zu bezahlen: „The Huns must Pay. So they must be fed." 202
4.3 Der Spartakusaufstand Ausführlich wurde über den Spartakusaufstand im Januar 1919 in Berlin berichtet. 203 Die Sympathien waren dabei eindeutig auf Seiten der Regierung Ebert. Zur Ermordung Rosa Luxemburgs hieß es beispielsweise „a death is not without an element of poetic 195 196 197 198 199
Daily News, 16.12.1918, S. 4. Vgl. Glasgow Herald, 20.12.1918, S. 6; Chronicle, 14.1.1919, S. 4. Guardian, 28.12.1918, S. 4. Times, 14.1.1919, S. 9. Churchill, Winston: The Aftermath being a sequel to The World Crisis, London 1929/ND 1944, S. 66.
200
Vgl. Daily Express, 31.1.1919, S. 6.
201
Vgl. Liverpool Daily Post, 18.12.1918, S. 4. Daily Mail, 13.11.1918, S. 2.
202 203
Vgl. Chronicle, 13.1.1919, S. 4; B'ham Post, 13.1.1919, S. 5; People, 12.1.1919, S. 6.
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justice, since her mission in life was to preach mob-violence and incite mobpassion"204. Die Daily Mail stellte lapidar fest, daß Deutschland an den Unruhen selbst schuld sei: „Bolshevism was an article of German manufacture, though it was intended only for export." Ausschließlich das Interesse der Alliierten wurde der Betrachtung zugrunde gelegt: „The Germans cannot be allowed to dissipate resources which will be needed to pay the bill for the damage they have done."205 Analog nahm die Times gegen die Spartakisten Stellung, da eine stabile Regierung in Deutschland für die Alliierten sehr wichtig sei. Dies könne nur durch ordnungsgemäße Wahlen zur Nationalversammlung erreicht werden, die die Spartakisten verhindern wollten.206 Entsprechend erleichtert war die Zeitung nach dem Scheitern des Umsturzversuches.207 Auch großes Mißtrauen wurde wieder offensichtlich. Die Western Mail vermutete, daß durch die Unruhen lediglich Zeit gewonnen werden solle. In der Hoffnung auf die Uneinigkeit der Allierten „they hope that delay will secure easier terms for them."208 Selbst die Möglichkeit, daß der Aufstand inszeniert wurde - „in oder to influence opinion abroad"209 wurde in Betracht gezogen.
4.4 Die Wahlen zur Nationalversammlung Wie in Großbritannien für das House of Commons war auch in Deutschland während des Krieges der reguläre Wahlzyklus für den Reichstag außer Kraft gesetzt worden. Erst nach der Revolution im November 1918 wurde durch die Übergangsregierung Ebert mit der Wahl zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19. Januar wieder eine reichsweite Stimmabgabe auf den Weg gebracht. Anders als die letzte Reichstagswahl des Kaiserreiches vom Januar 1912, die den Anfangspunkt der vorliegenden Untersuchung bildet, wurde der Wahl 1919 quantitativ wesentlich weniger Aufmerksamkeit zuteil. Dies ist um so bemerkenswerter, da die Auswirkungen für Deutschland und damit für das Nachkriegseuropa wesentlich dramatischer waren. Damit soll jedoch nicht gesagt werden, daß kein Interesse vorhanden war. Vereinzelt wurde die Wahl als „momentous event in the history of Germany"210 gesehen, besonders durch die Ausweitung des Wahlrechts auf circa 39 Millionen Personen. Die hohe Wahlbeteiligung wurde positiv vermerkt. Offensichtlich seien die Deutschen selbst an der Wiederherstellung einer stabilen Regierung interessiert. 2 " Die 204
Chronicle, 18.1.1919, S. 4.
205
Daily Mail, 9.1.1919, S. 2. Vgl. Times, 8.1.1919, S. 7.
206 207
Vgl. Times, 16.1.1919, S. 9, 15.1.1919, S. 9.
208
Western Mail, 8.1.1919, S. 4, vgl. People, 12.1.1919, S. 6.
209
Liverpool Daily Post, 8.1.1919, S. 4.
210
South Wales Daily News, 9.1.1919, S. 2.
211
Vgl. B'ham Post, 23.1.1919, S. 4.
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Befürchtungen, aufgrund der unruhigen Lage im Vorfeld könnten keine ordnungsgemäßen Wahlen durchgeführt werden, erfüllten sich zur Zufriedenheit der Zeitungen nicht.212 Es müsse beachtet werden, daß die von der Verfassung vorgesehenen Wähler die selben Personen seien „who gloried in the assassination of Belgium, in the destruction of Northern France, in the U-boat murders, in the Gotha and Zeppelin raids, and in the invention and use of flame-throwers and poison gas: and there is no sign that they repent of these crimes."213 Es wurde bemängelt, daß die Wahlen für die Alliierten ein bedenkliches Ergebnis zu Tage brachten: „They have resulted in the decisive defeat of those sections which used to oppose the war, and (though they have similarly put the Pan-Germans into the shade) they have as definitely committed the fate of the country to parties which used to render ready allegiance to the cause of German militarism."214 Auch in den Augen der Daily Mail änderte das Wahlergebnis wenig: „The complexion of the new German National Assembly is regarded as almost identical with that of the old Reichstag."215 Deshalb kam es ihr im wesentlichen darauf an, daß die alliierte Besatzungsarmee groß genug sein müsse, da Deutschland nach wie vor versuche, die Waffenstillstandsbedingungen zu untergraben. Dennoch wurde, wie nicht anders zu erwarten, im Vorfeld auf einen Sieg der gemäßigten Parteien gehofft. 216 Mit unverhohlener Zufriedenheit wurde festgestellt: „The extreme left (the Independent Socialists) and the reactionary right (the National Party and the People's Party) alike failed ignominiously"217. Als besonders überraschend wurde „the sweeping success of the German Democratic party"218 gesehen. Alles deute auf eine Koalition zwischen SPD und der Demokratischen Partei hin. Dies sei auch für die Alliierten von großer Bedeutung: „It would give Germany a strong Government with an indisputable moral right to bind the German state and people."219 Wie 1871 in Frankreich sollte die deutsche Nationalversammlung möglichst schnell von ausländischen Mächten anerkannt werden, damit es diese mit wahren Repräsentanten des Volkes zu tun hätten. Überwältigend falle die Mehrheit zugunsten der Befürworter des neuen Staates aus. „The convinced Republicans will outnumber all other parties by much more than two to one". Es könne keinen Zweifel geben „that the Republic has been ratified by the German people, and that the Empire is definitely buried."220
212
Vgl. Telegraph, 22.1.1919, S. 8.
213
Evening News, 22.1.1919, S. 2, vgl. 25.1.1919, S. 2. B'ham Post, 23.1.1919, S. 4.
2N 215 2,6 217 218 219 220
Daily Mail, 29.1.1919, S. 4. Vgl. Times, 18.1.1919, S. 9. Daily News, 22.1.1919, S. 4. People, 26.1.1919, S. 1, vgl. Times, 22.1.1919, S. 8f. Times, 24.1.1919, S. 9. Guardian, 23.1.1919, S. 4.
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Wie die weitere Entwicklung der neuen Republik zeigte, war die Einschätzung des Manchester Guardian viel zu optimistisch. Ein großer Teil der Wähler wandte sich bald von den republikanischen Parteien ab. Unmittelbar nach der Wahl herrschte jedoch eine andere Einschätzung vor. Da die Fanatiker der beiden extremen politischen Lager nicht zum Zug gekommen seien: ,A National Assembly elected on such an overpowering democratic vote is scarcely likely to go the way of Russian fiascos"221. Selbst der sozialistische Herald stand nicht hinter den deutschen Linksextremisten um Liebknecht und Luxemburg. Diese versuchten durch Unruhen das Abhalten der Wahlen zu stören oder zu verhindern. Deshalb hoffte die Zeitung, daß mit der Wahl der Nationalversammlung „then the German Republic, fluid and hypothetical to-day, will acquire a solid form." 222 Daraus wurden, auch für die Zusammenarbeit mit den Alliierten, neue Perspektiven abgeleitet. So stellte der Daily Telegraph fest: „The main difficulty which has confronted the Entente Powers hitherto has been the harassing doubt whether Berlin was to be governed by a lawless mob or by men of some responsibility." Auch wenn die Zukunft Deutschlands „obscure and doubtful" bleibe: „[...] the elections to a National Assembly have, as we trust, voiced the hopes and desires of a German community with which it may be possible to deal as an organised State."223 Daß die deutsche Nationalversammlung eine stabile Regierung konstituieren sollte, war der zentrale Aspekt für die britischen Zeitungen. Ihre Hauptaufgabe wurde darin gesehen, einen dauerhaften Frieden mit den Alliierten abzuschließen. Dies könne nicht durch eine von den alliierten gedeckte Regierung geschehen: „Governments brought to birth under the protection of enemy bayonets have a habit of living just so long as that protection is maintained, and no longer."224 Das einzige, das bei den Wahlen für die Alliierten von Bedeutung sei „is whether the elections will produce a Government with which they can treat and which they can admit into the League of Nations. In other words, is the new Germany a democracy or a camouflaged militarism?"225 Die Stellungnahmen zur Wahl der deutschen Nationalversammlung und der daraus entstandenen neuen, demokratischen Regierung wurden also sehr gegensätzlich betrachtet. Schon das Wahlergebnis wurde als „satisfactory" und „admonitory" zugleich bezeichnet: , A Republic is assured, but the Monarchical spirit is kept alive."226 Lob erntete die neue Regierung von der Daily News: „Ebert's Government has comported itself well. Its policy has been moderate and its administration efficient." 227 Die Birmingham Post war davon überzeugt, daß Ebert und Scheidemann „are perfectly ready to
221 222
Glasgow Herald, 22.1.1919, S. 6. Herald, 18.1.1919, S. 6, vgl. B'ham Post, 23.1.1919, S. 4; News of the World, 26.1.1919, S. 4; People, 26.1.1919, S. 1.
223
Telegraph, 22.1.1919, S. 8.
224
Daily News, 10.1.1919, S. 4. Star. 22.1.1919, S. 4. Scotsman, 25.1.1919, S. 6. Daily News, 28.12.1918, S. 4.
225 226 227
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encourage Bolshevism in France and Great Britain, precisely as it was financed and organised in Russia" , nur um daraus einen Vorteil zu ziehen. Trotz gute Ansätze „The omens for the future are, however, not altogether favourable."229 Das Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 könne sich in Weimar wiederholen. Schon der Mangel an erfahrenen Politikern erschreckte die Zeitungen.230 Gerade die SPD konnte im Januar 1919 auf nicht einmal drei Monate provisorische Regierungserfahrung zurückblicken. Angesichts der enormen Probleme, wie Demobilisierung der Soldaten, Arbeitslosigkeit und Revolutionsfieber, wurde aber eine erfahrene Regierungsmannschaft benötigt. Darüber hinaus bestand das enorme Mißtrauen gegen alles Deutsche fort. Dies beinhaltete alles von der neuen Regierung über die Parteien bis hin zur deutschen Bevölkerung.
4.5 Die politische Reorganisation Deutschlands Die Veränderung der Politlandschaft in Deutschland erweckte große Aufmerksamkeit in den britischen Zeitungen. Genauestens wurden vor allem die neuen Machthaber beobachtet. Schon vor dem Waffenstillstand wurden die potentiellen Kandidaten auch von gemäßigten Zeitungen angegriffen. Die Regierung Max von Badens vom Oktober 1918 wurde als „democratic-Camouflage Government"231 bezeichnet. Doch auch dessen Sturz änderte nichts an der Betrachtungsweise der Regierung in Deutschland: „Herr Ebert, Herr Scheidemann, and Herr Erzberger, who are to the fore in the new regime [...] have since the beginning of the war been consenting parties to the policy of the late Government."232 Als Mitverantwortlicher fur den Frieden von Brest-Litovsk „[Erzberger] is not a man whom we can trust"233. Er sei „the sometime Jingo who loudly joined in the contemptuous vituperation of the British Army at the outset of the war, and later framed the formula of 'no conquests, no indemnities,' in the hope of securing for Germany a minimum of financial loss when victory was seen to be unattainable."234 Deshalb wurde er als „notorious intriguer"235 bezeichnet. Die Skepsis gegenüber den neuen starken Männern in Deutschland wurde in den Augen britischer Zeitungen selbst in Deutschland geteilt. So seien von der bayerischen Regierung Proteste gegen die Beibehaltung der Ämter von Männern wie Erzberger und Solf erhoben worden, weil es sich um „men of the Kaiserdom"236 handle. Selbst die 228
B'ham Post, 23.11.1918, S. 6. Scotsman, 25.1.1919, S. 6. 230 Vgl. Chronicle, 24.1.1919, S. 4. 231 Mirror, 16.10.1918, S. 6. 232 Westminster Gazette, 11.11.1918, S. 1. 233 Westminster Gazette, 23.9.1918, S. 1. 234 Westminster Gazette, 11.9.1918, S. 1. 235 Irish Times, 8.11.1918, S. 2. 236 Liverpool Daily Post, 27.11.1918, S. 4. 229
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SPD, vor dem Krieg als Verkörperung der deutschen Demokratiebewegung gelobt, wurde in ihrer Gesamtheit sehr kritisch gesehen. Sie habe sich im Krieg ausgezeichnet „by its craven submission to the policy of the Kaiser and the Junkers." Manchmal werde gesagt, daß zwischen den Sozialdemokraten und der regierenden Klasse in Deutschland unterschieden werden müsse: „But that the distinction is scarcely discernible has been proved on many occasions by the action of the Majority Socialists in the Reichstag". Besonders fur ihre Verantwortung bei Kriegsausbruch wurden sie massiv angefeindet. Sie habe die stärkste Fraktion im Reichstag gestellt und mehr als ein Drittel der Wählerschaft repräsentiert: „Had they acted according to their professions, they could have stopped the war."237 Statt dessen habe sie sich mit einer Mehrheit von 78 zu 12 dazu entschlossen, die Finanzierung des Krieges im deutschen Parlament mitzutragen. Besonders die SPD-Spitzenpolitiker standen im Kreuzfeuer. „World domination"238 sei ebenso das Ziel der sozialdemokratischen Führung, wie es das der Junker gewesen sei. Ebert und Scheidemann ,,[b]oth supported the former German regime in its war policy through thick and thin." Sie hätten als „decoy ducks" gedient „to deceive simple people [...] who believed in German Social Democracy"239. Der neue Reichskanzler Ebert wurde als „'tame' socialist who supported the war" 240 bezeichnet. Wie der am äußersten rechten Rand des politischen Spektrum stehende Graf Reventlow, sei auch er nur „another Hun"241. Selbst Philipp Scheidemann, der die Republik ausgerufen hatte, wurde als „Hun Socialist"242 tituliert. Dies beruhte auf seiner Einschätzung aus Kriegszeiten. Es sei der Sozialdemokrat gewesen „who identified German Socialism with the brutal invasion of Belgium and refused to admit any national guilt in the matter."243 Mit demselben Problem wurde die zum Teil ausfuhrlich analysierte neue Parteienlandschaft konfrontiert. Auch hier handelt es sich meist um negative Bewertungen: „The new parties are for the most part the old parties, who supported the ex-Kaiser through thick and thin, under new names." Das Problem dabei sei, daß „change of title is not convincing evidence of a change of spirit."244 Es gingen also nicht nur die Angriffe gegen den preußischen Militarismus weiter. Auch die Vorwürfe gegen die Parteien und die deutsche Bevölkerung als ganzes, die seit Kriegsbeginn immer wieder erhoben worden waren, setzten sich fort: „The German people have long ago forfeited the right to be considered in any other light than as a criminal people"245. Zwangsläufig wurden auch deren Vertreter kritisch beobachtet.
237
Scotsman, 9.10.1918, S. 4.
238
Scotsman, 12.11.1918, S. 4.
239
Daily Mail, 11.11.1918, S. 2. Daily Mail, 18.12.1918, S. 4.
240 241
Sketch, 24.12.1918, S. 5.
242
Sketch,10.12.1918, S. 5. Westminster Gazette, 11.9.1918, S. 1. Scotsman, 22.1.1919, S. 6.
243 244 245
Evening News, 15.1.1919, S. 2.
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Schon vor der Wahl war sich der Scotsman sicher: „The new, like the old, leaders of Germany would readily set the world ablaze against if they saw a prospect of thereby escaping from some of the consequences of her guilt"246. Mit solchen Beschuldigungen gegenüber den gemäßigten Politikern und Parteien der neuen Republik riefen die Zeitungen Geister, die sie nicht mehr los wurden. Selbst Politiker, die fiir ihre tatsächliche oder vermeintliche Kooperation mit den Alliierten in Deutschland ihr Leben riskierten und die, wie Erzberger, später dafür ermordet wurden, wurden diskreditiert. Sie wurden von vornherein als potentielle Verhandlungspartner auf politischer Ebene ausgeschlossen. Erst als die Alliierten auf deren Zusammenarbeit angewiesen waren, da es ansonsten keine anerkannten Repräsentanten Deutschlands gegeben hätte, mußten sie sich notgedrungen damit abfinden. Eine konstruktive Kooperation der ehemaligen Kriegsgegner zur Lösung der vielen drängenden Probleme war aber dadurch enorm erschwert worden. Auf der anderen Seite standen zurückhaltendere Stimmen, die die anstehenden Veränderungen in Deutschland durchaus in positives Licht rückten. Beispielsweise zeigte sich der Manchester Guardian überzeugt, daß es eine Mehrheit der republikanischen Parteien geben werde: „There is very little, if any, trace of a Monarchist reaction."247 Selbst die Evening News sah die unmittelbare Zukunft in den Händen einer politischen Kombination „which is democratic without goig to extremes." Wenn sich die aufständischen Spartakisten durchgesetzt hätten, wäre es sinnlos gewesen, über Frieden zu sprechen: „Now we can go ahead."248 Eine Bereitschaft zur Verständigung beinhaltete dies jedoch nicht. Es ging um die Umsetzung der alliierten Ziele. Bereits Anfang Januar 1919 hatte der Glasgow Herald Kritik an der neuen deutschen Verfassung geübt. Auch wenn sie „on the whole a wisely framed document" sei, sei die Macht des Präsidenten „perhaps larger than can safely be given to one man in a country without Republican traditions."249 Nach der Wahl wurde dies bestätigt: „[...] substantially the new President will be the old Kaiser in some very essential respects"250. Das reine Verhältniswahlrecht, wie es für die Nationalversammlung angewandt wurde, fand einen Kritiker im Manchester Guardian, da die Kandidaten nicht mehr selbst gewählt wurden, sondern nur noch Listen der Parteien.251 Ein weiterer Schwachpunkt der Verfassung wurde in deren weitreichenden Möglichkeiten gesehen. Zwar habe der Kaiser abgedankt, es gebe jedoch keine Passus „to prevent the National Assembly recalling him to power at a favourable opportunity."252 Groß war die Furcht der Zeitungen vor einer Rückkehr Wilhelms II., den sie zum verkörperten Feindbild gemacht hatten. 246
Scotsman, 18.1.1919, S. 6. Guardian, 18.1.1919, S. 6. 248 Evening News, 22.1.1919, S. 2. 249 Glasgow Herald, 3.1.1919, S. 4. 250 Glasgow Herald, 22.1.1919, S. 6. 251 Vgl. Guardian, 23.1.1919, S. 4. 252 South Wales Daily News, 30.1.1919, S. 4. 247
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Dennoch wurde auf eine dauerhafte Besserung der Lage in Europa gehofft: „In a few years, with the sharpening of the political sense by the exercise of it, Germany may produce regular constitutional government in a republican form, and all the healthy rivalry of parties such a change must signify."253 Wenn dies gelänge, stelle die neue Ordnung in Deutschland einen bemerkenswerten Fortschritt dar, da es „those principles of democracy which are accepted by most of the principal Allied Powers" seien. Es sei „the first time the German people have a full control of their own affairs, and any Government which may be formed will act with a clear title."254 Wie die Wahlen bestätigt hätten, habe die Revolutionsregierung unter Ebert, die auch den Waffenstillstand abgeschlossen habe, eine breitere Basis in der Bevölkerung, als angenommen hätte werden können.
5. Die bevorstehende Friedenskonferenz Unmittelbar mit der Bekanntgabe des Waffenstillstandes intensivierten sich die Diskussionen um einen auszuarbeitenden Friedensvertrag. Daß die Waffenstillstandsbedingungen nicht mit den Friedensbedingungen identisch waren, wurde bereits an anderer Stelle belegt. Obwohl der Krieg militärisch entschieden war, wollte die britische Regierung um Lloyd George hinsichtlich der Presse weiterhin das Heft in der Hand behalten. Bereits kurz nach Einstellung der Kampfhandlungen wurde die Abschaffung der Zensurbestimmungen gefordert. Zurückhaltend formulierte die Times: „It is highly desirable that the Government should remove without delay as many as possible of the disabilities and restrictions which were imposed upon the public during the war."255 Dagegen hieß es im Daily Express ganz klar: „Abolish D.O.R.A."256 Doch auch nach dem Waffenstillstand kamen klare Anweisungen aus dem Press Bureau. Am 11. November wurde den Zeitungen mitgeteilt, wie die Berichterstattung über die noch nicht einmal anberaumte Friedenskonferenz auszufallen hatte: „It is very desirable in the national interest that nothing should be published during the progress of the Peace Congress which might embarrass the representatives of the Allies and Associated Governments or interfere with the unity of their demands."257 Je näher der Beginn der Konferenz rückte, desto ausführlicher wurden die Berichte über das bevorstehende Treffen der Alliierten, deren Repräsentanten sich zur Ausarbeitung der Friedensbedingungen trafen. Ganz bewußt wurde auf den Zusammenhang
253
Liverpool Daily Post, 18.1.1919, S. 4. Westminster Gazette, 24.1.1919, S. 1. 255 Times, 15.11.1918, S. 7. 256 Daily Express, 21.11.1918, S. 2, vgl. 14.11.1918, S. 2; Lloyd's, 1.12.1918, S. 4. Gemeint ist der „Defence of the Realm Act" vom 8.8.1914. 257 BL, Mss., Northcliffe Papers, Add. 62173/128, Press Bureau am 11.11.1918. 254
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zwischen der Ausrufung des deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871 und dem ersten Zusammentreffen der Versailler Friedenskonferenz auf den Tag genau 48 Jahre später verwiesen: „The exact coincidence was, doubtless, deliberately designed by the French, with their instinct for making history dramatic." 258 Zu beachten ist dabei, daß die meisten Zeitungen überwiegend Verfahrensfragen, beispielsweise ob Verhandlungen hinter geschlossenen Türen stattfinden sollten oder nicht, sowie territoriale Veränderungen diskutierten. Nur wenige konkrete Äußerungen finden sich in dieser Berichterstattung zu Deutschland. 259 Wie über die Waffenstillstandsbedingungen werde das Land auch über die Friedensbedingungen klagen. Es solle aber besser keine Zeit damit verschwenden: „The peace will be a dictated peace" 260 . Auch die Reorganisation Europas als Ganzes, fur die es zwei Möglichkeiten gebe, wurde erörtert. Einerseits könne die Aushandlung eines Friedens auf die herkömmliche Art und Weise erfolgen: „[...] a peace of power, of material securities, of particular national interests - that is, in a word, an Imperialistic peace". Andererseits gebe es die Möglichkeit „to find security and stability not on the assumption of national antagonisms but on that of common interests and of an alliance open to all nations for the maintenance of the general peace." 261 Ganz klar ersichtlich bevorzugte der Manchester Guardian die zweite Variante. Auch hinsichtlich der Friedensbedingungen ist also keine einheitliche Meinung festzustellen. Während die eine Gruppe ein hartes Vorgehen gegen Deutschland verlangte, um das Beste für Großbritannien zu erreichen, wollte eine Minderheit ein maßvolles Verhalten, um auf dem Umweg eines stabilen und friedlichen Europas ebenfalls das Möglichste fur das eigene Land zu tun.
