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German Pages 395 [396] Year 2001
Lenk · Das Denken und sein Gehalt
Scientia Nova Herausgegeben von Rainer Hegselmann, Gebhard Kirchgässner, Hans Lenk, Siegwart Lindenberg, Julian Nida-Rümelin, Werner Raub, Thomas Voss
Bisher erschienen u. a.: Robert Axelrod, Die Evolution der Kooperation Karl H. Borch, Wirtschaftliches Verhalten bei Unsicherheit Churchman/Ackoff/Arnoff, Operations Research James S. Coleman, Grundlagen der Sozialtheorie Morton D. Davis, Spieltheorie für Nichtmathematiker Erklären und Verstehen in der Wissenschaft Evolution und Spieltheorie Bruno de Finetti, Wahrscheinlichkeitstheorie Robert Frank, Strategie der Emotionen Green/Shapiro, Rational Choice Peter Kappelhoff, Soziale Tauschsysteme Bernd Lahno, Versprechen. Überlegungen zu einer künstlichen Tugend Hans Lenk, Das Denken und sein Gehalt Moralische Entscheidungen und rationale Wahl Moral und Interesse Nagel/Newman, Der Gödelsche Beweis John v. Neumann, Die Rechenmaschine und das Gehirn Julian Nida-Rümelin, Kritik des Konsequentialismus Ökonomie und Moral Howard Raiffa, Einführung in die Entscheidungstheorie Erwin Schrödinger, Was ist ein Naturgesetz? Rudolf Schüßler, Kooperation unter Egoisten Geo Siegwart, Vorfragen zur Wahrheit Paul W. Thurner, Wählen als rationale Entscheidung Thomas Voss, Rationale Akteure und soziale Institutionen Hermann Weyl, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft
Hans Lenk
Das Denken und sein Gehalt
R. Oldenbourg Verlag München 2001
Die Deutsche Bibliothek - CIP Einheitsaufnahme Hans Lenk: Das Denken und sein Gehalt / Hans Lenk. - München : Oldenbourg, 2001 (Scientia Nova) ISBN 3-486-56472-2
© 2001 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: WB-Druck, Rieden am Forggensee ISBN 3-486-56472-2
Inhalt
Vorwort
9
1. Denken in Begriffen, Urteilen, Schemata
11
2. Schemata als dynamisierte "konstruktive" Verfahren
17
3. Neuronenverknüpfungen, "Himkonstrukte" und das Entstehen von Bewußtsein
74
4. Von neuronalen Ensemblestabilisierungen zu geschichteten Interpretationskonstrukten
94
5. Mentale Modelle als Schemainterpretationskonstrukte
112
6. Quasi-Bilder im Gehirn?
148
7. Repräsentieren im Konnektionismus
171
8. Eine externalistische Gehaltstheorie mit Erklärungsbeispielen zum Bewußtsein
190
9. Evolutionär-funktionalistische Bewußtseins- und Gehaltstheorie
235
10. Eine naturalistische Repräsentationstheorie des Gehalts
252
11. Eine naturalistische Erklärung der Intentionaliät?
269
12. Intentionalität, Sprechakte und Interpretationen
292
13. Zur analytischen Philosophie des Gehalts
316
14. Eine nichtnaturalistische kantisch-wittgensteinianische Theorie der Repräsentation
335
15. Resümee
365
Literatur
377
Autorenregister
393
Vorwort
...Die WahrheitLebenswerk: 500 Seiten - so lang kann die Wahrheit doch gar nicht sein! Benn ...aber knapp 400 Seiten doch... H.L.
Die nachfolgend veröffentlichten Vorlesungen zum "Denken und seinem Gehalt" sind im Wintersemester 1992/93 an der Universität Karlsruhe gehalten worden und werden hier, überarbeitet, veröffentlicht. Es handelte sich wohl um die erste explizite Berücksichtigung der Ergebnisse der neueren Gehirnforschung in Kombination mit Schematheorien, integriert unter dem methodologischen Ansatz eines Interpretationskonstruktionismus, der freilich realistischen Ansätzen verpflichtet bleibt. Die Berücksichtigung neuerer Veröffentlichungen war nur begrenzt möglich, aber sowohl in den neu hinzugefugten Kapiteln 7, 13 sowie besonders 14 sind auch kritische Erörterungen einschlägiger neuerer Veröffentlichungen enthalten. Zu dem methodologischen Gesamtansatz des Schemainterpretationismus und zu dessen realistischer Einbettung in Weltbezüge und Handlungszusammenhänge stehe ich natürlich nach wie vor - wie auch zu den eher erkenntnistheoretischen und ontologischen Gesichtspunkten, die ich neuerdings in Einßihrung der Erkenntnistheorie: Interpretation - Interaktion Intervention (UTB 2005, München 1998), sowie in Erfassung der Wirklichkeit: eine interpretationsrealistische Erkenntnistheorie (Würzburg 2000) behandle. Sehr zu danken habe ich meinen Mitarbeiter(inne)n - bei diesem Band wiederum besonders Dr. Renate Dürr sowie Christine Karl, Μ. Α., und Andrea Gammer für vielfältige Mitarbeit bei der Manuskripterstellung und -korrektur.
Der Verfasser
' Das gilt natürlich auch für das Denken..
1. Denken in Begriffen, Urteilen, Schemata
Denken in Begriffen, Urteilen, Schemata Im Bonner Stadtmuseum gibt es eine Abteilung, die Joseph Beuys gewidmet ist. Zwar muß ich gestehen, daß ich mit seiner Kunst nicht allzuviel "anfangen" kann, doch fand ich dort zwei sehr geistreiche Exponate - ein Kunstwerk und eine Art von "Reliquie". Zunächst zu dem Kunstwerk, einem wahrhaft philosophischen: Es handelte sich um einen Handelsvertreterkoffer, geöffnet, schwarz, mit Samt ausgekleidet, an dessen Wand geheftet eine MaggiWürzmittel-Flasche. Daneben war mit einem alten Weckring eine schrillgelbe Reclam-Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft befestigt. Das Kunstwerk hatte den Titel - direkt daran oder darunter notiert: "Ich kenne kein Weekend". Diesen Einfall fand ich geradezu phantastisch, wirklich originell und ironisch - und auch gehaltvoll. Zwar haben dieses Werk und sein Titel unmittelbar relativ wenig mit dem Denken zu tun, doch natürlich spielt der Titel darauf an, daß jemand, der die Kritik der reinen Vernunft am Wochenende liest, sie vielleicht sogar alltäglich neben Maggi-Flaschen im Koffer transportiert - also sowohl im Alltag liest -, wenigstens am Wochenende wohl auch denken wird und gar über das Denken nachdenken dürfte. Das andere Exponat war ein Zettel, den Beuys als Hochschullehrer geschrieben hatte, wobei fraglich bleibt, ob dieses "Werkchen", von ihm nicht als Kunstwerk gemeint, aber quasi zur Reliquie stilisiert, also doch als "Kleinkunstwerk" behandelt (?), das Denken außerhalb des Wochenendes direkt anspricht. Es handelt sich um eine normale Buchkarteikarte aus der Seminarbibliothek. Darauf hatte Beuys eigenhändig geschrieben: "Wer nicht denken will, fliegt raus!" Nun bin ich nicht Beuys und möchte niemanden zu Denkübungen verpflichten. Dennoch sollen die nachfolgenden, wie ich hoffe, gehaltvollen, Überlegungen zum Denken und zu seinem Gehalt nicht nur anregen, diese mitzuvollziehen, sondern auch möglichst eigenständig weiterzudenken. Eingedenk des schönen Schüttelreims, den Joachim Jaworski aus Tutzing mir einmal schrieb: "Des Selberdenkers Lenk gedenk ich und rat nun jedem: Denk geLenkig!" Dem Rate kann ich mich nur anschließen - vorbehaltlos. Nun denn: Der Denk ist los, der Lenk leg(t) los - erst einmal. Der Leser wird's auf seine Weise weiterlenken, weiterdenken.
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1. Begriffe, Urteile, Schemata
Fragen über das Denken und seinen Gehalt sind für die Philosophie immer schon kennzeichnend, und immer wieder spannend, ja, oft "brisant" gewesen und blieben weitgehend - und das gilt bis heute - ungelöst. Wenn man wirklich tiefer nachfragt, was bewußtes Denken, was Bewußtsein, was Denken in diesem traditionellen Sinne ist, und nicht zum Beispiel logisch-mechanisch-deduktives Operieren allein, was der "Gehalt" oder "Inhalt" des Denkens ist - dann muß man anscheinend letztlich eigentlich stets aufstecken. Doch irgendwo muß man alles Hinterfragen aufgeben! Der amerikanische Philosoph Colin McGinn, der ζ. B. der mehrere Bücher über den mentalen Gehalt des Denkens und das Problem des Bewußtsein geschrieben hat, ist in der Tat der Meinung, daß wir hier auf ein Mysterium, ein Rätsel, ein Geheimnis stoßen: Was das Bewußtsein letztlich selber ist, könnten wir generell nie sagen. Doch wir können immerhin durch verschiedene Untersuchungen, Differenzierungen und Diskussionen durchaus darstellen, wie sich einzelne Bewußtseinsinhalte voneinander unterscheiden. Man kann also durchaus sinnvoll und relativ verläßlich quasi auf einer naturwissenschaftlichen Basis zwischen verschiedenen Gedankeninhalten unterscheiden: Man redet meistens dann von naturalistischen Ansätzen. Ζ. B. vermag man in Begriffen etwa der persönlichen Kausalgeschichte im Leben zu unterscheiden, ob jemand an "London" denkt oder an "New York", das hängt offensichtlich mit seiner potentiellen früheren Bekanntschaft mit diesen Städten zusammen. Darüber läßt sich also einiges sagen, aber was generell das Denken und das Bewußtsein angeht, so scheint es nach McGinn eine Art Geheimnis zu sein und zu bleiben, ähnlich wie es schon im Altertum Augustinus über die Zeit gemeint hatte: Wenn wir jemanden nach der Uhrzeit fragen, dann kann dieser leicht antworten, aber wenn man fragt, was die Zeit generell sei, dann ist das schon sehr viel schwieriger, ja, anscheinend letztlich geradezu unmöglich zu beantworten. Das heißt, die philosophischen grundlegenden Was-Ist-Fragen sind also die schwierigsten - und zugleich diejenigen, welche Probleme aufwerfen, die bisher am hartnäckigsten aller Erklärungsmacht und allen diesbezüglichen Versuchen, sie philosophisch und wissenschaftlich endgültig zu präzisieren und zu lösen, widerstanden haben. Das gilt auch heute noch, selbst angesichts unserer computerisierten und allenthalben fortgeschrittenen Wissenschaftlichkeit. Man kann im Grunde nach wie vor sagen, daß wir letztlich nicht genau wissen, was Bewußtsein ist; wir können es allenfalls als bekannt und zutiefst vertraut darstellen, als ein je persönlich-subjektives Erleben: Wir fühlen es, üben es ständig aus, aber wir können es nicht wissenschaftlich erklären. Das gilt ganz ähnlich auch für das Denken. Können wir hier schon die These wagen, daß "Denken" so etwas ist wie die Anwendung und die Entwicklung von Interpretationsschemata, die wir irgendwie in uns "haben" (deren Verwendung wir beherrschen oder zu beherrschen gelernt haben), die wir aufgrund von bestimmten inneren und äußeren Bedingungen selber entwickel(te)n, wobei diese "Instrumente" und Bedingungen teils sprachlich, teils kulturell sind? Die zweite Frage wäre dann, wie kann Denken überhaupt Weltverhältnisse oder Strukturen darstellen? Wie
1. Begriffe, Urteile, Schemata
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kann man sozusagen "im Denken" etwas strukturieren? Wenn wir einen erkenntnistheoretischen (schemainterpretationistischen oder interpretationskonstruktionistischen) Ansatz vertreten, liegt es ja nahe, daß die Interpretationsschemata in der Lage sein müssen zu erklären, wie man Strukturen darstellen und repräsentieren kann. Doch wie soll das im einzelnen vor sich gehen? Ein weitere Frage wäre dann und diese ist vielleicht die spannendste und am wenigsten wirklich schon zu beantwortende: Wie kann das Denken sich auf Dinge und Gegenstände der Welt beziehen? Wie repräsentiert es in sich sozusagen stellvertretend die Zustände, Dinge, Entitäten in der Welt? Worin besteht sozusagen der Bezug, der eindeutige Zugriff, der Referenzzugriff? "Referenz" ist hier das Fachwort, das hierfür heute meistens benutzt wird. Es stammt aus der Zeichentheorie: Ein Begriff (ein Ausdruck) bezieht sich auf einen benannten Gegenstand, den er bezeichnet bzw. "denotiert" (das ist der philosophisch-logische Fachausdruck); und dieser bezeichnete Gegenstand ist dann der sog. "Referent". Aber der Bezugsgegenstand unterscheidet sich von der Bedeutung eines Begriffs (eines Ausdrucks, Zeichens). Was die Bedeutung eines Begriffs ist und was die Referenz eines Begriffs ist, eines Artbegriffs etwa, ist also ein Problem1. Die Begriffe lassen sich etwa so charakterisieren, daß sie offensichtlich dadurch, daß bestimmte Zeichen "durch" ihre Bedeutung und Verwendung sich auf Referenten beziehen, funktionieren; das behauptet die sogenannte triadische Zeichentheorie, die schon von Charles Sanders Peirce aus dem letzten Jahrhundert stammt. Sie wurde im wesentlichen in der Semiotik und auch in der Sprachphilosophie weiter beibehalten - und kann nach wie vor cum grano salis auch noch als gültig behauptet werden. Sie ist im Grunde eine funktionale Theorie: Wie funktionieren Zeichen? Und was bedeuten Zeichen? Wie kann man mit Zeichen nun etwas beschreiben, darstellen, repräsentieren? Das wäre gleichsam eine quasi "zeichenphilosophische" (semiotikphilosophische) oder sprachphilosophische Formulierung einer dieser Grundfragen. (Das Gesagte gilt natürlich auch für Worte und für sprachliche Zeichen.) Weitergehende Fragen wären solche, wie das Denken in diesem Zusammenhang zu charakterisieren ist und wie es aufzuschließen wäre, wie es auf Welt "ausgreifen" kann, etwa ob das "Ausgreifen", Sichbeziehen nichts anderes ist als eine bloße Metapher, die wir benutzen, ein bloßes Bild. Fast alle unsere sprachlichen Bilder sind ja verräumlichend und handlungsorientiert: Wir "stellen uns etwas vor", "begreifen", "erfassen", "begründen", "erschließen", wir "nehmen an" usw.; das alles sind ja Ausdrücke, die letztlich aus dem Handlungsbereich stammen. In der Tat hängt das Denken und das Begreifen im intellektuellen Sinne wohl sehr eng mit dem Handeln zusammen und läßt sich nicht reinlich davon abtrennen. Erkennen ist also letztlich nicht vom Handeln zu trennen. Jedes Denken, Deuten ist schließlich auch in einen Handlungszusammenhang einzubetten und ' Wenn man traditionell in der modernen Logik Intension und Extension mit Bedeutung bzw. Referent gleichsetzte, so löste man dadurch noch nicht das Problem der Beziehung auf das Bedeutete oder Referierte, sondern stellte es nur etwas präziser heraus.
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1. Begriffe, Urteile, Schemata
eigentlich auch nur auf dieser Basis zu verstehen. Doch all das sind selbst Vorgriffe auf theoretische Entwürfe und Einsichten, die später behandelt werden. Trotz aller Wissenschaft und Denkertradition hat man hier noch keineswegs endgültige Problemformulierungen und eindeutige Antworten gefunden. Hatte also Goethe recht, der in seinen Zahmen Xenien gesagt hat: "Ich hab' es klug gemacht, habe nie über das Denken gedacht"? Ja, in der Tat, sind die Denker "sprachlos". Oder gilt, was Gabriel Laub in seinen ironischen Aphorismen sagt: "Die Nichtdenkenden denken, daß niemand denkt. Die Denkenden wissen es"? ("Denkste", könnte man darauf sagen.) Wie dem auch sei, jedenfalls kommen die heutigen Wissenschaftler nach manchen Urteilen nur selten an das berühmte Shakespearsche Urteil - von Caesar über Cassius - heran: "Er denkt zuviel - die Leute sind gefährlich". Sind insbesondere die Wissenschaftler hierzulande nun relativ "ungefährlich"? Hatte nicht der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Maier-Leibnitz, gemeint, exakt, wie er als Physiker es gewohnt ist: "Nur 5% der deutschen Forscher denken selber"? Ob er diese Zahl wohl mit physikalischen Methoden ermittelt oder überprüft hat? Wie er sie überhaupt gewonnen oder begründet hat, bleibt offen. Die Gedanken sind jedenfalls frei. Angeblich. - "Er arbeitet viel und denkt wenig", urteilte ja schon Heinrich Heine über den deutschen Professor. "Wissenschaft hat nichts mit dem Denken zu tun, man lebt sie und man stirbt mit ihr" so der ironische Autor Richartz in seinem Buche Reiters westliche Wissenschaft (1980), einer Selbstpersiflage und -ironie der westlichen Wissenschaft. "Denken ist unwissenschaftlich", ironisierte schon Adorno - und konstatierte (ganz ohne sein postponiertes "sich"): "Längst bestand die entsagungsvolle Arbeit des Gelehrten meist darin, daß er gegen schlechte Bezahlung auf Gedanken verzichtete, die er ohnehin nicht hatte" ("ohnehin nicht sich leistete", hätte er echt adornitisch schreiben müssen). Aber auch Heidegger statuierte - und das war nun keineswegs ironisch gemeint: "Die Wissenschaft denkt nicht!" Was tut sie dann? Oder was ist in diesem Sinne Denken? Heidegger meinte natürlich tiefes, elementares Denken im Sinne des "Andenkens" des Seins, des Daseins (gen. obj. und subj.) und/oder des Seienden (gen. obj.) -, und dies alles kann man der Wissenschaft eben nicht zumuten oder zusprechen.
Auch Münchner Volksschüler erkannten in einer Umfrage: "Wissenschaft befaßt sich nur mit dem reinen Wissen, der Verstand wird völlig ausgeschaltet", also das Denken sozusagen. Man fühlt sich fast erinnert an den berühmten Herrn Ondit, der eine Sprichwortweisheit von sich gegeben hat: "Wenn du denkst, du denkst, denkst du nur, du denkst; denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken. Denken also tatst du nie." Gilt das nun auch für das AfacAdenken oder nur für das Nachherdenken, für das Hinterherdenken? Bismarck sprach ja schon vor hundert Jahren vom "Luxus der eigenen Gedanken", scilicet: der eigenen Meinung bei Abgeordneten; das ist uns ja wohl heute auch nicht ganz fremd: Unter Fraktionszwängen u.ä. ist es ja eher riskant, als Abgeordneter einen wirklich eigenen Gedanken zu haben und/oder zumal durchsetzen zu wollen. Sollte sich heutzutage auch für Wissenschaftler der Bismarck-Satz vom "Luxus der eigenen Gedanken" bewähren? Oder etwa statt dessen eine Verwirrung durch zu vieles Denken? Jedenfalls hat ein amerikanischer Professor von der Stanford University seinen Studenten empfohlen: "Study less - think more!" Im Bereiche der Philosophie ist das sicherlich nicht ein ganz falscher Rat, falls der "Prof." selber Denken, ja, Selberdenken schätzt und erwartet - und das soll ja noch (oder wieder?) vorkommen.
1. Begriffe, Urteile, Schemata
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Man kann in der Tat sagen, daß im Wissenschaftsöe/r/eft der Vermittlung von Wissen und in der Lehre und über die Gedanken anderer2 zu wenig selbst nachgedacht wird. Man kann leider in der Tat feststellen, daß an deutschen Hochschulen eben nicht nur zu wenig gelacht wird, sondern auch zu wenig gedacht wird. Das erstere zwar sicherlich noch viel weniger. Doch daß man bei uns in den Wissenschaften sozusagen das Übermaß (statt des Mittelmaßes) des Denkens, des eigenen Denkens, gegenüber z.B. der Wissensvermittlung findet, das ist sicherlich nicht der Fall. Insofern hat gerade die Philosophie auch hier und heute (wie eh und je!) eine Aufgabe, nämlich das Eigendenken zu fordern, zu forcieren. Denken nicht zu vermitteln im Sinne des Vorexerzierens von "Stoff', sondern das Eigendenken anzuregen durch das Aufgreifen, das Formulieren, das Entwickeln von Fragestellungen, von Problemen. Philosophie ist in erster Linie ein Problemfach und erst in zweiter Linie ein Stoff- und Traditionsvermittlungsfach, obwohl es an unseren Hochschulen - und wohl fast überall - im wesentlichen als Traditions- und Stoffach gelehrt wird - eher als "Philosophologie" denn als "Philosophie"3. Philosophie soll der Hort des Eigendenkens sein - und bleiben. Man lernt hier also weniger denken, als irgendwelche Weisheiten von Autoritäten zu übernehmen und auch dann fallweise zu kritisieren, herzubeten und im Examen möglichst buchstabengetreu wiederzugeben, zu rekonstruieren oder zu repetieren - und dabei bleibt es dann auch (allzu) oft. Aber das Nachbeten ist natürlich keine Schule des eigenen Denkens. Und es ist ja auch sehr schwer, Eigendenken durch Lehre zu vermitteln. In der Vorlesung gar kann man das Eigendenken sicherlich nicht vermitteln. Durch bloße Forderungen und Leselisten-Postulate läßt es sich auch nicht fördern, allenfalls durch Gespräche und durch ein Seminar, durch immer wieder nachbohrendes Fragen und insbesondere natürlich durch eine bestimmte liberale und freiheitliche Atmosphäre, die die Studierenden als wirklich junge gleichberechtigte produktive und kreative Denker(innen) behandelt, und nicht als bloße Lernmaschinen, die wiederzugeben haben, was der Herr am Katheder ihnen vorgebetet hat. Ich erinnere mich noch an meine eigene Doktorprüfung, und zwar in der Soziologieprüfung, ich kam relativ spät in dieses Fach und mußte vorher ein sogenanntes Großes Sociologicum absolvieren, bevor ich zur Doktorprüfung zugelassen wurde. Die beste, ja, notwendige, weil einzig zielfiihrende Strategie bestand darin, daß man möglichst wörtlich die Vorlesung des Professors auswendig gelernt haben mußte. Wehe, man hatte nicht dessen entsprechende Definition von "Kultur" bereit, die zwar im Definiens dreimal das Wort "kulturell" enthielt, also gar keine Definition sein konnte. Aber das sah er nicht ein, auch mathematische Formeln z.B. in der Doktorarbeit waren etwas Tabuisiertes; er sagte: "Was Soziologie ist, bestimme ich", und damit war das erledigt. Also das ist der traditionelle deutsche Lehrstil am Katheder ("Denkstil" kann man ja wohl nicht sagen). Ich weiß nicht, wie es heutzutage ist und in welchen Fächern das noch so ähnlich betrieben wird, aber jedenfalls sollte das in der Philosophie nicht so sein. Ich denke lieber da an jemanden, der mir ironisch geschrieben hat, als er mein Büchlein Die Kritik der kleinen Vernunft gelesen hatte, das solcherlei Sprüche sammelt: "Des Selberdenker Lenk gedenk ich und rat1 nun jedem: Denk gelenkig!" (Jaworwski). Das gebe ich gerne weiter: Also 2
Laut Lichtenberg (KII 246) galt (gilt?) das auch in der Philosophie: "Er handelte mit anderer Leute Meinungen, er war Professor der Philosophie". 3 So ζ. B. Pirsig in seinem Roman Lila (1992, 361 f.)
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1. Begriffe, Urteile, Schemata
rate ich auch Ihnen: Denken Sie gelenkig, insbesondere auch im Rahmen und im Zusammenhang der folgenden Ausführungen, die uns auf einige der schwierigsten und noch ungelöstesten Fragen der Philosophie führen werden.
Meist werde ich und kann ich im folgenden dementsprechend auch keine allgemeingültigen Lösungen anbieten, zum Beispiel, wie etwa das Referenzproblem zu lösen ist, wie das Denken gleichsam die Welt repräsentiert und letztlich auf Welt hin ausgreift. Wie kann "in" das Denken Selbstbezug inkorporiert werden? Ist das nur eine Modellnachkonstruktion, sozusagen ein Bild, ein metaphorisches Konstrukt, ein "Interpretationskonstrukt" (Verf. 1993)? Und wie kann das nun verstanden werden? Ich denke allerdings, daß hierzu bestimmte Überlegungen hilfreich sind, die zum Teil von Kant stammen, und zwar nicht in seiner berühmtesten Variante der transzendentalen Verwendung seiner Verstandesbegriffe, sondern in einer gleichsam empirischen Anwendung eines Grundbegriffs, den Kant (KrV Β 180f.) bereits verwendete, nämlich des Konzepts "Schema", und dann der Entwicklung dieses Schemabegriffs in der kognitiven Psychologie von heute.
2. Schemata als dynamisierte "konstruktive" Verfahren Seit langem ist der Schemabegriff1 in der kognitiven Psychologie im Schwange; Bartlett (1932) belebte ihn systematisch in der kognitiven Psychologie wieder und wird diesbezüglich heute noch zitiert. Heutzutage haben die kognitiven Psychologen, insbesondere der amerikanische Psychologe David Rumelhart (1978), diesen Schemabegriff eingeführt, um Schemata als Bausteine des Kognitiven, des Denkens, des Repräsentierens, zumal des Vorstellens der intellektuellen Erfassung von Situationen, Handlungen, Sprachweisen und Formen des Denkens zu verwenden. Darauf möchte ich jetzt ausführlicher eingehen. Ein Schema ist so etwas wie eine repräsentierende Strukturkonfiguration, ein Grundraster, das man anwenden kann. Und die Anwendung von solchen Schemata kann man als interpretierendes Instantiieren von Schemata verstehen. Kant (KrV Β 180) sah im Schema "eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft", die den erfahrungsunabhängigen ("reinen") Formgestalten, aber auch den empirischen Gestaltungen zugrunde liegt. Generell also können wir sagen: Deuten und Interpretieren sind kognitive Prozesse. Denken ist ein prototypischer kognitiver Prozeß. Denkprozesse sind solche, die teilweise bewußt, teilweise gleichsam automatisch ablaufen und Strukturierungen der Inhalte zustande bringen. Sie werden etwa gewisse aufgenommene Einzelsignale, z.B. die Wahrnehmung eines Tons oder eines optischen Signals, oder die Konstellationen von ihnen in einen gestaltmäßigen Zusammenhang bringen, in ein bestimmtes Feld, ζ. B. visuelles Feld einordnen. Wenn wir Dinge sehen, ist ja das "Feld" bereits in gewisser Weise vorbereitet, von vornherein strukturiert; das Repräsentierende des Gegenstandes ist schon eine Art von zurechtgemachten Quasi-Bild; es ist nicht das bloße prozessualflüssige Aufnehmen von Wahrnehmungsströmen und bloßen fließenden Flecken - oder was immer. Das Wahrnehmen erschöpft sich auch nicht in Energiebilanzen und Unterschieden in der Strahlung, wie es beispielsweise manche Wahmehmungs-theoretiker, etwa der berühmte Wahmehmungspsychologe Gibson (1973, 1982), gesehen haben, der aber auch zu einer "ökologischen" Strukturierungstheorie der Wahrnehmung gelangt. Es werden offensichtlich gestaltende Faktoren benötigt. Wenn man Strukturen erkennt oder "erfaßt", muß man bereits strukturierende Faktoren unterstellen, die diese Strukturen irgendwie "zurecht gemacht" haben, selektiert oder hergestellt, jedenfalls dargestellt haben. Es werden zur Repräsentation (sei es zur äußeren Darstellung, sei es zur inneren, "mentalen" Vorstellung) irgendwie gestaltende kognitive "Konstrukte" i. w. S. 1 Psychologen wie O. Selz (1913) und A. Flach (1925) verwendeten das Schemakonzept schon früher.
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2. Schemata als dynamisierte Verfahren
verwendet. Diese sind zum Teil etwa durch die kontrastprofilierende oder strukturgebende Ausstattung und Funktion der Wahmehmungsorgane und die an diese anschließende sensorische Verarbeitungsapparatur erblich angelegt, beim Menschen aber zum größeren Teil darüber hinaus wohl auch durch Erziehung und Erfahrung, durch kulturelle Entwicklung, geschichtliche Entwicklung mitgeprägt. Solche Konstrukte kann man allgemein "Schemata" nennen. Wir verfugen über sie in der praktischen Verwendung, im "Gebrauch" sozusagen. Sie dienen dazu, Einzelerfahrungen, Einzelwahrnehmungen, Einzelerlebnisse, Einzelaktivitäten, insbesondere Sinneserlebnisse zu selektieren, herauszufiltern, zu sondieren oder zu strukturieren, in Zusammenhang mit einem allgemeineren Rahmen zu bringen, in Raster einzuordnen. Sie sind nötig, um überhaupt Gleichartigkeiten zu sehen, wobei es darum geht, singulare Phänomene oder Gesichtspunkte, auf Begriffe oder Gestaltgleichheiten oder auch nur Ähnlichkeiten zu bringen. Kurz: sie sind unerläßlich, um etwas aufzuspüren, herauszugreifen, zu bezeichnen, zu "meinen", um es kognitiv in Raster einzuordnen, einzubetten, eben wiedererkennbar, überhaupt identifizierbar zu machen. Ja, erst als schematisierte sind Gestalten, welche die Einzelphänomenalität übersteigen, erkennbar zu machen; sie sind ja nicht von vornherein als solche erkennbar, sondern benötigen eine Art von mentaler Etikettierung. Diese Etikettierungen sind offensichtlich durch diese Rasterung, durch derartige kognitive Schemata geleitet. Die Schemata sind um, durch kennzeichnende Merkmale gebündelt, stellen anwendbare Merkmaiskonfigurationen, sozusagen schon etwas spezifizierte Raster"formen" dar. Alle einordnenden, gestaltenerkennenden und Begriffe verwendenden Erkenntnisse benutzen derartige kognitive Schemata, die als mehr oder minder abstrakte Konstrukte verstanden werden können, welche dem unmittelbaren sinnlichen Erleben ein- bzw. aufgeprägt werden, indem etwa Gestalten erkannt oder gebildet, konstituiert werden. Alles Gestaltensehen und Gestaltenerkennen ist, das können wir als einen Hauptsatz ansetzen, schemageleitet. Alles Erkennen, alles Denken oder, wie die Psychologen heute - sie lieben ja die Fremdworte - sagen: alles Kognizieren, ist eben schematisch oder durch solche Schemata veranlaßt. Ich hatte schon erwähnt, daß es Kant war, der in seiner Kritik der reinen Vernunft (A 140, Β 179f.) den Schemabegriff in die Erkenntnistheorie einbrachte. Und zwar sah er in dem Schemabegriff bzw. in der Funktion von Schemata des Verstandes die mögliche Verbindung zwischen der Sinnesrezeption, der Sinneswahrnehmung (genauer: deren reinen Formen und Gestalten) einerseits und begrifflicher Erfassung andererseits; Sinneswahrnehmung wird durch eine schematische, besser: schemagebundene oder schematisierende, Strukturierung und eine entsprechende - bei Kant insbesondere zeitliche Deutung von dem Material, das in den Sinnen vorliegt, zur Erkenntnis gebracht. Für Kant sind ja Denken und Wahrnehmen - allgemeiner: Denken und Anschauung 2 , wie er sagt - notwendig zum Erkennen. Das bloße Denken allein 2 Es ist mit Anschauung nicht nur äußere Wahrnehmung, es ist auch innere Wahrnehmung, ja, sogar die von Kant unterstellte apriorische, "reine" Anschauung gemeint.
2. Schemata als dynamisierte Verfahren
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reicht für das Erkennen nicht aus, sondern zum Erkennen ist nach Kant auch Anschauung ebenso wichtig; erst beides zusammen ergibt Erkenntnis. Er sieht ein Schema als "ein Produkt der Einbildungskraft", das keine Einzelbilder, keine Einzelanschauungen, "sondern die Einheit (der Anschauungen, H. L.) in der Bestimmung der Sinnlichkeit3 zur Absicht hat". Es handelt sich also bei Kants Schemabegriff, wie er ausdrücklich sagt: "mehr um die Vorstellung einer Methode, einem gewissem Begriffe gemäß eine Menge ... in einem Bilde (QuasiBild, H. L.) vorzustellen, als dieses Bild selbst", also um eine Strukturierungsmöglichkeit gewissermaßen durch quasi bildartige Anordnung und Konkretisierung: "Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein" Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriffe" (ebd. 179f.). Kant bezieht generell den Schemabegriff als das Konzept eines solchen Verfahrens der sinnlich begrifflichen Gestaltung und Rasterung nicht nur auf die sinnliche Wahrnehmung, etwa auf das Sehen von Figuren im Raum, sondern auch auf die anschauliche Unterfütterung der reinen Verstandesbegriffe, der Kategorien, die ihm zufolge die abstraktesten Formen, mit denen "der Verstand" "arbeitet"5, darstellen, und die bereits vorhanden sein müssen, (methodo)logisch vorausgesetzt sind, damit überhaupt Urteile, Erkenntnisse, Sätze, Satzformen, logischen Formen zustande kommen können. Das diesen, also den reinen Verstandesbegriffen, entsprechende Schema ist "nur die reine Synthesis", also die reine Verbindung, "gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Kategorie ausdrückt, und ist ein transzendentales Produkt der Einbildungskraft, welches die Bestimmung des inneren Sinnes überhaupt, nach Bedingungen ihrer Form (der Zeit), in Ansehung aller Vorstellungen betrifft, sofern diese der Einheit der Apperzeption gemäß a priori in einem Begriff zusammenhängen sollten" (ebd. 181). Das ist natürlich recht kompliziert ausgedrückt; gemeint ist, daß die Verbindung von solchen reinen Schemata und den entsprechenden Regeln und Begriffen in zeitlicher Interpretation erst das Wahmehmungsmaterial erfaßbar machen und zur (formierten) Erkenntnis bringen kann. Alles ist bei Kant sozusagen prozeßhaft auf diese notwendige zeitliche Deutung angewiesen. Das gilt zumal für innere Wahrnehmung, die er ja dadurch charakterisiert, daß sie nur zeitlich (aber nicht etwa räumlich konfiguriert) ist; es gilt aber auch für die äußeren Wahrnehmungen, die zwar räumlich strukturiert sind, jedoch von uns auch in der Zeit erfaßt werden. Jede Vorstellung kann für Kant nur in einer Einheit von Vorstellungen vergegenwärtigt, veranschaulicht werden; der Mechanismus der Verbindung zwischen sinnlichen Einzelerlebnissen und allgemeineren Formen begrifflicher Art muß
3 "Sinnlichkeit" heißt bei Kant natürlich jene der Wahmehmungssinne oder der Fähigkeit zur Wahrnehmung. 4 D. h. ein urbildlich eindeutiges zugehöriges, wenn auch vielleicht nicht notwendigerweise eineindeutiges! 5 Die Homunkulus-Sprache, die Kant allgemein verwendet, braucht nicht wörtlich genommen zu werden (s. a. u. S. 37-42).
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2. Schemata als dynamisierte Verfahren
zeitlich im Bewußtsein repräsentiert werden. Die zeitliche Repräsentation der Vorstellungsverbindung im Bewußtsein - und zwar punktuell wie auch über eine Zeitspanne hinweg - ist unerläßlich, um überhaupt abstraktere strukturelle Zusammenhänge und Verbindungen, Vereinheitlichungen gewinnen, erfassen, darstellen zu können. Für Kant gilt das - wie gesagt - selbst bei den gänzlich abstrakten reinen Verstandesbegriffen, die fur ihn natürlich nicht aus der sinnlichen Erfahrung stammen, sondern aus dem "reinen" Denkvermögen, aus der Fähigkeit des Menschen, überhaupt Vorstellungen zu strukturieren, in Einheiten zusammenzufassen, spontan zu verbinden. Diese Fähigkeit ist die Gmiiffunktion der Erkenntnis bei Kant, also das Vermögen, regelgeleitet Einfalle und Vorstellungen zu generieren, die Phantasie zu benutzen, um Vorstellungen zu produzieren und miteinander zu verbinden. Das erstere leistet nach Kant die "Einbildungskraft", das erkenntnis-methodologisch vorauszusetzende "reine" Phantasievermögen, das letztere der Verstand. 6 Die philosophische Erkenntnistheorie nun - das sei nur nebenbei bemerkt läuft bei Kant eigentlich darauf hinaus, daß die Formen der Verbindungsmöglichkeiten oder, wie man sagen könnte: der "Verbindbarkeiten", analysiert werden. Kant betreibt also eigentliche keine empirisch-mentalistische intellektuelle Psychologie, obwohl er damals lediglich mit einer psychologistischen Terminologie vorlieb nehmen und umgehen mußte und immer von der "Vorstellungsverbindung" sprach, die das Subjekt sozusagen actualiter leistet. Aber es geht eben nicht um die Beschreibung des aktuellen Verbindens von Vorstellungen als eines psychischen und "mentalen" Prozesses, sondern um die grundsätzliche Notwendigkeit dessen, was für eine Verbindung eben vorhanden sein muß - also um die notwendige erkenntnis(methodo)logischen Bedingungen dieser Verbindungsvorgänge, also um die Bedingungen der Verbind barkeit. Die transzendentalen Schemata, "das transzendentale Schema" 7 (KrV Β 177) und der entsprechende transzendentale Schematismus als Mechanismus der Zuordnung stellen natürlich ein Kapitel für sich dar und gestalten sich recht kompliziert; das ist hier im einzelnen nicht zu behandeln. Interessant ist für uns nur, daß Kant in diesem Zusammenhang den Schemabegriff und die Schematisierungefunktion auch auf die anschauliche und vorstellungsmäßige Darstellung von Erfahrungsgegenständen, also von deren Vorstellungsbildern, etwa auch im Alltagsleben, anwendet. Er schreibt (ebd. 180): "In der Tat liegen unseren reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zu Grunde", z.B. der Vorstellung von einem Dreieck das Schema des Dreiecks ("des Triangels"), das nur in "Gedanken existieren" kann und "als eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Räume" fungiert. Wir "sehen" sozusagen, 6 Vgl. Anmerkung 5. 7 Dieses ist die erfahrungsunabhängige ("reine") "vermittelnde Vorstellung" - "einerseits intellektuell, andererseits sinnlich" - die eben zwischen dem Sinnlichen und den Kategorien, den reinen Verstandesbegriffen, als (methodologisch) notwendige Überbriickungs- oder Vermittlungsfunktion zu postulieren ist (Kant ebd. B. 177).
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projizieren etwa unsere traditionell gelernte Geometrie in die Welt hinein; wir deuten beispielsweise Betonhausfassaden nach der traditionellen Quadrat- oder Quaderform - je nachdem, ob wir zwei- oder dreidimensional sehen; wir deuten diese euklidisch und haben dabei auch bestimmte Vorstellungen, die sich sogar als falsch erweisen können. Ζ. B. "sehen" wir Parallelen hinein, die sich nicht oder erst im Unendlichen schneiden, obwohl vieles dafür spricht, daß unsere sinnliche Geometrie der visuellen Wahrnehmung eigentlich gar nicht der traditionellen Euklidischen Geometrie entspricht, sondern eher einer unorthodoxen Abwandlung der hyperbolischen. Patrick Heelan hat eine schöne Arbeit über die Vorstellung der nichteuklidischen Strukturen bei Van GoghGemälden geschrieben: Insbesondere diskutiert er das Bild von des Malers Zimmer mit dem Bett; gerade diesem Bild liegt eine hyperbolische Sehweise bzw. Bildstruktur zugrunde: Die Anordnung der Fluchtlinien und der Parallelen, der nichtschneidenden Geraden, ist so, wie es sich in der hyperbolischen Geometrie ergibt, also anders als in der Euklidischen Geometrie. Van Gogh sah also unsere Welt offenbar anders, als wir sie zu sehen gewohnt sind, wir waren und sind ζ. T. immer aufgrund der Tradition unserer Euklidischen Geometrie darauf ausgerichtet, möglichst Parallelen, rechteckige Winkel usw. eben euklidisch zu sehen und insbesondere die Euklidische Geometrie in unsere räumliche Anschauung der Außenwelt hineinzuprojizieren, hineinzudeuten, hineinzulesen, hineinzuinterpretieren. Das Euklidische ist natürlich eine Art von Schema, das wir hier zugrundelegen, das unsere Wahrnehmungen (vor)strukturiert, prägt, moduliert und auch einschränkt. Schemata, wie sie auch hier zugrunde gelegt werden, "bedeuten" "eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft", wie Kant sagt, "in Ansehung reiner Gestalten im Raum" (also der reinen, aller Erfahrung vorhergehenden und diese sozusagen formenden geometrischen Gestalten), die dann aber auch die Vereinheitlichung und Gestaltung bei der faktischen Anschauung zustande bringen bzw. (mit)prägen oder (mit)bedingen. Kant fährt weiter fort: "Noch viel weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe" (ebd.). Wir sehen also nicht unmittelbar empirische Gegenstände, sondern wir strukturieren sie von unseren Verstandesformen her, indem wir, mittels der Einbildungskraft, diese Verstandesformen oder die entsprechenden "reinen" Gestalten benutzen, projizieren, hineinsehen in das Wahrnehmungsmaterial. "Das Bild', sagt Kant, "ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Räume) ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema(s), welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht völlig kongruieren" (ebd. 181). Das heißt doch, schematische Strukturierungen müssen erst von uns selber, von unserer Verstandesfähigkeit
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und -tätigkeit beigebracht bzw. aktiviert werden; dadurch erst werden (Quasi-) Bilder möglich und werden sozusagen zugleich strukturiert und gehaltvoll (aussagekräftig, darstellungsmächtig). Die Verknüpfungen und Strukturierungen sind dabei letztlich nichts anderes als in gewisser Weise Ausstülpungen unserer formalen verstandesmäßigen Vorstrukturierungen. Diese müssen aber wohl nicht unbedingt notwendig gerade so gegeben sein; denn man kann ja empirische Gestalten in verschiedenster Weise sehen. Kant freilich meinte - und mußte dies zu seiner Zeit meinen (Bolyai, Lobatschefsky und zuvor Gauß hatten ja die m'cA/euklidische Geometrie noch nicht entwickelt), daß die einzig möglichen Anschauungsformen der Geometrie und der räumlichen Anschauung eben euklidisch seien. Die Euklidische Geometrie läßt sich mit dem euklidischen Parallelenaxiom und der ausgezeichneten Betonung von Orthogonalen (zwei rechte Winkel passen aneinander und ergeben eine Gerade und eine Senkrechte) charakterisieren und galt ihm als notwendig gültig. Hier irrte Kant, so sehr er anderswo (AA I, 23, § 9) seine geometrische Phantasie schweifen ließ und gar die Abhängigkeit der Meßgrundlagen von der Materieverteilung erahnte, die viel später in der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins relevant werden sollte. Ich hoffe, der Leser hat einen Eindruck davon bekommen, was die Aktivität der formenden Tätigkeit und Fähigkeit des Verstandes beim Strukturieren und beim Prägen von Erfahrungserlebnissen ausmacht. Es ist ja eine Hauptthese von Kants theoretischen Philosophie, daß die Gesetzmäßigkeit insgesamt, die wir in den Erscheinungen und zwischen den Gegenständen sehen, ein subjekterzeugtes Produkt ist, das wir qua unseren Verstandesformen, durch die von uns entwickelten oder uns (als Vernunftwesen notwendig) zur Verfügung stehenden Verstandesformen geprägt sind. Der Verstand besteht in bestimmten Formierungsfunktionen und -vermögen, und nur in diesen. Jedes vernünftige Wesen verfügt über diese, und zwar in ganz derselben Weise. So erst werden dann nach Kant bestimmte Sätze, Urteile und insbesondere objektiv gültige Erkenntnisse über die Welt möglich. Die Bildung, die Strukturierung von Gegenständen und deren Zusammenhängen (durch Vorstellungsverbindungen, die mit Anspruch auf objektive Gültigkeit verbunden sind) ist für Kant abhängig vom aktiven Verstand des Menschen, von dem aktiven Vermögen, repräsentierend (vorstellungsmäßig) zu strukturieren. Das sind Fähigkeiten, die der Mensch nach Kant insofern bereits notwendig hat, als er ein Vemunftwesen ist. Das Vermögen muß natürlich ausgebildet werden; es wird dem Baby nicht bereits vollendet in die Wiege gelegt, sondern es muß entwickelt werden. Doch das Strukturierungsvermögen entwickelt sich dann im Laufe des Lebens und gewinnt (s)eine kanonische klassische Form, die eben zum Beispiel beim räumlichen Anschauen durch die Euklidische Geometrie und beim prädizierenden Verbinden von Vorstellungen durch die klassische Logik beschrieben wird, durch die verschiedenen Urteilsformen und -funktionen, wie Kant sie nennt. Diese Formen reflektieren, wie man als erkennendes Subjekt, als erkennender Mensch Vorstellungen in objektiv gültiger Weise verbinden kann. Solche Formen der Verbindbarkeit prägen sich natürlich auch in allen aktuellen Verbindungen von
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Vorstellungen aus. Wenn ich irgendein Urteil äußere, ζ. B.: "Wenn es regnet, wird die Straße naß (sein)", dann würde Kant sagen: das ist ein Urteil, das unter dem reinen Verstandesbegriff der Kausalität steht. Das ist ja auch einleuchtend. Der Regen macht die Straße eben naß. Dabei benutze ich ein Urteil, ein bedingtes ("hypothetisches") Urteil von der Form: 'Wenn - so'. Dieses spezielle bedingte Urteil ist aus einer bestimmten Verstandesform, eben jener der GrundFolge-Verbindung entstanden. Die Kausalität besteht eigentlich nur in einer zeitlichen Auffassung i. S. einer Ereignisfolge mit Einwirkungs- oder Übertragungsmechanismus.8 Regelhaft verknüpfte zeitliche Grund-FolgeVerhältnisse sind also Kausalverhältnisse für Kant; und die Wenn-so-Urteile sind solche bedingten Grund-Folge-Urteile, die eine bestimmte Form des zusammengesetzten Urteils darstellen. Es gibt natürlich auch einfache, elementare Urteile wie "A ist B", also einfache Prädikationen: "Die Rose ist rot" oder "Die Rose ist eine Rose", das wäre also eine solche Prädikation, zwar anderer Art, eine Identität usw.; es gibt also eine Vielzahl solcher verschiedenen Urteilsformen und die Logik hat die Aufgabe, diese verschiedenen Formen der Urteile zu systematisieren. Traditionell war natürlich die Logik zu Kants Zeiten im wesentlichen klassische Logik der aristotelischen Art, d.h., man analysierte eigentlich nur solche Sätze: Subjektbegriff ist Prädikatbegriff, und entsprechend die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Sätzen solcher Art, insbesondere wenn es um die schließende Verbindung von zwei Prämissen-Sätzen zu einer dritten, der Konklusion, geht: Alle Menschen sind sterblich.
Alle Menschen sind Lebewesen.
Sokrates ist ein Mensch.
Alle Lebewesen sind sterblich.
Also ist Sokrates sterblich.
Also sind alle Menschen sterblich.
Solche Formen - besonders der rechts aufgeführten allgemeinen Verhältnisse zwischen Artund Gattungsbegriffen - sind die logischen Formen der Syllogistik, der Subsumtions- und Exklusionsschlüsse. Und das war die Logik, wie sie zu Kants Zeiten herrschte. Man hatte in der Tat vergessen, daß auch die Stoiker schon in der Antike eine Aussagenlogik entwickelt hatten, die nicht auf die Syllogistik zurückging; diese hat man erst sehr viel später wieder entdeckt. Vernachlässigt wurde natürlich bei dieser letzteren vor allem die Logik der Relationen, die Relationslogik, bei der also nicht 'S ist P' die Grundstruktur des Satzes darstellt, sondern wo bestimmte Vereinbarkeiten oder Vergleichbarkeiten etwa durch gleichwertige Relationsglieder ausgedrückt werden, insbesondere wo mehrstellige Relationen eine Rolle spielten. Das freilich ist eine Entwicklung, die erst seit dem letzten Jahrhundert eingesetzt hat, natürlich in der Mathematik im Funktionsbegriff vorgeprägt war, der im wesentlichen eine bestimmte Art von Relation ist, nämlich, eine (nach)eindeutige Relation, eine eindeutige Abbildung (von unter Umständen mehreren Variablen von den in die Argumentstellen einzusetzenden Konstanten) auf einen bestimmten Funktionswert. So ähnlich ist es dann mit Relationen generell; Funktionen sind also nur spezifische, spezielle Fälle von Relationen. Die Relationslogik allgemein ist natürlich ein viel weiteres Konzept, die mit der aristotelischen Logik relativ wenig zu tun hat. Deswegen kann die Begründung der Kantischen Erkenntnistheorie der Gegenstandserfassung, der Urteile über Gegenstände anhand der klassischen aristotelischen Logik und deren Urteilsformen, die allein aus der Komplizierung der 'S ist P'-Struktur hervorgehen, gar nicht aufrechterhalten werden.
8 Heute spricht man von Kausalgesetzen als Naturwirkungssukzessionsgesetzen, die (in deterministischen Fall) keine Ausnahme zulassen (und möglichst quantitativ formuliert sein sollen).
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So manches, was in Kants theoretischer Philosophie entwickelt worden ist, insbesondere natürlich auch die verschiedenen reinen Verstandesbegriffe (wie z. B. die Kausalitäts- oder Substanzkategorie), die aus dieser klassischen Urteilsformentafel entwickelt worden waren, sind heutzutage nicht in dieser Form aufrechtzuerhalten. Jedenfalls kann auch die Gesamttafel der Kategorien bei Kant nicht beibehalten werden. Vieles ist im einzelnen natürlich längst überholt, aber dennoch dürfte die generelle Grundidee nach wie vor gültig sein und das ist das Wichtige. Wenn wir davon absehen, daß der Mensch etwa solche einzigartigen fixen Verstandesbegriffe haben müßte und nur diese verwenden könne, wenn man ihm statt dessen gewissermaßen eine Art von theoretischer Freiheit einräumt, verschiedene Arten von Deutungsmustem, Rastern und Schemata zu entwickeln, dann ist doch nach wie vor die Erkenntnis eine gültige Einsicht, daß der Mensch als erkennendes Wesen aktiv ist und Vorstellungen und Repräsentationen formieren, strukturieren muß, daß er beim Erkennen die Welt repräsentierend (also in Gedanken oder Symbolisierungen) sozusagen zurechtschnitzt oder (mit-)prägt oder der Welt gleichsam Muster aufprägt. Die Muster können verschiedenartige Muster sein, sie brauchen nicht eine einzige Form aufzuweisen, wie es Kant noch vorschwebte. Jedoch ist Kants These vom Aktivismus der Erkenntnis, vom strukturierenden, formenden, schematisierenden, (mit)prägenden Charakter der Formen, die wir als erkennende, repräsentierende und handelnde Wesen selber beibringen müssen, sicherlich nach wie vor richtig. Dabei ist auch wichtig und richtig, daß es bestimmte Zusammenhänge, z. T. auch notwendige Zusammenhänge gibt, die zwar nicht unmittelbar denen entsprechen, wie Kant sie im Sinne hatte. Doch daß Formierungen, Schematisierungen notwendig sind für alles Erkennen und Handeln, trifft unverändert zu. Insbesondere gilt das natürlich für Schemata, für die Verbildlichung mentaler repräsentierender Konfigurationen, für die Entwicklung und Anwendung von Modellen, Modellvorstellungen, also für das, was im Zusammenhang etwa mit der Entwicklung des Schemabegriffs eigentlich unser Thema ist. Kant hat geradezu in genialer Weise den Prozeß der Bildung und Anwendung kognitiver Konstrukte zur vorstellungsmäßigen Vergegenwärtigung, zur "Verbildlichung" mentaler Konfigurationen und Modelle, zur Quasi-Verbildlichung der Kognitionen, der Erkenntnisse überhaupt, vorweggenommen. Wie schon erwähnt, die kognitive Psychologie hat erst vor wenigen Jahrzehnten in der Nachfolge der Begrifflichkeiten der deutschen Gestaltpsychologie diesen Begriff der Schemata als der quasi verbildlichenden kognitiven Konstrukte wieder aufgegriffen. Wie gesagt stammt die übersichtlichste Arbeit darüber von D. Rumelhart (1978); und der Titel umfaßt eigentlich schon die Hauptthese: Schemata - The Building Blocks of Cognition, also: Schemata sind die Bausteine der Erkenntnis. Rumelhart gelingt es überzeugend, darzustellen, daß nicht nur visuelle oder Sinnesmerkmale, Sinneserkenntnisse allgemein, sondern auch die begriffliche und alltagstheoretische Erkenntnis dem Muster von Schemabildung und Schemaanwendung folgt. Alle Erkenntnisse, Deutungen, Kognitionen beruhen
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auf der Auslösung, Auswahl oder Anwendung sowie Überprüfung von Schemata. Der Prozeß der Informationsverarbeitung und der Interpretation von Information besteht nicht nur darin, daß mögliche Konfigurationen von Schemata ausgewählt und daraufhin überprüft bzw. "verifiziert" werden, daß sie mit den "gespeicherten Daten"(Gedächtnisfragmenten) "zusammenstimmen". Sondern diese sind selbst konstituiert und strukturiert worden. Auch das geschieht durch Schematisierung. Der Prozeß ist ein Konstitutions- und Wiederabrufungsvorgang. Darüber hinaus ist jeder Prozeß der Informationsgewinnung ein aktiver Suchprozeß, ein Prozeß der Suche nach Informationen, die in diese Schemata gebracht werden oder unter den bzw. durch die Schemata strukturiert werden - ein Vorgang , der mit unseren jeweils gegenwärtigen Bedürfnissen und Zielen in relevanter Weise verknüpft ist, also mit unserem Handeln. (Schema-)Interpretieren ist bewertungsabhängig. Das erinnert uns an These der Ethologen über das sog. Appetenzverhalten; auch die Verhaltensforscher analysieren ja den Menschen oder das Tier generell als ein aktives Wesen, das eben die Umgebung austestet und stets eine Art von Suchverhalten exemplifiziert. Auf diese Weise stößt es fortlaufend auf Reaktionen aus der Umgebung und ist gleichsam immer zu eigenen Reaktionen veranlaßt und gelangt dann entsprechend aufgrund der eigenen suchenden Tätigkeit auch zu Orientierungen in der Umwelt. "Vielleicht liegt die zentrale Funktion der Schemata in der Konstruktion einer Interpretation eines Ereignisses, Objekts oder einer Situation - d.h. im Prozeß des verstehenden Erfassens (comprehension)" (Rumelhart 1978). Interpretieren i. e. S. ist für Rumelhart das Auslösen oder Auswählen und Instantiieren von Schemata, d. h. von repräsentierenden, kognitiven Konstrukten, und deren versuchsweise Anwendung auf Sinnesdaten, auf Folgen von Wahmehmungserlebnissen und auf abstraktere inhaltliche Datengegebenheiten sowie die rückkoppelnde Überprüfung nach der Stimmigkeit der Anwendung des jeweiligen Schemas. Etwas mißverständlich spricht Rumelhart von einem Schema daher als "einer Datenstruktur zum Repräsentieren gattungsmäßiger Begriffe, die im Gedächtnis gespeichert sind". Das Schema selbst ist natürlich in diesem Sinne nicht ein Datum oder eine Datenstruktur, sondern eher eine Art von Regel oder Strukturierungs- und Speicherungsmechanismus, oder es wird in einem "Mechanismus" sozusagen verkörpert, der die Daten strukturiert. Man kann also eher von einer Menge von prozessual etablierten kognitiven Konstrukten sprechen, die aus dem Gedächtnis abrufbar sind und eben durch das Schema unter entsprechende Strukturierungen gebracht werden. Ich will hier nicht lange darüber sprechen, ob die Ausdrücke "Struktur", "Konstrukt" oder ähnliche Begriffe wie "Strategie", "Raster", "Konfiguration", "Begriffsschema" in diesem Zusammenhang ungefähr dasselbe bedeuten wie "Schema". Es gibt keine wirklich von allen Zirkelhaftigkeiten freie Definition des Begriffs "Schema". Wohl auch deswegen geht Rumelhart dazu über, seine Schematheorie zu entwickeln, indem er notwendige kennzeichnende Merkmale
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entwickelt, die charakteristisch für die Funktionsweise des Schemas sind. "Schema" ist also sozusagen ein funktional-operativer Begriff. Im Grunde wird statt einer Definition eine am Beispiel exemplifizierte operative Funktionscharakteristik, besser: eine Beschreibung gegeben, durchaus unter Beibringung und Verwendung von Hypothesen und Analogien. Begriffe und Theorien werden also gleichzeitig entwickelt. Das läßt die ganze Angelegenheit auch plastischer erscheinen, weil man so der psychologischen und der alltäglichen Anwendung schon sehr viel näher kommt. Die Ergebnisse können vorgreiflich z.B. auf das Wissen angewendet werden, und fiihren zu dem Grundsatz, daß alles Wissen in Schemata gerastert oder eingebettet ist oder, wie Rumelhart wörtlich sagt: "Unsere Schemata sind unser Wissen". Wir wissen etwas nur vermittels Konstrukten und in Schemata. Eine Schematheorie umfaßt somit auch so etwas wie eine prototypische, eine vereinfachte Theorie der Bedeutung. Insofern als "das einem Begriff zugrundeliegende Schema der Bedeutung dieses Begriffs entspricht, sind Bedeutungen in Abhängigkeit von den typischen oder normalen Situationen oder Ereignissen kodiert (encoded), welche diesen Begriff instantiieren". Rumelhart vergleicht nun Konzept, Rolle, Aktivierung, Funktion eines Schemas mit ganz ähnlichen Strukturbegriffen, die wir aus dem Alltag kennen und uns viel vertrauter sind, und faßt diese sozusagen als Analoga, als Analogbeispiele für Schemata auf. Ζ. B. sind Schemata wie Schauspiele oder die entsprechenden Drehbücher; die Instantiierung oder Aktivierung eines Schemas ist wie die Aufführung eines Schauspiels. Die interne Struktur des Schemas entspricht dem Drehbuch. Ebenso lassen sich Schemata mit Theorien vergleichen; die Systematik des Theorienzusammenhangs, des Theoriengefüges, der logischen Entsprechung und Unterordnung innerhalb eines solchen Systems gleicht dann sozusagen der Struktur der entsprechenden Schemata. Diese lassen sich aber auch mit Computerprogrammen vergleichen; Computerprogramme sind ja im Grunde "schematische" Anordnungen für Verfahrensweisen, bedingte Entscheidungen derart, wie Handlungen oder Operationen zu vollziehen sind, die in einem bestimmten vorweg geplanten und logisch wirklich definitiv und explizit darstellbaren Zusammenhang stehen. Auch mit dem Verfahren der sprachlichen Komponentenanalyse (parsing) von Sätzen, wie sie z.B. die Linguisten untersuchen, etwa in der Chomsky-Schule der Transformationsgrammatik, wird der Schemabegriff bzw. die Aktivierung eines Schemas verglichen. In allen Fällen handelt es sich um das in den Verfahren und durch diese Verfahren zu instantiierende Strukturierungs- oder Rekonstruktionsmuster, das die Variationen, Kontrollen, aber auch die Passung, Verzweigung, Weiterentwicklung und dann schließlich die Beurteilung der Angemessenheit betrifft - oder negativenfalls, wenn das Schema nicht paßt, die Verwerfung oder Ersetzung, Modifizierung durch ein anderes oder verbessertes Schema. Kennzeichnend ist, daß die Schemata Variablen aufweisen, die verschiedenen Umgebungsaspekten hinsichtlich der jeweiligen oder unterschiedlichen Instantiierungen des Schemas verbunden werden können. Doch es gibt auch Einschränkungen dieser Variablen, diese letzteren dienen der Abgrenzung und
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Identifizierung, ζ. B. bei Fehlanzeigen oder der Anfangsschätzungen für nicht beobachtete Variable usw. Ein Beispiel, um das plastischer zu machen: Das Schema VERKAUFEN kennt jeder: VERKAUFEN enthält die Funktionsrollen VERKÄUFER (selber ein Schema) und KÄUFER, sowie das Medium GELD und die Variable WARE, sowie das Subschema HANDELN (nicht im allgemeinen Sinne, sondern im Sinne von "Aushandeln", wie es beim Verkaufen üblich ist, im Sinne von "Anbieten", "Fordern" beim bzw. vor dem Geschäftsabschluß). Die Instantiierung eines solchen Schemas entspricht dann der Aufführung eines Schauspiels, das Analogon ist ja sehr plastisch und einleuchtend, wobei allerdings die Festlegung der Variablen noch eine größere Offenheit zulassen mag, als etwa üblicherweise die Interpretation eines Drehbuchs durch den Schauspieler bzw. den Regisseur. Das Schauspiel ist ja sozusagen durch das Drehbuch bzw. die Regieanweisungen weitgehend determiniert, zwar nicht ganz, während bei den üblichen Schemata im Alltag eine sehr viel größere Offenheit und Freiheit in der Variation besteht: "Ein Schema liefert nur das Skelett, um das herum die Situation interpretiert wird." Rumelhart schreibt (ebd.): "Ein Schema wird instantiiert, sobald eine bestimmte Konfiguration von Werten zu einem bestimmten Zeitpunkt einer besonderen Konfiguration von Variablen zugeordnet wird. Eine Situation als Instanz irgendeines Begriffs zu interpretieren, ζ. B. als eine Instanz von Kaufen, umfaßt nach unserer Auffassung die Installierung eines passenden Schemas, etwa des Schemas KAUFEN, dadurch, daß die unterschiedlichen Variablen des Schemas mit den verschiedenen Aspekten der Situation assoziiert werden. Solch ein Schema zusammen mit den Variablenbindungen wird ein installiertes Schema genannt". Gegenüber einem Schauspiel ist dieser allgemeine Begriff eines Schemas viel abstrakter, das Schema KAUFEN muß ja aufjeden Einzelfall des Kaufens passen, wie sehr auch dann der Einzelfall variieren oder von einem möglichen Grundmuster - im Sinne eines Drehbuchs - abweichen mag. Schemata können außer über Menschen und Handlungen auch über Ereignisse und Gegenstände beliebiger Art oder gar über räumliche oder statische, über funktionale Beziehungen, Konstellationen Aussagen machen oder Strukturierungen vornehmen, wie z.B. das Schema einer vertrauten räumlichen Gestalt ohne direkte Funktion für unser Handeln zeigt; das Schema wird zwar verwendet, etwa ein Sternbild wie der Große Wagen oder Große Bär (das ist ja ein Schema, das lediglich eine gestaltmäßige Anordnung darstellt), tritt uns aber selbst nicht in einer Handlungsfunktion gegenüber. Besonders wichtig ist, daß Schemata i.a. als aus Subschemata bestehend aufgefaßt werden, wobei die Schemata, wenn sie aktiviert werden, gleichzeitig die entsprechenden Subschemata mitaufrufen, mitaktivieren: Wenn ich z.B. an "VERKAUFEN" denke, dann werden die Subschemata KÄUFER und VERKÄUFER gleichzeitig mitaufgerufen - und auch GELD, WARE; - daran denken wir natürlich sofort. Das alles wird also gleichsam in einem einzigen Komplex abgerufen. Und es gilt auch umgekehrt: Ein Subschema ruft auch die
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Auslösung des Oberschemas hervor, beispielsweise GELD wird etwa KAUFEN oder VERKAUFEN mitauslösen; denn wozu wird Geld (proto)typischerweise sonst benutzt? Schemata und mit ihnen verbundene Subschemata können (nur) in wechselseitiger Auslösung und Verschränkung aufgefaßt werden, sie werden immer in dieser intrikaten Wechselbeziehung verstanden, durchgeführt und instantiiert. Sie sind systematisch und hierarchisch in einem Gefüge von verbundenen Schemata eingewoben. Dies führt eher zu dem Vergleich von Schemata mit Verfahren und Programmierungen, die aus Netzwerken oder Bäumen von Knoten oder Untereinheiten aufgebaut sind und entsprechend ihrer Bewertung nach einer Anwendung immer wieder modifiziert, verändert, verbessert werden: Netzwerktheorie, Flußdiagramme, Komponentenanalysen, Strukturanordnungen, die aus Komponenten und Substrukturen zusammengesetzt sind, Systemtheorie - alle diese neuartigen operativen Modellierungskonzepte spielen hier natürlich mit hinein und sind im Grunde Anwendungsfalle von einem solchen allgemeinen abstrakten Schemabegriff. Dieser ist - oder geriert sich - freilich gar nicht so abstrakt, weil er im Grunde recht plastisch auf viele Situationen paßt und als ein variables und flexibel verwendbares psychologisches Konstrukt zur Verfügung zu stehen scheint. Alles Erkennen von Situationen, alles Wissen, das wir in bestimmten Zusammenhängen und Momenten anwenden, ist nach solchen Schemata strukturiert, ist gerastert, ist nicht völlig isoliert zusammenhangslos zu sehen, sondern eben unter dem Gesichtspunkt der Schematisierung zu verstehen. Man kann geradezu die Schemata oder die Gesamtmenge der Schemata einer Person als einen Horizont von privaten, unausgedrückten Theorien auffassen, als "private" (Rumelhart) oder "persönliche Theorien". Hierzu gibt es ja auch eine lange Tradition in der Psychologie, von Kellys (1955, I, II) Ansatz der "personalen Konstrukte" (personal construct theory bis zu gegenwärtigen Schemakonzeptionen (ζ. B. a. Neisser 1974, 1979)), welche die Verfassung von Ereignissen, Gegenständen oder Situationen, denen wir begegnen, die wir strukturieren, darstellen oder uns vergegenwärtigen, überhaupt nur schematisch aufzufassen erlauben. Die Orientierung, die wir in unserem Leben haben oder bekommen, ist in jedem Moment abhängig von solchen persönlichen Konstrukten oder von solchen Schemata bzw. der Gesamtmenge oder von Mengen solcher Schemata, die uns zur Interpretation unserer Welt zur Verfügung stehen. Wir haben sie zumeist aktiv im Leben (und nicht auf der Schulbank) erlernt, uns andressiert. Die Gesamtmenge der uns verfügbaren Schemata für diese Deutung der Welt oder Erkenntnis der Welt ist dann unsere persönliche, unsere "private" Gesamttheorie der Wirklichkeit oder, wie Rumelhart sagt, "unsere Theorie von der Natur der Realität". Die zu einem bestimmten Zeitpunkt instantiierten angewendeten aktivierten Schemata stellen dann unser internes Modell der entsprechenden Situation dar, mit der wir uns zu einer bestimmten Zeit eben oder beim Textlesen konfrontiert sehen, ein Modell der Situation, wie sie beispielsweise vom Text "abgebildet" wird.
