Jean-Paul Sartre: Freiheit als Notwendigkeit. Einführung in das philosophische Werk. 9783495997109, 3495481400, 9783495481400


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Table of contents :
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I. Einleitung. Freiheit als Notwendigkeit
II. Die Transzendenz des Ego. Freiheit als erschreckende Spontaneität
III. Das Sein und das Nichts. Freiheit als ontologische Notwendigkeit
§1 Das Sein und die Erscheinung
§2 An-sich-sein und Für-sich-sein
§3 Das Sein und die Kontingenz
§4 Das Nichts und die Freiheit
§5 Der Entwurf, Gott zu sein
§6 Das Selbst und der Andere
§7 Das Dasein ist sexuell in seinem Grund
§8 Das Wir
§9 Die Freiheit und der Koeffizient des Widerstands der Dinge
§10 Der Spielraum freien Wollens
Exkurs: Gabriel Marcel zu Sartre
IV. Kritik der dialektischen Vernunft. Freiheit als entfremdete Notwendigkeit
V. Betrachtungen zur Judenfrage.Was heißt und wozu brauchen wir kulturelle Identität?
VI. Ontologie und Moral
VII. Die Welt der Zeichen
VIII. Intellektuelle Redlichkeit und Metaphysik
Zeittafel
Bibliographie
Sachregister
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Jean-Paul Sartre: Freiheit als Notwendigkeit. Einführung in das philosophische Werk.
 9783495997109, 3495481400, 9783495481400

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Jürgen Hengelbrock

Jean-Paul Sartre Freiheit als Notwendigkeit Einführung in das philosophische Werk

ALBER PHILOSOPHIE

https://doi.org/10.5771/9783495997109

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Jrgen Hengelbrock Jean-Paul Sartre

ALBER PHILOSOPHIE

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ber das Buch Dieses Buch gibt eine einfhrende Darstellung der philosophischen Grundgedanken Jean-Paul Sartres, wie sie sich im Spannungsfeld von Freiheit und Notwendigkeit entfalten. Strukturbildend fr die Untersuchung Hengelbrocks sind drei fr das Verstndnis Sartres zentrale Schriften: das Frhwerk Die Transzendenz des Ego, Das Sein und das Nichts und die Kritik der dialektischen Vernunft. Der Autor untersucht vor allem den fatalistischen Zug der Sartreschen Deutung von Freiheit und zeigt zugleich ihre emanzipatorische Kraft; er skizziert den existentialistischen Pessimismus und seine gewissermaßen optimistische Kehrseite in der Lebenspraxis, die Kontingenz des Daseins in der Sicht Sartres und ihre Ertragbarkeit durch das Ethos der Authentizitt. Darber hinaus thematisiert Hengelbrock die wechselseitige Erhellung von Werk und Biographie des Philosophen und die Spiegelung von Sartres philosophischer Theorie in seinem literarischen Werk. Schließlich zeigt Hengelbrock, welches Licht Sartres Daseinsanalyse auf die konkreten zwischenmenschlichen Beziehungen und auf die Frage nach der Identitt in und zwischen den Kulturen wirft. Der Autor Jrgen Hengelbrock, Jahrgang 1942, ist Professor fr Philosophie an der Ruhruniversitt Bochum. In Paris studierte er Philosophie, Theologie und Romanistik und promovierte dort mit einer Arbeit ber Jules Lequier, einem Vorlufer des Existentialismus.

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Jrgen Hengelbrock

Jean-Paul Sartre Freiheit als Notwendigkeit Einfhrung in das philosophische Werk

Verlag Karl Alber Freiburg / Mnchen https://doi.org/10.5771/9783495997109 .

Auf die Werke von Sartre wird mittels der auf S. 154 erklrten Siglen verwiesen. Die erste Zahl nach dem Sigel verweist auf die Seitenzahl der deutschen, die zweite auf die der franzsischen Ausgabe. Die Zitierungen greifen auf die vorliegenden deutschen bersetzungen zurck. Bei den philosophischen Schriften war in der Mehrzahl eine berarbeitung ntig. Weitere Literaturangaben nach folgendem Beispiel: (2.8, 65; 70). Die kursive Zahl (2.8) verweist auf den Titel in der Bibliographie; die erste Zahl dahinter (65) ist die Seitenzahl der deutschen, die zweite (70) die der franzsischen Ausgabe.

Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier (surefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany  Verlag Karl Alber GmbH Freiburg / Mnchen 1989, 2005 www.verlag-alber.de Vollstndig berarbeitete und erweiterte Neuausgabe Satz: SatzWeise, Fhren Einband gesetzt in der Rotis SemiSerif von Otl Aicher Inhalt gesetzt in Aldus und Gill Sans Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg 2005 ISBN 3-495-48140-0

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Der Tod und der Grtner Ein junger persischer Grtner sagt zu seinem Prinzen: – Mir ist heute morgen der Tod begegnet. Er hat mir gedroht. Rette mich. Ich mchte heute abend durch ein Wunder in Ispahan sein. Der gutherzige Prinz leiht ihm seine Pferde. Am Nachmittag trifft er den Tod. – Warum, fragt er ihn, habt Ihr heute morgen unserem Grtner gedroht? – Ich habe ihm nicht gedroht, antwortet er, meine Geste kam aus berraschung. Denn ich sah ihn heute morgen weit von Ispahan, und ich soll ihn heute abend in Ispahan holen. Jean Cocteau (1889–1963)

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung. Freiheit als Notwendigkeit . . . . . . . . . .

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II. Die Transzendenz des Ego. Freiheit als erschreckende Spontaneitt . . . . . . . . .

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III. Das Sein und das Nichts. Freiheit als ontologische Notwendigkeit § 1 Das Sein und die Erscheinung . . . § 2 An-sich-sein und Fr-sich-sein . . § 3 Das Sein und die Kontingenz . . . § 4 Das Nichts und die Freiheit . . . . § 5 Der Entwurf, Gott zu sein . . . . . § 6 Das Selbst und der Andere . . . .

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. . . . . . . § 7 Das Dasein ist sexuell in seinem Grund . § 8 Das Wir . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 9 Die Freiheit und der Koeffizient des Widerstands der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 § 10 Der Spielraum freien Wollens . . . . . . . . . . . . 104

Exkurs: Gabriel Marcel zu Sartre . . . . . . . . . . . . . . . 113 IV. Kritik der dialektischen Vernunft. Freiheit als entfremdete Notwendigkeit . . . . . . . . . 117 V. Betrachtungen zur Judenfrage. Was heißt und wozu brauchen wir kulturelle Identitt? . 125

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Inhalt

VI. Ontologie und Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 VII. Die Welt der Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 VIII. Intellektuelle Redlichkeit und Metaphysik . . . . . . . . 146 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

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ALBER PHILOSOPHIE

Jrgen Hengelbrock https://doi.org/10.5771/9783495997109 .

Vorwort

»Das Flimmern von An-sich-Sein einer zerbrochenen Totalitt, immer anderswo, immer auf Distanz, niemals in sich selbst, dennoch stets im Sein erhalten durch das stndige Aufbrechen dieser Totalitt, das wre das Sein der Anderen und meiner selbst als Anderem.« (SN 534; 361) – Dieser Satz steht exemplarisch nicht nur fr Sartres Leben, sondern auch fr Sartres Werk. Existentialist und Marxist nacheinander und zugleich, Maoist in spten Jahren, ffentlicher Akteur und feinsinniger Schriftsteller, Theoretiker der Freiheit und ebenso des Terrors, Außenseiter und doch zutiefst brgerlich, wie reimt sich dies zusammen, wie soll man Linien im Leben, aber auch im Werk erkennen und Zugang zu ihnen finden? Man knnte in einer umfassenden Untersuchung der philosophischen Schriften Sartres eine Bestandsaufnahme der Begriffe und Denkfiguren machen, die in das Werk eingegangen sind. Es wre dann zu zeigen, welche gedanklichen Fden in welcher Form zusammenlaufen, welche Denkanstze und Autoren auf die Philosophie Sartres Einfluß gehabt haben. Das ist fr bestimmte Einflußanteile gar nicht schwierig, weil offen zutage liegend. Die frhe Philosophie Sartres (Die Transzendenz des Ego, Das Sein und das Nichts) war im Bannkreis Husserls, aber auch Heideggers geschrieben, und was spter von Marx bernommen wurde, hat Sartre selbst mit aller Deutlichkeit benannt. – Weniger zutage liegend, weil begrifflich nur bedingt oder gar nicht durchscheinend, sind andere Einflußanteile: Spinoza (Sartre selbst weist darauf hin, wie sehr er von ihm beeindruckt war) (ZA 210; 204), die Begegnung mit der christlichen Metaphysik scholastischer bzw. rationalistischer Prgung. – Vor allem im deutschen Sprachraum bersehen wird der Einfluß des franzsischen Finitismus und Spiritualismus (Cousin, Lequier, Renouvier). Hier vor allem gbe es Anlaß fr umfassende Forschungsarbeit, zumal die Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts selbst in Frankreich kaum bekannt ist. 1 Vgl. zur Grundfigur dieser Denktradition J. Hengelbrock: Cogito, ergo sum Liber. Un essai sur Jules Lequier, in: Archives de Philosophie 31 (1968) 434–456.

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Vorwort

Viel eher als bei Husserl oder Heidegger wren hier die Grundkonfigurationen der Philosophie Sartres zu suchen. 2 Aber wrde solche Forschungsarbeit das Denken Sartres wirklich erschließen? Ist ein philosophischer Entwurf nicht mehr und grundstzlich anderes als die reorganisierte Summe seiner Einflsse? Sicher gibt die philologisch-historische Forschung unverzichtbare Hinweise, Erluterungen und Verstndnishilfen, letztlich aber erschließt sich philosophisches Denken aus sich selbst, und zwar wenn es denkend nachvollzogen wird. Nachvollzug meint: den Lebens- und Erfahrungsbezug der Begriffe und Gedankengnge aufsuchen und fragen, was an Leben durch sie und in welcher Weise verstndlich wird. Nachvollzug meint berdies, eine hinter allem stehende Grundvision auf ihre Zustimmungsfhigkeit hin zu untersuchen, indem ihre rationale Begrndbarkeit berprft und ihre Krisenstellen offengelegt werden. Dies berhrt letztlich auch die Frage, inwieweit man sich mit der vorgelegten Daseinsdeutung identifizieren kann. Das soll im folgenden versucht werden. Dabei wird davon ausgegangen, daß hinter jedem selbstndigen Denken eine originre Vision der Dinge und des Menschen steht, in der sich konkrete Erfahrungen und Erlebnisse niederschlagen. Diese Vision nimmt nach und nach begrifflich und argumentativ Gestalt an, und in diesen Prozeß werden Begriffe und Argumente einbezogen, die der Lektre und Auseinandersetzung mit der philosophischen Tradition bzw. der Begegnung mit bestimmten Autoren entstammen. Aufgenommen in die neue Vision erhalten diese Begriffe und Argumente eine andere Frbung oder gar eine vernderte Bedeutung, was zur Folge hat, daß sie verlßlich nur aus dem Rckgriff auf diese Vision zu verstehen sind. In diesem Sinne sollen die folgenden Darlegungen eine Hilfe sein, sich in eine umfassende, in manchen Verzweigungen durchaus schillernde, in ihren Intentionen und auch in der sprachlichen Abfassung nicht immer leicht zu entschlsselnde Denkbewegung hineinzufinden. Sartre dreht und wendet den Gedanken, indem er ihn in immer neuen sprachlichen und auch argumentativen Varianten durchspielt. Der Drang zu entwickeln und zu formulieren, der ImMan sollte nicht gering schtzen, daß Sartre – wie alle franzsischen Intellektuellen – der Philosophie als Pflichtfach im Gymnasium begegnet ist, die zu seiner Zeit stark von den Denktraditionen des franzsischen 19. Jahrhunderts geprgt war.

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Vorwort

puls, Visionen des Menschlichen zu Papier zu bringen, lßt umfangreiche philosophische Werke entstehen, die dem Leser viel Geduld und Aufmerksamkeit abverlangen: nicht gradlinig, in vielerlei Windungen wird jeder Gedankenschritt entfaltet; in solchen Windungen kommt das Denken oft wieder an denselben Stellen vorbei; pltzlich, zu unvorbereitet fr die nachlassende Aufmerksamkeit und eher unscheinbar taucht eine neue Perspektive auf, wird eine Schlußfolgerung gezogen, ergibt sich eine berraschende begriffliche Wendung. Oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß hier eine redaktionelle berarbeitung fehlt. Manches htte gestrafft, geschlossener formuliert werden knnen. Andererseits bndeln nicht selten glnzende begriffliche Konstruktionen in einem komplexen Satzgefge einen umfangreichen Gedankengang, der in seiner Dichte ganze Passagen zusammenfaßt und außerordentlich einprgsame Formulierungen stiftet, die gleichsam als »Merkstze« der Sartreschen Philosophie gelten knnen. Es liegt nun nahe, diese Merkstze herauszuziehen, ihre Aussagen zu entflechten, sie erluternd zu veranschaulichen. Stellt man dann ihr Beziehungsgefge her, werden die Denkbewegungen Sartres transparent, erscheinen Grundlinien sowie eine systematische Geschlossenheit, die sich in der Vielfalt gedanklicher Verstelungen und sprachlicher Wendungen nicht selten verlieren. Diese Transparenz herzustellen ist das Ziel der folgenden Darlegungen. Sie greifen, wo die Dinge eindringlicher und klarer nicht gesagt werden knnen, auf Formulierungen Sartres selbst zurck und zitieren, wo dies mglich ist – stets in der Absicht, das Denken Sartres sich selber ausweisen zu lassen. Natrlich liegt auch in der Auswahl der Zitate und gar in ihrer deutenden Zuordnung schon eine Absicht auf ein bestimmtes Verstndnis hin. Wer auswhlt, schließt aus auf der Basis der eigenen Sicht der Dinge. Dem Nachspren einer Vision haftet stets ein starkes intuitives, wissenschaftlich letztlich nicht ausweisbares Moment an. Um diese Relativitt jeder Deutung muß man wissen; ganz berwinden lassen wird sie sich nicht.

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Vorwort zur zweiten Auflage

Es war vor 15 Jahren keineswegs selbstverstndlich, daß der Verlag Karl Alber eine Einfhrung in die Philosophie Sartres herauszubringen bereit war, noch dazu, wo der Untertitel Freiheit als Notwendigkeit eine Denkfigur Hegels aufnahm und eine abstrakte metaphysische Abhandlung verhieß. In der Tat habe ich versucht, Sartres philosophisches Werk vom Kontext gesellschaftlicher Skandalgeschichten zu befreien, die es nicht ohne Schuld des Autors immer umgaben und ihm eher zu seiner Bekanntheit verholfen haben als die umfangreichen und nicht immer leicht zu entziffernden theoretischen Schriften. Mir ging es darum, Sartre als einen Denker verstndlich zu machen, der sich Grunderfahrungen des Menschlichen (Freiheit, Angst, Verlassenheit, Liebe, Haß) zuwendet, diese aber nicht vordergrndig durchspielt, sondern – in Anlehnung an Heidegger und weit ber ihn hinausgehend – als Daseinsschicksal begreift, anstatt sich in psychologischen oder soziologischen Aufgeregtheiten zu verlieren. Fr ihn sind solche Grunderfahrungen Ausdruck einer Seinsnotwendigkeit, der wir nicht entrinnen knnen, mit der wir uns vielmehr vershnen mssen. – Sartre legt auf diese Weise einen ontologischen Entwurf vor, der ihn in die Nhe Spinozas rckt und trotz mancher Krisenstellen (welches Denken wre frei davon?) in die große Tradition der abendlndischen Metaphysik einzureihen ist. Als die erste Auflage 1989 erschien, empfand sie die Fachwelt eher als versptet. Metaphysik und Ontologie erschienen als »große Erzhlungen« (Lyotard) bestenfalls noch von literatur- und kulturhistorischem Interesse. Die Zeichentheorie hatte begonnen, die marxistische und strukturalistische Gesellschaftstheorie abzulsen. Von Gott zu sprechen galt eher als unzeitgemß; als »große Erzhlung« war er zugleich eingeordnet und unschdlich gemacht. Dennoch fand der vorgelegte Deutungsansatz eine Resonanz, die sich in einer dauerhaften Nachfrage ußerte. ber die Grnde der Nachfrage kann nur spekuliert werden. In der Tat waren die Schlachten gegen die Bevormundung des Men12

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Vorwort zur zweiten Auflage

schen durch kirchliche Wrdentrger, staatliche oder ideologische Autoritten lngst geschlagen. Die sexuelle Emanzipation hatte die sogenannte kleinbrgerliche Moral hinweggesplt. – In einer Zeit, wo »alles geht«, wirken die Skandale, die Sartres Helden in seinen Romanen und Theaterstcken kennzeichnen, seltsam verstaubt. Freiheit in allem und zu allem nimmt man sich, ohne das geringste Bedrfnis nach ethischer oder gar metaphysischer Rechtfertigung. Die neu gewonnene Freiheit aber hat ihren Preis, sowohl fr die, die sie in Anspruch nehmen, als auch fr die, die dies nicht tun. Wer dies nicht tut, leistet den Verzicht aus eigener Kraft und Entscheidung. Die religisen Autoritten verblassen, die herrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen sind brchig geworden: Sie nehmen uns die Entscheidungen nicht mehr ab und vermitteln keine absolute Gewißheit mehr. Wir sind »zur Freiheit verurteilt« (EH 16; 37), »voll und ganz verantwortlich« (ebd. 12; 24) fr unser Tun, »wir haben keine Entschuldigung« (ebd. 16; 37). Andererseits: wer sich in allem und zu allem seine Freiheit nimmt, wird ihrer nicht immer froh. Wer nur nach sich selbst sucht, findet in der Regel nichts. berdies geht eine Freiheit in allem und zu allem in den zwischenmenschlichen Beziehungen unausweichlich zu Lasten der Freiheit der Anderen. Das menschliche Zusammenleben aber verlangt ein hohes Maß an Verzichtsleistung, und zum Alleinsein ist der Mensch nicht gemacht. Ich vermute, daß es Erfahrungen dieser Art sind, fr die die Philosophie Sartres eine Sprache, einen Verstehenshorizont, aber auch eine kritische Perspektive bereitstellt, und sehe hierin die Erklrung fr das bleibende und eher zunehmende Interesse an seinem Werk, welches auch durch die große Akzeptanz der deutschen Gesamtausgabe des Rowohlt-Verlages belegt wird und eine Neuauflage dieses Buches rechtfertigt. Ein unvernderter Abdruck der ersten Auflage wre aber meines Erachtens nicht glcklich gewesen, vornehmlich aus zwei Grnden: 1. Wenn es richtig ist, daß vor allem fr die Beziehungen zwischen den Geschlechtern die neue Freiheit zum Problem wird, liegt es nahe, die Frage nach der ontologischen Dimension der Sexualitt intensiver als in der ersten Auflage zu beleuchten. – Meine Studenten haben mich regelmßig und intensiv nach der Berechtigung einer solchen Sicht der Dinge gefragt. Nun kann im Rahmen einer Einfhrung in ein philosophisches Werk keine kritische Diskussion erA

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Vorwort zur zweiten Auflage

folgen. Sie wrde, ernsthaft betrieben, eine viel intensivere Auseinandersetzung mit dem Autor voraussetzen. Dennoch mchte ich einen Ansatz dazu liefern und skizziere in einem Exkurs berlegungen, die sich von Gabriel Marcel her, einem Zeitgenossen und Kritiker Sartres, an dessen Philosophie der Liebe ergibt. 2. Seit 1989 hat es weltweit dramatische Vernderungen gegeben. Der Fall des Eisernen Vorhangs, die Globalisierung der Wirtschaft, die neuen Kommunikationsmittel sowie die neuen Vlkerwanderungen aus Armuts- und Kriegsgebieten haben unter vielem anderen zur Folge, daß Menschen unterschiedlicher Kulturen und Weltanschauungen einander nherrcken und zum Zusammenleben gezwungen sind. Damit gewinnt die Frage nach der kulturellen, nationalen und auch personalen Identitt an Schrfe. – Sartre hat diese Frage in einer eindringlichen Untersuchung ber die Situation der jdischen Mitbrger im Frankreich der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg gestellt und zu beantworten versucht 1 . Was er hierzu schreibt, geht weit ber den gewhlten Rahmen hinaus und ist meines Erachtens von grundlegender und eminent aktueller Bedeutung. Dies darf in einer Neuauflage nicht fehlen, wenn sie sich nicht den Vorwurf einhandeln soll, wirklich versptet zu sein. Schließlich habe ich in einem eigenen Kapitel Sartres Zeichentheorie, die man im ersten Teil der dreibndigen Studie ber Flaubert 2 findet, kurz dargestellt.

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Rflexions sur la question juive, Paris 1946 L’Idiot de la famille, Gustave Flaubert de 1821  1857

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I. Einleitung Freiheit als Notwendigkeit

»Gegen die Notwendigkeit kmpfen auch die Gtter nicht.« Simonides von Keos (556–468 v. Chr.)

»Man befreit sich von einer Neurose, man wird nicht von sich selbst geheilt«, schrieb Sartre 1964 in Die Wrter (144; 211). – Die letzten Seiten dieser Autobiographie tragen fatalistische, resignative Zge: »Seit ungefhr zehn Jahren bin ich ein Mensch, der erwacht, geheilt von einem langen, bitteren und sßen Wahn, ein Mensch, der es nicht fassen kann, der lachen muß, wenn er an seine alten Irrungen denkt, und der mit seinem Leben nichts mehr anzufangen weiß.« (W 143 f.; 211) – Eindringlich beschreibt Sartre, wie seine Kindheit (die ungeliebte, nur geduldete Existenz im Hause seiner Großeltern nach dem frhen Tode seines Vaters) ihm das Gefhl vermittelt hat, »de trop«, berzhlig zu sein. – Fr die junge Offizierswitwe gab es damals keine ausreichende Rente, und so blieb der Mutter des kleinen Jean-Paul zunchst nichts anderes, als gemeinsam mit ihrem Sohn Unterkunft und Versorgung im Hause ihres Vaters zu suchen. Man wird sich vorstellen knnen, daß Karl Schweitzer ber diese spte und unerwartete Erweiterung seines Hausstandes nicht sehr glcklich war. Dennoch gaben sich die Großeltern Mhe, dem Enkelkind ein Zuhause und ein hohes Maß an Zuwendung zu geben. Doch Kinder haben einen ausgeprgten Sinn fr die Echtheit von Gefhlen, sie nehmen, strker als Erwachsene, die Anstrengung wahr, die jede nicht spontane Zuwendung begleitet. Sartre schreibt rckblikkend: »Damit ich mich fr unersetzlich hielte, htte man mich fr sich in Anspruch nehmen mssen. Meine Familie hatte einige Zeit versucht, in mir diese Illusion aufrecht zu erhalten; man hatte mir immer wieder gesagt, daß ich eine Gabe des Himmels sei, daß man sehr auf mich gewartet habe, daß ich unersetzlich fr meinen Großvater und meine Mutter sei: daran glaubte ich nicht mehr, aber ich hatte das Gefhl bewahrt, daß man als berflssiger geboren wird, es sei denn, man wird eigens in die Welt gesetzt, um eine Erwartung zu erfllen.« (W 94; 137) A

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Einleitung

Das Gefhl, berflssig zu sein, 1 kompensierte der kleine JeanPaul sehr frh in der Welt der Wrter, die sich ihm in der großen Bibliothek seines Großvaters erschloß. In der Welt der Bcher war er es, der Sinn und Bedeutung verlieh, der als der Held der gelesenen und selbsterfundenen Geschichten dem Sein der Dinge seinen Stempel aufdrckte: In dieser Welt war seine Existenz notwendig, denn ohne ihn waren die Wrter und Dinge nichts! (W 25–45; 36–67) – Aus diesem Erlebnis wurde Lebensinhalt; die Literatur war nun die Waffe des Ungeliebten, sich der Menschheit als Erlser unentbehrlich zu machen. »Ich dachte, mich der Literatur zu verschreiben, whrend ich in Wirklichkeit Mnch wurde. In mir entwickelte sich die Gewißheit des demtigsten Glubigen zur stolzen Gewißheit meiner Auserwhltheit … Schreiben hieß fr mich lange Zeit, unter einer Maske den Tod, die Religion aufzufordern, mein Leben dem Zufall zu entreißen. Als Streiter wollte ich mich durch die Werke erlsen; als Mystiker versuchte ich, das Schweigen des Seins durch ein entgegengesetztes Rauschen der Wrter zu enthllen.« (W 142 f.; 208 f.) Ein Leben im Banne der Kindheit, ein Werk, das seine Impulse aus frhem Grßenwahn nimmt, von dem sich erst der Fnfzigjhrige langsam erholt. Was bleibt? »Ich habe das geistliche Gewand abgelegt, bin aber nicht abtrnnig geworden. Ich schreibe immer noch. Was soll ich sonst tun? Nulla dies sine linea. Es ist meine Gewohnheit und mein Beruf. Lange Zeit habe ich meine Feder fr ein Schwert gehalten: jetzt erkenne ich unsere Ohnmacht. Was soll’s: ich mache Bcher und ich werde weiter Bcher machen; man braucht sie; sie ntzen trotz allem. Die Kultur rettet nichts und niemanden, sie rechtfertigt nicht. Aber sie ist ein Produkt des Menschen: er entwirft sich in ihr, er erkennt sich in ihr; nur dieser kritische Spiegel zeigt ihm sein Bild.« (W 144; 211)

Ob Sartres Kindheit wirklich so bedrckend war, ob er um der literarischen Stilisierung willen einer sicher vielschichtigeren Jugend diese dunklen Zge gab, oder ob schließlich seine Philosophie den Hintergrund der Rekonstruktion der Kindheit bildete, diese Frage soll hier nicht gestellt werden. Eine neuere Biographie spricht fr das zuletzt Vermutete (Cohen-Solal, 1.4, 43–99). – Doch ist es so wichtig, was im Hause Karl Schweitzers wirklich geschah? Wie es dem kleinen Jean-Paul erging, dies zu wissen befriedigt hchstens eine gewhnliche Neugier. Selbst wenn Sartres Kindheit nicht so war wie geschildert, htte sie doch so sein knnen. Der Aussagewert seiner Philosophie wird durch diese Frage nicht berhrt.