6. Die innenpolitische Lage in Großbritannien Nachdem der „Große Krieg" zwischen August 1914 und November 1918 die Berichterstattung der Presse mehr als nur dominiert hatte, begannen sich die Zeitungen nach Ende der Kampfhandlungen wieder mehr mit innenpolitischen Ereignissen zu befassen. Wesentlicher Grund dafür war, daß wegen der Einstellung der Kampfhandlungen ein zentraler Aufhänger für die Zeitungen wegfiel. Bezeichnend für die Umstellung der Inhalte ist die Anweisung an die Times, das Blatt solle „as far as possible become a normal paper giving the same attention to golf, football, motoring, and such of them as before." 262
258 259
Star, 20.1.1919, S. 4, vgl. Telegraph, 20.1.1919, S. 8. Vgl. z.B. Star, 17.1.1919, S. 4, 18.1.1919, S. 4; Chronicle, 20.1.1919, S. 4; Graphic, 6.1.1919, S. 4; Guardian, 15.1.1919, S. 4; Yorkshire Post, 20.1.1919, S. 4f.
260
Times, 13.1.1919, S. 9.
261
Guardian, 10.1.1919, S. 4. TNL Archive/NOR/2/1/8, Memorandum vom 22.11.1918, Hervorhebung im Original.
262
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Zu beachten ist dabei, daß die Betrachtung anderer Länder einen ganz anderen Stellenwert einnahm als vor dem Krieg. Insbesondere Deutschland wurde fast ausschließlich vom Standpunkt alliierter Interessen gesehen. Außenpolitisch drehte sich alles um die Friedensbedingungen. Interne Ereignisse anderer Länder, die davon nicht berührt wurden, blieben weitgehend außen vor. Dafür drängte eine Reihe von Problemen in den Vordergrund, die zwar internationale Hintergründe hatten, sich aber vor allem auf die Innenpolitik Großbritanniens bezogen. Besonderen Stellenwert nahmen dabei die Massenstreiks ein. Wie bereits geschildert, hatte es in Großbritannien während des Krieges eine Reihe von Arbeitsniederlegungen gegeben. Besonders in den letzten Monaten vor dem Waffenstillstand hatte sich dies gehäuft. Von der Polizei, über Bergarbeiter und Schiffsbauer, bis zu den Eisenbahnern waren Berufsgruppen betroffen. Weiterhin wurden die Streikenden überwiegend scharf angegriffen: „The Government should strike, and strike hard, at the enemy within the citadel."264 Selbst die Arbeitsniederlegung bei den öffentlichen Verkehrsmitteln wurde als „National Danger"265 aufgefaßt. Die Soldaten hätten es an der Front viel schlechter als die Arbeiter zu Hause. Mit dieser Druckkulisse wurde die Produktion kriegswichtiger Güter aufrecht erhalten. Nachdem durch den militärischen Sieg der patriotische Zwang auf die Arbeiter weggefallen war, trotz aller Mißstände für die Front weiter zu produzieren, brachen wenige Wochen nach Einstellung der Kämpfe alle Dämme. Beispielsweise wurde am 23. Januar 1919 von 150.000 Streikenden in Yorkshire berichtet.266 Nur wenige Tage später wurde dieselbe Zahl aus dem Norden Irlands und aus Wales gemeldet.267 Für Glasgow wurde bald nicht mehr von Streiks, sondern von „Riots"268 gesprochen, die den Einsatz berittener Polizei und später des Militärs erforderten.269 Zusammengefaßt hieß es im Januar 1919: „Whole Country Strike Ridden."270 Wie schon vor 1914 wurde auch für die Innenpolitik wieder eine kriegerische Terminologie verwendet. So wurde angesichts der aufflammenden Streiks von „The War Clouds at Home"271 oder „labour warfare"272 gesprochen. Nicht mehr gegen Deutschland, sondern im Inneren gab es einen „fight to a finish" 273 . 263
264 265 266 267 268 269 270
Vgl. z.B. Glasgow Herald, 24.9.1918, S. 4, 27.9.1918, S. 4; Star, 30.8.1918, S. 4, 10.9.1918, S. 5, 24.9.1918, S. 1; Chronicle, 23.8.1918, S. 2, 31.8.1918, S. 1, 27.9.1918, S. 2; Daily Express, 25.9.1918, S. 2; Telegraph, 31.8.1918, S. 4. Glasgow Herald, 25.9.1918, S. 4. Daily Express, 19.8.1918, S. 2. Vgl. Evening Express, 23.1.1919, S. 3. Vgl. Western Mail, 28.1.1919, S. 5; Evening Express, 29.1.1919, S. 3, 29.1.1919, S. 3. Cambria Daily Leader, 31.1.1919, S. 1, vgl. Lloyd's, 2.2.1919, S. 1: Westminster Gazette, 1.2.1919, S. 1. Vgl. People, 2.2.1919, S. 1. Star, 22.1.1919, S. 1.
271
Cambria Daily Leader, 27.1.1919, S. 2.
272
Western Mail, 25.1.1919, S. 4.
273
Scotsman, 31.1.1919, S. 4.
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Zu diesen Problemen kam nach dem Ende des Krieges eine globale Katastrophe, wie sie die Menschheit seit den Pestepidemien kaum gesehen hatte. Innerhalb wesentlich kürzerer Zeit forderte die sogenannte Spanische Grippe weit mehr Menschenleben als der Krieg. In zwei Wellen breitete sie sich 1918/19 über die ganze Welt aus, wobei über 20 Millionen Menschen ums Leben kamen. Angesichts dieses erneuten menschlichen Desasters berichteten die Zeitungen in großem Umfang. Um so bedrohlicher wurde die Krankheit, da deren Verursacher, das Influenza-Virus, in der Medizin noch nicht bekannt war: „The pestilence, however, which, for short, and perhaps form lack of more exact knowledge, we call 'flu,' is running amok, both at home and abroad." 274 Schon vor Kriegsende hatte die „Influenza Scourge" 275 Sorgen bereitet. Um die Heimatfront nicht zu gefährden, war die Berichterstattung jedoch noch eingeschränkt. Mit der Verschlimmerung der Lage gab es dann aber auch mehr Berichte. Anfang Dezember 1918 wurde von 32.000 Toten innerhalb der sechs vorangegangenen Wochen gesprochen. 276 Ganze Familien würden an der Krankheit sterben.277 Neben dieser Epidemie standen praktische Probleme auf der Tagesordnung. So wurde die Demobilisierung der britischen Truppen intensiv diskutiert. Auf der einen Seite stand hier das Drängen der Familien auf baldige Rückkehr der Soldaten, andererseits mußte eine entsprechend große Anzahl an Truppen unter Waffen gehalten werden, um notfalls wieder gegen Deutschland vorgehen zu können: „Although the fighting has stopped the war is not over. 2 7 8 Überall wurden die „Demobilisation Grievances" 279 und die „Demobilisation Delays" 280 bemängelt. Auch Northcliffe fand, daß „The demobilisation muddle is increasing" 281 . Deshalb gab er die Anweisung, die Times solle sich der Sache annehmen. Eine befriedigende Lösung wurde bis Anfang 1919 jedoch nicht gefunden. Für die politische Entwicklung Großbritanniens waren die Parlamentswahlen am 14. Dezember 1918 von entscheidender Bedeutung. Der Wahltermin wurde bereits kurz nach Kriegsende angekündigt. 282 Bekannt ist die Wahl auch als coupon election. Damit wird auf von Lloyd George und Bonar Law unterzeichnete Briefe angespielt, um die entsprechenden Kandidaten als Vertreter der Koalition auszuweisen und gegen die Op-
274 275
Lloyd's, 3.11.1918, S. 4. South Wales Daily News, 21.10.1918, S. 2, vgl. Star, 26.10.1918, S. 5; Chronicle. 15.10.1918, S. 4, 31.10.1918, S. 4.
276
Vgl. News of the World, 1.12.1918, S. 4.
277
Vgl. Daily Express, 21.10.1918, S. 3.
278
News of the World, 12.1.1919, S. 4, vgl. 2.2.1919, S. 6; Scotsman, 2.1.1919, S. 4.
279
Liverpool Daily Post, 7.1.1919, S. 4. Β'ham Post, 8.1.1919, S. 4, vgl. Chronicle, 1.1.1919, S. 4. TNL Archive/GGD/1, Northcliffe an Dawson am 3.1.1919. Vgl. Sketch, 15.11.1918, S. 2; Western Mail, 15.11.1918, S. 5.
280 281 282
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position abzugrenzen.283 Ganz bewußt setzte der amtierende Premier auf die antideutsche Karte. Neben sozialen Aspekten, wie die Heimkehr der Soldaten, versuchte er vor allem mit Forderungen nach der Bestrafung des Kaisers und der Auferlegung hoher Reparationsleistungen zu punkten.284 Die Wählerschaft wurde auf emotionaler Ebene angesprochen. Schon im August 1918 hatte C.P. Scott davor gewarnt, daß „an election would only mean an orgy of anti-Germanism and alien hunting by the Tories"285 - womit er recht behalten sollte. Lloyd Georges antideutsche Stimmungsmache führte sogar zum Bruch mit engen Vertrauten. Ehemalige Freunde aus dem liberalen Lager warfen ihm vor, das niedrige Niveau eines Horatio Bottomley erreicht zu haben.286 C.P. Scott klagte nach dem Kriegsende beim späteren ersten israelischen Staatspräsidenten Chaijim Weizmann, der als Professor für Biochemie in Manchester lehrte und von 1916 bis 1919 Leiter der Laboratorien der Admiralität war, über den Premierminister: „I could no longer help you through Lloyd George whom I am engaged in opposing on the Election issue [...] Ll.G. doesn't know (it is an intellectual defect) what principle means."287 Die meisten Zeitungen setzten sich für eine Fortsetzung der liberal-konservativen 288
Koalition unter Lloyd George ein. Ohne Umschweife drückte der Daily Sketch seine Zustimmung für Lloyd George aus: „The Coalition should have the support of every 589 right-thinking man and woman in the land." Der Grund dafür konnte nicht prägnanter formuliert werden: ,Mr. Lloyd George 's administration has enabled us to win the war victoriously.1,290 Für den Daily Mirror war es „The Most vital Election in History". Jeder Mann und jede Frau solle wählen. Dabei gehe es nicht um politische Fragen: „Everyone should be either for or against the War-Winning Prime Minister."291 Der Daily Express versicherte: „The Coalition candidates [...] promise best to bring us to such desired end."292 Die umfassende Unterstützung dieser Zeitungen beruhte auf mehr als nur der patriotischen Überzeugung der Journalisten - dafür hatte Lloyd George im Vorfeld der Wahlen gesorgt. Nach Absprache mit ihren Besitzern konnte er sich während des Wahl283
Vgl. Wilson, Trevor: The Coupon and the British General Election of 1918, in: Journal of Modem History 36 (1964), S. 28-42, hier S. 29, Craig, Frederick: (Hg.): British Electoral facts 1855-1975, London 3 1976, S. 10. 284 Vgl. z.B. Sketch, 11.12.1918, S. 3; Irish Times, 6.12.1918, S. 2, Aitken, Men and Power, S. 304f. 285 Scott, Diaries, S. 351, Eintrag vom 7.-8.8.1918. 286 Vgl. Scott, Diaries, S. 362, Dillon an C.P. Scott im Dezember 1918. 287 MGA/335/56, Scott an Weizmann am 19.11.1918. 288 Vgl. B'ham Post, 14.12.1918, S. 6; Cambria Daily Leader, 15.11.1918, S. 2; Yorkshire Post, 9.12.1918, S. 4; Reynolds's, 8.12.1918, S. 1; News of the World, 8.12.1918, S. 4; Sketch, 14.12.1918, S. 5; Chronicle, 3.12.1918, S. 1. 289 Lloyd's, 17.11.1918, S. 4, Hervorhebung im Original, vgl. 8.12.1918, S. 4; Sketch, 12.12.1918, S. 3. 290 Lloyd's, 1.12.1918, S. 4, Hervorhebung im Original, vgl. Sketch, 30.11.1918, S. 5. 291 Mirror, 11.12.1918, S. 5, vgl. 14.12.1918, S. 5. 292 Daily Express, 14.12.1918, S. 4.
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kampfes auf den Daily Express von Lord Beaverbrook, auf Lord Rothermere mit dem Daily Mirror und Edward Hulton vom Daily Sketch verlassen.293 Dabei ist zu beachten, daß alle drei Blätter anders als der Premier vor dem Krieg dem konservativen Lager zuzurechnen waren. Darüber hinaus unterstützte auch der konservative Observer den liberalen Premier Lloyd George zur Fortführung seiner Regierung: „[...] the Government which has done more than any other in the world to win the war must have a full mandate to win the peace"294. Die Northcliffe-Gruppe stand der Person Lloyd George sehr kritisch gegenüber.295 Dies ist aber weniger auf politische Differenzen als auf den persönlichen Bruch zwischen dem Premierminister und Northcliffe zurückzuführen. Der Politiker hatte dem Journalisten mit der Aufforderung „to go to Hell"296 klar gemacht, daß er nicht als offizielles Delegationsmitglied an der Pariser Friedenskonferenz teilnehmen werde. Deshalb unterstützten Times, Daily Mail und Evening News vor allem die konservativen Kandidaten der Koalitionsregierung und nicht die liberalen. Aufgrund der Wahlabsprachen konnte sich dies jedoch kaum auswirken, da sich deren Programme kaum unterschieden. Nur wenige Zeitungen stellten sich gegen Lloyd George. So klagte der Herald, die Wahl sei „a deliberate attempt at revolution - at a revolution which shall finally shackle democracy and give absolute power into the hands or a narrow oligarchy closely linked with the great capitalist interests."297 Deshalb sei der einzig richtige Weg, der Labour Party die Stimme zu geben. Die Forderung des Herald nach Versöhnung mit den Feinden, sowie einer Vermögensabgabe zur Finanzierung der aufgelaufenen Kosten, gingen aber im Chor der Rufe nach Rache und Vergeltung unter.298 Als loyaler Anhänger von Ex-Premier Asquith erwies sich der Star. Er stellte sich hinter den Flügel der Liberalen, die nicht das Programm Lloyd Georges unterstützten. Die Zeitung sprach sich für „Fighting the Coalition Dictatorship"299 aus und klagte Lloyd Georges „betrayal of Liberalism"300 an. Niemand könne von sich allein behaupten, den Krieg gewonnen zu haben. Selbst der deutsche Kronprinz habe zugegeben, daß der Krieg schon nach der Marne-Schlacht 1914 entschieden gewesen sei. Also könne auch gesagt werden, Asquith habe den Krieg gewonnen.301 Nur selten wurde Kritik an Lloyd Georges Wahlprogramm laut. Niemand glaube, daß Deutschland die von Lloyd George geforderte Reparationssumme jemals würde zahlen können. Deshalb sei die
293
Vgl. Aitken, Politicians and the Press, S. 16f.
294
Observer, 17.11.1918, S. 8, vgl. 8.12.1918, S. 6. 295 Vgl. Evening News, 27.11.1918, S. 2. 296
Clarke, Lloyd George Diary, S. 45, vgl. Clarke, Northcliffe in History, S. 145.
297
Herald, 23.11.1918, S. 7.
298
Vgl. Brand, British Labour Party, S. 58. Star, 25.11.1918, S. 5.
299 300 301
Star, 2.12.1918, S. 4, vgl. 9.12.1918, S. 4. Vgl. Star, 6.12.1918, S. 4.
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Wahlkampagne „on the subject of 'making the Germans pay' [...] in all respects an example of how a serious subject should not be treated by a responsible man."302 Wegen dieses weitreichenden Rückhalts in der Presse waren seine Anhänger absolut überzeugt, daß die Koalition bestätigt würde.303 Dementsprechend fiel auch die Bewertung des Wahlergebnisses aus. 546 der 707 Sitze im House of Commons hatte die Regierungskoalition errungen. Es sei ein „Sweeping Election Victory"304 für Lloyd George. Von liberaler Seite schloß sich dem vor allem der Daily Chronicle an305, der gegen Kriegsende von einem Konsortium unter der Führung des Politikers aufgekauft worden war. Dagegen wurde die Zufriedenheit über die Wahlniederlagen der sogenannten Pazifisten ausgedrückt. Zu diesen zählten vor allem Labour-Politiker wie Snowden, Henderson und MacDonald, die für einen maßvollen Umgang mit Deutschland eintraten. Doch auch Ex-Premier Asquith, der das Land in den Krieg geführt hatte, wurde als angeblicher Pazifist und Deutschlandfreund massiv angefeindet.306 Alle genannten hatten ihre Parlamentsmandate verloren.307 Die Wahl habe die politische Landschaft mehr verändert „than the most tumultuous of electoral earthquakes ever did in the past." 308 Auch die Times freute sich trotz ihrer Distanz zu Lloyd George über „The Coalition Triumph"309. Neben dem Herald äußerten sich nur wenige Zeitungen enttäuscht über den Wahlausgang. Beispielsweise bedauerte die Westminster Gazette „the spectacle of the old British political system in ruins"310. Zu groß war die Mehrheit der Koalition, die aufgrund ihrer Zusammensetzung aus Liberalen und Konservativen eine sehr ungewohnte Verbindung in der britischen Politlandschaft darstellte. Trotz der fast einmütigen Begeisterung über Lloyd Georges Sieg und der überwältigenden Mehrheit seiner Regierung im House of Commons muß das Wahlergebnis differenziert beurteilt werden. Tatsächlich gewann die Koalition aus Lloyd GeorgeLiberalen und Konservativen mit 546 gegen 161 eine enorme Überlegenheit der Sitze gegen alle anderen Gruppierungen. Bei der prozentualen Verteilung der Wählerstimmen sieht dies jedoch deutlich anders aus. Von den gut 9,5 Millionen Wählern stimmten nur knapp 5,1 Millionen, also ca. 53,7 Prozent, für die Koalition.311 Auch wenn in den 46,3 Prozent der anderen Stimmen die irischen Wähler enthalten sind, die angesichts der Probleme auf der Grünen Insel einen Sonderstatus einnehmen, stellt die Koalitions302
Westminster Gazette, 12.12.1918, S. 1.
303
Vgl. Scotsman, 30.11.1918, S. 6.
304
Mirror, 30.12.1918, S. 2, vgl. South Wales Daily News, 30.12.1918, S. 4; B'ham Post, 30.12.1918, S. 4f.
305
Vgl. Chronicle, 30.12.1918, S. 1. Vgl. Western Mail, 30.12.1918, S. 5; Irish Times, 30.12.1918, S. 4.
306 307 308 309
Vgl. Brand, British Labour Party, S. 58. Evening News, 12.12.1918, S. 2, vgl. 12.12.1918, S. 2.
Times, 30.12.1918, S. 9. Westminster Gazette, 30.12.1918, S. 1. 311 Vgl. Times, 4.1.1919, S. 8, 30.12.1918, S. viii, Pugh, Martin: The Making of Modem British Politics 1867-1945, Oxford 3 2002, S. 162, Craig, Electoral facts, bes. Tabelle auf S. 9. 310
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mehrheit keineswegs einen so großen Wahlerfolg dar, wie er von ihren Anhängern unter den britischen Zeitungen verkauft wurde. Dies wird um so deutlicher, wenn die massive Unterstützung der cowpow-Kandidaten durch den größten Teil der Presse mit eingerechnet wird. Trotzdem erhielten Liberale und Labour 34,3 Prozent. Die viel ungleichere Sitzverteilung im Parlament beruhte vor allem auf dem Mehrheitswahlrecht. Zu beachten ist auch, daß aufgrund fehlender Umfragen aus dieser Zeit nicht genau bestimmt werden kann, aus welchen Gründen sich die Wähler für oder gegen Lloyd George entschieden. So muß eine Stimme für die Koalition nicht zugleich bedeutet haben, daß sie die Forderungen Lloyd Georges nach hohen Reparationszahlungen und Bestrafung der Kriegsverbrecher teilte. Umgekehrt konnte eine Gegenstimme trotz dieser Forderungen erfolgt sein und nicht unbedingt wegen ihnen. Besonders die Verdienste des Premiers für den Sieg konnten gewürdigt werden, ohne daß seiner Politik uneingeschränkt zugestimmt wurde. Es ist also hervorzuheben, daß die scharf antideutsche Koalition bei weitem keinen so großen Rückhalt in der Bevölkerung hatte wie die 2/3-Mehrheit im Parlament den Anschein erweckt.312 Hinzu kommt noch, daß die Wahlbeteiligung unter 60 Prozent lag.313 Auch wenn die Meinung der Nichtwähler nie geklärt werden kann, steckt darin dennoch auch ein großes Potential an Koalitionsgegnem, die sich nicht zuletzt aufgrund des hohen Drucks der Zeitungen gegen eine Stimmabgabe für die NichtRegierungsliberalen oder Labour entschieden und lieber zu Hause blieben. Ob die Regierung aufgrund der hochgehenden Emotionen der Bevölkerung auf die Unterstützung der Presse hätte verzichten können314, wird angesichts dieser Zahlen fraglich. Hinzu kommt, daß nach den nächsten Parlamentswahlen die aktive politische Karriere Lloyd Georges bereits 1922 zu Ende ging.315 Fakt ist in jedem Fall, daß die Koalition die Hilfe der Zeitungen nicht nur gerne annahm, sondern im Hintergrund aktiv darum geworben hatte.
