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German Pages 344 Year 2001
ALFRED KNÖDLER
Das Denken des Festes: Das Fest des Denkens
Philosophische Schriften Band 44
Das Denken des Festes: Das Fest des Denkens Heideggers seinsgeschichtliche Wesensbestimmung des Festes im Ausgang und Abstoß von der Tradition
Von
Alfred Knödler
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Knödler, Alfred: Das Denken des Festes : das Fest des Denkens : Heideggers seinsgeschichtliche Wesensbestimmung des Festes im Ausgang und Abstoß von der Tradition / Alfred Knödler. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Philosophische Schriften ; Bd. 44) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09337-2
Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-09337-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Meinen Eltern
ουχί ή καρδία ημών καιομένη ήν έν ήμΐν ώς έλάλει ήμΐν έν τη όδφ, ώς διήνοιγεν ήμΐν τάς νραφάς Κατά Λουκαν 24,32
Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?
Lukas 24, 32
Vorbemerkung Zu Beginn dieser Arbeit will ich zuerst Herrn Prof. Dr. Friedrich-Willhelm von Herrmann danken, der mich nicht nur bei Heidegger, sondern auch bei vielen anderen Denkern in die Schule geschickt und mir so den Weg gewiesen hat in die Landschaft der Philosophie. Desgleichen danke ich Herrn Prof. Dr. Bernhard Casper, dessen leitender und begleitender Zuspruch mir bei so manchem Weggespräch neue Hoffnung und Einsicht gewährt hat. Auch Herrn Prof. Dr. Thomas Böning sei gedankt, daß er mich das Fährtenlesen gelehrt hat und meinen Blick an die Spur der Schrift heftete. Robert Kremser (1912 - 1997) schließlich bin ich zutiefst dafür verbunden, daß er mich überhaupt erst auf diesen Weg brachte und mir zeigte, daß Philosophieren eine Lebensweise sein kann. An diesem Ort sei auch an Jean Levien (1969 - 1993) gedacht, der viel von meinem Vertrauen in die Philosophie mit in seinen frühen Tod nahm, der jedoch zugleich den Abgrund für ein Anderes aufriß. Eine Ahnung davon, daß das Denken dennoch zuweilen ein Fest sein kann, verdanke ich der Liebe, der Güte und der Streitbarkeit meiner Freundinnen und Freunde: Antje Heinemeier, Natalie Knapp, Mark Michalski, Christian Müller, Daniela Neu, Alexander Ochs, Hartmut Westermann und besonders dem Wohlwollen Berthold Müllers. Freiburg, 2. Oktober 2000
Alfred
Knödler
Inhaltsverzeichnis Vorbereitender Teil Eröffnung der Gesprächsdimension § 1 Frage und Fragegang der Ausarbeitung im Ausgang vom Titel §2
§3
15
Zum Selbstverständnis der Arbeit als eines phänomenologischhermeneutischen Weg-Gespräches
26
Das Fest in den verschiedenen Verhaltungen
43
a) Das Fest in der natürlichen Selbst- und Welterfahrung b) Das Fest in Wissenschaft und Philosophie c) Das Fest im Denken Martin Heideggers
43 51 63
Erstes Hauptstück Das Fest in der Geschichte Erstes Kapitel
Der Anklang in festloser Zeit § 4 Die Gewöhnlichkeit des Seienden und des Seins in der Epoche der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit §5
71
71
Die Übergangslosigkeit des Feierns vom Gewöhnlichen ins Ungewöhnliche.... 78
Zweites Kapitel
Das Fest des Mythos als das Brautfest von Göttern und Menschen
95
§6
„Beginn" und „Anfang" frühgriechischer Festlichkeit
95
§7
Das Fest des Dichtens: Das Dichten des Festes
109
§8
Das Heilige als der Ursprung des Festes: Das Fest als der Ursprung des Heiligen
118
12
Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel
Das Fest der Vorsokratiker im Herzschlag von Verbergung(AHöH) und Entbergung (Α-ΛΗΘΕΙΑ) §9
Das Gastmahl der Sieben Weisen
131 131
§ 10 Das anfängliche Denken als das feierliche Sicheinspielen ins Spiel der φύσις
136
§11 Xenophanes, Parmenides und die Kugel des Seins
142
Viertes Kapitel
Das Fest der platonischen Philosophie als das Fest zwischen ΕΙΔΟΣ und ΑΙΣΘΗΣΙΣ
151
§12 Das Marionetten-Fest-Spiel des Gesetzesstaates
151
§ 13 Die Ver-wahrlosung der Fest-Statt zum Verlies
159
Zweites Hauptstück Das Fest als die Geschichte
Erstes Kapitel
Die andenkende Dichtung als das Ereignis
171
§ 14 Die Bedeutung Hölderlins für ein seinsgeschichtliches Denken des Festes
171
§ 15 Die herkömmliche Auslegung der Hymne „Andenken"
181
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
193
a) Das Fest innerhalb der vier Fragekreise des Sprunges b) Die Einheit des Gedichtes und die Einzigkeit des Ereignisses c) Das Übergängliche als das Schwingungsgefüge für den Einschwung in das Ereignis α) Die Weisen des Überganges im seinsgeschichtlichen Denken ß) Das gewöhnliche Verständnis des Übergangs y) Das metaphysische Übergangsverständnis Ö) Der übergängliche Übergang d) Das Grüßen des Nordost-Windes
195 200 208 208 211 214 226 226
Inhaltsverzeichnis Zweites Kapitel Das andenkende Fest als das Ereignis
235
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins in den Wesungsbereich des Ereignisses
235
a) Feiern als Freiwerden vom verödeten Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche b) Der Ent- und Verrückungscharakter der Fest-Stimmungen
235 246
§ 18 Das Fest als die ausgleichende Weile für das Schicksal
263
§ 19 Die Nacht als der Zeit-Raum des feiernden Andenkens an die untergegangenen und des Heraufdämmerns der künftigen Götter
271
a) Raum und Zeit als Zeit-Raum b) Die Nacht als Nacht
271 281
Drittes Kapitel
Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis § 20 Die Binnenphänomene des Festes im Übergang a) Das Gespräch mit den Freunden als schickliche Vorbereitung des Festes b) Die Deutschen und das Wiedererlernen der ihnen eigenen Festlichkeit aus dem andenkenden Gespräch mit der Geschichte c) Das Sichereignen des Schmückens aus dem Glanz d) Spiel, Tanz und Musik im Lot und in der Wiege des Anfänglichen e) Der Rausch als die heiligtrunkene Nüchternheit §21 Der Ball des Seyns a) Die Schenkung des Kelches b) Das festliche Rund c) Die verschwiegene Meisterschaft des Festes Literatur- und Siglenverzeichnis
291 291 291 296 303 305 308 311 311 314 315 317
Vorbereitender
Teil
Eröffnung der Gesprächsdimension
§ 1 Frage und Fragegang der Ausarbeitung im Ausgang vom Titel Es gibt eine menschliche Möglichkeit, „Feiern" genannt, durch welche der Mensch aus seinem alltäglichen Vorsichhinleben heraus in eine Art Ausnahmezustand versetzt wird. Derart des Gewöhnlichen entsetzt, wird es frei um den Menschen. Er wendet sich Anderem zu und wenn nicht dies, so widmet er sich anders dem bis dahin Immergleichen. Liebe, Spiel, Todesnähe und Krieg 1 , Kunst, Wissenschaft, Philosophie und Religion erheben auf ihre je eigene Weise einen ähnlichen Anspruch. Sie entheben den Menschen der gängigen Selbstund Welterfahrung, um ihn in gewandelter Weise auf dieses Gängige zurückkommen zu lassen. Sie sind geheimnisvolle Teloi des Gewöhnlichen, die diesem erst dadurch Geltung zu verleihen scheinen, daß sie es zu Zeiten außer Geltung setzen, um es zu Zeiten wiederum in den Strom des Gewöhnlichen zu entlasssen. Und wenn wir sagen, das Gewöhnliche erlange erst seinen wahren Sinn, wenn es seinen gewohnten Sinn auf das Ungewöhnliche hin „relativiere", so gilt gleichermaßen, daß dieses Ungewöhnliche seinerseits erst sinnvoll erscheint, indem es sich auf das Gewöhnliche zurückbeugt. So fuhren die genannten Phänomene zu einem widersprüchlichen Wechselbezug zwischen Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem, widersprüchlich, sowohl in sich selbst als auch gegenüber den Schieds- und Richtsprüchen des GewöhnlichAllzugewöhnlichen. Fast scheint es so, als überstiegen sie im ursprünglichen Sinne des Wortes para-dox, die Setzungen des Gewöhnlichen, ohne damit bereits zu klären, worin nun eigentlich die δόξα und worin das παρά bestehe. Doch worin liegt die Besonderheit der Tendenz des Menschen, feiernd in gewandelter Weise auf sich und das Seine zurückzukommen? Worin hat dieser „Drang" seine Motivation? Und vor allem: Ist es überhaupt sinnvoll, diesen Tendenzen im Rahmen einer philosophischen Ausarbeitung nachzufragen? Ist
1 Erschreckenderweise ist der Krieg oftmals der einzige „Ausnahmezustand", der den Menschen noch aus der Verlorenheit oder Verfahrenheit in das Gewöhnliche zu reißen vermag.
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
das Feiern von Festen nicht „an sich" schon Besinnung genug? Was mag eine blasse „Theorie des Festes" schon der pausbäckigen Lebensfiille faktisch gefeierter Feste zu sagen haben? Wie steht es diesbezüglich mit der Philosophie, jener erklärtermaßen verkehrten Welt 2 , die zuweilen gar in Anlehnung an die Dichtung von sich selbst behauptet, das unschuldigste und somit womöglich unnützeste aller Geschäfte zu betreiben (vgl. GA 4, 33)? Kann die Philosophie etwas zu einer gewandelten „Fest-Praxis" beitragen? Oder liefert sie Lebensanweisungen, die jedem gesunden Instinkt zur Freude, Lebenssteigerung und Ausgelassenheit nur abträglich sein können? Hat nicht ein Dichter einmal gesagt, die Philosophie sei „eigentlich Heimweh, ein Trieb überall zu Hause zu sein"?3 Was antwortet die Philosophie, wenn sie hinsichtlich des Festes gefragt wird, „που νένεις", „wo ist deine Herberge" (Joh. 1, 38)? Ist ihr Aufenthalt nun eine weltbejahende Feststatt oder eine weltarme Klause? Mit einem Mal wird aus der Frage nach dem Wesen des Festes die Frage nach dem Denken, das dieses Wesen zu bestimmen sucht. Die Eigendynamik des Bedachten schlägt auf das Denken zurück, noch bevor das Denken sich versichern konnte, wie es dieses in seine „Gewalt" bekommen könnte. Und dieser für die Philosophie ebenso lebensnotwendige wie lebensgefährliche Wechselbezug zwischen Denken und Bedachtem, der sich nochmals mit dem bereits genannten Entrückungs- und Versetzungscharakter des Feierns verschränkt, ist im Titel der Ausarbeitung angezeigt. Dieser Titel „Das Denken des Festes: Das Fest des Denkens " hat vorerst formalanzeigende Funktion. Der Bezug seiner beiden Teile aufeinander impliziert, daß dem „Denken des Festes" ein wie auch immer gearteter Festcharakter zukommt, daß also das Denken einer Sache zum Vollzug derselben wird. Die Wendung „Das Fest des Denkens" enthält beide Momente. Als genitivus objectivus verstanden, besagt sie, daß das Fest des Denkens ist, d.h. zum thematischen Gegenstand des Denkens gemacht wird, als genitivus subjectivus verstanden, bringt sie zum Ausdruck, daß das Denken selbst ein Fest ist. Auf den ersten Blick könnte der Titel so verstanden werden, als fordere er, daß künftighin - wie einst bei den Griechen - wieder im Rahmen von Symposien philosophiert werde. „Das Fest des Denkens" bezöge sich demnach auf ein faktisch vollzogenes Feiern. Ein sonderliches Bestreben einer akademischen Arbeit wäre es, wollte sie die Seminare an Universitäten zu Trinkgelagen umgestalten. Diese Intention verfolgen wir freilich nicht. Dennoch soll ihr Titel sowohl auf einen Wechselbezug zwischen dem Denken einer Sache und ihrem außerphilosophischen Vollzug hinweisen als auch zwischen einem Denken des Festes und einem möglichen Festcharakter des Denkens selbst. 2
G.W.F. Hegel, Über das Wesen der philosophischen Kritik überhaupt. Werke (20 Bde). Bd. 2. Frankfurt a. M. 1970, S. 182. 3 Novalis, Schriften. Hg. v. J. Minor. Jena 1925. Bd. 2, S. 179.
§ 1 Frage und Fragegang der Ausarbeitung im Ausgang vom Titel
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Allein, entspricht eine solch formelhafte Umkehrung überhaupt dem Wesen der Philosophie? Könnte nicht jemand, der die Philosophie als wissenschaftlichdiskursive Disziplin auffaßt, einwerfen, hier werde etwas von ihr erwartet, was zu leisten gar nicht in ihrem Aufgabenbreich liegt? Hat eine „Philosophie des Festes" überhaupt praktikabel oder gar selbst festlich zu sein? Um das Wagnis einer solchen Umkehrung zuzuspitzen, könnte man das Leitwort probehalber abwandeln in „Das Denken des Todes - Der Tod des Denkens", „Das Denken des Krieges - Der Krieg des Denkens" oder „Das Denken des Hämmerns - Das Hämmern des Denkens". Das hieße, daß das Denken mit einem „Denken des Todes" selbst stürbe, schlimmstenfalls gar der Denkende mit ihm, daß es mit einem „Denken des Krieges" selbst kriegerisch würde, ja die Denkenden womöglich selbst in den Krieg zögen, und daß das „Denken des Hämmerns" sich nur dann adäquat vollzöge, wenn es sich selbst mit dem Einschlagen von Nägeln befaßte und die Denkenden Handwerker würden. Eine solche Verquickung des philosophischen Denkens mit der von ihr bedachten Sache erscheint absurd. Dennoch spricht Heraklit davon, daß der Krieg „aller Dinge Vater und Herrscher" 4 sei, und versteht sein Philosophieren als denkende Teilhabe an dieser Auseinandersetzung. Der Platonische Sokrates kennzeichnet die Philosophie als Sterben-Lernen 5, d.h. als das denkerische Hereinholen des eigenen Todes in die Existenz. Heidegger schließlich versteht seine Daseinsanalytik als eine Hermeneutik der Faktizität, die den alltäglichen Existenzvollzug - etwa den sorgenden Umgang mit einem Hammer zum Einschlagen von Nägeln - der Philosophie erschließt (SuZ, 63-88). Alle drei Philosophen haben gewiß das jeweilige Phänomen gekannt. Heraklit war als Aristokrat seiner Zeit im Kriegshandwerk ausgebildet und hat Kriege, sei es als Teilnehmer, sei es als Beobachter, miterlebt. Der Platonische Sokrates hat - wie die „Apologie" uns zeigen soll - das Sterben gelernt, und von Heideggers Kundigkeit in handwerklichen Phänomenen zeugt nicht allein die Zeuganalyse von „Sein und Zeit". Doch besteht das Verdienst der Philosophie in allen drei Fällen darin, daß sie sich nicht im bloßen Vollzug oder in der bloßen Sachkundigkeit der bedachten Sache erschöpft. Zwar gelten ihre großen Vertreter weithin als vollzugskundig, ja die Vollzugskundigkeit eines Philosophen wird nur allzugern als „philosophische Hintertreppe" zum Nachvollzug seiner Philosophie gesehen, doch schätzen wir an den Philosophen vornehmlich die begrifflich-deskriptive Hebung eines Phänomens. Das Phänomen, zu dem wir uns außerphilosophisch verhalten, wird durch seine philosophische Thematisierung in das Denken hereingeholt. Was dies aber heißt, ist wiederum von der jeweiligen Philosophie und vom persönlichen Bezug des Denkenden sowohl zum philosophisch thematisierten als auch zum außerphilosophisch erfahrenen Phänomen abhängig.
4 5
Heraklit, Β 53: Πόλεμος πάντων μεν πατήρ έστι, πάντων δε βασιλεύς [...]. Piaton, Phaidon, 67 e.
2 Knödler
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
Was aber die meisten Philosophierenden unabhängig von ihrer Gewichtung dieser Bezüge zugeben werden, ist die Tatsache, daß gerade mit der Hebung des Phänomens der im Titel unserer Arbeit angezeigte Wechselbezug in Frage gestellt wird. Einmal denkerisch gehoben, wird das Gedachte Teil eines Diskurses oder leitet einen Diskurs in die Wege. Es wird besprochen, schriftlich fixiert, verbreitet, gelesen und weiter diskutuiert, und dies solange, bis sich Hörer und Sprecher, Autor und Rezipient nicht mehr im klaren darüber sind, ob die anderen oder - und viel wesentlicher - sie selbst noch „wissen, wovon sie sprechen". Auch diese Nivellierungstendenz ist im Titel unserer Arbeit angelegt: „Das Denken des Festes" ist im schlimmsten Falle nicht mehr als nur „Das Fest des Denkens"; zum Phänomen selbst in seiner vollzugshaften Lebensfiille dringt es nie vor; es bleibt in sich befangen, weil zu Abstraktheit und Lebensferne verdammt. Der Titel der Arbeit zeigt also den in ihr zu erfragenden Wechselbezug des Denkens mit seinem Gegenstand überhaupt an. Die Geläufigkeit der Rede vom „Fest des Denkens" verweist zugleich darauf, daß das Fest zu den Phänomenen gehört, an denen das Denken sowohl seinen stiftenden Wechselbezug zum außerphilosophischen Leben besonders eindrücklich zu erproben und zu bewähren als auch etwas über sich selbst zu lernen vermag. Auch Liebe, Krieg und Tod sind derartige Phänomene, insofern auch sie einen großen Teil des außerphilosophischen Existenzvollzuges ausmachen. Dagegen wäre diese Umkehrformel hinsichtlich der „Kategorien des reinen Verstandes" weniger aufschlußreich. „Das Denken der Kategorien" ist und bleibt die Sache des Denkens. Die Kategorien sind zwar „Die Kategorien des Denkens" innerhalb des außerphilosophischen Existenzvollzuges, j a sie sind sogar die Bedingungen der Möglichkeit desselben. Doch kann ein Mensch diese Kategorien bestens „gebrauchen", ohne jemals über sie nachgedacht zu haben. Nach Kant wäre es sogar besser für ihn, überhaupt nicht über sie nachzudenken, als sie denkerisch zu verfehlen, führte ein solches Verfehlen doch gerade zu jenen Fehlschlüssen, die Kant zu bekämpfen sucht. Wie jedoch unschwer zu erkennen ist, entspringt die Thematik unserer Arbeit keineswegs der transzendental-philosophischen Frageweise Kants. Ihr Titel orientiert sich vielmehr an einem denkerischen Leitwort Martin Heideggers. Es findet sich in „Unterwegs zur Sprache", wo Heidegger sich einer Wesensbestimmung der Sprache widmet, welche die Bewußtseinsphilosophie gerade zu überwinden sucht. Es lautet: „Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens" (GA 12, 200). Die Wendung vor dem Doppelpunkt, so erläutert Heidegger sein Leitwort, ist keineswegs mit ihrer Umkehrung gleichzusetzen. Sie kennzeichnet vielmehr das Wesensverständnis der metaphysischen Überlieferung, von dem aus und im Abstoß von dem sich erst der Zugang zu einem gewandelten Verständnis von Sprache eröffnet. Nach herkömmlichem Verständnis kennzeichnet der Terminus „Wesen" die essentia eines Seienden, das, was es ist, seinen Sachgehalt. Von Heidegger wird „Wesen" dagegen geschehenshafit,
§ 1 Frage und Fragegang der Ausarbeitung im Ausgang vom Titel
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d.h. als geschichtliche Wesung gedacht. Als Verbum, als ein Zeitwort, d.h. „temporal" verstanden, nennt es nun das An-Wesen. Die Umkehrung der Wendung zeigt jenen eklatanten Wandel im Verständnis dessen an, was w i r Sprache, Wesen und Geschichte nennen, jenen Wandel, der auch die Bedeutung des seinsgeschichtlichen Wesensverständnisses dieser Arbeit zuwenden. 6
des Festes ausmacht, der w i r uns in
Die vorliegende Arbeit fragt also danach, was das philosophische Denken zu einem gewandelten Feiern beizutragen vermag und inwiefern und auf welche Weise es selbst im Stande ist, diesem Sachverhalt als solches, d.h. als Denken, gerecht zu werden. Dabei geht sie dieser Frage auf dem Wege nach, den Heidegger in seiner Vorlesung „Hölderlins Hymne ,Andenken'" (1941/42) und im „Andenken"-Vortrag (1943) vorgezeichnet hat. Sie bewegt sich auf Heideggers Spuren, sowohl dann, wenn sie sich in ihrem ersten Hauptstück dem zeitgenössischen und dem überlieferten Feiern und Festverständnis zuwendet, als auch, wenn sie sich in ihrem zweiten Hauptstück im Ausgang von Hölderlin einem nachmetaphysischen Festverständnis widmet. Eine solche „seinsgeschichtliche Monographie" steht längst aus, blieb Heideggers Beitrag zum Festdenken i m Festdiskurs der Gegenwart doch bislang weitgehend ausgespart. So konnte 1989 in der Reihe „Poetik und Hermeneut i k " 7 eine ausführliche und herausragende Anthologie zu diesem Thema erscheinen, in der Heideggers Denken des Festes v ö l l i g unerwähnt blieb und dies,
6 Aus dem Horizont dieses Wesensbegriffes könnte unsere Arbeit auch: »Das Wesen des Festes: Das Fest des Wesens" heißen. Wie wir noch sehen werden, spricht Heidegger dem Fest eine spezifische Weise von Geschichtlichkeit zu. Auch hier zeigte die Wendung vor dem Doppelpunkt das metaphysische Wesensverständnis an, von dem aus das seinsgeschichtliche Denken die Wesung des Festes als das Ereignis denkt. Im Titel wäre so das sich im Untertitel aussprechende Durchdringen der denkerischen Tradition angelegt, im Abstoß von dem das seinsgeschichtliche Denken die abendländische Wesensmetaphysik zu überwinden und das bislang verstellte Wahrheitsgeschehen denkerisch zu gründen, d.h. ins denkerische Werk zu setzen sucht. Doch aus zwei Gründen halten wir von diesem Titel Abstand: Zum einen bleibt dahingestellt, ob die Übertragung des Leitwortes zur Wesensbestimmung der Sprache auf andere Phänomene dem seinsgeschichtlichen Denken entspricht. Schließlich unterscheidet sich Heideggers Wesensbestimmung der Sprache doch gerade darin von der überlieferten Metaphysik, daß die Sprache nicht im Ausgang von der Kreatürlichkeit des Menschen als ein innerweltliches Phänomen unter anderen gefaßt wird, sondern gleichursprünglich ist mit jeglichem Selbst- und Weltbezug. Sowohl das gedachte als auch das faktisch gefeierte Fest ist also nur insofern geschichtlich, als es dem Anspruch der Sage als des seinsgeschichtlich gedachten Sprachwesens entspricht. Zum anderen fragen wir nicht allein nach dem seinsgeschichtlich gedachten Wesen des Festes, sondern auch nach seinem Bezug zum faktisch vollzogenen Fest. Die Problematik dieses Bezuges sehen wir im Titel der Arbeit „Das Denken des Festes: Das Fest des Denkens" angezeigt. 7 Haug, Walter/ Warning, Rainer, Das Fest. Poetik und Hermeneutik XIV. München 1989. Vgl. Schulz, Uwe, Das Fest. Eine Kulturgechichte von der Antike bis zur Gegenwart. München 1988.
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
obwohl vor dem Erscheinen der „Andenken"-Vorlesung i m Jahre 1982 die „Andenken"-Abhandlung gar schon seit 1943 vorlag. 8 M a g dies nun daran liegen, daß das sogenannte seinsgeschichtliche Denken überhaupt noch unausgeschöpft ist und die Zeit noch nicht reif scheint für ein solch spezifisches Thema, mag es seinen Grund darin haben, daß man Heideggers Denken eine solche Bedeutung heute nicht mehr oder noch nicht zuschreibt, - ich jedenfalls bin der Auffassung, daß die Entfaltung und Aktualisierung des Heideggerschen Festdenkens überaus Aufschlußreiches zu Tage fördert. Obschon sich diese Entfaltung und Aktualisierung „reaktionären" Auslegungsstereotypen ebenso verweigert wie „progressiven", w i r d sie sich - umgangssprachlich ausgedrückt - in der Sphäre „konstruktiver K r i t i k " bewegen. U n d weil jedwede K r i t i k in der Gefahr schwebt, dem Kritisierten zu verfallen, w i r d sich ihr T o n zuweilen eher pessimistisch-apokalyptisch als feierlich-verheißungsvoll ausnehmen. Wenn w i r Heideggers Perspektive dennoch treu bleiben, so einzig deshalb, weil auch w i r keinen Stein der Weisen vorlegen können, der uns zu einer K r i t i k seiner K r i t i k bevollmächtigte. In jüngster Zeit hat sich die Dekonstruktion gerne in kritischer Absetzung auf Heidegger berufen. Der mithin heideggerkundigste unter ihren Vertretern,
8
R. Schaeffler hat betont, daß Heideggers „Befassung mit Hölderlin in der Bemühung ihr Zentrum findet, ein angemessenes Verständnis der kultischen Funktionen von Fest und Feier zu gewinnen" (ders., Wechselbeziehungen zwischen Philosophie und katholischer Theologie. Darmstadt 1980, S. 12). In ähnlicher Hinsicht spricht er bei seiner Erschließung des Heideggerschen Denkens fur die Religionsphänomenologie vom Fest (ders., Der „Gruß" des Heiligen und die „Frömmigkeit des Denkens ". Heideggers Beitrag zu einer Phänomenologie der Religion. In: Auf der Spur des Heiligen. Heideggers Beitrag zur Gottesfrage. Hg. von G. Pöltner. Wien/Köln 1991, S. 80 ff). Darüberhinaus fand Heideggers Fest-Denken in der Forschungsliteratur mehrfach Erwähnung, ohne allerdings weiter auf seine philosophische Dimension hin entfaltet zu werden. S.. Ziegler setzt das zum Fest Gesagte in Bezug zu den Vorlesungen von 1934/35 bis 1944, verzichtet jedoch auf eine In-Bezug-Setzung zu den „Beiträgen". Vor R. Schmückers kritischem Aufsatz (ders., Monologisches Gespräch: Heideggers Vorlesung über Hölderlins Hymne „Andenken". In: Zeitschrift für Germanistik Bd 2 (1992), S. 550-568) widmete sich neben S. Bohlen (dies., Die Übermacht des Seyns. Heideggers Auslegung des Bezuges von Mensch und Natur und Hölderlins Dichtung des Heiligen. Berlin 1993, ) I. Buchheim dem Fest, ließ es jedoch bei einem Hinweis auf seinen geschichtsstiftenden und -bewahrenden Zug bewenden. Sie unterzog es keiner tiefergehendenen philosophischen Interpretation, sondern verstand es von seiner Verbindung zu Hölderlin her (dies., Wegbereitung in die Kunstlosigkeit. Zu Heideggers Auseinandersetzung mit Hölderlin. Würzburg 1994, S. 337 ff.). Der einen Komponente unserer Themenstellung, dem „Fest des Denkens", hat sich dagegen P. Köster zugewandt (ders. Das Fest des Denkens. Ein polemisches Motto Heideggers und seine ursprüngliche Bedeutung in Nietzsches Philosophie. In: Nietzsche-Studien 4 (1975), S. 227-262), indem er Heideggers Interpretation eines Nietzsche-Zitats von der Unfestlichkeit des Christlichen zu einer In-Bezug-Setzung der Theologie zu einer nicht mehr (onto-)theologisch verfaßten Denken heranzieht. Sofern Kösters Schwerpunkt auf Heideggers Kritik am metaphysischen Denken als einem unfestlichen liegt und nicht auf dem Phänomen des Festes selbst, klingt bei ihm unsere Themenstellung lediglich an.
§ 1 Frage und Fragegang der Ausarbeitung im Ausgang vom Titel
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Jacques Derrida, wird wohl kaum intervenieren, wenn wir sagen, daß er den Grundsinn der heideggerschen Spätphilosophie, das Denken des Ereignisses, d.h. das aus dem Ereignis ereignete Denken, verdreht, d.h. verkehrt in seinem nichtmetaphysischen Sinne des Wortes. Sein nun schon dreißig Jahre lang geschriebener Satz „Le signifiant est la mort de la féte" 9 steht in deutlicher Kontraposition zu Heideggers hörendem Sichsammeln auf Hölderlins dichterisches Wort vom Fest als dem Ereignis des Grußes des Heiligen. 10 Wo das EreignisDenken wartet, ahnt, hört, horcht, ja lauscht, betont die Dekonstruktion die différance
und gibt sich in die dissémination u, die Zerstreuung. Wir werden uns
in dieser Arbeit nicht in die Auseinandersetzung mit Derridas Rede vom Fest begeben - Unsere Entfaltung des Heideggerschen Fest-Denkens aber kann auf ein Gegenmotto hin gelesen werden, das die Grundlage geben könnte für ein Gespräch: „La féte est la mort du signifiant". Vielleicht ereignet sich auch im „Freiburger" Denken des Festes eine Auflösung der Verkarstungen metaphysischer Sprach- und Welterfahrung. 12 Hauptanliegen dieser Arbeit ist also, das in Heideggers „AndenkenVorlesung zum Fest Gesagte innerhalb des Ereignis-Denkens, d.h. auf jene sechs Fügungen oder Gliederungseinheiten hin zu entfalten, wie sie seit der Veröffentlichung der „Beiträge zur Philosophie. (Vom Ereignis)" im Jahre 1989 erstmals in vollständiger Entfaltung zugänglich sind. Weil Heidegger sich in der „Andenken"-Vorlesung in jenem „von der Sache selbst vorgezeichnete[n] Ord-
9
J. Derrida, De la grammatologie. Paris 1967, S. 432. Wenn wir Fest und Ereignis zusammen genannt hören, denken wir vorerst einmal hinüber zum Fest als dem Ereignis, wie Franz Rosenzweig es in seinem „Stern der Erlösung" (ders., Dritte Aufl. Frankfurt a.M. 1990) aus der großen jüdischen Festtradition heraus gedacht hat. Auch Rosenzweigs Fest-Denken harrt bislang einer Fruchtbarmachung für den zeitgenössischen Festdiskurs. 11 Heidegger und Derrida hat erstmals D. Neu in einer beiden Ansätzen gegenüber aufgeschlossenen Weise miteinander ins Gespräch gebracht (dies., Die Notwendigkeit der Gründung im Zeitalter der Dekonstruktion. Zur Gründung in Heideggers „Beiträgen zur Philosophie" unter Hinzuziehung der Derridaschen Dekonstruktion. Freiburg i. Br. (Univ. Diss.) 1995, S. 328-384). 12 Wir beziehen uns auf jene Worte, die Derrida im Zuge seiner Debatte mit Gadamer zu „Heideggers Nietzsche" ausgesprochen hat. Bezugnehmend auf Heideggers Auslegung der Worte Nietzsches zum fehlenden Fest des Denkens in der Metaphysik sagt Derrida: „Abgespielt haben wird sich das alles [Heideggers Idenfikation Nietzsches mit der Metaphysik und sein Versuch, Nietzsche aus ihr zu retten] gewiß nicht bei Zarathustra, nicht in Basel oder Venedig oder Nizza, sondern in Freiburg im Breisgau, zwischen 1936 und 1940, während der Vorbereitung zum Fest, zum ,Heimischsein im echten Fragen'" (ders., Guter Wille zur Macht (II). In: P. Forget (Hg.), Text und Interpretation. Deutsch-französische Debatte mit Beiträgen von J. Derrida, Ph. Forget, Μ. Frank, H.-G. Gadamer und F. Laurelle. München 1984, S. 74). Für den Hinweis auf diese „Stelle", nicht nur im Text, sondern im Gefüge des Denkens überhaupt, danke ich Thomas Boning. 10
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
nungsgefüge" 13 des Ereignisses bewegt, ohne selbiges zu explizieren, kann die In-Bezug-Setzung zu den „Beiträgen" einiges zu deren Erhellung beitragen. Noch immer herrscht das Vorurteil, Heideggers große phänomenologische Einzelanalysen gehörten in dessen frühes Denken. Wir suchen dieses Vorurteil nicht nur methodologisch zu widerlegen, sondern ihm durch die Entfaltung einer Einzelanalyse innerhalb des Ereignis-Denkens etwas entgegenzusetzen. Somit stellen wir diese Arbeit in den Dienst der großen Aufgabe „für das künftige Philosophieren, die in Sein und Zeit transzendental durchgeführte DaseinsAnalytik in die seinsgeschichtliche Blickbahn umzuschreiben" 14. Dies soll mit der hermeneutisch-phänomenologischen Deutlichkeit und Stringenz erfolgen, mit der F.-W. v. Herrmann das Hauptwerk dieses Denkens, die „Beiträge zur Philosophie", vom immanenten Wandel der beiden Ausarbeitungswege her versteht. Dabei wählen wir einen auf den ersten Blick umständlich anmutenden Weg: wir schreiten jeweils von der außerphilosophischen Gegebenheitsweise des Einzelphänomens zu ihrer gängigen philosophischen Thematisierung, um diese im Durchgang durch seine fundamental-ontologische Denkart in die seinsgeschichtliche Blickbahn zu überführen. Wie wir sehen werden, entspricht allein diese Vorgehensweise dem von Heidegger erarbeiteten Vollzugssinn der Geschichtlichkeit selbst. Mag für ein außerphilosophisches Denken - sei es nun aus Selbstgefälligkeit, sei es aus der subtilen unvordenklichen Gunst eines Anderen - etwas Anderes gelten; für das philosophische Denken jedenfalls erscheint mir der Satz „Herkunft aber bleibt stets Zukunft" verbindlich. So glaube ich kaum, daß ein gewandeltes Denken des Festes die Erblasten der Metaphysik mit einem Male hinter sich lassen kann. Die bislang einzig verantwortliche Weise, philosophierend von gängigen Denkweisen zu einem gewandelten Denken vorzustoßen, sehe ich im Durchgang durch die und im Abstoß von der Tradition. Schließlich liegt keine zukünftige Festlichkeit vor uns, zu der wir durch einen antimetaphysischen Gewaltakt durchbrechen könnten. Was wir allein erkennen, sind Spuren, die unser Gehen auf „Wege ins Ereignis" weisen, Wege, die nicht vorgezeichnet und gebahnt sind, sondern allein gewährt oder versagt werden aus einer nicht vorauszuberechnenden Gunst. So harrt das zweite Hauptwerk Heideggers nicht nur seiner immanenten Entfaltung, sondern kann auch äußerst fruchtbar mit den zuweilen kryptisch anmutenden Hölderlin-Vorlesungen und den topologischen Schriften Heideggers ins Gespräch gebracht werden. Als ein solches Gespräch versteht sich vorliegende Arbeit. Indes beschränken wir uns nicht auf ein Gespräch des Heideggerschen 13
F.-W. v. Herrmann, Technik und Kunst im seinsgeschichtlichen Fragehorizont. In: Kunst und Technik. Gedächtnisschrift zum 100. Geburtstag von Martin Heidegger. Hg. W. Biemel und F.-W. v. Herrmann. Frankfurt a.M. 1989, S. 21. 14 F.-W. v. Herrmann, Die Frage nach dem Sein als hermeneutische Phänomenologie. In: Große Themen Martin Heideggers. Eine Einführung in sein Denken. Hg. E. Spaude. Freiburg i. Br. 1990, S. 25.
§ 1 Frage und Fragegang der Ausarbeitung im Ausgang vom Titel
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Denkens mit sich selbst. Unser Ansinnen ist kein heideggerimmanentes oder heidegger-philologisches. Schließlich versteht sich die phänomenologische Hermeneutik, mit deren Hilfe wir die zu behandelnden Fragen anzugehen gedenken, nicht nur als ein denkendes Gespräch des Daseins mit sich selbst, - als seinsverstehendes und seingeschichtliches ist das Dasein vielmehr überhaupt gesprächshaft verfaßt. Von dieser gesprächshaften Verfaßtheit des menschlichen Selbst- und Weltbezuges her nimmt sich nicht nur das Gespräch zwischen Denken, Dichten und Feiern als den verschiedenen Weisen, die Wahrheit in das Seiende zu bergen, als Gespräch aus, sondern ebensogut das Stiften und Erfahren von Kunstwerken, das Miteinandersein der Menschen untereinander, ihr Bezug zum Göttlichen und nicht zuletzt das Fest als das Ereignis dieses Bezuges selbst. Weil diese vielfältigen Bedeutungen des Gespräches jedoch nur allzu gern metaphorisch oder symbolisch verstanden und so ihrer hermeneutischphänomenologischen Bedeutsamkeit enthoben werden, wenden wir uns zuerst ihrer Entfaltung zu (§ 2). Der formale Aufweis der Fundiertheit des Gesprächscharakters der menschlichen Selbst- und Welterfahrung überhaupt eröffnet eine Gesprächsdimension fur den hermeneutisch-phänomenologisch interpretierenden Durchgang durch jene sechs Fügungen, in denen sich das Ereignis-Denken bewegt: Der Anklang,
Das Zuspiel, Der Sprung, Die Gründung,
Die Zukünfti-
gen und Der letzte Gott. Um in den gegenüber allem bisherigen Denken gewandelten Vollzugssinn dieser Fügungen einschwingen zu können, setzen wir Heideggers Fest-Denken in einem „Vorbereitenden Teil" vom lebensweltlichen, wissenschaftlichen und traditionell philosophischen Festverständnis (§ 3) ab. Diese Distinktion rührt keineswegs aus philosophischem Elitarismus, sondern aus dem Anspruch, nicht nur dem philosophischen Denken oder gar Heideggers Denken allein zu huldigen, sondern auch den außerphilosophischen Haltungen die ihnen eigene Würde zuzusprechen. Nach dieser Vorvergegenwärtigung gehen wir zum Ersten Hauptstück über, welches „Das Fest in der Geschichte" thematisiert. Wir sprechen vom „Fest in der Geschichte", weil das Geschehen des Festes im ersten Anfang noch als ein Vorkommnis unter anderem und noch nicht - wie erstmals bei Heidegger - „als die Geschichte", d.h. als das Ereignis selbst erfahren und gedacht wird. Im Fugenbereich des Anklangs bestätigt sich Heideggers von Hölderlin her gedachte Erfahrung von einer festlosen Zeit, eine provokante These, die es behutsam und in jeder Beziehung undogmatisch mit dem Zeitalter der Freizeitkultur ins Gespräch zu bringen gilt. So spricht Heidegger in der „AndenkenVorlesung von Phänomenen, die auch heute noch oder besser zusehends unser Feiern bestimmen. Heideggers subtile und manchen zu zurückhaltende Kritik an der Festpraxis des Dritten Reiches greift in peinlicher Weise auch auf die heutige. Wie die „Beiträge" verdeutlichen, ist die Selbst- und Welterfahrung in der Epoche der Seinverlassenheit des Seienden und der Seinsvergessenheit des Menschen von „Machenschaft" und „Erlebnis", d.h. von der Mach- und Erlebbarkeit des Feierns und des Gefeierten geprägt. Sein und Seiendes sind zum Gewöhnlichen verödet (§ 4). Wenn sich aber im wahrhaft geschichtlichen Fei-
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
ern das Freiwerden von der Gewöhnlichkeit des alltäglich besorgten Seienden für die Ungewöhnlichkeit des Seins ereignet, so liegt auf der Hand, daß mit der Vergewöhnlichung von Sein und Seiendem auch die Übergangslosigkeit zwischen Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem einhergeht. Die Ver-rückung ins Ungewöhnliche wird immer seltener. Feier und Fest werden zum Außergewöhnlichen und Sensationellen (§ 5). Daß die Übergangslosigkeit zwischen Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem keine unabdingbare Notwendigkeit ist, zeigt sich im Andenken an die Feste des sogenannten ersten Anfangs, den Heidegger bei den Griechen ansetzt und dem wir uns im zweiten, dritten und vierten Kapitel des Ersten Hauptstückes zuwenden. Diese Kapitel halten sich somit in der zweiten Fügung des „Zuspiels", d.h. des denkenden Gespräches mit der Geschichte. In den Festen des Mythos und der anfänglichen Denker ereignen sich nach Heidegger noch Übergänge ins Ungewöhnliche, die das Gewöhnliche nicht zugunsten eines Außer-gewöhnlichen verstoßen, sondern das Gewöhnliche in der ihm eigenen Ungewöhnlichkeit und d.h. für die Griechen Göttlichkeit hervortreten lassen. So wird die mythische Selbst- und Welterfahrung feiernd ihres gewöhnlichen Bezuges zur Natur (φύσις) entsetzt und rückt in deren an-fängliche, d.h. anfänge-gewährende Geschehensweise ein. Die in diesen feiernden Übergängen erfahrene Wahrheit aber ist nicht die metaphysische Wahrheit im Sinne der Richtigkeit, sondern das, was Heidegger das Verbergungs- und Entbergungs-Geschehen der ά-λήθεια nennt (§ 6). Daß sich in diesem Feiern die wechselweise Übereignung des genitivus subjectivus und objectivus, d.h. der Wechselbezug von Feiern und Gefeiertem vollzog, suchen wir an der Dichtung (§ 7) und am mythisch-kultischen Gottesbezug des frühgriechischen Menschen aufzuzeigen (§ 8). Dieser Bezug hat sich im legendären Gastmahl der Sieben Weisen sozusagen den Urmythos philosophischer Festfreude geschaffen (§ 9). Er hält sich noch bis zu Heraklit (§ 10) und Parmenides (§ 11), deren Schriften wir als feierliche Begehungsweisen eines Sicheinspielens in den in sich gegenwendigen Herzschlag zwischen Verbergung (λήθη) und Entbergung (ά-λήθεια) verstehen. Mit Piatons Wesensbestimmung des Festes in den „Nomoi" hingegen gelangt das Feiern zusehends unter den Herrschaftsanspruch der Wahrheit als Richtigkeit (§ 12), die sich nach Heidegger mit dem Christentum endgültig Bahn bricht, ein Urteil, das wir nur relativieren und dem wir hier keine eigene Ausarbeitung einer anders gedachten Jesuanischen Festlichkeit entgegensetzen (§ 13). Was Heidegger auch hinsichtlich des Festes ein Seinsgeschick nennt: der mit der fortschreitenden Vergegenständlichung des Seienden einhergehende Entzug der offenen Wesung des Seins und mit ihm des Göttlichen, wird erstmals in Hölderlins Dichtung gesagt und somit zum möglichen Ausgang eines gewandelten Feierns. Indem Hölderlin die Götternacht und mit ihr die Entgötterung des Festes erstmals dichterisch ins Wort hebt, eröffnet er dem Denken die Möglichkeit, den waltenden Entzug zu erfahren und ein gewandeltes Festwesen vorzubereiten. Mehr noch, Hölderlins Ver-rücktheit wird selbst in eine Verbin-
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dung zum Ent- und Ver-rückungscharakter des Festes gebracht (§ 14). Den Vollzugssinn dieses gewandelten Selbst- und Weltbezuges dichtet Hölderlin in seiner Hymne „Andenken", der sich Heidegger in gleichlautender Vorlesung zuwendet. Um Heideggers literaturwissenschaftlich freilich anfechtbarem Denken des Andenkens gerecht zu werden, heben wir es vorerst von den herkömmlichen Auslegungen der Hymne ab, die hierdurch keineswegs diskreditiert werden sollen (§ 15). Nur so verstehen wir, inwiefern Heidegger im Sagen dieser Hymne den Vollzugssinn eines übergänglichen Feierns sprechen hört. Obwohl die eigentliche Hörbarmachung der dichtenden Sage des Ereignisses sich in der Fügung der Gründung hält, handeln wir das Einrücken in den Wesungsbereich des Gedichtes - und das wird heißen des Festes - innerhalb der Fügung des Sprunges ab (§ 16). Indem wir das Fest hinsichtlich der vier Fragekreise dieser Fügung in den Blick nehmen (a) und die vielfältige Einzigkeit des Gedichtes hervorheben (b), ist die Voraussetzung gegeben, den von Hölderlin her gedachten Übergang gegen das herkömmliche Bewegungsdenken abzuheben (c) und das im Gedicht genannte Grüßen des Nordostwindes als den hermeneutischen Vollzugssinn des andersanfänglichen Feierns herauszuarbeiten (d). Erst hierdurch läßt sich zeigen, inwiefern das Dasein im andenkenden Feiern des verödeten Gewöhnlichen ent-setzt und in eins damit hineinversetzt wird in die Ungewöhnlichkeit des Seyns, d.h. in seine Wesung als Ereignis. Zugleich zeigt sich, inwiefern in den hierfür not-wendigen Fest-Stimmungen die Stimme des Seyns, d.h. das Ereignis des Grußes des Heiligen spricht (§ 17). Denn das andenkend-übergängliche Dasein steht in einem ausgezeichneten Bezug zu jenem Schicksal, durch welches das Heilige, so es sich ereignet, den Gott an den Menschen übereignet (§ 18). Noch aber bleibt diese Übereignung bzw. Entgegnung von Göttern und Menschen aus. Die Götter sind untergegangen. Doch indem das feiernde Da-sein die Nacht als Nacht wesen läßt, mag diese sich als der Zeit-Raum, d.h. als der raum-zeitliche Wesungsbereich des Andenkens an die gewesenen und eines möglichen Aufgangs künftiger Götter eröffnen (§ 19). Insoweit uns die denkerische Eröffnung dieser Augenblicks-Stätte des Festes glückt, können wir die Binnenphänomene des übergänglichen Festes (§ 20): Freundschaft (a), Heimat (b), Schmuck und Glanz (c), Spiel, Tanz, Musik (d) und Rausch (e) innerhalb dieses Zeit-Raumes bzw. auf einen solchen Zeit-Raum hin entfalten. Indem sie sich dem Krug und dem Kelch als jenen Dingen zuwendet, die die vier Weltgegenden von Erde und Himmel, Sterblichen und Göttlichen auf sich versammeln, blickt die Abhandlung aus in das GeviertDenken. Zugleich wagt sie die aus einer glaubenden Gewißheit herrührende Frage, ob nicht gerade die Versammlungen und Zerstreuungen von Feiern und Denken längst schon kreisen im festlichen Rund der welthaft-göttlichen Schenkung und der Verschwendung, d.h. ob nicht die festliche Ankunft und das Fehlen der Götter längst schon und immerdar übereignet sind in das Eigen- und Heiligtum einer verschwiegenen, womöglich unsagbaren und dennoch stets zuspruchgewährenden Meisterschaft (§21).
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
So wendet sich unser Fragegang an seinem Ende wieder an den Anfang zurück, ohne zwar eine letztgültige Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Festes und seinem Wechselbezug zum Denken erhalten zu haben, nun aber mit einer Weisung, Mensch, Welt, Gott und Seiendes sowohl feiernd als auch denkend offener und freier walten und wesen zu lassen, um durch diese Offenheit vielleicht einer geschlosseneren und entschlosseneren Selbst- und Welterfahrung teilhaftig zu werden. Die Güte unserer Antwort soll in der Gutheißung des Fragens liegen, und zwar im Sinne jener Worte, mit denen Eugen Fink seine Ontologie des Spieles der in sich gegenwendigen Bewegung von Verwunderung und Fragen überantwortet: Kein Ding im weiten Universum ist zu gering dafür, daß die Verwunderung sich an ihm entflammt; und kein Seiendes steht zu hoch für das menschliche Staunen und dessen Umschlag in die Frage. Alles, was überhaupt ist, ist schon in seinem Seiendsein wunderbar und rätselhaft. 15
§ 2 Zum Selbstverständnis der Arbeit als eines phänomenologisch-hermeneutischen Weg-Gesprächs Die Vorgehensweise der vorliegenden Ausarbeitung orientiert sich an der phänomenologischen Hermeneutik, wie Heidegger sie in seinen frühen Vorlesungen und in „Sein und Zeit" herausgearbeitet und im seinsgeschichtlichen Denken zu einem Weg-Denken fortgedacht hat. 16 Sie ist zwei formalen Prinzipien verpflichtet: erstens der philosophisch-wissenschaftlichen Form und zweitens der Form des Gesprächs.
Vorerst sei betont, daß sich die Behandlung unseres thematischen Gegenstandes im Rahmen einer wissenschaftlichen Ausarbeitung vollzieht. Wie die Bezeichnung „Ausarbeitung" anzeigt, versteht sie sich nicht als Muße, sondern als Teil wissenschaftlichen Arbeitens. Sollte sie als Arbeit Muße bereiten, so wäre sie damit besonders gelungen und genügte einem Anspruch, den wir so nicht an sie zu stellen wagen. In erster Linie soll sie jedoch für einen spezifischen Diskurs von Interesse sein. Erst in zweiter Linie und in einem außeror-
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E. Fink, Spiel als Weltsymbol. Stuttgart 1960, S. 7. Der Gebrauch des Namens „Hermeneutik" für das Denken des späten Heidegger ist nicht unumstritten. Sicherlich nimmt er zum einen den Terminus selten für sein Denken in Anspruch und erklärt zum anderen die hermeneutische Philosophie zur Sache Gadamers (Brief von M. Heidegger an O. Pöggeler vom 15.1.1973, zitiert in: O. Pöggeler, Heidegger und die hermeneutische Philosophie. Freiburg/München 1983, S. 395). Vom sachlichen Standpunkt hingegen ist die Erhellung der spezifisch „phänomenologischen" und „hermeneutischen" Vorgehensweise des seinsgeschichtlichen Denkens für dessen adäquaten Nachvollzug von grundlegender Bedeutung, weshalb wir an dem Titel einer „phänomenologischen Hermeneutik" auch für das Ereignis-Denken festhalten. 16
§ 2 Zum Selbstverständnis der Arbeit
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dentlich günstigen Falle kann eine solche Ausarbeitung auch über den wissenschaftlichen Diskurs hinaus aufgegriffen und diskutiert werden. Eine philosophisch-wissenschaftliche Arbeit zum Fest steht vermutlich in einer grundsätzlichen formalen Diskrepanz zu jedwedem außerphilosophischen Feiern. Wie wir seit Aristoteles wissen, bleibt eine Theorie der Praxis dennoch Theorie, selbst wenn wir den βίος θεωρητικός als gesteigerte oder gar höchste Form der Praxis verstehen wollen. 17 Eine wissenschaftliche Betrachtung setzt den außerwissenschaftlichen Bezug zur thematisierten Sache außer Kraft und behält diese Haltung in der Regel auch dann noch bei, wenn sie sich der „Umsetzung" des von ihr „Erarbeiteten" in der außer-wissenschaftlichen Lebenswelt zuwendet. Daß die heutige Wissenschaft derart verfaßt ist, beruht auf einem langen historischen Wachstumsprozeß. Die Wesensbestimmung der Wissenschaft und des akademischen Arbeitens ist eine philosophisch ungemein brisante Frage, zu der die Philosophie von der Platonischen Akademie bis zur Frankfurter Schule Grundlegendes und Umwälzendes beigetragen hat. Dessen ungeachtet, ob wir unser Augenmerk eher auf die positiven oder die negativen Folgen des Abstandes zwischen Wissenschaft und außerwissenschaftlichem Leben richten, zum Verschwinden können und wollen wir ihn nicht bringen. Worauf es uns vorerst ankommt, ist die Vergegenwärtigung der formalen Diskrepanz, in der sich die vorliegende Arbeit zum faktisch gefeierten Fest befindet. Auch und gerade wenn sie eine solche Diskrepanz thematisiert, steht sie noch in einem philosophisch-wissenschaftlichen Bezug zu ihrem thematischen Gegenstand. Wenn wir im Folgenden den seinsgeschichtlich gefaßten Bezug „gedachter" und „gefeierter" Feste erfragen, gedenken wir die Grenzen von wissenschaftlicher und außerwissenschaftlicher Lebens-welt also keineswegs aufzulösen. Deshalb klammern wir das Phänomen faktisch vollzogener Feste ein, wir erlauben uns die Ansetzung einer hermeneutischen Differenz. Wenn wir vom Phänomen des Festes sprechen, wenn wir uns auf Zeugnisse zum Fest berufen oder uns auf das beziehen, was Philosophen zu diesem Phänomen sagen, sprechen wir ihm selbst dann noch eine formale Autonomie 18 zu, wenn unsere Zeugnisse bereits fur sich in Anspruch nehmen, nicht nur Zeugnisse von Festen, sondern selbst festlich zu sein. Dies soll indes weder heißen, daß wir einem unvereinbaren Dualismus von „Theorie" und „Praxis" oder von „Geist" und „Leben" das Wort reden, noch daß wir suggerieren wollen, einen lebensnäheren 17 Aristoteles, Nik. Eth. 1098 a 16-18; 1141 a 20-22, b 2-3; 1174 b 20-23. So ist für die Griechen „der βίος θεωρητικός, das schauende Leben, zumal in seiner reinsten Gestalt als Denken, das höchste tun. Die θεωρία ist in sich, nicht erst durch eine dazukommende Nutzbarkeit, die vollendete Gestalt menschlichen Daseins" (VuA, 48). 18 „Formal" ist diese Autonomie, weil es zwar ein Mensch (bzw. eine Gemeinschaft) ist, der beide Verhaltungen vollzieht, weil dessen Einheit von der Philosophie aber dennoch nur - sozusagen affirmativ - postuliert wird.
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
Entwurf vorlegen zu können. Vielmehr soll uns diese Einklammerung zum einen vor übertriebenen Ansprüchen, vor einer vollständigen denkerischen Annexion der Lebenswelt, vor einem „Moratorium des Alltags" 19 bewahren. Zum anderen soll sie einen respektablen Abstand sowohl zu konträren philosophischen Richtungen als auch zur Nivellierungstendenz des sogenannten „unphilosophischen Geistes" aufrechterhalten, eine Nivellierungstendenz, gegen die der zuweilen elitäre „Ton in der Philosophie" übrigens auch nicht gefeit ist. In Anbetracht dieser gleichzeitigen Nähe und Distanz von Denken und Feiern versteht sich vorliegende Ausarbeitung als Gespräch. Das Selbstverständnis des Denkens als eines Gespräches ist uns seit Piaton vertraut. Dialogisch ist die Form seiner Schriften, dialogisch versteht er die Philosophie überhaupt als Gespräch der Seele mit sich selbst.20 Wie wir im ersten Teil insbesondere am Beispiel Piatons ausfuhren werden, ist der Dialog gerade die Form denkerischer Betätigung, in der das Philosophieren selbst am offensichtlichsten festliche Züge annimmt. Im 20. Jahrhundert war es neben Franz Rosenzweig, Martin Buber, Ferdinand Ebner und Emmanuel Levinas 21 vor allem Hans-Georg Gadamer, der von Heidegger herkommend die Redeweise vom Gespräch aufgriff und universalisierte. Gadamer spricht davon, daß ein Gespräch nicht nur zwischen Sprechenden, sondern auch „zwischen dem Text und seinem Interpreten" 22 möglich ist. Nicht anders sieht er unser Verhältnis zu Kunstwerken. Obzwar sie in sich stehen und die Dialektik von Frage und Antwort sich in eine Richtung zu vollziehen scheint, kommt der Rezipient mit der Antwortmannigfaltigkeit des Kunstwerks in ein Gespräch. 23 Wie Briefe, so sind auch philosophische Texte „Fortsetzung eines Gesprächs mit anderen Mitteln" 24 . Entsprechend ist auch die Überlieferung denkender Erfahrung und unser Bezug zu ihr „ein einziges großes Gespräch" 25. Mit Piaton und Augustinus 26 faßt Gadamer schließlich auch das Denken als inneren Dialog der Seele mit sich selbst. Im denkerischen Ge19 Vgl. O. Marquart, Moratorium des Alltags. In: Das Fest. Poetik und Hermeneutik XIV. Hg. v. W. Haug u. R. Warning. München 1989, S. 684-691. 20 Sophistes 263 e, 264 a; Theaitetos 184 e. 21 Vgl. B. Casper, Das dialogische Denken. Freiburg 1967; S. Brunnhuber, Der dialogische Aufbau der Wirklichkeit. Gemeinsame Elemente im Philosophiebegriff von Martin Buber, Martin Heidegger und Sigmund Freud. Regenburg 1993; B. Fassbind, Poetik des Dialogs. Voraussetzungen dialogischer Poesie bei Celan und Konzepte von Intersubjektivität bei Martin Buber, Martin Heidegger und Emmanuel Levinas. München 1995. 22 H.-G. Gadamer, Gesammelte Werke Bd. 2. Hermeneutik II. Tübingen 1986, 6. 23 A.a.O., S. 7. 24 A.a.O., S. 6. 25 A.a.O., S. 112. 26 Die Verbundenheit der Gadamerschen Hermeneutik mit Augustinus hat J. Grondin gründlich herausgearbeit (ders., Einführung in die Hermeneutik, S. 42-52; 154 u. Sinn für Hermeneutik. Darmstadt 1994, S. 24-39).
§ 2 Zum Selbstverständnis der Arbeit
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spräch kommt der Mensch in der Weise eines ständigen Sich-Überholens auf sich selbst und seine eigenen Meinungen und Ansichten zweifelnd und einwendend zurück. Er nimmt das Gespräch mit Anderen vorweg und holt Andere in das Gespräch mit sich herein. Diese Universalisierung des Gesprächs erscheint auf den ersten Blick sehr begrüßenswert und nicht weiter erläuterungsbedürftig. Ein Gespräch ist etwas, was die Menschen verbindet und in ein Verhältnis gegenseitiger Auseinandersetzung bringt. Im Gespräch vermögen wir hörender zu werden sowohl für das Eigene und das Andere des Anderen als auch für das Eigene und das Andere unserer selbst. Deshalb leuchtet es durchaus ein, auch mit Texten, Zeitaltern, Kunstwerken und mit sich selbst in ein denkerisches und existenzielles Gespräch einzutreten. Bei genauerer Betrachtung jedoch stellt sich die Frage, ob Gadamers Redeweise uns nicht mit Metaphern blendet. Überträgt sie nicht die Bildhaftigkeit des verlautenden Miteinandersprechens und Aufeinanderhörens von Menschen in fast anthropomorphisierender Weise auf anderes? Besteht das Wesen der Metapher nicht seit Aristoteles in der „Übertragung eines Wortes (das somit in uneigentlicher Bedeutung verwendet wird)" 2 7 , hier vom universalisierten Gesprächsphänomen des Miteinandersprechens etwa auf den Geschichtsbezug? Folgt daraus nicht, daß die Rede vom Gespräch dem genannten Eigentlichkeitsgefälle gemäß nur noch schmückende Bedeutung hat? Ist eine solche Sprechweise nicht der Alltagssprache oder der Dichtung vorbehalten? 28 Wir antworten vorerst mit Gadamer: die Universalisierung des Gesprächs ist keine Übertragung des Gesprächsphänomens auf alle Phänomene des Verstehens, sondern phänomenologisch-hermeneutisch fundiert in der Universalität der Sprache. „Sein, das verstanden werden kann," sei es nun in zwischenmenschlichem Sprech-vollzug, sei es im Bezug zu Dingen, „ist Sprache" 29. Ausnahmslos jeder verstehende Selbst- und Weltbezug ist sprachlich. Insofern das Verstehen bereits mit einem in der Sprache fundierten Verständnis auf das Verstandene zugeht, dieses Zugehen wiederum sprachlich verstanden, d.h. korrigiert und in einen neuen Zugang übernommen wird, kann Gadamer das Verstehensverhältnis im Sinne der zirkulären Dialektik von Frage und Antwort „als
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Aristoteles, Poetik. Gr./dt. übers, u. hg. v. Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1982, 1457 b, S. 66 f. 28 Ein eindrückliches Beispiel für die Abwertung metaphorischen Sprechens gibt Diderots Satz: „Je reviens au ton de la philosophie á qui il faut de raisons et non des comparaisons" (ders., Lettres sur les sourds et les muets I. Ouvres Copl. I. Paris 1875, S. 368), der auf das französische Sprichwort: „Comparaisons n'est pas raison" anspielt, demzufolge Vergleiche als „die Argumente der Frauen und Dichter" (ders., Le réve de D'Alembert. Bibl. de la Pléiade. Paris 1951, S. 928) gelten. 29 J. Grondin, Einführung in die philosophische Hermeneutik. Darmstadt 1991, S. 152.
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
Wechselverhältnis von der A r t eines Gesprächs" 3 0 verstehen. Die universale Redeweise v o m Gespräch fußt sogar auf dem vorerst formal-logisch anmutenden Grundsatz, „daß es keine mögliche Aussage gibt, die nicht als Antwort auf eine Frage verstanden werden kann, und daß sie nur so verstanden werden k a n n " 3 1 . In ein helleres Licht gerückt w i r d die Rede von der Universalität des Gesprächs im Durchgang durch den Denkweg Martin Heideggers, von dem her vorliegende Ausarbeitung den Gesprächscharakter sowohl ihres thematischen Gegenstandes als auch ihrer selbst versteht. 3 2 Im Ausgang und Abstoß von der metaphysischen Wesensbestimmung der Sprache tritt dabei folgendes zutage: 1. Das metaphysische Wesensverständnis von Sprache und Gespräch : Bei ihrer Frage nach dem Sein des Seienden (τί τό öv) als der Seiendheit des Seienden (öv ή öv) faßt bereits die aufkommende Metaphysik den Menschen als das ζωον λόγον ε χ ο ν 3 3 , d.h. als dasjenige Seiende, das sich unter dem ihm gattungsmäßig Gleichen dadurch artmäßig auszeichnet, daß es über seine Tierheit (animalitasj hinaus über Vernunft (ratio) verfugt. In gleicher Weise, wie der Erkenntnisbezug des Menschen z.B. in der Neuzeit als das Transzendieren einer subjektiven Immanenz auf bewußtseins-transzendente Objekte hin gedacht wird, w i r d der stimmlich gebildete Wortlaut und die mit ihm verbundene Bedeutung als ein Zeichen für die in der Seele bzw. im Bewußtsein gebildeten Vorstellungen und Erlebnisse genommen. 3 4 Entspre30 H.-G. Gadamer, Gesammelte Werke Bd. 1. Wahrheit und Methode. Tübingen 1986, S. 383. 31 H.-G. Gadamer, Gesammelte Werke Bd. 2, S. 226. „In dieser Dialektik von Frage und Antwort", so Grondin, „liegt die wahre Universalität der Sprache, von der der Universalitätsanspruch der sie ins Denken hebenden Dialektik zehrt" (ders. Einführung in die philosophische Hermeneutik, S. 49). B. Waldenfels spricht hinsichtlich dieser „Dialektik" von einem „Gespinst von Frage und Antwort, dessen Fäden nicht leicht zu entwirren" (ders., Antwortkatalog. Frankfurt 1994, S. 122) 32 Heideggers Einsicht, daß es das Metaphorische „nur innerhalb der Metaphysik" (SvG, 89) gebe, könnte auch nach den Forschungsbeiträgen von J. Derrida (Die weiße Mythologie. Die Metapher im philosophischen Text. In: Randgänge der Philosophie. Wien 1988, S. 205-258; ders., Der Entzug der Metapher. In: Romantik. Hg. von V. Bohn. Frankfurt a.M. 1987, S. 317-354) und P. Ricoeur (ders. Die lebendige Metapher. Augsburg 1986) viel Fruchtbares zum Metapherndiskurs beitragen, wenn sie nur einmal aus dessen Ansatz heraus phänomenologisch entfaltet würde. Solange aber selbst namhafte Heidegger-Forscher dessen Sprechen an entscheidender Stelle als metaphorisch titulieren und entschärfen, ist man davon weit entfernt. 33
Aristoteles, Pol. 1253 a 9-10. Noch bevor Piaton im „Kratylos" bemerkt, daß das „Reden durch Benennen geschieht" (387 c 6 f.), sprechen die episch-mythischen Texte vom dichterischen Sprechen als einem (ausgezeichneten) Benennen. Für Homer ist das (dichterische) Sprechen ein durch die Musen belehrtes Darstellen (καταλέγειν), für Hesiod das Erzählen wahrer Geschichten (Erga 10), für Pindar das verherrlichende Rühmen des Gottes (κλέος, δόξα θεοϋ), für Aischylos das Sagen des epischen Wortes (έττος/έργον, Hiketides 598). Wie aber Heideggers Einsicht in den epochalen „Wandel des Wesens der Wahrheit" (GA 12, 234) offenlegt, bereitet sich mit der Aristotelischen Wesensbestimmung des sich in der 34
§ 2 Zum Selbstverständnis der Arbeit
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chend versteht sich das Gespräch als Kommunikation, d.h. als die Vermittlung objektiv-rationaler Bedeutungsgehalte, deren Qualität, d.h. Objektivität davon abhängt, inwieweit die Kommunizierenden die irrationalen (emotionalen, subjektiven) Momente zugunsten einer intersubjektiv verifizierbaren Objektivität zu verbalisieren vermögen. 35 2. Die
gesprächshafte
Verfassung
des
Ver stehens: Aus der
ftindamental-
ontologischen Blickbahn von „Sein und Zeit" ist der Weltbezug des Menschen dagegen kein primär kategorial-gegenständlicher, sondern existenzial verfaßt (SuZ, 44 f.). Der vom traditionellen Denken versäumte und von der Daseinsanalytik in Gang gesetzte Vollzug der ontologischen Differenz von Sein und Seiendem zeigt (SuZ, 38), daß das Dasein als seinsverstehende Existenz nicht erst die Immanenz seines Bewußtseins auf ihm transzendente Objekte hin übersteigt, sondern immer schon draußen ist in einer Welt (Inder-Welt-sein) bei innerweltlich begegnendem Seienden (Zuhandenem oder Vorhandenem), zu dem es sich sorgetragend verhält. Desgleichen fühlt es sich im Bezug zu anderem Dasein nicht erst - etwa im Sinne von Husserls vergemeinschaftender Fremderfahrung der transzendentalen und mundanen Ichmonaden zum Monadenall 36 - auf andere, seinem Bewußtsein transzendente Subjekte ein, sondern existiert je schon fürsorgend mit anderem Dasein in einer gemeinsam geteilten Mitwelt (SuZ, §§ 25-27). Gleichursprünglich mit den beiden Weisen, die Erschlossenheit in der Weise des geworfenen Entwurfs aufgeschlossen zu halten, d.h. die gestimmt aufgeschlossenen Seinsmöglichkeiten (Befindlichkeit) entwerfend zu übernehmen (Verstehen), konstituiert nun die Rede als existenziales Wesen der Sprache das Sein des Da. Und dies ursprünglicher als die Auslegung und erst recht ursprünglicher als das Sichaussprechen der Aussage, an der sich die herkömmliche Sprachphilosophie als an einem Derivat des ursprünglichen Sprachphänomens orientierte. Am existenzial-ontologischen Wesen der Sprache ist so ein dreifaches Fundierungsverhältnis auszumachen: erstens zwischen der immer schon redend gegliederten Erschlossenheit, zweitens der redend-gegliederten
stimmlichen Verlautbarung Begebenden als einem „Zeigen von dem, was es in der Seele an Erleidnissen gibt", und des Geschriebenen als einem „Zeigen der stimmlichen Laute" (GA 12, 233), die dualistische Scheidung von Wortkörper und Wortgeist vor. 35 Aus dieser Perspektive erscheint der Einwand, die Universalität des Gesprächs sei eine anthropomorphisierende Metapher, durchaus nachvollziehbar. Wenn die Sprache von ihr unabhängige Gegenstände mit Namen bezeichnet, wenn sie als ein Zeichensystem gefaßt wird, ist es tatsächlich illegitim, den Akt des Bezeichnens und den Gebrauch dieser Bezeichnungen auf das zu übertragen, worauf sie sich beziehen. Ein Denken, das sich dem Heideggerschen Ansatz verweigert, wird also gut daran tun, die Universalierung von Sprache und Gespräch fur sich zu vermeiden. 36 E. Husserl, Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge. Husserliana 1. Den Haag 1963 (2), S. 121 ff.
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension Ausgelegtheit und drittens der sichaussprechenden Verlautbarung. 3 7 A n diesem Fundierungsverhältnis erhellt sich nun die Universalität von Sprache und Gespräch. Die Zueignung der unausdrücklichen, vor-prädikativen und vor-urteilsmäßigen, darin jedoch bereits redend-gegliederten Erschlossenheit erfolgt in dem, was Heidegger Auslegung nennt. In der Auslegung „eignet sich das Verstehen sein Verstandenes verstehend zu" (SuZ, 148). Auslegung ist insofern das gliedernde Herauslegen der jeweiligen Bedeutungen aus der gegliedert-erschlossenen Bedeutungsganzheit, als sie das unausdrücklich Verstandene „ausdrücklich in die verstehende Sicht" (ebd.) bringt. Das Dialogische der Universalität der Sprache besteht also darin, daß das Verstehen beim Auslegen einer Sache nie vorurteilslos v o l l N u l l ausgeht, sondern ein Vorverständnis (Vorhabe) hat, das in einer bestimmten Hinsicht (Vorsicht) redend artikuliert w i r d (Vorgriff) (SuZ, 150). Der Selbst- und Weltbezug des Menschen läßt sich so als gliedernd-bedeutendes Ansprechen von Fragen und das redend-gliedernde Sichzeigen der Sache als eine Antwort verstehen, die wiederum zum Ausgang einer Frage oder Entgegnung werden kann. 3 8 Das Seinsverstehen hat insofern Fragecharakter, als sich das auslegende Verstehen (Entwurf) das Verständnis, in das es j e schon versetzt ist (Geworfenheit), neu zueignet, weil dieses in irgendeiner Weise fragwürdig geworden ist. Der Antwortcharakter im Erschließungsgeschehen liegt im
37 In der Rede als dem Wesen der Sprache wird das im gestimmten Verstehen Erschlossene bedeutungshaft gegliedert. Dieses redende Gliedern geschieht gleichursprünglich und in eins mit dem geworfen-entwerfenden Verstehen, ja es ist sogar höheren Wesens, „weil es alle anderen Existenzialien durchgreift und durchwaltet (F.-W. v. Herrmann, Subjekt und Dasein, S. 113). Die befindliche Geworfenheit und das verstehende Entwerfen sind also keine vorsprachlichen Seinsweisen, sondern vollziehen sich schon in der Weise des redenden Gliederns, weshalb wir das existenziale Wesen der Sprache als allbestimmend fassen müssen. Allbestimmend ist das redende Gliedern insofern, als die zweifach in sich dimensionierte Seinsmöglichkeit des In-der-Welt-seins umfaßt, d.h. die selbsthaft-ekstatische Existenzmöglichkeit und die ekstatisch-horizontal erschlossene Weltmöglichkeit (vgl. F.-W. v. Herrmann, Subjekt und Dasein, S. 92 ff.). 38
Das Seiende, in das die erschlossene und als solche nicht seiende bedeutungsmäßige Gegliedertheit eingeht, ist die worthafte Verlautbarung. Die Verlautbarung ist die Hinausgesprochenheit der Rede, insofern in ihr die gegliederte befindliche Verständlichkeit des In-der-Welt-seins in die seiende Wortganzheit eingeht. Das Wer des Sichaussprechens ist also keine sich des Mediums der Sprache bedienende Innerlichkeit, sondern das ekstatisch-horizontale Draußensein. Ebensowenig ist das Was des Sichaussprechens eine innere Vorstellung, sondern die Gegliedertheit der selbsthaft-ekstatischhorizontalen Erschlossenheit des Bedeutungsganzen. Aus dieser Blickbahn ist das Dasein im Sprechen, im Hören und im Lesen von Worten und Wortfügungen - und somit auch im Gespräch - je schon verstehend bei dem in der Wortfügung angesprochenen und besprochenen offenbaren und entdeckten Seienden. Denn alles Seiende, sowohl das Dasein selbst wie das Seiende, zu dem es sich verhält, ist in seinem Wer-, Was- und Wiesein überhaupt nur in und aus der Sprache offenbar. Heidegger differenziert vier Strukturmomente, in denen die Rede die Selbstoffenbarkeit des Menschen und die Offenbarkeit der Dinge bestimmt: 1. das Worüber der Rede (das Beredete); 2. das Geredete; 3. die Mit-teilung und 4. die Bekundung (das Sichaussprechen).
§ 2 Zum Selbstverständnis der Arbeit
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neuen Sichzueignen des je schon verstandenen, zugleich aber fragwürdig gewordenen Verständnisses der sich zeigenden Sache. 3. Der Geschichtsbezug als Gespräch: Insofern die dialogische Zirkelstruktur des vollzugshaften Sorgetragens für die jeweilige Erschlossenheitsweise des In-der-Welt-seins sich als ein Sichvorweg (Entwurf) im Schonseinin (Geworfenheit) fiir das Seinbei (entdecktem Seienden) vollzieht, eignet ihr eine spezifische Zeitlichkeit (SuZ, §§ 65-71). Diese ursprüngliche Zeitlichkeit versteht Heidegger als die Einheit von ekstatischer Zeitlichkeit und horizontaler Temporalität. Das Dasein existiert geschichtlich auf dem Grunde eines auf-sich-zukommenden, auf-sich-zurückkommenden Gegen-wärtigens 39 , das sich in zwei verschiedenen Modi vollzieht: Als die uneigentliche Zeitigung des vergessend-gewärtigenden Gegenwärtigens kommt das Dasein nicht primär in seinem eigensten, unbezüglichen Seinkönnen auf sich zu, sondern es ist besorgend seiner gewärtig aus dem, was das Besorgte ergibt oder versagt (SuZ, § 75). In der eigentlichen Zeitigung als dem vorlaufendwiederholenden Augenblick hingegen, holt sich das Dasein wieder in das eigenste Seinkönnen vor (SuZ, § 74). Diese eigentliche Wieder-holung des Gewesenen nun geschieht in existenzial-gesprächshafter Weise als der Ruf des Gewissens, der das Dasein in sein eigenstes Seinkönnen aufruft (SuZ, §§ 54-60). Wir sprechen von existenzialer Gesprächshaftigkeit, weil dieser Ruf als ein schweigender Modus der Rede weder Auskünfte über Weltereignisse gibt noch danach strebt, im angerufenen Selbst ein Selbstgespräch' zu eröffnen. Das Dasein wird vielmehr zu seinem eigensten Seinkönnen aufgerufen. Dennoch sind beide Zeitigungsmodi und mit ihnen die Geschichtlichkeit des Daseins im gekennzeichneten Sinne gesprächshaft verfaßt. Das Dasein steht vor der Möglichkeit, sein Seinkönnen entweder gegenwärtigend aus dem gegenwärtig Vorliegenden zu verstehen und mit der vergessenen Gewesenheit seine eigentliche Zukunft zu verschließen oder entschlossen seine Gegenwart aus der Zerstreuung in das nächst Besorgte zurückzuholen und sein Gewesensein im Vorlaufen einzubehalten. Die eigentliche Zeitigung läßt sich so als ein gesprächshaftes Sichzurückrufenlassen aus der fraglos gewordenen Gegenwart in die Gewesenheit verstehen, aus der dem anrufverstehenden Dasein die antwortgebietende Zukunft entgegensteht. Desglei-
chen können wir die uneigentliche Zeitigung als ein Nichthörenwollen auf den Rückruf der Sorge zu sich selbst verstehen, weil jede Antwort schon aus dem zunächst und zumeist Begegnenden gegeben scheint und mit dem Sichversagen gegenüber der Fragwürdigkeit des Daseins Gewesenheit und Zukunft ihren Zuspruch versagen. 39 Als Aufsichzukommen, Aufsichzurückkommen und Gegenwärtigen ist die ekstatische Zeitlichkeit zugleich außer sich in der Erschlossenheit, d.h. entrückt in einen temporalen Horizont. Dieser Horizont ist die Präsenz als das zum ekstatischen Gegenwartsphänomen des Gegenwärtigens gehörige horizontale Gegenwartsphänomen. 3 Knödler
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
Die Gesprächshaftigkeit der Geschichtlichkeit trifft auch auf das auf-sichzukommende, auf-sich-zurückkommende Gegenwärtigen überkommener Möglichkeiten dagewesenen In-der-Welt-seins zu, das Heidegger mit dem ontologischen Terminus des Erbes faßt. Insofern es die Möglichkeit hat, sich im Sich-Überliefern auf die Erschlossenheitsdimension eines faktischen Erschlossen-gewesen und seine überkommenen Daseinsmöglichkeiten zu entwerfen, das derart Entworfene sich aber zugleich von sich her zeigt, können wir auch im Zusammenhang mit der Geschichtlichkeit des Daseins von einem Gespräch sprechen (SuZ, § 74). Zur völligen Entfaltung des Gesprächscharakters des Geschichtsbezuges des Daseins hinsichtlich seiner selbst und der überkommenen Daseinsmöglichkeiten kommt es erst auf Heideggers zweitem Ausarbeitungsweg der Seinsfrage, wie er sich in den „Beiträgen zur Philosophie" Bahn bricht. Der auf dem befindlich-geworfenen, verstehend-entwerfenden und redend-gliedernden In-der-Welt-sein beruhende Gesprächscharakter des Daseins erfährt einen immanenten Wandel. Da nun nicht mehr nur das aus seiner Zeitlichkeit verstandene Dasein, sondern die Erschlossenheit, d.h. die Lichtung der Wahrheit selbst als einem epochalen Wandel unterworfen, d.h. als geschichtlich gedacht wird, wandelt sich auch der Gesprächsbegriff. Die in der Daseinsanalytik freigelegten existenzialen Strukturen bleiben erhalten, doch wird die Geworfenheit nun aus einem Sichzuwerfen der Wahrheit des Seyns gedacht. Wurde das Wahrheitsgeschehen bislang aus dem geworfenen Entwurf verstanden, so wird es nun zum in sich gegen-schwingenden BezugsVerhältnis des sichereignenden Zuwurfs für den ereigneten Entwurf, insofern „der Werfer des Entwurfs als geworfener sich erfährt, d.h. er-eignet durch das Seyn" (GA 65, 239). So ist das Ereignis das in sich gegenschwingende Bezugs-Verhältnis von ereignendem Zuwurf und ereignetem Entwurf. 40 Wird die Geworfenheit aus dem Zuwurf gedacht, so wandelt sich auch der Gesprächscharakter von Zeitlichkeit und Temporalität. Auf der fundamental-ontologischen Blickbahn von „Sein und Zeit" lag die Betonung auf dem Entwurf und somit auf dem verstehenden „Fragen" und „Antworten" des Daseins hinsichtlich der Möglichkeiten seiner selbst. Im Ereignis-Denken hingegen ge-hört der Entwurf als ereigneter Entwurf in den ereignenden
40
Im Sinne eines phänomenologisch-hermeneutischen Gespräches ist dieses in sich kehrige Wahrheitsgeschehen zu denken, weil es als ein Anspruch zu fassen ist, in dem das Dasein zwar stets schon geschichtlich steht, dem es aber eigens entsprechen kann oder nicht. Das Ereignis-Denken ist als Gespräch nphänomenologisch , insofern es ein Sichzeigenlassen der Sache selbst, des Seins als solchen ist; hermeneutisch , insofern es im Entwerfen aus dem Sichzeigenden Kunde bringt und im Verwahren das ZugeworfenEntworfene auslegend in das gliedernde Wort des Gedankenwerkes bringt" (F.-W. v. Herrmann, Weg und Methode, S. 25).
§ 2 Zum Selbstverständnis der Arbeit
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Zuwurf, den Heidegger auch den ereignenden Zu-ruf nennt. 41 In diesem Zu-ge-hören des Da-seins in das Ereignis als der Weise, dem Anspruch des Seyns zu entsprechen, begegnet uns wiederum das gesprächshafte Moment des Hörens, das Heidegger später noch verhaltener als ein Horchen oder Lauschen kennzeichnen wird. Indem es hörender wird, wird das Da-sein zugleich sagender und antwortender, sprich ver-antwort-ungsvoller. Inwiefern? Insofern, als das Da-sein nun nicht mehr allein dazu aufgerufen ist, sich eigentlich auf die Möglichkeiten seines je eigenen In-der-Welt-seins zu entwerfen, sondern seine geworfene Zugehörigkeit zur Wahrheit des Seyns im Gegenschwung zum ereignenden Zuruf der jeweiligen epochalen Wesungsweise der Wahrheit des Seyns erfährt. Die Wahrheit des Seyns, d.h. das Ereignis west in der gegenwärtigen Epoche jedoch als Enteignis (GA 65, 120 u. 231), d.h. in der Weise der Ver-sagung. Was heißt das? Schon in „Sein und Zeit" betonte Heidegger, daß zur Unverborgenheit von Seinsmöglichkeiten, sei es im Modus der Eigentlichkeit, der Indifferenz oder der Uneigentlichkeit, immer schon die Verborgenheit gehört (SuZ, 35 u. 312). Im seinsgeschichtlichen Denken zeigt sich dieses Sichverbergen oder Sichversagen in dreifacher Weise: erstens als die Herkunft der geschichtlichen Entbergungs- oder Lichtungsweise, d.h. als die stets zur Lichtung gehörige Verbergung; zweitens als die Verweigerung in der epochalen Wesungsweise der Verstellung oder des Sichselbstentziehens der Wahrheit des Seyns, d.h. als der Ausbleib des vollen, offenen Wesungsgeschehens der Wahrheit des Seyns, und drittens als das zur Bergung der Wahrheit des Seyns gehörige Sichverbergen in die Offenbarkeit des Seienden. Der Gesprächscharakter dieses dreifachen Sichverbergens entfaltet sich nun von dem her, was etwa im 242. Abschnitt der „Beiträge" das zögernde Sichversagen des ab-gründigen Zeit-Raumes genannt wird. Wahrheit geschieht in allen unterschiedlichen Verhaltungs- bzw. Bergungsweisen als ein Gründen und Er-gründen. Wurde aber der Grund in der Metaphysik als die verursachende Ursache (causa sui) überzeitlich-überräumlich und somit feststellend-feststellbar gedacht, so gehört zur ursprünglichen Gründungsweise des seinsgeschichtlich gedachten Grundes stets der Ab-grund. Dessen Abgründigkeit versteht sich nicht als die bloße Abwesenheit jeglichen Grundes, sondern als ein Unerfüllt- und Leerlassen, das mit in das Gründen des Grundes gehört (und in der zögernden Versagung des Grundes geschieht). Sowohl zur ereignenden als auch zur enteignenden Wesungsweise des Grundes als des Ur-grundes (als des ursprünglich gründenden Grundes) gehört der Ab-grund. Versagt sich das Seyn in der zweiten Weise der epochalen Verstellung der Wahrheit des Seyns, so wesen der Ab-grund und der Grund als der Un-grund. Das Da-sein überhört das zu jeder Gründung gehörige 41
Vgl. F.-W. v. Herrmann, Weg und Methode, S. 22-27.
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
ab-griindige Noch-nicht. Es versagt sich dem Ereignis als der Sage und der ihr zugehörigen Versagung. Hört das Da-sein dagegen auf die epochale Wesungsweise des Ereignisses als des Enteignisses, so wandelt sich das Un-gründen in das Ab-griinden. 42 Das Gespräch hat demnach statt, sofern das Da-sein dem Anspruch des ab-gründenden Grundes entspricht und im antwortenden Einrücken in diesen Ab-grund den Un-grund als Ur-grund, d.h. als ab-gründenden Grund er-gründet. Indem nun in diesem Gespräch der zum Un-grund nivellierte Ab-grund als solcher aufklafft, eröffnet sich jener für unsere Themenstellung so bedeutsame Bereich, den Heidegger den Zeit-Raum nennt. „Der Ab-grund als erste Wesung des Grundes gründet (läßt den Grund als Grund wesen) in der Weise der Zeitigung und Räumung." (GA 65, 383) Der sich mit dieser Zeitigung und Räumung eröffnende Zeit-Raum, so Heidegger, „ist die ereignete Erklüftung der Kehrungsbahnen des Ereignisses, der Kehre zwischen Zugehörigkeit und Z u r u f (GA 65, 372). Wie der ab-gründende Grund, werden im Ereignis-Denken also auch Zeit und Raum aus den in sich gegenschwingenden Kehrungsbahnen des ereignenden Zuwurfs und des ereigneten Entwurfs gesprächshaft-geschichtlich gedacht. Die quantitativ-ungeschichtliche Bestimmung von Raum und Zeit - etwa als das Nebeneinander der Raumstellen und das Nacheinander der Jetzte - wandelt sich in eine qualitativgeschichtliche. Aus den reinen und insofern ungeschichtlichen Anschauungsformen des Raumes als dem objektiven und der Zeit als dem subjektiven Sinn werden die Entrückung der ursprünglichen Zeit und die Berückung des ursprünglichen Raumes. Das räumende Be-rücken und das zeitigende Ent-rücken werden zusammengehörig gedacht mit dem Geschehnis des ZeitRaumes, als welcher der Ab-grund sich eröffnet. Sofern der Ab-grund „als erste Wesung des Grundes [...] in der Weise der Zeitigung und Räumung" (GA 65, 383) geschieht, eröffnet sich aus der zögernden Versagung oder versagenden Zögerung der Zeit-Raum als das Entrückungs-Berückungsgefuge des Ab-grundes. Als das Sich versagen entrückt der Ab-grund das Da-sein dreifach zeitigend in das Künftigende, in das Gewesende und in die Gegen-wart. Entsprechend muß die Gesprächshaftigkeit der ereignishaft gedachten Zeit vom zeitigenden Entrücken des Da-seins her in seine drei Weisen des sichzeitigenden Entrücktseins entfaltet werden. Im gegenwartenden Entrücken rückt das dem Anspruch der Wahrheit des Seyns als Enteignis ent-sprechende Da-sein ein in die Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit als geschichtlich-ab-gründige Gegenwart. Im künftigenden Entrücken ist das derart hörende Da-sein erwartend entrückt in den sichversagenden Zuruf des 42 So nennt das Ab- des Ab-grundes das Wegbleiben des eigentlichen Gründens, sein Sichverbergen in der Weise des Sich-noch-versagens. Der -grund des Ab-grundes verweist darauf, daß im Ab-grund kein bloßes Sichversagen, sondern ein zögerndes Gründen des Grundes geschieht.
§ 2 Zum Selbstverständnis der Arbeit
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Seyns. Im gewesenden Entrücken schließlich ist es erinnernd entrückt in die sich versagende Zugehörigkeit des Da-seins zu einem eigentlichen Gründen der Wahrheit des Seyns. Des weiteren öffnet sich der Ab-grund als das Zögern des eigentlichen Gründens in der räumenden Berückung des Da-seins und räumt ihm (zugebend-schenkend) die sich lichtende Möglichkeit eines eigentlichen Gründens ein. 4. Das Gespräch
der verschiedenen
Verhaltungen
bzw. Bergungsweisen:
Das
gesprächshaft in sich gegenschwingende und zeit-räumliche BezugsVerhältnis von Anspruch und Entsprechen durchwaltet alle verschiedenen Weisen, dem Anspruch des Seyns zu entsprechen, d.h. die Wahrheit des Seyns in das Seiende zu bergen oder zu verwahren. In diesem Sinne sind die unterschiedlichen Bergungsweisen nicht nur in sich gesprächshaft verfaßt. Insofern sie alle auf je eigene Weise dem Anspruch des Seyns entsprechen, können Dichten, Denken, Bauen, Wohnen, Führen, Opfer, Jubel und Tat vielmehr auch unter-ein-ander ins Gespräch kommen. Doch blieb der Vollzugssinn dieses Gespräches zwischen den Bergungsweisen in der bisherigen Philosophie unerhört. Weil in der gegenwärtigen Epoche die Selbst- und Weltauslegung unter das Diktat der neuzeitlich-rechnenden Naturwissenschaft gekommen ist, die allein vorgibt, was wirklich und besprechenswert ist, wird weder die Gesprächshaftigkeit der einzelnen Bergungsweisen selbst noch das Gespräch der Bergungsweisen untereinander eröffnet. So verhindert gerade der Versuch alle Sinnbereiche miteinander informatisch oder philosophisch zu vernetzen (Kybernetik), d.h. einheitlich zu versprachlichen, das Gespräch als ein die je andere Bergungsweise seinlassendes Wohnen „auf getrenntesten Bergen" (WiM, 52). Wie fruchtbar die explizite Aufnahme des hörenden Gesprächs zwischen den Bergungsweisen werden kann, zeigt sich etwa, wenn das Denken seinen Vormachts- und Grundlegungsanspruch gegenüber der Dichtung aufgibt und mit ihr das Gespräch aufnimmt. 5. Das Stiften und Erfahren
von Kunstwerken
als Gespräch:
Sofern das ent-
sprechende Hören auf den Anspruch der Wahrheit des Seyns in der abendländischen Metaphysikgeschichte zusehends ins Hintertreffen gerät und in unserer Epoche gänzlich nivelliert zu werden droht, sofern der Mensch sich nicht schickt in die Schickung des sichereignenden Zuwurfs, befinden wir uns Heidegger zufolge in einer Zeit der Seinsvergessenheit des Menschen und der Seinsverlassenheit des Seienden. Jene aber, die noch offen sind, für den Entzug der offen waltenden Ereignung (Ent-eignis), die Dichter, können dem Denken als Botschafter der Götter und des Geschickes (GA 12, 115) Kunde bringen von diesem Entzug. „Das Sein als das Geschick, das Wahrheit schickt, bleibt verborgen. Aber das Weltgeschick kündigt sich in der Dichtung an, ohne daß es schon als Geschichte des Seins offenbar wird." (BH, 30) So kann das Dichten das Denken durch sein geschichtsstiftendes Sagen aufhorchen lassen auf den Anspruch des Seyns und den Übergang bereiten in ein gewandeltes Menschentum. Zeichneten sich die Dichter auf
38
Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
dem ersten Ausarbeitungsweg durch ihr hellsichtiges In-der-Welt-sein aus43, so nun durch ihre Hellhörigkeit für das seinsgeschichtlich gedachte Sprachwesen als der Sage des Ereignisses. Weil die wesentlichen Dichter im Gespräch, d.h. geschichtlich sind, nimmt das Denken, welches die Wahrheit selbst als geschichtlich zu denken sucht, das denkende Gespräch mit der
Dichtung auf. Mehr noch, insofern bislang erst Hölderlin den Vollzugssinn jener Zeitigung und Räumung dichterisch ins Wort geborgen hat, verdankt sich die Besinnung auf den zeit-räumlich-abgründigen Gesprächscharakter der Geschichtlichkeit allein ihm. 6. Der Bezug von Göttern,
Menschen und Heiligem
als Gespräch:
N u n wissen
wir, daß das Sein des Menschen in der Sprache gründet und sich im hörenden Gespräch als der ergründenden Gründung des Zeit-Raumes der Wahrheit des Seyns ereignet. Entspricht der Mensch diesem gesprächshaften Anspruch des Seyns, antwortet er aus schicksalshafter Verantwortung auf dessen Anspruch, so eröffnen sich mit der Wahrheit des Seyns die Gesprächsdimensionen der Götterung, von denen der „Humanismusbrief' spricht: „Erst aus der Wahrheit des Seins läßt sich das Wesen des Heiligen denken. Erst aus dem Wesen des Heiligen ist das Wesen von Gottheit zu denken. Erst im Lichte des Wesens von Gottheit kann gedacht und gesagt werden, was das Wort ,Gott' nennen soll" (BH, 41 f.). Erst indem das Da-sein den ereignenden Zuwurf in den ereigneten Entwurf übernimmt, übereignet das Ereignis „den Gott an den Menschen, indem es diesen dem Gott zueignet" (GA 65, 26). Auch der Bezug von Göttern und Menschen, den Heidegger sowohl in den „Beiträgen" als auch in der „Andenken"-Vorlesung die „Entgegnung" nennt, ist also gesprächshaft verfaßt und zwar in dem Sinne, daß 43 Vgl. SuZ, 162; GA 20, 375 f.; insbes. GA 24, 244. Schon auf dem ersten Ausarbeitungsweg ist der Bezug zum Kunstwerk Gespräch und zwar nicht primär mit dem Künstler und seiner Intention, sondern mit dem von ihm ins Werk gesetzten dichterischen In-der-Welt-sein. Die dichterische Sprache einer Dichtung etwa ist das Zu-Wortkommen, bzw. Zu-Wort-gekommensein eines ausgezeichneten In-der-Welt-seins. Es ist ein ausgezeichnetes auslegendes Gliedern, das die Weltgeladenheit eines innerweltlichen Dinges hellsichtig herauslegt und ins Wort bringt. Indem es durch seine Befindlichkeit einem reicheren Weiterschließen ausgesetzt ist, ist das dichterische Wohnen, d.h. das dichterische In-der-Welt-sein, hellsichtiger für die Welt, d.h. für die Weltbezüglichkeit der Dinge, als die nichtdichterische Existenz. Es läßt die Dinge aus der Verhaltung zu ihnen sichtbar werden, d.h. es dichtet die Dinge als diejenigen, die sich in ihrer Weltbezüglichkeit dem Menschen in seiner Verhaltung zu ihnen zeigen. Insofern die Dichtung den Menschen in seiner Hingewendetheit zu den und in seinem Umgang mit den Dingen und dem anderen Dasein in ausgezeichneter Weise dichtet, kommt das die Dichtung auslegende Verstehen ins Gespräch mit einer ausgezeichneten Möglichkeit seiner selbst. Auch hier vollzieht sich das Gespräch so, daß sich das auslegende Verstehen nicht die Dichtung in abständiger Betrachtung vorhält und aus ihr verschlüsselte Botschaften zu entziffern sucht, sondern sich unter einer bestimmten Hinsicht auf ihr Gesagtes hin entwirft und sich mit in die spezifische Gestimmtheit dichterischen Sprechens einschwingt (vgl. F.-W. v. Herrmann, Subjekt und Dasein, S. 177-192).
§ 2 Zum Selbstverständnis der Arbeit
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weder die Götter über die Menschen noch die Menschen über die Götter verfugen. Das Gespräch ereignet sich vielmehr erst aus dem Hören und Antworten auf den „Gruß des Heiligen" (GA 52, 70). Weil aber das denkerische Sagen des Seins mit dem Sein bislang auch das Heilige verfehlte, vermag es v o m dichterischen
Nennen des Heiligen
( W i M , 51) in jenes Ge-
spräch gebracht zu werden, das Menschen und Götter jeweils in ihren Wesensstand schickt (GA 4, 38 ff). In ihrer worthaften Stiftung des Seins vermögen die das Heilige nennenden Dichter auch den Denkenden und Feiernden den Zeit-Raum ihres gesprächshaften Bezuges zum Heiligen, zur Gottheit und zum Gott zu eröffnen. Auch hier sind es also vornehmlich die Dichter, die dem Anspruch des Seins hörend und widersagend entsprechen und durch das Wort und im Wort das Bleibende stiften. Indem sie die Götter (als die sich in dürftiger Zeit im Entsagen Zusagenden) und das Wesen der Dinge stiftend nennen und das Dasein auf seinen festen Grund gründen, fangen sie die Winke der Götter auf und Winken sie weiter ins Volk, d.h. in die Gemeinschaft jener, die das Wort der Dichtung hören und wiedersagen. D.h. selbst ein Gespräch, nehmen die Dichter das Gespräch mit den Göttern auf und sagen es dem auf die Dichtung hörenden Dasein zu (GA 39, 31). 7. Das Fest als Gespräch: Besonders hellhörig für diesen gesprächshaften, aus dem Heiligen gewährten Bezug zum Göttlichen vermag das Dasein in Zeiten des Feierns zu werden, vorausgesetzt freilich, daß es seine Existenz in gesprächshafter, d.h. schicksalshafter Weise vollzieht. Es wird im Folgenden aufzuzeigen sein, inwiefern das Dasein im Feiern in einen gesprächshaften Bezug zur Geschichte kommt, d.h. inwiefern sich im Feiern eine ausgezeichnete Möglichkeit zur Gründung der Augenblicksstätte der Entscheidung über die Ankunft oder den Ausbleib der Götter eröffnet. Zur Eröffnung dieses festlichen Gesprächs-Zeit-Raumes vermag „das Gespräch unter Freunden als die schickliche Vorbereitung des Festes" (GA 52, 156 ff.) beizutragen. Denn ,,[i]nsofern der Mensch Mitsein ist, auf den Mitmenschen wesenhaft bezogen bleibt, ist die Sprache als solche Gespräch", d.h. „[ijnsofern wir Gespräch sind, gehört zum Menschsein das Mitsein" (ZS, 183). Den Zuspruch zur Bereitung der gemeinschaftlichen Augenblicksstätte des festlichen Gesprächs gewährt auch hier das hörende Wiedersagen des dichterischen Wortes. Indem dieses das Heilige als den Wesungsbereich nennt, in dem sich „das Fest als der Gruß des Heiligen" (GA 52, 70) ereignet, sagt das Wort des Dichters sowohl den Feiernden als auch den FestDenkern das Sichversagen der Götter zu. Aus dem Andenken an die gewesene Götterung eröffnet es damit in eins den ab-gründigen Zeit-Raum der gesprächshaften Vorbereitung und Erwartung einer künftigen Götterung. Das festliche Gespräch mit der geschichtsstiftenden Dichtung eröffnet den Zeit-Spiel-Raum der festlichen Entgegnung von Göttern und Menschen. 8. Die phänomenologische
Hermeneutik
als Gespräch:
Die denkerische Eröff-
nung dieses Wesungsbereiches nun sucht das Denken durch das Sagen des
40
Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
Seyns vorzubereiten. Deshalb versteht sich diese Ausarbeitung selbst als ein Gespräch, das den vielfältigen Gesprächscharakter der Geschichte sowohl im existenzialer als auch existenzieller Hinsicht zur Sprache bringt. Im existenzialen Sinne ist das Denken Gespräch, sofern es als Hermeneutik des Daseins dessen unthematisch vollzogene Faktizität in ihren daseinsmäßigen Strukturen hebt, und zwar so, daß es sich hermeneutisch-dialogischsehenlassend in seine Faktizität hereindreht. Was im natürlichen Gespräch Fragen, Schweigen und Hören sind, ist im phänomenologischhermeneutischen Gespräch das aufweisende Von-ihm-selbst-her-sehenlassen (λόγος). Entgegnung und Widerrede des natürlichen Gesprächs sind das im λέγειν der Phänomenologie Sich-an-ihm-selbst-von-ihm-selbst-herzeigende (φαινόμενον) (SuZ, 34). Dem Fortgang des Gespräches aber entspricht das zirkuläre Sichvertiefen des Verstehens, von dem schon der Aufriß von „Sein und Zeit" Aufschluß gibt. Das έρμηνεύειν ist als das ausdrückliche entwerfend-auslegende Von-ihm-selbst-her-sehen-lassen insofern ein Gespräch des Daseins mit sich selbst, als in ihm „dem zum Dasein selbst gehörigen Seinsverständnis der eigentliche Sinn von Sein und die Grundstrukturen seines eigenen Seins kundgegeben werden" (SuZ, 37). Gespräch ist die hermeneutische Phänomenologie auch hier, weil die in ihr vollzogene Auslegung „existenzial im entwerfenden Verstehen gründet, dieses aber nur ist, wie es ist, in Einheit mit dem Geworfensein und der gliedernden Rede" 4 4 . Existenziellen Gesprächscharakter erlangt die Daseinsanalytik dadurch, daß sie durch die existenziale Erhellung der unterschiedlichen Modi außerphilosophischen Daseinsvollzuges in einen Bezug zu dessen selbstverständlichalltäglicher und durch diese Selbstverständlichkeit verdeckter Verfassung treten kann. Weil das philosophierende Dasein dies kann, aber nicht muß, weil es sich in der Verhaltung der existenzialen Durchsichtigmachung seines je schon vollzogenen Seinsverständnisses manches erhellt haben kann, was es existenziell nicht zu übernehmen vermag, behält dieses Können vorerst Möglichkeitscharakter. 45 Wie dem außerphilosophischen In-der-Welt-sein
44 F.-W. v. Herrmann, Weg und Methode, S. 20. Indem der Logos der Phänomenologie zugleich etwas sehen läßt „für die Miteinanderredenden" und er sein Worüber „offenbar und so dem anderen zugänglich macht", stehen die Philosophierenden darüber hinaus im Gespräch mit Mitphilosophierenden (SuZ, 32). 45 „Die existenziale Interpretation wird nie einen Machtanspruch über existenzielle Möglichkeiten und Verbindlichkeiten übernehmen wollen." (SuZ, 310) Wie Th. C. W. Oudemans in seinem herausragenden Aufsatz betont, liegt Heideggers Daseinsanalyse zwar „eine ontische Auffassung der eigentlichen Existenz, das heißt ein faktisches Ideal, zugrunde. Da aber dieses Ideal keine Basis für eine Deduktion bildet, sondern nur der Anstoß zu einer Verlegung des Daseins ist, ist und bleibt die formale Anzeige ,existenziell unverbindlich 4 (313)" (ders., „Heideggers logische Untersuchun-
§ 2 Zum Selbstverständnis der Arbeit
41
die Tendenz eignet, an das innerweltlich besorgte Seiende zu verfallen, und wie das Sprechen nur allzuleicht an die besprochenen Dinge verfällt, so wohnt auch dem denkerischen Existenzvollzug die Tendenz zum Verfallen an das Gedachte und das im denkerischen Sprechen Gesagte inne. Es wird von der Gesprächskultur des jeweiligen Denkens abhängen, ob das denkerisch-verstehende Selbstgespräch das Andere seiner selbst annektiert - so etwa wie ein intoleranter Gesprächspartner den Anderen unter die Gewalt des von ihm Gesagten zwingt - oder ob es ein Zurücksprechen (GA 63, 17) oder Zurückschlagen des philosophisch Gedachten dahinein ermöglicht, „woraus es entspringt (SuZ, 38). Auch und gerade das seinsgeschichtliche Denken ist als hermeneutischphänomenologisches Gespräch zu verstehen. Daß es sich nicht mehr als ein solches bezeichnet, bedeutet keine Absage an die Hermeneutik, sondern steht im Dienste der Verwindung der Herrschaft der neuzeitlichen Methode über den zubehandelnden Gegenstand. Wo das Denken eine Methode auf einen Sachverhalt anwendet, besteht noch ein vergegenständlichender Bezug zur zubedenkenden Sache. Wo sich hingegen das Fragen als Anfrage-bei und als Nachfrage-nach aus dem hörenden, horchenden und lauschenden Verstehen der Zusage entwerfend versteht, wird das Denken zu einem Gang „in der Zweideutigkeit dieses Wortes: ein Gehen und ein Weg zumal, somit ein Weg, der selbst geht" (GA 65, 83). Die Vorhabe, die auf dem ersten fundamentalontologischen Ausarbeitungsweg aus der Geworfenheit des jeweiligen Fragens verstanden wurde, versteht sich nun aus dem das Fragen ermöglichenden Zuwurf, auf welchen dieses erst hören muß, um überhaupt fragen zu können. Insofern das seinsgeschichtliche Fragen ,,[i]n der Zusage dessen, wobei angefragt und wonach gefragt wird [...] seine Vorhabe" hat, „auf die es als Fragen in einer Vorsicht und in einem Vorgriff blickt" 4 6 , wird es gegenüber dem Fragen der Fundamentalontologie sowohl hörender als auch fragender. Es wird fragender, weil es hört auf die Zusage, d.h. auf die geschichtliche Wesung der befragten Sache. In seinem Auf-dem-Weg-Sein zwingt das Denken die Phänomenbereiche des Festes also nicht mehr unter die strukturalen Determinanten eines Systems. Als Weg-Gespräch
eröffnet
es vielmehr
spiel von Angesprochen-werden, den Zeit-Raum
aus dem lichtend-verbergenden
Fragen,
einer andersanfänglich
Hören und Antworten
gedachten
Festlichkeit.
Wechselden Bereich,
Auch die Rede
vom Weg „ist im seinsgeschichtlichen Denken keine metaphorische Sprechweise" 47 , d.h. keine Übertragung des ontisch-seienden Weges auf den Wegcharakter des Denkens und der Geschichtlichkeit überhaupt. In zugespitzter Sprechgen". In: Heidegger Studies (1989), S. 101; zur selben Thematik: H. Tietjen, Philosophie und Faktizität. In: Heidegger Studies Vol 2 (1986), S. 11-40). 46 F.-W. v. Herrmann, Weg und Methode, S. 33. 47 A.a.O., S. 14.
42
Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
weise können wir sogar sagen, daß der seiende Weg, auf dem wir gehen, in gleicher Weise dem weghaften Vollzugssinn der Geschichtlichkeit entspringt, wie das Miteinandersprechen der Menschen dem gesprächshaften AnspruchEntsprechungs-Geschehen. Was vom Haus des Seins gilt, gilt also auch für das Gespräch und den Weg; vielleicht aber gilt es auch vom Fest: „Die Rede vom Haus des Seins ist keine Übertragung [μεταφορά] des Bildes vom ,Haus' auf das Sein, sondern aus dem sachgemäß gedachten Wesen des Seins werden wir eines Tages eher denken können, was ,Haus' und ,wohnen' sind" (BH, 49) 48 . In gleicher Weise, wie wir diese Wendung „nicht als ein nur flüchtiges Bild zur Kenntnis nehmen [dürfen], an dessen Leitfaden man sich Beliebiges einbilden könnte, z.B. dies: Haus ist das irgendwo aufgerichtete Gehäuse, worin das Sein wie ein transportabler Gegenstand unterbracht ist" (GA 12, 111 f.), so sollten wir uns davor hüten, Gespräch, Weg und Fest als Übertragungen eines Konkreten auf ein Abstraktes zu lesen.49 Wenn hier überhaupt ein Wechselbezug statt hat, so gehört er nicht in „das metaphysisch vorgestellte Sein des Seienden", sondern in „das Wesen des Seins", genauer, in die denkwürdige „Zwietracht von Sein und Seiendem" (ebd.). Daß derartige Sprechweisen keine metaphysischen Hypostasierungen sind, zeigt sich indes nicht durch das formale Postulat, sondern in der phänomenologisch-hermeneutischen Entfaltung, d.h. im denkenden Gespräch selbst. Zur Eröffnung der Dimension, d.h. des phänomenalen Bereiches dieses Gespräches, soll der folgende Paragraph Vorbereitendes leisten.50
48
Erhellendes, sowohl zu einem entsprechenden Verständnis der Heideggerschen Metaphernkritik als auch zur vermeintlichen „Metaphorik" seines eigenen Sprechens, hat G. Xiropaidis beigetragen (ders., Einkehr in die Stille. Freiburg Univ. Diss. 1991). Ähnlich spricht P. David davon, daß aus Heideggers Blickrichtung bereits Husserls Wendungen „Wahrnehmungsfeld" und „offener Horizont" (E. Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften. Husserliana Bd. VI. The Hague 1962, S. 256) „nicht als bloße Metaphern zu verstehen" sind, sondern „zur Welt des Hirten des Seins" (P. David, Der Hirt des Seins. In: Heidegger Studies Vol. 8 (1992), S. 59) gehören. 49 So interpretiert etwa B. Allemann die Rede vom Brautfest von Göttern und Menschen in Hölderlins „Rhein"-Hynmne als „Metapher" (ders. Hölderlin und Heidegger. Zürich/Freiburg i. Br. 1954, S. 134). Dabei wäre zu fragen, worin denn nun - gemäß der Aristotelischen Wesensbestimmung des metaphorischen Übertragungsgeschehens - die „eigentliche", worin die „uneigentliche" Bedeutung besteht. Vielleicht zeigt uns das nichtmetaphorisch verstandene Wort vom Brautfest von Göttern und Menschen einst auch mehr von der Hochzeit der Menschen untereinander. Vieleicht kommen der liebende Gott-Mensch-Bezug und der im Fest begangene Bund der liebenden Sterblichen wieder zueinander. 50 Diese Vorbereitung könnte darin bestehen das Denken jener Ortschaft ein wenig näher zu bringen, die Celan für das Dichten aufzuschließen suchte, „wo alle Tropen und Metaphern ad absurdum gefuhrt werden" (P. Celan, Gesammelte Werke. Bd. 3. Frankfurt a. M. 1983, S. 199).
§ 3 Das Fest in den verschiedenen Verhaltungen
§ 3 Das Fest in den verschiedenen
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Verhaltungen
Das unabwendbare Faktum der wissenschaftlichen Blickweise unserer Ausarbeitung hatte uns zur formalen Ansetzung einer hermeneutischen Differenz zwischen gedachtem und faktisch gefeiertem Fest bewogen. Soll die Arbeit ihrem Gesprächscharakter gerecht werden, so muß sie vor jeder Vergegenwärtigung des Vorverständnisses des Festes in Lebenswelt, Wissenschaft und Philosophie einräumen, daß die von ihr angestrebte Hermeneutik des Festes ihren Gegenstand zwar zur phänomenologischen Hebung bringt, daß sie ihn damit aber gerade eines subtilen Einheits- und Vollzugssinnes entrissen haben könnte, d.h. daß die phänomenologische Hebung eines Sachverhaltes diesen womöglich seiner originären Eingebundenheit in einen denkerisch nicht faßbaren Vollzugssinn enthebt. Wir wollen nicht ausschließen, daß der Wissenschaft, der Kunst, der Philosophie und der Religion nicht weniger als dem außerphilosophischen Existenzvollzug selbst, die Tendenz eignen könnte, einen subtilen Einheitssinn der menschlichen Selbst- und Welterfahrung zu verstoßen. Sollte dieser verstoßene und aller Scheidung in Wissenschaft, Kunst, Philosophie, Religion und Lebenswelt vorhergehende Vollzugssinn im Fest in ausgezeichneter Weise gegenwärtig sein, so liefe gerade eine allzu verständnisbeflissene Hermeneutik Gefahr, eben jenen Einheitssinn zu verstoßen, den sie aufzuweisen gedenkt. Sie drehte sich nicht hinein in das Festliche des Festes, sondern heraus. 51
a) Das Fest in der natürlichen
Selbst- und Welterfahrung
Die Haltung, in welcher der Mensch sich primär, d.h. zunächst und zumeist zu Seiendem und zu sich selbst verhält, ist Heidegger zufolge die des Umgangs mit... Das vorherrschende Verhalten, „durch das wir überhaupt das innerweltlich Seiende entdecken, ist das Verwenden, das Gebrauchen von Gebrauchsdingen" (GA 25, 21). Im gebrauchenden Umgang mit Zeug enthüllen wir zugleich „die Natur in ihrer Gewalt und Macht", und zwar primär „nicht durch Reflexion über sie, sondern im Kampf mit ihr und Schutz gegen sie, im Herrwerden über sie" und „die alltäglichen Umstände und Zufälle der Begebenheiten innerhalb unserer Welt des Handelns" (ebd.). Dergleichen wie Mißstände, Hindernisse, Stimmungen und Gefühle wird uns erst im Ergreifen oder Prüfen von Gelegenheiten sichtbar. Im alltäglichen Umgang mit dem innerweltlichen Seienden versteht der
51 Man verwechsle diese „hermeutische Differenz", die allein der Achtung des Denkens vor den anderen Haltungen dienen soll, nicht mit der Veranschlagung eines „Dings an sich". Den prinzipiellen Irrtum, daß die Wahrnehmung oder das Denken nicht „an das Ding selbst" herankomme, hat bereits Husserl einleuchtend aufgeklärt (ders., Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. 4. Aufl. Tübingen 1980, §43).
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Mensch Zeughaftigkeit und Naturmächtigkeit, ohne zunächst und zuerst auf dieses Verstehen zu achten und ohne zu wissen, daß er dergleichen versteht. Er ist einzig „mit dem bestimmten Zeugzusammenhang beschäftigt und von bestimmten Gewalten benommen" (GA 25, 22). 52 Indes ist nicht nur das Verstehen als solches verborgen, sondern auch das, was wir da verstehen. Insofern also Zeughaftigkeit und Mächtigkeit in diesem Verstehen nicht eigens erfaßt, d.h. „nicht ausdrücklicher Gegenstand einer Besinnung, noch weniger etwa Thema einer begrifflichen Erkenntnis" (ebd.) werden, sind sie uns verborgen, unthematisch, ungegenständlich, vorbegrifflich. Im alltäglich-außerphilosophischen Existenzvollzug bleibt das Verstehen des Seins sowohl meiner seienden Verhaltungen wie des Seins des Seienden, zu dem ich mich verhalte, unthematisch und daher verhüllt. Dennoch birgt alles Verhalten zu Seiendem „ein Verstehen der Seinsart und Seinsverfassung des betreffenden Seienden in sich" (GA 25, 23), obschon dieses vorontologische Seinsverständnis nicht der λόγος des öv, also kein ontologisches Begreifen ist. Im alltäglichen Umgang des Daseins mit seiner Welt also liegt schon ein ihm selbst verborgenes, d.h. unausdrückliches Seinsverständnis. Zugleich versteht das in der vorontologischen Haltung seinsverstehende Dasein im Verhalten zu sich selbst als Seiendem auch schon das Sein dieses Seienden, das es selbst ist, als welches es selbst existiert. Es versteht die Seinsart seiner selbst, die Existenz, aber es begreift sie nicht, d.h. das Dasein vollzieht zunächst keinen begrifflichen Unterschied zwischen der Seinsart seiner selbst und der Seinsart der Dinge, zu denen es sich verhält, und das so wenig, daß es zunächst sein eigenes Sein mit dem der Dinge identifiziert. (GA 25, 24)
Wenn wir uns im alltäglichen Verwenden und Gebrauchen der Dinge „eigens und ausdrücklich auf sie richten, etwa uns Maßnahmen überlegen, wie sie mit Rücksicht auf die Sachlage am besten einzurichten seien" und so „im Handeln stillhalten und uns die Sachlage ansehen, dann ist dieses Betrachten noch kein theoretisch-wissenschaftliches Verhalten, kein bloßes Hinsehen und Betrachten, sondern es verbleibt noch ganz in der Haltung des Umgangs mit..., ist nur ein sich Umsehen, umsichtiges Sichauskennen" (GA 25, 25). In dieser Haltung des vorbegrifflichen Umgangs mit..., dessen Verfallenheit an das innerweltlich begegnende Seiende wir ebensowenig als abschätzige Wertung verstehen dürfen wie die Benommenheit von ihm, halten sich vorerst auch die Verhaltungen, d.h. die Selbst- und Weltbezüge der feiernden
Existenz , sei es der konkrete V o l l z u g
des Feierns, sei es die Vor- und Nachbereitung desselben.53 Obschon sie den
52 Daß dieses Benommensein „von der ,Welt' und dem Mitdasein Anderer" und die mit ihm verbundene Verfallenheit als eine positive Möglichkeit des besorgenden Aufgehens in einer Welt zu verstehen ist und keineswegs „als ,Fall' aus einem reineren und höheren ,Urständ'" (SuZ, 176), kann an dieser Stelle nicht eindringlich genug betont werden. 53 Daß Vorbereitung, Planung und Organisation sich innerhalb der natürlich-
§ 3 Das Fest in den verschiedenen Verhaltungen
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Zug zum Ausruhen oder Ablassen von..., zum Außergewöhnlichen, zu Besinnung und Kontemplation, zu Hochstimmung und Ekstase aufweisen, vollziehen sich die festspezifischen Verhaltungen in der Weise des Umgangs mit... Aller Ausnahme, aller Besinnlichkeit und Ausgelassenheit zum Trotz ist der feiernde Selbst- und Weltbezug weder ein wissenschaftlicher noch ein philosophischer, sondern vorerst ein solcher des Umgangs mit... und er bleibt es auch, wenn das in der Sorge begegnende Seiende und das in der Fürsorge begegnende Mitdasein in den ausgezeichneten M o d i des Feiern neu begegnen. A u c h eine weltanschauliche Gesamtbesinnung auf Welt und menschliches Dasein, wie etwa die weltanschauliche Besinnung über das Fest oder beim Fest, ist weder hinsichtlich ihres Ursprungs noch bezüglich ihres Gebrauchs Sache eines theoretischen Wissens, das wie ein Wissensgut im Gedächtnis behalten wird. Eine Weltanschauung ist vielmehr die Sache einer zusammenhaltenden Überzeugung, die mehr oder weniger ausdrücklich und direkt Handel und Wandel bestimmt. Sie „erwächst ihrem Sinne nach aus dem jeweiligen faktischen Dasein des Menschen gemäß seinen Möglichkeiten der Besinnung und Stellungnahme und erwächst so für dieses faktische Dasein" ( G A 25, 8), unabhängig davon, ob sich dieses dabei von Aberglauben und Vorurteilen, von wissenschaftlicher Erkenntnis und Erfahrung oder von einer Mischung aus beidem bestimmen läßt. 5 4
alltäglichen Haltung vollziehen, zeigt sich besonders eindrücklich an sogenannten Partytips in Koch- und Haushaltsbüchern. Die dort zuweilen vollzogenen Besinnungen auf das Wesen des Feierns überhaupt stehen ebenso im Dienste der Horizonteröffnung für den besorgenden Umgang, wie diesbezügliche Besinnungen im „Katechismus" den glaubenden Bezug zum Göttlichen eröffnen und vertiefen sollen. 54 Wir können unter „Weltanschauung" das Verständnis der Totalität geistig-sozialer und natürlicher Zusammenhänge, ihrer Geschichte und Entwicklungstendenz und der damit einhergehenden politischen, moralischen, rechtlichen, ökonomischen, künstlerischen und religiösen Grundauffassungen, -ideale und -werte eines individuellen oder kollektiven Subjekts verstehen, wie sie in dessen gesamtem Handeln, Denken und Fühlen lebendig und praktisch wirksam sind; desgleichen können wir „Weltanschauungen" auch Lehren und Theorien verstehen, die dazu beitragen, Weltanschauung im erstgenannten Sinne herauszubilden, zu orientieren, zu festigen, zu stützen oder auch zu überwinden, - stets erwächst sie aus einem faktisches Dasein und für ein solches (a. a. O., S. 13). Heideggers mitunter radikale Weltanschauungskritik von seiner ersten Freiburger Vorlesung an bis in die „Beiträge" richtet sich weniger gegen die natürliche Lebensanschauung als solche als gegen die gelehrte Weltanschauung, wie sie sich beliebig und ohne jeden Zusammenhang, d.h. nicht von der Sache her, philosophischer Erkenntnisse bedient und die Aufgabe der Philosophie zur Weltanschauungsbildung nivelliert. Sie richtet sich gegen die Vermischung der unterschiedlichen Haltungen und des in ihnen Erkannten. Im Gegensatz zur philosophischen Haltung ist die weltanschauliche in die Pragmatik des besorgenden Umgangs eingebunden. Philosophie darf Heidegger zufolge nicht mit dem Maß der Weltanschauung gemessen und weltanschaulich pragmatisiert und vernutzt werden. Wenn er sagt, Weltanschauungsbildung könne „gerade nicht Aufgabe der Philosophie sein", so deshalb, weil die Sätze und Regeln jeder Welt- und Lebensanschauung ihrem Sinne nach positiv-setzend, d.h. stets „auf eine be-
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Folgende Momente bestimmen im wesentlichen die natürliche Selbst- und Welterfahrung des Festes: der Grund zum Feiern bzw. das Gefeierte , die Fest-
gemeinschaft , der Festraum , vor allem jedoch die Festzeit , mit ihren Aspekten
der Abgehobenheit vom Alltag, der Planung und Vorbereitung, dem Festvollzug und Festgeschehen und der Nachbereitung, darüber hinaus die Feststimmung und festliche Handlungen aller Art. 5 5 Das Fest durchwaltet alle Lebensbereiche.
Der Mensch feiert private Feste, Feste in den Bereichen von Arbeit, Kunst, Bildung und Sport, Staat und Politik, Natur und Religion. Selbst wenn er sich eingehend informiert oder gar all diese Feste besucht, so vermag kein einzelner Mensch als endliches Wesen die Vielfalt dieses Phänomens zu durchmessen, zumal sie sich dieser Tage in ein Spektrum noch nie dagewesener Breite und Divergenz entfachert. Vor jedem Grund zum Feiern dominiert zunächst einmal ein subtiles instinktiv anmutendes Daß, welches besagt, daß der Mensch seine Orientierung
auf Feier und Fest als ganz selbstverständlich zu sich gehörig erfährt. Es ist ein lebensweltlicher Erfahrungswert: Jeder Mensch, jede menschliche Gemeinschaft, feiert und begeht Feste. Was für seine Verfassung als Gemeinschaftswesen gilt - daß er nämlich auch dann noch auf andere bezogen bleibt, wenn diese sich ihm entziehen oder er sich ihnen verweigert - gilt auch für das Fest: ein nichtfeiernder Mensch, eine nichtfeiernde Gesellschaft oder eine festlose Zeit ist und bleibt auf einen festlichen oder festähnlichen Zustand hin orientiert. Dieses lebensweltliche „daß" überdeckt sogar oftmals das „Weshalb", den eigentlichen „Grund zum Feiern". Wohl nicht umsonst wird dieser zuweilen als „offizieller Anlaß" zum „bloßen Vorwand" und sei es „nur" für die Lust am Feiern. Stets gehört zu Festen und Feiern ein Anlaß, ein Grund zum Feiern , über den die Feiernden sich gemeinsam verständigen bzw. verständigt sind. 56 Auch für stimmte real seiende Welt, auf das bestimmte faktisch existierende Dasein bezogen" (GA 25, 12) sind, eine Konsequenz, die an dieser Stelle insofern von Belang ist, als sie besagt, daß die Sprech- und Vollzugsweise (und die Faktizität) der philosophischen und der weltanschaulichen Haltung grundwesentlich voneinander differieren. Was es indes bedeutet, daß dies „nicht aus-, sondern einschließt, daß Philosophie selbst eine ausgezeichnete Urform der Weltanschauung ist" (ebd.), wird noch zu diskutieren sein. 55
H. Kuhn differenziert zehn Momente des Festes, von denen auch die außerphilosophische Selbst- und Welterfahrung auf je ihre Weise „weiß": a. Festzeit, b. Festraum, c. Feststimmung, d. Wiederholung, e. gliedernde Zeitgestalt, f. spielerische Zwanglosigkeit, g. Selbstanschaulichkeit, h. Spontaneität und Improvisation bei gleichzeitiger Regelhaftigkeit, i. Rückstrahlung in den Alltag, j. über den Anlaß hinausreichender unitarischer Gegenstand (fundamental religiöser Charater des Festes) (ders. Das Sein und das Gute. München 1962, S. 402-408). 56 Oft ist der offizielle Anlaß vom konkreten Wozu des Feierns zu differenzieren, nach dem die Feiernden sich selbst und andere fragen und sich so über verborgene, gerne verdrängte, verhüllte und unauflösbar miteinander verwobene Motive orientieren können. Dementgegen ist es oftmals ein Zeichen besonders festlicher Muße, derartige Fragen ungestellt zu lassen. Einen erklärten Anlaß haben die meisten Feste, selbst wenn dieser vom Anlaß jener differieren kann, die sie veranstalten oder besuchen. Einen An-
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das Feiern scheint also zuzutreffen, was Leibniz in seinem Satz vom Grund, „Nihil est sine ratione" 57 , philosophisch zum Ausdruck bringt. Der Grund zum Feiern ist das, was nach gegenseitigem Übereinkommen einer Gruppe, durch Festlegung eines Einzelnen oder durch Verordnung durch eine übergeordnete Instanz gefeiert wird. Ein Verzeichnis solcher Anlässe ist der Kalender, der recht eigentlich Festkalender ist, und der die Menschen, die sich an ihn halten, an bestimmte Fest- und Feiertage erinnert. Dagegen erfährt man von außerordentlichen Festen durch explizite Ankündigungen, die sich entweder an die Allgemeinheit oder an eine begrenzte Anzahl von Menschen richten. Das vor, während und nach Festen so gerne besprochene und diskutierte Miteinandereingeladensein, das daraus resultierende Rekrutierungsproblem, die Rollenerwartung, die gemeinsame Lust zum Feiern, das miteinander geteilte Sichfreuen auf ein Fest, die gemeinsame Bestimmung eines Anlasses und das Orientiertsein auf einen solchen verweisen auf die Gemeinschaftsdimension des Festes. Im Vor- und Umfeld von Festen und bei Festen selbst wird das gesellschaftliche Leben gepflegt. Bekanntschaften, Freundschaften, Liebesbeziehungen, geschäftliche und zwischen-menschliche Kontakte aller Art werden geschlossen, vertieft, irritiert und gelöst. Schon in der Planungs- und Vorbereitungsphase, in welcher der Gastgeber die Räumlichkeiten des Festes und Festutensilien aller Art, der Gast aber sich selbst auf das bevorstehende Ereignis einrichtet, kommt der spezifische Zeitcharakter des Festes zum Vorschein. Die Handlungsweisen und Stimmungen der natürlichen Festerfahrung zeugen von einem eigentümlichen Vollzugswissen um die ausgezeichnete Qualität der Festzeit. Nicht nur die Festzeit selbst, sondern auch die Zeit vor und nach dem Fest, die Nachbereitungsphase, werden je unterschiedlich erfahren und gehören zur Zeitlichkeit des Festes. Feste zeichnen einen eigentümlichen Spannungsbogen, an welchem die Festgemeinschaft, sei es willkürlich, sei es unwillkürlich, Teil hat, über den sie aber zugleich nicht ohne weiteres verfugen kann. Da sind zum einen Gastgeber und Gast, die durch Vorbereitung, Einrichtung, Gespräch, Auftreten, Stimmungsmache, Aufführungen, Reden, Tanz, Musik, Kult, Ritual und dergleichen den Festverlauf mitgestalten; da ist zum anderen der Festverlauf selbst, den die Festgemeinschaft nur beeinflussen, nicht aber bis ins letzte bestimmen kann. Die Eigendynamik, welche die Feiernden dem Festverlauf einräumen, unterscheidet das Festverhalten, von dem bei anderen gemeinschaftlichen Unternehmungen, wie etwa der Arbeit. Der feiernde Existenzvollzug zeichnet sich zuweilen durch eine subtile Ahnung
laß scheinen selbst jene Feste zu haben, die sich einem solchen Grund zum Feiern verweigern, wobei dieser dann meist die „bloße" Muße und Zerstreuung ist, vor deren voreiliger Diskreditierung wir uns in acht nehmen wollen. 57 Leibniz, Couturat. Opuscules et fragments inédits de Leibniz. Paris 1903, p. 515 (zit. η. SvG, 14).
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davon aus, daß es zwar feierlicher Handlungen bedarf, um überhaupt Feiern zu können, daß aber Feste nicht schon deshalb gelingen oder mißlingen, weil bestimmte Bedingungen erfüllt sind. 58 Er räumt einen lebensweltlichen Spielraum ein, der über das Einricht-, Vorbeug- und Planbare hinausreicht und in dem der festlich-gesteigerte Lebensvollzug glücken kann oder nicht. Die Einräumung eines solchen Spielraums kennen wir so nur vom Spiel und den ernsthaften Vollzugsweisen der Liebe her. Wie aber auch die Liebe zumeist als Erfüllung von Sehnsucht, Verlangen und Trieb erfahren und dargelebt wird, so definiert sich auch das Feiern zumeist als die Erfüllung lang gehegter, unerfüllter und unterdrückter Wünsche. Seine Grundtendenz des Weg-vom-Gewöhnlichen und Hinzum-Außergewöhnlichen fuhrt nicht erst die wissenschaftliche Festauslegung zu der Scheidung von Norm und Abweichung, Ordnung und Exzeß, Gesetz und Chaos, Ernst und Spiel, Verbot und Trieb. Als Abweichung von der Norm wird das Fest per se erfahren, ist es doch Ausnahme vom Alltag. Was sonst oft alleine oder im nivellierten Dahinleben vollzogen wird, wird nun in gemeinschaftlicher Aufmerksamkeit geteilt: Freundschaft, Ehe, zwischenmenschlichkollektive Dimension des Arbeitslebens, Rezeption und Produktion von Kunst, politische Gesinnung, Bezug zur Natur, glaubender Bezug zu Gott oder bloßes Hiersein. Wenn wir sagen, dem feiernden Menschen eigne bisweilen die subtile Ahnung der Unverfügbarkeit des Glückens und Gelingens von Festen, so stellt sich die Frage, ob das Fest der natürlichen Haltung sich nicht selbst genügt. Bedarf die außerphilosophische Selbst- und Welterfahrung ihrer Selbstauslegung zufolge einer weiter- d.h. über den bloßen „Akt" des Feierns hinausgehenden Besinnung oder liegt der Sinn und das Gelingen des Feierns in seinem Vollzug selbst beschlossen? Liegt schon im Fest selbst der Zug zur Besinnung oder bedarf der Mensch, um auf gelungene Weise zu Feiern, einer Anleitung und Unterstützung, die über die bloße Planung und Organisation hinausgeht? Mit dieser Frage steht und fällt der Gesprächscharakter unserer Ausarbeitung. Läge nämlich der Sinn des Feierns in diesem selbst beschlossen, so bliebe dahingestellt, was die Philosophie dem außerphilosophischen Lebensvollzug überhaupt zu sagen hätte. Wäre andererseits der feiernde Mensch als solcher nicht im Stande, seinem Feiern einen Sinn zu verleihen, so würde ihm jede Mündigkeit abgesprochen, was das Gespräch ebenfalls zunichte machte. Wir antworten auf zweifache Weise: Einerseits ist das Feiern der ihm innewohnende Zug zur Besinnung. Indem es die Handlungen des Alltags feierlich wiedervollzieht, übersteigert oder neue Handlungen einfuhrt und indem es sich in einer ganz spezifischen Weise dem aussetzt, was da geschehen möge, legt das 58 Ich bin der Auffassung, daß diese Ahnung um die Uneinrichtbarkeit der eigenen Glückserfahrung einen großen Teil der Ablehnung ausmacht, mit welcher jüngere Generationen der Festkultur der älteren gegenübertreten.
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feiernde Existieren schon Zeugnis für einen ihm innewohnenden Zug zur Besinnung ab. Andererseits scheint der natürliche Existenzvollzug diese Besinnung nicht aus eigener Kraft bewerkstelligen zu können. Die Mittel, derer er sich dazu bedient, entstammen nicht allein der Sinndimension des alltäglichen Lebensvollzuges. Zur Eröffnung, Offenhaltung und Füllung des von uns bereits genannten Spielraumes, in dem das Fest gelingen kann oder nicht, greift das Feiern oft zurück auf das „Sinnangebot" vierer Lebensbereiche, die in je eigener Weise fur sich in Anspruch nehmen, die Nivellierungstendenz des menschlichen Feierns offenzulegen und dem Menschen Wege und Weisen eines gewandelten Festverständnisses bzw. Feierns offenzulegen. Um richtig feiern zu können oder um überhaupt erfahren zu können, was das Leben des Feierns würdig macht, wendet sich der feiernde Mensch vor allem der Kunst bisweilen aber auch der Religion, der Wissenschaft und der Philosophie zu. 59 Diese Prägung des Feierns durch Kunst, Religion, Wissenschaft und Philosophie vollzieht sich direkt oder indirekt: indirekt, indem sie generell einen Bezug zur Welt, zu den Mitmenschen, den Dingen, zu Leben und Tod, zur Geschichte und zum Göttlichen eröffnen, der Anlaß zum Feiern gibt bzw. Möglichkeiten des Feierns eröffnet oder das Feiern prägt; direkt, indem sie den Lebensvollzug in der Weise von Regeln, Anregungen, Vorschlägen, Darstellungen und Berichten auf je ihre Weise ansprechen und zu bestimmen suchen oder sich selbst als Fest vollziehen (Festspiel, Gottesdienst, Kolloquium, Symposion): Das außeφhilosophisch-außerwissenschaftliche Feiern geht sowohl mit Seiendem um, das mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse produziert wurde, als auch mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, die die persönliche und gemeinschaftliche Weltanschauung mehr oder weniger schlüssig beeinflussen. Erfahren sich die Feiernden als religiös, so bewegen sie sich je schon in einem religiösen Bezug zu Göttlichem und Seiendem und wenden sich dem Göttlichen feiernd zu. Sie gehen immer schon mit Kunstwerken um bzw. mit dem, was diese an Sinn eröffnen, können aber darüber hinaus die Rezeption und Produktion derselben zum Bestandteil eines Festes machen.