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Einleitung

Wesen ist, was gewesen ist. – Der Bodensatz des Tuns verdichtet sich mit den Jahren zu einer Art zweiter Natur, die die Lebensformen des Alternden bestimmt. Nur die inneren Einstellungen ndern sich: der Messianismus, der das Schreiben beflgelte, macht gleichsam einer nachgereichten Begrndung Platz, die das rechtfertigt, was er ohnehin zu tun nicht lassen kann: »es ntzt trotz allem«. Auch sind die Spuren der Kindheit keineswegs verschwunden: »Abgentzt, verwischt, gedemtigt, in die Ecke gedrngt, mit Schweigen bergangen, sind alle Zge des Kindes bei dem Fnfzigjhrigen geblieben. Die meiste Zeit ducken sie sich im Schatten, lauern: im ersten Moment der Unaufmerksamkeit heben sie ihr Haupt und treten unter einer Verkleidung ans Tageslicht.« (Ebd.) »Ich weiß sehr genau, daß ich nur eine Maschine zum Bchermachen bin«, zitiert Sartre Chateaubriand, dessen Lebensweg kommentierend (W 94; 137). So besttigt sich auch fr Sartre selbst, was er als Quintessenz aus dem Leben Baudelaires festhlt: »Die freie Wahl, die der Mensch sich selbst gegenber vollzieht, ist absolut dekkungsgleich mit dem, was man sein Schicksal nennt.« (0.31, 118; 245) Die Freiheit wird zur Notwendigkeit, der Mensch whlt unausweichlich den durch die Kindheit vorgezeichneten Lebensweg. Die Biographien, die Sartre geschrieben hat, die eigene, die ber Baudelaire (0.31), ber Jean Genet (0.32), ber Flaubert (0.33), tragen smtlich diesen fatalistischen Zug. Die antike Idee des Fatums lebt hier wieder auf. Auch die Protagonisten der griechischen Tragdie (Antigone, dipus) handeln nach freiem Entschluß: Antigone will die Entscheidung Kreons nicht hinnehmen; berlegt und entschlossen stiehlt sie sich davon, um ihren toten Bruder heimlich zu begraben. dipus ttet seinen Vater und ehelicht seine Mutter, unwissend zwar, wer ihm gegenbersteht, aber dennoch ist es keine blinde, sondern eine gewollte Tat, die er nicht htte tun mssen. Aus freiem Entschluß tun beide, wovon lngst feststand, daß sie es tun wrden. So erfllte sich die innere Notwendigkeit ihres vorgezeichneten Schicksals. Ist Freiheit demnach eine Illusion? – Fr die griechische Tragdie durchaus nicht. Der Gedanke, menschliches Handeln verliefe zwangsweise, war ihr fremd. dipus blendet seine Augen, um sich fr seine Tat zu bestrafen. Er hat kein Mitleid mit sich. Auch Antigone steht zu ihrer Entscheidung. Gegenber Kreon beharrt sie auf ihrem Recht kraft eigenen Entschlusses zu handeln, das zu tun, was sie will und fr recht hlt. Der Chor, der die Ereignisse kommentiert, A

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Einleitung

entschuldigt nicht, er beklagt nur: den Stolz und den Eigensinn der Menschen, ihre Unfhigkeit, dem Schicksal zu entrinnen. Freiheit und schicksalhafte Notwendigkeit stellten fr die Griechen nicht gnzlich sich ausschließende Gegenstze dar. Freiheit und Notwendigkeit waren die Pole, zwischen denen menschliches Leben sich aufspannte, und die letztlich im alles umgreifenden Schicksal zusammenfielen. Wie es der dunklen Schicksalsmacht gelang, die freien Entscheidungen der Menschen in die Richtung ihres vorausbestimmten Weges zu bringen, blieb den Griechen ein Rtsel. Sartres Daseinsdeutung ist keine mythologische. Die Schicksalsmacht der Griechen wird fr ihn zur ontologischen Notwendigkeit, die aus der Analyse von Sein und Nichts konsequent hervorgeht: diese Notwendigkeit treibt uns, an-und-fr-sich sein zu wollen, und verurteilt uns dazu, frei zu sein (EH 155; 37). Ebenso bestimmt sie Ziel und Inhalt einer »ursprnglichen Wahl«, die allen konkreten Entscheidungen vorausliegt (EH 150; 24), und die wir so und nicht anders treffen mssen. Das jedenfalls ist die These der vorliegenden Studie. Sie scheint jenen gngigen und griffigen Formeln der Sartreschen Philosophie zu widersprechen, die um die Welt gegangen sind, und die das Bild dieser Philosophie geprgt haben: »Der Mensch, wie ihn der Existentialist versteht, ist nicht definierbar, weil er zunchst nichts ist. Er wird erst nachtrglich sein, und er wird so sein, wie er sich gemacht haben wird«, »der Mensch ist nichts als das, wozu er sich macht«. (EH 150; 22) – Verknden diese Formeln nicht eine Freiheit, die jede Notwendigkeit als falschen Schein entlarvt? – Orest in Die Fliegen wird sich pltzlich der ungeheuren Macht seiner Freiheit bewußt, daraus nimmt er die Kraft, den Mrder und Nebenbuhler seines Vaters und ebenso seine Mutter zu tten. Das Volk von Argos weicht zurck, auch die Rachegttinnen vermgen ihm nichts anzuhaben, selbst Jupiter ist machtlos: »Ich bin frei, Elektra, die Freiheit ist wie ein Blitz ber mich gekommen.« (0.34, 2. Akt, 8. Szene) Frei ist, wer Zwnge mißachtet, und dann deren Ohnmacht erfhrt. So die Botschaft Orests. Auch Die respektvolle Dirne (0.37) kennt Zwnge nicht, da ihr Platz grundstzlich außerhalb der gesellschaftlich geforderten Lebensordnung ist. Deswegen gewhrt sie auch aus einem spontanen Impuls heraus einem verfolgten Schwarzen Unterkunft, der in ihrer Wohnung Zuflucht sucht: die menschliche Geste geschieht da, wo die soziale Konvention verlassen wird. Fred, ihr weißer Liebhaber, vermag sich dem Druck der Konvention 18

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Einleitung

nicht zu entziehen. Er bleibt unfrei, haltlos, von sich selbst entfremdet. – Das Resistance-Stck Tote ohne Begrbnis (0.36) schildert die Leiden einer Widerstandsgruppe, die von den Besatzern durch Verhr und Folter zum Verrat ihrer Kameraden gezwungen werden soll. Lucie wird vergewaltigt. Aber die Vergewaltigung erreicht nur ihren Krper als physische Existenz, nicht sie selbst in ihrer Menschlichkeit. »Sie haben mich nicht berhrt, niemand hat mich berhrt. Ich war aus Stein, und ich habe ihre Hnde nicht gesprt. Ich sah ihnen ins Gesicht und dachte: es geschieht nichts … Es ist nichts geschehen.« (III. Bild, Szene 11) Die eigentliche menschliche Wirklichkeit ist durch physischen Zwang nicht erreichbar, ebenso wie sie jenseits aller gesellschaftlichen und moralischen Zwnge liegt. Ist darin nicht gerade die Abkehr vom antiken Drama begrndet, das stets die »Ergebenheit in das Notwendige« forderte? Erscheint nicht der Orest Sartres als der berwinder des Fatums? »Auf Wiedersehen Leute, versucht zu leben: alles ist hier neu, alles ist anzufangen.« (0.34, 3. Akt, 4. Szene) Jedenfalls war es diese Seite des Sartreschen Werkes, die intellektuelle Mode gemacht hat: Frei ist, wer sich ber alles hinwegsetzt. – Sartre selbst: »Es scheint, daß mangels einer Doktrin der AvantGarde hnlich dem Surrealismus die skandal- und vergngungsschtigen Leute sich an diese Philosophie gewandt haben.« (EH 147; 16) Sartre illustriert das so: »Man erzhlte mir neulich von einer Dame, die, als ihr aus Nervositt ein vulgres Wort entfahren war, entschuldigend erklrte: Ich glaube, ich werde Existentialistin.« (EH 146; 12 f.) Diesen »Skandalschtigen« erklrt Sartre, daß seine Philosophie in dieser Hinsicht berhaupt nichts bieten kann. »In der Tat ist sie die am wenigsten skandalse Lehre, vielmehr eine Lehre von strengem Ernst; sie ist ausschließlich fr Fachleute und Philosophen bestimmt.« (EH 147; 16) «In der Tat: die Lektre der philosophischen Schriften Sartres ist mhselig und schwierig, nicht nur des Umfangs wegen. Phnomenologie und Ontologie, klassische Metaphysik und Idealismus, spter noch Marxismus und Psychoanalyse werden zu einem Amalgam vermischt, in dem die Begriffe ihre philosophische Herkunft zwar nicht verleugnen knnen, aber doch, gleichsam neu eingefrbt, eine gewandelte Bedeutung bzw. eine andere Aussagekraft gewinnen die nicht immer leicht und mit der notwendigen Genauigkeit zu entschlsseln ist. – Ein Beispiel: »Le dsir de se fonder«, »der Wunsch, sich zu grnden« (SN 176; 124), taucht als Grundmotiv der SartreA

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schen Philosophie immer wieder auf (s. u. Kap. III, § 3–5). Es handelt sich hier um die innere Tendenz des Seins, die die Nichtung und somit das Werden in Gang setzt. – Sich grnden erinnert an die Fichtesche Tathandlung, die die Notwendigkeit begrndet und die Kontingenz aufhebt. Und das ist ja auch fr Sartre der Sinn der Bewegung vom Sein zum Nichts hin. Der Begriff des Sich-grndens erscheint aber auch in Zusammenhang mit dem Gedanken der causa sui der »Ursache seiner selbst« (SN 175; 123); diesen Begriff prgte die scholastische Philosophie, um das Sein Gottes vom Sein des Geschpfes zu unterscheiden. Bei Sartre wird – theologiekritisch – die Ontologie Gottes als Selbstverursachung zu einer Ontologie des Menschen: zu dessen notwendigem, aber zum Scheitern verurteiltem Grundentwurf. Der Mensch verliert sich, um Gott zu werden (s. u. Kap. III, § 5). – Das Bedrfnis, sich zu grnden, bestimmt aber auch die Konstitution des Bewußtseins im Akt der Negation und damit die Konstitution des Objekts im phnomenologischen Sinn (s. u. Kap. III, § 2, § 3). Schließlich: Der Versuch des Menschen, sich selbst zu grnden, vollzieht sich fr Sartre nie in der Einsamkeit des Cogito, sondern stets in der Auseinandersetzung mit dem Anderen (s. u. Kap. III, § 6) und in einer bestimmten geschichtlich-gesellschaftlichen Situation (s. u. Kap. IV). – Fr diese Situation stellt der Marxismus die Schlsselwissenschaft dar. Eine solche erste Auflistung zeigt schon den »technischen« Charakter der Philosophie Sartres, der einen Zugang zu ihr in der Tat nur den »Spezialisten« ermglicht, die sich in den angesprochenen Systemzusammenhngen auskennen. Ohne entsprechende Kenntnis versteht man die Anspielungen nicht, und vieles bleibt im Dunkeln. So wird auch verstndlich, warum der Ruf Sartres rund um die Welt durchweg von seinen Dramen und Romanen herrhrt, die in der Tat, oberflchlich gelesen, Skandalsucht befriedigen knnen: die philosophischen Werke waren einfach zu schwer und zu umfangreich, um bei einem breiteren Publikum Aufnahme zu finden. Setzt man sich aber mit ihnen auseinander, wird verstndlich, wieso Sartre vom »strengen Ernst« spricht, der seiner Philosophie eigen ist: der Ernst von Fatum und Verantwortung, der auch die griechische Tragdie durchzieht. 2 »Ich entsinne mich, als wir uns kennengelernt haben, haben Sie gesagt, daß Sie daraus etwas machen wollten, was wie das Fatum fr die Griechen wre«, sagt Simone de Beauvoir zu Sartre (ZA 187; 181).

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Deswegen braucht der moderne, emanzipatorische Sinn der Sartreschen Philosophie der Freiheit nicht geleugnet zu werden. Mit Recht haben alle, die eine festgefgte Welt- und Wertordnung vertreten (jeglicher Provenienz – christlicher, rationalistisch-aufklrerischer, marxistischer …) auf Sartre mit empfindlicher Ablehnung reagiert. Vor allem die christliche Welt- und Wertordnung, die das Abendland bis in seine skularisierten Erlsungslehren hinein geprgt hat, wird von Sartre radikal in Frage gestellt. Das Christentum eliminierte das Chaos, den Zufall und die dunkle Schicksalsmacht. Alles, was ist und geschieht, hat seinen Sinn in der von Gott gewollten Schpfungsordnung. An die Stelle von Fatum und Verantwortung treten die Ideen von Vorbestimmung und Schuld. Alle Fragen sind im voraus beantwortet, und der Mensch, der auf die Antwort hrt, wird erlst. Die Last, die er an sich selbst trgt, wird ihm abgenommen. Den Snder trifft die Strafe, aber sie ist zur Rettung da, denn sie repariert den Einbruch in die gttliche Ordnung und fhrt den Reuigen in diese zurck. »Der Existentialismus«, so Sartre (EH 176; 95), »ist nicht so sehr ein Atheismus in dem Sinne, daß er sich darin erschpfte, die NichtExistenz Gottes zu beweisen. Er erklrt vielmehr: Selbst wenn Gott existierte, wrde das nichts ndern; das ist unser Standpunkt. Nicht daß wir glauben, daß Gott existiert, aber wir denken, daß das Problem nicht das seiner Existenz ist; der Mensch muß sich selbst wiederfinden und sich davon berzeugen, daß nichts ihn vor sich selbst retten kann, und wre es auch ein gltiger Beweis der Existenz Gottes.« Nichts rettet den Menschen vor sich selbst, weder die gttliche Vorsehung noch eines ihrer skularen Ersatzgebilde (wie etwa Nietzsches bermensch oder die kommunistische Endzeit). Der Mensch kommt an sich selbst nicht vorbei. Zu lange hat er sich herausgeredet mit dem alles lenkenden Gott, den gesellschaftlichen Verhltnissen, oder er hat sich hinter seiner angeblich angeborenen Natur verkrochen. – Zu lange ist ihm auch eingeredet worden, daß festgefgte, unantastbare Verhltnisse den Menschen bestimmen. Denn dies war vorteilhaft fr Herrschende und Beherrschte: den Beherrschten war die Last der Orientierung abgenommen, den Herrschenden gestaltete sich ihre Aufgabe leichter. 3 3

Vgl. dazu die Auseinandersetzung zwischen gist und Orest in Die Fliegen. A

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In der Zerstrung dieser Symbiose von Herrschenden und Beherrschten auf der Basis einer scheinbar festgefgten Weltordnung liegt der politische und moralische Sprengstoff der Sartreschen Philosophie. »Nichts rettet den Menschen vor sich selbst«, kein Messias und keine Weltrevolution. Das Fatum, die tiefe Notwendigkeit, liegt im Menschen selbst, sie ist das Schicksal seiner Freiheit, oder: die Freiheit ist sein Schicksal. Unser Schicksal liegt in uns selbst, steht nicht – drohend oder erlsend – ber uns. dipus war voll und ganz verantwortlich, und dennoch tat er, was zu tun sein Schicksal war. Er wurde nicht erlst. Auch der Sartresche Mensch ist unerlst. Und er wehrt sich gegen eine ihn vereinnahmende Erlsung. Insofern ist Sartres Philosophie, anders als fast alle philosophischen Anstze der Moderne, wirklich heidnisch. (Auch im Gegensatz zu Nietzsche, denn dieser sieht die Mglichkeit der Selbsterlsung in der Selbstberwindung.) Die antike Schicksalsmacht entfaltet nach mehr als zweitausend Jahren ein unerwartetes Befreiungspotential.

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II. Die Transzendenz des Ego. Freiheit als erschreckende Spontaneitt

»Der Mensch ist dem Menschen ein Hexenmeister.« J.-P. Sartre, La Transcendance de L’Ego

Die Transzendenz des Ego (1936) berhrt das Thema der Freiheit nur am Rande. Hier, in seiner ersten philosophischen Schrift, setzt sich Sartre mit der Phnomenologie Husserls auseinander. Ganz im Banne Husserls und dessen Problemstellung geschrieben, fallen hier Entscheidungen, die fr die Denkwege Sartres grundlegend sind und die er nicht mehr aufgeben wird, auch wenn spter die phnomenologische Problemstellung in eine ontologische, danach in eine sozialphilosophische berwechselt. Der Zugang zum Denken Sartres – der Gang der Untersuchungen wird dies belegen – fhrt demnach unausweichlich ber diese Schrift, welchen Schwerpunkt man auch immer setzt. Im Kern enthlt sie alle Elemente der Sartreschen Philosophie, einschließlich des marxistischen. Sartre begegnete der Philosophie erstmals in der Schule, und diese Philosophie war durch den Spiritualismus eines Victor Cousin, das heißt: durch eine franzsische Version des Idealismus entscheidend geprgt. 1 Hier bildete das cartesianische Denkmuster die Grundfigur des Philosophierens, und da die ersten Begegnungen die entscheidenden sind, verwundert es nicht, daß Sartre ihm stets treugeblieben ist. Da auch Husserl »cartesianische Meditationen« betrieben hat, liegt hier die gemeinsame Basis. Das Grundmuster cartesianischen Philosophierens lßt sich so formulieren: den Dingen, auch dem denkenden Ding (der res cogitans), werden die und nur die Eigenschaften zugesprochen, ohne die sie nicht gedacht werden knnen. Das Sein der Dinge wird bestimmt aus der Analyse dessen, was das Denken zwingend ber sie ermittelt. Vgl. dazu J. Lefranc: La libert par l’exercice de la rflexion, in: Revue de l’Enseignement Philosophique 35 (1984) 52–59.

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Ein solches Vorgehen ergibt sich folgerichtig aus dem Rckzug auf das Cogito als einzig verlßliche und verfgbare Basis des Erkennens: hier nur begegnet das Denken sich selbst, und zwar unmittelbar, alles andere ist durch dieses zu vermitteln. Daraus ergibt sich ein Rckzug des Denkens auf sich selbst, und die einzige Mglichkeit, aus diesem wieder herauszukommen, war der eben beschriebene Gedankenschritt: das und nur das kann von den Dingen verlßlich ausgesagt werden, ohne das sie zwingend nicht gedacht werden knnen. Auf dieser Basis mußten die Grundlagen des Wissens entfaltet sowie die Realitt der Dinge ihrem Sein und ihren Wesenseigenschaften nach eingeholt werden. Man kann daher sagen: dieser Gedankenschritt bildet das Grundmuster cartesianischen Philosophierens. Dieses Grundmuster beinhaltet stets die Schwierigkeit, daß ein bergang stattfindet vom Bewußtsein zum Sein: Dem Sein werden die Eigenschaften zugeordnet, die sich daraus ergeben, wie das Sein im Bewußtsein erscheint. Wodurch aber ist sichergestellt, daß das Sein auch an sich so ist, wie es dem Bewußtsein erscheint? – Fr Descartes gab es eine Lsung dahingehend, daß die »Inventur« des Bewußtseins die Existenz Gottes zwingend erwies (4.2, IV. Teil). Gott als vollkommenes, daher uneingeschrnkt vernnftiges und gutes Wesen konnte den Menschen nicht tuschen wollen; daher kann das, was der Mensch klar und deutlich erkennt, kein Trugbild sein (ebd.). Der moderne Cartesianismus, die Phnomenologie, konnte so nicht mehr vorgehen und muß die Frage letztlich offenlassen: wir knnen einfach keinen Standpunkt jenseits des Bewußtseins einnehmen und mssen die Frage vorneweg entscheiden: jedes Bewußtsein ist Bewußtsein von etwas, das ist. Ein Bewußtsein von nichts ist ein leeres Bewußtsein und damit berhaupt kein Bewußtsein. Das Bewußtsein weist sich selber aus als eines, das auf ein anderes als es selbst, d. h. auf ein außerhalb seiner Existierendes bezogen ist. »Das Bewußtsein entspringt auf ein Sein hin gerichtet, das es nicht ist.« (SN 34; 28) Es wird noch deutlich werden, wieso fr Sartre das Bewußtsein in sich den Ausweis enthlt, Bewußtsein von etwas, von Seiendem zu sein. Dieser berzeugung, und damit dem cartesianischen Grundmuster folgend, ordnet er dem Sein die und nur die Eigenschaften zu, die sich aus der Bezogenheit des Bewußtseins auf das Sein ergeben. Das Sein wird daraus bestimmt, wie es im Bewußtsein erscheint. Sartre verbleibt letztlich aber nicht auf der Ebene der Phnomenologie. In der Einleitung zu Das Sein und das Nichts versucht er 24

