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German Pages 295 [296] Year 2016
Lisa Egloff Das Böse als Vollzug menschlicher Freiheit
Quellen und Studien zur Philosophie
Herausgegeben von Jens Halfwassen, Dominik Perler und Michael Quante
Band 128
Lisa Egloff
Das Böse als Vollzug menschlicher Freiheit
Die Neuausrichtung idealistischer Systemphilosophie in Schellings Freiheitsschrift
ISBN 978-3-11-047482-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-047597-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047488-6 ISSN 0344-8142 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Konrad Triltsch, Print und digitale Medien GmbH, Ochsenfurt Druck und Bindung: Hubert und Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Einleitung 1 . Thematische Einführung 1 . Exposition der Grundthese im Horizont der Schellingforschung
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Kontext 30 . System der Freiheit. Der idealistische Ansatz der Freiheitsschrift in der Kantnachfolge 30 .. Der Wille als causa noumenon 35 41 .. Die Transformation des kantischen Willensbegriffs .. Der Wille als erstes Prinzip in Schellings Philosophie 54 . Die Abgrenzung vom Identitätssystem und vom fichteschen 65 Frühidealismus .. Leistung und Grenze der intellektuellen Anschauung 69 .. Selbstheit statt Ichheit. Der Subjektivitätsbegriff der 82 Freiheitsschrift .. Das Verhältnis von Wille und Vernunft in Fichtes Frühphilosophie 85 Das Böse als Freiheitsvollzug 93 . Die derivierte Absolutheit menschlicher Freiheit 93 .. Die Absolutheit. Das Böse als Sünde 97 125 .. Die Deriviertheit. Das Böse als tragischer Freiheitsvollzug . Metaphysik des Bösen – Kontingenz oder Notwendigkeit des Bösen? 164 . Die Gewissenskonzeption. Überlegungen zur normativen Begründung 171 Die . .. .. .. . .. ..
188 Neuausrichtung des Systems Die endliche Freiheit und ihre Einbindung im System 188 Das Irrationale als Grund von Existenz und Platons Materie 192 Das Verhältnis von endlicher und absoluter Freiheit. Systematische Funktion und Bestimmung der Schöpfungskonzeption 211 Die Einheit des Systems und sein Einheitsgarant 238 Die Bedeutung der Freiheitsschrift für die idealistische 250 Systemphilosophie Der Abgrund des menschlichen Geistes 253 Der Natur und Seele verbindende Identitätsbegriff 255
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..
Inhalt
Die Neubewertung des Nicht-Rationalen als genuiner Teil des 257 Endlichen
Anhang 261 . Siglenverzeichnis 261 265 . Literaturverzeichnis . Personenverzeichnis 280 283 . Sachverzeichnis
1 Einleitung Die Systeme, die von oben herabsteigend der Dinge Ursprung erklären wollen, kommen fast nothwendig auf den Gedanken, daß die Ausflüsse der höchsten Urkraft sich zuletzt in ein gewisses Aeußerstes verlieren müßten, wo nur gleichsam noch ein Schatten von Wesen, ein Geringstes von Realität übrig war, ein Etwas, das nur noch gewissermaßen ist, eigentlich aber nicht ist. Dieß ist der Sinn des Nichtseyenden bey den Neuplatonikern, die das wahre aus Platon nicht mehr verstanden. (Schelling 1946, S. 230)
1.1 Thematische Einführung „Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Seyn als Wollen“ (SW VII, S. 350). Mit diesem Satz verortet Schelling seine Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, die Freiheitsschrift, im Jahr 1809 in die „Philosophie unsrer Zeit“ – in die Philosophie des Deutschen Idealismus. Das erste Prinzip, so betont er damit, wird auch in dieser Schrift der Wille sein, sodass alle Prinzipien vom Wollen her systematisch begriffen werden. Trotz der damit von Schelling betonten Kontinuität dieser Schrift mit seinem früheren Werk werden in der Schellingforschung seit langem die Unterschiede zum Identitätssystem diskutiert. So wurde die These eines systematischen Neuansatzes der Freiheitsschrift von Michael Theunissen im Jahr 1965 damit begründet, dass der „alte Real-Idealismus scheitert“, weil weder die Transzendentalphilosophie noch die Naturphilosophie das „Menschliche der menschlichen Freiheit“ (Theunissen 1965, S. 178) zu denken vermochten, nämlich ihre derivierte Absolutheit. Auch in dieser Abhandlung wird von dem Grundgedanken eines systematischen Neuansatzes in der Freiheitsschrift ausgegangen. Dieser nimmt seinen Ausgang von der Untersuchung der spezifisch menschlichen Freiheit und ihrem Unterscheidungsmerkmal: dem Vermögen zum Bösen; und besteht in einer Transformation des Willensbegriffs des Identitätssystems, für die Schelling auf Grundgedanken seiner frühen Naturphilosophie zurückgreift.¹ Schelling verabschiedet dabei nicht nur sein Identitätssystem, sondern entfernt sich gleichzeitig von Fichtes und Hegels idealistischer Philosophie. Er profiliert damit eine ihm
Als Naturphilosophie lässt sich insbesondere Schellings Philosophie in den Jahren – bezeichnen (vgl. Durner , S. ). Zu Schellings früher Naturphilosophie gehören die Schriften Ideen zu einer Philosophie der Natur (), Von der Weltseele () und Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie ().
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1 Einleitung
eigentümliche Ausprägung des Idealismus, sodass hier von einer Neuausrichtung idealistischer Systemphilosophie im Ganzen gesprochen werden kann. Der zentrale Gedanke dieser Veränderung des Willensbegriffs lässt sich an der Differenz der Konzeption des Nicht-Seienden bei Platon und Plotin veranschaulichen. Letzterer ist philosophiegeschichtlich betrachtet der Erste, der das Höchste als Wille denkt (vgl. Beierwaltes 1990, S. XXXIV). Gegenüber den bis dahin in der griechischen Philosophie vorherrschenden Konzeptionen des Absoluten, die dieses insbesondere als Idee des Guten, als unbewegter Beweger und Identität von Sein und Denken ausführen (vgl. Beierwaltes 1980, S. 10), tritt mit der Konzeption des Unbedingten als Wille der für die christliche und idealistische Tradition wichtig werdende Gedanke der Selbstaffirmation in den Vordergrund. Das Absolute wird nun in affirmativer Selbstbezogenheit stehend gedacht, die in eins Selbstkonstitution ist (vgl. Beierwaltes 1990, S. XXXIV) – wie Plotin in Der freie Wille schreibt: [E]r ist, als überhoben allen Ungefährs und blinden Waltens und bloßen ‚es trifft sich‘, die wahrhafte und erste Ursache seiner selbst, und von sich aus und um seiner selbst willen ist er selbst; denn primär ist er selbst und über das Sein hinaus er selbst. (Enn. VI 8,14, Z. 39 – 42)
Beierwaltes betont, dass die Konzeption des Unbedingten als Wille bei Plotin „indes keine Verdrängung von Rationalität, sondern eher deren Stärkung“ (Beierwaltes 2001, S. 135) sei. Diese Einschätzung kann darüber erklärt werden, dass der Wille (βούλησις) hier wesentlich als richtige Vernunft (λόγος ὀρϑός) gedacht wird (vgl. Enn. VI 8,3, Z. 2– 4). Der Wille ist demnach im eminenten Sinne Wille, also frei, wenn er frei von Materie und so reine Wirksamkeit des Geistes (ἐνέργεια τοῦ νοῦ) ist (vgl. Enn. VI 8,6, Z. 26 – 29 u. Enn. VI 8,3, Z. 22): Von einem Wesen mit einem solchen Willen kann gesagt werden, „sein Wille ist sein Denken, welches Wille genannt wird, weil es sich gemäß dem Geist (κατά νοῦν) vollzieht.“ (Enn. VI 8,6, Z. 37) Diese Stärkung der Rationalität aber geht einher mit der Entwirklichung von Zufall (τύχη), Materie (ὕλη) und Begierde (ὄρεξις), denen, beschränkt auf ein Walten in der Vielheit, nur ein Nichtsein – gedacht als Zerstreuung (σκέδασις) der Vernunft – zugesprochen wird (vgl. Enn. VI 8,15, Z. 29). So wird auch das Böse als eine „Folge von Mangel, Privation, Unvollkommenheit“ gedacht, die aus dem „Schicksal der Materie und ihres Unheils“ erwachsen und „dessen[,] was der Materie sich angeglichen hat.“ (Enn. V 9,10, Z. 19 – 21) Als Stärkung der Rationalität kann diese Ontologie deshalb verstanden werden, weil Plotin damit die bei Platon offen bleibende Frage nach dem Zusammenhang der Idee des Guten mit der χώρα – dem Prinzip des Werdens, das die Ideen aufnimmt und zugleich verräumlicht, selbst aber nur schwer zu denken ist –
1.1 Thematische Einführung
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solcherart beantwortet, dass er dieses bei Platon in einer gewissen Eigenständigkeit gedachte Prinzip, nämlich als „dritte Seinsart“ (PW, Tim 52a/b), nun wesentlich als Mangel an Freiheit begreift.² Das seit Aristoteles als Materie bezeichnete raumgebende Prinzip wird damit von Plotin ontologisch abgewertet. Auch Schelling denkt das Höchste in Nachfolge des kantischen Primats der praktischen Vernunft als Wille. Was den philosophischen Umgang mit dem NichtSein (μὴ ὂν) angeht, verhält sich Schellings Konzeption des „irrationalen Princip[s]“ (SW VII, S. 374) in der Freiheitsschrift dabei zur quantitativen Differenz des Identitätssystems wie Platon zu Plotin in Bezug auf die Materie.³ Der differenten ontologischen Bewertung des Nichtseienden, die in der angesprochenen Entwicklung von Platon zu Plotin zum Ausdruck kommt, paradigmatisch verkörpert in der χώρα, die seit Aristoteles als materia prima diskutiert wird, steht bei Schelling die differente Integration der endlichen Freiheit ins System gegenüber: Wird ihr im Jahr 1804 in der Schrift Philosophie und Religion noch ein bloßes „Scheinleben“ (SW VI, S. 41) zugesprochen, so begründet Schelling sie im Jahr 1809 in der Freiheitsschrift in ihrer ontologischen Eigenständigkeit von der absoluten Vernunft und bindet sie über den Organismusbegriff der frühen Naturphilosophie ins System der Freiheit ein. Diese Abwendung Schellings von einer begrifflichen Depotenzierung des Irrationalen ist systematisch durch die Intention bedingt, das Böse in seiner Positivität, nämlich als Freiheitsvollzug zu denken. Indem er das Böse als Freiheitsmissbrauch und damit als Vollzug der Freiheit denkt, muss er die endliche Freiheit als Voraussetzung des Bösen in ihrer Eigenständigkeit systematisch begründen, und in Folge davon auch das irrationale Mitprinzip des endlichen Werdens: Denn der Begriff der Freiheit als „Vernunftcausalität“⁴ lässt es nicht zu, das Böse als Vollzug der Freiheit zu denken.
Vgl. Beierwaltes , S. : „Plotin dagegen depotenziert die Materie – ‚absolute Bedürftigkeit‘ – durch Entfremdung vom Geist und vom Einen. Freilich bestimmbar soll sie bleiben; darin liegt das Dilemma.“ Vgl. im Allgemeinen zur Nähe der schellingschen Philosophie zu Plotin Beierwaltes , S. – . Vgl. KA V, S. / KU, A f.: „So wie die Vernunft in theoretischer Betrachtung der Natur die Idee einer unbedingten Nothwendigkeit ihres Urgrundes annehmen muß: so setzt sie auch in praktischer ihre eigene (in Ansehung der Natur) unbedingte Causalität, d. i. Freiheit, voraus, indem sie sich ihres moralischen Gebots bewußt ist. Weil nun aber hier die objective Nothwendigkeit der Handlung als Pflicht derjenigen, die sie als Begebenheit haben würde, wenn ihr Grund in der Natur und nicht in der Freiheit (d. i. der Vernunftcausalität) läge, entgegengesetzt und die moralisch=schlechthin=nothwendige Handlung physisch als ganz zufällig angesehen wird (d. i. daß das, was nothwendig geschehen sollte, doch öfter nicht geschieht): so ist klar, daß es nur von
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1 Einleitung
Schelling greift für den Gedanken einer Freiheit, die nicht vernunftdeterminiert ist, auf den kantischen Begriff des Ding an sich zurück und deutet den „Gränzbegriff“, der „nur von negativem Gebrauche“ (KA IV, S. 166 / KrV, A 255) ist, willenstheoretisch aus. Dieses nicht-verständige Mitprinzip der Freiheit bezeichnet er in Anlehnung an die mathematische Metapher der „IrrationalZahl“ (AA I,4, S. 177 / SW I, S. 451),⁵ die bereits Salomon Maimon im Jahr 1790 in der Schrift Versuch über die Transzendentalphilosophie für das Ding an sich verwendete,⁶ als das „irrationale[n] Princip“ (SW VII, S. 374). Dabei lässt sich zeigen, dass es für die Intention, das Böse in seiner Positivität im System der Freiheit zu denken, Gründe gibt, die mit dem von Schelling seit 1801 vertretenen Identitätssystem zusammenhängen. Friedrich Schlegel hat das systematische Grundproblem des Identitätssystems im Jahr 1808 in seiner Schrift Ueber die Sprache und Weisheit der Indier als Kritik an Schellings Philosophie formuliert. Das System, so sagt er hier, welches denke, „daß Alles Eins sey“, führe dazu, dass der „ewige Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht, ganz aufgehoben, und für nichtig erklaert“ (Schlegel 1808, S. 141 u. S. 98) werde. Der Versuch Schellings, das Böse in seiner Positivität zu denken, kann als Verteidigung seines Identitätssystems gegen diesen von Schlegel erhobenen
der subjectiven Beschaffenheit unsers praktischen Vermögens herrührt, daß die moralischen Gesetze als Gebote […] vorgestellt werden müssen […].“ Irrationale Zahlen sind Zahlen, die sich nicht als ganzzahliges Vielfaches, also nicht als Bruch (algebraische irrationale Zahlen) darstellen lassen, beziehungsweise nicht durch eine Gleichung angegeben werden können (transzendente irrationale Zahlen), und damit nur durch eine Reihe, wie etwa die leibnizsche Reihe für die Zahl π. Maimon verwendet für diesen Grenzbegriff der Kritik der reinen Vernunft bei Kant in dieser Schrift erstmalig die „Idee von der Grenze [einer] Reihe, zu der (wie etwa zu einer irrationalen Wurzel) man sich immer nähern, die man aber nie erreichen kann“ (Maimon , S. ). Fichte erwähnt den Ausdruck der „irrationalen Wurzel“ in einem Brief an Schelling vom . . (FGA III,, S. ): „Jedes Individuum ist ein rationales Quadrat einer irrationalen Wurzel“. Dass Fichte diese mathematische Metapher für das Unverständige von Maimon übernimmt, ist nicht unwahrscheinlich, da er die Schrift Versuch über die Transzendentalphilosophie aller Wahrscheinlichkeit nach gelesen hat (vgl. FGA I,, S. ). Schelling selbst bezieht sich in seiner Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie (AA I,, S. Anm. u. S. / SW I, S. Anm. u. S. ) affirmativ auf Maimon, ohne direkt auf eine bestimmte Schrift zu verweisen. Inhaltlich kommt hier aber eher die Schrift Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens () in Frage. Es ist damit nicht ausgeschlossen, dass Schellings Begriff des Irrationalen in der Freiheitsschrift durch Maimon beeinflusst ist, wobei die Verwendung der mathematischen Metapher des Irrationalen für das nicht restlos in Verstand zu überführende Prinzip unter Umständen über Fichte vermittelt wurde. Vgl. Rücker , Sp. f.; Wein , S. – ; Ehrensperger , S. XLIII–XLV.
1.1 Thematische Einführung
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Pantheismusvorwurf verstanden werden.⁷ Indem er aufzeigt, wie im Ausgang von seinem Identitätssystem, nämlich von der quantitativen Differenz als Differenz der Wesenshinsichten (vgl. SW VII, S. 357), das Böse in seiner Positivität, und damit nicht nur als Privation, Mangel oder Trägheit gedacht werden kann, versucht er diesen Vorwurf zu entkräften. Insofern er das Böse als Freiheitsvollzug denkt, ist er jedoch konzeptionell gezwungen, zwei wesentliche Aspekte seiner Identitätsphilosophie aufzugeben, sodass er diese, statt sie zu verteidigen, unter der Hand letztlich verabschiedet. Zum einen lässt es der identitätsphilosophische Gedanke, dass das Nicht-Sein bloßer Schein ist und damit die Endlichkeit ihrem Wesen nach Abfall vom Absoluten, nicht zu, das Böse als Freiheitsmissbrauch zu verstehen. Vielmehr muss Schelling die endliche Freiheit dafür in ihrer Eigenständigkeit systematisch ausweisen, was über die Konzeption der quantitativen Differenz nicht geleistet werden kann. Er muss daher aus den Wesenshinsichten zwei Prinzipien werden lassen. Die zur ontologischen Aufwertung der endlichen Freiheit angenommene Herkunft derselben aus einer Schöpfungstat bringt es zum anderen mit sich, dass das absolute Wollen als Einheitsgarant des Systems nicht mehr als absolute Vernunft im Sinne des Identitätssystems gedacht werden kann, insofern sich mit dieser keine Schöpfung begründen lässt. Mit der Schöpfung als Wirkenlassen eines selbständigen Anderen begreift Schelling das Verhältnis von endlicher und absoluter Freiheit in der Freiheitsschrift grundlegend anders als im Identitätssystem: Verschlang dort die Geist und Natur „übergreifende[n] Freiheitsstruktur“ (Hühn 1994b, S. 398) die menschliche Freiheit in ihrer Eigenständigkeit, so wird sie in der Freiheitsschrift als Möglichkeitsbedingung des Bösen aufgewertet und in ihrer relativen Unabhängigkeit vom Absoluten als Einheitsgarant des Systems gedacht. Aus dieser Konstellation ergibt sich die systematisch wichtige Frage, wie die Unabhängigkeit der endlichen Freiheit mit dem Absoluten als Einheitsgarant des Systems der Freiheit zusammen gedacht werden kann. Der heideggerschen These vom „große[n] Scheitern“ (Heidegger 1988, S. 5) des in der Freiheitsschrift entworfenen Systems widersprechend wird in dieser Untersuchung aufgezeigt, inwiefern Schelling die Anforderungen, die das Böse als Freiheitsvollzug systematisch stellt, durch Transformation des Einheitsgaranten des Systems einlöst und damit sein System der Freiheit neu ausrichtet. Ohne den Systemanspruch als solchen aufgeben zu müssen, wird es ihm möglich, das
Vgl. Schlegel , S. : „Der Pantheismus lehrt, daß alles gut sey, denn alles sey nur eines, und jeder Anschein von dem, was wir Unrecht oder Schlecht nennen, nur eine leere Täuschung.“
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1 Einleitung
Verstandesdifferente, Regellose, Irrationale als denknotwendiges Mitprinzip einer endlichen, vom Absoluten unabhängigen Freiheit in das systematische Ganze zu integrieren. Es wird damit dargelegt, dass die ontologische Aufwertung der endlichen Freiheit und der irrationalen Basis als ihrem Mitprinzip innerhalb der Systemphilosophie nicht notwendigerweise zu einem Irrationalismus – verstanden als Umkippen der Vernunft in Unvernunft –,⁸ sondern auch, wie in der Freiheitsschrift geschehen, zu einer Kritik an rationalistischen Vernunftkonzeptionen führen kann. Für diese These lassen sich folgende Gründe angeben: Zum einen lässt sich zeigen, dass Schelling mit dem Irrationalen wie zu seiner Zeit üblich weniger das Unvernünftige als das „für den Verstand irrational[e]“ (SW V, S. 576) bezeichnet, ein Terminus den er in der Philosophie der Kunst (1802/03) gebraucht. Das Irrationale weist hier nicht die Grenze der Vernunft auf. Vielmehr markiert es die Limitation des Verstandes – und ist in dieser Hinsicht insbesondere gegen Fichtes Frühphilosophie und seine Degradierung des kantischen Ding an sich zum NichtIch gerichtet.⁹ Die ontologische Aufwertung des Irrationalen in Schellings Freiheitsschrift lässt sich daher auch als Alternative zur fichteschen Systematisierung der drei kantischen Kritiken lesen.¹⁰ Zum anderen kann nachgewiesen werden, dass das Irrationale von Schelling zwar ontologisch, nicht aber normativ aufgewertet wird. Insbesondere dieser Aspekt zeigt sich deutlich in der Erörterung seiner Konzeption des Bösen als Freiheitsmissbrauch: Obwohl der „Grund zur Existenz“ (SW VII, S. 408) als dasjenige, was nicht im Verstand aufgeht, zu einem eigenständigen Prinzip erklärt wird, ist es das, was sich als Werkzeug dem Geistigen unterordnen soll, um der organisch gedachten Einheit des Ganzen willen. Von einer kritiklosen Herrschaft des Irrationalen ist Schelling daher nicht nur weit entfernt, sondern wendet sich mit seiner Konzeption des Bösen sogar gegen ein solche, indem er nach einem „Maß für die Freiheit“ (Löwith 1964, S. 7) fragt. Nach einer ontologischen Begründung dieses Sollens.
Diese Definition des Irrationalismus entspricht den Ausführungen von Windelband , S. : „Die ‚Dialektik der Geschichte‘ hat gewollt, daß auch das System der Vernunft in sein Gegenteil umschlug, und daß die Einsicht in die Unübersteiglichkeit der Grenzen, auf welche der Versuch einer Deduktion aller Erscheinungen aus Einem Grundprinzip notwendig stößt, unmittelbar neben jenen idealistischen Lehren andere bestehen ließ, die sich eben dadurch genötigt fanden, die Unvernunft des Weltgrundes zu behaupten. Diesen Prozeß hat zuerst der vielseitige Träger der Hauptentwicklung, der Proteus des Idealismus, Schelling, an sich selbst erlebt.“ Vgl. zur Auseinandersetzung von Schelling und Fichte Hühn a. Vgl. zu Fichtes Einung der drei Kritiken Zöller , S. f.
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Als Ursache des Bösen versteht Schelling nicht das Irrationale als Mitprinzip des endlichen Werdens. Erst das zur Geistigkeit erhobene Irrationale, nämlich die Verabsolutierung eines bloß partikularen Willens, wird des Bösen mächtig. Mit seiner Konzeption des Bösen betont Schelling, dass die Herrschaft einer solchen totalisierten Partikularität schlechthin nicht dazu geeignet sei, Ganzheit herzustellen – vielmehr führe sie zur Zerrüttung jeglicher Einheit. Diesen Gedanken, den Schelling in der Freiheitsschrift am Paradigma seines naturphilosophischen Organismusbegriffs denkt, exponiert er als Tragik und Sünde menschlicher Freiheit: Als Sünde kann das Böse gedacht werden, insofern ein Partikulares sich durch Freiheitsvollzug selbst verabsolutiert. Tragisch ist dieser Freiheitsvollzug, weil er zu einem Verhängnis der Freiheit führt, insofern die sich selbst verabsolutierende Freiheit im Widerspruch gegen die Ganzheit steht, die ihre eigene Möglichkeitsbedingung darstellt. Sie bringt sich damit in eine nicht mehr einfach zurücknehmbare unversöhnte Stellung zur Gemeinschaft, in der sie lebt. Schelling stellt damit nicht nur den theologischen Begriff der Sünde, welcher eine wichtige Funktion in der Aufnahme und Transformation der kantischen intelligiblen Tat in eine übermoralische Kategorie einnimmt, sondern auch das Verhängnis ins Zentrum seiner Theorie des Bösen. Dieses wird allerdings nicht als Schicksal gedacht, das durch äußere Notwendigkeit, also „gegen die Freiheit“ verhängt ist. Das Verhängnishafte des Bösen bestehe dagegen vielmehr darin, dass es freies Schicksal sei, also zu einer „Notwendigkeit [führe], welche die Freiheit voraussetzt“ (Schelling 1969, S. 135). Mit dieser Konzeption des Bösen zeigt Schelling zum einen auf, wie das Böse im Ausgang vom Identitätssystem gedacht werden kann – womit das Identitätssystem aber grundlegend verändert wird. Und er führt zum anderen seine Auseinandersetzung mit Fichte fort, die sich seit dem Abbruch ihres Briefwechsels insbesondere in den Vorlesungen und Schriften der beiden Streitpartner fortgesetzt hat. Beide Charakteristika des Bösen als Freiheitsvollzug, nämlich Tragik und Sünde, lassen sich auch vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung interpretieren: Die Verabsolutierung eines bloß Partikularen sieht Schelling in Fichtes Frühphilosophie mit der Erhebung des Ich zum ersten Prinzip verwirklicht. Mit der Betonung der tragischen Selbstverstrickung der menschlichen Freiheit in dem Versuch, sich selbst zu verabsolutieren, weist Schelling den Gedanken möglicher Selbstmacht und Selbstdurchsichtigkeit menschlicher Freiheit, den er Fichte unterstellt, zurück (vgl. Henrich 2007, S. 15 – 22). Dem individuellen Autonomiestreben, das Fichte zur Philosophie erhoben habe, weist er eine tragische Struktur nach. Statt in die Verwirklichung der Versprechungen führe sie in eine neue Art von Unfreiheit (vgl. Egloff 2010, S. 9 – 22). Schelling reformuliert in dieser Fichtekritik den gegen Fichtes Frühphilosophie erhobenen Vorwurf des Atheismus (vgl. Hühn 1998a, S. 61– 69), den Jacobi in
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1 Einleitung
dem Brief vom 6. März 1799 an Fichte im Kontext des Atheismusstreites als folgende Alternative formuliert hatte:¹¹ „Gott ist, und ist außer mir, ein lebendiges, für sich bestehendes Wesen, oder Ich bin Gott. Es giebt kein drittes.“ (JW II,1, S. 220) Schelling nimmt diese von Jacobi behauptete Alternative in der Freiheitsschrift auf (vgl. SW VII, S. 390) und profiliert gegen Fichte und gegen Jacobi einen dritten Weg, das Höchste als Freiheit zu denken. Weder wird das Ich dabei verabsolutiert, indem der Ordnungsgarant in der menschlichen Subjektivität verortet wird, noch geht sein Denken in die „Un-Philosophie“ über, in der das Gefühl den unmittelbaren Ausgangspunkt darstellt. Er versucht also, eine subjektunabhängige Ordnung auszuweisen, ohne zugleich die menschliche Freiheit damit durch einen dogmatistischen Gottesbegriff zu entwürdigen. Ein solcher belässt dem Menschen keine Freiheit, logisches Subjekt ist einzig das Absolute, denn „Absolute Causalität in Einem Wesen läßt allen andern nur unbedingte Passivität übrig“ (SW VII, S. 339). Methodisch zeigt sich die Diskontinuität der Freiheitsschrift zum Identitätssystem auch in der Verabschiedung der intellektuellen Anschauung als Standpunkt der Philosophie und damit einhergehend der methodischen Bedeutung, die das Symbol in dieser Philosophie erhält. Das Symbol und die Erzählung werden hier nicht mehr als mangelhafte Vor-Formen von Begriffen verstanden, sondern als eigenwertige Mittel des spekulativen Denkens. Das stellt keineswegs eine Schwächung des Denkens dar, wie zunächst vermutet werden könnte. Dem gegen Schelling erhobenen Vorwurf des Irrationalismus ist gerade die intellektuelle Anschauung die zentrale Kategorie. Ihre Zurücknahme lässt andere Erkenntnisformen wichtiger werden wie das Symbol, das trotz seiner Bildhaftigkeit und gerade wegen dieser im Dienste des vernunftgeleiteten Denkens stehen kann. Eine solche Würdigung, so ist zu vermuten, wird der Mythos und das Symbol in der Philosophie dann erhalten, wenn er in dieser etwas Spezifisches zu leisten
Unter dem Atheismusstreit wird die Auseinandersetzung verstanden, die zu Fichtes Entlassung von seiner Professur an der Universität Jena führte. Diese war zunächst eine politische Reaktion auf F.C. Forbergs Aufsatz Entwickelung des Begriffs der Religion, den Fichte als Mitherausgeber des Philosophischen Journals in dieses aufnahm und selbst, wohl in der Absicht die politische Wirkung abzumildern, eingehend in dem Aufsatz Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche WeltRegierung besprach, der erschien. Fichtes darin geäußerte Ansicht – „der Begriff von Gott, als einer besondern Substanz [ist], unmöglich, und widersprechend“ (FGA I,, S. ) – wurde allerdings als Ausdruck seines eigenen Atheismus verstanden. Gegen diesen Vorwurf verteidigte er sich in der Appellation an das Publikum wie folgt: „Ich sage […] daß der Begriff von Gott, als einer besondern Substanz, ein unmöglicher und widersprechender Begriff sey. (Substanz nemlich bedeutet nothwendig ein im Raum und der Zeit sinnlich existirendes Wesen […].) Ich sage, daß der Beweis des Daseyns Gottes aus dem Daseyn einer Sinnenwelt unmöglich und widersprechend ist.“ (FGA I,, S. f.)
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vermag. Die Beantwortung der Frage nach der Funktion der Erzählung und des Symbols in der Ergänzung des verständigen Denkens wird damit auch etwas über die von einer Philosophie aufgezeigte Grenze des Erklärens und des denkerischen Umgangs mit dieser Grenze aussagen: So kann der Mythos in Platons Dialogen einen Hinweis auf die Grenzen des verstandesmäßigen Denkens geben;¹² die an der Hiob-Erzählung gewonnene „authentische Theodicee“ (KA VIII, S. 264 f.) verweist auf Kants Bestimmung der Grenzen der reinen theoretischen Vernunft. In beiden Fällen leistet der μῦϑος oder die Erzählung etwas Spezifisches für das begründende Denken, was Verstand und Begriff als solche nicht vermögen.¹³ Und er steht damit zwar in Differenz zur Rationalität, nicht aber zur Vernunft, denn der „Mythos selbst ist ein Stück hochkarätiger Arbeit des Logos“ (Blumenberg 1984, S. 18), wie mit Blumenberg gesagt werden kann. In diesem Sinne ist die Aufwertung des Symbols für das spekulative Denken durch Schelling in der Freiheitsschrift kein Zurückfallen hinter die kantische Kritik der reinen Vernunft, weil auch hier dem Symbol keine ätiologische Funktion zugesprochen wird und es damit nicht als Erklärung dient, die schwärmerisch über die Vernunft gesetzt wird. Aber sie ist ein deutliches Indiz für Schellings Wirklichkeitsverständnis 1809: Wenn er das Symbol als Ergänzung des Begriffs für das spekulative Denken gebraucht, so zeigt er die Grenze der rein rationalen Philosophie auf,¹⁴ welche durch die ontologische Aufwertung der Endlichkeit und des irrationalen Prinzips im Zuge der Neukonzeption des Bösen stärker ins Bewusstsein rückt. Er bringt damit über die Methode zum Ausdruck, was er 1834 als Überzeugung formulieren wird, nämlich „daß es unmöglich ist, mit dem rein Rationalen an die Wirklichkeit heranzukommen“ (SW X, S. 213). Die Erläuterung des Ursprungs des Bösen über die Angst des Lebens, den Schwindel und den Sirenengesang können in methodischer Hinsicht als Konse-
Schmitt schreibt dem Mythos in Platons Philosophie insbesondere eine didaktische Leistung zu (vgl. Schmitt , S. – ). Dalfen , S. – widerspricht der Zuordnung der Wahrheit zum Logos und der Unwahrheit zum Mythos. Die Leistung des Mythos sieht er in der Verankerung von „Glaubenswahrheit“ (Dalfen , S. ). Er sei besser als „‚logische‘ Argumente“ in der Lage, Glauben,Vertrauen und Moralität zu vermitteln (vgl. Dalfen , S. ).Vgl. zur Diskussion des Mythos bei Platon ferner Cürsgen . Vgl. Blumenberg , S. : „Der Begriff vermag nicht alles, was die Vernunft verlangt.“ Vgl. Ricœur , S. : „Also spricht das Symbol letztlich zu uns als Index der Situation des Menschen im Sein, darin er sich bewegt, darin er existierend und wollend ist. Sonach wäre die Aufgabe des vom Symbol geleiteten Philosophen, das Zaubergehege des Selbstbewußtseins zu zerreißen, das Privileg der Reflexion zu stürzen. Das Symbol gibt zu denken, daß das Cogito ins Sein eingebunden ist, und nicht umgekehrt; […] das Sein, das sich selbst setzt im Cogito, muß noch an den Tag bringen, daß der Akt, durch den es sich dem Ganzen entreißt, nicht aufhört, an dem Sein teilzuhaben, das ihn in jedem Symbol zur Rede stellt.“
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quenz der ontologischen Aufwertung des Irrationalen – als demjenigen Aspekt des endlichen Werdens, der nicht im Verstand aufgeht – betrachtet werden. Wenn das Böse in etwas wurzelt, das vom Verstand nicht gänzlich zu erfassen und rational zu beherrschen ist, so muss dieses, um es dennoch begründend denken zu können, ohne die „Endlichkeitsbedingungen“ (Blumenberg 2007, S. 93) zu leugnen, für das Denken auf andere als rein verstandesgemäße Weise zugänglich werden. Man könnte das mit Blumenberg eine „traurige Notwendigkeit“ nennen, weil unser Verstand nicht ausreicht die Wirklichkeit zu begreifen; oder darauf reflektieren, dass wir mit unserem Denken dennoch auf „Wirklichkeitsgebiete“ ausgreifen können, „die jenseits unserer Dürftigkeit und Bedürftigkeit“¹⁵ liegen. Indem Schelling mit der Verwendung von Symbolen zur philosophischen Deutung des Bösen die Grenzen des endlichen Verstandes angesichts des irrationalen Mitprinzips der Freiheit anerkennt, kann er diese Grenzen methodisch berücksichtigen – und das heißt dort, wo der Verstand an seine Grenzen kommt, mit dem Mittel des Symbols spekulativ weiter denken. Denn gerade das Symbol, so betont Schelling in der Philosophie der Kunst, führt zu einer Gesetzmäßigkeit hin, die den Verstand übersteigt, aber von der Vernunft erfasst werden kann: Auf den höheren Stufen der Natur, sowie der Kunst,wo sie wahrhaft symbolisch wird,wirft sie jene Schranken einer bloß endlichen Gesetzmäßigkeit ab; es tritt die höhere ein, die für den Verstand irrational ist, und nur von der Vernunft gefaßt und begriffen wird […]. Es liegt hier der Natur nicht mehr an dem Ausdruck einer bloß endlichen Gesetzmäßigkeit, sie wird Bild der absoluten Identität, das Chaos im Absoluten; das geometrisch Regelmäßige verschwindet und das Gesetzmäßige einer höheren Ordnung tritt ein. (SW V, S. 576 f.)
Entgegen dem ersten sich aufdrängenden Eindruck kann also auch bei der Freiheitsschrift – trotz ihrer Aufwertung der endlichen Freiheit, des Symbols und des Nicht-Verständigen – nicht von einer Schwächung der Dignität des Denkens gesprochen werden. Dies wäre der Fall, wenn das Irrationale zu einer „Selbstzerreißung und Verzweiflung der Vernunft“ (SW VII, S. 354) führen würde, oder dieses schwärmerisch verherrlicht werden würde. Beide Tendenzen sind in Schellings Philosophischen Untersuchungen nicht gegeben.
Vgl. Blumenberg , S. : „Wenn der Logos der Welt selbst es wäre, der in der Sprache des Menschen sich ausspricht und nur ein anderes Organ verschafft hat als das der Natur, dürfte es nichts anderes als die im aristotelischen Sinne ‚eigentliche Rede‘, das kyrion onoma, geben. Es bedürfte des Mutes der Metapher nicht, der immer schon ein Stück des Mutes zur Vermutung über die Natur der Wirklichkeit darstellt. Natürlich ist es eine ‚traurige Notwendigkeit‘, der Metapher zu bedürfen und auf ihren ökonomischen Effekt angewiesen zu sein, aber zugleich entdeckt uns doch diese traurige Notwendigkeit, daß wir ausgegriffen haben auf Wirklichkeitsgebiete, die jenseits unserer Dürftigkeit und Bedürftigkeit liegen, also uns unsere Freiheit reflektieren.“
1.1 Thematische Einführung
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Anders als vielleicht vermutet werden könnte, führt die Aufwertung der Endlichkeit, mithin die Berücksichtigung ihres irrationalen Moments, wozu gleichermaßen der „Bereich essentieller menschlicher Gefühle“, wie die „existentielle[n] seelisch-körperliche Verfassung“ zu zählen sind, in Schellings Freiheitsschrift also keineswegs zur Zerstörung der „vernunftbegründete[n] Verbindlichkeit“ (Wein 1997, S. 12), sondern zur Kritik an rationalistischen Vernunftkonzeptionen, welche mit ihren „abgezogenen Begriffen“ (SW VII, S. 371 u. S. 356), das Naturhafte, Irrationale und Hässliche nur als das „Andere der Vernunft“ (Iber 1994) zu denken vermögen. Schelling, so soll in dieser Untersuchung gezeigt werden, wertet in der Freiheitsschrift den ontologischen Status der endlichen Freiheit und des Nicht-Rationalen gegenüber dem Identitätssystem auf – und er vollzieht mit dieser Aufwertung eine Neuausrichtung idealistischer Systemphilosophie, insofern er den Identitätsbegriff in grundlegender Weise neu bestimmt. Ihren Ausgang nimmt die Neuausrichtung von der Erörterung des Bösen als Freiheitsvollzug, das von Schelling als tragische und sündigende Verwirklichung menschlicher Freiheit gedeutet wird. Diese These soll im Folgenden in drei Kapiteln dargelegt und erläutert werden. Nach der Thematischen Einführung und der Exposition der Grundthese im Horizont der Schellingforschung soll die Freiheitsschrift zunächst innerhalb der idealistischen Konstellation verortet werden (Kontext), die über das Grundanliegen, im Anschluss an Kants drei Kritiken ein System der Freiheit zu entwickeln, bestimmt wird. Insbesondere die Auseinandersetzung mit Kants Willensbegriff und die Abgrenzung vom fichteschen Ansatz werden dabei von Interesse sein. In einem zweiten Schritt innerhalb des Kapitels werden sodann die zwei zentralen Gedanken herausgestellt, die in der Freiheitsschrift in der Thematisierung des Bösen zurückgewiesen werden und damit die konzeptionelle Voraussetzung seiner Erörterung darstellen: Die intellektuelle Anschauung der absoluten Vernunft und das mit dieser gedachte Absolute sowie die Einheit von Wille und Ordnungsgarant in Fichtes Frühphilosophie. Das zweite Kapitel (Das Böse als Freiheitsvollzug) dient der Erläuterung der Konzeption des Bösen in der Freiheitsschrift im Spannungsfeld zwischen Kants intelligibler Tat und Fichtes Tathandlung. Anhand der Motive Tragik und Sünde sollen die Spezifika der schellingschen Konzeption des Bösen als Vollzug der menschlichen Freiheit dargelegt werden. Über das Böse wird die menschliche Freiheit dabei von Schelling in ihrer Spontaneität und Abhängigkeit bestimmt. Betitelt mit Die Neuausrichtung des Systems ist das dritte Kapitel auf die Konsequenz der Bestimmung des Bösen als Freiheitsvollzug für die Systemphilosophie ausgerichtet. Hier wird dargelegt, wie im Ausgang von der Konzeption des Bösen der ontologische Status der endlichen Freiheit gegenüber dem des
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1 Einleitung
Identitätssystems aufgewertet wird. Dabei stehen drei Aspekte im Mittelpunkt: Das irrationale Prinzip als Mitprinzip des Existierenden, die Herkunft der endlichen Freiheit aus einer Schöpfungs-Tat und die Einheit des von der menschlichen Freiheit her neuausgerichteten Systems der Freiheit. Abschließend wird, ausgehend von den Ergebnissen der Untersuchung, die Bedeutung der Freiheitsschrift für die idealistische Systemphilosophie veranschaulicht. Prof. Dr. Lore Hühn und Prof. Dr. Friedrich A. Uehlein möchte ich meinen Dank aussprechen. Ihren Seminaren, Vorlesungen und Kolloquien zum Deutschen Idealismus und zum Platonismus verdankt sich diese Untersuchung. Ihre Betreuung und Unterstützung haben diese Dissertationsschrift möglich gemacht. Gefördert wurde die Arbeit durch das Promotionskolleg „Philosophy of Religion, Faith & Hermeneutics“ der Graduiertenschule Theology and Religious Studies der Internationalen Graduiertenakademie Freiburg (IGA). Allen Freunden, ganz besonders aber meiner Familie, danke ich für ihre Hilfe.
1.2 Exposition der Grundthese im Horizont der Schellingforschung Die Krise der europäischen Neuzeit gilt in der Philosophie für gewöhnlich durch Schopenhauer und Nietzsche diagnostiziert, dem entgegen der Deutsche Idealismus häufig als letzter Versuch der Verleugnung des bereits aufkommenden Selbstwiderspruchs der Moderne angesehen wird. Der Vorbehalt gegenüber der idealistischen Philosophie wird dabei zum Teil damit begründet, dass ihre Denker sich optimistisch an dem guten geistigen Vermögen des Menschen orientierten, darüber alle Formen der Instrumentalisierung des Geistes und der Pervertierung des Humanen verdrängten und über die Abstraktion von aller endlichen Individualität zu einer die conditio humana negierenden Weltsicht gelangten. Zu dieser verbreiteten Einschätzung hat die lange Zeit vorherrschende restaurative Hegelinterpretation (vgl. Hühn 2003, S. 141, Anm. 28), die Vorstellung eines nachhegelianischen „revolutionäre[n] Bruch[s] im Denken des neunzehnten Jahrhunderts“ (Löwith 1986),¹⁶ sowie die Konzeption, es handle sich bei der idealistischen Trias von Fichte, Schelling und Hegel um einen Dreischritt (vgl.
In zahlreichen Einzeluntersuchungen zur Verhältnisbestimmung der Postidealisten zu Schelling wurde dieser These widersprochen. Vgl. zu Schopenhauer-Schelling Hühn , S. – . Vgl. zu Kierkegaard-Schelling Figal , S. – ; Hühn ; Hennigfeld , S. – . Vgl. zu Rosenzweig-Schelling J. Betz , S. – ; Frické ; Bangerl , S. .
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Kroner 1961, S. 16), sodass Hegel als der Gipfel des Deutschen Idealismus betrachtet werden müsse und seine Philosophie zum Paradigma idealistischen Systemdenkens wurde, sicherlich nicht unerheblich beigetragen. Aber Fichte verabschiedet bereits um 1800 und Schelling spätestens im Jahr 1809 den Optimismus und das Paradigma restloser Erkennbarkeit (vgl. Hühn 1992, S. 177– 201). Der Vorbehalt gegenüber der Philosophie des Deutschen Idealismus hat seinen Grund sicher auch darin, dass in der lange Zeit vorherrschenden, durch Hegel geprägten Perspektive auf den Deutschen Idealismus Werkphasen und Motive abgeschattet wurden, die dieser Sicht widersprachen. Insbesondere Fichte in seiner frühen Wissenschaftslehre und Schellings Natur- und Identitätsphilosophie standen hier im Zentrum der Aufmerksamkeit (vgl. Tilliette 1973, S. 46), nicht aber die Weltalterphilosophie oder Fichtes Spätphilosophie. Diese Einschätzung des Deutschen Idealismus lebt mithin von der Ausgrenzung weiter Teile des philosophischen Wirkens idealistischer Denker, welche darüber begründet wird, dass diese Phasen nicht mehr im eigentlichen Sinne zum Deutschen Idealismus zu zählen seien, sondern lediglich als dessen „Ausläufer“ (Schulz 1975, S. 321) zu betrachten seien. Hermann Zeltner versucht im Jahr 1954 eine „Revision des Urteils der Geschichte“ über Schellings Philosophie, die lange Zeit „von der Wirkung Hegels überschattet“ gewesen sei, indem er neben der Identitätsphilosophie Schellings –, die er als „Betrachtung rein sub specie aeterni“ exponiert und mit Kierkegaard als „unmenschliche Betrachtungsweise“ wertet, weil sie „von unserer erkennenden Subjektivität radikal abstrahiere[n]“ – andere „wesentliche Motive und Ergebnisse“ (Zeltner 1954, S. 9 u. S. 54 f.) der schellingschen Philosophie aufzeigt. Der These von der Vollendung des Deutschen Idealismus durch Hegel hat Walter Schulz im Jahr 1955 entschieden und wirkmächtig widersprochen,¹⁷ indem er die schellingsche Spätphilosophie in den „Raum des Deutschen Idealismus“ (Schulz 1975, S. 322) zurückgeholt hat und sie als deren Vollendung exponierte. Der klassischen idealistischen Ordnung einer progressiven Trias von Fichte über Schelling zu Hegel wurde damit für die Idealismusforschung folgenreich widersprochen. Nach Schulz ist die Spätphilosophie Schellings „eine kritische Reflexion der Vernunft auf sich selbst“ (Schulz 1975, S. 329), die zu einer entschiedenen Selbstbegrenzung der Vernunft (vgl. Schulz 1975, S. 329) führe. Da die Selbstbe-
Vgl. Schulz , S. : „Es gehört doch zu den feststehenden Einteilungsprinzipien der Philosophiegeschichte, daß sich der Deutsche Idealismus in Hegels System vollendet habe. Gerade diese Meinung wollen wir hier in Frage stellen durch eine Besinnung auf die Spätphilosophie Schellings und ihren philosophiegeschichtlichen Ort.“
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grenzung „das Grundgeschehen der Epoche des Deutschen Idealismus“ (Schulz 1975, S. 329) ausmache, könne Schelling als ihr Vollender angesehen werden. Schulz’ These, wonach Schelling dabei die apriorische Wissenschaft nicht aufgebe,¹⁸ sondern lediglich in Hinblick auf die „kontrollierende und bestätigende Funktion“ (Schulz 1975, S. 323) der Wirklichkeit ergänze, die a posteriori erfahren werde, blieb dennoch nicht unangefochten (vgl. Zeltner 1975, S. 81– 101). In Anbetracht dieser Interpretation stellt sich insbesondere die Frage, was den Deutschen Idealismus in seinem Wesen ausmacht, wenn die schellingsche Spätphilosophie als dessen Vollendung anzusehen ist. Obwohl bereits Schulz von einer „Revision“ des Idealismusbildes ausging, weil in Fichtes und Schellings Spätphilosophie „das eigentliche Grundmotiv des idealistischen Denkens sich ausdeutet“ (Schulz 1975, S. 322 f.), kann gefragt werden, ob Schulz nicht dem durch Hegel geprägten Idealismusbild gerade dadurch treu bleibt, als er die reine Vernunftwissenschaft als idealistisches Ideal exponiert. Schulz widerspricht mit dieser Bewertung der schellingschen Spätphilosophie insbesondere zwei grundlegenden Interpretationsrichtungen: einer existentiellen und einer christlichen, paradigmatisch verkörpert in Franz Rosenzweig und Horst Fuhrmans, die beide einen Epochen-Bruch in Schellings Philosophie einzeichnen und die Spätphilosophie vom Deutschen Idealismus, mit differenter Begründung und Bewertung, abgrenzen. So behauptet Rosenzweig eine stetige Entwicklung von Schellings Spätphilosophie hin zu seinem im Jahr 1921 erschienen Werk Der Stern der Erlösung, wenn er hervorhebt, es sei „die schellingsche Spätphilosophie, in deren Bahnen wir uns […] bewegen“ (Rosenzweig 1988, S. 19 f.). Insbesondere die Wertschätzung der schellingschen Weltalterphilosophie fällt hier ins Auge (vgl. J. Betz 2003, S. 209), deren Besonderheit in Bezug auf die methodische Würdigung des Erzählens für das spekulative Denken und die ontologische Bewertung der Endlichkeit in Schulz’ Begründung der These – die schellingsche Spätphilosophie sei die Vollendung des Deutschen Idealismus – keine systematische Berücksichtigung findet. Gerade mit diesen Momenten, nämlich der „Berücksichtigung der faktischen Existenz des Einzelnen“ (J. Betz 2003, S. 210), aber kann Rosenzweigs Interesse an Schelling begründet werden. Mit seiner Wertschätzung der Spätphilosophie bezieht sich Rosenzweig daher insbesondere auf die Aspekte des schellingschen Spätwerks, welche in kritischer Abgrenzung zum hegelschen Panlogismus die Existenz betonen.
Vgl. Schulz , S. : „Der späte Schelling bleibt also darin Idealist, daß er eine unbedingte Vernunft zum Ausgangspunkt nimmt, die a priori die Wesensgehalte alles Seienden zu konstituieren vermag.“
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Rosenzweig verstand seine Existenzphilosophie selbst als die „Vollendung der Spätphilosophie Schellings“ (J. Betz 2003, S. 208). Von Rosenzweigs Schellingverständnis her lässt sich daher die Frage an Schulz richten, ob er nicht ein wesentliches Moment der schellingschen Spätphilosophie marginalisiere, das insbesondere in Schellings Hegelkritik zum Ausdruck kommt (vgl.Voßkühler 1996, S. 277– 291), wenn Schulz betont, dass in der Spätphilosophie keine „außervernünftige Wirklichkeit“ (Schulz 1975, S. 167) angenommen werde und dabei auch das Nicht-Verständige unberücksichtigt lässt, um die schellingsche Spätphilosophie vor dem Vorwurf des Irrationalismus zu schützen. Der Interpretationsrichtung, welche den existentiellen Zug bei Schelling zur Einzeichnung eines Epochen-Bruchs betont, ist auch Karl Jaspers zuzurechnen, der behauptet, Schelling habe mit seiner späten Philosophie „Wege beschritten, auf denen er den deutschen Idealismus existentiell durchbrach.“ Nach ihm sei Schelling daher auch „erst entdeckbar, wenn man von Kierkegaard kommt“ (Jaspers 1979, S. 149). Die „idealistische Systematik“ der Spätphilosophie wertet er demgegenüber ab, indem er sie als Überbleibsel „seiner Jugend“ darstellt und sie als das Moment identifiziert, welches, wie bei Kierkegaard das Ringen um die „Mitteilungsmethode“, den existentiellen Durchbruch „begrub“.¹⁹ Wie Schulz widerspricht auch Paul Tillich der Zwischenstellung Schellings in der linearen Entwicklung von Kant zu Hegel, indem er 1955 in dem Aufsatz Schelling und die Anfänge des existentialistischen Protestes die „sachlich weit über Hegel hinausführende[n] letzte[n] Periode“ der schellingschen Philosophie betont. Anders als Schulz begründet er diese Einschätzung aber mit der Vorreiterrolle Schellings für das existentielle Denken, das sich nach seiner Darstellung nicht erst in der Spätphilosophie findet (vgl. Tillich 1989, S. 393). In seiner Dissertation aus dem Jahr 1912 stellt er vielmehr die These auf, dass es insbesondere die vom Frühidealismus verdrängten Momente gewesen seien, die im Spätidealismus zu dessen Auflösung geführt hätten. Entsprechend schreibt er in Mystik und Schuldbewusstsein: Das ‚Ding an sich‘, das radikale Böse, das Anorganische: das waren die drei Begriffe, die in der ersten Hälfte der idealistischen Bewegung verbannt, sich in der zweiten mit um so größerer Gewalt Bahn brachen und das System der Vernunftidentität auflösten. (Tillich 1912, S. 37)
Vgl. Jaspers , S. : „Aber wie Kierkegaard vergeblich nach einer Mitteilungsmethode suchte und sich mit der Technik der Pseudonyme und seines ‚psychologischen Experimentierens‘ half, so begrub Schelling seine echten Impulse und Gesichte in der idealistischen Systematik, die ihm aus seiner Jugend als selbstgeschaffene unüberwindbar anhing.“
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In die Nähe der Interpretationsrichtung, welche das existentielle Motiv in Schellings Philosophie stark macht und von diesem her die Spätphilosophie im Ganzen bestimmen möchte, kann auch Xavier Tilliette mit seiner postidealistischen Perspektive gerückt werden, da dieser betont: „En réalité ces sont les postidéalistes qui éclairent nach der Hand la seconde philosophie de Schelling“ (Tilliette 1973, S. 53). Der These einer Vernunftidentität in der Spätphilosophie Schellings entgegen argumentiert auch Jürgen Habermas, und zwar sowohl in seiner Dissertation Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken als auch in dem Aufsatz Dialektischer Idealismus im Übergang zum Materialismus – Geschichtsphilosophische Folgerungen aus Schellings Idee einer Contraction Gottes, wenn er im Ausgang von den Weltaltern drei existentielle Aspekte der schellingschen Kritik an Hegel herausstellt, die mit der Vernunftidentität unvereinbar seien: die „fortwährend unversöhnten Verhältnisse[n]“, der „unbegreifliche[n] Rest“, der sich jeder „vernünftigen Durchdringung […] entzieht“ und die „Unentschiedenheit eines historischen Prozesses“ (Habermas 1971, S. 207; Habermas 1954, S. 395 f.). Trotz dieser Hervorhebung lässt er sich insofern nicht der existentiellen Interpretationsrichtung zuordnen, als er die schellingsche Spätphilosophie nicht durch einen Epochen-Bruch von der idealistischen Bewegung abtrennt,²⁰ noch die Neuerungen immanent begründet, sondern sozialphilosophisch. So sieht er die Negierung des Staates in den Stuttgarter Privatvorlesungen (1810) als „Symptom einer Krise“, und zwar einer gesellschaftlichen, welche Schelling wahrgenommen habe und dadurch „als einziger der großen Idealisten an den Rand des Idealismus selbst getrieben worden“ (Habermas 1971, S. 177) sei. Eine deutlichere Nähe zur existentiellen Interpretation weist Zeltner auf, insofern er das Positive im Sinne des lediglich a posteriori Einsehbaren als „das entscheidend Neue in Schellings letzter Epoche“ (Zeltner 1954, S. 56) betrachtet, welches über die Systemphilosophie hinausgehe. In Wertschätzung der existentiellen Dimension der schellingschen Spätphilosophie, insbesondere ihrem Denken der „Unentschiedenheit“ der Geschichte im Gegensatz zur überzeitlichen Rationalität, haben sich auch zahlreiche Theologen im Interesse ihrer Disziplin der Spätphilosophie und dem darin zum Ausdruck kommenden neuen Selbstverständnis der Philosophie, welche den Sitz im Leben und den sich offenbarenden Gott, aber auch die Gleichwertigkeit von Reflexion und Bekenntnis nicht mehr ausschloss, zugewandt.
Vgl. Habermas , S. : „Von Schelling ist die ‚existentialistische‘ Überwindung des Idealismus vorbereitet, über Kierkegaard und Rosenkranz ist sie schließlich von Heidegger vollzogen worden.“
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So konstatiert Klaus Hemmerle hier eine „andere[n] Grundstimmung“ in der Philosophie, welche sich am „Wissen um die Endlichkeit des Denkens, um die Differenz wirklicher Wirklichkeit, ums Unableitbare des Geschichtlichen und der freien Tat, um den anderen, geheimnisvollen, handelnden Gott“ (Hemmerle 1968, S. 13) zeige. Und er fragt in seiner theologischen Habilitationsschrift Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie nach dem Begriff Gottes in der schellingschen Spätphilosophie als einem, „der geschichtlich handeln kann“ (Hemmerle 1968, S. 11 u. S. 14), im Interesse der Religionsphilosophie. Insbesondere die Frage, inwiefern Schellings Thematisierung christlicher Konzepte „Aspekte des Christentums in den Blick [bringt], die in der mehr scholastisch bestimmten Tradition weitgehend verborgen geblieben sind“ (Kasper 1965, S. 19), prägt auch die Schrift von Guido Vergauwen Absolute und endliche Freiheit. Dieser fragt danach, „inwiefern dieser Ansatz Schellings sich für ein tieferes philosophisches Verständnis der theologischen Lehre von Schöpfung, des Falls und des Bösen eignet“ (Vergauwen 1975, S. 3). Von protestantischer Seite pries bereits im 19. Jahrhundert Julius Müller in seinem Hauptwerkt Die christliche Lehre von der Sünde Schellings Freiheitsschrift als „bedeutendste Leistung der neuern Spekulation in ihren Forschungen über Freiheit und Böses“ (Müller 1849, S. 127).²¹ Diese positive Einschätzung lässt sich insbesondere damit erläutern, dass Müllers – im Jargon der Zeit Sünden-Müller genannt – Sündenlehre „der systematisch durchgeführte Angriff auf die pantheistische Spekulation seiner Zeit“ (Axt-Piscalar 1996, S. 28) gewesen sei. In Schelling glaubte er den Vertreter einer über den Pantheismus hinausgehenden Spekulation gefunden zu haben, der es vermochte, die Freiheit des Menschen in ihrer Selbstständigkeit vom Absoluten zu denken, und damit den Unterschied von Gut und Böse vorm Versinken im „Abgrund des Pantheismus“ (Krause 1834, S. 236) zu bewahren. In neuerer Zeit hat sich mit dem Anspruch einen Beitrag zur protestantischen Theologie der Sünde zu leisten, insbesondere Kurt Lüthi mit Schelling als „ernst zu nehmendem theologischen Gesprächspartner“ (Lüthi 1961, S. 11) auseinandergesetzt. Für die andere Interpretationsrichtung steht paradigmatisch Fuhrmans, der im Jahr 1940 (Schellings letzte Philosophie) betont, bei der Spätphilosophie handle es sich im Wesentlichen um christliches Denken, das seine Bestimmung von der Theologie erhalte und damit nicht mehr „Wissenschaft aus reinem Denken“ sei wie der Idealismus. So spricht er davon, dass Schellings „neue[n] Sichten […] sich mit denen des Idealismus nicht vereinen ließen“ und deshalb „seine Philosophie
Die erste Auflage erschien im Jahr unter dem Titel:Vom Wesen und Grund der Sünde. Eine theologische Untersuchung.
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von Innen heraus sprengten“. Und er betont in der Bewertung des dabei in Schellings Philosophie eingezeichneten Bruchs Folgendes: Im geistesgeschichtlichen Geschehen bedeutet Schellings Bruch mit dem Idealismus gleichsam nicht einen Schritt vor (nämlich zum Irrationalismus), sondern einen Schritt zurück, nämlich eine Rückwendung zum Christentum […]. (Fuhrmans 1940, S. 241)
Mit der Untersuchung der über das erste Buch hinausgehenden Weltalter-Fragmente, die von Manfred Schröter im Jahr 1946 veröffentlicht wurden, nachdem sie kriegsbedingt verloren geglaubt waren, erweiterte Fuhrmans seine These einer „Wende ins Christliche“, die er nun auf das Jahr 1806 ansetzt, und insbesondere durch „Baaders“ und „Böhmes“ Einfluss veranlasst sah (vgl. Fuhrmans 1954, S. 428, S. 5 f. u. S. 345).²² Fuhrmans teilt Schellings Werk daher grundlegend in nur zwei Perioden ein, welche er als die „Periode der Identitätsphilosophie“ (1795 – 1806) und die „Periode seiner christlichen bzw. positiven Philosophie“ (1806 – 1854) bezeichnet, wobei es letzterer insgesamt darum gehe, „die Wunde von weit her, die platonisches Denken geschlagen hatte, zu heilen“ durch den Nachweis des „göttlichen Ursprungs“ der „Materie“ (Fuhrmans 1954, S. 465).²³ Dem philosophischen Gehalt nach versteht er die Wende 1806 als „Dynamisierung“ der Statik des Identitätssystems, welche zu einem „von Grund auf geschichtlich[en]“ Dasein geführt habe. Die Geschichte versteht er dabei wesentlich als „Heilsgeschichte“ und interpretiert in diesem Sinne auch die „Rehabilitierung des weltlichen Seins“ und die Aufwertung der Narration konsequent als Anzeichen christlichen Einflusses (vgl. Fuhrmans 1954, S. 6, S. 289, S. 427 u. S. 465). Eine wichtige Gegeninterpretation zur Bewertung der spekulativen Methode des Erzählens lieferte Wolfgang Wieland, der im Jahr 1956 einschlägig unter dem Titel Schellings Lehre von der Zeit die methodische Bedeutung des Mythos für die Metaphysik der Weltalterphilosophie herausstellte. Wieland schließt in der Wertschätzung des Mythos und des Symbols insbesondere an Schröter an, der die Überlegenheit Schellings über Hegel in Bezug auf die Integration von Religion und Mythos in die Metaphysik betont (vgl. Schröter 1971, S. 99 – 102). Das Denken durch Mythen deutet Wieland als Versuch die „menschliche Entwicklung“, die „als solche nicht mehr rational begreifbar“ sei, aufgrund der „radikalen Endlichkeit der Freiheit (und damit auch der Vernunft)“ (Wieland 1956, S. 77), gleichwohl zu
Vgl. zu dieser Debatte ferner Holz , S. – ; Jacobs , S. – . Diese Interpretation widerspricht Schellings Wertschätzung der platonischen Materiekonzeption nach eklatant. In der Philosophie der Offenbarung spricht Schelling zwar selbst von einer Wunde, die er heilen möchte, diese bezieht sich allerdings auf „die deutsche Wissenschaft“ (SW XIV, S. f.).
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denken. Die Weltalterphilosophie betrachtet er dabei als Höhepunkt des Denkens „radikale[r] Endlichkeit“, demgegenüber die Spätphilosophie sogar als Rückschritt zu bewerten sei, weil sie zurückkehrt zu einem wieder mehr „ausweisbar[en] Denken“. Insofern er die Betonung der Endlichkeit bis zu der Behauptung treibt, dass hier „Vermittlung nicht mehr vollzogen“ werde, womit die bei Hegel vermisste Ernstnahme des Widerspruchs bei Schelling eingelöst werde, versteht er die Weltalterphilosophie nicht mehr als „idealistisches Denken im engeren Sinn“²⁴ – und ist aus diesem Grund der existentiellen Interpretationsrichtung zuzuordnen. Schulz widerspricht sowohl der christlichen als auch der existentiellen Interpretationsrichtung, die beide einen Bruch der schellingschen Spätphilosophie mit dem Deutschen Idealismus betonen, wenn er unterstreicht: „Je mehr man versucht, das Ganze der Spätphilosophie zu erfassen, desto unzweifelhafter zeigt sich, daß es sich hier um ein idealistisches System handelt“ (Schulz 1975, S. 90). Statt eines Bruchs der schellingschen Spätphilosophie mit dem Idealismus, bewertet er die Spätphilosophie vielmehr als Wiederannäherung an die Identitätsphilosophie, wenn er sagt: „Schelling […] ‚kehrt‘ zum Identitätssystem ‚zurück‘, von dem er sich im Grunde niemals ‚entfernt‘ hatte.“ (Schulz 1975, S. 318) Es fällt auf, dass beide Interpretationsrichtungen – sowohl diejenige, welche mit unterschiedlicher Begründung und Bewertung den Bruch Schellings mit dem Deutschen Idealismus hervorhebt, als auch diejenige, welche die Identität betont – sich trotz ihrer entgegengesetzten Einschätzung dennoch darin einig zu sein scheinen, dass das existentielle Moment als solches dem Deutschen Idealismus nicht zuzurechnen sei. So urteilt Schulz: Aus dem späten Schelling spricht uns etwas an, was wir im Idealismus nicht vernehmen: eine Ratlosigkeit und Verzweiflung, die die eigentliche, wenn auch zumeist verborgene Grundstimmung dieses Lebens ist, das, welt- und gottlos geworden, sich nur auf sich selbst zu stellen weiß. (Schulz 1975, S. 18)
Und Jaspers (Die geistige Situation der Zeit) resümiert, dass „Schelling […] in seiner späteren Philosophie Wege beschritten [habe], auf denen er den deutschen Idealismus existentiell durchbrach.“ (Jaspers 1979, S. 149) Mit Holger Zaborowski und im Anschluss an Tilliette lässt sich fragen (vgl. Tilliette 1975, S. 171 f.), ob die Differenz der Interpretationsrichtungen nicht auf eine „Ambivalenz des Denkens Schellings“ (Zaborowski 2004, S. 47) selbst verweist,
Vgl. Wieland , S. , Anm. : „Das idealistische Denken im engeren Sinn wird hier insofern überschritten, als die Vermittlung nicht mehr vollzogen wird. […] Dadurch erst ist der Widerspruch ernstgenommen, eine Einsicht, die bei Hegel (mit Recht!) vermißt wurde“.
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und Schellings Philosophie im Ganzen durchaus spezifisch durch die christliche Tradition geprägte Begriffe aufnimmt und auf existentielle Motive vorausweist, die in eigentümlicher Spannung zum Systemdenken stehen, dieses aber nicht unbedingt durchbrechen müssen. So liegt nicht zuletzt in Anbetracht der neueren Fichteforschung zu existentiellen Motiven in Fichtes Philosophie die Vermutung nahe, dass das Existentielle als solches nicht im Gegensatz zur idealistischen Grundintention steht, sondern mit dieser durchaus vereinbar ist (vgl. Purkarthofer 2010, S. 144 f.). Das versteht sich von selbst, wenn die idealistische Bewegung von Kant her betrachtet wird, handelt es sich bei den existentiellen Motiven doch auch um Momente kantischen Philosophierens. Christian Iber hat außerdem gezeigt, dass das „Problem der Faktizität“ als das Andere der Vernunft bei Schelling aus der inneridealistischen Affirmation der Vernunft erwächst und bei Schelling selbst nicht zur Verneinung der Vernunft führt (vgl. Iber 1994, S. 325). Und Manfred Durner erwidert Fuhrmans, dass die Spätphilosophie nicht ihre Unabhängigkeit gegenüber der Offenbarung verliere und sich ein „Anspruch auf ‚Christlichkeit‘“ (Durner 1982, S. 34 u. S. 27) bereits in der Identitätsphilosophie Schellings nachweisen lasse. Insbesondere die Freiheitsschrift stellt zur Untersuchung des spannungsreichen Verhältnisses von theologischen Begriffen, ontologischem Status der Endlichkeit und Systemanspruch in Schellings Idealismus einen Schlüsseltext dar. Diese Bedeutung der Freiheitsschrift ergibt sich wirkungsgeschichtlich zugleich aus der von Heidegger im Jahr 1936 gehaltenen Vorlesung zu Schelling,²⁵ die im Jahr 1971 veröffentlicht wurde und in welcher er das Interpretament einer Metaphysik des Bösen sowie die wirkmächtig gewordene These vom Scheitern des Systems präsentiert. Heidegger spricht vom großen Scheitern mit der Begründung, dass in der Freiheitsabhandlung nur noch ein Aspekt des Absoluten als System bezeichnet werde, wobei er sich insbesondere auf die schellingsche Aussage in den Philosophischen Untersuchungen stützt – in „dem göttlichen Verstande ist ein System, aber Gott selbst ist kein System, sondern ein Leben“ (SW VII, S. 399) – und dieses kleine Scheitern innerhalb der Geschichte der Metaphysik kontextualisiert, sodass diese selbst hier paradigmatisch scheitere: Die Philosophie des Abendlandes sei durch Schelling zu ihrem Ende gelangt, sodass der Blick frei werde auf einen möglichen „zweite[n] Anfang“, den Schelling selbst nicht mehr vollzogen habe, so Heideggers Behauptung (vgl. Heidegger 1988, S. 279).
Vgl. zu Heideggers Schelling-Lektüre Courtine , S. – ; Iber , S. – ; Scheier a, S. – ; Barbarić , S. – .
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Auch wenn diese Kontextualisierung, dass es sich bei der Freiheitsschrift um das Ende der Metaphysik des Abendlandes handle, in der Forschung zumeist zur Frage nach dem Verhältnis dieser Schrift zum Systemanspruch des Deutschen Idealismus transformiert wurde, ist die These vom Scheitern selbst äußerst wirkmächtig geworden, sodass sich eine Vielzahl von Forschungsstudien mit ihr auseinandergesetzt haben. Keineswegs wurde dabei aber immer die heideggersche Begründung dieser These mitgetragen. Obwohl der These vom Scheitern selbst kaum widersprochen wurde, ergab sich so eine Vielzahl von Antworten auf die Fragen, was hier scheitere und warum. Heidegger selbst vertritt die These, dass der Systemanspruch als Totalität des Wissens aufgrund der Konzeption des Grundes scheitere, welcher das System aufspalte. In dieser Hinsicht lässt er sich der existentiellen Interpretationsrichtung zuordnen, – wenn sein großes Scheitern als Variation der These vom EpochenBruch verstanden werden mag. Welches ist der reale und demzufolge lebendige Begriff der menschlichen Freiheit? Das ist die Frage, und es ist die Frage, die der Idealismus nicht gestellt hat, und es ist die Frage, die der Idealismus nicht mehr stellen kann. Der Idealismus kommt hier an eine Grenze, weil er selbst zu seiner eigenen Möglichkeit den Begriff des Menschen als das vernünftige Ich voraussetzt – den Begriff, der eine ursprünglichere Grunderfahrung des Wesens des Menschen im Hinblick auf seine Eingelassenheit in die Natur ausschließt. (Heidegger 1988, S. 166)
Abwandlungen dieser These sind Interpretationen, die behaupten, das System scheitere aufgrund der Ungrundkonzeption (vgl. Yorikawa 2005a, S. 52), des Versuchs, „Sein entschieden als Leben, als Wille, als Freiheit zu denken“²⁶ oder der „Dissoziation von Subjektivität und Identität“ (Peetz 1995, S. 211), welche Siegbert Peetz auf eine „Krise der Rationalität“ (Peetz 1995, S. 9) zurückführt. Als Variante des Scheiterns lässt sich Friedrich Hermannis Schrift Die letzte Entlastung lesen, der in Schellings Freiheitsschrift „Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes“ findet, weil die Begründung der Entlastung Gottes angesichts der Übel in der Welt nicht vollständig rational sei, obwohl Schelling diesen Anspruch vertrete (vgl. Hermanni 1994, S. 247, S. 252 f. u. S. 260). Was in den unterschiedlichen Untersuchungen zur Frage nach dem Scheitern der Freiheitsschrift immer wieder zum Ausdruck kommt, ist im Kern die Systemfrage angesichts eines in den Philosophischen Untersuchungen auftauchenden Widerständigen, sich dem System und der Systematisierung Widersetzenden (vgl.
Vgl. Hennigfeld , S. : „Schelling stößt an die Grenzen des neuzeitlichen Systemdenkens, und zwar von dem Zeitpunkt an, da er Sein entschieden als Leben, als Wille, als Freiheit zu denken versucht.“
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Wenz 2010, S. 5). Die Konstatierung des Scheiterns proklamiert damit zugleich immer auch ein Systemideal, welches die Freiheitsschrift verfehle; sei es das absolute Wissen, die vollständige Rationalität oder die Geschlossenheit. Die Freiheitsschrift ist für die Bewertung der Spätphilosophie so bedeutsam (vgl. Holz 1970, S. 68 f.), weil gerade an dieser Schrift die Systemfrage fokussiert gestellt wurde und nach wie vor gestellt werden kann. Wenn hier dafür plädiert wird, Schellings Philosophische Untersuchungen als genuines Werk des Deutschen Idealismus zu lesen, ohne das Irrationale, Nichtdeduzierbare, Widerständige zu marginalisieren, so geschieht dies auf der Grundlage der Annahme eines erweiterten Systembegriffs, der dem „unvermeidliche[n] Bedürfniß der menschlichen Vernunft“ nach einer „vollständig systematischen Einheit ihrer Erkenntnisse“ (KA V, S. 91 / KpV, A 162) entspricht und trotzdem weder vollkommene Rationalität noch absolutes Wissen und auch keine durchgängige Selbsttransparenz fordern muss, weil er gegenüber den einzelnen Ausprägungen von System im Deutschen Idealismus das Gemeinsame betont und damit offen ist für Veränderungen des Systembegriffs innerhalb der idealistischen Bewegung. In der folgenden Untersuchung stehen Motive im Mittelpunkt der Betrachtung, die methodisch und konzeptionell einem geschlossenen und rein rationalen System widerstreiten, weil es sich bei diesen um paradigmatische Motive der Aufwertung der Endlichkeit handelt, welche nicht a priori – und damit nicht erklärend gedacht werden können – sondern nur a posteriori zu erschließen sind, ohne dass es sich deshalb um empirische Phänomene im strengen Sinne handeln würde, welche über die Sinnlichkeit vermittelt wären. Was mit dem Bösen als Vollzug menschlicher Freiheit verhandelt wird, entspricht mithin dem Positiven der schellingschen Spätphilosophie, also dem, was den Verstand übersteigt, weil es statt aus Notwendigkeit aus Freiheit ist und damit als „reines Faktum“ (Schulz 1981, S. 30) bezeichnet werden kann. Das Nicht-Deduzierbare wird in der Forschung zumeist in Bezug auf die schellingsche Spätphilosophie verhandelt, und zwar insbesondere bezüglich der Frage, ob dieses als „sinnvolles Ereignis“ in das „Ganze des Geschehens“ (Schulz 1981, S. 30) eingeordnet werden kann, oder ob durch die schellingsche Rede von der Unseligkeit alles Seins „dem Geschehen der Geschichte kein[en] echte[r] Sinn mehr gegeben“ (Fuhrmans 1981, S. 231) werde. In dieser Untersuchung soll das Positive in der Ausprägung erörtert werden, wie es in der Freiheitsschrift über das Böse als Freiheitsvollzug in Schellings Philosophie systematisch gedacht wird. Insbesondere die Funktion im System der Freiheit und die Verhältnisbestimmung zu Fichtes Tathandlung stehen dabei im Fokus der Untersuchung. Die Erkenntnis, welche die Freiheitsschrift, folgenreich auch mit Blick auf die Spätphilosophie, über die Erörterung des Bösen als „Selbstvergewisserung der Freiheit im Modus ihrer Verkehrung“ (Axt-Piscalar 1996, S. 8) gibt, ist, dass die
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Freiheit (des Menschen) als Anfänglichkeit einen Aspekt hat, der sich dem apriorischen Denken entzieht. Trotz der Anerkennung dieses Irrationalen wird aber weder das System als solches aufgesprengt, noch ein radikal Außervernünftiges angenommen, sondern der Vernunftbegriff transformiert – wie hier gezeigt wird. So lässt sich dieses System zwar nicht als Vernunftidentität im engeren Sinne, sehr wohl aber als vernünftiges System interpretieren. Zum Prinzip der ganzen Philosophie wird das Positive erst in Schellings Spätphilosophie, aber es hat eine Vorgeschichte, zu der auch die Konzeption des Bösen als Freiheitsvollzug zu zählen ist, insofern hier mit dem Sprung in die Sünde die Tat ins Zentrum der schellingschen Systemphilosophie rückt. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nicht a priori erschließen lässt, rational nicht erklärbar ist, weil sie nicht denknotwenig, nicht deduzierbar ist.²⁷ Sie wird in konzeptioneller Nähe zur fichteschen Tathandlung als unvordenkliche Tat gedacht, die nur post actum und unabschließbar auszudeuten ist, nicht aber abgeleitet werden kann. Zwar formulierte Zeltner bereits im Jahr 1954 in Bezug auf die Spätphilosophie die These, dass ein solches System,welches wie das der „positiven Philosophie […] wesentlich unabgeschlossen“ ist, „nie System sein wollen“ kann, weshalb Zeltner der negativen Philosophie das „systemfreie[s] Denken“ (Zeltner 1954, S. 63 f.) der positiven Philosophie entgegensetzt. Und dieser Gedanke hat auch einiges für sich, weil Schelling an der von Zeltner angegebenen Stelle in der Philosophie der Offenbarung (SW XIII, S. 131 ff.) wirklich von der positiven Philosophie als von der „eigentlich freie[n] Philosophie“ spricht. Schelling selbst aber verneint an eben derselben Stelle keineswegs, dass es sich bei der positiven Philosophie um ein System handle. Er betont vielmehr, sie sei in „eminenter Weise System“ (SW XIII, S. 133), insofern man darunter nicht eine „geschlossene, zu einem bleibenden Ende gekommene Wissenschaft“, sondern „ein Ganzes von Erkenntnissen versteht, dem eine ausgezeichnete Behauptung zu Grunde liegt“ (SW XIII, S. 133 [Hervorhebung L.E.]).Wird dieses System, dem eine „Behauptung zu Grunde liegt“ als wahres System angesehen, so schlussfolgert Schelling in der Philosophie der Offenbarung, sei eigentlich gerade „die negative Philosophie kein System“. Auch wenn einer solchen Aussage nicht einfach zu glauben ist, spricht für die Berechtigung, die positive Philosophie noch als Systemphilosophie zu bezeichnen, doch, dass hier keineswegs das Ideal der Ganzheit, welches über einen Grundsatz
Vgl. den „Sprung“ als integrales, irrationales Moment der Freiheit in Kierkegaards Schrift Der Begriff Angst: „Den gleichen Augenblick ist alles verändert, und indem die Freiheit sich wieder aufrichtet, sieht sie, daß sie schuldig ist. Zwischen diesen beiden Augenblicken liegt der Sprung, den keine Wissenschaft erklärt hat oder erklären kann.“ (KW /, S. )
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abgesichert ist, aufgegeben wird, sondern lediglich die Letztbegründbarkeit desselben in seiner Notwendigkeit. In diesem Sinne auch das offene, nicht rein rationale System noch als System gelten zu lassen, und dadurch das Wesen des Deutschen Idealismus nicht durch Reduktion des Systembegriffs auf eine Ausprägung desselben zu bestimmen, welche unweigerlich zur Abschattung wichtiger Momente desselben führen muss, hat zwei Argumente für sich. Zunächst lässt sich begrifflich begründen, dass auch das offene System noch System ist, insofern es der elementaren Grunddefinition von System, nämlich Ganzheit durch verbürgte Einheit, genügt – gleichwohl es einzelnen Systembegriffen, die im Laufe des Deutschen Idealismus gefordert und ausgeführt wurden, durchaus widerstreitet.²⁸ In diesem Sinne ließe sich auch in der Freiheitsschrift in Absehung von dem Vorurteil, dass das Positive per se systemwidrig sei, weil es die Möglichkeit absoluten Wissens negiert, wieder unvoreingenommen danach fragen, was für eine Transformation des Systems Schelling hier vollzieht. Es sollte also bedacht werden, dass inneridealistisch keineswegs ein einheitliches Systemideal besteht, sondern die philosophischen Auseinandersetzungen immer auch von der Gestalt des Systems handeln. Dass insbesondere die existentielle Interpretationsrichtung häufig den hegelschen Systembegriff als allgemeines Systemideal des Deutschen Idealismus ansetzt, kann dabei nicht verwundern, prägte Kierkegaards Idealismuskritik doch maßgeblich das Bild des Systems, wenn dieser in der Kritik an Hegel betont, dass die „Abgeschlossenheit“, welche dem System entspreche, für keinen „existierenden Geist“ (KW 16,1, S. 111) gegeben sein kann, weil Dasein unabgeschlossen ist (vgl. Hennigfeld 1999, S. 91 f.). Mit diesem Ansatz wird es zum anderen auch möglich, das irrationale Prinzip der schellingschen Freiheitsschrift neu zu überdenken. Die Aufwertung des Gefühls, der Symbole, der theologischen Begriffe, des Lebens und des für den menschlichen Verstand irreduzibel Unverständigen – alle diese Motive der Philosophischen Untersuchungen müssen dadurch nicht mehr als das Andere des
Vgl. AA I,,, S. f. / SW III, S. f.: „Ein System ist vollendet, wenn es in seinen Anfangspunct zurückgeführt ist. Aber eben dieß ist der Fall mit unserem System. Denn eben jener ursprüngliche Grund aller Harmonie des Subjectiven und Objectiven, welcher in seiner ursprünglichen Identität nur durch die intellectuelle Anschauung dargestellt werden konnte, ist es, welcher durch das Kunstwerk aus dem Subjectiven völlig herausgebracht, und ganz objectiv geworden ist, dergestalt, daß wir unser Object, das Ich selbst, allmählig bis auf den Punct geführt, auf welchem wir selbst standen, als wir anfiengen, zu philosophiren.“ Vgl. AA I,, S. / SW I, S. : „System heißt nur ein solches Ganzes, das sich selbst trägt, das, in sich selbst beschlossen, keinen Grund seiner Bewegung und seines Zusammenhangs außer sich voraussetzt.“
1.2 Exposition der Grundthese im Horizont der Schellingforschung
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Idealismus verstanden werden, sondern können nach ihrer Funktion im schellingschen System der Freiheit befragt werden. Der Deutsche Idealismus wird in dieser Untersuchung von seiner Grundintention her verstanden, nämlich zu den Resultaten der drei kantischen Kritiken die Prämissen zu finden (vgl. AA III,1, S. 16 f.), die zu ganz unterschiedlichen Antworten auf die Frage nach dem Einheitsgaranten des Systems, mithin dem einen Grundprinzip respektive Grundsatz oder Grundbehauptung geführt hat (vgl. Zaborowski 2004, S. 44). Entsprechend der neueren Perspektive der Forschung wird der Deutsche Idealismus als Konstellation, oder auch als Kraftfeld betrachtet, dessen Spannung und Bewegung sich aus dem Systemstreben einerseits und dem Nicht-Systematischen andererseits im Ausgang von der Philosophie Kants ergibt. In Bezug auf die Freiheitsschrift wird dabei insbesondere das über die Konzeption des Bösen aufgewertete irrationale Moment menschlicher Freiheit als Inzitament der Veränderung der mit dem Identitätssystem gegebenen Antwort auf die idealistische Grundfrage nach dem systemfundierenden Unbedingten verstanden. Damit wird angenommen, dass die Problematik der Vereinbarkeit von Irrationalem und systematischer Einheit eine sich von Kant her fortschreibende idealistische Grundfrage darstellt, nämlich wie die kantische Dualität von Ding an sich und Verstand, von Ungeformtem und Formendem systematisiert werden kann. Diese Untersuchung geht also nicht von einem Epochenbruch aus. Sie folgt vielmehr der Tradition, die von der Freiheitsschrift als einer „Neuorientierung“ (Wenz 2010, S. 5) oder einer Häutung des Systems („la mue du système“) (Tilliette 1970, S. 538 f.) spricht. Insbesondere diese Metapher hat für sich, dass mit ihr nicht nur das Auftauchen von etwas Neuem gedacht werden kann, sondern auch die Neugewichtung von vormals Exponiertem. Die Aufwertung der Endlichkeit gegenüber der Identitätsphilosophie, die sich insbesondere auch an der Wertschätzung des Symbols und der platonischen Materiekonzeption ablesen lässt, steht hier pars pro toto für diese Art von Veränderung. Die Neuorientierung idealistischer Systemphilosophie in Schellings Philosophischen Untersuchungen führt mithin, wie im Folgenden gezeigt werden soll, weder zum Ende der Metaphysik (vgl. Heidegger), noch intendiert Schelling mit seiner mittleren Philosophie die Wunde zu schließen, welche die platonische Materiekonzeption geschlagen habe (vgl. Fuhrmans). Stattdessen, so die hier vertretene These, ermöglicht es gerade Platon als Schellings Gesprächspartner das Irrationale ins metaphysische System zu integrieren, indem er mit der Konzeption der χώρα ein nicht-verständiges Prinzip beschreibt, das trotz seines unverständigen Charakters dem vernünftigen Denken zugänglich ist. Einer Kontinuität in der Veränderung wird damit aber nicht nur nicht widersprochen, sondern sie wird im Anschluss an Barbara Loer, Schulz und Walter
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E. Ehrhardt explizit angenommen – liegt hierin doch das Potential, die schellingsche Philosophie im Ganzen als spezifische, sich entwickelnde Antwort auf die Grundfrage des Deutschen Idealismus wahrzunehmen (vgl. Loer 1974, S. 163 – 165; Ehrhardt 1984, S. 339). Die Frage nach der richtigen Periodisierung tritt deshalb in den Hintergrund und der Verweis auf einzelne Werkphasen dient im Folgenden im Wesentlichen zur Orientierung.²⁹ In Abgrenzung zu Wielands These radikaler Endlichkeit wird dabei aber nicht angenommen, dass die Aufwertung der Endlichkeit zum Ende der Vermittlung führt, sondern gerade das Symbol in Anbetracht der Grenze des Verstandes die Möglichkeit anzeigt, das Böse als nicht deduzierbares Verhängnis der menschlichen Freiheit dennoch in die Ganzheit des Systems zu integrieren, ohne damit den Unterschied von Gut und Böse pantheistisch aufzuheben. Insbesondere die ontologische und methodische Dignität der Endlichkeit spricht dafür, die Häutung im Jahr 1809 zu verorten. So ist es zwar richtig, dass die in der Freiheitsschrift ausgetragene Problematik des Identitätssystems, nämlich die Eigenständigkeit des Endlichen zu denken, bereits 1804 hervortritt (vgl. Holz 1970, S. 50 – 58 u. S. 166 f.). Allerdings wird sie hier selbst als „Strafe“ begriffen (vgl. SW VI, S. 61; Wimmershoff 1934, S. 12). Dagegen wird mit dem Gedanken der Schöpfung in der Freiheitsschrift das Gewolltsein der endlichen Freiheit gedacht. Diese entgegengesetzte Bewertung der endlichen Freiheit wurde bisher in der Forschung nicht als solche systematisch ausgeführt. Zwar betont Zeltner im Jahr 1954, dass die Identitätsphilosophie zum „endlichen Einzelsein […] ein bloß negatives Verhältnis“ habe, aber er ordnet die Philosophischen Untersuchungen in die Werkphase einer „philosophischen Anthropologie“ ein, die nur eine „Erweiterung und schließlich Verschiebung der philosophischen Problematik“ (Zeltner 1954, S. 54 f.) der Identitätsphilosophie gewesen sei. Er übersieht dabei, dass die „Erfahrung der Kontingenz, der Zufälligkeit, ja der Sinnlosigkeit alles Seienden“ und der Verlust der „Harmonie mit dem Absoluten“ nicht erst in der Wende zur Philosophie der Offenbarung hervortritt, sondern die „Erfahrung der Zerrissenheit und Undurchdringlichkeit des Seins“ (Zeltner 1954, S. 60) bereits der Freiheitsschrift eingezeichnet ist. Bereits Schulz war überzeugt, dass die Gottesfrage in der Spätphilosophie keine „Interessenahme an christlichem Gedankengut“ ist.Vielmehr werde sie aus dem Grundgeschehen der Epoche begreiflich (vgl. Schulz 1975, S. 330). Auch Zeltner betont, dass es sich bei der schellingschen Spätphilosophie nicht um eine
Ehrhardt lehnt die Einteilung der schellingschen Philosophie in Epochen generell ab (vgl. Ehrhardt , S. ). Einer solchen kann allerdings aufgrund differenter methodischer Ansätze und systematischer Grundlagen eine gewisse Plausibilität nicht abgesprochen werden.
1.2 Exposition der Grundthese im Horizont der Schellingforschung
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„Offenbarungsphilosophie“ handelt, weil die Offenbarung zu keiner Zeit unmittelbarer „Ausgangspunkt“ sei – und er hebt damit den Unterschied einer Philosophie, die Offenbarung denken kann, zu einer Philosophie, welche die Offenbarung zu ihrem „Maß“ macht (vgl. Zeltner 1954, S. 62), hervor. Schelling selbst schreibt in der Philosophie der Offenbarung: Die Offenbarung ist ihr [der positiven Philosophie] daher nicht Quelle, nicht Ausgangspunkt, wie der sogenannten christlichen Philosophie, von der sie in dieser Hinsicht toto coelo verschieden ist […]; die Offenbarung wird auf sie keine andere Autorität ausüben, als die allerdings auch jedes andere Objekt auf die Wissenschaft ausübt, die sich mit ihm zu schaffen macht. (SW XIII, S. 133)
Wenn in dieser Untersuchung von Sünde gesprochen wird, dann wird konsequent an der These festgehalten, dass hier nicht ein der Philosophie Äußeres in den Begründungszusammenhang der Philosophie einbricht (vgl. Wimmershoff 1934, S. 26 – 45), sondern dieser Begriff in seiner Funktion innerhalb der inneridealistischen Freiheitsdiskussion verstanden werden kann. Diese Funktion kann zum einen darin gefunden werden, dass Schelling mit der Erbsünde, die von Kant aufgenommene intelligible Tat in eine übermoralische Kategorie zu transformieren sucht und zum anderen darin, dass die Sünde ein zentraler Begriff der Auseinandersetzung zwischen Fichte und Schelling ist (vgl. Sturma 1996, S. 429 – 446; Peetz 2004, S. 482– 500; Hühn 2009, S. 240 – 244). Eine Vielzahl von Untersuchungen hat sich bisher dezidiert mit dem Bösen in der schellingschen Freiheitsschrift auseinandergesetzt, und zwar zumeist ausgehend von einer Verortung innerhalb der Theodizeeproblematik (vgl. Portmann 1966; Schulte 1988, S. 195; Marquard 1995, S. 54– 59). Insbesondere durch diese Kontextualisierung stand dabei zumeist die Rekonstruktion der rationalen Begründung und Rechtfertigung des Bösen im Vordergrund, sodass die tragische Dimension des Bösen nicht systematisch berücksichtigt wurde. Aber erst mit der Darstellung der Spannung von Tragik und Sünde der menschlichen Freiheit lässt sich zeigen, wie Schelling den Begriff der derivierten Absolutheit als „Mittelbegriff der ganzen Philosophie“ (SW VII, S. 347) und Kernproblem des Identitätssystems, mit welchem das Zugleich von Gesetztheit und Selbstanfänglichkeit menschlicher Freiheit gedacht werden soll, über die Konzeption des Bösen aufweist. Wird das Böse als Resultat eines Freiheitsvollzugs von der Darstellung des Verhängnisses des Bösen in der Freiheitsschrift abgetrennt, so droht die Scheidung des Nachweises der Selbstanfänglichkeit menschlicher Freiheit – über das Böse als Freiheitsvollzug – von der negativen Darstellung ihrer Gesetztheit – über das Böse als Verhängnis der Freiheit. So thematisiert Theunissen in dem Aufsatz Schellings anthropologischer Ansatz lediglich die freiheitstheoretische Dimension der schellingschen Sündenlehre
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in den Philosophischen Untersuchungen und kommt zu dem Schluss, dass Schelling die „Intention“, zu zeigen, wie eine „Philosophie, die von der spezifisch menschlichen Freiheit ausgeht, […] zur Anerkenntnis eines Absoluten außer uns genötigt“ werde, „Schritt für Schritt“ (Theunissen 1965, S. 180) preisgebe. Er betont, dass die Freiheitsschrift „grundsätzlich vom Menschen aus“ ansetze, weil es das „Menschliche der menschlichen Freiheit [sei], woran der alte Real-Idealismus scheitert“ (Theunissen 1965, S. 178). Dabei behauptet er, dass die Gesetztheit der Freiheit des Menschen von Schelling im Laufe der Untersuchung zugunsten der Selbstanfänglichkeit – und damit der Absolutheit – menschlicher Freiheit aufgegeben werde, sodass der Begriff der derivierten Absolutheit letztlich uneingelöst bleibe. Lore Hühn hat aufgezeigt, dass es die „ureigenste Intention der ganzen Freiheitsschrift“ sei, darzulegen, „daß die angeführten Selbstsetzungsfiguren immer schon durch das ihnen inhärierende sündentheologische Erbe gebrochen“ sind und damit auf die „latente Präsenz des Verdrängten [der Gesetztheit] im Modus der Verkehrung“ (Hühn 1998a, S. 63, Anm. 16 u. S. 61) verweisen. Jochem Hennigfeld hat der These eines anthropologischen Ansatzes mit der Begründung widersprochen, Schelling gebe die absolute Identität nicht auf, weshalb die Freiheitsschrift „Metaphysik“ bleibe (vgl. Hennigfeld 2006, S. 464). Es fällt zudem auf, dass das Forschungsinteresse an Schellings Konzeption des Bösen häufig explizit theologisch war, wodurch die idealistisch-systematischen Konsequenzen der Konzeption der menschlichen Freiheit häufig zugunsten der Frage nach dem Gelingen oder Scheitern der Theodizeefrage zurücktrat. Die Funktion und Konsequenzen der Thematisierung des Bösen als Freiheitsvollzug innerhalb der idealistischen Konstellation herauszustellen, ist dagegen das vorrangige Interesse dieser Untersuchung. Über die thematische Intention hinausgehend, besteht das Hauptanliegen dieser Arbeit darin, im Ausgang von den aktuellen Ergebnissen der Schellingforschung zu einem tieferen Verständnis des in der Freiheitsschrift von Schelling vollzogenen Umbruchs idealistischen Denkens beizutragen, deren Ausläufer bis in aktuelle Debatten fortwirken, um damit dazu beizutragen, dass der lange Zeit nur beiläufig betrachtete spezifisch schellingsche Idealismus, der für zahlreiche Krisendenker des 20. Jahrhunderts wichtige Impulse gesetzt hat, in der Betrachtung des Deutschen Idealismus insgesamt stärker ins Bewusstsein rückt. Wird die ontologische Aufwertung der Endlichkeit gegenüber der Identitätsphilosophie und ihre methodische Berücksichtigung von Kierkegaard, Rosenzweig oder Tillich her betrachtet, so könnte angenommen werden, es handle sich dabei um ein spezifisch nachidealistisches Moment philosophischen Selbstverständnisses. Aber die Einzeichnung der Endlichkeit in die Freiheitsphilosophie bei Fichte ab 1800 (vgl. Hühn 1992, S. 186 f.) und Schellings eigenen existentiellen Züge in den Philosophischen Briefen (1795) legen eher den Schluss nahe, dass es
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sich hierbei um einen genuin idealistischen Wesenszug der Philosophie handelt; eine Deutung, die sich von der Grundintention des Deutschen Idealismus her stützen lässt, die kantischen drei Kritiken in ein System zu überführen. So hatte Kant explizit werden lassen, dass eine intellektuelle Anschauung nur im göttlichen Verstande denkbar sei, dem Menschen aber verwehrt bleiben müsse (vgl. KA III, S. 110 / KrV, B 135) – und damit selbst die Sphäre der Endlichkeit von der der Vollkommenheit abgetrennt. Eine Philosophie der Endlichkeit scheint deshalb im Ausgang von Kants Philosophie gleichermaßen möglich wie eine Philosophie des absoluten Ich und abhängiger von der Perspektive auf die kantische Philosophie zu sein als von den gesetzten Vorgaben. Die Philosophie der Endlichkeit scheint damit eine lange Zeit nicht dem Idealismus als solchem zugerechnete Grundmöglichkeit genuin idealistischen Philosophierens.
2 Kontext Kant behauptet in der Kritik der praktischen Vernunft, der Wille und die praktische d. h. gesetzgebende Vernunft seyen Eins und dasselbe. Diese Behauptung wiederholt er aufs neue in der philosophischen RechtsLehre. (AA I,4, S. 157 / SW I, S. 430)
2.1 System der Freiheit. Der idealistische Ansatz der Freiheitsschrift in der Kantnachfolge Die Freiheit ist im Deutschen Idealismus nicht nur ein Schlüsselbegriff der praktischen Philosophie, sondern das alle Bereiche verbindende Grundprinzip. Mit ihm wird in Schellings und Fichtes Frühidealismus eine neue Metaphysik inauguriert, eine Metaphysik der Freiheit (vgl. Halfwassen 2004, S. 459 – 481), weil die Freiheit zum ersten Prinzip erhoben wird, sodass auch das Sein von der Freiheit her verstanden wird (vgl. AA I,9,1, S. 67 / SW III, S. 376) und alles Wirkliche seine Wirklichkeit von ihr erhält (vgl. Zöller 1996, S. 1).¹ Diese ontologische Ausrichtung nimmt ihren Ausgang vom Primat der praktischen Vernunft, das Kant wie folgt begründet: In der Verbindung also der reinen speculativen mit der reinen praktischen Vernunft zu einem Erkenntnisse führt die letztere das Primat, […] weil alles Interesse zuletzt praktisch ist, und selbst das der speculativen Vernunft nur bedingt und im praktischen Gebrauche allein vollständig ist. (KA V, S. 121 / KpV, A 218 f.)
Das „Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein“ (KA VI, S. 213 f.) definiert Kant in der Metaphysik der Sitten als Freiheit ihrem positiven Begriff nach. Damit fanden die Frühidealisten die Freiheit respektive den Willen als Unbedingtes vorgegeben, durch welches sie der kantischen Philosophie „Sinn und Zusammenhang“ geben wollten. Ausgehend von der Freiheit als unbedingtem Wollen schien es ihnen möglich, zu den „Bruchstücke[n] und Resultate[n]“ die „Prämißen“ zu liefern, von welchen her die kantische „Sache“ System werde. So schreibt Schelling am 6. Januar 1795 in einem Brief an Hegel: Die Philos. ist noch nicht am Ende. Kant hat die Resultate gegeben: die Prämißen fehlen noch. […] Nun arbeit’ ich an einer Ethik à la Spinoza – sie soll die höchsten Principien aller
Beierwaltes spricht von einer „Wendung des Seins in den Willen“ (Beierwaltes , S. ). Vgl. zur Relevanz dieses Ansatzes in Bezug auf Schellings Spinoza-Auseinandersetzung Hühn b, S. , Anm. .
2.1 System der Freiheit. Der idealistische Ansatz der Freiheitsschrift
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Philosophie aufstellen, die Principien, in denen sich die theoretische u. praktische Vernunft vereinigt. (AA III,1, S. 16 f.)
Auch Fichte äußert die Absicht, ausgehend von Kants Philosophie ein System aufzustellen, wenn er in dem Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre schreibt: Nun weiß ich sehr wohl, daß Kant ein solches System keineswegs aufgestellt hat […]. Aber ich glaube eben so sicher zu wissen, daß Kant sich ein solches System gedacht habe; daß alles, was er wirklich vorträgt, Bruchstücke und Resultate dieses Systemes sind, und daß seine Behauptungen nur unter dieser Voraussetzung Sinn und Zusammenhang haben. (FGA I,4, S. 230)²
Dieser „Wille zum System“ (Zeltner 1954, S. 8), genauer zur Systematisierung der kantischen Philosophie, kann als der Beweggrund der Philosophie des Deutschen Idealismus betrachtet werden. Fichte und Schelling äußern diese Absicht gleichermaßen und begründen beide ein System der Freiheit. Zwar wird Fichte im Jahr 1795 in einem Briefentwurf behaupten, sein „System ist das erste System der Freiheit“ (FGA III,2, S. 298). Aber auch Schelling schreibt bereits am 4. Februar 1795 an Hegel, dass es die Freiheit sei, die den Anfang und das Ende, mithin das Ganze seiner Philosophie ausmache: „Das A und O aller Philosophie ist Freiheit.“ (AA III,1, S. 22) Trotz der gemeinsamen Absicht, das eine System, welches theoretische, praktische und ästhetische Vernunft vereint, durch das Wollen als praktische Vernunft zu fundieren, resultieren daraus differente Freiheitssysteme. Zwischen Schelling und Fichte stand von Anfang an auch der Freiheitsbegriff selbst zur Debatte. Bis zum endgültigen Bruch zwischen ihnen im Jahr 1801 tritt die Grunddissonanz bei gleicher Intention, nämlich den kantischen Geist weiter zu tragen, immer stärker hervor. Dieser Grundkonflikt lässt sich als die differente Konzeption dieses ersten Prinzips darlegen, spezifischer als die unterschiedliche Verhältnisbestimmung des Willens zur transzendentalen Apperzeption (vgl. Henrich 1989, S. 127– 138). Insofern Fichte und Schelling das Wollen jeweils auf eigene Weise bestimmen, lassen sich von dem Willensbegriff her zwei Grundformen des Systems der Freiheit unterscheiden, die von Schelling selbst als „absolute[r] Idealismus“ und als „relative[r]“ der „Wissenschaftslehre“ bezeichnet werden (SW II, S. 67 f.). Kant selbst betont noch im Jahr in § der Prolegomena, „man habe also bis jetzt keine Transscendentalphilosophie“, weil ihre Grundfrage – „Wie sind synthetische Erkenntnisse a priori möglich?“ – bisher nicht „in systematischer Ordnung und Ausführlichkeit“ (KA IV, S. f.) beantwortet sei.
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2 Kontext
Diese Unterscheidung gründet insbesondere in der differenten Bewertung des Selbstbewusstseins: Während Fichte Freiheit als Spontaneität bestimmt, die strukturell als Selbstbewusstsein gedacht wird (vgl. Purkarthofer 2010, S. 143), führt Schelling sie als nicht notwendigerweise bewusstes Wollen aus, sodass grundsätzlich auch die Natur als Ausdruck einer Subjektivität verstanden werden kann, die nicht mehr egologisch konzipiert ist (vgl. Hühn 1994b, S. 396 f.). In der Grundlegung der positiven Philosophie deutet Schelling diesen Unterschied rückblickend so aus: Wenn man Fichte in seiner höchsten und allgemeinen Bedeutung als Gegensatz gegen Spinoza nimmt, so hat er zuerst die Freiheit in ihr Recht eingesetzt. Dass er diese Lehre auf das menschliche Ich beschränkte, dies war seine individuelle Schranke. Denkt man sich diese hinweg, so hat er schon verkündet, dass alles durch Freiheit sei. (Schelling 1972, S. 182)
Schelling erkennt somit Fichtes Verdienst im Bemühen um das System der Freiheit durchaus an. Und kritisiert zugleich dessen Restriktion „auf das menschliche Ich“. Mit dem von Schelling damit evozierten Auseinandertreten von Freiheit und Selbstbewusstsein ist aber keineswegs ein antiidealistisches Moment in Schellings Philosophie am Werk, weil beides, Sein und Denken, Resultate eines übergeordneten Wollens bleiben,³ von welchem her beide, die bewusste und die unbewusste Welt, sind und welches die systematische Ganzheit trotz der Differenz beider Willensmomente garantiert. Zu diesem übergreifenden Wollen hat die im Ich bin intellektuell anschaubare Identität nur derivierten Status. Zugespitzt ausgedrückt besteht der grundlegende Unterschied zwischen Schellings und Fichtes System der Freiheit – vom schellingschen Identitätssystem aus betrachtet – also vorrangig in der Konzeption des Wollens; konkret in seiner Verhältnisbestimmung zum Selbstbewusstsein: Während Fichte Wollen mit Kant als Grund und „Actus der Spontaneität“ (KA III, S. 108 / KrV, B 132) des Selbstbewusstseins denkt, ist das Selbstbewusstsein nach Schelling eine potentielle, gleichwohl höchste Ausprägung des Willens. Dieser hier vereinfacht dargestellte Unterschied der Freiheitskonzepte bei funktional gleichwertiger Stellung im System lässt sich auch an der Methode des Systems der Freiheit ablesen: Dem konsequent transzendentalphilosophischen Ansatz der fichteschen Frühphilosophie steht der schellingsche Versuch gegenüber, ausgehend vom transzendentalen Idealismus, diesen spekulativ zu erweitern
Dieser Gedanke sollte auch beachtet werden in Bezug auf die Spätphilosophie Schellings, wenn von einer Priorität des Seins über das Denken gesprochen wird und darin ein nicht-idealistisches Moment gesehen wird (vgl. Kosch , S. ), denn auch hier bleibt das Sein Moment eines Urprozesses, der als Wollen begriffen werden kann und sich in Potenzen ausdifferenziert.
2.1 System der Freiheit. Der idealistische Ansatz der Freiheitsschrift
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„zu einem System des gesammten Wissens“ (AA I,9,1, S. 24 / SW III, S. 330; vgl. Jähnig 1966, S. 49). Zur Verdeutlichung dieses Unterschieds könnte im ersten Fall, der mit Kants Worten innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft bleibt, von einer Freiheit gesprochen werden, die streng an das Selbstbewusstsein rückgebunden ist und deren transzendenter Status unerforschlich ist: Die Freiheit ist selbst die apriorische Bedingung für Selbstbewusstsein und, da diese Bedingung selbst nicht bewusst werden kann, nur zugänglich, insofern sie als Grund des Bewusstseins gedacht wird.⁴ Wollen und Denken sind hier unverbrüchlich aneinander gebunden, sodass Fichte sagen kann: „Ich will, in wiefern ich mich als Wollend denke, und ich denke mich als wollend, in wiefern ich will.“ (Fichte 1982, S. 124; vgl. Zöller 1996, S. 10 f.) In der schellingschen Ausprägung des Systems der Freiheit wird der Freiheit schon früh ein transzendenter Status zugesprochen, weil gedacht wird, dass das Wollen sich selbst bewusst werden kann, nicht aber, dass es als Grund des Bewusstseins rückgebunden ist an die Struktur von Selbstbewusstsein. Dieserart wird der Wille als Grund des Bewusstseins nicht darauf festgelegt, in seinem Produzieren nur Selbstbewusstsein hervorzubringen und ein Wollen als Grund und Akt der Produktion wird denkbar, welche Bewusstloses gebiert.⁵ Und dennoch behält die Freiheit bei Schelling höchste ontologische Dignität. So wird die Philosophie hier zwar über die Grenzen der Transzendentalphilosophie hinaus spekulativ erweitert,⁶ sodass die Natur in ihrer Selbsttätigkeit gedacht werden kann. Die Eigenständigkeit der Natur aber wird gerade nicht als vorfindliches gegenständliches Sein angesehen, vielmehr wird umgekehrt die ge Vgl. FGA I,, S. : „Ja, wie wir schon öfter auch in dieser Abhandlung [Versuch einer neuen Darstellung] zugestanden, die Begriffe, auf welche es in der WissenschaftsLehre ankommt, sind wirklich in allen vernünftigen Wesen wirksam, mit Nothwendigkeit der Vernunft wirksam; denn auf ihre Wirksamkeit gründet sich die Möglichkeit alles Bewusstseyns. Das reine Ich, welches zu denken sie sich des Unvermögens beschuldigen, liegt allem ihrem Denken zu Grunde, und kommt in allem ihrem Denken vor, indem alles Denken nur dadurch zu Stande gebracht wird.“ Vgl. Zöller , S. . Zöller nennt dies die „post-Kantian emancipation of the will from the intellect“ (Zöller , S. ). Beierwaltes sieht hierin den Grund für die besondere Bedeutung Plotins in Schellings Philosophie: „Plotin als Paradigma neuplatonischen Denkens hat […] für Schelling eine substantielle heuristische und hermeneutische Funktion […]. Dies ist wesentlich darin begründet, daß Schellings Denken nicht reine Transzendentalphilosophie geblieben ist, sondern vom transzendentalen Ansatz aus das Ganze des Seins als ein in sich gestuftes und in einem Absoluten gründendes zu fassen versuchte. Subjektivität wurde also universal und unendlich gesetzt. So konnte auch die onto-theologische Grundfrage der metaphysischen Tradition idealistisch neu konzipiert und vollendet werden.“ (Beierwaltes , S. )
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2 Kontext
genständliche Betrachtung der Natur als Aufhebung ihres ursprünglichen Seins, als geronnene Produktivität verstanden. Die Ansicht der Natur als Objekt des Wissens wird damit als eine ausgezeichnet, die der Natur in ihrem noumenalen Sein nicht entspricht. So kann die Naturphilosophie Schellings gewissermaßen als Befreiung der Natur aus den Fesseln einer rein gegenständlichen Ansicht derselben betrachtet werden, insofern ihr nun ein Sein zugestanden wird, welches über ihren Status als Korrelat des Wissens hinausgeht, nämlich eine Produktivität, mithin ein nicht notwendigerweise bewusstes Wollen – und damit eine Art von Freiheit.Von dieser ist die Natur als Objekt nur gleichsam das tote Produkt, die TatSache, welche auf eine aufgehobene Tätigkeit verweist (vgl. AA I,9,1, S. 67/ SW III, S. 376). Die Natur wird damit nicht mehr innerhalb der Sphäre des egologischen Selbstbewusstseins gedacht, sondern ausgehend von der Frage nach den Bedingungen des Wissens diese Sphäre transzendierend. Dieserart wird sie über die Transzendentalphilosophie hinaus statt primär als Nicht-Ich,⁷ als Eigenständiges angesetzt. Die Eigenständigkeit wird dabei aber keineswegs als an sich seiende Vorhandenheit gedacht, sodass die Natur aus dem System herausgenommen würde. Vielmehr wird sie selbst als eine Art von Wollen verstanden, wodurch die Natur von der Freiheit her zugänglich wird (vgl. SW VII, S. 351). Wie kommt Schelling von Kant ausgehend zu diesem Willensbegriff? Eine Analyse der kritischen und idealistischen Vorgeschichte soll diese Frage in den folgenden drei Unterkapiteln beantworten. Dabei werden die wesentlichen Gesichtspunkte des schellingschen Freiheitsbegriffs, die hier nur einleitend skizziert wurden, herausgestellt und ausgewiesen. Systematisch werden die Engführung des Wollens mit den Dingen an sich selbst (Der Wille als causa noumenon) und die Veränderung des kantischen Willensbegriffs durch Ausweitung, Universalisierung und Abkopplung von der sittlichen Vernunft (Die Transformation des kantischen Willensbegriffs) dargelegt. Sodann wird die Entwicklung zu diesem Freiheitsbegriff von 1809 nachvollzogen (Der Wille als erstes Prinzip in Schellings Philosophie). Einhergehend mit dieser inhaltlichen Klärung werden die begrifflichen Grundlagen erarbeitet und der systematische Kontext zu Schellings Thematisierung der menschlichen Freiheit in der Freiheitsschrift entfaltet.
Vgl. SW X, S. f.: „Die Natur ist ihm [Fichte] in dem abstrakten, eine bloße Schranke bezeichnenden Begriff des Nicht=Ich, des völlig leeren Objekts, an dem gar nichts wahrzunehmen ist, als daß es eben dem Subjekt entgegengesetzt ist, – die ganze Natur ist ihm in diesem Begriff so zusammengeschwunden, daß er eine Deduktion, die weiter als dieser Begriff sich erstreckte, nicht für nöthig hielt.“
2.1 System der Freiheit. Der idealistische Ansatz der Freiheitsschrift
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2.1.1 Der Wille als causa noumenon Bis zu diesem Punkt, nämlich „Wollen ist Urseyn“, habe der Idealismus das Denken der Freiheit erhoben, gleichwohl sei diese Bestimmung in Anbetracht der menschlichen Freiheit, die das Vermögen zum Bösen beinhalte, ungenügend – behauptet Schelling in der Einleitung zur Freiheitsschrift (SW VII, S. 350 f.) – und begründet damit im Ausgang von diesem Freiheitsbegriff seine philosophische Untersuchung über das Wesen der menschlichen Freiheit. Dass sich hinter dem hier aufgerufenen Freiheitsbegriff, der nach Schelling den status quo der Philosophie seiner Zeit ausmache und den er auch „formelle[n] Freiheit“ (SW VII, S. 351) nennt, der Freiheitsbegriff seines eigenen idealistischen Ansatzes verbirgt mit dem er bereits über Fichte hinausgeht, sagt er dabei nicht explizit,wohl aber, dass er als Grundlage der Untersuchung weiterhin Geltung haben soll. Welche systematische Entwicklung des Idealismus sich hinter der Kurzform „Wollen ist Urseyn“ verbirgt, lässt sich anhand eines Textausschnitts aus der Freiheitsschrift rekonstruieren, in welchem Schelling seine Freiheitskonzeption von der kantischen Lehre abgrenzt und dabei Grundgedanken seiner frühsten Überlegungen zum Idealismus wieder aufgreift, die unter dem Titel Allgemeine Uebersicht der neusten philosophischen Literatur 1797 im Philosophischen Journal veröffentlicht wurden und auch im ersten und einzigen Band der von Schelling selbst im Jahr 1809 herausgegebenen Philosophischen Schriften abgedruckt wurden, hier unter dem Titel: Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre. Schelling schreibt in der Freiheitsschrift: Es wird aber immer merkwürdig bleiben, daß Kant, nachdem er zuerst Dinge an sich von Erscheinungen nur negativ, durch die Unabhängigkeit von der Zeit, unterschieden, nachher in den metaphysischen Erörterungen seiner Kritik der praktischen Vernunft Unabhängigkeit von der Zeit und Freiheit wirklich als correlate Begriffe behandelt hatte, nicht zu dem Gedanken fortging, diesen einzig möglichen positiven Begriff des An=sich auch auf die Dinge überzutragen, wodurch er sich unmittelbar zu einem höhern Standpunkt der Betrachtung und über die Negativität erhoben hätte, die der Charakter seiner theoretischen Philosophie ist. (SW VII, S. 351 f.)