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Den Variablen der Schemata entsprechen natürlich die Größen, Observablen oder Parameterspektren einer Theorie, bzw. hier dann der "persönlichen Theorien", im Grunde wird der Prozeß des Verstehens und Auffassens als analog zum Hypothesentesten, zur Beurteilung der Passungsgüte und der Einschätzung der entsprechenden spezifizierten Parameter und somit als Maßstab fiir die Güte der Anwendung aufgefaßt. Wie Theorien können also auch Schemata zur Verallgemeinerung von Einzeldaten, Einzelsituationen, Beschreibungen von Einzelfakten und Daten benutzt werden, also zur einer Art von Erklärung, Zusammenhangstiftung und zur Voraussage. Im Grunde steckt dahinter auch eine Psychologie, wie sie von der schon eben erwähnten "personal-constructtheory" von Kelly (1955) entwickelt worden ist, daß der Mensch im Alltag auch so ähnlich vorgeht wie ein Forscher in seinem Forschungsbereich: Auch der Alltagsmensch macht sich, entwirft Hypothesen, versuchsweise schafft er Entwürfe und Pläne und versucht diese in seinem Alltagshandeln auch durchzutesten oder durchzufuhren, zu testen, zu überprüfen. Er wird die alltäglichen Situationen, die ihm begegnen, anhand dieser Hypothesen und ihrer Verbindungen, also anhand des relevanten Hypothesengerüstes zu strukturieren versuchen; und er hat damit auch mehr oder minder Erfolg: Das Verfahren oder die Hypothese bewährt sich oder kann fallweise scheitern; in diesem letzteren Fall ist es notwendig, die Hypothesen zu ändern, andere Modifikationen einzuführen oder vielleicht manche Entwürfe ganz zu verwerfen, ganz neue Alltags- oder persönliche Theorien in diesem Sinne der persönlichen Konstrukte aufzustellen. Das heißt, der Mensch ist sozusagen eine Art kleiner Forscher (vgl. a. Bannister-Fransella 1981), und im Alltag operieren wir ebenso wie der Wissenschaftler - natürlich nicht so differenziert, nicht so abstrakt, nicht so umfassend, aber im Grunde ganz ähnlich - mit dem Prozeß von Hypothesenentwerfen (Hypothesengenerierung sagt man in der Wissenschaftstheorie) und Hypothesenentwicklung, -anwendung auf spezielle Situationen, auf Sonderfälle. Ebensolches gilt für die Verfahren der Überprüfung, des Testens und der Beurteilung und Entscheidung darüber, ob wir die hypothetischen Konstrukte beibehalten oder nicht, verwerfen oder nur modifizieren sollen usw. Die Hypothesen, die sich bislang und besonders gut bewährt haben, das sind sozusagen dann unsere verläßlichsten Alltagstheorien oder "persönlichen Theorien", auf die wir uns eben dann auch verlassen (zu) können (glauben) und verlassen müssen. Ohne solche Zusammenhänge können wir ja nicht einmal einen Lichtschalter betätigen, um Licht anzumachen. In diesem Fall verläßt man sich ja sogar auf bestimmte physikalische Theorien, die in einem technischen System installiert sind, aber sie werden nun im nichttechnischen Zusammenhang verwendet, in den Alltag eingebettet. Im Zusammenhang von Handlungstheorien geht das übrigens grob gesehen genauso vonstatten; auch dort sind solche Strukturierungen anhand von schemageleiteten und -gebildeten Hypothesen, insbesondere nun in spezifischen Handlungssituationen, einschlägig. Die Schemata sind dazu da, diese besonderen Situationen in einer bestimmten Weise zu charakterisieren, zu identifizieren, "dingfest", (be)greifbar zu machen. Wenn
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ich also jemanden begegne, auf dem Markt, der z.B. schreit: "Heiße Würstchen", dann weiß ich, daß das Schema KAUFEN und VERKAUFEN aufgerufen wird und ich nicht etwa hingehen kann und sagen: "Angenehm, heiße Maier". Zusammengefaßt kann man sagen, daß Schemata nach Rumelhart (1978, 1980) durch folgende Hauptmerkmale gekennzeichnet sind: Sie weisen Variablen und variable Substrukturen auf; sie können als Unterschemata (oder Subschemata oder Subprozeduren) in andere Schemata eingebettet werden; sie können einander überlappen (wie die Schemata KAUFEN und VERKAUFEN), sind also systematisch miteinander verquickt, verbinden sich natürlich auch mit entsprechenden Handlungschemata; sie repräsentieren Wissen, Hypothesenwissen, Zusammenhänge eher als bloße Definitionen; sie stellen Wissen auf allen Abstraktionsebenen dar. Sie sind aktivierbar, sie sind vornehmlich aktive Prozesse oder stehen für aktive Prozesse oder Prozeduren; sie sind bzw. fungieren als Wiedererkennungsmechanismen, deren Anwendung und Verarbeitung auf die Beurteilung der Güte der erwähnten Hypothesenkonstrukte hinsichtlich ihres Passens zu den betr. Daten zielt. Schemata strukturieren die Situations-, ja, Welterfassung im Hinblick auf zu planende situationsangemessene (oder situationsanzumessende) Handlungsentwürfe. Generell stellen Schemata also das Wissen und dessen Verarbeitungsstrukturen auf allen Abstraktionsebenen dar - von der Wahrnehmungsordnung bis hin zur theoretischen Vereinheitlichung in der Wissenschaft. All unser gattungsmäßiges, all unser strukturierendes, durch Begriffe geordnetes Wissen ist in Schemata eingebettet. Insofern "sind" unsere Schemata unser Wissen, wie Rumelhart sagt. Aber das "sind" hierbei müßte man philosophisch noch deutlicher hinterfragen; es ist in einem operational-funktionalen Sinne zu verstehen: Unser Wissen funktioniert nur durch Anwendung, besteht in Anwendungsmöglichkeiten, in der Instantiierung von Schemata in bezug auf entsprechende Situationen. "Die zentrale Funktion der Schemata liegt in der Konstruktion einer Interpretation eines Ereignisses, Gegenstandes oder einer Situation" (Rumelhart), d. h. also im Prozeß des strukturierenden und strukturierten Verstehens der Situation, des Ereignisses, des Gegenstandes, des Prozesses usw.; d.h., die Schemata dienen dazu, Situationen, Gegenstände, Ereignisse, Prozesse in ihrer Strukturierung zu deuten, uns verfügbar zu machen, qualifizierend, kategorisierend zu verstehen. Das kann natürlich nur durch verschiedene Über- und Unterordnungsprozesse geschehen; das ist hier über die gegebenen plausibelen Beispiele hinaus im einzelnen nicht zu besprechen. Das besonders Wichtige ist, daß all das Festgestellte auch schon für Wahrnehmungen gilt, für die interpretative oder interpretationsgesättigte oder schemagebundene Strukturierung von Sinneserfahrungen; das gilt ebenso auch für das Verstehen von gehörten oder gelesenen Texten. Beim Erinnern, beim Problemlösen spielen natürlich die kognitiven Schemata eine große Rolle, wie man in der Psychologie durch viele Experimente und geistreiche Varianten von Experimenten bestätigt hat - z.B. dort, wo bestimmte Schemata durch eine bestimmte Zeichnung quasiautomatisch aufgerufen werden und andere, die ebenso naheliegen würden, gar nicht in Frage
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kommen, weil eben die Situation, die Auslösung nicht stattfindet. Schemaaktivierungen können gerade auch kreativ "funktionieren", auf neue Verbindungen, neue Bisoziationen (Koestler 1960) oder Multiassoziationen (Verf. i. Dr.) erweitert werden. Nicht nur die Deutung einer Situation, sondern auch die Informationssuche wie auch die Einbettung in neue Kontexte und die Entwicklung von Problemlösungsstrategien bzw. die Entwicklung von Lösungsideen folgt dem Muster solcher teils datengeleiteten, teils konzeptgeleiteten Bildung und den Anwendungen von Schemata. Die wechselseitige Aktivierung von Subschemata und Schemata spielt bei allen derartigen Interpretationsprozessen eine große Rolle: Man kann durch ganz wenige Signale schon ein Schema hervorrufen; man denke an sparsame Strichzeichnungen, die ein Gesicht suggerieren, oder an ein entsprechendes Schema, beispielsweise ein Babyschema, das sich, wie die Verhaltenspsychologen erkannten, durch ganz wenige Formzueinanderordnungen hervorrufen läßt. Man liest auch einen Text oder eine Problemsituation unter einer bestimmten Interpretation, die u. U. durch ein ausgelöstes Schema strukturiert wird, auch wenn dieses eventuell später als nicht passend eingesehen wird. Es kann dabei vorkommen, daß ein und dieselbe Datenvorlage, etwa ein Text, durch ganz verschiedene und unter Umständen miteinander unverträgliche Schemata interpretiert werden kann. Es können sich auch Problemlösungstäuschungen oder typische Fehler ergeben, man denke an die berühmten optischen Täuschungen - etwa die Müller-Lyer-Täuschung -, die insofern aufschlußreich ist, als man selbst dann zwangsmäßig der Täuschung erliegt, wenn man weiß, daß es sich um eine Täuschung handelt. Man sieht trotzdem die eine Linie kürzer als die andere:
Manche deuten das so, als würde man unterbewußt irgendwie ein dreidimensionales Situationsraster hineinlegen und die Ecken dann eben anders sehen, das alles ist ebenso strittig wie interessant. Aber das Beispiel ist jedenfalls eines für ein schematisches (Gestalt-)Sehen, das zeigt, daß den optischen Täuschungen so etwas wie visuell-schematische Strukturierungen zugrunde liegen, die genau diesem Muster der Vorprägung durch bestimmte Sichtweisen entsprechen. Generell jedenfalls ist durch den Begriff des Schemas bzw. des kognitiven Konstrukts und die bisher freilich nur in Grundzügen entwickelte kognitivpsychologische Theorie der Schematisierungen ein gutes Instrument gegeben, um weit über die Problemstellungen der Psychologie hinaus Bedingungen, Verhältnisse, Vorgänge und Zusammenhänge der interpretierenden Verwendung
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von Konstrukten, ja, ganz allgemein der Interpretation beschreibend zu umreißen und methodologisch zu untersuchen. Kognitive Konstrukte dieser Art oder Schemata sind wahrhaft die "Bausteine der Kognition", oder, wie Rumelhart (1978, 1980) sagt, sie sind die Grundelemente, von denen jegliche Informationsverarbeitung abhängt: "Schemata werden beim Vorgang des Deutens von Sinnesdaten (sowohl von sprachlichen wie nichtsprachlichen), beim Wiederaufrufens der Information aus dem Gedächtnis, beim Organisieren von Handlungen, beim Bestimmen von Zielen und Unterzielen, beim Zuordnen von Ressourcen und allgemein beim Prozeßsteuern im jeweiligen System gebraucht". Die Schemabegriffe muß man freilich noch ein wenig ordnen, strukturieren, das soll im folgenden geschehen. Wir hatten im wesentlichen im Anschluß an die kognitive Psychologie Schemata als gefügeartige oder musterartige Repräsentationen von Wissenszusammenhängen aufgefaßt, die in einer Art hypothetischer Form Wissen repräsentieren sollen. Schemata repräsentieren also Wissen, Hypothesenwissen, Zusammenhänge eher als bloße Definitionen, es sind und sie liefern keine Nominaldefinitionen, sondern sozusagen empirisch gehaltvolle, gleichsam theoriehaltige Strukturzusammenhänge, aber auch normativ fungierende Wertungsintegrationen: Sie repräsentieren nach Rumelhart (1978) Wissen auf allen Deutungs- und Abstraktionsebenen. Sie müssen allerdings fallweise aktiviert werden - und können so aktiviert werden, auch durch Veranlassung etwa äußerer Signale in einer je bestimmten Umgebung, aber natürlich auch durch "innere" Impulsgebung, Erinnerung(saktivierung) oder Veranlassung: Sie sind also in gewissem Sinne stets abhängig von Aktivierungsprozessen, ja, sie sind selbst - darauf werde ich später noch eingehen - aktive Prozesse oder stehen zumindest für solche Prozesse oder Prozeduren, seien diese kognitiv oder neuronal oder gar neurophysiologisch verstanden. Schemata müssen prozedural instantiiert werden, sie sind Wiedererkennungsmechanismen, Mechanismen, die eben auch verwirklicht und in jedem Falle (dies im doppelten Sinne!) konkretisiert, eben real instantiiert werden müssen; sie müssen stattfinden. Die Aktivierung oder Installierung eines Schemas als Repräsentation für etwas etwa für einen Gedanken - ist eine dynamische Angelegenheit, hat mit Aktivitäten und Prozeßabläufen im weitesten Sinne zu tun, ohne daß dies schon notwendigerweise Handlungen, zweckbewußte oder zielorientierte Handlungen des Menschen sein müßten. Doch die zweckbewußten und zielorientierten Handlungen sind natürlich auch abhängig von solchen Schemata, sind spezielle Formen der Schemaanwendung oder -instantiierung. Die Anwendung und Verarbeitung der Schemata in bezug auf die Beurteilung, wie gut diese Hypothesenkonstrukte auf bestimmte Daten "passen", durch die sie vielleicht veranlaßt sind und die sie beschreiben sollen, ist eine komplexere Angelegenheit, die natürlich abhängig ist von der Einbindung in die jeweilige Situation, von der Welterfassung im Hinblick auch auf die Handlungsentwürfe, auf die Gestimmtheit des entsprechenden das Schema anwendenden Subjekts usw. Die Schemata strukturieren also die Situationserfassung, die Situationen, sozusagen
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die "Welt" (Weltversion), wie sie sich uns jeweils im Augenblick darstellt - und auch längerfristig im Hinblick auf dauernde situationsangemessene oder situationsanzumessende, an Situationen anzupassende, Handlungsentwürfe. Schemata strukturieren also den Entwurf auch aller unserer Einordnungen von Repräsentationen und Plänen in eine jeweilige Situation, in einen bestimmten Lebenszusammenhang, in eine sequentielle zeitliche Kontinuität - und das insbesondere auch hinsichtlich unserer künftigen Verhaltensweisen. Das Schemainterpretieren ist also wesentlich mehr als die bloße Repräsentation des Wissens über Vergangenheit, das sieht man sofort deutlich. In der Welt stellen Schemata also das Wissen und dessen Verarbeitungsstrukturen auf allen Bezugsund Deutungs- sowie Entwurfsebenen dar, von der Wahmehmungsordnung bis hin zur theoretischen Vereinheitlichung in der Wissenschaft. All unser Wissen, (zumal unser Gattungswissen, d.h. das Wissen in generellen Begriffen, in Gattungsbegriffen), all unser strukturierendes und durch Begriffe überhaupt geordnetes Wissen ist in Schemata eingebettet. Insofern sind unsere Schemata in der Tat unser Wissen, wie Rumelhart (1978) schreibt, aber dieses 'Sind' ist natürlich noch deutlicher sprachphilosophisch und strukturanalytisch zu hinterfragen, ist gleichsam in einem funktionellen, operationalen Sinne zu verstehen. Unser Wissen funktioniert sozusagen nur im Prozeß, im Gebrauch, in Anwendungen, in Aktivierungen, in und durch die Instantiierungen von Schemata in bezug auf eine entsprechende Situation und auch in der Einbettung in die Kontexte, die wir durch die "Mittel", Medien und "Vehikel" erlernt haben, mit denen wir unsere Schemata zu Ausdruck bringen, sei es die Sprache, seien es kulturelle Regelungen anderer Art, Zeichensysteme nichtverbaler Art - das spielt alles mit hinein. Im übrigen muß man sagen, daß natürlich auch die Interpretation beim Lesen von Texten dementsprechend auch eine Art von speziellen Schemaanwendungen ist. Man hat ja bestimmte Dinge und Wortfelder, Begriffsfelder, Assoziationsfelder "gelernt", eingespielt - und wendet diese, wenn man eine Sprache beherrscht, gerade auch bei dem Verstehen von Texten usw. an; man liest einen Text oder versteht eine extern durch bedeutungstragende Zeichenkonstellationen vorgegebene Problemsituation, die man ja auch sozusagen "lesen" kann, unter einer bestimmten Deutung oder Interpretation, die eben durch ein von der Zeichenrezeption ausgelöstes Schema strukturiert wird: Die Buchstaben oder die Zeichen reaktivieren ein spezifisches Schema. Dieses und die Quasiautomatik des Auslösevorgangs hängen natürlich ab von der Lerngeschichte, von dem, was und wie man gelernt hat, von dem, was man weiß, sowie auch sicherlich von der Strukturierung der Situation oder der entsprechenden kulturellen Zuschneidung oder Fixierung dieser entsprechenden Situation und ihrer Signale. Es kann vorkommen, daß ein und dieselbe Datenvorlage, beispielsweise ein und derselbe Text, durch ganz verschiedene, unter Umständen gar miteinander unverträgliche Schemata interpretiert werden kann; das ist natürlich das Problem der literarischhermeneutischen Interpretation in den Geisteswissenschaften. Es können sich dabei auch typische Problemtäuschungen, Verzerrungen, Fehler usw.
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entwickeln; das alles ist vielfach in der allgemeinen Hermeneutik und den verwandten Disziplinen diskutiert worden. Nochmals zusammengefaßt: Schemata sind durch die Hauptmerkmale folgender Art gekennzeichnet: Sie weisen Variable und Flexibilität auf, d.h., man kann Teile von ihnen in der Anwendungssituation variieren oder durch Konstanten ersetzen, sozusagen konkretisieren; sie können - und müssen gleichsam automatisch - in andere Oberschemata eingebettet werden; es gibt umgekehrt sogenannte Unterschemata oder Subprozeduren. Verschiedene nebenoder über- bzw. untergeordnete Schemata können einander überlappen. Sie repräsentieren strukturelles, insofern gestalthaftes Wissen, also Zusammenhänge eher als Verbaldefinitionen; sie stellen somit empirisch und vorsystematisiertes gehaltvolles Wissen auf allen Abstraktionsebenen dar. Sie sind Aktivierungsvorgänge oder Prozeduren bzw. "Mechanismen" 9 - sowie die Wiedererkennungsmechanismen, die man hinsichtlich der Beurteilung der Güte einer Repräsentation bzw. speziell einer Handlungs- oder Planpräsentation einem Test unterwerfen muß oder beurteilen muß. Die Schemata sind selbst in den jeweiligen Zusammenhängen aktiviert und somit präsent, und sie aktivieren ihrerseits Schemata, nämlich Unterschemata oder Überschemata 10 , d. h., man hat sozusagen Situationskomplexe (re)präsentiert, die entsprechend schematischer Konzepte strukturiert sind, und die schematischen Konzepte ihrerseits sind zu einem Geflecht von Schemata verwoben, zu einer internen strukturell wie gehaltsbedingt verstandenen Vernetzung von Schemata. Das ist in sehr groben, skizzenhaften Zügen der Stand der kognitiven Psychologie hinsichtlich des Schemawissens. Es gäbe natürlich noch sehr viele Einzelheiten zu referieren, die uns hier nicht interessieren können. Man kann sich natürlich fragen, ob das Gesagte nun auf die kognitive Erfassung von Situationen und insbesondere auf die kognitive Strukturierung beispielsweise von Handlungsvorsätzen im psychologischen Zusammenhang beschränkt ist. Das ist natürlich nicht der Fall, sondern das Erarbeitete gilt viel allgemeiner, auch ζ. B. für die Handlungsnormierung und übrigens auch fur die methodologischen und erkenntnis- sowie handlungstheoretischen Aspekte. Warum sollte nicht - nachdem einst die Psychologie die Anregung und den Schemabegriff von der Philosophie Schematismus (vgl. Kant) übernommen hatte - die Psychologie umgekehrt einer praxisorientierten, pragmatischen Erkenntnistheorie eine Art von Rückerstattung leisten in Gestalt eines theoretischen Ansatzes zur Erfassung der kognitiven und handlungskonstitutiven Konstrukte, eben nämlich des Schemabegriffs und der Schematheorie? In der Tat, wir werden sehen, daß das sogar bis hinein in die Neurowissenschaft, in die 9 Dieser viel verwendete Ausdruck darf hier natürlich weder deterministisch noch klassischmechanistisch verstanden werden, sondern konnotiert nur die vorgebahnte und evtl. gerichtete Prozeßhaftigkeit. 10 Man denke nochmals an das Beispiel von Rumelhart über das Kaufen und Verkaufen: Das Schema KAUFEN löst das Unterschema GELD oder WARE aus - und umgekehrt: Die Unterschemata GELD oder WARE rufen auch von sich aus sofort die übergeordneten Schemata VERKAUFEN und KAUFEN, VERKÄUFER usw., ab.
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Wissenschaft von den Gehirnprozessen und den entsprechenden physiologischen Grundlagen, eine sinnvolle Leitvorstellung ist, selbst wenn es auch hier derzeit noch recht spekulativ zugeht und man eine Reihe von Lücken überspringen muß. Davon später mehr. Die Schemata sind als "Konstrukte" (im weitesten Sinne des Wortes) nicht nur zur Interpretation von Daten, zumal von Sinnesdaten, aktiviert, sondern für alle Informationen aller Art und als Instrumente zur Strukturierung und als Vehikel auch der Übertragung von Information oder der Kommunikation einsetzbar. Sie stellen vehikelartige, instrumentelle und sozusagen hypothetische Konstrukte der Informationsdarstellung und -Übermittlung, ja, auch der Strukturierung von Konzepten der Welterfassung generell dar; sie sind also auch Strukturmuster, gleichsam Strukturkonzepte oder eben Schematisierungsergebnisse, die in bestimmten Prozessen der (geplanten) Anwendung konkretisiert werden. Auch dabei werden sie zunächst einmal selbst als Muster ausgebildet, also konstituiert und auch in diesem Zusammenhang irgendwie in entsprechenden Prozessen, Aktivierungen konkretisiert und instantiiert sowie gelernt. Auch das gilt auf unterschiedlichen Ebenen. Speziell gilt das - unter Abziehen der Bewußtheit - sogar auf der neurologisch-biologischen Basisebene; auch die Übertragung von Informationen durch das Neuronensystem muß einem bestimmten wiedererkennbaren 'eingespielten' Musterprozeß folgen, auf den ich später noch eingehen werde. Natürlich trifft das Gesagte auch für den Zusammenhang des Lernens und Einspielens, des Ausbildens, Einübens, des Stabilisierens, der Fixierung von solchen schematischen relativen Verfestigungen zu, mit Hilfe derer wir uns eine Situation deuten. Das Konzept der Schemata ist also nicht nur in extremer Verwendungsbreite auf sehr unterschiedliche Prozesse, repräsentationale und präsentationale Strukturierungsprozesse aller Art anwendbar, sondern es reicht auch über unterschiedliche metatheoretische Stufen hinweg: Die Schemata selber können zum Beispiel ihrerseits wieder auf einer höheren Ebene zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden ("Metarepräsentation"). Man sollte auch hier erkenntnistheoretische Stufungen vornehmen; ich komme später im Zusammenhang mit der Interpretationstheorie hierauf zurück. Ausgehend von der objektsprachlichen Ebene, also der Ebene, in der quasi "direkt" (referentiell) über Gegenstände gesprochen wird, über die Stufe der Theoriebildung und Begriffsanwendung usw., kann von einem "semantischen Aufstieg" von Repräsentations- und Schematisierungsstrukturen, von Strukturen über Strukturen von Schemata selbst gesprochen werden. Metarepräsentieren ist ein Sonderfall des Metainterpretierens (Verf. 1995b). Man kann also diesen Begriff der Schemata sogar auch auf theoretische, methodologische Konzeptionen, auf Sprachkonstrukte, Sprachregeln, semantische Strukturen selbst anwenden. Es handelt sich um einen sehr allgemeinen Begriff, der in gewisser Auffassung geradezu allumfassend ist und in einer bestimmten Weise tatsächlich die Kantische Idee beibehält, daß es ein Verfahren geben muß, das den abstraktesten Begriffen so etwas wie ein "Bild' verschafft oder besser eine QuasiVerbildlichung, wie wir vielleicht sagen könnten. Kant sprach ja von der
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"produktiven Einbildungskraft"", die dem abstrakten Begriff, den Begriffen an sich ein Bild oder Quasibild verschafft: ein Gegenstandsbild, eine quasibildliche Vorstellung, zum B e g r i f f 2 . Durch den Schematismus, wie Kant sagt, gibt man erst dem abstrakten Begriff eine Art von (quasi)-bildlicher Konkretisierung: Man muß vom abstrakten Begriff zu Repräsentationen des Begriffs kommen, etwa zu vorstellungsrealisierten Einzelbeispielen: Wenn ich mir z.B. einen ganz bestimmten Sperling vorstelle, und auf diese Weise die Vorstellung "Vogel" repräsentiere oder wiederaufrufe, dann habe ich gleichsam dem abstrakten Gattungsbegriff "Vogel" ein Quasi-Bild zugeordnet, ein Gegenstands"bild". Insofern ist der Schematismus bei Kant in der Tat damit verbunden, daß abstrakte Theorien und Begriffe versehen werden mit einer Erfahrungssätttigung, mit vorstellungsmäßigen (Quasi-)Verbildlichung, mit einer zeitlichen Interpretation in bezug auf Situationen, Ereignissequenzen und Prozesse. Das alles bezieht sich zunächst insbesondere auf seinen sogenannten transzendentalen (apriorischen, (methodologisch) erfahrungsunabhängigen) Schemabegriff und Schematismus, aber das gilt natürlich auch für die Anwendung im Empirischen. Insofern sagt Kant, es handele sich beim Schemabegriff um ein "Monogramm der reinen Einbildungskraft" (KrV Β 181), sozusagen um eine (erfahrungsunabhängig unterstellte Form der) Einschrift in eine bestimmte situationale Konkretisierung, die durch die produktive Phantasie' 3 anläßlich der Vorlage einer bestimmten auslösenden Triggersignalkonfiguration vorgenommen wird. Friedrich Kaulbach z.B. (1965, zit. n. 1973) spricht in kantischem Geiste von dem "'Monogramm' der beschreibenden Vernunft" (1973, 107). Er identifiziert die Idee der Einbildungskraft bei Kant mit der beschreibenden Vernunft, d.h. der Vernunft, die in gewisser Weise eben Muster anwendet und auf diese Weise versucht, die Welt zu beschreiben. Nach Kaulbach (ebd.) verhält sich beschreibende Vernunft konstruierend: Sie geht nach einer 'Regel' vor. 14 Das Schema ist die sich im Verfahren des Beschreibens verwirklichende Regel! Kaulbach unterscheidet bei Kant - und auch das ist eine interessante Unterscheidung und wichtig -, zweierlei Weisen der Darstellung mit Hilfe eines Schemas: Schematisierung kann einmal - und das ist bei Kant zunächst abstrakt gemeint - den Übergang vom Begriff zum Gegenstands"bild" bedeuten. Das ist ein konstruktiver Übergang; Kant stellt sich diesen so vor, daß man in der "Anschauung" das "Bild" oder den Gegenstand anhand der Regel, die der (bzw.
11 Auch hier milßte und kann - wieder von der homunkulushaften Terminologie abgesehen werden. 12 Wenn man zum Beispiel den Begriff "Vogel" hat und sich einen Vogel vorstellt, ordnet man diesem Begriff ein vorstellungsmäßiges (mental repräsentierendes) Gegenstandsbild zu. Das ist im Grande eine empirische Anwendung oder für die gegliederte Wahmehmungserfahrung zugeschnittene Verwendung des Schemabegriffs. 13 S. vorige Anmerkung. 14 Das kantische Schema bezeichnet Kaulbach treffend als "Vollzugsform", welche gleichsam "die Bewegung" des internen Nachzeichnens, des Vorzeichnens, der Anschauung wie Kant (KrV Β 203) sagt, "leitet und welche sich im Produkt dieser Bewegung, in der beschriebenen Figur, niederschlägt" (Kaulbach 1973, 107).
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den) Begriff allgemein darstellt, konstruiert. 15 Die Konstruktion in der reinen Anschauung (oder danach auch in der empirischen Anschauung), das ist das, was Kant im Auge hatte, wenn er von diesem Begriff des Übergangs zum erscheinenden Gegenstandsbild in der Anschauung spricht. Das wäre also die eine, die konstruktiv-operationale Variante der Anwendung des Schemabegriffs bei der schematischen Darstellung. Die andere Art der Schematisierung besteht nach Kaulbach darin, daß man einem Begriff, der nicht auf sinnliche Vergegenständlichung angewiesen ist, also z.B. einem abstrakten Begriff, ein Bild "unterlegt", d.h., wenn man versucht, durch eine bildliche Veranschaulichung oder durch eine modellartige Darstellung eine Art von Bild zu erzeugen, das in gewisser Weise Ähnlichkeiten mit dem Strukturmuster des Ausgangsbegriffs hat. Diese Verbildlichung hat natürlich zum Teil gleichnishaften oder metaphorischen oder analogischen Charakter. Sie wird unter Umständen so etwas wie eine genuin bildliche (oder eben quasibildliche) Darstellung sein, die den eigentlichen Schemazusammenhang unter Umständen nur verdeutlicht, aber auch gleichzeitig in gewisser Weise verzerrt." Bei Kaulbach kommt noch eine Idee vor, die auch von Kant in gewissem Sinne schon angedeutet wird - und zwar im Zusammenhang mit der erwähnten ersten Art der quasi verbildlichenden Darstellung durch Zuordnung eines Konstruktionsverfahrens zu dem entsprechenden Schema, mentalen "Muster" oder Begriff: Kant meint, daß eben durch die Bewegung des Ziehens einer Gerade der betr. Vorstellung (oder der Verbindung von Vorstellungen), allgemein: durch das Konstruieren "in der Anschauung", erst eine Darstellung ermöglicht wird. Es sei notwendig, daß das erkennende Subjekt, also der Mensch, die Fähigkeit hat, in Gedanken quasi-bildlich die Begriffe konstruktiv zu verbinden, so quasibildhaft Vorstellungen zu verbinden, ζ. B. Linien zu ziehen vermag Trendelenburg (1870 3 , I, 142ff.) hat im vorletzten Jahrhundert versucht, das auszuarbeiten, indem er sich etwa auf das Beispiel der Vorstellung einer Ellipse oder entsprechender anderer geometrischer Figuren kapriziert. Er meint, wenn wir von einer Ellipse reden oder uns eine Ellipse nur vorstellen, dann bedeutet das, daß wir in Gedanken, sozusagen im inneren Feld unserer 15 Kant stellt sich das geradezu operational-konstruktiv vor und exemplifiziert das auch bekanntlich häufig an Beispielen aus der Geometrie. Man kann sich z.B. rein abstrakt, wie er sagt, ein Zweieck, ein "Eck" aus zwei geraden Strecken, denken, aber man kann es sich nicht in dem konkreten Sinne vorstellen, daß man es in der "Anschauung" konstruieren könnte (KrV Β 154f. u.a.). (Kant kannte natürlich noch nicht die Möglichkeiten einer elliptischen Geometrie u.ä.) 16 Kant spricht ja gelegentlich recht mißverständlich in (ζ. Β KU § 254) von einer "symbolischen Verwendung" des Begriffs "Schematismus"; er müßte eigentlich sagen: "bildlich" oder "ikonisch", denn bildlich ist gemeint, symbolisch ist ja nach heutiger Auffassung, aber es läßt sich über Termini trefflich streiten, dann gegeben, wenn man ein Zeichen hat, das für ein anderes steht, aber nur aufgrund von einer konventionellen Verabredung, und nicht eine ikonisch-bildliche Wiedergabe entsprechender Strukturzusammenhänge leistet. Jedenfalls ist das der in der Semiotik der eingeführte Bedeutungszusammenhang für symbolische Zeichen. Insofern muß also die Terminologie von Kant hier tatsächlich etwas hinterfragt werden.
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Bewußtseinsrepräsentationen eine Ellipse malen, eine Ellipse vielleicht sogar unter dem Gesichtspunkt impliziten Wissens über den geometrischen Ort der Ellipse konstruieren. Einfacher ist es natürlich, sich einen Kreis vorzustellen, weil wohl fast jeder den geometrischen Ort kennt (die Linie, die von einem Punkt immer den gleichen Abstand hat), während dieses Wissen bei der Ellipse in bezug auf die Summation des Abstandes von den beiden Brennpunkten wohl nicht umfassend verbreitet sein dürfte. Wir müssen uns nach Trendelenburg also eine Figur nur vorstellen, wenn wir sie zuerst (gleichsam) im Geiste gezeichnet haben. Insofern sei auch die Art der gedachten Bewegung des Beschreibens bei Kant zu verstehen, meint Kaulbach; sie sei sogar notwendig. Kaulbach (1973, 108) benutzt eine schöne Metapher, die allerdings auch sogleich die Fragwürdigkeit dieses ganzes Bildes aufschließt; er sagt nämlich: "Es ist gleichsam eine transzendentale Hand, welche die transzendentale Bewegung des Beschreibens, des 'Ziehens', des 'Verzeichnens' leistet".' 7 "Die transzendentale Bewegung, "des Beschreibens der Figürlichkeit der möglichen Gegenstände der Erfahrung" ist, so Kaulbach (ebd.) a priori verfassungsgebend für die Gegenständlichkeit, mag die Erfahrung mit der Ellipsenbahn der Planeten oder mit der Geradlinigkeit der Wege zu tun haben, welche die Strahlen z.B. des Lichtes nehmen". Das bedeutet, man mutet und schreibt der Vernunft so etwas wie eine Fähigkeit zu, Figuren in der Natur zu identifizieren, die das erkennende Subjekt aber eigentlich in die Natur hineinentwirft, projiziert. Man macht sich sozusagen intern repräsentierende Modelle. Die Figürlichkeiten, die man sieht, beispielsweise die Ellipsenform der Planetenbahnen im diesbezüglichen Modell, entstehen im Rahmen einer solchen Modellvorstellung. 18 Doch selbst im einfachen Falle, bei dem man beispielsweise ein Dreieck "sieht" oder zwei Geraden, die sich schneiden oder zu schneiden scheinen - man denke an Eisenbahngleise in der Ferne -, verfügt man sozusagen über eine Geometrie, die man gleichsam hineinprojiziert. Insofern, meint Kaulbach nach und mit Kant, ist die Vernunft eben in gewisser Weise gegenstands- und strukturkonstitutiv. Sie stutzt erst die 17 Doch was heißt das? "Transzendentalphilosophie" ist nach Kant bekanntlich jene Disziplin, welche die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnisse a priori (d.h., erfahrungsunabhängig, vor aller Erfahrung logisch gesehen, H. L.) darstellt. Aber ist das Subjekt 'vor' aller Erfahrung, vor aller Form der Erfahrung in der Lage, Bewegungen der Konstruktion auszuführen? (Zeitlich wohl nicht, höchstens analytisch-(methodo)logisch.) Es ist schwierig, wenn man - "transzendentale"! - Bewegungen sozusagen ausführt, die nicht der Zeit und dem Räumlichen unterliegen, Bewegungen sind ja zunächst räumliche Veränderungen und entsprechend zeitliche Zustandsänderungen, wenn man Raum und Zeit, wie Kant das tut, auf die Formen der Erfahrung, der Erkenntnis beschränkt. Auch wenn man das im Zusammenhang mit Vorstellungsabläufen versteht, kann nicht 'vor' aller Erfahrung und 'vor' der Form der Erfahrung schon eine Bewegung "stattfinden" oder ausgeführt werden; das ist einleuchtend: "Transzendentale Bewegung" das wären im Grunde Bewegungen außerhalb aller Räumlichkeit, jenseits aller Zeitlichkeit. Also kann man sagen, der Ausdruck "Bewegung" ist hier völlig fehl am Platze, man könnte im Grunde nur sagen, er wird metaphorisch verwendet, und das ist wohl auch der Fall. 18 Im übrigen "sieht" man die Ellipse der Planetenbahnen natürlich sowieso nicht, sondern das ist eine höchst abstrakte Zusammenrechnung aus vielen Daten, die man sich dann nur mittels der Vorstellung der Ellipse dann eben klar macht.
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(Repräsentationen der) Gegenstände zurecht, sie projiziert die "Gegenständlichkeit", sie "macht" sozusagen also die Gegenstände erst durch diese ihre Art von Entwurfstätigkeit, durch eine Art von Konstitution, oder angelehnt an Kant formuliert Kaulbach (1973, 108): "Die transzendental verfassungsgebend-beschreibende Vernunft schreibt der Natur die 'allgemeinen' Gesetze vor"; das besagt hier: sie schreibt den Gegenständen sozusagen auch den figürlichen Charakter vor: "Nur was die Vernunft vorschreibend beschrieben hat, kann sie a priori erkennen" (Kaulbach, ebd.). Kaulbach verweist auf Galilei, der, nachdem er seine Kugeln über die schiefe Ebene herabrollen ließ, begriffen habe, daß 'die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem eigenen Entwürfe hervorgebracht hat'. Das ist eine alte, "operationalistische" Idee, die schon von Nikolaus von Kues, Vico und Hobbes stammt, daß wir eigentlich nur das richtig verstehen können, was wir selber hergestellt, zumindest in der Vorstellung "produziert", erzeugt, "gemacht" haben. Kaulbach deutet das (ebd.) so, daß die Vernunft eben nur das begreifen kann, was sie zuvor in dieser genannten "transzendentalen Bewegung" gleichsam im transzendentalen Konfigurationsräume beschrieben hat: "Die Bewegung des vorschreibenden Beschreibens gehört zur Transzendentalphilosophie", und er verweist auf Kant, (KrV Β 155, auch Anm. dort). Ich glaube, daß dies alles sehr problematisch ist, obwohl es natürlich so etwas wie eine erste Plausibilität hat. (Der Aktionismus und die Homunkuluscharakteristik der Terminologie sind es, die eine "transzendentale" Bewegung vortäuschen.) Kaulbach verweist interessanterweise auch darauf, daß das Gesagte frühere geschichtliche Wurzeln hat; ζ. B. wird im Mittelalter, etwa bei Robert Grosseteste (Kaulbach 1973, 110) behauptet, daß die Natur selbst so etwas wie eine Beschreibung und gleichzeitig eine Formung der Strukturen vornimmt; Die Natur selbst, also die schaffende Natur, "sieht" die geschaffenen einzelnen Dinge in (ihrer) Wahrheit als Ausdruck des Schaffensprozesses, den sie selbst veranstaltet hat; die "Natura" selbst ist also nicht nur eine aktiv strukturierende, sondern auch eine beschreibende Natur (Kaulbach ebd.): Das Hervorbringen der Naturdinge durch die wirkende Natur ist ursprünglich figurierend und formierend und ist also in einer "Einheit der formenden Form bzw. der formalen Aktivität" zu verorten und findet dann auch den Ausdruck in diesen entsprechenden Formen. Die Natur wirkt also nicht nur selbstkonstruierend, sondern auch nachkonstruierend, sie springt gleichsam gestaltend hervor, indem sie eine Art von beschreibenden Bewegungen zusammensetzt, nicht nur Punkt auf Punkt "abhakt", also keine mathematische Ansammlung von Punktereignissen nacheinander vornimmt, sondern so etwas wie eine Vollzugsform entwirft oder vollführt, die vielleicht durch Verben, durch kontinuierliches Verändern, durch Abwandeln, eben durch ursprünglich repräsentationale Prozesse und prozessuale Begriffe erfaßt werden kann. Kaulbach spricht von der freien "Natur", die ihre Schemata sozusagen selber produziert, bildet, entwirft. Das sei in bestimmter Weise später ausdrücklich wieder aufgenommen und mit dem Schemabegriff verbunden worden, z.B. bei Goethe, insbesondere in Goethes Naturphilosophie und auch bei Schelling. Bei
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Kant aber ist es anders: Da ist es nicht die freie Natur, sondern der Verstand, der gleichsam als produktive Einbildungskraft die Natur als schon bestimmte oder schon vorhandene Natur bestimmt. Die Natur ist also im Grunde eine Natur, die nicht mehr ganz dynamisch frei ist, sondern der Verstand, durch die Schemata formiert und repräsentational gestaltend, steht sozusagen im Dienste, wie Kaulbach sagt, der "Fesselung" der Natur; er hat die Strukturierung, die Kategorisierung zur Absicht. Es ist also nicht die freie, sondern "die gefesselte Natur", die der Verstand erfaßt: Die Wissenschaft bringt alles auf die berühmten spanischen Stiefel und kategorisiert, ordnet ein, wendet Schemata in diesem etwas eingeengteren Sinne an, den Kant in seiner ersten Deutung - operational mathematische Konstruktion - ja im Auge hat. Verstand und Vernunft erst bringen das (schematisierte) Mannigfaltige zu einer Art von (sekundärer) Einheit. Diese - und das ist bei Kant der wesentliche Gesichtspunkt - kommt eben in dem Sinne zustande, daß man eine Konstruktion vornimmt, und zwar eine schrittweise Konstruktion, eine schrittweise Zusammenfügung. Kant spricht dabei von "sukzessiver Synthesis" (ζ. Β. KrV Β 155 Anm.). Es ist zwar Einbildungskraft im Spiele, aber die Regeln, die Verhältnisse der Begriffe zueinander und der Erscheinungen der Einzelereignisse zu den sie erfassenden Begriffen ist sozusagen starrer, ist nicht mehr freie dynamische Entwicklung und Bildung, sondern ist an bestimmte Vorgaben gebunden und ist dem Menschen erst dadurch gegeben, daß er die konstruktiven Regeln erfaßt und anwendet: Man rekonstruiert sozusagen einen Naturprozeß, indem man Schritt für Schritt etwa arithmetische oder mathematische Verhältnisse hineindeutet und eben Einzelschritte repräsentierend formal nachvollzieht. In diesem Sinne handelt es sich also um keine Interpretation der Schemata durch freie Zuordnung eines Bildes, durch eine "aktive" Verbildlichung in diesem allgemeinen Sinne, sondern eben um die Zuordnung und Durchfuhrung(smöglichkeit) eines Konstruktionsverfahrens; man hat dem Begriff seine Konstruktionsverfahren zuzuordnen, um die Dinge bzw. das vom Begriff Bezeichnete als unter diese Begriffe einordenbar zu rekonstruieren. Das Sein wird gleichsam "als Konstruierbarsein interpretiert" (Kaulbach 1973, 112). Gegenstände sind Ergebnisse von solchen schematisierten Konstruktionsprozessen. In diesem Sinne ist in der Tat die Kantische Theorie eine völlig moderne Theorie, die sich sehr gut z.B. für das Verfahren etwa der Künstlichen Intelligenz, der Passung durch Programme, durch schrittweise Abarbeitung von Strukturmustern u.ä. eignen würde. Nur liefert diese Art von Erfassung durch die Künstliche Intelligenz, die heutzutage zwar viel leistet, dennoch ein beschränktes Bild: Der Mensch als erkennendes Wesen ist jedem erfassenden, schrittweise arbeitendem Programm weit überlegen, indem er Strukturmuster sofort intuitiv erfassen und die Wiedererkennung von Mustern leisten kann, wozu ein Computerprogramm heutzutage eben entweder gar nicht in der Lage ist oder noch sehr viel Zeit braucht. Die Mustererkennung ist offensichtlich etwas, was über die bloße sukzessive Abarbeitung von Einzelschritten weit hinausgeht, und das ist ein großer Vorteil des Menschen und der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit, beispielsweise eben beim
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Mustererkennen oder generell beim Verstehen der visuellen Wahrnehmung im Gegensatz etwa zu künstlichen Sensoren aus der apparativen Künstlichen Intelligenz. Computergestützte Sensoren arbeiten (noch) nicht mit der Eleganz, Leichtigkeit und der ungeheuren Effektivität wie etwa das menschliche Gesichtssystem. Das hat sicherlich auch damit zu tun, daß offensichtlich die Deutung des Schemaanwendens als eines Konstruktionsverfahren im Sinne der Abarbeitung von gleichsam "mechanischen" operativen Schritten zu einfach ist. Die Mustererkennung ist offenbar komplexer, geht weit über die Serialität des Sukzessiven hinaus. Massive Parallelverarbeitung und Konfigurativität scheinen Merkmale der Verarbeitung beim Mustererkennen zu sein. Offensichtlich gibt es auch die Möglichkeit, schematische Verwendungen von Mustern intuitiv, fast instanten oder wie immer, zu identifizieren oder Muster überhaupt eher globalisierend zu verwenden und zu erkennen, also den Schemabegriff über diese bloß sukzessive Abarbeitung von quasi arithmetischen Zählprozessen, die Kant im Auge hatte, hinaus anzuwenden. Es geht nicht nur um schrittweise Konstruktion. Ich glaube jedoch, daß auch dieses Bild etwas schief ist, wie es z.B. Trendelenburg sich vorgestellt hat, daß wir immer dann, wenn wir uns irgendeine Ellipse vorstellen, sie in Gedanken, im inneren Gesichtsfeld (re)konstruiert haben müßten. Ich glaube, daß dieses Bild, jedenfalls wenn man dieses Rekonstruieren unter dem Gesichtspunkt des schrittweisen Abarbeitens oder des schrittweisen Konstruierens versteht, falsch ist. Das sukzzessive mentale Konstruieren und Rekonstruiertes ist also sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluß. (Doch darauf werden wir im einzelnen später noch eingehen.) Jedenfalls ist interessant, daß offensichtlich schon in der Kantischen Philosophie, wenn auch mit einer etwas irreführenden Terminologie und den Schwierigkeiten etwa der Zuschreibung einer "transzendentalen Bewegung" zu etwas, was überhaupt keine räumliche oder zeitliche Veränderung sein kann oder leisten kann, doch so etwas wie eine Verbindung zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen in der Form der Schematisierung postuliert wird. Konzipiert wird die Unterordnung des Besonderen durch eine Art von Installierung aufgrund von Schemaanwendungen, eine Besonderung durch (Quasi)Verbildlichung, durch beschreibende, darstellende und verbildlichende Konstruktion. ("Konstruktion" ist dabei in einem weiteren Sinne verstanden.) Bekanntlich bezieht ja Kant dieses Konstruieren in diesem subsumierenden Sinne auf die von ihm sogenannte "bestimmende Urteilskraft": Es geschieht, wenn ich etwas unter Begriffe unterordne oder als Beispielinstanz eines Begriffes erkenne. Es ist diese bestimmte, subsumierende Urteilskraft", die den Übergang von den allgemeinen Begriffen zu speziellen Beispielsfallen, die Einzelfallunterordnung, leistet: Wenn Sokrates als ein Mensch identifiziert wird, dann ist das eine Unterordnung unter einen allgemeinen Begriff, und ist deduktiv herzuleiten, wenn man nur die entsprechenden Merkmale der Kennzeichnung
19 vgl. wieder Anm. 5.
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des Einzelbegriffes hat, und diese mit dem Allgemeinbegriff und seiner Charakterisierung verbinden kann. Eine Instantiierung kann aber auch durch empirisches Wissen geschehen, durch Ausweisung eines Etwas als eines Einzelfalls des betr. allgemeineren Zusammenhangs oder Begriffs, als Enthaltensein eines Gegenstandes in einem Begriff. Dies ist das klassische Bild des Subsumierens. Kant setzt diese Unterordnung mit einer mathematischen schrittweise herstellenden Konstruktion gleich. Das ist vielleicht dann der Grund, weswegen Kant sich im Grunde recht stark an das anlehnt, was Kaulbach (1973, 111) "die gefesselte, unfreie Natur" nennt, wenn er von solchen Begriffsprozessen und den Verbildlichungen spricht. Das Schemaanwenden ist nämlich eine Technik des (Quasi-)Verbildlichens dieser Grundbegriffe, ist sozusagen eine Kunst, Konkreta am Leitfaden der allgemeinen Begriffe herzustellen. Demgegenüber entwickelt Kant in seiner Kritik der Urteilskraft bekanntlich die "reflektierende Urteilskraft", die freier von bestimmten einzelnen konkreten Erfassungen ausgeht und diese verallgemeinert, in einen weiteren Zusammenhang stellt. Das ist eigentlich viel eher dem Kantischen Begriff der Vernunft angemessen als das bloße Subsumieren des "Verstandes" (der als Teil der "Vernunft gilt): Man sprengt die Grenzen der beschränkten Gegenständlichkeit, die der Verstand in den entsprechenden Kategorien und Formen beachtet, in denen eben die subsumierende bzw. wiedergebende Verstandeserkenntnis vonstatten geht. Man deutet die Natur im Unterschied hierzu nun als etwas, was freier erfaßt wird; die reflektierende Urteilskraft ist etwas, was vom Besonderen und dessen Begrenztheiten frei, phantasiereich, produktiv, kreativ auf Allgemeinheiten ausgreift und sozusagen universalisierend in einem weniger beschränkten Sinne assoziiert. Dementsprechend verliert sie natürlich an method(olig)ischer Sicherheit, kann sich nur auf eine Art von subjektiver Beurteilung und Schätzung einlassen. Man kann dann auch nicht mehr, die Richtung später umkehrend, den Einzelfall als bloße Subsumption unter das freier entworfene Allgemeine unterordnen (wie Kant noch zu meinen scheint). Das alles heißt, man hat überall dort eine größere Freiheit der Deutung, der Interpretation zu gegenwärtigen, wo die reflektierende Urteilskraft am Werke ist. Kaulbach weist dieses Schematisieren unter der reflektierenden Urteilskraft, "das hier angesprochene >Schema< nicht der Technik der freien Natur, aber der Technik der frei entwerfenen Vernunft" zu (ebd. 121, Hervorhebung hinzugefugt). Hier werden die Natur und die Vernunft gleichsam auch bei der Darstellung, Verbildlichung eher im künstlerischen Sinne verstanden. Wenn man es gleichsam goethisch ausdrückt, entdeckt man so eine "produzierende Natur" (Kaulbach, ebd. 120), die sich aus sich selbst entwickelt, eine "lebende Gestalt" oder "geprägte Gestalt, die lebend sich entwickelt". Kant scheint allerdings zu meinen, daß hierbei in gewissen Sinne - das ist zwar undeutlich - der Begriff des Schemas schon gesprengt werde. Er selber schränkt die Technik des schematischen Verbildlichens auf die determinierte, auf die gebundene, auf die gefesselte Natur ein - auf die "Technik des die Natur
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bindenden Verstandes", wie Kaulbach (ebd. 121) sagt. Der Mensch scheint Kant zufolge nicht mehr (i. e. S.) zu schematisieren, wo er über diesen Rahmen hinausgeht: das Aktivsein der reflektierenden Urteilskraft ist darum nur in analoger oder metaphorischer Weise oder in dichterischer Weise möglich: Doch die Terminologie sollte (zumindest im vorliegenden Zusammenhang) verallgemeinert werden - auf Schematisierungen im allgemeinen und weiten Sinne.20 Die Technik der entwerfenden Vernunft kann und wird z.B. auch in der Dichtkunst eine Art von Schemabildung auf höherer Ebene sein. Das Entwerfen von Modellen und Schemata, insbesondere natürlich dann im Sinne von unterlegten oder geschaffenen Bildern wäre in diesem Sinne dann eine höherstufige Schematisierungsaufgabe und würde über das Modell der schematisch etwas eingeengten Verstandesoperationen weit hinausgehen. Die zweite Version der Verbildlichung nach Kaulbachs Kantinterpretation ist offensichtlich die heutzutage viel interessantere, modernere, anspruchsvollere sie bildet sicherlich eine größere Herausforderung (als die erstere, an Subsumtionen gebundene. Das war natürlich eigentlich schon zu Kants Zeiten so.) Es ist derzeit eine große Diskussion im Gange, ob letztlich das menschliche Vorstellen überhaupt in Begriffen 21 , in einzelnen determinierten Schritten, oder in Quasibildem oder "Images" stattfindet. Generell ist umstritten, ob nicht sogar das menschliche Denken und Vorstellen viel stärker bildlich oder jedenfalls bildanalog verläuft als abarbeitungs- oder programmanalog. Es scheint m. E. so zu sein, daß das menschliche Erkenntnisvermögen beide Möglichkeiten hat, daß aber die bildliche Repräsentation, Verarbeitung, Mustererkennung bei vielen komplexen Situationsrasterungen viel wichtiger ist, als bislang in der Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie angenommen wurde. Man muß also die Schemakonzepte vom Konfigurativen auch aufs Figurative erweitern. "Bildspiele" sind Sonderfälle von "Schemaspielen" (Verf. 1995, 241, 244 f., 248 ff.). Generell ist auch in der Biologie der Begriff des Schemas häufig verwendet worden, und zwar durchaus auch in einer viel fixierteren Form, so daß man sich fragen kann, ob hier überhaupt derselbe Schemabegriff einschlägig ist: Etwa die Wahrnehmung von bestimmten phänomenalen Gegebenheiten in der Umwelt folgt oft auch einem erblich fixierten, reflektorischen "Schema", man reagiert auf 20 Dafür sprechen auch kognitionspsychologische Erkenntnisse über Stnikturierungen und Konstruktionen i. w. S. 21 Das ist sicherlich nicht auf die traditionellen Auffassung beschränkt, daß man AUgemeinbegriffe hat und dann spezielle Differenzen (Ein Säugetier ist ein Lebewesen mit Heiz und Lungen) zur Charakterisierung verwendet, ist sondern das Kategorisieren und das Sichvergegenwärtigen von Begriffen im alltagssprachlichen Zusammenhang stärker an anderen Stnikturierungen orientiert. Darauf ist noch eingehen, z.B. auf die Bildung von Prototypen (n. Rosch 1977), auf die Verwendung von Relationszusammenhängen, Beziehungen zwischen Begriffen. Es werden nicht Begriffe mit ihren Unterinstanzen als Hierarchie einfach durch Angabe von Arteigenschaften und spezifischen Differenzen statisch entworfen, sondern es werden gleichsam kleine Theorien entworfen und eine Art von Beschreibung, mit der dann die an Prototypen gebundenen Abgrenzungen und Kategorisieningen der entsprechenden Arten und Gattungen einhergehen.
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einen bestimmten Reiz z.T. eben reflektorisch, d.h., in einer angeborenen Verhaltenskette, einer Reiz-Reaktions-Kette, die man ein Reflexverhalten oder Reflexschema nennt. Konrad Lorenz hat bekanntlich in die Verhaltensforschung den Begriff des "angeborenen auslösenden Schemas" eingeführt und meint damit ein erblich vorgegebenes Reiz-Reaktions-Schema, das etwa durch Prägungen fixiert ist. Der Ausdruck stellt also eine Art Terminus technicus dar, der als ein entsprechendes Korrelat, als ein vorfixierter Strukturzusammenhang zu einer Auslösesituation aufzufassen ist, die ihrerseits bei einer bestimmten Merkmalskombination dann ein Reaktionsverhalten auslöst. Dieses reagiert immer auf bestimmte kennzeichnende, wenn auch oft verhältnismäßig einfache Merkmale der Situation, läuft aber gleichsam blind mechanisch ab, insbesondere bei der Reizauslösung im Prägeprozeß bei einem neugeborenen Tier, das noch gar nicht viele Erfahrungen hat ansammeln können. Doch das "blinde", automatische Reagieren im sog. Reflexbogen gilt natürlich auch für ausgewachsene Tiere; und auch der Mensch weist ja noch eine Reihe von Reflexen auf, die auf die Reizung hin sozusagen automatisch ablaufen (man denke an den Patellarsehnenreflex oder an verschiedene andere reflexartige Reaktionen): Wenn z.B. etwas auf das Auge zufliegt, dann ist deutlich, daß auch hier mit dem Lidreflex angeborene Auslösemechanismen vorhanden sind, wie sie etwa Tinbergen seit 1948 nennt. Ihm war der Begriff "Schema" zu vage und zu wenig auf einen biologischen Ablaufprozeß bzw. auf die entsprechende Prozedur bezogen, in der von einem gesetzten Reiz zu einer ausgelösten Reaktion "übergegangen" wird. Doch der Ausdruck 'Mechanismus' ist natürlich im Grunde auch nicht viel besser; denn erstens handelt es sich sicherlich nicht um einen bloß "mechanischen" Ablauf; es spielt jeweils eine große Menge biochemischer Prozesse oder elektrochemische Reaktionsweisen usw. eine Rolle. Das Wort 'Mechanismus' kann also nur in einem weiteren Sinne verwendet werden. (Ob nun von "auslösenden Schema" oder "auslösenden Mechanismus" gesprochen wird, das spielt hier eigentlich keine besondere Rolle.) Wichtig ist, daß es solche Mechanismen oder Reaktionschemata in der Zuordnung zu bestimmten Reizklassen gibt, und daß es darunter solche "reflektorischen" gibt, die bereits genetisch fixiert sind, also angeboren: Sie entsprechen oft den typischen Reizen in einer bestimmten ökologischen Nische, in der das Tier lebt und auf deren überlebensrelevante Merkmale die jeweilige Art in der Evolution entsprechend "eingestellt" wurde. Das Reflexverhalten wurde im Evolutionsprozeß sozusagen herausgemendelt. Solche Reflexverhaltensweisen oder Reaktionsverhaltensweisen sind also weder individuell erlernt noch veränderbar, sie sind ererbt. Sie "spulen" nach der Auslösung durch den Reiz "unaufhaltsam" ab. Einige sind auch beim Menschen noch vorhanden, wenn auch gegenüber vielen Tieren in sehr reduzierter Anzahl bzw. Form. Sie haben beim Menschen kaum noch eine wirklich dominante Funktionalität im Normalleben, weil der Mensch eben durch eine relativ starke, aber - das muß man wohl betonen - keineswegs vollkommene Instinktreduktion gekennzeichnet ist.
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Zweifellos sind noch manche angeborenen Schemata oder wenigstens angeborene Grundlagen auch für die Verhaltenssteuerung des Menschen wirksam; die genetische Anlage ist vorhanden und sie kann, muß dann feinstrukturiert, weiterentwickelt werden. So scheint auch die Anlage zur Spracherlernung irgendwie genetisch vorgegeben, aber das bedeutet natürlich nicht, daß damit nun alles Sprachverhalten nun erblich fixiert und determiniert sei; insbesondere gilt das natürlich schon nicht für die Einzelsprache, die man als Muttersprache erlernt. Es ist aber schwer, sauber analytisch zu trennen, was erblich und genetisch vorgebildet oder gar detailliert fixiert ist, und was erlernt, also konventionell erworben ist, und gar was in den ersten Lebensmonaten oder jähren gleichsam "gebahnt" ist, durch Interaktion mit der Umwelt, aber erst auf genetischer Grund(an)lage ausgearbeitet worden ist. Das letztere gilt z.B. für viele Nervenverbindungen, die insbesondere auch hinsichtlich des visuellen Wahrnehmens nötig sind; diese werden zum Gutteil erst nach der Geburt entwickelt, die Neuronen wachsen sozusagen ins Gehirn hinein - zumindest bis zum primären Sehzentrum: Dabei sind insbesondere die Zuordnungen zu einzelnen Feldern bei der vorgegebenen groben Ausrichtung oder "Richtlinienkompetenz" dann doch im einzelnen noch variierbar, wenn auch nur bis zu einer bestimmten Entwicklungsphase. (Ich komme auf diese Erkenntisse bei der Diskussion der Himkonstrukte, wie die Neurowissenschaftler sagen, zurück und werde dann insbesondere auch die Parallelen zur Aktivierung und Stabilisierung von Schemabildungen ziehen.) Beim Menschen ist natürlich charakteristisch, daß im Laufe der Entwicklung seines Lebens, auch in der historischen Entwicklung der Kultur, die erlernten Schemabildungen immer stärker vorherrschen: Es gibt bei ihm zwar noch Instinktresiduen - man denke an den erblichen und immer noch merklichen Brutpflegetrieb, an das erwähnte Babyschema u.ä. Diese instinktmäßigen oder erblichen Anlagen werden beim Menschen sehr weitgehend kulturell überformt, kulturell, sozial geprägt, insbesondere was dann die Antwort auf bestimmte Reizsituationen angeht. Die Endreaktionen sind individuell auch von der Lebensgeschichte abhängig,. Fast alle komplexen Schemata dieser Art werden solchermaßen kulturell überformt, selbst wenn sie auf einer ursprünglich genetisch fixierten Grundanlage operieren und bestimmte Weisen des Erfassens, Wahrnehmens und Ausprägung des Verhaltens betreffen. Sogar reflexartige Strebungen, Dränge, Triebreaktionen werden im Antwortverhalten kulturell und sozionormativ überformt oder zurückgedrängt: Der Harndrang oder bestimmte sexuelle Erregungen werden verdrängt, überformt, wenn man sich in der Öffentlichkeit befindet. Die Antwort wird also jeweils sozusagen kulturell in Schranken gewiesen, zurechtgestutzt, limitiert, variiert. Je bewußter, individualisierter und differenzierter und je stärker die Auslöser und auslösende Signale spezifisch an künstlich geprägte Situationen oder Reaktionsweisen angepaßt sind, desto stärker überlagern natürlich erlernte und also erworbene Schemata und Verhaltensorganisationskonzepte bzw. -dispositionen oder -Orientierungsmuster und insbesondere auch erlernte oder übernommene
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Kontrollmechanismen und Planungen des Handelns das grundlegende biologische Verhaltenssubstrat. Dieses ist natürlich untergründig immer noch vorhanden, kann und sollte nicht geleugnet werden. Es wirkt auch immer noch teilweise ermöglichend, teilweise negativ beschränkend mit, indem es beispielsweise die Reichweite der Handlungsmöglichkeiten und die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Alternativen oder der Variablen mit Beschränkungen versieht oder die Bestimmung der Optionen entsprechend beschränkt oder offenhält. Insbesondere gilt dies natürlich für erkenntnismäßige Repräsentationen sowie für die Handlungsorganisation und -planung von zum Teil individuell oder kulturell oder auf kultureller Grundlage entwickelten, aber dann eben doch persönlich ausgebildeten Schemaentwicklungen und Schemabildungen, die wir oben bereits unter dem Gesichtspunkt der "persönlichen Theorien" erwähnten, die man sich in bezug auf bestimmte typische Situationen entwirft, oder auch hinsichtlich der personalen Gesamttheorie, die man hat und dispositional befolgt. Der Mensch reagiert nämlich immer nur auf eine schematisch schon gedeutete Situation; er antwortet, reagiert stets auf eine gedeutete, unter Umständen von symbolischen Kodierungen abhängige oder von konventionellen Zeichen, Zuordnungen bereits geprägte Situation. So haben auch die Soziologen festgestellt, daß die Situation immer als schon gedeutete für den Menschen einen Auslösereiz darstellt, der komplexe Reiz wirkt i.a. nicht unmittelbar: Nicht die Signale allein als ungedeutete bestimmten unsere Perception, unsere "Wahrnehmung der Situation" oder die entsprechende, daran anschließende Handlungsentschließung, sondern es handelt sich immer um gedeutete Situationen: Man spricht in der Soziologie von dem Thomas-Theorem: Der Soziologe W.I. Thomas, hat diese quasi-semantische Bedeutungshaftigkeit der Situationen für den Menschen herausgestellt. Die Schemata der Situationswahrnehmung sind also Deutungsschemata, die aktiviert werden müssen und erst als solche in die Handlungsorganisation hineinoder auf die Handlungsplanung weiterwirken. Man kann und wird natürlich auch hier in vielfacher Weise Schemata (Repräsentations-, Vorsatz- und allgemein Handlungs(entwurf)schemata) finden und analysieren. Das gilt gerade auch dann für die Probleme der Alltagserkenntnis, nämlich für die Ausgestaltung der Schemata der natürlichen Kategorien und Arten. Man erfaßt ζ. B. Gegenstandsbegriffe keineswegs so, wie es die Logiker der Tradition vermutet hatten. Diese glaubten, daß man erst einen Allgemeinbegriff konzipiere (ζ. B. "Lebewesen") und dazu Unterbegriffe ("Säugetier", "Mensch", "einen spezifischen Menschen") bilde. Herkömmlicherweise hat es man sich so vorgestellt, daß nach den hierachisch angeordneten Baumstrukturen des Porphyrius praktisch die Erkenntnis und Einordnung von natürlichen Arten vonstatten gehe. Es gibt freilich offenbar "natürliche" Bäume der Anordnung von Gegenstandsarten; diese spielen immer noch eine Rolle, z.B. in der Botanik;
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sind von Natur aus so vorgegeben22. Nach diesem Muster der Definition durch die übergeordnete Art, durch den übergeordneten Begriff, Allgemeinbegriff, Artoder Gattungsbegriff und durch die Hinzunahme der entsprechenden spezifischen Differenz wird die Unterart auszeichnet (ein Säugetier ist eben als ein Tier mit Herz und Lungen charakterisiert). Dieses Definitionsverfahren nach dem Muster biologischer Artenbildung ist also nicht die Prozedur, nach der man Alltagsbegriffe entwickelt und die Strukturierung von alltäglichen Kategorien der "natürlichen" - auch etwa der alltagsbiologischen! - Kategorien vornimmt. Das hat die Psychologie, insbesondere die interkulturelle, vergleichende Psychologie in den letzten Jahrzehnten zweifellos herausgefunden. Eleanor Rosch (1977) hat ζ. B. hierzu eine Theorie der Alltagskategorienbildung entwickelt, die den klassischen Vorstellungen der Logiker widersprach, aber vielfach bestätigt ist und empirisch gezeigt hat, daß das alltägliche Kategorisierungen in der Tat so vonstatten geht: Man geht beispielsweise bei der Erfassung von Gegenständen in bestimmten alltäglich Artbegriffen so vor, daß man sich bestimmte mittlere, allgemeinverständliche, besonders vertraute, herausstehende und kennzeichnende oder merkmalscharakteristische Prototypen auswählt, die dann den paradigmatischen Fall, den Prototyp, für eine natürliche Kategorie darstellen: Wenn man den Ausdruck 'Vogel' hört, wird man sich kaum einen Strauß als entscheidenden paradigmatischen Fall vorstellen, sondern eher einen Sperling oder eine Taube. Man nimmt nun jeweils Rasterungen nach Prototypen vor, oder wie Rosch sagt, nach besonders charakteristischen "basic level objects", nach Gegenständen auf der Basisebene. Diese werden nach besten Prototypen, solchen, die am einfachsten darzustellen oder zu erkennen sind, ausgewählt, stilisiert - natürlich je nach der Umwelt, in der man aufwächst: Es gibt ja die bekannten Ansichten, daß die Eskimos angeblich bis zu über zwanzig verschiedene Sorten von Schnee unterscheiden, die für sie also feiner zu differenzieren 23 sind als bei uns möglich. Oder man denke die Savannenvölker, die sehr viele Typen von Gräsern und von Graserscheinungen unterscheiden, wozu wir im Alltag einfach nicht in der Lage sind. Umgekehrt gibt es entsprechende Differenzierungen, die diese Völker nicht vornehmen (können); ein besonders klassischer und gut (von Rosch u. a.) untersuchter Fall ist das Farbensehen bei den Dani in Westirian. Diese haben nämlich in ihrer Sprache und zu ihrer bewußten, sprachlich zu repräsentierenden Unterscheidungsmöglichkeit nur zwei verschiedene Farbworte zur Verfügung: sozusagen "hell" und "dunkel" bzw. "farblos" und "farbig". Die Dani können aber dennoch, obwohl sie in recht "farbigen" Urwaldgebieten leben, sehr gut mit diesen Unterscheidungen zurechtkommen; sie sind auch in der Lage, wie psychologische Wahmeh-
22 Die Evolutionstheorie hat das zwar alles relativiert, aber immer noch keine wirkliche Erklärung geliefert, wie sich eine Art zu einer anderen entwickelte. Hier scheinen immer noch irgendwelche Sprünge oder plötzliche Neuanfänge postuliert werden zu müssen, die sich weitgehend (noch) der Erklärbarkeit entziehen. 23 Inzwischen wurde die oft kolportierte Meinung allerdings als unfreiwilliges Artefakt von Linguisten entlarvt (vgl. Pullum 1989, 275-281).