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nachzuweisen, daß es hinter dem, was erscheint, ein verborgenes Sein nicht mehr gibt (s. u. Kap. III, § 1). Dieser Nachweis erlaubt es ihm, von der Phnomenologie zur Ontologie berzugehen, d. h. von dem aus, was das Bewußtsein zwingend ber das Sein aussagt, zu schließen auf das, was das Sein an sich ist. Ein solcher Umschlag von Phnomenologie in Ontologie lßt sich stndig beobachten und macht – das wird noch deutlich werden – den entscheidenden Schritt und die eigentliche Krisenstelle der »phnomenologischen Ontologie« Sartres aus. Dies sollte eingangs schon gesagt werden. Um den Ansatz in Die Transzendenz des Ego zu kennzeichnen, sei eine Formulierung von 1939 bernommen: »Das Bewußtsein und das Sein sind gleichzeitig gegeben; die Welt ist wesensmßig zugleich außerhalb des Bewußtseins und im Bezug zu ihm.« (0.15, 32) – Dieser Ansatz muß in seinen Implikationen und Konsequenzen deutlich gemacht werden. Zunchst ist festzuhalten, was alles zur Welt gehrt: einfach und konsequenterweise alles, was nicht Teil des Bewußtseins ist. Sartre bernimmt hier den cartesianischen Dualismus von res cogitans und res extensa in aller Radikalitt: zur Welt gehren neben den Dingen und dem Krper auch unsere Psyche als Sitz unserer Empfindungen und Gefhle, unserer Erinnerungen und Charaktereigenschaften, ja selbst das Ich, das Schmerz empfindet, das Hunger leidet, das liebt und haßt (TE 42; 18). Zwar kommt dem Ich eine Sonderstellung zu, auf Grund derer es sich durchaus von der Welt abhebt, es existiert aber »ganz und gar gleichzeitig zur Welt« (TE 91; 86) und liegt auf jeden Fall jenseits des Bewußtseins (das ist hier die philosophische Bedeutung des Begriffs ›transzendent‹ bzw. ›Transzendenz‹). Auch fr Husserl fllt dieses (empirische) Ich aus dem Bewußtsein heraus, und in diesem Punkte ergibt sich Einvernehmen (TE 42; 18). In Entgegensetzung zu Husserl will Sartre nun aber nachweisen, daß es ein transzendentales Ich, das die Einheit der Bewußtseinsinhalte, weiter gefaßt: die Erkenntnis selbst, konstituierte, nicht gibt (TE 43; 19). Dann wrde gelten: Im Bewußtsein gibt es kein Ich, kein empirisches und kein transzendentales: das menschliche Bewußtsein kommt ohne das Ich aus. – Eine folgenreiche These, die der Philosophie Sartres ihre eigene, endgltige Richtung geben wird. Um dies nachzuweisen, fhrt Sartre eine eingehende und recht komplizierte Analyse des Bewußtseins durch, die eine Mehrzahl von Ebenen bzw. von Bewußtseinsgraden aufdeckt. Es handelt sich hierA

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bei nicht um jeweils bereinandergelagerte Schichten, vielmehr um sich vollstndig durchdringende Momente des Bewußtseins, die nur zum Zweck der Analyse nacheinander genannt werden: 1) das unmittelbare Bewußtsein, das ganz Bewußtsein eines Gegenstandes ist, nicht aber sich selbst zum Gegenstand hat; 2) das reflektierende Bewußtsein, das das unmittelbare Bewußtsein zum Gegenstand hat, nicht aber sich selbst; 3) das reflektierende Bewußtsein, das sich selbst als Gegenstand setzt. Das unmittelbare oder nicht reflektierende Bewußtsein sei hier von seiner erlebnismßigen Seite eingefhrt: Man erinnere sich an Situationen vlligen Vertieftseins in eine Sache, zum Beispiel in die abendliche Lektre eines Buches. Was ist in dieser Situation Inhalt des Bewußtseins? – Die Seiten mit einem bestimmten Schriftsatz, das Licht, das auf die Seiten fllt, vielleicht auch die mit der Zeit brennenden Augen, daß Dunkel herum, und vor allem: die Geschichte, die das Buch erzhlt, die Personen, die es beschreibt, die Landschaften und Rume des Geschehens. Ein Ich findet sich unter diesen Inhalten des Bewußtseins nicht! Das Bewußtsein geht vollkommen darin auf, Bewußtsein des Buches, der brennenden Augen, der erzhlten Geschichte zu sein. Die Situation des Lesens selbst fgt alles zu einer Einheit zusammen. »In der Tat bin ich dann in die Welt der Gegenstnde eingetaucht, sie sind es, die die Einheit meiner Bewußtseinsinhalte konstituieren.« (TE 51; 32) – Nirgends erscheint hier ein Ich, das beim Lesen wahrgenommen wrde. »Whrend ich las, gab es das Bewußtsein des Buches, der Helden des Romans, aber das Ich wohnte nicht im Bewußtsein, dieses war nur Bewußtsein des Gegenstandes und nicht-setzendes Bewußtsein seiner selbst.« (TE 50; 30) Man kann nun einwenden: sicher sieht man in solchen Situationen – wie auch in anderen – kein Ich, so wie man die Seiten eines Buches sieht, und man fhlt es auch nicht wie den Schmerz in den Augen, aber dennoch ist es mir stets bewußt, daß Ich es bin, der liest! Dies wrde Sartre nicht bestreiten, nur: das Bewußtsein, daß ich es bin, der liest, gehrt nicht mehr dieser ersten Ebene des unmittelbaren Bewußtseins an. Das Bewußtsein, daß ich es bin, der liest, ist von einer anderen Art als das Bewußtsein, das ich vom Lesen habe. In diesem Fall liegt bereits eine Art Reflexion, eine Hinwendung des Bewußtseins auf sich selbst, genauer: auf das unmittelbare Bewußtsein des Buches, des Lichtes usw. vor, die mein Ich als dasjenige identifiziert, das im Zimmer sitzt und liest. Hier handelt es sich um ein 26

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zweites Moment des Bewußtseins. Dieser zweite, nunmehr reflektierende Bewußtseinsakt bezieht gleichsam all die unmittelbaren Wahrnehmungen auf das Ich, das da im Zimmer sitzt und liest, ohne daß aber das Ich gegenstndlich erfaßt wird. Und da das Bewußtsein eines ist (und nicht in mehrere ber- oder nachgeordnete Schichten zerfllt), gibt es keinen Grund zu leugnen, daß das reflektierende Moment auch immer – mehr oder weniger – gegenwrtig ist. So vermag es in der Tat »keinen Bewußtseinsakt zu geben, der sich nicht als mit einem Ich ausgestattet erfassen ließe« (TE 48; 27). »Ich kann jederzeit einen beliebigen Akt der Wiedererinnerung in bezug auf den persnlichen Modus [sc. des Erlebens – J. H.] vornehmen, und das Ich taucht sofort auf.« (Ebd.) – Das Entscheidende ist fr Sartre der mittelbare Charakter des Ich-Bewußtseins: es taucht unter seinen Gegenstnden unmittelbar nicht auf, so wie die Lampe oder die brennenden Augen. Diese Feststellung erlaubt es Sartre, ohne Leugnung der natrlichen Selbstwahrnehmung eine Theorie zu entwickeln, die dieser letztlich doch entgegensteht, aber fr ihn das Resultat einer wirklich konsequenten Phnomenologie des Bewußtseins ist und deren Ergebnis – noch einmal – lautet: Das Bewußtsein ist frei von jedem Ich. Was kennzeichnet also einen Bewußtseinsakt? – Ich hre eine Melodie, ich betrachte das Rot einer Rose: der Bewußtseinsakt ist jeweils nichts anderes als die vollkommen klare, unmittelbare, einfache Selbstdurchsichtigkeit bzw. Selbstgegenwart der Wahrnehmung dieser Rose bzw. dieser Melodie (nicht des physikalischen Aktes der Wahrnehmung, sondern des inhaltlichen Aktes im Bewußtsein). Er ist nichts als Selbstdurchsichtigkeit von Rot-Sehen bzw. diese-Melodie-Hren. Das ist durchaus im eben beschriebenen Sinne erlebnismßig nachvollziehbar: wenn man ganz in der Betrachtung des Rot aufgeht oder im Hren einer Melodie, dann sind da das Rot, die Melodie und das Bewußtsein davon, nichts mehr. Zwei Merkmale kennzeichnen also das Bewußtsein: Selbstdurchsichtigkeit und Bezogenheit auf einen Gegenstand. Was nicht vollstndig selbstdurchsichtig ist, ist nicht bewußt. Andererseits: die reine Selbstdurchsichtigkeit an sich ist leer und somit auch nicht durchsichtig. jedes Bewußtsein ist Bewußtsein von etwas, von etwas anderem als es selbst, 2 denn sonst wre es nur leeres Bewußtsein und Das ist die Grundaussage Husserls, die auch Sartre sich zu eigen macht (TE 45; 24. SN 28; 28).

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damit Bewußtsein von nichts. »Es wird sich seiner selbst bewußt, indem es Bewußtsein eines jenseits liegenden Gegenstandes ist. Alles ist also klar und durchsichtig im Bewußtsein: der Gegenstand steht ihm gegenber mit seiner charakteristischen Undurchsichtigkeit, aber es selbst ist in reiner und einfacher Weise Bewußtsein davon, Bewußtsein dieses Gegenstandes zu sein, das ist sein Seinsgesetz … Es selbst kennt sich nur als absolute Innerlichkeit.« (TE 45 f.; 24) Das Rot selber ist nicht mehr durchsichtig, wir blicken durch das Rot nicht mehr hindurch, aber wir blicken es an! Das Bewußtsein lßt sich somit als »Selbstdurchsichtigkeit« [»translucidit«] definieren seine Gegenstnde werden als »undurchdringlich« [»opaque« bzw. »opacit«] erfaßt (TE 46 f.; 23 ff.), ganz in der Form des cartesianischen Denkmusters: Das Sein der Dinge wird bestimmt durch die Analyse dessen, was das Bewußtsein zwingend darber mitteilt. Aus diesen Darlegungen wird sofort einsichtig, daß das Ich nicht zum Bewußtsein gehrt: in dieser unmittelbaren Weise ist es niemals gegenwrtig; ich nehme mein Ich nicht wahr wie eine Farbe, eine Melodie oder einen Schmerz. »In der Tat ist nur allzu gewiß, daß das Ich des Ich denke weder Gegenstand einer apodiktischen noch einer adquaten Evidenz ist: sie ist nicht apodiktisch, da, wenn ich sage Ich, wir sehr viel mehr behaupten als wir wissen. Sie ist nicht adquat, denn das Ich zeigt sich als undurchdringliche Wirklichkeit, deren Inhalt zu entwickeln wre. Sicher, es manifestiert sich als Quelle des Bewußtseins, aber das selbst mßte uns zu denken geben: da es in der Tat verhllt erscheint, schlecht unterscheidbar quer durch das Bewußtsein hindurch, wie ein Stein auf dem Grund des Wassers – aufgrund dieser Tatsache ist es sofort trgerisch, denn wir wissen, daß nichts als das Bewußtsein die Quelle des Bewußtseins sein kann.« (TE 53; 35) – Das Ich kennzeichnet somit jene Undurchdringlichkeit, die den Gegenstnden eigen ist. Es kann somit gar nicht von der Qualitt des Bewußtseins – und damit nicht im Bewußtsein zuhause sein. Wenn wir ich sagen, sagen wir sehr viel mehr aus als wir wissen. Dieser Gedanke 3 liefert einen Schlssel zur Philosophie Sartres: Das Ich, das ich meine, wenn ich von mir rede, ist ein komplexes Ganzes

Er stammt brigens von Jules Lequier, der so die mangelnde Evidenz des cartesianischen Cogito nachweisen wollte. Vgl. J. Hengelbrock, Cogito, ergo sum liber. Essai sur lequier. Archives de Philosophie XXXI (1968), S. 434–455.

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von Anlagen und Zustnden, das Produkt einer bestimmten Individual- und Sozialgeschichte, einer Gefhlswelt, die in mir emporkommt, um deren Ursprnge und innere Bewegungsablufe ich nicht weiß; ich habe pltzlich diesen Gedanken, jenes Gefhl, jenen Einfall, aber wie und wieso er gerade in diesem Augenblick entstanden ist, das ist mir nicht bewußt. Das Ich ragt also weit ber das Bewußtsein hinaus, es teilt dessen Selbstdurchsichtigkeit nicht, es ist fr das Bewußtsein undurchdringlich, daher ihm gegenber transzendent. »Wenn man also diese Undurchdringlichkeit in das Bewußtsein einfhrt, zerstrt man dadurch die so fruchtbare Definition, die wir eben gegeben haben, man verfestigt es, man verdunkelt es, es ist keine Spontaneitt mehr, es trgt dann sogar in sich etwas wie den Keim der Undurchdringlichkeit.« (TE 46; 25) Wenn das Ich gleichsam aus dem Bewußtsein herausfllt, kann es selbstverstndlich auch nicht dessen Zentrum, Trger oder konstitutives Prinzip sein. Von einem solchen Ich haben wir kein Bewußtsein, und wenn es dieses gbe, wrde es als Unbewußtes das Bewußtsein konstituieren. »Das transzendentale Ich ist der Tod des Bewußtseins.« (TE 45; 23) Das Bewußtsein wird somit zu einer ersten, nicht mehr auf ein anderes Prinzip rckfhrbaren Realitt. »Ein reines Bewußtsein ist ein Absolutum, ganz einfach weil es Bewußtsein seiner selbst ist.« (TE 46; 25) Es erklrt sich nur aus sich selbst, denn die Selbstdurchsichtigkeit kann nicht aus der Undurchdringlichkeit (der Gegenstnde oder des Ich) hergeleitet werden. Es handelt sich also um eine Realitt, die nur auf sich selbst (als reine Selbstdurchsichtigkeit) verweist und die der unhinterfragbare Ausgangspunkt unserer Erkenntnis ist. Es ist in diesem Sinne absolut, d. h. losgelst, weil nicht durch anderes bedingt. Auch bedarf es zur Erklrung der Einheit des Bewußtseins des Ichs nicht. Einerseits »bin ich … in die Welt der Gegenstnde eingetaucht, sie sind es, die die Einheit meiner Bewußtseinsakte schaffen« (TE 51; 32), andererseits »eint sich das Bewußtsein selbst und in konkreter Form durch ein Spiel ›quer zu ihm verlaufender‹ [also nicht gegenstandsbezogener – J. H.] Intentionalitten, welche konkrete und reale Faktoren des Festhaltens vergangener Bewußtseinsakte sind. So verweist das Bewußtsein stndig auf sich selbst, wer sagt: ›ein Bewußtseinsakt‹, meint das ganze Bewußtsein, und diese einzigartige Eigenschaft kommt nur dem Bewußtsein selber zu, was auch immer seine Bezge zum Ich sein mgen.« (TE 45; 22) A

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Mit den letzten Schlußfolgerungen, die auf eine Theorie des Bewußtseins als absoluter, unpersnlicher Instanz hinauslaufen (TE 43; 19), sind die Grundentscheidungen der Philosophie Sartres bereits gefallen. Doch bevor sie nher ins Auge gefaßt werden, sind die beiden anderen Dimensionen des Bewußtseins sowie einige weitere wesentliche Aspekte kurz zu beleuchten. Jedes Bewußtsein ist Bewußtsein von etwas. – Dieses Gesetz des Bewußtseins gilt auch fr dessen zweite Dimension: fr das reflektierende Bewußtsein. Es hat das unmittelbare, selbst noch nicht reflektierende Bewußtsein zum Gegenstand; auf dieser Ebene ist sich das Bewußtsein bewußt, Bewußtsein dieses Gegenstandes, sagen wir: dieses Rot zu sein. Gegenstand des Bewußtseinsaktes zweiten Grades ist also der erste, unmittelbare Bewußtseinsakt. Auf dieser Ebene taucht das Cogito auf: »Dieses Cogito wird bewerkstelligt durch einen Bewußtseinsakt, der auf das Bewußtsein gerichtet ist, der das Bewußtsein zum Gegenstand nimmt.« (TE 48; 28) Das reflektierende Bewußtsein selbst ist ebenfalls unpersnlich – es ist ohne Ich (denn das Ich ist ja undurchdringlich und kann daher in keiner Dimension zum Bewußtsein gehren), aber es hat die Mglichkeit, das unmittelbare Bewußtsein zu beobachten und daraus Rckschlsse zu ziehen. Diese laufen darauf hinaus, daß unsere seelischen Zustnde (Freude, Trauer, Schmerz empfinden) und unsere Handlungen (ein Buch lesen, hinter der Straßenbahn herlaufen) immer auf einen Punkt zu beziehen sind, der ihre synthetische Einheit darstellt: eben auf das Ich als Teil der Welt. Nicht als ob das Ich nun selbst Gegenstand des Bewußtseins wrde (so wie das Rot-sehen); dies ist grundstzlich unmglich, da es dann als Gegenstand des unmittelbaren Bewußtseins auftauchen mßte. – Um die Art und Weise des Auftauchens des Ich zu erklren, bringt Sartre (in entfernter Anlehnung an Kant) einen Vergleich: »Wollte man fr das unreflektierte Bewußtsein ein Analogon zu dem suchen, was das Ego fr das Bewußtsein zweiten Grades ist, meinen wir eher, daß man an die Weit denken mßte, verstanden als unendliche synthetische Totalitt aller Dinge … Das Ego ist fr die psychischen Gegenstnde, was die Welt fr die Dinge ist.« (TE 69 f.; 57 f.) Die Welt selbst ist auch nie Gegenstand unserer Wahrnehmung bzw. unseres Bewußtseins, wir setzen vielmehr die Dinge, die wir wahrnehmen, in Bezug zueinander und ordnen sie einem gemeinsamen Realittsbereich, eben der ›Welt‹ zu. »In diesem Falle erscheinen die Dinge, die uns umgeben, nur als der ußerste Zipfel dieser Welt, die ber sie hinausgeht und die sie umfaßt.« 30

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(Ebd.) Ebenso verhlt es sich mit dem Ich: es wird nie selbst erfaßt, sondern erscheint dem reflektierenden Bewußtsein nur als gemeinsamer Fluchtpunkt unserer Seelenzustnde und Handlungen, ein Fluchtpunkt aber, der selbst wieder flchtig ist (TE 79 f.; 70). Im Wechselspiel von Liebe und Haß, von Furcht und Hoffnung z. B. erfahren wir nicht ein Ich, das bleibt, whrend seine Zustnde wechseln, so wie der Tisch derselbe bleibt und auch als solcher klar erscheint, wenn wir ihn umlackieren. Das Bewußtsein erlebt rein den Haß, und ebenso die Liebe, in die es umschlgt. Das reflektierende Bewußtsein bindet diesen neuen Zustand an den alten auf den Fluchtpunkt Ich hin. »Es intentioniert einen Bezug, der die Zeit nach rckwrts durchluft [den jetzigen Zustand zu dem vorausgehenden in Bezug setzt – J. H.] und der das Ich als Quelle des Zustandes angibt.« (TE 71 f.; 60) »Wir erfassen das Ego nicht, als wre es letztlich eine reine schpferische Quelle hinter den Eigenschaften. Wir sind nicht der Ansicht, daß wir einen skelettartigen Pol fnden, wenn wir alle seine Eigenschaften eine nach der anderen abzgen. Wenn das Ego als jenseits einer jeden oder sogar aller Eigenschaften erscheint, dann weil es selbst undurchdringlich wie ein Gegenstand ist: wir mßten es unendlich auseinandernehmen, um alle seine Potentialitten abzuziehen. Und am Ende dieses Auseinandernehmens wrde nichts mehr bleiben, das Ego htte sich verflchtigt.« (TE 72; 61) – In der Tat: Wenn wir uns nach uns selbst fragen, kommen eine Menge Dinge in den Blick: unsere ußere Gestalt, unser Alter, unsere augenblicklichen und die vergangenen Gefhlslagen, unser Geschlecht, unsere sozialen Rollen und Beziehungen usw., aber wir erfassen nie ein Ich, das davon unterscheidbar bzw. als unterschiedenes zu erkennen wre. Wenn wir von all dem absehen, was in den Blick kommt bzw. Gegenstand des Bewußtseins wird, und was nicht Ich ist, weil es in dieser oder jener Form auch anderen Ich zukommen knnte (rothaarig, intelligent, mnnlich, weiblich), dann bleibt nichts brig, was als Ich auszumachen wre. Und doch binden wir alles an dieses Ich als gemeinsamen Bezugspunkt. – Das Verhltnis des Ich zu seinen Eigenschaften hat somit etwas Magisches an sich: »Es handelt sich meistens um ein magisches Hervorbringen. In anderen Fllen kann es rational sein (im Fall eines berlegten Wollensaktes zum Beispiel). Aber immer mit einem nicht mehr intelligiblen Boden.« (Ebd.) »In der Tat, das Ego erscheint immer nur, wenn man es nicht betrachtet. Der reflektierende Blick muß sich auf das Erlebnis konzentrieren, insofern es von dem jeweiligen psychischen Zustand ausgeht. Dann A

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erscheint hinter dem Zustand das Ich am Horizont. Es wird also immer nur mit einem Seitenblick erfaßt.« (TE 79; 70) Dennoch ist das Ich nicht etwas vllig von uns Abgercktes, das eben deswegen flchtig wre und uns daher unmittelbar nicht zu berhren brauchte. Das Ich ist nicht in derselben Weise transzendent wie die Dinge, es wird durchaus als Quelle unserer Handlungen und Zustnde erfahren (lesen, denken, fhlen usw.), aber nicht direkt, vielmehr als eine Art gegenwrtigen Innenseins, das zwar verschlossen, in sich undurchdringlich, aber dennoch untrennbar mit mir verbunden ist (TE 76 f.; 65 f.). Der Bezug des Bewußtseins zum Ich wird selber nicht durchschaut. »Es sicht so aus, als ob das Ich dem Bewußtsein zugehrig wre, mit fast dem einzigen und entscheidenden Unterschied, daß es fr das Bewußtsein undurchdringlich ist.« (TE 77; 67) Es selbst bleibt also unbekannt. »Die einzige Methode, es zu erkennen, ist daher die Beobachtung, die annhernde Wahrscheinlichkeit, das Abwarten, das Experiment. Aber diese Verfahrensweisen, die fr jeden transzendenten nicht intimen Gegenstand vollkommen geeignet sind, greifen hier nicht, eben aufgrund der Innerlichkeit des Ich. Es ist zu gegenwrtig, als daß man ihm gegenber einen wirklichen Standpunkt außerhalb einnehmen knnte. Wenn man sich zurckzieht, um Abstand zu gewinnen, begleitet es uns bei diesem Abstandnehmen. Es ist unendlich nah, und ich kann nicht um es herumgehen.« (TE 78; 68) Unser Krper stellt auf der Ebene des unmittelbaren Bewußtseins zwar ein sichtbares und faßbares, aber letztlich undurchdringliches Symbol dar fr das, was wir mit ›Ich‹ meinen (TE 81; 72), aber weder das physische noch das Psychische Ich (als die Einheit empirisch erfaßbarer Seelenzustnde) erscheinen dort. »Der Mensch ist fr den Menschen immer ein Hexenmeister.« Darin gipfeln Sartres Aussagen ber das Ich (TE 74; 64). Sie wurden deshalb so ausfhrlich dargestellt, weil sie die Grundlinien der Sartreschen Philosophie des Menschen vorzeichnen. – Was man gemeinhin meint, wenn man ›ich‹ sagt: einen einzigen, in sich geschlossenen Ausgangspunkt des Wahrnehmens, Fhlens, des Erkennens, Wollens und Handelns, hlt Sartre fr eine Illusion. Was gemeinhin als freie Willensentscheidung verstanden wird (aufstehen, in die Stadt gehen, ein Buch lesen, kurz: eine Handlung anfangen), vollzieht sich bereits, wenn das Bewußtsein davon Kenntnis nimmt. »Ich ist ein anderer«, so zitiert Sartre Rimbaud (TE 86; 78). Das Bewußtsein ist eine absolute Realitt, die nur auf sich selbst 32

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als reine Spontaneitt verweist; es entspringt als Bewußtsein eines Gegenstandes und ist neutral in bezug auf alles andere: auf ein Ich, ein Du usw. Im Grunde ist das Ich fr das Bewußtsein etwas Fremdes, ebenso fremd wie jedes andere Ich, und es ist auch mit demselben Unsicherheitsgrad und nur in der gleichen approximativen Weise von außen zu erschließen wie ein anderes Ich (das Ich Peters z. B.) (TE 84 f.; 76 f.). Das Bewußtsein ist allein und nur sich selbst direkt zugnglich, denn es ist reine Selbstdurchsichtigkeit; selbstdurchsichtig aber nur fr sich selber, nicht fr ein anderes Bewußtsein. Als reine Immanenz stellt das Bewußtsein gleichsam eine Monade dar, eine in sich geschlossene, von außen unzugngliche Welt, und auf dieser Ebene gibt es auch keine zwischenmenschliche Kommunikation. – »Wenn dem so ist, bleibt nichts ›unerschließbares‹ bei Peter, es sei denn, sein Bewußtsein selbst. Dies aber ist es radikal.« (TE 85; 77) Zwar kann ich das Ich des Anderen als Teil der Welt ebenso approximativ erfassen wie das meine, und erfhrt sich das reflektierende Bewußtsein als auf ein individuelles Ich bezogen (insofern hat das Ich schon eine privilegierte Stellung), aber der Bezug selber ist nicht durchschaubar und bleibt uns unverstndlich. Das Bewußtsein ist eine »unpersnliche Spontaneitt« (TE 86; 79). Das Bewußtsein »entschließt sich in jedem Augenblick zur Existenz, ohne daß man etwas annehmen knnte, das vor ihm existiert htte. Daher enthllt uns jeder Augenblick unseres bewußten Lebens eine Schpfung aus dem Nichts. Keine neue Anordnung, sondern eine neue Existenz. Es liegt fr jeden von uns etwas Bengstigendes darin, diese rastlose Erschaffung der Existenz, deren Schpfer wir nicht sind, auf frischer Tat zu ertappen. Auf dieser Ebene hat der Mensch den Eindruck, sich selbst unaufhrlich zu entgleiten, ber sich hinauszureichen, sich selbst durch einen stets unerwarteten Reichtum zu berraschen, und er macht auch noch das Unbewußte verantwortlich fr dieses Herausgehen des Ich ber das Bewußtsein hinaus. In der Tat vermag das Ich nichts in bezug auf diese Spontaneitt … Der Wille richtet sich auf die seelischen Zustnde, die Gefhle oder die Dinge, aber er wendet sich niemals auf das Bewußtsein zurck.« (TE 86 f.; 79) Diese letzten Aussagen sind bereits dem Kapitel Schlußfolgerungen entnommen, in dem Sartre – dem cartesianischen Denkmuster folgend – den phnomenologischen Ansatz auf eine Ontologie des Menschen hin berschreitet: Die phnomenologische Analyse ergab, daß das Bewußtsein nur auf sich selbst verweist, abgesehen A