312
Vgl. Weckerlein, Friedrich: Streitfall Deutschland. Die britische Linke und die .Demokratisierung' des Deutschen Reiches, 1900-1918, Göttingen, Zürich 1994, S. 398f. 313 Vgl. Repington, War, Bd. 2, S. 491. 314 Vgl. Koss, Press, Bd. 2, S. 346. 315 Dies legt die Vermutung nahe, daß die Bevölkerung mit der Handhabung des Kriegsendes durch Lloyd George nicht zufrieden war. Bestätigung findet der Sachverhalt durch die Wahlergebnisse nach dem 2. Weltkrieg (Vgl. Aitken, Men and Power, S. 324, Taylor, Trouble Makers, S. 131). Obwohl Churchill als Gewinner des Krieges gefeiert wurde, verlor er die nächsten Wahlen, wurde später aber nochmals Premier. Im Gegensatz zu Lloyd George setzte das Verhalten des Pazifisten MacDonald dessen politischer Karriere kein Ende. Er wurde von Januar bis November 1924 zum ersten Labour Premier in der Geschichte Englands. MacDonald regierte nochmals von 1929 bis 1935 zum größten Teil an der Spitze einer nationalen Partei, die gegen die Weltwirtschaftskrise vorging. Er trat aus gesundheitlichen Gründen zurück.
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7. Bilanz Wie nicht anders zu erwarten, änderte sich bis zum letzten Kriegstag wenig in der Berichterstattung der britischen Presse über den Gegner. Auch nach dem Waffenstillstand setzte sich die Diskreditierung und Diskriminierung Deutschlands unvermindert fort. Vor allem der Ruf nach Vergeltung verstummte nicht: „[...] it must be stated that the majority of people in this country, and a still greater majority of Frenchmen and Belgians, will be bitterly disappointed if the German people escape from suffering in person for the crimes which they have permitted their rulers and their soldiers to perpetrate." 316 Das Mißtrauen gegenüber Deutschland blieb der dominierende Faktor. Selbst die Unruhen in Kiel, die sich schließlich zur Revolution in Deutschland ausweiteten, wurden äußerst skeptisch gesehen. Diese seien zweifellos ernst, doch die Alliierten hätten es mit „a crafty and treacherous enemy" zu tun. Darum wurde die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß es sich um ein Täuschungsmanöver handeln könnte und die deutsche Flotte „is trying to escape to neutral waters before the armistice can be signed." 317 Gerade wegen der Hinterhältigkeit Deutschlands wurden harte Waffenstillstandsbedingungen und ein ebensolcher Friedensvertrag als unumgänglich erachtet. Über die möglichen Folgen einer Demütigung Deutschlands waren sich die Zeitgenossen dabei durchaus bewußt. So erinnerte der Herald an den deutsch-französischen Krieg. 48 Jahre seien vergangen: „[...] and men now think of revenge; they are paying back the crimes of the old Kaiser, Von Moltke, Bismarck, by wreaking vengeance on the helpless, on the innocent people of all Middle Europe." In wenigen Jahren werde deshalb eine Generation heranwachsen „full of bitterness, full of hatred, full of a desire for vengeance, born from the happenings of to-day. This must not be" 318 . Nicht zuletzt aus diesem Grund gab es Bemühungen, eine Normalisierung des Verhältnisses zu Deutschland einzuleiten. So fällt auf, daß die Verwendung des Terminus Hunne als Bezeichnung für die Deutschen nicht mehr allein dominierend war. Der Begriff „German", „Germans" oder „Germany" 319 fand wieder mehr Verwendung. Nicht überall wurde die gerade erst ausgerufene Republik negativ gesehen. So hieß es im nicht gerade deutschfreundlichen Observer, in Erinnerung an die gescheiterte demokratische Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts, daß das Deutschland Bismarcks und Wilhelms II. „has been replaced by the Germany of 1848, with Socialist additions." 320 Besonders diejenigen Zeitungen, die vor dem Krieg besonders deutschfreundlich gewesen waren, traten nach dem Krieg am schnellsten für ein maßvolles Verhalten ein. Die Westminster Gazette äußerte sogar ein wenig Verständnis für die Gefühlswelt der
316
Graphic, 14.10.1918, S. 2, vgl. 30.10.1918, S. 2.
317
Evening News, 8.11.1918, S. 2.
318
Herald, 1.2.1919, S. 3. Vgl. hierzu z.B. Sketch, 31.1.1919, S. 5; Mirror, 7.1.1919, S. 8f; Daily Express, 22.1.1919, S. I. Observer, 17.11.1918, S. 8.
319 3:0
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Deutschen. Es sei nicht zu erwarten „that the mass of the German people have in a few days put off the opinions and emotions which they have paraded since the beginning of the war, or that they are without bitterness and wrath in their hearts at our victory and at the catastrophe which has befallen them." Es wäre aber auch nicht menschlich „if they did not feel deeply the humiliation of their present position" 321 . Anzumerken ist jedoch, daß die Westminster Gazette durch das Ausscheiden von Außenminister Grey aus der Regierung bei weitem nicht mehr das politische Gewicht hatte, wie zuvor. Auch der Manchester Guardian hoffte auf eine vernünftige Nachkriegsregelung: „[...] we cannot have a League of Peace including a people that we treat as pariahs." Wenn das Land seine Strafe bekommen und die Schulden bezahlt hätte „Germany will be treated as beaten men are habitually treated by Englishmen. She will certainly be prevented form building up anew vast armaments founded on conscription, for conscription will be forbidden by the League of Nations. But she will be admitted to the League on the terms that alone can make the League a reality, and not left to foster in ruin and desolation." 322 Zu berücksichtigen ist hier, daß die Zeitung durch ihren zeitweisen Bruch mit Lloyd George viel Einfluß verloren hatte. Insgesamt waren es also nur wenige Blätter, die sich in Ansätzen aktiv um eine Aussöhnung mit Deutschland bemühten. Erst im weiteren Verlauf der Republik erhöhte sich die Bereitschaft hierzu. 323 Davon, daß sich die deutsch-britischen Beziehungen im Winter 1918/19 auf dem Weg zur Normalisierung befanden, kann deshalb höchstens in Ansätzen gesprochen werden. Die Hunnen blieben das allgegenwärtige Feindbild. 324 In den Monaten zwischen dem Zurückschlagen der letzten deutschen Großoffensive im Sommer 1918 bis zum Waffenstillstand im November hatte sich die antideutsche Propaganda unvermindert fortgesetzt. Bunselmeyer geht sogar davon aus, daß der Haß auf Deutschland „became more intense in the early autumn of 1918 than at any time during the War." 325 Doch auch nach dem Waffenstillstand setzte sich dies ungebrochen fort. Immer wieder wurde an die angeblichen und tatsächlichen deutschen Greueltaten erinnert. Das über Jahre aufgebaute Feindbild konnte nicht vom einen auf den anderen Tag verändert werden. Besonders die Northcliffe-Presse, doch auch zahlreiche andere Blätter wiesen immer und immer wieder auf die Unglaubwürdigkeit Deutschlands hin. Eine besondere Problematik wurde dadurch aufgebaut, daß schon vor dem Krieg Männer wie Ebert und Scheidemann zur alten kaiserlichen Machtelite gezählt wurden. Auch ihnen wurde enormes Mißtrauen entgegengebracht. Damit wurden auch die gemäßigten Kräfte in einem Maße herabgewürdigt, daß auf deutscher Seite zunächst kein potentieller Verhandlungspartner verfügbar war. Darüber hinaus dominierte die Angst vor Deutschland die Berichterstattung der Zeitungen weiter: „The old ambition has not 321
Westminster Gazette, 16.11.1918, S. 1.
322
Guardian, 13.12.1918, Vgl. Wittek, Auf ewig Vgl. Sketch, 9.1.1919, Bunselmeyer, Cost, S.
323 324 325
S. 6. Feind. S. 9, 29.1.1919, S. 6, 9, 30.1.1919. S. 4, 6f. 106.
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been laid aside with the downfall of German power and pride. It is ready to arise and to bring with it the old dangers, should opportunity be given." 326 Auch nach Kriegsende, der Einsetzung einer neuen Regierung und ihrer demokratischen Legitimierung durch die Wahlen zur Nationalversammlung wurde dem Land nicht vertraut: „A Germany which for so long has robbed, murdered, and ravished under Marshall Ueberalles, General Schrecklichkeit, and Admiral Spurlos Versenkt cannot be permitted to claim absolution on the ground that it acted under duress and that it is now - or will soon be - a happy family of Kameraden, eager to call all men brothers." 327 Bei der Berücksichtigung der vierjährigen Kriegspropaganda kann es nicht verwundern, daß das Mißtrauen gegenüber Deutschland nicht innerhalb weniger Tage erlosch. Die Widersprüche, Erklärungen und Forderungen aus Deutschland wurden zumeist als Tricks zur Spaltung der Alliierten betrachtet, um dadurch leichtere Friedensbedingungen zu erreichen. Dennoch ist das fortgesetzte, massiv anti-deutsche Verhalten kritisch zu bewerten, da die Probleme, die sich später daraus entwickelten, durchaus erkannt wurden. So riefen vor allem die geplanten territorialen Veränderungen bei weitsichtigeren Zeitgenossen Kritik hervor. Schon im August 1918 warnte der populistische Daily Mirror, daß die Umsetzung des Nationalitätenprinzips leicht neue Kriege hervorrufen könne. 328 So war es dann auch nach Kriegsende vollkommen klar, daß ein neu zu gründender polnischer Staat eine große deutsche Bevölkerungsminderheit haben werde: „That difficulty is the really arduous problem which the application of the doctrine of nationality in many instances offers. What is to be done with the minorities - who in most instances are bitterly hated by the majorities?" 329 Auch wenn der Herald nicht grundsätzlich territoriale Veränderungen ablehnte, kritisierte die Zeitung die geplante Abtrennung Ostpreußens vom Mutterland durch einen polnischen Korridor an die Ostsee. Auch die Eingliederung der Masuren und Schlesier in einen polnischen Staat, „who though they are of Polish origin, were assimilated by Germany centuries ago" 330 , wurde als äußerst problematisch betrachtet. Besonders pikant war der Umgang mit den deutschsprachigen Resten der ehemaligen Donaumonarchie, die sich an das Deutsche Reich anschließen wollten. Auf der einen Seite stand hier die Sicht, daß das Selbstbestimmungsrecht den Österreichern nicht verweigert werden könne, wenn es andererseits auf die Tschechen und Slowaken angewendet wurde. 331 Die Weigerung der Tschechoslowaken „to allow the purely German border regions of Bohemia and Moravia to be detached (with 3 lA million inhabitants) from the Tchech state" 332 wurde als Keimzelle zukünftiger Probleme erkannt. Letztlich
326
Scotsman, 29.1.1919, S. 6. Glasgow Herald, 12.11.1918, S. 4. 328 Vgl. Mirror. 16.8.1918, S. 6. 327
329 330 331 332
Times, 18.12.1918, S. 9. Herald, 18.1.1919, S. 6. Vgl. Herald, 26.10.1918, S. 4. Herald, 18.1.1919, S. 6.
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überwog jedoch die Furcht davor, daß durch einen Anschluß der deutschsprachigen Gebiete des ehemaligen Österreich-Ungarn ein noch bedrohlicheres Deutschland entstehen könnte, als es vor dem Krieg ohnehin war. 333 Es gab also schon im Januar 1919 Stimmen, die die großen Probleme der Zwischenkriegszeit, verursacht durch die territorialen Veränderungen, vorhersahen und vor deren Konsequenzen warnten. 334 Mit zunehmendem Abstand zu den Kriegsereignissen beschäftigten sich die Zeitungen mehr mit der zukünftigen Entwicklung Europas. So befaßte sich die Westminster Gazette an Weihnachten 1918 mit dem Teufelskreis der Geschichte. Sie bemängelte die Unfähigkeit der jeweiligen Sieger eines Krieges „to make a good and lasting peace, the revival of the conquered and their gradual preparation for a war of revenge". Auf Sedan 1870 sei „the great smash of 1918" gefolgt. Um die eigene Seite zum Nachdenken zu animieren, stellte die gemäßigte Zeitung die Frage: „Can we break this fatal sequence, or is it ordained that we shall start again on the old circle?" 335 Unverhohlen forderte sie ein Ende der alten Verhaltensweisen, um einen gerechten Frieden zu erreichen. Deshalb: „We shall not dismember Germany, as they dismembered Russia, or take from her any purely German territory. But we shall ask her to restore what she has taken from others" 336 . Am wenigsten im Interesse der Alliierten könne es sein „to have a new Sick Man of Europe in a state of chronic unrest and revolution." 337 Eine stabile Lage in Deutschland würde die Siegermächte finanziell enorm entlasten, da die Kosten einer großen Besatzungsarmee gespart werden könnten. Bereits im Oktober 1914 hatte der Quäker George Cadbury Unverständnis über die Angriffe der Daily Mail auf seine Daily News geäußert, die gegen „poisoning the minds of the people against those with German names and Germans who are settled in the country" protestiert hatte. In den Augen des Schokoladenfabrikanten zeigte dies die Stimmung „that we must expect when the time for settlement comes, and when probably the unscrupulous papers will cry out for revenge without any regard as to what the result for the future may be." 338 Cadbury sollte mehr als nur Recht behalten. Die Angriffe gegen in Großbritannien ansässige Deutsche und Menschen mit deutsch klingenden Namen blieben ein Nebenkriegsschauplatz. Viele andere Anklagen und Beschuldigungen wurden während des Krieges weitaus intensiver gefuhrt und hatten ihre Absicht nicht verfehlt. Deshalb war auch die Hoffnung auf eine baldige Aussöhnung nach dem Krieg verfrüht. Zu tief saß der Haß.
333
Vgl. Yorkshire Post, 4.11.1918, S. 4. Zum Umgang der britischen Presse mit Deutschland in der Nachkriegszeit ist vor allem Wittek, Auf ewig Feind zu beachten. Hier wird die Wandlung des Deutschlandbildes hin zum positiven und deren Hintergründe dargelegt. 335 Westminster Gazette, 24.12.1918, S. 1. 336 Westminster Gazette, 31.10.1918, S. 1. 337 Westminster Gazette, 9.1.1919, S. 1. 338 UL, BLPES, ARR, A. G. Gardiner Papers, 1/8, George Cadbury an Gardiner am 26.10.1914. 334
Schlußbetrachtung
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Zeitungen aus den verschiedenen Regionen konnte nicht festgestellt werden, deshalb wurde mit Ausnahme der Julikrise auf eine entsprechende Differenzierung bei der Untersuchung verzichtet. Für einzelne Ereignisse gibt es tatsächlich eine unterschiedliche Gewichtung der Berichterstattung. So stand bei englischen Zeitungen die Beschießung englischer Küstenstädte mehr im Mittelpunkt, irische Blätter neigten zu mehr Aufmerksamkeit für vor ihrer Küste versenkte Schiffe. Dies trifft jedoch in ähnlichem Maße für innenpolitische Ereignisse zu, wie beispielsweise Streiks, und gehört zur üblichen regionalen Ausrichtung von Zeitungen. Der wesentlich größere Unterschied findet sich zwischen seriösen Zeitungen und den Boulevardblättern, so daß hier eine differenzierte Analyse angesetzt werden konnte. So setzte die Yellow Press wesentlich mehr auf die Verbreitung von deutschen Greueltaten und die Herabsetzung von allem, was mit Deutschland zu tun hatte. Dennoch ist diesbezüglich auch die Bedeutung seriöser Zeitungen nicht zu unterschätzen - nicht zuletzt an den Times-Artikel „The March of the Huns"1 ist hier zu erinnern. Schon im August 1914 hatte die Zeitung maßgeblich zur Verbreitung dieser Terminologie in anderen Zeitungen beigetragen. Eine gewisse Abgrenzung ist auch zwischen konservativen und liberalen Zeitungen zu erkennen. Während die meisten konservativen sehr großzügig mit Greuelmeldungen umgingen, waren Zeitungen wie der Manchester Guardian und die Westminster Gazette viel zurückhaltender. Dies ist in Verbindung mit dem wesentlich deutschfreundlicheren Kurs zu sehen, den diese Zeitungen vor dem Krieg fuhren. Anders ist dies beim (Daily) Herald, der dem deutschen Kaiserreich besonders wegen dessen Regierungsform sehr kritisch gegenüber gestanden hatte. In Anlehnung an seine Grundeinstellung trat diese sozialistische Zeitung nach dem Kriegseintritt am maßvollsten gegenüber Deutschland auf, vor allem was Greueltaten angeht. Ebenso gilt dies für die Kriegszieldiskussion. Die größere Zurückhaltung der liberalen und der sozialistischen Zeitungen2 ist jedoch
' Times, 29.8.1914, S. 9. Vgl. Lentin, Antony: Lloyd George, Woodrow Wilson and the Guilt of Germany. An essay in the prehistory of Appeasement, Leicester 1984, S. 89, Nicolson, Harold: Friedensmacher 1919, Berlin 1934, S.
2
61.
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nicht gleichzusetzen mit einer deutschfreundlichen Politik. Quer durch alle Lager herrschte weitestgehende Einigkeit, daß Deutschland in seiner bestehenden Form kein Verhandlungspartner war. Entweder - so wenige Ausnahmen - mußte sich das System in Deutschland verändern, oder - so die überwältigende Mehrheit - der Krieg müsse bis zum bitteren Ende ausgefochten werden. Verhandlungen oder eine Kompromißlösung kamen nicht in Frage. Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt werden konnte, unterlag das Deutschlandbild der britischen Presse von 1912 bis 1919 einem außerordentlichen Wandel. Anders als in der Literatur 3 angenommen, wurde das deutsche Kaiserreich in der Vorkriegszeit nicht negativ dargestellt. Zwar gab es einzelne Kritikpunkte, die verschiedene Zeitungen ohne Zurückhaltung ansprachen, zum allergrößten Teil überwog jedoch eine positive Sicht. Dies gilt insbesondere für Kaiser Wilhelm II. Zwar wurde mit Kritik an seiner Person nicht gespart, wenn es die Zeitungen für angebracht hielten. Insbesondere an sein zeitweise herausforderndes und ungeschicktes Auftreten in der Außenpolitik wurde erinnert. Insgesamt wurde dem „Friedenskaiser" jedoch vor allem die aktive Verhinderung von Konflikten in Europa hoch angerechnet. Hinzu kamen seine Fähigkeiten als sehr modemer Monarch, dem sein Land eine prosperierende Zeit und den Aufstieg zu einer führenden Wirtschaftsmacht verdankte, die sogar Großbritannien Konkurrenz machen konnte. Unmittelbar nach Kriegsbeginn veränderte sich Wilhelms Ansehen ins Gegenteil. Da ihm vorher der Verdienst am Erhalt des Friedens angerechnet worden war, mußte er in den Augen der Zeitungen auch für den Kriegsausbruch die Verantwortung übernehmen. Daraus leitete sich seine Darstellung als personifiziertes Feindbild der Alliierten ab. Dieses basierte vor allem auf den tatsächlichen und angeblichen Greueltaten deutscher Soldaten, für die dem Kaiser als Oberbefehlshaber der deutschen Armee die persönliche Schuld angelastet wurde. Aus dieser Kombination von Vorwürfen leiteten die Zeitungen zusammen mit den alliierten Regierungen die Forderung nach einem Rücktritt Wilhelms II. ab, bevor mit Deutschland über einen Frieden verhandelt werden konnte. Nur wenige Zeitungen hielten es für möglich, daß der Kaiser oder ein Mitglied seiner Familie weiter an der Spitze des deutschen Staates stehen könne. Trotz dieser permanenten Forderung war die Überraschung sehr groß, als Wilhelm im November 1918 tatsächlich zum Rücktritt gezwungen wurde. Dieses Erstaunen ist nicht verwunderlich, ging doch beispielsweise die Birmingham Daily Post vor dem Krieg davon aus, daß es nichts gebe, was Wilhelm in seiner Position gefährden könne: „A successful war could hardly leave him more securely installed as the leader of his people; an Imperial disaster could hardly destroy the halo of quasi-sanctity which surrounds him." 4 Um so zufriedener waren die Zeitungen dann, als er endlich abgelöst wurde. Darüber hinaus wurde er wei-
3 4
Vgl. z.B. Haste, Home Fires, S. 19. Β'ham Post, 16.6.1913, S. 6.
Schlußbetrachtung
499
terhin als Bedrohung dargestellt. Deshalb traten die Zeitungen entweder für einen Prozeß wegen Kriegsverbrechen ein, oder forderten eine Verbannung, wie bei Napoleon. Eine Rehabilitierung Wilhelms stand nicht mehr zur Diskussion. Ähnlich wie die britischen Zeitungen gegenüber Wilhelm II. auftraten, behandelten sie zwischen 1912 und 1914 auch sein Land. Verschiedene Aspekte wurden zwar als antiquiert und anachronistisch beurteilt, beispielsweise das Wahlsystem für die preußische Länderkammer und die fehlende parlamentarische Verantwortung der Reichsregierung, besonders auf wirtschaftlicher und sozialpolitischer Ebene wurde Deutschland aber ein hohes Maß an Fortschrittlichkeit zugestanden. Gesellschaftspolitisch erreichte das Kaiserreich eine enorme Aufmerksamkeit in der britischen Presselandschaft. Auch wenn dies schwer meßbar ist, entstand bei der Untersuchung der Presse doch der Eindruck, daß über den Kaiser und sein Land wesentlich ausführlicher und herzlicher berichtet wurde als zum Beispiel über andere Staatsoberhäupter, wie den Zaren oder den französischen Präsidenten. Dies ist um so bemerkenswerter, da aus bündnispolitischer Sicht Großbritannien wesentlich enger an Frankreich und Rußland angelehnt war. Auf militärischer Ebene galt Deutschland zu Lande als enorme Macht. Für Großbritannien war aber in erster Linie die Stärke der deutschen Marine von Bedeutung. Mehr und mehr gewann ein Großteil der Zeitungen die Überzeugung, daß die deutsche Aufrüstung zur See zwar lästig sei, aber für die Überlegenheit der Royal Navy keine tatsächliche Gefahr bestand. Von einem großen Teil der Presse wurden deshalb weitere Investitionen abgelehnt. Die Fürsprecher einer weiteren Aufrüstung begründeten diese nicht mehr mit einer Gefahr durch Deutschland, sondern mit den weltweiten Verpflichtungen Großbritanniens. Außerdem waren die Ausgaben für das deutsche Heer zu hoch, um auf Dauer mit den britischen Marineausgaben mithalten zu können. Die Aufrüstung des deutschen Heeres wurde seinerseits immer wieder, aber durchaus nicht als alleiniger Faktor, für die generellen Verstärkungen der europäischen Landstreitkräfte genannt. Dies wurde häufig als Gefahr für den Frieden wahrgenommen, aber eben nicht als Produkt deutscher Aggression, sondern als übergreifendes Zeitgeistphänomen. Ohnehin wurde Deutschland nicht ausschließlich als militaristischer Staat aufgefaßt. Zwar wurde dem Militär ein enormer Grad an Einfluß zugeschrieben, mit Hinweis auf die Reichstagswahlen von 1912 und der Empörung über die Zabem-Affäre wurde aber überwiegend davon ausgegangen, daß die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit friedliebend war. Auch die deutsche Außenpolitik wurde vor dem Krieg größtenteils nicht als aggressiv angesehen. Dabei gab es zwar Ausnahmen, aber nur vereinzelt. Selbst die deutschfranzösischen Beziehungen hatten sich in den Augen der englischen Zeitungen verbessert. Ansonsten hätte es nicht selbstverständlicher sein können, daß Deutschland in der internationalen Politik seine eigenen Interessen vertrat - wie jedes andere Land auch. Wichtig ist es, hier nochmals zu betonen, daß Deutschland als Faktor für den Erhalt des Friedens in Europa gesehen wurde, da es eben nicht zu den Waffen griff, auch wenn ab und zu mit dem Säbel gerasselt wurde.