Folgt man diesen Behauptungen in die kantischen Referenztexte, so zeigt sich, dass Kant in der Kritik der reinen Vernunft die Dinge an sich selbst von den Erscheinungen abgrenzt, indem er aufzeigt, dass Raum und Zeit nur subjektive Bedingungen der Erfahrung sind und damit keinen Rückschluss auf die Dinge an sich selbst zulassen.⁸ Ob dabei von einer negativen Bestimmung gesprochen
Vgl. KA IV, S. / KrV, A f.: „Es ist also ungezweifelt gewiß und nicht blos möglich oder auch wahrscheinlich, daß Raum und Zeit, als die nothwendige Bedingungen aller (äußern und innern)
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2 Kontext
werden kann, bleibt dennoch fraglich. Denn wenn es gilt,wie Kant behauptet, dass die Antwort auf die Frage, was „es für eine Bewandtniß mit den Gegenständen an sich und abgesondert von aller dieser Receptivität unserer Sinnlichkeit haben möge“, für „uns gänzlich unbekannt“ (KA IV, S. 43 / KrV, A 42 [Hervorhebung L.E.]) bleibt, dann wäre die Absprache von Raum und Zeit eine deutliche Revision dieser Aussage, wonach wir nicht wissen können, ob sie an sich selbst raum-zeitlich geordnet sind. Anders verhält es sich mit dieser Frage in der transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft. Hier macht Kant die Unabhängigkeit von der Zeit zum Prädikat des intelligiblen Charakters und begründet diese Attribuierung durch die Zugehörigkeit desselben zur Menge der an sich seienden Dinge: „Dieses handelnde Subject würde nun nach seinem intelligibelen Charakter unter keinen Zeitbedingungen stehen, denn die Zeit ist nur die Bedingung der Erscheinungen, nicht aber der Dinge an sich selbst.“ (KA III, S. 367 / KrV, B 567) An dieser Stelle wird die Zeitlosigkeit also tatsächlich als negative Unterscheidung der Dinge an sich selbst von den Erscheinungen für die Begründung der Freiheit in Anspruch genommen. Kant verneint aber die Möglichkeit, dass sich aus dieser Verbindung von Zeitunabhängigkeit und An-sich-Sein der Dinge eine Aussage über die intelligible Ursache der Erscheinungen selbst machen ließe, denn, so unterstreicht er, der „Begriff eines Noumenon ist also blos ein Gränzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche.“ (KA IV, S. 166 / KrV, A 255) Einer positiven Zuschreibung von Zeitunabhängigkeit widerspricht diese Einschränkung, weil sie das bloß negativ Gedachte als logisches Subjekt ansetzt, dem diese Eigenschaft, nämlich zeitunabhängig zu sein, zugesprochen wird, womit der bloße Grenzbegriff logisch zu einem Seienden gemacht wird. Die Gefahr, aus einem Grenzbegriff ein Seiendes zu gewinnen, anerkennt auch Schelling, der darin den kantischen Geist missachtet sieht. Und er zeichnet diese Gefahr bei Kant selbst ein, wenn er ihn vor einer dogmatisierenden Interpretation bewahren will, indem er betont, der Ausdruck Ding an sich könne nicht so verstanden werden, dass Kant wirklich annehme, es handle sich beim Noumenalen um Dinge. Vielmehr müsse dieser Ausdruck als Symbol begriffen werden, welcher „wie alle symbolischen Ausdrücke einen Widerspruch in sich schließt, weil er das
Erfahrung, blos subjective Bedingungen aller unsrer Anschauung sind, im Verhältniß auf welche daher alle Gegenstände bloße Erscheinungen und nicht für sich in dieser Art gegebene Dinge sind, von denen sich auch um deswillen, was die Form derselben betrifft, vieles a piori sagen läßt, niemals aber das Mindeste von dem Dinge an sich selbst, das diesen Erscheinungen zum Grunde liegen mag.“
2.1 System der Freiheit. Der idealistische Ansatz der Freiheitsschrift
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Unbedingte durch ein Bedingtes darzustellen, das Unendliche endlich zu machen sucht.“ (AA I,4, S. 133 / SW I, S. 406) Anders als Kant, der die Gefahr wesentlich darin sieht, aus dem als Grenzbegriff zu denkenden Noumenon eine intelligible Ursache als Realgrund der Erkenntnis zu gewinnen (vgl. KA XXII, S. 42), sieht Schelling eine Abgrenzung dadurch notwendig, dass der intelligible Realgrund des Sinnlichen, das Übersinnliche, als ein Gegenstand gedacht werden könnte. Kant selbst spricht im Handschriftlichen Nachlaß von einem „negativen Standpunct“ (KA XXII, S. 42). Um die von Kant vollzogene – und von Schelling in obigem Zitat mit „Negativität“ markierte – Selbstbegrenzung der theoretischen Philosophie in Hinblick auf die Grundfrage des Deutschen Idealismus zu erläutern, bietet es sich an, auf das Kernstück der Kritik der reinen Vernunft einzugehen, nämlich die Frage, wie synthetische Sätze a priori möglich sind. Die Lösung dieser Frage ist nach Kant entscheidend für die Transzendentalphilosophie als Grundlage der Metaphysik als Wissenschaft (vgl. KA IV, S. 278 f.). Sie ist ausgerichtet auf den denknotwendigen Einheitsgrund von Erkenntnis, also den Grund der möglichen Übereinstimmung der Verstandesbegriffe mit der sinnlichen Anschauung als den beiden Säulen der Erkenntnis im Erkenntnisurteil.⁹ Die Denknotwendigkeit einer Affinität beider Bereiche führt zur Annahme transzendentaler Subjektivität, welche als die Bedingung der Möglichkeit einer Synthesis a priori den produktiven Grund der Verstandesbegriffe mit der reinen Sinnlichkeit verbindet. Von der Negativität dieses Fundaments der Erkenntnis kann Schelling deshalb zu Recht sprechen, weil dieser Einheitsgrund, nämlich die transzendentale Subjektivität, zwar die „Identität von Ideal- und Realgrund“ (Eidam 2007, S. 59) der Erkenntnis darstellt, insofern er den Grund der Verstandesbegriffe und der Sinnesgegenstände als Gegenstände gibt, letztere aber nur als Erscheinung, und nicht den Grund der Sinnesgegenstände an sich selbst, weshalb der Realgrund hier nur in seiner Formalität, nicht aber in seiner Materialität fundiert ist (vgl. Eidam 2007, S. 13 – 38). Mit anderen Worten: Die transzendentale Subjektivität macht es zwar möglich, die Einheit der reinen Sinnlichkeit und der Verstandestätigkeit zu denken und damit die Bezogenheit beider im Erkenntnisurteil zu erklären, aber sie liefert damit nur die Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis und nicht ihre Wirklichkeit, weil zur Erkenntnis etwas dazu kommen muss, das von der Subjektivität selbst nicht geleistet werden kann. Dieses von der Subjektivität nicht zu Leistende ist das „Daseyn eines Dinges“, welches ein „synthetisch[es] praedicat“ (KA XVIII, Vgl. KA IV, S. / KrV, A : „Beide äußerste Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen vermittelst dieser transscendentalen Function der Einbildungskraft nothwendig zusammenhängen: weil jene sonst zwar Erscheinungen, aber keine Gegenstände eines empirischen Erkenntnisses, mithin keine Erfahrung geben würde.“
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S. 708) darstellt, das nur durch Anschauung und, da nach Kant für uns keine nichtempirische Anschauung möglich ist,¹⁰ nur vermittels der Sinnlichkeit und daher a posteriori dem Subjekt gegeben ist.¹¹ Die transzendentale Subjektivität als die Instanz, welche synthetische Sätze a priori ermöglicht, ist also nur der transzendentale Grund der Erkenntnis, nicht aber der von der Subjektivität unabhängige Grund des Seins der Gegenstände – welcher, wie oben gezeigt, nach Kant nur als Grenzbegriff zu denken ist. Das Erkenntnisurteil setzt mithin nicht nur die Tätigkeit der Subjektivität als seinen transzendentalen Einheitsgrund voraus. Neben den Bedingungen der Möglichkeit für Erkenntnis ist es für das Erkenntnisurteil zudem auch noch denknotwendig, einen nicht vom Subjekt abhängigen noumenalen Grund der Wirklichkeit der Dinge anzunehmen, ohne dass dieser nach Kant als solcher bestimmt werden könnte. Es muss also gedacht werden, dass die Dinge mehr sind als Erscheinung, weil die Subjektivität ihr Dasein als materialer Realgrund der Erkenntnis nicht leisten kann. Hinter dem was erscheint, muss sich darum etwas verbergen, das selbst nicht erscheint, aber Ursache der Erscheinung ist (vgl. KA IV, S. 164 / KrV, A 252): das transzendentale Objekt. Da gerade dieser Aspekt der Dinge aber per definitionem nicht erscheint, bleibt das Ding an sich selbst schlechthin unkennbar. Synthetische Sätze a priori sind deshalb nach Kant zwar möglich, insofern das Selbstbewusstsein diese tätigt und ihren Einheitsgrund darstellt (vgl. Eidam 2007, S. 59), aber sie beschränken sich auf die Bedingung der Möglichkeit der Dinge als Gegenstände der Erkenntnis. Von dieser Bedingung, nämlich der Tätigkeit des Selbstbewusstseins, bleibt der materiale Realgrund als Grund der Wirklichkeit des Erkenntnisgegenstandes ausgeschlossen. Zur Wirklichkeit eines Erkenntnisurteils ist darum die (sinnliche) Anschauung indispensabel als Zeugnis der Erfahrung (vgl. Hahn 1982, S. 123), die über die Wahrnehmung von der Existenz der Objekte zeugt. Als negativ kann dieser Standpunkt also zurecht gelten, weil Kant den Identitätsgrund der Erkenntnis nur insofern aufweisen kann, als er die Sinnesgegenstände in ihrer Idealität, also „als Erscheinungen“ (KA XXII, S. 42) begründet,
Vgl. KA III, S. / KrV, B f.: „Derjenige Verstand, durch dessen Selbstbewußtsein zugleich das Mannigfaltige der Anschauung gegeben würde, ein Verstand, durch dessen Vorstellung zugleich die Objecte dieser Vorstellung existirten, würde einen besondern Actus der Synthesis des Mannigfaltigen zu der Einheit des Bewußtseins nicht bedürfen, deren der menschliche Verstand, der bloß denkt, nicht anschaut, bedarf.“ Vgl. KA III, S. / KrV, B : „Ein Verstand, in welchem durch das Selbstbewußtsein zugleich alles Mannigfaltige gegeben würde, würde anschauen; der unsere kann nur denken und muß in den Sinnen die Anschauung suchen.“
2.1 System der Freiheit. Der idealistische Ansatz der Freiheitsschrift
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nicht aber in ihrer Realität. Die Sinnesgegenstände als Erscheinungen haben deshalb nur den ontologischen Status der Idealität, weshalb ergänzend zum Gegenstand der Erscheinung immer noch das Objekt gedacht werden muss, insofern es nicht erscheint, ohne dass dieser materiale Realgrund der Erscheinung selbst erkannt werden, noch zur Subjektivität in ein systematisches Verhältnis gesetzt werden könnte. Das transzendentale Objekt, also der Gegenstand als Ursache der Erscheinung, im Unterschied zum Gegenstand als Erscheinung ist damit ein denknotwendiger Gedanke, der ein X zum Objekt hat, das unabhängig sein muss von der Subjektivität, und in diesem Denken, trotz der angenommenen Unabhängigkeit, doch bloßer Grenzbegriff bleibt. Gerade als bloßes Produkt der Abstraktion des Denkens von seiner Tätigkeit bleibt das Ding an sich abhängig von der Subjektivität, sodass über seine Realität und Bestimmung als es selbst nichts ausgesagt werden kann. Gemäß der Kritik der reinen Vernunft kann somit weder die Frage beantwortet werden, was der materiale Realgrund der Sinnesgegenstände ist, noch wie dieser mit dem formalen Realgrund, der reinen Sinnlichkeit, beziehungsweise dem Idealgrund, der Verstandestätigkeit, zu vereinbaren wäre. Eine intelligible Ursache der Sinnengegenstände ist damit nicht systematisch zu konzipieren. Hier ist die Grenze erreicht, welche der theoretischen Erkenntnis auferlegt ist, solange nicht – wie Kant betont – „eine andere Art der Anschauung, als diese sinnliche ist“, angenommen werden kann „unter der ein solcher Gegenstand gegeben werden könne“ (KA IV, S. 164 / KrV, A 252). Da nach Kant die sinnliche Anschauung aber die einzige „für uns“ sei, werde es immer fraglich sein, „ob bei dieser Abtrennung [der Anschauungsformen] überall ein Object übrig bleibe.“ (KA IV, S. 165 / KrV, A 252 f.) Dies ist der systematische Ort der intellektuellen Anschauung, die von Reinhold, Fichte und Schelling trotz der kantischen Grenzziehung und mit der Absicht, dem kritischen Geist treu zu bleiben, zur Systematisierung der kantischen Philosophie wieder eingeführt wird (vgl. Tilliette 2015). Inwiefern Kant Freiheit und Zeitunabhängigkeit als „correlate Begriffe“ verwendet, wie Schelling behauptet, zeigt sich in der Kritik der praktischen Vernunft. Hier gewinnt Kant einen positiven Begriff eines Noumenon, nämlich in Form des sittlichen Willens:¹² Lässt sich die handelnde Person von der reinen praktischen Vernunft leiten, so erhebt sich ihr Begehrungsvermögen und wird zum reinen Willen; sie kann sich dann „als Noumenon betrachte[n] (als reine Intelligenz, in Vgl. AA I,, S. f. / SW I, S. f.: „In der theoretischen Philosophie Kants ist das übersinnliche Princip alles Vorstellens nur angedeutet. In der praktischen Philosophie aber erscheint auf einmal als Princip unsers Handelns – die Autonomie des Willens, und als das einzige Uebersinnliche, wovon wir Gewissheit haben, die Freiheit in uns. Hier also löst sich das Räthsel.“
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seinem nicht der Zeit nach bestimmbaren Dasein)“, sie wird zu einer intelligiblen Ursache, insofern sie „einen Bestimmungsgrund jener Causalität nach Naturgesetzen“ verkörpert, „der selbst von allem Naturgesetze frei ist“ (KA V, S. 114 / KpV, A 206; vgl. Eisler 1930, S. 93). Dem sittlichen Willen wird hier von Kant also die Eigenschaft der Zeitunabhängigkeit zugesprochen und der Sphäre des An-sichSeins zugeordnet. Er bestimmt ihn dabei als Vernunft, die selbst praktisch ist. Vor allem aber wird sein Status einer Denknotwendigkeit mit bloß möglicher objektiver Wirklichkeit nun über das Faktum der Vernunft, nämlich dem Erscheinen des Sittengesetzes, zu einer im sittlichen Handeln ohne die Sinnlichkeit gegebenen Wirklichkeit aufgewertet.¹³ Erst mit dem Erscheinen des sittlichen Sollens im Bewusstsein ist die Notwendigkeit der Annahme der Existenz eines intelligiblen Bestimmungsgrundes im handelnden Wesen selbst gegeben (vgl. KA V, S. 114 / KpV, A 206), und damit, nach idealistischer Lesart, implizit eine Form der Anschauung etabliert, die nicht der Sinnlichkeit unterliegt: eine intellektuelle Anschauung. Kant selbst bestreitet diese Interpretation, wonach es sich hierbei um eine Anschauung handelt, welche diesem Objekt „seine objective theoretische Realität bestimmte“ (KA V, S. 56 / KpV, A 98 f.). Und Kant beschränkt diese positive Bestimmung des An-sich ausschließlich auf die intelligible Ursache einer spezifischen Sache, nämlich die Gegenwart des Sittengesetzes in uns, mit dessen Gewissheit sich das handelnde Subjekt „als Ding[es] an sich selbst bewußt“ (KA V, S. 97 / KpV, A 175) wird – und würde aus diesem Grund die Möglichkeit einer Ausweitung dieser positiven Ansicht auf die Gesamtheit der Dinge an sich zurückweisen, denn die „objective Realität eines reinen Willens oder, welches einerlei ist, einer reinen praktischen Vernunft ist im moralischen Gesetze a piori“ (KA V, S. 55 / KpV, A 96) gegeben, aber dennoch auf den „praktischen Gebrauch“ (KA V, S. 56 / KpV, A 98) beschränkt, d. h. lediglich subjektiv-allgemein. Insofern sich im sittlichen Wollen das Subjekt derart nur selbst als es selbst bewusst wird,verbleibt die kantische Konzeption der Positivität der Freiheit in der Sphäre der Subjektivität, auch wenn diese nun praktisch zur Sphäre aller vernünftigen Wesen ausgeweitet ist.
Kant bezeichnet den reinen Willen in der Kritik der praktischen Vernunft als einen Begriff, welcher den „Begriff einer Causalität mit Freiheit, d. i. die nicht nach Naturgesetzen bestimmbar“ (KA V, S. / KpV, A f.) ist, enthält. Dieser reine Wille ist nichts anderes als die Vernunft, insofern sie selbst praktisch ist. Dass diese real ist, zeigt Kant in der Kritik der praktischen Vernunft auf: „Die objective Realität eines reinen Willens oder, welches einerlei ist, einer reinen praktischen Vernunft ist im moralischen Gesetze a priori gleichsam durch ein Factum gegeben; denn so kann man eine Willensbestimmung nennen, die unvermeidlich ist, ob sie gleich nicht auf empirischen Principien beruht.“ (S. / A )
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Es kann Schelling also in seiner Einschätzung zugestimmt werden, dass Kant in der Kritik der praktischen Vernunft „Unabhängigkeit von der Zeit und Freiheit als correlate Begriffe“ verwendet, wodurch eine positive Bestimmung des An-sich vollzogen wird. Aber, und das muss hinzugefügt werden, eben nur in Zusammenhang mit einem spezifischen An-sich, das sich über einen exklusiven Zugang zu diesem, nämlich das Erscheinen der sittlichen Vernunft auszeichnet und von allen anderen Noumena unterscheidet. So kann sich nach Kant eine handelnde Person nach zwei Hinsichten betrachten, nämlich als Erscheinung und damit unter den Gesetzen der Naturnotwendigkeit stehend und „als Noumenon […] (als reine Intelligenz, in seinem nicht der Zeit nach bestimmbaren Dasein)“ (KA V, S. 114 / KpV, A 206).
2.1.2 Die Transformation des kantischen Willensbegriffs Kant macht in den Prolegomena in § 53 deutlich, dass „derjenigen Ursache, die selbst keine Erscheinung ist (obzwar ihr zum Grunde liegt), Freiheit zugestanden“ (KA IV, S. 344) werden könne. Da die Auflösung der dritten Antinomie jeder Erscheinung zugleich ein Ding an sich zuordnet, welches nicht Erscheinung, nicht sensibel ist, sondern intelligibel,¹⁴ liegt der Schluss nahe, jedem Ding an sich Freiheit zuzugestehen, mithin den in der praktischen Philosophie entwickelten Willensbegriff mit den Dingen an sich zu identifizieren, diesen damit über die Grenzen der Subjektivität hinaus auszuweiten und zu universalisieren. Es ist Schelling, der diesen Gedanken stark macht, wenn er betont, er verstehe nicht, warum Kant die Zeitlosigkeit als einzig mögliche positive Bestimmung der Freiheit nicht zugleich als An-sich alles Seienden ansetze. Dahinter steht die Absicht Schellings, die positive Bestimmung der Freiheit über das Sittengesetz auf die Sphäre der Dinge an sich auszuweiten, den Willen in seiner Positivität zu universalisieren und damit die für das System notwendige Einheit zu fundieren. Wenn auch die Dinge an sich als eine Art von Freiheit gedacht werden, bedarf es allerdings eines anderen Willensbegriffs als des kantischen, insofern dieser nicht länger als Selbstbestimmung durch das Sittengesetz verstanden werden kann.
Vgl. KA III, S. / KrV, B : „Ich nenne dasjenige an einem Gegenstande der Sinne, was selbst nicht Erscheinung ist, intelligibel. Wenn demnach dasjenige, was in der Sinnenwelt als Erscheinung angesehen werden muß, an sich selbst auch ein Vermögen hat, welches kein Gegenstand der sinnlichen Anschauung ist, wodurch es aber doch die Ursache von Erscheinungen sein kann: so kann man die Causalität dieses Wesens auf zwei Seiten betrachten, als intelligibel nach ihrer Handlung als eines Dinges an sich selbst, und als sensibel nach den Wirkungen derselben als einer Erscheinung in der Sinnenwelt.“
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Dieses schellingsche Streben findet in der intellektuellen Anschauung der Identitätsphilosophie insofern eine Vollendung, als hier ein Fundament für die bereits 1797 aufgestellte These gegeben wird, welche besagt, dass das „intelligible Substrat der Materie und des Denkens Eins und dasselbe“ (AA I,4, S. 134 / SW I, S. 407) sei. Die Rhetorik von der Merkwürdigkeit der kantischen Einschränkung, die Schelling verwendet, um seine Erweiterung und Überschreitung des kantischen Ansatzes in scheinbare Nähe zu Kant zu rücken, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies vom kantischen Standpunkt aus undenkbar ist. Das soll im Folgenden durch den systematischen Vergleich des schellingschen Ansatzes mit den kantischen Freiheitsbegriffen aufgezeigt werden. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, welchen Willensbegriff Schelling von Kant übernimmt und welche Transformation dieser durch die Universalisierung erfährt. Drei Hinsichten – entsprechend den drei kantischen Kritiken – werden dabei behandelt: Die Universalisierung der transzendentalen Freiheit als Spontaneität, mithin die Ausweitung des Willens auf das An-sich der Natur, die Ablösung von Wille und (praktischer) Vernunft sowie die Selbstbezüglichkeit des natürlichen Willens.
Spontaneität und transzendentale Freiheit „Freiheit [ist] das Vermögen eine Begebenheit von selbst anzufangen“ (KA IV, S. 344 Anm.). Freiheit in diesem Sinne als Spontaneität wird von Kant als transzendentale Freiheit konzipiert, womit das Ergebnis des Widerstreits der Vernunft in Anbetracht der notwendigen Annahme von Notwendigkeit und Freiheit bezeichnet ist. Zur Auflösung der dritten Antinomie der Vernunft in der Kritik der reinen Vernunft wird der Freiheit als Spontaneität die Eigenschaft der Transzendentalität zugesprochen, und damit aus der Sphäre der Erscheinungen herausgenommen, womit der antinomische Widerspruch von gleichzeitiger Anfänglichkeit und kausaler Verknüpfung durch die Annahme zweier „Arten von Causalität“ behoben ist: Ist aber Naturnothwendigkeit blos auf Erscheinungen bezogen und Freiheit blos auf Dinge an sich selbst, so entspringt kein Widerspruch, wenn man gleich beide Arten von Causalität annimmt oder zugiebt, so schwer oder unmöglich es auch sein möchte, die von der letzteren Art begreiflich zu machen. (KA IV, S. 343)
Damit ist ausgesagt, dass in der Welt der Erscheinungen weder Anfänglichkeit noch Freiheit angenommen werden, mithin alle Abläufe nach kausaler Gesetzmäßigkeit Erklärung finden können. So herrscht in der Welt der Erscheinungen die Kausalität der Notwendigkeit, welche festlegt, dass alles Vorhandene Folge einer Ursache ist, die ihrerseits selbst verursacht ist, und so fort. Womit Freiheit als
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Spontaneität kategorisch von Zeit und Raum getrennt wird, obgleich die „Wirkungen“¹⁵ derselben als Handlungen der empirischen Person in der sinnlichen Welt erscheinen. Bedeutsam, so gibt Kant an, ist diese Auflösung der Antinomie von Freiheit und Notwendigkeit nicht nur für die Anfangsproblematik in Bezug auf die erste hinreichende Ursache der Welt, sondern auch für die Grundlage der Moralität. Denn, wenn Selbstanfänglichkeit nicht widerspruchsfrei zusammen mit Notwendigkeit gedacht werden kann, wird Moralität selbst unmöglich, da moralisches Handeln die Autonomie der Vernunft, d. h. eine Vernunft, die selbst praktisch ist, voraussetzt, wie Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (KA IV, S. 455 – 457) betont. Selbstbestimmung aber widerstreitet der durchgängigen Kette der Naturkausalität, die nur Fremdbestimmung zu denken erlaubt. Mit der konziliatorischen Restriktion beider Prinzipien auf differente Bereiche – neben dem sinnlichen den intelligiblen – wird es nach Kant möglich, „Freiheit und Natur, jedes in seiner vollständigen Bedeutung, bei eben denselben Handlungen […] zugleich und ohne allen Widerstreit“ (KA III, S. 368 / KrV, B 569) zu denken und somit weder die Notwendigkeit, welche die Erkenntnis bei sich führt, aufzugeben, noch die Sittlichkeit zu negieren, welche die Spontaneität für die Zurechenbarkeit voraussetzt. Wenn dagegen Erscheinungen für nichts mehr gelten, als sie in der That sind, nämlich nicht für Dinge an sich, sondern bloße Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhängen, so müssen sie selbst noch Gründe haben, die nicht Erscheinungen sind. Eine solche intelligibele Ursache aber wird in Ansehung ihrer Causalität nicht durch Erscheinungen bestimmt, obzwar ihre Wirkungen erscheinen und sie durch andere Erscheinungen bestimmt werden können. […] Die Wirkung kann also in Ansehung ihrer intelligibelen Ursache als frei und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Nothwendigkeit der Natur angesehen werden […]. (KA III, S. 365 / KrV, B 565)
An diese Einteilung schließt sich zugleich die Konsequenz an, dass Freiheit nicht nur nicht sinnlich erfahren werden kann, mithin auch der Erkenntnis nicht zugänglich ist, sondern, da der Zusammenhang von intelligibler und sinnlicher Welt nicht zu klären ist, auf keine Weise mit der Welt der Erscheinungen in ein System eingeordnet werden kann.
Vgl. KA IV, S. : „Soll dagegen Freiheit eine Eigenschaft gewisser Ursachen der Erscheinungen sein, so muß sie respective auf die letztere als Begebenheit ein Vermögen sein, sie von selbst (sponte) anzufangen […]. Alsdann aber müßte die Ursache ihrer Causalität nach nicht unter Zeitbestimmungen ihres Zustandes stehen, d. i. gar nicht Erscheinung sein, d. i. sie müßte als ein Ding an sich selbst, die Wirkungen aber allein als Erscheinungen angenommen werden“.
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Schelling übernimmt die durchgängige Trennung der Seinsbereiche, die durch ihr Verhältnis zur Zeitlichkeit unterschieden sind und ordnet die Freiheit der zeitunabhängigen Sphäre zu. Wie für Kant ist für ihn damit zunächst eindeutig, dass die „Idee der Freiheit […] lediglich in dem Verhältnisse des Intellectuellen als Ursache zur Erscheinung als Wirkung“ (KA IV, S. 344 Anm.) stattfindet. Anders als dieser spricht Schelling aber nicht nur personalen Subjekten zu, eine solche intelligible Ursache zu sein.¹⁶ Für Kant ist diese Ausweitung ausgeschlossen. Zwar wäre es mit ihm vereinbar, den Dingen an sich in ihrer Unabhängigkeit von der Zeit eine negative Freiheit zukommen zu lassen, weil sie als solche unabhängig vom Kausalnexus sind. Aber diese negative Freiheit kann ihnen doch nicht wirklich zugesprochen werden, weil die Frage, was Träger dieser Freiheit sein könnte, nicht beantwortet werden kann. Nur das An-sich einer Person wird als reine Intelligenz derselben gedacht, nämlich als Vernunft, die in sich selbst praktisch ist und damit der absolut anfängliche Bestimmungsgrund des Willens – womit die Vernunft zum Träger negativer und positiver Freiheit wird. Da bei allen nicht personalen Wesen die Annahme eines solchen Trägers aber unbegründet bleibt, fehlt eine Konzeption, die einen solchen liefert. Aber, könnte eingewendet werden, verwendet Kant nicht bloß die negative Freiheit korrelativ zur Unabhängigkeit von der Zeit; könnte daher von Schelling nicht diese universalisiert werden, womit das Problem vermieden wäre, bei der Universalisierung der positiven Freiheit und ihrer Gebundenheit an die sittliche Vernunft, auch letztere zu universalisieren? Es lässt sich auf diese Frage einwenden, dass Kant in der Kritik der praktischen Vernunft negative und positive Freiheit selbst korrelativ aneinander bindet: Der Wille kann nur dann unabhängig von der Sinnlichkeit sein, wenn er zugleich selbst praktisch ist, und umgekehrt kann die Vernunft sich nur selbst bestimmen, wenn der Wille unabhängig von der Nötigung durch die Sinnlichkeit ist. So sagt Kant in der Kritik der praktischen Vernunft, dass von der Möglichkeit der Freiheit auf die Notwendigkeit des moralischen Gesetzes geschlossen werden könne, „weil beide Begriffe [moralisches Gesetz und Freiheit der Kausalität des Willens] so unzertrennlich verbunden sind, daß man praktische Freiheit auch durch Unabhängigkeit des Willens von jedem anderen außer allein dem moralischen Gesetze definiren könnte.“ (KA V, S. 93 f. / KpV, A 167 f. [Hervorhebung L.E.]) Mit
Vgl. KA III, S. f. / KrV, B : „Und da würden wir an einem Subjecte der Sinnenwelt erstlich einen empirischen Charakter haben […]. Zweitens würde man ihm noch einen intelligibelen Charakter einräumen müssen, dadurch es zwar die Ursache jener Handlungen als Erscheinungen ist, der aber selbst unter keinen Bedingungen der Sinnlichkeit steht und selbst nicht Erscheinung ist. Man könnte auch den ersteren den Charakter eines solchen Dinges in der Erscheinung, den zweiten den Charakter des Dinges an sich selbst nennen.“
2.1 System der Freiheit. Der idealistische Ansatz der Freiheitsschrift
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anderen Worten, von der Unabhängigkeit eines Willens von der Nötigung durch die Sinnlichkeit kann auf die Gebundenheit des Willens an die Selbstgesetzgebung der Vernunft geschlossen werden, mithin auf Freiheit. Und umgekehrt wurde bereits in der Kritik der reinen Vernunft deutlich, dass die Unabhängigkeit von der Zeit die Bedingung der Möglichkeit von praktischer Freiheit ist. Negative und positive Freiheit – Unabhängigkeit von der Zeit und Freiheit – stehen damit in korrelativem Verhältnis. Sie sind nicht zwei unabhängige Momente, sondern negative Freiheit kann nur gegeben sein – und muss dann zugleich gegeben sein, da sie in transzendentaler Hinsicht die Bedingung der Möglichkeit für positive Freiheit ist –, wenn die Vernunft selbst praktisch ist, und umgekehrt (vgl. KA V, S. 3 / KpV, A 3 f.). Was hier nur angedeutet ist, sagt Kant explizit in den Nachgelassenen Schriften: „Es steht alles unter einer Regel, entweder der Nothwendigkeit oder Freyheit“ (KA XVIII, S. 165), mithin ist keine negative Freiheit zu denken, ohne positive Freiheit anzunehmen, und Willkür als Unabhängigkeit von beiden Regeln ist ausgeschlossen. So heißt es dort auch: „Ich bin frey aber nur vom Zwange der Sinnlichkeit, kan aber nicht zugleich von einschränkenden Gesetzen der Vernunft frey seyn; denn eben darum, weil ich von ienem frey bin, muß ich unter diesen stehen“ (KA XIX, S. 281). Dieses Entweder-Oder von Kausalität aus Notwendigkeit und aus Freiheit, von welcher ein Drittes ausgeschlossen wird, hat zur Konsequenz, dass den Dingen an sich keine negative Freiheit zugesprochen werden kann, weil ihnen auch keine positive zuzuordnen ist, da es keinen Anhalt dafür gibt, anzunehmen, sie hätten sittliche Vernunft, obgleich sie als Dinge an sich selbst zeitunabhängig und damit eigentlich negativ frei sind. Die Restriktion der Dinge an sich selbst auf den bloß negativen Gebrauch erlaubt es allerdings, diese Antinomie damit zu klären, dass hier die Grenze der reinen Vernunft auf unzulässige Weise überschritten ist. Die Sphäre jenseits der Erscheinung, mithin die intelligible Welt, ist bei Kant also auf den intelligiblen Charakter beschränkt und kann nicht generell mit der unerkennbaren Sphäre des An-sich gleichgesetzt werden, auch wenn der intelligible Charakter das bezeichnet (vgl. Stamer 2001, S. 121– 140), was das An-sich des Menschen ausmacht. Diese Restriktion wird nachvollziehbar, wenn bedacht wird, dass die Ansetzung einer intelligiblen Ursache, also einer Ursache, die selbst nicht erscheint, nicht hinreicht für die Freiheit; diese vielmehr eine spezifische Verfasstheit mit sich bringen muss, nämlich eine intelligible Ursache zu sein, die sich rein selbst bestimmt. Freiheit wird dieser Ursache somit nur dann zugesprochen, wenn sie vollkommen spontan, d. h.voraussetzungslos selbstanfänglich tätig ist und es sich bei ihr deshalb um eine intelligible Ursache handelt, die als causa sui gedacht werden kann. Eine solche Spontaneität aber kann nach Kant nur einem Wesen
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zukommen, das vernünftig ist. Denn sie, die Vernunft, ist das Vermögen der absoluten Selbstbestimmung.
Autonomie und praktische Freiheit Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen also wechselweise auf einander zurück. Ich frage hier nun nicht: ob sie auch in der That verschieden seien, und nicht vielmehr ein unbedingtes Gesetz blos das Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft, diese aber ganz einerlei mit dem positiven Begriffe der Freiheit sei […]. (KA V, S. 29 / KpV, A 52)
Die hier von Kant nicht gestellte, gleichwohl formulierte Frage nach der Identität von Freiheit und praktischer Vernunft hat für das schellingsche Streben, im Ausgang von der Positivität der Freiheit, die sich im Sittengesetz ausdrückt, den Willen zu universalisieren, eine große Bedeutung. Will er im Ausgang von dem Nachweis der Positivität der Freiheit über das Sittengesetz auch die Natur als eine Art von Freiheit exponieren, und sie damit durch eine intelligible Ursache, mithin durch eine Art von Willen fundieren, so ist er mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass Freiheit und praktische Vernunft hier eine Einheit bilden, die er mit dem sich in der Natur ausdrückenden blinden Willen umgehen muss. Bereits in den Abhandlungen unter dem Titel Allgemeine Uebersicht der neusten philosophischen Literatur (1797/98) setzt Schelling sich mit dieser Problematik auseinander und betont, dass nach Kant „praktische Vernunft Eins und dasselbe [sei] mit der Freiheit, d. h. dem Willen“.¹⁷ In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zeigt sich dieses von Schelling bei Kant hervorgehobene Verhältnis von Wille, Vernunft und Freiheit besonders deutlich – und damit auch die Schwierigkeit der schellingschen Universalisierung der Freiheit: Der Wille ist eine Art von Causalität lebender Wesen, so fern sie vernünftig sind, und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser Causalität sein, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann: so wie Naturnothwendigkeit die Eigenschaft der Causalität aller vernunftlosen Wesen, durch den Einfluß fremder Ursachen zur Thätigkeit bestimmt zu werden. (KA IV, S. 446)
Kant bezeichnet die Freiheit hier als Eigenschaft des Willens und bestimmt diesen als Kausalität vernünftiger Lebewesen. Diese Kausalität unterscheidet er von der Kausalität „vernunftlose[r] Wesen“, welche weder als Wille bezeichnet wird, weil dieser Vernunft voraussetzt, noch Freiheit zuerkannt wird, weil sie fremdbestimmt
Vgl. AA I,, S. / SW I, S. : „So ist also praktische Vernunft Eins und dasselbe mit der Freiheit, d. h. dem Willen (nach Kant); von der praktischen Vernunft in diesem Sinne gehen alle Gesetze aus, und die ursprüngliche Autonomie des Willens ist im MoralGesetze ausgedrückt.“
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ist. Um der Natur eine Art von Freiheit zuzusprechen, kommt Schelling daher nicht umhin, eine Autonomie, also Selbstbestimmung der Natur zu denken, wofür er den Autonomiebegriff (vgl. Sturma 2004, S. 160 – 177), der hier an den Willen als praktische Vernunft gebunden ist und sich als Sittengesetz im Bewusstsein ausdrückt (vgl. KA V, S. 93 f. / KpV, A 167 f.), neu konzipieren muss. Problematisch scheint dabei insbesondere der zweite Schritt zu sein, demgegenüber die Selbstbestimmung der Natur durch Ausweitung der intelligiblen Ursache auf das Ansichsein der Natur konzeptionell nur ein kleiner Schritt über Kant hinaus scheint. In den Prolegomena betont Kant, dass „derjenigen Ursache, die selbst keine Erscheinung ist […] Freiheit zugestanden“ (KA IV, S. 344) werden muss. Was Schelling zu leisten hat, ist zu zeigen, wie die Natur als Erscheinung fundiert ist durch die Natur als nicht erscheinende, intelligible Ursache; wie der natura naturata, welche im Kausalnexus der Notwendigkeit gefangen ist, eine natura naturans unterlegt werden kann, die „unabhängig [ist] von fremden sie bestimmenden Ursachen“ (KA IV, S. 446). Problematisch an Kants Autonomiekonzeption für Schellings Bestreben, den Willen zu universalisieren, ist dabei, dass Kant als intelligible Ursache überhaupt nur die Selbstursächlichkeit der Vernunft gelten lässt – weil nur diese „Urheberin ihrer Principien“ (KA IV, S. 448) sei. Damit aber bleibt der Wille an eine Instanz rückgebunden, die in theoretischer Hinsicht Selbstbewusstsein in praktischer Sittlichkeit ist und der Natur nicht zugesprochen werden kann. Bereits in der Allgemeinen Uebersicht, nämlich in der Diskussion der kantischen und reinholdschen Willensbegriffe, zeigt sich, dass Schelling den Willen, der bei Kant als reiner Wille Vernunft ist, sofern sie selbst praktisch ist, von der Vernunft ablöst und letztere depotenziert. Er betont hier, dass die Vernunft das „bloße Organ“ des Gesetzes sei, nicht aber die „Quelle des Gesetzes“. Sie ist damit nicht länger die Urheberin ihrer Gesetze. Vielmehr gilt jetzt: „der Wille giebt Gesetze“, welche die „Vernunft ausspricht“ (AA I,4, S. 159 / SW I, S. 433). Der Wille als das „übersinnliche Princip“ (AA I,4, S. 134 / SW I, S. 407) wird damit nicht als praktische Vernunft begriffen, sondern umgekehrt angesetzt, dass „die Vernunft (ursprünglich ein bloß theoretisches Vermögen)“ nur dadurch zur „praktischen Vernunft“ werde, „daß sie die Materie eines höhern Willens ausspricht.“ (AA I,4, S. 160 / SW I, S. 433) Freiheit wird damit nicht mehr als Freiheit vom Zwang der Sinnlichkeit verstanden, welche nur gegeben ist durch die Herrschaft der Gesetze der Vernunft (vgl. KA XIX, S. 281), mithin nicht mehr als „Vernunftcausalität“ (KA V, S. 403 / KU, A 342). Stattdessen wird ein absoluter Wille angenommen, „von dem eigentlich alle Gesetze ausgehen“ und „dessen Stimme nur durch das Medium der Vernunft zu uns gelangt.“ (AA I,4, S. 159 f. / SW I, S. 433) Was nach Kant undenkbar scheint, dass nämlich die Vernunft „anderwärts her eine Lenkung empfinge“, wird
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2 Kontext
zum Kern des schellingschen Begriffs einer Vernunft als Organ des höheren, des absoluten Willens. Der kantische reine Wille, bei dem es sich nach Adorno um den Begriff „eines schlechterdings und unabhängig von allen Bedingungen Ansichseienden“ handelt, dem „die Möglichkeit der Einwirkung auf die empirische Welt zugeschrieben wird“ (Adorno 2001, S. 348) und der die Ordnung des Ganzen garantieren soll (vgl. Adorno 2001, S. 347),¹⁸ wird damit von Schelling übernommen – und transformiert, insofern er diesen reinen Willen, der bei Kant mit dem Bewusstsein verflochten ist, von dem individuellen Selbstbewusstsein trennt.¹⁹ Den Ordnungsgaranten, der bei Kant als das Absolute in uns, nämlich die Vernunft, angesehen wird, löst Schelling damit vom konkreten Selbstbewusstsein und verlagert ihn in die Transzendenz des Bewusstseins. Wie Kant unterscheidet dabei auch Schelling den absoluten Willen vom menschlichen. Betont ersterer, die Vernunft sei beim Menschen „nicht ganz allein Bestimmungsgrund des Willens“ (KA V, S. 20 / KpV, A 36; vgl. KA IV, S. 413), er könne sich auch von heteronomen Maximen bestimmen lassen, weshalb sein Wille zwar frei sei, weil Freiheit in praktischer Hinsicht das „Vermögen[s] der Bestimmung seines Willens nach dem Gesetze einer intelligibelen Welt“ (KA V, S. 132 / KpV, A 239) sei, die Realisierung dieser Freiheit aber ungewiss, so betont Schelling bereits in der Allgemeinen Uebersicht im Jahr 1797 mit Reinhold, dass der Wille nicht weniger Wille ist, „wenn er nicht aufs Gesetz“ (AA I,4, S. 161 / SW I, S. 434) gehe und der Wille des Menschen „kein Wille [sei], wenn er nicht frei, d. h. wenn er nicht eben so gut böse als gut seyn kann“ (AA I,4, S. 161 / SW I, S. 434).²⁰ Mit dieser doppelten Verneinung hebt Schelling also bereits im Jahr 1797 hervor, dass Freiheit nicht auf Vernunftkausalität beschränkt ist, weil Vernunft – hier mit Schelling als Organ eines höheren Willens verstanden – und das in ihm gegebene Gesetz der Sphäre des individuellen, abgeleiteten Willens zuzurechnen seien, in welchem sich die höhere Freiheit ausspreche. Die menschliche Vernunft wird dieserart unterschieden von der höheren Vernunft, des absoluten Willens als Ordnungsgarant.
Vgl. ferner Stamer , S. : „Ein gigantisches Werk an Begriffskunst wendet Kant auf, erfindet er, um in dem Subjektivsten die Objektivität des Humanen erklären und verankern zu können“. Vgl. im Unterschied dazu FGA I,, S. : „Das Ich, als Idee, ist das VernunftWesen, inwiefern es die allgemeine Vernunft theils in sich selbst vollkommen dargestellt hat, wirklich durchaus vernünftig, und nichts, als vernünftig ist; also, auch aufgehört hat, Individuum zu seyn, welches letztere es nur durch sinnliche Beschränkung war“. Vgl. Reinhold , S. : „Er ist kein Wille, wenn er nicht guter und nicht böser Wille seyn kann.“
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Wille und Zweckmäßigkeit Kant denkt den Willen in zweifacher Weise:²¹ Zum einen als Bezeichnung einer „reinen praktischen Vernunft“ (KA V, S. 55 / KpV, A 96)²² und zum anderen als eine besondere Form des Begehrungsvermögens (vgl. KA V, S. 220 / KU, A 33). Auf die Frage, welchen Willensbegriff Schelling von Kant übernimmt, lässt sich antworten, dass Schelling in diesem Punkt zwar dem fichteschen Idealismus folgt. Als dessen „Verdienst“ sieht es Schelling an, „daß er das Princip, das Kant an die Spitze der praktischen Philosophie stellt, (die Autonomie des Willens) zum Princip der gesammten Philosophie erweitert“ (AA I,4, S. 136 / SW I, S. 409) habe, wie er in der Allgemeinen Uebersicht ausführt. Wie dieser geht er vom Primat praktischer Vernunft aus. Der von Kant übernommene Willensbegriff erfährt dabei allerdings nicht nur wesentliche begriffliche Änderungen, nämlich eine Trennung von der Vernunft und damit einhergehend deren Umdeutung. Darüber hinausgehend wird der Wille insofern erweitert, als Schelling diesen ergänzt um den zweiten kantischen Willensbegriff, den des Begehrungsvermögens, und beide systematisiert, indem er sie in einer Potenztheorie vereinigt. Schelling macht die Freiheit nicht zu einer Eigenschaft eines spezifischen Willens, also des vernunftgeleiteten Willens. Vielmehr bezeichnet sie das unspezifische Wollen,welches sowohl den vernunftgeleiteten wie den blinden – nicht bewussten – Willen beinhaltet. Das Kriterium für Freiheit ist darum bei ihm statt der Vernunftbestimmung des Willens, das Wollen selbst in allen seinen Ausprägungen. Als ein solches denkt er nicht nur die moralisch-praktische Zwecksetzung der Vernunft, sondern auch die intentionale Bezugnahme auf Zwecke im weitesten Sinne, sei diese bewusst oder unbewusst, wodurch selbst Lust und Begierde als Formen von Freiheit verstanden werden können. In den Philosophischen Untersuchungen zeigt sich dieses Verständnis deutlich, wenn Schelling schreibt: Zwar überall, wo Lust und Begierde, ist schon an sich eine Art der Freiheit, und niemand wird glauben, daß die Begierde, die den Grund jedes besondern Naturlebens ausmacht, und der Trieb, sich nicht nur überhaupt, sondern in diesem bestimmten Daseyn zu erhalten, zu dem
Vgl. zur Ambiguität des kantischen Willensbegriffs auch Beck , S. – . Beck unterscheidet den kantischen Willensbegriff in Hinsicht auf ein exekutives und legislatives Vermögen als zwei Fakultäten. Dagegen versteht Geismann , S. – diese lediglich als verschiedene Hinsichten. Nach Prauss versucht Kant „Wollen generell als Selbstverhältnis der Vernunft zu begründen“ (Prauss , S. ). Auch in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten wird der Wille vom Begehrungsvermögen unterschieden, insofern gesagt wird, der Wille sei ein „vom bloßen Begehrungsvermögen noch verschiedene[s] Vermögen[s], (nämlich sich zum Handeln als Intelligenz, mithin nach Gesetzen der Vernunft unabhängig von Naturinstincten zu bestimmen)“ (KA IV, S. ).
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2 Kontext
schon erschaffenen Geschöpf erst hinzugekommen sey, sondern vielmehr, daß sie das Schaffende selber gewesen. (SW VII, S. 376)
Schelling widerspricht damit der kantischen Restriktion der Freiheit auf Kausalität aus reiner praktischer Vernunft und setzt ihr eine Potenztheorie entgegen, nach der die absolute Freiheit die höchste Ausprägung dessen ist, was in der Natur als depotenzierte Freiheit, als Selbsttätigkeit vorkommt. Mit diesem Gedanken vermag es Schelling die mechanistische Naturansicht zu überwinden (vgl. Krings 1985, S. 3 – 20), weil nun für die Natur nicht nur die Kausalität aus Notwendigkeit übrig bleibt, die streng deterministisch zu denken ist, sondern eine abgeleitete Form derjenigen Freiheit, die als Spontaneität der Vernunft gedacht wird. Er greift dafür auf den Willensbegriff der Kritik der Urtheilskraft zurück. Kant versteht unter Wille hier ein „Begehrungsvermögen, sofern es nur durch Begriffe, d. i. der Vorstellung eines Zwecks gemäß zu handeln, bestimmbar ist“ (KA V, S. 220 / KU, A 33). Diese Bestimmung des Begehrungsvermögens durch Begriffe kann nach Kant zwei Formen haben, je nachdem ob der „Begriff, der der Causalität des Willens die Regel giebt, ein Naturbegriff, oder ein Freiheitsbegriff“ ist. Im ersten Fall handelt es sich nach Kant um eine „technisch=praktisch[e]“ Willensbestimmung, im zweiten Fall um eine „moralisch=praktisch[e]“ (KA V, S. 172 / KU, A XIII). Insofern hier in der Kritik der Urtheilskraft neben dem oberen Begehrungsvermögen, welches „nach dem Freiheitsbegriffe“ bestimmt werden kann, und in dem daher „allein die Vernunft […] a priori gesetzgebend“ (KA V, S. 178 / KU, A XXIV) ist, ein niederes Begehrungsvermögen verhandelt wird, entspricht Wille hier nicht dem oben erläuterten reinen Willen als Selbstbestimmung der Vernunft. Der reine Wille als moralisch-praktische Selbstbestimmung ist an dieser Stelle vielmehr als eine Art von Begehrungsvermögen nach Begriffen angeführt. In der Kritik der Urtheilskraft untersucht Kant, inwiefern der Natur ein Wille in diesem Sinne, nämlich ein Begehrungsvermögen nach Zwecken, also ein oberes Begehrungsvermögen zukomme. Dies entspricht der Frage, ob die Natur nur nach mechanischen Prinzipien – also nach zwangsläufig über Lust und Unlust geregelten „Bewegungsgesetze[n]“ – verfahre,²³ oder ob ihr zugesprochen werden kann, dass möglicherweise auch „ein Zweck die Ursache“ ihrer Bestimmung ist, sie also technisch-praktisch verfahre. Mit dieser Fragestellung eröffnet Kant die Möglichkeit, neben der Kausalität aus Notwendigkeit (Mechanismus) und der aus Freiheit (Vernunftautonomie) eine
Ein solches mechanisches Begehrungsvermögen wird in der Metaphysik der Sitten als „thierische Willkür“ bezeichnet, die „nur durch Neigung […] bestimmbar ist“ und hier von der „freie[n] Willkür“ unterschieden wird, die „durch reine Vernunft bestimmt werden kann“ (KA VI, S. ).
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dritte Art von Kausalität zu denken, die eine „Analogie mit unserer Causalität nach Zwecken“ (KA V, S. 375 / KU, A 295) habe. Dies ist die Kausalität nach Naturzwecken, die in Abgrenzung zu den beiden genannten Kausalitäten weder kausalmechanisch noch vernünftig-spontan ist. Würde der Natur eine solche zugesprochen, so könnte nach Kant jedes Naturgebilde als Produkt eines natürlichen Bildungsvermögens gedacht werden, welches auf einen Naturzweck ausgerichtet ist und demnach „von sich selbst (obgleich in zwiefachem Sinne) Ursache und Wirkung“ (KAV, S. 370 / KU, A 286) ist. Diese Einheit von Ursache und Wirkung in der Natur erläutert Kant an der Gattung, am Individuum und an der Wechselwirkung beider, und soll, da sie wichtig ist für Schellings Organismusbegriff, der für die Konzeption des Bösen in der Freiheitsschrift von besonderem Interesse sein wird, hier kurz dargestellt werden: Ein Baum zeugt erstlich einen andern Baum nach einem bekannten Naturgesetze. Der Baum aber, den er erzeugt, ist von derselben Gattung; und so erzeugt er sich selbst der Gattung nach, in der er einerseits als Wirkung, andrerseits als Ursache, von sich selbst unaufhörlich hervorgebracht und eben so sich selbst oft hervorbringend, sich als Gattung beständig erhält. (KA V, S. 371 / KU, A 286 f.)
Neben dieser gattungsbezogenen Selbsterzeugung behandelt Kant eine individuelle, bei der das „Wachsthum“ als „Zeugung“ begriffen werden kann, insofern die Materie, aus der sich das Individuum herausbildet, der „Mischung nach sein eignes Product ist“. Aus dem „rohen Stoff[s]“ habe das Individuum durch sein eigenes „Scheidungs= und Bildungsvermögen[s]“ die Materie seines Wachstums selbst gestaltet, indem es ihm eine „specifisch=eigenthümliche[r] Qualität“ (KA V, S. 371 / KU, A 287) gegeben habe. Als gleichzeitige Ursache und Wirkung ihrer selbst könne die Natur, so betont Kant hier, auch noch in der Hinsicht betrachtet werden, dass „ein Theil dieses Geschöpfs“ von dem Geschöpf so erzeugt wird, „daß die Erhaltung des einen von der Erhaltung der andern wechselweise abhängt“: Am Baum sind „die Blätter zwar Producte des Baums, erhalten aber diesen doch auch gegenseitig“ (KA V, S. 371 f. / KU, A 288). Wie in den zwei vorigen Hinsichtnahmen, der gattungs- und der individuumsbezogenen, zeichnet sich auch diese Einheit von Ursache und Wirkung durch den Gedanken aus, dass das Produkt der Hervorbringung zugleich die Bedingung der Produktion stellt. Aus diesem Grund kann sie nach Kant auch als eine entfernte Analogie der Staatsorganisation betrachtet werden, in welcher „jedes Glied […], indem es zu der Möglichkeit des Ganzen mitwirkt, durch die Idee des Ganzen wiederum seiner Stelle und Function nach bestimmt“ ist. Der wesentliche Unterschied aber besteht nach Kant darin, dass das Glied „in einem solchen Ganzen“, nämlich der Staatsorganisation, „nicht bloß Mittel, sondern zugleich auch Zweck“ (KA V, S. 375 / KU, A 294 Anm.) des Ganzen sein soll.
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2 Kontext
Aufgrund dieser Wechselseitigkeit, mit der das Naturprodukt „sich zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung“ (KA V, S. 372 / KU, A 289) verhält, könne ein „solches Product, als organisirtes und sich selbst organisirendes Wesen“ bezeichnet werden und ihm daher auch ein Wille, im Sinne eines durch Begriffe bestimmten Begehrungsvermögens, potentiell zugesprochen werden, der auf dieses Wesen als „Naturzweck“ (KA V, S. 374 / KU, A 292) ausgerichtet ist. Mit dieser zweckmäßigen Bestimmung ist nach Kant aber „keinesweges ausgemacht, ob irgend etwas, das wir nach diesem Princip beurtheilen, absichtlich Zweck der Natur sei“ (KA V, S. 379 / KU, A 301). Das bedeutet, dass mit Kant ein Begehrungsvermögen als zweckmäßig bestimmte Bildungskraft gedacht werden kann, welche nicht notwendigerweise mit Bewusstsein Zwecke setzt, sondern zweckmäßig und d. h. vernunftgemäß ist, ohne im engeren Sinne vernünftig zu sein. Ob die gewordene Natur als Produkt eines nicht nur mechanisch verfahrenden Begehrungsvermögens gedacht wird, oder als Produkt ihrer eigenen Bildungskraft, hängt an der spekulativen Erklärung der Zweckmäßigkeit der Natur, welche nach Kant genau zwei Ausprägungen haben kann: Zum einen sei es möglich, die Naturzweckmäßigkeit als „Analogon eines nach Absicht handelnden Vermögens“, nämlich als lebendige Materie oder als ein die Materie „belebendes inneres Princip, eine Weltseele“ zu denken; zum anderen könnte sie von einem „mit Absicht hervorbringenden (ursprünglich lebenden) verständigen Wesen“ her erklärt werden und damit einen „Theism“ (KA V, S. 392 / KU, A 323) ausbilden. Kant erbringt eine solche spekulative Erklärung nicht und betont nachdrücklich, dass sich die so gedachte Zweckhaftigkeit der Natur weder beweisen noch widerlegen lasse, weil der „Begriff einer Causalität der Natur nach der Regel der Zwecke, noch mehr aber eines Wesens, […] uns gar nicht in der Erfahrung gegeben werden kann“ (KA V, S. 397 / KU, A 332). Obgleich die Naturzweckhaftigkeit also ohne Widerspruch gedacht werden kann, bleibt sie bei Kant eine Denkmöglichkeit, deren Wirklichkeit nicht erwiesen werden kann, weil sie schlechthin nicht erkennbar ist. Da die „objective Realität“ einer „Causalität der Natur nach der Regel der Zwecke“ nach Kant „durch nichts gesichert werden kann“ (KA V, S. 397/ KU, A 332), taugt die Zweckmäßigkeit der Natur auch nicht als „constitutiver Begriff des Verstandes“ (KA V, S. 375 / KU, A 294), mithin nicht als Grundlage eines Erkenntnisurteils. „Der Begriff eines Dinges, als an sich Naturzwecks“ ist nach Kant daher „kein constitutiver Begriff des Verstandes oder der Vernunft“, sondern lediglich „ein regulativer Begriff für die reflectirende Urtheilskraft“. Er verhilft nicht zu einer über die mechanische Betrachtung hinausgehenden „Kenntniß der Natur, oder jenes Urgundes derselben“. Vielmehr dient er nur dem „praktischen Vernunftvermögen[s] in uns“ (KA V, S. 375 / KU, A 294 f.).
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Kants im Raum der Ästhetik angesiedelte Naturphilosophie hinterlässt mithin eine Offenheit bezüglich der Frage, ob die Natur einen Willen in diesem Sinne hat. An diesem Punkt setzt Schellings Naturphilosophie an, mit welcher der Gedanke der Selbstorganisation der Natur im Ausgang von Kants Erörterung der Zweckmäßigkeit der Natur ins Zentrum rückt.²⁴ Schellings Bezug auf § 65 der Kritik der Urtheilskraft wird dabei bereits im Jahr 1794 in seiner Auseinandersetzung mit dem platonischen Timaios deutlich, wenn er „die ganze Welt als ein ζωον“ mit Kant als „organisirtes Wesen“ (Schelling 1994, S. 33) versteht, wobei er auf die Wechselseitigkeit von Teil und Ganzem verweist und die platonische Idee als Naturzweck, nämlich als das, was das Wesen und das Verhältnis von Ganzem und Teilen von innen heraus bestimmt, interpretiert. Und 1797 heißt es bei Schelling in den Ideen zu einer Philosophie der Natur in Bezug auf Kant: Der ganze Zauber, der das Problem vom Ursprung organisirter Körper umgiebt, rührt daher, daß in diesen Dingen Nothwendigkeit und Zufälligkeit innigst vereinigt sind. Nothwendigkeit, weil ihr Daseyn schon, nicht nur (wie beym Kunstwerk) ihre Form, zweckmäßig ist; Zufälligkeit, weil diese Zweckmäßigkeit doch nur für ein anschauendes und reflektirendes Wesen wirklich ist. Dadurch wurde der menschliche Geist frühzeitig auf die Idee einer sich selbst organisirenden Materie geführt, und weil Organisation nur in Bezug auf einen Geist vorstellbar ist, auf eine ursprüngliche Vereinigung des Geistes und der Materie in den Dingen. Er sah sich genöthigt, den Grund dieser Dinge einerseits in der Natur selbst, andrerseits in einem über die Natur erhabnen Princip zu suchen, daher gerieth er sehr frühzeitig darauf, Geist und Natur als Eines zu denken. (AA I,5, S. 99 / SW II, S. 47)
Schelling stellt hier auch heraus, dass die Annahme einer sich selbst organisierenden Natur mit Notwendigkeit auf eine höhere Identität, eine Einheit von „Geist und Natur“, von bewusstem und bewusstlosem Willen führt. Damit wird, anders gesagt, zugleich deutlich, dass der spekulative Nachweis eines blinden Willens neben dem sehenden nur über die Begründung dieser Identität geleistet werden kann. Gemäß Schellings Darstellung in der Freiheitsschrift ist diese höhere Identität von Idealität und Realität im Jahr 1809 längst geleistet, sodass es „immer merkwürdig bleiben“ wird, warum Kant diesen Schritt über den negativen Standpunkt der Naturbetrachtung hinaus nicht vollzogen habe. Er kaschiert mit dieser dargestellten Selbstverständlichkeit aber nicht nur die Jahre seines eigenen Ringens um eine spekulative Naturphilosophie (vgl. Schmied-Kowarzik 1996, S. 147– 151),
Es überrascht, dass die schellingsche Auseinandersetzung mit der kantischen Kritik der Urtheilskraft in Studien zur Selbstorganisation der Natur bei Schelling häufig unberücksichtigt bleibt. So etwa bei Küppers .
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sondern auch die begründungstheoretischen Schwierigkeiten seines Nachweises der höheren Einheit, die den Kern seiner Identitätsphilosophie bildet.
2.1.3 Der Wille als erstes Prinzip in Schellings Philosophie Schelling verschleiert in der Freiheitsschrift den Schritt seines Systems der Freiheit über Kants Philosophie hinaus,wenn er betont, dass es merkwürdig bleibe, warum Kant die Freiheit als den „einzig möglichen positiven Begriff des An-sich“ nicht auch auf die Natur übertragen habe. Neben einem strategischen Interesse im Streit mit Fichte um die wahre Kantnachfolge seines Idealismus, bietet sich als Erläuterung dieser Inszenierung der Nähe seines Systems zu Kant auch der Versuch an, die begründungstheoretischen Schwierigkeiten dieses Schrittes in den Hintergrund treten zu lassen – zugunsten der Präsentation des Grundgedankens seines Idealismus im Licht kantischer Begrifflichkeit: Parallel zur Korrelation von intelligiblem Charakter und erfahrbarem Handeln einer Person soll ein noumenales Korrelat der Naturerscheinungen gedacht werden – eine intelligible Ursache –, welches wie die noumenale Person Wille, also zweckmäßige Tätigkeit ist. Die höhere Identität des Willens – als natura naturans und als bewusste Selbsttätigkeit – soll dabei die Ausweitung des Gedankens einer Korrelation von phänomenaler und noumenaler Sphäre auf die Objektseite absichern, sodass jedem Naturprodukt eine selbsttätige Produktivität unterlegt werden kann. Der Wille wird so zum Einheitsgaranten von Subjekt und Ding an sich und damit auch zum Friedensstifter von Kritizismus und Dogmatismus, die als „entgegengesetzte Systeme“ entstehen „[s]o bald die Philosophie diese innige Verbindung [von Natur und Geist] aufhebt“ (AA I,5, S. 101 / SW II, S. 49) und danach trachtet, die Subjektivität auf ein objektives Ansichsein zu reduzieren, oder umgekehrt, die intelligible Ursache der Gegenstände der Subjektivität selbst einzuverleiben, wie Schelling in den Ideen betont. Dass die Übertragung der Freiheit als positiver Begriff des Ding an sich auf die Natur keineswegs so selbstverständlich und naheliegend ist, wie Schelling es in der Freiheitsschrift darstellt, zeigt insbesondere seine philosophische Entwicklung. Das Ringen um die spekulative Naturphilosophie und ihre Begründung erstreckt sich über Schellings gesamte Frühphilosophie bis zum Identitätssystem und kommt auch mit diesem nicht wirklich zu einer Vollendung.
Der Wille in den Frühschriften. Eine latente Identitätsphilosophie? Obgleich Schelling im Jahr 1809 betont, dass bereits der neunte der Philosophischen Briefe über Dogmatismus und Kriticismus Hinweise auf seine Identitäts-
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philosophie gebe – und zwar in den Bemerkungen über „das Verschwinden aller Gegensätze widerstreitender Prinzipien im Absoluten“ (Schelling 1809, S.VI), und diese Einheit noch deutlicher in der Allgemeinen Uebersicht,²⁵ insbesondere in der dritten Abhandlung, also 1797 auftauche – lässt sich zeigen, dass Schelling den Willen als ontologisches Prinzip erst ab 1801 explizit benennt und begründet. Nichtsdestotrotz zeigt sich das Streben zum Identitätssystem seit dieser frühsten Zeit. Das Identitätssystem lässt sich dadurch gleichsam als systematische Explikation der vormals latenten Identitätsphilosophie Schellings bezeichnen. Diese Darlegung der Frühphilosophie als latenter Identitätsphilosophie entspricht der schellingschen Sichtweise auf seine philosophische Entwicklung zur Identitätsphilosophie insofern, als er zu Anfang der Darstellung meines Systems der Philosophie behauptet, dass er erst hier „das System selbst“ aufweise, „welches jenen verschiednen Darstellungen bei mir zu Grunde“ (AA I,10, S. 109 / SW IV, S. 107) gelegen habe, ohne selbst explizit grundgelegt worden zu sein. Die Identitätsphilosophie erscheint in dieser Hinsicht wie die Antwort auf eine sich in der Frühphilosophie entwickelnde Frage. Was mit der Behauptung, die schellingsche Frühphilosophie lasse sich als latente Identitätsphilosophie denken, gemeint ist, zeigt sich am Beispiel der Philosophischen Briefe, welche Schelling bekanntlich im Jahr 1809 als frühen Hinweis auf den identitätsphilosophischen Ansatz ausgibt. So behauptet er in der Einleitung der Philosophischen Schriften, dass das in den Philosophischen Briefen und den Erläuterungen des Idealismus der Wissenschaftslehre gedachte „Absolute[n]“, in welchem „alle[r] Gegensätze“ verschwänden, bereits als Hinweis auf das spätere Identitätssystem zu lesen sei. In den Philosophischen Briefen thematisiert er die Notwendigkeit, ein über der Trennung von Subjekt und Objekt angesiedeltes Absolutes zu denken – und insofern kann ihm Recht gegeben werden in seiner Behauptung. Allerdings wird zu dieser Denknotwendigkeit zwar über die Erhabenheitskonzeption diskursiv hingeführt, aber das anvisierte Absolute als solches kommt nur negativ zur Darstellung. Die damit markierte Vakanz des Unbedingten in seiner Systemfunktion als Einheitsgarant verweist auf eine hier gestellte Frage nach dem Unbedingten als höhere Einheit von Freiheit und Notwendigkeit (vgl. Hühn 1998b, S. 126 f.), nicht aber auf eine epistemologische Standortbestimmung seiner Philosophie. So bleibt die methodisch entscheidende Frage unberücksichtigt, ob es sich dabei um ein an Selbstbewusstsein gebundenes und durch die Transzendentalphilosophie bloß andeutbares absolutes Ich als Grund des Bewusstseins handelt, oder um ein ontologisches Identitätsprinzip im Sinne der
In den Philosophischen Schriften, Landshut , bekommt dieses Textkonvolut den Titel Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre (vgl. Schieche , S. ).
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2 Kontext
Schrift Darstellung meines Systems (1801), das den negativen Standpunkt programmatisch überschreitet. Auch aus der Allgemeinen Uebersicht lässt sich zwar ein Absolutes herauslesen, allerdings keines, welches die Realität der Zweckmäßigkeit der Natur spekulativ begründet. So werden „Geist und Natur als strukturgleich angenommen“ (Sturma 1996, S. 434), mithin ist eine höhere Identität vorausgesetzt, diese selbst aber wird nicht wie im Identitätssystem als „Standpunkt der Philosophie“ (SW V, S. 310) ausgewiesen. Schelling zeigt in dem im Philosophischen Journal 1797, Band 6 erschienenen Teil der Allgemeinen Uebersicht auf, dass die Zweckmäßigkeit ein Charakteristikum des Geistes sei, weshalb die Pflanze auch als Symbol der Seele betrachtet werden könne. In der Erläuterung dieser Form von Spontaneität – der Produktion – folgt Schelling dabei der kantischen Erörterung in der Kritik der Urtheilskraft: Insofern sie [die Seele] ihre eignen Vorstellungen producirt, insofern ist sie von sich selbst wechselseitig Ursache und Wirkung. Sie wird sich also als ein Object anschauen, das von sich selbst wechselseitig Ursache und Wirkung ist, oder, was dasselbe ist, als eine sich selbst organisirende Natur. […] Ist der menschliche Geist eine sich selbst organsirende Natur, so kommt nichts von außen, mechanisch, in ihn hinein; was in ihm ist, das hat er von innen heraus, nach einem innern Princip, sich angebildet. Alles strebt daher in ihm zum System, d. h. zur absoluten Zweckmäßigkeit. Alles aber, was absolut zweckmäßig ist, ist in sich selbst ganz und vollendet. Es trägt in sich selbst Ursprung und Endzweck seines Daseyns. Eben dieses aber ist der ursprüngliche Charakter des Geistes. Er ist durch sich selbst zur Endlichkeit bestimmt, construirt sich selbst, producirt in’s Unendliche fort sich selbst, und ist so seines eignen Daseyns Anfang und Ende. Im Zweckmäßigen durchdringt sich Form und Materie, Begriff und Anschauung. Eben dies ist der Charakter des Geistes, in welchem Ideales und Reales absolut vereinigt ist. Daher ist in jeder Organisation etwas symbolisches, und jede Pflanze ist, so zu sagen, der verschlungene Zug der Seele. (AA I,4, S. 113 / SW I, S. 386)
Schelling weist hier also auf die bereits von Kant dargelegte „Analogie“ der Naturzweckmäßigkeit mit der Zweckmäßigkeit der Vernunft hin und überträgt dabei den „BildungsTrieb“ des Geistes ausdrücklich auf die „äußer[e] Welt“ (AA I,4, S. 113 f. / SW I, S. 386), sodass auch diese als Produkt des Geistes gedacht werden kann: Der stete und feste Gang der Natur zur Organisation verräth deutlich genug einen regen Trieb, der, mit der rohen Materie gleichsam ringend, jetzt siegt, jetzt unterliegt, jetzt in freiern, jetzt in beschränktern Formen sie durchbricht. Es ist der allgemeine Geist der Natur, der allmälig die rohe Materie sich selbst anbildet. […] Es ist hier kein Grund mehr, in Behauptungen furchtsam zu seyn. An dem, was täglich und vor unsern Augen geschieht, ist kein Zweifel möglich. Es ist productive Kraft in Dingen außer uns. Eine solche Kraft aber ist nur die Kraft des Geistes. Also können jene Dinge keine Dinge an sich – können nicht durch sich selbst
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wirklich seyn. Sie können nur Geschöpfe, nur Producte eines Geistes seyn. (AA I,4, S. 114 / SW I, S. 387)
Mit dieser Erhebung des „Leben[s]“ zum „sichtbaren Analogon geistigen Seyns“, durch welche die Natur zum Spiegel des Subjekts wird, ist aber noch nicht begründet, dass der hier gedachte Geist einer ist, der sich in der Natur und in der menschlichen Subjektivität gleichermaßen manifestiert und darum ein von beiden freier Geist ist. Obwohl Schelling an dieser Stelle davon ausgeht, dass „die ursprüngliche Natur des Geistes in jener absoluten Identität des Thuns und des Leidens“ (AA I,4, S. 139 / SW I, S. 412) besteht und sowohl das „innre Princip alles Vorstellens“ (AA I,4, S. 141 / SW I, S. 414) als auch das Innerste der „sich selbst afficirende[n], sich selbst bestimmende[n] Natur“ (AA I,4, S. 140 / SW I, S. 413) ist, bleibt der methodische Überstieg über den transzendentalphilosophischen Ansatz selbst uneingeholt. So stellt Schelling zwar die Frage, ob das so bestimmte Wollen, das als „Quelle des SelbstBewusstseyns“²⁶ ausgewiesen wird, selbst „jenseits des Bewusstseyns liegt“, am Schluss der Abhandlung. Aber er beantwortet sie nicht wirklich, wenn er feststellt, dass diese „Folgerungen […] sich jedem von selbst auf[drängen]“ (AA I,4, S. 169 / SW I, S. 442) werden. Es fällt auf, dass Schelling das Seele und Natur einende Prinzip hier weder mit Kant reine Vernunft noch mit Fichte absolutes Ich nennt, sondern den Geist als das Prinzip anführt, welches der Selbstbestimmung fähig, sich selbst bestimmt und von sich bestimmt wird, das von sich zugleich Ursache und Wirkung ist. Trotz der fehlenden systematischen Klärung, inwiefern es sich bei diesem Prinzip um ein dem Bewusstsein gegenüber Transzendentes handeln kann, gibt er damit eine gegenüber Fichte eigenständige idealistische Antwort auf die Frage nach den Prämissen zu Kants Resultaten: Der durch sein Wollen seiende und durch seine Bestimmung sich erkennende Geist wird hier zum „Princip unsers Philosophirens“.²⁷
Vgl. AA I,, S. / SW I, S. : „Die Quelle des SelbstBewusstseyns ist das Wollen. Im absoluten Wollen aber wird der Geist seiner selbst unmittelbar inne, oder, er hat eine intellectuale Anschauung seiner selbst. Anschauung heißt diese Erkenntniß, weil sie unvermittelt, intellectual, weil sie eine Thätigkeit zum Object hat, die weit über alles Empirische hinausgeht, und durch Begriffe niemals erreicht wird.“ Vgl. AA I,, S. / SW I, S. : „Für diese Handlung selbst lässt sich weiter kein Grund angeben, denn der Geist ist nur dadurch, daß er will, und kennt sich selbst nur dadurch, daß er sich selbst bestimmt. Ueber diese Handlung können wir nicht hinaus, und darum ist sie mit Recht das Princip unsers Philosophirens.“
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2 Kontext
In der ab 1798 verfassten Abhandlung Von der Weltseele, eine Hypothese der höhern Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus wird die Denknotwendigkeit eines „Princip[s], als Ursache des Lebens“ (AA I,6, S. 256 / SW II, S. 568; vgl. Jantzen 2000, S. 7) formuliert, welches selbst als „Ursache des Lebens […] nicht hinwiederum Product des Lebens seyn“ (AA I,6, S. 254 / SW II, S. 567) kann wie das Lebendige. Auch wenn dieses Prinzip nicht benannt und wie von Kant als ein „aus der Organisation selbst unerklärbare[s] Princip“ verstanden wird, setzt Schelling es zur Vorstellung einer „gemeinschaftliche[n] Seele der Natur“ (AA I,6, S. 257 / SW II, S. 569) in Bezug und deutet es „als ein[en] immer rege[n] Trieb“, der „dem individuellen Gefühl sich offenbart.“ (AA I,6, S. 255 / SW II, S. 568) Schelling strebt in dieser Schrift an, die Natur in ihrer Unbedingtheit zu denken, mithin das „Seyn“ der Natur als die selbst nie als (Natur‐)Produkt erscheinende Produktivität in Aufnahme der spinozistischen Unterscheidung von natura naturans und natura naturata zu konzipieren. Trotzdem bleibt das Prinzip der Natur hier ausdrücklich Hypothese und damit seiner systematischen Hinsicht nach ungesichert. Die Frage nach der methodischen Absicherung des absoluten Willens als Einheitsgarant von Natur und Selbstbewusstsein rückt dagegen dezidiert im System des transscendentalen Idealismus (1800) ins Zentrum. Diese Schrift setzt mit der Hypothese einer „vorherbestimmte[n] Harmonie“ (AA I,9,1, S. 38 f. / SW III, S. 348) von idealer und realer Welt ein, die begründet, wie „die Vorstellungen zugleich als sich richtend nach den Gegenständen, und die Gegenstände als sich richtend nach den Vorstellungen gedacht werden“ können. Mit ihr könne nicht nur gedacht werden, dass das „freye Handeln“, welches „mit Bewußtseyn productiv“ ist, zusammenstimme mit dem „Produciren der Welt ohne Bewußtseyn“; vielmehr werde in der Kunst dieses Zusammenstimmen objektiv, sodass die Philosophie der Kunst als Schlussstein am Ende einholen und damit „mit allgemeiner Gültigkeit objectiv“ machen könne, was zu Beginn bloß „subjectiv“ angesetzt wurde (AA I,9,1, S. 329 / SW III, S. 629). Eine zweite Antwort auf die Frage nach der systematischen Begründung seiner Naturphilosophie von ganz anderer Art, nämlich nicht über die Kunst, formuliert Schelling im gleichen Jahr gegenüber Fichte. Diese Begründung zielt nicht auf den Nachweis der Einheit von Idealem und Realem, sondern der Eigenständigkeit der Natur, welche notwendig geworden zu sein scheint in der Verteidigung der Naturphilosophie gegenüber Fichtes Infragestellungen derselben. Insbesondere gegenüber Fichtes transzendentalphilosophischem Ansatz muss Schelling nachweisen, wie er ausgehend vom Selbstbewusstsein auf die vom erkennenden Selbstbewusstsein unabhängige, intelligible Ursache der Natur kommen kann. Diesen Vorgang erläutert Schelling hier wie folgt:
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Das Objective in seinem ersten Entstehen zu sehen ist nur möglich dadurch daß man das Object alles Philosophirens, das in der höchsten Potenz = Ich ist, depotenzirt, und mit diesem auf die erste Potenz reducirten Object von vorne an construirt. (AA I,10, S. 89 / SW IV, S. 85)
Das depotenzierte Ich soll damit als Realgrund ausgewiesen werden, indem vom Ich als „Act des Selbstbewusstseyns“ (AA I,9,1, S. 65 / SW III, S. 374) das Moment der Selbstanschauung genommen wird und nur die reine Tätigkeit verbleibt. Diese reine Produktivität soll sodann auch die Natur in ihrer Selbsttätigkeit fundieren können und damit systematisch begründen, dass sie als Organismus zu denken ist, d.i. „als ein[es] Produkt[s], welches, was es ist, durch sich selbst ist, – das sonach von sich selbst zugleich die Ursache und die Wirkung – Mittel und Wirkung ist“ (AA I,7, S. 114 / SW III, S. 66). Diese aus der Kritik der Urtheilskraft bekannte Formulierung verweist darauf, dass es das Wollen als nicht notwendigerweise bewusstes, trotzdem zweckmäßiges und selbstanfängliches Begehrungsvermögen ist, das hier als Grundlage einer aus der Transzendentalphilosophie hervorgehenden Naturphilosophie angesetzt wird (vgl. Schmied-Kowarzik 1996, S. 147– 151). Dass dieses Wollen in seiner Absolutheit nicht nur Ideal- und Realgrund ist, sondern zugleich die Identität beider, versucht Schelling in der Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie zu begründen. Die Fundierung des höheren Willens als Einheitsgarant zeigt sich aber, wie noch ausgeführt werden wird, ganz entgegen der schellingschen Darstellung in der Freiheitsschrift, in welcher der Ausgang von der Universalität des Wollens als eine Selbstverständlichkeit ausgegeben wird, mit erheblichen Schwierigkeiten und deutlicher Kritik konfrontiert, die nicht unwesentlich zur Neuausrichtung des schellingschen idealistischen Ansatzes beigetragen haben werden. Für diese Neuausrichtung nimmt Schelling, wie deutlich werden wird, Aspekte der frühen Naturphilosophie wieder auf, die im Identitätssystem nicht vorkamen.
„Wollen ist Urseyn“. Der identitätsphilosophische Willensbegriff Hatte Kant in der Kritik der praktischen Vernunft ein Noumenon, nämlich den Willen, als ratio essendi des Sittengesetzes und mit diesem einen übersinnlichen Gegenstand in seiner Positivität bestimmt, so lieferte er damit die von den Idealisten ergriffene Möglichkeit einer Erweiterung des Verstandesgebrauchs auf Grundlage des Primats der praktischen Vernunft. Ausgehend von der Kritik der praktischen Vernunft sollte ein System entwickelt werden, das mit dem Wollen als erstem Prinzip die Identität des Ideal- und Realgrundes enthielt. Damit aber war noch nicht festgelegt, welcher Art diese Identität selbst zu denken sei, nämlich konkret, wie sie zum einen zum transzendentalen Subjekt steht – liegt sie diesem
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2 Kontext
voraus, oder ist sie mit ihm identisch? –, wie sie sich zum Sittengesetz verhält und zum anderen, in welcher Weise die kantische Restriktion auf die praktische Vernunft für ein solches System berücksichtigt werden muss. Diese Fragen sind im Laufe der idealistischen Systeme ganz unterschiedlich beantwortet worden. Der frühe Fichte setzt für das Denken der Identität von Ideal- und Realgrund das Wollen mit dem transzendentalen Subjekt gleich und konzipiert diese Einheit als absolutes Ich. Das hat zur Folge, dass in dem Ich nach Fichtes Grundlage der Wissenschaftslehre (1794) „Ideal- und Realgrund Eins und ebendaßelbe“ sind „und jene Wechselwirkung zwischen dem Ich und Nicht-Ich […] zugleich eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst“ (FGA I,2, S. 412) sei. Das absolute Ich ist damit gleichermaßen Wirkursache des endlichen Ich und des ihm entgegengesetzten Nicht-Ich und als solches wesensmäßig als Grund des Bewusstseins zu begreifen und nicht als ein über diese Funktion, Grund des Bewusstseins zu sein, hinausgehendes Absolutes. Das bedeutet aber, dass dem endlichen Bewusstsein das Absolute selbst Grenzbegriff bleibt, weshalb es nicht aus dem Zirkel herauskommt, das Absolute nicht anders als zugleich in seiner Unabhängigkeit und Abhängigkeit von der Subjektivität denken zu können. In der Grundlage der Wissenschaftslehre von 1794 formuliert Fichte diese paradoxale Struktur wie folgt: Dies, daß der endliche Geist nothwendig etwas absolutes außer sich setzen muß (ein Ding an sich) und dennoch von der andern Seite anerkennen muß, daß dasselbe nur für ihn da sey (ein nothwendiges Noumen sey) ist derjenige Zirkel, den er in das Unendliche erweitern, aus welchem er aber nie herausgehen kann. Ein System, das auf diesen Zirkel gar nicht Rüksicht nimmt, ist ein dogmatischer Idealismus; denn eigentlich ist es nur der angezeigte Zirkel der uns begrenzt und zu endlichen Wesen macht: ein System, das aus demselben herausgegangen zu seyn wähnt, ist ein transscendenter realistischer Dogmatismus. (FGA I,2, S. 412)
Mit dem Gedanken eines absoluten Ich, das den Ideal- und Realgrund stellt, ist ein vom empirischen Ich unabhängiges, an sich seiendes Nicht-Ich zwar vereinbar, aber insofern das absolute Ich nur im je eigenen Ich gefunden werden kann, bleibt dieses absolute Ich zugleich an das endliche Ich rückgebunden.²⁸ Aus diesem Grund kann Fichte sagen: „Ohnerachtet ihres Realismus aber ist diese Wissenschaft nicht transcendent, sondern bleibt in ihren innersten Tiefen transcendental“ (FGA I,2, S. 411). Diese erkenntnistheoretische Grenze kann nach Fichte allein praktisch erweitert werden, denn der Grund des Bewusstseins zeigt sich nur dort in
Vgl. FGA, I,, S. f.: „Sie erklärt allerdings alles Bewußtseyn aus einem unabhängig von allem Bewußtseyn vorhandnen; aber sie vergißt nicht, daß sie auch in dieser Erklärung sich nach ihren eignen Gesetzen richte, und so wie sie hierauf reflektirt, wird jenes Unabhängige abermals ein Produkt ihrer eignen Denkkraft, mithin etwas vom Ich abhängiges, inso fern es für das Ich (im Begriff davon) da seyn soll.“
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seinem Wesen, nämlich Sittengesetz zu sein,²⁹ und eine „unabhängige Realität“³⁰ zu haben; er kann nach dieser Auffindung aber nicht in die theoretische Vernunft rückübertragen werden, weshalb – anders als bei Schelling – die Praxis die Erkenntnistheorie ihren Prinzipien nach fundiert, nicht aber erweitert. Wie Fichte geht auch Schelling von der Positivität des Wollens als Spontaneität und Identität von Ideal- und Realgrund aus. Anders als der frühe Fichte identifiziert er dieses im Jahr 1801 aber nicht mit dem transzendentalen Subjekt (vgl. Frank 1985, S. 60), sondern versteht Selbstbewusstsein als eine Hervorbringung, nämlich die ideale des Ur-Wollens, welche selbst wieder Einheit einer Differenz ist, und zwar der von Ich und Nicht-Ich, mit Übergewicht beim Ich. Damit kann neben dieser Subjektivität eine zweite Ur-Hervorbringung gedacht werden, welche spiegelbildlich zum Selbstbewusstsein als reale Einheit der Differenz gedacht wird, bei der das reale Moment stärker gewichtet ist, weshalb diese Art von Subjektivität nicht bewusst ist.³¹ Die Loslösung des Wollens vom Selbstbewusstsein erlaubt es Schelling mithin nicht nur, einen von der menschlichen Subjektivität unabhängigen Realgrund der Naturphilosophie zu denken, sondern auch eine Natur- und Transzendentalphilosophie vereinende absolute Vernunft. Obzwar Schelling bereits im Jahr 1797 den menschlichen Willen vom absoluten Willen unterscheidet und damit das Absolute nicht ausschließlich als Grund des Bewusstseins denkt, findet das frühe Streben nach der Identität von Idealismus und Realismus erst im Jahr 1801 eine systematische Form. Als absolute Vernunft wird der Wille hier zum Ideal- und Realgrund: Er ist zugleich Quelle des Selbstbewusstseins und Quelle der Natur. Natur und Selbstbewusstsein werden dabei als Hervorgang je zweier Willensmomente begriffen: des idealen, „erken-
Vgl. Eidam , S. : „Die Tat-Handlung, von der die Wissenschaftslehre ausgeht, hat in sofern von Anfang an einen moralphilosophischen Kern, dessen Erkenntnis allerdings, wie auch schon bei Kant, einen Umweg über die theoretischen Erkenntnisgründe […] voraussetzt.“ Aber „Seine absolute Selbsttätigkeit entdeckt das Ich allein durch das Sittengesetz.“ Vgl. FGA I,, S. : „Nur inwiefern etwas bezogen wird auf das praktische Vermögen des Ich, hat es unabhängige Realität; inwiefern es auf das theoretische bezogen wird, ist es aufgefaßt in das Ich, enthalten in seiner Sphäre, unterworfen seinen Vorstellungsgesetzen. […] Man kann demnach auch sagen: der lezte Grund alles Bewußtseyns ist eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst vermittelst eines von verschiednen Seiten zu betrachtenden Nicht-Ich.“ Vgl. SW X, S. : „Also auch Fichte kannte nichts Subjektives als nur in dem menschlichen Ich oder Geist, während man z. B. von dem Licht sagen kann, es sey ein Subjektives, aber ein in die Natur selbst Gesetztes, das, worin die Natur gegen sich selbst subjektiv oder Subjekt ist, woraus denn auch folgt, daß die Natur nicht etwas bloß Objektives – bloßes Nicht=Ich sey. Denn das [Licht] ist gleichsam das Ich oder das erste Subjektive der Natur – das erste Subjektive außer uns.“
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nende[n] Princip[s]“ und des realen Princips, der „unendliche[n] Extension“,³² die in Natur und Selbstbewusstsein different gewichtet sind, sodass zwei Bereiche des Idealismus unterschieden werden können, ein subjektiver und ein objektiver, oder auch ein idealer und ein realer; zwei Prinzipien, die durch die absolute Identität des Willens nicht nur vereinigt sind, sondern „durchgängig beisammen und Eins sind“ (AA I,10, S. 137 / SW IV, S. 136), wodurch die Redeweise von zwei Prinzipien zuletzt irreführend ist. Dies zeigt sich deutlich in Schellings Veranschaulichung der Differenz von subjektivem und objektivem Idealismus in der Darstellung meines Systems: [U]m diese Entgegensetzung aufs verständlichste auszudrücken, so müßte der Idealismus in der subjectiven Bedeutung behaupten, das Ich seye Alles; der in der objectiven Bedeutung umgekehrt: Alles seye = Ich und es existire nichts, als was = Ich seye […]. (AA I,10, S. 111 / SW IV, S. 109)
Die Subjektivität wird hier zugleich als die Quelle des Selbstbewusstseins ausgewiesen und als Tiefendimension der Natur gedacht. Dass Schelling mit dem Ausdruck Ich allerdings anders als Fichte nicht mehr den Grund des Bewusstseins anspricht, sondern die intelligible Ursache von Bewusstsein und Natur, wird in den Philosophischen Untersuchungen deutlich, wenn er Schlegels Schrift Ueber die Sprache und Weisheit der Indier (1808) zitierend schreibt:³³ In der ersten Beziehung bemerken wir, daß es in dem zum System gebildeten Idealismus keineswegs hinreicht, zu behaupten, ‚daß Thätigkeit, Leben und Freiheit allein das wahrhaft Wirkliche seyen‘, womit auch der subjektive (sich selbst mißverstehende Idealismus Fichtes bestehen kann); es wird vielmehr gefordert, auch umgekehrt zu zeigen, daß alles Wirkliche (die Natur, die Welt der Dinge) Thätigkeit, Leben und Freiheit zum Grund habe, oder im
Vgl. AA I,, S. / SW IV, S. : „Da A das erkennende Princip, B aber, wie wir finden werden, das an sich Unbegränzte oder die unendliche Extension ist, so haben wir hier ganz genau die beiden Spinozischen Attribute der absoluten Substanz, Gedanken und Ausdehnung, nur daß wir diese nie bloß idealiter, […] sondern durchaus als realiter Eins denken; so daß nichts unter der Form A gesetzt seyn kann, was nicht, als solches, und eo ipso auch unter der Form B; und nichts unter B, was nicht unmittelbar und eben deßwegen auch unter A gesetzt wäre, Gedanke und Ausdehnung also nie, und in nichts, auch nicht im Gedanken und in der Ausdehnung selbst getrennt, sondern durchgängig beisammen und Eins sind.“ Vgl. Schlegel , S. : „Die eigentliche Uebereinstimmung aber [der Weisheit der Indier] mit dem, was in der europaeischen Philosophie Idealismus genannt wird, liegt darin, daß in dieser Ansicht Thaetigkeit, Leben und Freiheit allein als das wahrhaft wirkliche anerkannt, todte Ruhe aber und unbewegliche Beharrlichkeit als nichtig und leer verworfen wird.“
2.1 System der Freiheit. Der idealistische Ansatz der Freiheitsschrift
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Fichteschen Ausdruck, daß nicht allein die Ichheit alles, sondern auch umgekehrt alles Ichheit sey. (SW VII, S. 351)³⁴
Den „Fichteschen Ausdruck“ der „Ichheit“ setzt er hier gleich mit dem Grund der Wirklichkeit und versteht diesen als „Thätigkeit, Leben und Freiheit“. Damit ist der Wille als intelligible Ursache zu einem ontologischen Prinzip erhoben, insofern er das Ansichsein der Natur wie des Geistes ausmacht und selbst mehr und anderes ist als egologisch verfasstes Selbstbewusstsein. Die von Adorno konstatierte Ambiguität des Willensbegriffs bei Kant als reine praktische Vernunft, nämlich zugleich das Innerste der Subjektivität und die Ordnung der Objektivität zu garantieren, wird von Schelling somit aufgebrochen, um beide Momente zu differenzieren und dadurch den Willen neu zu verwenden: Der Wille kann nun gedacht werden als das An-sich des Selbstbewusstseins und des nicht selbstbewussten Seienden, als die Quelle der idealen und realen Welt. Diese Universalisierung der Freiheit konkretisiert sich in der Freiheitsschrift in dem prominenten Satz: Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Seyn als Wollen. Wollen ist Urseyn, und auf dieses allein passen alle Prädicate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung. (SW VII, S. 350)
Hier wird die ontologische Dignität des Willens markiert. Und Schelling inauguriert eine Metaphysik, bei welcher das erste Prinzip Wollen ist und diesem nun die Prädikate zugesprochen werden, die klassischerweise dem Absoluten zukommen: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit und Selbstbejahung. Der Anspruch dieser Metaphysik ist es, alle Formen des Seins als Ausdruck eines universalen Willens zu begreifen. Dies ist die Bedeutung der schellingschen Rede vom System der Freiheit. Die hergebrachten ontologischen und transzendentalphilosophischen Grundprinzipien sollen nun, nachdem sie zunächst in ihrer Einseitigkeit als vorfindliches Sein – als Ding – (Dogmatismus),³⁵ dann als
Schelling bezeichnet den fichteschen Idealismus hier als einen subjektiven, der sich selbst missverstehe. Damit rekurriert er auf einen Gedanken, den er bereits geäußert hatte, als er in den Ideen als Einleitung seinen „absolute[n] Idealismus“ vom „relative[n]“ der „Wissenschaftslehre“ abgrenzte und betonte, dass beide nicht „verwechselt“ (SW II, S. f.) werden dürften. Dass Schelling damit insbesondere das spinozistische Seinsdenken im Blick hat, wird aus dem vorhergehenden Absatz deutlich, in dem Schelling sagt: „Man könnte den Spinozismus in seiner Starrheit wie die Bildsäule des Pygmalion ansehen, die durch warmen Liebeshauch beseelt werden müßte; aber dieser Vergleich ist unvollkommen, da es vielmehr einem nur in den äußersten Umrissen entworfenen Werk gleicht, in dem man, wenn es beseelt wäre, erst noch die vielen fehlenden oder unausgeführten Züge bemerken würde. […] Mit Einem Wort, es ist ein einseitig=realistisches System […].“ (SW VII, S. )
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Ich (Kritizismus) gedacht wurden, in Willensprinzipien übersetzt werden,³⁶ sodass Idealismus und Realismus in ihrer „Wechseldurchdringung“ von der Freiheit her verstanden werden können. Es darf bei dieser Deutung aber nicht vergessen werden, dass Schelling in der Einleitung der Freiheitsschrift eine eingehende Analyse der Identität, nämlich des dialektischen Verständnisses der Kopula liefert, bei der er deutlich macht, dass die Satzfunktionen von Subjekt und Prädikat auch in der metaphysischen Deutung streng voneinander zu unterscheiden sind (vgl. SW VII, S. 342). Für die Aussage, wonach Wollen Ursein ist, hat das zur Konsequenz, dass das Ursein als eine Prädikation des Wollens zu begreifen ist und nicht umgekehrt.³⁷ Keineswegs lässt sich von den Philosophischen Untersuchungen her also schließen, dass das Wollen darin aufgeht, Ursein zu sein, vielmehr wird gedacht, dass es selbst mehr und anderes ist, als Grund und Akt der subjektiv und objektiv verfassten Wirklichkeit. Ob der Satz „Wille ist Ursein“ (Norman 2002, S. 89) – in der Freiheitsschrift „Wollen ist Urseyn“ – genauso bei Fichte oder Schopenhauer gefunden werden könnte, wie Judith Norman behauptet, sei an dieser Stelle dahin gestellt, denn was darunter zu verstehen ist, zeigt allein eine kontextualisierte Interpretation. So ließe sich möglicherweise auch bei Fichte der Ausdruck Wollen ist Ursein finden, denn auch nach ihm ist das Wollen der Grund der Wirklichkeit, allerdings darf man sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass Fichte unter Wollen, wie gezeigt wurde, etwas ganz anderes versteht als der mittlere Schelling, nämlich ein Prinzip dass jederzeit an das Selbstbewusstsein rückgebunden bleibt.³⁸ Mit dem Gedanken eines nicht-bewussten Willens bei Schelling als produktivem Prinzip der Natur als Erscheinung, welches nicht erscheint und daher
Dies geschieht in der Freiheitsschrift paradigmatisch mit dem Materiebegriff: Schelling übernimmt zunächst den platonischen Materiebegriff des Timaios und transformiert ihn, nachdem er im Frühidealismus zum Nicht-Ich depotenziert wurde, in ein Willensmoment, nämlich die selbstbezügliche an sich formlose Produktivität des Willens. Vgl. dagegen das Wollen im engeren Sinne als Anfang und Inhalt des „ersten, entstehenden Seyns“ und damit als Prädikation des Urseyns in der schellingschen Einleitung in die Philosophie der Mythologie (vgl. SW XI, S. ) in welcher Schelling mit Hinweis auf die Philosophischen Untersuchungen, aber in Umkehrung von Ursein und Wollen, bemerkt: „Da die Potenz gegen das eigene Seyn sich als reines Können verhält, alles bloße Können aber nichts anderes ist als ein ruhendes Wollen, so wird es ein Wollen seyn, in dem die Potenz sich erhebt, und der Uebergang kein anderer, als den ein jeder in sich selbst wahrnimmt, wenn er vom Nichtwollen zum Wollen übergeht, und es findet der alte Satz wieder seine Stelle: das Urseyn ist Wollen, Wollen nicht bloß der Anfang, sondern auch der Inhalt des ersten, entstehenden Seyns.“ So behauptet Eidam, Fichte setze die „Identität von Ideal- und Realgrund im Begriff der Wirksamkeit – allein ‚in uns‘“ und verwerfe den Gedanken eines „Ding an sich als dogmatisch, weil ‚außer uns‘ gesetzten Realgrund“ (Eidam , S. ).
2.2 Die Abgrenzung vom Identitätssystem und vom fichteschen Frühidealismus
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zeitunabhängig ist, wird der Natur eine Ausprägung von Freiheit zugesprochen. Der Wille – auch wenn ihm nicht zuletzt in der Freiheitsschrift ein irrationales Mitprinzip und auch etwas Verhängnishaftes nicht abgesprochen werden kann – ist damit vom Grundgedanken des schellingschen Ansatzes her also primär Freiheit, und zwar Freiheit, für die weder Bewusstsein noch Vernunftautonomie konstitutiv sind, die aber dennoch in dem Sinne vernünftig ist, als sie an Zwecke gebunden ist. Diese Einheit von Wille und Freiheit verbietet es bei Schellings Philosophie von einer Willensmetaphysik zu sprechen. Zwar wäre eine solche Bezeichnung insofern zu rechtfertigen, als der Wille die systematische Funktion eines ersten Prinzips einnimmt und ihm damit höchste ontologische Dignität zuerkannt wird. Die übliche Verwendung der Bezeichnung Willensmetaphysik, insbesondere im Zusammenhang mit Schopenhauers Philosophie, hat aber die Bedeutung von Wille in dieser Wortbildung so geprägt, dass mit der Bezeichnung des schellingschen Ansatzes als Willensmetaphysik eine nicht berechtigte Übertragung der schopenhauerschen Konnotation des Willens als Prinzip der Unfreiheit auf Schelling zu befürchten ist. Schelling kennt den verhängnishaften Willen, der „nur sich will“ und seit der Freiheitsschrift lassen sich Hinweise darauf finden, dass die jetzige Welt in diesem Willen, also in „der Sucht“, „allein ihr Seyn hat“, aber er betont doch zugleich jederzeit, dass dieses Sein nach christlicher „Denkart“ „nicht mehr ein Seyn, sondern nur noch ein Zustand ist“ – und der Wille in diesem Sinn daher kein erstes und kein letztes Prinzip sein kann, wie er in der Einleitung in die Philosophie der Mythologie betont (SW XI, S. 467 f.). Aus diesen Gründen wird hier von einer Metaphysik der Freiheit gesprochen.
2.2 Die Abgrenzung vom Identitätssystem und vom fichteschen Frühidealismus In der Kritik der praktischen Vernunft zeigt Kant auf, dass mit dem Erscheinen des sittlichen Sollens im Bewusstsein zugleich die Notwendigkeit der Annahme einer „reinen praktischen Vernunft“ (KA V, S. 55 / KpV, A 96) gegeben ist, d.i. einer Vernunft, die für sich selbst praktisch ist. Fichte und Schelling beziehen sich gleichermaßen auf diesen Nachweis der Selbsttätigkeit der Vernunft, aber sie interpretieren diese in eigener Sache auf unterschiedliche Weise. Fichte macht das Ich zum Prinzip der Philosophie, indem er an die kantische „reine Apperception“ anschließt und das Ich denke, das nach Kant alle meine Vorstellungen begleiten
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muss,³⁹ zur Grundlage der Gesamtheit des Wissens macht (vgl. FGA I,4, S. 228 f.). Er geht davon aus, dass die „reine Selbstthätigkeit“ der praktischen Vernunft – sie ist Tathandlung – über eine intellektuelle Anschauung als Grund des Bewusstseins zugänglich werden kann. Auf diese Weise betont er die Verbindung der Spontaneität des Willens mit der transzendentalen Apperzeption, die Kant als Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis auswies, – und exponiert damit die praktische Vernunft als Grundsatz der Bewusstseinstheorie: In der intellektuellen Anschauung betrachte das Subjekt die unbedingte Tätigkeit seines Bewusstseins und werde sich damit der reinen Spontaneität des Ich, dem Willen als Grund seines Bewusstseins als der „eigentliche[n] Grund=Wurzel des Menschen“ (FGA I,10, S. 118) inne, oder wie Kant sagt: seinem „eigentliche[n] Selbst“ (KA IV, S. 457).⁴⁰ Schelling stimmt insofern mit Fichte überein, als er davon ausgeht, dass in der intellektuellen Anschauung das erste Prinzip des Systems der Freiheit gegeben sei. Aber er wendet den Gedanken des Nachweises der Positivität der reinen praktischen Vernunft anders,wenn er das Absolute in der Identitätsphilosophie nicht als Grund des menschlichen Bewusstseins darstellt, sondern als ein über den Grund des Bewusstseins hinausgehendes Absolutes. Vom Identitätssystem her betrachtet lässt sich eine Tendenz zur Entwicklung dieses absoluten Idealismus bereits in Schellings Frühphilosophie einzeichnen. So zeigt Schelling in den Philosophischen Briefen ein Unbedingtes als Schnittpunkt von Kritizismus und Dogmatismus auf.⁴¹ Zwar wird dieses Unbedingte als Indifferenzpunkt von Freiheit und Notwendigkeit anders als im Identitätssystem hier keineswegs als „Standpunct der Philosophie“ (AA I,10, S. 117 / SW IV, S. 115) etabliert – vielmehr wird die Annahme der Erreichbarkeit dieses höheren Prinzips
Vgl. KA III, S. f. / KrV, B : „Diese Vorstellung [Ich denke] aber ist ein Actus der Spontaneität, d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden. Ich nenne sie die reine Apperception, um sie von der empirischen zu unterscheiden, oder auch die ursprüngliche Apperception, weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, in dem es die Vorstellung: Ich denke, hervorbringt, die alle andere muß begleiten können und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet werden kann.“ Kant betont in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, „das eigentliche Selbst“ (KA IV, S. ) des Menschen sei der Wille als Intelligenz. Der Mensch als Sinnenwesen hingegen sei „nur Erscheinung seiner selbst“ (KA IV, S. ). Diesen reinen Willen exponiert er hier als „reine Selbstthätigkeit“, „reine Spontaneität“ (KA IV, S. ) und „Autonomie“ (KA IV, S. ). Vgl. AA I,, S. f. / SW I, S. : „Hätte ich diese jemals erreicht, so würden die beiden Linien, die der unendliche Progressus durchläuft, Moralität und Glückseeligkeit, in einem Punkte zusammentreffen; beide hörten auf, Moralität und Glückseeligkeit, d. h. zwei verschiedne Principien, zu sein. Sie wären vereinigt in Einem Princip, das eben deßwegen höher sein muß als sie beide, im Princip des absoluten Seins, oder der absoluten Seeligkeit.“
2.2 Die Abgrenzung vom Identitätssystem und vom fichteschen Frühidealismus
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sogar explizit als „Schwärmerei“⁴² bezeichnet –, sondern als Schnittpunkt der Postulate des kritischen und dogmatischen Systems im Unendlichen. Gleichwohl zeigt sich bereits hier ein Zug des schellingschen Ansatzes, das „außer und über allem Gegensatz Liegende zu suchen“ (SW VII, S. 416), wie es in der Freiheitsschrift heißt. Dass dieses unbedingte „Princip der Philosophie“ nicht der „Saz des Bewußtseyns“⁴³ sein kann, betont Schelling dabei ausdrücklich bereits in der Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie, also im Jahr 1795 (vgl. AA I,2, S. 137 Anm. / SW I, S. 208 Anm.).⁴⁴ Auch die schellingsche Naturphilosophie lässt sich von dieser Tendenz her als Versuch verstehen, die Transzendentalphilosophie, ausgehend von dem im Bewusstsein gegenwärtigen Objekt, über das Bewusstsein hinaus zu erweitern. Aber erst im Identitätssystem wird ein über dem Gegensatz von Realismus und Idealismus hinausgehendes Unbedingtes als solches systematisch gedacht und über die intellektuelle Anschauung abgesichert.⁴⁵ Hier erst wird damit die „übergreifende Freiheitsstruktur“ (Hühn 1994b, S. 398) systematisch ausformuliert, von welcher her Subjektivität (Geist) und Objektivität (Natur) als Fundament zweier zueinander relativer Systeme begriffen werden können, die beide gleichwertig im absoluten Wollen wurzeln und das Identitätssystem als System der Freiheit ausbilden. Das schellingsche Streben nach der Erweiterung der Transzendentalphilosophie findet im Identitätssystem, so die Behauptung, also erstmalig eine systematische, geschlossene Form, bei der unbedingtes Subjekt und unbedingtes Objekt gleichwertig nebeneinander stehen. Dieses System aber weist zwei strukturelle Schwächen auf, nämlich die Annahme eines unmittelbaren Zugangs zur absoluten Identität über die intellektuelle Anschauung und den Ausschluss individueller Freiheit. Beide Schwierigkeiten spiegeln sich in der Kritik, die das Identitätssystem erfahren hat: Die intellektuelle Anschauung der absoluten Vernunft brachte Schelling den Vorwurf des Irrationalismus ein,⁴⁶ die Verneinung der Individualität den Vorwurf des Pantheismus
Vgl. AA I,, S. / SW I, S. : „Aber der Kriticismus würde in Schwärmerei verfallen, wenn er dies letzte Ziel auch nur als erreichbar (nicht als erreicht) vorstellte.“ Vgl. Reinhold , S. : „Man ist, durch das Bewustseyn genöthiget, darüber einig, dass zu jeder Vorstellung ein vorstellendes Subjekt, und ein vorgestelltes Objekt gehöre, welche Beyde von der Vorstellung, zu der sie gehören, unterschieden werden müssen.“ Schelling begründet diese Zurückweisung hier mit Bezug auf Salomon Maimon, der den „Mangel an Realität im Saz des Bewußtseyns“ am stärksten herausgestellt habe. So kann die Identitätsphilosophie als „Grundlegung“ der Naturphilosophie verstanden werden, wie Schwenzfeuer , S. darlegt. Explizit formuliert wurde der Vorwurf erst von Ludwig Feuerbach in dem Artikel Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie von (vgl. Feuerbach , S. – ) und Lukács , S. u. S. – . Der Sache nach, nämlich verstanden als Abwertung des Denkens durch die kritiklose Aufwertung der Intuition, wurde er bereits von Hegel (vgl. HW IX, S. ),
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(vgl. Schlegel 1808, S. 141). Für beide Probleme versucht Schelling in der Freiheitsschrift eine systematische Lösung zu finden. Aus diesem Grund bildet die Auseinandersetzung mit dem Identitätssystem einerseits und der Frage nach der Leistung und Grenze der intellektuellen Anschauung als Grundlage des Identitätssystems andererseits wichtige Voraussetzungen für die Interpretation der Konzeption des Bösen in den Philosophischen Untersuchungen und sollen deshalb in diesem Kapitel eigens behandelt werden. Da Schelling sowohl die Identitätsphilosophie als auch den systematischen Neuansatz in der Freiheitsschrift in kritischer Abgrenzung zu Fichtes System der Freiheit entwirft, scheint der Unterschied zum fichteschen Idealismus außerdem von besonderer Wichtigkeit für die Untersuchung der Freiheitsschrift zu sein. Gerade an der intellektuellen Anschauung lässt sich dabei zeigen, dass der Engführung von Selbsttätigkeit der Vernunft und Subjektivität bei Fichte die Verknüpfung von Selbsttätigkeit und Absolutem bei Schelling gegenübersteht,wie sie oben bereits thesenhaft formuliert wurde. Zwei Aspekte der Differenz des schellingschen zum fichteschen Idealismus sollen dabei im folgenden Unterkapitel im Vordergrund stehen, die für die systematische Neuausrichtung besonders wichtig erscheinen. Zunächst soll an der schellingschen Ausprägung der intellektuellen Anschauung der späten Naturphilosophie und der frühen Identitätsphilosophie der Grundkonflikt mit Fichte um das Unbedingte als Fundament des Systems der Freiheit ausgewiesen werden und die Anfangsproblematik des Identitätssystems beleuchtet werden. In einem zweiten Schritt wird die Transformation des fichteschen Subjektivitätsbegriffs durch Schelling aufgezeigt, die mit der Erweiterung und Transzendierung der Transzendentalphilosophie einhergeht. Mit dem anschließend dargelegten Verhältnis von Wille und Vernunft beim frühen Fichte und der Konzeption des Bösen in der Sittenlehre wird die normative Dimension der mit der Freiheitsschrift von Fichte vollzogenen Abgrenzung verhandelt. Zusammen mit der Erläuterung des Zugangs zum Unbedingten bilden die Transformation des Subjektivitätsbegriffs und die Analyse der fichteschen Willenstheorie die systematische Basis der schellingschen Abgrenzung vom fichteschen Frühidealismus und vom Identitätssystem, die an der Konzeption des Bösen als Vollzug endlicher Freiheit in der Freiheitsschrift aufgezeigt wird.
Köppen (vgl. Köppen , S. ) und Schlegel (vgl. Schlegel , S. f.) formuliert. Allerdings unter anderem Namen. Vgl. Rücker , Sp. – ; Durner , S. . Windelband reformuliert den Vorwurf mit Blick auf Schellings Philosophie ab im Lehrbuch der Geschichte der Philosophie (vgl. Windelband , S. ).
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2.2.1 Leistung und Grenze der intellektuellen Anschauung Die intellektuelle Anschauung wird allgemein als eine Schlüsselkategorie des Deutschen Idealismus angesehen, die grundlegend die Funktion innehat, Selbstgewissheit aufzuweisen (vgl. Mittmann 1993). Neben dieser generellen Funktionszuschreibung zeigt sich im Einzelnen, dass die intellektuelle Anschauung, vielleicht gerade aufgrund ihrer systematischen Dignität für die idealistische Philosophie, nicht nur in ihrer konkreten Struktur, sondern auch in ihrer Leistung höchst wandlungsfähig ist.⁴⁷ So gibt es neben einer intellektuellen Anschauung des Ich, in welcher sich das Ich als „absolute[s] Subject“ (FGA I,2, S. 48), mithin in seiner Spontaneität unmittelbar vergegenwärtigt, eine intellektuelle Anschauung der Natur, mit welcher die reine Produktivität als Grund der Natur und des Bewusstseins aufgefunden wird und eine intellektuelle Anschauung der absoluten Vernunft, bei der sich die absolute Identität von Realem und Idealem im individuellen Subjekt selbstgewiss wird – um nur drei Beispiele zu nennen, die im Folgenden genauere Erläuterung finden werden. Für die systematische Problemkonstellation der Freiheitsschrift ist insbesondere die Funktion der intellektuellen Anschauung im Identitätssystem von Interesse (vgl. Hühn 1994a, S. 178 – 180; Hühn 2009, S. 37– 39), die besonders im Kontrast zu einer unmittelbar vorhergehenden naturphilosophischen Ausprägung deutlich wird, wie sie sich im Briefwechsel zwischen Schelling und Fichte um das Jahr 1800 findet. Mit der Identitätsphilosophie, die Schelling erstmals 1801 unter dem Titel Darstellung meines Systems der Philosophie präsentiert, vollendet er systematisch das Bestreben, im Ausgang vom kantischen Primat der praktischen Vernunft die Transzendentalphilosophie zu übersteigen. Insbesondere die Konzeption des Unbedingten erfährt dabei eine für die Freiheitsschrift bedeutsame Neuausrichtung, die sich in der veränderten Funktion der intellektuellen Anschauung widerspiegelt. In der späten Naturphilosophie Schellings soll die intellektuelle Anschauung unter dem Titel einer „intellectuellen Anschauung der Natur“ (AA I,10, S. 100 / SW IV, S. 97) die „bewußtlose[n] Thätigkeit“ des Ich, die „noch nicht Empfindung, Anschauung“ ist, gegenwärtig werden lassen. Ihre Funktion besteht dabei wesentlich darin, die Tätigkeit des Subjekts in ihrem „ersten Entstehen“ (AA I,10, S. 92 u. S. 89 / SW IV, S. 88 u. S. 85), und d. h. noch bevor das Subjekt sich selbst bewusst wird, zu geben.
An dieser Stelle werden nur Formen der intellektuellen Anschauung behandelt, die für die Freiheitsschrift und die Abgrenzung Schellings von der Frühphilosophie Fichtes einschlägig sind. Für die ganze Bandbreite ihrer Gestalten und ihre Geschichte vgl. Tilliette .
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Statt auf diese reine Tätigkeit, die noch nicht bewusst ist, zielt die intellektuelle Anschauung des Identitätssystems auf die absolute Vernunft als Einheitsgarant von Subjekt und Objekt, sodass von einer Verschiebung der Funktion der intellektuellen Anschauung gesprochen werden kann: Schellings mit der intellektuellen Anschauung verbundene Intention, so kann vermutet werden, besteht um 1800 vornehmlich darin, das Realitätsprinzip, die reine Produktivität im Selbstbewusstsein aufzuweisen, um die Natur in ihrer Eigenständigkeit aus der vorbewussten Tätigkeit des Subjekts, d. h. aus den „Bedingungen des Wissens“ (AA I,10, S. 95 / SW IV, S. 91) zu begründen (vgl. AA I,9,1, S. 30 f. / SW III, S. 341 f.). Statt der Stärkung des Grundgedankens der Naturphilosophie gegenüber dem fichteschen Einwand, die Natur sei transzendentalphilosophisch betrachtet lediglich als Nicht-Ich, als Anstoß, zugänglich, scheint die mit der intellektuellen Anschauung im Identitätssystem verbundene Absicht Schellings darin zu bestehen, die absolute Vernunft als Einheitsgarant der idealen und realen Tätigkeit aufzuweisen. Besonders deutlich wird die naturphilosophische Ausprägung der intellektuellen Anschauung, bei der als Grundlage der Naturphilosophie das unbewusste Produktionsprinzip gefunden werden soll, im Briefwechsel zwischen Schelling und Fichte. Schelling versucht in seinem Brief vom 19. November 1800 gegenüber Fichte zu erläutern, wie es ihm möglich sei, die Natur zu deduzieren. Er will damit, nach eigener Angabe, den „materielle[n] Beweis des Idealismus“ führen und die Natur in ihrer „Unabhängigkeit“ vom „philosophirenden“ ausweisen: Was ich indeß Philosophie nennen will, ist der materielle Beweis des Idealismus. In diesem ist allerdings die Natur, und zwar in ihrer Objectivität, in ihrer Unabhängigkeit, nicht vom Ich, welches selbst objectiv ist, sondern vom subjectiven und philosophirenden, mit allen ihren Bestimmungen zu deduciren. (AA III,2,1, S. 280)
Wie in der Wissenschaftslehre, so betont er hier, soll dabei zunächst von der intellektuellen Anschauung ausgegangen werden, sodann aber noch zusätzlich „abstrahirt [werden] von der subjectiven, (anschauenden) Thätigkeit“ (AA III,2,1, S. 280), sodass das Ich in seiner nicht bewussten Tätigkeit übrig bleibe. Das Ergebnis ist nach Schelling das rein „producirende Ich“, das „in diesem seinem Produciren selber nichts anders, als Natur ist, von der das Ich der intellectuellen Anschauung, oder das des Selbstbewußtseyns nur die höhere Potenz ist“ (AA III,2,1, S. 279). Dieser Gedanke kann nur verstanden werden, wenn beachtet wird, dass Schelling Ichheit hier anders versteht als Fichte. Die in der fichteschen Wissenschaftslehre geforderte intellektuelle Anschauung kann mit Fichtes Versuch einer neuen Darstellung als das „Anschauen seiner selbst im Vollziehen des Acts, wo-
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durch ihm das Ich entsteht“, als das „unmittelbare Bewusstseyn; daß ich handle, und was ich handle“ (FGA I,4, S. 216 f.) verstanden werden. Hier wird sich das Ich als „ursprünglich durch sich selbst gesetzt“ inne und gewahrt damit zugleich, dass „alles übrige in seinem Bewusstseyn […] durch diesen Act selbst bedingt ist“ (FGA I,4, S. 216), mithin wird das Ich sich der Spontaneität des Bewusstseins als Grund seines Bewusstseins gewiss. Schelling fordert nun, dass in dieser Selbstgegenwart der Spontaneität des Ich zusätzlich eine Abstraktion von der Tätigkeit der Anschauung, die er subjektiv nennt, vollzogen werde. Und mit Fichte müsste angenommen werden, dass in dieser Abstraktion nichts übrig bleibt, weil das Ich zugleich „das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird“ (FGA I,2, S. 259), mithin Tathandlung ist,⁴⁸ sodass ohne die Tätigkeit kein Sein mehr ist. Schelling aber nimmt an, dass in der intellektuellen Anschauung das Produzieren in seiner Spontaneität sich selbst gegenwärtig ist, und zwar als selbstbewusstes, „subjective[s]“ Produzieren, von dieser Ausprägung aber einmal abgesehen, die noch-nicht-selbstbewusste, objektive Tätigkeit aufgefunden werde. Damit wird deutlich, dass Schelling die Tätigkeit des Ich in eine subjektive und eine objektive Tätigkeit unterteilt und annimmt, dass in der Abstraktion von der subjektiven, anschauenden Tätigkeit in der Selbstgegenwart derselben die objektive, nur hervorbringende, rein produktive Tätigkeit – und damit der unbewusste Wille – übrig bleibt. Daraus ergibt sich die Aporie, oder der Zirkel, wie Fichte sagen würde, dass die nicht selbstbewusste Tätigkeit hier als solche, d. h. nicht unter der Form des Bewusstseins, dennoch selbstgewiss werden soll. Dieser Gedanke zeigt eine gewisse Nähe zur kantischen Verhandlung der Frage, ob der Nachweis der Positivität eines Noumen als derjenige Aspekt einer Erscheinung, der nicht erscheint, mithin ob der Nachweis intelligibler Gegenstände möglich sei. Kant betont in der Kritik der reinen Vernunft, dass der „Begriff von einem Noumenon“ dadurch entsteht, dass „ich von aller Form der sinnlichen Anschauung abstrahire“, dieser Begriff aber noch nicht dadurch zu einem „wahren, von allen Phänomenen zu unterscheidenden Gegenstand“ werde, „daß ich meinen Gedanken von allen Bedingungen sinnlicher Anschauung befreie“, sondern vielmehr „eine andere Art der Anschauung, als diese sinnliche ist“ (KA IV,
Vgl. FGA I,, S. f.: „Das Ich sezt sich selbst, und es ist,vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es sezt sein Seyn, vermöge seines bloßen Seyns. – Es ist zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und That sind Eins und eben dasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruk einer Thathandlung; aber auch der einzigen möglichen, wie sich aus der ganzen Wissenschaftslehre ergeben muß. […] Dasjenige dessen Seyn (Wesen) blos darin besteht, daß es sich selbst als seyend, sezt, ist das Ich, als absolutes Subjekt. So wie es sich sezt, ist es; und so wie es ist, sezt es sich“.