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vom Gegenstand natrlich, auf den es bezogen ist. Was nur auf sich selbst verweist, kann nur aus sich selbst entstehen, denn was aus etwas anderem entstanden ist, mßte irgendeinen Bezug zu diesem enthalten. Damit ist ein erster Schritt in die Ontologie vollzogen. Sartre bernimmt die theologische Idee der Schpfung aus dem Nichts zur ontologischen Charakterisierung des Bewußtseins (creatio ex nihilo, das heißt: Gott hat alles, was ist, aus dem Nichts erschaffen und nicht etwa aus einem bereits vorhandenen Urstoff) (Thomas von Aquin, 4.6, I, 45,2): Das Bewußtsein hat keine andere Ursache als sich selbst, es bestimmt sich zur Existenz [»se dtermine a l’existence«], ohne daß außerhalb seiner etwas vorliegt, was als seine Ursache in Frage kme: weder ein gttliches (Schpfer-)Bewußtsein noch auch eine Anlage, die sich irgendwo entwickelt hat, so wie die Stimmbnder die Anlage zum Sprechen enthalten. »Sein, das heißt in der Welt entspringen, das heißt von einem Nichts an Welt und an Bewußtsein ausgehen, um pltzlich als Bewußtsein-in-der-Welt-zuentspringen«, sagt Sartre an anderer Stelle (0.15, 34). Damit sind die Themen des Sartreschen Existentialismus bereits vorgezeichnet: »Der Mensch existiert zuerst, begegnet sich, taucht in der Welt auf« (EH 149; 22), er weiß nicht, woher er kommt und was er morgen sein wird, denn es gibt keine feste Substanz des Bewußtseins oder im Bewußtsein (kein Ich), die Kontinuitt sichert. Die Kontinuitt im Bewußtsein, von der wir dennoch sprechen, besteht vielmehr darin, daß in jedem Augenblick das Bewußtsein neu entspringt, also das eine Entspringen an das andere anschließt. Die Einheit des Bewußtseins und somit die Wahrnehmung seiner Kontinuitt, so wurde schon gesagt, leistet der Bewußtseinsfluß selber, und zwar dadurch, daß die Bewußtseinsakte gleichsam querliegende Aufmerksamkeitsrichtungen (Intentionalitten) bilden, die die vergangenen Bewußtseinsinhalte festhalten, wodurch Erinnerung und Zeitgefhl entstehen. – Ob diese querliegenden Aufmerksamkeitsrichtungen ausreichen, eine stabile Orientierung in Raum und Zeit zu ermglichen, die Zuordnung von Vergangenheit und Zukunft usw., kann hier nicht diskutiert werden. Auf der Basis der ontologischen Analyse von Das Sein und das Nichts stellt sich dieses Problem nicht mehr. Dort wird auch klarer, was unter der ununterbrochenen Neuschpfung des Bewußtseins zu verstehen ist (s. u. Kap. III, § 2). Ein weiterer Grundgedanke muß hier noch angesprochen werden, den die oben genannten Schlußfolgerungen enthalten und der uns endlich zur Frage nach der Freiheit fhrt: Das Bewußtsein er34

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weist sich als stndige Neuschpfung seiner selbst, ohne aber eigentlich Herr dieser Schpfung zu sein. Es steht seinem eigenen Vorgang der Neuschpfung gleichsam hilflos gegenber, kann ihn weder steuern noch z. B. aufhalten. Daher ngstigt es sich in untergrndiger Weise vor sich selbst, denn es hat sich selbst nicht in der Hand und weiß somit nicht, wohin sein Weg fhren wird. Diese Angst des Bewußtseins vor sich selbst wird auf der Bewußtseinsebene dritten Grades ausdrcklich erfahren, wo sich das reflektierende Bewußtsein selbst als Gegenstand setzt. Hier sei Sartre wiederum in einer lngeren Passage selbst zitiert, denn eindringlicher lßt sich das von ihm Gemeinte nicht sagen: »Aber es kann geschehen, daß das Bewußtsein pltzlich sich selbst auf der rein reflexiven Ebene hervorbringt. Vielleicht nicht einmal ohne Ego, aber doch als dem Ego auf allen Seiten entgleitend, als ber ihm stehend und es durch eine stndige Schpfung außerhalb seiner haltend … Es gibt keine Schranken mehr, keine Grenzen, nichts, was das Bewußtsein vor sich selbst verbirgt. Da pltzlich ngstigt sich das Bewußtsein, indem es das wahrnimmt, was man die Fatalitt seiner Spontaneitt nennen knnte: diese absolute, unheilbare Angst, diese Furcht vor sich selbst scheint uns konstitutiv fr das Bewußtsein.« (TE 88 f.; 82 f.) 4 Sartre fhrt selbst ein plastisches Beispiel an: »Es scheint uns, daß diese monstruse Spontaneitt Ursache zahlreicher Psychasthenien ist. Das Bewußtsein erschrickt vor seiner eigenen Spontaneitt, weil es sich selbst als jenseits der Freiheit liegend erfhrt. Das kann man klar an einem Beispiel von Janet sehen. Eine junge Frau hatte, jedesmal wenn ihr Mann sie allein ließ, panische Angst davor, daß sie sich ans Fenster setzen und wie eine Prostituierte die Vorbergehenden ansprechen knnte. Nichts in ihrer Erziehung, in ihrer Vergangenheit, nichts in ihrem Charakter kann als Erklrung fr eine derartige Befrchtung dienen. Uns scheint ganz einfach, daß ein unbedeutender Umstand (Lektre, Gesprch usw.) bei ihr das hervorgerufen hatte, was man das Schwindelgefhl vor der Mglichkeit Den Begriff der stndigen Schpfung entlehnt Sartre wiederum der Theologie, wo er die Tatsache bezeichnen soll, daß Gott das Sein des Geschpfes durch einen stndigen Akt im Dasein erhlt, da es nicht selbstndig genug ist, sich selbst zu erhalten, und ohne den gttlichen Akt ins Nichts zurckfallen wrde (Thomas von Aquin, 4.6, I, 104,1). – Sartre gibt diesem Begriff, seinen (fr ihn) wahren, d. h. anthropologischen Sinn (im Stile Feuerbachs): Das Bewußtsein besteht in eben solchem Akt der stndigen Schpfung, aber nicht durch einen Gott, sondern als absolutes Faktum, das nur auf sich selbst verweist.

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nennen knnte. Sie fand sich in monstruser Weise frei, und diese schwindelerregende Freiheit kam ihr anlßlich dieser Geste zu Bewußtsein, die sie zu tun frchtete. Dieses Schwindelgefhl wird aber nur verstndlich, wenn das Bewußtsein sich selbst pltzlich als etwas erscheint, das in seinen Mglichkeiten unendlich ber das Ich, das ihm fr gewhnlich als Einheit dient, hinausragt.« (TE 87 f.; 80 f.) 5 Damit ist der Ort der Freiheit, wie Sartre sie spter versteht, vorgezeichnet: Freiheit gehrt zur Dimension des Bewußtseins. »Die Freiheit und das Bewußtsein, das war fr mich ein und dasselbe. Sehen und Freisein, das war dasselbe«, so resmiert Sartre im Jahre 1974 seine philosophischen Bemhungen (ZA 451; 445). In den folgenden Untersuchungen wird die schwierige Frage zu klren sein, wie die Bewußtseinsfreiheit zur existentiellen Freiheit wird, von der man sagen kann: »Der Mensch ist nichts anderes als das, wozu er sich macht.« (EH 150; 22) Ebenso wird zu klren sein, welche Rolle in diesem Zusammenhang das biologische und psychologische Ich sowie soziale Faktoren spielen. (In beiden Fllen handelt es sich um massive Realitten, deren Wirkmacht Sartre nie geleugnet hat.) Erste Orientierungen in dieser Hinsicht enthalten die Schlußbemerkungen aus Die Transzendenz des Ego: »Wird jedoch das Ich ein Transzendentes, hat es an allen Wechselfllen der Welt teil. Es ist kein Absolutum, es hat keineswegs das Universum geschaffen.« (TE 90; 85) Teil der Welt ist das Ich als biologische, psychische und soziale Realitt. Als solches steht es in einer Diese Ausfhrungen bedrfen einiger Erluterungen. 1) Das zuletzt Gesagte macht – wiederum – deutlich, daß das Ich nicht die Einheit des Bewußtseins stiftet. Wenn es sich auf sich selbst zurckwendet, entdeckt das Bewußtsein, daß seine Mglichkeiten weit ber das Ich hinausragen. 2) »Das Bewußtsein erfhrt sich als jenseits der Freiheit.« – Um Mißverstndnisse zu vermeiden, muß darauf verwiesen werden, daß Sartres Philosophie sich erst in Grundzgen andeutet. Auf der Ebene von Das Sein und das Nichts wird die Spontaneitt des Bewußtseins zum Fr-sich-Sein, zur Freiheit im ontologischen Sinn. Wenn hier Spontaneitt als jenseits der Freiheit liegend gekennzeichnet wird, dann als eine fundamentalere Realitt, die jenseits von konkreten, »freien« Willensentscheidungen anzusiedeln ist. 3) »Nichts in ihrer Erscheinung, in ihrer Vergangenheit und ihrem Charakter kann als Erklrung fr eine derartige Befrchtung dienen.« Diesen Standpunkt wird Sartre in Das Sein und das Nichts so nicht mehr vertreten. Hier ging es ihm darum, die absolute Unrckfhrbarkeit der Spontaneitt des Bewußtseins auf etwas anderes als auf es selbst zu betonen: Das Bewußtsein entspringt selbstndig, in der Angst nimmt es seinen Charakter wahr als dauernde Neuschpfung, die sich selbst nicht halten kann und ihrer selbst unsicher ist.

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engen, unauflslichen Wechselbeziehung mit ihr. Das Ich, das ist der kleine Sugling, der in einer bestimmten Familie, in einem bestimmten Milieu geboren wird mit einer ganz bestimmten, ererbten physischen und psychischen Konstitution, der eine strenge oder lasche Erziehung erfhrt, Krankheiten durchmacht usw. An dem auch das soziale Schicksal der Umwelt nicht vorbergeht. »Das Ich nimmt Teil an den Wechselfllen der Welt« (ebd.), diese Position – und nur diese – vermag nach Sartre, den Solipsismus zu berwinden (TE 90; 84 f.) (die Lehre nmlich, daß das Erleben ber den Bannkreis des Bewußtseins nicht hinauskommt). Die menschliche Freiheit ist an das Entspringen des Bewußtseins gebunden – dies schließt aber nicht aus, daß jenseits des Bewußtseins unser Ich jenen inneren und ußeren Bestimmungen unterworfen ist (Erbanlagen, Prgungen durch die Umwelt usw.), deren Wirkmacht offensichtlich ist und sinnvoll nicht geleugnet werden kann. Dieses Ich ist empirischer Forschung zugnglich: der Psychologie, der Soziologie, der Historie. Daher ußert sich Sartre folgerichtig so: »Die Theoretiker der extremen Linken haben manchmal der Phnomenologie vorgeworfen, ein Idealismus zu sein und die Realitt in Ideenfluten zu ertrnken. Aber wenn der Idealismus die Philosophie von Herrn Brunschvicg ist, in dem das bel nicht vorkommt, wenn es sich hierbei um eine Philosophie handelt, in der der Versuch der geistigen Aneignung niemals ußere Widerstnde trifft, wo das Leiden, der Hunger, der Krieg sich in einem langsamen Prozeß der Einheitsstiftung von Ideen auflsen, dann ist nichts ungerechter als die Phnomenologen Idealisten zu nennen. Im Gegenteil, man hat seit Jahrhunderten in der Philosophie nicht mehr eine solch realistische Strmung gesprt. Sie haben den Menschen wieder in die Welt eingetaucht, sie haben seinen ngsten und seinen Leiden, auch seinen Emprungen ihr ganzes Gewicht wiedergegeben.« (TE 91; 85 f.) Das Ich hat seine Individual- und seine Sozialgeschichte: die des menschlichen Leidens und der Unterdrckung. Insofern der Marxismus diese Geschichte untersucht und verstndlich machen kann, steht er nicht im Gegensatz zur Phnomenologie (auch nicht zum Existentialismus, wie sich noch zeigen wird) und trgt einen unverzichtbaren Anteil zum Wissen ber den Menschen bei (s. u. Kap. IV). Das Bewußtsein allerdings und damit die Freiheit sind auf diese Weise nicht zu erfassen; als absolute Existenzen entziehen sie sich der Individual- und Sozialgeschichte und bedrfen eines eigenen Zugangs, eben einer Phnomenologie und einer Ontologie, die Sartre A

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in Das Sein und das Nichts entwickelt. In deren Licht mssen Individual- und Sozialgeschichte letztlich gedeutet werden, will man den Menschen wirklich verstehen. Eine Philosophie allerdings, die den Menschen auf materielle Prozesse reduzieren will und ihn damit in der Geschichte der materiellen Verhltnisse aufgehen lßt, ist fr Sartre unhaltbar. Sie vermag der Spontaneitt des Bewußtseins in keiner Weise Rechnung zu tragen. – Sartre entkrftet in Die Transzendenz des Ego schon mit aller Deutlichkeit: »Es schien mir immer schon, daß eine so fruchtbare Arbeitshypothese wie der historische Materialismus keineswegs eine solche Absurditt wie den metaphysischen Materialismus als Grundlage verlangte.« (91; 86) Wenn Sartre sich spter dem Marxismus zuwendet, so liegt darin keineswegs eine Kehrtwendung oder eine Abkehr von frheren Positionen, obgleich er nach Art der Bekenntnisse des Augustinus eine Bekehrungsgeschichte vom brgerlichen Intellektuellen zum engagierten Marxisten erzhlt (KD 23 ff.; 22 ff.). Fr ihn bilden phnomenologische Ontologie und marxistische Soziologie keine Gegenstze; sie ergnzen sich vielmehr gegenseitig. Dasselbe gilt fr die Psychoanalyse. 6 Eine umfassende Wissenschaft vom Menschen hat alle genannten Disziplinen zu bercksichtigen und einer Synthese zuzufhren. Sartre hat in seinem letzten großen Werk L’Idiot de la famille. Gustave Flaubert de 1821  1857 aus dem Jahre 1970 (0.33) eine solche Synthese anhand eines konkreten Falles, eben des Dichters Gustave Flaubert, zu leisten versucht. Was er dort unternimmt, ist die konsequente Durchfhrung eines Ansatzes, der, so geht aus dem oben Gesagten hervor, in seinen Grundlinien schon 1936 in Die Transzendenz des Ego vorgezeichnet war. Insofern zeigt das Werk Sartres ber vierzig Jahre hin eine erstaunliche Kontinuitt. Seine Wende zum Marxismus, die man vielfach als Bruch mit seinen frheren Positionen verstanden hat, erweist sich bei genauem Hinsehen als eine Verlagerung der Betrachtungsweise und der Schwerpunkte innerhalb dieser Kontinuitt. 7 Das ist die zentrale These der »Methodenfragen« [»Questions de Mthode«], die der Kritik der dialektischen Vernunft vorangestellt sind. 7 Es bedarf keiner ausfhrlichen Rechtfertigung, daß im Rahmen der Fragestellung, die hier die Begegnung mit der Sartreschen Philosophie leitet, Phnomenologie und Ontologie im Vordergrund stehen. In Das Sein und das Nichts mndet die phnomenologische Ontologie in eine Philosophie der Freiheit. Da dieser Schritt fr alle Teile und 6

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Aber wie weit her ist es dann mit der menschlichen Freiheit? Im Verlauf der Darlegungen zu Die Transzendenz des Ego zeigte sich: Was man gemeinhin meint, wenn man von sich selbst spricht, also ›ich‹ sagt: ein einziges, in sich geschlossenes Zentrum, das wahrnimmt, erkennt und fhlt, das Ausgangspunkt unserer Willensentscheidungen ist, gibt es im Grunde nicht. Das ist es aber letztlich, was wir allgemein unter der menschlichen Freiheit verstehen und was von jedem von uns spontan zu haben beansprucht wird. Das Ich steht vielmehr in enger Beziehung zur Welt und ist ihrem Einfluß ganz und gar ausgesetzt. Sartre betont zum Abschluß von Die Transzendenz des Ego noch einmal: »Das Ich … bezieht aus der Welt seinen ganzen Inhalt.« (92; 87) Wollen und Handeln heißt: in der Welt wollen und handeln und damit ihren Gesetzen unterworfen sein. Die Psyche stellt keinen autonomen, der Welt entzogenen Bereich dar. Alle Erlebnisse und Handlungen vollziehen sich schon in ihr, wenn sie Gegenstand des Bewußtseins werden. – Das Bewußtsein selbst ist eine unpersnliche, absolute Realitt. Sartre hlt auch das abschließend noch einmal ausdrcklich fest: Es »enthlt nichts mehr von einem Subjekt, es ist ganz einfach eine erste Voraussetzung und absolute Quelle der Existenz« (ebd.). Wie kann diese unpersnliche Existenz zu einem bewußten, geschlossenen, autonomen, persnlichen Handeln im obigen Sinn fhren? Oder gibt es dieses, so verstanden, fr Sartre tatschlich nicht?

Formen der Sartreschen Philosophie leitend ist, wird somit gleichzeitig die Grundlage der sozialphilosophischen Anstze Sartres erhellt. – Damit soll nicht gesagt werden, daß die Metaphysik der Freiheit durch die Hinwendung zur Gesellschaftstheorie keinerlei Wandlungen erfahren habe. Doch handelt es sich hierbei nicht um grundstzliche Revisionen seiner frheren Philosophie. Man muß Sartre zubilligen, daß der jeweilige Betrachtungsschwerpunkt manchmal berstrapaziert wird und somit Aussagen zustande kommen, die im Gesamtgefge seiner Philosophie so nicht haltbar sind und auch nicht aufrechterhalten werden. A

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III. Das Sein und das Nichts. Freiheit als ontologische Notwendigkeit

»Der Mensch verliert sich, damit Gott werde. Aber die Idee Gottes ist widersprchlich, und wir verlieren uns vergebens.« J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts

§ 1 Das Sein und die Erscheinung »Das moderne Denken hat einen beachtlichen Fortschritt erzielt, indem es das Existierende auf die Reihe der Erscheinungen reduzierte, die es manifestieren.« Mit dieser Feststellung beginnt Das Sein und das Nichts (9; 11). Sartre bringt hier ein Autorittsargument: »das moderne Denken« ist Garant fr die Unhinterfragbarkeit dieses Fortschritts, und das enthebt ihn der Notwendigkeit, diese Reduktion als in der Sache zwingend nachzuweisen. Mit ihr aber steht und fllt sein Gesamtkonzept einer phnomenologischen Ontologie, und so ist es unumgnglich, die Implikationen dieser Reduktion genau zu untersuchen und – zum Schluß – doch noch einmal ihre Unhinterfragbarkeit in Frage zu stellen (s. u. Kap. VI). Das Existierende wird reduziert auf die Serie der Erscheinungen, die es manifestieren. – Am ehesten nachvollziehbar wird der Gedanke, wenn man ein Beispiel hinzuzieht, das Sartre selbst bringt: »Der elektrische Strom hat keine geheime Rckseite: er ist nichts als die Gesamtheit der physikochemischen Vorgnge (Elektrolysen, Erglhen eines Kohlefadens, Bewegung des Zeigers auf dem Galvanometer etc.), die ihn sichtbar machen.« (Ebd.) Er erschpft sich in der beobachtbaren Elektronenbewegung selbst samt ihrer Wirkungen, hinter dieser steckt keine verborgene metaphysische Kraft, die den ›eigentlichen‹ Strom oder sein ›Wesen‹ ausmachten. Das Sein des Stromes ist das und nur das, was dem Beobachter an physikalischen Vorgngen erscheint. 40

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Sartre hlt mit dieser Reduktion eine Reihe von Dualismen fr erledigt, die die klassische Metaphysik mit mancherlei Aporien belastet haben: Den Dualismus von Sein und Schein, der den Schein als das Nicht-Seiende bestimmt hatte, den von Akt und Potenz, der nicht zu erklren vermochte, wieso aus dem (Noch-)Nicht etwas wird, schließlich den von Wesen und Erscheinung. »Das phnomenale Sein manifestiert sich, es manifestiert sein Wesen ebenso wie seine Existenz, und es ist nichts als die wohlverbundene Reihenfolge seiner Erscheinungen.« (SN 11; 12 f.) Ein solches Grundpostulat erlaubt es Sartre zugleich, alle Hinweise auf eine verborgene Natur des Seins von sich zu weisen und den cartesianischen Gedankenschritt zu einer phnomenologischen Ontologie auszubauen: Das Sein ist so, wie es dem Bewußtsein erscheint und von ihm aus denknotwendig erschlossen wird. Die Struktur des Seins, die das Bewußtsein offenlegt, gibt Auskunft ber das Sein schlechthin und ermglicht es schließlich, sogar Aussagen ber das Seinsschicksal zu machen, das ja zugleich auch das Schicksal des Menschen ist. Doch welches ist die Struktur des Seins, die das Bewußtsein offenbart? Sartre geht so vor, daß er zunchst die idealistische Grundannahme formuliert und deren Unhaltbarkeit nachweist. »Da wir die Realitt auf die Erscheinung reduziert haben, knnen wir von der Erscheinung sagen, daß sie ist, wie sie erscheint. Warum die Idee nicht bis zum ußersten treiben und sagen, daß das Sein der Erscheinung sein Erscheinen ist? Das bedeutet nichts anderes, als das alte ›esse est percipi‹ eines Berkeley in neue Worte zu kleiden.« (SN 17; 16) Um die Unhaltbarkeit einer solchen Annahme zu belegen, bemerkt Sartre sehr treffend: »Wenn wirklich jede Metaphysik eine Erkenntnistheorie voraussetzt, setzt andererseits jede Erkenntnistheorie eine Metaphysik voraus.« (Ebd.) In der Tat: Bei dem Versuch, alles Sein auf Erkenntnis zu reduzieren, muß man angeben knnen, was das Sein der Erkenntnis ist. Und das ist keine erkenntnistheoretische, sondern eine metaphysische Frage. Soll man nun sagen: Das Sein der Erkenntnis ist sein Erkanntsein, also ebenfalls Erkenntnis? Dann bewegt man sich im Kreis. Erkenntnis ist immer Erkenntnis von etwas, es gibt also notwendig eine Dualitt von Erkennendem und Erkanntem. Das Sein dieses Beziehungsgefges oder dieser Beziehung selber gilt es zu erklren, und dabei kann es sich nicht erneut um ein Erkanntsein handeln; dann wre nmlich erneut das Sein der A