500
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Wie durch die Auswertung der britischen Presse gezeigt werden konnte, kam es vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu einer tiefgreifenden Annäherung zwischen Deutschland und Großbritannien. Diese umfaßte eben nicht nur wirtschaftliche und politische Fragen, sondern griff auch auf emotionaler Ebene. Lange zurückliegende Fehltritte des Kaisers, wie die Daily Telegraph-Affare oder das Krügertelegramm, wurden kaum noch thematisiert. Wäre es nicht zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gekommen, so wäre eine dauerhafte, stabile Annäherung zwischen Großbritannien und Deutschland denkbar gewesen, auch wenn eine Abwendung von Frankreich ausgeschlossen wurde. Die Meinung Niedharts, der deutsch-britische Gegensatz sei auf dem Weg zum Ersten Weltkrieg der entscheidende Sprengsatz gewesen, wurde in der zeitgenössischen Presse völlig gegensätzlich dargestellt.5 In den Augen der Zeitungen hatten sich die Beziehungen in den Vorkriegsjahren wesentlich verbessert. Dies wird dadurch unterstrichen, daß die deutschlandfreundlichen Äußerungen innerhalb des hier untersuchten Zeitraumes sowohl quantitativ zunahmen, als auch qualitativ immer deutlicher formuliert wurden. Von einem schlechten Verhältnis oder gar einem Konflikt zwischen Deutschland und Großbritannien wurde vor dem Kriegsausbruch nicht gesprochen. Im Gegenteil wurde erfreut zur Kenntnis genommen, daß sich die bestehenden Reibungspunkte verflüchtigt hätten. Wie eng die Verbundenheit mit Deutschland geworden war, macht die Bezeichnung der Deutschen als „our kinsfolk on the other side of the North Sea"6 deutlich. Waren klare Freundschaftsbekundungen Anfang 1912 noch eher selten zu finden, so änderte sich dies im Laufe der beiden folgenden Jahre. Von der Haldane-Mission über die Berufung der neuen Botschafter Marschall von Bieberstein und Lichnowsky wurde die Berichterstattung zusehends freundlicher. Einen enormen Schub erhielt sie anläßlich des Besuchs der englischen Königsfamilie in Berlin im Mai 1913 und dem 25. Thronjubiläum des Kaisers im folgenden Monat. Bemerkenswert ist dabei, daß einzelne Kritikpunkte zwar nicht ausgeklammert wurden, die andauernde Verbesserung jedoch nicht beeinträchtigten, sondern höchstens für einen offenen Umgang miteinander standen. Zwischen 1912 und 1914 kam es zu einer Stabilisierung der guten Beziehungen auf hohem Niveau. Dies zeigt sich auch durch die freundlichen Berichte der Presse über den britischen Flottenbesuch anläßlich der Kieler Woche, die im Juni 1914 begann. Entscheidend für die Vorkriegszeit ist, daß die beiden Länder die deutliche Distanz aus den Jahren vor 1912, an die immer wieder erinnert wurde, bis zum Kriegsausbruch fast vollständig überwanden. Es kann sogar davon gesprochen werden, daß die deutschbritischen Beziehungen im Sommer 1914 einen positiven Höhepunkt erreichten, wie es seit mindestens einem Jahrzehnt nicht mehr der Fall gewesen war. Dies wurde auch auf die Lage der Großmächte ausgedehnt. Zwar wiesen die Zeitungen immer wieder auf die
5 6
Vgl. Niedhart, Geschichte Englands, S. 143. Zur Marinerüstung siehe Metz, Navy Scare, S. 123. Glasgow Herald, 15.1.1912, S. 8.
Schlußbetrachtung
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bestehenden Konfliktherde der Welt hin, insbesondere auf den Balkan mit seinen vielfachen zwischenstaatlichen Problemen. Im großen und ganzen wurde die Lage in Europa jedoch als stabil eingeschätzt und nicht mit einem Krieg zwischen den Großmächten gerechnet. Deutschland galt nicht als Störenfried der internationalen Politik. In diese entspannte Situation platzte im Juni 1914 die Ermordung des österreichischen Thronfolgers. Rosenberger geht davon aus, daß Konflikte, die ihre Schatten vorauswerfen, in Zeitungen bereits vorab verarbeitet werden. 7 Betrachtet man den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, so ist fur die britische Presse festzustellen, daß der nahende Konflikt für sie nicht absehbar war. Dies wirkte sich auch in der Julikrise aus. Selbst Wochen nach dem Attentat wurde der österreichisch-serbische Konflikt nicht als Bedrohung fur den europäischen Frieden gesehen. Hartes Vorgehen der Donaumonarchie gegen das kleine Balkanland erschien aufgrund dessen Verhalten als legitim. Erst die russische Intervention machte in den Augen auch der deutschlandkritischsten Zeitungen den lokalen Konflikt zu einer Angelegenheit der europäischen Großmächte. Daß Deutschland in diesem Fall an der Seite seines Bündnispartners stehen würde, stand weder in der Julikrise noch in der Zeit davor außer Frage. Die britischen Interessen sah ein großer Teil der Zeitungen nicht berührt. Gerade an die nicht lange zurückliegenden Krisen wurde erinnert, die allesamt friedlich gelöst worden seien. Somit kann es nicht verwundern, daß Großbritannien im Juli 1914 trotz des Attentats ganz auf die innenpolitische Lage, besonders auf die Home Rule Crisis, konzentriert war und die Ermordung Franz Ferdinands nur sehr kurz im Interesse der Journalisten und ihrer Leser stand. Dabei wurde das Attentat einhellig verurteilt und eine Bestrafung der Täter gefordert. Ein panserbischer Hintergrund der Tat wurde auf breiter Front für wahrscheinlich gehalten. Auch die Mitwisserschaft der serbischen Regierung, vereinzelt sogar Rußlands, wurde in Betracht gezogen. Da sich aus dem Attentat zunächst keine weiteren Konsequenzen ergaben, verschwand die Angelegenheit innerhalb der nächsten Wochen aus den Schlagzeilen. Nur noch wenige Artikel wurden hierzu veröffentlicht. Dies gilt auch für die wenigen Zeitungen, die dem Attentat anfangs eine große politische Bedeutung beigemessen hatten. So ist es nicht verwunderlich, daß selbst als seriös anerkannte Zeitungen nicht auf die plötzliche Verschärfung des Konflikts vorbereitet waren. Nach Bekanntwerden des österreichischen Ultimatums an Serbien wurde auf das Recht Österreichs und die Pflicht Serbiens zur Aufklärung des Attentats und der Bestrafung der Täter hingewiesen. Der Ton der österreichischen Note wurde einhellig abgelehnt. Dennoch wurde für scharfe Maßnahmen der Donaumonarchie Verständnis gezeigt. Sogar die Times sah unter gewissen Umständen eine Berechtigung Österreichs „for extreme measures, and even for war" 8 . Die Einschätzung des deutschen Botschaf-
7
Vgl. Rosenberger, Zeitungen, S. 231. 'Times, 22.7.1914, S. 9.
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ters, „daß bei militärischen Maßnahmen gegen Serbien [die] gesamte öffentliche Meinung gegen Österreich-Ungarn Stellung nehmen wird"9, trat also zunächst nicht ein. Als die Krise Ende Juli akut wurde, sprach sich zunächst eine Mehrheit der Zeitungen gegen eine britische Intervention aus. Erst mit zunehmender Wahrscheinlichkeit eines britischen Eingreifens verschob sich dies. Trotzdem gab es bis unmittelbar vor Kriegsausbruch aus liberalen Kreisen Stimmen, die eindeutig gegen einen Kriegseintritt Englands Stellung bezogen. Dazu gehörten auch der Regierung in dieser Frage vermeintlich nahestehende Zeitungen. Dadurch wurde auf deutscher Seite der Eindruck verstärkt, daß Großbritannien neutral bleiben werde. Mit ihren verschiedenen, ja gegensätzlichen Meinungen spiegeln die britischen Zeitungen die verzwickte Lage des Landes vor dem Krieg wider: Würde England im Falle einer Intervention an der Seite Frankreichs besiegt, mußte das Land mit der Rache Deutschlands rechnen. Umgekehrt mußte es sich des Zorns Frankreichs und Rußlands bewußt sein: Sollten diese beiden Länder ohne England siegen, war eine Aufrechterhaltung der guten Beziehungen nicht zu erwarten. Bei einem Sieg der Mittelmächte wäre ein neutral gebliebenes Empire der deutsch-österreichischen Allianz alleine gegenüber gestanden. Den britischen Kurs bestimmten letzten Endes wenige englische Politiker.10 Die Zeitungen selbst hatten schon aufgrund der rasanten Entwicklung der Ereignisse auf die Entscheidungen der Politiker wenig Einfluß. Für diese waren die interventionistischen Zeitungen jedoch willkommene Verbündete auf dem Weg in den Krieg. Die öffentliche Meinung spielte, anders als Grey in seinen Memoiren behauptete", keine große Rolle. Es gab zwar Befürworter einer Intervention, umgekehrt gab es aber auch zahlreiche Interventionsgegner, wie nicht zuletzt die Anti-Kriegsdemonstration auf dem Trafalgar Square kurz vor Kriegsausbruch zeigt. Von einer aufkommenden Kriegsbegeisterung kann dabei jedoch in beiden Fällen nicht gesprochen werden. Nur in wenigen Fällen kritisierten die Zeitungen Anzeichen von Kriegsbegeisterung. Erst als eine Kriegsbeteiligung Frankreichs wahrscheinlich wurde, begannen sich die Zeitungen mit einer möglichen Verwicklung Großbritanniens auseinanderzusetzen. Dabei differierten die Stellungnahmen der Zeitungen sehr stark. Uneinheitlich zeigten sich die konservativen Blätter. Während die Zeitungen Northcliffes als erstes auf Interventionskurs gingen, äußerte sich eine ganze Reihe gegenteilig. Auf liberaler Seite gab es zunächst einen einhelligen Tenor gegen ein englisches Eingreifen. Dies galt anfangs sogar für eine mögliche Verwicklung Frankreichs. Erst bei einer direkten Bedrohung Englands wurde eine Intervention als gerechtfertigt betrachtet. Befürchtungen wurden nicht nur hinsichtlich einer deutschen Hegemonie auf dem Festland laut, mehrfach stellte sich ein französisch-russischer Sieg als weitaus bedrohlicher für Großbritannien dar. Wie von den Konservativen wurden schließlich auch von den Liberalen die Eigeninte9 10 11
DDK 1, Nr. 55 vom 16.7.1914, S. 82, Lichnowsky an AA. Vgl. Steiner, Origins, S. 3. 6. Vgl. Grey, Years, Bd. 3, S. 275.
Schlußbetrachtung
503
ressen des Landes als Interventionsgrund genannt. Im Mittelpunkt stand die mögliche Gefährdung des Empires. Die Frage der belgischen Neutralität wurde von beiden Gruppen nicht als primäre Ursache für ein Eingreifen genannt. Erst nach Kriegsausbruch wurde verstärkt auf die Ehre und die Verpflichtung, für die Freiheit und die Integrität Belgiens zu kämpfen, hingewiesen. Für Serbien an der Seite Rußlands in den Krieg zu ziehen, war kategorisch ausgeschlossen worden. Der Vorwurf, daß auch in Großbritannien „the newspaper press had been poisoning public opinion in creating everywhere an atmosphere of suspicion, fear and hate. It was part of the inflammable material which was to explode at the news of the spark from Sarajevo"12 ist demnach nur bedingt zutreffend. Zwar gab es in den Jahren vor Kriegsausbruch Angriffe auf Deutschland, es darf jedoch nicht unterschlagen werden, daß dies in den letzten beiden Jahren davor kaum mehr der Fall war. Die Vorwürfe an Northcliffe, er habe vor 1914 „die englischen Massen seelisch schon längst kriegsreif gemacht"13 und einen nicht geringen Anteil am Ausbruch des Krieges14, sind nicht aufrecht zu erhalten. Schon gar nicht gab es vor dem Krieg einen einheitlich Vorstoß der Presse gegen Deutschland, wie Wanderscheck behauptet.15 Tatsächlich taten sich Northcliffes Zeitungen mit der Annäherung an Deutschland anfangs schwerer, hatten sie doch in den zahlreichen Krisen vor dem Ersten Weltkrieg häufig scharf gegen das Kaiserreich Stellung genommen. Als die Beziehungen sich verbesserten, wurde dies jedoch auch in seinen Zeitungen ohne Umschweife ausgedrückt, wenn auch etwas zurückhaltender als bei vielen anderen Blättern. Erst in den beiden Wochen vor dem englischen Kriegseintritt sprachen sich die Northcliffe-Blätter eindeutig für eine britische Kriegsbeteiligung aus. Dies ist jedoch nicht als bloße Kriegstreiberei zu sehen, sondern wurde von den Journalisten als nationale Interessenpolitik verstanden. Nachdem die Verwicklung Frankreichs in den Konflikt absehbar wurde, taten Times und Daily Mail alles in ihrer Macht stehende, um die Regierung auf Interventionskurs zu bringen. Nur langsam und widerwillig schlossen sich andere Blätter diesem Kurs an. Eine tatsächliche Beeinflussung der Entscheidungsträger16 des Kabinetts konnte es dabei nicht geben, da diese ohnehin voll hinter einer englischen Intervention standen.17 Es gehört zu den Paradoxa der englischen Intervention, daß ausgerechnet die rechtskon-
12
Fay, Sidney: The Influence of the Pre-war Press in Europe, Boston 1931, S. 31, auf deutsch vgl. z.B. Fay, Vorkriegspresse, S. 426. 13 Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 61, vgl. Wanderscheck, Weltkrieg, S. 216. 14 Vgl. Wanderscheck, Weltkrieg, S. 213. 15 Vgl. Wanderscheck, Weltkrieg, S. 9. 16 Als „Entscheidungsträger" werden hier besonders Außenminister Grey und Winston Churchill angesehen. Diese setzten ihren Kurs einer englischen Intervention zusammen mit Premier Asquith durch. 17 Vgl. Morris, Scaremongers, S. 381 :„[...] if the patriotic press thought they were influencing the key ministers in the Liberal Administration they were entirely mistaken because they were pushing against a door that was not only unbarred but flung wide open."
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servativen Zeitungen den Kurs der liberalen Regierung stützten, während die liberalen Zeitungen „were dead against war" 18 . Wie unerwartet der Kriegsausbruch für die Zeitgenossen kam, wird noch durch die Memoiren Churchills gezeigt. Nach dem Krieg erinnerte er an die vermeintlich so unbedenkliche Lage: „The spring and the summer of 1914 were marked in Europe by an exceptional tranquillity." 19 Dennoch wurde Großbritannien in einen Krieg verwickelt, der bis dahin unbekannte Ausmaße annehmen sollte. Unmittelbar mit der britischen Kriegserklärung stellte sich auch der größte Teil der Anti-Interventionspartei hinter den Kurs der Regierung. Stimmen, die sich in den Wochen nach Kriegsbeginn gegen die englische Beteiligung aussprachen, gab es fast nicht mehr. Lediglich der Daily Herald trat weiterhin für Neutralität ein. Ansonsten hatten sich alle Zeitungen hinter die Regierung gestellt. Ziel war es, den Krieg mit allen Mitteln zu gewinnen. Nur während einer kurzen Zeitspanne nach Kriegsausbruch wurde noch eine faire Behandlung für Deutschland nach dessen Niederlage gefordert. Fast schlagartig wandelte sich das Deutschlandbild in der Presse. Eine völlige Umdeutung erfuhr die Julikrise. Innerhalb weniger Wochen wurde Deutschland fast von der gesamten Presse als Alleinschuldiger am Krieg gesehen. Von der Verantwortung Rußlands für die Eskalation des Konfliktes wurde nicht mehr gesprochen. Die vorher kaum in Frage stehende Verwicklung Serbiens in das Attentat wurde so gut wie nicht mehr thematisiert. Selbst Österreich-Ungarn wurde in der Kriegsschulddiskussion weitgehend ausgeklammert. Allein verantwortlich gemacht wurde das Kaiserreich unter Führung Wilhelms II. und der Militärkaste. Sogar eine Inszenierung des Attentates zur Herbeiführung eines Krieges wurde nicht mehr als Möglichkeit ausgeschlossen. Bald wurde die Unterscheidung zwischen dem preußischen Militarismus und der deutschen Bevölkerung aufgehoben. Selbst der Manchester Guardian schwenkte während des Krieges auf den scharfen antideutschen Kurs ein. Mit Widerwillen hätten die Nationen 1914 lernen müssen „that the German State as at present governed is not merely an ill neighbour, exceedingly difficult to live with, but something more than that." 20 Der Kriegsverlauf wurde für die Alliierten fast ausschließlich positiv dargestellt. Deutsche Siege wurden als geringfügig wegdiskutiert, eigene Erfolge aufgebauscht. Für ungünstige Ereignisse wurden die abenteuerlichsten Erklärungen gefunden, beispielsweise die lange planmäßige Vorbereitung des Krieges durch Deutschland, die ihm unschätzbare Vorteile gegenüber den ahnungslosen Alliierten gebracht habe, oder das Wetter, das so häufig auf deutscher Seite gestanden habe. Es ist also der Versuch der Zeitungen festzustellen, den oft ungünstigen Kriegsverlauf nach außen zu verschleiern. Zum Wissen der Zeitungen heißt es in Churchills Memoiren: „[...] the truth could not be told; the case could not be argued. The Press, though its information flowed in through a thousand rills, possessed only a partial knowledge of the facts and operative 18 Aitken, Politicians and the War, S. 23. " Churchill, World Crisis, Bd. 1, S. 143. 20 Guardian, 3.2.1916, S. 6.
Schlußbetrachtung
505 21
causes as these were known to the Governments" . Damit hatte der Staatsmann zwar recht, dennoch vermied er es, auf ein wesentliches Detail hinzuweisen. Das, was die Zeitungen druckten, war keinesfalls gleichzusetzen mit dem, was die Journalisten wußten. So hatten viele Journalisten enge Verbindungen in höchste militärische und politische Kreise. Dort konnten sie den aktuellsten Stand der Dinge erfahren, ebenso wie Nachrichten über Verluste oder den Zeitpunkt bevorstehender Offensiven. Daß sie diese Informationen aus militärischen Gründen nicht publizierten, steht auf einem anderen Blatt. Die Kritik Ferros, die Presse habe Verrat an ihren Aufgaben begangen, nämlich In22
formationen weiterzugeben , kann angesichts der Größe des Konflikts nur bedingt nachvollzogen werden. Richtigerweise wurde die Presse als wichtiges Instrument gesehen, den Krieg siegreich zu beenden. Aus patriotischen Gründen hätten die Journalisten deshalb kaum anders handeln können, auch wenn es keinerlei Zensur gegeben hätte. Die positiven Berichte sollten vor allem der Aufrechterhaltung der Moral an der Front und in der Heimat dienen. Dennoch ist es nicht zu übersehen, daß der aufmerksame Zeitungsleser nicht im Detail, aber doch im Groben über den wahren Verlauf des Krieges Bescheid wissen konnte. Besonders anhand der umkämpften Städte gab es die Möglichkeit, den Frontverlauf nachzuvollziehen. Mißtrauen mußten Meldungen über die Rückeroberung nie verloren gegangener Orte erwecken. Auch über die Verluste wurde die Bevölkerung von den Zeitungen genauer informiert, als angenommen werden konnte. So wurde bald nach Kriegsausbruch von Zehntausenden, dann von Hunderttausenden Opfern auf alliierter Seite gesprochen. Besonders durch die übertriebene Darstellung deutscher Verluste wurde versucht, dies zu relativieren. Mit Beginn der Kampfhandlungen setzte die antideutsche Propaganda ein. Bereits Ende August hatte sich die absolute Verunglimpfung Deutschlands durchgesetzt. Anfangs war es das deutsche Verhalten in Belgien, vor allem die teilweise Zerstörung Louvains, später die Versenkung der Lusitania oder die Hinrichtung der Krankenschwester Cavell, die die Emotionen hochkochen ließen. Da der deutschen Armee in Friedenszeiten eine hohe Disziplin nachgesagt wurde, ist es nur schlüssig, daß dies auch für die Greueltaten gelten mußte. Neben individuellen Verbrechen, die schlimm genug waren, wurden vor allem die angeblich von oben angeordneten systematischen Ausschreitungen gegen die Zivilbevölkerung oder der U-Bootkrieg angeprangert. Wie anhand der Rekrutierungsstatistiken gezeigt werden konnte, wirkten sich derartige Ereignisse massiv auf die Anzahl der Freiwilligenmeldungen aus, auch wenn es dafür noch andere Gründe gab. Da Großbritannien bis 1916 nicht über eine allgemeine Wehrpflicht verfugte, war dies für die Fortsetzung des Krieges absolut nötig gewesen. Außerdem trug die britische Kriegspropaganda zur Aufrechterhaltung der Moral an y·ι Front und Heimatfront, zur Rechtfertigung der Kriegsziele, des eigenen Verhaltens 21 22 23
Churchill, World Crisis, Bd. 2, S. 1134. Vgl. Ferro, Great War, S. 224. Vgl. Ponsonby, Falsehood, S. 14f, Rosenberger, Zeitungen, S. 190.