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S. 164 / KrV, A 252) angenommen werden müsste, welche diesen Gegenstand gibt. Mit der intellektuellen Anschauung der Wissenschaftslehre scheint für Schelling eine solche Anschauung ausfindig gemacht, wodurch das Subjekt sich selbst als Noumen inne wird – und nach Schelling nur noch davon abstrahieren muss, dass es dieses Noumen gerade anschaut, um es als das zu haben, was es als nicht angeschautes Noumen, mithin an sich selbst ist; eine Möglichkeit, die nach dem kantischen Modell damit erläutert werden kann, dass es sich bei der Selbstanschauung des Noumen nicht um eine sinnliche Anschauung handelt und damit das auf diese Weise Gegebene nicht der Form der sinnlichen Anschauung unterworfen ist. Das Noumen in der Anschauung also nicht zu einem Ding wird, oder, mit Schelling gesagt, zu einem Produkt gerinnt. In der unmittelbar vor der Darstellung meines Systems der Philosophie im zweiten Band der Zeitschrift für speculative Physik veröffentlichten Schrift Betreffend den wahren Begriff der Naturphilosophie (1801) verteidigt Schelling diese Konzeption der intellektuellen Anschauung, bei welcher die Tätigkeit des Ich „depotenzirt“ (AA I,10, S. 89 / SW IV, S. 85) wird, wie folgt: Der Grund, daß auch solche die den Idealismus wohl gefaßt haben, die Naturphilosophie nicht begreifen, ist, weil es ihnen schwer oder unmöglich ist, sich von dem Subjectiven der intellectuellen Anschauung loszumachen. – Ich fordere zum Behuf der Naturphilosophie die intellectuelle Anschauung, wie sie in der Wissenschaftslehre gefordert wird; ich fordere aber außerdem noch die Abstraction von dem Anschauenden in dieser Anschauung, eine Abstraction welche mir das rein Objective dieses Acts zurückläßt, welches an sich bloß SubjectObject, keineswegs aber = Ich ist, aus dem mehrmals angezeigten Grunde. (AA I,10, S. 92 / SW IV, S. 87 f.)
Neben der Problematik, wie von der Tätigkeit der Anschauung abstrahiert werden kann, zeigt sich in dieser Konzeption noch eine zweite Schwierigkeit: Schelling nimmt an, dass über diese Selbstgegenwart der reinen Produktivität als Natur im Bewusstsein auch die Tätigkeit der Natur unabhängig vom Bewusstsein zugänglich wird und damit mit der nicht-bewussten Tätigkeit zugleich der Grund der Natur in ihrer „Selbstständigkeit“ (AA I,10, S. 100 / SW IV, S. 97) gefunden werde. In der intellektuellen Anschauung der Natur soll also die Quelle aller Objektivität selbstgewiss werden, die nicht per se Selbstbewusstsein ist, sondern Selbstbewusstsein oder Objekt des Bewusstseins werden kann. Dieser Weg aber setzt eine systematische Verbindung des reinen – nicht anschauenden – Produzierens als Grund des Bewusstseins mit dem Grund der unabhängigen Natur bereits voraus, die hier als solche nicht nachgewiesen wird. Fichte bezweifelt nicht nur die systematische Verbindung der reinen Tätigkeit des Ich mit dem sogenannten Ding an sich als intelligible Ursache der Erscheinungen. Er bestreitet nachdrücklich auch die Möglichkeit, sich „von dem Sub-
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jectiven der intellectuellen Anschauung loszumachen“. Bereits in dem Versuch einer neuen Darstellung legt er dar, dass eine Abstraktion von der subjektiven Tätigkeit unmöglich sei, indem er sich auf Kants Konzeption der transzendentalen Apperzeption bezieht, und betont, dass „[m]an […] vom Ich nicht abstrahiren“ kann, denn „zu allem, was im Bewusstseyn vorkommend gedacht wird, muß das Ich nothwendig hinzugedacht werden“ (FGA I,4, S. 253). Auch Schelling muss, will er dem kantischen Gedanken der reinen Apperzeption nicht widersprechen, zugeben, dass vom Ich nicht abstrahiert werden kann,⁴⁹ weil dieses bei jeder Vorstellung als Bedingung ihrer Möglichkeit mitgegeben ist. Er kann diesen Gedanken aber in eigener Sache produktiv wenden durch eine Umdeutung des Verständnisses von Ichheit. In dieser wertet er die bei Fichte konstitutiven Momente des Ich, nämlich Selbstsetzung und Selbstanschauung,⁵⁰ um und ordnet die Selbstanschauung der Selbstsetzung ontologisch nach, wodurch die Selbstsetzung zum Realitätsprinzip erhoben wird, dem gegenüber die Selbstanschauung nur eine Ausprägung ist, und zwar „höchste Potenz“. In diesem Sinne wird also nicht eigentlich vom Ich abstrahiert, sondern die höhere Potenz der Selbstsetzung depotenziert. Mit dieser Unterscheidung der zwei Willensaspekte, der Produktivität vom Bewusstsein, und der ontologischen Privilegierung des ersten gilt für Schelling nicht mehr, dass das Selbstbewusstsein Sein ist. Das Selbstbewusstsein wird vielmehr als eine Form von Produktionskraft verstanden: als der nicht notwendigerweise bewusste Wille. Der Wille wird damit zum Grund des bewussten und bewusstlosen Seins. Dagegen gilt für Fichte, wie er in seinem Brief an Schelling vom 31. Mai 1801 betont, dass „nicht von einem Seyn, […] sondern […] von einem Sehen ausgegangen werden“ (FGA III,5, S. 46) muss. Anders als Schelling, der ein Sein ohne aktuelles Sehen annimmt, hebt Fichte also hervor, dass „Zusehen, und Seyn, […] unzertrennlich vereinigt“ (FGA I,4, S. 196) sind, weil im Sehen das Sein und das Ich erst „entsteht“ (FGA I,4, S. 216).⁵¹
Vgl. FGA I,, S. : „Man kann vom Ich nicht abstrahiren, hat die WissenschaftsLehre gesagt. […] [Z]u allem, was im Bewusstseyn vorkommend gedacht wird, muß das Ich nothwendig hinzugedacht werden; in der Erklärung der GemüthsBestimmungen, darf nie vom Ich abstrahirt werden, oder, wie Kant es ausdrückt; alle meine Vorstellungen müssen begleitet seyn können, als begleitet gedacht werden, von dem Ich denke.“ Vgl. FGA I,, S. : „Aber – ein Satz, den wir aus einer Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre als bekannt und erwiesen voraussetzen können – das Ich ist etwas nur in so fern, in wiefern es sich selbst als dasselbe setzt (anschaut und denkt) und es ist nichts, als was es sich nicht setzt.“ Diese Einheit betont Schelling auch noch im System des transscendentalen Idealismus: „Eine solche Anschauung [intellektuelle] ist das Ich,weil durch das Wissen des Ichs von sich selbst das Ich selbst (das Object) erst entsteht. Denn da das Ich (als Object) nichts anderes ist, als eben das
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Diese Identität von produktiver und anschauender Tätigkeit – die „Idendität des Anschauens und Denkens“,⁵² schreibt Fichte – liegt zwar auch der schellingschen Konzeption von Kant her zugrunde.⁵³ Allerdings beschränkt Schelling sie auf die Sphäre des Bewusstseins, sodass auch für ihn gilt, dass es kein dingliches Sein an sich, d. h. jenseits der Erscheinung gibt. Wenn er daher von einem Sein vor dem Sehen ausgeht, so ist damit nicht das gegenständliche Sein gemeint, sondern die Produktivität, die auch Fichtes Grund des Bewusstseins ausmacht. Fichte aber leugnet gerade diese Aufteilung des Selbstbewusstseins in eine reale und ideale Tätigkeit, wobei die erstere produziert, was von letzterer zusätzlich angeschaut werden kann, – sodass im Anschauen immer schon beide sind. Er stellt diesem Modell eine Zweiteilung entgegen, bei der das „Reelle“ überhaupt nicht als Tätigkeit, sondern nur als Einschränkung einer Tätigkeit, mithin als Produkt, als „bloßes Gesetztseyn“ gedacht wird. Er verneint damit den Gedanken einer Produktivität, die nicht jederzeit zugleich auch Sehen ist. So heißt es in dem Versuch einer neuen Darstellung: Es ist sonach in der Intelligenz – daß ich mich bildlich ausdrücke – eine doppelte Reihe, des Seyns, und des Zusehens, des Reellen, und des Idealen; und in der Unzertrennlichkeit dieses Doppelten besteht ihr Wesen (sie ist synthetisch) da hingegen dem Dinge nur eine einfache Reihe, die des Reellen (ein bloßes Gesetztseyn) zukommt. (FGA I,4, S. 196)
Auch Schelling nimmt an, dass der Natur als Noumen wesentlich das Reelle zuzuordnen ist, aber anders als Fichte versteht er dieses gerade nicht als „Gesetztseyn“, nicht als Gegenstand oder Ding, sondern als reale Tätigkeit, als Selbstsetzen – mithin als natura naturans im Unterschied zur natura naturata. Auf diese Weise fundiert Schelling den fichteschen restriktiv subjektiven Realitätsgrund gerade nicht im Selbstbewusstsein, sondern leitet das Selbstbewusstsein sowie die Natur in ihrer Selbstständigkeit – in ihrer Produktivität, die im Bewusstsein immer schon zum Produkt geronnen ist – aus dem Grund des Bewusstseins her und versteht diesen zugleich als Grund der Natur.
Wissen von sich selbst, so entsteht das Ich eben nur dadurch, daß es von sich weiß; das Ich selbst also ist ein Wissen, das zugleich sich selbst (als Object) producirt. Die intellectuelle Anschauung ist das Organ alles transscendentalen Denkens.“ (AA I,,, S. f. / SW III, S. ) Vgl. FGA III,, S. : „Es kann nicht von einem Seyn (alles worauf ein blosses Denken bezogen, und, was hieraus folgt, darauf der RealGrund angewandt wird, ist Seyn, gesezt auch man nennte es Vft.) sondern es muß von einem Sehen ausgegangen werden; auch muß die Idendität des Ideal= und Real=Grundes, = der Idendität des Anschauens und Denkens aufgestellt werden.“ Vgl. Zöller , S. : „In pure willing the ideal and the real moment, the knowing and the resolve, are one – a volitional counterpart to the unity of ‚doing‘ and ‚seeing‘ in the case of intellectual intuition.“
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Dieser Gedanke eines Wollens, das dem Selbstbewusstsein vorgelagert ist, findet sich in den Philosophischen Untersuchungen als blindes Wollen wieder und wird hier mit dem identitätsphilosophischen Begriff der Wesenshinsichten verbunden und als „Grund von Existenz“ (SW VII, S. 357) bezeichnet. Zugleich – und konzeptionell widerstreitend mit dem Gedanken der Wesenshinsichten – bekommt er mit der Ungrundkonzeption als dem „Grund zur Existenz“ (SW VII, S. 408) einen substrathaften Charakter, wie im Einzelnen gezeigt werden wird. Schelling gibt mit der Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie (1801) die intellektuelle Anschauung der Natur als Zugang zum reinen – vom anschauenden Subjekt unabhängigen – Grund der Objekte auf. Statt den Ausgangspunkt der Naturphilosophie aufzusuchen, etabliert er in dieser Schrift die absolute Vernunft als „Standpunct der Philosophie“.⁵⁴ Mit ihr soll das tertium von „Transscendental- sowohl als Naturphilosophie“ (AA I,10, S. 110 / SW IV, S. 108), von Idealismus und Realismus gegeben werden.⁵⁵ Die Möglichkeit einer solchen Vereinigung bestritt Schelling im Jahr 1800 noch unzweideutig, wenn er im System des transscendentalen Idealismus sagt: Was den Verfaßer hauptsächlich angetrieben hat, auf die Darstellung jenes Zusammenhangs, welcher eigentlich eine Stuffenfolge von Anschauungen ist, durch welche das Ich bis zum Bewußtseyn in der höchsten Potenz sich erhebt, besondern Fleiß zu wenden, war der Parallelismus der Natur mit dem Intelligenten, auf welchen er schon längst geführt worden ist, und welchen vollständig darzustellen weder der Transscendental- noch der Naturphilosophie allein, sondern nur beyden Wissenschaften möglich ist, welche ebendeßwegen die beyden ewig entgegengesetzten seyn müssen, die niemals in Eins übergehen können. (AA I,9,1, S. 25 / SW III, S. 331)
Schelling weist die Vorwürfe, die gegen den Ausgang von der absoluten Identität im Identitätssystems geäußert wurden, in späterer Zeit entschieden zurück, indem er hervorhebt, dass in der Darstellung meines Systems von einer intellektuellen
Vgl. AA I,, S. / SW IV, S. : „Der Standpunct der Philosophie ist der Standpunct der Vernunft, ihre Erkenntniß ist eine Erkenntniß der Dinge, wie sie an sich, d. h. wie sie in der Vernunft sind. […] Es giebt keine Philosophie, als vom Standpunct des Absoluten, darüber wird bey dieser ganzen Darstellung gar kein Zweifel statuirt: die Vernunft ist das Absolute, sobald sie gedacht wird, wie wir es (§. .) bestimmt haben […].“ Vgl. AA I,, S. Anm. / SW IV, S. Anm.: „Niemand, als wer uns ohne wahre Einsicht in den Sinn unsers Systems gefolgt ist, könnte uns hier mit der Frage unterbrechen, ist denn dieses System Realismus, oder Idealismus? Wer uns verstanden hat, sieht, daß diese Frage in Bezug auf uns gar keine Bedeutung hat. Für uns giebt es nämlich überhaupt nichts an sich, als die absolute Indifferenz des Ideellen und Reellen“.
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Anschauung nicht explizit die Rede gewesen sei;⁵⁶ ein Einwand, der nicht allein dadurch berechtigt wäre, dass dieser Ausdruck hier in der Tat nicht fällt.Vielmehr ist er in gewissem Sinne auch insofern angemessen, als hier eine intellektuelle Anschauung, wie sie zu dieser Zeit üblicherweise verstanden wurde, nämlich als Selbstgegenwart der reinen Willenstätigkeit, nicht vorkommt, und stattdessen eine Selbstgegenwart der Indifferenz von Subjekt und Objekt postuliert wird. Mit der kantischen Terminologie könnte zur Veranschaulichung des Unterschieds gesagt werden, dass dieser Zugang sich nicht die Selbstgewissheit der reinen Apperzeption, sondern der transzendentalen Einheit der Apperzeption zunutze macht. Und dennoch zeigt sich eine strukturelle Verwandtschaft zur intellektuellen Anschauung der Natur gerade darin, dass die absolute Vernunft wie vormals die reine Produktivität über eine Vergegenwärtigung und eine ihr folgende Abstraktion zugänglich werden soll. In der Darstellung wird dieser Vorgang wie folgt erläutert: Der „Standpunct der Philosophie“, zu dem sich das endliche Denken erhebt, sagt Schelling hier, soll durch zwei Schritte erreicht werden, nämlich zum einen durch „die Reflexion auf das, was sich in der Philosophie zwischen Subjectives und Objectives stellt, […] was offenbar ein gegen beyde indifferent sich Verhaltendes seyn muß“, das er als Vernunft bezeichnet, und zum anderen: „um sie [die Vernunft] als absolut zu denken, […] muß vom Denkenden abstrahirt werden.“ (AA I,10, S. 116 / SW IV, S. 115) Es ist insbesondere diese Abstraktion vom Denkenden, die unter den Zeitgenossen polemische Kritik hervorrief.⁵⁷ Mit ihr sollte es nach Schelling gelingen,
Vgl. SW X, S. : „Hier ist vor allem zu bemerken, daß in der ersten urkundlichen Darstellung der Identitätsphilosophie, der einzigen, welche der Urheber als die streng wissenschaftliche von jeher anerkannt hat, das Wort intellektuelle Anschauung gar nicht vorkommt, und man demjenigen eine Belohnung aussetzen könnte, der es in ihr entdeckte.“ Vgl. außerdem Schelling , S. : „Ich muß in dieser Beziehung einfach bemerken: In der ersten Darstellung der Identitätsphilosophie (urkundlich allein anerkannt vom Urheber, Zeitschrift für spekulative Physik, II. Band . Heft) kommt das Wort: ‚intellektuelle Anschauung‘ gar nicht vor.“ Vgl. zur Diskussion dieser Verteidigung Schellings Schulz , S. f. Vgl. zur Kritik an der Abstraktion vom Denken in Bezug auf die schellingsche Schrift Darstellung meines Systems Köppen , S. : „Dies Denken der Vernunft soll geschehen mit der Abstraktion vom Denkenden. Wie kann der Mensch zu der Abstraktion von sich selbst, als Denkendem, aufgefordert werden? Womit und woran sollte er sie vollbringen? Und was bliebe übrig? Etwa die bloße Handlung des Denkens: Ein Denken als Denken, ohne Denkendes und Gedachtes; ein Nichtsdenkendendes Nichts? – Nein, antwortet Schelling, es bleibt übrig die Vernunft“. Schelling hat diese Schrift zur Kenntnis genommen, wie in den Aphorismen zur Einleitung deutlich wird: „Daher ein anderer, welcher die Lehre vom Absoluten als die Lehre des absoluten Nichts darstellte, es besser traf, als er wohl selbst dachte. Sie ist allerdings die Lehre vom absoluten Nichts
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dass „die Vernunft unmittelbar [aufhört], etwas Subjectives zu seyn“ und sich „zu dem wahren An sich“ (AA I,10, S. 116 f. / SW IV, S. 115) erhebt. Erläutert wird dieser Zweischritt von Reflexion und Abstraktion in § 4 der Darstellung meines Systems über das „höchste Gesetz für das Seyn der Vernunft“, die Identität. Nach der Darstellung findet das Subjekt in der Reflexion auf das, was zwischen Subjekt und Objekt als gegen beide Indifferentes liegt, als „einzige Wahrheit, welche an sich […] gesezt ist“ das „Gesetz der Identität“, nämlich „A = A“ und als Kern desselben die „Identität selbst“, und zwar als absolute Identität, da sie „von dem A als Subject, und von dem A als Praedicat völlig unabhängig gesetzt wird“, weil vom „A selbst überhaupt, und inwiefern es Subject und Prädicat ist, abstrahirt ist“ (AA I,10, S. 119 / SW IV, S. 117). Dass es sich bei dieser Abstraktion aber gerade nicht wie bei der intellektuellen Anschauung der Natur um eine Depotenzierung handelt, wird deutlich in einer Ergänzung Schellings, in welcher er anmerkt, dass ein Nichterreichen dieses Standpunkts vornehmlich dadurch zu erklären sei, dass der Forderung nicht nachgekommen wurde, die „Abstraction zu machen, und das Subjective, in sich selbst zu vergeßen“, wobei er in der Anmerkung das Subjektive als das „Absondernde, Individuelle“ (AA I,10, S. 117 f., Anm. 3 / SW IV, S. 116) ausweist. Diese Operation zielt also gerade nicht auf das zum Unbewussten depotenzierte Bewusstsein, sondern auf das überindividuelle Identitätsprinzip von Subjektivem und Objektivem und bildet als solches den Beginn des Identitätssystems. Dieser Gedanke zeigt sich besonders deutlich in der Fassung der intellektuellen Anschauung in der schellingschen Schrift Philosophie und Religion aus dem Jahr 1804, wo es heißt: Das einzige einem solchen Gegenstand, als das Absolute, angemessene Organ ist eine ebenso absolute Erkenntnißart, die nicht erst zu der Seele hinzukommt durch Anleitung, Unterricht u.s.w., sondern ihre wahre Substanz und das Ewige von ihr ist. Denn wie das Wesen Gottes in absoluter nur unmittelbar zu erkennender Idealität besteht, die als solche absolute Realität ist, so das Wesen der Seele in Erkenntniß, welche mit dem schlechthin Realen, also mit Gott eins ist; daher auch die Absicht der Philosophie in Bezug auf den Menschen nicht sowohl ist, ihm etwas zu geben, als ihn von dem Zufälligen, das der Leib, die Erscheinungswelt, das Sinnenleben zu ihm hinzugebracht haben, so rein wie möglich zu scheiden und auf das Ursprüngliche zurückzuführen. (SW VI, S. 26)
Fichte selbst fordert in seinem Brief vom 31. Mai 1801 gegenüber Schelling den Nachweis einer solchen absoluten Identität. Das ist der Brief, in welchem Fichte insistiert, dass von einem Sehen und nicht von einem Sein ausgegangen werden
der Dinge, als endlich existirender, welche ihm vielleicht als die vornehmste Realität erscheinen.“ (SW VII, S. )
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müsse und daran anschließt, dass nicht der „RealGrund“ eigentlich aufzustellen sei, sondern die „Idendität des Ideal= und Real=Grundes, = der Idendität des Anschauens und Denkens“ (FGA III,5, S. 46). Schelling versucht diese Problematik, die sich bereits aus der intellektuellen Anschauung der Natur ergab, weil nur mit der Annahme der Identität der Natur im Bewusstsein und der vom Bewusstsein unabhängigen Natur über die Gegenwart der reinen – nicht anschauenden – Tätigkeit des Bewusstseins auch die reine Tätigkeit der Natur zugänglich werden kann, in der Darstellung aufzulösen. Der dabei etablierte Zugang zur absoluten Vernunft zeigt aber selbst uneinholbare Voraussetzungen, die sich auch in der Kritik der Zeitgenossen abbilden. So scheint der Nachweis der Identität im Bewusstsein zwar unproblematisch, weil der „Satz A = A […] keiner Demonstration“ bedarf, insofern er „Grund aller Demonstration“ (AA I,10, S. 119, Anm. 10 / SW IV, S. 117 Anm.) ist. Nicht abgesichert aber scheint die Annahme zu sein, die Abstraktion von der Individualität dieser Identität gebe die überindividuelle, absolute Identität in ihrer Selbstgewissheit. Implizit wird dabei angenommen, dass das Absehen von den Schranken des „endlichen Verstandes“, der nach Kant nicht selbst anschauen kann, diesen zu einem absoluten Verstand werden lässt, der selbst anschauen kann und damit unmittelbar Zugang zu dem habe, was die Dinge an sich selbst sind. Die Annahme, dass die Abstraktion von der Individualität der Identität von Subjekt und Objekt im Wissen die absolute Identität gegenwärtig sein lässt, setzt voraus, dass die Identität der absoluten Vernunft nur den Schranken nach different ist von der Identität der individuellen Vernunft,⁵⁸ und diese Schranken durch Absehen vom Individuellen hinfällig werden. Dies bestätigt das Theorem von der „quantitative[n] Differenz des Subjectiven und Objectiven“, von der es in der Darstellung heißt, sie „ist der Grund aller Endlichkeit“ (AA I,10, S. 132 / SW IV, S. 131). Dabei handelt es sich nach eigener Angabe um eine Differenz, die „nicht dem Wesen nach gesetzt ist“, sondern „bloß auf der Verschiedenheit der Form beruht“ (AA I,10, S. 128 f. / SW IV, S. 126 f. Anm.). Dem Wesen nach bestehe damit eine Identität zwischen der absoluten Vernunft und der Vernunft im Menschen, oder mit Schellings Worten aus dem System der gesammten Philosophie: „In der Vernunft wiederholt sich nur die erste Selbstaffirmation Gottes“ (SW VI, S. 151).⁵⁹
Vgl. SW IV, S. : „In dieser absoluten Einheit aber, weil in ihr, wie gezeigt, alles vollkommen und selbst absolut ist, ist nichts von dem andern unterscheidbar, denn die Dinge unterscheiden sich nur durch ihre Unvollkommenheiten und die Schranken, welche ihnen durch die Differenz des Wesens und der Form gesetzt sind“. Schelling erläutert diese Annahme wie folgt: „Gott ist nicht, wie anderes ist; er ist nur, inwiefern er sich selbst affirmirt. Diese Selbstaffirmation aber oder diese Gleichheit des Subjekts und Objekts erkennt sich selbst wieder in der Vernunft, und demnach ist auch in der Vernunft ein
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Dass Schelling davon überzeugt ist, die „notwendige Entzweiung“ des Bewusstseins in Subjekt und Objekt könne ausgeblendet werden durch den unmittelbaren Zugang zum Absoluten, und an die Stelle des Bewusstseins könne reine Anschauung treten, wird insbesondere in der Schrift Philosophie und Religion deutlich,⁶⁰ wenn es hier heißt, die intellektuelle Anschauung sei im Gegensatz zur empirischen Erkenntnis eine „Erkenntniß […], die das An=sich der Seele selbst ausmacht, und die nur darum Anschauung heißt, weil das Wesen der Seele, welches mit dem Absoluten eins und es selbst ist, zu diesem kein anderes als unmittelbares Verhältniß haben kann“ (SW VI, S. 23). Nur wenn also bereits ausgemacht ist, dass die transzendentale Einheit der Apperzeption nur die eingeschränkte Form der absoluten Vernunft ist – sodass erstere eingeschränkte absolute Vernunft ist – kann derjenige, der mittels dieser Operation zur absoluten Vernunft zu gelangen vermeint, sicher sein, einer Täuschung zu entgehen. Schelling aber setzt in § 2 der Darstellung an, dass „Außer der Vernunft […] nichts [ist], und in ihr Alles“ (AA I,10, S. 117 / SW IV, S. 115), sodass die Identität im Bewusstsein nichts anderes sein kann als eingeschränkte Absolutheit und eine Täuschung darüber, was sich da vergegenwärtigt, ausgeschlossen ist. Hier zeigt sich, dass dem Identitätssystems im Kern, nämlich der Struktur seines Zugangs zum Unbedingten die Verneinung der Eigenständigkeit des Endlichen und die Abwertung des Individuellen eingeschrieben ist.⁶¹ Zwar steht auch die intellektuelle Anschauung der Natur in der Kritik der Zeitgenossen, – insbesondere Eschenmayer bestreitet die Möglichkeit eines Nachweises der Produktivität der Natur über die unbewusste Tätigkeit der Subjektivität (vgl. Eschenmayer 1801, S. 31 u. S. 58) – wirkmächtig für die WahrnehSelbsterkennen, d. h. eine unmittelbare Affirmation der Idee Gottes. In der Vernunft wiederholt sich nur die erste Selbstaffirmation Gottes.“ (SW VI, S. ) Vgl. SW IV, S. : „Indeß macht die nothwendige Entzweiung, die mit dem Bewußtseyn selbst gesetzt ist, indem die Einheit,welche im Absoluten ist, der endlichen Intelligenz im Endlichen und im Unendlichen gleicher Weise reflektirt wird, Raum und Zeit zu nothwendigen und unwillkürlichen Anschauungen, während jener Punkt der Einheit, der das Wesen des Ewigen selbst ist, im reflektirten Erkennen ebenso wie im Handeln beständig entflieht und nur durch intellektuelle Anschauung vergegenwärtigt und unmittelbar erkannt werden kann.“ Vgl. zur depotenzierten Endlichkeit im Identitätssystem: „Der Grundirrthum aller Philosophie ist die Voraussetzung, die absolute Identität seye wirklich aus sich herausgetreten […]. Die absolute Identität hat eben nie aufgehört, es zu seyn, und alles, was ist, ist an sich betrachtet – auch nicht die Erscheinung der absoluten Identität, sondern sie selbst, und da es ferner die Natur der Philosophie ist, die Dinge zu betrachten, wie sie an sich […] und die absolute Identität selbst sind, so besteht also die wahre Philosophie in dem Beweis, daß die absolute Identität (das Unendliche), nicht aus sich selbst herausgetreten, und alles was ist, insofern es ist, die Unendlichkeit selbst seye, ein Satz, welchen von allen bisherigen Philosophen nur Spinoza erkannt hat, obgleich er den Beweis dafür nicht vollständig geführt“ (AA I,, S. / SW IV, S. f. [Hervorhebung L.E.]).
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mung der schellingschen Philosophie im Ganzen aber wurde insbesondere die Kritik an der identitätsphilosophischen Konzeption der intellektuellen Anschauung unter dem Titel des Irrationalismus durch Feuerbach und Lukács in der Weiterführung des hegelschen Vorwurfs des unmittelbaren Anfangs. Was dabei unter Irrationalismus verstanden wird, formuliert Feuerbach in den Vorläufigen Thesen zur Reformation der Philosophie (1842). Hier schreibt er: Schelling und Hegel sind Gegensätze. […] Hegel fehlt es an Anschauung, Schelling an Denk-, an Bestimmungskraft. […] Der Rationalismus bei S. ist nur Schein, der Irrationalismus Wahrheit. […] H. macht die Unvernunft zur Vernunft, S. umgekehrt die Vernunft zur Unvernunft. (Feuerbach 1843, S. 78)
Es ist der Verdacht, Schelling substituiere die Vernunft durch Unvernunft, den die intellektuelle Anschauung der Identitätsphilosophie erregte (vgl. Köppen 1803, S. 24; Lukács 1962, S. 114). Hegel nennt das die „Begeisterung […], die wie aus der Pistole mit dem absoluten Wissen unmittelbar anfängt“ (HW IX, S. 31). Wobei angemerkt werden kann, dass bei dem Ausdruck Begeisterung auch die kantische Kritik an der intellektuellen Anschauung mitschwingt. Durch diese nämlich, so schreibt Kant 1796 in dem Artikel Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, erliegen die „philosoph[i] per inspirationem“, die Enthusiasten der „Gefahr in schwärmerische Vision zu gerathen, die der Tod aller Philosophie ist“ (KA VIII, S. 389 u. S. 405). Der bei Schelling auf diese Weise zugänglich gewordene Begriff des Absoluten, so ein weiterer Aspekt des Vorwurfs, zeichne sich durch Bestimmungslosigkeit aus. Er „loest sich in Nichts auf, weil er ursprünglich leer und ohne Inhalt war“ (Schlegel 1808, S. 140 f.), wie Schlegel schreibt. Oder, mit Hegels berühmten Worten aus der Phänomenologie des Geistes (1807): Dies eine Wissen, daß im Absoluten alles gleich ist, der unterscheidenden und erfüllten oder Erfüllung suchenden und fordernden Erkenntnis entgegenzusetzen oder sein Absolutes für die Nacht auszugeben,worin,wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind, ist die Naivität der Leere an Erkenntnis. (HW IX, S. 22)
Mit Blick auf die Freiheitsschrift scheint noch ein anderer Aspekt des Vorwurfs von Interesse zu sein, den insbesondere Friedrich Schlegel in seiner 1808 erschienenen Schrift Ueber die Sprache und Weisheit der Indier formuliert. Er kritisiert in dieser Schrift den Pantheismus und spielt dabei auf das schellingsche Identitätssystem an; eine Kritik, die Schelling durchaus verstanden hat.⁶² Der Pantheismus, so
Schelling zitiert in den Philosophischen Untersuchungen aus dieser Schrift (vgl. SW VII, S. ).
2.2 Die Abgrenzung vom Identitätssystem und vom fichteschen Frühidealismus
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betont Schlegel hier, der in der Lehre bestehe, „daß Alles Eins sey“, führe dazu, dass der „ewige Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht, ganz aufgehoben, und für nichtig erklaert“ (Schlegel 1808, S. 141 u. S. 98) werde. Bereits Friedrich Köppen, Schlegels Schüler, hatte Schellings Identitätssystem 1803 diesen Vorwurf, wonach es den Unterschied von Gut und Böse relativiere, gemacht und Schellings Philosophie aus diesem Grund dem „Zeitgeist“ zugerechnet, dessen „Frucht“ der „Nihilismus“ sei.⁶³ Die Freiheitsschrift kann als direkte Erwiderung auf diesen von Köppen und Schlegel erhobenen Vorwurf des moralischen Relativismus gelesen werden. Und auch wenn Schelling auf der Oberfläche des Textes die Kontinuität zum Identitätssystem hervorhebt, scheint er ihm unter der Hand zuzustimmen, wenn er in der Einleitung analysiert: Es erhellt hieraus, im Vorbeigehen zu sagen, daß, wenn die Freiheit wirklich das ist, was sie diesem Begriff zufolge seyn muß (und sie ist es unfehlbar), daß es alsdann auch mit der oben versuchten Ableitung der Freiheit aus Gott wohl nicht seine Richtigkeit habe; denn ist die Freiheit ein Vermögen zum Bösen, so muß sie eine von Gott unabhängige Wurzel haben. (SW VII, S. 354)
Mit dieser unabhängigen Wurzel widerspricht Schelling der systematischen und methodischen Grundannahme seiner Identitätsphilosophie, dass nämlich „Außer der Vernunft […] nichts [ist], und in ihr Alles“. Und Schelling selbst betont im Jahr 1809, dass das „Vermögen zu einer Gottwiderstrebenden That in allen bisherigen Systemen unerklärbar“ (SW VII, S. 354) bleibe, womit auch das Identitätssystem eingeschlossen ist, denn wie die eingeschränkte Vernunft der absoluten Vernunft widerstreben können soll, obgleich sie mit ihr identisch ist, bleibt eine nicht zu beantwortende Frage. Schelling gesteht damit ein, dass auch sein Identitätssystem es nicht vermochte, individuelle, menschliche Freiheit in ihrer Eigenständigkeit zu denken und bestätigt damit indirekt den Vorwurf Schlegels, der die Aufhebung der „Individualitaet“, neben der Aufhebung der Differenz von Gut und Böse, als wesentliches Merkmal des Pantheismus anführt (vgl. Schlegel 1808, S. 97).⁶⁴ Auch wenn Schelling in der Einleitung zur Freiheitsschrift vorgibt, diese Problematik lasse sich mit einer Klärung des Identitätsbegriffs lösen, führt er mit der unabhängigen Wurzel menschlicher Freiheit ein Moment in das Identitätssystem ein, welches dieses von Grund auf verändern muss. Dies zeigt sich nicht
Vgl. Köppen , S. : „Soll die Menschheit sich retten vor dem Zustande völliger Erschlaffung, in welchen sie mit der Frucht ihres Zeitgeistes, dem Nihilismus, versinkt […]: so muß sie aufgeben die Konkreszenz des Guten und Bösen, Gottes und des Nichts, der Freyheit und der Nothwendigkeit.“ Vgl. zur Problematik der Individualität bei Schelling ferner Shibuya .
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nur daran, dass er entgegen dem Credo der Darstellung – „Der Grundirrthum aller Philosophie ist die Voraussetzung, die absolute Identität seye wirklich aus sich herausgetreten“ (AA I,10, S. 121 / SW IV, S. 119 f.) – im Jahr 1809 Schöpfung affirmativ denkt und die Endlichkeit damit ontologisch aufwertet; sondern auch daran, dass Schelling, obwohl er in der Freiheitsschrift an der Notwendigkeit festhält, die absolute Identität von Ideal- und Realgrund zu denken, den Ausgangspunkt der Identitätsphilosophie, nämlich den Standpunkt der absoluten Vernunft, welche die Endlichkeit nur von der „quantitative[n] Differenz“ her bestimmen kann, verlässt. Schelling wählt hier den umgekehrten Weg, wenn er die Spuren der Transzendenz in der Immanenz nachzeichnet. Damit wird die unmittelbar zur Betrachtung sub specie aeternitatis führende intellektuelle Anschauung der absoluten Vernunft aufgegeben. Und das absolute Organ im Menschen, welches allein es denken lässt, dass das Absolute im Endlichen gegenwärtig wird, ist nun keiner „absolute[n] Erkenntnißart“ (SW VI, S. 26) mehr fähig, sondern nur noch der Aufnahme der Manifestation des Absoluten unter den Bedingungen der Endlichkeit, wie in der Analyse der schellingschen Gewissenskonzeption deutlich werden wird.
2.2.2 Selbstheit statt Ichheit. Der Subjektivitätsbegriff der Freiheitsschrift Schelling hat in seiner Naturphilosophie zu zeigen versucht, dass die Natur von den „Bedingungen des Wissens“ her in ihrer Eigenständigkeit gedacht werden kann. Auch die Konzeption der „transscendentale[n] Vergangenheit“⁶⁵ spiegelt dieses Streben, das Ich als eine Potenz von Selbstbestimmung zu verstehen, die in ihrem „ersten Entstehen“, also als nicht anschauendes Selbstsetzen, der Produktivkraft der Natur entspricht. Damit ist die Spontaneität nicht mehr vornehmlich als moralisch-praktische Zweckbestimmung im Sinne der kantischen Autonomie gedacht, sondern auch als blinde,⁶⁶ nämlich sich selbst nicht bewusste Produktivität, als „reales Selbstsetzen“, das Schelling im Jahr 1809 als „Ur= und Grundwollen“ (SW VII, S. 385) ausführt.
Vgl. SW X, S. f.: „Ich suchte also mit Einem Wort den unzerreißbaren Zusammenhang des Ich mit einer von ihm nothwendig vorgestellten Außenwelt durch eine dem wirklichen oder empirischen Bewußtseyn vorausgehende transscendentale Vergangenheit dieses Ich zu erklären, eine Erklärung, die sonach auf eine transscendentale Geschichte des Ichs führte.“ Vgl. AA I,, S. / SW III, S. : „Die Intelligenz ist auf doppelte Art, entweder blind und bewußtlos, oder frey und mit Bewußtseyn productiv; bewußtlos productiv in der Weltanschauung, mit Bewußtseyn in dem Erschaffen einer ideellen Welt.“
2.2 Die Abgrenzung vom Identitätssystem und vom fichteschen Frühidealismus
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Über die intellektuelle Anschauung der Natur wird die Eigenständigkeit der auch im Selbstbewusstsein wirksamen reinen Produktivität der Naturphilosophie gedacht, der die Aufgabe zufällt: „das Ideelle aus dem Reellen zu erklären“ und dabei von letzterem als einem „Selbstständige[n]“ auszugehen, wie Schelling in der Einleitung zum Entwurf (1799) betont (AA I,8, S. 30 / SW III, S. 273).⁶⁷ Insofern der Grund des Selbstbewusstseins damit über die Kategorie bestimmt wird,welche alle Wesen in die Existenz bringt, mithin Grund der Natur im Sinne der spinozistischen natura naturans ist (vgl. AA I,8, S. 41 / SW III, S. 284), wird anders als bei Fichte nicht mehr das Selbstbewusstsein als Quelle der Realität und Basis der Idealität gedacht, sondern der Wille als (vorbewusste) spontane Produktivität. Mit dieser Umdeutung geht eine Transformation des Konzepts der Ichheit einher, die sich in der Freiheitsschrift folgendermaßen darstellt: Das Ich, sagt Fichte, ist seine eigne That; Bewußtseyn ist Selbstsetzen – aber das Ich ist nichts von diesem Verschiedenes, sondern eben das Selbstsetzen selber. Dieses Bewußtseyn aber, inwiefern es bloß als selbst=Erfassen oder Erkennen des Ich gedacht wird, ist nicht einmal das Erste, und setzt wie alles bloße Erkennen das eigentliche Seyn schon voraus. Dieses vor dem Erkennen vermuthete Seyn ist aber kein Seyn, wenn es gleich kein Erkennen ist; es ist reales Selbstsetzen, es ist ein Ur= und Grundwollen, das sich selbst zu etwas macht und der Grund und die Basis aller Wesenheit ist. (SW VII, S. 385 [Hervorhebungen L.E.])
Das reine Produktionsvermögen wird hier über eine zweifache Verneinung bestimmt: Es sei weder als Sein zu denken, noch als Erkennen, weil es beiden in ihrer Bestimmtheit als Sein und als Erkennen vorausliege. Auf der Grundlage dieser Indifferenz von Sein und Erkennen erhebt sich, nach Schelling, alles Existierende. Das gegen Erkennen und Sein indifferente, mithin das reine Selbstsetzen, wird dabei als „lebendige[r] Grund der Natur“ (SW VII, S. 357) verstanden und als „Selbstheit“ bezeichnet. Auch dem Menschen als selbstbewusstes, geistiges Wesen wird dieser lebendige Grund vorausgesetzt, sodass er als „zur Geistigkeit erhobene[n] Selbstheit“ (SW VII, S. 370 f.) bezeichnet werden kann. Mit der vergeistigten Selbstheit wird dieserart die Herkunft des menschlichen Geistes aus der Natur betont und damit statt eines voraussetzungslosen Anfangs des Selbstbewusstseins die These von der Natur als Bedingung der Möglichkeit der Spontaneität seines Selbstbewusstseins exponiert (vgl. SW VII, S. 364).⁶⁸ Schelling rekurriert dabei unverkennbar auf die Unterscheidung von Sein und Sehen, von Produktivität und Anschauung (vgl. AA III,2,1, S. 279 f.), wobei auffällt, dass das Vgl. auch AA I,, S. / SW III, S. : „Für die Naturwissenschaft ist also die Natur ursprünglich nur Productivität, und von dieser als ihrem Princip muß die Wissenschaft ausgehen.“ Vgl. ferner SW XI, S. : „Das menschliche Bewußtseyn ist ja nicht weniger als diese [Natur] ein Gewordenes, und nichts außer der Schöpfung, sondern das Ende derselben“.
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„producirende Ich“ nun als „Selbstheit“ und das „Selbstbewußtseyn“ als „Geist“ bezeichnet wird. Wenn hier in den Philosophischen Untersuchungen Selbstbewusstsein als die zur Geistigkeit erhobene Selbstheit begrifflich gefasst wird, und Selbstheit als dasjenige Prinzip, welches allen Lebewesen gemeinsam ist, so führt das nicht nur zu dem Gedanken, dass der Mensch als geistiges Selbst, wesentlich vergeistigte Natur ist, sondern auch, dass alle Lebewesen Selbste sind, und ihnen damit Selbsttätigkeit und Subjektivität zukommt. Jedes Lebewesen ist damit wesentlich Wille, der sich nach zwei Hinsichten betrachten lässt, nämlich insofern er zugleich Ursache und Wirkung seiner selbst ist. Mithin ist er Organismus. Das selbsttätige Selbstverhältnis ist damit nicht mehr exklusiv „Wesen des Ich“⁶⁹ als bewusstes Selbstverhältnis wie bei Fichte, sondern wird als das Wesen des Selbst angesehen, dass nicht notwendigerweise selbstbewusst ist. Aufgrund dieser Verschiebung kann Schelling auch die Natur als Selbst-Tätigkeit und tätiges Verhältnis, als Selbstbestimmung denken und damit als eine Art von Freiheit. In den Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie erläutert Schelling diese Freiheit wie folgt: Die Lebendigkeit besteht eben in der Freiheit, sein eignes Seyn als ein unmittelbar, unabhängig von ihm selbst gesetztes aufheben, und es in ein selbst=gesetztes verwandeln zu können. Das Todte, in der Natur z. B., hat keine Freiheit, sein Seyn zu verändern, wie es ist, so ist es – in keinem Moment seiner Existenz ist sein Seyn ein selbstbestimmtes. (SW X, S. 22)
Für die Konzeption der Subjektivität bedeutet diese Verschiebung, dass die menschliche Ichheit als Selbstbewusstsein zu einem Sonderfall der Selbstheit wird, nämlich zur geistigen Selbstheit, zu bewusster Selbstbestimmung, die, wie in Anlehnung an Kants Unterscheidung in der Kritik der Urtheilskraft gesagt werden kann, nicht auf einen Naturzweck, sondern einen Freiheitsbegriff gerichtet ist, und damit auf eine Idee. Der Grund des Bewusstseins aber, so sollte deutlich geworden sein, ist nach Schelling die Natur, verstanden als sich selbst blind bestimmende Produktivität, die Schelling in der Freiheitsschrift auch das Prinzip der Kreatürlichkeit nennt. Sie, die Natur, ist daher „im Menschen das eigentlich Innere“,⁷⁰ wie Schelling in den Weltaltern schreibt. Vgl. FGA I,, S. : „Wir sind in unserm Räsonnement ausgegangen von der Voraussetzung, daß das Wesen des Ich in seiner Selbstständigkeit, oder, da diese Selbstständigkeit nur unter gewissen noch nicht aufgezeigten Bedingungen als etwas wirkliches gedacht werden kann, in seiner Tendenz zur Selbstständigkeit bestehe.“ Vgl. SW VIII, S. : „Sodann sind diese drei [‚Leib, Seele und Geist‘] aneinander gekettet, und machen im unfreien, ungeschiedenen Zustand zusammen jenes Rad der Natur aus, das auch im Menschen das eigentlich Innere ist.“
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2.2.3 Das Verhältnis von Wille und Vernunft in Fichtes Frühphilosophie Subjektivität als unbewusste Tätigkeit, als blinder Wille einerseits, als an das Sehen und damit an das Bewusstsein gebundene Tathandlung andererseits – die Differenz der Subjektivitätsbegriffe von Schelling und Fichte betrifft nicht nur die Frage nach der Natur, sondern auch nach der Freiheit. Die Betrachtung des Verhältnisses von Wille und Vernunft in Fichtes Frühphilosophie und der Konzeption des Bösen in der Sittenlehre soll helfen diese Dimension der Differenz der Subjektivitätsbegriffe weiter zu klären. In der Schrift Versuch einer Critik aller Offenbarung definiert Fichte den Willen wie folgt: Sich mit dem Bewußtseyn eigner Thätigkeit zur Hervorbringung einer Vorstellung bestimmen, heißt Wollen; das Vermögen sich mit diesem Bewußtseyn der Selbstthätigkeit zu bestimmen, heißt das Begehrungsvermögen: beides in der weitesten Bedeutung. (FGA I,1, S. 135)
Was Fichte Wollen nennt, so lässt diese Definition deutlich werden, ist die Verwirklichung des Begehrungsvermögens auf eine solche Weise, dass diese Verwirklichung, welche eine Vorstellung hervorbringt, mit dem „Bewußtseyn eigner Thätigkeit“ einhergeht. Die Explikation dieser Definition im ersten und zweiten Abschnitt des § 2 der Schrift Versuch einer Critik aller Offenbarung durch Fichte ist auf die Frage gerichtet, welche Art von Vorstellung diese Definitionsbedingung erfüllt. Der § 2 als „Theorie des Willens“ kann dabei als Untersuchung der Möglichkeit und Wirklichkeit des so definierten Wollens verstanden werden (vgl. Stolzenberg 1998, S. 619). Fichte unterscheidet dafür als mögliche Objekte des Begehrungsvermögens Vorstellungen, die ihrem Stoff nach gegeben, d. h. empirisch sind,von anderen, die sowohl ihrer Form als auch ihrem Stoff nach hervorgebracht sind, die also nur durch Spontaneität bestimmt sind, und wendet sich zunächst der erstgenannten Möglichkeit zu: Wenn sinnliche Vorstellungen zu Objekten unseres Begehrungsvermögens werden, so sei das nicht anders zu denken als durch ein „Medium“, welches zwischen dem Bestimmtwerden der sinnlichen Affektion und der Spontaneität des Begehrungsvermögens vermittelt. Nur durch die Annahme einer solchen vermittelnden Instanz könne gedacht werden, dass das Begehrungsvermögen weder einfach bestimmt werde, – wodurch es seiner Definitionsbedingung, nämlich der „eigenen[n] Thätigkeit“ widersprechen würde – noch reine Selbstbestimmung ist, die kein empirisches Objekt hervorbringt. Mit dem Medium soll daher gedacht werden können, dass das Begehrungsvermögen sich selbst „durch die Vorstellung“ (FGA I,1, S. 135) bestimmt.
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Um diese vermittelte Selbstbestimmung zu denken, die Fichte unteres Begehrungsvermögen nennt, etabliert er den Begriff des Triebes, der zwischen Spontaneität und Rezeptivität angesiedelt ist. Sodann unterscheidet er zwei Arten der Triebbestimmung durch Spontaneität, nämlich eine nach Gesetzen vermittelte, bei welcher der spontanen Urteilskraft die Aufgabe zukommt, den durch die Sinnlichkeit gegebenen Maßstab, d.i. das Angenehme, bloß anzuwenden und eine, bei welcher der Trieb unmittelbar durch Spontaneität bestimmt wird. Und er zeigt auf, dass selbst im ersten Fall, nämlich dem Genießen nach Regeln – also in dem Begehren, welches eine gegebene Vorstellung zu seinem Objekt hat und die Selbstbestimmung des Begehrens gemäß einem Maßstab vollzogen wird, welcher durch die Sinnlichkeit gegeben wurde –, also in der Art von Begehren, bei welchem die Spontaneität sich nur noch in der Anwendung eines gegebenen Maßstabes auf eine gegebene Vorstellung zeigt, dennoch Spontaneität angenommen werden muss, insofern selbst dieser Fall das Vermögen voraussetzt, „die durch die Empfindung geschehne Bestimmung des Triebes wenigstens aufzuhalten“ (FGA I,1, S. 138 f.). Fichte erneuert damit den kantischen Gedanken, dass auch ein heteronom bestimmter Wille noch Wille bleibt, insofern er in letzter Instanz selbstbestimmt ist, weil er sich dazu bestimmt, sich bestimmen zu lassen. Obwohl ein solcher Wille sich über das Kriterium des Angenehmen ein Objekt gibt und sich damit vermittels einer Regel, die „keine Gemeingültigkeit“ hat, bestimmt, lässt sich als Tiefenstruktur dieser Willensbestimmung, so zeigt Fichte auf, dennoch Spontaneität nachweisen. Der reine Wille wird damit als Bedingung der Möglichkeit des empirischen, heteronom bestimmten Willens ausgewiesen. Wurde damit von Fichte aufgezeigt, dass bereits für eine kohärente Konzeption des unteren Begehrungsvermögens ein oberes angenommen werden muss, welches sich durch Spontaneität auszeichnet, so weist er im zweiten Unterabschnitt des § 2 nach, dass der bisher bloß „vorausgesetze Begriff eines Willens“ Wirklichkeit hat. Dafür untersucht er die zweite Art von Vorstellungen, die nicht nur ihrer Form nach, sondern auch ihrem Stoff nach selbst hervorgebracht sind. Ein Begehren, welches sich nicht nur selbst durch eine dem Stoff nach gegebene Vorstellung und nach einem gegebenen Maßstab bestimmt, sondern die Vorstellung seines Begehrens gänzlich, also auch dem Stoff nach, selbst hervorbringt, muss rein spontan sein, weil seine Selbstbestimmung durch nichts Gegebenes vermittelt sein kann. Was für einen Gehalt eine Vorstellung als Objekt des Begehrungsvermögens haben kann, die nicht nur ihrer Form nach, sondern auch ihrem Stoff nach von der Subjektivität hervorgebracht ist, beantwortet Fichte mit der Feststellung, dass es sich bei dieser Vorstellung nur darum handeln kann, dass die Form des Begehrungsvermögens selbst zum Stoff der Vorstellung wird. Das durch Spontaneität hervorgebrachte Objekt des Begehrungsvermögens kann da-
2.2 Die Abgrenzung vom Identitätssystem und vom fichteschen Frühidealismus
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mit nichts anderes sein, als die zum Objekt gewordene Form dieses Begehrungsvermögens selbst. Dass dem Menschen dieses Vermögen zur Selbstbestimmung inne wohnt, ist für Fichte dann nachgewiesen, wenn eine Vorstellung im Bewusstsein ausgewiesen wird, die ihrer Form und ihrem Stoff nach nur vom Begehrungsvermögen selbst hervorgebracht sein kann. Eine solche Vorstellung findet Fichte in der jedem Menschen innewohnenden „Vorstellung des schlechthin rechten“ (Stolzenberg 1998, S. 620). Ist dem Bewusstsein diese Vorstellung, deren Stoff die Form des Begehrungsvermögens selbst ist, gegeben, so lässt sie sich nicht anders denken, als dass sie mit reiner Spontaneität hervorgebracht wurde, vollkommen selbstbestimmt ist – mithin ist der Beweis geführt, „daß der Mensch einen Willen habe“ (FGA I,1, S. 140), im Sinne der Definitionsbedingung. Dieses Begehrungsvermögen, das Fichte hier in deutlicher Nähe zum kantischen Nachweis der Positivität der Freiheit über das Sittengesetz im Bewusstsein in seiner Wirklichkeit ausweist, nennt er mit Kant oberes Begehrungsvermögen und charakterisiert es als „absolut selbstthätig“, weil es durch nichts, als durch sich selbst bestimmt ist. ⁷¹ Diese absolute Selbstbestimmung sei, so Fichte, ihrer Form und ihrem Gehalt nach „allgemeingültig“, da sie auf nichts als „auf die Gesetze des reinen Selbstbewußtseyns gründe[t]“ (FGA I,1, S. 141): Ein solcher Wille ist demnach dem Sittengesetz entsprechend, weil er sich in gänzlicher Unabhängigkeit von den äußeren, durch die Sinne vermittelten Gegebenheiten entsprechend der Gesetze des Selbstbewusstseins verwirklicht. Damit wird deutlich, dass Fichte den reinen Willen nicht nur mit dem Sittengesetz verbindet, sondern die reine Selbsttätigkeit des Selbstbewusstseins mit dem sittlichen Wollen identifiziert, sodass die absolute Selbsttätigkeit hier – in Zuspitzung des kantischen Autonomiegedankens – zum Inbegriff der Sittlichkeit wird. In § 5 der Grundlage der Wissenschaft des Praktischen in der Wissenschaftslehre aus dem Jahr 1794 wird diese Identität thematisch, und zwar im Zusammenhang mit dem Nachweis, dass die Vernunft für sich selbst praktisch ist (vgl. FGA I,2, S. 399),⁷² womit das Fundament der theoretischen Vernunft gegeben wird.
Für die Wirklichkeit dieses Begehrungsvermögens lässt sich also kein weiterer Grund angeben als das Wollen selbst, weshalb Fichte in der Critik aller Offenbarung auch schlussfolgern kann: „Auf den Willen bezogen treibt dieses Vermögen, – zu wollen, schlechthin weil man will.“ (FGA I,, S. ) Fichte wendet in diesem Zusammenhang den Kategorischen Imperativ kantischer Provenienz egologisch, indem er behauptet: „Iene Forderung, daß alles mit dem Ich übereinstimmen, alle Realität durch das Ich schlechthin gesezt seyn solle, ist die Forderung dessen, was man praktische Vernunft nennt, und mit Recht so nennt. Ein solches praktisches Vermögen der Vernunft war bisher postulirt, aber nicht erwiesen worden.“ (FGA I,, S. )
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Mit dem Nachweis der „reine[n] Thätigkeit des Ich“, die als „Streben“ „Bedingung der Möglichkeit alles Objekts“ (FGA I,2, S. 397) ist, wird hier das absolute Ich ausgewiesen, „Inbegrif aller Realität“ (FGA I,2, S. 398) zu sein. Fichte zeigt auf, wie aus dem absoluten Ich Bewusstsein hervorgehen kann und damit Ich und Nicht-Ich, Subjekt und Objekt in ihrer Distinktheit entstehen. Diese Spaltung, die Fichte als Tätigkeit und eingeschränkte Tätigkeit denkt, strebt die praktische Vernunft zu überwinden, wodurch sie sich als die auch nach der Spaltung in Ich und Nicht-Ich wirksame Identität zeigt, die wieder „nach der vollkommenen Identität mit sich selbst“ (FGA I,2, S. 400) strebt, also danach, wieder reine Selbsttätigkeit zu sein. Im Streben zeigt sich nach Fichte also, dass der Grund des Bewusstseins nicht bloß Spontaneität ist, sondern auch Identität, die erst durch die Trennung von Ich und Nicht-Ich in der Reflexion als solche bewusst werden kann. Gemäß Fichte kann diese Spaltung, da sie aus Spontaneität hervorgeht, nur so gedacht werden, dass das absolute Ich „unbedingt, und ohne allen Grund das Princip in sich ha[t,] über sich selbst zu reflektiren“. Die Tätigkeit des Ich zeigt sich damit dem „Gesetze des Ich [unterworfen], über sich selbst zu reflektiren“ (FGA I,2, S. 408), und dieses Reflexionsprinzip wird als grundlose Ursache der Spaltung des Bewusstseins gedacht. Noch deutlicher wird das Verhältnis von Spontaneität und Vernunft in Fichtes Frühphilosophie an der Verhandlung des Bösen in dem System der Sittenlehre (1798), das daher zum Zwecke einer weiteren Verdeutlichung an dieser Stelle herangezogen werden soll. Der § 16 ist eigens dem Problem des Bösen gewidmet, das sich mit der Frage benennen lässt: Wie ist der böse Wille zu denken, wenn der Wille in sich selbst die Tendenz zur Sittlichkeit hat? Zur Erläuterung der fichteschen Antwort auf diese Frage ist es sinnvoll, auf den § 3 der Sittenlehre zurückzugreifen, in welchem Fichte deutlich macht, dass die Vernunft reines Tun ist und als solches Selbstanschauung.⁷³ Er unterscheidet diese Tätigkeit hier danach, ob sie „von dem Bewußtseyn der Freiheit begleitet“ (FGA I,5, S. 68) wird, und dann Wollen heißt, oder von dem Bewusstsein der Notwendigkeit begleitet wird, und dann Denken genannt wird. Beiden Tätigkeitsarten der Vernunft werden unterschiedliche Gesetze zugeordnet, die sich die Vernunft gibt: im ersten Fall das „Sittengesetz“, im zweiten das „Denkgesetz“ – wobei Fichte deutlich macht, dass „das erstere […] nicht nothwendig befolgt [wird], weil es sich an die Freiheit richtet; dasjenige, welches sie [die Vernunft] sich
Vgl. FGA I,, S. : „Die Vernunft ist nicht ein Ding, das da sey und bestehe, sondern sie ist Thun, lauteres, reines Thun. Die Vernunft schaut sich selbst an: dies kann sie, und thut sie, eben weil sie Vernunft ist“.
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für das letztere giebt, das Denkgesetz, wird nothwendig befolgt, weil die Intelligenz in Anwendung desselben, obwohl thätig, doch nicht freithätig ist.“ (FGA I,5, S. 68 f.) Mit dieser Differenzierung der Vernunfttätigkeiten und der ihnen immanenten Gesetzlichkeit wird die Möglichkeit des Bösen grundgelegt, die darin besteht, dass das Gesetz des Wollens, welches die Vernunft sich selbst gibt, nicht befolgt wird. Dieses Nichtbefolgen des Willensgesetzes wird in § 16, Über die Ursache des Bösen im endlich vernünftigen Wesen, nach seiner möglichen Wirklichkeit untersucht, indem die Frage gestellt wird, wie es zu dieser Selbstentfremdung des Willens in seiner Anwendung kommen kann. Dabei zeigt Fichte auf, dass die Nichtbefolgung des eigenen Willens nur daran liegen kann, dass der Mensch diesen nicht hinreichend reflektiert und dadurch ein verzerrtes Bewusstsein von ihm hat. So nimmt Fichte an, das Böse komme wesentlich dadurch zustande, dass der Mensch sich über seinen eigenen Willen täuscht, indem er auf einem niederen „Reflexionspunkte“ verharrt und sich dadurch des wahren Zwecks seines Willens,⁷⁴ der vollkommenen Freiheit, nicht hinreichend bewusst wird. Dieser wahre Zweck spricht sich in der rein selbstgetätigten und somit vollkommen frei erzeugten Vorstellung des schlechthin Rechten aus, wie die Critik aller Offenbarung gezeigt hat. Das Böse resultiert für Fichte also wesentlich aus der unzureichenden Reflexion auf den reinen Willens, der, wie die Critik aller Offenbarung nachweist, jedem Willensakt gleichwohl zugrunde liegt – und damit jederzeit reflektiert werden könnte. Auf diesem Können beruht die mit der unzureichenden Reflexion als dem „Nichtgebrauche seiner Freiheit“ zusammen gedachte Schuld: Es ist ihm [dem Menschen] eben so möglich, sich sogleich auf den höchsten Punkt zu versetzen; und wenn er es nicht gethan hat, so liegt dies am Nichtgebrauche seiner Freiheit: ob er gleich in seinem gegenwärtigen Zustande seiner Verschuldung sich nicht bewußt wird. In sofern hat das Böse im Menschen seinen Grund in der Freiheit. (FGA I,5, S. 169)
Das Böse hat nach Fichte seinen Grund in der Freiheit, und zwar in dem Nichtgebrauch derselben, welcher selbst die Freiheit zum Nichtgebrauch voraussetzt.⁷⁵ Dieser Nichtgebrauch der Freiheit ist nun aber nicht so zu denken, dass sich die Freiheit in diesem überhaupt nicht realisiert, sondern vielmehr so, dass sie sich
Vgl. Stolzenberg , S. : „Indem das Subjekt etwas wirklich will, so läßt sich daher die fichtesche These über das Wollen zusammenfassen, will es stets zugleich sich selbst als freies und vernünftiges Wesen.“ Vgl. FGA I,, S. : „Die menschliche Natur ist ursprünglich weder gut noch böse. Sie wird erst eins von beiden durch Freiheit“.
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2 Kontext
unzureichend verwirklicht. Der böse Mensch ist nach Fichte daher derjenige, der hinter seiner Möglichkeit, die eigene Freiheit zu realisieren, schuldhaft zurück bleibt,⁷⁶ denn der Mensch „sollte schlechthin sich auf einen höhern [Reflexionspunkt] schwingen, und könnte es auch. Daß er es nicht thut, ist seine Schuld“ (FGA I,5, S. 168). Das auf diese Weise erklärte Böse wird von Fichte, obwohl es über eine Art von Mangel hergeleitet wird, nicht harmlos gezeichnet, denn er macht deutlich, dass der seiner Natur nach auf das Sittengesetz hinführende „Trieb nach absoluter Selbstständigkeit“, wenn die Reflexion auf diesen ausbleibt, einen höchst „unmoralischen Charakter“ (FGA I,5, S. 176) bekomme. Das Ausbleiben der Reflexion auf unseren Trieb nach reiner Selbstbestimmung, mithin die Unterlassung der „Fortsetzung jenes Akts der Freiheit“,⁷⁷ wodurch das unbedingte Gebot der Selbsttätigkeit auf verfälschte und verzerrte Weise, nämlich gerade nicht in allgemeingültiger Form, bewusst ist, verwandelt diesen in unbeschränkte Willkür. Die Möglichkeit der Freiheit in Amoralität umzukippen, wird von Fichte somit deutlich benannt. Gleichwohl traut Fichte es dem Menschen zu, dass dieser in der Reflexion auf diesen „Trieb nach absoluter Selbstständigkeit“, das Kategorische des Sittengesetzes findet. So schreibt er in der Sittenlehre: Der Mensch hat nichts weiter zu thun, als jenen Trieb nach absoluter Selbstständigkeit, der als blinder Trieb wirkend einen sehr unmoralischen Charakter hervorbringt, zum klaren Bewußtseyn zu erheben; und dieser Trieb wird durch diese bloße Reflexion sich in demselben in ein absolut gebietendes Gesetz verwandeln […]. (FGA I,5, S. 176)
Er unterstreicht so zwar einerseits deutlich die Gefahr, die in der Verabsolutierung negativer Freiheit liegt, welche alle übergreifenden Strukturen negiert, aber er nimmt andererseits an, das Böse könne mittels Reflexion auf das dem Willen innewohnende Gesetz, dem Streben nach absoluter Selbstständigkeit, verhindert werden. Denn in dieser Reflexion würde erkannt werden, so kann diese Annahme erläutert werden, dass das Streben, sich von allen Bestimmungen unabhängig zu machen, allein in der reinen Selbstbestimmung, die per definitionem nur die sittliche Vernunftbestimmung sein kann, realisiert wird.
Vgl. FGA I,, S. : „Wir täuschen uns dann selbst über das, was unsere Pflicht ist, und handeln, wie man gewöhnlich sagt, aus einem irrenden Gewissen. Aber dieser Irrthum ist und bleibt unsere Schuld. Hätten wir unsere Einsicht in die Pflicht, die schon da war, fest gehalten, (und das hängt lediglich ab von unserer Freiheit,) so hätten wir nicht geirrt.“ Vgl. FGA I,, S. : „Nemlich, nur durch einen Akt der absoluten Spontaneität entsteht jenes Bewußtseyn; und nur durch Fortsetzung jenes Akts der Freiheit bleibt es; hört man auf zu reflectiren, so verschwindet es.“
2.2 Die Abgrenzung vom Identitätssystem und vom fichteschen Frühidealismus
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Mit dieser Betonung der Macht der Reflexion wird es für Fichtes Theorie des Bösen notwendig, das Zurückbleiben hinter dem Möglichen eigens zu begründen, denn die Fragen werden problematisch, warum die Vernunft in ihrer Tendenz zur Freiheit sich nicht jederzeit durchsetzt und warum das Ich, das nach der Grundlage der Wissenschaftslehre doch dem „Gesetze des Ich [unterworfen ist], über sich selbst zu reflektiren“ (FGA I,2, S. 408), nun aufhört zu reflektieren. Die Antwort Fichtes ist konsequent: Es muss ein Hemmendes – verkörpert in dem falschen „Beispiel seines Zeitalters“ und der „verderbliche[n] Philosophie“⁷⁸ – geben, das diesem Streben entgegensteht. Als Grund für diese Vorherrschaft des falschen Bewusstseins gibt Fichte die „Trägheit zur Reflexion“ an, welche verhindere, dass der Mensch „der Freiheit in der Wahl seiner Handlungen sich bewußt werde“. Diese Trägheit, durch Gewohnheit verstärkt, so betont er, sei „das wahre, angebohrne, in der menschlichen Natur selbst liegende radicale Uebel“ (FGA I,5, S. 185), das zuletzt auf die Beharrungskraft unserer „Natur“ zurückzuführen sei (vgl. FGA I,5, S. 183). Wenn Fichte daher schreibt, dass es im Bösen „gerade seine [des Menschen] Freiheit selbst [sei], welche gefesselt ist“ (FGA I,5, S. 184), verweist das nicht auf eine Selbstverstrickung der Freiheit, wie Schelling sie in der Freiheitsschrift exponiert, sondern auf die Trägheit, welche die Tatkraft der Freiheit hemmt. Die Freiheit fesselt sich bei Fichte im Bösen also keineswegs selbst, vielmehr hindert das Andere der Freiheit die Freiheit – und in der Freiheit selbst bleibt die Tendenz zur Verwirklichung der Sittlichkeit als Gesetz verbürgt (vgl. FGA I,5, S. 184). Obwohl der „Nichtgebrauch der Freiheit […] die Freiheit voraus[setzt]“ (Pedro 2006, S. 177) und damit die Zurechenbarkeit des Nichtgebrauchs abgesichert ist, bleibt zu beachten, dass das Böse bei Fichte gerade nicht als Freiheitsvollzug, sondern als Verhinderung der Verwirklichung der Freiheit gedacht wird.⁷⁹ Mit dieser Konzeption des Bösen, welche in der Trägheit der Reflexion ihre Begründung findet, wird letztlich die systematische Frage nach der Herkunft des Bösen verschoben, denn wie unsere Natur – als das Andere der Freiheit – mit der Vernunft und mit der Freiheit zusammen gedacht werden kann, bleibt unbeantwortet. Die Rückführung des Bösen auf die durch die Natur des Menschen er-
Vgl. FGA I,, S. : „Bleibt aber der Mensch sich selbst überlassen, und wird weder durch das Beispiel seines Zeitalters, noch durch eine verderbliche Philosophie gefesselt; so ist zu erwarten, daß er des in ihm immer fortdauernden und regen Triebes nach absoluter Selbstständigkeit sich werde bewußt werden. Er erhebt sich dann zu einer ganz andern Freiheit […].“ Diesen Unterschied verkennt Pedro, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die „Kritik von Schelling an Fichte auf einem Interpretationsproblem der Sittenlehre“ beruhen müsse, weil dieser „die Freiheit eindeutig als Grund des Bösen“ (Pedro , S. ) ausweise.
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2 Kontext
möglichte Trägheit der Reflexion mündet damit zuletzt in einen Dualismus von Reflexions-Freiheit und Natur.
3 Das Böse als Freiheitsvollzug Die reine Reflexion zieht keinen Mythos in Betracht, kein Symbol; insofern steht sie kurzerhand im Dienst der Rationalität; aber ihr ist das Verständnis des Bösen verschlossen; die Reflexion ist rein, aber sie läßt die tägliche Wirklichkeit unbeachtet, wie sehr auch der Alltag des Menschen ‚Knechtschaft der Leidenschaften‘ ist. (Ricœur 1988, S. 395)
3.1 Die derivierte Absolutheit menschlicher Freiheit In den Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit setzt Schelling mit dem „Punkt der tiefsten Schwierigkeit“ (SW VII, S. 352) bezüglich der menschlichen Freiheit ein, nämlich ihrem „Begriff“ als „Vermögen des Guten und des Bösen“. Die Freiheit als Vermögen des Guten und Bösen stellt damit nicht das Ergebnis der Untersuchung über das Wesen der menschlichen Freiheit dar, sondern ihren Ausgangspunkt. Dass Schelling seine Abhandlung mit dieser Feststellung eröffnet, wird zumeist über die Verortung der Fragestellung der Schrift in der Theodizeeproblematik der Neuzeit begründet: Die Erklärung der Herkunft des Bösen über die Freiheit des Menschen kann dabei der Rechtfertigungsstrategie zugeordnet werden, dass der Mensch zur Entlastung Gottes belastet wird (vgl. Marquard 1981, S. 48 f.). Auch wenn nicht bestritten werden kann, dass Schelling in der Freiheitsschrift die Frage stellt, „wie verhält sich Gott als sittliches Wesen zu dem Bösen“ (SW VII, S. 394), so bildet diese Problematik doch nicht die Kernfrage der schellingschen Philosophischen Untersuchungen. Das Böse zeigt zunächst nicht die Problematik der Rechtfertigung Gottes an, sondern die Schwierigkeit, die menschliche Freiheit adäquat und systematisch zu denken. So steht nicht die Frage am Anfang, wie das Böse wirklich sein kann, wenn Gott ist, sondern die spezifisch idealistische Problematik, wie das System der Freiheit zusammen gedacht werden kann mit der menschlichen Freiheit, die das Böse realisieren kann:¹ Wenn das Böse nicht geleugnet werden soll, so muss der menschlichen Freiheit, dies ist der Grundgedanke Schellings, eine Selbstständigkeit gegenüber dem Absoluten zukommen – und seine Freiheit muss daher eine „unabhängige Wurzel“ (SW VII, S. 354) vom
Vgl. SW VII, S. : „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit können theils den richtigen Begriff derselben angehen; […] theils können sie den Zusammenhang dieses Begriffs mit dem Ganzen einer wissenschaftlichen Weltansicht betreffen. Da jedoch kein Begriff einzeln bestimmt werden kann […] so fallen jene beiden Seiten der Untersuchung hier, wie überall, in eins zusammen.“
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
Göttlichen haben.² Menschliche Freiheit, die das Vermögen zum Bösen beinhaltet, kann darum nur gedacht werden, wenn die Identifizierung von Freiheit und Ordnungsgarant des Systems aufgebrochen wird. Aus diesem Ansatzpunkt resultiert die zentrale Fragestellung der Freiheitsschrift: Wie lässt sich die Freiheit des Menschen zugleich in ihrer Eigenständigkeit gegenüber dem Absoluten und in systematischer Einheit mit diesem denken? Dass diese Frage die Theodizeeproblematik noch hintergeht, wird in folgendem Zitat Schellings deutlich, das sich in den Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie aus dem Jahr 1827 im Zusammenhang mit Leibniz’ Theodicée findet. Hier heißt es: Aber schon die Stellung,welche der Frage über den Ursprung des Bösen und des Uebels in der Welt gegeben ist – es wird nämlich eine Rechtfertigung Gottes in dieser Beziehung gefordert – diese Stellung schon setzt ein freies Verhältniß Gottes zu der Welt voraus. Denn wenn die Welt eine bloße nothwendige Folge der göttlichen Natur ist, so kann in den Dingen und in der Welt wahrhaft betrachtet, d. h. nach der Art und Weise, wie sie aus der göttlichen Natur folgen, weder wahrhaft ein Uebel noch wahrhaft etwas Böses seyn. (SW X, S. 55)
Der Gedanken, den Schelling hier formuliert, bildet den Grundvorwurf, der bereits im sogenannten Pantheismusstreit gegen den Spinozismus erhoben wurde (vgl. JW I,1, S. 20 – 22): Der Determinismus, konsequent zu Ende gedacht, werde Fatalismus. Das wahrhaft Böse könne in ihm nicht gedacht werden, da es systematisch immer schon gerechtfertigt, überwunden und relativiert sei. Schelling reformuliert diesen Vorwurf, den Friedrich Schlegel 1808 gegen Schellings eigenes Identitätssystem erhoben hatte. Dieses, so Schlegel, könne die menschliche Freiheit nicht in ihrer Eigenständigkeit denken und hebe deshalb den Unterschied von Gut und Böse auf (vgl. Schlegel 1808, S. 140). Schelling intendiert mit der Freiheitsschrift, sein Identitätssystem gegen diesen Vorwurf zu verteidigen, indem er aufzuzeigen versucht, wie mit dem identitätsphilosophischen System das Böse dennoch gedacht werden kann (vgl. SW VII, S. 343). So nutzt Schelling einen Großteil der Einleitung dazu, Schlegels Gedanken zurückzuweisen, der Pantheismus könne keine Individualität denken, indem er darlegt, wie das zwar für den Spinozismus, nicht aber für das System gelte, welches vom Wollen ausgehe (vgl. SW VII, S. 338 – 350). Wie Schlegel im Jahr 1808 ausführt, ist mit dem Versuch, das Böse zu denken, das systematische Dilemma gegeben, entweder das System in seiner Einheit zu gefährden oder das Böse zu depotenzieren. Diese Schwierigkeit, so betont
Vgl. zum Verhältnis von System und Freiheit in der Freiheitsschrift auch Heidegger , S. – .
3.1 Die derivierte Absolutheit menschlicher Freiheit
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Schlegel in seiner Studie Ueber die Sprache und Weisheit der Indier, finde sich nicht nur in der Philosophie, die „in der europaeischen Philosophie Idealismus genannt“ werde, sondern zeige sich auch in der indischen Weisheitslehre. Die zwei möglichen Auswege stellt Schlegel wie folgt dar: [W]ird nehmlich das boese Princip gesetzt als ein solches, das ewig von dem guten und goettlichen getrennt bliebe, so wird noch ausserhalb der Gottheit eine andre ihr wo nicht gleiche, doch nicht mit ihr uebereinstimmende, von ihr unabhaengige Kraft und Welt gesetzt, und so alle Einheit zerrissen; wird aber, wie meist geschieht, angenommen, daß in der letzten Entwicklung das boese Princip ueberwunden und veraendert […] werde, so wird im Grunde der Zwiespalt aufgeloest; alles verschmilzt pantheistisch in Ein Wesen, und der ewige Unterschied des Guten und Bösen verschwindet. (Schlegel 1808, S. 126)
Schlegel ist der Meinung, dass das schellingsche Identitätssystem der zweiten Lösungsstrategie zuzuordnen ist, die er mit dem Schlagwort des Pantheismus kennzeichnet. Die Freiheitsschrift wird in der Forschung gemeinhin dem ersten Lösungsversuch zugeordnet, indem aufgezeigt wird, dass ihr Systemkonzept scheitere, weil die Einheit des Systems aufgrund der gedachten Eigenständigkeit des irrationalen Prinzips zur Aufwertung des Bösen zuletzt zerrissen werde. Dass es Schelling in seiner Konzeption des Bösen in den Philosophischen Untersuchungen im Wesentlichen um den Freiheitsbegriff geht, lässt sich aber nicht nur aus der Kritik am Identitätssystem herleiten, sondern zeigt sich auch in der Struktur der Schrift selbst: Der Erörterung des Bösen geht die Frage nach dem wahren Freiheitsbegriff voraus (vgl. SW VII, S. 336) und Schelling führt die unzureichenden Begriffe des Bösen auf verfehlte Freiheitskonzeptionen zurück. So zielt die Auseinandersetzung mit dem Bösen als Vermögen der menschlichen Freiheit im Ganzen auf die Infragestellung der bestehenden idealistischen Freiheitskonzeptionen (vgl. SW VII, S. 354 f.). Schelling exponiert die philosophische Verharmlosung des Bösen generell als natürliche Folge eines falschen Freiheitsverständnisses – und insbesondere in Blick auf Fichtes Gedanken der Trägheit –, wenn er schreibt: Jenen zufolge liegt der einzige Grund des Bösen in der Sinnlichkeit, oder in der Animalität, oder dem irdischen Princip, indem sie dem Himmel nicht, wie sich gebührte, die Hölle, sondern die Erde entgegensetzen. Diese Vorstellung ist eine natürliche Folge der Lehre, nach welcher die Freiheit in der bloßen Herrschaft des intelligenten Princips über die sinnlichen Begierden und Neigungen besteht, und das Gute aus reiner Vernunft kommt, wonach es begreiflicherweise für das Böse keine Freiheit gibt (indem hier die sinnlichen Neigungen vorherrschen); richtiger zu reden aber das Böse völlig aufgehoben wird. (SW VII, S. 371 [Hervorhebungen L.E.])
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
Die Engführung der Freiheit mit der Vernunft und dem Guten, so macht Schelling hier deutlich, führt zu einer Konzeption, welche die Freiheit nicht als das Vermögen zum Bösen begreifen kann, da das Böse nur als das Un- oder Widervernünftige und damit zugleich als das Unfreie gedacht werden kann: Das Böse als das Andere der Vernunft wird damit laut Definitionsbedingung nicht mehr auf Freiheit zurückführbar, weil die Freiheit selbst als Vernunftbestimmung gedacht wird. Schelling kehrt bei dieser Kritik gewissermaßen Schlegels Argumentation um, dass ein pantheistisches System alle Individualität leugne und deshalb auch den Unterschied von Gut und Böse aufhebe, indem er den Begriff des Bösen zum Indiz der Tauglichkeit des Freiheitsbegriffs macht. Das Unvermögen das Böse zureichend zu denken, nutzt Schelling in der Freiheitsschrift somit als Kriterium der Unzulässigkeit eines Freiheitsbegriffs und kritisiert mit dem Argument, dass das Böse nicht hinreichend gedacht werden könne, zugleich die auf diesem Freiheitsverständnis aufbauenden Systeme. Das Böse wird damit zum Prüfstein des Systems der Freiheit. Auch wenn diese Kritik Schellings vorderhand Fichtes System der Freiheit betrifft, wird mit der Konzeption des Bösen in der Freiheitsschrift in erster Linie ein zentrales Problem des Identitätssystems verhandelt, nämlich wie das Vernunftsystem zusammen gedacht werden kann mit der menschlichen Freiheit, die das Vermögen zum Bösen impliziert. Die Konzeption des Bösen wird dabei auf der sprachlichen Oberfläche als Verteidigung des Identitätssystems gegen Schlegels Behauptung, im Identitätssystem könne keine Individualität gedacht werden, dargestellt, führt aber unausgesprochen zu einer grundlegenden Neuausrichtung des Identitätssystems selbst, die einer Verabschiedung desselben gleichkommt. Es kann in Anbetracht der systematischen Frage nach der Vereinbarkeit von menschlicher Freiheit und absoluter Vernunft nicht verwundern, dass Schelling sich für die Konzeption des Bösen in der Freiheitsschrift intensiv mit Kants Religionsschrift auseinandersetzt;³ findet er hier doch einen Begriff des Bösen vor, mit dem das Böse explizit als Vollzugsform der menschlichen Freiheit gedacht wird.⁴ Schelling knüpft an Kants Grundverständnis in der Religionsschrift an, in der das Böse nicht als Mangel an Freiheit, sondern als Freiheitsvollzug, als intelligible Tat, verstanden wird. Seine Auseinandersetzung mit diesem Begriff ist daher ein we-
Schelling verweist auf Kants Aufsatz Ueber das radikale Böse in der menschlichen Natur, der im Frühjahr in der Berlinischen Monatsschrift erschienen ist und auch den . Teil der erschienen Religionsschrift bildet, bereits in seiner Magister-Dissertation De prima malorum im Jahr (vgl. AA I,, S. /S. , Anm. A u. S. /S. , Anm. A / SW I, S. u. S. ). Vgl. ferner zur Sünde als Vollzugsform der Freiheit in der Theologie Rahners und Tillichs Sievernich , S. – u. S. – .
3.1 Die derivierte Absolutheit menschlicher Freiheit
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sentliches Element der Klärung der Konzeption des Bösen in den Philosophischen Untersuchungen. Aber Schelling übernimmt die intelligible Tat von Kant nicht einfach, sondern transformiert sie, wie gezeigt wird, in zwei Hinsichten: Er betont gegen Kant einerseits die übermoralische Dignität und andererseits die verhängnishafte Dimension des Bösen als Freiheitsvollzug. Tragik und Sünde menschlicher Freiheit stehen paradigmatisch für diese Transformation.⁵ Indem Schelling den theologischen Begriff der Sünde innerhalb der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Bösen verwendet und das Verhängnis als Kategorie seiner ästhetischen Auseinandersetzung mit der Tragödie in das Schuldigwerden einschreibt, entwirft Schelling ausgehend von Kants moralischem Begriff des Bösen eine systematisch-metaphysische Konzeption des Bösen, die auf den Begriff menschlicher Freiheit als „derivierter Absolutheit“ hinführt, womit das Zugleich von Selbstanfänglichkeit und Eingebundenheit der menschlichen Freiheit in eine höhere Ordnung gedacht wird.
3.1.1 Die Absolutheit. Das Böse als Sünde Bereits in seiner Magister-Dissertation De prima malorum im Jahr 1792 interpretiert Schelling die Erbsünde „kritisch“ und erhebt damit den Anspruch, ihre „Wahrheit […] philosophisch aufzuzeigen“ (AA I,1, S. 64/S. 107 / SW I, S. 4). Er versteht Genesis 3 nicht als „Erzählung eines wirklichen Ereignisses“, sondern als „Mythos“, dessen „mythische Bilder und Hieroglyphen […] von dem Sinn, den sie in sich bergen, genau zu unterscheiden sind“ (AA I,1, S. 76/S. 120 / SW I, S. 15). Diesen Sinn findet er in der Erzählung des Ursprungs des Bösen in Form einer mythischen Ausdeutung der „Grenzenlosigkeit“ (AA I,1, S. 82/S. 127 / SW I, S. 21) der menschlichen Natur. Auch in der Schrift Philosophie und Religion, also im Jahr 1804, ist die Sünde in der philosophischen Erörterung, nämlich als Grund der Differenz des Endlichen vom Absoluten, und somit als Ausdeutung der Ursache der Trennung der endlichen Welt vom Absoluten, als Abfall anwesend (vgl. SW VI, S. 40). Die Sünde im Sinne einer Erbsünde wird also nicht exklusiv in der Freiheitsschrift verhandelt und kennzeichnet auch nicht einen feststehenden Begriff,
Sünde und Tragik werden hier also nicht als Anzeichen einer christlichen oder ästhetischen Wende Schellings gelesen, sondern als die zwei Motive, mit denen Schelling den kantischen Begriff des moralischen Bösen innerhalb des Funktionszusammenhangs der Erneuerung des Systems der Freiheit und in Abgrenzung vom fichteschen Freiheitsverständnis in einen übermoralischen Begriff transformiert. Vgl. Höffe , S. – .
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
sondern kann als Motiv in Schellings Philosophie angesehen werden, das von der Frühphilosophie bis zur Philosophie der Offenbarung unterschiedliche Ausdeutungen erfährt. Ähnliches gilt für die Tragik, welche als Motiv in unterschiedlichen systematischen Konstellationen ausformuliert wird und funktional eingebunden ist, worauf an späterer Stelle eigens eingegangen wird. Es lässt sich daher nur schwer davon sprechen, dass hier eine theologische und ästhetische „Vorstellungssubstanz“⁶ in die Philosophie übertragen wird, vielmehr wird eine Art Deutungsmuster wirksam, das in den jeweiligen Systemkonstellationen unterschiedlich ausgelegt wird. Auch in der Freiheitsschrift, so soll hier gezeigt werden, übernimmt Schelling mit dem theologischen Begriff der Erbsünde nicht einen dogmatischen Begriff, den er gleichsam von außen an die Philosophie heranträgt. Umso entscheidender wird darum die Frage, welche Funktion die Rede von dem Bösen als Sünde hier im Bereich der Philosophie hat. Schelling, so wird im Folgenden behauptet, ruft die Tradition der theologischen Verhandlung des Bösen bewusst auf, um im Anschluss an Kants restriktive Betrachtung des Bösen innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft die meta-moralische Dimension des Bösen für die Philosophie wiederzugewinnen, die in der rein moralischen Konzeption des Bösen bei Kant unverhandelt bleibt (vgl. Rieger 2007, S. 89), für seine systematische Fragestellung aber unabdingbar ist. Mit der Deutung des Bösen als Sünde wird in der Freiheitsschrift also keineswegs eine dogmatische Erklärung des Bösen geliefert, sondern die Tradition der theologischen Auseinandersetzung mit dem Bösen im Ausgang von Genesis 3 zur Erweiterung des rein moralischen Verständnisses des Bösen bei Kant verhandelt.⁷ Die Sünde hat damit in Schellings Philosophischen Untersuchungen in erster Linie die Funktion der Verabschiedung der bloß moralischen Betrachtung des Bösen als Freiheitsvollzug: Die zwar nicht von Kant selbst, aber in der Kantforschung vieldiskutierte Frage (vgl. Prauss 1983, S. 83 – 115; Bojanowski 2007, S. 207– 228; Ludwig 2010, S. 595 – 628), welche Konsequenz das Böse als Freiheitsvollzug für den Begriff der menschlichen Freiheit und seine Einbindung im System der Freiheit hat, wird dabei für Schelling entscheidend. Der Darstellung der schellingschen Transformation des Bösen als Freiheitsvollzug in eine übermoralische Kategorie ist das erste Unterkapitel gewidmet. In einem zweiten Schritt soll der schellingsche Begriff des Bösen als sündigender Freiheitsvollzug seinem Gehalt nach erläutert werden. Dabei wird unter Bezug auf
Ein Ausdruck, der von Blumenberg übernommen wurde und auch von diesem zurückgewiesen wird (vgl. Blumenberg , S. ). Vgl. allgemein zum kritischen Potential der Erbsündenlehre Ricœur , S. .
3.1 Die derivierte Absolutheit menschlicher Freiheit
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den schellingschen Gedanken der Krankheit als Analogie des Bösen die Frage beantwortet, was im Missbrauch der Freiheit vollzogen wird. Die Frage nach Funktion und Bestimmung der Sünde in der Freiheitsschrift führt aber noch zu einem weiteren Aspekt: Die Funktion der Sünde in der Freiheitsschrift geht nicht in der Intention auf, den Gedanken des Bösen als Freiheitsvollzug mit dem System zu verbinden. Dem Sprechen von der Sünde ist hier vielmehr auch eine polemische Dimension nicht abzusprechen, die sich insbesondere in der Verwendung als Kritik an Fichtes Freiheitskonzeption zeigt. Wie in der Schrift Philosophie und Religion wendet Schelling sich mit dem Sündenbegriff, wie gezeigt werden soll, auch in den Philosophischen Untersuchungen gegen Fichte und präsentiert diesen als Inbegriff eines Zeitalters, das den „Philanthropismus bis zur Leugnung des Bösen“ (SW VII, S. 371) treibe. Die mit dem Sündenkonzept verwobene Fichtekritik soll aufgrund dieser Bedeutung im dritten Unterkapitel im Mittelpunkt stehen.
Die intelligible Tat Schelling geht in den Philosophischen Untersuchungen von dem Gedanken aus, dass das Böse im „Mißbrauch der Freiheit“ besteht und daher als Freiheitsvollzug zu begreifen ist. Indem er wie Kant diese Hinwendung zum Bösen als unzeitliche und unhintergehbare, angeborene Tat denkt, schließt er strukturell an die kantische Konzeption des Bösen als intelligible Tat an (vgl. Hühn 1998a, S. 55 – 69; Baumgarten 2000, S. 447– 459; Rieger 2007, S. 65 – 96), die alle empirischen Akte fundiert, und damit an den Gedanken eines radikalen Bösen, bei welchem die Herkunft des Bösen mit der Wurzel der Freiheit verbunden ist.⁸ Das Böse, darin ist sich Schelling mit Kant einig, ist weder Substanz noch bloße Handlung, sondern faktische Freiheits-Tat (vgl. Dalferth 2000, S. 128), mithin selbstanfänglicher Willensakt. Wie Kant in der Religionsschrift denkt auch Schelling in der Freiheitsschrift das Böse mit der intelligiblen Tat in seiner Positivität, nämlich nicht als Mangel oder Privation. Die differente funktionale Einbettung der Konzeption des Bösen bei Schelling und Kant deutet jedoch darauf hin, dass mit der intelligiblen Tat zwei unterschiedliche Fragen beantwortet werden sollen: So steht bei Kant die Frage im Mittelpunkt, inwiefern die Wirklichkeit des Bösen die Moralität des Menschen korrumpieren kann; bei Schelling dagegen die Frage, wie individuelle Freiheit und Vernunftsystem zusammen gedacht werden können, wenn das Böse als Frei-
Vgl. KA VI, S. : „Dieses Böse ist radical, weil es den Grund aller Maximen verdirbt; zugleich auch als natürlicher Hang durch menschliche Kräfte nicht zu vertilgen [ist]“.
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
heitsvollzug deutlich macht, dass die menschliche Freiheit als eine Freiheit gedacht werden muss, die unabhängig vom Ordnungsgaranten ist. Wesentlich für die kantische Konzeption des Bösen als Freiheitsvollzug ist die Verortung derselben im Verhältnis zur Moralphilosophie. Kant betont, dass die Frage nach dem Bösen, gleichwohl sie nicht die Grundlage (vgl. KA VI, S. 3) der Moral bilde, dennoch „aus der Moral […] hervor“ gehe, weil die Vernunft ein Interesse daran habe, zu wissen „was dann aus diesem unserm Rechthandeln herauskomme“ (KA VI, S. 5). Die Frage nach der „Quelle des Bösen“ (KA VI, S. 43), die Kant, wie der Titel der Schrift deutlich macht, als religiöse Frage versteht, wird also aus der Perspektive des Interesses der Moralphilosophie an der Deutung des Bösen gestellt, nämlich vor dem Hintergrund der Frage, was wir hoffen können, wenn wir sittlich handeln, und damit in „moralisch=praktischer Absicht“ (KA VI, S. 12). Der theologische Begriff der Erbsünde im Anschluss an Genesis 3, welcher die Frage nach der „Quelle des Bösen“ (KA VI, S. 43) verhandelt, wird darum in der Religionsschrift vor dem Hintergrund des Interesses der Moral philosophisch gedeutet und d. h. hier freiheitstheoretisch interpretiert, nämlich als freier Akt der Verkehrung der Triebpotentiale der Willkür.⁹ Damit wird deutlich, dass die intelligible Tat bei Kant nicht im eigentlichen Sinne als Erklärung zu verstehen ist, sondern als Bestandteil eines „moralischen Glaubens“ (KA VI, S. 110), der anders als die theologia revelata, die auf Offenbarung beruht, auf den Grundsätzen der praktischen Vernunft basiert. Dieserart kann die intelligible Tat als Reformulierung der Erbsündenlehre innerhalb der theologia rationalis verstanden werden, welche die von Kant abgesteckten Grenzen der Vernunft nicht überschreitet (vgl. KA III, S. 420 / KrV, B 659), und d. h. nicht als Begriff der theoretischen Erkenntnis, sondern eines auf die Postulate der Moralphilosophie aufbauenden Glaubens. Schelling übernimmt von Kant den Begriff der intelligiblen Tat als freiheitstheoretische Formulierung der Erbsündenlehre, die eine Prädetermination als unhintergehbare Bindung des Bösen an den Charakter einschließt,¹⁰ welche unter Wahrung des Gedankens der Selbstanfänglichkeit von Kant und Schelling nicht
Vgl. KAVI, S. : „Folglich ist der Mensch (auch der Beste) nur dadurch böse, daß er die sittliche Ordnung der Triebfedern in der Aufnehmung derselben in seine Maximen umkehrt“, sodass er „die Triebfeder der Selbstliebe und ihre Neigungen zur Bedingung der Befolgung des moralischen Gesetzes macht“. Ricœur arbeitet für das rationale Symbol der Ursünde heraus, dass das Böse als „Verirrung des Seins“ gedacht werde, d. h. als „ein Seinsmodus, dessen Wurzeln tiefer reichen als jeder einzelne Akt“ (Ricœur , S. ), weshalb das verstockte Herz biblisch z.T. auch mit der Maserung des Tierfells verglichen werde (Jer ,) und damit auf einen Grundakt hinweist, der in einer Einheit von Tat und Sein bestehe.
3.1 Die derivierte Absolutheit menschlicher Freiheit
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als schicksalhaftes Verfügtsein, sondern als unzeitlicher Akt der Selbstverfügung gedacht wird – und er entwickelt davon ausgehend eine eigenständige Theorie des Bösen, indem er die Tradition der theologischen Auseinandersetzung mit Genesis 3 bewusst aufnimmt und erneuert. Dies zeigt sich zunächst daran, dass Schelling, anders als Kant, den theologischen Begriff der Sünde nicht vollständig durch den philosophischen Begriff der intelligiblen Tat ersetzt,¹¹ sondern im Zusammenhang mit der Verhandlung des Bösen explizit von Sünde spricht.¹² Darüber hinausgehend ruft er Aspekte der Semantik der theologischen Deutung des Bösen als Erbsünde auf, und transformiert, von dieser ausgehend, den kantischen moralischen Begriff des Bösen. Insbesondere zwei grundlegende Modifikationen der kantischen Konzeption der intelligiblen Tat durch Schelling lassen sich dabei nachweisen, die im Folgenden verhandelt werden sollen: Zum einen bettet Schelling die unzeitliche Tat in einen funktional anderen Kontext, sodass die intelligible Tat nun nicht mehr als Deutung des Bösen im Interesse der Moralphilosophie verhandelt wird und zur Problematik der Absicherung der praktischen Freiheit durch den Nachweis der Zurechenbarkeit des Bösen führt (vgl. Bojanowski 2007, S. 207– 228), sondern zur Verhandlung des Bösen innerhalb einer Systematik der Freiheit, mithin der Metaphysik und die kritische Frage der Identitätsphilosophie beantwortet, wie die Freiheit des Menschen die Freiheit gegen Gott beinhalten kann. Zum anderen vollzieht Schelling eine Ausweitung der intelligiblen Tat zu einer übermoralischen Kategorie, die sich insbesondere in der Beantwortung der Frage nach der Zuschreibbarkeit von Schuld darstellt. Die Bestimmung des Bösen als Sünde wird von Schelling in der Freiheitsschrift darüber gerechtfertigt, dass es mit „Schrecken und Horror“ erfüllt und nicht, „wie
Kant spricht in der Religionsschrift nur insofern von Sünde, als er seine philosophische „Vorstellungsart“ des Ursprungs des Bösen mit der der „Schrift“ vergleicht (vgl. KA VI, S. f.). In den Philosophischen Untersuchungen wird an elf Stellen explizit von Sünde gesprochen, dabei zum überwiegenden Teil als Äquivalent des Bösen: SW VII, S. : Sünde als „Mißbrauch der Freiheit“; S. : Leibniz’ Begriff der Sünde als „Einschränkung der Creatur“; S. : „Zeitalter der Schuld und Sünde“; S. : Die „allgemeine Nothwendigkeit der Sünde und des Todes“; S. : Die „ursprüngliche Sünde“; S. : Der „Anfang der Sünde“; S. : Die „offenbare Sünde“ erfüllt mit „Schrecken und Horror“; S. : Die Sünde als „Gegensatz“ zum Offenbarwerden der „Abhängigkeit der Dinge“; S. : Das „verzehrende[n] Feuer“ im Sünder; S. : Die Sünde als „Lossagen vom Guten“; S. : Gott wirkt im „Sünder“ fort. An einer Stelle wird ein direkter Zusammenhang von Sünde und intelligibler Tat hergestellt: S. : „Dieses ursprüngliche Böse im Menschen, das nur derjenige in Abrede ziehen kann, der den Menschen in sich und außer sich nur oberflächlich kennen gelernt hat, ist, obgleich in Bezug auf das jetzige empirische Leben ganz von der Freiheit unabhängig, doch in seinem Ursprung eigne That, und darum allein ursprüngliche Sünde“.
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bloße Schwäche und Unvermögen[,] mit Bedauern“. Dieses Gefühl sei nur darüber zu erklären, „daß sie [die Sünde] das Wort zu brechen, den Grund der Schöpfung anzutasten und das Mysterium zu profaniren strebt.“ (SW VII, S. 391) In dieser Kennzeichnung des Bösen zeigt sich, dass Schelling mit dem als Sünde angesprochenen Bösen das moralisch qualifizierte Böse überschritten sieht, indem er es seiner Bestimmtheit nach nicht auf die Triebfedern, das Sittengesetz, oder den Mitmenschen ausrichtet, sondern im Wesentlichen auf das Verhältnis zum Absoluten. Mit der Sünde als Prädikation des Bösen wird, so wie Schelling den Ausdruck hier in Anspielung an die theologisch-biblische Deutung der Sünde einführt, nämlich als Brechen des Wortes, Antasten des Grundes der Schöpfung und Profanisierung des Heiligen, zunächst also angezeigt, dass es sich bei dem Nicht-Seinsollenden nicht um eine moralische Verfehlung handelt, nicht um Übertretung eines Gesetzes, sondern um eine Verletzung der Beziehung zum Göttlichen und seiner Ordnung.¹³ Dass es sich bei dem Bösen um ein missbräuchliches Verhältnis zum Absoluten handelt, lässt Schelling auch daran deutlich werden, dass er betont, es gebe nicht nur eine Begeisterung für das Gute, sondern gerade auch eine „Begeisterung des Bösen“ (SW VII, S. 372); und wie sich hieraus, nämlich aus der anziehenden Kraft, die den Menschen „fascinirt“,¹⁴ „Schrecken“ und „Horror“ ergibt.¹⁵ Das Böse gewinnt seine Kraft damit nach Schelling aus einer Quelle, die in der platonischen und christlichen Tradition Anzeichen der Anwesenheit des Göttlichen im Menschen ist: die Begeisterung (vgl. PW, Phai 249d). Das Böse ist so von vorne herein ausgezeichnet, mehr zu sein als moralische Verfehlung oder Einschränkung des Guten, nämlich Perversion einer heiligen Kraft – des Geistes (vgl. Schulz 1964, S. 7) –, deren Funktionalisierung, Instrumentalisierung und Verkehrung. Dass dieser Missbrauch des Höchsten selbst vor einer Instrumentalisierung der „moralischen Kräfte“ nicht haltmacht, ja mit der „höchsten Energie und Vortrefflichkeit“ (SW X, S. 57) einhergehen kann, zeichnet die Konzeption des Bösen aus, wie sie Schelling im Jahr 1827, den Ansatz der Freiheitsschrift weiterführend, exponiert. Hier heißt es:
Vgl. Ricœur , S. : „[S]o ist die Sünde eine religiöse Größe, bevor sie ethisch ist: sie ist nicht die Übertretung einer abstrakten Regel – eines Wertes –, sondern die Verletzung einer personalen Bindung“. Vgl. SW VII, S. : „Wir haben gesehen, wie durch falsche Einbildung und nach dem Nichtseyenden sich richtende Erkenntniß der Geist des Menschen dem Geist der Lüge und Falschheit sich öffnet, und bald von ihm fascinirt der anfänglichen Freiheit verlustig wird.“ Das Böse kann aus diesem Grund als etwas Monströses bezeichnet werden, das sich nach Schellings Initia Philosophiae Universae dadurch auszeichnet, dass es ein „Gemisch von Wahrem und Falschem“ (Schelling , S. f.) ist.
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Leibnizens Erklärung möchte etwa das bloß niederträchtige oder gemein Böse erklären, nicht aber das Böse in seinen großen Erscheinungen, wie es sich in der Weltgeschichte vereint mit der höchsten Energie und Vortrefflichkeit – nicht bloß der geistigen, sondern selbst der moralischen Kräfte sich zeigt. (SW X, S. 57)
Die Betonung von „Energie und Vortrefflichkeit“ ist wie die „Begeisterung“ in der Freiheitsschrift gegen das sich von Leibniz herleitende depotenzierende Verständnis des Bösen gerichtet. In diese Tradition, welche die Kategorie der Limitation zur Erläuterung des Bösen verwendet, kann Schelling auch Fichtes Konzeption des Bösen als Trägheit einordnen, und Kants Verständnis des Bösen als schlechte Gesinnung, mithin als innerpersonale Verkehrung der Triebfedern.¹⁶ Denn auch die heteronome Triebfeder geht zurück auf die „Schwäche oder Nichtwirksamkeit des verständigen Princips“ (SW VII, S. 371). Sie ist die unzureichende Verwirklichung der reinen praktischen Vernunft. Jede Beantwortung der klassischen Frage nach der Herkunft des Bösen über Schwäche, Endlichkeit,¹⁷ Sinnlichkeit, Nichtwirksamkeit, „Mangel oder Beraubung“ (SW X, S. 57) können nach Schelling „das Böse in seinen großen Erscheinungen“ – und damit meint er das überindividuelle Böse, „das Böse in großen Massen“, den Krieg, die „Armuth“¹⁸ – nicht erklären, weil sie das Anziehende des Bösen nicht denken können und zeigen sich damit letztlich als Konzeptionen, die das Böse im Verhältnis zum Guten denken, wie die Erde zum Himmel, – statt wie die Hölle zum Himmel (vgl. SW VII, S. 371): Das Böse sei in diesen Konzeptionen von etwas bestimmt, das eine Limitation des Seinsollenden darstellt, die „christliche[n] Ansicht“ aber betrachte den Teufel, die Personifikation des Bösen zu Recht nicht als „limitirteste Creatur, sondern vielmehr [als] die illimitirteste“ (SW VII, S. 368), betont Schelling. Eben diesen Gedanken nimmt er in den Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie wieder auf, wenn er sagt:
Vgl. KA VI, S. : „Sie kann auch die Verkehrtheit (perversitas) des menschlichen Herzens heißen, weil sie die sittliche Ordnung in Ansehung der Triebfedern einer freien Willkür umkehrt, und obzwar damit noch immer gesetzlich gute (legale) Handlungen bestehen können, so wird doch die Denkungsart dadurch in ihrer Wurzel (was die moralische Gesinnung betrifft) verderbt und der Mensch darum als böse bezeichnet.“ Vgl. SW VII, S. : „Wir leugnen nicht, daß auf diese Art [über die ‚Trägheit‘] die metaphysische Endlichkeit sich begreiflich machen lasse; aber wir leugnen, daß die Endlichkeit für sich selbst das Böse sey.“ Vgl. SW VII, S. Anm.: „Das Böse kommt nicht aus der Endlichkeit an sich, sondern aus der zum Selbstseyn erhobenen Endlichkeit.“ Vgl. SW VII, S. : „Rechnen wir nun noch dazu, wie viel Laster der Staat erst entwickelt – Armuth – das Böse in großen Massen –, so ist das Bild der ganz zum Physischen, ja sogar zum Kampf um ihre Existenz herabgesunkenen Menschheit vollendet.“
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Und doch muß zum Bösen etwas mehr als bloße Limitation gehören; denn unter allen Creaturen ist gerade nur die vollkommenste, d. h. die am wenigsten limitirte, des Bösen fähig, nichts davon zu sagen, daß nach der dogmatischen Vorstellung, welche Leibniz auf jede Weise schont, der Teufel nicht die limitirteste, sondern vielmehr die illimitirteste Creatur ist. (SW X, S. 57)
Allein die am wenigsten limitierte Kreatur, die vollkommenste ist des Bösen fähig. Diese Einsicht ruft Schelling bereits 1809 auf, um das Böse als Limitation zurückzuweisen – und das Böse in der Geistigkeit des Menschen, in dem geistigen Verhältnis des Menschen zum Absoluten, zu verankern.¹⁹ Wollen wir uns diesen von Schelling hier ins Bewusstsein gerufenen Unterschied zwischen einer Konzeption, die von einem Bösen ausgeht, das Bedauern, und einem, das Schrecken und Horror erregt – und daher geistig sein muss –, veranschaulichen, so können wir in Anlehnung an Hannah Arendt sagen (vgl. Arendt 2006, S. 17– 19): Das moralische Böse erregt die Gewissheit, dass etwas nicht sein soll; das geistige Böse die Gewissheit, dass etwas nicht geschehen darf, weil hier „die Weltordnung als solche verletzt“ (Arendt 2006, S. 121) wird. In den Stuttgarter Privatvorlesungen findet sich die dazu aufschlussreiche Stelle: „Das Böse ist in gewissem Betracht das reinste Geistige, denn es führt den heftigsten Krieg gegen alles Seyn, ja es möchte den Grund der Schöpfung aufheben.“ (SW VII, S. 468) Außer den Unterschied zu veranschaulichen, lässt diese Konkretisierung auch deutlich werden, dass die Erweiterung der Problematik des Bösen über die Grenzen der Moral hinaus keineswegs notwendigerweise zu einer Eliminierung der moralischen Dimension führen muss. Auch wenn mit dem Sprechen von einem geistigen Bösen bereits gesagt ist, dass das als moralischer Begriff gedachte Böse die Tiefe der Problematik des Bösen verkennt,²⁰ bleibt grundsätzlich die Mög Der Geist als Ausgangspunkt des Bösen wird von Schellings bereits in seiner Magister-Dissertation benannt, wenn er dort sagt, es sei die menschliche Vernunft, die den Menschen über die Grenzen der „Sinneswahrnehmungen“ (AA I,, S. /S. / SW I, S. ) hinaustreibe in einen Zustand, wo er „von der Natur verlassen […] sich selbst überlassen ist“ (AA I,, S. /S. / SW I, S. ): Mit dem „allerersten Gebrauch der Vernunft“ (AA I,, S. /S. / SW I, S. ) entsteht der „persönliche Zwist, den jeder, der es gelernt hat, sich auch nur ein bißchen mit sich selbst zu befassen, angesichts dieser Mühseligkeiten des menschlichen Lebens, angesichts der zahllosen Konflikte zwischen gut und böse und angesichts der ständigen Verzahnung zwischen dem Guten und dem Bösen tief empfinden muß“ (AA I,, S. /S. / SW I, S. ). Die damit entstandene Unvereinbarkeit von sinnlichem und intelligiblem Ordnungsgefüge weist Schelling als Inzitament der geschichtlichen Entwicklung aus (vgl. AA I,, S. /S. / SW I, S. ). Kant selbst behauptet in der Religionsschrift nicht, das Böse sei über die intelligible Tat als freie Verkehrung der Triebfedern hinreichend bestimmt. So benennt er hier zwei Formen des Bösen: Er diskutiert das Böse als Verkehrung der Triebfedern, wodurch das Sittengesetz nicht aus Achtung
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lichkeit, das moralische Böse auf der Grundlage der Annahme eines übermoralischen Bösen in seiner ihm eigenen Bedeutung zu denken. Anders als einer moralischen Konzeption des Bösen eigen, zeichnet sich die Sünde nach Augustinus, Thomas von Aquin und Luther darüber aus, dass sie sich coram deo vollzieht (vgl. Rieger 2007, S. 90), nämlich als Abkehr von Gott (vgl. Brush 1997, S. 89). Da Schelling diesen Gedanken aufnimmt,²¹ geht das durch ihn über die Sünde gedachte Böse sowohl über die Handlungsebene hinaus, sodass von einem radikalen Bösen gesprochen werden kann – womit bei Luther wie Kant gleichermaßen auf das Bild angespielt ist, dass nicht nur die Früchte, sondern schon die Wurzel des Baumes faul sind –, als auch darüber, rein subjektive Verkehrung zu sein, die sich interpersonal auswirkt: Hier wird eine Verletzung der Beziehung des Geschöpfes zum Schöpfer gedacht, womit primär eine vertikale Gefährdung statuiert ist, die sekundär auf das Ganze der Schöpfung ausgreifend weiter gedacht werden kann (vgl. Rieger 2007, S. 67 f.). Obwohl Schelling mit der intelligiblen Tat einen kantischen Gedanken weiterführt, der bei diesem die Funktion erfüllt, die Quelle des Bösen im Interesse der Moralphilosophie auszudeuten, zeigt sich Schellings Ansatz gerade darin von Kant verschieden, dass er diesen nicht dazu einsetzt, die Wirkweise des moralischen Bösen zu beschreiben – und es in seiner Zurechenbarkeit abzusichern –, sondern des geistigen Bösen, das sich nicht durch das Missverhältnis der Person zu einem immanenten Ordnungsgaranten, dem Sittengesetz, auszeichnet, sondern durch das Missverhältnis zum Absoluten und, insofern dieses auch als Grund der Natur gedacht ist, zugleich potentiell zum kosmischen Ganzen – ein Aspekt der im Folgenden noch eigens zur Sprache kommen wird. Die schellingsche Transformation des von Kant übernommenen Begriffs der intelligiblen Tat in eine übermoralische Kategorie wird auch in der Frage nach der Schuld deutlich. Nach Kant sind bereits solche Handlungen unmoralisch, welche zwar pflichtgemäß sind, d. h. mit dem Sittengesetz übereinstimmen, aber nicht aus Pflicht realisiert werden, bei denen also das Sittengesetz nicht als Selbstzweck angesehen wird. Eine solche nur pflichtgemäße Handlung, hat nicht das Sittengesetz allein zur Triebfeder, sondern einen Bestimmungsgrund, der nicht vernunftbestimmt ist. Statt auf Autonomie beruht eine solche Handlung ihrer Maxime nach auf Neigung.
vor dem Gesetz verwirklicht werde und benennt außerdem das Böse, das Gesetzwidrigkeit sei. Letzteres nennt er hier das „an sich selbst böse“ und betont, es sei „schlechterdings verwerflich“ und müsse „ausgerottet werden“ (KA VI, S. ). Anders als das moralische Böse, denkt er es nicht in seiner Herkunft. Erst das aktive „Lossagen vom Guten“ ist nach Schellings Freiheitsschrift „die Sünde“ (SW VII, S. ).