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Beziehung des Erkennens zur erkannten Erkenntnis anzugeben, usw.! Diese Forderung wrde sich bis ins Unendliche wiederholen; eine Grundlegung der Erkenntnis wre so nicht mglich. – Das Sein der Erkenntnis muß somit der Dualitt von Subjekt und Objekt, vorausliegen. Das Sein der Erkenntnis erscheint selbst nicht, es ist nicht Gegenstand der Erkenntnis, sondern jenseits ihrer, es ist transphnomenal. Die Erkenntnis kann also ontologisch nicht das Erste, nicht das Grundlegende sein. Aber auch das Sein der Gegenstnde kann nicht auf die Erkenntnis zurckgefhrt werden: »Ein Tisch ist nicht im Bewußtsein, selbst nicht als Vorstellung. Ein Tisch ist im Raum, neben dem Fenster etc. Die Existenz des Tisches ist in der Tat ein Zentrum der Undurchdringlichkeit fr das Bewußtsein; es bedrfte eines unendlichen Prozesses, um eine vollstndige Bestandsaufnahme des Inhalts eines Dinges zu machen. Diese Undurchdringlichkeit in das Bewußtsein einzufhren hieße, die Bestandsaufnahme, die es von sich selbst machen kann, ins Unendliche zu verschieben, aus dem Bewußtsein ein Ding zu machen und das Cogito zurckzuweisen.« (SN 19; 17 f.) Die Analysen in Die Transzendenz des Ego hatten gezeigt: Das Bewußtsein ist reine Selbstdurchsichtigkeit. Jede Undurchdringlichkeit ist dem Bewußtsein fremd, ist etwas anderes als es selbst. Den Tisch kennzeichnet jene Selbstdurchsichtigkeit eben nicht. Er erscheint nur als eine Serie von Abschattungen: je nachdem, von welcher Seite bzw. von welchem Aspekt ich ihn betrachte, erscheint er als braun, glatt, hoch, hart usw. Sein Kern ist nicht transparent, nicht selbstdurchsichtig. Der Tisch liegt somit außerhalb des Bewußtseins. Damit ist ein erstes Ergebnis gewonnen: Das Sein ist transphnomenal, es reduziert sich nicht auf das Erkanntsein. Es existiert also etwas außerhalb des Bewußtseins; das, was erscheint, hat sein Sein nicht im Bewußtsein. »Das transphnomenale Sein des Bewußtseins wrde das transphnomenale Sein der Erscheinung nicht begrnden knnen.« (SN 33; 27) Steht dieses Ergebnis im Widerspruch zum Ausgangspostulat, daß sich das Existierende auf die Reihe seiner Erscheinungen reduziert, die es manifestieren? Keineswegs. Das Ausgangspostulat wandte sich gegen einen Dualismus von Sein und Schein, gegen die Annahme einer tieferen, ›eigentlichen‹ Wirklichkeit der Dinge hinter ihren Erscheinungen. Eine solche Wirklichkeit gibt es, so Sartre, nicht. Das heißt aber nicht, 42

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daß alles, was ist, stets erscheint! Der Tisch im Raum existiert unabhngig von meinem Bewußtsein, er hat seine eigene Realitt. Er erscheint als hart, wenn ich ihn anfasse, als hoch oder niedrig, wenn ich mich an ihn setze, als rund, wenn ich meine Hand um ihn herumfhre. Niemals erscheint der Tisch als ganzer und auf einmal, immer nur in einer Serie von Eindrcken, von »Abschattungen« (um einen Begriff Husserls zu bernehmen), die ich nacheinander wahrnehme. Diese Tatsache bedeutet aber nicht, daß der ›eigentliche‹ Tisch hinter den Erscheinungen zu suchen wre. Die wahrgenommene Hrte ist nichts als eben diese Hrte, die Hhe eben nichts als diese Hhe. – Die Abfolge der Erscheinungen hngt zunchst einmal von der Position ab, die ich dem Gegenstand gegenber einnehme: ob ich ihn z. B. berhre oder betrachte. Dennoch wird diese Abfolge nicht willkrlich sein. Wenn die erste Wahrnehmung ›rund‹ ist, wird die zweite ›hoch‹ oder ›hart‹ sein, oder umgekehrt. Auf jeden Fall ist voraussagbar, daß diese Wahrnehmungen insgesamt nacheinander (in einer Reihenfolge) auftreten. Zwischen diesen Wahrnehmungen bzw. Erscheinungen gibt es offenbar einen gesetzmßigen Zusammenhang, und das genau ist das ›Wesen‹ des Tisches. Dieses Wesen steht nicht hinter den Erscheinungen, es ist vielmehr »das wahrnehmbare Gesetz, das die Abfolge dieser Erscheinungen bestimmt, es ist der Grund der Abfolge.« (SN 11; 12) »Das Wesen ist nicht im Objekt, es ist der Sinn des Objekts, der Grund der Reihe der Erscheinungen, die es enthllen.« (SN 15; 15) »Die Realitt dieser Tasse ist, daß sie da ist und daß sie nicht Ich ist.« (SN 12; 13) Deshalb ist die Reihe ihrer Erscheinungen nicht willkrlich, »sie ist durch einen Grund verbunden, der nicht von meiner Laune abhngt»(ebd.). Die Erscheinung fhrt also zum Sein der Dinge. – Fhrt sie auch zum Sein des Bewußtseins? Daß-etwas-erscheint ist schlicht eine Grundtatsache unserer Existenz. »Ich nehme wahr«, »percipio«, so lautet die erste Wahrheit, sie heißt nicht »cogito«, »ich denke«. 1 Denn das Cogito impliziert bereits die Dualitt von Erkennendem und Gegenstand, wenn ich etwas oder mich als Denkenden denke. Vor dieser Dualitt aber muß eine Identitt liegen oder zumindest ein unmittelbares, gleichzeitiges, untrennbares Gegebensein beider. Das ist in der unmittelbaren Wahrnehmung der Fall. Da ist nicht zuerst ein Rot auf der einen und Wenn Sartre anderswo sagt, daß jede Theorie vom Cogito als erster Wahrheit auszugehen habe (EH 25; 64), so ist global mit dem Cogito das Bewußtsein gemeint.

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ein (leeres) Bewußtsein auf der anderen Seite, die beide im Wahrnehmungsakt zusammenkmen. ›Rot-sehen‹ ist eine unteilbare, unauflsliche Einheit. (SN 24; 21) Das Rot existiert nicht vor dem Bewußtsein von Rot, das Bewußtsein (von Rot) gibt es nicht vor dem Rot. (Ein leeres Bewußtsein wre Bewußtsein von nichts und somit kein Bewußtsein.) Das Bewußtsein von ›Rot‹ ist zugleich und unmittelbar die Selbstdurchsichtigkeit des Rotsehens. »Das erste Bewußtsein vom Bewußtsein ist nicht gegenstndlich-setzend: weil es zusammenfllt mit dem Bewußtsein, von dem es Bewußtsein ist. Mit einem Schlag bestimmt es sich als Bewußtsein der Wahrnehmung und als Wahrnehmung.« (SN 23; 20) Erst dieser Tatbestand des Zusammenfallens von Wahrnehmungsinhalt und Wahrnehmungsbewußtsein macht den Erkenntnisbezug (den Bezug von Subjet und Objekt) mglich. – Die Identitt des Verschiedenen: des Bewußtseins von ›Rot‹ und des Bewußtseins von Rot-wahrnehmen (die Selbstdurchsichtigkeit), »diese Weise des Erfassens ist kein Erkenntnisphnomen, sondern die Struktur des Seins« (SN 28; 24). Diese Struktur des Seins ist nicht weiter rckfhrbar und nirgendher ableitbar, sie ist ein absolutes Faktum. »Das Bewußtsein entspringt auf ein Sein gerichtet, das es nicht ist.« (SN 35; 28) Damit werden zwei Typen oder Regionen von Sein sichtbar, von je unterschiedlicher Art, aber doch fundamental aufeinander bezogen: das Sein der Erscheinung, dessen Grund (das Gesetz ihrer Abfolge) jenseits des Bewußtseins liegt, und das Sein des Bewußtseins mit der ihm eigentmlichen Struktur, Bewußtsein (von) etwas, 2 von einem Sein außerhalb seiner selbst zu sein. Diese beiden Seinstypen sind weder jeweils auf den anderen noch auf ein Drittes bzw. einen Dritten rckfhrbar, denn sie verweisen nur auf sich selbst: das Sein des Gegenstandes auf das Reihengesetz seiner Erscheinungen, das Sein des Bewußtseins auf seine Selbstdurchsichtigkeit, auf seine reine Spontaneitt. Das hier Gesagte geht ber die Schlußfolgerungen in Die Transzendenz des Ego im wesentlichen nicht hinaus, eine erneute Darstellung aber war geraten, um den Punkt zu kennzeichnen, an dem die Phnomenologie in Ontologie umschlgt: »Die berlegungen, die vorausgehen, haben erlaubt, zwei absolut getrennte Seinsregionen zu unterscheiden: das Sein des prrefleSartre setzt das »von« [»de«] in Klammern, um nicht durch das Schriftbild wiederum eine Dualitt zu suggerieren.

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xiven Cogito und das Sein des Phnomens. Obgleich aber so der Seinsbegriff die Besonderheit hat, in zwei inkommunikable Regionen zu zerfallen, muß dennoch erklrt werden, wieso diese zwei Regionen unter derselben Rubrik zusammengefaßt werden knnen. Das wird eine berprfung dieser zwei Seinstypen notwendig machen, und es versteht sich, daß wir den Sinn des einen und des anderen erst wirklich erfassen knnen, wenn wir ihre wirklichen Bezge zum Begriff des Seins im allgemeinen und die Beziehungen, die sie vereinen, feststellen knnen.« (SN 39; 31) – Hier wird eindeutig der Schritt von der Phnomenologie (das Sein, wie es erscheint) in die Ontologie (das Sein als solches und der Sinn von Sein) getan. Die phnomenologischen Untersuchungen Sartres schließen mit dem Ergebnis: »Das Bewußtsein impliziert in seinem Sein ein nicht bewußtes und transphnomenales Sein.« Letzteres nennt er an sich: »das transphnomenale Sein dessen, was fr das Bewußtsein ist, ist selbst an sich«. (SN 37; 29) Damit sind die beiden Grundregionen des Seins: An-sich-Sein und Fr-sich-Sein, erschlossen.

§ 2 An-sich-Sein und Fr-sich-Sein Um den Typ des An-sich-Sein zu beschreiben, verlßt Sartre endgltig den phnomenologischen Weg. Er wendet sich einer Kritik des Kreationismus zu, also der Lehre, daß das Sein des Menschen und der Welt von Gott geschaffen sei. Zwei Gesichtspunkte zieht er heran, die ihm den Kreationismus zu widerlegen und das Sein des An-sich-Seins zu bestimmen erlauben: 1) Gott mßte, wenn es ihn gbe, als reine Subjektivitt, als reines Selbstsein gedacht werden. Wie soll aber in der reinen Subjektivitt die Andersheit, die Objektivitt, berhaupt nur als Vorstellung entstehen, so daß Gott sie wollen knnte? Und selbst wenn er sie wollen knnte, bliebe sie »ein Modus innersubjektiven Seins«. (SN 40; 31) Sie wre nichts von Gott Unterschiedenes. 2) Selbst wenn dies mglich wre: daß Objektives aus Subjektivem hervorginge, bliebe doch folgendes Dilemma: Das geschaffene Sein »kann sich als Sein selbst nur gegenber und gegen seinen Schpfer behaupten, sonst geht es in ihm auf«. (SN 40; 32) – Das geschaffene Sein muß Selbststand gewinnen. Dann aber mssen alle Brcken zum Schpfer abgebrochen werden, sonst wrde es sein Sein A

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ber diese Brcken beziehen, wre also nur ein Modus gttlichen Seins und existierte nicht selbst. »Wenn das Sein aber in Gegenberstellung zu Gott existiert, dann weil es sein eigener Selbststand ist, dann weil es nicht die geringste Spur des gttlichen Schpfungsaktes bewahrt. Mit einem Wort: selbst wenn das An-sich-Sein geschaffen worden wre, wre es unerklrbar durch die Schpfung, denn es gewinnt sein Sein jenseits dieser. Das luft auf die Aussage hinaus, daß das Sein ungeschaffen ist.« (Ebd.) Das erste Argument nimmt ein ganz altes metaphysisches Problem auf: Wie kann etwas aus einem Ursprung hervorgehen, das nicht in ihm enthalten ist: die Differenz aus der Identitt, die Vielheit aus der Einheit, hier: die Objektivitt, d. h. die vom Subjekt unterschiedene Gegenstndlichkeit, aus der reinen Selbstdurchsichtigkeit des (gttlichen) Subjekts? Fr Sartre ist dies unmglich und widersprchlich: Niemals wird das Objektive aus dem Subjektiven hervorgehen. Mit diesem Verdikt steht und fllt Sartres ganze Ontologie. Wenn es keinen Bestand hat, knnte etwa doch das Sein aus dem Bewußtsein entspringen 3 . – Dieses nicht hinterfragte Element eleatischer Ontologie bleibt die Achillesferse, die den gesamten Ansatz gefhrdet. – Aber welcher philosophische Ansatz htte eine solche Achillesferse nicht? hnliches gilt fr das zweite, den Absichten Sartres dienlichere Argument: Die mittelalterlichen Philosophen und Theologen hatten durchaus Schwierigkeiten, das Verhltnis von gttlichem und geschaffenen Sein theoretisch zu fassen. Gottes Sein war vollkommen, und so konnte es außer ihm nicht noch ein anderes, von ihm losge-

Die Geschichte der Philosophie hat viele Lsungsversuche hervorgebracht, die so alt sind wie sie selber. Schon die Vorsokratiker hatten nach einem Stoff oder nach einem Prinzip gesucht, aus dem sich alles herleiten lßt, der zugleich einer ist und die Vielheit mglich macht. Thales von Milet sah im Wasser diesen Urstoff, der einer war, aber dennoch vielgestaltig auftrat, und ohne den es kein Leben gab. Heraklit hatte den Gegensatz (von Selbst und Anderem) im Urstoff selbst gesehen: Das Feuer war zu gleich eines und innerlich gegenstzlich, und so war es auch sein Gestaltungsprinzip, der Logos. – Die Emanation bei Plotin sowie die Fulguration (das blitzartige Hervorgehen) bei Leibniz (Monadologie, § 47) – um zwei weitere Anstze zu nennen, den ersten, weil er philosophisch außerordentlich wirkmchtig war, den zweiten, weil Sartre ihn selbst erwhnt (SN 40; 32) – beide Ideen versuchen, die Vielheit bzw. das Andere dadurch zu erklren, daß die Einheit durch das bermaß ihrer Vollkommenheit gleichsam ber sich selbst hinausdrngt: »Da es [das Eine – J. H.] vollkommen ist, ist es gleichsam bergeflossen, und seine berflle hat ein anderes hervorgebracht.« (Eneaden V, 2,17 f.) 3

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lstes Sein geben. Denn dann wre das Sein geteilt gewesen, Gott wrde etwas an Sein fehlen, und er wre nicht vollkommen. Die Schpfung war nur so zu verstehen, daß Gott von seinem Sein den Geschpfen mitteilte, die Existenz der Geschpfe also davon abhing, daß Gott diese Mitteilung in einer Art stndiger Schpfung (»creatio continua«) aufrecht erhielt (Thomas von Aquin, 4.6, I, 104,1). Den Menschen teilte demnach Gott soviel Seinsflle mit, daß sie zu einem »dominium actus«, zur Herrschaft ber ihr Tun, also zu freien Entscheidungen fhig waren. Sartre radikalisiert auch diesen Gesichtspunkt: Entweder gibt es eine Seinsbrcke zu Gott, dann ist das Geschpf nicht selbstndig. Oder es sind – selbst wenn es eine Schpfung durch Gott gegeben htte – alle Brcken zum Schpfer abgebrochen. Selbstndigkeit bedeutet fr Sartre (im metaphysischen Sinn): nur aus sich selbst heraus existieren. 4 Was aber nur aus sich selbst heraus existiert, verweist, wenn man es betrachtet, auch nur auf sich selbst. Was nur auf sich selbst verweist, kann nicht durch etwas anderes erklrt werden. So ist der Begriff der Schpfung hinfllig. Ungeschaffen, das heißt: das Sein hat einen Bezug nur zu sich selbst, es fllt in seiner Existenz vollkommen mit sich selbst zusammen, »es ist, was es ist« (SN 42; 33), es ist an sich. – Wenn ich einen Stein betrachte, so ist er nichts als die Summe seiner Eigenschaften, nicht mehr und nicht weniger, und er hat auch keine Mglichkeit, anders zu sein oder sich zu verndern. Denn dies wrde bedeuten, daß der Stein nicht mit seiner (aktuellen) Existenz zusammenfllt, daß er diese berschreiten knnte auf ein (noch) nicht hin. Das Ansich-Sein kann dies alles nicht; es geht in seinen Grenzen auf, kann diese weder ber- noch unterschreiten: das Rot ist nichts anderes als es selbst, seine Existenz ist mit sich selbst vllig ausgefllt. Deshalb ist es auch »fr sich undurchdringlich, genau weil es voll von sich selbst ist« (ebd.). Dieses Vollsein von sich selbst bedeutet eine undifferenzierte Identitt ohne jeden Hintergrund, welche kein Anderssein, keine Bezogenheit zu anderem zulßt (wie das beim Bewußtsein der Fall ist, das stets Bezug zu anderem, zum Gegenstand ist). Eine solche Identitt bildet keine innere Geschlossenheit und keine Innerlichkeit aus: wenn ich einen Stein zerschlage und er zerspringt, fehlt den einzelnen Teilen nichts, sie verweisen nicht mehr aufeinander als Hier wird die cartesianische Definition der Substanz zugrunde gelegt (Principia philosophiae, Nr. 51).

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auf ein geschlossenes (verlorenes) Ganzes, im Gegenteil: Jeder fr sich hat nun seine eigene, undifferenzierte Identitt. »Das An-sichSein hat kein Innen, das einem Außen entgegenstnde und das einem Urteil, einem Gesetz, einem Bewußtsein seiner selbst gleichkme. Das An-sich-Sein hat kein Geheimnis: es ist massiv … Es folgt daraus klar, daß das Sein in seinem Sein isoliert ist, und daß es keinerlei Bezug zu dem unterhlt, was es nicht ist.« (SN 43; 33) Das An-sich-Sein erscheint als reine, bezugslose Identitt. Dies ist strikt im ontologischen Sinn zu verstehen: Der elektrische Strom z. B. »ist, was er ist«, er wird sich nie ndern, er wird genau und nur die Gesamtheit der Eigenschaften bleiben, die ihn kennzeichneten. Damit ist nicht gesagt, daß das An-sich-Sein in sich nicht strukturiert ist oder ohne jede Wechselwirkung mit anderem wre. Die ungeheure Komplexitt und Interdependenz der Dinge der Welt, in der wir leben, ist ja gar nicht zu leugnen. Nicht auf empirischer, aber unausweichlich auf ontologischer Ebene begegnen sie uns als bezuglose Identitt. Der Stein wird, zerschlagen, von sich aus nicht auf ein verlorenes Ganzes verweisen. Die verbleibenden Stcke haben zwar eine je eigene Struktur, aber jedes kennzeichnet dieselbe bezugslose Identitt, sie fehlen einander nicht. Sartre geht auch noch einen anderen Weg, um das An-sich-Sein weiter zu bestimmen: er analysiert die ontologischen Voraussetzungen des Satzes. In der Abgrenzung von diesem gelingt es dann auch, das Sein des Bewußtseins in einem ersten Zugriff zu charakterisieren. »Der Satz ist immer ein Satz ber etwas, das heißt, der aussagende Akt unterscheidet sich von der ausgesagten Sache. Wenn wir nun einen Satz annehmen, in dem das Ausgesagte den Aussagenden ausfllt und mit ihm zusammenfllt, kann dieser Satz sich nicht aussprechen aufgrund von zuviel Flle.« (SN 41; 33) Deshalb ist das Ansich-Sein »undurchdringlich« (SN 42; 33): Selbstdurchsichtigkeit setzt das Auseinandertreten von Setzendem und von Gesetztem, von Sehendem und Gesehenem voraus. Und nur dort, wo dieses Auseinandertreten mglich ist, gibt es auch Innerlichkeit »immanence«, denn Innerlichkeit setzt schon einen minimalen Bezug zu sich selbst voraus. »Aber das Sein ist nicht Bezug zu sich selbst, es ist selbst. Es ist eine Immanenz, die sich nicht verwirklichen, ein Satz, der sich nicht aussagen kann, eine Aktivitt, die nicht handeln kann, weil sie vollgestopft ist von sich selbst. Alles sieht so aus, als ob es einer Auflsung der Dichte des Seins [»dcompression d’ tre«] bedrfte, um die Aussage ber sich selbst aus dem Sein freizusetzen.« (SN 41 f.; 48

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33) – Allein das Bewußtsein ist zu einem solchem Akt fhig, und daher muß es ontologisch anders verfaßt sein. »Alles sieht so aus, als ob «, mit dieser eher unverbindlichen, den Sachverhalt herunterspielenden Bemerkung fhrt Sartre ein Postulat ein, daß den Grundstein seiner Ontologie bildet und das seine Tragfhigkeit noch vielfach beweisen muß: Sein und Bewußtsein sind ontologisch vollkommen unterschiedlich, ganz und gar gegenstzlich. Das Sein ist identisch mit sich selbst, es ist deshalb an sich, und es ist undurchdringlich. Selbstdurchsichtigkeit nmlich verlangt einen Bezug zu sich selbst, der nur zu erreichen ist, wenn das Sein sich auflst, um zu sich in ein Verhltnis treten und damit seine Undurchdringlichkeit aufheben zu knnen. Dadurch entsteht ein ganz anderer Typ von Sein, das Fr-sich-Sein, welches das Sein des Bewußtseins ist. Das An-sich-Sein »ist, was es ist«, das Fr-sich-Sein »hat zu sein, was es ist«. »Es ist, was es nicht ist, und ist nicht, was es ist.« (SN 42; 33) – Diese Charakterisierung fhrt uns endgltig von der Phnomenologie in die Ontologie: Was ist der ›Stoff‹ des Seins, daß es mit sich identisch ist, was ist der ›Stoff‹ des Bewußtseins, daß es in Bezug zu sich selbst treten kann?