59 Indem es zurückgreift auf das, was diese vier ihm zum Fest zu „sagen" haben, oder indem es bei ihnen „anfragt", beginnt das außerphilosophische Festverständnis eine „Sprache" zu sprechen, die den Anschein erweckt, als handele es sich bereits um einen philosophischen oder wissenschaftlichen Diskurs. Daß dem nicht so ist, müssen wir an dieser Stelle besonders hervorheben. Darüber hinaus begehen wir im Zuge dieser hermeneutischen Genesis einen Sprachfehler, wenn wir sagen, das Feiern greife auf etwas zurück. Dies erweckt den Eindruck, als springe es etwa aus seinem gleitenden Lebenfluß heraus und bediene sich aus abständiger Berechnung eines „Kunstmittels" (eines Kunstwerkes, eines Kultes, einer wissenschaftlichen Erkenntnis, eines Philosophems). Selbst wenn es sich zuweilen so versteht, bewegt sich auch das feiernde Existieren zuvor schon in einer Lebenswelt, die je schon geprägt ist von Kunst, Religion, Wissenschaft und Philosophie. 4 Knödler
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Insofern der feiernde Mensch in ganz besonderer Weise selbst- und weltoffen ist, insofern er sich gleichsam in und aus seinen Selbst- und Weltbezügen einer anderen Möglichkeit seiner selbst und der Welt zuwendet, bildet das Fest ganz offensichtlich einen bedeutenden Sammel- und Angelpunkt für alle nichtalltäglichen Weisen des Existierens. Dies wird schon an der Tendenz vieler Feste deutlich, möglichst viele oder alle Lebensbezüge in sich aufzunehmen. Diese Besonderheit und Bedeutsamkeit scheint nun aber gerade darin zu bestehen, daß der feiernde Mensch nicht selbst in eine dieser Haltungen übergeht, sondern eben das geradehingerichtet feiert, was Kunst und Religion und unter Umständen auch Wissenschaft und Philosophie (weltanschaulich) ihm in ihrem sinneröffnenden Charakter zugänglich machen. Andersherum suchen gerade die anderen Möglichkeiten menschlichen Selbst- und Weltbezuges, sich dem feiernd in exklusiver Weise selbst- und weltoffenen Menschen dadurch zugänglich zu machen, daß sie entweder das Feiern in oben genannter Weise zu beeinflussen suchen oder selbst festlichen Charakter annehmen. Der außergewöhnliche, nichtgeradehingerichtete Selbst - und Weltbezug des Menschen bringt sich ein in den festlich gesteigerten gewöhnlichen; andersherum wendet sich der festlich-gesteigerte gewöhnliche dem außergewöhnlichen zu.
Das außerphilosophische Vollzugswissen des Feierns hat so etwas wie einen subtilen Instinkt für das, was wir im Ausgang vom Titel der vorliegenden Arbeit die wechselseitige Umkehrung des genitivus subjectivus
in den genitivus
objec-
tivus nannten. Daß Staaten Feste veranstalten, zugleich aber Staaten bei solchen begründet werden können; daß Freunde ihre Freundschaft feiern, eine solche aber auch bei Festen stiften können; daß Kunst für Feste geschaffen und bei solchen aufgeführt wird, zugleich aber Stätten und Augenblicke künstlerischen Schaffens bereiten kann; daß Religionen Feste inspirieren und inaugurieren können, Feste aber auch Religionen oder besser religiösen Selbst- und Weltbezug hervorzubringen vermögen und daß auch Wissenschaft und Philosophie, die sich auf je eigene Weise dem Thema Fest zuwenden können, zuweilen danach trachten, selbst festlichen Charakter anzunehmen, all dies besagt, daß nicht nur die jeweilige Verhaltung das Fest feiert, sondern daß das Feiern umgekehrt die Verhaftung bestimmt. 60 Alles, was gerade da ist oder gar überhaupt ist, in einer Weise zu erfahren, die dem gesteigerten, stimmungshaften, gemeinschaftlichen, zeitgemäßen und 60 Einerseits zeigt die außerphilosophische Selbst- und Welterfahrung die unmißverständliche Tendenz, sie selbst zu bleiben und sich als solche zu steigern, andererseits bedient sie sich dazu bestimmter Quellen, die nichtalltäglichen Haltungen und Verhaltungen entspringen und auf die sie paradoxerweise angewiesen zu sein scheint, um sich als solche zu überhöhen und um eins zu werden mit sich selbst, mit den anderen und mit dem, was ist. Diese Haltungen entspringen selbst einer spezifischen und höchst klärungsbedürftigen Ganzheitsbezogenheit, die der des Festes ähnlich ist und unähnlich zugleich.
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liebe- und lustvollen erhaben-gesteigerten, aber auch dem verfallenen, indifferenten oder uneigentlichen Vollzugssinn des Feierns entspricht, darum scheint es dem feiernden Menschen seiner Selbstauslegung zufolge zu gehen. Im naiven Gebrauch eines metaphysisch höchst vorbelasteten und fragwürdigen Wortes können wir auch sagen, es geht ihm um eine wie auch immer geartete Steigerung der „Präsenz": seiner selbst, der feiernden Gemeinschaft, der gefeierten Sache oder des gefeierten Sachverhalts, von Stimmung, Lust, Laune - handele es sich auch um die bloße Dumpfheit und Ohnmacht, das Fest soll sie steigern. 61 Hiermit haben wir die Sinndimension und den Phänomenbereich des außerphilosophischen und außerwissenschaftlichen Festverständnisses eröffnet. Die Sinngehalte und Phänomene dieser Dimension geben den thematischen Gegenstand einer wissenschaftlichen und philosophischen Thematisierung des Festes ab.
b) Das Fest in Wissenschaft Dem phänomenologisch-existenzialen
und
Philosophie
Wissenschaftsbegriff
zufolge ist wis-
senschaftliches Erkennen dadurch bestimmt, „daß sich das existierende Dasein frei als gewählte Aufgabe die Enthüllung des schon irgendwie zugänglichen Seienden um seines Enthülltseins willen vorsetzt" (GA 25, 26). Dabei „fallen alle Abzweckungen des Verhaltens fort, die auf Verwendung des Enthüllten und Erkannten zielen" (ebd.). In der Umstellung vom vorwissenschaftlichen zum wissenschaftlichen Verhalten, so Heidegger, wird das Seiende vergegenständlicht. Mit der Vergegenständlichung ist die Aufgabe gesetzt, das „von sich aus begegnende Seiende an ihm selbst aufzuweisen, d.h. zu bestimmen" (GA 25, 27) und zwar in der Weise des ausdrücklichen Unterscheidens, Abgrenzens und Sichtbarmachens der Zusammengehörigkeit der Bestimmtheiten. „Die in solcher Enthüllung des Seienden erwachsenen Begriffe aber bedürfen jederzeit der Ausweisung und Bewährung ihres Inhalts an dem Seienden, das sie meinen und daraus sie geschöpft sind." (ebd.) Nun können viele und ganz verschiedene Bezirke des Seienden Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung werden. Je nach dem, was das Seiende seiner Sachhaltigkeit nach ist, werden die Zugänge zum Seienden, seine Durchforschung und entsprechend die Begriffsbildung und Beweisart differieren. Jeweils das wird Thema einer Wissenschaft, was sich die Vergegenständlichung 61 Diese zum Teil höchst u η reflektierte Neigung zu Präsentation und Präsenz eignet gerade auch jenen Festen, die aus Anlaß einer nichtpräsenten Sache begangen werden: Gedenk- und Totenfeste, Jubiläen, Gottesdienste scheinen einem Streben nach der wiedergebrachten Gegenwart eines verlorenen oder der gesteigerten Gegenwart eines bereits Anwesenden zu entspringen, scheinen etwas präsent machen, d.h. präsentieren zu wollen.
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Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
als Gebiet ausgrenzt. Ein und dasselbe Phänomen der außerphilosophischen Selbst- und Welterfahrung kann so auf unterschiedliche Weise vergegenständlicht, d.h. Gegenstand verschiedener Wissenschaften werden. Das Phänomen des Festes wird vornehmlich von den Geisteswissenschaften als dem Ganzen der Wissenschaften vergegenständlicht werden, welche die geschichtliche und gesellschaftliche Wirklichkeit zum Gegenstand haben. Daß dabei das Übermaß an Realien die sinn- und respektvolle Erschließung der Forschungsergebnisse zuweilen überdecken kann, bestätigt sich an der Ethnologie und Volkskunde 62, die die Festsitten und Festbräuche (schriftloser) nichteuropäischer bzw. europäischer Kulturen sichten und analysieren. Daß sie dabei von einem Ethno- bzw. Logozentrismus in den nächsten fallen, haben diese Disziplinen mit der Geschichtswissenschaft gemein. Wie die anderen Einzelwissenschaften vom Fest auf je ihre Weise, erachtet diese die methodische Erforschung der Vergangenheit des Menschen schon dadurch für gewährleistet, daß sie zunächst alle bezeugten geschichtlichen Tatbestände auf der Grundlage der kritisch gesicherten Überlieferung (den sogenannten Quellen) möglichst genau und vollständig feststellt und ihre Zusammenhänge, Bedingtheiten und Wirkungen verständlich macht. Hierdurch sieht sie die Voraussetzung geschaffen für eine wissenschaftlich begründete Geschichtsschreibung und meint die Wurzeln der Gegenwart freilegen und deren Struktur erkennbar machen zu können. Weil Feste einen wesentlichen Bestandteil gerade der menschheitlichen Vergangenheit ausmachen, begegnen sie der Geschichtswissenschaft im Zusammenhang vieler historischer Vorkommnisse und werden hinsichtlich ihrer historischen Bedeutung vergegenständlicht. Das Spektrum an Bearbeitungen reicht dabei von der Paläoanthropologie und Archäologie über die Altertumswissenschaft bis in die Moderne mit ihrer Vorliebe für die Sozial- und Kulturgeschichte , ganz zu schweigen von Kunst- und Literaturgeschichte. Vor allem die Kulturgeschichten des Festes erfreuen sich in den letzten Jahren besonderer Beliebtheit, ganz offensichtlich weil sie die Festkultur bestimmter oder mehrerer Epochen besonders anschaulich beschreiben, analysieren und verknüpfen und darüber hinaus für sich in Anspruch nehmen, einen historischen Bezug zur Festpraxis der Gegenwart herzustellen. Unter den frühgeschichtlichen Überlieferungen sind es insbesondere die der ägyptischen Hochkultur, die durch die Hinterlassenschaft monumentaler Bauten, Relikte und Schriftzeugnisse zur Rekonstruktion einer überwältigenden Festkultur herausfordern. 63 Vielleicht bewog gerade diese längst noch nicht 62 Für die Ethnologie sei an dieser Stelle auf E. Basios und V. Münzers Arbeit „Übergänge im menschlichen Leben" hingewiesen, für die Volkskunde auf die vielfältigen Arbeiten I. Weber-Kellermanns (Weitere Literatur findet sich im Literaturverzeichnis). 63 J. Assmann, Der schöne Tag - Sinnlichkeit und Vergänglichkeit im altägyptischen Fest. In: Das Fest. Poetik und Hermeneutik Bd. XVII. München 1989, S. 3-28; C. J.
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ausgeschöpfte Brillanz orientalischer und außereuropäischer Zeugnisse die okzidentale Geschichtsschreibung des Kultus bzw. den Kultus der Geschichtsschreibung von den Tagen Herodots an dazu, sich vor einer derartigen Größe und Übergröße zu schützen. Was nimmt es denn Wunder, daß sich die Historie die Ursprünge abendländischer Festkultur seit der Renaissance, j a gewissermaßen schon seit dem Christentum, von der griechischen und römischen Antike her und sozusagen i m Gegenlicht zur außereuropäischen (zurecht-)schrieb. 64 Wenn w i r also i m Folgenden Heideggers von Hölderlin stammender These vom gewesenen Brautfest des Griechenlandes auch historisch und altertumswissenschaftlich hinterfragen, so steht uns hierzu ein breiter Fundus an Forschungen zur Verfugung. 6 5 Während die frühchristliche Festkultur zu sehr unter dem Stern der christlichen Theologie und ihrer Diskreditierung zu stehen scheint, um häufiger Gegenstand strenger historischer Analysen zu werden 6 6 , erfreut sich die höfische Festkultur und das sie tragende Phänomen des Minnesanges, in der die christliche und die islamische Festkultur eine nie mehr erreichte Verbindung eingingen, größerer wissenschaftlicher Beliebtheit. 6 7 Einen weiteren Markstein abendländischer Festgeschichtsschreibung stellt die Renaissance dar, die mit dem antiken Geist auch das antike Fest im Zeichen des Humanismus wiederzubeleben sucht 6 8 . I m Barock schließlich erreicht die abendländische Festkultur Bleeker, Die Geburt eines Gottes. Eine Studie über den ägyptischen Gott Min und sein Fest. Leiden 1956; J. Gohary, Akhenaten's Sed-festival at Karnak. London/New York 1992; R.A.M. Doanadoni (Hg.), Das Alte Ägypten. Kunst als Fest. Mailand 1989; S. Schott, Altägyptische Festdaten, 1950; D. Wildung, Das Opet-Fest in Altägypten. In: Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. v. Uwe Schulz. München 1988, S. 13-24. 64 So befremdlich Heideggers Rückgang auf das „Fest des Griechenlandes" zu Zeiten der Globalisierung erscheinen mag - auch die modernen, sub- und postmodernen FestKonzepte sind, wenngleich weit entfremdete Abwandlungen der antiken. Vielleicht ist sogar die globale Gemeinschaftskultur - so unantastbar der von ihr propagierte Weltfrieden ist - der denkbar perfideste, da euro- und ethnozentristischste Kolonialismus! 65 Neben prominenten Altertumswissenschaftlern wie M.P. Nillson und L. Deubner, J. Burckhardt, W. Schadewaldt, B. Snell und W.F. Otto widmeten sich in neuer Zeit vor allem R. Kannicht, Ch. Meier, J.-M. André und U. Sinn dem griechisch-antiken Fest (vgl. §§ 6-8). 66 So bleibt es K.-H. Deschner überlassen, die historische Auseinandersetzung mit dem christlichen Erbe auf eine höchst zweifelhaft recherchierte „Kriminalgeschichte des Christentums" zu reduzieren. 67 H. Bodensohn, Die Festschilderungen in der mittelhochdeutschen Dichtung. Münster 1936; J. Fleckenstein, Das Turnier als höfisches Fest im Mittelalter. Göttingen 1986; B. Haupt, Das Fest in der Dichtung. Untersuchungen zur historischen Semantik eines literarischen Motivs in der mittelhochdeutschen Epik. Düsseldorf 1989; J. Heers, Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäische Festkultur im Mittelalter. Frankfurt a.M. 1986; R. Marquardt, Das höfische Fest im Spiegel der mittelhochdeutschen Dichtung (1140-1240). Göppingen 1985; W. Mohr, Mittelalterliche Feste und ihre Dichtung. In: Festschrift für K. Ziegler. Hg. v. E. Catholy. Tübingen 1968, S. 37-60. 68 Nach den epochemachenden Forschungen J. Burckhardts (ders., Die Kultur der Renaissance in Italien. Frankfurt a. Μ. 1989) sind es hier vor allem R. Strong (ders. Die
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und so auch ihre historische Betrachtung - einen letzten Höhepunkt. 6 9 Die Feste der Aufklärung , etwa der französischen Revolution oder des Hambacher Festes 70 , thematisieren mit der Ambivalenz der Demokratisierung des Festes und dessen Vermassung und Instrumentalisierung bereits Phänomene, die noch die neuere und zeitgenössische Geschichte erschüttern und bestimmen. Durch die totalitären Feste des Faschismus 1 x und Bolschewismus und die weitgehend negativ oder problematisch ausgelegte Medien-, Massen-, Pop- und Ereigniskultur der Gegenwart hat das abendländische Geschichtsbewußtsein gewissermaßen einen Schock erlitten, von dem es sich bislang kaum zu erholen vermochte. Eine Hilfestellung zur Überwindung dieser Krise sucht die Soziologie zu geben, indem sie Feier und Fest hinsichtlich der sozialen Beziehungen, Formen, Institutionen und sonstiger Funktionszusammenhänge der menschlichen Gesellschaft vergegenständlicht. A u f diesem Felde waren es vor allem die philosophisch geprägten oder selbst philosophischen Thesen Georges Batailles, Henri Lefebvres, Herbert Marcuses, René Girards, Jean Baudrillards, der Frankfurter Schule, des Strukturalismus ( M i c h e l Foucault) und jüngst der Dekonstruktion, die neue Horizonte auf die Kris is der abendländischen Festkultur eröffneten,
Feste der Renaissance 1450 - 1650. Freiburg i.Br./Würzburg 1991) und H. Bredekamp (ders., Florentiner Fußball: die Renaissance der Spiele. Frankfurt a. M. 1993 u. Florenz oder „Die Rede, die zum Auge spricht". Kunst, Fest und Macht im Ambiente der Stadt. München 1990), die die Festgeschichtsschreibung um ein beachtliches Material erweiterten. 69 Hier hat vor allem R. Alewyn Grundlagen gelegt für eine philosophische Besinnung auf die barocke Festkultur (ders., Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in Dokument und Deutung. München 1985). Indes könnten durchaus auch die Studien zum barocken Feuerwerk (E. Fähler, Feuerwerke des Barock. Studien zum öffentlichen Fest und seiner literarischen Deutung vom 16.-18. Jahrhundert. Stuttgart 1974; G. Kohler, Georg; A. Villon-Lechner, [Hg.], Die schöne Kunst der Verschwendung. Fest und Feuerwerk in der europäischen Geschichte. Zürich 1988) und der barokken Kunst Gegenstand philosophischer Betrachtungen werden (S. Smart, Doppelte Freude der Musen. Court Festivities in Brunswick-Wolfenbüttel 1642-1700. Wiesbaden 1989; H. Tintelnot, Barocktheater und barocke Kunst. Die Entwicklungsgeschichte der Fest- und Theater-Dekoration in ihrem Verhältnis zur barocken Kunst. Berlin 1939). 70 Da die Literatur zum Hambacher Fest jeden Rahmen sprengt, sei hier nur auf folgende Arbeiten zu den Festen der französischen Revolution hingewiesen: I. Baxmann, Die Feste der Französischen Revolution. Inszenierung von Gesellschaft als Natur. Weinheim 1989; Y.-M. Bercé, Yves-Marie, Fete et révolte. Des mentalités populaires du XVIe au XVIIIe siécle. Saint-Germain-les-Corbeil 1976; G. Ziebura, Frankreich 1790 und 1794. Das Fest als revolutionärer Akt. In: Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Hg v. Uwe Schulz. München 1988, S. 258-269. 71 Neben H.-U. Thamers Aufsatz (ders., Faszination und Manipulation. Die Nürnberger Reichsparteitage der NSDAP. In: Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. v. U. Schulz. München 1988, S. 352-368) hat F. Markmiller eine noch weiter auszuschöpfende Materialsammlung zum nationalsozialistischen Fest vorgelegt (ders., Fest- und Feiergestaltung während der NS-Zeit. Im Spiegel der Lokalpresse Dingolfing 1933-1937. Dingolfing 1987).
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während sich Phänomenologie und Hermeneutik der soziologischen politischen Dimension des Festes gegenüber von je her eher zurückhaltend gaben. Eine weitere Leitfadenftinktion für die wissenschaftliche Vergegenständlichung des Festphänomens übernahm dagegen die Psychologie von Kultus, Mythos und Ritual, die mit ihren Kontradiktionen (Bewußt-Unterbewußt oder Es, Ich, Überich) das statische Auslegungsschema von Norm und Abweichung, Ordnung und Exzeß etc. zementierte. 72 Als traditionelle - und in ihrer Wissenschaftlichkeit oft umstrittene Schirmherrin derartiger Entgegensetzungen versteht sich von je her die Theologie, indem sie auch Feier und Fest aus dem Bezug von Gott und Mensch, Gott und Welt oder Heiligem und Profanem, d.h. aus der religiösen Verfaßtheit des Menschen zu deuten versucht. Die Religionswissenschaft erforscht die Ausprägung religiöser Feste und Kulte in der Geschichte und in anderen Kulturen, die Religionsphänomenologie versucht an einer phänomenologischen Deskription religiöser Feste, während sich die Religionsphilosophie um ihre denkerischen Erhellung beimüht. 73 Neben den Untersuchungen zum Festphänomen aus der Pädagogik finden sich sogar Fest-Studien aus den Bereichen der Juristik 74 und Architekturtheorie
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.
Angesichts dieser Vielzahl an faktischen und möglichen wissenschaftlichen Thematisierungen des Festphänomens stellt sich nun eine Reihe von Fragen: Worin besteht das Selbstverständnis der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin und ihrer Fest-Forschung? In welchem Bezug sieht sie sich zur außerwissenschaftlichen Selbst- und Welterfahrung gestellt? Eröffnet sich von ihr aus eine Auslegungsperspektive auf die Fruchtbarmachung ihrer Forschungsergebnisse
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Einen ausgezeichneten Einblick in die psychologische Dimension von Feier und Fest gewährt J. Küchenhoffs Aufsatz: Das Fest und die Grenzen des Ich - Begrenzung und Entgrenzung im „vom Gesetz gebotenen Exzeß". In: Poetik und Hermeneutik Bd. XIV. München 1989, S. 99-119. 73 Neben den zahlreichen Einzelstudien haben sich hier vorallem J. Pieper und G. M. Martin, R. Guardini, K. Rahner, J. Ratzinger, K. Barth, O. Cullmann, O. Casel und J. Moltmann hervorgetan (s. Literaturverzeichnis; zur Religionsphänomenologie und geschichte vgl. §§ 6-8). Dem Fest im Lichte des Verhältnisses von Alltagserfahrung und Transzendenzerfahrung widmet sich der von B. Casper und W. Sparn herausgegebene Sammelband: Alltag und Transzendenz. Studien zur religiösen Erfahrung in der gegenwärtigen Gesellschaft. Freiburg/München 1992. 74 Im Rahmen der „Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche" kam es zu einem Gespräch zwischen Juristik, Philosophie und Theologie, zu dem A. Pahlke (Sonnund Feiertagsschutz als Verfassungsgut) und R. Richardi (Der Sonn- und Feiertagsschutz im Arbeitsleben) Beiträge leisteten (Marré, Heiner; Stüting, Johannes (Hg.), Der Schutz der Sonn- und Feiertage. Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Aschendorff 1990). 75 W. Oechslin; A. Buschnow, Fest-Architektur. Der Architekt als Inszenierungskünstler. Stuttgart 1984.
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fiir die außerwissenschaftliche Lebenswelt? Auf welche Weise versteht und definiert sie ihren Bezug zu den anderen Einzelwissenschaften? Mit Heidegger antworten wir wie folgt: Zwar gewinnt die Wissenschaft durch die Vergegenständlichung, d.h. durch den ausdrücklich verstandenen Entwurf der Seinsverfassung eines Seienden, ihren Grund und ihr Gebiet, doch stößt dieser Entwurf innerhalb der jeweiligen Wissenschaft an eine notwendige Grenze. Der wissenschaftliche Entwurf erfordert eine „ursprünglichere Begründung" (GA 25, 33). Insofern sie Tatsachen und Erfahrungen ausdrücklich macht und auf Begriffe bringt, begründet sich die Wissenschaft zwar selbst, die jeweilige Umgrenzung ihrer Grundbegriffe aber geht nur so weit, „als sie durch die spezifischen Aufgaben der Wissenschaften gefordert ist" (ebd.). Die Physik definiert und umgrenzt zwar, was sie unter Bewegung, Körper, Ort und Raum versteht, die Biologie, was Leben, die Historie, was Geschichtlichkeit, und die Soziologie, was Gesellschaft und Gemeinschaft sind, doch machen die jeweiligen Wissenschaften nicht das entsprechende Seiende als solches zum Thema ihrer Untersuchungen. Bei einer Untersuchung ihrer Prämissen versagen die Methoden der Einzelwissenschaften, was oft zu einem Sichabwenden „von einer weiteren Besinnung auf die in den Grundbegriffen gemeinten Allgemeinheiten"' (GA 25, 34) führt. Obschon sich das Niveau einer positiven Wissenschaft ,,[n]icht an der Menge der positiven Forschungsergebnisse, sondern an der Fähigkeit zur Krisis, zur Umbildung ihrer Grundbegriffe bemißt" 76 , wird sie diese innerhalb ihrer Grenzen oder von anderen Wissenschaften her schwerlich meistern. Aus diesem Grunde ist für Heidegger zur Begründung der Selbstbegründung der Wissenschaft, d.h. zu ihrer eigentlichen Grundlegung eine Vergegenständlichung der Seinsverfassung des in der jeweiligen Einzelwissenschaft vergegenständlichten Seienden erforderlich. Es bedarf einer thematischen Besinnung aüf das im Entwurf der Seinsverfassung gemeinte Sein als solches. Bei der Grundlegung einer Wissenschaft vom Seienden vollzieht sich eine ontologische Besinnung auf das notwendig in dieser Wissenschaft liegende vorontologische Seinsverständnis, d.h. auf die regionale Seinsverfassung des Gebiets von Seiendem, welches die jeweilige ontische Wissenschaft zum Gegenstand hat. Die so verstandene Wissenschaftsbegründung ist als regionale Ontologie von alters her Aufgabe der Philosophie. Anders ausgedrückt: nach traditionellem Verständnis entspringen die einzelnen Wissenschaften als Philosophien der Ontologie als der πρώτη φιλοσοφία, der Wissenschaft vom Seienden als Seiendem und der ersten ούσία. 77 So gibt die Philosophie dem in den Einzelwissenschaften zum Fest 76
F.-W. v. Herrmann, Korn. SuZ, S. 87. „Es gibt eine Wissenschaft (επιστήμη)", so Aristoteles in seiner „Metaphysik", „welche das Seiende als Seiendes (öv ή öv) untersucht (θεωρεί) und das demselben an sich Zukommende" (ders., Met. IV, 1, 1003 a 21-22). 77
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angesammelten Wissen überhaupt erst die Orientierung auf einen weitreichenderen Sinn hin. Fast alle großen philosophischen Entwürfe nehmen für sich in Anspruch, die Seins- und Wesensverfassung der einzelnen Bereiche des Seienden ontologisch zu erhellen, ihre wissenschaftliche Erforschung zu begründen und an das außerwissenschaftliche außerphilosophische Leben zurückzubinden. Dem jeweiligen denkerischen Entwurf gemäß wird dabei die Orts- und Wesensbestimmung des Festes und der ihm zugeordneten Phänomene ausfallen. Insofern die Vorsokratiker das Seiende im Ganzen noch nicht in voneinander getrennte Bereiche aufgliedern, wird die Orts- und Wesensbestimmung des Festes kein Leichtes, insbesondere, da nur zwei Stellen überliefert sind, die sich auf unser Phänomen beziehen.78 Wie wir jedoch aufzuweisen gedenken, zeugt gerade dieses Ausbleiben einer expliziten Thematisierung des Festes vom Festcharakter dieses Denkens selbst. Dessen gnomisch-rätselhaften Zug werden wir als eine Weise des denkenden und feiernden Sicheinspielens in das Verbergungs-Entbergungs-Geschehen der vorsokratisch gedachten Wahrheit auslegen. Noch Piaton, dessen „Symposion" dem Topos eines festlichen Denkens überhaupt erst Gewicht verlieh, spricht in der „Politeia" und den „Nomoi" im Rahmen einer universalen Einheits-Philosophie vom Fest. Doch in der dirigistisch anmutenden Eingliederung des Feierns in den Gesamtentwurf des Staates kündigt sich bereits ein Wandel an. So wird Piatons Meisterschüler Aristoteles den Phänomenbereich des Festes im Zuge der von ihm inaugurierten und seinem Lehrer gegenüber eingeklagten Pragmatientrennung auf unterschiedliche regionale Ontologien, auf „Teile der Philosophie" (Met. 1004 a 2), verteilen. Durch die Abgrenzung des zum Menschen Gehörigen (Met. 1181 b 15), sowohl den Göttern als auch den Tieren gegenüber, werden die praktischen und poietischen Philosophien: vor allem Ethik, aber auch Politik und Philosophie zu Ortschaften des Fest-Denkens.79 Die anderen Teilphänomene des Festlichen, die sich auf in 78
So kritisiert Heraklit das mangelnde Wissen der feiernden Vielen um die Einigkeit und Selbigkeit von Hades und Dionysos: „Denn wenn es nicht Dionysos wäre, dem sie die Prozession veranstalten und das Lied singen für das Schamglied (Phallos), so wär's ein ganz schamloses Treiben. Derselbe aber ist Hades und Dionysos, dem sie da toben und ihr Lenaienfest feiern" (A 15). Desgleichen sagt Demokrit in einem seiner gnomischen Sprüche: „Ein Leben ohne Festfeier ist ein langer Weg ohne Gasthäuser" (B 230). 79 Denn der Mensch allein „unter den Lebewesen, insofern von keinem anderen gesagt werden könnte, es handle (πράξειν), ist [über seine Tierheit] hinaus, Ursprung von bestimmten Handlungen (πράξεις)" (EE II, 6, 1222 b 15-20). Indem Aristoteles aus der Gesamtheit dessen, was bei Piaton Inhalt der universalen Philosophie ist, bestimmte Gegenstände herausnimmt, wird der Mensch objectum materiale der Philosophie. „Der Herausnahme der Sphäre einer spezifisch zum Menschen gehörigen Welt, d.h. alles dessen, was έφ' ήμΐν und άνθρώπω πρακτά ist, was also um eines Zweckes willen geschieht und in unserer Verfügungsgewalt steht, aus der Gesamtheit dessen, was als ein unverfugbares Seiendes vorgegeben und hinzunehmen ist, entspricht die Trennung von Theorie und Praxis bei Aristoteles." (G. Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles. Freiburg/München 1973, S. 124) In der theoretischen Philosophie setzt sich der Mensch durch ein interesseloses Wissenwollen in einen vernünftigen Bezug zu
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ihrem Sein v o m Menschen unabhängige Dinge beziehen, verteilen sich auf die theoretischen Wissenschaften (φιλοσοφία θεωρετικάι): die philosophische Thematisierung des Göttlichen als eines unbeweglichen, in sich selbst Subsistierenden, verlegt sich in die Theologie (έπιστή θεολογική), das Unbewegliche, nicht in sich selbst Subsistierende, w i r d in der allgemeinen Mathematik, Astronomie, Arithmetik, Geometrie und Optik thematisiert, das Bewegliche und Subsistierende der Natur w i r d Gegenstand der Physik (φύσικη), Rede und Gespräch fallen unter T o p i k . 8 0 So eindrücklich Aristoteles auch den (βίος θεωρητικός) als höchste Lebensform propagiert haben mag - durch sein Philosophieren, insbesondere durch dessen spätere Auslegung, entfernt sich das θεωρεΐν des θεωρός zusehends v o m archaischen „hinsehen auf das Göttliche". Der B l i c k desjenigen, „der etwas in seinem A n b l i c k ansieht, der sich ansieht, was es zu sehen gibt", die Schau des ,,Festbesucher[s], der auf den großen Spielen und Festen als Zuschauer anwesend ist" ( G A 19, 63), weicht einem abständigen Betrachten. 81 So dem, was durch menschliche Zuwendung nicht verändert und verwandelt wird. Dahingegen thematisiert die praktische Philosphie den Daseinsvollzug und die Selbstverwirklichung des Menschen durch Handlung im Räume der ausgegrenzten menschlichen Welt. So geht es der praktischen Philosophie im Unterschied zur theoretischen „nicht um Erkennen einer Sache allein [...], sondern um die Bedingungen seiner Verfügbarkeit: praktische Philosophie will Erwerb und Verwirklichung des Erkannten" (Bien, S. 83). „Denn fur die theoretische Philosophie ist die Wahrheit, für die praktische Philosopie das Werk Ziel." (Met. 993 b 20) Als Theorie gewordene Praxis setzt sich die praktische Philosophie von der Praxis des bürgerlichen Lebens außerhalb der Schule (des Peripathos) ab. So setzt die „Nikomachische Ethik" im VI. Buch auseinander, inwiefern der σοφία (dem Verstehen) unter den fünf Weisen des άληθεύειν, des Aufdeckens von Wahrheit, vor der επιστήμη (der Wissenschaft von Seienden), der τέχνη (dem hantierenden Sichauskennen) und dem νους (dem vernehmenden Vermeinen), eine ausgezeichnete Stellung zukommt. Die σοφία ist nicht nur die strengste aller Wissenschaften, sondern als die höchste Form des άληθεύειν auch die höchste Existenzmöglichkeit des Menschen. Während sich die nach außen gerichtete Praxis im Bereich der menschlichen Gegebenheiten aufhält, hat die σοφία das μαλίστα άληθεύειν, denn sie geht auf die vorzüglichsten Gegenstände des Erkennens, nämlich das Immerseiende, άει. „Weil eben dasjenige Seiende, auf das sich die σοφία bezieht, Immersein ist, die σοφία aber die reinste Art des Sich-Verhaltens-zu, des Sichaufhaltens-bei-diesem-Seienden ist, deshalb ist die σοφία als das echte Gestelltsein zu diesem höchsten Sein die höchste Möglichkeit. Die Entscheidung des Vorrangs der σοφία ist also letztlich getroffen aus dem Seienden selbst, auf das sie sich bezieht ." (GA 19, 171) 80 J. Ossner hat von der Aristotelischen „Rhetorik" aus eine Philosophie der festlichen Lobrede entfaltet (ders. Die Kunst des Formulierens. Eine entscheidungslogische Rekonstruktion der „epideiktike techne" bei Aristoteles. In: B. Beilharz; G. Frank, Feste. Weinheim 1991, S. 41-54). Aristoteles selbst thematisiert das Fest ein Mal in der „Nikomachischen Ethik", wo er die Geselligkeit der Kult- und Gastmahlverbände vom Nutzen des Augenblicks abzieht und in den Dienst der gesamten staatlichen Gemeinschaft stellt (Eth. Nie. 1160 a 19.29), das andere Mal in der „Politik", wo er den Beamten die festlichen Opfermahlzeiten als eine Möglichkeit empfiehlt, dem unverständigen Volk den Fortbestand der Verfassung vor Augen zu führen (Pol. 1321 a 35 ff.). 81 Nach Heidegger meint das griechisch gedachte Wort „Theorie" „den vernehmenden Bezug des Menschen zum Sein, welchen nicht der Mensch herstellt, in welchen Bezug vielmehr das Sein selbst erst das Menschenwesen stellt" (GA 54, 219).
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w i r d die Scheidung der Philosophie in theoretische und praktische Disziplinen künftighin nicht nur die philosophische Blickweise auf das Fest bestimmen, sondern auch das Feierliche dieses Blickes selbst. 82 In der kritischen Nachfolge des Aristoteles verlagern die Epikureer die aristotelische Ethik der Mitte in Richtung auf die Lust (ήδονή) hin; die peripathetische Stätte des βίος θεωρητικός verwandelt sich in einen abgeschlossenen philosophischen Garten. Dementgegen verlegen die Stoiker den Schwerpunkt ihrer philosophischen Weltsicht auf die Vernunftseele (ήγεμονοκόν). Und obschon sie ihre Säulenhalle zugleich der Welt öffnen 8 3 , scheint sich das θεωρεΐν des gedachten Festes immer weiter vom gefeierten Fest zu entfernen. Schon bei den Römern w i r d aus dem griechischen θεωρεΐν das contemplan : „etwas in einen Abschnitt einteilen und darin umzäunen. [...] Der Charakter des eingeteilten, eingreifenden Vorgehens gegen das, was ins Auge gefaßt werden soll, macht sich im Erkennen geltend" ( V u A , 50). In der christlichen Philosophie als der ancilla theologicae schließlich werden die kosmischen Aspekte des Festes auf die Dogmen des theologischen λόγος hin orientiert, bis sich das das Sehfeld des „Theoretischen" in der Neuzeit auf „eine Veranstaltung des vorstellenden Subjektes des Menschen" verengt und sich als das „ , b l o ß Theoretische'" erst durch die „,Praxis'" zu ^ b e w a h r heiten"' ( G A 54, 219 u. 153) hat. Die vita contemplativa gegenüber der vita activa weicht dem Betrachten: „Trachten ist das lateinische tractare, behandeln,
82 Die Schulphilosophie übernimmt diese Einteilung bis zu Christian Wolff (ders., Philosophia rationalis sive Lógica 1740, S. 55 - 114). Selbst wenn Kant auf die Stoische Einteilung in Logik, Ethik und Physik zurückgreift (I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten), liegt er auf der von Aristoteles vorgezeichneten Linie. 83 Ein Paradebeispiel dieses weltoffenen Wiedereinbezugs des Kosmischen in die Ethik, nun aber unter dem Vorzeichen der (makrokosmischen) Weltvernunft, der sich das (mikrokosmische) Handeln des Menschen in den Tugenden von Gesetzestreue, Pflichtbewußtsein, Überwindung, Entsagung und ständiger Härte gegen sich selbst unterzuordnen hat, gibt Epiktet: „Denk daran, daß du in deinem Leben doch so führen sollst, wie man sich bei einem Gastmahl benimmt. Wird etwas herumgereicht und kommt zu dir, dann strecke deine Hand mit Haltung aus und mit Haltung nimm! Übergeht man dich, dann stelle nicht den Diener! Ist man noch nicht zu dir gekommen, dann schau nicht gierig aus, sondern warte, bis du an der Reihe bist. So verhalte dich gegenüber den Kindern, gegenüber deiner Frau, den Ehrenstellen, dem Reichtum. Dann wirst du ein würdiger Tischgenosse der Götter. Und wenn einmal dir etwas dargeboten wird und du nicht davon nimmst, sondern darüber hinwegsiehst, dann bist du nicht nur Gast der Götter, sondern Herr wie sie" (Ench. 15). Noch deutlicher ordnen Seneca und Cicero das Feiern dem Vernunftgebot unter: „Die Gesetzgeber haben Festtage eingeführt", so Seneca in „De tranqullitate animi", „daß die Leute allgemein zur Fröhlichkeit gezwungen würden; damit schoben sie zwischen die Arbeiten eine notwendige Erholung ein" (ders., Von der Gemütsruhe. In: Vom glückseligen Leben. Übers, n. Ludwig Rumpel, hrsg. v. Peter Jaerisch. Stuttgart 1958, S. 59 f.). Nach Cicero ist „Sinn der Feiertage und Feste [...] unter den Freien Ruhe von Streitigkeiten und Prozessen, unter den Sklaven von Arbeiten und Mühen" (ders., Über die Rechtlichkeit, ii 29. Übers v. K. Büchner. Stuttgart 1977, S. 57).
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bearbeiten. Nach etwas trachten heißt: sich auf etwas zw-arbeiten, es verfolgen, ihm nachstellen, um es sicher zu stellen" ( V u A , 5 1 ) . 8 4 Indes erweist sich die Kluft von Theorie und Praxis auch da oder vielleicht sogar gerade da als bestimmend, w o Philosophien die Einheit von Theorie und Praxis postulieren und etwa den praktischen Erfolg einer Philosophie zum „Maßstab und Rechtsgrund des Theoretischen" (ebd.) erheben. V o n Heidegger her lesen sich die neuzeitlichen Perspektiven auf das Fest, in denen „das autonome Menschengeschlecht sich selbst feiert" 8 5 , auf diese Weise: Wenn der Mensch bei Rousseau feiernd in den Rechtsstand seiner Freiheit und zu seiner ursprünglichen Natur zurückfindet 8 6 , wenn der Geist bei Hegel feiernd vom Außer-sich-sein zum Bei-sich-sein k o m m t 8 7 oder wenn sich der sich selbst übersteigernde W i l l e zur Macht für Nietzsche i m Fest zum Kunstwerk umschafft 8 8 , so steht das ontologisch Erfaßte 84
Dem im Abschied vom metaphysischen Methodenbegriff gedachten Wechselbezug von Theorie und Praxis hat sich K. Fischer am Ende seines Buches „Abschied. Die Denkbewegung Martin Heideggers" gewidmet (Würzburg 1990, S. 208 ff). 85 R. Bubner, Ästhetisierung der Lebenswelt. In: Das Fest. Poetik und Hermeneutik XIV. München 1989, S. 651-662. Dagegen bedenke man, daß Augustins Satz „Dies enim septimus nos ipsi erimus" (De Civitate Dei, X X X I I 30, 4), daß wir, d.h. die Menschen, selber der siebte Tag sein werden, aus einem ganz anderen Horizont gesprochen ist. 86 Wie Rousseau in seinem Brief an D'Alembert ausfuhrt, dient das Fest gegenüber dem anonymisierenden, individualisierenden und antisozialen Effekt der ästhetischen Erfahrung des Theaters der verbindenden und sozialisierenden Selbstfeier der Gemeinschaft: „In frischer Luft und unter freiem Himmel sollt ihr euch versammeln und dem Gefühl eures Glücks euch überlassen. [...] ihr seid es selbst, das würdigste Schauspiel, auf das die Sonne scheinen kann. [...] Mit der Freiheit herrscht überall, wo viele Menschen zusammenkommen, auch die Freude. Pflanzt einen Baum auf, versammelt das Volk, und ihr werdet ein Fest haben." (J.-J. Rousseau, Schriften. Hg. v. H. Ritter. Frankfurt a.M. 1978, S. 462; vgl. A. Assmann, Festen und Fasten. In: Das Fest. Poetik und Hermeneutik XIV. München 1989) 87 Durch die Philosophie wird der Geist nach Hegel aus dem Reich seiner geschichtlichen Erscheinungen, in denen er noch nicht ganz bei sich selbst ist, zu seinem vollendeten Selbstsein gefuhrt. Im Kultus „gibt sich das Selbst das Bewußtsein des Herabsteigens des göttlichen Wesens aus seiner Jenseitigkeit zu ihm, und dieses, das vorher das Unwirkliche und nur Gegenständliche ist, erhält dadurch die eigentliche Wirklichkeit des Selbstbewußtseins" (G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes. Werke Bd 3, S. 521). Dem Übergang der Religion in die Kunst gemäß, wird das Fest zum lebendigen Kunstwerk. „Indem nun das Volk in den Produktionen der Kunst, in der Ehre der Gesänge und Feste die Vorstellungen des Göttlichen an ihm selber erscheinen läßt, hat es den Kultus an ihm selbst , d.h. es zeigt von sich in seinen Festen zugleich wesentlich seine Vortrefflichkeit, es zeigt von sich das Beste, was es hat, das wozu es fähig ist, sich zu machen. Der Mensch schmückt sich selbst; Gepränge, Kleidung, Schmuck, Tanz, Gesang, Kampf, alles gehört dazu, den Göttern Ehre zu bezeigen. Der Mensch zeigt seine geistige und körperliche Geschicklichkeit, seine Reichtümer, er stellt sich selbst in der Ehre Gottes dar und genießt damit diese Erscheinung Gottes an dem Individuum selbst. Dies gehört noch jetzt zu den Festen." (G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Werke (20 Bde) Bd 17. Frankfurt a.M. 1969, S. 140). 88
„Singend und tanzend äußert sich der Mensch als Mitglied einer höheren Gemeinschaft [...] Der Mensch ist nicht mehr Künstler, er ist Kunstwerk geworden." (F. Nietz-
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stets unter dem Diktat seines Erfaßtwerdens. Die Denkweise des Festes steht in engstem Wechselbezug zur Festlichkeit dieses Denkens selbst. Wenn Nietzsche einmal sagt: „Das abstrakte Denken ist für Viele eine Mühsal - für mich, an guten Tagen, ein Fest und ein Rausch" und andernorts ausruft: Im Fest ist einbegriffen: Stolz, Übermut, Ausgelassenheit, der Hohn über alle Art Ernst und Biedermännerei; ein göttliches Jasagen zu sich aus animaler Fülle und Vollkommenheit - lauter Zustände, zu denen der Christ nicht ehrlich Ja sagen darf Das Fest ist Heidentum par excellence (zit. η. GA 43, 7),
so sagen diese beiden Sätze bereits einiges darüber, inwiefern Das Fest des Denkens und Das Denken des Festes im Denken dieses Denkers aufeinander
bezogen werden. In der Gliederungsweise des Seienden im Ganzen in Bereiche kommen Hierarchien des „Seinsgrades" zum Ausdruck, an denen auch die philosophische Klärungsbedürftigkeit und Brisanz des zu Bedenkenden „bemessen" wird. Wenn, wie in der Metaphysik, zuerst geklärt werden muß, was Gott, Mensch, Welt, Freiheit und Unsterblichkeit sind, so rückt das Phänomen des Festes an den Rand, ja es kommt womöglich gar nicht erst in den Blick. Gelten derartige Fragen dagegen, wie im anti- oder postmetaphysischen Denken, als überkommen, so wird die philosophische Bedeutsamkeit des Festes zunehmen; seiner „Lebensnähe" wegen wird es gar zum „Dogma des Undogmatischen", festlich-ekstastisch zu denken. Entsprechend überrascht es kaum, daß das Denken des Bezuges von Fest und Alltag unmittelbar mit dem Problem der Verbindung von „Theorie" und „Praxis" verknüpft ist. Wie Gerhardt M. Martin aufgezeigt hat, bewegen sich auch die (quasi-) philosophischen Thematisierungen des Festphänomens auf ihre je eigene Weise in der Zwiefalt von Norm und Abweichung. Josef Pieper verlegte sich mit seinem Konzept des Festes als „Zustimmung zur Welt" auf den affirmativ-bejahenden Zug des Festlichen.89 Daß Diethart Kerbs hierin das „Musterbeispiel" eines „reaktionären und gefährlichen affirmativen Optimismus [...] von katholischer Seite" 90 walten sieht, gibt ihn als „hedonistisch-linken" Ver-
sehe, Die Geburt der Tragödie. In: Werke, Bd. 1. Hg. v. Karl Schlechta. München 1960, S. 24 f.) 89 Vgl. J. Pieper, Zustimmung zur Welt. Eine Theorie des Festes. München 1963; ders., Muße und Kult, München 1948; ders., Gottgeschenkte Atempause. Arbeit - Muße - Sonntag - Fest. Steinfeld 1980; ders., Über das Phänomen des Festes, Köln/Opladen 1963 (vgl. R. Guardini, Die Annahme seiner selbst. Würzbürg 1960). Ein oberflächliches Verständnis, das in Heideggers Rede vom Fest als Grund und Wesen der Geschichte das Diktat eines hypostasierten Seinsgeschickes sieht, könnte auch dessen FestDenken (irrigerweise) der normativen Seite zuordnen. 90 D. Kerbs, Das Ritual und das Spiel. Bemerkungen über die politische Relevanz des Ästhetischen. In: ders. (Hg.), Die hedonistische Linke. Beiträge zur Subkultur-Debatte. Neuwied/Berlin 1970, S. 25. Auch der evangelische Theologe J. Moltmann sieht das Fest als Exzeß, Protest und Widerspruch (ders., Die ersten Freigelassenen der Schöpfung. München 1981).
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treter der Abweichungsthese zu erkennen, die sich weitgehend an Sigmund Freuds psychologischer Sichtweise des Festes als eines gebotenen Exzesses orientiert. 91 Auch Roger Caillois betont die Bedeutung des Exzessiven gegenüber der ausgewogenen Mittelmäßigkeit des Alltags, die zu einer „Vorherrschaft des Sakralen" führe. 92 Henri Lefebvre fordert gar die revolutionäre Auflösung, Verwandlung und Neuorganisation des Alltäglichen. So soll der „Bruch mit dem Alltäglichen" und die Wiederherstellung des Festes"93, d.h. die Aufhebung des Alltäglichen innerhalb des Alltäglichen zur „Überwindung der Opposition ,Alltäglichkeit-Festlichkeit 4 " 94 führen. Von entgegengesetzter Seite beschwört Odo Marquart das „Moratorium des Alltags" 95 herauf und sucht diesen vor der ideologischen und kommerziellen Annektion durch den Feiertag zu bewahren. Michail Bachtin wiederum sieht in der mittelalterlichen „Lachkultur" „das ganze offizielle System mit allen seinen Verboten und hierarchischen Schranken zeitweise außer Kraft" 9 6 gesetzt. In der gegenseitigen Verfremdung von Festtag und Alltag, d.h. in der festlichen Vermengung von Heiligem und Profanem, Hohem und Niedrigen, Weisem und Törichtem, wird das Fest zur „allvernichtenden und allerneuernden Zeit" 9 7 . Auch nach Harvey Cox sichert die „Gegenüberstellung" (juxta-position) von festlicher und außerfestlicher Zeit die bleibende Spannung, die „Diskontinuität" und den „pikanten Mißklang" 98 beider. Dabei sucht er den normativen und den exzessiven Zug des Festlichen ebenso in ein Widerspiel zu bringen wie Martin selbst, der seine nichtnivellierend gedachte Synthese von Norm und Exzeß als Erweiterung und Aufsprengung des Bewußtseins- und Lebensfeldes versteht, d.h. als Steigerung des Lebens in jede Richtung. „Der anthropologische und ontologische Grundbegriff meiner Theorie des Festes ist ein erweitertes, offenes, aufgesprengtes, nicht einfach verlassenes oder abgeblendetes Realitätsprinzip." 99 91 „Ein Fest", so Freud, „ist ein gestatteter, vielmehr ein gebotener Exzeß, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes [...] die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des sonst Verbotenen erzeugt." (ders., Totem und Tabu. Stud. Ausg. Bd. IX, S. 425) 92 R. Caillois, L'homme et le sacré. 4. Aufl. Paris 1950, S 130. 93 H. Lefebvre, Kritik des Alltagslebens. München 1974, S. 56. 94 A.O.O., S. 277. 95 Marquart, Odo, Moratorium des Alltags - Eine kleine Philosophie des Festes. In: Das Fest. Poetik und Hermeneutik Bd. XVII. München 1989, S. 684-691. 96 M. Bachtin, Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. München 1969, S. 33. 97 A.a.O., S. 50. 98 H. Cox, Das Fest der Narren. 2. Aufl. Stuttgart 1970, 171 f. Ähnlich sieht S. Keen seinen „homo festivus" als eine „polychrome Existenz", die das „Prinzip der Oszillation" verwirklicht (ders. Anthropology of Wonder. New York/Evanston/London, S. 194). 99 G.M. Martin, Fest und Alltag. Stuttgart 1973, S. 28 f. Einen mehr auf die Kunst ausgerichteten Versuch in dieser Richtung unternahm Helmut Kuhn, dem sich das Fest als „zusammenordende und als befreiende Macht" (ders., Das Sein und das Gute. München 1962, S. 407) zeigt.
§ 3 Das Fest in den verschiedenen Verhaltungen
63
Anstatt uns nun an diesem Forschungsstreit zu beteiligen, wollen wir aufzeigen, inwiefern das Denken bei einer Thematisierung des Festes in einer ursprünglicheren Weise in den Vollzugssinn dieses festlichen Dualismus einschwingen kann. Allein in diesem Problemfeld hat unsere Themenstellung ihre Herkunft. Im Denken des Festes soll sich der Vollzugssinn des gedachten Festes der Festlichkeit des Denkens selbst öffnen. Dies w i r d nachvollziehbar,
wenn wir den überkommenen Philosophiebegriff mit Heidegger auf die Wesungsdimension der Geschichte qua Ereignis hin unterlaufen.
c) Das Fest im Denken Martin
Heideggers
Heidegger zufolge reicht die traditionelle Ontologie zu einer Grundlegung der Wissenschaften, d.h. zur Auslegung des seienden Sachgebietes auf die Grundverfassung seines Seins hin, nicht zu. Dies hat seinen Grund darin, daß sie nicht nach dem Sinn von Sein überhaupt, d.h. „im Unterschied zum jeweiligen Sein einer Region von Seiendem" 100 fragt. „Alle Ontologie, mag sie über ein noch so reiches und festverklammertes Kategoriensystem verfügen, bleibt im Grunde blind und eine Verkehrung ihrer eigensten Absicht, wenn sie nicht zuvor den Sinn von Sein zureichend geklärt und diese Klärung als ihre Funda-
mentalaufgabe begriffen hat." (SuZ, 11) Im Ausgang von der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt erfahren die regionalen Ontologien eine gewandelte Begründung. Um das Seinsproblem als das Grundproblem der Metaphysik radikaler ansetzen und fassen zu können als in der überlieferten Metaphysik, bedarf es einer existenzialontologischen Analytik des Daseins in seiner ekstatischhorizontalen Zeitlichkeit. Während die Interpretation des Daseins auf die ekstatische Zeitlichkeit in den beiden ersten Abschnitten des Ersten Teiles von „Sein und Zeit" erfolgt, enthüllt der in der Vorlesung vom SS 1927 ausgearbeitete Dritte Abschnitt „Zeit und Sein", die horizontale Zeit aus der ekstatischen Zeitlichkeit und im Durchgang durch die Beantwortung der vier Grundprobleme der Phänomenologie. Erst die im Dritten Abschnitt von „Sein und Zeit" gegebene Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt gibt durch die Herausarbeitung der Temporalität des Seins „ihrem eigensten Sinne nach eine Anweisung für die konkrete ontologische Forschung, innerhalb des freigelegten Horizontes mit dem untersuchenden Fragen zu beginnen" (SuZ, 19). Die Analytik der Temporalität des Seins ist „zugleich die Kehre, in der die Ontologie selbst in die metaphysische Ontik, in der sie unausdrücklich immer steht, ausdrücklich zurückläuft" (GA 26, 201). In dieser Kehre erfolgt der Umschlag der Fundamentalontologie in die metaphysische Ontik, die Heidegger Metontologie nennt. Diese Metontologie, in die unser Phänomen innerhalb des ersten Ausar-
100
F.-W. v. Herrmann, Korn. SuZ, S. 96.
64
Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
beitungsweges gehörte, „ist nur auf dem Grunde und in der Perspektive der radikalen ontologischen Problematik und einig mit dieser möglich" (GA 26, 200). D.h. daß unsere Thematik ihren philosophischen Leitfaden zu verlieren droht, wenn sie sich nicht aus der Analytik des Daseins und aus der Analytik der Temporalität des Seins gewinnt. Nur so erfüllt eine Metontologie des Festes ihre Aufgabe, „das Seiende im Lichte der Ontologie in seiner Totalität zum Thema zu machen" (ebd.). Die metontologisch verstandene Metaphysik der festlichen Existenz ist indes weder Weltanschauung noch Wissenschaft vom Fest, d.h. keine pure, sondern eine metaphysische Ontik, d.h. ein Begreifen des regional gegliederten Seienden aus seiner Seinsverfassung. Thema dieser Aufklärung der regionalen Seinsverfassung kann auch das Fest mit seinen Binnenphänomenen werden: Festzeit, Festraum, Feststimmung, Festgemeinschaft, festliches Handeln (Ethik), festliches Geschehen (Geschichte), Staat, Natur, Göttliches, Nahrungsmittel, Kunst.
Indessen kam es innerhalb des ersten Ausarbeitungsweges der Seinsfrage weder zu einer Ausarbeitung einzelner Metontologien noch zu dergleichen wie einer Metontologie des Festes. Warum? Der Grund dafür, daß es in der Fundamentalontologie „nicht mehr zur Ausführung der Metontologie kam, ist darin zu sehen, daß der phänomenologisch-hermeneutische Einblick in die Notwendigkeit einer Thematisierung des geschichtlichen Wesens des Seins selbst zum Übergang aus der fundamentalontologischen
in die seinsgeschichtliche
Blick-
bahn gefuhrt hat" 1 0 1 . Dennoch kann die erste Ausarbeitung der Seinsfrage beim Fragen nach dem seinsgeschichtlichen Wesen des Festes nicht übersprungen werden, bildet doch allein der Durchgang durch die Fundamentalontologie den Übergang von der traditionellen Leitfrage nach dem Sein des Seienden als solchem zur Grundfrage nach der Wahrheit des Seyns als Ereignis (vgl. GA 65, 76; 204). Übergingen wir die übergangsbereitende Fragestellung des ersten Ausarbeitungsweges, so verfehlten wir indes nicht nur den geschichtlichen Fragegang des seinsgeschichtlichen Fest-Denkens, sondern auch den zeithaften Übergangscharakter des Festes selbst, der für uns den Leitfaden zur Beantwortung der Frage nach dem stiftenden Wechselbezug gedachter und gefeierter Feste abgeben wird. Im Aufriß des Ereignis-Denkens bekommt das Fest einen exklusiven Ort zugewiesen, wenngleich es in den „Beiträgen zur Philosophie", dem zweiten Grundwerk Heideggers, ebensowenig Erwähnung findet wie das sich in ihm ereignende Heilige. Indem sie als erste Ausgestaltung des seinsgeschichtlichen Denkens eine sechsfach gefügte Fuge Wahrheit des Seyns in seiner geschichtlichen Wesung als Ereignis bilden {Der Anklang , Das Zuspiel , Der Sprung , Die Gründung , Die Zu-künftigen
101
und Der letzte Gott) und dabei „über das Selbe j e
F.-W. v. Herrmann, Wege ins Ereignis, S. 89.
§ 3 Das Fest in den verschiedenen Verhaltungen
6
das Selbe zu sagen versucht [wird], aber jeweils aus einem anderen Wesensbereich dessen, was das Ereignis nennt" (GA 65, 81 f.), kennzeichnen die sechs Fügungen sechs mögliche Hinsichten auch auf den Ereignischarakter des Festes. 102 Heideggers explizite Thematisierung des Festphänomens, die sich, von einigen eher marginal anmutenden Erwähnungen abgesehen, auf seine beiden Interpretationen der Hölderlinschen „Andenken"-Hymne zusammenzieht, hat ihren Ort in der Gründung und im Anklang. Eine erste rein formale In-BezugSetzung des seinsgeschichtlichen Fest-Denkens mit den „Beiträgen" ergibt jedoch, daß letzlich jede Fügung relevant ist: In der ersten Fügung, im Anklang, wird die der gegenwärtigen Epoche eignende Not der Seinsverlassenheit des Seienden erfahren, d.h. die Not der Verlassenheit von der offenen Wesung der Wahrheit des Seyns und somit auch von der Bergung derselben in die Entborgenheit des Seienden. In der denkerischen Erfahrung dieser Not der Seinsverlasssenheit klingt erstmals die Wahrheit des Seyns an und zwar als Verweigerung und Entzug. Der ausbleibende ereignende Zuwurf und das Eröffnen, dem die offene Wesung der Wahrheit des Seyns entzogen ist, heißen der enteignende Zuwurf und der enteignete Entwurf. Ihre in sich gegenschwingende Wesungsweise von enteignendem Zuwurf und enteignetem Entwurf heißt in der ersten Fügung das Enteignis (GA 65, 120 u. 231). Weil nun das Fest (neben dem Bauen, Wohnen, Führen, Dichten, Denken, dem Opfer und der Tat) eine von verschiedenen möglichen Bergungsweisen der Wahrheit des Seyns ist, diese Bergung sich in der gegenwärtigen Epoche aber als verweigernde Bergung erweist, ergibt es sich schon von selbst, daß wir in einer festlosen Zeit, d.h. in einer Zeit leben, in der zwar gefeiert wird, in der sich jedoch das geschichtlich-ereignishaft gedachte Wesen des Festes entzogen hat. Im Fugenbereich des Anklangs gilt es also, die Seinsverlassenheit der festlosen Zeit, d.h. die Wahrheit des Seyns als Verweigerung, als Enteignis anklingen zu lassen (Erstes Hauptstück, 1. Kapitel). In der zweiten Fügung, im Zuspiel, wird das Denken in seine Geschichte zurückgewiesen. Indem sie diese als eine Geschichte des Denkens des Seins als der Seiendheit des Seienden erfrägt, in der die Wahrheit des Seyns niemals erfragt wurde, enthüllt sich der wachsende Entzug der Wahrheit des Seyns von der Antike über das Mittelalter und die Neuzeit bis hin zur äußersten Seinsverlassenheit des Seienden im gegenwärtigen Zeitalter der modernen Technik. Im Zuge dieses fragenden Rückgangs in die Geschichte des Denkens spielt sich zum einen die Geschichte der metaphysischen Auslegung der Seiendheit des Seienden zu als Geschichte des ersten Anfangs der Wesung des Seyns, zum anderen spielt sich zugleich der andere Anfang zu als die mögliche offene Wesung 102 Im Ereignis-Denken verwandelt sich das an der ontologischen Differenz von Sein und Seiendem orientierte Fundierungsverhältnis von Fundamentalontologie und Metontologie der Gleichzeitigkeit von Sein und Seiendem gemäß. 5 Knödler
6
Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
der Wahrheit des Seyns nicht mehr als Enteignis, sondern als Ereignis. Entsprechend gilt es, sich innerhalb des Zuspiels von der im Anklang angeklungenen Festlosigkeit zurückweisen zu lassen in die Geschichte des Denkens, um aufzuzeigen, wie sich im Zuge der Frageweise nach dem Sein als der Seiendheit des Seienden auch der ereignishafte Wahrheitscharakter des Festphänomens zusehends dem Denken entzieht. Auf diese Weise spielen sich dem seinsgeschichtlichen Fest-Denken sowohl die metaphysischen und vormetaphysischen Wesungsweisen des Festes zu als auch die andersanfängliche, welche das Fest aus dem Ereignis denkt (2.-4. Kapitel). In der dritten Fügung , im Sprung , folgt das Denken der aus dem Fragen nach dem ersten Anfang sich zuspielenden Weisung, in die Wesung der Wahrheit des Seyns zu springen. Indem es sich ausdrücklich als Entwerfen und dieses als ereignet aus dem ereignenden Zuruf erfährt, eröffnet das Denken die Wesung des Seyns als Ereignis. Sofern es aber die Wesung des Seyns als die Kehre von Brauchen und Zugehörigkeit erfahrt, in der das Ereignis „sein innerstes Geschehen und seinen weitesten Ausgriff' (GA 65, 407) hat, springt das Denken zugleich ein in die Wesung der Geschichte als Fest. Darüber hinaus eröffnet das Denken hier die Blickbahn für die Zusammengehörigkeit der einzelnen Binnenphänome des Festphänomens (Zweites Hauptstück, 1. Kapitel). In der vierten Fügung , in der Gründung , wird das im Sprung erstmals dem Denken Eröffnete ins Da-sein gegründet. Hier hat das seinsgeschichtliche FestDenken seinen angestammten Ort. Hier werden nicht nur die für eine seinsgeschichtliche Hermeneutik des Festes unabdingbaren Sachverhalte thematisiert: die Wahrheit als Da-sein, als Inständigkeit und Selbstheit, das Wesen als die Wesung der Wahrheit, die Wahrheit als Offenheit und Lichtung des sichverbergenden Seyns, die Zugehörigkeit der zweifachen Unwahrheit zum Wesen der Wahrheit, der aus dem Wesen der Wahrheit entspringende Zeit-Raum und die zur Wesung der Wahrheit gehörende Bergung; in diese Fügung gehört auch die Frage nach der Kunst und das denkende Gespräch mit der Dichtung (GA 65, 392), für Heidegger vor allem der Dichtung Hölderlins, dem die Thematisierung des Festes entspringt (2. u. 3. Kapitel). Was Heidegger innerhalb der vierten Fügung zum Fest sagt, reicht gewissermaßen in den Bereich der fünften Fügung , den Zu-künftigen , und der sechsten Fügung , dem letzten Gott hinein. Unserer Auslegung zufolge erfolgt das in der „Andenken"-Vorlesung zum Gespräch unter Freunden und zu Liebe und Tat Gesagte aus der Weisung, das Sein der Zu-künftigen als die Inständigkeit des künftigen Da-seins denkend zu entwerfen. Insofern Freunde, Liebende und Tuende inständig sind in der Wahrheit des Seyns, d.h. als ereignet-entwerfendes Bergen der Wahrheit des Seyns ihre Zugehörigkeit zur offenen Wesung der Wahrheit des Seyns als Ereignis feiernd übernehmen, gehören sie in die Gründung. Insofern das so gedachte künftig-feiernde Da-sein mit seiner wissentlich übernommenen Zugehörigkeit in das Ereignis die Voraussetzung mitbringt, „vor
§ 3 Das Fest in den verschiedenen Verhaltungen
6
die Winke des letzten Gottes" (GA 65, 82) zu stehen zu kommen, gehört es in die Fügung Der letzte Gott. Heidegger unterscheidet zwei
mögliche
Vorgehensweisen
des
Ereignis-
Denkens: die „Durchgestaltung des ganzen Fugenbereiches" und die „Heraushebung einzelner Fragen" (GA 65, 60). Die Thematisierung des Festphänomens innerhalb des Zwiegesprächs von Denken und Dichten gehört ebenso zur zweiten Gruppe wie die Aufsätze „Der Ursprung des Kunstwerks" oder „Bauen Wohnen - Denken". Wenn wir jedoch im ersten Teil unserer Ausarbeitung, angewiesen aus dem Anklang der gegenwärtigen Epoche als einer festlosen Zeit (1. Kapitel), in den ersten Anfang des abendländischen Denkens zurückgehen und das Gespräch mit dem mythischen (2. Kapitel), einem möglichen vorsokratischen (3. Kapitel) und dem Platonischen Festdenken (4. Kapitel) aufnehmen, so vereinen wir beide Vorgehensweisen. Dies hat seinen ersten Grund darin, daß der Gewinn des seinsgeschichtlichen Festdenkens nur im Ausgang von der gegenwärtigen Festkultur und dem gegenwärtigen Festdenken und im Rückgang auf die traditionellen Denker zur Geltung kommt. Der zweite Grund liegt darin, daß Heideggers Fest-Denken für uns nicht nur eine denkerisch-sachliche Herausforderung, sondern auch eine Provokation im förderlichsten Sinne des Wortes darstellt. Weshalb dem so ist, geht aus einem kurzen bewußt formal gehaltenen Referat dieser Festthese hervor. Zunächst geht auch Heidegger davon aus, daß Feste m gefeiert werden, einen Anlaß haben und sich von der übrigen Zeit abheben. Wie jedoch dem bisher Gesagten unschwer zu entnehmen ist, wird er hinsichtlich des feiernden Sichverhaltens und der Festzeit und hinsichtlich der anderen Festphänomene mit der herkömmlichen Denkweise brechen. So feiert der Mensch zwar Feste, doch obliegt das wesenhafte Geschehen des Festes ebensowenig der menschlichen Verfügungsgewalt wie die Festzeit mit der physikalischen Uhrzeit und der im Ausgang von dieser philosophisch gedachten Zeit zusammenfällt. Das Fest ist vielmehr der Grund und das Wesen eben jener Geschichte, die Heidegger als das Ereignis denkt. Weil wir jedoch in einer festlosen Zeit leben, d.h. weil sich die Wahrheit des Seyns in der gegenwärtigen geschichtlichen Epoche entzieht und als das Ent-eignis west, dieser Entzug selbst aber noch weitgehend unerfahren und ungedacht blieb, bedarf das Denken des Festes des Zuspruchs der Dich-
103 O.F. Bollnow differenzierte „Feier" und „Fest" in zweifacher Hinsicht. Zum einen entspricht die Feier der Dimension des Geschichtlichen, das Fest hingegen der des Mythischen , zum anderen ist die Feier „von dem bezeichnenden Stimmungsgehalt der zugehörigen Seelenzustände her" (ders., Neue Geborgenheit. Stuttgart 1979, S. 226) das Freudig-Gelöste, während die Feier gehoben ist durch eine spezifische Schwere. Heidegger hingegen sieht in der „Feier" eine ausgezeichnete sorgende Haltung des Da-seins, in deren Vollzug sich unverfügbar, d.h. aus dem Wesensbereich der Wahrheit des Seins, das Fest und mit ihm das Heilige, die Gottheit und der Gott ereignen können (GA 52, 64 ff.).
6
Vorbereitender Teil: Eröffnung der Gesprächsdimension
tung. Die Thematisierung dieses Phänomens entspringt sogar erst Heideggers denkendem Gespräch mit Hölderlins Dichtung. Durch das denkende Gespräch mit Hölderlins Hymne „Andenken" (WS 1941/42) sieht Heidegger sich nicht nur dahingehend verfugt, sich die Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit des dichterisch gesagten Andenkens für sein Denken zusprechen zu lassen, er denkt auch das von Hölderlin dichterisch genannte Fest vom Andenken her und als Andenken. Unsere an Heidegger gerichtete Frage nach dem Wechselbezug von Denken und Feiern spielt bei Heidegger somit im Bereich von andenkendem Dichten, andenkendem Denken und andenkendem Feiern. So denkt der Dichter mit dem dichtenden Gruß seines Gedichtes an das gewesene und so noch wesende Fest des Griechenlandes, indem er im Hinwegschwingen über die Gegenwart vordenkt an das kommende Fest. Von dieser spezifischen, sich in der Hymne im Gruß an den Nordostwind aussprechenden Zeit-Räumlichkeit dieses Andenkens erfährt das EreignisDenken den Anstoß, aus der Erfahrung des Entzuges (Anklang) an den ersten Anfang des abendländischen Denkens zurückzudenken (Zuspiel), um so den Schwung zu holen (Sprung) sowohl für die Bereitung als auch für den Verwahrung eines andersanfänglichen Denkens (Gründung). Desgleichen wird auch das andenkende Feiern und die mit ihm zusammenhängenden Phänomene aus dem Zeit-Spiel-Raum des Ereignisses gedacht. So kommt das Schicksal im andenkenden Feiern insofern zum Ausgleich, als die Lebenden in ihm das Gewesene über die Gegenwart hinweg in die Zukunft holen und sich so in das Schickliche fügen. In eins mit diesem andenkenden Innestehen im Ereignis übereignet das Sein indes nicht nur den Gott an den Menschen, vielmehr kommen neben Gewesenem und Künftigem auch jene sogenannten Gegensätze zu Versöhnung und Ausgleich, die das außerphilosophische, wissenschaftliche und philosophische Festverständnis zwar kennt, aber weithin gegeneinander ausspielt, aufeinander verrechnet oder einander gegenüber verdrängt. Sogenannte „Gegensatzpaare" wie: Alltag und Feiertag, Gewöhnliches und Ungewöhnliches, Arbeit und Muße, Tag und Nacht, Himmel und Erde, Sommer und Winter, Mann und Frau, Nüchternheit und Rausch, Leben und Tod, Sterbliche und Unsterbliche, Sein und Nichts, Freude und Trauer, Lust und Schmerz, Liebe und Haß, Erwartung und Erfüllung, Heimat und Fremde, Anfang und Ende (und, wie wir ergänzen werden: Opfer und Täter, Freund und Feind, aber auch Feiern und Denken selbst) können im andenkenden Feiern gerade dadurch zu Ausgleich und Versöhnung kommen, daß sie sich in das einander Widerstreitende ihres je verschiedenen Wesens freilassen und so zu ihrem Eigenen finden. Weil sich so gut wie alle Feste als Übergänge verstehen lassen, in deren „Verlauf 4 die genannten Gegensätze entweder ineinander übergehen oder aufeinander hin vergegenwärtigt und betrachtet werden, weil sich aber auch andenkendes Denken und Dichten als Übergänge erweisen werden, erachten wir Heideggers Denken des Übergänglichen für einen ausgezeichneten Leitfaden zur Ausarbeitung unserer Frage. Je ein-, um- und zugänglicher sich unser Durch-
§ 3 Das Fest in den verschiedenen Verhaltungen
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gang in das Schwingungsgefiige dieser vielfaltigen Übergänge einzuschwingen vermag, als desto verantwortungsvoller wird sich Heideggers Fest-Denken „gegen-über" der Geschichte erweisen. Unter diesem Gesichtspunkt gehen wir nun in die einzelnen Fügungen über.
Erstes Hauptstück
Das Fest in der Geschichte
Erstes Kapitel
Der Anklang in festloser Zeit „Nur wer an seinem Leiden leidet, wird frei von Leiden." Laotse ]
§ 4 Die Gewöhnlichkeit des Seienden und des Seins in der Epoche der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit Seinsgeschichtlich gedacht leben wir in einer festlosen Zeit. Weil die gegenwärtige geschichtliche Epoche geprägt ist von der zwiefach einigen Not der Seinsverlassenheit
des Seienden und der Seinsvergessenheit
des Menschen, ent-
zieht sich die einst bei den antiken Griechen, zwar nicht eigens, d.h. als solche erfahrene und gedachte, dennoch aber festbestimmende Wahrheit des Seyns. Damit in eins versagt sich nicht nur die für die Festlichkeit der Griechen so einzigartige und eigentümliche Entgegnung von Göttern und Menschen, sondern auch der geschichtlich gegründete Bezug zum mitfeiernden Mitmenschen, zum Gefeierten und zu den festlichen Verhaltungen und Dingen. Die geschichtliche Offenbarkeitsweise des Seienden in der Epoche der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit besteht nicht darin, daß dieses überhaupt nicht ist, sondern darin, daß es verlassen ist von der ihm möglichen Bergung der Wahrheit des Seyns. Desgleichen heißt dies nicht, daß in festloser Zeit überhaupt keine „Feste" gefeiert würden. Schließlich feiern die privilegierten, von Freizeit und Wohlstand verwöhnten Teile der Menschheit ausgiebiger und ausgelassener denn je. Das Feiern verfehlt vielmehr das, was Heidegger das Festliche des Festes nennen wird. Gerade weil der Mensch die Mittel und Wege zur Inszenierung von Festen zur Hand zu haben vermeint, wird er der Festlosigkeit seines 1 Laotse, Vom Sinn und Leben. Das Buch vom Alten vom Sinn und Leben. Dt. v. R. Wilhelm. Jena 1921, Nr. 71, S. 76.
72
1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
Feierns nicht gewahr, wodurch sich das niemals zu „erfeiernde" Fest als der anfängliche Grund und das Wesen der Geschichte weiter entzieht. Im Fugenbereich des Anklangs nun soll diese festlose Zeit zu Gehör gebracht werden. Zugleich soll unser Ohr hellhörig werden für den Anklang eines gewandelten geschichtlichen Festwesens. Indem im Anklang das Ent-eignis, d.h. der Ausbleib des ereignenden Zuwurfs für den ereigneten Entwurf gedacht wird, klingt zugleich die Möglichkeit der vollen Wesungsweise des Ereignisses an. Wie bereits der erste Abschnitt der Fügung ausfuhrt, vollzieht sich dieser „Anklang" der „Wesung des Seyns/ aus der Seinsverlassenheit/ durch die nötigende Not/ der Seinsvergessenheit" (GA 65, 107). Der „Anklang" soll die Seinsvergessenheit „durch eine Erinnerung als Vergessen-heit zum Vorschein ihrer verborgenen Macht bringen und darin den Anklang des Seyns" (ebd.). Nicht genug also, daß die gegenwärtige Wesungsweise der Wahrheit des Seyns sich als offen waltende verweigert, die Verweigerung blieb bislang als solche weitgehend unerfahren und ungedacht. „In der Wesungsweise der Verweigerung hat der ereignende Zuwurf den Charakter des Ausbleibs, in dem nämlich der Zuruf für die offene Wesungsweise ausbleibt, während der ereignete Entwurf nicht den Grundzug der Zugehörigkeit zur offenen Wesung hat, so daß er zur Seinsverlassenheit des Seienden und zur Seinsvergessenheit des Menschen fuhrt." 2 Das seinsverlassene Seiende und der Mensch sind „des Seyns enteignet" (GA 65, 120 u. 231). Wird die Vergessenheit durch die erinnernde ,rAnerkenntnis der Not" (GA 65, 107) derart ihrer eigenen Selbstvergessenheit entrissen, so weicht also nicht die unsere Epoche prägende Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit selbst - für das anfängliche Denken weicht einzig deren Verhüllung. Bevor die Not als nötigende Not erfahren wird, steht das Denken in der höchsten Gefahr der Not der scheinbaren Notlosigkeit, welche zur endgültigen Verfestigung der Seinsverlassenheit in der Seinsvergessenheit fuhren kann. Die Not der Notlosigkeit ist nichts anderes als „die Not der gänzlichen Unkraft zur Erfahrung der innersten Fragwürdigkeit des Daseins" (GA 39, 134). Wo, wie in der Seinsvergessenheit, Wohlfahrt und Glück angestrebt werden und die Notlosigkeit als höchstes Gut gilt, wird das Wort „Not" einzig im Sinne eines zu beseitigenden „Mangels" oder „Übels" verstanden. Die Fragwürdigkeit des Daseins wird als „Teufelei" (GA 65, 109) gebrandmarkt. Die Rede von einer Not, die sich nicht - zumindest potentiell - im Bereich des Gegenständlichen beseitigen läßt, gilt als irrational und zukunftsverdüsternd. Anders dort, wo die Not nicht nur als eine solche am Seienden, sondern als Not des Seyns erfahren und gedacht wird. 3
2
F.- W. v. Herrmann, Wege ins Ereignis, S. 34. Die Hervorhebung des „nur" arbeitet gegen den Verdacht an, die faktische Not und Gefahr würde angesichts der seinsgeschichtlichen bagatellisiert. Aus seinsgeschichtlicher Perspektive ist es nun einmal so, daß eine ontische Problemlösung sich auch auf 3
§ 4 Die Gewöhnlichkeit des Seienden und des Seins
73
Indem der Fortschritt „nur das Bisherige auf dessen eigener Straße ,weiter' befördert", gilt er gerade dort als zukunftslos. Dagegen übertrifft das „Nötigende, unergriffen Aufbehaltene [der als Not gedachten Seinsverlassenheit] wesentlich jeden Fortschritt', weil es das echte Zukünftige selbst ist, so daß es überhaupt aus dem Unterschied von Übel und Gut herausfällt und aller Berechnung sich entzieht" (GA 65, 113). Ihrer Unverfügbarkeit und Verdeckungstendenz wegen stimmt die zwiefach einige Erfahrung der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit das Denken in die Grundstimmung der Verhaltenheit, auf die auch wir uns beim Er-denken der festlosen Zeit einzustimmen versuchen. 4 Das verhaltene Denken hält inne, es hält an sich, es fährt vor der ihm erstmals widerfahrenden Verweigerung zurück. Verhaltenheit heißt Innehalten, Ansichhalten, Zurückfahren. Während die Verhaltenheit in Zuspiel, Sprung und Gründung in bezug auf die ihr innewohnende Scheu ausschlaggebend ist, gestaltet sie sich im Anklang vorrangig als das Erschrecken vor der Verlassenheit des Seienden vom Seyn, d.h. vor der sich zuse-
hends breitmachenden Machenschaft und dem Erlebnis. Die Seinsverlassenheit nämlich ist „entsprungen dem Unwesen des Seyns aus der Machenschaft" (GA 65, 107). In der Umgangssprache kennzeichnet die Machenschaft ein hinterhältiges und intrigantes menschliches Verhalten, im Ereignis-Denken nennt sie eine durch „das Machen (ττοίησις, τέχνη)" geprägte „Art der Wesung des Seyns" (GA 65, 126), d.h. eine „Wesung der Seiendheit" (GA 65, 127), dergemäß die Seiendheit des Seienden grundsätzlich als Machbarkeit und Herstellbarkeit ausgelegt wird. Die alle Seinsbereiche durchherrschende Machenschaft, d.h. das moderne neuzeitliche Wesen der Technik, das Heidegger später als Ge-Stell fassen wird, hat ihre Herkunft im Denken des Seins als beständiger Anwesenheit. Im Laufe der abendländischen Geschichte erhebt das philosophische Seinsverständnis und mit ihm das Seinsverständnis überhaupt einen sich zusehends steigernden Herrschaftsanspruch über das Seiende. Dieser läßt sich verfolgen von dem an, was Heidegger den Einsturz der άλήθεια und die Entmachtung der φύσις im Zuge des Vorsokratischen Denkens nennt, über den Platonismus und seinen bereits technokratischen Zug zur ιδέα, zum christlichen ens creatum und seinem kausal-deterministischen Gott als causa sui, bis hin zum neuzeitlichen Natur- und Geschichtsverständnis und dem bevorstehenden „Endsieg" des Machenschaftlichen der Technik. Mit dieser „Entwicklung" geht ein
uneigentliche bzw. machenschaftlich-erlebnishafte Weise vollziehen und so die geschickhafte Not verfestigen kann. Darüberhinaus müßte die Frage gestellt werden, ob ein ereignishaftes Verständnis der Nöte aus der Not sich für deren „Lösung" nicht als sinnstiftender erweisen könnte als ein moralisch-kausalistisches. 4 Weil nämlich der Anklang des Seyns als Verweigerung in der Seinsverlassenheit des Seienden kein Vorhandenes bechreibt oder erklärt oder in eine Ordnung zu bringen sucht, versteht sich die andersanfängliche Philosophie als „das Er-denken dessen, was sich ereignet als das Ereignis selbst" (GA 65, 108).
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1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
vierfacher Wesenswandel einher: 1. Die Wahrheit wird zur Gewißheit, 2. der Denkende zum Subjekt, 3. das Seiende zum Objekt, 4. die Seiendheit zur Vorgestelltheit. Die „Grundart des Vorstellens des Machenschaftlichen und des Sichhaltens da-rin" (GA 65, 109) nennt Heidegger das Erlebnis. In der Vorstellungsart des Erlebnisses bezieht der Mensch alles Seiende als das von ihm Erlebte auf sich selbst als erlebendes Subjekt. Das erlebende Subjekt wird zum Maßstab für das, was seiend ist. Allein das Erlebte und grundsätzlich Erlebbare, in den Umkreis des Erlebens Vordringende, gilt als eigentlich Seiendes. Das einzig aus seinem Erlebnisbezug seiende Seiende ist indes verlassen von der möglichen Bergungsweise der offenen, nicht verweigerten Wahrheit des Seyns. Erleben heißt, „daß aus allem ein ,Erlebnis' und ein immer größeres und ein immer unerhörteres und ein immer mehr sich überschreiendes ,Erlebnis' werde". Es ist „die Jedermann zugängliche Öffentlichkeit des Geheimnisvollen, d.h. Aufregenden, Aufreizenden, Betäubenden und Verzaubernden, was die Machenschaft notwendig macht" (GA 65, 109). Wo also Max Weber aus soziologischer Perspektive von der zunehmenden Entzauberung der Welt spricht 5, sieht Heidegger die wachsende Ver- bzw. Bezauberung durch die Machenschaft um sich greifen. Die sich nüchtern wähnende Entmythologisierung und Entzauberung der Welt durch Wissenschaft und Technik verschleiert nur die „Behexung durch die Technik und die sich ständig überholenden Fortschritte", welcher Verzauberung zufolge „alles auf Berechnung, Nutzung, Züchtung, Handlichkeit und Regelung drängt" (GA 65, 124). Nach Heidegger zeigt sich die Seinsverlassenheit dem aus der Not ernötigten Denken in drei Bahnen, „in denen das Seiende in die aus der neuzeitlichen Machenschaft sich bestimmende Seinsverlasssenheit entborgen wird, aber so, daß für diese Entbergungsweisen die Seinsverlassenheit als solche verhüllt bleibt" 6 . Die drei Bahnen sind also drei Weisen der Verhüllung: Die erste Verhüllung, von Heidegger Berechnung genannt, wurde „erst in die Macht gesetzt durch die im Mathematischen wissensmäßig gründende Machenschaft der Technik" (GA 65, 120). Die Berechnung versteht sich weniger „als die bloße Überlegung und gar Schlauheit eines vereinzelten Tuns". Sie ist vielmehr ein „Grundgesetz des Verhaltens" (GA 65, 121). Im berechnenden Selbstund Weltverständnis erscheint alles im vorhinein unter dem Gesichtspunkt der Berechnung und Berechenbarkeit. Wahrhaft seiend und wirklich ist hier wiederum nur, was sich der Berechnung fugt und als Berechnetes offenbar ist. Das 5 So spricht Max Weber in seinem 1918 gehaltenen Vortrag „Wissenschaft als Beruf von der mit der zunehmenden Rationalisierung und Intellektualisierung einhergehenden „Entzauberung der Welt" (ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen 1951, S. 578 u. 596). 6 F.-W. v. Herrmann, Weg und Methode, S. 98.
§ 4 Die Gewöhnlichkeit des Seienden und des Seins
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Unberechenbare aber ist „keineswegs das Außerhalb jeder Rechnung", sondern „nur das in der Berechnung noch nicht Bewältigte, an sich aber einst auch Einzufangende" (ebd.). Die zweite Verhüllung, die Schnelligkeit, ist wiederum primär kein physisches Geschwindigkeitsphänomen, sondern eine Geschehensweise des Enteignisses. Ihren offensichtlichsten Niederschlag findet sie in der rein mengenmäßig-mechanisch-technischen Geschwindigkeitssteigerung, die nichts anderes ist als „das Nichtaushalten in der Stille des verborgenen Wachsens und der Erwartung" (ebd.). Durch die „Sucht nach dem Über-raschenden, immer wieder unmittelbar und anders Fortreißenden und ,Schlagenden'" (ebd.), wird die Flüchtigkeit zum „Grundgesetz der Beständigkeit'" (ebd.). Weil nur beständig ist, was sich mit höchstmöglicher Geschwindigkeit wandelt, wird „das rasche Vergessen und Sichverlieren im Nächsten" notwendig. Dieses macht zugleich blind „gegen das wahrhaft Augenblickliche, das nicht flüchtig [ist], sondern die Ewigkeit eröffnend". Weil der Schnelligkeit das Ewige als „das bloße Andauern des selben, das leere Und-so-weiter", erscheint, bleibt ihm zugleich „die echte Un-ruhe des Kampfes" verborgen. An ihre Stelle tritt „die Ruhelosigkeit des stets erfinderischen Betriebes, der von der Angst vor der Langeweile an sich selbst gejagt wird" (ebd.). Die dritte Verhüllung, der Aufbruch des Massenhaften, kennzeichnet ebenfalls nicht nur den Aufbruch der gesellschaftlichen Massen im Sinne der Massengesellschaft, sondern das aus der Geltung der Zahl und des Berechenbaren heraufbrechende Massenhafte der Massenproduktion, d.h. der Herstellung von Massenwaren für den schnellen Verbrauch, der nur wiederum zu einer erneuten und gesteigerten Massenproduktion führt. Das jedermann in gleicher Weise Zugängliche ist darüberhinaus ,,[d]as Vielen und Allen Gemeine" (GA 65, 122), das die „Vielen" „als das Über-ragende kennen" und das in der schärfsten, weil unauffälligsten Gegnerschaft „gegen das Seltene, Einzige (das Wesen des Seins)" (ebd.) steht. Ihre Vollendung erfährt die Seinsverlassenheit in dem, was Heidegger das Riesenhafte nennt. Auch das Riesenhafte zeigt sich zunächst in den Riesenformen der Energiegewinnung, in den technischen Großanlagen, in der Massenproduktion und in den Massenmedien „als ein gegenständlich Vorhandenes" (GA 65, 135). Seins-geschichtlich gedacht hingegen „enthüllt sich das Riesenhafte als ,etwas' Anderes. Es ist nicht mehr das vor-stellbare Gegenständliche eines grenzenlosen Quantitativen', sondern die Quantität als Qualität. Qualität ist hier gemeint als Grundcharakter des quale, des Was, des Wesens, des Seyns selbst" (ebd.). Unter der „Herrschaft des Un-wesens der φύσις (der Machenschaft)" (ebd.) wird das quale zum quantum. Wahr und wesentlich ist, was sich zählen und berechnen läßt. Daß das Quantitative zum Richtmaß des Wesens werden konnte, genauer, daß der Bezug von Quantität und Qualität zu einer Frage des Umschlages zweier Kategorien werden konnte (Kant), fand seine Vorbereitung wiederum in der platonisch-aristotelischen Bestimmung der Seiendheit von der τέχνη und der ιδέα aus. Bereits die antike Philosophie faßt den Wesensbezug zum Seienden als ein „Vor-stellen" und „Vor-sich-her-
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1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
bringen" (ebd.) und reißt durch das damit verbundene „wieweit" und „inwiefern" „das Äbstandmd&\gQ in bezug zum Seienden als Gegen-stand" (ebd.) auf. Im Vor-stellen des systematischen Denkens der Neuzeit wird die Überwindung und Sicherung dieses Ab-standes zu einem Grundgesetz der Gegenstandsbestimmung, dessen Bedeutung sowohl für das Festdenken als auch fiir das Feiern selbst wir noch nicht ausmachen. Der Entwurf des Vor-stellens im Sinne der vorgreifend-planend-einrichtenden Erfassung von allem, bevor es schon im Besonderen und Einzelnen gefaßt ist, dieses Vorstellen findet am Gegebenen keine Grenze und will keine Grenze finden, sondern das Grenzenlose ist entscheidend, aber nicht als das Verfließende und bloße Und-soweiter, sondern als das an keine Grenze des Gegebenen, an kein Gegebenes und Gebbares als Grenze Gebundenes" (GA 65, 136).
Der Anklang der Seinsverlassenheit in ihren drei Verhüllungen bildet auch den Ausgang für eine „ursprünglichere Wesensbestimmung dessen, was Nietzsche erstmals als Nihilismus erkannt hat" (GA 65, 119). Der Nihilismus, „dieser unheimlichste aller Gäste"7, so können wir in Anlehnung an ein von Heidegger mehrfach zitiertes Nietzsche-Wort sagen, steht auch dort vor der Tür oder ist auch dort längst schon zu Gast, wo in der Neuzeit Feste gefeiert und gedacht werden. Heidegger zufolge gelang es jedoch selbst Nietzsche nicht, „das abendländische Dasein zur Besinnung auf den Nihilismus zu zwingen. Noch geringer ist darnach die Hoffnung, daß dieses Zeitalter den Willen zum Wissen des Grundes des Nihilismus aufbringt" (GA 65, 119 f.). Die Verhüllung der Seinsverlassenheit zementiert sich vielmehr und zwar nicht zuletzt dadurch, daß sich eben jener denkerische Herrschaftsanspruch endgültig durchsetzt, mit dem Nietzsche, Heideggers Lektüre zufolge, die Entwertung aller Werte durch deren Umwertung zu überwinden trachtete. Seine diesseitsorientiert-antimetaphysische Philosophie fällt, „weil sie sich als Umkehrung des Piatonismus begreift, in diesen, durch die Hintertür gleichsam, zurück [...]" (GA 65, 218). So kann Heidegger konstatieren: „Überall in diesen Verhüllungen der Seinsverlassenheit macht sich das Unwesen des Seienden, das Unseiende breit und zwar im Schein eines ,großen' Geschehens" (GA 65, 122). Daß zur Rechtfertigung und Aufwertung dieses ,großen' Geschehens oft Nietzsches Philosophie ge- und mißbraucht wurde und weiterhin wird, nimmt aus Heideggers Perspektive kaum wunder. Denn gerade Nietzsches Wesensverständnis des Seins als des sich selbst übersteigernden Willens zur Macht führt das technischhervorbringende Seinsverständnis der Metaphysik, so Heidegger, zu seiner Vollendung.8 Angesichts dieser wenig aussichtsreichen und festfrohen „Be7 „Der Nihilismus steht vor der Tür: woher kommt uns dieser unheimlichste aller Gäste?" (F. Nietzsche, WW. Bd. X V , S. 141 f. ; vgl. GA 55, 66) 8 An einem „Feststimmung" überschriebenen Abschnitt der „Mörgenröthe" scheint sich Heideggers streitbare Nietzsche-Lektüre als einer Willensmetaphysik zu bestätigen: „Ich beschreibe das Glück, wie ich es mir bei unserer jetzigen gehetzten, machtdürstigen Gesellschaft Europas und Amerikas denke. Hier und da wollen sie einmal in die Ohn-
§ 4 Die Gewöhnlichkeit des Seienden und des Seins
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standsaufhahme" stellt sich nun eine Reihe von Fragen. So wäre vorerst zu klären, ob Heideggers Rede von der einen geschichtlichen Not nicht „irrational" ist und uns bloß von der schnellstmöglichen Inangriffnahme der vielen Nöte ablenkt. „Trifft" die Rede von der Ausbreitung des Unseienden im Schein eines ,großen' Geschehens überhaupt noch für die abendländische (Fest-)Kultur der Jahrtausendwende „zu"? Wissen wir denn nicht auch ohne die „Beiträge" um die weltweite Gefahr? Ist der Nihilismus und die mit ihm einhergehende „Weltverdüsterung und Erdzerstörung" (GA 65, 119) heute nicht allseits bekannt? Sind wir uns nicht längst der global-ökologischen und ökonomischen Katastrophe bewußt? Haben wir am Ende dieses Jahrhunderts nicht - aus der geschichtlichen Erfahrung und von ganz anderen Denkern als Heidegger übrigens, ja vielleicht sogar erst von Heidegger diametral entgegengesetzten Denkern - gelernt, die Entfremdung und den Nihilismus nicht mehr durch Ideologien und Totalitarismen überwinden zu wollen? Kann man heute noch so allgemein von Fortschrittsgläubigkeit und vom ,großen' Geschehen sprechen, wo jede Neuerung bereits kritisch hinterfragt und angezweifelt wird? Bedürfen wir zu einem solchen kritischen Anstoß eines Heidegger-Textes und just noch eines solchen aus der Zeit des Dritten Reiches? Was hat diese sonderbare „geschichtliche Not" vor allem mit dem Feiern von Festen zu tun? Gibt es nicht heute, wie zu jeder anderen Epoche auch, gelungene und mißlungene Feste? Und gesetzt den Fall, es gelte, unsere „Festpraxis" mithilfe einer „Festtheorie" auszubilden und zu verändern, liegt es nicht an uns, den Feiernden, diesen Wandel zu vollziehen? Beschäftigen sich nicht Gläubige und Kirchenoberhäupter mit der Gestaltung von Kirchenfesten, setzen sich nicht Politiker, Medien und öffentliche Meinung mit der Gestaltung politischer Gedenktage auseinander, denkt nicht jeder Veranstalter und Teilnehmer eines Festes, öffentlich oder privat, über dessen Gestaltung nach? Und überhaupt, sind nicht Feste selbst Zeiten einer solchen Besinnung? Sind nicht gerade die Feste die wenigen und letzten Domänen, wo die entzauberte Welt für uns wieder verzaubert wird und Freude aufkommt in einer hoffnungslosen Zeit? Sollen wir uns diese Anlässe „versauern" lassen durch so viel Pessimismus? Entlarvt sich ein Denken, das beim Fragen nach dem Fest erst die Exerzitien seines eigenen Unund Abwesens zu durchschreiten hat, nicht als festloses Denken par excellence? Um von Heidegger aus auf diesen durchaus nicht nur rhetorisch gemeinten Fragenkatalog antworten zu können, ist zweierlei erforderlich: einerseits müssen wir zwischen den offen darliegenden Nöten des Feierns und der Not der festlosen Zeit differenzieren, andererseits gilt es aufzuzeigen, auf welche Weise macht zurücktaumeln - diesen Genuß bieten ihnen Kriege, Künste, Religionen, Genies. Wenn man sich einem alles verschlingenden und zerdrückenden Eindruck einmal zeitweilig überlassen hat - es ist die moderne Feststimmung! - dann ist man wieder freier, erholter, kälter, strenger und strebt unermüdlich nach dem Gegenteile weiter: nach Macht(ders., Morgenröthe. 4. Buch, Nr. 271)
1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
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sich diese Not verhüllt. Hierzu ziehen wir Heideggers Rede vom Gewöhnlichen und Ungewöhnlichen heran. So können wir hinsichtlich des Ereignisses vorerst antworten: Wir entwerfen uns deshalb nicht auf die Not, weil das Sein und mit ihm das Seiende zum Allgemeinsten und Selbstverständlichsten, d.h. Gewöhnlichsten geworden sind. In dieser Vergewöhnlichung entziehen sich zugleich Seyn und Seiendes in ihrer wesenhaften Ungewöhnlichkeit. Die Seinsverlassenheit ist am stärksten dort, wo sie sich am entschiedensten versteckt. Das geschieht da, wo das Seiende das Gewöhnlichste und Gewohnteste geworden ist und werden mußte. [...] Hier, wo das Seiende das Gewohnteste sein muß, ist notwendig das Seyn das erst recht Gewöhnliche und Gewöhnlichste. Und da nun in Wahrheit das Seyn das Lfogewöhnlichste ,ist', hat sich hier das Seyn ganz entzogen und das Seiende verlassen. (GA 65, 110)
Die Not besteht also in der Gewöhnlichkeit des Seienden und des Seyns und dem mit ihr einhergehenden Entzug. Weil aber das Gewöhnliche das am wenigsten Hinterfragte ist, kommt die Not als solche überhaupt nicht zum Vorschein. So auch hinsichtlich der Not der Seinsverlassenheit. Wir sehen uns vor eine Vielzahl von Nöten gestellt, wir werden von diesen Nöten gebannt oder in Anspruch genommen, ohne in diesen historisch überaus dringlichen Nöten jene eine geschichtliche Not walten zu sehen, die diese Nöte erst zu solchen macht und die an den meisten dieser Nöte zudem wesentlichen Anteil hat. Die Not der Notlosigkeit besteht darin, daß uns mit dieser Vergewöhnlichung wiederum der Entzug des Seyns und die Seinsverlassenheit des Seienden zum Gewöhnlichsten werden konnte. Was man dagegen heute das Ungewöhnliche nennt, ist vom seinsgeschichtlichen Standpunkt aus nur das machenschaft-lich-erlebnishaft ins Sensationelle
aufgereizte
und aufgespreizte
Gewöhnliche.
Zum Gewöhnlichen und Gewöhnlichsten sind Seiendes und Seyn nicht nur für das Denken, sondern auch für die anderen Bergungsweisen geworden. Was für das Denken des Seins gilt, gilt also auf seine je eigene Weise für das Feiern. Weil das Fest als das schlechthin Ungewöhnliche gegenüber der Gewöhnlichkeit des Alltags zu verstehen ist, muß ein tiefgreifender Wesensbezug bestehen zwischen Enteignis und festloser Zeit.
§ 5 Die Übergangslosigkeit des Feierns vom Gewöhnlichen ins Ungewöhnliche Wie jede außerwissenschaftliche, wissenschaftliche oder philosophische Sprech-weise vom Fest orientiert sich auch Heideggers kurze, zunächst hölderlinunabhängige Deskription des Phänomens an seinem zeithaften Bezug zum Alltag. Feiern ist als ein Weg-von stets schon ein Hin-zu, d.h. als ein Freiwerden-von stets schon ein Freiwerden-für. „,Feiern' bedeutet zuerst, aussetzen mit dem alltäglichen Tun, das Ruhenlassen der Arbeit. Das macht frei für anderes. Wofür?" (GA 52, 64) In der Frage nach diesem „Wofür" des feiernden Frei-
§ 5 Die Übergangslosigkeit des Feierns
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werdens, d.h. nach dem feiernden Übergang von... - zu... und dem Wechselbezug der beiden Seiten dieses Überganges, liegt sozusagen der Anlaufpunkt, von dem aus wir uns hier im Anklang und fürderhin in Zuspiel, Sprung und Gründung in den Ereignischarakter des Festes einzuschwingen versuchen. Unter der Herrschaft von Machenschaft und Erlebnis wendet sich der seinsvergessene Mensch diesem Wofür in einrichtender, veranstaltender und machenschaftlicherlebnisorientierter Weise zu. Entsprechend zeigt sich denn auch das Wofür des feiernden Freiwerdens als einrichtbares, veranlaßbares und machbares Erlebnis. Der seinsvergessene Zugang zum Wofür des feiernden Freiwerdens führt so zur verkappten
Perpetuierung
des Gewöhnlichen
durch das Sensationelle
und so-
mit zur Flucht vor dem wahrhaft Ungewöhnlichen. Um dieses enteignete Freiwerden-für in adäquater Weise fassen zu können, genauer: damit Heideggers Rede von der festlosen Zeit nicht in eine - zudem noch konservative - Wertphilosophie abfällt, nehmen wir das Phänomen vorerst aus fundamentalontologischer Perspektive in den Blick. Schon aus fundamentalontologischer Sicht ist die Wahrheit des Feierns keine primär von τέχνη und ιδέα geprägte mehr. Die Feiernden sind keine Macher, d.h. Veranstalter, das Feiern wird nicht als Bewußtseinsphänomen ausgelegt, das Gefeierte ist auch kein von den Feiernden Her- und Vorgestelltes. Feiern, Feiernde und Gefeiertes verstehen sich vielmehr aus dem ekstatisch-horizontal verfaßten Sorge-vollzug des Daseins als seinsverstehender Existenz. Nun schlägt durch, daß das Dasein keine subjektive Immanenz auf bewußtseinstranszendente Objekte hin übersteigt, sondern immer schon draußen ist in einer Welt, bei innerweltlich begegnendem Seienden und mit anderem Dasein. Nun bewährt sich, daß es als geworfen-befindliches, entwerfend-verstehendes Sichvorweg-Schon-sein-in im Sein-bei nicht das Wofür des feiernden Freiwerdens produktiv aus sich heraus- oder rezeptiv in sich hereinholt. Als ekstatischhorizontales Sichzeitigen holt das feiernde Dasein vielmehr sein ekstatischhorizontales In-der-Welt-sein in einer ausgezeichneten Zeitigungsweise ein. Feiernd kann das Dasein sein zumeist an das innerweltlich begegnende Seiende verfallene und nivellierte Draußensein in gewandelter Weise einholen. „Feiern ist das Freiwerden vom nur Gewöhnlichen durch das Freiwerden für das Ungewöhnliche." (GA 52, 66) „Das Gewöhnliche", auf dem ersten Ausarbeitungsweg durchschnittliche Alltäglichkeit genannt, „meint hier den Zusammenhang der stets und zunächst begegnenden Dinge und Menschen, die wir zufolge eines eingefahrenen Umgangs nicht mehr jedesmal neu in ihrem eigenen Wesen aneignen" (GA 52, 65). Das Ungewöhnliche kennzeichnet weder primär das vom technischen Bewußtsein willensmäßig umgestaltete Gewöhnliche noch ein außerordentliches Vorkommnis, sondern einen gewandelten Vollzugsmodus des besorgenden Seins-bei und des Mitseins. Auch aus fundamentalontologischer Perspektive läßt sich demnach sagen, daß uns das nach den Hinsichten seiner Besorgbarkeit zur Verfügung stehende
1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
Alltäglich-Gewöhnliche in seinem Wesen nicht zu eigen ist und uns so nur allzu leicht zum Un-eigentlichen wird. 9 Im Feiern, das in die Ungewöhnlichkeit des Seienden versetzt, vermag das Dasein hingegen frei zu werden für andere, d.h. eigentlichere Möglichkeiten seines Existenzvollzuges. Insofern es sich das innerweltliche Seiende und das Mitdasein in ausgezeichneter Weise begegnen läßt, sieht sich das feiernde Dasein vor die Möglichkeit gebracht, sich entweder in ebenso ausgezeichneter Weise auf die Möglichkeiten seiner selbst und des mit ihm Seienden hin zu entwerfen oder in die nivellierte Verfallenheit an das innerweltlich begegnende Seiende zurückzufallen bzw. sich erst gar nicht aus der durchschnittlichen Alltäglichkeit herausversetzen zu lassen. Der durchschnittlich-alltäglichen Haltung zum Außeralltäglichen des Festes entspricht es denn auch, Feiern als „das bloß Negative des Aufhörens mit der Arbeit" (GA 52, 64) zu betrachten. „Bleibt das Feiern jedoch nur das Aufhören und Aussetzen mit der Arbeit, dann muß die entsprechende Pause anderswoher, nicht aus dem Feiern und durch dieses, sondern nur wieder aus einem Bezug zur Arbeit bestimmt werden." (ebd.) So kann das Ungewöhnliche unversehends, d.h. unter dem Anschein des Außergewöhnlichen und Sensationellen, zum Gewöhnlichsten werden. Mag das Feiern aus der Perspektive der durchschnittlichen Alltäglichkeit auch als das schlechthin Ungewöhnliche erscheinen - ist das Dasein nicht bereit, sich eigens aus dem Gewöhnlichen als solchem heraus und nachgerade wieder in das Gewöhnliche als solches hereinversetzen zu lassen, so repetiert es feiernd seine Durchschnittlichkeit. Indem uns das Feiern als ein Innehalten mit dem Alltäglichen aus der Verfallen-heit heraus an die „Schwelle der Besinnung" (ebd.) versetzt, werden wir überhaupt vor die Entscheidung gestellt, entweder das Gewöhnliche mit dem Anstrich des Sensatio-nellen zu versehen und unergriffen vor uns herzuwälzen oder uns das Gewöhnliche durch einen gewandelten Bezug als Ungewöhnliches begegnen zu lassen, d.h. uns entweder dem schlechthin Ungewöhnlichen und Fragwürdigen zu stellen oder schnellstmöglich in die nivellierten Auslegungsweisen der Anderen, der Dinge und unserer selbst zurückzufallen. „Denn jetzt kann es sein", so legen wir Heidegger vorerst fundamentalontologisch aus, „daß wir im Innehalten mit der Arbeit doch ins Leere geraten; mit uns selbst nichts anzufangen wissen, Aushilfen suchen; und alsbald sind die Zeiten des Feierns unversehens zu Gelegenheiten der Flucht vor uns selbst und zu Anlässen der Betäubung geworden" (GA 52, 64 f.). Denn, so können wir bereits mit einem Seitenblick auch auf die ebenso brillante wie verfängliche Exklusivität von
9 „Je mehr [...] die meisten Menschen im Alltag dem jeweiligen Anschein und den geläufigen Ansichten über das Seiende anheimfallen und darin sich wohlfühlen und so sich bestätigt finden, um so mehr ,verbirgt sich' ihnen das Sein (λανθάνει). Die Folge dieser Verbergung des Seins ist bei den Menschen, daß sie von der λήθη befallen werden, von jener Verbergung des Seins, die den Anschein erweckt, als gäbe es dergleichen wie Sein nicht." (Ν I, 225)
§ 5 Die Übergangslosigkeit des Feierns
Denken, Dichten und Glauben sagen: wo viel Möglichkeit, da viel Uneigentlichkeit. Wo sich das Dasein in die Möglichkeit versetzt sieht, sich eigens auf sein eigentliches Selbstsein zu entwerfen, verfällt es möglicherweise am deutlichsten und weitesten, d.h. am selbstgewähltesten und dennoch verstecktesten zurück in die Modi der Durchschnittlichkeit, Uneigentlichkeit und Verfallenheit. „Das Feiern als Aufhören" ist ein „bloßes Absetzen und Unterbrechen", das „der bloßen Wegwendung von der Arbeit entstammt" (GA 52, 74). Dagegen vollzieht sich das eigentliche Feiern als aufhörendes Freiwerden-für in der Weise eines innehaltenden Ansichhaltens, das „eine Art des Zu-sich-selbstkommens und Selbstseins ist, darin das eigene Wesen und seine Entfaltung freigegeben wird" und mit dem „das Sichbesinnen und Fragen" beginnt (GA 52, 74). Was Heidegger hier das mit dem wesensgewährenden Selbstsein anhebende Sichbesinnen nennt, ist aus transzendental-horizontaler Blickbahn jedoch nicht mehr hinreichend nachzuvollziehen. Aus seinsgeschichtlicher Sicht eignet dem ekstatisch-transzendentalhorizontalen Wesensverständnis des Feierns noch ein gewisser metaphysischabständiger Grundzug. Das geworfene Sichentwerfen auf einen Horizont hin hat zwar keineswegs mehr den Zug eines Transzendierens auf eine Sphäre des Ansich, sondern versteht sich als das seinsverstehende Einholen seiner selbst. Dennoch schwingt der Entwurfscharakter erst dann in seinen ursprünglicheigentlich-geschichtlichen Vollzugsssinn ein, wenn „der Werfer des Entwurfs als geworfener sich erfährt, d.h. er-eignet durch das Seyn" (GA 65, 239). Aus der Eigentlichkeit des entschlossenen Daseins wird das frei-entschiedene Sichstellen in die Unverfügbarkeit der Entscheidung. Der Mensch ist frei nur, indem er sich fügt in den Anspruch des Seyns, und er fügt sich nur in denselben, wenn er sich frei zu diesem entscheidet. Nun heißt dies weder, daß der Mensch seine Freiheit in fatalistischer Manier einem Geschick überantwortet, noch, daß er sich das Sein als eine hypostasierte Domäne des An-sich aneignet. Der aus dem ereignenden Zuwurf ereignete Entwurf kennzeichnet vielmehr ein Wesensverständnis des Menschen, das die an einem kausalistisch-deterministischen Seinsverständnis orientierte Antinomie von Freiheit und Notwendigkeit weder zugunsten eines Zwanges noch zugunsten der Beliebigkeit auflöst. Beide schwingen vielmehr frei und doch verbindlich in der Kehre von ereignendem Zuwurf und ereignetem Entwurf. Die Antinomie von Freiheit und Notwendigeit kehrt heim, nicht in die aufhebende Geschlossenheit eines Systems (Hegel), sondern in die entscheidungshafte und beunruhigende „Verlegenheit", als welche nicht nur jedes Denken, sondern jede menschliche Verhaltung selbst verfaßt ist. Als geworfener, d.h. als er-eignet durch das Seyn, erfährt sich der Entwurf auch hinsichtlich des feiernden Freiwerdens vom Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche. Das seinsgeschichtlich gedachte Gewöhnliche erschöpft sich jedoch nicht im Nivelliert-Abgenutzten des durchschnittlich-alltäglichen Seinsverständnisses, das durch das eigentliche Selbstsein als Ungewöhnliches erschlossen werden könnte. In der Epoche der Seinsverlassenheit und Seinsvergessen6 Knödler
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1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
heit gehört es vielmehr zur epochalen Wesungsweise der Wahrheit des Seyns, daß das Seiende zum Gewöhnlichsten
und Gewohntesten geworden
¿s^.Das fei-
ernde Frei-von als Frei-für, d.h. der Wechselbezug von Gewöhnlich und Ungewöhnlich, erfährt im 20. Jahrhundert eine ganz eigentümliche und mächtige Ausgestaltung. Wir können den machenschaftlich-erlebnismäßigen Bezug des Gewöhnlichen des Alltags zum Ungewöhnlichen des Festes in der Epoche der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit mit dem Titel eines Filmes benennen, der den nihilistischen Aspekt des Phänomens treffend abschildert: „Saturday Night Fever". In der festlosen Zeit fiebert der arbeitende Mensch dem Wochenende bzw. dem Feierabend oder dem Urlaub in einer gegenüber dem Griechentum oder dem Mittelalter gewandelten Weise entgegen, nämlich so, daß er die Arbeit entweder als notwendiges Übel zur Freizeitfinanzierung von sich wegstößt oder die Freizeit in den Arbeitsablauf hereinholt, indem er sein „Hobby" zum Beruf macht. Die Sehnsucht der Arbeitenden nach Muße und Entspannung gibt es seit Menschengedenken. Gewiß gehört es seit ehedem zur existenzialen Verfassung des Daseins, Alltag und Feiertag gegeneinander auszuspielen. Noch nie wurden jedoch Arbeit und Freizeit, Alltag und Fest, derart übergangslos aufeinanderverrechnet und machenschaftlich eingerichtet. Alltag und Feiertag stehen nicht mehr in ihrer Gegensätzlichkeit ineinander hinein. Das wirklich gelebte Leben beginnt vielmehr erst dann, wenn man etwas Außerordentliches erlebt. Weil die Sensationen solcher „Feierabende" und „Feiertage" jedoch meist nicht das sich mit ihnen auftuende Sinnvakuum auszufüllen vermögen und weil der Mensch außer einem arbeitsdienlichen Erholungseffekt und einer Reihe vergleichender Erzählungen nichts Übersetzbares in den Alltag zurückbringt, instrumentalisiert er diesen umso mehr zum Sprungbrett für größeres Erleben und Erfahren. Nichts Übersetzbares aus der Ausnahmesituation zurückbringen, heißt hier, kein Gegeneinander- und Ineinander-stehen von Alltag und Festtag, d.h. keinen Übergang zulassen. Daß der Bezug von Feiertag und Alltag nicht nur eine Frage von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, sondern von Ereignis und Enteignis ist, enthüllt sich erst im denkerischen Entwurf auf den machenschaftlich-erlebnishaften Charakter zeitgenös-sischen Feierns. Am deutlichsten tritt der uneingestandene und unausgetragene
Übergang
zwischen Alltag
und Feiertag
in der Pop- und Me-
dienkultur zu Tage, wenngleich der Entzug dieses Überganges sich ohne weiteres auch an jedem Kultur-bewahrertum aufweisen ließe. Was Aldous Huxley in seinem epochemachenden Buch „The Doors of Perception" 10 zum Programm und Grundwesenszug künstlerischer, religiöser und ekstatischer Erfahrung erklärt: das außergewöhnliche, nicht aber für die 'ganze Menschheit zu gleicher
10 A. Huxley, The Doors of Perception/Heaven and Hell. Harmondsworth 1973. Dt. Die Pforten der Wahrnehmung/Himmel und Hölle. Erfahrungen mit Drogen. Üb. v. H. E. Herlitschka. 10. Aufl. München 1981.
§ 5 Die Übergangslosigkeit des Feierns Zeit zuträgliche Überschreiten der alltäglich-notwendigen, zugleich aber abgeschliffenen Wahrnehmung - hier durch die wissenschaftlich beaufsichtigte Einnahme von Drogen, andernorts und zu anderer Zeit durch künstlerische, religiöse, ekstatische oder psychotische Erfahrungsweisen - bringt nicht mehr nur das „Lebensgeführ einer Generation, sondern das Selbstverständnis einer globalen Zivilisation zum Ausdruck. Was in den Sechziger-Jahren des Jahrhunderts noch als Skandalon auftrat und dankbar als solches aufgenommen wurde: das die freie Liebe, den freien Drogenkonsum und die freie Gesellschaft dichtende und inszenierende „Break on Through (To The Other Side)" 1 1 der amerikanischen Rockgruppe „ T h e Doors", bestimmte schon lange zuvor das Feiern des abendländischen Menschentums. 1 2 In ihm begegnet der seinsgeschichtlichen Zugangsweise die Vollendung jenes machenschaftlich-erlebnishaften Selbst- und Weltbezuges, wie er schon in der Platonischen Metaphysik angelegt ist und sich sowohl in Hegels absoluten Idealismus als auch in Nietzsches W i l l e n zur Macht vollendet. Was nimmt es also wunder, wenn so unterschiedliche Festkonzepte wie das schamanistisch-dionysische eines Jim Morrison, der faschistisch gefeierte Triumph des Willens und die Zukunftsvisionen der von der Computerindustrie in A n g r i f f genommenen „pleasure-machine" auf Nietzsches „Geburt der Tragödie" Bezug nehmen! 1 3 Welche geschichtliche Konsequenz kommt darin
11 Im Falle des Verfassers dieser Zeilen, Jim Morrison, läßt sich sogar ein unmittelbarer Einfluß von Huxleys „Doors of Perception", insbesondere aber von Nietzsches „Geburt der Tragödie" nachweisen, wie dies Thomas Collmer getan hat (T. Collmer, Pfeile gegen die Sonne. Der Dichter Jim Morrison. Augsburg 1994, insb. Kap. 6 und 9). Letztlich bedarf es solcher herausragender Ausnahmen nicht. Der Mainstream moderner Popkultur hält sich weitgehend in den Bahnen des „Roll over Beethoven", ohne der kommerzialisierten, institutionalisierten und instrumentalisierten Gleichschaltung seines eigenen Sub-kulturcharakters gewahr zu werden. 12 Aus einem gewissen historischen Abstand zu den „rebellischen" Anfängen der Popkultur scheint es fast so, als schwinde auch die parteiliche Kluft zwischen den verordneten Festen der totalitären Systeme und den freien Festen der modernen Pop- und Sub-Kultur. Es entzieht sich dem dialektischen Norm-Abweichungsmodell, daß das Sub-kulturelle in den letzten Jahren in direkthin massensuggestiver Weise kommerzialisiert und manipuliertiert wird. 13 So schlägt H. Rheingold in seinem Buch „Virtuelle Welten" einen furchterwekkenden Bogen von den „paläolithischen VR-Kammern" (VR = „virtual reality") und den eleusinischen Mysterien über Piatons Höhlengleichnis und die aristotelische „Poetik" (als einer Matrix zur Entwicklung einer Programmiersprache für begehbare virtuelle Kultwelten) zur Geburt der Tragödie. Vor allem Bates und B. Laurel entwickeln eine computerorientierte Dramentheorie. Im Computer verwirkliche der abendländische Schöpfergeist endlich jene Illusionsmaschine, um die es angeblich schon den „alten Griechen" gegangen sein soll: „Computer sind Theater. [...] Zweitausend Jahre Theorie und Praxis des Schauspiels haben zu einem Ergebnis geführt, das bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der jungen Disziplin der Konstruktion von Mensch-Copmuter-Interaktionen aufweist, nämlich der Schöpfung künstlicher Wirklichkeiten, die die Möglichkeit zu kognitiv, emotional und ästhetisch erweitertem Handeln bieten" (B. Laurel, Computers as Theater. Menlo Park 1991). „Die Griechen benutzten Drama und Theater als Werkzeuge des Denkens - nicht anders, als wir sie in nicht allzu ferner Zukunft einzusetzen geden-
1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
zum Ausdruck, wenn sich der dialektische Materialismus eines Marx und Engels oder die „Dialektik der Aufklärung" von Horckheimer und Adorno auf Hegels dialektische Denkbewegung berufen! Aus seinsgeschichtlicher Blickbahn ist die Flucht vor dem besinnlichen Feiern demnach nicht nur eine Frage der Uneigentlichkeit als eines Existenzials. Die gegenwärtige Epoche ist im wesentlichen nicht festlos, weil eine „ausgeflippte" Jugend die letzten bestehenden Werte zugrunderichtet oder weil der „Spießer" noch die Herrschaft hat. In ihr spricht sich vielmehr die Weise aus, wie in der gegenwärtigen Epoche Wahrheit west: als Ent-eignis. Die Verrechnung des Feierns als eines Mittels der Entspannung und Erholung auf seine Arbeitsdienlichkeit hin, die Einrichtung und Abschaffung von Feiertagen nach der Art der Arbeit, die Verfügbarmachung des Alltäglichen hinsichtlich seiner Nutzbarkeit und die aus der Un-eigentlichkeit stammende Beanspruchung unseres Wesens führen zu einer Verödung von Mensch und Ding im Geläufigen,
die
„epochale Gründe" hat. Denn obschon „das Feiern als ein Ruhenlassen der Arbeit seine Art nur aus dem ursprünglichen Wesen des Feierns" (GA 52, 64) bestimmt und obwohl „es sich doch schon im geläufigen Feiern ankündigt", sind wir Heutigen „diesem Wesen kaum mehr gewachsen" (ebd.). Obwohl also dem Feiern als Innehalten mit der Arbeit bereits die Grundzüge eines seinlassenden Selbst- und Weltbezuges eignen: Ansichhalten, Aufmerken, Fragen, Besinnung, Erwartung..., d.h. obwohl es uns vor eine geschichtsträchtige Entscheidung stellt, hören wir nicht auf diesen Anspruch. Uns glückt ebensowenig das Gespräch, das der Mensch ist, wie das Gespräch, das Menschen und Götter im Fest sind. Entweder machen wir das Fest zur Gelegenheit der Flucht und zum Anlaß der Betäubung oder wir verrechnen es zurück in den Alltag. Heidegger zufolge
ken" (ebd.). Laurel nennt die so auf die persönlichen Vorlieben des „Einzelnen" hin programmierten Kulterfahrungen sinnigerweise „Erlebnisse in der ersten Person". „Ein VR-Schöpfer erschafft eine Welt, in der das Publikum agieren kann. Das Publikum stellt sich also nicht nur vor, es erlebe eine interessante Wirklichkeit, sondern es kann sie direkt erfahren." (R. Walser, Elemtents of a Cyberspace Playhouse. Anaheim 1990) Zur technischen Verwirklichung dieser begehbaren Festwelt soll die Entwicklung einer visuellen, intelligenten und persönlichen Mensch-Computer-Schnittstelle beitragen: gezieltes und berechnetes Einwirken auf Herzrhythmus, Hormonspiegel, Instinktsysteme, der Datenhandschuh (Data-Glove), der Datenanzug, die visuelle und auditive Maske („Gesichtsschlucker") und andere Input-Apparate. „Die Hardware-Systeme, die den Menschen und den Computer verbinden, werden gesteuert und vermittelt durch ein Software-System, das [...] Computergrafik, Sprach- und Bewegungserfassung, Weltmodellierung und Anwender-modelluierung umfaßt". (H. Rheingold, Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace. Hamburg 1992, S. 470) Zugleich soll durch die Verkabelung der Welt zu einem elektronischen Medienraum und über die jedem (?) jederzeit zugänglichen Weltmärkte die Verflechtung der Datennetze Zustandekommen, zu der zugleich Filme, Videos, Compact Discs, sprechende Spielzeuge, Nachrichtensendungen, Videospiele und Vergnügungsparks beitragen (Zur In-Bezug-Setzung des Heideggereschen Denkens mit dem Phänomen der künstlichen Intelligenz vgl. K. Leidlmair, Natur und Geist - ein nicht hintergehbares Verhältnis? Klagenfurt 1995).
§ 5 Die Übergangslosigkeit des Feierns
verfehlen wir das aus eigener Wesenskraft stammende Feiern und mit ihm das geschichtlich gegründete Wesen des Festes also nicht, weil wir zu wenig, sondern weil wir zu sehr feiern. Das Fest ist nicht bedingt durch das Machen der Menschen, die ,ein' Fest zu irgendeinem Zeitpunkt von sich aus ,ansetzen' und irgendwo ,inszenieren'. „Das Fest" entsteht und ist nicht durch das Veranstalten von Feiern, sondern alles echte Feiern west nur aus dem Fest und hat seinen Bestand im Fest, dem die Feier entstammt, indem sie ihm dient. Das Fest ist der Grund der Feier. (GA 52, 69)
Das dienende Verhältnis des feiernden Menschen zum Fest als dem Grund der Feier bleibt in der Epoche der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit aus. Das Geschehen dieses Ausbleibs ist als ein Geschick zu verstehen, das sich nicht wiederum durch die Inszenierung und Ansetzung besonders gelungener oder seinsgemäßerer Feste oder Kulte selbst „abschaffen" oder „überwinden" läßt. Ja, „Abschaffung" und „Überwindung", „Umgestaltung" und „Uminszenierung" „irgendwann" und „irgendwo", d.h. zu selbstgewählter Zeit an selbstgewähltem Ort, gehören vorerst und auf lange selbst zum machenschaftlicherlebnishaften Fest-Un-wesen. Das heißt andererseits nicht, daß wir auf die Wiederkunft eines geschichtlich gegründeten Festwesens warten sollen, wie auf ein eintretendes oder nicht eintretendes Vorkommnis. Die aus der denkerisch erfahrenen Not ernötigte Vorbereitung der unverfügbaren Entscheidung über Ankunft und Ausbleib der Götterung im Fest redet weder der Passitivität noch dem Aktivismus und weder der Theorie noch der Praxis das Wort. Feiern und Denken des Festes lassen ein gewandeltes Festwesen nur anklingen aus dem Anklang der Not der Festlosigkeit. So wie das Feiern sein Wesen darin hat, „auf dieses Ereignis sich zu sammeln und in solcher Sammlung sich zu lösen aus der gierigen und ratlosen Verzwungenheit in das gewohnte Gewöhnliche, um frei zu werden für den Anklang des Kommenden" (GA 52, 73), in gleicher Weise hat sich auch ein Denken des Festes aus dem Anklang der Seinsverlassenheit und Seinsvergesssenheit für ein gewandeltes, von ihm unverfügbares Festdenken bereitzumachen. 14 Die Seinsverlassenheit des Gefeierten und des im Feiern begegnenden Seienden ist ebenso eklatant wie die Seins- bzw. Festvergessenheit des feiernden
Menschen. Vom „Grund zum Feiern" als solchem, d.h. vom Fest als Grund allen Feierns geht nichts mehr aus. „Feste" werden angesetzt und inszeniert, ihre 14
Heidegger zufolge leben wir in einer festlosen Zeit. „Stimmt" das? „Trifft" dies so generell für alle Festphänomene unserer Zeit „zu"? Oder gilt es bloß für die „oberflächlichen" und „ausgeflippten" Feste der Popkultur, die „spießigen" Veranstaltungen von Bürgertum und Establishment oder die Staatsfeiern totalitärer Systeme? Wir antworten: Zumindest im Ausgang von der Heideggerschen Kritik nimmt sich die Rettung eines selbstbevorzugten Binnenbereiches, wo noch geschichtsträchtig gefeiert werden soll, als lächerlich aus, auch wenn Heidegger zuweilen einräumt, daß einigen Einzelnen noch ein ursprünglicher Bezug glücken möge!
1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
Anlässe definiert, diskutiert und festgelegt. Feiertage gelten als „Einrichtungen menschlicher Mache" (GA 52, 65). Das Gefeierte und das zum Fest gehörige Seiende werden in einer Weise hergestellt, organisiert und bereitgestellt, die nichts mehr von diesem Seienden selbst ausgehen läßt. Gewiß, im pompösen Stile vorbereitet und organisiert wurden auch mittelalterliche und antike Feste. Doch war der „Teil des feiernden Menschen" beim Fest noch nie so sehr von dessen Machbarkeit geprägt wie heute. Daß wir mit unserem Anschluß an eine „pleasure-machine" 15 nur gesundheitliche, psychologische, politische, soziale, ökologische oder ökonomische Gefahren verbinden und uns im besten Falle um Gegeninszenierungen bemühen, zeugt davon, daß die Gefahr, die Not des gänzlichen Entzuges der Wahrheit des Seyns verstellt ist. Manche von uns mögen die Gefahren heraufbeschwören, die der Anschluß an die Vergnügungsmaschine und an das durch sie gewährleistete Konsumangebot von Erlebnissen mit sich bringt; wir mögen von einer „terminal-identity", d.h. von einer Identität sprechen, die die Festesfreuden nur noch aus dem Blick auf den Computer- oder TV-Bildschirm definiert; wir mögen davor warnen, daß jener Mensch der sich als „exthropian" durch Computerprogrammierung über das Anthropische hinausversetzt in einer „hyper-reality" des Cyberspace zum virtuellen Gott, d.h. zum vermeintlich freien Gestalter eines Hyper-Raumes und einer Hyper-Zeit wird - daß aber unser für originärer gehaltener „Erlebnis-Begriff, unser Gemeinverständnis von „Identität", „Mensch", „Realität", „Gott" und „Virtualität" selbst mit in eben jenes Geschick gehört, welches diese Gefahr steigert und perpetuiert, wollen wir nicht wahrhaben. So ziehen wir mit Erschrecken in Betracht, daß unsere Angst vor den Gefahren der Technologie nur einer anderen, weniger offensichtlichen, vielleicht aber umso perfideren und somit schleichenden Ausgestaltung des machen-schaftlichen Herrschaftsanspruches entstammt (so auch die Dekonstruktion?). Die Heraufbeschwörung der Gefahren des Fortschrittes gehört oft mit zu deren Verherrlichung. Sie hält den Widerstand im Paradigma der eigenen unumstößlichen Macht, auch und gerade wenn sie sich selbst der Zerstörung bezichtigt. Wenn Heidegger also sagt, Feiertage seien in ihrem geschichtlich gegründeten Wesen „nicht, was sie sind, durch eingerichtete Veranstaltungen" (GA 52, 75), so müssen wir unserem vermeintlichen Nachvollzug gegenüber verhalten 15
Das bereits angesprochene Konzept der „pleasure-machine" besteht in der Erzeugung einer akustischen, visuellen und taktilen Illusion, die durch verschiedene technische Mittel den „ganzen" Menschen in eine virtuelle Welt einbinden soll, so etwa durch Anzüge, Masken, Anschluß an die medula oblongata oder durch künstliche Drogen. Als „pleasure-machines" können jedoch schon die Freizeitparks bezeichnet werden. Im japanischen Ocean-Dome etwa wird unter der zu öffnenden Kuppel einer Großhalle an einem Sandstrand aus zermahlenem Marmor, unter mumifizierten Palmen in Quellwasser Badevergnügen angeboten. Während vor der Türe Wald und Meer im Sterben begriffen sind, wird drinnen in vollkontrollierter Umwelt das Reiten auf computergenerierten Wellen und das Surfen am künstlich erzeugten Wind angeboten.
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bleiben. Dies gilt vor allem, wenn Heidegger ausfuhrt, für Hölderlin sei das Fest „kein vom Menschen gemachtes Gemächte, ja überhaupt keine Begebenheit, die sich im Ablauf der übrigen Vorkommnisse auch verzeichnen ließe" (GA 52, 76). Weder Menschen noch Götter können von sich aus die Entgegnung betreiben oder bewirken. Die Höfe des Heilen, des Heiligen, der Gottheit, der Götter oder des Gottes eröffnen sich nach Heidegger heute nur dem seinlassenden Selbst- und Weltbezug. „Der Mensch kann im Bereich des Wesenhaften nie Geschichte ,machen', gleichwenig wie der Gott." (GA 52, 127) Götter und Menschen „machen stets nur ihre Gemächte und die dazu gehörigen Mächler" (ebd.) 16 . Wir insistieren nochmals darauf: daß das Fest heute weitestgehend zu einem vom Menschen machbaren Gemächte geworden ist, „trifft" für eine feierliche Opernaufführung in der Londoner Carnegiehall nicht so viel weniger „zu" als für eine „Techno-Party". Heideggers Erkenntnis aus dem „Technik"-Vortrag, das Ge-Stell stelle, wo der Mensch das Seiende bereits auf seine Bestandsicherung hin ausgerichtet und manipuliert, d.h. gestellt habe, rückwendig wiederum den Menschen (VuA, 27 ff), gilt auch für Feier und Fest. Ist das Feiern erst einmal, wie die alltäglichen Verhaftungen auch, machenschaftlich geprägt, so zeigt sich das Gefeierte nur noch als ein Machenschaftliches, ja, es fordert rückwendig gar den Menschen dazu heraus, machenschaftlich zu feiern. Ob nun bewahrenswertes Kulturgut in möglichst kommerzieller, eingängiger und medienwirksamer Weise, sei es einer Elite Verständiger, sei es einem möglichst breiten Publikum, zugänglich gemacht wird, oder ob diese hochstehendtraditionellen Kulturformen durch gezielte und offensive Abgrenzung einer sich bodenständig, ehrlich, problembewußt, sozial und unkapriziös gebärdenden Sub-kultur Platz machen sollen, stets bleibt der repetierende Bezug zu dem, was war, wird und ist bzw. zum Gewöhnlichen und Ungewöhnlichen. Wo die konservativen, kultur- und brauchbeflissenen Feierer vermeinen, ein Kulturgut konservieren zu können und sich dazu gerade der „Mittel" bedienen (müssen und 16 Wenn wir an dieser Stelle nicht beachten, daß die fugenhaften Bereiche des Göttlichen keine statischen Existenzebenen sind, sondern sich jeweils im Vollzug, d.h. in der Widerfahrnis auftuende Geschehnisweisen des Göttlichen eröffnen, dann muß das hier Gesagte metaphysisch erscheinen. Ebensowenig muß die Verhaltenheit des ereignishaften Bezuges zum Göttlichen dem „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn" widersprechen, das seinem zwingenden „Herausfordern" des Engels zum Trotz von einem seinlassenden Selbst-, Welt-, und Gottesbezug geprägt ist. Die religiösen und sprituellen Zugangs- und Begehungweisen des Göttlichen nehmen sich in seinsgeschichtlicher Blickbahn keineswegs nur als machenschaftlich und erlebnishaft aus (alsob Gebet, Meditation, Therapie, Ritual das Erlebnis des Göttlichen herstellten und Gott er-meditiert würde). In gleicher Weise wie ich meine, daß ein metaphysisch denkender oder gar erfahrender Mensch geschichtsstiftende Taten und Opfer vollbringen kann, glaube ich, daß sich zwischen Gott und Mensch Bezüge ereignen können, die sich weit diesseits der Philosophie halten, selbst wenn sie, wie hier, das Denkbare an Gott aufs redlichste hinterfragt.
1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
wollen), die diese Kultur zerstört hat, zerstört und zerstören wird, da greift die lauthals postulierte Ablehnung von Bräuchen, Sitten und Konventionen mit ihrem Willen zum Sich-nicht-vorschreiben-lassen-Wollen wo, wann und wie man zu feiern hat, uneingestandenermaßen und unweigerlich auf jene Massenmedien, Konsumgüter und Rauschmittel zurück, die das Überkommene geradezu zementieren. Ist die subkulturelle Revolution erst einmal etabliert und instrumentalisiert, was bei der Popkultur längst „der Fall" ist 17 , kann sich der Konservative sogar mit einem gewissen Recht den Anstrich des Revolutionären geben. Daß konservative und subkulturelle Festkulturen im Gewand des Ungewöhnlichen bloß das Gewöhnliche repetieren, hat, wie wir nun sehen, nicht nur kausal-deterministische, sondern allem zuvor seinsgeschichtliche Gründe. Ein historisch-kausalistisches Geschichtsverständnis, sei es nun konservativ, liberal oder revolutionär, ist dazu verdammt, jedes Herkommen und jede Hinkunft aus dem eigenen Kausalitätsprinzip zu definieren und auf es hin zu verrechnen. Dies verhindert zum einen, daß ein wahrhaft gewandelter, sich freischwingend zuwerfender Geschichts- und Wahrheits-bezug gegründet wird, und führt zum anderen dazu, daß das eigene Konzept sich nicht mehr vom Wahrheitsgeschehen bestimmen läßt, sondern dieses vielmehr auf seine Bestätigung hin ,zurechtinterpretiert'. Die Zeitigungweise des Revolutionären ist pure Wiederwälzung, die des Konservativen verkappter Modernismus. Was Heidegger dem andersanfänglichen Denken überhaupt einräumt, können wir deshalb im Anklang auch ftir das andenkende Feiern in Erwägung ziehen: „Vielleicht ist dieses andere Denken eine Wandlung, der gegenüber alle Revolutionen' zur Hilflosigkeit der losgelassenen Machenschaft eines grundlosen Menschentums herabfallen, weil sie sich im Umwälzen nur bedingungslos in das Bisherige fortwälzen und verstricken" (GA 52, 93). Somit beantwortet sich die oben bereits angerissene Frage, ob das zeitgenössische Menschentum nicht der mit dieser machenschaftlichen Festkultur einhergehenden Gefahr eingedenk ist, von selbst. Aus seinsgeschichtlicher Perspektive ist es überaus berechtigt, vom Sichbreitmachen des Unseienden in der Seinsverlassenheit als einem ,großen' Geschehen zu sprechen. Aus Heideggers Warte, von der aus wir hier blicken, gehört gerade das globale KatastrophenDenken mit in dieses ,große' Geschehen. Insofern es die Gefahr zu einer rein gegenständlichen macht, zementiert und perpetuiert das Endzeitdenken gar noch die geschichtlich gedachte Gefahr. Vielleicht ist die Kultivierung der technokratischen Rede von der globalen Katastrophe sogar das letzte imperiale Sichaufbäumen des abendländischen Menschentums, das die von ihm definierte 17 So feierte die Hippie-Bewegung sinniger- und hellsichtigerweise schon 1967 mit folgender Todesanzeige in San Francisco ihr symbolisches Begräbnis: „FUNERAL NOTICE: HIPPIE In the Haight A. District of this city, Hippie, devoted son of Mass Media" (San Francisco Oracle v. 6.10.67, 3). Seit Anfang der 90er-Jahre verbreitet sich zusehends das Bewußtsein vom „Death of Pop" (Brian Eno).