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mungsexperimente ergeben haben, Nuancen von verschiedenen Farben im Verhaltenstest fast ebensogut zu diskriminieren wie die viel besser an experimentelle Tests gewöhnten Amerikaner. (Das gilt, wenn man einen bestimmten Korrekturfaktor für die Testgewöhnung einfuhrt.) Die Dani haben zwar eine sehr reduzierte Sprache, was die Beschreibung der Farbwahrnehmungen angeht, aber sie können dennoch "natürlich" (im doppelten Sinne!) Nuancen unterscheiden - fast genauso gut wie etwa der Sprecher einer westlichen Sprache, der schon von der Sprachform her viel mehr Unterscheidungsmöglichkeiten hat. Mit anderen Worten: offensichtlich gibt auch die Stilisierung der sprachlichen Schemata nicht die Nuancierungsfeinheiten der wirklichen Feinheiten der Wahmehmungsdifferenzierung und -diskrimination wieder. Die Sprache ist eben ein recht vergröberndes, verzerrendes und auch zu Fehlem oder Artefaktbildungen verführendes Instrument; das hat man gerade in der sprachanalytischen Philosophie häufig immer wieder festgestellt. Die Sprache ist geeignet, uns gleichsam etwas "einzureden" oder manchmal eben auch bestimmte Wahrnehmungen oder Handlungsstrukturierungen zu verzerren. Es könnte sogar sein, daß die erwähnte traditionelle Auffassung der Definition durch AllgemeinbegrifTe mit den spezifischen Differenzen, der porphyrischen Bäume und der gesamten Satz"logik", derzufolge man Prädikate bestimmten Subjektbegriffen zuordnet und diese unter jene subsumiert, nichts anderes ist als ein Ausfluß unserer indoeuropäischen Standardsprachen, wie manche vermutet haben (z.B. Mauthner, aber letztlich in gewissem Sinne schon Lichtenberg). Das ist ein tiefes Problem der Sprachphilosophie, auf das hier nicht näher einzugehen ist. Jedenfalls geht offensichtlich unsere traditionelle, an Sprache und den Abstraktionen der Begriffe orientierte Erkenntnis- und Kognitionspsychologie gelegentlich in die Irre. Viel sinnvoller scheint es zu sein, nach einer solchen empirisch gestützten Prototypentheorie, wie Rosch sie entwickelte, vorzugehen und die Theorie des alltäglichen Wahmehmungserkennens darauf zu stützen. Man findet eben in einer bestimmten Umwelt bestimmte Arten, die eine "phänomenale" Streubreite aufweisen; und wenn man kennzeichnende Paradigmen, prototypische Fälle herausnimmt, dann kann man die abweichenden Fälle danach einschätzten, wie weit sie von dem Prototyp abweichen. Man lernt sozusagen anhand von paradigmatischen Mustern und entsprechenden Abweichungen: Da lernt man eben, daß der Strauß doch ein "Vogel" ist, obwohl er eben nicht fliegen kann und auch nicht die normale Größenabmessung eines Vogels hat, also dem Prototyp des Vogels nicht so recht entspricht; aber in gewissem Sinne ist er durchaus dem prototypischen Muster des Vogels näher verwandt als etwa ein Pferd. Entsprechend wird man dann vielfach auch andersartige, abstrakte Paradigmen und Prototypen - etwa von Ereignissen, Prozessen, Artefakten usw. - entwickeln; und auch diese Prototypen stehen jeweils in einem bestimmten ebenfalls "typischen" hierarchischen Zusammenhang. Jedenfalls scheint offensichtlich die Bildung der Begriffspyramiden nicht so säuberlich logisch und disjunkt vonstatten zu gehen, wie man in der Tradition meinte, sondern sich eher nach den Ähnlichkeiten zu besten oder paradigmati-
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sehen Prototypen oder charakteristischen "Exemplaren" zu ordnen. Dabei ist interessanterweise auch die Möglichkeit gegeben, die heute besonders aktuell wird, nämlich, Übergangsstrukturen festzustellen, Mischfalle zu erfassen und die Logik der unscharfen Mengen (fuzzy sets) auf solche Prototypentheorien anzuwenden. Alles das ist natürlich nicht nur hinsichtlich der Erfassung von Wahmehmungsarten, Wahmehmungsunterschieden und -begriffen möglich, sondern auch in bezug auf Handlungsstrukturierungen und in bezug auf das Planen, auf das Entscheidungsdiskriminieren, auf Strategien des eigenen Verhaltens usw. Alle diese Verhaltensstrukturierungen sind letztlich natürlich auch wiederum an die Bildung und Instantiierung von Schemata gebunden; denn solche Prototypen oder paradigmatischen Musterexemplare sind nichts anderes als das, was wir in der kognitiven Psychologie als Schematypen und -instantiierungen angesehen haben. Sie sind spezifische, "typische" Schemata eben dieser Prototypen und paradigmatischen Fälle, sind also Strukturierungen, die (Types und Tokens der) Signale darstellen, welche aufgenommen, in bestimmter Weise wahrgenommen und verarbeitet werden. Sie aktivieren aber andererseits so etwas wie ein strukturelles Netz und können somit wiederum eine netzartige Verknüpfung von bestimmten Verhaltensdispositionen darstellen - oder diese zur Folge haben. Man kann also davon ausgehen, daß Schemazuordnungen methodologisch gesehen wie dispositionelle Zuschreibungen und Begriffe sind, die selbst eine Art von (theoretischem) Konstruktcharakter haben (wenn auch nur im weiteren Sinne) und einen Prozeßcharakter aufweisen, insofern als sie an Prozesse der Aktivierung gebunden sind. Konventionelle Schemata sind ihrerseits selber auch gleichsam hypothetische Konstrukte, die durch Dispositionsbegriffe höherer Stufe beschrieben und erkenntnistheoretisch analysiert werden können: Man kann wie angedeutet die Schemata selbst wieder zum Gegenstand der Untersuchung machen und hätte dazu dann Metakonstrukte, Metaschemata zu verwenden. Der Mensch hat die Fähigkeit zur Metarepräsentation (Pemer 1993) und Metainterpretation (Verf. 1995b). Solche erkenntnistheoretischen Interpretationen sind durchaus möglich und interessant, und auch sie weisen ebenso wie auf der Basisebene die Charakteristik auf, daß sie ihrerseits hypothetische Entwürfe sind, Konstrukte, die in gewissem Sinne in der Tat die Kantische Idee realisieren, daß man abstrakten Begriffen so etwas wie Modellprozeduren, Regelbeherrschung, Verbildlichungen, Vergegenständlichungen, Prozesse zuordnet, diese dann gleichsam testet und auf Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit überprüft (vgl. a. Gillet 1992). Wir haben also eine Fähigkeit, generell schemageleitete kognitive und handlungsstrukturiende Schemaaktivitäten zu entwickeln: Das Interpretieren ist das Aktivieren von kognitiven bzw. handlungsprägenden Konstrukten oder Mustern, eben den Schemata. Man kann somit zu Recht von schematisierenden und sogar schematisierend-interpretatorischen Aktivitäten sprechen, wie im folgenden erläutert wird.
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Im folgenden möchte ich einen Ansatz zu einer methodologischen Theorie der schematisierend-interpretatorischen Aktivitäten, d. h. der Schemainterpretationen generell, skizzieren. Zunächst können wir sagen, daß, wenn wir den Begriff "Interpretation" recht weit nehmen, Interpretationsprozesse in der Tat davon abhängig sind, daß wir gewisse Schemata, Musterbildungen verwenden, instantiieren, gleichsam eine Art von "rastemdem" kognitiven Netz über unsere "Gedankenwelt", aber natürlich auch über unsere "Wahrnehmungswelt", über die Welt, wie sie sich uns in unseren Wahrnehmungen darstellt, werfen. Dazu müssen solche "Rasterungsinstrumente" erst etabliert werden oder bereits vorhanden und verfügbar sein. Wir können also sagen: Interpretieren ist einerseits das Ausbilden und Etablieren sowie Stabilisieren, andererseits insbesondere das Aktivieren bzw. Reaktivieren von kognitiven Konstrukten, Schemata oder Mustern. Dieser Aktivierungsprozeß kann in grober Näherung i. w. S. die "Anwendung" eines Schemas oder eines Schematismus (im Sinne von Kant) genannt werden, obwohl auch unterbewußte Schematisierungen vorkommen. Es handelt sich im einzelnen um die Instantiierung eines solchen Musters oder Schemas oder gar eines entsprechenden Musterbildungs- oder anwendungsprozesses, also eines Schematismus, und die aktivierte Konkretisierung, Anwendung auf einen speziellen Fall. Man bildet sich sozusagen eine Art von token24-artiger singulärer, einzigartiger, Repräsentation. Dieses Wort ist ein Ausdruck, der neuerdings in der Erkenntnistheorie, in der Psychologie, in der Informationswissenschaft, in der Kognitionswissenschaft viel benutzt wird. Dieser Begriff ist zu erläutern und genauer zu fassen. Die Schemabildung, Musterbildung und -erfassung ist also eine Weise der strukturierenden Repräsentation, mittels deren (bzw. mittels deren Formen, "types") wir uns Strukturen, Muster, Außenweltsignale usw. oder auch gedankliche Anordnungen, die wir aus uns selber aufrufen, ordnen oder ordnen können. Es sind in gewissem Sinne innere Modelle oder, wie man auch gelegentlich sagt, insbesondere der englische Psychologe Johnson-Laird (1983) ich auch noch eingehen werde: mentale Modelle. Eine Aktivierung oder Instantiierung eines Schemas kann als bewußte Durchführung, Überlagerung, Anwendung oder Projektion, als "Zuschneidung" oder Anpassung an vorgefundene, aber ihrerseits selbst als strukturiert angenommene Situationsmerkmale, also an "Daten", an Umweltreizmuster, Mosaiken aufgefaßt werden - ein Anpassen jedenfalls an etwas, was in sich eine Art von Differenzierungsstruktur tragen muß (oder wenigstens als eine solche Differenzierungsstruktur tragend aufgefaßt werden kann). Es ist also gleichsam das Überwerfen eines hypothetischen Netzes über phänomenal Vorgegebenes - und sei es nur scheinbar Vorgegebenes - oder über bereits Vorstrukturiertes. Diese beiden Aufgaben hat die Schemaanwendung zu umfassen. Dies funktioniert ja beim üblichen Wahrnehmen relativ unbewußt. Wir wir sehen unmittelbar Strukturen in der Außenwelt, Dinge, Ordnungen. Wir 24 Entsprechend sind Types von Repräsentation(sform)en von den einzelnen TokenInstantiiemngen zu unterscheiden. Die Token-Typ-Unterscheidung kann aus der Linguistik auf die kognitionswissenschaftliche Diskussion fruchtbar übertragen werden.
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überlegen nicht erst einmal, um bestimmte Gegenstandsunterschiede zu erfassen oder zu konstituieren, sondern wir "sehen" diese Unterschiede sofort, wir sind daran gewöhnt, wir kennen das typischerweise Wahrzunehmende. Nur in ungewöhnlichen Fällen, ζ. B. wenn man etwas nicht genau identifizieren kann oder wenn man sich in einer ungewöhnlichen Umgebungssituation befindet, muß man bewußt das "Sehen" im Sinne eines Entscheidens zwischen verschiedenen Deutungsmöglichkeit "durchführen". Denken Sie beispielsweise, Sie wandern auf einem Gletscher. Hier befinden sie sich ja ohnehin in einer relativ undifferenzierten Welt, was die Reizsignale angeht. Sie sehen etwa im Nebel gewisse schwarze Figuren, die Sie entweder sehr leicht als Menschen oder als schwarze schmale auf sie gerichtete Spalten zu identifizieren geneigt sind. Oder entsprechend, wenn es sich um blockartige Steine handelt, sehen Sie vorzugsweise die gesuchte Hütte. Mit anderen Worten: die Orientierung wird (erst) dann problematisch, wenn wir unklare Fälle haben oder uns in ungewohnten Situationen befinden. Normal funktioniert das Sehen recht fehlerfrei, zumal im Rahmen des in unserer Welt durchaus Gewohnten. Die Schemata können auch vorbewußt, unterbewußt, unbewußt zur Strukturierung von wahrgenommenen Situationen und Gegenständen, aber auch von höherstufigen kognitiven sowie handlungsrelevanten Aspekten, Perspektiven aktiviert werden. Hier würde man also nicht von bewußter "Anwendung" (i. e. S.) sprechen wollen, sondern sozusagen von einer halb- oder vorbewußten Aktivierung und Strukturierung. Wahrnehmungsstrukturierung und Handlungsstrukturierung gehen in der Tat normalerweise weitgehend automatisch oder quasiautomatisch, geradezu vorbewußt, unterbewußt oder halbbewußt vonstatten. Viele Strukturierungsfähigkeiten zur kognitiven oder handlungsorientierten Ordnung sind durch unsere Wahrnehmungs- und Erkenntnisapparaturen beschränkt und bedingt sind zum Teil auch schon, wenigstens in groben Zügen, genetisch angelegt. Zum Teil sind sie aber auch erst in einer in Wechselwirkung mit der Umwelt während einer kritischen frtthkindlichen Entwicklungsphase auf der genetisch nur recht unspezifisch angelegten Leitbasis durch wiederholte tatsächliche Verknüpfungsaktivierung selektiv stabilisiert worden. Es gibt die berühmte These von Donald Hebb (1949). Dieser Psychologe und Physiologe meinte, daß benachbarte prä- und postsynaptische Nervenzellenkonstellationen eine Verknüpfung, also eine Signalübertragung, über die entsprechenden Membranen und den Spalt (Synapse) zu bahnen und festigen, wenn der Doppelreiz wiederholt wird und eine Art von verstärkender Stabilisierung durch Wiederholung in der prä-post-synaptischen Nachbarschaft stattfindet. Räumlich und zeitlich zugleich oder in enger Nachbarschaft aktivierte benachbarte präsynaptische und postsynaptische Konstellationen bei den Neuronen begründen eine Verstärkung der Verknüpfung, eine relative Fixierung, eine Stabilisierung, eine Verfestigung der "Bahnung". Entsprechend würden Inaktivierungen dann eben zur Verkümmerung führen und Abkoppelungen oder eine entsprechende Unterbrechung zur Folge haben. So läßt sich also eine selektive Ausbildung von Übertragungsroutinen und das simultane Feuern
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bestimmter benachbarter Neuronen bzw. etwa beim Auswerfen oder "Andocken", Rezipieren von entsprechenden Botenstoffen ("Transmittern") über den synaptischen Spalt zwischen den Neuronen hinweg verstehen. Die Übertragung von Reizen ist ja teils elektrophysiologisch, teils hormonal oder teils durch derartige Transmitterstoffe gesteuert; darauf werde ich im Zusammenhang mit der neueren Theorie der Hirnaktivitäten und der neurologischen Modelle nochmals eingehen. Die Stabilisierung von Schemata in diesem Sinne kann also in gewisser Weise als eine Art von netzwerkartigem Einschwingprozeß verstanden werden, der einer spezifischen Rhythmik von Neuronengebilden oder -ensembles aufgeprägt wird, auf einer Grundfrequenz, mit der diese Neuronen schwingen oder feuern. Aufgeprägt wird dieses kohärente Oszillieren durch die prä-post-synaptische Doppelaktivierung, bedingt auch durch die Kontiguität, also die Nachbarschaft, von Reizung der der Synapse vorgeschalteten Seite und eben der postsynaptischen Membran. Das führten zum Beispiel Eckhorn und Mitarbeiter (1988), Wolf Singer (1990) und Mitarbeiter, aber auch Gray u. a. und Crick-Koch, diesen Einschwingprozeß als das Entscheidende für die Bildung von Neuronenkoalitionen, Neuronassemblies, und damit auch etwa für die visuelle oder entsprechende andere Mustererkennung zu interpretieren (vgl. ζ. B. Hardcastle 1994). Die Muster werden sozusagen auf bestimmten Oszillationen, welchen die Neuronen unterliegen, aufgeprägt durch eine Art von ständiger Wiederholung und durch eine Art von Rhythmisierung auf dieser natürlichen Schwingrate; diese wird also verstärkt zu einer charakteristischen kohärenten Muster- oder Oszillationsbildung. Man darf ζ. B. sagen, daß etwa, und das ist auch empirisch nachgewiesen worden, daß die visuelle Mustererkennung schwacher Ordnungsstrukturen als eine allmähliche Verstärkung und eine positiv rückgekoppelte, sich selbst verstärkende Oszillation verstanden werden kann, als ein solcher Einschwingprozeß. Dieser Einschwingprozeß kann natürlich quasi automatisch verlaufen, Merkmale in der Umgebung gegenüber einem Hintergrund oder der Nachbarschaft verstärkend hervorheben, also profilierend wirken, Muster und Strukturen herausstellen, sozusagen Kontraste möglich machen. Singer (1990) versucht das auch durch ein Beispiel zu erklären - etwa jenes, daß man im Rahmen eines größeren Feldes von Lichtquellen, die dauernd flackern, eine Dreiecksanordnung von bestimmten der flackernden Lämpchen, die in der sonst eher herrschenden Unordnung im Takt schwingen, erkennen kann. Man kann dieses kohärent flackernde Dreieck recht schnell identifizieren, als Muster herausheben, obwohl alles dauernd flukturiert und oszilliert. Ein derartiger Einschwingprozeß kann auf diese Weise plausibel gemacht und verständlich nachvollzogen werden. Solche Einschwingprozesse sind also in gewissem Sinne die neuro- oder gehirnphysiologischen Fundamente dieser zu Schematisierungen führenden Vorgänge neuronaler Anpassung oder dieser Neuronenensemblebildung und der entsprechenden Strukturvariation. Schemabildung und Schema-
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änderung wird plausibel auf diese kohärenten Oszillationen und deren koalitionäre Aktivierungsänderungen zurückgeführt. 25 Man kann hier in gewissem Sinne von einer schematisierenden Aktivität sprechen, einer Aktivität zunächst natürlich der Neuronen und des Organismus in einem weiteren Sinne bzw. des gesamten neuronalen Systems, dann aber auch der Schemabildung und ggfs. -änderung. Das Bewußtsein greift dabei noch nicht steuernd und verstärkend ein; das Bewußtsein ist ja ein viel höheres Gebilde, das sich erst eine Art von höherer Systemeigenschaft ausbildet. Auch bei diesen zunächst auf elementarer neuronaler Basis stattfindenden ordnungsbildenden Prozessen soll jedoch von schematisierendinterpretatorischen Aktivitäten i. w. S. gesprochen werden: Dabei ist das Wort 'interpretatorisch' hier noch in einem sehr weiten Sinne gemeint. "Schematisierend" meint, daß solche Einschwingprozesse eben verstanden werden können als die Realisierung einer Strukturmusteraktivierung, als die entsprechende Aktivierung und Stabilisierung. Die Aktivierung solcher Schemata geschieht natürlich in Auseinandersetzung, in Wechselwirkung mit der Umwelt, in einer Reizsituation, durch Veranlassung von bestimmten Signaldifferenzen oder -unterschieden, die aus der Umwelt reizerzeugend wirken, entweder in Gestalt von Sequenzdifferenzen oder Energieunterschieden, die beispielsweise beim visuellen System, also im Auge, dazu Anlaß geben, daß entsprechend durch die kohärenten Oszillationen die internen Aktivierungen und Stabilisierungen verstärkt werden, sich kontrastprofilierend "herausstilisieren". Die Psychologen und Physiologen sprechen schon seit langem von Phänomen der Kontrastverstärkung, der Kontrastprofilierung: Wenn bestimmte Rezeptoren, etwa im Auge, feuern, sind entsprechende Nachbarrezeptoren, die etwa andere Signale aufnehmen würden, blockiert; man spricht von einer wechselseitigen Behinderung: von lateraler Inhibition, die die Funktion hat, daß Kontraste verstärkt werden, und daß die Bilder, die wir uns konstruieren, modellmäßig zurechtgestutzt werden und so deutlicher herauskommen. Die Wahrnehmungserkenntnis ist in der Tat eine kontrastprofilierende Zurechtstutzung von ursprünglich eher chaotisch wirkenden Signalmannigfaltigkeiten. Das alles ist beim visuellen System gut bestätigt worden, insbesondere an Versuchen mit Katzen und Affen, besonders Makaken. Hubel (1989) und Wiesel haben an diesen Tierarten empirisch verfolgt, wie die Bearbeitung und strukturkontrastierende bzw. -bildende Weiterleitung von Nervenreizen von der Retina bis zu dem primären Sehzentrum im Hinterkopf und dann bis zu den höheren Zentren (man unterscheidet ja mittlerweile mindestens 17 verschiedene Sehzentren) vonstatten geht. Bis zu den ersten zwei, drei Sehzentren ist die (Weiter-)Verarbeitung der visuellen Signale relativ gut untersucht; darüber hinaus beruhen die Auffassungen natürlich weitgehend auf Spekulation und hypothetischer Konstruktion. Jedenfalls ist deutlich, daß eine spezifische Kanalorientierung vorherrscht: Eine 25 Diese "Zurückftihrung" ist nicht als theoretische Deduktion oder vollständig erklärende Reduktion zu verstehen, sondern eher als Plausibilitätsbetrachtung, als "Wie-ist-möglich?"Erklärung.
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Einwirkung, die auf das Sehsystem ausgeübt wird, wird als Sehreiz interpretiert, selbst wenn er nicht ursprünglich ein Sehreiz ist: Wenn man ζ. B. jemandem mit der Faust aufs Auge schlägt, sieht er bekanntlich Sterne: d. h., der mechanische Reiz wird in einen Sehreiz umgewandelt bzw. als solcher "gedeutet" (ζ. T. wenigstens, es gibt ja auch andere Nerven am Auge). Die Verarbeitung und die Weiterleitung ist also kanalspezifisch; das ist für alle Sinnesbahnen charakteristisch. Die weitere Verarbeitung geht nun so vonstatten, daß allmählich höhere, integrative Zentren der Gestaltbildung, Vereinheitlichung und der Überbrückung oder Zusammenschaltung verschiedener Sinnesmodalitäten erreicht werden. Dies gilt auch für die Zusammenschaltung der Signale aus den beiden Hirnhälften, etwa für die Zueinanderordnung der Reize aus beiden Augen und der zunächst getrennten Repräsentationen in der rechten und linken Gehirnhälfte usw.. Jedenfalls handelt es sich auch hier eine zurechtstutzende, strukturierende integrative Aktivität, die stattfindet, damit überhaupt etwa ein visuelles Bild entsteht. Ähnlich ist es bei den anderen Sinnen, beim Hören, beim Fühlen, beim Tasten, ja, auch beim Denken generell: Die Ausbildung von entsprechenden integrativen Mustern kann unter dem Gesichtspunkt der schematisierenden Aktivität verstanden werden und insbesondere als Aktivierung von Neuronenensembles bzw. entsprechenden Weiterleitungen in Neuronen aufgefaßt werden. Die Schemabildung selber ist dann sozusagen eine erste Aktivierung und Stabilisierung, die etwa nach der erwähnten Hypothese von Hebb stattfindet; (nur) wiederholte Aktivierung erzeugt eine Stabilisierung; das hat man auch dann später empirisch nachweisen können. Es geschieht also bei der Ausbildung von Schematisierungsprozessen eine selektive Aktivierung und eine dynamische Stabilisierung; das Zustandekommen, die Ausbildung von Schemata ist also dem wiederholten Aktivieren gleichzusetzen bzw. wenigstens neurophysiologisch zu parallelisieren. Das Konstituieren und Aktivieren von Schemata sind dabei also im Grunde von gleichem Charakter, sind gleichartige Prozesse. Das ist m. E. eine erkenntnistheoretisch wichtige Einsicht. Das Konstituieren ist sozusagen das erste Aktivieren, das später dann beim wiederholten Aktivieren einfach gleichsam wieder aufgerufen wird und mit der Anzahl der Wiederaktivierungen zur (relativen) Stabilisierung führt. Man kann sich das als einen Einschwingprozeß vorstellen. Etablierung und Stabilisierung von Schemata bilden sich also auf bzw. in dem gleichen Trägerprozeß aus, realisieren oder instantiieren sich dynamisch-funktionell auf dem gleichen Substrat, nämlich den Neuronenensembles und den gleichen Grundprozessen der elektrophysiologischen Weiterleitung oder der entsprechenden biochemischen Neurotransmitterübertragung zwischen den verschiedenen Neuronen, also an der Synapse. So entspricht das Konstituieren einem wiederholten und selektiv stabilisierten ausgezeichneten Aktivieren; das Ausbilden und das reale Konkretisieren bzw. Realisieren (Instantiieren) von Schemata ist anscheinend (an) das Aktivieren der
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entsprechenden Neuronenensembles (gebunden)26. Konstituieren ist in diesem Sinne (an) ein stabilisierendes oder stabilisiertes Aktivieren mit fortschreitender Rückkoppelungssicherung (gebunden) 3 . Prozesse dieser Art von Fixierung und Stabilisierung in einem dynamischen Sinne verbürgen dann die relative Dauerhaftigkeit einer solchen Verbindung. Die Konstitution oder Bildung der Schemata selbst ist in diesem Sinne eine dynamisch formenbildende, prozessuale Konstellation oder ein Prozeß, eine "Aktivität" im weiteren Sinne des Wortes. Deshalb erscheint es berechtigt, das Konstituieren von Schemata wie auch das Ergebnis der Aktivierung als schematisierende Aktivitäten oder als Aktivierungen oder Aktivierungsprozesse bzw. als deren Ergebnisse zu bezeichnen. Auf dieser Abstraktionsstufe ist natürlich klar, daß der Ausdruck "Aktivitäten" hier in sehr weitem Sinne verstanden ist; er umfaßt selektiv wirkende (und lediglich insofern strukturierende) Aktivitäten oder Aktivierungen, noch keineswegs etwa notwendig bewußte Auswahlaktivität im engeren Sinne der traditionellen Anwendung von handlungs- oder absichtsgeleiteten Entscheidungen, das ist erst ein späterer Spezialfall. Das Produkt solcher schematisierenden Aktivitäten auf der Neuronenensemble nächsten Stufe ist zunächst als dieses Ergebnis eines Einschwingprozesses des selektiven Aktivierungs- und Stabilisierungsvorganges aufzufassen. Schemata sind also in diesem Sinne Ergebnisse einer selektiven Neuronenaktivierung. Das Konstituieren, Aktivieren, Ausbilden, Stabilisieren, Entwickeln oder gar das Strukturdifferenzieren von Schemata ist in diesem Sinne das Bilden und Verfestigen von gewissen Produkten eines solchen Aktivierungs- und Einschwingprozesses, also eines Konstitutionsprozesses. Ein Schema, ein Muster wird in diesem Sinne konstituiert, Schemata sind also wenn man so sagen kann - kontrastprofilierende und strukturgebende oder bildende, netzwerkartige prozessuale Verfestigungen bzw. immer wieder selektiv aktivierte, durch solche charakteristischen Schwingvorgänge oder Oszillationen realisierte, wiederausgelöste und somit durch Wiederholung stabilisierte Aktivierungskonstellationen von Neuronenensembles bzw. die auf der nächsten Abstraktionsstufe zu repräsentierenden Strukturen dieser führen. Das ist natürlich ein recht abstrakter Satz. Deswegen möchte ich noch ein einfaches Beispiel dazu erwähnen: Man hat in der Wahrnehmungsphysiologie solche Prozesse der dynamischen Stabilisierung, zumal der Gewöhnung, der Sensibilisierung, des assoziativen Lernens bei niederen Organismen experimentell verfolgen können - insbesondere bei Organismen, die über besonders große Neuronen verfügten, ζ. B. bei bestimmten Arten von Meeresschnecken. So ist es ζ. B. etwa Eric Kandel gelungen, beim kalifornischen Seehasen (Aplysia californica, kalifornische Meeresschnecke) direkt durch Experimente physiologisch nachzuweisen, daß diese Art von Einschwingprozeß oder Stabilisierung von Reaktionsweisen in einer Reizsituation eintritt. Dieser kalifornische Seehase hat einen Rückziehreflex für die Kiemen: Wenn man an die Kiemen stößt, zucken diese und die Maulöffnung zurück. Setzt man diesen 26 Mit Klammem die schwächere, eher gesicherte These - ohne Klammem die stärkere, naturalistische Behauptung.
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Reiz nun häufig genug, tritt eine Gewöhnung ein; dann wird dieser Rückziehreflex nur in einem geringeren Maße aktiviert. Es ist eine Gewöhnung in dem Sinne, daß der Reiz zwar eintritt, aber nicht mehr (so stark) beantwortet wird, weil der Reiz sozusagen als ungefährlich empfunden wird. Die Gewöhnung ist nun auch experimentell erzeugt und neurophysiologisch analysiert worden; insbesondere verfolgte man die entsprechenden Impulse und die Aktionspotentiale bei der neuronalen Weiterleitung und bei der Übertragung zwischen verschiedenen Neuronen an der Synapse in Gestalt etwa der Reduktion des entsprechenden Kalziumstroms in die postsynaptische Zelle. Hier spielt natürlich eine ganze Menge von Neurotransmitterstoffen, von Proteinen, und von Rezeptoimolekülen eine Rolle (das ist hier im einzelnen nicht zu diskutieren, vgl. Kandel 1987). Man kann ferner feststellen, daß die gegensätzliche Sensibilisierung, also die Verstärkung einer Reaktion auf einen gesetzten Reiz, durch die entsprechende gegenteilige Veränderung des Kalziumstroms, eines erhöhten Einströmens der Kalziumionen in die entsprechende synaptische Spalte repräsentiert werden. Bei der Gewöhnung ist eine Reduktion des Kalziumeinströmens festzustellen und bei der Sensibilisierung eine Erhöhung. (Natürlich spielen entsprechend auch andere Neurotransmitter und Rezeptorstoffe bzw. Proteine mit.) Auf diese Weise kann man ein physiologisches Modell einer Art von Gedächtnisfixierung für bestimmte Reize oder Reaktionsweisen in bezug auf physiologisch relevante Reize experimentell nachweisen und modellhaft nachvollziehen. Daß es sich nur um eine relative Anpassung handelt, die nach einer gewissen Zeit wieder zurückgeht, ist verständlich; das gilt sowohl für die Gewöhnung als auch für die Sensibilisierung. Wenn also längere Zeit kein Reiz mehr erfolgt, wird die Gewöhnung sich wieder aufheben; Entsprechendes gilt umgekehrt bei der Sensibilisierung. Daniel Alkon (1990) und Terry Crow haben ein paralleles, etwas komplizierteres Modell bei einer anderen Meeresnacktschnecke (Hermissenda crassicornis) entwickelt, das nicht nur auf bloße Gewöhnung und Sensibilisierung hinausläuft, sondern auch auf ein assoziatives Lernen, auf einen konditionierten ReizReaktions-Zusammenhang im Sinne der klassischen Konditionierung nach Pawlow hinausläuft. Diesen bedingten Reflex, die klassische Konditionierung, konnte man bei der Nacktschnecke recht gut nachweisen, indem man bei dieser Schnecke (die zum Licht strebt und bei ruhigem Wasser an die Meeresoberfläche steigt und diesen unbedingten Reaktionsvorgang der Phototaxie ausnutzt) Turbulenzen als bedingte Reize setzt, welche die Schnecke meidet, weil sie Verletzungen implizieren. Sie krallt sich dann am Boden fest, meidet das Licht oder strebt nur langsamer zum Licht. In einer experimentellen Anordnung hat man nun die Beziehung zwischen diesem Lichtreiz und der Turbulenz konditionieren können: Man hat nachweisen können, daß das Zeigen von 30 sec. Licht eben schon ohne Turbulenzen die entsprechende Ausweichreaktion oder diese geringere Phototaxie auslöst. Man hat auch entsprechend die physiologischen Prozesse in und zwischen den Neuronen verfolgen und ein Modell angeben können, wie dieses assoziative Lernen, das auch nur relativ für eine Zeit
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stabilisiert wird, sich etwa in der verstärkten Aktivierung von Ionenströmen bzw. der Hemmung usw. ausdrückt. Es gibt somit ein sehr einfaches physiologisches Unterbaumodell dieser Schemabildungen, wie sie beim assoziativen Lernen stattfinden. Man muß natürlich annehmen, daß das höhere Lernen, das über die assoziative Konditionierung oder klassische Konditionierung hinausgeht, entsprechenden dynamischen Strukturierungen und relativen Stabilisierungen unterworfen ist. Das sogenannte operante Lernen oder operante Konditionieren nach Skinner ist j a etwas ganz Ähnliches, nur daß es auf einem vorhandenen Suchverhalten des Organismus aufbaut und darin bestimmte, statistisch ohnehin stattfindende Verhaltensvarianten oder Aktivitäten im Rahmen des normalen Repertoires verstärkt - Belohnungen sind ja sozusagen das Hauptmoment beim "verstärkenden" - terminologisch eigentlich besser: bestärkenden - Lernens. Auch dieses operante Lernen konnte nach diesem Mustervergehen Alkons verfolgt werden. Man hat ja festgestellt, daß schon nach geringen Anzahlen von Versuchen die Bestärkung der Reaktion eintritt und daß umgekehrt die Auslöschung einer bereits verstärkten relativ langsam vonstatten geht. Der Organismus ist also in der Lage, sehr schnell und effektiv eine (sei es klassische, sei es operante) Konditionierung zu stabilisieren und "erwartet" dann sozusagen, daß die entsprechende Reaktion auf einen Reiz auch dann irgendwann wieder eintreten müßte, wenn dieser Reiz nicht mehr gesetzt wird, etwa wenn er nur intermittierend gesetzt wird, also ζ. B. recht selten. Es dauert eine lange Zeit, bis diese Assoziation wieder (aus)gelöscht wird. Man hat dieses assoziative Lernen experimentell erzeugt, stabilisiert und physiologisch in bezug auf diese Aktionspotentiale und auf die entsprechenden Ionenströme in den postsynaptischen Synapsen und hinsichtlich der entsprechenden Transmitterstoffe verfolgen können. Das alles spricht für die physiologische Fundierung dieser assoziativen Schemabildungen und -Stabilisierungen. Wenn man das Angedeutete auf die schematisierenden Stabilisierungen bei höheren Kognitionen erweitert und auf Begriffsiemen im abstrakteren Sinne bezieht, dann bleibt die neurophysiologische Unterfütterung natürlich dennoch höchst spekulativ. Es gibt nur Anhaltspunkte dafür, wie man einfachste Prozesse einer solchen Aktivierung und Stabilisierung von komplexen Verhaltensdispositionen und -reaktionen verstehen kann. Aber generell wird es wahrscheinlich im komplexeren Bereich nicht fundamental anders vonstatten gehen. Das ist freilich eine Mutmaßung, die aber sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Wenn wir wieder zu der allgemeinen methodologischen Theorie zurückkehren, so können wir sagen, daß wir nun über eine plausible prozessuale "Wie-istmöglich?"-Erklärung für die Stabilisierung von Schematisierungen verfugen: Ergebnisse von schematisierend-interpretatorischen Aktivitäten oder interpretatorisch-schematisierenden Prozessen lassen sich wenigstens grob hypothetisch durch derartige dynamische neurophysiologische Neuronenassembly-Stabilisierungen in Gestalt von kohärenten Oszillationen und Transmitterausschüttungen "unterfiittern". Wenn ein Schema stabilisiert und etabliert ist, so ist ein Neuronenensemble dynamisch "eingespielt" worden. Im
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allgemeinsten Sinne ruht ein Schemakonstrukt oder auch ein Strukturierungsmuster oder ein Interpretationskonstrukt im weitesten Sinne des Wortes dynamisch auf netzwerkartigen Neuronenverschaltungsstabilisierungen auf. Ich (1978, 1993) spreche bereits seit langem von Interpretationskonstrukten. Diese könnte man auf dieser Ebene als eine meist höherstufige Anwendung von solchen Schemata als variierten Verhaltensdispositionen, dynamischen Stabilisierungen dieser samt den neurophysiologischen Einschwingprozessen verstehen. Interpretationskonstrukte sind also auch Konstituierungen der Schemata, deren Ausbildung bzw. Instantiierungen man so wie das Zustandekommen der schematisierend-interpretatorischen Aktivitäten auffassen kann. Hierbei ist die Bildung eines Schemas als eine Art von konstruktivem Prozeß, als Modellbildung verstanden. Das involviert natürlich eine etwas erweiterte Bedeutung des Ausdrucks 'Konstruktion', es handelt sich hier natürlich noch nicht um bewußt auswählende, entscheidende oder planmäßige Konstruktionen oder um die entsprechenden Tätigkeiten des Konstruierens, wie sie beispielsweise der Geometer oder der Architekt betreibt. Doch daß konstruktive Prozesse in gewissem Sinne untergründig immer eine Rolle spielen, hat ja ζ. B. schon Kant versucht deutlich zu machen, selbst wenn man diese nicht als bewußte Konstruktionen 27 ansieht; er sprach ζ. B., wie erwähnt, von einer "Konstruktion in der Anschauung" u. ä.. Die erwähnte Gleichartigkeit der Konstitutionsprozesse solcher Schematisierungen und der Aktivierungen erlaubt es, diese dann auch unter das erweiterte Gesamtkonzept zu stellen. Das Vergleichen, Kontrastieren, Unterscheiden, Vorstellen, Erkennen im weiteren Sinne, das Wahrnehmen von etwas, Wiedererkennen, das Identifizieren oder Wiederidentifizieren sind solche Prozesse der Anwendung von Schemata, von solchen schon stabilisierten, vermutlich aufgrund von Einschwingprozessen stabilisierten dynamischen Mustern, die wir oder die sich "eingespielt" haben, über die wir verfügen, die sozusagen "in uns vorhanden" sind, uns "in Fleisch und Blut" übergegangen sind. Sie sind aufgrund eines Konstitutionsprozesses, nämlich der Konstituierung von solchen Schemata bzw. von repräsentierenden Mustern und konfigurativen dynamischen Einschwingprozessen (auf netzwerk-neuronaler und höheren strukturell-kognitionaler Ebene) zustande gekommen. Sie beziehen sich auf Gegenstände in der Welt, auf Konfigurationen von Daten, Merkmalen, 27 Man muß natürlich bei der Verwendung der Worte vorsichtig sein. Vielleicht gibt es noch treffendere Worte, weil der Ausdruck 'konstruieren' oder 'Konstruktion' zu sehr eine bewußte planmäßige Aktivität eines bewußt Handelnden, eines Menschen, einer Person oder eben eines Bewußtseins insinuiert oder unterstellt. Insofern ist es eigentlich nicht empfehlenswert, hier schlicht von 'Konstruieren' zu sprechen, vielleicht sollte man besser von einem unterbewußten Prozeß der Auszeichnung - aber auch das ist etwas seltsames Wort -, oder des Selektierens sprechen: So ähnlich, wie auch etwa der Evolutionsprozeß in der Biologie ja etwas selektiert, ohne daß es sich um eine bewußte Ausscheidungsoperation in dem Sinne handelt, wie wir normalerweise den Ausdruck 'Auswählen' benutzen. In diesem erweiterten Sinne also kann man die Ausbildung und Anwendung von solchen Schemata als ein Bilden von Interpretationskonstrukten oder als ein Interpretieren im weitesten Sinne des Wortes, als ein Anwenden eben von solchen Musterbildungen verstehen.
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Konstellationen von Ereignissen und Prozessen usw.. Dabei muß man das cum grano salis verstehen: Genauer hat man sozusagen nicht Gegenstände konstituiert, sondern deren Entsprechung in einem "inneren" (mentalen) Modell, das einen solchen und sich in einen derartigen Schematisierungsprozeß darstellt. Insgesamt kann man wohl sagen, daß Gegenstandskonstitution oder Merkmalskonstitution im weitesten Sinne des Wortes in diesem Sinne Anwendungen von (mentalen und neuronal unterfiitterten) Musterbildungen, von Schemata sind. Eine jede schematisierende Aktivität - und zumal jegliche höherstufige interpretatorische Konstruktbildung - setzt die Bildung und die Reaktivierung der entsprechenden Schemata voraus. Insofern ist auch die Theorie der interpretatorisch-schematisierenden Aktivitäten auf einer abstrakteren Ebene so etwas wie Erweiterung der elementaren schematisierenden Aktivierungen. Sie ist nunmehr jedoch eine Theorie der Möglichkeit des Erfassens im weitesten Sinne des Wortes, ζ. B. auch des gedanklichen, des wahrnehmenden Erfassens von etwas als etwas. Wir erfassen etwas explizit nur mithilfe von Interpretationskonstrukten oder von mentalen Modellen (Johnson-Laird 1983) von aktivierten Schemata. Man kann unter dem schematisierenden Erfassen durch solche Konstrukte sowohl das bewußte Unterordnen von Objekten oder Phänomenen unter Muster und Ordnungen verstehen als auch das unbewußte oder halbbewußte Einordnen in bestimmte, schon aktivierte und stabilisierte Möglichkeiten der Mustererfassung von Gegenständen, Prozessen, Daten usw. Dabei gibt es natürlich Unterschiede und verschiedene Übergänge auch zwischen der Bildung von bloßen Konstituten, die u. U. unterbewußt oder halbbewußt entstehen und in den jeweiligen Schematisierungsinstantiierungen aktiviert werden, und etwa den vorwiegend bewußten Bildungen von Konstrukten oder den Tätigkeiten des Konstruierens im engeren Sinne. Während die erstgenannten Vorgänge eher unterbewußt ablaufende Schemaaktivierungen sind, sind die letzten dann stärker bewußt, im engeren Sinne schematisierende "Konstruktionen", "Tätigkeiten" oder "Interpretationen" im engeren Sinne oder gar intentionale "Handlungen". Im folgenden sollen die spezifischen Schematisierungen des Handelns näher besprochen werden. Das Handeln ist ja viel umfassender und viel weiter als das bloße Zweckhandeln, das anhand bzw. aufgrund von bewußten Absichten vonstatten geht. Ritualisiertes, routiniertes, fast oder quasi automatisch ablaufendes Verhalten wird oft auch als Handeln erfaßt. Im übrigen gibt es auch ein ausfuhrliches Buch von Roger Schänk und R. Abelson: Scripts, Plans, Goals, and Understanding (1977), in dem der Begriff des Schemas, wie wir ihn entwickelt haben, in bezug auf Handlungssituationen und die Strukturierung von kennzeichnenden Handlungen und Handlungskomplexen "Script" genannt wird: Das Handlungsscript ist also sozusagen das Drehbuch des Handelns, auch Rumelhart hatte ja die Schemata mit Drehbüchern verglichen. Schänk und Abelson ζ. B. erörtern des langen und breiten, wie etwa das Ordern eines Essens im Restaurant und das anschließende Bezahlen durch ein Script erfaßt wird. (Und dafür wird dann auch eine Art von Computermodell aufgestellt.) Auch
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wenn nur Andeutungen gemacht werden, weiß jeder Kundige, was das Skript oder Drehbuch enthält. Auch dann, wenn das übliche Skript einmal nicht beachtet wird; denn man kann, statt eine lange Geschichte zu erzählen, ζ. B. sagen: "Er verließ das Restaurant, ohne zu bezahlen". Man unterstellt nämlich selbstverständlicherweise viele Zusammenhänge des normalen Scripts schon und weiß, daß in diesem besonderen Falle irgendetwas Besonderes passiert sein muß, ζ. B. Zechprellerei. Das heißt, wir wissen dies sogleich, können sofort aufgrund einer Notiz ein entsprechendes normales oder, wenn dies nicht paßt, auch ein "unübliches" Script abrufen und aktivieren. Wir wissen, wie man sich normalerweise in einem Restaurant verhält und was man da tut. Es handelt sich um Rollentätigkeiten, die weitestgehend strukturiert sind, ohne wirklich determiniert zu sein. Man kann sich also in einem weiten Spielraum im Rahmen des Skripts bewegen, aber die Rollentätigkeiten legen sozusagen ein Handlungsscript auf einen Kern fest, umgrenzen es - und all das ist verbunden auch mit einer Wechselwirkung zwischen verschiedenen Rollen(trägem) und Partnern, hier Kunden, Kellnern usw.. Die Anwendung der Schema- oder Modellvorstellung auf Handlungsabfolgen in besonderen strukturierten Rollensituationen wird also durch solche sog. "Scripts" geleistet; man hat als dynamische Handlungsschemata Scripts oder "Drehbücher". Ansonsten läßt sich vieles aus dem allgemeinen Schematisierungsansatz hierher übertragen (vgl. a. Verf. 1993, 200). Zurück zur allgemeineren methodologischen Problematik. Während die bisherigen Formbildungen im wesentlichen die Ausprägungen von Schemata, seien es formal-strukturelle, seien es konstitutive (und hier z.B. wiederum gegenstandskonstitutive) oder seien es klassendiskriminative, betreffen, ist die bewußte intentionale Durchführung oder Anwendung - etwa beim planmäßigen Zielhandeln - eine Implementation von Schemata im engeren Sinne des Konstruierens. Das Anwenden, Durchführen, repräsentierende Darstellen, Unterscheiden, Klassifizieren, Zuordnen oder Einsetzungsinstanzen verwirklichende Anwenden von Schemata als bewußten Hilfsmitteln kann als ein Konstruieren durch Schemata, nach Schemata, mit Schemata oder in Schemata aufgefaßt werden, das nun eben auch im engeren Sinne konstruktiv oder bewußt konstruktiv zu nennen ist. Dementsprechend sind auch die traditionellen vergleichenden Untersuchungen und Unterkategorien des Unterscheidens, des entwerfenden Konstruierens, des Auszeichnens von bestimmten Alternativen unter vielen Möglichkeiten, das Inbeziehungsetzen, das Kombinieren von verschiedenen Möglichkeiten, das Klassifizieren nach Merkmalen und das Unterordnen und Einordnen nun solche Tätigkeiten des i. e. S. konstruktiven Interpretierens in Form dieser bewußten Schemaanwendung. Und das Vorstellen, Darstellen, Abwandeln, Entwerfen, Weiteranwenden von Schemata oder gar das "Kognizieren", wie die Psychologen heute sagen, sind in diesem Sinne erst recht spezielle Fälle von interpretatorischen Aktivitäten, nämlich mit bewußter oder Strukturierung, d. h. Konstruktbildung und Konstruktanwendung. Schemata und Interpretationskonstrukte werden hierbei planmäßig, zielorientiert verwendet und bewußt eingesetzt, um Interpretationsprodukte oder -konstrukte
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bzw. Ergebnisse der Interpretation zu erzeugen. Dasselbe gilt natürlich, wenn man etwas wiedererkennen will oder wieder orten bzw. dingfest machen will, also identifizieren oder reidentifizieren will. Das sind dann solche Deutungsprozesse, solche mentalen Aktivitäten, die bereits dem herkömmlichen Muster der Textinterpretation nahekommen und eher reidentifizierenden oder rekonstruierenden Charakter haben als nun konstruierenden im engeren Sinne. Dieses strukturelle Wiedererkennen, verstehende Reidentifizieren von Zeichensstrukturen ist in gewissem Sinne dem traditionellen hermeneutischen Erkennen und Verstehen verwandt. Ich spreche beim letzteren gerne von dem Leseparadigma, das man ja in der Hermeneutik auch auf die Verständnisweisen gegenüber der gesamten Welt nun auszudehnen versucht hat. Das bewußte Reidentifizieren und wiedererkennende Deuten ähnelt eher diesem Lesepradigma als etwa dem bisher erwähnten teilweise unterbewußt ablaufenden Schemainterpretieren. Man kann also das 7exrinterpretieren dem weiten Schemainterpretieren gegenüberstellen oder als einen Spezialfall davon auffassen; es stellt in der Tat einen speziellen Sonderfall der interpretatorischschematisierenden Aktivitäten dar - insofern, als eben ein bestimmter Text vorgegeben ist, der dann interpretiert wird und nach einem ebenfalls bestimmten, auch in der philosophischen Hermeneutik analysierten Regelkanon gedeutet, analysiert und spezifiziert wird. Man ordnet die vorgefundenen Muster in bekannte Repräsentationsschemata ein, "versteht" den Einzelfall als Sonderfall des Vertrauten, Bekannten usw. Wenn man aber versucht, im Sinne der allgemeineren Auffassung, etwa der philosophischen Minimalhermeneutik nach Gadamer oder Ricoeur, ein solches "Verstehen" zu einer allgemeinen Erkenntnistheorie aller Erfassungsprozesse von Welt überhaupt aufzublähen, dann ist das wohl eine unzulässige Überverallgemeinerung, eine Übergeneralisierung, die nur noch als Metapher bestehen kann. Man liest sozusagen die "Welt als Text", "das Buch der Natur" usw.. Das ist ein Ansatz, den Ricoeur geradezu in ein Schlagwort gefaßt hat: Alles ist Text, nicht nur Handlungen, sondern die gesamte Welt wird als Text gedeutet, verstanden, aufgefaßt, und der Vorgang des Verstehens ist dann sozusagen das generelle Muster des Erkennens, wie es im Sinne und am Muster des Lesevorgangs verstanden wird. Hier wird also sicherlich ein Prozeß, eine spezielle interpretatorisch-schematisierende Aktivität überstrapaziert, das Lesen ist ja nicht die einzige oder wesentliche paradigmatische und prototypische Tätigkeit, die stellvertretend für alles Erkennen oder gar alles Handeln stehen kann. Aber soviel ist sicherlich richtig daran, daß die Musterbildungen, die Verwendung von Schemata oder Interpretationskonstrukten, die auch beim Lesen eine Rolle spielen, zum Teil auch bei anderem Erkennen und Handeln in viel allgemeinerer Weise eine Rolle spielen, als das bei den speziellen Voraussetzungen des Leseprozesses oder des Leseparadigmas der Fall ist. Insofern kann man leicht ironisch sagen: Nicht nur die Grammatik und die Sprache können uns in die Irre fuhren, wie Lichtenberg oder nach ihm Wittgenstein festgestellt haben, sondern auch das Leseparadigma trägt auf seine Weise zur Verhexung des Verstandes durch das Leseverstehen bei, wenn es
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erkenntnistheoretisch zu einem übergreifenden und allesumfassenden Erkenntnismodell ausgeweitet wird. Erkennen, Denken, Handeln ist weit mehr und allgemeiner als das lesende Rezipieren und Verstehen nach dem Vorbild des Leseprozesses28, obwohl es sich bei diesen kognitiven Fähigkeiten im Sinne des Lesens natürlich auch um schemabildende konstruktinterpretierende, zumal rekonstruierende Aktivitäten handelt. Strukturierende, schematisierende Interpretationsprozesse sind in der Tat in diesem Sinne charakteristisch. Wenn man freilich die generelle Hermeneutik in diesem Sinne auffassen würde - und es sind gewisse Andeutungen dazu bei Dilthey29 und auch bei Gadamer zu finden -, dann kann man sagen, daß hier eben auch aktive Konstituierungs— und Konstruktionsprozesse eine Rolle spielen und nicht nur ein passives Aufnehmen oder Rezipieren, wie es bei einem etwas vordergründigen Verstehen des Leseparadigmas zunächst nahezuliegen scheint. Um diese Muster ein wenig in eine Ordnung zu bringen, habe ich versucht, ein Schema aufzustellen der interpretatorisch-schematisierenden Aktivitäten, die gleichsam auf einer Art von Kontinuum angeordnet sind.
28 Ζ. B. ist das zu Erkennende nicht immer als Text gegeben oder zu verstehen , allenfalls - wie gesagt - in metaphorischer Auffassung. Oft ist es auch nicht klarerweise vorgegeben wie ein Text, sondern muß u. U. erst sondiert, konstruiert werden. 29 Ζ. B. Dilthey VII, 218f.: "Nachbilden" als Prozeß; 220: "... so entsteht der Sinn, indem das Unbestimmte durch die Konstruktion bestimmt wird."
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INTERPRETATORISCH-SCHEMATISIERENDE AKTIVITÄTEN: (SCHEMA-)INTERPRETATIONEN konstituierende Konstituieren unbewußtes Auslösen Aktivieren Ausbilden Entwickeln Differenzieren Stabilisieren
konstruierende
bewußtes Auslösen Diskriminieren Kontrastieren Vergleichen (Re-)Identifizieren Darstellen Auswählen Verfeinem
rekonstruierende Aktivitäten
Entwerfen Zuordnen Aufprojizieren Variieren Kombinieren Organisieren Integrieren
Anwenden Projizieren Durchfuhren Konstruieren Repräsentieren Vorstellen Kognizieren Darstellen
(Re-)Identifizieren (Wieder)Erkennen Unterscheiden Zuordnen durch Einsetzen Subsumieren Sortierendes Klassifizieren Verstehen i.w.S. sukzessives Weiteranwenden
1
1 1 von Schemata
durch, mittels, mit, nach oder in Schemata (von Konstanzen, Formen/Strukturen/ Gestalten, Gegenständen, Ereignissen, Prozessen, Fakten, Relationen, Kontexten) bei Textinerpretation: Re-Identifizieren Anwenden von Schemata (Wieder-)Erkennen Verstehen i. e. S.
Abb. 2. 1
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Auf der linken Seite des Diagramms finden wir mehr unterbewußt projizierende gegenstandsbildende Aktivitäten, wie etwa das Stabilisieren eines Schemas zur Mustererkennung, dann in der Mitte eher konstruierende, entwerfende, zuordnende oder bewußt projizierende Tätigkeiten, die so etwas wie die Ausbildung von entworfenen Schemata darstellen. Das Entwerfen, das mehr oder minder schon bewußte Formieren, Identifizieren, Vergleichen, Darstellen, Auswählen - alles das gehört bereits zu den bewußten Aktivitäten, die insofern i.e.S. "konstruierend" sind. Rechts sind rekonstruierende Aktivitäten aufgezeigt, welche die neuerliche Aktivierung einer schon einmal vorgenommenen konstruktiven interpretatorischen Aktivität bedeuten, also ein Wiederholen, ein wiederholtes Konstruieren durchführen. Dies ist natürlich beim Wiedererkennen von Bekanntem der Fall, etwa beim Lesen eines Textes. Die Textinterpretation, das Lesen, ist ein spezieller Fall von rekonstruierender schematisierend-interpretatorischer Aktivität, in der man mittels Schemata und durch bzw. in Schemata versucht, gewisse Konstanten, Formen, Strukturen, Gestalten in Hinsicht auf bereits Vertrautes "festzumachen", wiederzuerkennen, durch Beziehen auf Bekanntes zu stabilisieren, gleichsam in einen vorhandenen Verständniszusammenhang, in einen Kontext, einzubetten. Das Textinterpretieren, das meistens als eine Art von Rezipieren und Verstehen allgemeiner Mustergestalten in der Hermeneutik geradezu als Prototyp des Interpretierens oder Deutens aufgefaßt wird und von vielen, insbesondere von den philosophischen [/niversa/hermeneutikern, auch als eine Art von Modell zum Weltverstehen generell aufgefaßt wird, ist in diesem Sinne rekonstruktiv. Dies wäre eine zusammenfassende Übersicht von solchen Schemainterpretationen bzw. der zur Deutung benutzten schematisierenden Aktivitäten. Dabei fallen die Textinterpretationen als Spezialfall darunter, die sehr interessant und wichtig und nicht zu vernachlässigen sind. Man kann Interpretationen auch noch unter anderen Gesichtspunkten diskutieren. Es stellte sich heraus, daß manche der Schematisierungen oder der Interpretationen gleichsam untergründig ablaufen, daß man sie auch nicht etwa willkürlich abändern kann. Gewisse Wahrnehmungen haben wir und können sie gar nicht abändern - u. U. nicht einmal bei besserem Wissen. Ζ. B. unterliegt man manchen geometrischen Täuschungen auch dann noch, wenn man weiß, daß es sich um eine Täuschung handelt. Das bedeutet, es gibt also offenbar Unterscheidungen,die wir eher unterbewußt vornehmen, hinsichtlich der grundlegenden Interpretationen oder der Bildung von Interpretationskonstrukten, die entsprechend dem Muster von natürlich ablaufenden Konstituierungen, die wir gar nicht ändern können, bis hin zu bewußt zu variierenden und flexibel umzuändernden konstruktiven Aktivitäten beim Interpretieren und sogar bis zu metarepräsentierenden Aufschichtungen führen. Ein jüngerer Philosoph, Günter Abel, hat aufgrund einer Anregung von mir die Interpretationsarten in drei verschiedene Ebenen zu bringen versucht: "Die ursprünglich produktive, in den kategorialisierenden Funktionen selbst sitzende Interpretativität im Sinne des Logischen, das vor
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jeder So-und-so-Erfahrung liegt, wird Interpretation 1 genannt" (und er hat so etwas wie eine Stufe der Interpretation auf der ersten Ebene). "Die durch die Gewohnheit verankerten interpretatorischen Gleichförmigkeitsmuster (also Herstellung und Feststellung von Gleichförmigkeiten) sollen Interpretationen 2 heißen, und unter Interpretation 3 werden die aneignenden Deutungen (also zum Beispiel die beschreibenden, erklärenden, verstehenden, begründenden und rechtfertigenden Interpretationen) verstanden".30 Das heißt, die allen anderen des weiteren zu differenzierenden Interpretationsmustern vorausliegenden "Kategorialisierungen" unterscheiden sich systematisch von den durch Gewohnheitsbildungen erfaßten Mustern und den bewußt durch sprachliche oder theoretische oder konzeptionelle Anwendung von Repräsentationen ins Spiel kommenden Interpretationsmustem konventioneller Art. Eine derartige Stufung scheint mir recht wichtig zu sein, aber man muß diese sicherlich noch differenzieren und erweitern. Deswegen habe ich diese Dreierstufung, die Abel aufgrund einer brieflichen Anregung" entworfen hat, zu einer sechsstufigen erweitert, unterscheide also sechs verschiedene Stufen der Interpretation oder Ebenen der Interpretationstätigkeiten.
30 Zit. n. Manuskripten. Inzwischen hat Abel (1993) diesen Ansatz auch in seiner Monographie ausführlich behandelt. 31 Die Anregung durch mich geht auf meinen Brief vom 12.1.1987 an Abel zurück, in dem ich die Stufung von Interpretationsarten vorgeschlagen habe.