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Obwohl die Triebfeder der Ausführung einer solchen Handlung heteronom ist, und damit auf den ersten Blick keine Autonomie herrscht, welche kantisch gedacht das Kriterium für Freiheit ist, kann diese Handlung nach Kant trotzdem als zurechenbar gedacht werden, weil hier zwar die Triebfeder heteronom ist, die Aufnahme der heteronomen Triebfeder in die Maxime selbst aber nicht heteronom erzwungen ist. Zurechenbar sind solche Handlungen nach Kant also deshalb,²² weil die Aufnahme einer autonomen oder heteronomen Triebfeder in die Willkür selbst „unsere eigene That“²³ ist. Mit der intelligiblen Tat erläutert Kant, wie dieses Sich-Bestimmen-Lassen, wodurch die Verderbtheit der obersten Maxime „unsere eigene That ist“, gedacht werden kann, sodass auch pflichtgemäße Handlungen zurechenbar sind, obwohl sie aus Neigung vollzogen werden. Anders formuliert wird mit der intelligiblen Tat die Annahme begründet, dass der Mensch, obgleich er über seine Neigung nicht frei verfügt, selbst bestimmen kann, ob er sich von dieser handlungsrelevant bestimmen lässt. Schelling, so kann zunächst festgehalten werden, bezieht sich in der Freiheitsschrift direkt auf diesen Gedanken, indem er vom „in=sich=handeln=Lassen des guten oder bösen Princips“ als „Folge der intelligiblen That, wodurch sein [des Menschen] Wesen und Leben bestimmt ist“ (SW VII, S. 389), spricht (vgl. Seel 2002). Wie Kant zeichnet Schelling damit eine Tiefendimension der Willensbestimmung ein, sodass das Handeln des „bösen Princips“ im Menschen durch einen Freiheitsakt fundiert ist, ohne welchen dieses Prinzip in ihm nicht handeln könnte. Kant aber geht in der Absicherung der Zurechenbarkeit böser Handlungen über den Gedanken, dass die Aufnahme der heteronomen Triebfeder in die Willkür, wodurch die „oberste Maxime verderbt“ wird, „unsere eigene That ist“, noch hinaus. Er betont nämlich, dass zur Absicherung der Zurechenbarkeit nicht nur die bösen Handlungen zurechenbar sein müssen, d. h. ihre Maxime selbstbestimmt gedacht werden muss, sondern, dass der fundierende Akt der Verkeh-
Vgl. KAVI, S. : „Zurechnung (imputatio) in moralischer Bedeutung ist das Urtheil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann That (factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen wird“. Vgl. KA VI, S. f.: „Jene ist intelligibele That, bloß durch Vernunft ohne alle Zeitbedingung erkennbar; diese sensibel, empirisch, in der Zeit gegeben (factum phaenomenon). Die erste heißt nun vornehmlich in Vergleichung mit der zweiten ein bloßer Hang und angeboren, weil er nicht ausgerottet werden kann […]; vornehmlich aber, weil wir davon, warum in uns das Böse gerade die oberste Maxime verderbt habe, obgleich dieses unsere eigene That ist, eben so wenig weiter eine Ursache angeben können, als von einer Grundeigenschaft, die zu unserer Natur gehört.“ Vgl. ferner KA VI, S. .
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rung der Hierarchie der Triebfedern, die intelligible Tat selbst als zurechenbar gedacht werden muss. Dass der Hang zum Bösen eigene Tat sei, reicht dafür nicht hin. Kant muss dazu auch noch zeigen, wie „dieser Hang nun selbst als moralisch böse“ gedacht werden kann und damit „immer selbstverschuldet“ (KA VI, S. 32) ist. Für die moralische Qualifizierung der intelligiblen Tat genügt also nicht die Zuschreibung von Urheberschaft, denn die Zuschreibung von Schuld setzt voraus, dass diese Tat zusätzlich noch frei selbst vollzogen wurde – und das heißt bei Kant unter Gesetzen (vgl. KA XIX, S. 281) stehend. Die Frage, wie diese Freiheit zu denken ist, mithin inwiefern die intelligible Tat nicht nur als eigene Tat, sondern als Tat, die aus Freiheit entspringt (vgl. KA VI, S. 38), und der Hang zum Bösen damit als „angeborne Schuld (reatus)“ (KA VI, S. 38) gedacht werden kann, führt auf einen wesentlichen Unterschied in der kantischen und schellingschen Konzeption der intelligiblen Tat – und ins Zentrum der Frage nach der menschlichen Freiheit. Zunächst scheint dabei offensichtlich, dass die intelligible Tat, obgleich sie Freiheitsvollzug sein muss, nicht autonom im Sinne der Selbstgesetzgebung der Vernunft sein kann. Diese Freiheit kann darum als Selbstursächlichkeit, nicht aber als Autonomie gedacht werden (vgl. Prauss 1983, S. 13; Bojanowski 2007, S. 207– 213). Einen Hinweis, wie die Zuschreibung von Schuld in Bezug auf die intelligible Tat gedacht werden kann, gibt Kant in der Religionsschrift, wenn er dort anführt, dass das moralisch Gute jederzeit Pflicht des Handelnden ist. Hier heißt es: Wenn aber Jemand bis zu einer unmittelbar bevorstehenden freien Handlung auch noch so böse gewesen wäre (bis zur Gewohnheit als anderer Natur): so ist es nicht allein seine Pflicht gewesen, besser zu sein; sondern es ist jetzt noch seine Pflicht, sich zu bessern: er muß es also auch können und ist, wenn er es nicht thut, der Zurechnung in dem Augenblicke der Handlung eben so fähig und unterworfen, als ob er, mit der natürlichen Anlage zum Guten (die von der Freiheit unzertrennlich ist) begabt, aus dem Stande der Unschuld zum Bösen übergeschritten wäre. (KA VI, S. 41)
Wird angenommen, dass die Schuld als Verletzung einer Pflicht gedacht wird, so setzt sie, wie die Pflicht selbst, die dann Voraussetzung der Zuschreibung von Schuld ist, die Möglichkeit voraus, anders handeln zu können. Dieses AndersKönnen ist nach Kant jederzeit dem Menschen gegeben, weil die Vernunft nicht nur als „völlig frei“ angesehen werden muss, sondern, wie über das Faktum der Vernunft in der Kritik der praktischen Vernunft gezeigt wurde, die Vernunft an sich selbst auch „vollständig“ (KA III, S. 376 / KrV, B 583) ist, und damit hinreichende Selbstbestimmung (vgl. KA V, S. 99 / KpV, A 178). Das Anders-Können ist damit nicht als logischer Ausschluss von Notwendigkeit gedacht, sondern als in der Vernunft verankertes Vermögen zum Guten.
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Durch das jederzeitige Anders-Können, das darüber abgesichert ist, dass der Mensch einen freien Willen hat, kann also begründet werden, dass die Aufnahme der heteronomen Triebfeder in die Willkür nicht nur zurechenbar ist, sondern auch selbst verschuldet. Anders als Fichte, für den, wie an der Konzeption des Bösen in der Sittenlehre aufgezeigt wurde, das Anders-Können aufgrund der Wirklichkeit der Spontaneität des Willens hinreicht zur Zuschreibung von Schuld, ohne dass eine bewusste Antizipation der Pflicht gegeben sein muss, setzt Kant diese Antizipation von Gut und Böse in ihrer Distinktheit voraus. Das wird in der Religionsschrift in dem Abschnitt deutlich, in welchem Kant aufzeigt, wie seine Theorie des radikal Bösen mit der „Vorstellungsart, deren sich die Schrift bedient“ zusammenstimmt. Er führt hier aus: Das moralische Gesetz ging, wie es auch beim Menschen als einem nicht reinen, sondern von Neigungen versuchten Wesen sein muß, als Verbot voraus (1. Mose II, 16. 17). Anstatt nun diesem Gesetze, als hinreichender Triebfeder (die allein unbedingt gut ist, wobei auch weiter kein Bedenken statt findet), geradezu zu folgen: sah sich der Mensch doch noch nach andern Triebfedern um (III, 6), die nur bedingterweise (nämlich so fern dem Gesetze dadurch nicht Eintrag geschieht) gut sein können, und machte es sich, wenn man die Handlung als mit Bewußtsein aus Freiheit entspringend denkt, zur Maxime, dem Gesetze der Pflicht nicht aus Pflicht, sondern auch allenfalls aus Rücksicht auf andere Absichten zu folgen. (KA VI, S. 42 [letzte Hervorhebung L.E.])
In dieser Erläuterung wird deutlich, dass der Aufnahme der heteronomen Triebfeder das moralische Gesetz „als Verbot“ unzeitlich vorausgeht. „Der Satz: der Mensch ist böse, kann nach dem obigen nichts anders sagen wollen als: er ist sich des moralischen Gesetzes bewußt und hat doch die (gelegenheitliche) Abweichung von demselben in seine Maxime aufgenommen.“ (KAVI, S. 32) Kant, so zeigt sich hier, denkt die intelligible Tat am Paradigma einer bewussten Entscheidung. Fichte dagegen versteht den Hang zum Bösen als Trägheit, die nicht aus einer intelligiblen Tat entspringt, sondern aus der Natur des Menschen, wodurch die Zuschreibung von Schuld gleichwohl nicht suspendiert ist, weil sich der Mensch in keinem Moment von der Trägheit behindern lassen müsste, die Pflicht zur Freiheit zu antizipieren und damit die Freiheit selbst vollständig zu realisieren. Schelling weist beide Konzeptionen zurück, indem er in den ersten Anfang der Sünde das Verhängnis einschreibt – und damit statt eines schuldhaften Übertritts einen tragischen denkt. An einem Beispiel wird dies besonders deutlich. Schelling schreibt in der Freiheitsschrift: „Daß Judas ein Verräther Christi wurde, konnte weder er selbst noch eine Creatur ändern, und dennoch verrieth er Christum nicht gezwungen, sondern willig und mit völliger Freiheit.“ (SW VII, S. 386) Was Schelling hier verneint, ist die bei Kant so wichtige Voraussetzung im Denken der Pflicht, nämlich das jederzeitige Anders-Können, wenn er betont, dass
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Judas geradezu dazu verurteilt war, Verräter zu werden. Und er betont zugleich, dass dennoch Freiheit und Freiwilligkeit in seinem Verrat vorherrschend gewesen seien. Anders als Kant setzt Schelling damit keinen moralischen Begriff der intelligiblen Tat an, der diese als selbstverschuldet denkt, sondern eine übermoralische Kategorie, für welche gilt, dass persönliche Schuld und Verhängnis – im Sinne des Nicht-anders-Könnens – miteinander einhergehen. Die intelligible Tat bei Schelling zeigt sich damit als paradoxale Gleichzeitigkeit von Freiheit und Notwendigkeit. Schelling denkt die intelligible Tat somit zwar als Anfang im kantischen Sinne (vgl. Jacobs 2006, S. 171– 184), aber dem kantischen Versuch, die moralische Zurechenbarkeit von Handlungen über einen ursprünglichen Akt zu garantieren, der selbst zurechenbar ist, setzt Schelling einen ersten Akt entgegen, der zugleich frei und unfrei ist.²⁴ Das Verhängnis der Freiheit wird im Zusammenhang mit der Erörterung der tragischen Dimension des Bösen als Freiheitsvollzug weiter unten eigens exponiert. An dieser Stelle steht die systematische Verortung dieses Gedankens in der Kantnachfolge im Zentrum. Bei dem kurzen Hinweis auf die Differenz in der Frage nach der Zuschreibung von Schuld in Schellings und Kants Fassung der intelligiblen Tat wollen wir es deshalb an dieser Stelle belassen.
Die Struktur des Bösen Mit dem theologischen Begriff der Erbsünde transformiert Schelling den kantischen Begriff der intelligiblen Tat und weist die Konzeption des Bösen als Freiheitsvollzug in ihrer metaphysischen Dignität aus. Schelling überträgt die intelligible Tat aber nicht nur in einen metaphysischen Kontext, sondern verändert sie auch ihrer Bestimmung nach in eine übermoralische Kategorie, wie im vorhergehenden Abschnitt angedeutet wurde. In diesem Unterkapitel soll ein weiterer Aspekt der Transformation des kantischen Begriffs des Bösen vermittels des theologischen Konzepts der Erbsünde ausgewiesen werden, der sich in der Frage nach dem Gehalt des Bösen zeigt. Wurde mit der intelligiblen Tat die Frage nach der Herkunft des Bösen über die menschliche Freiheit beantwortet, so stellt sich
Hermanni begründet das Scheitern der schellingschen Theodizee in der Freiheitsschrift damit, dass das Problem der Zurechenbarkeit nicht vereinbar sei mit der Allgemeinheit der Sünde (vgl. Hermanni , S. u. S. f.). Gerade um dem Nachweis letztlicher Zurechenbarkeit aber scheint es Schelling im Gegensatz zu Kant nicht zu gehen, wenn er die Mittelbestimmung von Freiheit und Notwendigkeit in der zeitlosen Tat, veranschaulicht über Angst, Schwindel und Lust, herausstellt und dem Bösen eine tragische Dimension abgewinnt, die eine moralische Zuschreibung unterläuft.
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hier die Frage nach dem Wesen des Bösen. Dieses Unterkapitel soll den Gehalt des Bösen als unvordenkliche Verkehrung erläutern und dabei die Frage beantworten, was nach Schelling das im Bösen Missachtete ist, womit zugleich ex negativo eine erste Anzeige des von ihm angesetzten Seinsollenden gegeben wird. Dass Kant den sich von Augustinus herschreibenden Gedanken der perversitas voluntatis bei Luther aufnimmt, und diesen auf eine moralische Konzeption reduziert, betont Hans-Martin Rieger, und er begründet diese These damit, dass Kant die Verkehrung nicht als eine „externer Relationen“ (Rieger 2007, S. 89) denke. In der intelligiblen Tat wird bei Kant mit der Aufnahme der heteronomen Triebfeder in die Willkür die Hierarchie der Triebfedern verkehrt (vgl. KA VI, S. 36). Dagegen, und das spricht im Umkehrschluss auch dafür, dass es sich bei Schellings Konzeption um eine übermoralische handelt, denkt dieser die Verkehrung von Universal- und Partikularwille – also von zwei Willen, die nicht nur interne Willensmomente sind, sondern zugleich universale Prinzipien (vgl. SW VII, S. 365). An der Krankheit verdeutlicht Schelling dieses Missverhältnis. Sie sei das „treffendste Gleichniß“, das „wahre Gegenbild des Bösen“, insofern sie „die durch den Mißbrauch der Freiheit in die Natur gekommene Unordnung“ (SW VII, S. 366) sei. Die Entsprechung von Krankheit und Sünde wird hier durch zwei Momente bestimmt: Zum einen wird der Freiheitsmissbrauch als Ursache beider Arten von Übel genannt; zum anderen wird die Unordnung, die Zerrüttung als die Wirkung beider bezeichnet.²⁵ Schelling unterscheidet dabei im Anschluss an diese Textstelle zwei Arten von Krankheit, nämlich eine universale von einer partikularen, wobei die erste als Missverhältnis der „Peripherie zum Centro“ gedeutet wird und er in Bezug auf die zweite anfügt: „Auch die Partikularkrankheit entsteht nur dadurch, daß das, was seine Freiheit oder sein Leben nur dafür hat, daß es im Ganzen bleibe, für sich zu seyn strebt.“ (SW VII, S. 366) Dass es der Organismus als Paradigma von Ganzheit als „gegliederte[r] Einheit“ (Schulz 1964, S. 6) ist, der hinter dieser Konzeption der Krankheit und analog dazu des Bösen steht, wird deutlich, wenn eine Textstelle aus der Einleitung der Freiheitsschrift mit herangezogen wird. Sie steht im Zusammenhang mit der Diskussion um einen Identitätsbegriff, der es erlaubt, Abhängigkeit und Selbstständigkeit zusammen zu denken. Hier heißt es:
Diese Analogie ist also keineswegs als Moralisierung der Krankheit zu verstehen. Mit der Verwendung der Krankheit als Analogie für das Böse wird hier weder die Krankheit als selbstverschuldete Strafe verstanden, noch das Böse als Naturereignis entschuldigt. Es handelt sich daher bei Schellings Freiheitsschrift auch nicht um eine „Metaphysik der Krankheit“, wie Feger , S. behauptet.
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Das einzelne Glied, wie das Auge, ist nur im Ganzen eines Organismus möglich; nichtsdestoweniger hat es ein Leben für sich, ja eine Art von Freiheit, die es offenbar durch die Krankheit beweist, deren es fähig ist. (SW VII, S. 346; vgl. SW VIII, S. 268)²⁶
Der Organismus wird damit als eine Art von Einheit begriffen, die es erlaubt, das Organ als Moment der Einheit zugleich in seiner Freiheit zu denken. Und gerade die Krankheit wird hier als Beweis dieser Freiheit des Organs innerhalb des Organismus verstanden. Damit deutet sich die Strategie Schellings an, über das Böse die Freiheit des Menschen im System zu denken, die sich in diesem wie das Organ zum Organismus verhält. Funktional dient das Verhältnis von Organ und Organismus in dem Textabschnitt, aus dem dieses Zitat entnommen ist, als Veranschaulichung. Wenn aber bedacht wird, dass Schelling in seiner Naturphilosophie einen genuinen Beitrag zum Organismusbegriff geleistet hat, so liegt die Vermutung nahe, dass das Verhältnis von Organ und Organismus mehr ist als ein beliebiges Beispiel für das mit dem Bösen gedachte Verhältnis von Ganzem und Teil – und Schelling hier auf den Organismusbegriff der Naturphilosophie zurückgreift, um ihn für den Systembegriff fruchtbar zu machen. Aufgrund dieser systematischen Bedeutung soll der Begriff des Organs, wie er in Schellings Naturphilosophie zum Ausdruck kommt, in seinem Spezifikum im Folgenden kurz dargelegt werden: Seit Aristoteles wird das Organ über die Begriffe Funktionalität und Verortung gedacht; einem Organ ist konstitutiv eine Funktion eigen, und es ist wesentlich Teil eines Ganzen, das ihm vorausgeht.²⁷ Kant denkt dieses Vorausgehen des Ganzen vor dem Teil teleologisch und betont damit die „Unterordnung der Organe unter den Gesamtzweck des Organismus“ (Ballauff/ Scheerer 1984, Sp. 1321). Mit dieser funktionalen Unterordnung geht bei Kant eine genetische Wechselseitigkeit einher: Organ und Organismus leben nach Kant in commercio; ätiologisch liegt somit keine Vorgängigkeit des Ganzen vor den Teilen
Vgl. ferner SW VII, S. : „Aber Abhängigkeit hebt Selbständigkeit, hebt sogar Freiheit nicht auf. Sie bestimmt nicht das Wesen, und sagt nur, daß das Abhängige, was es auch immer seyn möge, nur als Folge von dem seyn könne, von dem es abhängig ist; sie sagt nicht, was es sey, und was es nicht sey.“ Vgl. AW, Leb b: „Da jedes Werkzeug einem bestimmten Zweck dient und da ebenso jedes Körperorgan einem bestimmten Zweck dient und der Zweck, dem es dient, eine bestimmte Aktivität ist, ist klar, daß auch der ganze Körper um einer vollständigen Aktivität willen besteht“; b: „Einige Vögel sind langbeinig. Die Ursache ist, daß sie im Sumpf leben. Denn die Natur schafft die Organe für die Funktion, aber nicht die Funktion für die Organe.“ Vgl. Ballauff/Scheerer , Sp. – .
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oder umgekehrt vor, sondern Gleichursprünglichkeit,²⁸ obwohl die Teile funktional dem Zweck des Ganzen untergeordnet sind. So heißt es in der Kritik der Urtheilskraft: In einem solchen Producte der Natur wird ein jeder Theil so, wie er nur durch alle übrige da ist, auch als um der andern und des Ganzen willen existirend, d. i. als Werkzeug (Organ) gedacht: welches aber nicht genug ist […]; sondern als ein die andern Theile (folglich jeder den andern wechselseitig) hervorbringendes Organ […]. (KA V, S. 373 f. / KU, A 291 f.)
Schelling schließt mit seinem Organismusbegriff an Kant an, unterstreicht aber gegen diesen die Individualität der Organe innerhalb des Organismus. So heißt es im Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799): Diese Individuen aber müßten durch ihre Zusammenwirkung doch nur wieder jene Organisation pruduciren, und umgekehrt, nur innerhalb dieses Organismus müßte die Ausübung ihrer Funktionen möglich seyn. Sie würden sich also zur ganzen Organisation zugleich wie Ursache und Wirkung ihrer Thätigkeit verhalten. Was aber zur Organisation (als einem Ganzen) sich so verhält, heißt Organ. Es müßten also, wo in einer Organisation entgegengesezte Funktionen vereinigt sind, diese Funktionen an verschiedne Organe vertheilt seyn. […] Insofern diese Organe jedes seine eigenthümliche Funktion, ausübte, käme ihnen ein eignes Leben (vita propria) – insofern aber die Ausübung dieser Funktion doch nur innerhalb jenes ganzen Organismus möglich wäre, nur gleichsam ein geborgtes Leben zu […]. (AA I,7, S. 115 / SW III, S. 67 f.)
Trotz der wechselseitigen Abhängigkeit von Organ und Organisation des Organismus im Ganzen – wodurch beide sich wechselseitig wie Ursache und Wirkung verhalten – haben die Organe ein eigenes Leben und können nach Schelling daher gleichsam als „einzelne Thiere“²⁹ gedacht werden. Diese Eigenständigkeit der Organe zeigt sich laut der Freiheitsschrift in der Krankheit, in der sich das Organ
Vgl. KA III, S. / KrV, B : „Nun wird eine ähnliche Verknüpfung in einem Ganzen der Dinge gedacht, da nicht eines als Wirkung dem andern als Ursache seines Daseins untergeordnet, sondern zugleich und wechselseitig als Ursache in Ansehung der Bestimmung der andern beigeordnet wird (z. B. in einem Körper, dessen Theile einander wechselseitig ziehen und auch widerstehen); welches eine ganz andere Art der Verknüpfung ist, als die, so im bloßen Verhältniß der Ursache zur Wirkung (des Grundes zur Folge) angetroffen wird, in welchem die Folge nicht wechselseitig wiederum den Grund bestimmt und darum mit diesem (wie der Weltschöpfer mit der Welt) nicht ein Ganzes ausmacht.“ Vgl. AA I,, S. Eintrag ins Handexemplar / SW III, S. f., Anm. : „Wir können die einzelnen Organe eines Thiers z. B. alle als ebenso viel einzelne Thiere ansehen, die sich alle wechselseitig voneinander parasitisch gleichsam nähren. […] Es wäre wohl nicht zu gewagt, als Grund derselben eine eigentliche Zeugungskraft dieser Organe, die ihnen unabhängig vom Ganzen des Organismus zukäme, anzunehmen.“
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gegenüber der Organisation des Ganzen „vereinzelt“ – und darin seine Freiheit beweist.³⁰ Mit der Vereinzelung des Organs im Organismus, wodurch dieser krank wird, ist ausgesagt, dass das Organ sich in seinem Streben nicht mehr dem Gesamtzweck, dem Universalwillen des Organismus unterordnet.³¹ Durch diese Selbstverabsolutierung dient seine Tätigkeit nicht mehr auch dem Organismus, sodass es „die Continuität der Lebensfunctionen unterbricht, und indem [es] das Leben vereinzelt, das Leben des Ganzen unmöglich macht.“³² Parallel zum Nachweis der „Freyheit der Natur“³³ über die Krankheit als das Streben eines Organs danach, dieserart Selbstzweck zu werden, wird die Freiheit des Menschen in Schellings Philosophischen Untersuchungen darüber bewiesen, dass der Mensch die Freiheit hat, sich gegenüber dem universalen Zweck zu vereinzeln, statt den individuellen Zweck in diesen einzugliedern, d. h. „der Eigenwille kann streben, das, was er nur in der Identität mit dem Universalwillen ist, als Particularwille zu seyn“ (SW VII, S. 365). Sünde und Krankheit verbindet auf diese Weise, dass sie wesentlich auf der „Erhebung des Eigenwillens“ (SW VII, S. 365) eines Organs gegen die Organisation desjenigen Organismus beruhen, von welchem sie konstitutiver Teil sind.³⁴ Das Böse in der Freiheitsschrift als Erhebung eines Partikularen zum Universalen lässt sich damit als Nichtanerkennung der Gesetztheit und Eingebundenheit erläutern. Theologisch formuliert entspricht das einer Verleugnung der Schöpfer-Geschöpf-Distinktion.
Im Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie wird die Krankheit dagegen noch auf Irritabilität und Sensibilität zurückgeführt (vgl. AA I,, S. – / SW III, S. – ). Schelling betont diesen Lebenszusammenhang insbesondere in der Schrift Von der Weltseele: „Das Leben selbst ist allen lebenden Individuen gemein, was sie von einander unterscheidet ist nur die Art ihres Lebens. Das positive Princip des Lebens kann daher keinem Individuum eigenthümlich seyn, es ist durch die ganze Schöpfung verbreitet, und durchdringt jedes einzelne Wesen als der gemeinschaftliche Athem der Natur. – So liegt – wenn man uns diese Analogie verstattet – was allen Geistern gemein ist, außerhalb der Sphäre der Individualität (es liegt im Unermeßlichen, Absoluten); was Geist von Geist unterscheidet, ist das negative, individualisirende Princip in jedem.“ (AA I,, S. / SW II, S. ) Vgl. AA I,, S. / SW II, S. : „Daß (nach Blumenbach) die Stärke des Bildungstriebs im umgekehrten Verhältniß mit dem Alter abnimmt, läßt sich nicht anders erklären, als weil mit dem Alter zugleich jedes Organ immer mehr individualisirt wird: denn erfolgt nicht der Tod vor Alter allein wegen der zunehmenden Starrheit der Organe, welche die Continuität der Lebensfunctionen unterbricht, und indem sie das Leben vereinzelt, das Leben des Ganzen unmöglich macht.“ Die „Freyheit der Natur“ wird in Schellings Schrift Von der Weltseele nicht über die mögliche Vereinzelung nachgewiesen, sondern unabhängig davon postuliert (vgl. AA I,, S. / SW II, S. ). Vgl. zur Nähe der Bestimmung der Sünde über den Organismus bei Schelling und Baader Rieger , S. .
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Zugleich zeigt diese Verkehrung der Priorität der Zwecke eine strukturelle Nähe zur Ungerechtigkeit als Inbegriff von Schlechtigkeit (κακία) bei Platon. Auch Platon analogisiert die Ungerechtigkeit mit der Krankheit und erläutert sie als „Aufstand irgendeines Teiles gegen das Ganze“.³⁵ Für den Begriff der Einheit eines solchen Ganzen, in welchem die Organe nicht nur die Möglichkeit zur Unterordnung, sondern auch zur Erhebung gegen den Gesamtzweck haben, bedeutet das, dass ihre Zusammengehörigkeit nicht auf Identifizierung beruhen kann, sondern nur auf Integration. ³⁶ Die Ganzheit wird somit nicht dadurch hergestellt, dass die Organe ihre partikularen Zwecke, ihre individuelle Freiheit und damit ihr „eignes Leben“ zugunsten des Gesamtzwecks des Organismus aufgeben, sondern indem sie den partikularen Zweck dem universalen freiwillig unterordnen, sodass in der Ganzheit des Organismus einander widersprechende Funktionen einzelner Organe vereint sind (vgl. AA I,7, S. 115 / SW III, S. 67 f.). Das Paradigma für die in der Krankheit und im Bösen missachtete Ganzheit im Jahr 1809 zeigt sich damit als die in der Naturphilosophie formulierte Art von Identität, die eine Ganzheit funktional differenzierter Teile ermöglicht,³⁷ indem sie ein ausgeglichenes Verhältnis von Organ und Organismus, Partikular- und Universalwille hervorbringt. Die Vermutung liegt nahe, dass Schelling in der Freiheitsschrift auf den in der Naturphilosophie bereits anwesenden Identitätsgedanken, welcher Individualität als Selbstständigkeit gegenüber dem Ganzen impliziert, zurückgreift, die im Identitätssystem aufgrund der bloß quantitativen Differenz nicht kohärent gedacht werden kann,³⁸ um einen Identitätsbegriff zu gewinnen, der individuelle Freiheit und Einheit systematisch verbinden kann.³⁹
Vgl. PW, Pol b: „Muß sie [die Ungerechtigkeit] nun nicht ihrerseits ein Zwiespalt eben dieser drei sein […] und ein Aufstand irgendeines Teiles gegen das Ganze der Seele, um in ihr zu herrschen, obwohl es ihm nicht zukommt, sondern er ein solcher ist von Natur, daß es ihm gebührt, dem, welches von dem herrschaftlichen Geschlecht ist, zu dienen […].“ Vgl. PW, Pol c/d (Krankheit als Analogie). Diesen Ausdruck verwendet Schelling selbst im Jahr als Anmerkung zu einer Stelle in den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums. Diese Textstelle lautet: „Es gibt keine wahre Freiheit, als durch absolute Nothwendigkeit“. Hier merkt er an: „Sie hat sich mit der Nothwendigkeit zu integriren.“ (SW V, S. ) Vgl. zum platonischen Denken der Ganzheit „als differenzierte Koinonie“ Uehlein , S. . Vgl. AA I,, S. f. / SW IV, S. Anm.: „Erklärung von quantitativer Differenz. – Eine Differenz, die nicht dem Wesen nach gesetzt ist […], eine Differenz also, welche bloß auf der Verschiedenheit der Form beruht, und die man deßwegen auch differentia formalis nennen kann“. Sie ist „keineswegs an sich, sondern nur in der Erscheinung gesetzt“. Auf ihr beruht der Gedanke, dass die „Kraft, die sich in der Masse der Natur ergießt, […] dem Wesen nach dieselbe [ist] mit der,
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Was bedeutet dieses Paradigma der Einheit für die in der Krankheit und im Bösen bewirkte „Unordnung“, welche in der Freiheitsschrift als zweites Ähnlichkeitsmoment von Krankheit und Bösem angeführt ist? Neben der Verkehrung der funktionalen Unterordnung gilt es dafür das ätiologische Verhältnis von Organ und Organismus zu betrachten, das sich durch Wechselseitigkeit auszeichnet. Das im Bösen Missachtete ist als commercium zu erläutern: Organ und Organismus sind solcherart in commercio, d. h. in wechselseitiger Abhängigkeit, dass nicht nur der Organismus des Organs bedarf zu seiner Existenz, sondern auch das Organ nur im Organismus leben kann. Für die Überordnung des partikularen Zwecks eines Organs über den universalen Zweck des Organismus hat dieses Abhängigkeitsverhältnis zur Konsequenz, dass die Verkehrung der Hierarchie der Zwecke durch die Selbstverabsolutierung der partikularen Ordnung die Einheit und Organisation des Organismus im Ganzen korrumpiert, womit alle im Organismus lebenden Organe bedroht sind, mithin auch das nach Vereinzelung strebende Organ selbst, das, wie es im Entwurf eines Systems heißt, nur ein durch den Organismus ermöglichtes, ein gleichsam „geborgtes Leben“ hat. Das Organ, indem es das von allen Organen Benötigte gefährdet, zerstört also nicht nur potentiell seine eigene Möglichkeitsbedingung, nämlich das Leben des Organismus, das ihm sein Leben ermöglicht, sondern bedroht das Ganze und zieht solcherart zugleich das Ganze, nämlich alle Organe in Mitleidenschaft.⁴⁰ Das durch die Abspaltungstendenz eines Teils in Unordnung gebrachte „Verhältniß des Ganzen zum Einzelnen“ etabliert – insofern der organische Bezug und d. h. das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis der Organe vom Organismus im Ganzen nicht aufgelöst wird – eine „falsche Einheit“ (SW VII, S. 370 f.), nämlich eine, in der sich partikularer und universaler Zweck widersprechen. Diese Art von Unordnung ist die am Organismusbegriff paradigmatisch gedachte Positivität des Bösen, nämlich der gelebte Widerspruch von Teil und
welche sich in der geistigen Welt darstellt, nur daß sie dort mit dem Uebergewicht des reellen, wie hier mit dem des ideellen zu kämpfen hat“ (S. / S. ). Diese Differenz für einen Gegensatz zu halten, ist nach Schelling, „die Quelle aller Irrthümer“ und beruht auf „Absondrung“ (S. / S. ) – die Frage, wie diese Absonderung möglich ist, wenn nur quantitative Differenz gedacht wird, kann die Identitätsphilosophie nicht erklären. Ansätze dazu sind auch in der Identitätsphilosophie nachzuweisen. Vgl. SW VII, S. : „Ein All vermag aber auch nicht zu seyn, was bloße Einheit ist, in der das Leben des Besondern unterdrückt ist, sondern nur das, darin mit der Einheit auch die unendliche Freiheit des besondern Lebens besteht.“ Schelling folgt damit grundlegend dem Gedanken einer Einheit von malum internum und malum externum, die Rieger im Anschluss an Luther als „Grundvoraussetzung theologischer Harmatologie“ (Rieger , S. ) gilt.
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Ganzem durch die Verkehrung der Unterordnung von partikularem und universalem Zweck durch ein Organ. Aus ihr resultiert die Mitleidenschaft des Gesamtorganismus und damit aller Organe. Dies ist die universale Hinsicht der Krankheit. Als Analogie des Bösen interpretiert, bedeutet das: Durch die Selbstverabsolutierung des Menschen im über die Grenzen des Organismus hinausgehenden Streben nach seinem partikularen Zweck verlieren die Natur und die Gesellschaft als Gesamtorganismus ihre die Interessen ausgleichende Einheit. Für alle Lebewesen, das ist das Resultat dieses Gedankens, ist darum die Einheit nach dem Sündenfall nicht mehr so, wie sie sein sollte, nicht mehr die Partikularinteressen integrierend, sondern exkludierend. Dieser Gedanke, dass die Welt aufgrund einer Freiheitstat des Menschen „ihre wahre Einheit“ verloren habe und dadurch nicht mehr die „sanfte Einheit“ (SW VII, S. 460) herrscht, wie es in den Stuttgarter Privatvorlesungen heißt, kann als universale Dimension des Bösen bezeichnet werden, als Mitleidenschaft des Ganzen, die durch den Organismusbegriff begründet wird. In Hinblick auf das sich abspalten wollende Organ – dies ist die andere, partikulare Seite des Bösen an seiner Entsprechung, also an der Krankheit gedacht – führt die Verkehrung zu einem Selbstwiderspruch, der in der Freiheitsschrift unter der Bezeichnung des „Lebens der Lüge“ ausformuliert wird und bedeutet, dass der im ausschließlichen Streben nach seinem partikularen Zweck orientierte Mensch die Verwirklichung desselben zugleich verhindert, weil er nur ein geborgtes Leben hat – die Erfüllung seines partikularen Strebens damit abhängt von der Instanz, die er in diesem Streben de facto verneint.
Fichtes Philosophie der Sünde In der Schrift Philosophie und Religion, also auf Grundlage der Identitätsphilosophie, behauptet Schelling, Fichtes Philosophie habe das „Princip des Sündenfalls[,] in der höchsten Allgemeinheit ausgesprochen“, und es, „wenn auch unbewußt, zu ihrem eignen Princip [ge]macht“ (SW VI, S. 43). Fichte reagiert auf diesen Vorwurf in der Vorlesung Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, in der er Schellings Naturphilosophie als „Schwärmerei“⁴¹ bezeichnet und sein Denken in das „Zeitalter der absoluten Gleichgültigkeit gegen alle Wahrheit“, welches sich auf dem „Stand der vollendeten Sündhaftigkeit“ (FGA I,8, S. 207) befinde, ein-
Vgl. FGA I,, S. f.: „Da dieses Denken der Schwärmerei denkende Naturkraft ist, so geht es wieder zurück auf die Natur, hängt sich an den Boden derselben, und bestrebt eine Wirksamkeit in ihr; mit einem Worte: alle Schwärmerei ist, und wird nothwendig, Natur=Philosophie.“
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ordnet. Schelling wehrt sich seinerseits gegen diese Wendung seines Vorwurfs, wenn er im Jahr 1806 in der Darlegung des wahren Verhältnisses betont: Nicht daß Hr. Fichte diese oder jene Sätze aufstellt, sondern daß Er überhaupt in dieser Region [der Religion, L.E.] angetroffen wird, ist das Verwundersame. Wir hatten ihm nachgewiesen, daß er das eigentliche Princip der Sünde, die Ichheit, zum Princip der Philosophie gemacht (Philosophie und Religion S. 42 u.f.); nun erklärt er eben dieses Zeitalter für das Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit. Es war gezeigt worden, daß die ganze Fichtesche Philosophie ein in Reflexionsaberglauben verhärteter und in formeller Wissenschaft erstarrter Verstand sey […]. Jetzt spricht er von Liebe und vom Apostel Johannes, und die in Gott sich selbst vernichtende Reflexion ist das Höchste. Den auffallendsten Gegensatz bildet die einst alle Religion verschlingende Moral mit der jetzt durch eben diese Religion tief erniedrigten Sittenlehre. (SW VII, S. 26)⁴²
Dem Begriff der Sünde kann, so macht diese Aufzählung des Gebrauchs des Ausdrucks Sünde deutlich, neben seiner systematischen Funktion in Schellings Verabschiedung der Identitätsphilosophie und der Ausweitung der kantischen intelligiblen Tat zu einer übermoralischen Kategorie eine spezifische Funktion in der Auseinandersetzung mit Fichte nicht abgesprochen werden. In diesem Unterkapitel soll diese eigens dargelegt werden, insofern die Erläuterung der Konzeption des Bösen als Sünde in der Freiheitsschrift aus der Perspektive der Fichtekritik den Gedanken des Bösen als Freiheitsvollzug weiter präzisiert und verdeutlicht. Dafür soll zunächst dargestellt werden, welcher Vorwurf im Jahr 1804 mit der Behauptung, Fichte habe das Prinzip des Sündenfalls zum Prinzip seiner Philosophie gemacht, gegen Fichtes Philosophie erhoben wird. Sodann wird die Frage geklärt, in welchem Verhältnis die Fichtekritik der Freiheitsschrift zu diesem Vorwurf steht. Schellings Kritik an Fichtes Philosophie wurzelt im Jahr 1804 konzeptionell darin, dass er die Tathandlung zum Ursprung der Endlichkeit erklärt und damit die „Ichheit [als] das allgemeine Princip der Endlichkeit“ (SW VI, S. 42; vgl. SW VI, S. 124) interpretiert. So führt er in der Schrift Philosophie und Religion aus: Fichte sagt: die Ichheit ist nur ihre eigne That, ihr eignes Handeln, sie ist nichts abgesehen von diesem Handeln, und nur für sich selbst, nicht an sich selbst. Bestimmter konnte der Grund
Die hier formulierten Kritikpunkte an Fichtes Frühphilosophie werden in der Freiheitsschrift z.T. wieder aufgegriffen – in Charakterisierungen wie den „abgezogenen Begriffen“ (SW VII, S. ), dem „sich selbst mißverstehende[n] Idealismus“ (S. ) und dem individuellen Ich als „absolute[r] Substanz“ (S. ). Die im Jahr ausgeführte Kritik richtet sich insbesondere gegen Fichtes Frühphilosophie. Eine Auseinandersetzung mit dem späten Fichte findet gleichwohl in der Freiheitsschrift statt und zeigt sich insbesondere in der entgegengesetzten Interpretation des Johannesprologs.
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
der ganzen Endlichkeit als ein nicht im Absoluten, sondern lediglich in ihr selbst liegender wohl nicht ausgedrückt werden. (SW VI, S. 43)
Statt die Tathandlung als das Unbedingte anzuerkennen, versteht Schelling sie als Begriff, mit welchem die Herkunft und die Bestimmtheit der Endlichkeit gedacht werden. So fasst er die Endlichkeit als eigene Tat der Ichheit auf, die nichts ist außer diesem Tun, sich zu vereinzeln, und in ihrer Selbstursprünglichkeit daher nicht im Absoluten, sondern allein in sich selbst gründet (vgl. SW VI, S. 124). Was zunächst so aussieht, als wolle Schelling auf diese Weise die Eigenständigkeit des Endlichen stärken, zeigt sich auf den zweiten Blick als Entwertung der Endlichkeit. Denn Schelling behauptet damit einhergehend, dass die Endlichkeit nicht „an sich“, sondern nur „für sich selbst“ sei. Mit der Identifizierung von Tathandlung und dem Prinzip der Endlichkeit wird die Endlichkeit als Sphäre des Bewusstseins gedacht und ihr Endlich-Sein mit der Aufspaltung von Subjekt und Objekt gleichgesetzt. Auf diese Weise kann Schelling die „absolute Nicht=Realität der gesammten Erscheinung“ konstatieren und diese Erscheinungen als bloße „Scheinbild[er]“ bezeichnen. Denn sie sind bloße Vorstellung und Vorgestelltsein und nichts außer diesem Akt des Vorstellens. Aus dem „Nichts der Ichheit“ als Grundlage entsteht gemäß Schellings Konzeption von Endlichkeit im Jahr 1804 also nur das „Reich des Nichts“ (SW VI, S. 49, S. 44 u. S. 43). Und das endliche Leben wird zum bloßen „Scheinleben“ (SW VI, S. 41). Die Wirklichkeit, deren Ursache die Ichheit ist, wird damit virtualisiert (vgl. Hühn 1998a, S. 62 f.). Schelling begründet mit der Deutung der Tathandlung als Grund der Endlichkeit die Differenz des Endlichen und des Absoluten: Die Ichheit bringt selbsttätig beständig die Sphäre der Endlichkeit – und damit die Spaltung von Subjekt und Objekt – hervor, wodurch sie durch eigene Tat vom Absoluten abfällt. Diesen „Abfall“ als „Heraustreten aus dem absoluten Zustande“ oder „Abbrechen vom Unendlichen“ bezeichnet Schelling in der Schrift Philosophie und Religion als Sünde (vgl. SW VI, S. 40) – im System der gesammten Philosophie (1804) auch als das „ursprünglich Böse“ –, sodass das Prinzip des Sündenfalls mit dem Prinzip der Endlichkeit identisch ist und als Tathandlung gedacht wird, insofern das Ergebnis dieser Tat die Tätigkeit des Bewusstseins ist. Aufgrund dieser Identität sagt Schelling auch, Fichte habe das „Princip des Sündenfalls [,] in der höchsten Allgemeinheit ausgesprochen“, was interpretiert werden kann als: Er hat dieses Prinzip auf den Begriff gebracht. Aber Schelling behauptet darüber hinausgehend, dass die fichtesche Philosophie dieses Prinzip zugleich, „wenn auch unbewußt, zu ihrem eignen Princip macht“ (SW VI, S. 43). Fichte denke das Prinzip des Sündenfalls damit nicht nur „in der höchsten Allgemeinheit“, sondern seine Philosophie sei diesem Prinzip selbst verfallen, d. h. dem erzeugten Schein erlegen.
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Was dem Gehalt nach bei Schelling 1804 damit gemeint ist, wird deutlich in der Propädeutik der Philosophie, in der er schreibt: Fichte dagegen, richtig verstanden, [sucht] den Grund der Endlichkeit der Seele in einer absolut freien Handlung der Seele selbst oder darin […], daß sie sich für sich selbst, durch ihr eignes Thun als endlich, als abgesondert von dem absoluten All […] setzt […]. Diese Lehre, welche, für sich betrachtet, und als eine bloße Erklärung der Endlichkeit angesehen, die einzig befriedigende ist, kann aber nicht an die Stelle der gesammten Philosophie treten […]. (SW VI, S. 125)
Hinter dem Vorwurf, Fichtes Philosophie sei dem Prinzip des Sündenfalls verfallen, steht damit die Kritik an dem Gedanken, dass die Tathandlung, die als „Erklärung der Endlichkeit“ nicht nur Berechtigung habe, sondern die „einzig befriedigende“ Erklärung sei, zur „höchste[n] Substanz“ (FGA I,2, S. 282)⁴³ ernannt werde und damit nach Schelling zum Prinzip „der gesammten Philosophie“ gemacht werde. Das hat nach Schelling zur Folge, dass Fichte das „Scheinleben“ des Bewusstseins positiviere. Indem er die Ichheit zur Grundlage der ganzen Wissenschaft mache, trenne er mit ihr gerade nicht das „Reich des Nichts vom Reiche der Realität“. Er nutze damit nicht das kritische Potential der Tathandlung, die eine „negative Philosophie zum Resultate“ (SW VI, S. 43) haben könnte, welche die dogmatische Mischung von Absolutem und Endlichem verhindern würde,⁴⁴ indem die Grenze der Endlichkeit betont würde. Stattdessen mache er mit der grenzenlosen Ausweitung der Sphäre des Bewusstseins das „Reich des Nichts“ zur Realität. Nihilismus hatte Jacobi diesen Vorwurf 1799 genannt,⁴⁵ weil er in Fichtes Philosophie beim „Ergründen des Mechanismus […] sowohl der Natur des Ichs als des Nicht-Ichs, zu lauter An-sich-Nichts gelange“ (JW II,1, S. 214). Schelling ergänzt diesen Nihilismusvorwurf Jacobis um einen weiteren Kritikpunkt. Die Erhebung der Tathandlung als Grund „eines jeden Ich“ zum ersten Prinzip der Philosophie führe nicht nur zur Positivierung des bloß Scheinhaften, sondern auch zu einem „intellektuellen Atomismus“ (SW VI, S. 126) und das So betont Fichte in der Grundlage der Wissenschaftslehre: „Der theoretische Theil unserer Wissenschaftslehre […] ist wirklich, wie sich zu seiner Zeit zeigen wird, der systematische Spinozismus; nur daß eines Ieden Ich selbst die einzige höchste Substanz ist“ (FGA I,, S. ). Vgl. SW VI, S. : „Die Bedeutung einer Philosophie, welche das Princip des Sündenfalls, in der höchsten Allgemeinheit ausgesprochen, wenn auch unbewußt, zu ihrem eignen Princip macht, kann, nach der vorhergehenden Mischung der Ideen mit den Begriffen der Endlichkeit im Dogmatismus, nicht groß genug angeschlagen werden.“ Vgl. JW II,, S. : „Wahrlich, mein lieber Fichte, es soll mich nicht verdrießen, wenn Sie, oder wer es sey, Chimärismus nennen wollen, was ich dem Idealismus, den ich Nihilismus schelte, entgegensetze“.
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bedeutet, zur Auflösung des systematischen Zusammenhangs. Fichte verabsolutiere das individuelle Ich und seine Ordnung, so Schellings Grundvorwurf an Fichtes System der Freiheit. Er mache damit ein bloß Partikulares und keineswegs ein subjektiv Allgemeines zum Ordnungsgaranten des Ganzen, das auf diese Weise auseinanderfalle in monadische Einheiten. In der Propädeutik der Philosophie liest sich diese Kritik Schellings wie folgt: Sie [die fichtesche Philosophie, L.E.] nimmt hier ganz den intellektuellen Atomismus des Leibniz wieder auf (wie der Cartesianismus den materiellen Atomismus); wie in diesem die absolute Substanz in Monaden zerfällt, so ist in jener eines jeden Ich für jeden die absolute Substanz selbst. – Das, woraus nur das Endliche erklärt werden kann, wird bei Fichte zum Princip der gesammten Philosophie und demnach der Wissenschaft des Unendlichen selbst gemacht […]. (SW VI, S. 126)
Fichtes System der Freiheit, so der Vorwurf, fehle es an einem Prinzip, dass die Einheit und den Zusammenhalt des Systems garantieren könne.⁴⁶ An seiner Stelle stehe das individuelle Ich, das in seiner partikularen Ordnung keine Einheit stiften könne. Dieser Grundgedanke findet sich als direkte Kritik formuliert bereits 1801 in Schellings Brief an Fichte vom 3.10.1801 (AA III,2,1, S. 374), der Schrift Philosophie und Religion (SW VI, S. 126), den Philosophischen Untersuchungen (SW VII, S. 337), aber auch noch in der Einleitung in die Philosophie der Mythologie (SW XI, S. 464 f.). In der Einleitung in die Philosophie der Mythologie wird dieser Gedanke von Schelling dargelegt, indem er den kantischen „subjektive[n] Idealismus“ vom „bodenlosen Idealismus“ (SW XI, S. 464 f.) Fichtes unterscheidet: Kant denke, wie Fichte, dass mit „eines Jeden Ich“ für dieses Ich die Welt gesetzt sei, aber er vermeide, indem er außerdem ein Ding an sich ansetze, dass dieses individuelle Ich zur „absolute[n] Substanz“ gemacht werde. Für das individuelle Selbstbewusstsein bleibt das Ding an sich ewig ein anderes, seinem Wissen Unzugängliches, wodurch strukturell verhindert werde, dass sich das Individuelle selbst zum Ursprung und „Mittelpunkt“⁴⁷ des Ganzen erkläre. Dies aber geschehe bei Fichte, indem er „das Ich zum absoluten, schlechterdings nichts voraussetzenden Princip Nach Hühn ist Fichtes Einsicht, „daß eine subjektivitätstheoretische Begründung der Philosophie den Gedanken des Absoluten nicht nur verfehlt, sondern strenggenommen ausschließt“, dafür verantwortlich, dass er nach von einer „absoluten Transzendenz“ (Hühn , S. – ) des Absoluten ausgehe. Vgl. SW VII, S. : „Kürzer oder entscheidender wäre, das System auch im Willen oder Verstande des Urwesens zu leugnen; zu sagen, daß es überhaupt nur einzelne Willen gebe, deren jeder einen Mittelpunkt für sich ausmache, und nach Fichtes Ausdruck eines jeden Ich die absolute Substanz sey. Immer jedoch wird die auf Einheit dringende Vernunft, wie das auf Freiheit und Persönlichkeit bestehende Gefühl, nur durch einen Machtspruch zurückgewiesen, der eine Weile vorhält, endlich zu Schanden wird.“
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machte“, wodurch „in der That aller Vernunft= oder intelligible Zusammenhang der Dinge aufgehoben“⁴⁸ werde. Für das individuelle Bewusstsein hat das nach Schelling zur Folge, dass der Mensch „weder sich selbst noch die Dinge sieht, wie sie wahrhaft in Gott sind“ (SW VII, S. 81), sondern nur noch, wie sie in ihm selbst sind und dieses in ihm Seiende für das Wahre halte. Schelling bezieht sich in der Darlegung des wahren Verhältnisses auf seine Schrift Philosophie und Religion und nennt dieses „Abwenden des individuellen Willens von Gott als der Einheit und Seligkeit aller Dinge“ einen „wahren Platonischen Sündenfall“, welchen er als den Zustand des Bewusstseins interpretiert, in welchem die „Welt im Bewußtseyn“ (SW VII, S. 82) für die einzige und wahre Welt gehalten werde. Fichtes Philosophie, so Schellings Diagnose, fehle es damit an einem Korrektiv, das die „Welt im Bewußtseyn“ relativiere und in ihre Grenzen weise.⁴⁹ Das Problem bestehe also nicht nur darin, wie Schelling in den Stuttgarter Privatvorlesungen betont, dass es nach Fichte „nicht einmal ein Intellektuales außer uns“ gebe, sondern, dass von ihm proklamiert werde, es gebe „gar nichts außer uns“ und „nur ein subjektives Ich, nur das menschliche Geschlecht“ (SW VII, S. 445) da sei. In der Freiheitsschrift wird der Gedanke, dass das Prinzip der Endlichkeit bei Fichte zum Ganzen gemacht werde, welcher im Jahr 1804 hinter der Darstellung der Verfallenheit der fichteschen Philosophie an das Prinzip der Sünde steht und noch die späte Kritik Schellings an Fichtes Frühphilosophie durchzieht, zum Inbegriff des Bösen als Sünde. Wie an der Krankheit als „Gegenbild des Bösen“ herausgestellt wurde, ist die Erhebung eines Partikularen zum Universalen die Grundstruktur des Bösen als Sünde in der Freiheitsschrift. Dass die Konzeption der Sünde in der Freiheitsschrift der Semantik des gegen Fichte formulierten Vorwurfs folgt, lässt sich auch an Schellings Kritik an Fichtes Naturverständnis veranschaulichen. Schelling äußert im Jahr 1806 in der Streitschrift Darlegung des wahren Verhältnisses gegenüber Fichte den Vorwurf, dieser vertrete in seiner Philosophie eine „Meinung von der Natur“, die dazu bestimme,
Vgl. SW XI, S. f.: „Dieses Ergebniß ist subjektiver Idealismus zu nennen – subjektiver, weil er, wie Sie sehen, die Welt in der Idee, die Welt als intelligible voraussetzt, gerade wie Kants Idealismus eine Welt der Dinge an sich, freilich als nicht bloß menschlicher Erkenntniß, sondern auch menschlichem Denken unzugänglich, voraussetzte – nicht Idealismus im Sinn von Fichte, der das Ich zum absoluten, schlechterdings nichts voraussetzenden Princip machte, womit in der That aller Vernunft= oder intelligible Zusammenhang der Dinge aufgehoben war“. In diesem Sinne betont Hühn, dass Schelling „von Beginn an die Vorstellung vom Ich als dem Garanten der Möglichkeit von Freiheit“ bestreitet und damit die fichtesche Ausprägung des „Primats praktischer Vernunft hinter sich läßt“ (Hühn b, S. ).
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„daß die Natur gebraucht, benutzt werden soll, und daß sie zu nichts weiter da ist, als gebraucht zu werden“. Mit Schellings Feststellung, das „Princip, wonach er [Fichte] die Natur ansieht, ist das ökonomisch=teleologische Princip“ (SW VII, S. 17), formuliert er den in der heutigen Naturethik unter dem Titel des Anthropozentrismus vertretenen Vorwurf, die Natur werde lediglich insofern betrachtet, als sie Mittel zu menschlichen Zwecken sei. Parallel zu diesem Gedanken einer Entwertung der Natur – vom „Todtschlag der Natur“⁵⁰ spricht Schelling bekanntlich – und der Verabsolutierung menschlicher Zwecke lässt sich der schellingsche Vorwurf gegen Fichtes Naturbetrachtung als Verabsolutierung der Ichheit und Verkennung der menschlichen Eingebundenheit in eine umfassendere, kosmisch-natürliche Ordnung deuten. Die Proklamation der vollkommenen Unabhängigkeit des Menschen, nach welcher er „schlechthin durch sich selbst ist“,⁵¹ verkenne sowohl die biologische Grundlage des Bewusstseins als auch die Gewordenheit und Abhängigkeit der menschlichen Natur. In der Kritik an Fichtes Naturverständnis ist die Struktur der Sünde, wie Schelling sie im Jahr 1809 exponiert, implizit also bereits angelegt und Fichtes Philosophie im Ganzen kann von Schelling daher in der Freiheitsschrift als exemplarische Weltsicht des Bewusstseins im Zustand der Sünde, mithin als paradigmatische Formulierung der Selbstverabsolutierung eines bloß Partikularen angesehen werden. In der Freiheitsschrift erhebt Schelling den in der Kritik an Fichte geäußerten Vorwurf, eines jeden Ich werde zum Ganzen gemacht – ausformuliert als Verabsolutierung eines bloß Partikularen – zum Inbegriff des Bösen. Zugleich wird die Kritik an Fichte hier nicht nur erneuert und verallgemeinert, sondern auch ergänzt, und zwar durch den Vorwurf des „Philanthropismus“, der sich wie folgt darstellt: Nur jenes durch eigne That, aber von der Geburt, zugezogene Böse kann daher das radikale Böse heißen, und bemerkenswerth ist, wie Kant, der sich zu einer transcendentalen alles menschliche Seyn bestimmenden That in der Theorie nicht erhoben hatte, durch bloße treue Beobachtung der Phänomene des sittlichen Urtheils in späteren Untersuchungen auf die Anerkennung eines, wie er sich ausdrückt, subjektiven, aller in die Sinne fallenden That vorangehenden Grundes der menschlichen Handlungen, der doch selbst wiederum ein Actus der Freiheit seyn müsse, geleitet wurde; indeß Fichte, der den Begriff einer solchen That in
Vgl. SW VII, S. : „Die Fichtesche Auslegung nimmt auch von A und B unter A noch B hinweg, es gibt auch nicht einmal ein Intellektuales außer uns, es ist gar nichts außer uns, nur ein subjektives Ich, nur das menschliche Geschlecht ist da. Völliger Todtschlag der Natur“. Vgl. FGA I,, S. : „Brecht die Hütte von Leimen, in der er [der Mensch] wohnt! Er ist seinem Daseyn nach schlechthin unabhängig von allem, was ausser ihm ist; er ist schlechthin durch sich selbst […]. Trennt die zwey lezten nachbarlichen Stäubgen, die ihn jezt umgeben; er wird noch seyn; und er wird seyn, weil er es wollen wird. Er ist ewig, durch sich selbst und aus eigner Kraft.“
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der Speculation erfaßt hatte, in der Sittenlehre wieder dem herrschenden Philanthropismus zufiel und jenes allem empirischen Handeln vorangehende Böse nur in der Trägheit der menschlichen Natur finden wollte. (SW VII, S. 388 f.)
In diesem Zitat kritisiert Schelling Fichtes Konzeption des Bösen, wie sie in der Sittenlehre formuliert ist, nämlich als Trägheit der Reflexion aufgrund der menschlichen Natur, womit das Böse der Natur als dem Anderen menschlicher Freiheit zugesprochen wird und nicht der Freiheit des Menschen. Der hier geäußerte Vorwurf eines verfehlten Menschenbildes gründet sich damit in dem Vorwurf einer unzureichenden Konzeption des Bösen, die Schelling hier darauf zurückführt, dass Fichte „den Begriff einer solchen That“ – gemeint ist die intelligible Tat Kants – zwar in der Spekulation erfasst habe, aber nicht für die Frage nach dem Bösen fruchtbar gemacht habe. Anders gesagt, wirft Schelling Fichte hier vor, dass er das Böse, weil er für dessen Erläuterung keine intelligible Tat annehme, nicht als Freiheitsvollzug denken könne und er mit seiner Philosophie darum eine verharmlosende Deutung des Bösen vornehme. Darüber hinausgehend wird in diesem Zitat aber auch das bemerkenswerte Verhältnis deutlich, in welches Schelling die intelligible Tat zur Tathandlung setzt. Bereits in der Schrift Philosophie und Religion, so wurde gesagt, denkt Schelling die Tathandlung als Prinzip der Endlichkeit und des Sündenfalls, nämlich als Grund für das Heraustreten aus dem Unendlichen. In den Philosophischen Untersuchungen dagegen wird die intelligible Tat zur Schlüsselkonzeption in der Betrachtung der Herkunft des Bösen – von dem Ursprung der Endlichkeit wird sie hier streng unterschieden. Aber, und das wird hier deutlich, Schelling verknüpft intelligible Tat und Tathandlung 1809. Das hat zur Konsequenz, dass sowohl die Tathandlung neu bewertet wird – und sich damit die Fichtekritik verändert – als auch die intelligible Tat als Freiheitsvollzug umgedeutet wird, wie gezeigt werden soll. Mit dem ersten Punkt, der Umwertung der fichteschen Tathandlung wollen wir hier beginnen. Die Umdeutung der kantischen intelligiblen Tat durch die Engführung mit der Tathandlung folgt weiter unten. Schelling verknüpft die Tathandlung im Jahr 1809 mit der intelligiblen Tat, indem er die Tathandlung als denjenigen Freiheitsbegriff anführt, den Kant in der Theorie nicht gedacht, zu der er sich in der „Theorie nicht erhoben“ habe. Er wiederholt damit den im Jahr 1804 vertretenen Standpunkt, dass die Sünde von der Tathandlung her zu denken sei, aber er denkt die Sünde hier nicht als generelle Tätigkeit des Bewusstseins. Die Sünde wird jetzt vielmehr zur Explikation des Bösen und gemäß der Krankheit als Gegenbild der Sünde zu einer Bezeichnung für die Verabsolutierung des individuellen Bewusstseins durch eine Verkehrung von Partikular- und Universalwille.
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
Für die Fichtekritik hat die Engführung von intelligibler Tat und Tathandlung in der Freiheitsschrift eine Verschärfung oder Steigerung der Autonomiekritik zur Folge. Bereits in der frühen Kritik an Fichte weist Schelling die fichtesche Prämisse, die reine Selbstbestimmung sei der Inbegriff der Sittlichkeit, zurück und sieht stattdessen die reine Selbstbestimmung als das Grundübel an. Im System der gesammten Philosophie formuliert er diese Zurückweisung wie folgt: Das ursprünglich Böse liegt also gerade darin, daß der Mensch etwas für sich selbst und aus sich selbst seyn will, woraus leicht zu folgern ist, daß die Moralität als eine eben aus diesem für=sich=selbst= und aus=sich=selbst=Handeln folgende zwar im Einzelnen mit dem Rechten und Guten zusammentreffen mag, aber im Princip und Grunde ganz mit diesem [ursprünglichen Bösen] übereinstimmt […]. (SW VI, S. 561)
Anders als Fichte geht Schelling also nicht davon aus, dass der „Trieb nach absoluter Selbstständigkeit“, der auch nach Fichte, wenn er unreflektiert bleibt, einen „unmoralischen Charakter“ (FGA I,5, S. 176) hat, durch die Reflexion auf diesen moralisch wird, sondern, dass dieser Trieb in seiner Reinheit das „ursprünglich Böse“ selber ist. Dagegen kann Fichte das Unmoralische – als unreflektierter „Trieb nach absoluter Selbstständigkeit“ gedacht – noch als Beleg dafür ansehen, dass der Mensch einen freien Willen hat, weil sich selbst in diesem noch die Spontaneität desselben zeige. Und da Fichte, wie Kant, diese Spontaneität als Vernunft denkt, sofern sie selbst praktisch ist, zeugt auf diese Weise noch der unreflektierte Trieb von seinem sittlichen Grund. Schelling dagegen bestreitet die Einheit von Grund des Bewusstseins und Ordnungsgarant. In der Freiheitsschrift findet Schelling einen Nachweis für diese Unabhängigkeit des Bewusstseinsgrundes vom Garanten der Sittlichkeit. Das Böse, gedacht als intelligible Tat, bezeugt nach Schelling, dass die Spontaneität der menschlichen Freiheit nicht gehalten ist von der übergreifenden Ordnung und dem endlichen Willen seinem Wesen nach – also als Tathandlung – keine Ordnung mit Notwendigkeit zukommt. Sie ist, mit anderen Worten, im leibnizschen Sinne kontingent, insofern sie weder logisch noch metaphysisch notwendig ist.⁵² Für die Bewertung der Tathandlung hat das zur Konsequenz, dass diese als begriffliche Fassung desjenigen Freiheitsvollzuges, mit welchem Partikular- und Universalwille verkehrt werden, nicht wie bei Fichte mit der reinen praktischen Vernunft, mithin mit der Autonomie als Inbegriff der Sittlichkeit identifiziert werden kann. Die Tathandlung muss hier vielmehr als eine Form von Freiheit gedacht werden,
Vgl. Leibniz’ Definition der Kontingenz in den Essais de Theodicée als „l’exclusion de la necessité logique ou metaphysique“ (LS VI, S. / § ).
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die nicht Vernunftkausalität ist, sondern vom Ordnungsgaranten unabhängig ist – und dennoch selbsttätig, mithin spontan ist. Der Grund des Bewusstseins wird von Schelling anders als von Fichte daher nicht mit dem Ordnungsgaranten, sondern mit der Natur als demjenigen Prinzip, das eine unabhängige Wurzel zu diesem hat, identifiziert. In der Freiheitsschrift wird dieser Gedanke über die Selbstheit als Selbsttätigkeit und tätiges Selbstverhältnis, mithin als die Freiheit der Natur begründet und zuletzt über den Grund von Existenz abgesichert. Nicht das Absolute, sondern das von diesem qua Schöpfung unabhängige Selbst wird hier zum Grund des Bewusstseins erklärt. Die Tathandlung wird damit degradiert vom ersten Prinzip des Systems der Freiheit zur Selbstheit als naturhafter Basis der Geistigkeit, zum bloßen Organ, das im Bösen zum Ganzen erhoben wird.⁵³ Indem Schelling 1809 den kantischen Gedanken einer unzeitlichen Verkehrung der Maximen mit der Tathandlung als Grund des Bewusstseins eng führt, lässt er den Begriff, der bei Fichte die Sittlichkeit garantiert, nämlich die reine Selbstbestimmung, zum Ursprung des Bösen im Individuum werden.
3.1.2 Die Deriviertheit. Das Böse als tragischer Freiheitsvollzug Obwohl in Schellings Philosophischen Untersuchungen nicht explizit vom Tragischen oder der Tragödie gesprochen wird, scheint die Interpretation des Verhängnisses menschlicher Freiheit in der Freiheitsschrift vor dem Hintergrund der schellingschen Auseinandersetzung mit dem Tragischen lohnend. Denn, wie Claus-Artur Scheier betont, mit der „Erbsünde“ werde „das tragische Prinzip aus der Kunst jetzt [in der Freiheitsschrift, L.E.] ins Innerste des Gedankens selbst“ (Scheier 1996b, S. 89) gesetzt. Dem ist einerseits nur zuzustimmen: Der intelligiblen Tat, als Freiheitstat, wird ein Verhängnis eingeschrieben. Und das Böse nach Schellings Darlegung folgt der Semantik der Erbsünde, insofern die kantische Konzeption in drei Hinsichten verstärkt wird, die mit einem moralischen Begriff des Bösen nicht vereinbar sind (vgl. Forschner 2009, S. 519 – 543): die Verkehrung, „die jeder Bewußtwerdung vorgängig ist“ (Ricœur 1981, S. 349), die mithin unvordenklich ist (vgl. SW VII, S. 388), die „kommunitäre Dimension der Sünde, die nicht auf die individuelle Verantwortlichkeit reduziert werden kann“ (Ricœur 1981, S. 349), also die Allgemeinheit des Bösen (vgl. SW VII, S. 378 u. S. 381) und die
Vgl. SW VII, S. : „Die allgemeine Möglichkeit des Bösen besteht, wie gezeigt, darin, daß der Mensch seine Selbstheit, anstatt sie zur Basis, zum Organ zu machen,vielmehr zum Herrschenden und zum Allwillen zu erheben, dagegen das Geistige in sich zum Mittel zu machen streben kann.“
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„Ohnmacht des Wollens“ (Ricœur 1981, S. 349) im Schuldigwerden, das Verhängnis in der Freiheitstat (vgl. SW VII, S. 381).⁵⁴ Das Tragische – im Innersten des Gedankens der intelligiblen Tat, die nach Schelling als Tathandlung, mithin als eine Form von Selbstbestimmung gedacht werden muss –, so kann daraus gefolgert werden, ist darum in der Freiheitsschrift Moment der Dialektik der menschlichen Freiheit. Und das „tragische Prinzip“ wandert nun, so kann in Anlehnung an Scheier gesagt werden, in den Gedanken selbst, nämlich in den Begriff der Autonomie. Das Verhängnis wird ein genuines Moment der Autonomie menschlicher Freiheit. Aber Scheier müsste zugleich widersprochen werden, wenn er das „tragische Prinzip“ bei Schelling zuvor lediglich in der Kunst verorten sollte. Um eine Tragödieninterpretation ist es Schelling beim Tragischen auch vor 1809 nicht getan. So handelt es sich bei Schellings Denken um eine Philosophie des Tragischen (vgl. Hühn/Schwab 2011), nicht weil er das Tragische als Prinzip der Tragödie in seiner Allgemeinheit gedacht hat, sondern, weil er den Gedanken der „Peripetie“⁵⁵ in eine „dialektische Struktur“ übersetzt, wie Seidensticker gezeigt hat.⁵⁶ Diese hat aber nicht nur für die Ästhetik Bedeutung, sondern für das System der Freiheit in seinen unterschiedlichen Ausprägungen. Von Beginn an geht es Schelling beim Tragischen um ein Denken von Selbstwiderspruch, dem Systemrelevanz zukommt. In den Philosophischen Briefen beispielsweise wird ein solcher systemrelevanter Selbstwiderspruch an der Tragödie zunächst lediglich dargestellt. Und es hat darum in dieser Schrift in erster Linie eine systematische und kritische Funktion. So veranschaulicht Schelling in den Philosophischen Briefen von 1795 an der sophokleischen Tragödie König Ödipus in Anlehnung an Kants Konzeption der Erhabenheit den Kampf der Freiheit mit der Notwendigkeit (vgl. Courtine 1990, S. 100; Boenke 1998, S. 131), den er als Gefahr in den nachkantischen Richtungsstreit von Dogmatismus und Kritizismus einzeichnet.⁵⁷ Mit der Thematisie-
Ricœur zeigt – nicht in Bezug auf Schelling –, dass sich die Erbsünde von moralischen Konzeptionen der Herkunft des Bösen durch diese drei Merkmale abhebt. Vgl. AW, Poe a: „Wendepunkt aber ist, wie gesagt, das Umschlagen der Handlungen (unmittelbar) in das Gegenteil (dessen, was intendiert war), und zwar wenn dies, wie wir sagen, gemäß dem Wahrscheinlichen oder Notwendigen geschieht.“ Vgl. Szondi , S. : „Seit Aristoteles gibt es eine Poetik der Tragödie, seit Schelling erst eine Philosophie des Tragischen.“ Seidensticker zeigt auf, dass es die „dialektische Struktur“ sei, welche gemäß Szondi die differenten Ausprägungen der Philosophie des Tragischen verbinde (vgl. Seidensticker , S. ). Vgl. ferner Loock , S. – . Obwohl Schelling den Dogmatismus auf einer Stufe mit dem Kritizismus verhandelt und ihn damit systematisch aufwertet, gilt seine mit der Tragödieninterpretation vorgetragene Kritik in den Philosophischen Briefen primär der Zurückweisung des Dogmatismus als „System des Han-
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rung des Tragischen geht es hier mithin nicht vorrangig um die Interpretation der Kunstgattung Tragödie, sondern um die Verdeutlichung eines unauflöslichen Widerspruchs im Streben, die Freiheit in der Kantnachfolge zu denken. Selbst in der Philosophie der Kunst, in der das Verhängnis eine zentrale Kategorie der Tragödienauseinandersetzung ist, lässt sich diese in ihrer Semantik als Konkretisierung der Dialektik des Identitätssystems und der in ihr dargelegten höheren Einheit von Freiheit und Notwendigkeit interpretieren, wie unten gezeigt wird. Diese dialektische Funktion, bei differenter Ausführung, kann dem Tragischen als Verhängnis gleicherweise in der Initia Philosophiae Universae von 1820/ 21 zugesprochen werden: Das Verhängnis als „freies Schicksal“ steht hier für ein Sich-Ungleich-Werden der absoluten Freiheit als Form von Negation, bei der das Negierte Verlorenes ist (vgl. Schelling 1969, S. 135). In der Freiheitsschrift hat das Tragische als Moment der Dialektik der Freiheit die Funktion, die Gesetztheit, die Grenze der menschlichen Freiheit aufzuzeigen.⁵⁸ Anders als die Verwendung des Ausdrucks Sünde, mit dem insbesondere auf die Unabhängigkeit der menschlichen Freiheit vom Göttlichen und seiner Ordnung hingeführt wird – auf ihre Selbstursprünglichkeit –, zeigt Schelling mit dem Verhängnis der menschlichen Freiheit ihre gleichzeitige Abhängigkeit und Eingebundenheit in eine höhere Ordnung auf. Wurde mit der Übernahme der Sünde in die Philosophischen Untersuchungen im vorhergehenden Kapitel gezeigt, wie Schelling mit ihr, ausgehend von der Bestimmung der Herkunft des Bösen über einen unzeitlichen Akt der Freiheit bei Kant, die intelligible Tat als selbstursprüngliche, absolute Freiheitstat in eine übermoralische Kategorie transformiert und die fichtesche Frühphilosophie zudelns“. Er positioniert sich damit im Pantheismusstreit. Unmissverständlich formuliert er diese Kritik am Dogmatismus im letzten Brief so: „Was ist demnach wichtiger für unser Zeitalter, als daß man diese Resultate des Dogmatismus nicht mehr bemäntle, nicht mehr unter einschmeichelnden Worten, unter Täuschungen der faulen Vernunft verhülle, sondern so bestimmt, so offenbar, so unverhüllt, wie möglich aufstelle. Hierinn allein liegt die letzte Hoffnung zur Rettung der Menschheit“ (AA I,, S. f. [Hervorhebung L.E.] / SW I, S. ).Vgl. ferner Hühn b, S. f. u. S. f. Dies entspricht der von Dihle beschriebenen ethischen Dimension der sophokleischen Tragödie, nach der die „Einsicht in die eigene Unvollkommenheit […] das wichtigste Stück moralischen Wissens“ (Dihle , S. ) sei. In diesem Sinne kann der „Uebermuth, alles zu seyn“, der notwendig ins „Nichtseyn fällt“ (SW VII, S. ) auch als Anspielung auf die Hybris im Sinne der antiken Tragödiendichter verstanden werden, die Dihle wie folgt charakterisiert: „Der Anspruch auf irgendeine Art von Vollkommenheit oder Selbstzufriedenheit verletzt unfehlbar ein Privileg, das der Gottheit vorbehalten ist, und provoziert unnachsichtige Bestrafung. In dieser Auffassung ist sich Sophokles mit Herodot und auch mit der delphischen Tradition einig. Selbsterkenntnis, wie sie das Gebot Apollons fordert, ist stets Erkenntnis der eigenen Schwäche und Fehlbarkeit“ (Dihle , S. ).
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rückweist. So wird nun mit der Erläuterung des Verhängnisses menschlicher Freiheit in der Freiheitsschrift dieser unzeitliche Akt insbesondere dahingehend erläutert, als Schelling an ihm die Gesetztheit menschlicher Freiheit herausstellt. Die Untersuchung der Frage, wie der unzeitliche Akt der intelligiblen Tat als tragischer Freiheitsvollzug gedacht werden kann, gliedert sich dabei in drei Aspekte auf. Im Anschluss an die Ausführung der generellen systematischen Bedeutung des Tragischen in Schellings Philosophie soll zunächst in thematischem Anschluss an die oben ausgeführte Problematik der Zuschreibung von Schuld aufgezeigt werden, wie Schelling den unzeitlichen Akt der Verkehrung von Universal- und Partikularwille nicht wie Kant am Paradigma einer bewussten Entscheidung, sondern in Engführung von intelligibler Tat und Tathandlung als Verhängnis denkt, insofern die Freiheitstat dem Bewusstsein unvordenklich ist. Dies zeigt sich auch, wie im dritten Unterkapitel deutlich wird, an der Peripetie der Freiheit, dem Umschlagen von Unschuld in Schuld. Schelling beschreibt eine Art „Ohnmacht des Wollens“, wenn er den Übertritt über den Schwindel, die Angst und die Täuschung verdeutlicht. Der Unterschied des schellingschen Umschlags von Unschuld in Schuld zur kierkegaardschen Konzeption soll dabei eigens zur Sprache kommen. Im vierten Unterkapitel wird die von Schelling aus der intelligiblen Tat entwickelte Figur des Verhängnisses als ursprünglich eigene Tat, welche Schicksal wird (vgl. SW VII, S. 388), erläutert. Die dabei zum Tragen kommende „kommunitäre“ Dimension des Bösen als Mitleidenschaft des Ganzen verdeutlich die Deriviertheit der menschlichen Freiheit ex negativo.
Das Tragische in Schellings Frühphilosophie Eine Theorie des Tragischen findet sich in vielen Philosophien des Deutschen Idealismus. Hier erfährt das Zerrüttete, Unversöhnte, der Kampf gleichwertiger Mächte eine Aufwertung im philosophischen Denken. Ausschlaggebend ist dafür auch der nachkantische Richtungsstreit von Dogmatismus und Kritizismus, von objektiver Notwendigkeit und subjektiver Freiheit, der eingekleidet in die Tragödieninterpretation verhandelt wird. Zugleich wird mit dem Tragischen nicht nur bei Schelling erörtert, wie Negation, Widerspruch und Identität als Momente der Dialektik zu denken sind. Auch Schellings Theorie des Tragischen zielt ins Zentrum seiner Systemkonzepte und unterliegt diesen parallel Wandlungen und Veränderungen. Der dialektischen Figur des Tragischen werden unterschiedliche Gestalten verliehen, die sich aus ihrer Einsetzung im jeweiligen System der Freiheit ergeben und von diesen abhängig sind. Dabei handelt es sich bei ihm durchgängig um eine freiheitstheoretische Ausbuchstabierung des Tragischen. Nicht die Tragik des Wissens, sondern der Freiheit wird von ihm zur Sprache gebracht.
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Besonders deutlich zeigt sich die Nähe der Theorie des Tragischen zum jeweiligen systematischen Ansatz in der Differenz der Theorie des Tragischen in den Philosophischen Briefen und der Philosophie der Kunst, die in der Forschung zumeist wenig berücksichtigt wird: In der frühen Konzeption wird das Absolute als Ausstehendes über den unauflöslichen Widerspruch nur negativ zur Darstellung gebracht; dagegen scheint in der späteren Version die versöhnte höhere Einheit von Freiheit und Notwendigkeit selbst auf. In der antiken Tragödie, so betont Schelling im Jahr 1795 in den Philosophischen Briefen, zeige sich das „Princip aller Erhabenheit“ (AA I,3, S. 50 / SW I, S. 284), nämlich der Kampf von Freiheit und Notwendigkeit, paradigmatisch. Das Tragische bei Schelling ist damit, so kann zunächst angemerkt werden, in status nescendi strukturell angelehnt an das dynamisch Erhabene bei Kant (vgl. KA V, S. 247/ KU, A 79 f.), das sich in der Kritik der Urtheilskraft findet, in welcher mit der Ästhetik ein Zwischenreich der auf Notwendigkeit beruhenden Sphäre der Erkenntnis und dem auf dem Gesetz der Freiheit beruhenden Reich der Sittlichkeit entworfen wird. Das dynamisch Erhabene, von Kant als ästhetisches Phänomen gedacht, zeichnet sich nach ihm durch die Koinzidenz des Gefühls der Ohnmacht und der Macht aus. So heißt es in § 28 der Kritik der Urtheilskraft zur Explikation des dynamisch Erhabenen: Denn so wie wir zwar an der Unermeßlichkeit der Natur und der Unzulänglichkeit unseres Vermögens einen der ästhetischen Größenschätzung ihres Gebiets proportionirten Maßstab zu nehmen unsere eigene Einschränkung, gleichwohl aber doch auch an unserm Vernunftvermögen zugleich einen andern, nicht=sinnlichen Maßstab, […] mithin in unserm Gemüthe eine Überlegenheit über die Natur selbst in ihrer Unermeßlichkeit fanden: so giebt auch die Unwiderstehlichkeit ihrer Macht uns, als Naturwesen betrachtet, zwar unsere physische Ohnmacht zu erkennen, aber entdeckt zugleich ein Vermögen, uns als von ihr unabhängig zu beurtheilen, und eine Überlegenheit über die Natur, worauf sich eine Selbsterhaltung von ganz andrer Art gründet, als diejenige ist, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann, wobei die Menschheit in unserer Person unerniedrigt bleibt, obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte. (KAV, S. 261 f. / KU, A 104 f. [Hervorhebung z.T. L.E.])
Die ästhetisch erfahrene Übermacht einer Naturinstanz – so macht Kant hier deutlich – lässt den Menschen die Würde seiner Freiheit innewerden, nämlich die Möglichkeit, sich trotz der Übermacht der Natur unabhängig von dieser zu bestimmen. Gerade die Antizipation der physischen Ohnmacht führe mithin zum Innewerden der Freiheit als Autonomie und damit zum Gewahrwerden der sittlichen Überlegenheit über die Macht der Natur, die machtlos ist in Anbetracht der Freiheit. Schelling folgt dieser negativen Darstellung der Würde der menschlichen Freiheit, bei der über die Darstellung der Grenze der Notwendigkeit die Freiheit
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aufscheint, in den Philosophischen Briefen und auch noch in der Philosophie der Kunst, insofern er betont, dass in der Tragödie über die Notwendigkeit zur „Anerkennung menschlicher Freiheit“ (AA I,3, S. 107 / SW I, S. 336) hingeführt werde: So bezeuge der Held die „Ehre“ der Freiheit, indem er gegen die übermächtige Notwendigkeit kämpft, die ihm in Form des Verhängnisses begegnet, das ihn zum Verbrecher bestimmt (vgl. SW V, S. 696 f.). Und er stellt als Persona den „höchste[n] Sieg der Freiheit“ dar, indem er „willig [ist,] auch die Strafe für ein unvermeidliches Verbrechen zu tragen, um so im Verlust seiner Freiheit selbst eben diese Freiheit zu beweisen, und noch mit einer Erklärung des freien Willens unterzugehen.“ (SW V, S. 697)⁵⁹ Diese gleichrangige Bezeugung von Freiheit und Notwendigkeit kommt durch die Tat des Helden zustande, der die Strafe freiwillig auf sich nimmt, „selbst über sich verhängt“, die ihm aufgrund einer Verfehlung zukommt,welche das Schicksal ihm auferlegt hat, wodurch er eigentlich schuldlos schuldig ist (vgl. SW V, S. 699), man kann auch sagen: tragisch schuldig ist. Er fügt sich damit der Herrschaft der Notwendigkeit durch einen Freiheitsakt (vgl. SW V, S. 696 f.) und zeigt darin seine Selbstmacht.⁶⁰ Die Macht der Freiheit wird in der schellingschen Tragödieninterpretation wie in der kantischen Erhabenheitskonzeption also gerade durch ihren Widerstreit mit der Notwendigkeit und damit negativ zur Darstellung gebracht.⁶¹ Eine solche „negative Darstellung des Unendlichen“ liegt den Philosophischen Briefen insgesamt strukturell zu Grunde (vgl. Hühn 1998b, S. 95 – 128) – worauf auch der programmatische Verweis auf das „Princip aller Erhabenheit“ zu Beginn des ersten Briefes verweist. Das Unbedingte als die höhere Identität von Freiheit und Notwendigkeit wird hier auch systematisch nur negativ zur Darstellung gebracht, um dem Vorwurf der Schwärmerei zu entgehen.⁶² Anders verhält es sich in
In den Philosophischen Briefen formuliert Schelling: „Es war ein großer Gedanke, willig auch die Strafe für ein unvermeidliches Verbrechen zu tragen, um so durch den Verlust seiner Freiheit selbst eben diese Freiheit zu beweisen“ (AA I,, S. / SW I, S. ). Auf diese Weise führt „das Schauspiel des Kampfs dazu […], den Menschen im höchsten Moment seiner Selbstmacht darzustellen“ (AA I,, S. / SW I, S. ). Vgl. Weischedel , S. f. Kant bezeichnet das Erhabenen als negative Darstellung des Unendlichen und verknüpft diese mit dem Bilderverbot: „[J]ene Absonderung [von der Sinnlichkeit] ist also eine Darstellung des Unendlichen, welche zwar eben darum niemals anders als bloß negative Darstellung sein kann, die aber doch die Seele erweitert. Vielleicht giebt es keine erhabenere Stelle im Gesetzbuche der Juden, als das Gebot: Du sollst dir kein Bildniß machen […].“ (KA V, S. / KU, A ) Vgl. KA V, S. / KU, A : „Diese reine, seelenerhebende, bloß negative Darstellung der Sittlichkeit bringt dagegen keine Gefahr der Schwärmerei, welche ein Wahn ist, über alle Gränze der
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der Philosophie der Kunst, wo die negative Darstellung des Unbedingten in die positive Darstellung der versöhnten Einheit von Freiheit und Notwendigkeit umkippt,⁶³ sodass das Erhabene zum Wegbereiter der Schönheit wird. Hier heißt es: Dort (im Erhabenen) zeigt sich das Endliche noch gleichsam in der Empörung gegen das Unendliche, obgleich es in diesem Verhältniß selbst zum Symbol von ihm wird. Hier (im Schönen) ist es ihm ursprünglich versöhnt. (SW V, S. 468)
Dass es das Strukturmodell der Schönheit im Gegensatz zur Erhabenheit ist, welches der schellingschen Tragödieninterpretation zu dieser Zeit und dem Identitätssystem insgesamt zugrunde liegt, zeigt sich insbesondere daran, dass Schelling in den Vorlesungen zur Methode des akademischen Studiums (1803) behauptet, die „Identität der Nothwendigkeit und Freiheit“ erscheine in der Tragödie als Gegenstand der „Bewunderung“. Und er schließt daran an: „Diese selbe Identität aber ist zugleich der Standpunkt der Philosophie“.⁶⁴ Parallel zum identitätsphilosophischen Ansatz, für welchen die absolute Vernunft der „Standpunkt der Philosophie“ ist, ergänzt Schelling die tragische Dialektik aus den Philosophischen Briefen, die er ansonsten unverändert über-
Sinnlichkeit hinaus etwas sehen, d. i. nach Grundsätzen träumen (mit Vernunft raten), zu wollen; eben darum weil die Darstellung bei jener bloß negativ ist.“ Vgl. AA I,, S. / SW I, S. . Wenngleich Schelling im Jahr in der Einleitung in die Philosophischen Schriften auf eine Kontinuität der Identitätsphilosophie mit den Philosophischen Briefen hinweist, mit dem Hinweis auf das im neunten Brief formulierte „Verschwinden[s] aller Gegensätze widerstreitender Prinzipien im Absoluten“ (Schelling , S. VI), die sich auf die Interpretation der Tragödie übertragen lässt, muss neben dem Unterschied von negativer und positiver Darstellung betont werden, dass die Herausstellung des „Vereinigungspunkt[s] für beide Systeme“ im Jahr (AA I,, S. / SW I, S. ) im Zusammenhang mit der Frage auftaucht: „Was denn der Kriticismus vor dem Dogmatismus voraus habe, wenn beide doch in demselben letzten Ziele – dem Endzweck alles Philosophirens – zusammentreffen?“ (AA I,, S. / SW I, S. ). Dass es Schelling hierbei darum geht, zu zeigen,was der Kritizismus dem Dogmatismus in praktischer Hinsicht voraus hat – und nicht um die Herausstellung der höheren Einheit als solcher –, wird auch deutlich, wenn Schelling am Ende der Briefe sagt, dass es seine „Pflicht [sei], die ganze Täuschung aufzudecken, und zu zeigen, daß jeder Versuch, sie der Vernunft erträglich zu machen, nur durch neue Täuschungen gelingen kann, welche die Vernunft in einer beharrlichen Unwissenheit erhalten, und ihr den letzten Abgrund verbergen, in den sich der Dogmatismus, sobald er auf die letzte große Frage, (Sein oder Nichtsein?) vordringt, unvermeidlich stürzen muß.“ (AA I,, S. / SW I, S. ) Vgl. SW V, S. : „Wir haben die Historie auf die gleiche Stufe mit der Kunst gesetzt. Aber, was diese darstellt, ist immer eine Identität der Nothwendigkeit und Freiheit, und diese Erscheinung, vornehmlich in der Tragödie, ist der eigentliche Gegenstand unserer Bewunderung. Diese selbe Identität aber ist zugleich der Standpunkt der Philosophie“.
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nimmt (vgl. ferner Boenke 1998, S. 134). Der Kampf von subjektiver Freiheit und objektiver Notwendigkeit, der nach ihm das Wesen des Tragischen ausmacht,⁶⁵ endet nun nicht mehr damit, dass Freiheit und Notwendigkeit zugleich siegend und besiegt hervorgehen, sondern in „Versöhnung“ (SW V, S. 696 f.). Damit geht die tragische Dialektik in der Philosophie der Kunst über die Philosophischen Briefe hinaus. In den Philosophischen Briefen siegte die Notwendigkeit, weil der Held sich ihr gefügt hat; die Freiheit, weil er sich freiwillig gebeugt hat. Durch die freiwillige Übernahme der Notwendigkeit diente die Darstellung der Unterlegenheit der Freiheit zugleich negativ ihrer Bezeugung, sodass die Notwendigkeit, welche die Freiheit zu vernichten droht, zugleich die Dignität der Freiheit im Widerspruch aufscheinen ließ. Die unbesiegbare Macht der Notwendigkeit – des Schicksals – brachte damit die übersinnliche Freiheit negativ zur Darstellung. Die Tragödieninterpretation in der Philosophie der Kunst bleibt bei dieser Deutung nicht stehen. Die Ehrenbezeugung der Freiheit angesichts des unentrinnbaren Schicksals wird für Schelling nun zum Anzeichen dafür, dass am Ende des Kampfes der zerreißende Widerspruch nicht „zerrissen, sondern geheilt“ (SW V, S. 696 f.) ist. Als „Grund der Versöhnung und der Harmonie“ am Ende des Kampfes tritt hier die höhere, versöhnte, vollkommene Einheit von Freiheit und Notwendigkeit selbst hervor. Dass diese Konzeption über eine negative Darstellung des Erhabenen hinausgeht und stattdessen die Darstellung des Widerspruchs von Freiheit und Notwendigkeit zu einer „absolute[n] Anschauung“ hinführt (vgl. Courtine 1990, S. 22; Hühn 1998b, S. 126 f.), wird an folgendem Textausschnitt der Philosophie der Kunst besonders deutlich, welcher von Schelling zur Erläuterung des Erhabenen angeführt wird: Wie der tapfere Mann in dem Moment,wo alle Kräfte der Natur und des Verhängnisses auf ihn zugleich feindlich eindringen, in dem Moment selbst des höchsten Leidens zur höchsten Befreiung und zu einer überirdischen Lust übergeht, die alle Schranken des Leidens abgelegt hat, so geht dem, der das Antlitz der furchtbaren und zerstörenden Natur erträgt, das höchste Aufgebot ihrer verderbenden Kräfte selbst, die absolute Anschauung auf, welche der Sonne gleicht, die aus den Gewitterwolken bricht. (SW V, S. 464)
Indem der „Moment selbst des höchsten Leidens“ sich verwandelt in „überirdische[n] Lust“ und das Ertragen des Anblicks der zerstörerischen Natur die „absolute Anschauung“ aufgehen lässt, wird der Widerspruch, der im Tragischen thematisch wird, neu bewertet. So ist er zwar gleicherweise in den Philosophischen Vgl. SW V, S. : „Das Wesentliche der Tragödie ist also ein wirklicher Streit der Freiheit im Subjekt und der Nothwendigkeit als objektiver, welcher Streit sich nicht damit endet, daß der eine oder der andere unterliegt, sondern daß beide siegend und besiegt zugleich in der vollkommenen Indifferenz erscheinen.“
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Briefen und der Philosophie der Kunst als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung: durch die Verherrlichung subjektiver Freiheit einerseits, durch das Hervorbrechen der absoluten Anschauung andererseits. Aber in den Philosophischen Briefen macht Schelling klar, dass die Erträglichkeit des Widerspruchs von subjektiver Freiheit und absoluter Notwendigkeit im Raum der Ästhetik in keinem Fall dazu führen darf,⁶⁶ diesen in ein „System des Handelns“ zu übertragen. Denn die Menschheit müsste ein „Titanengeschlecht“ (AA I,3, S. 108 / SW I, S. 338) sein, um angesichts ihrer drohenden Vernichtung noch ihre sittliche Freiheit bezeugen zu können. Ein solches System würde daher zu einer praktischen Verneinung der menschlichen Autonomie führen. Dagegen ist der Widerspruch im Identitätssystem immer schon entschärft, insofern er lediglich auf die Grenze der Reflexion, die Grenze des Verstandes verweist. Dort, wo die Reflexion im paradoxalen Weder-Noch an die Grenze ihrer Fassenskraft geführt wird, entsteht ein Raum, ein „lichte[r] Punkt“, in welchem sich etwas zeigen kann, dass den Verstand und den bloß negativen Standpunkt übersteigt: die intellektuelle Anschauung. Indem die Vernunft aufgefordert wird, das Absolute weder als Denken noch als Seyn und doch zu denken, entsteht für die Reflexion ein Widerspruch, da für diese alles entweder ein Denken oder ein Seyn. Aber eben in diesem Widerspruch tritt die intellektuelle Anschauung ein und producirt das Absolute. In diesem Durchgang liegt der lichte Punkt, worin das Absolute positiv angeschaut wird. (Die intellektuelle Anschauung also in der Reflexion nur negativ). Durch diese positive Anschauung ist nun überhaupt erst philosophische Construktion oder, was dasselbe ist, Darstellung im Absoluten möglich, wovon §. IV handelt. (SW IV, S. 391 f. Anm. aus dem Handexemplar)
Diese Neubewertung des Widerspruchs ergibt sich natürlicherweise aus dem veränderten Systemansatz. Die Differenz in der Figur des Tragischen hängt aber auch mit ihrer jeweiligen Funktion zusammen. Was ästhetisch (in der Tragödie) bewundert wird, so die Aussage in den Vorlesungen zur Philosophie der Kunst, ist nun der Standpunkt der Philosophie. Was ästhetisch Berechtigung hat, macht Schelling in den Philosophischen Briefen deutlich, wäre als Grundlage eines „System[s] des Handelns“ desaströs. Die Funktion, die das Tragische in den Philosophischen Briefen hat, ist darum in erster Linie eine kritische und die Dialektik der Freiheit 1795 kann aus dieser Perspektive erläutert werden. Im dynamisch Erhabenen, so macht Kant deutlich, werden wir uns der Dignität unserer Freiheit bewusst. Denn das Innewerden der physischen Ohnmacht lässt uns die gleichzeitige Unabhängigkeit unserer sittlichen Bestimmung von der Natur gewahr werden. So schlägt das Bewusstsein der Ohnmacht als Lebewesen Vgl. zur Erträglichkeit Hühn b, S. f.
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um in ein Bewusstsein von der Macht als sittliches Wesen und führt dabei zu einer „Selbsterhaltung von ganz andrer Art“ (KA V, S. 261 f. / KU, A 104 f. [Hervorhebung L.E.]), als es die physische ist. Kant betont in der Kritik der Urtheilskraft aber explizit, dass das Urteil der Erhabenheit, welches weniger etwas über den Gegenstand, als über unsere Gemütsverfassung aussagt, nur stattfinden kann, wenn die Bedrohung der Natur nicht real ist, sondern aus einer dem Ästhetischen eigenen Distanz geschieht. Nur wenn wir uns in Sicherheit befinden, ist diese Erhebung möglich, betont Kant – „[w]er sich fürchtet, kann über das Erhabene der Natur gar nicht urtheilen“ –, denn es „ist unmöglich, an einem Schrecken, der ernstlich gemeint wäre, Wohlgefallen zu finden.“ (KA V, S. 261 / KU, A 103) Die Hinlenkung unseres Triebes nach Selbsterhaltung auf die sittliche Bestimmung durch die Erfahrung einer Übermacht ist mithin abhängig von der Distanz aller realen Bedrohung. Ausgehend von dieser Thematisierung des realen Schreckens als Verhinderung des Urteils der Erhabenheit, unterscheidet Schelling im Jahr 1795 zwischen dem Nutzen, den der Kampf der Freiheit mit der Notwendigkeit in der „tragischen Kunst“ hat, nämlich negativ das Unbedingte zur Darstellung zu bringen, von der Gefahr, die er in diesem Kampf sieht, wenn er zur Grundlage eines „System des Handelns“ wird. Aber ein solcher Kampf ist auch nur zum Behuf der tragischen Kunst denkbar: zum System des Handelns könnte er schon deßwegen nicht werden, weil ein solches System ein Titanengeschlecht voraussetzte, ohne diese Voraussetzung aber, ohne Zweifel zum größten Verderben der Menschheit ausschlüge. (AA I,3, S. 108 / SW I, S. 338)
Ein solcher Kampf würde hier – so lässt Schelling deutlich werden – nicht auf das Gefühl sittlicher Überlegenheit und dem Streben nach sittlicher Vollkommenheit führen, vielmehr würde die Koinzidenz von Ohnmacht und Freiheit hier gerade ins Gegenteil umschlagen – und zum reinen Trieb nach physischer Selbsterhaltung führen. Schelling zeichnet damit im Jahr 1795 nicht nur die Grenze des Ästhetischen nach (vgl. Hühn 1998b, S. 122), sondern thematisiert auch die existentielle „Rückseite“ der Erhabenheit (vgl. Pries 1989, S. 4; Boenke 1998, S. 129 f.). Er geht dabei über die kantische Feststellung hinaus, dass der „Mensch, der sich wirklich fürchtet, [sich] gar nicht in der Gemüthsfassung [befindet], um die göttliche Größe zu bewundern“ (KA V, S. 263 / KU, A 108) und die eigene sittliche Überlegenheit zu erfahren und betont, dass der reale „Streit menschlicher Freiheit mit der Macht der objectiven Welt“ (AA I,3, S. 106 f. / SW I, S. 336) dazu führen würde, dass wir eher „vor dem leisesten Gedanken an Freiheit […] zittern [würden],
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als kämpfend unterzugehen“.⁶⁷ Statt der Behauptung der Freiheit noch im Untergang würde der Mensch die Freiheit und nicht die physische Selbsterhaltung preisgeben. Schelling nimmt mit dieser Position Stellung zum Pantheismusstreit. Spinoza schreibt in der Ethik im Lehrsatz 72: „Ein freier Mensch handelt niemals arglistig, sondern stets loyal“, selbst, wenn es darum gehe, „sein Sein zu erhalten“. Noch in „Todesgefahr“, betont Spinoza, riete die Vernunft nicht zur „Selbsterhaltung“, sondern zur Orientierung an den „gemeinsame[n] Rechtsgesetze[n]“ (Spinoza 2010, S. 501– 503). Auch Jacobi bezieht sich in der 2. Auflage der Schrift Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn von 1789 auf diese Aussage. Spinoza habe erwiesen, „der Mensch, in so fern er ein vernünftiges Wesen sey, opfre eher sein Leben auf, wenn er auch keine Unsterblichkeit der Seele glaube, als daß er durch eine Lüge sich vom Tode rettete“ (JW I,1, S. 166). Und er teilt den Optimismus Spinozas; widerspricht ihm aber zugleich insofern, als er anmerkt, dass es nicht die reine Vernunft sei, die den Menschen dazu bringe, noch in Lebensgefahr ehrlich zu sein, sondern allein der Geist Gottes im Glauben (vgl. JW I,1, S. 167). Schelling kritisiert mit dieser Bezugnahme 1795 allerdings weniger den Dogmatismus generell – auch wenn die Philosophischen Briefe als Beitrag zum Pantheismusstreit gelesen werden können und von Jacobi offensichtlich auch so verstanden wurden –, sondern zielt spezifischer auf die „Dogmaticisten“. In dem von ihnen etablierten System werde, so Schellings Vorwurf, das Absolute als absolute Macht gedacht, „das uns Vernichtung droht“. Was er mithilfe der Tragödieninterpretation vorführt, ist die Konsequenz dieses despotischen Systems, nämlich der Widerstreit von subjektiver Freiheit und absoluter Notwendigkeit. Mit den „Dogmaticisten“ sind insbesondere seine Tübinger Lehrer gemeint, die laut Schelling auf dem Boden der kantischen Philosophie einen neuen Dogmatismus als „Mittelding von Dogmatismus und Kriticismus“ (AA I,3, S. 69 / SW I, S. 301) etablieren, indem sie „aus den Trophäen des Kriticismus ein neues System des Dogmatismus“ (AA I,3, S. 49 / SW I, S. 283) aufbauen und dem begrenzten Subjekt ein unbeschränktes absolutes Objekt, als „Object des Wissens“ (AA I,3, S. 102 u. S. 104 / SW I, S. 331 u. S. 334) entgegensetzen – und damit „aufs neue de[n] Kampf“ (AA I,3, S. 64 / SW I, S. 297) provozieren, der, weil er ein Kampf der individuellen Freiheit mit der objektiven Notwendigkeit ist, tragisch genannt werden kann. Dies ist nach Schelling darum so gefährlich, weil „ich“ im Dogmatizismus Vgl. AA I,, S. / SW I, S. : „Wenn einmal unser Geschlecht bestimmt wäre, durch die Schrecken einer unsichtbaren Welt gepeinigt zu werden; wär’ es dann nicht leichter, feig gegen die Uebermacht jener Welt, vor dem leisesten Gedanken an Freiheit zu zittern, als kämpfend unterzugehen?“.
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nicht „die Welt fürchte[te]“, wie im Dogmatismus, sondern weil „ich nun Gott fürchten“ (AA I,3, S. 51 / SW I, S. 286) muss und damit eine „unsichtbare Macht“, die „unerreichbar für menschliche Freiheit“ ist und gerade deshalb, weil sie „nicht mehr vorstellbar ist“ mit „Schrecken“ (AA I,3, S. 107 f. / SW I, S. 337 f.) erfüllt. Nur wenn wir ein „Titanengeschlecht“ wären, könnte uns das mit Vernichtung bedrohende Absolute zu einem Kampf für Freiheit und Sittlichkeit führen, und das heißt zu einer Relativierung der Notwendigkeit durch die Freiheit, statt zum Zittern „vor dem leisesten Gedanken an Freiheit“. „Furcht und Angst“ (KA V, S. 264 / KU, A 109) vor dem Göttlichen aber, so betont bereits Kant in der Kritik der Urtheilskraft, führt nur zu „Einschmeichelung statt [zu] einer Religion des guten Lebenswandels“. Der Kampf von Freiheit und Notwendigkeit würde hier unerträglich, sodass ein auf diesem aufbauendes System des Handelns „zum größten Verderben der Menschheit ausschlüge“ (AA I,3, S. 108 / SW I, S. 338). Denn, um die Freiheit zu retten, müsste der Mensch etwas anstreben, das ihm mit Vernichtung droht. Weil es dem Menschen aber unmöglich sei, so betont Schelling, bewusst „an seiner eignen Vernichtung zu arbeiten“, führe der existentielle Widerspruch von menschlicher Freiheit und übermächtiger Notwendigkeit früher oder später zum „(moralischen) Untergang“ (AA I,3, S. 109 / SW I, S. 339) statt zur Behauptung der Freiheit. Die Selbstentwürdigung und Flucht in die Amoralität zur Rettung der Existenz wäre demnach die fast notwendige Konsequenz dieses nicht mehr nur ästhetischen Widerspruchs. Dass die Philosophischen Briefe als Streitschrift zu lesen sind, weil es Schelling nicht zuletzt gerade darum getan ist, die Dogmaticisten zu entlarven, die unter der „Maske der Aufklärung“ die „Denkfreiheit“ unterdrücken und einen „moralische[n] Despotismus“ etablieren, wird deutlich in einem Brief an Hegel vom 21. Juli 1795. Hier schreibt Schelling: Es ist unbegreiflich wie viel jener moralische Despotismus geschadet hat: hätt’ er noch einige Jahre gedauert, er hätte die Denkfreiheit in unserm Vaterlande tiefer, als kein politischer Despotism im Stande gewesen wäre, niedergedrükt. Ignoranz, Aberglaube u. Schwärmerei hatten allmählig die Maske der Moralität, und – was noch weit gefehrlicher ist, die Maske der Aufklärung angenommen. Gewiß hätte sich in kurzer Zeit mancher die Zeiten der kraßesten Finsterniß zurükgewünscht; denn der Kreis den diese beschreibt ist weit gegen die Schranken, welche jene halbe Aufklärung um uns gezogen hätte. (AA III,1, S. 27)
Das Tragische hat, so wird hier deutlich, in den Philosophischen Briefen auch die Funktion an die Widerkehr oder Reetablierung objektiver Mächte zu mahnen. Die tragische Dissonanz, die „vor dem Lichte der Vernunft längst verschwunden ist“, also mit der Aufklärung Vergangenheit wurde, ist nach Schelling nicht nur „in der Erinnerung zu bewahren“ (Boenke 1998, S. 133), sondern sie kann, so Schellings
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Meinung, auch mit der Aufklärung und sogar in der „Maske der Aufklärung“ jederzeit wieder Macht gewinnen. Die Dogmaticisten sind hierbei nur ein Beispiel für die Wiederkehr des Kampfes von subjektiver Freiheit und objektiver Notwendigkeit. Trotz der Nähe beider Konzeptionen des Tragischen, die Funktion der Figur, aber auch die Bewertung des mit ihr gedachten Widerspruchs unterscheidet sich, so kann resümiert werden, grundlegend in den Philosophischen Briefen und der Philosophie der Kunst. Was beide teilen, ist der Widerspruch von subjektiver Freiheit und absoluter Notwendigkeit, der nach Schelling das Wesen des Tragischen ist. In den Vorlesungen zur Philosophie der Kunst kommt neben dieser Figur des Tragischen noch eine weitere zur Sprache, eine moderne, wie man sagen kann. Sie ist grundlegend dafür, wie Schelling das Tragische 1809 versteht und klärt das Verhältnis von Tragik und Sünde, die von Schelling beide als Strukturmomente des Bösen als Freiheitsvollzug in der Freiheitsschrift angesetzt werden. Denn die Frage ist durchaus berechtigt, ob der „Adamsmythos“ und die aus diesem hervorgehenden Konzepte von Ur- oder Erbsünde das Tragische nicht per se ausschließen, weil der Gedanke der Sünde als solcher „antitragisch“ (Ricœur 1988, S. 354) ist. Schelling selbst stellt genau diese Frage nach dem Verhältnis von Tragik und Sünde in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Kunst. Er fragt hier im Raum der Ästhetik danach, „inwiefern das Wesen der alten Tragödie in der modernen stattfinde“ (SW V, S. 720). Der „tragische[n] Fall“, so betont er hier, sei in der Antike in seinem Wesen dadurch ausgezeichnet gewesen, dass der Irrtum, wodurch der Mensch zum Verbrecher wird, „von der Nothwendigkeit oder von Göttern, womöglich selbst gegen die Freiheit, verhängt“ (SW V, S. 720) wurde. Und er konstatiert daran anschließend, dass nach christlichem Verständnis ein solcher „tragische[r] Fall“ undenkbar sei, denn die Mächte, die das Böse verhängen, müssten dabei als „höllische Mächte“ gedacht werden, womit dem christlichen Gottesbegriff widersprochen wäre. Schelling zeigt auf, dass es aus christlicher Perspektive trotzdem zwei Möglichkeiten gibt, das Tragische in der Kunst darzustellen und zu denken, nämlich durch zwei Arten der Vermittlung der „höllische[n] Mächte“ mit dem Gottesbegriff: Zum einen, indem angesetzt werde, dass „ein durch göttliche Schickung veranlaßter Irrthum“, der „Ursache von Unheil und Verbrechen“ ist, darüber begründet und vermittelt wird, dass er da sei, „um an ihrer Versöhnung die Kraft der Gnadenmittel zu beweisen.“ (SW V, S. 720) Dieser Ausprägung einer felix culpa setzt er die andere Möglichkeit entgegen, bei welcher der „Charakter“ an „die Stelle des alten Schicksals tritt“.
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Wenn im Folgenden die tragische Dimension der unzeitlichen Tat in der Freiheitsschrift herausgestellt wird, so folgt sie diesem Zusammenhang von Tragik und Sünde, bei welchem das Verhängnis keine objektive Macht ist, sondern der Freiheit des Menschen selbst eingeschrieben wird (vgl. Scheier 1996b, S. 89). Die Notwendigkeit, die gegen die Freiheit streitet, ist hier keine äußere, sondern eine innere Notwendigkeit; eine Notwendigkeit, die 1809 selbst durch einen Freiheitsakt begründet wird, durch eine Tat, die Schicksal wird.
Die Unvordenklichkeit des Bösen Paul Ricœur betont in seiner phänomenologischen Studie zum Böse, dass die christliche Überzeugung unvereinbar sei mit dem antiken Begriff der Tragik. Deshalb steht für ihn fest: Der Adamsmythos ist antitragisch; so viel ist klar: die schicksalhafte Irreführung des Menschen, die Ununterschiedenheit der Schuld des Helden und des bösen Gottes sind nicht mehr denkbar nach dem doppelten Bekenntnis im augustinischen Sinn des Wortes, als Bekenntnis der Heiligkeit Gottes und der Sünde des Menschen. (Ricœur 1988, S. 354)
Dass aber dennoch ein tragisches Moment im christlichen Welt- und Gottesverständnis gedacht werde, führt Ricœur mit Rückgriff auf den „Adamsmythos“ aus, wenn er sagt: „Gleichwohl behauptet der Adamsmythos in sich etwas vom tragischen Menschen und selbst etwas vom tragischen Gott.“ Als Residuum des Tragischen im Christlichen interpretiert er das Symbol der Schlange. Mit dieser sei im Christentum ein „tragische[r] Zug“ (Ricœur 1988, S. 354) angelegt, der sich insbesondere in der durch Augustinus und Luther formulierten Erbsündenlehre auspräge, weil hier Frevel und Täuschung als zwei Seiten der Sünde begriffen werden. Von der Semantik der Erbsünde her betrachtet ist es daher nicht verwunderlich, dass „Verhängnis und Schuld“ (Gräb-Schmidt 2003, S. 160) in Schellings Konzeption des Bösen verwoben sind. Es kann vielmehr sogar vermutet werden, dass gerade die Möglichkeit, ein tragisches Moment zugleich mit der Verantwortung und Freiheit des Menschen zu denken, das Anziehende der Konzeption der Erbsünde für die Philosophie darstellt, zumal, wenn diese danach strebt, das Böse auf eine nicht verharmlosende Weise zu denken.⁶⁸
Dass eine Theorie des Bösen, welche das Böse verharmlosend denkt, sich selbst schuldig macht, betont Heinrich: „Ihn [den Schrecken der Selbstzerstörung] nicht zu denken, wäre die tragische Schuld, in die ein Denken verfällt, das ihn für nichtig erklärt und sich von Schuld freispricht.“ (Heinrich , S. )
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Schelling nimmt die Traditionslinie der Auslegung der Erbsünde auf, die eine Koinzidenz von Schuld und Verhängnis ansetzt, indem er die intelligible Tat nicht wie Kant am Paradigma einer bewussten Entscheidung denkt, sondern mit der fichteschen Tathandlung. Kant, so behauptet Schelling in der Freiheitsschrift, habe eine „transcendentale[n] alles menschliche Seyn bestimmende[n] That in der Theorie“ nicht gedacht – aber er habe einen „Actus der Freiheit“ im Sittlichen angenommen; dementgegen Fichte den „Begriff einer solchen That in der Speculation erfaßt“ habe, aber in der Sittenlehre das Böse wieder in der „Trägheit der menschlichen Natur“ verankerte und damit dem „herrschenden Philanthropismus“ (SW VII, S. 388 f.) verfallen sei (vgl. FGA I,5, S. 185). – Mit dieser Gegenüberstellung weist Schelling nicht nur Fichtes Begriff des Bösen zurück, da dieser die Herkunft des Bösen nicht über eine intelligible Tat denke, sondern konstatiert zugleich, dass Kant zwar die Herkunft des Bösen als Freiheitsvollzug, diese Freiheit aber in der Theorie selbst nicht gedacht habe. Schelling begründet damit nicht nur das Ungenügen des theoretischen Freiheitsbegriffs bei Kant und die Unzulässigkeit der Konzeption des Bösen bei Fichte, sondern stellt Tathandlung und intelligible Tat zugleich solcherart in ein Verhältnis, dass die Tathandlung als spekulative Konzeption der intelligiblen Tat, – die intelligible Tat aber als sittliche Konzeption der Tathandlung aufgefasst werden kann. Bereits weiter oben wurde auf diese Engführung von Tathandlung und intelligibler Tat in der Freiheitsschrift verwiesen und diese im Zusammenhang mit der Fichtekritik dahingehend interpretiert, als Schelling den Grund des Bösen nun in der Selbstbestimmung verortet, die bei Fichte Garant von Sittlichkeit ist. Statt wie oben die Frage, was diese Engführung für die systematische Bewertung der Tathandlung für Konsequenzen hat, steht nun die Frage im Vordergrund, welche Konsequenz diese Engführung für die Konzeption der intelligiblen Tat – also den Ursprung des Bösen – hat, welche Schelling von Kant übernimmt. Die Schwierigkeit, dass sich die Frage, was für eine Art von Freiheit die intelligible Tat als Freiheitsvollzug ist, mit Kant nicht hinreichend beantworten lässt, löst Schelling idealistisch auf: In der systematisch neu bewerteten Tathandlung sieht er die Möglichkeit, die Freiheit der intelligiblen Tat über Kant hinaus zu denken. Damit aber wird die intelligible Tat selbst transformiert, denn die Tathandlung ist nicht nur unzeitlich und unhintergehbar, mithin angeboren, sondern auch unvordenklich (vgl. Hutter 2003, S. 118 f.), da sie als Selbstursächlichkeit den Anfang des Bewusstseins bildet. Schelling betont diese Unvordenklichkeit des Bösen, wenn er sagt:
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In dem Bewußtseyn, sofern es bloßes Selbsterfassen und nur idealisch ist, kann jene freie That, die zur Nothwendigkeit wird, freilich nicht vorkommen, da sie ihm, wie dem Wesen, vorangeht, es erst macht […]. (SW VII, S. 386)
Er bringt damit zum Ausdruck, dass die intelligible Tat als Verkehrung von Universal- und Partikularwille, insofern sie zusammengeht mit dem Selbstkonstitutionsakt des Bewusstseins, vorbewusst ist. Der Übertritt in den Zustand der Schuld ist damit mit dem Ursprungsmoment des Bewusstseins selbst verwoben, welche Fichte als grundlose Spaltung der unbestimmten Einheit in Subjekt und Objekt denkt. Dabei ist das Böse in der Freiheitsschrift, anders als in der Schrift Philosophie und Religion, nicht die Aufspaltung selbst, sondern die Hierarchisierung der Momente in der Aufspaltung. Fichte charakterisiert die Tathandlung als Synthese, nämlich als „Freiheit und Bestimmtheit in Einem“. Er erläutert diesen Gedanken, indem er ausführt, hier herrsche „Freiheit in wiefern angefangen wird“ und „Bestimmtheit in wiefern nur so angefangen werden kann“ (Fichte 1982, S. 141; vgl. Zöller 1996, S. 11 f.). Diese Einheit von Freiheit und Bestimmtheit bricht Schelling für die Konzeption des Bösen in der Freiheitsschrift auf, indem er, Fichte vorläufig zustimmend behauptet, dass die Freiheit der intelligiblen Tat Freiheit als grundlose Selbstanfänglichkeit sei; und weist zugleich den Gedanken zurück, dass diese ihrem Wesen nach mit Notwendigkeit bestimmt sei, und deshalb nur auf diese Weise angefangen werden könne – und betont stattdessen mit Kant, dass die intelligible Tat zwei Ausprägungen haben kann, wodurch grundsätzlich so und anders angefangen werden könnte. Der Mensch ist auf jenen Gipfel gestellt, wo er die Selbstbewegungsquelle zum Guten und Bösen gleicherweise in sich hat: das Band der Principien in ihm ist kein nothwendiges, sondern ein freies. Er steht am Scheidepunkt; was er auch wähle,⁶⁹ es wird seine That seyn, aber er kann nicht in der Unentschiedenheit bleiben, weil Gott nothwendig sich offenbaren muß, und weil in der Schöpfung überhaupt nichts Zweideutiges blieben kann. (SW VII, S. 374)
Die Möglichkeit zu diesem Entweder-Oder wird hier darüber begründet, dass das „Band der Principien“ im Menschen ein freies sei.⁷⁰ An anderer Stelle macht Schelling deutlich, was er unter dem Band der Prinzipien versteht. Es ist das
Da dieses Wählen aus eigener Tat verwoben ist mit dem Akt der Bewusstwerdung,wodurch das Bewusstsein sich erst macht, denkt Schelling sie nicht am Paradigma einer bewussten Entscheidung, sondern als Paradox einer blinden Wahl. Dass dieser Übertritt nicht als „Wahlfreiheit“ im engeren Sinne ausgelegt werden kann, diskutiert auch Peetz , S. f. Vgl. zur Metapher des Bandes PW, Tim e.