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und zur Selbstdarstellung der Alliierten als Verfechter von Freiheit und Demokratie, besonders gegenüber neutralen Staaten bei. Der Krieg sollte bis zum Sieg der Alliierten ausgefochten werden. Ein Verhandlungsfrieden kam für die meisten Zeitungen zu keiner Zeit in Frage. Lediglich der Herald hielt dies gegen Kriegsende für eine Alternative. Ansonsten wurden Friedensinitiativen abgelehnt, egal, ob diese aus Deutschland, den USA oder durch den Papst erfolgten. Die Befürworter derartiger Vorhaben wurden massiv angegriffen und verunglimpft. Mit dazu beigetragen hatte auch die enorme Sprachverrohung in der Presse im Rahmen der Greuelpropaganda. Deutschland wurde nicht mehr nur als Kriegsgegner diskreditiert, sondern als absolutes Feindbild der gesamten Menschheit dargestellt. Dabei wurde sowohl das Bild vom Heiligen Krieg benutzt24, als auch die völlige Entmenschlichung des Gegners, indem er mit Krankheitserregern gleichgesetzt wurde. Hatte sich die Propaganda zuerst nur gegen die deutsche Obrigkeit gerichtet, wurde im weiteren Verlauf des Krieges die gesamte deutsche Bevölkerung mit einbezogen, je nach Zeitung zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt. Mehr und mehr schwand die Unterscheidung zwischen dem preußischen Militarismus und der deutschen Bevölkerung. Am Anfang des Krieges wurde beispielsweise im Parlament darauf hingewiesen „that there are two Germanys, and not one. We are fighting the Junkers and the Hohenzollerns, and I pray that this war may end by smashing them, and that the Kaiser and the Crown Prince may go on their travels for the rest of their lives. But there is another Germany - a lovable, peaceful Germany."25 Kurz nach Beendigung des ersten Kriegsjahres sprach der Daily Mirror den Menschen in Deutschland ab, tatsächlich an einen Verteidigungskrieg zu glauben: „[...] the Germans are not idiots. Last August, when all the flag-waving was going on in Berlin, they did not think, in Berlin at least, that they were fighting in self-defence. [...] The self-defence excuse was improvised after the Marne."26 Die gesamte deutsche Bevölkerung stehe hinter dem Kurs der Regierung. Wie an der Bewilligung der Kriegskredite zu sehen, gelte dies eben auch für die SPD.27 Massiv wurde die Unterwürfigkeit der deutschen Bevölkerung angegriffen: „Between freedom and sausages the German will choose sausages every time."28 So stellte die Times die These von den „Two Germanies" bewußt in Frage. Dies sei lediglich „the propaganda of pacificists [sic!]"29.
24
Vgl. Ross, Propaganda, S. 19. Pari. Deb. 65 (1914), Sp. 2093, Wedgwood am 6.8.1914, vgl. Kuropka, Joachim: .Militarismus' und das .Andere Deutschland'. Zur Entstehung eines Musters britischer Deutschlandinterpretation, in: Wendt, Bernd (Hg.): Das britische Deutschlandbild im Wandel des 19. und 20. Jahrhundert, Bochum 1984, S. 103-124, hier S. 120. 26 Mirror, 6.8.1915, S. 5. 27 Vgl. Graphic, 17.6.1918, S. 4. 28 Graphic, 3.8.1916, S. 4. 29 Times, 27.1.1916, S. 9. 25
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Schlußbetrachtung
Bezüglich der deutschen Kriegsziele vertrat Imanuel die Sicht, daß das deutsche Streben nach weitreichenden Eroberungen während des Krieges die beste Widerlegung der These von der deutschen Unschuld am Kriegsausbruch sei.30 Nach den Erkenntnissen dieser Arbeit kann dieser Theorie nicht zugestimmt werden. Schon in den ersten Kriegswochen wurden in den Zeitungen umfassende Kriegsziele zur Diskussion gestellt. In der Heftigkeit ihrer Ziele unterschieden sich die britischen Zeitungen kaum von deutschen Vorstellungen, ohne daß Großbritannien am Kriegsausbruch schuld war. Abtretung der Kolonien und verschiedener Gebiete des Reiches, die Absetzung der Herrscherdynastie, die völlige Ausschaltung Deutschlands als militärischer und wirtschaftlicher Faktor, sowie die wahrscheinliche Zerschlagung Österreich-Ungarns sprechen eine eindeutige Sprache. Hinzu kamen in der Geschichte einzigartig hohe Reparationsforderungen. Die Behauptung, der Versailler Vertrag sei unter dem Eindruck der Verträge von Brest-Litowsk zwischen Deutschland und Rußland entstanden31, entbehrt auf dem ersten Blick in der Tat nicht jeder Grundlage. Habe der Reichstag kein Jahr zuvor eine Resolution verabschiedet, daß es keine Annexionen und Reparationen geben sollte, habe Deutschland gegenüber dem geschlagenen Rußland sein wahres Gesicht offenbart. Die Art und Weise, wie der Vertrag zustande gekommen sei, belege, daß die „negotiations were a trap." Einmal auf den Geschmack des Friedens gekommen, war Rußland bereit, alle zusätzlichen Bedingungen zu akzeptieren: „Recent events on the Eastern 32
Front have shown us that Germany's faith is as bad as ever" . Zu bedenken ist bei dieser Betrachtungsweise jedoch, daß es lange vor dem genannten Vertrag in den Zeitungen massive Forderungen gegenüber Deutschland gab, die dem kaum nachstanden. Außerdem ist zwischen den Verträgen von Brest-Litowsk und Versailles ein wesentlicher Unterschied auszumachen. Während der Vertrag vom März 1918 unterzeichnet wurde, stand Deutschland noch mitten im Krieg und hatte mit Rußland nur einen von zahlreichen Gegnern ausgeschaltet. Dagegen stand der Versailler Vertrag ganz am Ende des Krieges und die Alliierten mußten nicht darum bemüht sein, möglichst viele Kräfte für eine Fortsetzung des Konflikts zu mobilisieren. Der Vertrag diente in den alliierten Zeitungen in erster Linie als Rechtfertigung für das eigene Verhalten33, obwohl sich die alliierten Forderungen vor dem Vertragsschluß der Mittelmächte mit Rußland nur wenig unterschieden hatten. Nach Kriegsende kam es nicht zu einem Verstummen der Verunglimpfungen Deutschlands. Auch wenn es einzelne Stimmen der Mäßigung gab, so blieb die neue Republik dennoch ein Feindbild ersten Ranges. Bereits in den ersten Kriegswochen hatte in den britischen Zeitungen eine beispielslose Pressekampagne gegen Deutschland eingesetzt. In den folgenden vier Jahren baute sich der propagierte Haß in einem bis 30 31 32 33
Vgl. Geiss, Kriegsschuldfrage, S. 210-213. Vgl. Winter/Parker/Habeck, Weltkrieg, S. 31. Evening News, 2.3.1918, S. 2. Vgl. z.B. Yorkshire Post, 16.12.1918, S. 4.
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dahin unbekannten Maße auf. Es kann daher nicht verwundern, daß sich dies auch nach dem Waffenstillstand fast ungebrochen fortsetzte. In dieser Atmosphäre, die nur von wenigen gemäßigten Stimmen durchbrochen wurde, trafen sich die britischen Politiker mit den Verbündeten zur Ausarbeitung des Versailler Vertrages. Mit Slogans wie „They Will Cheat You Yet, Those Junkers/"34 bemühte sich beispielsweise die Daily Mail darum, daß ihre Leser und die britischen Delegierten in Versailles nicht vergaßen, um was es ging. So ist es nicht verwunderlich, daß auch der Versailler Vertrag vom Haß diktiert wurde. 35 Nicht zu Unrecht hatte Breitenstein die These aufgestellt, daß die öffentliche Meinung, die in zeitgenössischer Sicht vor allem durch die Presse repräsentiert wurde, die außenpolitische Handlungsfreiheit der Regierungen einschränkte. 36 Gemäßigte Stimmen, wie die des Cambria Daily Leader waren dagegen selten: „We are now on the eve of a new world, mankind is looking to the dawn of a brighter era". Es solle das „good-bye to bloodshed and hatred and bitterness" 37 folgen. Die Zeit dafür war noch nicht reif. Die neuen Machthaber in Deutschland wurden als ehemalige Anhänger des Kaisers diskreditiert, deren Verhalten als Fortsetzung der betrügerischen und brutalen deutschen Vorkriegs- und Kriegspolitik gesehen. Die Wahlen zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung im Januar 1919 änderten daran wenig. Zwar wurde wahrgenommen, daß die gemäßigten Kräfte einen überwältigenden Erfolg erzielt hatten, als Verhandlungspartner wurden sie aber nicht akzeptiert. Die Linie des Kriegs, es werde sich um einen Diktatfrieden handeln, wurde fortgesetzt. Über die klaren Mehrheitsverhältnisse in der Versammlung wurde ebenfalls Zufriedenheit ausgedrückt. Im Mittelpunkt stand dabei allerdings immer der Vorteil der Briten. Ruhe und Ordnung, eine stabile Regierung, eine Versorgung Deutschlands mit Nahrungsmitteln und wirtschaftliche Erholung wurden so gut wie ausschließlich vom britischen Standpunkt aus betrachtet. Ansonsten wäre nicht an eine finanzielle Wiedergutmachung durch Deutschland zu denken gewesen. Wenn Deutschland darüber hinaus schlecht dastand, gab es nur wenig Bedauern. Zu tief war der Haß verwurzelt, als daß die britische Presselandschaft auf eine schnelle Versöhnung mit Deutschland hinarbeiten hätte können. Dieser Haß wurde vor allem der alliierten Greuelpropaganda zugeschrieben. Diese zeitigte enorme Auswirkungen. Nur wenig sei über die Zukunft Europas geredet worden. Im Zentrum des Interesses standen andere Ereignisse: „[...] the newspapers which the millions read dealt with such things as the nurse who was captured and had her breasts cut off, the Canadian soldier found crucified, the lifeboats that were sunk after the torpedoing of a merchant ship. Millions who were quite ignorant of high politics, utterly indifferent to all the discussions about the Dardanelles and the Bagdad Railroad - every tea-shop waitress, school-boy, navvy, school-girl, charwoman - knew about the 34
Zitiert in: Pound/Harmsworth, Northcliffe, S. 710. Vgl. Eksteins, Gräben, S. 378. 36 Vgl. Breitenstein, Rolf: Der hässliche Deutsche? Wir im Spiegel der Welt, München 1968, S. 70. 37 Cambria Daily Leader, 17.12.1918, S. 2. 35
Schlußbetrachtung
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atrocities and felt passionately concerning them." Dies habe eine öffentliche Meinung geschaffen, die die Politiker zu zwei wesentlichen Forderungen gezwungen hätte: „[...] the 'knock-out blow' and the punitive peace."38 Nach intensiver Auswertung der Zeitungen ist dem nur zuzustimmen. Selbst die unglaubwürdigsten Geschichten anzuzweifeln galt als unpatriotisch.39 Ebenso feindselig wurden vermeintliche Gegner in den eigenen Reihen behandelt. Dazu gehören vor allem auch Streikende, die als Verbündete des Feindes in den eigenen Reihen diskreditiert wurden. Dabei soll jedoch nicht in Frage gestellt werden, daß deutsche Truppen tatsächlich Greueltaten in Belgien begingen. Auf beiden Seiten wurden genügend Kriegsverbrechen verübt, wobei in erster Linie zahlreiche Zivilisten der alliierten Staaten zu Opfern wurden. Deutsche Territorien wurden nur in geringem Umfang von feindlichen Truppen besetzt.40 Die Problematik der Greuelpropaganda liegt in deren Umfang und Übertreibungen, die eine Aussöhnung, wie sie bei früheren Kriegen oft leichter vonstatten gegangen waren, erschwerte. Die kriegerische Einstellung der Zeitungen hatte zudem zu einer weitestgehenden Ablehnung auch nur der geringsten Möglichkeit eines Kompromißfriedens geführt. Umgekehrt wurden weitreichende Kriegsziele propagiert, die nur durch eine völlige militärische Niederlage Deutschlands erreicht werden konnten.41 Sicher ist die Behauptung, die alliierte Propaganda habe den Krieg hauptsächlich gewonnen42, übertrieben. Ohne den militärischen Sieg der alliierten Truppen oder die internen Bedingungen in Deutschland wäre die Kapitulation Deutschlands nicht denkbar gewesen. Dennoch spielte die jahrelange antideutsche Propaganda der britischen Presse eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Kriegs- und Nachkriegspolitik.43 Nicht ohne Grund wurden die Bedingungen des Versailler Vertrages am 7. Mai 1919 übergeben - der vierte Jahrestag der Versenkung der Lusitania 44 Auch die Langzeitwirkung der Kriegspropaganda erwies sich als fatal. Lange nachdem die Waffen schwiegen, wirkte sich „the war of words between the belligerents"45 auf die Zukunft der Staatenwelt aus. Nicht ohne Grund sprach Taylor davon, daß die britische Regierung zu Beginn des Krieges die Büchse der Pandora öffnete, die mit Kriegsende nicht geschlossen werden konnte 46 Maßvolle Stimmen, wie die von C.P. Scott, der angesichts der Gebietsforderungen an Deutschland für die Gründung eines
38
Angell, Public Mind, S. 104. Vgl. Ponsonby, Falsehood, S. 26. 4U Vgl. Read, Propaganda, u.a. S. 285, Home/Kramer, Kriegsgreuel. 41 Vgl. Ferguson, Pity, S. xliii. 42 Vgl. Bruntz, George: Allied Propaganda and the Collapse of the German Empire in 1918, New York 1972, S. 219. 43 Vgl. Haste, Home Fires, S. 179-198. 44 Vgl. Repington, War, Bd. 2, S. 522, Wrench, Struggle, S. 420. 45 Marquis, Words, S. 467. 46 Vgl. Taylor, Selling Democracy, S. 4. 39
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polnischen Staates schon im Herbst 1914 gewarnt hatte, daß „[...] it would be a great mistake to create a Germania irredenta" 47 , wurden nicht gehört. Besonders weitreichende Folgen zeitigt die britische Greuelpropaganda im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg. 48 In Erinnerung an die angeblichen deutschen Greueltaten und das Eingeständnis zahlloser Falschmeldungen nach dem Krieg ist es nur verständlich, daß 20 Jahre später der Wahrheitsgehalt der deutschen Verbrechen, vor allem an den Juden, angezweifelt wurde. Zu ähnlich hatten die Beschuldigungen lange Zeit geklungen. Zu unglaublich waren sie nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges. Geschickt nutzte die nationalsozialistische Kriegspropaganda dies aus. Schon im September 1939 wies sie darauf hin, daß die Kriegsgegner „Greuelmeldungen wie einst" 49 verbreiten würden. Beginnend mit dem Ersten Weltkrieg prägte sich das Bild vom bestialischen Hunnen weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus tief in das britische Bewußtsein ein.50 Oft nicht ohne Humor, aber mit nicht zu übersehenden Animositäten greifen vor allem die Boulevardblätter noch heute immer wieder darauf zurück. So hieß es anläßlich der FußballEuropameisterschaft 1996 im Sunday Mirror: „Don't tell me England were just Hunlucky" 51 . Auch wenn dies immer wieder zu kleineren Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Großbritannien fuhrt, stoßen derartige Vergleiche nicht überall auf Gegenliebe. So wurde ebenfalls zur Fußball-EM in der Daily Mail die Frage gestellt: „[...] does anyone really regard Filthy Hun as a funny headline?" 52 Kurz darauf machte sich der bekannte Historiker Niall Ferguson über die Reaktionen der Presse auf die Niederlage der englischen Mannschaft lustig: „But no. Not even the Mirror can deny the agonising truth: the Germans - the dreaded Huns our foes in two world wars and the people we most hate to meet on holiday - won." Er forderte: „Cheer up, it's only a game Wie effektiv die Propaganda war, wurde schon von den Zeitgenossen erkannt. Fast unmittelbar mit Kriegsausbruch hatte die britische Regierung dies erkannt und um die Unterstützung der Presse für die Kriegsanstrengungen gebeten.54 Nicht zu Unrecht bezeichnete Ferguson den Ersten Weltkrieg als „media war" 55 . So führten nicht wenige Deutsche die Kriegsniederlage auf die feindliche Propaganda zurück: „An dieser feindlichen Kriegspropaganda habe auch ich unendlich gelernt" 56 , ließ kein geringerer als 47
MGA/A/W35/2a, C.P. Scott an Weizmann am 15.11.1914. Vgl. Laqueur, Unterdrückung, S. 16-18, Sanders/Taylor, Propaganda, S. 135f. 49 Völkischer Beobachter, 4.9.1939, S. 4, vgl. 3.9.1914, S. 2. 50 Vgl. Sanders/Taylor, Propaganda, S. 116, Reinermann, Kaiser, S. 491. 51 Sunday Mirror, 30.6.1996, S. 70, vgl. z.B. 23.1.1994, S. 64; Daily Mirror, 30.6.1994, S. 11; Sun, 24.6.1996, S.4. 52 Daily Mail, 25.6.1996, S. 60, Hervorhebung im Original. 53 Daily Mail, 27.6.1996, S. 8. 54 Vgl. Baylen, British press, S. 42. 55 Ferguson, Pity, S. 444. 56 Hitler, Mein Kampf, S. 194, vgl. S. 201 f. 48
Schlußbetrachtung
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Adolf Hitler verlauten. Walter Nicolai, sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg mit nachrichtendienstlichen Aufgaben betraut, stellte 1920 fest: „Die Presse war das stärkste Instrument der feindlichen Propaganda." 57 Wie wichtig der deutschen Führung die britische Presse während des Krieges war, zeigt die Ausarbeitung des Handbuchs der Auslandspresse. Darin hieß es, der Krieg mache „aus militärischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen eine genaue Beobachtung der ausländischen Presse unbedingt notwendig" 58 . Auch in den Augen Northcliffes „best propaganda, in my opinion, is newspaper." 59 So wurde auf britischer Seite die Rolle der Zeitungen im Krieg hoch eingeschätzt. Nicht ohne Eigenlob äußerte der Besitzer des Daily Mirror, Lord Rothermere, unmittelbar nachdem die Deutschen die Waffen gestreckt hatten, gegenüber dem Premier: „Without -the aid of the Press, it is a fair thing to say that the present Coalition Government could not have survived the storms of the last eighteen months." 60 Churchill sah die Macht der Zeitungen nach dem Krieg enorm gesteigert: „They emerged from the war at the highest point of their power and influence." 61 Er stellte in seinen Memoiren fest, daß im Krieg „the sun of newspaper power began in the spring of 1915 to glow with unprecedented and ever increasing heat." 62 Schon vor Kriegsausbruch wurde beispielsweise dem Daily Express für sein Verhalten von Regierungsseite gedankt: „[...] we very much appreciate here the public spirit in which Editors have cooperated with the War Office with regard to the publication of news" 63 . Nach Kriegsende dankte der Leiter des Department of Information, John Buchan, auch als Schriftsteller bekannt, dem Herausgeber der Times, Dawson. Bevor er das Ministerium verlasse „I want to thank you for all you and the 'Times' have done in the past two years to help our work. [...] You have shown very great judgment and very great courage and the 'Times' has been a wonderful asset to the British cause." 64 Schon 1917 hatte er die Wichtigkeit der Presse betont: „So far as Britain is concerned [...] the war could not have been fought for one month without its newspapers." 65 Auch Churchill lobte die Zeitungen für ihren Einsatz im Krieg. 66 In der Literatur wird der britischen Presse des Ersten Weltkrieges ebenfalls große Bedeutung beigemessen. Der Historiker A.J.P. Taylor sah sie auf dem Höhepunkt eines danach nie mehr erreichten Einflusses. 67 Knightley entdeckte in der englischen Propaganda des Ersten Weltkrieges sogar das Modell, das Goebbels später als Grundlage für 57
Nicolai, Walter: Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg, Berlin 1920, S. 156.
58
Handbuch der Auslandspresse, Vorwort [ohne Seitenzahl],
59
HLRO/BP/BBK/261, Northcliffe an Aitken am 5.10.1916.
60
CU, CAC, CHAR/2/103/73, Rothermere an Lloyd George am 14.11.1918. Churchill. Aftermath, S. 138.
61 62 63 64
Churchill. World Crisis, Bd. 2, S. 1134. HLRO/BM/Brad. 1, Brade an Blumefeld am 3.8.1914. TNL Archive/GGD/2, Buchan an Dawson am 17.12.1918.
65
Smith, Janet: John Buchan. A Biography, London 1965, S. 201, vgl. Ferguson, Pity, S. 213.
66
Vgl. Churchill, World Crisis, Bd. 2, S. 1133. Vgl. Taylor, English History, S. 55, McEwen, Press, S. 459.
67
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seine Organisation im Nationalsozialismus nutzte. Von anderer Seite hieß es: „It would be impossible to exaggerate the importance of the national work performed by journalists and the newspapers in connection with the great conflict."69 Auch wenn es letztlich unmöglich ist, den genauen Einfluß der Presse und die von ihr verursachten Auswirkungen zu messen70, steht fest, daß sie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für die Kriegsanstrengungen der Alliierten geleistet hat. Nicht zu vernachlässigen ist dabei, daß nicht nur die Zeitungen an sich einflußreich waren, sondern auch die dahinter stehenden Personen. Enorme Bedeutung wurde vor allem Lord Northcliffe zugesprochen.71 So sagte der Abgeordnete Dillon im House of Commons wenige Tage vor Kriegsende: „He [Northcliffe] occupies the position Bismarck held when I was young. He dominates Europe at the present time."72 Dies war jedoch durchaus auch als Kritik zu verstehen. Selbst von deutscher Seite wurde Northcliffe in der Nachkriegszeit enorme Bedeutung zugesprochen. Ihm wurde nachgesagt, sowohl Kitchener als auch Lloyd George ins Amt gehoben zu haben.73 Trotz aller negativen Folgen für das Land ist eine gewisse Anerkennung nicht zu übersehen: „Wir können Northcliffe unsere Hochachtung gewiß nicht versagen: denn die Taten dieses Mannes waren gewaltige, konsequente, ja gigantische."74 Selbst der Kaiser befaßte sich in seinem Exil mit dem Pressezaren. Obwohl er ihm gegenüber die bittersten Gefühle gehegt habe, ja ihn als Todfeind betrachtete, erkannte Wilhelm widerwillig Northcliffes Leistung im Krieg an: „Was für ein gewitzter Mensch! Hätten wir einen Northcliffe gehabt, wir hätten den Krieg gewinnen können."75 Nach der vorliegenden Untersuchung ist festzustellen, daß die Zeitungen in ihrem Grundtenor ein weitgehend einheitliches Deutschlandbild vertraten. Dabei ist zu differenzieren, daß dies bei deutschlandkritischen und deutschlandfreundlichen Zeitungen jeweils in unterschiedlicher Intensität vertreten wurde, die Tendenz jedoch übereinstimmte. Es handelt sich immer um viele Facetten einer Thematik, beleuchtet aus verschiedenen Blickwinkeln. Das Deutschlandbild setzte sich aus vielen einzelnen, sich 68
Vgl. Knightley, First Casualty, S. 82. Simonis, Street of Ink. S. 338. 70 Vgl. Bruntz, Allied Propaganda, S. 217. 71 Obwohl sich Premierminister Lloyd George schwer mit ihm überworfen hatte, erinnerte er sich später: „He [Northcliffe] wielded great power as the proprietor of the most widely read daily paper and also as the owner of the most influential journal in the kingdom. He was inclined to exercise and to demonstrate that power. When he did so most politicians bowed their heads. He was one of the outstanding figures of his generation. He was far and away the most redoubtable of all the Press Barons of my time." In: Lloyd George, David: The Truth about the Peace Treaties, 2 Bde., Bd. 1, London 1938, S. 265, vgl. auch S. 558. 72 Pari. Deb. 110 (1918), Sp. 2361, Dillon am 7.11.1918. 73 Vgl. Dibelius, England, S. 410, siehe auch Clarke, Northcliffe in History, S. 133. 74 Anonymus, Northcliffe, S. 22, vgl. Wanderscheck, Weltkrieg, S. 243. 75 Bentinck, Kaiser, S. 49. 69
Schlußbetrachtung
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teilweise widersprechenden Deutschlandbildern zusammen.76 Die Stellungnahmen der Zeitungen waren zwar parteiintern und parteiübergreifend uneinheitlich, aber eben nur bis zu einem bestimmten Grad. Es gab sehr wohl eine Mehrheitsmeinung und eine bestimmende Richtung. Dies gilt fur die Zeit vor dem Krieg hinsichtlich einer Verbesserung der deutsch-britischen Beziehungen und einer radikalen Umkehr dieser Sichtweise im Krieg. In der Julikrise unterschieden sich die Meinungen, was allerdings vor allem auf die Bereitschaft zum Kriegseintritt zurückzufuhren ist. Zusammenfassend muß noch einmal betont werden, daß sich die deutsch-britischen Beziehungen vor dem Krieg in der zeitgenössischen britischen Presse als ausgesprochen gut darstellten. Von einem schlechten Verhältnis kann nicht gesprochen werden. Weder das Krüger-Telgramm, der Burenkrieg, das Daily Telegraph-Interview und nicht einmal der Abschluß der Entente mit Frankreich stellten einen dauerhaften Wendepunkt in der Darstellung Deutschlands in der britischen Presse dar. Auf alle Tiefpunkte folgte eine Verbesserung, die im Sommer 1914 ihren Höhepunkt erreicht hatte. Der englische Kriegseintritt erfolgte nicht wegen vermeintlich schlechter Vorkriegsbeziehungen, sondern obwohl das gegenseitige Verhältnis so gut war wie lange nicht. Erst der Ausbruch des Krieges beendete diese Phase ausgesprochen guter Beziehungen. Das britische Deutschlandbild wandelte sich daraufhin mit größter Geschwindigkeit. Schon im August 1914 wurde der Grundstein für die völlige Diffamierung Deutschlands gelegt. Es folgten vier Jahre intensiver Propaganda, die es schließlich unmöglich machten, auch nur an eine Beendigung der Kämpfe durch einen Verhandlungsfrieden zu denken. Während die Zeitungen in den beiden Jahren vor dem Ersten Weltkrieg keinen wesentlichen Beitrag zu dessen Ausbruch geleistet hatten, führten sie im Ersten Weltkrieg eine in ihren Ausmaßen beispiellose antideutsche Stimmung herbei, die wesentlich zur Begründung der großen Probleme der Zwischenkriegszeit beitrug. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß Northcliffe „mehr als irgendein anderer Zeitgenosse des Krieges dazu beigetragen hat, den guten Namen Deutschlands in der Welt zu beflecken." 77 Tatsächlich bemühten sich seine Zeitungen in bis dahin unbekanntem Maße, den Kriegsgegner Deutschland herabzusetzen und die eigene Bevölkerung zu mobilisieren. So ist es nicht verwunderlich, daß sich die Beziehungen auch nach Kriegsende keineswegs so schnell zum Besseren wendeten, wie sie sich nach Kriegsausbruch verschlechtert hatten.