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(Ebenen) Stufen der Interpretation: IS, praktisch unveränderliche produktive Urinterpretation (primäre Konstitution bzw. Schematisierung) 152 gewohnheits-, gleichförmigkeitsbildende Musterinterpretation (habituelle Form- und Schemakategorialisierung + vorsprachliche Begriffsbildung) 153 sozial etablierte, kulturell tradierte, übernommene konventionelle Begriffsbildung IS3a vorsprachlich normierte Begriffsbildung und Interpretation durch soziale und kulturelle Normierungen IS3b repräsentierende sprachlich normierte Begriffsbildung 154 anwendende, aneignende bewußt geformte Einordnungsinterpretation (Klassifikation, Subsumierung, Beschreibung, Artenbildung u. -einordnung; gezielte Begriffsbildung) 155 erklärende, "verstehende" (i.e.S.) rechtfertigende, (theoretische) begründende Interpretation Rechtfertigungsinterpretation IS6erkenntnistheoretische (methodologische) Metainterpretation der Interpretationskonstruktmethode
Abb. 2. 2
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Die Stufe IS, ist in uns gleichsam bereits biologisch fest angelegt. Wir können nicht anders: Wir haben gewisse Perzeptionen oder Wahrnehmungen, die schon damit gegeben sind, daß (bzw. wenn) wir eben funktionierende Augen haben; und diese Wahrnehmungsreize können wir gar nicht anders interpretieren: ζ. B. können wir den Unterschied von hell und dunkel nicht durch bloße Deutung ungeschehen machen, nicht aufheben oder umdrehen. Wir könn(t)en uns natürlich vorstellen, daß wir so etwas hatten wie einen Sinn für magnetische Phänomene, aber aktuell haben wir keinen magnetischen Sinn; wir können magnetische Effekte nicht direkt wahrnehmen. Doch wie gesagt, wir könnten uns kontrafaktisch denken, daß wir so etwas hätten. Und wir können unsere Fähigkeiten auch durch elektromagnetische Instrumente erweitern; wir haben also die Möglichkeit, aus den biologisch angelegten Beschränkungen unserer Wahrnehmungen sozusagen indirekt "auszusteigen", oder besser, diese durch technische Umwege zu überwinden. Das zweite (IS2) ist das, was bei Abel in dem Zitat angesprochen ist, die gewohnheits- und gleichförmigkeitsorientierte Musterbildung, das MusterErkennen, die Musterinterpretation, die zum Teil habitualisiert ist, also durch Einschwingprozesse - wie oben dargestellt - erfaßt. Auch sog. diskriminative vorsprachliche Routine-Begriffsbildungen sind darunter zu erfassen. Eigentlich könnte und sollte man hier schon unterscheiden zwischen der bloßen unterbewußt ablaufenden Habitualisierung und etwa der bewußten, aber eben vorsprachlich ablaufenden Diskriminierung mit verhaltensrelevanten begrifflichen Ordnungen. Auf der dritten Stufe wären dann die sozial tradierten oder durch soziale Konventionen zustandegekommenen bewußten sprachkonventionellen Begriffsbildungen, also sprachliche Unterscheidungen, Musterbildungen, Interpretationen usw. zu nennen. Das ist natürlich in einem höheren Maße variierbar, variabel und konventionell als die zugrundeliegende Musterinterpretation durch Gewöhnung oder Verhaltensroutinen, die nicht auf sprachliche Unterscheidungen zurückgehen. Man sollte sicherlich zwischen den vorsprachlichen Konventionalisierungen (IS 3 J und den explizit sprachbedingten (IS3b) unterscheiden. Beide jedoch sind konventionell entstanden und sozial (normiert und normierend) konventionalisiert. Während die anwendenden, "aneignenden" (Abel), bewußt geformten Einordnungsinterpretationen explizit (IS4) die Unterordnung unter bestimmte Arten und Klassenbegriffe, Subsumierung, Klassifikation, Beschreibung, Artenbildung, Einordnung usw., also gezielte Begriffsbildung umfassen, die über das bloße sprachlich-konventionell übernommene Muster hinausgehen, gehen bewußt geformte, beispielsweise von Theoretikern in der Wissenschaft etablierte, Begriffsbildungen im Sinne des Rechtfertigens und Begründens noch viel weiter. Wenn man das Einordnen nicht nur auf die Klassifizierung und Unterordnung bzw. auf bloße Beschreibung bezieht, sondern auch argumentativ erklärt, rechtfertigt, verstehend interpretiert, dann würde man auf der fünften Stufe (IS5) von einer theoretisch begründenden Interpretation sprechen können
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oder einer Rechtfertigungsinteipretation. Diese ist natürlich wiederum in einem höheren Maße variierbar als die Interpretationen auf den Ebenen davor. Schließlich und letztens wäre die erkenntnistheoretisch-methodologische Interpretation über Interpretationskonstrukte selbst auf höherer Stufe als ein Einsetzungsfall eines Interpretationsmodells aufzufassen; man könnte also von Metainterpretation der Metarepräsentationen sprechen. Das besagt, auch der Theoretiker kann gleichsam auf eine höhere Stufe steigen und sein eigenes Modell des Interpretierens oder jede ebenenspezifische Interpretationsart selbst einem solchen Prozeß der Interpretation unterwerfen oder als Anwendungsinstanz einer solchen Interpretationsmethodik auffassen. Diese drei letzten Stufen sind bei Abel alle in seine letzte Kategorie eingegangen; aber man muß diese Interpretationsweise doch wohl sorgfältigerweise unterscheiden - schon im Blick auf die Flexibilität und Variierbarkeit, aber insbesondere nach der methodologischen Ausrichtung (Klassifikation, Rechtfertigung, Metastufenbildung). Man hat also auf diese Weise insgesamt durchaus eine fruchtbare Möglichkeit, verschiedene Stufen des Interpretierens zu unterscheiden, die sich auch charakteristischerweise eben dadurch unterscheiden, daß man auf den unteren Ebenen eine geringere Variabilität im Sinne der willkürlichen Abwandelbarkeit hat als auf den nachfolgenden Stufen. Je weiter man in dem Diagramm von IS, in Richtung auf IS6 weitersteigt, desto stärker ist das Moment der Konventionalität, der Variabilität, der bewußten Abwandlung und Entscheidung, Abänderung usw. zu finden. Man kann viele traditionelle Begriffe oder Probleme der Philosophie auf den Unterschied dieser Interpretationsstufen zurückfuhren. Selbst ein so widerspenstiges Problem wie das Problem der Wahrheit wird auf diese Weise dargestellt werden können, da es bei ihm darum geht, gewisse beschreibende, erklärende oder rechtfertigende Interpretationen anzupassen an bestimmte Grundinterpretationen, Urinterpretationen, die nicht abgeändert werden können (vgl. z.B. Abel 1989). Der traditionellen Idee der Wahrheit als Übereinstimmung mit der Wirklichkeit würde also entsprechen, daß man eine Art von reduzierter oder eingeschränkter Korrespondenztheorie der Wahrheit zwischen verschiedenen Interpretationsstufen hat. Höherstufige Deutungen haben mit niederstufigen zu korrespondieren. Jedenfalls ist generell deutlich, daß es derartige Unterschiede im Interpretieren und Herstellen von Interpretationskonstrukten gibt und daß das Interpretieren selber in gewissem Sinne gestuft ist, sich vielartig darstellen kann. Aber es ist immer wieder der Gesichtspunkt zu berücksichtigen, daß man übergreifende Muster zur Verfügung hat, bildet, ausbildet, stabilisiert und auf bestimmte Interpretationsvorgaben oder Interpretationsvorwürfe, also das sogenannte Interpretandum, anwendet. Insofern ähnelt das deutende Ein- und Unterordnen in gewissem Sinne der Struktur von Erklärungen, wie sie in der Wissenschaftstheorie analysiert wird. Man muß also unterscheiden zwischen dem, was interpretiert wird (Interpretandum), der interpretierenden Vorgabe (Jnterpretans) und dem Interpretationsprozeß selber - und dann etwa auch demjenigen, der diese
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Interpretation vornimmt (dem Interpreten) und schließlich dem deutenden Ergebnis (Interpretat). Wer interpretiert? Die Person, der Leser, das Gehirn? Es gibt hier unterschiedliche Auffassungen der Erkenntnistheoretiker bzw. Neurowissenschaftler. Man faßt das Gehirn als "interpretatives System" auf (ζ. B. Roth 1992 a, Singer 1990, 1989, 49 ff.). Manche meinen explizit, daß das Gehirn dasjenige sei, das interpretiert, aber das kann auch nur cum grano salis richtig sein, denn zunächst ist und bleibt ja die ursprüngliche Bedeutung, daß Personen es sind, die interpretieren, indem sie bestimmte Schemata oder Muster auf bestimmte Vorgaben für den Interpretationsprozeß anwenden. Ein weiteres, vieldiskutiertes und bislang noch nicht eindeutig gelöstes Problem der Semiotik ist die Frage, wie sich Zeichen auf das Bezeichnete, den Gegenstand, den sie bezeichnen, oder überhaupt auf Welt(teile) beziehen können: Wie meinen wir mit Zeichen oder Symbolen das Gemeinte? Wie beziehen sich Ausdrücke auf das von ihnen Bezeichnete, etwa Gegenstandsausdrücke auf den Gegenstand oder den Referenten (wie man in der Linguistik und der Semiotik sagt)? Ganz entsprechend stellt sich die Frage auch beim Interpretieren: Wie bezieht sich die interpretierende Deutung auf den Interpretationsgegenstand (das Interpretandum), auf das, was interpretiert wird? Doch wohl nicht dadurch, daß im Interpretationsprozeß, beim Interpretieren eine quasi magische Verbindung hergestellt wird? Wie aber ist der Zusammenhang zu verstehen? Das ist eine Frage, die für die verschiedenen Arten der Belegung von Zeichen mit Bedeutungen diskutiert werden muß, und es stellt sich das spezielle Problem, ob man überhaupt allgemeine Aussagen über diesen Zusammenhang machen kann - unabhängig von der Eigenart der besonderen Interpretationsprozesse - ob das diesbezügliche Beziehen allein oder mehr vom Interpreten abhängt, vom Zeichensystem oder eher von der Welt? Wie stehen Interpretationskonstrukte den entsprechenden Gegenständen gegenüber? Ist das ähnlich wie bei Kants Entwurf, daß im Sinne eines mathematischen Schemas die Bilder nach Regeln anhand von bestimmten Mustern in der reinen Anschauung was immer diese sei - konstruiert werden? Oder wie sind diese Interpretationskonstrukte oder diese Beziehungen zwischen dem zu Interpretierenden und dem Ergebnis der Interpretation bzw. dem Interpretationsprozeß auf das Verhalten, auf den Organismus, auf das Handeln zu beziehen? Das sind Fragen, die in der Tat äußerst schwierig sind, zu denen man viel sagen kann, aber leider derzeit nur andeutend und spekulativ. (Auf eine funktionalistische Deutung des Meinens komme ich noch zu sprechen (s. u. Kap. 9f.).) Für Interpretationskonstrukte scheint ähnlich wie für Symbole oder Zeichen so etwas wie eine Stellvertreterfunktion kennzeichnend zu sein. So wie ein Zeichen das Bezeichnete in der Zeichenbeziehung vertreten kann, so kann auch das Interpretationskonstnikt für das Interpretierte oder das zu Interpretierende stehen, eben gleichsam in der symbolischen Welt der Zeichen, der erkennenden Darstellung in der Ebene der Repräsentation, wenn man so will. Aber wie funktioniert dieses Vertreten und dieses Stehen-für? Lebt nicht, wie die Zeichenbeziehung in der Sprachgemein-
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schaft vom sozial geregelten, ja, durch Konventionen ausgebildeten Gebrauch in einer bestimmten regelgesteuerten Praxis der Zeichenverwendung dominiert wird, auch die Zordnung von Interpretationskonstrukten zu dem Interpretierten und dem zu Interpretierenden von einem bestimmten praktischen oder sozial normierten Gebrauch, von verbreiteten Deutungsgepflogenheiten in einer Interpretationsgemeinschaft? Handelt es sich beim Interpretieren in dieser Weise nicht auch um eine projektive, ja, gerichtete, also "intentionale" Hinweisfunktion, die dann durch die differenzierende Belegung und Deutung, durch die "BeDeutung" sozusagen, weiter verfeinert und variiert wird? Geht das Interpretieren in der Sozialgemeinschaft nicht tatsächlich projizierend oder projektiv fingierend vor? Verwenden wir nicht mentale Modelle ä la Johnson-Laird, über die wir irgendwie doch in der und durch die Gemeinschaft verfügen, die die Gemeinschaft uns nahelegt oder in einer noch zu klärenden Weise vorgibt, was meistens in dem Gebrauch der Sprachzeichen, der Handlungszeichen, der Gesten, die damit verbunden sind, irgendwie vorgebildet ist? Handelt es sich um bloße "private" Fiktionen im Rahmen der Interpretationsgepflogenheiten oder doch eher um normierte und durch Institutionen gestützte, kontrollierte, durch Gleichförmigkeit und Vergleichsmaßstäbe abgesicherte oder gar sanktionierte Institutionalisierungsmaßnahmen? Die Normen, Regeln, sozialen Kontrollen der Interpretationsgemeinschaft sorgten dann für die Gleichheit, für die Parallelität oder wenigstens Ähnlichkeit der Ergebnisse der Interpretationen (Interpretate) bzw. auch der Deutungsvorgänge: So würden parallele Belegungen und Unterstellungen bzw. gerichtete Fiktionen dieser Art bei verschiedenen Partnern stattfinden, so daß man unter unterschiedlichen Umständen von ein und derselben Interpretation bei derselben Vorgabe eines zu interpretierenden Gegenstandes durch verschiedene Personen, durch verschiedene Interpreten sprechen könnte. Wie aber können solche Gleichheiten, Parallelitäten, Ähnlichkeiten festgestellt, gewährleistet oder gar garantiert werden? Offensichtlich doch nur durch den sozial gleichgerichteten Gebrauch und durch soziokulturelle Gepflogenheiten, also durch die Einbettung in eine konventionalisierte Normenwelt der entsprechenden Sprach- und Interpretationsgemeinschaft. Solche gesellschaftlich entwickelten, sozial kontrollierten oder institutionalisierten Konventionalisierungen, die gemeinsame Beziehung auf gleichbedeutende oder gemeinsam erlernte Regeln innerhalb einer kulturellen Sprecherwelt, einer Interpretationsgemeinschaft im Rahmen eines sozial veranlaßten und kulturellen Repräsentationssystems ermöglichen es erst, dieselben Belegungen und Bedeutungen mit Interpretationsvorlagen oder vorgaben im Vollziehen der Interpretationsprozesse zu verbinden, also auch etwa denselben Begriffen und Bedeutungen gleiche Erwartungen oder einen ähnlichen "Hof' von Assoziationen oder Antizipationen usw. zuzuordnen. Wie evoziert beispielsweise ein Ausdruck einen "Hof' von Erwartungen oder Bedeutungen? Man könnte auch hier geradezu von einem "Haloeffekt" 32 der Begriffe in bezug 32 Ähnlich dem Haloeffekt in der Sozialpsychologie, der darin besteht, daß man oft eine unausdrückliche Ausdehnung von Eigenschaftszuschreibungen vornimmt: Einem großen
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auf das zu Interpretierende, auf die Vorlagen oder Vorgaben der Interpretation sprechen. Sind die Evokationen nicht erst durch eine solche gemeinsame Verhaltens-, deutungs- und normengeleitete Stilisierung, also durch eine "Kultur" der Konventionenbildung überhaupt nur denkbar? In der Tat: die meisten dieser Fragen müssen mit "Ja" beantwortet werden: Interpretationen bzw. Interpretationskonstrukte und Interpretate, also die Ergebnisse von Interpretationsprozessen, "leben", ebenso wie die Bedeutungen von Worten und Ausdrücken in der Sprachgemeinschaft, nur im Rahmen einer entsprechenden Interpretationskultur, nur im Rahmen einer entsprechenden Interpretationsgemeinschaft, die das Rahmenwerk für die zulässigen Deutungsmöglichkeiten aufspannt. Freilich können manche dieser Interpretationen, wie etwa die zuvor in der Stufe IS, angedeuteten Primär- oder Urinterpretationen, biologisch fixiert sein und dementsprechend sich gegen faktische Abänderungen im Rahmen einer kulturellen Fortentwicklung oder Abänderung sperren. Sie sind nur prinzipiell, jedoch nicht praktisch als modifizierbar anzusehen, wir können uns denken, daß sie geändert werden. Wir können uns wie erwähnt denken, wir hätten einen magnetischen Sinn, aber wir haben ihn nicht und wir können ihn auch nicht bekommen und uns qualia-phänomenologisch nicht vorstellen, "wie es ist" (Thomas Nagel) oder "erlebt wird", magnetische Perzeptionen zu erfahren. Allenfalls auf Umwegen über die technische Instrumentierung oder durch Experimente, durch Theorieentwicklung usw. können magnetische Effekte beherrscht werden und so zu technisch vermittelten Phänomenen werden. Generell ist das Interpretieren systematisch mit dem sozionormierten Verhalten in einer Interpretationsgemeinschaft verbunden. Interpretieren ist auch ein Handeln, und Handeln ist stets ein interpretationsgebundenes, interpretationsgeleitetes, interpretationsgeprägtes Umgehen mit Zielausrichtungen, Wertungen, Normierungen usw. - also mit Interpretationskonstrukten. Handlungen sind selber Interpretationskonstrukte, genauer: nur als Interpretationskonstrukte (er)faßbar und beschreibbar. Sie bestehen nicht nur in den körperlichen Bewegungen, sondern sie müssen als Handlungen gedeutet werden, insbesondere wenn sie auf Ziele, Zwecke usw. hinorientiert sind. Handlungen sind wie gesagt typischerweise interpretationsabhängig, interpretationsgeladen, interpretationsgeprägt. 33 Das war für mich übrigens vor über zwei Jahrzehnten der Ausgangspunkt meiner Erkenntnistheorie der Interpretationskonstrukte. Ich untersuchte damals die philosophischen Theorien der analytischen Handlungstheorien und bin darauf gestoßen, daß man das Handeln nicht unabhängig von solchen Interpretationskonstrukten und Interpretationsprozessen samt deren kontextueller und sozialer Einbettung
Wissenschaftler ζ. B. rechnet man gern auch eine besondere menschliche Weisheit, Größe oder politische Weitsicht zu. Dasselbe geschieht noch häufiger mutatis mutandis (und generell ebenso ungerechtfertigt) mit Politikern. 33 Manche Handlungen bestehen gerade nur in Deutungen, "existieren" ohne körperliche Bewegungen, ζ. B. in bestimmten Situationen zu verantwortende Unterlassungen (Vgl. Verf. 1978).
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auffassen kann, sondern daß Handlungen nur als Interpretationskonstrukte klassifikatorisch abgetrennt und charakterisiert werden können. Wichtig ist also, daß man das Interpretieren nicht zu sehr als parallel dem Lesen oder dem sprachlichen Deuten im engeren Sinne, sondern die Verbindung mit den Handlungs- und Verhaltenskontexten im Rahmen von Wmd\\mgssituationen in einer bestimmten kulturellen Prägung und sozionormativ gestalteten Situation versteht. Interpretieren ist also weniger im engen Sinne als ein Zeichendeutungsprozeß aufzufassen, sondern im weiteren Sinne als ein aktives Konstituieren, Konstruieren, Rekonstruieren - wir haben es ja in dem Diagramm der interpretatorisch-schematisierenden Aktivitäten gesehen. Jedenfalls geschieht es, steht es in enger systematischer Verbindung mit dem Handeln in der realen Welt, in der das interpretierende Individuum sich vorfindet. Man darf nicht zu sehr den linguistischen Verfuhrungen und Vergleichen zum Opfer fallen, obwohl natürlich auch das traditionelle Muster dessen, wie man Interpretationen versteht, nämlich das Textdeuten, nach wie vor seine Berechtigung hat. Wir sahen aber, daß es ein Spezialfall des allgemeineren Schemainterpretierens ist. Tun sich nun Individuen bewußt zusammen, um gezielt, geplant, aufgrund einer bewußten Entscheidung sich dazu zu entschließen, eine Interpretationskultur zu entwickeln und dann danach zu verfahren? Offenbar nicht. Alle Menschen sind als kulturelle Wesen schon in eine entsprechende Interpretationskultur hineingeboren; sie finden sich in einer solchen vor und erlernen bzw. verfugen schon über die entsprechenden Traditionen oder übernehmen diese. Diese umfassen natürlich auch zum Teil konventionelle und variable Interpretationsmuster und insbesondere schon Festlegungen auf den höheren Interpretationsstufen IS3 bis IS5, die nun ausgesprochen kulturell normiert sind. Die Sprachkultur, die Sprachgemeinschaft und deren Gepflogenheiten, wie sie beispielsweise in Wittgensteins späterer Philosophie eine zutiefst formierende Rolle für alle Lebensäußerungen und Auffassungsweisen gewinnen, bilden nur einen Teil dieser entsprechenden Gepflogenheiten der Interpretation oder des Interpretierens, die grundlegender noch als Sprachformen Lebensformen darstellen, ausdrücken und prägen. Wittgenstein selber hat das wohl auch so verstanden; er sprach zwar von "Sprachspielen", meinte aber im Grunde "Lebensformen" als Ausdruck dieser Sprachspiele, und umgekehrt stellen Sprachspiele bei ihm eigene kleine "Lebensformen" dar, die über das rein Sprachliche, über das Verbale bewußt hinausgreifen und Handlungsformen, ja, in der Tat eben ganze Lebensformen, also kulturelle Komplexe einbegreifen. Sie stellen in gewisser Weise modellartige Interpretationsgepflogenheiten dar oder eine gemeinschaftliche Praxis des Interpretierens, wie sie sich kulturell ausgeprägt hat. Man kann also sagen, daß Interpretationsweisen in Lebensformen eingebettet sind bzw. diese auch charakterisieren und bilden und daß entsprechend Handlungsformen ihrerseits, da ja jedes Handeln interpretationsimprägniert ist, an Lebensformen und Interpretationskonstrukte gebunden sind. Grundlegend scheint also die Interpretationsgemeinschaft einer bestimmten
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Kultur bzw. einer Teilkultur zu sein, die gleichsam das soziale oder institutionelle Grundgerüst von Interpretationsgepflogenheiten konkretisiert, realisiert, verwirklicht, indem diese Gepflogenheiten im normierten und durch Vorbild bzw. durch modellierte Schemata geprägten Grundrahmen oder in entsprechenden Teilmodellen, die ζ. T. auch idealisiert sein können, oder gar in pointierten Hervorhebungen oder Kontrastierungen konventionalisiert sind. Interpretieren ist also zutiefst gesellschaftlich vermittelt und geprägt, zutiefst "sozialisiert", an soziale Regeln gebunden. Regeln sind letztlich immer auf sozial normierte Gepflogenheiten zurückzuführen, die auf soziale Muster der Identifikation, der Kontrolle, der Vergleichbarkeit verweisen. Überindividuelle Gebrauchsweisen fundieren sozusagen erst unsere (er)faßbaren Interpretationsgepflogenheiten. Die soziale Regelmäßigkeit bestimmt die verbindlich gewordene Regelgemäßheit und die jeweiligen Normen. Niemand interpretiert verläßlich fur sich allein. Die Gleichheit der Interpretation, der deutenden Belegung, der Wiedererkennbarkeit, der (Re-)Identifikation - auch in der eigenen Erinnerung - setzt Kriterien der Anbindung und des Vergleichs voraus - auch "äußere Kriterien" (PU § 580). Das alles mag vielleicht nicht für die erste Stufe gültig sein, aber sicherlich gilt es für alle höheren Ebenen, auf denen eine Art von konventionellem Faktor eintritt, also zumindest ab IS·,,, vielleicht auch teilweise schon auf der Stufe IS2, soweit eben auch kulturelle (unausdrückliche, nichtkonventionalisierte) Habitualisierungen möglich sind. Das Problem, ob man grundsätzlich privat, allein, intim, im stillen Kämmerlein überhaupt einer Regel folgen kann, also das Grundproblem des späten Wittgenstein (PU §§ 82, 202, 206, 217ff, 232, 235 u. BGM passim.), stellt sich natürlich in gleicher Weise auch für die Interpretationsgepflogenheiten und für die internen Projektionen, also auch hinsichtlich der mentalen Modelle, die wir uns bilden, und bezüglich der diese absichernden oder sie überhaupt ermöglichenden Anbindung an Kriterien. Selbst und gerade interne Interpretationen oder interne, mentale Modelle setzen prinzipiell gemeinschaftsgestützte und grundsätzlich "sozialisierbare" und kontrollierbare Regeln und äußere Kriterien, Wiedererkennungsmöglichkeiten voraus. Prinzipiell interpretieren wir nicht isoliert, sondern in einer fundamental vorauszusetzenden Interpretationsgemeinschaft, die ihrerseits erst eine Interpretationskultur der entsprechenden Gepflogenheiten, Praktiken, Regeln und Kriterien des Interpretierens entwickelt. Interpretation ist also, kurz gesagt, kein bloßes Geschehen, sondern ein sozio-kulturelles Handeln, das zutiefst in kulturell geprägte und übernommene, sozial konventionalisierte, zum Teil institutionalisierte, also sozial normierte und kontrollierte Praktiken, Handlungsgepflogenheiten, Lebensformen eingebettet ist. Alles über die bereits biologisch festgelegten Urinterpretationen hinausgehende Interpretieren ist somit ein sozio-kulturelles Geschehen, also geschichtlich. Interpretationsformen sind zum größten Teil eben auch geschichtliche Lebensformen, die sich kulturell entwickelt haben, über die wir in uns bereits vorgegebener Weise verfügen (die wir aber in Grenzen dennoch weiterentwickeln können) und die uns dennoch einen Zugriff auf die uns umgebende Welt erlauben.
3. Neuronenverknüpfungen, "Hirnkonstrukte" und das Entstehen von Bewußtsein Im folgenden möchte ich Ergebnisse der modernen Gehirnforschung befragen, ob die letztere erklären oder die Möglichkeit beschreiben kann, wie Schemata oder mentale Modelle gebildet werden und was im groben die physiologischen Prozesse sind, die sozusagen den Unterbau des Denkens in Gestalt spezifischer Gehimprozesse und -areale darstellen. Schließlich soll auch erörtert werden, wie sich Bedeutungen und Konstruktionen in unserer mentalen Welt - zumal die mentalen Modelle -, insbesondere auch unter dem Blickwinkel der Semantik konstituieren. Dabei wird natürlich ein Problem nach wie vor letztlich offen bleiben, nämlich die Lücke zwischen der Prozeßbeschreibung der Gehirnprozesse einerseits und der semantischen Bedeutungswelt andererseits; man kann sich allenfalls eine korrelative Zueinanderordnung vorstellen. Hier allerdings bleibt es heutzutage nicht nur bei der Forderung, sondern man kann das neuronale Geschehen neuerdings durch experimentelle Intervention beeinflussen und durch pharmakologische oder elektrophysiologische Techniken entsprechende Bewußtseinserlebnisse erzeugen oder verhindern, blockieren. (Ein jeder weiß ja, daß das Bewußtsein dann schwindet, wenn man beispielsweise ein Narkosemittel appliziert bekommt.). Doch man kann diese korrelative Strategie des Zusammenhangs zwischen physiologischen Zuständen einerseits und Bewußtseinszuständen, sog. phänomenalen Zuständen, andererseits kombinieren, heute auch mit nichtinvasiven bildgebundenen Techniken sozusagen "on-line" und in Echtzeit verfolgen, ζ. B. durch die Positronenemissionstomographie (PET) oder durch andere schwach radioaktive Messungen (wie der magnetischen Kemresonanzspektographie) der Aktivierung spezifischer Gehirnfelder. Die Kombination von solchen korrelativen "Monitoring"-Strategien einerseits und Interventionsstrategien experimenteller Art erlebt derzeit eine Art von Boom in der Gehirnforschung und verspricht, daß manche Phänomene, die bislang absolut rätselhaft blieben, in gewisser Weise doch eher einer Erklärung näherzukommen scheinen. Es geht dabei im Grunde um das Problem des bewußten Denkens im Verhältnis zu den unterbewußt ablaufenden Prozessen im Gehirn, und damit natürlich auch um das Geist-Gehim-Problem, das ja eine Untervariante des traditionellen LeibSeele-Problems ist. Generell ist jedenfalls offensichtlich, daß die Gehimforscher einheitlich meinen, daß sie das Gehirn als das zentrale Organ auffassen, das zur Weltrepräsentation in Gestalt von internen Modellen oder Prozessen, die interne Modelle verkörpern, notwendig ist, das also in gewisser Weise eine "innerliche" repräsentierte Ordnung der Welt konstituiert, durch seine Aktivitäten erst erzeugt. Es ist freilich nicht so - das kann man aus wahrnehmungsphysiologischen und psychologischen Überlegungen leicht ablesen -, daß das Gehim so etwas wie ein gleichsam wörtliches Abbild der Strukturen in der Außenwelt oder angenommener Strukturen herstellt, etwa die Topographie der Strahlungsunterschiede oder die
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Verteilungen von Lichtenergie (wie Gibson (1973, 1982) sich das vorstellt) der Außenwelt einfach auf- und übernimmt sowie abbildet, sondern alle Signale werden in die elektrophysiologischen und biochemischen neuronalen Porozesse umgewandelt, bearbeitet, in ganz spezifischer Form verarbeitet: Einerseits werden die Impulse umgewandelt, auf spezifischen Bahnen ins Gehirn gelenkt - und zwar nicht nur auf einer Bahn1, sondern es gibt auch andere Bahnen, die unspezifisch über Hypothalamus und über Zwischenhimstrukturen verlaufen, ζ. B. Erregung und Wachsamkeit - etwa auch die Streßreaktion steuern usw. (Das limbische System spielt für die notwendigen emotionalen und affektiven Erregungen eine unerläßliche Rolle (vgl. ζ. B. Damasio 1994).) Das Verhältnis von unspezifischen zu spezifischen Leitungen scheint entscheidend zu sein, wenn man dem Gehirnforscher Hans Flohr aus Bremen folgen darf, dessen Theorie im folgenden besprechen will. Es ist einhellige Meinung der Forscher, daß unsere Gehirne konstitutiv und konstruktiv arbeitende, eben "konstruktive Systeme" sind, die erst eine Ordnung im Interesse des Überlebens des Organismus erzeugen. Entsprechend sind dann auch die Ergebnisse einer solchen Ordnungserzeugung, die "Hirnkonstrukte", wie sie etwa der Neurowissenschaftler Wolf Singer (1990) vom Frankfurter Max-Planck-Institut nennt. Er spricht ausdrücklich von Hirnkonstrukten als von "Repräsentanten für etwas, das in irgendeiner Weise unserer Erfahrung zugänglich ist und von unserem Gehirn als unterscheidbar erkannt wird" (ebd. 8). Das ist natürlich eine etwas vage Definition, aber immerhin sagt Singer, daß unser gesamtes Wissenssystem auf solchen Himkonstrukten basiere: "Immer haben wir es nur mit Konstrukten zu tun" (ebd.). Wenn wir etwa an das parallele Postulat bzw. die Aussage der kognitiven Psychologie denken, unser Wissen sei in Schemata repräsentiert oder sei selber unser Vorrat an Schemata, dann springt die Parallelität oder Korrelation ins Auge. Hier sind es eben "Hirnkonstrukte", und bei den kognitiven Psychologen sind die postulierten Schemata die entsprechenden Repräsentanten der Wissensbausteine bzw. des gesamten Wissenssystems (s. ζ. B. Rumelhart 1978, vgl. o. S. 26ff.). Singer betont auch, daß "unsere Gehirne aus dem gleichen Stoff sind und den gleichen Naturgesetzen zu gehorchen scheinen wie der Gegenstand ihrer Beschreibungen", also die Außenwelt. Es ist natürlich eine realistische Annahme, daß das Gehirn sich biologisch evolutionär in Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickelt hat und somit in erster Linie auch daraufhin optimiert ist, d.h., in erster Linie ein bewegungsvorbereitendes 2 "Überlebensorgan" ist. Es stellt eigentlich nicht in erster Linie ein reines Erkenntnisorgan dar. Man könnte fast sagen, daß beim Menschen der Neokortex, also der Teil des Gehirns, der sich als offenbar letzter entwickelt hat, so etwas wie eine spezifische Luxurierung darstellt, die sich in der Evolution herausgebildet hat und die vielleicht fast überflüssig ist, aber in 1 Die Sehbahn etwa im Visuellen (das am besten untersucht ist) ist relativ kurz: Mit nur einer Zwischenschaltstation im jeweiligen lateralen Kniehöcker wird das primäre Sehzentrum erreicht. 2 Man hat sogar das Hervorbringen von Bewegungen als die Gmndaufgabe des Gehirns bezeichnet (zit. bei Thompson 1990, 211). Selbst "das wache, ruhende Gehirn" ist ständig "damit beschäftigt, Verhaltensweisen zu planen und auszuwählen" (Lassen-Ingvar-Skinhej, 1987, 138).
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gewisser Weise andererseits offensichtlich doch dem Menschen eine Art von kombinierter Repräsentationsfahigkeit erlaubt und gibt, die dann ihn oder sein Gehirn mit einem "selbstreflektiven Automaten" (im zuvor besprochen Sinne, etwa nach Johnson-Laird) versieht. Die interne Repräsentation ist nur möglich durch entsprechende selbstbezügliche, auf das eigene Ich bzw. auf den Organismus bezogene interne Modelle, die ihrerseits selbstreflektiv sind und auf selbstreflektorischer Repräsentationsaktivität beruhen. Singer sagt, daß unsere "Himkonstrukte" "in aller Regel" recht "gut" "funktionieren", sich "als richtig" erweisen in dem Sinne, daß sie "richtige Voraussagen" zu machen gestatten, und daß wir sie beim Voraussagen von zukünftigen Situationsereignissen und auch bei Planungen von Handlungen erfolgreich verwenden. Wir filtern aber selbst unsere ursprünglichen primären Erfahrungen offenbar zunächst unter dem Überlebensgesichtspunkt (zumindest gilt das in allgemeiner Hinsicht), d.h., die Prozesse orientieren sich an einer allgemeinen Verbesserung oder der Gewährleistung der Überlebensfunktion (das muß natürlich nicht in jedem einzelnen Fall der Anwendung geschehen). Selbst die Prozesse der Wahrnehmung, der "Rezeption", der Repräsentation, der höheren Verarbeitung der Kognitionen sind in gewissem Sinne in diesem Zusammenhang als Funktionen und Fähigkeiten des biologischen Überlebensorgans zu verstehen oder als durch das Gehirn im Interesse des Überlebens optimiert zu verstehen. In der Tat bildet insoweit das Gehirn nicht einfach die externe Realität ab, sondern es erzeugt ein "Mosaik" oder ein "Netzwerk", ein komplexes Muster verteilter Erregungszustände, die sich weitgehend unter den genannten Funktionsbedingungen strukturieren dürften. Diese Aktivierungen von Neuronen-Netzen ("Neuronenensembles" oder "Neuronenassemblies") und die entsprechenden Schaltkreise oder Verschaltungen bei solchen funktionsspezifischen Erregungszuständen und deren neuronale Ausstrahlungen sind Begriffe, die heutzutage in der Neurowissenschaft im Vordergrund stehen. Die Erregungsschaltkreise ("Assemblies") sind (evtl. verteilt angeordnete) Netzwerke von Neuronen, die gleichzeitig und kohärent (in Phase) feuern, ζ. T. plastisch und flexibel sind und in gewisser Weise dadurch stabilisiert werden, daß sie zusammen angeregt und häufig sowie erfolgreich kohärent feuern. Donald Hebb hat bereits 1949 seine berühmte Hypothese aufgestellt, daß das "Überbrücken", "Überspringen" der Synapsen auf ein wiederholtes gleichzeitiges Feuern benachbarter Neuronen zurückgeht - auf einen Bahnungs- oder "Einspielprozeß" neuronaler Aktivität. Während die innerneuronale Aktivität im Fortpflanzen von elektrischen Spannungsimpulsen besteht, ist die interneuronale Wirkung biochemisch. Neurotransmitterstoffe, die von der präsynaptischen Membran ausgeschieden werden, wandern durch den Spalt hinüber in die postsynaptische Membran und werden dort aufgenommen, an spezifische Rezeptoren gebunden und lösen dann entsprechende Prozesse aus, z.B. einen Ionentransport und eine Enzym-Aktivierung usw., die dann dazu fuhren, daß bestimmte weitere Proteine oder Verarbeitungsstoffe innerhalb der postsynaptischen neuronalen Zelle angereichert und wirksam werden, die sich dann in neuerliche elektrophysiologische Prozesse umsetzen. Wenn das Aufnehmen der
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Neurotransmitter in verschiedenen Dendriten derselben Nervenelle gleichzeitig passiert, führt das zu einer Fortleitung eines elektrophysiologischen Aktionspotentials, das, von den Dendriten ausgehend, aus dem Zellkörper generiert wird und dann schließlich in das Axon, also in die weiterleitende Zelle hineinwirkt. (Ein Neuron hat ja nur ein Axon, aber viele, u.U. Tausende von Dendriten.) Auf diese Weise entsteht die Weiterleitung stets durch eine intermittierende, sich abwechselnde Aktivierung von elektrophysikalischen Aktionspotentialen einerseits und durch die Wirkungen der Neurotransmitter andererseits. Im Gehim gibt es eine ganze Menge von solchen Überträgerstoffen, die etwa auch im Körper zwischen verschiedenen Nervenzellen funktionieren: ζ. B. Azetylcholin, Dopamin, Serotonin, Noradrenalin usw. (Bestimmte Prozesse, auch Krankheiten wie Epilepsie, beruhen im wesentlichen auf dem einen Mangel oder auf der anderen Schädigung der Neurotransmittersysteme.) Im Gehirn hat man mehr als dreißig verschiedene Neurotransmitter entdeckt, die normalerweise im sonstigen Körper nicht vorkommen. Ein solcher Neurotransmitter, der eine ganze besondere Rolle beim Lernen spielt (und deswegen nehmen Studenten vor dem Examen oft Glutaminsäurepräparate) ist Glutamat, das an einen bestimmten Rezeptor gebunden wird, der NMDA 3 -Rezeptor genannt wird und der an der postsynaptischen Membran sitzt. Diese NMDA-Rezeptoren öffnen sich durch die impulsartige Depolarisation der postsynaptischen Zelle (indem etwa ein blockierendes Magnesium-Ion ausgestoßen wird). So wird in dem Rezeptor der entsprechende zugeordnete Kanal, der in diese postsynaptische Membran hineingeht, geöffnet, in den dann Kalziumionen hineinfließen 4 , die entscheidend sind fur die Aktivierung der Zelle. Wenn dieser Vorgang an verschiedenen Dendriten gleichzeitig auftritt und wenn die postsynaptische Zellehinreichend elektrophysiologisch vorbereitet ist, d.h., daß sie wiederholt depolarisiert wird, dann fängt sie an zu "feuern". Dieser Vorgang ist besonders charakteristisch bei Prozessen des Lernens und des Bewußtseins. Der Neokortex spielt die zentrale Rolle bei allen Prozessen der bewußten Verarbeitung. Für die Affektsteuerung sind das limbische System mit dem besonders wichtigen Hypothalamus und dem Mandelkern, für das Gedächtnis zumal auch der Hippocampus, unerläßlich. Vom Hypothalamus über den Mandelkern (Amygdala) zum Hippocampus gibt es durch das Septum hindurch eine Verbindung, die sogenannte Fomix, welche die Aufmerksamkeit, die 3 Dies heißt "N-Methyl-D-Aspartat". Es handelt sich um eine Namensgebung, die deswegen etwas gekünstelt wirkt,, weil diese neuronalen Rezeptoren fur die Glutamatmoleküle nur dadurch ausgezeichnet werden, daß sie hochselektiv auf dieses N-Methyl-D-Aspartat reagieren. Es ist also nicht so, daß dieser Rezeptor NMDA enthält, noch ist es so, daß dieses irgendwie ausgelöst wird dadurch, sondern die Zellen werden nur dadurch identifiziert, daß sie auf das künstlichsynthetisches Präparat, eine Aminosäure spezieller Art, hochselektiv ansprechen. Man kann mit diesem NMDA die Rezeptorenzellen dieser Art gut experimentell identifizieren; deswegen haben sie diesen Namen. (Vgl. ζ. B. Roth 1994, 214ff„ Flohr 1991, 1992, Kandel u.a. (Hg.) 1996). 4 "Aufgrund erhöhten Calcium-Einstroms wird über Zwischenschritte ein auf die Präsynapse rückwirkender "second messenger", Stickoxid, freigesetzt, der die Transmitterfreisetzung in der Präsynapse steigert und dadurch die Effektivität der Synapse längerfristig erhöht." (Zit. nach Roth 1994, S. 217).
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Bewußtheit, das aktive Leben (die Vigilanz) anregt und steuert; hier wird Erregung produziert und weitergeleitet. Das ist insofern besonders wichtig, als hier die unspezifischen Bahnen, die auch von den Sinnesorganen, z.B. von den Augen in das Mittelhirn gehen, etwa zum Hypothalamus oder auch zu anderen thalamischen Teilen, dann auf Umwegen, über viele Verschaltungsstationen, die im einzelnen gar nicht erforscht sind, schließlich weiterprojizieren auf den Neokortex, d.h. die oberen Himstrukturen. Dort gibt es offenbar Areale, in denen sie mit den spezifischen Bahnen zusammenlaufen, die z.B. beim visuellen Wahrnehmen über das primäre Sehzentrum und die diesem übergeordneten Sehzentren führen. 5 Die Verarbeitung z.B. im auditiven Bereich ist entsprechend. Auch das Hörzentrum ist so gestaltet: Es gibt bestimmte primäre Hörfelder, die seitlich (hinter den Ohren) liegen. Diese verschiedenartigen Sinnesreizleitungen werden dann schließlich zu immer höheren Stufen weitergeführt und schließlich mit den anderen zusammengeführt. Irgendwie, irgendwo oder irgendwie verteilt - man weiß im einzelnen noch nicht genau, wie und wo - findet eine sekundäre Integration statt. Es handelt sich jedenfalls um eine konstruktive Integration, die erst relativ spät stattfindet. Dies schon zeigt, daß es hier sehr viele separierende, modulierende, überleitende und reintegrierende, also insgesamt "konstruktive" schematisierende Aktivitäten gibt, die weitgehend durch die Sinneskanäle, durch die Areal- und Schichtenanordnung, durch die Verschaltung der Neuronenassemblies usw. vorgezeichnet sind. Weitgehend, soweit es spezifische Bahnen sind, wirken die Weiterleitungsprozesse auch deterministisch, es gibt also ein sozusagen "deterministisches" Abbild zunächst in bezug auf Kantenorientierung beim Wahrnehmen von Kanten im primären Sehzentrum (VI, Schicht IV), etwas höherstufig dann im anderen Zentrum die entsprechende Verarbeitung von Farbeindrücken (besonders V4, z.T. auch VI), von Bewegungswahrnehmen (V5) usw. Das alles geschieht zunächst also deterministisch - und zwar auch in dem Sinne, daß die Erregung, selbst wenn sie durch eine andere Einwirkung zustandekommt, doch bahnenspezifisch weitergegeben wird; Der berühmte Faustschlag aufs Auge erzeugt Stemesehen; die anders- oder unspezifische Einwirkung führt also zu einer spezifischen Reizerregung im Sinne des Sehens. Das gilt entsprechend vermutlich auch für die auditiven Kanäle und mutatis mutandis für die taktilen ebenso6.
5 Selbst im primären Sehzentrum gibt es sozusagen eine Arbeitsteilung unter den verschiedenen Arealen (man hat ja mindestens fünfzehn verschiedene Bereiche im Sehzentren identifiziert): Es gibt Areale, die nur die Farben wahrnehmen, andere nur bestimmte Kanten, andere nur bestimmte Senkrechte oder Winkel. Das Retina-"Bild" wird zerlegt und separat verarbeitet; es ist eine völlig zerlegungsorientierte Verarbeitung. Erst später werden die Teilverarbeitungs"resultate" oder "prozesse" wieder integriert, und zwar zunächst einmal unimodal, d.h., in der entsprechenden rein visuellen Verarbeitung: Erst noch später kommt es zu einer supramodalen Verarbeitung bzw. Integration. 6 Ein Sonderfall ist das Riechen, das näher mit dem Vorderhirn zu tun hat, hier gibt es praktisch eine Direktschaltung in den Bulbus olfactorius. Der Weg zum Gehirn ist hier also sehr viel kürzer. Woran das liegt, weiß man nicht, offensichtlich hat das gewisse evolutionäre Gründe. Immerhin ist
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Jetzt komme ich endlich zu der These von Flohr, die sich auf die Wiedervereinigung der entsprechenden spezifischen und unspezifischen Reizweiterleitungen etwa bei Wahrnehmungen bezieht. Der Wahrnehmungsinput, so zeigt Flohr (1991, 248f). wird einmal in der bahnspezifischen Verarbeitung zu dem primären sensorischen Zentrum weitergeleitet, über die im thalamischen Nucleus befindlichen Verschaltungsstationen. Beim Sehen sind das die lateralen Kniekörper, beim auditiven Wahrnehmen die Mittelgehirnkniekörper. Das Somatische wird im hinter dem Seitenlappen liegenden Kem weitergeschaltet. Der übertragene und jeweils wiederholt elektround biochemophysiologisch transformierte Signalimpulsstrom erreicht dann - das ist das Wichtige - die entsprechenden zugeordneten primären Zentren, also die sensorischen Felder. Danach wird das nach funktionellen Merkmalen 7 zerlegte Impulsbündel ausgestrahlt auf höhere Zentren entsprechender Art. Es gibt allerdings auch Rückwirkungen auf den Thalamus, z.B. auf die gefuhlsbedingenden (limbischen) Zentren, die ihrerseits auch direkt von den Sinneszellen informiert werden. Die Reticularformation ist ein Gebilde im Mittelhirn, das eine große Rolle bei der Aktivierung und Aufrechterhaltung der verschiedenen Stimmungen spielt. Ferner gliedern sich die die Reizbarkeit, die Aufmerksamkeit steuernden Zentren, dem sog. Limbischen System8 an. Dabei ist der Hippocampus der Sitz von wesentlichen Teilen des Gedächtnisses, des Langzeitgedächtnisses. Man kann z.B. bei entsprechenden Hippocampusverletzungen u.U. keine neuen Informationen ins Langzeitgedächtnis transformieren, man hat dann nur noch die Möglichkeit, Aktionen mit dem eher direkt bewußtseinszugänglichen Kurzzeitgedächtnis auszuführen, aber der Inhalt verlischt sofort wieder. Aber das Hippocampuszentrum kann nicht alles Wesentliche beim Gedächtnis darstellen, weil es bei Patienten, bei denen der Hippocampus beidseitig herausoperiert werden mußte, dennoch Erinnerungen an frühere Zeiten vor der Hippocampusschädigung gibt. (Dieser scheint also in gewisser Weise nur ein notwendiger Teil etwa im Sinne einer Durchgangsstation mit Nebenwegen zu sein.) Immerhin ist man der Meinung, daß Hippocampus eine ganz entscheidende Rolle bei der Gedächtnisbildung und -aktivierung spielt, insbesondere bei der Aktivierung. Der Hippocampus wird innerviert von internen, weiter hinten liegenden vitalen Zentren, welche die emotionale Stimmung und die Aufmerksamkeit regieren oder regulieren, wie etwa Hypothalamus, Mandelkern usw. Das bewußte Leben, das Repräsentieren ist nicht nur von außen gesteuert, sondern sehr stark auch zentral durch die fokussierende Aufmerksamkeit, durch die physiologische Erregung usw., zumal z.B. auch durch den Wachheitszustand. Wachheit und Schlaf wechseln sich ja bei uns ab; die Bewußtheitszustände sind
auch das Sehen mit nur einer Zwischenschaltung mit dem primären Sehfeld verbunden, wo die ersten Repräsentationen stattfinden. 7 beim Visuellen wie erwähnt Karten- und Winkelorientierung, Kontrastprofilierung, Farbgrundklassen, Bewegungsrepräsentationen. 8 das Limbische System besteht im wesentlichen im Zusammenhang zwischen diesen genannten Zentren: Hypothalamus, Mandelkern und Fomixverbindung bis hin zum Hippocampus.
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natürlich abhängig von diesen internen emotions- und vigilanzsteuernden Faktoren wie auch von den emotionenaktivierenden. Die diesbezüglichen Projektionen wirken in die entsprechenden unteren Scheitellappen und schließlich bis in die Vorderlappen, die auch von allen diesen Zentren erreicht werden. Spätestens dort entsteht dann so etwas wie eine Integration über die bahnenspezifische Modalität hinaus. Es entstehen dort auch Vorformen von Handlungsaktivierungen, Handlungsentwürfe, die man sich vorstellt. Mit anderen Worten: wir haben hier eine grobe Übersicht über das gewonnen, was im Gehirn bei der Steuerung des SinnesreizHandlungskreises abläuft. Es handelt sich um eine Verarbeitungsapparatur, die auf den spezifischen Bahnen zerlegend und weiterwirkend sowie zugleich noch weitgehend deterministisch operiert: Nach der Modalitätsspezifik in Kanälen werden eben auch die entsprechende Signale und Informationen spezifisch zerlegt9, später in nachgeschalteten Arealen im entsprechenden Sinnesbereich wieder modalspezifisch integriert, und erst danach auf höherer Stufe mit anderen Sinnesbereichen zusammengeschaltet. Schließlich wird offenbar auch so etwas ausgebildet wie Metarepräsentationen; diese Funktionen werden freilich bisher weitgehend spekulativ postuliert; man vermutet, daß auch die Formierung von höheren Kognitionen am Beispiel, am Leitfaden der Übertragung und Verarbeitung bei den Wahrnehmungsinformationen verstanden werden kann. (Unter letzteren ist das visuelle System neurowissenschaftlich am besten untersucht (vgl. z.B. Hubel 1989).) Es scheint so zu sein - dafür spricht vieles -, daß die höhere Verarbeitung der Hirnkonstrukte keineswegs anders gestaltet ist als die Wahrnehmungsverarbeitung. Das Gehirn ist neuroanatomisch in dem Sinne relativ einfach aufgebaut, so daß der Aufbau in den Zentren sowie auf allen Ebenen und in den Arealen eigentlich immer gleich oder sehr ähnlich ist. Auch in den höheren rindennahen Schichten ist zwar auch der Unterschied zwischen weißer und grauer Substanz zu finden: Die graue Substanz nimmt mit den höheren Zentren in gewisser Weise zu; die weiße Substanz umfaßt mehr die Leitkanäle und Neuronenleitungen. Auch ist auch die statistische Verteilung der Zellenarten etwas anders (mehr erregende Riesenpyramidenzellen im Motorcortex als hemmende Sternzellen), aber im Grunde ist das Neuronensystem überall recht ähnlich (mikro-)strukturiert. Es muß noch erwähnt werden, daß die unspezifischen Weiterleitungen, die auch in das Vorderhim, in den Vorderlappen des Vorderhim gehen, charakteristisch für die emotionale Färbung, für die Aktivierung, für die Aufmerksamkeit, für die Wachheit, für die Bewußtheit sind; diese Funktionen sind also zentral vom Mittelgehirn erregungsgesteuert.
9 Die elektrophysiologische (durch impulsartige Aktionspotentialänderung) und biochemische (durch Transmitterstoffe bewirkte) Codierung der Impulse ist allerdings nicht nur fur alle sensorischen Weiterleitungen, sondern auch für die motorischen und höheren kognitiven Übermittlungen universell gleichartig. Die sensorische spezifische Weiterleitung ist also topographisch und architektonisch bedingt, nicht mikroprozessual. Deswegen ist die (Wieder)Verbindung und spätere Integration im System unproblematisch möglich.
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Wir haben zwei wesentliche Faktoren: einmal den Input, der auf der spezifischen Bahn weitergeleitet wird, quasi deterministisch verarbeitet wird. Und zum zweiten haben wir die interne mittelgehirnliche Steuerung der Aktivitätszentren und auch der Wahrnehmung: Wenn wir nicht wach sind, nehmen wir auch nichts (bewußt) wahr; das Wahrnehmen ist sehr selektiv: Wenn man großen Hunger hat und an einem Laden vorbeigeht, der Eßbarkeiten anzubieten hat, dann "sieht" man - durchaus selektiv - ganz etwas anderes, als wenn man im satten Zustand dort vorbeiginge. Mit anderen Worten: die Selektion ist gleichsam von der zentralen Erregimg vorgesteuert, die aus dem Mittelhirn kommt und im wesentlichen aus dem Limbischen System projiziert wird. Ich möchte nochmals auf den sog. NMDA-Rezeptor und die entsprechenden Membranen zurückkommen: Die NMDA-Rezeptoren erlauben, daß Glutamat sich dort anbindet, Magnesium-Ionen-Blockaden aufgehoben werden, und daß auf diese Weise Kalziumionen in überreichlichem Maße in die Zelle hineinfließen, die Zelle "überströmen" und die Aktivierung des Neurons bewirken, indem sich das erregende postsynaptische Potential erhöht, das allerdings von anderen als den NMDA-Rezeptoren erzeugt wird.. Diese gesteigerte Glutamatausschüttung hat also offensichtlich mit der Bildung von Gedächtnis und Lernen zu tun; und zwar scheint es so zu sein, daß bestimmte Synapsen dadurch aktiviert werden, daß verschiedene Dendriten der postsynaptischen Zelle gleichzeitig aktiviert werden, etwa durch diese Bereitstellung von Glutamat, durch das "Andocken" an die NMDA-Rezeptoren und dadurch daß, wenn das gleichzeitig auftritt, in gewisser Art so etwas wie eine positive Rückkopplungsschleife entsteht: Erstens wird dadurch ausgelöst, daß das Neuron feuert, und zweitens wird durch diese Aktivität dieses Feuern noch erhöht10; es entsteht eine Art von positiver Rückkopplung, also eine Verstärkung oder "Selbstverstärkung". Das war ja auch der wesentliche Inhalt der Hebbschen Regel, daß durch gleichzeitige Aktivierung von prä- und postsynaptischer Zelle eine Verstärkung und Stabilisierung der Simultanaktivierungsdisposition eintritt: eine Bahnung gleichsam; ein Synapsenspalt und durchgang wird also leichter "überbrückt"; es entsteht eine "Sensibilisierung" des entsprechenden Kanals für das Einfließen von entsprechenden Ionen (bei diesem Glutamatrezeptor sind das Kalziumionen). Nun gibt es dabei auch eine Art von anregender Rückkopplung, die erst dazu führt, daß so eine Selbstverstärkung entsteht, es wirken nämlich auch rückwirkende BotenstofTe ("retrograde" oder "second Messengers"): Dabei spielt eine Fettsäure (Araphidonsäure) eine Rolle. Offensichtlich wird das Second-Messenger-System auch irgendwie durch Stickstoffmonoxid angestoßen, das ebenfalls als sekundärer Botenstoff von Neuronen zur Auslösung dieser Prozesse der Glutamatandockung in der präsynaptischen Zelle wirkt und die Durchlässigkeit der Synapse somit auf längere Zeit verstärkt. Man kann das inzwischen auch experimentell verfolgen: Unterbindet man nämlich die Produktion dieser Araphidonsäure, entsteht keine Langzeitpotenzierung, also für den entsprechenden Rezeptor keine Einordnung 10 durchaus auch unter Rückkopplung mit sog. retrograden Messengers auf das präsynaptische Neuron (s. u.).
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und auch wohl keine Einbettung der entsprechenden Information ins Langzeitgedächtnis. Ähnlich ist es auch, wenn die Synthese des Stickstoffmonoxids in der Zelle blockiert wird, das kann man leicht durch Zugaben von Hämoglobin manipulieren, das oxidiert wird; d.h., wenn Hämoglobin in diesen synaptischen Spalt gelangt oder injiziert wird, dann unterbleibt diese Art von Gedächtnislemen und Lernfähigkeit. Es spielt also offensichtlich so etwas wie eine mikroprozessuale "Bahnung", eine Verstärkung und Stabilisierung der Ionendurchlässigkeit im Zusammenhang mit diesem Glutamat- oder NMDA-Rezeptor eine wesentliche Rolle: Der Rezeptor hat die Fähigkeit, Poren in der Membran aufzuschließen, durch die elektrisch geladene Kalziumteilchen ins Zellinnere gelangen; und wenn das eben an vielen dendritischen NMDA-Rezeptoren gleichzeitig geschieht und anhand der entsprechenden Situation der charakteristischen Depolarisation der Zelle für den Vorfeuerungszustand ausgelöst wird, dann kann die Zelle feuem. Das alles macht also eine Art von kritischer Schwelle aus, ist geradezu eine Art von "Schalter", der dadurch lernfahig wird, daß er relativ stabilisiert wird. Er registriert, ob das Neuron von mehreren "Ansprechpartnern", vielen Andockstellen an mehreren Dendriten gleichzeitig aktiviert wird: In diesem Falle wird die Durchlässigkeit der Kalzium-Ionen eben stabilisiert - und sonst nicht. Wir finden somit also eine Art von physiologischer Unterfiitterung der Hebbschen Regel der Synapsen(Überbrückungs)-Stabilisierung durch gleichzeitige Aktivierungen der prä- und postsynaptischen Zellen. Mit anderen Worten: der NMDA-Rezeptor kann dann auch als eine Art von Koinzidenzdetektor funktionieren, nämlich in der Form, daß er anspricht bzw. wiederanspricht, wenn die prä- und die postsynaptische Zelle gleichzeitig aktiviert werden: Wenn also vor dem und hinter dem Spalt gleichzeitig gefeuert wird, dann entsteht ein Verstärkereffekt. Darin besteht nach dieser ionentheoretischen und biochemischen "Unterfütterung" der Theorie die grundlegende Fähigkeit des Lernens: Es werden eben die prä- und postsynaptischen Zellen durch diese Glutamatübertragung oder -Vermittlung für den Einstrom von Kalziumionen sensibilisiert. Das alles ist allerdings zunächst nur eine kurzfristige Transmitterwirkung; sie führt zu einer kurzfristigen Aktivierung. Die wirkliche Langzeitaktivierung ("Langzeitpotenzierung") scheint wie angedeutet von anderen Rezeptoren (sog. Quisqualat-Rezeptoren) abhängig zu sein. Aber es geht zunächst um die Frage: Wie kann kurzfristiges Festhalten oder Entstehen von Bewußtheit entstehen? Hierbei scheint die geschilderte Aktivierung die zentrale Rolle zu spielen. Es handelt sich dabei im wesentlichen um (erregende) Pyramidenzellen. Die in den Hippocampus einziehenden Fasern haben Kontakt mit solchen Pyramidenzellen, und dort findet diese zeitliche Koppelung von präsynaptischer und postsynaptischer Aktivität statt, die sich etwa bei den "Hebb-Synapsen" ausbildet. Man hat also heute die Möglichkeit, die Funktionen dieser Hebb-Synapsen im Prinzip physiologisch zu erklären. Das ist äußerst interessant. Man gewinnt nunmehr nämlich eine physiologische Möglichkeit, sich plausibel auszumalen, wie längerfristige Inhalte festgehalten werden, physiologisch markiert und stabilisiert werden können. Sie besteht eben in der erhöhten Sensibilisierung der postsynapti-
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sehen Zellen für den Kalziumioneneinstrom. Es handelt sich zwar um eine Sensibilisierung auf (längere) Zeit; sie kann später also wieder gelöscht oder abgekoppelt werden oder einfach erlöschen, verschwinden oder sonstwie gemindert werden. Dieser Mechanismus kann in der Tat als eine Art von molekularem Koinzidenzdetektor wirken, der die zeitliche Korrelation von prä- und postsynaptischer Aktivität "sortiert", "bewertet", und fur den Fall einer positiven Korrelation ein Signal erzeugt, welches die betreffenden Synapsen(überbrückungen) verstärkt bzw. stabilisiert. Das besagt die Hebbsche Regel. Die grundlegende Hypothese ist, daß dieselben Vorgänge auch bei aktivitätsabhängigen Langzeitveränderung der synaptischen Übertragung in ausgereiften Hirnstrukturen eine tragende Rolle spielen und als Grundlage für Lernprozesse aller Art angesehen werden. Bisher untersuchte man das im wesentlichen nur an "niederen" Fähigkeiten - insbesondere wurde das einfache Lernen dargestellt an physiologischen Gesamtmodellen des assoziativen Lernens, der "Sensibilisierung", der Abkopplung oder Verhinderung (also der "Gewöhnung") oder auch des konditionierten Lernens bei kalifornischen Meeresschnecken bzw. Nacktmeeresschnecken (Kandel, Alkon). Die erfahrungsunabhängige Optimierung der neuronalen Verschaltung beim Lernen während der frühen Entwicklung und im Erwachsenenalter beruht, meint auch Singer (1990, 50ff.), auf denselben molekularen Mechanismen. In seinem Aufsatz "Hirnentwicklung und Umwelt" (ebd.) hat, beschreibt er auch noch - und auch das ist für unseren Zusammenhang sehr interessant -, daß es neben der genetischen Anlage einer bestimmten Reizverarbeitungsverbindung auch der Interaktion mit der Umwelt, also der Erfahrung und (Ein)Übung bedarf. Bspw. ist die "Verschaltungsanlage" beim visuellen Kanal von der Retina zum primären Sehzentrum im groben genetisch angelegt, aber eben nur im Groben präfixiert, lediglich generell und noch ungenau disponiert. Die detaillierten Neuronen(verknüpfungen) sind während und nach der Geburt noch nicht ausgeprägt, sondern werden erst in Interaktion mit der Umwelt ausgebildet. (Dazu hat man ganz raffinierte Versuche bei Katzen mit Verschließungen je eines Auges durchgeführt (ebd. 55ff.), um die "Regeln aktivitätsabhängiger Modifikation" der früheren Neuronenentwicklung zu erkennen.) Es ergibt sich zweifelsfrei, daß eine Aktivierung der entsprechenden Anlagen notwendig ist, damit letztlich überhaupt eine neuronale Verbindung zwischen den Reizzellen, ζ. B. beim Visuellen auf der Retina und dem primären Sehzentrum bzw. anderen Sehzentren, entwickelte; die Verknüpfbarkeit ist genetisch eigentlich nur lose bestimmt, aber die einzelnen Verbindungen werden erst durch Aktivierung gebildet, konstituiert, realisiert, verkörpert. Es ist also neben dem traditionellen Unterschied zwischen ererbten und erworbenen Anlagen ein drittes, ein verbindendes Merkmalsentwicklungsmuster festzustellen, nämlich daß genetisch angelegte und relativ ungenau disponierte Anlagen, beispielsweise die Verbindung von Retinazellen zum primären visuellen Cortex, aktiviert werden müssen, damit sie ausgebildet und funktionell spezifiziert werden. Dabei spielt auch sogar so etwas wie eine
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"Konkurrenz" der Neuronen eine Rolle: Bestimmte Neuronen werden eben aktiviert und entwickeln sich, während entsprechende andere, die alternativ auch zur Verfugung stehen würden, abgekoppelt, also nicht aktiviert oder benutzt werden. Nichtaktivierte Funktionen verkümmern. Es gibt sozusagen einen quasidarwinistischen Kampf zwischen Neuronenanlagen: Welches Neuron sich als das erfolgreiche durchsetzt, hängt eben von der spezifischen Aktivierung ab, also von der Betätigung der betreffenden Sinnesorgane schon vom Beginn an, also von der ersten Betätigung dieser Sinnesorgane. Es findet sich offensichtlich eine aktivitätsabhängige Assoziationsbildung bzw. Modifizierung, die selektiv ist und in einer Art von "Konkurrenz" unter alternativen, meist benachbarten "Kandidaten" stattfindet. Die Auseinandersetzung, also die Interaktion mit der Umwelt spielt somit bei der ersten Bahnung eine große Rolle. Diese Phase ist dann auch relativ früh abgeschlossen. Nach der kritischen Phase wachsen Neuronen normalerweise nicht mehr (so gut). Woran das liegt, weiß man noch nicht so genau; man hat allerdings jetzt gerade gefunden, daß es einen Nervenwachstumsfaktor gibt, der sogar später dazu führen kann, daß Neuronen auch wieder wachsen können. Das Neuronenwachstum hat man im Experiment in vitro erfolgreich erzeugen können. Traditionell jedenfalls hatte man immer gedacht, das Nervenkostüm sei nicht mehr veränderbar, wenn es einmal festgelegt ist. Meistens meinte man, das sei von Geburt an der Fall. Das ist höchstwahrscheinlich falsch. Es liegt schon diese erwähnte kritische Phase etwas später als die Geburt. Die Versuche mit dem "Nerve Growth Factor" (NGF) scheinen die These der Nichtveränderbarkeit gänzlich zu widerlegen, als einem Blockierungseffekt zu entlarven. Eine interessante Theorie über die strukturelle und evtl. Schemabildungen ermöglichende Ausbildung solcher Neuronenverknüpfiingen bzw. die Ausbildung von Hirnkonstrukten durch eine selektive und konkurrenz- sowie phasen- und bahnungsgebundene Aktivierung läßt sich nun skizzieren. Nach Singer gilt das für die "Bahnung" in der Interaktion mit der Umwelt genauso wie für die spätere Äeaktivierung der Aktivitäten. Zellen müssen ja immer wieder reaktiviert werden; das geschieht dann auf den alten Bahnen. Insofern verläuft also der Prozeß auch der Reaktivierung ganz ähnlich wie der Prozeß der ersten Ausbildung bzw. Erstaktivierung. Die Entwicklung der ersten Bahnung, die erste Stabilisierung, die grob gesehen nach diesem Hebb-Muster vonstatten gehen mag, gestaltet sich demnach genauso wie die spätere Reaktivierung schon eingespielter Aktivitäten. Das ist ein recht interessantes Ergebnis, aus dem sich erkenntnistheoretiche Folgerungen hinsichtlich der Strukturähnlichkeiten von Erstaktivierungen und Äeaktivierungen von Schemata ziehen lassen. So hatten ζ. B. Eckhorn und Singer festgestellt (jeweils zusammen mit ihren Mitarbeitern), daß neuronale Merkmalsdetektoren an eine rhythmische Stabilisierung der Aktivitäten von räumlich verteilten Zellengruppen (der Neuronen-Assemblies) gebunden sind, die auf einer mittleren Grundfrequenz von etwa 40-70 Hertz schwingen, und entsprechend ihre rhythmische Aktivität in einer bestimmten Weise synchronisieren, so daß sie kohärent, 'in Phase', gemeinsam schwingen. Beispielsweise kann man sagen, daß
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die Ausbildung der Wahrnehmung etwa von bestimmten flackernden Lichtchen in einer entsprechenden Anordnung von neuronalen Zellen in einem solchen Assembly sich in folgender Weise darstellen läßt. « • n g w c h w g e n e r ZusUnd
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Abb. 3. 1
Wenn man ein Feld flackernder Lichter wahrnimmt, das man verteilt über die entsprechenden sensuellen (in diesem Falle visuellen) Kanäle zugespielt bekommt, hat man einen Anfangszustand, in dem praktisch jede Zelle unabhängig von der anderen flackert. Die sensorischen Zellen beginnen anzusprechen und zu schwingen, zu feuern. Beginnen nun die Lichter in einem Teildreieck des Feldes in Phase, also kohärent zu schwingen, so kann der Wahrnehmende dieses Dreiecksmuster recht schnell aus dem weiteren Feld herauserkennen." Wenn man also ein solches "Flacker"-Dreieck vor sich hat, dann ergibt sich eine Hebbsche Verstärkung der Erregungsmuster der relevanten Rezeptoren; es entwickelt sich durch diese Verstärkung sehr schnell auch die Erregung kohärent eingeschwungener Detektoren als der Mustergeber für nachgeschaltete Analyseprozesse. Dieser zur Phasenkohärenz führende Einschwingprozeß auf der gemeinsamen Grundfrequenz des entsprechenden Neuronenassemblies führt auch zu einer bestimmten Repräsentation der räumlichen Verteilung der Lichter im "Flacker"Dreieck. Andererseits kann man sich dieses Adaptieren auch als ein psychologisches Experiment vorstellen, wie man aus einer Fläche von schwingenden kleinen Lichtchen durch zunehmende Detaillierung oder Heraushebung von den entsprechenden in Kohärenzschwingung geratenden Lichtchen eine Figur aus dem Hintergrund herausheben kann. Diese Art von Figur-Grund-Erkennen spielte schon eine große Rolle in der Tradition, etwa bei der Gestaltpsychologie. Es ergibt sich hier also wiederum, wenn man so will, eine Art von physiologischer Unterbauung der gestaltpsychologischen Gesetze durch molekulare Koinzidenzdetektoren. Es ist leicht einzusehen, daß diese Einspielaktivitäten eine wesentliche Rolle bei der Bildung und fortschreitende Profilierung, ja, Selbstverstärkung von visuellen Schemata (und mutatis mutandis von Wahmehmungsschematisierungen generell) spielen können. Bei Wahrnehmungen dürfte sich Schematisierungen
11 Man kennt ja auch den Effekt und kurzen Zeitraum, in dem ein linear bewegtes Objekt anhand der gleichsinnigen Bewegungsrichtung aller seiner Elemente sich vom Hintergrund abzuheben beginnt.
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ganz entsprechend einspielen, in eine Art von Phasenkohärenz der Aktivierungsschwingungen verbinden - geradezu durch konnektionistische Lernprozesse. (In diesen werden sozusagen selbstorganisiert die Verbindungen zwischen zu "verdeckten" Neuron-"Einheiten" im Sinne einer rückwärts fortschreitenden Fehlerminimierung, "backpropagation of error", umbewertet, Gewichtungsfaktoren sukzessive erfolgsabhängig modifiziert. Zurück zum Generellen: Hans Flohr macht mehrere Gesichtspunkte für das Entstehen von Gedächtnis und Bewußtsein verantwortlich: Er unterscheidet - wie erwähnt - wesentlich zwischen den spezifischen Bahnen, die von den Rezeptionsund den nachgeschalteten primären Sinneszentren zu den entsprechenden höheren Erregungsfeldern im Gehirn verlaufen, und den unspezifischen Bahnen, die über das Mittelhim bzw. über das limbische System projizieren. Diese gehen zwar auch von den Sinneszellen aus, sind aber auf anderen Umschaltbahnen aktiviert und im wesentlichen durch Emotionalität, Aufmerksamkeit und intern produzierte physiologische "Motivbildung" im Sinne des Antriebs gefärbt. Sie werden schließlich in höheren Zentren mit den getrennt weitergeleiteten spezifischen Bahnen zusammengeschaltet. Rückkoppelungen zwischen diesen beiden Bahnen verstärken die dynamische Konsolidierung. Die jeweilige Verstärkung im Detail wird auf beiden Bahnen entsprechend den Hebbschen Prinzipien vorgestellt. Das Hebbsche Synapsenmodell zeigt - wie angeführt - die Fähigkeit, mikrointerneuronal die synaptische Leitfähigkeit zu steigern, das ist plastisch vorstellbar. Das Verschalten und Verstärken im Gesamtkontext, sozusagen in den "konzertierten Aktivitäten" der Neuronensysteme und ihrer Vielfachverschaltungen auch in und über alternative Projektionsbahnen, geht über die bloße deterministische Verbindung, wie sie beispielsweise in spezifischen Bahnen unterer sensorischer Schichten charakteristisch ist, weit hinaus. Es kommt offenbar eine zusätzliche Plastizität hinein, indem durch die Interaktion mit den entsprechenden Umweltsignalen sich eine reaktive und interaktive Entwicklung ergibt - sowie die Möglichkeit, Alternativen wahrzunehmen, zu bilden bzw. eben bestimmte unterschiedliche Assemblies und Einschwingprozesse zu stabilisieren. Durch die Verschachtelung solcher (sich) selbst organisierenden Prozesse werden dann schließlich immer höhere Repräsentationen oder gar Metarepräsentationen (Schemata, "Hirnkonstrukte") möglich. Das Gehirn ist in der Lage, relativ schnell und schöpferisch und flexibel solche Anpassungsstabilisierungen zu leisten. Christoph von der Malsburg (1983, 1986) hat dementsprechend solche schnellen plastischen Synapsen bereits vor über 20 Jahren gefordert, als (damals noch hypothetische) Modellneuronenassemblies mit plastischen Anpassungseigenschaften postuliert wurden. Diese Ensembles sind mittlerweile auch in Gestalt der entsprechenden strukturellen dynamischen Verkörperung oder dieser Assembliesstabilisierungen, dieser "Lernprozesse", wenn man so sagen darf, auf die eben illustrierte Weise von Eckhorn, Singer, Gray und jeweiligen Mitarbeiter(inne)n experimentell bestätigt worden. Von der Malsburg hatte das plastische Neuronenassembly bereits 1973 hypothetisch gefordert, und etwa 1986 wurde das Phänomen dann erstmals experimentell bestätigt. Man hat damit also ein System
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modelliert, das mit recht großer Schnelligkeit, ja, geradezu lawinenartig, plastische (veränderliche) neuronale Verknüpfungen etabliert. Man kann sich vorstellen, daß wir im Denken und kognitiven Vorstellen auch kognitive Repräsentationen und Metarepräsentationen in dieser Weise durch eine Art von Phasenbildung und Kohärenzerzeugung in einem Schwingsystem zustande bringt. Man verfügt also nunmehr im Grunde über eine Möglichkeit, in gewisser Weise den Zugang zu den höheren Zentren des Gehirns und die Stabilisierung von solchen beim Vorstellen und Denken involvierten Erregungsschaltkreisen neurophysiologisch 12 zu verfolgen - jedenfalls zunächst im Prinzip. Das wird unsere Kenntnis der Denk- und Bewußtseinsvorgänge geradezu revolutionär verändern - und natürlich Konsequenzen auch für die neuro- und erkenntnisphilosophische Diskussion zeitigen. Jetzt zur diesbezüglichen Hauptthese von Hans Flohr über das Bewußtsein: Flohr (1991, 1992) knüpft das Entstehen von Bewußtsein an mehrere notwendige Bedingungen: erstens an die erwähnte Verbindung von den spezifischen Bahnen, die relativ deterministisch auf die primären und dann höherstufigen Sinnesfelder projizieren, mit den unspezifischen Bahnen: (Nur) dort und dann, wenn die unspezifischen und die spezifischen Bahnen zusammenkommen, entsteht das phänomenale Bewußtsein. Es ist insofern eine plausible Hypothese, als das Bewußtsein, die Bewußtheit ja, wie wir sahen, intern erregungsgesteuert ist; und diese Erregung wird vom Limbischen System produziert und über die erwähnten unspezifischen Bahnen weitergeleitet. Ohne solche interne Antriebserregung könn(t)en wir nichts wahrnehmen, das Wahrnehmen ist nicht nur passiv-reptiv, sondern hängt wesentlich von diesen Antriebs- und Erregungsprozessen ab. Phänomenales Bewußtsein, das ist Flohrs zweite Hauptthese, entsteht auch nur dann, wenn diese Erregungsschaltkreise in einer bestimmten kritischen Rate der Produktion und Schnelligkeit gebildet werden, ihre Stabilisierungen produzieren und reaktivieren. Phänomenales Bewußtsein kommt demnach also nur dann zustande, wenn die (zeitliche Rate der) Assemblie-Ausbildung eine bestimmte Schwelle überschreitet. Es gibt dann natürlich auch untere Schwellen und sogar "Überschwellen" (so kann etwa auch Überregung zur Bewußtlosigkeit führen, insbesondere in solchen Stürmen, wie sie bei epileptischen Anfällen vorkommen: In epileptischen Stürmen herrscht ein totales Chaos der Überregung). Insgesamt bedeutet diese Schwellentheorie: Es muß einen mittleren Bereich der zu Bewußtsein führenden Feuerungsraten geben. Insbesondere - und das ist das Entscheidende - scheint die Überschreitung der unteren Erregungsschwelle notwendig, damit überhaupt Bewußtheit entsteht. Es muß also eine kritische Produktionsrate von solchen spezifisch-unspezifisch integrierten Assemblies erreicht bzw. überschritten werden. Flohr meint nun, dies sei sowohl notwendig als auch hinreichend für die Entstehung von Bewußtsein. Bewußte oder nichtbewußte Zustände des Gehirns unterschieden sich demnach also lediglich und in erster Linie in der Geschwindigkeit, mit der die Assemblies gebildet und 12 Zumal die nichtinvasiven bildgebenden Monitoring-Verfahren wie CT, PET und MR, welche die Aktivierung der Hirnareale feinrasterig und in Echtzeit zu dokumentieren gestalten.