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Verhältnis von Partikular- und Universalwille. Ist dieses lebendig, so nennt er es Seele (vgl. SW VII, S. 362). In der Einleitung in die Philosophie der Mythologie formuliert Schelling die Besonderheit der menschlichen Seele, die durchaus als Weiterführung des Grundgedankens von 1809 zur Stellung des Menschen verstanden werden kann: Das Wollen, das für uns der Anfang einer andern, außer der Idee gesetzten Welt ist, ist ein rein sich selbst entspringendes, sein selbst Ursache in einem ganz andern Sinn, als Spinoza dieß von der allgemeinen Substanz gesagt hat […]. Dieses Wollen erhebt sich in der Seele, die allein ein Verhältniß zu Gott hat und zwischen diesem und dem Seyenden eine solche Stellung, daß es von Gott sich nicht abwenden kann, ohne dem Seyenden, und zwar als zufällig materiellem, anheimzufallen. (SW XI, S. 464)
Das Wollen, das sich in der Seele des Menschen erhebt, wird als reine Selbstursächlichkeit, absolute Spontaneität angesehen. Dabei betont Schelling die Mittelstellung der menschlichen Seele, zwischen materiellem Seienden und Gott. In Schellings Philosophischen Untersuchungen ist diese Mittelstellung des Menschen darüber begründet, dass er wie alles Gewordene Selbstheit ist, aber sich von dieser Natur abhebt, weil seine Selbstheit geistig ist. Dies ändert alles. Durch die Vergeistigung wird das Verhältnis, die Relation, welche die Seele ist, frei. Diese Freiheit besteht in der Möglichkeit, sich vom Göttlichen abzuwenden – und sich dem „zufällig materielle[n] “ zuzuwenden. Beide Aspekte, die Offenheit der Bestimmung und das oben erläuterte Paradox der blinden Wahl, werden daran deutlich, dass Schelling den Grund des Bewusstseins als etwas „Zweideutiges“ charakterisiert und als „Unentschiedenheit“ anspricht. Lässt die Zweideutigkeit deutlich werden, dass nicht nur so angefangen werden kann, sondern auch anders, so denkt Schelling mit der Unbestimmtheit einen Zustand „wo weder Gutes noch Böses war“ (SW VII, S. 379) und damit eine Selbstbestimmung, die im Unwissen über Gut und Böse – und damit blind – vollzogen wird. Schelling denkt diesen Freiheitsvollzug nicht als quasi bewusste Entscheidung, nicht als Wahl im strengen Sinn. Diese würde die Distinktheit von Gut und Böse voraussetzen. Stattdessen entwirft er das Paradox einer Entscheidung ohne normative Entscheidungsgrundlage, eine Wahl ohne bewertende Antizipation der Möglichkeiten. Das Böse wird blind gewählt, also ohne Wissen über das damit Angestrebte. Der Übertritt wird zugleich als frei, nämlich selbstanfänglich, und als verhängnishaft, weil jedem Wissen von Gut und Böse vorgängig, gedacht. Der damit exponierte Unterschied der schellingschen Auslegung der intelligiblen Tat zu Kants Verständnis lässt sich wie folgt am „Adamsmythos“ veranschaulichen: Kant betont in seiner Interpretation des Sündenfalls in der Religionsschrift, dass das Verbot dem Übertritt vorgängig gewesen sei, sodass im
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Zustand der Unschuld gewusst wurde, dass das Gebot die einzige Triebfeder seiner Befolgung sein sollte und der Mensch sich trotzdem noch nach anderen Triebfedern umgeschaut habe (vgl. KA VI, S. 42). Schellings Konzeption der unvordenklichen Schuld legt dagegen den Mythos des Sündenfalls so aus, dass erst mit der Übertretung des Verbots, das Verbot als solches erkannt wurde. Erst mit dem Vollzug des Bösen, so Schellings Position, entsteht ein Bewusstsein des moralischen Horizontes. Erst in der Verfehlung wird das bewusst, was schlechthin nicht gewollt werden kann. Der Übertritt in die Sünde wird im Zustand der „Bewußtlosigkeit über die Sünde“ (SW VII, S. 378) vollzogen. Und die Distinktheit von Gut und Böse im Bewusstsein ist dieser Tat nachträglich. Moralität, nach diesem Entwurf gedacht, ist durch einen übermoralischen Akt fundiert, auf dessen Grundlage und in dessen Horizont sich das Bewusstsein von Gut und Böse allererst ausbilden kann, weil Reflexion und normative Bewertung der Möglichkeiten des Uraktes der Freiheit stets a posteriori sind. Mit der Engführung von intelligibler Tat und Tathandlung geht solcherart eine Umdeutung des mit der intelligiblen Tat gedachten Anfangs einher. Er wird nicht als Verkehrung bereits normativ distinkter Triebfedern gedacht, sondern als Verkehrung der Hierarchie von Universal- und Partikularwille im Moment ihrer Scheidung. Der mit der intelligiblen Tat gesetzte Anfang wird nach Schelling also nicht in Klarheit, sondern in Indifferenz vollzogen. Und er ist damit identisch mit dem Anfang der Bewusstwerdung über die Moralität. Der erste Anfang der menschlichen Freiheit kann nach dieser Interpretation als Analogie zum blinden Hervorbrechen der zwei ewigen Anfänge im Absoluten aus der Indifferenz gedacht werden, sodass auch hier gesagt werden könnte: „Unmittelbar aus dem Weder – Noch oder der Indifferenz bricht also die Dualität hervor“ (SW VII, S. 407; vgl. S. 369). Wenn Schelling daher in der Freiheitsschrift sagt, „das Leben des Menschen [reicht] bis an den Anfang der Schöpfung“, sodass er „frei und selbst ewiger Anfang ist“ (SW VII, S. 385 f.), so kann dies im Sinne der Erlanger Vorlesung als „wiederhergestellter Anfang“,⁷¹ als erneuter Zustand der Indifferenz gedeutet werden. Für die moralische Qualifizierung der intelligiblen Tat bedeutet das, so kann resümiert werden, dass sie eigene Tat, Selbstbestimmung ist und als solche identisch ist mit dem Erwachen des Bewusstseins. Sie kann nicht als wissentlicher Ungehorsam angesehen werden, da Schuld und Unwissen hier in eins zusam-
Vgl. Schelling , S. : „Denn […] im Menschen allein ist wieder jene abgründliche Freiheit, er ist mitten in der Zeit nicht in der Zeit, ihm ist verstattet wieder Anfang zu seyn, er ist also der wiederhergestellte Anfang.“
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menfallen, sondern als zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Schuld und Unschuld angesiedelte blinde Wahl.
Die Peripetie der Schuld: Schwindel, Sirenengesang, Angst Das Tragische bei Schelling, so betont Seidensticker, ist eine dialektische Figur (vgl. Seidensticker 2005, S. 285 – 293). Im Zentrum derselben steht das unwillkürliche „Umschlagen“ (AW, Poe 1452a), die Peripetie. Um eine solche handelt es sich bei Schellings intelligibler Tat. Sie markiert die Peripetie von Unschuld in Schuld, von Unbestimmtheit in Bestimmtheit durch Selbstbestimmung. Der Mensch „kann nicht in der Unentschiedenheit bleiben“, betont Schelling und schließt daran an: „Dennoch scheint es, er könne auch nicht aus seiner Unentschiedenheit heraustreten, eben weil sie dieß ist.“ (SW VII, S. 374) Die Unentschiedenheit, welche mythisch „als ein diesem Leben vorausgegangener Zustand der Unschuld und anfänglichen Seligkeit dargestellt werden mag“ (SW VII, S. 385), lässt jede Entscheidung grundlos sein. Im Zustand der Unbestimmtheit gibt es kein Wissen um Gut und Böse (vgl. SW VII, S. 379). Gleichwohl kann der Übertritt, die Selbstkonkretion auch nicht als „gänzliche[r] Zufälligkeit“,⁷² Beliebigkeit gedacht werden. Eine solche ist nicht nur mit Freiheit unvereinbar, sondern lässt auch unverständlich, warum der Urakt der Freiheit mit der Hinwendung zur Verkehrung einhergeht. Schelling verwendet in der Freiheitsschrift Symbole, um diesen für den Verstand paradoxen Gedanken dennoch zu denken. So haben der „Schwindel“ (SW VII, S. 381), der einen auf dem Gipfel erfasst, sodass man herabstürzt, der „Sirenengesang“, welcher den „Hindurchschiffenden in den Strudel hinabzuziehen“ sucht, die „Schlange“ (SW VII, S. 390), die ihre „Farben vom Licht[,] entlehnt“ und die „Angst des Lebens“ (SW VII, S. 381 f.) die Funktion, mehr beschreibend denn erklärend, das spontane Heraustreten aus der Unentschiedenheit als eines, das weder ganz frei noch ganz notwendig ist, zu erläutern. Es bedarf bei der Interpretation dieser Symbole im Grunde keines Verweises auf Kierkegaards „Zwischenbestimmung“.⁷³ Schelling selbst betont in der Philo-
Vgl. SW VII, S. : „[W]enn Freiheit nicht anders als mit der gänzlichen Zufälligkeit der Handlungen zu retten ist, so ist sie überhaupt nicht zu retten“. Aus diesem Grund lässt sich diese Freiheit im Zustand der Unentschiedenheit auch nicht als „Willkürfreiheit“ bezeichnen (vgl. Habermas , S. ). Vgl. KW /, S. f.: „Aber die Möglichkeit der Freiheit ist nicht, daß man das Gute oder das Böse wählen kann. […] Die Möglichkeit ist das Können. In einem logischen System ist es recht bequem zu sagen, daß die Möglichkeit in Wirklichkeit übergeht. In der Wirklichkeit ist das nicht so sehr leicht, und es bedarf einer Zwischenbestimmung. Diese Zwischenbestimmung ist die Angst,
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sophie der Mythologie, dass die Ursünde „in einem zwischen Besinnung und Besinnungslosigkeit zweifelhaften – in der Mitte schwebenden – Zustand sich ereignend gedacht werden muß“ (SW XII, S. 153). Für einen solchen Zwischenzustand aber sind Schwindel, Angst, Täuschung und Verlockung des Sirenengesangs geradezu paradigmatische Beispiele.⁷⁴ Oder, wie Kierkegaard sagen lässt: „Wer in Angst schuldig wird, er wird so zweideutig schuldig wie nur möglich.“ (KW 11/12, S. 61) Die angesprochenen Symbole lassen sich als Darstellungsweise von etwas verstehen, dass für den Verstand nicht zu fassen ist. Sie fungieren von Schelling ganz bewusst eingesetzt als Hilfsmittel des Denkens (vgl. Ricœur 1981, S. 349 u. S. 345 f.; Feger 2007, S. 454). Denn mit dem Symbol, das merkt Schelling in der Philosophie der Kunst an, könne etwas gedacht werden, das die „Schranken einer bloß endlichen Gesetzmäßigkeit“ übersteigt, und „für den Verstand irrational ist“, nämlich das „Gesetzmäßige einer höheren Ordnung“ (SW V, S. 576 f.). Bereits Kant betont, dass die intelligible Tat keine hinreichende Erklärung des Ursprungs des Bösen ist und dieser letztlich unerforschlich bleibe, wenn er hervorhebt: „[F]ür uns ist also kein begreiflicher Grund da, woher das moralische Böse in uns zuerst gekommen sein könne“. Diese Unerforschlichkeit begründet er mit dem Paradox seiner Herkunft: Das Böse hat nur aus dem Moralisch=Bösen (nicht den bloßen Schranken unserer Natur) entspringen können, und doch ist die ursprüngliche Anlage (die auch kein anderer als der Mensch selbst verderben konnte, wenn diese Corruption ihm soll zugerechnet werden) eine Anlage zum Guten […]. (KA VI, S. 43)
Kant führt an, dass das Paradox von Freiheit und Notwendigkeit letztlich zu der Schwierigkeit führt, dass der Urakt nicht erklärbar ist, weil die Erklärung der Tat welche den qualitativen Sprung ebensowenig erklärt, als sie ihn ethisch rechtfertigt. Angst ist keine Bestimmung der Notwendigkeit, aber auch keine der Freiheit, sie ist eine gefesselte Freiheit, wobei die Freiheit in sich selbst nicht frei ist, sondern gefesselt, nicht in der Notwendigkeit, sondern in sich selbst. Ist die Sünde notwendig in die Welt gekommen (was ein Widerspruch ist), so gibt es keine Angst. Ist die Sünde hineingekommen durch einen Akt eines abstrakt freien Willensschlusses, liberum arbitrium […], so gibt es ebenfalls keine Angst. Logisch das Kommen der Sünde in die Welt erklären wollen, ist eine Torheit, auf die nur Leute verfallen können, welche lächerlich darauf versessen sind, eine Erklärung zu bekommen.“ Auch in der Erlanger Vorlesung betont Schelling, dass der erste Anfang über einen „mittlern Begriff zwischen der Freiheit im strengsten Sinne und der Notwendigkeit“ zu denken sei, weil „nichts mit seinem Willen Anfang sein wollen,wiewohl auch nichts Anfang sein wollen kann ohne seinen Willen.“ Und er folgert daraus: „Hieraus erhellt, daß über das, was Anfang ist, notwendig ein Verhängniß, necessitas fatalis, waltet; daß überhaupt kein Anfang ohne Selbstbetrug, Überlistung möglich ist.“ (Schelling , S. f.)
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die Spontaneität derselben zugleich leugnen würde. So führt er in der Metaphysik der Sitten in einer Anmerkung aus: Das Phänomen nun: daß der Mensch auf diesem Scheidewege (wo die schöne Fabel den Hercules zwischen Tugend und Wohllust hinstellt) mehr Hang zeigt der Neigung als dem Gesetz Gehör zu geben, zu erklären ist unmöglich: weil wir, was geschieht, nur erklären können, indem wir es von einer Ursache nach Gesetzen der Natur ableiten; wobei wir aber die Willkür nicht als frei denken würden. (KA VI, S. 380 Anm.)
Schelling, der statt eines „Scheidewege[s]“ in der Freiheitsschrift von einem „Scheidepunkt“ spricht, setzt in dieser Problemlage, in der etwas gedacht werden soll, dass nicht erklärt werden kann, weil Erklärung Ableitung voraussetzt, welche die Spontaneität des Uraktes ihrerseits verleugnen würde, Symbole ein. Indem Schelling den Übertritt mit Symbolen denkt, wird die von Kant konstatierte Antinomie von Erklärung und Spontaneität nicht aufgehoben, sondern gerade anerkannt.⁷⁵ Mit dem Symbol der Schlange werde, so Ricœur, in der Sündenfallgeschichte ein tragisches Schuldigwerden gedacht (vgl. Ricœur 1988, S. 354). Gleiches gilt für den Übertritt mit Schwindel oder der Verführung durch den „unwiderstehlichen Sirenengesang“. Zwischen „Besinnung und Besinnungslosigkeit“ geschieht der Übertritt in die Sünde. Diese Uneindeutigkeit in Bezug auf die Schuldfrage spiegelt sich in den von Schelling verwendeten Symbolen wider. Die Sollizitation erläutert Schelling dabei wie folgt: Gottes Wille ist, alles zu universalisiren, zur Einheit mit dem Licht zu erheben, oder darin zu erhalten; der Wille des Grundes aber, alles zu particularisiren oder creatürlich zu machen. […] Darum reagirt er nothwendig gegen die Freiheit als das Uebercreatürliche und erweckt in ihr die Lust zum Creatürlichen, wie den, welchen auf einem hohen und jähen Gipfel Schwindel erfaßt, gleichsam eine geheime Stimme zu rufen scheint, daß er herabstürze, oder wie nach der alten Fabel unwiderstehlicher Sirenengesang aus der Tiefe erschallt, um den Hindurchschiffenden in den Strudel hinabzuziehen. (SW VII, S. 381)
Die Symbole Schwindel und Sirenengesang, so wird hier deutlich, werden zur Veranschaulichung der unwiderstehlichen „Lust zum Creatürlichen“ eingesetzt, welche der „Wille des Grundes“ erzeugt und damit „die Freiheit als das Uebercreatürliche“ dazu verführt, kreatürlich zu werden.Was mit der überkreatürlichen Freiheit von Schelling gemeint ist,wird an anderer Stelle klar, an welcher Schelling die menschliche Freiheit folgendermaßen charakterisiert: „Dadurch aber, daß die
Aus diesem Grund wird mit der Angst nicht eigentlich etwas entschuldigt, wie Pieper , S. zu Recht betont.
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Selbstheit Geist ist, ist sie zugleich aus dem Creatürlichen ins Uebercreatürliche gehoben, sie ist Wille, der sich selbst in der völligen Freiheit erblickt“ (SW VII, S. 364). Die Selbstheit als Wille der Natur wird hier als das Prinzip der Kreatürlichkeit bezeichnet und sie wird so gedacht, dass sie vom Geist in die Überkreatürlichkeit „gehoben“ und dadurch nicht mehr blinde, sondern sich selbst erblickende Freiheit ist. Wenn nun nach Schelling die „allgemeine Möglichkeit des Bösen“ darin liegt, „daß der Mensch seine Selbstheit, anstatt sie zur Basis, zum Organ zu machen, vielmehr zum Herrschenden und zum Allwillen zu erheben, dagegen das Geistige in sich zum Mittel zu machen streben kann“ (SW VII, S. 389), so lässt sich das Kreatürlichwerden, zu welcher die „Lust zum Creatürlichen“ verführt, als dieses Herabsinken des Geistes und der gleichzeitigen primären Orientierung am Prinzip der Selbstheit verstehen. „Gottes Wille“ und „Wille des Grundes“ können in dieser Textstelle als Synonyme des Universal- und Partikularwillens im Menschen, mithin als Prinzip des Geistes und der Selbstheit verstanden werden und bilden so „die Selbstbewegungsquelle zum Guten und Bösen“ aufgrund der Gleichzeitigkeit beider Prinzipien im Menschen. Mit dem Symbol des Schwindels und des Sirenengesangs wird veranschaulicht, wie die innere unzeitliche Orientierung am Prinzip der Selbstheit gedacht werden kann, nämlich als zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit sowie zwischen Wollen und Nicht-Wollen angesiedelte Grundausrichtung des Willens. In diesem Sinne folgen die Symbole „Schwindel“ und „Sirenengesang“ in gewisser Weise der Charakterisierung des Phänomens des Erhabenen bei Kant als Gleichzeitigkeit von Anziehung und Abschreckung;⁷⁶ sie können jedoch ebenso theologisch als Veranschaulichung des Zustandes des Willens in der Versuchung gedeutet werden. Die mit dem Sirenengesang in Anspruch genommene anziehende Kraft des Partikularwillens, welche die „Lust zum Creatürlichen“ erweckt, indem sie wie eine „geheime Stimme“ ruft oder wie der „Sirenengesang aus der Tiefe erschallt“, erläutert Schelling an anderer Stelle in der Freiheitsschrift mit dem platonischen Ausdruck λογισμός νόϑος als „falsche Imagination“, welche den Menschen wie die Schlange fasziniert und zum Übertritt verführt (vgl. SW VII, S. 390) – ein Ausdruck, der von Platon her erschlossen werden kann.
Dass das „Abschreckende für die Sinnlichkeit […] doch zugleich anziehend ist“ (KA V, S. / KU, A ; vgl. S. / A ) charakterisiert bei Kant das Phänomen des Erhabenen. Auch bei Kierkegaard ist die Angst ausschlaggebend für das Zusammensinken der Freiheit und damit für den Übertritt in die Sünde, die er in Anlehnung an Kants Charakterisierung des Erhabenen als Gleichzeitigkeit von Abschreckung und Anziehung als „antipathetische Sympathie“ und „sympathetische Antipathie“ (KW /, S. ) ausführt.
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Platon benennt mit diesem Ausdruck im Timaios ein Schlussverfahren. Das Nicht-Sein, so betont er hier, lasse sich nicht von sich selbst her denken, sondern nur vom Sein her (vgl. Uehlein 2010, S. 25 f., Anm. 16). Das Mitprinzip des Werdens, die χώρα könne daher nur ergründet werden, indem das Sein in Anspruch genommen werde, welches diesem selbst nicht zukommt, weil es selbst nicht Sein ist, sondern dasjenige, was das Sein einschränke und in die räumliche Existenz bringe (vgl. PW, Tim 52e–53a).Von Schelling her gelesen ist in Analogie zu diesem Mitprinzip des Werdens dasjenige Prinzip bezeichnet, welches partikularisiert und kreatürlich sein lässt. Weil dieses Mitprinzip nur erschlossen werden kann, wenn zugleich das Sein gedacht wird, besteht nach Platon die Gefahr, dass dem Nicht-Sein nicht nur etwas zugesprochen werde, was ihm nur durch das Schlussverfahren vom Sein her zukommt, sondern mehr noch, dass dieses Mitprinzip des Werdens für das wahrhafte Sein gehalten werde: Dann „träumen“ wir – so Platon – und glauben, dass alles, was überhaupt ist, ein raum-körperliches Sein haben muss, mithin nur wahrhaft ist, was raum-körperlich ist; statt zu sehen, dass das körperliche Sein nur die kontrahierte Form des wahrhaften Seins ist.⁷⁷ In dieser Täuschung wird das körperliche Sein somit für das wahre Sein gehalten und das Mitprinzip des Werdens, welches die Ideen aufnimmt und individualisiert, nicht mehr als „Helfer“ für die Ideen gedacht, sondern als das, „was wahrhaft ist“. Dabei wird vergessen, dass das Raumgebende überhaupt nur von den sich in diesem verkörpernden Ideen her erschlossen werden konnte. Diese Täuschung ist demnach gedacht als Inanspruchnahme einer Instanz, welche zugleich verleugnet wird, wobei die nicht bedachte Verleugnung dazu führt, dass das Mitprinzip mit dem wahren Prinzip, den Ideen verwechselt wird. Schelling denkt die täuschende Kraft des Partikularwillens im Anschluss an diesen platonischen Gedanken: Die Täuschungskraft des Partikularwillens besteht darin, dass das, was nicht Zweck an sich selbst ist, „den Schein von dem wahren Sein“ bekommt und das, was bloß Werkzeug (Organ) ist, als Selbstzweck erscheint und den Menschen verführt, nur noch auf das Nichtseiende hinzublicken.⁷⁸ Ähnlich wie Platon konstatiert Schelling damit, dass diese Anziehungs-
Vgl. PW, Tim b: „[E]ine dritte Art sei ferner die des Raumes, immer seiend, Vergehen nicht annehmend, allem, was ein Entstehen besitzt, einen Platz gewährend, selbst aber ohne Sinneswahrnehmung durch ein gewisses Bastard-Denken erfaßbar, kaum zuverlässig. Darauf hinblickend träumen wir und behaupten, alles Seiende müsse sich irgendwie notwendig an einem Ort befinden und einen Raum einnehmen, dasjenige aber, das weder auf Erden noch irgendwo am Himmel sei, das sei nicht.“ Auch in der Philosophie der Offenbarung geschieht der Sündenfall nach Schelling in Täuschung (vgl. SW XIII, S. – ; SW XIV, S. – ).
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kraft von dem wahren Sein stammt, die der Partikularwille vom Universalwillen, „wie die Schlange die Farben vom Licht, entlehnt“, sodass eine „spiegelhafte Vorstellung“ die falsche Imagination erzeugt. „Lockspeise“ (Schelling 1969, S. 128), so macht Schelling hier deutlich, kann der Partikularwille also deshalb für die Selbstbestimmung des Menschen sein, weil er Spuren des Guten aufweist und Züge des wahrhaft Gewollten trägt. Aber nur, weil der Mensch „unvermögend [ist], auf den Glanz des Göttlichen und der Wahrheit“ hinzuschauen und deshalb auf das Nichtseiende hinblickt, wird er die Spuren des Wahren für das Wahre selbst halten, wie Schelling mit Platon argumentiert (vgl. SW VII, S. 390; PW, Pol 515c–e). Der Schwindel kann als das Symbol dieses Unvermögens aufgefasst werden, dem Unendlichen standzuhalten, wodurch der Mensch „aus dem eigentlichen Seyn in das Nichtseyn, aus der Wahrheit in die Lüge, aus dem Licht in die Finsterniß übertritt“ (SW VII, S. 390). Das Unendliche als Abgrund für die Einbildungskraft thematisiert Kant mit dem mathematisch Erhabenen (vgl. KAV, S. 258 / KU, A 98; S. 245 / A 76). Im System der gesammten Philosophie, also zur Zeit der Identitätsphilosophie, hat dieser Abgrund bei Schelling die nihilistische Frage zur Konsequenz, „warum ist nicht nichts, warum ist etwas überhaupt“, die aber sogleich eingeklammert wird. Denn sie „ist auf ewig verdrungen durch die Erkenntniß, daß das Seyn nothwendig ist“ (SW VI, S. 155). Schelling stellt die Frage, „Warum ist nicht nichts, warum ist überhaupt etwas?“ auch im Jahr 1806 in den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie, und auch hier in Anbetracht des „schwindelnde[n] Verstand [es]“ am „Abgrund der Unendlichkeit“ (SW VII, S. 174), also wie im System der gesammten Philosophie in Anspielung auf das Erhabene. Im Nihilismus, so wird daraus deutlich, sieht Schelling zu diesem Zeitpunkt keine Gefahr (vgl. Egloff 2014, S. 145 – 163). Das ändert sich mit den Philosophischen Untersuchungen deutlich. Das Unvermögen auf das Göttliche hinzusehen und die Lust zur primären Orientierung an der Partikularität, an der vergeistigten Selbstheit werden hier als Grund des Übertritts ins „Nichtseyn“ und in eine nihilistische Geisteshaltung – gedacht als Abwendung vom Göttlichen – angesehen. Eine Geisteshaltung, die Schelling wie Jacobi fast zehn Jahre früher in Fichtes Philosophie paradigmatisch verkörpert sieht. Der Ruf der Sirenen lässt sich als die Verführungskraft des Partikularwillens interpretieren, der selbst nicht das wahrhaft Gewollte ist, aber doch Spuren desselben trägt. Der Gipfel auf den der Mensch als geistige Selbstheit gestellt ist, wodurch er die Selbstbewegungsquelle zum Guten wie zum Bösen in sich hat, zeigte sich als Zwischenstellung. Seine Seele kann ein Verhältnis zum Göttlichen haben, aber der Schwindel angesichts des Unendlichen lässt ihn sich nicht am Göttlichen, sondern am Partikularen, an der Selbstheit orientieren.
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Wie mit dem Schwindel und dem unwiderstehlichen Sirenengesang so ist auch mit der Angst ein Moment gedacht, das die Freiheit untergräbt, das den Willen in den Zustand einer Art von Ohnmacht bringt, sodass er statt das wahrhaft Gewollte das nur mittelbar Gewollte anstrebt und zum höchsten Zweck erhebt. Mit der „Angst des Lebens“ versucht Schelling die primäre Willensausrichtung auf das bloß Partikulare also auf eine dritte Art zu plausibilisieren. Wie Täuschung und Schwindel so ist auch mit der Angst ein Moment der Unfreiheit in der Freiheitstat gedacht, die den Übertritt in die Sünde zu einem „fast nothwendige[n] Versuch“ werden lässt. Die Angst des Lebens selbst treibt den Menschen aus dem Centrum, in das er erschaffen worden; denn dieses als das lauterste Wesen alles Willens ist für jeden besondern Willen verzehrendes Feuer; um in ihm leben zu können, muß der Mensch aller Eigenheit absterben, weßhalb es ein fast nothwendiger Versuch ist, aus diesem in die Peripherie herauszutreten […]. Daher die allgemeine Nothwendigkeit der Sünde und des Todes, als des wirklichen Absterbens der Eigenheit […]. Dieser allgemeinen Nothwendigkeit ohnerachtet bleibt das Böse immer die eigne Wahl des Menschen; das Böse, als solches, kann der Grund nicht machen […]. (SW VII, S. 381 f.)
Damit der Mensch in dem Zentrum leben könnte, „in das er erschaffen worden“, das ihm mithin zugedacht war, „muß der Mensch aller Eigenheit absterben“. Seiner Bestimmung könnte er nur folgen, so betont Schelling hier, wenn er seine Eigenheit aufgäbe. Alles ihm eigentümliche, spezifische, ihn in seiner Individualität ausmachende müsste er aufgeben, um sich am Universalwillen als dem höchsten Zweck auszurichten. Dass der Mensch eher den „Hang zeigt der Neigung als dem Gesetz Gehör zu geben“, führt Schelling auf die „Angst des Lebens“ zurück. Sie steht dem Absterben aller Eigenheit entgegen. In ihr zeigt sich der Wille zur Selbsterhaltung als Artikulation der Selbstheit.⁷⁹ Nicht nur in der Freiheitsschrift auch in den Weltaltern steht die Angst im Zusammenhang mit dem Lebendigen (vgl. Dörendahl 2011, S. 241 f.). Schellings Verständnis der Angst zeichnet sich dadurch aus, dass „Angst die Grundempfindung jedes lebenden Geschöpfs“⁸⁰ ist. Als Grundempfindung gehört sie zum
Vgl. auch KW /, S. : „Angst ist zugleich das Selbstischste von allem, und keine konkrete Äußerung der Freiheit ist so selbstisch wie die Möglichkeit zu jeder Konkretion.“ Vgl. SW VIII, S. f.: „Es ist vergebliches Bemühen, aus friedlicher Ineinsbildung verschiedener Kräfte die Mannichfaltigkeit in der Natur zu erklären. Alles, was wird, kann nur im Unmuth werden, und wie Angst die Grundempfindung jedes lebenden Geschöpfs, so ist alles, was lebt, nur im heftigen Streit empfangen und geboren. […] Sind nicht die meisten Produkte der unorganischen Natur offenbar Kinder der Angst, des Schreckens, ja der Verzweiflung?“ Wieland interpretiert die Angst als „radikalste der verschiedenen Weisen uneigentlicher Zeitlichkeit“, weil der Mensch hier mehr noch als in der nostalgischen Sehnsucht, wo er ein „Vergangenes zu-
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Lebendigsein selbst dazu und bedarf keiner spezifischen Bedrohungslage. Der Streit, das „Schreckliche“ als „Grundstoff alles Lebens und Daseyns“ (SW VIII, S. 339), die Verzweiflung angesichts der Natur in ihrer Gefangenheit, die in ihrem unentwegten Gebären und Vernichten, Hervorbringen und Verschlingen in infiniter Wiederholung mit dem Rad des Ixion gedeutet wird, stehen mit der Angst im Zusammenhang.⁸¹ Die mit der Selbstheit in Verbindung gebrachte Schwerkraft, das Sich-Zusammenziehen, um sich zu erhalten, ist der Grund dieser Angst des Lebendigen. Die Angst gehört als Empfindung daher zur „Grundverfassung der Kreatur […] sich als ‚Selbst‘ zu erhalten“,⁸² wie mit Gadamer gesagt werden kann. Indem der Mensch sich primär an dieser Selbstheit orientiert, sinkt er herab zum reinen Naturwesen und widerspricht damit nicht nur seiner geistigen Bestimmung, sondern pervertiert seine Geistigkeit, indem er das universale Prinzip, den Geist, in den Dienst der selbstzentrierten Lebensführung stellt. Auch wenn Schellings „Angst des Lebens“ zu Kierkegaards Angstbegriff eine große Nähe aufweist.⁸³ Eine entscheidende Differenz, die über methodische Unterschiede deutlich hinausreicht (vgl. Hennigfeld 1999, S. 85), insofern sie den Angst- und Freiheitsbegriff selbst betrifft, darf dabei nicht übersehen werden. Mit Kierkegaard, der die schellingschen Philosophischen Untersuchungen rezipiert hat (vgl. Hutter 2003, S. 117– 132; Hühn 2009, S. 3 u. S. 227– 239), lässt sich die Angst als das Innewerden der menschlichen Freiheit und der ihr inhärierenden Möglichkeiten begreifen, die dem Einzelnen seine Verantwortung für die Wahl zur Realisierung einer Möglichkeit und zum gleichzeitig notwendigen Ausschluss anderer Möglichkeiten gegenwärtig werden lässt. Das sich Fallen-Lassen der Freiheit in die Sünde kann vor dem Hintergrund der kierkegaardschen Schrift Der Begriff Angst daher als Entmutigung angesichts dem Innewerden der mit der Freiheit gegebenen Verantwortung verstanden werden (vgl. Hennigfeld 1987, S. 269 – 284). So lässt Kierkegaard Vigilius Haufniensis schreiben:
rückwünscht“, und sich damit chronisch im Kreise dreht, keinerlei Orientierung mehr hat und gar nicht mehr „aus noch ein weiß“ (Wieland , S. f.). Vgl. SW VIII, S. : „Sich selbst überlassen ist diese Natur des Menschen, wie die ewige, ein Leben der Widerwärtigkeit und Angst, ein unaufhörlich verzehrendes, unablässig sich selbst wieder erzeugendes Feuer. Auch sie bedarf der Versöhnung, wofür das Mittel nicht in ihr selbst, sondern außer und über ihr liegt.“ Vgl. Gadamer , S. : „Wenn Schelling schreibt: ‚Die Angst des Lebens treibt die Kreatur aus ihrem Zentrum‘, so spielt Schelling mit diesem Wort auf die Grundverfassung der ‚Kreatur‘ an, sich als ‚Selbst‘ zu erhalten. Angst ist hier nicht so sehr eine Stimmung, sondern das Agens, das sich gegen die Lebensbeengung und Lebensbedrohung wehrt.“ Vgl. zum Verhältnis von Kierkegaard-Schelling Theunissen , S. – ; Figal , S. – ; Hennigfeld , S. – ; Hühn , S. – .
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Angst kann man vergleichen mit Schwindel. Der, dessen Auge es widerfährt in eine gähnende Tiefe niederzuschauen, er wird schwindlig. […] Solchermaßen ist die Angst der Schwindel der Freiheit, der aufsteigt, wenn der Geist die Synthesis setzen will, und die Freiheit nun niederschaut in ihre eigne Möglichkeit, und sodann die Endlichkeit packt sich daran zu halten. In diesem Schwindel sinkt die Freiheit zusammen. (KW 11/12, S. 60 f.)
Kierkegaard erweist die in der Freiheit des Menschen liegende Offenheit zur Bestimmung über das Phänomen der Angst – in ihr wird das Potential der Freiheit, ihre „Möglichkeit zu jeder Konkretion“⁸⁴ zugänglich. Gerade am Schwindel wird dabei der Unterschied zu Schellings Angstbegriff deutlich, auch wenn beide mit ihm Kant rezipierend den Zwischenzustand von Anziehung und Abstoßung angesichts eines Abgrundes ansprechen.⁸⁵ Denn mit dem Abgrund ist Unterschiedliches angesprochen: Der Abgrund des kierkegaardschen Schwindels ist die indefinite Möglichkeit der Freiheit, die Offenheit der Selbstbestimmung – welche die Freiheit entmutigt, wodurch sie die Möglichkeit der existentiellen Entscheidung nicht ergreift. Der Abgrund des schellingschen Schwindels hingegen ist das für den Verstand Unermessliche. Anders als bei Kierkegaard zeigt sich die Angst bei Schelling nicht als die Angst der Freiheit, die vor ihrer eigenen Möglichkeit und Notwendigkeit der Selbstbestimmung zurückschreckt – und der damit gegebenen Verantwortung für die Selbst-Wahl, sondern als Angst des Lebens. Der Mensch als Naturwesen hat Angst. Sie dient ihm zur Selbsterhaltung, zu Bewahrung seiner selbst als Lebewesen und ist zugleich Hindernis seiner Ausrichtung am Über-Individuellen (vgl. Axt-Piscalar 1996, S. 159 – 164). Während bei Kierkegaard die Angst das Innewerden der Freiheit als Freiheit und damit die Verantwortung der Freiheit für das unzeitliche Ergreifen der SelbstWahl im Augenblick anzeigt, nämlich als Antizipation ihres möglichen Versäumnisses, zeigt die Angst des Lebens bei Schelling die naturale Basis des
Vgl. KW /, S. : „Wer in Angst schuldig wird, er wird so zweideutig schuldig wie nur möglich. Angst ist eine weibliche Ohnmacht, in welcher die Freiheit das Bewußtsein verliert, psychologisch gesprochen geschieht der Sündenfall stets in Ohnmacht; aber Angst ist zugleich das Selbstischste von allem, und keine konkrete Äußerung der Freiheit ist so selbstisch wie die Möglichkeit zu jeder Konkretion.“ verwendet Kant in dem Artikel Das Ende aller Dinge den Abgrund als Bild für das Furchtbar-Erhabene (KA VIII, S. ): „Dieser Gedanke [vom Ende aller Dinge, L.E.] hat etwas Grausendes in sich: weil er gleichsam an den Rand eine Abgrunds führt, aus welchem für den, der darin versinkt, keine Wiederkehr möglich ist […]; und doch auch etwas Anziehendes: denn man kann nicht aufhören, sein zurückgeschrecktes Auge immer wiederum darauf zu wenden […].“ Schelling zitiert aus dieser Schrift, allerdings in anderem Zusammenhang, bereits in den Philosophischen Briefen.
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Selbstbewusstseins und der menschlichen Freiheit an. Entsprechend führt die Angst der Freiheit bei Kierkegaard zur Möglichkeit der Freiheit hin; die Angst bei Schelling zu der in der Philosophie und den Autonomiekonzeptionen seiner Zeit verleugneten Grenze. Der Eigendünkel des Menschen sträubt sich gegen diesen Ursprung aus dem Grunde, und sucht sogar sittliche Gründe dagegen auf. […] Die weibischen Klagen, daß so das Verstandlose zur Wurzel des Verstandes, die Nacht zum Anfang des Lichtes gemacht werde, beruhen zwar zum Theil auf Mißverstand der Sache (indem man nicht begreift, wie mit dieser Ansicht die Priorität des Verstandes und Wesens dem Begriff nach dennoch bestehen kann); aber sie drücken das wahre System heutiger Philosophen aus, die gern fumum ex fulgore machen wollten, wozu aber selbst die gewaltsamste Fichtesche Präcipitation nicht hinreicht. (SW VII, S. 360)⁸⁶
In der Angst des Lebens wird die Grenze menschlicher Freiheit deutlich, nämlich neben der Spontaneität die Gewordenheit, Abhängigkeit und Gefährdung, die physische Basis der Geistigkeit und die Eingelassenheit des Selbstbewusstseins in den Naturkosmos. „Jedes organische Individuum ist als ein Gewordenes nur durch ein anderes, und insofern abhängig dem Werden, aber keineswegs dem Seyn nach.“ (SW VII, S. 346) Schelling betont in der Freiheitsschrift, dass der Mensch die Bedingungen seiner Existenz nicht selbst erzeugen kann, sondern sie, nur zum Teil verfügbar, „außer sich hat“ (SW VII, S. 399). Das unterscheidet ihn vom Göttlichen, welches die Bedingung seiner Existenz „in sich, nicht außer sich hat“ (SW VII, S. 399). Er schreibt dem Menschen damit nur endliche Selbstmacht zu, weil er „die Bedingung [seines Existierens] nie in seine Gewalt“ bekommt und diese Bedingung seiner Existenz „eine ihm nur geliehene, von ihm unabhängige“ (SW VII, S. 399) ist, er mithin nur ein „geborgtes Leben“ hat. Zugleich betont Schelling in der Freiheitsschrift, das Böse sei der Versuch, die Bedingungen der eigenen Existenz „in seine Gewalt“ (SW VII, S. 399) zu bekommen; es sei das Streben danach „selbst schaffender Grund zu werden“ (SW VII, S. 390) und damit die Abhängigkeit und Ausgeliefertheit in Selbstmacht zu verwandeln.
Vgl. FGA I,, S. : „Wir schreiben dem Körper auch zu eine innere, durch sein bloßes Seyn gesezte Kraft; (nach dem Satze A = A.) aber, wenn wir nur transcendendtal philosophiren, und nicht etwa transcendent, nehmen wir an, daß durch uns gesezt werde, daß sie durch das bloße Seyn des Körpers (für uns) gesezt sey; nicht aber, daß durch und für den Körper selbst gesezt werde, daß sie gesezt sey: und darum ist der Körper für uns leblos, und seelenlos, und kein Ich.“ Auch Schlegel widerspricht der Ansicht, der „Mensch [habe sich] von einem Zustand ganz thierischer Dumpfheit angefangen […] erst ganz allmaehlig zu einiger Vernunft empor gearbeitet“, in seiner Schrift Ueber die Sprache und Weisheit der Indier, wenn er betont, dass „diese Ansicht aller gesunden Philosophie widerstreitet“ (Schlegel , S. ).
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Die selbstverstrickte Freiheit – das Verhängnis Das Verhängnis wird in der Freiheitsschrift zum Signum einer spezifisch endlichen menschlichen Freiheit (vgl. Peetz 1995, S. 215; Sturma 1995, S. 149 – 172). Es steht im Gegensatz zur Selbstmacht der fichteschen Autonomiekonzeption für die Grenze menschlicher Freiheit. Diese zeigt sich in ihrem Anfang. Bereits ihrem ersten Entstehen eignet etwas Verhängnishaftes, insofern die intelligible Tat – als geistigpraktische Grundausrichtung – dem Bewusstsein vorgängig ist, „dieses erst macht“. Schelling spricht in der Philosophie der Mythologie vom „unvordenkliche[n] Verhängniß“ (SW XII, S. 153 f.), weil es ein „Vorgang ist, vor dem sich das Bewußtseyn nichts denken, nämlich nichts sich erinnern kann“, sodass nur „die Folge der That […] im Bewußtseyn“ bleibt und es „von seinem früheren Zustand abgeschnitten ist.“ Das Verhängnishafte begründet er hier in zwei Hinsichten: zum einen damit, dass „er [der Vorgang] in einem zwischen Besinnung und Besinnungslosigkeit zweifelhaften – in der Mitte schwebenden – Zustand sich ereignend gedacht werden muß“ und zum anderen damit, dass, „sich der Wille durch den Erfolg, den nicht beabsichteten, auf eine ihm selbst in der Folge nicht mehr begreifliche Weise überrascht sieht.“ Die Setzung des höchsten Zwecks ist dem Bewusstsein uneinholbar. Sie ermöglicht dieses konstitutiv. Dabei sind Kräfte wirksam, die diese Selbstbestimmung weder frei noch notwendig, sondern in einem Zwischenzustand angesiedelt sein lassen; ein labiler Zustand, der in seiner Fragilität die Verführbarkeit der menschlichen Freiheit begründet. Täuschung, Schwindel und Lebensangst stehen der Ausrichtung am wahren Guten entgegen und begünstigen die Orientierung an dem nur scheinbar Guten. Mit der Verdrängung des wahren Guten aber tritt nach Schelling „ein anderer Geist an die Stelle, da Gott seyn sollte; der umgekehrte Gott nämlich“ (SW VII, S. 390).⁸⁷ Indem Schelling das nur scheinbar Gute damit nicht nur als das Nicht-Gute, sondern als negative Macht, als „böse[n] Geist“ (SW VII, S. 389) darlegt, löst er seinen Anspruch ein, das Böse nicht als Derivationsform des Guten zu denken. Und er zeichnet in den Urakt der menschlichen Freiheit die Einheit von Spontaneität und Abhängigkeit ein, insofern in der autonomen Tat bestimmt wird, von welchem Geist sich der Wille bestimmen lässt. Nicht die Trennung von Partikular- und Universalwille, sondern die „falsche Einheit“ (SW VII, S. 371) ist nach Schelling das Böse. Diese Disharmonie der Kräfte,
Vgl. auch Platons Hinweis auf die zwei Weltseelen: „eine wohltätige und eine, die das Gegenteil bewirken vermag“, wobei letztere dadurch wird, dass die eine Weltseele, die „alles zum Rechten und Glücklichen hinlenkt“, „wenn sie jederzeit die Vernunft zur Hilfe nimmt, die auch für Götter mit Recht eine Gottheit ist“ sich verkehrt und „das Gegenteil bewirkt, sobald sie sich mit der Unvernunft verbindet.“ (PW, Nom e–b)
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die das Böse eigentlich erst ausmacht, ist nur in der Realisierung der falschen Hierarchie von Partikular- und Universalwillen und verselbständigt sich doch zugleich von dieser. Diese Verobjektivierung hat zur Konsequenz, dass die primäre Ausrichtung des Willens am Partikularwillen eine vorher nicht antizipierte Macht freisetzt. So ist der böse Geist laut der Philosophie der Offenbarung der „vom Menschen hervorgegangene[n] Geist“ (SW XIV, S. 269) der, wie Schulz schreibt, „ihn [den Menschen, L.E.] nun von außen zu überkommen schein[t]“ (Schulz 1964, S. 7). Am Organismusbegriff, an dem Schellings Konzeption des Bösen paradigmatisch ausgerichtet ist, lässt sich diese Selbstauslieferung an eine nicht mehr zur Verfügung stehende beherrschende Macht erläutern. Wie die Krankheit nach dem schellingschen Modell dadurch die Einheit des Organismus beherrscht, dass ein Organ sich verabsolutiert, so beherrscht der „böse Geist“ als „falsche Einheit“ das Ganze, indem ein Partikularwille sich verabsolutiert, „um selbst schaffender Grund zu werden, und mit der Macht des Centri, das er in sich hat, über alle Dinge zu herrschen.“ (SW VII, S. 390) Die individuelle Orientierung am Partikularzweck führt also dazu, dass ein Partikulares danach strebt, das Ganze, dessen Teil es ist, zu beherrschen und dadurch die wahre Einheit dieses Ganzen aufgrund seines Machtstrebens zerrüttet,⁸⁸ denn ein „bloßer Particularwille“, so betont Schelling, vermag „die Kräfte nicht mehr unter sich, wie der ursprüngliche, [zu] vereinigen“ (SW VII, S. 365). Er scheitert alle Kräfte nach seiner Maßgabe zu identifizieren, weil er diesen als bloß Partikulares systematisch widerstreitet. In seiner Totalisierungstendenz schließt er sie notwendigerweise aus. Und die wahre, alle Teile friedlich vereinigende Einheit ist verloren. Parallel zur Unterscheidung von Partikular- und Universalkrankheit kann das Verhängnis, das diese Herrschaft der falschen Einheit bedeutet, seiner individuellen Dimension nach von der universalen Dimension unterschieden werden. Betrifft die erste den individuellen Willen, mithin das Selbstverhältnis des Menschen, so die andere das organische Ganze und führt hier zu dem Gedanken der Mitleidenschaft des Ganzen als Beeinträchtigung aller Organe. Von Schellings Spätphilosophie her lassen sich beide erläutern. Das Böse in seiner universalen Wirkung ist die Mitleidenschaft des Ganzen auf Grundlage der organischen Einheit seiner Teile. Das Ganze, wovon der individuelle
Vgl. SW VII, S. : „Daß aber eben jene Erhebung des Eigenwillens das Böse ist, erhellt aus Folgendem. Der Wille, der aus seiner Uebernatürlichkeit heraustritt, um sich als allgemeinen Willen zugleich particular und creatürlich zu machen, strebt das Verhältniß der Principien umzukehren, den Grund über die Ursache zu erheben, den Geist, den er nur für das Centrum erhalten, außer demselben und gegen die Creatur zu gebrauchen, woraus Zerrüttung in ihm selbst und außer ihm erfolgt.“
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Mensch Teil ist, verliert durch den Freiheitsmissbrauch des Menschen die rechte Ordnung; der Kosmos wird zu einer „zerrissenen[n] Welt“, wie Schelling in der Philosophie der Offenbarung die Konsequenz des Sündenfalls benennt, wodurch der Mensch als „das Einzelne seine Stellung als Moment verloren hat, und daher nur zufällig und sinnlos erscheint.“ (SW XIII, S. 352) Das hat auf der profanen Ebene Folgen für die Gemeinschaft der Menschen. Dem Verlust der wahren Einheit folgt nach Schelling die strukturelle Unfähigkeit wieder friedliche Einheit zu stiften. Der Krieg ist darum in den Stuttgarter Privatvorlesungen das „höchste Phänomen der nicht gefundenen und nicht zu findenden Einheit“ (SW VII, S. 462). Statt der friedlichen Einheit herrscht die tragische Dissonanz von partikularer und universaler Freiheit. Hier ist die Einheit verloren, in welcher die Freiheit der Parteien mit der Freiheit Aller zusammenstimmt (vgl. SW VII, S. 461 f.). Und die Geschichte wird sinnbildlich selbst eine „große Tragödie“.⁸⁹ Aber nicht nur die Unfähigkeit der Menschheit dauerhaft Frieden zu halten, auch das prekäre Gleichgewicht von staatlicher Macht und individueller Freiheit offenbart nach Schelling den unvorzeitlichen Verlust der wahren Einheit. Die Natureinheit, diese zweite Natur über der ersten, zu welcher der Mensch nothgedrungen seine Einheit nehmen muß, ist der Staat; und der Staat ist daher, um es gerade heraus zu sagen, eine Folge des auf der Menschheit ruhenden Fluchs. […] Der Staat hat einen Widerspruch in sich selbst […] und daher ist jede Einheit, die auch in einem Staat entsteht, doch immer nur precär und temporär. (SW VII, S. 461)
Der Staat als Substitut der wahren Einheit ist nach Schelling ein Selbstwiderspruch, weil sich in seiner Organisation die Freiheit des Einzelnen und die Sicherung der Freiheit aller systematisch widersprechen,⁹⁰ sodass Staatsmacht und individuelle Freiheit jederzeit in einem Konkurrenzverhältnis stehen, obgleich sie einander ermöglichen sollten.⁹¹ Der hier angesprochene, auf der Menschheit ru-
Vgl. SW VII, S. : „Daher die Geschichte am besten als eine große Tragödie anzusehen ist, die auf der Trauerbühne dieser Welt aufgeführt wird, wozu sie die bloßen Bretter hergibt, indeß die Handelnden, d. h. die darauf vorgestellten Personen, von einer ganz anderen Welt sind.“ Vgl. ferner SW VII, S. : „Daher ist es ganz natürlich, daß jetzt am Ende dieses Zeitraums, wo von nichts als Freiheit die Rede war, die consequentesten Köpfe, wenn sie die Idee eines vollkommenen Staates verfolgen, auf die Theorie des ärgsten Despotismus gerathen (Fichtes geschlossener Handelsstaat etc.)“. Vgl. SW VII, S. f.: „Es ist bekannt, wie viele Mühe man sich, besonders seit der französischen Revolution und den Kantischen Begriffen, gegeben hat, eine Möglichkeit zu zeigen, wie mit der Existenz freier Wesen Einheit vereinbar, also ein Staat möglich sey, der eigentlich nur die Bedingung der höchstmöglichen Freiheit der Einzelnen sey. Allein dieser ist unmöglich. Entweder
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hende Fluch, die „währende Korruption“ (Habermas 1971, S. 175), wie Habermas interpretiert, ist dabei ein Bild für das Verhängnis, welche der Verlust der wahren Einheit bedeutet. Denn alles Bemühen um eine friedliche Lösung kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Gelingen die jederzeit gefährdete Ausnahme bleibt. Auf der sakralen Ebene, so Schellings Diagnose, ist der Nihilismus die Folge der Herrschaft der falschen Einheit. Die Stellung des Menschen erscheint „zufällig und sinnlos“. Das Prinzip der Natur, die Selbstheit offenbart sich, zur Herrschaft durch den Menschen gebracht, als das „Creaturwidrige“,⁹² als der „un= ja widergöttliche[n] Geist“ (SW XIV, S. 275). Der höhere Zweck des Ganzen wird hier fraglich und „die Härte und Abgeschnittenheit der Dinge“ (SW VII, S. 409) wird erfahren. Hieraus entsteht der Hunger der Selbstsucht, die in dem Maß, als sie vom Ganzen und von der Einheit sich lossagt, immer dürftiger, armer, aber eben darum begieriger, hungriger, giftiger wird. Es ist im Bösen der sich selbst aufzehrende und immer vernichtende Widerspruch, daß es creatürlich zu werden strebt, eben indem es das Band der Creatürlichkeit vernichtet, und aus Uebermuth, alles zu seyn, ins Nichtseyn fällt. […] Allein auch dieses sollte offenbar werden, denn nur im Gegensatz der Sünde offenbart sich jenes innerste Band der Abhängigkeit der Dinge und das Wesen Gottes […]. (SW VII, S. 390 f.)
Der ungemilderte Partikularwille tritt im Bösen hervor, die reine Selbstsucht. Hier ist die Selbstheit nicht mehr nur „Grund und gleichsam […] Träger der Wesen“, nicht mehr „überkleidet“ und „bedeckt“ mit dem Guten, nicht mehr Werkzeug, sondern reiner Selbstzweck „und darum schrecklich“ (SW VII, S. 391). Der Partikularwille als Voraussetzung und Basis alles Werdenden erscheint hier, durch den Menschen zum Selbstzweck erhoben, in seinem zerstörerischen Potential, so, wie er „gleichsam vor aller Existenz (noch nicht durch sie gemildert)“ (SW VII, S. 391) war.
wird der Staatsmacht die gehörige Kraft entzogen, oder wird sie ihr gegeben, dann ist Despotismus da.“ Vgl. SW XIII, S. : „Er dachte, es in seiner Gewalt zu haben. Statt dessen setzt er es außer aller Gewalt und macht es vielmehr – soweit als es von ihm wieder erregt ist – absolut, macht es zu einem Selbstlebenden. Als ein vom Menschen erregtes ist es nicht mehr ein göttlich gesetztes, und also in einem ganz anderen Sinn außergöttliches, sowie noch in einem ganz anderen Sinn das nicht seyn Sollende als zuvor in der Schöpfung. Dieses Princip in seiner Absolutheit ist aber eigentlich das Creaturwidrige.“
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Indem Schelling diese Zerrüttung mit dem Zorn Gottes in Verbindung bringt,⁹³ deutet er das nihilistische Bewusstsein als Konsequenz der pervertierten Beziehung zum Absoluten,⁹⁴ das in der Bedrohungslage der korrumpierten Welt seine Abhängigkeit vom Ganzen umso deutlicher erfährt, als es versucht, sich restlos aus und durch sich selbst zu begründen. Da der Mensch wie jedes Lebewesen nach Schelling von etwas abhängig ist, das er nicht beherrschen kann – so könnte mit dem Symbol der „Angst des Lebens“ begründet werden –, wird er versucht sein, den Grund seiner Existenz umso eher selbstisch zu beherrschen, je mehr er sich in seiner Existenz bedroht fühlt. Hier, in der Abhängigkeit des Menschen von einer gleichsam zerrütteten Welt lässt sich ein Verständnis für den Zusammenhang der Allgemeinheit des Bösen mit dem Übertritt des einzelnen Menschen gewinnen,⁹⁵ das über Schelling hinausgeht und doch vor dem Hintergrund seiner Diagnose der Gefährdetheit menschlicher Freiheit nahe liegt. Kierkegaard kennt eine „objektive[n] Angst“ und Ricœur konstatiert in seiner Nachfolge: „Wir beginnen das Böse, durch uns kommt es in die Welt, aber wir beginnen es nur von einem bereits vorhandenen Bösen aus.“ (Ricœur 1981, S. 351) Wie nach Ricœur mit der erstmaligen Realisierung des Bösen das Böse zu einer objektivierten Erscheinung wird, welche ängstet, so lässt sich ausgehend von Schelling davon sprechen, dass die Allgemeinheit der Sünde nicht aus der willkürlichen Wiederholung der Selbstverabsolutierung entspringt, sondern die Sünde eines Einzigen bereits eine Auswirkung auf die Einheit des Ganzen hat. „Jeder später geborene Mensch“, betont Schelling im zweiten Teil der Philosophie der Offenbarung, „ist schon unter dem Einflusse dieses Geistes geboren, er braucht in ihm nicht erst erregt zu werden.“ (SW XIV, S. 270) Die Herrschaft des „schrankenlose[n] Geist[es]“ (SW XIV, S. 258) führt zum Verlust der friedlichen Einheit, zur
Vgl. SW VII, S. : „[E]s sey in diesem System Ein Princip für alles, es sey ein und dasselbe Wesen, das im finstern Naturgrund und das in der ewigen Klarheit waltet, ein und dasselbe, das die Härte und Abgeschnittenheit der Dinge, und das die Einheit und Sanftmuth wirkt, das nämliche, das mit dem Willen der Liebe im Guten und mit dem Willen des Zornes im Bösen herrscht […].“ Vgl. SW VII, S. f. Ricœur interpretiert den Zorn Gottes als „letztes Motiv des tragischen Bewußtseins“ (Ricœur , S. f.) im Christlichen, welches dem Menschen die Abhängigkeit vom Heiligen aufzeigt: „Denn weil das Böse in ausgezeichneter Weise die kritische Erfahrung des Heiligen ist, gibt das drohende Zerreißen dieser Bindung des Menschen an sein Heiliges aufs eindringlichste zu verspüren, wie der Mensch von den Gewalten dieses Heiligen abhängt.“ (Ricœur , S. ) Nach Kant ist es unerforschlich, wie das „von uns selbst zugezogene[n]“ Böse mit der Allgemeinheit des Bösen zusammen gedacht werden kann. Denn es könne nicht erklärt werden, wie „der subjective oberste Grund aller Maximen mit der Menschheit selbst, es sei wodurch es wolle, verwebt und darin gleichsam gewurzelt ist“ (KA VI, S. ).
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Nicht-Realisierung der moralischen Weltordnung,⁹⁶ sodass die Freiheit des Einzelnen in Widerspruch zu der Freiheit aller gerät. Diese mit der Realisierung des Bösen objektivierte Macht der falschen Einheit, wodurch statt „die Gerechtigkeit herrschend zu machen“ (AA I,9,1, S. 296 / SW III, S. 597), die Ungerechtigkeit etabliert wird, begründet dann die immer wieder erneute Grundausrichtung am scheinbar Guten als „fast notwendige[n] Versuch“ der Selbstbehauptung. Die individuelle Dimension des Verhängnisses lässt sich aus der Engführung von intelligibler Tat und neubewerteter Tathandlung durch Schelling erläutern. Sie ist im Inneren des einzelnen Willens angesiedelt. Die kantische Figur der intelligiblen Tat als Selbstbestimmung, welche aufgrund ihrer Unzeitlichkeit zugleich allzeitlich ist, hat an sich selbst ja bereits etwas Verhängnishaftes, insofern der Hang zum Bösen nicht ausgetilgt werden kann, wie Kant betont (vgl. Schelling 1969, S. 42; Hühn 1994a, S. 195 – 203). Mit der Engführung von intelligibler Tat und Tathandlung durch Schelling wird dieser Gedanke verstärkt, insofern die Bestimmung zum Bösen mit dem Akt der Bewusstwerdung verwoben gedacht wird: Die Orientierung am Partikularwillen wird damit im Grund des Bewusstseins verankert, sie wird zu seiner Bestimmtheit – mithin wird die Orientierung am Partikularwillen der Essenz des Menschen selbst eingeschrieben. Gleich einer platonischen Idee, nur mit negativem Vorzeichen, wird im Akt personaler Selbstkonstitution ein überzeitliches Sein etabliert, das als Ursprungsdimension durch die Zeit hindurch herrscht. Wenn daher das „Wesen des Menschen […] wesentlich seine eigne That“ (SW VII, S. 385) ist und diese Wesensbestimmung unvordenklich und unerklärbarer Weise eine ist, die nicht sein sollte,⁹⁷ so wird jeder Willensakt an diesem Zweck ausgerichtet sein. Die unzeitliche Tat, die diesen Willen wesenhaft bestimmt, wird damit gleichsam zum Fluch einer überzeitlichen Tat.⁹⁸ Der freie Wille wird durch sie zu einem verfügten Willen, der in jeder freien Handlung realisiert, was un-
Im System des transscendentalen Idealismus betont Schelling den organischen Zusammenhang von individueller Freiheit und Handeln der ganzen „Gattung“. Er hebt hier hervor, dass die moralische Ordnung der Welt nur „existirt“ als „gemeinschaftliche[r] Effect aller Intelligenzen“, d. h. „sofern nämlich alle mittelbar oder unmittelbar nichts anders, als eben eine solche Ordnung wollen.“ (AA I,,, S. f. / SW III, S. f.) „So lang dieß nicht der Fall ist, existirt sie auch nicht.“ Jedem, „auch mir“, sei daher „ein Theil der moralischen Weltregierung übertragen“. Vgl. zum Entfremdungsbegriff in Schellings Spätphilosophie SW X, S. f.; SW XIII, S. – ; SW XII, S. . Die Koinzidenz von Zeit und Ewigkeit in der Tat, die „außer aller Zeit“ vollzogen, das „Leben in der Zeit bestimmt“ (SW VII, S. ), begreift Kierkegaard mit der Kategorie des „Augenblick[s]“, der „jenes Zweideutige [ist], darin Zeit und Ewigkeit einander berühren, […] alwo die Zeit fort und fort die Ewigkeit abriegelt und die Ewigkeit fort und fort die Zeit durchdringt“ (KW /, S. ). Vgl. zur Kategorie des Augenblicks bei Kierkegaard Beierwaltes /, S. – .
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zeitlich in ihm angelegt ist. Obwohl in jeder Handlung etwas angestrebt wird, was selbst nicht mehr in der Gewalt steht, sondern unzeitlich selbst verfügt ist – mithin zur Notwendigkeit geworden ist, – bleibt die Handlungsfreiheit als solche bestehen. Etwas mit seinem Willen tun, bedeutet aber dann nicht, das Gewollte auch in seiner Macht zu haben, sondern etwas anzustreben, das unzeitlich, unvordenklich mit der eigenen Identität verklammert ist und zu dem eine Distanzierung nahezu unmöglich scheint, weil das eigene Selbst mit diesem Willen so grundlegend verwoben ist, dass es diesen als eigenstes Selbst versteht. Die schellingsche Identifizierung von Wesen und Willen in der intelligiblen Tat erklärt die Persistenz des Bösen und seinen Verhängnischarakter, sodass gleichsam von einem tragischen Willen gesprochen werden kann, denn die Realisierung des selbst verfügten Willens wird gerade nicht im Gefühl der Unfreiheit vollzogen, sondern im Gegenteil in der „Begeisterung“ und mit dem Gefühl der höchsten Freiheit. Die Verhinderung der Realisierung des tragischen Willens als „höchste[r] Unfreiheit“,⁹⁹ steht damit nicht mehr jederzeit in der Macht des Willens, sondern kann folgerichtig nur als Scheidung vom eigenen Willen gedacht werden.¹⁰⁰ Das damit angedeutete Verhängnis lässt sich näher bestimmen in Abgrenzung zu anderen Konzeptionen des Verhängnisses in Schellings Philosophie. Besonders deutlich zeigt sich das Spezifikum dieser Ausprägung im Unterschied zu der im System des transscendentalen Idealismus von Schelling angeführten Figur: Der „verhängnißvolle Mensch“, sagt er hier, stehe „unter der Einwirkung einer Macht“, sodass er „nicht vollführt, was er will, oder beabsichtigt, sondern was er durch ein unbegreifliches Schicksal, unter dessen Einwirkung er steht, vollführen muß“ (AA I,9,1, S. 317/ SW III, S. 617). Als Charakteristikum des Verhängnisses benennt er hier das Ausgeliefertsein an eine Macht, die durch ihn hindurch wirkend sein Handeln lenkt, wobei das Beherrscht-Werden selbst ein „unbegreifliches Schicksal“ genannt wird und nicht, wie im Jahr 1809, durch Freiheit verfügt wurde. Gewandelt tritt die Figur des Verhängnisses in der Erlanger Vorlesung im Jahr 1820 hervor. So lässt das folgende Zitat deutlich werden, dass das Verhängnishafte nun nicht mehr nur in dem Ausgeliefertsein an eine durch die Freiheit hindurch wirkende Macht besteht, vielmehr das Beherrscht-Werden nun, wie in der Frei-
Vgl. Schelling , S. : Der „Zustand der höchsten Unfreiheit – in beständiger Spannung gegen die Freiheit, die er ewig sucht, und die ihm beständig entflieht.“ Vgl. SW VIII, S. : „Nur der Mensch, der die Kraft hat sich von sich selbst (dem Untergeordneten seines Wesens) loszureißen, ist fähig sich eine Vergangenheit zu erschaffen; eben dieser genießt auch allein einer wahren Gegenwart, wie er einer eigentlichen Zukunft entgegensieht“. Vgl. Egloff , S. – .
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heitsschrift, als „freies Schicksal“ gedacht wird, wodurch das Anziehen dieser Macht zu einem konstitutiven Moment des Verhängnisses selbst wird: Wir nennen freies Schicksal eine solche Notwendigkeit, welche die Freiheit voraussetzt, aber in einer Verstrickung der Freiheit besteht, welche aus Handlungen freier Wesen einen von ihnen nicht beabsichtigten, nicht gewollten, ja nicht einmal geahnten Erfolg hervorbringt. Auch in diesem Sinne waltet über dieser Tat ein Verhängniß; denn nie konnte sich jener Wille vorstellen, was aus dieser Tat entspringen würde. (Schelling 1969, S. 135)
Zwischen beiden Ausprägungen der Figur des Verhängnisses ist die Freiheitsschrift angesiedelt, die das Verhängnis über die von Kant übernommene intelligible Tat denkt und damit dort verortet, wo auch in der Philosophie der Kunst die für die moderne Tragödie zu denkende Notwendigkeit angesiedelt wurde: im Willen des Menschen. Auch wenn der solcherart selbstbestimmte Wille bei Schelling noch frei genannt werden kann, insofern er nicht äußeren Zwängen unterworfen ist, ist er zugleich unfrei zu nennen, weil er sein nicht durchschautes, nicht bewusst gewolltes Schicksal über sich selbst verhängt. Was das Verhängnis der Freiheitsschrift von dem des Systems des transscendentalen Idealismus unterscheidet, ist demnach der Gedanke, dass die Macht, welche die Freiheit beherrscht, eine ist, welche durch die Freiheit selbst angezogen wurde. Zur anderen Seite, nämlich zur Spätphilosophie, zeigt sich die Figur darin unterschieden, dass sie im Jahr 1809 wesentlich dem Menschen und seiner Freiheit eingeschrieben wird, während sie im Jahr 1820 als erster, misslingender Anfang der absoluten Freiheit – und erst in zweiter Instanz dem Menschen – zugeordnet wird (vgl. Schelling 1969, S. 132– 136). Zugleich weisen die Konzeptionen der Philosophischen Untersuchungen und der Erlanger Vorlesung eine Nähe auf, weil in beiden das Verhängnis als eine spezifische Form von Notwendigkeit gedacht wird, nämlich eine, welche der Freiheit nicht nur entgegensteht, sondern diese sogar voraussetzt: Die übergreifende Macht, welche sich im Verhängnis äußert, kann nur durch „Verstrickung der Freiheit“, nur durch Anziehung derselben, also durch Freiheit, mächtig werden. Mit dem Verhängnis als Charakteristikum der Freiheit wird damit eine Kategorie wirksam, welche die Frage beantwortet, wie der dialektische Umschlag der Freiheit in Unfreiheit zu denken ist; wie die Freiheit sich selbst von sich entfremden kann, um ungleich mit sich zu werden, ohne sie als reine Willkür oder Determination zu denken. Findet sich diese Gedankenfigur in der Freiheitsschrift insbesondere als Umschlag des unzeitlichen menschlichen Willens in den faktischen, mithin als philosophische Ausdeutung des Sündenfalls in seiner tragischen Dimension, so gewinnt er in der schellingschen Spätphilosophie auch in der Frage an Bedeutung, wie die absolute Freiheit als monistisches Prinzip sich selbst ungleich werden kann – und damit als zentrale Figur des verfehlten ersten Anfangs.
3.1 Die derivierte Absolutheit menschlicher Freiheit
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Das mit dem Sündenfall in der Freiheitsschrift gedachte Verhängnis bleibt aber für die Spätphilosophie grundlegend. So zeigt sich eine deutliche Nähe der Konzeption des Verhängnisses in der Freiheitsschrift zur „unwiderrufliche[n] That“ in der Einleitung in die Philosophie der Mythologie, in welcher Prometheus zum Bild der unvordenklich verfehlten endlichen Freiheit wird (vgl. Wieland 1956, S. 52). Hier sagt Schelling: Prometheus ist jenes Princip der Menschheit, das wir den Geist genannt haben; den zuvor Geistesschwachen gab er Verstand und Bewußtseyn in die Seele. […]. Er büßt für die ganze Menschheit, und ist in seinen Leiden nur das erhabene Vorbild des Menschen=Ichs, das, aus der stillen Gemeinschaft mit Gott sich setzend, dasselbe Schicksal, erduldet, mit Klammern eiserner Nothwendigkeit an den starren Felsen einer zufälligen aber unentfliehbaren Wirklichkeit angeschmiedet, und hoffnungslos den unheilbaren, unmittelbar wenigstens nicht aufzuhebenden Riß betrachtet, welcher durch die dem gegenwärtigen Daseyn vorausgegangene, darum nimmer zurückzunehmende, unwiderrufliche That entstanden ist. (SW XI, S. 482)
Schelling betont im Zusammenhang mit dieser Interpretation des PrometheusMythos, dass der hier zum Ausdruck kommende Gedanke einer unvordenklichen, die Geschichte im Ganzen begründenden Tat sich dem in der Schrift zum „radicalen Bösen“ von Kant formulierten Gedanken der intelligiblen Tat verdankt (vgl. SW XI, S. 483). Und exponiert zugleich die systematische Dignität dieses Gedankens für seine Spätphilosophie, wenn er betont, dass das „ewig Tragische[n]“ als „Loos der Welt und der Menschheit“ – zu dem jedes aktuelle Unheil nur eine Variation darstellt – hier zum Ausgangspunkt der Wissenschaft als Philosophie der Mythologie im Ganzen werde. Die Untersuchung der mythischen Objektivationen der Bewusstwerdung des menschlichen Geistes gehe, so führt er hier aus, vom Ich als dem gegenwärtigen Bewusstsein aus, welches das Absolute „verdrängt“ habe und damit von diesem „separirt“ (SW XI, S. 489) sei. Nicht der in der Identitätsphilosophie eingenommene Standpunkt Gottes, sondern das Ich in seinem Verhängnis sei deshalb Ausgangspunkt dieser Wissenschaft, die als solche nicht auf die Aufhebung des Selbstwiderspruchs aus sei,¹⁰¹ sondern untersuche, ob das Ich als vom Absoluten separiertes und vereinzeltes Bewusstsein, „wie der gebundene Prometheus, einen Ausgang aus demselben [Mühsal] finde und welchen.“ (SW XI, S. 489) Statt auf eine Vermittlung des tragischen Widerspruchs – eine solche wird für unmöglich erklärt – ist diese Dialektik der Freiheit zunächst auf die Ergründung der Möglichkeit einer Ekstase als Ausweg aus dem „immer und
Vgl. SW XI, S. : „Es ist nicht anders: es ist ein Widerspruch, den wir nicht aufzuheben, den wir im Gegentheil zu erkennen haben, dem wir nur den rechten Ausdruck suchen müssen.“
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
ewig Geschehende[n]“ (SW XI, S. 486) aus (vgl. Hühn 1994a, S. 206 – 210). So heißt es in der Philosophie der Offenbarung: Von dieser äußerlichen Welt kann sich der Mensch – nicht ein Mensch, sondern der Mensch, jener Eine Mensch, der in uns allen fortlebt – von dieser, sage ich, kann er sich rühmen, der Urheber zu seyn. In diesem Sinn hatte Fichte Recht, der Mensch […] ist das Setzende der Welt, er ist es, der die Welt außer Gott, nicht bloß praeter, sondern extra Deum gesetzt hat; er kann diese Welt seine Welt nennen. Indem er, sich an die Stelle von Gott setzend, jenes Princip wieder erweckte, hat er die Welt außer Gott gesetzt, also zwar die Welt eigentlich an sich gerissen, aber diese Welt, die er an sich gerissen, ist die ihrer Herrlichkeit entkleidete, mit sich selbst zerfallene, die,von ihrer wahren Zukunft abgeschnitten,vergeblich ihr Ende sucht, und jene falsche, bloß scheinbare Zeit erzeugend, in trauriger Einförmigkeit nur immer sich selbst wiederholt. (SW XIII, S. 352)¹⁰²
Nicht nur das Verhängnis der menschlichen Freiheit, wie Schelling es 1809 denkt, sondern noch die Sündenkonzeption der Spätphilosophie speist sich damit maßgeblichen aus Gedanken, die gegen Fichtes Frühphilosophie gerichtet sind. In diesem Sinne kann der „Uebermuth, alles zu seyn“, der notwendig ins „Nichtseyn fällt“ (SW VII, S. 391), und das heißt das Verhängnis der Selbstermächtigung der menschlichen Freiheit in der Freiheitsschrift auch als Erneuerung des Atheismusvorwurfes gegen Fichte verstanden werden. Der Umschlag von Übermut ins Nichtsein wäre dann als Anspielung auf Jacobis Brief an Fichte vom 6. März 1799 zu lesen: Eine solche Wahl aber hat der Mensch; diese Einzige: das Nichts oder einen Gott. Das Nichts erwählend macht er sich zu Gott; das heißt: er macht zu Gott ein Gespenst; denn es ist unmöglich, wenn kein Gott ist, daß nicht der Mensch und alles was ihn umgiebt blos Gespenst sey. (JW II,1, S. 220)
Nach Jacobi resultiert die Erhebung des Nichts an die Stelle Gottes aus dem Widerstreben, „sich in Gott, als seinem Urheber, auf eine seiner Vernunft unbegreifliche Weise zu finden“ und dem Streben danach, „sich in sich allein [zu] begründen“. Dieser Selbstbegründungsversuch des Menschen,¹⁰³ bei dem er sich
Vgl. dazu die Interpretation der „uneigentlichen Zeitlichkeit“ von Wieland , S. . Vgl. Weier , S. f.: „In dem Maße, in dem nun alle verbindlichen und verpflichtenden Sinn- und Wertgeltungen ebenso wie alle wesenhaften Bestimmungsgründe den Anspruch der Freiheit auf reine Selbstbegründung beeinträchtigen, heben sie diese insofern ganz auf, als eine solche nur als völlig uneingeschränkte im eigentlichen Sinn bestehen kann. Deshalb war die entschiedene Hinwendung zur Selbstursprünglichkeit des Menschen gleichbedeutend mit seinem Eintritt ins Nichts“.
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an die Stelle Gottes setzt, führt nach Jacobi aber dazu, dass sich ihm „allmählich [alles] in sein eigenes Nichts“ (JW II,1, S. 220) verwandelt. Schelling wiederholt diesen Vorwurf gegen Fichte in der Freiheitsschrift und interpretiert die Situation, dass der Mensch sich nicht mehr in Gott begründet findet, als unvordenklichen Verlust der wahren Einheit, der wie ein Fluch auf der Menschheit laste. Mit diesem Gedanken kritisiert er einerseits Fichtes Frühphilosophie, welche die Verabsolutierung des Partikularen noch bestärke und damit der Sünde verfalle; aber er wendet sich zugleich gegen Jacobis Ausweg, der Mensch müsse sie wieder auf eine „seiner Vernunft unbegreifliche Weise“ in Gott finden, indem er gegen Jacobis Unmittelbarkeitsappell betont, dass eine einfache Rückkehr in den Zustand der Unschuld unmöglich sei. Obwohl Schelling sowohl die Unmöglichkeit einer Beherrschung des Ängstigenden als auch die Unverzeihbarkeit einer Flucht der Philosophie aus diesem Dilemma durch „Abschwörung der Vernunft“ (SW VII, S. 338) hervorhebt,¹⁰⁴ bleibt er dennoch nicht bei der Diagnose des Verhängnisses stehen, sondern weist einen dritten Weg auf, nämlich die Notwendigkeit einer neuen philosophischen Auseinandersetzung mit dem Absoluten. Schelling gibt in der Freiheitsschrift einen Hinweis darauf, was das spezifisch Neue dieses theistischen gegenüber dem vormaligen dogmatischen Gottesbegriff sein muss, wenn er deutlich macht, die Möglichkeit der freien Hinwendung zum Göttlichen müsse sich auf dem „Glaube[n]“ gründen, – „nicht im Sinn eines Fürwahrhaltens, das gar als verdienstlich angesehen“, noch als Wissensform, der „zur Gewißheit etwas abgeht […], sondern in seiner ursprünglichen Bedeutung als Zutrauen, Zuversicht auf das Göttliche, die alle Wahl ausschließt.“ (SW VII, S. 394 [Hervorhebung L.E.]) Wenn Schelling mit der Freiheitsschrift daher die Notwendigkeit einer neuen philosophischen Thematisierung des Absoluten begründet, so geschieht dies mit der Betonung, das nach Maßgabe der Beförderung der wahren Freiheit des Menschen, der mit dieser verbundene Glaube nicht auf Gehorsam ausgerichtet sein darf, sondern auf Zutrauen zum Göttlichen, welches als Gegenbild zur Angst und als Alternative zur rein moralischen Lösung, einen nicht durch Selbstmacht herstellbaren Ausweg aus der Selbstverstrickung der Freiheit anzeigt – einen Ausweg, welchen die Philosophie aufzeigt.¹⁰⁵
Vgl. dagegen zu Jacobis „Salto mortale“ in den Glauben Süß , S. . Vgl. SW VI, S. : „Gleicher Bedeutung hiemit ist der Glaube. Nicht in dem Sinn, daß es ein Fürwahrhalten bedeutet, […] sondern Glaube in der ersten Bedeutung, als Zutrauen, Zuversicht auf das Göttliche,welche alle Wahl aufhebt. […] Und diesen Glauben, diese Treue gegen sich selbst und das Göttliche, wünsche ich auch, daß Sie statt aller aufgeblasenen Moral als die einzige wahre Frucht der Philosophie mit in das Leben nehmen.“
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
Es wird meines Erachtens auch dieser Gedanke einer Grundgefährdung menschlicher Freiheit mitbedacht, wenn Schelling in der Freiheitsschrift das Unbedingte neu ausrichtet, – sodass hier weniger die Frage, wie die Attribute Güte, Allmacht, Allwissen mit dem Bösen als „Schrecken und Horror“ vereinbar sind, im Zentrum der Untersuchung steht, als vielmehr die Frage, wie unter Anerkennung der Freiheit des Menschen, und darum unter Vermeidung eines neuen Dogmatismus,¹⁰⁶ ein theistischer Gott gedacht werden kann. Im Jahr 1827 begründet Schelling diese Suche rückblickend: Hier, wo die höchste und am meisten tragische Dissonanz hervortritt, in welcher der Mißbrauch der Freiheit uns selbst wieder die Nothwendigkeit zurückzurufen lehrt, hier sieht der Mensch sich genöthigt, etwas zu erkennen, das höher ist denn die menschliche Freiheit […]. Ohne diese Voraussetzung [die Vorsehung] würde nie ein um die Folgen seiner Handlung ganz unbekümmerter Muth, zu thun, was die Pflicht gebietet, ein menschliches Gemüth begeistern; ohne diese Voraussetzung könnte nie ein Mensch wagen, eine Handlung von großen Folgen zu unternehmen, wäre sie ihm selbst durch die heiligste Pflicht vorgeschrieben. (SW X, S. 116)
3.2 Metaphysik des Bösen – Kontingenz oder Notwendigkeit des Bösen? „[D]aß es unmöglich ist, mit dem rein Rationalen an die Wirklichkeit heranzukommen“ (SW X, S. 213), ist eine zentrale These der schellingschen Spätphilosophie. Bereits in der Freiheitsschrift wird mit der Konzeption des Bösen in Aufnahme und Transformation der intelligiblen Tat und insbesondere in der Engführung mit der systematisch neubewerteten Tathandlung Fichtes ein Positives in diesem Sinne gedacht,¹⁰⁷ dass rational nicht erklärt werden kann, weil es
Dass in einem dogmatischen System, welches das Sein zum Ausgangspunkt hat, Freiheit nur eine „Täuschung“ ist, betont Schelling bereits in den Philosophischen Briefen (AA I,, S. f. / SW I, S. ). Und er wiederholt diesen Gedanken im System des transscendentalen Idealismus, wenn er sagt: „In einem System, das das Seyn zum Ersten und Höchsten macht, muß nicht nur das Wissen die bloße Copie eines ursprünglichen Seyns, sondern auch alle Freyheit nur nothwendige Täuschung seyn“ (AA I,,, S. / SW III, S. ). Er hält an diesem Gedanken auch in den Philosophischen Untersuchungen fest, wenn er betont: „Da jedoch kein Begriff einzeln bestimmt werden kann, und die Nachweisung seines Zusammenhangs mit dem Ganzen ihm auch erst die letzte wissenschaftliche Vollendung gibt; welches bei dem Begriff der Freiheit vorzugsweise der Fall seyn muß, der, wenn er überhaupt Realität hat, kein bloß untergeordneter oder Nebenbegriff, sondern einer der herrschenden Mittelpunkte des Systems seyn muß“ (SW VII, S. ). Vgl. Schelling , S. : „Wir werden alles aufbieten, uns den Übertritt des Seinkönnenden begreiflich zu machen; wie das Seinkönnende dazu gebracht worden ist, in das wirkliche
3.2 Metaphysik des Bösen – Kontingenz oder Notwendigkeit des Bösen?
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als Tat nicht deduzierbar ist. „Daß das geschehe, läßt sich a priori gar nicht erweisen, sondern jeder kann es sich nur in seiner eignen Erfahrung darthun“ (FGA I,2, S. 400), wie Fichte in Bezug auf die Tathandlung schreibt. In der Erläuterung des Umschlags der Unbestimmtheit in die Bestimmtheit an Symbolen wurde diese Verfasstheit des Bösen in der Freiheitsschrift als nicht deduzierbare Tat an ihrer methodischen Berücksichtigung sichtbar. In diesem Sinne kann auch für die Freiheitsschrift gelten, dass Schelling die Wirklichkeit des Bösen als „Urereigniß“ und „Urzufall“ (SW XII, S. 153)¹⁰⁸ denkt – und damit als kontingente Wirklichkeit – die aber dennoch nicht in gänzlicher Zufälligkeit geschieht, sondern über Symbole in ihrer immanenten Gesetzmäßigkeit dennoch beschrieben werden kann, ohne die Kontingenz damit zu leugnen. Leibniz’ Trias von malum physicum, malum morale und malum metaphysicum ist mit Schellings Neukonzeption des Bösen verabschiedet. Zwar kann dem Bösen bei Schelling eine metaphysische Dimension nicht abgesprochen werden, aber diese ist keineswegs im leibnizschen Sinne als die metaphysische Notwendigkeit der Endlichkeit und Eingeschränktheit aller Geschöpfe zu verstehen. Auch werden malum physicum und malum morale nicht streng voneinander unterschieden, denn die Krankheit offenbart die Freiheit der Natur, wie das Böse die Freiheit des Menschen offenbart, womit aber weder die Krankheit moralisiert wird, noch das Böse naturalisiert wird, denn beide lassen sich weder über moralische Kategorien noch mechanistisch begreifen, sondern werden von Schelling am Paradigma des Organismus gedacht. Anders als bei Kant fällt das Böse nach Schelling auch nicht allein in den Zuständigkeitsbereich der Moral, sondern betrifft den Standpunkt der Philosophie als solchen, da es als geistiges Böses im Verhältnis des Menschen zum Absoluten angesiedelt ist. Insofern ließe es sich in freier Fortführung der leibnizschen Attribuierung der Übel wohl am ehesten als malum anthropologicum fassen, insofern
Sein überzutreten. Hier läßt sich nichts mehr aus Notwendigkeit erklären, sondern der Übergang ins Sein ist freie Tat. Hier hört alle Deduktion, sofern sie nämlich Herleitung eines schlechthin Gegebenen aus vorher bestimmten Prämissen ist, auf. Hier trennen wir uns von dem Begriff des Dialektikers. Hier ist der Punkt, wo nicht der Begriff, wo nur die Tat entscheidet. Das Reich der Begriffe ist zu Ende u. das Reich der Tat fängt an.“ Nach Denker ist bei Schelling „das Positive gerade dasjenige […], von dem man nicht zum voraus wissen kann, daß es ist, sondern von dem man nur weiß, daß es ist, dadurch, daß es ist; also indem man es erfährt“ (Denker , S. ). Für diese gilt, wie Schelling in der Einleitung in die Philosophie der Mythologie betont: „man kann von ihm nur sagen, daß es Ist, nicht daß es nothwendig Ist; in diesem Sinn ist es das Urzufällige, der Urzufall selbst, wobei ein großer Unterschied zu machen zwischen dem Zufälligen, das es durch ein anderes ist, und dem durch sich selbst Zufälligen,welches keine Ursache hat außer sich selbst und von dem erst alles andere Zufällige sich ableitet.“ (SW XI, S. )
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
das Böse hier mit dem Willen des Menschen, der seine eigene Tat ist, unvordenklich verknüpft wird.¹⁰⁹ Trotz dieser Verabschiedung der leibnizschen Einteilung des Bösen bleibt Leibniz ein wichtiger Gesprächspartner in Schellings Neukonzeption des Bösen. Er affirmiert ihn darin, dass er wie dieser zwischen Vernunft- und Tatsachenwahrheiten unterscheidet (vgl. Dalferth 2000, S. 128), wobei letztere es erlauben, Wahrheiten zu denken, die „weder ganz nothwendig (in jenem abstrakten Verstande) [sind], noch ganz willkürlich, sondern […] in der Mitte“ (SW VII, S. 396) stehen, wie Schelling in der Freiheitsschrift Leibniz zitiert.¹¹⁰ Ein solcher „Mittelbegriff[e]“¹¹¹ ist bei Schelling auch das in der intelligiblen Tat realisierte Böse, denn dieses ist weder durch reinen Zufall noch durch logische Notwendigkeit, vielmehr „in seinem Ursprung eigne That“ (SW VII, S. 388), sodass an seiner statt anderes hätte realisiert werden können. Diese Tat ist mithin kontingent und unableitbar. Nach der Philosophie der Mythologie ist sie ein „Factum – das Geschehene κατ᾽ἐξοχήν.“ (SW XII, S. 153) Diese Tat unterscheidet sich sowohl von Fichtes Tathandlung, für welche gilt, wenn sie ist, dann nur auf eine Weise, als auch von Kants intelligibler Tat, deren Aufnahme einer Triebfeder in die Willkür letztlich ganz unerforschlich ist. So denkt Schelling mit der unzeitlichen Tat, die zwischen reinem Zufall und Notwendigkeit angesiedelt ist, zwar wie Kant und Fichte eine grundlose Tat,¹¹² aber
Vgl. die Einschätzung von Oesterreich , S. : „Das eigentlich Böse ist ein genuin anthropologisches Phänomen, das die Sonderstellung der menschlichen Freiheit inmitten der Natur und gegenüber dem Absoluten betrifft.“ Schelling überträgt in dieser Textstelle Leibniz’ Aussage über die Naturgesetze (vgl. LS VI, S. / § ): „Ces considerations font bien voir que les loix de la nature qui reglent les mouvemens ne sont ny tout à fait necessaires, ny entierement arbitraires. Le milieu qu’il y a à prendre, est qu’elles sont un choix de la plus parfaite sagesse.“ Vgl. Schelling , S. : „Hierbei ist im Allgemeinen zu bemerken, daß, wer in der Philosophie die wahrhaft erklärenden Begriffe aufsucht, die Mittelbegriffe aufsuchen muß.“ Vgl. ferner SW VII, S. sowie die zwischen Notwendigkeit und Freiheit angesiedelte „mittlere[r] Natur“ (S. ) von Lust und Begierde; die in der „Mitte“ zwischen Notwendigkeit und Willkür angesiedelten Naturgesetze (vgl. S. ) der leibnizschen Theodicée. Vgl. FGA I,, S. : „Lediglich aus dieser absoluten Spontaneität erfolgt das Bewußtseyn des Ich. – Durch kein Naturgesez, und durch keine Folge aus dem Naturgesetze, sondern durch absolute Freiheit erheben wir uns zur Vernunft, nicht durch Uebergang, sondern durch einen Sprung. – Darum muß man in der Philosophie nothwendig vom Ich ausgehen, weil dasselbe nicht zu deduciren ist; und darum bleibt das Unternehmen des Materialisten, die Aeusserungen der Vernunft aus Naturgesetzen, zu erklären, ewig unausführbar.“ Vgl. die Nähe zu Kierkegaard: „Die Schwierigkeit, die der Verstand hat, ist eben der Triumph der Erklärung, ist ihre tiefsinnige Folgerichtigkeit, daß die Sünde sich selbst voraussetzt, daß sie auf die Art in die Welt gekommen sei,
3.2 Metaphysik des Bösen – Kontingenz oder Notwendigkeit des Bösen?
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gegen Fichte wird dieser in Form der Unentschiedenheit ein Möglichkeitsraum eingeschrieben und statt der Konstatierung ihrer Unerforschlichkeit wird sie spekulativ gedeutet. So entwirft Schelling mit der „Angst des Lebens“ ein Symbol, das nahe an Kierkegaards „Zwischenbestimmung“ ist – und wie dessen psychologische Annäherung aus der Auseinandersetzung mit Kants Kritik der Urtheilskraft hervorgeht. Zusammen mit dem Symbol des Schwindels und der mythischen Erzählung des Sirenengesangs hat die Angst des Lebens damit die Funktion, die unvordenkliche Verfehlung, obgleich sie nicht deduzierbar ist, als metaphysische Einsicht denkbar zu machen.¹¹³ Für die Wirklichkeit des Bösen gibt es nach Schelling keine apriorische Notwendigkeit, da sie aus der menschlichen Freiheit entspringt. Und dennoch ist Schelling bestrebt, die nicht deduzierbare Wirklichkeit des Bösen einzusehen und als a posteriori erfahrbare Tat-Sache auszudeuten, ohne sie damit rückwirkend wieder zu einer Notwendigkeit zu machen. Mit der Sündenkonzeption wird damit ein Positives in Schellings Philosophie angenommen, dass nicht a priori gedacht werden kann. „Denn eine freie That ist etwas mehr, als sich im bloßen Denken erkennen läßt“ (SW XIII, S. 114), wie mit Schellings Philosophie der Offenbarung gesagt werden kann. Sie lässt sich dagegen post factum ausdeuten. Durch die Aufwertung der kontingenten Tat eröffnet sich eine Linie von der Freiheitsschrift zu den Weltaltern gerade in Hinsicht auf den Bedeutungszuwachs,welcher dem Erzählen als Methode der Spekulation, die über die Verstandesbegriffe hinausgeht, zuteil wird.¹¹⁴ Die Vermutung liegt nahe, dass sich diese Verbindung systematisch begründen lässt über die ontologische Aufwertung des Irrationalen und Kontingenten, welche in den Philosophischen Untersuchungen aus der umgewerteten Tathandlung Fichtes hervorgeht und ab 1809 zunehmend an Bedeutung gewinnt. Im Jahr 1809 zeigt sich die Notwendigkeit der Überschreitung des Erklärbaren in der Deutung der menschlichen Freiheit, da das Böse mit dem Grund des Bewusstseins verwoben und darum unvordenklich ist, sodass das Bewusstsein in
daß sie, indem sie ist,vorausgesetzt ist. Die Sünde kommt also hinein als das Plötzliche, d. h. durch den Sprung“ (KW /, S. ). Hermanni vertritt einen anderen Ansatz, wenn er betont, dass in der Freiheitsschrift die „Annahme eines Sündenfalls aus der mythischen in eine theoretische Form“ überführt werde und „dadurch argumentativ entscheidbar“ (Hermanni , S. ) sein sollte. Vgl. Ricœur , S. : „Eine bemerkenswerte Eigenschaft der narrativen Funktion besteht darin, daß sie die Kontingenz anerkennt und sogar, wenn ich so sagen darf, in Ehren hält, – und daß sich in ihr zugleich eine der Narrativität eigene Intelligibilität verkörpert“. Die Funktion der Erzählung ist es nach ihm, „die Kontingenz dem Sinn zu integrieren“ (Ricœur , S. ), nicht die Kontingenz zu eliminieren.
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3 Das Böse als Freiheitsvollzug
etwas gründet, das irrational ist, d. h. vom Wissen nicht zu durchdringen ist.¹¹⁵ Der Grund des Bewusstseins, die nicht-bewusste Basis des Bewusstseins, wird damit nicht als mangelhafte Vorstufe begriffen, wie die Mythen in der Frühphilosophie als „Kindheit“ (AA I,1, S. 206 / SW I, S. 53) der reinen Begriffe (vgl. AA I,1, S. 65/ S. 108 / SW I, S. 5), die nur übersetzt zu werden brauchen, um rein rational zu sein, sondern als verzerrendes Medium der Wahrheit, das deshalb zwar gedeutet, nicht aber übersetzt werden kann. Das Böse selbst wird damit als Grenzbegriff der Verstandesreflexion betrachtet, weil es aus dem Grund des Bewusstseins hervorgeht, der sich der vollständigen Aneignung durch den Menschen entzieht, aber über Symbole gedeutet werden kann, sodass Ricœurs Urteil über die Erbsünde auch auf Schellings Konzeption der Herkunft des Bösen zutreffen könnte: „Vom Standpunkt der begrifflichen Vorstellung aus haben wir [es] hier mit einem hoffnungslosen Unterfangen zu tun, metaphysisch gesehen aber mit einer tiefen Einsicht“ (Ricœur 1981, S. 329). Mit dieser Betonung der Kontingenz des Bösen, wie sie in dieser Untersuchung mit der Engführung der intelligiblen Tat mit der systematisch neubewerteten Tathandlung ausgeführt wurde, stellt sich die Frage, wie sich diese Interpretation zu dem vieldiskutierten Interpretament einer Metaphysik des Bösen verhält, das Heidegger im Jahr 1936 angeführt hat. Die Rede von einer Metaphysik des Bösen lässt sich trotz der Betonung der Kontingenz des Bösen begründen, wenn 1.) damit eine Metaphysik gemeint ist, die sich dadurch auszeichnet, dass sie methodisch ihren Ausgang vom Bösen nimmt, sodass, angelehnt an Heidegger, das Seinsdenken im Ganzen über den Begriff des Bösen eine Neuausrichtung erfährt. Dieser schreibt: Das Böse wird auch nicht im Gesichtskreis der bloßen Moral verhandelt, sondern im weitesten Gesichtskreis der ontologischen und theologischen Grundfrage; mithin eine Metaphysik des Bösen. Das Böse selbst bestimmt den neuen Ansatz der Metaphysik mit. Die Frage nach der Möglichkeit und Wirklichkeit des Bösen erwirkt eine Verwandlung der Frage nach dem Seyn. (Heidegger 1988, S. 168)
Als Ausgangspunkt einer neuen Metaphysik wäre das so gedachte Böse nicht nur moralisch relevant, sondern metaphysisch. Dieser Deutung wurde in der hier
Diese Bedeutung von Irrational, als das dem Wissen Undurchdringliche, entspricht dem Sprachgebrauch der Zeit, wie aus Fichtes Brief an Jacobi vom . . deutlich wird: „Köppen’s ganze Weisheit nämlich scheint mir darauf hinaus zu laufen, daß dem Wissen immer etwas vom Begriffe durchaus nicht zu Durchdringendes, ihm Inkommensurables und Irrationales übrig bleibe; […] wie wäre es, wenn gerade in dieser Einsicht das Wesen der Philosophie läge, und diese ganz und gar nichts Anderes wäre, als – das Begreifen des Unbegreiflichen als solchen?“ (FGA III,, S. f.).
3.2 Metaphysik des Bösen – Kontingenz oder Notwendigkeit des Bösen?
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vorgenommenen Interpretation des Bösen in der Freiheitsschrift über Tragik und Sünde in weiten Teilen zugestimmt, wenn auch betont wurde, dass Schelling seine Fragestellung aus dem Kontext der Kritik an seiner Identitätsphilosophie gewinnt und das Böse innerhalb derselben betrachtet werden muss, nämlich inwiefern Schelling damit nachzuweisen versucht, dass die individuelle Freiheit mit seinem identitätsphilosophischen Systembegriff vereinbar sei. So führt zwar die Konzeption des Bösen zu einer Veränderung des Systems im Ganzen, allerdings in erster Linie aufgrund der menschlichen Freiheit, die das Vermögen zum Guten und Bösen hat, sodass gesagt werden müsste: Die menschliche Freiheit selbst „bestimmt den neuen Ansatz der Metaphysik mit“, wobei insbesondere das ihr eigene Vermögen zum Bösen, welches ihre Unabhängigkeit vom Ordnungsgaranten beweist, zu einer Transformation des identitätsphilosophischen Systems führt. Von einer Metaphysik des Bösen lässt sich 2.) auch insofern sprechen, als das Böse selbst nicht moralisch bestimmt wird, sondern ein „metaphysische[r] Begriff[es] des Bösen“ (Heidegger 1988, S. 251) gedacht wird.¹¹⁶ Darunter versteht Heidegger die über die Geistigkeit des Bösen gedachte, auf das Ganze ausgreifende Umkehrung der Seynsfuge ins „Ungefüge“ (Heidegger 1988, S. 248 f.). In dieser Untersuchung wurde diese am Paradigma des Organismus als Mitleidenschaft des Ganzen erörtert. Deutlich aber wurde 3.) herausgestellt, dass es sich bei dem Bösen, wie es Schelling als Freiheitsvollzug denkt, nicht um eine substantiell konzipierte metaphysische Macht handelt,¹¹⁷ nicht um ein metaphysisches Prinzip als Grund alles Seins, sondern um einen anthropogenen und dennoch nicht beherrschbaren Geist der zerrütteten Einheit, nämlich den „Geist der Lüge“ (SW VII, S. 391). Zwar lässt sich die Dimension des Verhängnisses in Schellings Konzeption des Bösen betonen, gleichwohl bleibt sie ein Aspekt des Bösen, das an der Semantik der Erbsünde, mit Kants intelligibler Tat als Freiheitsvollzug ausgedeutet, orientiert ist. Angebracht wäre daher am ehesten die Rede von einer „Anthropologie des Bösen“,¹¹⁸ weil die menschliche Freiheit hier in einem Akt Ursprung und Opfer des Bösen ist, wodurch die Freiheit zugleich als selbstanfänglich und abhängig charakterisiert wird. Dieser Gedanke führt mithin auf die derivierte Absolutheit der
Vgl. Heidegger , S. f.: „Damit ist mittelbar auch angezeigt, daß der Umkreis der Ethik nicht zureicht, um das Böse zu begreifen, daß vielmehr Ethik und Moral nur eine Gesetzgebung hinsichtlich eines Verhaltens zum Bösen […] betreffen.“ Vgl. in diesem Sinne Baumgarten , S. ; anders Vossenkuhl , S. . Ricœur spricht in der Schrift Symbolik des Bösen von einer „Anthropologie des Bösen“ (Ricœur , S. ). Er verbindet damit die These, dass trotz der Einführung der Kategorie der Versuchung – Eva und die Schlange – die Sündenkonzeption im Anschluss an den „biblische[n] Mythos“ gleichwohl „‚adamisch‘, d. h. anthropologisch“ bleibt.
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menschlichen Freiheit und nimmt zugleich eine wichtige Funktion in der Fichtekritik ein, nämlich die Zurückweisung der Autonomie als Garant von Sittlichkeit und Freiheit.¹¹⁹ So betont Schelling selbst, dass der „Eigenwillen[s]“, der anfänglich erregt wird, „damit die Liebe im Menschen einen Stoff oder Gegensatz finde“ nur „das mögliche Princip des Bösen, aber nicht das Böse selber, noch zum Bösen“ (SW VII, S. 401) anstifte (vgl. Heidegger 1988, S. 262 f.). Die Möglichkeit zum Bösen – und die Notwendigkeit, in irgendeiner Weise aus der Unentschiedenheit herauszutreten – nicht aber die Sünde selbst, wird damit als metaphysische Notwendigkeit dargestellt (vgl. SW VII, S. 403).¹²⁰ Diese Einschränkung schließt nicht aus, dass selbst im Bösen, auch wenn es in seiner Faktizität nicht gerechtfertigt wird, noch eine Spur des Absoluten gefunden werden kann und damit eine im Bösen selbst liegende Möglichkeit, das Böse als Täuschung zu entlarven, nämlich als das „(mißbrauchte) Gute, das ihm selbst unbewußt in ihm“ (SW VII, S. 404; vgl. S. 390) vorhanden ist. Nur in diesem Sinne und nicht als metaphysische Notwendigkeit lässt sich demnach meines Erachtens das folgende Zitat der Freiheitsschrift verstehen: Allein auch dieses [‚die offenbare Sünde‘] sollte offenbar werden, denn nur im Gegensatz der Sünde offenbart sich jenes innerste Band der Abhängigkeit der Dinge und das Wesen Gottes, das gleichsam vor aller Existenz (noch nicht durch sie gemildert), und darum schrecklich ist. (SW VII, S. 391)
Was sich hier in „Schrecken und Horror“ als „offenbare Sünde“ zeigt, ist mithin die Abhängigkeit alles Gewordenen, in deren Leugnung die Struktur des Bösen begründet liegt. Was hier gerechtfertigt wird, ist mithin die Selbstzerstörung des Bösen; die in der Dynamik des Bösen angelegte Selbstvernichtung als immanente Konsequenz des Bösen, insofern das Böse als Böses offenbart wird.¹²¹ So kann
Vgl. SW VII, S. : „Das Verhältniß beider läßt sich daher nicht als selbstbeliebige, oder aus Selbstbestimmung hervorgegangene Sittlichkeit vorstellen“. Vgl. SW VI, S. : „§. . Es gibt keine absolute Sittlichkeit in dem Sinn, daß sie als ein Verdienst oder als ein Werk der individuellen Freiheit betrachtet werden könnte.“ Vgl. Heidegger , S. : „Gott kann das Böse nicht nichtsein lassen; er muß das Böse zulassen. […] Der Wille der Liebe steht über dem Willen des Grundes, und dieses Überwiegen, die ewige Entschiedenheit dazu, also die Liebe zu sich selbst als Wesen des Seyns überhaupt; diese Entschiedenheit ist der innerste Kern der absoluten Freiheit. Auf dem Grunde dieser absoluten Freiheit ist das Böse metaphysisch notwendig.“ Vgl. zur Diskussion Buchheim , S. – .
3.3 Die Gewissenskonzeption. Überlegungen zur normativen Begründung
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gesagt werden: Wenn das Böse nicht wäre, so wäre auch das offenbare Böse nicht notwendig gewesen.¹²² Dass dem Bösen nicht generell ein Zweck innerhalb des Schöpfungsplans zugesprochen wird, seine Offenbarung aber dem göttlichen Willen entspricht, macht auch die Erlanger Vorlesung deutlich, wo es in Auseinandersetzung mit 1. Korinther 15, Verse 56 f. heißt: In diesem Sinne ist also wirklich das Gesetz das alles Richtende, Entscheidende und in Krisis Setzende. Das Gesetz will freilich niemals unmittelbar die Sünde, oder Übertretung; aber wenn diese notwendig ist zur Offenbarung, so will es allerdings sogar die Sünde; aber nicht die Sünde an sich, sondern die offenbare Sünde, damit alles klar, lauter und entschieden sei. (Schelling 1969, S. 116 f. [Hervorhebung L.E.])
3.3 Die Gewissenskonzeption. Überlegungen zur normativen Begründung „Das Ich denke, Ich bin, ist, seit Cartesius, der Grundirrthum in aller Erkenntniß; das Denken ist nicht mein Denken, und das Seyn nicht mein Seyn, denn alles ist nur Gottes oder des Alls.“ (SW VII, S. 148) Mit diesen Worten weist Schelling in den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie, also im Jahr 1806, die Methode der neuzeitlichen Selbstvergewisserung der Philosophie über den Rückgang in die egologische Subjektivität zurück. Schelling kritisiert damit eine Tradition, die ausgehend von Descartes’ methodischem Zweifel die Identität von Denken und Sein über die Gewissheit des Ich bin abzusichern bestrebt ist. Descartes zeigt auf, dass die Aktualität des Zweifels das einzige im Zweifel nicht Anzuzweifelnde ist und sich der Mensch daher im Zweifel als denkend, nämlich als zweifelnd, und darum als seiend erfahre. Das Ich bin wird so als fundamentum inconcussum ausgewiesen, welches die Identität von Denken und Sein sichert. Von diesem methodischen Fundament ausgehend sucht die neuzeitliche Philosophie die Maßstäblichkeit in der Subjektivität zu verankern, womit sie strukturell in die Spannung gesetzt ist, ausgehend von der Evidenz des Ich bin begründen zu müssen, was selbst nicht bloß subjektiv sein soll. Wenn Kant das Innerste der Subjektivität, nämlich die Vernunft als das Allgemeine im Subjekt,
Dies rechtfertigt nicht von einer metaphysischen Notwendigkeit des Bösen im Schöpfungsplan zu sprechen wie Marx , S. : „Der Mensch muß sich für das Böse entscheiden, um dem Guten zum Siege zu verhelfen und damit der Allherrschaft göttlicher Liebe. […] An dieser Stelle wird deutlich, daß Schelling das ganze Geschehen, das Leben Gottes, seine absolute Freiheit, die Schöpfung und die endliche Freiheit aus einem teleologisch-entelechial gedachten Gefüge verstanden hat.“
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zum Garanten der sittlichen Ordnung und Objektivität erhebt, so folgt er in seinem transzendentalphilosophischen Ansatz dem Grundkonsens der neuzeitlichen Philosophie, über den Rückgang in die Evidenz des Ich bin die Identität von Denken und Sein zu sichern. Schelling stellt diese Methode der neuzeitlichen Selbstvergewisserung grundsätzlich in Frage, indem er die Zugehörigkeit des Seins zum Göttlichen betont und hervorhebt, dass die Absicherung der Identität von Denken und Sein über das Ich bin dem Trugschluss erliege, das jeder sein Ich als Quelle dieser Identität missverstehe, und damit den Wahrheitsgaranten individualisiere; oder anders formuliert: das eigene Ich verabsolutiere. Er zeichnet dieserart eine Gefahr in die neuzeitliche Philosophie ein, welche er in der Freiheitsschrift als die Struktur des Bösen exponiert, und in Fichtes früher Philosophie paradigmatisch ausformuliert findet, nämlich den Ausschluss der universalen Ordnung durch Verabsolutierung einer partikularen. Diese Infragestellung des Wahrheitsgaranten der neuzeitlichen Philosophie durch Schelling legt aber zugleich die Frage nahe, durch was sein eigener Maßstab abgesichert ist, mithin, durch was sich der Standpunkt seiner Kritik legitimieren lässt. Wird die Freiheitsschrift vor diesem Hintergrund nach ihrem fundamentum inconcussum befragt, so zeigt sich zunächst das Gefühl der Freiheit als solches. Das lässt bereits der erste Satz deutlich werden, in dem Schelling feststellt, dass das „Gefühl derselben [der Freiheit] einem jeden [unmittelbar] eingeprägt“ sei und deshalb nicht bezweifelt werden könne, dass die „individuelle Freiheit doch auf irgend eine Weise mit dem Weltganzen […] zusammenhängt“ und daher „irgend ein System,wenigstens im göttlichen Verstande,vorhanden seyn muß, mit dem die Freiheit zusammenbesteht.“ (SW VII, S. 336 f.) Die Selbstgewissheit bleibt damit in Schellings Philosophie im Jahr 1809 Ausgangspunkt, und zwar als Selbstgefühl der individuellen Freiheit, die mit ihm in ihrer Positivität ausgewiesen wird. Gleich der fichteschen Gewissheit – wir können von allem abstrahieren, nur nicht vom Ich – formuliert Schelling hier das Gefühl der Freiheit als Grundsatz. Allerdings wird dieser nicht, wie noch im Identitätssystem, mit der komplexen Operation der intellektuellen Anschauung zugänglich, sondern über das schlichte Gefühl der Freiheit. Die Selbstgewissheit der individuellen Freiheit, die hier den Anfang gibt, wird alles andere denn als Erkenntnis exponiert; vielmehr bildet die Unklarheit über das, was in ihr gegeben ist (vgl. Henrich 2007, S. 26), sogar explizit den Ausgangspunkt. So gibt das Gefühl der Freiheit nach Schelling an sich weder eine Antwort auf die Frage, was Freiheit ist, noch wie sie in das Weltganze eingebunden ist, in dem sie erlebt wird. Schelling hebt hervor, das Gefühl der Freiheit sei ein so uneindeutiges Fundament, dass bereits eine Artikulation desselben eine „mehr als gewöhnliche Reinheit und Tiefe des Sinns erfordert“ (SW VII, S. 336); eine begriffliche For-
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mulierung scheint damit weit entfernt davon, selbstverständlich zu sein. Das Gefühl der Freiheit gibt hier nicht hinreichend das erste Prinzip, aus welchem sich ein System ableiten ließe, sondern nur einen unmittelbaren Zugang zu diesem als Gefühltes. Das damit zugängliche Prinzip ist mit ihm lediglich in undifferenzierter, diffuser Weise gegeben, die keine epistemologische Distinktheit in Anspruch nehmen kann, sondern ausdrücklich noch der scheidenden Kraft des Verstandes, mithin der philosophisch-dialektischen Untersuchung bedarf, um es seinem Begriff und seiner Stellung im systematischen Ganzen nach zu bestimmen. Hier gilt mithin, was Schelling in der Grundlegung der positiven Philosophie zum Gefühl als Erkenntnisgrund anmerkt: Ich sagte früher: meinetwegen könne man die Stimme dieses Wollens auch Gefühl nennen. Offenbar aber ist sogleich einleuchtend, dass mit jenem Wollen als Anfang der Philosophie nicht ein Gefühl gemeint sein kann, welches statt der Wissenschaft selbst ist. […] Ferner: wenn man jenes nur successive Sich-Bewusstwerden, also im Anfange unbewusste Wollen als Gefühl bestimmen wollte, so dürfte es nicht betrachtet werden als ein Gefühl für den höchsten und letzten Gegenstand selbst; so, als ob wir durch dieses Gefühl jenen schon besässen. (Jacobi). (Schelling 1972, S. 395 f.)