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„Menschheit" so gerne mit vor seinen nihilistischen Abgrund gestellt sieht und am liebsten mit hinabreißen würde. Das Heraufbeschwören und Immer-wiederHeraufbeschwören von Endzeitszenarien erscheint nicht nur wie ein wenig aussichtsreicher, da weniger auf Besinnung denn auf möglichst schnelle „Reparatur" bedachter Bannungsversuch, sie trägt selbst kultisch-zelebrale Züge, die herauszustellen die Aufgabe einer anderen, berufeneren Arbeit wäre. Unüberhörbar klingt die festlose Zeit dagegen an, wenn wir die postmoderne Festkultur hinsichtlich der drei Verhüllungen der Seinsverlassenheit in den Blick nehmen. Die Festlosigkeit in der Verhüllung der Berechnung: Wie wir bereits gesehen hatten, liegt die am leichtesten einsehbare Verhüllungsweise der Seinsverlassenheit im gleichschaltenden Verrechnen der Festzeit auf die kalendarische Zeit oder die Arbeitszeit. „Äußerlich rechnend sagen wir: an Feiertagen werden Feste' gefeiert. Zumeist nehmen wir dabei das ,Fest' im Sinne einer Einrichtung, der eine Folge von Veranstaltungen entspricht." (GA 52, 67) Bereits in dieser Gleichsetzung von „Feiertagen", Festtagen und Festen und ihrer Einreihung in die Zeitenfolge des Kalenders liegt die Tendenz, Feste als regelmäßig wiederkehrende und in ihrer Abfolge eingerichtete und einzurichtende Begebenheiten innerhalb des historisch zu verzeichenden Ablaufs der Wochen, Monate und Jahreszeiten zu nehmen oder von der Arbeit her bzw. auf die Arbeit hin zu rechnen (vgl. GA 52, 64). Nach dem Richtmaß dieser Zeitrechnung sind Festzeiten denn auch „,provisorische'", „,vorläufige' und deshalb vorübergehende, d.h. auf das baldige Verschwinden und Überwinden berechnete Zeiten" (GA 52, 83). „Die Weile wird als das Zeitweilige gerechnet." (GA 52, 103) Indes entzieht sich der geschichtliche Augenblick, d.h. die seinsgeschichtlich gedachte Weile des Festes der Zeitrechnung (GA 52, 80). „Was im Gesichtsfeld der Rechnung kurz dauert, kann doch alles Und-so-weiter des bloßen Fortdauerns überdauern in der Weise des anfänglichen, aus dem Anfang und in ihn zurück wesenden Bleibens" (GA 52, 104). Die Besinnung auf dieses anfängliche Wesen des Feierns ist kein „bloßes Rechnen, Kalkulieren, wie etwas einzurichten und den Umständen abzulisten sei" (GA 52, 146). Indes setzt die Berechnung nicht erst da an, wo der Ablauf eines Festes bis ins letzte rechnerisch eingerichtet und veranstaltet wird. Die Berechnung durchherrscht als Grundgesetz des Verhaltens immer schon das Feiern und den Bezug zum Gefeierten, zu dem im Feiern begegnenden Seienden und zum feiernden Mitdasein. Daß im berechnenden Selbst- und Weltverständnis alles im vorhinein unter dem Gesichtspunkt der Berechnung und Berechenbarkeit erscheint und wahrhaft seiend und wirklich nur das ist, was sich der Berechnung fügt und als Berechnetes offenbar ist, hat sich so eingefahren, daß es inzwischen schon unter dem Anschein von Spontaneität, Sensation und Abenteuer aufzutreten vermag. Die Berechnung durchherrscht das Feiern streng genommen auch bei der Vorbereitung und im Ablauf des Festes: die Lebensmittel werden im Supermarkt gekauft, das Festessen mit einem Elektroherd zubereitet, eine Platte wird aufgelegt, Genußmittel und Drogen werden konsumiert - und stets ist der Mensch schon so beim Sei-
1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
enden, daß die möglichen Erfahrungswerte mit diesem Seienden schon irgendwie berechnet sind. Die Festlosigkeit in der Verhüllung der Schnelligkeit: Auch die Schnelligkeit begegnet zuerst in der Gestalt der Geschwindigkeitssteigerung. Feste werden durch schnelle Beschaffung, Zubereitung, Anreise etc. nicht nur immer schneller und leichter organisierbar, auch ihr Verlauf selbst verschnellert sich. Die epochale Zeitigungsweise des Alltags, gerne unter dem Titel „Streß" auf die arbeits- und leistungsdienliche Entspannung hin verrechnet, setzt sich auch am Feiertag fort. Ja, wenn sich schon der Alltag als mühseliger Streß ausnimmt, dann soll sich wenigstens der Feiertag als erquickender Streß gestalten. Um hierbei einen möglichst schnellen, gleichmäßigen Fluß angenehmer Vorkommnisse zu gewährleisten, wird das Unerwartete entweder wegorganisiert oder, was freilich paradox ist, in das Planbare hineinorganisiert. Diese Organisation wird durch die Verschnellerung der ausgeübten Reize erreicht, die meist in einer Erhöhung der Wiederholungsrate besteht. Stets geht mit dieser Verschnellerung das Nichtaushalten des freischwingenden Aufkommens von Stimmungen einher, liegt doch gerade im Aufkommen zugleich das Plötzlich-Jähe und das Hingezogen-Aussetzende des seinsgeschichtlich verstandenen Überganges, das in die machenschaftlich-erlebnishafte Organisation so gar nicht paßt (Fertigprodukte, Medien, große Effekte). Dagegen macht es die Fixierung der Aufmerksamkeit der Feiernden auf das Sensationelle sowohl den Organisatoren als auch den Organisierten leichter, zu einer möglichst schnellen Reiz- und Erlebnisausbeute zu kommen. Gerade am Fest zeigt sich so, daß sich die Informationsgesellschaft und ihr Seinsverständnis als Information in eine Reizkultur verwandelt. Bezog sich die Information noch auf einen Informanten, so wird das informierbare Subjekt in der Reizkultur in ein dezentriertes Gitter aufeinander bezogener Effekte und Informationen vernetzt. 18 Dadurch wird umso deutlicher, daß hier die Flüchtigkeit zur Beständigkeit wird.
18 Dies zeigt sich deutlich an Werbespots, die sich bei ihren Animationen längst nicht mehr auf ein in sich geschlossenes und aufeinander bezogenes Gefüge von Argumenten und Produktinformationen beschränken, sondern es bei Signalen für das Unbewußte bewenden lassen. Diese Signale sind meist nur durch ein in sich flimmerndes Reizgitter, d.h. durch kein übergreifendes kybernetisches Netz mehr aufeinander bezogen. Synthetische Drogen steigern die wahrnehmungsspezifische Geschwindigkeit und den Herzschlag und führen zusammen mit Lichteffekten zu einer Verschnellerung, die einen hyperdynamischen Stillstand an Reizen zur Folge hat. Der Wandel der Moden und Stile verschnellert sich zusehends. Kommt der neueste Trend bei der Plattenindustrie, auf Sendern, in Clubs und bei Parties zum Durchbruch, dann hat sich seine originäre Form bereits totgelaufen und einem neuen Trend Platz gemacht. Was die meisten „hip" finden, ist meist schon „out". Aus seinsgeschichtlicher Perspektive entspringt dieser Drang zur Geschwindigkeit, zum Immer-Neuen, der Unfähigkeit, festliche Stimmungsbögen und künstlerische Gestaltungen in ihrem verborgenen, d.h. unfaßbaren, unmanipulierbaren und unverfügbaren Wachstum auszuhalten.
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Die Festlosigkeit in der Verhüllung des Massenhaften: Die meisten Festphänomene unserer Zeit sind entweder selbst Mwsettveranstaltungen (Musikkonzerte, Sportveranstaltungen...) oder von Massenphänomenen geprägt. Zur Vermassung des Feierns tragen insbesondere die Massenmedien bei, nicht allein weil sie Feste übertragen und veranstalten und so „ins Wohnzimmer" bringen, sondern weil sie am Massencharakter der meisten Festphänomene wesentlichen Anteil haben: darüber, wie es tatsächlich um etwas steht, was gefeiert werden könnte, informieren uns die Massenmedien und liefern fast alle denkbaren Kommentare; was bei Festen konsumiert werden könnte, wird in ihnen umworben; was Glück für die meisten von uns bedeutet, weiß die Werbung mit ihren zwar gern belächelten, doch umso subtiler angegötzten Wunschbildern. Mit dem Phänomen, daß das Massenhafte derart tief auch in die privatesten unserer Feste hineinzugreifen vermag, hat es wiederum eine geschichtliche Bewandtnis. Daß wir im Feiern bald nur noch die „images" der Massenproduktion und des Massenkonsums anblicken, ist als eine späte, zwar degenerierte, doch zugleich konsequente Folge und Endgestalt jenes είδος auszulegen, das bereits bei Piaton technisch-poietische Grundzüge trägt. Die modisch-trendmäßigen Verhaltensweisen und „images", das beim Fest konsumierte oder rezipierte Seiende und die von uns gefeierten Idole der Freiheit, der Freude, des Genusses etwa, können wir mit einigem Recht als die erstarrten, vergegenständlichten είδωλα Piatons betrachten. Darüberhinaus zieht das grundsätzlich begrüßenswerte Zugänglichsein
von allem für alle, überall und zu jeder Zeit die Erwartung ab von
den Dingen selbst. Der sie umgebende Hof schwindet dahin. Sie sind des Feierns nicht mehr würdig. Tragen sie nicht das imageerzeugende Etikett, so verlieren sie ihren festlichen Charakter. Dies mag gewiß eine Konsequenz des Wohlstandes sein: wo jeden Tag Wein getrunken wird, verliert der Wein seinen feier-täglichen Charakter; dies dürfte am Hofe Agamemnons oder Ludwigs des XIV. kaum anders gewesen sein als heute. Wo aber der Wein zum unbegrenzt, jederzeit und überall verfügbaren und fast unbegrenzt haltbaren Massenprodukt wird, nach DIN-Norm abgefüllt, landes-, europa- und weltweit vertrieben, möglichst verschnitten und mundgerecht aufgemischt, da ebbt auch das Angewiesensein auf das Schmecken des getrunkenen Weines ab.So kommt unsere Vergegenwärtung des zeitgenössischen Festes als eines Festes des Nihilismus wiederum zu der Frage nach dem Sichzeigen eines gewandelten bzw. verwandelnden Festwesens zurück. Von Heidegger herkommend, hatten wir Nietzsches klassischem Nihilismus diesen verwandelnden Charakter abgesprochen. Nietzsches Tanz vor dem Abgrund ist in Heideggers Augen der Tanz und die Feier jenes Seinsverständnisses, das sich vor dem Nihilismus in das Subjekt zurückbeugt. In anderer, zukünftigerer, da von weiter her kommender Weise „entschieden zur Not und zum Austragen der Not" (GA 52, 129) als Nietzsche, der Denker, war für Heidegger Hölderlin, der Dichter, dem wir uns im Fugenbereich der Gründung widmen werden. Wo Nietzsche den endgültigen Tod des überkommenen Gottes feiert und dem Übermenschen seine Schöpfung sich selbst überläßt, grüßt Hölderlin aus der Erfahrung der Götternacht die gewese-
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1. Hauptstück, Kap. 1: Der Anklang in festloser Zeit
nen Götter, um aus der Not ihres Entzuges die künftigen als die zu erharren, „die zum Fest kommen sollen und das Fest mitbestimmen können" (ebd.). Hölderlin verharrt in für Heidegger einzigartiger Weise vor dem Abgrund, er „spricht aus dem Erharren, auch dann, wenn dieses Erharren noch ohne Erfüllung, ja sogar ohne unmittelbaren Ausblick auf eine solche ist und eher ein Entbehren, eine Verlassenheit und eine Not" (ebd.). Weil „das Wirkliche, in das uns der Alltag gewöhnt hat, [...] das Offene nicht offen zu halten" vermag, bedarf es jenes Ungewöhnlichen, das „sein verborgenes Maß in der Seltenheit des Einfachen hat, worin sich die Wirklichkeit des gewohnten Wirklichen verbirgt" (GA 4, 102). Weil sich das Ungewöhnliche nicht unmittelbar im Gewöhnlichen antreffen und aufgreifen läßt, bedarf das Gespräch, das der Mensch ist, eines Zuspruches. In der Epoche der festlosen Zeit klingt dieser im Wort des Dichters an, dem die Götternacht widerfuhr und der sie dichterisch ins Werk zu setzen vermochte. „Das Ungewöhnliche öffnet sich und öffnet das Offene nur im Dichten (oder abgründig davon verschieden und zu seiner Zeit im ,Denken')" (GA 4, 103). 19 Insofern dem Fest, wie dieser Dichter, Hölderlin, es als Brautfest von Göttern und Menschen dichtet, „die Geburt derjenigen entstammt, die zwischen den Menschen und den Göttern stehen und dieses ,Zwischen' ausstehen" (ebd.), kommt dem dichterisch gesagten Tag des Festes eine dreifache Bedeutung zu: er ist erstens der Brauttag der Götter und Menschen, zweitens der Geburtstag des Dichters und drittens die Stätte, da das Dichten dem Denken ein geschichtliches Festwesen zusprechen kann, (d.h. da ihm die Götternacht widerfahren und es hören lernen kann auf ein künftiges Gottwesen). „Das Fest stimmt bei seiner Notwendigkeit in eine verborgene Not." (GA 4, 104) Doch auch den Dichter kann „Eines zu gierig nehmen", auch sein Wesen kann einerseits an das 19 Daß für Heidegger die Not zu einem wesentlichen Teil „die Not des heimatlichen Landes" (GA 52, 167) ist, will ich nicht vorschnell auf ein nationales oder gar nationalsozialistisches Problem reduzieren, nicht zuletzt, da sich Heidegger selbst der Hölderlinschen Wendung „nationell" bedient. Wenn Heidegger sagt: „Wir Heutigen sind hier so wissenlos, weil wir trotz der Nöte eines Zweiten Weltkrieges immer noch nicht die eigentliche Not zu erfahren vermögen, die aber, noch nicht ausgelegt [Hölderlin] vorausgelitten hat" (GA 52, 72), so mag der Eine darin eine von vielen waghalsigen Spitzen gegen das Nazi-Regime, der Andere einen nationalsozialismus-internen Linienstreit sehen. Ich dagegen lese dies vor einer Verurteilung Heideggers zuallererst in Bezug zu den Nöten, die es mir abnötigen, in Heideggers Rede von der Not der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit einen verantwortungsvollen Zugang zur atomaren Gefahr, zur Gen-Technologie, zur Umweltzerstörung, zur Energiebeschaffung und diesbezüglicher Eroberungsfeldzüge (Golfkrieg) und der mangelnden Bereitschaft zur geschichtlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu finden. Deshalb wandle ich Heideggers Satz ab: Wir Heutigen wissen über Heideggers Vergehen so gut bescheid (sei es nun be- oder entlastend), weil wir von unserer eigenen Teilhabe an einschlägigen Verbrechen nichts wissen wollen und lieber über unsere eigene faktische Verantwortung hinweg in die historische Bearbeitung eines „Falles Heidegger" springen.
§ 5 Die Übergangslosigkeit des Feierns
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Gottwesen und andererseits das Menschenwesen fortgerissen werden, „in die Entzweiung fallen und in den Zweifel geworfen werden" (GA 4, 104). Indes vermochte Hölderlin die Erfahrung seiner und unserer Epoche als einer festlosen Zeit nur in die dichterische Vorbereitung eines künftigen Brautfestes wenden, weil er wußte, daß das Griechenland „in einem neuartigen Sinne notwendig geworden" (GA 52, 140) ist. Hölderlins andenkendes Dichten eines andenkenden Festwesens gewann sich im Denken an das gewesene Fest des Griechenlandes und im Denken an ein künftiges Fest. In gleicher Weise nun denken auch wir auf dem Weg des Nach- und Mitdenkens des seinsgeschichtlichen Denkens aus dem Anklang der gegenwärtigen Epoche als einer festlosen Zeit an das Fest-Denken des ersten Anfanges, um so den Übergang zu einem übergänglichen Fest-Denken zu bereiten.
Zweites
Kapitel
Das Fest des Mythos als das Brautfest von Göttern und Menschen „Post festum venisti." Erasmus"
§ 6 „Beginn" und „Anfang" frühgriechischer
Festlichkeit
Im Fugenbereich des Zuspiels schwingt sich das seinsgeschichtliche Denken des Festes ein in den Vollzugssinn des von Hölderlin dichterisch gesagten Andenkens. Am Ende seiner „Andenken"-Vorlesung kennzeichnet Heidegger diesen dichterisch-andenkenden Bezug der gegenwärtigen Festlichkeit zum gewesenen und künftigen Fest wie folgt: Das andenkende Denken denkt an das gewesene Fest, indem es vordenkt an das kommende. Dieses zurück- und vor-denkende Andenken denkt aber beidem zuvor an das Schickliche. Das Denken auf das Schickliche gehört dem Schicksal an. Solches „denkende" Angehören ist das anfängliche Wesen des Andenkens. (GA 52, 194)
Das anfängliche Wesen des Andenkens bereitet eine mögliche künftige Wesung des Festes vor, indem es auf das erstanfängliche Fest zurückdenkt. Wie wir im folgenden aufzuzeigen gedenken, weste die Wahrheit des Seyns im ersten Anfang in einer übergänglichen Weise. Dadurch kam zuweilen, in der Weile des Festes etwa, das Schicksal zum Ausgleich. Aus dem Gruß des Heiligen ereignete sich die brautfesthafte Entgegnung von Göttern und Menschen. In der gegenwärtigen geschichtlichen Epoche als einer festlosen Zeit hingegen ist das Schicksal weithin unausgeglichen. Das Heilige entzieht sich. Die festliche Götterung bleibt aus. Dies aber macht die Vorbereitung des Schicksalsausgleichs not-wendig.
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Erasmus hat die lateinische Verflachung dieser ursprünglich griechischen Redensart auf treffliche Weise ironisiert: Während der zu Beginn des Gorgias zu spät zum Fest (έορτή) gekommene Sokrates ausruft „Also sind wir doch wohl, was man nennt, nach dem Fest gekommen und verspätet" (Gor. 447 a), fragt Varro in seiner „Landwirtschaft" „Num cena venimus?" „Kommen wir etwa zum spät zum Essen?" „Der Römer", so Erasmus, „kam also nicht, wie der Grieche, zu spät, wenn er nach dem Fest kam, sondern wenn er erst eintraf,nachdem das Essen aufgegessen war'" (ders., Vom Sinn und Leben der Sprichwörter. Hg. v. Th. Knecht. Zürich 1985, S. 131 f.).
1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos Dazu gehört die Sorge für das Mittelbare [das andenkende Dichten und Denken], worin allein das Unmittelbare [das Heilige] erscheint, das weder den Göttern noch den Menschen unmittelbar gegeben wird. Das Unausgeglichene, Unheimische ist nicht ein Mißstand, sondern gehört zum Wesensstand der Götter und Menschen. Darin liegt, daß die Menschen geschichtlich im Anfang gerade nicht zuhause sind, daß ihr Denken und Sinnen aber, weil es das Heimische sucht, zuvor gerade auf das Fremde geht. „Der Geist liebt Kolonie". Mit diesem Bezug rühren wir an das Geheimnis der Geschichte und des Anfangs. Der Anfang fängt nicht mit dem Anfang an. Auch der Mensch ist geschichtlich nicht unmittelbar im Zentrum seines Seins. (GA 52, 188 f.)
Wir halten schon vorneweg drei Punkte fest: Erstens ist die Sorge für das Mittelbare, worin das Unmittelbare erscheint, für uns die sich dem Denken aus dem Gespräch mit der Dichtung zusprechende Sorge um das Heilige, aus dessen Gruß sich erst die festliche Entgegnung von Göttern und Menschen vollziehen kann; zweitens ist es kein abzuschaffender Mißstand, daß wir Heutigen der Schicksalsunausgeglichenheit und Heimatlosigkeit anheimgegeben sind. Es macht vielmehr den Wesensstand von Menschen und Göttern aus, am Anfang ihrer exzentrischen Bahn nicht zuhause zu sein, wenngleich sich zeigen wird, daß die Griechen diesen Wesensstand in übergänglicherer Weise austrugen als wir; drittens liegt das Geheimnis der Geschichte deshalb gerade darin, vom Beginn her das Anfängliche im Fremden zu suchen, d.h. den freien Gebrauch des Eigenen der Deutschen (die Klarheit der Darstellung) im Denken an das Fremde des Griechenlandes (das Feuer vom Himmel) zu lernen. Dieser Aufgabe suchen wir im folgenden gerecht zu werden, indem wir den geschichtlich-andenkenden Geschichtsbezug vom historisch-erinnernden differenzieren, zugleich aber versuchen, das historisch Aufgewiesene geschichtlich-andenkend „fruchtbar" zu machen. Doch was zeichnet nun den „Anfang" oder „Beginn" der abendländischen Festkultur aus? Am Anfang der abendländischen Kultur betet und opfert der Mensch nicht nur vor dem Göttlichen, er musiziert, tanzt und feiert auch in seinem Angesicht. Altertumswissenschaft und Religionsgeschichte, Kulturgeschichte und Archäologie, aber auch Dichtung, Bildende Kunst und nicht zuletzt die Philosophie bestätigen das aus Hölderlins Griechenlanderfahrung erwachsene Wort vom Brautfest von Göttern und Menschen. Das frühgriechische Fest ist der abendländische Topos für eine ursprünglich-natürliche Einheit von Religiosität und Weltbejahung. Nun ist es die erklärte Aufgabe der Philosophie, die Örtlichkeit eines solchen „Topos" der Selbstverständlichkeit eines gebildeten Gemeinplatzes zu entreißen und den ihr eigenen Wahrheitscharakter zu erfragen. Deshalb fragt sie allem zuvor: Was heißt überhaupt „Anfang"? Wie wird das „Anfängliche" zugänglich? Welchen Bezug stellt der so erfragte Zugang zum „Anfänglichen" zum „Gegenwärtigen" her? Und, unserer Themenstellung entsprechend: Auf welche Weise könnte das derartig denkerisch Erfragte fiir den feiernden Existenzvollzug der Gegenwart „fruchtbar gemacht" werden?
§ 6 „Beginn" und „Anfang" frühgriechischer Festlichkeit
Freilich bringen Kunst, Wissenschaft und Bildung auch ohne die explizite Beantwortung dieser Fragen Bedeutsames hervor. Gerade darin liegt ja die von uns angezeigte hermeneutische Verfassung der Existenz: daß sie Fragen immer schon beantwortet hat, die sie als solche noch gar nicht zu stellen vermochte. Hier vermag die Philosophie ihren Gesprächsbeitrag zu leisten und durch denkerische Infragestellung eines für fraglos erachteten oder übersehenen Sachverhaltes aufzuzeigen, daß dessen fruchtbarste Aspekte brach liegen. Dies trifft für die Erforschung des frühgriechischen Festes zu, die sich gewissermaßen um die Früchte ihres eigenen Tuns bringt, indem sie das Phänomen akribisch erforscht, ohne die Ergebnisse dieser Forschung in einen stiftenden Bezug zur gegenwärtigen Lebenswelt setzen zu können. Dessenungeachtet überschreitet eine solche „Prinzipienfrage" sowohl das Aufgabenfeld als auch die Kompetenz der betreffenden Einzelwissenschaft. Ihre Beantwortung, soll sie nicht einer selbstgeschusterten Weltanschauung überlassen bleiben, ist Aufgabe der Philosophie. Doch enthebt dies, sollte man meinen, die Einzelwissenschaften bzw. das je einzelne, Wissenschaft treibende Dasein, nicht der Eigenverantwortung gegenüber dem Gegenstand. In diesem Falle besteht diese Verantwortung im Eingeständnis der Tendenz, den historischen Sachverhalt „Feier" und „Fest" nach seiner forschenden Aufklärung und Feststellung innerhalb des jeweiligen Gegenstandsbereiches für „erledigt" zu erklären. 2 Einmal wissenschaftlich vergegenständlicht, wird das Fest nur allzu gerne in den selbstvergessenen circulus vitiosus des fachwissenschaftlichen Diskurses gerückt, wo es zu verbleiben droht, bis sich vielleicht Forscher, Künstler und Gebildete seiner als einer Chiffrensprache bedienen. Im Horizont eines solchen Gebrauchs, der, wie wir sehen werden, nicht der einzige sein muß, hört die Begegnung mit dem griechischen Fest nur allzu leicht auf, ein wechselseitiges Gespräch mit dem Anfang der abendländischen
Kultur
zu sein. Sie wird allenfalls
instrumentalisiert für persönliche Vorlieben, Renaissancen, Nostalgien, Elitarismen, Ideologien und Wertsysteme.3
2 Freilich kann man die Arbeit des Archäologen als „erledigt" betrachten, wenn er sich die Rekonstruktion einer antiken Vase zur Aufgabe gemacht hat und ihm diese gelungen ist. Desgleichen kann der Forscher die auf der Vase abgebildete Kulthandlung untersuchen und die einzelnen Gestalten, Schriftzüge und Gegenstände identifizieren, datieren und einordnen. Dabei kann er zu „Ergebnissen" kommen, die gegebenenfalls weit über sein „Fach" hinausreichen. Allein, ob diese historischen Ergebnisse dadurch schon geschichtlich fruchten oder nicht viel eher die modernen Forschungsmethoden bestätigen und repetieren, bleibt dahingestellt. 3 Einer phänomenologisch-hermeneutischen Thematisierung solcher Adaptionen kann hier das Verdienst zukommen, aufzuzeigen, auf welche Weise in ihnen die Sache dialogisch zum Sprechen gebracht wird oder ob sie die historischen Zeugnisse nicht unausgewiesenermaßen zur monologischen Bestätigung des je Eigenen mißbrauchen. 7 Knödler
1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
Heidegger bringt den Unterschied zwischen „Historie" und „Geschichte" auch in den Termini „Beginn" und „Anfang" zum Ausdruck. Der Beginn „ist jenes, womit etwas anhebt" (GA 39, 3). Er „meint das Anheben [einer Sache] zu einer bestimmten Zeit" und „geht das Aufkommen und Hervortreten" (GA 54, 9) derselben an. „Der Beginn wird alsbald zurückgelassen, er schwindet im Fortgang des Geschehens." (GA 39, 3) Er „ist das, was dazu da ist, alsbald aufgegeben und übergangen zu werden. Der Beginn ist stets jenes, über das hinweg weiter gegangen und was in der Eile des Weitergehens zurückgelassen wird" (GA 51, 108). Diesem Verständnis des „Beginns" als des Übergangenen gemäß wird auch ein Rückgang auf den Beginn der abendländischen Festkultur schwerlich zur Übergangsbereitung zu einem übergänglichen Wesen des Feierns beitragen. Wenn es dagegen vom Anfang heißt, er sei das, „woraus etwas entspringt", und komme „im Geschehen allererst zum Vorschein" und sei „voll da erst in seinem Ende" (GA 39, 3), so hält sich das Andenken an den ersten Anfang selbst schon in eben jenem Übergang, den das Andenken an das griechische Fest (zu einem übergänglichen Feiern) bereiten soll. Indes können wir Menschen als die Denkenden und Feiernden um dieser Anwesenheit des Endes im Anfang willen nie mit dem Anfang anfangen. Denn „- das kann nur ein Gott -, sondern wir müssen beginnen, d.h. mit etwas anheben, das erst in den Ursprung fuhrt oder ihn anzeigt" (GA 39, 4). Der menschliche Bezug zum Anfang ist demnach ein endlicher, mittelbarer. Das beginnende Anheben mit etwas führt und zeigt lediglich in den Ursprung, während das Anfangen selbst sich aus dem Göttlichen bestimmt. Dies heißt nun aber gerade nicht, daß das Sichereignen des Anfangs aus dem Göttlichen im Sinne einer causa sui zu verstehen ist, welche das menschliche Beginnen bedingt. Wer das seinsgeschichtliche Denken des Anfangs so auffaßt, muß auch Heideggers mißverständlichen Satz „Nur noch ein Gott kann uns Retten" (HiG, 99 f.), als eine Verlegung geschichtlicher Verantwortung auf ein über den Menschen verhängtes Geschick verstehen. Dementgegen versteht sich das Denken an den unverfügbaren Anfang als die höchste Weise, dem Wahrheitsgeschehen zu entsprechen, und zwar weder so, daß man ihn zu einem Gemächte des Menschen macht, noch so, daß man ihn auf Gott als höchste Ursache verlegt. Das An-gefangen-werden aus dem götternden An-fang geschieht vielmehr im „Auffangen" des ereignenden Zuwurfs (Anspruch), der im Gegenschwung zum ereigneten Entwurf (Entsprechen) den Gott an den Menschen übereignet.4 Ent4 Wir können auch von einem anfangenden Zuwurf für den angefangen-beginnenden Entwurf sprechen. Wohl um eine Vergegenständlichung des Gegenschwunges zu vermeiden und eine erneute Verbindung seines Denkens mit der Dichtung Rilkes zu unterbinden, hat Heidegger darauf verzichtet, vom Auf-fangen des Zuwurfs zu sprechen. Wir denken an die Verszeilen: „Solang du Selbstgeworfenes fängst, ist alles/ Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn -;/ erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles,/ den eine ewige Mitspielerin/ dir zuwarf [...]" (Sämtliche Werke 2, Hg. vom Rilke-Archiv besorgt durch E. Zinn. Frankfurt a.M. 1987, S. 132). Wie P. Emad ausführt, ist ,,[d]er Entwurf
§ 6 „Beginn" und „Anfang" frühgriechischer Festlichkeit
sprechend heißt es nicht, nur ein Gott könne den Menschen noch einmal dazu bewegen, „neu" oder „von vorne" anzufangen, als vielmehr: nur aus einem seinlassenden Selbst- und Weltbezug vermag der Mensch noch einmal den Wink und die Weisung zu empfangen für ein heilvolles Von-sich-selbst-herAufgehen-lassen des Seienden. Wenn Heidegger also vom Anfänglichen sagt, es sei „nichts, was hinter uns liegt, sondern das Eine und Selbe, was vor und auf uns zukommt in einer geheimnisvollen Kehre" (GA 55, 43), dann ist mit dieser Kehre der Gegenschwung insofern angesprochen, als das aus dem An-fang ange-fangene Denken den ereignenden Zuwurf so in den ereigneten Entwurf übernimmt, daß hierin das Gewesende über die Gegenwart hinwegschwingt und als das Künftigende auf das Denken zukommt. Als die Bereitung des beginnenden Anhebens mit dem, was in den Ursprung führt und denselben anzeigt, versteht Heidegger so das seinsgeschichtliche Denken. Auch das seinsgeschichtliche Denken beginnt und geht als so beginnendes auf einen Beginn zurück, doch mit dem Ansinnen, eine denkerische Erfahrung mit dem Anfang zu machen und so selbst anfänglich zu werden. Wie ist das möglich? Heidegger beantwortet diese Frage hinsichtlich des erstanfänglichen Denkens: Es ist erstens möglich, weil die frühen Denker nicht nur den Anfang (αρχή) eigens dachten, sondern als die „vom An-fang An-gefangenen" (GA 54, 11) selbst vom Anfang eingeholt und auf ihn versammelt wurden. Es ist zweitens möglich, weil das Gedachte des anfänglichen Denkens nicht „als das sogenannte ,Ewige'" (GA 54, 1) irgendwo an sich an einem überzeitlichen Ort autbewahrt wurde, sondern gerade „das eigentlich Geschichtliche [ist], was aller nachfolgenden Geschichte vorauf- und d.h. vorausgeht" (ebd.). Das auf diese Weise Voraufgehende und alle Geschichte Bestimmende ist das Anfängliche. Weil dieses Anfängliche in einer Vergangenheit nicht zurück-, sondern dem Kommenden vorausliegt und sich so „immer einmal wieder einem Zeitalter eigens zum Geschenk" (GA 54, 2) macht, übt sich das andersanfängliche Denken in ein horchendes Hören auf den ersten Anfang ein. Der Anfang ist noch. Er liegt nicht hinter uns als das längst Gewesene, sondern er steht vor uns. Der Anfang ist als das Größte im voraus über alles Kommende und so auch über uns schon hinweggegangen. Der Anfang ist in unsere Zukunft eingefallen, er steht dort als die ferne Verfügung über uns, seine Größe wieder einzuholen. (RR, 12 f.)
„Das Große fängt groß an", doch seine Größe besteht nicht fort im Sinne einer mächtigen Wirkung, sondern „erhält sich nur durch freie Wiederkehr der Größe" (GA 40, 18). Um also „den Anfang unseres geschichtlich-geistigen Daoder die Eröffnung des anfänglichen Übergangs [...] ein geworfener Entwurf, weil das Denken als der Werfer des Entwurfs in die verborgene Geschichte des Seyns geworfen ist und dieser Geschichte zugehört" (ders., Emad, Parvis, Nietzsche in Heideggers Beiträgen zur Philosophie. In: H.-H- Gander (Hg.), „Verwechselt mich vor allem nicht". Frankfurt a.M. 1994, S. 190).
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
seins [...] in den anderen Anfang" (GA 40, 42) verwandeln zu können bedarf es der echten Wiederholung des Anfangs aus dessen ursprünglicher Verwandlung. Die Wiedereinholung der Größe des in die Zukunft eingefallenen Anfangs versteht sich indes weder als Restauration noch als Renaissance. Insofern die echte Wiederholung der ursprünglichen Verwandlung entspringt, darf das aus dem „reinentsprungenen" Anfang (Hölderlin) entfaltete Denken des Seyns nicht mit „Humanismus und Klassizismus [...] Romantik und Schwärmertum" (GA 39, 293) verwechselt werden. Heidegger zufolge ist es gar „kindisch, vormalige Weltzustände zurückzuerhoffen" (GA 53, 66). Sein von Hölderlin herkommendes Griechenland-Verständnis erschöpft sich weder „in der gelehrten und nur historisch besser unterrichteten Hochschätzung des ,klassischen Altertums'" noch kann es „als bloße ,Vorliebe' begriffen werden, die das Griechentum nur zum Vorbild nimmt" (GA 52, 78). Nach Heidegger dürfen wir Hölderlin nicht mitnennen, „wenn von Winckelmann und Lessing, von Goethe und Schiller, von Humboldt und Hegel und ihrem Bezug zum ,klassischen Altertum' die Rede ist" (ebd.). Echte Wiederholung „enthält sich nur durch freie Wiederkehr der Größe" (GA 40, 18).5 Was heißt das für das Fest, das Denken des Festes und den Festcharakter des Denkens selbst? Das Fest der abendländischen Kultur hat einen historisch zu verzeichnenden Beginn. Siedelt man diesen Beginn in der griechischen Antike an, so hat er mit dem Aufbruch des hellenistischen Zeitalters sein Ende gefunden und steht zur Gegenwart in einer bloß kausal-deterministischen Beziehung, die sich aus dem epigonalen Aufgreifen der griechischen Kultur durch die Römer, die Renaissance und die Klassik definiert. Verfolgt man diesen Beginn weiter zurück, so stößt man auf orientalische, minoische oder indoarische Realien, die ebenso als Ursachen auf die griechische Festkultur gewirkt haben, wie die frühgriechische Festkultur auf die unsrige. An oder in den Anfang kommt man durch diese Vorgehensweise nie. Das An-fängliche des griechischen Festes, ja das Anfängliche
des Festes überhaupt,
verschließt
sich der vergegen-
ständlichenden Zugangsweise. So müssen wir wie Hölderlin „dem Versuch absagen, die Götter unmittelbar und dort zu suchen, wo sie einstmals einen Festtag mitbestimmten. Solches wollen, hieße ja, das unmittelbar zurückholen, was den Menschen des Griechenlandes angestammt zu eigen war, was in ihrer Wiege
5 Entsprechend kann auch Wissenschaft „für uns und durch uns" nur wahrhaft bestehen, „wenn wir uns wieder unter die Macht des Anfangs unseres geistig-geschichtlichen Daseins stellen. Dieser Anfang ist der Aufbruch der griechischen Philosophie" (RR, 11). Diesem Aufbruch entspringt die aus der Philosophie begründete Wissenschaft, die stets Jenem Anfang der Philosophie verhaftet" (ebd.) bleibt. Weil also neben der Ursprünglichkeit des Feierns auch „die Verwurzelung der Wissenschaften in ihrem Wesensgrund abgestorben" (WiM, 25) ist, wird aus dem Denken an den ersten Anfang abendländischer Festlichkeit auch die Suche nach dem Anfang des Ursprungssinnes jener Wissenschaften, die sich dem Fest zuwenden.
§ 6 „Beginn" und „Anfang" frühgriechischer Festlichkeit
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lag, wohin sie stets wieder zurückgelegt und eingewiegt wurden, wovon sie unmittelbar durchstimmt waren" (GA 52, 130). Wie wird nun aber das Anfängliche des Festes zugänglich? Ganz offensichtlich, indem wir so, wie das Denken auf den ersten Anfang zurückdenkt, vorerst das erstanfängliche Fest in den Blick nehmen. Da sich dem wissenschaftlichvergegenständlichenden Blick aber lediglich der historische Beginn mit seinen Realien zeigt, hat dieser Rückgang ein denkerisch-andenkender zu sein. Ein andersanfängliches Denken kommt nur aus dem gesprächshaften Durchgang durch das erstanfängliche Denken in den Anfang und den Übergang. Daraus folgt: der Rückgang zum anfanglichen Feiern des Griechenlandes bedarf selbst des Durchganges durch das anfängliche Denken. Wie wir sogleich sehen werden, erweist es sich als ein hermeneutischer Grundsatz, daß uns, die wir unter dem Eindruck der letzten metaphysischen Vollendungsgestalten des Logos stehen, nur dessen an-fängliche Gestalt den Mythos zuspielt.6 Nun könnte man einwerfen, daß sich die Problematik unserer Themenstellung - gedachte und gefeierte Feste, Festcharakter des Denkens selbst - durch diese Vorgehensweise nur verschöbe. Denn nun hätten wir den Wechselbezug zwischen Denken und Fest statt für die gegenwärtige Epoche für die frühgriechische zu erfragen. Doch abgesehen davon, daß dieser Einwand einem kausaldeterminstischen Geschichtsbegriff entstammt und sich im endlosen Und-soweiter kausaler Determinierungen verliert, hat es mit dem ersten Anfang noch ein anderes Bewenden. Das frühgriechische Menschentum zeichnet sich nicht nur dadurch aus, daß es anfänglich dachte und uns so Weisung gibt, aus dem An-fang an-gefangen zu denken; seine grundwesentliche Auszeichnung besteht darin, daß es an-fänglich feierte, ja, daß sich das Denken und von ihm aus die „Wissenschaft" (επιστήμη) bis zu Piaton hin selbst an-fänglich-festlich ausnahm. Dies liegt an der, von jeder Primitivität fernzuhaltenden, Einfachheit und Anfanglichkeit, die dem frühen Griechentum ganz offensichtlich eignete: Nicht nur Denken und Feiern, sondern auch Dichtung, Bildende Kunst, Staatsführung, Musik, Tanz, vor allem jedoch Götter und Menschen standen in einer eigentümlichen Wechselbeziehung und Einheit. Gab es diese festliche Einheit der Lebensbereiche „tatsächlich"? Ist sie nicht vielmehr ein Idyll? Für letzteres scheinen die Hesiodischen Dichtungen zu sprechen, die in der Weltalterlehre selbst wiederum ein goldenes Zeitalter der seligen Einheit von Göttern und Menschen heraufbeschwören. 7 Wenn Hesiod die
6 O. Pöggeler hat den andersanfänglichen Gesprächscharakter dieses Sicheinspielenlassens in das erstanfängliche Geschehen Anfangsgeschehen von Verbergung und Entbergung herausgearbeitet (ders. Der Denkweg Martin Heideggers. 3. Aufl. Pfullingen 1990, S. 189-207). 7 Ursprünglich, d.h. am Anfang, waren Götter und Menschen „wie aus gleicher Geburt geworden" (Erga 108): „Golden war ja zuerst das Geschlecht der sprechenden
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
Menschheitsgeschichte in fünf Zeitalter bzw. Geschlechter einteilt, die - mit Ausnahme der Heroen-Zeit - einen progressiven Abstieg auch und gerade in Bezug auf Festlichkeit und Muße bezeichnen, so heißt das nicht nur, daß bereits Hesiods Dichtung von einer gewissen Verlusterfahrung geprägt ist. Es wirft die Frage auf, ob nicht die alten Griechen - von uns vielleicht als der ursprüngliche Anfang der abendländischen Kultur „idealisiert" - ihren Anfang wiederum selbst in einen paradiesisch-idyllischen Zustand zurückdatieren. Huldigen auch w i r mit unserem Rückgang in den Anfang dem weitverbreiteten und von der Religionswissenschaft als Grundform vieler Religionen kategorisierten Mythos „ v o n der ,Vollkommenheit der Anfänge' und der ursprünglichen Glückseligkeit, die durch Mißgeschick oder Sünde verlorenging" 8 ? Kompensiert Hesiod die unabwendbare Mißlichkeit seiner Situation nicht in gleicher Weise durch die illusionäre „Projektion" einer göttlich-menschlichen Festgemeinschaft, wie wir, wenn w i r i m Zusammenhang mit dem ersten Anfang vom Brautfest von Göttern und Menschen und der gegenwärtigen Epoche als festloser Zeit sprechen? W i e ist dieser anfanglich gesungene Anfang als inniges Fest von Göttern und Menschen zu verstehen? Füllt er nicht lediglich die Abgrün-
Menschen,/ das die Unsterblichen schufen, die hohen Olympos-Bewohner./ Jene waren zur Zeit des Kronos, der herrschte im Himmel./ Und sie lebten wie Götter und hatten das Herz ohne Kummer,/ ohne Plagen und Jammer. Sogar das klägliche Alter/ nahte nicht, sondern immer an Füßen und Händen sich gleichend,/ freuten sie sich am üppigen Mahl und kannten kein Unheil./ Wie vom Schlaf überwältigt, starben sie; alles Erwünschte/ war ihnen eigen. Und Frucht trug der/ nahrungsspendende Acker unbestellt in neidloser Fülle; sie aber willig/ walteten still ihrer Arbeit, versehen mit Gütern und Fülle,/ reich an Herden und Vieh, befreundet den seligen Göttern." (Erga 109 - 120) Am Anfang feierte der Mensch mit den Göttern. Doch schon mit dem zweiten, in Gestalt, Gesinnung und Vernunft hinter dem ersten zurückbleibenden Geschlecht, das in seiner Maßlosigkeit nicht mehr den Göttern opfern mag, beginnt der sukzessive Abstieg. Auch der vorübergehende Aufschwung durch das vierte, heroische Geschlecht, in dem der Überfluß und das Festglück des goldenen Äons nochmals aufglänzen und das teils im Kriege fällt, teils auf die Inseln der Seligen entrückt wird, verhindert nicht die Degeneration zum fünften und eisernen Geschlecht, dem Hesiod sich voll Bedauern selbst zuordnet. Doch obwohl dessen Schilderung wie der schlechthinnige Konterpart zum Fest des goldenen Zeitalters anmutet, wird auch den Kindern des eisernen „zum Unheil Freude gemischt sein". Eine Freude, die Hesiods Konzept zufolge nicht anders als Reichtum und Tugend redlich verdient sein will, d.h. bedingt ist durch einen kosmologisch durchkonzipierten Verhaltenskodex, den Hesiod in der Paränese (Mahnrede) seiner Erga entwirft: „Arbeite, hochgeborener Perses" (Erga 298; vgl. 397), ermahnt Hesiod seinen Bruder. Zwar gibt es einen glatten naheliegenden Weg, auf dem sich das Schlechte haufenweise gewinnen läßt: „Doch vor das Gutsein haben den Schweiß die unsterblichen Götter" (Erga 288) gesetzt, den langen, steilen und Anfangs rauhen Pfad, der sich später auch für ihn bewähren wird, denn: „Der von allen ist gut, der selber alles erkannt hat" (Erga 292). Der einzig gangbare Lebensweg des von den Göttern abgefallenen Menschen wird also nicht durch Feste, sondern durch die Mühen der Arbeit und der selbständigen Erkenntnis geebnet. 8
M. Eliade, Geschichte der religiösen Ideen. Bd. 1. Von der Steinzeit bis zu den Mysterien von Eleusis. Freiburg 1978, S. 236.
§ 6 „Beginn" und „Anfang" frühgriechischer Festlichkeit
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digkeit der menschlichen Herkunft statt, wie wir dies durch rationale Erklärung tun, mit dem goldenen Traum einer heilen Zeit, die zudem noch zur Legitimation eines gesellschaftlichen Verhaltenskodex instrumentalisiert wird? Es ist insbesondere das Verdienst Karl Kerényis, mit der irrigen Vorstellung aufgeräumt zu haben, die Anfangsmythen stellten einen primitiven, sozusagen prä- oder pseudowissenschaftlichen Erklärungsversuch der Weltentstehung dar. Desgleichen macht er plausibel, daß die in diesen Ursprungsmythen geschilderten Feste und Kulthandlungen nicht der alleinigen Autorisierung und Inthronisation der faktisch vollzogenen Feier dienten.9 Kerényi, nach dessen Auffassung Religion eine Möglichkeit darstellt, die Welt durch die erkennende und ordnende Tätigkeit des Geistes in ein Welt-Bild umzusetzen, sieht das Fest vor allem im Spannungsfeld von „Welt-Bild" und „Weltwirklichkeit", von „Geistigem" und „Lebendigem", „Sinnvollem" und „Lebensvollem" 10 . Insofern diese Umsetzung im Fest erfahren und geschaut wird, gilt es als eine ausgezeichnete Quelle religiöser Gewißheit. Eine besondere Rolle spielt dabei die mythische Erzählung und Begehung der Einsetzung des Festes selbst. D.h. im Verlauf des Festes wird dessen Einsetzung festlich vergegenwärtigt und nochmals begangen. Das Wesen des Festes besteht in der „durch Zeichen der Natur, durch Tradition und durch Gewohnheit" hervorgerufenen Erinnerung und Vergegenwärtigung eines schöpferischen
Uraktes, der die Qualität der Festzeit verändert: In-
dem im Mythologem die kosmische Wirklichkeit in menschlicher Substanz nachgebildet wird, entsteht ,,[a]us etwas Gegenwärtigem [...] etwas noch mehr Gegenwärtiges [...], aus einer Wirklichkeit eine höhere Wirklichkeit" 11 . Die Idee der kosmischen Wirklichkeit wird des Gewöhnlichen enthoben und zum Schicksal einer göttlichen Wirklichkeit. Der dichterisch-singende Vortrag des Mythologems
erinnert nicht nur an den göttlichen
Ursprung
des Festes, sondern
läßt den göttlichen Ursprung der kosmischen Wirklichkeit selbst gegenwärtig werden 1 2 . M i t anderen Worten: Nicht nur das Fest ist göttlichen
Ursprungs,
der
Ursprung des Göttlichen ist selbst festlich, und zwar insofern, als die Götter erst
9
Daß mythische Feste nicht nur Ursprungshandlungen begehen und repräsentieren, sondern selbst solche sind, hat vor Kerényi Mircea Eliade herausgearbeitet. Auch Eliade zufolge beziehen sich die kultisch-festlichen Handlungen nicht nur auf ein göttliches Urund Vorbild, „sondern jeder beliebige menschlische Akt gewinnt seine Wirksamkeit in dem Maße, als er genau eine Handlung wiederholt, die am Anfang der Zeiten durch einen Gott, Heros oder Ahnen vollzogen worden ist" (ders., Kosmos und Geschichte. Hamburg 1966, S. 24). 10
K. Kerényi, Vom Wesen des Festes. In: Antike Religion. Wiesbaden 1978, S. 43 u. folgende. 11 A.a.O., S. 57 f. 12 „Die Festlichkeit, in der sich das Aufleuchten einer religiösen Idee wie der des Opfers gleichsam konkretisierte und zeitlich wurde, trennte sich von der wandelbaren Zeit ab und wurde zu einer besonderen Art der Zeit: zur Urzeit." (K. Kerényi, Religion der Griechen, S. 101)
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
im Fest einen sowohl schöpferisch-freien als auch verbindlichen Wechselbezug zu den Menschen eingehen. Dieses sich aus der Paradoxie von Freiheit und Zwang gewinnende nachbildende Schaffen des feiernden Menschen beschränkt sich Kerényi zufolge nicht allein auf das Festliche im wörtlichen Sinne, d.h. auf faktisch gefeierte Feste. Kerényi beruft sich auf den frühen Nietzsche, der der Wissenschaft und der Kunst gewissermaßen „festliche" Eigenschaften zuspricht, die sie mit Magie und Religion gemein hätten.13 Kerényi findet so im Ausgang vom griechischen Fest als der höchsten festlichen Offenbarung des Religiösen eine Antwort auf unsere Frage: Der stiftende Wechselbezug von Feiern und Denken besteht in ihrem gleichen Ursprung. Insofern im Fest Erkanntes in Erfahrenes und Erfahrenes in Erkanntes umgesetzt wird, werden sowohl das Feiern als auch das Denken umso festlicher, je mehr sie sich an diesem lebenssteigernden Um-satz beteiligen. Indes ist hier Achtung geboten! Von Heidegger herkommend, müssen wir nicht erst aufhorchen, wenn Kerényi zur Fundierung des Schöpfungs-und Veraußergewöhnlichungscharakters des griechischen Festes Nietzsche und seine Gleichsetzung von Kunst, Wissenschaft, Magie und Religion heranzieht. Seine Rede von der Umsetzung einer Welterfahrung in ein Welt-Bild und der Repräsentation dieser Urerfahrung in der kultischen Feier ist schon vordem bestimmt durch das herstellende Verhalten der platonisch-technokratischen ποίησις. Das Feiern produziert (producere: her-vor-geleiten; BH, 1) gewissermaßen das gefeierte Ur-sprungsgeschehen. Das Gefeierte wird feiernd aus überzeitlicher Verborgenheit hervorgebracht. Die feiernd gesteigerte Gegenwart als wirklichere Wirklichkeit faßt das Feiernd-Sein und das Gefeiert-Seiende als beständige Anwesenheit.Das Fest nimmt sich, so verstanden, wie die Kompensation der menschlichen Unordnung durch das projizierende Ansetzen einer kosmischen Unordnung aus. Indem die kosmische Unordnung dem Gesetz weicht, ordnet sich auch das Leben der Menschen. Indem die Weltordnung etwa in der Gestalt der Hesiodischen „Theogonie" öffentlich vorgetragen und kultisch-gemeinschaftlich geteilt wird, wird der feiernde Mensch zugleich eines schöpferisch-ordnenden Zustandes teilhaftig, durch den er die Paradoxie der Freiheit (in ihrer Tendenz zur Unordnung) und des Gesetzes (in seiner Tendenz zur Unterjochung) überwindet. 14 Desgleichen macht 13
A.a.O., S. 59. „Die Wissenschaft", so jedenfalls Nietzsche, „hat das mit der Kunst gemein, daß ihr das Alltäglichste völlig neu und anziehend, ja wie durch die Macht einer Verzauberung als eben geboren und jetzt zum ersten Male erlebt erscheint. [...] Das Leben ist wert, gelebt zu werden, sagt die Kunst [...] das Leben ist wert, erkannt zu werden, sagt die Wissenschaft" („Homer und die klassische Philologie"). Jegliches Schaffen, so Kerényis Nietzsche-Lektüre, „ist im Gegensatz zum alltäglichen Machen eine festliche Angelegenheit". Als Erfahrung des Lebens und des Geistes führt uns das Fest an den „Ort, von dem alle vier ausgehen können". Das Fest ist so „der Ur-Stamm, der sich nach vier Seiten hin in diese selbständigen Erscheinungsformen sondert [und] schon alle vier in seiner eigenen Kernsubstanz enthalten haben muß" (a.a.O., S. 60 f.). 14
Auch nach G. Widengren, A. Jensen, J. Huizinga und M. Eliade machen die festlichen Ursprungsmythen und Kultdramen „den Ursprung zur Sicherung der Zukunft ge-
§ 6 „Beginn" und „Anfang" frühgriechischer Festlichkeit
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der feierliche Vortrag der Weltalterlehre das ursprünglich-festliche Einsseins mit den Göttern dadurch präsent, daß er die Kluft zwischen heilloser Gegenwart und heilvoller Vergangenheit kompensieren hilft. So geht Kerényi zwar eindeutig über das Bild des Griechen als eines Primitiven hinaus, der seine Angst vor der Unerklärbarkeit und Gefährlichkeit der Welt durch göttliche Erklärungsplazebos erträglich macht, doch steht er noch unter dem Stern eines platonisierenden εΤδος-άισθησις-Dualismus. Er setzt das festliche Anfangen mythischen Feierns unter das Vorzeichen der technischen Präsentation. Doch erfuhren die anfänglichen Griechen das anfängliche Chaos wirklich als ein Unterschieds- und Gesetzloses und somit bloß Wirres, das kompensiert oder produktiv gestaltet werden müßte? Wenn wir Heidegger folgen wollen, so nennt das χάος „zuerst das Gähnende, die klaffende Kluft, das zuvor sich öffnende Offene, worin alles eingeschlungen ist". Weil diese Kluft Jeden Anhalt für ein Unterschiedenes und Gegründetes" (GA 4, 62) versagt, entzieht sie sich der neuzeitlichen Erfahrung. Diese faßt den Menschen als das vernunftbegabte Lebewesen und spaltet so das Ganze des Seienden in einen Bereich der Freiheit (Mensch) und einen Bereich des Gesetzes (Natur) auf. Vom animal rationale her gedacht, kann der Bezug zur Natur demgemäß nur darin bestehen, möglichst schnell das Licht der Erkenntnis in ihre verborgenen Gesetzmäßigkeiten zu bringen und so auch das Chaos der menschlichen Unwissenheit zu ordnen. Neben dem berechnend meisternden und bezwingenden Zugang kann sie zwar zum Gegenstand künstlerischer Darstellung oder religiöser Verehrung werden, doch hält sich das Naturverständnis, wie die Leiblichkeit des Menschen selbst, in der Zweideutigkeit des „Chaotischen" und des Zwingend-Überwältigenden. Dagegen meint die theogonische γένεσις nicht „das Werden im modernen Sinne, also nicht in der Bedeutung eines Vorganges [der Weltentstehung], sondern griechisch gedacht [das] zum Sein kommen, in die Anwesenheit hervorkommen" (GA 15, 20). Im Hesiodischen μύθος zeigt sich die φύσις vom Wachsen (φύειν) her als „das Hervorgehen und Aufgehen, das Sichöffnen, das aufgehend zugleich zurückgeht in den Hervorgang und so in dem sich verschließt, was je einem Anwesenden die Anwesung gibt" (GA 4, 56). Wo die neuzeitliche Berechnung den Bezug von χάος und φύσις in zweideutige Antinomien aufspreizt, sagt der μύθος deren gegenwendige Zwiefalt. Als „die Anfängnis des Ganzen" nennt er das anfänglich zu sagende „anfängliche Wort", d.h. die Sage, die aufschließt, entbirgt und sehen läßt, „was sich im vorhinein in allem zeigt als das Anwesende in allem ,Anwesen'" (GA 54, 89). Genauer, die Sage des μύθος geschieht selbst als die sich allem zuvor zeigende φύσις im Sinne der
genwärtig". In seinem vermeintlichen Kompensationscharakter bringt das archaische Fest „die Ängste und Hoffnungen des Volkes nicht nur zum Ausdruck, sondern es will diese Ängste überwinden und das Leben neu schaffen" (TRE Bd. 11, S. 93).
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
lichtenden Versagung. Insofern etwas überhaupt erst aus dem Offenen dieser Lichtung erscheinen kann und so als Dieses und Jenes seine Anwesung und Weile hat, versammelt die Natur als die in allem zuvor Gegenwärtige „alles Vereinzelte in die eine Anwesenheit und vermittelt Jeglichem das Erscheinen" (GA 4, 62). In dieser alles vermittelnden Unmittelbarkeit ist die Natur das Gesetz. Wie gehört nun zu der so als Gesetz gedachten Natur das Chaos? Insofern, als sie „Nach vestem Geseze, wie einst, aus heiligem Chaos gezeugt" wurde. Die φύσις, von Hesiod hier Erde (γάια) genannt, vermag sich allein aus dem Chaos als das Offene zu öffnen und so jedem Unterschiedenen seine umgrenzte Anwesung zu gewähren. Insofern kein Wirkliches der Aufklaffung der φύσις aus dem χάος vorhergeht, nennen beide „zumal die äußersten Bezirke des Wirklichen, aber auch die höchsten Gottheiten" („Äther" und „Abgrund" GA 4, 61) 15 . Weil jedes Erscheinende schon jedesmal von dieser Aufklaffung eingeholt und von ihr überholt ist, ist sie „das Einstige in einem doppelten Sinne. Sie ist das allem Vormaligen Älteste und das allem Nachmaligen Jüngste. Indem die Natur erwacht, kommt ihr Kommen als das Künftigste aus dem ältesten Gewesenen, das nie veraltet, weil es jedesmals das Jüngste ist" (ebd.).Um diesen Sachverhalt auf unsere Themenstellung hin zu entfalten, müssen wir das anfangliche Andenken vom neuzeitlich-naturwissenschaftlichen Wissen abheben. Die Naturwissenschaft spricht der abwesend anwesenden Vergangenheit nur Wirklichkeit zu, wenn sie sich kausal determinieren, d.h. zurückberechnen läßt. Desgleichen ist die Zukunft nur wirklich, insofern sie kausal wahrscheinlich, d.h. vorauszuberechnen ist. So zeigt sich die Natur dem berechnenden Blick als das unter überzeitlichen Gesetzen stehende und alle Veränderungen überdauernde Substrat, das es am längsten gab und geben wird, weil es außerhalb seiner überhaupt nichts gibt. 16 Alles Seiende folgt Gesetzen, die seit dem Anbeginn des Universums gelten, d.h. keinen „Anfang" und kein „Ende" haben. Wo dieser Auffassung zufolge kein Gesetz ist, da ist entweder kein Seiendes oder der Mensch übersieht das verborgene Naturgesetz. Entsprechend schrumpft das Chaos zu einer Sehschwäche, zum Nichtwissen des Menschen zusammen und
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Die Erde (γάια) hat ihr Wesen aus diesem Bereich der Entbergung und Verbergung. „Sie ist das Zwischen, nämlich zwischen dem Verbergenden des Untererdigen und dem Lichten, Entbergenden des Übererdigen (des Himmelsgewölbes ούρανος)." (GA 54, 88) 16 Diese platonisierende Fixierung der Naturwissenschaft auf übertemporale Gesetze hat in neuerer Zeit Rupert Sheldrake zu brechen versucht. Seiner These zufolge beruhen Naturgesetze auf ortsunabhängigen, zeitlich wandelbaren morphischen Feldern. Sie sind Gewohnheiten, auf die sich das Seiende durch morphische Resonanz bezieht. Dies gilt sowohl für Feste als auch für die Rekonstruktion der Entstehung des Universums (ders. Die Wiedergeburt der Natur. Bern/München/Wien 1991. 8. Kap. „Heilige Zeiten und Orte", S. 193-212, u. Das Gedächtnis der Natur. München 1993. 15. Abschn. „Mythen, Rituale und der Einfluß der Tradition", S. 311-329).
§ 6 „Beginn" und „Anfang" frühgriechischer Festlichkeit
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nennt nichts „Wirkliches" mehr an der Natur. 17 Der Bezug zum beginnlich gefaßten „Anfang" und allen festlichen „Anfängen" muß ein weitgehend kausaler, d.h. inszenierend-machenschaftlicher sein. Im anfänglich anhebenden Sagen hingegen ist das Gesetz, d.h. die Physis, in einem stetigen Anfangen begriffen. Das zwiefach abwesende Anwesen des Zukünftigenden und Gewesenden wird nicht in das bloße Nichtmehr- und Nochnicht-Jetzt aufgespreizt und kausal-deterministisch zurück- und vorausberechnet. Die φύσις, die das Seiende um-fängt, ist gerade nicht deshalb das Gesetz, weil sich ihre Vorkommnisse mit zeitunabhängiger Konstanz bis zum Urknall zurück- und in eine mögliche Zukunft vorausberechnen lassen. Sie ist vielmehr allem Vormaligen das Älteste und allem Nachmaligen das Jüngste, weil sie immer schon und immerzu anfängt, indem sie das Gewesende so wesen läßt, daß es hinüberschwingt über die Gegenwart und als das Künftigende auf die Gegenwart währen läßt. Je weiter dieser Bogenschwung herkommt, d.h. in das Gewesende zurückreicht, desto weiter reicht das andenkende Sagen in die Zukunft hinein. Insofern die φύσις aber in allem zuvor gegenwärtig, d.h. allgegenwärtig ist und allen Anfang um-fängt, hat sie jedes endliche Beginnen und Schließen der Sterblichen je schon anfangend und endigend überholt. Dies aber nicht in der atemlos-statischen Ewigkeit des substanziellen Überdauerns, sondern weil die φύσις in der Weise des Aufgehens und In-sich-zurückgehens geschieht und zu diesem Geschehen stets die klaffende Kluft des Abgrundes gehört. 18
17 Deshalb gipfelt der Rückgang auf den Anfang in der neuzeitlichen Naturwissenschaft in den „big bang"-Theorien und Stephen Hawkings Frage nach der Urformel des Universums. Diesen vielgefeierten Spekulationen eignet eine Faszination, die in der Forschung, im Forschungsaustausch und im populärwissenschaftlichen Nachvollzug direkthin festlich-kultische Züge annimmt. Doch das Chaos reduziert sich auf die noch nicht entschlüsselte Ordnung. Gleiches gilt für die Chaosforschung, die, von Hesiod her gedacht, geradezu Chaos-Verstellung genannt werden muß, weil sie das Unberechenbare nur noch in den Gegenhalt zur Berechnung bringt. 18 Was Heidegger hier, im Zusammenhang mit Hölderlins dichterischem Andenken an Hesiods Dichtung des Anfangs aus dem χάος, die klaffende Kluft des Abgrundes nennt, begegnet uns, in anderer Hinsicht in den „Beiträgen". Die dort ausgeführten Phänomene der Kluft sind von Hesiods Rede vom Chaos fernzuhalten. Die Erklüftung etwa kennzeichnet die aufklaffende Eröffnung des Ereignisses als solchem aus seiner bisherigen Verschließung. Im Zeitalter der Seinsverlassenheit west der Ab-grund und der zu ihm gehörige Grund nur noch als der Un-grund. In der Zerklüftung nun spricht sich dem Denken aus der ereignishaften Kehre zwischen Seinsverlassenheit und Erwinkung das kehrige Gefuge von Ursprung (Ab-grund) und Entspringendem (Zeit-Raum) zu. Der Ab-grund wird als jene ursprüngliche Einheit erfahren und gedacht, die Raum und Zeit in ihre Geschiednis auseinandergehen läßt, d.h. in das einläßt, als was sie berückendentrückend wesen. Der im Ab-grund weg-bleibende Grund „ist das SichverhüllendeAufnehmen, weil ein Tragen, und dieses als Durchragen des Zugründenden" (GA 65, 379). Dieses Sichversagen ist der Entzug, nicht als Verstellung, sondern als das Sichentziehen des Gebers - des Es gibt - zugunsten der durch ihn dargereichten Gabe. Im
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
Was heißt dann aber Feiern? In welchem Bezug steht selbiges zur „Theogonie"? Feiern heißt, sich im dichterischen Sagen und im hörenden Wiedersagen des Gedichteten bzw. Dichtenden einzuschwingen in die Kehren der anfänglich erfahrenen „Natur" als der zugleich Ältesten, Jüngsten und Künftigsten. Auch im alltäglich-gewöhnlichen Existenzvollzug des archaischen Griechen mag der gründende Grund (im Sinne der Uneigentlichkeit, nicht des Enteignisses) zum Un-grund nivelliert sein. Desgleichen mag das „Gesetz" durch Vergewöhnlichung zum bloß Zwingenden werden, demgegenüber der Mensch die Freiheit ersehnt. Das dichterische-festliche Wort der „Theogonie" nun versetzt den Menschen aus seinem gewöhnlich-alltäglichen Bezug zum Chaos als eines Ungrundes in einen ab-gründigen. Aus dem hierin eröffneten Zeit-Raum können sich das Feiern und die feierlichen Verhaltungen als gründend vollziehen. Der so als ab-gründig erfahrene Grund übereignet damit in eins die anfänglichsten, d.h. höchsten Götter an den Menschen. Obschon sich diese Götterung im aufgehenden In-sich-zurück-Gehen der anfänglich-festlich erfahrenen φύσις nicht auf das Ereignis-Denken verrechnen läßt 19 , können wir im Vorblick auf die Gründung folgendes festhalten: Im ersten Anfang west die „Natur" als die φύσις; als solche wird sie nicht als der Bereich der Notwendigkeit gegen den Bereich des Menschen als den der Freiheit ausgespielt; ihr aufgehendes In-sichZurückgehen spielt vielmehr selbst im Widerspiel von Chaos und Nomos; die festlich-kultisch begangenen Ursprungsmythen aber sind die Weisen, wie sich die Sterblichen selbst ins Widerspiel dieses Anfangsgeschehens bringen; das Feiern der Sterblichen ist so ein sterbliches Mitspielen im Spiel des Kosmos, aus dem sich dem feiernden Menschen die Göttlichen zuspielen. Aus diesem an-fangenden Wort des an-fänglichen Mythos dagegen, so können wir im freien Ausgang von Heideggers denkendem Gespräch mit Hesiod, dem Dichter des ersten Anfangs, und Hölderlin, dem Dichter des anderen Anfangs, sagen, wird das nivellierte, dem Un-grund im Sinne der Un-eigentlichkeit verfallene Da-sein zurückgerufen in das Ursprungsgeschehen der aus der Verbergung hervorgehenden und in die Verbergung zurückgehenden φύσις. Weil der Dichter von der wunderbar allgegenwärtigen Natur umfangen ist, hält sein Wort, so es hörend wiedergesagt wird, mit der Natur „die äußersten Gegensätze des höchsten Himmels und des tiefsten Abgrundes einander entgegen" und „das Zueinander-sich-Haltende auseinandergespannt" (GA 4, 53). Was derart aus dem Gegensätzlichen als das Erscheinendste erscheint, ist das Berückende, in dem der sichversagende Gott in die Ankunft kommt („Epiphanie"), was das Widerspenstige hingegen zu jener Ruhe zurücknimmt, „die als stiller Glanz aus dem Feuer des Streites erstrahlt, darin Eines das Andere in das Erscheinen hinausstellt" (GA 4, 54), ist das Entrückende (mystische Versenkung). 19 So sagt Heidegger in den „Beiträgen" zwar, daß der Grund den Ab-grund zu seiner Wesung braucht. Um aber eine historisierende Gleichsetzung des Zusammengehörens von Grund und Ab-grund mit der Hesiodischen Sage von χάος und γάια zu verhindern, betont er zugleich, daß das im Lichten geschehende Sichversagen „kein bloßes Aufklaffen und Aufgähnen (χάος - gegen φύσις)" (GA 65, 381) ist. So müssen wir uns stets gewärtig halten, daß die „,mythischen' ,Vorstellungen'" „erst zuletzt als vor-anfänglich für den ersten Anfang zu fassen sind" (GA 65, 374) und es streng genommen eine ^ T r i vialität"' ist, mit ihnen zu beginnen.
§ 7 Das Fest des Dichtens: Das Dichten des Festes
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freien, zugleich in Regeln gebundenen Spiel aber fügt der feiernde Mensch sich er-neut ein in das „kosmische" Gesetz, genauer, er feiert gefügt in den götternden Fug des Kosmos. 20 Die beiden folgenden Paragraphen sollen nun aufzeigen, welche Rolle bei dieser feierlichen Übereignung die Dichtung spielt und wie wir uns die in ihr geschehende Entgegnung von Göttern und Menschen zu denken haben.
§ 7 Das Fest des Dichtens: Das Dichten des Festes Sowohl aus einer rein formalen Analyse der Erzählsituation unserer Textvorlagen als auch aus dem vorsichtigen Vergleich mit ähnlichen Dichtungen anderer Völker und Epochen läßt sich schließen, daß die homerischen Dichtungen selbst „durch und durch" 2X festlichen Charakters sind. Als schriftliche Niederlegungen einst oral überlieferter mythischer Erzählungen werden sie zu festlichem Anlaß rezitiert. Meist ist eine kultische Feier Anlaß und Ursprung des Gesanges. Geschichtsforscher und Religionswissenschaftler sind sich heute darin einig, daß der dichterische Vortrag stets in festlichem Rahmen, d.h. in der Weise eines irgendwie gearteten kultischen Beisammenseins vollzogen wurde. 22 Richard Kannicht hat diesen engen Wechselbezug von Dichtung und Fest eingehend herausgearbeitet und aufgezeigt, daß im archaischen Griechenland Gastmähler und Symposien, kultische Feste und feierliche Begehungen" und insbesondere die musischen Wettkämpfe der großen Götterfeste „zu ihrer jeweiligen Ausgestaltung oder gar Realisierung auf die Gaben Apollons, der Musen und der Chariten angewiesen waren". Umgekehrt aber, so Kannicht, „läßt sich die musische Kultur dieser Zeit der Mündlichkeit auch als eine zugleich wesentlich festliche oder doch festbezogene und festlich bedingte bestimmen: das Fest als soziales Ereignis bildete weitgehend die Grundsituation der literari-
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Wo die Wolke „Freudiges dichtend" zwischen den Alpengipfeln schwebt und die Gebirgsklüfte deckt, in deren lichtlose Tiefe der aufheiternde Lichtstrahl hinabwirkt, dort ,„feiert 4 [...] ,unter den Felsen4, das junge Chaos ,liebenden Streit 4 und ,feiert 4 ,freudigschauernd 4" (GA4, 18). 21 K. Kerényi, Höhepunkte der griechischen und römischen religiösen Erfahrung. In: Antike Religion. Stuttgart 1995, S. 75. Zur vergleichenden Epenforschung siehe: C. M. Bowra, Helden-dichtung - Eine vergleichende Phänomenologie der heroischen Poesie aller Völker und Zeiten. Stuttgart 1964, Kapitel XI. „Der Sänger". Einen Einblick in den Oral-Poetry-Diskurs gewährt der von Joachim Latacz herausgegebene Sammelband: Homer. Tradition und Neuerung. Darmstadt 1979. 22 So bemerkt Karl Kerényi: „Das Zeitalter der großen griechischen Festkompositionen,- der Schöpfung und kunstreichen Veranstaltung von Festzyklen in der archaischen und klassischen Zeit - nimmt in seine Festordnungen die Dichtung als ein hervorragend festliches Phänomen auf 4 (K. Kerényi, Höhepunkte der griechischen und römischen religiösen Erfahrung. In: Antike Religion. Stuttgart 1995, S. 75).
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
sehen Praxis" 23 . Davon ausgehend schließt er: „Für die ursprünglichen Bedingungen der Produktion und Rezeption der ¡lias, und damit für die Genese des Großepos homerischer Prägung überhaupt, haben wir offenbar hauptsächlich mit festlicher Bankettgesellschaft [...] zu rechnen" 24. Für das frühgriechische Fest und die Dichtung trifft also ganz offensichtlich das zu, was wir für „Das Denken des Festes" und „Das Fest des Denkens" noch zu erfragen versuchen. 25 So fordern die Freier im ersten Buch der „Odyssee", nachdem sie „das Verlangen nach Trank und Speise vertrieben" haben, den Sänger Phemios zum Vortrag auf, denn: „Gesang und Tanz, das sind die Krönungen des Mahles" (Od. 1, 152) 26 , ein explizites Zeugnis für den stiftenden Wechselbezug von Dichtung und Fest, der sich auch in den lobenden Worten bestätigt, mit denen Odysseus den Vortrag des Sängers Demodokos preist: Ja, das ist wahrlich schön, einen solchen Sänger zu hören, wie dieser ist: den Göttern an Stimme vergleichbar. Denn es gibt, so sage ich, keine lieblichere Erfüllung, als wenn Frohsinn im ganzen Volke herrscht und Schmausende durch die Häuser hin auf den Sänger hören, in Reihen sitzend, und daneben die Tische sind voll von Brot und Fleisch, und es schöpft Wein der Weinschenk aus dem Mischkrug und bringt ihn herbei und füllt ihn in die Becher: das scheint mir das Schönste zu sein in meinem Sinne. (Od. 9 , 5 - 1 1 )
Wie Wolfgang Schadewaldt aufgezeigt hat, ist der Sänger, der Aöde, als ursprünglichere Erscheinungsform vom Rhapsoden (ραψωδός), dem Rezitator, zu unterscheiden. Während Homer selbst schon als Rhapsode gilt, ist in der Odyssee ausschließlich von άοιδοί, von berufsmäßigen und fahrenden Sängern die Rede, die sich wie Demodokos und Phemios an Fürstenhöfen niederlassen und bei festlichem Anlaß entweder als „Führer des spielfreudigen Tanzes" (Od. 23, 133 f.) auftreten oder ihren eigenen Gesang mit der Leier begleiten. Durch ihre Kenntnis des tradierten Liedgutes und der typischen Formelemente vermögen sie zu improvisieren und zu variieren und sind so Sänger und Dichter in einem.
23 R. Kannicht, Thalia. Über den Zusammenhang von Fest und Poesie bei den Griechen. In: Poetik und Hermeneutik Bd. XIV. München 1989, S. 31 f. 24 A.a.O., S. 34. 25 Der Wechselbezug von Dichtung und Fest hält sich bis in die klassische Zeit. Die lyrischen Gedichte, die Oden, Epinikien oder Paiane eines Simonides, Bakchylides oder Pindar werden „üblicherweise für den öffentlichen Vortrag (häufig durch Chöre) bei feierlichen Gelegenheiten verfaßt [...], ob es sich nun um eine Hochzeit oder ein religiöses Fest, um die Verherrlichung eines militärischen Triumphs oder eines Sieges bei Wettkämpfen handelt" (Finley, Die Griechen. München 1983, S. 69). Dies gilt auch für die attische Tragödie, an der noch Nietzsche den „dionysischen" Einbezug des Publikums in den Verlauf des Theaterstückes loben wird. Seine unter Altertumswissenschaftlern umstrittene These von der „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik" verweist zurück auf den Sänger, wie er sich innerhalb der homerischen Epen darstellt. 26 Wir bedienen uns im Folgenden der beiden Homer-Übertragungen Wolfgang Schadewaldts: Homer, Ilias. Neue Übertragung von Wolfgang Schadewaldt. Frankfurt a. M. 1975; Homer, Odyssee. Deutsch von Wolfgang Schadewaldt. Hamburg 1991.
§ 7 Das Fest des Dichtens: Das Dichten des Festes
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Wie die Odyssee zeigt, beziehen sich die Sänger dabei nicht nur auf Geschehnisse der ferneren, bereits mythischen, sondern auch der jüngeren Vergangenheit, ja sogar auf Neuigkeiten, die sie aus dem Stegreif und zur regen Anteilnahme der Hörenden in Dichtungen umsetzen.27 Hierdurch werden ihre Gesänge und mit ihnen die Feste, in deren Rahmen sie vorgetragen und gefeiert werden, zum Hauptanlaß
gemeinschaftlich
geteilter
Erinnerung.
„ D e r Sänger ist
das Gedächtnis des Volks. Sein Sang, die epische Dichtung ist ,Geschichte'" 28 . Sein Wissen ist dem des Sehers verwandt. Beide wissen, was ist, sein wird und vormals war (II 1, 70; Theogonie 38). Durch das Rühmen (κλείειν) des Sängers mit seiner sowohl ergötzenden (τέρπειν) als auch geschiftsstiftenden Wirkung wird das Fest „Geschichte". Was erinnerungswürdig ist, im Guten wie im Schlechten, verwahrt der Sänger im Lied. Er vermag einem Sterblichen dadurch Unsterblichkeit zu verleihen, daß sein Rühmen des Menschen (κλέα άνδρών) immerzu bei Festen vorgetragen und so das Andenken nie mehr ausgelöscht zu werden vermag; eine Bedeutung, um derentwillen der Dichter wie die Herren selber „Heros" heißt (Od. 8, 483). Die Heroen, durch ihre Taten und das sie bewahrende Lied bereits unsterblich geworden, stellen andererseits dichterische Fähigkeiten unter Beweis: „Zur großen Tat fügt sich von alters her das Lied. Zum Helden gehört der Dichter. In der Ilias singt der größte Held [in der Muße der Kampflosigkeit (II. 9, 186)] selbst zur Leier die ,Rühme' der Männer" 29 und auch die Worte des Odysseus werden zuweilen mit denen eines Sängers verglichen (Od. 11, 368; 17, 518). Sowohl den Heroen als auch den Dichtern, so belehrt uns Kerényi, ist das „,schauende Wissen des festlichen Menschen'", das εΥδεναι der Götter in ihrer klaren Gestalt (είδος) vergönnt. „Der Unterschied zwischen dem Wissen, wozu auch die gewöhnlichen Sterblichen fähig sind, und demjenigen, das der Dichter verwirklicht, ist der Unterschied wie zwischen einer trüben alltäglichen Schau und einer klaren, festlichen." 30
27 Codino nennt den Sänger der homerischen Epen gar einen „Berichterstatter von Tagesneuigkeiten" (F. Codino, Einfuhrung in Homer. Berlin 1970, S. 71). 28 W. Schadewaldt, Von Homers Welt und Werk. Stuttgart 1965, S. 80. 29 A.a.O., S. 32. Nach Kerényi rettet sich Achilleus an dieser Stelle gar „mit seinem Kummer in die Atmosphäre der Dichtkunst hinüber wie in eine andere, festlichere Welt, die für ihn möglich macht, sich in der Schau verklärter, in zeitloser Höhe erhobener Gestalten und Ereignisse zurückzuziehen, während um ihn der alltägliche Kampf tobt" (K. Kerényi, Antike Religion, S. 75). 30 K. Kerényi, Höhepunkte der griechischen und römischen religiösen Erfahrung, S. 76. Nicht umsonst werden Piaton und Aristophanes die Ausbildung im Leierspiel und im Vortrag von Dichtungen als wichtigen Bestandteil der Erziehung hervorheben (Piaton, Protagoras 325 e - 326 b; Aristophanes, Wolken 964 - 971). Diese pädagogische Maßnahme soll nicht zuletzt der Festkultur förderlich sein. Der dichterische Vortrag des derart Gelernten bei Symposien gereicht dem Vortragenden zum Ruhm und erzieht wiederum das Publikum: „Diese strenge Disziplin in der Kunst der Wieder-auffuhrung der alten Lieder", so Herington, „ging im späteren Leben der Knaben nicht verloren; sie muß beim Gastmahl zu größter Entfaltung gekommen sein" (Herington, Poetry into
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
In der Folgezeit, d.h. bis ins 8. vorchristliche Jahrhundert, in dem sich die Polisbildung in ersten Zügen abzeichnet, gewinnt der dichterische Vortrag und mit ihm seine festlich-andenkende Bedeutung ein breiteres Forum, das wiederum auf die dichterische Schaffenskraft zurückwirkt. 31 Die genannte Epoche ist bereits die Zeit der Rhapsoden, denen wir, wiederum Schadewaldt folgend, Homer, aber auch Hesiod und Archilochos zuordnen können. Auch der Rhapsode, von dem wir uns nicht zuletzt dank Piatons Dialog „Ion" 3 2 ein recht deutliches und für unser Thema aufschlußreiches Bild machen können, zieht von Stadt zu Stadt, von Fest zu Fest und ringt bei musischen Wettspielen um Preise. Doch ist die Art seines Vortrages kein Singen mehr, sondern ein gehobenes Sprechen. Seine dichterische Leistung besteht, wie sich an Homer zeigt, in einer schöpferisch-aktiven Synthese tradierten Liedgutes, das bei Festen vorgetragen und Situation und Publikum gemäß abgewandelt wird. Der Stoff mündlich überlieferter Dichtung ist keine statische Größe, sondern „eine lebendige, wechselnde, anpassungsfähige künstlerische Schöpfung" 33. Auch hier erweist sich das Fehlen einer schriftlich fixierten Tradition und die aus ihr resultierende Variabilität und Unsicherheit der Überlieferung nicht als archaisch-primitives Moment oral tradierter Dichtung, sondern als ein unübertrefflicher Vorzug gegenüber aller schriftlich fixierten Literatur. Denn wie schon das aödische Sängertum, bezieht die spontan-schöpferische Produktions- und Rezeptionsweise homerisch-rhapsodischer Dichtung den jeweiligen Realkontext mit in die Dichtung ein 34 . Schadewaldt hat das Lied des Sängers deshalb vom griechischen οϊμη her auch als „Gang", „Pfad" oder „Bahn" verstanden. „Das Lied, das der Sänger singt, wählt er aus eigenem Antrieb (Od. 8, 73), doch singt er auch, was man gerade von ihm fordert (Od. 8, 492). Dabei heißt das Lied auch ,Gang', ,Pfad', ,Bahn' mit einem seltsamen, doch tief Aufschluß gebenden Namen
Drama. Berkeley 1985, S. 49). Auf diese Weise werden Fest und Erziehung in der mündlichen Epoche zu den wesentlichen Tradierungs- und Verbreitungsmedien von Dichtung. Herington folgert: „die Einrichtung des Symposiums mitsamt der sie stets begleitenden Musik könnte von enormer Bedeutung für die Verbreitung und Überlieferung griechischer Dichtung gewesen sein" (a.a.O., S. 15) und bezeichnet „den Brauch der Auffuhrung und Wieder-aufführung als die einzige Methode der Veröffentlichung in der Periode der Lied-Kultur" (a.a.O., S. 61). 31 „Die große Festversammlung wird statt der Fürstenhalle der neue Raum für die Wirkung des Dichters; und das Bewußtsein der Weite dieser Wirkung, die hohe Festlichkeit des Anlasses, das Sichmessen mit andern Sängern mag nicht wenig dazu beigetragen haben, den Dichter zu so großen Entwürfen wie die Ilias zu entzünden." (Schadewaldt, Von Homers Welt und Werk, S. 124) 32 Piaton, Ion 541 b 8; vgl. 530 a, b; 535 a -d. 33 Α. B. Lord, The Singer of Tales. Cambridge, Mass. 1960, S. 94. 34 Mit der Ausweitung des Rezipientenkreises auf ein außerhöfisches Publikum wird zugleich das Urteil „der Masse" relevant. Gerade die Philosophen werden darin einen traurigen Triumph des οχλως und der ττόλλοι sehen, eine Entwicklung, die Piaton in den Nomoi (700 a - 702) darlegt.
§ 7 Das Fest des Dichtens: Das Dichten des Festes
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(οϊμη, Od. 8, 74; 481; 22, 347). Denn der Sänger versteht sein eigenes Singen auch sonst als einen ,Weg c , den er zurücklegt (Vgl. Od. 1, 347; 8)." 35 Der Weg des Gesanges ist einerseits gebunden an den überlieferten Mythos, andererseits aber offen für Eingaben: Sowohl der Zuhörer als auch die Musen haben auf eine noch zu bestimmende Weise teil am Verlauf des gemeinschaftlich geteilten „Liedweges". Und obwohl zum Fest doch eigentlich Rast, Ausgelassenheit und Vergessenkönnen gehören, eröffnet erst das Lied, neben Opfer und Mahl, Tanz und Musik, den Raum seiner Entfaltung. Doch bereits mit Hesiod steht der Dichter einem Publikum gegenüber, um dieses aus einer den Griechen bis dahin unbekannten Distanz zu belehren. Bei den frühen Denkern schließlich begegnet uns erstmals ein Weg des Denkens, der - wie Snell herausgestellt hat - wegführt von den Vielen und ihren Meinungen und hinzustreben scheint zu einer „Domäne der Wahrheit". Aus dem Unterschied und der Gemeinsamkeit des fesdichgemeinschafüich-andenkenden
Liedweges
und des
epistemisch-aufweisenden
Denkweges und aus der Erhellung der Wahrheits- und Erfahrungsdimension, in die sie jeweils führen, muß ein Fragen nach dem Festcharakter von Mythos und Logos entscheidende Anstöße erfahren können.So hat Kerényi im Ausgang vom Endmythos der Platonischen „Politeia" zu rekonstruieren versucht, wie der Mythos die Phänomene von „Vergessen" und „Erinnerung" thematisiert. Wo die Philosophie von „Lethe" sprechen und sich der denkerischen Erschließung der A-letheia widmen wird, feiert der mythische Dichter in seinem Sagen die göttliche Mutter der Musen, Mnemosyne , und führt die Sterblichen aus dem Vergessen. Desgleichen tat Homer, der nach Kerényi „wie kein anderer die Lethe unwirksam zu machen verstand" 36. Vermag er einmal als Künder Mnemosynes Trost zu spenden, so tröstet der Dichter ein andermal, indem er, wie Kerényi im Ausgang von Hesiod sagt, „alles, was zur Nachtseite des Daseins gehört, verschwinden läßt" 37 . Denn: „Beides: das Leuchten- und das Verschwindenlassen, die Mnemosyne und ihr Gegenpol, die Lesmosyne, macht erst das ganze Wesen der Göttin aus, die ihren Namen nur von der positiven Seite ihres Machtbereiches hat." 38
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W. Schadewaldt, Von Homers Welt und Werk, S. 74. K. Kerényi, Mnemosyne - Lesmosyne. In: Humanistische Seelenforschung. Werke in Einzelausgaben. Bd. 1. München/Wien 1966, S. 313. 37 K. Kerényi, Humanistische Seelenforschung, S. 321. Denn: „,Lesmosyne' stammt aus derselben Wurzel wie ,Lethe' und bedeutet genau dasselbe." „Hat [...] frisches Leid eines Menschen Seele verwundet,/ siecht er, Trauer im Herzen, dahin. Doch wenn dann ein Sänger,/ musenbegeistert, die ruhmvollen Taten der früheren Menschen/ preist und die Seligen, die den Olympos bewohnen, verherrlicht:/ Bald vergißt er den Kummer und keinerlei Sorge beschwert ihm/ länger den Sinn. So rasch hat der Göttinen [der Musen] Sinn ihn verwandelt" (Hesiod, Theogonie. Hg. und übersetzt von A. v. Schirnding. München 1991, V. 9 6 - 103). 38 K. Kerényi, Humanistische Seelenforschung, S. 313. 36
8 Knödler
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
Angesichts dieses gemeinschaftlich geteilten andenkenden Aufleuchten- und Verschwindenlassens des geschichtlichen Geschehens durch die gefeierte Gott-
heit in der Dichtung sehen wir uns zu einer Abwandlung des Titels unserer Ausarbeitung in: „ D a s Fest des Dichtens:
Das Dichten
des Festes" veranlaßt.
Das Fest des Griechenlandes ist dichterisch, schon allein, weil zu ihm eine besondere Weise der Rede, im wesentlichen jedoch, weil zu seinem Vollzug die zumal „aktiv"-gestalterische als auch göttlich-bestimmte Rezitation dichterischen Liedgutes gehört. Die Dichtung aber dichtet das Fest, einerseits, weil sie - zu festlichem Anlaß vorgetragen - die Festlichkeit des Festes steigert, andererseits, weil sie von künftigen oder gewesenen Festen bzw. Künftiges und Gewesenes festlich sagt und dadurch Feste bzw. festlichen Geschichtsvollzug in die Wege leitet und Göttliches zum Aufleuchten und Verschwinden bringt. Hiermit haben wir einen historischen Beleg für eine wechselweise Übereignung des genitivus
subject ivus und genitivus objectivus,
der den Vorwurf, Hei-
degger und Hölderlin spönnen sich ein verklärtes, verklärendes Idyll, historisch ausräumt: das Dichten dichtet das Fest und wird damit in eins gedichtet
durch
das Fest. Indes drängt sich die von Altertumswissenschaft, Altphilologie und Religionswissenschaft nur allzu gerne übergangene Frage auf, wie sich diese Übereignung vollzieht, d.h. wie wir das feierliche „Werk" der Göttin und ihrer Töchter, der Musen, zu denken haben. Meist wird ein Dichtungsbegriff an die aödisch-rhapsodische Festlichkeit herangetragen, der die folgenden vier Fragen mit Hilfe metaphysischer Auslegungsschemata beantwortet: Was ein Dichter ist, was in der Dichtung geschieht, was mit jenen geschieht, die die Dichtung hören, und wie der Wechselbezug von Dichter, Gedichtetem und Hörer zu denken ist, scheint irgendwo festzustehen und auf Dichtungen aller Zeiten und Menschentümer angewandt werden zu können. So versteht man den frühgriechischen Sänger einmal als ein kreatives, produktives Individuum, ein andermal als einen spontanen Interpreten, der ein mehr schlecht als recht auswendig gelerntes Liedgut rezitieren soll. - Schließlich hätten die frühen Griechen noch nicht die Schrift erfunden bzw. schon wieder vergessen. Durch Tradierungsmängel und Fehler oder durch bewußte Umgestaltung, sei es aus individuell-stilistischen Gründen, sei es, weil der Herrscher, das Publikum oder der „Zeitgeist" es verlangen, werden „kleine Änderungen" vorgenommen, die sich addieren und so zu Tradierungsschichten führen, die möglichst schnell mit Hilfe archäologischer Realien rekonstruiert und datiert werden müssen. Die so entstandene Dichtung wird als das Liedgut einer bestimmten historischen Ethnie gefaßt, die sich aus bestimmten sozialen Gruppen von Individuen zusammensetzt und deren Geschichte durch mündliche oder semischriftliche Überlieferung konserviert, rezitiert und gegebenfalls in spontaner Weise aktualisiert wird. Diejenigen, welche das Gedichtete hören, nehmen als Rezipienten eine rezeptive Haltung ein. Sie reagieren auf das, was der Dichter produziert hat, wirken aber durch Sanktionen und Konventionsdruck zugleich auf den Sänger ein. Da sich nun, so meint man, die frühen Griechen dieses Produktions-, Konservierungs- und Rezeptionsme-
§ 7 Das Fest des Dichtens: Das Dichten des Festes
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chanismus noch nicht bewußt waren, hypostasierten sie ihn ganz offensichtlich und nannten als die Ursache des Wechselbezuges von Dichtung und gemeinschaftlichem Fest etwas Göttliches: die Musen. Sobald wir also herausgefunden haben, welches subjektive Phänomen diesem hypostasierten Mechanismus in Wirklichkeit zugrunde liegt, wird es uns kaum schwerfallen, zu rekonstruieren, was die Griechen „gemacht" haben, damit ihre Feste zu Ereignissen der Dichtung und ihre Dichtungen zu Ereignissen des Festes wurden. Daß sich in dieser Rekonstruktion eher das Ent-eignis der Historie aussprechen wird als das Ereignis des frühgriechischen Festes, zeigt Heideggers denkerisches Gespräch mit Homers dichterischer Nennung des rasenden (μαινόμενος) Sehers (ό μάντις) Kalchas. Die Weise des sehenden Dichters jenes Dreifache zu nennen: ,,τά τ έοντα, das sowohl Seiende, τά τ έοντα, das auch SeiendWerdende, τ ά τ έόντα, als auch das vormals Seiende" (HW, 341), kennzeichnet seine Schau als Andenken. Sein Sehen geschieht als ein Denken an das vormals
Gesehene, welches dieses ankommend im Angesicht bleiben läßt, um aus diesem in die Gegenwart hineinreichenden Gesehenhaben das Seiend-Werdende vorauszusehen.39 Vom Seher heißt es, er sei außer sich. Was heißt das? Ist er geistesgestört? Ist er in Trance? Weilt er auf einem höheren Plan? Liest er aus der Akasha-Chronik? 40 Nach Heidegger wird der Seher in seiner seherischen Raserei herausversetzt aus dem bloßen Andrang des Vorliegenden als des nur gegenwärtig Anwesenden und hinwegversetzt zum Abwesenden. Dieses Abwesende ist nun aber nicht als eine andere Welt, ein anderer Plan oder ein psychotischer Bewußtseinszustand zu denken, auf und in den sich die Seele begibt. Im Weg-vom bloß Anwesenden zum Abwesenden geht der Seher vielmehr „zugleich weg zum gegenwärtig Anwesenden, insofern dieses stets nur das Ankünftige ist eines Abgehenden" (ebd.). So ist er außer sich, d.h. ekstatisch ent39
Wer sich das frühgriechische Fest also im Sinne einer spiritistischen Séance vorstellt, in deren Verlauf ein seherisches Medium Vergangenes berichtet, Gegenwärtiges unheimlich verklärt und über Künftiges geheimnisvolle Voraussagen anstellt, der täuscht. Erst im metaphysischen Zeitverständnis spreizen sich Gewesendes und Künftigendes als Zeitpunkte und Zeitstrecken der eindimensionalen Zeit in Vergangenheit und Zukunft auf. Erst mit Piaton und Aristoteles beginnt das Gegen-wärtige vom Gegenständlichen her als das Objektive eines Subjektes gefaßt zu werden, über das modale Wahrscheinlichkeitsrechnungen angestellt werden können. Auch die vom Seher genannten έόντα meinen „weder nur Naturdinge, noch überhaupt die Objekte, die einem menschlichen Vorstellen gegenüberstehen" (HW, 346). Ebensowenig meint das Gesehenhaben den „Vollzug eines optischen Vorganges" (HW, 344), sondern bestimmt sich aus der Lichtung des Seins, aus deren Inständigkeit alle menschlichen Sinne erst ihr Gefüge empfangen. 40 So pathologisiert die Psychologie die mantische Ekstase weitgehend zur schizoiden Psychose. Nach Rudolf Steiner hinterlassen alle vergangenen Geschehnisse Spuren in der geistigen Welt, der sogenannten „Akasha-Chronik", die ein Hellseher wie Homer zu schauen bzw. zu lesen vermochte (vgl. R. Steiner, Ägyptische Mythen und Mysterien. Leipzig 1908; ders. Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Berlin 1912/13), eine Ontifizierung des Seherischen, die zu einer Phänomenfülle führt, welche wiederum zu einem „Fern"-Gespräch mit dem Ereignis-Denken herausfordern könnte.
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
rückt „in die einige Weite des Anwesens des in jeder Weise Anwesenden" (HW 343). In der festlich gesagten Schau des Sehers sind die έόντα so „angekommen in der Weile innerhalb der Gegend der Unverborgenheit" (HW 342). Indem der Seher „alles An- und Abwesende in ein Anwesen versammelt und gewahrt" (HW 344), bewährt er sich als jener, der die Wahr, d.h. das Anwesen ver-wahrt. Dem Dasein eignet gewöhnlich die Tendenz, das Gewesene nicht als Wesendes anwesen zu lassen und in den Vorhalt des Künftigenden zu übernehmen. Wie der Beginn der „Ilias" zeigt, wird es schon bei den Griechen als feststehendes Verhängnis und ausgemachte Gunst oder als hereinbrechendes Unheil oder Glück in Vergangenheit und Zukunft aufgespreizt. Insofern nun aber der Seher in einer ausgezeichneten Weise in das Ganze des Anwesenden gehört, öffnet sein Sagen auch den Troianern die offene Gegend der lichtend-bergenden Versammlung. Die Hervorkunft und der Hinweggang des gegenwärtig Anwesenden in die abwesende Anwesenheit des Künftigenden und Gewesenden ist das Weilen, das uns noch in der Festweile wiederbegegnen wird, in welcher Hölderlin das Schicksal ausgeglichen und Götter und Menschen das Brautfest feiern sieht. „Das Weilen ist der Übergang aus Kunft und Gang. Das Anwesende ist das Jeweilige. Übergänglich weilend, weilt es noch in Herkunft und weilt schon im Hingang." (HW 345 f.) Was heißt dies bezüglich des gemeinschaftlich leuchten-
und Verschwindenlassens
geteilten andenkenden Auf-
des geschichtlichen
Geschehens durch die
gefeierte Gottheit in der Dichtung? Es heißt, daß das festlich geteilte Wissen des Aöden als das unter dem Schutz der Μνημοσύνη stehende denkende Gewahren der Wahrnis des Seins die Festgemeinschaft in einen andenkenden Bezug zur Geschichte zu setzen vermag. Durch den andenkenden Bezug zu dem, was war, ist und wird, kann diese Geschichte selbst zum Andenken, d.h. zum Fest werden. Als dieses Andenken bringt nun das sehende Dichten des Aöden die Göttlichen in den Blick der Sterblichen. Was heißt das? Sitzen die Götter mit dem Menschen zu Tisch wie in einer amerikanischen Mythos-Verfilmung? Ihre menschengestaltige Nennung legt dergleichen doch nahe! Auch hierzu gibt uns Heidegger einige Einblicke, die ausgelotet zu haben wir freilich nicht für uns in Anspruch nehmen wollen. An der Stelle, wo er auf dem Wege zum Lehrgedicht des Parmenides das verborgene Gegenwesen der αλήθεια zur λήθη herausarbeitet, kommt Heidegger auch auf den Blick als das Entscheidende für die götternde Erscheinung des Ungeheuren im Geheuren zu sprechen. Was wir gemeinhin als den Blick auf das Erscheinende verstehen, „ist schon die Antwort auf den ursprünglichen Blick, der menschliches Er-blicken erst ins Wesen hebt" (GA 54, 158). Dieses ursprüngliche Blicken ist als das Aufgehen ins Lichte und das Hereinkommen des Scheinens in das Unverborgene zu verstehen. Was so in das Seiende hereinscheint, ist das Sein, das der Grieche nicht als solches denkt und erfahrt, sondern als τό δαΐον δΐμον. Was aber derart aus der Verborgenheit, d.h. aus dem Un-geheuren, in die Unverborgenheit hereinblickt ist: ,,τό θεαον ist τό θείον" (GA 54, 160). „Θεοί, die von uns so
§ 7 Das Fest des Dichtens: Das Dichten des Festes
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genannten ,Götter', sind als die in das Unverborgene Hereinblickenden und blickend Winkenden, θεάοντες, ihrem Wesen nach δαίοντες - δαίμοντες, die in das Geheure sich darweisenden Un-geheuren" (GA 54, 161) 41 . Indem das Göttliche so in das Seiende hereinscheint und -blickt, kann es für den frühen Griechen die menschliche und naturhafte „Gestalt" epiphanisch durchwalten, ohne deshalb eine anthropomorphe oder theomorphe Übertragung vom „Gott" auf die „Kreatur" oder von der „Kreatur" auf „Gott" vorzunehmen. Der Mensch ist der griechischen Erfahrung zufolge dasjenige Seiende, „das seine Auszeichnung darin hat, vom Sein selbst angesprochen zu sein, so daß im Sichzeigen des Menschen, in seinem Blicken und seinem Anblick das Ungeheure selbst, der Gott erscheint" (GA 54, 155). Die Weise, wie der Mensch als das an-fänglich erfahrene ζωον λόγον εχον das Sein zum Erscheinen bringt, ist die Sage. Der Mensch ist der Gottsager nicht nur da, wo er die Sage in das mythische Sprechen birgt, sondern auch und vielleicht gerade da, wo er Bauten, Taten, Opfer und Feiern stiftet, die „in der schweigenden Zwiesprache mit dem Menschen im Unverborgenen" (GA 54, 172) stehen. Weil die Verlautbarung des Wortes nur allzu leicht zum Gerede verflacht, bedarf es deshalb des sehenden Dichters. Sein Auge ist blind für das erfassende Blicken, nicht weil er hinter einem Sinnlichen Übersinnliches auskundschaftet und kundgibt, sondern weil er den vom Allzugeheuren getrübten Blick der festlichen Versammlung auf jene Ungeheuren sammelt, die in das Geheure hereinblicken. Das mythische Nennen der in das Sein hereinblickenden Götter als der συνίστορες, d.h. als derjenigen, die ,sehen' und gesehen haben, bringt das Gewesende und das Künftigende in den Blick. Auf diese Weise gestaltet sich das anfängliche Fest als die ίστορία, als das geschichtsstiftende „,zu Gesicht bringen'" (GA 54, 165) der Göttlichen. Wenn der sagend-gesagte Spruch des Sängers, das ρήμα, derart „in der Gunst der χάρις steht, so daß im Wort die gewährende Huld des aufgehenden Seins erscheint" (GA 54, 115), dann übertrifft er nicht nur alle εργματα. Er bringt darüberhinaus jene lautlose Stimme zum Klingen, die das Wesen des Menschen dazu be-stimmt, sich auf seine geschick-hafte Bestimmung einzuholen. Glückt dieses geschickhafte Sicheinholen des Menschen, dann geschieht die vom Dichter so gerühmte εύδαιμονία, „das im gemäßen Maß waltende ,εύ' - Erscheinen und Anwesen des δαιμόνιον" (GA 54, 173). Wie die „Beiträge" uns belehren, ist das als δόξα erfahrene Rühmen der hohen griechischen Zeit eines Pindar und der Früheren von dem mit Piaton einsetzenden Verständnis des „Ruhmes" als der Berühmtheit zu differenzieren. Gänzlich fern zu halten ist es vom neuzeitlichen Kunst- und Dichtungsverständnis als
41 Insofern für die Griechen das Gotthafte „unmittelbar im Ungeheuren des Geheuren" gründet und „im Unterschied des Einen zum Anderen ans Licht kommt" (GA 54, 181 f.), können wir auch von einem schlechthin übergänglichen, d.h. festlichen Wesen des Gotthaften sprechen.
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
des „Heraus-stellens der Fähigkeit, das Leistungshafte des Werkes, ,Genie', und entsprechend ,Werk' als Leistung" (GA 65, 507; vgl. EiM, 78). Von δόξα und ιδέα her gedacht, sind Ruhm und Rühmen in der höchsten Zeit des Griechentums zwar nicht Zustand, Regel und Ideal, doch das in einzigen Augenblicken geschehende „heraustreten in die Erscheinung, d.h. zum eigentlichen Seienden mitgehören und es mitbestimmen (κλέος) und somit den Göttern zugewiesen sein. Die δόξα: Gegenwärtigkeit in der Anwesung des eigenen sich entfaltenden Wesens und die Zugehörigkeit zu diesem" (ebd.). Wie Heidegger in seiner „Einführung in die Metaphysik" ausführt, ist die δόξα, früh-griechisch verstanden, „das Ansehen, darin einer steht, im weiteren Sinne das Ansehen, das jegliches Seiende in seinem Aussehen (είδος, ιδέα) birgt und entbirgt", also weder Reichtum noch Berühmtheit, sondern die ,,höchste[..] Möglichkeit menschlichen Seins" (EiM, 78 f.). Entsprechend ist δοκέω das Zuweisen und Aufweisen des Rühmens und Ansehens, das ins Licht stellt und damit Ständigkeit und Sein verschafft. Wenn der Ruhm derart der Ruf ist, in dem einer steht, dann können wir vom Rühmen des Fest-Dichters sagen, daß es jene in der bzw. in die Festgemeinschaft aufruft, die dem ereignenden Zuruf gestern, heute oder morgen in ausgezeichneter Weise entsprachen, entsprechen und entsprechen werden. Wie Heidegger jedoch betont, ging das vom heutigen GeschichtsVerständnis abgrundtief verschiedene ίστορεΐν „auf das Gegen-wärtig-Vorhandene und nicht auf das Vergangene als solches. Die Griechen waren aber geschichtlich, so ursprünglich, daß ihnen die Geschichte selbst noch verborgen blieb, d.h. nicht zum Wesensgrund der Gestaltung ihres ,Daseins' wurde" (GA 65, 506 f.). Umso an-fänglicher sang der Dichter beim Fest das άεί, das nicht als die historisch gedachte Dauer des fortschrittlichen endlosen Fortdauerns zu nehmen ist, sondern als „die in die Gegenwart sammelnde Vereinfachung des je Wesentlichen (das έν als öv)" (ebd.).
§ 8 Das Heilige als der Ursprung des Festes: Das Fest als der Ursprung des Heiligen Nicht umsonst gelten die homerischen Dichtungen und das sich in ihnen aussprechende Menschentum der Altertumswissenschaft als einzigartiges Zeugnis einer alle Lebensbereiche durchwaltenden Präsenz des Göttlichen. Die Götter motivieren und bestimmen jegliches menschliche Tun. 42 Dieser Anfang 42
„Stets laufen zwei Handlungen nebeneinander: die eine auf der oberen Bühne unter den Göttern, die andere hier auf Erden, und zwar wird alles, was hier unten geschieht, bestimmt durch das, was die Götter untereinander verhandeln. Denn menschliches Handeln hat keinen wirklichen und eigenständigen Anfang: was geplant und getan wird, ist Plan und Tat der Götter." (B. Snell, Die Entdeckung des Geistes. Göttingen 1986, S. 35). Bereits Nietzsche attestiert den frühen mythisch denkenden Griechen, daß sie „eigentlich nur an die Realität von Menschen und Göttern glaubten und die ganze
§ 8 Das Heilige als der Ursprung des Festes: Das Fest als der Ursprung
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menschlichen Handelns und Planens im Göttlichen gilt in ausgezeichneter Weise für das Feiern der Menschen: „wo etwas vollbracht wird, das über das Gewöhnliche hinausgeht, liegt der Anfang im Göttlichen" 43 . Deshalb stellt, wie J.M. André ganz zu Recht folgert, Jedes Fest von seinem Ursprung her eine Huldigung an die Gottheit" 44 dar. Der sakrale Ursprung des Festes und die Orientierung der Fest- und Mußekultur auf die Dimension des Göttlichen gilt auch für den weiteren Verlauf der griechischen Kulturgeschichte als richtungsweisend. „In irgendeiner Form", so schließt André, „wird für kollektive Freizeitveranstaltungen die Gemeinschaft mit den Göttern, Helden und Toten immer bestimmend bleiben" 45 .So wird das Leben auf dem Olymp, wo sich „die seligen Götter alle Tage" erfreuen (Od. 6, 41 ff), in der Ilias und der Odyssee zum Vorbild und Pendant menschlicher Festlichkeit. Als die „ewig seienden" (II. 1, 494) 46 und leichtlebenden (ρεΐα ζώοντες) Götter (II. 6, 138; Od. 4, 805; 5, 122) versammeln sie sich und genießen bei Gastmählern Nektar und Ambrosia, die Speise und den Trank der Unsterblichkeit (II. 1, 597; Od. 9, 359). Sie lauschen dem Leierspiel Apolls (II. 1, 493 f f , 4, 1 ff.) und tragen sowohl musische als auch kriegerische (II. 21) Wettkämpfe aus. Obwohl dies weder heißt, daß die Götter deshalb die Nahrung der Sterblichen zu sich nehmen noch daß sie dem Geschlecht der Menschen entstammen, bestätigt sich die Nähe des göttlichen Handelns zum menschlichen gerade hinsichtlich des Festes. Mehr noch, das Fest ist die exklusive Zeit und der exklusive Ort eines einzigartigen Austausches. Feierliches Spiel, Musik, Tanz und Gesang, sportliches und musisches Agon, Gastrecht, Gastfreundschaft und selbst die nivellierten, banalen und banausischen Formen des Feierns sind nicht nur auf das Göttliche hin orientiert, die Götter nehmen zuweilen, „potenziell" aber stets, Anteil am festlichen Vergnügen der Sterblichen. Die Religionswissenschaft nennt diese Begegnung des Menschen mit dem Heiligen, d.h. die Erscheinung des Heiligen „in der festlichen Atmosphäre der Dichtung" 47 , im Ausgang von den Griechen, zugleich aber geltend für alle Religionen, Epi-, Theo- (W.F. Otto; K. Kerényi) oder Hierophanie (M. Eliade). Wie die Quellen uns belehren, ist freilich nicht alles in gleicher Weise theo-, epi- oder hierophanisch. Nicht jedes Fest wendet sich dem Göttlichen zu, nicht jedes erfahrt die Zuwendung des Göttlichen. Göttliches tritt erst dann und da in
Natur gleichsam nur als Verkleidung, Maskerade, Metamorphose dieser GötterMenschen betrachteten" (Schlechta WW III, 362 f.). 43 B. Snell, Die Entdeckung des Geistes, S. 37. 44 J.-M. André, Griechische Feste, römische Spiele. Stuttgart 1994, S. 13 f. 45 J.-M. André, S. 22. 46 Vgl. Hesiod, Theogonie 105 u. 33. 47 K. Kerényi, Mensch und Gott nach Homer und Hesiod. In: Antike Religion, S. 101.
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
„Erscheinung", wenn und wo etwas heilig (ίερος, άγιος) 48 ist. Heiliges aber kann sich manifestieren in Objekten und belebten Wesen (Baum, Berg, Pflanze, Stein, Quelle, Tier), in von Menschenhand gefertigten Gegenständen und Bildern, an bestimmten Orten (Himmel, Grotten und Höhlen, Hainen, Tempeln), in Einzelmenschen (Priestern, Propheten, Königen) und Gemeinschaften, zu bestimmten Zeiten (Festen und Feiertagen), in Handlungen verschiedenster Art (Opfern, Sakramenten) und in Wort (Mythos, Orakel) und Schrift. Fast jeder Bereich des Seienden kann so zum Anlaß einer feierlichen Hierophanie werden. Die Götter treten in Erscheinung, wenn sich der Mensch in einen würdigenden Bezug zu dem setzt oder versetzt wird, was ihm heilig sein kann, z.B. wenn er ihnen Handlungen und Dinge betend und opfernd widmet. Der Bezug des frühgriechischen Menschen zu seinen Göttern ist also keineswegs selbstverständlieh. 49 Die „Odyssée" führt gleich zu Beginn vor Augen, daß die Götter vornehmlich dort sind, wo ihnen feierliche Opfer dargebracht werden: So ist Poseidon „zu den Aithiopen hingegangen in der Ferne [...]: daß er von Stieren und Widdern ein Opfer entgegennähme. Da ergötzte sich dieser beim Mahle sitzend" (Od. 1, 22 ff). Auch Apollon hört „freudigen Herzens" den Paian, den die Achaier zum Abschluß ihres Versöhnungsopfers anstimmen (II. 1, 457 - 474), wenngleich es allein den Aithiopen und Phäaken vergönnt ist „eine völlig klare Epiphanie und ein eigentliches Zusammensein mit den Göttern" 50 zu verwirklichen: „Denn bis jetzt wenigstens", so bemerkt deren König Alkinoos, „erscheinen uns die Götter immer klar, wenn wir herrliche Hekatomben opfern und sie bei uns schmausen, da sitzend, wo wir selbst" (vgl. Od. 7, 202 ff). „Jedes Opferfest", so konstatiert deshalb W.F. Otto, „gründet auf dem Glauben, daß der Gott mitten in der Gemeinschaft, wenn sie den Akt in der rechten Form vollzieht, gegenwärtig sein" und eine „Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott" 51 eingehen kann. Diese Gemeinschaft von Mensch und Gott unserer geschichtlichen Gegenwart zugänglich zu machen, ist nun das Ansinnen Ottos, Kerényis und Eliades.
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Herodot, Historien, II 41; V 119. „Die alten Götter kamen und gingen. Ihre Feste waren die hohen Zeiten ihres Erscheinens (Epiphanie). Trotzdem sie Verehrungsstätten und Wohnsitze bei den Menschen hatten, waren sie doch lange abwesend und kehrten erst zu bestimmter Zeit, von den Gebeten der Gläubigen gerufen, wieder zurück, um die Segnungen zu bringen, die sie allein bringen konnten" (W. F. Otto, Die Herkunft des griechischen Menschen. In: Das Wort der Antike. Stuttgart 1962, S. 23). 50 K. Kerényi, Antike Religion, S. 101. Ich bin im übrigen der Auffassung, daß es sich bei den Aithiopen nicht um ein sagenhaftes Geschlecht, sondern um ein afrikanisches Kulturvolk handelt. Während die Epiphanien der Griechen untergegangen sind, stehen sie bei den Aithiopen im Zenith. 51 W. F. Otto, Das Wort der Antike, S. 24. 49
§ 8 Das Heilige als der Ursprung des Festes: Das Fest als der Ursprung
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Doch bei all der Plastizität, mit der uns diese herausragenden Forscher von den festlichen Theo-, Hiero- und Epiphanien erzählen, stellt sich die Frage, wie wir uns dieses Brautfest von Göttern und Menschen 2 zu denken haben und welchen
Sinn die in festlichem Rahmen dargebrachten Opfer und Kulte erfüllen. Geht nicht aus den Textvorlagen hervor, daß sie sich als Bitte um Beistand und Segen, sei es allgemein und regelmäßig, sei es vor besonderen Unternehmungen, verstehen? Betreiben sie nicht die Abwehr von befürchtetem oder hereingebrochenem Unheil, zollen sie nicht Dank für die erfolgreiche Abwehr desselben, dienen sie nicht der Reinigung vor bestimmten Handlungen, Sühnungen von Vergehen und zeugen sie nicht von der Huldigung vor der Übermacht der Götter überhaupt? Sind sie deshalb nicht ebenso defizitär wie die Kulte der festlosen Zeit? Könnte das festlich-kultische Gott-Mensch-Verhältnis nicht mit gutem Recht als eine Art Handelsbeziehung verstanden werden: Der Mensch widmet Handlungen und Dinge den Göttern, wofür diese den feiernden Menschen mit ihrer Gunst beglücken? Van der Leeuw, W. F. Otto und Kerényi haben gegenüber diesem Einwandt anhand der Textquellen plausibel gemacht, daß der Kult nur in zweiter Linie Bitte und Gabe, in erster Linie jedoch Vergegenwärtigung ist. 53 Opfer und Gabe, d.h. gottgeweihte Handlungen und Dinge, prädestinieren zwar den Menschen zur Präsenz der Götter, sie ermöglichen zwar, daß das Geopferte - wie etwa die Speise beim Mahle - mit den Olympiern geteilt werden kann 54 , in erster Linie aber vergegenwärtigen sie ein Göttliches, das auch in der Abwesenheit „potenziell" anwesend war. Zwischen der heiligen Handlung und der Hierophanie besteht keine Kluft, in der sich so etwas wie eine abständige 52 Die höchste und nicht minder klärungsbedürftige Erscheinungsform der mythischfestlichen Gemeinschaft ist jene ftir so viele Kulturen überlieferte Hochzeit von Göttern und Menschen, von der in der abendländischen Überlieferung erstmals die Ilias zeugt. Wenn Zeus mit Laodameia Sarpedon, mit Dia Peirithoos, mit Danae Perseus, mit Europa Minos und Rhadamanthys und mit Alkmene Herakles zeugt, wenn die sterbliche Semele von Zeus Dionysos empfängt (II. 14, 317 - 328) oder wenn Zeus Thetis dazu zwingt, dem Helden Peleus beizuwohnen (II. 17, 433), so wird dadurch eine Reihe von Überlieferungen eingeleitet, die zu einem der großen Topoi griechischer Götterpräsenz geworden sind. Die von Heidegger aufgegriffene Redeweise Hölderlins vom Brautfest von Göttern und Menschen ist also in der mythischen Überlieferung der Antike fundiert. 53 K. Kerényi, Mensch und Gott nach Homer und Hesiod. In: Antike Religion, S. 96 f. Vgl. G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion, Tübingen 1933, S. 327 ff.; W.F. Otto, Das Wort der Antike. 54 Denn bei rechter Opferung gesellen sich die Götter gar den Tischgenossen und Weggefährten zu. Wenn es ihnen, wie Athene im 19. Gesang der Ilias, beliebt, so lassen die Götter auch die Sterblichen von ihrem Trank kosten. In sterblicher Gestalt wohnen sie den Festen der Sterblichen bei, wie Athene, „einem Gastfreund gleichend, dem Taphierflihrer Mentes" (Od. 1, 105), als sie Telemachos zu bestärken sucht, weil er zu schwach ist, gegenüber den hemmungslosen Freiern das Hausrecht seines Vaters durchzusetzen (Od. 21, 372). Entsprechend sagt auch Kerenyi: „Die Denkmäler der griechischen Reli-gion, literarische und inschriftliche, sind voll von Rufen - Herbeirufen und Einladen - der Götter, von Rufliedern und von Adventliedern, die ihre Ankunft feiern" (K. Kerenyi, Antike Religion, S. 100).
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
Berechnung entwickeln könnte. Opfer und Kult erscheinen nur dann als eine kausal-deterministische Bedingung fiir die Möglichkeit der Ankunft des Göttlichen, wenn dieses bereits zu etwas Jenseitigem vergegenständlicht wurde. Für den im Bezug zur Gottheit stehenden Menschen hingegen sind sie selbst schon eine Vollzugsweise der Annäherung und Entfernung von Göttern und Menschen. Dennoch macht sich bei den genannten Autoren das Fehlen einer Analyse der zeithaften Seinsverfassung
des mythischen Bewußtseins bemerkbar, was
ebenso zu einem bewußtseinsmäßigen Verständnis des Mythos führen muß (fundamentalontologisch gedacht) wie zu einer latent machenschaftlicherlebnishaften Auslegung desselben (seinsgeschichtlich gedacht). Wenn etwa Otto von göttlich-menschlicher Gemeinschaft spricht, so tut er dies aus dem Gesamthorizont seiner religionswissenschaftlichen Arbeit heraus. Daß diese sich gerade um eine Wiederbelebung, d.h. eine irgendwie geartete Erfahrbarmachung des frühgriechischen Mythos bemüht, konfrontiert uns mit einer Widersprüchlichkeit, vor die sich jede gegenwartsbezogene Zugangseröffnung zur kultisch-mythischen Festlichkeit gestellt sieht. Wenn Otto sagt: „Nur eine Erfahrung könnte uns die Augen öffnen, die auch zu hoffen Vermessenheit wäre: wenn wir wieder zu fühlen vermöchten, was es heißt, daß ein Gott in unmittelbarer Nähe ist" 5 5 , dann zeugt dies zwar von aufrichtigem Problembewußtsein hinsichtlich seines Ansinnens; aus phänomenologisch-hermeneutischer Perspektive zeigt es aber zugleich, daß ein mangelnder Einblick in die Zirkularität des Verstehens beim geschichtlichen Gespräch mit dem Mythos zu einem neuzeitlich-erlebnisgeprägten Bezug führen muß. Otto sieht durchaus ein: um die Gott-Mensch-Nähe griechischer Opferfeste zu verstehen, bedürfen wir einer Erfahrung derselben. Um aber zu dieser Erfahrung zu gelangen, müssen wir eben jene Erfahrungsorientiertheit aufgeben, mit der wir doch an das Phänomen herantreten: Weder dürfen wir so vermessen sein, auf so etwas wie eine Erfahrung zu hoffen, noch dürfen wir das Erfahrene selbst: die Gottesgegenwart beim Fest, zu einem Erfahrungsgegenständ degradieren, der sich durch Wohlverhalten erringen ließe. Wenn nämlich Opfer und Kult nicht primär auf die Bestechlichkeit der Götter spekulieren, so muß sich auch ihre Erschließung jeder objektivierenden Methodik enthalten. Doch weicht Otto vor dieser Verlegenheit in einen Einfühlungs-Historismus Diltheyscher Prägung aus. Indes erscheint der Geschichtsbezug nur solange paradox, als wir nicht die Fundiertheit dieser vermeintlichen Widersprüchlichkeit in der Zirkelstruktur des Verstehens erkennen. Die ganze Legion von Erklärungsmodellen für den Gottesbezug des frühgriechischen Menschen reibt sich daran auf, daß das Vergangene nur aus dem Gegenwärtigen erklärt werden kann, d.h. daß die moderne Forschung nicht umhin zu kommen scheint, das ihr erklärtermaßen Fremde über die Leiste ihrer Methodik zu schlagen. Heidegger zufolge, der sich mit dem Mythos meist indi-
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W.F. Otto, Dionysos. 5. Aufl. Frankfurt a.M. 1989, S. 23.
§ 8 Das Heilige als der Ursprung des Festes: Das Fest als der Ursprung
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rekt auseinandersetzt, geht es nicht so sehr darum, sich den Griechen und ihren Göttern „mythologisch-historisch gelehrt" zu nähern. Ihm stellt sich vielmehr die Frage, „ob das verborgene Wesen der Geschichte, in die wir gehören, aus einer wesentlichen Not zu einer Zwiesprache mit dem genötigt ist, was den Griechen ihre θεοί gewesen" (GA 55, 15). Aus diesem Grunde fordert er schon früh gegenüber Emil Cassirer und Rudolf Otto eine fundamentale Analyse des mythischen Daseins ein: „Die Wesensinterpretation des Mythos als einer Möglichkeit des menschlichen Daseins bleibt solange zufällig und richtungslos, als sie nicht auf eine radikale Ontologie des Daseins im Lichte des Seinsproblems überhaupt gegründet werden kann." 56 Heidegger denkt die „Grundart des Seins des mythischen ,Lebens'" (GA 3, 265) auf dem ersten Ausarbeitungsweg von der Sorge als der „Geworfenheit" her als ein Überwältigtsein vom Übermächtigen. Im Gesichtskreis der in der Fundamentalontologie errungenen Seinsfrage aber kommt der Mythos vornehmlich für mythosbezogenen Einzelwissenschaften und Metontologien, wie der Ethnologie (SuZ, 51 u. 313), oder der „Entmythologisierung" in Betracht. 57 Wo aber, wie auf dem zweiten Ausarbeitsweg, die Geworfenheit als ereignet gedacht wird aus dem ereignenden Zuwurf der Wahrheit des Seyns, wandelt sich der Bezug zum Übermächtigen und mit ihm das Verhältnis von Heiligem und Profanem. Die dem ersten Anfang eigene Grundstimmung, das Erstaunen, aus deren Gegenhalt heraus das Ereignis-Denken die andersanfängliche Grundstimmung des Erschreckens zu fassen sucht (vgl. GA 45, 15), versetzt den Griechen auf eine Weise aus dem Gewöhnlichen in das Ungewöhnliche, die den neuzeitlichen Menschen sozusagen den Schrecken vor der Ent-eignung seines eigenen Selbst- und Weltbezuges lehren kann. Das geläufige Verständnis des „Erstaunens" als „Sichwundern", „Verwundern", „Bewundern", „Staunen" oder „Bestaunen" führt zu einer Abkehr vom Gewöhnlichen, in deren Folge das Gewöhnliche neben dem Ungewöhnlichen bestehen bleibt. D.h. Gewöhnliches und Ungewöhnliches sind in der im 1. Kapitel geschilderten Weise übergangslos. Dagegen geht die Grundstimmung des Er-staunens auf das Ganze, das zum Ungewöhnlichsten wird. Im er56 Auch im Kunstwerk-Aufsatz warnt Heidegger mit Blick auf R. Ottos Konzept vor einem „Schielen nach dem Ir-rationalen, als der Mißgeburt des ungedachten Rationalen" (HW, 9; vgl. GA 26, 211). Zum Bezug von Mythos und Natur vgl.: S. Bohlen, Die Übermacht des Seins, S. 184-204. 57 Das unausdrücklich-vorontologische Seinsverständnis des alltäglich-besorgenden Umgangs des Daseins mit seiner Welt hat mit dem mythischen Denken gemein, daß es im nicht eigens begreifenden Verstehen der Seinsart seiner selbst zunächst keinen begrifflichen Unterschied macht „zwischen der Seinsart seiner selbst und der Seinsart der Dinge, zu denen es sich verhält" und dadurch „sein eigenes Sein mit dem der Dinge identifiziert. So ist es in allem mythischen Denken, und es ist eine Identifizierung, die auch nie ganz aus dem Dasein schwindet, sondern sich noch im Moment der Geworfenheit zeigt" (GA 25, 24).
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
sten Anfang wird zum Ungewöhnlichsten, daß das Seiende „ist" (GA 45, 167). Indem aller Erklärung der Boden entzogen wird und das Dasein weder aus noch ein weiß, eröffnet das transitiv verstandene ü>-staunen ein „Zwischen, zwischen dem Gewöhnlichsten, dem Seienden, und seiner Ungewöhnlich-keit, daß es ,ist' (GA 45, 168). In eins mit dieser Eröffnung der Ungewöhnlichkeit des Seienden offenbart sich nun auch die vormalige Gewöhnlichkeit des Seienden als solche. Durch dieses Aus-einander-werfen des gewöhnlichen Seienden „in seine Gewöhnlichkeit und in seine Ungewöhnlichkeit" (ebd.) kommt das Seiende als solches „in das Spiel seines Seins" (GA 45, 169). Derart in das Zwischen des Νicht-aus-und-nicht-ein-Wissens versetzt, muß der er-staunte Mensch „in der Anerkenntnis dieses Aufgebrochenen Fuß fassen, es in seiner unergründlichen Enthüllung er-sehen und die άλήθεια, die Unverborgenheit, als das anfängliche Wesen des Seienden erfahren und aushalten" (GA 45, 169). Auch wenn Heidegger sich an dieser Stelle auf das Denken bezieht und ausführt, daß die Anerkenntnis des Ungewöhnlichsten sich am reinsten in jenem Fragen vollzieht, „das fragt, was denn das Gewöhnlichste selbst sei, daß es sich so als das Ungewöhnlichste auftue" (GA 45, 172), und obwohl er dieses als ein leidendes Auseinanderhalten der als das Ungewöhnlichste des Gewöhnlichen in die Unverberborgenheit tretenden φύσις faßt, können wir aus seiner Rede vom Bezug von Gewöhnlichem und Ungewöhnlichen einen Wink für den griechischen Bezug von Heiligem und Profanem erhalten. Was Heidegger nämlich hier, im Umkreis der „Beiträge", das Zwischen nennt, wird sich dem Denken im Zwiegespräch mit Hölderlins Dichtung als das Heilige zusprechen, das mit seinem Gruß Götter und Menschen einander zueignet. Bevor und noch während das erstanfängliche Denken auf seine Weise den Entscheidungsraum von Sein und Seiendem aufzureißen beginnt, stehen auf ihre Weise das homerische Epos, der Mythos Hesiods, die Hymnen Pindars und die Attische Tragödie die Kluft zwischen άρχή und φύσις aus. In der „Andenken"-Vorlesung bemerkt Heidegger zur Tragödie als der höchsten griechischen Dichtung: Die griechischen Trauerspiele sind kein ,Theater' im neuzeitlichen Sinne. Sie sind Feiern und deshalb auf das Fest zugeordnet. Das will jetzt sagen: sie gehen das Verhältnis der Götter und Menschen an und enthalten und erwirken jeweils mit die Entscheidung der Art, wie je eine ττόλις in der Wahrheit einer solcher Entgegnung von Menschen und Göttern steht. (GA 52, 72)
Dieser Satz bestätigt sich an der „Antigone", der Hölderlin sich in seinem über-setzenden Zwiegespräch mit Sophokles zuwandte und deren Chorlied Heidegger im Zuge seines denkenden Gesprächs mit der Hölderlinschen Dichtung auslegt. Das Fest-Spiel hat die tragische
Unterbindung
und Vereitelung
eines
festlichen Kultaktes zur Handlung. Nachdem Eteokles seinen Bruder aus ihrer Heimatstadt Theben vertrieben hat und letzterer mit der neu formierten Streitmacht der Sieben gegen Theben gezogen ist, töten sich die beiden Brüder im gegenseitigen Zweikampf. Während ihr Oheim Kreon, nun Herrscher über die Stadt, Eteokles feierlich bestatten läßt, verbietet er bei Todesstrafe die Beisetzung des Polyneikes. Antigone, seine Schwester, hat ihre tragische Bedeutsam-
§ 8 Das Heilige als der Ursprung des Festes: Das Fest als der Ursprung
1
keit darin, dieses Gebot zu brechen und die damit verbundenen Konsequenzen auf sich zu nehmen. Die Besonderheit der Heideggerschen Auslegung besteht in der Interpretation des berühmten Chorliedes von der Erfindungskraft und dem Wagemut der Menschen nicht auf Kreons Hybris, sondern auf Antigones Menschentum hin. Die von uns erfragte Spannung von Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem im Fest des Mythos klingt bereits im Durchwaltetwerden der häufig auftretenden Gegensätze von ihrem Gegenwesen an, von Leben und Tod, Alter und Jugend, Hell und Dunkel, Heimischem und Fremdem. Bereits in seinen beiden ersten Versen spricht sich die ent-setzt-ent-setzende Tragik des griechischen Menschentums offen aus: πολλά τά δεινά κούδέν άνθρώπου δεινότερον τέλει. Übertrug Hölderlin diese Verse mit: „Ungeheuer ist viel. Doch nichts/ Ungeheurer, als der Mensch" (V, 202) bzw. „Vieles gewaltige giebts. Doch nichts/ Ist gewaltiger, als der Mensch" (V, 1), so differenziert Heidegger drei wechselweise gegenwendig aufeinander bezogene Bedeutungen des τό δεινόν: 1. Das Furchtbare als das Fürchterliche und zugleich Ehrfurcht Gebietende; 2. Das Gewaltige als das überall hinaus Waltende und Ragende, das als das Gewalttätige alle Notwendigkeit zu einem einzigen, einförmigen Zwang verzwingt; 3. Das Ungewöhnliche als das Ungeheure, „das unmittelbar jedes Gewohnte wesentlich übertrifft, so daß es in gewisser Weise ,außerhalb' des Gewöhnlichen steht (GA 53, 82) 58 . In gleicher Weise wie sich das neuzeitliche Denken jedoch das Ungeheure als das maßlos Riesenhafte vorstellt und dabei die Quantität zur Qualität macht, ist es „gewohnt, das Unheimliche mehr im Sinne eines Eindruckscharakters zu nehmen, statt es als die Grundart des Wesens des Menschen zu denken" (GA 53, 89). Wird das πέλειν des Ungeheuerseins gemeinhin als „sein" übersetzt, so überträgt Heidegger es unter Berufung auf Homer und Hesiod geschehenshaft als „sich regen, hervorkommen, seinen Ort und seine Stätte finden und innehalten [und] von sich aus auf- und hervorkommen und so anwesen" (GA 53, 87 f.). So zeigt sich die Wesung des πέλειν als „das verborgene Anwesen der Stille und Ruhe im verborgenen ständigen Abwesen und Anwesen und d.h. im Erscheinen des Wechsels. In diesem sprechen die Götter und sagen das Bleibende, indem sie es verschweigen. Solches ist nur im Andenken zu denken" (GA 53, 88). Von dieser zum Inneren des Wesens des Unheimischen gehörenden Gegenwendigkeit
des Anwesens und Abwesens her versteht Heidegger nun
auch das πέλειν der πόλις als das Beständige und den Wechsel. Als die Stätte des menschlich- geschichtlichen Aufenthaltes des Menschen inmitten des Seienden läßt die πόλις „sich nicht politisch bestimmen", sondern ist „πόλος, d.h. der Pol, der Wirbel, in dem und um den sich alles dreht" (GA 53, 99 f.) 5 9 und 58 „Das Ungeheure ist zugleich und eigentlich das Nicht-Geheure. Das Geheure ist das Vertraute, Heimische. Das Ungeheure ist das Un-heimische." (GA 53, 86) 59 Innerhalb des Seienden kennen wir den Wirbel, den das Aufeinandertreffen zweier beweglicher Massen erzeugt, wobei diese durch Unterdruck in Kreisbewegung versetzt
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1. Hauptstück, Kap. 2: Das Fest des Mythos
dem zugleich das Statthafte und Unstatthafte, der Fug und der Unfug, das Schickliche und das Unschickliche entspringen. Im Sinne dieses Wirbels des in sich streithaft-gegenwendigen der Ά-λήθεια als eines Verbergungs-Entbergungsgeschehens ist die πόλις als die Stätte des Festes zu denken und in den
Gegenhalt zum geläufigen Verständnis des Staates als eines primär kausalbedingten Machtapparates innerhalb des Bereiches der Geschichte zu bringen. Zur ττόλις gehören die Götter und die Tempel, die Feste und die Spiele, die Herrscher und der Rat der Alten, die Volksversammlung und die Streitmacht, die Schiffe und die Feldherrn, die Dichter und die Denker. [...] aus dem Bezug zu den Göttern und aus der Art der Feste und aus der Möglichkeit des Feierns, aus dem Verhältnis von Herr und Knecht, aus dem Bezug zu Opfer und Kampf, aus dem Verhältnis zu Ehre und Ruhm, aus dem Verhältnis dieser Verhältnisse und aus dem Grunde ihrer Einheit waltet das, was πόλις heißt. (GA 53, 101)
Als die Stätte, in der alles Seiende und alles Verhalten zu Seiendem sich sammelt, verbirgt die πόλις „selbst in sich die Möglichkeit des gegenwendigen Aufenthaltes in ihr" (ebd.). Desgleichen stehen ihre Feste stets im zwiefältigen Entscheidungsraum des Zuspruchs und der Versagung. Das ,,ύψί πόλις, hochüberragend die Stätte" spielt stets im Widerspiel zu ,,άπόλις, verlustig der Stätte" (GA 53, 107). 60 So liegt es in der ausgezeichneten Möglichkeit des feiernden Menschenwesens, das Unseiende für das Seiende und das Seiende für das Unseiende zu nehmen. In seinem Wesen selbst liegt es, unheimisch zu werden und in der exzentrischen Bahn seiner Jagd innerhalb des Seienden unweigerlich zum Nichts zu kommen (GA 53, 92 f.). So ist sein Dasein zwischen Seiendem und Unseiendem, zwischen Heimischsein und Unheimischsein, zwischen Meisterung und Verlustiggang der Fest-Statt, „τόλμα, die Wagnis" (GA 53, 110). Wie das Seiende als das Aufgehende und Erscheinende zugleich im Sich-verbergen den Schein ausspielt und in diesem das Unseiende versteckt, desgleichen „muß der Mensch im Wagnis des Heimischwerdens alles auf dieses Spiel setzen und deshalb dem begegnen, daß ihm das Heimische versagt wird" (GA 53, 111). In diesem Sinne nun will Heidegger Antigones Verstoßung vom Herde verstanden wissen. Ihr παθεΐν τό δεινόν versteht sich weder als die „Passivität" des
werden. Der Wirbel der πόλις dagegen nennt die lichtende Versammlung des in sich gegenwendigen Geschehens von Verbergung und Entbergung auf die - freilich ungesagt gebliebene - Mitte des Seins hin. Die Bewegung geschieht, weil sich dieses übergängliche Verbergungs-Entbergungs-Geschehen als ein ab-gründendes Gründen vollzieht, dessen Ent-Zug und Sog die „Bewegung" ausmacht. 60 W. Mc Neil hat den wechselweisen Umschlag (μεταβολή) zwischen ύψί πόλις und άπόλις in aufschlußreicher Weise mit dem - nicht mehr fundamentalontologisch von der ontologischen Differenz, sondern seinsgeschichtlich von der (die ontologische Differenz nicht aufhebenden) Gleichzeitigkeit von Sein und Seiendem her gedachten - Bezug von Denken und Gedachtem in Verbindung gebracht (ders.Mc Neil, William, Metaphysics, Fundamental Ontology, Metaontology 1925-1935. In: Heidegger Studies Vol. 1992, S. 63-79).