76
Vgl. Wende, Peter: Großbritannien und Deutschland im 18. Jahrhundert, in: Mommsen, Wolfgang (Hg.): Die ungleichen Partner. Deutsch-Britische Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens der Deutsch-Englischen Gesellschaft E.V., Stuttgart 1999, S. 31-43, hier S. 39.
77
Wanderscheck, Weltkrieg, S. 216.
Anhang
1. Abkürzungsverzeichnis: AA Add. AMEL Anm. APDR
Auswärtiges Amt Additional Manuscripts Amery Diaries Anmerkung Das Amtliche Deutsche Aktenmaterial zur Auswärtigen Politik 1871-1914. Die Auswärtige Politik des Deutschen Reiches 1871-1914. ARR Archives Reading Room BBK Beaverbrook Papers Band Bd. BDOW British Documents on the Origins of the War 1898-1914 BEF British Expeditionary Force (Britisches Expeditionskorps) Bes. besonders B'ham Post Birmingham Daily Post BL British Library BLP Bonar Law Papers BLNP British Library Newspaper Library BLPES British Library of Political and Economic Science Blumenfeld Manuscripts BM Biographical New Series BNS Beaverbrook Papers BP Birmingham Public Library BPL CAB Cabinet (Documents) Churchill Archives Centre CAC Chartwell Trust Papers CHAR Chronicle Daily Chronicle Cambridge University CU CUL Coventry University Library
Daily News Daily News & Leader DBE Deutsche Biographische Enzyklopädie DBFP Documents on British Foreign Policy Ders. Derselbe Diss. Dissertation DDK Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914 Dok. Dokument DORA Defence of the Realm Act Ebd. Ebenda EBP Encyclopaedia of the British Press ESHR Esher Papers FISR Fisher Papers Foreign Office (Papers) FO Geb. geboren Dawson Papers GGD GLLD George Lloyd Papers GP Die Große Politik der Europäischen Kabinette Graphic Daily Graphic Guardian Manchester Guardian Habil. Habilitation HLRO House of Lords Record Office HO Home Office Papers HWS Steed Papers INF Ministry of Information Papers Insbes. insbesondere Konservativ Kons. L. Literatur Lab. Labour (Labor) Liberal Lib.
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516 Lloyd George Papers Lloyd's Weekly News Massachusetts MACMILLAN Dictionary of Biography MGA Manchester Guardian Archives Daily Mirror Mirror Member of Parliament (Mitglied MP des englischen Unterhauses) Manuscripts Reading Room Mss. Ministry of National Service Papers NATS Neudruck ND NDB Neue Deutsche Biographie Northcliffe Papers NOR NPDAG Newspaper Press Directory and Advertisers' Guide OBL Oxford Bodleian Library ÖUAP Österreich-Ungarns Außenpolitik ohne Jahr O.J. PAAA Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Public Record Office/National PRO Archives Punch, or the London Charivari Punch LGP Lloyd's Mass. MDB
RAUSL
Rodinny archiv a ustredni spräva Lichnovskych - Bestand der Zentralverwaltung des Grundbesitzes der Familie Lichnowsky Reynolds's Reynolds's Newspaper S. Sketch SP SWP
Seite Daily Sketch Strachey Papers Sell's Dictionary of the World's Press Τ 1. Treasury Papers TelegraphDaily Telegraph TNL Times Newspaper Limited UBT Universitätsbibliothek Bayreuth UL University of London UWL University of Warwick Library Vgl. Vergleiche WBD Webster's Biographical Dictionary WDM Northcliffe Papers [sic!] WO War Office Papers WW Who was Who
2. Zeitungsbiographien1 Birmingham Daily Post Die Birmingham Daily Post wurde 1857 von John Frederick Feeney gegründet. 1914 zählte sie zu den bedeutenden konservativen Provinzzeitungen Englands. Verbreitet war sie vor allem in Mittelengland. Mit einem Preis von ld wandte sie sich vor allem an gesellschaftlich höherstehende Kreise, wie Vertreter aus Wirtschaft und Handel: „It is in every respect an excellent newspaper."2 Aufgrund der geringeren Zeitungsdichte außerhalb Londons erreichten Provinzzeitungen jedoch auch mehr Leser aus verschiedenen Schichten als ihre Pendants aus der Hauptstadt. 1916 wurde die Zeitung in Birmingham Post umbenannt. Unter diesem Namen wird sie bis heute in der zweitgrößten Stadt Englands verlegt. L.: EBP. S. 111, NPDAG 69, S. 102. Cambria Daily Leader Der Cambria Daily Leader aus Swansea wurde 1861 ins Leben gerufen. Als größte walisische Tageszeitung wandte er sich mit seinem Preis von 'Ad vor allem an finanziell weniger gut situierte Leserkreise und war besonders in Südwales weit verbreitet. Nach eigenen Angaben war die Auflage 2 Ά mal größer als die der South Wales Daily Post.3 Wegen der Ausrichtung der Zeitung standen auch viele regionale Themen im Mittelpunkt der Berichterstattung. Uber Außenpolitik berichtete die 1
Vgl. hierzu auch Grünbeck, Presse, Bd. 1, S. 149-292 und Zimmermann, Presse, S. 262-269. Zur deutschen Einschätzung während des Krieges siehe Handbuch der Auslandspresse. ' NPDAG 69, S. 102. J Cambria Daily Leader, 30.5.1912, S. 5
Anhang
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Zeitung relativ selten. Das Blatt ist keiner politischen Richtung zuzuordnen, sondern galt als unabhängig. L.: NPDAG 69, S. 168. Daily Chronicle Der Daily Chronicle wurde 1856 als Wochenzeitung Clerkenwells News gegründet. Ab 1869 erschien diese täglich als London Daily Chronicle and Clerkenwell's News. 1876 wurde die liberale Zeitung von Edward Lloyd gekauft und blieb bis 1918 in Familienbesitz. Der Daily Chronicle war eine der führenden liberalen Tageszeitungen Englands4 und wandte sich mit seinem Preis von 'Ad vor allem an die sozial schwächere Bevölkerung. Für das Jahr 1914 stellte der konservative Hauptkonkurrent des Blattes, Northcliffe, ein starkes Wachstum der Zeitung fest.5 Im letzten Kriegsjahr wurde sie durch ein von Premierminister David Lloyd George geleitetes Syndikat für £1,600,000 übernommen. Aus diesem Grund trat der seit 1904 amtierende Herausgeber Robert Donald zurück. Er sah die Unabhängigkeit der Berichterstattung unter dem neuen Besitzer nicht gewährleistet. 1930 wurde das Blatt zusammen mit der Daily News & Leader zum News Chronicle. 1960 kam es zum Verkauf an die Daily Mail/Evening News-Gruppe. L.: EBP, S. 377, NPDAG 69, S. 73, 437; SWP 33, McEwen, Press. Daily Express Im Jahr 1900 wurde der Daily Express von Arthur Pearson als Konkurrenzblatt zur Daily Mail gegründet. Von Sell's World Press zu unrecht als unabhängig bezeichnet, trat die 'Ad teure Zeitung sehr für die nationalen Interessen des Vereinigten Königreiches ein. Ab 1911/12 verlor Pearson aufgrund seiner Erblindung an Einfluß. Die Zeitung wurde fortan von einem Syndikat unter Herausgeber (1902-1929) Blumenfeld und William Aitken, dem späteren Lord Beaverbrook, geleitet. Letzterer erlangte 1917 die vollständige Kontrolle. Während des Untersuchungszeitraumes war die konservative Partei an der Finanzierung der Zeitung beteiligt, die Darstellung des Blattes als unabhängig ist daher äußerst fraglich.6 Der Herausgeber bezeichnete das Blatt als „the only Tory paper that is read by working men"7. Bis heute gehört der Express zu den auflagenstärksten Tageszeitungen Englands. L.: EBP, S. 183, NPDAG 69, S. 73, SWP 33, McEwen, Press. Daily Graphic Der Daily Graphic startete 1890 als erste illustrierte Morgenzeitung in England. Northcliffe hielt die ld-Zeitung für „a better paper than most people are aware."8 Politisch betrachtet nahm der Daily Graphic keine eindeutige Haltung ein. Aus der Erfahrung der Arbeit und unter Berücksichtigung der Sekundärliteratur ist das Blatt unter dem Herausgeber Hutchinson (1912-1916) den gemäßigten Konservativen zuzuordnen.9 Aufgrund seiner qualitativ hochwertigen Schreibweise und des Preises von 1 d war die Auflage des Daily Graphic im Vergleich mit den anderen illustrierten Zeitungen sehr niedrig. 1946 vereinigten sich Daily Graphic und Daily Sketch bis sie 1971 von der Daily Mail übernommen wurden. L.: EBP, S. 183, NPDAG 69, S. 73. McEwen, Press.
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Vgl. NPDAG 33, S. 73: „The Daily Chronicle is one of the leading organs of the Daily Press". BL, Mss, Northcliffe Papers, Add. 62199/10, Northcliffe an Marlowe am 9.6.1914: "My dear Marlowe, I hope you have told your staff to watch the 'Daily Chronicle'. Hie matter was again brought up yesterday at the Finance Meeting. Great surprise being expressed at the rapid growth of the 'Chronicle.' Chief [Northcliffe]". 6 Morris zählte den Daily Express mit der Daily Mail zu den „jingo rags". Vgl. Morris, Scaremongers, S. 4. 7 Vgl. Morris, Scaremongers, S. 367. 8 Harmsworth, Newspapers, S. 10. ' McEwen, Press, S. 465; Zimmermann, Presse, S. 263. 5
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Daily Herald Als eine der ersten sozialistischen Tageszeitungen wurde der Daily Herald 1912 von Ben Tillet und dem Herausgeber und späteren Führer der Labor Party und George Lansbury gegründet. Der Herald wandte sich fast ausschließlich an die Arbeiterschaft und deren Sympathisanten. Zu den Mitarbeitern gehörte auch der spätere Premierminister Ramsay MacDonald. Nach einer anfänglichen Auflage von 200.000 Exemplaren zu 'Ad verlor die Zeitung schnell an Rückhalt. Der Daily Herald „flickered only feebly in 1914."10 Während des Ersten Weltkrieges, ab Oktober 1914, mußte das Blatt sein Erscheinen als The Herald auf ein Mal wöchentlich mit ca. 40.000 Stück beschränken. Nur durch eine finanzielle Unterstützung der Labor Party konnte das Fortbestehen gesichert werden. Nach dem Krieg nahm der Daily Herald einen rasanten Aufstieg. Mitte der 30er Jahre wurde eine Auflage von 2 Millionen erreicht. Bis 1964 behielt die linksgerichtete Zeitung ihren Namen bei. Daraufhin wurde sie in The Sun umbenannt. Seit 1968 gehört sie zum konservativen Medienunternehmen Rupert Murdochs. The Sun ist heute eine der auflagenstärksten Zeitungen Englands (1991: 3,6 Mio). L.: EBP, S. 183f, 360, NPDAG 69, S. 73, SWP 33. Daily Mail Die 1896 gegründete Daily Mail gehörte zum Zeitungsimperium Lord Northcliffes. Als Mutter des New Journalism wollte sie vor allem unterhalten. Wegen ihrer schnellen und zuverlässigen Berichterstattung wurde die Daily Mail trotz ihres niedrigen Preises von 'Ad nicht nur von den unteren Schichten gelesen.11 Zusammen mit dem Daily Mirror war sie die einzige Tageszeitung deren Auflage die Millionengrenze erreichte. Als Herausgeber fungierte von 1899-1926 Thomas Marlowe. Von politischen Parteien finanziell unabhängig gehörte sie dem rechten Flügel der Konservativen, den ,jingo rags"12, an. Sie stand Deutschland sehr skeptisch gegenüber und lehnte Home Rule für Irland ab. Keinesfalls sollte Nordirland verwaltungstechnisch zum Rest der Insel gehören. Als Abendausgabe der Daily Mail ist die Evening News zu betrachten. Die Daily Mail erschien sowohl in London als auch in Manchester. Nach dem 2. Weltkrieg übernahm die Daily Mail eine Reihe von Zeitungen. Die heute illustriert erscheinende Zeitung gehört zu den großen englischen Tageszeitungen. L.: EBP, S. 184f, NPDAG 69, S. 73, SWP 33. Daily Mirror Der Daily Mirror wurde 1903 von Lord Northcliffe als Frauenzeitung mit überwiegend weiblichem Personal gegründet. Die anfänglich hohen Verkaufszahlen konnte das Blatt nicht halten und stand kurz vor dem Aus. Nach der Übernahme der Herausgeberpostens durch Hamilton Fyfe 1904 wurde die Zeitung in ein tabloid umgewandelt. Daraufhin erholte sich das Blatt sehr schnell. Die Auflage überschritt vor dem ersten Weltkrieg die Millionengrenze. Damit überflügelte der Mirror die Daily Mail und wurde zur auflagenstärksten Tageszeitung vor dem Krieg. Auf politischer Ebene war die Zeitung wenig aktiv. Sie beschäftigte sich bei einem Preis von 'Ad in Kolumnen wie „The Morning's Gossip" vor allem mit Klatsch und Tratsch. Im Mittelpunkt standen Unfälle, Todesfälle und Verbrechen. Nicht einmal die Nordirlandproblematik vor dem Ersten Weltkrieg fand besondere Beachtung. Noch mehr gilt dies für außenpolitische Ereignisse. Aufgrund des großen Erfolgs war auch der Daily Mirror finanziell unabhängig. Parteipolitisch gehörte das Blatt zum konservativen Zeitungsimperium Alfred Hannsworths. 1914 übernahm sie dessen liberaler Bruder Harold Harmsworth, später Lord Rothermere. Die politische Gesinnung verschob sich dadurch nur geringfügig hin zum gemäßigten Konservativismus, da der Herausgeber (1907-1915) Alexander » McEwen, Press, S. 462. 11 Wie anhand der Papiere Northcliffes nachgewiesen werden konnte, las auch die Queen die Daily Mail. Vgl. BL, Mss, Northcliffe Pape«, Add. 62326/169. 12 Morris, Scaremongers, S. 4.
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Kenealy im Amt blieb. Der Daily Mirror ist heute zusammen mit The Sun die auflagenstärkste Zeitung Englands (1991 3,6 Mio). L.: EBP, S. 185, McEwen, Press, NPDAG 69, S. 73. Daily News & Leader Die Daily News wurde 1845 durch den bekannten Schriftsteller Charles Dickens gegründet, der jedoch nur kurz als Herausgeber tätig war. 1912 vereinigte sich das Blatt mit dem Morning Leader zu Daily News & Leader. Mit seiner hohen Auflage zählte das Blatt zu „one of the leading organs of the Liberal daily press"13. Es erschien zu '/id in Manchester und London. Als Herausgeber fungierte von 19021919 A. G. Gardiner. Eigentümer der Zeitung war die Industriellenfamilie Cadbury. 1928 wurde die Westminster Gazette übernommen, 1930 kam die Vereinigung mit dem Daily Chronicle zum News Chronicle. 1960 wurde dieses Blatt von der Daily Mail übernommen. L.: EBP, S. 186, NPDAG 69, S. 73, SWP 33. Daily Sketch 1909 zunächst von Edward Hulton Jr. in Manchester gegründet, erschien die Tageszeitung ab 1911 auch in London. Mit einem Preis von 'Ad und seinen Illustrationen wandte sich der Daily Sketch vor allem an die Unterschicht. Leitartikel waren mit „The man in the street" unterzeichnet. Das finanziell unabhängige, aber konservative Blatt wuchs nach seiner Gründung sehr schnell und gehörte 1914 zu den auflagenstärksten Zeitungen. Herausgeber war James Heddle. 1923 wurde der Daily Sketch an das Zeitungsimperium von Lord Beaverbrook verkauft. 1971 erfolgte die Vereinigung mit der Daily Mail. L.: EBP, S. 167, 324, McEwen, Press, NPDAG 69, S. 73, SWP 33. Daily Telegraph Der Daily Telegraph gehört zu den angesehensten der hier untersuchten Zeitungen. Mit einem Preis von ld lag die 1855 gegründete Zeitung mit ihrer Auflagenhöhe im Mittelfeld. Viel von Wirtschaftsvertretem gelesen, war der Telegraph ein Vertreter des gemäßigten konservativen Journalismus. Vor dem Krieg litt das Blatt stark unter der großen Konkurrenz von Seiten der Daily Mail und der Times. Herausgeber (1900-1923) war zu dieser Zeit John Lesage, Eigentümer Harry Lawson, 2. Lord Bumham. Der Daily Telegraph ist heute unter den seriösen Zeitung die auflagenstärkste. L.: McEwen, Press, NPDAG 69, S. 102, SWP 33. Evening Express In den späten 1870er Jahren in Aberdeen gegründet nahm der Evening Express einen rasanten Aufstieg. Er war unter allen Klassen weit verbreitet und erreichte für eine Provinzzeitung die enorme Auflage von weit über 40.000 Stück. L.: EBP, S. 228, NPDAG 69, S. 181. Evening News 1881 gegründet wurde die Evening News zu einer der ersten Blätter des Zeitungsimperiums von Lord Northcliffe. Neben dem Star war es die auflagenstärkste Abendzeitung in Großbritannien. Von der politischen Ausrichtung gehörte sie wir ihr tagsüber erscheinendes Schwesterblatt Daily Mail zu den Konservativen. Die Redaktionen arbeiteten im wesentlichen aber unabhängig voneinander, auch wenn es vor allem vom Besitzer Eingriffe gab. L.: EBP, S. 230f, NPDAG 69, S. 74. Freeman's Journal Als seine der ältesten der hier untersuchten Zeitungen wurde Freeman's Journal 1763 in Dublin gegründet. Als Organ der Nationalen Partei Irlands war sie über die ganze Grüne Insel verbreitet. Ihr
'J NPDAG 69, S. 73; vgl. Carsten, War, S. 24.
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wurde nicht zuletzt wegen ihrer Auflage unter den Katholiken des Landes der größte Einfluß nachgesagt. L.: NPDAG 69, S. 201. Glasgow Herald Der Glasgow Herald, der zusätzlich in Edinburgh herausgegeben wurde, stammt bereits aus dem 18. Jahrhundert. Verbreitung fand er in ganz Schottland, aber auch im Norden Irlands. Neben dem Scotsman gilt der Glasgow Herald als einflußreichste Zeitung Schottlands. Ausführlich befaßte sich der Nachrichtendienst der Blattes auch mit Außenpolitik. Nicht zuletzt wegen seiner wirtschaftlichen, sozialen und literarischen Interessen gehört das Blatt zu den seriösen Zeitungen. Politisch steht sie als liberal-konservativ bis unabhängig zwischen den Stühlen. L.: NPDAG 69, S. 187. Irish Independent Wie der Name schon sagt, betrachtete sich der Irish Independent als unabhängig. Damit spielt die 1891 gegründete Zeitung auf ihre national-irischen Interessen an. Aufgrund dieser Ausrichtung ist sie nicht dem konservativen oder liberalen Lager zuzurechnen. Sie verfügte über einen breiten Leserkreis aus allen Schichten im ganzen Land. Nach eigenen Angaben hatte die Zeitung Anfang 1914 eine um fast 20.000 höhere Netto-Auflage als alle anderen Morgenzeitungen Dublins zusammen.14 L.: EBP, S. 332, NPDAG 69, S. 201. Irish Times In Anlehnung an die Londoner Times vertrat die 1859 gegründete Zeitung den protestantischenglischen Flügel des Landes. In Dublin erschienen, war das Blatt weit verbreitet. Es wandte sich vor allem an die Oberschicht und Wirtschaftskreise, hatte mit über 40.000 Exemplaren jedoch eine dafür sehr hohe Auflage. Um ihren hohen Anspruch zu verdeutlichen verzichtete sie bis Herbst 1912 auf Überschriften bei den Leitartikeln. Danach konnte aber auch sie sich dem allgemeinen Trend nicht mehr entziehen. L.: NPDAG 69, S. 201, EBP, S. 332. John Bull John Bull war die wöchentlich erscheinende Zeitung Horatio Bottomleys. 1906 ins Leben gerufen, befaßte sie sich vor allem mit Skandalgeschichten der englischen Innenpolitik: „[...] this weekly effusions pandered to the worst instincts of the mob."15 Außenpolitik spielte in John Bulls Berichterstattung nur eine untergeordnete Rolle. Mit einer Auflage von ca. 1 Million lag das erzkonservative Sensationsblatt im Spitzenfeld. Aufgrund der dubiosen Geschäfte seines Gründers wurde die Herausgabe des Blattes in den 20er Jahren eingestellt. Entgegen anderslautender Aussagen in der Sekundärliteratur erschien John Bull nicht donnerstags, sondern am Samstag. L.: EBP, S. 122; NPDAG 69, S. 82.