Diesem Einstieg mit dem Gefühl der Freiheit, die als reine Unmittelbarkeit angesehen wird, können drei Funktionen zugesprochen werden: Schelling verabschiedet mit ihm die viel kritisierte intellektuelle Anschauung als Anfangsfigur, begründet zugleich auf nicht deduktive Weise, nämlich über eine Evidenzerfahrung, das Festhalten an der kantischen Anerkennung der Würde der menschlichen Freiheit und zeigt mit der Betonung der Unklarheit über das im Gefühl Gefundene die Möglichkeit an, die auf dem Boden dieser Forderung entwickelten idealistischen Freiheitskonzepte von Grund auf neu zu überdenken. Schelling signalisiert damit die Bereitschaft, um der menschlichen Freiheit willen, die bisherigen Systeme der Freiheit in Frage zu stellen, den Zusammenhang von Freiheit und Notwendigkeit neu zu bedenken und auch den Begriff des Absoluten, wie er in den bisherigen idealistischen Systemen gedacht wurde, zu hinterfragen, nicht aber das Faktum der menschlichen Freiheit selbst anzutasten. Das Streben, im Ausgang von der Erfahrung, „Freiheit gekostet“ zu haben, die Freiheit „über das ganze Universum zu verbreiten“, bleibt für Schelling vielmehr ausdrücklich der einzig legitime „Weg zur Philosophie“.¹²³
Vgl. SW VII, S. : „Nur wer Freiheit gekostet hat, kann das Verlangen empfinden, ihr alles analog zu machen, sie über das ganze Universum zu verbreiten. Wer nicht auf diesem Weg zur Philosophie kommt, folgt und thut bloß andern nach, was sie thun; ohne Gefühl weßwegen sie es thun.“
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Zugleich betont er mit der Hervorhebung der Unbestimmtheit der Freiheit im Gefühl die Pluralität der aus diesem hervorgehen könnenden Systeme. Indem das Gefühl selbst ganz unterschiedliche Systeme der Freiheit ermöglicht, lässt sich auch der fichtesche „subjektive“, „sich selbst mißverstehende Idealismus“ (SW VII, S. 351) auf dieses zurückführen. Der Versuch, die Freiheit auf das Ganze auszuweiten, ist, wie Schelling im Laufe der Untersuchung in Anspielung auf Fichtes Idealismus aufzeigt, damit auch einer spezifischen Gefahr ausgesetzt, nämlich statt der Freiheit selbst eine bloß partikulare Freiheit – und damit eine sich selbst missverstehende Freiheit – zu totalisieren. Mit der Betonung der Unbestimmtheit des Fundamentes, das viele Arten von Systemen ermöglicht – solche, die vom Partikularen ausgehen und dieses totalisieren und andere, welche die partikulare Freiheit mit der höheren zusammen zu denken versuchen –, wird die Frage nach dem Maß dieser Unterscheidung wesentlich. Dass das Gefühl der Freiheit als solches nicht hinreicht, zeigt Schelling mit der Betonung der Unbestimmtheit der Freiheit im Gefühl auf. Das fundamentum inconcussum ist damit nicht zugleich auch Garant der Wahrheit. Die unerschütterliche Gewissheit, dass der Mensch frei ist, kann nicht als hinreichendes Kriterium der Wahrheit des Freiheitsbegriffs angesehen werden, obgleich die in dieser Gewissheit offenbare Freiheit derjenige Grundsatz ist, an dem sich jedes System zu bewähren hat.¹²⁴ Wie gezeigt wurde, exponiert Schelling in der Freiheitsschrift insbesondere die Konzeption des Bösen als ausgezeichnetes Phänomen einer solchen Bewährung, in der sich das Wesen der menschlichen Freiheit sukzessive manifestiert.¹²⁵ Das Gefühl der Freiheit ist dieserart die Grundlage; es ist die notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung der Wahrheit. Anders als im kantischen Nachweis der Positivität der Freiheit, in dem die Freiheit, wie Schelling in der Allgemeinen Uebersicht sagt, als „das einzige Uebersinnliche, wovon wir Gewissheit haben“ (AA I,4, S. 135 / SW I, S. 408) exklusiv in der Anwesenheit des Sittengesetzes im Bewusstsein zugänglich wird, ist das Gefühl der Freiheit in der Freiheitsschrift nicht singulär. Statt der Annahme
Vgl. SW VII, S. : „Diese Betrachtungen führen auf unsern Anfangspunkt zurück. Ein System, das den heiligsten Gefühlen, das dem Gemüth und sittlichen Bewußtseyn widerspricht, kann, in dieser Eigenschaft wenigstens, nie ein System der Vernunft, sondern nur der Unvernunft heißen. Dagegen würde ein System, worin die Vernunft sich selbst wirklich erkennte, alle Anforderungen des Geistes wie des Herzens, des sittlichsten Gefühls wie des strengsten Verstandes vereinigen müssen.“ Vgl. Schelling , S. : „Wollen also ist das wahre und eigentlich Apriorische unserer Erkenntnis. Aber dieses Wollen kann sich erst an und mit den verschiedenen Formen, welche die menschliche Erkenntnis successiv annimmt, manifestieren.“
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einer ausgezeichneten Erkenntnisweise, durch welche als „angemessene[m] Organ“ eine unmittelbare Erkenntnis des Absoluten möglich wäre, wie Schelling sie in der Identitätsphilosophie in Form der intellektuellen Anschauung als „absolute Erkenntnißart“ (SW VI, S. 26) denkt, wird das Gefühl der Freiheit in der Freiheitsschrift in einer Vielzahl von Freiheitsphänomenen – wie Schuld, Sünde, Verhängnis, Gewissen – untersucht und ausdifferenziert, die sich unter dem Oberbegriff des Bösen zusammenfassen lassen und damit negative Gewissheiten der menschlichen Freiheit sind. Die Aufgabe dieser Philosophie, so kann mit Wilhelm G. Jacobs gesagt werden, besteht daher mehr „im Zusammensetzen der Stücke“ und nicht mehr „im Zusammenschauen“ (Jacobs 2001, S. 144) wie bei den Theosophen. Schelling selbst äußert diesen Gedanken im ersten Buch der Weltalter und weist damit seine eigene These von der intellektuellen Anschauung als dem angemessenen Organ zur unmittelbaren Erkenntnis des Absoluten selbst zurück, wenn er sagt: Wir leben nicht im Schauen; unser Wissen ist Stückwerk, d. h. es muß stückweise, nach Abtheilungen und Abstufungen erzeugt werden, welches nicht ohne alle Reflexion geschehen kann. Darum wird auch der Zweck im bloßen Schauen nicht erreicht. Denn im Schauen an und für sich ist kein Verstand. […] Aber alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist an und für sich stumm, und bedarf eines vermittelnden Organs, um zum Aussprechen zu gelangen. (SW VIII, S. 203 f.)
Dass der Standpunkt der Endlichkeit damit methodisch gegenüber dem Standpunkt der absoluten Vernunft aufgewertet wird, scheint offensichtlich. Das unmittelbare Schauen, die visio intellectualis des Absoluten wird abgewertet. Dagegen wird der endliche Verstand als Differenzierungsvermögen hervorgehoben. In den Philosophischen Untersuchungen kündigt sich diese Entwicklung bereits an: Nicht die Abstraktion von der Endlichkeit, von der Individualität des Anschauenden, sondern die Manifestationen des Absoluten im Endlichen werden hier wie noch in der Spätphilosophie methodisch bedeutsam.¹²⁶ Damit rücken Freiheitsphänomene ins Zentrum, die über sich selbst hinaus weisen und als Spuren des
Vgl. SW X, S. : „Die letzte Aufgabe konnte nun bloß noch seyn, das Verhältniß dieses seiner Natur nach unzugänglichen und wie in einem unzugänglichen Licht wohnenden – weil nie Objekt werden könnenden – Subjekts zum menschlichen Bewußtseyn zu zeigen […]. Es fragt sich also, ob im menschlichen Bewußtseyn solche Manifestationen oder, um einen Leibnizischen Ausdruck zu brauchen, […] ob solche Fulgurationen jenes Höchsten, über alles Erhabenen im menschlichen Bewußtseyn nachzuweisen sind, Erscheinungen, in denen das menschliche Selbst sich als Werkzeug oder Organ jenes Höchsten verhält; denn was sich bloß manifestirt, wirkt nicht unmittelbar, sondern nur durch ein anderes hindurch.“
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Absoluten gedeutet werden,¹²⁷ sodass durch sie eine indirekte Annäherung an das Absolute möglich wird. Diese methodische Entfremdung Schellings vom Identitätssystem, die sich bereits in der Freiheitsschrift deutlich zeigt, ist mit Blick auf Kant als Grundmöglichkeit idealistischen Denkens zu betrachten. Im Raum der Ästhetik wird in der Kritik der Urtheilskraft das ästhetische Gefühl als Ort der Idee der Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit, von Freiheit und Notwendigkeit ausgezeichnet. Das Gefühl kann dabei geradezu als Paradigma einer solchen über sich selbst hinausweisenden Gegenwart betrachtet werden. So lässt sich Schellings Orientierung an pluralen Erscheinungsformen von Freiheit respektive Unfreiheit als Erbe kantischer Philosophie interpretieren, in der in Anerkennung der Unmöglichkeit zu einer Erkenntnis spekulativer Gegenstände zu kommen, gleichwohl in der Ästhetik, sei es als Spur oder Symbol (vgl. KA V, S. 351– 354 / KU, A 245 – 260), das Übersinnliche aufscheint. Als Beispiel dieser methodischen Entwicklung, in Zuge derer der identitätsphilosophische Begriff eines absoluten Erkenntnisaktes verabschiedet wird, lässt sich die Gewissenskonzeption der Freiheitsschrift interpretieren. Mit ihr zeigt sich die methodische Bedeutung, die nun endlichen Erscheinungen der Freiheit zuerkannt wird, welche als Manifestationen des Absoluten im Endlichen und unter den Bedingungen der Endlichkeit begriffen werden. Schelling ruft die Gewissenstradition in der Freiheitsschrift auf folgende Weise im Zusammenhang mit der Diskussion um die Möglichkeit der Umkehr als Wiedererlangung des Vermögens zum Guten auf: Daher in dem Menschen, in welchem jene Transmutation noch nicht vorgegangen, aber auch nicht das gute Princip völlig erstorben ist, die innere Stimme seines eignen, in Bezug auf ihn, wie er jetzt ist, besseren Wesens, nie aufhört ihn dazu aufzufordern, so wie er erst durch die wirkliche und entschiedene Umwendung den Frieden in seinem eignen Innern, und, als wäre erst jetzt der anfänglichen Idea Genüge gethan, sich als versöhnt mit seinem Schutzgeist findet. (SW VII, S. 389)
Zunächst fällt auf, dass die „innere Stimme“ hier weder als Richter über die eigenen Taten noch als Instanz der Reue, sondern als „bessere[s] Wesen[s]“ angesprochen wird, das zu einer Transmutation auffordert, die inneren Frieden und Versöhnung mit dem eigenen „Schutzgeist“ bringen soll. Der Aufforderungscharakter verweist auf diese Versöhnung als ein Ausstehendes – und charakterisiert den jetzigen Zustand damit ex negativo als inneren Unfrieden, als Unversöhntheit
Vgl. Schelling , S. : „Wohin ich in der unabsehbaren Reihe der endlichen Dinge komme, finde ich immer nicht Gott selbst, sondern nur seine Fußstapfen.“
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mit dem eigenen Schutzgeist. Wie bei Augustinus wird die Zerrissenheit und Uneinheitlichkeit der voluntatis damit als Charakteristikum des menschlichen Willens nach dem Sündenfall angeführt (vgl. Augustinus 1980, VIII, S. 403 – 405). Noch im Jahr 1854, nämlich in dem Brief an König Maximilian II. von Bayern vom 16. April verwendet Schelling den Ausdruck des Schutzgeistes, und zwar in deutlicher Nähe zum „Dämonion des Sokrates“, das sich insbesondere abratend äußere.¹²⁸ Hier schreibt Schelling: Bei der unerschöpflichen Manigfaltigkeit menschlicher Charaktere und Eigenthümlichkeiten kann es auch nur etwas dem Dämonion des Sokrates ähnliches sein, das beßeren Naturen wie ein Schutzgeist beigegeben, freilich wie jenes mehr negativ als positiv sich ausspricht, aber dessen Stimme wo sie entschieden und vernehmlich ist einfach zu folgen, gerathener ist, als sich nach wissenschaftlichen Grundsätzen bestimmen zu wollen. (Trost/Leist 1890, S. 261)
Bereits in der Philosophie der Kunst und den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, also in den Jahren 1802/03, findet sich der Gedanke eines Schutzgeistes unter dem Titel Genius respektive besserer Genius: Schelling interpretiert ihn hier als „Stück aus der Absolutheit Gottes“, das uns „sicher leitet“.¹²⁹ Diese Ausführung zeigt eine gewisse Nähe zu der Rede vom „Schutzgeist“ – wie Schleiermacher δαίμων übersetzt – im Timaios, der auch hier als das Göttliche in uns angesprochen wird (vgl. PW, Tim 90c). So heißt es im Timaios: Die maßgebendste Form von Seele bei uns müssen wir uns aber folgendermaßen denken, daß nämlich Gott sie jedem als einen Schutzgeist verliehen hat; von ihr behaupten wir, daß sie im obersten Teil unseres Körpers wohnt und uns von der Erde zu unserer Verwandtschaft im Himmel erhebt […]. (PW, Tim 90a)
In Bezug auf die Philosophischen Untersuchungen lässt sich daraus schließen, dass Schutzgeist und besseres Wesen das Subjekt derselben inneren Stimme bezeichnen. Schelling behauptet, die innere Stimme sei davon abhängig, dass das „gute Princip“ im Menschen nicht gänzlich „erstorben“ sei. Obwohl Schelling in
Vgl. PW, Apo c–d: „Hiervon ist nun die Ursache, was ihr mich oft und vielfältig sagen gehört habt, daß mir etwas Göttliches und Daimonisches widerfährt, was auch Meletos in seiner Anklage auf Spott gezogen hat. Mir aber ist dieses von meiner Kindheit an geschehen, eine Stimme nämlich, welche jedesmal, wenn sie sich hören läßt, mir von etwas abredet, was ich tun will, zugeredet aber hat sie mir nie.“ Vgl. PW, Apo e–c. Vgl. SW V, S. : „Dieser ewige Begriff des Menschen in Gott als der unmittelbaren Ursache seiner Produktionen ist das, was man Genie, gleichsam den Genius, das inwohnende Göttliche des Menschen, nennt. Es ist so zu sagen ein Stück aus der Absolutheit Gottes“. Und SW V, S. : „Von wem soll er diese Erkenntniß erlangen, und wem soll er sich in dieser Rücksicht vertrauen? Am meisten sich selbst und dem bessern Genius, der sicher leitet“.
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diesem Textabschnitt die Herkunft dieses Prinzips im Menschen, welches im Zustand der Sünde noch als besseres Wesen fortlebt, nicht eigens angibt, lässt sich diese aus dem Zusammenhang der Schrift rekonstruieren. Schelling spricht in der Freiheitsschrift davon, dass der urbildliche, ebenbildliche Mensch, den „Gott ersah, als er den Willen zur Natur faßte“, in das „auf Gott unabhängige[s] Princip“ (SW VII, S. 363), welches hier „gleichsam [als] Behälter des höheren Princips“ (SW VII, S. 364) fungiert, eingesprochen wurde und im Grund als Licht- oder Lebensblick „verschlossen[e]“ fortlebe, und „stufenweise“ durch „Scheidung“ (SW VII, S. 362) wieder entfaltet werde, bis im Menschen, verkörpert in Universal- und Eigenwille, höheres und finsteres Prinzip wieder in relativer Reinheit hervortreten (vgl. SW VII, S. 363). In Nähe zum platonischen Daimon im Timaios lässt sich der Schutzgeist, das bessere Wesen, vor dem Hintergrund dieser skizzierten Schöpfungskonzeption also als Spur der göttlichen Bestimmung im faktischen Menschen begreifen,¹³⁰ mithin als Manifestation des Absoluten unter den Bedingungen der Endlichkeit und der Verfehlung. Es kann dieserart als Derivat des Seinsollenden im Menschen bezeichnet werden. Dass die Maßstäblichkeit hier nicht über das Sehen – das laut der Weltalter „an und für sich stumm“ (SW VIII, S. 204) ist –, sondern mit der Metapher der Stimme über das Hören zugänglich sein soll, kann nicht verwundern. Schelling setzt sich in der Freiheitsschrift in Reaktion auf Fichtes Anweisung zum seeligen Leben eingehend mit dem Johannesevangelium auseinander. Aber dieses Interesse ist nicht der einzige Grund dafür, dass die Stimme und das Hören in der Frage nach dem Maßstab im Status der Verkehrung von Universal- und Partikularwillen gegenüber dem Schauen aufgewertet werden. Es fällt auf, dass die Stimme in der Freiheitsschrift nicht nur für die Gewissenskonzeption, in der sie klassischerweise einen Platz hat, von Bedeutung ist, sondern auch die Schöpfungstat johanneisch als Aussprechen des Wortes gedacht wird – „Er spricht, und sie sind da“ (SW VII, S. 347) –, und auch die Verführung der Sirenen als Rufen einer „geheime[n] Stimme“ (SW VII, S. 381) ausgeführt wird. Insbesondere die letzte Verwendung der Stimme als täuschende Verführung verweist darauf, dass mit der Stimme des Gewissens keineswegs ein Garant der Wahrheit gegeben ist. Der prekäre Status, die Gefahr der Verwechslung der inneren Stimmen, steht dem absoluten Erkenntnisakt als Standpunkt der Philosophie entgegen.
Vgl. SW VII, S. : „In ihm (im Menschen) allein hat Gott die Welt geliebt; und eben dieß Ebenbild Gottes hat die Sehnsucht im Centro ergriffen, als sie mit dem Licht in Gegensatz trat.“
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Statt der Gegenwart einer Alleinheit in der intellektuellen Anschauung zielt diese Stimme zudem auf Differenz und Abgrenzung. So wird mit der inneren Stimme auf eine immanente Dialogstruktur angespielt, bei der das bessere Wesen als ein anderes im Selbst spricht. Die Instanz der inneren Stimme ist hier nicht das Eigenste des faktischen Menschen, sondern das Andere im Selbst, das auffordert (vgl. Weischedel 1973, § 34– 36). Sie ist die immanente Alterität – etwas im Selbst, das mit diesem nicht-identisch ist. Durch die Aufforderung zur Transmutation wird außerdem deutlich, dass Schelling diesen inneren Konflikt nicht dadurch zustande kommen sieht, dass die höhere Instanz im Selbst über dieses urteilt, oder es zu einer Besserung auffordert; vielmehr verweist die Transmutation parallel zur Revolution der Gesinnung bei Kant auf die Notwendigkeit einer Vertauschung des Herrschaftsverhältnisses der Willensmomente (vgl. Hühn 1998a, S. 61– 64 u. S. 75), wodurch die verkehrte Anordnung – ihrerseits vertauscht – wieder die seinsollende Hierarchie hervorbrächte. Der Streit der inneren Wesen ist damit Ergebnis der ursprünglichen Verkehrung, durch die das universale Willensmoment zum Anderen des Selbst gemacht wurde. Dieserart beherrscht vom Partikularwillen ist das „wahre Selbst“ mit der unzeitlichen Orientierung am nur scheinbar Guten zum anderen Selbst geworden, sodass das gute Prinzip nicht mehr über den „Rückgang des Denkens in sich selbst“ (Beierwaltes 2001, S. 116), in den Grund des Bewusstseins aufgefunden werden kann, sondern nur in der immanenten Alterität zugänglich wird. Die gegenwärtige Hierarchie des Selbstverhältnisses lässt das gute Prinzip damit nur noch als das Andere – beherrschte – anwesend sein. Schelling denkt die erneute Vertauschung des Herrschaftsverhältnisses, die Transmutation als Bedingung der Möglichkeit der Versöhnung mit dem guten Prinzip (vgl. Beierwaltes 2001, S. 84– 122), die plotinisch als ἕνωσις verstanden werden kann.¹³¹ Anders als bei Plotin ist das „wahre Selbst“ bei Schelling 1809 aber gerade nicht das „Eine[n] in uns“ (Beierwaltes 1985, S. 180; vgl. Beierwaltes 1980, S. 24– 56, bes. S. 35 f.), sondern dasjenige, worauf auch der platonische Gedanke des Schutzgeistes verweist, nämlich lediglich Abkömmling, Derivat, Spur des Guten. Dieser Unterschied ist wesentlich, denn die Möglichkeit des Missbrauchs des Guten setzt eine relative Machtlosigkeit desselben voraus – ein Ausgeliefertsein an das Gewordene, Endliche –, die darüber erklärt wird, dass es lediglich als Spur des Göttlichen im menschlichen Willen anwesend ist. Es ist
Plotin veranschaulicht die Einung mit dem Einen (ἕνωσις) zum einen mit dem Bild des Schlafes als Bewusstwerdung des in uns immer schon anwesenden Guten, mithin als inwendige Einung (vgl. Enn. V ,), die zur Einheit von Schauendem und Geschautem führt, und zum anderen als Heraustreten aus sich (ἔκστασις) (vgl. Enn. VI ,).
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symbolisch verstanden das Ausgesprochene und damit freigelassen und ausgeliefert. Die johanneische Denkweise tritt hier deutlich zutage. Beierwaltes betont, dass der plotinische Rückgang-in-sich zur Einung mit dem Absoluten der „Prototyp neuzeitlicher Theorien des Selbstbewußsteins“ (Beierwaltes 2001, S. 106) sei. Die erste Forderung der Philosophie als transzendentale Wissenschaft, so betont Fichte, sei die Abwendung des Blicks von allem Äußeren und die Hinwendung ins Innere.¹³² Mit Beierwaltes kann festgestellt werden, dass diese fichtesche Bewegung dem plotinischen Weg der „Selbsterkenntnis als bewußte Wendung ins wahre Selbst“ (Beierwaltes 2001, S. 103) nahe kommt. Die herausgestellten Unterschiede zum schellingschen Ansatz legen daher die Schlussfolgerung nahe, dass Schelling mit der Gewissenskonzeption der Freiheitsschrift zu diesen Selbstbewusstseinstheorien eine Alternative aufzeigt und propagiert und sich dabei insbesondere gegen Fichte wendet. In der Erlanger Vorlesung, in welcher Schelling die Nicht-Identität im Selbst im Zusammenhang mit der ἔκστασις herausstellt,¹³³ begründet er, warum eine „unmittelbare Erkenntniß“ (SW VI, S. 151) des Absoluten, wie sie im Identitätssystem programmatisch war, unmöglich sei. Eine solche sei nur in dem „Fall“ denkbar, so betont er im Jahr 1820/21, dass „unser Bewußtsein eins wäre mit dem Selbsterkennen der ewigen Freiheit, so daß der Grund unseres Bewußtseins eben jene ewige Freiheit wäre“ (Schelling 1969, S. 32). Dass dieser Fall bereits im Jahr 1809 nicht mehr angenommen wird, zeigt nicht nur die Konzeption des Bösen, mit welcher Schelling deutlich werden lässt, dass das faktische Bewusstsein von Grund auf nicht-identisch ist mit dem Ordnungsgaranten. Auch die Gewissen-
Vgl. FGA I,, S. : „Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von allem, was dich umgiebt, ab, und in dein Inneres; ist die erste Foderung,welche die Philosophie an ihren Lehrling thut. Es ist von nichts, was außer dir ist, die Rede, sondern lediglich von dir selbst.“ Der schellingschen Behauptung einer Identität von Ekstasis und intellektueller Anschauung in der Erlanger Vorlesung („Man nannte dieses nichtwissende Wissen früher: intellektuelle Anschauung, weil im eigentlichen Anschauen oder Schauen das Subjekt verloren sei in den Gegenstand. Intellektuell, weil man voraussetzte, daß dieses Schauen nicht, wie das sinnliche, auf ein wirkliches Objekt gehe. Aber eben weil diese Benennung noch einer Erklärung bedarf, ist sie verwerflich. – Besser ist daher die Andere Benennung: Ekstase, ein ‚Außer sich selbst gesetzt werden‘.“ (Schelling , S. )) muss mit Blick auf diese Figur entschieden widersprochen werden, auch wenn beide ihrer Funktion nach auf eine Einung des menschlichen Bewusstseins mit dem absoluten Einen gehen: Die intellektuelle Anschauung ist zunächst eine Wendung ins Innere, zum Grund des Bewusstseins und damit eine Scheidung von aller Differenz des Bewusstseins, die Ekstase bei Schelling aber zunächst Scheidung von sich als dem falschen Grund des Bewusstseins, welche erst die Wendung zum wahren Selbst ermöglicht. Vgl. zum Zusammenhang von intellektueller Anschauung und ἔκστασις auch Hühn a, S. – ; Beierwaltes , S. – .
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konzeption lässt deutlich werden, dass der faktischen Freiheit die ewige Freiheit nur noch als das Andere im Selbst zugänglich ist. Weil der „Grund unseres Bewußtseins“ unvordenklich nicht mehr identisch ist mit der ewigen Freiheit, setzt sowohl der absolute Erkenntnisakt als auch die Rückwendung ins wahre Selbst eine „Umwendung in uns“ voraus, die nicht Verinnerlichung ist, sondern Scheidung (vgl. Schelling 1969, S. 32). Das aber bedeutet, dass das Selbstbewusstsein nicht mehr auf einem Fundament ruht, welches wahre Maßstäblichkeit garantiert, sondern diese nur noch als fragile Stimme respektive in der Erlanger Vorlesung als „dunkle Erinnerung“ (Schelling 1969, S. 33)¹³⁴ zurückbleibt, welche die grundsätzliche Möglichkeit einer Transmutation abgibt. Die Anwesenheit des Absoluten, wodurch das Verkehrte erst als solches hervortritt, und zwar als ein Nicht-Seinsollendes, wird damit bereits in den Philosophischen Untersuchungen und auch in der Initia Philosophiae Universae nicht als gesicherte Tiefendimension des Selbst, sondern als prekäre Instanz im Selbst gedeutet: Die nicht sichtbare, nur negativ sich äußernde Stimme und die undeutliche Erinnerung an den Verlust der Einheit veranschaulichen diesen Status (vgl. Schelling 1969, S. 32 f.). Diese Nähe der Gewissenskonzeption der Freiheitsschrift zu der Figur der Mitwissenschaft in der Erlanger Vorlesung, wodurch die Mitwissenschaft als Weiterführung der Gewissenskonzeption der Freiheitsschrift verstanden werden kann, zeigt sich schon darin, dass Schelling die Mitwissenschaft im Jahr 1820/21 auf die conscientia zurückführt und damit explizit mit der Gewissenstradition in Verbindung bringt und in beiden Schriften nicht die Besserung, sondern die Krisis als Zielpunkt ansetzt (vgl. Schelling 1969, S. 23 u. S. 116; SW VII, S. 403): Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich, hat die menschliche Seele eine Mitwissenschaft der Schöpfung. […] Aber nicht frei ist im Menschen das überweltliche Princip noch in seiner uranfänglichen Lauterkeit, sondern an ein anderes geringeres Princip gebunden. Dieses andere ist selbst ein gewordenes und darum von Natur unwissend und dunkel; und verdunkelt nothwendig auch das höhere […]. (SW VIII, S. 200)¹³⁵
Vgl. Fuhrmans , S. , Anm. : „Daß der Mensch einmal ‚im Centrum‘ war, in der Einheit mit Gott, schlummert im Menschen und erst das mühsame Erhellen der Vergangenheit des Menschen – dieses Mal: das Aufzeigen dessen, daß er ein Gefallener ist, erhellt den Weg des Seins. Andererseits gibt es im Menschen, im Grund seines Seins das dunkle Gefühl, einmal in Gott gewesen zu sein, in der Einheit mit allem Seienden gewesen zu sein, in einem leichteren Wissen um die Dinge – und dieses ‚Stück Vergangenheit‘ im Gemüt, im Gefühl gibt keine Ruhe“. Fuhrmans spricht in Bezug auf die Erlanger Vorlesung die epistemologische Konsequenz des Sündenfalls wie folgt an: „Durch den Fall ist das Urbild der Dinge in ihm [dem Menschen] ein ‚verdunkeltes‘ geworden.“ (Fuhrmans , S. , Anm. )
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Anders als die Form der Suche nach dem Wahren durch Rückwendung ins innerste Selbst, wird mit der inneren Stimme in der Freiheitsschrift nicht die Ausrichtung am Eigensten, sondern am Anderen im Selbst angemahnt. Dadurch, dass das gute Prinzip im faktischen Menschen als das Andere spricht, und dem Menschen dabei sinnbildlich zum „verzehrende[n] Feuer“ wird, zeigt sich zugleich die Unverfügbarkeit dieser Instanz, die nicht in der Selbsteinung aufgeht, sondern sich dieser entzieht. Denn weil Gott in seiner Existenz doch nicht gestört, noch weniger aufgehoben werden kann, so wird nach der nothwendigen Correspondenz, die zwischen Gott und seiner Basis stattfindet, eben jener in der Tiefe des Dunkels auch in jedem einzelnen Menschen leuchtende Lebensblick dem Sünder zum verzehrenden Feuer entflammt, so wie im lebendigen Organismus das einzelne Glied oder System, sobald es aus dem Ganzen gewichen ist, die Einheit und Conspiration selbst, der es sich entgegensetzt, als Feuer (= Fieber) empfindet und von innerer Gluth entzündet wird […]. (SW VII, S. 391)
Damit tritt nicht das Identische, sondern das, was im Selbst über dieses hinaus geht und nicht in der Selbsteinung aufgeht, mithin das Unverfügbare, ins Zentrum der Absicherung von Normativität. Dass Schelling damit nicht das unverfügbar Eigenste, sondern die Manifestation einer Alterität im Selbst denkt, zeigt sich auch im Widerspruch gegen die kantische Autonomiekonzeption, in welcher die Vernunft als „Urheberin ihrer Principien“ gedacht wird. Schelling sieht hier die Gefahr, dass die absolute Vernunft mit der menschlichen Vernunft verwechselt werde – dem partikularen Maßstab kein Korrektiv entgegengehalten werde. In der Freiheitsschrift spricht er nur von der menschlichen Vernunft und bezeichnet diese als „Ort der Wahrheit“ (SW VII, S. 415) im Menschen. Diese Dignität kommt ihr laut Schelling nicht dadurch zu, dass sie autonom ist, also ihre Prinzipien selbst hervorbringt, sondern weil sie diese empfängt (vgl. SW VII, S. 389). Dieser Gedanke der intellektuellen Heteronomie der Vernunft steht auch im Mittelpunkt der Gewissenskonzeption in der Einleitung in die Philosophie der Mythologie, wo Schelling in Auseinandersetzung mit Kants Autonomiekonzeption betont, dass jenes sich mitteilende Wesen keineswegs die „menschliche Vernunft sey“, sondern eine „intelligible Macht“, die sich „an den Willen wendet“ (SW XI, S. 532 f.). Die Unverfügbarkeit dieser Macht, die sich über die Vernunft vermittelt „an den Willen wendet“, wird in der Freiheitsschrift insbesondere darin deutlich, dass dieses bessere Wesen, der „Lebensblick“ – von dem gesagt wurde, dass er dem eingesprochenen Logos entspricht – im Zustand der Sünde, also im faktischen Menschen nach Schelling gerade nicht als wahres Selbst, sondern als „verzehrende[s] Feuer“ empfindlich wird. Damit wird die Unbeherrschbarkeit dieser Instanz hervorgehoben und deutlich, dass hier im Gewissen, wie auch im Bösen, Maßstäblichkeit anwesend ist, die im Leiden an der Unversöhntheit, dem Un-
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frieden und der Unfreiheit ex negativo zugänglich wird. Wie der Konzeption des Bösen liegt damit auch der Gewissenskonzeption eine Dialektik der Freiheit als negative Darstellung des Absoluten zugrunde. Das Leiden am Verhängnis und am Unfrieden, allgemein gesprochen an der Unfreiheit in der Freiheit, setzt das Gefühl einer ursprünglichen Freiheit voraus,¹³⁶ die damit indirekt zugänglich wird. Dort, wo die Unfreiheit erscheint, kommt vermittelt und negiert – also unter den Bedingungen der Endlichkeit – das Seinsollende, und d. h. die wahre Freiheit, auf eingeschränkte Weise, als korrektive Instanz zur Erscheinung. Das Gewissen ist in der Freiheitsschrift also nicht der Ort unmittelbarer Eingebung wahrer Maßstäblichkeit, sei es in Form des Sittengesetzes oder der Bestimmung des Menschen, sondern primär der Ort der Erfahrung einer Grenze der Selbstmacht des Bewusstseins – und nur vermittelt über die hier zum Ausdruck kommende Unverdaubarkeit der Verkehrung Erkenntnisgrund der Wirklichkeit eines nicht selbst getätigten Maßstabes. Wie die Angst des Lebens so zeigt sich daher auch die innere Stimme des Gewissens in ihrer immanenten Alterität als Grenze von Selbstmacht und Selbstbestimmung. Die Selbstzerrissenheit und das Unvermögen der Selbstversöhnung werden dieserart zu Zeugen der Unverfügbarkeit und damit der vom individuellen Willen unabhängigen Existenz einer universalen Bestimmung, eines nicht relativierbaren Maßes; einer Abhängigkeit von etwas, das nicht wir haben, sondern das uns hat.¹³⁷ Dass diese höhere Freiheit, die uns hat, nicht der individuellen Freiheit widerstreitet – wodurch der Gedanke am Gefühl der Freiheit scheitern würde –, sondern mit dieser einhergehen kann, wird daran deutlich, dass hier das Gewissen gerade nicht als Instanz des Sittengesetzes, oder als Richterstuhl für die Einhaltung von Geboten fungiert. Die Unverfügbarkeit einer solchen Instanz würde die individuelle Freiheit dadurch geringschätzen, dass sie ihr eine Unterordnung unter den höheren Willen vorschreibt. Dementgegen zeigt sich das Unverfügbare als das dem individuellen Willen nicht zur Disposition Stehende gerade nicht als das Gesoll-
Vgl. AA I,, S. / SW II, S. : „Wäre diese Thätigkeit unseres Geistes ursprünglich beschränkt, (so wie es die Philosophen sich einbilden, die alles auf Denken und Vorstellen zurückführen,) so könnte der Geist niemals sich beschränkt fühlen. Er fühlt seine Beschränktheit nur, in so fern er zugleich seine ursprüngliche Unbeschränktheit fühlt.“ Vgl. SW VII, S. f.: „Die Vernunft ist kein Vermögen, kein Werkzeug, und läßt sich nicht brauchen: überhaupt gibt es nicht eine Vernunft, die wir hätten, sondern nur eine Vernunft, die uns hat.“ Bei diesem Zitat gilt es allerdings zu bedenken, dass die Vernunft in den Aphorismen nicht wie in der Freiheitsschrift „die ruhige Stätte [ist], darin die ursprüngliche Weisheit empfangen wird“ (SW VII, S. ), nicht das „gute Princip“ (S. ) in uns, „sondern ein Wissen Gottes, welches selbst in Gott ist.“ (S. )
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te,¹³⁸ sondern als das, was im Scheitern als ausstehendes wahrhaft Gewolltes erfahren werden kann. Dieserart verweisen Unfriede und Verhängnis nicht auf die Pflicht zu Friede und Freiheit, sondern auf die friedliche Einheit als das wahrhaft Gewollte, als Zielpunkt von Sehnsucht und Verlangen. Hier, im „Gegensatz der Sünde offenbart sich“, wie Schelling 1809 schreibt, „das Wesen Gottes“ (SW VII, S. 391). Schelling lässt das Gewissen in der Freiheitsschrift, das klassischerweise der Ort der göttlichen Stimme ist, zum Ort der Erfahrung einer unverfügbaren und dennoch dem individuellen Willen nicht widerstreitenden höheren Ordnung werden und gibt damit in der Freiheitsschrift zugleich eine Weiterführung und Neuausrichtung zur kantischen Erfahrung der übersinnlichen Freiheit im Sittengesetz.¹³⁹ In der Gewissenskonzeption wird das gute Prinzip, obwohl es weit davon
Vgl. dagegen die Gewissenskonzeption in Fichtes Bestimmung des Menschen: „Sie, diese Stimme meines Gewissens, gebietet mir in jeder besondern Lage meines Daseyns, was ich bestimmt in dieser Lage zu thun, was ich in ihr zu meiden habe […]. Auf sie zu hören, ihr redlich und unbefangen ohne Furcht und Klügelei zu gehorchen, dies ist meine einzige Bestimmung, dies der ganze Zweck meines Daseyns.“ (FGA I,, S. ) Vgl. SW VI, S. f.: „Kant leugnete diesem nach alle wahre theoretische Erkenntniß des Uebersinnlichen, d. h. alle wahre theoretische Philosophie. Er befestigte zuerst mit vollkommenem Bewußtseyn den absoluten Gegensatz zwischen den endlichen Vorstell꞊ und Erkenntnißkräften der Seele und zwischen dem Unendlichen.Von der einen Seite standen ihm die Begriffe des endlichen Verstandes, von der andern unerreichbar und absolut unbestimmbar durch diese die eigentlichen Gegenstände der Vernunft, die Ideen und die Idee aller Ideen – Gott oder das Unendliche. Er beschränkt daher alle Erkenntniß lediglich auf die Erfahrung und die Sphäre des Endlichen. Bloß in einem Phänomen der Seele konnte er den höheren und übersinnlichen Ursprung und die absolute Oberherrschaft oder Priorität des Idealen über das Reale nicht verkennen. Dieß war das Phänomen der Sittlichkeit. Er bemerkte, daß das Sittengebot schlechthin alles Sinnliche in uns niederschlage, es als Nichts setze; er fand zugleich, daß dieses Gesetz ganz unbedingt gebiete und daher eine wahrhaft absolute Erscheinung in der Seele sey. Aus dieser Einen absoluten Erscheinung sollte dann auf die Realität des Uebersinnlichen überhaupt nicht sowohl geschlossen werden, denn auch dieß wäre wieder Dogmatismus gewesen, als vielmehr, um jener Einen absoluten Erscheinung willen sollte an die Realität des Uebersinnlichen überhaupt geglaubt werden. Das Sittengebot, sagt er, spricht unbedingt zu uns; es läßt nicht in unserem Willen bestehen, ob wir ihm folgen wollen oder nicht, sondern es fordert absolut und kategorisch, daß wir ihm gehorchen. Wir können dieser inneren Stimme, diesem Gott in uns, nicht zuwider handeln, ohne uns selbst absolut zu widersprechen; aber, gesetzt auch, daß wir dieß wollten, so können wir doch seine unbedingte Verwerfung des Unsittlichen, sowie seine absolute Forderung des Gegentheils nicht verstummen machen. Diese Stimme kommt nicht aus uns selbst, aus unserer sinnlichen Natur, da sie sich ja vielmehr gegen diese richtet und sie absolut in uns zu nichte macht. Sie muß also aus einem Höheren kommen, als wir selbst sind; sie kann nur der Widerklang einer höheren und übersinnlichen Welt in uns seyn. So gewiß ich nun jener Stimme und ihrem absoluten Gebot Glauben beimesse, so gewiß muß ich dem Uebersinnlichen überhaupt Glauben beimessen; denn wäre überhaupt nichts Uebersinnliches, so müßte auch das Sittengebot Täu-
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entfernt ist, unmittelbar anwesend zu sein, über die kontrastive Gegenwart in seinem Wesen als Unverfügbares, wahrhaft Gewolltes, und als friedliche Einheit bestimmt –, sodass in dem Gewissen als Manifestation der höheren Freiheit die Freiheit in ihrem Ideal negativ zur Darstellung kommt, d. h. sofern sie im „falsche[n] Leben“ (SW VII, S. 366) in ihrer Abwesenheit präsent ist. Anders als in der Philosophie der Kunst und auf dem Boden der Identitätsphilosophie führt die Dialektik der Freiheit in den Philosophischen Untersuchungen damit nicht zu einem Absoluten als Standpunkt der Philosophie, sondern zu einem Ausstehenden wie in den Philosophischen Briefen. Das „Leben der Lüge“ (SW VII, S. 366) erschließt sich in seiner Verkehrtheit nach Schelling nicht über einen äußeren Standpunkt, sondern ganz im Sinne der neuzeitlichen Tradition über die Gewissheit des Selbstvollzugs. Gleichwohl bricht Schelling mit dieser Tradition, insofern er insbesondere gegen Fichte deutlich macht, dass für das faktische Bewusstsein der Grund des Bewusstseins keinen Zugang mehr zum Absoluten darstellt, sondern das Absolute in uns, welches die Wahrheit über das Ganze aufzeigt,¹⁴⁰ nur als das schlechthin Andere, als kritisches Korrektiv gegenwärtig ist, das die Distanzierungsmöglichkeit zum Gewordenen gibt. Noch in der Spätphilosophie hebt Schelling die bloß negative Erscheinung des Absoluten im Gewissen hervor, wenn er betont, dass, wie beim „Dämon des Sokrates“,¹⁴¹ der nur „verneinte und nicht bejahte“ auch „etwas in uns [sei], das uns zwar nicht das positiv Rechte gibt,“ aber als „innere Stimme in uns […] durch Verneinung des Unrechten vernehmbar“ wird, wodurch das Absolute zwar nicht unmittelbar, aber „successiv“ hervortrete.¹⁴² schung seyn; allein es für Täuschung zu halten, verbietet es selbst, indem seine unbedingte Forderung dahin geht, in ihm vielmehr allein das absolut= und unbedingt=Reale zu erkennen.“ Vgl. Enn. III ,, Z. – : „Denn da die Erkenntnis der übrigen Dinge wiederum vermöge des Geistes geschieht, und da man durch den Geist nur Geist erkennen kann, durch welche plötzliche Intuition soll man da dieses Dinges habhaft werden, welches das Wesen des Geistes überschreitet? Wem man klarmachen muß, wie es denn möglich ist, dem werden wir sagen: durch das in uns, das ihm gleicht.“ Vgl. zur Deutung des Daimonions bei Sokrates als Schutzgeist und „guter oder […] böser Geist“ durch Plutarch, Apuleius und Marsilio Ficino Ribbing , S. f.; Sauer , S. . Vgl. Schelling , S. f.: „Der echt wissenschaftliche Forscher wird ebensowohl von einem Ideal geleitet wie der Dichter. Es ist etwas in uns, das uns zwar nicht das positiv Rechte gibt, aber im vorkommenden Fall vornehmlich genug uns sagt: ‚Dies ist nicht das Rechte‘. Gerade so,wie der Dämon des Sokrates verneinte und nicht bejahte, so kann, da das Rechte überall nur zur Erscheinung kommt im Verhalten zum Unrechten, jene innere Stimme in uns nur durch Verneinung des Unrechten vernehmbar werden. So ist hiermit die Notwendigkeit successiv hervortretender Gestalten des Wissens, sowie das nur successive Sichbewusstwerden jenes Wollens erklärt.
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Mit dem Gedanken einer Aufforderung zur Umkehr als verneinende Vernehmbarkeit des Absoluten lässt Schelling in der Gewissenskonzeption im Jahr 1809 deutlich werden, dass es keinen einfachen Rückgang in den Zustand der AllEinheit für den Menschen und keine unmittelbare Gewissheit vom Wesen des Absoluten für die Wissenschaft gibt. Das Böse wird damit als unvordenkliche, allgemeinmenschliche Korruption des Geistes methodisch berücksichtigt, die auch die Philosophie nicht hintergehen kann. Neben einer normativen Bedeutung hat die Gewissenkonzeption in der Freiheitsschrift damit, wie die Konzeption des Bösen im Ganzen, eine programmatische Funktion, insofern sie die Anwesenheit des maßgebenden Absoluten im Endlichen unter den Bedingungen der faktischen Endlichkeit ausweist und damit der menschlichen Freiheit die Grenze ihrer Selbstmacht aufweist. Nach der Kunst und der intellektuellen Anschauung als Orte der Erfahrung des Absoluten wird in der Freiheitsschrift das Böse zum ausgezeichneten Phänomen des Innewerdens des Höchsten, das hier nur negativ zur Darstellung kommt, nämlich im Modus seines Entzugs, mithin als verlorene Einheit. Das Böse, gedeutet als verhängnishafter Freiheitsmissbrauch und als Setzung einer fortan endlicher Freiheit nicht mehr zur Disposition stehenden misslingenden Einheit von Freiheit und Notwendigkeit, zeigt damit nicht nur die Grenze menschlicher Freiheit an, sondern verweist zugleich auf ein Freiheitsgeschehen, welches die transzendentalphilosophische Methode übersteigt. Die tragische Struktur der Freiheit in der faktischen Welt führt, trotz der Härte ihres Verhängnisses, durch den Gedanken, dass sie aus Freiheitsmissbrauch resultiert – und damit negativ rückgebunden bleibt an einen höheren Freiheitsgaranten –, also keineswegs zur Verzweiflung radikaler Endlichkeit. So wird zwar die Ohnmacht des faktischen Menschen in Bezug auf die tragische Verstrickung der Freiheit ausgesagt – die auf ihre Unverfügbarkeit verweist –,¹⁴³ nicht aber ihre Notwendigkeit und Unabänderlichkeit als solche.¹⁴⁴ Gerade weil mit dem Bösen, gedacht als Sünde, eine „Selbstvergewisserung der eigenen Freiheit […] im Modus ihrer Verkehrung als Grund des Bösen“ (Axt-
Dasselbe Wollen, welches nur auf der letzten Stufe endlich ganz klar wurde, dasselbe Wollen hat schon auf den früheren Stufen das Unrechte verneint.“ Wieland betont, dass die Ohnmacht angesichts des durch die prometheische Urtat in die Welt gekommenen unvermittelbaren Risses darauf verweise, „daß die Freiheit über ihr eigenes Sein nicht verfügen kann“ (Wieland , S. – ). Schelling unterstreicht in den Philosophischen Untersuchungen den Gnadencharakter des Vermögens zum Guten – „einer Hülfe bedarf der Mensch immer“ (SW VII, S. ) – und weist damit den Gedanken der Verdienbarkeit des Guten und der Selbstmacht menschlicher Freiheit zurück (vgl. Rieger , S. – ).
3.3 Die Gewissenskonzeption. Überlegungen zur normativen Begründung
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Piscalar 1996, S. 8) vollzogen werden kann, ermöglicht es diese Figur der Verkehrung, bei welcher nicht bloß subjektive Momente, sondern zugleich universale Prinzipien pervertiert werden, zum einen die Eingebundenheit der menschlichen Freiheit im kosmischen Ganzen ex negativo über die Mitleidenschaft aufzuzeigen und zum anderen über die Interpretation des Bösen als strukturelles Missverhältnis zum Absoluten, die menschliche Freiheit als Freiheit auch in Bezug auf das Absolute zu erweisen. In diesem Sinne wird an der Konzeption des Bösen der „Mittelbegriff der ganzen Philosophie“, nämlich der „Begriff einer derivirten Absolutheit“ (SW VII, S. 347) aufgezeigt, welcher Gesetztsein und Selbstanfänglichkeit menschlicher Freiheit vereint. Die freiheitstheoretische Wendung der Sündenlehre steht auf diese Weise bei Schelling im Kontext des systematischen Bedeutungszuwachses, welcher der Endlichkeit in ihrer Gesetztheit – mithin in ihrer Abhängigkeit und Eingebundenheit – zugesprochen wird. Damit wird die Endlichkeit aber gerade nicht radikalisiert, denn mit der am Paradigma des Organismus gedachten Konzeption des Bösen wird deutlich, dass Schelling, obwohl er die endliche Freiheit ontologisch aufwertet, die Vereinzelung des Individuellen zugleich normativ abwertet. Indem das Böse entsprechend der Krankheit als Herauslösung eines freien Organs aus dem Organismus gedacht wird, kann einerseits die selbstanfängliche Freiheit des Menschen betont werden und zugleich die darin liegende Möglichkeit zur Leugnung seiner Eingebundenheit und der Existenz einer von ihm unabhängigen normativen Ordnung als nicht-seinsollende zurückgewiesen werden.¹⁴⁵ Hierin unterscheidet sich Schelling grundlegend vom frühen Fichte: Die reine Selbstbestimmung wird nicht als gelingender Ausweg aus der Allgemeinheit des Bösen verstanden, sondern als unwissentliche Wiederholung der Sünde durch den einzelnen Menschen. Die Konstatierung der Allgemeinheit der Sünde führt darum gerade nicht zum Appell reiner Selbstbestimmung – vielmehr wird diese als tragische Wiederholung der Sünde ausgewiesen.
Hier, im Verhängnis der Freiheit, zeigt sich entgegen der These Theunissens gerade, wie die „Philosophie […] zur Anerkenntnis eines Absoluten außer uns genötigt“ (Theunissen , S. ) werde. Mit ihm wird die „latente Präsenz des Verdrängten im Modus der Verkehrung“ (Hühn a, S. ) deutlich.
4 Die Neuausrichtung des Systems Daß Gott sich gegenüber freie Wesen schaffen konnte, ist das Kreuz, das die Philosophie nicht tragen konnte, sondern woran sie hängen geblieben ist. (KW 37, S. 105)
4.1 Die endliche Freiheit und ihre Einbindung im System Mit der Frage nach dem Wesen der menschlichen Freiheit als einer Freiheit, deren Spezifikum das Vermögen zum Bösen ist, stellt sich die Frage nach der Verortung der individuellen Freiheit im System der Freiheit neu. Wenn das Böse Freiheitsvollzug ist, so muss die menschliche Freiheit vom Ordnungsgaranten unabhängig sein. Sie kann nicht als Vernunftkausalität verstanden werden, sondern nur als Spontaneität. Um den Unterschied von Gut und Böse nicht zu relativieren, muss sie außerdem in einem systematischen Ganzen eingebunden gedacht werden, dem ein Maßstab zukommt, der universal ist. Bereits in der frühen Naturphilosophie wurde die individuelle Freiheit von Schelling als ein wesentlicher Aspekt seiner Weiterführung des kantischen Organismusbegriffs im Zusammenhang mit der Gesamtorganisation des Organismus als eigenes aber geborgtes Leben, als ermöglichter und das Ganze ermöglichender Selbstzweck ausgeführt. Obgleich der Gedanke der individuellen Freiheit und der Bezug der individuellen Freiheit zur intelligiblen Ordnung also schon früh in Schellings Philosophie präsent ist, bekommt er erst in der Freiheitsschrift eine systematische Dignität. Untergründig beherrscht die Problematik, die Eigenständigkeit individueller Freiheit mit der absoluten Identität zusammen zu denken aber spätestens mit der Schrift Philosophie und Religion auch den Ansatz des Identitätssystems. Im Zuge der Entwicklung der Identitätsphilosophie, wie sie im Briefwechsel mit Fichte dokumentiert ist, gibt Schelling den von Fichte kritisierten Versuch auf, über die intellektuelle Anschauung den vom Selbstbewusstsein unabhängigen Grund der Natur nachzuweisen. Die intellektuelle Anschauung ist nun nicht mehr ausgerichtet auf den Nachweis der Unabhängigkeit der Natur vom Selbstbewusstsein – auf die im Selbstbewusstsein intellektuell anschaubare, diesem zugrundeliegende Selbsttätigkeit, die bewusst werden kann, aber es nicht notwendigerweise ist –, sondern auf die höhere Einheit von Freiheit und Notwendigkeit, von Bewusstem und Unbewusstem, von Idealem und Realem. Im Zuge der Privilegierung dieses Ansatzes geht das Denken der individuellen Freiheit und
4.1 Die endliche Freiheit und ihre Einbindung im System
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Eigenständigkeit der Natur „verloren“, wie Fichte zu Recht bemerkt,¹ und wo sie in der Ausprägung des Nicht-Seinsollenden – etwa in Form des Falschen,Verkehrten, Irrtümlichen – dennoch thematisch wird, degradiert Schelling sie ontologisch zu einer „bloßen Privation“ wie in den Vorlesungen zur Philosophie der Kunst, in denen er sagt: Es folgt zugleich von selbst, daß ebenso vom Standpunkt der Totalität betrachtet, oder betrachtet, wie sie an sich sind, alle Dinge in absoluter Schönheit gebildet, die Urbilder aller Dinge, wie sie absolut wahr, auch absolut schön sind, das Verkehrte, Häßliche daher, ebenso wie der Irrthum oder das Falsche, in einer bloßen Privation besteht und nur zur zeitlichen Betrachtung der Dinge gehört. (SW V, S. 385 f.)
Das zur Beantwortung der Frage nach dem Zusammenhang von absoluter Identität und Dualität etablierte Konzept der quantitativen Differenz lässt es nicht zu, individuelle Freiheit – als eine von der höheren Einheit unabhängige, partikulare Selbstbewegung – in ihrer Positivität im System zu verorten. Mit ihm lässt sich zwar begründen, wie von der höheren Einheit von Freiheit und Notwendigkeit die gegensätzlich konzipierten Sphären von Natur und Geist ausgehen, nämlich als relative Ausprägungen der höheren Einheit mit Schwerpunkt auf der realen beziehungsweise idealen Seite. Damit wird aber zugleich auch die individuelle Freiheit zu einer relativen, eingeschränkten Freiheit. Schellings Versuch, sie auf Grundlage des Identitätssystems aufzuwerten, um die Sphäre der Moralität in ihrer Distinktheit nicht zu unterhöhlen, erweist sich als unzureichend. Die individuelle Freiheit wird 1804 als Ergebnis eines Abfalls von der absoluten Vernunft gedacht. Die Möglichkeit zu diesem aber bleibt systematisch uneingeholt. Das Abfallen von der Identität setzt die Möglichkeit der individuellen Freiheit, aus der Identität herauszutreten, voraus und muss deshalb auf irgendeine Weise als Möglichkeit in der absoluten Vernunft selbst angelegt sein. Schelling löste diese Problematik nur vordergründig, wenn er die individuelle Freiheit, gedacht als Tathandlung, ontologisch zur Grundlage der Endlichkeit als bloßes „Scheinleben“ (SW VI, S. 41) und zum Prinzip der Sünde erklärt.²
Vgl. Fichtes Brief an Jacobi vom . März : „Mit Schelling ist es etwas Anderes. Dieser ist bei aller seiner NaturPhilosophie mit sich noch gar nicht einig, ob und in wiefern er der Natur die Existenz zugestehen soll. Geräth er in’s Absolute, so geht ihm das Relative verloren; geräth er an die Natur, so geht ihm das Absolute ganz eigentlich in die Pilze, die auf dem Dünger seiner Phantasie wachsen.“ (FGA III,, S. ) Diese Problematik erübrigt sich nicht im Verweis auf die Tathandlung fichtescher Prägung, mit der Schelling den Abfall vom Absoluten im Jahr denkt. Auch wenn der „Grund der Möglichkeit des Abfalls […] in der Freiheit“ (SW VI, S. ) selbst liegt, wie Schelling betont, bleibt unbeantwortet, woher den im Absoluten gedachten Ideen die Potenz zukommen kann, sich solcherart zu
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4 Die Neuausrichtung des Systems
In der Freiheitsschrift übernimmt Schelling die Tathandlung als Prinzip der Endlichkeit und Grund der menschlichen Freiheit, weist sie aber nicht als das Prinzip der Sünde aus, sondern nur als das mögliche Prinzip des Bösen. Das Böse ist hier nicht mehr Schein, sondern Lüge; ein Unterschied, der nicht gering geachtet werden sollte. Die Tathandlung als Prinzip der individuellen Freiheit führt gemäß der Freiheitsschrift nicht mit Notwendigkeit zur Vereinzelung. Sie erzeugt zwar einen Schein, der zum Bösen verführt, aber sie zwingt nicht zur Ausrichtung am nur scheinbar Guten und zur Abwendung vom Göttlichen. Aus diesem Grund kann Schelling sie ontologisch aufwerten, ohne damit seine Kritik an Fichtes Frühphilosophie revidieren zu müssen. Die Tathandlung als reine Spontaneität wird von Schelling also für unabhängig vom Ordnungsgaranten erklärt. Die ursprüngliche Selbstbestimmung kann gleichermaßen eine Orientierung am Guten und am Bösen festlegen. Sie ist darum kein moralischer Akt, sondern die Grundlage des moralischen Horizontes. Und die Verwirklichung von Gut oder Böse ist nicht mit der Orientierung an der reinen Selbstbestimmung entschieden, sondern erst mit der weitergehenden Frage, durch was sich derjenige, der sich selbstbestimmt, bestimmen lässt, mithin die Ausrichtung am Partikularen oder Universalen. Am Bösen zeigt Schelling in der Freiheitsschrift auf, als was die menschliche Freiheit zu denken ist, nämlich als Zwischenbegriff von Freiheit und Notwendigkeit, der sich durch eine eigentümliche Spannung auszeichnet – die Spannung von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung. Diese von Schelling in der Zusammenführung von intelligibler Tat und Tathandlung gedachte paradoxale Einheit von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung als Selbstbestimmung zum Sich-bestimmen-lassen vom guten oder bösen Geist spiegelt sich in der Einheit von Selbstanfänglichkeit und Eingebundenheit im Begriff der menschlichen Freiheit als derivierte Absolutheit wider. Der Organismusbegriff der frühen Naturphilosophie, den Schelling dem Begriff des Bösen paradigmatisch zugrunde legt, plausibilisiert diese spannungsvolle Einheit. Mit ihm wird einerseits der Zusammenhang von individueller Freiheit und Allgemeinheit ausgewiesen: Die durch Freiheitsvollzug gesetzte Verkehrung zeitigt Konsequenzen für die Ordnung des Ganzen, die als Mitleidenschaft des Ganzen über die organismisch verstandene innere und äußerer Zerrüttung ausgeführt wird. Andererseits kann vom Modell des Organismus her erläutert werden, dass die Selbstverabsolutierung nicht zur Un-
verselbständigen, dass sie sich vom Absoluten abspalten. Die Unableitbarkeit klärt nicht die Frage, wie von der absoluten Identität unabhängige Spontaneität mit dieser systematisch vereinbar ist. „Wie die Sonne am Firmament alle Himmelslichter auslöscht“, schreibt Schelling in der Freiheitsschrift, „so und noch viel mehr die unendliche Macht jede endliche. Absolute Causalität in Einem Wesen läßt allen andern nur unbedingte Passivität übrig.“ (SW VII, S. )
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abhängigkeit, sondern zum Innewerden von Abhängigkeit und Fremdbestimmung in der Selbstbestimmung führt. Für die Einbettung ins System der Freiheit führt dieser Freiheitsbegriff zu der Aufgabe, dass Schelling plausibilisieren muss, wie die menschliche Freiheit eigenständig vom Ordnungsgaranten und eingebunden ist in eine umfassende Ordnung, deren Organ sie ist. In den Philosophischen Untersuchungen schließt Schelling insofern an seinen naturphilosophischen Ansatz an, als die individuelle Freiheit in ihrer Eigenständigkeit gegenüber dem Absoluten ein Grundgedanke wird, den er auf die Eigenständigkeit der Natur zurückführt – womit die naturphilosophische Differenz mit Fichte um das Denken der Natur respektive des Nicht-Ich, also des Ding an sich in der Nachfolge Kants, erneut ins Zentrum rückt.³ Schelling bleibt jedoch gleichzeitig der Grundfrage der Identitätsphilosophie in der Freiheitsschrift insofern treu, als er weiterhin nach der höheren, versöhnten und vernünftigen Einheit von Freiheit und Notwendigkeit fragt, welche die Einheit des Systems und einen nicht durch die Freiheit des Menschen zu relativierenden Maßstab garantiert. Anders als in der frühen Naturphilosophie versucht er also, die individuelle Freiheit im Systemganzen zu denken, aber sie gleichwohl nicht solcherart an den Ordnungsgaranten zurückzubinden, dass ihre Individualität damit bloße Privation würde – wie im Identitätssystem. Aus der Spannung beider Momente, nämlich dem Versuch, die menschliche Freiheit als selbstanfänglich und eingebunden, mithin als derivierte Absolutheit zu denken, so die hier vertretene These, geht in der Freiheitsschrift die ontologische Aufwertung der Endlichkeit, bei gleichzeitiger normativer Abwertung der Selbstverabsolutierung des Individuellen hervor. In diesem Kapitel wird Schellings Einbindung der ontologisch aufgewerteten endlichen Freiheit ins System der Freiheit erörtert. Dabei wird die These vertreten, dass der schellingschen Lösung in der Frage nach der systematischen Verbindung von endlicher Freiheit und Absolutem das naturphilosophische Paradigma des Organismus insgesamt strukturell zugrunde liegt. In dieser Auseinandersetzung mit dem System der Freiheitsschrift werden die ontologische Aufwertung der Endlichkeit und ihre Charakteristika, nämlich Kontingenz und Irrationalität, im Zentrum der Betrachtung stehen. Zunächst soll
Vgl. SW X, S. : „Wenn aber Fichte glauben konnte, den Schwierigkeiten, denen der philosophische Geist unter Voraussetzung des objektiven Daseyns der Dinge bei Erklärung der Welt begegnet, dadurch entgangen zu seyn, daß er die ganze Erklärung in das Ich verlegte, so mußte er nur um so mehr sich verbunden erkennen, ausführlich zu zeigen, wie mit dem bloßen Ich bin für einen jeden die ganze sogenannte Außenwelt mit allen ihren sowohl nothwendigen als zufälligen Bestimmungen gesetzt sey.“
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über die Darlegung der irrationalen Basis der Freiheit die von Schelling gedachte Spontaneität der Natur in Weiterführung des Ding an sich und in Opposition zum fichteschen Nicht-Ich betrachtet werden. Besonders aufschlussreich zur Klärung des irrationalen Prinzips in der Freiheitsschrift erweist sich dabei Schellings Auseinandersetzung mit Platons Materie, die im ersten Unterkapitel strukturgebend sein wird. Sodann wird die systematische Funktion der Schöpfungskonzeption in der Freiheitsschrift betrachtet, insofern sie einerseits ein freies, grundloses und selbstursprüngliches Wirken der Natur als Grundlage der menschlichen Freiheit denken lässt und andererseits ein nicht relativierbares Maß als Korrektiv verbürgt. An der Schöpfungskonzeption wird dabei der wesentliche Unterschied der ontologischen Bewertung der Endlichkeit in der Identitätsphilosophie und der Freiheitsschrift – und in deren Folge auch der Weltalter- und Spätphilosophie – herausgearbeitet. Wie das Absolute von Schelling als Ordnungsgarant gedacht wird, welcher zugleich zur Freigabe spontaner Wesen fähig ist, soll dabei zunächst Gegenstand der Betrachtung sein. Die Verhandlung der Schöpfungsfigur lässt sodann die qualitative Differenz von vollkommenem und endlichem Werden, und damit die Scheidung von absoluter und endlicher Identität hervortreten. Im Mittelpunkt des dritten Unterkapitels zur Frage nach der ontologischen Aufwertung der Endlichkeit und ihrer Einbindung im System steht die Erörterung der Einheit des Systems und damit die Frage, wie Schelling Identität und Differenz 1809 systematisch vermittelt. In der Auseinandersetzung mit der These vom Scheitern des Systems wird dabei herausgestellt, inwiefern in den Philosophischen Untersuchungen sowohl der Systembegriff als auch der Einheitsgarant des Identitätssystems neu bestimmt werden. Abschließend wird erläutert, welche Bedeutung diese systematische Neuausrichtung im Kontext der Philosophie des Deutschen Idealismus hat.
4.1.1 Das Irrationale als Grund von Existenz und Platons Materie Wenn die menschliche Freiheit das Vermögen zum Bösen hat, so muss sie eine von Gott unabhängige Wurzel haben. Diese unabhängige Wurzel der Freiheit ist nach Schelling der Grund von Existenz, mithin das Freiheit und Natur zugrundeliegende Prinzip der Selbstbewegung.⁴ Schelling veranschaulicht dieses Prinzip in
Natur wird hier im Sinne der Einleitung zum Entwurf als „Natur als Subject“ (AA I,, S. / SW III, S. ), spinozistisch formuliert als natura naturans verstanden. Sie ist damit wesentlich ursprüngliche Produktivität.
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der Freiheitsschrift über die platonische Konzeption der „Materie“.⁵ Warum diese Veranschaulichung als Zugang zur Erläuterung des Grundes gewählt wird, lässt sich mit der Skizzierung der schellingschen Auseinandersetzung mit Platons Materiekonzeption in seiner Frühphilosophie begründen. Schelling setzt sich im Jahr 1794 ausführlich mit Platons „Materie“ des Timaios-Dialogs auseinander,⁶ die er in Hinblick auf die pythagoreische Dualität von πέρας und ἄπειρον, wie sie im Philebos ausgeführt wird,⁷ und vor dem Hintergrund der kantischen Kritik der reinen Vernunft als ein „unabhängig von Gott […] eigenthümliches Princip der Bewegung“ interpretiert. Diese Auseinandersetzung hat Spuren in jeder der schellingschen Werkphasen hinterlassen (vgl. Peetz 1995, S. 141– 144). So findet sie sich gleichermaßen in der Naturphilosophie, wo das Werden der Natur als „Kampf[s] zwischen der Form und dem Formlosen“ (AA I,7, S. 92 / SW III, S. 33) bezeichnet wird, wie in der Identitätsphilosophie, aber auch in den Philosophischen Untersuchungen, den Weltalter-Fragmenten (Schelling 1946,
Schelling bezeichnet die im Timaios von Platon erörterte dritte Seinsart, die χώρα schon in seinem verfassten Timaios-Kommentar als „ursprüngliche Materie“ (Schelling , S. ). Platon selbst verwendet diesen Ausdruck nicht.Vgl. zur Materiekonzeption in Schellings TimaiosKommentar auch Asmuth , S. – . An den folgenden Stellen und auf diese Weisen spricht Schelling im Timaios-Kommentar explizit von Materie: Schelling , S. : Die „ursprüngliche Materie“ als etwas „unsichtbares“; S. : Unabhängigkeit von Form (πέρας) und Materie (ἄπειρον); die „präexistirende Urmaterie“ bewegt sich „ohne Ordnung u. Regelmäßigkeit“, sie ist „eine versinnlichte Darstellung der Regellosigkeit“; S. f.: Die Materie ist „etwas ganz heterogenes vom göttlichen Wesen“; die Welt hat „unabhängig von Gott ein eigenthümliches Princip der Bewegung […], das als Princip, das der Materie angehört, aller Regel- u. Gesezmäßigkeit wiedersprach u. erst durch die Form (περας) die der göttliche Verstand ihm gab, in die Schranken der Gesezmäßigkeit gebracht wurde“; dieses Prinzip ist die „Weltseele“; jedes Lebewesen besitzt „ursprüngliche Bewegungskraft (ψυχην)“ ; S. : „Die Materie an u. für sich konnte keine ζωα hervorbringen, diß war Werk des Weltbaumeisters, der die Form des Verstandes mit der Materie vereinigte“; S. : Die Materie hat „keine bestimmte, unwandelbare Form“ und ist „jeder Form empfänglich“; S. : Die „Materie, die der Welt zu Grunde liegt“ entspricht keinem der Elemente; Das „lezte Substrat aller Erscheinungen“ ist „αορατον τι“, unsichtbar; es ist „formlos“ und „jeder Form empfänglich (πανδεχες) keiner nothwendigen, ihm ursprünglich eigentümlichen Form unterworfen“; S. : Die Welt ist „ihrer Materie nach […] aus dem απειρον, u. ihrer Form nach, aus dem περας zusammengesezt“; S. f.: Die Materie wird zu einem Element erst durch regelmäßige Anordnung durch den „göttlichen Verstand“; S. : Die Elemente sind die „Materie, insofern sie eine Form von außen her […] erhielt“; S. f.: „Das intelligible“ ist das „Beharrliche“, „die Materie“ ist „der Wechsel an dem Beharrlichen“. Schelling ordnet der Form das Begrenzende (πέρας) und der Materie das Formlose (ἄπειρον) zu (vgl. Schelling , S. ) und bezieht sich dabei insbesondere auf Platon (vgl. PW, Phil c– e). Beierwaltes betont: „Die Identifikation von ὕλη mit δυάς ist ‚phythagoreisch‘“ (Beierwaltes , S. , Anm. ).
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S. 230) und der Potenzenlehre der Erlanger Vorlesung (Schelling 1969, S. 113 f.) sowie der Spätphilosophie (vgl. Leinkauf 1998, S. 23 – 31). In der Einleitung in die Philosophie der Mythologie ist beispielsweise zu lesen: „Bisher also konnten wir unsere beiden ersten Ursachen in den Platonischen erkennen“ (SW XI, S. 394).⁸ Schelling interpretiert die platonische Materie im Jahr 1794 als formlose, ursprüngliche Bewegungskraft und verhält sich zu diesem Gedanken, mit Ausnahme seiner Thematisierung in der Identitätsphilosophie, durchweg affirmativ. Allein in der Identitätsphilosophie wird das „nicht=Seyn in Ansehung Gottes“ (SW VII, S. 197), wie es in den Aphorismen zur Einleitung formuliert wird, von Schelling „als nichtig gesetzt“ – sodass das Endliche keinen „von diesem [Ewigen] unabhängigen Ursprung“ haben kann, „weil es an sich nichts seyn würde“ (SW VII, S. 190 f.). In diesen Zitaten wird nicht nur die ontologische Degradierung der Endlichkeit im Identitätssystem augenscheinlich,⁹ sondern es wird zugleich deutlich, dass die Frage nach der Wertschätzung der Endlichkeit bei Schelling in systematischem Zusammenhang steht mit der Frage, auf welche Art das μὴ ὂν zu denken ist. So kann es nicht verwundern, dass Schelling die Materie bei Platon – die er im Jahr 1794 in seinem Kommentar des Timaios als Vorstellung einer von Gott unabhängigen Bewegungskraft, die zur Form gebracht wurde, ausführt – im Kontext seines Identitätssystems entschieden zurückweist. In der Schrift Philosophie und Religion etwa heißt es: Der roheste Versuch in der angegebenen Art ist wohl der, welcher der Gottheit eine Materie, einen regel= und ordnungslosen Stoff unterlegt, der durch die von ihr ausgehende Wirkung mit den Urbildern der Dinge geschwängert, diese gebiert und eine gesetzmäßige Verfassung erhält. Das Haupt und der Vater der wahren Philosophie wird als einer der Urheber dieser Lehre genannt – und sein Name dadurch entweiht. Denn eine genaue Untersuchung zeigt, daß jene ganze Vorstellung […] nur aus dem Timäus geschöpft ist, mit dem wegen seiner Annäherung an moderne Begriffe leichter war sich vertraut zu machen als mit dem hohen sittlichen Geiste der ächteren platonischen Werke […]. (SW VI, S. 36; vgl. SW VII, S. 192)
Schelling führt die erste Potenz hier (SW XI, S. ) mit dem pythagoreischen ἄπειρον eng und versteht dieses als das „Grenzenlose[n], aber eben darum der Begrenzung Bedürftige[n] und Unterliegende[n]“. Die zweite Potenz denkt er entsprechend der platonisch-pythagoreischen πέρας als das „Grenze Setzende“. Vgl. AA I,, S. / SW IV, S. : „Nichts ist an sich betrachtet endlich. […] Hieraus folgt, daß vom Standpunct der Vernunft aus (§. .) keine Endlichkeit sey, und daß die Dinge als endlich betrachten, so viel ist, als die Dinge nicht betrachten, wie sie an sich sind.“ Wobei es zu bedenken gilt, wie Schelling in der Anmerkung zu § anfügt, dass für die Philosophie methodisch allein der „Standpunct des Absoluten“, mithin der Standpunkt der Vernunft zählt – sodass jede philosophische Berücksichtigung der Endlichkeit abgewehrt wird.
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Hingegen bekommt der Gedanke eines vom Ordnungsgaranten unabhängigen Bewegungsprinzips mit der Freiheitsschrift und in ihrer Nachfolge eine zentrale systematische Bedeutung für das Denken der menschlichen und der absoluten Freiheit, sodass es nicht verwundert, dass Schelling die platonische Konzeption hier aufgreift und affirmativ bewertet. Nach Krings gibt bereits der Timaios-Kommentar im Jahr 1794 den Anstoß zu der Frage nach dem Zusammenhang von „Real-Grund“ und „Begriff“ (Krings 1994, S. 127), kantisch gesprochen von Ding an sich und Verstand. Dem ist zuzustimmen. Es gilt dabei allerdings zu bedenken, dass Schelling die Materie im Timaeus in Anlehnung an die kantische Terminologie interpretiert,¹⁰ während er sie in den Philosophischen Untersuchungen als irrationalen Willen und in Aufnahme des fichteschen Sehnsuchtsbegriffs willenstheoretisch ausbuchstabiert, wie weiter unten gezeigt wird. In der Spätphilosophie steht die platonische Konzeption der Materie dann für den Durchbruch ins Geschichtliche. Da sich in Schellings Platoninterpretation in jeder seiner Werkphasen somit auch ein Stück seines jeweiligen Denkens spiegelt, scheint mir entgegen der These von einem Anstoß, eher die Vermutung nahezuliegen, dass es sich bei Platon für Schelling um einen philosophischen Gesprächspartner handelt. Die Welt hat „unabhängig von Gott ein eigenthümliches Princip der Bewegung […], das als Princip […] der Materie angehört“, welches „erst durch die Form (πɛρας)[,] die der göttliche Verstand ihm gab, in die Schranken der Gesezmäßigkeit gebracht wurde“ (Schelling 1994, S. 28 f.) – so interpretiert Schelling im Jahr 1794 die χώρα, wie sie im Timaios-Dialog dargelegt wird.¹¹ Und es ist insbesondere
So deutet Schelling im Timaeus das Unbegrenzte mit Kant als „Categorie der Realität“ (Schelling , S. ) und begründet dies damit, dass Platon unter „diese Categorie alle Gegenstände, die und insofern sie in der Empfindung vorkommen“ subsumiere. Kant definiert diese in der Kritik der reinen Vernunft folgendermaßen: „Realität ist im reinen Verstandesbegriffe das, was einer Empfindung überhaupt correspondirt“ (KA IV, S. / A ). Schelling führt also das Unbegrenzte, das ἄπειρον mit dem Material der Empfindung eng, welches von der Anschauung und dem Verstand geformt wird. Πέρας und ἄπειρον denkt Schelling aber zugleich mit Platon über Kant hinaus als göttliche Verstandesformen, sodass sie „nicht nur Formen unsers Verstandes, sondern allgemeine Weltbegriffe“ (Schelling , S. ) sind. Diese Interpretation gewinnt Schelling, indem er die Seele als „eigenthümliches Princip der Bewegung“, das „unabhängig von Gott“ ist, „als Princip […] der Materie“ (Schelling , S. ) zuordnet. Besonders deutlich tritt dies hervor in der Schrift Von der Weltseele: „Dieses Princip[, welches ‚Ursache des Lebens‘ ist] nun ist in seinen Wirkungen allein durch die Receptivität des Stoffes beschränkt, mit dem es sich identificirt hat, und je nach Verschiedenheit dieser Receptivität mußten verschiedne Organisationen entstehen. Eben deßwegen ist jenes Princip, obgleich aller Formen empfänglich, doch ursprünglich selbst formlos (αμορϕον) und nirgends als bestimmte Materie darstellbar. […] Das Princip des Lebens ist nicht von außen in die organische
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dieser Gedanke einer verstandlosen Selbstbewegungsquelle, den Schelling, nachdem er ihn in der Identitätsphilosophie so vehement abgelehnt hatte, nun in der Freiheitsschrift für das Denken des Grundes von Existenz fruchtbar macht und systematisch von der Natur aus in Hinblick auf die menschliche Freiheit als Selbstheit entfaltet. An Platons Konzeption eines formlosen Mitprinzips des Werdens veranschaulicht Schelling hier, wie der Grund von Existenz gedacht werden kann, wenn die Natur als natura naturans einen von Gott unabhängigen Grund hat, weil der menschlichen Freiheit etwas zu Grunde liegen muss, das sie zu einer Gott widerstrebenden Tat befähigt. Schelling betont in der Freiheitsschrift mehrfach die der Natur zukommende Freiheit; zum einen über das „Irrationale und Zufällige […] in der Formation der Wesen, besonders der organischen“ (SW VII, S. 376; vgl. S. 395), wodurch sich zeige, dass keine geometrische Notwendigkeit in ihr herrsche,¹² sondern Begierde und Lust, die er als eine Art von Freiheit denkt; zum anderen über die Krankheit, welche die individuelle Freiheit der Organe gegenüber dem Organismus anzeigt (vgl. SW VII, S. 346). Diese Hervorhebung der Freiheit der Natur lässt sich damit begründen, dass Schelling von dieser her aufzeigen will, wie die menschliche Freiheit als eine gedacht werden kann, die unabhängig vom Ordnungsgaranten ist, insofern die „Wurzel [ihrer] Freiheit in dem unabhängigen Grunde der Natur“ (SW VII, S. 371) liegt. Schelling muss diesen unabhängigen Grund der Natur also systematisch ausdeuten, um die Unabhängigkeit menschlicher Freiheit vom Ordnungsgaranten zu begründen. Um den von Gott unabhängigen Grund der Natur herauszustellen, nimmt Schelling den bereits in der Naturphilosophie präsenten Gedanken des Werdens der Natur als „Verwirklichung durch Gegensatz“ (SW VII, S. 403) in der Freiheitsschrift wieder auf, wobei hier einem verstandlosen, ahnenden Willen, der als
Materie […] gekommen […] sondern umgekehrt, dieses Princip hat sich die organische Materie angebildet.“ (AA I,, S. / SW II, S. f.) Schelling spricht bereits in der Schrift Von der Weltseele vom „Zufällige[n] jeder Organisation“ und „Zufällige[n] der Bildung“ und schließt daraus, dass nicht eine mit Notwendigkeit herrschende „Bildungskraft“ am Werk ist, sondern zu dieser ein „fremde[s] Princip[s] hinzukommt“, welches diese stört und damit ein „freye[s] Spiel von Kräften“ anstößt. „So allein wird der Ursprung aller Organisationen zum Zufall, wie es den Begriff der Organisation nach seyn soll: denn die Natur soll sie nicht nothwendig hervorbringen; wo sie entsteht, soll die Natur frey gehandelt haben; nur insofern die Organisation Product der Natur in ihrer Freyheit (eines freyen Naturspiels) ist, kann sie Ideen von Zweckmäßigkeit aufregen, und nur insofern sie diese Ideen aufregt, ist sie Organisation.“ (AA I,, S. f. / SW II, S. f.)
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Sehnsucht und Begierde bezeichnet wird, ein verständiger Wille entgegen gesetzt wird.¹³ Anders als im Jahr 1799, im Ersten Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, bezeichnet Schelling das unbestimmte Prinzip der Natur in den Philosophischen Untersuchungen aber nicht als das Formlose, sondern auch als das Irrationale – und erläutert diesen Gedanken des Irrationalen mit der Materiekonzeption des Timaios und dem im platonischen Dialog Politikos von einem Fremden vorgetragenen Mythos von den zwei Weltperioden.¹⁴ So sagt Schelling: In welchem Sinne jedoch von dem irrationalen Princip gesagt werden könne, daß es dem Verstande oder der Einheit und Ordnung widerstrebe, ohne es deßwegen als böses Grundwesen anzunehmen, ist aus den früheren Betrachtungen einleuchtend. So läßt sich auch das Platonische Wort wohl erklären, das Böse komme aus der alten Natur; denn alles Böse strebt in das Chaos, d. h. in jenen Zustand zurück, wo das anfängliche Centrum noch nicht dem Licht untergeordnet war […]. (SW VII, S. 374)
In dem platonischen Mythos von den zwei Weltperioden ist die Rede von der „ehemaligen Natur“, die vor der „jetzigen Weltordnung“ mit „großer Unordnung behaftet war“ und in allem Körperlichen mit fortlebt, sodass in dem zweiten „Umlauf“ der Welt, in welchem „der Steuermann des Ganzen gleichsam den Griff des Ruders fahren“ lässt, diese Welt, aufgrund der alten Natur, die in ihr fortlebt, allmählich in den „Zustand der alten Verwirrung“ und die „Zerrüttung“ (PW, Polit 272e–273e) zurücksinkt. Was Schelling mit der Anspielung auf diesen Mythos verdeutlicht, ist der Gedanke, dass der Grund von Existenz von sich selbst her die Tendenz habe, in
Zwei Ursachen, nämlich Geist (νόος) und Notwendigkeit (ἀνάγκη), werden auch im platonischen Timaios (PW, Tim a) als Grundlage alles Seienden angenommen. Im Timaeus Locrus – Schelling verweist auf diese Schrift in den SW VII, S. Anm. – wird die zweite Ursache mit der platonischen χώρα verbunden und als Stoff (ὕλη) bezeichnet. Ihr werden die Begleitumstände und Mitursachen zugeordnet, sodass gesagt werden kann, die ἀνάγκη ist dasjenige Prinzip, welches am Wahrnehmbaren das bestimmt, was nur mitursächlich und begleitend ist. Vgl. Timaeus Locrus , a–b: „Zwei Ursachen gebe es für die gesamten Dinge, den Geist (νόον) für das was vernunftmäßig geschieht, die Notwendigkeit (ἀνάγκαν) für das was durch Gewalt (βίᾳ) geschieht, gemäß den Kräften der Elemente. Von diesen beiden habe das eine die Art des Guten und werde Gott genannt und Ursprung der besten Dinge; das andere aber seien Begleitumstände und Mitursachen (συναίτια) und es sei auf die Notwendigkeit zurückzuführen. […] Man nennt den Stoff (ὕλαν) Ort und Raum (χώραν). Ihrer Zwei sind also die Grundlagen (ἀρχαί), von denen die Form sich wie Mann und Vater verhält, der Stoff wie Weib und Mutter. Das dritte aber seien deren Abkömmlinge.“ Die platonische Materie kommt an drei Stellen in den Philosophischen Untersuchungen explizit zur Sprache: SW VII, S. f., S. u. S. . Vgl. PW, Polit d–e.
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diejenige Unbestimmtheit zurückzustreben, die Grundlage der jetzigen Weltordnung sei, in der das „anfängliche Centrum […] dem Licht untergeordnet“ ist.¹⁵ Als Grundlage, und das wird an dem platonischen Mythos deutlich, ist das Chaos nicht verschwunden, sondern nur solcherart „zur Ordnung gebracht“, dass „im Grunde das Regellose“ (SW VII, S. 359 f.) noch liegt, welches im Nachlassen des ordnenden Prinzips zu einem Zurücksinken des Existierenden in die Unentschiedenheit führt.¹⁶ Das irrationale Prinzip hat damit nach Schelling wesentlich die Eigenschaft, beharrend zu sein, selbst im Zustand seiner Überformung. Was damit gemeint ist, wird an dem Ausdruck irrational selbst deutlich, den Schelling in den Philosophischen Untersuchungen, wie schon in der Allgemeinen Uebersicht, am Paradigma der „IrrationalZahl“¹⁷ denkt. Das Irrationale wird hier als derjenige Anteil einer Einheit aufgefasst, der nicht verstanden und ermessen werden kann.¹⁸ In Analogie zur irrationalen Zahl als dem „nie aufgehende[n] Rest“ Vgl. zu dem Gedanken des Chaos vor der Ordnung PW,Tim a/b, wo Timaios vom Zustand der Körper vor der Anordnung sagt, sie seien „ohne Verhältnis und Maß“, also gerade so, „wie es sich bei allem erwarten läßt, wenn der Gott sich davon fernhält.“ Von Interesse in diesem Zusammenhang ist außerdem die Stelle, an der davon gesprochen wird, dass das anfängliche All sich dadurch bildete, dass die Vernunft „über die Notwendigkeit dadurch herrschte, daß sie sie überredete, das meiste des im Entstehen Begriffenen dem Besten entgegenzuführen“ (a). Es wird dabei hervorgehoben, dass dieser Sieg der Vernunft über die Notwendigkeit (ἀνάγκη) nicht durch Herrschaft, sondern sich einer der Überredung nachfolgenden freien Unterordnung der Notwendigkeit verdankt (vgl. c). Vgl. ferner PW, Tim a: „Indem nämlich der Gott wollte, daß alles gut und nach Möglichkeit nichts schlecht sei, so nahm er also alles, was sichtbar war und keine Ruhe hielt, sondern in ungehöriger und ordnungsloser Bewegung war, und führte es aus der Unordnung zur Ordnung“. Vgl. SW VIII, S. : „So liegt der Tag in der Nacht verborgen, nur überwältigt durch die Nacht, so die Nacht im Tag, nur niedergehalten vom Tag, doch daß sie sich alsbald herstellen kann, wie die zurückdrängende Potenz verschwindet. So das Gute im Bösen, nur unkenntlich gemacht vom Bösen, so das Böse im Guten, nur beherrscht von ihm und zur Unwirksamkeit gebracht.“ Vgl. AA I,, S. / SW I, S. f.: „Jede IrrationalZahl in der Mathematik bedeutet eigentlich nichts, als die Aufgabe, sich dieser Zahl ins Unendliche fort anzunähern. Desswegen aber läugnen, daß z. B. √ eine wirkliche Zahl sey, ist widersinnisch, sie ist nur eine Zahl, die in der Unendlichkeit liegt.“ In der Allgemeinen Uebersicht dient die „IrrationalZahl“ zur Explikation der Behauptung, dass Gott und Unsterblichkeit keine „Postulate“, sondern „unendliche Aufgaben“ für die Philosophie sind: „Desswegen aber, weil ihr Object in keiner Zeit erreichbar ist […], ihnen alle Realität absprechen, ist widersinnisch, da dieses Object allerdings in der Zeit, nur in einer unendlichen Zeit, liegt, jede möglich Gegenwart aber selbst als zu dieser Unendlichkeit gehörig betrachtet werden muß. Was an jenen unendlichen Größen rational ist, d. h. was wir davon verstehen (ermessen) können, liegt in jeder Gegenwart, was daran irrational ist allein, (was nicht zum gegenwärtigen praktischen VernunftGebrauch gehört) liegt in der Unendlichkeit.“ (AA I,, S. f. / SW I, S. ) Diese Bedeutung des Irrationalen als dem Unverständigen und nicht dem Unvernünftigen ist im Deutschen Idealismus, auch bei Fichte und Hegel, üblich und schreibt sich aus der „Über-
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einer Division bezeichnet Schelling das Irrationale als denjenigen Anteil am Existierenden, der sich nie „in Verstand auflösen lässt“. Dieses Irrationale an allem Existierenden führt er auf ein irrationales Prinzip zurück, das Grund aller Existenz sei. Zwar wurde diese unbestimmte Grundlage geformt, wodurch das Existierende entstand,¹⁹ aber diese Formung sei nicht vollkommen, sondern unabgeschlossen – weil dieses Prinzip in seiner Unbestimmtheit beharrt, sich der vollständigen Bestimmung durch das formgebende Prinzip entzieht –, sodass an jedem Existierenden ein Rest von Unbestimmtheit bleibt, der im Nachlassen der Formungskraft die Bestimmtheit auflöst. Wenn Schelling das Werden der Natur aus der Verwirklichung durch Gegensatz denkt, so macht er mit diesem irrationalen Prinzip also deutlich, dass die aus der „unergreifliche[n] Basis der Realität“ sich durch Bestimmung erhebenden Einheiten immer unvollkommen bleiben, insofern ihnen ein verstandloser Rest, ein Irrationales bleibt, das unabschließbar bestimmt werden kann, aber nie vollkommen bestimmt ist – und der Grund für das „Zufällige […] in der Formation der Wesen“ ist, genauso wie es Krankheit ermöglicht, weil es selbst von der Formungskraft unabhängig bleibt. Das „irrationale[n] Princip“ ist damit solcherart bestimmt, dass es denjenigen Aspekt des Existierenden gibt, der ungeformt ist und damit unabhängig vom ordnenden Prinzip bleibt. Es ist dasjenige Prinzip, das eine Unabhängigkeit vom Ordnungsgaranten denken lässt – und als solches das Böse, welches diese Unabhängigkeit voraussetzt, mit ermöglicht, aber gleichwohl nicht verursacht. Denn, dass die Tendenz zur Auflösung der Form nicht an sich selbst das Böse sei, sagt Schelling, sei aus dem Vorhergehenden deutlich geworden. Er spielt damit auf den Gedanken an, dass nicht die Zerstörung der Einheit, mithin der Form das Böse sei, sondern die falsche Einheit, die erst durch die Erhebung des irrationalen Prinzips zum maßgeblichen Willen durch den Geist zustande komme.²⁰ tragung eines mathematischen Sprachgebrauch[s] in die Philosophie“ her, die von Maimon im Jahr in Zusammenhang mit dem kantischen Ding an sich vollzogen wurde (Rücker , Sp. f.). Dieser Gedanke findet sich noch in der Einleitung in die Philosophie der Mythologie; auch hier im Zusammenhang mit dem ἄπειρον, welches mit der ersten Potenz zusammen gedacht wird: „[I]ndeß enthält die Erscheinung selbst Anzeichen, daß allem Seyn ein an sich schrankenloses, der Form und Regel widerstrebendes zu Grunde liegt. Dieses seiner selbst ohnmächtige, also für sich eigentlich nicht seyn könnende Seyn wird dennoch der Grund und Anfang seyn alles Werdens, und in aristotelischer Ausdrucksweise die erste, nämlich materiale Ursache alles Entstehenden.“ (SW XI, S. ) Vgl. ferner SW XI, S. . Allein durch den Menschen wird die Unbestimmtheit selbst in die Existenz gebracht (vgl. SW VII, S. ) wodurch das Böse entsteht: „auf das Nichtseyn aber, oder den Potenzzustand reducirt,
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Gemäß dem Anspruch der Freiheitsschrift, im System der Freiheit alle vorkritischen Seinsbegriffe als Freiheitsbegriffe zu denken, muss auch die Ursache des irrationalen Anteils der Realität in irgendeiner Weise in Bezug auf den Willen gedacht werden. Schelling verwirklicht diesen Anspruch, indem er das irrationale Prinzip als Sehnsucht und blinden Willen denkt, den er in erster Linie als Moment des absoluten Willens und abgeleitet davon als Mitprinzip des endlichen Werdens formuliert, wobei er im göttlichen Willen jederzeit vollkommen geformt ist, hingegen er im endlichen Werden immer auch unbestimmt bleibt, wodurch er nicht ewiges, sondern sukzessiv-prozessuales Werden ermöglicht. Das irrationale Prinzip wird in den Philosophischen Untersuchungen wesentlich als Willensmoment gedacht. Wie dieses konzipiert ist, lässt sich an dem Begriff der Sehnsucht veranschaulichen, den Schelling aufruft und zu der Verstandestätigkeit wie folgt in ein Verhältnis setzt: Da aber doch nichts außer Gott seyn kann, so ist dieser Widerspruch nur dadurch aufzulösen, daß die Dinge ihren Grund in dem haben, was in Gott selbst nicht Er Selbst ist, d. h. in dem, was Grund seiner Existenz ist. Wollen wir uns dieses Wesen menschlich näher bringen, so können wir sagen: es sey die Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet, sich selbst zu gebären. Sie ist nicht das Eine selbst, aber doch mit ihm gleich ewig. […] Sie [die Sehnsucht] will Gott, d. h. die unergründliche Einheit, gebären, aber insofern ist in ihr selbst noch nicht die Einheit. Sie ist daher für sich betrachtet auch Wille; aber Wille, in dem kein Verstand ist, und darum auch nicht selbständiger und vollkommener Wille, indem der Verstand eigentlich der Wille in dem Willen ist. Dennoch ist sie ein Willen des Verstandes, nämlich Sehnsucht und Begierde desselben; nicht ein bewußter, sondern ein ahnender Wille, dessen Ahndung der Verstand ist.Wir reden von dem Wesen der Sehnsucht an und für sich betrachtet, das wohl ins Auge gefaßt werden muß, ob es gleich längst durch das Höhere, das sich aus ihm erhoben, verdrängt ist, und obgleich wir es nicht sinnlich, sondern nur mit dem Geiste und den Gedanken erfassen können. Nach der ewigen That der Selbstoffenbarung ist nämlich in der Welt, wie wir sie jetzt erblicken, alles Regel, Ordnung und Form; aber immer liegt noch im Grunde das Regellose, als könnte es einmal wieder durchbrechen, und nirgends scheint es, als wären Ordnung und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein anfänglich Regelloses zur Ordnung gebracht worden. Dieses ist an den Dingen die unergreifliche Basis der Realität, der nie aufgehende Rest, das, was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen lässt, sondern ewig im Grunde bleibt. (SW VII, S. 359 f. [Hervorhebungen L.E.])
Die Bewegung dieser Sehnsucht vergleicht Schelling im Jahr 1809 auf folgende Weise mit Platons Materie: Der Mensch wird im Mutterleibe gebildet; und aus dem Dunkeln des Verstandlosen (aus Gefühl, Sehnsucht, der herrlichen Mutter der Erkenntniß) erwachsen erst die lichten Ge-
ist es, was es immer seyn sollte, Basis, Unterworfenes, und als solches nicht mehr im Widerspruch mit der Heiligkeit noch der Liebe Gottes.“ (S. )
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danken. So also müssen wir die ursprüngliche Sehnsucht uns vorstellen, wie sie zwar zu dem Verstande sich richtet, den sie noch nicht erkennt, wie wir in der Sehnsucht nach unbekanntem namenlosem Gut verlangen, und sich ahndend bewegt, als ein wogend wallend Meer, der Materie des Platon gleich, nach dunkelm ungewissem Gesetz, unvermögend etwas Dauerndes für sich zu bilden. (SW VII, S. 360)
Schelling spielt hier auf drei wesentliche Bestimmungen des Mitprinzips des Werdens in Platons Dialog Timaios an und benutzt diese zur Veranschaulichung der Sehnsucht: Mit dem Mutterleib und dem Gefühl, aus dem die Gedanken erwachsen, begreift er das Mitprinzip als das Worin gebildet wird; mit dem auf unbekanntes Gut ausgerichteten Gefühl die Affinität von Formlosem und Form; und mit der ahnenden, undurchschaubaren Bewegung die Regellosigkeit des Mitprinzips (vgl. PW, Tim 30a; SW VII, S. 398). Diese Bezüge und Schellings Konkretisierung der drei Momente in der Freiheitsschrift als Charakteristika des blinden Wollens als Sehnsucht sollen hier im Folgenden dargelegt werden. Das Mitprinzip des Werdens als das Worin-alles-Werdende-wird (vgl. PW, Tim 49e u. 50d), vergleicht Timaios im gleichnamigen Dialog von Platon mit einer Mutter,²¹ weil es ein alles „Werden[s] bergender Hort […] wie eine Amme“ (PW, Tim 49a) sei, wobei das Bergen (ὑποδοχή) auch mit Aufnehmen oder Schwanger-Werden übersetzt werden kann. Der von Schelling aufgerufene Mutterleib, in welchem der Mensch gebildet wird, ist in dieser Hinsicht sehr nah am platonischen Vorbild einer „Amme des Werdens“ (PW, Tim 52d) als Veranschaulichung des Mitprinzips. Platon verdeutlicht das so verbildlichte Mitprinzip im Timaios in Hinblick auf das Verhältnis des Bergenden zum Geborgenen in Analogie zum Verhältnis eines Klumpen Goldes zu den aus ihm geformten Gestalten (vgl. PW, Tim 50a/b). Das Worin der Bildung kann nach Platon metaphorisch als eine „Prägemasse“ (ἐκμαγεῖον) bezeichnet werden. So wie das Gold die unabschließbare Möglichkeit biete, Gestalten zur Darstellung zu bringen, so gebe das Mitprinzip des Werdens die Möglichkeit zur Realisierung aller Formen. Dabei sei die Möglichkeit zur Form, wie Platon weiter am Bild des Goldes veranschaulicht, das Wesen dieses Mitprinzips, mithin das Überdauernde. Entsprechend lässt er Timaios sagen, dass die Materie, welche „doch stets alles auf[nimmt]“, „nie und in schlechterdings keiner Weise eine irgendeinem der Eintretenden ähnliche Gestalt“ hat. Trotz der unterschiedlichen Formen, die in sie eingeprägt werden, ist sie darum selbst „als stets dieselbe zu bezeichnen“ (PW, Tim 50b/c), d. h. sie bleibt was sie immer war, nämlich „Prägemasse“ selbst in der Geformtheit. Die Formbarkeit trotz der Wandlung ihrer Gestalten ist damit die
Vgl. zur Analogie von Formgebendem, Formaufnehmendem und Geformtem mit Vater, Mutter und „Sprößling“ PW, Tim c/d.
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„beharrende Wesenheit“,²² wie Aristoteles formuliert, sodass sie selbst im Bestimmtsein „aus ihrem eigenen Wesen durchaus nicht heraus“-tritt (PW, Tim 50b), welches die Formbarkeit ist. Dieses Beharren in der Potentialität trotz der Bestimmung ist auch eine charakteristische Eigenschaft des Grundes von Existenz in der Freiheitsschrift. Denn, wie Schelling sagt: Er ist „ewig nur Grund […], ohne selbst zu seyn“ (SW VII, S. 378); er ist das „Element“, in welchem das Existierende gebildet wird, und – funktional betrachtet – das „Werkzeug[e]“ (SW VII, S. 361)²³ dieser Bildung, aber er erfüllt sich in seiner Potentialität nicht in dem, was in ihm gebildet wird.²⁴ In dem Bild des formbaren Goldes kommt zugleich zum Ausdruck, dass das Verhältnis der Prägemasse zur Form eines der Affinität ist, womit gesagt wird, dass die Prägemasse die Möglichkeit zu jeder Form bereithält, die in ihr werden kann. Platon präzisiert diesen Gedanken am Beispiel des Salböls: Wie ein Öl dann besonders gut den Duft aufnehmen kann, wenn es selbst ohne einen Geruch ist,
Vgl. AW, Phy a: „Die im Prozeß beharrende Wesenheit fungiert zusammen mit der Gestalt als Mitbedingung für das Werdende, sozusagen als Mutter“. Platon spricht von den Elementen, die sichtbare Materie sind, als Hilfsmittel: „All dieses nun gehört zu den Mitursachen, deren sich der Gott bei der Herstellung der Form des Bestmöglichen als Hilfsmittel bedient.“ (PW, Tim c–d) Schelling paraphrasiert und interpretiert diese Stelle in seinem Timaios-Kommentar wie folgt: „Die Eigenschaften der Qualität nun, insofern sie den Elementen ursprünglich zukamen, sagt er seien nur ξυναιτια, nicht αιτια των παντων, d. h. sie haben zur Entstehung der Welt mitgewirkt, oder wie er sich vorher ausdrükt, Gott habe sich ihrer als Diener (ὑπηρετουντων) bedient, um die Idee des Guten (durch die Welt) so vollkommen als möglich darzustellen.“ (Schelling , S. ) Diese Rede erlaubt es den Grund bei Schelling als Mitursache oder Mitprinzip zu bezeichnen, womit aristotelisch gesprochen nichts anderes ausgesagt wird, als das, was die causa materialis logisch auszeichnet: Der Grund ist die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Existenz. Vgl. AW, Phy a: „Nun ist ja freilich (die Mauer) nicht ohne dies alles zustande gekommen; aber der Grund (warum die Mauer zustande gekommen ist) ist dies alles nicht, ausgenommen in dem Sinne, wie das Material (ein Grund für etwas ist); vielmehr ist sie deswegen zustande gekommen, um einige zu bergen und zu schützen. Die gleiche Sachlage haben wir auch sonst überall, wo ein Zweckverhältnis vorliegt: (da entstehen die Dinge) nicht ohne das durch Notwendigkeit gekennzeichnete (Material), aber dies ist nicht der wirkliche Grund, sondern Grund nur im Sinne von Material; vielmehr (entstehen sie) zu einem Zweck. Ein Beispiel: Warum ist die Säge so und so? Damit sie eben dies sei und zu dem und dem Zwecke (dienen könne). Nun kann jedoch dieser Zweck nicht erreicht werden, wenn sie nicht aus Stahl ist. Also besteht die Notwendigkeit, daß sie aus Stahl sei, wenn sie eine Säge sein und wenn ihre Funktion erfüllt werden soll.“ Vgl. SW VII, S. 402 f.: „Der Leibnizische Begriff des Bösen als Conditio sine qua non kann nur auf den Grund angewendet werden, daß dieser nämlich den cratürlichen Willen (das mögliche Princip des Bösen) als Bedingung errege, unter welcher allein der Wille der Liebe verwirklicht werden könne.“
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welcher den Duft verfälschen würde, so biete die Prägemasse dadurch die Möglichkeit zu jeder Form, dass sie selbst ihrem Wesen nach mit keiner bestimmten Form verbunden sei;²⁵ ihre einzige Bestimmtheit ist damit ihre Unbestimmtheit, die zugleich Bestimmbarkeit ist. Diese Affinität von Prägemasse und Form ist auch in Schellings Freiheitsschrift in der Ausführung des Grundes präsent, allerdings – indem Schelling den Grund als Sehnsucht ausführt – in gewandelter Form, nämlich als nicht-distinkte intentionale Ausrichtung auf den Verstand, mithin als eine Art von „Thätigkeit, die gar kein Objekt hat, aber dennoch unwiderstehlich getrieben auf eins ausgeht, und die bloß gefühlt wird“ (FGA I,2, S. 431),²⁶ wie Fichte das Sehnen in der Grundlage der Wissenschaftslehre im Jahr 1794 bestimmt. Mit der Aufnahme des frühen Sehnsuchtsbegriffs von Fichte deutet Schelling die Affinität der Materie zur Form als Streben nach unbekanntem Gut, mithin als gefühlsartige, unklare Intentionalität. Diese Ausdeutung der Affinität von Formlosem und Form als eine Art von Intentionalität lässt sich im platonischen Timaios weder mit dem Bild der Prägemasse noch der Amme des Werdens oder dem Rüttelgerät beschreiben – um nur die drei exponiertesten Veranschaulichungen des Mitprinzips zu benennen.²⁷ Bereits Aristoteles veranschaulicht die platonische dritte Seinsart aber nicht nur mit dem Rohstoff als dem Zugrundeliegenden und der Mutter als „Mitbedingung“ (AW, Phy 191a u. 192a) des Gewordenen, sondern auch mit dem Begehren nach Gegensätzlichem – „wie wenn Weibliches nach Männlichem, Häßliches nach Schönem strebt“ (AW, Phy 192a).
Das Aufnehmende ist nach Platon also dann am zweckmäßigsten, „wenn es von der Gestalt all jener Formen frei ist, welche es irgendwoher in sich aufnehmen soll“ (PW, Tim d/e). Der Sehnsuchtsbegriff der fichteschen Vorlesung Die Anweisung zum seeligen Leben, der als „Trieb, mit dem Unvergänglichen vereinigt zu werden, und zu verschmelzen“ (FGA I,, S. ) bestimmt ist, scheint hingegen für Schellings Philosophische Untersuchungen unbedeutend zu sein. Platon denkt das Mitprinzip im Timaios als das Aufnehmende (δεξαμενή) über folgende Bilder: Die „Amme“ (τιϑήνη) als der alles Werden bergende „Hort“ (PW, Tim a); die „Prägemasse“ (ἐκμαγεῖον) für die Form, wie Gold, in welchem Gestalten geformt werden (vgl. b/c); die „Mutter“ (μήτηρ), das „Aufnehmende“ als das „worin“ etwas wird (vgl. c/d); das „Salböl“ (ἄλειμμα), das Duft aufnehmen soll (vgl. e); das Raumgebende (χώρα), was „allem, was ein Entstehen besitzt, einen Platz gewähr[t]“, selbst aber nicht über die Sinne erfassbar ist (vgl. b); das „Rüttelgerät“, weil es das scheidet und zerstreut, was in ihm wird (vgl. e–a). Die χώρα als das Raumgebende und das Rüttelgerät spielen dabei weder im Timaios-Kommentar von 1794 noch in der Freiheitsschrift eine explizite Rolle: dass der Grund von Existenz als Partikularwille individualisiert, wird von Schelling nicht explizit mit Platons Materiekonzeption in Verbindung gebracht.
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Der wesentliche Unterschied von dieser aristotelischen Veranschaulichung der Materie als Anziehung durch Gegensatz zu dem Bild der zu allem bestimmbaren Prägemasse ist dabei, dass die Bestimmbarkeit im ersten Fall weniger als irgend vorhandene Möglichkeit zur Bestimmung verstanden wird, denn als tätige Möglichkeit in der Art einer Ausrichtung auf das Bestimmtwerden. Die Bestimmbarkeit, so lässt Aristoteles durch die Analogisierung von Mitprinzip und erotischem Begehren deutlich werden, impliziert also keineswegs, dass es sich bei dem Mitprinzip um totes Material handelt,wie das Bild der Prägemasse nahe legen könnte. Vielmehr lässt sich der Gedanke, der Stoff sei wie das Streben nach Gegensätzlichem auch so verstehen, dass nicht der Stoff strebend ist, sondern der Stoff nichts anderes ist als ein Streben – mithin das, was allem zu Grunde liegt, Bewegung ist. Albertus Magnus vervollkommt diesen Gedanken, wenn er die Materie als „desiderium infinitum“ (Magnus 1981, S. 162), als „unbegrenztes Verlangen“ (Magnus 1981, S. 165) der Materie nach Form begreift. Mit der Aufnahme des fichteschen Sehnsuchtsbegriffs kann Schelling den platonischen Gedanken der Grundlage willenstheoretisch ausführen und erläutern, inwiefern der Grund von Existenz als Wille zu verstehen ist; ein Wille, der nach unbekanntem Gut strebt, mithin blind tätig ist, d. h. relativ unabhängig vom bestimmenden, verständigen Willen. Er ist der verstandlose Wille, der sich ahnend zum Verstand ausrichtet. Wie aber, so lässt sich in Bezug auf diese willenstheoretische Konzeption der Affinität von Formlosem und Form fragen, kann die tätige Möglichkeit einerseits, welche von Schelling mit der Sehnsucht bezeichnet ist, mit dem Beharren in der Potentialität andererseits zusammen gedacht werden? Wird die Potentialität hier nicht unter der Hand zu einer Aktualität? Diese Frage lässt sich eindeutig verneinen, wenn bedacht wird, dass die Tätigkeit der Sehnsucht nicht ihren Möglichkeitsstatus aufhebt, weil Aktualität und Potentialität sich auf Unterschiedliches beziehen, womit gedacht werden kann, dass der Grund von Existenz zugleich, aber in unterschiedlicher Hinsicht, wirklich und möglich ist. Diese Gleichzeitigkeit lässt sich mit dem Ausdruck Sehnsucht sehr gut veranschaulichen. Mit Sehnsucht bezeichnet Schelling ein Begehren nach unbekanntem Gut; der Tätigkeit des Begehrens steht hier somit das Unwissen über das Begehrte als dem möglichen Objekt dieser Tätigkeit gegenüber, mithin das Potential zum Streben nach bekanntem Gut. Die Potentialität des Begehrens als Noch-Nicht des bestimmten Strebens besteht damit nicht darin, dass es noch kein Wille ist, sondern, dass es „blinder Wille“ (SW VII, S. 363 [Hervorhebung L.E.]) ist, der für sich genommen ins Leere läuft, weil er sich in seiner Unbestimmtheit in keinem Objekt erfüllt. Er ist seiner Natur nach unerschöpflich und unvermögend. Die Potentialität des Grundes ist damit bei Schelling im Wesentlichen an die Unbestimmtheit des Objektes der
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Begierde, veranschaulicht durch die Blindheit, gebunden, nicht aber an die Untätigkeit. Mit der Sehnsucht wird also ein tätiger Wille gedacht, dessen wesenhafte Potentialität in der Unbestimmtheit seines Aus-Seins auf besteht, welches zwar bestimmt werden kann, sich aber nie selbst bestimmt. Anders als die Vorstellung der Prägemasse lässt sich das Mitprinzip, als Sehnsucht gedacht, also als ein Wollen explizieren, das nicht dadurch potentiell ist, dass es ruht, sondern dadurch, dass es immer wieder auch Unbestimmtheit, Offenheit, Nicht-Notwendigkeit in Bezug auf die Form hervorbringt. Dabei liegt das Beharrende der Sehnsucht gerade darin, dass sie selbst in ihrem Wesen, also Sehnsucht bleibt, sodass sie sich in keinem der ihr gegebenen Objekte erfüllt, sondern immer über das bestimmte Objekt hinaus unbestimmte Sehnsucht ist und damit Grundlage eines unabschließbaren Prozesses wird, in welchem sie mit jeder Willensbestimmung, über diese hinaus, die Möglichkeit zur Bestimmung gibt. Albertus Magnus erläutert das infinite Werden wie folgt: „Es [das unbegrenzte Verlangen] erstrebt ja nicht nur eine einzige Form, sondern alle, und zwar, da es sie nicht alle gleichzeitig haben kann, eine nach der anderen.“ (Magnus 1981, S. 165) Trotz der dynamisierten Affinität von Formbarem und Form, wie sie Schelling mit der Sehnsucht als unbewusster Ausrichtung auf das Prinzip der Form denkt, widerspricht er also nicht dem platonischen Gedanken der Materie als passiver Potentialität zur Form, vielmehr wird mit dem Begehren als Aktivität aus Mangel, ohne Wissen vom Ausstehenden, gerade gedacht, dass die Sehnsucht in ihrem aktiven Sehnen das unbewusst Ersehnte nie endgültig findet und sich dadurch tätig erhält, wodurch sie beständig das Potential zur Formung wieder hervorbringt. Platon formuliert diesen Gedanken damit, dass das Mitprinzip aus seinem Wesen nicht heraustritt, also auch im Bestimmtsein noch unbestimmt bleibt, wie sich in das Gold nacheinander unabschließbar viele verschiedene Gestalten einbilden lassen, und damit in einer Gestalt nicht das Potential zu allen Gestalten verloren geht. Schelling nimmt dieses Modell der Formung der Materie durch die Form als Einbildung der Form in das Formbare auf und der damit zugleich gedachten „Ineinsbildung“,²⁸ wodurch angesetzt wird, dass alles Geformte als Einheit das Ungeformte, welches nicht Einheit ist, zu seinem Grund hat und damit immer auch anders geformt werden kann.²⁹ Aber er ergänzt dieses Modell der
Schelling erläutert in der Philosophie der Kunst das „treffliche deutsche Wort Einbildungskraft“ als „Kraft der Ineinsbildung, auf welcher in der That alle Schöpfung beruht“ (SW V, S. ). Nach dem platonischen Gedanken wird die Prägemasse dadurch gestaltet, dass die Ideen in sie eintreten (vgl. PW, Tim c). Das Geprägte ist Nachbildung des Immerseienden, dessen also, was nur der Vernunft zugänglich ist, der „Formen, die sich von uns nicht wahrnehmen lassen, sondern
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Einbildung der Form in die Prägemasse in der Freiheitsschrift durch ein anderes Modell der Formung, nämlich das der Hervorhebung oder Erweckung des Existierenden aus dem Grund, beziehungsweise der Verklärung des Grundes zum Existierenden, womit der Gedanke der tätigen Unbestimmtheit als Grundlage jeder Formung deutlicher formuliert wird. Dies zeigt sich zum Beispiel in folgendem Textausschnitt: Indem also der Verstand, oder das in die anfängliche Natur gesetzte Licht, die in sich selbst zurückstrebende Sehnsucht zur Scheidung der Kräfte […] erregt, eben in dieser Scheidung aber die im Geschiedenen verschlossene Einheit, den verborgenen Lichtblick, hervorhebt, so entsteht auf diese Art zuerst etwas Begreifliches und Einzelnes, und zwar nicht durch äußere Vorstellung, sondern durch wahre Ein=Bildung, indem das Entstehende in die Natur hineingebildet wird, oder richtiger noch, durch Erweckung, indem der Verstand die in dem geschiedenen Grund verborgene Einheit oder Idea hervorhebt. (SW VII, S. 361 f.)
Anders als das Modell der Einbildung, welches in Schellings Identitätsphilosophie präsent ist und die Anwesenheit des Formgebenden im Geformten unterstreicht, wird mit der Hervorhebung des Existierenden aus dem Grunde durch den Verstand betont, dass der Verstand als die scheidende Kraft nur die eine, seinsollende Form zur Distinktheit und damit zu Wirklichkeit bringt, die zusammen mit allen anderen möglichen Formen auf verschlungene Weise bereits im Grunde liegt. Allein es ist auch jene Regellosigkeit keineswegs so zu denken, als wäre nicht in dem Grunde doch der Urtypus der nach dem Wesen Gottes allein möglichen Welt enthalten,welcher in der wirklichen Schöpfung nur durch Scheidung, Regulirung der Kräfte und Ausschließung des ihn hemmenden oder verdunkelnden Regellosen aus der Potenz zum Actus erhoben wird. (SW VII, S. 398)
Was damit gemeint ist, wird an einem Zitat aus der Freiheitsschrift deutlich, welches mit der leibnizschen Frage nach der Möglichkeit anderer Welten in Zusammenhang steht – mithin mit der Frage nach Notwendigkeit oder Kontingenz der wirklichen Welt. Er betont hier, die „ursprüngliche Bewegung des Grundes“ sei „wie ein noch nicht geformter, aber aller Formen empfänglicher Stoff“, die als solche „eine Unendlichkeit von Möglichkeiten“ (SW VII, S. 398) darbiete. Dass mit dieser nicht endenden Möglichkeit zur Form zugleich die Kontingenz jeder Formung gedacht ist – und das heißt, keine dem Grund innewohnende Notwendigkeit zu einer bestimmten Form gegeben ist, weil diese eine von Gott erst gesetzte ist und damit in Hinblick auf den Grund an der Stelle einer jeden bestimmten Form auch
nur gedacht werden“ (d). Vgl. Schellings frühe Interpretation der „Prägemasse“ im Timaeus (Schelling , S. f.).