§ 8 Das Heilige als der Ursprung des Festes: Das Fest als der Ursprung
127
bloßen Hinnehmens und Duldens, d.h. als ein „Dulder- und Märtyrertum" im „christlichen" Sinne, noch als das Herrentum des neuzeitlichen Helden. Die Widerfahrnis des Unheimlichen ist vielmehr „das Aufsichnehmen - αρχήν δέ θηραν, das Durchmachen bis zum Ende: das eigentliche Erfahren. Dieses τταθεΐν * das Erfahren des δεινόν, dieses Erleiden und Leiden ist der Grundzug jenes Tuns und Handelns: τό δραμα, was das ,Dramatische', die ,Handlung' der griechischen Tragödie ausmacht" (GA 53, 128). Antigone selbst ist die höchste Unheimliche, ihr höchstes, das τό δεινόν erleidende Handeln, ist zugleich „die Bewegung und das ,Drama' des Heimischwerdens" (GA 53, 144). In dieser dramatischen Bewegung halten sich denn auch die festlichen Übergänge des anfänglichen Feierns. Die Feste der πόλις sind Vollzugsweisen dieses Heimischwerdens. 61 Entsprechend weiß Antigone ihr Handeln weder vom herrschenden oder alten Totenkult noch von der familiären Blutsverbundenheit bestimmt. Sie erfährt sich vielmehr als gegrüßt aus den Schickungen der oberen (Zeus) und der unteren (Dike) Götter, die sich im Drama des Heimischwerdens dem Menschen zusprechen oder versagen. Heidegger versteht als Zeit-Raum dieses Zuspruchs und jener Versagung den selbst ungesagt bleibenden Herd des Seins. Der Herd ist als das Gewohnteste, zugleich das Nötigste inmitten des bewohnten HausRaums. Wie J.-P. Vernant und J. Greisch herausgestellt haben, steht Hestia als die schützende Gottheit des heimischen Herdes in einer komplementären Wechselbeziehung zu Hermes, dem listenreichen Botengänger des Göttlichen. Der Raum, über den Hestia, die Hüterin des Herdfeuers, waltet, ist der häusliche Raum, der durch den kreisrunden Herd, einem Nabel gleich, in der Erde verwurzelt ist. Während dieser häusliche Raum sich durch „Beharrlichkeit, Unveränderlichkeit und Fixizität" auszeichnet, stellt Hermes „im menschlichen Bereich und in der Menschenwelt die Bewegung, den Überschritt, den Zustandswechsel, die Übergänge, die Kontakte zwischen fremden Elementen dar" 62 . Während „Hestia das Drinnen, das Verschlossene, das Feststehende, de[n] Rückzug der Gruppe auf sich selbst" nennt, meint „Hermes das Draußen, die Öffnung, die Beweglichkeit, den Kontakt mit den Anderen als man selbst" 63 . 61 T.-V. Hribar hat das für Heideggers Antigone-Interpretation maßgebliche „Gesetz des Seins" sowohl von einer Norm als auch von einem superogatorischen Imperativ differenziert und als „die Weisung der ursprünglichen Ethik" (ders., Das ethische Wesen der Antigone. Die Zwiesprache zwischen Heidegger und Sophokles. In: Zur philosophischen Aktualität Heideggers. Frankfurt a.M. 1992, S. 53) herausgestellt. 62 Vgl. J.-P. Vernant, Hestia-Hermés. In: Mythe et pensée chez les Grecs. Paris 1965, S. 99 (zit. n. J. Greisch, Hermeneutik und Metaphysik. München 1993, S. 33). Als Έρμης άγοραιος schützt er den Raum der πόλις, der άγόρα, den Ort der Begegnung und des Austausches, als Έρμης στοφεθος "läßt er nicht nur die Türe um ihre Angel kreisen, sondern auch den Menschen, dem er dann hilft, von innen nach außen zu kippen" (Greisch, Hermeneutik und Metaphysik, S. 34). 63 J.- P. Vernant, Hestia-Hermés, S. 101.
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1. Hauptstück, Kap. : Das Fest de
thos
Das die Heimstatt gewährende Walten der Hestia, d.h. das durchgötterte Ein-gefahrensein des i m höchsten Sinne für das Ungewöhnliche offenen Gewöhnlichen, und die Wege des Hermes als das Aus-fahren in seinem leichtfüßig-geschwinden Entsetzungscharakter aus dem Gewöhnlichen, bilden in übergänglichem Gegenhalt das Grundwesen aller Wider-fahmis. Als solche zwischen Heimlichem und Unheimlichen ein- und ausfahrenden Widerfahrnisse sind die frühgriechischen Feste die Zeiten des ekstatischen Übergangs dieser in sich gegenwendigen Bereiche, in deren ekstatischen Hin- und Herübergehen sich die Götter epiphanisch dem Menschen zueignen. Beim Fest erglüht der Herd. Die Sphäre, der Hof, das Anwesen des Hauses ist erleuchtet, nicht weil mehr Scheite aufgelegt werden, sondern weil Viele sich in gehobener Stimmung um den Pol der Gemeinschaft versammeln. V o m Gastgeber aus gesehen kommt mit dem Festgast das Fremde an den heimischen Herd und bringt mit sich den Gott. Zuweilen kommt er gar als der Gott selbst. Der Gast aber betritt, nein begeht mit seinem festlichen Besuch die häusliche Herdstatt des Anderen und begibt sich so unter den Schutz der Weise, wie die Göttin in der Herdmitte dieses Hauses waltet. So lassen Gäste und Gastgeber das j e Fremde des Anderen und das j e Eigene in gemeinsamer Versammlung um einen Herd ineinander übergehen. 6 4 In seinem „Andenken"-Aufsatz, wo Heidegger das andenkende Feiern v o m Rückgang in das Andere und Fremde des erstanfänglichen Festes her denkt, bedenkt Heidegger diesen Wechselbezug des Auszugs in das Unheimische im W i derspiel zum Heimgang in das frei erlernte Heimische: Dieses zurückkehrende Gehen ist das Bleiben im Heimischen. Die Rückkehr wird von einem einzigen Wünschen erfüllt, am Wohnort des Menschen den Himmlischen,
64 In der gegenwendigen Übergänglichkeit des Heimischen und Unheimlichen halten sich alle an-fänglichen Festphänomene. Sie bilden den Gegenhalt, in den wir die zeitgenössischen Festphänomene hineingehalten wissen möchten: das Sichsammeln der Freunde in gemeinsamer Runde aus der Zer-streuung, Beliebigkeit und Eigennützigkeit des alltäglichen Umgangs, in den Wirbel der πόλις und den Austrag, der von ihm überantworteten Geschichtlichkeit im Angesicht Athenes; die abendliche Heimkehr an die Lichte und Wärme des heimischen Herdes (Hestia); die Rückkehr des Gestirnganges an die selbige Sphäre am Firmament, d.h. das frühlingshafte Sichausbreiten der Taghelle in die Weite der φύσις oder das herbstliche Zurückgedrängtwerden derselben durch die Nacht; das Einbringen der Ernte, welches das Lebensnotwendige für die am Herd zugebrachte Zeit des Winters sichert, und das Ausbringen der Saat, mit welchem das Leben sich dem Freien zuwendet (Göttinen der Fruchtbarkeit); das ausgetragene Kind, das dem mütterlichen Schoß entbunden in die vom Nichts gesäumte Welt geht, um dereinst in den Schoß der Erde zurückzukehren; der ausgestandene Tod des Anderen, durch die dieser in eine eigentümliche Ferne rückt, die zugleich ihre eigene dämmrig-hadeshafte Nähe hat; das (patriarchalische) Heimführen der Braut ins Haus der Eltern, von wo aus ein neuer Hausstand gegründet wird; das Versammeln der πόλις durch die staatsgründende Tat oder das aufgestellte Werk; die Ausfahrt und die Heimkehr von der Fahrt; die „Rettung" oder „Ausweitung" des Hausstandes und der πόλις durch den Sieg im Krieg oder durch friedlichen Handel.
§ 8 Das Heilige als der Ursprung des Festes: Das Fest als der Ursprung
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die zu Gast kommen sollen, das Haus zu bauen. Dann erst, wenn dies Dritte zwischen den Himmlischen und den Menschen steht, das Gasthaus, ist eine Stätte der sterblichen Bereitschaft für die Nähe der Himmlischen, sind uns die Himmlischen, die sie sind. (GA 4, 120)
Vom erstanfänglich gedachten Heimischen und seinem gegenwendigen Bezug zum Unheimlichen her wird verständlich, daß Heidegger sich hier keiner metaphysik-verdächt igen Metapher bedient. Das „Haus" ist weder ein Symbol fur ein transzendentes oder unterbewußtes Geschehen noch sind die in es einkehrenden Götter animistisch-manageladene Projektionen oder Energiefelder. Das aus der anfanglichen Wesung der Wahrheit des Seyns verstandene Haus ist vorerst überhaupt kein Seiendes, dem nachträglich irgendetwas „angehängt" wird. In der auch für die Griechen seltenen Weile des Festes ist es vielmehr die Augenblickstätte
der
Götterung.
65
Indes erfährt der Grieche das feiernde Freiwerden vom Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche von der ούσία als dem Anwesen, dem Hof her, ohne jedoch dessen Herdhaftigkeit als die Wesung des Seins selbst zu denken. Der Herd widerfährt als die Mitte alles Seienden, „auf die alles Seiende, nämlich weil es und sofern es Seiendes ist, anfänglich bezogen bleibt" (GA 53, 140), ohne daß sie als die Wesung des Seins eigens gedacht würde. Indem Heidegger ein Fragment des Philolaos heranzieht, verweist er uns zugleich an die Denker, die zwar ebensowenig das Sein als solches, dennoch aber die φύσις dachten, als „das von sich aus aufgehende Leuchtenlassen, das durch nichts anderes vermittelt, sondern selbst die Mitte ist" (GA 53, 140). Die in diesem Spruch gesagte, in sich mittige Kugel wird den Leitfaden für das Zuspiel des vorsokratischen FestDenkens abgeben: „Das als der anfängliche Einklang Wesende, das einigende Eine, in der Mitte der Kugel wird ,Herd' genannt".66
65
M. Riedel hat die aus Heideggers Gespräch mit den Griechen entfaltete Nähe von Natur und Ethik herausgearbeitet, freilich ohne sie auf die Rede vom Ethos als dem Haus zu beziehen. „Physis und Ethos", so Riedel, „bedeuten gleichursprünglich ,Sein"' (ders., Naturhermeneutik und Ethik im Denken Heideggers. In: Heidegger Studies Vol. 5 (1989), S. 160). 66 Diels/Kranz, Vorsokratiker, Bd. I, S. 410. 9 Knödler
Drittes
Kapitel
Das Fest der Vorsokratiker im Herzschlag von Verbergung (ΛΗΘΗ) und Entbergung (Α-ΛΗΘΕΙΑ)
§ 9 Das Gastmahl der Sieben Weisen An der Schwelle der beginnenden Philosophie stehen als „Träger der frühgriechischen Weisheit" 1 die Sieben Weisen. Ihre von Mythen durchzogene Historizität läßt sie alle menschenmöglichen Tugenden und Fähigkeiten in fast übermenschlicher Weise auf sich vereinen; nicht umsonst werden sie bis ins Mittelalter hinein leitbildhaft für die „ursprüngliche Einheit von Wissen und Leben"2 stehen. Entsprechend schlägt sich ihre Weisheit nicht nur in den wenigen überlieferten gnomischen Sprüchen nieder. Sie begegnet uns auch in den ihnen zugeschriebenen „wissenschaftlichen" Entdeckungen, ihren „politischen" Verdiensten, den von ihnen gestifteten Bauwerken und Gesetzen, insbesondere aber in ihrem Lebenswandel.3 Weil das von den einzelnen Weisen Gewußte und Gelebte weder einen Konsens zur Folge hat noch ihre Meinungsvielfalt zu dogmatischem Zwist führt, verkörpern die Sieben Weisen einen Idealzustand gegenseitiger Akzeptanz , um den sich früh schon Legenden rankten: von der gemeinsamen Darbringung einer Erstlingsgabe ihrer Weisheit in Delphi 4 , von ihrem Weisheitswettstreit, dessen Sieger in den Besitz eines Dreifußes kommen sollte, und nicht zuletzt vom Ort und der Weise ihrer Begegnung, ihrer Versammlung und ihres Austausches, dem Gastmahl der Sieben Weisen. Die Legendenbildung jedenfalls hat es so gewollt und der Volksdichtung, der bildenden Kunst, insbesondere aber der Philosophie selbst einen einzigartigen Topos 1
B. Snell, Leben und Meinungen der Sieben Weisen. München 1952, S. 5. A.a.O., S. 81. 3 Das eindrücklichste historische Zeugnis dieser legendären Universalität gibt Solon ab: Seine in Versform gehaltenen politischen Reden beziehen - was typisch ist für das frühe Griechentum - den Bezug der Polis zu den sie schützenden Gottheiten mit ein; seine Gelagepoesie setzt die Prunksucht und Unbeständigkeit des öffentlichen Lebens in einen Bezug zu den privaten Freuden der Freundschaft und zur Vergänglichkeit des Menschen; darüber hinaus tritt Solon als legendärer Bauherr der Akropolis und Stifter der attischen Verfassung hervor. 4 Piaton, Protagoras 343 a. 2
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1. Hauptstück, Kap.
: Das Fest der
o s o i e
beschert. So knüpft Piaton mit seinem „Symposion" ganz offenbar an eine aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert stammende „volkstümliche Darstellung von einem Symposion der Sieben Weisen an, aus dem uns die Trinklieder, die ,Skolien', von sechs Weisen erhalten sind". Damit eröffnet er „die lange Kette der ,Gastmähler' und ,Philosophengespräche' bis in die Spätantike zu den Saturnalien des Macrobius [sowie dem ,Gastmahl der Sieben Weisen' des Plutarch] und bis in die neue Zeit" 5 . Folgen wir dieser Überlieferung, so läßt sich sagen: das Fest ist nicht so sehr das Thema als vielmehr der Ort frühgriechischer Weisheit. Das Wissen der Sieben Weisen wird nicht nur gelebt, sondern sogar gefeiert. Es findet seinen Austausch an jener Stätte, an der zugleich (oder bis dahin) den Göttern gehuldigt wurde. Wenn wir also vom Gastmahl der Sieben Weisen als einem Topos für den festlichen
Charakter
der Philosophie
sprechen, so weiten w i r den gän-
gigen Gebrauch des Wortes als einer Redeweise und eines Gemeinplatzes aus. Von ihrem Selbstvollzug als Fest spricht die sich selbst idealisierende Philosophie nicht so sehr, um ein Bild für ihren lebenssteigernden Charakter zu finden, als vielmehr, um einen „realen" Ort für sich auszumachen, dessen Ort-schaft für uns nun zu erfragen sein wird. Das Bestreben der erwachenden philosophischen Weisheit, sich ihrer Lebensnähe, mehr noch ihres lebenssteigernden Charakters zu versichern, ist also so alt wie die Philosophie selbst. In den Sieben Weisen hat diese sich schon früh Leitbilder geschaffen, die ihre Weltgewandtheit unter Beweis stellen und so ihre vermeintliche Weltfremdheit Lügen strafen sollen.6 Doch damit nicht genug: ihre Weisheit soll nicht nur die Bürger der Polis glücklich machen, sondern ist in ihrem Vollzug selbst schon erfahrene und gemeinschaftlich geteilte Lebensfreude
im Fest.
Die Verlegenheit, in welche sich die erwachende Philosophie durch diesen Anspruch gebracht sieht, folgt auf dem Fuß: Was zeichnet sie vor jedem verantwortlichen außerphilosophischen Lebensvollzug aus, wenn sie sich als gelebte und gefeierte Weltweisheit präsentiert? 7 Das Bestreben der Philosophie, einerseits ihre Weltzugewandtheit zu beweisen bzw. ihre Weitabgewandtheit zu rechtfertigen 8, sich aber andererseits von der außerphilosophischen Weltweis5
B. Snell, Leben und Meinungen der Sieben Weisen, S. 60. Vgl. H. Blumenberg, Der Sturz des Protophilosophen. Zur Komik der reinen Theorie - Anhand einer Rezeptionsgeschichte der Thales-Anekdote. In: Humor. Poetik und Hermeneutik VII. München 1976, S. 11 - 64. 7 Der Aristoteles-Schüler Dikaiarchos wird antworten: nichts Wesentliches, und den Sieben Weisen den Rang von Philosophen im aristotelischen Sinne absprechen, seien sie doch „weder weise noch (im eigentlichen Sinne) Philosophen gewesen, wohl aber Persönlichkeiten von besonderer Einsicht, die zugleich als Gesetzgeber gewirkt haben'4 (Diogenes Laertios, I 40, ähnlich Plutarch, Solon c 3). 8 So soll Heraklit seinem Bruder zwar das Priesterkönigtum abgetreten haben (Diels6
§ 9 Das Gastmahl der Sieben Weisen
133
heit abzugrenzen, begegnet uns in allen großen Philosophien, von den Vorsokratikern an über Piaton und Aristoteles bis hin zu der bereits erläuterten Abgrenzung des denkerischen Entwurfes der im Da-sein zu gründenden Geschichtlichkeit der Wahrheit des Seyns von der weltanschaulichen Lebensphilosophie bei Heidegger. Wenn wir bedenken, daß schon die anfängliche Philosophie um diese Verlegenheit wußte, verdeutlicht sich der grundlegende Wesenszusammenhang unserer Frage nach dem festestiftenden
Charakter der Philoso-
phie mit deren „Lebensbezug'' überhaupt. Wir fragen nach etwas, was sich der Philosophie seit ihren Anfängen als eines ihrer möglichen Ziele anbot: Feste zu stiften und selbst festlich zu sein, was die Philosophie jedoch möglicherweise ihres Status bzw. ihrer Berechtigung berauben könnte. Für unseren philosophiegeschichtlichen Überblick ist das Fest demnach in einer dreifachen Hinsicht in den Blick zu nehmen: erstens ist zu fragen, inwiefern die Philosophie den für sie zur Debatte stehenden Wesenszug der Festlichkeit integriert oder ausschließt; zweitens ist zu klären, was zum Fest als solchem explizit gesagt wird oder auf welche Weise es im Horizont des jeweiligen Denkens thematisiert werden könnte; drittens ist zu erörtern, ob die beiden ersten Hinsichten in einem möglichen Wechselbezug stehen. So könnte einer Philosophie, die das Fest thematisiert oder wertschätzt, ein festlicherer Charakter eignen, als einer Philosophie, die das Fest übergeht oder kritisiert. Dieser Hinblicknahme gemäß erlauben wir uns nun, die Formel „Das Fest des Dichtens - Das Dichten des Festes " abzuwandeln in „.Das Fest des Den-
kens - Das Denken des Festes Denn es steht zur Debatte, ob nicht dem Denken des Festes ein ebenso festlicher Vollzugssinn eignen könnte, wie dem Fest des Dichtens.
Daß eine solche These philosophie/z/storác/z durchaus sinnvoll ist, hat Giorgio Colli in seinem Buch „Die Geburt der Philosophie" verdeutlicht. Für Colli ist das, was wir Philosophie nennen, nicht mehr als „eine Fortsetzung, eine Entwicklung der literarischen Form, die Piaton eingeführt hat". Sie tritt bereits als die Verfallserscheinung eines ehedem realisierten und gelebten Zustands auf und entstellt ,jene überwiegend mündliche Tradition der Weisheit" 9 . Wie bereits der Titel der Schrift anzeigt, orientiert sich Colli bei der Ursprungsbestimmung der Philosophie aus dem Geist der Weisheit an Nietzsches „Geburt der Tragödie". Wo aber Nietzsche sich für die Tragödie auf Dionysos beruft, geht Colli auf Apoll zurück. Sah Nietzsche in Apoll den leuchtenden Gott des Sonnenglanzes und der Künste, so verweist Colli auf die historische Fragwürdigkeit der Antithese von Dionysos und Apoll und ergänzt letzteren um einige
Kranz, A 1, 6), doch stellt er seine staatsmännischen Fähigkeiten unter Beweis, als er den Tyrannen Melankomas zur Abdankung überredet (A 3) und die Bitte der Ephesier um Gesetze ablehnt (A 1, 2). 9 G . Colli, Die Geburt der Philosophie. Frankfurt a. M. 1981, S. 13 f.
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1. Hauptstück, Kap. : Das Fest der
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Attribute, die uns den feierlich-kultischen Charakter seiner Weisheit vor Augen führen. „Apollo ist nicht der Gott des Maßes und der Harmonie, sondern der Besessenheit und des Wahnsinns" 10 , wodurch er zum Ursprung der Weisheit arriviert. Was heißt das? War die Weisheit der homerischen Zeit durch Erfahrungsreichtum, technisches Geschick, Gewandtheit und Klugheit geprägt, so ist weise nun, wer die in ekstatischer Besessenheit gesprochenen Worte des delphischen Orakels auszulegen vermag, „wer Licht ins Dunkel wirft, wer die Knoten löst, wer das Unerkannte offenbart und das Ungewisse bestimmt. [...] Apollo symbolisiert dieses durchdringende Auge, sein Kult ist eine Feier der Weisheit" 11 . Die Zweideutigkeit und Dunkelheit des Orakelspruchs verweist auf die Kluft zwischen menschlicher und göttlicher Welt, auf den metaphysischen Bruch. Sie offenbart, daß die göttliche Weisheit und ihr Ausdruck in Worten grundlegend verschieden sind. „Es wird also ein mystischer Zustand angenommen, in dem eine bestimmte Erfahrung sich als unaussprechlich erweist: dann manifestiert sich im Wort als Rätsel, was göttlich, verborgen ist und etwas unsagbar Innerliches i s t . " 1 2 So sind Ausspruch und Deutung des kryptischgnomischen Wortes eine feierlich-kultische Begehungsweise der Nähe und Ferne von Mensch und Gott.
Wie Nietzsche hinsichtlich der Tragödie, so unterscheidet auch Colli verschiedene Entwicklungs- bzw. Degenerationsstufen der ursprünglichen Weisheit. „Noch in archaischer Zeit trennt sich das Rätsel immer weiter von der göttlichen Sphäre, aus der es stammt, um mehr und mehr zum Gegenstand eines menschlichen Kampfes um die Weisheit zu werden." 13 Colli sieht das Phänomen der Weisheit also aus den in mantischer Ekstase gesprochenen Worten des delphischen Orakels entspringen, sich zu Reden verbinden und zu Diskussionen entwickeln, bis sie sich im abstrakten Medium der Vernunft entfalten. Das Rätsel wird zum erzieherischen Gesellschaftsspiel beim Gastmahl. Auf dem Boden des Agonismus, des Weisheitswettstreits, entstehen also schon in vorsokratischer Zeit Dialektik und Rhetorik, ja selbst „die berühmte Aristotelische Kategorientafel ist ein Endergebnis der Dialektik" 14 . Diese entwickelt nun eine Destruktivität, die aus dem Übermaß eines sich auf bloß menschlicher Ebene bewegenden Agonismus hervorgeht. Schon bei Piaton wird aus der Weisheit Philosophie. Was einst feierliches Rätsel und Gespräch war von Mensch und Gott, was sodann zum gesprächshaft sich auseinandersetzenden Wettstreit unter Menschen wurde, wird nun Literatur. Ob die Helferin bei dieser Geburt, die Schrift, dazu verdammt sein muß, die Philosophie zugleich auszulöschen, diese These
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A.a.O., A.a.O., A.a.O., A.a.O., A.a.O.,
S. 20. S. 15. S. 51. S. 49. S. 71.
§ 9 Das Gastmahl der Sieben Weisen
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Collis werden wir im Zusammenhang mit Piaton streifen. Vorerst gilt es, Heidegger zu befragen, ob der labyrinthische Charakter archaischer Weisheit womöglich auch unser vergewöhnlichtes Denken in das Mysterium seiner eigenen Festlichkeit einzuweihen und es das Stiften von Festen zu lehren vermag. Zu Beginn seiner „Heraklit"-Vorlesungen der SS 1943 und -44 gibt Heidegger im Rückgriff auf zwei ,Geschichten4 über Heraklit die Richtung für eine Antwort vor. Der ersten Legende zufolge (A 5) lädt Heraklit die ihn aufsuchenden Fremden mit den Worten: „Auch hier nämlich sind anwesend Götter", in den Backofen ein, in dem er sich zu deren Überraschung aufhält. Erwarten die Neugierigen den Denker in außer-ordentlicher, vielleicht sogar feierlicher Pose, so finden sie ihn „an diesem alltäglichen und gewöhnlichen Ort, wo jedes Ding und jeder Umstand, jedes Tun und Denken durch und durch vertraut, geläufig und geheuer ist" (GA 55, 8; vgl. BH, 45 ff). Indes wesen „auch da", gerade da oder vielleicht sogar nur da die Götter als die sich im Geheuren dargebenden Ungeheuren an: „nur da ist Anwesung der Götter. Wo nämlich? Im unscheinbaren Alltäglichen" (ebd.). Im Bereich des Denkers ist das Unscheinbare zusammen mit dem höchsten Erscheinenden und Scheinenden. Was sich scheinbar gegenseitig ausschließt und gegeneinander steht, das Gegenwendige, kommt hier zusammen als das, was einander sich zuwendet, damit auch nur eines gegen das andere sein kann. Als das freie Ineinander-Übergehen-Lassen des Ungeheuren und Geheuren aber hatten wir die schicksalsausgleichende Weile des Festes bezeichnet. Doch scheint Heidegger hier eine andere Richtung einzuschlagen, indem er sagt: „Wo solches waltet, west der Streit (ερις). Der Denker verweilt in der Nähe des Streithaften" (GA 55, 9). Während der Denker die Umstehenden zuerst einlädt, „mit ihm die Anwesenheit der Götter zu erfahren", schließt er sich zugleich aus, vom πολιτεθέσται, von der Sorge um die πόλις. Damit lehnt der Denker nicht jegliche Sorge um die πόλις ab. Er verweist vielmehr auf deren ursprünglich-griechisches Wesen als des Pols und der Stätte, „um die sich alles Erscheinen des wesenhaft Seienden und damit auch alles Unwesen alles Seienden dreht" (GA 55, 11 f.; vgl. 54, 140 ff). Seine Zurückweisung verweist die Ephesier „mittelbar in das Nötige der Not der denkerischen Sorge, nämlich denkend um das Ungeheure in allem Geheuren besorgt zu sein" (GA 55, 12). Wie also schon das Fest-Spiel der Tragödie den Menschen auf das Spiel der Entbergung und Verbergung der anfänglich gedachten φύσις setzt, so liegt auch im vertrauten und geheuren Spiel des Denkers mit den Kindern „die Nähe zu einem ungeheueren Spiel" (ebd.), des Spiels des im denkerischen Denken Zudenkenden. Artemis und ihr Bruder Apoll, die Schutzgötter des Denkers, weisen so mitsamt ihren Zeichen, dem Bogen und der Leier, in das Spiel der φύσις.
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§ 10 Das anfängliche Denken als das feierliche ins Spiel der φύσις
Sicheinspielen
Zum Aufenthalt des Denkers gehört die Anwesung der Götter. Artemis, in deren Nähe Heraklit als Ephesier sich aufhält, trägt wie ihr Bruder Apoll sowohl die Leier, das Zeichen der άρμονία des ,Saitenspiels', als auch den Bogen, der sie als Göttin der Jagd zu erkennen gibt. Als Saitenspielerin und Jägerin spielt Artemis mit ihren Gespielinnen, den Nymphen, „das Spiel der φύσις" (GA 55, 16). Inwiefern waltet die anfanglich als φύσις gedachte „Natur" in der Weise des Spiels? Insofern, als sie einerseits von sich aus ins Offene und Freie aufgeht, im Aufgegangenen dasteht und erscheint und sich im Erscheinen zugleich dem Freien dargibt, andererseits und damit in eins aber, insofern sie dennoch einer Regel folgt. Frei zu schwingen in der freibejahten Regel aber ist das Wesen des Spiels. Die Göttin spielt dieses Spiel, indem sie sowohl die Leier, das Licht und das Leben bringt als auch den Bogen, die verlöschte Fackel und den Tod. Als Licht- und Todbringerin ist die Göttin so die in sich spielende und widerspielende Erscheinung des Gegenwendigen. „Sie ist das, weil sie ursprünglich schon das Ungeheure des Streites in das Geheure hereinblicken läßt. Artemis ist eine Bringerin des wesenhaften Streites, der ερις. Dieser Streit ist nicht nur unaufhebbar, sondern zum Wesen des Streites gehört es, jeder Aufhebung und jedem Versuch zu einer solchen zu widerstreiten" (GA 55, 26).Wie ist diese Rede vom unaufhebbaren Streit zu verstehen, den die Göttin in das Geheure hereinblicken läßt? Was hat dieser Streit mit dem Fest zu tun? Sind Feste nicht Zeiten des Ausgleichs, der Entspannung und der Versöhnung? Wir antworten: Heideggers Vorsokratiker-Auslegung zufolge hat der Streit nicht nur etwas, sondern alles mit dem anfänglichen Fest zu tun. Warum? Weil im anfänglichen Denken die φύσις so zum Aufgang kommt, daß mit dem Austrag der in sich spielenden Gegen-wendigkeit von „Licht und Dunkel, Leben und Tod, Wachen und Schlafen, Bewegung und Ruhe, Freiheit und Notwendigkeit, Unendlichkeit und Endlichkeit" (GA 55, 34), Geheurem und Ungeheurem, d.h. Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem, zugleich der Ausgleich des sich derart Widerstreitenden geschieht. Dabei ist die ερις ebensowenig wie πόλεμος als der bloße Hader und Zank zu verstehen, als jener Krieg oder Kampf, der das Gegnerische als das Andere seiner selbst zu zerstören und somit endgültig von sich fern zu halten sucht. Έρις und πόλεμος versetzen als die Aus-ein-ander-setzung das einander Widerstreitende vielmehr in das je Eigene seines Wesens und lassen es so im Gegeneinanderüber zu sich selbst kommen (vgl. RR, 28 ff). Wo ein Denken sich derart in das Spiel des in sich gegenwendigen Widerspiels der φύσις bringt, muß zugleich die Ort-schaft und der Zeit-Raum des Ausgleichs, d.h. die Augenblicks-Stätte der festlichen Entgegnung von Göttern und Menschen sein. Heraklit, der Denker, ist selbst in und auf dieses streithaftgegenwendige Spiel der Göttin ver- und gesetzt. Nicht nur, daß die Göttin „in das hereinblickt und dem nahe ist, was dem anfänglichen Denker dieses Den-
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kens sich auftut" (GA 55, 26), sein Wort „als die Sage des Zu-sagenden" steht gar unter dem Schutz der Göttin. Heidegger sagt: „Weil [...] das Wort nicht im Lauten der Wörter gründet, sondern weil der Wortlaut als der, der er ist, nur aus dem anfänglich lautlosen Wort erklingt, deshalb können die Wörter und Wörtergestalten in der Schrift und im Buch zerbrechen, während das Wort bleibt" (GA 55, 27). Der Schutz der Göttin besteht demnach in der Hineinnahme der Sage des Zu-sagenden in die Verhüllung. Heraklit ist entsprechend ό Σκοτεονός, der Dunkle, weil sein Denken selbst mitspielt beim VerbergungsEntbergungs-Geschehen der durchgötterten φύσις.15 Entsprechend können wir mit Blick auf unser Thema sagen: Indem das denkerische Sagen auf diese Weise mitspielt im in sich gegenwendigen Verbergungs-Entbergungs-Geschehen der anfänglich gedachten φύσις, eröffnet es den Bereich (Zeit-Spiel-Raum) der geschichtlich gegründeten πόλις, wo die Entgegnung von Göttern und Menschen ihre Stätte hat. Zugleich spielt es derart spielend das jeweils Gesagte nachgerade wieder zurück in die Verbergung, in das Gnomische, in welchem das anfänglich sagende Wort als das aus der Lautlosigkeit erklingende seinen Ort hat. Wie aber vollzieht sich dieser ausgleichende Übergang des in sich Gegenwendigen?
Inwiefern geschieht in ihm die OO\Q-hafte Übereignung
der Götter
an die Menschen, in der wir das griechische Festwesen sahen? Wir beantworten diese Frage im Ausgang von Heideggers Auslegung des Fragments 16, das dieser folgendermaßen übersetzt: „Dem ja nicht Untergehen(den) je, wie möchte irgendwer (dem) verborgen sein?" (GA 55, 44) Heidegger faßt das Untergehen (δύνειν) als Verschwinden aus der Anwesenheit in der Weise des Weg- und Eingehens in eine Verbergung. Das Untergehen nennt demnach kein unbestimmtes Verschwinden, kein Verfallen oder anheimfallen an die Vernichtung, also kein metaphysisch-kausal-deterministisch gedachtes „Übergehen in das Nichtmehrsein" (GA 55, 50). Es ist vielmehr vom griechischen λανθάνω, λάθω her als ein Verborgenwerden und eine Verbergung zu verstehen. In unserer metaphysischen Denkweise unterscheiden wir den Vorgang oder das Vorkommnis des Untergangs von dem, was durch den Untergang betroffen wird oder von ihm verschont bleibt als dem Untergehenden bzw. Nichtuntergehenden. Entsprechend kann das Participium τό δϋνον entweder in seiner substantivischen Bedeutung als das ,Untergehende', d.h. als die dem Untergang verfallende Substanz gedacht werden, oder in seiner verbalen Bedeutung als das Untergehen selbst, d.h. als das Währen des Untergangs. Heidegger dagegen sieht den Reichtum des anfänglichen Wortes in beiden Bedeutungen schwingen. Seinem Verständnis zufolge ist τό μή δυνόν ποτε, das niemals Untergehende bzw. Niemals-Untergehen, keine vereinzelte Erscheinung, kein vorkommender Fall 15 Heraklit „ist ,der Dunkle', weil er das Sein als das Sichverbergen denkt und gemäß diesem Ge-dachten das Wort sagen muß. Das Wort des anfänglichen Denkens hütet ,das Dunkle'" (GA 55, 32).
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innerhalb des öv, des Seienden, in dem ein Seiendes seine Substanz oder sein Dasein vor dem Untergang bewahrt. Das μή als das auf δυνον bezogene ,ja nicht" sagt vielmehr, „daß in dem Genannten zwar Untergehen waltet und west, daß dieses Untergehen aber in diesem Wesenden nicht obsiegt, und zwar nicht nur jetzt und bisweilen nicht, sondern wesenhaft nicht und deshalb in der Folge ,niemals'" (GA 55, 86). Aufgang und Untergang sind Geschehensweisen des als φύσις gedachten Seins selbst. Da in der φύσις mit jedem Untergehen auch ein Aufgehen einhergeht, west sie als das ja nicht Untergehen(de) je. Von da her kommend wendet Heidegger das Wort vom Niemals-Untergehen um in τό άεί φύον - ή φύσις, in das immerdar Aufgehen, das Aufgehen im Sinne des Hervorkommens aus dem Verschlossenen, Verhüllten und Eingefalteten. Auf diese Weise zeigt sich die φύσις als „ein wechselvolles Ein-ander-an-wesen aller ,Wesen' und in all dem [als] das Erscheinen im Sinne des auf- und hervorkommenden Sichzeigens" (GA 55, 88 f.). Die von uns genannten „Gegensätze", die Heraklits Denken in ihrer Gegenwendigkeit aufeinander vereint, werden also nicht aus einer primitiv oder schlecht verstandenen Natur abstrahiert und auf Götter und Menschen übertragen. Vielmehr versammeln sie in ausgezeichneter Weise auf sich das Verbergungs-Entbergungs-Geschehen der Physis.16 Vom Standpunkt des ,,,normale[n]' Denken[s] des ,logisch' denkenden Verstandes" (GA 55, 115), d.h. vom „Starrsinn des gewöhnlichen Denkens" (GA 55, 116) aus, widerspricht das im Untergang waltende Aufgehen, wie es etwa im 123. Fragment „Φύσις κρύπτεσθαι φιλε?' gesagt wird, dem Satz vom Widerspruch (principium contradictionis) 17 . Wo Widersprüche gelten, wie etwa in Hegels Dialektik, werden sie bestenfalls überwunden und in einer höheren Einheit aufgelöst. In der Blickbahn des anfänglichen Denkens als eines feiertäglichübergänglichen Denkens dagegen, neigt sich das Aufgehen „dem Untergehen zu und geht somit in dieses über" (GA 55, 117). Die φύσις zeigt sich in übergänglicher\ d.h. festlicher Weise. Dies bestätigt sich nicht zuletzt darin, daß sich die φύσις diesem Denken in dem Seienden offenbart bzw. das Denken auf jenes in sich strittige und gegenwendige Seiende versammelt, das auch Fest und Feier bestimmt. Wenn Heidegger fortfährt: „Den Sachverhalt eines solchen Übergangs betrachten wir ständig und vorwiegend alljährlich in der ,Natur'" (GA 55, 117), so können wir mit Blick auf Feier und Fest ergänzen: Wir betrachten 16 Heidegger warnt nicht nur vor der gängigen „Gleichsetzung von φύσις mit der Natur" (GA 55, 101), sondern auch davor, den Griechen zwar einen anderen NaturBezug zuzusprechen, dabei aber dennoch von der Natur als einem An-sich-seienden auszugehen. Als das reine Aufgehen ist die φύσις ebensowenig „ein Behältnis, ein sogenanntes Umgreifendes'" (GA 55, 102), in das wir die von uns modern vorgestellten Dinge hineinstellen. 17 Was gemeinhin mit „Die Natur (das Wesen) liebt es sich zu verbergen" übersetzt wird und so auf verhängnisvolle Weise suggeriert, schon Heraklit verstehe die Natur als einen zu enträtselnden Informationsspeicher, setzt Heidegger folgendermaßen ins Deutsche über: „Das Aufgehen dem Sichverbergen schenkt's die Gunst" (GA 55, 110).
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ihn auch in Geburt und Tod, Tag und Nacht, Wachen und Schlafen, Jugend und Alter, Leben und Tod oder Geheurem und Ungeheurem. 18 Doch verrechnen wir Heutigen das derart Gegenwendige in der im 1. Kapitel gekennzeichneten Weise aufeinander. Wir spielen uns nicht ein in ihr gegenwendig-strittiges Widerspiel, sondern spielen die beiden Seiten des Übergangs gegeneinander aus. Dementgegen steht das anfängliche Denken das Strittig-Gegenwendige aus und stiftet somit den Ausgleich. Auf diese Weise schenken Aufgehen und Sichverbergen einander jene Gunst, jene Freundschaft und Liebe, als die nicht nur die φύσις, sondern auf ihre je eigene Weise die „φιλία του σοφού, [die] Freundschaft für das Zu-denkende" (GA 55, 128) und der festliche Schicksalsausgleich der feiernden Sterblichen geschehen. Heraklit denkt bei seiner Rede vom Aufgehen und Sichverbergen offensichtlich an den Übergang von Tag und Nacht. Morgen, Tag und Abend werden gemeinhin vorgestellt als drei Schränke, d.h. als statisch und übergangslos je auf sich selbst beschränkte Zustände, die sich jeweils schließen, wenn der nachfolgende Schrank sich öffnet bzw. öffnen, wenn der vorhergehende Schrank sich schließt. Desgleichen denkt man nicht nur Leben und Tod, sondern auch Alltag und Feiertag als je auf sich selbst beschränkte Schränke, aus denen höchstens (vom Alltag in den Feiertag) ein Geschenk oder ein Souvenir (vom Feiertag in den Alltag) hinüber- und herüberverstaut zu werden vermag. Diesem schrankmäßig-vorstellenden, den Übergang vergegenständlichenden Denken hält Heidegger nun vor, „daß jede Vorstellungsart, die nach Schränken ,denkt4, eindeutig beschränkt ist" (GA 55, 135). Anders, wo das φιλεΐν den Bezug zwischen φύσις und κρύπτεσθαι bestimmt. Dort schenkt das Aufgehen dem Sichverbergenden die Gunst, weil das Aufgehen sonst nichts hätte, „woraus es aufgeht, und nichts, was sich im Aufgehen aufschließt" (GA 55, 137). Somit verbürgt das Verbergen dem Aufgehen insofern sein Wesen, als es die Bürgschaft für seine Wesung gewährt. Die φύσις west als „die Fügung, άρμονία, der Fuge, in der Aufgehen und Sichverbergen wechselweise die Gewährung ihres Wesens einander zureichen" (GA 55, 141). Die Fügung als das Übereinanderherfahren des Aufgehens in das Wesen des Sichverbergens und des Sichverbergens in das Wesen des Aufgehens in der Gunst der Wesensgewährung, ist so in sich zumal das Voneinander-wegwenden in die gelöste Entspannung und das Zurückwenden im Sinne der Spannung dessen, was sich in die Entspannung wendet (GA 55, 147). Im Zumal von Zusammenspannung und Auseinandergehenlassen in die Entspannung ist die
18 Noch in seinem späten Seminar mit Eugen Fink (GA 15) denkt Heidegger die Bewegung von Leben in den Tod nicht im Sinne eines einfachen Übergehens, sondern aus der Ά-λήθεια und der λήθη als einen in sich verschränkten und gegenwendigen Umschlag.
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φύσις sowohl ερις, der Bogen, als auch άρμονία, die Leier. 19 Vor dem Hintergrund des hier Gesagten erscheint es überaus konsequent, wenn Heidegger an der Stelle der „Andenken"-Vorlesung, wo er das im Fest sich ereignende Schickliche für Götter und Menschen als die Fuge denkt, Heraklit anspricht: Im ersten Anfang des abendländischen Denkens, vor der Metaphysik noch, die erst mit Piaton beginnt, haben die Denker Wesentliches erkannt. Ihnen wurde klar, daß das reine Erscheinen und Aufgehen das Wahre ist; ja noch mehr, daß sogar das Nicht-in-die-Erscheinung-Heraustreten Höheres im Sein vermag als das unmittelbare Erscheinen. (GA 52, 101)
Inwiefern vermag nun aber das Denken des Wahren, d.h. des Seins, als das reine Erscheinen und Aufgehen (φύσις) in seiner in sich spielenden Gegenwendigkeit mit dem Nicht-in-die-Erscheinung-Heraustreten, d.h. der Verbergung, Höheres beim Feiern? Heidegger gibt die Antwort selbst: Wenn wir uns das Sein als die an-fänglich gedachte φύσις zuspielen lassen, wird das Feiern festlicher, insofern „das Sichentziehen und die Verbergung selbst das Seiende seiender sein lassen als jeder wirkende Umtrieb der Verursachung. Im weggehenden Seinlassen wird das Wahre offenkundig" (ebd.). Wie die Leier den Gegensatz des Kämpfenden und des Totenreiches auf sich vereinigt und so das innige Widerspiel von Verbergung (Tod) und Entbergung (Leben) auf sich versammelt, so einigt die Leier als „das Instrument, das das Fest feiert", die sich zunächst widerstrebende „Gemeinde des Festes" (GA 15, 258). Doch spielt in der das Eine auf die Leier versammelnden Rede nicht der Spieltrieb eines rätselfreudigen Denkers, der sich dunkel ausdrückt, sondern das Widerspiel der ά-λήθεια selbst.Doch wo und wann widerfährt uns Heutigen die Versammlung der sich widerstrebenden Festgemeinde aus dem Widerspiel von Verbergung und Entbergung, von εν und πάντα, von Tageshelle und Nacht? Was soll dies für uns heißen, wenn sich derartige Übergänge heute gar nicht mehr ereignen? In der geschichtlichen Epoche der fest- und übergangslosen Zeit kann dies nur heißen: Wenn wir uns feiernd aus der Not der Notlosigkeit heraus in die Not nicht nur der Seinsverlassenheit des Seienden, sondern auch der mit ihr einhergehenden Götternacht versetzen lassen, vermag in diesem - nun epochal gewandelten weggehenden Seinlassen das Seiende seiender und jenes Wahre offenkundig zu werden, das die Götter an die Menschen übereignet. Heraklits noch vor dem Einsturz der ά-λήθεια gestiftetes Denken des Übergangs als des für uns nur noch
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Wie also der Lichtraum des "Η λιος, „in dem die πάντα zum Vorschein kommen und in ihren Umriß einrücken" (GA 15, 80), umgrenzt wird von einem dunklen Abgrund, d.h. wie im εν das Sonnenland des Tages in den Abgrund der Nacht hereinsteht, so ist auch der Mensch „das zwielichtige, Feuer zündende Wesen im Gegenspiel von Tag und Nacht" (GA 15, 216). Und wie in der Helle des εν die einander widerstrebenden πάντα hütend, bewahrend und gewährend geeinigt und versammelt sind, so hat auch der Mensch in der endlichen Helle des von ihm gezündeten Feuers ein in sich gegenwendiges Vieles (πόλλα) zu hüten.
§ 10 Das anfängliche Denken als das feierliche Sicheinspielen
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Widersprüchlichen weist uns so nicht nur den Übergang in ein übergängliches Denken, sondern auch in ein übergängliches Feiern. Nun zeigt sich die φύσις bei Heraklit nicht nur in der Weise des Übergänglichen, sondern auch in der Weise des jäh Aufblitzenden. Als αρμονία ist die φύσις auch „die Entfachung des Lichten, die sich einfacht in das Ungelichtete" (GA 55, 161). Das Grundwesen von πυρ, das der Grieche kennt als „das Feuer im Sinne des Opferfeuers, das Feuer des Scheiterhaufens, das Feuer als Wachfeuer, als Herdfeuer, aber auch [als] den Schein der Fackeln, aber auch [als] das Leuchten der Gestirne" (GA 55, 161), nennt weder das Scheinen der Beleuchtung noch das Feuer des physisch-chemischen VerbrennungsVorgangs. Es sammelt sich vielmehr „in dem, was wir den ,Blitz' nennen" und was Heraklit meint, wenn er sagt: „τα δε πάντα οιακιζει Κεραυνός. Das Seiende im Ganzen aber steuert der Blitz" (GA 55, 162).Inwiefern spielt auch das jäh Blitzende in das feierliche Denken der φύσις des ersten Anfangs hinein? 20 Insofern, als das übergänglich-feiertägliche Denken nicht nur das in sich gegenwendige Widerspielen des Gegensätzlichen kennt, sondern in einem zumal „das ,blitzartig' Einschlagende und im Schlag Aufhellende und Scheidende" (GA 55, 163). Das lichtend-erscheinenlassende Eröffnen und Aufschließen der φύσις durch Feuer und Blitz macht das Seiende im Ganzen auf in der Weise des Zierens und Schmückens. Dieses Zieren ergibt sich nicht als die Folge eines nachträglich zusammengebrachten Behangs, sondern es ist als das ursprüngliche Erglänzenlassen im Glanz des Aufgehens überhaupt einzig und plötzlich die Zier, die in das Zierlose einschlägt wie der Blitz. Dieser stellt ins Licht und stellt dabei gerade das Dunkle und das Gegenwendige zum Lichten mit her und mit bei. (GA 55, 164)
Als diese Zier feiert das anfängliche Denken den Kosmos. Für unser Feiern und Denken dagegen bleibt der Blitz als der Blick aus, von dem wir wissen, daß die Griechen in ihm den Göttervater Zeus walten sahen. Vielleicht aber wird auch unser Feiern übergänglicher und in dieser Übergänglichkeit offener für den Einschlag (oder Vorbeigang) eines zierdeverhängenden Gottes, wenn wir
20 Heidegger hat im philosophierenden Gespräch mit Eugen Fink herausgestellt, daß die Bewegung des Blitzens des Blitzes, die im Aufbrechen der Helle des εν liegt, von der Bewegung in τά πάντα, d.h. in den Dingen, zu differenzieren ist. Nach Fink ist die Bewegung des Zum-Vorschein-Bringens zugleich „ein steuerndes Eingreifen in die Bewegtheit der Dinge selbst [...] in der Weise des Auf- und Untergehens, des Zu- und Abnehmens, der Ortsbewegung und der Veränderung' 1 (GA 15, 21). Das steuernde ZumVorschein-Bringen ist so die anfängliche Bewegung, die die inbegriffliche Gesamtheit des Seienden in seiner mannigfachen Bewegtheit zum Vorschein bringt und sich zugleich in ihr entzieht (Augenblickshaftigkeit). Das Steuern des „alles durch alles hindurch" steuernden Zeus (Fr. 41) ist als eine transitive Bewegung zu denken. Entsprechend besagen die Wandlungen des Feuers, „daß alles in alles übergeht, und zwar so, daß nicht das Bestimmte in einer Prägung bleibt, sondern sich nach einer unerkennbaren Weisheit durch Gegensätze hindurchbewegt" (GA 15, 24).
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das Gegenwendige nicht mehr jeweils gegeneinander ausspielen und verdrängen, sondern uns aufs Spiel jenes Streites setzen, der auch in unserer Epoche waltet, nun aber als der Kampf zwischen dem gänzlichen Entzug der Wahrheit und ihrer Rettung. Könnte es sein, daß „wir" und unsere „Welt" deshalb so herz- und festlos sind, weil wir unser ,,\\annox\\z u-bedürfnis dem Ausstehen des Streites und somit dem geschichtlich in sich gegenwendig-schwingenden Einklang vorziehen? Streiten wir deshalb so viel, feiern wir deshalb auf Kosten anderer oder zu Ungunsten unserer selbst, weil wir den in der Wesung des Seins spielenden Streit von Entbergung und Verbergung vergegenständlichen? Kann vielleicht das anfängliche Denken selbst unsere Hand an den Puls des Herzschlages von Verbergung und Entbergung legen? Wir richten diese Frage an Xenophanes und Parmenides.
§11 Xenophanes, Parmenides und die Kugel des Seins Das erste uns überlieferte philosophische Zeugnis zu unserem Thema, das „Fest-Fragment" des Xenophanes (580/77-485/80), stammt von einem Dichter und Rhapsoden, der dennoch den Vorsokratischen Denkern zugeordnet wird. Als ein „Weihelied [...] beim Gelage der Gelage der Männer" 21 , das „die rituelle Atmosphäre und festliche Stimmung des Symposions evoziert" 22 , bestätigt es die ursprüngliche und klärungsbedürftige Nähe des Festes des Denkens zum Fest des Dichtens. Wie in der homerischen Dichtung verweist die Erzählform des Fragments auf eine festlich-rhapsodische Vortragssituation', die Schilderung des Banketts legt nahe, daß das Fragment Teil einer Dichtung ist, die selbst in einer entsprechenden Situation vorgetragen wird und den Verlauf eines realen Festes in eine bestimmte Richtung lenken soll. Insofern entspricht es der „formalen" und „inhaltlichen" Verfassung der homerischen Dichtungen, die uns zu der Formel „Das Fest des Dichtens - Das Dichten des Festes" veranlaßt hatte. Denn nun ist ja der Fußboden rein und aller Hände und Becher. Gewundene Kränze legt uns einer ums Haupt, und ein anderer reicht duftende Salbe in einer Schale dar. Der Mischkrug steht da angefüllt mit Frohsinn, auch noch anderer Wein ist bereit in den Krügen, der nimmer zu versagen verspricht, ein milder, blumenduftender. In unserer Mitte sendet heiligen Duft der Weihrauch empor, kaltes Wasser ist da, süßes, lauteres. Bereit liegen rötlich-blonde Brote, und der würdige Tisch beugt sich unter der Last des Käses und fetten Honigs. Der Altar steht in der Mitte ganz mit Blumen geschmückt, Gesang umfängt das Haus und Festesfreude. Da ziemt's zuerst wohlgesinnten Männern dem Gotte lobzusingen mit frommen Geschichten und reinen Wor-
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W. Capelle, Die Vorsokratiker, S. 124. „Gedacht sind die Verse zum Vortrag bei abendlicher Geselligkeit, wenn man nach dem Essen das Symposion beginnen soll" (E. Heitsch, Xenophanes. Die Fragmente. München und Zürich 1983, 91 f.). 22 R. Kannicht, Thalia, S. 37.
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ten. Nach der Spende aber und nach dem Gebet, uns Kraft zu verleihen das Rechte zu tun - denn dies zu erbitten, ist ja das Gemäßere (das uns näher Angehende) - , ist's kein Übermut so viel zu trinken, daß sich ungeleitet nach Hause finden kann, wer nicht ganz altersschwach ist. Von den Männern aber ist der zu loben, der nach dem Trünke Edles ans Licht bringt, so wie ihm das Gedächtnis und das Streben um die Tugend ist, wobei er nicht etwa Kämpfe der Titanen durchgeht oder der Giganten oder auch der Kentauren - Erfindungen der Vorzeit - oder tobenden Bürgerzwist, denn darin ist nichts Nützliches; aber der Götter allzeit fürsorglich zu gedenken, das ist edel. (D.-K., Β 1)
„Zu Beginn", d.h. in der ersten Sinneinheit (Von „Denn nun" bis „Festesfreude"), ist das Gedicht, so können wir der Interpretation Erwin Heitschs folgen, „ein Hymnos unter Spenden und Gebeten". Es spricht „Charakteristika des Symposions"23 an, die uns auch in den Beispielen aus der mythischen Dichtung entgegentraten: die Reinheit des Raumes, des Inventars und der Anwesenden; die Darreichung von Schmuck und Duft; die reich gedeckte Tafel mit dem mit Frohsinn angefüllten Mischkrug, dem Wein selbst, Käse, Honig und Brot im Überfluß; festliche Stimmung; festlicher Gesang; festliche Rede; Opfer und Gebet. Die topographische Orientierung des derart Gesagten auf eine sakrale Dimension „in der Mitte", den Altar mit dem Weihrauch hin, um die sich das Festgeschehen versammelt, läßt aufhorchen. Denn Heidegger hatte den Herd des Seins in Anlehnung an Philolaos im Sinne der Mitte des Seienden als das „als der anfängliche Einklang Wesende, das einigende Eine, in der Mitte der Kugel" (GA 53, 140) verstanden. Indes bleibt zu klären, ob das dichterische Fragment des Xenophanes etwas zu unserem Denken des Festes beiträgt. Denn auch die zweite Hälfte des Fragments (von „Da ziemt's" bis „das ist edel") könnte durchaus (noch) im Sinne eines mythischen Hymnos im Rahmen eines traditio-nellen Banketts ausgelegt werden, in dessen geselligem Teil der einzelne gehalten ist, „unter einer allgemeinen Thematik zur Unterhaltung einen Beitrag zu leisten" 24 . Dieser traditionell anmutenden formellen und inhaltlichen Verfassung gemäß, wären die sich anschließenden Ermahnungen zur Bitte um rechtes Handeln, zum rechten Maß beim Trinken und zu rechter Rede in der Trunkenheit eher „ethisch-theologisch" denn „philosophisch" zu verstehen. Doch die Warnung vor dem Gespräch über die „Erfindungen der Vorzeit", d.h. über die homerischen und hesiodischen Götter, deutet einen Wandel in der Redeweise vom Göttlichen und somit auch einen Wandel hinsichtlich der Vergegenwärtigung des Göttlichen in Feier und Fest an. Kritik an bestimmten Göttervorstellungen fanden sich bereits bei Hesiod und Pindar. Setzen wir das zitierte Fragment jedoch in Bezug zu den anderen Xenophanischen Fragmenten, so bestätigen sich die Anzeichen eines Wandels im Sprechen vom (und beim) Fest. 23 E. Heitsch, Xenophanes, S. 91 f. Auch Heisch gliedert das Fragment in zwei Abschnitte: Der 1. Abschnitt (Vers 1 - 1 2 ) beschreibt, der zweite (Vers 13 - 24) gibt Anweisungen. 24 Ebd.
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Im Rahmen dieser In-Bezug-Setzung stoßen wir auf das unselige Problem des vermeintlichen Übergangs „Vom Mythos zum Logos" 25 . Einer auch heute noch vorherrschenden Meinung zufolge ist die Mythologie als eine Götterlehre zu verstehen, „die sich die Menschen erfinden, weil sie noch nicht ,reif sind für eine exakte Physik und Chemie" (GA 53, 139). Entsprechend wird das aufkommende Denken „als die ,Entmythisierung' des Mythos" verstanden und nimmt sich als „der Bodensatz des entmythisierten Mythos" (ebd.) aus. Daß diese Vorstellung noch primitiver ist als die Primitivität, die sie dem mythischen Bewußtsein unterstellt, zeigt sich an Xenophanes, den Heidegger freilich nicht zu den anfänglichen Denkern zählt. So „kritisiert" Xenophanes die herkömmlichen Göttervorstellungen eines Homer, nach dem „von Anfang alle [...] gelernt haben" (B 10), und die anderen mythischen Dichter um ihrer „anthropomorphen" Vorstellungsweise willen: „Alles haben den Göttern Homer und Hesiod angehängt, was nur bei Menschen Schimpf und Tadel ist: Stehlen, Ehebrechen und einander Betrügen" (B 11, Β 12). So neigen die Sterblichen dazu, den Göttern je ihre Eigenschaften zuzusprechen: das Geborenwerden und den Tod, das Tragen von Kleidern, Stimme und Gestalt (B 14), ja sie projezieren gar ihr volksspezifisches Aussehen auf ihre Götter (B 16). Eine adäquate Erfahrung des Gottes dagegen enthält sich derartiger Projektionen, denn es ist: „Ein einziger Gott, unter Göttern und Menschen am größten, weder an Gestalt den Sterblichen ähnlich noch an Gedanken" (B 17). Als einem all-einig-kugelähnlichen (Α 1), nicht in Orientierung am Menschen denk- und erfahrbaren Gott (B 23) kommt ihm ein eigenes Sehen, Denken und Hören zu: „Gott ist ganz Auge, ganz Geist, ganz Ohr", d.h.: „Als ganzer sieht er, als ganzer versteht er, als ganzer hört er" (B 24) 26 . Stets verbleibt er bewegungslos am selben Ort, „denn es geziemt sich für ihn nicht, bald hierhin, bald dorthin zu gehen, um seine Ziele zu erreichen" (B 26), wie die Götter des Epos in ihrem menschengleichen Tun oder die vom Menschen erfahrbaren (innerkosmischen) Dinge, sondern „sonder Mühe erschüttert er alles mit seines Geistes Denkkraft" (B 25). Bestand die festliche Gemeinschaft von Menschen und Göttern bei Homer und Hesiod gerade darin, daß die Götter epiphanisch das Geschehen durchgötterten, so erhebt nun das Denken den Anspruch, diese Meinungen von ihrer Scheinhaftigkeit zu läutern. Zu den Beweggründen dieses Wandels wurden 25 W. Nestle, Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates. 2. Aufl. Darmstadt 1986. 26 Wir fügen hier der Diels-Kranzschen Übertragung die von Mansfeld hinzu, weil sie den Schwerpunkt - wie auch die meisten anderen Übertragungen (Fränkel, Capelle) auf den vollzugshaften Charakter des Sehens, Denkens und Verstehens legt (Mansfeld, Vorsokratiker, Bd I, S. 225). Hegel dagegen übersetzt, mit Blick auf die Alleinheit des Gottes: „Überall sieht er, überall denkt er, überall hört er" (G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. Werke Bd. 18. Frankfurt a. M. 1986, S. 278).
§ 11 Xenophanes, Parmenides und die Kugel des Seins
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schon vielerlei Vermutungen angestellt, zu denen wir nichts Neues beizutragen vermögen. Unserer Fragestellung entsprechend ist vielmehr zweierlei von Belang: Zum einen stellt sich die Frage nach dem festlichen Bezug eines Gottes zu Kosmos und Mensch, der alles durch „des Geistes Denkkraft" (νόου φρενί) lenkt. Wenn das Walten des einzigen und unter Menschen und Göttern größten Gottes sich nicht am Seienden ablesen läßt, west die φύσις nicht mehr in der Weise, daß sie in ihrem Verbergungs-Entbergungs-Geschehen die Götter an den Menschen übereignet. 27 So werden wir tatsächlich zu der Auffassung genötigt, mit dem Aufkommen der Philosophie gehe eine Entfestlichung sowohl des Mensch-Welt-Gott-Bezuges als auch des Denkens selbst einher. Zum anderen nennt Xenophanes das Festliche in einer Weise, die unserem Andenken an das Fest des ersten Anfangs etwas Wesentliches zuzuspielen vermag. Wenn wir bedenken, was wir bislang vom heimischen Herd des Seins inmitten des Seienden und seiner Gegenwendigkeit zum Unheimischen gesagt hatten, so legt sich ein Bezug zwischen der Versammlung des festlich Seienden auf den Altar in der Mitte hin und dem kugelförmig gedachten Gott nahe. Wie ist dieser Bezug von herdhafter Mittung und sphärisch-kugelhafter Ausbreitung zu denken? Wir beantworten diese Frage mit Hilfe des Lehrgedichts des Parmenides, das Karl Reinhardt, vielleicht historisch falsch, geschichtlich jedoch umso wahrer, zeitlich vor Xenophanes angesetzt hat. Das Lehrgedicht gliedert sich bekanntlich in zwei Teile. Der erste ist der ά-λήθεια gewidmet, der zweite der δόξα. Die schlüssige Bestimmung ihres Verhältnisses als des Verhältnisses von Wahrheit und Schein, „das innere Band, das die beiden Teile des Gedichtes verknüpft" 28 , wird zum Dreh- und Angelpunkt jeder Auslegung. Das Lehrgedicht beschreibt einen Weg: Die Vieles deutenden Rosse führen den sinnenden Mann (είδότα φώτα) auf kundereichem Weg aus dem Schein heraus vor den Thron der Göttin (der) Wahrheit. Diese zeigt ihm „sowohl der UnVerborgenheit, der gutgerunde27 Was die Anhänger des Volksglaubens und der mythischen Lehrgedichte etwa „Iris" (d.h. Götterbotin) nennen, der Regenbogen, „ist seiner Natur nach nur eine Wolke, purpurn und hellrot und gelbgrün zu schauen" (B 32). Nicht die Götterbotin macht den Regenbogen aus, sondern ein meteorologisches Phänomen. Dasselbe gilt sowohl für Sonne, Mond, Stern (A 31, 32, 38, 40, 41, 42, 43), Blitz (A 45), Komet, Meteor (A 44) und Elmsfeuer (A 39) als auch für die Entstehung von Mensch und Welt (A 29, Β 27, 29, 33). Der von den Kosmogonien veranschlagte Ursprung der Welt, der Götter und des Menschen entbehrt nun jeder ernsthaften Grundlage, sagt Xenophanes, doch n jene, welche behaupten, daß die Götter geboren wurden, sündigen genausoviel wie jene, die sagen, daß sie sterben" (A 12). Kaum anders verliert die Mantik, d.h. die Kunst der Weissagung, durch die Ausgrenzung des Göttlichen aus dem Bereich der menschlichen Erkenntnis ihre Bedeutung (A 52). 28
K. Riezler, Parmenides. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1970, S. 43. Auch nach Lesky ist die Frage nach dem Verhältnis der beiden Teile des Lehrgedichts „die schwierigste und noch ungelöste Frage, die uns Parmenides stellt" (A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur. 2. Aufl. Bern 1963, S. 237). 10 Knödler
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ten, nichterzitterndes Herz als auch der Sterblichen Dafürhalten, dem fehlt das Vertrauenkönnen auf Unverborgenes" (ZSD, 74; Fr. 1, 28 ff). Im ersten Teil führt die Göttin den wissenden Mann aus dem Schein heraus, entlarvt den Schein als solchen und weist den richtigen Weg, im zweiten zeigt sie ihm, wie er festhaltend auf diesem Weg auch inmitten des Scheines das Walten der Göttin zu sehen, d.h. die Finsternis des Scheins auf die mitten in ihr noch waltende Wahrheit hin zu schauen vermag. Die Göttin kündet dem wissenden Mann „diese Welt-ordnung und ihre Entfaltung [...] in der Scheinhaftigkeit ihres Wesens", damit diesen „keines Menschen Meinung [...] je überholen wird" (Fr. 8), d.h. damit er den διάκοσμος des Scheins in der Weise durchschaue, „daß in diesem so als Schein entworfenen Schein die Wahrheit noch erschaubar bleibt" 29 . In der hier gestellten Frage nach der Wahrheit und ihrem Bezug zum Schein, besser gesagt nach dem Walten der Wahrheit inmitten des Scheins, begegnet uns die Grundfrage dieser Arbeit, d.h. die Frage nach dem stiftenden Bezug des auf dem Denkweg Geschauten zum alltäglichen Wissen. Im Fragen nach dem
Bezug von άλήθεια und δόξα (d.h. im gegenseitigen Bezug der beiden Teile des Lehrgedichts) schlägt das Herz des abendländischen Denkens. In den Wegen zur Wahrheit und den Rückwegen aus ihr, im Sichversammeln auf die άλήθεια und dem Sicheröffnen bzw. Sichzerstreuen in die δόξα, liegen die Zusammenziehungen (Systolen) und Entspannungen (Diastolen) des Wahrheitsgeschehens. Schon viele Interpreten haben ihr Stethoskop an dieses Herzstück des Parmenideischen Lehrgedichts gelegt, in dem wir das Herz abendländischen Philosophierens schlagen hören. Heidegger zufolge ist der erste Weg, der Weg der άλήθεια: „Kein besonderes Vermögen, Geheimwissenschaft, eine durch besondere Technik auszulösende Schau, kein Mystagogentum und Theosophie, sondern der Weg zur nächsten begrifflichen Arbeit" (GA 22, 66). Auch Reinhardt und Riezler liegen auf dieser Linie, weshalb allen Dreien das Verdienst einer sorgfältigen denkerischen Würdigung des Lehrgedichts zukommt. Dagegen sehen andere Interpreten im Weg des Lehrgedichts den Bericht einer über das Begriffliche hinausreichenden Erfahrung 30. Ihre zum Teil sehr aufschlußreichen 29 Riezler, S. 44. Anderen Interpretationen zufolge ist es indes nicht die Göttin selbst, die im zweiten Teil spricht, sondern ihr Schatten, „die finstere daimon" (K. Hendrich, S. 94). 30 Bereits nach Nietzsche beruht der Satz von der Einheit alles Seienden auf einer „mystischen Intuition" (K. Albert, Einfuhrung in die philosophische Mystik, S. 66); Diels sieht im Proömium eine literarische Adaption der zu Parmenideischen Zeiten verbreiteten schamanistischen Entrückungs-literatur (H. Diels, Parmenides' Lehrgedicht. Berlin 1897, S. 9), eine Auffassung, der sich auch W. Burkert anschloß (W. Burkert, Weisheit und Wissenschaft. Studien zu Pythagoras, Philolaos und Piaton. Nürnberg 1962, S. 263); W. Jaeger bringt Parmenides, wie übrigens auch Lesky (A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, S. 238) in die Nähe zu den Mysterienkulten und spricht ihm eine „innere Erfahrung des Göttlichen" (W. Jaeger, Die Theologie der frühen griechischen Denker. Stuttgart 1953, S. 114) und ein „Seins-Erlebnis" (a.a.O., S. 125) zu; Schadewaldt erkennt in der Auffahrt des Philosophen zum Empfang der göttli-
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Interpretationen übersehen zumeist, wie das in der „Entrückung" Geschaute in der Welt des Scheines nachzuvollziehen sein soll. Insofern übergehen sie gerade die Frage, in der wir das Herzstück des Lehrgedichts sehen. Vielleicht liegt die Antwort auf die Frage nach der dem Lehrgedicht zugrundeliegenden faktischen Erfahrung in der Mitte. Vielleicht zeichnet das Lehrgedicht den Weg eines ekstatischen Denkens, d.h. eines Denkens, das ein solches bleibt, obschon
es mit einer wie auch immer gearteten „Entrückung" einhergeht bzw. einhergegangen ist. Das Lehrgedicht unterscheidet zwei bzw. drei Wege 31 des Suchens und Fragens: da ist erstens der Weg des Seins, der von diesem Sein sagt, „daß es ist, und daß es nicht nicht sein kann; das ist der Weg einer Überzeugtheit, der die Wahrheit unzertrennlich begleitet"; zweitens der Weg des Nichtseins, der vom Sein sagt, „daß es nicht ist und nicht sein kann", Parmenides zufolge ein ganz und gar unbegehbarer Weg: „Denn Nichtsein kannst Du nicht erkennen noch sagen - es ist nicht zu greifen"; und drittens der Weg des Scheins, „auf dem die Sterblichen einherstraucheln" und „bei denen Sein und Nichtsein als dasselbe gilt und wieder nicht als dasselbe Geltung hat", daß Sein sowohl ist als auch nicht ist. Das πρώτον ψευδός der δόξα liegt darin, daß sie die Einheit des Seins auf die Vielheit des Seienden hin trennt und benennt, wobei dessen Sein verdeckt und unsichtbar wird. Auf dem Weg der δόξα „ist" das Seiende und „ist nicht", weil es des Seins entbehrt. „So bleibt noch die Kunde des einzigen Weges", und zwar des ersten Weges des Schauens, der besagt:To έον εστί (Fr. 8). Unsere Frage muß nun lauten, ob das Denken auf diesem Weg den Phänomenbereich des Festes tatsächlich hinter sich läßt, und was es, wenn nicht, zum chen Offenbarung etwas Ekstatisches und versteht das Lehrgedicht als die denkerischphilosophische Erfassung einer geistigen Vision (W. Schadewaldt, Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen. Frankfurt 1978, S. 317); H. Fränkel schließlich vermutet sogar, „daß Parmenides die unio mystica mit dem wahren Sein persönlich erfahren hat" (H. Fränkel, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. 2. Aufl. München 1962, S. 41 f.), und bringt diese Erfahrung mit dem vedischen Satz „,Ich bin das AllEine'" (a.a.O. S. 417 f.) in Verbindung. Aus dem Horizont seines religionswissenschaftlichen Vergleichs bringt auch Klaus Heinrich den Philosophen in Zusammenhang mit den indischen Brahmanen, deren Ekstasen er gut genug zu kennen scheint, um finale Aussagen über ihre Lehrmotivation treffen zu können: „So wie der Brahmane, der meditierend sich über die Götter des Volkes zum Einen erhebt, den Göttern des Volkes opfert, so wie der moderne Ontologe, der das Sein ,andenkt', zu Zeiten auch den Göttern des Volkes opfert, so wie jeder Mensch, der sich gelassen über die Verstrickungen des Lebens erhebt, doch ständig eingehen muß auf die Verstrickungen des Lebens und dennoch ständig zu seiner Rechtfertigung sagen wird, dies alles seien bloße Machenschaften' oder ,Niederungen' oder nur ,Schein', so muß auch der wissende Mann, der den mythos des rechten Weges und den logos der Wahrheit hat, viele Worte machen von der betrügerischen Ordnung' (B 8, 50 - 53) der Scheinwelt. Er kann nicht anders, er muß" (K. Heinrich, Parmenides und Jona, S. 96). 31
Parmenides spricht zweimal von zwei (B 8, 15 ff.), einmal von drei Wegen (B 6, 4).
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Denken desselben beizutragen vermag. Insofern die Wanderung dem Wort der Göttin zufolge „fürwahr nämlich weitab außerhalb des gewohnten Aufenthalts der Menschen verläuft" (GA 15, 403; Fr. I, 27), scheint sie sich von der festlichen Gemeinschaft ebenso wegzubewegen, wie die Rede von „der Wahrheit, der wohlgerundeten" und ihrem „nie erzitternde[n] Herz" (ebd.) vom festlichen Übergang. Was hat die geometrisch-abstrakte Form einer Kugel in ihrer Vollendung mit der prallen Fülle eines geglückten Festes gemein? Wie soll ein Herz feierlich höher schlagen, wenn es niemals erzittert? Ist die Bewegung nicht ihr Eigenstes? Wie soll ein Denkweg etwas zum Fest mitbringen, der den Schein des Seienden verläßt? Heidegger zufolge heißt die άλήθεια als die Unverborgenheit die gutgerundete, „weil sie im reinen Rund des Kreises gedreht ist, auf dem überall Anfang und Ende dasselbe sind. In dieser Drehung gibt es keine Möglichkeit des Verdrehens, Verstellens und Verschließens" (ZSD, 74 f.). Wie Heidegger noch bei seinem späten „Versuch, die frühere Kennzeichnung der Ά-λήθεια in ,Zur Sache des Denkens' neu zu überprüfen" (GA 15, 402), betont, nennt das εύκυκλος weder ein kugelförmiges Ding, das als Allegorie oder Metapher für die absolute Perfektion des Seins steht, noch eine reine mathematische Anschauungsform. Die Ά-λήθεια zeigt sich dem anfänglichen Denken als VerbergungsEntbergungs-Geschehen vielmehr so, daß sie stets, d.h. sowohl im Anfangen als auch im Enden, sowohl im Aufgang als auch im Untergang, voll bleibt und sich rund in sich dreht (GA 15, 396). Was selbst in der Bewegung, im Übergang voll bleibt und auch in der Abkehr nicht an Fülle und Gleichmaß verliert, das kreist. Der sich drehende Kreis aber dreht sich gegen die Mitte hin langsamer und zur Peripherie hin schneller, ohne dadurch seine ruhende Mittung preiszugeben. Als das vollendet in sich kreisende Seiende kennen wir die Kugel. Parmenides spricht auch die Kugel keineswegs als ein Seiendes innerhalb des Seienden im Ganzen an, sondern als das in sich vollendet kreisende Sein selbst in seinem innig in sich kreisenden Verbergungs-Entbergungs-Geschehen. Ein kreisender, sich drehender Ball zeigt sich zwar noch als ein abgeschattetes Seiendes, doch immerhin so, daß sich unabhängig von seiner Drehgeschwindigkeit nicht die Konturen seiner Gestalt verändern. Desgleichen behält der Ball des Seins seine Innigkeit, unabhängig von irgendwelchen „Graden" der Entbergung oder Verbergung. Die Nennung des εϋκυκλος versteht sich als σήμα, als Zeichen. Dieses Zeichen verstehen wir nun nicht als ein Symbol, das auf etwas anderes hinzeigt. „Zeignis (σήμα) muß hier in griechischem Sinn verstanden werden: Es ist nicht etwas, was als ,Zeichen' für etwas anderes steht, sondern: das Zeignis ist das, was zeigt und sehen läßt, indem es das zeichnet, was gesehen werden soll" (GA 15, 398). Wenn das Sein in seinem Zumal von Zusammenspannung und Auseinandergehenlassen in die Entspannung selbst in sich und aus sich kreist, dann können wir sagen: das Zeichen zieht den durch die Weisung des Zeichens Angewiesenen in den Zug des Zeigens, d.h. in die Bewegung des Kreisens. Diese
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Bewegung, dieser Zug, ist vorerst der Weg des Lehrgedichts in die Versammlung auf die ά-λήθεια hin und von dieser her in die (das Andenken an die άλήθεια bewahrende) Entspannung der δόξα. Indem das Denken mitgeht auf dem bzw. eingeht in den Gang des Lehrgedichts und dieser nichts anderes ist als das übergängliche Geschehen der ά-λήθεια selbst, be-geht es deren Wesung. Indem das Verbergungs-Entbergungs-Geschehen derart in sich kreist, werden die Übergänge des Gegenwendigen also nicht in eine höhere, statische oder transzendente Einheit aufgehoben. Das Ruhende der Kugel kennzeichnet vielmehr das in sich kreisende Spiel der ά-λήθεια. In seinem in sich gegenwendigen Widerspiel sind auch die festlichen Übergänge rund und ganz. Der gefeierte Tod rundet sich ebenso im Widerspiel zum Leben ab, wie das gefeierte Leben im Widerspiel zum Tod. Das ευ- des εϋκυκλος ist nicht nur die gute und wohlige, sondern auch die fesdiche Runde. Das Rund dieser Runde ist weniger das Zyklische der „kosmischen" Phänomene, durch welches sich die meisten Feiern auszeichnen. Die kosmischen oder existenziellen Übergänge sind vielmehr, was sie sind, erst aus diesem Rund, wenngleich sie das Geschehen der ά-λήθεια auf sich versammeln. Erst aus dem Rund der ά-λήθεια fügt sich der Kreis des Jahresgangs, schließt sich der Reigen, flicht sich der Kranz, wiederholt sich das Lied. Erst wenn das Tanzen in seltenen geglückten Augenblicken mitkreist im Kreisen des εϋκυκλος, wird das Tanzfest zum Ball. Die feiernden Verhaltungen kreisen im εϋκυκλος als dem „Ball des Seins". Weshalb aber das Herz? Das „Herz" kennen wir heute als das zentrale Organ, welches das Blut in Systolen und Diastolen durch den menschlichen Körper pumpt. Darüber hinaus wird das „Herz" als Metapher für das psychische Gefühlsleben gebraucht. Dieses spielt eine bedeutende Rolle beim Fest, hat aber zum Gefeierten eine lediglich emotionale Beziehung. So ist unschwer erkennbar, daß Parmenides dieses metaphorische „Zentralorgan" noch gar nicht kannte und uns ein anderes Herzwesen zusprechen kann. Der Grieche kennt das Herz anders und wohl besser, etwa als den Thymos inmitten der Brust. Noch hat der wissenschaftliche Entdeckerdrang das Herz nicht der erstarrten Brust des Toten entrissen und auf dem Seziertisch der Medizin zerstückelt. Noch kann es (als Seiendes) wie die rund in sich kreisende Kugel das immer ganze Pulsieren der ά-λήθεια als das Zumal von Zusammenspannung und Auseinandergehenlassen in die Entspannung auf sich versammeln. So ist die ά-λήθεια Jenes, was das Entbergen überallhin durchpulst, durchstimmt, selbst aber ruht, west und währt" (GA 15, 404). Entsprechend meint das Wort vom nichtzitternden Herzen die Unverborgenheit selbst „in ihrem Eigensten, meint den Ort der Stille, der in sich versammelt, was erst Unverborgenheit gewährt" (ZSD, 75). Indes geht die In-Bezug-Setzung des nichterzitternden Herzens zu Feier und Fest über Heidegger hinaus. Was Parmenides vom nichterzitternden Herzen sagt, spricht insbesondere den Denker an. Dessen ungewöhnlicher Weg führt unleugbar weg vom gewohnten Vorstellen und Meinen der Menschen. Das auf diesem Weg „auf dem Spiel stehende, vom gewöhnlichen Meinen weitab lie-
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1. Hauptstück, Kap. : Das Fest der
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gende Denken ist: das reine (unsinnliche) Erblicken" (GA 15, 406) des έον εμμεναι als des „anwesend: anwesen" (ebd.). So gilt vorerst: „Das ruhige Herz der Lichtung ist der Ort der Stille, aus dem her es dergleichen wie die Möglichkeit des Zusammengehörens von Sein und Denken, d.h. Anwesenheit und Vernehmen erst gibt" (ZSD, 75). Bevor das Denken als das eigentliche Handeln die Hand an den Puls der erstanfänglich gedachten Unverborgenheit zu legen vermag, muß es also zugleich der Stille und dem Pulsieren gewachsen sein. Es hat im Zeitalter von Vorstellung, Machenschaft und Erlebnis an sich zu halten mit vorschnellen Ergebnissen, um so vielleicht ein weniges vom reinen unsinnlichen Erblicken des anwesend: anwesen zu erahnen. Erst aus diesem ahnenden Horchen kann sich dem seinsgeschichtlichen Denken das Festwesen der erstanfänglich gedachten ά-λήθεια zusprechen. Was aber soll unser andenkendes Denken an den ersten Anfang da noch mitbringen vom griechischen Fest für das heutige? Wir antworten: ein Wesentliches, da Herzhaftes 32: Daß sich vielleicht in der Zeit der Verbergung des Festlichen des Festes das Herz der Unverborgenheit sammelt für ein Ausströmen in die Entbergung, daß es sich so lohnt, auf das Unerhörte zu hören und im Denken zu warten auf eine Wiederkunft, auf einen Advent des Ereignisses, der eine festliche Götterung wiederbringt, und daß dieses denkerische Warten sich lohnt, nicht im Sinne einer Berechnung auf Belohnung, sondern weil ein Verzwingen ohnehin nur zur Abspiegelung des Eigenen in das Seiende fuhrt.
32 In seinem „Gelassenheit"-Fest-Vortrag spricht Heidegger von einem „herzhaften Denken", aus welchem „die Gelassenheit zu den Dingen und die Offenheit für das Geheimnis" gelingen soll. „Vielleicht", so schließt er, „gibt die heutige Gedenkfeier dazu einen Anstoß" (GL, S. 25, vgl. Martin Heidegger. Zum 80. Geburtstag. Von seiner Heimatstadt Messkirch. Meßkirch 1969, S. 30).
Viertes Kapitel
Das Fest der platonischen Philosophie als das Fest zwischen ΕΙΔΟΣ und ΑΙΣΘΗΣΙΣ
§ 12 Das Marionetten-FestSpiel
des Gesetzesstaates
„Ich glaube, wir werden am Ende alle sagen: heiliger Plato, vergieb! man hat (ursprünglich: ,wir haben') schwer an Dir gesündigt." (II, 546) Diese von Heidegger aus dem Entwurf zu einer Widmung des „Hyperion"-Romans zitierten Worte Hölderlins können als Leitsatz für unsere kurz gehaltene Hinwendung zu Piatons Fest-Denken gelten. Piaton denkt in den „Nomoi" nicht nur zum ersten Mal auf epochemachende Weise und innerhalb eines philosophischen Entwurfs das Fest - im „Symposion" gestaltet sich sein Denken gar selbst als ein solches. Nichtsdestotrotz könnte es sein, daß wir am Ende (der Metaphysik) sagen, daß sich unser „platonisierendes" Verständnis an den Dialogen Piatons ver-griff. So rissen „wir" die „Stelle" zum Fest in den „Nomoi" etwa, wie andere Platonische Wesenssätze auch, aus dem jeweiligen Zusammenhang und lasen die Dialoge wie einen schlechthinnigen Definitionen-Katalog, aus dem sich jedermann zustimmend oder ablehnend be-stellen durfte, was beliebt. So liegt die „Sünde" einmal mehr in der versatzstückelnden Aus-sonderung eines Einzelnen aus dem Gesamtgefüge. 1 Dem Bewegungssinn des Dialoges zwischen den drei alten 1 So konstatiert etwa das „Historische Wörterbuch der Philosophie" unter Berufung auf diese Textstelle: „Den objektiven Gehalt des Festes erblickt PLATON in einem Austausch zwischen Menschen und Göttern, der als erholsame Unterbrechung der sonst für das menschliche Leben kennzeichnenden Mühen aufzufassen ist" (G. Lieberg, „Fest". In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 2. Darmstadt 1972, Sp. 938.). Selbst wenn wir berücksichtigen, daß diese lexikalische Definition platonischen Festverständnisses dem Gebot der Kürze zu folgen hat, gerade auch, weil das Phänomen „Fest" nicht zu den großen Themen der Philosophie gehört, ist diese nicht nur verkürzt, sondern irreführend, gilt es doch, die Stelle im Zusammenhang des ganzen Textes und im Horizont seiner Gesamtthematik zu lesen. Bereits Richard Kannicht klagt gegenüber der prominenten „Definition" Piatons interpretatorisch-hermeneutische Gründlichkeit ein. Seine Aufforderung, , jenen in der Literatur über Fest und Feste viel zitierten, aber meist aus dem Zusammenhang gelösten und dann meist mißverstandenen Satz zu erklären, mit dem Piaton in der Grundlegung des Erziehungs- und Bildungssystems seiner zweitbesten Polis (im II. Buch der Gesetze) Bildung, vor allem Erwachsenenbildung, an die musischen Veranstaltungen der Götterfeste knüpft" (R. Kannicht, THALIA, S. 46), ist auch für uns verbindlich.
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1. Hauptstück, Kap. 4: Das Fest der platonischen Philosophie
Männern, dem Kreter Kleinias, dem Lakedaimonier Megillos und dem Freund aus Athen, folgend, mag sich dem andenkenden Rückgang auf das erstanfänglich gedachte Fest vielleicht etwas zuspielen, was uns mit Piaton versöhnt. Wir finden uns auf dem Gang eines Gesprächs wieder, das einen Weg von einem philosophischen Sachverhalt zum anderen mit dem Ziel zurücklegt, die Frage nach den Gesetzen des Staates zu klären. Auf diesem Weg geht das Gespräch auch die Feste dieses Staates in ihrem Bezug zur Erziehung des Menschen zur Gerechtigkeit durch. Nun sind die Teilnehmer des Gesprächs selbst auf einem Weg. Sie machen sich am Tag der Sommersonnenwende auf nach dem Zeusheiligtum zu Knosos, wo sie dem Gott feierlich zu opfern gedenken. So legt sich nahe, daß sie unterwegs sind zu dem Ort, an dem sich wo-möglich der Gegenstand ihres Gesprächs - der Staat mitsamt seinen Festen - der-einst verwirklichen soll. Das Fest ist so nicht der eigentliche Gegenstand gesetzgeberischer Überlegung. Es wird vielmehr als außergewöhnlich vielseitiges Phänomen herangezogen, um Aufschluß über die Orientierung aller staatlichen Einrichtungen zur Förderung einzelner Tugenden auf die höchste Tugend hin zu geben. Die ersten drei Bücher zeigen auf, daß einzelne Tugenden, wie etwa die Tapferkeit, für sich allein genommen noch keinen Sinn ergeben, sondern erst dann, wenn sie auf deren gesamtes Gefüge und auf die höchste Tugend hin ausgerichtet sind. Dabei geht der Athener folgendermaßen vor: er zeigt zuerst auf, inwiefern die auf Tapferkeit abzweckenden Einrichtungen Furchtlosigkeit bewirken, indem sie Furcht erzeugen; sodann arbeitet er heraus, daß die Trinkgelage und die mit ihnen verbundene Trunkenheit nur auf den ersten Blick schädigend sind. Bei genauerer Betrachtung jedoch erweisen sie sich als mindestens so erzieherisch und bildend wie die Tapferkeitsproben, und zwar, indem sie zu Übermut und Zügellosigkeit verführen und so Gelegenheit bieten, diese zu überwinden. All dies, um letztlich zu zeigen, inwiefern sich alle Tugenden stets auf die Gerechtigkeit hin zu orientieren haben. Vor dem Hintergrund dieses Vorhabens und nur aus ihm ist das in den Nomoi zum Fest-Phänomen Gesagte zu verstehen.2 Die Einübung in die Tapferkeit mit ihren vier Einrichtungen (1. gemeinschaftliche Mahlzeiten, 2. öffentliche Leibesübungen, 3. Jagd, 4. Schmerzproben) beschränkt sich also nicht nur auf einen „Kampf gegen Schmerzen". Sie richtet sich „gegen Begierden und Lüste und die Macht jener schmeichlerischen Reize welche auch die Herzen Derer die sich (darüber) erhaben dünken weich wie
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Auch Hentschke zufolge ist die gesamte Rauschabhandlung bis zum Ende des 2. Buches ein „Methodenexkurs", der am Rausch paradigmatisch aufzeigt, zu welchen prinzipiellen Überlegungen eine Institution wie das Symposion den Gesetzgeber nötigt (A. B. Hentschke, Politik und Philosophie bei Plato und Aristoteles. Die Stellung der „ N O M O I " im Platonischen Gesamtwerk und die politische Philosophie des Aristoteles. Frankfurt a.M. 1971, S. 192.). Entsprechend darf das Symposion nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur im Zusammenhang mit dem gesamten Erziehungssystem.
§ 12 Das Marionetten-Fest-Spiel des Gesetzesstaates
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Wachs machen" (633 d) 3 . Entsprechend ruft das Fehlen einer staatlich geförderten Erziehung zum rechten Genuß und zur Vermeidung des falschen gerade das hervor, was sie zu vermeiden sucht: den Verfall der Sitten. „Manches ist löblich, so lange eine gewisse Enthaltsamkeit damit verbunden ist, was, wenn diese nachläßt, umso verächtlicher wird." (637 b) Wo die Weisen der Selbstdisziplin (καρτερήσεις) geübt werden, kann auch das Weintrinken lobenswert sein. Um dies anhand der Symposien aufzuweisen, gilt es allerdings zuerst „über die Trunkenheit überhaupt" zu handeln, ob man sie zulassen oder verbieten solle, wie Kreter und Spartaner es tun. Hierfür offeriert der Athener seinen Begleitern sogleich ein sicheres Verfahren zur Entscheidung solcher Streitfragen. Dieses Verfahren bedient sich eines Analogieschlusses. Wie ein tapferer Feldherr an die Spitze eines Heeres zu stellen ist, ein kundiger Hirte über eine Ziegenherde oder ein erprobter Steuermann ans Ruder eines Schiffes, so erwartet man von einem „nüchternen Meister und Leiter" (640 e), „welcher im Frieden eine freundschaftliche Zusammenkunft von Freunden leiten soll" (640 b), daß er sich von der Trunkenheit und ihren Auswirkungen „selber nicht in Verwirrung setzen läßt" (640 c) und Einsicht in die ganzen Verhältnisse der Gesellschaft hat. Der Symposiarch nämlich „soll nicht bloß für die unter ihren Teilnehmern bereits bestehende Freundschaft wachen, sondern auch dafür sorgen, wie sie durch die gehaltene Zusammenkunft noch vermehrt werden könne" (640 c). Zur Beantwortung der Frage des Kleinias jedoch, „welchen Vorteil uns denn nun eine richtige Anordnung der Trinkgelage verschaffen" (641 a) könne und inwiefern bei ihnen „großes für Privatleute oder für den Staat" (641 b) herauskommen solle, ist eine Klärung des Sinns und Wesens der Erziehung (παιδεία) erforderlich. Unter Erziehung und Bildung ist im Wesentlichen nicht die technische Ausbildung zu verstehen, sondern „die von der frühesten Jugend an fortgeführte Erziehung und Heranbildung zur sittlichen Tüchtigkeit [...], welche Lust und Liebe dazu einflößt ein untadelhafter Bürger zu werden, und das Geschick verleiht mit Gerechtigkeit zu herrschen und zu gehorchen" (643 e). Sittlich tüchtig aber sind diejenigen, „welche sich selbst zu beherrschen vermögen, und schlecht die welche es nicht vermögen" (644 b). Beide Möglichkeiten sind im Menschen angelegt. Als in sich einiges Wesen trägt er in sich „zwei entgegengesetzte und unvernünftige Ratgeber [...], welche wir Lust (ήδονή) und Schmerz (λύπη) nennen" (644 c), sodann „Vorstellungen über das Künftige, deren gemeinsamer Name Erwartung ist, und von denen die Erwartung eines Schmerzes den besonderen Namen Furcht (φόβος) und die des Gegenteils [der Lust] den besonderen [Namen] Hoffnung (θάρρος) führt" (ebd.). Darüber hinaus eignet dem Menschen „die vernünftige Überlegung darüber, was von demselben das Bessere und was das Schlimmere ist, und diese heißt, so bald sie zur (einhelligen) Mei3
Zit. n.: Piaton, Nomoi. Gr./dt. übertr. v. F. Schleiermacher. Frankfurt a. M. 1991
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1. Hauptstück, Kap. 4: Das Fest der platonischen Philosophie
nung des Staates erhoben ist, Sitte und Gesetz" (644 d). 4 Der Sinn der Erziehung besteht nun darin, die einander entgegengesetzten, einander entgegenwirkenden und zu einander entgegengesetzten Handlungen hinziehenden Regungen derart auszubilden, daß sie unter das Geleit der sich im Jugendalter erst heranbildenden Vernunft gestellt zu werden vermögen. Weil die philosophisch ungeschulten Dialogpartner des Atheners der abstrakten Analyse der menschlichen Seelenvermögen nicht zu folgen vermögen oder um überhaupt zu veranschaulichen, „was das Selbstüberwinden und Selbsterliegen besagen will" (645 b), verdeutlicht dieser ihr „Spiel" durch das Bild einer Marionette, „welche die Götter, sei es bloß zu ihrem Spielzeug, sei es zu einem anderen Zwecke, gebildet haben" (644 d). Während die niederen Regungen dieselbe in der Form harter, eiserner Drähte in verschiedene Richtungen zu ziehen drohen, ist es Aufgabe der Erziehung, den Menschen unter den Zug des goldenen und geschmeidigen Fadens der Überlegung (λογισμός) zu stellen, „welche auch den Namen des gemeinsamen Staatsgesetzes führt", „damit der goldene Draht in uns aller anderen Drähte Herr werde" (645 a). Einen wesentlichen Beitrag hierzu soll die Trunkenheit leisten. Wenn wir diese Marionette „berauscht werden ließen", würden nämlich, so der Athener, „durch den Genuß des Weines [einerseits] Freude und Schmerz, Zorn und Liebe heftiger erregt" (645 d), andererseits verließen sie Sinnes Wahrnehmung, Erinnerungen, Vorstellungen und Einsicht (645 e) und versetzten sie in den Seelenzustand eines unmündigen Kindes, in dem sie, ihrer selbst nicht mehr mächtig, in den niedrigsten Zustand der Sittlichkeit gelangte. Dies wäre auf den ersten Blick ein weder für die Jugendlichen noch für die Erwachsenen erstrebenswerter Zustand. Doch auch die Gefahren und Unannehmlichkeiten der Jagd, der Härteproben und der gemeinschaftlichen Erziehung und die mit ihr verbundene Furcht erscheinen auf den ersten Blick schädlich. Dennoch sagen wir von ihnen, sie trügen zur Erziehung zur Tapferkeit bei. Ja, ein furchteinflößender Trank (φόβου φάρμακον) brächte sogar denselben Nutzen wie jene Einrichtungen und taugte dem Staate zur Erprobung der Tapferkeit. Dahingegen hat der Wein „die entgegengesetzten Wirkungen", ruft er doch „Furchtlosigkeit (άφοβία) und übergroße Zuversicht (θαρρός), und zwar zur Unzeit und zu ungehörigen Dingen" (649 a) hervor. 5 In
4 Es steht uns nicht zu, darüber zu entscheiden, ob Piaton hier die Trichotomie des aus dem „Phaidros" stammenden Bildes des von der Vernunft gesteuerten und von zwei ungleichen Rossen gezogenen Seelengespannes (Phaidros 245 f.) und der aus der „Politeia" bekannten Dreigliederung der Seele in λογιστικόν, θυμοειδές und έπιθυμητικόν (Politeia 863 ff.) einführt oder nur von einer Dichotomie höherer und niedererer Seelenvermögen ausgeht (vgl. A. Graeser, Probleme der platonischen Seelenteilungslehre. München 1969, S. 102 ff.). Für unsere Fragestellung ist ohnehin bedeutsamer, welche Folgen derartige Distinktionen für das Denken des Festes haben. 5 „Denn den Menschen welcher ihn trinkt macht er doch gleich am Anfang heiterer als er zuvor war, und je mehr derselbe von ihm genießt, desto mehr erfüllt er ihn mit frohen Hoffnungen und mit vermeintlicher Kraft[.] Und endlich wird doch ein solcher
§ 12 Das Marionetten-Fest-Spiel des Gesetzesstaates
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gleicher Weise wie man sich zur Erlangung von Tapferkeit und Furchtlosigkeit in Gefahren und Schrecknissen üben muß, sind „zur Pflege der entgegengesetzten Eigenschaften [Beherztheit und Zuversicht] auch die entgegengesetzten Verhältnisse erforderlich" (649 d). 6 Vieles macht uns zuversichtlich und verwegen: „Zorn, Liebe, Übermut, Unwissenheit, Gewinnsucht, [Feigheit], und ferner Reichtum, Schönheit, Stärke und überhaupt Alles was uns durch Genuß berauscht und der Vernunft beraubt", doch nichts bietet eine geeignetere Gelegenheit dar, „einmal eine leichte und ziemlich unschädliche Prüfung und sodann auch Übung hierin vorzunehmen, als die Lust und der Scherz beim Weine, wenn anders dieser Probierstein nur mit einiger Vorsicht angewandt wird" (649 d). Darüber hinaus gewährt uns die „Prüfung des Dionysos", wie der Athener die in den Dienst der πόλις gestellte Trunkenheit nun nennt, „die Erkenntnis der natürlichen Anlagen und des Charakters menschlicher Seelen" (650 b) und bewahrt uns so vor negativen Erfahrungen mit anderen. Demnach besteht die Aufgabe der Erziehung darin, die kindlichen Empfindungen von Lust und Liebe sowie von Schmerz und Haß auf rechte Weise zu leiten. Denn in Gestalt von Lust und Unlust, so der Athener, treten Tugend und Untugend zuerst in die Seele ein. Wenn mit zunehmendem Alter der λογισμός im Menschen erwacht und er diesen in der richtigen Weise zu gebrauchen gelernt hat, stimmen die Seelenregungen „in Folge jener ihnen zu Teil gewordenen richtigen und zweckmäßigen Gewöhnung" (653 b) mit demselben überein. Da sich nun aber die Menschen im Verlaufe ihres Lebens von dieser richtigen Leitung von Lust und Unlust abbringen und verderben lassen, haben die Götter - und somit gelangen wir zu jener prominenten Stelle des zu Mühsal geborenen Menschengeschlechts sich erbarmend, [...] ihm [...] nicht bloß zur Erholung von derselben [Mühsal] ihrer Feste (stete) Wiederkehr verordnet, sondern auch die Musen und Apollon den Musenführer und den Dionysos zu Festgenossen gegeben, damit die Menschen so durch das Zusammensein mit den Göttern an den Festen wenigstens die Erziehung wieder in ihren früheren Zustand zurückführen lernten (653 d).
Der hier angeführte Sinn des Festes besteht also in der Rückführung der Erziehung in jenen ursprünglichen Zustand, in welchem sich die Seelenregungen von Lust und Unlust in Übereinstimmung mit der Vernunft befinden. Die wiederkehrenden Feste dienen zwar der Erquickung von der Mühsal. Doch besteht
(Zecher) dergestalt voll von Freimut und Beredsamkeit, gerade als ob nur Weises von seinem Munde ausgehen könnte, und wird dergestalt frei von aller Furcht daß er ohne Bedenken jedes Beliebige sagt und auch tut." (649 a) 6 „ A n Demjenigen also durch dessen Einwirkungen wir insgemein ganz vorzugsweise zuversichtlich und verwegen werden müssen wir darin geübt werden so wenig als möglich unverschämt und mit Verwegenheit erfüllt zu sein und uns vielmehr davor fürchten zu lernen daß wir jemals etwas Schändliches zu sagen oder zu dulden oder zu tun wagen." (649 d)
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1. Hauptstück, Kap. 4: Das Fest der platonischen Philosophie
die Akzentuierung hier nicht so sehr auf den Mühen des Alltags, als vielmehr in der Abweichung von der richtigen Leitung von Lust und Unlust. Die Erholung steht also ganz im Dienste der Erneuerung der Erziehung, die wiederum aus der Gerechtigkeit des Gesetzesstaates zu denken ist. Insofern wäre es adäquater zu sagen, das Wesen des Festes besteht in einem Austausch von Göttern und Menschen, der die Kontinuität und den ursprünglichen Bezug von Göttern und Menschen wiederherstellen und erneuern soll. Das Wesen des Festes besteht in der Erinnerung an jenen Zustand. In welcher Weise das festliche Zusammensein mit den Göttern diesen Beitrag, einerseits zur rechten Gewöhnung von Lust und Unlust bei den Heranwachsenden, andererseits zur Rückführung der Erwachsenen in den früheren Zustand leisten soll, führt nun das zweite Buch aus. Sind die den Menschen im Gegensatz zu den anderen Lebewesen als Festgenossen zugesellten Götter doch „zugleich die Geber des Gefühls für Rhythmos und Harmonie und der Freude an denselben geworden, vermöge deren sie ja unsere Bewegungen und Reigen leiten, wenn sie uns zu Gesängen und Tänzen zusammenscharen" (653 e). Bei der ersten von Apollon und den Musen herrührenden Erziehung bestehen diese regulativen Maßnahmen darin, das kindliche Triebleben, welches sich in lebhaften Gliederbewegungen und in Kundgebungen durch die Stimme äußert, seiner Empfänglichkeit für Rhythmus und Melodie gemäß zu gestalten und auszubilden. Da nämlich alle Betätigungen dieser Künste Nachahmungen menschlicher Stimmungen und Charakterzüge sind, muß es sich der Gesetzgeber zur Aufgabe machen, nur solche Tanz- und Tonweisen einzuführen, die sich den besten Kennern als Nachahmungen tugendhafter Gesinnung und Handlungweise erwiesen haben. Also darf die öffentliche Ausübung der musischen Kunst weder dem sich wandelnden Zeitgeschmack noch dem Urteil der Masse und dem Belieben der Künstler überlassen, sondern lediglich der Entscheidung der wahrhaft Urteilsfähigen anheim gestellt werden. Deren Hauptkriterium besteht in dem Satz, daß wahre Lust nur die Tugendhaftigkeit zu ihrer Quelle haben kann und darf. Ziel der musischen Veranstaltungen ist die stete, zauberformelhafte Rezitation dieses Liedgutes. Zu diesem Behuf sollen drei Chöre eingerichtet werden: 1. ein aus Knaben bestehender Musenchor, 2. ein Apollon zugeordneter Chor von Jünglingen unter 30 und 3. ein Dionysos zugeordneter Chor der Männer von 30 bis 60 Jahren, während die Älteren, „dieselben Grundsätze in Form alter Sagen (wie) aus göttlicher Eingebung" (664 d) vortragen sollen. Dabei soll die bei den Teilnehmern des Dionysoschores zu erwartende Hemmung vor dem Singen durch die Verabreichung größerer Mengen von Wein überwunden werden, welcher dem Musenchor vorenthalten und dem Apollonchor nur in Maßen verabreicht wird. Denn: Wenn der Mann [...] in die Vierzig tritt, mag er, nachdem er es bei den gemeinschaftlichen Mahlzeiten sich hat schmecken lassen, mit den anderen Göttern auch den Dionysos zu dem Feste und der Lust der Greise einladen, welche dieser Gott den Menschen zum Schutze gegen den mürrischen Ernst des Alters verlieh, indem er ih-
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nen den Wein als Heilmittel (gegen denselben) gab, so daß wir (durch ihn) von Neuem wieder jung werden und allen Unmut vergessen und die Härte unseres Charakters wie Eisen im Feuer erweicht und geschmeidig wird. (666 b)
Werden die Gemüter der Trinker derart wie Eisen im Feuer zum Glühen gebracht, erweicht und verjüngt, so vermögen sie, wie einst in ihrer Jugend, geformt und gebildet zu werden. Der richtige Bildner für dieses Erwärmtwerden und Aufglühenlassen ist der gute Gesetzgeber, „welcher Gesetze für die Trinkgelage aufstellen [muß] die da geeignet [sind] den (Trinker), welcher (allzusehr) voll Hoffnung und Zuversicht geworden und alles Anstandes zu vergessen beginnt und sich der Ordnung und Abwechslung von Schweigen und Reden, des Trinkens und der Muse nicht unterwerfen will, ganz zum Gegenteil umzustimmen und dem Einbrüche der tadelnswerten Zuversicht jene preiswürdigste [und göttliche] Furcht nach Gebühr zu ihrer Bekämpfung entgegenzustellen welche wir Scham und sittliche Scheu genannt haben" (671 c). Als Wächter und Mitarbeiter dieser Gesetze müssen „die ruhigen und nüchternen Leute den Befehl über die Trunkenen haben" (671 d). Jene aber, die sich weder selbst zu bezwingen noch den Greisen als den eigentlichen Führern des Dionysos zu gehorchen vermögen, müssen eine gleiche und noch größere Schande davontragen, „als wer den Führern des Ares ungehorsam" (671 e) ist.7 Wir können also festhalten: 1. Piaton spricht im Proömion der „Nomoi" vom Fest, was heißt, daß das Fest hier als besonders aufschlußreiches Phänomen die Ausrichtung aller staatlichen Einrichtungen, selbst der Trinkgelage, auf alle anderen Tugenden und die höchste Tugend der Gerechtigkeit hin verdeutlichen soll. 2. Entsprechend wird das Fest mitsamt seinen Begleiterscheinungen, wie etwa Essen und Trinken, Spiel, Tanz und Gesang, dem Gesetz untergeordnet. 3. Die wahre, aus der dialektischen Vorgehensweise gewonnene Motivation dieser Unterordnung ist der Menge kaum zugänglich. Ihre „richtige Meinung" von der Berechtigung der Gesetze gewinnt sich aus der praktischen Erfahrung ihrer Auswirkungen wie den bereits genannten Leitsätzen der Chöre oder aus der Religion und anderen staatlichen Verordnungen, welche ihnen mangelnder Einsicht wegen die einzige Bürgschaft der Dauer ist. 7
Als wolle er den Widerspruch dieser Verordnungen zum faktischen Verlauf der Dionysien ironisieren, flicht Piaton an dieser Stelle einen Mythos ein, der der Funktionalisierung des Dionysischen für das Gesetz widerspricht. „Es schleicht eine Erzählung so als Sage unter dem Volke fort", so der Athener, daß einst Dionysos von seiner Stiefmutter Hera des Verstandes beraubt worden sei, „und da habe er denn nun aus Rache die Ausgelassenheit der bacchischen Feste und (überhaupt) alle wilden und rasenden Tänze ins Leben gerufen und zu eben diesem Zwecke uns denn auch den Wein geschenkt" (672 b). Die Rache des Gottes besteht also darin, den Menschen nochmals das selbe anzutun, wie Hera einst ihm. Dieser Auffassung zufolge ließe sich Dionysos also kaum in den Dienst eines staatlichen Erziehungsapparates stellen. Dahingegen sieht der Athener Dionysos „gerade als ein Mittel zum Gegenteile, nämlich um der Seele Scham und dem Körper Gesundheit und Stärke zu erwerben" (672 d).
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1. Hauptstück, Kap. 4: Das Fest der platonischen Philosophie
4. Wenn es also heißt, die Götter hätten dem zu Mühsal geborenen Menschengeschlecht Feste geschenkt und ihnen die Musen, Apoll und Dionysos zu Festgenossen gegeben, um durch das Zusammensein mit diesen wenigstens die Erziehung wieder in ihren früheren Zustand zurückführen zu lernen, wo sie noch weich und formbar waren wie heißes Eisen, so drängt sich sowohl eine Parallele als auch Differenz zur denkerischen Einsicht auf. Auch sie ist, wie jedes Wissen, Wiedererinnerung der vorgeburtlich geschauten Ideen. Allein gewinnt sie diese nicht durch die Inszenierung staatlich verordneter Feste, sondern durch dialektisch gesicherte Einsicht. Dieser Eindruck der Instrumentalisierung der Feste und der „Dressur" der Feiernden verhärtet sich angesichts des Gleichnisses vom Marionetten-FestSpiel. Daß Piaton das Fest als ein göttliches Marionettentheater denkt, scheint alle metaphysik-kritischen Vorurteile zu bestätigen und Georg Picht recht zu geben, der in den Nomoi Piatons „Menschenverachtung" und „Altersresignation" am Werke sieht. Indes zieht gerade das „Bild" (644 c) bzw. der „Mythos" (645 b) der Marionette ein vorschnelles Urteil in Zweifel und fordert zu einer Hinterfragung der Platonischen Sprechweise heraus. Gewiß hat das Fest die Aufgabe, die irrationalen Seelenfunktionen von Lust und Schmerz und die Meinungen über das Künftige in Gestalt von Furcht und Zuversicht durch Selbstbeherrschung unter den Zug der rationalen Seelenfunktion der vernünftigen Überlegung zu bringen. Doch bleibt zuallererst zweierlei zu klären: erstens, was unter dem schon in der „Politeia" erwähnten „Zug in entgegengesetzte Richtungen" (Pol. 604 b) und dem „Zerren" (έκλειν, Pol. 604 b) und „Ziehen" (άγειν, Pol. 604 d) der unvernünftigen Kräfte zu verstehen ist, und zweitens, was es heißt, daß es die Aufgabe des Menschen ist, gegen diese Affekte „anzustreben" (άντιντεινειν, Pol. 604 a; vgl. άνθελκειν, Nom. 644 e). Daß das Symposion, „das als Trainingsort für den Widerstand gegen Lust und Begierde (647 d) dem λογισμός die Leitung und Führung erleichtert" 8, hier durch das Bild des Marionettentheaters verdeutlicht wird, kann uns einen entscheidenden Hinweis zur Beantwortung dieser Frage geben. Der Marionetten-Mythos, der sich wie die Glorifizierung eines despotischen Gott-Mensch-Verhältnisses ausnimmt, kann auch als die Ironisierung eines solchen gelesen werden. Der Mensch wird paradoxerweise nicht dadurch frei, daß er dem Zug dessen nachgibt, was er will, sondern sich vom heiligen Zug des goldenen Fadens ins Lot bringen läßt.9
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Schöpsdau, S. 232. Mit dieser Interpretation folgen wir Schöpsdau, demzufolge die Kennzeichnung der Marionette als paignion der Götter (644 d) nicht so verstanden werden darf, „als sei der Mensch , Spielball' der Launen der Götter". Wenn der Mensch dem goldenen Draht folgt, „so erfreut sich die Gottheit an seinem (und zugleich ihrem) ,Spiel'" (Schöpsdau, S. 234), was in den Liedern und Tänzen zum Ausdruck kommt, mit denen die Götter uns in Bewegung setzen (654 a), durch die sie unsere ungeordneten Bewegungen mittels Melodie und Rhythmus in Bewegung, Harmonie und Ordnung überfuhren (653) und 9
§ 13 Die Ver-wahrlosung der Fest-Statt zum Verlies
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Gerade durch das Spiel unter den Augen der „allen seligen Ernstes würdigen" Gottheit (803 c) gewinnt das ansonsten keines großen Ernstes werte Menschenleben (803 b 4) eine ernste Dimension und Würde. 10 Weder entspringt das Marionettengleichnis einer Platonischen Altersresignation noch erweist es sich als das resignative Symbol einer hilflosen Abhängigkeit des Menschen von der Gottheit. Es steht gerade umgekehrt als ein Bild für die hilfreiche Lenkung durch dieselbe. Dementsprechend müßte sich nun auch das Fest als eine Sphäre spielerischen Sicheinschwingens in das golden-heilige Lot der menschlichen Seelenvermögen mit dem Göttlichen erweisen. Dieses Sicheinschwingen ins Lot versagt sich. Unsere Auslegung des Seelischen ist nicht nur zu sehr von den Überdeckungen metaphysischer Auslegungsweisen geprägt - selbst wenn wir im Marionetten-Mythos keinen technokratisch-kausal-deterministischen Bezug zum Sein des Seienden walten sähen oder den Mythos gar als die hypostasenbrechende Ironisierung eines solchen auslegen, werden wir mit unseren machenschaftlich auf-ge-stellten Ohren sehr gut hinhören müssen, um einen Zuspruch zu erlauschen. Das freie in sich gegenwendige Verbergungs-EntbergungSpiel der φύσις und der wirbelnde Pol der πόλις bringen Piaton in eine Verlegenheit, die er zwar brilliant, doch bereits aus einer her-stellenden Sicherungstendenz heraus, ironisiert und mythologisiert. Das schmerzhaft-freudige Ineinander von χάος und νόμος, das den Festkult der Frühzeit bestimmte, zieht sich auf die Antinomie von Freiheit und Notwendigkeit zusammen. Inwiefern dieser Zusammenzug mit dem mit Piaton einsetzenden Einsturz der άλήθεια zusammenhängt zeigt, Heidegger anhand des Höhlengleichnisses auf
§ 13 Die Ver-wahrlosung
der Fest-Statt zum Verlies
Nach Heidegger läßt sich das „Höhlengleichnis" losgelöst vom restlichen Text der „Politeia" interpretieren. Als „Sinn-Bild" gibt es durch unmittelbar anschauliche Vorführung eines sichtbaren Anblickes einen Wink in jenes SinnGeschehen, welches das bloße Beschreiben und das ungebundene Beweisen nie zu fassen bekommen (GA 34, 18 f.). Das Gleichnis hat die Aufgabe, das Wesen der παιδεία im Anschaulichen der Geschichte sichtbar und wißbar zu machen. Als eine „Geschichte der Übergänge aus einem Aufenthalt in den anderen" gliedert sich das „Höhlengleichnis" „zu einer Folge von vier verschiedenen Aufenthalten in einer eigentümlichen Auf- und Abstufung" (WM, 217). Indessen ist die Platonisch verstandene παιδεία als die περιαγωγή ολης της ψυχής, d.h. als „das Geleit zur Umwendung des ganzen Menschen in seinem Wesen [...] we-
auch das soziale und politische Leben durch Gesetze ordnen und zu harmonischem Zusammenspiel bringen. 10 „Daß der Mensch Spielzeug für die Gottheit ist, wertet ihn also gerade nicht ab, sondern ist [...] das Beste an ihm" (Schöpsdau, S. 235).
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1. Hauptstück, Kap. 4: Das Fest der platonischen Philosophie
sentlich ein Übergang, und zwar aus der άπαιδευσία in die παιδεία" (WM, 215). Die παιδεία ist die Um- und Eingewöhnung des Menschenwesens in die Übergänge aus der Höhle an das Tageslicht und von da wieder zurück in die Höhle. Durch diese um- und eingewöhnende Übergänglichkeit steht das „Bild" der vier Stadien und das durch es versinnbildlichte Geschehen der παιδεία in engstem Bezug zu unserer Thematik. Dies nicht zuletzt, weil das Fest in den „Nomoi" selbst vorwiegend erzieherischen Charakter hat. Auf der ersten Stufe findet sich der Mensch in einer höhlenartigen Behausung vor, die Piaton als ein „Bild" bezeichnet für „την ... δι' όψεως φαινομένην εδραν ,den Aufenthaltsbereich, der (alltäglich) den Umherblickenden sich zeigt'" (WM, 211). Die hier zunächst und zumeist für gewöhnlich, d.h. wirklich gehaltenen Dinge, versinn-bildlicht durch die Schattenbilder der rücklings der Gefangenen vorbeigetragenen Schaustücke, sind stets nur die Abschattungen der Idee. So wird der Mensch einem Gefangenen gleich in der Haft des alltäglichen Meinens gehalten. Die Höhle, d.h. der Kosmos, ist das Gefängnis des Menschen. „Und weil er gar dieses Gefängnis nicht als ein solches erkennt, hält er diesen Alltagsbezirk unter dem Himmelsgewölbe für den Spielraum der Erfahrung und der Beurteilung, die allen Dingen und Verhältnissen allein das Maß und ihrer Zu- und Einrichtung allein die Regel geben." (WM, 212) Entsprechend empfände der Mensch die ungewohnte Umwendung des Blickes auf das rückwendige Feuer (die Sonne) „sogleich als eine Störung des üblichen Verhaltens und des gängigen Meinens" (WM, 213). Auf der zweiten Stufe werden dem Gefangenen die Fesseln abgenommen. Indem er nun den Blick auf die hinter ihm vorbeigetragenen Schaustücke, d.h. die Dinge selbst richtet, ist er gewissermaßen frei, wenngleich er in der Höhle verbleibt. Zwar kommt er μαλλόν τι έγγυτέρω του οντος (512 d), „um ein Mehreres dem Seienden näher" (WM, 218), doch wird er die bislang gesehenen Schatten, ob der Blendung, die das Unverborgenere (άληθέστερα, 515 d) hervorruft, für seiender halten als die Dinge selbst. Die eigentliche Befreiung vollzieht sich erst, wenn die Höhle verlassen wird. Auf der dritten Stufe gelangt der Gefangene denn auch ins Freie. Unter dem Licht der Sonne als der höchsten „Idee des Guten" (η του άγαθοϋ ιδέα) erblickt er die Dinge, welche für die Ideen (είδη) stehen. Auch hier wird der Blendung des Befreiten wegen „die stetige Eingewöhnung in das Festmachen des Blickes auf die festen Grenzen der in ihrem Aussehen feststehenden Dinge" (WM, 220) erforderlich. Nun steht die παιδεία in einem zweifachen Rückbezug zur Bildungslosigkeit. Der eine Rückbezug betrifft die Rückfallgefahr des Befreiten und macht die ständige Überwindung der απαιδεία erforderlich; der andere Rückbezug betrifft die noch Gefesselten und macht einen Rückstieg in die Höhle notwendig. Auf der vierten Stufe gestaltet sich dieser Rückstieg als ein „Kampf innerhalb der Höhle zwischen dem Befreier und den aller Befreiung widerstrebenden Ge-
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fangenen" (WM, 221). Wie sich am Schicksal des Sokrates zeigt, kann dieser Kampf fiir den Befreier tödlich enden. Hierin schwingt noch mit, daß die Wahrheit für den Griechen als das Unverborgene der Verschließung, Verhüllung, Verdeckung, Verschleierung und Verstellung abgerungen werden muß. Insofern ist die Höhle als „Sinn-Bild" für das kosmische Verbergungs-EntbergungsGeschehen noch der anfänglich gedachten ά-λήθεια nahe. Doch zugleich wird das Verbergungsgeschehen auf die beständige Anwesenheit der Unverborgenheit hin „transzendiert". Freilich verließ auch Parmenides auf seinem DenkWeg den Bereich der δόξα als den Bereich der Vielen und des Vielen auf das Eine hin. Allein zeigte die dort erfolgte Weisung gerade in die Gegenwendigkeit und Übergänglichkeit dieses Einen. Die bildgebende Deutungskraft des „Höhlengleichnisses" hingegen entspringt nicht aus den Übergängen aus der Höhle ans Tageslicht und aus diesem zurück in die Höhle, sondern sammelt sich auf das Feuer, den Feuerschein und die Schatten, auf die Tageshelle, das Sonnenlicht und die Sonne. „Die Unverborgenheit wird zwar in ihren verschiedenen Stufen genannt, aber sie wird nur daraufhin bedacht, wie sie das Erscheinende in seinem Aussehen (είδος) zugänglich und dieses Sichzeigende (ιδέα) sichtbar macht." (WM, 223) Weil die ιδέα als „die Scheinsame" kein anderes hinter sich „erscheinen" läßt und einzig durch ihr eigenes Scheinen die Anwesung des Seienden vollbringt, überblendet sie gewissermaßen die einstmals zum Wesen der Wahrheit gehörige Verbergung. „Die ά-λήθεια kommt unter das Joch der Ιδέα." (WM, 228; vgl. GA 65, 332 u. 335) Die ιδέα aber verstößt die Verbergung als bloßen Gegenfall der Wahrheit ins ψευδός, in die Falschheit im Sinne des Unrichtigen. Die höchste Idee spannt das Joch zwischen dem Erkennen und seinem Erkannten. „In diesem Wandel des Wesens der Wahrheit vollzieht sich zugleich ein Wechsel des Ortes der Wahrheit." (WM, 228) Die sich in ihrem Urteilen dem Sachverhalt angleichende (όμοίωσις) Aussage des Verstandes wird zur „Stätte der Wahrheit und Falschheit und ihres Unterschieds" (WM 230). Unter dem gleißnerischen Glanz der Idee des Guten als der höchsten (τελευταία), zum Scheinen und Sehen tauglich machenden Idee verwahrlost die Stätte der
φύσις. Mit ihr verwahrlosen Herd und πόλις als die Stätten des Festes. Weshalb? Weil mit dem Herrwerden der ιδέα über die φύσις nicht nur das übergängliche Widerspiel von Verbergung und Entbergung vom Sonnenglanz der Wahrheit als Richtigkeit überblendet wird, sondern weil mit ihm das übergängliche Widerspiel von Heimischem und Unheimlichem, Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem seines Wahrheitscharakters verlustig geht. Als das Ereignis der gemeinschaftlichen Begehung dieser Übergänge hatten wir aber das Fest bezeichnet. Entsprechend verliert das Feiern bei Piaton seinen anfänglichen Bezug zum in sich widerspielenden Übergang des Gegensätzlichen. Das Fest des Gesetzesstaates ist kein tragischer Austrag des entscheidungshaften Wahrheitsgeschehens der dem Unheimlichen ausgesetzten Heimstatt der πόλις mehr. Es soll vielmehr, dem Wesen der Platonisch verstandenen παιδεία gemäß, „den Menschen frei und fest machen für die klare Beständigkeit des 11 Knödler
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1. Hauptstück, Kap. 4: Das Fest der platonischen Philosophie
Wesensblickes" (WM 227). Piatons Fest ist eine Sehschule. Sie feiert die Befreiung und Be-festigung des Blickens. Dessen Übergänge sind die Annäherungen an die allesüberbietenden Feste der τελευταία ιδέα, auf die alles festlich Schöne sich versammelt und der alles entspringt. „Der Übergang von einer Lage in die andere besteht in dem Richtigerwerden des Blickens. An der όρθότης, der Richtigkeit des Blickens, liegt alles." (WM, 228) Was heißt das für das Denken und seinen Festcharakter selbst? Wissen, σοφία, heißt „Sichauskennen in dem, was als das Unverborgene anwest und als das Anwesende das Beständige ist", dies aber nicht im Sinne eines bloßen Besitzes von Kenntnissen, sondern im Sinne des Innehaltens eines Aufenthaltes, „der überall zuvor den Anhalt im Beständigen hat" (WM 232). Als eine Vorliebe und Freundschaft (φιλία) für die das Unverborgene gewährenden Ideen vollzieht die „Philosophie" die Übergänge von der σοφία der Höhle zur φιλοσοφία außerhalb der Höhle. Sie geht μετ' εκείνα „über" das nur Schatten- und Abbildhafte hinaus εις ταύτα „hin zu" den „Ideen" als dem im nichtsinnlichen Blicken erblickten Übersinnlichen, dem mit den Werkzeugen des Leibes unbegreiflichen Sein des Seienden. Als das Höchste im Bereich des Übersinnlichen, d.h. als die Ursache für den Bestand und das Erscheinen alles Seienden, nennen Piaton und Aristoteles aber τό θείον, das Göttliche. Philosophieren versteht sich so als das festigend-befreiende Übergehen, nicht in die Übergänglichkeit eines Wahrheitsgeschehens, aus dem sich dem Menschen die Götter zueignen, sondern auf die beständig-anwesende Gottheit zu. Deshalb erscheint es nur noch konsequent, daß das Fest bei den christlichen Kirchenvätern in die ewige (beständige) Präsenz (Anwesenheit) eines transzendenten Gottes verlegt und von da aus totalisiert
und universalisiert
wird.
Doch wollen wir uns nicht dem Christentum als einem vermeintlichen „Platonismus für's Volk" zuwenden, ohne zuvor auf Lesarten hingewiesen zu haben, die Piatons Denken des Festes im Lichte eines überaus weltzugewandten Festes des Denkens erscheinen lassen. So weist Wolfgang Wieland überaus plausibel auf, daß die Platonischen Dialoge überhaupt keine „Lehre von der Wahrheit", d.h. nicht unbedingt eine „Ideen-Lehre" enthalten müssen.11 Wieland zufolge zeigt Piaton durch seine deiktische, d.h. dialogische, paradoxe, mythische und ironische Sprechweise lediglich auf propositionale Weise in ein grundsätzlich nichtpropositionales Wissen. Weil sich diese Nichtpropositionalität aber nicht als eine weltjenseitige Transzendenz, sondern als ein sprachdiesseitiges Gebrauchswissen versteht, müssen gerade jene Passagen des Platonischen Werkes, die die Abkehr von der αισθησις zu vollziehen scheinen, rückwärts, d.h. weltzugekehrt gelesen werden. Wenn man will bestätigt diese Lesart lediglich Heideggers Platon-„Kritik". Daß Piatons Denken sich auf eine deiktische Sprechweise verlegen muß, unter11
W. Wieland, Piaton und die Formen des Wissens. Göttingen 1982.
§ 13 Die Ver-wahrlosung der Fest-Statt zum Verlies
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streicht letztlich nur den Herrschaftsanspruch des Wissens gegenüber dem Seienden. Nur ein Wissen, das sich ständig zu sichern sucht, gerät in die Verlegenheit, selbst das Unsagbare in eine Hermetik von Brüchen zu integrieren. Andererseits läßt sich Piaton von Wieland her als der Denker lesen, der mit seinen Lese-Dramen auf niemals mehr erreichte Weise die Kluft „begehbar" macht, die zwischen dem Denken des Festes und dem Fest des Denkens bestehen muß. Dies am „Symposion" aufzuweisen, wäre der Gegenstand einer gesonderten Ausarbeitung. So scheint Diotima in ihrer von Sokrates im „Symposion" wiedererzählten Lehrrede auf ihrem fünffachen Stufenweg die Welt der αϊσθησις endgültig zu verlassen. Der Übergang von der vierten Stufe, auf der man die festliche Runde des Gesprächs orten kann, in jene unvergleichliche fünfte, von der niemand mehr zu sprechen vermag und in Anbetracht derer alle Sinnen- und Festesfreuden glanzlos erscheinen, scheint den feierlichen Realkontext des bisherigen Dialoges zum bloßen Sprungbrett für eine wahrere Welt zu degradieren. Nicht von ungefähr wurde Sokrates deshalb als jener Welt- und Sinnen Verächter (v)erachtet, der über die Derbheit der Massen, die Freuden des Rausches, die Prüfungen des Krieges und die Verführungen des Alkibiades so weit erhaben ist, daß er ihnen nicht einmal mehr zu widerstreben braucht. Wenn wir dagegen davon ausgehen, daß das Vollzugswissen des Eros nichtpropositional ist, kristallisiert sich aus dem Dialog ein vielseitiges Prisma verschiedener Vergegenständlichungsweisen des Eros als des daimonischen Mittlers zwischen Mensch und Gott heraus. Im Tradierungsgefälle des erinnerten Gastmahls selbst begegnen dem Leser seine eigenen Zugangs- oder besser Vollzugsweisen des Wissens vom Eros. Wie D. E. Anderson 12 aufgezeigt hat, tragen die einzelnen Lobredner bis hin zu Sokrates Masken, die im Verlauf des Dialogs, sowohl anhand der Reden als auch anhand des Realkontextes, entlarvt werden. Während sich jedoch Sokrates der Maskenhaftigkeit jeglichen Wissens bewußt ist und so nicht das Spiel einer statischen per-sona spielen muß, halten die Redner daran fest, jemand zu sein, der etwas weiß. Wie jedoch der Verführungsversuch des Alkibiades und dessen Lobrede auf Sokrates zeigt, widerspricht bei diesem der Strom der dionysischen Maskenentblätterung ebensowenig der apollonischen Identität, wie die Festigkeit der Identität dem Fluß der Wandlung. Als ärmster Mittler des größten Reichtums derart dem Eros gleich, ist Sokrates der einzige unter den Anwesenden, der den Übergang von der apollonischen Hälfte des Dialogs in die dionysische, d.h. vom Denken des Eros zum Fest des Eros durchträgt. Die Aufgabe einer weitreichenderen Untersuchung wäre es so, die Sokratische Forderung am „Symposion" selbst zu erproben, ein und derselbe Autor müsse im Stande sein, Komödien und Tragödien zu dichten. Im „Symposion" als dem Fest des Plato-
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D. E. Anderson, The Masks of Dionysos. A Comentary on Plato's Symposium. New York 1993.