Liverpool Daily Post Die Liverpool Daily Post (and Mercury) war ein führendes Wirtschaftsorgan und „in all respects a first-class daily newspaper"16. Die liberale Zeitung aus dem Jahr 18SS galt als Meinungsführer im Nordwesten Englands, war aber auch in Wales verbreitet. Sie gehörte zu den bedeutendsten Provinzzeitungen Englands. L.: NPDAG 69, S. 139, EBP, S. 375f.
>« Irish Independent, 12.2.1914, S. 1 vgl. 3.4.1914, S. 1. !5 McEwen, Press, S. 468. i' NPDAG 69, S. 139.
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Lloyd's Weekly News Diese liberale Sonntagszeitung wurde 1842 von Edward Lloyd gegründet. Sie erschien sonntäglich und gehörte seit der Abschaffung der Zeitungssteuern zu den auflagenstärksten englischen Zeitungen. Für die vorliegende Arbeit war das liberale Massenblatt kaum zu verwenden. Dies lag daran, daß vor allem unterhaltende Themen im Mittelpunkt standen. Die Außenpolitik wurde wenig behandelt. Ab 1918 ist sie dem Einflußbereich Lloyd Georges zuzurechnen. Später wurde Lloyd's Weekly News vom Sunday Graphic übernommen, dessen Verkauf 1960 eingestellt wurde. L.: EBP, S. 378, NPDAG 69, S. 82, SWP 33. Manchester Guardian Der Manchester Guardian war das einzige Provinzblatt Englands das auch in der Hauptstadt viel beachtet wurde. Nach McEwen war die Zeitung „unique for the influence it wielded in London and indeed throughout the land."17 Von John Taylor 1821 gegründet ging der Manchester Guardian 1855 in den Besitz des gleichnamigen Sohnes über, der das zwei mal wöchentlich erscheinende Blatt in eine Tageszeitung umwandelte. 1871 übernahm Taylors Cousin C. P. Scott den Posten des Herausgebers, den er für 57 Jahre behalten sollte. Von 1907 bis 1913 war er alleiniger Eigentümer, anschließend zusammen mit seinen beiden Söhnen und seinem Schwiegersohn. Der Manchester Guardian war die Stimme des seriösen englischen Liberalismus. Das Blatt trat für die irische Home Rule ein und kämpfte gegen den Burenkrieg. 1959 wurde der Name in The Guardian geändert, zwei Jahre später erfolgte der Umzug nach London, wo es heute die zweitgrößte seriöse Tageszeitung nach dem Daily Telegraph ist. L.: EBP, S. 280f. Morning Leader Siehe Daily News & Leader. News of the World Gegründet 1843 von John Browne Bell ist die News of the World bis heute die auflagenstärkste Sonntagszeitung Englands. Vor dem Ersten Weltkrieg waren es ca. zwei Millionen Exemplare. 1891 wurde die liberale Zeitung von einem Konsortium unter George Riddell, Lascelles Carr und Charles Jackson geleitet. Von 1891-1941 hatte Emsley Carr, der Neffe Lascelles und Schwiegersohn Jacksons, den Posten des Herausgebers inne. Liberalität spielte dabei keine so große Rolle, es galt das Prinzip „entertainment first"18. Dementsprechend fanden politische Ereignisse in den Ausgaben der News of the World wenig Raum. Bis das Blatt 1969 von Rupert Murdoch übernommen wurde, blieb es in Familienbesitz. L.: NPDAG, S. 84, EBP, S. 437. Observer Als älteste Sonntagszeitung der Welt wurde der Observer 1791 gegründet. Nach mehreren Besitzerwechseln erwarb Alfred Harmsworth den Observer 1906. 1911 verkaufte er ihn an den ersten Viscount Astor weiter, der ihn 1915 an seinen Sohn Waldorf weitergab. Der Observer gilt bis heute als Verkörperung des seriösen konservativen Sonntagsjournalismus. Die Außenpolitik wurde ausführlich behandelt. Unterhaltung nahm einen geringen Stellenwert ein. Damit erklärt sich die geringste Auflage unter den ausgewählten Sonntagszeitungen. Herausgeber während des Untersuchungszeitraumes war J.L. Garvin, der von 1908-1942 amtierte. L.: EBP, S. 444, NPDAG 69, S. 85.
>7 McEwen, Press, S. 461. 18 McEwen, Press, S. 472.
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People People wurde 1881 von W.T. Madge und George Armstrong gegründet. Parteipolitisch stand das Blatt den Konservativen nahe. Wie bei den meisten Sonntagszeitungen fielen auch hier die außenpolitischen Ereignisse weit weniger ins Gewicht als die Unterhaltung der Leser. Bekannt wurde die Zeitung durch die Berichterstattung über Jack the Ripper. Herausgeber war von 1881-1900 und von 1907-1922 der Mitgründer Madge. Noch heute zählt People zu den auflagenstärksten Sonntagszeitungen Englands. L.: EBP, S. 460, NPDAG 69, S. 85. Punch Der Punch war als Gegenstück zum deutschen Simplicissimus die führende Karikaturenzeitschrift Englands. Von 1906-1932 war Owen Seaman der Herausgeber. Die Auflage des Punch erreichte bis zu 100000 Exemplare und wurde 1914 als eine Art „national institution"19 bezeichnet. Nach McEwen war der Punch „amusing but of little substance"20. 1992 mußte das Blatt über 150 Jahre nach seiner Erstausgabe wegen schwerer finanzieller Verluste sein Erscheinen einstellen. L.: EBP, S. 475, NPDAG 69 S. 85. Reynolds's Newspaper Reynolds 's Newspaper war die viertgrößte der ausgewählten Sonntagszeitungen. Sie stammt aus dem Jahr 1850. Als kleinste der hier verwendeten liberalen Sonntagszeitungen ging sie 1914 ins Eigentum von Henry Dalziel über. Auch sie befaßte sich wenig mit Außenpolitik. Politisch betrachtet gehörte sie zum linken Flügel des Liberalismus, den Radicals. L.: EBP, S. 485, SWP 33. Scotsman Zusammen mit dem Glasgow Herald war der Scotsman aus Edinburgh die führende Zeitung Schottlands. Auch er ist politisch nicht eindeutig zuzuordnen, tendierte trotz liberaler Einflüsse mehr die konservative Seite. 1817 gegründet war das angesehene Blatt über Schottland hinaus in Irland und Nordengland verbreitet. L.: EBP, S. 508, NPDAG 69, S. 186. South Wales Daily News Die liberale South Wales Daily News wurde 1872 gegründet und in Cardiff verlegt. Sie war in Wales, aber auch im Westen Englands weit verbreitet. Es handelt sich um eine politisch und wirtschaftlich interessierte Zeitung, die als führender Vertreter des Liberalismus in Wales galt. L.: NPDAG 69, S. 111. Star Wie Daily Chronicle und Daily News gehörte der Star zu den auflagenstarken liberalen Tageszeitungen. Neben der Evening News war der Star mit einem Preis von 'Ad die einzige Abendzeitung mit einer sehr hohen Auflage. Der Star wurde 1888 gegründet und gehörte seit 1912 wie die Daily News der Cadbury Familie. Herausgeber war von 1908-1920 James Douglas. Wie 1960 der News Chronicle wurde auch der Star von Associated Newspapers übernommen. Die Zeitung ging später im Abendblatt der Daily Mail, der Evening News auf. L.: EBP, S. 530, NPDAG 69, S. 74, SWP 33. Times Die Times gilt bis heute als das Aushängeschild der unabhängigen, seriösen englischen Tagespresse. Bereits 1785 von John Walter als Daily Universal Register gegründet wurde sie 1788 in The Times or " NPDAG 69, S. 85. McEwen, Press S. 474.
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Daily Universal Register umbenannt. Sie vertrat die nationalen Interessen des Landes und galt als das Sprachrohr der Regierung. Bis 1908 verblieb die Zeitung in Familienbesitz. Der neue Besitzer war Lord Northcliffe, der die seriöse Zeitung seinem Imperium eingliederte. Zur Zeit der Übernahme kämpfte die Times mit schweren finanziellen Problemen und zurückgehender Auflage. Erst durch mehrere Preissenkungen von 3d auf ld wurde die Zeitung wieder konkurrenzfähig. Unter Northcliffe konnte die Auflage bis zum Krieg von 30000 auf 150000 Exemplare verfünffacht werden. Finanziell unabhängig wurde die Times von den sozial besser gestellten Kreisen gelesen. Als Herausgeber (19121919 und 1922-1941) arbeitete Geoffrey Robinson (später Dawson). Heute gehört die Times zum Zeitungsimperium Rupert Murdochs.L.: EBP S. 562, NPDAG 69, S. 74, SWP 33. Western Mail Aus Cardiff stammend, wurde die Western Mail 1869 gegründet. Als älteste in Wales veröffentlichte Tageszeitung gilt die Western Mail aufgrund ihres hohen Anspruchs als führender Meinungsmacher in sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fragen. L.: NPDAG 69, S. 112. Westminster Gazette Die Westminster Gazette gilt als die Personifizierung des seriösen Journalismus. Mit ihrer niedrigen Auflage wandte sie sich seit ihrer Gründung 1893 vor allem an politisch interessierte und gebildete Kreise. Als führende liberal-imperialistische Zeitung galt sie lange als inoffizielles Sprachrohr der Regierung. Ihr wurde großer politischer Einfluß nachgesagt, nicht zuletzt aufgrund der guten Kontakte des Herausgebers, J.A. Spender. 1928 wurde sie von der Daily News übernommen. L.: NPDAG 69, S. 74. Yorkshire Post Bestehend seit 1754 als Leeds Intelligencer verfügte die Yorkshire Post nach mehreren Namensänderungen über die größte Auflage der englischen Provinzzeitungen. Sie verstand sich als Vertreter des konservativen englischen Mittelstandes und führende Zeitung Nordenglands. Gelesen wurde sie vor allem in Leeds und Umgebung, aber auch in den Kolonien. Im Besitz der Yorkshire Conservative Newspaper Co. (lim.) wurde die Zeitung von J.S.E. Phillips herausgegeben (1903-1919). L.: EBP, S. 615f, NPDAG 69, S. 137.
Λ 1
3. Kurzbiographien relevanter Personen Aitken, William (1879-1964): Lord Beaverbrook, Journalist und Besitzer des Daily Express (ab 1917); MP 1910-1916 (Kons.), verschiedene Regierungsämter. Amery, Leopold (1873-1955): Britischer Politiker und Journalist; u.a. beim Manchester Guardian und bei der Times, MP 1911-1945 (Kons.), verschiedene Regierungsämter. Angell, Norman: Siehe Lane. Asquith, Herbert (1852-1928): Britischer Politiker; MP 1886-1918 und 1920-1924 (Lib.), 1892-1895 Innenminister (Home Secretary), 1905-1908 Finanzminister (Chancellor of the Excequer), 19081916 Prime Minister. Balfour, Arthur (1848-1930): Britischer Politiker; MP 1874-1885, 1886-1905, 1906-1911 (Kons.), mehrere hohe Verwaltungsposten, 1892-1894 und 1906-1911 Oppositionsführer, 1902-1905 21
Für autobiographische Werke vgl. Literaturverzeichnis.
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Premierminister, 1915 First Lord of the Admiralty, 1916-1919 Außenminister, 1921-1929 Lord President. Beaverbrook: Siehe Aitken. Berchtold, Leopold von (1883-1942): Österreichischer Diplomat und Politiker; 1911-1915 österreichungarischer Minister des Äußeren. Bertie, Francis (1844-1919): Britischer Diplomat; 1905-1918 Botschafter in Paris. Bethmann Hollweg, Theobald von (1856-1921): Deutscher Politiker; 1905 preußischer Innenminister, 1907 Reichsinnenminister, stellvertretender Reichskanzler und preußischer Vizeministerpräsident, 1909-1917 Reichskanzler. Blatchford, Robert (1851-1943): Britischer Journalist; 1909-1916 Verfasser regelmäßiger Artikel für die Daily Mail, worin er auf dem Höhepunkt der naval scare 1909 vor allem vor der von Deutschland ausgehenden Gefahr warnte. Blumenfeld, Ralph (1864-1948): Amerikanischer Journalist; 1902-1932 Mitarbeiter beim Daily Express, davon 28 Jahre als Herausgeber. Bonar Law, Andrew (1858-1923): Britischer Politiker; MP ab 1900 (Kons.), 1911-1915 Oppositionsführer, 1911-1921 Führer der konservativen Partei, 1915/16 Secretary of State for Colonies, 1916-1918 Chancellor of the Exchequer, 1919-21 Lord Privy Seal, 1922/23 Premierminister. Bondfield, Margaret (1873-1953): Britische Gewerkschafts- und Labour-Führerin, MP 1923-24, 1926-31 (Lab.), 1929-1931 erste weibliche Ministerin in der britischen Regierung (Minister of Labour). Bottomley, Horatio (1860-1933): Britischer Journalist; Gründer und Herausgeber verschiedener Zeitungen, MP 1906-12 und 1918-1922, 1906 Gründung seiner erfolgreichsten Zeitung, John Bull, mehre Anklagen wegen undurchsichtiger Geldgeschäfte, fünfjährige Haftstrafe, Ausschluß aus dem Parlament. Brassey, Thomas (1836-1918): Britischer Politiker; MP 1865 und 1868-1885 (Lib.), verschiedene Regierungsämter, 1914 Begleiter der englischen Flottendelegation nach Kiel auf seiner Yacht Sunbeam. Bryce, James (1838-1922): Britischer Jurist, Historiker und Diplomat; verschiedene Regierungsämter, 1907-1913 Botschafter in Washington, Namensgeber für den sogenannten Bryce-Report über die Greueltaten der Deutschen im Ersten Weltkrieg. Buchanan, George (1854-1921): Britischer Diplomat; 1910-1918 Botschafter in St. Petersburg. Burns, John (1858-1943): Britischer Gewerkschaftsführer; MP 1892-1918 (Lib.), verschiedene Regierungsämter. Buxton, Charles Roden (1875-1942): Britischer Journalist und Politiker; 1906-1908 Herausgeber der Albany Review, ab 1910 mehrfach Parlamentsmitglied zuerst für die liberale Partei, dann Übertritt zur Independent Labor Party. Cadbury, Edward (1873-1948): Sohn von George Cadbury. Cadbury, George (1839-1922): Britischer Industrieller, Kakao- und Schokoladenfabrikant, Sozialreformer und Zeitungsbesitzer; 1901 Kauf der Daily News als unterstützendes Organ für die Liberalen und gegen den Burenkrieg. Chamberlain, Joseph (1836-1914): Britischer Industrieller und Politiker; verschiedene Regierungsämter, u.a. Staatssekretär für die Kolonien (1895-1903), Hauptvertreter des britischen Imperialismus, Vater von Joseph Austen Chamberlain des späteren Finanz- und Außenministers. Chirol, Valentine (1852-1929): Britischer Journalist; 1892-96 Berliner Korrespondent der Times, u.a. Berichterstattung über das Krügertelegramm, 1899-1912 Auslandsredakteur der Times, 1919 Pressedelegierter bei den Friedensverhandlungen in Paris. Churchill, Winston (1873-1965): Britischer Politiker und Schriftsteller; Parlamentsmitglied, 19051908 Undersecretary for Colonies, 1908-1910 President of Board of Trade, 1910/11 Home
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Secretary, 1911-1915 First Lord of the Admiralty, 1917 Minister for Munition, 1919-1921 Secretary for War and Air, 1921 Secretary for Colonies and Air, 1921/22 Secretary for Colonies, 1924-1929 Chancellor of the Exchequer, 1939-1940 First Lord of the Admiralty, 1940-1945 und 1951 -1955 Prime Minister, 1953 Literaturnobelpreis. Clarke, Thomas (1887-1957): Britischer Journalist; u.a. bei der Daily Mail, der Chicago Tribune, dem Daily Dispatch und dem Daily Sketch, 1914-1916 night news editor der Daily Mail, 19181922 news editor, Vertrauter Northcliffes, 1916-18 bei der Armee, im 2. Weltkrieg im Ministry of Information tätig. Compton-Rickett, Joseph (1847-1919): Britischer Politiker und Publizist; MP 1895-1919 (Lib.). Cook, Edward (1857-1919): Britischer Journalist; u.a. bei der Westminster Gazette, der Daily News und dem Daily Chronicle, 1915 Direktor des Official Press Bureau. Crowe, Eyre (1864-1915): Britischer Politiker; 1912 Stellvertretender Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, seit 1920 Ständiger Unterstaatssekretär. Cunninghame Graham, Robert (1852-1936): Britischer Politiker und Autor. Dark, Sidney (18707-1947): Sänger, Schauspieler und Journalist, Klatschreporter der Daily Mail, sowie Theater- und Musikkritiker; ab 1902 Sonderkorrespondent des Daily Express, u.a. bei den Pariser Friedenskonferenzen. Dawson:, (George) Geoffrey (1874-1944): 1917 Namensänderung in Dawson, britischer Journalist; 1901 Assistant Private Secretary Joseph Chamberlains und 1901-1905 Lord Milners in Südafrika, 1905-1910 Herausgeber des Johannesburg Star, zugleich Korrespondent der Times, 1911-1919 Herausgeber der Times unter Northcliffe (Rücktritt wegen seiner Unterstützung für Lloyd George), nach dem Tod Northcliffes von 1922-1941 erneut Herausgeber der Times. Dell, Robert (1865-1940): Britischer Journalist; 1906-1918 Pariser Korrespondent des Manchester Guardian, wegen unangenehmer Berichterstattung aus Frankreich ausgewiesen, danach verschiedene Korrespondententätigkeiten, u.a. von den Friedenskonferenzen u.a. aus Berlin, Genf und erneut Paris. Dillon, Emile (1881-1932): Britischer Journalist und Zeitungskorrespondent; u.a. Korrespondent des Daily Telegraph, Korrespondententätigkeit in verschiedenen Krisengebieten, Pressevertreter auf den Pariser Friedenskonferenzen, enge Bekanntschaft zu zahlreichen Politikern und Staatsmännern weltweit. Doyle, Arthur (1859-1930): Britischer Physiker und Schriftsteller; bekannt durch die Erfindung von Dr. Watson und Sherlock Holmes. Esher, Reginald (1852-1930): Britischer Historiker und Offizieller; 1895-1902 Sekretär im Arbeitsministerium, Deputy Governor und Governor von Schloß Windsor. Franckenstein, Georg von: Österreichischer Diplomat; 1914 an der Botschaft in London, 1919 Delegierter in St. Germain, 1920-1938 österreichischer Botschafter in London. French, John (1852-1925): Britischer Soldat; 1911-1914 Chef des englischen Generalstabs, 1913 Feldmarschall, 1914-1915 Oberbefehlshaber der britischen Truppen an der Westfront. Gardiner, Alfred (1865-1946): Britischer Journalist; 1902-1919 Herausgeber des Daily News & Leader (Eigentümer Cadbury), erzwungener Rücktritt wegen seiner Kritik an Lloyd George nach dem Ersten Weltkrieg. Garvin, James (1868-1947): Britischer Journalist; u.a. Korrespondent des Daily Telegraph, 1905/06 Herausgeber des Outlook, 1912-1915 der Pall Mall Gazette, 1908-1942 des Observer, 1926-29 Chefherausgeber der 13. und 14. Ausgabe der Ecyclopaedia Britannica. Gibbs, Philip (1877-1962): Britischer Journalist, Kriegsberichterstatter des Daily Chronicle und Daily Telegraph. Goschen, William (1847-1924): Britischer Diplomat; 1908-1914 Botschafter in Berlin. Grey, Edward (1862-1933): Viscount Grey of Fallodon, Britischer Politiker; MP ab 1885 (Lib.), 1892-1895 Undersecretary of State for Foreign Affairs, 1906-1916 Außenminister.