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eine andere hätte realisiert werden können –, ist ein Gedanke, der sich auch bei Platon zeigt.³⁰ Schelling betont in der Freiheitsschrift neben dieser Gleichgültigkeit des Grundes gegenüber jeder spezifischen Form – er kann als Sehnsucht in seinem Nicht-Festgelegtsein alles gleichermaßen wollen – jedoch zugleich, dass diese Offenheit der Bestimmung nicht notwendigerweise dazu führt, dass jede Formung zufällig ist, denn der Gleichgültigkeit des Grundes gegenüber einer spezifischen Form stehe das formende Prinzip entgegen, welches über die spezifischen Formen bestimmt. So sei, ungeachtet der im Grund angelegten Möglichkeit zu einer Vielzahl von Welten, dennoch aufgrund des formgebenden Prinzips nur die Möglichkeit zu einer Welt, wofür der Grund nicht im Mitprinzip des Werdens, sondern im Göttlichen liege. So heißt es in der Freiheitsschrift: Was die Pluralität möglicher Welten betrifft, so scheint ein an sich Regelloses, dergleichen nach unserer Erklärung die ursprüngliche Bewegung des Grundes ist, wie ein noch nicht geformter, aber aller Form empfänglicher Stoff, allerdings eine Unendlichkeit von Möglichkeiten darzubieten, und wenn etwa darauf die Möglichkeit mehrerer Welten gegründet werden sollte, so wäre nur zu bemerken, daß daraus doch keine solche Möglichkeit in Ansehung Gottes folgen würde, indem der Grund nicht Gott zu nennen ist, und Gott nach seiner Vollkommenheit nur Eines wollen kann. (SW VII, S. 398)
Schelling betont die Gleichzeitigkeit von Zufall in Ansehung des Grundes und Notwendigkeit in Ansehung Gottes auch mit dem Modell der Hervorhebung aus der Potentialität des Grundes durch die Scheidung des Verstandes, indem gedacht wird, dass der Grund nur die Basis der Existenz und nicht das Hervorbringende, in die Existenz Erhebende ist. Zugleich wird mit der scheidenden Tätigkeit des Verstandes im Gegensatz zum Modell der Einbildung nicht gedacht, dass das Bildende seine Form tradiert und damit als Prinzip im Prinzipiierten anwesend ist, sondern das Existierende aus dem unabhängigen Grund vom Verstand hervorgehoben wird, – also gleichsam gerufen wird: Weil der ursprüngliche Verstand die Seele aus einem von ihm unabhängigen Grunde als Inneres hervorhebt, so bleibt sie eben damit selbst unabhängig von ihm [dem Verstand], als ein besonderes und für sich bestehendes Wesen. (SW VII, S. 362)
Die in der Affinität des Formlosen zur Form mitgedachte Offenheit zur Bestimmung,welche die Nicht-Notwendigkeit einer bestimmten Form impliziert, formuliert Schelling im Jahr wie folgt: „Das lezte Substrat aller Erscheinungen, der lezte Stoff, an dem die Elemente erscheinen, ist αορατον τι, weil er als ursprüngliches Substrat keiner nothwendigen Form empfänglich war, sondern, sobald er diese empfieng, nimmer ursprüngliches Substrat war; er war als solches formlos d. h. wie es Plato selbst erklärt, jeder Form empfänglich (πανδεχες) keiner nothwendigen, ihm ursprünglich eigentümlichen Form unterworfen.“ (Schelling , S. )
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Für die Konzeption des Bösen als Freiheitsvollzug ist dieser Unterschied bedeutsam. Unterstreicht er doch die Unbestimmtheit als das substantiell Überdauernde des endlichen Werdens und damit den prekären Status der Form im Endlichen. Mit dem Modell der Formung als Hervorhebung wird das Gewordene als geformte aber weiterhin vom Formgebenden unabhängige Selbsttätigkeit gedacht.³¹ Das Existierende verliert durch seine Hervorhebung aus dem Grunde somit nicht die Selbsttätigkeit der Sehnsucht, deren Unbestimmtheit es als „Erbtheil“³² weiter in sich trägt, sondern wird nur regulierte Unbestimmtheit. Durch diese formierte aber zugleich über die Bestimmung hinausgehende tätige Unbestimmtheit – Sehnsucht, die sich in keinem Objekt erschöpft – wird es damit denkbar, dass im Zurücktreten der scheidenden Formungskraft des Verstandes die Sehnsucht wieder mehr und mehr unbestimmt die gewordene Form verwischt und schließlich ganz Regelloses hervorbringt. Schelling macht mit Platon den Gedanken stark, dass das irrationale Prinzip wie die alte Natur in allem Existierenden als Sehnsucht fortwirkt und „von der Überlegung im Stich gelassen, jeweils regellos das Zufällige“ (PW, Tim 46e) bewirkt. Mit diesem Gedanken tritt die Ambivalenz des Grundes hervor: Die tätige Unbestimmtheit ist die Basis, die alle Formen in sich trägt, und damit Mitprinzip des Geformten, dieses ermöglichend; aber insofern in der Geburt des Existierenden aus dem Dunkeln ins Licht das Dunkle nicht aufgegeben, sondern nur „verklärt“ wird, ergibt sich aus ihm das ständige Potential zum Verwischen und Auflösen des Geformten, – und damit zum Verschwinden von Formen und zur Realisierung anderer Formen im endlichen Werden beim schwächer Werden der Formungskraft des Verstandes. Das Fundament des Lebens ist damit unerschöpflich und unbeständig. Das sich aus diesem erhebende Leben aber temporär und gefährdet. Eine weitere Analogie zwischen der platonischen Materie und dem irrationalen Prinzip zeigt sich in der Betrachtung der methodischen Besonderheit, die
Vgl. ferner Schelling , S. : „Indessen bleibt in dieser ganzen Stufenfolge das Substrat immer dasselbe; wir wollen auch hier, wie in der Naturphilosophie, das der Subjektivität Entgegengesetzte, das bloss und eben darum blind Objektive, durch B bezeichnen, so wird dieses B immer mehr subjektiv = A, aber auch das letzte A, das höchste Subjektive oder das, was wir vorzugsweise das Erkennende nennen, ist noch immer B, nur als A gesetztes, in A verwandeltes B. […] Es ergeben sich also zwei Principien: a) B, das mehr und mehr = A wird, aber substantiell immer dasselbe bleibt und für sich das blinde, wilde, grenzenlose Sein ist, das Platonische ἄπειρον, b) A – […] sofern es Ursache der Umwendung des B in A ist.“ Vgl. SW VII, S. : „Ohne dieß vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der Creatur; Finsterniß ist ihr nothwendiges Erbtheil.“
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bei Platon und Schelling an den philosophischen Umgang mit dem Unverständigen geknüpft ist. Insbesondere die Analogie von Mitprinzip und Prägemasse bei Platon, welche mit dem Gold und dem Salböl zwei Veranschaulichungen erfährt, würde es eigentlich nahe legen, das Mitprinzip des Werdens, das alle Formen aufnimmt, als ὕλη zu bezeichnen, wie es bereits Aristoteles in seiner Interpretation der platonischen dritten Seinsart gemacht hat (vgl. AW, Phy 192a). Platon selbst aber vermeidet diese Bezeichnung – er erläutert das Wesen des Mitprinzips stattdessen an Beispielen. Und das mit gutem Grund, denn die Bezeichnung Materie legt eine Nähe des Mitprinzips zur sichtbaren, immer schon geformten, körperlichen Materie nahe, deren Differenz Platon eigens betont (vgl. PW, Tim 50c). Platon meidet aber nicht nur den Begriff Materie, sondern ganz generell die Festlegung des Mitprinzips auf einen Begriff und auf eine genaue Verhältnisbestimmung zum Formgebenden. Stattdessen verdeutlicht er sie an einer Vielzahl von Bildern – die jeweils einen Aspekt des Mitprinzips herausstellen, ohne die Differenz von Veranschaulichung und Veranschaulichtem aufzuheben. Wird nach Hinweisen für den Grund dieses Verfahrens im Timaios gesucht, so fällt die Aussage über das Mitprinzip ins Auge, wonach sie „auf eine irgendwie höchst unerklärliche Weise am Denkbaren teilnimmt und äußerst schwierig zu erfassen ist“ (PW, Tim 51a/b). Weder sei sie wahrnehmbar, da unkörperlich, noch dem Verstand zugänglich, da formlos, sondern nur indirekt über das Seiende zu erschließen: „[E]ine dritte Art sei ferner die des Raumes, immer seiend, Vergehen nicht annehmend, allem, was ein Entstehen besitzt, einen Platz gewährend, selbst aber ohne Sinneswahrnehmung durch ein gewisses Bastard-Denken erfaßbar, kaum zuverlässig.“ (PW, Tim 52a/b)³³ Platon betont, dass in der Verkennung der Vermitteltheit dieses Zugangs die Gefahr einer alles auf den Kopf stellenden Täuschung über das Mitprinzip liege.³⁴ Dass Platon damit aber nicht nur die Täuschungsanfälligkeit des menschlichen Denkens hervorhebt, sondern auch das täuschende Potential des Mitprinzips selbst, wird daran deutlich, dass sie im Timaios auch die Bezeichnung πλανωμένη αἰτία erhält (vgl. PW, Tim 48a). Weil sich zeigt, dass das Mitprinzip je nach Bestimmung „bald so, bald anders erscheint“ (PW, Tim 50c), wird der Materie mit
In der Freiheitsschrift spricht Schelling von einem „Wesen, das nie aus der Potenz zum Actus gelangen kann, das zwar nie ist, aber immer seyn will, und daher, wie die Materie der Alten, nicht mit dem vollkommenen Verstande, sondern nur durch falsche Imagination (λογισμῷ νόϑῳ) – welche eben die Sünde ist – als wirklich erfaßt (actualisirt) werden kann“ (SW VII, S. ). Das Bild, „wie wenn jemand kopfüber steht, indem er den Kopf gegen den Boden stemmt und die Füße nach oben hält“ verwendet Platon im Timaios im Zusammenhang mit der „Verkehrung“ der Seele (vgl. PW, Tim e).
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dieser Bezeichnung von Platon das Prädikat zugesprochen, dass sie selbst ohne bestimmtes Prädikat ist – aber alle Prädikate aufnehmen kann –, und dadurch umherschweifend, unstet, schwankend, täuschend und irreführend ist.³⁵ Dieses Täuschungspotential liegt darin, dass ihre Gestaltung je eine andere ist, sodass die Formen für das Instabile, sie aber für das Überdauernde, wahre Sein gehalten werden könnte und nicht – wie Platon sie denkt – für das Prinzip der Wandlung. Anders als das Bild der Prägemasse suggeriert, versteht also auch Platon das Mitprinzip keineswegs nur als ruhende Möglichkeitsbedingung, sondern als etwas, das sich unserem Verstandesdenken entzieht. Es ist dieser Gedanke der Entzogenheit des Grundes für den Verstand, der in Platons Methode implizit anwesend ist und in Schellings Thematisierung der platonischen Materie in der Freiheitsschrift zur Erläuterung des irrationalen Prinzips im Zentrum steht. Der kantische Grenzbegriff des Ding an sich, den bereits Maimon mit dem irrationalen Rest in seiner Entzogenheit für den Verstand veranschaulicht, wird mit Fichtes Sehnsuchtsbegriff willenstheoretisch ausgedeutet und mit Platons dritter Seinsart erläutert zur Grundlegung von Kontingenz und Irrationalität im endlichen Werden. Anders als die Kontingenz, die bereits im Jahr 1794 in Schellings PlatonAuseinandersetzung im Ansatz nachweisbar ist, – insofern Schelling hier die Nichtfestgelegtheit des Formlosen auf eine bestimmte Form betont und damit den Gedanken eines von Gott unabhängigen Bewegungsprinzips begründet – wird der Gedanke der Irrationalität, als dem, was nicht nur noch nicht,³⁶ sondern nie in Verstand aufgeht, also, mit Albertus Magnus gesprochen, unstillbares, infinites Verlangen ist, erst im Jahr 1809 zentral. Die Wandlung des Nicht-Seins vom mangelhaften Noch-Nicht zur wesenhaften und unaufhebbaren Potentialität dessen, was selbst nie Verständiges, nie Etwas ist, zeigt sich in der Freiheitsschrift auch in der Wertschätzung des Symbols
Die „umherschweifende[n] Ursache“ hat auch bei Platon einen Anteil an dem, was durch Vernunft hervorgebracht wird, nämlich den, der nicht durch Vernunft, sondern durch Notwendigkeit (ἀνάγκη) ist (vgl. PW, Tim e–a) und „von der Überlegung im Stich gelassen, jeweils regellos das Zufällige“ (e) bewirkt. Vgl. Gigon/Zimmermann , S. : „Am Anfang steht die Tatsache, daß das Gute sich mitteilen will und anderes Gutes bewirkt. Was dadurch faktisch entsteht, ist nicht nur Gutes, sondern auch etwas Nicht-Gutes, das durch den Eintritt des Guten in den Raum dazutritt. Dieses Dazutreten geschieht nicht, weil es so gut ist, sondern weil es notwendig ist. Der Begriff der Notwendigkeit (Ananke) hat hier seinen systematischen Ort. Was von der Idee her wird, geschieht aus Gutheit; was ohne die Idee vom Raume her wird, geschieht aus Notwendigkeit.“ Vgl. Schelling , S. [Hervorhebung L.E.]: „Die präexistirende Urmaterie der Welt wird hier vorausgesezt. Sie wird als etwas unruhiges, ohne Ordnung u. Regelmäßigkeit bewegtes dargestellt, weil sie damals noch nicht der Form des Verstandes teilhaftig geworden war.“
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für das spekulative Denken. Wenn die Freiheit des Menschen etwas zum Grunde hat, das vom Verstand nicht zu fassen ist, sodass dieser „fast Nicht=Verstand“³⁷ wird, wenn er es zu denken beabsichtigt, und in diesem irrationalen Prinzip die ontologische Möglichkeit zum Bösen gründet, so zeigt gerade das Böse, dass die reine Verstandesphilosophie unzureichend ist, den Begriff der endlichen Freiheit zu begreifen. Mit dem Symbol aber wird dem Denken ein Mittel gegeben, die Grenze des Verstandes einerseits zu respektieren und andererseits nicht an der Grenze des Verständigen auch das Denken enden zu lassen. Ein Hemmendes, Widerstrebendes drängt sich überall auf: dieß andere, das, so zu reden, nicht seyn sollte und doch ist, ja seyn muß, dieß Nein, das sich dem Ja, dieß Verfinsternde, das sich dem Licht, dieß Krumme, das sich dem Geraden, dieß Linke, das sich dem Rechten entgegenstellt, und wie man sonst diesen ewigen Gegensatz in Bildern auszudrücken gesucht hat; aber nicht leicht ist einer im Stande es auszusprechen oder gar es wissenschaftlich zu begreifen. (SW VIII, S. 211)
4.1.2 Das Verhältnis von endlicher und absoluter Freiheit. Systematische Funktion und Bestimmung der Schöpfungskonzeption Die Bedeutung, welche die Schöpfungskonzeption im Jahr 1809 für die Neuausrichtung der schellingschen Philosophie hat, ist beachtlich. Noch im Identitätssystem wurde mit Schöpfung lediglich die „Ineinsbildung“ von Form und Formlosem gedacht (vgl. SW V, S. 386). Die Herkunft der endlichen Welt aber mit einem Abfall der Ideen vom Absoluten begründet und die Eigenständigkeit des Seienden damit als bloßer „Schein“ abgetan. In der Freiheitsschrift dagegen werden mit ihr Selbstständigkeit, Sukzession, Kontingenz und Zufälligkeit als Charakteristika des endlichen Werdens begründet. Und das Endliche wird als eigenständige Sphäre verstanden, in der die Gesetze der absoluten Vernunft nicht mit Notwendigkeit gelten. Es kann daher nicht verwundern, wenn Schelling in der Einleitung in die Philosophie (1830) sagt: „Der Begriff der Schöpfung ist das eigentliche Ziel einer positiven Philosophie“ (Schelling 1989, S. 117). Aber die Absicht Schellings, mit dem Theologumenon der Schöpfung als Freilassen des Grundes das Endliche im System der Freiheit ontologisch aufzu-
Vgl. Schelling , S. : „Übrigens beschreibt er dieß Wesen des Nichtseyenden unnachahmlich tief; wie wenn er sagt, die Materie fliehe den sie fassen wollenden u. wenn einer nicht fasse dann sey sie gewissermaßen gegenwärtig; der Verstand werde gleichsam ein andrer u. fast Nicht=Verstand wenn er sie betrachte, wie wenn das Auge aus dem Licht geht um die Finsterniß zu sehen u. sie nachher doch nicht sieht, indem sie so wenig zugleich mit dem Licht als ohne Licht gesehen werden kann […].“
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werten, bringt weitreichende Veränderungen mit sich. Diese betreffen den Gottesbegriff, das Freiheitsverständnis und das Einheitsprinzip des Systems als Maß, Garant oder Ideal der Freiheit, wie im Folgenden deutlich wird. Schelling beginnt die „eigentliche[n] Untersuchung“ der Freiheitsschrift mit der Unterscheidung von Grund von Existenz und Existierendem als Wesenshinsichten, die er als die „Grundsätze[n] einer wahren Naturphilosophie“ einführt, wenn er sagt: „Die Naturphilosophie unsrer Zeit hat zuerst in der Wissenschaft die Unterscheidung aufgestellt zwischen dem Wesen, sofern es existirt, und dem Wesen, sofern es bloß Grund von Existenz ist.“ (SW VII, S. 357) Da Schelling diese Unterscheidung der Wesenshinsichten – ein Wesen, sofern es existiert und sofern es nur Grund seiner Existenz ist – insbesondere in der Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie, also im Jahr 1801 formuliert hat,³⁸ bezieht er sich mit der „Naturphilosophie unsrer Zeit“ auf seine eigene Identitätsphilosophie. Aber die durch die Aufnahme der Wesenshinsichten als Grundlage der Philosophischen Untersuchungen nahe gelegte Betrachtung der Freiheitsschrift als Fortführung der Identitätsphilosophie ist nur vordergründig, denn Schelling denkt Grund und Existierendes anders als in der Darstellung nicht nur als Wesenshinsichten, sondern auch als eigenständige Prinzipien. Während Grund und Existierendes als Wesenshinsichten im absoluten Selbstbewusstsein verortet werden, treten sie im endlichen Werden – und prozessual vor dem göttlichen Selbstbewusstsein – zugleich als relativ voneinander unabhängige Ursachen hervor. Beide Bereiche verbindet und trennt die Schöpfung. Die Schöpfungskonzeption hat in den Philosophischen Untersuchungen also eine systematische Funktion für das System der Freiheit. Sie ermöglicht es einerseits, die individuelle Freiheit aus der Spontaneität der Natur und damit in ihrer Unabhängigkeit vom Maßstabsgaranten zu denken, ohne damit andererseits die höhere Einheit der Wesenshinsichten in ihrer unverbrüchlichen Maßgeblichkeit aufzugeben. Die Konzeption der Schöpfung fungiert somit als Grenze: Auf der einen Seite begründet sie die ontologische Dignität der endlichen Freiheit; auf der anderen schützt sie die absolute Identität vor einer strukturellen Relativierung. Beide Aspekte sollen im Folgenden auch insofern betrachtet werden als mit ihnen das Identitätssystem verabschiedet wird. Zunächst wird dafür die Konzeption der Gottheit als absoluter Persönlichkeit dargelegt, und zwar in ihrem Verhältnis zur frühidealistischen Selbstbewusstseinstheorie Fichtes und zum Identitätssystem Schellings. Von der dabei aufge Vgl. AA I,, S. / SW IV, S. : „Durch die ganze Reihe geht sonach die absolute Identität als Grund ihres eignen Seyns, sich selbst, sofern sie existirt,voran, durch die ganze Reihe folgt uns also, gleichsam als das mütterliche Princip, auch die Schwerkraft, welche von der absoluten Identität befruchtet, sie selbst hervorbringt“.
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zeigten Nähe werden zwei systemrelevante Unterschiede im Denken des Absoluten als Selbstbewusstsein in den Philosophischen Untersuchungen gegenüber der fichteschen Grundlage der Wissenschaftslehre und der schellingschen Schrift Darstellung meines Systems herausgestellt: Zum einen wird die absolute Identität im göttlichen, transzendenten, vollkommenen Selbstbewusstsein verortet; und zum anderen wird der Grund des Bewusstseins nicht mehr vom Bewusstsein her gedacht – ein Gedanke, der im Folgenden insbesondere in Betrachtung der Frage nach der Einheit des Systems wichtig sein wird. Im zweiten Unterkapitel wird sodann die Schöpfungskonzeption in der Freiheitsschrift als Gegenkonzept zur Emanation dargelegt, insofern sie zur Freilassung des irrationalen Prinzips und damit zum selbsttätigen endlichen Werden führt. Insbesondere die damit gedachte ontologische Aufwertung des endlichen Werdens in ihrem prekären Sein wird hier im Zentrum stehen.
Gott als absolute Persönlichkeit In der Freiheitsschrift entwickelt Schelling einen idealistischen Gottesbegriff, der bewusst gegen die zwei nachkantischen Gefahren des Denkens des Absoluten – entweder der restlosen Subjektivierung des Ordnungsgaranten oder der Reetablierung eines neuen dogmatischen Gottes, welcher, indem er das Ganze beherrscht, die individuelle Freiheit vernichtet – konzipiert ist. Er soll damit die Funktion erfüllen, sowohl ein nichtrelativierbares Maß als Orientierung und Korrektiv menschlicher Freiheit zu geben, als auch die Würde derselben zu wahren. Die Gottheit als Gesetzgeber einer „höhere[n] Gesetzmäßigkeit“, welche Freiheit und Notwendigkeit zu vermitteln vermag, muss deshalb einerseits als „reines, freies, unbetheiligtes“ Absolutes gedacht werden und darf doch zugleich nicht,wie die „blinde Nothwendigkeit“ mit der „menschliche[n] Freiheit“, oder wie die menschliche individuelle Freiheit mit der höheren „Nothwendigkeit in Conflikt“ (SW X, S. 116 f.) stehen. Beides gelingt Schelling über das Denken der Gottheit als „absolute[n] Persönlichkeit“ (SW VII, S. 399), wie im Folgenden aufgezeigt wird. Schelling gibt die Erläuterungen zur „Personalität des höchsten Wesens“ als Explikation des identitätsphilosophischen Absoluten aus.³⁹ Gleichwohl wird
Der Gottesbegriff der Freiheitsschrift kann deshalb auch als Verteidigung gegen den von F. Schlegel im Jahr formulierten Vorwurf, sein Identitätssystem sei Pantheismus, gedeutet werden, der in der Schrift Ueber die Sprache und Weisheit der Indier behauptet, dass diejenigen, „welche den Begriff der Gottheit aus der Ichheit oder dem Gesetz der Vernunft hervorgehen lassen wollen […] wohl etwas ganz anders an die Stelle desjenigen setzen, dessen Begriff sie verlohren haben.“ (Schlegel , S. f.)
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deutlich, dass in der Freiheitsschrift die anfängliche Indifferenz deutlich von der absoluten Identität als Geist (vgl. SW VII, S. 409) unterschieden wird und die Personalität, Gott als existierender Geist, allein letzterer zugeordnet wird (vgl. SW VII, S. 412), wohingegen in der Darstellung meines Systems die absolute Vernunft als totale Indifferenz prozessual zusammenfällt mit der absoluten Identität als ihrem Gesetz.⁴⁰ Aus diesem Grund scheint es berechtigterweise möglich, davon zu sprechen, dass der Begriff der Persönlichkeit funktional, aber bei anderem Gehalt, die Stelle einnimmt, welche die Vernunft in der Identitätsphilosophie inne hatte. Die Vermutung liegt daher nahe, dass es sich bei Schellings Prägung von Personalität wie beim Ich und der Vernunft als vormaligen Denkfiguren für das Absolute um eine spezifische Ausprägung von Selbstbewusstsein handelt, und Schelling insofern an den Frühidealismus anschließt, als er das Absolute mit dem Selbstbewusstsein zusammen denkt, um einem dogmatischen Gottesbegriff zu entgehen. Damit wird allerdings nicht verneint, dass sich das Absolute der Freiheitsschrift konzeptionell wesentlich vom absoluten Ich der Wissenschaftslehre und der absoluten Vernunft der Darstellung unterscheidet, sondern, dass sich von dieser Nähe her gerade die spezifischen Unterschiede deutlich machen lassen; Unterschiede, die aus der Absicht hervorgehen, das Absolute nicht nur als Grund des endlichen Bewusstseins zu denken oder als „absolute Totalität“,⁴¹ sondern in seiner Eigenständigkeit, seiner Unabhängigkeit vom endlichen Selbstbewusstsein zu konzipieren, womit es allererst als Gottheit gedacht ist. Die veränderte Konzeption des Absoluten, so wird hier behauptet, hängt wesentlich mit der zu denkenden ontologischen Differenz von Absolutem und Endlichem zusammen: Nicht nur muss das Absolute in seiner Eigenständigkeit vom Endlichen gedacht werden können, sondern auch umgekehrt das endliche Werden in seiner Freiheit als Abkömmling des Absoluten. Schelling geht zur systematischen Umsetzung dieses Zusammenhangs von der frühidealistischen Selbstbewusstseinstheorie, wie sie Fichte in der Grundlage der Wissenschaftslehre im Jahr 1794 maßgeblich dargelegt hat, strukturell aus und verändert sie noch über den Vernunftbegriff der Identitätsphilosophie hinausgehend.
Vgl. AA I,, S. / SW IV, S. : „Ich nenne Vernunft die absolute Vernunft, oder die Vernunft, insofern sie als totale Indifferenz des Subjectiven und Objectiven gedacht wird“; S. / S. : „Das höchste Gesetz für das Seyn der Vernunft, und da außer der Vernunft nichts ist, (§. .) für alles Seyn (insofern es in der Vernunft begriffen ist), ist das Gesetz der Identität, welches in Bezug auf alles Seyn durch A = A ausgedrückt wird.“ Vgl. AA I,, S. / SW IV, S. : „Die absolute Identität ist absolute Totalität. – Denn sie ist alles, was ist, selbst, oder, sie kann von allem, was ist, nicht getrennt gedacht werden. (§. .) Sie ist also nur als alles, d. h. sie ist absolute Totalität.“
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Auch wenn Grund und Existierendes bereits in ihrer Funktion als voneinander relativ unabhängige Ursachen des endlichen Werdens zur Sprache kamen, muss gleichwohl betont werden, dass Schelling sie in der Freiheitsschrift zunächst von ihrer Verortung im absoluten Selbstbewusstsein her denkt, und damit als Wesenshinsichten. So führt er sie als gegenwendige Willensmomente des Absoluten ein, die sich dadurch als Wesenshinsichten bezeichnen lassen, dass sie beide Wille des Absoluten sind, nämlich verstandloser, das Absolute als Einheit ermöglichender Wille – die Sehnsucht – und verständiger, das Absolute als Einheit vollkommen verwirklichender Wille: Gott als Existierender, so wird dabei deutlich, ist nichts anderes als die Verwirklichung dieser Einheit, die Schelling als tätige Einheit eines vollkommenen Geistes ausführt. Wie Fichte in seiner frühen Selbstbewusstseinstheorie das Ich, so unterscheidet Schelling hier den Willen als tätigen und leidenden, und damit nach zwei Hinsichten: Insofern er Verstand ist, bestimmt er, aber insofern er unverständig ist, wird er bestimmt. Der Widerspruch der zentripetalen und zentrifugalen Richtung der einen Tätigkeit als dem für Fichte unabkömmlichen Charakteristikum des Selbstbewusstseins wird von Schelling mit dem Begriff der Wesenshinsichten somit aufgegriffen. Fichte formuliert diesen im Jahr 1794 in der Grundlage der Wissenschaftslehre wie folgt: Es soll demnach, so gewiß es ein Ich ist, das Princip des Lebens, und des Bewußtseyns lediglich in sich selbst haben. Demnach muß das Ich, so gewiß es ein Ich ist, unbedingt, und ohne allen Grund das Princip in sich haben über sich selbst zu reflektiren; und so haben wir ursprünglich das Ich in zweierlei Rüksicht, theils, inwiefern es reflektirend ist, und insofern ist die Richtung seiner Thätigkeit centripetal; theils, inwiefern es dasjenige ist, worauf reflektirt wird, und insofern ist die Richtung seiner Thätigkeit centrifugal […]. Demnach sind centripetale und centrifugale Richtung der Thätigkeit beide auf die gleiche Art im Wesen des Ich gegründet; sie sind beide Eins, und eben dasselbe, und sind bloß insofern unterschieden, inwiefern über sie, als unterschiedne, reflektirt wird. (FGA I,2, S. 406 f.)
Fichte zeigt hier auf, dass das Ich in der Tathandlung „in einer und ebenderselben Handlung thätig und leidend zugleich“ ist, sodass gilt: „Das Ich bestimmt sich; es ist das bestimmende, und demnach thätig“; und insofern es sich bestimmt, gilt: „[E]s ist das bestimmt werdende, und demnach leidend“ (FGA I,2, S. 295). Die Einheit des bestimmenden und des bestimmt-werdenden Aspekts der Tätigkeit, so wird in diesem Textausschnitt deutlich, sichert Fichte über den Begriff des Ich ab, in dessen Wesen beide Aspekte gründen. Dass Schelling nicht das Ich als Einheitsgarant der göttlichen Wesenshinsichten denkt, scheint dabei offensichtlich. Nicht eindeutig ausgemacht ist dagegen die Antwort auf die Frage, welcher Begriff an seine Stelle tritt? Erst in dieser Frage, die auf den Einheitsgaranten der Wesenshinsichten in der Freiheitsschrift ausgerichtet ist, wird aber der
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entscheidende Unterschied beider Selbstbewusstseinstheorien deutlich. Um diesen zu verdeutlichen, soll daher gefragt werden, in wessen Wesen Grund und Existierendes gründen, sodass diese als dessen Hinsichten bezeichnet werden können. Diese Frage lässt sich über die Erörterung der Unterschiede klären, die aus dem deutlich differenten systematischen Ort des Selbstbewusstseins resultieren. Das von Schelling angezeigte Selbstbewusstsein kennzeichnet nicht das sich aus dem absoluten Ich als Grund des Bewusstseins erhebende endliche Ich, sondern das sich aus dem Ungrund erhebende göttliche Selbstbewusstsein als einem gegenüber dem endlichen Ich eigenständigen Wesen. An der Unmöglichkeit, mit Fichtes früher Selbstbewusstseinstheorie die Gottheit als vollkommenes und gegenüber dem endlichen Ich eigenständiges Selbstbewusstsein denken zu können, zeigt sich die systematische Notwendigkeit, sowohl den Einheitsgaranten als auch die Wesenshinsichten ihrem Gehalt nach umzudenken, wenn ein Gottesbegriff dieser Art, nämlich als eine Form von Selbstbewusstsein, gedacht werden soll. Eine Verortung der absoluten Tätigkeit als Grund des Bewusstseins in einer dem endlichen Bewusstsein gegenüber eigenständigen Gottheit, wie sie Schelling in der Freiheitsschrift vornimmt, ist mit Fichtes früher Selbstbewusstseinstheorie nicht zu denken, wie dieser selbst betont, wenn er behauptet, Gott als absolutes Selbstbewusstsein sei eine „undenkbare Idee“ (FGA I,2, S. 392). Jedes Bewusstsein, so begründet Fichte diese Unmöglichkeit, bestehe im Widerspruch zwischen Ich und Nicht-Ich, ein solcher aber sei mit der Idee der Gottheit schlechthin unvereinbar, denn: Für die Gottheit, d. i. für ein Bewustseyn, in welchem durch das bloße Geseztseyn des Ich alles gesezt wäre (nur ist für uns der Begriff eines solchen Bewustseyns undenkbar) würde unsre Wissenschaftslehre keinen Gehalt haben, weil in einem solchen Bewustseyn gar kein anderes Setzen vorkäme, als das des Ich […]. (FGA I,2, S. 390 f.; vgl. FGA I,5, S. 354 f.; Pannenberg 1992, S. 349 f.)
Die Idee der Gottheit als absolutes Selbstbewusstsein scheitert nach Fichte, so lässt sich zusammenfassen, somit an dem mit dem vollkommenen Bewusstsein unvereinbaren Nicht-Ich, wodurch, wie interpretiert werden kann, folgendes Dilemma entsteht: dass entweder, um des Denkens der Vollkommenheit willen, alles Nicht-Ich durch das Ich angeeignet und damit vernichtet wäre, wodurch das Selbstbewusstsein in seiner aus Widerspruch bestehenden Aktivität im Moment der Vollkommenheit in Untätigkeit zurücksinken würde, oder, um den Widerspruch und damit die Tätigkeit aufrechtzuerhalten, ein Rest von Nicht-Ich im absoluten Selbstbewusstsein gedacht werden müsste, womit es Tätigkeit bliebe, aber sogleich seine Vollkommenheit verloren hätte und endliches Selbstbe-
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wusstsein würde.⁴² Diese Schwierigkeit muss Schelling beheben und systematisch berücksichtigen, um Gott als vollkommenes Selbstbewusstsein zu denken. An der Zurückweisung der Idee der Gottheit als absolutem Selbstbewusstsein durch Fichte zeigt sich deutlich, wie Schelling die Selbstbewusstseinstheorie verändern muss,⁴³ um die Gottheit als vollkommenes Selbstbewusstsein denken zu können. Um das vollkommene Selbstbewusstsein als höchste Tätigkeit zu denken, ist es einerseits notwendig, die Gegenwendigkeit der Wesenshinsichten als unaufhebbare Differenz zu denken. Um es als vollkommenes Selbstbewusstsein zu begreifen, muss der tätige Widerspruch der Wesenshinsichten andererseits von der Endlichkeit entkoppelt werden. Indem Schelling bereits mit der Inaugurierung seiner Identitätsphilosophie Selbstbewusstsein nicht mehr über den Reflexions-, sondern den Vernunftbegriff bestimmt, ist es ihm möglich, eine unaufhebbare Differenz zu denken, die selbst in der Aktualität der vollkommenen Ineinsbildung noch Andersheit bleibt. Insofern damit aber der Widerspruch im Selbstbewusstsein nicht mehr als Merkmal der Endlichkeit gedacht wird, ergibt sich zugleich die Aufgabe, die Endlichkeit neu zu begreifen. Mit dem Versuch, die Endlichkeit in ihrer Eigenständigkeit zu konzipieren, der über F. Schlegels Kritik drängend wird, zeigt sich mithin der Vernunftbegriff der Identitätsphilosophie zunächst ergänzungsbedürftig: Zwar ist weiterhin eine vollkommene, geistige Einheit des Idealen und Realen denkbar, aber Idealität und Realität müssen mehr sein als Wesenshinsichten der Vernunft. Dieses Mehr schlägt sich konzeptionell im Begriff Gottes als Persönlichkeit nieder, wie im Folgenden deutlich wird. Was Schellings Konzeption der Persönlichkeit auszeichnet, wird in der Betrachtung der Art der Ineinsbildung des Selbstbewusstseins begreiflich. Schelling erläutert die Verwirklichung der Einheit des Absoluten in der Freiheitsschrift mit dem Modell der Hervorhebung (vgl. Iber 1998, S. 210), insofern gedacht wird, dass die unbestimmte Tätigkeit des verstandlosen Willens – veranschaulicht am „chaotischen Gemenge der Gedanken, die alle zusammenhängen, jeder aber den andern hindert hervorzutreten“ (SW VII, S. 361) – durch die scheidende Tätigkeit
Vgl. FGA I,, S. : „In dem Begriffe der Persönlichkeit liegen Schranken. Wie könnte ich jenen auf dich übertragen, ohne diese? […] ja ich weiß sogar sehr wohl, daß der Begriff eines Akts, und eines besondern Akts des Bewußtseyns nur von mir gilt, nicht aber von dir, dem Unendlichen.“ Vgl. dagegen noch in den Philosophischen Briefen die Überzeugung Schellings: „Wo absolute Freiheit ist, ist absolute Seeligkeit, und umgekehrt. Aber mit absoluter Freiheit ist auch kein Selbstbewußtsein mehr denkbar“ (AA I,, S. / SW I, S. ).
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des Verstandes zur Ordnung gebracht wird, und auf diese Weise die im Chaos verschlungene Einheit in ihrer Distinktheit hervortritt.⁴⁴ Anders als Fichte versteht Schelling die Selbstbestimmung in der Freiheitsschrift also nicht als „Einschränkung“⁴⁵ der unbestimmten Tätigkeit, die „allem Bewustseyn zum Grunde liegt, und allein es möglich macht“, sondern als Scheidung. Dadurch wird es ihm möglich, neben der eingeschränkten Tätigkeit eine geschiedene, aber gleichwohl nicht endliche zu denken. Zeichnet sich die Selbstbestimmung als Einschränkung und Hervorhebung der verborgenen Einheit bei Fichte dadurch aus, dass in ihrer Folge das Ich in doppelter Instanz auftritt, nämlich als das bestimmte, eingeschränkte, mithin endliche Ich und als das nie vollkommen bestimmte, „schlechthin thätige“ – so wird damit nach Schelling allein die endliche Selbstbestimmung des menschlichen Willens gedacht, nicht aber die vollkommene. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass – um im Bild des Gedankenchaos zu bleiben – nicht nur ein Gedanke in der Einschränkung aller anderen hervortritt, sondern alle zugleich in Distinktheit und systematischer Ordnung als ein gegliedertes Ganzes wirklich werden.⁴⁶ Das Modell der Hervorhebung durch Scheidung lässt dieserart eine Identität denken, die nicht deshalb Einheit ist, weil sie differenzlos ist, sondern weil sie gleich einem Organismus ineinsgebildet ist. Die Tätigkeit dieser systematisch-organischen Ineinsbildung bezeichnet Schelling im Jahr 1803 als Geist. Anders als Fichte, der betont, dass die Tathandlung, obwohl sie als „Grundlage alles Bewustseyns, nothwendig [zu] denken“ sei, nie „Thatsache des Bewußtseyns“ (FGA I,2, S. 255) wird, kann Schelling im göttlichen Selbstbewusstsein eine vollkommene, restlose Erhebung – im Sinne der vollkommenen Systematisierung – der nicht-bewussten Tätigkeit ins Bewusstsein ohne Einschränkung der Tätigkeit denken. Denn diese Erhebung des Grundes ins Bewusstsein führt nicht zur Vernichtung desselben, sondern zu einer Verklärung, wobei die Ideen wie Organe im Organismus zugleich unter einem Gesamtzweck geeint stehen und von diesem in ihrer Selbsttätigkeit unterschieden sind, weshalb sie auch hier bei Schelling nicht im eigentlichen Sinne zu Tatsachen des Be-
Vgl. zum Chaos Schellings Philosophie der Kunst, SW V, S. . Vgl. FGA I,, S. : „Iedes mögliche Prädikat des Ich bezeichnet eine Einschränkung desselben. Das Subjekt: Ich, ist das schlechthin thätige, oder seyende. Durch das Prädikat; (z. B. ich stelle vor, ich strebe u.s.f.) wird diese Thätigkeit in eine begränzte Sphäre eingeschlossen.“ Und FGA I,, S. : „Es ist ursprünglich nur Eine Substanz; das Ich: In dieser Einen Substanz sind alle mögliche Accidenzen, also alle mögliche Realitäten gesezt.“ Vgl. die Nähe zum Geistbegriff bei Plotin Beierwaltes , S. .
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wusstseins werden, sondern zu einem System tätiger Ideen, zu einem System im göttlichen Verstande, vereinigt werden.⁴⁷ Der Unterschied von Aufhebung und Verklärung, mithin von Einschränkung und Scheidung, besteht also vereinfacht gesagt darin, dass Fichte Ineinsbildung als Umwandlung der Alterität in Identität denkt, während Schelling Ineinsbildung als Strukturierung und Systematisierung und damit als Über-Formung der Alterität versteht, die als solche weiter in ihrer Selbsttätigkeit zu Grunde liegt – und damit an sich selbst wesentlich darüber hinaus gehen kann, Nicht-Geordnetes zu sein. In der Freiheitsschrift versteht Schelling unter Persönlichkeit diejenige Einheit, deren einheitsbildende Tätigkeit in der Verklärung einer „unabhängigen Basis“ besteht.⁴⁸ Allein wir haben Gott erklärt als lebendige Einheit von Kräften; und wenn Persönlichkeit nach unserer früheren Erklärung auf der Verbindung eines Selbständigen mit einer von ihm unabhängigen Basis beruht, so nämlich, daß diese beiden sich ganz durchdringen und nur Ein Wesen sind, so ist Gott durch die Verbindung des idealen Princips in ihm mit dem (relativ auf dieses) unabhängigen Grunde, da Basis und Existirendes in ihm sich nothwendig zu Einer absoluten Existenz vereinigen, die höchste Persönlichkeit […]. (SW VII, S. 394 f. [Hervorhebung L.E.])
Die Persönlichkeit unterscheidet sich damit vom Selbstbewusstsein der fichteschen Frühphilosophie insbesondere darin, dass das Andere nicht aufgehoben wird – sodass weder die Realität idealisiert noch die Idealität realisiert wird – und vom Vernunftbegriff der Identitätsphilosophie darin, dass dieses Andere unabhängig vom Formenden ist. Persönlichkeit kennzeichnet bei Schelling somit eine spezifische Art, Identität als Selbstverhältnis zu denken. Mit dieser Ausführung wird deutlich, dass Schelling mit der Persönlichkeit, welche die Unabhängigkeit des Realen vom Idealen betont, die drei Momente, die bei Fichte mit Grund des Bewusstseins, Ich und Nicht-Ich bezeichnet sind, nicht mehr vom Ich her denken kann, weil das Nicht-Ich hier nur als der eingeschränkte Aspekt der absoluten Tätigkeit, aber nicht als etwas darüber hinaus gehendes, Unabhängiges betrachtet wird. Aber auch die in der Identitätsphilosophie präsente Vernunftkonzeption als Einheitsgarant von Natur und Geist muss eine konzeptionelle Modifikation erfahren, wenn der Realitätsgrund in seiner Unab-
Vgl. die „Einheit der Ideen, die nicht starr und als etwas fertig Gewordenes zu denken sind, sondern als in sich bewegtes Leben“ (Uehlein , S. ), als vollkommenes Lebewesen (vgl. PW, Tim b). Vgl. zur Aufwertung des Konzepts der Persönlichkeit in der Freiheitsschrift ferner Shibuya , S. – .
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hängigkeit und nicht nur als „Form des Seyns“⁴⁹ der absoluten Vernunft gedacht werden soll. Was den Grund der Existenz der Gottheit gegenüber dem fichteschen Nicht-Ich und der Natur der Identitätsphilosophie auszeichnet, sodass es als Beharrendes gedacht werden kann, wodurch es mehr ist, als Nicht-Ich und Nicht-Geist, erschließt sich aus der Frage nach der Art des Aufbrechens der Dualität des Bewusstseins aus dem Grund des Bewusstseins. Sie zeigt sich damit vornehmlich in der Ungrundkonzeption,⁵⁰ die an die funktionale Stelle des Grundes des Bewusstseins tritt. Schelling übernimmt im Jahr 1809 für das Denken des Hervorgangs der Dualität aus der Indifferenz den von Fichte bereits 1794 formulierten Gedanken, dass das Bewusstsein aus dem Bewusstseinsgrund mit einem „Sprung“ anhebt, mit welchem die zwei Hinsichten der Tätigkeit entstehen, ohne dass dieses Hervorgehen sich a priori erweisen ließe,⁵¹ wenn er sagt, dass Grund und Existierendes „[u]nmittelbar aus dem Weder – Noch oder der Indifferenz“ (SW VII, S. 407; vgl. FGA I,2, S. 427) hervorbrechen. Fichte und Schelling unterstreichen mit dem so gedachten Anfang des Bewusstseins als nicht-stetiges Hervorgehen der Differenz beide die absolute Selbstanfänglichkeit des Bewusstseins respektive der Gottheit, welche sich nicht deduzieren lässt, weil sie keine Ursache hat, als ihre eigene Aktualität, mithin ihre Tätigkeit. Zugleich wird sowohl mit dem Sprung als auch mit dem Hervorbrechen die entschiedene Differenz von Potentialität und Aktualität der Dualität unterstrichen: So ist die Identität schlechthin verschieden von der Indifferenz.⁵² In para Vgl. AA I,, S. / SW IV, S. : „Es ist dieselbe, und gleich absolute Identität, welche der Form des Seyns, obschon nicht dem Wesen nach als Subject, und als Object gesezt ist.“ Vgl. zur Nähe des schellingschen Ungrundes als Relationslosigkeit und Nicht-Bewusstsein zu Plotins Konzeption des Einen, als das „vor dem Etwas“, dem „Nichts“ und Überseienden Beierwaltes , S. f. Vgl. FGA I,, S. f.: „Das absolute Ich ist schlechthin sich selbst gleich […]; es ist da nichts zu unterscheiden, kein mannigfaltiges, das Ich ist Alles, und ist Nichts, weil es für sich nichts ist, kein setzendes und kein geseztes in sich selbst unterscheiden kann. – Es strebt, (welches gleichfalls nur uneigentlich in Rüksicht auf eine künftige Beziehung gesagt wird) kraft seines Wesens sich in diesem Zustande zu behaupten. – Es thut in ihm sich eine Ungleichheit, und darum etwas fremdartiges hervor: (Daß das geschehe, läßt sich a priori gar nicht erweisen, sondern jeder kann es sich nur in seiner eignen Erfahrung darthun. […]).“ Der Ungrund kann bei Schelling mit Beierwaltesʼ Charakterisierung des Einen bei Plotin als das bezeichnet werden, was „‚vor‘, ‚über‘, ‚jenseits‘ von sich selbst denkendem Denken“ (Beierwaltes , S. ), also dem Geist, ist. Es ist „die absolute Differenz zu eben diesem Sein“ und zugleich das, was „alles vielheitlich Seiende umfaßt“ – oder mit Schelling ausgedrückt: Er ist die „absolute Indifferenz“ als „dem vor allem Grund vorhergehenden Ungrund“ (SW VII, S. ) und
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doxaler Verschränkung bringen beide Figuren aber zugleich einen nicht-emanativen Hervorgang zum Ausdruck, sodass die Indifferenz in der Identität noch – wenn auch auf andere Weise – anwesend ist.⁵³ Schelling betont diesen Zusammenhang, indem er den Ungrund in reiner Potentialität unterscheidet von dem Ungrund in seiner Transzendenz zum Anderen, aus ihm Hervorgebrochenen (vgl. SW VII, S. 406 – 408). Beide unterstreichen in Bezug auf die dabei unstetig hervorgehende Zweiheit – formuliert als „doppelte Reihe“ (FGA I,4, S. 196) respektive als „zwei gleich ewige Anfänge“⁵⁴ – sowohl eine unaufhebbare Differenz beider Anfänge als auch die durch ihre gemeinsame Herkunft aus dem Ungrund sich ergebende Affinität beider,⁵⁵ die als das nicht bestimmte aber bestimmbare Realitätsprinzip und als das ideale, bestimmende Formprinzip gedacht werden. Durch diese konzeptionelle Nähe tritt der entscheidende Unterschied beider Denkweisen des absoluten Anfangs deutlich hervor – wobei daran zu erinnern ist, dass diese Nähe in der Darstellung meines Systems nicht vorhanden ist, weil hier die absolute Indifferenz mit der absoluten Identität als dem Gesetz der Vernunft
der Ungrund „über dem Geist“, „der nicht mehr Indifferenz (Gleichgültigkeit) ist, und doch nicht Identität beider Principien, sondern die allgemeine, gegen alles gleiche und doch von nichts ergriffene Einheit, das von allem freie und doch alles durchwirkende Wohlthun, mit Einem Wort die Liebe, die Alles in Allem ist“ (SW VII, S. ). Hier zeigt sich eine deutliche Nähe zur neuplatonischen Konzeption des Einen (vgl. Beierwaltes , S. f.). Vgl. SW VII, S. f.: „Das Wesen des Grundes, wie das des Existirenden, kann nur das vor allem Grunde Vorhergehende seyn, also das schlechthin betrachtete Absolute, der Ungrund. Er kann es aber (wie bewiesen) nicht anders seyn, als in dem er in zwei gleich ewige Anfänge auseinandergeht, nicht daß er beide zugleich, sondern daß er in jedem gleicherweise, also in jedem das Ganze, oder ein eignes Wesen ist.“ Es ist dieses Hervorbrechen aus dem Ungrund, das eine nicht nur formale Differenz, sondern eine wesenhafte anzeigt: Das Urwesen scheidet sich gemäß dem Wortlaut der Philosophischen Untersuchungen „wirklich in zwei Wesen“ (SW VII, S. ), sodass ein unabhängiger Grund in Gott gedacht werden kann, der die starke Differenz im endlichen Werden zu begründen erlaubt. Dass sich Schelling mit der Konzeption des Ungrundes auch an Plotins Einem orientiert, kann nicht verwundern, denn wenn – wie Beierwaltes betont – „irgendwo und irgendwann in der Geschichte der […] Metaphysik Differenz als Differenz nicht nur angedeutet, sondern in aller Entschiedenheit und begrifflicher Intensität gedacht wurde, dann in Plotins Philosophie“ (Beierwaltes 2001, S. 121). Ganz in diesem Sinne schreibt Schelling: „[O]hne einen Ungrund, gäbe es keine Zweiheit der Principien. Anstatt also, daß dieser die Unterscheidung wieder aufhöbe, wie gemeint wurde, setzt und bestätigt er sie vielmehr.“ (SW VII, S. 407) Allerdings gilt es trotz dieser Nähe der schellingschen Ungrundkonzeption zu Plotins Einem zu bedenken, dass Schelling den „negativ-pejorative[n] Charakter von Andersheit“ (Beierwaltes 1980, S. 33), der in Plotins Denken der Materie zum Ausdruck kommt, zurückweist und sich daher in der Bewertung der Endlichkeit entschieden von Plotin distanziert.
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prozessual zusammenfällt und damit kein „Sprung“ oder Hervorbrechen gedacht wird: Es ist die in der Affinität der zwei Prinzipien mitgedachte Indifferenz, welche sich fundamental unterscheidet, wie sich besonders gut an der Sehnsucht als unzeitlich erstem Bewusstseinsakt veranschaulichen lässt. Der prozessual gedachte erste Bewusstseinsakt nach dem Hervorbrechen der Dualität wird von Schelling in den Philosophischen Untersuchungen als Sehnsucht gedacht. Fichte bestimmt das Sehnen in der Wissenschaftslehre von 1794/95 als „einen Trieb nach etwas völlig unbekannten, das sich bloß durch ein Bedürfniß, durch ein Misbehagen, durch eine Leere, die Ausfüllung sucht, und nicht andeutet, woher? – offenbart.“ (FGA I,2, S. 431) Aber er denkt dieses „Sehnen“ als „ursprüngliche, völlig unabhängige Aeusserung des im Ich liegenden Strebens“ (FGA I,2, S. 432), welches aus dem im Ich liegenden Gesetz zur Reflexion abgeleitet werden kann (vgl. FGA I,2, S. 408). Auch bei Schelling kennzeichnet die Sehnsucht im Jahr 1809 ein Streben als blinde, unabhängige Tätigkeit, allerdings nicht nach Reflexion, also auf die Ermöglichung des Ich, sondern danach, Gott als Einheit zu gebären. Anders als bei Fichte, nach dem bereits das Sehnen das „Gesetze des Ich, über sich selbst zu reflektiren“ (FGA I,2, S. 408) anzeigt, weil es auf die Reflexion ausgerichtet ist, ohne sie zu verwirklichen, verweist die Sehnsucht nicht auf die Reflexion als dem Gesetz der Einheit des Ich, sondern auf das Wesen der Einheit der Gottheit, das Schelling als Liebe bezeichnet: Die Sehnsucht verkörpert damit nicht eine ursprüngliche Äußerung des Gesetzes zur Reflexion, sondern eine basale, potentielle Form von Liebe. Wie Fichte setzt Schelling in der Freiheitsschrift das Selbstbewusstsein als dreigliedriges zeitloses Werden aus der Indifferenz durch die Dualität in die Identität an, die durch das Wesensgesetz dessen, was dabei wird, verbunden ist. Der entscheidende Unterschied der Selbstbewusstseinstheorien liegt dabei in der Charakteristik dieses Gesetzes und damit der angestrebten Identität, wobei deutlich wird, dass Fichte ein Reflexionsmodell des Selbstbewusstseins ansetzt, während Schelling ein Organisationsmodell vertritt, mit welchem Einheit und Differenz gemeinsam in Identität gedacht werden können. Dieses Organisationsmodell ersetzt das Reflexionsgesetz durch den Begriff der Persönlichkeit, sodass statt der Gesetzlichkeit des Intellekts das Identitätsgesetz der Personalität herrscht. Für dieses Einheitsgesetz der Persönlichkeit nun ist entscheidend, dass mit der Liebe ein Identitätsgesetz von Schelling angezeigt wird, welches, deutlicher noch als der Ausdruck Vernunft in der Identitätsphilosophie, dezidiert den Einheitsgaranten nicht idealistisch oder realistisch privilegiert und damit beide Aspekte in ihrer seinsollenden Eigenheit aufwertet: Die Liebe als Gesetz der Einheit ist damit gleichberechtigterweise Gesetz des Denkens und der Natur und er-
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möglicht gleichermaßen die geistige wie die organische Einheit. Nicht das wesentlich durch Reflexion ausgezeichnete Ich, so wird deutlich, ist damit das Wesen, welches die Einheit des Werdens des Selbstbewusstseins garantiert, aber auch nicht der verabsolutierte Geist, für welchen die Vernunft gehalten werden könnte, sondern die vollkommene Persönlichkeit als das Wesen, dessen Gesetz die Liebe ist, sodass Schelling sagen kann: Denn auch der Geist ist noch nicht das Höchste; er ist nur der Geist, oder der Hauch der Liebe. Die Liebe aber ist das Höchste. Sie ist das, was da war, ehe denn der Grund und ehe das Existirende (als getrennte) waren, aber noch nicht war als Liebe, sondern – wie sollen wir es bezeichnen? Wir treffen hier endlich auf den höchsten Punkt der ganzen Untersuchung. (SW VII, S. 405 f.)⁵⁶
Damit ist zum einen der Intellekt mithin das Ich als Garant der Identität – der Copula – abgelöst. Dieses wurde von Kant in der Formulierung als „synthetische Einheit der Apperception“ als „höchste[r] Punkt“⁵⁷ der Untersuchung der Kritik der reinen Vernunft ausgewiesen und von Fichte als „Wurzel“⁵⁸ des Selbstbewusstseins zum Fundament seines Systems der Freiheit gemacht. Zum anderen ist damit auch die identitätsphilosophische absolute Vernunft als Einheitsgarant verabschiedet, denn mit dem Ausdruck Liebe als höchstem Gesetz ist angezeigt, dass
Vgl. die Nähe zur Erörterung der „Urgrundes“ bei Plotin: „Ferner ist der Geist Denkendes und Gedachtes zugleich, mithin zweierlei zusammen; ist er aber zweierlei, so gilt es, das vor dieser Zweiheit Liegende zu erfassen; und was ist das? Etwa reiner Geist? Indessen ist mit jeglichem Geist der geistige Gegenstand verkoppelt; soll also kein geistiger Gegenstand mit ihm verkoppelt sein, so kann es auch nicht Geist sein. Ist es also nicht Geist und soll doch die Zweiheit hinter sich lassen, so muß es, als das dieser Zweiheit Vorausgehende, jenseits des Geistes liegen.Warum nun kann es nicht das Gedachte sein? Nun, weil auch das Gedachte mit dem Geist verkoppelt war. Ist es also weder Geist noch Gedachtes, was kann es dann sein? Dasjenige, so müssen wir behaupten, aus welchem der Geist und das mit ihm verkoppelte Geistige hervorgehen. Und was ist das und wie sollen wir es uns vorstellen?“ (Enn. III ,, Z. – ) Vgl. KA III, S. Anm. / KrV, B : „Und so ist die synthetische Einheit der Apperception der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik und nach ihr die Transscendental=Philosophie heften muß, ja dieses Vermögen ist der Verstand selbst.“ Vgl. Plotins Verwendung der Wurzel zur Erläuterung des Verhältnisses von Urgrund und Geist, welches sowohl das fichtesche Verhältnis des Grundes des Bewusstseins zum Bewusstsein, als auch das schellingsche des Ungrundes zum göttlichen Leben verdeutlichen kann: „[O]der einen gewaltigen Baum, dessen Lebenskraft den ganzen Baum durchläuft, sein Urgrund aber verharrt in sich und zerstreut sich nicht über das Ganze, da er gleichsam in der Wurzel seinen festen Sitz hat; so verleiht dieser Urgrund dem Baum sein ganzes Leben in all seiner vielfältigen Fülle, bleibt jedoch selbst an seiner Stelle, denn er ist nicht selber Vielheit, sondern Urgrund dieses vielfältigen Lebens. So ist es denn gar kein Wunder (oder ist es gerade das Wunder?), wie die Vielheit des Lebens aus der Nicht-Vielheit stammt“ (Enn. III ,, Z. – ).
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nicht absolute Identität, sondern essentielle Differenz den Anfang bildet. In dieser Funktion kann die Liebe daher als Neubestimmung des Einheitsgaranten des Systems der Freiheit verstanden werden, welcher systematisch weiterhin über der Trennung von Natur und Geist, objektiver und subjektiver Vernunft angesiedelt ist. Mit dem Begriff der Liebe ersetzt Schelling das Ich als Einheitsgarant, dem das Gesetz der Reflexion inhäriert und das die Natur abwerten muss, durch eine andere Wesensbestimmung als Ideal von Einheit. Die damit gegebene Konzeption von Identität unterscheidet sich zugleich deutlich vom Identitätskonzept der Identitätsphilosophie aufgrund der Betonung von Differenz, die in der Darstellung meines Systems letztlich doch immer formaler, nicht aber wesenhafter Natur bleibt;⁵⁹ während mit dem Hervorbrechen der zwei ewigen Anfänge aus dem Ungrund eine wesenhafte Differenz prozessual vor ihrer Einung zu Wesenshinsichten in der Gottheit gedacht wird, deren Möglichkeit in der Liebe als Identitätskonzept angelegt ist. Schelling definiert diesen Begriff in den Philosophischen Untersuchungen in Anlehnung an die Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie, insofern er betont: „[D]ieß ist das Geheimniß der Liebe, daß sie solche verbindet, deren jedes für sich seyn könnte und doch nicht ist, und nicht seyn kann ohne das andere“ (SW VII, S. 408). In den Aphorismen aus dem Jahr 1806 führt Schelling diesen Gedanken wie folgt aus: Der Unterschied einer göttlichen Identität von einer bloß endlichen ist, daß in jener nicht Entgegengesetzte verbunden werden, die der Verbindung bedürfen, sondern solche, deren jedes für sich seyn könnte, und doch nicht ist ohne das andere. […] Dieß ist das Geheimniß der ewigen Liebe, daß, was für sich absolut seyn möchte, dennoch es für keinen Raub achtet, es für sich zu seyn, sondern es nur in und mit den andern ist. Wäre nicht jedes ein Ganzes, sondern nur Theil des Ganzen, so wäre nicht Liebe: darum aber ist Liebe, weil jedes ein Ganzes ist, und dennoch nicht ist, und nicht seyn kann ohne das andere. (SW VII, S. 174)
Schelling definiert die Liebe hier als Wesen der göttlichen Identität, welche zu einer Verbindung von zweien führt, die einander nicht bedürfen und dennoch angestrebt wird. Gerade nur weil jedes ein Ganzes ist, so betont er hier, sei die Liebe, denn mit ihr werde gedacht, dass es für das, was absolut sein will, keine
Vgl. AA I,, S. / SW IV, S. : „So viel wenigstens ist vorerst jedem klar, daß wir keinen Gegensatz zwischen Subject und Object (denn was an die Stelle des erstern und des leztern gesezt ist, ist ja dasselbe identische; Subject und Object sind also dem Wesen nach Eins), sondern nur etwa einen Unterschied der Subjectivität und Objectivität selbst zugeben“.
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Einschränkung bedeute, mit dem Andern zu sein, daher nicht gegen das Andere, sondern mit dem Anderen absolut ist. Wenn in der Freiheitsschrift Reflexion und Wissen als Einheitsideal abgelöst werden durch die Liebe und damit nicht mehr absolutes Ich oder absolute Vernunft „Quelle“⁶⁰ des Seins und Ideal der Identität sind, sondern die Liebe, so werden damit drei Aspekte in Bezug auf das Denken der Identität betont, die sich wie folgt zusammenfassen lassen. Zum einen wird mit der Liebe als Ideal der Einheit deutlich, dass aus dem Ungrund neben dem idealen ein realer Anfang hervorgehen kann, der nicht nur Mangel an Intelligenz ist, sondern wesenhaft Anderes, nämlich eigenständiger Realgrund. Zweitens wird mit dieser Identitätskonzeption ausgesagt, dass Gott als Geist und absolute Vernunft die vollkommene Verwirklichung der Liebe zweier voneinander unabhängiger, aber aufeinander bezogener Prinzipien ist. Gott als Geist ist damit wesentlich mehr als Selbstliebe,⁶¹ nämlich Liebe, die zwei verbindet, die eigenständig sind. Als Existierender kann er darum die vollkommene Verbindung von Ideal- und Realgrund als Ineinsbildung der aus dem Ungrund hervorgebrochenen „zwei ewigen Anfänge“ sein. Drittens ist mit der Liebe als Identitätskonzeption gedacht, dass die Identifizierung gemäß diesem Identitätsbegriff keine Vernichtung der Eigenständigkeit des Anderen bedeutet, sondern freiwillige Einung beharrender Differenz. Die Identität verwirklicht sich damit nicht im Ausschluss, sondern in der Verbindung von Alterität.⁶² Für die an dem Begriff der Liebe gedachte Form von Identität ist die Differenz damit nicht nur nicht problematisch, sondern sogar konstitutiv.⁶³ Es lässt sich also behaupten, dass mit der Liebe als höchstem Gut vordergründig eine Abgrenzung der Identitätsphilosophie von Fichtes früher Bewusstseinsphilosophie durch Präzisierung des Vernunftbegriffs vollzogen wird. Insbesondere die Ungrundkonzeption, die konstitutive Bedeutung der Differenz für die Identität und die Transzendenz des Absoluten aber stellen Merkmale der Kon Vgl. FGA I,, S. : „Aller Realität Quelle ist das Ich. Erst durch und mit dem Ich ist der Begriff der Realität gegeben. Aber das Ich ist, weil es sich setzt, und setzt sich, weil es ist. Demnach sind sich setzen, und Seyn Eins und ebendasselbe.“ Vgl. dagegen Heidegger , S. . Vgl. das „freundschaftliche Einvernehmen“ (ϕιλία) der kosmischen Bestandteile in Platons Timaios, wodurch der κόσμος „zur Übereinstimmung mit sich selbst zusammenfindend, für irgendeinen anderen als den, der ihn verknüpfte, unauflöslich wurde.“ (PW, Tim c) Dass es sich bei der Liebe um das Ideal einer spezifischen Form von Einung handelt wird deutlich in folgendem Zitat der Freiheitsschrift: „Darum sowie im Ungrund die Dualität wird, wird auch die Liebe, welche das Existirende (Ideale) mit dem Grund zur Existenz verbindet.“ (SW VII, S. )
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zeption des Absoluten dar, die mit der ontologischen Verfasstheit des Absoluten in der Identitätsphilosophie unvereinbar sind und strukturell eine Nähe zur frühen Bewusstseinsphilosophie aufweisen. Indifferenz und Identität werden nicht wie im Identitätssystem einfach identifiziert,⁶⁴ vielmehr wird die Indifferenz zum Ungrund der Identität, aus der die zwei Momente in ihrer Eigenständigkeit hervorbrechen, die sich sodann entsprechend des in der Indifferenz verbürgten Ideals von Identität, nämlich unter Beibehaltung der Differenz, zur Gottheit als absoluter Persönlichkeit vereinigen.⁶⁵ Gott als Existierender wird in der Freiheitsschrift von Schelling als absolute Persönlichkeit gedacht, in welcher der Grund – die Sehnsucht Gott zu gebären – als eigenständiges Wesen jederzeit vollkommen bestimmt ist von der göttlichen Ordnung, sodass der Grund, obwohl er als gegenstrebige Richtung fortwirkt, in seiner freien, unverständigen, kontingenten Tätigkeit restlos dem göttlichen Wesen folgt und dadurch zu einem Aspekt der Gottheit, zu einer Wesenshinsicht geworden ist, indem er sich ganz von ihrem Wesen bestimmen lässt.⁶⁶ In Gott als
Schelling denkt Gott in der Identitätsphilosophie als das differenzlose Eine, wie in den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie deutlich wird: „Gott ist nicht das Höchste, sondern er ist das schlechthin Eine; er ist nicht anzuschauen als Gipfel oder Ende, sondern als Centrum, nicht im Gegensatz einer Peripherie, sondern als alles in allem. Auch das Höchste ist dieses nur in Beziehung auf etwas Niedereres; Gott aber ist das schlechthin Beziehungslose, allein aus sich selbst und durch sich selbst Affirmable.“ (SW VII, S. f.) Diese Indifferenz wird mit der „untheilbare[n] Identität des Subjektiven und Objektiven“, und d. h. hier mit der „unendlichen Selbstbejahung Gottes“ (S. ) zusammen gedacht. In der Freiheitsschrift werden beide Arten von Einheit unterschieden und die Indifferenz und Prädikatlosigkeit dem Ungrund vor der Identität zugeordnet (vgl. SW VII, S. ), der von Gott als absoluter Identität und dem Ungrund über der Identität unterschieden wird (vgl. S. : „Dann wird alles dem Geist unterworfen: in dem Geist ist das Existirende mit dem Grunde zur Existenz eins; in ihm sind wirklich beide zugleich, oder er ist die absolute Identität beider. Aber über dem Geist ist der anfängliche Ungrund, der nicht mehr Indifferenz (Gleichgültigkeit) ist, und doch nicht Identität beider Principien, sondern die allgemeine, gegen alles gleiche und doch von nichts ergriffene Einheit, das von allem freie und doch alles durchwirkende Wohlthun, mit Einem Wort die Liebe, die Alles in Allem ist“). In diesem Sinne kann die Liebeskonzeption der Freiheitsschrift in Anklang an Schulz’ Auseinandersetzung mit dem spekulativen Satz bei Schelling und Hegel (vgl. Schulz , S. – , bes. S. f.) als Erwiderung auf Hegels Kritik an Schellings Konzeption des Absoluten im Identitätssystem verstanden werden. Damit steht der ontologischen Gleichrangigkeit der zwei ewigen Anfänge eine normative Überordnung des Formgebenden gegenüber. Diese Spannung von Prinzipialität und normativer Inferiorität kennzeichnet in Schellings Spätphilosophie den Begriff des Anfangs als Unvordenklichkeit (vgl. SW XII, S. : „Die Priorität bringt nicht Superiorität mit sich. Beides, die Priorität vor dem Gott und dann doch wieder das ihm=untergeordnet=Seyn konnte nicht anders ausgedrückt werden als dadurch, daß es als weibliches, den Gott gebärendes Princip gesetzt wurde“). Frank legt nahe, dass dieses unvordenkliche Sein, das nicht im Begriff impliziert ist, eine Rückkehr des späten
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Existierendem, als absoluter Persönlichkeit ist damit schlechthin kein Irrationales, aber nicht weil in ihm kein regelloser Grund, kein kontingenter Wille wäre, sondern weil er die regellose Bewegung des Grundes, mithin das Chaos, seinem Wesen entsprechend jederzeit vollkommen organisiert, zu einem systematischen Ganzen geordnet hat: Alle Existenz fordert eine Bedingung, damit sie wirkliche, nämlich persönliche Existenz werde. Auch Gottes Existenz könnte ohne eine solche nicht persönlich seyn, nur daß er diese Bedingung in sich, nicht außer sich hat. Er kann die Bedingung nicht aufheben, indem er sonst sich selbst aufheben müßte; er kann sie nur durch Liebe bewältigen und sich zu seiner Verherrlichung unterordnen. Auch in Gott wäre ein Grund der Dunkelheit, wenn er die Bedingung nicht zu sich machte, sich mit ihr als eins und zur absoluten Persönlichkeit verbände. (SW VII, S. 399)
Gott als Existierender ist nach Schelling die vollkommene Verwirklichung der Liebe, also integrierende und nicht identifizierende Ineinsbildung von Grund und Existierendem, von Sein und Sehen, Realem und Idealem, von Freiheit und Notwendigkeit, Intellektualem und Sinnlichem.Weil Gott als Existierender damit eine unabhängige Basis hat, mithin sich als Existierender auf etwas erhebt, das nicht er als solcher ist, nämlich nicht in Aktualität, sondern nur in Potentialität, ist es zunächst schwierig, diesen Gott noch in seiner Absolutheit zu denken. Die hier von Schelling aufgerufene Selbstursächlichkeit, welche besagt, dass er die „Bedingung“ ganz „zu sich machte“, korrespondiert nur sehr schlecht mit der spinozischen Definition des Absoluten als Selbstursächlichkeit (causa sui), mit welcher ausgesagt wird, dass die Essenz die Existenz impliziert, und damit das so Begriffene mit Notwendigkeit ist – und d. h. bedingungs- und voraussetzungslos.⁶⁷ Eine voraussetzungslose Existenz ist Schellings absolute Persönlichkeit keineswegs zuzusprechen, denn obzwar auch dieser Gott ganz Ursache seiner selbst ist, weil er als Existierender ganz ist, was seinem Wesen entspricht – und das heißt, restlos „was er seyn will“ (SW VIII, S. 168)⁶⁸ – hat er gleichwohl eine Mitursache seines Existierens – worin er noch nicht er selbst ist.⁶⁹ Aus diesem Grund scheint
Schelling zu Kant darstellt (vgl. Frank , S. – ). Vgl. zur Bedeutung des Unvordenklichen für Rosenzweig J. Betz , S. . Vgl. Spinoza , S. : „Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Essenz Existenz einschließt, anders formuliert das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann.“ Schelling selbst verweist auf die Nähe dieses Gedankens zur platonischen Tradition im System der Weltalter (vgl. Schelling , S. ). Vgl. SW VII, S. : „Gott macht sich selbst, und so gewiß er sich selbst macht, so gewiß ist er nicht ein gleich von Anfang Fertiges und Vorhandenes; denn sonst brauchte er sich nicht zu machen.“
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es prima facie schwierig, von der Gottheit in der Freiheitsschrift als dem Absoluten zu sprechen. Auch wenn der Gottheit das Attribut der Vollkommenheit eignet, kommt ihr diese nicht dadurch zu, dass sie voraussetzungslos ist, sondern weil sie als Existierende ihren vorgängigen Ermöglichungsgrund, der ein Aspekt ihrer Selbstwerdung, nämlich reine Produktivität ist, vollständig durch ihr Wesen bestimmt hat und damit ganz das geworden ist, was sie, entsprechend ihrem Wesen, sein will,⁷⁰ und zwar auf vollkommene Weise verbundene Alterität. Insofern alle Potentialität entsprechend dem Wesen der Gottheit als Liebe aktual geworden ist, ist sie als Existierende nicht durch Notwendigkeit, sondern durch zu Freiheit gewandelter Notwendigkeit. Da die Potentialität als notwendige Voraussetzung damit nicht vernichtet, sondern verklärt wird, kann Gott als Existierender, mithin als Geist im ewigen Werden, als vollkommene, aber unabgeschlossene Erhebung der Unbestimmtheit in die Bestimmung durch sein Wesen gedacht werden.⁷¹ Auf der anderen Seite lässt sich die Gottheit, wie Schelling sie konzipiert, insofern als Absolutes bezeichnen, als sie die selbstanfängliche „absolute Identität beider Principien“ (SW VII, S. 409) ist. Außer der spontanen Ineinsbildung, die zur Gottheit im engeren Sinne führt, also zu „Gott als Geist“, zählen zum Absoluten nach dieser Argumentation auch die Selbstanfänglichkeit des Hervorbrechens der Differenz, wodurch das anfängliche Ur-Wesen „in seinen zwei Wirkungsweisen sich wirklich in zwei Wesen scheidet“ (SW VII, S. 409 [Hervorhebung L.E.]), sodass drei prozessual verfasste Momente des Absoluten gedacht werden. Das Unbedingte wird damit zum Urwesen das sich unzeitlich entwickelt,⁷² mithin zum Subjekt einer Theogonie (vgl. SW VIII, S. 199), deren prozessual drittes Stadium der vollkommenen Realisierung der Gottheit als absolute Persönlichkeit entspricht. Anders als der substantiell gedacht Gott, der schlechthin nicht nicht sein kann,⁷³ weil er, was er ist, durch reine Notwendigkeit, ohne jeden Willen ist – und auch entgegen einem rein idealistischen Gott, der durch ein schlechthin voraus-
Vgl. zur absoluten Freiheit in Schellings Spätphilosophie und im Besonderen zur Freiheit gegenüber dem eigenen Ursein, welches Gott „aus seinem Anfang herausgehend in ein begreifliches verwandelt“, Beierwaltes , S. . Vgl. zu Schellings und Plotins Gottesbegriff als „absoluter, sich selbst wollender Wille“ Beierwaltes , S. – , der sich hierbei insbesondere auf Schellings Philosophie der Offenbarung (SW XIV, S. u. S. ) bezieht. Vgl. zum zeitlosen Werden der Gottheit als absolutem Geist in der Spätphilosophie Beierwaltes , S. . Vgl. SW XIII, S. : „Aber eben dieser vollkommen vergeistigte war zuvor der blind seyende, und nur insofern er durch das blinde Seyn hindurchgegangen, und in diesem alles Nothwendige erduldet hat, endlich von diesem Seyn abgeschieden ist – also nicht unmittelbar, nicht absolut, sondern nur, als der vom Seyn abgeschieden ist – ist er der geistige Gott.“ Vgl. Schelling , S. f.: „Gott ist das Gegentheil des Nichtnichtseinkönnenden“.
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setzungsloses Selbstdenken nur sein Selbstdenken denken kann respektive nur seinen eigenen Willen wollen kann, denkt Schelling einen Gott als Einheit von Freiheit und Notwendigkeit, der als die vollkommene Verwirklichung seines eigenen Wesens gedacht wird.⁷⁴ Mit der Liebe als Begriff von Identität wird von Schelling ein Gott gedacht, der seinem Wesen entsprechend Einheit nicht durch Seinsmacht, sondern durch freie Hinwendung anstrebt, die darum auch die Freisetzung der Ideen in den unabhängigen Grund und damit Schöpfung begründen kann. Denn mit der Ineinsbildung als Hervorhebung der Einheit aus der Unbestimmtheit bleibt zum einen die unabhängige Bewegung des Grundes bestehen, die in ihr nur überformt ist, in der Zurücknahme der Formung aber jederzeit wieder formlos wirken kann. Die Möglichkeit des frei wirkenden Grundes als Grundlage der Natur ist damit in diesem Gottesbegriff verbürgt. Zum anderen lässt sich mit ihm die Schöpfung auch als freie Tat, motiviert durch die göttliche Liebe begründen. Wenn freie, eigenständige Wesen sich zum Göttlichen hinwenden, so geschieht dies in größerer Freiheit – und damit in einer intensiveren Ausprägung von Liebe – als wenn die Ideen im göttlichen Verstand auf das Höchste gerichtet sind.⁷⁵ Mit diesem Identitätskonzept wird es Schelling also möglich, der Gottheit im System die dreifache Funktion zuzusprechen, zugleich Freiheitsgarant individueller Freiheit zu sein, der auch das Böse möglich sein lässt, um die Freiheit als Voraussetzung der Liebe nicht zu vernichten,⁷⁶ wirkende Freiheit zu sein, die als solche der Schöpfung im Sinne der Freilassung fähig ist und Ideal und Maß der wahren, friedlichen Einheit, mithin das Höchste.⁷⁷
Vgl. zur Ohnmacht des aristotelischen Geistes (νόησις νοήσεως) SW XIII, S. ; Schulz , S. . Diese Argumentation orientiert sich am plotinischen Verhältnis von Einem und Geist: Nach Beierwaltes , S. zeichnet sich das plotinische Eine gegenüber der aus ihm hervorgegangenen („Hervorgang“ = πρόοδος) ersten Differenz, dem Geist, durch sein „Verharren“ (μονή) aus. Der Geist erwirkt in seiner „Hinwendung“ (ἐπιστροϕή) zum Einen aus der Differenz heraus eine „intensivere[n] Form von Einheit“. Welches „Wagnis“ die Gottheit „mit dem Selbstverzicht der grenzenlosen Macht“ (Jonas , S. ) eingeht, thematisiert Hans Jonas in unübersehbarer Nähe zur schellingschen Schöpfungskonzeption in seiner Schrift Materie, Geist und Schöpfung (Jonas , S. – ). Vgl. zur ethischen Konsequenz dieses Ansatzes Jonas . Vgl. SW X, S. : „Nun müssen wir uns erinnern, daß jenes höchste Subjekt zwar an sich nur Eines ist, aber im Verhältniß zu den zwei Seiten des jetzt vollendet vor uns stehenden Universums unter drei Gestalten gedacht werden kann; denn es ist, eben weil das Höchste, und weil alles unter ihm, ebensowohl das Letzte, final Hervorbringende der Natur, der realen Welt, als es Herr der geistigen, der idealen Welt und wieder das beide Vermittelnde, als eins unter sich Begreifende ist.“
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Die qualitative Differenz Denn gerade in diesem Begriff der Schöpfung müssen die Mittel liegen, die Freiheit des Menschen mit der göttlichen Kausalität, mit der göttlichen Allmacht, zu vereinigen. Denn wenn alles durch Notwendigkeit entstünde, wie sollte da eine Freiheit hervorgehen? […] In dem Begriff der Schöpfung wird durchaus gesagt, daß ein vom Schöpfer unabhängiges, für sich Bestehendes hervorgebracht werde. (Schelling 1992, S. 215)
Das Verständnis des Bösen als Freiheitsmissbrauch hat zur Konsequenz, dass die endliche Freiheit ontologisch in ihrer Eigenständigkeit vom Absoluten gedacht werden muss. Der Freiheit des Menschen muss das Vermögen zu einer Gott widerstrebenden Freiheitstat eignen.Wenn dieser Freiheitsvollzug unter einem nicht relativen Maß stehend gedacht werden soll, kann die menschliche Freiheit in ihrer moralischen Ambivalenz nicht als höchster Zweck begriffen werden. Beide Aspekte werden von Schelling systematisch vereint, indem der Gesetzgeber der kosmischen Ordnung in den Philosophischen Untersuchungen nicht als principium gedacht wird, der das Ganze beherrscht,⁷⁸ obwohl er den wahren Maßstab für das Ganze verbürgt. Die dabei ausgeführte Einschränkung der Herrschaft des Göttlichen, die zugleich die Freigabe des endlichen Werdens in seiner Eigenständigkeit ist, wird von Schelling über den Schöpfungsgedanken einer Selbstzurücknahme des Göttlichen im System verankert. Er lässt die Eigenständigkeit der endlichen Freiheit vom Absoluten denken und garantiert zugleich ein nicht durch den Menschen zu relativierendes Maß. Neben dieser Funktion der Schöpfung in der Freiheitsschrift gilt es aber auch zu bedenken, dass die Schöpfung ein Zentralbegriff in der Kontroverse mit Fichte bildet.⁷⁹ Fichte behauptete im Jahr 1806 in der Anweisung zum seeligen Leben, anhand des Johannesevangeliums nicht nur nachweisen zu können, dass „eine Schöpfung […] sich gar nicht ordentlich denken“ (FGA I,9, S. 118; vgl. FGA I,5, S. 433; FGA I,6, S. 296) lasse, sondern auch, dass ein solcher Gedanke zudem nicht eigentlich christlich sei.⁸⁰ Dass Schelling in den Philosophischen Untersuchungen den Begriff der Schöpfung aufnimmt und sich wie Fichte dabei auch auf den
Dass das Absolute als vollkommene Seinsmacht gedacht der menschlichen Freiheit widerstreitet, betont Schelling bereits in den Philosophischen Briefen (AA I,, S. u. S. / SW I, S. u. S. ) und wiederholt diesen Gedanken in den Philosophischen Untersuchungen (SW VII, S. ). Vgl. zur Bedeutung des Johannesevangeliums für den Deutschen Idealismus Schulze , S. – ; zur Auseinandersetzung zwischen Schelling und Fichte um das Absolute in Bezug zum Johannesprolog Danz , S. – . Vgl. ferner Pannenberg , S. . Vgl. FGA I,, S. f.: „Aus Unkunde der, im bisherigen von uns aufgestellten Lehre, entsteht die Annahme einer Schöpfung; als der absolute Grund=Irrthum aller falschen Metaphysik, und Religionslehre, und insbesondere, als das Ur=Princip des Juden= und Heidenthums.“
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Johannesprolog bezieht, kann als direkte Entgegnung auf Fichte aufgefasst werden.⁸¹ Ihrer philosophischen Bestimmung nach versteht Schelling unter Schöpfung im Jahr 1809 eine freie Tat Gottes als absoluter Persönlichkeit, die weder notwendig ist,⁸² noch willkürlich, die sich aber entgegen der fichteschen Behauptung durchaus spekulativ begründen lässt. So wie Schelling es vermeidet, Gott als ein Prinzip zu denken, welches mit Notwendigkeit ist, was es ist, so ist er zugleich bemüht, die absolute Persönlichkeit nicht in einen maßlosen Willen zu verwandeln, sondern beide Extreme in dem Begriff der Person zu vermitteln. Die freie Tat der Schöpfung ist darum, obzwar sie Tat, und daher nicht deduzierbar ist, sondern auch nicht hätte sein können, gleichwohl nachvollziehbar, weil sie Gründe hat, die nicht arbiträr sind, sondern sich vom Wesen des Absoluten selbst herschreiben: Gott gibt die Ideen, die in ihm ohne selbständiges Leben waren, dahin in die Selbstheit und das Nichtseyende, damit, indem sie aus diesem ins Leben gerufen werden, sie als unabhängig existirende wieder in ihm seyen. (SW VII, S. 404)
In der Freiheitsschrift wird die unabhängige Existenz als Zweck der Schöpfungstat aufgerufen. Denn Gott, so betont Schelling, „kann nur sich offenbar werden in dem, was ihm ähnlich ist, in freien aus sich selbst handelnden Wesen“ (SW VII, S. 347). Die Liebe setzt Freiheit voraus. Das göttliche Wesen kann sich demnach nur zeigen in selbst freien Wesen. Dass zwei voneinander Unabhängige „durch Liebe eins werden“, ist daher nicht nur das Motiv für die Ur-Teilung der absoluten Prinzipien, welche es ermöglichen, dass Gott „persönliche Existenz“ (SW VII, S. 408) wird, sondern auch Motiv der Gottheit, freie Wesen sich gegenüber sein zu lassen (vgl. SW VII, S. 375).
Vgl. FGA I,, S. : „Im Anfange – Schuf Gott: heben die heiligen Bücher dieser Religion an; Nein, im direkten Widerspruche, und anhebend mit demselben Worte, und statt des zweiten, falschen, an derselben Stelle das Rechte setzend, um den Widerspruch herauszuheben, – nein, sagt Johannes: im Anfange, in demselben Anfange, wovon auch dort gesprochen wird, d. h. ursprünglich und vor aller Zeit, schuf Gott nicht, und es bedurfte keiner Schöpfung, – sondern es – War schon; es war das Wort – und durch dieses erst sind alle Dinge gemacht.“ Dass die Existenz der Welt von einem Willen und nicht von logischer Notwendigkeit abhängt, betont Schelling auch in den Stuttgarter Privatvorlesungen, wenn er sagt: „Dieser Akt der Einschränkung oder Herablassung Gottes ist freiwillig. Es gibt also keinen Erklärungsgrund der Welt als die Freiheit Gottes. Nur Gott selbst kann die absolute Identität seines Wesens brechen, und dadurch Raum zu einer Offenbarung machen.“ (SW VII, S. ) Vgl. die Bedeutung dieses Gedankens in der Kritik an Hegels Naturkonzeption als Entschluss der Idee und „Abfall der Idee“ Schelling , S. u. S. .
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Da mit dem Begriff der Einheit als Liebe betont wird, dass die Einung auf Freiwilligkeit beruht, insofern „in jener nicht Entgegengesetzte verbunden werden, die der Verbindung bedürfen, sondern solche, deren jedes für sich seyn könnte“ (SW VII, S. 174), bringt diese Freiheit die Möglichkeit des Bösen notwendigerweise mit sich. Dieses Vermögen zum Bösen, so Schellings Begründung über den Begriff der Liebe, sei unabkömmlich, wenn der Mensch die Freiheit zum Guten, mithin die Möglichkeit einer freien Hinwendung zum Göttlichen haben soll. Die Schöpfung wird ihrem philosophischen Gehalt nach als Rückverwandlung der göttlichen Wesenshinsichten in voneinander unabhängige aber zueinander affine Ursachen gedacht. Die Eigenständigkeit der zwei Ursachen des endlichen Werdens wird dabei in der Freiheitsschrift über die Zweistufigkeit der Schöpfungstat veranschaulicht, bei der die Formung dem freien Wirkenlassen des Grundes nachfolgt, sodass dieser den Anfang des endlichen Werdens darstellt, der als das, was allem Werden zu Grunde liegt, die zu systematisierende und organisierende Basis gibt.⁸³ Die freie Tat der Schöpfung wird also in zwei Schritten gedacht, nämlich zunächst im „Wirkenlassen“ des an sich regellosen Willens der Gottheit „in seiner Freiheit“ (SW VII, S. 375 u. S. 404) und sodann in der freien Bindung des frei wirkenden Grundes an das in Gottes Verstand Vorgesehene. Indem der Grund zunächst aus der göttlichen Identität entlassen wird, unterliegt er nicht mehr der vollkommenen Bestimmung durch die Gottheit. Der erste Schritt ist damit im Wesentlichen die Rücknahme der göttlichen Verklärung und Formung des Grundes – und damit die Wiederherstellung der Unbestimmtheit des Grundes, der in Gott als Geist zwar vollkommen bestimmt ist, aber dennoch eigenständig fortlebt. Den zweiten Schritt veranschaulicht Schelling sodann mit dem Bild des Einsprechens des Logos,⁸⁴ als die vor der Schöpfung in Gott seiende Bestimmung der Welt in den frei wirkenden Grund. Das Wirkenlassen des Irrationalen und seine intentionale Bindung an die seinsollende Weltordnung durch das Einsprechen des Logos kann gemeinsam als Schöpfung einer Seinssphäre verstanden werden, in welcher die Identität der zwei in Gott verfügten Prinzipien zurückgenommen ist und damit die Differenz und Eigenständigkeit beider stärker hervor tritt.⁸⁵ Das freie Wirken des Grundes ist durch den eingesprochenen Logos zwar
Vgl. zur dieser Konzeption des Anfangs Habermas , S. f. Wird das Einsprechen als kontinuierliches gedacht, so lässt sich die Offenbarung als Aspekt der Schöpfung begreifen (vgl. SW VII, S. ). Vgl. zum Grundgedanken des Verhältnisses von Identität und Differenz im „Akt der creatio“ Beierwaltes , S. .
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gehalten, nicht aber beherrscht.⁸⁶ – Dies bildet die systematische Grundlage des Begriffs der Selbstorganisation der Natur.⁸⁷ Insofern die Tat der Schöpfung darin besteht, dass in das Unbestimmte „der Urtypus der nach dem Wesen Gottes allein möglichen Welt“ (SW VII, S. 398), der Logos, eingesprochen wird, ist das Unbestimmte in der Natur immer schon auf die Ermöglichung der einen Welt ausgerichtet, weshalb das Böse in der Natur nicht selbständig entstehen kann. Dem Mitprinzip an sich aber wird zugesprochen, dass es „eine Unendlichkeit von Möglichkeiten“ bereithält. Diese latente Potentialität zu allem, nämlich auch zu dem, was dem Gottgewollten widerstreitet, bleibt damit bestehen, und kann – so der entscheidende Punkt – im und durch den Menschen aktiviert werden, womit der Mensch gleichsam hinter die Schöpfungstat zurückgreifen kann. Mit dieser philosophischen Ausformulierung des Schöpfungsgedankens wird also angesetzt, dass die Wesenshinsichten, die in Gott als Existierendem in einem vollkommenen Verhältnis sind, wieder zu relativ voneinander unabhängigen und damit von Gott als existierendem absoluten Geist unterschiedenen Ursachen werden. Zugleich wird mit dem Umstand, dass Schelling den theologischen Gedanken der Schöpfung aufruft, um die unabhängige Natur als Grundlage menschlicher Freiheit konzeptionell zu betonen, deutlich, dass die Endlichkeit nach Schellings Verständnis 1809 kein defizitärer Zustand mehr ist. Die endliche Existenz gilt es nicht zu überwinden, vielmehr ist sie – da die Schöpfung allein aufgrund des göttlichen Willens zu ihr ist – gewollte Unvollkommenheit, die Schelling über die Freiheit als Voraussetzung der Liebe begründet. Deutlich wird die damit vollzogene Selbstrevision von Schelling im System der Weltalter formuliert, wo er in direkter Bezugnahme auf seine eigene Theorie von einem Abfall in der Schrift Philosophie und Religion schreibt: „Verkehrt ist also die Ansicht die Natur als Abfall von der göttlichen Idee zu denken. Hier ist etwas reelleres als blose
Auch bei Platon herrscht die Vernunft „über die Notwendigkeit“ nicht durch Seinsmacht, sondern „dadurch […], daß sie sie überredete, das meiste des im Entstehen Begriffenen dem Besten entgegenzuführen“ (PW, Tim a). Zur Beurteilung einer Philosophie, die von Schelling ausgehend, der Materie eine ihr inhärierende Formungskraft zuspricht, darf nicht vergessen werden, dass dieser eine solche nach Schelling nur zukommt auf Grundlage der Schöpfungskonzeption, die als Freilassen des Grundes (vgl. SW VII, S. ) und als Akt des Einsprechens des Wortes in die Materie, des logos als Zweck, Ordnungs- und Einheitsprinzip (vgl. S. ) konzipiert ist. Der Grund als Prinzip der Partikularisierung ist aus sich selbst heraus nach Schelling keiner Einheit fähig. Vgl. AA I,, S. / SW II, S. : „Diese beyden streitenden Kräfte zusammengefaßt, oder im Conflict vorgestellt, führen auf die Idee eines organisirenden, die Welt zum System bildenden, Princips. Ein solches wollten vielleicht die Alten durch die Weltseele andeuten.“
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Idee, das Freiwerdende ist das von Gott Beabsichtigte und Gewollte“ (Schelling 1990, S. 170). Schelling unterscheidet im absoluten, göttlichen Selbstbewusstsein zwei Momente, nämlich das „Wesen, sofern es Grund ist und inwiefern es existirt“ (SW VII, S. 406) und merkt zu dieser Unterscheidung, die als Fundament der ganzen Untersuchung dient (vgl. SW VII, S. 373), an, dass das Nichts, welches „nun schon lange das Kreuz des Verstandes“ sei, „durch die obige Unterscheidung zuerst eine positive Bedeutung bekommen möchte.“ (SW VII, S. 373 Anm.) Aber erst mit der Schöpfung wird dieses Mitprinzip des endlichen Werdens, das μὴ ὂν, wieder – wie prozessual vor der Einung der „zwei ewigen Anfänge“ zum göttlichen Geist – zu einem von Gott als Existierendem eigenständigen Prinzip der Bewegung, welches auch Böses mit ermöglicht. Mit der Engführung des Grundes mit dem „berühmte[n] μὴ ὂν der Alten“ (SW VII, S. 373 Anm.) interpretiert Schelling die creatio ex nihilo als Organisation des freigelassenen Chaos (vgl. SW VII, S. 373 Anm.). Das Chaos wird dabei aber nicht als das gänzlich Unverständige gedacht, sondern in Affinität zum Verstand, nämlich als das,was vom Verstand zur Ordnung gebracht werden kann, aber in der creatio continua immer noch über die Ordnung hinaus regellos wirkend belassen ist, sodass in seinem freien Wirken immer auch die Tendenz des Grundes fortbesteht, sich als Grund zu bewahren.⁸⁸ Der ontologische Unterschied des endlichen Werdens zum vollkommenen Werden der Gottheit besteht in dieser kontraktiven Kraft des Grundes, wodurch die Ursachen immer auch unabhängig voneinander bleiben, sodass keine vollkommene Einheit beider, sondern nur partikulare und temporäre Identitäten entstehen. Diese relative Unabhängigkeit ermöglicht ein freies Zusammenspiel der Ursachen, wodurch im endlichen Werden nichts aus reiner Notwendigkeit – sei es physischer oder metaphysischer –, vielmehr allem etwas Kontingentes und damit ein Spielraum der Freiheit mitgegeben ist, sodass an seiner statt anderes hätte realisiert werden können.⁸⁹ Es bedeutet aber zugleich, dass die irrationale Basis nie ganz verklärt ist, und damit im Existierenden immer auch etwas bleibt, das nicht durch Freiheit, sondern durch blinde Notwendigkeit ist und daher nicht der
Dieses Hinaus-Sein des Grundes über jede endliche Form lässt sich über die Wesensbestimmung des Grundes als die Sehnsucht Gott zu gebären erläutern. Indem der Grund auf die Realisierung des Göttlichen aus ist, kann es sich in keinem Aspekt der Gottheit ganz wiederfinden und sehnt sich nach Höherem (vgl. SW VII, S. : „Der Wille des Grundes muß in seiner Freiheit bleiben, bis daß alles erfüllt, alles wirklich geworden sey“). Dies entspricht der Definition, die Dalferth von der Kontingenz gibt: „Daß an ihrer Stelle und das heißt: unter identischen Bedingungen auch etwas anderes sein könnte, zeichnet Kontingentes gegenüber Möglichem wie Notwendigem aus.“ (Dalferth , S. )
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Bestimmung, sondern dem Zufall entspricht. Für die endlichen Wesen bleiben Grund und Bestimmung also immer auch als unabhängig von ihnen wirkende Ursachen bestehen – oder, anders gesagt: Das Existierende ist gegenüber den Ursachen des Werdens Eigenständiges, mithin Selbstheit. Die Endlichkeit wird also wesentlich durch zwei Momente bestimmt, nämlich dadurch, dass der Grund immer auch unabhängig von seiner Verklärung im Existierenden, d. h. der Ineinsbildung oder Formung durch sein Organisationsprinzip weiter wirkt und damit die Organisation der Lebewesen nicht mit Notwendigkeit und nur partikular wirklich ist, wodurch Unbestimmtes bleibt. Der in Gott durch seine Vollkommenheit gemilderte, Kontingenz ermöglichende, aber vollkommen integrierte Grund zeigt sich so im endlichen Werden als dasjenige, was nicht nur Mitprinzip des endlichen Gewordenen ist, sondern ihm immer auch äußerlich bleibt. Es ist als Existenzbedingung derjenige Aspekt der Existenz, den der Mensch als endliches Wesen schlechthin „nie in seine Gewalt“ bekommt, „ob er gleich im Bösen darnach strebt“ (SW VII, S. 399). Im endlichen Werden bleibt deshalb, weil die endlichen Wesen aus dem unabhängig wirkenden Grund sind, und wesenhaft unvollkommen bleiben, immer auch Unbestimmtheit. Dieser für die eigenständige Ineinsbildungskraft des Existierenden unverfügbare Grund, mithin das vom Verstand her betrachtete Irrationale, ist damit das Signum der Endlichkeit: Es ermöglicht als Eigenständigkeit die Freiheit des Endlichen und bewirkt zugleich „die allem endlichen Leben anklebende Traurigkeit“ (SW VII, S. 399), seine Unvollkommenheit und Vorläufigkeit. Wie Platon im Timaios so differenziert auch Schelling drei Seinsarten, nämlich das Existierende als „das, was wird“, den Grund von Existenz als „das, worin es wird“ und den Logos, das von Gott her Gewollte, die Bestimmung, als „das, woher nachgebildet das Werdende geboren wird“ (PW, Tim 50d). Schelling unterscheidet das Existierende dabei nach Art der Bindung der zwei Ursachen, wobei sich die Lebewesen dadurch auszeichnen, dass diese Bindung lebendig ist und sie damit wesentlich Seele sind (vgl. SW VII, S. 362). Weil auch das menschliche Selbstbewusstsein auf diese Weise Gewordenes, mithin Endliches ist, sind zwar in ihm die eigenständigen Ursachen wieder Momente seines Wesens, aber wie in allem endlichen Leben nur auf partikulare Weise, sodass ein regellos frei wirkender Grund bleibt, wodurch der Mensch, anders als Gott, sich nie zum „vollkommenen Akt“ erheben kann, weil er das irrationale Prinzip nie vollständig rationalisieren kann, sondern dieses seinem Verstand, obgleich er es vielfach formt, immer auch unverfügbar bleibt. Mit der Schöpfung werden die Wesenshinsichten des Absoluten – als absolute Persönlichkeit –, die Schelling als Willensformen denkt, kosmologisch erweitert. Natur und Mensch werden vom Willen her gedacht und damit als spezifische Ausprägungen von Freiheit. Nicht nur die geistige Selbstbestimmung, sondern
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auch das Begehren wird als Willensäußerung, nämlich als trüber Wille verstanden und solcherart als eine Form von Freiheit. Schelling identifiziert das irrationale Prinzip als Mitprinzip des Werdens nicht mit der Ursache des Bösen und betont, dass diesem der göttliche Logos, als immanentes Telos, so eingesprochen wurde, dass sich die Natur von sich aus nach diesem tendenziell ausrichtet, mithin dieses begehrt und anstrebt. In diesem freien Streben nach dem eingesprochenen Logos liegt nach Schelling daher die Freiheit der Natur,⁹⁰ die als Bewegung Selbstorganisation ist. Erst im Geist des Menschen tritt nach Schelling wieder die reine Unbestimmtheit des Grundes hervor,⁹¹ und damit die passive Möglichkeit, nicht nur die in Hinblick auf Gott allein mögliche Welt und ihre Ordnung zu wollen – mithin dem Universalwillen zu folgen –, sondern, entsprechend der Sehnsucht, das Potential alles zu wollen – und damit auch die Möglichkeit den Universalwillen zu verneinen. Der „Mensch ist“ in dieser Hinsicht „der große Freigelaßene der Schöpfung“ (Schelling 1990, S. 170), wie Schelling im System der Weltalter von 1827/28 betont. Für die Bestimmung der Irrationalität des Mitprinzips ist es daher zwingend, seine Ausprägung in der Natur von der in Gott und im Menschen zu differenzieren: Bietet der Grund in der Natur nur die Möglichkeit für die gottgewollte Welt, gibt er unzeitlich prozessual vor Gott als Existierendem und wieder im Menschen „die Möglichkeit mehrerer Welten“ (SW VII, S. 398). Das irrationale Mitprinzip des Werdens ist damit allererst im Bösen das Werkzeug für eine von Gott nicht gewollte Welt – insofern Gottes Wesen, als Motiv der Freilassung des Grundes, aber noch im Bösen fortwirkt, kann das Böse als Missbrauch der durch die Güte Gottes gewährten Freiheit begriffen werden: Mit dem Bösen wird damit die Freiheit in Anspruch genommen, die aus dem göttlichen Wesen resultiert, und zwar zur Verwirklichung eines diesem Wesen widerstreitenden Zwecks. Dass die Aufwertung der Endlichkeit im System in der Freiheitsschrift Teil einer systematischen Neuausrichtung ist, die hier keineswegs ihren Abschluss
Vgl. SW VII, S. : „Allein daß Gott die unordentlichen Geburten des Chaos zur Ordnung gebracht und seine ewige Einheit in die Natur ausgesprochen, dadurch wirkte er vielmehr der Finsterniß entgegen, und setzte der regellosen Bewegung des verstandlosen Princips das Wort als ein beständiges Centrum und ewige Leuchte entgegen“; S. : „Der Wille des Grundes muß in seiner Freiheit bleiben“.Vgl. zur Freiheit des Grundes in der Natur SW VII, S. , S. u. S. . Vgl. SW VII, S. : „Im Menschen ist die ganze Macht des finstern Princips und in eben demselben zugleich die ganze Kraft des Lichts“. Nach Habermas ist die Konstruktion des Menschen als das andere Absolute „das eigentliche Thema der Weltalterphilosophie“ (Habermas , S. ).
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gefunden hat, zeigt sich daran, dass der Grundgedanke einer Schöpfung zur ontologischen, aber nicht normativen Aufwertung des Nicht-Seienden bis in die Spätphilosophie grundsätzlich von Schelling beibehalten wird: Trat sie in den Philosophischen Untersuchungen als Wirkenlassen des Grundes und Einsprechen des Logos in diesen hervor, so wird sie in den Stuttgarter Privatvorlesungen und den Weltalter-Schriften über den kabbalistischen Gedanken einer Kontraktion Gottes formuliert und in der Spätphilosophie dann als ein In-Spannung-Setzen der Potenzen gedacht.⁹² Trotz der unterschiedlichen konkreten Ausformulierungen der Konzeption Schöpfung wird dabei der Grundgedanke der Bewirkung einer Disjunktion der zwei in Gott gedachten Wesenshinsichten oder Potenzen von der Freiheitsschrift ausgehend wirkmächtig. Bei dieser Bedeutung der Philosophischen Untersuchungen für die Spätphilosophie Schellings darf aber nicht vergessen werden, dass, anders als die bleibende Verschiebung des ontologischen Verhältnisses von Absolutem und Endlichem, die konkrete Konzeption der Schöpfung und der Unverfügbarkeit des transzendenten Absoluten in der Freiheitsschrift nur vorläufige Ergebnisse sind. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Frage nach der Funktion des Irrationalen. Schelling deutet das irrationale Mitprinzip des endlichen Werdens in der Philosophie der Offenbarung – erneut in Auseinandersetzung mit Platons Timaios – als das „reine Dass, vor dem das Denken verstummt“, welches die Geschichtlichkeit als das Spezifikum der Endlichkeit ermöglicht, sodass Schelling nun auch bei Platon im Timaios-Dialog und parallel zu seiner Inaugurierung der positiven Philosophie ein Durchbrechen Platons ins Positive findet.⁹³ Diese Relevanz, über die Ermöglichung eines neuen Geschichtsdenkens eine ganze Philosophie mit zu gestalten, wird dem Irrationalen als Mitprinzip des endlichen Werdens in der Freiheitsschrift nicht zugesprochen. Das irrationale Prinzip steht hier auch nicht als solches im Vordergrund, sondern zeigt sich als Nebenprodukt der Erörterung
Die Kontraktion Gottes in den Weltaltern kann nach Habermas als Selbstzurücknahme Gottes verstanden werden zur „Freigabe des eigenen Platzes für ein anderes“ (Habermas , S. ). Hierin liegt die Bedeutung des Schöpfungsgedankens der schellingschen Weltalterphilosophie für das Denken des endlichen Werdens (vgl. Habermas , S. – ).Vgl. SW XI, S. : „Denn dieselben Potenzen, in deren Einheit Gott Ist und sich offenbart – eben diese in ihrer Disjunction und im Proceß sind außergöttliche, bloß natürliche Mächte, in denen Gott zwar nicht überall nicht, aber doch nicht nach seiner Gottheit, also nicht nach seiner Wahrheit ist. Denn in seinem göttlichen Selbst ist er Einer und kann weder Mehrere seyn noch in einen Proceß eingehen.“ Vgl. zur Kontraktion Gottes ferner Dörendahl , S. – . Vgl. SW XIII, S. : „[I]m Timäos wird Platon geschichtlich, und bricht, freilich nur gewaltsam, ins Positive durch, nämlich so, daß die Spur des wissenschaftlichen Uebergangs kaum oder schwer zu entdecken ist – es ist mehr ein Abbrechen vom Vorhergegangenen (nämlich dem Dialektischen) als ein Uebergehen zum Positiven.“
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der endlichen Freiheit über die Konzeption des Bösen als endlicher Freiheitstat. So geht die mit dem Irrationalen verbundene Fragerichtung im Jahr 1809 nicht auf die Geschichte als solche, wenngleich sie über die Frage des Bösen auf diese bezogen ist, sondern zielt in Anbetracht des prekären Status des Endlichen auf die höhere Einheit von Verstand und Irrationalem. Die mit dem Irrationalen funktional verbundene Intention der Freiheitsschrift scheint daher eher darin zu bestehen, den kantischen Dualismus von Subjekt und Ding an sich ins Freiheitssystem zu integrieren, ohne das Ding an sich ontologisch zum Nicht-Ich zu degradieren, und weniger in der daran anschließenden Frage, welche Konsequenz diese Art von Aufwertung des Nicht-Rationalisierbaren für das Denken der Endlichkeit selbst hat.
4.1.3 Die Einheit des Systems und sein Einheitsgarant Mit dem Irrationalen als regelloser Tätigkeit, unabhängig von der menschlichen Verstandesbestimmung, nimmt Schelling das kantische Ding an sich auf und integriert es in das System der Freiheit.⁹⁴ Dieser Vorgang selbst unterscheidet sich mithin nicht von der fichteschen Integration des Ding an sich unter dem Titel Nicht-Ich in das transzendentalphilosophische System der Intelligenz, wohl aber die Art dieser Integration und der damit ausgewiesene Einheitsgarant des Systems. Für den frühen Fichte wie für den Schelling der Freiheitsschrift stehen das Nicht-Ich respektive der Grund als Nachfolgefiguren des Ding an sich für eine dem verständigen Denken gegenüber komplementäre Richtung der Tätigkeit des Wollens. Dieses Andere der Verstandestätigkeit wird von Fichte als Einschränkung des absoluten Ich gedacht und bleibt insofern abhängig von diesem,⁹⁵ während
Vgl. zu Schellings Diskussion des kantischen Ding an sich SW X, S. f.: „Wenn jener intelligible Grund, den Kant das Ding an sich nennt, eigentlich die bloße Materie, den Stoff zu unsern Vorstellungen hergibt, welcher dann erst in der transscendentalen Synthesis der Apperception, wie Kant diese Operation nennt, auf jeden Fall also erst in dem Subjekt jenes Gepräge des Verstandes annimmt, welches wir in ihm voraussetzen müssen, wenn er Gegenstand eines objektiven Urtheils seyn soll, so fragt es sich, ) wie jener intelligible Grund an das Subjekt komme, auf dasselbe wirke, ) wie sich dieser Stoff so willig der Verstandesform füge, ) woher dem Subjekt diese Gewalt über den Stoff komme.“ Weil dieses Unbedingte über die Selbstanschauung in der intellektuellen Anschauung aufgefunden wird, kann Schelling sagen, dass Fichte nur das „menschliche[s] Ich“ als das Absolute denkt. Diesen Gedanken führt er in den Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie folgendermaßen aus: „Fichte faßt nicht etwa das Ich als allgemeines oder absolutes, sondern nur als menschliches Ich auf. Das ich, als das sich ein jeder in seinem Bewußtseyn findet, ist das
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Schelling das Andere als Eigenständiges gegenüber dem Verstand und in unabhängiger Tätigkeit von diesem ansetzt.⁹⁶ Schellings Konzeption des Grundes kann aufgrund dieser Differenz des ontologischen Status des Irrationalen als Gegenkonzept zu Fichtes Nicht-Ich in der Kantnachfolge bezeichnet werden (vgl. Hutter 1996, S. 280 f. u. S. 284). So nehmen zwar Fichte und Schelling beide den kantischen Dualismus von Subjektivität und Ding an sich auf und zeichnen ihn in die Sphäre der Endlichkeit ein, Fichte aber denkt diesen in seiner Frühphilosophie ausschließlich von der Intelligenz her, während Schelling die Dualität gleichermaßen in Natur und Geist ansetzt und ihre Einheit in einem transzendenten Absoluten verortet. Mit der ontologischen Aufwertung der Endlichkeit und dem Irrationalen als Mitprinzip des endlichen Werdens in Folge des Strebens, das Böse in seiner Positivität zu denken, tritt damit das für das menschliche Denken Unverfügbare als denknotwendige Konsequenz in die Systemphilosophie ein. Wie das Ding an sich bei Kant, so bleibt auch der Grund der letztlichen Über-Formung durch den Verstand entzogen und stellt dieserart etwas durch die transzendentalphilosophische Methode nicht vollständig ins System Integrierbares dar. „Es war gezeigt worden, daß die ganze Fichtesche Philosophie ein in Reflexionsaberglauben verhärteter und in formeller Wissenschaft erstarrter Verstand sey“, behauptet Schelling im Jahr 1806 und bezieht sich dabei auf seine Fichtekritik in der Schrift Philosophie und Religion (SW VII, S. 26). Wird die Aufwertung des Irrationalen – gedacht als das, was nicht in Verstand aufzulösen ist – im Kontext dieser Kritik gelesen,⁹⁷ so kann behauptet werden, dass es gerade diese Aufwertung ist, mit welcher Schelling Fichte das Unvermögen der reinen Verstandesphilosophie aufzeigt, zum wahren System der Freiheit zu kommen,⁹⁸ weil einzige wahrhaft Daseyende. Alles ist für jeden nur mit seinem Ich und in seinem Ich gesetzt. Für jeden Menschen ist mit jenem transscendenten, d. h. mit jenem das empirische Bewußtseyn selbst erst bedingenden und ihm daher vorausgehenden Akt, mit diesem Aktus des Selbstbewußtseyns ist für jeden Menschen das ganze Universum zumal gesetzt, das eben darum nur im Bewußtseyn da ist.“ (SW X, S. ) Vgl. Rücker , Sp. : „Wird der zunächst als irrational geltende Bereich des Ding an sich in eine absolute philosophische Vernunft aufgehoben, taucht das Problem des Irrationalen auf einer anderen Ebene, auf der des Nicht-Absoluten, Besonderen, Individuellen wieder auf. So bezeichnet Schelling das Nicht-Absolute, das Zufällige als irrational.“ Vgl. ferner SW VIII, S. : „Der Idealismus ist das allgemeine System unserer Zeiten, der eigentlich in der Leugnung oder Nichtanerkennung jener verneinenden Urkraft besteht.“ Vgl. die Bedeutung des Ding an sich als Grenzbegriff bei Kant: „Der Verstand begrenzt demnach die Sinnlichkeit, ohne darum sein eigenes Feld zu erweitern, und indem er jene warnt, daß sie sich nicht anmaße, auf Dinge an sich selbst zu gehen, sondern lediglich auf Erscheinungen, so denkt er sich einen Gegenstand an sich selbst, aber nur als transscendentales Object,
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diese das Irrationale notwendigerweise leugnen muss und in Folge davon die Freiheit des Menschen nicht wahrhaft denken kann, wie die Depotenzierung des Bösen nach Schelling anzeigt. Ausgehend von der Erörterung des Bösen gibt Schelling damit einen systematischen Grund, über die Transzendentalphilosophie hinauszugehen (vgl. SW X, S. 106 f.). Mit der Freiheitsschrift ist der Systemanspruch, mithin die Grundintention des Deutschen Idealismus, die kantischen drei Kritiken und damit theoretische, praktische und ästhetische Vernunft in ein System zusammenzuführen aber keineswegs aufgegeben, obwohl deutlich wird, dass Schelling die Einheit von Verstand und Irrationalem nur spekulativ begründen kann. Insofern also auch bei Schelling das Irrationale das Unverständige und nicht das Unvernünftige bezeichnet, welches als solches die Grenze der Transzendentalphilosophie anzeigt und damit den metaphysischen Ansatz rechtfertigt, kann Schelling trotz der Aufwertung des Unverfügbaren nach einer höheren Einheit beider Prinzipien fragen, sodass das Irrationale nicht notwendigerweise außerhalb des Systems stehen muss. Inwiefern diese Einheit als systematische gelingt, soll in diesem Unterkapitel erörtert werden. Heidegger hat im Jahr 1936 die einschlägige Interpretation der Freiheitsschrift als einer Metaphysik des Bösen geliefert, welche gescheitert sei, und zwar als System. Diese These vom Scheitern lässt sich sachlich mit Heidegger über die Feststellung begründen, Schelling habe mit dem Ausspruch, in „dem göttlichen Verstande ist ein System, aber Gott selbst ist kein System, sondern ein Leben“ (SW VII, S. 399), das System auf den Verstand Gottes beschränkt und das Leben als übergeordnete Kategorie etabliert.⁹⁹ Heidegger argumentiert, ausgehend von diesem Schellingzitat, wie folgt: Wenn aber das System nur im Verstande ist, dann bleibt dieser, der Grund, und die Gegenwendigkeit selbst aus dem System ausgeschlossen als das andere des Systems, und System ist, auf das Ganze des Seienden gesehen, nicht mehr das System. Das ist die
das die Ursache der Erscheinung (mithin selbst nicht Erscheinung) ist und weder als Größe, noch als Realität, noch als Substanz etc. gedacht werden kann […]; wovon also völlig unbekannt ist, ob es in uns oder auch außer uns anzutreffen sei, ob es mit der Sinnlichkeit zugleich aufgehoben werden oder, wenn wir jene wegnehmen, noch übrig bleiben würde. Wollen wir dieses Object Noumenon nennen, darum weil die Vorstellung von ihm nicht sinnlich ist, so steht dieses uns frei. Da wir aber keine von unseren Verstandesbegriffen darauf anwenden können, so bleibt diese Vorstellung doch für uns leer und dient zu nichts, als die Grenzen unserer sinnlichen Erkenntniß zu bezeichnen und einen Raum übrig zu lassen, den wir weder durch mögliche Erfahrung, noch durch den reinen Verstand ausfüllen können.“ (KA III, S. / KrV, B f.) Vgl. Heidegger , S. : „Hier ist das System nur ein Moment der Seynsfuge, der Existenz, zugewiesen. Zugleich wird eine höhere Einheit gesetzt und mit ‚Leben‘ bezeichnet.“
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Schwierigkeit, die in den späteren Bemühungen Schellings um das Ganze der Philosophie immer schärfer heraustritt, die Schwierigkeit, an der er scheitert. (Heidegger 1988, S. 278 f.)