§ 3 Das Sein und die Kontingenz Eine direkte Antwort ist nicht zu erwarten, denn um eine entsprechende Antwort zu geben, mßte die Erkenntnis die enge Bindung an Erscheinung und Bewußtsein berspringen und quasi jenseits aller Erscheinungen blicken knnen; dann nur knnte sie einen ›Urstoff‹ ausmachen. Das aber ist nicht mglich. – Das Bewußtsein entspringt auf das Sein gerichtet, es kann dieses nicht berspringen. Das Sein erscheint als ›rot‹, als ›hart‹, es erweist sich darin als ›identisch‹, als ›undurchdringlich‹, als an-sich-seiend, aber es erscheint nicht ontologisch als Materie, Geist oder als ein anderer ›Urstoff‹. Ein solcher Blick ist aber auch nach der oben beschriebenen Reduktion des Existierenden auf die Reihe seiner Erscheinungen nicht gefragt. Der Gegensatz von Geist und Materie ist ein spekulatives Problem, eine inhaltliche metaphysische Grundfrage, die fr Sartre zu hoch ansetzt. Seine Ontologie verbleibt auf dem Boden dessen, was als Ausgangstatsache der Erkenntnis sicher ist: auf dem Boden des Bewußtseins. Dieses lßt sich in seiner Seinsstruktur bestimmen und von der anderen erscheinenden »Seinsregion« (SN 44; 34) abA

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grenzen. Die qualitative Deutung der einen oder anderen Seinsregion als Materie oder Geist wre hier gleichsam von außen aufgesetzt und von der phnomenologischen Ontologie her nicht haltbar. Wenn Sartre sich mit diesen qualitativen Deutungen auseinandersetzt, dann um deren jeweilige Unhaltbarkeit zu erweisen. Von der Zurckweisung des metaphysischen Idealismus war eben die Rede (s. o. § 1). – Den metaphysischen Materialismus hatte Sartre bereits in Die Transzendenz des Ego als Absurditt zurckgewiesen (TE 91; 86). Dies begrndet er argumentativ u. a. in einer lngeren Fußnote innerhalb der Kritik der dialektischen Vernunft (KD 39 ff.; 30 f.): Der Materialismus vermag die Tatsache der Erkenntnis nicht zu begrnden; er kann nicht einmal erklren, wie von seiner Annahme aus die Aussage: alles ist nur Materie, berhaupt mglich ist. Denn: In diesem Falle mßte sich die Materie ber sich selbst erheben und aus der Distanz heraus zu sich selbst sagen: es gibt nur mich. Sie wrde damit zum »objektiven Weltauge« (ebd.), d. h. zum universalen Bewußtsein. Die Analyse des Seins, so wie es erscheint, erlaubt aber immerhin, Aussagen darber zu machen, wohin das Sein »strebt« [»aspirer«] (SN 1059; 714). Und so heißt es, daß »das An-sich-Sein sich die Modifikation des Fr-sich-Seins gibt in einem Entwurf, sich selbst zu grnden« (SN 1061; 715). In diesem Zusammenhang weist Sartre der Metaphysik die Aufgabe zu, Hypothesen ber dieses »individuelle Abenteuer, das die Existenz des Seins ist,« zu bilden (ebd.; s. u. Kap. VI). Ein Sein, das sich selbst eine Modifikation gibt, um einem Entwurf nachzugehen, muß sich letztlich doch als anderes, vor allem als mehr erhellen denn als bezugslose Identitt. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zunchst erlaubt die Zurckweisung des Kreationismus eine erweiterte Beschreibung des Seins, die sich dann als Leitmotiv durch das gesamte philosophische und literarische Werk Sartres ziehen wird: das Sein ist kontingent, was fr Sartre gleichbedeutend ist mit berflssig [»de trop«]: »Das An-sich-Sein ist niemals mglich noch unmglich, es ist. Dies wird das Bewußtsein – in anthropomorphen Bezeichnungen – so ausdrcken, daß es sagt, das Sein sei berflssig, das heißt, daß es das Sein absolut von nichts ableiten kann, weder von einem anderen Sein, noch von einem Mglichen noch von einem notwendigen Gesetz. Ungeschaffen, ohne Seinsgrund, ohne irgendeinen Bezug zu einem anderen Sein, ist das An-sich-Sein berflssig in alle Ewigkeit.« (SN 44; 35) 50

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Auch die christliche Metaphysik (der Kreationismus) sprach von der Kontingenz (Thomas von Aquin, 4.6, I, 2,3). Dieser Begriff besagte, daß die Existenz des Geschpfes zufllig, d. h. nicht notwendig ist bzw. daß das Geschpf seine Existenz nicht aus sich selbst hat. – »Nichts aber ist so kontingent, daß es nicht etwas Notwendiges in sich hat«, so wiederum Thomas von Aquin (1, 86,1). Notwendig ist es fr das geschaffene Sein, das Sein von Gott zu empfangen, weil es dies nicht aus sich selber haben kann. Dieses Sein muß von Gott in einer stndigen Schpfung erhalten werden, so daß ein notwendiger, realer Bezug zum Schpfer immer besteht. So »hat das Geschpf etwas von Gott« [»creatura habet, quod del est«] (Thomas von Aquin, 4.5, I, 27), und dieses »Etwas von Gott« in der Schpfung lßt erkennen, daß es einen Grund gibt, dessentwegen und aus dem heraus wir existieren, obgleich es keine Notwendigkeit gibt, daß wir existieren: Gott hat gewollt, daß wir sind! Dieser Schpfungswille Gottes hebt unsere Kontingenz nicht auf, denn jeder von uns knnte auch nicht geboren sein, und es wrde dem Sein nichts fehlen, wenn wir nicht wren. Er nimmt aber der Zuflligkeit unserer Existenz den Charakter ihrer Bedeutungslosigkeit gleich der des Steins, der auf dem Weg liegt, und der dort berflssig ist. Das Geschpf ist von Gott gewollt und steht somit in einem Sinnzusammenhang, es ist in eine Zuordnung von Ursprung zu Ziel eingebunden. Sartre gibt dem Begriff der Kontingenz eine andere Frbung: das Sein ist kontingent, d. h. »berflssig in alle Ewigkeit«. – Die bernahme und Umdeutung dieses Begriffs christlicher Metaphysik macht die antireligise Intention der Sartreschen Ontologie deutlich; diese lßt sich in einer Gegenberstellung so kennzeichnen: So wie der glubige Mensch sich in Gottes Hand aufgehoben weiß, wie er von ihm seinen Lebenssinn erfhrt und eine Aufgabe, so findet sich im Gegensatz dazu der Sartresche Mensch als »verlassen« (EH 153; 39) vor, als in seinem Dasein nirgends aufgehoben, als zufllig vorhanden und berflssig wie der Stein auf dem Weg, nicht wissend, was er eigentlich soll und wozu es gut ist, daß es ihn gibt. Sartre schildert diese Kontingenzerfahrung eindringlich in seinem Roman Der Ekel. Antoine Roquentin lebt in einer nordfranzsischen Kleinstadt mit dem nichtssagenden Namen Bouville, um dort in der Bibliothek die Dokumente ber einen vllig bedeutungslosen Adeligen namens Marquis de Rollebon zu studieren, ber den er ein Buch schreiben will, dessen Wert ebenfalls zweifelhaft ist. Wenn er nicht in der Bibliothek arbeitet, hlt er sich in einem der trostlosen A

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Bistros der Stadt auf oder spaziert abends ber die leeren Boulevards, wo niemand ihn bemerkt. Eines nachmittags sitzt er auf einer Bank im kleinen Park der Stadt, und pltzlich wird ihm die widerwrtige Bedeutungslosigkeit seiner Existenz, jeglicher Existenz bewußt: »Bume, nachtblaue Sttzpfeiler, das glckliche Pltschern eines Springbrunnens, Gerche von Lebenden, kleine Nebelbnke von Wrme, die in der kalten Luft schwebten, ein rothaariger Mann, der auf einer Bank verdaute: all dieses Dsen, all diese Verdauungen boten zusammengenommen einen einigermaßen komischen Anblick. Komisch … nein: bis dahin ging das nicht, nichts von dem, was existiert, kann komisch sein; das ist wie eine fließende, fast unmerkliche Entsprechung zu bestimmten Situationen im Schmierentheater. Wir waren ein Haufen verlegener Existenzen, verstrt ber uns selbst, wir hatten nicht den geringsten Grund, dort zu sein, die einen ebensowenig wie die anderen, jeder Daseiende fhlte sich verworren und in unbestimmter Weise unruhig, berflssig in bezug auf die anderen. berflssig: das ist der einzige Bezug, den ich zwischen diesen Bumen, diesen Gittern, diesen Kieselsteinen herstellen konnte … Ich fhlte die Beliebigkeit dieser Beziehungen (die ich hartnckig aufrechterhielt, um den Verfall der menschlichen Welt, der Maße, der Mengen, der Richtungen aufzuhalten); sie griffen die Dinge nicht mehr an, berflssig der Kastanienbaum da, mir gegenber, ein wenig weiter links … und ich, schlaff, entkrftet, obszn, verdauend, dstere Gedanken in mir hin und her bewegend, auch ich war berflssig … Ich trumte vage davon, mich zu beseitigen, um wenigstens eine dieser berflssigen Existenzen auszulschen. Aber selbst mein Tod wre berflssig gewesen. berflssig meine Leiche, mein Blut auf den Kieselsteinen hier zwischen diesen Pflanzen, auf dem Hintergrund dieses lchelnden Parks. Und das abgenagte Fleisch wre berflssig gewesen in der Erde, die es aufgenommen htte, und meine Knochen schließlich, gereinigt, geschlt, sauber und blank wie Zhne, wren auch noch berflssig gewesen: Ich war berflssig in alle Ewigkeit.« (0.28, 146; 180 f.) Als solcher »begegnet sich der Mensch«, taucht er in der Welt auf (EH 149; 21). Er hat sich nicht selbst geschaffen und sich nicht selbst gewollt. Die Tatschlichkeit seiner berflssigen Existenz ist seine erste und fundamentale Abhngigkeit und Unfreiheit. Diese seine Existenz kann er nicht whlen, er hat sie zu sein. Als bewußte Existenz weiß er darum und erleidet dies. 52

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Wird er da nicht den (untauglichen) Versuch machen, sie zu berwinden, um ganz Ursache seiner selbst, causa sui, zu sein?

§ 4 Das Nichts und die Freiheit In einem ersten Schritt hatte die Analyse des Bewußtseins zum Ansich-Sein und zu dessen Bestimmungen gefhrt: Kontingenz, bezugslose Identitt, berflssigkeit. In einem zweiten Schritt muß nun das Sein des Bewußtseins bestimmt werden. Um dazu einen Zugang zu finden, lenkt Sartre die Aufmerksamkeit auf die grundlegende Tatsache, daß wir fragen. – Wir fragen konkret nach diesen und jenen Dingen, grundstzlich aber auch nach unserem Dasein in der Welt. Welches sind die Voraussetzungen hierfr, was sind die Mglichkeitsbedingungen des Fragens? – Fragen kann ich nur nach etwas, um das ich in einer unbestimmten Form schon weiß, dessen mgliche Existenz ich zumindest erahne. Was vollkommen außerhalb meines Wahrnehmungskreises bzw. meiner geistigen Erwartungshaltung liegt, danach werde ich nicht fragen. Wenn ich also nach den Bedingungen meines Seins frage, setzt dies »eine vorfragliche Vertrautheit mit dem Sein« schon voraus (SN 51; 39), sonst wrde ich nicht nach seinen Bedingungen fragen. Die Erwartungshaltung der Frage impliziert stets aber auch die Mglichkeit einer negativen Antwort: dies ist nicht so, es existiert nicht. Ohne eine solche starke negative Erwartungshaltung wrde ich wiederum nicht fragen, da mir die Dinge dann nicht fraglich wren. In den Dingen selbst taucht diese Negativitt, d. h. die Mglichkeit des Nichts, nicht auf (denn sie sind reine Positivitt, bezugloses, identisches Vorhandensein), sie kann nur im Bewußtsein des Fragenden liegen. »So ist die Frage eine Brcke, die ber zwei Nicht-Seiende gebaut wird: Nicht-Sein des Wissens im Menschen, Mglichkeit des Nicht-Seins im transzendenten Sein.« (SN 52; 39) Diese Befragung der Frage erlaubt Sartre einen Gedankenschritt, der zum zweiten Leitmotiv seiner Philosophie wird und wiederum in den Kern seiner Ontologie fhrt: »Wir waren zur Suche nach dem Sein aufgebrochen, und es schien uns, daß die Reihe unserer Fragen uns mitten in das Sein hineingefhrt htte. Nun aber, wo wir einen Blick auf die Frage selbst geworfen haben, erhellt uns dieser in dem Augenblick, da wir uns am Ziele whnten, daß wir vom A

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Nichts umgeben sind. Die dauernde Mglichkeit des Nicht-Seins, außer uns und in uns, ist die Voraussetzung unserer Frage nach dem Sein.« (SN 53; 40) »Das Nicht-Sein ist eine stndige Gegenwart«, »das Nichts verfolgt das Sein« (SN 63; 47). Sartre macht dies in einer glnzenden phnomenologischen Beschreibung deutlich: Man stelle sich ein Caf vor. »Es ist sicher, daß das Caf von sich aus, mit seinen Gsten, Tischen, Bnken, Spiegeln, seinem Licht, seiner rauchigen Atmosphre und dem Lrm der Stimmen, der klirrenden Untertassen, der Schritte, die es erfllen, ein Volles an Sein ist.« (SN 59; 44) Ich trete in dieses Caf ein, weil ich mit Peter dort verabredet bin. Aber Peter ist nicht da. – Wie bildet sich diese Erkenntnis? An sich stehen die Dinge fr meine Wahrnehmung in gleicher Weise im Raum: der Tisch, die Gesichter, die Gerche, der Lrm sind meinem Bewußtsein allesamt diffus gegenwrtig. Ich suche aber nach einem bestimmten Gesicht. Mein Blick geht durch den Raum, und nach und nach treten alle einzelnen Dinge aus der diffusen Gesamtheit hervor, um sofort wieder in sie zurckzufallen: sie sind nicht Peter! Die (erwartete) Gestalt Peters lßt alle Dinge undifferenziert in den Hintergrund treten, nichtet ihre konkrete Form ausgehend von der erwarteten Gestalt. »So ist diese erste Nichtung aller Formen, die erscheinen und in der vollkommenen Einfrmigkeit eines Hintergrundes verschwinden, notwendige Bedingung fr das Erscheinen einer herausragenden Form, die hier die Person Peters ist.« (SN 60 f.; 45) – Peters Anwesenheit wrde bewirken, daß sein Gesicht zum Fixpunkt wrde, um das herum sich das ganze Caf organisiert. Diesen Fixpunkt gibt es aber nicht; das ganze Caf bleibt undifferenzierter Hintergrund, in dem jede einzelne Gestalt aufgelst, negiert ist. Die Abwesenheit Peters ist nicht lokalisierbar; sie ist ein Nichts, das das ganze Caf durchzieht, »es ist Peter, der sich abhebt als Nichts auf dem Hintergrund der Nichtung des Cafs« (ebd.). – Sartre will deutlich machen: die Suche nach Peter in der Betriebsamkeit des Cafs ist nur mglich, weil das Nichts Vordergrund und Hintergrund schafft, die (erwartete) Gestalt abzuheben erlaubt von dem Gemenge der Eindrcke und Formen. Das Nichts organisiert die Suche nach etwas. »Der Intuition zugnglich ist somit ein Flimmern des Nichts, nmlich das Nichts des Hintergrundes, dessen Nichtung fordernd nach dem Erscheinen der Form ruft, und es ist die Nicht-Gestalt, die wie ein Nichts ber die Oberflche des Hintergrundes gleitet.« »Der 54

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abwesende Peter verfolgt das Caf, und er ist die Voraussetzung von dessen nichtender Organisierung als Hintergrund.« (SN 61; 45) Sartre hlt schlußfolgernd fest: »Notwendige Bedingung fr die Mglichkeit, nein zu sagen, ist, daß das Nicht-Sein dauernd anwesend ist, in uns und außer uns, das heißt, daß das Nichts das Sein verfolgt.« (SN 63; 47) Woher aber stammt dieses Nichts? Mit dem Sein selbst kann es nicht identisch sein, denn dieses ist undifferenzierte Flle, reine Positivitt, ohne Bezug zu ihm (SN 80; 58). In der Tat ist auch das Nichts per definitionem nicht. Wrde es (losgelst vom Sein oder sonst in irgendeiner Form) eine eigenstndige Existenz haben, so wre es ja und htte somit Teil am Sein. Das Nichts muß aber doch in irgendeiner Form existieren, denn sonst wrde es nicht Teil der eben beschriebenen menschlichen Wirklichkeit sein. Das Nichts kann nur ein gleichsam geborgtes Sein haben; es muß von etwas anderem als es selbst, von einem Seienden also, »genichtet werden« (ebd.). Dieses Seiende gilt es aufzufinden, ein Sein, »das die Eigenschaft hat, das Nichts nichtend hervorzubringen, es in seinem Sein zu erhalten, es in seiner Existenz bestndig zu sttzen, ein Sein, durch das das Nichts zu den Dingen kommt« (ebd.). Dieses Sein muß aber zur Hervorbringung des Nichts selbst zutiefst veranlagt sein; die reine Positivitt kann die Negativitt nicht erzeugen. »Das Sein, durch das das Nichts in die Welt kommt, muß das Nichts in seinem Sein nichtend hervorbringen … Das Sein, durch das das Nichts in die Welt kommt, ist ein Sein, in dem es, in seinem Sein, um das Nichts seines Seins geht. Das Sein, durch das das Nichts in die Welt kommt, muß sein eigenes Nichts sein. Und darunter darf man nicht einen nichtenden Akt verstehen, der seinerseits eine Grundlage im Sein erforderte, sondern ein ontologisches Charakteristikum des geforderten Seins. Bleibt herauszufinden, in welcher delikaten und erlesenen Region des Seins wir das Sein finden werden, das sein eigenes Nichts ist.« (SN 81; 59) Um dies zu klren, kommt Sartre noch einmal auf die Mglichkeitsbedingungen der Frage zurck und nimmt dabei einen Gedanken auf, den etwa achtzig Jahre zuvor schon der franzsische Philosoph Jules Lequier entwickelt hatte: 5 »Jede Frage setzt voraus, daß man einen nichtenden Abstand auf das Gegebene verwirklicht, das zur puren Vorstellung wird, schwankend zwischen Sein und Nichts. 5

Er gilt als Vorlufer des Existentialismus (siehe Anmerkung 3). A

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Es ist daher unerlßlich, daß der Fragende die stndige Mglichkeit hat, sich von den kausalen Reihen loszumachen, die das Sein konstituieren und die nur Seiendes hervorbringen knnen. Wenn wir wirklich annehmen wrden, daß die Frage im Fragenden determiniert ist durch einen universalen Determinismus, dann wrde sie nicht nur aufhren, intelligibel zu sein, sie wre nicht einmal konzipierbar. Eine reale Ursache bringt in der Tat nur eine reale Wirkung hervor, und das verursachte Sein ist durch seine Ursache ganz und gar in die Positivitt eingebunden: in dem Maße, wie es in seinem Sein von der Ursache abhngt, knnte es in ihm nicht den geringsten Keim des Nichts geben; insofern nmlich der Fragende in bezug auf das Befragte eine Art nichtenden Abstand muß realisieren knnen, entgleitet er der Kausalordnung der Welt, lst er sich vom Sein ab. Das bedeutet, daß er durch eine doppelte Bewegung der Nichtung das Befragte in bezug auf sich selbst nichtet, indem er es in einen neutralen Zustand zwischen Sein und Nichtsein versetzt – und daß er sich selbst nichtet in bezug auf das Befragte, indem er sich vom Sein losreißt, um aus sich die Mglichkeit eines Nichtseins hervorholen zu knnen. So ist mit der Frage eine gewisse Dosis an Nichtigkeit [»ngatit«] in die Welt eingefhrt: Wir sehen, daß das Nichts die Welt zum Schillern bringt, daß es ber den Dingen schimmert. Zugleich aber kommt die Frage aus einem Fragenden hervor, der sich selbst in seinem Sein als Fragenden begrndet und sich dabei vom Sein abhebt. Sie ist daher per definitionem ein menschlicher Prozeß. Der Mensch stellt sich also zumindest in diesem Fall als ein Sein dar, das das Nichts in der Welt entspringen lßt, indem es sich zu diesem Zweck selbst mit Nichtsein affiziert.« (SN 81 f.; 59 f.) »Der Mensch ist das seltsame Seiende, durch das das Nichts in die Welt kommt.« (SN 82; 60) Genauer: Die Welt als geordnetes Ganzes, in dem man sich orientieren kann, gibt es nur durch den Menschen. Denn Ordnung und Orientierung setzen Gegenberstellungen bzw. Ausschlsse voraus: Nord ist nicht Sd, rechts ist nicht links. Die hierfr notwendige Negation oder die Nichtung haftet aber nicht den Dingen an. Sie muß vom Menschen kommen »nicht als ein Ding unter anderen, sondern als eine kategoriale Rubrik, die die Ordnung, die Aufteilung der großen Seinsmassen in Dinge leitet. Das Sich-Aufrichten des Menschen inmitten des Seins, das ihn umlagert, bewirkt also, daß sich eine Welt enthllt.« (SN 83; 60.) Wenn das Nichts als ordnende Kategorie durch den Menschen in die Welt kommt, wie muß dann das Sein des Menschen beschaffen 56

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sein, damit dies mglich ist? Sartre kommt noch einmal auf seine Analyse der Mglichkeitsbedingungen der Frage zurck und vollzieht damit einen weiteren Schritt ber die Phnomenologie hinaus hin zur Ontologie, ja zu einer metaphysischen Definition des Menschen. – Da sich die Dinge klarer nicht sagen lassen, seien wiederum lngere Passagen zitiert: »Das Sein knnte nur das Sein hervorbringen, und wenn der Mensch in diesen Prozeß der Hervorbringung eingeschmolzen ist, wird aus ihm nur Sein hervorgehen. Wenn er nach diesem Prozeß soll fragen knnen, d. h. ihn in Frage stellen, muß er ihn als ganzen in seinen Blick nehmen, d. h. sich selbst außerhalb des Seins stellen und zugleich die Seinsstruktur des Seins schwchen knnen. Sicher ist es der ›menschlichen Wirklichkeit‹ auch nicht ansatzweise gegeben, die Seinsmasse aufzuheben, die ihr gegenbergestellt ist. Was sie verndern kann, ist ihr Bezug zu diesem Sein. Ein einzelnes Daseiendes aus diesem Kreislauf herauszulsen bedeutet fr sie, sich selbst in bezug auf dieses Daseiende außerhalb dieses Kreislaufs zu stellen. In diesem Fall entkommt sie ihm, ist sie unerreichbar, er knnte nicht auf sie einwirken, sie hat sich jenseits eines Nichts zurckgezogen. Dieser Mglichkeit der menschlichen Wirklichkeit, ein Nichts auszusondern, das sie abtrennt, dieser hat Descartes nach den Stoikern einen Namen gegeben: es ist die Freiheit.« (SN 83 f.; 61) Diese lßt sich von hieraus nher charakterisieren: »Zunchst erscheint klar, daß die menschliche Wirklichkeit sich von der Welt nur losreißen kann, … wenn sie ihrer Natur nach ein Losreißen von sich selber ist.« (SN 85; 61) Um dieses zu belegen, greift Sartre das Beispiel des abwesenden Peter noch einmal auf: Peter ist nicht da! Jetzt suche ich ihn in seinem Zimmer. Die Wahrnehmung vermittelt mir die Dinge im Raum: der leere Stuhl, das noch aufgeschlagene Buch, die Jacke ber der Lehne – alles positive Gegebenheiten, die an sich nichts sagen, die keinen weiterfhrenden Stimulus fr das Bewußtsein darstellen. Dieses muß sich von dem Wahrgenommenen lsen, dieses negieren und damit sich selbst als unmittelbare Wahrnehmung negieren, um die wahrgenommenen Dinge (die Jacke und das Buch) als Verweis darauf deuten zu knnen, daß Peter nur kurz aus dem Zimmer gegangen ist. Der Wahrnehmung der Jacke allein haftet dieser Verweis nicht an, daß Bewußtsein muß zu dieser Wahrnehmung Distanz gewinnen, sich von ihr losreißen. »Bleibt zu erklren, was diese Trennung, dieses Sich-voneinander-Loslsen der Bewußtseinsakte ist, welche jede Negation beA

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dingt. Wenn wir den vorausgehenden, als Motivation aufgefaßten Bewußtseinsakt betrachten, sehen wir sofort sehr klar, daß nichts dazwischen geglitten ist zwischen diesen und den vorausgehenden Zustand. Es gab keine Auflsung der Kontinuitt im Fließen des zeitlichen Ablaufs … Es gab auch keinen pltzlichen Einbruch eines undurchdringlichen Elements, das das Frhere vom Spteren geteilt htte, wie eine Messerklinge eine Frucht in zwei Teile schneidet … Was das Frhere vom Spteren teilt, ist genau nichts. Und dieses Nichts ist absolut unberschreitbar, eben weil es nichts ist.« (SN 89; 64) – Nur das Nichts schafft eine Distanz, ein Auseinandertreten vom unmittelbaren Bewußtsein (eines Gegenstandes) und dem reflektierenden Bewußtsein ber diesen Bewußtseinsakt, ohne daß es sich selbst als ein Etwas, als ein Ding dazwischenschiebt und das eine Bewußtsein in zwei Teile zerlegt (in zwei durch etwas voneinander getrennte Bewußtseinsakte). Das Nichts als rein negative Realitt trennt, ohne zu zerlegen und ist somit die ontologische Mglichkeitsbedingung des Bewußtseins. »Das bewußte Sein muß also sich selbst in bezug auf seine Vergangenheit als durch ein Nichts von dieser Vergangenheit getrennt konstituieren … Die Freiheit, das ist das menschliche Sein, das seine Vergangenheit außer Kraft setzt, indem es sein eigenes Nichts aussondert.« (SN 90; 65) Hier wird der bergang von der Phnomenologie zur Ontologie wiederum sichtbar: Die Nichtung erscheint als tragende Funktion des Bewußtseins, daher wird das Nichts zum »Stoff« des Bewußtseins; und dieser Stoff bekommt einen Namen, der eine eigene, nicht mehr phnomenologisch zu konstatierende Qualitt bezeichnet: den der Freiheit. »Der Mensch ist frei, der Mensch ist Freiheit.« (EH 155; 36 f.) Nichts und Freiheit bezeichnen grundlegend dasselbe. 6 Die menschliche Wirklichkeit ist, ontologisch betrachtet, ein Nichts. – »Das Nichts ist die eigentliche Mglichkeit des Seins und seine einzige Mglichkeit.« »Es ist ein absolutes Ereignis [d. h. aus keinem anderen ableitbar – J. H.], das ins Sein kommt durch das Sein. Da das An-sich-Sein durch seine vollstndige Positivitt isoliert ist, kann kein Sein Sein hervorbringen, und nichts kann dem Sein durch das Sein zustoßen, es sei denn das Nichts.« (SN 172; 121) Wenn MetaWenn spter die Freiheit als Grundlage und Ausgangspunkt des Handelns bezeichnet wird, wre zu fragen, wieso aus dem Nichts eine dynamische Kraft der Gestaltung werden kann. Dazu weiter unten Kap. III, § 8, § 9.