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Gwynne, Howell (1865-1950): Britischer Journalist; 1905-1911 Herausgeber des Standard unter Pearson, Rücktritt wegen Unstimmigkeiten mit dem neuen Besitzer Dalziel, 1911-1937 Herausgeber der Morning Post. Haig, Douglas (1861-1928): Britischer Soldat, 1917 Feldmarschall, 1915-1918 Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte in Frankreich. Haidane, Richard (1856-1928): Britischer Politiker, 1905-1911 Kriegsminister, 1912-1915 und 1923/24 Lord Chancellor. Hammond, John (1872-1949): Britischer Journalist und Historiker; 1899-1906 Herausgeber des liberalen Speaker, 1914 Kriegsteilnehmer bei der Feldartillerie bis zur Versetzung ins Ministry of Reconstruction, von Kriegsende bis 1945 special correspondent des Manchester Guardian. Hardie, James Keir (1856-1915): Britischer Sozialist und Labor-Führer; 1866-1878 Minenarbeiter, 1888 Mitbegründer und Vorsitzender der Scottish Labor Party, 1893-1900 Präsident der Independent Labor Party, MP 1892-1895 und 1900-1915, 1906/07 erster Fraktionsvorsitzender der Labor Party im Parlament. Harmsworth, Alfred (1865-1922): Viscount (Lord) Northcliffe, Britischer Journalist und Zeitungseigentümer; geb. bei Dublin, Tätigkeiten u.a. fur Tit-Bits, Globe, Morning Post, Gründer mehrerer konservativer Zeitungen, 1896 Daily Mail, 1903 Daily Mirror (später verkauft an seinen Bruder), 1894 Kauf der Evening News, 1908 der Times, umgangssprachlich chief genannt, 1917 Vorsitzender einer Militärmission in die US A, 1918 Director of Propaganda, Mitwirkung am Sturz Asquiths 1916. Harmsworth, Harold (1868-1940): Britische Zeitungsbesitzer, Lord Rothermere, jüngerer Bruder von Alfred H., Lord Northcliffe. U.a. Besitzer des Daily Mirror, übernahm nach dem Tod einen großen Teil des Zeitungsimperiums seines Bruders. Henderson, Arthur (1863-1935): Britischer Politiker; MP 1903-1918 und 1919-1931 (Lab.), 19081910 und 1914-1917 Vorsitzender der Labor Party, verschiedene Regierungsämter, 1934 Friedensnobelpreis. Hirst, Francis (1873-1953): Britischer Ökonom und Journalist; 1907-1916 Herausgeber des Economist, danach publizistische Tätigkeit auf dem Gebiet der Wirtschaft. Hulton, Edward Jr . (1869-1925): Britischer Journalist und Sportbegeisterter; 1909 Gründer des Daily Sketch. Hutchinson, Arthur (1879-1971): Britischer Journalist und Schriftsteller; 1908 Redakteur, 1912-1916 Herausgeber des Daily Graphic. Jagow, Gottlieb von (1863-1935): Deutscher Diplomat und Politiker; 1895 Diplomatischer Dienst, Attache in Rom, danach Dienst in München, Hamburg, Rom und Den Haag, 1906 Vortragender Rat im Auswärtigen Amt, 1907 Außerordentlicher Gesandter in Luxemburg, 1908 Botschafter in Rom, 1913-1916 Staatssekretär des Äußeren. Kühlmann, Richard von (1873-1948): Deutscher Diplomat, 1905/06 deutscher Geschäftsträger in Tanger, 1909-1914 Botschaftsrat in London, 1917/18 kurzzeitig Außenminister. Lane, Ralph Norman Angell (1872-1967): Bekannt als Norman Angell, britischer Publizist und bekennender Sozialist; im Auftrag Alfred Harmsworth' Begründer und Herausgeber der Continental Daily Mail (1905-1912), anschließend publizistische Tätigkeit, MP 1929-31 (Lab.), 1933 Friedensnobelpreis. Lansbury, George (1859-1940): Britischer Politiker und Journalist; 1892 Social Democratic Federation, MP 1910-1912 und von 1922-1940 (Lab.), Mitgründer, Vorsitzenderund Herausgeber (1912-1922) des Daily Herald, 1931 -1935 Führer der Labor Party und Oppositionsführer. Lansdowne, Henry (1845-1927): Britischer Politiker; 1883-1888 Generalgouvemeur von Kanada, 1888-1898 Vizekönig von Indien, 1895-1900 Kriegsminister, 1900-1905 Außenminister, MP 1908-1918, mitbeteiligt an der Gründung der Entente, 1906-1916 Oppositionsführer im Oberhaus, 1915/16 Minister ohne Geschäftsbereich, Verfasser des Lansdowne Letter 1917.
Anhang
527
Law: siehe Bonar Law Lawson, Harry (1862-1933): Second Baron and Viscount Burnham, MP 1885-1916, zuerst liberal, dann konservativ, 1903-1928 manager-proprietor des Daily Telegraph. Lichnowsky, Karl Max Fürst von (1860-1926): Deutscher Diplomat; 1912-1914 deutscher Botschafter in London, aufgrund seiner kritischen Haltung zur deutschen Regierung bezüglich des Kriegsausbruchs wurde er 1918 aus dem preußischen Herrenhaus ausgeschlossen, 1918 kurzzeitig Mitglied der DDP, 1919 wurde er von dieser Seite als möglicher Präsidentschaftskandidat diskutiert. Lloyd, George (1879-1966): Lord Lloyd of Dolobran, Britischer Politiker; MP 1910-19, 1924-25, Governor of Bombay 1918-23, High Comissioner in Egypt 1925-1929, Secretary of State for the Colonies 1940-1941. Lloyd George, David (1863-1945): Britischer Politiker; aufgewachsen in Nordwales, MP ab 1890 (Lib.), 1905-1908 President of Board of Trade, 1908-1915 Chancellor of the Excequer, 1915 Minister of Munitions, 1916 Minister of War, 1916-1922 Premierminister, 1918 Kauf des Daily Chronicle. Lloyd George, Frances: Langjährige Geliebte und 2. Frau David Lloyd Georges. MacDonald, Ramsay (1866-1937): Britischer Politiker und Journalist; 1900-1912 Sekretär der Labor Party, 1912-1924 Schatzmeister, 1906-1918 MP, journalistische Tätigkeit beim Daily Herald, 1911-1914 Fraktionsvorsitzender der Labor Party, Aufgabe des Amtes als Gegner der englischen Intervention, ab 1922 erneut MP, 1924 erster Labour Premierminister, zugleich Außenminister, 2. Amtszeit 1929-1935 zuerst als Führer einer Labour Regierung, ab 1931 in einem National Government, Lord President unter Baldwin, Aufgabe der politischen Ämter wegen zunehmender Erblindung. Marlowe, Thomas (1868-1935): Britischer Journalist; ab 1888 beim Star, ab 1894 bei der Evening News, Nachrichtenredakteur, 1899-1926 Herausgeber der Daily Mail. Massingham, Henry (1860-1924): Britischer Journalist; u.a. bei Manchester Guardian und Daily News, 1907-1922 Herausgeber der Nation. Mensdorff-Pouilly-Dietrichstein, Albert Graf von (1861-1945): Österreichischer Diplomat; 19041914 Botschafter in London, 1917 beteiligt an den Verhandlungen in Genf über Friedensmöglichkeiten mit England, 1920 erster österreichischer Delegierter bei der Genfer Völkerbundsversammlung. Milner, Alfred (1854-1925): Britischer Politiker und Journalist; verschiedene Regierungsämter, 1897 high commissioner für Südafrika 1918 secretary of war, 1919-1921 colonial secretary. Nicolson, Arthur (1849-1928): Britischer Diplomat; 1895-1905 Gesandter in Marokko, 1904-1906 Botschafter in Madrid, 1906-1910 Botschafter in St. Petersburg, 1910-1916 ständiger Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt. Northcliffe: siehe Harmsworth, Alfred. Pearson, Arthur (1866-1921): Britischer Journalist und Zeitungseigentümer; 1900 Gründer und Herausgeber des Daily Express, 1904 Kauf des Standard und Evening Standard, Versuch die Times zu erwerben scheiterte an Northcliffe. Ponsonby, Arthur (1871-1946): Britischer Diplomat und Politiker; Sohn des Privatsekretärs Königin Victorias, 1894-1902 diplomatischer Dienst in Konstantinopel, Kopenhagen und im Foreign Office, 1906-1908 Principal Private Secretary Campbell-Bannermans, MP 1908-1918 (Lib.), 1922-1930 (Lab.), 1924 Parliamentary Under-Secretary of State for Foreign Affairs, 1929 for Dominions, 1929-1931 Ministry of Transport, 1930 Baron, 1931-1935 Oppositionsführer im House of Lords. Primrose, Archibald (1847-1929): Lord Rosebery, britischer Politiker (Lib.); 1886 und 1892-1894 Außenminister unter Gladstone, 1894/95 Premierminister, 1895/96 Oppositionsführer. Repington, Charles (1858-1925): Britischer Soldat und Journalist; 1899-1902 Stabsoffizier während des Burenkrieges, Ausscheiden aus der Armee wegen einer Affäre mit der Frau eines anderen
528
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Offiziers, anschließend Militärkorrespondent der Times bis 1918, journalistische Tätigkeit auch fur die Morning Post. Er pflegte enge Kontakte zu führenden Militärs. Riddell, George (1865-1934): Is' Baron, britischer Zeitungsbesitzer; 1891 Kauf der News of the World, die er zur auflagenstärksten Zeitung der Welt machte, 1909 Senior Director der Newnes Ltd., Vorsitzender der Newspaper Proprietors' Association, enger Freund Lloyd Georges, 19141918 ChefVermittler zwischen Regierung und Presse, 1919-1921 Repräsentant der britischen Presse bei den Pariser Friedenskonferenzen. Robinson, (George) Geoffrey: siehe Dawson. Rosebery, Lord siehe Primrose, Archibald. Rumbold, Horace (1869-1941): Britischer Diplomat; 1914 Counsellor of the Embassy in Berlin, später Botschafter in Berlin. Scott, Charles Prestwich (1846-1932): Britischer Journalist; 1872-1929 Herausgeber und ab 1905 Eigentümer des Manchester Guardian, MP 1895-1906 (Lib.). Shaw, George Bernard (1856-1950): Anglo-irischer Bühnenschriftsteller und Publizist; 1925 Literaturnobelpreis. Simon, John (1873-1953): Viscount, britischer Politiker und Jurist; MP 1906-1918 und 1922-40 (Lib.), 1910-1913 Solicitor General, 1913-1915 Attorney General, 1915/16 Innenminister (Home Secretary), weitere Regierungsämter. Spender, John Alfred (1862-1942): Britischer Journalist, 1886-1891 Editor der Eastern Morning News, ab 1891 bei der Westminster Gazette, von 1896-1922 deren Herausgeber. Enge Beziehungen in höchste politische Kreise, v.a. zu liberalen Politikern. Steed, Henry Wickham (1871-1956): Britischer Journalist; Wirtschaftsstudium in Jena, Berlin und an der Pariser Sorbonne, Auslandskorrespondent der Times in Berlin (1896/97), Rom (1897-1902) und Wien (1902-1913), 1913 „The Habsburg Monarchy", 1913/14 special correspondent der Times beim Zabern-Prozeß, 1914-1919 Foreign Editor (Auslandsredakteur) der Times, während des Krieges Mitarbeiter Northcliffes im Propagandaministerium. 1919-22 Herausgeber der Times, Mitherausgeber von Daily Mail, Evening News und Weekly Dispatch, 1925-33 Herausgeber der Review of Reviews, 1925-1938 Dozent am King's College London, 1937-48 als Sprecher bei der BBC. Trevelyan, George (1876-1962): Britischer Historiker; 1927-1940 Regius Professor of Modern History in Cambridge, 1940-1951 Master of Trinity College. Wells, Herbert (1866-1946): Britischer Schriftsteller und Publizist. Wile, Frederic (1873-1941): Amerikanischer Journalist; 1902 Berlin-Korrespondent der New York Times und der Chicago Daily News, 1902-1914 Berlin-Korrespondent der Daily Mail, 1913/14 Pläne Northcliffes einer Berlin-Ausgabe der Daily Mail unter Wile gescheitert, 1914-1917 Redakteur für Germany Day by Day, 1917-1919 special service für das amerikanische Expeditionsheer, 1923 Washington Star, führender Polit-Kommentator der USA. Wilson, Henry (1864-1922): Britischer General; 1911-1914 Planung der Mobilisierung des BEF für den Konfliktfall, ab 1914 stellvertretender Chef des Generalstabs. Wolf, Lucien (1857-1930): Britischer Journalist; Auslandsredakteur des Daily Graphic und Herausgeber der Jewish World, Präsident der Jewish Historical Society und Foreign Secretary des Board of Deputies for British Jews, zahlreiche Veröffentlichungen über anglo-jüdische Geschichte, Herausgeber der Arbeiten des ehemaligen Premiers Disraeli. Wrench, Evelyn: Britischer Journalist, Herausgeber der Daily Mail-Overseas Edition.
Tafelteil
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4.1 Daily Telegraph War Picture
Abb. 1 Dieses Bild erschien in folgenden Zeitungen mit den jeweiligen Texten: Daily Chronicle, 18.8.1914, S. 1: „A striking example of German war methods. It is of a peaceful farmhouse in the Belgian village Mouland, from which the inhabitants were driven out to seek what shelter they could while the Kaiser's soldiery fired the place from end to end, and destroyed what they could not loot. Three young farmers were hanged here, wires our correspondent for offering opposition to the German troops." Daily Express, 18.8.1914, S. 3: „Barbarous German Warfare: Burned and blackened farmhouse near Liege destroyed by German troops." Daily Graphic, 18.8.1914, S. 1: „Isolated farmhouses near Liege, like the one in the upper picture, have been given over to the flames" Daily Mirror, 18.8.1914, S. 6: „Farmhouse fired by the Germans. Everything bit contained was wantonly destroyed by the invaders." Daily Sketch, 18.8.1914, S. 4: „The German army leaves devastation and desolation in its path. The photograph shows a farmhouse near Liege, burned by German troops. Thousands of homes have paid the same toll to merciless war — and the devastation is only beginning." Daily Telegraph, 18.8.1914, S. 10: „A Burned Farm near Liege bare by the Germans." Manchester Guardian, 18.8.1914, S. 6: „The photograph shows a farmhouse near Liege which was destroyed by the German troops in their advance. Not a living thing has been left." News of the World, 23.8.1914, S. 4: „A ruthless enemy. Farmhouse near Brussels burned by the Germans."
Deutschlandbild
532
4.2 Illustrationen zu Kapitel 1 und 2 Auflagen S'pl.'mtyr 30. Itll
THE DAILY MIRROR
Ρ·*' «
DAILY MAIL CIRCULATION I t 4 32. Broad Street Avenue, London. E.C. 1Mb September. 1912. THE ASSOCIATED V1WS PAPERS, LTD.
Gentlemen. We have examined the book· or tbe Daily Mali" from in January to Slat August. 1812, and bereby certify that the circulation, excluitlve of complimentary and sperimen copies, dor Inf this period wa* an follow*. E. LATTON 1ENNETT & CO.. Chartered Accountant«.
18 ... P34 MT 18 ...... use all her forces for holding her conquests down. She would have so many difficult«* like those arising out of Ai«tcx that she would hqvc to leave other nations alone as much as possible Hut wc do not know in the least that she would do these things. It would be monstrous to drag this country into war on so vague a suspicion
It i s y o u r Duty to S a v e y o u r C o u n t r y f r o m thle | Disaster.
ACT TO-DAY OR IT MAY BE TOO LATfc Write
your member that you will try and turn
him out «1 the next election if he does not$u»e hit influence with the
Government on the side of peace. i
Get
your local
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Make your Trade Persuade
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England
taking
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^•Jdi - - " m Abb. 21 Selbst Anzeigen wurden geschaltet, um die Regierung von ihrem Interventionskurs abzubringen (in: Manchester Guardian, 4.8.1914, S. 4).
Tafelteil
4.4 Illustrationen zu Kapitel 5: Der Erste Weltkrieg Für Ehre und Freundschaft
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Belgien
AND BOHOOB.
Abb. 22 Standen in der Julikrise noch die Interessen des Empires im Vordergrund, verschoben sich bald nach Kriegsausbruch die Begründungen für die Intervention. Zunehmend wurde mehr auf ideelle und moralische Ziele verwiesen. (in: Punch, 12.8.1914, S. 151.)
Abb. 23 Besonders die Verteidigung Belgiens drängte in den Vordergrund der Begründung für die britische Intervention (in: Punch, 12.8.1914, S. 142.)
Well Done, Little 'un Abb. 24 Nicht zuletzt, um das Land zu motivieren, wurde Belgien für seine Leistung, die deutschen Truppen aufgehalten zu haben, große Anerkennung zu Teil (in: People, 23.8.1914, S. 5).
Deutschlandbild
544 Frontverlauf
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> blach Uno» »how the petition of the German troop· In It ιsir approach on Pari*. T h e light Hoe· / «how the poillioo of the Λ ιDM. , · Abb. 25 Auch wenn die Frontlinien nicht im Detail gemeldet wurden, konnten sich die Leser über deren groben Verlauf informieren (in: Daily Express, 3.9.1914, S. 3, vgl. z.B. Daily Mail, 2.11.1914, S. 7).
545
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Imaginärer Frontverlauf in England
IF THE GREAT BATTLE WERE IN ENGLAM®® Aitern
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Abb. 26
Wie weit die Deutschen auf alliiertes Gebiet vorgedrungen waren, zeigt diese Übertragung der
Frontlinie auf England (in: Observer, 4.10.1914, S. 9).
546
Deutschlandbild
Ostfront PIOTRKOW iDEt"
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Abb. 27 S. 15).
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Zum Teil sehr ausfuhrlich wurde auch der Verlauf der Ostfront dargestellt (in: Times, 5.1.1915,
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547
Christmas Truce PEACE ON EARTH."
THlE CHRISTMAS TRUCE AT THE
FRONT.
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Abb. 28 Überrascht und unbeholfen reagierte die Zensur 1914 auf den Weihnachtsfrieden zwischen britischen und deutschen Truppen, deren Pickelhauben teilweise zu erkennen sind. Dadurch gelangte eine Reihe von Berichten in die Presse, darunter auch dieses Foto (in: Daily Mail, 8.1.1915, S. 7).
Erstes Kriegsjahr Abb. 29 In einer einzigen Darstellung faßte der Daily Chronicle die wichtigen Ereignisse des Ersten Kriegsjahres zusammen (in: Daily Chronicle, 3.8.1915, S. 5).
Deutschlandbild
Siegeszuversicht
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Abb. 30 Zu Kriegsbeginn wurde auf eine baldige Entscheidung durch das Eingreifen der russischen Truppen an der Ostfront gehofft (in: Punch, 26.8.1914, S. 177).
Abb. 31 Während des gesamten Krieges drückten die Zeitungen ihre Siegeszuversicht aus (in: Punch, 7.2.1917, S. 93).
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Abb. 32 In Erinnerung an den 100. Jahrestag der Niederlage Napoleons 1815 wurde wie so oft die Hofinung auf einen baldigen Sieg der Alliierten 1915 ausgedrückten: Reynolds's, 3.1.1915, S. 7).
WRITTEN IN SAND. iBy J O H N
HASÜAt-L.)
I U C S ON (THE EASTERN FRONT.
Abb. 33 Dagegen waren die Hoffnung Deutschlands in den Augen des Star auf Sand gebaut (in: Star, 28.7.1915, S. 3).
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550 Verdun
TO THE CxLOBY OP FBANCE. VliBUUX. Ι Έ Β Β ϋ Α β ϊ - J I A a C U ,
1IU0,
Abb. 34 Die Schlacht von Verdun wurde als großer Erfolg für die französischen Truppen dargestellt (in: Punch, 29.3.1916, S. 217).
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Friedensvorschläge
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Abb. 35 Jegliche Art von Friedensverhandlungen wurde vom größten Teil der britischen Presse kategorisch abgelehnt. Besonders deutlich in der Ablehnung von Friedensinitiativen war John Bull (in: John Bull, 7.10.1916, S. 7).
Abb. 36 Auch die SPD wurde als Partner für einen Verhandlungsfrieden abgelehnt. Zuerst galt es, den Sieg der Alliierten zu sichern (in Punch, 11.4.1917, S. 241).
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Abb. 37 Zufrieden wurde die Ablehnung von Friedensverhandlungen durch die USA gemeldet (in: Punch, 22.8.1917, S. 129).
1IDST BK BEATEN FIRST. No«' the urro-ani Euiwr demand* pcarc. I later on lie will humbly tut tor it. Abb. 38
Ein vorzeitiger Friede kam nicht in Frage (in: Western Mail, 18.Tz. 1V10, S. 4).
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Kriegsziele
BEÜHITED. β?Κ4£Βυυΐ», JuläKMßGH 8«,
Abb. 39 Die Re-Annexion Elsaß-Lothringens wurde während des Krieges zu einer der Hauptforderungen zahlreicher Zeitungen. Entsprechend zufrieden wurde auf die Erreichung dieses Zieles reagiert (in: Punch, 4.12.1918, S. 373).
Abb. 40 Schon während des Krieges wurden Forderungen nach Grenzveränderungen laut, die stark an die Nachkriegsregelung erinnern (in: Daily Graphic, 13.1.1917, S. 4).
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Ausgrenzung Deutschlands HUrtCAQY
Abb. 41 Bald wurde Deutschland aus der Reihe der „zivilisierten" Staaten ausgeschlossen (in: Evening News, 29.5.1915, S. 2).
PUNCH. OB IHK LONDON CH ABI VA HL
World's Enemy
GOD (AND T H E
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SHIELD!
STUDY OV Α ΟΒΒΜΛΚ OKNTLBMAN «OHG INTO ACTION.
Abb. 42 Vor allem die grausame deutsche Kriegsführung wurde angeprangert (in: Punch, 9.9.1914, S. 167).
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PUNCH. :>» Til* UW1WM ^ÜAtJT*»!. » w w 1'. BW
.Civilisation" gegen „Kultur"
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Abb. 43
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(in: Punch, 10.2.1915, S. 111)
Als Krieg von „Civilisation" gegen . . .
THE CONQUEROR (?)
Abb. 44 ... „Kultur" sollte der hohe moralische Anspruch der Alliierten verdeutlicht werden, wie hier anläßlich der Hinrichtung der Krankenschwester Edith Cavell. (in: People, 24.10.1915, S. 3).
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556 l ' l ' l t o n op. ΤΗ* U1VDO.T a U i r V A i C - A . , , ! * , I i
;,·.,
THE TRIUMPH Ol·' " CULTURE."
Abb. 45
Punch, 26.8.1914, S. 185.
Warnung vor einem deutschen Sieg
WERE GERMANY TO
WIK.
Abb. 46 Ein deutscher Sieg hätte in den Augen der Zeitungen katastrophale Folgen für die Alliierten gehabt (in: News of the World, 30.1.1916, S. 1).
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Tafelteil DR. J E K Y L L
AND H E R R
HYDE.
Btcotils
Deutsche Bevölkerung Abb. 47 Kurz nach der Versenkung der Lusitania betonte diese Darstellung, daß sich Deutschland als Ganzes der brutalen Kriegsführung völlig untergeordnet habe (in: Daily Mirror, 11.5.1915, S. 7).
Do you Drink German Waters?
Anti-deutsche Werbekampagnen PRICKS.
1
SEAPOWER
Abb. 48 Selbst deutsches Mineralwasser war ein potentielles „Feindbild", wie in dieser Anzeige (in: Glasgow Herald, 16.2.1915, S. 10).
Deutschlandbild
558 PTOGTI.
OH rilK lyjNBOHflHimiVJlit;"w.JKT Λ 10I&,
Kaiser
Abb. 49 Der Kaiser galt als persönlich verantwortlich fur jede Art von deutschen KriegsverHOBE TITAS »OCT tl EBM THOUSAND BBFFISR SCiS-COMBATM!»TS-HflS, WotfES AKU üolunßHN--;iA\t; usus unsOkäuD jiy THE jiAtaER's .QDMMARÜ. brechen (in: Punch, 13.2.1918, S. 105). CAIN.
ΓΡ ΝΟΠ. OB TUE LONPni OHAHTVARL—Awww IB. »ii.
THE
WORLD'S
ENEMY.
Tu* K»iu». "WHO GOES THKBR?" Sriur or CJSKAO* •· Λ FRK IKÜ—YOUB ONLY ON Κ.'
Abb. 50 Wilhelm II. wurde zum personifizierten Feindbild (in: Punch, 19.8.1914, S. 16).
Tafelteil
Hunnenpropaganda
(After a well-known French engraving./ Abb. 51
Besonders beliebt war der Vergleich der Deutschen mit den Hunnen. Nicht einmal die seriöse West-
minster Gazette konnte sich dem entziehen (in: Westminster Gazette, 25.5.1915, S. 3).
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