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stabilisiert werden. Die je präsente Ausbildung des Bewußtseins bzw. die Entstehung von bewußten, phänomenalen13 Zuständen hängt also von der Rate ab, mit der die flexiblen aktivitätsabhängigen synaptischen Veränderungen auftreten und sich neurale Assemblies durch die beschriebene Prozessualität ausformen, also ζ. B. durch die Andockung von Glutamat an den NMDA-Rezeptor, durch das Einströmen von Kalziumionen, durch die Aktivierung von zweiten Stoffen (Second-messenger-Prozessen) und vor allem durch die entsprechende Feuerungsrate der entsprechenden Neuronen und der entsprechenden Ausbildung eines strukturellen Gerüstes (Ensembles), was dann rückwirkend durch die Rückkopplung stabilisiert wird (nach Hebb): Assoziationen und erste relative Stabilisierung durch Aktivierung und weitere Stabilisierung durch ReAktivierungen ist offenbar das Rezept. Solche Assemblies von vorzugsweise verbundenen kohärent aktiven Nervenzellen bilden also die Grundlage der entsprechenden Gedächtnisbildung oder der Lernphasen, erlauben die Bildung von Repräsentationen, die dann schließlich auch, wenn sie auf höheren Stufen (bei oder nach der Verbindung bzw. Vereinigimg der spezifischen und unspezifischen Bahnen der Verarbeitung von Wahmehmungsinformationen) "zu Bewußtseinsphänomenen" führen. Das Überschreiten der entsprechenden kritischen Schwelle, der Aktivität der Bildung von Neuronenassemblies pro Zeiteinheit ist also nach Flohr das Kriterium (für das Eintreten) von Bewußtheit oder Bewußtsein. Man hat somit gleichsam einen Hochgeschwindigkeitsgenerator von zeitlichen Repräsentationen und entsprechenden höherstufigen Repräsentationen von Repräsentationen14 anzunehmen. Und Flohr versucht(e), mit seiner Schwellentheorie eine neurophysiologische Unterfiitterung dieses Entstehungsvorganges zu skizzieren. Zentral für Flohrs Hypothese ist, "daß die synaptischen Modifikationen abhängen von dem Depolarisieren der postsynaptischen Membran, das eine bestimmte Schwelle erreicht. Die Bildung von Assemblies in einem Netzwerk ist daher abhängig vom Grad der Aktivierung ihrer Neuronen. Die Antwort auf die obige Frage betreffend die spezifischen Bedingungen des Auftretens von Bewußtsein ist durch die Konvergenz der spezifischen und unspezifischen afferenten Leitungen bedingt, und sieht wie folgt aus: Diese Form der Prozeßbildung ist die Voraussetzung für die Bildung von Assemblies zwischen Neuronen mit NMDA-Verbindungen; sie determiniert die Rate (also die Geschwindigkeit pro Zeiteinheit, H. L.) und das Ausmaß der Bildung wie auch deren Dauer. Eine globale Aktivierung, wie sie durch die Retikularformationen im Mittelhirn auf den Kortex ausgeübt wird, erhöht i. d. R. allgemein die Wahrscheinlichkeit der
13 Es ist noch ein tieferes, ungelöstes Problem, ob hier ein Komma zu setzen ist oder nicht, d. h., ob es auch «icArbewußte phänomenale Zustände geben kann. Μ. E. sprechen die Phänomene der Abschattierang, Hellerbewußtheit und des Nebenbewußtseins usw. gegen das Komma! 14 Wir können ja auch die Repräsentationen von Kognitionen ihrerseits wieder denken, uns Vorstellungen und Konzeptionen wieder vorstellen, also Metarepräsentationen bilden, die ebenfalls auf solchen Netzwerkverbindungen, die stabilisiert sind, und auf dieser neurophysiologischen Basis aufruhen dürften (Flohr 1991, 255).
3. Neuronenverknüpfungen, "Hirnkonstnikte", Bewußtsein
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Assembly-Bildung" (ebd. 255)' s . Natürlich hängt die Bildung aber ebenso auch von der entsprechenden spezifischen Verarbeitung der Reize von den Sinnesorganen auf dem üblichen Wege über die Sinnesfelder zum Neokortex ab. Flohr konstatiert: "Bewußte und unbewußte Gehimstrukturen unterscheiden sich daher nur durch die Rate, mit der Assemblies generiert werden können. Gemeinsam ist allen Formen der Unbewußtheit 16 , seien diese nun fokal oder umfassend, daß die Produktionsrate von Assembliebildungen niedriger ist" (ebd.), also unterhalb der kritischen Schwelle liegt. "Aufmerksamkeit ist also durch eine erhöhte Rate gekennzeichnet". Die Rate dieser Produktion von Assemblies ist in der Lage, sowohl "den Betrag der Repräsentationen während einer bestimmten Zeitperiode zu bestimmen" als auch "die größte Ausdehnung der Assemblies", sozusagen "die maximale Komplexität der Repräsentationen" festzulegen. Im Bewußtsein werden somit nach Flohr auch die qualitative Erlebensart, zumal "die qualitativen Unterschiede" dessen, "was das Gehirn repräsentieren kann" und was nicht, durch diesen Aktivierungsgrad bestimmt". Ebenfalls die "Dauer der Repräsentationen", die "Metarepräsentationen" hinsichtlich der Ausbildung, Komplexität und Dauer auf sich bildenden "internen Zuständen", also auch solchen der Kognitionserlebnisse selber. Schließlich bestimmt die Bildungsrate der Assemblies auch die Art "der Verrechnung" oder Verarbeitung, "die in einer bestimmten Zeiteinheit möglich ist" (ebd.). Flohr sagt weiter (ebd.): "Meine Hypothese ist, daß Defizite in phänomenaler Bewußtheit ebenso wie bestimmte funktionale Defizite dann auftreten, wenn die Rate der Assembliebildung unter einen bestimmten kritischen Schwellenwert fällt. Wenn immer diese Ebene (d. h. dieser Wert, H. L.) überschritten wird, müssen notwendigerweise phänomenale Zustände auftreten", d. h. Bewußtheitszustände. "Eine kritische Produktionsrate der neuralen Assemblies ist die notwendige und hinreichende Bedingung für die Existenz17 von phänomenalen Zuständen. Bewußtheit (awareness) ist das Resultat von der Fähigkeit (Kapazität) des Systems, aktiv Repräsentationen und Metarepräsentationen zu erzeugen" (ebd.). Flohr gibt dann noch einige experimentelle Tests und Voraussagen an, die dieses Hypothesengeflecht zu belegen gestatten (ebd. 256): 1. im Zusammenhang mit EEG-Aufnahmen und den Änderungen der erwähnten ca. 40Hz - Oszillationen, 2. Blockierungen durch pharmakologische Mittel, ζ. B. Narkosemittel. Um nochmals zusammenzufassen:
15 "Fokale, lichtkegel-artige Änderungen, ζ. B. vom dorsalen Thalamus, erhöhen i. d. R. die Wahrscheinlichkeit der Assembly-Bildung jeweils nur in einem kortikalen Bereich" (Flohr 1991, 255) ('jeweils' nicht im Text - meine Obersetzung). 16 Es gibt ja auch eine spezifische Blindheit in bestimmten scnsorischen Arealen, Rindenblindheit ("Blindsehen" nach Pöppel, Weiskrantz u. a.), bei der man etwas visuell unterbewußt diskriminieren kann, aber nicht wahrnimmt: also eine fokale Aufmerksamkeitsblindheit. 17 Hervorhebung hinzugefügt! Es geht Flohr also allein um das Auftreten von Bewußtseinszuständen, nicht so sehr um die Erklärung der Qualität ("Qualia") der Bewußtseinsphänomene. Flohr behauptet allerdings - m. E. nicht ganz einsichtig -, daß er auch das Vorliegen "qualitativer Unterschiede" des bewußten Erlebens mit seiner Schwellenwertthese erklären kann.
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3. Neuronenverknüpfungen, "Hinikonstrukte", Bewußtsein
Die erste These, die Flohr entwickelt hat, ist also, daß auf den spezifischen Bahnen von den Wahrnehmungen, beispielsweise von der Retina im visuellen Fall zu den entsprechenden Sehzentren zum primären und den höheren Zentren, eine quasi deterministische Verarbeitung stattfindet, und daß auf unspezifischen Bahnen, also im wesentlichen über das Limbische System und dessen Teile einschließlich des Mandelkerns, des Hypothalamus, des Hippocampus und insbesondere auch des im Mittelhim befindlichen Anteils der retikuläre Formation (formatio reticularis) so etwas wie eine zweite Bahnung stattfinden muß, die aber in gewissem Sinne unspezifisch ist, und die im wesentlichen abhängt - weil das Limbische System ja die Aufmerksamkeit steuert, die Vitalität, die Aktivierung, das Wachbewußtsein - von emotionalen Prägungen, Zuständen, es ist sozusagen die Komponente der vitalen Aktivierung des kognitiven Empfindens. Nur dann und an der Stelle (hypothetisch natürlich), wo diese beiden Bahnungen, die spezifischen und die unspezifischen über die Aktivierung zusammenkommen, dort entsteht Bewußtsein, genauer gesagt: treten die physikalischen oder physiologischen Bedingungen für das Auftreten von Bewußtseinszuständen auf. Die Hauptthese, die Flohr dann entwickelt ist eben diejenige, daß phänomenales Bewußtsein immer und nur dann eintritt, wenn die Bildungsrate solcher Neuronenassemblies eine bestimmte kritische Schwelle pro Zeiteinheit erreicht, wenn die Produktionsrate zu langsam ist, dann entsteht kein Bewußtsein, wenn es zu schnell geht, dann entsteht so etwas wie ein überbordendes Phänomen, ein Chaos wie in der Epilepsie. Ich möchte kurz die Folgerungen nennen, die Flohr (ebd. 257f.) aus all diesem zieht. Er fragt nämlich, was diese Hypothese über die Bewußtseinsentstehung erklären kann und gibt folgende acht Punkte an: 1. Die Hypothese kann erklären, daß "verschiedene Formen der Störung der Bewußtheit" vorkommen, ζ. B. "globale" Bewußtheitsverluste oder auch lokale bzw. "fokale Störungen" oder Trübungen, wenn dieser Schwellenwert arealspezifisch nicht erreicht wird. 2. Die Hypothese "kann den phänomenalen Aspekt der Aufmerksamkeit erklären"18: Die Aufmerksamkeit ist abhängig von dem Wechsel und der Bildungsrate der entsprechenden Assemblies und auch recht stark von der "thalamocortikalen Aktivierung" über das Mittelhirn oder das Limbische System. 3. "Sie kann die quantitativen Aspekte des Bewußtseins" oder der Bewußtheit erklären, insofern als bestimmte "phänomenale Zustände oberhalb des kritischen Schwellenwertes" durch den Betrag bzw. "die Menge der Repräsentationen, die pro Zeiteinheit generiert werden könne, bestimmt werden". 4. Auch die Entstehung der bzw. das Auftreten der entsprechenden "qualitativen Änderungen" der Bewußtheit" können nach Flohr erklärt werden, die ζ. B. durch pharmakologische Einflußnahme zustande kommen. 18 Vgl. die vorige und die nächste Anmerkung. 19 Flohr beansprucht allerdings viel allgemeiner - oder ungenauer? daß "qualitative Änderungen" erklärt werden könnten. Heißt das auch die Qualiaempfindungen - oder nur die Tatsache des Auftretens von Bewußtseinsändeningen?
3. Neuronenverknüpfungen, "Hirnkonstrukte", Bewußtsein
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5. Die Hypothese "kann die enge Verbindung zwischen der Existenz gewisser phänomenaler Zustände und gewisser funktionaler Zustände erklären. Phänomenale und funktionale Zustände, die vom Bewußtsein abhängig sind, würden also der Anteil aller Gehirnzustände sein, deren Auftreten von dem größeren Betrag und/oder der Komplexität der Repräsentationen abhängt" (ebd. 257). Insbesondere "Qualia und funktionale Zustände" sind also auf dieselbe Weise instantiiert und korreliert, "beruhen auf ein und derselben Instantiierung". "Phänomenales Bewußtsein ist also in diesem Sinne keineswegs ein Epiphänomen", das nur zusätzlich und ohne Eigenwirksamkeit begleitend zum neurophysiologischen Geschehen hinzukommt. Dasselbe gilt nach Flohr auch für "intentionale Gehalte" und für intentionale Zustände, also "mentale Zustände", die Gehalte ausdrücken, >gehaltvoll< sind, die wir als intentional auf einen Inhalt gerichtet erleben. Auch diese sind nach Flohr nicht bloß hinzukommend epiphänomenal, "sondern real, kausal effektive Zustände", die ihrerseits, weil sie durch solche Raten der Assembliebildung charakterisiert sind, im Gehim tatsächlich vorkommen und auf somit auch auf dessen Zustände rückwirken können. (Die Koinzidenentdeckungsdektoren sind also wohl in dem Sinne zu verstehen, wie es oben nach Singer vorgestellt wurde.) Flohr meint, daß sich eine Lösung der Repräsentations-, des Bindungs- und des Lernproblems abzuzeichnen beginnt, insbesondere für lernende Gehirne oder lernende Systeme. Diese Lösung besteht darin, daß das Aufspüren oder Ermitteln von Koinzidenzen das "allgemeine Prinzip" der Repräsentationenstrukturierung und dessen ist, wie Gehalt "implementiert wird", wie wir diesen verstehen und wie der Bewußtseinsinhalt auch zu "einem strukturell-kausalen Wirkungsfaktor im Sinne Dretskes werden kann" (ebd. 258). 6. Die Hypothese "kann die Beziehung zwischen Bewußtsein und bestimmten Formen des Gedächtnisses erklären". Das ist ja schon deutlich geworden durch die NMDA-Rezeptor-gestützten Prozesse, wie sie oben beschrieben wurden und wie sie experimentell, insbesondere im Tierversuch, wenigstens insoweit gestützt worden sind, daß sie verstärkt oder blockiert werden können. Doch auch Erfahrungen und gezielte Versuche mit halluzigenen Drogen beim Menschen sprechen dafür. 7. Es kann, so meint Flohr, die Hypothese auch "das Entstehen von Subjektivität in einem System erklären als das notwendige Resultat von repräsentationalen und metarepräsentationalen Prozessen" dieser Art. "Nervennetze mit einer hohen Rate der Assembly-Bildung können mehr und komplexere - und deswegen auch qualitativ unterschiedliche - Repräsentationen bilden" und aufrecht erhalten, stabilisieren, "als eben weniger komplizierte und als Systeme mit einer geringeren Produktionsrate für Assemblies". "Netze mit einer hohen Rate werden automatisch aktive Metarepräsentationen von internen Zuständen (also Repräsentationen von Repräsentationen, H.L.) erzeugen, deren Komplexität dann nur durch die Komplexität (des gesamten Durchlaufs) von physischen Token beschränkt wird, wie sie in der Zeiteinheit erzeugt werden können." Eine "genügend hohe Rate" der Bildung solcher Assemblies wird die Möglichkeit einer "Selbstbezugnahme, also der selbstreferenziellen, introspektiven oder metakognitiven Aktivitäten
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3. Neuronenverknüpfiingen, "Hirnkonstnikte", Bewußtsein
entwickeln". "In solchen Systemen wird sich automatisch eine innere Perspektive entwickeln." So stellt sich Flohr also den Übergang zu einem Selbstreflektionssystem, zu einem selbstreflektiven Automaten in Johnson-Lairds Sinne vor (1983, s. u. Kap. 5): "Subjektivität entsteht notwendigerweise in Nervennetzen mit hohen Raten der Assembly-Bildung" (Flohr 1991, 258). 8. Flohr versucht zuletzt auch zu erklären, warum phänomenale Zustände - und das ist ja kennzeichnend für diese - nicht "ausgesagt" werden können, sie können nicht über sich selber handeln. Dieses Phänomen der "ineffability of phenomenal states" liegt nach Flohr daran, daß Assemblies nicht sich selbst in ein und demselben Akt der Repräsentation repräsentieren können. Ein (meta)repräsentierender "introspektiver Zustand ... löscht und transzendiert diesen" anderen. Wenn eine Metarepräsentation gebildet wird, müssen diese darstellenden Oszillationen von einer anderen Trägerstruktur, einem anderen Ensemble übernommen werden. Die Repräsentation, die durch einen solchen Einschwing- und Strukturierungsprozeß entsteht, kann nur für einen anderen Zustand repräsentierend sein, und nicht direkt für sich selbst. Deswegen, meint Flohr, gibt es einen physischen Grund oder gar "eine physikalische Ursache" (ebd. 259) dafür, daß Assemblies nicht sich selber zu repräsentieren vermögen. Nur andere Repräsentationen - oder genauer: Metarepräsentationen - können bestimmte Repräsentationen repräsentieren. Das bedeutet jeweils die Notwendigkeit einer höheren Stufe. Flohr meint sogar, daß man schließlich in die Lage käme, zwar nicht eine wörtliche, phänomenenstprechende, aber doch eine "natürliche Lösung" auf die berühmte Frage von Thomas Nagel zu geben, ob wir je in der Lage wären, zu wissen, wie es sei, eine Fledermaus zu sein, - etwa in dem Sinne, daß wir es wenigstens sozusagen "wissen", wissensmäßig repräsentieren können, wenn wir es auch nicht introspektiv, qualiamäßig nachvollziehen können, also nicht in die Erlebniswelt einer Fledermaus einsteigen können. Insbesondere können wir uns die Wirkung von Ultraschallsinnesorganen nicht erlebensmäßig, "phänomenal" vorstellen. Flohr glaubt jedoch, es gebe die Möglichkeit, die(se) subjektiven Zustände in anderen Systemen durch Metarepräsentationen in dem eigenen System ihrerseits zu repräsentieren. Es sei eben "eine Frage der (Meta)Repräsentationen von aktiven repräsentationalen Systemen", wie man die Aktivitäten oder Repräsentationen in einem anderen System repräsentiert. Es stellt sich als eine Wissensübertragung bzw. -rekonstruktion, als eine zeichenmäßige Darstellung bzw. Nachzeichnung des beobachteten in einem anderen, beobachtenden System dar. So ist eben das Wissen; es läßt sich erfassen, aber es läßt sich trivialerweise nicht nacherleben. So ähnlich wird es nach Flohr auch mit den Qualia-Erlebnissen sein, mit den phänomenalen Zuständen, die bisher dadurch charakterisiert worden sind, daß man sie nur verstehen kann, wenn man sie einmal selbst aktiviert hat und (re)aktivieren kann. Das jeweilige Quale-Erleben wird natürlich durch eine solche Theorie auch nicht ersetzt oder verändert, sondern es ergibt sich nur eine wissensmäßige Erklärung über das Auftreten und das Zustandekommen dieser Qualia(-Zustände), über die korrelativen Zusammenhänge zwischen funktionalen Zuständen und phänomenalen Zuständen und darüber,
3. Neuronenverknüpfiingen, "Hirnkonstrukte", Bewußtsein
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daß man beides beeinflussen kann. Man kann sowohl funktionale Zustände als auch umgekehrt durch phänomenale Zustände beeinflussen: man kann sich z.B. in Angstzustände hineinreden, die dann auch physiologische Korrelate entwickeln bzw. haben: Umgekehrt kann man erst recht durch funktionale Zustandsänderungen die phänomenalen Zustände verändern (z.B. durch Drogen, Alkohol, Hypnose und sogar Selbstsuggestion usw.). Abschließend möchte ich jetzt noch eine Antwort auf die Frage skizzieren, die ich eingangs gestellt habe: Insgesamt kann man sagen, daß die Bildung von solchen dynamischen repräsentierenden Konstrukten, solchen "Hirnkonstrukten", wie Singer sagt, die etwa durch eine solche Verfestigung oder Stabilisierung von entsprechenden phasenkohärenten Einschwingprozessen und Trägerprozessen vorgestellt werden können, verdeutlichen kann man, daß es sich hier um schematisierende oder (i.w.S. und z.T. auch i.e.S.) konstruktive Tätigkeiten beim ErOkennen und beim Handeln handelt. Die eingespielten Hirnkonstrukte im Gehirn entsprechen sozusagen den Schematisierungen im erkennenden und motorischen Strukturieren; die spezifische Verfaßtheit sowie die Bildung neuronaler Trägerprozesse scheinen das plausibel zu machen. 'Hirnkonstrukte' in dem Sinne, wie die Neurowissenschaftler den Ausdruck tatsächlich gebrauchen, sind aktivitätsstabilisierte dynamische Korrelationsschemata auf der Grundlage von phasenkohärent oszilierenden Neuronenassemblies, sind somit relativ stabilisierte Strukturierungsmuster, die den herkömmlichen Schemata der kognitiven Psychologie, wie wir sie besprochen haben, und somit auch unseren Interpretationskonstrukten entsprechen bzw. als deren funktionsphysiologische Träger oder Substrukturen oder gar als deren "Verkörperungen" oder "Realisierungen" aufgefaßt werden können. Erkenntnistheoretisch gesehen sind nach Singer diese neurobiologisch auszuzeichnenden Hirnkonstrukte Schemata zum Konstituieren und Interpretieren, kurz: notwendige Vehikel zu allem Strukturieren im Erkennen und Handeln. In diesem Sinne fungieren die auf Stabilisierungsprozessen dynamischer Neuronenassemblies aufruhenden Hirnkonstrukte als Schemata der Weltrepräsentation, der Weltstrukturierung, Welterfassung - und zwar des aktiven wie des passiven Schematisierens. Es sind also schematisierend-inteipretatorische Aktivitäten, die bei der Bildung und Aufrechterhaltung bzw. Reaktivierung von Hirnkonstrukten ablaufen bzw. perpetuiert werden: Hirnkonstrukte sind Schemainterpretationskonstrukte, die auf einem neurophysiologisch zu beschreibenden Trägerprozeß aufruhen.
4. Von neuronalen Ensemblestabilisierungen zu geschichteten Interpretationskonstrukten
Wir hatten detailliert diskutiert, daß Netzwerke ein aus Neuronen mit solchen Einschwingprozessen die zu phasenkohärenten Oszillationen fuhren und sich zu bestimmten Neuronen-Assemblies stabilisieren. Erregungsschaltkreise werden also auf diese Weise aktivitätsabhängig oft auf relative Dauer dynamisch stabilisiert; es handelt sich sozusagen um Präferenzschaltungen, die immer im Zusammenwirken aktiviert werden. Der externe, abzubildende Sachverhalt, der beispielsweise über eine Sinneszelle dazu führt, daß bestimmte Neuronen eines solchen Netzwerkes zugleich aktiviert werden und phasenkohärent oszillieren, wird in diesem Sinne von und in diesem Netzwerk repräsentiert. Das kann dann auch als Iteration auftreten: Neuronale Netzwerke können anderen Neuronenassemblies zum gleichphasigen Mitschwingen anregen und diese sozusagen in das durch die Eigenschwingungsphase definierte Netz dynamisch integrieren. Auf diese Weise entstehen, so mag man plausibel spekulieren, Metarepräsentationen höherer Art, die sich aber der Art und Weise nach nicht von den ursprünglichen, die Wahrnehmungssignale verarbeitenden Neuronenaktivitäten unterscheiden. Einschwingen, Mitschwingen ist alles! Wichtig ist nun, daß es veränderbare, "plastische", flexible Neuronenverbindungen durch Synapsenüberbrückungen gibt, die eine solche Mitaktivierung sehr schnell eintreten lassen. Diese bereits angeführte Hypothese ist, wie ebenfalls bereits erwähnt, empirisch bestätigt worden (Eckhom u. a., Singer u. a., Gray u. a.). Es gilt also, daß solche plastischen Synapsen im Rahmen eines phasenkohärent schwingenden Neuronen-Ensembles sehr schnell in einen relativ strukturstabilen dynamischen Zustand übergehen können. Es findet im Grunde eine relativ schnelle Etablierung von Selbstorganisationsprozessen derartiger Netzwerke statt. Die Geschwindigkeit, mit der die Assemblies gebildet werden, also die Geschwindigkeit, mit der das Gehirn Repräsentationen bilden kann, hängt vom Grad der Voraktivierung der Neuronen ab. Die Geschwindigkeit, mit der Neuronenassemblies bei solchen plastischen Synapsen in Neuronennetzwerken gebildet werden, ist nach Flohrs Hypothese das entscheidende Kriterium für die Bildung, für das Auftreten von Bewußtseinszuständen phänomenaler Art, für sogenannte Qualia-Erlebnisse, Erlebnisse von qualitativen Beschaffenheiten. Das Qualia-Problem in der Philosophie oder der Erkenntnistheorie ist erstens jenes, wie die Entstehung von solchen Erfahrungen und Erlebnissen qualitativer Art verstanden werden kann, und zweitens, wie und ob Qualia irgendwie sprachlich beschrieben werden können, drittens, wie sie auf andere Personen, in andere' Perzeptions- und Verarbeitungssysteme durch symbolische Prozesse übermittelt werden können, und ob es viertens, eine besondere Existenzweise oder eine besondere Eigenart dieser Qualia gibt. Die
4. Von neuronalen Ensemblestabilisierungen zu Interpretationskonstrukten
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Frage ist femer, fiinftens, ob die Qualia nichts anderes sind als irgendwelche Wirkungen materieller Prozesse oder ob sie eine Art von Eigenwelt bilden, wie die Phänomenologen das annehmen. Das sind sehr schwierige und tiefe Probleme, die mit dem Bewußtseinsproblem zusammenhängen. Zusammengefaßt besagen die Hypothesen Flohrs in diesem Zusammenhang: Bewußtsein ist das Resultat der selbstreferentiellen (also selbst auf das Gehirn bezüglichen) repräsentationalen Aktivität des Gehirns. Ist diese Aktivität hoch, entsteht Bewußtsein, ist sie gering, ist es nicht vorhanden. Qualia sind vorhanden, wenn im Gehirn eine hochkomplexe aktive repräsentationale Struktur entsteht. Flohr meint, daß immer dann, wenn diese Vorbedingung der kritischen Produktion der Assemblies pro Zeiteinheit gegeben sind, und wenn die entsprechende Depolarisierung der postsynaptischen Zelle vorliegt, phänomenale Bewußtseinserlebnisse auftreten müssen. Das scheint mir ein wenig zu stark formuliert zu sein; jedenfalls hat er dafür keine wirkliche Bedingung angegeben, es kann freilich sicherlich so verstanden werden wie in der wissenschaftstheoretischen Auffassung der Kausalität (nach Mackie), daß eine Reihe von notwendigen Bedingungen vorliegen muß und daß dann u. U. eine letzte Bedingung hinzukommt, die dann den Ausschlag gibt, die als hinreichende Bedingung dann das Ereignis auslöst, "triggert", oder daß dann bzw. erst das Insgesamt der notwendigen Bedingungen zusammen dafür hinreicht. Flohrs weitere Folgerungen daraus sind kurz gesagt die folgenden: Das Systeme mit einer hochkomplexen Fähigkeit der Repräsentation und Aktivierung, insbesondere jener der plastischen Stabilisierung der entsprechenden Aktivierungen in der Anordnung von Netzwerken, entwickeln so etwas wie Bewußtsein oder interne Repräsentationen (genau) dann, wenn sie sich selbst repräsentieren 1 können; Diese (sich) selbstrepräsentierenden Systeme, so meint Flohr, können Subjektivität entwickeln, sie haben nämlich eine Repräsentation von sich selbst und können nun alle verfugbaren und sonst repräsentierbaren anderen bzw. internen Zustände auf diese Repräsentation beziehen. Sie können also sozusagen eine Stufe höher steigen und in dem internen Modell ein Abbild des Modells bzw. ein Abbild des Modells mit einem Bild von sich selber repräsentieren, erfassen und verarbeiten. Sie können also Komplizierungen der Wissens- und Informationsverarbeitung durch eine Art von Steigen auf eine höhere Metastufe vornehmen. In dem Modell wird auch die Möglichkeit entwickelt, Teile des Submodells zu verarbeiten. Das bedeutet, das System kann u. U. einen internen Zustand selbst repräsentieren und gewinnt so etwas wie eine Art von Eigenbezug oder die Bezugnahme auf Zustände eines fiktiven Ich, eines Selbst: "Subjektivität ist in dieser Sicht", sagt Flohr (1992, 54), "eine Konsequenz der selbst-referentiellen repräsentationalen Aktivität des Gehirns. Entscheidend daran ist, daß die Existenz von Repräsentationen nicht die Existenz eines transzendentalen Egos voraussetzt, sondern daß umgekehrt das Subjekt durch die repräsentationale Aktivität des 1 Wenn sie also gleichsam so etwas wie ein inneres Modell von sich haben, muß man natürlich hypothetisch hinzufügen (vgl. den "selbstreflektiven Automaten" - mit internem Modell des Selbst -, s. u. Kap. 5).
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4. Von neuronalen Ensemblestabilisierungen zu Interpretationskonstmkten
Systems entsteht"; d. h., es entsteht auf einer hinreichenden Komplexitätsstufe, das Subjekt ist also in gewissem Sinne "ein Konstrukt des Systems, ein virtueller Schwerpunkt, der bei der (Meta-)Repräsentation interner Zustände erzeugt wird". Mit anderen Worten: Subjektivität ist ein internes repräsentationales Konstrukt von hinreichend komplizierten Neuronennetzwerken; man hat somit auch die Möglichkeit, in gewisser Weise das Auftreten von Subjektbewußtsein (Selbstbewußtheit) wenigstens skizzenhaft zu "erklären", ohne daß man bereits die Möglichkeit hätte oder bräuchte, das Bewußtsein eines anderen Wesens etwa phänomenal-qualitativ zu beschreiben oder gar zu "haben". Man kann Bewußtseinszustände nicht übertragen: Wir "haben" zwar unsere eigenen Bewußtseinszustände, aber wir können ζ. B. nicht die entsprechenden phänomenalen Bewußtseinszustände anderer Wesen von entsprechend komplexer Organisation qualiaartig "haben" oder nachvollziehen, indem sie uns etwa übertragen würden. Sondern wir können diese Bewußtseins- und Qualia-Gehalte der anderen nur indirekt symbolisch, sprachlich repräsentieren. "Repräsentieren" bedeutet nicht "replizieren", sagt Flohr zu Recht (ebd.). Das Problem der Beschreibung bzw. Erfassung und der Charakterisierung der phänomenalen inneren Zustände bleibt weiterhin bestehen. Die Frage der fremden Qualia ist also dadurch nicht gelöst und auch das gesamte Bündel der Qualiaproblematik keineswegs etwa ακ/gelöst worden. Nur das Auftreten solcher internen repräsentationalen und metarepräsentationalen Zustände des Gehirns einschließlich (des Vorhandenseins, aber nicht der inhaltlichen Ausprägung) der Qualia und also der auf das System selbstbezüglichen Zustände, also der "subjektiven" Zustände, ist so zu "erklären". Nur die Existenz von fremder Subjektivität, aber nicht die Weise, wie sie sich uns phänomenal-qualitativ bzw. inhaltlich darstellt, ist erklärbar. Die Selbstbezüglichkeiten der Subjektivität sind in diesem Sinne physiologisch umgrenzbare Zustände, weil sie beeinflußt werden können - etwa durch physische Manipulation, ζ. B. durch Narkosemittel oder wie immer. 2 Die Thesen von Flohr zur Subjektivität münden im Zusammenhang unseres Themas in die Gesamtthese, daß Bewußtseinszustände, interne Zustände, phänomenale Zustände im Grunde erfaßt werden können, verstanden werden müssen als Systemkonstrukte des Systems selber. Dabei wird 'Konstrukt' in einem relativ weiten Sinne benutzt; es handelt sich hier nicht um eine bewußte planmäßige "Konstruktion" im üblichen (engen) Sinne, sondern ein solches Konstrukt i. w. S. ist etwas, das von einem komplexen repräsentierenden System selber erzeugt, selbstorganisiert ist, aber offenbar durchaus in einer bestimmten methodischen (oder systematisch-methodisch verfolgbaren, weil wiederholbaren) Weise gewonnen oder generiert wird. Man kann das Erzeugen des Selbstkonstrukts auch in der Neuropsychiatrie verfolgen. Es ist aus Studien an Patienten, bei denen der Balken zwischen den 2 Wie aber steht es mit hypnotischer Beeinflussimg? Hier muß offenbar eine verbale, kommunikative und teils gestische Beeinflussung ja erst semantisch dekodiert werden. Wirken psychische nur erst und zureichend durch die involvierten physischen Manipulationen? Das Problem verschiebt sich weiter.
4. Von neuronalen Ensemblestabilisierungen zu Interpretationskonstrukten
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beiden Gehirnhälften durchtrennt worden ist, bekannt, daß sich überraschende Effekte ergeben. Es finden sich sehr interessante Resultate für unseren thematischen Zusammenhang, die im Grunde die erwähnte Konstrukt-Hypothese nicht nur stützen, sondern zu erweitem gestatten. Bei Epilepsiepatienten hatte man früher geglaubt, man könne ihre Krankheit dadurch heilen oder wesentlich mildem, daß man die Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften, das sogenannte Corpus callosum, durchtrennt. Diese Patienten haben dann bei Totalexzision des "Balkens" nicht mehr die Möglichkeit, einfach Informationen, insbesondere Wahrnehmungsinformationen von einer Himhälfte in die andere zu übertragen. Man hat nun an diesen nach der Operation vergleichende Studien mit sogenannten lateralisierten Informationen vorgenommen, d. h., mit Informationen, die nur einer Gehirnhälfte zugänglich sind. Oft wird ein visuelles Experiment so angelegt, daß man einen Fixpunkt in der Mitte hat und das entsprechende Gesichtsfeld rechts und links aufgetrennt wird.
linke Gesichtsfeldhälfte rechte Gesichtsfeldhälfte
Corpus callosui
von oben gesehen Abb. 4. 1 Fixiert sich das Auge auf den dargestellten Mittelpunkt, so gilt für jedes Auge: Es erfaßt beide Gesichtsfeldhälften, gibt aber die erfaßten Informationen aus der linken Gesichtsfeldhälfte nur zur linken Hirnhemisphäre weiter - und entsprechend kontralateral: Bildpunkte aus dem rechten Gesichtsfeld werden nur in der linken Hirnhälfte aufgenommen. Die Überkreuzung findet in den
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4. Von neuronalen Ensemblestabilisierungen zu Interpretationskonstnikten
seitlichen Kniekörpern statt. Üblicherweise werden Informationen aus den visuellen Bereichen der einen Himhälfte über den Balken in die andere Hemisphäre überspielt bzw. mit den dortigen abgeglichen. Nach einer eventuellen Balkenoperation erfaßt jede Gehirnhälfte nur noch die in sie eingespielte kontralaterale Gesichtsfeldhälfte, kann aber keine Abgleichung zwischen den hemisphärischen Informationen mehr vornehmen. Quelle: Springer-Deutsch 1987, 23.
Was also im rechten Gesichtsfeld erscheint, wird in der linken Gehirnhälfte verarbeitet - und entsprechend umgekehrt. Jedenfalls ist es bei diesen sogenannten "Split-brain"-Patienten nicht mehr möglich, daß die entsprechende "einseitige" visuelle Information dann ausgetauscht bzw. in die andere Gehirnhälfte übertragen wird. Bei beiden Augen gilt das charakteristischerweise, daß sich jeweils die Gesichtshälften auf eine und dieselbe Gehirnhälfte projizieren; deswegen lassen sich entsprechende Experimente durchführen, ζ. B. derart, daß man unterschiedliche Informationen rechts- und linkshälftig zuspielt und dann untersucht, wie die Probanden darauf reagieren - etwa insbesondere, wie sie oder er verbalsprachlich antwortet: Die linke Gehirnhälfte regiert bei Rechtshändern überwiegend (bis zu 95%, man ist da nicht so ganz sicher) die Verbalsprache. Der Patient kann nun verbal nur über das berichten, was in der linken Gehirnhälfte verarbeitet wird, also was im wesentlichen dem rechten Gesichtsfeld präsentiert wurde. Jedoch kann der typische Split-brain-Patient so nicht über das berichten, was im rechten Gehirn verarbeitet wird, jedenfalls nicht mit der Verbalsprache, aber er kann es doch z.B. dann, wenn man eine gewisse Entwicklung der Artikulationsfähigkeiten in der rechten Hälfte voraussetzt, durch die Ausführung von Handlungen mit der linken Hand leisten. Dies läßt sich experimentell verfolgen. Daraus ergeben sich teils recht "witzige" Formulierungen: ζ. B. berichtete eine Gehirnpatientin, N.G., völlig richtig über jeden Reiz, der in die rechte Gesichtsfeldhälfte kam und in die verbale linke Gehirnhälfte projiziert und dort sprachlich verarbeitet und ausgedrückt werden konnte, während sie keineswegs imstande war, umgekehrt etwas aus der linken Gesichtsfeldhälfte verbal wiederzugeben (nach Walsch zit. Springer Deutsch 1987, 23, u. Gazzaniga - LeDoux 1983). Da hat z.B. der Experimentator sich einen - versuchsgeplanten - Witz erlaubt und ein Nacktfoto einer anderen Frau in die linke Gesichtshälfte projiziert. Daraufhin fing sie an zu kichern; man fragte sie, warum sie denn lache, ob sie irgendetwas Besonderes gesehen habe. Sie erwiderte: "Oh, was haben sie für eine komische Maschine!" Solche Irritationen und Reaktionen ergeben sich typischerweise mit Split-brain-Probanden. Man versucht durch eine besonders trickreiche Anordnung von Experimenten die Verbindung von unterschiedlichen Ergebnissen der Projektionen aus beiden Gesichtshälften zu ermitteln oder zu vergleichen ("Cross-cueing"), d. h., daß man versucht, alle Informationen, die man über irgendwelche Kanälen erreichen kann, in Beziehung zueinander zu bringen. Dieses "Cross Cueing" spiegelt in gewisser Weise auch eine gewisse Tendenz des normalen Organismus wider, die hemisphärisch generierten Informationen in die Gesamtauffassung einzubetten und die Vorgänge irgendwie als sinnvoll erscheinen zu lassen, in eine Art von Integration zu bringen. Bereits daraus
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können wir schließen, daß eine Emheiiskonstruktion der Wahrnehmungen bzw. auch der anderen Kognitionen sekundär zustande kommt (s. u.)· Zunächst einmal aber hat diese Forschung an "gespaltenen Gehirnen" auf dramatische Weise bestätigt, daß die meisten Rechtshänder die Kontrolle über die Sprache in der linken Gehirnhälfte ausüben. Deswegen vermag der typische (rechtshändige) Patient mit durchtrenntem Balken keine Bilder von alltäglichen Gegenständen zu benennen, die in seine linke Gesichtshälfte kommen, er kann also nur etwas anfangen mit Projektionen in bzw. aus seiner rechten Gesichtsfeldhälfte. Die Bilder aus der linken Gesichtsfeldhälfte werden jedoch auch (rechtshemisphärisch) verarbeitet; in gewissem Sinne kann der Patient auch darauf reagieren, ζ. B. indem er durch Bewegungen mit der linken Hand ausführt, die ja (in diesem Normalfall des Rechtshänders, den wir annehmen wollen) im wesentlichen von der rechten Gehirnhälfte gesteuert wird. Wenn man also Gegenstände hat, die hinter einem Schirm verdeckt sind, kann die Versuchsperson damit durchaus taktil umgeben. Das läßt sich experimentell variieren und nutzen. Gazzaniga und Le Doux 3 haben solche Untersuchungen an Split-brain-Patienten durchgeführt, die so manche Überraschungen ergaben. Beispielsweise zeigte sich, daß man keineswegs allgemein sagen kann, daß Sprache bei Rechtshändern nur links verarbeitet wird, es war auch möglich, insbesondere bei Substantiven, bei Dingwörtern, bei sichtbaren Gegenständen, diese in der rechten Gehirnhälfte recht verläßlich zu identifizieren. Bei Verben war es schwieriger. Ein - eher untypischer - Patient ζ. B., P.S., auf den noch einzugehen ist, wurde etwa durch eine im linken Gesichtsfeld vorgegebene rechtshimseitige Projektion eines Satzes mit Buchstaben, aufgefordert, er solle lachen, worauf er auch anfing zu lachen, und dann fragte man ihn, was er mache, da sagte er verbal, er jucke sich (Gazzaniga LeDoux 1983, 113). Er konnte also das rechtshemisphärisch Aufgenommene nicht mit der Sprache beschreiben, aber war durchaus in der Lage, es in Handlungen umzusetzen. Verben scheinen für die rechte Hemisphäre schwieriger zu verarbeiten zu sein; das hängt wohl damit zusammen, daß sie im wesentlichen •Funfaioniausdrücke sind; die linke Hirnhälfte - und das scheint die spezifischere These heute zu sein - ist stärker auf funktionale Zusammenhänge, sukzessive Verarbeitung, auf serielle (quasi-digitale), analytische Fähigkeiten ausgerichtet als die rechte Gehirnhälfte. Diese repräsentiert stärker analog-konfigurativ, erkennt Muster oder stellt eher Gestalten dar, nimmt also etwa das Gestaltsehen besser auf; das wird ζ. B. auch beim Erkennen von Dingwörtern deutlich. Im übrigen lassen sich diese Untersuchungen auch an Gesunden durchführen, man braucht da natürlich eine viel trickreichere Anordnung. Erstens gibt es auch bei ihnen diese Aufspaltung der Gesichtshälften, aber das gilt nur für eine gewisse kurze Zeit, und zwar in der Größenordnung von 100 msec.; in dieser Zeitspanne hat die Übertragung über die 200 Millionen Nervenbahnen im Balken eben noch nicht stattgefunden. Man kann entweder durch sogenannte tachistoskopische 3 Diese Versuche gehen ursprünglich auf den Neurochirurgen und Nobelpreisträger Roger Sperry zurück und werden hier nach Versuchsergebnissen und Folgerungen von Michael Gazzaniga wiedergegeben, der mit Le Doux 1978 ein Buch veröffentlicht hat, The Integrated Mind (dt. 1983).
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Untersuchungen sehr schnelle Reaktionen visuell-lateral dokumentieren oder durch die Einrichtung einer bestimmten Linse von Zaidel experimentieren. Diese Linse erlaubt zwar, den gesamten Seh- und Arbeitsbereich abzustreichen, aber ein optisches System projiziert durch eine bestimmte Kontaktlinse ein verkleinertes Bild, die dann nur in einer Gehirnhälfte wiedergegeben wird; man hat dann also die Gesamtinformation aus dem Gesichtsfeld, aber nur in eine Gehirnhälfte projiziert. Es ergab sich, daß die durch die Krankheitsfälle angeregten Überlegungen sich auch bei Gesunden im großen und ganzen bestätigen ließen. Die Hemisphärenunterschiede in der Verständnisfähigkeit bei der Wahrnehmung (und wohl auch allgemeiner) sind gegeben, aber es kam nicht so klar wie erwartet heraus, daß nur die linke Seite Sprache verarbeiten würde und die rechte gar nicht; und so ergab sich ζ. B., daß die rechte Gehirnhälfte durchaus auch, mit größerem Zeitaufwand, Verben verarbeiten kann, und nicht nur Substantive. Vielleicht werden die Verben erst in eine eher gestaltmäßige interne Repräsentation umgewandelt. Oder sollte die Trennung zwischen funktionaler Orientierung und Arbeitsweise links und gestalthafter analoger Repräsentation, Musterrepräsentation rechts nicht so stark sein wie vermutet? Die Gehirnhälften können offenbar zum Teil auch Funktionen von der je anderen Seite übernehmen, insbesondere wohl im jugendlichen Alter. Kommen wir nun zu dem berühmten Patienten P. S., der von Wilson im Alter von sechzehn Jahren operiert worden war und später von Gazzaniga und Le Doux immer wieder untersucht wurde. Er stellt insofern einen Sonderfall dar, sozusagen einen Glücksfall für die Wissenschaft, während er selber natürlich in gewissem Sinne ein trauriger Fall ist. Er hatte offensichtlich im jugendlichen Alter eine linksseitige Läsion des Temporallappens, insbesondere auch der Sprachzentren erlitten, und daraufhin hatte offenbar die rechte Gehirnhälfte weitgehend "Sprachfähigkeiten" entwickelt. Im Alter von sechzehn Jahren wurde eine Commissurotomie, d. h. die Balkendurchtrennung, durchgeführt. Daraufhin stellte sich heraus, daß P. S. in der Lage war, mit der rechten Gehirnhälfte auch zu lesen, Sprachliches zu verarbeiten, das aber nicht verbal ausdrücken konnte, sondern nur schreibend mit der (linken) Hand. Er konnte also mit Scrabblespielbuchstaben alle rechts aufscheinenden Fragen, die ihm eingespielt wurden, buchstabierend beantworten; er konnte rechtshemisphärisch auf diese Weise schriftsprachlich kommunizieren, wenn auch nur mit der linken Hand. Daraufhin wurden interessante Versuche geplant, von denen ich ein paar schildern will.
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Abb. 4. 2
Unten links auf dem Bild (Quelle: Gazzaniga-LeDoux 1983, 69) ist also der Normalfall dargestellt, daß das linke Him eine "Gabelrepräsentation" verarbeitet, woraufhin P. S. mit der rechten Hand diesen Ausdruck "fork" schreibt; das ist ohne Probleme möglich. Oben links im Bild ist es so, daß das rechte Gehim der linken Hand etwas zur Identifikation vorgibt, auch diese Aufgabe bewältigte P. S.; man kann durchaus das noch erkennen, was er schreiben sollte; die linke Hand brachte es zustande, wenn auch - für einen Rechtshändler verständlicherweise mit ungelenker Schrift, die Buchstaben der Wörter "cup", "pen", "key" zu schreiben. Dagegen klappte es mit der linken Hand (rechts oben) auf Anweisung des linken Hirns nicht; die Schriftzüge waren nicht zu entziffern. Wenn er mit der rechten Hand versuchte, die Stimuli der rechten Hemisphäre niederzuschreiben, bei den ersten beiden Versuchsgängen eine Glühbirne ("light bulb"), bei dem dritten Versuchsgang eine Tasse ("cup"), so mißlang das völlig, hier wurde "pot" aus "cup". P. S. war nicht in der Lage, das, was in der rechten Himhälfte aufgenommen bzw. der rechten Hirnhälfte als Anweisung gegeben wurde, dann mit der rechten Hand schriftlich zu beschreiben, obwohl er es mit der linken Hand recht gut konnte. Es ergab sich interessanterweise, daß er links- und rechtshemisphärisch auch ganz unterschiedliche Vorstellungen über sein eigenes künftiges Leben usw. hatte; ζ. B. wollte seine rechte Himhälfte auf Befragung "Autorennfahrer" werden, die linke Himhälfte "Graphiker" oder "technischer Zeichner" (ebd. 110). Er konnte ebenso auch linkshändig-rechtshemisphärisch willkürlich über Stimmung ("gut"), Emotionen usw. berichten.4 Er konnte auch auf beiden Hirnhälften seinen Namen 4 "Diese Beobachtungen veranlaßten uns zu der Vermutung, daß die rechte Hemisphäre von P. S. Qualitäten besitzt, die für sich in Anspruch nehmen können, bewußt zu sein. Seine rechte Hemisphäre hat eine Vorstellung vom Selbst, denn sie kennt gemeinsam mit der linken Hemisphäre den Namen. Sie hat Gefühle, da sie ihen Stimmungszustand beschreiben kann. Sie hat eine Meinung darüber, wen oder was sie gern hat, denn sie kann angeben, wer die ihr am
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buchstabieren: "Wer bist du?" Wenn das in der rechten Hirnhälfte beantwortet werden sollte, dann konnte er mit der linken Hand "Paul" buchstabieren. Insgesamt hat er also die Fähigkeit, daß er die Reaktionen in beiden Hirnhälften separat repräsentiert und getrennt auch verbal oder quasiverbal verarbeiten kann. Das was in der linken Hirnhälfte repräsentiert wird, kann er verbal ausdrücken, w a s in der rechten Himhälfte passiert, wird links mit der Hand ausgedrückt und buchstabiert. Jetzt folgt ein besonders interessantes Beispiel, aus dem wir nachher auch noch ein paar Schlüsse ziehen wollen. Man hat P. S. das folgende (oben wiedergegebene) Bild projiziert:
Abb. 4. 3 Werden zwei unterschiedliche Erkennungsaufgaben für je eine der beiden Hirnhälften geboten auch bei fixiertem Mittelpunkt -, so soll die entsprechende der jeweiligen Hirnhälfte kontralateral gegenüberstehende Hand eine sinnvolle Antwort auf die in dieser Himhälfte vorhandene Information geben. So wird der balkenoperierte PS mit ζ. B. auch gebeten, eine Antwort auf das Bild in der linken Himhälfte (also die Hühnerkralle) zu geben, woraufhin er mit der rechten Hand auf den Hahn weist. Dagegen wird als Antwort auf die in die rechte Himhälfte gespiegelte Schneeszene auf die Schaufel gezeigt. - Verbal - also über die linke Hemisphäre - sollte der Proband dann die Gründe für die mit den Händen gegebenen Antworten geben. Er fingierte einen Hühnerstall, der mit der Schaufel saubergemacht werden muß. (Quelle: Gazzaniga - Le Doux 1983, 115; 1989, 88.)
Menschen oder ihr Lieblingshobby sind. Die rechte Hemisphäre von P. S. hat zudem eine Vorstellung von der Zukunft, denn sie weiß, welcher Tag morgen ist. Schließlich hat sie Ziele und Ambitionen für die Zukunft, denn sie kann eine Aussage über die Berufswahl machen." (Gazzaniga - LeDoux 1983, 111).
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Er sollte die Karten (unten) dem, was er sieht, mit den Händen zuordnen. Die linke Hemisphäre wird aufgefordert, eine Antwort auf die "Hühnerklaue" zu geben, während die rechte Hemisphäre sich mit den Bedeutungen der "Schneeszene" auseinandersetzt. P. S. empfand das alles als durchaus sinnvoll, als er dann gefragt wurde: "Was hast du gesehen?" "Ich habe eine Kralle gesehen und ich pickte mir das Huhn heraus, und den Hühnerstall muß man mit einer Schaufel saubermachen" (ebd. 115). Interessant ist besonders der eben zitierte Kommentar: Die linke Hemisphäre konnte also leicht und genau erkennen und verbal aussagen, warum sie die Antwort gewählt hatte, - und gleich anschließend - und das ist das Bemerkenswerte! - bezog sie automatisch die Antwort der rechten Gehirnhälfte in das System mit ein. Während der Beobachter sofort weiß, warum die rechte Hemisphäre diese Wahl getroffen hat - Schaufel zu Schnee -, konnte die linke Hirnhälfte von P. S. das nur "raten"; er äußerte jedoch: "Man muß den Hühnerstall mit einer Schaufel saubermachen" - nicht als eine Annahme oder eine Vermutung, sondern als eine Feststellung der Tatsache, warum diese eine Karte mit dem Schaufelbild gewählt worden war. Im Grunde entsteht also doch bei P. S. so etwas wie ein integriertes Bild". Das Gehirn konstruiert (i.w.S.) eine einheitliche Integrationsszene aus diesen doch sehr differenten, ja, inkohärenten Mustern, die vorgegeben sind. Das ist das Entscheidende. Gazzaniga und Le Doux schließen, daß es die Aufgabe unseres "verbalen Ich" sei, eine Art von integriertem Weltbild zu erzeugen - auch aus u. U. differenten Informationen von verschiedenen Seiten. Unser aktuelles Verhalten wird also von beiden Hemisphären bestimmt, aber wenn wir das jeweils Repräsentierte deuten, interpretieren, stellen wir doch eine Einheitsdeutung her. Das "sprachliche Selbst" (das "verbale, natürliche Sprachsystem") sieht sich gleichsam um und schaut, was die Person tut und benutzt die Resultate dann, um das, was dabei herauskommt, zu integrieren, um die Wirklichkeit einheitlich zu interpretieren. Das sprachliche Selbst fungiert also offenbar als eine überformende sekundäre Handlungsdeutungseinheit, welche die Vereinheitlichung in das gesamte System hineinbringt. Deswegen meint Gazzaniga, daß dieses Sprachsystem den Vorrang hat oder in gewissem Sinne die Integration der Person leistet (ebd. 116, 120). Das konnte man an diesem P. S. besonders gut verfolgen, weil er eben die Fähigkeit besaß, auch in der rechten Hemisphäre Sprache durch Lesen zu verstehen und wiederum schriftsprachlich durch die Scrabble-Buchstaben zu kommunizieren. Man hat mit ihm eine Reihe von weiteren Versuchen angestellt: ζ. B. konnte er zwar mit der linken Gehirnhälfte sprachlich reimen (ζ. B. eye - pie), aber er konnte die entsprechenden Ergebnisse jeweils nicht mit der rechten Gehirnhäfte anhand der Bilder vergleichen, auch anhand der Buchstabenkombinationen nicht: Reimen ist also anscheinend eine Angelegenheit der linken Gehirnhälfte, der funktionalphonetischen 5 Seite, das ist also durch konfiguratives Gestaltenerkennen allein nicht zu leisten. Der Schluß, der nun von Gazzaniga und LeDoux daraus gezogen wird, ist der, daß P. S. so etwas wie zwei "Bewußtseine" hatte (man denke an 5 Das sprachmotorische Broca-Zentrum befindet sich bei normalen Rechtshändern in der linken Hemisphäre, und zwar etwa im hinteren Teil des Frontallappens.
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seine beiden Berufswünsche). Zwar war bei ihm offensichtlich nicht alles abgetrennt, es war eine anteriore Commissi«· noch erhalten geblieben, so daß man gewisse Überspielungen oder Reaktionen noch wahrnehmen konnte, z.B. wenn der rechten Hemisphäre "Lache!" präsentiert wurde und er anfing zu lachen, und wenn er dann gefragt wurde, was er denn da machte, da sagte er: "O, was seid ihr für komische Leute" (ebd. 113); und wenn das "Kratze Dich!" aufblitzte, dann kratzte sich der Proband zwar mit der linken Hand am Handrücken der rechten Hand, aber wenn er nach dem Kommando gefragt wurde, riet er "Jucken". Er konnte das also nicht als bloße Ausführung eines Befehls für die rechte Hirnhälfte linksseitig identifizieren. Es ist also offensichtlich so, daß (wie auch sonst) bei P. S. eine Art von "kognitiver Dissonanz" zwischen den beiden Hirnhälften auftrat und dann offensichtlich das "verbale Ich", das Sprachzentrum, so meint Gazzaniga, in gewisser Weise eine Art von szenisch plausibler Integration dieses Wissen der verschiedenen Hälften dennoch herzustellen, in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen vermochte. Das sei also die Aufgabe eines solchen Sprachzentrums bzw. des "verbalen Ich". Gazzaniga spricht in neueren Veröffentlichungen (1988, vgl. a. 1989, 1995) davon, daß in der linken Hemisphäre ein sogenannter "Interpretierer" sitzt, also ein Modul, das diese Integration leistet. Dessen Aktivität beherrsche sprachliche und funktionale Integrationsfähigkeit. Verschiedene Zustände des Gehirn, u. U. "multiple mentale Systeme" (Gazzaniga-LeDoux 1983, 116) oder Zustände, die zunächst von unterschiedlichen funktionalen Einheiten gesteuert werden, werden durch diesen speziellen sprachgebundenen oder sprachbetonenden Interpretierer integriert: "Ein spezieller Interpretierer überblickt alle Handlungen und Gedanken, welche die zahlreichen Module hervorbringen, erzeugt Vermutungen, warum wir tun, was wir tun. Diese Hypothesen wiederum werden zu unseren Überzeugungen, zu unserer persönlichen Sicht der Welt" (Gazzaniga 1988). Der "Interpretierer" ist also selbst ein Meta-Modul, das diese entsprechende Funktion ausführt und eine Art von Integrationsleistung vollbringt. Das ist Gazzanigas Hauptthese. Offenbar hatte P. S. zwei voneinander unabhängige Bewußtseine in den entsprechenden Gehirnhälften, war in der Lage, diese (wenn auch die rechte nur durch die Buchstabenmanipulation) sprachlich oder quasisprachlich zu artikulieren, zu kommunizieren und dennoch auch dann unter der Führung der linken Hemisphäre unter der Einwirkung dieses hypothetischen sogenannten Interpretierers in eine Art von einheitlichem szenischen Konstrukt zu bringen. Gazzaniga und Le Doux geben also der Hypothese von Sperry recht, daß "jede getrennte Himhälfte in vieler Hinsicht einen eigenen Geist zu haben scheint", daß jedoch die sprachliche Seite Anspruch auch auf die Strukturierung der rechten Hemisphäre erhebt und gleichsam die beherrschende Rolle spielt. Gazzaniga fordert - wie gesagt - diesen speziellen Interpretierer, der dieses vertritt und leistet, also ein Funktionsmodul in der linken Gehirnhälfte, die im Grunde diese strukturell formelle, syntaktisch, serielle, abarbeitende Funktionsaktivität bei der Spracherfassung und bei der Integration leistet und die Einheit der Person auf diese Weise als Konstrukt zustande bringt: "Der Mensch besteht aus einem
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Konglomerat von Komponenten des Ich ... Das verbale System 6 ist die beherrschende Instanz über die multiplen Komponenten des Ich geworden" (Gazzaniga - LeDoux 1983, 124). Roland Puccetti geht sogar noch weiter als Gazzaniga, indem er behauptet, daß auch bei ganz normalen gesunden Menschen ohne entsprechende Operation eine mentale Dualität dieser Art gegeben ist. Doppelbewußtsein sei normal (zit. n. Springer -Deutsch 1987, 192). Man kann das übrigens auch bei normalen gesunden Menschen untersuchen, indem man bestimmte Präparate (Natriumamobarbital oder Amytal) in die entsprechenden Blutadern spritzt, die in eine Hemisphäre führen; das ist der sog. Wadatest. Die eine Hirnseite wird stillgelegt, damit man mit der anderen experimentieren kann. Diese Experimente bestätigten im wesentlichen diese Ergebnisse; man kann also sozusagen die Hypothesen tatsächlich in gewissem Sinne radikalisieren. Eine Reihe von Gesichtspunkten spricht dafür, daß auch bei normalen Menschen die rechte Gehirnhälfte andere Identifizierungen vornimmt (etwa entsprechend mit der linken Hand) als die linke Gehirnhälfte (verbal)7. Das läßt sich beispielsweise beim Deuten von aus zwei Gesichtshälften von verschiedenen Personen zusammengesetzen Fotos nachweisen (n. Levy Trevartan - Sperry 1972, zit. n. Springer - Deutsch 1987, 37). Wie gesagt, Puccetti vermutet, daß auch bei normalen Menschen, ohne eine solche Split-brain-Operation, eine mentale Dualität gegeben ist, daß wir also auch so etwas wie eine Art selbständiger Verarbeitungsfahigkeit und eine Art von (Teil-) Wahrnehmungsfähigkeit, eine Art Bewußtsein in jeder Gehirnhälfte haben. Er meint, daß dieses Phänomen des gespaltenen Bewußtseins nicht erst durch die Operation der Balkendurchtrennung erzeugt wird, sondern daß die Balkentrennung eigentlich nur die Information von der anderen Himseite abkoppelt und somit die nachkommende, vereinheitlichende Integration zu einem gesamthimlichen Einheitsbewußtsein verhindert und blockiert. Puccetti behauptet, daß durchaus auch die Bewußtseinseinheit auf eine Gehirnhälfte eingeschränkt sein kann, wenn ζ. B. die Übertragung der Bewußtseinsgehalt auf die andere Seite nicht möglich ist. Der Balken leiste nur die "Übertragung grundlegender sensorischer Information", die dann unter der spezifischen Bewußtseinsform der anderen Hälfte verarbeitet werden. Es gebe also "kein Gesamtbewußtsein", das beide Hemisphä6 Mir scheint das eher nur für die sekundäre äußere, phonetisch-verbal dominierte Kommunikation (also auch für die explizite verbale oder begriffliche Selbstdeutung) zu gelten. Die Handlungsemhett des Ich dürfte wesentlich durch nichtsprachliche Module hergestellt werden. 7 Entsprechendes gilt auch fiir das Hören, wo man Experimente mit dem sogenannten dichotischen Hören macht: Man projiziert verschiedene Signale gleichzeitig auf die beiden Ohren. (Die auditive Verarbeitung ist ja auch kontralateral.) Auch da ergaben sich dann entsprechende Ergebnisse, allerdings auch mit gewissem differenzierenden Verfeinerungen, daß ζ. B. das Resultat auch davon abhängt, worauf der Proband seine Aufmerksamkeiten lenken will, er kann auch das Bewußtsein auf eine der dichotisch gereizten Ohrenseiten besonders hinlenken. Letztlich hat sich auch hier bestätigt, was man beim Visuellen eingesehen hat, daß eben die rechte Hälfte bei den normalen Rechtshändern in überwiegenden Fällen (bis zu 95%) Aussehen, Gestalten zu erkennen gestattet, eher analog darstellt, während die linke eher funktional, seriell abarbeitet, also überwiegend sprachähnlich operiert.
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ren einschließt. Die gute Zusammenarbeit der beiden Hemisphären sei nicht nur dadurch möglich, daß alle Informationsmöglichkeiten, die auf verschiedenen Kanälen erreichbar sind, über den Balken übertragen, integriert werden, benutzt werden, um in ein harmonisches Gesamtbild eingebracht zu werden, sondern vorwiegend auch daher, weil die linke sprachliche Hälfte in der Tat dominierend wirke; tatsächlich einen Beherrschungsanspruch über das Material erhebt, das nur der rechten Hemisphäre präsentiert wird. Puccetti meint sogar, daß "die verbale Gehirnhälfte darauf besteht 8 , dieses Wissen irgendwo unter der Oberfläche zu besitzen, und zu verstehen gibt, daß kein anderes Bewußtseinszentrum existiert, das über jenes Wissen verfügt" (zit. n. Springer - Deutsch 1987, 193). Die rechte Hälfte gebe also der verbalen linken gewissermaßen nur Schlüsselhinweise (cues) und spiele dementsprechend eine eher "zweitrangige Rolle" neben der beherrschenden linken. Die linke Gehirnhälfte ist also nach Gazzaniga und Puccetti u.a. sozusagen die entscheidende Instanz, die in gewisser Weise eine einheitliche Bewußtseinswelt erst nachträglich konstruiert, gleichsam, man könnte sagen: "ideologisch", den Schein der Einheit des Bewußtseins erzeugt. Um eine Einheit des Selbstverständnisses herstellen zu können, wird solch ein Schein erzeugt, interpretativ erzeugt, während untergründig und jeweils nicht gesamtheitlich bewußt die beiden himhälftigen Bewußtseinsarten oder -formen dennoch im Gehirn arbeiten und operieren und erst sekundär, unter Dominieren des linken Bewußtseins 9 , in ein Einheitskonstrukt gebracht werden. Die These wäre also, daß Bewußtseinseinheit ein sekundäres Produkt ist, eine Art Erlebnis- oder Integrationsprodukt oder ein "Konstrukt", ein interpretatives Konstrukt, das aus verschiedenen Modulen, insbesondere der verschiedenen Gehirnhälften besteht und erst eine sekundäre Einheit oder gar eine Scheineinheit stiftet, die dann der Selbstdeutung der Person und auch der Wirklichkeitserkenntnis und der Einheit der Wirklichkeitserkenntnis zugrunde gelegt wird. Wie dem auch sei, es wäre noch die Frage zu beantworten, ob und wie etwa ein solches sekundär konstruiertes vereinheitlichendes Bewußtsein in seiner Einheit nicht doch wiederum rückwirkend die verbale Programmierung der Handlungssteuerung durch die linke Himhälfte oder durch szenische Transformation über die Mustererkennung der rechten Hirnhälfte, die Auffassungen der jeweiligen kontralateralen Teilbewußtseine wirksam beeinflussen kann. Das ist durchaus denkbar und wäre auch verträglich mit der von Flohr erwähnten These, daß diese Neuronenassemblies und die entsprechenden von ihnen produzierten Bewußtseinszustände als interne Zustände eine reale dynamische Existenz haben. Es würde auch unserem Alltagsverständnis entsprechen, daß das Bewußtsein u. U. auch etwas Physiologisches bewirken kann. 8 Das ist natürlich metaphorisch ausgedrückt. 9 Hier müßte man das Zusammenwirken des ursprünglichen linken Sprachbewußtseins und des vereinheitlichten Meta-Bewußtseins noch näher thematisieren. Spielen Ausgangs- und Metarepräsentation bzw. die erste fiinktionell-serielle Interpretation und die vereinheitlichende Metainteipretation auf derselben Funktionsebene ineinander? Verschwindet hier ähnlich wie bei konnektionistischen Lernsystemen die Differenz zwischen Repräsentierendem und Repräsentiertem?