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1. Hauptstück, Kap. 4: Das Fest der platonischen Philosophie
nischen Denkens jedenfalls wird das Tragische allen Wissens ebenso begangen wie das Komische. Doch besteht die tragische Komik des Platonischen Denkens selbst darin, daß sich die Begehungen des Denkens als die Übergänge auf das schatten- und übergangslose εΐδος selbst hin verstehen. Unter diesen Übergängen aber ver-wahr-losen die einstmals gegenwendig in sich spielenden Übergänge der φύσις zum bloß Vergänglichen. Die die Feststatt der φύσις durchgötternden
Götter werden zum Gott der causa sui, die einstige Fest-Statt
der
Welt zum gott-verlassenen Verlies. Was Heidegger in seiner Abhandlung „Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik" vom Gott in der Philosophie sagt, kann leitsatzartig für seine Auslegung der christlichen Metaphysik und des christlichen Fest-Denkens gelten. In der Metaphysik wird der Gott im Sinne der „Ursache" alles Seienden als causa sui gefaßt. Wo aber Gott als das Seiendste des Seienden das Sein in sich enthält und aus sich entläßt, wandelt sich auch der feiernde Bezug zum Göttlichen. „Zu diesem Gott kann der Mensch weder aus Scheu ins Knie fallen, noch kann er vor diesem Gott musizieren und tanzen." (IuD 64) Warum dies? Weil kein endliches An-fangen innerhalb der nun als die natura naturata einer natura naturans erfahrenen φύσις mehr vor die götternden Übergänge der Unsterblichen zu stehen kommt. Das anfängliche Anfangen, das wir als das Sicheinspielen in das Verbergungs-Entbergungs-Geschehen der anfänglich erfahrenen φύσις gedacht hatten, weicht der Verlagerung des Anfangs in eine höchste und erste Ursache. Zu dieser causa sui steht der Mensch in einer zusehends instrumental verstandenen Kluft, welche den menschlichen Wahrheitsbezug zur „Natur" als einen unzulänglichen immer weiter von der höchsten Ursache wegstößt. Die Erde wird zum Jammertal. Die weltlichen Feste gelten als wahrhe its verdüsternd. Das Übergängliche Vergänglichen.
des Festes wird zum bloß
Nach Heidegger heißt dies nicht, daß Piaton und Aristoteles und mit ihnen die platonisch-aristotelisch geprägte Metaphysik des Christentums an diesem Ortswechsel der Wahrheit und der Ver-wahr-losung der Feststatt der ά-λήθεια „schuld" sind. Der Wandel des Denkens, des Feierns und der anderen Bergungsweisen ergibt sich vielmehr „aus einer zuvor gefallenen und nie beim Menschen selbst stehenden Entscheidung über das Wesen der Wahrheit" (WM, 235). Denken und Feiern entsprechen nur auf ihre je unterschiedliche Weise der jeweiligen Wesungsweise der Wahrheit des Seyns, ohne diese freilich als solche eigens zu denken. Wer die Stellen zum Fest innerhalb der christlichen Metaphysik unter Heideggers Gesichtspunkt betrachtet, kann die Unterjochung des feiernden Menschen unschwer aus der Unterjochung der ά-λήθεια unter das είδος herleiten. Aus einer solchen Perspektive erscheint es überaus plausibel, daß das Heilige des Vaterlandes, das Hölderlin zu singen gedenkt und welches den ZeitSpiel-Raum für die festliche Entgegnung von Göttern und Menschen eröffnen soll, „nicht einfach das Göttliche einer gleichfalls vorhandenen ,Religion', hier der christlichen" (GA 52, 132), ist. Es leuchtet ein, daß dieses Heilige sich nicht „theologisch" ausmachen läßt. Schließlich setzt alle „Theologie" nach Heidegger den Θεός, den Gott, schon voraus „und dieses so gewiß, daß immer dort, wo
§ 13 Die Ver-wahrlosung der Fest-Statt zum Verlies
15
die Theologie aufkommt, der Gott schon die Flucht begonnen hat". Die Griechen hingegen waren „in ihrer großen und eigentlichen Geschichtszeit ohne ,Theologie'" (GA 52, 133). Wenn im „Bereich des Wesenhaften der Geschichte, d.h. der Übergänge", jeder „Zugriff ein Mißgriff ist, „weil er das Kommende [das Heilige] in seinem Kommen zerstört und das Mögliche in ein angemaßtes und zufälliges Wirkliches hereinzerrt" (GA 52, 127), dann gehören unter die Mächler solcher Gemächte wohl auch „die Intreganten eines Kirchenregiments, weil sie noch das angeblich Heilige im Dienst ihrer Machtzwecke benutzen" (ebd.). Allein mag dieser Vorwurf auch noch sehr für die Denkweise der christlichen Metaphysik zutreffen, mag diese auch noch so sehr in oben genannter Weise von „der Kirche" instrumentalisiert oder gar mißbraucht worden sein - ich weiß weder, ob sie als Auslegungsweise den Vollzugssinn dieser Schriften und Zeugnisse treffen noch ob sie dem sich in ihnen metaphysisch aussprechenden Erfahrungschatz entsprechen. Vor alledem weiß und glaube ich auch nicht, daß sie dem Leben und der Predigt Jesu gerecht wird. Heidegger hat beidem gegenüber ein überaus ambivalentes Verhältnis. Während er in seinen frühen Vorlesungen noch um ein positives Verständnis des Christentums und seiner denkerischen Tradition ringt (GA 60), heißt der letzte Gott zu Beginn der gleichnamigen Fügung in den „Beiträgen" „Der ganz Andere gegen/ die Gewesenen, zumal gegen/ den christlichen" (GA 65, 403). Entsprechend bleibt der Auslegung kaum etwas anderes übrig, als Heideggers Gottes-Denken und mit ihm sein Denken der festlichen Entgegnung von Göttern und Menschen, entweder, sei es nun positiv oder negativ wertend, in ein umgedachtes Christentum hereinzuholen oder als a-christlich außen vor zu lassen. Beide Möglichkeiten bieten sich gleichermaßen an, denn sowohl Heideggers frühes als auch sein spätes Denken tragen Züge eines Gottesbezugs, der fast schon zu ur-christlich ist, um zu einer „Theologie" instrumentalisiert zu werden. So hüten wir uns vor dem kläglichen Versuch an einer „Theologie" herumzuschreiben, in der „das Wort ,Sein' nicht vorkommen" (GA 15, 437) soll. Abgesehen davon, daß durchaus bezweifelbar bleibt, ob denn das „christliche" Mittelalter, die Renaissance und das Barock so unfromm, tanzesfeindlich, undicht'risch und undenk'risch gewesen sind, wären einige Fragen an die Überlieferung zu stellen, die Heidegger nie verlauten ließ: nicht nur, ob das philosophische Denken überhaupt dem jüdischen, christlichen und muslimischen Gott gerecht zu werden vermag, sondern auch, ob ein ab-gründig verstandener Piaton den „Schöpfüngen" des „Schöpfergottes" nicht die technokratisch-dirigistische Tendenz genommen hätte. Daß Heideggers Denken des Grundes als des unbegründbaren Weil (vgl. SvG, 206 ff.) hierzu Wesentliches beitragen könnte, steht außer Frage. Dessen ungeachtet ist es ein Faktum, daß das Fest mit dem Aufkommen des Christentums sowohl entkosmisiert als auch universalisiert wird. Die Frage bleibt lediglich, ob wir diese Universalisierung und Entkosmisierung von einem metaphysischen Denken her auslegen oder Ernst machen wollen, nicht nur mit
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1. Hauptstück, Kap. 4: Das Fest der platonischen Philosophie
einem Stellungsbezug zu dem fragenden Wort des Paulus, ob Gott das weltliche Wissen nicht habe zur Torheit werden lassen (I Kor. 1, 20; WiM, 20) 13 , sondern auch mit der ontologischen Differenz zwischen Sein und Seiendem und der theologischen Differenz zwischen Seyn und Gott - all dies aber auf dem Weg in eine Gleichzeitigkeit von Denken, Feiern, Ereignis und Gott. Die christliche Festpraxis entwickelt sich im Ausgang und Abstoß von den zahlreichen Festen der jüdischen Religion, indem sie deren heilsgeschichtliche Bedeutung auf Jesus Christus hin interpretiert. Diese Neuinterpretation der jüdischen Feste nimmt ihren Ausgang bei den Evangelien selbst, in welchen Jesus den Sabbat als „Herr über den Sabbat" (Mk. 2, 27 f.) durchbricht. 14 Als neuer Adam tilgt er die Erbsünde des ersten Adam. Aus dem liebenden Bezug zu Gott als dem Vater, erfüllt er das Gesetz der Väter. So schwingt auch das christliche Fest in einer Zwiefalt von Liebe und Gesetz. Von der jeweiligen Auslegung des Überganges in den durch Christus verheißenen Heilsstand der Gottbezogenheit wird es demnach abhängen, worin die liebende Erfüllung des Gesetzes besteht. Seine feierlich-kultische Begehung erfährt diese Bundeserneuerung des Menschen aus Christus mit Gott im Abendmahl. Spätestens in den Paulus-Briefen gestaltet sich der Mensch-Gott-Bezug als die παρουσία (adventus), d.h. als die „endzeitliche Erwartung" Christi bzw. des heiligen Geistes. Bei Piaton nennt dieser Begriff die Teilhabe (μέθεξις) der Einzeldinge an den Ideen.15 In der christlichen Auslegung kennzeichnet sie den Bezug des die feierliche Ankunft des Herrn erwartenden Menschen zu Christus, Geist und Gott. Auf seiner Lehre von der Aufhebung und Erfüllung des Gesetzes durch die Liebe (Rom. 7, 6; 10, 4) fußend, tut Paulus kund, daß Feste, Neumonde und Sabbate durch Christus abgetan sind (Kol. 2, 16 f.). Christus ist Ende und Erfüllung des Gesetzes (Rom. 10, 4; Gal. 4, 3f. 9); das gilt ebenso gegenüber einer Rechtfertigung des Menschen aus dem Kultus wie aus guten Werken. Sein erklärtes Ziel ist die Überwindung der Orientierung auf außerordentliche Zeitabschnitte hin: „Ihr haltet Tage und Monate und Festzeiten und Jahre? Ich fürchte, ich möchte umsonst an euch gearbeitet haben" (Gal. 4, 10).
13 Erasmus von Rotterdam, jener Denker, dessen kühnstes Buch als ein „Lob der Torheit" auftritt, hätte dem christlichen Denken das feierlich-gottergebene Gelächter über sich selbst gewähren können, blieb bislang weitgehend unerhört. 14 Wie R. Mayer herausgearbeitet hat, demonstriert er als Repräsentant des wahren Israel „mit seinem Leben, Leiden und Sterben auch die rechte Festfeier; durch ihn werden die Inhalte der traditionellen Feste wieder einmal überlagert, ein letztes Mal überboten und zugleich in solch alt-neuer Form dem Judentum wieder angeboten" (R. Mayer, Das Fest. In: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Hg. von Lothar Coenen. Bd. I. Wuppertal 1967, S. 321). 15 So heißt es im „Phaidon", „wenn etwas schön ist außer dem Schönen selbst, dann durch nichts anderes als dadurch, daß es teilhat (μέθεχει) an jenem Schönen", d.h. nichts anderes macht ein Ding schön „als die Anwesenheit (παρουσία) jenes Schönen, oder die Gemeinschaft mit ihm" (100 c - d).
§ 13 Die Ver-wahrlosung der Fest-Statt zum Verlies
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Mit der paulinischen Theologie vollzieht sich somit ein grundlegender Wandel gegenüber dem antiken Welt- und Menschenbild, der auch für die philosophische Auseinandersetzung mit dem Fest epochemachend wird. Paulus stellt das philosophische Wissen als ein weltlich-kosmisch-menschliches der göttlichen Weisheit gegenüber. Der Trennung göttlichen und weltlichen Wissens gemäß übernimmt nun nicht das philosophische Denken, sondern die sich in den ersten Jahrhunderten heranbildende christliche Theologie die Aufgabe der Selbstbehauptung des Christentums gegenüber dem Judentum und der vorchristlichen, bzw. „heidnischen" Religiosität. Die Theologie der Kirchenväter versucht zwar die Vereinbarkeit der christlichen Lehre mit der griechischen Philosophie zu beweisen, sich aber zugleich von dieser zu emanzipieren. Dabei entsteht eine christliche, weitgehend vom Neuplatonismus beeinflußte Metaphysik, die die vom Neuen Testament her überlieferte Gegenüberstellung von θεός und κόσμος am Leitfaden des Dualismus von Geist und Materie aus interpretiert. Gregor etwa fordert seine Brüder dazu auf, „das Heilige [...] nicht unheilig, das Erhabene nicht gemein, das Würdige nicht unwürdig und [...] die Feste des Geistes nicht irdisch zu feiern". Er spricht von der Pflicht, „Feste und Festesfreuden zu vergeistigen, da bei uns alles im Geiste geschehen muß: Die Handlungen, die Bewegungen, das Wollen, das Reden, selbst das Gehen und Ankleiden und das Verbeugen; denn der Logos will alles erfassen und den Menschen nach Gott gestalten". Auch nach Clemens sollen wir den Logos nicht wie die „Heiden" „nur an besonders ausgewählten Tagen, sondern ununterbrochen, das Leben hindurch und auf jede Weise" anbeten und verehren. „Wir bringen unser ganzes Leben wie einen Festtag zu." In gleicher Ausrichtung kann Athanasius sagen: „Uns, die wir hier leben, sind unsere Feste ein ungehinderter Zugang zu jenem Leben", Chrystostomos, „wir haben immer Feiertag" oder Hieronoymus, „unser ist ein ewiges Fest". Daß hierbei die kosmische Dimension des Feierns ausgesetzt wird, verdeutlicht Origines: „Jedes wahre Fest des Herrn", betont er, „wird nicht in diesem Äon noch auf der Erde gefeiert". Denn „die Einsetzung einzelner bestimmter Feiertage [ist] nur wegen der ,Ungeweihten' und ,Anfangenden' geschehen, die ,noch' nicht fähig [sind], das ,ewige Fest' zu feiern" 16 .
16
Gregor von Nazianz, Reden. Bd. I. Reden 1 - 20. Übersetzt von Κ. A. Keller. Hg. v. O. Bardenhewer. Kempten und München 1912, S. 157. Clemens von Alexandrien, Teppiche. Wissenschaftliche Darlegungen der wahren Philosophie (Stromateis). Buch VIII. München 1938, S. 41 f.; Athanasius, Festbriefe. Liturgisches Leben 53. Festbriefe. Ausgewählt und eingeleitet von A.L. Winterswyl. Jg. 4 1937, S. 233; Chrystostomos, De sancta Pentecoste. Horn. I. Mingne, Patrolgia Graeca 50, S. 454; Hieronymus, Epistla ad Algasiam 121, cap. 10. Mingne PL 22, S. 1031; Origines, Johannes Kommentar X. 83. Zitiert nach O. Casel, Art und Sinn der ältesten Christlichen Osterfeier. Jahrbuch für Liturgiewissenschaft. Jg. 14. Münster 1938, S. 33 u. Contra Celsum,
8, 22.
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1. Hauptstück, Kap. 4: Das Fest der platonischen Philosophie
Ob sich dieses ewige, omnipräsente Fest in Gott wirklich nachmetaphysisch denken läßt, zeigte sich wohl am deutlichsten, wenn wir den Zeitbegriff Augustins als des neben Origines tiefsten und zukünftigsten christlichen Denkers in Bezug setzten zu dessen Rede vom Fest in seiner Psalmenauslegung.17 Erst durch eine solche Inbezugsetzung beantwortete sich vielleicht die Frage, ob das originäre Christentum die Fest-Statt der Götterung ver-wahr-losen ließ oder nicht vielmehr der Ver-wahr-losung zu entreißen trachtete. Ich wage indessen zu bezweifeln, ob ein philosophischer Diskurs allein (oder überhaupt?) im Stande ist, die existenzielle Bedeutsamkeit dieses Fest-Denkens zu fassen. Wenn Nietzsche Augustinus jenen lärmenden „Unthieren der Moral" 1 8 zurechnet, deren philosophischer „Werth gleich Null" ist, wenn ihm die „Confessiones" „Verpöbelter Piatonismus" sind, „das will sagen, eine Denkweise, welche fur die höchste seelische Aristokratie erfunden wurde, zurecht gemacht für Sklaven-Naturen" 19, so hat diese Perspektive auf die christlich-metaphysische Fest-Kultur etwas ebenso Zwingendes und Plausibles wie die Heideggers. Doch müssen sich unsere beiden Ver- und Überwinder der Metaphysik die Frage gefallen lassen, ob ihre rücksichtslose und ehrliche Abrechnung mit dem zeitgenössischen Fest zum Andenken an ein gewesenes und zur Vorfreude auf ein künftiges ermutigt, d.h. ob ihre Strenge nicht die Besinnungslosigkeit perpetuiert, die das Feiern prägt, und zugleich die heiter-gelassene Gewogenheit zu zerschlagen droht, derer der Mensch doch bedarf. So kommen auch Heidegger und Nietzsche, die Kritiker der christlich-platonisierenden Festlichkeit, nicht über den Leitsatz Augustins hinaus: „Dilige, et quod vis fac!", „Liebe, und tu, was du willst!" 2 0 . Denn was auch immer wir mit den „Worten" „Liebe", „Fest", „Mensch" und „Gott" zu nennen vermeinen, die feierlich begangenen HerzKehren der Liebe zwischen Mensch und Gott, wie Augustinus sie sagt, bleiben auch künftighin eine hohe Zeit abendländischen Fest-„Denkens": Bisweilen hört, erfährt und spürt der Mensch „in dem Klang von Jubel und Preis, in der Musik des Festefeierns" einen süßen Geschmack (dulcedo), „eine innerlich er-fahrene geheime Lust, wie wenn vom Hause Gottes her eine liebliche Melodie ertönte". Diese Melodie erfüllt sein Herz und fuhrt ihn auf den Heimweg in das Haus Gottes: Im Haus Gottes aber wird ein ewiges Fest gefeiert; denn was da gefeiert wird, ist etwas Unvergängliches. Nie aufhörende Festlichkeit - Chöre von Engeln -beglückende Gegenwart Gottes - Freude - , die keine Traurigkeit mehr kennt: ein Festtag ohne Anfang und ohne Ende. Von jenem immerwährenden, ewigen Fest tönt ein wunderbarer Gesang herüber und unschmeichelt das Ohr meines Herzens - wenn es nicht taub geworden ist vom Lärm der Welt. Wer hier in diesem Zelt einhergeht und die 17 18 19 20
Vgl. F.-W. v. Herrmann, Augustinus. F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. KSA, Bd. 3, S. 606. Nietzsche an Overbeck, 31. März 1885. Augustinus, In ep. Joannis 78. MPL 35, 2033.
§ 13 Die Ver-wahrlosung der Fest-Statt zum Verlies
19
Wundertaten betrachtet, die Gott zur Rettung der Gläubigen vollbrachte, der vermag den schmeichelnden Klang der Festesfreude zu hören. 21 Wie ein ahndungsvoller Widerhall nicht nur dieser „ W o r t e " Augustins, sondern auch der Gefilde, aus denen sie heraufklingen, nimmt sich indes aus, was Heidegger „ V o m Geheimnis des Glockenturmes" zu sagen weiß: Die geheimnisvolle Fuge, in der sich die kirchlichen Feste, die Vigiltage, und der Gang der Jahreszeiten und die morgendlichen, mittäglichen und abendlichen Stunden jedes Tages ineinanderfügten, so daß immerfort ein Läuten durch die jungen Herzen, Träume, Gebete und Spiele ging - sie ist es wohl, die mit eines der zauberhaftesten und heilsten und währendsten Geheimnisse des Turmes birgt, um es stets gewandelt und unwiederholbar zu verschenken bis zum letzten Geläut ins Gebirg des Seyns.22
21
Augustinus, En. ps. 41, 9. Zit. nach Augustinus, Über die Psalmen. Ausgewählt und übertragen von U. v. Balthasar. Einsiedeln 1983. 22 M. Heidegger, Zum 80. Geburtstag. Von seiner Heimatstadt Meßkirch. Frankfurt a. M. 1969, S. 10.
Zweites Hauptstück
Das Fest als die Geschichte
Erstes Kapitel
Die andenkende Dichtung als das Ereignis
§ 14 Die Bedeutung Hölderlins für ein seinsgeschichtliches Denken des Festes „Das Heraustreten des Festlichen kann nur geschehen durch Kunst." Friedrich Schleiermacher
Als wir zu Beginn der Einleitung das Thema der Ausarbeitung im Ausgang von ihrem Titel erörterten, wiesen wir bereits auf dessen frei abwandelnde Orientierung an Heideggers formalanzeigender Wendung „Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens" hin. Wenn wir uns nun Heideggers denkendem Zwiegespräch mit Hölderlins Dichtung zuwenden und das aus ihm herrührende Denken des Festes entfalten, ist es erforderlich, auf Heideggers ursprünglichen Leitsatz zurückzukommen. In der in ihm angezeigten Übereignung des genitivus posessivus (denkerische Aneignung des Sprachwesens als dessen, was der Sprache zugrundeliegt und worin sie ihren beständigen Besitzstand hat) in einen in sich kehrigen und einigen genitivus subjektivus und objectivus (Erfahrung des Denkens als ereignet aus dem Wesungsgeschehen der von ihm gedachten Sprache) schwingt als in einer Angel auch die erfragte Gleichzeitigkeit von gedachtem Festwesen und Wesungsgeschehen des Festes selbst. Das Wesen der Sprache als das sichereignende Wesungsgeschen der Sage steht in einem nicht ursprünglicher zu denkenden Wesensbezug zum seinsgeschichtlich gedachten Fest. Indes hatten wir beide Leitsätze, sowohl „Das Wesen der Sprache: Die Sprache des Wesens" als auch „Das Denken des Festes: Das Fest des Den-
kensinsofern
1
als formalanzeigend gekennzeichnet, als sie das offen waltende
Zit. n. J. Pieper, Zustimmung zur Welt. München 1963, S. 82.
]
7
2
.
Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
Wesensgeschehen ihres zweiten Teiles lediglich anzeigen. Im Zeigen dieser Anzeige spricht sich die Einsicht in den Entzug des Sprachwesens und die Bereitschaft fur einen Wegantritt in ein gewandeltes Wesensverständnis der Sprache aus. Weder west die Sprache in ihrem vollen geschichtlich gegründeten Wesen noch hat das Denken bereits Festcharakter erwiesen. Letzteres, die sich dem Denken in ihrem Geschehenscharakter enthüllende Festlichkeit des Festes, begegnet dem Denken erst auf seiner Suche nach dem Wesen der Sprache. Wie sich zeigen wird, ist es allein das denkerische Zwiegespräch mit der Dichtung Hölderlins, das Heidegger nach eigenem Bekunden dazu nötigt, das Festphänomen zu thematisieren (GA 52, 59). Weil nur Hölderlins dichterisches Nennen des Festes in der gegenwärtigen Epoche der festlosen Zeit dem Denken noch Wink und Weisung zu geben vermag in ein festlicheres Feiern und ein dieser Festlichkeit entsprechendes Denken, ist es erforderlich, Hölderlins Bedeutung fur das seins-geschichtliche Denken auf unser Thema hin in den Blick zu nehmen.2 Wir hatten bereits ausgeführt (§ 3), daß die Aufnahme des denkenden Gespräches mit der Dichtung aus hermeneutisch-phänomenologischen Beweggründen erfolgt. Macht das Denken sich auf den Weg, nach der Sprache zu fragen, so begegnen ihm drei bzw. vier Weisen, mit deren Wesen eine Erfahrung zu machen, d.h. sich das Wesensgeschehen der Sprache widerfahren zu lassen. Die erste Möglichkeit einer Erfahrung mit der Sprache kann inmitten des alltäglichen Sprechens aufbrechen, „wo wir für etwas, was uns angeht, uns an sich reißt, bedrängt oder befeuert, das rechte Wort nicht finden" (GA 12, 151). Doch bleiben jene Augenblicke, „in denen uns die Sprache selber mit ihrem Wesen fernher und flüchtig gestreift hat" (ebd.) im Ungesprochenen.3 Im Besprechen von Tatbeständen, Begebenheiten, Fragen und Anliegen kommt die Sprache nicht selbst zu Wort. Dagegen gilt es in den beiden anderen Erfahrungsweisen des Sprachwesens, der dichterischen und der denkerischen, „etwas zur Sprache 2 Heideggers denkendes Gespräch mit Hölderlins Dichtung wurde seit B. Allemanns grundlegendem Buch (Hölderlin und Heidegger. 2. Aufl. Zürich/Freiburg 1956) bereits Thema vieler Schriften. Auch aus der neueren Gegenwart liegen zur allgemeinen Bedeutung Hölderlins für das seinsgeschichtliche Denken eine Reihe grundlegender Arbeiten vor, die die „Beiträge" bereits mehr oder weniger berücksichtigen. S. Ziegler gewährt einen ausführlichen Überblick über die Vorlesungen von 1934/35 bis 1944 (dies., Heidegger, Hölderlin und die 'Αλήθεια. Martin Heideggers Geschichtsdenken in seinen Vorlesungen 1934/35 bis 1944. Berlin 1991); S. Bohlen arbeitet heraus, inwiefern sich Heideggers Denken des menschlichen Naturbezuges aus der Begegnung mit Hölderlins Dichtung des Heiligen wandelt (dies., Die Übermacht des Seyns. Heideggers Auslegung des Bezuges von Mensch und Natur und Hölderlins Dichtung des Heiligen. Berlin 1993); vgl. I. Buchheim (dies., Wegbereitung in die Kunstlosigkeit. Zu Heideggers Auseinandersetzung mit Hölderlin. Würzburg 1994). 3 Die Flüchtigkeit dieses Gestreiftwerdens vom Sprachwesen besteht in seiner Augenblickshaftigkeit, die Ferne im sofortigen Wieder-an-sich-halten und im Nichtbedacht-werden derselben (vgl. F.- W. v. Herrmann, Wege ins Ereignis, S. 231).
§ 14 Die Bedeutung Hölderlins für ein seinsgeschichtliches Denken
173
zu bringen, was bislang noch nie gesprochen wurde" (ebd.). Durch das Her-vorbringen eines Sprachkunstwerkes vermag die Dichtung auf ihre je eigene und vor dem außerwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Sprechen ausgezeichnete Weise das Wesen der Sprache zu Wort kommen zu lassen. Zuweilen setzt sie diese Erfahrung auch als solche, d.h. ausdrücklich ins Werk. Unter jenen Dichtern, die ihr eigenes Verhältnis zur Sprache und das erfahrene Wesen der Sprache ausdrücklich dichten, hebt Heidegger insbesondere Friedrich Hölderlin, den „Dichter des Dichters" hervor, der „das Wesen der Dichtung eigens dichtet" (GA 4, 31 f.). 4 In für Heidegger tiefgreifenderer Weise als George, Trakl oder Rilke ist es vor allem Hölderlin, der das Denken auf den Weg zu einer Erfahrung mit dem Wesen der Sprache zu bringen vermag. Weil das Denken die Sprache in seiner zweieinhalbtausendjährigen Geschichte vom Menschen als dem vernünftigen Lebewesen und nicht von der Sprache her gedacht und somit in ihrem geschichtlich-geschichtsstiftenden Geschehenscharakter verfehlt und verstellt hat, ist es allein die seltene geschichtsstiftende Dichtung, die dem Denken das Verstellte vor Augen zu führen und ihm Winke in seine künftige und gewesene Geschichtlichkeit zu geben vermag.Zwar ist die eigentliche Zwiesprache mit dem Gedicht eines Dichters allein die dichtende, „das dichterische Gespräch zwischen Dichtern" (GA 12, 34), doch er-möglicht und ernötigt das je eigene und ausgezeichnete Verhältnis sowohl des Dichtens als auch des Denkens zum Wesen der Sprache zuzeiten die Zwiesprache beider. „Das Gespräch des Denkens mit dem Dichten geht darauf, das Wesen der Sprache hervorzurufen, damit die Sterblichen wieder lernen, in der Sprache zu wohnen" (ebd.). In diesem dichterischen Her-vor-rufen des Sprachwesens, das ein gewandeltes Wohnen des Menschen stiften kann, besteht die geschichtlichhermeneutische Würde des denkenden Gespräches mit der Dichtung Hölderlins. In seinem Römischen Vortrag von 1936, „Hölderlin und das Wesen der Dichtung", kennzeichnet Heidegger diese Geschichtlichkeit wie folgt: Hölderlin dichtet das Wesen der Dichtung - aber nicht im Sinne eines zeitlos gültigen Begriffes. Dieses Wesen der Dichtung gehört in eine bestimmte Zeit. Aber nicht so, daß es sich dieser als einer schon bestehenden nur gemäß machte. Sondern indem Hölderlin das Wesen der Dichtung neu stiftet, bestimmt er erst eine neue Zeit. (GA 4, 47)
Erinnern wir uns an das, was wir bereits beim Aufweis des Gesprächscharakters unserer Ausarbeitung (§ 2) aufgezeigt hatten: Dichtung, im weitesten
4
Vgl. F.- W. v. Herrmann, Wege ins Ereignis, S. 232. R. Zuberbühler widmet sich Hölderlins Dichten des Dichters am Ende seines Hölderlin-Buches. „Der Dichter ist ,Echo des Himmels', ist Mittler zwischen Göttern und Menschen, Stifter des Gemeingeistes, Deuter der Natur, der Geschichte, der Überlieferung. In der Schlußsentenz von Andenken bestimmt Hölderlin den Dichter als denjenigen, der im dichterischen Wort stiftet, was die Zeit zu überdauern vermag" (R. Zuberbühler, Hölderlins Erneuerung der Sprache, S. 106 ff.).
i 74
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
Sinne als ποίησις5, als Entbergung des Seienden auf das Sein hin, verstanden, ist „das Grundgeftige des menschlichen Daseins" (GA 39, 76). Der Mensch wohnt dichterisch. Das dichterische Gespräch ist das „Grundgeschehnis des geschichtlichen Daseins" (ebd.). Doch ist nur die Dichtung im engeren Sinne, und auch hier vielleicht nur die Dichtung Hölderlins „als ursprüngliches Gespräch der Ursprung der Sprache" (ebd.). Nur die seltene ursprüngliche Dichtung vermag in ausgezeichneter Weise Geschichte zu stiften. Wie Heidegger in der „Andenken"-Vorlesung ausfuhrt, ist das naturwissenschaftlich vergegenständlichte Seiende „nicht weniger, [sondern] nur unbeholfener und undichterischer, gedichtet" (GA 52, 40) als das im engeren Sinne gedichtete. Auch rechnend und planend wohnt der Mensch „,dichterisch 4 auf dieser Erde ...aber im Gegenwesen der Dichtung und deshalb unbedürftig und darum auch unzugänglich für deren Wesen" (ebd.). In seinem Technik-Vortrag aus dem Jahre 1953 wird Heidegger darauf hinweisen, daß die beiden auch das Denken und Feiern bestimmenden Weisen des Entbergens, das herausfordernde Entbergen der Technik, d.h. des Ge-stells, und das hervorbringende Entbergen der ποίησις, nicht wie Arten zu verstehen sind, „die nebeneinandergeordnet unter den Begriff des Entbergens fallen" (VuA, 34). Sie gehören vielmehr in jenes Geschick, „das sich je und jäh und allem Denken unerklärbar in das hervorbringende und herausfordernde Entbergen verteilt und sich dem Menschen zuteilt" (ebd.). Weil jedoch das herausfordernde Entbergen seine weder gattungs- oder wesensmäßige noch historisch-kausale, sondern geschickliche Herkunft aus dem hervorbringenden Entbergen hat, vermag die ursprüngliche, dem Anspruch dieses Geschickes entsprechende Dichtung die in der Technik herrschende Verstellung und den in ihr waltenden Entzug ins Werk zu setzen und ins stiftende Gespräch mit anderen Weisen des Entbergens zu treten. Hölderlins Neustiftung der Dichtung im engeren Sinne ermöglicht so die Stiftung anderer Weisen der ποίησις und bestimmt eine neue Zeit. Diese Zeit, so fährt Heidegger in seinem Römischen Vortrag fort, „ist die Zeit der entflohenen Götter und des kommenden Gottes. Das ist die dürftige Zeit, weil sie in einem gedoppelten Mangel und Nicht steht: im Nichtmehr der entflohenen Götter und im Nochnicht des Kommenden" (GA 4, 47). Hölderlins Dichtung versetzt das Denken also dorthin,
wo es bereits ist, wohin es sich aber noch nicht gefunden
hat. Diese von Hölderlin erstmals dichterisch gesagte Zeit ist die geschichtliche Epoche der Flucht der Götter, der Götternacht, in der sich der Zuspruch der Sprache versagt, da heilige Namen fehlen und der Mensch sich nicht ins Schickliche seines Schicksals fügt. Aus der dichterisch gesagten Widerfahrnis des Nichtmehr der gewesenen Götter und dem Nochnicht des kommenden Got5 Dieser Bezug zum Griechischen wird auch durch Adelungs Etymologie des Begriffs „Dichter" gestützt: „Dieses Wort ist ohne Zweifel nach dem Muster des griechischen ττοίητας gebildet, welches von ποιεΐν, machen, hervorbringen, erfinden abstammet." (Adelung I Sp. 1478)
§ 14 Die Bedeutung Hölderlins für ein seinsgeschichtliches Denken
17
tes, vermag indessen das Denken an der Übergangsbereitung zur Wiederkunft des Göttlichen mitzuwirken. W i r fassen zusammen: Hölderlin dichtet den Dichter und als der Dichter, welcher das geschichtliche Sprachwesen stiftet und so den Wesensbereich auch für ein gewandeltes Feiern und Festdenken eröffnet. Doch sowenig das philo-
sophische Denken die Not der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit erfahren hat, sowenig werden die gängigen Interpretationen der Hölderlinschen Dichtung seiner ausgezeichneten Bedeutung gerecht. Bereits in der Vorbemerkung zu seiner ersten Hölderlin-Vorlesung von 1934/35 bemerkt Heidegger: Man nimmt Hölderlin ,historisch' und verkennt jenes einzig Wesentliche, daß sein noch zeit-raum-loses Werk unser historisches Getue schon überwunden und den Anfang einer anderen Geschichte gegründet hat, jener Geschichte, die anhebt mit dem Kampf um die Entscheidung über Ankunft oder Flucht des Gottes. (GA 39, 1)
Das hier genannte Sichabstoßen von historischen Hölderlin-Auslegungen, die Rede von der wortraumbereitenden Hörbarmachung seines noch zeit-raumlosen Werkes, von der Gründung des Anfangs einer anderen Geschichte und dem mit ihr anhebenden Kampf um die Entscheidung über die Ankunft und Flucht der Götter, verweisen auf die „Beiträge zur Philosophie", in deren Ausarbeitung Heidegger zur Zeit der genannten Vorlesung begriffen ist. Die „Beiträge" zeugen nicht nur von Hölderlins Bedeutung für das seinsgeschichtliche Denken, sondern geben auch den Leitfaden für eine weitreichendere Entfaltung der Heideggerschen Hölderlin-Auslegung ab.6 Wo das vorstellende Denken sich noch auf einem Notweg bewegt, ist dem andenkenden Dichten ein besonderes Glücken aufbehalten: „Zeichen und Bilder dürfen ihm das Innerste sein, und die unübersehbare Gestalt des ,Gedichtes' vermag je sein Wesentliches in sich hineinzustellen" (GA 65, 60). Freilich darf der hier genannte Zeichen- und Bildcharakter der Dichtung nicht mit der dichterischen Einbildungskraft gleichgesetzt werden, durch die die metaphysische Auslegung und das metaphysische Selbstverständnis der Dichtung seit Kant geprägt sind. Gegenüber dem denkerischen Dasein verhüllt das dichterische die Wahrheit des Seyns zwar leichter „in das Bild und schenkt sie so dem Blick zur Bewahrung" (GA 65, 19), doch steht dieses bewahrende Blicken in einem entscheidenden Gegensatz zur dichterischproduktiven- bzw. -rezeptiven Einbildungskraft. Insofern es selbst unter den Dichtern die Ausnahme ist, insofern deren seltenes Wort wiederum darauf war-
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Aus einer konstruktiven In-Bezug-Setzung der Hölderlin-Vorlesungen und -Vorträge zu den „Beiträgen" wird zweierlei klar: zum einen, daß Heideggers Auseinandersetzung mit Hölderlin solange kryptisch bleiben und bisweilen umgangssprachlich ausgelegt werden mußte, bis 1989 mit den „Beiträgen" der eigentliche denkerische Leitfaden zur Entfaltung des in den Hölderlin-Vorlesungen, -Vorträgen und -Aufsätzen Gesagten erschien; zum anderen, daß dieser Leitfaden, die „Beiträge" selbst, von Heideggers Auseinandersetzung mit Hölderlin her durchsichtiger gemacht und zu „konkreten" Einzelanalysen entfaltet zu werden vermögen.
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2
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Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
tet, gehört und wiedergesagt zu werden, muß das bewahrende Erblicken des dichterischen „Bildes" erst noch gelernt werden. Nach Heidegger kann es durchaus sein, „daß auf einem ,Dichtertreffen' dreihundert zum Teil gute, zum Teil weniger erhebliche Schriftsteller sich zusammenfinden und daß kein einziger Dichter unter ihnen ist" (GA 52, 7). Weil aber Hölderlin unter jenen wenigen und seltenen geschichtsstiftenden Dichtern herausragt, gipfelt die geschichtliche Bestimmung der Philosophie in der Notwendigkeit, „Hölderlins Wort das Gehör zu verschaffen" (GA 65, 422). In der gegenwärtigen geschichtlichen Epoche ist Philosophie gar zuerst Vorbereitung der Philosophie in der Weise der Erbauung der nächsten Vorhöfe, in deren Raumgefuge Hölderlins Wort hörbar wird, durch das Da-sein beantwortet und in solcher Antwort zur Sprache des künftigen Menschen gegründet. So erst betritt der Mensch den nächsten langsamen Steg zum Seyn. Die seynsgeschichtliche Einzigkeit Hölderlins muß zuvor gegründet werden. (GA 65, S. 421 f.)
Um den nächsten, in Anlehnung an Hölderlins Hymne „Andenken" langsam genannten Steg zum Seyn betreten zu können, muß also zuvor die seynsgeschichtliche Einzigkeit Hölderlins gegründet werden. Dazu ist dreierlei erforderlich: 1. Die Erbauung der nächsten Vorhöfe, in deren Raumgefuge das noch zeit-raum-lose Wort Hölderlins hörbar wird; 2. Die Beantwortung des derart erhörten Wortes und 3. Die in solcher Antwort erfolgende Gründung dieses Wortes zur Sprache des künftigen Menschen.Die Rede vom Zeit-Raum ist hier ebensowenig metaphorisch zu verstehen wie vormals die Rede von der „Universalität" des Gespräches (vgl. § 2). Metaphorisch freilich spricht Descartes, wenn er die gesamte Philosophie als „einem Baume vergleichbar" kennzeichnet, „dessen Wurzel die Metaphysik, dessen Stamm die Physik und dessen Zweige alle übrigen Wissenschaften sind" 7 . Metaphorisch spricht auch Kant, wenn er in der Einleitung zur „Kritik der reinen Vernunft" von der Logik sagt, daß sie „als Propädeutik gleichsam nur den Vorhof der Wissenschaften" 8 ausmache. Weder ist es Descartes' Ansinnen, einen festverwurzelten, geradwüchsigen Baum zu pflanzen, noch gedenkt Kant, den Wissenschaften ein zeitlich und räumlich konkretes Propädeutikum zu errichten. Pflanzung und Erbauung stehen hier für etwas anderes, für die sichere Entfaltung bzw. Vorbereitung eines Systems der Vernunft. Dagegen bezieht sich Heideggers Rede von der Vorhoferbauung der Philosophie
für
das noch zeit-raum-lose
Hölderlinsche
Wort ganz unmetapho-
risch auf die seinsgeschichtlich zu denkende ursprüngliche Zeit und den seinsgeschichtlich ursprünglich gedachten Raum. Wie Sprache, Wahrheit und Gespräch nichts Überzeitliches sind, sondern ursprünglichste Vollzugsweisen des Zeitlichen selbst, so ist dieser Raum und diese Zeit keine reine Anschauungsform für das Nebeneinander und Nacheinander der Erfahrung, sondern selbst
7 8
R. Descartes, Die Prinzipien der Philosophie. Hamburg 1992, S. XLII. 1. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β IX.
§ 14 Die Bedeutung Hölderlins für ein seinsgeschichtliches Denken
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geschichtlich. In ihrer Geschichtlichkeit offenbar werden sie jedoch erst in der und als die Vorhoferbauung
des Hölderlinschen
Wortes.
Allein im Hinblick auf diese hermeneutische Option erklärt sich die Bedeutung, die Heidegger Hölderlins dichterischem Dasein und Werk auch in den „Beiträgen" zuspricht. „Daß Hölderlin den künftigen Dichter gedichtet, daß er selbst als der erste ,ist', der Nähe und Ferne der gewesenen und künftigen Götter zu Entscheidung gestellt" (GA 65, 463), gibt dem Denken insofern einen Wink in den Wesensbereich eines künftigen Denkens, als Hölderlin von jener Entscheidung dichterisch sagt, der das Denken erst noch gewahr werden muß. In Hölderlins Dichtung als dem ersten (im Da-sein gegründeten und ins seiende Sprachkunstwerk geborgenen) Daß der Seynsgeschichte im Übergang von der Metaphysik in das Er-denken des Seyns, „ist der Sprung in das Seyn und seine Wahrheit gefordert, die Erfahrung, daß unter dem Namen Hölderlin jenes einzige Zur-Entscheidung-Stellen sich ereignet, ereignet, nicht etwa ereignete" (GA 65, 464). Entsprechend stützt sich Heideggers seinsgeschichtliches Fragen nach der Wahrheit des Seyns auf die Vermutung, „der Stoß des Seyns möchte schon eine erste Erschütterung in unsere Geschichte hereingeworfen haben" und zwar „auf ein Einziges: daß Hölderlin jener Sagende werden mußte, der er ist" (GA 65, 485). Wenn überhaupt, so erahnen wir die durch das Seyn ernötigte, d.h. die der Not als Not entsprechende Größe des denkerischen Daseins „aus dem dichterischen Dasein Hölderlins und aus der schauerlichen Wanderung Nietzsches" (GA 65, 432). Auch in seiner 1937/38 gehaltenen Vorlesung „Grundfragen der Philosophie" fordert Heidegger dazu auf, Hölderlin nicht als einen Verfasser von Gedichten, Dramen und Romanen neben anderen Verfassern wie Klopstock, Herder, Goethe, Schiller und Kleist unterzubringen, sondern „ihn zu der Entscheidung werden [zu] lassen, die er ist [...], die Entscheidung über die endgültige Flucht oder neue Ankunft der Götter, welche Entscheidung, wie jede, die Vorentscheidung über unsere Bereitschaft oder Unbereitschaft zu solcher Entscheidung in sich schließt" (GA 45, 127). Auch hier nennt Heidegger im Zusammenhang mit der Übergangsbereitung vom Ende des ersten Anfangs in den anderen Anfang Friedrich Nietzsche. Doch ist Hölderlin, „obwohl der uns historisch gerechnet Fernere, doch der Zukünftigere, d.h. über Nietzsche Hinwegreichende [...], weil Hölderlin, der Dichter, weiter vorausgeworfen ist als Nietzsche, der Denker" (GA 45, 135). ,,[I]n ganz verschiedener Art und in jeweils eigenen Räumen" (GA 45, 216) er-litten und schufen neben Hölderlin und Nietzsche auch Schiller, Kierkegaard und van Gogh die Besinnung auf das Ende der abendländischen Geschichte und wurden „frühzeitig der Wachheit des Daseins entrissen" (ebd.). Was die psychologische Forschung also zum „Fall Nietzsche" (ebd.) und zum „Fall Hölderlin" (GA 52, 43) verrechnet, stellt sich aus seinsgeschichtlicher Blickbahn als die verschiedenartige Ver-rückung in jeweils eigne Räume dar. Dennoch gilt Hölderlin den Zukünftigen als „ihr weitherkommender und daher zukünftigster Dichter. Er ist der Zukünftigste, weil er am weitesten 12 Knödler
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2
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Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
herkommt und in dieser Weite das Größte durchmißt und verwandelt" (GA 65, 401). Indem Hölderlins dichterisches Andenken am weitesten zurückgreift in den ersten Anfang, greift es zugleich am weitesten in ein Zukünftiges voraus. In der „Andenken"-Vorlesung hebt Heidegger die Ver-rückung Hölderlins von der psychologisch-biographischen Erklärungsweise ab: „Der Dichter war allerdings verrückt im Sinne einer Ver-rückung seines Wesens, das aus der Nacht seiner Zeit herausgerückt worden war. Diese wesenhafte Verrückung hatte dann eine ,Verrücktheit 4 zur Folge, die freilich auch noch eigener Art war" (GA 52, 43). Hölderlin ist verrückt „im Sinne einer Verrückung, durch die der Dichter jetzt [zur Zeit der Hymnendichtung] in einen anderen Zeit-Raum einrückt. Dieses Einrücken in einen anderen Wesensort ist zugleich das Verlassen des vormaligen44 (GA 52, 47 f.). Während Heidegger jedoch für sich und uns daran zweifelt, ob wir als Ungerufene „eher [d.h. im größeren „Maße44 und „vor" Hölderlin] das Vermögen haben, in dem Bereich auszuharren, aus dem sogar der Dichter selbst hinweggenommen wurde in den Schutz der Umnachtung44 (GA 52, 8), wurde Norbert von Hellingrath „durch sein Werk endgültig in den Bereich Hölderlins übernommen44 (GA 52, 45). 9 Fast scheint es so, als messe Heidegger Hölderlins „Da-sein" und „Werk 44 eine quasireligiöse Bedeutung zu. Wie in ein Elysium, so scheint Hölderlin in den Bereich seiner Dichtung entrückt, während das Denken als in einem Gottesdienst den Zeit-Raum der Gemeinschaft der Herausgerufenen, die συναγωγή zu bereiten hat. Dieser Eindruck wird noch dadurch bestärkt und geradezu provoziert, daß Heidegger das voraussagende Wort der andenkenden Dichter in entschiedener Abhebung von der jüdisch-christlichen Bedeutung dieses Namens prophetisch nennt. „Das dichterisch zum voraus gesagte Heilige44, so Heidegger in seinem „Andenken"-Vortrag, „öffnet nur den Zeit-Raum eines Erscheinens der Götter und weist in die Ortschaft des Wohnens des geschichtlichen Menschen auf dieser Erde" (GA, 4 114, vgl. GA 52, 126). So sehen wir uns vor eine Reihe überaus provokanter und verführerischer Thesen gestellt, deren Auseinandersetzung wir im Interesse unseres Themas nicht umgehen wollen. 10 Dennoch kommen wir nicht umhin, uns Heideggers aus 9
Die Rede vom Hinweggenommenwerden Hölderlins und vom Übernommenwerden v. Hellingraths erinnert an das ήραν τον κύριον έκ του μνημείου (Joh. 20, 2), durch welches Maria Magdalena am Auferstehungmorgen vor den Jüngern das Weggenommenworden-Sein des Herrn aus dem Grabe beklagt. 10 Vielleicht sollten wir nicht so überheblich sein, rhetorisch spottend Heideggers Fragegestus zu übernehmen und nur scheinbar zu fragen, ob hier nicht der würdigste und unverrückbarste Gegenstand der Philosophie, die Wahrheit, zu etwas sichwandelndem erklärt wird; ob es nicht ein allzu abgründigs Unterfangen ist, ihren „konkretesten", „verbindlichsten" und „selbstverständlichsten" Grund-Satz, das Ursache-WirkungsGeflecht der Historie, als ein in sich wandelbares Geschick zu denken, das dem Denken verborgen und bislang nur der Dichtung zugänglich ist. Wen muß es nicht vorerst befremden, wenn die Philosophie ihre grundlegendsten Kategorien, Zeit und Raum, vom
§ 14 Die Bedeutung Hölderlins für ein seinsgeschichtliches Denken
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dem Zwiegespräch mit Hölderlins Dichtung erfolgender Wesensbestimmung des Festes zu stellen. Die Frage nach dem Bereich, dem Zeit-Raum des Hölderlinschen Wortes, ist innig mit dem Denken des Festes und dem Fest des Denkens verflochten. Das Fest nämlich ist der Grund und das Wesen eben jener Geschichte, die Hölderlin dichterisch nennt, und als deren Vortage Heidegger die Feiertage kennzeichnet. „Sobald wir daher einmal beginnen, diesem Wesen des Festes und der Feiertage nachzudenken, stehen wir in dem entscheidenden Bereich der Dichtung Hölderlins." (GA 52, 68) So finden wir uns in einem hermeneutischen Zirkel wieder, der seinen Ursprung in der Gleichursprünglich-keit von andenkendem Denken, Dichten und Feiern hat: Ohne das Zwiegespräch mit Hölderlins Dichtung kommt das Denken nicht zum seinsgeschichtlichen Festwesen: ohne die Frage nach dem dichterisch gesagten Wesen des Festes verschließt sich ihm der Zeit-Raum der Hölderlinschen Dichtung.Bislang haben
wir die Hölderlin von Heidegger zugemessene Bedeutung allein formal herausgearbeitet: Das seinsgeschichtliche Denken kommt ins Gespräch mit Hölderlins Dichtung, weil sich ihm in dessen Wort der Entzug der Wahrheit überhaupt, der Wahrheit des Seyns, des Menschen, der Sprache, der Geschichte und nicht zuletzt des Festes (als des Ereignisses der Entgegnung von Göttern und Menschen) offenbart und sich im Anklingen dieses Entzuges ein gewandeltes, noch zu stiftendes Wesen der Wahrheit ankündigt. Die Anforderung, die das Denken dabei an Hölderlins Dichtung stellt, bleibt jedoch solange im Formalen und behält solange den Anschein einer „Überforderung" 11 , als wir darauf warten lassen, uns selbst bauend auf der Baustätte dieser Vorhöfe in die Lehre zu begeben. Was Heidegger von der Auslegung der Hölderlinschen Dichtung sagt, bleibt nur dann vom „schlechten Zirkel" der in sich kreisenden Wiederholung vermeintlicher Strukturalismen verschont, wenn wir uns auf den langsamzögernden Steg des phänomenologischen Mitvollzuges begeben oder besser gesagt, den bisherigen Wesensort zu verlassen und in den Zeit-Raum des Hölderlinschen Wortes einzurücken versuchen. Um nicht nur an Heideggers seinsgeschichtlicher Phänomenologie außen herumzuklettern wie an einem „Gestäbe von Buchstaben", um nicht selbst der „widerlichen Art" anheim zu fallen, statt „,Stellen' aus Dichtungen" (GA 52, 60) nun Stellen aus Heideggers Texten herbei-zuzerren und mit ihnen zu „,operieren'" (GA 52, 61), wollen wir auf dem Weg des Nachvollziehbaren bleiben. Gleichzeitig bleiben wir unserer eigenen Lernbedürftigkeit im Denken des Festes eingedenk und lassen uns von Heidegger einen Weg weisen. Hat das Ereignis-Denken seinsgeschichtliche Relevanz,
kryptischen Wort eines „wahnsinnigen" Dichters abhängig macht, dessen Psychose zur Ver-rückung in eine hypostatische Wesenssphäre verklärt scheint? 11 Vgl. A. Gethmann-Siefert, Heidegger und Hölderlin. Die Überforderung des „Dichters in dürftiger Zeit". In: Heidegger und die praktische Philosophie. Hg. v. A. Gethmann-Siefert/O. Pöggeler. Frankfurt a. M. 1988, S. 191 - 227.
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
so muß von ihm gelten, was Heidegger in Anbetracht des denkenden Gesprächs mit Hölderlins Dichung sagt: Geschichte öffnet sich nur der Geschichte. Nur der selbst geschichtestiftende Dichter läßt erkennen, was Dichtung ist und vielleicht sein muß. Nur der geschichtegründende Denker bringt gewesene Denker zum Sprechen. Nur Bauleute im Bauwerk der Geschichte zeigen die Gänge. (GA 52, 3 f.)
Wenn wir anerkennen, daß das Denken ein Handwerk ist, das es noch zu lernen gilt, bewahrheitet sich vielleicht auch der im „Ursprung des Kunstwerkes" ange-sprochene Festcharakter der Hermeneutik (HW, 2). Indes besteht das Handwerkliche dieses Denkens darin, sich gerade der Handgriffe zu enthalten, die dem traditionellen Denken soviel Sicherheit und Systematik und dem Denken eines Nietzsche jene Festlichkeit, Muße und geschichtliche Aktualität zu verleihen scheinen, von der Derrida so würdigend spricht (vgl. § 1.). Weil dem Hören auf die Hölderlinsche Dichtung noch nicht der Wortraum bereitet ist, betritt das seingeschichtliche Denken einen langsamen, einen zögernden Steg zum Seyn. Das langsam-zögernde Vorgehen ist es denn auch, das dem seingeschichtlichen Denken jeden festlichen Schwung zu nehmen scheint. Bevor nämlich Hölderlins geschichtliche Einzigkeit gegründet zu werden vermag, muß „alles ,literar'- und dichtungshistorische Vergleichen, alles ,aesthetische' Urteilen und Genießen, alles politische' Auswerten [...] überwunden sein, damit die Augenblicke der Schaffenden' ihre ,Zeit' erhalten" (GA 65, 422). Zuweilen ist es sogar notwendig, von einem wesentlichen Phänomen zu schweigen. Sowohl das Ablassen von geläufigen Auslegungsweisen als auch die Offenheit für ein mögliches Schweigenmüssen trifft in besonderem Maße auf das denkerische Sagen des dichterisch
genannten Festes zu. Z u Beginn des Zweiten
Hauptstückes der „Andenken"-Vorlesung führt Heidegger ganz deutlich aus, weshalb er in seiner Rede „Wie wenn am Feiertage..." nicht auf die „Feiertage" und das „Fest" zu sprechen kam: Hölderlins erste Hymne beginnt: „Wie wenn am Feiertage..." Aber wir müssen erst für lange hinaus und oft bei der Auslegung dieser und der anderen Hymnen das Zugängliche zu erlangen suchen, um dann erst recht über „Feiertag" und „Fest" - zu schweigen. So kann es notwendig sein, zur Hymne „Wie wenn am Feiertage..." Anmerkungen zu geben und zugleich über das entscheidende Wort im ersten Vers zu schweigen. (GA 52, 59 f.)
In der Tat beschränkt sich Heideggers Auslegung des Eingangsverses der Hymne „Wie wenn am Feiertage..." auf die zusammenfassende Bemerkung: „Die erste Strophe versetzt in den Aufenthalt eines Landmannes draußen in der Flur am Morgen des Feiertages. Da ruht die Arbeit. Und näher ist der Gott dem Menschen" (GA 4, 51). Obschon der Hinweis auf das Ruhen der Arbeit und die in ihm aufbrechende Menschennähe des Gottes bereits auf die spätere Wesensbestimmung des Festes als eines Braut-festes von Menschen und Göttern hindeutet, bleibt sie unausgeführt. Über das ent-scheidende Wort im ersten Vers hüllt Heidegger sich in Schweigen. Obwohl er im Vortrag „Wie wenn am Feiertage..." den Phänomenbereich eröffnet, von dem aus er in der „Andenken"-
§ 15 Die herkömmliche Auslegung der Hymne „Andenken"
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Vorlesung das Fest thematisiert, verschweigt er „Feiertag" und „Fest". Im „Andenken"-Vortrag hingegen geht er (fast lapidar) auf den Eröffnungsvers der Feiertags-Hymne ein: So wird mit „Feiertag" „das Brautfest in der Weise des Verschweigens und so in der höchsten Scheu genannt" (GA 4, 107). Das dichterische Wort „Brautfest" nennt nun „den Geburtstag des Dichters, d.h. das Tagen, in dessen Licht das Offene sich lichtet, so daß der Dichter das kommen sieht, was sein Wort sagen muß: das Heilige" (GA 4, 103). Mehr noch als diese plötzliche Redseligkeit mag vorerst befremden, daß Heidegger das Fest bei der Auslegung der „Rhein"-Hymne, welcher das Wort vom Brautfest von Göttern und Menschen als Ausgleich des Schicksals schließlich entstammt, ebenso übergeht wie bei der Auslegung der „Feiertags"-Hymne. Stattdessen scheint er mit seiner Thematisierung des Festes in der „Andenken"Vorlesung an einer Stelle auf dieses Phänomen einzugehen, an der es eher marginal in Erscheinung tritt. Aus der Perspektive einer literaturwissenschaftlichen oder philosophisch-texthermeneu-tischen Lesart im Stile Gadamers erscheint Heideggers Schwerpunktverlegung der „Andenken"-Auslegung ebenso unmotiviert und beliebig wie die nicht textfündierte Überbewertung der dichterischen Stiftung des Bleibenden. Schließt eine „phänomenologische" Lektüre das Sichrichten nach dem ein, was dasteht, - und das sind nun einmal die Wörter - dann macht sich Heidegger ganz offensichtlich jenes Vorwurfes schuldig, den er zu Beginn der Vorlesung selbst abzuwehren sucht: Hölderlins gedichtetes Wort zu einer Fundstelle herabzuwürdigen, „aus der Bausteine für ein selbstgezimmertes ,System der Philosophie' zusammengerafft werden" (GA 52, 5). Um das philosophische Gespräch mit Hölderlins dichterischem Wort vom Fest und seine literatur-wissenschaftliche Interpretation voneinander abgrenzen und voreinander schützen zu können, ist demnach eine Erhellung der hermeneutischen Situation und des gängigen Forschungsdiskurses erforderlich.
§ 15 Die herkömmliche Auslegung der Hymne „Andenken " Andenken Der Nordost wehet, Der liebste unter den Winden Mir, weil er feurigen Geist Und gute Fahrt verheißet den Schiffern. Geh aber nun und grüße Die schöne Garonne, Und die Gärten von Bourdeaux Dort, wo am scharfen Ufer Hingehet der Steg und in den Strom Tief fällt der Bach, darüber aber Hinschauet ein edel Paar Von Eichen und Silberpappeln;
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis Noch denket mir das wohl und wie Die breiten Gipfel neiget Der Ulmwald, über die Mühl', Im Hofe aber wächset ein Feigenbaum. An Feiertagen gehen Die braunen Frauen daselbst Auf seidnen Boden, Zur Märzenzeit, Wenn gleich ist Nacht und Tag, Und über langsamen Stegen, Von goldenen Träumen schwer Einwiegende Lüfte ziehen. Es reiche aber, Des dunkeln Lichtes voll, Mir einer den duftenden Becher, Damit ich ruhen möge; denn süß Wär' unter Schatten der Schlummer. Nicht ist es gut Seellos von sterblichen Gedanken zu seyn. Doch gut Ist ein Gespräch und zu sagen Des Herzens Meinung, zu hören viel Von Tagen der Lieb 4 ,Und Thaten, welche geschehen. Wo aber sind die Freunde? Bellarmin Mit dem Gefährten? Mancher Trägt Scheue, an die Quelle zu gehn; Es beginnet nemlich der Reichtum Im Meere, Sie, Wie Maler, bringen zusammen Das Schöne der Erd' und verschmähn Den geflügelten Krieg nicht, und Zu wohnen einsam, jahrlang, unter Dem entlaubten Mast, wo nicht die Nacht durchglänzen Die Feiertage der Stadt, Und Saitenspiel und eingeborener Tanz nicht. Nun aber sind zu Indiern Die Männer gegangen, Dort an der luftigen Spiz' An Traubenbergen, wo herab Die Dordogne kommt Und zusammen mit der prächt'gen Garonne meerbreit Ausgehet der Strom. Es nehmet aber Und giebt Gedächtnis die See, Und die Lieb' auch heftet fleißige Augen. Was bleibet aber, stiften die Dichter.
§ 15 Die herkömmliche Auslegung der Hymne „Andenken"
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Das nach Beißners Vermutung „ i m Frühjahr 1803, bald nach der Vollendung des ersten Patmos-Gesangs" 12 , entstandene Gedicht wurde erstmals im Jahre 1808, zusammen mit den Hymnen „Patmos" und „Der Rhein", in dem von Leo von Seckendorf herausgegebenen Musenalmanach veröffentlicht. Die H y m n e 1 3 , von der handschriftlich nur die letzte Strophe überliefert ist, besteht aus fünf endreimlosen Strophen, die mit Ausnahme der letzten elfversigen Strophe z w ö l f Verse zählen. 1 4 W i e der Titel unzweifelbar anzeigt, widmet sich das Gedicht dem „Andenken", d.h. gemeinhin der Erinnerung, an ein vormals Erlebtes. 15 Die erste Strophe hebt damit an, daß das lyrische Ich dem von ihm bevorzugten Nordostwind einen Gruß an die südwestlich seines Standortes gelegene Landschaft überantwortet. 1 6 Die Nennung „realer" Orte und Naturphänomene wie „Bourdeaux", „Garonne" und „Dordogne", aber auch „Nordost", „Gärten", „ U f e r " , „Steg", „ B a c h " , „Eichen", „Pappel", „ U l m w a l d " , M ü h l ' " , „ H o f , „Feigenbaum", Tag- und Nachtgleiche, „seidner Boden", „einwiegende Lüfte", „Schatten", „Quelle", „ M e e r " , „luftige S p i z ' " und „Traubenberge", fordern die Interpretation zur Heranziehung geographischer Kenntnisse heraus: U m dem 12
StA II 2, S. 800, 26 f. Während die Hölderlin-Forschung weitgehend mit Heidegger übereinstimmt und „Andenken" den Hymnen zurechnet, zählt N. v. Hellingrath es, „nicht ganz glücklich" (J. Schmidt, Hölderlins späte Hymnen „Andenken" und „Mnemosyne". Tübingen 1970, S. 24), zu den „im engeren Sinn lyrischen Gedichten" (F. Hölderlin, Sämtliche Werke. Bd. 4. Hg. von N. v. Hellingrath. 3. Aufl. Berlin 1943, S. 300). 14 Wurden die elf Zeilen der fünften Strophe gewöhnlich einem Versehen Hölderlins zugeschrieben, so macht J.- P. Lefebvre den Vorschlag, einen zwölften stummen Vers zu setzen, „der natürlich das Echo, die Wiederholung des letzten und so bedeutungsvollen Verses sein könnte" (J.-P. Lefebvre, Auch die Stege sind Holzwege. In: Hölderlin-Jahrbuch Bd. 26. Hg. F. Beißner/P. Kluckhorn. Tübingen 1988/89, S. 211). Darüberhinaus hat R. Reuß in seiner ebenso monumentalen wie verdienstvollen Arbeit zu „Andenken" und „Mnemosyne" eine akribisch-detaillierte Form-Analyse der Hymne geliefert (R. Reuß, „.../ Die eigene Rede des andern". Hölderlins Andenken und Mnemosyne. Frankfurt a. M. 1990, S. 101 - 109). 15 Auch hinsichtlich der semantischen Bezüge des Titelwortes hat Reuß Grundlegendes herausgearbeitet. Die drei von ihm im Ausgang von Adelungs „Grammatischkritischem Wörterbuch" entwickelten Wortbedeutungen von „Andenken" bilden einen soliden Ausgangspunkt gerade für eine philosophische Anfrage bei der Hymne. „Andenken" ist dem gängigen Wortgebrauch des 18. Jahrhunderts zufolge: 1. die aktive, mehr die Richtung der subjektiven Intention hervorhebende Erinnerung, 2. das passivobjektive Andenken, das seinen Bestand im Angegangenwerden und der Betroffenheit des Subjektes hat und 3. das Mittel der Erinnerung, kraft dessen das Andenken erhalten und bewahrt wird (Bild, Foto, Gedicht, Souvenir) (Reuß, S. 111 ff). 16 Obwohl R. Reuß ganz recht hat, wenn er einklagt, daß jene Auslegungen es sich zu leicht machten, die wie Lehmann, Heidegger, Böschenstein, Beißner und Schmidt „sogleich das Interpretament der Personifikation heranziehen und den ,Nordost' als den Angeredeten interpretieren" (Reuß, S. 105), folgen wir dem gängigen Verständnis. Hölderlin, so jedoch Bertaux und Böhm, lernte auf seinem Heimweg von Bordeaux in einer Schänke zwei Matrosen kennen, unter denen er einem den Auftrag zur Grußübermittlung an den hinter ihm liegenden Aufenthaltsort gab. 13
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Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
Nordost seinen Gruß an die bordelaiser Landschaft überantworten zu können, muß der Sprecher sich an einem nordöstlich von ihr gelegenen Standort aufhalten; entsprechend trägt der feurigen Geist und gute Fahrt verheißende Nordost die „Schiffer" in südwestliche Richtung. Zugleich lassen sich die einzelnen Phänomene den verschiedenen Landschaften und unterschiedlichen Kontexten zuordnen. 1 7 Doch die Realbezüge des Gedichts beschränken sich nicht darauf, daß es sich tatsächlich auf die bordelaiser Landschaft und/oder andere geographisch verifizierbare Landschaften bezieht und daß der Nordost tatsächlich die zum Auslaufen aus dem Hafen Bordeaux' günstige Brise ist; die Biographie des Verfassers belehrt uns vielmehr, daß Hölderlin selbst das südliche Frankreich bereist hat. So sieht sich die Auslegung vor die Herausforderung gestellt, das Gedicht „Andenken" und seinen Sprecher in unmittelbaren Bezug zu seinem Verfasser zu setzen, d.h. die Hymne „Andenken" als ein Andenken an Hölderlins Frankreichreise zu lesen. 1 8 V o n der Beantwortung dieser Frage w i r d es in 17
In neuerer Zeit war es vorallem D. Henrich (ders., Der Gang des Andenkens, Stuttgart 1986), der durch „minutiöse Ortsinspektion" (H.- G. Gadamer, GA 8, S. 44) und mit „stupender Gelehrsamkeit" (a.a.O., S. 45) die Topographie des Bordeaux der Tage Hölderlins zu rekonstruieren und den „Gang des Andenkens" an historisch verifizierbaren Daten festzumachen vermochte. Mithilfe eines topographischen Reißbrettes identifiziert Henrich nicht nur die meisten der genannten Phänome, sondern differenziert auch die in der ersten Strophe gegrüßte Szenerie des an den Ufern der Garonne gelegenen Bordeaux mit seinen bis in das angrenzende Land hinausreichenden Gärten von der luftigen Spiz' der fünften Strophe als dem Verabschiedungsort der in See stechenden Schiffe. J. - P. Lefebvre hat sogar „Das große Buch der Windjammer" bemüht, um nachzuweisen, daß die Reise der Schiffer nach Westindien fuhrt (Lefebvre, S. 206). Das im Gedicht genannte Fest ist ihm das Abschiedsfest der Seefahrer, die gen Amerika fahren (a.a.O., S. 218). Daß Bellarmin der Rang eines zweiten Kolumbus zukommt, soll seinen Anhalt in Hölderlins späten Entwurf „Kolumb" finden und fuhrt auch U. Gaier zu seiner „vaterländischen" Interpretation des Gedichtes. „Der Nordost also", so Gaier, „legt eine semantisch multivalente Achse zwischen z.B. Frankfurt [Gaier nennt auch Homburg] als dem Ort des redenden Ich und Bordeaux und weiter in Richtung Amerika fest" (ders., Hölderlins vaterländischer Gesang „Andenken". In: Hölderlin Jahrbuch (1988/89), S. 179). Amerika stehe für Hölderlins politisch-nationelle Vision. 18 Da Hölderlins Bordeaux-Reise bereits in die Zeit der Heraufkunft seines sogenannten oder vermeintlichen Wahnsinns fällt, spielte das dichterische Andenken an sie besonders für Hölderlin-Biographen eine bedeutende Rolle. Schon G. Schwab zufolge stellen sich in „Andenken" und „Die Wanderung" „wirkliche Spuren sichtbarer Geistesverwirrung, an den Wahnwitz streifende Satzfügungen [...] mitten unter den erhabensten Gedanken und Bildern" (StA V I I 4, Nr. 16 b, 45, 205 ff.) ein. Desgleichen sprach W. S. Teufel in seiner Werk-Rezension von 1846 „das ganz und gar krankhafte und verworrene Andenken" an, „aus welchem die unstete Phantasie eines Irren spricht, welcher manches einfällt, die aber nichts ausdenkt oder gar gestaltet" (StA V I I 4, Nr. 19 f, 141, 29 ff.). Im Sinne einer Poeto-Pathologie waren auch noch A. Becks sehr fundierte „Vorarbeiten zu einer künftigen Hölderlin-Biographie" (Hölderlin-Jahrbuch 1950, S. 72 - 97) zu verstehen, bis P. Bertaux es sich zur Aufgabe machte, „die erniedrigende [...] Legende vom ,umnachteten Hölderlin'" (P. Bertaux, Hölderlin in und nach Bordeaux. Eine biographische Untersuchung. Hölderlin-Jahrbuch 1975-77, S. 105) in die Schranken des Nachweisbaren zu weisen. Freilich kehrt sich Bertraux' beeindruckende Historiographie, die sich ganz zurecht auf Foucaults Maxime „wo ein Werk ist, da ist kein Wahn-
§ 15 Die herkömmliche Auslegung der Hymne „Andenken"
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erster Linie abhängen, wie die Auslegung den Bezug sowohl des Sprechers zu den sonst genannten Personen als auch der Personen untereinander bestimmt: Neben dem Sprecher nennt das Gedicht die „Schiffer", die „braunen Frauen", die Adressaten der Grußübereignung und der zu Beginn der dritten Strophe ausgesprochenen Aufforderung zur Darreichung des Bechers, „die Freunde, Bellarmin mit dem Gefährten", die „ M a l e r " , die „Männer", die „Indier" und die „ D i c h t e r " . 1 9 Die zweite Strophe, die ganz offensichtlich mit der „Beschreibung" der bordelaiser Landschaft fortfährt, ist durch den unorthodoxen Strophenbeginn „ N o c h denket das mir wohl..." gekennzeichnet, bei dem es sich, so Beißner, um eine „heute nicht mehr gebräuchliche Wendung handelt, die in der schwäbischen Mundart lebendig geblieben i s t " 2 0 . Je nachdem, ob die Interpretation der „Erinnerung" bzw. dem „Andenken" einen mehr aktiven, sich am sicherinnernden Bewußtsein, oder passiven, sich am Erinnerten orientierenden Charakter verleiht, w i r d die naheliegende Übertragung „ I c h erinnere mich noch gut daran" 2 1 in Betracht ziehen, „daß das Erinnerte sich dem, der an es denkt, nun von sich her zu denken g i b t " 2 2 und dieses Sichzudenkengeben vielleicht sogar in einen Bezug zur genannten Landschaft bringen. Das auf das „ N o c h den-
sinn" beruft, ins andere Extrem. Bertraux etwa liest die „sterblichen Gedanken" der Gedichtmitte als ein wie „eine geheime Signatur am ,Giebel' des Gedichts" (P. Bertaux, Hölderlin-Variationen. Frankfurt a. M. 1984, S. 92) angebrachtes Akrostichon, durch das Hölderlin der während seines Bordeaux-Aufenthaltes erkrankten und vor seiner Heimkunft verstorbenen S-usette G-ontard gedenkt. Somit steht er in einer bis heute anhaltenden Tradition, deren fast zwanghafter Drang zur Rekonstruktion etwa Lefebvre dazu führte, die in der zweiten Strophe genannten Feiertage mit einem Frühlingsfest zu identifizieren, das am 21. 3. 1802 von 19.00 bis 2.00 bei Bourdeaux stattgefunden und das Hölderlin als den Geburts- und Sterbetag seines Dichtertums erfahren haben soll (Lefebvre, Stege, S. 214). 19 Sowohl Schmidt als auch Zuberbühler, die beiden grundlegenden Interpreten der Hymne, unterscheiden drei Bereiche oder Lebensformen, „aus denen sich die Welt des Gedichtes aufbaut" (J. Schmidt, Hölderlins letzte Hymnen. „Andenken" und „Mnemosyne", S. 14). 1. Mit den Schiffern verbindet Schmidt den heroisch-aktiven Bereich der Tat, 2. mit den Freunden, den Bildern idyllisch erfüllten Lebens und den Abschiednehmenden den Bereich der Liebe und 3. mit dem Sprecher (gerade im Gegenhalt Hyperions zu Bellarmin, dem Seehelden) den Bereich des Dichterischen. Auch Zuberbühler erkennt in den drei Bereichen von „See", „Lieb" und „Dichter" „die Repräsentanten des Heroischen, des Naiven und des Idealischen" (R. Zuberbühler, Hölderlins Erneuerung der Sprache aus ihren etymologischen Ursprüngen. Berlin 1969, S. 104). Weil diese drei Sphären in den drei gnomischen Schlußversen „unter dem Gesichtspunkt des Bleibenden und Beständigen gegeneinandergestellt" (J. Schmidt, Hölderlins späte Hymnen, S. 34) werden, wird es von dieser Zuordnung der Personen zu den Bereichen abhängen, wie die Hauptintention des Gedichtes verstanden wird. 20 Beißner, S. 802 f. 21 J. Schmidt, Hölderlins späte Hymnen, S. 17. 22 S. Bohlen, S. 101. Zuberbühler sieht die Landschaft von drei Motiven durchdrungen, die er unter Heranziehung anderer Gedichte entfaltet: 1. den innigen Liebesbezug, 2. die Vereinigung von Nah und Fern und 3. die Gleichzeitigkeit von Bewegung und Ruhe.
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis ket mir das wohl..." folgende „...und w i e " erweckt den Eindruck einer Zäsur. Es unterstreicht die Frage nach dem Ort der sich über die Mühle neigenden Gipfel des Ulmwaldes. Diese Fragwürdigkeit w i r d durch das „aber" im darauffolgenden Vers, „ I m Hofe aber wächset ein Feigenbaum", bestärkt. Denn erst mit dem „aber" scheint die Vergegenwärtigung wieder recht eigentlich nach Frankreich zurückzuschwenken. 2 3 M i t der dichterischen Rede vom Gehen der „braunen Frauen" „ a u f seidnen Boden" „ Z u r Märzenzeit", d.h. zur Zeit der FrühjahrsTag-und-Nachtgleiche, durch die sich das Gedicht wieder ganz unleugbar dem südlichen Frankreich zuwendet, w i r d erstmals der thematische Gegenstand unserer Ausarbeitung genannt. V o n der Inbezugsetzung des hier kurz und dennoch pointiert genannten Feiertagsphänomens zum Bedeutungszusammenhang des Gedichtes und zum Konzept des Andenkens überhaupt w i r d es abhängen, ob die Interpretation sie lediglich als Teil einer aufzählenden Kultur- und Landschaftsbeschreibung liest oder ihr eine zentralere Bedeutung zumißt. 2 4
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Auch in der ersten Strophe kennzeichnet ein „aber" eine Zäsur innerhalb ein und derselben Landschaft: über den am Ufer hingehenden Steg und den in den Strom abfallenden Bach hin „aber" schaut ein Paar von Eichen und Silberpappeln. Lefebvre hat daraufhingewiesen, daß das häufig gebrauchte „aber", in das nach Heidegger die „Fuge des wandernden Heimischwerdens im Eigenen" (GA 4, 151) dichterisch gefugt ist, „zunächst ein Requisit der traditionellen Übersetzung griechischer Texte ins Deutsche" (U. Gaier, Auch die Stege sind Holzwege, S. 219) ist (Homer, Pindar). 24
Es ist überaus aufschlußreich, zu beobachten, wie sich die Thematisierung des Festphänomens aus der Perspektive der jeweiligen Zugangsart wandelt. Zuberbühler bedient sich äußerst rasch intertextueller Bezüge und stellt die Verbindung zum „christlichen Liebes- und Erinnerungsmahl" (Zuberbühler, S. 96) her. Im Ausgang von den von ihm genannten drei Landschaftsmotiven zeigt sich das Fest vor allem als von Ruhe und Synthese geprägt. Auch Schmidt sieht in der zweiten Strophe „[a]us der Darstellung wohlgeordneten Gedeihens" die „Vision der ,Feiertage'" (a.a.O., S. 19) emporwachsen. Wie in der „Friedensfeier" bedeutet der „Feiertag" auch in „Andenken", wenngleich nicht mit derselben weltgeschichtlichen Dimension so doch mit derselben Wertigkeit, „den Ausgleich von Himmel und Erde, den Augenblick der Allversammlung, der Liebe und des Friedens, eines Zustands, der das Ende aller Geschichte und aller Tätigkeit, alles ,Werks' mit sich bringt" (ebd.). Daß für Schmidt der Schicksalsausgleich im Fest „der zeitlose Augenblick [ist], wo sich die Lichtseite und Schattenseite der Zeit aufwiegen und die Sukzession der Jahreszeiten in einem wunderbaren Schwebezustand aufgehoben ist" (ebd.), zeigt unverkennbar an, daß er sich an den philosophischen Texten Hölderlins orientiert und diese im Sinne des deutschen Idealismus auslegt (vgl. ders. Hölderlins geschichtsphilosophische Hymnen: „Friedensfeier - „Der Einzige" - „Patmos", Darmstadt 1990). Dagegen sieht C. Hamlins programmatisch-poetologische Auslegung das Gedicht selbst „eine Gedenkfeier für das Ende einer Tradition der ästhetischen Affirmation gerade für die Poetik des Gedächtnisses" (ders., Poetik des Gedächtnisses. Aus einem Gespräch über „Andenken". Hölderlin-Jahrbuch Bd. 24. Heidelberg 1984/85, S. 120 f.) abhalten. Hölderlin, so Hamlin, bezweifle die Autorität von Gedächtnis als Modell für Dichtung im allgemeinen, „vor allem aber die Leistung dieses Gedichtes als Gedächtnis" und „den priveligierten Status von Stiften und Bleiben als ästhetische Kriterien" (a.a.O., S. 123). In bewußter Abhebung von der Platonischen άνάμνησις, der Augustinischen commemoratio und der biblischen Eucharistie, von Luther als „Gedächtnis" übertragen, entwickle Hölderlin eine säkulare Kommunion (ebd.).
§ 15 Die herkömmliche Auslegung der Hymne „Andenken"
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Z u einem ersten großen Scheidepunkt verschiedener Interpretationen ist deshalb der Übergang von der zweiten zur dritten Strophe prädestiniert. Die hier vom poetischen Ich ausgesprochene Bitte um Darreichung des duftenden Bechers dunklen Lichtes, von dem dieser sich die Ruhe des Schlummers unter Schatten verspricht, stellt eine hermeneutische Herausforderung dar. Entscheidend ist auch hier, wo der Standort des Sprechers in der dritten Strophe angesetzt wird, d.h. ob der R u f nach dem Wein in Bezug zu dem in der zweiten Strophe genannten Frühjahrs-Äquinox und dem zu seinem Anlaß gefeierten Frühlingsfest gesetzt w i r d oder ob der Ausruf im Ausgang von der Zäsur beider Strophen als Ausdruck einer Tendenz des Sprechers gedeutet wird, den V o l l z u g des Andenkens an das ferne Land dem Vergessen anheimzugeben. Der zweite Satz der Strophe, „ N i c h t ist es gut/ Seellos von sterblichen Gedanken zu seyn", bezöge sich im letzteren Falle auf eben diese Tendenz. Die Ablehnung des von sterblichen Gedanken seellosen Seyns fände dann ihr positives Äquivalent im Gespräch, dem Sagen der Meinung des Herzens und dem Hören von Tagen der Liebe und geschehenen Taten. 2 5
Im Gespräch als Vehikel und Modell von Gedächtnis ersetze das Gedicht „das sakramentale Modell des eucharistischen Zeichens" durch eine radikale Alternative. Gedächtnis wird dem ,jeder authentischen Festgemeinschaft" entrückten Dichter zu einer commemoration für das, was verloren wurde und jetzt tot und vergangen ist, so als wäre der Text nicht mehr als die Inschrift zu einem Grabmahl" (a.a.O., S. 127). Die Zeichen der Liebe, d.h. der Austausch der Reden im Gespräch und das Teilen des Weines durch das Weiterreichen des Bechers, symbolisieren zwar „den grundlegenden Wert des Festes und die Freude, die es allen verschafft, daran teilzunehmen" (a.a.O., S. 129). Doch kann „die Bedingung wechselseitiger Interaktionen und gegenseitiger Anerkennung, die für Hölderlin im wesentlichen die Bedeutung von Fest ist" (a.a.O., S. 130) vom Gedicht nicht dargestellt werden. Fest und Gespräch gehören für Hamlin also zu jenen „formalen Mitteln" eines intersubjektiv-dialogischen Bemühens, „die Herausforderung und die Schwierigkeit der erfolgreichen Übermittlung der Botschaft des Gedichtes an sein intendiertes Publikum zu thematisieren" (a.a.O., S. 131). Daß er das Gedicht als „eine beabsichtigte Allegorie des Lesens [...], eine dynamische, durchkomponierte Metapher für das hermeneutische Selbstbewußtsein des Gedichtes in der Abhängigkeit von der aktiven Teilnahme des Lesers" (a.a.O., S. 133) versteht, kennzeichnet Hamlins Interpretation als eine dekonstruktive. 25 Während Heidegger die „sterblichen Gedanken" als „die den Sterblichen eigenen Gedanken" auslegen wird, vor denen der zur Beseelung, d.h. zur Stiftung des Bleibenden berufene Dichter am liebsten in die Süße umschatteten Schlummers flüchten möchte, bestätigen die anderen Interpretationen auch hier die Herrschaft der Methode über den Gegenstand. Gadamer, der Heideggers Interpretament vom heimgekehrten Sprecher als dem Dichter teilt, verlagert das Schwergewicht auf die konkreten Gespräche: Der sprechende Dichter „empfindet die Seellosigkeit der Gespräche, die er hier nach seiner Heimkehr hat, er nennt sie sterbliche Gedanken" (a.a.O.., S. 51). Beißner dagegen versteht die „sterblichen Gedanken" als die leichten, entspannenden Gedanken, die den Dichter vom „unverwandten Blick auf das Künftige, auf die Erscheinung des neuen Gottes" ausruhen lassen. Wie wir bereits sagten, sieht Bertawt in ihnen eine Chiffre für Hölderlins verstorbene Liebe Sussette Gontard. Zuberbühler liest sie wiederum unter Heranziehung von Parallelstellen als „die Anfechtungen dessen, der sich nicht mehr in
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis Die vierte Strophe hebt mit der Frage nach dem Aufenthalt der Freunde, „Bellarmin mit dem Gefährten", an. Der intertextuelle Bezug zum Adressaten der Briefe des Hyperion-Romans und zu einigen Gedichtentwürfen ist hier unumgänglich. Einmal mehr hängt die A r t und Weise der Inbezugsetzung beider Texte von der jeweiligen Interpretationsmethode ab. Darüberhinaus läßt sich eine sachliche Verbindung herstellen zwischen der in der dritten Strophe affirmierten Einsicht in die Gunst des Gespräches und dem Aufenthalt der Freunde, mit denen dieses in ausgezeichneter Weise glückt. Der jeweiligen Lesart bleibt es überlassen, ob es sich bei jenen, die Scheue tragen, an die Quelle zu gehen, um die Schiffer, die Freunde oder die Dichter handelt, worin ihr Gang an die Quelle besteht und was unter der Quelle und der ihr entgegengebrachten Scheu zu verstehen ist. W e i l das „nemlich" des sich anschließenden Satzteiles „Es beginnet nemlich der Reichtum/ Im Meere" die Auslegung nahelegt, daß die Scheu vor dem Gang an die Quelle durch den Reichtum des Meeres überwunden zu werden vermag, drängt sich ein Zusammenhang zwischen der Meerfahrt und dem Gang an die Quelle a u f 2 6 Die fünfte und letzte Strophe führt zu einer weiteren Vielfalt an Interpretationsmöglichkeiten. Wenn es dort heißt „ N u n aber sind zu Indiern/ Die Männer gegangen", so ist erneut zu klären, ob die Männer nun mit den Freunden, den Schiffern oder gar mit beiden zu indentifizieren sind. Aus der Handschrift der fünften Strophe geht hervor, daß Hölderlin zuerst schrieb: „...sind zu Indiern die Freunde gegangen" 2 7 . Die Tilgung des
der,Fülle der alllebendigen Welt' geborgen weiß" (a.a.O., S. 97), d.h. als Zweifel. Nach Lefebvre sind die „sterblichen Gedanken" die Todesgedanken, „die vielleicht nach der Feier oder trotz oder wegen der Feier wiedergerkommen sind" (a.a.O., S. 216). 26 Eine Interpretation, die von dieser Stelle aus einen Bezug zu den Schiffern der ersten Strophe herstellte, käme zu dem Schluß, daß die Freunde den Schiffern gleich zur See gefahren sind, um dort des Reichtums teilhaftig zu werden, der sie die Scheu vor der Quelle überwinden läßt. Nichtsdestotrotz können diejenigen, die „Wie Maler, bringen zusammen/ Das Schöne der Erd' und verschmähn/ Den geflügelten Krieg nicht", sowohl als die Schiffer als auch als die Freunde verstanden werden. Einerseits erinnert das malerische Zusammenbringen des Schönen der Erde nur allzugut an die aus aller Welt heimgebrachten Waren, wie sie sich in einem Seehafen sammeln, andererseits sind die Freunde, Bellarmin und Hyperion, jeweils Seeheld und Dichter, und bringen auf ihrer Reise durch Griechenland auf je eigene Weise „das Schöne der Erd'" zusammen. Um die Teilnahme der Dichterfreunde am geflügelten Krieg und der Seefahrt der Eingangsstrophe aus dem Gedicht „herauszulesen", ist weit mehr „Einfallsreichtum" von Nöten; Heidegger bringt ihn, wie wir sehen werden, tatsächlich auf und zwar auf denkerisch durchaus schlüssige Art. Bohlen hat mit Henrich darauf hingewiesen, daß der Wortlaut des Gedichtes weder einen Anhalt gibt, daß der Dichter die Fahrt der Schiffer schon einmal gemacht hat, noch „daß die Schiffer dem Dichter auf dem Gang zur Quelle eines Tages folgen werden" (S. Bohlen, Die Übermacht des Seyns, S. 104). 27 Wir sehen in der Rede von den Indiern ein gezieltes Spiel mit der Doppeldeutigkeit des faktischen Reisezieles der faktisch aus dem Hafen Bordeaux' auslaufenden Kaufleute und der mit Westindien bzw. Amerika verbundenen „politischen" Vision (Lavayette) und Indien, dem hypothetischen Ursprungsland der indo-europäischen Kultur bzw. dem Quellgebiet des Indus.
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Wortes „Freunde" zugunsten der „Männer" legt nahe, daß die Indifferenz, d.h. der mögliche Bezug auf „Freunde" und „Männer" beabsichtigt sein könnte. Dies hieße aber, daß die Freunde „Dort an der luftigen Spiz'" abgefahren wären, eine Schlußfolgerung, zu der sich bislang nur Heidegger vorgewagt hat. Naheliegender ist, daß der Nordostwind der ersten Strophe den Sprecher an den bordelaiser Hafen und seinen Fahrtwind erinnert, von dem aus Schiffer in See stechen, die ihre Lieben zurücklassen. Da sich der Sprecher selbst als Zurückgelassener oder Zurückgebliebener erfährt, wird er durch die erinnerte Abschiedsszenerie „Dort an der luftigen Spiz'", zugleich dessen gewahr, daß seine Freunde, Schiffern gleich, in der Ferne weilen. Die beiden letzten Sätze des Gedichtes mit dem Hinweis auf die Dichter als Stifter des Bleibenden bilden das „Gipfelwort" (GA 4, 83), den Dreh- und Angelpunkt des Gedichtes. Zweimal steht innerhalb der gnomischen Trias der Schlußverse das Wörtchen „aber": In den ersten beiden Versen setzt die Redeweise „Es nehmet aber... Und... auch" den gedächtnisnehmenden und gedächtnisgebenden Zug des Meeres und das Gebundenwerden der Augen durch die Liebe von der bloßen Trennung an der „luftigen Spiz'" ab. Das „aber" läßt sich recht schlüssig als ein „zugleich auch" lesen. Das könnte heißen: die Männer sind zwar in Strom- und Mündungsrichtung der Garonne fortgefahren, doch das Element ihrer Fahrt selbst, die See, nimmt und gibt Gedächtnis. Dagegen hängt es beim Schlußvers „Was bleibet aber stiften die Dichter" von der jeweiligen Lesart ab, ob das „aber" als eine Absetzung von den beiden vorhergehenden Sätzen gelesen wird oder als deren Essenz. Im Rahmen der fünften Strophe läßt sich die Trias der Schlußverse auf den Abschied der Männer an der luftigen Spiz an der Garonnemündung beziehen. Sowohl das Nehmen und Geben des Gedächtnisses durch die See als auch das Heften der Augen durch die Liebe bezieht sich dann auf den Abschied der Männer von ihren Angehörigen. Sowohl auf Seiten der Zurückgelassenen als auch auf Seiten der Ausfahrenden gibt und nimmt die sich zwischen ihnen immer weiter ausbreitende See Gedächtnis: Indem jeweils die Landzunge und das Schiff am Horizont entschwinden, entzieht die See die Liebenden ihres gegenseitigen Anblickes. Sie überantwortet die Bewahrung der Erinnerung dem Gedächtnis, um die Liebenden einander bei der ersehnten Heimkunft wieder preiszugeben. Doch gerade weil dies nicht sicher ist, nimmt und gibt die See Gedächtnis. Sowohl den Seeleuten als auch ihren Lieben kann während ihrer Trennung etwas zustoßen. Kehren die Seeleute wohlbehalten zurück, so gibt die See mit ihnen deren Erzählungen, d.h. das Gedächtnis der Abenteuer preis, bleiben sie fort, begräbt die See mit ihnen ihr Gedächtnis in den Fluten. Die Hinterbliebenen bleiben ihrem Gedenken an die Vermißten überlassen. 28 28 Für die Veränderung des Verhältnisses der Seefahrer zu den Ihren trifft dasselbe zu. Dahinscheiden, Trennung oder Untreue kann auch jenen Gedächtnis nehmen und Geben, die von der See selbst nach Hause kehren.
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2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
Nun heißt es aber, daß es die Dichter sind, die etwas über die Bill und Unbill der See Erhabenes, d.h. etwas Bleibendes, stiften oder den Abenteuern und Fahrten der Seeleute ein Denkmal setzen. Eine Gleichsetzung des fiktiven Sprechers mit der natürlichen Person des Dichters legt die Auslegung nahe, daß Hölderlin sich nicht nur dem Andenken seines Frankreichaufenthaltes widmet, sondern die existenziell vollzogene Erfahrung dichtet, daß es die Aufgabe des Dichters ist, ein Bleibendes zu stiften. So wird die Auslegung an den Titel des Gedichtes verwiesen, an jenes bei Hölderlin sonst kaum gebräuchliche Wort, das Heidegger zu einem Grundwort seines Spätdenkens machen wird. Heideggers Verständnis von „Andenken" gibt denn auch den unmittelbarsten Leitfaden ab zu einer kritischen Hinterfragung der literaturwissenschaftlichen Auslegungen, sowohl des Gedichtes als auch des Festphänomens bei Hölderlin überhaupt. 29 An der Weise, wie die Literaturwissenschaft die Geschichtlichkeit, Zeitlichkeit und Räumlichkeit des durch die bzw. als die Hymne gesagten Andenkens und die in ihr vollzogene Stiftung des Bleibenden auslegt, werden fachspezifische Grenzen offenbar. Dabei ist jedoch zweierlei zu beherzigen. Zum einen soll hier weder mit der Literaturwissenschaft ein Wettstreit um den „exakten", „,historisch richtigen'", „endgültigen" (GA 52, 4) Hölderlin angetreten werden, so als ginge es um „ein Präparat der naturwissenschaftlichen Arbeit" (GA 52, 2), noch geht es darum, „einen gegenwartsnahen' Hölderlin durch entsprechende Zitate zusammenstellen". Heideggers Auffassung zufolge, der wir in dieser Radikalität übrigens nicht ganz folgen, hat die literarhistorische Forschung allein innerhalb der Grenzen der „Sicherstellung und Ausgabe der Werke" und der Erkundung der „Lebensgeschichte der Dichter und Schriftsteller" (GA 52, 3) ihre Berechtigung. Zwar ist sie nie bloßes Handwerk, doch erschließt sie niemals die Wahrheit der Geschichte. Zum anderen dürfen wir nicht außer Acht lassen, daß die literaturwissenschaftlichen Interpretationen des Gedichtes Heidegger ihrerseits weitgehend wohlwollend betrachten, freilich ohne sich auf die philosophische Dimension seiner Auslegung einzulassen. Dennoch! Was nimmt es Wunder, daß mit Dieter Henrich eben jener Exeget Heidegger unermüdlich angreift, den dessen Kritik am empfindlichsten treffen muß. Denn zwar gehört die Erkundung der Lebensgeschichte der Dichter nach Heidegger zum Aufgabenbereich der Literarwissenschaft, doch gibt sie ebensowenig Aufschluß über das Werk wie die allgemeinen historischen Umstände zur Zeit der Verfasserschaft. Die historistische Auffassung der kulturhistorischbiographisch geprägten Literaturwissenschaft, „ein geschichtliches Leben, ein geschichtlicher Vorgang, eine geschichtliche Tat werde erst dann und nur dann ,richtig' erfaßt, wenn der Vorgang und das Leben und das Werk jeweils aus den
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Erste Vorarbeiten hat diesbezüglich H. Knittermeier geleistet: ders., Fest und Feier. Ein Beitrag zum Wortgebrauch Hölderlins. In: Hölderlin-Jahrbuch 1950, S. 47-71.
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zeitgenössischen Bedingungen' erklärt und in diese hineingestellt sei" (GA 52, 2), kommt bei den „Andenken"-Interpretationen eines Beck, Bertraux, Lefebvre, Gaier und Henrich durchaus zum Tragen. Die zeitgenössischen Bedingungen und Tatsachen, auf die sich diese Interpreten berufen, sind genauso erklärungsbedürftig „wie das angeblich durch sie Bedingte und Umstellte" (GA 52, 3), denn: „Die literarhistorische Forschung, ja alle Historie und jede Wissenschaft steht unter Bedingungen, deren sie selbst so wenig Herr ist, daß sie diese Bedingungen mit ihren eigenen Erkenntnismitteln niemals erfassen, geschweige denn begründen kann" (ebd.). Hermeneutisch betrachtet liegt dies an ihrem mangelnden Einblick in die Zirkelstruktur des Verstehens. Gerade daß das dichterische Werk unter Umständen mehr über seine Zeit auszusagen vermag als die historischen Fakten, verweist uns auf den dynamischen Gesprächscharakter jeglichen Geschichtsbezuges. Die Ansetzung einer Domäne des Ansich unterbricht diese zirkulär-dialogische Dynamik. Das Anfragen bei der oder Hören auf die Geschichte gibt sich mit Feststellbarem zufrieden. Das dichterisch Gesagte erscheint ein für allemal entschlüsselt und übersetzt. Es skierotisiert zum feststell- und abrufbaren Bestand. Wenn Heidegger also bemerkt, bei einer Orientierung „auf die einleuchtende psychologisch-biologische Erklärung des Werkes als ,Produkt' eines herrückten'" komme „das Werk gar nicht zum Wort, sondern nur die anmaßende Allwissenheit der angeblich ,Normalen' und Unverrückten" (GA 52, 43), so ist dies durchaus hermeneutisch zu verstehen. Der Vorbegriff von der psychischen Verrücktheit Hölderlins, der an die Interpretation herangetragen wird, verhindert das Sichzeigen und Zum-Wort-Kommen des für das Fest-Denken und Feiern so wesentlichen Ver-rückungscharakters der dichterischen Weltaufgeschlossenheit. Das Anmaßende dieser Zugangsweise besteht darin, daß sie das Maß zu kennen vorgibt, mit dem das Wirkliche gemessen wird; die All-wissenheit besteht darin, daß sie die von ihr als normal angesehene Geläufigkeit als allübergreifend ansieht.30 So, wie sich die biographisch-historische Interpretation mit der Einbindung des dichterisch Gesagten in ein feststellbares Tatsachengefüge zufrieden gibt, orientiert sich die metaphorisch-symbolische Auslegung von Dichtung an der traditionslastigen Vorstellung, Wörter seien „die Nachbilder dessen, was sie bedeuten" (GA 52, 33). Dieser nicht nur in der Literaturwissenschaft, sondern auch in der Auslegung des Heideggerschen Gespräches mit 30 Ebensowenig bringt uns Bertraux' biographisch überaus aufschlußreiche und zu würdigende Beweisführung gegen die erniedrigende Legende vom wahnsinnigen Hölderlin schon dessen Erfahrung nahe. Dennoch hat die Auffassung, daß etwas „eigentlich", „in Wirklichkeit" und „an sich" ganz anders ist, ihr völlig positives Äquivalent. Die Irrung tritt noch nicht dann ein, wenn wir im Umschlag von einer Verhaltung in die andere, etwa von der künstlerischen in die alltäglich-besorgende oder umgekehrt, der neuen Verhaltung den Charakter des „so ist es in Wirklichkeit" einräumen. Irreführend ist es nur, die Erkenntnisse und Prämissen einer Haltung über die andere zu legen und so ein Moratorium der Vielfalt und Differenz der Bergungsweisen einzuleiten.
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Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
der Dichtung weithin vorherrschenden Auffassung zufolge geben sich etwa die dichterisch gesagten Naturdinge „als Naturerscheinungen' und bedeuten dann ,auch noch' etwas anderes; sie sind uns ,Symbole'. Wenn w i r so reden und meinen, halten w i r für ausgemacht, daß w i r ,die' Sonne und ,den' W i n d ,an sich' kennen" ( G A 52, 39). Schließlich weiß man, was „ W i n d " , „Strom", „ M ü h l e " , „ Q u e l l e " und „See", was das Zum-Ausgleich-Kommen einer Landschaft, die Frühjahrs-Tag-und Nachtgleiche, ein duftender Becher v o l l dunklen Lichtes etc. „ i n W i r k l i c h k e i t " sind. Wenn sie auf so ungewöhnliche Weise und in einem solch eigenwilligen Zusammenhang genannt werden, müssen sie wohl für etwas anderes stehen, müssen sie Metaphern sein für einen verborgenen Sinn, den es zu entschlüsseln und so in die Sprache der Allgemeinverständlichkeit zu übersetzen g i l t . 3 1 Doch wie w i r bereits sagten, ist Hölderlin nach Heidegger „verrückt im Sinne einer Ver-rückung seines Wesens, das aus der Nacht seiner Zeit herausge-
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Die Beispiele für dieses - auf intertextueller Ebene oft überaus aufschlußreichen Vorgehens sind Legion: Zuberbühler etwa genügt der Hinweis darauf, daß ein „Bild" wie der „seidne Boden" „auf Grundvorstellungen Hölderlins bezogen" (ders., S. 95) ist und „in den Sinnbezirk von Hölderlins Bodenmetaphorik" (ebd.) gehört und läßt seine Erläuterung beim Heranziehen von Parallelstellen bewenden. Dasselbe gilt, wenn er den Wein als „Urbild des christlichen Liebes- und Erinnerungsmahls" (a.a.O., S. 96) und seine befreiende, göttliche und menschliche Gemeinschaft stiftende Bedeutung von dem nicht minder erklärungsbedürftigen Gemeinplatz des Sakraments her interpretiert. Tiefer greift vielleicht Schmidt, wenn er den tief fallenden Bach als „ein Sinnbild der Vergänglichkeit" und das Paar von Eichen und Silberpappeln als „ein Symbol des festen Für-sich-bestehens und des energischen Dauerns", d.h. als „ein Sinnbild der Unsterblichkeit" (Schmidt, Hölderlins späte Hymnen, S. 17) auslegt und so die spezifische Zeitlichkeit des dichterisch Gesagten hervorhebt. Indes läßt Schmidt bei der Entfaltung dieser Zeitlichkeit vom Gedicht ab und beruft sich auf die Philosopheme des Denkers Hölderlin oder gar Hegels. D.h. was Zeit „eigentlich" ist, sagt nur und ohnehin genauer die Philosophie. Das Dichten kann seine Zeitlichkeit anscheinend nicht selbst einholen, d.h. dichterisch sagen. Besonders deutlich wird dies an Binders Hölderlin-Verständnis als eines idealistischen Dichters. Das dichterische Denken wird unter Berufung auf Hölderlins eigene denkerische Zeugnisse in philosophisches Denken übersetzt, weil dies dem „objektiv Wirklichen" anscheinend näher ist. Das unmittelbar Wirkliche, so Binder, muß nach idealistischer Denkart „die gewohnten Konturen verändern, seine Elemente werden zu Träger von Bedeutungen, die weniger der Sache als dem Denken des Dichters angehören, es entsteht eine hohe Bilderwelt, deren Wirklichkeitsbezüge nicht als solche, sondern als Zeichen für ein, wie es scheint, eigentlich Gemeintes und Ideelles zu nehmen sind" (Binder, S. 27). Doch auch Hamlins Auslegung von „Andenken" als einer Dekonstruktion von tradierten poetologischen Gedächtniskonzepten scheint nur oberflächlich gegen den An-sich-Setzungs-Vorwurf Heideggers gefeiht. Wer Hamlin der übrigens keineswegs unabdingbaren - Fixierung der De-konstruktion auf ein Konstruiertes bezichtigt, kann gegen ihn einwenden, er lese das Gedicht vorschnell als ein selbstdekonstruktives Regelsystem, das seine Regeln bzw. die Regeln des eingefahrenen Diskurses dekonstruiert. Das An-sich, das ein Zuwortkommen der dichterischen Rede vom Weinbecher und vom Gespräch verhindert, wäre dann gerade die Dekonstruktionsabsicht des An-sich. (Der Kampf des Dekonstruktivismus gegen den Machtwillen der Hermeneutik ist ein Kampf der Windmühle gegen sich selbst.)
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
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rückt worden war" (GA 52, 43). Nicht das Dunkel psychotischer Umnachtung führte zu Hölderlins Verrücktheit: „Die übergroße Helle hat den Dichter in die Nacht gestoßen" (GA 4, 44). Da wir nun wissen, auf welch tönernen Füßen die vermeintlich un-ver-rück-bare Wirklichkeit jener Forschung ruht, die mit Hölderlin zuweilen dessen Dichtung für ver-rückt erklärt, erscheint uns Heideggers Satz schon weniger abwegig. Bislang klang es höchst befremdlich, daß wir, um Heideggers Denken des festlichen Verrückungs-geschehens nachvollziehen zu können, selbst ver-rückt, d.h. eingerückt werden müssen in den Wesensbereich der Hölderlinschen Dichtung. Indem wir jedoch Heideggers methodischer Option folgen, zuerst zu sagen, „was die Vorlesung nicht will", um dadurch mittelbar ein Weniges von dem zu verdeutlichen, „was die Vorlesung will" (GA 52, 2), d.h. indem wir im Hören auf das geläufige Verständnis der Hymne als eines Nicht-zu-Wort-kommen-Lassens des Hölderlinschen Wortes das Wort selbst anklingen lassen, verliert diese Aufforderung zur Vorhofbereitung des noch zeit-raumlosen Hölderlinschen Wortes etwas von ihrem esoterisch-kryptischen Charakter. Wie die Vergegenwärtigung des geläufigen Verständnisses des Gedichtes als Grundlage für das Verständnis des Festes zeigt, ist es überaus aufschlußreich, „das geläufige Verhältnis zu , Werken' der Dichtung" zu verlassen und sich zugleich „für einen anderen Weg bereit" (GA 52, 1 f.) zu machen. Die Eröffnung dieses Bereiches, die sich als Einrücken in denselben vollzieht, hat indes denselben Sprungcharakter wie Hölderlins dichterische Nennung des Festes selbst. So sprunghaft wie „Einzelne am Schluß [der Hymne „Wie wenn am Feiertage..."] zurückdenken an den Beginn und dann das Wort ,Feiertag' plötzlich anders hören und ahnen, daß die erste Strophe am Ende doch kein bloßes Bild beschreiben will" (GA 52, 60), so plötzlich und ahnungsvoll vollzieht sich die Erspringung des Wortraumes der Hölderlinschen Dichtung, aus welchem sich dem denkerischen Sprechen die Augenblicksstätte des Festes eröffnen soll. Daß dieser Sprung jedoch nicht abspringt vom Boden jedes phänomenologischhermeneutischen Aufweises, sondern vielmehr das Da-sein als den Zeit-Raum und die Augenblicksstätte eines geschichtsstiftenden Denkens allererst erspringt, dies auszuführen ist Aufgabe des nun folgenden Teilschrittes.
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes „Zum Sprunge gehören. Nicht zu dessen Epilog, dem Gelage." René Char* 2
Der vorhergehende Paragraph hatte uns gezeigt, daß mit der Eröffnung der Wesensdimension einer andersanfänglichen Festlichkeit die Vorhofbereitung 32 „Etre du bond. N'etre pas du festin, son épiloge ." R. Char, Hypnos. Aufzeichnungen aus dem Maquis 1943-1944. Dt. v. P. Celan. Hg. v. H. Wernicke. Frankfurt a. M. 1990, Nr. 197, S. 77. 13 Knödler
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Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
des Zeit-Raumes des Hölderlinschen Wortes einherzugehen hat. Im folgenden Abschnitt nun bereiten wir den Eintritt bzw. Einsprung in diesen Bereich des Gedichtes vor, aus dem und in dem sich dem Denken das seinsgeschichtliche Festwesen zuspricht. Nachdem wir unser Thema in einem ersten Teilschritt (a.) auf vier zu differenzierende Fragekreise innerhalb des Sprunges hin vergegenwärtigt haben, erarbeiten wir in einem zweiten Teilschritt (b.) die Vollzugs- und Nennungsweisen von Einheit, Einfachheit und Einzigkeit in der Auslegung des Gedichtes, in der sich zugleich die vielfach in sich zerklüftete Einzigkeit des Ereignisses ausspricht. Diese Hervorhebung der Zerklüftung der Einheit, Einfachheit und Einzigkeit des Seyns dient der Abwehr sowohl des den metaphysischen Festkonzepten eigenen Totalitarismus als auch der dem Dekonstruktionismus vorwerfbaren Tendenz zur Vernachlässigung des zur Endlichkeit des Da-seins gehörigen Bezuges von Sein und Mensch. Setzten wir uns im zweiten Teilschritt von der Statik und Systematik des metaphysisch gedachten Seins ab, so differenzieren wir im dritten Teilschritt (c.) die überlieferte Auffassung des Werdens von den verschiedenen Weisen des dichterisch gesagten Überganges bzw. der Übergänglichkeit des Dichterischen, in der uns der Übergangscharakter sowohl der seinsgeschichtlich gedachten Zeitlichkeit überhaupt als auch des Festes angeht. Der vierte Teilschritt (d.) schließlich thematisiert den Nordostwind als das „Phänomen", das als dichterisch gesagtes „Seiendes" dem Denken die Möglichkeit eines Sicheinschwingens in das Schwingungsgefüge bzw. den Zeit-Spiel-Raum des dichterischen Wortes eröffnet. Den „Beiträgen" zufolge ist der Sprung „das Gewagteste im Vorgehen des anfänglichen Denken" (GA 65, 227). Indem er alle geläufigen Bestimmungen von Gott, Sein, Wahrheit, Zeit, Raum, Mensch, aber auch von Dichtung, Feier und Fest hinter sich läßt, erwartet der Sprung „nichts unmittelbar vom Seienden, sondern erspringt allem zuvor die Zugehörigkeit zum Seyn in dessen voller Wesung als Ereignis" (ebd.). D.h. er erspringt denkerisch eröffnend das bislang verschlossen Gebliebene und eröffnet die Wahrheit des Seyns in ihrem Wesensgeschehen als Ereignis. Damit einhergehend erspringt und eröffnet er auch die Weise, wie das Denken selbst zu der sich zuwerfenden Wahrheit des Seyns gehört. Der „Sprung" ist also keine Metapher für das Denken, sondern kennzeichnet dessen Entwurfscharakter. Er springt, weil der denkerische Übergang von der Leitfrage in die Grundfrage kein unmittelbarer, d.h. fließender ist. Im gängigen Gebrauch des Wortes verstehen wir unter einem „Sprung" das plötzliche Sichentfernen von einem Ort an einen anderen. Dabei verlassen wir eine Stelle im Raum, um in kürzester Zeit oder mit höchster Geschwindigkeit an eine andere versetzt zu werden. Auch das denkerische Springen springt ab, um unversehens in eine andere Ortschaft versetzt zu werden. Allein, es bewegt sich seiner erklärten Absicht nach nicht mehr in den gängigen Kategorien von Raum und Zeit, sondern stößt sich von diesen ab, und zwar so, daß es sich nicht loslöst (absolvere) von Raum und Zeit, sondern den ursprünglichen Raum und die ursprüngliche Zeit als den eigentlichen Bereich des Da-seins allererst erspringt,
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
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d.h. dorthin kommt, wo es bereits seinen - allerdings durch den metaphysischen Raum- und Zeitbegriff verstellten - Aufenthalt hat/ J Indem er die Frage nach dem Wesen der Wahrheit selbst stellt, bringt der Sprung den Menschen so zuallererst „in den Spielraum des Anfalls und des Ausbleibs der Ankunft und Flucht der Götter" (GA 65, 234). Die Bereitung dieses Spielraums gehört Heidegger zufolge ebenso zum vollen geschichtlichen Wesen des Festes wie die Entgegnung von Göttern und Menschen selbst. Zwar ist das Ereignis als der Anfall und Ausbleib der Ankunft und Flucht der Götter „nicht denkmäßig zu erzwingen, wohl dagegen ist denkerisch das Offene bereitzustellen, das als ZeitRaum (Augenblicksstätte) die Zerklüftung des Seyns zugänglich und beständlich macht im Da-sein" (GA 65, 235). 34 Die Zugänglich- und Beständlichmachung der Zerklüftung
im Da-sein und die Bereitstellung
der Augenblicksstätte
des Vorbeigangs des letzten Gottes sind also die beiden Hauptaufgaben des Sprunges.
a) Das Fest innerhalb
der vier Fragekreise
des Sprunges
Auch der Übergang vom Wesensverständnis der Dichtung als eines Produktes dichterischer Einbildungskraft in ein solches der Dichtung als Andenken vollzieht sich als Sprung. In dieser Fügung lassen sich vier Fragekreise unterscheiden, die sowohl für Hölderlins Dichten des Festes als auch für das geschichtliche Wesen des Festes überhaupt relevant sind: 1. Der Sprung und die Zerklüftung des Seyns, 2. Die Stufen des Seins und das Leben, 3. Seyn und Nichts, 4. Das Sein zum Tode. Ohne die Besinnung auf diese Fragekreise verbliebe jede Auslegung der Hymne im Phänomenbereich der Metaphysik und fördere hinsichtlich des Festes nichts Neues zutage. 1. Der Sprung und die Zerklüftung
des Seyns: W i r sagten, daß der Sprung die
denkerische Bereitstellung des Offenen ist, „das als Zeit-Raum (Augenblicksstätte) die Zerklüftung des Seyns zugänglich und beständig macht" (GA 65, 235). Was heißt hier Zerklüftung? Inwiefern ist diese für ein Denken des Festes von Belang? Die Zerklüftung „ist die in sich bleibende Ent33 Wie noch der späte Heidegger betont, wird dasjenige, wovon der Sprung des Denkens abspringt „in solchem Sprung nicht preisgegeben, vielmehr wird der Absprungbereich erst aus dem Sprung her und auf eine andere Weise als zuvor überblickbar. Der Sprung des Denkens läßt das, wovon er abspringt, nicht hinter sich, sondern eignet es sich auf eine ursprünglichere Weise an" (SvG, 107). 34 Als geworfener Entwurf ist der Sprung „der Vollzug des Entwurfs der Wahrheit des Seyns im Sinne der Einrückung in das Offene, dergestalt, daß der Werfer des Entwurfs als geworfener sich erfährt, d.h. er-eignet durch das Seyn" (GA 65, 239). Die Leistung des denkerischen Da-seins besteht also darin, „den Gegenschwung [nämlich in der Weise des ereigneten Entwurfs der Er-eignung] aufzufangen, d.h. in diesen einzurücken und so erst es selbst zu werden: der Wahrer des geworfenen Entwurfs, der gegründete Gründer des Grundes" (ebd.).
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Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
faltung der Innigkeit des Seyns selbst, sofern wir es als die Verweigerung und Unweigerung ,erfahren'" (GA 65, 244). So wie also die Zerklüftung eines Gebirges durch Aufklaffting des vormals verschlossenen Erdreichs entsteht und verschiedengestaltige, steile, in Öffnungen, Risse und Spalten aufklaffende Gebirgszüge bildet, so eröffnet das denkerische Entwerfen im Fugenbereich des Sprunges das für das erstanfängliche Denken verschlossen gebliebene Offene des Seyns und entfaltet es in die zu ihm gehörenden mannigfaltigen Klüftungen. 35 Diese Eröffnung und Entfaltung der zum Offenen des Seyns gehörigen Zerklüftungen ist für die gemäße Auslegung der Hymne ebenso grundlegend wie für das Denken des Festes überhaupt. Wo die herkömmliche Philosophie meint, sie „könnte etwa durch Ausklügelung der verschiedenen Modalitätsbegriffe das Seyn wissen und gleichsam zusammenbauen" (GA 65, 278), greift die literaturwissenschaftliche Interpretation entweder auf unausgewiesene Gemeinbegriffe oder auf idealistische Philosopheme zurück. Das dichterische „Andenken" der Hymne bleibt in seinem eigentümlichen Wirklichkeits-, Möglichkeits- und Notwendigkeitscharakter entweder unterbelichtet oder wird in die metaphysischen Modalitätsbegriffe Kants oder des deutschen Idealimus zurückverrechnet. 36 Weil jedoch die Seinsmodalitäten, wie Kant sie etwa in der vierten Gruppe seiner Kategorientafel denkt, Modalitäten der Erfahrungsgegenstände, nicht aber des Seyns selbst in seiner ihm eigenen Wahrheit sind, bleiben sie in gleicher Weise „hinter der Zerklüftung zurück wie die Seiendheit hinter der Wahrheit des Seyns" (GA 65, 279). Desgleichen verfehlt jenes Denken das andenkende Dichten und das im Gespräch mit ihm gesagte andenkende Feiern, das nur die Seinsweise der existentia (Wirklichsein) und ihre modalen Abwandlungen des Möglichseins und Notwendigseins kennt. 37 2. Die Stufen des Seins und das Leben: In nächster Nähe zur Zerklüftung des Seyns in seine Vielfältigkeit der Seinsweisen steht die Frage nach den Stufen des Seyns als den Stufen zwischen den Seinsweisen und den Weisen, wie diese das Seiende offenbar werden lassen. In der im Jahr der „Andenken"-Auslegung gehaltenen Vorlesung „Grundbegriffe" gibt Heidegger ei35 Als die eröffnend-entwerfende Auseinanderfaltung der Innigkeit des Seyns, d.h. der einigenden Einheit des Seyns, in seine mannigfachen Weisen zielt die Zerklüftung auf die vier bislang fundamentalontologisch thematisierten Grundprobleme 1. der ontologischen Differenz, 2. der Grundartikulation des Seins in Wer-, Was- und Wie-sein, 3. der möglichen Modifikationen des Wie-seins (der Seinsweisen) und ihrer Einheit, 4. des dem Sein eigenen Wahrheitscharakters. 36 Heidegger führt dies in einer nicht-idealistischen Auslegung der Hölderlinschen Rede vom „Realwerden des Möglichen im Idealwerden des Wirklichen" (GA 52, 121) in dessen Abhandlung „Das Werden im Vergehen" (III, 309 - 316) aus. 37 Die im Fest oder als Fest geschehende Geschichtlichkeit des „Andenkens" wird etwa als eine Ausgestaltung der άνάμνησις, d.h. der Wiedererinnerung der vorgeburtlich geschauten Idee und somit des eigentlichen Wasseins des Erinnerten gedacht und so in seiner eigentümlichen, dichterisch gesagten Geschichtlichkeit übergangen.
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
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nen entscheidenden Hinweis, wie die metaphysische Frageweise seit Piaton die in sich zerklüftete Einzigkeit, Einheit und Einigkeit des Seins verfehlt. In der überlieferten Ontologie wird das Sein gleichmäßig und unterschiedslos in jeglichem Seienden angetroffen. Während sich innerhalb des Seienden vielerlei Stufen und Ränge zeigen, die selbst wieder die verschiedensten Ordnungen zulassen, ist das Sein „das allem Seienden Gemeinsame und so das Gemeinste" (GA 51, 50). Dieser unbestreitbaren Allgemeinheit des Seins hält Heidegger nun dessen Einzigkeit entgegen. „.Das Sein hat nirgendwo und nirgendwie
seinesgleichen.
Sein ist gegenüber allem Seienden
einzig." (GA 51, 51) Während sich das Seiende jederzeit mit Seiendem vergleichen und in das Gleiche setzen läßt, ist das Sein einmalig und zwar in der Weise jener kehrseitigen Wechselübereignung von genitivus subjectivus und objectivus, die dieser Arbeit den Titel verleiht. „Es gibt wohl verschiedene Weisen des Seins", sagt Heidegger im Sinne dieser Übertragung, „aber eben des Seins, das niemals wie das Seiende je jeweilig Dieses und Jenes und so ständig mehrmalig ist" (GA 51, 52). So wie das andersanfängliche Denken in „Zeit und Sein" als Denken des Seyns, d.h. als aus dem Wesungsgeschehen des Seyns ereignetes Denken, nicht umkehrig schließend über das Seyn gebietet, so sind auch die Seinsweisen aus dem Ereignis verfügt, ohne daß sich ein übergreifendes Eines systematisch fassen ließe, das diese Seinsweisen unter sich bringt. Das Sein ist in den mannigfaltigen Seinsweisen „niemals nur das Gleiche; denn um ein Gleiches zu sein, müßte es ein Mannigfaltiges sein. Das Sein ist dagegen überall das Selbe, nämlich es selbst" (ebd.). Während die Frage nach den Stufen des Seyns im Bereich der metaphysischen Leitfrage die Frage nach dem Seinsstärkeren oder Seinsschwächeren ist, fragt die Grundfrage nach der Bergungsursprünglichkeit innerhalb der unterschiedlichen Bereiche, d.h. „wie das Lebendige, die ,Natur' und ihr Lebloses, wie Zeug, Machenschaft, Werk, Tat, Opfer und ihre Wahrheitskraft [...] zu ordnen sind" (GA 65, 274). Dabei werden nicht Grade an Bergungsursprünglichkeit aneinander gemessen und aufeinander verrechnet, so etwa, als ob die Bergungsweise des Dichtens, die des Denkens und diese wiederum die des Feierns und der Tat übertreffe. Entgegen derartiger Hierarchisierungen gilt es vielmehr, die Einzigkeit der jeweiligen Bergungsweise zu bewahren. Daß die verschiedenen Bergungsweisen jeweils einzig sind, zeigt die Rede von der „zarten aber hellen Differenz" von Dichten und Denken und ihrem „Wohnen auf getrenntesten Bergen". In den geläufigen Interpretationen der Hymne „Andenken" hingegen, werden sowohl die Vers- und Strophenfolge des Gedichtes selbst (Form) als auch das in ihm Gesagte (Inhalt) auf eine Einheit hin interpretiert, die sich an den metaphysisch-vergegenständlichenden Gliederungen und Stufenfolgen der Allheit des Seienden in Lebenswelt, Weltanschauung, Wissenschaft und Philosophie orientiert. Liebe, Tat und Dichtung werden zwar als Lebensbereiche genannt und in be-
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2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
rechtigter Gegenposition zu Heideggers Übertragung des Dichters auf Seefahrer und Freunde gegeneinander abgehoben. Wo es aber darauf ankommt, sie in ihrer geschiedenen Einheit in Bezug zum Andenken zu setzen, greifen sie auf die gängigen Systementwürfe der Gliederung in Seinsbereiche zurück. So sieht sich nicht nur die Auslegung des von Hölderlin gesagten Frühlingsfestes, sondern ein Denken des „Naturhaften" im Fest überhaupt, vor die Entscheidung gestellt, das „Lebendige" entweder auf den Nutzen, die Verschönerung oder die Unterhaltung zu reduzieren oder „zum anderen Widerklang des Da-seins" (GA 65, 276) werden zu lassen. Auch hinsichtlich dieser Entscheidung kommt der Dichtung eine ent-scheidende Bedeutung zu. Ruhte nämlich die Natur im vorsokratischen Denken als φύσις, d.h. als die „Stätte des Augenblicks der Ankunft und des Aufenthalts der Götter" (GA 65, 277), noch in der Wesung des Seyns, so wurde sie im Piatonismus zum Seienden, im Christentum zum „Gegenspiel zur ,Gnade'" (ebd.), um nach dieser Absetzung vollends in die Verzwingung der berechnenden Machenschaft und Wirtschaft herausgesetzt zu werden. Wo die Natur als „Landschaft" und Erholungsgelegenheit ins Riesenhafte gerechnet und für die Massen zugerichtet wird, dort ist auch kein menschlicher Aufenthalt mehr, der sie feiern könnte. Und zumindest nach Heidegger schweigt die Erde solange zu dieser Zerstörung, bis der Dichter den Streit entfacht, „in dem sie ihr Offenes findet, in dem sie sich verschließt und Erde ist" (GA 65, 278). Erst aus der Gründung dieses dichterischen Wortes vermag die Natur einst wieder Stätte und Grund zur Feier zu sein. 3. Das Seyn und das Nichts: Wie Heidegger schon in „Sein und Zeit" und „Was ist Metaphysik?", allerdings in transzendental-horizontaler Blickbahn, ausführte, gehört zum Sein gerade um seiner Einzigkeit willen das Nichts. 38 Was Heidegger jedoch in transzendental-horizontaler Blickbahn das nichtende Entgleitenlassen nannte, versteht er nun als die aus dem ereignendnichtend-entgleiten-lassenden Zuwurf für den ereigneten Entwurf geschehende Erzitterung des Seyns selbst. Dem Menschen kommt die Ahnung des Seyns selbst „aus dem, was allein noch dem Seyn gleichrangig, weil ihm zugehörig bleibt, aus dem Nichts". So versteht Heidegger das Nichts in den
38 In „Was ist Metaphysik?" bekundet sich das nichtende Geschehen des zum Wesen des Seyns ge-hörigen Nichts in der Grundstimmung der Angst, in welcher das Dasein das Entgleiten des zuvor selbstverständlich offenbaren Seienden im Ganzen und seiner selbstverständlichen Offenbarkeitsweise erfährt. In eins mit diesem nichtendabweisenden Entgleitenlassen rückt das Seiende im Ganzen in seine ursprüngliche, nun aber befremdende Offenheit ein. Damit erweist sich das nichtende Entgleitenlassen als ein ursprüngliches Einrückenlassen des Seienden in seine Offenbarkeit als eine Wesensweise des Offenen selbst. Das daseinsmäßige Transzendieren des Offenen in die Enthülltheit des Seins erweist sich als ein Transzendieren in die ekstatisch-horizontal erschlossene Aufgeschlossenheit des Seins selbst in seiner wesenhaften Zusammengehörigkeit mit dem nichtenden Nichts.
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
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„Beiträgen", nicht als die „»negative' Bestimmung des ,Nichts', bezogen auf den allgemeinsten und leersten Gegenstandsbegriff von ,Sein"', der fürwahr „das R i c h t i g s t e ' " ist, sondern „fajls das Übermaß der reinen Verweigerung. Je reiner das ,Nichts', umso einfacher das Seyn" ( G A 65, 245). Weil
jede Geschehnisweise der Wahrheit des Seyns als Ereignis zumal Gewährung und Verweigerung ist, gehört zum Wesen des Seyns selbst die Verweigerung. Obschon zu jeder Geschehnisweise der Wahrheit des Seyns ein Maß von Verweigerung gehört, ist das Nichten des Nichts durch ein Übermaß der Verweigerung gegenüber der Gewährung und Entbergung gekennzeichnet. Da diese reine nichtende Verweigerung jedoch die Einsicht in die Wahrheit des Seyns schenkt, ist sie kein Nichtiges, sondern „höchste Schenkung" und „das wesentliche, schaffende' Jasagen" gegenüber dem „Ja des ,Machens' und des ,Erlebens'" (GA 65, 246). In seiner Selbigkeit mit dem Sein entsetzt also das Nichts das denkerische, dichterische und feiernde Da-sein aus seinem geläufig-verödeten Bezug zum Gewöhnlichen. Zugleich ver-rückt es den Menschen, sofern er sich eigens öffnet, in den Bereich des Ungewöhnlichen. Das mit dem Sein selbige Nichts entsetzt den Menschen, es setzt ihn „aus seinem gewohnten Dahinschlendern und seinen Ausflüchten heraus" (ebd.). Heidegger zitiert in diesem Zusammenhang aus einem überaus aufschlußreichen Hölderlinbrief: Je angefochtener wir sind vom Nichts, das, wie ein Abgrund, um uns her uns angähnt, oder auch vom tausendfachen Etwas der Gesellschaft und der Thätigkeit der Menschen, das gestaltlos, seel- und lieblos uns verfolgt, zerstreut, um so leidenschaftlicher und heftiger und gewaltsamer muß der Widerstand von unserer Seite werden. Oder muss er nicht? (GA 51, 74)
Wo der Dichter auf seine Weise angefochten und vereinzelt wird von der ab-gründigen Nichtung des Seyns und sich vor die Notwendigkeit des Widerstandes gestellt sieht, da bewegt sich das seinsgeschichtliche (Fest-) Denken in jenen vier Fragekreisen, die im Fugenbereich des Sprunges das denkerische Einrücken in das Offene der Wahrheit des Seyns vorbereiten sollen. 4. Das Seyn zum Tode: Der Einbezug des Todes in das Denken des Festes erscheint vorerst ebenso „unfestlich" wie der Einbezug der nichtenden Verweigerung. Wenn wir aber bedenken, daß die vorlaufende Entschlossenheit bereits in „Sein und Zeit" das eigentliche Selbstsein des Daseins ermöglicht, leuchtet ein, daß sie von der selbstzerknirschten Lebensfeindlichkeit eines flach verstandenen memento mori fernzuhalten ist. Indem das Dasein im vorlaufenden Freiwerden für den eigenen Tod von der Verlorenheit in die zufällig sich andrängenden Möglichkeiten befreit wird, um dadurch die der unüberholbaren Möglichkeit des Todes vorgelagerten faktischen Möglichkeiten allererst ergreifen zu können, wird es im eigentlichen Sein-zum-Tode auch frei zum Feiern. „Das Vorlaufen erschließt der Existenz als äußerste Möglichkeit die Selbstaufgabe und zerbricht so die Versteifung auf die je er-
200
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
reichte Existenz." (SuZ, 264) Doch wie die existenzial-ontologische Analyse des Seins zum Tode in „Sein und Zeit" „niemals anthropologisch und weltanschaulich' gedacht" (GA 65, 283) war, sondern im Dienste der fundamentalontologischen Beantwortung der Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt stand, so hat sie auch in den „Beiträgen" nicht den Sinn, das bloße „Nichts" zu erreichen. Sie soll vielmehr zeigen, „wie sich die Offenheit für das Seyn ganz und aus dem Äußersten" (ebd.) öffiie. Weil die Einzigkeit des Todes im Da-sein des Menschen in die ursprünglichste Bestimmung des Daseins gehört, vom Seyn selbst ereignet zu werden und aus dieser Ereignung seine Wahrheit (Offenheit im Sich verbergen) zu gründen, gehört die Todesoffenheit auch in ein seinsgeschichtliches Denken des Festes. „In der Ungewöhnlichkeit und Einzigkeit des Todes eröffnet sich das Ungewöhnlichste in allem Seienden, das Seyn selbst, das als Befremdung west." (ebd.) Wenn wir den ent-setzenden, ins Ungewöhnliche ent-rückenden Zug des Dichtens, des Denkens, insbesondere aber des Feierns bedenken, dann wird schlagartig offenbar, daß ein Denken des Festes ohne ein Mitbedenken des Seyns zum Tode die Endlichkeit des Menschen als des Sterblichen im Angesicht der Unsterblichen, der Götter, verfehlt. Dies gilt insbesondere, da Hölderlin mit seiner dichterischen Nennung des Seellosseins von sterblichen Gedanken den Bereich des Todes in innigster Nähe zum Fest eigens ausspricht. Am Anfang der noch zu stiftenden „Menschheitsgeschichte" sprach sich dies im mythisch-prophetische Gesang des Gilgamesch-Epos und dem Salomonischen Hohelied aus: Gilgamesch, wohin läufst du?/ Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden!/ Als die Götter die Menschheit erschufen,/ Teilten den Tod sie der Menschheit zu,/ Nahmen das Leben fur sich in die Hand./ Du, Gilgamesch - dein Bauch sei voll,/ Ergötzen magst du dich Tag und Nacht!/ Feiere täglich ein Freudenfest!/ Deine Kleidung sei rein, gewaschen dein Haupt,/ Mit Wasser sollst du gebadet sein!/ Schau den Kleinen an deiner Hand,/ Die Gattin freu' sich auf deinem Schoß!/ Solcher Art ist das Werk der Menschen! 39
b) Die Einheit des Gedichtes und die Einzigkeit
des Ereignisses
„Der Signifikant ist der Tod des Festes." Jacques Derrida 40
Bei der Entfaltung der vier Fragekreise des Sprunges auf das Fest hin begegnete uns bereits mehrmals die in allen sechs Fügungen häufig geführte Rede vom Einfachen und Einzigen. Was Heidegger in den „Beiträgen" vom Sprung in das Ereignis sagt, läßt sich in aufschlußreicher Weise auf das Fest als Ereig39
Das Gilgamesch-Epos. Übers, u. m. Anm. vers. ν. Albert Schlott. Stuttgart 1980, S.
40
J. Derrida, De la grammatologie. Paris 1967, S. 432.
75.
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
1
nis hin spezifizieren. Zum Sprung in das Ereignis - wir ergänzen hier: zum denkenden, dichtenden und feiernden Einrücken in den Wesungsbereiches des Festes, muß Einer gerüstet sein für die Unerschöpflichkeit des Einfachen, damit es ihm sich nicht mehr entziehe durch die Mißdeutung als des Leeren. 41 Das Einfache, in dem sich alle Wesung gesammelt hat, muß wiedergefunden werden in jeglichem Seienden, nein dieses in jenem. Aber Jenes erreichen wir nur, indem wir dieses jeglich Ding, im Spielraum seines Geheimnisses aufbewahren und nicht meinen, durch Zergliederung unseres schon festen Kennens seiner Eigenschaften das Seyn zu erhaschen. (GA 65, 278 f.)
In Heideggers beiden Auslegungen der Hymne „Andenken" begegnen uns zehn in sich einige, zugleich aber in sich geschiedene Redeweisen von Einheit, Einigkeit und Einzigkeit. Wenn wir dieses zehnfach in sich zerklüftete
Einheits-
phänomen durch unsere Aufzählung und Zusammenstellung nicht wiederum vereinheitlichen, vermag es einiges zur Wegbereitung zu jenem Einen beizutragen, worum es in dieser Arbeit geht: die Einheit von Denken und Feiern bzw. Fest.42 /. Das Denken des Hölderlinschen
geschichtlichen
Wortes als das Erste und Einzige des seins-
Denkens: A u f den Stoß jenes Einzigen hin, „daß Hölderlin
jener Sagende werden mußte, der er ist" (GA 65, 485) und dem Grundsatz gemäß, „Hölderlins Wort das Gehör zu schaffen" (GA 65, 422), betont Heidegger auch in der „Andenken"-Vorlesung: „Das Erste und Einzige, was die Vorlesung versucht, beschränkt sich darauf, das, was Hölderlin gedichtet hat, zu denken und denkend ins Wissen zu bringen" (GA 52, 5 vgl. 8). 2. Die Einzigkeit der Hölderlinschen
Dichtung:
Dieser Vorzug und diese Ein-
zigkeit des Vorhabens der Vorlesung gründet in der Einzigkeit der Hölderlinschen Dichtung selbst, die weder wertend-elitär, d.h. nur wieder messend und vergleichend, gemeint ist, noch durch „Erhebung unseres eigenen Ichs zum maßgebenden Gerichtshof, vor dem sich dieses Wort erst ausweisen soll" (GA 52, 9), nachgewiesen werden kann. Denn „die Forderung von vorausgehenden Beweisen für das dichtende Vermögen des Hölderlinschen Wortes ist in Wahrheit eine Entwürdigung dieses Wortes" (ebd.), nivelliert sie doch dessen Einzigkeit. 3. Heideggers „Andenken 1-Auslegung
als ein Weg: Entsprechend fordert Hei-
degger dazu auf, mit ihm „einen Weg zum Wort Hölderlins zu versuchen, 41 Heidegger setzt sein Verständnis des „Einfachen" hier offensichtlich von Hegel ab. (Vgl. G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. 3. Kap. B. b. Das Eins und das Leere. Bd. 5, S. 184). 42 Wenn wir von „in sich zerklüftete Redeweisen" sprechen, so suchen wir damit zum Ausdruck zu bringen, daß ein Sprechen von der Zerklüftung stets in Gefahr ist, das als zerklüftet angesprochene Seyn durch ein übergreifendes Sprechen doch wiederum zu vereinheitlichen.
2
Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
einen Weg, nicht aber ,den' Weg. Niemand", Heidegger eingeschlossen, „darf meinen, ,den' Weg zu wissen" (GA 52, 9). Mit ähnlicher Ausrichtung sagt Heidegger in den „Beiträgen" zur Fuge des Ereignis-Denkens: „Hier ist nur erlaubt die Verfügung über einen Weg, den ein Einzelner bahnen kann, unter Verzicht darauf, die Möglichkeit anderer und vielleicht wesentlicherer Wege zu überschauen" (GA 65, 81). Wir können entsprechend ergänzen: auch die denkerisch-andenkende Vorhofbereitung für ein Einrücken in den Zeit-Raum des Hölderlinschen Wortes als der Wesungsdimension einer andersanfänglichen Festlichkeit versteht sich als ein Versuch. 43 4. Die der Gedichtauswahl
zugrunde
liegende Einheit:
Daß das Ablassen v o m
alles zergliedernden und zusammenfassenden System zugunsten der in sich offenen Fuge für jeden Sachverhalt gilt, wird deutlich, wenn es heißt, nur der innere Zusammenhang der Gedichte selbst könne , jene Einheit sichtbar machen, in der ein Rechtsgrund für diese Auswahl" (GA 52, 11) liege. Das, „was wir äußerlich genug eben Zusammenhang' nennen, was in Wahrheit jedoch eine ,Einheit' eigener Art ist" (GA 52, 12), kommt indes nur zum Vorschein, „wenn jedes dieser Gedichte rein in sich spricht" (GA 52, 11). Hölderlins dichterisches Nennen des Festes steht also nicht in einem übergreifenden Zusammenhang, sondern fächert sich auf in die zerklüftete Fuge des Zeit-Raumes seines Gesanges. 5. Die verborgene
Einheit
des Gedichteten
des Gedichts:
W e i l sich in Hölder-
lins Werk dennoch eine eigentümliche, da nicht vorstellbare Einheit ausspricht, sollten wir „das Gedicht in Einem hören und uns nicht an einzelnen ,Bildern' ergötzen und das Übrige einer ungefähren Stimmmung überlassen" (GA 52, 25). Dem letztgenannten Bezug zum Gedicht entspricht es, „der widerlichen Art [zu] folgen, ,Stellen' aus Dichtungen anzuführen, die dabei selbst gar nicht in sich als jeweilig einzig-einiges Wort gehört sind" (GA 52, 60). Da wir bei einem solchen Bezug selbst die systematische Einheit stellen, die das Richtmaß für eine Zusammenstellung abgibt, laufen wir Gefahr, nur wiederum in überkommene Systematiserungsschemata zurückzufallen.
43
Wir verstehen Heideggers Rede vom Denkweg als einem Weg weder relativistisch noch perspektivistisch. Heidegger redet hier nicht der Relativität des Erkennbaren oder der Erkenntnis (des Gedichteten oder der Wahrheit des Seyns) das Wort. Ein solcher Relativismus ist noch indirekt auf die Dinge selbst und ihre Eigenschaften, d.h. auf ein transzendentales An-sich-Sein orientiert. Ebensowenig versteht er seinen einen Denkweg unter möglichen anderen und wesentlicheren als eine Ausgestaltung des Willens zur Macht, die sich vor der Unerfaßbarkeit des Lebens und anderer Ausgestaltungen des Willens zur Macht in vornehmer Weise zu perspektivieren hätte. Einen Weg gehen, nicht aber den Weg, heißt im Ereignis-Denken vielmehr, die eigene Denkerfahrung als eine endliche Weise verstehen, dem Anspruch des Seyns zu entsprechen, und zwar so, daß sich diese Endlichkeit weder am Ansichsein mißt noch auf das sich in seinem Machtwillen übersteigernde Selbst zurückbeugt, sondern in die Abgründigkeit der grundlegendsten Verbindlichkeit selbst hinausklaffen läßt.