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physik die Lehre von dem ist, was hinter den Erscheinungen liegt, so ist dies eine metaphysische Aussage. Das »Wesen« des Bewußtseins bzw. der Freiheit erschließt sich also als Nichtung zugleich der Dinge und seiner selbst. Die Freiheit existiert als »stndige Weise des Losgerissenseins von dem, was ist« (SN 101; 73). – Was der Mensch auch tut, er ist mit diesem Tun nicht ganz identisch, er geht nie ganz auf in dem, was ist, weder in den Dingen noch in sich selbst: Ein Nichts schiebt sich stets zwischen ihn selbst und seine Tat, zwischen den einen Bewußtseinsakt und den folgenden, ein Nichts, das zugleich Bewußtsein und Freiheit konstituiert und das Eigentliche der menschlichen Wirklichkeit ausmacht. Dieses Nichts entspringt aus der »Auflsung des Seins« (SN 165; 116). Bewußtsein und Freiheit ereignen sich in dieser Auflsung und durch sie; sie bedingt, daß es die menschliche Wirklichkeit berhaupt gibt. Der Mensch whlt nicht, bewußt zu sein, und er ist »verurteilt, frei zu sein« (EH 155; 37). Der Mensch kann sich nicht nicht auflsen, kann nicht nicht bewußt, nicht unfrei sein; dies stellt eine schicksalhafte Notwendigkeit seines Daseins dar: Das ist die zweite fundamentale Unfreiheit des Menschen – neben der ersten, der Kontingenz. Die Freiheit kommt also an sich selbst nicht vorbei, denn die Nichtung ist eine ontologische Tatsache, die der Mensch nicht willentlich beseitigen kann. – Die Nichtung bewirkt, daß ich niemals mit mir wirklich identisch, daß ich niemals sein kann, was ich bin. Sie erlaubt es mir auch nicht, meiner selbst sicher zu sein. – Ich kann mich entscheiden fr den einen und den anderen Lebensweg, und diese Entscheidung durch Taten Wirklichkeit werden lassen: studieren, heiraten usw. Nie aber bin ich sicher, daß dieser eingeschlagene Weg fr mich der endgltige ist und daß ich ihn stets gehen werde. Denn die Struktur der menschlichen Wirklichkeit besteht gerade in der dauernden Nichtung ihrer selbst: die getane Tat (die Heirat, das Studium) wird zur Tatsache, zur Gegebenheit, die die Freiheit wiederum sofort nichtet und zu der das Bewußtsein wiederum sofort in Distanz tritt und eine neue Einstellung gewinnen muß. »Wesen ist, was gewesen ist«, so zitiert Sartre Hegel (SN 101; 72). Ein fest umschriebenes Wesen im Sinne einer allgemeinen Menschennatur kann es nicht geben: »Der Mensch ist nichts als das, wozu er sich macht.« (EH 150; 22) Er macht sich natrlich nicht aus dem Nichts, sondern in der A

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kontinuierlichen Negation seiner selbst als biologischen, psychologischen und sozialen Ich, das er als seine Existenz vorfindet. »Ohne die Faktizitt [sc. die Kontingenz des vorgefundenen In-der-Welt-Seins – J. H.] knnte das Bewußtsein seine Gebundenheit an die Welt whlen in der Weise, wie die Seelen im ›Staat‹ ihre Situation whlen: Ich knnte mich entscheiden, als ›Arbeiter‹ oder als ›Brger‹ geboren zu werden.« (SN 179; 126) An dieser seiner Faktizitt als gegebener Existenz kommt der Mensch nicht vorbei. Sie zerfllt aber zum Nichts und konstituiert damit die menschliche Wirklichkeit. Die Nichtung, durch die das Bewußtsein entspringt, macht dann eine bewußte Einstellung zur genichteten Existenz mglich und ntig. Aus ihr heraus jedenfalls »definiert« sich der Mensch »anschließend« (ebd.) (d. h. nachdem er sich existierend vorfindet). ›Sich definieren‹ heißt hier: bewußt entweder die Existenzweise, die er negierend vorfindet, zu akzeptieren oder durch eine entgegengesetzte Einstellung zu kompensieren. So gibt es z. B. durchaus eine angeborene gesundheitlich schwache Konstitution (EH 153; 60). Daß der Mensch Freiheit ist, besagt nicht, daß er diese seine Konstitution willentlich aufheben knnte bzw. daß sie nicht existiert, wenn er sie nicht will. Aber die Freiheit beinhaltet eine Mglichkeit: Sie bedeutet eine Nichtung dieser Schwche – nicht in dem Sinne, daß diese fr ihn nicht mehr existierte, sondern so, daß dieses Schwach-Sein das Nichts aus sich selbst hervorbringt, und dieses Nichts dann die Mglichkeit der Distanz zu sich selber schafft. Es macht so die Schwche bewußt und erzeugt eine bewußte Einstellung zu ihr. Folglich kann ich diese Schwche, wenn ich will, akzeptieren, bejahen, sie zum Prinzip und zur Rechtfertigung meiner Lebenseinstellung machen. Dann und nur dann bin ich wirklich ein Schwchling [»un lache«], trage aber dafr die volle Verantwortung, denn ich habe diese Schwche gewhlt und sie mir so zu eigen gemacht (ebd.). Die Nichtung dieser Schwche erlaubt es mir aber auch, sie als Herausforderung anzunehmen und eine Einstellung zu whlen, die auf ihre berwindung ausgerichtet ist (die Tapferkeit z. B.). (Wie daraus andere Lebensmglichkeiten werden, wird noch zu untersuchen sein.) Damit ist die Schwche als an sich seiende nicht aufgehoben, die Freiheit als Nichtung dieses an sich Seienden (der Schwche) wird sich stets mit ihr auseinanderzusetzen haben, weil sie der Boden ist, auf dem ihre Nichtung (die Tapferkeit) entspringt. »Das Wesen, das ist alles, was man vom menschlichen Sein mit den Worten angeben kann: das ist.« (SN 101; 72) Es umfaßt die Erb60

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anlagen, die vorgegebene soziale Situation, insofern ich mich ihnen bzw. ihr gegenber gewhlt habe, also die Summe meiner vergangenen Einstellungen und Taten, meine Vergangenheit. Jede Einstellung und Tat wird, sobald sie erfolgt, zum Gegebenen, das das Bewußtsein in einem neuen Akt negiert; so liegt dieser neue Akt stets »jenseits dieses Wesens« (ebd.), denn die menschliche Wirklichkeit ist durch den Akt der Nichtung stets neu vom Gegebenen in ihm (und außer ihm) getrennt. Daher sind die menschliche Wirklichkeit und das Wesen des Menschen nicht identisch (der Mensch ist frei). Aber die Nichtung geschieht immer als Nichtung von dem, was gewesen ist, vom Gegebenen oder vom konkreten Wesen, und daher knnen wir uns von dem, was gewesen ist, nie vllig lsen. Ein konkretes Beispiel mag diesen Zusammenhang erhellen: Angesichts seiner konstitutionellen Schwche entschließt sich ein junger Mann, die Offizierslaufbahn zu ergreifen. Das krperliche Training strkt seine physischen Ressourcen, der Wille, Schwierigkeiten zu berwinden, erstarkt, ein strategisches Denken formt seinen Charakter. So »wchst« nach und nach sein konkretes Wesen gleichsam als der Bodensatz seiner Handlungen. Wenn er eines Tages den Offiziersdienst verlßt und z. B. Priester wird, so wird sein Engagement als Priester als Negation des Berufes, den er nun aufgegeben hat, noch von der gemachten Erfahrung geprgt sein. Die Hrte des Offiziersberufes wird auch im Priester – bejaht oder verleugnet – durchscheinen. – Unsere Natur »bleibt stets hinter uns und verfolgt uns als dauernder Gegenstand unseres rckblickenden Verstndnisses« (SN 102; 73). Durch den Akt der Nichtung ist aber ein Bruch mit der Offizierslaufbahn mglich, er ist auch im nachhinein verstehbar, denn die Wahl fr diese Laufbahn resultierte ja aus einer Entscheidung gegen die Schwche. Aber dieser Bruch war nicht notwendig und nicht vorgezeichnet. »Insofern diese Natur eine Herausforderung ist, ohne eine Zuflucht zu sein, wird sie als bengstigend erfaßt.« (Ebd.) Der Mensch ›schleppt‹ seine Natur stets gleichsam ›mit sich herum‹ ; er kann sie nicht abschtteln, denn seine Wirklichkeit als Negation des Gegebenen ruht stets auf ihr auf und fordert ihn stets zu einer neuen Einstellung zu ihr heraus. Seine Natur bietet ihm aber keine Zuflucht und keine Geborgenheit; er kann sich nicht auf ihr ›ausruhen‹, denn nichtend ist er stets ber sie hinaus. »Das menschliche Sein ruht zuerst im Schoß des Seins und reißt sich dann aus ihm heraus durch einen nichtenden Abstand.« (SN 85; 62) A

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»Ich bin nicht der, der ich sein werde. Zunchst einmal bin ich es nicht, weil mich Zeit davon trennt. Dann, weil das, was ich bin, nicht die Grundlage dessen ist, was ich sein werde. Schließlich, weil kein aktuell Existierendes zwingend bestimmen kann, was ich sein werde. Da ich aber dennoch schon bin, was ich sein werde, … bin ich der, der ich sein werde, auf die Weise, es nicht zu sein … Genau dieses Bewußtsein, seine eigene Zukunft zu sein auf die Weise des Nichtseins, ist es, was wir Angst nennen. Wenn nichts mich zwingt, mein Leben zu retten, hindert mich nichts daran, mich in den Abgrund zu strzen.« (SN 95 f.; 69) Die Angst wird somit zur Grunderfahrung des Nichts und der Freiheit: das Nichts, das ich bin, treibt mich weder in eine bestimmte Richtung noch hindert es mich an etwas. »Ich tauche allein und in der Angst auf gegenber dem einzigen und ersten Entwurf, der mein Sein konstituiert, alle Barrieren, alle Schutzgelnder strzen zusammen, genichtet durch das Bewußtsein meiner Freiheit … ; nichts kann mich gegen mich selbst sichern, abgeschnitten von der Welt und meinem Wesen durch dieses Nichts, das ich bin, habe ich den Sinn der Welt und meines Wesens zu realisieren: ich entscheide darber, allein, ungerechtfertigt, ohne Entschuldigung.« (SN 108; 77) »Das Nichts ist stets anderswo« (SN 171; 121); stets außer sich, kann sich der Mensch nicht auf sich verlassen. »Die Angst, das ist die Furcht, mich zu diesem Treffen [sc. mit mir selbst – J. H.] nicht einzufinden.« (SN 102; 73) Orest in Die Fliegen war auf einer Suche nach einem solchen Treffen mit sich selbst. Aber: »Ich wußte schon mit sieben Jahren, daß ich verbannt war; die Gerche und die Tne, der Lrm des Regens auf den Dchern, das Zittern des Lichts, ich ließ sie meinen Krper entlanggleiten und um mich niederfallen; ich wußte, sie gehrten den anderen, und ich wrde nie daraus meine Erinnerung machen knnen. Nun, die Erinnerungen sind fette Nahrung fr jene, die Huser, Tiere, Knechte und Felder besitzen. Aber ich … ich bin frei, Gott sei Dank! … Und welch herrliches Nirgend-Sein ist meine Seele« (1. Akt, 2. Szene). Die Freiheit, das Außer-sich-Sein, ist zunchst und zutiefst eine Last, sie ist eine ontologische Notwendigkeit: Ohne meinen Willen und selbst wider meinen Willen bin ich stets anderswo. Es kann sein, daß der Mensch, eingebunden in die Alltagssorgen, sich dieser Situation nicht bewußt ist. Es kann schließlich auch sein, daß er diese Einsicht nicht aushlt, und ihr in einer Art »Falschheit« zu entfliehen 62

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sucht. 7 Sie ist aber unausweichlich, da sie konstitutiv fr die menschliche Wirklichkeit ist. – Die Angst ist somit die Grundbefindlichkeit des Menschen. Die Freiheit hat ihren Preis: Angst und Verlassenheit. Sie hat auch eine andere, positive Seite: Meiner selbst unsicher, weiß ich aber auch, daß ich mich nur diesem Nichts, das ich selbst bin, verdanke, und von nichts und niemanden in meiner bewußten Existenz abhngig bin, so auch niemandem Rechenschaft schulde. »Es ist nicht Nacht, der Morgen dmmert. Wir sind frei, Elektra. Mir ist, als wrst du durch mich geboren und ich mit dir zugleich«, sagt Orest zu seiner Schwester (0.34, 2. Akt, 2. Bild, 2. Szene). Jupiter steht in Die Fliegen fr alle Mchte, die den Menschen in irgendeiner Form erlsen wollen und dies zum Vorwand nehmen, ihn zu bevormunden bzw. ber ihn zu herrschen (Religionen, skularisierte Heilslehren aller Frbung). Sie haben Macht nur ber den Menschen, solange dieser nicht um seine Freiheit weiß. Orest hat diese Erfahrung gemacht. Dem Jupiter schleudert er entgegen: »Deine ganze Natur schmiegte sich um mich; sie besang, was Du das Gute nennst … Deinen Befehlen sich fgend, stand meine Jugend vor meinem Blick, wie eine Verlobte, die man verlassen will; ich sah meine Jugend zum letzten Mal. Aber pltzlich ist die Freiheit auf mich herabgestrzt, und ich erstarrte, die Natur tat einen Sprung zurck, und ich hatte kein Alter mehr … Mir selbst fremd, ich weiß. Außerhalb der Natur, gegen die Natur, ohne Entschuldigung, ohne andere Zuflucht als zu mir selbst. Aber ich werde nicht unter Dein Gesetz zurckkehren – ich bin dazu verurteilt, kein anderes Gesetz zu haben als mein eigenes … Denn ich bin ein Mensch, Jupiter, und jeder Mensch muß seinen Weg erfinden. Der Natur graut vor dem Menschen, und dir, dir Herr der Gtter, dir graut auch vor den Menschen« (3. Akt, 2. Szene). Der Mensch ist stets »anderswo«, niemand hat ein Recht auf ihn. Er verdankt sich nur dem, was er nichtend aus sich selbst gemacht hat. Weder Geschpf Gottes noch Produkt gesellschaftlicher Verhltnisse, hervorgegangen aus dem Nichts, kann man ihn nicht Vgl. dazu das eindringliche Kapitel ber die Falschheit [»la mauvaise foi«] (SN 119– 153; 85–108). Dort schildert Sartre die durchaus bewußten aber uneingestandenen Fluchtmechanismen, mit denen der Mensch seine Angst, seine Freiheit und seine Verlassenheit zu neutralisieren versucht, ein Versuch, der scheitern muß, denn das Bewußtsein ist in der Nichtung stets auch ber diese Fluchtmechanismen hinaus.

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im Namen einer hheren Instanz bevormunden oder beherrschen wollen. »Der Mensch ist stets außerhalb seiner selbst, indem er sich entwirft und sich außerhalb seiner verliert, macht er, daß der Mensch existiert.« (EH 175; 92) »Der Mensch ist immer hervorzubringen« (ebd.), deswegen darf man ihn nur als Ziel, nie als Mittel oder Durchgangsstadium fr andere oder anderes betrachten; » erinnern wir den Menschen daran, daß es fr ihn keinen anderen Gesetzgeber als ihn selbst gibt, und daß er in Verlassenheit ber sich selbst entscheidet.« (EH 176; 94) Dies ist das Doppelgesicht der Freiheit: als schicksalhafte Notwendigkeit ist sie zugleich Befreiung und Last. Befreiung wozu?

§ 5 Der Entwurf, Gott zu sein Jedes Bewußtsein ist Bewußtsein von etwas, das war der Leitgedanke der frhen Phnomenologie Sartres: ohne Sein außerhalb des Bewußtseins kein Bewußtsein. – Jedes Nichts ist nichts von etwas, so heißt die Formulierung desselben Grundsatzes im ontologischen Rahmen. In der Tat: das Nichts ist nicht! Es hat nicht ein Sein fr sich, das neben dem ›eigentlichen‹ Sein stnde. Dann wre das Nichts wiederum ein Sein und htte an dessen Eigenschaften teil: Massivitt, Undurchdringlichkeit, bezugslose Identitt. Es gbe keine Erklrung dafr, wie das Bewußtsein mglich wre; die eine Undurchdringlichkeit wrde die andere ausschließen. – Das Nichts existiert und kann ausschließlich existieren als Vorgang der Nichtung, der vom Sein selbst ausgeht, und das Nichts existiert nur als eben diese Nichtung. Es ist selber nichts Substantielles, es nimmt sein Sein aus etwas anderem als es selbst: aus der Auflsung der Dichte des Seins nmlich [»dcompression d’ tre«] (SN 171; 120), aus einem Riß im Sein »fissure dans l’ tre«] (ebd.). »So ist das Nichts dieses Seinsloch, dieser Sturz des An-sich ins Fr-sich, wodurch sich das Fr-sich konstituiert. Aber dieses Nichts kann nur ›gewesen sein‹, wenn seine geborgte Existenz die Entsprechung zu einem nichtenden Akt des Seins ist. Diesen durchgngigen Akt, durch den sich das An-sich erniedrigt zur Selbstgegenwrtigkeit, nennen wir einen ontologischen Akt. Das Nichts ist die Infragestellung des Seins durch das Sein, das heißt genau das Bewußtsein oder das Fr-sich. Dies ist ein absolutes Ereignis, das auf das Sein durch das Sein zukommt und das, ohne 64

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Sein zu haben, durchgngig vom Sein gesttzt wird.« (SN 171; 121) Das Nichts, das Bewußtsein, die Freiheit, haben nur eine geborgte Existenz: eine, die das An-sich-Sein ihnen leiht, indem es sich auflst. Die Freiheit existiert nur nachgeordnet, gleichsam parasitr zum Sein. »Aber dieses Sein konstituiert sich als menschliche Wirklichkeit, indem es nichts ist als der ursprngliche Entwurf seines eigenen Nichts.« (Ebd.) Dieser nachgeordnete Platz der Freiheit, dieses Gezwungensein, hinter seiner geborgten Existenz, welche wie die der Dinge berflssig ist, stndig hinterherzulaufen, ohne sie jemals wirklich einholen oder von ihr ablassen zu knnen, die Tatsache, stets außer sich zu sein, bewirken, daß das Bewußtsein leidet. Es ist somit seiner Natur nach unglckliches Bewußtsein, ohne Mglichkeit, diesen Unglckszustand je zu berwinden. In dem bereits zitierten Roman Der Ekel hat Sartre dieses Leiden des Bewußtseins an sich selbst eindringlich geschildert. Wiederum sei eine lngere Passage zitiert, die deutlich macht, wie stark die erlebnismßigen Bezge der ontologischen Grundpostulate sind. Antoine Roquentin hatte zunchst die berflssigkeit seines Seins erfahren. Am Ende wird ihm auch das Elend seines Bewußtseins klar: »Jetzt scheint mir das hohl, wenn ich ›Ich‹ sage. Es gelingt mir nicht richtig, mich zu fhlen, so sehr bin ich vergessen. Alles, was in mir an Wirklichem bleibt, ist die Existenz, die man existieren fhlt. Ich ghne leise, lange. Niemand. Fr niemanden existiert Antoine Roquentin. Das amsiert mich. Und was ist das, Antoine Roquentin? Das ist etwas Abstraktes. Eine blasse Erinnerung von mir flackert in meinem Bewußtsein. Antoine Roquentin … und pltzlich erblaßt das Ich, erblaßt, und es ist aus damit, es erlischt. Hellsichtig, unbewegt, de ist das Bewußtsein zwischen den Mauern plaziert; es setzt sich fort. Niemand bewohnt es mehr. Eben noch sagte jemand ich, sagte mein Bewußtsein. Wer? Draußen gab es sprechende Straßen mit bekannten Farben und Gerchen. Es bleiben anonyme Mauern, ein anonymes Bewußtsein. Das hier gibt es: Mauern, und zwischen den Mauern eine kleine, lebende Transparenz. Das Bewußtsein existiert wie ein Baum, wie ein Grashalm. Es dst dahin, es langweilt sich. Kleine flchtige Existenzen bevlkern es wie Vgel in den Zweigen. Bevlkern es und verschwinden. Vergessenes Bewußtsein, verlassen zwischen diesen Mauern, unter grauem Himmel. Und das ist der Sinn seiner Existenz: daß es Bewußtsein davon ist, berflssig zu sein. Es lst sich auf, zersplittert sich, es versucht, sich auf der brauA

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nen Mauer zu verlieren, an der Straßenlaterne entlang oder da unten im Abenddunst. Aber es vergißt sich niemals; es ist Bewußtsein davon, ein Bewußtsein zu sein, das sich vergißt. Das ist sein Los. Da ist eine erstickte Stimme, die sagt: ›Der Zug fhrt in zwei Stunden‹, und da ist Bewußtsein dieser Stimme. Da ist auch Bewußtsein von einem Gesicht. Es zieht langsam vorbei, voller Blut, verschmiert, und seine großen Augen trnen. Es ist nicht zwischen den Mauern, es ist nirgends. Es verflchtigt sich, ein gekrmmter Krper tritt an seine Stelle mit einem blutendem Kopf, entfernt sich mit langsamen Schritten, scheint bei jedem Schritt stehenzubleiben, bleibt niemals stehen. Da ist Bewußtsein dieses Krpers, der langsam durch die dstere Straße geht. Er geht, aber er entfernt sich nicht. Die dstere Straße nimmt kein Ende, sie verliert sich im Nichts. Sie ist nicht zwischen den Mauern, sie ist nirgendwo.« (0.28, 190 f.; 236 f.) »Es gibt ein Bewußtsein von all dem und Bewußtsein, ach, vom Bewußtsein. Aber niemand ist da, um zu leiden und die Hnde zu ringen und sich selbst zu bemitleiden. Niemand. Es ist ein ganz gewhnliches Leiden, ein vergessenes Leiden – das sich nicht vergessen kann.« (0.28, 192; 238) Die theoretische Formulierung dieser Erfahrung lautet: »So wie die nichtende Freiheit sich selbst durch die Angst erfaßt, ist sich das Fr-sich seiner Faktizitt bewußt: es hat das Gefhl seiner vollkommenen Beliebigkeit, es erfaßt sich als daseiend fr nichts, als berflssig.« (SN 180; 126) Die menschliche Wirklichkeit zeichnet sich somit durch ein doppeltes Leiden aus: das an der Kontingenz, der berflssigkeit des Ansich-Seins, auf dem das Bewußtsein bzw. die Freiheit ruhen und ohne das es sie nicht gbe, und dem Leiden an der Tatsache, daß das Sein, aus dem der Mensch wird, sich nichtet und sich aus dieser Nichtung nie wieder einholt. Denn der Mensch existiert nur in dieser und durch diese Nichtung. Was aber ist die innere Tendenz bzw. der Sinn dieser Auflsung des Seins? Sind darber Aussagen mglich? »Wenn das An-sich-Sein kontingent ist, greift es sich selbst auf, indem es sich zum Fr-sich erniedrigt. Es ist, um sich im Fr-sich zu verlieren. Mit einem Wort: das Sein ist und kann nur sein. Dem Sein ist aber die Mglichkeit eigen – jene, die im nichtenden Akt offenbart wird –, als Bewußtsein Grund seiner selbst durch den aufopfernden Akt zu sein, der es nichtet; das Fr-sich ist das An-sich, das sich als An-sich verliert, um sich als Bewußtsein zu grnden.« (SN 177; 124) 66

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Das Ziel dieses »aufopfernden Aktes« wre genauer zu bestimmen. – Es ist schwer einzusehen, daß das Bewußtsein das eigentliche Ziel des Seins wre, daß also das Sein ausschließlich danach drngt, bewußt zu werden. Das wrde eine Spur von Bewußtsein im Sein schon voraussetzen, denn das Sein kann nicht nach etwas drngen, mit dem es berhaupt keine Berhrungspunkte hat; das Ziel einer Neigung muß im Sich-Neigenden irgendwie schon wirksam sein. Der Drang des Seins muß aus einer ihm zugehrigen Eigenheit kommen. Als grundlegende Eigenheit des Seins erwies sich die bezugslose Identitt, deren andere Seite die Kontingenz ist: das Sein ist nur auf sich bezogen, berflssig, fr nichts da. – Diese bodenlose berflssigkeit knnte der Anstoß sein, daß das Sein seine einzige Mglichkeit nutzt (die Nichtung nmlich, denn etwas anderes als Sein kann es nicht geben – nur dessen Aufhebung, eben das Nichts), um sie, die berflssigkeit, zu berwinden. – Ausgangspunkt dieser Vermutung ist – noch einmal – der schlicht zu konstatierende Sachverhalt, daß das Sein sich nichtet und so als Fr-sich-Sein auftaucht. Wenn dieser Tatsache eine innere Tendenz zugrunde liegt, muß diese im Sein selbst zu suchen sein, in seiner einzigen grundlegenden Verfassung: der Kontingenz. Ein anderes Indiz gibt es nicht. »Fr uns … verweist das Auftauchen des Fr-sich oder das absolute Ereignis sicherlich auf das Bemhen des An-sich, sich zu grnden, es entspricht einem Versuch des Seins, die Kontingenz seines Seins aufzuheben; dieser Versuch aber fhrt zur Nichtung des An-sich, weil das An-sich sich nicht grnden kann, ohne das Selbst oder den reflexiven und nichtenden Bezug in die absolute Identitt seines Seins einzufhren und sich demzufolge zum Fr-sich zu erniedrigen. Das Fr-sich entspricht also einer auflsenden Destrukturierung des An-sich, und das An-sich nichtet und absorbiert sich in seinem Versuch, sich zu grnden.« (SN 180 f.; 127) Sich zu grnden wre demnach der innere Drang des Seins. – Was bedeutet diese zunchst irritierende Aussage. das Sein drngt danach, sich zu grnden? – Man fhlt sich an Schelling erinnert, der in Gott den Grund als Selbstbezug stiftende und alles konstituierende Kraft wirksam sah. 8 – Sartres Sein ist auf der Suche nach

Vgl. Philosophische Untersuchungen ber das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhngenden Gegenstnde, Werke Abt. 1/7, 331–416.