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Unabhängig davon kann man jedoch feststellen - und das ist hier das Wichtige und Entscheidende daß die Einheit des Bewußtseins keineswegs eine phänomenale ί/rgegebenheit zu sein scheint, wie die Erkenntnistheoretiker und Philosophen es seit Descartes immer wieder gedacht haben, sondern sie ist offensichtlich ein eher sekundäres Konstrukt, das erst als eine Art Kombinationsphänomen durch das Zusammenwirken verschiedener Module und insbesondere der beiden Himhälften zustandekommt. Vielleicht wird es erst - jedenfalls meinen viele das, insbesondere auch Gazzaniga - im wesentlichen von den sprachlichen Fähigkeiten etabliert, strukturiert, verfeinert und differenziert. Bewußtseinseinheit in diesem Sinne wäre also ein Interpretationskonstrukt des Gehirns bzw. der Module im Gehirn. Und dabei ist es eigentlich ganz unerheblich, ob nun eine Art von Interpret(ierer) (im Sinne Gazzanigas) als eine Art von innerem dominierenden Homunkulus von der linken Himseite aus alles beherrscht oder ob diese Einheit auf einem Gesamteinschwingprozeß mit Abgleichung aufgrund der selbstreferentiellen internen Dynamisierung der neuronalen Netzwerke in der oben geschilderten Weise zustande kommt. Man müßte das entsprechend auch noch nach den entsprechenden Teilen, Subzentren und Submodulen differenzieren (wir hatten ja bereits von den modalen Zentren, den polymodalen, den supramodalen Zentren gesprochen). Das alles ist natürlich dann sehr kompliziert. Nach Kimura, einem japanischen Neurologen, ist die Dominanzfunktion der linken, der sprachlichen Hälfte des Gehirns vermutlich dadurch bedingt, daß die Evolution bestimmte motorische und handlungsstrukturierende Fähigkeiten auszeichnete, die sich durch die sukzessive Analyse von Symbolketten vorteilhaft aneinanderreihen und beherrschen ließen, wobei insbesondere motorische Abläufe der Sprachwahmehmung und Sprachproduktion bei der symbolischen Verarbeitung und Repräsentation und Steuerung von Handlungen eine wesentliche Rolle zu spielen scheinen. Dagegen würden die räumlichen, holistischen, eher analog repräsentierenden gesamtszenenerfassenden, Mustererkennung aktivierenden, manipulierenden Strukturierungen der rechten Hirnhälfte sich eher für bildliche Richtungsorientierungen und für Richtungsvorstellungen oder für Gesamtmuster eignen und bei derartigen Aufgaben im Vordergrund stehen (n. Springer - Deutsch 1987, 196). Bewußtseinseinheit in diesem Sinne ist also ein Interpretationskonstrukt. Sollte das auch für das Auftreten von Bewußtsein bzw. der spezifizierten himhälftigen Bewußtseine, die man hypothetisch vielleicht annehmen könnte, gelten? Von diesen ist ja nur eines, eben das linkshemisphärische, verbal zugänglich, während das andere gegebenenfalls durchaus eine wichtige strukturierende Rolle mitspielt bzw. intermittierend tätig wird oder imitierend tätig wird. Sind beide ebenfalls nur je solch eine Konstniktbildung? Die zuvor erwähnten Hypothesen scheinen dafür zu sprechen. Eine solche Auffassung hätte allerdings weitreichende Folgen für die übliche Erkenntnistheorie, für die Bewußtseinsphilosophie, insbesondere auch für die Tradition der phänomenologischen Philosophie, die bislang völlig undiskutiert
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oder unbezweifelt von der Irreduzibilität dieser phänomenalen Gegebenheit, also der nichtkonstruktiven Verfassung, ja, von einer unbezweifelbaren Einheitlichkeit oder Einzigkeit des Bewußtseins ausging. Die Folgerungen auch für die Konzepte des Selbst oder des Subjekts bzw. des einheitlichen Ich sind dann entsprechend zu erahnen. Alle diese Begriffe, die in der neuzeitlichen Philosophie als angeblich unreduzierbare Urphänomene ausgezeichnet wurden - und zwar ganz ähnlich von Descartes bis Kant und Husserl 10 - wären einer tiefgreifenden Revision zu unterziehen, die geradezu einer Revolution der Bewußtseinsphilosophie gleichkäme. Das scheint mir ein recht interessanter und wichtiger Ansatz zu sein, der zumindest auch Auffassungen von traditionellen Gehirnmodellen und der Modelle, wie man sich das Bewußtsein und die Fähigkeiten des Erfassens von Inhalten des Bewußtseins vorzustellen hat, verändern könnte. Zwar hat man vieles davon schon geahnt, aber es scheinen doch heutzutage recht neuartige Gesichtspunkte dabei eine Rolle zu spielen, die auch zu theoretischen Ergebnissen führen. Es gibt schöne Beispiele der Informationsverarbeitung, die zum Teil schon durch Studien belegt und bestätigt worden sind bzw. auch einer Differenzierung unterliegen: Beispielsweise hat man im Japanischen mehrere verschiedene Schriftsorten, nämlich Silbenschriften, Katakana und Hiragana, und die alten chinesischen Bilderzeichen, die idiographischen Zeichen, die Kanji genannt werden. Man hat in der Tat (Sasanuma u. a.) festgestellt, daß die Kanjicharaktere im wesentlichen rechtshemisphärisch durch Gestalterkennung identifiziert werden, während die eher buchstabenähnlichen, unseren agglutinierenden Sprachverfahren ähnelnden Silbenzeichen linkshemisphärisch verarbeitet werden. Die visuell bildhafte Verarbeitung bei den Kanji-Zeichen, den chinesischen Zeichen, kann auch erhalten bleiben, wenn etwa durch partielle Ausfalle des Gehirns beim linksseitigen Sprachzentrum, die Fähigkeit Katakana-Zeichen zu erkennen, nicht mehr gegeben ist. Es handelt sich also um eine unabhängige Verortung. 11 Roger Sperry meinte, daß wenigstens zeitweise in Split-brain-Patienten zwei Bewußtseine existierten: "Alles, was wir bisher beobachtet haben, deutet darauf hin, daß bei diesen Menschen nach der Operation zwei unabhängige geistige Einheiten existieren, das heißt, zwei separate Sphären des Bewußtseins: Was in der rechten Hemisphäre erlebt wird, scheint völlig außerhalb des Erfahrungsbereichs der linken Hemisphäre zu liegen. Diese geistige Dimension ist für Wahrnehmung, Denken, Wollen, Lernen und Gedächtnis nachgewiesen worden" (zit. Springer - Deutsch 1987, 185). Es ist die vorherrschende Ansicht, daß diese Split-brain-Patienten aber doch so etwas wie eine Einheit des Bewußtseins und des Welterlebens entwickeln, also eine konstruktive Illusion, die sekundär zustande kommt. Diese Ergebnisse haben bereits zu Folgerungen auf sehen von Neurologen und philosophisch orientierten 10 Als wichtige Ausnahmen von dieser Überzeugung wären Hume und James zu nennen. 11 Im übrigen ist interessant, daß auch für Fremdsprachen die Speicherung auch an verschiedenen Stellen im Gehirn stattfindet, das hat man auch herausgefunden durch solche Tests, natürlich auch weitgehend an Gehirngeschädigten.
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Neurologen gefuhrt. Puccetti wurde schon erwähnt, der meinte, daß tatsächlich auch beim normalert Menschen zunächst so etwas wie ein gespaltenes Bewußtsein da ist, daß eine mentale Dualität normal sei, bei den Split-brain-Patienten werde die Informationsübertragung zwischen den beiden Himhälften blockiert, beim Normalmenschen findet aber immer eine ab- und ausgleichende Integration durch die Überspielung der Gehalte über den Balken und so eine Art von "Interpretation" unter Führung des linken sprachlichen Teils des Gehirns statt. Gazzaniga schließt sich dem mit seiner Hypothese vom Großen Interpreten an. Die Bewußtseinseinheit wäre zunächst auf eine Hemisphäre begrenzt. Andernfalls ergäbe sich eine Verdoppelung des sensorischen Feldes auf bewußtem Niveau, wenn jeweils ein halbes Bewußtsein auf beide Teile übergreifen würde; man würde nicht zu einer Gesamteinheit oder zu einem Gesamtbewußtsein gelangen. Das Gesamtbewußtsein wäre dann also offenbar etwas, das sekundär produziert oder durch Dominieren manipuliert ist: eine Art von Scheinphänomen, von sekundärer Konstruktion. (Gazzaniga sieht das etwas anders, ähnlich wie auch John Eccles 1965.) Die Autoren glauben, daß im wesentlichen die sprachliche, linke Seite des Gehirns die Führung übernimmt und das eigentliche Bewußtsein her- bzw. darstellt, daß das andere unterdrückt wird. Eccles gibt zwar zu, daß es so etwas gibt wie eine rechtsseitige Bewußtheit, aber die Welt der Sprache, der Kultur, des Denkens, das eigentliche Bewußtsein, das eigentlich menschliche Bewußtsein und alles wirklich in dem Sinne höhere "Menschliche" sei aus der linken Hirnhälfte hervorgegangen. Es scheint sich derzeit herauszustellen, daß das eine Übertreibung ist: So wir auch dazu neigen, das Denken und das analytische Denken, das serielle Verarbeiten, das digitale Verarbeiten in seiner Bedeutsamkeit für die Gesamtrepräsentation der mentalen Fähigkeiten zu überschätzen, so könnte das Entsprechende auch hier der Fall sein. Es gibt femer etwas abenteuerlichere Theorien, ζ. B. von Julian Jaynes (1988), der die Hypothese vertritt, daß die Einheit des Bewußtseins sich evolutionär erst spät entwickelt habe und daß ursprünglich, sogar noch vor ca. dreitausend Jahren, der Homo sapiens im Grunde so etwas wie ein Automat gewesen war, der wirkliche Vorstellungen über die Gesamtzeit und den Ablauf seines Lebens nicht zur Verfügung gehabt habe und dem insbesondere der Sinn für die Kürze des Lebens gefehlt habe. Diese Menschen, meint er, "hörten in ihrem Köpfen zwar Stimmen und nannten sie Götter." Doch erst als sie zu schreiben begannen und komplexere menschliche Aktivitäten und die Sprachentwicklung sich vollzogen, habe sich eine Vereinheitlichung und die Vermenschlichung unter der Führung der Sprache aus der linken Hirnseite entwickelt. Homer habe in seinen Epen immer noch Helden geschildert, die eigentlich gar kein eigenes Selbstbewußtsein hatten, sondern im Grunde den Eingebungen der göttlichen Stimmen folgten und in gewisser Weise recht schematisch-monotone standardisierte Rollentätigkeiten ausübten. Für Jaynes hängt also die Bewußtseinsentwicklung ab von der Sprachentwicklung und von dem Aufbau des metaphorischen Ichs im Rahmen der Geschichte, zumal der Sprach-, Schrift- und Kulturgeschichte. Bewußtsein wäre dann nur auf Grundlage der Institution "Sprache" entstanden und selbst eine
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kulturelle Produktion, und nicht rein biologisch angelegt. Das ist eine recht kühne Theorie, insbesondere wenn man bedenkt, daß auch Schimpansen durchaus so etwas wie Bewußtseinsreaktionen haben (sogar Selbsterkenntnis im Spiegel u. ä. leisten) und auch Repräsentationen haben und manipulieren, wenn sie diese auch nicht in sprachlichen Sätzen, insbesondere nicht verbal äußern können (weil ihr Kehlkopf nicht entsprechend gestaltet ist). Sie können aber lernen, Begriffszeichen (im Scrabble- oder Computerspiel) aneinanderzuhängen; sie können somit symbolisch repräsentieren. Sie können sogar auch sich selber symbolisch repräsentieren und (Scrabble-)Sätze über sich selber durchaus richtig formulieren und kontrollieren. Das scheint dafür zu sprechen, das Jaynes1 These zu kühn ist. "Der Wechsel vom Zwei-Kammer-Geist zu einem Bewußtsein" scheint nicht nur eine kulturelle Erfindung gewesen zu sein. Immerhin, viele der hier genannten Autoren machen darauf aufmerksam, daß doch auch hier eine Art von Befreiung stattfinden könnte, wie Arthur Koestler das einmal gesagt hatte in seinem Buch Der göttliche Funke über den Akt der Kreation oder des Schaffens. Man solle sich von der "Tyrannis überpräziser Begriffe, von all den Axiomen und Vorurteilen, die in überreicher Fülle in die Formen gerade unseres spezialisierten Denkens (und das heißt, des abendländischen logischen, methodischen Denkens, H. L.) eingegangen sind", befreien (1960, hierzit. n. Springer - Deutsch 1987, 189). Man sollte in der Tat den anderen Modulen und insbesondere auch der visuellanalog musterrepräsentierenden Hirnhälfte unter dem Aspekt dieser Diskussion der Lateralität neue Chancen geben. Das ist insbesondere wichtig in einer Zeit, in der man besonders auf Kreativität angewiesen ist. Denn die Kreativität scheint nicht allein von der Abarbeitung funktionaler Aufgaben in schrittweiser Abhaspelung abzuhängen, sondern recht stark an diese ganzheitliche Musterverarbeitung, -erkennung usw. gebunden zu sein (vgl. Verf. i. Dr.). Es wurde ja vielfach beschrieben, daß man, wenn man über ein Problem nachdenkt, dieses meist gar nicht direkt lösen kann, wenn man am härtesten daran arbeitet, sondern erst und lange Zeit später, wenn man es beiseite gelegt hat, fällt einem dann die Lösung plötzlich ein - oder im Schlaf. Es gibt ja die bekannte Geschichte der Entdeckung des Benzolrings durch Kekule beim Betrachten züngelnder Kaminflammen und Schlangenvisionen. In unseren Zusammenhang ist es passender, den Bericht über Otto Loewis Nachweis kurz wiederzugeben, daß Nervenimpulse mittels chemischer Botenstoffe übermittelt werden - eine Idee, die ihm schon siebzehn Jahre vorher gekommen war, die er aber beiseite gelegt hatte, weil er keine Möglichkeit sah, sie zu testen. Eines Nachts fiel im das plötzlich wieder ein. Er schrieb das auf - und auch ein diesbezügliches Experiment, konnte aber am nächsten Morgen sein Gekritzel nicht mehr entziffern 12 . Er hatte dann glücklicherweise aber in der nächsten Nacht dieselbe Idee wieder 13 : "Es war der Versuchplan eines Experimentes, mit dem ich prüfen konnte, ob die Hypothese der chemischen Übertra12 Das ist mir übrigens öfters auch schon so gegangen, leider. Der Verf. 13 Mir ist das leider bei meinen relativ besten Ideen nicht passiert.
4. Von neuronalen Ensemblestabilisierungen zu Interpretationskonstrukten
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gung, die ich 17 Jahre zuvor geäußert hatte, richtig war oder nicht. Ich stand sofort auf, ging ins Labor und führte entsprechend dem nächtlichen Versuchsplan ein einfaches Experiment am Froschherzen durch" - und das funktionierte. Er arbeitete mit mehreren isolierten Froschherzen, darunter eines mit intakten Nervenverbindungen, eines ohne solche: "Er stimulierte beim ersten Herzen den Vagusnerv. Der Vagus hat eine hemmende Wirkung auf das Herz, daher verlangsamten sich dessen Schläge. Loewi entfernte sofort einen Teil der Flüssigkeit, von der das Herz umgeben war, und führte diesen Teil dem anderen Herzen zu" (zit. Springer - Deutsch, ebd. 188): und - das andere Herz schlug auch langsamer. Das bedeutet natürlich den gesuchten Nachweis. Weitere Versuchen ergaben dann eindeutig, daß die Nerven z.B.das Herz, aber auch andere Organe bzw. Gewebe dadurch beeinflussen, daß sie an ihren Enden chemische Substanzen, also die Neurotransmitter freigeben. Man sieht, daß in gewisser Weise das Finden und Entwickeln von Ideen ein Prozeß ist, der offensichtlich nicht nur von der linken funktionalen, eher seriell arbeitenden und sprachähnlichen Gehirnhälfte gesteuert und erzeugt wird, sondern daß hierbei unterbewußt sehr viel mehr geschieht, zumal die konfigurativen Fähigkeiten des rechten Hirnteils aktiviert werden, die nur zum Teil auch dem Bewußtsein zugänglich sind. Entsprechendes gilt natürlich nicht nur in den experimentellen Wissenschaften, in denen man sich bestimmte strukturelle Problemlösungen einfallen lassen muß, sondern es gilt auch gerade und nicht zuletzt in den anderen geistigen und geisteswissenschaftlichen Disziplinen, Bereichen, Tätigkeiten und in der gesamten intellektuellen Kultur. Deswegen scheint es mir sehr wichtig, daß man diese Differenzierungen zur Kenntnis und ernst nimmt sowie weiter differenziert. Vielleicht ergeben sich hier auch wichtige Folgerungen, die wir für unser Erziehungssystem ziehen müßten, um insbesondere auch die Möglichkeiten zur Förderung kreativer Entwicklungen zu realisieren (Vgl. Verf. Kreative Aufstiege, 2000).
5. Mentale Modelle als Schemainterpretationskonstrukte
Im folgenden möchte ich auf eine spezifische Form von Schematainterpretationen eingehen, nämlich auf die mentalen Modelle nach dem Buch Mental Models (1983) von Johnson-Laird. Insbesondere geht es dem Autor darum, wie wir bestimmte Situationen im Alltag durch Schlüsse interpretieren und auch sehr schnell einordnen können. Denken Sie sich, Sie gehen heute abend auf eine Party, und Sie fragen jemanden, wo das Institut für Philosophie sei. Der Befragte antwortet: "Da drüben ist jemand vom Philosophischen Institut ", und kann auf eine Dame zeigen. Mit anderen Worten: Es wird hier sofort ein impliziter Schluß unterstellt, daß wer vom Institut für Philosophie kommt, auch weiß, wo das Institut sich befindet. (Echte Philosophen würden natürlich die Frage sogleich weiter fortfuhren - im Sinne, die bei uns an der Institutstür steht: "Why are we here?" Das Karikaturmännchen auf der Zeichnung mit großen Augen vor dem entsprechenden Kreuzchen. Aber das lassen wir einmal beiseite. 1 ) Warum habe ich das lustige Beispiel angeführt? Hier ist offensichtlich eine Information gegeben worden, die zu einem verkürzten Schluß ausgenutzt wird, beispielsweise zu einem Schluß mit der Wahrscheinlichkeitsargumentation: Leute, die vom Philosophischen Institut kommen, müssen wissen, wo ihr Institut liegt. Aber wie argumentiert der normale Mensch in diesem Zusammenhang? Er stellt ja nicht einen logischen Schluß in dem expliziten Sinne auf, daß er erst einmal alle Voraussetzungen und relevanten allgemeinen Sätze oder gar Gesetze aufführt, sondern er zieht einen mittelbaren, impliziten Schluß. Was macht er da? Diese Frage kann man als Ausgangspunkt von Johnson-Lairds Entwicklung einer Theorie der mentalen Modelle verstanden werden: Mentale Modelle kann man als innere Darstellungen oder Repräsentationen von Prämissenkonstellationen - als strukturierte Menge von notwendigen und hinreichenden Bedingungen auffassen, die erfüllt sein müssen, damit man eine Situation erfaßt, versteht und einen Schluß daraus ziehen kann. Die Theorie besagt dann, wie wir mit mentalen Modellen dieser Art operieren. Es stellt sich nämlich heraus, daß der Mensch im Alltag keineswegs ausdrücklich oder ausführlich der formalen Logik folgt und etwa direkt logische Schlüsse anwendet. Das konnte man in der Psychologie vielfach nachweisen: Beliebte Fehlschlüsse zeigen das ebenso wie etwa statistische 1 Im übrigen ist es in Karlsruhe durchaus eine interessante Frage, wo das Philosophische Institut sei. Vor einigen Jahren Schloß sich eine Bekannte einer Freundin meiner Frau einer Stadtrundfahrt in Karlsruhe an. Es wurde im Bus erklärt, in Karlsruhe hätten wir eine Technische Hochschule, aber Geisteswissenschaften, Philosophie und so etwas könne man hier nicht studieren. Das wurde definitiv auf der Stadtrundfahrt von der offiziellen Führerin der Stadt Karlsruhe behauptet. Insofern ist es also doch eine interessante Frage, wo das Philosophische Institut in Karlsruhe sei. Inzwischen wurde unsere Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften als hervorragende Reformfakultät vom Stifterverband ausgezeichnet.
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Analysen über die Art und Weise, wie Leute irregeführt werden, indem sie beispielsweise Schlüsse ziehen, die offensichtlich vom assoziierten Inhalt der verwendeten Begriffe, die verwendet werden, oder vom Auftreten der Begriffe in der Argumentationsreihenfolge abhängigen. Insbesondere die Aristotelische Syllogistik, die Lehre von den Schlüssen, den Dreierschlüssen zwischen drei Begriffen, ist von Johnson-Laird (ebd. 64ff.) in dieser Hinsicht untersucht worden. Es stellte sich in der Tat heraus, daß kaum ein Mensch im Alltag faktisch nach den Modellen der Logiker vorgeht. Mit anderen Worten: eine These, die seit Jahrhunderten weitgehend vertreten worden ist - im Grunde sogar noch bis hin zu den Logischen Positivisten und den Wissenschaftstheoretikem im Anschluß an den Wiener Kreis und zur formal-sprachlichanalytischen Philosophie - wird dadurch außer Kraft gesetzt - nämlich die Behauptung, daß der Mensch tatsächlich logische Verfahren in einem inneren Prozessor explizit durchführt oder abarbeitet - ähnlich wie etwa ein serieller Computer - und daß er auf diese Weise eine innere Logik, eine mentale Logik besitze und verwende, die sozusagen in das Gehirn oder in die Fähigkeiten zu argumentieren "eingebaut" sei. Offensichtlich gehen Gedankenassoziationen, Verarbeitungen von komplexen Konstellationen und auch die "Ableitung" von Schlußsätzen aus komplizierteren Zusammenhängen irgendwie auf andere Weise vonstatten. Die Logik, das hat ja übrigens auch schon Husserl in seiner Kritik am Psychologismus gesehen, ist nicht so etwas wie eine Darstellung der Vorstellungsweisen der "real" ablaufenden mentalen oder geistigen Prozesse, sondern stellt vielmehr eine idealisierende (und damit utopische) Konstruktion im nachhinein oder im Idealfall dar: eine Rekonstruktion von idealen Zusammenhängen, die mit dem "wirklichen" (psychisch oder mental realisierten) Räsonieren nichts oder wenig zu tun haben. Ähnliches kann man auch in der Mathematik feststellen: Kaum ein Mathematiker wird mit dem Beweis anfangen, sondern er wird sich etwas "einfallen" lassen, er wird seiner Intuition folgen, er wird darauf warten, daß ihm etwas einfallt, und plötzlich ist dann im Erfolgsfalle die Lösung unter - meist unerwarteten Umständen da; er hat nun eine Art von Vision dessen gewonnen, intuitiv erkannt, was überhaupt als Lösung anerkannt werden kann. Danach erst sucht er nach Hinweisen für eine mögliche Strategie, dafür nun auch einen lückenlosen Beweis zu finden. Den Beweis zu entwickeln, ist oft ein langer Weg der Ausarbeitung aufgrund der Vorausintuition der Lösung und dieser strategischen Vision. Es gibt zweifellos wie visionäre oder intuitive Gesamtvorstellungen, die irgendwie in einer besonderen Weise im "Geiste" (was immer das heißen mag) repräsentiert werden und die doch in der Lage sind, uns zu Folgerungen oder Schlußsätzen zu fuhren, welche dann schrittweise durch vorgehende logische und gegebenfalls empirische Verfahren schließlich rekonstruiert, bewiesen oder erhärtet werden oder - in vielen Fällen - widerlegt bzw. falsifiziert werden. Johnson-Laird meint, ein mentales Modell sei eine einzigartige (singulare) mentale Repräsentation, also eine repräsentative Installierung, die aus der Menge von Modellen mehr oder minder unterbewußt oder intuitiv herausgegriffen wird,
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S. Mentale Modelle
die bestimmte Behauptungen, Prämissenkonstellationen erfüllen. Wir konstruieren, wenn wir eine komplexe Situation und ein Problem haben, bezüglich deren wir Schlußfolgerungen vornehmen wollen, so etwas wie eine Erfüllung der Prämissen dieser Konstellation in einem einzigen tentativen Modell, in einem "mentalen Modell" eben, das irgendwie - wir wissen nicht wie - in unserem Vorstellungsvermögen repräsentiert ist. Und dann arbeiten wir mit diesem Modell nach einen verfeinerten, raffinierten "Versuch-und-Irrtum"-Verfahren. Wir versuchen, die Erfüllung der Prämisse einerseits an bestimmten Variierungen der entsprechenden Begriffe oder der Konstellationen der Merkmale in der Welt zu testen, das Modell unter leichten Abwandlungen anzuwenden. Insbesondere prüfen wir, ob sich falsche Konklusionen bei vorausgesetzten wahren Prämissen ergeben. Das heißt, wir testen das Modell sozusagen am typischen Einzelfall und versuchen, wenn wir eine Erfüllung erreicht haben, an abgeänderten typischen Einzelfällen eine Art von Falsifizierung vorzunehmen, das Modell irgendwie zum Scheitern zu bringen. Das ist jedenfalls die Grundidee, die Johnson-Laird vorschwebt. Man hat ein Arbeitsmodell des Phänomens bzw. der Konstellation "in seinem Geiste", hat dieses also "mental repräsentiert" und arbeitet zunächst versuchsweise mit diesem Modell als einem einzelnen, irgendwie "im Mentalen" konkret realisierten oder repräsentierten (Quasi-)Bild der Konstellation. Man wendet das Modell an und, wenn man es zunächst erfolgreich an vorgestellten Anwendungsbeispielen durchführen kann, also an verschiedenen Einzelfällen "verifiziert" hat, dann sucht man nach falsifizierenden Instanzen. Wenn solche nicht eintreten, fühlt man sich bestätigt und übernimmt die Schlußfolgerung bzw. faßt das mentale Modell als (vorerst) bestätigt oder bewährt auf. Das ist die methodologische Grundkonzeption, die aus der Wissenschaftstheorie des kritischen Rationalismus übernommen zu sein scheint. Wir sind im Alltag kritisch-rationale Kleinforscher, Problemloser, Hypothesenentwerfer und Falsifikationsprüfer. Die genauere Grundidee über die Repräsentationsrolle der Modelle fuhrt Johnson-Laird selbst (ebd. 2f.) auf einen Philosophen, Kenneth Craik, zurück, der bereits 1943, also noch vor der praktischen Entwicklung und Verbreitung der Computer, eine Theorie der Erklärung durch interne Modelle entwickelt hat, (die übrigens an einer Stelle Bezug nimmt auf Rechenmaschinen). Gedankenmodelle sind (wie) Symbolmodelle und repräsentieren die äußere Realität ganz ähnlich wie äußere "Verkleinerungsmodelle" Symbolrepräsentation ("symbolism") ist die Hauptidee (zit. Johnson-Laird 1983, 3). Craik schreibt ausdrücklich, daß wir darauf angewiesen sind, externe Prozesse oder Daten in eine innere Darstellung, in eine interne Repräsentation zu "übersetzen", daß wir versuchen, andere Symbole durch eine Art von Schlußprozeß aus diesen inneren Daten abzuleiten und zwischen ihnen eine Verbindung herzustellen. Man arbeitet sozusagen an und mit dem inneren Modell, transformiert es oder bringt es in einen anderen Zustand unter ständigem Variieren und Überprüfen an einer vorgestellten Anwendung auf Beispielsfälle. Es muß schließlich eine "Rückübersetzung", Rückbeziehung dieser Symbole innerhalb des inneren Modells nach "außen", also in Handlungen geben,
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also eine Re-Transformation in einen Einfluß auf die äußere Welt. Dieses Verfahren der inneren Modellierung und Modellvariation sei viel einfacher, ökonomischer, sinnvoller und angepaßter als das "Hauruck"-Verfahren des groben "trial and error". (Man denke etwa auch an die Idee des Denkens als eines virtuellen Probehandelns, die von George Herbert Mead stammt.) Craik sagt, ein Modell bedeute für den Organismus2 die Bildung und Verarbeitung "eines >verkleinerten< Modells der externen Realität und seiner (des Organismus, H. L.) Handlungen in seinem Kopf'. Der Organismus ist dadurch in der Lage, verschiedene Alternativen auszuprobieren, die beste darunter zu erschließen, auf künftige Situationen im vorhinein ("antizipatorisch") zu reagieren, Wissen über vergangene Ereignisse sinnvoll anzuwenden - gegenwärtig, aber auch projektivantizipatorisch, d.h. "auf jede Weise umfassender, sicherer und kompetenter, auf die begegnenden Notsituationen ("emergencies") zu reagieren" (Craik 1943, 5, n. Johnson-Laird 1983, 3). Kurz: Der flexible reaktive Organismus entwickelt ein mentales Modell. Es ist das Darstellungs- und Übersetzungsmittel für prozessuale Erarbeitungen von Problemlösungen. Das Modell hat die Aufgabe, eine "Beziehungsstruktur" ("relation structure") wiederzugeben, also das, was ein Mathematiker etwa als eine Abbildung auffassen würde, sei es nun eine strukturerhaltende (homomorphe) oder gar eine stnikturidentifizierende (isomorphe) Abbildung. Die Grundidee von Craik, die von Johnson-Laird übernommen und von ihm weiter ausgearbeitet wird zur Idee der mentalen Modelle, ist, daß Gedanken die Realität entweder modellieren oder parallelisieren ("simulieren"), also diese mit Hilfe solcher Modelle, mit Hilfe solcher symbolischer Darstellungen und Zusammenstellungen nachzeichnen. Die mentalen Modelle repräsentieren gedanklich die Problemlage, bieten in gewisser Weise eine Art von "innerer" Wiedergabe, eine innere "Verdoppelung" oder eine "innere mentale Replikation" ("inner mental replica") (Johnson-Laird ebd. 11), also ein inneres Modell mit eben derselben (oder relevant ähnlichen) Relationsstruktur wie das repräsentierte Phänomen. So ähnlich sei es auch dann mit den Versuchen, zu schließen, logische Schlußfolgerungen abzubilden oder Entscheidungen in bestimmten komplexen Situationen zu finden: Man baut sich mentale Modelle, arbeitet mit den Strukturen dieser internen Modelle und verrechnet sie, geht damit um wie ein Computer und zieht dann gewisse Sätze als Schlußfolgerung heraus, die dann wiederum nach außen "gewendet", rückübersetzt, angewendet werden. Die Frage ist nun: Wie können solche Modelle verwendet werden, wie können sie überhaupt verstanden werden, und was sollen sie sein? Zunächst sind sie nichts anderes als postulierte Strukturrepräsentationen. In der Tat: bei Johnson-Laird bleiben sie auch Postulate; er sagt eigentlich nicht, wie die Modelle im einzelnen psychisch oder gar neurophysiologisch repräsentiert werden; das sei heute (1983) auch noch gar nicht vom Stand der Wissenschaft zu leisten. Sondern er fordert sie als "theoretische Entitäten", als theoretische Erklärungsvariablen, die wir benutzen 2 Damit meinen wir abstrakter auch irgendein physisches, "physikalisches oder chemisches", informationsverarbeitendes System, das "eine ähnliche Relationsstruktur hat wie der ProzeB, den es imitiert" (Craik 1967, 51).
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müssen, um unsere Schlußverfahren, um unser Denken überhaupt in gewisser Weise beschreiben und im Zusammenhang (seiner Komponenten selber und mit der Handlungs- und Wirkwelt), erklären zu können und dann bewußt Handlungen planen und durchführen zu können. Es sind die mentalen Modelle, also "theoretische Entitäten", die in gewisser Weise die früher angenommene "hypothetische mentale Logik"(ebd. 397) ersetzen, die angeblich nach den bekannten logischen Regeln (etwa der Junktoren- oder Quantorenlogik oder gar der Syllogistik) psychische Prozesse beschreiben sollte - was schon Husserl und Frege widerlegten. Die Installierung von solchen logischen Schlußverfahren selbst in das Feld des Geistes ist aber nicht als mental-psychisch realisiert zu denken. Sie sind eben modellvermittelt, stellen theoretische Konstrukte oder theoretische Entitäten dar, die im Grunde den Charakter eines normativ wirkenden Postulats oder Standards haben. Wir entwickeln sozusagen Projektionen, mit denen wir versuchsweise arbeiten oder reale Vorstellungsabfolgen nachträglich bewerten. Johnson-Lairds mentale Modelle haben ihre Berechtigung in erster Linie deswegen, weil sie eine "Vereinheitlichungsfunktion" ausüben (ebd.); sie vereinheitlichen gewisse Gedanken und Vorstellungen und können uns relativ schnell in die Lage versetzen, auf diese Weise einzelne Sätze, Schlüsse, Phänomene auszuwählen, z.B. eben in dem vorhergenannten Beispiel und auch in der Syllogistik. Johnson-Laird versucht (ebd. 64ff.) anhand der Syllogistik, solche Dinge darzustellen: Die einfachsten Beispiele sind ja solche, daß Alle a b sind: Alle Menschen sind Säugetiere Alle Säugetiere sind Lebewesen Alle Menschen sind Lebewesen Wir kennen deren Verdeutlichungen in sogenannten Eulerschen Kreisen bzw. Venn-Diagrammen, die man für die Syllogistik sich entwickelt hat.3 Man dachte bisher immer, alle syllogistischen Urteile könne man so darstellen, aber das ist nicht der Fall. Es gibt eine Reihe von solchen Syllogismen, die auf diese Weise nicht darstellbar sind, insbesondere wenn es darum geht, daß mehrere Quantoren in einem Satz vorkommen: "Jeder liebt irgend jemanden" (ebd. 93); so etwas läßt sich in solchen Euler-Kreisen oder Venn-Diagrammen nicht darstellen.4 Jedenfalls ist sicher - und Johnson-Laird und Mitarbeiter (vgl. Johnson-Laird ebd. 102ff.) haben das durch viele Beispiele, auch Experimente psychologischer Art, gezeigt, daß erstens Menschen üblicherweise nicht oder kaum den traditionellen 3 Wenn man beispielsweise noch den Gesamtrahmen oder die Gesamtwelt angibt (in einem Viereck repräsentiert), die durch solche Kreise für Gattungen unterteilt wird, dann nennt man diese Kreise Venn-Diagramme. Diese sind insofern aber auch etwas anderes, als direkte strukturgleiche Repräsentationen von Weltverhältnissen, weil sie auch dazu dienen, bestimmte Α usschlußmöglichkeiten bei negativen Urteilen hervorzuheben (z.B. Steine sind keine Lebewesen, und deswegen können Steine auch keine Menschen sein); Negationen jedoch kommen in der Welt nicht vor, sondern nur in unserer Modellrepräsentation. Die Verfeinerung der Methode der Eulerschen Kreise in bezug auf Komplementbildungen in einem Gesamtraum, in bezug auf negative Urteile, Ausschlußinstanzen und positive Überlappungen und findet nur auf der Repräsentationsebene statt. 4 Ganz abgesehen davon entstehen auch Schwierigkeiten bei der Anwendung, wenn man eine Projektion von Mengen, die endlich sind, auf unendliche Punktmengen vornimmt, aber davon kann man sich durch Abstraktion befreien, das ist also nicht das Hauptproblem.
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syllogistischen Regeln der Aristotelischen Logik folgen, wenn sie im Alltag schließen oder wenn sie ähnliche, ζ. B. wahrscheinlichkeitsbasierte Folgerungen vornehmen - außer in ganz einfachen Fällen, wo äußerst einfache Subsumptionsschlüsse vorliegen. Aber je komplexer die Prämissenkonstellation wird, desto schwieriger wird es, sich diese und den Schluß zu verdeutlichen, desto häufiger treten Fehler auf, desto länger dauert es, bis man irgendwie eine sinnvolle Lösung gefunden hat. Das Auftreten von vielen Fehlem bei solchen "Folgerungen" hat Johnson-Laird dazu geführt zu glauben, daß dieses syllogistische Modell in der mentalen Wirklichkeit gar nicht verwendet wird, sondern ein anderes Verfahren, das eben durch die Verwendung mentaler Modellierungen und das probeweise Anwenden von mentalen Modellen gekennzeichnet ist. Er meint, daO im täglichen Leben der Inhalt auf Schlüsse durchaus einen Einfluß nimmt, z.B. fuhrt er den Satz an, der bei Aristoteles schon als Schluß analysiert wurde: "Jeder Mensch ist ein Lebewesen. Kein Stein ist ein Mensch. Also ist kein Stein ein Lebewesen" (Johnson-Laird ebd. 133). Das ist natürlich ein falscher Schluß, obwohl er inhaltlich zunächst zu einer richtigen, wahren Konklusion führt. Wenn man das Wort "Stein" nämlich durch etwas anderes ersetzt, statt "Stein" "Pferd" sagt: "Jeder Mensch ist ein Lebewesen. Kein Pferd ist ein Mensch. Also: Kein Pferd ist ein Lebewesen" (ebd.), dann sieht man ganz "manifest" an dieser Interpretation derselben Struktur, wie sie der zuvor als gültig angesehene Schluß aufweist, daß das kein gültiger Schluß sein kann. Man hat durch eine andere Interpretation, eine andere Belegung, aus wahren Prämissen eine falsche Konklusion erzeugt. Offenbar spielt die inhaltliche Vorstellung von "Pferd" oder "Stein" in dieser "Schlußfolgerung" eine Rolle. Die Menschen neigen jedoch dazu, das ist empirisch nachgewiesen, diesen Schluß als gültig anzusehen.
Offensichtlich ist die wirklich mental durchgeführte, psychisch irgendwie realisierte, repräsentierte Methode des alltäglichen Schlußfolgerns eine andere. Man konstruiert, meint Johnson-Laird, eben so etwas wie ein endliches Modell von den Prämissen und ihrer Konstellation, formuliert auf dieser Basis voraussichtliche oder vorläufige tentative Schlußfolgerungen und sucht erst danach nach Bestätigungen, nach wiederlegenden Instanzen, die Gegenbeispiele für die Konklusion darstellen könnten. Man versucht beim letzteren Vorgehen, eine Erfüllung der Prämissen in bezug auf einen Schlußsatz zu falsifizieren, zum Scheitern zu bringen. Diese beiden "Schlüsse" zeigen das auch: Das erste ist etwas, was naheliegt: Jeder Mensch ist ein Lebewesen. Kein Stein ist ein Mensch: diese Prämissenkonstellation läßt sich erfüllen, der Schlußsatz aber, den man sucht, "Kein Stein ist ein Lebewesen", ist natürlich richtig. Aber es läßt sich mit formal derselben Prämissenkonstellation eine Belegung finden, wenn wir eben "Stein" durch "Pferd" ersetzen, die zu einem falschen Schlußurteil führt, also kann das formal nicht in Ordnung sein. Wir haben also aufgrund von Belegungen und Variierungen der Interpretation dieser Prämissen so etwas wie eine Falsifikation gefunden, und können daraus schließen, daß dieser Schluß nicht haltbar ist, nicht allgemeingültig ist. Wir finden also: Dieselbe Konstellation führt manchmal zu falschen Sätzen, und das würde heißen, daß dieses konkrete mentale Modell der intuitiven Erfassung dieses syllogistischen Schlusses nicht gangbar ist. Man muß es ändern und man kann es auch ändern, man kann z.B. einfach die Sätze der Konklusion und der Prämissen umtauschen:
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Kein Stein ist ein Lebewesen. Jeder Mensch ist ein Lebewesen. Kein Stein ist ein Mensch. Dieser Schluß ist in Ordnung. Man kann sich das anhand der Eulerschen Kreise darstellen:
Abb. 5.1 Die Situation vorher war: "Mensch" fällt unter "Lebewesen", "Stein" fällt nicht unter "Mensch", könnte aber - dies schließt die letztere Information nicht aus unter "Lebewesen" fallen. Man muß also zu einer anderen Konstellation übergehen: "Mensch" fällt unter "Lebewesen", "Stein" liegt gänzlich außerhalb: Jeder Mensch ist ein Lebewesen. Kein Stein ist ein Lebewesen, jetzt bezieht man also die Trennung nicht auf "Mensch" und "Stein", sondern auf "Lebewesen" und "Stein". Falls wir "Pferd" für "Stein" einsetzen, träfe die Überlappung zu und dann wäre es ein falscher Schluß. Wenn wir aber die Behauptung in der Prämisse darauf beziehen, daß Steine und Lebewesen keine gemeinsamen Elemente haben, sondern disjunkt sind, dann könnten wir die zweite Prämisse (Kein Stein ist ein Lebewesen) annehmen und könnten daraus dann schließen: Kein Stein ist ein Mensch. Damit haben wir die syllogistische Modellerfassung geändert, wir haben einen anderen Syllogismus genommen: Und man hat auf diese Weise das hier relevante Modell jetzt geändert, das Modell ist also dadurch modifiziert worden, daß man festgestellt hat, mit einer Prämissenkonstellation kommt man u.U. zu falschen Schlüssen, und deswegen kann dieses intuitive Deutungsmodell nicht generell stimmen. Durch Veränderung der Prämissenanordnung und Vertauschung einer Prämisse und des Schlußsatzes kommt man dann zu einem möglicherweise gültigen Syllogismus. Dies ist nur ein Beispiel einfachster Art, das dargestellt werden kann und Johnson-Laird behauptet, er könne das mit seiner symbolischen Notation einfacher fassen und ohne Schwierigkeiten, obwohl es bei weitem nicht so visuell eingängig ist wie die Methode der Kreise, aber - und da hat er natürlich recht - diese Kreismethode versagt, wenn man mehrere Quantoren in einem Satz miteinander verbindet: "Jeder liebt jemanden." Wie soll man das mit den Kreisen darstellen? Dazu bräuchte man variable Kreise und Veränderungen. Insbesondere
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gilt das, wenn mehrere Quantoren hintereinander geschaltet werden oder wenn bestimmte Verhältnisse in der Alltagssprache sofort zu einem intuitiven Schluß führen, den die Logik durch Quantoren, insbesondere in der ersten oder zweiten Stufe der Prädikatenlogik, gar nicht ausdrücken kann: "Mehr als die Hälfte der Musiker waren klassisch ausgebildet, mehr als die Hälfte waren Rockmusiker, also sind einige der klassischen Musiker auch Rockmusiker", das ist ein Schluß, der sich in der traditionellen formalen Behandlung mit "alle" und "einige" zunächst gar nicht erfassen läßt, sondern da muß man sehr viel kompliziertere Gesichtspunkte über Hälften und Identitäten, also höhere Stufen der Prädikatenlogik hinzunehmen, um das zu erfassen. Aber der Alltagsverstand kann das sofort leisten, sieht sogleich, daß da Überschneidungen sein müssen: Wenn mehr als die Hälfte dies und jenes ist, dann muß eine Überschneidung da sein. Im Grunde ist man also in der Lage, sozusagen intuitiv Prämissenkonstellationen auf diese Weise zu projizieren, zu erfassen, irgendwie zu repräsentieren, sei es quasi-visuell oder sei es begrifflich. Aber man hat das Ergebnis fast unmittelbar gegenwärtig. Der Mensch ist also in der Lage, recht schnell solche Schlüsse zu vollziehen, die Alltagslogik enthält sozusagen implizit eine Art von intuitiver recht leistungsfähiger Logik, die nicht durch die formalen Regeln der Schlußlogik einfach so erfaßt werden können, wie wir sie in der Aussagen- und Prädikatenlogik, insbesondere erster Stufe, lernen. So ähnlich wie bei dem obigen syllogistischen Beispiel würde man, meint Johnson-Laird, auch in der Alltagsrealität vorgehen. Er hat dann versucht, eine Art Notation für solche Modelle zu entwickeln. Er identifiziert das Symbolgefüge - als "Token", wie die Semiotiker sagen - als konkretes Zeichenvorkommnis - geradezu mit dem Modell. Das ist natürlich auch nur eine Verdeutlichungsweise, aber sie ist relativ einfach, und man kann damit arbeiten. Für solche Schlüsse wie "Alle Menschen sind Säugetiere" (m = s), "Alle Säugetiere sind Lebewesen" (s = 1): m=s s=1 m=s s=1 m=s s=1 m=s s=1
(»)
(1) (Die Buchstaben in Klammern notieren, daß evtl. weitere Exemplare der Gattungen existieren; das Identitätszeichen bezieht sich auf Individuen, nicht auf Eigenschaften, Relationen usw.) In der angedeuteten Weise kann man dann versuchen, die syllogistischen Schlüsse zu erfassen oder in ein Modell zu bringen, das, wie Johnson-Laird meint, in gewisser Weise genau die wesentlichen Zusammenhänge abstrakter oder in gewisser strukturidentischer Weise (was die relevanten individualontischen Verhältnisse angeht) eben durch eine solche Symbolik darstellt. Er behauptet
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sogar, das sei im Grunde so etwas wie eine konkrete Wiedergabe einer Abbildung zwischen den entsprechenden Entitäten, die ein mentales Modell darstellen. Manche der Schwierigkeiten, die sonst bei der Syllogistik auftreten, kann man auf diese Weise vermeiden. Beispielsweise kann man solche Schlüsse wiedergeben, die in der Syllogistik nicht formuliert werden können: "Mehr als die Hälfte der Musiker waren klassisch (k). Mehr als die Hälfte der Musiker waren in Rockgruppen (r)", woraus man schließt: "Einige der Musiker waren sowohl klassisch (ausgebildet) als auch in Rockgruppen (tätig)" (Johnson-Laird ebd. 140f.); denn das kann man syllogistisch in der traditionellen Form nicht darstellen, aber das kann man nach diesem Verfahren darstellen: m=k m=k m=k m=k=r m=k=r m=k=r m =r m =r m =r Man hat also auf diese Weise so etwas wie eine Interpretation, ein ModellKonstrukt, gewonnen, ein mentales Modell konstruiert, das eben diese Prämissenvoraussetzung erfüllt, und von vornherein, wenn man es etwas aufmerksam interpretiert, auch in der Lage ist, den entsprechenden Schluß wiederzugeben. Die Idee, die dahintersteht, ist, daß wir bei einfachen Schlüssen etwa der Syllogistik und ähnlichen anderen Argumentformen so vorgehen, daß man sozusagen implizite Folgerungen dadurch vornimmt, daß man zunächst ein einziges, singulär die Situation der Prämissenkonstellation darstellendes mentales Modell konstruiert, dann explizit dieses Modell verwendet und danach erst nach Alternativen oder nach Teilen innerhalb des Modells, Teilkonstellationen, sucht, die zu dessen Falsifizierung führen könn(t)en, die sozusagen das Modell oder die Prämissenkonstellation widerlegen können. Manchmal muß man gerade bei syllogistischen Schlüssen, mehrere alternative Konstellationen analysieren: Je mehr Altemativanordnungen der Konstellationen es gibt, in denen die Prämissen auftreten, desto komplizierter ist die Angelegenheit, desto länger brauchen Leute, um richtig zu folgern, desto häufiger treten Fehler auf, das ist ja auch ganz einleuchtend. Mit anderen Worten: es hängt offenbar von der Komplexität des Modells ab und von der Durchführung des Verfahrens, das Modell möglichst zum Scheitern zu bringen, ob Menschen Fehler machen, wie lange sie zur Folgerung brauchen u.ä. Man "arbeitet" sozusagen mit diesen internen, den postulierten Modellen. Das Modell hat übrigens, wie Johnson-Laird meint, gewisse Ähnlichkeiten mit bildlichen Vorstellungen, es gibt ja auch Wissenschaftler, die behaupten, daß unser Denken im Grunde eigentlich nur mit Bildern oder mit bildlichen Vorstellungen, mit Images operiert, Johnson-Laird nennt sie (ebd. 147) die
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"Imagisten" (oder "Pictorialisten") im Gegensatz zu den "Propositionalisten". Die letzteren meinen, daß wir im wesentlichen mit Satzkonfigurationen oder sprachlichen Modellen operieren, daß wir so etwas haben wie eine interne Sprache des Gehirns. Besonders bekannt geworden als "Propositionalist" ist Jerry Fodor, der mehrere Bücher über die "Sprache des Gehirns" geschrieben hat: The Language of Thought (1975), The Modularity of Mind (1983), Psychosemantics (1987) usw. Bei den Imagisten kann man vielleicht Kosslyn nennen, der Image and Mind und Image and Brain veröffentlichte (1980 bzw. 1996). Die mentalen Prozesse bei den Imagisten sind im wesentlichen durch vier Punkte (Johnson-Laird 1983, 147) charakterisiert, einerseits steht die Behauptung im Vordergrund, daß mentale Prozesse so ähnlich sind wie die Wahrnehmung von Gegenständen oder Bildern; entsprechend gälte das auch für die mentalen Modelle, wenn man diese auch als Bilder oder Quasibilder auffaßt. Zweitens wäre eine kohärente, also widerspruchsfreie und integrierte Repräsentation einer Szene oder eines Gegenstandes immer von einem bestimmten Gesichtspunkt, von einer Perspektive aus erfaßt und könnte wie ein Bild insgesamt auf einmal aufgerufen bzw. "angeschaut" werden, wäre also als Gesamtes verfügbar und könnte dann entsprechend auch detaillierter sozusagen durch einen Scanner "abgefragt" werden. Drittens gibt es mentale - und zwar stetige - Möglichkeiten, die Bilder zu verändern; man kann also, das ist auch experimentell nachgewiesen z.B. von Cooper-Shepard (1986, 122ff.) zeigen, daß Leute in der Lage sind, in der bloßen Vision vorgestellte Gegenstände zu drehen, und daß die Zeit und der intellektuelle Aufwand, den man für diese intellektuelle Drehung benutzt, von dem Drehwinkel abhängt: Je größer der Drehwinkel, desto längere Zeit braucht man, um zwei Gegenstände, die nur verdreht gegeneinander präsentiert werden, zu identifizieren bzw. als gleich zu erkennen: Wenn nur ein kleiner Drehwinkel vorliegt, dann kann man das sofort sehen: wenn man sich jedoch das Objekt als weit(er) herumgedreht vorstellt, dann hat man größere Schwierigkeiten, macht häufiger Fehler und braucht länger zur Entscheidung. Schließlich repräsentieren Vorstellungen (Images) die Gegenstände in (quasi) analoger Weise, also im dem Sinne, wie etwa Analogdarstellungen gegenüber Digitaldarstellung im Computersimulationen verwendet werden: Die strukturellen Beziehungen zwischen den Teilen entsprechen wahrnehmbaren Relationen zwischen den Teilen der Gegenstände und werden in analoger Darstellung abgebildet. Das ist bei den Satzdarstellungen anders. Zenon Pylyshyn, der zu den überzeugten Propositionalisten gehört, meint ähnlich wie Fodor, man könne mentale Prozesse als Kettenanordnung von inneren Symbolen auffassen, ähnlich wie ein geschriebener Satz eine Anordnung von Buchstaben und Worten ist. Man könne jedem Wahrnehmungsakt und auch jeder Darstellung eines Gegenstandes und Bildes eine Symbolkette zuordnen, die gleichsam den informationellen Gehalt des Bildes dann in Übersetzung eben in eine (quasi) sprachmäßige Form darstellt - natürlich in einer inneren mentalen Sprache. Die "Teile" von einem solchen Gegenstand können durch verschiedene Propositionen, also Sachverhaltsaussagen, "dargestellt" werden, die dann insgesamt so etwas wie eine Beschreibung des entsprechenden Gegenstandes
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darstellen. Diese Art von Repräsentation durch sprachförmige Signal- oder Symbolverkettung wäre also diskret und digital; denn die Zeichen sind ja aneinandergehängt. Sie ist keine Analogdarstellung. Die Zeichen könnten aber - so wird behauptet - ähnlich den analogen Ausgangsbildern durch je symbolisch charakterisierte konkrete Schritte, durch Unterteilung, durch Unterrasterung, durch "Sampling" auch Konfigurationen abbilden. Dies funktioniere wie beispielsweise das Wiedererkennungssystem beim Bundeskriminalamt, wo man versucht, durch Punktrasterung gewisse Gesichter wiederzuerkennen und im Computer durch digitale Verarbeitung evtl. gar maschinell identifizierbar wiederzugeben. Diese bildidentifizierenden Propositionen, also die Sachverhaltsaussagen, beziehen sich dabei auch auf die Gegenstände, die in diesen Sachverhaltsaussagen beschrieben werden, d.h., man muß Merkmale haben und Prädikate für Merkmale, und diese Propositionen können wahr oder falsch sein. Das ist der wesentliche Unterschied gegenüber der bloßen Bildrepräsentation, die in diesem strikten Sinne ja nicht wahr oder falsch sein kann. Die Kritiker der Bildvorstellungstheorie meinen, daß man zu einem derartigen Bild auch jeweils die zugrundegelegten satz- oder sprachförmigen Darstellungen konstruieren könne und daß die Bildvorstellung nur so etwas sei wie eine überflüssige sekundäre, epiphänomenale Zutat, die aber keine Rolle für die eigentliche interne Verarbeitung des Modells spiele. Die interne Verarbeitung geht nach diesem Muster der Propositionslisten (quasi) digital oder wie in einem Computer durch (bloß) syntaktische Abarbeitung von Symbolketten vonstatten. Der größte Unterschied besteht wohl darin, daß die Imagisten behaupten, die Images oder die Vorstellung würden die Gegenstände direkt repräsentieren, während die Vorstellungen der Propositionen nur indirekt und eben symbolisch repräsentieren und wahr oder falsch in bezug auf Gegenstände und die Zuordnung von Merkmalen sind. Die Modelle, die mentalen Modelle, die Johnson-Laird im Auge hat, weisen jedoch im Grunde Charakteristika von beiden auf: Sie sind einerseits den Bilderfassungen ähnlich: Man versucht eine Prämissenkonstellation mit einer ganzheitlichen Intuition durch ein mentales Modell zu erfassen; andererseits werden ihre Merkmale durch Prozessoren be- und abgearbeitet, umgeformt ähnlich eben der Abarbeitung von Computerprogrammen. Insofern ist JohnsonLaird auch gezwungen, zwei Stufen unterhalb der bloßen Repräsentation eines Sachverhaltes durch die äußere Aussage, durch die Äußerung eines Sprechers anzuführen oder zu unterlegen. Er vertritt also eigentlich eine Drei-Stufen-Theorie (ebd. 244 f., 407) der mentalen Repräsentation, wobei eigentlich nur die beiden unteren Stufen wirklich mentale Repräsentationen sind, die oberste weist eine extern zugängliche Repräsentation auf, nämlich das, was er die Äußerung ("utterance") nennt (das ist die gemachte Aussage oder die geschriebene Formulierung, kann also eine "phonemische" oder eine "graphemische" Repräsentation sein, ebd. 407). Darunter liegt dann - noch relativ "oberflächennah" - das, was er "propositionale Repräsentation" (ebd. 155 f. u.a.) nennt. Diese ist die satzartige oder satzähnliche Darstellung von Sachverhalten, die im wesentlichen das erfaßt,
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was man sprachliche "Bedeutung" nennt, die aber offenbar noch nicht alles darstellt. Johnson-Laird bringt dazu (ebd. 244 u.a.) schöne Beispiele wie das folgende: "Der alte Mann ging oft durch die Straßen der Stadt". Das Gemeinte kann man sich hierbei zwar in etwa vorstellen, man weiß, was das Gesagte bedeutet, aber man hat keinen Bezug zu der wirklichen Situation; man weiß z.B. nicht, welcher alte Mann gemeint ist. Der Autor malt sich nun aus, daß es Einstein in Princeton war, der da durch die Stadt ging; all das weiß man natürlich noch nicht, wenn man die generelle Bedeutung des oben erwähnten Satzes (er)kennt; man kann die Bedeutung des Satzes zunächst ohne weiteres sprachlich verstehen, ohne daß man ihn schon auf eine spezifische Situation im einzelnen anwenden kann. Zum letzteren braucht man den Zusammenhang, dazu benötigt man die Einzelheiten, dazu bedarf es der Referenz, des Bezugs der verwendeten Ausdrücke wie 'der alte Mann', 'die Stadt': Beides muß sich nun auf jemanden oder etwas beziehen: 'der alte Mann' ist zwar hinweisend und bezieht sich genau auf einen. Und natürlich benötigt man - wenigstens implizit - auch raum-zeitliche Bestimmungen wie etwa Ortsangaben, Datum usw. Ein anderes Beispiel, das Johnson-Laird gelegentlich bringt: "Die Sonne sank in einer schönen Abenddämmerung"; auch hierzu kann man sich etwas vorstellen, aber wenn man die Aussage an eine bestimmte Situation koppelt, dann ist etwas Zusätzliches, nämlich ein Sinngehalt, eine Referenz, eine Bezugnahme auf einen Sachverhalt in der Wirklichkeit gewonnen bzw. nötig, der durch die Kenntnis der Bedeutung allein noch nicht gegeben ist/wird; dieses "Zusätzliche" nennt Johnson-Laird "Signifikanz" (ebd. 407). Signifikanz sei nur dann gegeben, wenn man den bedeuteten Satz in eine Situation, in einen Kontext, in Bezug zu Gegenständen gebracht habe, also mit einer Referenz versehen habe, wenn man also eine Szene habe, auf welche die die bloße propositionale Repräsentation, die noch quasi rein satzformig ist und nahe an der Oberflächenäußerung liegt, paßt. Deswegen meint der Autor, daß die propositionalen Repräsentationen (die also den Ausdrücken in der "Sprache der Gedanken" entsprechen, die Fodor im Sinne hatte), dann doch noch zusätzlich durch (Bezugnahme auf) die entsprechenden mentalen Modelle interpretiert (ebd. 156) werden (müssen). Die mentalen Modelle sind also die dritte und die eigentliche Stufe der Repräsentation, die erst die Signifikanz verschaffen kann. Signifikanz entsteht erst auf dieser Ebene. Oberhalb dieser Ebene kann zwar bereits so etwas wie (bloße) Verbalbedeutung entstehen, also die Bedeutung von Sätzen i.a. verstanden werden, aber erst die durch das mentale Modell entworfene Modellsituation läßt dies alles konkret werden. Das mentale Modell und seine Interpretation erst spezifizierten die Bezugsbedingungen, sichern Referenz und Signifikanz. In dieser Weise sind dann gewisse Ähnlichkeiten zu Bildvorstellungen gegeben; man stellt sich eine Szene vor: Der alte Mann, der durch die Stadt - Princeton - geht, ist ein Mann namens Einstein, man hat damit eine Szene repräsentiert, wie es in keiner Weise durch den verbalen Satz oder die propositionale Repräsentation allein gewährleistet ist. Das Modell ist nun in gewissem Sinne nichts anderes als eine Art von Interpretation, szenischer mentaler Deutung oder Verdeutlichung, nämlich in der
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Form, daß eine Situation mittels dieses Modells in bzw. durch die Modellvorstellung vergegenwärtigt wird. Signifikanz wird so dargestellt, gewonnen, aber eben nur als und durch Verwendung eines repräsentativen Samples, einer Auswahl aus einer größeren möglichen Menge von potentiell verfugbaren Modellen. Jedes Modell ist dadurch eben als einziges (singuläres) Modell als Type charakterisiert und als Token mental konkretisiert zu denken, daß es gewissem Sinne - und das ist das Bildähnliche - die Erfassung eines komplexen Zusammenhanges auf einen Schlag, durch einen holistischen Zugriff erlaubt. Aber es gestattet wiederum auch, dieses Ausgangsmodell zu verändern. Das Modell ist sozusagen (nur) ein prototypisches Beispiel, eine Schemaanwendung in einem Fall; es wird versuchsweise angewendet, aber man kann es, wenn es sich beispielsweise als nicht passend erweist, in weiteren Verbesserungsvorgängen entsprechend abändern. Man konstruiert Kriterien (Johnson-Laird ebd. 189) durch das, was Minsky - und nach Minsky (1975) die Informatiker und Psychologen (z.B. Rumelhart 1978) - neologistisch, auch "neudeutsch" (!), die "default values" nennen. Das bedeutet, man nimmt etwas "bis auf weiteres" an, bis es sich als unpassend erweisen sollte: Solange es nicht ein Datum oder eine Erfahrung des Gegenteils gibt, kann man eine bestimmte Annahme in dieser Weise unterstellen: So ist bei dem mentalen Modell, das mit dem Begriff "Hund" verbunden ist, etwa die Vierbeinigkeit inbegriffen. Diese ist im Schema des "Hundes" enthalten, so hatten wir bisher gesagt. Aber es gibt natürlich auch Hunde, die nur drei Beine haben; trotzdem wären sie nach wie vor "Hunde". Das heißt, die Gattungsbegriffe enthalten eine bestimmte Tiefengrammatik, wie Wittgenstein sagen würde, die aus kriterialen Festlegungen folgen dürfte, die "natürlich" bei "natürlichen Arten" in gewisser Weise anderen Gesetzen folgen als bei künstlichen Arten wie Möbelstücken usw. Die Natur hat ja die Arten so eingerichtet, daß man eine Möglichkeit der Interpretation von vorgegebenen Zusammenhängen und Merkmalen gleichsam "vorgeprägt" findet, während bei künstlichen Zusammenhängen, etwa bei abstrakten Begriffen, gesellschaftlichen Prozessen (z.B. beim Begriff "Besitz"), alles weitestgehend der Konvention des Menschen unterworfen ist und in gewisser Weise den Menschen dann auch variabel zur Konstruktion und potentiellen Variation anheimgegeben ist. In diesem spezifischen Sinne wäre das jeweilige mentale Modell dann etwas, das die Realität, in diesem Fall die soziale Realität, erst konstituiert und strukturiert, gleichsam geradezu "macht". Hingegen verhält es sich bei natürlichen Arten (natural kinds) nicht so einfach, obwohl man auch dort mentale "Modelle" unterstellt, sich Schemata und Interpretationskonstrukte erarbeitet, und obwohl es natürlich auch dort - wie ja das Beispiel der Zitronen oder zitronenähnlichen Varianten auf dem Bikiniatoll nach der Explosion der vielen Atombomben zeigte - Fälle gibt, in denen man nicht mehr genau weiß, ob das fragliche Früchtchen nun noch ein Exemplar der natürlichen Art "Zitrone" ist oder nicht mehr. Es gibt also offenbar so etwas wie Randfälle oder verwischte bzw. "verschwommene Ränder" der Begriffe (auch das ist ja ein Begriff, den Wittgenstein (PU § 71) benutzt). Kurz und gut: man muß offenbar mentale Modellkonstruktionen und Begriffe in bezug auf natürliche Arten von solchen
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unterscheiden, die sich auf Arten beziehen, nun wirklich im wahrsten Sinne des Wortes menschengemacht sind und gleichsam erst sekundär so etwas wie eine Art von "Ontologie", nämlich eine soziale Existenz, erzeugen. Das gilt, obwohl die natürlichen biologischen Arten auch erst durch die interpretative und modellierende Tätigkeit des Menschen - sowohl alltäglich wie auch wissenschaftlich herausgegriffen und konstituiert oder konstruiert werden. Bedeutungen, Intensionen 5 und weitere Abstrakta zählen weitgehend auf einer höheren Ebene auch zu den künstlichen Begriffen, also zu den durch Konventionen und soziale Vereinbarungen bzw. Abgrenzungen erzeugten Begriffsfassungen und sind entsprechend auch durch (i.e.S.) künstlich-konstruierte mentale Modelle zu erfassen. Natürliche Arten sind z.B. Äpfel, Silber u.a. Die anderen - wie "Besitz" könnte man "künstliche" oder "konstruktive Arten" nennen. Sie erfordern so etwas wie eine konstruktive Ausbildung der Referentenstruktur bzw. der Semantik, etwa "Wohnung" oder "Heimat", "Stuhl", "Melodie" (Beispiele z.T. nach JohnsonLaird, ebd. 196 u.a.). Das sind Dinge, die im wahrsten Sinne menschengemacht sind, bei denen also die Abgrenzung und die Artenbildung von der menschlichen Konvention und Gestaltungskraft abhängen; sie werden gleichsam durch die unterliegende Struktur der Repräsentation erst erzeugt. Johnson-Laird (ebd. 196) spricht von "konstruktiven Tennen" oder ">konstruktiver< Semantik" oder "konstruktiven Arten", die keine "direkt in der Realität" vorgegebene Grundlage haben (welche von vornherein eine "Natürlichkeit" und ihre Abgrenzung gegenüber anderen Arten und Gegenständen auszeichnen würde), sondern Gehalt und Abgrenzung bei diesen Artefaktarten im wahrsten Sinne des Wortes werden von uns Menschen, erst konventionell etabliert, "hergestellt". Mit anderen Worten: man kann die Konstruktion der mentalen Modelle auch für solche "mentalen Konstruktionen" verwenden, die gar keine materiellen Gegenstände in der Wirklichkeit bezeichnen, sondern so etwas wie eine sekundäre Ontologie, nämlich soziale Gegenstände erzeugen, oder irgendetwas erst in Vorstellungszusammenhängen zu erfassen gestatten. (Hier werden mentale Modelle gleichsam per se sozial stereotypisiert, verbindlich gemacht durch Konvention und Institutionalisierung oder schwächere soziale Standardisierung und Kontrolle.) Es gibt damit auch die Möglichkeit, eine Strukturierung von "Welten" oder Dingen zu entwerfen, denen in der Realität nichts entspricht: In der Tat wir leben ja als Menschen in einer weitgehend von solchen Begriffsstrukturen und -bildungen "gemachten" oder geprägten Welt; die Welt ist für uns zum großen Teil - wenigstens repräsentational, aber sekundär, doch u.U. durchaus lebenswichtig sozial-real eben auch unser Erzeugnis, unser Produkt. Man kann also, wenn man solche Untersuchungen anstellt, schließen (ebd. 203f.), daß weder der Platonische bzw. platonistische Begriffsrealismus Recht hat - nämlich, daß Bedeutungen von Begriffen eine unabhängige Existenz in der Welt hätten, noch daß der Konzeptualismus oder Psychologismus das letzte Wort ist, der Bedeutungen oder Abgrenzungen von Arten lediglich als bloße Erzeugnisse des Menschen sieht.
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Im semantisch-logischen Sinne!