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
3
Heidegger fordert dagegen dazu auf, „das ganze Gedicht aus dem Grunde dessen [zu] denken, was es dichtet. Dies Gedichtete ist das Eine, dem in der ganzen Hymnendichtung das Wort gesucht wird" (GA 52, 172). Weil wir ,,[d]ieses Eine und Einheitliche, dem das Gedicht wohl seinen verborgenen Zusammenhang verdankt, [...] zunächst nur in der Gestalt der undurchsichtigen Beziehungen der Strophen und Verse" (GA 52, 25) kennen, müssen wir „einen Weg suchen zur eigenen Einheit des Gedichteten" (GA 52, 29), der gleichwohl wie ein Umweg erscheinen mag. Derartige Umwege werden nötig, weil uns, wie wir sahen, „das Wesen des Wortes (der Wörter und Worte) [...] zwar in gewissen Stücken bekannt, aber in Wahrheit gänzlich verschlossen ist" (GA 52, 34). Insofern wir uns also schwer tun, „die Einheit der lautenden Wörter und des dichtenden Wortes zu fassen" (ebd.), d.h. insofern uns Sprache zu einer ins Zusammenhanglose zerstreuten Viel- und Unzahl von Bedeutungskonstrukten geworden ist, müssen wir uns „zugleich in die Abfolge der Verse und Strophen einlassen und dennoch den Bezug einhalten zu dem, was im dichtenden Wort das Gedichtete ist" (ebd.) 44 . Das den Bezug zur Einheit des Gedichteten einhaltende Sicheinlassen in die Vers- und Strophenfolge des Gedichtes bereitet so das Einrücken in seinen Wortraum vor. „Indem wir so im voraus vom Beginn und vom Ende her das Gedicht in seine noch verborgene Einheit zurückverfolgen, wird unser inneres Ohr schon gesammelter." (GA 52, 36). Dagegen sieht sich die herkömmliche Literaturwissenschaft bei der Interpretation der Hymne vor die Herausforderung gestellt, „den eigentlichen ,Inhalt' des Gedichtes zu suchen" (GA 52, 29). Der „Inhalt" (Gehalt) des Gedichtes verhält sich dabei zu seiner „Form" (Gestalt, Vers- und Strophenfolge), zu seinen „Bildern" und zu dem „Erinnerten" wie das Wasser zum Glas. Das Gedicht ist ein Behältnis, das eine Botschaft transportiert. „Wir können meinen, das Gedichtete sei ein abgelöster ,geistiger Sinn' und der Wortlaut des Gedichtes sein zufälliges ,Sinnbild " (GA 52, 34) Dieser in der abendländischen Kunstbetrachtung seit Piaton gängige Form-Inhalt-oder Sinn-Sinnbild-Dualismus hat seinen Ursprung in der metaphysischen Wesensbestimmung der Sprache und fürderhin des Seins selbst. 6. Die einfache Einheit
des echten Wortes als des Sprachwesens:
„ A u c h ,die
Sprache' selbst zwingt man in dieses [Form-Inhalt-]Schema und faßt die Lautgestalt des Wortes als seinen ,Leib', die Wortbedeutung aber als seine ,Seele' oder seinen ,Geist'" (GA 52, 34). Auch hier führt die Einheit als eine gewalttätige zu einer Zerrissenheit. Denn in der abendländischen Tradition, mehr denn je und endgültig jedoch im zeitgenössischen Dekonstrukti44 Auch hier ist die Redeweise vom den Bezug zum Gedichteten einhaltenden Sicheinlassen-m die Vers- und Strophenfolge keineswegs zufällig. Nur im Eingelassensein in den Vollzugssinn des Gedichtes eröffnet sich ein Sicheinlassen auf das Wesungsgeschehen der Sage.
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
vismus, werden Sprachkunstwerke, schriftliche Zeugnisse und Zeichensysteme überhaupt, ja sogar und gerade die Welt selbst wie ein aus mannigfachen Bedeutungseinheiten zusammengesetzter Text ausgelegt. Während die metaphysische Lesart diesen Welttext auf eine transzendente Bedeutungseinheit hin interpretiert, kommt die dekonstruktivistische zu der konsequenten Bestandsaufnahme, daß dem postmodernen Menschen der Zugang zu einem nicht-metaphysischen, nicht-hypostasierenden Bezug zum Ganzen verwehrt ist und wir uns der Fixierung auf das Signifikat, das Bezeichnete, der Wortbedeutung als einer sinnstiftenden Einheit entledigen sollten. Beide Auslegungen haben ihren Ursprung im metaphysischen Wesensverständnis der Sprache, beide orientieren sich zum einen an der Vielheit der ausgesprochenen Wörter und verfehlen andererseits die Einfachheit des Wortes in der ihm eigenen Zerklüftung. Beide, Dekonstruktivismus und Metaphysik, stehen in einem nicht-endlichen Verhältnis zur Vieldeutigkeit und Vielzähligkeit der Sprache. Wo die Metaphysik sie einer selbstgemachten Einheit unterwirft und so austilgt, läßt es der Dekonstruktivismus bei ihr bewenden, ohne endliche Stellung zu beziehen. Auch der einzige bereite Ausgriff sieht sich zunächst der Vieldeutigkeit des dichterischen Wortes gegenübergestellt, welche einem nach exakter Eindeutigkeit und Treffsicherheit des Wortes strebenden Sprachverständnis beliebig anmuten mag. Doch ist der Reichtum jedes echten Wortes nicht „die einfache Einheit des Wesentlichen", das seinen Grund darin hat, „daß es Anfängliches nennt und jeder Anfang unerschöpflich und einzig zugleich ist" (GA 52, 15)? 7. Die Einfachheit
des Hörens
auf das Gedichtete
des Gedichts:
Insofern das
in-sich-einfach-einige und uns in eine Er-fahrung mit dem Sprachwesen führende Wort des Gedichtes sich selbst, den Dichter und die Hörenden überdichtet, d.h. die Schwingungsräume welthafter Bedeutsamkeit im Gespräch in-und übereinanderhinwegschwingen läßt, ist auch das Hören ein einfaches. Als mit dem sonstigen Vernehmen innehaltendes Horchen ist das Hören auf dieses Wort nicht nur „das völlige Alleinsein mit dem Kommenden", sondern auch die „Sammlung auf den einzigen bereiten Ausgriff in den noch nicht heimischen Bezirk einer Ankunft" (GA 52, 14). Die horchende Versammlung auf das Einzig-Eine des Gedichteten des Gedichtes und die sich in ihm aussprechende Ankunft erfährt ihre ausdrückliche dichterische Nennung in der Grußübereignung an den Nordostwind. Seiner Einfachheit hat das Denken in seinem Sagen zu entsprechen: Daß das Gegrüßte und der Gruß in ihrem Wesen ganz einfach sind, verlangt zu seiner Entsprechung auch ein einfaches Hören. Weil jedoch wir, die wir hören und hören lernen sollen, seit langem schon in ein ungeprüftes Vielerei verstrickt sind, können wir das Einfache nicht unmittelbar einfach vernehmen, ohne wesentlichen Täuschungen zum Opfer zu fallen, indem wir das uns gerade Geläufige schon für das Einfache halten. (GA 52, 85)
Unser Ohr ist taub geworden für das Einfache, das verstummte und solange stumm bleibt, bis wir wieder lernen, auf es zu hören. Der Einheit, Einigkeit
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes und Einzigkeit hörend entsprechen, heißt deshalb erst einmal erkennen, wo w i r es uns „einfach" machen, wo w i r aber letztlich zerstreut sind in ein Vielerlei und Einerlei, um sodann im Abstoß vom Geläufigen hören zu lernen. 45 8. Das Feiern als Freiwerden
für das Einfache
des Seienden, das Fest als ein-
zig-eine Festweile: Als ein Freiwerden vom nur Gewöhnlichen des Alltags durch das Freiwerden für das Ungewöhnliche ist indes auch das Feiern zu verstehen. Das i m Feiern als einem Aufhorchen erfahrene Ungewöhnliche ist „das ständig Wesende, Einfache und Eigene des Seienden, kraft dessen es sich im Maß seines Wesens hält und dem Menschen das Maßhalten abfordert" ( G A 52, 66). Als das Einzige hat das Ungewöhnliche im Fest seine Weile ( G A 52, 93). Die Weile des Festes ist eine Zeit des Anfangens, d.h. des Eingehens auf das Mehrerlei und Vielerlei, in das sich die Gewöhnung zerstreut hat. In einem zumal ist diese Weile das Sichversammeln auf das Einzige. Denn „Einziges ist ,nur' als das Anfängliche. Jeder Anfang ist einzig. A l l e r Fortgang zerstreut in das Mehrere und läßt ein Mehrerlei zurück, und dieses fordert stets das Eingehen auf das Verstreute" ( G A 52, 9 4 ) . 4 6 Feiern ist also ein systolisches Sichversammeln aus der Zerstreuung der alltäglichen Zeit auf die einzig-eine Weile des Festes. 47
45 Wenn Heidegger uns hier auffordert, dem Einfachen des Gedichtes durch ein einfaches Hören zu entsprechen, so dürfen wir dies weder im Sinne einer metaphysischen όμοίωσις- oder adaequatio-Beziehung zum Erkenntnisgegenstand noch im Sinne eines abstrahierenden Aufstiegs vom Vielen zum Einen auffassen. Das Eine hören wir nicht, indem wir möglichst Vieles sammeln, ordnen, uns vorhalten und wechselweise analytisch vom Einen zum Vielen und synthetisch vom Vielen zum Einen auf- und absteigen. Ebensowenig liegt das Eine schon irgendwo vor, um dann einheitlich gedacht und so erfaßt zu werden. Was bereits vorliegt, das Geläufige, überhört vielmehr das Einfache. 46 Auch hier stehen wir vor der vorsichtgebietenden Aufgabe, den Einigkeits-, Einheits- und Einzigkeitscharakter der Festweile nicht unter die von uns reformalisierte Einheit des Gedichtes und des in ihm Gedichteten bzw. des Gedachten zu zwängen. 47 Wie Feier und Fest, so stehen auch die anderen „Einzel"-Phänomene des Gedichtes, vom Nordostwind des ersten Verses an bis zu dem von den Dichtern gestifteten Bleibenden im innig-zerklüfteten Bezug zu jener Einheit, Einigkeit und Einzigkeit, die sich nicht abstrahieren und rückwendig auf den Text konkretisieren läßt: das Zusammenrücken der gegrüßten Gärten, des Stromes, des Steges und des Baches „in ein Entzücken" (GA 52, 52); das Zwischenwort „Noch denket mir das wohl..." „als ein Atemholen inmitten der Fülle des Einfachen" (GA 52, 54); das ins Wort und somit in seine Einheit bringen der Einheit des Gegrüßten durch die ganze Innigkeit des Grußes (GA 52, 56); das Gefügtwerden des Sagens in einen einzigen rätselhaften in sich zurückschwingenden und jegliches im einzelnen Genannte zum Schweben bringenden Bogenschwung (GA 52, 62); das Zusammengebrachtwerden alles Gesagten „in die Einheit einer Welt" durch das Zwischenwort „daselbst" (GA 52, 82); der Wesensausgleich von Tag und Nacht als die Einheit ihres wechselweisen und strittigen Einanderzugehörens (GA 52, 88); das wesenhafte Eins- und Einigsein von Freude und Trauer im Heiligen (GA 52, 77 u. 130); die sich in der Langsamkeit der Stege aussprechende Fülle des Einzigen und Einfachen als die in der Dichtung enthüllte und verborgene Wahrheit des Seyns (GA 52, 125); das ursprüngliche Wesen des Gespräches als das Einigende der
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis 9. Die Einheit
und Einfachheit
der ursprünglichen
Bezüge von Mensch, Seien-
dem, Seyn, Heiligem und Göttlichem: Alle genannten Weisen von Einzigkeit, Einigkeit und Einmaligkeit, die das seinsgeschichtliche Denken des Festes so nachhaltig bestimmen, sind nun aus dem verfugt, was Heidegger auch im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Fest die Fuge des Seyns nennt. Auch das das Fest bestimmende Gottwesen ist einzig und zugleich in sich gefügt. „Die im Fest Sich-Entgegnenden [Menschen und Götter] verlieren sich weder in einer wesenlosen Vermischung, noch bleiben sie in der Starre eines bloßen Gegenüber stehen, vielmehr tragen sie sich wechselweise und über das Entgegnende hinaus, je das eigene Wesen zu." (GA 52, 99) Die Dimension, die die wesenlose Vermischung verhindert und das Einander-Entgegnen gewährt, ist das Heilige. Aus ihm sind Götter und Menschen „zuvor, und zwar jedesmal verschieden" (GA 52, 99 f.), zu ihrem Entgegnen bestimmt. Während das Heilige „die Bezüge des Heiligen zu den Menschen und zu den Göttern, die Bezüge der Götter und der Menschen zum Heiligen, die Bezüge der Menschen und Götter zueinander und die Bezüge des Zueinander selbst zum Heiligen" (GA 52, 100) fügt, ist das Seyn ,,[d]ie Einheit und Einfachheit dieser ursprünglichen Bezüge [,...] die Fuge, die alles fügt und Jegliches bestimmt, was der Fug ist" (ebd.). Was Heidegger hier die Schickung des Heiligen und die Fuge des Seyns nennt, kennen wir aus dem im Humanismusbrief genannten Gefüge der Bereichseröffnung für ein Fragen nach „Gott": „Erst aus der Wahrheit des Seins läßt sich das Wesen des Heiligen denken. Erst aus dem Wesen des Heiligen ist das Wesen von Gottheit zu denken. Erst im Licht von Gottheit kann gedacht werden, was das Wort ,Gott' nennen soll" (BH, 41 f.). 10. Das andenkende Dichten
als das Zusammenbringen
auf das Eine: Insofern
es jedoch erst die Dichtung (Hölderlins in ihrer Einzigkeit) ist, die dem Denken Winke zu einem gewandelten Vollzugsverständnis von Einmaligkeit, Einigkeit und Einzigkeit gibt, muß das anfängliche Dichten überhaupt in einem ausgezeichneten Bezug zu jener Vielfalt von Geschehensweisen von Einheit stehen. Tatsächlich spricht die vierte Strophe des Gedichtes davon, daß durch die zur See gefahrenen Dichter „das Schöne der Erd" „zusammengebracht, d.h. auf die Einheit des Einen zurückgesammelt" (GA 52, S. 174) wird. So steht nicht nur jener einzelne, einsame und einzige Dichter
Entgegnung von Menschen und Göttern (GA 52, 157); das im Gespräch ausgesprochene und gehörte Viele der gewesenen Tage der Liebe und der geschehenen Taten als „die Fülle des Einen" (GA 52, 160); das Gehaltensein der Scheu vor dem Gang an die Quelle „durch das eindeutig Einzige, wovor sie Scheu ist" (GA 52, S. 171); die wesenhafte ursprüngliche Armut als „der Mut zum Einfachen und Ursprünglichen, der nicht nötig hat, an etwas zu hängen" (GA 52, 174); das eigentliche Walten des Ersten und Einzigen im Letzten des Meeres (GA 52, 175).
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
in einem ursprünglicheren Bezug zur Einheit und Einzigkeit des Seins, sondern auch sein dichterisches Andenken selbst. Die Schönheit als das Seyn kann nur durch die συναγωγή " durch die Zusammenbringung auf das Eine, nicht durch das verstreute Abschreiben von Tatsachen in den Blick gebracht werden. Das Zusammenbringen bringt nicht erst das Eine zustande, sondern hat dieses Eine als das Einigende schon im Blick und bringt es in der Einigung zum Erscheinen. Das Eine ist das Insichruhende, Königliche der „Königin" „Schönheit". (GA 52, 177)
In seiner höchsten Ausgestaltung, die Heidegger in dem heimgekehrten, den freien Gebrauch des Eigenen erlernt habenden Dichter sieht, stiftet der Dichter das Bleibende. „ U m das Bleibende stiften zu können, muß der Dichter selbst ein Bleibender sein; er muß das Eine vermögen, zu bleiben in dem Vielen, was in der langen Zeit zu tragen und im Gesang zu tragen bleibt." (GA 52, 194) Fassen wir zusammen: Jenes Erste und Einzige (1.), zu dem das andersanfängliche Denken einen Weg (3.) zu bahnen sucht, die Hörbarmachung der Einzigkeit des Hölderlinschen Wortes (2.), hat ihren Wesungsgrund in der nicht systematischen, sondern fugenhaften Einzigkeit des Ereignisses, die auch den Wesungsgrund für Heideggers zuweilen unmotiviert und unausgewiesen anmutende Zusammenstellung von Stellen und Gedichten abgibt (4.). Bestimmt aus der unübergreifbaren Einzigkeit des Ereignisses ist auch die verborgene Einheit des Gedichteten des Gedichtes (5.), des Hörens auf dieses (7.), vor allem aber die Einigkeit des Sprachwesens überhaupt (6.). Insofern jedoch Hölderlins dichterisches Sagen dem geschichtlichen Anspruch dieses Sprachwesens entspricht, dichtet er nicht nur die Dichtung selbst als das Versammeln des vielen Seienden auf seine Ein- und Schönheit (10.). Er versammelt auch dichterisch die im Gedicht genannten Dinge auf das Eine hin (9). In einer höchsten Weise jedoch versammelt er das Fest auf seine im Ereignis schwingende Einzigkeit hin, indem er dichterisch sagt, daß das geschichtliche Feiern, wie auch Denken und Dichten, ein Versammeln auf das Eine des Ereignisses ist (8.). Wir „zählen" somit zehn „verschiedene" Geschehnisweisen von Einheit, Einigkeit und Einzigkeit, die wir nicht unter das vereinheitlichende und dadurch zugleich ins beliebige Vielerlei zerstreuende Diktat einer an Seiendheiten gemessenen Allheit zwingen dürfen. Vielmehr geht es darum, sie in ihrer freischwingenden, in sich zerklüfteten, abgründigen Innigkeit hervorzuheben. Wir können sagen, daß sich in ihnen in je unterschiedlicher und nicht zu übergreifender Weise die Einheit, Einfachheit und Einzigkeit der Wahrheit des Seyns ausspricht. Hiermit zeigt sich zugleich, was wir uns vom seinsgeschichtlichen Denken des Festes nicht erwarten dürfen: Da es einem seins-geschichtlichen Denken entspringt, kommt weder ihm selbst als denkerischer Bestimmung noch dem durch ihn Bestimmten, dem Fest, überzeitliche Gültigkeit zu. Wenn sich das seinsgeschichtliche Denken des Festes vom Dichten einen Weg in die Geschichtlichkeit des Festes, j a gar in die Festlichkeit der Geschichte, weisen läßt,
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2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
dann nicht, weil das Dichten nun „über" dem Denken stehe und ebensowenig weil das Denken das dichterisch Gesagte übersetzt und nachträglich in ein System eingliedert. Der Fugencharakter des seinsgeschichtlichen Denkens verwehrt sich vielmehr jeder vereinheitlichenden Systematisierung. Es reißt die Zerklüftung der unterschiedlichen Seins- und Bergungsweisen auf, um ihren je eigenen und einzigartigen Geschehenscharakter denkerisch zu sagen. Da es aber gerade der Systematisierungsdrang und der unweigerlich mit ihm einhergehende Vernutzungszwang der Philosophie war, der zur Verstellung der Wahrheit in ihrem Ereignischarakter führte, müssen wir eingestehen, daß auch die Fragestellung unserer Ausarbeitung metaphysisch geprägt ist und wiederum zu einer Verstellung führen kann. Um die metaphysische Prägung unserer Fragestellung hinter uns lassen zu können, müssen wir ablassen von der dem platonischen Idealismus entstammenden Vorstellung, das Denken lege einen Sinn frei, den es irgendwo, hier „beim Feiern" oder in einer „Weltanschauung des Festes", zu verwirklichen gelte. Im letzten Abschnitt der Fügung des Sprunges nennt Heidegger die Wesung des Seins Jenes, worin wir erfahren müssen" (GA 65, 289). Was Heidegger hier, unter bewußter Auslassung des Zeitwortes „ist", das ^/«-fahren in die Wesung nennt, „ist" die denkerische Widerfahrnis jener mannigfaltigen in sich zerklüfteten Ein-heit, nicht nur der Gleichzeitigkeit von Seyn und Seiendem, sondern auch der Ein-heit von gedachten und gefeierten Festen. In der „Andenken"-Vorlesung vollzieht sich dieses Erfahren der zerklüftet-innigen Eins, der sich keine Kopula „ist" im Urteil mehr zusprechen läßt, in der Weise eines mannigfaltigen Übergangs.
c) Das Übergängliche als das Schwingungsgefüge für den Einschwung in das Ereignis
a) Die Weisen des Überganges im seinsgeschichtlichen Denken Nachdem wir aufgezeigt haben, daß das Fest im Ereignis-Denken nicht in die statische Einheit eines Strukturgefüges des Seins gezwängt wird, gilt es nun, die „Dynamik", besser den Vollzugs- und Bewegungssinn dieser innigen Vielfalt, zu erläutern. Dies soll anhand des Übergangsphänomens geschehen, das in seinen vielfältigen Bedeutungen nicht nur die „Andenken"-Vorlesung und andere Vorlesungen dieser Zeit bestimmt, sondern darüber hinaus in einer kaum überschätzbaren Sachnähe zum Festphänomen steht. In der Vorlesung begegnen uns vier in sich einige, zugleich aber einzige Weisen des Übergangs: 1. Die Übergänglichkeit des Gedichtes: Zunächst ist das Gedicht selbst ein Übergangsgefüge, d.h. eine Fuge, die den Hörenden in die Ereignishaftigkeit seines Sagens einschwingen kann. Übergänge begegnen uns zunächst von
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
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einer Strophe des Gedichtes zur anderen. So spricht sich im Übergang von der zweiten Strophe, „in deren Schluß sich das Grüßen des anderen Landes und Festes vollendet, zur dritten Strophe" (GA 52, 136) die Entscheidung des sprechenden Dichters zu dem in der Hymnendichtung vollzogenen „Übergang in das Heimische und dessen Gründung aus" (GA 52, 148). Desgleichen erhellt die Frage „Wo aber sind die Freunde..." im Übergang zur vierten Strophe, daß die Freunde des Dichters noch nicht im Heimischen sind, in das der Dichter bereits „hinübergegangen ist und von wo aus er grüßt" (GA 52, 167). Wenn Heidegger gar beim Übergang von der zweiten zur dritten Strophe von einem „Abgrund zwischen dem Grüßen und dem Notruf 4 nach dem Weinbecher spricht (GA 52, 138), so handelt es sich hierbei um keine Metapher, die eine textrhythmisch-formale oder inhaltliche Zäsur veranschaulichen soll, sondern um die denkerische Sprechweise von der dichterischen Erfahrung des zur Entscheidung stehenden Ab-grundes des Zeit-Raumes. „Der Übergang von Strophe zu Strophe scheint sich zwar nur im Äußeren des Gedichtes zu halten" (GA 52, 128), doch gemahnt uns das geforderte Sichabstoßen vom Form-Inhalt-Dualismus der metaphysisch geprägten Dichtung und Gedichtsauslegung, denkerisch überzugegehen in die über einander hinweggreifende Übergänglichkeit der „einzelnen" Strophen. In den Strophenübergängen schwingt also die Übergänglichkeit des dichtenden Andenkens selbst und somit die Übergänglichkeit jenes andenkenden Festes, in dessen Zeit-Raum das Gedicht uns zu ver-setzen sucht.48 2. Die Übergänglichkeit des Gedichteten: Auch die „im" Gedicht genannten „Phänomene", die wir nun nicht zu den vom Gedicht transportierten „Inhalten" vergegenständlichen dürfen, werden in ihrer je eigenen und einzigen Übergänglichkeit gesagt: der Nordostwind, die von ihm zu grüßende Landschaft, die Märzenzeit als jene Zeit des Jahreslaufes, da der Übergang von den kürzeren Tagen in die kürzeren Nächte einen zeit-weiligen Ausgleich erfährt, das feiertägliche Gehen der „braunen Frauen", der Gang über den langsamen Steg, das Eingewogenwerden vom Wachsein in die goldenen Träume, das Sichergießen des aus der Quelle entsprungenen Stromes in die See, die Heimkunft des Dichters aus dem südlichen Land der Griechen in sein Heimatland „Germanien" und nicht zuletzt die Feiertage selbst. Alle hier dichterisch genannten Phänomene versammeln auf je eigene Weise die Geschichtlichkeit des „Andenkens" auf sich. D.h. an allen ist phänomenologisch zu entfalten, inwiefern das dichterische Sagen dem Denken „hier" den
48 Der Einblick in die Einheit des Gedichtes als der Einzigkeit des Ereignisses hat uns belehrt, daß es sich hierbei um keine „Formfrage' 1 handelt. So weist Heidegger darauf hin, daß der erste Vers „Der Nordost wehet" „das Geheimnis des ganzen Gedichtes" enthalte und es gelte, diesen Vers ,,[i]m Übergang von jeder Strophe in die nächste" (GA 52, 32) mit anklingen zu hören. 14 Knödler
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2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
Schwingungsbereich des ereignenden Zuwurfes für den ereigneten Entwurf eröffnet. 3. Die Übergänglichkeit des Dichtens: Das dichterische Andenken ist in seiner spezifischen, bislang noch nicht gedachten, zeit-raum-eröffnenden Geschichtlichkeit selbst ein Übergang, in den das Gedicht „Andenken" (seine Leser) einzuschwingen sucht und in den Hölderlin selbst im Übergang in die Hymnendichtung eingegangen ist. Heidegger spricht auch vom „übergängliche[n] Sagen" (GA 52, 129). Dabei ist der heimgekehrte Dichter in anderer Weise „Dichter des Übergangs" (GA 52, 170) als die zu Indiern gegangenen Freunde. Insofern er bereits in der Fremde den freien Gebrauch des Eigenen gelernt hat, d.h. insofern er aus dem Rückgang in den ersten Anfang des Griechenlandes den Übergang in den anderen Anfang bereiten gelernt hat, dichtet er in anderer Weise übergänglich als seine Freunde. Der an die Quelle zurückgekehrte Dichter ist in einem zumal der aus dem Übergang ereignete Dichter des Übergangs {genitivus subjectivus) und der den Übergang dichterisch sagende und somit ins übergängliche Wort bergende Dichter des Übergangs {genitivus objectivus). Die Freunde hingegen sind übergänglich, insofern sie mit der Ausfahrt aufs Meer den scheuen Rück- und Übergang zur Quelle zwar angetreten haben, aber noch nicht eigens ins Wort zu bergen vermögen. 4. Die Übergänglichkeit des Denkens: Das Denken indes, welches sich auf seine Weise in den Schwingungsbereich des Gedichtes einzuschwingen versucht, ist ebenfalls ein Übergang und zwar eine Übergangsbereitung in ein gewandeltes (eben übergängliches) Denken des Geschichtswesens. Übergang bedeutet hier zugleich Übergang in die Geschichtlichkeit dieses Denkens selbst als das Sicheinschwingen in den Gegenschwung von ereignendem Zuwurf und ereignetem Entwurf Insofern also das seinsgeschichtliche Denken einzurücken, d.h. überzugehen sucht in das in sich übergängliche Wesen der Geschichte, ist sein Denken des Überganges ereignet aus dem Übergang und so Denken des Übergangs {genitivus subjectivus). Insofern ihm dieser Übergang glückt, birgt das seinsgeschichtliche Denken im Übergehen in den Übergang diesen selbst ins denkerische Wort. Es wird zum Denken des Übergangs {genitivus objectivus). Seine fragende Vorbereitung (Vorfrage) jedoch findet der Übergang in das andersanfängliche Denken aus dem in „Sein und Zeit" vorgedachten Übergang von der erstanfänglichen Leitfrage nach der Seiendheit des Seienden in die andersanfängliche Grundfrage nach dem Sein selbst. Die denkerische Übergangsbereitung durch die Übergangsfrage des ersten Ausarbeitungsweges ist also selbst übergänglich. Wie wir sehen, vollzieht sich die in sich einig-einzige Innigkeit des Andenkens als ein in sich ebenso einiges Gefüge von Übergängen. Im Fugenbereich des Sprunges, in dem wir uns augenblicklich bewegen, ist diese Übergänglichkeit insofern von Belang, als sich im Sprung selbst ein Übergang vollzieht: das ent-setzende Übergehen vom geläufigen Verständnis von Raum, Zeit, Mensch,
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Gott, Geschichte, Gemeinschaft und Fest in ein gewandeltes, selbst übergängliches Vollzugsverständnis. Bevor wir also übergehen können in ein gewandeltes Denken der Geschichte und des Festes als des Übergänglichen, müssen wir selbst übergehen vom metaphysisch-geprägten Erfassen und Verrechnen der μεταβολή in ein seinsgeschichtliches. Gemeinhin ist es uns ganz selbstverständlich, was es bedeutet, wenn die Jahreszeiten ineinander übergehen, wenn wir über einen Steg gehen, wenn der Strom übergeht ins Meer und wenn der Alltag in einen Feiertag übergeht. Die lebensweltlichen, wissenschaftlichen oder philosophischen „Kategorien" und Gemeinbegriffe zur Bestimmung des Überganges von einem Seienden in das andere, so meinen wir, liegen schließlich vor. Mag ihre Auslegung auch auf „abstrakter Ebene" differieren, Raum, Zeit, Kausalität, Identität, Ausschluß vom Widerspruch bieten dennoch das Raster, auf welches das Verständnis von Übergang zurückgreifen muß. Anders zeigt sich der Übergang, wenn wir uns einlassen auf das Gedichtete der Hymne: So ist denn der Übergang nicht das Weg von Einem und das Fort zum Anderen, sondern die wesentliche Art des Zueinanderkommens des Einen und des Anderen. Übergang ist nicht Vorübergehen, sondern das in sich gesammelte Bleiben, das Eines und das Andere einigt und so beide aus ihrem bleibenden Wesensgrund hervorgehen und ihn allererst bleiben läßt. (GA 52, 85 f.)
ß) Das gewöhnliche Verständnis des Übergangs Gemeinhin verstehen wir den „Übergang" so, daß er entweder den Umschlag eines Phänomens in ein anderes betrifft oder den Umschlag gewisser Eigenschaften an ein und demselben Phänomen. Beide Male gehört zum Übergang ein Zweifaches: Erstens ein sich durch den Umschlag Hindurchhaltendes, die sich verändernde Sache oder Eigenschaft. Zweitens muß das Übergehende sich im Zuge des Umschlags hinsichtlich seiner Phänomenalität unterscheiden in eine anwesende und eine abwesende Sachhaltigkeit. Diese „Aufscheidung" ist erforderlich, damit überhaupt erst ein Anderes, d.h. eine Eigenschaft oder Sache, die vom Ausgang verschieden ist, aus dem Übergang hervorgehen kann. Obwohl wir konkrete Übergänge in der außerphilosophishen Selbst- und Welterfahrung meist vor dem Hintergrund dieser Momente erfahren, legen wir sie keineswegs in dieser dezidierten Weise aus. Abwesendes geht in Anwesendes, Anwesendes in Abwesendes über, ohne daß wir uns eigens fragen und fragen könnten, „wo" Abwesendes vor seiner Ankunft und Anwesendes nach seinem Fortgehen sind. Ein Ding geht in ein anderes, eine Eigenschaft in eine andere über, ohne daß wir uns eigens fragten, „woher", „wohin". Solche Fragen kommen gewöhnlich nicht auf, weil wir uns je schon in einem bestimmten Verständnis dessen halten, was worein übergeht. Wir Verstehen uns auf den alltäglichen Umgang sowohl mit dem, was sich im Übergang durchhält, als auch mit dem, was hinzutritt. Desgleichen verstehen wir je schon den Raum und die Zeit, „in" welchen sich Übergänge vollziehen. Weder zerstückeln wir Übergange
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hinsichtlich ihrer Maße und Einheiten noch beunruhigt uns die offensichtliche Antinomie, daß etwas Übergehendes sich zugleich verändern und gleichbleiben muß. Wenn wir die außerphilosophische Selbst- und Welterfahrung aber hinsichtlich ihres Übergangs Verständnisses, etwa von Tag und Nacht, beiragten, so würde sie wohl antworten: der Tag ist hell, die Nacht ist dunkel, die Dämmerung ist ein stetig voranschreitender Übergang zwischen beiden, Morgen und Abend genannt. Das „Wann" und „Wo" würde sie vermutlich als die Phase veranschlagen, bevor und nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwindet oder an ihm auftaucht, um durch ihren Aufgang die Welt zu erhellen und sie durch ihren Untergang zu verdunkeln. Fragten wir einen Abendländer danach, wo am Tage die Nacht oder wo Nachts der Tag sei, so würde er wohl antworten: an der der Sonne jeweils zu- oder abgekehrten Seite der Erdkugel. Vielleicht verwiese er uns auch darauf, daß der Sonnenaufgang zu einem bestimmten Zeitpunkt geschehe, welcher im Tageskalender verzeichnet sei. Diese „Erklärung" oder Selbstinterpretation, die dem gesunden aufgeklärten Menschenverstand als die plausibelste erscheint, ist nun aber nicht originär aus der außerphilosophischen Selbst- und Welterfahrung geschöpft. Wie wir aufzuzeigen suchen, entstammt sie dem philosophischen und wissenschaftlichen Denken, welches unser Denken und Erfahren des Übergangs durch seine im Laufe der abendländischen Geschichte in die Lebenswelt eingegangenen Auslegungen und Erzeugnisse weithin bestimmt. Genau an dieser Stelle, da wir unsere eigene außerphilosophische Übergangserfahrung interpretieren, setzt Heideggers seinsgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Denkens des Übergangs an. Mit Blick auf unser Thema können wir die Bedeutsamkeit dieser Auseinandersetzung mit dem Denken und Erfahren der festlichen Übergänge so verdeutlichen: Wenn wir einmal zugestanden haben, daß wir vielleicht „noch nicht wirklich" wissen, was der Übergang etwa zwischen Winter und Sommer ist, wenn wir probehalber in Frage stellen, daß dieser mehr ist als das, was Wissenschaft und Philosophie bislang „festgestellt" haben, dann können wir vielleicht den Abgrund erahnen zwischen einem neuzeitlichen Menschen, der in der Untergrundbahn sitzend die Frühjahrs-Tag-und-Nachtgleiche anhand seiner Armbanduhr mit dem exakten Datum seines Kalenders korrespondiert, und einem steinzeitlichen oder antiken Menschen, der am entsprechenden Tag eine heilige Feststatt aufsucht, die auf diesen „Augenblick" hin errichtet wurde. 49 Gleiches 49
Wie aufschlußreich hier das seinsgeschichtliche Denken sein könnte, zeigt sich an der Historie, die durch ihre akribische Forschung der letzten Jahrzehnte entdeckte, daß vorgeschichtliche und antike Tempel ein bis dahin nie geahntes „kosmologisches", „physikalisches" und „mathematisches" Wissen voraussetzen, die sich aber etwa mit der Annahme begnügt, die Ägypter müßten bereits die Zahl -π und den Satz des Pythagoras gekannt haben, um derartige Bauwerke zu errichten. Daß aber der „kosmische ZeitRaum" dieser Feststätten ebenso geschichtlich sein könnte wie „das Fest" selbst, muß die Paradigmen dieser Wissenschaften überfordern.
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gilt für andere festliche Übergangsphänomene, die wir auf das Koordinatenkreuz unserer rechnerischen Vorstellungen vom Übergang spannen. Diese geläufige, Heidegger sagt, „rechnerische Vorstellung vom Übergang und Übergänglichen" (GA 52, 83) orientiert sich weitgehend an Begrenzungen. Insofern sie etwa den Frühlingsanfang feststellt und mit dieser Feststellung den in dieser Jahreszeit noch mitanwesenden Winter hinter sich zurückwirft, läßt sich mit Heidegger sagen, daß die rechnende Vorstellung vom Übergang „es stets eilig hat, das Jeweilige hinter sich zu bringen und fortzuschreiten" (ebd.). Denn selbst da, wo ursprüngliche Sitten und Bräuche in überschwenglicher Ausgelassenheit die - im heutigen Mitteleuropa für weite Teile der Bevölkerung freilich nicht mehr durchschlagende - Unbill, Kargheit, Entbehrlichkeit und Betrübnis des Winters hinter sich lassen, setzen sie den Menschen dem aus, wovon sie sich abheben. Dagegen nehmen wir derartige ,Übergangszeiten' nach gewöhnlichem Maßstab „als ,provisorische', als vorläufige' und deshalb vorübergehende, d.h. auf das baldige Verschwinden und Überwinden berechnete Zeiten" (ebd.). Nach geläufigem, lebensweltlichem und wissenschaftlichem Verständnis ist eine Übergangszeit wie die „Märzenzeit" das Weg vom Winter in das Fort zum Sommer. Als Vorübergehendes versteht sie sich bestenfalls als eine angenehme Mischung aus warm und kalt oder hell und dunkel. Das Maß, mit dem das Übergängliche aus dieser Perspektive gemessen wird, ist die gemessene Durchschnittstemperatur, die weltzeitlich gemessene Dauer des Tages im Verhältnis zur Nacht, die am 21. März einen „Augenblick" ihren Ausgleich erfahren; darüberhinaus das von den jahresspezifischen Witterungsverhältnissen abhängige Wachstum der Pflanzen oder die frühjahrsbedingte Ausschüttung körpereigener Hormone des Menschen. Der „Übergang" ist aus dieser rechnerischvorstellenden Sichtweise ein sich über eine festgelegte Zeitspanne (Jahr) suksessive veränderndes Quantum (Dauer von Tag und Nacht); der „Ausgleich" ist das quantitaive Gleichmaß und der „Streit" ist gegebenfalls der Kampf der im Frühling wiedererwachenden oder rege werdenden Tier- und Pflanzenwelt, sei es gegeneinander, sei es ums nackte Überleben. Inwiefern Tag und Nacht oder gar die ganze Natur und mit ihr Menschen und womöglich noch Götter und Menschen zu dieser Jahreszeit zu einem Ausgleich im Übergang kommen sollen, der sie zugleich im Widerstreitenden ihres Wesens zum Stehen bringt, erscheint absurd. Es muß „metaphorisch" gemeint sein, überträgt es doch menschliche Charakterzüge auf Naturphänomene! So stößt uns die Frage nach dem Wechselspiel von „Übergang", „Ausgleich" und „Streit" auf die für ein Denken des Festes und ein zu erfragendes Fest des Denkens zentralen Sachver-
halte von Bewegung, Zeit und Raum, Wirklichkeit, Notwendigkeit und Möglichkeit.
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Eine der wesentlichen „Gelegenheiten", da sich der Mensch im natürlichen Lebensvollzug den Phänomenen des Übergangs ausgesetzt sieht, ist das Feiern. Ja, daß die meisten Feste ihren „Zeitpunkt" meist „am Höhepunkt", „in der Mitte" oder „während" solcher Übergangszeiten haben oder diese ganz ausdrücklich begehen, läßt den Eindruck entstehen, als „kompensiere" der Mensch feiernd das Hingezogene, Unbegrenzbare des Übergänglichen. Dieser Eindruck wird auch dadurch nicht gemindert, daß Feiern oft den „Beginn" oder das „Ende" einer Sache oder Handlung begehen. Denn auch im Hervor- oder Untergang hat ein Übergang statt. Nicht umsonst also tragen bedeutende Anthologien des Feierns den Namen „Rites de passage", „Riten des Übergangs". 50 Allein bleibt auch in diesen wissenschaftlichen Erhebungen zum feierlich be-gangenen Übergang meist unbedacht, was schon der alltäglich-geläufige Bezug zum Übergang abdrängt und verrechnet: Im Übergang tritt jeweils das, wovon etwas Übergang ist, und das, wohin es übergeht, stärker und strittiger hervor als zu der „Zeit", da je eins in der Fülle seines Wesens stand. Der im Übergang sich vorübergehend vollziehende Ausgleich führt so nicht zur gegenseitigen Abschwächung und Aufhebung des Einen oder des Anderen, sondern führt beide in ihr je Eigenstes hervor. Was heißt das? Es heißt, daß im Hinübergehen auf die andere Seite die eine Seite, von der der Gang herkommt, nicht einfach verlassen, zurückgelassen und in die Vergessenheit abgedrängt, „sondern in eigentümlicher Weise mitgenommen wird" (GA 52, 83). Bevor wir zur hermeneutischen Verfassung dieses hinübergehenden Übergangs als eines dichterisch-andenkenden Hinüber- und Herübergrüßens übergehen können, müssen wir den Grund für einen Abstoß vom gängigen Übergangsund Bewegungsdenken legen. Sodann können wir aufzeigen, inwiefern der seinsgeschichtlich gedachte Übergang als „die wesentliche Art des Zueinanderkommens des Einen und des Anderen" (GA 52, 85), d.h. als Ausgleich und Versöhnung in einem zumal Freigabe der einander im Übergang zugleich Widerstreitenden „in das je eigene Recht ihres Wesens" (GA 52, 86) ist.
γ) Das metaphysische Übergangsverständnis Das Denken des Überganges und der Bewegung sieht sich vorerst in die Verlegenheit gebracht, daß sie etwas zu denken, d.h. in feste Begriffe zu bringen sucht, was schlechthin dynamisch ist. „Der Bewegungsbegriff muß sich gleichsam selbst bewegen, um dem Bewegungsvollzug nachzukommen."51 Tatsächlich hat denn auch jedes epochemachende Bewegungs-Denken, von Heraklit bis Hegel, einen Sinn für seinen eigenen Bewegungssinn. In diesem
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A. v. Gennep, Les rites de passage. Paris 1909. Ν. Herold, Bewegung. In: Handbuch philosophischer Grundbegriffe. Bd. 1, S. 213.
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
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Bewegungssinn bestätigt sich zwar das Übergängliche der Bewegungsbestimmung des Seienden in der Denkbewegung und umgekehrt das Übergängliche der Denkbewegung in der Bewegung des Seienden, doch so, daß dabei das Denken des Seins als beständiger Anwesenheit eine Übereignung des genitivus objectivus (das Denken des Übergangs, d.h. der Übergang wird gedacht) in den genitivus subjectivus (das Denken des Übergangs, d.h. das Denken ist ereignet aus dem Übergang) vereitelt. Während das seinsgeschichtliche Denken sich beim Denken von Bewegung und Übergang ins hohe und rätselhafte Widerspiel zwischen Verbergung und Entbergung einzuschwingen sucht, wurde dieses im ersten Anfang frei und ungesagt schwingende Widerspiel im Verlauf der abendländischen Geschichte zusehends unter den Anspruch auf Zustellung des Grundes i. S. der causa sui gezwungen, womit der Entzug des Bodens, d.h. eines bodenständigen Bauens und Wohnens, d.h. auch des Feierns, einherging (SvG, 60). Wie wir im ersten Hauptstück dieser Arbeit sahen, stehen Übergang und Bewegung im anfänglichen Denken noch ganz im ursprünglichen Bezugsfeld des zum Geschehen der ά-λήθεια gehörigen Übergangs vom Einen zum Vielen als dem Übergang vom Seienden in das Nichtseiende und vom Nichtseienden in das Seiende, d.h. im Widerspiel von Verbergung und Entbergung. Wenn wir die Denkbewegung des Parmenideischen Lehrgedichtes nicht als ein Hintersichlassen des Bereiches der δόξα als des Bereiches der Nacht zugunsten des Bereiches der ά-λήθεια als des Bereiches des Tages verstehen, sondern als den ins denkerisch dichtende Werk gesetzten Herzschlag der unabwendbar zum Menschsein gehörigen Versammlungen auf das Eine (Systole) und der Zerstreuung in das Viele, dann erhellt
sich auch, daß das Zeichen (σήμα) der Zusammengehörigkeit von Tag und Nacht keine Metapher ist, sondern die zeit-raum-eröffnende Sage eines Geschehens. Diese Zusammengehörigkeit von Hell und Dunkel im strittig in sich gefügten Widerspiel von Verbergung und Entbergung wird im Zuge der Unterjochung der ά-λήθεια unter die Richtigkeit der Idee überblendet. Indem Piaton - nach geläufiger Interpretation - die körperlichen Erscheinungen von den ihnen zugrundeliegenden „Sachen selbst" als den Ideen trennt, werden Übergang und Bewegung dem bloß sinnlich-vergänglichen Bereich des Werdens zugeordnet, der dem des είδος als des schlechthin Unveränderlichen und mit sich selbst Identischen entgegensteht.52 Mit den „Beiträgen" gesprochen, wird das Seiende 52 Tim. 27 e f. „ A u f der jener Seite steht das, was immer ist, niemals aber wird, sich immer auf dieselbe Weise verhält und ein Gegenstand der denkenden Vernunft ist, auf dieser Seite steht das, was immer wird, niemals aber ist, sich immer anders verhält und ein Gegenstand der Meinung ist, die auf Grund von gedankenloser Anschauung urteilt." (W. Bröcker, Piatos Gespräche. 4. Aufl. Frankfurt a.M. 1990, S. 508) Als das „Leuchtendste des Seienden" gewährt das άηαθόν „Allem Licht". Indem es als höchste in sich leuchtende Idee die einzelnen Ideen lichtet, voneinander abgrenzt und verbindet und
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2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
des wahrhaft ewigen Seins in der mit Piaton anhebenden Metaphysik „als raumund zeitlos, ja sogar Raum und Zeit überlegen ausgegeben" (GA 65, 192). Raum und Zeit bleiben in ihrem zeit-räumlichen Wesen verborgen und kommen lediglich zur Bestimmung, „sofern sie selbst als ein in gewisser Weise Seiendes, somit bestimmtes Anwesendes' genommen werden. Auf diese Weise werden Raum und Zeit dem greifbarsten Anwesenden, dem σώμα, stofflich Körperhaften, zugewiesen und den hier Vorkommmenden Weisen des Umschlags, μεταβολή, dem Raum und Zeit nachfolgen bezw. vorangehen" (GA 65, 193). Wo Raum und Zeit vom Umschlag des nächsten Vorfindlichen her gedacht werden, verstellt sich nicht nur der ursprüngliche Wahrheits- und Einheitscharakter von Raum und Zeit, sondern auch der des Umschlags selbst. Wir hatten dargelegt, welche Folgen dieses Denken des Übergangs für das Fest zeitigte (§ 13). Ahmt die sichtbare Natur bei Piaton lediglich die göttliche τέχνη, die Gesetzlichkeit und das demiurgische Wirken nach, so kehrt dessen Meisterschüler Aristoteles dieses Verhältnis dahingehend um, daß die τέχνη die φύσις nachahmt und die menschliche Kunst nur noch das ergänzen kann, was ihm die φύσις übrigläßt. So hat das von Natur aus Seiende, die Lebewesen, die Pflanzen und die einfachen Körper (im Gegensatz zu den Artefakten), das Prinzip der Bewegung und der Ruhe in sich selbst. Der Körper ist άρχή κινήσεως. Naturhaft ist dasjenige Seiende, das ein Prinzip der Bewegung in sich selbst als solchem hat (Met. Δ 4, 1015 a 14; 1014b 19). „Die zur ,Natur' gehörigen und sie ausmachenden Körper [τα φυσικά σώματα] sind, gemäß ihnen selbst, bewegbar hinsichtlich des Ortes [καθ' αύτά κινητά κατά τόπον]." (GA 41, 83) Diese in einem weiten Sinne als Umschlag (μεταβολή) von etwas zu etwas gefaßte Bewegung umfaßt sowohl die Veränderung als auch die φορά im Sinne der κίνησις τόπον, die Ortsbewegung. Dabei ist die Bewegung der Körper stets ihnen selbst, d.h. ihrem Wesen gemäß: „Wie ein Körper sich bewegt, d.h. wie er sich zum Ort verhält und zu welchem Ort er sich verhält - dies alles hat seinen Grund im Körper selbst. [...] Jeder Körper hat je nach seiner Art seinen Ort, dem er auch zustrebt. [...] Wenn ein Körper sich an seinen Ort bewegt, ist die Bewegung ihm, d.h. seiner Natur gemäß, κατά φύσιν. [...] Alle naturwidrige Bewegung ist βία, gewaltsam" (GA 41, 84), d.h. παρά φύσιν. Wenn wir uns auf die Einleitung dieser Arbeit besinnen (§ 3 b), wo wir davon sprachen, daß das Fest mit der von Aristoteles durchgeführten „Aufgliederung" des Seienden im Ganzen in verschiedene Pragmatien zu einem für die Philosophie nur marginal bedeutsamen Randphänomen wurde, so sehen wir uns hierin dem ebenfalls lichthaften Auge der Seele das Gesehene vermittelt, ist sein Licht das Joch von Gesehenem und Sehendem. Den Weg zur Erleuchtung zum höchsten Guten, d.h. der Anjochung alles Sehens von Gesehenem an sein Licht, ist der Weg „aus dem nachthaften Tag in den wahren" (Resp. 521 c), d.h. die Umkehr vom Ort der Dunkelheit als der Stätte der Unwahrheit und Unwissenheit an die Stätte des Glanzes im lichten Sein der Ideen.
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nun bestätigt. Das feierliche Begehen der festlichen Übergänge kann sich diesem Natur- bzw. Bewegungsbegriff zufolge nur dann wesensgemäß vollziehen, wenn es der jeweiligen ούσία des feiernden Menschen und des jeweils Gefeierten und so dem Seienden im Ganzen entspricht. Es wäre überaus aufschlußreich, die feierlichen Begehungen des Menschen als des ζωον λόγον εχον „innerhalb" des Seienden im Ganzen anhand der beiden Stellen zum Fest in der „Nikomachischen Ethik" und der „Politik" und über diese hinaus zu erarbeiten. Doch interessiert hier innerhalb des Sprunges vornehmlich, weshalb das Bewegungsdenken und die Denkbewegung des Aristoteles sich einem Übergang in den Zeit-Raum des Festes verweigern und inwiefern sich in ihnen die Übergangs losigkeit unseres Feierns und Festdenkens vorbereitet.
Aristoteles glaubt, den in der „Ideen-Lehre" seines Meisters aufklaffenden χωπισμός zwischen der statisch in sich ruhenden „Wesenswelt" und der beweglich vergänglichen „Erscheinungswelt" dadurch überwinden zu müssen, daß er die Bewegung im Zeichen des Bleibenden im Wechsel und des Wechsels im Bleiben sowie des wechselweisen Bezuges von Sein und Nichtsein begreift. Bewegung ist seiner Auffassung nach der Vollzug der Verwirklichung (ενέργεια) des seiner Möglichkeit (δύναμις) nach auf eine Wirklichkeit hin sich erstreckenden Seienden (Phys. 201 a 27). Insofern die auf die Zukunft hin sich ausstreckende Gegenwart des Möglichen dadurch ergänzt wird, daß diese Zukunft selbst wirkliche Gegenwart und Gegenwart einer Verwirklichung wird, ist die Bewegung zugleich der Vollzug einer Einigung
und eines Ganzwerdens.
Bewegung ist deshalb zweierlei: zum einen die Verwirklichung einer Sache, die zuvor nur der Möglichkeit nach gegeben war und somit seiner Einheit beraubt wird, um zu einem (Noch)-Nicht-Seienden zu werden, zum anderen das Sichdurchhalten des Einen, das der Bewegung zugrunde liegt (ύποκείμενον), durch die verschiedenen Zustände seiner Veränderung hindurch, d.h. im Übergang von einem Anfang über die mittleren Stadien zu einem Ende hin. Doch obwohl dabei zwischen Möglichsein und Wirklichsein tatsächlich weder eine trennende Kluft noch eine einebnende Identität, sondern ein ermöglichender Übergang 53 besteht, ist das Kontinuierliche, Ganze, das der Aristotelische Bewegungsbegriff einschließt, von dem geprägt, was Heidegger zufolge die gesamte abendländische Metaphysik durchherrscht und noch heute bestimmt: vom Sein als beständiger Anwesenheit. Wenn Aristoteles im I. Buch seiner „Physik" (I 7, 190) nach dem Prinzip (αρχή) der Bewegung als dem Umschlag (μεταβολή) fragt, d.h. „von wo aus Bewegung als solche innerlich möglich ist" (GA 31, 59), dann stößt er auf ein Zwei- bzw. Dreifaches: Da ist einer53
So betont Heidegger in seiner Aristoteles-Vorlesung vom SS 1931, daß das Unvermögende [d.h. Unmögliche] gerade wirklich ist, indem es nicht den Übergang findet zum Vollzug. „Nicht den Übergang finden zu...: das ist nicht nichts, sondern kann die Eindringlichkeit und Wirklichkeit höchster Bedrängnis haben und so das eigentlich Drängende sein." (GA 33, 210)
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seits das ύπομένον, das sich beim Umschlag Durchhaltende und Darunter bleibende, welches sich andererseits als είδος sowohl unabhängig von der sich ändernden Eigenschaft betrachten läßt als auch hinsichtlich dieser Eigenschaft selbst. Somit ist zu einem Übergang sowohl ein Sichdurchhaltendes als auch ein Verschiedenes erforderlich, „was vom Ausgang verschieden ist und irgendwie dagegen liegt, solches, was das Übergehende vor dem Übergang nicht ist στέρησις" (ebd.). Der Übergang ist also ein wechselweises Umschlagen von άπουσία und παρουσία, von Ab-wesenheit und An-wesenheit, Ungegenwart und Gegenwart, das sich nach Heideggers Aristoteles-Verständnis nur „auf Grund der ursprünglichen παρουσία" (GA 31,61) vollziehen kann, die nach Heidegger nicht zeitlos und unbewegt über den beiden anderen schwebt. Im Verschwinden des Einen und zum Vorschein-kommen des Anderen geschieht das Umschlagen von Nichtbleiben in Bleiben derart, „daß darunter noch: ύπο, etwas bleibt: μένον. Die Interpretation des Wesens der Bewegung überhaupt und durch in Bestimmungen des Bleibens und Nichtbleibens,
erfolgt durch Dabeibleibens
und Ausbleibens" (ebd.). Hierbei besagt das Bleiben auch im Anderssein, daß die ständige Anwesenheit durchgehalten wird und Seiendheit (ουσία) als beständige Anwesenheit verstanden wird.Das über die Gegenwart der jeweiligen Bewegung hinausgreifende Band aber, welches aus den einzelnen Teilen eines zeitlichen Bewegungsablaufs ein Ganzes, Wirkliches macht, die Zeit, ist die Naturzeit, in der die Bewegungen und Übergänge der Dinge verlaufen und die als solche von der zeitverstehenden Seele gezählt und gemessen wird. „Das nämlich ist die Zeit", so Aristoteles, „das Gezählte an der Bewegung gemäß dem Früheren und dem Späteren" (Phys. 219 b 1 f.). Die Zeit ist etwas an der Bewegung, nicht die Bewegung selbst. Sowohl die physikalische Bewegung (φορά), d.h. der Übergang von einem Ort (τόπος) zum anderen, in der das Fortgetragenwerden (φερόμενον) des Bewegten (κινούμενον) geschieht, als auch das Anderswerden im Sinne des Umschlags einer Qualität in die andere (άλλοίωσις) vollziehen sich εκ τίνος εις τι, von etwas her zu etwas hin. Jeder Umschlag, „oder besser Übergang von etwas zu etwas" (GA 24, 343), vollzieht sich gleichsam in einer Dimension, die wir im ganz formalen, d.h. nicht primär auf die Räumlichkeit beschränkten Sinn als Erstreckung zu verstehen haben. Wo Bewegung ist, da ist zugleich schon apriori mitgedacht συνεχές, d.h. das In-sichZusammen-Gehalten-Werden, das continuum, das Stetige, und μέγεθος, d.h. Ausdehnung oder Größe. Es hieß: Was die Seele an der Bewegung, am Übergang zählt, sind die Jetzt. Doch zerstückelt das Zählen die Zeit gerade nicht in einzelne, von einander abgetrennte Jetztpunkte (Paradoxie des Zenon). Vielmehr wird die Zeit im Hinblick auf das Jetzt zugleich zusammengehalten und auseinandergenommen. „Die verschiedenen Jetzt sind als verschiedene doch gerade immer dasselbe, nämlich Jetzt." (GA 24, 350) Hinsichtlich ihres Wasseins (essentia) sind sie zwar dasselbe (ταύτό), hinsichtlich ihres Wieseins (existentia) jedoch je anders (ετερον). Aufgrund dieses Dimensionsgehaltes hat das Jetzt in sich den „Cha-
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rakter eines Überganges. Das Jetzt als solches ist schon das Übergehende" (GA 24, 352). In ihm „wird Übergehendes in seinem Übergang und Ruhendes in seiner Ruhe zugänglich und gedacht. Daraus folgt umgekehrt, daß es selbst weder bewegt ist noch ruht, d.h. nicht ,in der Zeit ist'" (ebd.). Das Jetzt ist „.seinem Wesen nach nie Grenze, weil es als Übergang und Dimension nach der Seite des Noch-nicht und Nicht-mehr offen ist" (ebd.).Wir können also sagen, daß die Aristotelische Wesensbestimmung des Überganges den rechnend-vorstellenden Bezug des Weg-von und Hin-zu insofern an Ursprünglichkeit übertrifft, als das Jetzt (νυν) nach der Seite des Noch-nicht und Nicht-mehr offen ist. Dennoch stößt sie, ihrem „Vorrang des νυν" (GA 65, 375) gemäß, auf das Jetzt hin die beiden Ufer des Überganges von sich fort, was daher rührt, daß sie das Sein und mit ihm Zeit, Übergang und Seele als beständige Anwesenheit denkt. Was Heidegger im Fugenbereich des Sprunges die „Herrschaft der ,Modalitäten'" (GA 65, 281) nennt, hat seine Herkunft aus diesem „Vorrang der ,Wirklichkeit'" (ebd.), die auch das Denken des Überganges und mit ihm des Festes grundwesentlich bestimmt. Spricht Heidegger 1927 in den „Grundproblemen der Phänomenologie" noch in Anlehnung an Lotze von den beiden Armen, mit denen das Jetzt in das Nichtmehr und das Noch-nicht hinausgreift (GA 24, 331) 54 , so wird er an der genannten Stelle der „Beiträge" deutlicher. Unter der Herrschaft der „Modalitäten", in der die Wirklichkeit als ενέργεια gefaßt wird, sind „Möglichkeit und Notwendigkeit gleichsam ihre Hörner" (GA 65, 281). Durch ihr spitzes, gewaltsames und mächtiges Vorstoßen und Vorgreifen in das Beständige und Anwesende stößt die Aristotelische Zugangsweise die eigentümlichen Wesungsweisen von Möglichkeit und Notwendigkeit von sich. 55 Zwar wird die ενέργεια „echt begriffen aus der unentfalteten φύσις", von deren anfänglicher Erfahrung Aristoteles noch bestimmt ist, d.h. „τόπος (einräumend) und χρόνος (zur ψυχή gehörig)" (GA 65, 374) weisen noch zurück in die φύσις, doch wird die ενέργεια zugleich „im Lichte der μεταβολή als Seiendheit zergliedert" (GA 65, 281). „Warum μεταβολή?", fragt Heidegger. Warum führt gerade der Übergang als das schlechthin fluidische Phänomen zur Zergliederung der φύσις in die Seiendheit? „Weil für das vorgreifende Festhalten des Beständigen und Anwesenden die μεταβολή, zumal als φορά, die Gegen-erscheinung schlechthin ist und somit jenes, was erlaubt, von ihm her als einem Anderen deutend auf die ούσία
54 Die an dieser Stelle angesprochene Nichtigkeit des Nicht-mehr und des Noch-nicht bezieht sich zwar gerade nicht auf Aristoteles, doch weist Heideggers Analyse auf, daß dieser die ekstatisch-horizontale Verfassung der ursprünglichen Zeitlichkeit verfehlt. 55 Dagegen antwortet das Grußhorn des Andenkens auf den Gruß des Gewesenen und läßt Schall und Widerhall über die Gegenwart hinwegklingen und als Weisung aus der Zukunft erschallen.
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2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
zurückzukommen." (ebd.) in der Neuzeit vollzieht sich ein eklatanter Wandel im Denken der Bewegung. Heidegger verdeutlicht dies an Newtons I. Axiom: „Jeder sich selbst überlassene Körper bewegt sich geradlinig und gleichförmig". Da dieses Gesetz für alles gilt, ebnet es den Unterschied zwischen irdischen und himmlischen Körpern ein. Feiernde und Gefeiertes werden unter ein gleichförmig für alles Seiende geltendes Gesetz gezwungen. Die Bewegungsweisen werden nicht mehr unterschieden: die Kreisbewegung gibt ihren Vorrang an die geradlinige Bewegung ab. Den Körpern kommt kein wesensgemäßer Platz mehr zu, sondern lediglich eine Lage in Beziehung auf andere beliebige Lagen. Die Bewegung ist keine άρχή mehr, sondern etwas, wofür selbst Gründe gesucht werden müssen. Entsprechend werden die Bewegungen der Körper nicht mehr gemäß ihrer verschiedenen elementaren Naturen, Vermögen und Kräfte bestimmt - das Wesen der Kraft bestimmt sich vielmehr aus der Bewegung. Insofern die Bewegung als Lageveränderung und Lagebeziehung verstanden wird, bestimmt sie sich nur mehr hinsichtlich meßbarer Abstände und Größen bzw. Massegewichte, wodurch auch der Unterschied zwischen natürlicher und widernatürlicher Bewegung fällt. Schließlich ist die Natur „nicht mehr das innere Prinzip, aus dem die Bewegung der Körper folgt, sondern [...] die Weise der Mannigfaltigkeit der wechselnden Lagebeziehung der Körper, die Art, wie sie anwesend sind in Raum und Zeit, die selbst als als Bereiche möglicher Stellenzuordnung und Ordnungsbestimmung in sich nirgends eine Auszeichnung haben" (GA 41, 89). Diesem den ganzen Naturbereich gleichzeitig umgrenzenden Grundriß zufolge ist der Naturvorgang nichts „als die räumlich-zeitliche Bestimmung der Bewegung von Massepunkten" (GA 41, 92). Da dieses Denken der Bewegung nicht nur die Wissenschaften und die sich zusehends an ihnen orientierende Philosophie, sondern auch die außerphilosophische und außerwissenschaftliche Selbst- und Welterfahrung verwandelt hat, ist unschwer auszumachen, daß mit der Vergegenständlichung des Seienden auch die der festlichen
Übergänge
einhergehen
mußte. M i t der Verobjektivie-
rung des Wirklichen zum zahlenmäßig Wieg-, Berechen- und Meßbaren aber geht die „Versubjektivierung" all dessen einher, was sich nicht im neuen naturwissenschaftlichen Sinne messen läßt. Dies aber sind viele Phänomene aus dem Phänomenbereich des Festes. Indem der Mensch zu demjenigen Seienden wird, „auf das sich alles Seiende in der Art seines Seins und seiner Wahrheit gründet" (HW, 86), wird aus dem sich in allem Übergang durchhaltenden ύποκείμενον zugleich das Subjekt. Diese Vergegenständlichung des Seienden und mit ihr der Bewegung bricht sich Bahn in der neuzeitlichen Philosophie. Durch die mit Kants transzendentalphilosophischer Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit menschlicher Erkenntnis vollzogene kopernikanische Wendung, daß nicht die Erkenntnis sich nach den Dingen, sondern umgekehrt die Naturgegenstände, insofern wir überhaupt von ihnen reden können, sich grundsätzlich nach der Beschaffenheit unse-
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rer Erkenntnis richten, versteht sich der Mensch als Gesetzgeber einer von ihm unabhängigen „gefesselten" Natur. 56 Insofern die Bewegung diesem Neuansatz zufolge sowohl Bewegung des Bewußtseins als auch die Bewegungskontinuität des Objektes und dessen synthetischer Einheit ist, kommt ihr die Funktion der Verbindung zwischen den transzendentalen Möglichkeitsprinzipien und der Wirklichkeit zu. Doch vollzieht das Bewußtsein dabei nicht eine schon vorhandene Einheit der Natur nach, sondern ermöglicht erst die Gegenstände der Natur. So ist Bewegung nach Kant Ortsveränderung in der Zeit. Die beiden für den Übergang von etwas zu etwas grundlegenden, kontradiktorisch-entgegengesetzten Bestimmungen, daß nämlich ein Bewegtes einen Ort einnimmt und im Einnehmen schon wieder verläßt, d.h. an einem Ort vorhanden und am selben Ort schon wieder nicht vorhanden ist, können nur in der Zeit und ihrem Nacheinander angetroffen werden. 57 Als Synthesis des Mannigfaltigen im Räume ist die Bewegung eine Leistung der transzendentalen Subjektivität und ihrer produktiven Einbildungskraft, d.h. der „reine Aktus der suksessiven Synthesis des Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung überhaupt durch produktive Einbildungskraft" 58. Da über einen absoluten, erfahrungs-jenseitigen Raum nichts ausgesagt werden kann, wird die Bewegung von der transzendentalen Subjektivität her als relativ gedacht. „Im Raum, an sich selbst betrachtet, ist [...] nichts Bewegliches; daher das Bewegliche etwas sein muß, was im Raum nur durch Erfahrung gefunden wird." 5 9 Das Bewegte einer Ortsveränderung ist also das empirisch gegebene, doch vor jeder Gegebenheit als Beharrendes gedachte Vorhandene, zu dem als solchem die kategoriale Bestimmung der Substanzialität gehört. Alle Erscheinungen der Zeitfolge sind nur Veränderungen, d.h. ein sukzessives Sein und Nichtsein der nach dem Gesetz der Verknüfpung durch Kausalität geschehenden Substanzbestimmungen. So ist Veränderung bzw. Übergang „die Existenz der Bestimmungen eines Dinges nacheinander (ihre Sukzession), mithin durch die Folge derselben in der Zeit" 6 0 . Aufgabe der Vernunftkritik und der durch sie grundgelegten Kritiken ist es nun, das innerhalb der Grenzen der Vernunft zu den einzelnen Übergangsphänomenen Sagbare kritisch zu entfalten. So beschäftigt sich die besondere Metaphysik, zu der nach Kant die Phänomene Bewegung, Übergang, Ausgleich, Fest etc. gehören, „mit einer besonderen Natur dieser oder jener Art Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben ist, doch so, daß außer dem, was in dem Begriffe liegt, kein anderes empirisches Prinzip zur Erkenntnis derselben gebraucht wird" 6 1 . Bei 56
F. Kaulbach, Der philosophische Begriff der Bewegung. Böhlen 1965, S. 24. Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β 49 58 1 . Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β 155. 59 1 . Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β 58. 60 I. Kant, Bd. V 3, 62. 61 I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaften, Ak.-A. Bd. 4, S. 469 f. 57
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dieser Inbezugsetzung des Naturentwurfes des vernünftigen Subjektes zu einer von ihm unabhängigen, freien Natur oder, ganz andersherum, der vernunftbedingten Freiheit dieses Subjektes zu der Kausalität der Natur, tut sich nun eine Kluft a u f 6 2 Diese Kluft, die nach Heidegger alles Seiende „auf die zwei Bezirke der Naturgesetzlichkeit und der Freiheit der Person (der menschlichen und der Göttlichen)" (GA 52, 91) verteilt und das Denken von Ausgleich und Übergang im Hinblick auf Schicksal und Fest von Piaton bis Nietzsche bestimmt, sucht schon der deutsche Idealismus durch eine Versöhnung von freier und gefesselter Natur zu überwinden. Mit den Systemphilosophien Schellings und Hegels gelangt die abendländische Metaphysik nicht nur überhaupt, sondern auch hinsichtlich des Denkens von Bewegung, Übergang und Werden zu ihrer Vollendung. Heideggers wesensgerechte Abwandlung des Hölderlinschen Wortes „alles ist innig" in „Alles ist Übergang" (GA 52, 98) könnte auch von Hegel stammen. Wenn wir den Übergang als den wesensgewährenden, nicht gleichmacherischen Ausgleich „formal nehmen und nicht das Übergehende selbst in sein Reich mitbedenken", kommen wir „in die Nähe der Metaphysik Hegels. Der Satz ,Alles ist Übergang' könnte als Umschreibung des Grundsatzes der Metaphysik Hegels genommen werden. Alles Sein und jede Wirklichkeit ist Werden" (GA 52, 98 f.). Ein solcher historischer Vergleich nivelliert jedoch Heideggers geschichtliche Einsicht, „daß Hegels Grundstellung noch metaphysisch, diejenige Hölderlins nicht mehr metaphysisch ist" (ebd.), ja, daß selbst Hölderlin „noch metaphysisch" (GA 52, 120) denkt, aber bereits anders dichtet Am Hegeischen System gehen das Denken des Überganges und die Übergänglichkeit des Denkens in einer niemehr erreichten Weise ineinander über. Die in sich gegenläufige Bewegung des Denkens und der Geschichte ist selbst Übergang, der Übergang aus dem An-sich-sein über das Anderssein bzw. Für-sich-sein zum Bei-sich- bzw. An-und-für-sich-sein des absoluten Geistes. Dieser entäußert sich in der Natur, um in dialektischer Bewegung über die Selbstentzweiung durch die verschiedenen Standpunkte hindurch zur absoluten Identität zurückzukommen. In der Dialektik findet der Weltgeist zu sich selbst, indem er das im übergänglichwerdenden Zusichselbstkommen begriffene Natur- und Geschichtswerden völlig einholt. Die Übergänglichkeit des Denkens ist dabei die Übergänglichkeit des Absoluten. Das Denken des Menschen ist das Denken des Weltgeistes selbst, welcher die Dinge denkend erschafft. „Die Entwicklung des Geistes ist Herausgehen, Sichauseinanderlegen und zugleich Zusichkommen." 63 Indem die Idee 62
Daß Heideggers auf Hölderlin hörendes Denken des festlich-übergänglich begangenen Ausgleichs von Tag und Nacht mit dem Siegel der Wissenschaft als „metaphorisch" oder „anthropomorph" ausgelegt werden und das Dichterische als das „bloß Subjektive" gegen das vernunftkritisch geläuterte „Objektive" aufgespreizt werden kann, hat seinen Ursprung in dieser Kluft. 63 G.W.F. Hegel, Vorlesungen übe die Geschichte der Philosophie I. Bd. 18, S. 41.
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des Absoluten sich in die beiden Erscheinungen des Geistes und der Natur urteilt und entzweit, bestimmt sie diese „als ihre (der sich wissenden Vernunft) Manifestationen, und es vereinigt sich in ihr, daß die Natur der Sache, der Begriff, es ist, die sich fortbewegt und entwickelt, und diese Bewegung ebensosehr die Tätigkeit des Erkennens ist, die ewige an und für sich seiende Idee sich ewig als absoluter Geist betätigt, erzeugt und genießt" 64 . Nach Hegel wird die Philosophie also kaum abständig-statische Wesensaussagen über Übergang und Bewegung äußern, sondern vielmehr denkend überzugehen suchen in jene Bewegung, als die und in der sich das Geschichtswerden vollzieht. Insofern sich dieses Übergehen als eine Reihe dialektischer Dreischritte vollzieht, deren Anfang je schon das Ende (eingerollt) in sich befaßt, spricht Hegel von der Wissenschaft als einem „Kreis von Kreisen" 65. Die Logik behandelt die Idee in ihrem An-und-für-sich-Sein, die Naturphilosophie in ihrem Für-sich-sein, die Philosophie des Geistes in ihrer Rückkehr zu sich selbst in ihrem Bei-sich-sein. 66 Die Bewegung des Denkens und die Bewegung des von ihm Gedachten sind derart ineinander verschränkt, daß der Eindruck entsteht, die gedachten festlichen müßten Übergänge dem Denken selbst Festcharakter verleihen. Doch versteht Hegel sein Eintreten in die philosophische Bewegung seiner Zeit vorerst als einen philosophischen Karfreitag. Dem entspricht der Gang der „Phänomenologie des Geistes". Als Zusichselbstkommen des absoluten Wissens beginnt diese A. mit dem Bewußtsein als dem geist-losen Wissen, das sich noch nicht als Geist offenbar ist. Indem das Wissen sich als Bewußtsein zu wissen bekommt, macht es mit sich B. die Erfahrung, Selbstbewußtsein zu sein. Diese noch nicht überwundene Entzweiung und Zerrissenheit erfährt es als ein Unglück, das durch den Übergang C. in die Vernunft als der Einheit des Glückes des Absoluten aufgehoben werden soll. „Aber dieses Glück", so Heidegger, „ist nun gerade nicht die für sich vorhandene Seligkeit, die alles Unglück weggestoßen hat, sondern ist das Glück, das alles Unglück beherrscht und dabei gerade für sich selbst benötigt" (GA 32, 108).In der Erfahrung des sichanderswerdenden Zusichselbstkommens vollzieht das Bewußtsein eine Bewegung, „worin das Unmittelbare, das Unerfahrene, d.h. das Abstrakte, es sei des sinnlichen Seins oder des nur gedachten Einfachen, sich entfremdet und dann aus dieser Entfremdung zu sich zurückgeht, und hiemit jetzt erst in seiner Wirklichkeit und Wahrheit dargestellt, wie auch Eigentum des Bewußtseins ist" 6 7 . Die philosophische Erfahrung ist eine vom Bewußtsein an ihm
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G.W.F. Hegel, Enzyklopädie III. Bd. 10, S. 394. G.W.F. Hegel, Logik II, Bd. 6, S. 571. 66 Die gleiche dialektische Verfassung gilt für die übergängliche Dreiheit des subjektiven Geistes (Anthropologie, Phänomenologie, Psychologie) über den objektiven (Sittlichkeit, Moralität, Recht) zum absoluten Geist (Kunst, Religion, Philosophie). 67 G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes. Bd. 3, S. 39. 65
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Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
selbst ausgeübte Bewegung. Diese vollzieht sich als „Phänomenologie des Geistes'4, d.h. als Zur-Erscheinung-Kommen des Geistes, ,,[i]n der Erfahrung als der charakterisierten Bewegung des Bewußtseins - dem Sichanderswerden als Zu-sich-selbst-Kommen" (GA 32, 33). Das sich-anderswerdende und sichentzweiende Auseinander- und Gegeneinandertreten der „Phänomenologie des Geistes" ist „das absolute Wissen in seiner Bewegung" (GA 32, 36). „Die Darstellung wird in und durch ihre Bewegtheit selbst das Darzustellende/" (GA 32, 38), aufdaß das absolute Wissen wissend zu sich selbst, in sein Reich gebracht werde. „Aus und in dieser Art seiner Bewegtheit entfaltet sich der Bereich seines Reiches." (GA 32, 39) Dessen innerer Bau „ist die Wirklichkeit des absoluten Geistes selbst, die sich selbst erbaut und im Erbauen das einbaut, was auf seinem Wege [durch die dreifache Aufhebungsbewegung] in die Erscheinung kommt" (ebd.). Hegel nennt diesen Bereich sowohl der Denkbewegung als auch des Bewegungsdenkens des absoluten Geistes selbst auch dessen Element, den Äther. Wenn er in seinen Jenenser Manuskripten im Zusammenhang mit der eigentümlichen Mitbestimmung der Bewegung durch Raum und Zeit den Äther nennt, so schwingt darin zwar „die Grundbedeutung [mit], die Hölderlin meint, wenn er vom Äther" (GA 32, 177) spricht, doch sind Zeit, Raum und Bewegung „für Hegel von Anfang an - und bleiben es in seiner ganzen Philosophie - primär Probleme der Naturphilosophie. Und wenn Hegel nun von der Zeit im Zusammenhang der Problematik der Geschichte und gar des Geistes spricht, so geschieht das jederzeit in einer formal erweiterten Übertragung des naturphilosophischen Zeitbegriffs auf diese Bezirke" (GA 32, 208). Die Übergänglichkeit, d.h. Zeitlichkeit, Räumlichkeit und Bewegtheit, des Äthers hält sich im neuzeitlichen Anspruch auf die Zustellung des Grundes als der causa sui für das seiner selbst gewisse Selbstbewußtsein. „Die Sichselbstgleichheit des Äthers", so Hegel, „ist unendlich an ihr selbst, und der Ausdruck der Unendlichkeit ist nichts anders, als daß er diese Unendlichkeit nicht als ein Inneres, absolut in sich Reflektiertes, [also] ohne die Bewegung der Reflexion, oder was dasselbe ist, als eine äußere, eine ihm fremde Bewegung der Reflexion und sie auf beide Weisen gar nicht an ihm selbst habe" 68 . Nach Heidegger sind Raum und Zeit hier „Momente des Äthers, als dieses Entfremdeten, Äußeren, und seiner Bewegung [...]. Die Zeit ist demnach das dem Absoluten und damit dem Wesen des Seins Entfremdete" (GA 32, 210). Als eine Erscheinung des Seins in der Sphäre des Geistlosen ist zwar auch die Zeit und mit ihr der Raum vom Geist her und auf diesen hin bestimmt, doch werden Zeit und Raum ebenso auf dessen beständige Anwesenheit hin gedacht wie ihre Übergänge.
68
GA 32, 209; G.W.F. Hegel, Jenenser Logik. Metaphysik und Naturphilosophie, ed. Lasson, S. 202.
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
Von diesem „onto-ego-theo-logischen" (GA 32, 209) Begriff des Seins: erstens qua Unendlichkeit, zweitens qua λέγειν im Sinne des logischen Satzes und drittens qua Selbstsein des Selbst in seiner Selbstständigkeit, sucht Heidegger sich abzustoßen, indem er die Zeit unter Berufung auf „Sein und Zeit" als „das ursprüngliche Wesen des Seins" (GA 32, 211) versteht. Wenn im EreignisDenken schließlich Wahrheit, Sein, Zeit und Raum als gleichursprünglich aus dem Ereignis gedacht werden, vollendet sich diese Gegenposition zu Hegels Übergangs-Denken. 69 Wo Hegels absolutes Denken die ursprüngliche Zeit und die Raum-Zeit als das Geistlose durch den dialektisch-spekulativen Prozeß ins System hereinholt und so vergeistigt, vollzieht das Ereignis-Denken einen Schritt zurück. Wie Heidegger in „Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik" ausfuhrt, geht dieser Schritt zurück in das Wesen der Metaphysik, d.h. zurück aus der Vergessenheit der Differenz als solcher in das Geschick der sich entziehenden Verbergung ihres Austrags. Auch dieser Schritt zurück ist eine „Art der Bewegung des Denkens", die sich „aus der Metaphysik in das Wesen der Metaphysik" (IuD, 40 f.) bewegt, doch so, daß es dabei die bislang ungedacht gebliebene und von Hegel ins Unendliche aufgehobene Differenz zwischen Sein und Seiendem aufklaffen läßt. Er enthält sich des systematisierenden Übergriffs zugunsten der Fuge des Seyns. Daß „sowohl das Sein als auch das Seiende je auf ihre Weise aus der Differenz her erscheinen", eröffnet sich also erst, wenn wir uns die Differenz im Schritt zurück „in ein gemäßes Gegenüber bringen" (IuD, 55), und zwar auch hier „im Genitiv der Differenz" (ebd.). 70 Aus diesem übergänglichen, d.h. den Übergang in ein nichtmetaphysisches Denken des Übergangs bereitenden, Gegen-über-zur-Differenz zeigt sich die Übergänglichkeit des Seins in gewandelter, da ab-gründiger Weise. Sein, Zeit, Raum, Übergang und Bewegung werden nicht mehr auf die beständige Anwesenheit hin, sondern als geschichtliche Wesungsweisen der Wahrheit des Seins gedacht. Während von Hegel aus „keine Brücke in den anderen Anfang" (GA 65, 203) führt, vermag uns das denkende Gespräch mit Hölderlins dichterischem Wort einen Übergang zu eröffnen, in den Äther, in den Zeit-Spiel-Raum festlichen Übergangs. 69 Den „Beiträgen" zufolge rückt die Machenschaft im deutschen Idealismus als Grundcharakter der Seiendheit in eine Gestalt der Subjekt-Objekt-Dialektik ein, „die als absolute alle Möglichkeiten aller bekannten Bereiche des Seienden ausspielt und zusammenordnet" (GA 65, 203). Nach Heidegger sucht Hegel in der durchlaufenden Sicherung gegen alle Unsicherheit endgültig in der Richtigkeit Fuß zu fassen und weicht dabei vor der Wahrheit des Seyns aus. 70 „Sein des Seienden heißt: Sein, welches das Seiende ist. Das ,ist' spricht hier transitiv, übergehend. Sein west hier in der Weise eines Überganges zum Seienden. Sein geht jedoch nicht, seinen Ort verlassend, zum Seienden hinüber, so als könnte Seiendes, zuvor ohne das Sein, von diesem erst angegangen werden. Sein geht über (das) hin, kommt entbergend über (das), was durch solche Überkommnis erst als von sich her Unverborgenes ankommt. Ankunft heißt: sich bergen in Unverborgenheit: also geborgen anwähren: Seiendes sein." (IuD, 56) 15 Knödler
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
δ) Der übergängliche Übergang Im Schwingungsbereich des dichterischen Andenkens ist Alles Übergang: Die Geschichte ist Übergang vom Gewesenen in das Künftige, vom ersten Anfang des Griechenlandes in den zu bereitenden anderen Anfang. Übergang ist insbesondere die Entgegnung von Menschen und Göttern: das Fest. Übergang ist aber auch der Hinübergang vom gewesenen Fest zum künftigen. Übergang ist so ein Übergang von Übergängen. In diesem Reich des Übergänglichen ist daher überall zuerst das ^ w i schen' das Wesentliche. Hier sind daher auch Jene, die dieses ,Zwischen' übernehmen, vollziehen und austragen, die zuerst Gerufenen. Das sind die, die nicht mehr nur Menschen, aber auch noch nicht Götter sind. Hölderlin nennt sie die „Halbgötter" (GA 52, 98).
Der Übergangscharakter des Andenkens (der Hymne „Andenken" in eins mit den mannigfachen andenkenden Bergungsweisen) schwingt selbst im ZeitSpiel-Raum der ursprünglichen Geschichte. Um jedoch die dichterische Rede vom Fest als einem Übergang von Übergängen denkerisch wiedersagen zu können, ohne „zurückzufallen" in eine dialektisch-spekulative Bewegung, müssen wir zuallererst denkend hören lernen auf das dichterische Andenken, als welches sich die ganze Hymne und das als sie gesagte Ereignis vollzieht. In den Vollzugssinn dieses Andenkens, d.h. in den geschichtlichen Zeit-Raum des ,Zwischen' der „Halbgötter", schwingen wir indes nur ein, wenn wir den dichterischen Gruß des Nordostwindes hermeneutisch-phänomenologisch entfalten, der das Gedicht bzw. das Dichtende des Gedichtes selbst eröffnet. Deshalb versuchen wir uns nun am Aufweis der Übergänglichkeit des dichterisch gesagten und denkerisch wiederzusagenden Nordostwindes als des Phänomens, welches den andenkenden Dichter in den Zeit-Raum des Festes ent-rückt.
d) Das Grüßen des Nordost- Windes
Vor dem Übergang in den Fugenbereich der Gründung ist es not-wendig, die hermeneutische
Bedeutsamkeit
des Grüßens
des Nordostwindes
zu er-örtern,
sowohl für den Vollzugssinn des andenkenden Feierns selbst als auch für die denkend andenkende Erspringung desselben. Nach Heideggers Auslegung handelt es sich beim lyrischen Ich der Hymne um den heimgekehrten Dichter, der selbst gegrüßt - seinen Gruß dem Nordostwind übereignet, um diesen Wind mit dem südlichen Frankreich das gewesene Griechenland mit seinem gewesenen Brautfest von Göttern und Menschen grüßen zu lassen.71 Diese Auslegung er71 Nach Heidegger grüßt also nicht „der vormals in Südrankreich gewesene und dort in seiner Hauslehrerstelle nicht zurechtgekommene Pfarramtskandidat [...], sondern der Dichter Hölderlin. Der Gruß ist ein Wort seiner Dichtung. Das Gegrüßte wird dichterisch gegrüßt" (GA 52, 61).
§ 16 Die Erspringung des Wesensbereiches des Gedichtes
scheint überaus anfechtbar. Dem geläufigen zeitgenössischen Verständnis zufolge handelt es sich beim Wind um die Bewegung von Luftmassen, die durch den Ausgleich unterschiedlicher Druckverhältnisse ausgelöst werden. Der Gruß ist ein soziales Verhaltensmuster, durch das Individuen oder Gruppen eines Kollektivs oder einander fremder Kollektive etwas bestimmtes signalisieren. Bei der „Übertragung" dieser menschlichen Verhaltensweise auf ein Naturphänomen wie den Wind nun muß es sich ganz offensichtlich um eine anthropomorphisierende Metapher handeln, wie sie vielleicht der Dichtung noch zusteht, dem philosophischen Denken aber schwerlich zum Wohle gereicht. Im Gegenhalt zu dieser gängigen Auffassung wollen wir nun aufzeigen, inwiefern der dichterisch gesagte Gruß des Nordostwindes das Andenken an das gewesene Fest des Griechenlandes und an ein zu bereitendes künftiges Festwesen auf sich versammelt und wie sich aus diesem Grüßen das Sicheinschwingen in das Denken des Festes als dem Ereignis des Grußes des Heiligen vollziehen soll.Der Gruß steht in einer überraschenden Beziehung zum übergänglich gedachten Wind. In dem Vers „Geh aber nun und grüße" spricht sich eine eigentümliche Zweideutigkeit aus. Von einer aufkommenden Brise heißt es, sie gehe. Indem der Wind geht, weht er. Weil aber in diesem Gehen sein Wehen besteht, bleibt der Wind, indem er kommend geht. 72 Dem Ansprechen des Windes eignet eine weitere Besonderheit. Der sprechende Dichter steht am und im Wind, d.h. er ist in einer noch näher zu kennzeichnenden Weise vom Wind umgeben und seiner Bewegung ausge- bzw. in sie hineinversetzt. Es gibt viele verschiedene Weisen, etwas als Kommendes, Gehendes und Bleibendes zu erfahren, die wir nicht vorschnell auf die Attribute und Kategorien zeitlicher, örtlicher, quantitativer oder qualitativer Veränderung reduzieren dürfen. Jede Bewegung, jeder Übergang hat über seine spezifische Seinsweise hinaus etwas Besonderes, Eigenes. Die Windbewegung unterscheidet sich nicht nur als physikalische Luftbewegung von den Bewegungsarten des Tierischen, Menschlichen und Göttlichen (Aristoteles). Ob ihres versetzenden, zugleich aber bleiben-lassenden Charakters zeichnet sich die Windbewegung vielmehr vor anderen naturhaften Übergängen
72 Wir erkennen hier unschwer jenen Widerspruch, der uns schon bei der Zeit und der Bewegung begegnete. Um zu fließen und in Gang zu bleiben, müssen beide irgendwoher kommen und irgendwohin gehen, wobei sich die Frage stellt, worin sie ihr Bleiben haben, wenn ihr Wesen darin besteht, im Kommen zu gehen und im Gehen zu kommen. 73 Die Übergänge der wachsenden Pflanze etwa verwandeln durch ihre Entlaubtheit und Belaubung die Lichtverhältnisse unserer Umgebung. Sie sprießen, schießen, knospen, blühen, reifen, fruchten, verwelken und vermodern und versetzen uns durch ihren Duft oder Geruch, durch ihre farbliche Tönung, ihren Glanz und ihre schale Verdorrtheit „in 4 1 eine sich wandelnde Natur. Von ihrem Gedeihen hängt es ab, ob uns Nahrungsmittel zur Verfügung stehen, von ihrem „Vorkommen" in der heimischen Landschaft, ob wir sie anbauen können oder einführen müssen. Doch haben wir in Anbetracht dieser
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2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
Der dichterisch gegrüßte und grüßende Wind kann uns, indem er aus einer bestimmten „Richtung" kommt und in die entgegengesetzte geht, eine spezifische Raum- und Zeiterfahrung gewähren. Der im Nordostwind stehende Dichter entspricht mit seinem dichtend-gedichteten Wort dem Vollzugssinn dieses Bleibens im kommenden Gehen. Er hält in seinem Ansprechen des Windes den Wind „auf sich zu und hält ihn doch nicht an". Anhalten bedeutete hier „Stillhalten und Zerstörung und Verlust" (GA 52, 48) des Bleibens im kommenden Gehen, d.h. eben jenes Vollzugssinnes des grüßenden Gegrüßtseins vom Wind, das diesem ent-spricht. In seinem Nichtanhalten des Windes läßt der Dichter diesen jedoch sein, der er ist. Er läßt ihn „in sein eigen Wesen los und in seinen Wesensreichtum sich erhöhen" (ebd.). Der heimgekehrte Dichter, der nun an der Quelle zurückbleibt, verabschiedet den gen Südwesten gehenden Wind weder im Sinne eines bloßen Entlassens und leeren Zurückbleibens noch im Sinne eines bloßen Weggehens und Verschwindens, sondern im Sinne eines grüßenden Im- und Am-Wind-Bleibens, das ihn mit dem Wind mitgehen und dennoch an der Quelle zurückbleiben, d.h. auf die Fahrt im Fahrtwind des Nordost verzichten läßt. Der Gruß gestaltet sich so als ein wechselweise sich verlangendes Zurückbleiben und Mitgehen.Doch was haben wir unter dem hier genannten Grüßen zu verstehen? „Im Grüßen", so referiert Heidegger zunächst die gängige Vorstellung vom Gruß, „senden wir einen Gruß" (GA 52, 50). Was heißt hier „senden"? Worin besteht der spezifische Sende- bzw. Mitteilungscharakter des Grußes? Gemeinhin, d.h. nach dem geläufigen Verständnis von Mensch, Sprache, Zeichen und Gespräch, nimmt sich der Gruß wie die dinghafte Weiterbeförderung einer Kunde, eines Sichmeldens oder einer Benachrichtigung aus.74 Nach Heidegger hingegen weist das Grüßen Stufen auf, „vom flüchtigen konventionell-leeren Gruß bis zur Seltenheit des echten Grußes und bis zur Einmaligkeit dieses dichtenden Grußes" (ebd.). Aus der ereignishaften Echtheit und Einmaligkeit des die Hörenden überdichtenden Grußes erfahren demgemäß auch die einzelnen Grußphänomene im Rahmen einer Feier ihre Bestimmung, die da sind: Ansetzung, Einladung, Festvorbereitung und -erwartung, Begrü-
Erfahrungen einen anderen Stand, als wenn wir in ein fließendes Gewässer steigen. In ein Gewässer versetzt zu werden, heißt nämlich, nach recht kurzer Zeit zu ertrinken. An seinem Ufer zu verbleiben, heißt wiederum seiner Bewegung nicht unmittelbar ausgesetzt zu sein. Im und am Wind hingegen werden unsere Beweglichkeit und unser Stand meist nicht überwältigt. Wir sind ausgesetzt und hineinversetzt, ohne deshalb schon mitgerissen zu werden oder abständig zu bleiben. In ähnlicher, zugleich aber anderer Weise ausgesetzt sind wir wiederum den Naturphänomenen des Übergangs von Tag und Nacht und des Sommers und des Winters. 74
„Grußverhältnis, vergleichweise reduzierte Form der ,Bekanntschaft' zwischen Personen, welche den Betreffenden, wenn sie sich begegnen, nicht abverlangt, in aufwendigere Interaktionen miteinander einzutreten, sondern es beim wechselseitigen Grüßen beläßt, sie dazu unter Umständen aber verpflichtet" (Lexikon zur Soziologie. Hg. v. Werner Fuchs-Heinritz. 3. Aufl. Opladen 1994).
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ßung und Verabschiedung, Miteinandersprechen und Aufeinanderhören etc., aber auch Schmuck, Putz und Gehobenheit der Stimmung. In den wesens-, d.h. gesprächshaften Vollzugweisen jenes Grußes und dieser Grüße meldet sich der Grüßende zwar selbst, doch berichtet er in seinem Gruß nie etwas über sich. „Sofern der Grüßende überhaupt und in einer Hinsicht notwendig von sich sagt, sagt er gerade, daß er für sich nichts will, sondern alles dem Gegrüßten zuwendet, alles das nämlich, was im Grüßen dem Gegrüßten zugesagt wird. Das ist all jenes, was dem Gegrüßten gebührt, als dem, das es ist." (ebd.) Diesen echten, Menschen, Dinge und - Götter - seinlassenden Gruß gilt es nun, als den „Zuspruch, der dem Gegrüßten den ihm gebührenden Wesensrang zuspricht und so das Gegrüßte aus dem Adel seines Wesens anerkennt und durch dieses Anerkennen sein läßt, was es ist" (ebd.), auf die Zeitlichkeit und Temporalität innerhalb des Ereignis-Denkens hin zu entfalten. Während sich nämlich das ereignete Entrücktsein in der Verhaftung des Grüßens in besonderer Weise in die ereignende Entrückung einschwingt, ist der Wind ein „nichtmenschliches Ding", das die temporale Verfassung des zwiefachen abwesend-anwesend-Seins in besonderer Weise auf sich versammelt. 75 Insofern das echte Grüßen das nahe Eigene des Grüßenden und das ferne Andere des Gegrüßten in einen seinlassenden Bezug zueinander bringt, ist es eine augenblickshafte Vollzugsweise des feierlichen Überganges von Gegensätzlichem. „Der einfachste aber zugleich innigste Gruß ist jener, durch den das Gegrüßte erst eigens in sein Wesen neu zurückkehrt, wie ein Anfängliches erscheint und sich wie zum ersten Mal findet." (GA 52, 51) Um dies aufzuzeigen, setzen wir die ekstatische Zeitlichkeit des dichterisch grüßenden Da-seins in einen Bezug zu jenem Seienden, in dem, auf das hin und an dem sich dieses Grüßen entfacht. Das durch den Boten des Grußes, d.h. den Nordostwind, seiend gewordene, d.h. gerettete Seiende, ist die grüßende, gegrüßte und durch diesen Gruß gedichtete Landschaft. Als die vormalige steht diese Landschaft nun „im Glanz des dichterischen Wortes [...], so daß der Dichter fortan hindenken kann zu diesem Seienden, obwohl er doch fern ist und diese entschiedene Ferne auch eingestehen muß, weil er gerade so eingedenk bleibt des Gewesenen und jetzt noch Wesenden" (GA 52, 53). Die gedichtete und dichtende Landschaft ist gewesen, west aber dennoch. Was heißt das? Es heißt, daß das grüßende Hindenken, - dem An-spruch des Wesens und Wehens des Windes ent-sprechend - die Gegenwart verläßt und andenkend zu Gewesenem fortgeht, das Gewesene aber zugleich in der Gegenrichtung auf den Hindenkenden zukommt. Die an der physikalischen Zeit orientierte Erinnerung läßt das Gewesene derart auf sich zukommen, daß es nur „als eine Art von Gegenwart stehen bleibe, als die Gegenwart des Verge75 Es ist indes denkwürdig, daß es der „Weise" im „Gespräch zu selbstdritt auf einem Feldweg" offen läßt, ob die be-denkende Bestimmung eines nichtmenschlichen Seienden möglich ist, ohne selbst dieses Seiende zu sein, d.h. ohne in dieses (gegrüßtgrüßend) eingelassen zu sein (GA 77, 67 f.).
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genwärtigten nämlich", wobei das Erinnerte bei seiner Wiederkehr „in der Gegenwart halt macht, um hier als noch Vergegenwärtigtes nur ein Ersatz für das Vergangene zu sein" (GA 52, 54). Das im grüßenden Hindenken erinnerte Gewesene schwingt sich hingegen „über unsere Gegenwart hinweg und steht plötzlich in der Zukunft" (ebd.). Es kommt auf uns zu wie ein ungehobener Schatz und zwar umso mehr, als wir weiterhin das Gewesene als abwesendgewesendes währen, d.h. gehen lassen und aus diesem Gehen-lassen von umso weiter her als noch nicht geborgenen Schatz auf uns zukommen lassen. Ihr Bleiben im kommenden Gehen haben indes auch der nichtmetaphorisch erfahrene und gedachte Wind und Strom, weil sie (dichterisch erfahren und gesagt) den Menschen hinausversetzen können in den Zeit-Spiel-Raum der Geschichte. „Das grüßende Hindenken, das sich dem Wind übergibt und von ihm sich forttragen läßt, kommt plötzlich in den Gegenwind dieses Windes zu stehen. Es ist, wie wenn ein Strom, der meerbreit aus- und fortgeht ins Meer, plötzlich in der Gegenrichtung rückwärts fließt zur Quelle." (GA 52, 54) 76 Die temporale Verfassung von Gegenwind und Gegenströmung findet ihre Entsprechung im Gegenschwung von ereignendem Zuwurf und ereignetem Entwurf. Im Wind, am Wind und durch den Wind sieht sich der Dichter hinein- und hinausversetzt in den zu gründenden und dichterisch ins Wort zu bergenden ZeitSpiel-Raum der Geschichte. Daß der zeitgenössische Mensch hingegen vom Wind gegrüßt, den Wind wiedergrüßt, ist eher selten. Satelliten überblicken und überbrücken für uns die Übergänge der Witterung, indem sie den Erdball abphotographieren und anhand von Wetterkarten Wettervorhersagen ermöglichen. Das „Biowetter" gibt uns nicht nur darüber Aufschluß, ob unsere Gartenparty „ins Wasser" fallen wird, sondern auch darüber, wie wir uns - je nach Konstution - beim Feiern fühlen werden. Wir nehmen die Witterung zur Kenntnis, wir begrüßen ein angenehmes Lüftchen oder bemerken, daß ein naßkalter Wind weht. Vielleicht richtet auch ein Sturm „Schäden in Millionenhöhe" an. Höchst selten jedoch wird uns ein Wind in einen andenkenden Bezug zur Geschichte versetzen. Wie viele andere Übergangsphänomene der Natur (Jahrszeiten durch Komfort und Klimakatastrophe, Tag und Nacht durch Verstädterung und Beleuchtung, Fließen des Wassers durch Kanalisation, Entwässerung etc.), so west auch der Wind heute ent-zeitigt und ent-räumt. D.h. Zeit und Raum werden in ihrer ereignishaften Zusammengehörigkeit und Geschiedenheit zerschlagen und eingedämmt.77
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Seiner zuweilen allzu pauschalen Kritik gegenüber der Neuzeit nachgebend hat Heidegger Leonardo da Vincis Studien zum Wasser (ders., Das Wasserbuch. Schriften und Zeichnungen. Ausg. u. übers, v. Marianne Schneider. München 1996) ebenso übergangen wie Goethes Farbenlehre. 77 Ein gutes Beispiel hierfür gibt jener Nordostwind, der im April 1986 den radioaktiven Fallout des Reaktorunglücks von Tschernobyl nach Süddeutschland brachte. Obschon, abgesehen von den ,,auffällige[n] Gelbfärbungen des Himmels" (Bericht der In-
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Wenn w i r es hingegen fassen, „ w i e der Dichter in seinem Grüßen ,an' das Gegrüßte ,denkt', werden w i r aus diesem ,Denken an' das Gegrüßte das Wesen des ,An-denkens' und damit das ganze Gedicht zu denken vermögen" ( G A 52, 63). U n d mit diesem Andenken w i r d sich auch der Zeit-Raum eines gewandelten Feierns eröffnen. Doch damit nicht genug. Das Festliche des Festes ist selbst das Ereignis des anfänglichen Grußes des Heiligen. Als jenes, das anfänglich sich ereignet und alles Einander-Entgegenkommen in seiner Entgegnung trägt und durchstimmt, spricht das Festliche selbst mit der Stimme des anfänglichen Grüßens. „Dieser anfängliche Gruß ist das verborgene Wesen der Geschichte. Dieser anfängliche Gruß ist das Ereignis, der Anfang. Anfänglich nennen w i r das Grüßen im Sinne des Kommens des Heiligen, weil erst und nur in diesem Grüßen das Entgegenkommen der Menschen und Götter entspringt und seinen Quellgrund hat." ( G A 52, 70) Wenn aber das Grüßen darin sein Wesen hat, das Gegrüßte sein zu lassen in dem, was es ist, dann hebt dieses Grüßen das gewesene Fest als das gewesene in sein Wesen. Sinnigerweise hat denn auch das gewesene Fest seinen eigenen Wind. W e i l im anderen Land „alles und vor allem der Grund von allem, das Fest, anders ist" ( G A 52, 95), grüßt der scharfe, die Augen wacker machende Nordost die einwiegenden Lüfte des Griechenlandes. W e i l der verheißungsvolle Nordost ihm die scharfe, kühle und „klare Kühnheit des Blickens (Vor-stellens und Darstellens)" verbürgt, gilt es nun, „ i n dem Aether und Element der Klarheit auszuharren und darin das Gesetz des Eigenen zu finden" ( G A 52, 139): die Klarheit der Darstellung im Gespräch mit dem Feuer des Himmels. Freilich ternationalen Gewässerschutzkommision Bodensee, Bericht 36, Die Entwicklung der Radioaktivität im Bodensee nach dem Ufall Tschernobyl, 1987, S. 12; vgl. Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) GmbH, Neuere Erkenntnisse zum Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl. 1986, S. 54), allein die Geigerzähler die apokalyptische Botschaft dieses Nordost-Windes registrierten, breitete sich das kontaminierte Jod mit dem Wetter über den ganzen Erdball aus, wo es über einen ungeahnten Zeitraum verbleiben wird. Die Dimension des Versetztwerdens, welche die entbundende Radioaktivität über den Erdball bringt, übersteigt den Atem alles Lebenden. Wo sie ein Platonisches Jahr (26 000 Jahre) füllt, vermochte einst der Kreisgang der Mühle den Stundengang, das Tag- und das Lebenswerk menschlicher Sorge zu überdauern und in sich zu schließen. In dem Bereich hingegen, den der radioaktive Nordost grüßte, welkt der Baum; der seidne Boden und die Früchte der Erde, Brot und Wein, sind verstrahlt. Wie die Früchte der Erde, so wuchern auch die Früchte des Mutterleibes, weil das einst Maßhafte in ein „ontisches" Chaos der Beliebigkeit entbunden ist. Und nichtsdestotrotz, ja umso trotziger aus dem anklingenden Zuspruch des Ereignisses dem zeit-raumlosen Pesthauch entgegenfahrend, west das Andenken, daß „Zur Märzenzeit,/ Wenn gleich ist Tag und Nacht,/ Und über langsamen Stegen,/ Von goldenen Träumen schwer,/ Einwiegende Lüfte ziehen", daß dem geschichtlichen Menschen ein naturhaft Seiendes gewährt sein möge, an und in dem er sich einwiegen läßt in schicksalshaften Ausgleich. Denn was Heidegger hier den weg- und gesprächshaften Vollzugssinn des „Andenkens" nennt, ist nichts anderes als jener Feldweg, aus dessen sanfter Gewalt die wenigen Bleibenden „die Riesenkräfte der Atomenergie zu überdauern [vermögen], die sich das menschliche Rechnen erkünstelt und zur Fessel des eigenen Tuns gemacht hat" (DE, 39).
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Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
wehte auch im Lande der Griechen zuweilen ein scharfer Wind, doch schwingen die einwiegenden Lüfte, durch welche die Griechen in ihre Herkunft eingewogen wurden, das Grüßen andenkend ein in die gewesende Wesung griechischer Festlichkeit. Dieses Einwiegende der griechischen Selbst- und Welterfahrung besteht in jenem Seinlassen des Seienden im Ursprung, das den Menschen einschwingt in die Übereignung der Götter an den Menschen. Das Einwiegen drückt [...] aus, daß hier der Mensch nicht sich selbst einrichtet und in seinem selbstgemachten Vorhaben sich umtreibt. Er wird von einem Ursprünglichen durchschwungen und getragen und so in jene Ruhe gebracht und in der Ruhe gehalten, auf der sein Wesen beruht. Einwiegen ist hier nicht Betäuben oder gar Täuschen. Einwiegen ist in die Wiege bergen und da geborgen halten, ist Seinlassen im Ursprung. Der Ursprung ist das Eigenste der Menschen und Götter, was sie als ihr Wesen mitbringen. Allein dieses Eigenste ist zugleich auch das am wenigsten und seltensten Angeeignete. So kommt es, daß der Mensch zunächst gerade dem Eigensten lange entfremdet ist und unbeholfen vor allem darin, dem Gesetz des Eigenen rein zu entsprechen. (GA 52, 105)
Das Grüßen meint also erstens „das gegrüßte Land selbst und seine Geschichte", d.h. das Fest selbst, zweitens „zugleich als das gewesene vordeutend die gewandelte Art des Künftigen" und drittens „überdies, ja eigentlich, den Übergang vom Gewesenen in das Künftige" (GA 52, 96). Indem sein Wind ein anderes Feiern der Sterblichen auf der Erde unter dem Himmel vor den Göttlichen abwesend anwesen läßt, erinnert das gewesene Fest „an das Innige, das als das Heilige das eigentlich Grüßende ist. Das eigentlich Grüßende gibt dem Zurückbleibenden den Wink, an seinem Ort das Heilige des Vaterlandes zu rufen und im Schutze dieses Höchsten heimisch zu werden" (GA 52, 137). Doch weil das gewesene Fest abwesend anwesend ist, trennt uns der Ab-grund des Nichtmehr von ihm, den das Andenken über die Gegenwart hinweg als Noch-nicht auf sich zukommen läßt. Der Dichter muß, wie wir sahen (§ 8), „der unmittelbaren Zuflucht zum Gewesenen und der bloßen Übernahme des überlieferten Gewesenen entsagen. [...] Der wie aus dem Nichts aufsteigende Ruf [Es reiche aber,/ [...] Mir einer den duftenden Becher'] nach einem Bringen und Schenken, als sei das Grüßen und das Gegrüßte jäh versunken" (GA 52, 138), reißt mit dem Abgrund zwischen der zweiten und dritten Strophe, d.h. dem „Abgrund zwischen dem Grüßen und dem Notruf (GA 52, 139), jenen Ab-grund auf, dessen philosophische Schärfe sich erst aus den „Beiträgen" erhellt. Das denkerisch hörende Wiedersagen des dichterisch genannten Grußes eröffnet also nicht die Dimension des Heiligen selbst. Weil das Heilige und seine „Namen" in der gegenwärtigen Epoche fehlen, gilt der Gruß vielmehr dem gewesenen Fest, um aus seinem Andenken das künftige vorauszugründen. Doch auch dem Andenken an dieses muß, sofern es sich keineswegs feststellen läßt wie ein Knochenfünd, die Stätte ersprungen werden. Diese Erspringung geschieht als ein Sicheinschwingen in den Vollzugssinn der dichterisch gesagten Geschichtlichkeit und ihrer Zeit-Räumlichkeit. Gesprächshaft in sich kehrig im Gegenschwung des ereignenden Zuwurfs für den ereigneten Entwurf ist zum einen die dichterische Sprache selbst. „Das dichterische Wort hat noch" und wieder, d.h. im Gegen-
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satz zur Sprache als einem Verkehrsmittel, „das Eigene, daß es in einer eigentümlich gesammelten Vieldeutigkeit schwingt" (GA 52, 10). Als echtes dichterisches Wort hat es „seine verborgenen und vielfältigen Schwingungsräume" (GA 52, 15), bezeugt sich die wesentliche Dichtung doch „zuerst darin, daß ihr Gedichtetes nur im Bereich dieser sich überschwingenden Räume sich hält und aus ihnen spricht" (ebd.). Während aber das grüßende Sagen beim Nennen des Nordost zurückbleibend fortgeht in ein Entschwundenes, ist es beim Nennen des Entschwundenen, d.h. des gewesenen Griechenlandes und seines Festes, „in einen einzigen Bogenschwung gefügt, der rätselhaft in sich selbst zurückschwingt und so jegliches im einzelnen Genannte zum Schweben bringt" (GA 52, 62). D.h. das dichterische Nennen des gewesenen Festes entspricht auf seine Weise der sich im griechischen Fest ereignenden Götterung der als das Heilige erfahrenen Natur (φύσις). So vollzog sich der Übergang des Gewöhnlichen ins Ungewöhnliche im griechischen Fest als ein erwartendes Sichloslösen vom Gewöhnlichen. Heidegger sagt in verdeckter Anspielung auf Piaton: Je feierlicher der Feiertag, d.h. erwartender für das Ungewöhnliche, desto gelöster vom Gewöhnlichen ist alles Verhalten. Je gelöster das Verhalten, umso schwingender und schwebender ist die Haltung. Aber die Lösung vom Gewöhnlichen in das eigentliche Ungewöhnliche ist nicht der Taumel ins Ungebundene, sondern die Bindung an das Wesenhafte und an die verborgene Fügsamkeit und Regel des Seienden. Die freischwingende Bindung in die Regel und die aus solcher Schwingung stammende Entfaltung des Reichtums der freien Möglichkeiten des Regelmäßigen, das ist das Wesen des Spiels. (GA 52, 66 f.)
Uns interessiert an dieser Stelle noch nicht so sehr die Bedeutsamkeit des Gesagten für die Ereignishaftigkeit des Spiels, als vielmehr, wie das Denken sich hier einspielt in den Vollzugssinn der dichterisch gesagten Geschichtlichkeit. Aus dem Anstoß des dichterisch gesagten Seienden, das auch das gefeierte und festliche Seiende ist, vermögen wir nun einzuschwingen in die seinsgeschichtliche Wesung des Festes.78 Denn fügsam in sich schwingend und in sich gewogen wesen Mensch, Gott und Seiendes im Fest. Wenn dagegen der Fug nicht west, „schwingen die Grundweisen des Seins, die Elemente, nicht in der Freiheit ihres Wesens. Die alten Gesetze sind aus der Geraden der Fuge gewichen, sie sind nicht lot- und nicht waagrecht, d.h. unrecht" (GA 52, 102 f.). Ein solches Aus-dem-Lot-sein eignet nun nicht nur dem zeitgenössischen Feiern, sondern auch dem Denken des Festes. Deshalb gilt es im folgenden, sich nicht
78 So nennt Heidegger die Frauen als Jene, die vom Ahnen des Festes am unmittelbarsten getragen" sind (GA 52, 79); die Brücke „senkt sich, ganz zugleich und in einem den Strom überschwingend, über diesen und macht so Ufer erst zu Ufern und öffnet das Offene eines Herüber und Hinüber. Je höher die Höhe, aus der sich die Brücke senkt, umso überbrückter und näher die Ufer. Ihre Entfernung bemißt sich [...] nach der Höhe und Herkunft des Brückenschwunges" (GA 52, 97); die Übergänge der langsamen Stege sind „nicht irgendwo im Leeren vorhanden [...]; denn über sie hin ziehen einwiegende Lüfte" (GA 52, 104).
2. Hauptstück, Kap. 1: Die andenkende Dichtung als das Ereignis
nur denkerisch auf die festlose Zeit und die Bereitung einer Wiederkunft des Festlichen zu entwerfen, sondern auch auf die nicht lot- und nicht waagrechte, d.h. unrechte Weise, das Fest zu denken.
Zweites
Kapitel
Das andenkende Fest als das Ereignis
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins in den Wesungsbereich des Ereignisses Im ersten Kapitel des Ersten Hauptstückes haben wir zu zeigen versucht, inwiefern sich das Gewöhnliche des Alltags in der gegenwärtigen Epoche als einer festlosen Zeit in einer Übergangslosigkeit zum Ungewöhnlichen des Feiertages hält. Nun gilt es zu entfalten, worin das Feiern als Freiwerden vom verödeten Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche „bestehen" könnte, wenn es nicht als Sensationelles machenschaftlich und rechnerisch gegen das verdrängte Gewöhnliche ausgespielt werden soll (a.). Wie sich zeigen wird, vollzieht sich der Übergang vom Gewöhnlichen in das Ungewöhnliche im Sicheinlassen auf den Ent- und Versetzungscharakter der ereignishaft gedachten Feststimmungen (b.).
a) Feiern als Freiwerden vom verödeten für das Ungewöhnliche
Gewöhnlichen
„Ds'i Gung sah dem Treiben am Tage des Dscha-Opfers zu. Meister Kung sprach: ,Bist du auch fröhlich, Sí?' Ds'i Gung erwiderte: ,Die Leute des ganzen Landes benehmen sich wie verrückt, ich weiß nicht, was da Fröhliches dabei sein soll.' Meister Kung sprach: ,Daß nach der Mühsal von hundert Tagen ein Tag der Freude und des Genusses nötig ist, das verstehst du nicht. Den Bogen nur spannen, ohne ihn zu entspannen, das hätten selbst die Könige Wen und Wu nicht gekonnt; nur Abspannung ohne Anspannung, das hätten sie nicht gewollt. Anspannung im Wechsel mit Abspannung, das ist der Weg der Könige Wen und Wu'." Kungfutse x
Was Heidegger zu Beginn der „Andenken"-Vorlesung zum ,,geläufige[n] Verhältnis zu ,Werken' der Dichtung" sagt, gilt für das Verhältnis
von Geläufi-
1 Kungfutse, Schulgespräche Gia Yü. Dt. v. R. Wilhelm. Hg. v. H. Wilhelm. Düsseldorf/Köln 1981, S. 120.
2. Hauptstück, Kap. : Dandenkende
t als das Ereignis
gern und Ungeläufigem überhaupt. Der versteckte, gewissermaßen hinterhältige Charakter des Geläufigen besteht in der Schwierigkeit, sich von ihm zu trennen, „da wir j a in ihm auch das Ungeläufige unterbringen" (GA 52, 1). Dabei läßt sich die Wiederwälzung des nivellierten Gewöhnlichen unter dem Anschein des zum Sensationellen auf gespreizten Allzu-Gewöhnlichen (vgl. § 5) sowohl auf
die Modi des Selbstseins (Eigentlichkeit, Uneigentlichkeit, Indifferenz) als auch auf die geschichtliche Wesungsweise der Wahrheit des Seyns als Ereignis bzw. Enteignis beziehen. In den „Beiträgen" spricht Heidegger diesbezüglich vom Da-sein und vom Weg-sein 2 Da-sein heißt, „die Offenheit des Sichverbergens ausstehen" (GA 65, 301), d.h. Sorgetragen für die in dreifacher Weise entbergend-verbergende Wahrheit des Seyns. Weg-sein dagegen heißt, „die Verschlossenheit
des Geheimnisses und des Seins" (ebd.), d.h. die Seinsvergessen-
heit betreiben. Im Weg-sein sind wir, in Anlehnung an die außerphilosophische Sprechweise, ganz weg, sind „vernarrt
und verschossen in etwas, verloren
an
dieses" (ebd.). Wir tragen nicht Sorge für die Offenheit des Sichverbergens. Indes sind wir „zumeist und überhaupt noch im Weg-sein, gerade in der ,Lebensnähe'" (ebd.). Gerade in der „Lebensnähe", sei es bei der Arbeit, sei es beim Feiern, verlieren wir uns an das scheinbar nur Seiende, als bedürfte es nicht des Seyns. Unweigerlich wird das Weg-sein so „zur Nennung einer wesentlichen Weise, wie der Mensch sich und zwar notwendig zum Da-sein verhält und halten muß, und dieses selbst erfährt damit eine notwendige Bestimmung" (GA 65, 302). Wie schon Eigentlichkeit, Uneigentlichkeit und alltägliche Indifferenz, ist auch das Weg-sein ein wesenhaft zum Da-sein gehöriges Phänomen, in welchem „das Da bestanden wird in je einer Weise der Bergung der Wahrheit (denkerisch, dichterisch, bauend, führend, opfernd, leidend, jubelnd)" (ebd.). Eine dieser Weisen, bergend inständig zu sein in der Wahrheit des Seyns und das Da zu bestehen und auszustehen, ist das Feiern. Obwohl dessen Wesen in der Ent-setzung aus dem Weg-sein in das Da-sein besteht, eignet auch ihm die Tendenz zum Weg-sein.So können wir das festlich Gegrüßte wie etwa Feuer, Sonne und Wind „aus einer uns gewohnten Geläufigkeit ,zunächst' für Naturdinge nehmen" (GA 52, 39). Hierbei besteht das Gewohnte dieser Geläufigkeit in jenem Zunächst und Zumeist, in dem sich das im weitesten Sinne alle Bergungsweisen umfassende Dichten weitgehend hält. Dieses gewohnte Wohnen meint zu wissen, was der Wind „in Wirklichkeit" ist und daß der Dichter ihm lediglich Eigenschaften andichtet, von denen sich der gesunde Menschenverstand nicht „in Wirklichkeit" beirren lassen darf. Wie wir es hinsichtlich des Grüßens entweder „am Geläufigen genügen lassen" (GA 52, 49) oder uns grüßend in seinlassender Weise auf das Gegrüßte einlassen können, so können wir auch das feiernd gegrüßte Seiende entweder als das Übergangs los veraußergewöhnlichte Gewöhnliche inszenieren oder es uns als das wesenhafte, d.h. in 2 In einer zweiten Weise spricht Heidegger vom Weg-sein als dem eigentlichen Sein zum Tode, dem Ausstehen des Sichverbergens (GA 65, 324 f.).
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins
237
übergänglichem Bezug zum Gewöhnlichen stehende Ungewöhnliche, begegnen lassen. Wie soll sich dieses wesenhafte Sicheinlassen auf das Ungewöhnliche vollziehen? Heidegger sagt, als die Sorge. Im Zuge der mangelnden Aneignung der Ungewöhnlichkeit des vermeintlicherweise Gewöhnlichsten „von der Welt" - daß Welt und Welthaftes „ist" - wird das Eigentliche der Menschen und Dinge unzugänglich; das Ungewöhnliche verschließt sich; das Wissen darum geht verloren - vor allem aber erlischt die Sorge darum. Die Sorge sorgt sich - über den ihr je schon eigenen Zug zur Verdeckung und Nivellierung hinaus - nicht mehr um sich selbst. Dies tritt in dem Augenblick ein, da wir die Sorge nur noch als Betrübnis und Bekümmernis, als geschäftliche Bemühung und als Unruhe der Machenschaften verstehen, statt zu erkennen, daß die Sorge noch anderen Wesens ist, nämlich der Gehorsam der Bewahrung einer Zugehörigkeit zum Wesenhaften alles Seienden - d.h. zum Eigentlichen, das immer das Ungewöhnliche ist. (GA 52, 65)
Entsprechend ist die Sorge für das Ungewöhnliche nicht die Sorge für „das Ausgefallene, die Sensation, das Nochniedagewesene" (GA 52, 66). Ebensowenig versteht sie sich, wie man Heidegger gerne auszulegen pflegt, als „Trübsinn und Beklemmung und verquälte Bekümmernis um dies und jenes" (GA 65, 35).3 Die Sorge für das Ungewöhnliche ist vielmehr die Sorge für „das ständig Wesende, Einfache und Eigene des Seienden, kraft dessen es sich im Maß seines Wesens hält und dem Menschen das Maßhalten abfordert" (GA 52, 66). Allerdings läßt sich dieses maßgeblich Einfache nicht besorgen wie ein alltäglich zu Besorgendes. Wir fallen einer Täuschung zum Opfer, „indem wir das uns gerade Geläufige schon für das Einfache halten" (GA 52, 85). Denn die inständige Einfachheit des als Sorge verfaßten Da-seins ist „(keinesfalls das ,Leichte' im Sinne des Gängigen und nicht das ,Primitive' im Sinne des Unbewältigten und Zukunftslosen, sondern) die Leidenschaft für die Notwendigkeit des Einen, die Unerschöpflichkeit des Seyns in die Behütung des Seienden zu bergen und von der Befremdlichkeit des Seyns nicht abzulassen" (GA 65, 298 f.). Schon in „Sein und Zeit" kennzeichnete Heidegger die Sorge als das Sorgetragen für die jeweilige Möglichkeit des In-der-Welt-seins und bereitete damit die Analyse derselben als des Sorgetragens für die Erschlossenheit der jeweiligen Seinsweise von nichtdaseinsmäßigem Seienden und die Entdecktheit dieses Seienden vor. Im Ereignis-Denken werden die drei für die Sorge elementaren Strukturen: der Entwurf, das Geworfensein und das entdeckende Offenbarma3 In der „Andenken"-Vorlesung heißt es mit Blick auf Ernst Jüngers abenteuerliches Herz: „Der abenteuerliche Mensch kann die Sorge nur als Schwäche und Kümmernis begreifen, da er nur subjektiv und d.h. metaphysisch denkt und angeblich die Härte liebt" (GA 52, 181). Doch auch O.F. Bollnows Versuch, eine „Anthropologie des Festes" (ders., Neue Geborgenheit. Das Problem einer Überwindung des Existenzialismus. 3. Aufl. Stuttgart 1970, S. 205-247), nicht wie Heidegger von der Sorge, sondern von der Hoffnung her zu denken, kann als ein solches „Fehlverständnis" gefaßt werden.
238
2. Hauptstück, Kap. : Dandenkende
t als das Ereignis
chen, ursprünglicher erfahren. Der Entwurfscharakter der Sorge wird beibehalten, zugleich aber auf die Geworfenheit als den ereignenden Zuwurf hin gedacht. Damit in eins rückt das entdeckende Sein-bei ins Blickfeld der Bergung der Wahrheit des Seyns in das Seiende. Die Bergung selbst vollzieht sich im und als Da-sein. Und dieses geschieht, gewinnt und verliert Geschichte, in der inständlichen, im voraus dem Ereignis zugehörigen, aber es kaum wissenden Be-sorgung. Diese nicht von der Alltäglichkeit her, sondern aus der Selbstheit des Daseins begriffen, hält sich in mannigfachen, unter sich sich fordernden Weisen: Zeuganfertigung, Machenschaftseinrichtung (Technik), Werke schaffen, staatsbildende Tat, denkerisches Opfer. (GA 65, 71)
Zu diesen sich fordernden, d.h. einander zueinander herausfordernden oder einander seinlassenden Weisen der bergenden Be-sorgung, in denen das Da-sein Geschichte gewinnt oder verliert, gehört auch das Feiern, das innerhalb der „Beiträge" weitgehend dem Jubeln zuzuordnen wäre. Auch feiernd ist der Mensch auf dem Grunde des Da-seins als der Sorge „1. der Sucher des Seyns (Ereignis) 2. der Wahrer der Wahrheit des Seins 3. der Wächter der Stille des Vorbeigangs des letzten Gottes" (GA 65, 294). Diese Sucher-, Wahrer- und Wächterschaft des auf der Sorge gründenden Da-seins übernehmen als die Vorausgründer eines künftigen Menschseins vorerst die Dichter. In ihrer Langmut und Entschiedenheit, den freien Gebrauch des Eigenen zu lernen, lassen die Dichter offenbar werden, „was die lange Zeit des Harrens und des Behaltens des Gewesenen wahrhaft währen und wesen läßt. Diese Inständigkeit in der ursprünglichen Geschichtszeit der wesentlichen Geschichte ist die Sorge. [...] Im Wesensgrund der Sorge ,da' zu sein ist die verborgene Berufung der Wenigen oder zuerst nur die eines einzigen" (GA 52, 181). Die feiernde Sorge für das Ungewöhnliche ist also auch heute, wie einst bei den Griechen, denjenen vorbehalten, welche das Unmittelbare, d.h. das Heilige - und sei es auch nur in seinem Entzug - zu Gehör bringen. Zu der aus der Unausgeglichenheit und Übergangslosigkeit des Schicksals herrührenden Wesensnot, den Ausgleich vorzubereiten, „gehört die Sorge für das Mittelbare, worin allein das Unmittelbare erscheint, das weder den Göttern noch den Menschen unmittelbar gegeben wird" (GA 52, 188).4 So stehen wir vor einem sonderbaren Sachverhalt: Wir sollen feiernd frei werden vom ver-wohnten, verödeten Gewöhnlichen, ohne dessen Verstellung 4 Wenn Heidegger hier vom Heiligen als dem Unmittelbaren und von der Wesensnot des Menschen spricht, „geschichtlich nicht unmittelbar im Zentrum seines Seins" (GA 52, 189) zu sein, so gilt es, dieses aus dem Gespräch mit der Hölderlinschen Hymnendichtung denkerisch wiedergesagte Wort sowohl von dem zu Beginn des „Hyperion" geäußerten Gedanken der „excentrischen Bahn" des Menschen als auch von Hegels Begriff der vermittelten Unmittelbarkeit zu differenzieren. Sagt Heidegger: „Die See ,hebt' das Denken an die Heimat ,auf, weil der Kolonie-liebende Geist ,tapfer Vergessen' liebt" (GA 52, 192), so spricht er vom „ursprünglicheren Durchdenken des Wesens der Geschichte, das der Hymnendichtung den Untergrund gibt.-" (GA 52, 189)
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins
23
und Verbergung zu kennen. Eine vorerst selbst befremdlich anmutende Behauptung, ist es doch gerade der triste, allzu bekannte Alltag, von dem wir uns feiernd absetzen wollen, um uns einer ganz anderen Sphäre zuzuwenden. Was Heidegger hier mit dem übergänglichen
Bezug von Gewöhnlichem
und Unge-
wöhnlichem meint, entfaltet sich erst aus dem denkerischen Vollzug der ontologischen Differenz bzw. der Gleichzeitigkeit von Sein und Seiendem und aus dem Wesensbezug von Wahrheit, Sein, Zeit und Raum. In gleicher Weise wie nämlich der uneigentliche Vollzugsmodus der Sorge sich im Weg-sein an das scheinbar des Seyns unbedürftige und präsente Seiende verliert, das Gewesene von sich stößt und so das Künftige nicht eigens auf sich zukommen läßt, in gleicher Weise, wie die Sorge im Zeitalter der Seinsverlassenheit und Seinsvergessenheit das Wirkliche allein vom Mach- und Erlebbaren her versteht und wiederum das Gewesende und Künftigende von sich wegstößt, so hat auch das uneigentlich und enteignet erfahrene Gewöhnliche seine Zeitlichkeit. Messen wir die Zeit des Festes, in der das Schicksal eine Weile ausgeglichen ist, vom gewöhnlichen, d.h. ordinären Zeitverständnis her, so sind wir versucht zu sagen eine Weile nur ist ausgeglichen das Schicksal. Das ,nur' bezeichnet uns dann die Einschränkung und Verkürzung der Dauer, den Mangel des Dauerhaften und so die Unvollkommenheit alles ,Wirklichen'. Schon sind wir wiederum beim Rechnen und setzen unsere eigensüchtigen Wünsche als den Maßstab der Weile, des Verweilens, der Dauer und des Bleibens. Wir suchen allzugern das eigentliche Bleiben in dem nie abreißenden Fortdauern. Aber vielleicht ist das endlose ,Und-so-weiter' die ordinärste Form der Dauer. Vielleicht ist diese Art von Dauer gewöhnlich nur deshalb unter allem Wünschbaren ausgezeichnet, weil das so Fortdauernde von uns selbst nichts fordert (GA 52, 93). Der gewöhnliche
und ν er gewöhnlichende
Bezug zum Ungewöhnlichen
der
ausgeglichenen Schicksalsweile besteht in einer spezifischen Verquantifizierung nicht nur des Widerfahrenden, sondern der Zeitweile der Widerfahrnis selbst. Daß das Schicksal eine Weile, d.h. auf eine bestimmte Zeit hin, ausgeglichen sein soll, erscheint dem ordinären, d.h. vulgären Zeitverständnis bereits als Einschränkung, Verkürzung und Mangel des von ihm veranschlagten Quantums an „Dauer". Da diese Zeiterfahrung sich selbst im Modus des sich endlos wiederwälzenden Und-so-weiter hält, vermag das vulgäre Zeitverständnis beim Auf-sich-zukommen-lassen der Dauer der Festweile nur wiederum den Maßstab des monoton Fortdauernden anzusetzen. Doch fordert diese Art von Dauer dem Menschen nichts ab: in ihrem Vollzug steht ihm nichts abwesend-anwesend Gewesendes und Künftigendes entgegen, das ihn unter seinen Anspruch stellen könnte. Der Mensch hört nicht auf den sich gewährenden oder sich versagenden Zuspruch des Ereignisses, er entwirft sich nicht als ereigneter Entwurf auf den sich zusagenden oder versagenden ereignenden Zuruf der Wahrheit des Seyns, aus dem sich allein die Ungewöhnlichkeit des Gewöhnlichen zuzusprechen vermag. Er vermeint vielmehr, das Gewöhnliche immerschon und immerzu zu kennen, indem er das Gewesene nicht über die Gegenwart hinwegschwingen und aus der Zukunft in die Gegenwart hereinwesen und -wehen läßt. Er verwei-
0
2. Hauptstück, Kap. : Dandenkende
t als das Ereignis
gert sich der eigentümlichen Art des Bleibens, wie sie der scheinbar „vergänglichen" Festweile eignet, gerade indem er die Augenblickhaftigkeit des Bleibens dadurch nivelliert, daß er davon ausgeht, daß alles ist und sein wird, wie es war. Doch gerade weil er das Übergängliche für Zeitverschwendung hält, verliert die Zeit ihre Einzigkeit. Das Gewöhnliche bleibt unange-eignet und dauert nach der Art des leeren Und-so-weiter, sowohl in daseinsanalytischer als auch in seinsgeschichtlicher Hinsicht. Denn: nur das Gewöhnliche im Sinne des Genutzten und Gebrauchten, aber nicht Angeeigneten, dauert nach der Art des leeren Und-so-weiter. Nicht so das Ungewöhnliche, will sagen, das Einzige. Das Einzige hat auch seine einzige Art des Bleibens. Es ist jene Weile des Festes, worin nicht Einschränkung und Mangel, sondern die Überwindung aller Schranken des Gewöhnlichen und der Reichtum des Wesenhaften beschlossen liegt (GA 52, 93).
Offensichtlich geht Heidegger davon aus, daß in sonstigen Zeiten Einschränkung oder gar Mangel herrschen, zur Festzeit dagegen alle Schranken des Gewöhnlichen zugunsten des Reichtums des Wesenhaften überwunden werden. Heißt das nun, daß die primäre Auszeichnung der Festzeit darin besteht, daß nach Zeiten des Darbens, der Normierung und der Zurückhaltung eine kurze Ausnahmesituation des Überflusses, der Abweichung und der Verschwendung folgt? Wohl kaum, würden durch eine solche Kategorisierung Gewöhnliches und Ungewöhnliches doch nur wiederum übergangslos aufeinander verrechnet. Die Einzigkeit der ungewöhnlichen Festweile besteht vielmehr in ihrer Anfänglichkeit.