In diesem Zitat wird deutlich, dass nach Heideggers Dafürhalten unter anderem die Konzeption des Grundes vom System ausgeschlossen bleibt, weil sie, wie Schelling selbst betont, nicht im Verstand aufgeht und deshalb nach Heideggers Argumentation mehr und anderes ist als ein Systemimmanentes. Die Frage ins Grundsätzliche verallgemeinert lautet also: Kann Schelling mit der Konzeption des Grundes als Irrationalem, das sich per definitionem nicht in Verstand auflösen lässt, den an seinen ontologischen Entwurf in der Freiheitsschrift gestellten Anspruch, hier handle es sich um ein System der Freiheit, überhaupt noch gerecht werden, oder ist die Spanne von geforderter Totalität respektive Geschlossenheit und der jeder Totalisierung und Vollständigkeit widersprechenden Tätigkeit des irrationalen Prinzips nicht vielmehr unüberbrückbar? Warum Heidegger in seiner Interpretation der Philosophischen Untersuchungen im Jahr 1936 diese Frage damit beantwortet, dass mit der Konzeption des Grundes das System zum Scheitern verurteilt sei, lässt sich systematisch an dem von ihm angesetzten Einheitsgaranten des Systems begründen. Heidegger denkt das für die Freiheitsschrift gültige System als absolutes Vernunftsystem am Paradigma der intellektuellen Anschauung, bei dem „das Absolute das Wissende und Gewußte ist“ (Heidegger 1988, S. 81), und zwar als die „sich selbst wissende Einheit des Seynsgefüges“ (Heidegger 1988, S. 278). Heidegger führt deren Scheitern wie folgt aus: Und dieses Scheitern zeigt sich darin, daß die Momente der Seynsfuge, Grund und Existenz und ihre Einheit, nicht nur immer weniger vereinbar werden, sondern sogar so weit auseinandergetrieben werden, daß Schelling in die starr gewordene Überlieferung des abendländischen Denkens zurückfällt, ohne sie schöpferisch zu verwandeln. (Heidegger 1988, S. 279)
Es ist offensichtlich, dass die Freiheitsschrift dem hier von Heidegger angewendeten Einheitskriterium des Systems, dem absoluten Wissen, nicht genügt, denn der Grund ist nach Schelling selbst im göttlichen Selbstbewusstsein immer mehr als Gewusstes, nämlich unabhängige, wenn auch vollkommen geformte Basis Gottes als Persönlichkeit. Trotz dem Nichtgenügen der Freiheitsschrift in Bezug auf dieses Einheitskriterium ist die Zustimmung zur These vom Scheitern jedoch keineswegs zwingende Schlussfolgerung, denn es ist zunächst einmal fraglich, ob Schelling in den Philosophischen Untersuchungen überhaupt das absolute Selbstbewusstsein im Sinne
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des absoluten Wissens als Einheitsgarant des Systems ansetzt,¹⁰⁰ oder nicht vielmehr diesen verabschiedet und ein anderes Wesen des Absoluten etabliert. Gelingt der Nachweis einer Ersetzung des Einheitsgaranten des Systems, so kann das Scheitern auch schlicht als Verabschiedung der Identitätsphilosophie interpretiert werden, deren Systemkonzept Heidegger dann zu unrecht auf die Freiheitsschrift appliziert. Es ist dieser Gedanke, für den hier im Folgenden plädiert werden soll, nämlich dass der Einheitsgarant des Systems in der Freiheitsschrift nicht mehr das absolute Selbstbewusstsein ist. Als Einheitsgarant wird dabei dasjenige Unbedingte gedacht, als dessen Aspekte, Momente oder Potenzen alles denkbar ist, sodass restlos jegliches auf irgendeine Weise von diesem her verstanden werden kann. So wie beim frühen Fichte das Ich mit seinem Wesensgesetz der Reflexion dasjenige Unbedingte ist, welches alles zu denken erlaubt, ohne dass etwas angenommen werden muss,was radikal kein Ich ist, so lässt sich die absolute Vernunft mit ihrem Wesensgesetz der absoluten Erkenntnis als derjenige Einheitsgarant ausweisen,¹⁰¹ der das identitätsphilosophische System Schellings ausmacht, sodass Natur und Subjektivität als qualitativ differente Modalitäten der absoluten Vernunft, also als objektive und subjektive Vernunft verstanden werden können. Nun ließe sich in Bezug auf die Frage nach dem Einheitsgaranten des Systems der Freiheitsschrift anmerken, dass es die Freiheit ist, welche als das Höchste der Philosophie das Unbedingte ist und damit auch Einheitsgarant des Systems der Freiheit – jegliches damit als Aspekt, Moment, Modalität oder Potenz von Freiheit, mithin als Wille gedacht werden können muss.¹⁰² So zutreffend dieser Gedanke auch ist, verwischt er in Bezug auf die hier gestellte Frage die Differenzen der Systementwürfe, denn als System der Freiheit ist nicht nur das System der fichteschen Wissenschaftslehre, sondern auch das der schellingschen Darstellung, der Philosophischen Untersuchungen und der Philosophie der Offenbarung gedacht, auch wenn mit Freiheit keineswegs immer dasselbe gemeint ist.
Vgl. Heidegger , S. : „Denn erst von dem Augenblick an, wo diese Vorstellung vom System als absolutem Vernunftsystem im absoluten Wissen sich selbst weiß, ist das System aus sich selbst absolut begründet, d. h. eigentlich mathematisch, seiner selbst gewiß, auf das absolute Selbstbewußtsein gegründet und alle Bereiche des Seienden durchfugend und durchherrschend.“ Vgl. AA I,, S. / SW IV, S. : „Die absolute Identität ist nur unter der Form des Erkennens ihrer Identität mit sich selbst. Denn ihr Erkennen ist so ursprünglich als die Form ihres Seyns (§. .), ja die Form ihres Seyns selbst (das. Zus. .). Diese aber ist die einer Identität der Identität.“ Denker zeigt in dem Aufsatz In den Fußstapfen Gottes auf, wie das Seinkönnende notwendig ist, wenn das Sein aus Freiheit heraus gedacht werden soll und zugleich nicht ausreicht, um die Freiheit zu denken, weil es von sich aus nur blind ins Sein übergeht (vgl. Denker , S. ).
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Was diese Systementwürfe unterscheidet, ist wesentlich die Frage nach der Art, wie die Freiheit als das Unbedingte ihrem Gehalt nach gedacht wird, und geht mithin auf das Wesen der Freiheit. ¹⁰³ Die Frage nach dem Kriterium für Freiheit ist darum zugleich die Frage nach der Besetzung der funktionalen Systemstelle des Einheitsgaranten. Wenn daher behauptet wird, dass in der Freiheitsschrift nicht mehr das Selbstbewusstsein, sei es als Reflexion oder Geist gedacht, Einheitsgarant des Systems ist, so wird zugleich ausgesagt, dass nicht mehr das Selbstbewusstsein als Wesen und Maß von Freiheit angenommen wird.¹⁰⁴ Die Herausstellung des Einheitsgaranten der Freiheitsschrift gibt damit zugleich den Freiheitsbegriff der schellingschen Philosophie im Jahr 1809. Schelling weist den „höchsten Punkt der ganzen Untersuchung“ (SW VII, S. 406) über die Erörterung des Ungrundes aus, dem die Aussage vorausgeht, „auch der Geist ist noch nicht das Höchste; er ist nur der Geist, oder der Hauch der Liebe“, womit er sich sowohl gegen das Selbstbewusstsein als Mittelpunkt des Systems wendet – welches Fichte von Kant übernommen hat, der in der Kritik der reinen Vernunft die synthetische Einheit der Apperzeption als höchsten Punkt des Systems bezeichnet (vgl. KA III, S. 109 Anm. / KrV, B 134) – als auch gegen das „Vernunftsystem“, welches „Ein Wesen für alle Gegensätze, eine absolute Identität“ (SW VII, S. 406 [Hervorhebung L.E.]) annimmt. Beiden setzt er den Ungrund als prädikatlose Indifferenz vor jeder Dualität und vor jeder Identität entgegen, der „da war, ehe denn der Grund und ehe das Existirende (als getrennte) waren, aber noch nicht war als Liebe, sondern – wie sollen wir es bezeichnen?“ (SW VII, S. 406). Schelling orientiert sich in dieser Einführung der Liebe als Systemmittelpunkt deutlich am plotinischen Urgrund (vgl. Beierwaltes 2001, S. 209), mit welchem letzterer das differenzlose Eine jenseits des Geistes bezeichnet, und zwar das
Dieses Wesen der Freiheit wird damit in den Philosophischen Untersuchungen von der menschlichen Freiheit her gedacht. Bereits an der Konzeption des Bösen wurde deutlich: Wenn das Böse als Freiheitsmissbrauch gedacht werden können soll, so muss Freiheit anderes denn Vernunftkausalität oder Selbstdurchsichtigkeit sein. Das Kriterium für Freiheit muss von dem, was im Bösen in seiner Abwesenheit erscheint, vielmehr als das wahrhaft Gewollte und als friedliche Einheit gedacht werden. Das Selbstbewusstsein ist hier nicht mehr höchstes Maß von Freiheit – denn auch das Böse ist geistig.Vgl. SW VII, S. f.: „Denn auch der Geist ist noch nicht das Höchste; er ist nur der Geist, oder der Hauch der Liebe. Die Liebe aber ist das Höchste. Sie ist das, was da war, ehe denn der Grund und ehe das Existirende (als getrennte) waren, aber noch nicht war als Liebe, sondern – wie sollen wir es bezeichnen? Wir treffen hier endlich auf den höchsten Punkt der ganzen Untersuchung.“ Noch deutlicher formuliert Schelling in den Stuttgarter Privatvorlesungen. Vgl. SW VII, S. : „Wenn also Irrthum und Bosheit beides geistig ist und aus dem Geiste stammt, so kann er unmöglich das Höchste seyn.“
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paradoxe Zugleich von absolutem Anfang als demjenigen, was sich „nicht mehr auf ein anderes zurückführen“ (Enn. III 8,10, Z. 22) lässt und damit den Abgrund des verständigen Denkens (διάνοια) darstellt, wodurch es Misstrauen erregt, ob es nicht vielleicht das Nichts, resp. Nichtige (τὸ μηδέν) selber sei (vgl. Enn. III 8, 10, Z. 28), und Maß aller Maßstäbe, nämlich das Gute selbst, als dem schlechthin nicht zu relativierenden Maß aller Dinge, auch des Geistes und der Freiheit.¹⁰⁵ Indem Schelling diesen Abgrund des verstandesmäßigen Denkens, der zugleich auch das Maß allen Denkens ist, mit Liebe bezeichnet, rezipiert er eine Denkbewegung, die Augustinus in Aufnahme der neuplatonischen Tradition für die Trinitätsspekulation angestoßen hatte: Er verbindet wie dieser den Begriff der Liebe mit dem plotinischen Überseienden als dem schlechthin Verharrenden, der μονή (vgl. Beierwaltes 2001, S. 209). Es wird deutlich, dass Schelling mit dem Begriff der Liebe den Einheitsgaranten des Systems bezeichnet. Und die Tatsache, dass Schelling sich hierbei paradoxaler Gedanken zur Bezeichnung bedient, ist beachtenswert,¹⁰⁶ denn wie Plotin verhindert er doch auf diese Weise die verstandesmäßige Festlegung des höchsten Punkts im System, womit das Überseiende zu einem Erkannten degradiert wird, statt dass es als dasjenige gedacht würde, was schlechthin allem Erkennen entzogen ist, weil alles Denken und alles Sein von diesem her ist. Die paradoxale Formulierung des Überseienden ist dieserart nicht unbedingt eine Schwächung des Denkens, aber eine deutliche Begrenzung des Verstandes und eine Weise, der Dignität des Höchsten durch die Form des Denkens selbst Ausdruck zu verleihen. Gott als Existierender wird von Schelling als vollkommener Geist gedacht und als vollkommene Verwirklichung der Liebe. Insofern er aber als absolute Persönlichkeit bezeichnet wird, lässt er sich zugleich als etwas denken, das mehr ist als Selbstbewusstsein, nämlich die vollkommene Einheit des Denkens, die nicht nur ideale Einheit von Wissendem und Gewusstem ist, sondern auch reale Einheit von Grund und gelebtem Zweck, mithin Organismus,¹⁰⁷ wobei Schelling mit der Persönlichkeit beide Einheiten zusammendenkt als Einheit von Liebendem und
Vgl. Enn. III ,, Z. – : „[B]eim Sehen des Geistes aber bringt das Gute diese Erfüllung; denn wäre der Geist selber das Gute, wozu brauchte er überhaupt zu sehen und sich zu betätigen? Alles andere nämlich übt seine Betätigung um das Gute und wegen des Guten; das Gute aber bedarf keines Dinges, daher hat es auch nichts als sich selber.“ Fichte selbst nähert sich dem Absoluten ab über die Paradoxie, wie Hühn , S. gezeigt hat. Nach Fuhrmans handelt es sich bei dem Gedanken, dass Gott nicht nur ideales, sondern auch reales Sein sei, um eine „Kernthese des ganzen Schellingschen Denkens“ (Fuhrmans , S. , Anm. ) seit der Freiheitsschrift.
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Geliebtem,¹⁰⁸ mithin als zwei Ansichten desselben. Das vollkommene Vernunftsystem, welches die Gottheit aktualisiert, ist damit nicht reine Idealität, sondern vollkommene Formung des eigenständigen Realitätsprinzips, welches in der durch den Geist gestifteten Einheit als eigenständiger Grund fortlebt,¹⁰⁹ aber wie das Prinzip des Geistes aus dem Einen ist. Es ist also das Paradox der Liebe, mit welchem begründeter Weise gedacht werden kann, dass der Grund mehr sein kann als potentiell Geistiges und in seinem den Geist dynamisierenden Potential dennoch nicht das System sprengt, weil er als Korrelat der Liebe in einem weiteren Kreis einbehalten ist als ihn der Geistbegriff und der auf Reflexion beruhende Selbstbewusstseinsbegriff zumal zeichnen kann. Gerade die Wiederaufnahme des plotinischen Urgrundes kann damit gewährleisten, dass eine wirkliche Einheit von Idealismus und Realismus angedacht werden kann, ohne den Realismus vom Idealismus abzuleiten, oder umgekehrt – womit ein Grundanliegen der Identitätsphilosophie eingelöst wird, gerade dadurch, dass das Spezifikum der Identitätsphilosophie, nämlich die absolute, differenzlose Identität als Ausgangspunkt und Einheitsgarant des Systems aufgegeben wird. Indem Schelling das Höchste als Liebe bezeichnet, behauptet er also, dass sich alles von dieser her denken lässt, jegliches somit auf der Liebe gründet – sei es als Begehren, Leidenschaft,¹¹⁰ als Täuschung oder als Hass – und Liebe zum höchsten Maß hat. Auch die Freiheit und das Böse kann von der Liebe her gedacht werden, und zwar als etwas, das durch die Liebe möglich wird, insofern diese die Freiheit des Anderen voraussetzt. Das Böse ist so verstanden der Missbrauch dieser ermöglichten Freiheit gegen ihren Zweck und Seinsgrund. Anders als Kant, der versucht, das „Wollen generell als Selbstverhältnis der Vernunft zu begründen“ (Prauss 1983, S. 14) und Fichte, der die unverbrüchliche Einheit von Spontaneität und Regelhaftigkeit des Grundes des Bewusstseins annimmt, betont Schelling damit die Unterscheidung des Rationalen und Irrationalen im Willen, der weder Reflexion noch Geist zu seinem höchsten Maß hat, sondern Liebe, die eine Einheit ermöglicht, welche das Andere und Individuelle
Vgl. zum Begriff der Persönlichkeit als Verbindung von Natur und Geist in der Freiheitsschrift Moiso , S. – . Vgl. SW XI, S. : „Ursprünglich ist auch im weitesten Sinn der Geist nicht etwas Theoretisches, woran doch bei Nus immer zuerst gedacht wird; ursprünglich ist er vielmehr Wollen, und zwar das nur Wollen ist um des Wollens willen, das nicht etwas will, sondern nur sich selbst will“; AA I,, S. / SW I, S. : „Der Geist ist ein ursprüngliches Wollen. Dieses Wollen muß daher so unendlich seyn, als er selbst.“ Vgl. SW VII, S. f.: „Die Leidenschaften, welchen unsere negative Moral den Krieg macht, sind Kräfte, deren jede mit der ihr entsprechenden Tugend eine gemeinsame Wurzel hat.“
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als Eigenständiges belässt. Mit dem Paradox der Liebe als Wesen des Absoluten kann Schelling damit begründen, dass Geist und Naturorganismus auf ein gemeinsames Ideal ausgerichtet sind, nämlich organische, friedliche Ganzheit.¹¹¹ Wenn Manfred Frank behauptet, dass „für Kant wie für die Idealisten das Selbstbewußtsein“ (Frank 1985, S. 30) das Absolute ist, so muss in Bezug auf Schellings Freiheitsschrift also präzisiert werden, dass hier das Selbstbewusstsein, der Geist, zwar Aspekt des Absoluten ist, das Absolute aber in seiner Wesensbestimmung darüber hinaus geht, Geist zu sein und der Geist selbst an dem höheren Zweck der friedlichen Einung ausgerichtet ist.¹¹² Das Ideal der Liebe aber, das darf auf der anderen Seite nicht vergessen werden, verwirklicht sich nach Schelling auf vollkommene Weise durch den göttlichen Geist, welcher nicht darum vollkommenen ist, weil er reiner Geist ist, sondern höchste, also integrierende und nicht identifizierende Einheit von Geistigem und per se Nicht-Geistigem.Weil die Gottheit als Existierende zwar mehr als Geist ist, nämlich Persönlichkeit, die sich die Bedingung ihres Existierens zur Basis gemacht hat, aber doch zugleich auch vollkommener Geist, wäre es nicht richtig, mit dem Ideal der Liebe von einer Abwertung des Denkens als solchem und einer generellen Aufwertung des Gefühls zu sprechen. Das Geheimnis der Liebe als Paradox einer notwendigen Verbindung, deren Notwendigkeit nicht aus Bedürftigkeit oder Zwang resultiert, spricht eher dafür, diesen Ausdruck methodisch als Korrektiv einer verabsolutierten Verstandesphilosophie und damit als Ansatz einer begrifflichen und funktionalen Trennung von Verstand und Vernunft zu lesen und freiheitstheoretisch als Korrektiv eines verfehlten Einheitsideals zu betrachten, welches, so der Vorwurf, auf Eliminierung von Andersheit beruht und deshalb zu einem Selbstbewusstseins- und Freiheitsbegriff führt, welcher Idealität und Realität, Freiheit und Notwendigkeit, Abhängigkeit und Selbsttätigkeit nicht zu vermitteln vermag. Auch wenn es dem vollkommenen Geist seinem Wesen nach also nicht primär um Selbstgegenwart und Erkenntnis, sondern um Selbsteinung getan ist, und damit das mit dem Verstand konnotierte trennende Wissen und das kontemplative Bereits in der Philosophie der Kunst hebt Schelling das „unmittelbare[s] Verhältniß“ von Vernunft und „organische[r] Gestalt“ hervor und betont, dass die Vernunft und der Organismus eine „höhere[n] Ordnung“ (SW V, S. f.) darstellen, die das Verständige und das Irrationale in sich vermitteln kann. Mit dem Ideal der Einheit als Liebe, welches als „alles durchwirkende[s] Wohlthun“ (SW VII, S. ) bewusst auch eine sinnliche Konnotation erhält, wird deutlich, dass das Sittengesetz nach Schelling weniger als ein Gesetz von Herrschaft und Gehorsam, denn als ein Ideal der Freiheit verstanden werden soll. Die Abgrenzung zum Sittengesetz kantisch-fichtescher Prägung besteht darin, dass jene Sittlichkeit durch Reflexion und nicht durch „absolute[r] Freiheit“ bestimmt wird, die nur sein kann, „wenn die Sittlichkeit für sie zugleich die absolute Seligkeit ist“ (SW VI, S. ).
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Selbstverhältnis abgewertet werden, zugunsten des mit der Vernunft begrifflich zu verbindenden einenden Denkens, kann daher nicht von einer generellen Abwertung des Denkens gesprochen werden, sondern von einer Abhebung des „vollkommenen Geistes“¹¹³ von der Reflexion. Mit der Betonung der neuen Art, Identität zu denken, wird das Denken in gewisser Hinsicht dabei vielmehr sogar aufgewertet, gerade indem ihm die Aufgabe und Möglichkeit zugesprochen wird, lebendige Einheit zu stiften, welche Natur, Gefühl und Irrationales nicht als Gefahr der Einheit eliminieren muss, sondern vielmehr grundlegend noch die Kraft hat, sie zu einer friedlichen Einheit zu überreden, ohne diese zu entwerten.¹¹⁴ Obwohl mit der Liebe als Wesen der absoluten Identität im System der Freiheit das Denken im Sinne vollständiger Durchsichtigkeit, beziehungsweise Reflexivität abgewertet wird, ist das Denken vom Primat der praktischen Vernunft her gedacht, nämlich als Einungsvermögen des Wollens in seiner Selbstdifferenzierung, gleichwohl die alleinige Instanz, welche in Ausrichtung auf das Wesensgesetz der Freiheit die seinsollende Identität verwirklichen kann.¹¹⁵ Wie aber lässt sich Schellings Aussage, in „dem göttlichen Verstande ist ein System, aber Gott selbst ist kein System, sondern ein Leben“ (SW VII, S. 399), vor dem Hintergrund dieser Umbesetzung des Einheitsgaranten des Systems verstehen? Reduziert Schelling selbst hier nicht dennoch das System auf das göttliche Selbstbewusstsein? Der Kontext der schellingschen Freiheitsschrift legt die Verneinung dieser Frage nahe. Aus der philosophischen Auseinandersetzung mit Fichte lässt sich
Vgl. SW XIII, S. f.: „Wenn ein vernünftiges Seyn ist oder seyn soll, so muß ich jenen Geist voraussetzen. […] Nicht die Vernunft ist die Ursache des vollkommenen Geistes, sondern nur, weil dieser ist, gibt es eine Vernunft. Damit ist allem philosophischen Rationalismus, d. h. jedem System, was die Vernunft zum Princip erhebt, das Fundament zerstört. – Nur weil ein vollkommener Geist ist, ist eine Vernunft. […] Denn vielmehr die ganze (positive) Philosophie ist eben nichts anderes als der Erweis dieses absoluten Geistes.“ Vgl. zur Diskussion um die Dignität der Vernunft in Schellings Spätphilosophie Schulz ; Hutter , S. – , bes. S. . Die Frage nach Bruch oder Vollendung des Idealismus zeigt sich in dieser Hinsicht als relevant auch für die Frage nach der Einheit des Systems in der Freiheitsschrift. Dadurch kann an der Wertschätzung der Vernunft festgehalten (vgl. SW VII, S. ) und die Gefährdung des endlichen, menschlichen Denkens durch Selbstverabsolutierung doch zugleich mitbedacht werden. Vgl. die Einschätzung Hutters: „Schelling Spätphilosophie wird hingegen von der Einsicht getragen, daß die Wirklichkeit des Praktischen in ihrem Wesen gerade nicht in die negative Vermittlungsbewegung reinen Denkens aufgelöst werden kann. […] Es ist dieser vom ‚Wollen‘, d. h. vom Praktischen aus gedachte Existenzbegriff, den Schelling in der fraglichen Unterscheidung seiner Spätphilosophie dem begrifflichen Wesen als Erfahrungswirklichkeit entgegensetzt.“ (Hutter , S. f.)
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vielmehr annehmen, dass es sich bei der Abwehr der Gottheit als bloßem System durch Betonung seiner Personalität und seines Lebens insbesondere um einen Widerspruch gegen Fichtes frühen Gottesbegriff handelt, den dieser in der Schrift die Göttliche WeltRegierung wie folgt erläutert:¹¹⁶ Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines andern Gottes, und können keinen andern fassen. Es liegt kein Grund in der Vernunft, aus jener moralischen WeltOrdnung herauszugehen, und vermittelst eines Schlusses vom Begründeten auf den Grund noch ein besonderes Wesen, als die Ursache desselben, anzunehmen […]. (FGA I,5, S. 354)
Schelling widerlegt diese Ansicht in der Freiheitsschrift, indem er aufzeigt, dass, vom Wesen menschlicher Freiheit her gedacht, statt der Gottheit als totem Moralgesetz ein lebendiger Gott als eigenständiges Wesen und Ursache der „im göttlichen Verstande zuvor entworfenen Einheit des Weltganzen“ (SW VII, S. 387) zu denken sei.¹¹⁷ Die Zurückweisung Gottes als System ist vor diesem Hintergrund in der spezifischen Bedeutung des Systems als sittlicher Weltordnung zu verstehen und damit als Variante der folgenden Textstelle der Freiheitsschrift zu lesen: „Gott ist etwas Realeres als eine bloße moralische Weltordnung, und hat ganz andere und lebendigere Bewegungskräfte in sich, als ihm die dürftige Subtilität abstrakter Idealisten zuschreibt.“ (SW VII, S. 356) Da das System im göttlichen Verstand damit als die „Einheit des Weltganzen“ und als „moralische Weltordnung“ gelesen werden kann, wird hier die höhere Einheit von Freiheit und Notwendigkeit für die Schöpfung in Gott verbürgt, sodass es sich bei dem System im göttlichen Verstande um ein Subsystem handelt. Diesem Subsystem wird der vollkommene Geist, gedacht als vollkommene Per-
Vgl. Pannenberg , S. : „Fichte wollte die Wirkung solcher Aussagen [‚die Existenz eines Gottes sei ungewiß‘] dadurch entschärfen, daß er darzutun versuchte, in welchem Sinne man philosophisch von Gott sprechen könne und in welchem nicht. In Wirklichkeit verschlimmerte Fichte die Sache dadurch noch, denn seine Erklärung, daß das Wort ‚Gott‘ sich auf die Existenz einer moralischen Weltordnung beziehen, nicht aber auf das Dasein einer besonderen Substanz oder Persönlichkeit, schien erst recht den Verdacht zu bestätigen, daß nicht nur der Artikel Forbergs, sondern auch seine eigene Philosophie atheistisch sei.“ Damit grenzt er sich auch gegen Kant ab, welcher das „Dasein Gottes“ als „ein Postulat der reinen praktischen Vernunft“ (KA V, S. – / KpV, A – ) setzt und denkt ihn nicht nur als Garant eines angemessenen Verhältnisses von Sittlichkeit und Glückseligkeit, sondern zugleich als Urwesen. Er verbindet damit die zwei bei Kant getrennten Hinsichtnahmen auf Gott.Vgl. Kant , S. – , bes. S. f.: „Der Begriff von der Ursache der Welt und von der Gottheit ist zweierlei. Denn wenn sich die Menschen eine Ursache der Welt nach der Nothwendigkeit der Natur denken; so haben sie ein Urwesen, aber keine Gottheit. Dieses ist der Begriff eines Wesens, das nach Freiheit handelt; solche intelligentia supramundana ist nur Gott.“
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sönlichkeit, übergeordnet. Dieses größere System – der vollkommene Geist – denkt Schelling als ewiges Werden der zwei Wesenshinsichten Sehnsucht und Verstand, mithin als Leben.¹¹⁸ Wird daran erinnert, dass Schelling in seiner frühen Naturphilosophie betonte, dass „ohne entgegengesetzte Kräfte keine Bewegung möglich ist“ (AA I,6, S. 85 / SW II, S. 390), so zeigt sich, dass der im Jahr 1809 mit der Liebe gedachte Begriff der Einheit als lebendige Ineinsbildung widerstrebender Prinzipien,¹¹⁹ der hier zum Systemideal erhoben wird,¹²⁰ zuletzt auf dem Paradigma des Organismus gründet, das Schelling in seiner frühen Naturphilosophie ausformuliert hatte. Die Aussage in Bezug auf Gott, er sei mehr als ein System, nämlich bewegte Persönlichkeit, lässt sich in Bezug auf den Richtungsstreit mit Fichte betrachten. Sie lässt sich dann nicht so lesen, dass hier „das System nur im Verstande ist“, sodass „der Grund, und die Gegenwendigkeit selbst aus dem System ausgeschlossen“ (Heidegger 1988, S. 278) blieben, sondern mit ihr kann dann betont werden, dass hier das fichtesche Sittensystem strukturell in das größere System, gleichsam als dessen Subsystem eingeordnet wird und damit der abstrakte, einseitige Idealismus ergänzt wird.¹²¹ Mit dieser Interpretation wird es auch möglich, zu begründen, dass selbst das Böse, obgleich der Mensch in seiner Verwirklichung der Bestimmung des Menschen und der Schöpfung im Ganzen widerspricht, nicht das System selbst zerstört. Dieser Gedanke wird in der schellingschen Frage nach dem Fortwirken Gottes im Bösen thematisch und zeigt sich in der nach Schelling im Bösen erfahrbaren Abhängigkeit von Gott, die als das Unvermögen beschrieben wird, die
Vgl. zum platonischen Begriff der Ewigkeit als Leben Uehlein , S. : „Die Zeit des Ganzen, sein Leben, wird ἄμα τὰ πάντα genannt: alles auf einmal. Das ist der platonisch-neuplatonische Begriff der Ewigkeit. Die ineins bleibende Ewigkeit (Timaios d) ist vollkommenes in sich bewegtes Leben.“ Schelling nimmt damit einen Schlüsselbegriff seiner frühen Naturphilosophie wieder auf. In der Schrift Von der Weltseele bestimmte er das „Geheimniß des Lebens“ als einen „Conflict negativer Principien […], davon das Eine gegen das Leben (azotisch) anzukämpfen, das andre das Leben immer neu anzufachen scheint“ und betont, wie in den Weltaltern, „Leben aber besteht nur im Proceß der Trennung und Verbindung selbst, und die vollbrachte Trennung, so gut, als die vollbrachte Vereinigung ist der Anfang des Todes“ (AA I,, S. / SW II, S. f.). Dass das Ideal der friedlichen Einheit bis in die Spätphilosophie Schellings für den Systembegriff wirkmächtig bleibt, zeigt die Erlanger Vorlesung. Dort heißt es: „Nicht vertilgt werden sollen die Systeme, sondern zusammenbestehen, wie die verschiedenen Systeme in einem Organismus, und durch dieses ihr Zusammenbestehen eine Ansicht erzeugen, die über allen einzelnen liegt“ (Schelling , S. ). Vgl. SW VII, S. f.: „So mußte die Fichtesche Lehre ihre Anerkennung der Einheit, wenn auch in der dürftigen Gestalt einer sittlichen Weltordnung, bezeugen, wodurch sie aber unmittelbar in Widersprüche und Unstatthaftigkeiten gerieth.“
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seinsollende Ordnung durch eine partikulare zu ersetzen, weil sich zeigt, dass diese immer wieder zum Scheitern der Einheit als einer Ganzheit führt. Obgleich die Verwirklichung des Bösen das System im göttlichen Verstande in Frage stellt, bleibt der Mensch im Bösen doch Bestandteil des durch die Liebe ermöglichten Systemraums,weil Gott den Menschen als Liebenden will, und ihn darum als freies Gegenüber sein lässt. Das Böse als missbräuchliche Verwirklichung dieser Freiheit ist darum nicht das Andere des Systems, sondern systemimmanente Möglichkeit – d. h. ihrer Möglichkeit nach vom Einheitsgaranten her begründbar –, auch wenn sie selbst das Nichtgewollte im größeren Gewollten darstellt. Mit der Entbindung des Grundes als Spontaneität von dem Wesensgesetz der Reflexion und Bindung an das Wesen, dessen Wesen Liebe ist, sowie mit dem freien Wirkenlassen desselben im endlichen Werden,¹²² lässt sich also sowohl die Eigenständigkeit der Natur gegenüber dem menschlichen Selbstbewusstsein denken als auch die Eigenständigkeit der nicht relativierbaren seinsollenden Ordnung als vollkommener Einheit von Freiheit und Notwendigkeit, die das Maß der Schöpfung gibt, welches diese als gegliedertes und systematisches, mithin friedliches Ganzes ermöglicht. Durch die Entfaltung des irrationalen Potentials wird zugleich die Möglichkeit einer Verneinung der göttlichen Ordnung durch den Menschen ausgewiesen. Das Böse verneint die höhere Ordnung, aber es sprengt nicht das System, sondern zeigt die Rückseite der Freiheit, mithin die in aller Verstrickung noch aufscheinende Anwesenheit des Göttlichen in seiner Unverfügbarkeit.
4.2 Die Bedeutung der Freiheitsschrift für die idealistische Systemphilosophie „Aber das Bestürzende der Welt ist ja“, schreibt Franz Rosenzweig Anfang des 20. Jahrhunderts, „daß sie nicht Geist ist. Es ist etwas andres noch in ihr, etwas immer Neues, Drängendes, Überwältigendes.“ (Rosenzweig 1988, S. 48) Dieser Gedanke ähnelt der metaphysischen Befindlichkeit, wie sie sich in Schellings
Vgl. SW XI, S. : „Das Wollen, das für uns der Anfang einer andern, außer der Idee gesetzten Welt ist, ist ein rein sich selbst entspringendes, sein selbst Ursache in einem ganz andern Sinn, als Spinoza dieß von der allgemeinen Substanz gesagt hat; denn man kann von ihm nur sagen, daß es Ist, nicht daß es nothwendig Ist; in diesem Sinn ist es das Urzufällige, der Urzufall selbst, wobei ein großer Unterschied zu machen zwischen dem Zufälligen, das es durch ein anderes ist, und dem durch sich selbst Zufälligen, welches keine Ursache hat außer sich selbst und von dem erst alles andere Zufällige sich ableitet. Dieses Wollen erhebt sich in der Seele, die allein ein Verhältniß zu Gott hat“.
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Freiheitsschrift ausdrückt. Schulz behauptet, der schellingsche „Ansatz ist bestimmt durch den Zweifel an einer absoluten Vernünftigkeit der Welt. Und damit geht ineins die Entdeckung des Irrationalen und des Triebhaften als des letzhin nicht rational Verstehbaren.“ (Schulz 1964, S. 7) Schelling thematisiert die Verzweiflung der auf Einheit dringenden Vernunft angesichts des mit dem Verstand nicht zu beherrschenden Irrationalen, das sich im Bösen, in der Schöpfung, dem Ungrund und der Natur zeigt, als die nicht deduzierbare, nicht mit dem Verstand einholbare absolute Spontaneität. Zugleich passt Rosenzweigs Gedanke nicht zu Schelling und seiner Zeit. Trotz der ontologischen und methodischen Aufwertung, die das Irrationale hier erfährt; es wird als das Nicht-Rationale, das Unverständige, Verstandlose gedacht und nicht als das Nicht-Geistige, Unvernünftige. Was hier immer Neues gebiert, den Verstand überwältigt und diesem anstößig ist, – sodass man sich fragen kann, „Warum ist nicht, was uns vollkommen begreiflich schiene, eine bloße, reine Geisterwelt?“¹²³ – hat dennoch einen Sinn im System der Freiheit. Die verstandlose Spontaneität ist Bedingung der Schöpfung und Bedingung der Eigenständigkeit und Freiheit endlicher Wesen. Ohne sie, in der reinen Geisterwelt, blieben die Ideen ohne eigenes Leben. Aber das Bestürzende bleibt. Denn das Irrationale ist nicht das Böse, sondern nur Möglichkeitsbedingung des Bösen. Das Böse gebiert die Unvernunft als Wirklichkeit. Und Schelling denkt diese als geistige Wirklichkeit. Das „Leben der Lüge“ (SW VII, S. 366) ist falscher Geist. Vor diesem Hintergrund wird Schellings Feststellung von 1832/33 verständlich: „Die Welt sieht nach alles weniger aus als nach einem Erzeugnis reiner Vernunft. Sie enthält eine überwiegende Masse von Unvernunft, sodass man beinahe sagen könnte, das Rationale sei das Accidens.“ (Schelling 1972, S. 99 f.) „Von der Erfahrung der Korruption unserer Welt läßt Schelling sich leiten“ (Habermas 1971, S. 185). Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte; nicht so, wie sie unzeitlich vorgesehen war. Der Grund dafür ist nicht das Irrationale, sondern das Böse als Freiheitsvollzug des Menschen. Er, das ist Schellings Überzeugung 1809, ist der Grund für die Wirklichkeit der Unvernunft. Indem der Mensch den eigenen partikularen Willen zum Maßstab des Ganzen mache, verdränge er die wahre Ordnung. Über die Geschichte der Kulturen müsse sie mühsam wiedergefunden werden. Für einen unmittelbaren Zugang bleibt sie nach Schelling verloren.
Vgl. SW XI, S. : „Wozu das viele Anstößige in den Handlungen der Thiere? Wozu überhaupt diese ganze Körperwelt? Warum ist nicht, was uns vollkommen begreiflich schiene, eine bloße, reine Geisterwelt? Dennoch können wir nicht unterlassen, in der uns unverständlich gewordenen Natur den ursprünglichen Verstand, den Sinn ihres ersten Entstehens zu suchen.“
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Was Fuhrmans über die Bedeutung des Sündenfalls in der Erlanger Vorlesung sagt, gilt daher uneingeschränkt bereits für die Freiheitsschrift. Fuhrmans schreibt in der Anmerkung zur Initia Philosophiae Universae: Hier der Ansatz einer ungemein wichtigen These des späten Schellings: wer nicht um den Sündenfall weiß, weiß nicht wirklich um das Sein. Der nimmt womöglich für ein Ursprüngliches,von Gott Gesetztes an,was kein Ursprüngliches und kein von Gott Gewolltes und Gesetztes und Seinsollendes ist. Der begreift nicht, daß im ‚Wirklichen‘ vieles ist, was kein ‚ursprünglich‘ Wirkliches ist, sondern ein Nachträgliches, ein erst durch den Menschen Entstandenes. […] Gegen Hegel sei darum das ‚Wirkliche‘ nicht einfach ‚das Vernünftige‘ – das sei es einmal gewesen. Aber seit und durch den Fall des Menschen gibt es im Wirklichen das ‚Unvernünftige‘, gibt es das Unvernünftig-Wirkliche. (Fuhrmans 1969, S. 226, Anm. 38)
Die Abgrenzung von Hegel besteht dabei nicht so sehr darin, dass Schelling nun eine Wirklichkeit denken kann, die unvernünftig ist, sondern darin, dass die Unvernunft als wirklich gedacht wird. Dass gleichwohl die systematische Einheit nicht aufgebrochen wird, liegt an dem von Schelling 1809 inaugurierten Systemideal der Liebe, das Einheit nicht nur als Identität des Selbstbewusstseins, des Wissens oder des Begriffs denken lässt, sondern auch geistig-körperliche, organische Einheit. Es ist der Widerspruch gegen jegliche Formen der Depotenzierung des Bösen, der 1809 zu einer grundlegenden Neuausrichtung idealistischer Systemphilosophie führt, die wichtige Kategorien – das Positive, das Unvordenkliche, die Schöpfung als Freilassung des Grundes – der schellingschen Spätphilosophie bereits ansatzweise beinhaltet, ohne sie gleichwohl philosophisch auszubuchstabieren. Sie besteht im Kern in der Etablierung eines neuen Identitätsbegriffs. Diese Neuausrichtung rechtfertigt es bei Schellings Philosophie ab 1809 von einem idealistischen Sonderweg zu sprechen. Denn dass Schellings Freiheitsschrift dem nachkantischen idealistischen Geist verpflichtet ist, scheint unbestreitbar. Was mit der Diskussion der „Copula“ bereits in der Einleitung der Philosophischen Untersuchungen angedeutet ist, realisiert Schelling mit der Liebeskonzeption. Mit ihr wird ein Ideal von Identität gedacht, dass die freie Einung voneinander unabhängiger Prinzipien denkt, die in der Einung unabhängig bleiben. Diese Aufwertung des Identitäts-Differenten ermöglicht ihrem Gehalt nach auch eine ontologische Aufwertung des Verstandesdifferenten. So kann die Liebe als Gefühl den Einheitspunkt von Natur und Intellekt bilden, der beide, ungeschieden in der ursprünglichen Indifferenz, ermöglicht und nach der Scheidung vereinigend zusammenbringt – und dadurch Natur und Intellekt als gleichberechtigte, wenn auch nicht als gleichwertige Bereiche ansetzen. Mit dieser Aufwertung des
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Gefühls betritt Schelling aber kein Neuland,¹²⁴ vielmehr löst er den in der kantischen Tradition stehenden Traum des Frühidealismus ein, – der im Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus festgehalten ist – den höchsten Akt der Vernunft als einen ästhetischen Akt systematisch zu entfalten (vgl. Rosenzweig 1917, S. 6). Für diese Neuausrichtung sind drei Aspekte beachtenswert, die das durch den konservativ interpretierten Hegel geprägte Bild des Deutschen Idealismus revidieren: Der Abgrund des menschlichen Geistes, der Denken und Natur gleichermaßen verbindende Identitätsbegriff und die Neubewertung des Nicht-Rationalen als genuiner Teil des Endlichen.
4.2.1 Der Abgrund des menschlichen Geistes Nach Hegels Tod, so behauptet Schulz, werde das „Vertrauen auf die Vernünftigkeit der Welt hinfällig“. Das „Gefühl der Unsicherheit“ verursache einen Riss im Glauben an die Herrschaft der Weltvernunft. Und der „Zweifel an der Vernünftigkeit“ werde in der Philosophie sichtbar.¹²⁵ In Schellings Philosophie bildet sich diese Entwicklung bereits vor Hegels Tod ab. Zu dem Zeitpunkt, als Schelling beginnt das Böse philosophisch ernst zu nehmen, wird auch der Abgrund des Nihilismus in Schellings Denken wahrnehmbar. Das zeigt sich deutlich in den Philosophischen Untersuchungen, in Schellings philosophischer Deutung des Bösen als Freiheitsvollzug. Die Freiheit wird klassischerweise an die Vernunft gebunden. Das Schlechte anzustreben, kann keine Freiheit sein. Wer frei ist, ergreift das Gute. Schelling dagegen interpretiert die Realisierung des Bösen als eine Form von Freiheit, nämlich als Unabhängigkeit vom universalen Ordnungsprinzip und schafft damit die Grundlage für eine Philosophie des Bösen, der es gelingt, das Böse anders als in verharmlosender Weise zu denken. Diese Theorie des Bösen ist von überzeitlicher Aktualität. Es zeichnet Schellings Konzeption aus, dass er das Böse nicht als Deprivationsform des Guten oder des Seins versteht und es zugleich nicht verharmlosend darauf beschränkt, lediglich individuellen Ursprungs zu sein. Mit der kommunitären Dimension, die er in Hinsicht auf das Böse mitbedenkt, beschreibt Schelling das Böse nicht nur als sittliches Problem, sondern als übermoralisches. Das In Diese Aufwertung des Gefühls zeigt sich in der Freiheitsschrift auch im moralischen Bereich: So wird das Gewissen zum Ort der Erfahrung der Verfehltheit des falschen Lebens, mithin zum Ort der Kritik. Vgl. zum Weltvertrauen Schulz , S. f.
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dividuum bleibt als einzelnes schuldig. Und trotzdem ist die überindividuelle Dimension des Bösen, wie sie in der Weltgeschichte jederzeit sichtbar ist, mitbedacht. Die überindividuellen Erscheinungen des Bösen, der Krieg, die Armut – in der Philosophie häufig ausgegrenzte Phänomene – werden von Schelling philosophisch ausformuliert (vgl. SW VII, S. 462; SW X, S. 57). Das Böse wird nicht bestimmt als Verstoß des einzelnen Menschen gegen eine höhere Ordnung, noch als die Tyrannei und Unterdrückung des Individuums durch die Allgemeinheit. Vielmehr handelt es sich um eine dialektische Verschränkung beider Momente. Für das Denken der Freiheit bedeutet das, sie wird weder rein von der Allgemeinheit her, welche die individuelle Freiheit negiert, noch lediglich als schrankenlose individuelle Freiheit, welche den Zusammenhang der Individuen negiert, konzipiert. Und trotzdem kann man mit gutem Grund fragen, ob Schellings Konzeption des Bösen noch anschlussfähig ist, gerade in Anbetracht des metaphysischen Ansatzes seiner Philosophie. Was für diesen Ansatz spricht, ist die Gebrochenheit seines Zugangs zum Absoluten, die jede dogmatische Inanspruchnahme des Göttlichen unterwandert. Einen unmittelbaren Zugang zum Wahren und Guten lässt Schelling nicht gelten. Das Richtige scheint nur dialektisch negiert als Ausstehendes auf. Es ist damit funktional betrachtet im Wesentlichen ein Korrektiv. Ein solches Korrektiv aber ist und bleibt notwendig, denn nur unter Anspruchnahme eines transzendenten Maßstabes lässt sich eine Norm als nichtseinsollend qualifizieren, die nicht bloß individuell ist – eine solche ließe sich von der Allgemeinheit her korrigieren –, sondern gegebenenfalls allgemein im Sinne von überindividuell. Neben dem Maßstab als Korrektiv, sowie dem Verhängniszusammenhang des Bösen als gesellschaftlicher Dimension, spricht ein weiterer Aspekt der schellingschen Theorie des Bösen für seine bleibende Aktualität und das ist der antitotalitäre Zug: Ein partikularer Wille macht sich selbst zum Maßstab für das Ganze – das ist der Grundgedanke in Schellings Konzeption des Bösen.¹²⁶ Er steht damit jeglicher Form von Verneinung der Dignität individueller Existenz und Ausgrenzung von Alterität entgegen. Im positiven Sinne zeigt sich diese Einstellung im
Hier zeigt sich die Anschlussfähigkeit der schellingschen Konzeption des Bösen für das Denken der sogenannten Postmoderne: „Die Postmoderne plädiert – auf Grund ihrer Erfahrung des Rechts des Verschiedenen […] – offensiv für Vielheit […]. Ihr philosophischer Impetus ist zugleich ein tief moralischer. Sie folgt der Einsicht, daß jeder Ausschließlichkeits-Anspruch nur der illegitimen Erhebung eines in Wahrheit Partikularen zum vermeintlich Absoluten entspringen kann“ (Welsch , S. ).
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Bemühen mit der Liebe eine nicht repressive Form von Einheit zum Mittelpunkt des Systems zu machen. Zugleich signalisiert diese Theorie des Bösen eine Transformation des Weltbildes.Wenn der Mensch in seiner Realisierungskraft unabhängig vom vernünftigen Ordnungsprinzip ist, so ist die universale Herrschaft desselben verneint. Der letztlichen Vernünftigkeit der Wirklichkeit ist damit widersprochen. Und die Herrschaft der Vernunft in der Welt wird als gefährdet wahrgenommen. Das Einbruchstor für die Unsicherheit ins rationale Weltbild lokalisiert Schelling dabei im Menschen. Er hat als geistige Selbstheit das Zerstörungspotential, das in seiner Aktivierung das Unvernünftige wirklich sein lässt. Deshalb treibt allein der Mensch dazu, die letzte „verzweiflungsvolle[n]“ Frage zu stellen: „warum ist überhaupt etwas? warum ist nicht nichts?“ (SW XIII, S. 7; vgl. Egloff 2014, S. 160 – 163). Als geistige Selbstheit bestimmt, ist der Mensch die Ursache des Bösen und das Böse wird damit an den Geist des Menschen gebunden. Was den Menschen über die Natur erhebt, ihn zum Absoluten hin öffnet, ihn adelt, gefährdet ihn nach Schelling zugleich. Und dennoch wird damit nicht die Vernunft selbst zu einer ambivalenten Macht. Auch wenn es auf den ersten Blick so erscheint, es ist das Denken und der Geist, denen eine Ambivalenz zugesprochen wird, nicht aber die Vernunft selbst, im Sinne eines universalen Ordnungsprinzips. Dieses wird aus dem Menschen heraus gesetzt, zu einer von diesem unabhängigen Instanz, die sein Denken und seinen Geist beherrschen kann, wonach Denken und Geist sich ausrichten können, die aber auch, nämlich im Bösen, zum Instrument der Etablierung einer ihr entgegengesetzten Ordnung gemacht werden kann. Die Vernunft als universales Ordnungsprinzip selbst wird damit nicht infrage gestellt, da sie vom Menschen unabhängig gesetzt wird. Allerdings wird ihr Status im Menschen – und mit ihm in der Welt – als prekär angenommen. So ist es zwar nicht die Vernunft im Menschen, die das Böse möglich sein lässt. Aber ihre uneingeschränkte Herrschaft wird angezweifelt, insofern angenommen wird, dass es der Mensch ist, der sich nach dieser ausrichtet, oder auch nicht. Die Vernünftigkeit der Welt wird damit von der menschlichen Freiheit abhängig.
4.2.2 Der Natur und Seele verbindende Identitätsbegriff Wenn man, wie es hier geschehen ist, die Zielsetzung, im Ausgang von Kants kritischem Geist, dessen Ergebnisse zu einem System zu bilden,¹²⁷ als Impetus des
Diese Zielsetzung erschöpft sich nicht im „Wille zum System“ (Zeltner , S. ). Der Streit um die wahre Kantnachfolge ist hierbei eine nicht zu vernachlässigende Größe.
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Deutschen Idealismus annimmt, so stellt sich weniger die Frage, ob Schelling nach dem Identitätssystem oder später den Idealismus verlassen habe. Vielmehr wird die Betrachtung der verschiedenen Systeme, ihrer Grundbegriffe und Grundannahmen wesentlich. In der Freiheitsschrift lässt sich diesem Grundsatz folgend eine Neuausrichtung des Systemzentrums konstatieren, die zu einer Abkehr vom Absoluten als Begriffsidentität einerseits und zugleich zu einer Abgrenzung vom transzendentalphilosophischen Grundsatz führt. Mit dem identitätsphilosophischen Begriff des Absoluten ist die strukturelle Wertschätzung individueller Freiheit unvereinbar. Die Subjektphilosophie andererseits verwandelt nach Schelling die individuelle Freiheit in Willkür, weil sie mit der Inkorporierung des Ordnungsprinzips in die Subjektivität das universale Maß und die Eingebundenheit der Subjektivität in eine überindividuelle Ordnung, die sie erst ermöglicht, preisgibt. Schelling löst bei dieser Neuausrichtung die Vernunftidentität nicht auf, sondern transformiert den Begriff der Identität von der Indifferenz in eine relationale Bezogenheit zweier einander differenter Momente – Schelling spricht von „zwei Principien“, „zwei Wesen“ – unter der immanenten Maßgabe der Liebe als idealer Form von Einheit, welche Einung und Unabhängigkeit beider Momente zusammenbringt, und als geistig-körperliche Verbundenheit die Natur bewusst nicht abwertet, sondern als Aspekt der Vernunft betrachtet. Identität wird zu einer Beziehung, auch von Denken und Natur, die Freiheit voraussetzt. In dieser Denkweise der Identität wird die Vernunft zum Inbegriff der idealen Form von Einheit, welche Differenz, Freiheit der Momente und friedliche Einung impliziert. Die Differenz ist nach Schelling nicht der Grund des Bösen, sondern Bedingung der Lebendigkeit der Beziehung,Voraussetzung der Freiheit beider Momente und aus diesem Grund conditio sine qua non der Realität der seinsollenden Identität als „freywilligste Einstimmigkeit der Principien“ (Schelling 1946, S. 145). Dagegen wird der gewaltsame Versuch die Differenz durch Totalisierung einer bloß partikularen Ordnung auszutilgen zum Inbegriff des Bösen – ein Verständnis das sich auch gegen Fichtes subjektivitätsphilosophischen Ansatz richtet. Aus der Freiheit um der Freiheit willen, wird so die Freiheit um der freisten Einheit willen. Diese Aufwertung der Differenz und des Verstandesdifferenten mit dem Verständnis der Identität als Liebe ist auch der Grund dafür, dass das sogenannte existentielle Moment,¹²⁸ die nicht-bewusste Produktivität weder das System auf-
Die Aufwertung des Nicht-Rationalen in der Freiheitsschrift stellt im Kontext der Fichteauseinandersetzung um die wahre Kantnachfolge keine überraschende Entwicklung dar. In der Abgrenzung von Fichtes Nicht-Ich und von dessen impliziter Denkweise der Natur ist bereits in Schellings Frühphilosophie die Tendenz, das Kantische Ding an sich anders, nämlich nicht nur als Schranke des Ich, in das System der Freiheit zu integrieren, und damit selbst als eine Art von
4.2 Die Bedeutung der Freiheitsschrift für die idealistische Systemphilosophie
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sprengt noch das systematische Denken generell übersteigt. Das Ideal der Einheit dieses Systems ist nicht das sich selbst denkende Denken, sondern ein Selbstbezug des Rationalen und des Nicht-Rationalen, der zugleich ein „organisches Ganzes“¹²⁹ bildet.
4.2.3 Die Neubewertung des Nicht-Rationalen als genuiner Teil des Endlichen Mit der Aufnahme des Schöpfungsgedankens in die Systemphilosophie wird das Gewolltsein des Endlichen gedacht, das so nicht länger Beiwerk ist. Das „Freiwerdende ist das von Gott Beabsichtigte und Gewollte“ (Schelling 1990, S. 170), schreibt Schelling im System der Weltalter. Begründet durch die Liebe als Ideal der Einheit, wird die endliche Freiheit mit der Schöpfungskonzeption auch strukturell gewürdigt. Sie ist mit ihr als solche, in ihrer Unvollkommenheit gewollt. Die damit von Schelling festgeschriebene ontologische Dignität der endlichen Freiheit führt zugleich zu einer Neubewertung des Nicht-Rationalen. Deutlich später, nämlich in der Einleitung in die Philosophie, fasst Schelling die Bedeutung dieser Neuausrichtung für seine Systemphilosophie in folgende Worte: Der Begriff der Schöpfung ist das eigentliche Ziel einer positiven Philosophie. […] Es konnte unmöglich fehlen, daß die Vernunft sich aus den Drangsalen der Substantialität zu retten suchte; der aber, welcher einmal das höhere Erkennen gekostet hat, die Welt durch eine freie Ursache zu begreifen wird nimmermehr in die Enge der rationalen System[e] zurückkehren, nimmermehr sich Stein statt des Brotes geben lassen. (Schelling 1989, S. 117)
Schelling bricht in den Philosophischen Untersuchungen mit dem Grundgedanken der Identitätsphilosophie, indem er das Nicht-Rationale aufwertet und dadurch die alles Nicht-Identische ausschließende absolute Vernunft relativiert. Das zeigt sich nicht nur an der Bewertung der platonischen Materie, sondern auch an der Schöpfungskonzeption und der intelligiblen Tat. Der von Schelling damit, zunächst fast unbemerkt eingeschlagene Weg, gewinnt in den Stuttgarter Privat-
Produktivität zu denken. Die Schlussfolgerung, dass es sich bei dem existentiellen Moment: der Kontingenz, dem Nicht-Deduzierbaren, dem Emotiven, nicht um ein genuin idealistisches Moment handle, muss damit widersprochen werden. Bereits in Kants Philosophie findet sich die Vorgabe zu dieser idealistischen Ausprägung. Dass sie nun in Schellings mittlerer Philosophie wichtiger wird, zeigt dementgegen also vielmehr, dass die Idealismusdefinition als apriorische Wissenschaft unzureichend ist. Vgl. AA I,, S. / SW III, S. [Hervorhebung L.E.]: „Die Einsicht in diese innere Nothwendigkeit aller Naturerscheinungen wird freylich noch vollkommner, sobald man bedenkt, daß es kein wahres System giebt, das nicht zugleich ein organisches Ganzes wäre“.
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vorlesungen, den Weltaltern, der Philosophie der Mythologie und Offenbarung zunehmend an Kontur. Und er lässt sich von diesen rückblickend in seiner Bedeutung ermessen. Diese Neuausrichtung treibt zugleich die Kritiker auf den Plan. Von Irrationalismus, irrationaler Schöpfung, Scheitern des Systems ist die Rede. Auch wenn diesen Thesen mit guten Gründen widersprochen werden kann und trotz ihrer ungerechtfertigten Abwertung, weisen sie auf eine Erkenntnis hin, die richtig ist: Das Ende des rationalistischen Standpunkts in Schellings Denken, das er selbst rückblickend feiert. So betont er in der Philosophie der Offenbarung von 1841/42, dass die „Identitätsphilosophie […] sich in jenen ihren Schranken des Existierenkönnenden nicht halten“ (Schelling 1993, S. 122) konnte. Die ausschließliche Betrachtung der Wirklichkeit unter der Maßgabe des logisch Notwendigen, welche nur das Mögliche, das Sein-Könnende berücksichtige, nicht aber die „außerlogische Natur der Existenz“ (SW XIII, S. 95), habe dazu geführt, dass dieses System „alle Existenz ausschloß“ (Schelling 1993, S. 122). Der qualitative Unterschied von möglicher und existierender Wirklichkeit ist in diesem Rückblick Schellings bereits reflektierte Grundüberzeugung und spiegelt sich methodisch in der Zweiteilung der Philosophie in negative und positive. Explizit wird die spätere Bewertung der 1809 vollzogenen systematischen Neuausrichtung in Schellings Hegelkritik. In seiner Spätphilosophie wirft er Hegels Philosophie vor, auf dem „Standpunkt der reinen Vernunft“ (Schelling 1993, S. 125) stehen geblieben zu sein, weshalb er den „Übergang[s] aus der Logik in die Naturphilosophie“ nicht wahrhaft vollziehen könne. „Ein bloßer Begriff kann sich offenbar nicht ‚entschließen‘“ (Schelling 1993, S. 130 f.). Schöpfung und „Offenbarung setzt den wirklichen Gott, ein reelles Verhältnis des menschlichen Bewußtseins zu Gott voraus. Diese kann die Vernunftwissenschaft nicht einmal als Möglichkeit in sich enthalten“ (Schelling 1993, S. 136). Hier werde eine „Kategorie“ in Anspruch genommen, die „es in einem rein rationalen System“ nicht gebe, und die auch nicht als ein „anders= oder sich=untreu=Werden[s] der Idee“ (SW X, S. 213) zu begreifen sei. Mit dem „rein Rationalen“ als dem „nothwendig zu Denkenden“, „dem nur nicht nicht zu Denkenden“ sei selbst über die Kategorie der Entfremdung nicht an die „Wirklichkeit heranzukommen“ (SW X, S. 211– 213). Dafür, so betont Schelling, bedürfe es vielmehr eines Positiven,¹³⁰ welches den „ins Idealische umgeschriebene[n] Spinozismus“ (Schelling 1972, S. 234) durchbreche.
Vgl. SW XIII, S. : „Die Philosophie, die Hegel dargestellt, ist die über ihre Schranken getriebene negative, sie schließt das Positive nicht aus, sondern hat es ihrer Meinung nach in sich, sich unterworfen“.
4.2 Die Bedeutung der Freiheitsschrift für die idealistische Systemphilosophie
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Mit diesem idealisierten Spinozismus spricht er aber nicht nur die hegelsche Philosophie an, sondern sein eigenes Identitätssystem, welches er durch Hegel – ins Absolute gewendet – fortgeschrieben sah.¹³¹ In der Hegelkritik der Spätphilosophie äußert sich Schelling damit auch zu seiner eigenen Identitätsphilosophie,¹³² in welcher „von dem, was wirklich existirt, und also auch von Erkenntniß in diesem Sinn gar nicht die Rede ist, sondern nur von den Verhältnissen, welche die Gegenstände im bloßen Denken annehmen“ (SW X, S. 125). Aus diesem Grund könne der Übergang der Idee in die Natur bei Hegel auch nicht gedacht werden. Wie sehr er dabei mit dem Problem seines eigenen Identitätssystems konfrontiert ist, zeigt sich in der Grundlegung der positiven Philosophie. Schelling bezieht sich hier auf die hegelsche Encyklopädie und betont aus dieser zitierend: Eine andere Stelle findet sich in der 1. Ausgabe der ‚Encyklopädie‘: Die Natur sei ‚mit Recht‘ dargestellt worden als ein ‚Abfall der Idee von sich selbst‘. […] Allein zwischen dem Abfall und dem Ewigen fehlt es an allem Mittelglied zwischen Ewigkeit und Zeit. Auf jeden Fall ist dieser Abfall ein Ereignis. Insofern passt er durchaus nicht in Hegel’s Logik. (Schelling 1972, S. 231 f.)
Der Gedanke der Herkunft des Endlichen aus dem Absoluten durch einen Abfall der Idee, der als Tathandlung gedacht wurde, ist Schellings eigener im Jahr 1804. Und bereits in der Freiheitsschrift versucht Schelling diesen Übertritt als nichtdeduzierbare Tat, mit Kants intelligibler Tat als ein Positives im Sinne der Spätphilosophie zu denken, welche zwischen Freiheit und Notwendigkeit in der Mitte steht, sowie das Absolute so zu konzipieren, dass ein solches Ereignis systematisch denkbar wird. Das Prinzip, das den Anteil an der faktischen Welt ausmacht, der nie im Verstand aufgeht – und also irrational ist –, durch welchen sie sich vom bloß Denkbaren unterscheidet, nennt Schelling in der Freiheitsschrift Grund von respektive Grund zur Existenz. Dies ist der Aspekt des Willens, der nicht verständig ist, die reine Produktivität, die an sich betrachtet, die Möglichkeit zu allem bietet. Der entscheidende Schritt zur Abwendung von der „Enge der rationalen System[e]“ geschieht mit der Freiheitsschrift und dem ihr in aller Deutlichkeit eingeschriebenen nie in den Verstand aufgehenden Rest. Michelle Kosch ist insofern nur Recht zu geben, wenn er 2006 schreibt, „Schelling spent the rest of his
Schelling behauptet in der Philosophie der Offenbarung, Hegel habe die Methode seiner Identitätsphilosophie – allerdings ohne die „intellektuelle Anschauung voraussetzen zu müssen“ – in „ihrer Reinheit“ festgehalten und sie zu einer „absoluten“ (Schelling , S. f.) Philosophie gemacht. Vgl. besonders SW X, S. – , SW XIII, S. f.; Voßkühler , S. ; Hühn , S. – ; Frank , S. – .
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4 Die Neuausrichtung des Systems
career working out, in one way or another, the consequences of the shift in view that began with the Freiheitsschrift.“ (Kosch 2006, S. 88)¹³³ Und es lässt sich präzisieren, dass diese Veränderung hervorgeht aus der Lösung der Problematik, das Böse als Vollzug endlicher Freiheit zu denken, und in der methodischen und ontologischen Aufwertung des Nicht-Rationalen, des sogenannten existentiellen Moments besteht, das lange als nicht-idealistisch galt.
Vgl. Wenz , S. : „Die Freiheitsschrift markiert nicht nur eine Neuorientierung Schellings, sondern eine folgenreiche Wende in der Philosophie des Deutschen Idealismus insgesamt.“
5 Anhang 5.1 Siglenverzeichnis AA
AW
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1976 ff.): Historisch-kritische Ausgabe. Jörg Jantzen u. a. im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.). Stuttgart-Bad Cannstatt [mit römischer Ziffer für die Abteilung und arabischer für den Band; ggf. ergänzt durch die Stellenangabe der SW]. AA I,1, S. 59 – 100 | „Antiquissimi de prima malorum humanorum origine philosophematis Genes. III. explicandi tentamen criticum et philosophicum“ (1792); Übersetzung von R. Mokrosch, AA I,1, S. 101 – 148 (SW I, S. 1 – 40) AA I,1, S. 193 – 246 | „Ueber Mythen, historische Sagen und Philosopheme der ältesten Welt“ (1793) (SW I, S. 41 – 83) AA I,2, S. 67 – 175 | „Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen“ (1795) (SW I, S. 149 – 244) AA I,3, S. 49 – 112 | „Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriticismus“ (1795) (SW I, S. 281 – 341) AA I,4, S. 57 – 190 | „Allgemeine Uebersicht der neusten philosophischen Literatur“ (1797/98) (SW I, S. 343 – 452 u. S. 453 – 473)¹ AA I,5 | „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ (1797) (SW II, S. 1 – 343) AA I,6, S. 64 – 270 | „Von der Weltseele. Eine Hypothese der höhern Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus“ (1798) (SW II, S. 345 – 583) AA I,7 | „Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. Zum Behuf seiner Vorlesungen“ (1799) (SW III, S. 1 – 268) AA I,8, S. 23 – 76 | „Einleitung zu seinem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. Oder: Ueber den Begriff der speculativen Physik und die innere Organisation eines Systems dieser Wisenschaft“ (1799) (SW III, S. 269 – 326) AA I,9,1 | „System des transscendentalen Idealismus“ (1800) (SW III, S. 327 – 634) AA I,10, S. 83 – 106 | „Anhang zu dem Aufsatz des Herrn Eschenmayer betreffend den wahren Begriff der Naturphilosophie, und die richtige Art ihre Probleme aufzulösen vom Herausgeber“ (1801) (SW IV, S. 79 – 103) AA I,10, S. 107 – 211 | „Darstellung meines Systems der Philosophie“ (1801) (SW IV, S. 105 – 212) AA III,1 | „Briefwechsel 1786 – 1799“ AA III,2,1 | „Briefwechsel 1800 – 1802“ Aristoteles (1956 ff.): Werke in deutscher Übersetzung. Begr. von Ernst Grumach. Fortgef. von Hellmut Flashar. Christof Rapp (Hrsg.). Berlin, Darmstadt [mit Kurztitel und BekkerPaginierung]. AW, Poe | „Poetik“ (Bd. 5) AW, Phy | „Physikvorlesung“ (Bd. 11) AW, Leb | „Über die Teile der Lebewesen“ (Bd. 17, S. 17 – 125)
In Schellings Philosophischen Schriften (Landshut ) unter dem Titel: Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre veröffentlicht.
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5 Anhang
Enn. Plotin (1956 – 1971): Plotins Schriften. Übersetzt von Richard Harder. Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen. Hamburg [zitiert entsprechend der durch Prophyrios vorgenommenen Einteilung in Enneaden und mit arabischer Ziffer für den Paragraphen und die Zeile (Z.)]. Enn. III 8 | „Die Natur, die Betrachtung und das Eine“ (Bd. 3, S. 2 – 33, chron. R. 30) Enn. V 5 | „Die geistigen Gegenstände sind nicht außerhalb des Geistes. Das Gute“ (Bd. 3, S. 70 – 103, chron. R. 32) Enn. V 9 | „Geist, Ideen und Seiendes“ (Bd. 1, S. 102 – 127, chron. R. 5) Enn. VI 8 | „Der freie Wille und das Wollen des Einen“ (Bd. 4, S. 2 – 61, chron. R. 39) Enn. VI 9 | „Das Gute (das Eine)“ (Bd. 1, S. 170 – 207, chron. R. 9) FGA Fichte, Johann Gottlieb (1962 ff.): Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Reinhard Lauth/Hans Gliwitzky (Hrsg.). Stuttgart-Bad Cannstatt [mit römischer Ziffer für die Abteilung und arabischer für den Band]. FGA I,1, S. 1 – 162 | „Versuch einer Critik aller Offenbarung“ (1792/93) FGA I,2, S. 31 – 67 | „Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Hrn. Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik. 1792“ (1794) FGA I,2, S. 79 – 89 | „Ueber die Würde des Menschen, Beym Schlusse seiner philosophischen Vorlesungen gesprochen“ (1794) FGA I,2, S. 91 – 172 | „Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, als Einladungsschrift zu seinen Vorlesungen über diese Wissenschaft“ (1794) FGA I,2, S. 173 – 461 | „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer“ (1794/95) FGA I,4, S. 167 – 281 | „Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre“ (1797/98) FGA I,5, S. 1 – 317 | „Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre“ (1798) FGA I,5, S. 318 – 357 | „Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche WeltRegierung“ (1798) FGA I,5, S. 359 – 365 | „Ankündigung (der Appellation an das Publikum)“ (1799) FGA I,6, S. 145 – 311 | „Die Bestimmung des Menschen“ (1800) FGA I,8, S. 141 – 396 | „Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters“ (1806) FGA I,9, S. 1 – 212 | „Die Anweisung zum seeligen Leben, oder auch die Religionslehre“ (1806) FGA I,10, S. 1 – 298 | „Reden an die deutsche Nation“ (1808) FGA III,2 | „Briefwechsel 1793 – 1795“ FGA III,5 | „Briefwechsel 1801 – 1806“ HW Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1968 ff.): Gesammelte Werke. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Hrsg.). Hamburg. HW IX | „Phänomenologie des Geistes“ (1807) JW Jacobi, Friedrich Heinrich (1998 ff.): Werke. Gesamtausgabe. Klaus Hammacher/Walter Jaeschke (Hrsg.). Hamburg, Stuttgart-Bad Cannstatt [mit römischer Ziffer für die Abteilung und arabischer für den Band]. JW I,1, S. 1 – 146 | „Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn“ (1785)
5.1 Siglenverzeichnis
KA
KW
LS
PW
SW
263
JW II,1, S. 187 – 225 | „Jacobi an Fichte“ (1799) Kant, Immanuel (1902 ff.): Kant’s gesammelte Schriften. Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.). Berlin [mit römischer Ziffer für den Band; Textstellen aus den drei Kritiken (KrV, KpV, KU) sind um die Paginierung der 1. (A) respektive 2. (B) Auflage ergänzt]. KA III | „Kritik der reinen Vernunft. 2. Auflage“ (1787) KA IV, S. 1 – 252 | „Kritik der reinen Vernunft. 1. Auflage“ (1781) KA IV, S. 253 – 384 | „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können“ (1783) KA IV, S. 385 – 464 | „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785) KA V, S. 1 – 164 | „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) KA V, S. 165 – 486 | „Kritik der Urtheilskraft“ (1790) KA VI, S. 1 – 202 | „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793) KA VI, S. 203 – 493 | „Die Metaphysik der Sitten“ (1797) KA VIII, S. 253 – 271 | „Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee“ (1791) KA VIII, S. 325 – 339 | „Das Ende aller Dinge“ (1794) KA VIII, S. 387 – 406 | „Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie“ (1796) KA XVIII | „Handschriftlicher Nachlaß. Bd. 5: Metaphysik, Teil 2“ KA XIX | „Handschriftlicher Nachlaß. Bd. 6: Moralphilosophie, Rechtsphilosophie und Religionsphilosophie“ KA XXII | „Handschriftlicher Nachlaß. Bd. 9: Opus postumum, Hälfte 2“ Kierkegaard, Sören (1950 – 1974): Gesammelte Werke. Übersetzt von Emanuel Hirsch. Emanuel Hirsch u. a. (Hrsg.). Düsseldorf, Köln [mit arabischer Ziffer für die Abteilung]. KW 11/12 | „Der Begriff Angst“ (1844) KW 16,1 | „Abschliessende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken. Erster Band“ (1846) KW 37 | „Die Tagebücher. Erster Band“ (1834 – 1844) Leibniz, Gottfried Wilhelm (1978): Die philosophischen Schriften. Carl Immanuel Gerhardt (Hrsg.). Nachdruck der in Berlin erschienen Ausgabe von 1875 – 1890. Hildesheim [mit römischer Ziffer für den Band]. LS VI, S. 1 – 488 | „Essais de Theodicée“ (1710) Platon (1977): Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch. Gunther Eigler (Hrsg.). Darmstadt [mit Kurztitel und Stephanus-Paginierung]. PW, Apo | „Des Sokrates Verteidigung“ (Bd. 2, S. 1 – 69) PW, Pol | „Der Staat“ (Bd. 4) PW, Phai | „Phaidros“ (Bd. 5, S. 1 – 193) PW, Polit | „Der Staatsmann“ (Bd. 6, S. 403 – 579) PW, Tim | „Timaios“ (Bd. 7, S. 1 – 209) PW, Phil | „Philebos“ (Bd. 7, S. 255 – 443) PW, Nom | „Nomos“ (Bd. 8) Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1856 – 1861): Friedrich Wilhelm Joseph von Schellings Sämmtliche Werke. Karl Friedrich August Schelling (Hrsg.). Stuttgart, Augsburg [mit römischer Ziffer für den Band; durchgängig nummeriert].
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5 Anhang
SW II, S. 1 – 343 | „Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft. 1797. Zweite Auflage“ (1803)² SW IV, S. 213 – 332 | „Bruno oder über das göttliche und natürliche Princip der Dinge“ (1802) SW IV, S. 333 – 510 | „Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie“ (1802) SW V, S. 207 – 352 | „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums“ (1803) SW V, S. 353 – 736 | „Philosophie der Kunst“ (Nachlass, 1802/03) SW VI, S. 11 – 70 | „Philosophie und Religion.“ (1804) SW VI, S. 71 – 130 | „Propädeutik der Philosophie“ (Nachlass, 1804) SW VI, S. 131 – 576 | „System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere“ (Nachlass, 1804) SW VII, S. 1 – 126 | „Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre“ (1806) SW VII, S. 140 – 197 | „Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie“ (1806) SW VII, S. 331 – 416 | „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände“ (1809) SW VII, S. 417 – 484 | „Stuttgarter Privatvorlesungen“ (Nachlass, 1810) SW VIII, S. 145 – 189 | „Briefwechsel mit Eschenmayer bezüglich der Abhandlung ‚Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit‘“ (1810 – 1812) SW VIII, S. 195 – 344 | „Die Weltalter. Erstes Buch“ (Nachlass) SW X, S. 1 – 200 | „Zur Geschichte der neueren Philosophie. Münchener Vorlesungen“ (Nachlass) SW X, S. 201 – 224 | „Vorrede zu einer philosophischen Schrift des Hrn. Victor Cousin“ (1834) SW XI | „Einleitung in die Philosophie der Mythologie“ (Nachlass) SW XII | „Philosophie der Mythologie“ (Nachlass) SW XIII | „Philosophie der Offenbarung“ (Nachlass) SW XIV | „Philosophie der Offenbarung“ (Nachlass)
Das ist die zweite, veränderte und erweiterte Auflage der Schrift Ideen zu einer Philosophie der Natur.
5.2 Literaturverzeichnis
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5.2 Literaturverzeichnis Adorno, Theodor W. (2001): Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit (1964/65). Rolf Tiedemann (Hrsg.). Frankfurt am Main. Arendt, Hannah (2006): Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. Aus dem Nachlaß. Jerome Kohn (Hrsg.). München, Zürich. Aristoteles (1956 ff.): Werke in deutscher Übersetzung. Begr. von Ernst Grumach. Fortgef. von Hellmut Flashar. Christof Rapp (Hrsg.). Berlin, Darmstadt [= AW mit Kurztitel und Bekker-Paginierung]. Asmuth, Christoph (2006): Interpretation – Transformation. Das Platonbild bei Fichte, Schelling, Hegel, Schleiermacher und Schopenhauer und das Legitimationsproblem der Philosophiegeschichte. Göttingen. Augustinus, Aurelius (1980): Confessiones – Bekenntnisse. Lateinisch und Deutsch. Joseph Bernhart (Hrsg.). 4. Auflage. Darmstadt [mit römischer Ziffer für das Buch]. Axt-Piscalar, Christine (1996): Ohnmächtige Freiheit. Studien zum Verhältnis von Subjektivität und Sünde bei August Tholuck, Julius Müller, Sören Kierkegaard und Friedrich Schleiermacher. Tübingen. Bacsó, Béla (1999): „‚Seyn‘ und Privation. Das platonische Erbe bei Schelling und Heidegger“. In: István M. Fehér/Wilhelm G. Jacobs (Hrsg.): Zeit und Freiheit. Schelling – Schopenhauer – Kierkegaard – Heidegger. Akten der Fachtagung der Internationalen Schelling-Gesellschaft Budapest, 24. bis 27. April 1997. Budapest, S. 193 – 199. Ballauff, Theodor/Scheerer, Eckart (1984): „Organ“. In: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 6. Darmstadt, Sp. 1317 – 1325. Bangerl, Wilhelm J. (2006): Das Nichts als Ab-Grund der Freiheitsgeschichte. Perspektiven der Gotteserfahrung im Zeitalter der Nichtsbedrohtheit aus der Begegnung mit Luigi Pareyson, Franz Rosenzweig, Karl Barth und Hans Urs von Balthasar. Wien, Berlin. Barbarić, Damir (1999): „Zeitlichkeit, Sein und Seiendes. Schelling – Heidegger“. In: István M. Fehér/Wilhelm G. Jacobs (Hrsg.): Zeit und Freiheit. Schelling – Schopenhauer – Kierkegaard – Heidegger. Akten der Fachtagung der Internationalen Schelling-Gesellschaft Budapest, 24. bis 27. April 1997. Budapest, S. 215 – 224. Baumgarten, Hans-Ulrich (2000): „Das Böse bei Schelling. Schellings moralphilosophische Überlegungen im Ausgang von Kant“. In: Kant-Studien 91, S. 447 – 459. Beck, Lewis White (1993): „Kant’s Two Conceptions of the Will in Their Political Context“. In: Ronald Beiner (Hrsg.): Kant & Political Philosophy. The Contemporary Legacy. New Haven, London, S. 38 – 49. Beierwaltes, Werner (1966/67): „Ἐξαίϕνης oder: Die Paradoxie des Augenblicks“. In: Philosophisches Jahrbuch 74, S. 271 – 283. Beierwaltes, Werner (1980): Identität und Differenz. Frankfurt am Main. Beierwaltes, Werner (1985): Denken des Einen. Studien zur Neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte. Frankfurt am Main. Beierwaltes, Werner (1990): „Einführung“. In: Plotin: Geist – Ideen – Freiheit. Enneade V 9 und VI 8. Griechisch-Deutsch. Griech. Lesetext u. Übers. von Richard Harder. In einer Neubearb. fortgef. von Rudolf Beutler und Willy Theiler. Einleitung und Bemerkungen zu Text und Übers. und bibliograph. Hinweise von Werner Beierwaltes. Hamburg, S. XI–XLII. Beierwaltes, Werner (2001): Das wahre Selbst. Studien zu Plotins Begriff des Geistes und des Einen. Frankfurt am Main. Beierwaltes, Werner (2004): Platonismus und Idealismus. 2. Auflage. Frankfurt am Main.
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5 Anhang
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276
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280
5 Anhang
5.3 Personenverzeichnis Adorno, Theodor W. 48, 63 Aquin, Thomas von 105 Arendt, Hannah 104 Aristoteles 3, 111, 126, 202 – 204, 209 Asmuth, Christoph 193 Augustinus, Aurelius 105, 110, 138, 177, 244 Axt-Piscalar, Christine 17, 22, 151, 187 Baader, Franz von 18, 113 Ballauff, Theodor 111 Bangerl, Wilhelm J. 12 Barbarić, Damir 20 Baumgarten, Hans-Ulrich 99, 169 Beck, Lewis W. 49 Beierwaltes, Werner 2 f., 30, 33, 158, 179 f., 193, 218, 220 f., 228 f., 232, 243 f. Betz, John R. 12, 14 f., 227 Blumenberg, Hans 9 f., 98 Boenke, Michaela 126, 132, 134, 136 Böhme, Jakob 18 Bojanowski, Jochen 98, 101, 107 Brush, Jack E. 105 Buchheim, Thomas 170 Courtine, Jean-François Cürsgen, Dirk 9
20, 126, 132
Dalfen, Joachim 9 Dalferth, Ingolf U. 99, 166, 234 Danz, Christian 230 Denker, Alfred 165, 242 Descartes, René 120, 171 Dihle, Albrecht 127 Dörendahl, Roswitha 149, 237 Durner, Manfred 1, 20, 68 Egloff, Lisa 7, 148, 159, 255 Ehrensperger, Florian 4 Ehrhardt, Walter E. 26 Eidam, Heinz 37 f., 61, 64 Eisler, Rudolf 40 Eschenmayer, Karl A. 79 Feger, Hans 110, 144 Feuerbach, Ludwig 67, 80
Fichte, Johann G. 1, 4, 6 – 8, 11 – 14, 20, 22 f., 27 f., 30 – 35, 39, 49, 54, 57 f., 60 – 66, 68 – 74, 77, 83 – 91, 95 – 97, 99, 103, 108, 116 – 125, 127, 139 f., 148, 152 f., 155, 162 – 168, 172, 174, 178, 180, 184 f., 187 – 192, 195, 198, 203 f., 210, 212 – 220, 222 f., 225, 230 f., 238 f., 242 – 249, 256 Figal, Günter 12, 150 Forberg, Friedrich C. 8, 248 Forschner, Maximilian 125 Frank, Manfred 61, 226 f., 246, 259 Frické, Martin 12 Fuhrmans, Horst 14, 17 f., 20, 22, 25, 181, 244, 252 Gadamer, Hans-Georg 150 Geismann, Georg 49 Gigon, Olof 210 Gräb-Schmidt, Elisabeth 138 Habermas, Jürgen 16, 143, 156, 232, 236 f., 251 Hahn, Rainald 38 Halfwassen, Jens 30 Hegel, Georg W.F. 1, 12 – 16, 18 f., 24, 30 f., 67, 80, 136, 198, 226, 231, 252 f., 258 f. Heidegger, Martin 5, 16, 20 f., 25, 94, 168 – 170, 225, 240 – 242, 249 Heinrich, Klaus 138 Hemmerle, Klaus 17 Hennigfeld, Jochem 12, 21, 24, 28, 150 Henrich, Dieter 7, 31, 172 Herkules 145 Hermanni, Friedrich 21, 109, 167 Höffe, Otfried 97 Holz, Harald 18, 22, 26 Hühn, Lore 5 – 7, 12 f., 27 f., 30, 32, 55, 67, 69, 99, 118, 120 f., 126 f., 130, 132 – 134, 150, 158, 162, 179 f., 187, 244, 259 Hutter, Axel 139, 150, 239, 247 Iber, Christian Ixion 150
11, 20, 217
5.3 Personenverzeichnis
Jacobi, Friedrich H. 7 f., 119, 135, 148, 162 f., 168, 173, 189 Jacobs, Wilhelm G. 18, 109, 175 Jähnig, Dieter 33 Jantzen, Jörg 58 Jaspers, Karl 15, 19 Johannes, Apostel 117, 231 Jonas, Hans 229 Kant, Immanuel 3 f., 6 f., 9, 11, 15, 20, 25, 27, 29 – 54, 56 – 61, 63, 65 f., 69, 71 – 74, 76, 78, 80, 82, 84, 86 f., 96 – 101, 103 – 112, 117, 120 – 130, 133 – 136, 139 – 141, 144 – 146, 148, 151, 155, 157 f., 160 f., 165 – 167, 169, 171, 173 f., 176, 179, 182, 184, 188, 191, 193, 195, 199, 210, 223, 227, 238 – 240, 243, 245 f., 248, 255 – 257, 259 Kasper, Walter 17 Kierkegaard, Sören 12 f., 15 f., 23 f., 28, 128, 143 f., 146, 150 – 152, 157 f., 166 f. Köppen, Friedrich 68, 76, 80 f., 168 Kosch, Michelle 32, 259 f. Krause, Karl C.F. 17 Krings, Hermann 50, 195 Kroner, Richard 13 Küppers, Bernd-Olaf 53 Leibniz, Gottfried W. 4, 94, 101, 103 f., 120, 124, 165 f., 175, 202, 206 Leinkauf, Thomas 194 Loer, Barbara 25 f. Loock, Reinhard 126 Löwith, Karl 6, 12 Ludwig, Bernd 98 Lukács, Georg 67, 80 Luther, Martin 105, 110, 115, 138 Lüthi, Kurt 17 Magnus, Albertus 204 f., 210 Maimon, Salomon 4, 67, 199, 210 Marquard, Odo 27, 93 Marx, Werner 171 Maximilian II., König von Bayern 177 Mittmann, Jörg-Peter 69 Moiso, Francesco 245 Müller, Julius 17
281
Nietzsche, Friedrich 12 Norman, Judith 64 Oesterreich, Peter L.
166
Pannenberg, Wolfhart 216, 230, 248 Pedro, Teresa 91 Peetz, Siegbert 21, 27, 140, 153, 193 Pieper, Annemarie 145 Platon 1 – 3, 9, 18, 25, 53, 64, 102, 114, 121, 146 – 148, 153, 158, 178 f., 192 – 198, 200 – 205, 207 – 210, 225, 227, 233, 235, 237, 249, 257 Plotin 2 f., 33, 179 f., 218, 220 f., 223, 228 f., 243 – 245 Portmann, Stephan 27 Prauss, Gerold 49, 98, 107, 245 Pries, Christine 134 Prometheus 161, 186 Purkarthofer, Richard B. 20, 32 Rahner, Karl 96 Reinhold, Carl L. 39, 47 f., 67 Ribbing, Sigurd 185 Ricœur, Paul 9, 93, 98, 100, 102, 125 f., 137 f., 145, 157, 167 – 169 Rieger, Hans-Martin 98 f., 105, 110, 113, 115, 186 Rosenzweig, Franz 12, 14 f., 28, 227, 250 f., 253 Rücker, Silvie 4, 68, 199, 239 Sauer, Ephorus 185 Scheerer, Eckart 111 Scheier, Claus-Artur 20, 125 f., 138 Schlegel, Friedrich 4 f., 62, 68, 80 f., 94 – 96, 152, 213, 217 Schleiermacher, Friedrich 177 Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich 53, 59 Schmitt, Arbogast 9 Schopenhauer, Arthur 12, 64 f. Schröter, Manfred 18 Schulte, Christoph 27 Schulz, Walter 13 – 15, 19, 22, 25 f., 76, 102, 110, 154, 226, 229, 247, 251, 253 Schulze, Wilhelm A. 230 Schwab, Philipp 126
282
5 Anhang
Schwenzfeuer, Sebastian 67 Seel, Martin 106 Seidensticker, Bernd 126, 143 Shibuya, Rie 81, 219 Sievernich, Michael 96 Sophokles 126 f. Spinoza, Baruch de 30, 32, 58, 62 f., 79, 83, 94, 119, 135, 141, 192, 227, 250, 258 f. Stamer, Gerhard 45, 48 Stolzenberg, Jürgen 85, 87, 89 Sturma, Dieter 27, 47, 56, 153 Süß, Theobald 163 Szondi, Peter 126
Vergauwen, Guido 17 Voßkühler, Friedrich 15, 259 Vossenkuhl, Wilhelm 169 Weier, Winfried 162 Wein, Wolfgang 4, 11 Weischedel, Wilhelm 130, 179 Welsch, Wolfgang 254 Wenz, Gunther 22, 25, 260 Wieland, Wolfgang 18 f., 26, 149 f., 161 f., 186 Wimmershoff, Heinrich 26 f. Windelband, Wilhelm 6, 68 Yorikawa, Joji
Theunissen, Michael 1, 27 f., 150, 187 Tillich, Paul 15, 28, 96 Tilliette, Xavier 13, 16, 19, 25, 39, 69 Timaeus Locrus 197 Uehlein, Friedrich A.
12, 114, 147, 219, 249
21
Zaborowski, Holger 19, 25 Zeltner, Hermann 13 f., 16, 23, 26 f., 31, 255 Zimmermann, Laila 210 Zöller, Günter 6, 30, 33, 74, 140
5.4 Sachverzeichnis
283
5.4 Sachverzeichnis Abfall 5, 118, 189, 211, 231, 233, 259 Abgrund 17, 131, 142, 148, 151, 244, 253 Abhängigkeit 11, 60, 101, 110 – 112, 115, 122, 127, 152 f., 156 f., 170, 183, 187, 191, 246, 249 Absolute 2, 5 f., 8, 10 f., 17, 20, 26, 28, 33, 48, 55 f., 60 f., 63, 66, 68, 75 – 77, 79 f., 82, 93 f., 97, 102, 104 f., 113, 118 – 120, 125, 129, 131, 133, 135 f., 142, 157, 161, 163, 165 f., 170, 173, 175 f., 178, 180 f., 183, 185 – 187, 189 – 192, 194, 211, 213 – 215, 217, 221, 225 – 228, 230 f., 235 – 239, 241 f., 244, 246, 254 – 256, 259 Abstraktion 12, 39, 71, 73, 76 – 78, 175 An-sich 36, 40 – 42, 44 f., 54, 63 Anfang 20, 23 f., 31, 43, 56, 64, 68, 80, 83, 101, 108 f., 139, 141 f., 144, 152 f., 160, 172 – 174, 199, 210, 220 f., 224 – 228, 231 f., 234, 244, 249 f. Angst 9, 109, 128, 136, 143 – 146, 149 – 153, 157, 163, 167, 183 Anschauende 72, 175 Anschauung, intellektuelle 8, 11, 24, 29, 39 f., 42, 57, 66 – 72, 74 – 80, 82 f., 133, 172 f., 175, 179 f., 186, 188, 238, 241, 259 Anthropologie 26 f., 28, 122, 165 f., 169 ἄπειρον 193 – 195, 199, 208 Apperzeption 31, 66, 73, 76, 79, 223, 243 Armut 103, 254 Ästhetik 53, 126, 129, 133, 137, 176 Atheismus 7 f. Atheismusstreit 8, 162 Aufklärung 136 f. Autonomie 7, 39, 43, 46 f., 49 f., 65 f., 82, 87, 105 – 107, 124, 126, 129, 133, 152 f., 170, 182 Band 140, 156, 170 Basis, irrationale 6, 192, 196, 227, 234 Begehrungsvermögen 39, 49 f., 52, 59, 85 – 87 Begeisterung 80, 102 f., 159 Bewährung 174 Böse, moralische 97, 102, 104 f., 144 Böse, radikale 15, 96, 99, 105, 108, 122
Böse, übermoralische 7, 27, 97 f., 101, 105, 109 f., 117, 127, 142, 253 Bosheit 243 Chaos 10, 197 f., 218, 227, 234, 236 Charakter, intelligible 36, 45, 54 conscientia 181 Dämon 177, 185 Deutsche Idealismus 1, 12 – 15, 19, 21 f., 24 – 26, 28 – 31, 37, 69, 128, 192, 240, 253, 256 Dialektik 6, 36, 126 – 128, 131 – 133, 161, 165, 183, 185 Differenz, qualitative 192, 258 Differenz, quantitative 3, 5, 78, 82, 114 f., 189 Ding an sich 4, 6, 15, 25, 36, 38 – 41, 43 f., 54, 60, 64, 72, 120, 191 f., 195, 199, 210, 238 f., 256 Dogmatismus 54, 60, 63, 66, 119, 126 – 128, 131, 135 f., 164, 184 δυάς 193 Eigenständigkeit 3, 5, 26, 33, 58, 70, 79, 81 – 83, 94 f., 112, 118, 188 f., 191, 211, 214, 217, 225 f., 230, 232, 235, 250 f. Eigenwille 113, 154, 170, 178 Eine 3, 179 f., 220 f., 226, 229, 243, 245 Eingebundenheit 97, 113, 122, 127, 187, 190, 256 Einheit, wahre 116, 154 – 156, 163, 229 Einheitsgarant 5, 25, 32, 54 f., 58 f., 70, 120, 191 f., 215 f., 219, 222 – 224, 238, 241 – 245, 247 f., 250 Einschränkung 74, 102, 129, 218 f., 225, 230, 238 Einung 6, 179 f., 182, 224 f., 232, 234, 246 f., 252, 256 Einzelne 14, 115, 150, 155, 158, 254 Endlichkeit 5, 9 – 11, 14, 17, 19 f., 22, 25 f., 28 f., 56, 78 f., 82, 103, 117 – 119, 121, 123, 151, 165, 175 f., 178, 183, 186 f., 189 – 192, 194, 217, 221, 233, 235 – 239 Endlichkeit, radikale 18 f., 26, 186 f.
284
5 Anhang
Entfremdung 3, 89, 158, 176, 258 Entscheidung 108, 128, 139 – 141, 143, 151 Erhabenheit 55, 126, 129 – 131, 134 Erinnerung 136, 181 Erträglichkeit 131 – 133, 136 Erweckung 206 Ewige 77, 79, 194, 259 Ewigkeit 63, 158, 249, 259 Existentielle 11, 14 – 16, 19 – 21, 24, 28, 134, 136, 151, 256 f., 260 Existierende 12, 24, 83, 198 f., 202, 206 – 208, 212, 214 – 216, 220, 225 – 228, 233 – 236, 243 f., 246, 258 Fichtekritik 7, 99, 117, 123 f., 139, 170, 239 Fluch 136, 155 f., 158, 163 Form 36, 56, 78, 114, 193 – 195, 197, 199 – 208, 210 f., 220, 244 Formlose 64, 193 f., 196 f., 201, 203 f., 207, 210 f. Freigabe 192, 230, 237 Freiheit, absolute 5, 50, 127, 160, 166, 170 f., 195, 217, 228 Freiheit, endliche 3, 5 f., 10 – 12, 26, 68, 161, 171, 186 f., 191, 211 f., 230, 238, 257, 260 Freiheit, individuelle 67, 99, 114, 135, 155, 158, 169 f., 172, 183, 188 – 191, 196, 212 f., 229, 254, 256 Freiheit, negative 44 f., 90 Freiheit, positive 44 – 46 Freiheit, sittliche 133 Freiheit, transzendentale 42 Freiheitsbegriff 3, 31, 34 f., 42, 50, 84, 95 f., 123, 139, 150, 164, 174, 191, 200, 243, 246 Freiheitsgarant 109, 121, 125, 139, 170, 186, 212, 229 Freiheitsmissbrauch 3, 5 f., 99, 102, 110, 155, 179, 186, 230, 236, 243, 245, 250 Freiheitsvollzug 3, 5, 7, 11, 22 f., 27 f., 68, 91, 96 – 100, 107, 109, 117, 123 f., 128, 137, 139, 141, 169, 188, 190, 208, 230, 251, 260 Freilassen 211, 213, 229, 233, 236, 252 Frieden 54, 155, 176 Frühidealismus 15, 30, 64, 68, 214, 253
Gattung 51, 158 Gegenbild 110, 121, 123, 163 Geist 2 f., 5 – 7, 12, 24, 31, 36, 39, 53 f., 56 f., 60 f., 63, 67, 83 f., 102, 104, 113, 125, 135, 141, 146, 150 – 154, 156 f., 161, 169, 174, 183, 185 f., 189 – 191, 194, 197, 199 f., 214 f., 218 – 221, 223 – 226, 228 f., 232 – 234, 236, 239, 243 – 253, 255 Geisterwelt 251 Gewissen 82, 90, 175 f., 178, 180 – 186, 253 Gewordene 141, 152, 170, 179, 181, 185, 203, 208, 235 Glaube 8 f., 100, 135, 163, 184, 253 Gnade 137, 186 Gottheit 95, 127, 153, 194, 212 – 214, 216 f., 220, 222, 224, 226, 228 f., 231 f., 234, 237, 245 f., 248 Grenzbegriff 4, 36 – 39, 60, 168, 210, 239 Grund der Natur 69, 72, 74, 83, 105, 157, 188, 196 Grund des Bewusstseins 33, 55, 60 – 62, 66, 69, 72 – 74, 83 f., 88, 124 f., 140 f., 158, 167 f., 179 – 181, 185, 213 f., 216, 219 f. Grund des Bösen 91, 95, 139, 186, 256 Grund von Existenz 21, 75, 125, 145, 149, 152, 156 f., 170, 178, 192 f., 196 f., 199 f., 202 – 208, 210 – 212, 215 f., 218 – 221, 223, 226 f., 229, 232 – 241, 243 – 245, 249 f., 252, 259 Grund zur Existenz 6, 75, 156, 170, 220, 225 f., 259 Gut, höchste 2, 56, 131, 149, 153, 184, 225, 230 Gut und Böse 4, 17, 26, 81, 93 – 96, 104, 108, 140 – 143, 146, 169, 188 Hegelkritik 15 Hemmende 91, 211 Hervorhebung 206 – 208, 217 f., 229 Herz 100, 103, 174 Hilfsmittel 144, 202 Höchste 1 – 3, 8, 30, 63, 65, 102, 117, 164, 175, 186, 208, 213 f., 223, 226, 229, 242 – 245
5.4 Sachverzeichnis
Ich, absolute 29, 55, 57, 60, 88, 214, 216, 220, 225, 238 Ich, endliche 60, 216, 218 Identität, absolute 10, 28, 57, 62, 67, 69, 75, 77 – 79, 82, 188 – 190, 212 – 214, 220 f., 224, 226, 228, 231, 242 f., 247 Identitätsphilosophie 5, 13, 18 – 20, 25 f., 28, 42, 54 f., 66 – 69, 75 f., 80 – 82, 94, 101, 115 – 117, 131, 148, 161, 169, 175 f., 185, 188, 191 – 194, 196, 206, 212 – 214, 217, 219 f., 222 – 226, 242, 245, 256 – 259 Identitätssystem 1, 3 – 5, 7 f., 11 f., 18 f., 25 – 27, 32, 54 – 56, 59, 66 – 70, 75, 77, 79 – 81, 94 – 96, 114, 127, 131, 133, 172, 176, 180, 188 f., 191 f., 194, 211 – 213, 226, 256, 259 Indifferenz 66, 75 f., 83, 132, 142, 214, 220 – 222, 226, 243, 252, 256 Individualität 12, 67, 78, 81, 94, 96, 112, 114, 147, 149, 175, 191 Individuum 4, 48, 51, 113, 125, 152, 254 Ineinsbildung 149, 205, 211, 217 – 219, 225, 227 f., 235, 249 Irrationale 3 f., 6 f., 9 – 12, 22 – 25, 65, 95, 144, 167 f., 192, 195 – 200, 208, 210 f., 213, 227, 232, 235 – 241, 245 – 247, 250 f., 258 Irrationalismus 6, 8, 15, 18, 67, 80, 258 Johannesprolog
117, 178, 230 f.
Kampf 103, 126, 128 – 130, 132, 134 – 137, 193 Kantnachfolge 54, 109, 126 – 128, 213, 239, 252, 256 Kausalität 3, 8, 40 – 48, 50 – 52, 125, 188, 190, 230, 243 Kontingenz 26, 124, 165 – 168, 191, 206, 210 f., 226 f., 234 f., 257 Kontraktion 237 Korruption 156, 186, 251 Krankheit 99, 110 – 116, 121, 123, 154, 165, 187, 196, 199 Kreatur 101, 103 f., 108, 150, 154, 156, 208 Krieg 103 f., 155, 245, 254 Kritizismus 54, 64, 66, 126, 128, 131, 135
285
Leben 9, 16, 19 – 21, 24, 46, 49, 52, 57 f., 62 f., 77, 101, 104, 106, 110 – 116, 118, 135 f., 142 f., 149 – 153, 156 – 158, 163, 167, 171, 178, 183, 185, 188, 195, 203, 208, 215, 219, 223, 230 f., 235, 240, 247 – 249, 251, 253 Lebensblick 178, 182 Lebewesen 46, 84, 116, 133, 151, 157, 193, 219, 235 Leiden 57, 132, 161, 182 f. Liebe 63, 100, 117, 157, 170 f., 200, 202, 221 – 229, 231 – 233, 243 – 247, 249 f., 252, 255 – 257 Limitation 6, 103 f. Lüge 102, 116, 135, 148, 169, 185, 190, 251 Maß
6, 27, 86, 129, 154, 156, 163, 171 f., 174, 177 f., 181 – 183, 186, 188, 191 f., 199, 212 f., 229 f., 243 – 245, 250 f., 254, 256, 258 Materie 2 f., 18, 25, 42, 47, 51 – 53, 56, 64, 70, 120, 141, 192 – 197, 200 – 205, 208 – 211, 221, 233, 238, 257 Mensch 1, 8 – 10, 12, 17, 21, 23, 28 f., 45, 48, 66, 76 – 78, 82 – 84, 87, 89 – 91, 93 f., 99 – 104, 106 – 108, 111, 113, 116, 121 – 125, 129 f., 134 – 138, 140 – 152, 154 – 166, 168, 170 f., 174, 176 – 179, 181 – 183, 186 f., 191, 199 – 201, 211, 230, 232, 235 f., 239 f., 248 – 252, 254 f. Menschheit 81, 103, 127, 129, 133 f., 136, 155, 157, 161, 163 Metaphysik 18, 20 f., 25, 28, 30, 37, 63, 65, 101, 110, 168 f., 221, 230, 240 Mitleidenschaft 115 f., 128, 154, 169, 187, 190 Mitprinzip 3 f., 6 f., 10, 12, 65, 147, 196, 198, 200 – 205, 207 – 210, 234 – 237, 239 Mittel 8, 10, 51, 59, 122, 125, 146, 150, 211, 230 Mittelbegriff 27, 166, 187 Mittelbestimmung 109 Mittelpunkt 120, 164, 243, 255 Mitwissenschaft 181 μὴ ὂν 3, 194, 234
286
5 Anhang
Moral 9, 43, 46, 66, 99 – 101, 104 f., 110, 117, 124, 136, 142, 144, 163, 165, 168 f., 189, 245, 248 Mythos 8 f., 18, 93, 97, 137 f., 141 f., 161, 169, 197 f. Natur 3, 5, 10 f., 21, 32 – 34, 42 f., 46 f., 49 – 54, 56 – 59, 61 – 65, 67, 69 f., 72, 74 – 79, 82 – 85, 89 – 92, 94, 96 f., 104, 106 – 108, 110 – 114, 116, 119, 121 – 123, 125, 129, 132 – 134, 139, 141, 144 – 146, 149 – 152, 155 f., 165 f., 175, 178, 181, 184, 188 f., 191 – 193, 196 f., 199, 204, 206, 208, 212, 219 f., 222, 224, 227, 229, 231, 233, 235 f., 239, 242, 245, 247 f., 250 – 253, 255 – 259 natura naturans 47, 54, 58, 74, 83, 192, 196 natura naturata 47, 58, 74 Naturgesetz 40, 51, 166 Naturnotwendigkeit 41 f., 46 Naturphilosophie 1, 3, 13, 34, 53 f., 58 f., 61, 67 – 70, 72, 75, 82 f., 111, 114, 116, 188 – 191, 193, 196, 208, 212, 249, 258 Naturzweck 51 – 53, 56, 84 Neuausrichtung 2, 59, 68 f., 96, 168, 184, 192, 211, 236, 252 f., 256, 258 Nicht-Ich 6, 34, 60 f., 64, 70, 88, 119, 191 f., 216, 219 f., 238 f., 256 Nicht-Rationale 251, 253, 256 f., 260 Nicht-Verstand 211 Nichts 76, 80 f., 118 f., 162 f., 184, 220, 234, 244 Nichtseiende 1, 3, 102, 147 f., 211, 231 Nichtsein 2, 127, 131, 148, 156, 162, 199 Nihilismus 81, 119, 148, 156 f., 253 Noumenon 36 f., 39, 41, 59, 71, 240 Offenbarung 20, 26 f., 98, 100, 171, 200, 231 f., 258 Ohnmacht 126, 128 f., 133 f., 149, 151, 186, 229 Ordnungsgarant 8, 11, 48, 63, 94, 100, 105, 120, 124 f., 169, 172, 180 f., 188, 190 – 192, 195 f., 199, 212 f., 230, 253, 255 f. Organismus 3, 7, 51, 58 f., 84, 110 – 116, 154, 165, 169, 182, 187 f., 190 f., 196, 218, 244, 246, 249
Panlogismus 14 Pantheismus 5, 17, 67, 80 f., 94 f., 213 Pantheismusstreit 94, 127, 135 Partikularwille 110, 113, 128, 140, 142, 145 – 148, 154, 156, 158, 178 f., 203 πέρας 193 – 195 Peripetie 126, 128, 143 Personalität 213 f., 222, 248 Persönlichkeit 120, 212 – 214, 217, 219, 222 f., 226 – 228, 231, 235, 241, 244 – 246, 248 f. Pflicht 105, 107 f., 164, 184 Philosophie, negative 23, 119, 258 Philosophie, positive 18, 23, 27, 211, 237, 247, 257 f. Positive 16, 22 – 24, 164 f., 167, 237, 252, 258 f. Prädikatlosigkeit 226, 243 Prägemasse 201 – 206, 209 f. Primat 3, 30, 49, 59, 69, 121, 247 Privation 2, 5, 99, 189, 191 Produkt 34, 39, 51 f., 54, 56, 58 – 60, 71 f., 74, 149 Produktivität 33 f., 51, 54, 56, 58 f., 64, 69 – 74, 76, 79, 82 – 84, 192, 228, 256 f., 259 Punkt, höchste 89, 223, 243 f. Pythagoreische 193 f. Rationale 9, 164, 245, 251, 257 – 259 Rationalismus 80, 247 Reflexion 9, 13, 16, 76 f., 88 – 93, 117, 123 f., 133, 142, 168, 175, 217, 222 – 225, 239, 242 f., 245 – 247, 250 Schauen 74, 175, 178 – 180 Scheidepunkt 140, 145 Scheideweg 145 Scheidung 51, 142, 159, 178, 180 f., 192, 206 f., 218 f., 252 Scheinleben 3, 118 f., 189 Schlange 138, 143, 145 f., 148, 169 Schöpfung 5, 12, 17, 26, 82 f., 102, 104 f., 113, 125, 140, 142, 156, 171, 178, 181, 192, 205 f., 211 – 213, 229 – 237, 248 – 252, 257 f. Schrecken 101 f., 104, 134 – 136, 138, 149, 164, 170
5.4 Sachverzeichnis
Schuld 23, 33, 89 f., 97, 101, 105, 107 – 110, 126, 128, 130, 138 – 140, 142 – 145, 151, 175, 254 Schutzgeist 176 – 179, 185 Schwärmerei 9 f., 67, 80, 116, 130, 136 Schwindel 9, 109, 128, 143 – 146, 148 f., 151, 153, 167 Seele 11, 56 – 58, 77, 79, 84, 114, 119, 130, 135, 141, 148, 152, 161, 177, 181, 184, 193, 207, 209, 235, 250 Sehen 53, 73 f., 77, 83, 85, 178, 227, 244 Sehnen 203, 205, 222 Sehnsucht 149, 178, 184, 195, 197, 200 f., 203 – 208, 210, 215, 222, 226, 234, 236, 249 Seinsollende 102 f., 110, 178 f., 181, 183, 187, 189, 206, 222, 232, 247, 250, 252, 254 Selbst 84, 125, 150, 159, 175, 179 – 182, 237 Selbst, wahre 66, 179 – 182 Selbstaffirmation 2, 63, 78 f., 226 Selbstanfänglichkeit 27 f., 43, 45, 59, 97, 99 f., 140 f., 169, 187, 190 f., 220, 228 Selbstbegrenzung 13 f., 37 Selbstbegründung 162 Selbstbestimmung 41, 43, 46 f., 50, 57, 82, 84 – 87, 90, 107, 124 – 126, 139, 141 – 143, 148, 151, 153, 158, 170, 183, 187, 190 f., 218, 235 Selbstbewusstsein 9, 32 – 34, 38, 46 – 48, 55, 57 – 59, 61 – 64, 66, 70 – 75, 83 f., 87, 120, 152, 180 f., 188, 212 – 219, 222 f., 234 f., 239, 241 – 247, 250, 252 Selbstheit 83 f., 125, 141, 146, 148 – 150, 156, 196, 231, 235, 255 Selbstmacht 7, 130, 152 f., 163, 183, 186 Selbstständigkeit 17, 72, 74, 84, 90 f., 93, 110 f., 114, 124, 211 Selbsttätigkeit 33, 50, 54, 59, 61, 65, 68, 84, 87 f., 90, 125, 188, 208, 218 f., 246 Selbstverstrickung 7, 91, 160, 163, 186, 250 Sirenengesang 9, 143 – 146, 148 f., 167, 178 Sittlichkeit 43, 47, 87 f., 91, 124 f., 129 f., 136, 139, 170, 184, 246, 248 Spekulation 17, 123, 167 Spontaneität 11, 32, 42 f., 45, 50, 56, 61, 66, 69, 71, 82 f., 85 – 88, 90, 108, 124,
287
141, 145, 152 f., 166, 188, 190, 192, 212, 245, 250 f. Sprung 23, 144, 166 f., 220, 222 Standpunkt 8, 35, 37 f., 42, 53, 56, 66, 75 – 77, 82, 131, 133, 161, 165, 168, 172, 175, 178, 185, 189, 194, 258 Stimme 47, 145 f., 173, 176 – 179, 181 – 185 Subjektivität 8, 13, 21, 32 f., 37 – 41, 54, 57, 60 – 63, 67 f., 79, 84 – 86, 171, 208, 239, 242, 256 Substanz 8, 62, 77, 98 f., 117, 119 f., 141, 218, 240, 248, 250 Sucht 65, 156 Sünde 7, 11, 17, 23, 27 f., 96 – 102, 105, 108 – 110, 113, 117 f., 121 – 123, 125 – 127, 137 – 139, 142, 144 – 146, 149 f., 156 f., 162 f., 166 – 171, 175, 178, 182, 184, 186 f., 189 f., 209 Sündenfall 116 – 119, 121, 123, 141 f., 145, 147, 151, 155, 160 f., 167, 177, 181, 252 Symbol 8 – 10, 18, 24 – 26, 36, 56, 93, 100, 131, 138, 143 – 146, 148, 157, 165, 167 – 169, 176, 180, 210 f. Systembegriff 22 – 24, 111, 169, 192, 249 Systemideal 22, 24, 249, 252 Systemphilosophie 2, 6, 16, 23, 25, 239, 252, 257 Tat, intelligible 7, 11, 27, 96 f., 99 – 101, 104 – 110, 117, 123 – 128, 139 – 144, 153, 158 – 161, 164, 166, 168 f., 190, 257, 259 Tathandlung 11, 22 f., 61, 66, 71, 85, 117 – 119, 123 – 126, 128, 139 f., 142, 158, 164 – 168, 189 f., 215, 218, 259 Täuschung 5, 79, 89 f., 127 f., 131, 138, 144, 147, 149, 153, 164, 170, 178, 185, 209 f., 245 Theodizee 21, 27 f., 93 f., 109 Tod 80, 84, 122, 135, 149, 253 Totalität 21, 189, 214, 241 Trägheit 5, 91 f., 95, 103, 108, 123, 139 Tragik 7, 11, 27, 97 f., 128, 137 f., 169 Tragische 125 – 129, 132 f., 136 – 138, 143, 161 Tragödie 97, 125 – 127, 129 – 133, 137, 155, 160
288
5 Anhang
Tragödieninterpretation 126, 128, 130 – 132, 135 Transmutation 176, 179, 181 Transzendentalphilosophie 1, 32 – 34, 37, 55, 57 – 59, 61, 63, 67 – 70, 172, 186, 238 – 240, 256 Übel 21, 91, 94, 110, 124, 165 Überseiende 220, 244 Übertritt 107 f., 128, 140 – 143, 145 f., 148 f., 157, 164, 259 ὕλη 2, 193, 197, 209 Umschlagen 126, 128, 134, 143, 160, 162, 165 Umwendung 176, 180 f., 208 Unabhängigkeit 5, 20, 35 f., 39 – 41, 44 f., 60, 63, 70, 87, 122, 124, 127, 133, 169, 188, 191, 193, 196, 199, 212, 214, 219 f., 234, 253, 256 Unbedingte 2, 25, 30, 37, 55, 66 – 69, 79, 118, 130 f., 134, 164, 228, 242 f. Unbegrenzte 195, 204 f. Unbestimmte 140, 197, 199, 205, 217 f., 235 Unbestimmtheit 141, 143, 165, 174, 198 f., 203 – 206, 208, 228 f., 232, 235 f. Ungrund 21, 75, 216, 220 f., 223 – 226, 243, 251 Universalwille 110, 113 f., 123 f., 128, 140 – 142, 146, 148 f., 153 f., 178, 236 Unverfügbare 182 – 186, 235, 239 f. Unverständige 4, 6, 24, 198, 209, 226, 234, 240, 251 Unvordenkliche 23, 110, 125, 128, 139, 142, 153, 158 f., 161, 163, 166 f., 181, 186, 226 f., 252 Ursache, intelligible 36 f., 39 f., 44 – 47, 54, 58, 62 f., 72 Ursein 35, 63 f., 228 Ursprung 1, 9, 18, 53, 56, 94, 97, 101, 117, 120, 123, 125, 139 f., 144, 152, 158, 166, 169, 184, 194, 196 f., 253 Ursünde 100, 137, 144 Vereinzelung 113, 115, 118, 161, 187, 190 Verhängnis 7, 26 f., 65, 97, 108 f., 125 – 128, 130, 132, 138 f., 141, 144, 153 f., 156, 158 – 163, 169, 175, 183 f., 186 f., 254
Verkehrung 22, 28, 100, 102 – 105, 107, 110, 114 – 116, 123, 125, 128, 140, 142 f., 178 f., 183, 186 f., 190, 209 Verklärung 206, 218 f., 232, 235 Verlust 26, 102, 130, 155 – 157, 163, 181 Vermögen 1, 4, 12, 30, 35, 41 – 43, 46 – 49, 51 f., 61, 81, 83, 85 – 87, 93 – 96, 107, 129, 169, 175 f., 183, 186, 188, 192, 223, 230, 232 Vernunft, absolute 3, 5, 11, 61, 67, 69 f., 75 f., 78 f., 81 f., 96, 131, 175, 182, 189, 211, 214, 220, 223, 225, 242, 251, 257 Vernunft, faule 127 Versöhnung 132, 137, 150, 176, 179, 183 Verstand 4, 6, 9 f., 20, 22, 24 – 26, 29, 37 – 39, 52, 59, 78, 117, 120, 133, 143 f., 148, 151 f., 161, 166, 172 – 175, 184, 193, 195, 197, 199 – 201, 203 f., 206 – 211, 215, 218 f., 223, 229, 232, 234 f., 238 – 241, 244, 246 – 251, 259 Verstandesbegriff 37, 167, 195, 240 Verstandesdifferente 6, 252, 256 Verstandesphilosophie 211, 239, 246 Verstandlose 152, 196, 199 f., 204, 215, 217, 236, 251 Versuchung 144, 146, 148, 169 Verzweiflung 10, 19, 149 f., 186, 251, 255 Wahlfreiheit 91, 140 f., 143, 149 – 151, 162 f. Weltseele 52, 153, 193, 195, 233, 249 Werden 2 f., 7, 10, 147, 152, 156, 192 f., 196, 199 – 203, 205, 207 – 215, 221 – 223, 228, 230, 232, 234 – 237, 239, 249 f., 258 Werkzeug 6, 111 f., 147, 156, 175, 183, 202, 236 Wesen, bessere 176 – 179, 182 Wesenshinsicht 5, 75, 212, 215 – 217, 224, 226, 232 f., 235, 237, 249 Wille, reine 39 f., 47 f., 50, 66, 76, 86 f., 89 Willensmetaphysik 65 Wirkenlassen 5, 232, 234, 237, 250 Wissen, absolute 22, 24, 80, 241 f. Wohltun 221, 226, 246 Würde 51, 129, 173, 213
5.4 Sachverzeichnis
Wurzel 10, 66 f., 81, 93, 99 f., 103, 105, 125, 152, 157, 192, 196, 223, 245 Wurzel, irrationale 4 χώρα
2 f., 25, 147, 193, 195, 197, 203
289
Zahl, irrationale 4, 198 Zirkel 60, 71 Zufall 2, 26, 53, 77, 143, 165 f., 196, 199, 207 f., 210 f., 235, 239, 250 Zugang 41, 67 f., 75 f., 78 f., 173, 185, 209, 251, 254 Zweckmäßigkeit 52 f., 56, 196