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Beide Richtungen betonen zwar etwas Richtiges, aber es gilt j e nur zum Teil: Die natürlichen Arten sprechen dafür, daß es so etwas wie eine "Struktur" oder, besser, durch Strukturbegriffe zu beschreibende Grundverfassung (Naturunterteilung und -konstanz) in der Welt gibt, eine Unterteilung, die nicht nur auf unsere konventionellen Unterscheidungen zurückgeht, obwohl unsere jeweilige Beschreibung natürlich auch konventionelle Zeichen, Symbole usw. benutzt und auf unsere menschliche Fähigkeit des Strukturierens und Erfassens zurückgreifen muß. Die "künstlichen" oder "konstruktiven" Semantiken hingegen "erzeugen" sozusagen erst ihre "Gegenstände", die ohne unsere begriffliche Tätigkeit gar nicht dagewesen wären. Die mentalen Modelle sind in diesem Sinne Werkzeuge, die sowohl auf natürliche Arten und deren Verhältnisse zueinander Anwendung finden können, als auch in bezug auf "künstliche Arten" oder "Konstruktionen", die selbst ihre Realität erst durch die soziale Verwirklichung der entsprechenden mentalen Vorstellung gewinnen. Die Hauptthese Johnson-Lairds besagt, daß mentale Modelle in ihrer Konstruktion und ihrer Verwendung in jedem Fall so etwas wie eine Wiedergabe, eine analoge, aber eben doch abbildende Darstellung von Zuständen sind, seien diese Zustände nun in der Welt oder seien sie zum Teil sozial im eben erklärten Sinne installiert oder etabliert. Eine Äußerung, sagt er, also eine Repräsentation auf der obersten Ebene fungiert eher wie ein Schlüssel für die Aktivierung und Abrufung, ja. bereits für die Ausbildung, für das Design eines Modells. Wir können durch eine Äußerung allein die "Signifikanz" noch gar nicht verstehen, sondern wir müssen erst so etwas wie ein singuläres situations- und kontextangepaßtes Modell bilden oder anwenden, das Bezug auf unsere bisherigen Fähigkeiten der Einordnung von Situationen und Beschreibungen von Situationen in unsere Erfahrungszusammenhänge der Vergangenheit hat. Wir müssen "Hintergrundwissen" haben, um das tun zu können; wir müssen die Möglichkeit haben, Gegenstände, Situationen, Sachverhalte, Ereignisse usw. in einen bestimmten Kontext einzubetten; wir müssen zu bestimmten bezeichneten oder referierten Gegenständen oder Prozessen dann auch Sachverhalte (sozusagen Komplexionen von diesen) usw. zuorden können; wir müssen also über mehr verfügen als über die bloße sprachliche Bedeutung, um die Anwendung eines Satzes oder eine Äußerung wirklich verstehen zu können. Das, meint Johnson-Laird (ebd. 246 ff.), sei charakteristisch für das Erfassen aller Diskurse, aller Äußerungen und für das Verstehen von solchen Äußerungen; der Diskurs wird nur dann verstanden, wenn er auf Sätze bezogen werden kann, die in bestimmten Sachverhaltskonstellationen wahr oder falsch sind, und das gilt auch für fiktive Diskurse wie Romane usw., deren Erfassung i.a. nicht sehr wesentlich verschieden ist von solchen Berichten, die real existierende Sachverhalte beschreiben. Einen Roman kann man auch lesen und verstehen, ohne daß man ihn als realisiert ansehen muß, sondern man kann ihn als fiktional, als stellvertretend für einen real möglichen Entwurf stehend, interpretieren. Bei dem Verständnis einer Situationsäußerung oder eines Diskurses konstruiert man nach Johnson-Laird ein mentales Modell, das eingebettet in einen bestimmten
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Zusammenhang ist, das eine Menge von ähnlichen Modellen vertreten kann, das getestet wird; und die Interpretation dieses Diskurses hängt sowohl von dem mentalen Modell ab, das man sich gebildet hat, wie auch von dem Prozeß, der dieses Modell konstruiert, bildet, erweitert, ausdehnt, testet, anwendet, modifiziert und eben beurteilt, evaluiert (ebd. 247). Die Funktionen, die diese mentalen Modelle konstruieren, ausweiten, beurteilen, revidieren, sind ganz anders als etwa die Funktionen der Belegung (mit Wahrheitswertung oder Intensionen) in der traditionellen logischen und modelltheoretischen Semantik, sie sind nämlich nicht abstrakt, sondern sie sind konkrete Vorstellungen: Ähnlich wie man mit solchen Bildvorstellungen operiert, so operiert man mental auch mit solchen Modellen, meint der Psychologe Johnson-Laird: Sie seien also nicht abstrakt, sondern sie haben die Funktion, die "propositionalen Repräsentationen", also die satzartigen Darstellungen unterhalb der Äußerungsebene, "in die mentalen Modelle abzubilden" (ebd.), einen Bezug herzustellen zwischen den Sachverhaltsäußerungen oder den Sachverhaltsgehalten, denen eine Äußerung entspricht, und eben der modellerzeugten vollen "Signifikanz", zwischen der Verbalbedeutung (bzw. der Beschreibung) eines solchen Sachverhalts und der vollständigen situationalen modellmäßigen Projektion und Erfassung. Ein Diskurs ist in diesem Sinne also "genau dann wahr, wenn wenigstens ein Modell", das die Wahrheitsbedingungen der entsprechenden Sachverhaltskonstellation erfüllt, in einen Zusammenhang eingebettet werden kann, in dem dieses Modell dann "der" Welt entspricht (ebd. 441). Johnson-Laird hat auch eine Theorie über die partiale oder partielle Wahrheit entwickelt (ebd. 442, s. 1989). Jedenfalls ist es offensichtlich so, daß die mentalen Modelle die unterste erfüllende Stufe der Sinngewinnung, der Signifikanzgewinnung sind, und unterhalb der Sachverhaltskonstellationen, die durch sprachähnliche Formulierungen repräsentiert sind, gefunden werden; sie operieren gleichsam als hypothetische Konstrukte und bringen so etwas wie eine Einheit, eine funktionale Einheit in diese Zusammenhänge. Insofern meint Johnson-Laird, daß Schemata und Prototypen, wie wir sie oben (Kap. 2) diskutiert haben, nichts anderes sind als Prozesse dafür, solche mentalen Modelle zu konstruieren oder spezifische, spezielle mentale Modelle herzustellen bzw. abzurufen. Mir scheint das eher umgekehrt zu gelten; ich meine (s. u.), daß in gewisser Weise die mentalen Modelle eben spezielle Schematisierungen von Situationen sind, einmalige Instantiierungen von Schemata, und daß Schemata in diesem durchaus auch prozessual verstandenen Sinne das übergreifende Prinzip darstellen. Wie dem auch sei, zum Teil ist das auch eine terminologische Frage. Johnson-Laird jedenfalls versucht (ebd. 398ff.) in diesem Zusammenhang die Charakteristik, also das Wesentliche der mentalen Modelle und ihrer Verwendung und Funktion durch zehn Prinzipien zu kennzeichnen und gelangt zu tentativen Antworten auf bestimmte Fragen, die in dem Zusammenhang unseres Gesamtthemas "Das Denken und sein Gehalt", und für die Frage des Bezugs der mentalen Modelle auf die äußere Welt, auf symbolische Funktionen, auf die Bildung und Interpretation mentaler Modelle wichtig und interessant sind.
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Das erste Prinzip, das nach Johnson-Lairds Meinung fur mentale Modelle generell gilt, das wir später aber auf spezielle Repräsentationen (wie etwa formallogische Deduktionen) einschränken müssen, ist "das Prinzip der Berechenbarkeit". Es besagt: "Mentale Modelle und die Maschinerie dafür, sie zu konstruieren und sie zu interpretieren, sind berechenbar" (ebd. 398), sind im Prinzip, wenn auch nicht (notwendig) praktisch, durch eine Turing-Maschine darstellbar.6 Das Verfahren kann man sich etwa dem entsprechend vorstellen, indem man mentale Modelle bei logischen Schlußfolgerungen von einfacher Form benutzt.7 Das zweite Prinzip der mentalen Modelle und Anwendungen ist also das "Prinzip des Finitismus": Ein mentales Modell muß "endlich in der Größe" sein; es kann nicht unendlich viele Teile enthalten; es kann "nicht direkt einen unendlichen Bereich repräsentieren" (ebd.), sondern es kann nur in endlicher Weise etwas modellieren, simulieren, erfassen, reduzieren. In der Tat ist es eine der Hauptfunktionen der mentalen Modelle, die Unendlichkeit dessen, was uns potentiell begegnet, auf einfache handhabbare endlich erfaßbare Formen zu reduzieren. Das dritte Prinzip ist das "des Konstruktivismus"·. "Ein mentales Modell ist aus Tokens", aus Vorkommnissen von Zeichen, "gebildet, die in einer bestimmten Struktur angeordnet sind und strukturentsprechende Sachverhaltsbeziehungen repräsentieren" (ebd.). Das vierte Prinzip wäre das "der Ökonomie in (solchen) Modellen" (ebd. 408): Man versucht, mit einem ökonomischem Vorgehen auszukommen, d.h., es ist nötig und unerläßlich, daß man einfache und endliche Modelle nimmt. Die Notwendigkeit dessen ergibt sich schon aus Überlegungen der Endlichkeit oder Beschränktheit des menschlichen Arbeitsspeichers und des bewußten Verwendens von Vorstellungen in endlicher Zeit und auch aus der Begrenzung der Möglichkeiten der Erfassung generell. Man wählt also ein einfaches "Ausgangsmodell" ("initial model"), das man als plausibel ansieht und dann entsprechend rekursiv fortschreitend verfeinert, wenn es nötig ist. Das letztere ist z.B. dann der Fall, wenn eine entsprechende Schlußfolgerung zu einer falschen Konklusion oder Anwendung führt, wenn man das Modell eben ändern muß oder der Gehalt sich als nicht zureichend erweist. Die Signifikanz ist also eine Funktion sowohl des Modells als auch des Prozesses der Beurteilung und der Verfeinerung des Modells; insofern ist also der Inhalt, der Gehalt, des Modells abhängig von der Einbettung in eine Situation, eine spezifische Umgebung und von der Bezugnah-
6 Weil es sich hier um einen endlichen Automaten handelt, der Zustände abarbeitet, handelt es sich hier im wesentlichen um so etwas wie eine endliche Installierung einer Turing-Maschine. (Auch ein parallelarbeitender Automat kann durch einen Computer von traditioneller NeumannArchitektur simuliert werden, also im Prinzip - bei langer Zeitstreckung - in einem seriell operierenden Informationsverarbeitungssystem "wiedergegeben" werden. 7 Aber die uneingeschränkte Verallgemeinerung auf alle Kognitionen ist sicherlich schon problematisch, wie ein junger Psychologe in Heidelberg, Jürgen Schröder, bereits in seiner Dissertation (1991) gezeigt hat; z.B. wenn man es auf das Sprachverstehen, auf die psychologischen Kognitionen beim Sprachverstehen anwendet.
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me auf designierte Gegenstände, Ereignisse, Sachverhalte, Beziehungen und andere Modelle. Mentale Modelle, das ist die fünfte Bedingung, können insofern (und nur soweit) auch Unbestimmtheiten umfassen, als sie "nicht exponentiell" zu "komplex" werden (ebd. 409). Nicht berechenbare Zusammenhänge, die zu verwickelt sind, deren Komplexität zu sehr, also etwa exponentiell mit der Entwicklung und Revision der Modelle wächst, werden also nach Johnson-Lairds Auffassung von der grundsätzlichen Berechenbarkeit der mentalen Modelle nicht erfaßt; das hängt natürlich mit der Einfachheit zusammen. Sechstens ist dann ein "Prädizierbarkeitsprinzip" zu nennen (ebd. 411), das ich nur erwähnen will: "Ein Prädikat kann auf alle die Terme angewendet werden, auf die ein anderes Prädikat auch angewendet werden mag", aber es kann nicht so sein, daß ein und dasselbe Prädikat verschiedene und "einander überlappende Anwendungsbereiche" hat; ein Prädikat muß wenigstens der Idee nach auf einen Anwendungsbereich zu beschränken sein. Das siebente, das "Prinzip des Angeborenseins" (the innateness principle"), ist eines der interessantesten Prinzipien: "Alle begrifflichen "Primitivelemente" (conceptual primitives) sind angeboren" (ebd.). Das ist die These, die viel umfassender auch Fodor vertritt, aber Fodor hat das eben für die gesamte Ausstattung der Gedankensprache 8 behauptet, während bei Johnson-Laird nur gewisse, nämlich primitive Modellvorstellungen und Teile von Modellen, insbesondere besondere Typen als angeboren gelten. Ζ. B. ist Bewegungswahrnehmung angeboren: Es gibt so etwas wie eine erbliche Ausstattung mit Wahrnehmungsorganen und deren (bzw. unserer) Fähigkeit, Bewegungen in der phänomenalen Welt zu erfassen, die etwa im Sehfeld entdeckt werden; diese Organe und Fähigkeiten sind angeboren, ζ. B. die Fähigkeit, Kontraste und sich änderende Farben, Kanten, Formen feststellen zu können. Solche elementaren Fähigkeiten sind also angeboren, und sie liegen allen unseren anderen Fähigkeiten, die Welt überhaupt repräsentieren zu können, zugrunde 9 , insbesondere den später differenzierter entwickelten merkmalsdetaillierten Wahrnehmungserfahrungen, den Bewegungsfahigkeiten, aber auch den höheren kognitiven Fähigkeiten. Die Bedeutungen semantisch einfacher Wörter, die z.B. nur zur Beschreibung von Bewegungen im Rahmen der Verwendung solcher mentalen Modelle dienen, sind entsprechend aus solchen semantisch primitiven oder Elementarkonzepten zusammengesetzt. Achtens "gibt es eine endliche Menge der begrifflichen Primitiv-" oder Elementareinheiten, "die dann bestimmte >semantische Felder< erzeugen", die durch endlich viele ">semantische Operatoren I I 1 I L 0 40 80 120 160 Rouiionswinkel (Grad) (b) Abb. 6. 4
Dargestellt ist links die mittlere Reaktionszeit in Abhängigkeit vom notwendigen Drehwinkel bei A: Drehung in der Bildebene, rechts bei B: Tiefenrotation (nach Metzler und Shepard, 1974, vgl. Anderson 1988, 83).
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Man gab Figuren vor und fragte die Versuchspersonen, ob diese Figuren deckungsgleich sind; man nötigte die Probanden also, diese Figuren in ihrem Vorstellungsvermögen zu drehen, mental zu drehen. Es ergab sich als Resultat und das ist vielfach bestätigt worden daß ein linearer Zusammenhang zwischen dem Drehwinkel und der Reaktionszeit besteht. Je weiter die Figuren gedreht waren, desto länger dauerte es, sie mental "in der Erinnerung" aufgrund der Drehung zu identifizieren oder als identisch zu erkennen. Es stellte sich heraus, daß man etwa 50 Winkelgrade pro sec. als Drehgeschwindigkeit annehmen konnte. Das war deutlich langsamer als etwa bei Drehungen von Buchstaben, was man auch untersucht hatte (Cooper - Shepard 1973): Wenn ζ. B. ein "R" gedreht oder gespiegelt wurde, und dann die Versuchspersonen feststellen sollten, ob das "R" nun spiegelverkehrt vorlag oder nicht, dann konnten sie das sehr viel schneller ermitteln (n. Anderson 1988, 84). In der mentalen Vorstellung wurde immer der kürzeste Weg bis zu 180° genommen - oder es wurde eben die andere 180°-Hälfte "mental" abgestrichen. (Dort galt zwar auch der lineare Zusammenhang, aber nur bis zum vollendeten Halbkreis.) Man konnte bei dieser Aufgabe durchschnittlich bis zu 300° pro sec. als Drehgeschwindigkeit nachvollziehen bzw. verifizieren. Die Reaktionsgeschwindigkeiten waren wohl auch deswegen viel schneller, weil wir eher daran gewöhnt sind, Buchstaben in der Ebene zu drehen, als beispielsweise das Drehen von komplexer gestalteten räumlichen Körpern, das ein etwas differenzierteres und diffizileres räumliches Vorstellen erfordert, bei dem man sich etwas mental in der dritten Dimension "projizieren" muß. Interessanterweise ist aber auch hier die Abhängigkeit noch gegeben und ebenfalls linear - auch selbst dann noch, wenn man durch die Bildebene drehen mußte, also für Objekte, die sich durch Tiefenrotationen unterscheiden, und nicht nur für Objekte, die in der Bildebene gedreht werden (konnten). Ahnliche Untersuchungsresultate ergaben sich (nach Shepard und Feng) ebenfalls für in der Vorstellung vollzogene Faltungen von Papierschnitzeln, die aus sechs Quadraten bestanden und einen Würfel darstellen sollten: Man mußte den Würfel aus diesen sechs Quadraten mental falten und ζ. B. feststellen, ob ein Pfeil, der sich auf einer Würfelseite befand, mit einem anderen auf einer anderen Seite durch das Falten zur Deckung kommen konnte oder nicht. Je häufiger man falten mußte, je größer die Anzahl der Faltungen war, um diese "Kongruenz" feststellen oder verwerfen zu können, desto mehr Zeit brauchte man. Die mittlere Reaktionszeit war auch linear abhängig von der Anzahl der Faltungen, die nötig war, um diese Identität des entsprechenden entstehenden Würfels bzw. das Aufeinandertreffen der beiden Pfeile auf den Würfelseiten feststellen zu können. Es gibt noch viele weitere Versuchsanordnungen, ζ. B. auch alle jene über, die mentalen Landkarten. Das folgende Beispiel ist von Kosslyn (1980; m. a. 1977f; zit. ebenfalls in Anderson 1988, 86, 94ff.), das er lange untersucht und in vielen Varianten ausgedeutet hat.
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Abb. 6. 5 Eine solche fingierte Landkarte wurde von Kosslyn und Mitarbeiter (1978) verwendet, um die notwendige Verarbeitungszeit beim Absuchen des Vorstellungsbildes in der Erinnerung bis zum Auffinden eines vorher memorierten markierten Gegenstandes zu messen. Die Zeit fur das Durchsuchen der mentalen Landkarte stieg linear mit der Entfernung zwischen dem Ausgangsund dem Suchgegenstand. (Quelle Anderson ebd. 86f nach Kosslyn u. M. 1978).
Man präsentiert also eine Landkarte. Diese sollen die Probanden betrachten und nachher sollen sie die Abstände von Gegenständen auf dieser Landkarte in Relation zu den anderen bezeichneten Orten, Gegenständen usw., also in bezug auf Abstände, Richtungen aus der Erinnerung angeben (können). Auch dort ergab sich ein linearer Zusammenhang; die entsprechende Zeit zwischen zwei vorgegebenen Punkten wurde als lineare Funktion des Abstandes gemessen: Je weiter die Punkte voneinander entfernt waren, desto mehr Reaktionszeit brauchte man. Man ist also bei diesem Prozeß des mentalen Abtastens, des Scannens, im Grunde offenbar in der Lage, sich eine Art von visuellem Bild innerlich ("mental") vor Augen zu führen und dieses abzutasten. Entsprechendes hat man auch an Vorstellungen von langen Schiffen usw. untersucht; das Procedere bzw. die Versuchsanordnung wurden in vielfacher Weise variiert. Das Gesamtergebnis ist, daß offensichtlich in der Tat eine mentale Repräsentation von Bildern in der Erinnerung möglich ist: Man ist in der Lage, mental Bilder abzutasten; und es spricht vieles dafür, daß das mentale Scannen offenbar ganz analog dem Abtasten eines realen gesehenen Bildes entspricht, weil man eben auch die entsprechende Zeit dafür braucht und insbesondere die benötigte Zeit desto größer ist, je weiter man Abstände bzw. Winkel abzustreichen hat. Man kann also etwa in der Vorstellung transportieren (im Sinne einer Translation); man kann mental drehen; aber man kann so auch transformieren und spiegeln. Man vermag in gewisser Weise sogar bloß vorstellungsmäßig Gestaltveränderungen, Verzerrungen vorzunehmen u. ä.. Wir scheinen über mentale Fähigkeiten zur Bildrepräsentation und -variation zu verfügen.
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Die Frage taucht auf: Sind es nun wirklich Bilder, die man "im Kopf hat" oder sind es nur (als repräsentational zu deutende) quasibildliche Anordnungen, die nicht genau den üblichen äußeren Bildern entsprechen, also auch Unterschiede zu diesen aufweisen? Zunächst ist charakteristisch für solche Vorstellungsbilder, daß sie die Eigenschaften aufweisen, die vorhin genannt worden sind: Sie können kontinuierlich variierende Informationen wiedergeben, auf sie können Operationen angewendet werden, mentale Operationen, welche in Analogie zu räumlichen Operationen mit wirklichen Gegenständen stehen oder der visuellen externen Wahrnehmung ähnlich sind. Sie sind nicht an die visuelle Modalität gebunden, sondern man kann solche entsprechenden Versuche auch mit taktilen räumlichen Einordnungen durchführen; das zeigt beispielsweise ein recht interessanter Versuch von Brooks (1964). Brooks (nach Anderson 1988, 87f.) hat bestimmte Buchstaben projiziert und hat dann bestimmte Teile auf diesen Buchstaben ausgezeichnet. Die Versuchspersonen sollten sich dann in der Erinnerung dieses Sonderzeichen vorstellen und variieren, etwa an der linken Kante auf- und abwärtsschieben:
Abb. 6. 6 (Quelle: Anderson 1996, 112)
Sie sollten dann die Veränderungen kontrollieren, entweder indem sie hinterher auf Fragen antworteten, ob dieses Zeichen nach der Verschiebung in der Vorstellung dann nun da oder dort "ist" (dies sollten sie durch sprachliche Beschreibung - durch "ja" oder "nein" - melden) oder durch Klopfen oder durch ein Knopfdrücken oder dadurch, daß sie auf einem anderen Feld ohne Figur
Abb. 6. 7
angeben oder mit der Hand darauf weisen sollten, wo etwa sich dieses Sternchen "jetzt" in der Vorstellung befand. Es stellte sich heraus, daß dieses Zeigen eine beträchtliche Störung in bezug auf die mentale Operation darstellte, die man vorher schon vollzogen hatte. Es war also sehr viel schwieriger, sich gleichzeitig
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6. Quasi-Bilder im Gehirn?
dieses Auf- und Abwärtsschieben des Sternchens vorzustellen und dann getrennt darauf zu zeigen; das dauerte mehr als doppelt so lange, als wenn man die vorgestellte Position beispielsweise das durch Klopfen oder Knopfdrücken anzugeben oder durch Sprechen zu beschreiben hatte (das letztere ging sogar am schnellsten!). So etwa Ähnliches konnte man auch mit Buchstaben und bei Probanden mit verbundenen Augen in bezug auf zu ertastende erhabene Präsentationen feststellen: Die Buchstaben hatte man taktil zu identifizieren und auch die Markierung zu ertasten; hier stellte sich heraus, daß die störenden Interferenzen nun beim Knopfdrücken größer waren als etwa beim Zeigen oder beim Sprechen. Störungen sind besonders in ein und derselben Sinnesmodalität merklich. Das Vorstellungsbild muß nicht unbedingt in engerem Sinne visuell sein, sondern es gibt auch eine räumliche interne Repräsentation, die ζ. B. auf den Tastraum aufgebaut werden kann; wir können auch einen taktil-räumlichen Anordnungszusammenhang mental repräsentieren. Entsprechendes ist auch durch andere Versuche erhärtet worden, in denen man versuchte, mit akustischen Signalen so zu operieren, daß man ein Pendel mit einem Sensor darauf mittels einer Taschenlampe mit verbundenen Augen verfolgen sollte; dort war es wieder so, daß die akustische Nachführaufgabe sehr viel schwieriger auszuführen war und die Ausführung dieser Aufgabe eher durch Geräusche oder Töne gestört wurde als etwa eine Helligkeitsbeurteilung (nach Abnahme der Augenbinde). Mit anderen Worten: die Vorstellungen sind in gewissem Sinne zwar Bildern ähnlich, aber sie haben doch auch etwas eher Abstraktes auch an sich: Vorstellungsbilder sind eher ein abstraktes Analogon, wie John Anderson in seiner Kognitiven Psychologie (1988, 89) sagt; sie sind "ein abstraktes Analogon zu einer räumlichen Struktur". Sie sind also in gewissem Sinne, könnte man sagen, (halb-)abstrakte Konstrukte, sie sind zwar einerseits abstrakt und nicht an eine ganz bestimmte Wahrnehmungsmodalität allein gebunden, andererseits leisten bzw. repräsentieren sie die konfigural-räumliche Orientierung bzw. Anordnung. Also sind solche (quasi)räumlichen Repräsentationen in der mentalen Vorstellung nicht nur ausschließlich visuell oder quasibildlich, sondern man kann sie sich auch als Orientierung im Hör- und Tastraum vorstellen: Insbesondere gilt das natürlich für Blinde, die ja in dieser Hinsicht höchst geschult sind und das auch sein müssen, um sich zurechtzufinden in der Welt ohne visuelle Repräsentation; sie müssen vorwiegend auf akustische und auf taktile Signale achten. Die Vorstellungs"bilder", die man hat oder entwickelt, die man zur internen mentalen Repräsentation benutzt, sind in gewissem Sinne also von üblichen Bildern doch auch unterschieden, obwohl sie vieles quasi "Bildliche" an sich haben. Sie sind erstens abstrakter, weil sie ζ. B. auch taktile, räumliche Merkmale oder Berührungen und Anordnungen bzw. akustische Signale berücksichtigen können, also nicht nur visuell repräsentiert werden müssen. Sie können zweitens u. U. in der mentalen Operation schwer ausgeführt werden(das rein mentale Drehen ist also oft schwieriger, als wenn man sich das Geschehen an/in einer äußeren Zeichnung repräsentiert).
6. Quasi-Bilder im Gehirn?
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Ein schönes Beispiel hierfür von Herbert A. Simon (1978), wird bei Anderson (1988, 92) zitiert: "Stellen Sie sich - ohne zu zeichnen - ein Rechteck von zwei Zentimetern Breite und einem Zentimeter Höhe vor, das durch eine senkrechte Linie in zwei Quadrate mit einer Fläche von jeweils ein Quadratzentimeter unterteilt ist. Stellen Sie sich weiterhin eine Diagonale von der oberen linken Ecke zur unteren rechten Ecke des zwei-mal-ein-Zentimeter Rechtecks vor. Wir nennen diese Linie Diagonale A. Stellen Sie sich eine zweite Diagonale von der oberen rechten Ecke zur unteren linke Ecke des rechten Quadrats vor. Nennen Sie diese Linie Diagonale B. Überlegen Sie, wo Diagonale Α Diagonale Β schneidet. Wie ist das Verhältnis der Länge von Β oberhalb des Schnittpunktes zur Länge von Β unterhalb des Schnittpunktes?"
Man sieht, daß solche mentalen Operationen, die durch Beschreibung sozusagen charakterisiert werden können und nach Beschreibungen ausgeführt sind, u. U. viel schwieriger nachzuvollziehen bzw. zu verstehen sind als die Zeichnung, die man vornimmt. "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte", heißt ein Sprichwort. Hinzu kommt noch, das ist der dritte Punkt: Vorstellungsbilder werden auch nicht immer wie ein Bild allein betrachtet, sondern sie können, wenn sie nur angedeutet werden, durch unser Hintergrundwissen und unser Situationswissen verzerrt werden. Hierzu gibt es ein ganz berühmtes Beispiel von Carmichael, Hogan und Walker (hier zit. n. Anderson 1988, 92), bei dem eine Reihe von Figuren mit Wortlisten verbunden werden soll und die Wortlisten den Figuren nicht widersprechen dürfen bzw. unterschiedliche Worte ein und demselben bildlichen Element zugeordnet werden:
Abb. 6. 8
hier wurde entweder die Wortliste "abnehmender Mond" oder "C" angegeben, oder dieses hier:
Abb. 6. 9
wurde in einer Versuchsreihe als Darstellung einer Brille, in einer anderen als Hantel angegeben. Es stellte sich heraus, daß, wenn nur diese Figur und ein entsprechendes Wort vorgegeben wurde, eine spätere Nachzeichnung aus der Erinnerung der Figur dann jeweils ganz anders aussah: Was unter "Brille" entstand, sah nun eher wie eine Brille aus - und nicht mehr wie auch eine Hantel. Das bedeutet: Das Wissen darum, worum es sich handeln solle, bestimmt auch die Erinnerungsrepräsentation mit - und entsprechend auch die Art und Weise, wie diese abgerufen wird. Das Wissen verzerrt sozusagen oder determiniert, bestimmt,
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6. Quasi-Bilder im Gehirn?
überformt die Darstellung, Repräsentation und auch die Abrufung der Objekte. Hinzu kommt auch noch, daß in gewissem Sinne die Vorstellungsbilder als Komplexe bzw. Konfigurationen nicht die volle Bildqualität darstellen (können), das zeigt eine interessante Untersuchung von Reed u. a.(zit. Anderson 1988, 92), in der folgende Figur gezeichnet wurde:
XX (»)
miau< hervorzurufen usw. Dies können wir naturalistisch beschreiben: Das Symbol ruft dieses andere Symbol hervor, indem es dieses andere Symbol kausal hervorbringt." Frage: "Wieso machen diese Mechanismen das denn? Wieso hat das entsprechende Symbol nicht die (naturalistisch beschreibbare) Eigenschaft, ζ. B. das Symbol für "bellen" kausal hervorzubringen? Und wieso hat der Mechanismus, den Fodor gerade beschrieben hat, die (naturalistisch beschreibbare) Eigenschaft, dieses Symbol nicht mit dem Sachverhalt, daß der Hund im Korb ist, kovariieren zu lassen?" Antwort im Chor: "Weil es doch die Mechanismen sind, die in diesem Organismus eben diese semantischen Relationen (nämlich ζ. B. "miau" hervorzurufen) instantiieren". (Gelächter im Publikum.)" (Nüse 1990). Ich möchte im folgenden versuchen, über diese zweckfunktional(istisch)en und kausal-funktional(istisch)en naturalistischen Theorien hinauszugehen, und zeigen, wie das Bedeutungsproblem sich mit unserem zuvor entwickelten interpretationistischen Ansatz deuten läßt und in eine Art von integrierter Theorie interpretationistischer Provenienz mündet. Hat Jerry Fodor das Brentanosche Problem gelöst, oder läßt dieses sich überhaupt lösen? Das Brentanosche Problem wurde übrigens Hartry Field in einem berühmten Aufsatz Mental Representation (1978) so benannt. Es besteht darin, ob eine naturalistische Erklärung der Intentionalität gegeben werden kann, ob die Tatsache also, daß Bewußtseinszustände, mentale Zustände auf intentionale Gegenstände gerichtet sind, in naturalistischem Sinne erklären läßt? Wir hatten festgestellt, daß bei Fodor dieser Naturalismus nicht, wie etwa bei Field, mit einem Materialismus, verbunden werden mußte und konnte. Fodor sprach davon, daß Eigenschaften und Relationen in der Welt existieren, die in einer bestimmten Weise miteinander verkoppelt sind (oder interpretatorisch verknüpft werden müssen) nämlich in der Form von asymmetrischen Abhängigkeiten. Field hingegen fordert im Grunde eine streng physikalistische Lösung, eine materialistische Lösung, die interne Tokens, die physisch durch ihre Gestalt identifiziert werden können und die entsprechend auch die Gerichtetheit, die Bedeutung rein syntaktisch-gestaltidentifizierend darzustellen haben. Es geht also um das Problem, wie können Signale oder Symbole durch ihre äußere Gestalt identifiziert werden. Kann diese Identifikation durch die äußere Gestalt (oder durch das, was man gelegentlich ein formales Symbol nennt) genügen, um Bedeutung zu identifizieren? Wir hatten nun im wesentlichen zwei große Richtungen diskutiert, einmal die zweckfunktional(istisch)en Theorien, oft auch teleologische Theorien genannt, die beispielsweise etwa von Millikan, von Papineau, von McGinn ausgearbeitet worden sind, bei denen die Grundidee ist, daß der intentionale Gehalt mit der evolutionsgeschichtlich ausgezeichneten (selektierten) Funktion (oder genauer: dem Funktionsziel) eines intentionalen Ikons (wie Millikan sagt) oder entsprechend einer Eigenfunktion repräsentationaler Art eines bestimmten mentalen Zustandes identifiziert wird (so etwa bei McGinn). Die Schwierigkeit dieser Ansätze besteht darin, daß keineswegs eindeutig ausgezeichnet werden kann, inwiefern das Letztziel ausreichend identifiziert wird,
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11. Naturalistische Intentionalitätserklärung?
insbesondere in Situationen, wo Mißrepräsentationen möglich sind oder wo falsche Auslösungen stattfinden. Man denke an die erwähnten Beispiele, die Fodor benutzt, daß etwa Kuh-Tokens, also Instantiierungen von Symbolen des Kuh-Types, auch von anderen Gegenständen, ζ. B. von Büffeln, ausgelöst werden können. Das ergibt jeweils eine Mißrepräsentation. Aber eine solche wäre bei einer strikt einsinnigen Zuordnung des mentalen Zustandes zu dem jeweiligen Funktionsziel nicht möglich; dabei kann man sozusagen nicht mißrepräsentieren. - Das andere, ebenfalls erörterte Beispiel ist das Süßigkeitsstreben, der Wunsch und das Bedürfnis, sich überlebensrelevante, stoffwechselforderliche Süßigkeiten zuzuführen, - ein Bestreben, das, wie wir sahen, auch getäuscht werden kann, ζ. B. durch nicht kalorienhaltige Süßstoffe; solche "künstlichen" Süßstoffe sind eine Art von Mißrepräsentation.
Diese Schwierigkeiten der zweckfunktionalen Theorien besagen, daß das Problem der Relevanzauszeichnung des letzten Funktionsziels (noch) nicht eindeutig gelöst ist. Das Problem der Auszeichnung wird, wie Fodor zu Recht erkannt hat, durch eine einfache Kausalkettenangabe allein, also rein kausalistisch, nicht gelöst. Fodor versucht natürlich diese Problematik zu lösen, indem er diese Idee der asymmetrischen Abhängigkeit einführte. Dies aber reicht auch nicht aus, weil bei solchen kontrafaktisch "aufgepeppten" Kausalketten immer auch eine weitere vorgeschaltet werden kann und entsprechend die Übertragung allein dann, wenn sie unter dem Gesichtspunkt etwa der Überlebensrelevanz oder was immer beurteilt wird, nicht nur rein kausal darzustellen ist. Sondern man wird hier immer schon Relevanzgesichtspunkte und somit Interpretationsgesichtspunkte eingebracht sehen, insbesondere Deutungsgesichtspunkte derart, warum ζ. B. ein anderer Effekt eines bestimmten Reizes nicht überlebensrelevant ist oder nicht als überlebensrelevant gilt. Mit anderen Worten - und das geht auch aus der Kritik von Nüse hervor - setzt also die Auszeichnung des intentionalen Gegenstandes aufgrund rein naturalistischer Signalverkettungs- und Kausalrelationen so etwas wie ein Verständnis der Faktoren, die als relevant angesehen werden, bereits voraus - und kann daher nicht umgekehrt erst durch die Kausalkette konstruiert, konstituiert und definiert werden. Die Einzigkeit der Auswahl oder Auszeichnung und die Relevanz der entsprechenden intentionalen Gegenstände sind offensichtlich bei der zweckfunktionalen Theorie etwas leichter zu verstehen als bei der rein kausalen Theorie; aber wir haben gesehen, daß auch die zweckfunktionale Theorie ihre Schwierigkeiten aufweist. Offensichtlich münden also beide Arten von Theorien in ihre spezifischen Schwierigkeiten; man hat eigentlich nur die Möglichkeit, in gewissem Sinne die Vorteile beider Theorien wahrzunehmen und die Nachteile durch eine Kombination beider Ansätze zu vermeiden. Das scheint in gewissem Sinne auch zu funktionieren. Insbesondere stellt sich die Situation so dar - anders, als beispielsweise die sowohl die Vertreter der zweckfunktionalen Theorie wie auch der kausalen Theorie es sehen -, daß es nicht um scharfe Dichotomien geht. Es gilt also nicht·. Entweder ist die Konstitution des intentionalen Gegenstandes bzw. des Gehalts eines mentalen Zustandes ausschließlich abhängig von der Zweckfunktion, d. h. als Funktionsziel einer repräsentationalen Eigenfunktion,
11. Naturalistische Intentionalitätserklärung?
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definiert, oder er ist nur Kausalglied einer Signalübermittlungskette. Diese beiden extremen Gegensätze schöpfen nicht die gesamten Möglichkeiten aus, wie man sieht: Kombinationen sind möglich, und es kann durchaus sein - und es ist auch wohl so -, daß Signalübertragung, die Verwendung formaler Symbole und syntaktischer Enkodierung von dem, was später dann als Bedeutung oder Information oder als relevant verstanden wird, möglich sind, daß Übertragungen stattfinden, daß Bedeutungsübermittlung, Bedeutungskonstitution aufgrund dieser Verarbeitungsprozesse stattfinden, daß dieses allein aber nicht fur das umfassende Verständnis von Bedeutung und Intentionalität ("Gerichtetheit") ausreicht. Umgekehrt gilt genauso, daß nicht nur die zweckfunktionale Theorie der Ausrichtung auf einen letzten intentionalen Gegenstand ausschließlich durch Überlebensrelevanz und die entsprechende Eigenfunktion dargestellt wird, wobei es sich allerdings (ζ. B.) beim Bienentanz nicht um eine Willkürrepräsentation handelt, sondern eben einfach um ein ererbtes intentionales Ikon oder eine entsprechende Darstellung mit einer intentionalen Zielausrichtung und einem Zielobjekt, ohne daß diese Darstellung von einem Interpreten bewußt dekodiert, verstanden, wird. Das wäre nämlich dann die Definition einer Repräsentation·. Der Bienentanz ist keine Repräsentation des Zielobjekts (s. o. Kap. 9). Dagegen sind natürlich-sprachliche Beschreibungen durch Personen durchaus "Repräsentationen" in diesem Sinne. Wichtig ist also, daß man versucht, beide Funktionen, also die Zweckfunktionalität und die Kausalfunktionalität, zusammenzunehmen. Das jedoch kann nur geschehen, wenn man eine Stufe höher steigt. Man kann sich nicht allein auf die Beschreibung auf einer physiologischen Mikroebene beschränken, und man kann sich auch nicht, um Bedeutung zu gewinnen, bloß auf die nächste Ebene der syntaktisch-formalen Berechenbarkeitszusammenhänge, auf die computationale Ebene, zurückzuziehen, wie manche Autoren vermuteten. (Sie unterstellen ζ. B. in dem sog. "Computermodell des Geistes", daß dies ausreichen würde.) Sondern man braucht darüber hinaus einen gesamtorganismischen, ja, m. E., wenn es um Repräsentationen im Sinne von sprachlichen Darstellungen geht, die bewußt interpretiert werden müssen, damit Bedeutung entziffert werden kann, auch einen sozialen und sozio-kulturellen (und somit normengebundenen Zusammenhang' 3 ), um eine Stabilisierung der repräsentationalen Eigenfunktion leisten zu können. Das ist eine entscheidende Idee in bezug auf die Konstitution von Bedeutung in repräsentationalen Systemen gegenüber der bloßen intentionalen Gerichtetheit, die schon auf einer Ebene darunter ausgeführt werden kann, aber beispielsweise nicht unmittelbar einer solchen sozialen Dekodierung und Stabilisierung bedarf. Beim Bienentanz ist es zwar durchaus auch eine soziale Verknüpfung gegeben, aber es handelt sich nicht um eine variabel zu dekodierende, sondern sie ist
15 Selbst Fodor (1990, 128) musste "ein wenig Normativität" einbringen ("you have to throw in some normativity"), um diese Probleme der Begründungseindeutigkeit und -robustheit angehen zu können. Normativität ist immer normen-, konventions- und interpretationsgeneriert, also nicht rein naturalistisch zu erklären.
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11. Naturalistische Intentionalitätserklärung?
erblich fixiert, sie ist nicht konventionell festgelegt, sie ist von der Evolution festgelegt.14 Ich bin übrigens generell der Überzeugung, daß das Brentanosche Problem nicht rein naturalistisch zu lösen ist. Wenn man das Intentionalitätsproblem auf diese naturalistische Variante zurechtstutzen möchte und das eben das "Brentanosche Problem" nennt, wie Field (1978) das versucht hat, dann ist das Brentanosche Problem in diesem Sinne nicht lösbar. Denn man ist zumindest darauf angewiesen, daß man Bedeutungen konstituiert, konstruiert, daß es so Robustheit (nach Fodor) gegenüber differenten Auslösesituationen bzw. vorlagen gibt: Verschiedene Signale, verschiedene Informationen können im Sinne der Auslösung zu ein und derselben Bedeutung fuhren. Wichtig ist in der Tat der Unterschied zwischen Bedeutung und intentionalem Gehalt eines mentalen Zustandes oder von mental-repräsentationalen Zeichen oder intentionalen Ikons mit Repräsentation und dem bloßen Informations- oder Signalgehalt, welcher eher fix an die Situation gekoppelt ist. Das alles gilt natürlich nicht nur beim Wahrnehmen, sondern viel stärker noch, wenn es sich um fiktive intentionale Gegenstände handelt, also um Konstrukte, die wir uns machen, höhere kognitive Interpretationskonstrukte, wie wir sie genannt haben, die zwar unter Anbindung an Signalvorgaben15 und Informationsträger entwickelt werden, also extern rückgekoppelt sein können, die aber doch in einem viel höheren Maße intern schematisiert und strukturiert sind und im Extremfall sich dann, wenn es sich um fiktive Gegenstände handelt, von den externen Vorgaben ganz abkoppeln können. Die Bildung von Interpretationskonstrukten kann zwar am Vorbild und am Musterbild der Wahrnehmung verstanden werden, insbesondere an der visuellen Wahrnehmung, aber sie befreit sich davon, sie wird abstrakter, "selbstständiger", "souveräner". In der Tat erkannten die kognitiven Psychologen, etwa Ulric Neisser u. a., daß die höheren Kognitionen im Grunde auch nach dem Muster der visuellen Wahrnehmung und der Verarbeitung auf der visuellen Bahn, die auch im Neurophysiologischen und Neurobiologischen am besten untersucht ist, vorzustellen sind. Es gibt also eine Unterfütterung durch interpretatorisch-schematisierende Aktivitäten16, wie wir das genannt haben, aber diese Unterfütterung allein ist nicht genug, jedenfalls um die sogenannte semantische Lücke und das Intentionalitätsproblem zu lösen. Die Schwierigkeiten bei der Konstitution und Identifizierung des Gehalts sind, daß der Gehalt offensichtlich höherstufig ist als unmittelbar die Verarbeitung im 14 Die intentionale Gerichtetheit des Bienentanzes auf den intentionalen Gegenstand Ort, Richtung, Entfernung des Nektars ist im Grunde erblich einprogrammiert, so behaupten jedenfalls die Naturforscher; wieweit da gewisse Lernprozesse eine Rolle spielen könnten, ist hier nicht zu diskutieren, nehmen wir an, daB das alles genetisch fixiert sei. 15 Jedenfalls wenn es sich um Wahrnehmungskonstrukte oder Verarbeitung von Wahrnehmung in höheren Kognitionen handelt. 16 Ich möchte diese Rückgriffe auf die interpretatorisch-schematisierenden Aktivitäten und Funktionen, Repräsentationsfunktionen jetzt nicht wiederholen. (Vgl. dazu ζ. B. Verf. 1993a, 6. Kapitel, s.a. 1995a, 3. Kapitel.) Dort fehlt allerdings die gehirnwissenschaftliche Unterfutterung; es geht dort im wesentlichen um die eher kognitiv-psychologische Differenzierung.
11. Naturalistische Intentionalitätserklärung?
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physiologischen Zusammenhang. Man sagt auch oft, daß der Gehalt auf der untergründigen repräsentationalen Maschinerie der Siganlübertragung und Signalverarbeitung "superveniert"17. Das ist ein Ausdruck, der heutzutage häufig in der analytischen Philosophie benutzt wird: Supervenieren ist im Grunde das, was man früher eben unter dem Auftreten einer Eigenschaft im höheren Zusammenhang verstand, die aber in gewissem Sinne, jedenfalls prinzipiell, angebunden, wenn nicht sogar rückgefuhrt werden kann auf physiologische Grundzusammenhänge. Von Donald Davidson wurde dieser Ausdruck des 'Supervenierens' in die Diskussion wieder eingeführt. 18 Dieser besagt in der einfachsten intuitiven Form, daß wenn die physikalischen Parameter eines mentalen Zustandes total gleich sind, dann auch die mentalen Zustände gleich sind; umgekehrt gilt auch, wenn sich mentale Zustände voneinander unterscheiden, dann gibt es notwendig auch physiologisch-physikalische Unterschiede zwischen den entsprechenden (physikalistisch aufgefaßten) mentalen Zuständen." Es wird immer beansprucht, daß dieses in gewissem Sinne eine Art von Mischposition sei, die nun nicht ausdrücklich fordert, daß die mentalen Parameter explizit in physikalischen oder physiologischen Termini definiert werden können, sondern man vertritt heutzutage meistens in dem materialistischen Lager, zu dem die meisten dieser Vertreter20 gehören, die These eines nichtreduktiven Physikalismus, d.h., man darf lediglich materiell-physische, physikalischphysiologisch beschreibbare Entitäten als existent ansehen, aber man gibt zu, daß sich die supervenierenden Eigenschaften nicht explizit durch die Theorie auf diese physikalischen Parameter reduzieren lassen. Mentales läßt sich sozusagen nicht explizit reduktiv physikalistisch erklären, aber es läßt sich als vereinbar, als kompatibel mit den physiologischen Prozessen einsehen. Um die letzten Kapitel zusammenzufassen: Wir gingen davon aus, daß naturalistische und insbesondere kausale und zweckfunktionalistische und beispielsweise phänomenale Gesichtspunkte gegenübergestellt werden. Ich hatte gesagt, daß viele Dichotomisierungen hier zu scharf sind, weil sie nicht das ganze Spektrum erschöpfen. Es kann hier nicht darum gehen, entweder Zweckfunktionalismus oder Kausaltheorie als die einzigen Lösungen des Brentanoproblems anzunehmen - selbst dann, wenn man sich auf eine naturalistische Version einigen würde, wie es ja beim Brentanoproblem nach 17 Besonders analytisch ausgearbeitet wurde der Supervenienz-BegrifT durch Kim, Supervenience and Mind, 1993. " Nachdem dieser konzeptionell bereits in den zwanziger Jahren von den klassischen Emergentisten zugrunde gelegt worden war (s. Stephan 1999). " Dieser Begriff des Supervenierens ist allerdings noch nicht scharf und präzise, sondern man kann das Phänomen noch mit den Perspektiven der Modaltheorie und der verschiedenen möglichen Welten in Verbindung bringen: Wenn diese Bindung der Änderung von mentalen Zuständen an die Änderung von physikalischen Parametern, die den entsprechenden mentalen Zustand oder die entsprechenden mentalen Zustände beschreiben, über verschiedene mögliche Welten festgehalten wird, sozusagen zur "Bedeutung" gehört, dann nennt man das einen starken Supervenierungsansatz. Es gibt aber auch schwächere Supervenienz-Auffassungen. 20 Außer vielleicht Fodor, der zwar Naturalist, aber nicht Materialist ist.
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11. Naturalistische Intentionalitätserklärung?
Field angelegt ist. Man kann es auch nicht damit bewenden lassen, daß man nur Signalträger und Informationsmuster einerseits hat und Bedeutungskonstitutivität andererseits: Dieses Entweder-Oder ist genauso unzweckmäßig oder gar falsch. Es kann sich auch nicht darum handeln, entweder nur die semantische Bedeutung oder eine formale Erfassung der Bedeutung anhand ausschließlich etwa der formalen Gestalten bzw. der formalen Symbole oder des Enkodierten in der entsprechenden physischen Konkretisierung zu leisten, sondern es ist jeweils beides zu berücksichtigen. Es geht nicht an, hier allzu scharfe Dichotomierungen anzunehmen, sondern man muß eine Kombinationstheorie finden, die dann auch noch ein wenig weiter auszuführen ist. Es ist unzweckmäßig, sich bei Entwederoder-Formulierungen aufzuhalten und insbesondere zu deklarieren oder zu dekretieren, daß dies der Weisheit letzter Schluß sei. Dennoch ist es sinnvoll und möglich, einen naturalistischen Ansatz als heuristische Strategie soweit wie möglich verfolgen zu wollen. Man kann es den Neurowissenschaftlern und den Vertretern der Kognitionswissenschaften überhaupt nicht übelnehmen, sondern im Gegenteil: es ist höchst erfreulich und wichtig, daß man soweit wie möglich mit rein physikalischen, physiologischen, neurobiologischen und insbesondere dann eben auch computermäßigen Zurüstungen auszukommen versucht: Also soweit wie möglich naturalisieren, ohne nun von vornherein zu versprechen, daß alle Erkenntnis in diesem Sinne oder alle Kultur oder alles höhere Geistesleben, alle Kognitionen oder alles das, was in den symbolischen Formen Cassirers etwa vorhanden ist, nun naturalisiert werden kann. Das kann man mit Sicherheit nicht; auch die bloße Wahrscheinlichkeit spricht eher dagegen, daß sich das machen läßt. Ebensowenig ist es sinnvoll, von vornherein zu sagen, wie es ja zur Zeit weitgehend Mode ist in der analytischen Philosophie und Erkenntnistheorie, daß die Erkenntnistheorie sich total "naturalisieren" ließe in dem genannten Sinne: Erkenntnis als Gegenstand der empirischen Wissenschaft. Kann das nun alle Probleme der Symbolisierung, der Auffassung von Bedeutung, der Konstitution von Gehalten, insbesondere von intentionalen Gegenständen, also der intentionalen Gerichtetheit von mentalen Repräsentationen, lösen? Kann Erkenntnistheorie in eine Naturwissenschaft aufgelöst werden? Ich glaube nicht, insbesondere auch, wenn man an das Problem der Geltungskriterien denkt, und nicht nur an eine bloße Beschreibung des Zustandekommens von Erkenntnis etwa im evolutionären Zusammenhang. Die Evolutionäre Erkenntnistheorie ist nicht die gesamte Erkenntnistheorie. Evolutionäre Erkenntnistheorie als biologische Disziplin, die ja derzeit auch viel von sich reden macht, ist sicherlich sehr wichtig und richtig, aber sie beantwortet nur gewisse Teilfragen der Erkenntnis, nämlich Fragen, wie ist Erkenntnis als natural zustandegekommen zu denken, aufgrund welcher Erkenntnisorgane und -apparaturen, unter Voraussetzung ζ. B. der Darwinschen Evolutionslehre, ist so etwas wie das System der Augen, Ohren und Sinnesorgane beim Menschen entwickelt worden? Und wie ist der Zusammenhang der höheren Kognitionen und dann Entwicklungen, beispielsweise auch symbolischer Repräsentationen, mentaler Repräsentationen, mit dieser Entwicklung der
11. Naturalistische Intentionalitätserklärung?
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Sinnesorgane zu denken? Das sind natürlich sehr wichtige und meistenteils empirische Fragen, aber es sind nicht Aspekte, die etwa nun die Kantische Frage "quid juris!", "mit welcher Rechtfertigung behaupte ich die Wahrheit eines Satzes gegenüber dem Gegen-Satz?" beantworten könnten. Die normativen Rechtfertigungsfragen werden allemal durch eine streng (deskriptivistisch) naturalisierte Disziplin nicht gelöst. Das gilt insbesondere auch fur diese hier diskutierten Zusammenhänge der mentalen Repräsentation. Insofern kann man sagen, daß Cassirer durchaus recht hat: "Alle Objektivierung" ist "in Wahrheit Vermittlung" (1956, 6, vgl. a. 46). Man muß sozusagen Glieder im System identifizieren, die funktionalen Gehalt haben, der Geist ist letztlich Funktion, und muß im konkreten Sinnlichen zwar seine Erfüllung suchen, läßt sich aber nicht darauf einfach defmitorisch oder durch Erklärung im naturalistischen Sinne reduzieren. Mit anderen Worten: Die semantische Lücke ist eigentlich nur sehr unvollkommen überbrückt, das Brentanoproblem - jedenfalls in dem Fieldschen Sinne als naturalistisches Problem - nicht gelöst.
12. Intentionalität, Sprechakte und Interpretationen
Im folgenden wollen wir uns von den naturalistischen Ansätzen verabschieden und zu den eher geisteswissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen oder im engeren Sinne traditionellen phänomenologisch orientierten Ansätzen übergehen. Wir wollen dabei zunächst eingehen auf die Fragen der Entwicklung der kognitiven Möglichkeiten und der offensichtlich doch etwas freieren Gestaltungsmöglichkeit des Menschen beim Symbolgebrauch und bei der Symbolbildung bzw. bei der Konstitution und Konzeption von Bedeutungen, die entsprechenden Signalen oder Signalmustern zugeordnet werden. Hier kann man natürlich wiederum anschließen an die Frage der Relevanz und der Selektion dessen, was das letzte Funktionsziel ist, also auch an den Überlebenswert von repräsentationalen Funktionen, wie wir es etwa bei Millikan und McGinn oder Papineau gesehen haben. Man kann sich auch mit dem einverstanden erklären, was von diesen Autoren über die Notwendigkeit der Einspielung von entsprechenden funktionalen Mechanismen gesagt wurde, die dann erst zu der Etablierung einer solchen Funktion und ihrer Konkretisierung in Standardsituationen1 führen. Charakteristisch scheint zu sein, daß beim Menschen diese Einspielung generell nicht (nur) erblich und nicht total fixiert ist; das ist ja klar: Sprachliche Formulierungen, kulturelle Symbole (sprachliche Worte und Termini sind ja Beispiele von kulturellen Symbolen) können sehr stark variieren, sind also auch nicht "durch die Evolution" erblich festgelegt, obwohl es natürlich auch beim Menschen durchaus Funktionen auch repräsentationaler Art geben mag, die zum guten Teil erblich angelegt sind oder eine genetische Grundlage aufweisen. Doch die Möglichkeit der Variierung und Differenzierung ist erheblich. Woran liegt das und was ist der Grund dafür? Offenbar hat der Mensch die Möglichkeit einer entlasteten Repräsentation, die sich im natürlichen Selektionszusammenhang erst einmal entwickelt haben mußte. Wie kann man sich hier eine Art von Erklärungsmuster vorstellen? Hier kann man also zurückgreifen auf die soziale Funktion der Gruppenbildung beim Menschen, indem man etwa mit Dieter Ciaessens (1980) zwei Funktionen heraushebt, die zu dieser freieren und entlasteten Umgangsweise des Menschen mit Symbolen gefuhrt haben und im Grunde so etwas wie Sprachlichkeit und die entsprechende Konventionalität von Symbolfunktionen ermöglicht haben.
1 Man erinnere sich an diese Rolle, die die Standardsituationen bei Millikan spielen. Ähnlich kann es auch bei der Unterscheidung zwischen Häufigkeit im üblichen Sinne und der Normalstandardsituation bei repräsentationalen Funktionen sein.
12. Intentionalität, Sprechakte, Interpretationen
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Da ist einerseits das, was Ciaessens im Anschluß an Hugh Miller (1964) die "Insulation^ gegen selektive Pression" nennt, d. h. die Abschottung gegen selektiven Außendruck durch die Erfindung und Entwicklung der menschlichen Gruppe, durch die auch in der Anthropologie bekannte Vorverlagerung, der "zweiten Geburt" des Menschen.3 Ciaessens spricht sogar von einem "sozialen Uterus", der den Gruppenzusammenhang in der Weise spezifiziert, daß eine Schutzfunktion eintritt, die nun fur eine freiere Entwicklung von selbstgebildeten ökologischen Nischen, also zu solchen sekundären Effekten wie etwa Begriffsbildung usw. führen dürfte. Es handelt sich also um eine "Insulation" - das heißt ja auch "Inselbildung" -, um Isolierung, Schutz für selbstgebildete ökologische Nischen, innerhalb derer man sich freier entwickeln kann, und in gewisser Weise dann sich eben symbolischen Funktionen entlastet(er) widmen, ja, diese erst entwickeln kann. Die Arbeitsteilung, die Entlastung auch von unmittelbaren Körperfunktionen usw. vertritt Ciaessens im Anschluß an einen anderen Biowissenschaftler, nämlich auf Paul Alsberg, der 1922 beim Menschen eine Entkoppelung des Signaldeterminismus und der engen Körperverhaftung gefordert hatte und von einem "Körperausschaltungsprinzip" sprach, das Ciaessens übernimmt. Er benutzt also diese beiden Prinzipien, das Prinzip der Abschottung, der Bildung einer internen ökologischen Nische für freiere und entlastetere Entwicklung, und das Prinzip der Ablösung von der engen Körperverhaftung, also das Prinzip der Körperausschaltung, die beim Menschen eben immer stärker fortschreitet, um die Möglichkeit der Symbolentwicklung, die freiere Variation der Tätigkeiten, die dafür nötig ist, zu erklären oder wenigstens plausibel zu machen. Natürlich, die Arbeitsteilung spielt dabei eine große Rolle, zumal die Arbeitsteilung in der entsprechenden kleinen Gruppe ja charakteristisch ist und auch bereits seit Marx als eine der Hauptursachen bzw. -Weichenstellungen für die Kulturentwicklung des Menschen gilt. Diese Möglichkeiten der Symbolentwicklung und der freieren Tätigkeit, der Entwicklung einer entlasteteren Formgestaltung von und durch Zeichen in einem bestimmten System der Repräsentation wird vielfach auch als die Konzeption oder Entwicklung einer Symbolwelt verstanden, besonders etwa explizit von Emst Cassirer (1923fF.). Cassirer hat die Symbolfunktion des Menschen als die Weichenstellung für die Kulturentwicklung, ja, überhaupt fur das Menschwerden herausgestellt. Er hat eine Reihe von großen Werken zum Symbolbegriff und zu den symbolischen Formen geschrieben. Als Charakteristikum des Menschen verstand Cassirer diese Eigenschaft und Fähigkeiten, Symbole zu gebrauchen, in symbolisch formierten Welten zu leben, ja, nur in einem symbolischen Universum leben zu können; er spricht geradezu vom Menschen (1944, dt. 1990, 51) als dem "animal symbolicum", also dem symbolischen Wesen oder symbolischen Tier, das der Mensch sei. Dieser ist angewiesen auf die Zwischenschaltung einer symbolischen Welt, einer Symbolwelt oder eines Symbolnetzes, zwischen der 2 besser wäre: "Isolierung oder Abtrennung vom Selektionsdiuck" 3 Man spricht ja seit Adolf Portmann von der "extrauterinen Frühgeburt": Der Mensch wird eben in einem sehr unfertigen Stadium geboren und muß dann noch für eine lange Zeit in eine Schutzgemeinschaft der Eltern bzw. der Kleingruppe eingebettet bleiben.
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12. Intentionalität, Sprechakte, Interpretationen
Wahrnehmung, d e m Input der Außenwelt, und den Effektoren, also d e m Output durch Handeln. Der M e n s c h interpretiert in seiner symbolischen Welt die Signale, die aus der Außenwelt k o m m e n , er schafft durch die Benutzung von Symbolen eine Art v o n funktionaler Bedeutung, die ihm eine entlastetere Weltdeutung ermöglicht, nämlich Freiheit, relative Handlungs-, Planungs- und Repräsentationsfreiheit. Es entsteht ein Spielraum zwischen der Symbolfunktion oder der symbolischen Bedeutung einerseits und d e m Druck der Situation(en) von außen andererseits. M a n gewinnt alternative Möglichkeiten u n d Deutungen. Erst mit Symbolen kann der M e n s c h sich entwickeln, differenzieren, variieren, Freiheit gewinnen. Seine Haupttätigkeit ist eigentlich die F o r m p r ä g u n g von Symbolen, überhaupt die Prägung von Gestalten, u m die Welt zu strukturieren - repräsentierend wie aktiv. Er hat die grundsätzliche Fähigkeit, Welt zu gestalten, Informationen nicht nur aufzunehmen, sondern zu strukturieren, sich eine Welt symbolisch zurechtzumachen, und er lebt dann gleichsam in dieser symbolischen Welt als "in" seiner eigenen zweiten Natur, wie m a n c h e anderen Anthropologen, etwa Helmuth Plessner und Arnold Gehlen, gesagt haben. Natürlich sind Symbolfunktionen, Symbole funktional aufzufassen, sie leben nur im Gebrauch, sie sind gebunden an externe Konkretisierungen. Der Geist, so sagt Cassirer (ebd. 18f, 47ff), "ist an das sinnliche Ausdrucksmittel und an dessen Konkretisierung gebunden - insofern, als er darauf angewiesen ist, überhaupt geistige Gehalte anhand von sinnlich darstellbaren Konkretisierungsformen zu erfassen und dann natürlich auch zu unterscheiden. O h n e Formen, o h n e extern erfaßbare Formen, ohne sinnliche Formendifferenzierungen, ohne die Möglichkeit symbolischer Prägung und Differenzierung könnte der M e n s c h nichts geistig erfassen. Das Symbolische wird in gewissem Sinne freilich auch wieder nach innen hineinprojiziert, die internen mentalen Repräsentationen oder die zuvor erwähnten postulierten, j a sogar von Materialisten postulierten, "internal tokens" sind natürlich innere Symbole dieser Art, die nach Cassirer auch die Definition einer symbolischen Form 4 erfüllen. 4 Cassirer benutzte dieses Begriff "symbolische Form" schon seit Anfang der zwanziger Jahre, in einem Aufsatz (Der Begriff der symbolischen Form im Au/bau der Geisteswissenschaften) definiert er: "Unter einer Symbolischen Form< soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird. In diesem Sinne tritt uns die Sprache, tritt uns die mythisch-religiöse Welt und die Kunst als je eine besondere symbolische Form entgegen. Denn in ihnen allen prägt sich das Grundphänomen aus, daß unser BewuBtsein sich nicht damit begnügt, den Eindruck des Äußeren zu empfangen, sondern daß es jeden Eindruck mit einer freien Tätigkeit des Ausdrucks verknüpft und durchdringt. Eine Welt selbstgeschaffener Zeichen und Bilder tritt dem, was wir die objektive Wirklichkeit der Dinge nennen, gegenüber und behauptet sich gegen sie in selbstständiger Fülle und ursprünglicher Kraft." (Cassirer 1977, 175f.). Cassirer meint mit seiner symbolischen Form zunächst auch noch relativ vage sehr viel: Einerseits wird der Formbegriff noch nicht explizit und klar danach differenziert, daß formale Funktionen, sozusagen syntaktische Symbole, von einer geprägten Form unterschieden werden, die dann das Ergebnis der Gestaltung ist. Bei Cassirer ist es andererseits so, daß offensichtlich die formalen Funktionen oder deren Generierung eine geschichtliche Entstehung von Gattungsbegriffen und symbolischen Typenunterschieden erst erzeugen; man gelangt nach Cassirer also von der Generierung zur genetischen Unterscheidung. Bei Cassirer wird allerdings noch nicht ganz klar,
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Die Dinge, die äußeren Gegenstände an sich werden im Sinne dieser Zeichen oder Symbolkonstrukte zu Grenzbegriffen; sie werden quasi als eine Art der "symbolischen Funktion" vorgestellt. Cassirer ist ja Neokantianer, obwohl er auch den Neukantianismus weiterentwickelt hat im Rahmen seiner Symbolphilosophie, er sieht also im Grunde doch letztlich alles unter einem Gesichtspunkt einer Philosophie, die man vielleicht einen transzendentalen Symbolismus nennen könnte, eine Philosophie der symbolischen Funktion, die benutzt wird, um Außenwelt in Modellen darzustellen, so auch Erlebnisse und phänomenales Erfassen zu strukturieren: Wir leben nach Cassirer immer nur in einer Welt der Zeichen und Symbole; nur mit diesen können wir etwas meinen, etwas erfassen. Cassirer kann als transzendentale semiotischer Interpretationist gelten (vgl. Verf. 1993, Kap. 18). Cassirer redet von der sogenannten "symbolischen Prägnanz" und nennt diese die Grundfunktion der symbolischen Form: "die Art ..., in der ein Wahrnehmungserlebnis, als >sinnliches< Erlebnis, zugleich einen bestimmten nichtanschaulichen >Sinn< in sich faßt und ihn zur unmittelbaren konkreten Darstellung bringt. Hier handelt es sich nicht um bloß >perzeptive< Gegebenheiten, denen später irgendwelche >apperzeptive(n)< Akte aufgepfropft werden, durch die sie gedeutet, beurteilt und umgebildet würden. Vielmehr ist es die Wahrnehmung selbst, die kraft ihrer eigenen immanenten Gliederung eine Art von geistiger >Artikulation< gewinnt - die, als in sich gefügte, auch einer bestimmten Sinnfugung angehört. In ihrer vollen Aktualität, in ihrer Ganzheit und Lebendigkeit ist sie zugleich ein Leben >im< Sinn. Sie wird nicht erst nachträglich in diese Sphäre aufgenommen, sondern sie erscheint gewissermaßen als in sie hineingeboren" (19644, Bd.III, 235). Mit anderen Worten: Es ist nicht etwa so vorzustellen wie bei Kant, daß das Material der sinnlichen Wahrnehmung sozusagen "vorliegt" und dann erst nachträglich bearbeitet wird, sondern im Wahrnehmungsprozeß selber entsteht unmittelbar eine Strukturierung, eine "Gestaltung zur Welt" (1956, 11) oder zur spezifischen und präziseren Wahrnehmung, die durch die entsprechende Funktionseinspielung schon grundgelegt ist. Die Konstruktivität der Wahrnehmung, die heute ja auch von den Neurobiologen und Neurowissenschaftlern - bis hin zum radikalen Konstruktionismus - immer wieder betont wird, wird also von Cassirer hier schon deutlich gesehen und unter diesem gleichsam transzendentalen Gesichtspunkt der Konstitutivität der Bildung von symbolischen Darstellungen gefaßt. Der Begriff der symbolischen Form freilich wird bei ihm in zweierlei Hinsicht benutzt, einmal, wie vorhin in der Definition erwähnt, ist es die Aussage von der unhintergehbaren und kennzeichnenden Verknüpftheit von irgendwelchen sinnlichen "Gehalten" und irgendwie ausgerichteten sinnhaften Auffassungen unter dem Gesichtspunkt Stoff/Form. Aber meistens benutzt Cassirer den Ausdruck 'symbolische Formen' andererseits auch für durch Symbole oder symbolische Form besonders charakterisierte ganze Bereiche, ζ. B. sind die was er als den nichtsinnlichen, nichtanschaulichen Teil in der symbolischen Darstellung etwa eines Wahrnehmungserlebnisses ansieht.