Dies hatten uns die an-fänglichen, d.h. aus dem Anfang an-gefangenen Dichter und Denker des Griechenlandes zugespielt, wenngleich sie den Anfang nicht eigens und als solchen dachten: Menschsein, d.h. Sterblichsein vor den aus dem Ungeheuren des Seins ins Geheure des Seienden hereinblickenden Unsterblichen, so hatten wir gesagt, ist das Sich-aufs-Spiel-Setzen im Wider spiel der Versammlung
auf das Eine und des Sichzerstreuens
in das Viele, so zwar,
daß keines gegen das Andere ausgespielt wird, sondern der Mensch spielt im in sich strittigen und dennoch einklingenden Widerspiel von λήθη und ά-λήθεια (vgl. §§ 6 - 11). Im Zuge seiner Bemühung, den Anfang eigens und d.h. anders-anfänglich zu denken, sagt Heidegger nun: Einziges ist ,nur' als das Anfängliche. Jeder Anfang ist einzig. Aller Fortgang zerstreut in das Mehrere und läßt ein Mehrerlei zurück, und dieses fordert stets das Eingehen auf das Verstreute. Dies macht die Zerstreung zur Gewohnheit. Der Verstreuung kann unter Beibehaltung des Vielerlei als des Maßgebenden nur durch die Verrechnung gewehrt werden. Das Zerstreute und Verstreute gibt aber auch die Chance, stets weiter zu gehen und so das Und-so-weiter sogar in seiner Notwendigkeit zu bestätigen und so ins einzige Recht zu setzen (GA 52, 94).5 5
In den kleinen Text „Das Wesen des Menschen (Das Gedächtnis im Ereignis)" versteht Heidegger den „Beginn" in ähnlicher Weise, d.h. nicht mehr als den kausalhistorischen Beginn (vgl. § 6 dieser Arbeit), sondern als die „sinnend, schweigend, sa-
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins
2
Die Einzigkeit der Festweile ereignet sich aus dem Anfang, der als der Gegenschwung des ereignenden Zuwurfs für den ereigneten Entwurf Alles in Eines fügt. Doch bringt jedweder Fortgang die Zerstreung des Einst-Einigen in ein Mehreres und Mehrerlei mit sich. Diese Zerstreung kann wiederum zwiefach gedacht werden: zum einen im Sinne des Verfallens an das gegenwärtige Seiende, das nicht nur das abwesende Seiende wegschiebt und somit zerstreut, sondern auch die abwesende Anwesung des Gewesenden und Künftigenden aufspreizt und von sich stößt; zum anderen im Sinne der epochalen Aufspreizung des immerwährenden Anfangsgeschehens in den kausal-deterministisch zurückverrechneten Beginn und das vorausberechnete Ende.Schon im Zusammenhang mit Hesiod hatten wir gehört, daß das durchgötterte Beginnen der Menschen nur aus dem Auffangen des ereignenden Zuwurfs im ereigneten Entwurf geschehen kann. Doch wurde der sich aus dem Streitgeschehen von χάος und φύσις bzw. γάια ereignende Anfang aus dem Ab-grund dort lediglich im Sinne des uneigentlichen Selbstseins zum Un-grund nivelliert. Desgleichen ließ sich die Versammlung auf das Eine und die Zerstreung in das Viele von Parmenides her als der Herzschlag des Verbergungs- und Entbergungs-Geschehens des Herzens der ά-λήθεια verstehen. In der gegenwärtigen Epoche hingegen west die Unverborgenheit im Sinne der enteignishaffcen Verstellung. Der verstellte Ab-grund west als Un-grund. Mit dem Anfänglichen versagt sich die Einzigkeit der Festweile und sogar der Entzug dieser Einzigkeit selbst. Der Zerstreung kann anscheinend nur noch durch die Verrechnung, d.h. durch die kybernetische Vernetzung der Informations-, Reiz- und Wissensbereiche gewehrt werden, die das Feiern der geschichtlichen Gegenwart durchherrscht. Daß damit nur wiederum das bloße Und-so-weiter perpetuiert wird, hatten wir im 1. Kapitel des Ersten Hauptstückes aufzuzeigen versucht. Betrachten wir nun, wie sich dagegen das feiernde Freiwerden vom Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche in den Festen der einzelnen Lebensbereiche ausnehmen könnte. Die einzelnen Lebensbereiche werden im Rahmen einer Feier zwar hervorgehoben, d.h. zu etwas Außergewöhnlichem, doch geschieht das primär, um in einer ausgezeichneten Weise zu zeigen, wir sagten: grüßend zu eröffnen, was und wie diese Bereiche je schon verborgenerweise waren. Es geschieht also nicht, weil wir sie immerschon und immerzu kennen. Die Lebensbereiche werden nicht dadurch festlich, daß wir sie „aufputzen". Wir verhalten uns vielmehr festlich, weil wir als zuvor schon vom Festlichen des Festes Gegrüßte feiernd wiedergrüßen. Unsere Liebsten, Freunde und Anvertrauten beispielsweise vermeinen wir vom Alltag her nur allzugut zu kennen. Desgleichen sind wir der Auffassung, bereits zur Genüge um die Umgebung des gefeierten Lebensbereiches und die zu ihr gehörigen Dinge zu wissen. Denn nicht von ungefähr bewährt und bestätigt sich der Bezug zu Menschen und Dingen gerade durch allgend, rufend 44 zu begehende „Feier des.Ginns44: „Im Beginn feiert das Gedächtnis das Fest der Einzigkeit des Ereignisses44 (ebd., S. 17). 16 Knödler
242
2. Hauptstück, Kap. : D a n d e n k e n d e
t als das Ereignis
tägliche Begegnung und alltäglichen Gebrauch. Die Besonderheit, d.h. das Ungewöhnliche,/wr welches das Feiern frei wird, ist nun aber nichtsdestotrotz das Ungewöhnliche des Gewöhnlichen und nicht das Außergewöhnliche im abgehobenen, d.h. übergangslosen Gegensatz zum bloß Gewöhnlichen. Das Fest zeigt uns, daß wir das verborgene Wesen oder die verborgene Wesung des Lebensbereiches gerade nicht kennen. Genauer, es ist ein gegrüß t-wiedergrüßendes, d.h. aus dem Ereignis gegenschwingend-vollzugshaftes Einrücken und Übergehen in das Befremdliche des anscheinend Gebräuchlichsten. Daß
sich unsere Liebsten, Freunde und Bekannten im Zuge einer Feier anders verhalten, d.h. anders gekleidet sind, anders sprechen, sich bewegen und gebärden, aussehen, riechen, lachen, weinen etc., daß der Raum möglicherweise geschmückt, das Mahl köstlich bereitet und bestimmte Handlungen feierlich vollzogen werden, all das darf uns nicht darüber hinwegtäuschen: beim Feiern können Mensch und Ding erst in ungewöhnlicher Weise gezeigt und bereitet werden, wenn der Mensch frei w i r d für das nivellierte und vernutzte, verstellte und versagte Immer-schon und Immer-zu ihrer Ungewöhnlichkeit im Gewöhnli-
chen. Als Feiernde mögen wir zwar vorbereitend dazu beizutragen, daß uns in gewandelter Weise widerfährt, was wir je schon tun, wenn wir uns zu Seiendem, zu Mitdasein und zu uns selbst verhalten. Das eigentliche Geschehen des Festes aber, das Ereignis des Grußes, können wir weder machen noch erleben. Die feierlichen Verhaltungen verstehen sich so als gegrüßt wiedergrüßende Vorbereitung der Ereignung. Für diese Vorbereitung reichen zuweilen auch die gewöhnlichen Speisen des Alltags aus, wenn sie nur festlich, d.h. in ihrer Ungewöhnlichkeit im Gewöhnlichen begegnen. Entsprechend müssen unsere vertrautesten Freunde ihr Verhalten und Gebaren nicht unbedingt verändern, wenn sie zur Feier erscheinen. Allerdings können sie dadurch zur Steigerung der Befremdlichkeit, besser gesagt zum grüßend-sein-lassenden Gewahrwerden des vermeintlicherweise bekannten Gewöhnlichen beitragen. Ja, daß wir von guten Freunden eher erwarten, „gute Stimmung" zum Fest mitzubringen als „Konventionen" zu erfüllen, zeigt, daß wir eine Ahnung davon haben, daß das Ungewöhnliche zwar durch ein Außergewöhnliches geweckt zu werden vermag, daß es aber letztlich in der Befremdlichkeit des Naheliegendsten schlummert. Wir können also sagen: das Gefeierte, zu dem das feiernde Sichverhalten frei wird, ist das dem Da-sein in seiner befremdlichen Ungewöhnlichkeit begegnende Gewöhnliche. Im Feiern wird die Sorge frei von ihrem Weg-sein und frei für ihr gemeinhin vergessenes Da-sein. Die Sorge wird frei von und frei zu sich selbst. Die Erklärung eines Grundes zum Feiern bzw. eines Gefeierten ist dabei ebenso die Schwungfeder dieses Zurückkommens der Sorge auf und zu sich selbst wie die Vorbereitung des Festraumes, die Erwartung der Festzeit, das Sicheinstimmen auf das Ereignis des Grußes usf. Nun mag es auf den ersten Blick so scheinen, als würde hier - wie beim seinsvergessenen Feiern der festlosen Zeit auch - die Festzeit als die ungewöhnliche auf die Alltagszeit als die gewöhnliche zurückverrechnet, so, als die-
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins
23
ne auch hier das Fest der rückführenden und rückbesinnenden Steigerung einer machenschaftlich-erlebnishaften Produktivität. Doch dem ist nicht so! Indem Heidegger gerade auf das Übergängliche abhebt, setzt er beide, Feiertag und Alltag, in jene Rechte ein, die ihnen durch eine platonisierende Wesensbestimmung des Festes verwehrt werden und so zu einem „Moratorium des Alltags" führen könnten. Die Vergewöhnlichung der Ungewöhnlichkeit des gewohnten, d.h. alltäglich gedichteten Seins, gehört vielmehr in gleicher Weise zum Sein wie die drei Weisen der Verbergung. Im feiernden Freiwerden vom Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche spielt sich der Mensch ein in das des Verbergungs-Entbergungsgeschehens des Seins.
Übergängliche
In den „Beiträgen" nennt Heidegger die Erfahrung der völligen Ungewöhnlichkeit des Seyns gegenüber allem Seienden die Entsetzung. In der außerphilosophischen Sprache kennzeichnet die Entsetzung zum einen die Befreiung einer besetzten Stadt und somit ein Freisetzen, Ins-Freie-Setzen, zum anderen ein stimmungsmäßiges Versetztwerden in Schrecken. Im Ereignis-Denken nennt die Wendung die Ent-setzung aus dem erstanfänglichen Denken des Seins von der bloßen Seiendheit her in das Denken und Erfahren des Seyns aus seiner Wahrheit. Diese erste Bedeutung der Ent-setzung aus der gewohnten metaphysischen Blickweise in die Ungewöhnlichkeit der Wahrheit des Seyns müssen wir differenzieren von der zweiten innerhalb des andersanfänglich übergänglichen Denkens: der Ent-setzung aus dem daseinsmäßigen Verfallen an das Seiende im Sinne des Aufgehens im gewohnten Seienden in die Ungewöhnlichkeit des Seyns und die Befremdlichkeit des Seienden. Das ent-setzende Ereignis, das in der Weise des ereignenden Zuwurfs für den ereigneten Entwurf geschieht, setzt das Seiende aus der Verlorenheit in die bloße Seiendheit heraus und ver-rückt es damit in die sich zuwerfende und entworfene Wahrheit des Seyns, und zwar so, daß die Seiendheit des Seienden sich nun aus der Verwahrung oder Bergung des Seyns in das Seiende bestimmt. Durch diese entsetzende Er-eignung wird das Da-sein als ereigneter Entwurf herausversetzt aus seinem gewohnten Aufenthalt und inständig im Ungewöhnlichen der Wahrheit des Seyns gegenüber jeglichem Seienden. Die Dinge werden in ihrer Eigenständigkeit und Befremdlichkeit erfahren. Erst aus dieser Ver-rückung in die Ungewöhnlichkeit der Wahrheit des Seyns verliert also das Seiende seine Gewöhnlichkeit und wird als das Befremdliche bzw. „schlechthin Andere" (GA 9, 114) gegenüber der Ungewöhnlichkeit des Seyns erfahren.Die Ungewöhnlichkeit der Wahrheit des Seyns „erinnert an ,nichts'" (GA 65, 480), also weder an eine Seiendheit noch an ein Seiendes, d.h. auch an kein höchstes Seiendes.6 Sie ist streng und im Sin6 Dementgegen bestand das Wesen des Platonischen Festes gerade in der Erinnerung (άνάμνησις) des Menschen an seine formbare Verfassung in der Jugend und indirekt an die vorgeburtlich geschaute Idee. Diese Auffassung vom Sein des Seienden und so auch des Festes entstammt nach Heidegger bereits jener „Gewöhnung des Vorstellens, das alsbald darauf verfällt, auch das Sein (als Allgemeinstes und durchgängig Erinnertes,
2. Hauptstück, Kap.
: Dandenkende
t als das Ereignis
ne der ontologischen Differenz von der Ungewöhnlichkeit des Seienden im Sinne der Fremdheit und Unbekanntheit zu trennen. Während wir im Bereich des Seienden von einem auf das andere verwiesen werden und ein Seiendes uns zum nächsten weiterträgt, kann das Seyn nur aus sich selbst heraus gedacht werden. Weil aber das Seyn an „nichts" erinnert, „gehört das Nichts zum Seyn" (ebd.), dessen Flucht nichts anderes ist als „die Flucht vor der Ungewöhnlichkeit des Seins" (GA 65, 481). Dieser Fluchttendenz entsprechend, verlangt die völlige Ungewöhnlichkeit des Seyns gegen alles Seiende „denn auch die Ungewöhnlichkeit des ,Erfahrens' des Seyns" (ebd.). Weil die Widerfahrnis der Ungewöhnlichkeit jedoch primär aus dem ereignenden Zuwurf zu denken ist, läßt sich dieses Erfahrungswissen der Ungewöhnlichkeit des Seyns „nicht geradehin bewerkstelligen" (ebd.). Insofern das Seyn zum einen „von jeder Gewöhnlichkeit unantastbar bleibt", müssen wir, um die Ungewöhnlichkeit des Seyns wissen zu können, von uns aus, „aus aller Gewöhnung heraustreten" (ebd.), d.h. der gewohnten, gewöhnlichen Offenbarkeitsweise des Seienden ent-setzt werden. Weil jedoch zum anderen lediglich diese benommene und verfallene Gewöhnlichkeit unser Teil und unser Betreiben ist, muß uns das Seyn selbst „aus dem Seienden heraussetzen, uns als die im Seienden, von diesem Belagerten dieser Belagerung ent-setzen" (ebd.). Unter „Belagerung" versteht Heidegger indes das Benommensein vom Seienden im gewohnten, gewöhnlichen Aufenthalt beim Seienden, so zwar, daß wir uns an dessen Andrang preisgeben und verlieren. Dabei bleibt solange kein Raum für die Erfahrung der Ungewöhnlichkeit des Seyns, bis wir durch den ent-setzenden Zuwurf vor die Möglichkeit der Ent-setzung gebracht werden. Diese Belagerung, die auch mit der Heraussetzung nicht aufhört, sondern ursprünglicher erfahren wird, hat eine zwiefache Struktur: Als ein zum Seienden und unter das Seiende gehöriges Seiendes ist der Mensch zugleich offenständig für das Seiende, das er um, vor, unter und hinter sich hat, d.h. für das Sein des Seienden im Ganzen. So gehört die Belagerung als etwas nicht zu Beseitigendes „mit zu dem, was die Aus-einander-setzung des Menschen als eines Seienden inmitten des Seienden mit diesem ausmacht" (GA 65, 482). Die Aus-einandersetzung des Menschen mit dem Seienden vermag sich also entweder in gewöhnlicher, uneigentlicher und verfallener Weise oder in der Weise des eigentlichen Herkommens aus der völligen Ungewöhnlichkeit des Seyns zu vollziehen. Die Ent-setzung aus dem Gewöhnlichen in die Ungewöhnlichkeit begründet so die Aus-einander-setzung in der Weise der Schenkung von „Möglichkeiten zu Gründungen" (ebd.). Dieses Schenken der Möglichkeiten vollzieht sich aus dem entsetzenden Zuwurf in Möglichkeiten für jenes ergründende Bergen, zu dem auf seine Weise das Feiern gehört. Aus dem ent-setzenden Zuwurf, der heraussetzt aus dem gewohnten Umgang, werden diesem neue Möglichkeiten vgl. die άνάμνησις Piatons, die solche Gewöhnung ausspricht) wie ein Seiendes, das ,Seiendste' zu nehmen" (GA 65, 480).
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins
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des ergründenden Bergens geschenkt, in denen der Mensch insofern „über sich hinausschafft" (ebd.), als er nicht mehr das Gewohnte betreibt, sondern neue, noch nicht gewesene Möglichkeiten entbirgt. Dabei ist die Entsetzung wiederum eine zweifache: erstens ver-setzt sie den Menschen aus seinem gewohnten, gewöhnlichen Aufenthalt inmitten des wie selbstverständlich ihn umgebenden Seienden heraus; zweitens ver-setzt sie das Seiende selbst, inmitten dessen der Mensch ist, aus der Verlorenheit und dem Gewöhnlichen der bloßen Seiendheit heraus und rückt es hinein in die Lichtung des Seyns als des Ungewöhnlichsten. Beides „geschieht" in einer diskreten, innerhalb des Seienden nicht zu verzeichnenden Weise, wenngleich das Seiende dennoch in seiner Befremdlichkeit zur Ent-scheidung gestellt wird, „wie es dem Seyn genüge" (GA 65, 482). „Die Grundformen dieser Verwahrung [...] sind der Aufschluß einer Gänze des Weltens (Welt) und das Sichverschließen vor jedem Entwurf (Erde). Diese Grundformen lassen erst die Verwahrung entspringen und sind selbst im Streit, der aus der Innigkeit der Ereignung west" (ebd.). Obschon Heidegger den Streit der welthaften Bedeutsamkeit mit dem Sichverschließenden der Erde allein im Hinblick auf den Ursprung des Kunstwerks und seines Aufstellens einer Welt durch die ins Werk gesetzte Wahrheit ausführlich entfaltete, gilt der Streit auch für Denken und Feiern. „Je auf jeder Seite dieses Streites ist das, was wir metaphysisch als das Sinnliche und Unsinnliche kennen" (ebd.), was wir aber jeweils in idealistischer oder materialistischer Manier gegeneinander ausspielen. Aus der Metaphysik kennen wir diese Aufspreizung als die Bewegung der Realisation des Ideellen oder der Verwirklichung des Möglichen, d.h. als die Verkörperung (Materialisation, Inkarnation) des Geistigen (des Ideellen) oder als die Vergeistigung (Idealisierung) des Körperlichen. Doch wird hier das Sein nicht in seiner völligen Ungewöhnlichkeit gegenüber allem Seienden, sondern lediglich als das „seiendste" Seiende genommen. Auch in der Kunstinterpretation oder im künstlerischen Schaffen wird von der Umsetzung einer Idee oder eines Einfalles gesprochen und das Sinnliche am Kunstwerk von seiner unsinnlichen Bedeutung abgehoben. Desgleichen sprechen wir beim Planen einer Feier von „Einfällen" oder „Ideen", die wir „umzusetzen" gedenken. Und alle bisherigen Festtheorien halten an diesem Konzept fest. So verbleiben wir bei der Erfahrung des Gelingens oder Mißlingens solcher Pläne - wie bei der Erfahrung der feierlichen Vorkommnisse überhaupt - innerhalb der Gewöhnlichkeit des Seienden, dessen Vorkommnisse sich aufeinander schieben oder verrechnen lassen. Die Freizeit setzt sich gegenüber der Festweile durch: „It's partytime!" Im Zuge der Ent-setzung in das Ungewöhnliche des Seyns dagegen wird der Mensch hinausversetzt in die streithafte Aus-einander-Setzung von Erde und Welt, die wiederum in den ereignishaften Urstreit der Wahrheit als der zweifachen Un-Wahrheit gehört. Das Geschehen der Lichtung des Sichverbergens „wird verwandelt und erhalten [...] in den Streit von Erde und Welt" (GA 65, 391), welche Verwandlung und Erhaltung in den unterschiedlichen Bergungsweisen geschieht. Vom
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Ent-setzen heißt es nun, es sei „ein Stimmen, ja der ursprüngliche Aufriß des Stimmungshaften selbst" (GA 65, 483). Während Heidegger als die das andersanfängliche Denken an- und vorbe-stimmende Stimmung die Verhaltenheit nennt, gilt es nun nach der Stimmung zu fragen, durch welche ein andersanfängliches Feiern des Gewöhnlichen ent-setzt werden könnte.7
b) Der Eni- und Verrückungs Charakter der
Fest-Stimmungen
Heidegger nennt eine ganze Reihe ent-setzender und ver-rückender FestStimmungen. Das feiernde Aufhören und Innehalten mit dem Alltäglichen, so etwa der Arbeit, entstammt „dem Ansichhalten des Menschen". Dieses ist als „eine Art des Zu-sich-selbst-kommens und Selbstseins" zu verstehen, „darin das eigene Wesen und seine Entfaltung freigegeben wird" (GA 52, 74). Wird das feiernde Aufhören und Innehalten nicht mehr vom bloßen Aufhören mit der Arbeit her oder auf das Pompöse und Sensationelle hin gedacht, so „ist das Aussetzen mit der Arbeit nicht mehr Wesen und Grund des Feierns, sondern bereits die Folge jenes Ansichhaltens, das anscheinend den Menschen nur auf sein ,Ich' zurückbiegt, in Wahrheit aber ihn erst in den Bereich hinausversetzt, darin sein Wesen hängt" (GA 52, 75). Dieses feiernde Hinausversetztwerden in das, was so nah ist, „als weilte es nicht hier", beginnt als ein Erstaunen oder Erschrek-
ken. Vorausblickend auf den Zeit-Spiel-Raum des Ereignisses sagt Heidegger: „In irgend einer Weise wird es geräumig, luftig um den Menschen, ohne daß er diesen Raum und seine Weitung sogleich schon versteht" (ebd.). Das feiernde Freiwerden vom verödeten Gewöhnlichen durch das Freiwerden für das Ungewöhnliche geschieht stimmungshaft. Es sind sogar einzig die Stimmungen des Freiwerdens, in denen heute noch das geschichtliche Festwesen anklingt: Streng genommen [...] empfängt schon das Feiern als Ruhenlassen der Arbeit seine Art nur aus dem ursprünglichen Wesen des Feierns. Wir Heutigen sind diesem Wesen kaum mehr gewachsen, wenngleich es sich schon im geläufigen Feiern ankündigt. Denn das Feiern als Innehalten mit der Arbeit ist nämlich bereits Ansich-halten, ist Aufmerken, ist Fragen, ist Besinnung, ist Erwartung, ist der Überschritt in das wachere Ahnen des Wunders, des Wunders nämlich, daß überhaupt eine Welt um uns weitet, daß Seiendes ist und nicht vielmehr nichts, daß Dinge sind und wir selbst in-
7
Nach dem für das Denken der Stimmung im Umfeld der „Beiträge" grundlegenden Aufsatz H.-H. Ganders (ders., Grund- und Leitstimmungen in Heideggers „Beiträge zur Philosophie. In: Heidegger-Studies Vol. 10 (1994), S. 15-31) hat jüngst B. C. Han Heidegger von der Dekonstruktion her dahingegend kritisiert, daß sein Denken der Stimmung sich zu sehr auf die Einstimmigkeit verlege und sich nicht genug Zeit nehme, „sich umzuhören, nach dem Differenten und dem Pluralen Umschau zu halten" (ders. Heideggers Herz. München 1996, S. 178). Wie unschwer zu erkennen, schlägt sich diese aus sich heraus ein-leuchtende Kritik auch in der uneinheitlichen, dafür aber umso offeneren Form seiner Ausführungen nieder. Wer sich, wie wir, bemüht, eine „Sache" von Heidegger her zu denken, muß aus Hans Sicht auf derselben dogmatischen Linie liegen.
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mitten ihrer sind, daß wir selbst sind und doch kaum wissen, wer wir sind, und kaum wissen, daß wir dies alles nicht wissen. (GA 52, 64)
Das Einfache und Anfängliche, worin das Ungewöhnliche sein verborgenes Maß hat, offenbart sich nicht dem rechnerisch-maßnehmenden Verstehen, sondern dem stimmungshaften Sicheinlassen-auf... Wenn es überhaupt ein Maß für die Feierlichkeit einer Feier gibt, dann bestimmt es sich am „Grad" der Erwartung 8: Die Feier ist dann feierlicher, wenn sie erwartender wird für das eigentliche Fest. In dem Grade als ein Tag erwartungsvoller ist im Hinblick auf das Erscheinen des Wesenhaften, in demselben Grade ist er auch ein Feiertag. (GA 52, 66) Feiern als Freiwerden für das Ungewöhnliche ist schon eine Zugehörigkeit zu diesem in der Art der Erwartung. Die Inständigkeit des Erwartens ist das Erharren. Je erfüllter von solcher Erwartung ein Tag ist, desto unmittelbarer ist er ein Feiertag. (GA 52, 75)
Aus der Perspektive der metaphysischen Wesensbestimmung des Menschen als des vernünftigen Lebewesens nimmt sich die Stimmung als etwas Psychisches, Seelisches aus. Weil aber das Seelische weithin als das Verbindungsglied zwischen Geist und Körper, Vernunft (ratio) und Triebhaftigkeit (animalitas) gefaßt wird, hängt auch das Denken von Stimmung und Gefühl in einer durch die Metaphysik aufgerissenen Kluft. Schon in Piatons „Timaos" werden dem sterblichen Teil der Seele, welcher den Körper belebt, mächtige und unabweisbare Leidenschaften (δεινά και άναγκεΐα παθήματα) zugesprochen. 9 Das Marionetten-Gleichnis der „Nomoi" hatte uns darüber belehrt, daß die Entstehungsgründe für derartige Lust- und Schmerzgefühle körperlichen Wesens und nur durch rechte Steuerung in Eintracht mit der Vernunft und dem Guten zu bringen sind (§ 12). Kaum anders sind für Aristoteles die affektiven Zustände der Seele „von Lust und Schmerz begleitet" (ους έπεται ήδονη και τον λόγον) 10 , wobei nun gegenüber ihrer Übertreibung oder ihres Ausbleibens die Vermeidung von Extremen, d.h. das rechte Maß zum Wohle gedeiht (τό δε μέσον έπαινεΐται και καταρθουται). 11 Zu einem der Vernunft abträglichen oder unterzuordnenden Seelenvermögen werden die Affekte endlich in der Stoa, deren
8 Die Rede von „Graden" an Erwartung baut einen beabsichtigten Widerspruch auf. Da die Erwartung sich gerade nicht - wie das Hoffen - das Erwartete nach eigenen Maßstäben ausrechnet, handelt es sich hier um Grade der Nichtberechnung, d.h. der Nichtgraduierung. 9 Piaton, Timaios 69 c - d. Piaton nennt die Lust (ηδονή), den Schmerz (λύπη), den frechen Mut und die Furcht (θάρρος και φόβος), den Zorn und die Hoffnung (θυμός και έλπις). 10 Aristoteles, NE II, 1105 b 21 - 23. Aristoteles seinerseits nennt die Begierde (έπιθυμία), den Zorn (όπγή), die Furcht (φόβος), den Mut (θάρσος), den Neid (φθόνος), die Freude (χαρά), die Freundschaft (φιλία), den Haß (μΐσος), die Sehnsucht (πόθος), die Eifersucht (ζήλος) und das Erbarmen (έλεος). 11 Aristoteles, NE II, 1106 b 25 - 26.
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Auffassung sich über die Scholastik bis in die Gegenwart hält. Als letzte Konsequenz dieser Tradition läßt sich das neuzeitliche Denken verstehen, „das den Menschen als ,Subjekt' und dieses psychologisch-biologisch begreift" (GA 52, 71). Es sieht in den Stimmungen individuelle Gefühls- und Erregungszustände, die von der Tätigkeit des vegetativen Nervensystems und den physiologischen und motorischen Ausdruckserscheinungen her erklärt werden. Vom metaphysischen Wesensverständnis der Stimmung läßt sich demnach zweierlei sagen: „erstens, daß die Stimmung nur ein subjektives Phänomen ist, in dem der Mensch nur etwas über seinen Seelenzustand erfährt, und ferner, daß das Gefühl, wenn ihm ein intentionaler Bezug zu den intentionalen Objekten zugestanden wird, nur ein fundierter Bewußtseinsakt ist, fundiert in den eigentlich dingvorstellenden Akten, die die dinglichen Objekte primär für das Bewußtsein zugänglich machen"12. Die Stimmung ist lediglich das Wie, welches das schon festgelegte Tun und Lassen des Menschen „begleitet und belichtet und abschattet" (GA 65, 33). 13 Dieser Vergegenständlichung der Stimmung zum Subjektiv-Animalischen gemäß, nimmt sich auch die intersubjektive Stimmungsdynamik einer metaphysisch gefaßten Festgemeinschaft aus wie ein Relikt der tierhaften Ursprünge des homo sapiens als eines „Herdentiers". Durch die Stimmung meldet sich das im Menschen schlummernde Tier aus den Kellergewölben des Unterbewußten zu „Wort", um nach seinem „Knochen" an Aufmerksamkeit oder Integration zu keifen. Deshalb werden zu Zeiten Feste notwendig, zu deren Anlaß sich die anscheinend „animalischen Gelüste" Luft verschaffen wollen. Weil man dabei jedoch nicht gar so weit gehen darf, wird der Umgang mit Stimmungen zu einer Frage der Selbst- und Gemeinschafts-„Dressur". Die Feiernden müssen sich und ihre Leidenschaften „zügeln". Weil Fest-Stimmungen als etwas Subjektives durch äußere Umstände ausgelöst werden und auf die Feiernden wirken können, liegt nichts näher, als Stimmungen zu „machen", d.h. nicht nur durch Inszenierung, sondern auch durch subtile Reize oder Drogen „auszulösen"14. Dieses Wesensverständnis der Stimmung wandelt sich bereits auf Heideggers erstem Ausarbeitungsweg der Seinsfrage. Das Da des Daseins ist als Erschlossenheit des In-der-Welt-seins stets in der Weise der Befindlichkeit gestimmt, wodurch es seiner Geworfenheit gewahr wird. Das Dasein überfallend, kommt die Stimmung „weder von ,Außen' noch von ,Innen', sondern steigt als Weise des In12
F.- W. v. Herrmann, Heideggers Philosophie der Kunst, S. 33 (Vgl. GA 39, 89). Aus diesem Grunde muß die Rede vom stimmungshaft versetzenden Wesenszug der dichterisch ge-sagten Natur wie eine anthropomorphisierende Rede in Metaphern erscheinen, was zu dem Schluß fuhrt, „die Stimmungen der Natur seien vom Menschen ,natürlich' nur den Dingen eingefühlt" (GA 52, 71). 14 Stimmungsmache und Drogenkonsum sind von jeher Bestandteil von Feiern, doch wäre es das dankbare Thema einer weiteren Ausarbeitung, den Wandel herauszuarbeiten, der mit der Vergegenständlichung und Verphysiologisierung von Stimmungen einhergeht. 13
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der-Welt-seins aus diesem selbst a u f (Suz, 136). Als eine „existenziale Grundart der gleichursprünglichen Erschlossenheit von Welt, Mitdasein und Existenz" (SuZ, 137) ist sie kein bloß subjektiver Geflihlszustand, sondern eine Weise, in der das Dasein als In-der-Welt-sein und dieses als Ganzes erschlossen ist. So stimmt die jeweilige Befindlichkeit alle zur jeweiligen Grundmöglichkeit des Existierens gehörenden Weisen des Besorgens. Darüberhinaus bestimmt sie die Erschlossenheit des zur Grundmöglichkeit gehörenden Welthorizontes und die Art, wie das Dasein in seinem besorgenden Umgang vom besorgten Zeug angegangen wird. Indes erschließt die Befindlichkeit das Dasein zunächst und zumeist in der Weise der ausweichenden
Abkehr"
(SuZ, 136). In Grundstim-
mungen wie der Angst und der tiefen Langeweile hingegen wird das Dasein vor die Möglichkeit gebracht, besser gesagt in die Möglichkeit versetzt, sich im Modus der Eigentlichkeit auf das Sein des Seienden im Ganzen zu entwerfen, d.h. das durch die Grundstimmung veraußergewöhnlichte Gewöhnliche in gewandelter Weise einzuholen. Auch im seinsgeschichtlichen Denken ist die Erschlossenheit gestimmt. Weil jedoch nun die Geworfenheit - wie schon mehrfach betont - aus dem ereignenden Zuwurf erfahren und gedacht wird, erlangt auch die Stimmung ihre volle geschichtliche Bedeutung. Vom ereignenden Fügen her wird sie zur ereignishaften Stimmung und Durchstimmung der Wahrheit des Seyns in ihrer geschichtlichen Wesungsweise als der Lichtung der zögernden Versagung des ab-gründigen Zeit-Spiel-Raumes. Das Ereignis stimmt und durchstimmt die Wesung der Wahrheit. Die Offenheit des Lichtens der Verbergung ist daher ursprünglich keine bloße Leere des Unbesetztseins, sondern die gestimmt stimmende Leere des Ab-grundes, der gemäß dem stimmenden Wink des Ereignisses ein gestimmter und d.h. hier gefügter ist. (GA 65, 381)
Doch weshalb heben wir im Zusammenhang mit dem Entsetzungs- und Verrückungscharakter der Fest-Stimmungen den Ab-grund hervor? Verschweigt Heideggers Fest-Denken nicht den Ab-grund? In der Tat: während er hinsichtlich der denkerischen Gründung des Zeit-Spiel-Raumes als der Augenblicksstätte für die Entgegnung von Göttern und Menschen von dem zu ihm gehörigen Ab-grund spricht, ist in der „Andenken"-Vorlesung bezüglich des Feierns vornehmlich von der Nacht als dem Zeit-Raum des Andenkens an die gewesenen und der Wiederkunftsbereitung des kommenden Gottes die Rede. W o die „ B e i -
träge" von der gestimmt-stimmenden Leere des Ab-grundes als der zeitigendräumend-gegenschwingenden Augenblicksstätte des „Zwischen" sprechen, als welches das Da-sein zu einer Wiederkunftsbereitung des letzten Gottes gegründet sein muß, spricht die „Andenken"-Vorlesung von der Nacht als dem „ZeitRaum des ganz eigenen Bezugs zu den Göttern und vor allem zu dem, was das Entgegenkommen der Götter und Menschen trägt und bestimmt". Die Nacht wird zum ab-gründigen „Zeit-Raum des trauernden Gedenkens, des Denkens an die gewesenen, aber nicht vergangenen [und so abwesend anwesenden] Götter" (ebd.). Weil jedoch erst die „Beiträge" den Leitfaden zu einer hinreichenden
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das Ereignis
Entfaltung dieses Denkens der Fest-Nacht und des kommenden Feier-Tages abgeben, greifen wir vorerst auf diese zurück. Weshalb aber sprechen wir hinsichtlich des Festes von der gestimmt stimmenden Leere des Ab-grundes, von dem her der feiernde Mensch in die Ungewöhnlichkeit ent- und versetzt werden soll? Wir antworten: weil sich die Ent-setzung aus der verstellten Wesung des Ab-grundes als des Un-grundes in das entscheidungshafte Ausstehen des zwiefachen, d.h. sowohl des verbergend als auch des verstellt sichversagenden Noch-nicht der Götterung, in der Weise einer gestimmt stimmenden Leere vollzieht. Hierbei ist die Leere des Ab-grundes eine gestimmt stimmende, weil sie aus dem stimmenden Ereignen des ereignenden Zuwurfs gestimmt ist. Im ereignenden Zuwurf der sich zögernd lichtenden Verbergung wird das Da-sein zum Sprung in den Ab-grund erwunken. Dieser vom Da-sein übernommene Wink stimmt und fügt die Be- und Entrückung des Ab-grundes. In eins mit dieser Übernahme des Zuwurfs eröffnet sich das Da-sein als ereigneter Entwurf der sich aus dem stimmenden Ereignen zuwerfenden Wahrheit für das Seyn. Die gestimmt-stimmende Leere des Ab-grundes ist also kein bloßer Ausbleib, sondern die Kehre für die er-gründende
Gründung
des Da.
Die „Leere" ist [...] nicht die bloße Unbefriedigung einer Erwartung und eines Wünschens. Sie ist nur als Da-sein, d.h. als die Verhaltenheit, das Ansichhalten vor der zögernden Versagung, wodurch der Zeit-Raum als die Augenblicksstätte der Entscheidung sich gründet. (GA 65, 382)
Ansichzuhalten vor der zögernden Versagung heißt, die Leere des Ab-grundes nicht als ein „Nein zu jedem Grund" erfahren und schnellstmöglich Ausflüchte suchen, sondern als „das Ja zum Grund in seiner verborgenen Weite und Ferne" (GA 65, 387) ausstehen. Das Ansichhalten vor dem zögernden Versagen ist so ein Aushalten und Austragen des Ab-grundes. Hierzu gehört der daseinsmäßig ereignete Entwurf. Der Ab-grund klafft erst auf im ereignend sich lichtend zögernden Versagen im Gegen-schwung zum ereigneten Entwurf der gestimmt-stimmenden Leere. Allein aus diesem in sich kehrig gegenschwingenden Bezugs-Verhältnis erhellt sich der Grundzug der Grundbefindlichkeit des andersanfänglichen Denkens, d.h. der Gründung der Verhaltenheit. Diese versteht sich vorerst als das Ansichhalten des denkenden Entwerfens (Da-sein) vor dem zögernden Sichversagen (Z)a-sein), um sich das, was sich ihm daraus zuwirft, entwerfend zu eröffnen. Doch ist die Verhaltenheit nicht nur „der Stil des anfänglichen Denkens". Insofern sie die Gründung des Da-seins als Grundstimmung durchstimmt, ist sie „der Stil des künftigen Menschseins" (GA 65, 33) überhaupt, d.h. der einer andersanfänglichen Sorge im weitesten Sinne. Sie „stimmt den jeweiligen gründenden Augenblick einer Bergung der Wahrheit im künftigen Dasein des Menschen" (GA 65, 34). Als der Grund der Sorge begründet die Verhaltenheit des Da-seins so „erst die Sorge als die das Da ausstehende Inständigkeit" (GA 65, 35). Dabei ist die verhalten-vorgreifende Entschiedenheit zur Wahrheit des Seyns kein willensmäßiges Eingreifen in das Sei-
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ende, sondern „das schaffende Aushalten im Ab-grund" und „der an sich haltende Vorsprung in die Kehre des Ereignisses" (GA 65, 36). In seiner Vorlesung vom WS 1937/38 kennzeichnet Heidegger die reine Nüchternheit des Denkens als „das strengste Ansichhalten der höchsten Stimmung, jener nämlich, die sich geöffnet hat dem einzigen Ungeheuren: daß Seiendes ist und nicht vielmehr nichts". 15 Was jedoch das übergängliche Denken als die „Übergangsfrage (warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?)" in „die Schwebung des Seyns" einwiegen soll (GA 65, 509), vermag auch das außerphilosophische Dasein zu streifen wie ein flüchtiger Wind. Sie vermag entweder abgeschoben und niedergehalten zu werden oder härter zu bedrängen. In einem Jubel des Herzens ist die Frage da, weil hier alle Dinge verwandelt und wie erstmalig um uns sind, gleich als könnten wir eher fassen, daß sie nicht sind, als daß sie sind und so sind, wie sie sind. In einer Langeweile ist die Frage da, wo wir von Verzweiflung und Jubel gleichweit entfernt sind, wo aber die hartnäckige Gewöhnlichkeit des Seienden eine Öde ausbreitet, in der es uns gleichgültig erscheint, ob das Seiende ist oder ob es nicht ist, womit in eigenartiger Form wieder die Frage anklingt: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts? (EiM, 1)
A u f je eigene und ausgezeichnete Weise aber ist diese von Leibniz und Schelling her aufgegriffene Frage auch im feiernden Freiwerden vom Gewöhnlichen für den Jubel des Ungewöhnlichen
da. Inwiefern? Insofern, als die fei-
ernde Weise des Freiwerdens von und zu eine stimmungsmäßige Vollzugsweise des Fragesinns der Fragwürdigkeit des Menschseins überhaupt ist. Als die dem Range nach erste, umgreift diese Frage nicht nur das jetzt Vorhandene im weitesten Sinne, sondern auch das „vormals Gewesene und künftig Seiende" (EiM, 2). In unüberholbarer Weise greift sie über das Seiende im Ganzen als solches aus ins Nichts. Als die tiefste rückt diese Frage in den Bezug zum Grund und läßt auf feiernde Weise offen, „ob der Grund ein wahrhaft gründender, Gründung erwirkender, Ur-grund ist; ob der Grund eine Gründung versagt, Ab-grund ist; ob der Grund weder das Eine noch das Andere ist, sondern nur einen vielleicht notwendigen Schein von Gründung vorgibt und so ein Un-grund ist" (ebd.). Als die weiteste und tiefste aber ist diese Frage insofern die ursprünglichste, als der Sprung dieses Fragens sich durch einen möglichen Rückstoß aus dem Befragten und Gefragten auf das Fragen selbst seinen eigenen Grund er-springen, d.h. springend erwirken kann. Wie das andersanfängliche Denken, so versucht auf seine Weise auch ein andersanfängliches Feiern in der Verhaltenheit, den Übergang vom ungründenden Ungrund in den abgründenden Abgrund und somit in die volle Wesung des Urgrundes geschichtlich zu bereiten.
15 GA 45, 2. Neben der Verhaltenheit nennt Heidegger „das Erschrecken vor diesem Nächsten und Aufdringlichsten, daß Seiendes ist, und zugleich die Scheu vor dem Fernsten, das im Seienden und vor jedem Seienden das Seyn west" (ebd.).
2 5 2 2 .
Hauptstück, Kap. : Das andenkende es
das Ereignis
Vorerst hält der besinnlich feiernde Mensch an sich hinsichtlich seiner alltäglichen Verhaltungen. Er hört auf zu arbeiten, legt seine Alltagskleidung ab, überlegt sich vielleicht, wie er sich neu ankleiden soll. Derartige Wechsel bestimmen ständig den Alltag. Das Festliche des feierlichen Ansichhaltens besteht in dessen Grußcharakter. Der sich auf das Fest einstimmende Mensch erfährt sich in seinem ans ichhaltenden Aufhör en-mit als ein bereits vom Festlichen des
Festes Gegrüßter, 16 Wir fragen nun „konkreter": wer oder was hat ihn gegrüßt? Wir antworten: ein Gewesendes, das nun - vorerst im bloßen Aufhören-mit als gewesend Wesendes über die Gegenwart hinwegschwingt und aus der Zukunft auf das sicheinstimmende Da-sein zukommt. Ein solches Gewesendes kann vorerst einmal der Tag selbst sein, dessen Gleichklang nun - in der möglichen Stille eines Feierabends etwa - als Anklang des Anderen seiner selbst auf das Da-sein zurückhallt. „Zuweilen ist das Feierlichste der unscheinbarsten Feier das, was wir fälschlich genug den ,Nachklang' eines Tages nennen, an dem sich vielleicht ,nur 4 das echte Gewohnte begab." (GA 52, 75 f.) 1 7 Im Gewohnten schlummert das Echte. Dieses klingt in der unscheinbaren Feier eines Feierabends nicht lediglich nach wie ein Ohrensausen vom Alltagsgetriebe her. Es läßt vielmehr das Ungewöhnliche und Befremdliche im Gewohnten anklingen. Mit diesem Anklang wird die Sorge aus dem Weg-sein zurückgerufen in die Inständigkeit ihres Da-seins. 18 Als „eine Art des Zu-sich-selbst-kommens und Selbstseins, darin das eigene Wesen und seine Entfaltung freigegeben wird" (GA 52, 74), eröffnet das Ansichhalten so eine Gesprächsdimension für das feiernde Sichbesinnen und Fragen. Dieses Sichbesinnen ist ebensowenig im Sinne einer bohrenden Selbstreflexion oder moralisierenden Grübelei zu verstehen, wie das Fragen im Sinne eines expliziten Auskundschaftens und Befragens seinerselbst und der Lebenswelt. Im hermeneutischen Sinne des Gesprächs ist die Besinnung vielmehr die „Bereitschaft zum Wissen" (GA 52, 180). Der feiernde Mensch wird eben nicht nur auf sein Ich zurückgebogen und dazu aufgerufen, seine innerliche Besinnung „hinaus in die Welt" zu tragen. Wenn es heißt, er werde „erst in den Bereich hinausversetzt, darin sein Wesen hängt" (GA 52, 16 Auch das feierliche Sichbekleiden ist eine Weise, dem Anspruch des Grußes im gegrüßten Wiedergrüßen zu entsprechen und so die Wahrheit des Seyns ins Seiende zu bergen. 17 Gänz ähnlich, d.h. mit Blick auf eine andenkend denkende Besinnung sagt Heidegger in einem Festvortrag: „Der Abend - Zeit der Besinnung, ein Augenblick des Nachdenkens. Das Denken ist zwar eine ernste Sache, aber zugleich eine festliche. Denn im Denken wird die Einsicht in das, was ist, freigegeben, d.h. gefeiert. Besinnung ist nicht Trübsinn, sondern die Heiterkeit, in der sich alles aufheitert, hell wird und durchsichtig" (Zum 80. Geburtstag. Von seiner Heimatstadt Messkirch. Frankfurt a. M. 1969, S. 45). 18 Aus der Verhaltenheit bzw. dem Ansichhalten schwingt das Da-sein ein in den ausgezeichneten, augenblickshaften Bezug zum Ereignis und zwar „im Angerufensein durch dessen Z u r u f (GA 65, 31), welcher Zuruf nichts anderes ist als der Rückruf der Sorge zu sich selbst.
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins
253
75), dann ist damit nicht das endgültige Erreichen einer Domäne des An-sich, sondern das zögernde
Sichversagen
der ab-gründigen
Entrückung
und der
ab-gründigen Berückung, d.h. das erste Sicheröffhen der Augenblicks-Stätte des Zeit-Spiel-Raumes angesprochen. Es wird, wie Heidegger sagt, „geräumig, luftig um den Menschen", d.h. es weht ein anderer, freierer, wenngleich ab-gründigerer Wind. Dies geschieht aber, „ohne daß er diesen Raum und seine Weitung schon versteht", und zwar in zweierlei Hinsicht: zum einen versteht er die Weitung des Raumes nicht, weil er noch Gefahr läuft, in das alltägliche Besorgen zurückzufallen und sichern oder abdrängen zu wollen, was unverfügbar ist; zum anderen hat dieser neue Raum geschichtlich noch keine augenblickhafte Stätte. Das Ansichhalten versteht sich also weder als ein bloß passiver Akt noch als die bloße Abwesenheit jeglichen Handelns. Indem es an sich hält mit dem alltäglich bzw. in der gegenwärtigen Epoche zunächst und zumeist Vollzogenen, wird es hellhörig und offen für ein Anderes. Weil dieses Andere und Feierlichste aber kein Gemächte des Menschen ist, über das sich verfügen läßt, sondern jene ver-fügt, die sich ihm aus-setzen, ist das Ansichhalten, wie die anderen Fest-Stimmungen auch, durch einen ab-gründigen Ausstand gekennzeichnet, in welchem der Feiernde nun inständig wird. Diese verhaltene Inständigkeit im Sinne des schaffenden Aushaltens im Ab-grund, d.h. das Zugehören des feiernden Freiwerdens zum Ungewöhnlichen, vollzieht sich als ein Erwarten und Erharren. Gemeinhin erwarten wir den Tag oder die Stunde der Feier, die Ankunft der Gäste, das Sichsteigern der Stimmung, Freude, Genuß und Glück oder befürchten deren Ausbleib sowie Leid, Schmerz und Mißgeschick. Dabei kann dieses Warten wiederum mehr oder weniger von der Machbarkeit, der bloßen Befriedigung oder Präsenz des Erwünschten geprägt sein. Wir können die Erwartung für erfüllt erachten, wenn etwa der ersehnte Freund ankommt oder das erhoffte Mahl gereicht wird. Doch drohen wir mit der Erfüllung des so Erwünschten nur allzu schnell zurückzufallen in den verwohnten und gewohnten Bezug zum Gewöhnlichen. Deshalb wird es not-wendig, in einer ursprünglicheren Weise zu warten, d.h. auf den ereignenden Zuruf zu hören. 19 Heidegger nennt dieses Hören auch das Horchen. Indem wir horchend innehalten „mit allem sonstigen Vernehmen" und völlig allein sind „mit Kommendem" (GA 52, 14) 20 , vollziehen wir den einzigen bereiten Ausgriff in den noch nicht heimischen Bezirk einer Ankunft. Dem Sichversammeln der Feiernden zur Festge-
19 Hiermit soll freilich nicht gesagt sein, der Mensch dürfe fortan nicht wünschen. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob er im Gesichtskreis des Gewöhnlichen überhaupt wissen kann, was er will bzw. was sich ihm gewährt, selbst wenn er „das Erwünschte" bekommt. 20 Daß jedes einzelne Dasein jeweils sein Selbstsein zu übernehmen hat, be- und erhält seine volle Berechtigung, wenn sich Mehrere oder Viele zu einer Festgemeinschaft zusammenschließen.
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2. Hauptstück, Kap.
: Das andenkende es
das Ereignis
meinschaft geht das horchende Sicheinstimmen auf den sich gewährenden oder versagenden Zuspruch des Seyns voraus. Als derart Horchende sind die festlich Sicheinstimmenden „Wagende und Wartende zumal" (ebd.). Das Aushalten des Wartens kann sich ob seines aus-setzenden und ent-setzenden Charakters als ein größeres Wagnis herausstellen als so manche Mutprobe und Heldentat des tätigen Lebens. Auf den ersten Blick scheint das Wagnis des nun beginnenden Erstaunens und Erschreckens, das uns ent-setzt zurückweichen läßt, wenig zur Gehobenheit der Fest-Stimmung zu passen. Vielleicht besteht aber darin das Wagnis: in der Sammlung auf die Ankunft des Kommenden im ab-gründigen Übergang vom Gewöhnlichen ins Ungewöhnliche auszuharren, hellhörig zu bleiben, gerade für die „leisen Töne", für den unerhörten und gemeinhin überhörten Klangraum jeglicher Gestimmtheit, der sich unmerklich mit jeder Alltagsstimmung aufschließt. Doch reicht erst das besinnliche Warten als ein Gegen-sich-her-Warten- und Währen-lassen des ausstehenden Noch-nicht dieser unvordenklichen Klangsphäre in den Ab-grund. Der erwartete Fest-Raum ist „die berückende Ab-gründung des Umhalts"; die erwartete Fest-Zeit „die entrückende Ab-gründung der Sammlung" (GA 65, 385). Ihren Halt erfährt die festliche Erwartung demnach nicht im habenwollenden Gespanntsein-auf, in der eigenmächtigen Erlebnissucht, die in ihrer Ungehaltenheit bereits zu kennen vermeint, was sie erwartet. „Die Inständigkeit des Erwartens ist das Erharren." (GA 52, 75) Die Rede vom Erwarten könnte suggerieren, daß die Feiernden auf die Ankunft des Festlichen warten wie auf ein Gefährt, das sie ankommend woandershin mitnimmt. Doch ist das ansichhaltende Erwarten fernzuhalten vom vorstellenden Hoffen-auf. 21 Als die Pflege, d.h. die Wartung des Unverfügbaren läßt sich das ansichhaltende Warten vielmehr los in die Ab-gründigkeit des sich mit der anhebenden Feier eröffnenden oder ver-
schließenden Zeit-Spiel-Raumes des Ereignisses. Denn selbst in der vollen Wesung des Ur-grundes west die Zeit in der Weise des Sichversagens und der Raum in der Weise des Zögerns. Das Ausharren in der Leere der sichgewährenden oder sichversagenden Ankunft des Gegen-uns-her-Währenden läßt den Feiertag (bzw. den dem Feiertag vorausgehenden Feier-Abend) erfülllt sein
von der Erwartung des Festes. Daß das Feiern im Erwarten der Wesung der Festes entsprechen soll, ist uns Heutigen eine Zumutung. Auszuharren und inständig zu sein im Übergang, ist uns weit- und langehin das Schwerste. Weil wir noch nicht den Langmut und die Geduld aufbringen, die festlose Zeit der Götternacht als solche zu er-fahren, müssen wir „erst noch Vorläufigeres lernen, das Warten auf die Gunst des eigentlichen Erharrenkönnens der langen Zeit" (GA 52, 180). Fast scheint es so, als fiele es uns zuweilen schwerer, feiernd die
21 Während im Hoffen „immer ein Rechnen auf etwas", ein „,sich fest mit etwas befassen'" und so „ein agressives Moment" liegt, ist die Erwartung „die Haltung der Verhaltenheit und des Sichfügens" (GA 15, 246).
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins
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Schwelle zum Leben zu überschreiten als sterbend die Schwelle zum Tod. Was jedenfalls unsere seellos-sterblichen Gedanken betrifft, so streifen wir leichter die vermeintliche Last des Alltags ab, als uns im feiernden Jubel einzugestehen, wie einzig, einfach und darin glänzend das Leben trotz oder gar in seiner Mühsal ist.- So einfach nämlich, daß sich in ihm (bzw. als es) das Wahre ereignen kann. Nicht von ungefähr hebt Heidegger diesen übergänglichen Schwellengang hervor, wenn er im Feiern den „Überschritt in das wachere Ahnen des Wunders" sieht, „daß überhaupt eine Welt um uns weitet, daß Seiendes ist und nicht vielmehr nichts, daß Dinge sind und wir selbst inmitten ihrer sind, daß wir selbst sind und doch kaum wissen, wer wir sind, und kaum wissen, daß wir dies alles nicht wissen" (GA 52, 64). An der ab-gründigen Schwelle der Besinnung kommen wir an die Grenzscheide der Entscheidung, entweder einzuschwingen in „das Leuchten und Scheinen des Wesenhaften" (GA 52, 66) oder vor uns selbst in die Betäubung zu fliehen; nur allzu schnell wird die Leere des Abgrunds gefüllt, scheint doch die Stille nach dem Lärm der Unterhaltung zu schreien.Wie sich zeigt, ist nicht nur das Denken der gegenwärtigen Epoche ein vornehmlich vorbereitendes, sondern auch das Feiern. „Die Feiertage [...] sind die Fortage des Festes" (GA 52, 79), sowohl im Zeitalter des Übergangs als auch im anderen Anfang selbst. Stets durchstimmt den Menschen an Feiertagen „das klare, unerschütterliche, aber auch scheu zögerne Ahnen des Festes" (ebd.). 22 Deshalb grüßt der feiertäglich denkende Dichter ,jene, die vom Ahnen des Festes am unmittelbarsten getragen und auf das Sichbereiten zum Fest am innigsten gestimmt sind und für das Feiertägliche das Schickliche finden und seinen Glanz entbinden: die Frauen" (ebd.). Weshalb die Frauen? Sieht Heidegger diese als „Heimchen am Herd", deren Anteil am Fest lediglich in der haushälterischen Vorbereitung eines feierlichen Stimmungsraumes besteht? Oberflächlich betrachtet erzürnt Heidegger mit seiner Überantwortung der Festbereitung an die Frauen womöglich die Geister der „political correctness". Genauer besehen jedoch, klingt mit dem frühen Klang des Namens der Frau als der „Herrin und Bestimmerin und Hüterin" (ebd.) der verhaltenen Sorge um den Wesungsbereich für eine Wiederkunft der Götterung ein neues, andersanfängliches Wesen der Frau (und damit in eins auch des Mannes) an, dem die Emanzipationsbewegung im übergangslosen Abstoß vom „Patriarchat" nicht näher sein muß. 23 Wenn es von den Frauen heißt, daß sie das Erscheinen der Götter als ein 22 Die Ahnung nennt hier mehr als nur ein intuitives Vorgefühl. Sie ist das stimmungshafte Sich-hineinwagen in den Bereich der Alt-vorderen, d.h. jener Daseinsmöglichkeiten, die als gewesene ins Künftige hineinreichen und im andenkend-feiernden Gespräch mit der Geschichte den Schwingungsraum einer Augenblicksstätte des Wir eröffnen können. 23 Freilich ist es nicht die Sache eines Mannes, d.h. des Verfassers, „der Frau" ihr Wesen zu bestimmen. Ein Mann vermag lediglich, wie andersherum eine Frau, das Andere seiner/ihrer selbst, als den höchstmöglichen Gegenwurf zu seiner/ihrer Eigenheit anzusprechen, um denkend jenen Übergang zu bereiten, den vielleicht allein eine geglückte Liebe zu bereiten vermag.
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augenblickhaft-geschichtliches Ereignis retten, indem sie diesem Ereignis die zum Maßlosen verführende Furchtbarkeit nehmen und es „in die Milde eines freundlichen Lichtes" verwahren, ohne damit jedoch das Abgründige zu verschütten, dann sehen wir uns an Antigones tragischen Austrag des Verbergungsund Entbergungsgeschehens der ά-λήθεια erinnert (vgl. § 8). Dieses erstanfängliche Wesen der Frau begegnet nun in den von der Hymne genannten „braunen" Frauen und ihrem feiertäglichen Gehen, das jenen Bereich eröffnet, „den die Erwartenden aufsuchen, worüber hin als das ihnen und ihrem Gang Gemäße sie gehen" (GA 52, 82). 24 Zur Erlernung des freien Gebrauchs des Eigenen (des Heiligen des Vaterlandes) bedarf es der Auseinandersetzung mit dem Fremden. Allein in der Fremde macht sich der Geist bereit und stark für das unverfügbare Eigene und Nächste. Dessen Suche ist kein überhastetes und gehetztes Irren vom Einen zum Anderen, sondern „das ständige Innehalten der Besinnung" (GA 52, 124). In der In-ständigkeit ihres Zögerns ist die Besinnung nicht „das Zögern des nur Ratlosen und Unentschiedenen, aber das Zögern des lange Verweilenden, der vorund zurückblickt, weil er sucht und im Übergang verweilt" (ebd.). Das vor- und zurückblickende Verweilen im Übergang schwingt als das andenkend-suchende Ausstehen des Ab-grundes im Zeit-Spiel-Raum der übergänglichen Geschichte.
„Die Findung und Aneignung des Eigenen ist eins mit dem zögernden Übergang" (ebd.), d.h. der Übergang in den Zeit-Raum der künftigen Festlichkeit ereignet sich aus dem zögernd-scheuen Verweilen im Andenken an das gewesene Fest. Weil Zögern und Scheu zur ab-gründigen Wesung des ursprünglichen Zeit-Raumes gehören, kann Heidegger sagen: „Die zögernde Scheu eignet den Feiertagen, die dem Fest voraufgehen. Das Zögern und die Scheu ist notwendig für jedes Fest und bei jedem Übergang." (ebd.) 25 „Der Übergang vollzieht sich
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Im Ausgang vom „seidnen Boden'1, den die feierlich gehenden „braunen Boden" erschreiten, d.h. dem sie durch die Gehobenheit und Getragenheit eine Geschichtsstatt eröffnen, ließe sich geradezu eine „Phänomenologie" des feierlich-festlichen Bewegungs-und Gebärdenspieles entfalten. V. Gronbech hat für das geschichtliche Gespräch mit der griechischen Prozession zur heiligen Stätte bereits Vorarbeiten geleistet (ders., Griechische Geistesgeschichte. Bd 2, S. 27-32). 25 Weshalb dies? Weil der Vollzugssinn alles Übergänglichen sich nur ereignen kann - und niemals muß -, wenn der Mensch in der zögernden Scheu des Andenkens den Un-grund als Un-grund erfährt und im schaffenden Aushalten des Ab-grundes die unverfügbare Verwirklichung eines gründenden Grundes ermöglicht. Im andenkenden Realwerden des Möglichen und im Idealwerden des Wirklichen geht das Wirkliche „zurück in die Erinnerung, indem das Mögliche und zwar als das Kommende die Erwartung bindet". Das Andenken „bringt die noch nicht angeeignete Fülle des Möglichen und bewahrt die verklärte Erinnerung an das Mögliche" (GA 52, 121). Heidegger spricht hinsichtlich des für die Wiederkunft des Festlichen ent-scheidenden Übergangs von Griechenland und Germanien vom „Realwerden des Einen als Idealwerden des Anderen" (GA 52, 129).
§ 17 Das Einrücken des feiernden Da-seins
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hier nur in der Langsamkeit der zögernden Scheu vor dem Unmachbaren." (GA 52, 128) Der erste, den diese Grundstimmung der zögernden Scheu wartend im Ab-grund der festlosen Götternacht ausharren läßt, ist Hölderlin, der aus der Fremde an den Ur-sprung heimgekehrte Dichter. Damit dieser mit dem Anfang und aus dem Anfang dich-terisch anzufangen, d.h. die Feiertage für das Fest zu bereiten vermag, „muß die festliche Grund-Stimmung wachbleiben": das heiligtrauernde Herz. Die einzelnen Grundstimmungen des Festes sammeln sich auf das Heilige als der Stimmungssphäre der feiernd zu bereitenden Entgegnung von Göttern und Menschen. „ V o r " jeder Götterung muß das Heilige als Jenes Wesende und Gewesene, was diese Grundstimmung stimmt, [...] im andenkenden Gespräch das Sagen und Hören durchwalten" (GA 52, 192), aufdaß aus der Nacht eine heilige Nacht, d.h. ein Advent des Göttlichen werden möge. Obwohl der Dichter in seinem Grüßen die gewesenen Götter „nicht mehr rufen und d.h. erharren [darf] als die, die zum Fest kommen sollen und das Fest mitbestimmen", spricht und ruft er auch dann aus einem zögernd-scheuen Erharren, „wenn dieses Erharren noch ohne Erfüllung, j a sogar ohne unmittelbaren Ausblick auf eine solche ist und eher ein Entbehren, eine Verlassenheit und eine Not" (GA 52, 129 f.). In der festlosen Zeit liegt der höchste Adel der Schenkung in der erfahrenen und ausgestandenen Verweigerung (GA 65, 406). Ausbleib und Leere sind dabei mehr als nur die flüchtige, d.h. die Verweigerung fliehende Fülle der Not der Notlosigkeit. Die Not als Not, d.h. die Nacht als Nacht, ist der einzige und eigentümliche Reichtum der Feiernden. Selbst, wenn das Erharren „Klage und Trauer ist, spricht darin eine Freude, und aus der Einheit beider die Grundstimmung für das Fest, das Erharren des Festlichen und d.h. des Heiligen. Die Hüterin und die Hut der Grundstimmung, das Herz, ist ,das Heiligtrauernde'" (GA 52, 130). Das heiligtrauernde Herz ist die festliche Grundstimmung des erwartenden Erharrens des Heiligen als jenes Äthers, aus und in dem sich die festliche Entgegnung von Göttern und Menschen ereignet. Schon in seiner Auslegung der Anfangsstrophe der „Germanien"-Hymne spricht Heidegger vom rufenden Erharren des Heiligen. Wenn Hölderlin anhebt: „Nicht sie, die Seeligen, die erschienen sind,/ Die Götterbilder in dem alten Lande,/ Sie darf ich nicht rufen mehr [...]" (IV, 181 f.), so spricht sich darin ein Rufenwollen des Göttlichen aus, das dem Rufen der alten Götter zugleich eine Absage erteilt. Wie schon beim Grüßen, macht sich im Rufen weder der Rufende bemerkbar noch ruft er ein ihm längst Vertrautes. Im Rufen als einem ausrufhaften Verzicht auf das Anrufen der gewesenen Götter, erharren wir vielmehr „das Gerufene als ein solches". Rufend ermessen wir die weite, ab-gründige Sphäre seiner Abwesenheit, welche im Anruf auf die mögliche, aber nicht unmittelbar zu ermöglichende Anwesenheit hin an-gedacht wird. Erst indem wir das Erharrte derart rufend „als ein noch Entferntes in die Ferne stellen, um so zugleich seine Nähe zu entbehren", tragen wir den Widerstreit aus „zwischen dem Sichöffnen der Bereitschaft und dem Ausbleiben der Erfüllung" (GA 39, 81). 17 Knödler
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das Ereignis
Wie schon das Grüßen des Nordost-Windes, scheint auch dieser hermeneutisch-gesprächshafte Austrag auf den ersten Blick jeder feierlich-müßigen Ausgelassenheit und Lebensfiille zuwiderzulaufen. Wenn wir hören, daß Heidegger die Grundstimmung des den Entzug, die Götternacht und den Fehl heiliger Namen austragenden Dichters als die ursprünglich erfahrene Trauer und „die hellsichtige Überlegenheit der einfachen Güte eines großen Schmerzes" (GA 39, 82) 26 versteht, so mögen wir hierin wenig von festlicher Vorfreude und anhebender Ver-rückung und Ent-setzung verspüren. Immer mehr beginnt sich Nietzsches lebenssteigernder und -bejahender Jubel über den Tod, ja den Mord des Gottes, als Gegenkonzept aufzudrängen. Redet Heidegger nicht eben jener festverdrossenen Selbstzerknirschung das Wort, die er selbst zu verwinden vorgibt? Dieser Verdacht scheint sich vorerst zu bestätigen, wenn Heidegger das trauernde und zur Entbehrung entschiedene Verzichten auf das Rufen der alten Götter als ein liebendes versteht, und zwar in jenem alten Sinne der Liebe als eines Wollens, „daß das Geliebte sei, in seinem Sosein, das es ist, seinem Wesen standhalte" (GA 39, 82). 27 Wenn Heidegger gar das in Hölderlins Abhandlung „Über die Verfahrungsweise des poetischen Geistes" (II, 277 ff.) Gesagte indirekt mit Piatons Rede vom Eros als eines gemeinschaftsstiftenden Daimons, d.h. als eines Mittlers zwischen Menschen und Göttern, in Verbindung bringt und sagt, „die Stimmung und ihr Hinauf- oder Herabkommen ist das Ursprüngliche und nimmt erst je in ihrer Weise das Objekt in die Stimmung und macht das Subjekt zum Gestimmten" (GA 39, 83), so scheint der liebende Bezug sich endgültig in den Dienst der Ankunft einer „hinterweltlerischen" Gottheit zu stellen. Ist hier etwa, um mit Nietzsche zu sprechen, „eine sklavische Liebe" am Werke, „welche sich unterwirft und wegwirft, welche idealisiert und sich täuscht" 28 , indem sie die Illusion gestorbener Götter gegen die zu erharrender eintauscht? Von Heidegger herkommend müssen wir diese Frage verneinen und an Nietzsche selbst zurückgeben. Dessen Denken des Seins des Seienden als des Willens zur Macht biologisiert die Liebe nicht nur in Richtung auf die Animalitas des Menschen als des „noch nicht festgestellten Tieres" hin; sie verbleibt 26
Die Nähe von Schmerz und Feier bestimmt auch das Manuskript „Das Wesen des Menschen (Das Gedächtnis im Ereignis)"(Meßkirch 1993). „Der Riß des Schmerzes", so sagt Heidegger mit Blick auf den Schied von Wahrheit und Mensch, aus dem sich „das Fest der Einzigkeit des Ereignisses" dem Gedächtnis der Grüßenden zuspricht, „reißt einstiger allem zuvor das Seyn und das Menschenwesen in ihre äußerste Eigenheit auseinander, um so, statt das Band zu zerreißen, die im Riß einander Entrissenen doch der einfachen Innigkeit der wahrenden Gunst zum bleibenden Dank anzuvertrauen" (a.a.O., S. 17). 27 Heidegger spielt auf Augustins „volo ut sis", „ich will, daß du seiest" an, von dem er am 11.1.1928 auch Elisabeth Blochmann schreibt (M. Heidegger - E. Blochmann, Briefwechsel 1918 - 1969. Marbach 1990, S. 23). 28 F. Nietzsche, Der Wille zur Macht Β 3. 4. Musarion-Ausgabe 16, S. 343.
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auch hinsichtlich des Bezuges von Liebendem, Geliebtem und Liebe selbst in der Stoßrichtung des sich selbst über-steigernden Willens zur Macht. Indem der Liebende im sich selbst überschreitenden Über-sich-hinaus-Schaffen sein Maß im Ideal seiner selbst sucht, droht er vor sich selbst ebenso zu fliehen wie vor dem Ausgleich und der Versöhnung mit Gott und der Welt. Der aus „FernstenLiebe" geliebte Freund, der dem Übermenschen zum „Fest der Erde" 29 werden soll, vollendet eine sich über zweieinhalb Jahrtausende hin steigernde Ökonomie der berechnenden Liebe. Wurde die im festlich gestimmten Fragwürdigwerden des Seins heraufdämmernde Ahnung von der abwesenden Anwesenheit des Heiligen, des Göttlichen und des Gottes in der platonisierenden Metaphysik auf die causa sui hin „vergegenständlicht", so wird sie nun auf einen „Menschen" zurückgebogen, der rufend stets seinen eigenen Widerhall zu hören vermeint. 30 Zarathustras Jubel über den toten oder getöteten Gott, der das unabdingbare Geschehnis des Götterentzuges einzuholen sucht, indem es ihm vorausstürmt und ihn so berechnendermaßen in einen Sieg umzumünzen trachtet, steht die gütige aber leidvolle Sorge des andenkenden Dichters um das Geliebte gegenüber. Dieses ist weder ein Selbstschaffen oder Sichselbstschaffen des Gottes noch ein Abschaffen desselben, sondern das gespannte Loslassen in den Schmerz um sein Nichtmehr und Nochnicht. „Das Geheimnis des Schmerzes bleibt verhüllt. Die Liebe ist nicht gelernt." (HW, 270) Hat sich der gegenwärtige Mensch für Zarathustra als ein „zwischen Tier und Übermensch" ausgespanntes Seil, als „Übergang und [...] Untergang" 31 selbst umzuschaffen, so erfährt der andenkende Dichter sein eigenstes Selbstsein darin, ein Unverfügbares zu erharren. Die Weise hingegen, wie das liebend gestimmte Sein-, d.h. abwesendanwesen-lassen-wollen der gewesenen Götter das trauernde Herz in engstem Bezug zum Heiligen hält, ist die dreifach reine Uneigennützigkeit. Bei dieser handelt es sich um keinen Altruismus, der ein Subjekt dazu motiviert, von seinen Eigeninteressen abzusehen und sich einem Anderen zu schenken oder zu
29 F. Nietzsche, Zarathustra. Kritische Studienausgabe. Bd. 4, S. 79. Der ökonomische Zug dieses Denkens der Liebe liegt in der suksessive um sich greifenden Vergegenständlichung der liebenden Erwartung unter dem Vorzeichen des Seins als beständiger Anwesenheit. Wo die Liebe als wahres Sein, höchstes Seiendes oder stärkste Schaffenskraft begriffen wird, skierotisiert das feiernde Sicheinlassen auf ihre Anwesenheit zusehends zur Frage technisch-methodischer Verfügbarmachung. 30 Da er die Liebe weitgehend unter dem Aspekt der Dialektik von Ich und Nicht-Ich (Fichte), An-sich, Für-sich- und Bei-sich-sein (Hegel) oder der absolut identischen Polarität von Natur und Geist (Schelling) sieht, überwiegt im deutschen Idealismus die Betonung der Liebe als des Bezuges selbst. 31 F. Nietzsche, Zarathustra. Kritische Studienausgabe. Bd. 4, S. 17. Indem dagegen Nietzsche den Zorn und den Schmerz um die Entwertung aller Werte auf den Menschen selbst als den Übermenschen zurückbeugt, droht aus dem Schmerz das Selbst-Mitleid und aus dem Zorn die Selbst-Bezichtigung zu werden.
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opfern. Ein solches Verständnis der Uneigennützigkeit verbleibt in einer berechnenden Ökonomie und ihren Antinomien zwischen Altru- und Egoismus.32 In der seinsgeschichtlich gedachten Uneigennützigkeit halten sich Wartende, Erwartetes und Erwartung, Liebende, Geliebtes und Liebe hingegen in einem eigentümlichen Lot. Weil keines der drei überbetont wird, kann es zu einem Ausgleich kommen, selbst wenn Erwartetes oder Geliebtes fehlen. 33 Insofern das Heilige vollendet, d.h. nicht einseitig ist, vollendet sich in ihm zugleich die Intentionalität der Stimmung als eines wechselweise gestimmten und stimmenden aufeinander Bezogenseins eines Stimmenden und eines Gestimmten. „Ausgeglichen" ist diese Uneigennützigkeit, wenn sie erstens nicht zur Eigenmächtigkeit verblaßt, sondern aus echter Selbstständigkeit in sich ruht und sich aus diesem Grund dem „Gegenstand" schenkt; zweitens, wenn sie sich dennoch nicht in diesem verliert und in ihm aufgeht, sondern sich dabei offen und hingegeben selbst zurückstellt und drittens, wenn sie nicht zwischen „innerem Grund" und „Gegenstand" schwebt, sondern in der Beziehung zwischen innerem Grund und „Gegenstand" das Zwischen aussteht. Hierdurch wird „der innere Grund gefestigt und zugleich der Gegenstand gefördert und zu seiner eigenen Güte und seinem eigenen Wesen gesteigert und befreit" (GA 39, 87). 34 Ohne Heideggers Gespräch mit Hölderlins von der Metaphysik des deutschen Idealismus geprägten Denken Gewalt antun zu wollen, können wir die Dreiheit 1. des Stimmenden, 2. des in der Stimmung Gestimmten und 3. des gestimmten und stimmenden wechselweisen Bezogenseins beider aufeinander als den ereignishaften Gegenschwung des stimmend erfügenden ereignenden Zuwurfs für den gestimmt erfügten ereigneten Entwurf fassen, aus dem heraus sich
allein ein festlicher Ausgleich gewährt. Rufend gerufen und gerufen rufend bzw. grüßend gegrüßt und gegrüßt grüßend vom Aether dieser Uneigenützigkeit stellt uns die Grundstimmung der heiligtrauernden, aber bereiten Bedrängnis vor das Fliehen, Ausbleiben und Ankommen der Götter. Als die Be-stimmung zur höch32 Inwiefern die Metaphysik innerhalb der berechnenden Ökonomie der Erwartung und somit von individuellem vs. kollektivem Instinkt bzw. Trieb vs. Geist verbleibt, zeigt sich an Nietzsches Überlegungen zum Altruismus als der ,,verlogenste[n] Form des Egoismus" (ders. Der Wille zur Macht, Aph. 62 Kröner) oder an A. Comptes Versuch, die „fatale Trennung" (ders. Systeme de politique positive. 1851, Bd. 1, S. 611) von Geist und Herz zu überwinden. 33 Eine unanfechtbare Weisheit hat sich diesbezüglich die Mystik bewahrt, die dem philosophischen Wissen jedoch lediglich Winke auf dem eigenen Weg zu geben vermag, wenn sie letzteres nicht überfordern soll. 34 „Als heilige ist die Trauer uneigennützig in dreierlei Hinsicht: Sie versteinert nicht zur alles abweisenden Verzweiflung, denn die fernen Götter bleiben ihr zu lieb (V. 13); sie verliert sich nicht im haltlosen Nurnachhängen der Entflohenen, sondern will nichts erzwingen und erbitten (V. 19); sie verschwebt nicht ins Leere, weil sie gerade ein neues Gottesverhältnis stiftet (V. 30)." (E. Kettering, Nähe als Raum der Erfahrung des Heiligen - Eine topologische Besinnung. In: Auf der Spur des Heiligen. Wien/Köln 1991, S.
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sten Entschiedenheit wird sie zu einem Wissen darum, „daß das wahrhafte Ernstmachen mit den entflohenen Göttern als Entflohenen in sich gerade ein Ausharren bei den Göttern, nämlich ihrer Göttlichkeit als einer nicht mehr erfüllten ist" (GA 39, 97). Das Nichtmehrwollen und Nichterfiillen wird damit in eins zum „Einrücken und rein Sichhalten im Raum möglicher Neubegegnung der Götter" (ebd.). Die Stimmung entrückt unser Feiern in den gestimmten Bezug zu den Göttern in ihrem geschichtlichen So-und-so-sein und rückt uns - im innersten Umschlag „in das wissende Erharren" (ebd.) - aus dieser Entrückung zugleich ein in die gewachsenen Bezüge zu Erde, Landschaft und Heimat; „erharrend unter den drohenden Himmel" (GA 39, 93) gestellt, fassen wir Boden im Land. „Die Grundstimmung ist demnach brückend zu den Göttern und einrückend in die Erde zugleich." (GA 39, 140) 35 In den Augenblicken, da die heiligtrauernde aber bereite Bedrängnis an völlige Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung grenzt, „erfolgt der tiefste Umschlag, ersteht der Mut, in den Wettern der Götter auszuharren und auf den Blitzschlag zu warten, dichtend vor-sagend dieses Wartenkönnen in das Dasein des Volkes einzupflanzen" (GA 39, 148), weiterzuwinken und zu gründen. Um dieser fruchtenden Ein- und Umschläge willen, liegt im Wesen der Grundstimmung der Trauer die Gegenstimmung der Freude mitbeschlossen. Hölderlin nennt das so im Widerstreit schwingende Stimmen die „Innigkeit" und das „Harmonischentgegengesetzte", als die „ursprüngliche Einheit der Feindseligkeit der Mächte des Reinentsprungenen" (GA 39, 250). Dieses rein, d.h. aus der anfänglichen Ereignung entsprungen rufende, anfänglich grüßende Heilige das als das Festliche das übergängliche Feiern durch- und bestimmt.
ist es,
Das Festliche ist [...] ursprünglicher als das Freudige und Freudigste, ist aber auch anfänglicher als die Trauer und das Trauerndste. Das Festliche ist der Grund der Freude und der Trauer, und deshalb ist das Festliche der Grund einer anfänglichen Innigkeit und Zusammengehörigkeit beider, der Freude und der Trauer. (GA 52, 71)
Freude und Trauer sind nicht nur zwei „vorkommende, für sich auf und ab wallende Gefühlszustände des Menschen" (GA 52, 72), d.h. zwei Ausschlagspunkte auf dem Stimmungsbarometer der Psyche, wie etwa Freudigkeit und Weltschmerz. Als zwei Weisen, in das Sein des Seienden im Ganzen entrückt zu werden, bleiben sie vielmehr stets übergänglich aufeinander bezogen. Ganzsein-können in der Trauer heißt, den Einschwung in die abwesende Anwesung
35 Nach F.R. Dallmayr ist es gerade die Hinwendung zum „Brautfest", von der aus Heidegger sich von einer Betonung des Streites in der „Rhein"-Hymnen-Auslegung auf die Innigkeit in der „Andenken"-Interpretation verlegt (ders. Heidegger, Hölderlin, and Politics. In: Heidegger Studies 2 (1986), S. 92). Erkennbar wird diese Verlagerung auch anhand seiner Kritik an der faschistischen Fest-Unkultur und an der Solidarisierung mit den Freunden in der Fremde, Motive, die wir - um unserer Hinwendung zur FestUnkultur unserer Tage willen - abblendeten, die aber fruchtbarer Gegenstand weiterer Überlegungen und unvoreingenommener Forschungen werden sollte.
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des Freudigsten zuzulassen, die den Menschen vor den ab-gründigen Entscheid zwischen Hoffnung und Verbitterung stellt; Ganz-sein-können in der Freude heißt, den Überschwung aus der Freude in den abwesend-anwesenden Hereinstand des Trauerndsten zuzulassen und sich nun vor den Entscheid zwischen der „leichten Muße" des Momentes oder dem ab-gründigen Jubel des geschichtlichen Augenblicks zu stellen. In der Klage und Trauer des Dichters spricht deshalb „eine Freude, und aus der Einheit beider die Grundstimmung ftir das Fest, das Erharren des Festlichen und d.h. des Heiligen" (GA 52, 130). Das heiligtrauernde Herz ist die Hüterin und die Hut der festlichen Grundstimmung. Seine Liebe ist die „stimmende Grundstimmung des Festlichen" (GA 52, 188). Allein aus ihr als der Stimmung aller Stimmungen ist es dem Menschen vergönnt, das Seiende sein zu lassen, wann und wo es ist. Nur die Liebe gewährt den Mut, loszulassen, und ermöglicht so die freischwingende Möglichkeit eines übergänglichen Umschlags, mit dem ein Einschlag des Göttlichen einhergehen kann. Allein das liebende Herz bewahrt und behütet das Andenken sowohl in der Stunde der Freude als auch in der Stunde der Trauer und pocht so auf den Aether eines allesverheißenden Heraus- und Hereinstands von Göttern. „Die Liebe stimmt den Mut für das Fest, das ,Brautfest' ist." (GA 52, 161) Sie ist die letzte Hoffnung: als der geschichtlichste „Zeit-Bezug", d.h. als das Wirklichste, das auf das Möglichste ausgreift, ist sie anfänglichste und ursprünglichste Bejahung. Als innig-harmonischentgegengesetztes Ja läßt sie im Ab-grundsschauder einen künftigenden Jubel heraufklingen. Neben dem Dichter und den Frauen sind die gegrüßten Freunde dazu angetan, das Eigene bzw. Heilige des Vaterlandes zu lernen. Insofern ihnen als den Wenigen manchmal die Weile des ausgeglichenen Schicksals vergönnt und ihr Gang durch die Scheu vor dem Gang an die Quelle besiegelt ist, eignet auch ihrer Gestimmtheit etwas Festliches. Heidegger nennt im Zusammenhang mit ihren Stimmungen auch die Fahrt und die Tat. Da mit der gestimmten Geworfenheit das Gewesende aus der Zukunft gegen den Andenkenden her west, läßt sich sagen: Fahrt und Tat werden bei der Feier nicht primär als das bloß Vergangene erinnernd vergegenwärtigt, sondern wesen im ereignenden Zuwurf stimmungshaft als das abwesend Anwesende. Auch hier kommen nicht die Feiernden auf das Gewesene zurück; das Gewesende über-kommt vielmehr die Feiernden, insofern sie sich, ansichhaltend, wartend, auf dessen Sichzusagen oder Sichversagen einstimmen. Um mit dem Anfang aus dem Anfang dichterisch anzufangen und d.h. die Feiertage für das Fest bereiten zu können, „muß die Festliche Grund-Stimmung wachbleiben; jenes Wesende und Gewesene, was diese Grundstimmung stimmt, muß im andenkenden Gespräch das Sagen und Hören durchwalten" (GA 52, 192). Wenn so in der Grund-Stimmung die Stimme des Seyns spricht, vermag der Mensch sich feiernd zu fügen in den Fug oder die Fuge jenes Schicksals, dem wir uns nun zuwenden wollen.
§ 18 Das Fest als die ausgleichende Weile für das Schicksal
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§ 18 Das Fest als die ausgleichende Weile für das Schicksal Wenn „in jeder Grundstimmung die Stimme des Seyns spricht" (GA 52, 72), so vermag sie den Menschen, sofern er ihrem Anspruch entspricht, in seine Be-stimmung zu verfügen. 36 Insofern in der Stimmung das Gewesene an-fragend als das zu be-antwortende Künftige auf ihn zukommt, muß ihr Austrag höchste Ver-antwortung „vor dem" sein, was wir - meist sehr unbedarft das Schicksal nennen. Bevor wir jedoch ausführen können, inwiefern sich die Menschen in den Fest-Stimmungen in das Enteignis und Ereignis der Entgegnung mit den Göttern fügen, gilt es, dieses erfügte Sichfügen in das Schickliche
eigens zu entfalten. Insofern nämlich das Fest die Weile des ausgeglichenen Schicksals ist, gehören das Fest und das Schicksal „in eins zusammen" (GA 52, 91). Was heißt das? Was ist dieses Eine? Es ist die Fuge des Seyns, die alles (Gott, Heiliges, Mensch und Ding) ineinander und zueinander „fügt und Jegliches bestimmt, was der Fug ist" (GA 52, 100). Was aber ist das „in" dieser Fuge Schickende, was das Geschickte? Das Schickende bzw. Schickliche ist das Heilige, das die im Fest sich entgegnenden Menschen und Götter als die in die Fuge verfügten in ihren Wesensstand schickt. In Anbetracht unserer Ausführungen zum Heiligen als dem innig-harmonisch-entgegengesetzten Uneigennützigen und seiner intentionalen Ausgeglichenheit (§ 17), erahnen wir bereits, inwiefern gerade an den Feiertagen als den „Nachtwachen für das Schicksal" (GA 52, 92) ein solcher Äther des nicht gleichmacherischen Ausgleichs aufglänzen und in heiliger Nacht ein Advent des Göttlichen heraufdämmern könnte. „Es gilt auszuharren in den deutschen Nachtwachen für das Schicksal. Deshalb wird allem voraus zur Vorbereitung des Festes das Schickliche gefordert, was sich in
36 Vom sachlichen Wechselbezug von Stimmung und schicksalshafter Be-stimmung zeugt eine Reihe von Stellen. So gehört zur Liebe zum Nordost als dem Boten des Grußes „das Mitwollen des Seienden, das uns im Wesen bestimmt und durchstimmt, auf daß es das Bestimmende sei, das es ist" (GA 52, 41). Weil der wehende Nordost den Dichter in die Wesensrichtung dessen trägt, „was er erfüllen muß", erklingt im ersten Vers der Hymne „Andenken" „das Frohe, daß der Dichter im Wesen dessen stehen darf und stehen will, was ihm sein Wesen erst zu eigen gibt" (GA 52, 41 f.). Desgleichen geschieht das Zurückbleiben im eigenen, aber noch unangeeigneten Vaterland „aus der Zustimmung des grüßenden Dichters zu dem, was ihm grüßend bestimmt, das Eigene zu finden" (GA 52, 137 f.): das ihn grüßende Heilige des gewesenen Festes. Die im Gedicht genannten „sterblichen Gedanken" meinen als die menschlichen Jenes Denken, das den Grund des Menschenwesens ausmacht und es zu seiner Bestimmung stimmt", d.h. Jenes Besinnen, das auf das Heilige sinnt, das sich im Fest ereignet" (GA 52, 151) und dem sich das feiertägliche Denken öffnet. Aus dem, was im Gespräch gesagt und gehört wird und „was die sagende und gehörte Stimme stimmt [...] bestimmt sich zugleich die Art des Sagens und Hörens" (GA 52, 158) der Meinung des Herzens. Die Scheu stimmt als die Stimmung für die Stege des Übergangs in den anderen Anfang „das Gehen und bestimmt zum Gang ins Ursprüngliche" (GA 52, 172). Im Sicheinschwingen in das stimmende Erfügen fugen sich die Feiernden in der Weise des gestimmt-ereigneten Entwurfs in den stimmend-ereignenden Zuwurf.
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das Wesenhafte der kommenden Geschichte schickt", d.h. in den „einzigen und anfänglichen Augenblick der anderen Ankunft der Götter" (GA 52, 154 f.), in die festliche Weile des ausgeglichenen Schicksals. Weil unser Denken und Erfahren jedoch zu sehr vom Unschicklichen geprägt ist, um diesen Übergang und Aufgang übergangslos denken und erfahren zu können, wird auch hier der Durchgang durch sein geläufiges Verständnis erforderlich.Gemeinhin nehmen wir das ,Schickliche' für das, „was einer Vorschrift oder Regel oder einem Brauch entspricht" (GA 52, 89). So „wissen" wir etwa, daß es sich nicht schickt, während einer feierlichen Opernauffuhrung oder einer Festrede laut zu sein. Verspüren wir dennoch das Bedürfnis danach, so deklarieren wir diese Regel oder diesen Brauch nur allzuleicht oder sogar meist als ein über uns verhängtes Gesetz. Wir besinnen uns nicht augenblickshaft auf dieses Stillhalten; wir lassen seinen Vollzugssinn nicht als ereignenden Zuwurf für den ereigneten Entwurf wesen, um uns dabei frei zu einem Verhalten zu entscheiden bzw. entschieden zu werden. Dieser Tendenz wegen west das Gehörige zunächst und zumeist als „eine irgendwo verzeichnete, nur auf Befolgung und Nichtbefolgung wartende Vorschrift" (ebd.). Das Sichschicken in das Schickliche wird zu einem „Sichabfinden mit dem Unvermeidlichen" (ebd.). Sitte und Brauch, Moral und Tugend werden zu statischen Determinanten, von denen man entweder unterworfen oder ausgegrenzt wird. Genau besehen, bleibt diese geläufige Vorstellung des Schicklichen als dem, was sich schickt und gehört, in ihrer „Naivität" noch hinter der Schlichtheit des kindlichen Verlangens zurück. Während das Kind seine Bestimmung darin hat, im Wünschen und Wollen an Grenzen zu stoßen und im spielerischen Neuansatz zu lernen, „weiß" sich der Erwachsene längst schon auszurechnen, worin der „Ernst des Lebens" besteht. Schwingen die Spiele des Kindes im sich widerstreitenden Spiel von φύσις (Wachstum, Aufgang) und χάος (Abgrund), so bringt der anscheinend „reife", „verantwortliche" Mensch das Gefüge dieses Harmonischentgegengesetzten aus dem Lot. In seinem Immer-mehr-habenwollen spreizt er Freiheit und Gesetz gegeneinander auf. Entsprechend ist das bloße Beharren im Wünschen, d.h. in einem Streben, dem sich die Verwirklichung entzieht oder das sich selbst auf eine solche nicht einläßt, eine „Abkehr vom Schicksal, die ihm nicht gewachsen bleibt" (GA 39, 206 f.). Es ist nichts anderes als Jener kleine Eigensinn, das Trugbild der wahren Selbstständigkeit, wodurch das Schicksal ferngehalten wird.[...] Das Sichauskennen des Menschen und die Sicherheit des Benehmens der Tiere je in ihrem Umkreis erweisen sich als solches Seyn, das kein Schicksal haben kann" (ebd.). Das unverständige Wünschen vor dem Schicksal und die Sattheit im erreichten Wunsch ist die Art jener Vollzugsweisen des Daseins, die auf Berechnung und Übersehbarkeit aus sind und in der Sicherheit des Fraglosen ihr Sein dahinbringen, die Fragen als störend und unbequem empfinden oder durch scheinhafte Antworten abtun (vgl. GA 39, 209).Wo der Mensch mit solcher Selbstgefälligkeit zu wissen meint, worin der Ernst des Lebens besteht und was sich gehört und schickt, wird das
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Schicksal als „das bloß Unberechenbare und ,Zwangsläufige"' (GA 52, 89) ausgegeben. Man ist seiner Übermacht gegenüber ohnmächtig und versteht es im Sinne des ,Fatums' und der ,Fatalität', „womit ein Seyn im Sinne des willenlosen und unwissenden Dahintreibens in einem stumpfen, einfach sich fortwälzenden Verhängnis innerhalb der Allheit des in sich verschlossenen Seienden vorgestellt wird" (GA 39, 173). Das Schicksal wird zu ,,eine[r] bloß dunkle[n] Macht in der Ebene der Ursache-Wirkungsbeziehungen" (GA 52, 91), was auf der Vorstellung beruht, „der Mensch sei ein Wesen, das im Umkreis einiger ,Freiheitsgrade' sich selbst und das Seinige zwar lenken könne, im Übrigen aber dem Ablauf des Zwanges unabänderlicher Ursache-Wirkungsverhältnisse ausgeliefert sei" (ebd.). Während wir in den Bereichen der Freiheit weitgehend wählen dürfen, herrscht auf der Ebene des Schicksals „das bloße Sichergeben in das unvermeidliche Wirken von unbekannten Ursachen, wogegen wir, d.h. unserere Technik machtlos sind" (GA 52, 92). Entsprechend konstatiert Heidegger, „daß wir überall und stets Mühe haben, das Sein selbst zu wissen, statt immer nur Seiendes aus Seiendem am Strang der Ursache-Wirkungsbeziehung zu erklären". Wir sind versucht, „auch das Sein noch in die Umzäumung dieses geläufigen Erklärens hereinzuzerren" (GA 52, 100). - Woher kommt diese Meinung? Wenn wir davon absehen, daß das Schickliche zum bloß Unvermeidlichen werden kann, weil durch seine Auslegung als des Unabwendbaren das eigentliche Sichentwerfen auf seinen Zuwurf am leichtesten zu vermeiden ist, so hat diese Meinung ihren Ur-sprung selbst in einem Geschick und zwar in jenem Seinsgeschick, in das sich - unwissentlich freilich - das gesamte metaphysische Denken geschickt hat. Für die Griechen der archaischen Zeit ist das Schicksal als Μοίρα (Los, Anteil), Τϋχη (das unberechenbar, zufällig Zustoßende) und Ανάγκη (Notwendigkeit) noch unmittelbar, d.h. vorkausal durchgöttert, sei es nun, daß die Götter über das Schicksal verfügen, sei es, daß sie von ihm verfügt sind. Bei den Griechen vollzog sich „in eins mit dem dichterisch-denkerisch-staatlichen Werden dieses Volkes" eine „erstmalige und in ihrer Art unwiederholbare Überwindung" dessen, was Heidegger meint, die „asiatische Vorstellung von Schicksal" nennen zu können (GA 39, 173). Abgesehen davon, daß er hier dem wenig qualifizierten Gemeinplatz vom sogenannten „Fatum Mahumetanum", vom „Türkenschicksal" und „Türkenfatalismus" das Wort redet 37, hat, unsere „Antigone"-Interpretation aufgezeigt, wie im Wirbel des VerbergungsEntbergungsgeschehens der ά-λήθεια die tragisch gefeierten Schicksale der πόλις ihre blinde Ausschließlichkeit verlieren und zugleich „den Charakter des 37 G. W. Leibniz, Theodicée. Préf. Philos. Schriften. Hg.: C. I. Gerhardt. Bd. 6, S. 30; vgl. J. van Ess, Fatum Mahumetanum. Schicksal und Freiheit im Islam. In: Schicksal? Grenzen der Machbarkeit, 1977, S. 26 - 50. Indes wäre einmal der Aufweis zu leisten, daß sich gerade Hitlers „Vorsehungs"-Propaganda wie ein schlechtes Abziehbild jenes „asiatischen" Schicksalsglaubens ausnimmt.
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Ungeheuren, der grenzesetzenden [δίκη] Zuteilung und Bestimmung [μοίρα]" (ebd.) empfangen. Im Zuge der mit Piaton einsetzenden Unterjochung der ά-λήθεια unter das είδος und der mit ihr einhergehenden Vorherrschaft des rechnend-metaphysischen Denkens wird „alles Seiende als das Wirkliche-Wirkend-Gewirkte" gefaßt und am „Strang der Reihenfolgen von Ursache und Wirkung" (GA 52, 90) aufgereiht. „Was nicht Wirkung ist, ist Ursache und umgekehrt." (ebd.) 38 Nach Heidegger denken vor allem die christliche Metaphysik und das durch die Metaphysik sich beweisende Christentum in ihrem rechnend-planenden Denken der Prädestination' und der , Vorsehung' „alles aus dem Bezug auf eine erste oberste Ursache, die den Welt- und Naturlauf voraussieht und vorausbestimmt" (ebd.). Das Schicksal wird als „eine ins Dunkel gehüllte Ursache, durch die die einzelnen ,Schicksale' bewirkt werden" (ebd.), zum jeweiligen Rest des kausal Determinierbaren und kann deshalb bis zu einer schlechten Ausrede, zu einem Platzhalter des Noch-nicht-erklärbaren verflachen. Wird alles Seiende - wie in letzter Konsequenz bei Kant 39 - auf die beiden Bezirke der Naturgesetzlichkeit und der menschlichen bzw. göttlichen Freiheit verteilt und diese „auch nur als eine Art von Kausalität" (GA 52, 91) gedacht, so nivelliert das Schicksal entweder zum Rechtfertigungsschema unheilschwangerer und selbsternannter Propheten und demagogischer Despoten oder zum statistischen Problem der Chaosforschung. „Die Unterscheidung von Naturgesetzlichkeit und Freiheit ist in Wahrheit eine technische und d.h. eine solche, in der schon das Sein selbst nicht mehr aus seiner Wahrheit zum Wort kommt." (ebd.) Die denkerisch unsaubere, im Alltag jedoch kaum zu überwindende Vorstellung, „der Mensch sei ein Wesen, das im Umkreis einiger ,Freiheitsgrade' sich selbst und das Seinige zwar lenken könne, im Übrigen aber dem Ablauf des Zwanges unabänderlicher Ursache-Wirkungsverhältnisse ausgeliefert" (ebd.) sei, beherrscht auch die zeitgenössische Erfahrung von Feiertag und Fest. So meinen wir, uns zu Zeiten der 38
Den entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung hatte auch hier nicht so sehr Piaton selbst, als vielmehr die stoische Weiterentfaltung seines Denkens. So ist nach Chrysipp das Schicksal (ειμαρμένη) als der Logos des Kosmos, d.h. als das alles durchwaltende Pneuma der Natur, zugleich „das Gesetz, nach dem das Vergangene geschah, das Gegenwärtige geschieht und das Zukünftige geschehen wird" (Frg. 913. SVF 2, 264 f.). Alles geschieht gemäß dem Schicksal, weil der „Zusammenhang aller Dinge" (σύνταξις των ολων, ders. Frg. 1000. SVF, 293) nach unumstößlicher (άπαράβατος) Ordnung durch eine ununterbrochene „Reihe von Ursachen" (ειρμός αιτιών, Frg. 917. SVF 2, 293) konstituiert wird. Weil in dieser Reihe jedoch Gott zuoberst steht, ist das Aufund Abrechnen des Weltlaufes auf Gott hin bereits angelegt. 39 Weil alle Notwendigkeit Naturnotwendigkeit, d.h. immer durch andere Ursachen in der Erscheinungsreihe bestimmt ist, muß die Vernunft von der Naturnotwendigkeit zu sich selbst und zu einer Freiheitsursache der höchsten Intelligenz befreit werden, wohingegen man bei der deduktiven Frage nach dem Rechtsanspruch (quid juris) von Begriffen wie „Schicksal" und „Glück" „in nicht geringe Verlegenheit gerät, indem man keinen deutlichen Rechtsgrund weder aus der Erfahrung, noch der Vernunft anführen kann, dadurch die Befugnis seines Gebrauchs deutlich würde" (KdrV, Β 117).
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Muße und Zerstreuung noch am ehesten etwas Luft verschaffen und uns ein wenig selbst verwirklichen zu können. Was bedürfen wir hierzu noch eines obersten Schicksalsbestimmers, wo wir schon während der Woche von unseren Sorgen und Nöten, von unseren Freunden, Kollegen und nicht zuletzt von unseren Chefs, Politikern und Gesetzeshütern unterjocht werden? Wenigstens einma\ möchten wir tun, was wir wollen, und das ist zu Zeiten des Festes. Die Kluft von schicksalhafter Freiheit und Notwendigeit wird beim Feiern zwar in schicksalhafter Weise aufgerissen, doch umso emsiger verdeckt. Gastgeber und Gäste verlegen sich bei der Vorbereitung des Festes und beim Feiern selbst entweder mehr auf eine Norm oder eher auf die Abweichung, ohne die beiden dabei in ein übergängliches Wechselspiel zu bringen. Daß das geläufige Denken und Erfahren des Schicksals selbst schicksalhafte Konsequenzen zeitigen kann, verdeutlicht sich schon von den in „Sein und Zeit" aufgewiesenen Modi des Existierens und ihrer Geschichtlichkeit her. Der eigentliche Modus der Sorge: das verschwiegene, angstbereite Sichentwerfen auf das eigene Schuldigsein, gewinnt sich aus der vorlaufenden Entschlossenheit in den Tod, in welcher es seine Geworfenheit ganz übernimmt. Im Freisein für den Tod als seines schlechthinnigen Zieles erfährt das Dasein den Stoß in seine Endlichkeit und wird zugleich „aus der endlosen Mannigfaltigkeit der sich anbietenden nächsten Möglichkeiten des Behagens, Leichtnehmens, Sichdrükkens" zurückgerissen und „in die Einfachheit seines Schicksals" (SuZ, 384) gebracht. Dieser Rückriß oder Rückruf in die Einfachheit des Schicksals ist, wie die Sorge überhaupt, zeitlich verfaßt. Nur Seiendes, das wesenhaft in seinem Sein zukünftig ist, so daß es frei für seinen Tod an ihm zerschellend auf sein faktisches Da sich zurückwerfen lassen kann, das heißt nur Seiendes, das als zukünftiges gleichursprünglich gewesend ist, kann, sich selbst die ererbte Möglichkeit überliefernd, die eigene Geworfenheit übernehmen und augenblicklich sein für „seine Zeit". Nur eigentliche Zeitlichkeit, die zugleich endlich ist, macht so etwas wie Schicksal, das heißt eigentliche Geschichtlichkeit möglich. (SuZ, 385)
Ebensowenig wie das Miteinandersein als ein Zusammenvorkommen mehrerer Subjekte begriffen werden kann, setzt sich das Geschick einer Festgemeinschaft aus zusammengewürfelten Schicksalen zusammen. Als ein Mitgeschehen ist das Festgeschehen vielmehr Geschick. „Im Miteinandersein in derselben Welt und in der Entschlossenheit für bestimmte Möglichkeiten sind die Schicksale im vorhinein schon geleitet." (SuZ, 384) Im feierlichen Gespräch, d.h. im wiederholenden „Andenken", vollzieht sich mit dem Rückgang in Möglichkeiten dagewesenen Daseins die Wiederholung, d.h. die ausdrückliche Überlieferung und somit die dem Gewesenen erwidernde Nachfolge und Treue zum Denkwürdigen. In der feiernden Wiederholung kann insofern Geschichte offenbar werden, als das Geschick ausdrücklich erschlossen und aus der Verhaftung an das überkommene Erbe frei wird für die eigentliche Geschichtlichkeit des Daseins, d.h. für die Zukunft. Das Schicksalsträchtige der unterschiedlichen
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Schicksalserfahrungen besteht darin, daß wir uns meist gerade dann, wenn wir sagen, etwas sei eben Schicksal, d.h. wenn wir die endliche Möglichkeit nicht frei wählen, im Modus der uneigentlichen Zeitigung als des gewärtigendvergessenden Gegenwärtigens halten. „In der uneigentlichen Geschichtlichkeit [...] ist die ursprüngliche Erstrecktheit des Schicksals verborgen. Unständig als Man-selbst gegenwärtigt das Dasein sein ,Heute'. Gewärtig des nächsten Neuen hat es auch schon das Alte vergessen. Das Man weicht der Wahl aus." (SuZ, 391) Schon in „Sein und Zeit" schließt Heidegger seine Exposition der existenzialen Interpretation der Geschichtlichkeit des Daseins mit dem Hinweis auf die im „.Rätsel des Seins" (SuZ, 392) und seiner Bewegung gründenden Dunkelheiten. In ähnlicher Weise nun erhebt sein seingeschichtliches Denken des Schicksals und des Geschickes keineswegs den Anspruch, selbiges begreiflicher' zu machen, „ i m Sinne des wissenschaftlichen Erklärens", sondern vielmehr „würdereicher und geheimnisvoller" (GA 52, 92). Aus der denkerischen Erfahrung der Kehre im Ereignis versteht Heidegger das Gehörige und Schickliche „im Sinne der Wahrung der Zugehörigkeit ins Wesen" (GA 52, 89), d.h. des sich schickenden Hörens des ereigneten Entwurfs auf den ereignenden Zuruf. Als das Gehörige ist das Schickliche also weder eine Norm oder Moral noch etwas über den Menschen Verhängtes und schon gar nicht eine dubiose Vorsehung, sondern „das, was im Wesen bleiben soll, dieser Fügung sich fugen muß" (ebd.). 40 Das Sichgehörende, das wir sonst nur als überzeitlich gültiges Kausalund Verhaltensmuster (Gesetz, Norm, Sitte, Brauch) kennen, ist verfügt und gefügt aus dem Schicklichen. Als derart Geschicktes läßt sich das Sichgehörende nie ein für alle mal und für immerdar festlegen; es läßt sich überhaupt nicht festlegen, sondern ist insofern geschichtlich, d.h. augenblickshaft, als es stets nur die jeweilige Weise darstellt, das Schickliche in das Sichgehörende, d.h. in das Gesetz zu bergen. „Gesetze" im geläufigen Sinne lassen sich vor aller Welt einhalten oder brechen. Ebenso kann man sich fügen in das sogenannte „Gesetz des Schicksals" oder dagegen aufbegehren. Dementgegen ist das Sichschicken in das Schickliche nicht einfach das Sichabfinden oder -nichtabfinden mit dem Unvermeidlichen, sondern „gerade das Vermeidliche und sogar zumeist Gemiedene" (ebd.). Als solches ist es vor allem anderen eine Frage des Selbstseins. Der Moralist kann ein Leben lang alle Gesetze einhalten und andere lauthals zu deren Einhaltung anhalten, ohne auch nur einmal ihrem geschichtlichen Anspruch ent40 Gerade darin besteht meines Erachtens die tragische „Verfehlung" Heideggers: daß er Hitler zum Bewerkstelliger dessen ontifizierte, was seinem eigenen Denken zufolge überhaupt nicht gemacht zu werden vermag. Weil jedoch eben diese Ontifizierungen es sind, welche unser kausales Verfügen über Menschen, Dinge und sogar Götter zu einem nicht mehr seinlassenden, d.h. nichtliebenden verfügt, sondern zu einem Ungefügten, Bösen macht, findet sich so leicht kein Stand, zu richten, wo man selbst Unrecht tut.
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sprochen zu haben. Genausogut kann ein Anarchist ein Leben lang gegen alle möglichen Gesetze aufbegehren, ohne jemals ent-setzt worden zu sein aus seinem kausalistischen Abweichungsmuster. Auch der Moralist und der Anarchist - und was das Fest anbelangt: „Norm" und „Abweichung" - stehen erst im Schicksal durch „das Sich-hinaus-schicken in den Fund oder Verlust des zugeschickten und sich-schickenden Schicklichen" (ebd.) 41 . Erst indem der Mensch sich zu der von ihm unverfügbaren Ent-scheidung von Schicksalsfund oder Schicksalsverlust entscheidet, gewährt sich ihm der Schicksalsausgleich. Nach Heidegger ist das Schicksal „die Weise, wie das Gehörige und d.h. das Zusammengehörige in den Anklang und Ausgleich geschickt oder aber im Unausgeglichenen gelassen wird", d.h. „die Weise, wie diejenigen, die sind, indem sie sich in ihr Wesen eigens schickten, das Schickliche finden und behalten und so dem Zugeschickten und Schickenden sein Wesen lassen, seinem Walten Recht geben und so erst das Rechte empfangen" (ebd.). „Ausgleich" und „Unausgeglichenheit" sind primär keine Frage der am Seienden ablesbaren Gleichheit und Ausgewogenheit, sondern der Fügung der Fuge des Seyns, d.h. der Bezüge von Göttern, Menschen und Heiligem. Diese müssen im Lot sein, damit auch das Seiende in seinen äußeren Bezirken nicht aus den Fugen gerate. Der übergänglich gedachte Ausgleich ist jener Ausgleich, „der nicht gleich macht in der Ebene des Unterschiedslosen, sondern jedem das Gleiche, nämlich sein Eigenes zuteilt nach den gleichen Maßen des je eigenen Wesens" (GA 52, 98). Er läßt das Seiende, d.h. hier vorerst Götter und Menschen, los in jene „Zwietracht der Wesensfindung und des Wesensverlustes" (GA 52, 102), aus der sich erst Versöhnung und Eintracht gewähren. Das Schicksal findet [...] dann und nur dann seinen Ausgleich, wenn das Ungleiche als das Ungleiche west. Hier ist der Ausgleich kein Gleichmachen in das Unterschiedslose, sondern das gleiche Waltenlassen des Unterschiedenen in seinem Unterschied. Der Ausgleich ist nicht das Auslöschen der Unterschiedenen, sondern ihre, der Götter und der Menschen, Rückkehr in das eigene Wesen. In solcher Rückkehr gründet das Bleiben des Ungleichen. Wann dieses bleibt, dann allein ist die Weile, in der das Schicksal verweilen kann. (GA 4, 105)
Erst aus dem Zulassen des Unterschieds wird der Ausgleich oder die Unausgeglichenheit des Schicksals offenbar, das nicht der Verfügungsgewalt und den Setzungen des Menschen entspringt, der seine Bestimmung selbst macht und erlebt (genitivus sujectivus), sondern dem Sichschicken des ereigneten Entwurfs in den ereignenden Zuwurf, durch das der Mensch in sein Eigentum gelangt. Deshalb ist vorerst auch nicht entscheidend, ob beim Feiern Götter „erscheinen"
41 Unter diesem Gesichtspunkt ist es vorerst auch plump, zu behaupten, Zarathustra und Moses hätten als erste „Gesetze" eingeführt. Erst wenn geklärt ist, inwiefern der Zarathustrische Gegenhalt von „Licht" und „Finsternis" und die Gesetzestafel vom Sinai geschichtlich-augenblickhaft gestiftet und vom jeweiligen Volk als schicklich befunden wurden, läßt sich etwas über ihren „ontischen" Verfugungscharakter sagen.
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oder nicht, sondern ob wir uns an der ab-gründigen Scheide ihres Ausstands auf die Erfahrung ihrer abwesenden Anwesung einlassen können. Auch hinsichtlich der Gottheit, des Heiligen, der Spur des Heiligen und der Spur zu dieser Spur kann der Schicksalsausgleich gerade im Sicheinlassen auf die Unausgeglichenheit erfahren werden, wohingegen er von einer heilsseligen Gleichmacherei aufgespreizt wird. Desgleichen stellt sich die Frage, ob der Festfrieden, in dem wir zum Gefeierten, zu den Mitfeiernden und zu uns selbst stehen müssen, um feiern zu können, darin besteht, daß wir einander gleich machen, oder darin, daß wir einander ungleich sein lassen; dies aber nicht primär im Sinne der Toleranz, sondern im Sinne des grüßenden Sicheinübens in die Uneigennützigkeit des Harmonischentgegengesetzten. Die Innigkeit des Heiligen ist der Wesensbereich und Wesensgrund des Schicksals, nicht weil es alles heil macht aus einem überweltlichen Fundus, sondern weil es das Unter-schiedliche, wenn dieses sich nur an seinen fugenmäßigen Ort be-scheidet, in seine Bestimmung schickt, d.h. schlichtweg: dorthin schickt, wo es bereits ist. Wenn Mensch und Gott derart in ihren Unterschied beschieden und in den Fug gefügt sind, erst und nur dann kann sich das Wahre ereignen und können die Götter an die Menschen übereignet werden, vermögen die Götter und die Menschen und die Menschen untereinander ihre Vermählung, das Brautfest zu feiern.
Wie wir jedoch bereits gesehen hatten, findet diese Hochzeit ihre Vorbereitung im leidenschaftlichen Übernehmen der Not. Im schöpferischen, die Not erschließenden und entwickelnden Leiden, „ergreift uns ein Schicksal, das nie nur vorhandenes ist, sondern Schickung, d.h. uns geschickt, so zwar, daß es uns unserer Bestimmung entgegenschickt, gesetzt, daß wir selbst uns darein wahrhaft schicken und um das Schickliche wissen und wissend es wollen" (GA 39, 176). Diejenigen, welche dieses Sichschicken in das schickliche Heilige vermögen, d.h. es wollend wissen, sind wiederum die Dichter, die durch ihr Nennen des Heiligen den Zwischenraum, d.h. das Ungleiche, „zwischen den Menschen und den Göttern als [...] Zeigende auseinander- und also innehalten" (GA 4, 104). Insofern sie das menschliche Sein durch ihr Hinaussein über das nur gewohnte Alltägliche erneuern und wandeln, ist das Sein der Dichter „die ahnende Ausrichtung auf die Götter selbst, zugleich aber, in der Richtung auf den Menschen, sind sie der Aufruhr des menschlichen Seyns, durch den und in dem dieses erst in seiner Leidenschaftlichkeit erweckt und in maßgebende Möglichkeiten gestellt wird" (GA 39, 180). Indem sie in dieser „wesenhaften Entrückung in das göttliche
und menschliche
Seyn selbst" ( G A 39, 181) als Halbgötter an
beiden Teil haben, sind sie sowohl Stifter als auch Gestiftete des Festes. Es ist ihr Schicksal, durch ihr gegrüßt-grüßendes Sagen nach dem Himmel und der Erde zu die Ungleichen zu sein. Das ihnen vom Heiligen bzw. als Heiliges zugeschickte Wesen fordert von den Halbgöttern, das Bleiben jenes Ungleichen von Göttern und Menschen zu stiften, in dessen Weile das Schicksal als Fest verweilen kann. Das Ereignis des Festes, das als höchster Ausgleich alles Sichschicken und alles Schickliche und damit das Schicksal in einen Einklang bringt, ist so zugleich „der Zeit-Raum und das Wesensgefüge des innigsten
§ 19 Die Nacht als der Zeit-Raum des feiernden Andenkens
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Ausgleichs, da Jegliches ,ist, wie es ist'. Wenn Jedes ist, wie es in seinem Wesen ist, dann ist das Wahre" (GA 52, 92). Entsprechend gilt es nun, diesen ZeitRaum des festlichen Schicksalsausgleichs zu erfragen.
§19 Die Nacht als der Zeit-Raum des feiernden Andenkens an die untergegangenen und des Heraufdämmerns der künftigen
Götter
a) Raum und Zeit als Zeit-Raum
Wenn wir vom Fund und vom Verlust des Schicksals sprachen, so suggeriert diese Rede, das Schicksal sei irgendwo, um irgendwann gefunden und möglicherweise wiederum verloren zu werden. Desgleichen legt die Rede von der Flucht und möglichen Wiederankunft der Götter die Vorstellung nahe, diese hielten sich zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten auf, um zu anderer Zeit wiederum andere Orte aufzusuchen. Derartige Sprechweisen bestimmen nicht nur unseren gängigen (lebensweltlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen, philosophischen und religiösen) Bezug zum Göttlichen, wie wir ihn aus Versenkung, Andacht, Opfer, Kult, Gebet, Besinnung und Gespräch her zu kennen vermeinen. Sie begegnete uns auch zu Beginn der „Ilias" (§ 8), wo die opfernden Griechen die Anwesenheit der bei den Aithiopen weilenden Götter heraufzubeschwören versuchten. Doch legte bereits das Zuspiel des erstanfänglichen Festwesens nahe, daß wir, die wir über den Wahrheitscharakter von Raum und Zeit höchst unschlüssig sind, die mythische Sage von Raum und Zeit nur allzu voreilig über die Leiste unserer philosophischen, wissenschaftlichen und lebensweltlichen Gemeinplätze schlagen. Denn auch unsere höchsten und tiefsten, unsere freudigsten und traurigsten Erfahrungen mit dem Kommen und Gehen bzw. mit dem „Sein" und „Nichtsein" des Göttlichen oder eines irgendwie erfahrenen „Höheren" schwingen zwischen einem herbeisehnenden oder herbeijubelnden „Wo?" und „Wann?" und einem entsetzten und verzückten „Hier!" und „Jetzt!", dessen Räumlichkeit und Zeitlichkeit wir kaum kennen. Wir mögen uns vielleicht noch über die bloße Ungewöhnlichkeit jener gemeinschaftlichen Erfahrung verständigen, die uns dazu bewegt, zu sagen: „Es geht ein Engel durch den Raum". Wir mögen dieses Phänomen auf verschiedendste Weise erfahren, benennen, besprechen und im konkreten Vollzug oder in Besinnung und Gespräch miteinander teilen. - Doch wir geraten entweder ins Stocken oder in die Verstockung formaler Benennungen, wenn wir seine Zeitlichkeit und Räumlichkeit bestimmen sollen. Handelt es sich um ein bloß subjektives Phänomen, das sich in der Innerlichkeit der Psyche abspielt und in totemistischer Manier nach draußen projiziert wird? Entspricht diesem Geschehen gar etwas Objektives, ein feinstofflicher Vorgang, der sich vielleicht messen
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oder durch geistige Schau erkennen ließe? Oder vollzieht sich das Vorkommnis gar auf einem anderen Plan, außerhalb von Raum und Zeit? Derartige Auslegungen liegen nahe. Und obschon sie als die Naheliegendsten oft die Nächstbesten sind, lassen sie sich in anderer Hinsicht nicht völlig von der Hand weisen. Zuweilen bestechen gerade diejenigen, welche in den Stand ver-setzt sind, die Ab-gründigkeit solcher Widerfahrnis auszustehen, oder deren Bestimmung sich darin erfüllt, selbst solche Widerfahrnis zu sein, durch die einfachste Sprache. Sie greifen lediglich die gängige Sprache auf, um etwas zu sagen, was gerade der Zunge und dem Ohr derselben als unaussprechlich und unerhört dünkt. So liegt es denn nahe, daß solche Sage einfacher und diskreter ist als unser denkerisches Ohr, daß ihre Meisterschaft der Lehre und der Tat zu einzig ist für die gängige Philosophie und Wissenschaft, vielleicht auch für die Kunst und womöglich sogar für die situierte religiöse Selbst- und Welterfahrung. Deshalb wollen wir dieser alle Bergungsweisen durchziehenden Taubheit gegenüber der schlichten Sage des Göttlichen beim Nachvollzug des folgenden eingedenk bleiben. 42 Was sagt uns das Denken, das auf den dichtend-gedichteten Halbgott hört, das denkend die Grüße, Winke und Rufe des Heiligen im Rühmen des Gesanges zu erlauschen und zu erschauen sucht, zum Raum und zur Zeit des Festes? Es sagt, daß die Denkenden bislang „die Fülle am falschen Ort gesucht und den Raum des eigentlichen Reichtums, der uns zugesprochen ist, verkannt haben" (GA 52, 27). Im dichterischen Andenken dagegen öffnet sich „ein eigener Raum eines geschichtlichen Handelns", d.h. „ein Raum [geschichtlicher] Verantwortung" (ebd.). Grund-legend für die Eröffnung dieses Zeit-Raumes ist jener dichterisch-dichtende Gruß, hier des Nordostwindes, dessen hermeneutischphänomenologischer Würde wir uns bereits zugewandt hatten und dessen zeitraum-eröffnenden ποίησις-Charakter es für das feiernd-andenkende Dichten weiterzuentfalten gilt. Das dichterisch-andenkende Grüßen des Nordostwindes läßt „zwar, für sich genommen, den Zeitpunkt und den Ort dessen, wovon es sagt, unbestimmt; gleichwohl nennt es den Zeit-Raum, aus dem die stimmende Gunst der jetzt nötigen und künftigen Dichtung kommt, damit diese Dichtung ihr Wesen erfülle und Dichter sein können. ,Der Nordost wehet4 - d.h. der ZeitRaum der Dichtung, die mit diesem Gedicht gedichtet ist, steht offen" (GA 52, 32). Indem der grüßende Nordost den gegrüßt-wiedergrüßenden Dichter in „die Gunst und den Wesensraum der Dichtung" (GA 52, 43) entrückt, eröffnet sein dichterisches Wort erst „einen anderen Raum der Wahrheit um sich" (GA 52, 38). Wenn sich dieser „Zeit-Raum der kühnen Klarheit" geöffnet hat und der
42 Liegt die Verengung der metaphysischen Hör- und Sprechweise darin, vom Sprechen unabhängige, an-sich-seiende Bedeutungen anzunehmen, so liegt die Gefahr der Heideggerschen Metaphysikkritik darin, einer metaphysischen Sprechweise stets eine metaphysische Erfahrung zugrundezulegen.
§ 19 Die Nacht als der Zeit-Raum des feiernden Andenkens
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Dichter sich im Offenen weiß, dann ist dieses Offene zugleich „Weisung in die Ferne und Zusage des Kommenden" (GA 52, 39). Was sich so aus der Ferne zusagt, ist die Verheißung jenes feurigen Geistes, den Heidegger als das Eigene der Griechen (Feuer vom Himmel) dem Eigenen der Deutschen (Klarheit der Darstellung) gegen-einander-über stellt. Aus dem grüßend andenkenden und zugleich Abschied nehmenden Rückgang in die Gefilde griechischer Festlichkeit soll so die künftige Feststatt bereitet werden. Deshalb überdichtet sich die gegrüßte Landschaft im dichterischen Grüßen „in die verklärte und zugleich verborgene Stätte einer nicht mehr gesagten, durch einen Abschied hindurchgegangenen und aus dem Abschied doch bleibenden Liebe, über der das große Schweigen dieser Worte liegt" (GA 52, 53). Wie wir bereits der nichtmetaphorischen Nennung von Land und Leuten entnehmen, will sich diese verklärtverborgene Stätte gewiß nicht als hypostatische43 Hinterwelt verstanden wissen. Sie ist weder der Himmel eines jenseitigen Glaubens noch ein Paradies, das ein Wünschen und Trachten entflammt, welches den Raum und die Zeit des Gewöhnlichen entweiht und vergessen macht. Zu allerletzt ist sie das endophysische Experimentierfeld antimetaphysischer Diesseitshypostasen. Die Liebe nämlich, die als der wesensgewährende Vollzugssinn des uneigennützigen Heiligen der festlichen Entgegnung von Menschen und Göttern die AugenblicksStätte bereitet, verstößt nichts. Sie läßt vielmehr sein im Sinne eines wenig geschäftigen und umtriebsamen, dafür aber umso stiftenderen Tuns. So wird der gegrüßt-widergrüßende Dichter durch die seinlassende Grundstimmung der Liebe aus dem unfreien Erlebnis- und Machbarkeitswahn der allzualltäglichen Selbst- und Welterfahrung ent-rückt, um ver- und eingerückt zu werden in die zeit-raum-gewährende Schickung des Heiligen. Die Liebe bringt seine Sorge in ein Lot, das weder dem Tatenzwang noch der Untätigkeit verfällt, sondern aus der liebend-spürenden Achtung auf die Spur des Heiligen sowohl auf sich als auch auf das Besorgte acht hat. Das liebende Bezugs-Verhältnis von Da-sein und Ereignis schwingt ein in die Wiege, d.h. in die Gewogenheit gegen-über dem, was ist, d.h. in die anfanggewährende oder anfangversagende Wiege alles menschlichen Beginnens. Aus dem Eingewogensein in das Schickliche wird dem Fest der Zeit-Raum eröffnet. Das dem liebenden Dichter vom Gegrüßten her Zugedachte sammelt sich auf die Stätte des Ursprungs und das heißt „auf das Tagwerk und die Wohnstatt des Menschen" (GA 52, 56). Die Liebe sammelt auf die Stätten menschlicher Sorge, als dem einzigen Aufenthalt, der den Göttern ein gemäßes Gasthaus sein kann. 43
Der Terminus „Hypostasierung" sei hier im vernunftkritischen und d.h. bewußtseins-philosophischen Sinne Kants als das „blosse Blendwerk" verstanden, das entsteht, wenn man „das, was bloß in Gedanken existiert [...] in eben derselben Qualität als einen wirklichen Gegenstand außerhalb dem denkenden Subjekte annimmt" (I. Kant, KdrV, A 384), d.h. Erscheinungen des äußeren Sinnes „nicht mehr als Vorstellungen, sondern in derselben Qualität, wie sie in uns sind, auch als außer uns für sich bestehende Dinge [...] auf unser denkendes Subjekt bezieh[t]" (a.a.O., A 386). 18 Knödler
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„Wann", „wo" und „wie" ereignet sich mit und an dieser Stätte die Entgegnung von Göttern und Menschen? Heidegger sucht auch diesbezüglich zuerst im gängigen Verständnis den Boden zum Absprung in ein gewandeltes Denken des Bezuges von Wahrheit, Raum und Zeit zu finden, indem er sagt: „Solche Entgegnung besteht nicht in der bloßen ,Begegnung4, wo die Einen auf die Anderen und aufeinander stoßen und zwar in einem für sie selbst zufälligen und leeren Zeitraum 44 (GA 52, 77). Leer sind den herkömmlichen Denkern Zeit und Raum insofern, als ihnen als dem Nacheinander der Jetzte und dem Nebeneinander der Raumstellen ein zusehends quantitativer Charakter zugesprochen wird. Als „Rahmenvorstellungen (,ordo 4 -Begriff) (,Formen der Anschauung4)44 (GA 65, 373), d.h. als die Spanne, in der etwas abläuft, ist die Zeit ebenso leer wie der Raum als das Behältnis, in dem sich etwas befindet. So geht nach Kant die Form der Anschauung „(als eine subjektive Beschaffenheit der Sinnlichkeit) vor aller Materie (den Empfindungen), mithin Raum und Zeit vor allen Erscheinungen und allen datis der Erfahrung vorher, und macht diese vielmehr allererst möglich". 44 Gerade darin, daß sie den Erscheinungen in der Einzigkeit ihrer Seinsweise und der Augenblickhaftigkeit vorher-ge hen, liegt ihre Ungeschicklichkeit. In der „unbegriffenen aber gewohnten Zusammennennung von , Raum4 und ,Zeit 4 44 herrscht deshalb ein „Vorrang der Leere 44, d.h. „ihrer unmittelbar vor-gesteIlten Erstreckung, ihrer Mengenhaftigkeit" (GA 65, 375). Weil beide immer und überall für alles gelten sollen, sind sie bzw. das „in 44 ihnen Befindliche oder Ablaufende zufällig. In der Fuge des Seyns dagegen sind Zeit und Raum keine reinen apriorischen und mathematisierten „Leerformen 44, die sich gleichermaßen an alles Seiende anlegen ließen und auf die zu und von denen her sich das Seiende solange herauf und herabberechnen ließe, bis auch der Gott entweder auf einen Rechner oder auf einen Berechneten, d.h. auf einen Berechnenden oder Berechneten reduziert würde. Im Ereignis-Denken geschieht der erfahrende Entwurf „nicht in der Richtung des Vorstellens eines allgemeinen Wesens (γένος), sondern im ursprünglich-geschichtlichen Eingang in die Augenblicksstätte des Da-seins" (GA 65, 374). Der Raum und die Zeit des Brautfestes sind selbst geschichtlich. Der Fest-Raum und die Fest-Zeit ereignen sich aus und mit dem Ereignis des Festes selbst. Deshalb fährt Heidegger fort: In der Entgegnung kommen die Menschen und die Götter weither einander entgegen; und dieses Weither ist keineswegs das, was hinter ihnen liegt, sondern das ist der Raum, den sie einander entgegenbringen, ohne ihn selbst gefunden und geöffnet zu haben. Entgegnung ist die wechselweise Übereignung des Wesens in den erst sich entbreitenden und zum Gefüge kommenden Wesensraum. (GA 52, 77)
Die Ankunft der Götter ereignet sich also nicht von irgendwoher, weder aus einem überweltlichen oder unterbewußten Fundus noch als eine kausale Herauf44
1 . Kant, KdrV, Β 323.
§ 19 Die Nacht als der Zeit-Raum des feiernden Andenkens
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und Herabbeschwörung aus der Ober- oder Unterwelt. Sie ereignet sich auch nicht irgendwann zu einem bestimmbaren Zeitpunkt auf der Zeitgeraden. Der Äugenblick der festlichen Entgegnung entzieht sich vielmehr der „Zeitrechnung" (GA 52, 80). 45 Doch auf welche Weise geschieht das unverfügbare Einander-Entgegen-bringen der festlichen Augenblicksstätte in der Weile des Schicksalsausgleichs, wenn nicht an einem bestimmten Ort zu bestimmter Zeit? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir auf die „Beiträge" zurückgreifen, um das dort Gesagte sodann am „Phänomen" der Nacht zu „konkretisieren". Unterdessen darf die Rede vom „konkretisierten" „Phänomen" nicht dazu verführen, sich eine „irgendwann" in der Zeit „irgendwo" im Raum vorfindliche Nacht vorzustellen. Das seinsgeschichtliche Denken des Fest-Raumes und der Fest-Zeit findet weder einen Raum und eine Zeit vor, noch sucht es, den Raum der Entgegnung erlebbar zu machen, d.h. zu organisieren. Wenn Raum, Zeit und Wahrheit in einem innigen, gleichrangigen und gleichursprünglichen Zusammenhang stehen, dann müssen Raum und Zeit ebenso geschichtlich sein, wie die Wahrheit selbst. So wie der Zeit-Raum aus dem Wesen der Wahrheit entspringt und ihm zugehörig ist, so läßt sich umgekehrt die Wahrheit nur im „Begreifen des Zeit-Raumes" (GA 65, 372) sagen. Der Zeit-Raum ist das in und aus seinem Wahrheitsbezug „gegründete Entrückungs-Berückungsgefüge (Fügung) des Da" (GA 65, 371), wobei die zeitigende Entrückung und die räumende Berückung aus ihrer Herkunft im Ereignis, d.h. innerhalb der Kehrungsbahnen von Zuwurf und Entwurf, zu denken sind. Der Zeit-Raum ist gleichsam „die ereignete Erklüftung der Kehrungsbahnen des Ereignisses, der Kehre zwischen Zugehörigkeit und Zuruf, zwischen Seinsverlassenheit und Erwinkung [...] Nähe und Ferne, Leere und Schenkung, Schwung und Zögerung" (GA 65, 372).Zur Wesung der Wahrheit, sofern sie als Grund geschieht, gehört als erste, beginnliche Geschehensweise der Ab-grund als „die ursprüngliche Wesung des Grundes" (GA 65, 379). Wird daher der Zeit-Raum als Ab-grund begriffen und kehrig vom Zeit-Raum her der Ab-grund bestimmter gefaßt, so eröffnet sich damit der kehrige Bezug und die Zugehörigkeit des Zeit-Raums zum Wesen der Wahrheit. Aus dem Ab-grund als der ursprünglich einigenden Einheit von Raum und Zeit, die beide erst in ihre Geschiednis auseinandergehen läßt, wird auch deren Gleichursprünglichkeit offenbar. Als die den Zeit-Raum ursprünglich in sich einigende und auseinandergehen lassende Einheit ist der Ab-grund zugleich „das ursprüngliche Wesen des Grundes, seines Gründens, des Wesens der Wahrheit' (ebd.). In der festlosen Zeit west der noch nicht eigentlich gründende Grund als der weg-bleibende Grund. Doch weist er voraus auf den mög-
45 Hierin liegt wohl auch einer der „Gründe" für die „Vieldeutigkeit" der Prophetie, die weniger daher rührt, daß sich die Zukunft nicht auf den exakten Zeitpunkt und Ort vorhersagen ließe, sondern weil das Künftigende den Zeit-Raum des Geschehens erst noch aus sich hervorgehen läßt, genauer, weil Prophetien selbst erstwesentlich einen Zeit-Raum sagen, aus dem erst Momente, Positionen und Situationen hervorgehen.
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Hauptstück, Kap.
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das Ereignis
liehen, eigentlich gründenden, in erfüllter Weise wesenden Grund. Sowohl in seinem Ausbleiben in der Epoche der Seinsverlassenheit als auch in dem in der übergänglich sich öffnenden vollen Wesung des Seyns waltenden Entzug ist der Grund „das Sichverhüllende - Aufnehmen, weil ein Tragen, und dieses als Durchragen des Zugründenden. Grund: das Sichverbergen im tragenden Durchragen" (ebd.). Erst als ein sichverhüllender vermag der Grund aufhehmendtragend die zugründende Wahrheit des Seyns zu durchragen. Der Grund holt das in der Wahrheit offenbare Seiende aus seiner grund-losen Seinsverlassenheit zurück in die erfüllte Bergung seines Wie- und Was-seins. Noch versagt sich der Grund. Doch ist seine denkende, dichtende oder feiernde Widerfahrnis als eines ausbleibenden, sich in seinem vollen Gründen versagenden, „nicht nichts, sondern eine ausgezeichnete ursprüngliche Art des [Noch-] Unerfüllt-, des Leerlassens; somit eine ausgezeichnete Art der Eröffnung" (ebd.). In seiner Leere weist der sichversagende Grund in die Fülle eines möglichen im Dichten vor-her-zu-sagenden, im Denken vor-her-zu-denkenden und im Feiern vor-herzu-bereitenden Wesens. Das andenkend bedachte Sichversagen eröffnet die Offenbarkeit der Wahrheit des Seyns erstmals als eine noch-unerflillte, nochleergelassene und verweist auf deren mögliche Erfüllung. „Der Ab-grund ist Ab-grund. Im Sichversagen bringt der Grund in einer ausgezeichneten Weise in das Offene, nämlich in das erst Offene jener Leere, die somit eine bestimmte ist" (GA 65, 379 f.), und zwar als die zögernde Versagung des Grundes. Diese zögernde Versagung des Grundes „ist der Wink, in dem das Da-sein, eben das Beständnis der lichtenden Verbergung, erwunken wird, und das ist die Schwingung der Kehre zwischen Zuruf und Zugehörigkeit, die Er-eignung, das Seyn selbst" (GA 65, 380). Wie der ereignishaft gedachte Gruß, so ist auch der Wink aus dem Bezug des ereignenden Zuwurfs zum daseinsmäßigen ereigneten Sichverhalten zu ihm zu denken. Beider Botenschaft und Botschaft schwingt in den hermeneutischen Kehrungsbahnen des Ein-fahrens in die Wesung des Ereignisses. Während aber der Grüßende zurückbleibt und das Gegrüßte durch seinen Gruß in seinen Wesensort einläßt, setzt der Winkende das im Wink Gewunkene in eine Be-wegung. Aus dem Wink der sichlichtenden zögernden Versagung wird das wink-erfahrende Da-sein erwunken, d.h. ereignet als das Da-sein der als Da waltenden zögernden Versagung, die es existierend zu bestehen hat. Auch hier geschieht das Beständnis in der Weise der entwerfend-eröffnenden Übernahme des sich dem ereigneten Entwurf zuwerfenden Da als der jeweils geschichtlich wesenden Wahrheit für das zu entwerfende Sein. In dieser Übernahme steht das Da-sein jeweils sein Da aus, d.h. übergänglich ist es die ab-gründig sichöffnende zögernde Versagung selbst, in die es hereingewunken wird. Im existierenden Entwerfen (-sein) der sich zuwerfenden zögernden Versagung (Da-) wird das Dasein erst zu dem, was es geschichtlich gegenwärtig sein kann. So eröffnet sich im Bestehen des zögernd sichversagenden Grundes, d.h. im Aus-stehen des Abgrundes, dem Da-sein der Wink erstmals als Zuruf. Erwunken rückt das Da-sein selbst in die dem Zuruf kehrig entsprechende Zugehörigkeit ein. Hierbei nennen
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Zuruf und Zugehörigkeit die Ereignung, das Seyn selbst, d.h. das im Vor-denken sich eröffnende Ereignis in seinem vollen, aus der geschichtlichgegenwärtigen Wesung als Enteignis sich zurückholenden Wesung. Indem es des un-gründenden Un-grundes entsetzt und in den Ab-grund als Ab-grund versetzt wird\ vermag es vor-feiernd oder vor-denkend die unverfügbare Wiedergewährung des gründenden Grundes zu bereiten. Denn die Ergründung des
Grundes muß „den Sprung in den Ab-grund wagen und den Ab-grund selbst ermessen und bestehen" (GA 65, 380). Die Gründung gründet im ereignenden Zuwurf, der als solcher im Ergründen vom Da-sein er-reicht und übernommen wird. Wir hatten bereits die ereignishaft-stimmende Erfügung der wesenhaften Entund Verrückungen des feiernden Freiwerdens vom Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche herausgearbeitet. Nun gilt es zu zeigen, wie in diesen ereignenden Ver-rückungen das Erfügen des Ab-grundes als Zeit-Raum geschieht, d.h. in der zeitigenden Entrückung in die drei Entrücktheitsweisen der ursprünglichen Zeit und in der räumenden Berückung in das Berücktsein des ursprünglichen Raumes. Indem der Zeit-Raum im Ab-grund aufklafft, wird die Augenblicksstätte der Entscheidung bereitet, da sich entscheidet, ob der Grund gründet oder ausbleibt.Wir hatten ausgeführt: Insofern die Leere des Ab-grundes eine aus dem stimmenden Ereignen des ereignenden Zuwurfs gestimmte und gefügte ist, wird das Da-sein im ereignenden Zuwurf der sich zögernd lichtenden Verbergung zum Sprung in den Ab-grund erwunken. Gegrüßt-grüßend wird es des Entzuges gewahr, der im verwohnten Gewöhnlichen waltet. Im Einsprung in diese Leere bereitet es die Erspringung einer unverfügbaren Fülle. Durch die Übernahme des Zuwurfs eröffnet sich das Da-sein im ereigneten Entwurf der sich aus dem stimmenden Erfügen zuwerfenden Wahrheit für das Seyn. Das so erfügte feiernde Ansichhalten gründet nun den Zeit-Raum als die Augenblickstätte der Entscheidung, ob Geschichte oder Geschichtsverlust, ob Zugehörigkeit zum Sein oder Verlassenheit im Unseienden, ob der Ab-grund auf den gründenden Grund als Wahrheit des Seyns weist oder nicht und d.h. ob die Geschichte noch einmal so west, daß sich durch den Gruß des Heiligen nochmals die Götter den feiernden Menschen übereignen. So ist der sichlichtende Ab-grund „ursprünglich die Ferne der Unentscheidbarkeit darüber, ob der Gott von uns weg oder auf uns zu sich bewegt" (GA 65, 382). Weil der Ab-grund in der Weise der Zeitigung und Räumung gründet, muß seine feiernd grüßende Erwinkung aus der Zeitigung als dem zeitigenden Entrücken und der Räumung als dem räumenden Berücken gedacht werden. Dabei hält sich der Ab-grund im in sich gegenwendigen Bezug der ereignenden Entrückung zum ereigneten Entrücktsein und der ereignenden Berückung zum ereigneten Berücktsein. Das Sichversagen als das in sich dreifach zeitigende Entrücken in das dreifach sichzeitigende Entrücktsein geschieht erstens als das Entrücken in die Künftigkeit als dem Entrücken des Da-seins in das Erharren oder Erwarten des Zurufs des Seyns; zweitens als das Entrücken in ein Gewesendes
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als das zeitigende Entrücken des Da-seins in die Entbehrung oder in das Erinnern der Zugehörigkeit des Da-seins zum Seyn und drittens als das Entrücken in die Gegenwart als der Einrückung des Da-seins in die Erfahrung der Seinsverlassenheit. So fassen wir die Entrückungsbewegungen als das jeweilige zeitigend-ereignende Entrücken erstens im Gegenschwung zum ereigneten sichzeitigend-erwartenden, darin auf-sich-zukommenden Entrücktsein in den künftigenden Zuruf; zweitens im Gegenschwung zum ereigneten sichzeitigenderinnernden, auf sich zurückkommenden Entrücktsein in die gewesende Zugehörigkeit; drittens im Gegenschwung zum ereigneten sichzeitigend-erfahrenden, gegenwärtigenden Entrücktsein in die widerfahrende Gegenwart der Seinsverlassenheit. Die in sich ursprünglich erinnernd-erwartende Gegenwart des Feierns ist der gewesenden Zugehörigkeit zum Seyn und des künftigenden Zurufs trächtig. Sie ist also „kein bloßes Versinken und Ersterben in einem Nichthaben, sondern umgekehrt, die aufgerichtete und allein in die Entscheidung hinausgerichtete Gegenwart: Augenblick. In diesen sind die Entrückungen eingerückt, und er selbst west nur als die Sammlung der Entrückungen" (GA 65, 384). Der Sinn des Offenstehens, d.h. des aufgerichteten Hinausgerichtetseins in die noch ausstehende Entscheidung, erfüllt sich in der Ganzheit von entrückender Widerfahrnis der Seinsverlassenheit und erfahrendem Entrücktsein in sie. In dieser Hineingehaltenheit in und Sammlung auf erst kommen Zukünftigendes und Gewesendes zu dem, was sie für eine bergend-gründende Erfahrung jeweils sind.Vom Sichversagen hieß es nun aber, der Kehrigkeit zwischen zeitigender Entrückung und räumender Berückung, zwischen Ab-grund und Ab-grund gemäß, es „versagt sich zögernd, es schenkt so die Möglichkeit der Schenkung und Ereignung" (GA 65, 384). Die Eröffnung der Augenblicksstätte als solcher ist schon ein Geschenk, doch nicht bereits im Sinne des Anfalls des Seyns, sondern insofern, als sie den unverfügbaren Bereich schenkt, innerhalb dessen Ankunft oder Ausbleib der anderen, geschichtegründenden Schenkung gewährt wird. Indem wir feiernd von uns weg in das Versagen gerückt und hineingerichtet werden, voll-zieht sich die Bewegung „vom" Ent-rücken „zum" Be-rücken. In ihrem Auf-uns-zurücken trifft die berückende Zögerung das ent-rückte Dasein derart, daß sie das Entrücktsein berückt, d.h. rücken läßt in das, was es als solches ist und sein kann. Das berückende Auf-uns-zurücken der sichschenkenden Möglichkeit der seinsgeschicklich-kehrig sich ereignenden Schenkung erfüllt den ursprünglichsten Sinn des Zögerns im Sichversagen. Wie in der Entrückung der Augenblick die beiden anderen Entrücktheitsweisen in sich sammelt, so ist die Berückung „der ümhalt, in dem der Augenblick und damit die Zeitigung gehalten wird" (GA 65, 384). In diesem Umhalt wird das dreifach gesammelte zeitigende Entrücktsein gehalten. Während im Versagen der Zug des äußersten Entzuges liegt, scheint im Zögern eine Möglichkeit auf. Inwiefern? Insofern als das Zögern als ein Einhalt, d.h. als ein mögliches Innehalten im ziehenden Zug des Entzuges geschieht. Deshalb kann Heidegger sagen, diese Berückung gebe die Möglichkeit der Schenkung als wesender
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Möglichkeit, d.h. als wesender und währender Ereignung zu. Indem die Möglichkeit der gründenden Ereignung in der räumenden Berückung eingeräumt wird und im ziehenden Zug des Entzuges das Sich versagen aufleuchtet, wird der scheinbar unaufhaltsame Zug des Sichentziehens auf-gehalten, d.h. festgestellt.46 Diese Fest-stellung kommt, obschon sie in der ab-gründenden Gründung geschieht, aus der eingeräumten Möglichkeit der gründenden Ereignung. Hierbei stellt das berückende Einräumen der Möglichkeit der gründenden Ereignung die Seinsverlassenheit umhaltend und aushaltend fest und aus (Aushalten, Durchhalten, Bestehen, Ertragen oder Erleiden vs. Abkehr, Flucht).Aus dem, was hier hinsichtlich der Fuge des Seyns zur Fest-stellung des in der zeitigenden Entrückung erfahrenen Entzuges aus der räumenden Berückung gesagt wird, erhellt sich Heideggers (etymologisch unfundierte) Rede von der Er-festigung
des Schicksals
im Fest im „Andenken"-Vortrag. Im Fest als der
sich als Gruß des Heiligen ereignenden Entgegnung von Göttern und Menschen, „erscheint das Feste, worin der Wesensursprung des Dichters sich erfestigt" (GA 4, 148). Dieses Feste aber verstehen wir nun als die Augenblicks-Stätte der Entscheidung zwischen der sich ereignenden oder versagenden Wiederkunft des Brautfestes und der Ver-festigung ins Zwanghafte von Machenschaft und Erlebnis und dem aus ihnen sich ereignenden Enteignis. Die Augenblicksstätte ist demnach die Stätte der sichereignenden Möglichkeit, hinsichtlich derer sich entscheidet, ob sie lediglich eine Möglichkeit des Ab-grundes bleibt oder ob diese sich in die Möglichkeit eines gründenden Grundes verwandelt. „Der ZeitRaum als die Einheit der ursprünglichen Zeitigung und Räumung ist ursprünglich selbst die Augenblicks-Stätte, diese die ab-gründige wesenhafte Zeit-Räumlichkeit der Offenheit der Verbergung, d.h. des Da." (GA 65, 384) 47 Von den „Beiträgen" herkommend können wir also sagen: Im feierlich gestimmten Freiwerden vom Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche wird es „geräumig, luftig um den Menschen", weil das ent-rückte Sichzeitigen in der Ver-rückung aus dem Verödeten und Verwohnten ab-gründig be-rückt wird durch das be-rückte Raumnehmen. Hierbei kommt der Berückung das am nächsten, was die Religionshistorie mit dem Terminus „Epiphanie" zu fassen sucht: das Kommen, die Ankunft des Göttlichen in die Sphäre des Seienden. Desgleichen erinnert die Entrückung an die mystische Versenkung oder die mantische 46
Unter Fest-stellung versteht Heidegger hier natürlich das schlechthinnige Gegenteil der wissenschaftlichen Feststellung, die das Seiende in das völlig ungeschichtliche Koordinatenkreuz des physikalischen Raumes und der physikalischen Zeit stellt. 47 In ihrer Gegenwendigkeit sind Raum und Zeit in ursprünglicher Weise sowohl aufeinander verwiesen als auch voneinander geschieden. „Der Zeit-Raum ist der berükkend-entrückende sammelnde Umhalt." (GA 65, 386) Der Raum geschieht als die berückende Ab-gründung des Umhalts „in die Zeit hinein"; die Zeit geschieht als die entrückende Ab-gründung der Sammlung „auf den Raum zu". Doch ist die räumende Berückung ebenso „abgründiger Umhalt der Sammlung", ohne deshalb entrückend zu zeitigen, wie die zeitigende Entrückung „abgründige Sammlung auf den Umhalt" (GA 65, 385) ist, ohne deshalb berückend einzuräumen.
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Ekstase des Sehers in seinem „außer-sich-Sein". Doch schränken die gängigen „Auslegungen" von Epiphanie und Ekstase das Ab-gründige des ursprünglichen Raumes und der ursprünglichen Zeit aus, selbst wenn es solche „originärer" Widerfahrnis bzw. „originären" Mit- und Nachvollzuges sein mögen. Sie verlegen den jeweiligen Ausstand in einer Weise in das „Ontische", die bei den Hörenden den Eindruck erwecken kann - und zuweilen auch soll! -, man müsse sich und die Welt in einen bestimmten Zustand versetzen, der das „Wo?" und „Wann?" des Wunsches in ein „Hier!" und „Jetzt!" der Erfüllung umschlagen lasse. Nach Heidegger aber schließen das überlieferte Noch-nicht und das Nicht-mehr der Zeit und das Hier und Woanders des Raumes gerade das aus, was ihre Geschichtlichkeit ausmacht. Indem ihre Rede - einer phänomenologisch-hermeneutischen Betrachtung zufolge - nicht die Wahrheit, den Raum und die Zeit in die in sich geschiedene Zusammengehörigkeit der Fuge des Seyns fügt, vereitelt sie das Sichschicken des Schicklichen, d.h. des Heiligen, aus dessen Gruß allein sich die festliche Entgegnung ereignet. Im ersten Anfang dagegen weste das „Eigene und dem Geburtsland der Griechen Wesentliche" als „das glühend berückende und lichtend entzückende himmlische Feuer: das Erglänzen der goldenen Träume" (GA 52, 130). Im lichtenden Entzücken erkennen wir nun die festlich-götternde Geschehensweise der zeitigenden Entrükkung, im glühenden Berücken die festlich-götternde Geschehensweise der räumenden Berückung. Dabei liegt im lichtenden Ent-zücken die freudigschaudernde Erwartung der plötzlichen und alles er- und überleuchtenden BlitzEinschläge des Gottes, die aus dem glühend-berückenden Glanz des Naturheiligen aufglänzen. Aus der Spannung des zeithaft-ekstatischen Entrücktseins in ihrem Gegenhalt zum raumhaft-glühenden Berücktsein schlagen die Blitze des Göttlichen in das erstanfängliche Feiern ein und eröffnen den Zeit-Spiel-Raum festlicher Entgegnung. Beim Feiern der Epoche aber, da sich der Götterfesttag in eine Götternacht gekehrt hat und der Ab-grund zum Un-grund verstellt wurde und wird, muß dem zeitigenden Entrücken als einem sichversagenden und dem räumenden Berücken als einem zögernden feiernd entsprochen werden. Während sich dieses feiernd-festbereitende Entsprechen denkerisch in dem vollzieht, was das Ereignis-Denken die Gleichzeitigkeit von Sein und Seiendem nennt, vollzieht es sich feiernd im Sagen der Meinung des Herzens und im Andenken an die gewesenen Taten. Im andenkenden Gespräch mit dem griechischen Brautfest von Göttern und Menschen klingt eine mögliche epiphanischekstatische Durchgötterung des Seienden an, in der Götter und Menschen das Seiende heiligen. Dabei bleiben Ding und Gott in ihrer Innigkeit ebenso geschieden wie Sein und Seiendes beim Denken. Wie das Glücken dieses Denkens stets in der Gefahr schwebt, entweder im Ontologisch-Formalen zu verbleiben oder sich an das Ontisch-Konkrete zu verlieren, um somit sowohl das Ontologische als auch das Ontische in ihrem formal-anzeigenden Aufeinanderverwiesensein zu verfehlen, so kann sich auch das Feiern - ohne das gegrüßte Grüßen des Heiligen - entweder an das gefeierte Seiende oder an die im Fest götternden Götter verlieren, um so die Götter zu vergegenständlichen und die Dinge zu
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vergötzen. Deshalb übt sich der Gottesdienst und die Feier des Denkens in der Abkehr vom denkerischen Erfassenwollen des Göttlichen. Es wird zur Aufgabe des Fest-Denkens, dem Geschehen der Götterung eine Augenblicks-Stätte zu bereiten, die zu öffiien, zu gründen und zu schmücken der Gunst einer unverfügbaren Schickung aufbehalten bleibt. Die vermeintliche Beliebigkeit, die in dieser Unverfügbarkeit liegt, ist die einzige Verbindlichkeit, die das Denken und das Wissen von seinem unfeierlichen Despotismus abhalten kann; sein angestammter Ort sind die Propyläen, die Vorhallen bzw. Vorfeste. Übergängliches Denken und übergängliches Feiern bereiten sich ihren Zeit-Raum aber im Andenken an die Nacht.
b) Die Nacht als Nacht
Auch in den „Beiträgen" spricht Heidegger von der Nacht. So kennzeichnet er die Seinsverlassenheit als „die erste Dämmerung des Seyns als Sichverbergen aus der Nacht der Metaphysik, durch die das Seiende sich in die Erscheinung und damit in die Gegenständlichkeit vordrängte und das Seyn zum Nachtrag in der Gestalt des Apriori wurde" (GA 65, 293). Die Metaphysik ist insofern eine Nacht, als sie zur Verdunkelung der ά-λήθεια als jenes im Gegenspiel zur λήθη stehenden Wechselspieles von Entbergung und Verbergung führte, in deren Zeit-Spiel-Raum das erstanfängliche Feiern spielte. Indem er sich in leicht mißverständlicher Weise um „das Nennen des Anschaubaren" (GA 65, 486) bemüht, spricht Heidegger das Feuer an, das seinen eigenen Herd erst ausbrennt in die gefügte Härte einer Stätte seiner Flamme, deren steigendes Lodern sich in die Helle ihres Lichtes verzehrt und darin das Dunkel ihrer Glut erglühen läßt, um als Herdfeuer die Mitte des Zwischen zu hüten, das den Göttern die ungewollte, jedoch nötige Behausung, dem Menschen aber das Freie der Bewahrung dessen wird, was erdhaft - weltlich, das Wahre verwahrend, in dieser Freiheit als das Seiende entsteht und vergeht (ebd.).
Wie der Ofen im Ausgebranntwerden durch das lodernde Feuer erst seine zur Feuerstatt gefügte Härte empfängt, um alsdann die Flamme hüten zu können, so muß sich das sogenannte Seiende am Sein brechen, um in das Gewicht des ihm zugestandenen Wesens zurückgeworfen zu werden. D.h. das Sein (Feuer) gewährt demjenigen Seienden (Herd) zuallererst sein Wesen, welches einst seine Wesung behüten soll. In der Festlosigkeit der gegenwärtigen Epoche gibt es (im Sinne des „Es gibt" des Ereignisses als Enteignis) eine Möglichkeit zur Ankunft des Göttlichen. Diese Möglichkeit liegt gerade im Enteignis, d.h. in der Verbergung im Sinne der Verstellung. Insofern diese den Menschen in die Entscheidung zwischen besinnlichem und machenschaftlich-erlebnishaftem Feiern stellt, wächst in der Gefahr „das Rettende auch", d.h. die Möglichkeit zur Vorbereitung eines andersanfänglichen Verbergungs-Entbergungs-Geschehens. Das anfängliche Wesen der Wahrheit ist verdunkelt, das Herdfeuer des Seyns fast erloschen. Wie ist das Seyn wieder zu finden, „das Herdfeuer in der Mitte der Be-
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hausung der Götter, welche Behausung zugleich ist die Befremdung des Menschen (das Zwischen, in dem er ein (der) Fremdling bleibt, gerade wenn er zum Seienden heimisch wird)" (GA 65, 486 f.)? Müssen wir, um das Feuer zu finden, ein Feuer anzünden, oder müssen wir nicht eher uns fugen, zuerst die Nacht zu behüten? Damit den falschen Tagen der Alltäglichkeit gewehrt sei, deren falscheste jene sind, die auch die Nacht zu kennen und zu besitzen meinen, wenn sie diese mit ihrem geborgten Licht erhellen und beseitigen. (GA 65, 487)
Ein Andenken, das den Übergang in ein übergängliches Festwesen zu bereiten sucht, sei es nun ein dichtendes, denkendes oder feierndes Andenken, behütet die Götternacht. In der erwartenden Suche, Wacht und Hut wird aus der gleisnerischen Unnacht eine der Wiederkunft trächtige heilige Nacht. Zwischen den falschen Tagen der Alltäglichkeit, die die Nacht mit technischer Finesse überblenden und beseitigen, und der machenschaftlich-erlebnishaften Vielwisserei der Seinsvergessenheit besteht mehr als ein metaphorischer Bezug. Die Bedeutsamkeit der Nacht beschränkt sich nicht einfach auf „ein ,Bild' für die Abwesenheit der Götter, sondern die Nacht ist der Zeit-Raum des ganz eigenen Bezugs zu den Göttern und vor allem zu dem, was das Entgegenkommen der Götter und Menschen trägt und bestimmt" (GA 52, 87). 48 In der gegenwärtigen Epoche ist dieser eigentümliche Bezug verstellt. Das die festliche Götterung tragende und bestimmende Heilige fehlt. Indem der Mensch durch Elektrizität, gleitende Arbeitszeit und Freizeitgestaltung die Nacht zum Tage macht, überblendet er nicht nur die Gestirne. Er verdunkelt auch den Tag. Tag und Nacht kommen im widerstrebenden Zusammenspiel ihres Einander-zugetraut-seins (VuA, 195) nicht in den Übergang. Sie werden nicht mehr versöhnend freigegeben „in das je eigene Recht ihres Wesens" (GA 52, 86) und nicht mehr in das Gleiche ihres Wesens zurückgestellt. Sie verlieren sich in ein machenschaftliches „Und-so-weiter, das weder Tag noch Nacht ist" (GA 65, 263). Damit in eins verwischen die ihnen einst eigenen Weisen der Näherung und der Fernung. Für Hölderlin jedoch nennen „Nacht und Tag" die Zeiträume des Dunkels und der Helle, des Verschlossenen und Geöffneten, des Verborgenen und Enthüllten, des Fernen und Nahen. Aber all dies in Bezug auf die Entgegnung der Götter und Menschen, also im Hinblick auf das Fest. (GA 52, 87)
„Ferne" und „Nähe" thematisiert Heidegger bereits in „Sein und Zeit" als Charaktere des Zuhandenen des alltäglichen Umgangs in seinem umsichtig „berechnenden" Hantieren und Gebrauchen. Das innerweltliche, in seinem Wassein durch die Zeugstruktur und in seinem Wie-sein durch die Zuhandenheit bestimmte Seiende begegnet wie folgt: Jedem Zuhandenen kommt in seinem Zeugzusammenhang eine je eigene Nähe zu, die sich aus seinem spezifischen besorgenden Umgang und der ihn leitenden Bewandtnisverweisung bestimmt. 48
Dessen ungeachtet spricht E. Kettering vom „Bild der ,Weltnacht'" (E. Kettering, Nähe als Raum der Erfahrung des Heiligen. In: Auf der Spur des Heiligen, S. 15).
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Das in dieser Hinsicht Nahe wird in der Umsicht des Besorgens zugleich hinsichtlich einer Richtung fixiert, in der das Zeug jederzeit zugänglich ist. Jedes Zuhandene Zeug wird in Richtung auf einen Zeugzusammenhang entdeckt. Die Ausrichtung dieses Entdecktseins innerhalb des Zeugganzen ist der aus der Bewandtnisstruktur der Zeughaftigkeit des Zeuges vorgezeichnete Platz. Dieser Platz gehört wiederum in eine dem jeweiligen Bewandtnis- und VerweisungsZusammenhang im Zeugganzen gemäß aufeinander ausgerichteten Mannigfaltigkeit von Plätzen {Platzmannigfaltigkeit). Das umgreifende Wohin des Zeugzusammenhangs aber ist als Platzmannigfaltigkeit die Gegend. Zu diesen kategorialen Raumphänomenen gehören nun korrelativ die existenzialen Raumphänomene, durch die das innerweltliche Seiende in seiner ausgerichteten Nähe in seinem Platz entdeckt wird. Diese aktiv und transitiv zu verstehende Näherung oder Ent-fernung läßt sich auch als das Verschwindenlassen von Ferne im Sinne des Entdeckens aus der Unentdecktheit verstehen. Dabei entspricht der Richtung die Ausrichtung als ein Aufnehmen der Richtung in die Gegend, in welcher der Zeugzusammenhang angetroffen wird. Doch wird das ausrichtende Ent-fernen des umsichtig besorgenden Umgangs in „Sein und Zeit" noch unter dem Primat der Zeitlichkeit vor der Räumlichkeit als das Transzendieren auf einen Horizont hin verstanden (SuZ, 369). Mit der Erfahrung der Geworfenheit aus dem Zuwurf und der zusammengehörig-geschiedenen Gleichursprünglichkeit von Wahrheit, Zeit und Raum dagegen wandelt sich die welthafte Bedeutsamkeit der Weltgegenden von Nacht und Tag. Ihr Wahrheitscharakter entfaltet sich, genau genommen, noch zwei Mal: das erste Mal im immanenten Wandel von der Gegend als eines ekstatisch-transzendental gefaßten Horizontes in das Wahrheitsgeschehen des Urstreites zwischen der Unverborgenheit und der Verbergung der lichtenden Versagung, aus dem wiederum der Streit von Erde und Welt entspringt; das zweite Mal in der völligen Entfaltung dieses Streitgeschehens in das Spiegel-Spiel der vier Weltgegenden von Erde, Himmel, Sterblichen und Göttlichen. Doch bleiben auch in der letzten Ausgestaltung, auf die Heidegger sich in der „Andenken"-Vorlesung bereits zubewegt, die existenzialen Sorgestrukturen erhalten.Dementsprechend verstehen wir Tag und Nacht als zwei welthaft bedeutsame Gegenden der Sonne, in deren Platzmannigfaltigkeit dem umsichtigen In-der-Welt-sein je schon Rechnung getragen ist. „So hat die Sonne, deren Licht und Wärme im alltäglichen Gebrauch steht, aus der wechselnden Verwendbarkeit dessen her, was sie spendet, ihre umsichtig entdeckten ausgezeichneten Plätze: Aufgang, Mittag, Niedergang, Mitternacht." (SuZ, 103) Aus diesen Himmelsgegenden wird nun sowohl die Ausformung der mit Plätzen versehenen Gegenden vorgegeben als auch die jeweilige Hinsicht der ausrichtenden Näherung. Weil aber die vorgängige Zuhandenheit der jeweiligen Gegend den „Charakter der unauffälligen Vertrautheit (SuZ, 104) hat, kommen die Sorge und das besorgte Seiende erst in ihren defizienten Modi vor den Blick. Als einen solchen Modus können wir, neben Phänomenen wie der Auffälligkeit und Aufsässigkeit, die mit der Dämmerung
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2. Hauptstück, Kap. : Das andenkende es
das Ereignis
hereinbrechende Abwesenheit des Lichtes bezeichnen. Diese bewegt das Dasein dazu, aus dem eingeräumten Raum auf den belegten „Platz" und das mit ihm entdeckte Seiende zurückzukommen, dies aber nur solange, bis es sich von neuem entdeckend auf die Gegend der Nacht ausgerichtet hat. Mit dem Hereinbrechen der Dunkelheit entdeckt das Dasein „den in Ausrichtung und Ent-fernung geöffneten Spielraum des Umkreises des nächstbesorgten Zeugganzen" (SuZ, 369) neu. Das an das besorgte Zeug verfallene Besorgen wird vorerst vom Besorgten abgedrängt und entfernt, dann aber durch anderes Zuhandenes, wie Feuer, Kerze oder Lampe, selbst wiederum zurückgedrängt. Dennoch tut sich dabei die Möglichkeit zur eigentlichen Zeitigung auf. Bei Tage sind die Dinge hell erleuchtet und griffbereit. Verschlossenheit und Verbergung im gemeinen Sinne gibt es nur als perspektivische Abschattung, als Schattenphänomen oder im Sinne der zeitlichen oder räumlichen Abwesenheit. Die Ferne ist erfüllt von Dingen, die ständig zum Anlaß einer Näherung werden können. Der Nacht hingegen muß der Zugriff zu den alltäglichsten Dingen abgerungen werden. Das Helle ist - abgesehen von den „Festbeleuchtungen" der Zivilisation - lediglich ein Hof, d.h. eine lichte Gegend inmitten der Nacht, die auf das Nahe zwingt und eine abgründige Ferne, d.h. Abwesung des Lichtes, um uns verbreitet. Indem die Nacht dem alltäglichen Besorgen seine allzugeschäftigen Handgriffe entzieht, in der Nähe das Wenige und die Wenigen erleuchtet und in der Ferne einen Abgrund aufgähnen läßt, hat sie etwas Ent-setzliches. Zuerst ent-setzt sie uns der gewöhnlichen Handgriffe und macht andere erforderlich. Wenn aber ein Spiel- und Bewegungsraum inmitten der Nacht eröffnet ist, gewährt sie Raum für Anderes. Um die im Freiraum und der Freizeit erfahrenen Dinge kann sich nun ein atmosphärischer Hof bilden, der sich nicht auf die alltägliche Besorgbarkeit beschränkt. Abgesehen davon, daß die in ihr dräuende oder aus ihr heraufbeschworene Gefahr Furcht und Entsetzen oder umso wildere Überblendung auslösen kann, kann vor, in und aus der Nacht eine besondere Fernung und Näherung geschehen. Aus der Nacht, wie sie für die Nordeuropäer aus dem Tage geboren wird oder wie sie für den Südeuropäer den Tag gebiert, kann das Andenken an Gewesenes oder Künftiges aufsteigen, an die Taten und die Liebe, die geschahen und geschehen werden. Die hereinbrechende Nacht zwingt zur Sammlung, „ohne Gewalt anzuwenden", und „läßt uns Zeit zum Nachsinnen, indem sie den Schritt verlangsamt" (GA 77, 107). In der herrlich heraufglänzenden Nacht überstaunen uns die Sterne. „Für das Kind im Menschen bleibt die Nacht die Näherin. Sie nähert so, daß Stern bei Stern im stillen Licht erglänzen." (GA 77, 156) Indem sie die Lichter ohne Naht und Saum und Zwirn zusammenfügt, d.h. nähernd näht, fernt sie zugleich die Tiefen der Höhe. Erstaunend (transitiv) eröffnet sie das Verschlossene in gleicher Weise, wie das gelassene Warten die Ankunft verwahrt. So läßt die Nacht das Menschenwesen „dort/7/>? vereignet" bleiben, „woher wir gerufen sind" (GA 77, 157).
§ 19 Die Nacht als der Zeit-Raum des feiernden Andenkens
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Der Mensch kann sich aufbäumen gegen die Nacht und sie durch gleisnerische Beleuchtung und Blendwerk überblenden. Doch wird er Gefahr laufen, damit in eins die zu jeder Entbergung gehörige Verbergung zu überblenden und somit stets nur sich selbst zu blenden. Er kann aber auch aus Furcht oder Dünkel der Dunkelheit anheimfallen und in anderer Weise Gefahr laufen, die Verantwortung zur Gründung und Bergung zu überhören. Anstatt sich aber „gleich wissen- und besinnungslos dem bloßen Tag oder der bloßen Nacht [zu] überlassen" (GA 52, 87), ist es sein Geheiß, dem Schlummer und dem Wegsinken in den Schlaf zu widerstehen und die Nacht als den Zeit-Raum
eines einzigartigen
Wachens wesen zu lassen. In den Nachtwachen für das Schicksal möchte die Nacht selbst bewacht und behütet werden. Wenn der Mensch derart wachend die Nacht darin wesen und währen läßt, wie sie die Dämmerung des Abends in den Untergang übernimmt und die Dämmerung in den Aufgang bringt, vermag er im Auf-gehen-lassen des Zeit-Raums dieser Nacht zu erfahren, wie die geheimnisvolle Ferne der Götter „als Ferne zumal in sich birgt das Gewesene und das Kommende" (ebd.). Denn die Nacht ist nicht Nichts im Sinne einer unerfüllten Zeit, sondern „die Zeit der Bergung des Vergangengöttlichen und der Verbergung der kommenden Götter. Weil die Nacht in solchem bergendverbergenden Nachten nicht nichts ist, hat sie auch ihre eigene weite Klarheit und das Ruhige der stillen Bereitung eines Kommenden" (GA 4, 110). Wie der in gegenwendiger Weise übergängliche Untergang und Aufgang von Tag und Nacht kein bloßes Weg und Fort und kein Verschwinden und Verenden ist, sondern Untergang im Aufgang und Aufgang im Untergang, so kann die Götternacht - in der so verstandenen heiligen Nacht - zur Vorfeier eines kommenden Tages werden. Die Nacht übernimmt den Untergang und nimmt ihn in ihre Verwahrung, denn sie ist Vorbereitung des Aufgangs. Die Nacht nachtet nur als Nacht, wenn sie Aufnahme des Untergangs und Vorbereitung des Aufgangs zugleich und so die Wesensfülle des Übergangs ist. (GA 52, 88)
Was wir als „Nacht" zu kennen vermeinen, wenn wir uns den Nachthimmel vor dem Hintergrund des heliozentrischen Weltbildes vorstellen, zeigt sich nun als etwas anderes als „Sonnensystem" und „Milchstraße". Als „heliozentrisch" aufgeklärte Menschen denken wir den Planeten „Erde" als den technischindustriellen Herr-schaftsbezirk, der schon die ganze Erde überzieht, und rechnen ihre Phasen in den interstellaren Raum ein, der bereits zum geplanten Aktionsraum des Menschen bestellt wird. Nach Heidegger hingegen wohnen wir „nach wie vor" als die Sterblichen primär auf der Erde unter dem Himmel vor den Göttlichen und nicht als ein zoologischer Bewuchs auf einem Planeten in der Biosphäre der Sonne. Schon Heraklit hatte uns zugespielt, daß die ÜberAuf- und Untergänge der erstanfänglichen „Natur" den Weisen einspielen ins Verbergungs-Entbergungs-Geschehen der ά-λήθεια. Nicht umsonst spricht Eu-
2 8 6 2 .
Hauptstück, Kap.
: Das andenkende es
das Ereignis
gen Fink im Zusammenhang mit dem 26. Fragment Heraklits von der eigentümlichen Situation des Menschen „als eines Wesens, das als Feuer zündend zwischen Nacht und Licht geortet ist" (GA 15, 206). 49 Indem er des Nachts ein Feuer ansteckt, rührt der Mensch an die Nacht, wachend rührt er an den Schlaf, schlafend an den Tod. Der Zeit-Raum aber, da der Mensch als „das zwielichtige, Feuer zündende Wesen im Gegenspiel von Tag und Nacht" (GA 15, 216), von Wachen und Schlafen und von Leben und Tod, das Eine wie Bogen und Leier in seinem in sich gegenläufigen Einklang auseinander- und zusammenfahren läßt, ist die zur Fest-Nacht aufgegangene Nacht. Insofern das Da-sein in ihr aus der zögernd-ereignenden Berückung in die versagend-ereignete Entrückung einschwingen kann, birgt sie die künftige Götterung. In ausgezeichneter Weise eröffnet sich der Zeit-Spiel-Raum der Entscheidung, wenn sich während eines Übergangs das Eine und das Andere im Lot der Ausgewogenheit halten. „Zur Märzenzeit,/ Wenn gleich ist Nacht und Tag,/ Und über langsamen Stegen,/ Von goldenen Träumen schwer,/ Einwiegende Lüfte ziehen/", d.h. zur Zeit der Frühjahrs-Tag- und Nachtgleiche, des Übergangs des Winters in den Frühling und somit der im Verhältnis zur Nacht länger werdenden Tage, kann sich eine Sinndimension aufschließen, die den Menschen - sofern er sich ihrem Walten öffnet - in einen versöhnlichen Bezug zu dem setzt, was ist. In der Tag- und Nachtgleiche und dem aus ihr entsprungenen Übergang in eine Zeit der länger werdenden Tage eröffnet sich der Phänomenbereich des Dunklen und des Hellen, des Verschlossenen und Geöffneten, des Fernen und Nahen für jegliches Aufgeschlossenwerden von Welt. Indem sich dem Menschen in der Nacht die tagsüber unbeschwert zugänglichen Dinge verhüllen und entziehen, kann ihm die immerwährende, mit jeder Erschließung einhergehende Verschlossenheit gewahr werden. Diese mit jedem Erschließungsgeschehen einhergehende Verschlossenheit waltet zwar auch bei Tage, doch wird sie aus der Verblendung durch den Lichtschein und die in ihm stehenden Dinge nicht in gleichem Maße offenbar wie in der Nacht. Deshalb ist dem Menschen nun - wie übrigens in der Dämmerung, Mittags und zur Mitternachtsstunde auch - die Gunst gewährt, d.h. die Sinndimension eröffnet, einen neuen Aufgang dessen zu bereiten, was sich verborgen und entzogen hat: des Heiligen als der Dimension, in welcher die Götter sich dem feiernden Menschen übereignen. Denn die Nacht verschließt als der „Zeit-Raum der entflohenen gewesenen Götter" (GA 52, 143), d.h. als „der Zeit-Raum der Gottlosigkeit" (GA 4, 110) vorbereitend das Heilige in sich. Wenn sie gleich ist mit dem Tage, dann ist die heilige Nacht als die Mutter des kommenden Göttertages bereit geworden, „dem Tag den sie übersteigenden Aufgang zu lassen, ohne doch ihr 49 Ich folge Fink darin, daß der Mensch zwischen Nacht und Licht geortet ist, nicht aber darin, daß das Licht selbst im Sinne einer übergreifenden Umfängnis vom Abgrund der Finsternis umgeben ist. Die Vorstellung, die Sonne ähnle einer freihängenden Glühbirne inmitten eines überdimensionalen Raumes, kann nur nachkopernikanisch sein.
§ 19 Die Nacht als der Zeit-Raum des feiernden Andenkens
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Wesen aufzugeben. Jetzt ist die Zeit des Ausgleichs. Der aufgehende Tag ist feiertäglich auf die Feier des Brautfestes gestimmt" (GA 4, 110). Noch west die Nacht nicht als Nacht. Noch walten auch die anderen festlich begangenen, d.h. zu Augenblickstätten der Götterung werdenden Übergänge nicht in ihrem Wesen. Alltag und Feiertag, Gewöhnliches und Ungewöhnliches, Arbeit und Muße, Tag und Nacht, Himmel und Erde, Sommer und Winter, Mann und Frau, Nüchternheit und Rausch, Leben und Tod, Sterbliche und Unsterbliche, Sein und Nichts, Freude und Trauer, Lust und Schmerz, Liebe und Haß, Erwartung und Erfüllung, Heimat und Fremde, Anfang und Ende, Ich und die Anderen (und, wie wir sogleich ergänzen werden: Opfer und Täter, Freund und Feind, aber auch Feiern und Denken selbst) schwingen noch nicht im ZeitRaum der sichversagenden Entrückung und der zögernden Berückung. Deshalb sind diese Übergänge zuallererst auf die Nacht hin und nicht vorschnell auf eine Dämmerung, geschweige denn auf einen künftigen Tag hin zu sagen. Doch ein erster Widerklang des Gewesenen klingt ab-gründig über unsere Gegenwart hinweg aus dem Künftigen auf uns zu. In Heideggers Rede von der Festweile und ihrem Bleiben können auch wir Heutigen in einer Weltzeit der Milde zum feierlichen Ausgleich kommen. Wenn wir uns verhalten denkend, dichtend und feiernd einüben auf die nur „manchen" „manchmal" gelingende Scheu vor dem Gang an die Quelle, kann es sich ereignen, daß auch unsere Zeit „der Weile des ausgeglichenen Schicksals" (GA 52, 171) entspricht. Beim Lernen des freien Gebrauchs des Eigenen aus dem Fremden, d.h. des uns zu-gedachten andersanfänglichen Feierns aus dem Feiern des ersten Anfangs, darf indes „keine Übereilung sein und nichts zur Unzeit erzwungen werden" (GA 52, 179), auch was das Denken dieser festlichen Weile anbelangt. Doch was sollen wir unter der einzigen Festweile verstehen? Heidegger betont, daß der Einzigkeit der Fest-Weile auch „eine einzige Art des Bleibens" (GA 52, 93) zukommt und daß dieses seine Wirklichkeit im Gegensatz zum eingefahrenen Denken nicht in der Ewigkeit des Andauerns im Fortgang des Und-so-weiter hat. Die aus der anfänglichen „Zeit" erfahrene Weile des Einzigen ist weder das Kurzfristige des kleinen Weilchens der Muße im strengen Lebensalltag, die Gewesendes und Künftigendes aufspreizt und von der Gegenwart wegstößt, noch das endlos Andauernde einer ins „Unendliche" vorgestellten Ewigkeit, die Gewesendes und Künftigendes voraus- und zurückverrechnet im Und-so-weiter einer monotonen Hyperpräsenz (GA 65, 121). Dem gewöhnlichen Denken gilt die anfangs- und endlose Dauer als das reinste Bleiben, von wo aus auch die beiden metaphysischen Ewigkeitsbegriffe der sempiternitas und der aeternitas ihr Gepräge empfangen. 50 Doch gewährt sich
50
Die Aristotelische Auffassung, daß die Ewigkeit als das Telos der Zeit den zeitlichen Ablauf umschließt und stets gegenwärtig ist (Aristoteles, De col. I, 9, 279 a), erfährt im christlichen Denken eine Radikalisierung, weil nun der ablaufenden Zeit als
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: Das andenkende es
das Ereignis
die Ewigkeit nicht im Ausspähen auf eine möglichst lange Dauer, sondern im ab-gründigen Aufklaffenlassen der Einzigkeit des Augenblicks als des Entrükkungs-Berückungsgefüges des festlichen Zeit-Raums. Die Weile erfährt ihre Be-stimmung aus der Einzigkeit des Anfangs, auf den hin das feiernde Freiwerden vom zerstreuten Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche im stimmenden Erfügen versammelt wird. In der Weile hat das Einzige aus der Einzigkeit seines anfänglichen Wesens die gemäße Art des Bleibens. Was im Gesichtsfeld der Rechnung kurz dauert, kann doch alles Und-so-weiter des bloßen Fortdauerns überdauern in der Weise des anfänglichen, a us dem Anfang und in ihn zurück wesenden Bleibens. Die Einzigkeit der einen Weile bedarf nicht der Wiederkehr, weil sie als Gewesene jeder Wiederholung abhold ist. Die Weile des Einzigen ist aber auch nicht überholbar, weil sie in alles Künftige hinein- und diesem entgegenstrahlt, so daß alles Kommende nur in der Weile der Einzigkeit des Gewesenen seine Ankunft hat.Das Fest ist die Weile des ausgeglichenen Schicksals. Feiertage sind die Vortage des Festes, seine Erwartungen, und daher schon von jener Weile zum verweilenden, nicht eiligen Übergang bestimmt. (GA 52, 104)
Das Fest hat seinen einzigen Augenblick und seine einzige Stätte im Bleiben der aus dem Anfang und in ihn zurück wesenden Weile. Diese Weile hält sich in der dem Alltags verstände unerklärlichen Bogenspannung von Übergang und Verweilen. Das andersanfängliche Feiern ruft den Augenblick der Festesfreude höchstens insofern zum Verweilen auf, als er dadurch verweilt, daß er zur Zeit vergeht und untergeht, um einstmals als verwandelter „wieder"-aufzugehen. In den „Beiträgen" heißt es in einem „Zeit - Ewigkeit - Augenblick"
überschriebe-
nen Teilabschnitt: Das Ewige ist nicht das Fort-währende, sondern jenes, was im Augenblick sich entziehen kann, um einstmals wiederzukehren. Was wiederkehren kann, nicht als das Gleiche, sondern als das aufs neue Verwandelte, Eine-Einzige, das Seyn, so daß es in dieser Offenbarkeit zunächst nicht als das Selbe erkannt wird! (GA 65, 371)
Weil es in diesem Sinne der Stiftung eines Bleibens, einer Bleibe gewidmet ist, muß das übergängliche Feiern als das Feiern des Übergangs (im zwiefachen Sinne des Genitivs) bereit sein, selbst übergänglich und somit auch untergänglich für die künftigen Aufgänge des Einen-Einzigen zu sein, auf das weder das Feiern, die Feiernden noch das Gefeierte hinzuberechnen sind. Doch worin besteht dann der Sinn des Feierns? Wofür ist es gut? Wozu das Erharren der Weile und das wachende Ausharren in der Nacht, wenn die aus den ausgestanden! Medium allen Geschehens im Verhältnis zur totalen Seins- und Wesensfulle der Ewigkeit ein Defizit an esse und bonitas zukommt (Augustin, Conf. VII, 11 ff). Das wahre, gute Fest ist allein in Gottes Gegenwart als dem „nunc aeternum praesens", das alle Geschehnisse und Zeiten auf sich versammelt. Insofern allein Gott das Vergangene, Gegenwärtige und Künftige in zureichender Weise sieht, „stabili ac sempiterna praesentia comprehendat" (De civit. Dei. X I 21, Conf. XI, 11), ist auch das Feiern nur wahr im Gewußtwerden durch Gott (De trin. X V 23), zu dessen Gedanken sich der Zugang nicht in der theoretischen Reflexion, sondern in der Liebe (caritas) erschließt.
§ 19 Die Nacht als der Zeit-Raum des feiernden Andenkens
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denen Ab-grlinden erwarteten Aufgänge nur Aufgänge für Untergänge sind, die einst wiederum zu verwandelten und womöglich erinnerungslosen Aufgängen führen? Ist das die Antwort auf die stimmungshaft im Feiern erfahrene Frage, warum überhaupt Seiendes sei und nicht vielmehr nichts? Wir beantworten diese unsere Frage vom späten Heidegger herkommend und mit Blick auf Piatons Wesensbestimmung des Festes. In seinem Vortrag „Der Satz vom Grund" erinnert Heidegger an einen Spruch Goethes, der das „Warum" zugunsten des „Weil" anficht: „Wie? Wann? und Wo? - Die Götter blieben stumm!/ Du halte dich ans Weil und Frage nicht Warum?" (SvG 206) Insofern das Weil als der Grund selbst keinen Grund hat, verweigert es sich der Begründung und Ergründung. Das Weil weist vielmehr in das Sein als jenen Grund, auf dem alles beruht und der alles Vorliegende trägt. Dem Weil eignet zugleich ein zeitlicher Sinn, wie er sich in der Redeweise „Man muß das Eisen schmieden, weil [dieweilen] es warm ist" (SvG 207) ausspricht. „Weil", d.h. so lange oder während das Eisen warm ist, muß es geschmiedet werden. Weilen als „währen, still bleiben, an sich und innehalten, nämlich in der Ruhe" und als „immerwähren ist jedoch der alte Sinn des Wortes ,sein'. Das Weil, das alle Begründung und jedes Warum abwehrt, nennt das einfache, ohne Warum schlichte Vorliegen, woran alles liegt, darauf alles ruht" (SvG 207 f.). Dieses das Sein und den Grund nennende Währen des Weil läßt im Fest die Weile (Zeit) und den Weiler (Raum) zu einer einfachen Wohnstatt, in ein Gasthaus für Menschen und Götter aufgehen. Hat das zuschmiedende Eisen die ihm Wesensgemäße Weile in der Glut seiner Erhitztheit, so hat sie der feiernde Mensch in der Weile und am Weiler des ausgeglichenen Schicksals. Piaton sah die Weile des Festes als die gemäße Gelegenheit, den Menschen unter dem Geleit der alles unterjochenden Bildekraft der höchsten Idee zu schmieden und zu zügeln. Das Denken war sich des Grundes noch allzu sicher, auf dem der Weiler, das Haus der πόλις zu bauen sei. Inzwischen stellt das Denken dem Warum des Seienden sogar nur noch in Gestalt der raum-zeitlichen Bewegungsabläufe nach. Deshalb führt Heidegger unser FestDenken an den Ab-grund des sich noch zögernd-versagenden Weil. Üben wir uns also im folgenden ein wenig darin, die Festphänomene in diesem Ab-grund aufleuchten zu lassen.
19 Knödler
Drittes
Kapitel
Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis
§ 20 Die Binnenphänomene des Festes im Übergang "Dann gab die Brautfeier Anlaß zu rauschenden Festen, die ftir das ganze Volk durch die Religion der Liebe ihren Glanz erhielten. Und man leerte Blumenkörbe und sprengte Wohlgerüche aus und verbrannte Diamanten, die Schweiß und Leiden und Blut der Menschen gekostet hatten und die wie der Parfümtropfen, den man aus einem Karren voller Blumen gewinnt, aus der Menschenmenge hervorgegangen waren." Antoine de Saint- Exupéry 1
a) Das Gespräch mit den Freunden als schickliche Vorbereitung des Festes Aus der bisher vollzogenen Abbiendung der Gemeinschaftsdimension des Feierns könnte das weitverbreitete Vorurteil gefestigt werden, Heideggers Philosophie vernachlässige oder mißachte die Dimension der zwischenmenschlichen Begegnung mit den oder dem Anderen. Diese Auffassung, die vermeint, sich darauf berufen zu können, daß das Mitsein in „Sein und Zeit" lediglich in seinem uneigentlichen und indifferenten, nicht aber in seinem eigentlichen Modus erarbeitet wurde, mißversteht den Fragegang von Heideggers Hauptwerk und zielt lediglich auf das rein quantitative „Vorkommen" des Phänomens. Sie ist ebenso irrig wie die Behauptung, Heideggers Philosophie vereitle jedwede Ethik. 2 In den „Andenken"-Auslegungen etwa findet sich die „Grundlage" zu
1 A. de Saint-Exupéry, Die Stadt in der Wüste. Dt. v. O. v. Nostitz. Düsseldorf 1956, S. 133. 2 Um das Nichtdialogische, Alltäglichkeits- und Durschnittlichkeitsfeindliche der Fundamental-ontologie rhetorisch hervorzuheben, hat R. Marten die „Festtäglichkeit" des Existenzial-Ontologen dem Miteinandersprechen der Anderen entgegengestellt. Wenn sich nach Marten „mit der Abkehr von der als gewöhnlich und gemein denunzierten Alltäglichkeit und dem Abstoß in die un-gemeine Festtäglichkeit [...] das ganze Ausmaß der existenzialen Vereinzelung [entdeckt], die der ,extreme existenzielle Einsatz' des Ontologen fur das ,Dasein4 zeitigt" (ders. Heidegger lesen. München 1991), so
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2. Hauptstück, Kap. 3: Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis
beidem: zum einen zu jenen ungeschriebenen, weil unschreibbaren Gesetzen (νόμοι) „im Sinne der Weisungen des großen Geschicks, das weist und schickt, wohin Jegliches nach seinem Wesen gebraucht ist" (GA 4, 167) und von dem her allein eine Gastordnung für die künftige Gaststatt getan und gesagt werden kann; zum anderen zum Hören auf das dichterische Gespräch mit den Göttern, aus dem sich das Gespräch und von daher das Miteinandersprechen der Freunde ereignet. Insofern aber Gesetz, Eigenes, Schickliches, Fügung, Übergang und Ausgleich aus dem denkerisch hörenden und sagenden Zuspruch der Dichtung entspringen, erfüllt sich an ihnen zugleich der Gesprächscharakter dieser Ausarbeitung.„Ein Gespräch" gilt uns gemeinhin als „das Miteinanderreden einzelner und mehrerer Menschen" (GA 52, 156). Weil nicht jedes Miteinanderreden schon ein Gespräch ist, bezeichnen wir als solches das besondere Miteinanderreden in einer ,Aussprache' etwa, „in der wechselweise eine ,Sache' und ein ,Fall' geklärt und ins reine gebracht wird" (ebd.). Wenn wir miteinander ins Gespräch kommen, so verstehen wir uns als diejenigen, welche die Begegnung herbeiführen, Beziehungen aufnehmen und miteinander verhandeln, eine Auffassung, deren Ursprünglichkeit von Hölderlin her anzuzweifeln ist. Seinem Verständnis zufolge ist „das Gespräch" als das himmlische der Name „für die Entgegnung der Menschen und Götter; dies aber nicht überhaupt, sondern für jenes kommende Fest, das ,am Abend der Zeit'" sein wird" (GA 52, 157). Das Gespräch ist also keine „Gebrauchsform der Sprache. Vielmehr hat die Sprache ihren Ursprung im Gespräch und d.h. im Fest und somit in dem, worin dieses selbst gründet. [...] Das Gespräch ist festlichen Wesens" (ebd.). Im festlich gedachten Gespräch sagen Götter und Menschen einander ihr Wesen zu. Seine Güte besteht im Sagen und Hören der Meinung des Herzens, welches „die sagende und gehörte Stimme stimmt" und aus dem sich „zugleich die Art des Sagens und Hörens" (GA 52, 158) bestimmt. Dieser Bestimmtheit durch ein Stimmendes wegen ist die so gesagte Meinung nicht im Sinne einer geäußerten Ansicht zu verstehen, sondern vom ursprünglichen Sinn der „minne" her als das vom heiligtrauernden Herzen Gewollte. Dieses im Herzen Gemeinte ist das Heilige, das selbst je nur geschichtlich ist in der Entgegnung der Menschen und Götter. Dieses Gemeinte ist das, woran das Herz im voraus und ständig denkt. Das so Gedachte ist das, worinnen das Herz hängt und was es aus seinem Grunde „will".Das in solchem Sinne Gedachte, Gemeinte und „Gewollte" ist dann das, worin alles Wünschen sich sammelt. [...] Was des Herzens Meinung will, geht auf das Schickliche und das Fest. (GA 52, 158 f.)
stellt sich die Frage, ob er Heidegger nicht zum Vorwurf macht, was in jeglicher „Festtäglichkeit" - sei es nun der des Feierns, der des Miteinanderreden oder der des Denkens - zu Tage tritt: Distinktion, Alteration und - womöglich gar - Denunziation. Die Feiertäglichkeit des Feierns liegt nun einmal darin, daß der Alltag, die des Denkens darin, daß das Unbedachte „diskriminiert" wird. Dieses beunruhigende Faktum allein an Heidegger festmachen zu wollen, wäre der Ehre zu viel.
§ 20 Die Binnenphänomene des Festes im Übergang
293
Inwiefern denkt das an die gewesenen Taten und an Tage der Liebe und an geschehene Fahrten denkende Herz im voraus und ständig an das Heilige? Insofern, als seine Versammlungen (Systolen) und Zerstreuungen (Diastolen) der Vollzugssinn jenes Andenkens sind, welches ständig außer sich ist. Indem es ausatmet in das Gewesende, wird es zugleich entrückt in Künftigkeit, aus der es sich einatmend auf die Gegenwart versammelt. Derart denkend, hängt das Andenken schon in dem, was erst noch zu einer Ankunft aussteht, welches sich aber je nur gewährt im uneigennützigen Wollen, denn „unverständig ist/ Das Wünschen vor dem Schiksaal" (IV, 173). Indem das Sagen auf das hört, „was das Herz anfänglich durchstimmt, worein es sich geschickt hat" (GA 52, 160), sind das Gesprochene des Gesprächs und das Gehörte das Selbe. Das Hören auf ein Gesagtes und das Sagen eines Zusagenden sind als ereigneter Entwurf jeweils ereignet aus dem Hören auf den ereignend-sagenden Zuwurf. Aus dieser Selbigkeit von Sagen und Hören „stammt auch das seltene Wunder, daß die, die im Gespräch sind, sich immer wieder alles zu sagen haben und stets zugleich nichts" (ebd.). Insofern der geschichtliche Aufenthalt ihrer Begegnung den ZeitSpiel-Raum des Ereignisses aussteht, ist das andenkend-gesagte Gewesende niemals das festgestellte, eingeordnete und abgelegte Altbekannte, sondern stets „neu", d.h. als das in Frage Stehende zu ver-antworten. Was unter ihnen als „Neues" angesprochen wird, ist als ein Künftigendes zugleich nie nur das Nochnie-dagewesene gegenüber einem vermeintlich Bekannten, sondern das (aus der gesprächshaft geteilten Entrückung in das lichtende Verbergen der Geschichte) Berückende. Indem das Hören das Gewesene hört, wird es „in das Gewesene eingeweiht" (ebd.). Weil es hört auf den Zuspruch des Schicklichen, erfährt es sich eingeweiht, d.h. fährt es ein, in den Äther der freundschaftlichen Liebe als in den ein-fahrend aufgeschlossenen Zeit-Raum des freundschaftlichen Mit-AnderenSeins. Weil allein das gegrüßt-grüßende Hören auf das Heilige gewogen sein läßt gegenüber dem Schicksal, ist es „ein Erinnertwerden an die Großmut und Sanftmut und die Langmut der Liebe, die sich in ihr Wesen gefunden hat und als so gewesene erst west". Es ist zugleich „das Erinnertwerden an den Freimut und Opfermut der Tat, die als ein Geschehenes stets die Vollendung ist und als diese Wesenhaftes gründet" (ebd.). Nicht die kritisch-analytisch-historische Haltung gegenüber dem Schicksal bzw. der Geschichte überhaupt eröffnet deren Zeit-Raum, sondern das heiligtrauernde, d.h. sich weder einseitig auf die leichte Freude noch auf die schwermütige Trauer verlegende Herz. Die Liebe stimmt den Mut für das Fest, das „Brautfest" ist. Die Taten [...] sind in sich die Befreiung des Mutes zum Innebleiben im Schicksal. Liebe und Tat sind im Bereich der Sterblichen die Feier, durch die das Fest vorausgegründet und in gewisser Weise gedichtet wird. Liebe und Taten sind das Dichterische des Zeit-Raumes, in dem die Sterblichen eigentlich ,da' sind. (GA 52, 161)
Das Vertrautwerden der Feiernden mit dem Gewesenen ereignet sich im gesprächshaften Wechselbezug von Sagen und Hören als dem Wechselspiel des in sich gegenschwingenden Erinnerns und Erinnertwerdens. Das Eine des Ein-
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2. Hauptstück, Kap. 3: Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis
klangs erklingt im Hall des Sagens und Hörens, d.h. im über sich hinwegtönenden Widerhall der stimmend-sagenden Grundstimmung des Festes: dem heiligtrauernden Herz. Das Schicksal der Sprechenden wird durchzittert vom feierlichen, d.h. zur Ent-setzung entschiedenen Mut zur Erinnerung, welcher zur mutigen Erwartung des Kommenden stimmt. In eins damit das Erinnerte „erfüllt von Solchem, was sich zugleich entzieht und die Erinnerung im Verborgenen festbindet. Offenbar zu werden im Sichentziehen ist aber die Art, wie das Schicksal west, das geschichtlich ist im Fest, dessen Feier den Sterblichen in der Gestalt der Liebe und der Tat anvertraut ist" (GA 52, 162). Weil sie allein im Gespräch den Ab-grund als möglichen Wesungsgrund der Götterung aufreißen und einander erinnernd das Warten wagen, weil sie in gegenseitiger Wechselrede immer weiter hinaus-„schweifen" in das Gewesene, dieses herüberwesen lassen in die Zukunft und sich dabei (als ereignetes Beginnen) immer weiter einschwingen und einwiegen in den ereignenden Anfang, ist das Gespräch die schickliche Vorbereitung jenes himmlischen Gesprächs, aus dem das Sterbliche allein erst verfugt ist. Dieses Gespräch ereignet sich mit der Freundschaft. Nur aus diesem erinnernden Vertrautsein mit dem Anvertrauten her können nun auch die Sagenden und Hörenden des Gesprächs einander vertrauen und als Vertrauende die Vertrauten sein, die Freunde. Die Vertrautheit in diesem Anvertrauten ist aber das einzige Maß der Vertraulichkeit des Gespräches der Freunde. (GA 52, 162) Das freundschaftlich-liebevolle Vertrauen der Feiernden erwächst aus dem Vertrautwerden mit und dem Einandervertr autwerde η in jenem Gewesen, das sich im festlich ereignenden Zuwurf für den feiernd ereigneten Entwurf anver-
traut. Dieses erinnernde Vertrautsein mit dem Anvertrauten geschieht im andenkenden Gespräch. Das gesprächshaft vollzogene Andenken setzt uns in die Vertrautheit mit dem schon Wesenden und macht durch das Sagen von der Liebe und das Hören von den Fahrten und Taten die Innigkeit des Schicksals offenbar. Insofern die Einandervertrauenden nur Vertraute sind, „wenn sie angesprochen sind von der Innigkeit, die sich ihrer Erinnerung anvertraut hat" (GA 52, 164), wird offenbar, daß uns Freundschaften nur „heilig" sein können, weil wir im freundschaftlich gesprächshaften Einander-sein-, d.h. -wesen-lassen vom uneigennützigen Heiligen gegrüßt und in das harmonisch-entgegengesetzte Widerspiel von Streit und Ausgleich versetzt werden. Da die Freunde einander nur trauen können, wenn sie und sofern sie durch die Schickung des Heiligen aufeinander vertraut sind, ist ihr Gespräch ein Grüßen.Entsprechend gründet auch das Gespräch als Augenblicksstätte einen Zeit-Raum, der im BerückungsEntrückungsgefüge des Ereignisses schwingt. Die Sagenden und Hörenden finden sich in der Weise eines Sich-voneinander-entfernens, „sofern sie je auf ihr eigenes Wesen zurück angesprochen und angehört werden" (GA 52, 165). Indem sie sich in diesem Sichentfernen freigeben, d.h. den Anderen als den Änderen zu sich selbst und sich selbst als den mit sich selbst Selbigen gegenüber dem Anderen sein lassen, kommt zwischen die auf sich selbst und auf einander angesprochenen Sprechenden „das Freie und Offene [...], in dessen Spiel-Raum das Eigene erscheinen darf, auf dessen Boden die Sprechenden allein heimisch
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sein können und auch heimisch sind, wenn sie sich in die Wahrheit des Schicklichen finden" (GA 52, 165). So, wie das Miteinandersprechen sich aus dem Gespräch ereignet, das auf die Sprechenden wartet, „die sich je nur auf dieses Gespräch ein-lassen" (ebd.), so ereignen sich die Freunde aus der Freundschaft. Als andenkendes Denken des Schicklichen entrückt das Gespräch in Künftigkeit, bricht auf in ein Gewesendes und trifft als das aufgebrochene Gewesende mit dem eröffneten Künftigenden auf die sicheröffnende Gegenwart. In eins mit dieser andenkenden Sammlung kommt zwischen die Sichentfernenden und einander andenkend freigebenden Sprechenden das Freie und Offene, in dessen Spiel-Raum die Freunde die Lemstatt
ihrer
uneigennützigen
Liebe
finden.
Während die Freundschaft sich in der andenkend-zeitigenden Entrückung „noch" versagt, schenkt sich im Zögern „bereits" die Möglichkeit der Ereignung der Freundschaft. Denn das andenkende Denken des Gesprächs „ist stets eine Schenkung, um die der Dichter nur bitten kann. Dieses ,Bitten' bettelt nicht um die Gabe, die das Fest ersetzt und seiner Vorbereitung enthebt. Dieses Bitten verlangt nach der Zumutung des Schicklichen, nach den Stunden der Feier, nach den ersten Vorzeiten des Festes" (GA 52, 166). In dieser Freundschaft liegt die Möglichkeit einer geschichtlich-epochalen Gründung des Da-seins geborgen, einer Gründung also, die über die wenigen Einzelnen hinausgreift, von denen die Fügung der „Zukünftigen" (GA 65, 395-401) übergänglich spricht. Die Frage des Dichters „Wo aber sind die Freunde?" ist deshalb nicht die Frage nach deren geographischem Aufenthaltsort, „sondern nach der Wesensart ihres Aufenthaltes und d.h. nach der Weise, wie die Freunde ,da' sind" (GA 52, 169). Dieser Aufenthalt ist der Zeit-Raum, den die Freunde auf ihrer dichterischen Seefahrt er-fahren. Dies kann nur dadurch geschehen, daß sie der Ferne des vermeintlich Nächsten (Heimat und Quelle) dadurch eine Ortschaft eröffnen, daß sie in die Fremde fahren. Indem sie, ausharrend im Ab-grund der Heimatlosigkeit, tapfer vergessen lernen, was sie von ihrer Heimat zu wissen meinen, werden sie der Not-wendigkeit der geschichtlichen Stiftung und Bergung der Heimat gewahr. Während der Dichter durch den Gang in die Fremde des gewesenen Festes den freien Gebrauch des Eigenen, d.h. die Bereitung des künftigen Festes, gelernt hat, tragen die Freunde noch „Scheue, an die Quelle zu gehen". Ihre Meerfahrt „ist das klare Überqueren einer langen festlosen Zeit", deren Länge als der „Zeit-Raum einer verborgenen Geschichte" (GA 52, 180) die Gewähr des Sichereignens des Wahren enthält. Die Scheu dieser fernen Gefährten „ist gehalten durch das eindeutig Einzige, wovor sie Scheu ist" (GA 52, 171). Indem sie sich andenkend-entrückt aus dem sichversagenden Gewesenen und sich auf das sichversagende Kommende versammelt, wird sie im Gegenzug gehalten aus dem Umhalt der zögernen Berückung. Zu Feiertag und Fest gehört als der Vollzugssinn der Eröffnung der Augenblicksstätte die zögernde Scheu. „Die zögernde Scheu eignet den Feiertagen, die dem Fest voraufgehen. Das Zögern und die Scheu ist notwendig für jedes Fest und bei jedem Übergang." (GA 52, 124) Obwohl ganz und gar nicht unsicher, hält die Scheu doch an sich. Was zu ihr stimmt, „läßt zögern" (GA 52, 171). Doch ist die „Zögerung der Scheu"
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2. Hauptstück, Kap. 3: Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis
kein Zagen und Verzagen, sondern „die wartende Entschiedenheit zur Geduld; Zögerung ist der längst entschiedene lange Mut zum Langsamen, Zögerung ist Langmut" (ebd.). In der Zögerung der Scheu wird das ereignete zeithafte Entrücktsein ereignend räumend berückt. Indem die Scheu sich aber dem Gescheuten derart zuneigt, daß dieses als das Ferne nahe ist, bereitet sie dessen Näherung vor. Die Scheu ist das an sich haltende langmütig zugeneigte, sich erfüllende Hindenken zu Jenem, was nahe ist in einer Nähe, die einzig darin aufgeht, ein Fernes in seiner Ferne fern und dadurch stets in seinem Entspringen bereit zu halten. Die wesenhafte Scheu ist die Stimmung des ferne sehenden Denkens an den Ursprung. (GA 52, 171)
Die Scheu entspringt selbst nur aus dem Entfernten. Das Entfernte zeigt sich zunächst als das Fremde. Weil dieses Fremde aber gerade das gemeinhin Bekannte ist, ist die Scheu „nicht Scheu vor dem Befremdlichen, sondern vor dem Eigenen und fernher Vertrauten, das im Fremden als dem Fremden zu leuchten beginnt" (GA 52, 172). Um „das ursprünglich Einheimische" der „oberschwäbischen Heimat des Dichters" lernen und den Boden für das Fest weihen zu können, gilt es entsprechend durch den Gang in Fremde den freien Gebrauch des Eigenen zu lernen. Erfragen wir in freier Stellungnahme, was es mit diesem „Heimatfest" auf sich hat!
b) Die Deutschen und das Wiedererlernen der ihnen eigenen Festlichkeit aus dem andenkenden Gespräch mit der Geschichte
Was Heidegger in der „Andenken"-Vorlesung über „die Feiertage Germaniens, die Vortage seines Festes" (GA 52, 154) und die Hölderlinsche Hymnendichtung als der „deutschesten aller deutschen Dichtungen" (GA 52, 119) sagt, klingt in der Zeit der europäischen Einigung und nach zwei Weltkriegen nicht nur antiquiert, sondern auch verdächtig. Zugleich liest es sich wie eine resignierte Anspielung auf den aus Heideggers Sicht ausgebliebenen Widerhall seines Denkens. Eigentümliche Parallelen tun sich auf, zwischen dem zur Vorlesungszeit tobenden Krieg und der Fahrt der Freunde in die Fremde einerseits und dem zurückgebleibenden Dichter und Heidegger andererseits. 1941, sieben Jahre nach der Niederlegung seines Rektorats, ist Heideggers Bezug zu dem, was er „das Deutsche" nennt, und zu dem wir heute einen anderen Bezug haben können, wollen und müssen, zwischen den beiden von ihm zitierten Sätzen aus Hölderlins Briefen an Böhlendorf angesiedelt: „Der freie Gebrauch des Eigenen [ist] das schwerste" (GA 52, 23) (4.12.1801) und „Aber sie können mich nicht brauchen" (1.12.1801). Was also einst für Hölderlin galt, gilt heute auch für Heidegger: die Deutschen können sein Denken nicht „gebrauchen", wenn es darum geht, das Eigene ihrer Geschichte verantwortlich übernehmen zu lernen. Nur allzu gern ziehen sie historische Schuldzuweisungen der geschichtlichen Eigenverantwortung vor. Sie verurteilen Heidegger lieber mitsamt seiner Philosophie, als zu sehen, daß diese entscheidende Anstöße für eine ver-antwortliche
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Geschichtlichkeit und Festlichkeit gewähren kann. 3 Gerade Heidegger, der seinen wohlwollenden Lesern durch sein Schweigen so viele Repressalien zugemutet hat, kann „den Deutschen" durch sein Ereignis-Denken Perspektiven zu einem versöhnlichen und friedfertigen Feiern der Völker und ihrer Heimat selbst und der V ö l k e r untereinander eröffnen. 4 Obwohl jedes V o l k dieser Erde seine Heimat, d.h. sein Wohnen als sterbliches vor den Göttlichen, auf der Erde, unter dem H i m m e l feiert, ist die Rede von der „ H e i m a t " in Deutschland entweder zur Sache eines rechtslastigen Populismus oder einer hobbymäßigen Naturseligkeit geworden. Dies ist mindestens so befremdlich, wie Heideggers Gedanken zur fortschreitenden Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen. Gewiß erscheint es als eine ungeheure Zumutung, wenn Heidegger 1941, zu Beginn des Rußlandfeldzuges, in einer Zeit, da den Deutschen ganz offensichtlich nichts mehr „ h e i l i g " ist und sie ihre Verantwortung in die Hand einer verbrecherischen „Vorsehung" gelegt haben, auf Hölderlins Vorhaben zurückgreift, „die Engel des Vaterlands [zu] singen". Dies gilt insbesondere, wenn man solche Gedanken in direkte Verbindung zu Heideggers Engagement im Dritten Reich bringt. Ein anderes B i l d ergibt sich, wenn w i r von einer solchen Übertragung der Biographie auf das Denken zugunsten einer philosophischen Hinterfragung des seinsgeschichtlichen Denkens der Heimat absehen und Heideggers anden-
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Nach J.-L. Vieillard-Baron tritt „die Zeitlichkeit der Alltäglichkeit" bei Heidegger gegenüber der Seinsvergessenheit in den Hintergrund „und die Gesellschaftlichkeit des Menschen wird beim späten Heidegger keine Frage mehr sein" (ders., Die Zeit und das gesellschaftliche Leben bei Heidegger. In: D. Papenfuss; O. Pöggeler, Zur philosophischen Aktualität Heideggers. Frankfurt a.M. 1992, S. 231). Nach R. J. Dostal findet man schon „in den frühen Werken Heideggers keine befriedigende Behandlung des Themas ,Freundschaft', man findet nicht einmal einen befriedigenden Platz für dieses Phänomen" (ders., Eros. Freundschaft und Politik. Heideggers Versagen. In: D. Papenfuß; O. Pöggeler, Zur philosophischen Aktualität Heideggers. Frankfurt a.M. 1991, S. 181). Nach Dostal rührt dieser Mangel aus dem Fehlen einer Ethik und eines eigentlichen Mitseins. Zwischen Antigones „Ungeheuerlichkeit und Engelhaftigkeit" und dem Faschismus besteht für ihn ein Wesens-zusammenhang. „Heideggers Mensch [...] ist ungeheuerlich, furchtbar, gewaltsam und unheimlich - der Politik ähnlich, in die sich Heidegger einschließt" (a.a.O., S. 196). Anstatt auf diese Unterstellung selbst gewaltsam zu reagieren, will ich auf die Verantwortlichkeit und das Ethos eines Freundes und Schülers Heideggers verweisen. „Die Besinnung auf das Nationale", so W. Biemel, „darf nicht nationalistisch mißverstanden werden, es ist ein Suchen nach dem eigenen Volkscharakter, dazu gehört auch das Suchen nach der Rolle, die dieses Volk in der Geschichte haben kann und ob ihm überhaupt eine Rolle zukommt. [...] Es geht nicht so sehr um eine Haltung der Überheblichkeit, eher um den Versuch der Überwindung einer Vorstellung der Minderwertigkeit unter den anderen europäischen Völkern" (ders., Zu Heideggers Deutung der Ister-Hymne. Vorlesung SS 1942, GA 53. In: Heidegger Studies 3/4 (1987/88), S. 41-60). 4 Dabei sei einmal mehr auf W. Biemel verwiesen: „Die Achtung vor dem je eigenen Heimischwerden sollte uns auch davor hüten, unsere Welt-Deutung und LebensAuffassung anderen Völkern aufzwingen zu wollen, was heute faktisch geschieht, im Verhalten zu den Völkern der dritten Welt und überhaupt den außereuropäischen Völkern" (a.a.O., S. 59).
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2. Hauptstück, Kap. 3: Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis
kendes Denken stattdessen in Bezug zum zeitgenössischen Feiern setzen, d.h. die Feiern der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg seinsgeschichtlich zu denken suchen. Dabei kann sich nicht nur zeigen, daß dieses Denken einen großen Beitrag zu einem verantwortlichen Feiern zu leisten vermag, es wird sich auch die Frage stellen, ob in den statischen Schuldzuweisungen an unsere Vorfahren nicht gerade die Tendenz liegt, eine Verantwortung in die Vergangenheit abzudrängen, die in der Gegenwart auszutragen wäre, und dies jenseits einer auf- und abrechnenden Kollektivschuld. 5 Wie wollen die Deutschen die Aussöhnung und den Ausgleich lernen mit den Völkern, ohne ein Heiles bzw. Heilendes, d.h. eine geschichtliche Dimension, in der sich das gedenkende Gespräch vollzieht? Daß Heidegger im „Humanismusbrief betont, „die jungen Deutschen, die von Hölderlin wußten, [hätten] angesichts des Todes Anderes gedacht und gelebt als das, was die Öffentlichkeit als deutsche Meinung ausgab" (BH, 30), muß nicht unbedingt als eine fadenscheinige Rechtfertigung und Glorifizierung ausgelegt werden - Es kann die Spätgeborenen auch aus der sicheren Position der Nichtbeteiligung in eine geschichtliche Verantwortung rufen, die aus der Schuld der Väter und Großväter eine lebendige Aufgabe für die Söhne und Enkel macht. Gerade Heideggers denkendes Gespräch mit Hölderlins Dichtung chen Gedenken an die Geschichte leisten 6
kann Beiträge zu einem feierli-
Wenn Hölderlin nach eigenem Bekunden „die Engel des Vaterlands singen" will, so möchte er Heideggers Auslegung zufolge „nicht das Vaterland als vorhandene politische Konstellation [...] nachträglich mit Versen bereden, sondern das ,heilige Vaterland', das im Heiligen gründende Vaterland dichten; ja nicht einmal dieses nur, sondern die ,Engel des heiligen Vaterlands'" (GA 52, 47). Entsprechend versteht er das Zurückbleiben des Dichters im heimatlichen Lande als ein „Zurückgehen an ,die Quelle' des heimatlich Heimischen und Anfänglichen, das stark genug ist, auch das Unauslöschliche des Gewesenen und Fremden feurigen Geistes noch im Gedenken auszutragen und zu bewahren" (GA 52, 53 f.). Das Gewesene, dessen hier gedacht wird, ist das Fest des Griechenlandes mit seinem Himmel, seiner Erde, seinen Menschen und Göttern. 5 Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, ist es eine notwendige Pflicht, die kaum großer Opfer bedarf, die Verfehlungen der Vorfahren zu verurteilen. Mehr Mut und Standhaftigkeit erfordert es, den ethischen Anspruch, auf dem solche Urteile beruhen, zu einem Anspruch für unser eigenes Handeln zu machen und dieses zu hinterfragen, was indes seltener geschieht. 6 Dies gilt besonders, wenn wir bedenken, daß Hölderlins idealisiertes DeutschlandBild dem Dritten Reich diametral entgegengesetzt zu sein scheint. Längst vor Hölderlins propagandistischer Instrumentalisierung durch die deutsche Wehrmacht sagt Rilke in einem von Heidegger zitierten Brief: „zum ersten Male in Deutschland wagt sich Dichtersprache so unverstellt vor, ganz aus heimischem Grund, in heimischer Luft gewachsen, so sehr auch das griechische Vorbild Not war, dem Dichter Mut zu machen zu Gleichdichterischem" (GA 52, 44).
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Von den schwer zugänglichen Schätzen dieser gewesenen Feste können „die Deutschen" solange nichts wissen, „als sie meinen, das eigene Wesen durch eigene Erfindung finden zu können, statt es im Wort der eigentlichen Geschichte wahrhaft zu vernehmen". 7 „Hölderlin dagegen erblickt im Anerkennen des Anderen und Gewesenen der eigenen Geschichte, nicht in einem beliebigen Fremden, zugleich das Eigene und Künftige." (GA 52, 73) In abgründig verschiedener Weise als Nietzsche bestimmt er „die nächste und die fernste Zukunft der Deutschen und des Abendlandes. Das Griechenland ist für Hölderlin das Andere zum Abendland. Das Eine und das Andere gehören in eine einzige Geschichte. Die Geschichtlichkeit der Geschichte ruht in dem, was Hölderlin ,das Fest' nennt. Die Feiertage aber sind die Vortage des Festes" (GA 52, 78 f.). Zur Bereitung dieser Feiertage als den Vortagen Festes des Heiligen gilt es nach Heidegger, „auszuharren in den deutschen Nachtwachen für das Schicksal". Hierzu ist das Schickliche gefordert, „was sich in das Wesenhafte der kommenden Geschichte schickt" (GA 52, 154 f.). So sollen wir es Hölderlin, dem Dichter, gleichtun und denkend „das geschichtliche, d.h. festliche Wesen des eigenen Vaterlandes suchen" (GA 52, 133). Hölderlin will die verborgene Würde und das Heilige des Vaterlandes als das sagen, „worin das Vaterland [gegenüber dem anderen Aether des Griechenlandes] sein Wesen hat und Jene, die Engel, durch die solches Wesen behütet ist" (GA 52, 132). Doch verfehlten die Griechen, was Hölderlin im Gegensatz zum Nationalen das Nationelle nennt. Unter Berufung auf ein Hymnenbruchstück verweist Heidegger auf den „inneren Zusammenhang zwischen dem Willen der Stiftung eines Reiches der Kunst und dem Untergang des Griechentums, der ,anderen Bewandtnis jezt' und der Möglichkeit des künftigen Festes" (GA 52, 69) 8 . Während das Ansinnen der Griechen, ein Reich der Kunst, d.h. des Festes, zu stiften, am Versäumnis des Vaterländischen scheiterte, besteht die „andere Bewandtnis jezt" und die Möglichkeit einer künftigen Festlichkeit „der Deutschen" in der heimatlichen Verbindung von Erde und Kunst. Damit sich das Brautfest von Menschen und Göttern ereigne, müssen beide sich insofern in das Schickliche, d.h. Heilige schicken, als sie auch Erde und Himmel seinlassend-sorgend einlassen in den un-endlichen Bezug ihres ineinander spielenden Gegeneinanderüber. „Die Hochzeit", so betont Heidegger
7 Was Heidegger hier gegen die rassisch-biologistischen Ideologien und die Spekulationen über eine germanische Urgeschichte gerichtet sagt, gilt auch heute sowohl für ein rein ökonomisch orientiertes Konzept zur Vereinigung Europas als auch für den rein abrechnenden oder rechtfertigenden Geschichtsbezug. 8 „[...] meinest du [...] zum Dämon/ Es solle gehen,/ Wie damals? Nemlich sie wollten stiften/ Ein Reich der Kunst. Dabei ward aber/ Das Vaterländische von ihnen/ Versäumet und erbärmlich gieng/ Das Griechenland, das schönste, zu Grunde./ Wohl hat es andere/ Bewandtnis jezt./ Es sollten nemlich die Frommen/ [...] und alle Tage wäre/ Das Fest" (Bruchstück 31, IV, 264).
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2. Hauptstück, Kap. 3: Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis
noch 1959, „ist das Ganze der Innigkeit von: Erde und Himmel, Menschen und Göttern. Sie ist Fest und Feier des un-endlichen Verhältnisses" (GA 4, 173). Die Zeit dieser von Göttern und Menschen gefeierten Hochzeit von Himmel und Erde kommt aber erst in dem geschichtlichen Augenblick, da die Sterblichen schonend auf der Erde unter dem Himmel und vor den Göttlichen wohnen, d.h. auf jene Weise wohnen, die Heidegger als die heimatliche der heimatlosen, entwurzelten entgegenstellt. 1941 heißt das, daß die Deutschen im Gespräch mit dem Eigenen der Griechen als dem Feuer vom Himmel ihr Eigenes, die Klarheit der Darstellung, zu lernen haben. Indem das Heilige in seinem anfänglichen Kommen sagend ins Wort gegründet und als solches den „Erdensöhnen" geschenkt wird, wird ihre Sprache wieder zum Gespräch zurückgebracht. Liebe und Tat erlangen ihren Wesensgrund durch das Stiften als der gründenden Schenkung des Anfänglichen. Stiften aber „können nur die über den Steg an die Quelle gegangenen Dichter" (GA 52, 193).9 Was kann dies heute, nach den Greueln des Zweiten Weltkrieges und in Anbetracht einer drohenden globalen Katastrophe, für das Feiern der Deutschen heißen? Haben sie einen Dichter, der ihnen das Heilige, das Heile, die Spur zum Heilen oder auch nur die Spur zur Spur zum feierlichen Andenken an dieses (Miß-)Geschick zu bahnen vermag? Ist eine solche Dichtung überhaupt möglich? Ich möchte diese Frage offen lassen und selbst Stellung beziehen: Seinsgeschichtlich gedacht bin ich nicht primär ein nur für sich selbst verantwortliches Individuum, das darüber hinaus noch zur Volksgruppe der Deutschen gehört und Verantwortung nur für das übernimmt, was in meinem kausalen Einflußbereich geschieht. Vielmehr hat auch mein Mitsein als Deutscher ein spezifisches Selbstsein. Dieses besteht nicht primär darin, daß ich mich zu meiner „Staatsangehörigkeit" bekenne, wenn ich mich mit etwas identifizieren kann (wie dem Widerstand) oder von etwas distanzieren will (wie der Massenvernichtung von Menschen). Als Deutscher habe ich mich ebenso als Karl der Große zum Kaiser krönen lassen wie ich nichts gegen die Deutsch-Deutsche Teilung unternahm, wenngleich ich als „Einzelperson" an beiden historischen Vorkommnissen keinerlei Anteil hatte und es absurd wäre, diese Vorkommnisse unmittelbar auf mich selbst zu beziehen. Dennoch erachte ich es als meine Aufgabe als Deutscher und Abendländer, die historischen Vorkommnisse im Austrag der Ver9 Die Rede von „dem" Dichter gemahnt an die Kritik, die D. Carr mit J. Habermas dem Geschichtlichkeitskapitel von „Sein und Zeit" angedeihen läßt. Gewiß kann die Rede vom gemeinschaftlichen Geschehen als einem Mitgeschehen und ihre spätere „Übertragung" „,auf das nationale Dasein'" (ders., Die fehlende Sozialphilosophie Heideggers. In: Zur philosophischen Aktualität Heideggers. Frankfurt a.M. 1992, S. 241) zu einer Gleichschaltung der Massen mißbraucht werden. Heideggers Denken des „Volkes" ist dann „ein romantischer Nationalismus, nach dem die Nation ihr eigenes Schicksal voller Entschlossenheit übernimmt" (a.a.O., S. 242). Doch wer sagt, daß diese entschlossene Übernahme nicht zur Besinnung auf ein jeweils aus der eigenen Jemeinigkeit heraus entschiedenes Für-Andere-Sein führen kann?
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antwortung zu geschichtlichen zu gestalten. Weshalb? Eben weil meine Verantwortung gegenüber der Geschichte sich nicht darauf beschränken kann, die Vorkommnisse zur Zeit des Dritten Reiches als Vergangene zurückzuverfolgen und kausal-deterministisch zu analysieren, um die Ergebnisse sodann in meine historische Gegenwart einzukalkulieren und ein für alle Mal mit ihnen abzuschließen. Das „Niemals wieder!" hat seine Notwendigkeit, darf aber weder zu einem endgültigen Abschluß dieses „Kapitels deutscher Geschichte" führen noch zu einem ewigen Wiederkäuen, das zuweilen zugunsten von Machttendenzen instrumentalisiert wird, die dem Dritten Reich der Sache nach gewissermaßen nahe stehen. Eine Gedenk- oder Trauerfeier, die sich auf einen historischen Bezug zum Gewesenen beschränkt, läuft Gefahr, in gleicher Weise beschuldigend auf das Vergangene zu zeigen, wie sonst nur allzugerne beschuldigend auf andere gezeigt wird. Und weil das Vergangene sich tatsächlich als das Abgeschlossene und Abschließbare zeigt, kann ein solches Feiern zu einer „Leier" werden und die gelangweilte Frage aufwerfen, ob wir denn nun nicht schon genug „Aufarbeitung" betrieben haben. Denken wir dagegen an das Gewesene als Gewesendes, d.h. noch Währendes, so braucht das feierliche Andenken an das Dritte Reich nie aufzuhören und muß dennoch nicht zu einem gefährlichen Schuldzuweisungs-Masochismus und der versteckt-imperialistischen Arroganz führen, wir Deutschen seien „das schrecklichste Volk aller Zeiten". Das andenkende Feiern trägt seine geschichtliche Verantwortung dadurch, daß es sein läßt, was war, dies aber gerade nicht im Sinne des Bleiben-lassens, sondern im Sinne des erinnernden Wesen- und Währenlassens. Erst wenn wir, an uns haltend mit der vorschnellen und herzlosen Schuldzuweisung oder Schuldabweisung, auf die gewesende Schuld zugehen, sind wir im Stande, ihre Pein zu ertragen, d.h. sie aus dem Stand in der Gegenwart als Zukunft auf uns zukommen zu lassen. Wenn wir gewöhnlich schuldig sind, werden wir mit dieser Schuld entweder dadurch fertig, daß wir uns dazu entschließen, unser Handeln in Zukunft zu verändern, oder eine Begründung und d.h. zumeist eine Ausrede für unser Handeln suchen. Insofern wir uns dagegen im Feiern auf das Gewesende als das Künftigende entwerfen, d.h. in die Gewogenheit kommen mit dem immer Anfänglichen, wird das Joch unserer Schuld leicht, nicht weil wir es uns leicht machen, sondern weil sich in der Trauer um das Gewesende die Freude ausspricht, künftig anders handeln zu können. Die Zerknirschung gegenüber der eigenen Schuld und dem Festgelegtwerden auf diese Schuld löst sich erst, wenn wir aufhören, diese Schuld kausaldeterministisch anderen oder uns selbst zuzuweisen. Doch ereignet sich auch dies erst aus der Huld oder Gnade dessen, was in die Schuld ruft und die Schuld zur Huld werden läßt. Das so rufende oder Grüßende ist auch hier das Heilige als der uneigennützige Bezug. Indem uns erst dieser den Ab-grund der Schrecken des Nationalsozialismus gütig er-tragen läßt und so die Schuld als das Gute sein läßt, kann die Nacht in einen Morgen übergehen.
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2. Hauptstück, Kap. 3: Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis
In solchem Andenken geschehen heute die deutschen Nachtwachen für das Schicksal. Und wenn ich Heidegger auch darin zustimme, daß der Friedensstern Europas als des Abendlandes allein aus seiner Herkunft im griechischen Morgenland aufgeht, so gelingen diese Nachtwachen nur aus den feierndandenkenden Nachtgesprächen nicht nur der Deutschen untereinander, sondern gerade mit den Völkern. Solange aber die Deutschen nicht im Gespräch stehen mit der Geschichte, vermögen sie nicht mit jenen zu sprechen, die sie im Gespräch an etwas erinnern könnten. Ihr Stand wird schwach. Sie vermögen nicht mehr zu feiern. Wer aber nicht mehr froh an sich wird, der wird verhärtet gegenüber dem Gewesenen. Das Künftige verschließt sich. Der Zeit-Spiel-Raum von Herkunft und Hinkunft gerät aus dem Lot, so daß ein ungefüger Halt gesucht wird. Der Unfug, das Böse wird gebräuchlich. Deshalb bedarf es der Freunde, mit denen wir in der Gunst der gegenseitigen Wesensgewähr stehen. Auch unter den Völkern vermögen uns erst unsere Freunde herauszuholen aus der Erstarrung und einzuwiegen in die Gewogenheit gegenüber dem Schicksal. Aus dem Gegenschwung von Herkunft und Zukunft, Gewesendem und Künftigendem holen wir Schwung für das entschiedene Schicksalsbeständnis, aus dem der künftige Glanz einer möglichen Friedensfeier der Völker heraufdämmert. Vielleicht vermögen „wir Deutschen" dann auch das Vermächtnis zu hören, das Albrecht Haushofer (1903-1944) vor seiner Hinrichtung in seiner Moabiter Gefängniszelle gedichtet hat: Olympisches Fest Mit einem Dom von hochgestrahltem Licht begannen sie das letzte ihrer Feste. Der Hochmut freute sich der stolzen Geste: Man sah vor lauter Glanz die Sterne nicht. Gelöst von aller Tage bunten Sorgen bestaunte man der Jugend Marsch und Spiel, bewunderte der Griechenfackel Ziel, im Leuchten dieses Kuppelscheins geborgen. Mich täuschte dieser helle Zauber nicht. Ich sah die Kräfte, die so milde schienen, dem grauenhaftesten der Kriege dienen. Ich kannte wie die Maske, das Gesicht. Die sich zum Spielen Schar um Schar gereiht: die ganze Jugend ist dem Tod geweiht. 10
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A. Haushofer, Moabiter Sonette. 3. Aufl. München 1976, S. 33.
§ 20 Die Binnenphänomene des Festes im Übergang c) Das Sichereignen
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des Schmückens aus dem Glanz
Der zum Feierlichen gehörige Glanz „entstammt eigentlich dem Leuchten und Scheinen des Wesenhaften" (GA 52, 66). In dem „Maße" wie im Sichlösen vom Gewöhnlichen und dem mit ihm verbundenden Erwarten des Ungewöhnlichen (im ab-gründigen Dunkel des Zeit-Spiel-Raumes) das Wesenhafte aufglänzt, „tritt alles an den Dingen und Menschen in das Gelöste seines Glanzes, und dieser wiederum fordert vom Menschen den Schmuck und das Schmücken" (ebd.). Der Schmuck und das Schmücken von Mensch und Ding ereignen sich also aus dem sich im feiernden Freiwerden vom Gewöhnlichen für das Ungewöhnliche an den Menschen übereignenden Glanz. Dabei ereignet sich ein Lösen. Der eingefahrene Bezug zu uns selbst, zu Mitmensch, Welt, Ding, Gott öffnet sich aus seiner Verklammerung in die alltägliche Vernutzung, um sich einzuwiegen in den uneigennützigen Bezug, d.h. in das Heilige, dessen Glanz die Feiernden schmückend in das Seiende bergen. Was aber ist der Glanz? Gemeinhin kennen wir den Glanz als die Spiegelung eines Lichtstrahls auf der Oberfläche eines glatten oder transparenten Körpers. Im Neuplatonismus wird dieses Verhältnis von Licht, Ding und Glanz zur Veranschaulichung der Emanationslehre, d.h. des Bezuges von höchster Idee, vermittelnder Idee und Seiendem, herangezogen. Doch liegt in solcher Sprechweise für Heidegger derselbe Zug zur Unterjochung der Wahrheit unter ein vorstellend-herzustellendes höchstes Seiendes wie in der geläufigen Vorstellung, das Schmücken erzeuge „für sich den Glanz der Feier" (GA 52, 66). Der Glanz ist lediglich Ab-glanz.Schon im Gespräch mit Heraklit hatte Heidegger darauf hingewiesen, daß das aus sich wesende Edle des reinen Aufgehens der φύσις der Wirkungen und Veranstaltungen unbedürftig ist. Es bleibt vom Gemache und seinen Aufmachungen unangetastet, indem es „ohne den hergemachten Aufputz und Flitter aus sich und ohne Vordrängen glänzt und alles überglänzt" (GA 55, 144). Das ursprüngliche Schmücken und Zieren entbehrt also des Behanges, der Ausstattung und der Aufmachung im herkömmlichen Sinn, „weil es das Schickliche erglänzen läßt" (GA 55, 163). Was so in den Glanz seines gefügen Erscheinens eröffnet und aufgemacht' wird, was so ersteht (κοσμέω), nennt Heraklit die Zier (κόσμος), „das Erscheinen im Lichte, das Stehen im Offenen des Ruhmes und Glanzes" (GA 55, 163 f.). Als die Fügung des Gefüges des Seienden ist der Kosmos „die Zier, in der und aus der das Seiende erglänzt" (ebd.), d.h. das anfängliche Zieren, das den Glanz des Fuges und Gefügten gibt und erglänzen und aufleuchten läßt. So ereignet sich das Gezierde aus der ursprünglichen Zier. Diese anfängliche Zier der φύσις als der lichtenden Fügung entzündet, „d.h. lichtet die Weiten, in deren Offenem erst Erscheinendes in die gefügte Weite seines Aussehens und Sichausnehmens auseinandergeht" (GA 55, 170). Hinsichtlich des Festes läßt Heidegger sich das Wesen der Zier von Hölderlins Pindar-Erfahrung zusprechen. Indem Hölderlin in der scharfen, kühlen
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2. Hauptstück, Kap. 3: Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis
Klarheit des Nordost als dem Heiligen seines Vaterlandes zurückbleibt, grüßt er das dem Geburtsland der Griechen Eigene und Wesentliche: „das glühend berückende und lichtend entzückende himmlische Feuer: das Erglänzen der goldenen Träume" (GA 52, 130). Wie wir bereits sahen, erkennen wir in dieser glühenden Berückung im Gegenzug zur lichtenden Entzückung das Grundgeftige des Zeit-Raumes, der im ersten Anfang nicht als zögernd Sichversagender weste, sondern als glühend Entzückender. Im zueinander-und-auseinander-sichhaltenden Widerspiel der ab-gründigen Berückung und Entrückung, etwa von Himmel und Ab-grund als des Zueinander-sich-Haltenden in seiner Widerspenstigkeit, läßt das Eine das berückende Gegensätzliche „nicht in den matten Ausgleich verlöschen, sondern nimmt es zu jener Ruhe zurück, die als stiller Glanz aus dem Feuer des Streites erstrahlt, darin Eines das Andere in das Erscheinen herausstellt. Diese Einheit der Allgegenwart ist das Entrückende. Die allgegenwärtige Natur berückt und entrückt. Das Zumal der Berückung und Entrückung ist aber das Wesen des Schönen" (GA 4, 53 f.). Diese epochale Wesungsweise des aufglänzenden Schönen als der Zier und des zierdeverhängenden Gottes in ihrem Widerspiel zur Ab-gründigkeit der Verbergung spricht Pindars Ode aus: „Aber wenn der Glanz, der gottgeschenkte kommt,/ Leuchtend Licht ist das bei den Männern/ und liebliches Leben". In solchen festlichen Augenblicken ist „,die Weltzeit der Milde', die Weile des Ausgleichs, d.h. das Fest" (GA 52, 115 f.). Die Gabe des gottgeschenkten Glanzes und der Liebe gewährt sich jedoch nur im Gegenhalt zum „Entschwinden des selbst schon abwesenden Lichtes und Glanzes, dessen, was von sich her an west und scheinend (leuchtend) erscheint" (GA 52, 116 f.). Der Glanz glänzt nur aus seiner Abwesung, ja nur aus seiner ab-gründig ausgestandenen abwesenden Anwesung heraus. Aus diesem, die Möglichkeit der Götterung gewährenden Ab-grund sind die goldenen Träume „schwer aus der Gediegenheit des Wesentlichen; [...] d.h. glänzend aus der Kostbarkeit des nahenden Geschenks; [...] d.h. edel aus der Reinheit des hier Entschiedenen" (GA 52, 121). Weil die Träume, die das Menschentum in die Entgegnung zu den Göttern rufen, wirklicher sind „als das gemeine Wirkliche der alltäglichen Nutzung und des Handgriffes der Tagwesen", heißen sie „die goldenen, d.h. an künftigem ,Seiendem' reichen, schweren, gediegenen und, weil kommenden, leuchtenden und in ihrem Glanz edlen, d.h. in sich selbst wesenden und des Gemeinen nicht bedürfend" (GA 52, 127). „Was in diesen Träumen erglänzt", so Heidegger, „sagt der Dichter nicht. Fast als sei es genug, daß das Feurige der goldenen Träume glüht und glänzt und zur Bestimmung für die Kunst stimmt" (GA 52, 122).Vor diesem Hintergrund kann Heidegger in der „Andenken"-Vorlesung davon sprechen, daß die Frauen den Glanz des Schicklichen entbinden (GA 52, 79). Das Schickliche glänzt, weil sich in seiner Schikkung das Heilige als jenes ereignet, das alles am rechten Ort und im Lot sein läßt. Der ding- bzw. naturhafte Glanz versammelt auf sich das Wechselspiel von Verbergung und Entbergung. Er ist weder die gleisnerische Überblendung jeglicher Dunkelheit noch die karge Abmattung und Verfinsterung, sondern das die lichtende Eröffnung (Himmel) und die verbergende Erschließung (Erde) auf
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sich versammelnde Wechselspiel beider. So können sich die feiernden Sterblichen im Spiel des dinghaften Glanzes einspielen in das Spiegelspiel von Himmel und Erde und im Aufgeschlossenwerden des Äthers des Heiligen zugleich vor den Göttlichen zu stehen kommen. Die sich verschließende, feste Erde eines Edelsteines etwa wird durch den Schliff in ihrer kristallinen, glatten Struktur den Strahlen des himmlischen Lichtes geöffnet. Beide glänzen nur, sofern sie einander nähernd zugeeignet sind. Vielleicht ist es deshalb auch heute noch so, daß die Sterblichen, die so zur Erde gehören, daß sie diese aus der Verfestigung leibhaft dem Himmel zu öffnen vermögen: die Frauen, jene Steine tragen, die als die härtesten zugleich die durchlässigsten und so glänzendsten sind. Oft aber tragen jene den Juwel, die heimatlos geworden sind gegenüber Himmel und Erde; oft glänzen die, die ihren geschichtlichen Bezug zu beiden austragen, ohne eines aufgeputzten Seienden zu bedürfen. Die Frau, die die Götternacht in sich austrägt, um den neuen Menschen aus ihr zu gebären, hat ihren Adel indes darin, in schlichtester Armut niederzukommen. Der Hochzeit von Tag und Nacht entspringt die Versöhnung erst, wenn beide einander ineinander herein- und auseinander heraufglänzen. Wenn der Glanz Menschen und Dinge erst dadurch in einen schmückenden oder schmucken Bezug zur Fuge bringt, daß Menschen und Götter sich fügen in das Schickliche, dann wird auch deutlich, daß ein Schatz behütet und etwas Wertes feiernd geteilt sein will, „weil" beide der Bergung in das Seiende und der Gründung in das Da-sein bedürfen. Zugleich erhellt sich, weshalb die im bloßen Abglanz des quantitativen Überflusses stehenden Reichen oft ärmer sind als jene, die ihr rares Gut schätzen und bewahren. Wie „das Freudige grüßt, indem es sich spart" (GA 4, 25), so bedarf der wesenhafte Reichtum der Armut, die sich für den Glanz und den Reichtum des Wesenhaften aufspart. Der Festschmuck ist allein wertvoll aus seinem schmiegenden Sichfügen in das Schickliche. „Wenn der Schmuck, wie das Wort sagt, sich der Sache anschmiegt, dann kann diese durch den Schmuck schöner hindurchscheinen, ohne daß wir den Schmuck eigens beachten, was ja gar nicht in seinem Sinn wäre." Deshalb kann „nur der überhaupt einen Gegenstand zieren und schmücken, der ihn recht kennt. Das Schmücken bestände eigentlich nur darin, daß wir die Sache selbst zum Leuchten bringen" (GA 77, 47).
d) Spiel, Tanz und Musik im Lot und in der Wiege des Anfänglichen
Zum Glanz der Feier gehört das Spiel. Bei Feiern werden Spiele gespielt; manche Feier wird gar ein Fest-Spiel genannt. Inwiefern spielt diese gängige Bedeutung von „Spiel" in jene hinein, die in Heideggers Spätdenken des Spiegel-Spiels der vier Weltgegenden eine so große Rolle spielt? Im seiner Vorlesung zum „Satz vom Grund" denkt Heidegger das Seinsgeschick selbst vom Herakliteischen αιών als einem Brettspiel spielenden Kinde her. Nicht nur das Denken, sondern auch das Feiern gelangt durch einen Sprung „in die Weite je20 Knödler
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nes Spiels, auf das unser Menschenwesen gesetzt ist. Nur insofern der Mensch in dieses Spiel gebracht und dabei aufs Spiel gesetzt ist, vermag er wahrhaft zu spielen und im Spiel zu bleiben" (SvG 186). Zum Denken oder Feiern dieses Spiels reicht die vorstellungshafte Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit nicht hin. So bringt Heidegger die φύσις als „das von-sich-her-Aufgehen, das zugleich west als Sichverbergen", und den κόσμος, „der griechisch zumal besagt Ordnung, Fügung und Schmuck, der als Glanz und Blitz zum Scheinen bringt", in Bezug zum λόγος. Dieser bringt „als das Selbe von Sein und Grund" den αιών, d.h. die Weltzeit und das Seinsgeschick und somit „die Fügung des Seins zum erglühenden Erglänzen". So spielt das Seinsgeschick den Sterblichen in seinem stiftend waltenden Gründen auch die festliche Welt- und Lebenszeit der Milde zu. Dabei spielt es kindesgleich, d.h. nicht auf Nutzen schielend. Das Spiel des Seins spielend, spielt es „weil es spielet", denn „Sein als gründendes hat keinen Grund, [sondern] spielt als der Ab-grund jenes Spiel, das als Geschick uns Sein und Grund zuspielt" (SvG 188). Insofern also Feiern Sicheinspielen heißt in das Fest-Spiel des Seins, kann Heidegger schon in der „Andenken"-Vorlesung sagen: „Zum Glanz der Feier gehören Spiel und Tanz" (GA 52, 67). Das in der Loslösung vom Gewöhnlichen ins Ungewöhnliche gelöste Verhalten und die mit dem „Maß" an Erwartung umso schwingender und schwebender werdende Haltung kann entweder ins Ungebundene taumeln oder sich „an das Wesenhafte und an die verborgene Fügsamkeit und Regel des Seienden" (GA 52, 66 f.) binden. „Die freischwingende Bindung in die Regel und die aus solcher Schwingung stammende Entfaltung des Reichtums der freien Möglichkeiten des Regelmäßigen, das ist das Wesen des Spiels" (GA 52, 67). So hat das Spiel einen ausgezeichneten ZeitSpiel-Raum im Fest. Indem das Dasein zu Zeiten, zu Festzeiten etwa, seines gewohnten und verwohnten Un-grundes ent-rückt und eine Zeit lang in den Ab-grund eingerückt wird, hat es „end-lich-ein-mal" Zeit, sich in das dialektisch nicht faßbare Widerspiel von Gesetz und Freiheit, χάος und φύσις, einzuspielen. Dieses Ablassen vom Mach- und Nutzbaren des Alltags für das immer schon wesende, doch nur selten oder niemals in seiner Einzigkeit erfahrene Sein, fällt leichter im Binnenraum des Spieles. Wo Regel und Freiheit leichter in sich schwingen, vermag der Mensch sich einzuschwingen in jenes Schickliche, das sich ihm in der Fuge des ereignenden Zuwurfs zuschickt, aus dem er sowohl verbindlich als auch frei wird.Eine andere Weise das Spiel (und Spiegelspiel) des Ereignisses ins Seiende zu bergen, d.h. so in die Bergungsweise des Spielens zu bringen, daß aus ihm der Glanz des Heiligen erglänzt, ist der Tanz, der dem Spiel schon von der Herkunft des Wortes ,spil' her nahe steht. Auch der Reigen ist für Heidegger vorerst einmal „der griechische χορός, der festlich singende, den Gott feiernde Tanz" als „das trunkene Zueinander der
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Götter selbst im himmlischen Feuer der Freude" (GA 4, 174) 11 . Im festlichen Reigen kommt der große Anfang des un-endlichen Bezuges der vier Weltgegenden in das Geringe, d.h. in das „Leichte, Geschmeidige, Fügsame" (GA 4, 173) der feiernd zumal gelösten und gebundenden Sterblichen. Im Gesang tanzen die Himmlischen aus ihrem Feuer auf die Erde zu und fügen so Himmel und Erde, Göttliche und Sterbliche in das Kommen ihres un-endlichen Verhältnisses. Diese Fügung bringt die Bewegungen der Feiernden ins Lot. Indem die Sterblichen in einem zumal im Tanz in der beherrschten und der freischwingenden Einheit ihrer Gestalt ins Spiel kommen, öffnet sich ihre erdenschwere Gestalt der Weite und Helle des Himmels und kommt als aufrecht dem Tod entgegenschreitende (entgegentanzende) vor den Göttern zu stehen. Die vom Alltag geschundene und gezwungene Schwere ihres erdhaften Leibes geht ekstatisch auf in den festlich aufrecht schreitenden Gang unter dem Himmel. Zugleich halten ihre getragen oder heiter aus dem Gegenschwung mit dem bewegenden Zuwurf bewegten Leiber als sterbliche an (sich) vor den Göttlichen. Im Tanz wird die Wahrheit des Seyns ausgleichend in das Seiende des bewegt sich bewegenden Leibes geborgen. Indem im Fest die vier Weltgegenden einander in ihrem Spiegel-Spiel zugetraut werden, west dieses in seiner Weile als der „Reigen des Ereignens". Von diesem ursprünglichen Reigen, in den jeder tanzende, Kränze flechtende, Runden bildende, Lebensalter und Jahreszeiten vollendende Reigen nur einschwingen kann, sagt Heidegger im „Ding"-Vortrag, er sei „der Ring, der ringt, indem er als das Spiegeln spielt". Dieser Ring lichtet ereignend Himmel und Erde, Göttliche und Sterbliche „in den Glanz ihrer Einfalt. Erglänzend vereignet der Ring die Vier überallhin offen in das Rätsel ihres Wesens" (GA 79, 19). Das Spiegel-Spiel des Gegen-einander-über des un-endlichen Bezuges fügt Feiernde und Gefeiertes in den Reigen und gibt den Takt des Welt-Fest-Spieles an. Denn auch Rhythmus (ρυσμός) heißt „nicht Fluß und Fließen, sondern Fügung. Der Rhythmus ist das Ruhende, das die Be-wegung des Tanzens und Singens fügt und so in sich beruhen läßt. Der Rhythmus verleiht die Ruhe" (GA 12, 217). 12 11
Piaton hingegen sieht im Spiel die Weise des Menschen als des Spielzeugs der Götter, die Huld derselben zu erlangen (Nom. 803 c - 804 b). Spielend spielt sich der in seiner Kunstfertigkeit lediglich Abbilder schaffende Mensch auf die Urbilder ein. 12 G. Pöltner versucht im Ausgang von Heideggers Gedächtnis an Mozart (SvG, 118) die Musik ereignishaft zu denken. „Die Musik", so Pölntner, „ist in einem ausgezeichneten Sinn die Kunst der Ge-stimmtheit des Menschen" (ders., Mozart und Heidegger. In: Heidegger Studies Vol 8 (1992), S. 142). Entgegen der gängigen Behauptung, Heideggers Philosophieren sei „musikfeindlich", kehrt die Musik nach Pöltner die Zugehörigkeit der Welt „zum Menschenwesen hervor: geschichtlich sich ereignender Zuspruch der Unverborgenheit zu sein, der nicht ohne den Menschen ergeht. Die Musik setzt ins Werk, daß die Unverborgenheit das Menschenwesen braucht, und der Mensch der vom Sein in Anspruch genommene ist: Sie ist im ausgezeichneten Sinn die Kunst des Ereignisses" (a.a.O., 142 f.). Ungeachtet des wertenden Momentes dieser Ausführungen erscheint es mir vorbildlich und ganz im Sinne eines geschichtlich-verantwortlichen Um-
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Aus solcher Ruhe erwächst auch jene „ungewöhnliche Sammlung" (GA 12, 111), die in der feierlichen Gebärde Gewaltiges erscheinen läßt. In der Gebärde versammeln wir ein Tragen, in dem sich uns das eigentlich Tragende „erst zuträgt" (GA 12, 102) und wir ihm zugleich unseren Anteil entgegentragen, ,,[w]obei jenes, was sich uns zuträgt, unser Entgegentragen schon in den Zutrag getragen hat" (ebd.). So entquillt „alles Tragen, Zutrag und Entgegentragen, erst und und nur der Versammlung" (GA 12, 103). Das Eigentliche der Gebärde hat seinen Ort in einem unsichtbaren Schauen, „das sich so gesammelt der Leere entgegenträgt, daß in ihr und durch sie" das Gebärdete erscheint. Die Leere aber entspricht auch hier dem nichtend-abgründenden Sein, d.h. jenem „das wir als das Andere zu allem An- und Abwesenden zu denken versuchen" (ebd.). Das menschliche Gebärden-Spiel ist als welteröffnendes stets dichterisch, d.h. weltaufschließend-hervorbringend. In der feierlichen Gebärde aber vermag es dichterisch zu werden in einem hohen, geschichtsstiftenden Sinne.
e) Der Rausch als die heiligtrunkene
Nüchternheit
„Das Brot heilen. Den Wein an den Tisch bringen." René Char 13
Der hochzeitliche Reigen feiert als χοροΐς τιμάν Διόνυσον tanzend und singend den Gott des Weines. Gewiß ist dieser Gott „ein gewesener Gott" (GA 52, 143), doch indem er immergrün den Tag mit der Nacht und den Sommer mit dem Winter aussöhnt, bewahrt er den künftigen Aufgang im Seinlassen des Untergangs als Untergang und bringt „selbst die Spur der entflohenen Götter/ Götterlosen hinab unter das Finstere" (IV, 125 ff). Er bringt die Spur, indem er die Winke der Götter an die Menschen weitergibt, d.h. in der Mitte ist zwischen dem Seyn der Götter und Menschen. Darin gleicht er als der ausgezeichnete unter den Halbgöttern den Dichtern. Er ist das Ja des wildesten, im zeugerischen Drang unerschöpfbaren Lebens, und er ist das Nein des furchtbarsten Todes der Zernichtung. Er ist die Seligkeit zauberischer Berückung und das Grauen eines wirren Entsetzens. Er ist das Eine, indem er das Andere ist, d.h. er ist, indem er ist, zugleich nicht; indem er nicht ist, ist er. Sein aber heißt für die Griechen Anwesenheit' - παρουσία. Anwesend west dieser Halbgott ab, und abwesend west er an. (GA 39, 189)
Als „Sinnbild" dieses anwesend Abwesenden und abwesend Anwesenden nennt Heidegger die Maske. Ihre Bedeutsamkeit liegt weniger darin, daß sie Jemanden" hinter sich versteckt, der maskiert oder entlarvt werden müßte, son-
gangs mit einem Denker, dessen Endlichkeit durch die Weiterentfaltung eines ihm versagt gebliebenen Phänomenbereiches zu würdigen. 13 „Guérir le pain. Attabier le vin." R. Char, Hypnos. Aufzeichnungen 1943-1944. Dt. v. P. Celan. Hg. v. H. Wernicke. Frankfurt a.M. 1990.
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dem daß das wechselweise Hervor- und Zurücktretenlassen, d.h. das Wechselspiel zwischen Maskierung und Demaskierung, das dreifache VerbergungsEntbergungs-Geschehen der Wahrheit auf sich versammelt. Die Menschen sind zwar vom Anwesen angegangen, ,,[w]eil aber das Anwesen sich zugleich verbirgt, ist es schon selbst das Abwesen" (HW 267). Indem sein Maskenspiel die Maskenhaftigkeit unseres Geschichtsbezuges entlarvt, entsetzt uns der Weingott; indem er die Heraufkunft einer künftigen Götterung heraufschimmern läßt, berückt er uns. Damit weist er die in den Ab-grund des Zeit-Spiel-Raumes einer künftigen Götterung führende Spur der entflohenen Götter: Diese Spur bringt nach Hölderlins Erfahrung Dionysos, der Weingott, den Gottlosen unter das Finstere ihrer Weltnacht hinab. Denn der Gott der Rebe verwahrt in dieser und in deren Frucht zugleich das wesenhafte Zueinander von Erde und Himmel als der Stätte des Brautfestes für Menschen und Götter. Nur im Bereich dieser Stätte können noch, wenn irgendwo, Spuren der entflohenen Götter für die gott-losen Menschen zurückbleiben. (HW 267)
Zu jenen heiligen Priestern, „Welche von Landes zu Land zogen in heiliger Nacht", gehören heute die Dichter als jene Sterblichen, die in dürftiger Zeit „mit Ernst den Weingott singend, die Spur der entflohenen Götter spüren, auf deren Spur bleiben und so den verwandten Sterblichen den Weg spuren zur Wende" (HW 268). Wenn wir als Denkende oder Feiernde die Verwandtschaft mit den Dichtern pflegen, dann „behält der Wein im künftigen Fest und für dessen Vorbereitung durch die Dichter eine wesentliche Bestimmung" (GA 52, 143). Diese Bestimmung liegt nun gerade nicht im Ausweichen vor dem Gang in die Aneignung des Eigenen, sondern in der im Schwersten ausharrenden Vorbereitung der Feier. Ist diese aber nicht die „Klarheit der Darstellung"? Wie geht mit Wein und Rausch die nüchterne Klarheit einher? Die Verbindung rührt daher, daß die Darstellung nur dann dem Darzustellenden und der Darstellung zu entsprechen vermag, d.h. nur dann ins Freie kommt, „wenn sie am Dunkeln sich mißt, sich erprüft und erfüllt und so erst reif wird" (GA 52, 145). Um das Zugewiesene darstellen zu können und damit frei zum Eigenen zu kommen, muß die Darstellung lernen, sich für das Ursprüngliche und Anfängliche als dem gegenüber aller Eigensucht Anderen und Fremden zu öffnen. Dieses Andere ist ,,[d]as Dunkle des noch nicht Dargestellten, was auf das Darstellen und Gebautwerden harrt" (ebd.) und das die Hymne in der Bitte um die Darreichung des Bechers dunkeln Lichtes ausspricht. Das so Darzustellende „ist die Geschichte, das Werden im Vergehen, das Kommen des Festes" (GA 52, 146). Weil aber das Fest die Geschichte des Heiligen als des Höchsten ist, muß auch das Besinnen ein höheres sein. Inwiefern? Insofern als es „von trunkener Stirn" (IV, 112, V. 13 ff.) entspringt. 14 So frönt diese Trunkenheit ebensowenig dem sich betäu-
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Zum Trinken gehört „das Aufnehmen der anderen Frucht, das Vernehmen des im geglückten Liede wehenden Geistes durch die Menschen", in welchem diese „die erwa-
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benden und vergessenden Rausch des Besinnungslosen, wie die Bitte um den Becher „nach einem Mittel der Anstachelung und der Aufreizung" (ebd.) verlangt. Denn im Gegensatz zur bloßen Betrunkenheit als einem blinden Taumel und einer besinnungslosen Hingerissenheit meint die Trunkenheit Heidegger zufolge „ein Erfülltsein, das eine eigene Sammlung und Bereitschaft einschließt" und in der Erhabenheit der Stimmung „zum äußersten Anderen ihrer selbst entschieden ist; entschieden nicht kraft eines errechneten Entschlusses, wohl aber entschieden aus dem Getragenwerden von dem, was sie als Stimmung durchstimmt" (GA 52, 147). Das derart Stimmende aber ist das Heilige, dessen stimmendem Gruß die trunkene Begeisterung wiedergrüßend entspricht. Indem die getragene Erhabenheit der Stimmung der „trunkenen Stirn" derart in die Höhe versetzt wird, aus der das Besinnen ein höheres sein kann, bleibt sie zugleich denkend in der Nähe zum Höchsten, d.h. Heiligen. Diese Kühnheit des Verweilens in der Höhe des Höchsten ist als die Nüchternheit des höheren Denkens zugleich erfüllt von Trunkenheit. Denn die Trunkenheit findet in der Nüchternheit das, „was ihr entspricht, sie anspricht und ins Wort hebt, d.h. darstellt" (ebd.). Die Trunkenheit entfaltet sich im Element des Klaren. Deshalb heißt also der Wein „der duftende Becher dunkeln Lichtes". Indem der Dichter nach dem Becher ruft, ruft er nach dem Heiligen, das dem Vermögen seiner klaren Darstellung erst noch als Darzustellendes gebracht werden muß. „Das dunkle Licht" und die von ihm geschenkte heilignüchterne Trunkenheit versammeln auf sich die Unverborgenheit und ihre drei Weisen der Verbergung. Denn wie das dunkle Licht, so ist auch die im Widerspiel zur λήθη stehende ά-λήθεια „ein Leuchten, das zum Scheinen kommt durch sein Dunkel, so daß hier etwas erscheint, indem es sich verbirgt" (GA 52, 149). Entsprechend wird auch das Darstellen durch das Sichfügen der Darstellung in das Dunkle und Verhüllte des Darzustellenden in die Kühnheit erhoben, dem dunklen Leuchten in der zu erringenden Klarheit des Darstellens zu entsprechen und ins Freie seines Wesens zu kommen. Rainer Maria Rilke hat die Wesung von festlichem Mahl, festlicher Gemeinschaft, festlichem Glanz, festlicher Musik, festlichem Tanz, festlichem Schmuck und festlichem Rausch in einer Weise gedichtet, die wir hier und nun für sich sprechen lassen wollen: Als Mahl beganns. Und ist ein Fest geworden, kaum weiß man wie. Die hohen Flammen flackten, die Stimmen schwirrten, wirre Lieder klirrten aus Glas und Glanz, und endlich aus den reifgewordnen Takten: entsprang der Tanz. Und alle riß er hin. Das war ein Wellenschlagen in den Sälen, ein Sich-Begegnen und ein SichErwählen, ein Abschiednehmen und ein Wiederfinden, ein Glanzgenießen und ein Lichterblinden und ein Sich-Wiegen in den Sommerwinden, die in den Kleidern warmer Frauen sind. chende Begeisterung, die glühende Helle" (GA 4. 70) des himmlischen Feuers übernehmen.
§ 21 Der Ball des Seyns
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Aus dunklem Wein und tausend Rosen rinnt die Stunde rauschend in den Traum der Nacht. 15
§ 21 Der Ball des Seyns
a) Die Schenkung des Kelches „Speise und Trank bekommen uns wohl, was aber nützt es, Güter anzuhäufen? Nur was du gibst, ist wahrhaft dein, was du behältst, das ist verloren!" Schota Rustaweli 16
Der Wein wird im Kelch gereicht, dem Becher voll dunkeln Lichtes. Wie der Kelch festlich zu denken sei, weist uns das Denken des Kruges im „Ding"Vortrag an. Die abendländische Metaphysik faßt den Krug als ein für sich bestehendes Ding, das sein Bestehen in dem hat, woraus es besteht (Stoff) und wie es daraus besteht (Form). Als ein von Menschenhand gefertigtes Ding wird sein Dingcharakter mit Hinblick auf seine verursachend bewirkende Verfertigung, d.h. auf die Her-stellung (τέχνη) seines Aussehens (είδος) verstanden. Bevor der Krug durch das Her-stellen aus der eigens dafür ausgewählten und zubereiteten Erde zum Insichstehen gebracht werden kann, muß er zuvor sein Aussehen für den Hersteller gezeigt haben. So wurde seit Piaton „alles Anwesende als Gegenstand des Herstellers erfahren; wir sagen statt Gegenstand genauer: Herstand" (GA 79, 7). Im Her-Stand waltet ein Zwiefaches: „einmal das Her-Stehen im Sinne des Herstammens aus..., sei dies ein Sichhervorbringen oder ein Hergestelltwerden; zum anderen das Her-Stehen im Sinne des Hereinstehens des Hervorgebrachten in die Unverborgenheit des schon Anwesenden" (GA 79, 7). Dabei läßt die Herstellung zwar den Krug in sein Eigenstes eingehen, doch wird das Eigene des Krugwesens „niemals durch die Herstellung verfertigt" (GA 79, 7)· Wie es scheint, beruht das Dinghafte des Kruges darin, ein Gefäß zu sein, bei dessen Füllung Boden, Rand und Wandung das Fassen übernehmen. Indes gießen wir den Wein weder in die Wandung noch in den Boden, sondern eher zwischen die Wandung und auf den Boden. Dies aber heißt, daß die Leere, das Nichts am Krug, das Fassende des Gefäßes ist. 17 Was aber ist die Leere? Ist sie 15 R. M. Rilke, Die Weise von Liebe und Tod des Cornet Christoph Rilke. Sämtliche Werke Bd I. Frankfurt a. M. 1987, S. 242 f. 16 S. Rustaweli, Der Mann im Pantherfell. A.d. Georg, übertr. v. R. Neukomm. Zürich 1974, S. 11. 17 Diese unfaßliche Leere ist es, in die der Töpfer die Gestalt von Wand und Boden
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etwa der physikalische Hohlraum, der durch ein Luftgemisch ausgefüllt wird, das beim Einschenken in einer „Auswechslung des Vollen" (GA 77, 132) durch die dichtere Flüssigkeit des Weines verdrängt wird? Erschöpft sich das Fassen im Verdrängungsvorgang zweier masseverschiedener Stoffe innerhalb eines Hohlraums? Ist der gefaßte Wein eine bloße Flüssigkeit als allgemein möglicher Aggregatzustand der Stoffe? Wenn wir den Krug vom Ausgießen als von dem her bestimmen, worauf der Krug als Krug abgestimmt ist, dann zeigt sich, daß die Leere in zweifacher Weise faßt. Zum einen faßt sie nehmend, zum anderen behaltend. Indem sie den Guß sowohl nimmt als auch einbehält, vermag sie den Guß zu schenken. Das Fassen des Gefäßes west so im ausgießenden Schenken des Gusses. Im Fassen versammeln sich das Nehmen von Einguß und das Einbehalten des Gusses in das Ausgießen, wodurch das Schenken im Sinne der versammelnden Vorsilbe Ge- zum Geschenk wird. Ein solches Geschenk des Gusses kann ein Trunk des Wassers oder des Weines sein. In einem solchen vom Guß feierlich geschenkten Trank nun werden die vier Weltgegenden des Gevierts in festlicher Weise versammelt. Insofern in der im Wasser des Geschenkes weilenden Quelle das Gestein und aller dunkle Schlummer der Erde weilt und diese den Regen und den Tau des Himmels empfängt, weilt im Wasser der im Guß verschenkten Quelle „die Hochzeit von Himmel und Erde" (GA 79, 11). Die Hochzeit von Himmel und Erde weilt zugleich im Wein als der Frucht der Rebe, „die das Näherende der Erde und die Sonne des Himmels einander zugetraut hat" (ebd.). Indem in dem im Guß verschenkten Wasser und im Wein jeweils Erde und Himmel weilen, weilen sie auch im Wesen des Kruges. Doch labt der vom Guß verschenkte Trank zugleich den Durst der Sterblichen. „Er erquickt ihre Muße. Er erheitert ihre Geselligkeit." (GA 79, 11) Wird dagegen der Guß zur Weihe geschenkt, dann stillt er nicht einen Durst. Er stillt die Feier des Festes ins Hohe. Jetzt wird das Geschenk des Gusses weder in einer Schenke geschenkt, noch ist das Geschenk ein Trunk für die Sterblichen. Der Guß ist der den unsterblichen Göttern gespendete Trank. Das Geschenk des Gusses als Trank ist das eigentliche Geschenk. Im Schenken des geweihten Trankes west der gießende Krug als das schenkende Geschenk. (GA 79, 12)
Auch das Gießen des Gusses in den Kelch will also gelernt sein. Zum bloßen Ein- und Ausschenken geworden, kann sein Wesen zum gewöhnlichen Ausschank verwesen und zum bloßen Ein- und Ausschütten verkümmern. Im ereignishaft erfahrenen Geschenk des Gusses dagegen „weilen zumal Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen" (GA 79, 12). Die Vier weilen in ihrer Einfalt und werden, in das Lichte ihrer Einfalt gebracht, „einander zuge-
und Rand faßt. Er gestaltet also nicht eigentlich den Krug oder den Ton, „er gestaltet die Leere" (GA 79, 8).
§ 21 Der Ball des Seyns
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traut" (ebd.). So sind Krug und Kelch jene Dinge, die dingend Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen zueinander verweilen und verweilend „die Vier in ihren Fernen einander [nähernd] nahe bring[en]" (GA 79, 17). Das Dingen des Krugdinges ist als das versammelnd-ereignende Verweilen des Gevierts festlichen Wesens. Das „Feldweg-Gespräch" geht noch deutlicher auf dieses festliche Wesen von Krug und Kelch ein. Als eine Leere an Trank faßt die Leere des Kruges den Trank, „bewahrt ihn auf und steht zu seiner Aufbewahrung bereit" (GA 77, 134). Der Trank selbst, in dem das also Fassende des Gefäßes weilt, weilt wiederum im Getränk als der Versammlung „des tränkenden Trinkbaren und des trinkbaren Getrunkenen des Trinkens. Das Getränk ist Trank und Trunk" (GA 77, 135). Das trinkbare Tränkende des Weines, den der Mensch trinkt, „weilt in der Rebe, die weilt in der Erde und in den Gaben des Himmels" (ebd.). So ist die Leere des Kruges in die Weite der vier Welt-gegenden verweilt. Indem diese Weite den Krug „in das Beruhen in der Rückkehr zu sich selbst" (ebd.) verweilt, ist der Krug erst er selbst, indem er in dieser Weite beruht, und in Wahrheit „das Selbe ist wie Rebe und Sonnenschein" (ebd.). Diese Selbigkeit glänzt auf, wenn der Saft der Rebe im festlichen Guß im Kelch erglänzt und so Himmel und Erde, Sonne und Rebe im Becher voll dunkeln Lichtes zueinander verweilt. Der Trank aber mag getrunken werden. Wasser trinken wir, weil wir Durst haben, Wein zuweilen auch, „wenn wir keinen Durst haben" (GA 77, 135). Wir können so „über den Durst trinken", daß wir uns besaufen, doch können wir auch „über den Durst als einen gewöhnlichen Anlaß zum Trinken hinauskommen und zur Geselligkeit trinken [oder] zum Abschied oder zum Gedächtnis oder sonstwie zur Feier" (GA 77, 136). Dabei kann unser Andenken in verschiedener Weise zum Schwank werden. Der Bogenschwung des Andenkens kann sich einwiegen lassen in die heiter-gelassene Ruhe des Anfänglichen; das unentschlossene Verhalten kann sich über seine eingefahrene Selbst- und Welterfahrung hinweg zum Über-schwang einer neuen Entschlossenheit aufschwingen; er kann aber auch im Nächstbesten des tobenden Bürgerzwistes und der Kentaurenkämpfe der Moderne erlahmen und sich zur bloßen Überheblichkeit aufspreizen. So weilt der Trank im Fest. Das Fest aber gehört in jene Weite, „die den Trank verweilt, worin die Leere des Kruges weilt" (GA 77, 136). Der Krug ist mit-verweilt in seine Weile aus der festlichen Weite der vier Weltgegenden, d.h. er ist „etwas Festliches" (ebd.). Als festliches Ding vermag er deshalb auch in umgekehrter Richtung das Feiern des Menschen auf sich zu versammeln und ihn mit-zuverweilen in seine Weile als einen Sterblichen vor den Göttlichen auf der Erde unter dem Himmel.
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2. Hauptstück, Kap. 3: Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis b) Das festliche
Rund
Es fällt schwer, in Anbetracht eines solchen Denkens nicht einem vorstellenden Denken zu verfallen, das sich den Himmel als eine Kuppel und die Erde als einer Schale Rund vor ein „geistiges Auge" führt. Es ist nicht leicht, den von den Sterblichen gespendeten Opfertrank für die unsterblichen Götter zu denken, ohne sich einen kausal-berechnenden Bezug vorzustellen. Zudem stellt sich die Frage, ob, wenn jene fehlen, denen wir opfern könnten, nicht jedes Opfer Verschwendung ist? Ist es nicht ohnehin purer Aberglaube, etwas zu erwarten, das so fern ist? Wie soll überhaupt das in sich runde, d.h. das in sich gefügte Ganze des un-endlichen Bezuges wesen, wenn die Sterblichen vor den Göttlichen als vor einem Ab-grund zu stehen kommen? Sollen wir dem Nichts opfern? Bei Hölderlin hieß es, der Gott des Weines habe die Spuren der entflohenen Götter den Sterblichen unter das Finstere ihrer Weltnacht herabgebracht und bewahre ihnen in seiner Frucht „zugleich das wesenhafte zueinander von Erde und Himmel als der Stätte des Brautfestes für Menschen und Götter" (HW 267). Wir hatten dargelegt, wie diese Spur anwest im Übergangsphänomen der Nacht als dem Zeit-Raum des Andenkens an die untergegangenen Götter und des Aufganges der künftigen. Wie auch hinsichtlich der anderen Übergangsphänomene des Festes (z.B. Liebe und Tod), gilt es demnach zu bedenken, wie der Übergang aller Übergänge, d.h. das Spiegel-Spiel des Gevierts, in der festlosen Zeit als entrückendes Sichversagen hinausreicht in einen Ab-grund, aus dem sich in der zögernden Berückung die Möglichkeit einer künftigen Götterung ereignet. Womöglich tun wir wohl daran, dem Währen des Umhalts, durch den die räumende Berückung den Bezug zum Halten bringt, eine größere Gewähr und einen festeren Stand (πίστις) zuzusprechen als Heidegger. Gewiß folge ich Heidegger darin, daß sich die Götterung im Feiern des zeitgenössischen Menschen weitgehend versagt. Ein Ab-grund „trennt" uns vom gewesenen und künftigen Brautfest und will in allen Ekstasen ausgestanden werden. Die Grunderfahrung ist im besten Falle, d.h. so wir die Not der Notlosigkeit austragen und verhalten in die Sorge übernehmen, eine solche der Abwesung. Doch sammelt sich im ziehenden Zug des Entzuges noch „vor" der andersanfänglichen Berückung die Leere mit der Fülle eines verschwiegenen „Du bist so nah, als weiltest Du nicht hier". Indem das langmütige Herz im höchsten, verhaltensten und scheusten Sinne Ausschau hält nach der An- und Wiederkunft der Götterung, füllt sich schon das Herz des fernend-nähernden Widerspiels von Verbergung und Entbergung. Die Gottheit wartet. Während wir in die Richtung aller Richtungen blicken, aus welcher der Fahrtwind der Heimkunft aufkommen soll und unsere Segel schlaff und ausgebeult wähnen, sammelt sich in unserem Rücken der Wind der Winde, der alle Fernung und Näherung durchweht. Dieser Hauch ist der Gegenwind zu jenem Fahrtwind. Es ist der Wind, der auch das Zungensegel des Dichters und das Herz der Liebenden je schon anrührt, „bevor" sie mit dem Atmen anheben. Er ist die pochende und atmende Kehre als das Widerspiel von
315
§ 21 Der Ball des Seyns
Umhalt und Sammlung. Nichtsdestotrotz sind die Dichter die Spurer der Spur zur Spur. „Ihr Gesang feiert das Unversehrte der Kugel des Seins" (HW, 315) Sphärisch im Äther der Kehrungsbahnen der lichtend-verbergenden Ereignung kreisend, dichtet die Kugel des Seyns Welt. Der Reigen ihrer seienden Übergänge kann feiernd zum festlichen Reigentanz (bailare) geborgen und gegründet werden. Im Fest werden Ein- und Ausatmung, Tag und Nacht und die anderen festlich begangenen Übergänge zu schenkend-beschenkten Kehren dieser Dichtung. Auf dem Ball des Seins perlt das gemeinschaftliche Widerspiel zwischen Dir, Mir, Euch, Ihnen und Uns feiernd die Erde, den Himmel, die Sterblichen und die Göttlichen in die Heitere eines jubelnden Spiels. Und das Wort jenes bereits spätgriechischen Denkers, der die Philosophie in einem Garten vor der Welt verschloß, geht auf in einen neuen Sinn: „Die Freundschaft umtanzt den Erdkreis, uns allen verkündend, daß wir erwachen sollen zur Seligkeit" 18
c) Die verschwiegene
Meisterschaft
des Festes
„... er kam doch heimlich zu dem Fest4' Johannes Tauler ]9
Noch leben wir in einer Zeit des Übergangs in jene festlichen Übergänge. Der Weg zum übergänglichen Fest steht unter dem unvernehmbar dröhnenden Donner der gewesenen Götterung. Dieser morgenjubelnde Widerhall hat eine Spur in jeden Tag gelegt. Der Nachhall schallt in die Künftigkeit, hallt aus dem ungeahnten Umhalt einer möglichen künftigen Götterung zurück in ein Gewesendes und trifft so mit dem eröffneten Künftigenden auf die sicheröffnende Gegenwart. Meist bleibt dieser stumme Hall und Widerhall unerhört, wenngleich der Lärm, mit dem wir jede Ruhe zerreißen, sich wie ein einziges Übertönenwollen dieser Stille ausnimmt. Denn im Lärm schweigen Hall und Widerhall, in der Sammlung feierlicher Stille grüßen sie. Was nun, wenn wir unser Feiern verfügen lassen und im Gespräch unter Freunden jener Spur folgen, die das Weltgedicht uns vor-sagt? Was, wenn wir uns auf den Weg machen und uns gemeinsam im Andenken üben? Was, wenn wir gewesener Fahrten und Taten und Tagen der Liebe gedenken und dem uneigennützigen Bezug auf die Spur kommen, der in all dem waltet? Was also, wenn wir die Nacht als Nacht und die untergegangenene Götterung als einen zwar kaum geglaubten, viel bezweifelten, aber dennoch mit jedem Herzschlag mitgetragenen Morgenjubel wesen lassen?
18
Epikur, Philosophie der Freude. Eine Auswahl aus seinen Schriften übers., erl. u. eingel. v. J. Mewaldt. Stuttgart 1973. 19 J. Tauler, Predigten (2 Bde). Vollständige Ausgabe Bd. 1. Übertr. u. hg. v. G. Hoffmann. Einsiedeln 1979, S. 84.
316
2. Hauptstück, Kap. 3: Das andenkende Weg-Gespräch in das Ereignis
Womöglich schließt das andenkend-übergängliche Ergehen dieses Weges die Welt in einer bislang ungeahnten Fragwürdigkeit auf. Unser zweifelndverzweifeltes Zwiegespräch mag abwägen, ob einst wirklich etwas aus der Ferne kommen könnte, das näher liegt als das Naheliegendste. Und unversehends, indem wir gemeinsam gehen, gesellt sich unserem Gang die Frage zu, was war, ist und wird. Und mit einem Mal begibt sich unsere Rede des Dranges, einen Antwortenkatalog aufzuraffen, und läßt die Fragwürdigkeit zu einem ausgezeichneten Vollzugssinn des Existierens werden. Der Gang zum Fest wird zum Fragegang in einem gesprächshaft-kundebringenden Sinne. Die Kunde schließt einen Zeit-Raum auf, aus dessen Berückungs-Entrückungsgefüge wir in die Frage und d.h. in jenen Ab-grund gestellt werden, der auf diesem WegGespräch vorerst die einzige Antwort auf die Fragwürdigkeit unseres Ganges sein kann. Traurig-zweifelnd fragen wir hinaus in die Nichtung des Ab-grundes und von hinten hallt die Antwort auf uns zurück. Aus der Nacht der Versagung meldet sich die wahre Sicherheit und Festigkeit. So erwächst aus dem zweisam geteilten Zweifel an den Verheißungen des Wiederaufgangs aus dem Untergang ein Drittes. Dieses Dritte gibt uns den Schwung, immer weiter hinauszuschwingen in das Gewesende und somit den Augenblick zu einer immer weiteren Stätte aufgehen zu lassen. Und wenn wir endlich einrücken in die Nacht als Nacht, werden wir die sich zu uns gesellende Fragwürdigkeit womöglich zu uns einladen und ihr eine Bleibe gewähren. Mit dem gebrochenen Brot mag dann das Siegel von unseren Augen brechen. Die durchgötterte Menschenmöglichkeit tritt uns vor Ort vor Augen. Und dies einen Augenblick lang, um zu verschwinden, bevor unsere Augen nach einem geistigen, feinstofflichen, halluzinierten oder sonstwie Gegen-ständlichen spähen. Und wir sehen sie nicht mehr, die schweigend-verschwiegende, mit jedem Atemzug und Herzschlag uns gut zusprechende Meisterschaft des Festes. Im rückblickenden Andenken aber wird uns nun gewahr, daß die Götterung mit uns auf dem Weg zum Fest war. Und aus dem Andenken schwingt das Warten hinüber auf eine bevorstehende Ankunft, die den Atem bereiten wird für eine weitere Sammlung. Und womöglich sprechen auch wir dann, einst einmal, jene Einladung zum Abendmahl aus, in der Denken und Feiern einander in ihr Heiligtum einweihen: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete" (Luk 24, 32).
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