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Religion und der Mythos, die Kunst, die Wissenschaft, die Geschichte, die er dann in seinem Spätwerk Versuch über den Menschen (1944) genauer untersucht, und insbesondere die Sprache ebenfalls symbolische Formen. Die Sprache ist natürlich die grundlegende symbolische Form schlechthin, die natürlich in dieser etwas vagen Auffassung auch zwischen der symbolischen Form als der notwendigen und unhintergehbaren Verknüpftheit zwischen Gehalt und der entsprechenden zugeordneten intentionalen Sinnhaftigkeit einerseits und eben dieser pluralen Benutzung des Ausdrucks für ganze Gebiete andererseits schwankt. Cassirers Hauptwerk über die Philosophie der symbolischen Formen befaßt sich also mit diesen ganzen Gebieten - und nicht nur etwa mit der Grammatik der symbolischen Funktion als solcher, um die es etwa beim Problem der Bedeutungskonstitution und der Referenz geht, mit dem wir uns hier befaßt haben. Cassirers Entwurf ist ein sehr interessanter und wichtiger Ansatz, der letztlich auf eine Fähigkeit des Menschen zur Formgebung (oder wir könnten auch sagen: zur Bildung von Interpretationskonstrukten) zurückgeht: Der Mensch muß sozusagen seine Umwelt und seine Welt, in der er lebt, als symbolische (notwendig symbolisch vermittelte) Welt auffassen, er muß diese formieren, gestalten; er muß dabei durchaus unter Allbindung an äußere Gehalte vorgehen. Aber er bildet sich Konstrukte, die nicht nur Bilder sind, sondern in gewissem Sinne recht abstrakte Konzepte, wie sie als Modellkonzepte in der Wissenschaft ja häufig auch benutzt werden. Im ersten Band seiner Philosophie der symbolischen Formen zitiert Cassirer (19562, 5 f.) Heinrich Hertz' Prinzipien der Mechanik (1894), wo Hertz (sinngemäß) schreibt, daß wir als Wissenschaftler uns "Bilder" machen, "Scheinbilder oder Symbole", deren logische Folgen oder Verknüpfungen dann in gewissem Sinne die "naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände" wiedergeben, denen wir diese Bilder zugeordnet haben. Cassirer sagt mit Recht, daß dies durchaus noch in der Sprache der Abbildung formuliert ist, daß diese Scheinbilder aber keineswegs als "Abbildungen" im wörtlichen Sinne verstanden werden dürfen, sondern abstrakte Konstrukte sind - hypothetische Konstrukte, sagt man oft auch in der Wissenschaft - oder eben im Sinne der Theorien "theoretische Entitäten" oder Interpretationskonstrukte, die durch diese entsprechenden theoretischen Konzepte aufgespannt werden. Soweit es allerdings um Wissenschaft geht, die mit der Empirie zu tun hat, selbst wenn es sich um Gehalte auch des Geistes oder der mentalen Zustände dreht; muß die Erkenntnistheorie sich auch mit der Darstellung von Äußerem befassen, muß eine Anbindung an das Äußere stattfinden: In der Wissenschaft geschieht das meistens durch Experimente, durch Faktenvoraussagen, durch das erfolgreiche Prognostizieren aufgrund von vorgelegten Erklärungen. Das ist nach Hertz genau der Punkt, den die empirische Wissenschaft als methodologischen Zentralgehalt ausarbeiten muß. Und so ähnlich ist es dann ihm und Cassirer zufolge auch bei "geistigen" Repräsentationen etwa von Gehalten bei der Darstellung der Alltagserkenntnis von äußeren Zusammenhängen. Bei den inneren, sogenannten "rein geistigen" Zusammenhängen ist es letztlich auch nicht anders, auch dort ist
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man auf Äußerungen, auf eine ideelle Formierung, auf eine Form angewiesen. Cassirer sagt ausdrücklich, daß "der Gehalt des Geistes ... sich nur in (s)einer Äußerung" "erschließt": "die ideelle Form wird erkannt nur an und in dem Inbegriff der sinnlichen Zeichen, deren sie sich zu ihrem Ausdruck bedient" (ebd. 18f.). Mit anderen Worten: wir brauchen nicht nur Symbole im Sinne der Funktion, sondern wir brauchen auch Signale und Informationsträger, um die Differenzierung der symbolischen Funktionen vornehmen zu können. Cassirer versteht das sogar als eine Art von allgemeiner Charakteristik des geistigen Repräsentierens und Lebens - etwa im Sinne der Leibnizschen Idee, daß man so etwas haben müßte wie eine allgemeine (sprachliche oder sprachartige) Charakteristik5, um die Welt beschreiben zu können. Diese Grundidee, daß es so etwas gibt wie eine allgemeine Charakteristik, eine "mathesis universalis", wie Leibniz sagte, eine Grunddisziplin allgemein formaler Art, die quasi mathematisch vorgeht, also logisch ist und doch alles zu erfassen gestattet, was sprachlich irgendwie darstellbar ist, diese Idee schwebt eben auch Cassirer in Hinsicht auf die symbolische Funktion vor, also nicht nur in bezug auf sprachliche Repräsentation, sondern in bezug auf die symbolischen Funktionen generell, also auch auf interne mentale Repräsentationen. Grammatik der symbolischen Funktionen nennt er das, und diese zu studieren, das sei die Aufgabe eben der erkenntnistheoretischen Philosophie: "Im Reflex" werde "die Wesenheit des Geistes" "sich fiir uns nur dadurch darstellen, daß sie sich in der Gestaltung des sinnlichen Materials betätigt" (ebd. 21). Das alles entspricht natürlich sehr weitgehend der Konzeption der interpretatorisch-schematisierenden Aktivitäten, der Interpretationskonstrukte, wie man deutlich sieht, nur ist das alles bei Cassirer noch auf die symbolische Funktion des Bewußtseins beschränkt: "In der symbolischen Funktion des Bewußtseins ... heben sich zuerst aus dem Strom des Bewußtseins bestimmte gleichbleibende Grundgestalten teils begrifflicher, teils rein anschaulicher Natur heraus; an die Stelle des verfließenden Inhalts tritt die in sich geschlossene und in sich beharrende Einheit der Form" (ebd. 22). Die formale Funktion wird sozusagen zur geprägten Form; die symbolische Funktion wird aber ausschließlich und allein dem Bewußtsein zugeordnet. Das Bewußtsein wird im Sinne der traditionellen rationalistischen Philosophie als durchsichtig vorausgesetzt, als das einzige, was mentale Repräsentationen und überhaupt auch dann Gerichtetheit auf Gehalte, auf intentionale Gegenstände auszeichnet. Das ist auch noch Husserls Auffassung. Husserl, auf dessen Ansatz sogleich noch etwas ausführlicher eingegangen wird, charakterisiert den Bewußtseinsbegriff dadurch, daß Bewußtsein immer "Bewußtsein von etwas", von einem S Leibniz dachte ja an so etwas wie symbolische Logik. Er meinte, daß man die Probleme der analytischen Präzisierung dadurch lösen könne, daß man sich hinsetzt und eben rechnet: "Calculemus", dann können wir alle Probleme letztlich analytisch lösen, glaubte Leibniz, der ja auch der Meinung war, daß alle gehaltvollen auch empirischen Probleme, Tatsachenfragen sich letztlich eigentlich auf rein analytische Zusammenhänge reduzieren lassen müßten: alle Tatsachenaussagen seien letztlich analytische Wahrheiten. Das ist natürlich eine übertriebene Version.
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intentionalen Gegenstand, ist; Bewußtsein ist immer, etwas bewußt zu haben. Das ist sicherlich auch richtig, aber das Umgekehrte gilt nicht so einfach, wie wir gesehen haben anhand etwa der naturalistischen zweckfunktionalen Theorie von Millikan, es gibt auch Gerichtetheiten - etwa den Bienentanz, gerichtet auf Nektar, Entfernung, Richtung usw. -, die nicht im Bewußtsein repräsentiert sind. Intentionalität greift sozusagen weiter als Bewußtsein. Es gibt auch intentionale Gerichtetheit, die nicht bewußt ist, die aber im Verhalten ausdrücklich widergespiegelt wird und durchaus wichtig werden kann. Es kann sich einerseits um eine entsprechende genetische Fixierung handeln, wie bei den Bienentänzen oder bei den Ausrichtungen der Frösche auf "Fliegen-oder-Fleebes". Oder es kann auch sein, daß es in einem sozialen Mechanismus erlernt ist, eingespielt ist: Die soziale Einspielung kann auch eine Stabilisierung von Symbolfunktionen und entsprechenden Zweckfunktionen ermöglichen, ohne daß das alles nun schon auf der Ebene des Bewußtseins stattfinden muß. Ritualisierung des Verhaltens findet vielfach statt, ohne daß direkt das Bewußtsein das Verhalten und dessen Stabilisierung repräsentiert. Doch explizite Bedeutung als sprachliche Repräsentation, Bedeutung als ein explizites Interpretationskonstrukt, das nun repräsentiert, dekodiert wird - das ist weitgehend auch an Bewußtseinsprozesse gebunden. Und die soziale Stabilisierung und Etablierung, etwa auch die Formierung von mentalen Zuständen in diesem Sinne, ist dann durchaus bewußtseinspflichtig, wenn auch großenteils aufgelagert auf Lernprozessen, die weitgehend vorbewußt ablaufen, die eingeübt, eingespielt werden, die im Zusammenhang von Sanktionen und Erfassungen oder Erwartungen, reziproken Normen u. ä. entstehen. Freiheit und Formprägung, die beiden Zentralthemen von Cassirers Philosophie von Form und Freiheit unter dem Gesichtspunkt der symbolischen Prägung, sind hier durchaus dann in einer viel stärkeren Weise flexibel, als es etwa durch genetische Fixierung oder vorbewußte Stabilisierung gegeben sein kann. In gewissem Sinne können wir, wenn wir das zusammennehmen, dem schwachen Zweckfunktionalismus teilweise recht geben. Wir können sagen, wie etwa McGinn oder Sterelny es überlegt haben, daß die genetische Entwicklung, z. B. von bestimmten Funktionen, die überlebensrelevant sind, auch bei der Entwicklung der menschlichen Symbolfunktionen durchaus eine Rolle mitspielen mag. Darüber hinaus kann beispielsweise die auch von der genetischen Ausstattung des Menschen erlaubte und gestattete Möglichkeit der Gewinnung von Freiheitsräumen unter der Abkoppelung gegenüber dem selektiven Außendruck im Schutzraum einer etwas freieren Innenvariation der Gruppe im "sozialen Uterus" (Ciaessens) dazu führen, daß hier Symbolfreiheiten gewonnen werden können, die vorher einfach nicht vorhanden waren. Mit anderen Worten: man muß also nicht die Zweckfunktionalitäten auf das rein evolutionär Genetische zurückdrängen, sondern auch soziale Entstehungen, systemfunktionale Entwicklungen spielen hierbei eine ganz entscheidende Rolle. Aber - und das gibt dann wiederum Fodor (s. o. Kap. 11) zum Teil recht - die kausalen Zusammen-
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hänge der Signalübertragung sind genauso notwendig. Bedeutungskonstitution und damit auch Bildung und Konstitution von intentionalem Gehalt, vom Gehalt des Denkens sind an beides gebunden, einerseits an Signalträgerschaft und Information im Fodorschen Sinne und andererseits an die freieren Interpretationskonstrukte der Bedeutungszuordnung durch einen Interpreten, der den Zusammenhang versteht, der auch differente Auslöserereignisse "robust" unter ein und derselben Bedeutung einordnen kann. Die "Bedeutung" muß nicht explizit sprachlich wiedergegeben werden, sondern kann auch im Verhalten verkörpert bzw. repräsentiert sein: Es bedeutet in gewissem Sinne etwas für den Frosch, nach einem schwarzen beweglichen Gegenstand zu schnappen, es bedeutet nämlich: "Nahrungsaufnahme"; es bedeutet etwas für die Schwebfliege, nach einen schwarzen beweglichen Gegenstand zu jagen, nämlich einen Sexualpartner zu finden. Die Bedeutungen sind offensichtlich verschieden, der Gegenstand ist äußerlich gesehen gleichgestaltig. Bedeutungszuordnungen in diesem Sinne können daher auch unabhängig von der äußeren Signalgebung in Abhängigkeit von dem jeweiligen Organismus schon auf genetischer Basis unterschiedlich sein. Die Bedeutungskonstitution kann genetisch fixiert sein, sie kann aber auch wenigstens ζ. T. gelernt sein; sie wird von Organismus zu Organismus, insbesondere von Art zu Art oder von Gattung zu Gattung variieren. Durch diese Einbeziehung etwa der sozialen, geschichtlichen entwicklungsmäßigen und systemfunktionalen Konstituierung von Bedeutungsgehalten ergibt sich darüberhinaus eine sehr viel größere Variabilität und Freiheit in der Zuordnung der symbolischen Funktionen: Man muß sozusagen über die bloße Übertragung von Signalketten, über den bloßen kausalen Zusammenhang, über die rein formalen Symbole, über die bloße Wiedererkennbarkeit, Identifizierbarkeit von äußeren Gestalten, über das encodierte Materiale hinausgehen, um Bedeutung als Gehalt verstehen, um Gehalt identifizieren zu können. Bedeutung und Bedeutungsgehalt sind also notwendigerweise funktional und interpretatorisch; sie werden zwar in Zeichen von formaler syntaktischer Gestalt instantiiert, verkörpert, aber sie bestehen nicht allein in diesen Gestalten. Das ist auch eine Ansicht, die in der Philosophie des Geistes im Sinne der Computermetapher eine große Rolle spielt. Es fragt sich, ob man nicht zusätzlich zum Verstehen des menschlichen Geistes über die bloßen symbolverarbeitenden Mechanismen hinaus, wie sie beispielsweise beim Computer geleistet werden, doch einiges mehr an Zusammenhängen, komplexen Hintergründen, Wissen, Wissenshintergründen einbringen muß, um eben den entsprechenden Ketten von Informationsträgern, den Symbolketten, den Signalketten Bedeutung zuordnen zu können. Dabei besteht Bedeutungszuordnung natürlich nicht darin, daß man irgendwie einen anderen abstrakten Gegenstand zuordnet. Bedeutungen sind nicht abstrakte Gegenstände, sondern sie "leben" nur in der Funktion, im Zeichen- oder Symbolgebrauch·, sie sind fiinktionale Interpretationskonstrukte. Man kann bei Bedeutungsgehalten eigentlich nicht letztlich auf einen Materialismus im traditionellen Sinne zurückgehen: Die traditionelle materialistische Verständnis-
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weise des Naturalismus, unter dem ja das Brentanosche Problem steht, ist sicherlich nicht aufrechtzuerhalten. Fodor "rettet" sich ja dadurch, daß er Eigenschaften und Relationen sozusagen in der äußeren Welt verortet, aber das ist auch eine sehr problematische Ansicht; denn Eigenschaften und Relationen sind ihrerseits auch nur zu fassen und zu erfassen unter dem Gesichtspunkt einer Interpretation; sie sind selbst Konstrukte, Interpretationskonstrukte. Wir können aus dem Horizont, aus dem Spektrum unserer Interpretationskonstrukte, unserer kognitiven Schemata, unserer Symbole, unseres Symbolnetzes nicht aussteigen. Wir haben getrennt von symbolischen Interpretationen, von symbolischen Verarbeitungen und Strukturierungen usw. keinen unabhängigen Zugang zur Wirklichkeit. Natürlich können wir trotzdem kontrollieren, experimentieren, indem wir gewisse abstraktere Konzeptionen gegenüber konkreteren, wenn auch in symbolischer Erfassung und unter anderen Interpretationsgesichtspunkten erfaßten Konzeptionen gegenüberstellen; und es ist durchaus möglich, zu experimentieren, vorauszusagen. Es ist auch möglich, daß Voraussagen scheitern u. ä., aber alles dies spielt sich auf der repräsentationalen Ebene, immer in Repräsentationen ab bzw. in Interpretationskonstrukten. Wir verfügen nicht über einen unabhängigen, interpretationsfreien Zugang zur Welt an sich; wir können nur unterstellen, daß wir am erfolgreichsten mit unseren Konstrukten arbeiten, daß das in gewisser Weise die äußere Welt erfolgreich darstellt - insofern, als wir eben erfolgreich prognostizieren können, als wir manipulieren und handeln können. Und wir können sogar, ähnlich wie Heinrich Hertz, davon reden, daß die logischen Folgen und die notwendigen Folgen unserer Bilder oder Scheinbilder, sprich: unserer Konstrukte, in gewissem Sinne aufgefaßt werden können als Abbilder ("Abbilder" eher im mathematischen Sinne, als verknüpfungstreue oder wenigstens homomorphe Zuordnungen) zu "naturnotwendigen" Folgen zwischen den entsprechenden externen Ereignissen und Gegenständen, die wir aber ihrerseits nicht interpretationsunabhängig erfassen können, sondern nur im Lichte unserer Schematisierungen und Strukturierungen. Das ist die Grundeinsicht der Interpretationskonstruktionismus. Man hat also im Grunde keine Möglichkeit des Aussteigens aus dem Interpretationshorizont, man bleibt immer darin, man kann trotzdem vieles tun; man kann handeln und manipulieren, und man muß u. U. sogar unterstellen, daß dieses Konzept, das wir uns von der äußeren Welt und ihren Zusammenhängen sowie von unserer Eingebettetheit in sie bilden, doch so etwas wiedergibt wie ein realistisches Bild. Mit anderen Worten: wir können und wir müssen sogar aus lebenspraktischen Gründen unterstellen, daß die Welt an sich vorhanden ist, daß wir mit ihr umgehen können, daß wir in ihr leben. Nur wir können das nicht wörtlich nehmen als eine Art von Widerspiegelungs- oder Abbildtheorie in irgendeiner traditionellen naiven Form, sondern wir haben unsere Konzepte nur in konstruierter, in konstruktartiger Weise. Wie bereits angekündigt, ist Husserls phänomenologischer Ansatz, der auf Brentanos Philosophie und Psychologie zurückgreift und diese weiterentwickelt, besonders wichtig für die Fragen nach dem gemeinten Gehalt, dem vorstellungsmäßigen Gegenstandsbezug, also für das sog. Problem der Intentionalität.
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In der phänomenologischen Philosophie ist Intentionalität, d.h. die Gerichtetheit des Bewußtseins auf etwas Gemeintes, auf den Bewußtseinsgehalt oder -inhalt des Denkerlebnisses oder des Bewußtseins, auf den >GegenstandrepräsentierenRepräsentationologieandere Taxonomie< zur Folge: Daher gibt es nicht die einzige beste Gehaltstaxonomie" (ebd. 293), und entsprechend nicht die einzige Gehaltsstrukturierung, Gehaltseinteilung und Gehaltserfassung. Es ist mit dem interpretatonischen Konstrukt "Gehalt" wohl so wie mit dem emprisichen Gehalt von wissenschaftlichen Theorien: wie die methodologischen Konventionnalisten, besonders etwa Poincare und Duhem am Beginn des 20. Jahrhunderts schon gesehen haben, ist der empirische Gehalt abhängig von vorausgegangenen theoretischen Annahmen, von z.T. instrumentellen und anderen (ζ. B. auch normativen, vgl. ζ. B. Hübner 1978) Festsetzungen: Man kann den Gehalt, so habe ich es dereinst formuliert als eine auf einer metatheoretischen Stufe zu formulierende Konditionalbeziehung modellieren, als metatheoretische Wenndann-Einsicht: Wenn wir diese Annahme und Konventionen zugrundelegen und jene Theorie verwenden, so erhalten wir bestimmte Ergebnisse; wenn wir eine andere Theorie (und andere entsprechend zugeordnete Meßtheorien) zugrundelegen, erhalten wir entsprechend andere Ergebnisse. So ist jeder Erfahrungsgehalt "der Theorie" durch diese höherstufige Wenn-dann-Beziehung nur relational, konditional ausdrückbar. (Eine andere Theorie mit anderen Konventionen mag denselben empirischen Gehalt ergeben.) Der empirische Gehalt ist also relativ (konditional) und (nur) höherstufig zu verstehen. Er ist m. E. ein höherstufiges relationales (konditionales) Interpretationskonstrukt. Ebenso läßt es sich auch in Bezug auf den intentionalen oder mentalen Gehalt von psychischen (mentalen) Repräsentationen bzw. repräsentationalen Zuständen formulieren. Für 'Theorie' hat man analogerweise die jeweilige Sprache bzw. Sprachkultur, ja, Kultur generell einzusetzen. Man kann dieselben Gehalte mehr oder minder geschickt mit anderen Repräsentationsmitteln, in anderen Kontexten darstellen bzw. ausdrücken. Interpretationsrahmen stecken die Möglichkeiten und jeweiligen Begrenzungen der zugänglichen Interpretationskonstrukte ab: Auch (Bedeutungs-)Gehalte sind höherstufige relationale (konditionale) Interpretationskonstrukte. Dies alles muß allerdings keineswegs bloß auf i. e. S. sprachliche Formierungen und Formulierungen beschränkt werden, wie es Woodfields Projektionsmodell nahelegt, sondern das gilt mutatis mutandis für alle Arten von Repräsentationen und konventionellen Schematisierungen.
14. Eine nichtnaturalistische kantischwittgensteinianische Theorie der Repräsentation
Im Folgenden möchte ich zunächst ein wichtiges modernes Werk zur mentalen Repräsentation vorstellen, und zwar Representation, Meaning and Thought (1992) von Grant Gillet. In diesem Werk wird in gewisser Weise ganz ähnlich, wie ich das seit zwei Jahrzehnten versuche, eine Art von Verbindung zwischen naturwissenschaftlichen Zugängen herzustellen, also zwischen der kausalen Erklärung des Mentalen und einer eher geistes- und sozialphilosophischen oder geisteswissenschaftlich-methodologischen Zugangsweise im Sinne des schon behandelten Interpretationskonstruktionismus. Allerdings behandelt Gillet nicht das Konzept der Interpretationen und der Schemata. Er versucht - auch etwas, das ich schon diskutiert habe (s.o. Kap. 2) - zwischen Kantischen und Wittgensteinschen Gesichtspunkten eine Art von Brücke oder Verbindung zu finden und die Konzeption dennoch mit naturwissenschaftlichen, insbesondere kognitionswissenschaftlichen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zu vereinen. So geht er z.B. gelegentlich (ebd. 90-96) auch auf die Probleme des Konnektionismus ein, auf das Lernen und Repräsentieren im Modell des sog. Konnektionismus, der Netzverarbeitungstheorie der neuronalen Netze. Gillet möchte die traditionelle Auffassung der empiristischen Repräsentationstheorie kritisieren: Diese Repräsentationstheorie beruht darauf, daß das erkennende Subjekt Vorstellungen oder mentale Repräsentationen rezipiert und evtl. formiert - und zwar letztlich als kausale Wirkungen von Einwirkungen aus der äußeren Umwelt qua Wahrnehmung. Diese kann natürlich visuelle, auditorische oder sonstige Wahrnehmung sein. Es handelt sich also um eine Erweiterung des englischen Empirismus, der traditionellen Überzeugung, beginnend bei Locke und Hume, daß im Grunde die Kognitionen durch Eindrücke erzeugt bzw. formiert werden, und zwar in einer gewissen mechanisch oder mechanistisch-kausal zu beschreibenden Weise. Das muß man heute natürlich viel differenzierter sehen; auch die Beeinflussung von außen wird heute selbst in den naturalistischen Ansätzen indirekter und komplexer gedeutet als in den überholten Abbildtheorien. Wir haben solche neueren Ansätze ζ. T. schon diskutiert: Insbesondere sind die von uns schon hervorgehobenen funktionalistischen Ansätze von Millikan, Papineau, Sterelny und McGinn solche Ansätze teleofunktionalistischer und i. w. S. genetisch-evolutionärer Provenienz. Sie dürften das Einspielen von Verhaltensdispositionen als eine durch Mutationen und Selektionen heraussondierte evolutionäre Fixierung von überlebensrelevanten Reiz-Reaktions-Modellen über Einzelschritte und Kettenverbindungen, Kausalkettenverbindungen hinausgehend zu gesamtprozessualen teleofunktionalen Zusammenhängen verallgemeinem. Sicher: wir können sagen, daß in gewisser Weise auch McGinn bereits den traditionellen engen Kausalansatz kritisiert, das
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14. Nichtnaturalistische Theorie der Repräsentation
haben wir ja gesehen. Aber wesentlich ist jedenfalls für kausalistischnaturalistische Konzeptionen, daß Vorgänge der Umgebung kausale Einwirkungen auf die Vorstellungsbildung ausüben und auch daß kausale Übertragungen die Grundlage für eben die informationelle Verarbeitung und darüber hinaus für die Entstehung von Bedeutung, für die Bildung von mentalen Repräsentationen als Darstellungen von Etwas, geben sollen. Das heißt also, die propositionalen Einstellungen, die Überzeugung, die Hoffnung, das Wissen, daß etwas der Fall ist, soll letztlich ein kausales Produkt sein. Bewußte mentale Zustände sollen auf diese Weise gleichsam kausal veranlaßt werden - und zwar bei ihrer Entstehung im einzelnen wie auch beim Zustandekommen der Rezeptionsformen und mechanismen. Das gelte insbesondere, wenn es um direkte sensorische Eindrücke und deren Wahrnehmung geht. Aber während es die These der Naturalisten ist, daß das ausreicht, läuft die Gegenthese etwa von Gillet und anderen darauf hinaus, daß das nicht zur Erklärung genügt. Gillet sieht das Subjekt bzw. die Person im Gegensatz zu der traditionellen Auffassung der biologischen Funktionalisten, daß es sich um einen reagierenden Organismus handele, ausdrücklich als ein aktives und Entscheidungen treffendes Wesen, das Regeln verwendet - und zwar bewußt anwendet, nicht nur befolgt - im Sinne etwa (des uneigentlichen "Befolgens") von Naturgesetzen. Der Erkennende ist jemand, der Regeln als Nonnen zur Leitung des Handelns anwendet, was ja durchaus etwas Anderes ist als etwa das "Befolgen" von Naturgesetzen, die man ja z.B. nicht brechen kann. Normen jedoch kann man bewußt brechen und mißachten, d. h., die "Theorie" ist eine Theorie, die der Handlungstheorie verwandt ist - darauf werde ich dann noch genauer eingehen - und eher eine Art von Gebrauchstheorie im Wittgensteinschen Sinne darstellt. Und das ist auch das Moment, das Kant und Wittgenstein verbindet. Kant ist für Gillet (ebd. 9ff.) mit Recht der große Theoretiker des Regelbegriffs und der Regeln: Erkenntnis ist "begrifflich", von Begriffen geprägt. Begriffe sind für Gillet wie für Kant quasi Regeln, Funktionen der Vereinheitlichung von Vorstellungen zu einer spontan vom Verstand oder von der Vernunft hergestellten Einheit der Repräsentation. Dagegen kommt bei Wittgenstein ein spezifischer Gesichtspunkt hinzu, nämlich daß diese Regelbefolgung und diese Regeltheorie letztlich eingebettet werden muß in einen sozialen Zusammenhang, und zwar in einem tiefen Sinne. Er vertritt nicht nur, daß Regeln letztlich sozial konstituiert sind, sondern daß man auch nur feststellen kann, ob man einer Regel folgt oder nicht, wenn man eben auf die sozialen Verfaßtheiten der entsprechenden Interpretationsgemeinschaft, der Gemeinsamkeit der Lebensformen, der Kultur usw. zurückgeht. Begriffe fassen oder "erfassen" ("grasp") heißt nach Gillet (ebd. 14), daß es sich um eine systematische Weise handelt, d. h. um eine prinzipiengebundene und regelgesteuerte Art, wie man "willentlich" auf die Welt, auf die Umgebung und deren Teile reagiert. Es geht also um Techniken der selektiven Aufmerksamkeitszuwendung und der gerichteten Suche nach kriteriengestützter oder nach durch Kriterien ausgewählter Information, die dann eben dadurch, daß sie attentiv durch Aufmerksamkeit selektiert wird, Bedeutung gewinnt (ebd. 17f.). Präsentationen sind dann in gewisser Weise als Instantiierun-
14. Nichtnaturalistische Theorie der Repräsentation
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gen solcher eingespielten Regelverwendungsweisen oder als Installierung eines Begriffs durch eben das Subjekt oder die Person zu verstehen. Der Mensch ist also ein aktiver Kategorisierer, ein aktiver "Verwender von Begriffen" (ebd. 34), zumal von Gattungsbegriffen, so könnten wir mit der Tradition sagen. Man sprach ja früher von den "gemeinsamen Begriffen" - "conceptus communes", d. h., den Begriffen, die auf verschiedene Einzelinstanzen in gleicher Weise angewendet werden können und so eine Art von Gemeinsamkeit der Gattung und somit die Grundlage jeglicher Verallgemeinerung herstellen. Es ist also die interne systematisch verwendete Regel der Anwendung von Vorstellungen und Begriffen, die zu einer Art von Begriffsverwendung und -erfassung fuhrt. Ein Begriff ist "erfaßt", wenn man ihn im Sinne einer Technik derart beherrscht, daß wir wissen, auf welche unterschiedlichen Einzelinstanzen er bzw. sie angewendet werden kann - oder genauer: auf welche einzelnen Instanzen die entsprechende Regel, welche die Vereinheitlichung der Inhalte oder Gehalte in den Begriff verdeutlicht, angewendet werden kann. Es geht also um Regelbeherrschung, Regeltechniken, Techniken der selektiven Aufmerksamkeitszuwendung und Handlung mittels intern eingespielter Regeln im Sinne von Normen, die man beherrscht. Handlungsregeln, die man gelernt hat, und Praktiken1, zumal eine Praxis der Regelverwendung spielen eine Rolle bei der Vorstellungsvereinigung. Bei Kant wird so nach dieser Interpretation die interne generalisierende Vorstellungsvereinigung als Anwendung von internen Regeln verstanden, wie man etwas überhaupt "unter" Begriffe bringt, also durch Subsumption, Unterordnung, Klassifikation usw. Aber das muß wie gesagt erweitert werden in jenem Wittgensteinschen Sinne, daß es sich auch auf soziale und sozial eingebettete Verwendungspraktiken für Regeln beziehen muß. Letztlich ist alle Regelverwendung in einem tiefen Sinne sozial verfaßt. Gillet sagt (ebd. 14), daß die Begriffe zu erfassen bedeutet, daß man willentlich, also nach einer freien Entscheidung oder bewußten Selektion, eine Regel anwendet. Das ist so zu deuten, wie man auch im sozialen Umgang im Alltag nach einer Regel reagiert, die man allerdings auch nicht befolgen könnte, die aber ihrerseits durch viele Anwendungen eingeübt, erlernt worden ist. Man hat eine regelmäßige Praxis erlernt und verinnerlicht, durch die man eine Regelgemäßheit, nämlich das Regelhafte konstituiert, gebildet, gelernt und somit internalisiert hat. Es ist ja eine Grundidee beim späten Wittgenstein, daß das regelgemäße, das korrekte Gebrauchen von Zeichen, Sprachformen usw. zurückgeführt wird auf das Regelmäßige, d. h. auf das dispositiv Erlernte, auf eingespielte Dispositionen und Reaktionsweisen. Regelgemäßheit ist verankert in Regelmäßigkeiten des Verhaltens. Das ist eine plausible Idee und zeigt eigentlich auch schon den handlungstheoretischen und gebrauchstheoretischen Charakter, der zentral für Wittgensteins Ansatz ist. Aber nach Gillet (ebd. 9f. u.a.) - und ich denke, da hat er recht - ist das eigentlich auch schon in dem Kantischen Ansatz des Regelcharakters der begrifflichen Erfassung und Verarbeitung enthalten. 1 Es geht auch um Regeln und Praktiken, die das handelnde Umgehen mit Gegenständen einschließen, wie Gillet (1992, 32 u.a.) in einer geradezu praxeologischen Weiterfuhrung der Kantischen Konzeption betont.
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Gillet betont explizit (ebd. 14), daß in der Tat ein Begriff zu fassen ("to grasp"), heißt, über eine Fähigkeit zu verfügen, auf ein Merkmal in einer regelgesteuerten Weise zu reagieren; und ein Begriff ist dann eben die Art und Weise, wie man ein Wort versteht, - derart, daß wenn man etwa einen prädikativen Begriff meint, man diese Reaktionsweise entsprechend einer Regel umschreibt oder genauer darstellt. Man muß natürlich noch genauer sagen: Es geht eigentlich nicht um die bloße Anwendung einer Regel - denn wir wissen noch gar nicht, was das ist -, sondern es handelt sich darum, daß ein Begriff genau dann prädikativ ist, wenn man seine Anwendung in prinzipieller Weise als eine intersubjektive regelgesteuerte Praxis beschreiben kann (ebd. 28ff.), wenn man jemandem zuschreiben kann, daß er in Form einer Regel seine Vorstellungen bzw. seine Begriffe strukturiert und verwendet. Das heißt aber natürlich schon, daß Begriffe strukturiert sein müssen, d. h., daß es eine Fähigkeit geben muß, in einer prinzipiellen Weise ein und dasselbe, nämlich einen Begriff bzw. die zugeordnete oder ihn konstituierende Regel auf unterschiedliche Anwendungsinstanzen anzuwenden; damit ist bereits die Fähigkeit der Verallgemeinerung des Begriffsverwenders, bzw. die Eigenschaft der Verallgemeinerbarkeit der Begriffe und ihrer jeweiligen Regel(n), im Sinne der Anwendbarkeit gemeint. Es muß noch hinzukommen, daß es eine Intersubjektivität dessen gibt, was gemeint ist, also des Gehalts, die natürlich mit der Verallgemeinerbarkeit verbunden ist (ebd. 14). Es muß aber auch eine Manifestierbarkeit existieren: Es muß feststellbar sein, und man braucht gewisse Kriterien der Feststellung, ob man der Regel gefolgt ist oder nicht, ob die Instanz unter den Begriff fällt oder nicht. Man erfahrt darüber hinaus meistens bei der selektiven, aufmerksamkeitsselektiven Anwendung von einer Regel auch Bewußtheit. Man braucht somit "Bewußtsein" als die Fähigkeit, empfindsam"sensitiv", also "flexibel und interessengeleitet" und zugleich auch im Sinne bestimmter Zielorientierungen planmäßig und kontrolliert (geregelt) reagieren zu können (ebd. 15). Eine Auswahl kann natürlich nur anhand von Normen, Werten oder Routinen oder was immer geschehen. Sie muß in einer gewissen Weise kontrolliert bzw. gesteuert sein, beispielsweise von Interessen und sozial geregelten Praktiken bzw. von Normen oder Regeln selbst. Begriffsanwendung hängt sowohl von der Kontrollierbarkeit, der Verallgemeinerbarkeit, Anwendbarkeit auf unterschiedliche Instanzen, von einer Möglichkeit der bewußten Verwendung oder auch der evtl. möglichen Abweichung ab. Schließlich sind die Begriffe in diesem Sinne oder die entsprechenden Regeln strukturiert (ebd. 15), d. h., sie weisen auch Unterlemente auf, die ihrerseits selektive Aspekte darstellen und miteinander u. U. verbunden werden. "Verallgemeinerbarkeit" bedeutet in diesem Sinne auch Anwendbarkeit auf Einzelfälle und zeitigt bzw. zeigt Untergliederungsmöglichkeiten, die im letzteren Falle bereits vorausgesetzt sind. Es gibt also "eine wesentliche Verbindung zwischen der Erfassung von Begriffen, dem Bewußtsein" oder Bewußtwerden von Begriffen, und dem "diskursiven" Handhaben der entsprechenden Konstituenten, also der Möglichkeiten, wie man argumentativ mit solchen Begriffen umgehen kann, wie man Begriffe verbinden kann (ebd. 16). Die aufmerksamkeitsgesteuerte oder auf bewußte Aufmerksamkeit
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gerichtete Selektivität erfordert mehr als das bloße Reagieren: Man muß aktiv antworten, selektieren, auswerten. Das Einer-Regel-Folgen, oder besser (um den aktiven Aspekt hervorzuheben): das Befolgen einer Regel, ist etwas anderes als eine beobachtungsmäßige Verallgemeinerung von außen her. Wenn ich bewußt eine Regel anwende - und das ist ein wichtiger Punkt - nehme ich in gewissem Sinne einen normativen Aspekt ein - oder genauer gesagt: ich benutze die Regel als normierend, als Standard, als Orientierungsleitlinie, um eben eine Strukturierung der Begriffsverwendung zu erreichen. Der von Gillet (ebd. 2Iff.) auch angezogene Autor Peacocke (1986) versteht das in gewissem Sinne als die Verpflichtung zu gewissen Rationalitätsprinzipien. Wenn man überhaupt urteilt oder Begriffe erfaßt und anwendet, bedeutet das, daß man diese Anwendung in eine Art von netzartigem Zusammenhang der Verbindung mit anderen Begriffen und von entsprechenden Regeln einbringt. Die Verbindung zur Situation hat dann eine Gemeinschaftsstruktur, die durch solche "Verbindungen kanonischer Art" ("canonical links"), aufgespannt wird und bestimmten Prinzipien der Verallgemeinerung usw. entspricht - insbesondere auch Prinzipien der Rationalität derart, daß ich für die Anwendung eines Begriffes in diesem Sinne gute oder als gut geltende Gründe brauche. Gute Gründe sind nötig, damit ich etwas als einen Begriff in einer bestimmten Situation (ver)allgemeiner(bar), kontrollierbar, prinzipiell und systematisch benutzen kann und entsprechend dem jeder (die Begriffsverwendungspraxis teilende) Hörer das auch erkennen und verstehen kann. Auf diese Einzelheiten bei Peacocke (1986) ist hier nicht näher einzugehen (s. aber Kap. 13). Die Praktiken der Begriffs Verwendung müssen nicht nur geteilt, sozial etabliert und basiert sowie verbreitet sein, sondern eine Ganzheit, "eine holistische Menge von Praktiken" darstellen, durch die wir erst dazu gelangen, "andere menschliche Wesen zu verstehen und mit ihnen zu interagieren" (Gillet 1992,46 u.a.). Die Erklärung des mentalen Gehalts der Gedanken ist nun für Gillet (ebd. 48ff.) in gewisser Weise durch diese genannten Voraussetzungen zu leisten. Der Gehalt gilt für ihn als etwas, das 1. durch solche Regeln der Begriffsverwendung im Sinne der Fähigkeit der Regelbeherrschung intersubjektiv manifestierbar ist, das 2. strukturiert und (evtl. weiter) strukturierbar ist, das 3. eben Verallgemeinerbarkeit, 4. Präzisierbarkeit aufweist, das S. bewußtseinszugänglich ist, d. h., flexibel und interessengeleitet entsprechend der Regel zu bewußten Reaktionen Anlaß gibt. Kurz: wir sind in der Lage, entsprechend den betr. Regeln flexibel und interessengeleitet zu reagieren, und die genannten komplexen Fähigkeiten sind geeignet, selektive Aspekte hervorzuheben und miteinander zu verbinden, also in diesem Sinne eine Verallgemeinerung zu leisten. Die aufmerksamkeitsgebundene Selektivität ist so mit einer bewußten Regelbefolgung verbunden, und das begriffliche Denken ist auf diese Weise handlungstheoretisch zu fassen: Sozial geteilte Praktiken, Handlungspraktiken (auch im Umgehen mit Gegenständen), Regelbefolgungspraktiken sind die Grundlage der Begriffsverwendung, der Begriffserfassung, ja, bereits der Begriffsbildung, und diese Praktiken bestehen in
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solchen eingespielten strukturierten Fähigkeiten, eben einer Regel zu folgen. Gillet betont (ebd. 30): "Ein Denker beherrscht einen Begriff, wenn ein natürliches (zunächst angelegtes, H. L.) Antwortmuster allmählich zu einem prinzipiengebundenen und regelgesteuerten Antwortmuster" im Sinne einer eingespielten Disposition, Handlungstendenz oder Verwendungsneigung für entsprechende regelhafte Reaktionsweisen wird - und wenn all das "in ein intersubjektives Netz von Aktivität(en)" eingebettet ist, in Netzwerkverbindungen der Begriffe "stattfindet" - unter Umständen aber auch (Gillet geht, ebd. 92ff., auch auf die konnektionistischen Ansätze ein) in einer Neuronenverschaltung innerhalb von Neuronennetzen, einem Gefüge aus funktional eingespielten Neuronenassemblies. Die Prädikationstechniken, also die Begriffsverwendungstechniken im Sinne etwa der Klassifikation, Subsumption usw., sind nun generell als eine Menge von regelgesteuerten Praktiken charakterisiert, die systematisch verfaßt und aufeinander bezogen sind und somit eine Art von Gesamtheit darstellen, sie sind also eine "holistisch" zu verstehende und zu beherrschende "Menge" (ebd.). Man kann nicht einem Begriff allein folgen, sondern ein Begriff ist immer in einen ganzen Zusammenhang von Begriffen bzw. Regelverwendungen eingebettet. Regeln sind nicht etwas, was allein auftritt. Unter diesem Gesichtspunkt diskutiert Gillet den Gehalt von mentalen Zuschreibungen, also mentalen Regelverwendungen, die ein Beobachter einem Handelnden, der den Begriff verwendet, zuschreibt - bzw. u. U. auch sich selber. Es handelt sich also um eine Zuschreibung, die durch diese Befolgung von solchen normierenden, und zwar letztlich sozial formierten, interpersonell rückgebundenen, Handlungsdispositionen genormt ist und die auf diese Weise also nicht nur kausal erklärt werden kann. Weil man einer Regel auch nicht folgen kann, ist die Befolgung der Regel und das Ergebnis der Regelanwendung natürlich nicht ein bloßes mechanisches oder mechanistisch zu verstehendes Kausalergebnis einer Konstellation im vorhinein. Sondern durch den normativen Aspekt, durch die implizite Normativität - oder besser gesagt: Standardgebundenheit, durch die Einbettung in soziale Zusammenhänge und die entsprechende Regeleingewöhnung - ist das Kausale in gewisser Weise überformt worden, obwohl es bei der Begriffsbildung und bei der Einübung von Begriffen und deren Regeln in der Tat um eine Auseinandersetzung bzw. Wechselbeziehung mit äußeren Weltzusammenhängen geht. Doch dadurch, daß diese Einübung mit anderen Akteuren geteilt wird, ist sie «ormenstrukturiert, -geleitet, -gesteuert und somit in gewissem Sinne sozial stilisiert sowie standardisiert. Ein anderer muß derselben Regel folgen (können), damit es sich um die Übertragung (oder Übertragbarkeit) eines Begriffes oder eines Wortes handelt, damit er das Wort oder den Begriff auch versteht. Also muß die Zuschreibung von mentalen Gehalten gewissen normierenden Regeln folgen. Auf diese Weise unterscheiden sich mentale Zuschreibungen von rein physisch-kausalen Beschreibungen, obwohl diese zunächst auf der unteren Ebene natürlich - beispielsweise beim aktuellen Wahrnehmen, beim direkten sensorischen Erkennen, durchaus eine Rolle spielen.
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Das Mentale ist also, wie man heute sagt, supervenient2 auf dem Physischen. Nur auf diese Weise kann auch grundsätzlich etwa in einem empiristischrepräsentationalen theoretischen Ansatz, also beispielsweise nach einem kausalfunktionalistischen, eine gewisse Flexibilität des Mentalen überhaupt verstanden werden. Doch, wie gesagt, Gillet geht darüber hinaus; er kritisiert diese kausalen oder quasi-kausalistischen und rein funktionalistischen Deutungen der mentalen Repräsentationen, vorwiegend aus Gründen der Standardgebundenheit, der Normativität, die eine Rolle spielt, der Selektivität und Aufmerksamkeitszuwendung, und eben aus dem Grunde, daß es sich um sozial eingespielte Routinen, Handlungsdispositionen usw. handelt. Insbesondere ist auch die Selbstzuschreibung, das Selbstverständnis des Mentalen, gebunden an Fremdzuschreibungen, an die systematische Einbettung in soziale Zusammenhänge. Oder der Stil dessen, wie wir uns selbst verstehen, wie wir unsere mentalen Repräsentationen oder Vorstellungen selbst verstehen, ist geprägt durch das Vorbild, wie wir diese und uns in sozialen Zusammenhängen einordnen, wie wir kommunizieren können. Natürlich kann man sagen, das Gehim funktioniert als ein biologisches System oder Teilsystem eines gesamten Organismus - und das läuft im wesentlichen nach natürlichen, naturwissenschaftlich beschreibbaren Prinzipien ab. Doch das ist nur die eine Seite. Diese rein naturale Auffassung ist nämlich nicht die ganze Geschichte, sondern die mentalen Zuschreibungen, Selbstzuschreibungen und Fremdzuschreibungen, gehen wegen der Normativität und der Sozialität der entsprechenden Gehalte bzw. der Verwendungsweisen und damit der Normen und Regeln, die dabei eine Rolle spielen, Uber das Kausale und rein Naturale hinaus. Mentale Erklärung ist also nicht bloß kausale Erklärung, sondern sie ist stets in gewissem Sinne normiert, standardgebunden, eingebunden in den Zusammenhang von anderen Verwendungsweisen von Regeln und Begriffen, ist handlungsorientiert, bezieht sich auf Selektion von Intentionen (Absichten), die in gewissem Sinne interessen- oder routinengesteuert, sozial geprägt und konventionelldispositionsgebunden sind. Es handelt sich um gewisse normative Leitvorstellungen, die eine Rolle spielen, also um eine Art von Regeln, die bewertend oder vorschreibend funktionieren oder zumindest irgendwie als Standards der Orientierung dienen, welche verantwortlich ist dafür, daß es einen handlungsmäßigen und method(olog)ischen Sonderstatus der mentalen Zuschreibungen über das rein Physische hinaus gibt. Deswegen spricht Gillet (1992, 50 ff.) davon, daß in mentalen Zuschreibungen und "mentalen Selbstzuschreibungen" ganz ähnlich wie etwa bei moralischen Urteilen "implizite präskriptive Normen" eine Rolle spielen, in Bezug auf welche "die Neigungen des Subjekts sensitiv sein müssen", auf die sie also reagieren (können) müssen, auf die es, das Subjekt, detailliert eingehen können muß (ebd. 62). Standards spielen daher eine normative/normierende Rolle. Man braucht die Flexibilität von Regelverwendungen, um
2 Das bedeutet - vereinfacht gesagt -, daß jegliche Differenz von mentalen Gehalten bzw. Zuständen auf einer Differenz des physischen (z.B. neuronalen) Zustandes aufruhen muß: Sie muß (natur-)notwendig korrelieren mit Unterschieden im physischen Zustand. Umgekehrt würden gleiche physische Zustände gleiche mentale Zuständlichkeiten oder Phänomene zeitigen müssen.
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die Kantische Spontaneität der Vorstellungsvereinigung überhaupt verstehen zu können. Es geht also bei mentalen Zuschreibungen letztlich gar nicht um die Beschreibung von physischen Zuständen allein, sondern eben um standardgebundene Reaktionsweisen, die zugeschrieben sind, also um etwas, was über kausale Bedingtheiten, naturale Entitäten und entsprechende Bewirkungen hinausgeht, abhängig ist von intersubjektiven Normierungen, Standardorientierungen, Ausrichtungen, Lernen, Interpretationen usw. (ebd. 63). Das heißt, die bloße Reaktivität des Organismus reicht nicht aus, um die selektive und intentionale Fähigkeit der Begriffsverwendung durch das Subjekt bzw. die Person vollständig zu erklären. Man braucht darüber hinaus auch die Einordnung in soziale und insbesondere auch in welthafte Zusammenhänge des Interagierens, ja, Intervenierens (vgl. Verf. 1998). Man muß einen Gehalt von mentalen Vorstellungen und Zuständen als im Sinne eines "weiten" Gehalts Abroad content") ä la Tyler Bürge und Putnam verstehen, d. h., die Einbettung in einen bestimmten Weltzusammenhang spielt eine wesentliche Rolle für die Bedeutungsbildung und die Konstitution eines Gehalts. Es ist nicht gleichgültig, in welcher Welt wir operieren, die Bedeutung und der Gehalt hängen somit nicht nur vom syntaktisch-formalen Format (im Sinne etwa der Computerwissenschaft) allein ab, sondern auch von der Kontexteinbettung. Regelverwendungen, Normen, Standards kann man nur unter dem "weiten" Gesichtspunkt, unter Einbeziehung des handlungsorientierenden Zwecks in einer sozialen Umgebung überhaupt verstehen. Auf diese Weise ergibt sich eine methodologisch-interpretationistische Überformung und Übersteigung des rein Kausalen. Man braucht einen "weiten" Kontext, eine Einbettung, um die mentalen Zuschreibungen überhaupt erfassen und verstehen zu können. Gillet spricht von einer grundlegend "begrifflichen Natur der Handlung" (ebd. 68) und umgekehrt von einer handlungstheoretischen Natur der Begriffsverwendung. Eine mentale Erklärung ist in diesem Sinne bezogen auf diese Art von überphysischer oder überkausaler Gehaltskonstitution, wobei der mentale Gehalt eben tatsächlich nicht bloß kausal verfaßt ist, sondern weil es sich um Zuschreibungen, normierende bzw. sonstige standardisierte Bedingungen, insbesondere um soziale Einbettungen handelt, geht es um mehr als um rein kausale Erklärungen (ebd.). Das wirft Gillet dann auch z.B. McGinn letztlich vor, obwohl m. E. zu Unrecht. McGinn (1989, 71 ff.) bezieht ja das Kausale allenfalls auf die unmittelbare direkte Wahrnehmung und kritisiert sogar die "Kausaltheorie des Wahmehmungsgehalts"; er nimmt ansonsten einen eher teleo-funktionalistisch-interpetationistischen Standpunkt ein. Der mentale Gehalt jedenfalls, das ist insoweit richtig, ist in gewisser Weise abhängig von der Ausstattung, der grundsätzlichen Vorhandenheit einer Welt überhaupt und auch von der Verfaßtheit der Welt, in der wir leben. Die berühmten Zwei-Erde-Gedankenexperimente von Putnam (1975 II, 223 f f , 1979, 43 f f , u.a. vgl. a. z.B. 1993, 58 f.) zeigen dies: Es gilt, daß das, was Wasser auf unserer Erde bedeutet, nicht unmittelbar mit dem "Zwasser" (etwa XYZ statt H 2 0) auf der "Zwerde" (der Zweiterde) übereinstimmen muß, selbst wenn die äußeren Umstände und die alltäglichen Erkennbarkeitsbedingungen die gleichen sind.
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(Nehmen wir die Situation vor der chemischen Aufschlüsselung von Wasser an, also etwa 1500 n. Chr.!). Das Beispiel ist allgemein bekannt. Solche Beispiele zeigen nach Putnam und Bürge, daß man nicht in einem "engen" ("narrow content") Sinne mit einer syntaktisch-formalen Charakterisierung des Gehalts von mentalen Vorstellungen alleine auskommt. Die Bedeutungen und natürlich auch die Gehalte von mentalen Vorstellungen - oder mit Frege gesagt: die Gedanken, d. h. die Intensionen der Propositionen, die entsprechenden Daß-Sätzen zugeordnet sind - sind also nur verständlich, wenn man sie in einen "weiteren" Zusammenhang einbettet. Worauf 'Wasser* sich bezieht ("referiert") hängt davon ab, ob man sich in jener Welt befindet, die normales Wasser (H 2 0) enthält, oder auf der Zwerde, auf der nur Zwasser (XYZ) von gleicher äußerer Erscheinung vorhanden ist. Der Gehalt eines referierenden Ausdrucks oder Begriffs ist also einerseits abhängig von unseren äußeren Erfahrungen, und zwar generell - das ist natürlich auch eine Kantische Idee - aber andererseits ist er auch normativ (regel)formiert und mitbestimmt durch die aktive Rolle des Denkenden und Handelnden in der Art und Weise, wie dieser seine Gedanken einrahmt, verfaßt und wie er dies gelernt hat, wie er Dispositionen entwickelt hat, wie er aktiv durchaus auch "Techniken" der Regelbeherrschung, der Begriffsverwendung gelernt hat (Gillet 1992, 69, 71 u.a.). Und das alles wird im mentalen Gehalt auch mitreflektiert. Der Gehalt ist auf diese Weise wesentlich regelgebunden, interpersonellen Handlungszusammenhängen entsprungen oder durch diese (mit)geformt; er hat keine nur kausal-mentale deskriptive Erfaßbarkeit, ist also nicht bloß eine kausale Beschreibung oder deren Produkt; es ist ein in aktiver Auseinandersetzung mit der Welt und den eigenen Stilisierungsgewohnheiten, Regelverwendungen, Anwendungen im wahrsten Sinne des Wortes "entstandenes" Reaktionsmuster. Die Manifestierung von Regelverwendungsföhigkeiten ist also eine wesentliche Grundlage von mentalen Zuschreibungen. Das wesentliche Verbindungsglied ist der Bezug auf eine äußere Welt und die Verbindung zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung, sind Rationalisierungsprinzipien; also das, was gute Gründe darstellt, spielt dabei eine Rolle. Bei Peacocke (1986, 154 f.) ζ. B. wird folgendes Beispiel diskutiert: Wenn jemand irgendwo in einer Welt oder in einer benachbarten Welt etwa durch Sehen und Trinken feststellt, daß es sich um Wasser handelt, dann ist das ein rational gerechtfertigtes Urteil. Aber wenn er auf diese Weise durch Sehen und durch Schmecken oder Trinken feststellen will, daß es sich um H2O handelt, dann sei das kein rationales, auf diese Weise durch diese zugeordnete Methode gerechtfertigtes Urteil. ('H 2 0' ist - zunächst - kein Alltagsbegriff.) Man braucht also eine gewisse "Rationalität", man braucht eine gewisse Begründung der guten Gründe, die man hat, um eine solche Aussage finden und begründen zu können. Man kann eben nicht durch Schmecken und Sehen garantieren, daß es sich um H 2 0 handelt. H 2 0 ist ein chemischer Begriff; das H 2 0 hat eine bestimmte Zusammensetzung, diese kann man nicht durch Schmecken oder Trinken feststellen - und auch nicht durch Sehen. Das bedeutet, man braucht hier andere
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Methoden, für die es rational ist, zu erwarten und zu vertreten, daß daraus eben eine chemische Erkenntnis dieser Art zustande kommt. Solche Rationalitätsprinzipien spielen natürlich auf einer entsprechenden Standardebene eine normierende Rolle beim Zustandekommen eines gerechtfertigten Gehalts von (hier: chemischen, also fachtechnischen) Begriffen. Peacocke (ebd. 155, 167 f.) meint dies beispielsweise, wenn er von einem "Rationalitätsprinzip" bei der Begriffsverwendung spricht, um einen Gehalt auszuzeichnen. Diese Rationalitätsprinzipien sind nicht nur zufällig, sondern sie sind systematisch, sozusagen apriorischintrinsisch den Begriffen zugeordnet. Man kann nur sinnvollerweise und garantiert von einem Gehalt eines Begriffes sprechen, wenn man eine geeignete Methode der Erkennung, d. h. also gewisse gute Gründe, hinzufügen kann, warum ein Begriff in diesem Falle verwendet werden kann oder nicht. Die Zuordnung von geeigneten oder entsprechenden Methoden ist also entscheidend. Von Gillet (1992, 86 f.) wird zudem noch hinzugefügt, daß die Regeln auch darüber entscheiden, was als ein bestimmter Typus, als eine Gattung (die ζ. B. durch den Begriff bzw. durch die entsprechende Regel dargestellt wird) "zählt" oder was '"als dasselbe1 zählt". Sowohl begriffliche Identifizierung als auch TypeIndividuierung (im Sinne der Linguisten und der daran anschließenden Sprachund Erkenntnisphilosophen) ist also in diesem Sinne durch Praktiken, durch Regelverwendungspraktiken des Subjektes mitbestimmt; die mentale Tätigkeit des Menschen ist in Bezug auf die Welt eben abhängig von solchen Formierungen und den obwaltenden Verständnissen - etwa dessen, was als "dasselbe" zählt, was unter "dieselbe Art" fallt, was "derselbe Begriff 1 ist. Mit anderen Worten: man hat solche Vereinheitlichungsgesichtspunkte, unter denen wir in der Lage sind, unser Denken auszudehnen, auf andere Einzelfälle anzuwenden. Man braucht Teile, die man unterscheiden kann, unterschiedliche Perspektiven, die eine Rolle spielen, Merkmale, die man unterscheiden kann und die man wieder aufeinander beziehen können muß (Gillet 1992, 88 f.). Und man braucht vor allen Dingen Lemverfahren, wie man so etwas einspielt. Gillet (ebd. 90) spricht im Anschluß an die Soziobiologen und Ethologen von "priming the selective structure", d. h., man muß irgendwie das "Bahnen" nachzeichnen, wie man solche Strukturierungen aufzunehmen in der Lage sein wird. Es geht also nicht mehr darum, daß man hinsichtlich der Fähigkeit, Begriffe verwenden und mit Gehalt zu versehen und Erkenntnis zu gewinnen, einen bloßen Beobachtungsstandpunkt einnehmen könnte, sondern man muß einen aktiven und auch einen handlungstheoretischen Standpunkt einnehmen. Das ist die Hauptidee: Der Mensch ist nicht bloß Beobachter, sondern wesentlich Akteur, Mitspieler. Diese handlungstheoretischen Gesichtspunkte müssen sowohl gewährleisten, daß eine gewisse Flexibilität in bezug auf Reaktionsweisen in einer sich möglicherweise ändernden Situation gegeben ist, daß es nicht nur auf fixe Merkmale zurückzufuhren ist, wie man reagiert, daß man seine Reaktionsweisen auch in einen sozialen Zusammenhang einbetten kann bzw. muß, der Verständigungsfähigkeit voraussetzt und Verständigungsmöglichkeiten herstellt; und es muß auch eine Art von "Robustheit", Wiedererkennbarkeit bei unterschiedlichen Inputs gewährleistet
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sein. Gillet (ebd. 90 ff.) sieht in der Tat, daß heutzutage dafür konnektionistische Ansätze, das Einspielen von Neuronennetzwerken oder NeuronenassemblyAktivitäten, ein geeignetes Muster darstellen, wie man durch interaktive Behandlung von Weltfaktoren dadurch lernen kann, daß man Gewichtungskoeffizienten zwischen bestimmten Knoten in Neuronennetzwerken ändert, immer wieder überprüft und so einspielt, und schließlich stabilisiert. Ich habe oben (s. o. Kap. 3) darauf hingewiesen, daß man in der Tat das Wiedererkennen im Wahrnehmungszusammenhang - und das gilt dann cum grano salis, mutatis mutandis, auch für höhere Kognitionen - verstehen kann als das zeitliche Synchonisieren von bestimmten Feuerungsraten von Neuronennetzen (Neuronenassemblies), die in der Lage sind, gemeinsam zu feuern - z.B. wenn man etwas gleichzeitig sieht und berührt. So werden dynamisch unterschiedliche Merkmale, etwa verschiedener Sinnesmodalitäten, miteinander verknüpft, die bei ein und demselben Gegenstand der Außenwelt entsprechend zunächst in unterschiedlichen Neuronennetzen repräsentiert sind. Die unterschiedlichen Modi, also etwa Sehen und Hören oder Anfassen, werden dadurch verbunden, daß die zugeordneten Neuronenensembles in eine kohärente Oszillation kommen, zu einem kohärenten Schwingen, zu einem gemeinsamen Schwingungsrhythmus gelangen, was inzwischen ja auch empirisch bestätigt worden ist, etwa durch Wolf Singer und Mitarbeiter (s. z.B. 1990). Das heißt, daß man bei der Wahrnehmungserkennung eine Herstellung gemeinsamer Schwingungsrhythmen von den betreffenden Neuronenassemblies feststellen kann und empirisch bei Tierexperimenten schon gefunden hat. Die zentrale Hypothese hierzu ist im Wesentlichen von Christoph von der Malsburg entwickelt worden. Sie besagt, daß Neuronenassemblies schnell relativ stabile Schwingungszustände einnehmen und daß diese auch beim Erwachsenen plastisch verändert werden können. So konnte die traditionelle Auffassung des Hebbschen Lernens, daß Lernen durch Verstärkung von Synapsenüberbrückungen, durch häufig wiederholte Aktivierung zustande kommt, bestätigt werden. Von Hebb (1949) stammt die ursprüngliche Hypothese, daß Lernen im Wesentlichen durch das Einspielen, das wiederholte Aktivieren von Synapsenüberbrückungen (Überbrückungen zwischen den entsprechenden Neuronen) ist, daß auf diese Weise ein Bahnungseffekt entsteht. Von der Malsburg hat in den 70er Jahren die Hypothese aufgestellt, daß das Einspielen recht schnell und flexibel vonstatten geht, daß Neuronenassemblies auf diese Weise plastisch zusammengeschaltet werden können. In der Tat ist das auch empirisch bestätigt worden. Das bedeutet natürlich nicht, daß notwendigerweise alle höheren Kognitionen nun bereits detailliert auf diese Weise zu verstehen sein müssen, aber es ist ein plausibles Modell, welches das intermodale Erkennen und das flexible Einspielen und ζ. T. das Lernen verständlich machen kann. Es wurde anhand empirischer Ergebnisse über das Wahmehmungserkennen entwickelt, und zwar insbesondere am visuellen System. Die mentalen Repräsentationen sind also fur Gillett regelgesteuert und durch solche Ausgerichtetheit (Intentionalität) charakterisiert, die aufgrund der
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genannten Orientierung an Standards, Orientierung an Interessen und Absichten usw. zustande kommt. Die Abschätzung gegen Standards ist fur ihn in gewisser Weise eine Normierung, bedeutet ein normatives Moment, das bei der Einordnung eine Rolle spielt, bei der Einordnung dessen, was "als dasselbe zählt" oder zu "derselben Art". Der menschliche Geist ist dementsprechend eben ein nach handlungstheoretischen Mustern aufzufassendes Agens - vielleicht gar eher: eine Regeln verwendende Agentur. Er ist nicht eine bloße Satzverarbeitungsmaschine oder eine "syntaxangetriebene" reine Informationsverarbeitungsmaschine in dem Sinne, wie diese etwa die Anhänger der sog. Computermetapher des Geistes verstehen - insbesondere auch, wie es beispielsweise Fodors Ansatz einer konstituentenverfaßten Symbolverarbeitung (im strikt informationswissenschaftlichen Sinne) deutet. Gillets Entwurf geht wie erwähnt über Kausalauffassungen hinaus: Selbst das Wahrnehmen ist nicht etwa ein bloßes Spurenabbilden. Er spricht an einer Stelle (1992, 109f.) kritisch vom kausalen "Spurenmodell" oder der "Fußspur-Analogie": Das Erkennen ist nicht wie eine Spur am Sandstrand, die etwas aussagen kann über denjenigen oder diejenige, der oder die diese Spur hinterlassen oder verursacht hat. Ebenso trifft auch nicht das Fotografiemodell einer Abbildung zu: Auch so ist die mentale Repräsentation eines Objekts, gar generell des Wissens, nicht zu verstehen. Sondern es handelt sich um ein Interaktionsmodell i.S. der handelnden Auseinandersetzung des aktiven regelhaft wie auch schöpferisch handelnden Subjekts mit der Umwelt in normen- und prinzipiengesteuerter Weise. Hiernach erst kann man auch den Gehalt von Aussagen bzw. mentalen Repräsentationen zusammen mit der Einbettung in diese Handlungssituation, in den Kontext der Regeln und ihrer Verwendung und u.U. in Abhängigkeit von sozialen Interpretationsgemeinschaften verstehen, weil ja die sprachliche Differenzierung eine Rolle spielt. Die Sprache ist eben ein soziales Produkt bzw. Medium oder "Vehikel" bzw. Instrument. Insoweit wir sie zur Formierung und Differenzierung unserer Gehalte von Gedanken benutzen, ist diese Differenzierung und Formierung letztlich sozial strukturiert - im Prinzip so strukturiert, wie die sozialen Strukturierungsfähigkeiten mittels unserer Sprache gestaltet sind oder werden. Gillet meint, daß i.S. von Putnam und Bürge auf diese Weise ein "weiter Gehalt" zugrundegelegt werden muß - nicht nur der "enge Gehalt", der rein physisch aus dem bloß syntaktischformalen Signalgeflecht bzw. den organismusinternen Verarbeitungsprozessen und -strukturen entnommen werden kann. In Anlehnung wohl an den Kulturtheoretiker und Ethnologen Clifford Geertz (dt. 1983), den er freilich nicht erwähnt, spricht Gillet (1992,1 lOf.) deshalb davon, daß die Information in einem "dünnen" ("engen") Sinne nicht ausreicht, um Gehalte zu gewinnen, sondern ein Gehalt in diesem geschilderten, d.h. normativ-strukturierten, teils sozial verankerten Sinne, muß eben "dichte Information" ("thick information")·, sein. Geertz bezieht sich im Wesentlichen auf die kulturelle Einbettung der Verständnisweisen: Man kann ihm zufolge Handlungen nur unter dem Gesichtspunkt der Einbettung in größere kulturell stilisierte Zusammenhänge verstehen. Man muß die Kultur kennen, um jemanden, der innerhalb einer Kultur handelt, verstehen zu können. Das ist ja auch
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plausibel - übrigens auch für die eigene Kultur! So meinte schon Lichtenberg in den Sudelbüchern (Bd. 1, J860): "Wer nichts als Chemie versteht, versteht auch die nicht recht." Ich möchte nunmehr zu den Wittgensteinschen Gesichtspunkten bei Gillet übergehen und diese in Beziehung setzen zu der Konzeption des Schemainterpretierens, wie wir sie entwickelt haben. Es geht also darum, die Verbindung zwischen einer Kantischen und einer Wittgensteinschen Auffassung in handlungstheoretischer Hinsicht herzustellen. Entsprechend der Kantischen Regelauffassung heißt, "einer Regel zu folgen", fiir Gillet im Grunde schon, eine Art von begrifflicher3 oder quasibegrifflicher Feingliederung vorzunehmen: Eine solche Differenzierung im Sinne des regelgesteuerten Reagierens, Konstituierens und Auffassens bedeutet, daß man Zuschreibungen vornimmt, darüberhinaus auch Selbstzuschreibungen, daß man eben einer entsprechenden Regel, ζ. B. einer des Subsumierens unter einen "gemeinsamen Begriff" im Kantischen Sinne, folgt. Das heißt aber in handlungstheoretischer Erweiterung, daß man bestimmte Routinen im Umgang mit (Typen von) Gegenständen, Prozessen und vor allem Zeichen einspielt (oder eingespielt hat) und entsprechende Normen beachtet, daß man sich an Standards der Verwendungsweise von Zeichen orientiert. Das klingt alles schon recht Wittgensteinianisch interpretiert. Praktiken sind ja für Wittgenstein stets sozial erlernte Praktiken, sozial basierte Sprachspiele, die eben die Regeln darstellen, ihrerseits in "Lebensformen" (normierten Aktivitätsmustern) und durch Regeln strukturiert, konstituiert sind, wenn sie und soweit sie eben systematisch und gemeinsam sowie für andere verständlich verwendet werden. Regeln haben etwas Übergreifendes an sich; und Regeln zu folgen ist eine Handlung, ein praktisches Anwenden von Zeichen auf unterschiedliche Anwendungsfälle, auf Instanzen, in der Art und Weise, wie die jeweilige Regel sich darstellt: ">Der Regel folgen