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einem solchen Grund bzw. nach einer Selbstgrndung. Es unternimmt dazu eine ußerste Anstrengung, sich selbst durch sich selbst als Ursprung, als Grund zu setzen, gleich der Fichteschen Tathandlung: Ich bin Ich (4.3, I, 94). Durch diese Tathandlung wrde das Sein sich dann sich selbst verdanken, sein eigener Grund sein, ein Absolutes, das nichts als das ist, was es sein will und als was es sich selbst gesetzt hat. Es wßte also, warum es da ist, und wre in der bewußten und gewollten Selbstsetzung mit sich eins, zugleich auch in der Selbstgrndung von sich erfllt. Das Sein wre souvern und Glcklich in und mit sich selbst, wie der Gott Epikurs. Fr Sartre bleibt das Sein bei dieser Tathandlung stecken, und zwar in seinem negativen Moment, beim Heraustreten aus sich selbst. Denn: Die Selbstgrndung macht zunchst eine Distanz zu sich notwendig, eine Dualitt des Grndenden und des Gegrndeten, auch wenn diese in eine neu gewonnene Identitt mnden sollte. Hierfr gibt es eine Mglichkeit des Seins: die der Nichtung. Da aber dies die einzige Mglichkeit des Seins ist, bleibt die grndende Rckkehr zu sich selbst ausgeschlossen. »Wenn in der Tat das Sein der Grund des Nichts als Nichtung seines eigenen Seins ist, dann will das dennoch nicht heißen, daß es der Grund seines eigenen Seins ist. Um sein eigenes Sein zu grnden, mßte es in Distanz zu sich existieren, und das wrde eine gewisse Nichtung sowohl des gegrndeten Seins als auch des grndenden Seins bedeuten, eine Dualitt, die eine Einheit wre.« (SN 175; 123) Der Versuch des Seins, sich zu grnden, ist zum Scheitern verurteilt. Muß aber nicht das Sein, das nach seiner Grndung drngt, doch irgendwie erfahrungsfhig sein, um seine Kontingenz ›wahrzunehmen‹ und als etwas zu berwindendes zu ›empfinden‹ ? Muß es dafr nicht – im Ansatz zumindest – eine Spur von diesem Grund in sich enthalten, ohne die es die Kontingenz gar nicht als Mangel empfinden wrde? Sartre spricht vom »Bemhen eines An-sich, um sich zu grnden« (SN 180; 127). – Sich selbst aufgreifen, … sich erniedrigen, um sich zu verlieren, ein aufopfernder Akt, … ein Bemhen, sind das nicht willentliche Handlungen? Spricht Sartre, indem er vom Sein redet, diesem nicht absichtsvolles Handeln zu, das weit jenseits dessen liegt, was die phnomenologische Definition des Seins zu sagen erlaubte? Zu fragen wre, ob sich diese Redeweise mit dem cartesianischen Denkschritt vereinbaren lßt: das Sein der Dinge und des Bewußtseins wird aus der Analyse dessen bestimmt, was es zwingend 68

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ber beides ermittelt. Kann das Bewußtsein eine Absicht des Seins, die nicht erscheint, zwingend erschließen? Vor allem: setzen Absicht, zielorientiertes Handeln nicht bereits Bewußtsein voraus? (S. u. Kap. VI) Folgendes lßt sich aber im Sinne der Sartreschen Ontologie festhalten: Die Wirklichkeit zerfllt in zwei Regionen: die des Seins bzw. des An-sich-Sein und die des Nichts bzw. des Fr-sich-Seins. Zwischen beiden Regionen gibt es eine Bewegung – das An-sich-Sein bewegt sich nichtend von sich weg und begrndet damit das Fr-sichSein. Diese Bewegung erbringt ein doppeltes Resultat: den Gewinn des Bewußtseins und den Verlust der Identitt, der Geschlossenheit mit sich selbst. Es liegen also vor: ein Ausgangspunkt, eine Bewegung weg von diesem Ausgangspunkt mit einem klar definierbaren Gewinn (das Bewußtsein) und einem ebenso klaren Preis (das Außersich-Sein). Drngt es sich da nicht auf, den Gewinn als Zielrichtung der Bewegung, als seine innere Tendenz zu sehen? Nicht im Sinne einer absichtsvollen, mithin bewußten Handlung, sondern als eine dem Sein immanente Tendenz, als eine Art dunklen Drang des Seins, aus der bezugslosen Identitt herauszutreten, als eine Art Schicksal des Seins im Sinne der antiken mora, die ebenfalls eine unpersnliche Macht ist, und die der Mensch, zu erleiden hat? Sartre hat seine Bewunderung fr Spinoza noch im Alter betont (ZA 210; 14). Auch fr Spinoza war das menschliche Schicksal ein Seinsschicksal: das einer Substanz (deus sive natura), die sich in einer Vielfalt von endlichen Modi entfaltet. – Wenn diese Analogie schlssig ist, wrde die Ontologie Sartres in eine Art Pantheismus des Scheiterns mnden, anders gesagt: in einen negativen Pantheismus (in dem Sinne, wie Adorno von einer negativen Dialektik spricht.) – Auf diese Frage wird noch zurckzukommen sein (s. u. Kap. VI). Das Bewußtsein und die Freiheit entstehen gleichsam als Zwischenprodukt des Seins bei dessen Versuch, sich zu grnden. Mit ihnen erzielt das Sein eine Art Teilerfolg. Denn das Bewußtsein ist als Fr-sich-Sein »sein eigener Grund« (SN 181; 127). – Was heißt dies konkret? Sich grnden bedeutet fr Sartre: die Kontingenz berwinden – eine Vergegenwrtigung der Kontingenzerfahrung mßte den Charakter der Grndung und ihre Intention sichtbar machen. Kontingenz heißt: Etwas ist, was es ist, es ist einfach da, in bezugsloser Identitt, ohne Hinweis auf sein Woher und Wozu, ungewollt, ungeschaffen, ohne einen Grund zu sein. – berwindung der Kontingenz A

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heißt dann: einen Grund haben zu sein, gewollt, nicht berflssig zu sein, einen Ursprung und ein Ziel haben, fr etwas da zu sein. Sich grnden hieße dann: sich selber gewollt zu haben, das zu sein, was man zu sein gewollt hat bzw., wenn die Selbstgrndung vollstndig ist, nichts anderes zu sein, als man zu sein gewollt hat. Das heißt endlich: »causa sui«, Ursache seiner selbst zu sein (SN 175; 123). Das trifft in gewisser Weise auf das Fr-sich-Sein bzw. auf das Bewußtsein zu: »Das Fr-sich-Sein ist das An-sich, das sich als Ansich verliert, um sich als Bewußtsein zu grnden. So hat das Bewußtsein aus sich selbst heraus sein Bewußt-sein und kann nur auf sich selbst verweisen, insofern es seine eigene Nichtung ist … Das Ansich kann nichts grnden; wenn es sich selbst grndet, dann, indem es sich die Modifikation des Fr-sich gibt. Es ist Grund seiner selbst, indem es schon nicht mehr An-sich ist.« (SN 177; 124) – Zur Selbstgrndung bedarf es der Distanz zu sich selbst. Diese ist durch den nichtenden Akt gegeben. Der nichtende Akt verdankt sich in der Nichtung nur sich selbst, er grndet sich also selbst, da er aus nichts anderem als seiner eigenen nichtenden Spontaneitt besteht. Hier werden die Notwendigkeit und der Sinn des »sich aufopfernden Aktes« (ebd.) deutlich: Das Sein als bezugslose Identitt kann sich nicht grnden. Denn sich grnden bedeutet: aus sich herauszutreten, um sich selbst in die Hand zu nehmen. Das Sein muß sich also aufopfern, sich verlieren und seine Identitt aufgeben. Stirb und werde, dieses Motiv der deutschen romantischen Philosophie charakterisiert das Schicksal und die Chance des Seins, so wie es sich fr Sartre darstellt. Aus diesem Sterben entsteht etwas Neues: Die Nichtung hat sich selbst hervorgebracht, sie ist ihr eigener Grund, sie ist nichts als das, wozu sie sich gemacht hat. »Das Fr-sich-Sein als genichtetes An-sich grndet sich selbst.« (Ebd.) Dies ist in seiner Bedeutung und Tragweite genau zu beschreiben und einzugrenzen. – Daß das Bewußtsein berhaupt existiert, verdankt es nicht sich selbst, sondern dem Ereignis der Nichtung des An-sich-Seins. »Dieses An-sich … bleibt im Innern des Fr-sich als seine ursprngliche Kontingenz.« (SN 178; 125) Daß ich also geboren bin als intellektueller Kleinbrger etwa, in diesem oder jenem Milieu, mit einer gesunden oder krnklichen Konstitution, habe ich nicht gewhlt. Es ist die vorgegebene Faktizitt meiner Existenz als kontingenter (ebd.): Es gibt keinen Grund, warum es nicht auch htte anders sein knnen. Und da die Nichtung immer Nichtung von etwas 70

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ist, ist auch die erste Nichtung (das Entspringen des Bewußtseins) als unreflektierter Akt nicht gewollt, sondern schlicht dem Zerfall des Seins zu verdanken. Das ist die Kontingenz meiner Freiheit. Die Analyse der Frage hatte aber deutlich gemacht, daß das Bewußtsein diese erste Nichtung nichten, also Distanz zu sich, zum ersten Bewußtseinsakt gewinnen kann. Diese Nichtung des unmittelbaren Bewußtseins vollzieht das Bewußtsein durch sich allein: Es ist hier somit Grund seiner selbst. Es macht durch die Nichtung des ersten, unmittelbaren Bewußtseinsaktes eine Rckkehr zu sich, somit Reflexion mglich: Das reflektierende Bewußtsein ist nichts, als wozu es sich gemacht hat. Reflektierendes, bewußtes Leben ist das eigentliche Kennzeichen der menschlichen Wirklichkeit, dies allein unterscheidet den Menschen von allem, was sonst ist. Ein Teilerfolg der Nichtung ist das, nicht mehr. Denn die Kontingenz im Herzen des Fr-sich-Seins bleibt. Noch einmal: »Ohne die Faktizitt knnte das Bewußtsein seine Gebundenheit an die Welt whlen; … ich knnte mich entscheiden, als ›Arbeiter‹ oder als ›Brger‹ geboren zu werden.« (SN 179; 126) »So aber wird das Fr-sich durch eine dauernde Kontingenz getragen, die es [das Fr-sich – J. H.] sich zu eigen macht und assimiliert, ohne sie jemals unterdrcken zu knnen.« (SN 178; 125) Die menschliche Wirklichkeit ist also das Ergebnis des Scheiterns des Versuches, den das Sein unternimmt, um sich zu grnden. Das Scheitern ist daher das eigentliche Sein der menschlichen Wirklichkeit, sie ist Scheitern (SN 188; 132). »Die menschliche Wirklichkeit ist vor allem ihr eigenes Nichts … Und weil sie in ihrem Sinn konstituiert wird durch diese Nichtung und die Anwesenheit dessen in ihr, was sie nichtet, als Genichteten, ist es das Selbst als verfehltes An-sich-Sein, das den Sinn der menschlichen Wirklichkeit ausmacht.« (Ebd.) Die Tendenz, sich zu grnden, ist auch im Scheitern nicht verloren gegangen, und sie wohnt deshalb dem Fr-sich-Sein inne. »Die menschliche Wirklichkeit ist stndiges berschreiten auf eine Koinzidenz mit sich selbst hin, die niemals gegeben ist. Wenn das Cogito nach dem Sein strebt, dann, weil es durch sein Auftauchen selbst sich auf das Sein hin berschreitet, indem es sich in seinem Sein bestimmt als ein Sein, dem die Koinzidenz mit sich selbst fehlt, um zu sein, was es ist … Das Sein, das nur Grund seines Nichts ist, bersteigt sich auf das Sein hin, das Grund seines Seins ist.« (SN 189 f.; A

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133) Das Fr-sich-Sein hat in sich diese transzendente Dimension: etwas, worauf es hinauswill, was aber als unberwindbarer Mangel unaufhebbare Abwesenheit in ihr ist: Dies ist Dimension der Totalitt, die gegeben wre, wenn die Kontingenz, die im Fr-sich zurckbleibt, in einer grndenden Rckkehr zu sich selbst vollstndig aufgehoben werden knnte. Grund seines Seins zu sein liegt aber außerhalb der Mglichkeiten des Fr-sich: »Der Sinn des verfehlten Grndungsaktes bleibt als ein transzendenter« (SN 188; 132), was er sucht, liegt jenseits der eigenen Mglichkeiten. Das Fr-sich-Sein weiß in unbestimmter Form darum, und dieses gesuchte Selbst jenseits der eigenen Mglichkeiten wird zur Idee Gottes. »Aber das Sein, woraufhin sich die menschliche Wirklichkeit berschreitet, ist kein transzendenter Gott: es ist im Herzen ihrer selbst, es ist nichts als sie selbst als Totalitt.« (SN 190; 133) Eine solche Totalitt wre die »unmgliche Synthese des Ansich und des Fr-sich-Seins: es wre sein eigener Grund nicht als Nichts, sondern als Sein, und wrde in sich die notwendige Durchsichtigkeit des Bewußtseins bewahren und gleichzeitig auch die Koinzidenz mit sich selbst, die dem An-sich-Sein eigen ist»(ebd.). Eine solche Synthese ist unmglich, denn sie vereinigt in sich die unvereinbaren Eigenschaften des An-sich und Fr-sich. In der Tat: Das Sein erschloß sich als bezugslose Identitt, als vlliges Zusammenfallen mit sich selbst. Fr-sich, Bewußtsein, aber setzt Dualitt, Distanz zu sich selbst voraus, also ein Getrenntsein (durch das Nichts) von sich selbst. Denn jedes Bewußtsein ist Bewußtsein von etwas. Identitt und Nichtung (d. h. Nicht-Identitt) sind unvereinbare Grßen. Das An-und-fr-sich-Sein kann es daher nicht geben. »So taucht die menschliche Wirklichkeit als solche im Angesicht ihrer eigenen Totalitt bzw. des Selbst als Verfehlen dieser Totalitt auf … Und daß man uns nicht vorwirft, aus einer Laune heraus ein Sein dieser Art zu erfinden: Wenn diese Totalitt, dessen Sein die absolute Abwesenheit ist durch eine weitere Bewegung der Meditation hypostasiert wird als Transzendenz jenseits der Welt, nimmt sie den Namen Gottes an. Und ist Gott nicht zugleich ein Sein, das ist, was es ist, insofern es ganz Positivitt und Grund der Welt ist – und ebenso ein Sein, das nicht ist, was es ist, und das ist, was es nicht ist, insofern es Selbstbewußtsein und notwendiger Grund seiner selbst ist?« (SN 191.; 133 f.) Die Idee Gottes, das ist der ins Jenseits projizierte Wunsch des Menschen, sich zu grnden. 72

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Aus einer ontologischen Notwendigkeit heraus muß der Mensch Gott sein wollen. Es ist dies sein Schicksal bzw. seine Bestimmung, die als letzter Beweggrund all seine Einstellungen und Handlungen leitet. »Mensch sein ist, danach zu streben, Gott zu sein.« (SN 972; 653) Sartres Ontologie ist damit zugleich eine Religionsphilosophie im Stile Feuerbachs: Die Suche nach Gott hat einen wahren, anthropologischen Kern. Sie drckt die Notwendigkeit der Freiheit aus, danach zu streben, Ursache ihrer selbst, also Gott zu sein. Gott wre das wahre Wesen des Menschen, wenn es gelingen knnte, dies zu verwirklichen. Diese Notwendigkeit drckt sich auch in den Gottesbeweisen aus: »Die Prmissen: ›Alles, was kontingent ist, muß einen Grund in einem notwendigen Sein finden. Nun aber bin ich kontingent‹, kennzeichnen einen Wunsch zu grnden, und nicht die erklrende Rckfhrung auf einen realen Grund.« (SN 176; 124) Allein: Dieser Wunsch bleibt unerfllt. »Die menschliche Wirklichkeit ist leidend in ihrem Sein, weil sie im Sein auftaucht als stndig verfolgt von einer Totalitt, die sie ist, ohne sie sein zu knnen … Sie ist also von Natur aus unglckliches Bewußtsein, ohne mgliche berwindung des Leidenszustandes.« (SN 145; 191)

§ 6 Das Selbst und der Andere Das Selbst Bereits am Ende der Betrachtungen zur ersten philosophischen Schrift Sartres hatte sich die Frage aufgedrngt: Wie weit ist es denn her mit der menschlichen Freiheit? Kann es berhaupt eine autonome, in sich geschlossene Persnlichkeit geben? »Alles ist draußen, alles, einschließlich wir selbst: draußen in der Welt, inmitten der Anderen. Nicht in irgendeinem Rckzugswinkel entdecken wir uns: vielmehr auf der Straße, in der Stadt, mitten in der Menge, Ding unter Dingen, Mensch unter Menschen.« (Sartre 0.15, 35) Das Selbst, so hatte auch die Analyse des Fr-sich ergeben, ist nur als Abwesenheit gegenwrtig, und zwar als stets verfehlte. Ein stabiles Persnlichkeitszentrum im Sinne eines Ichs als einheitsstiftenden Prinzips des Fhlens, Denkens, Wollens und Handelns kann A

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es nicht geben. Was gemeinhin als solches angenommen wird, ist im Grunde nur ein dauernder Prozeß: der stets zu durchlaufende Umkreis der Selbstheit [»circuit d’ipsit«] (SN 212; 147). Auf keinen Fall ist das Ich personalisierend (ebd.). Das wrde ja bedeuten, daß das Bewußtsein sein einheitsstiftendes Prinzip in einem undurchdringlichen Jenseits htte. Die vollstndige Selbstdurchsichtigkeit, die das Bewußtsein charakterisiert, wre so nicht mehr gegeben. Sartre betont noch einmal ausdrcklich: »Wir haben uns in einem Artikel der ›Recherches Philosophiques‹ bemht zu zeigen, daß das Ich nicht zur Domne des Bewußtseins gehrt. Wir kommen darauf nicht zurck … Das Ego erscheint dem Bewußtsein als transzendentes An-sich, als Existenz der menschlichen Welt, nicht des Bewußtseins.« (Ebd.) Dennoch ist das Bewußtsein keine »unpersnliche Kontemplation« (ebd.). Um dies zu klren, wird noch einmal der bereits entwikkelte Gedanke herangezogen: Das Selbst liegt der nichtenden Bewegung des Fr-sich als unerreichbares Ziel zugrunde. »Es ist, wenn man will, der Grund der unendlichen Bewegung; … Definitionsgemß ist es ein Ideal, eine Grenze. Und es ist die nichtende Wirklichkeit der Gegenwart des Seins im Sein in der Einheit des Seins als Seinstyp, die es als Grenze auftauchen lßt. Sobald sie also auftaucht, konstituiert sich das Bewußtsein durch die nichtende Bewegung der Reflexion als persnliches: denn was einem Sein die persnliche Existenz verleiht, ist nicht der Besitz eines Ego – das nur Zeichen der Persnlichkeit ist –, sondern die Tatsache, fr sich zu existieren als Selbstgegenwrtigkeit.« (SN 213; 148) Das Selbst ist der personalisierende Pol, aber nicht direkt, als positiver, konstituierender Teil des Bewußtseins, es ist personalisierend als abwesendes, als das Verfehlte, um das das Fr-sich-Sein bzw. das Bewußtsein immer kreist. Dieses Kreisen um das verfehlte Selbst ist zugleich eine Bewegung der Selbstreflexion: Ich werde mir gegenwrtig, daß ich als Mangel existiere, daß mein In-der-Welt-Sein eine unaufhebbare Kontingenz einbeschließt, die als »Hindernis« (SN 214; 149) erfahren wird; das macht mir deutlich, was ich eigentlich zu sein htte (Grund meiner selbst), und rckt mir auch mein Ich als Teil der Welt in den Blick. Natrlich ist das Selbst nicht Gegenstand des Bewußtseins. Als abwesendes kann es kein Gegenstand sein! Es ist eine gelebte Bewegung des Bewußtseins, das sich dieser Bewegung bewußt wird, wenn es an der Grenze des An-sich und der Unaufhebbarkeit der Nichtung scheitert. »Das Fr-sich ist selbst da unten, außer Reichweite, in den 74

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fernen Gefilden seiner Mglichkeiten. Und diese freie Notwendigkeit, da unten zu sein, was man in der Form des Mangels ist, konstituiert die Selbstigkeit … Und wie soll man wirklich die Person definieren, wenn nicht als freien Bezug zu sich selbst?« (SN 213; 148) Die Persnlichkeit ist somit keine stabile Grße, keine Substanz im Sinne eines in sich ruhenden Trgers unserer Einstellungen und Handlungen. Persnlichkeit ist vielmehr eine prozessuale Grße: Die nichtende Reflexion erlaubt es mir, mich (mein Ich) als Teil dieser Welt wahrzunehmen, z. B. als Sohn intellektueller Kleinbrger im Frankreich der Nachkriegszeit. Aber das so Wahrgenommene konstituiert nicht meine Persnlichkeit! Ein solches Ich hat auch der Hund, der im Haus seines Herrn einen Platz in der Welt hat. Persnlichkeit wird, indem das Bewußtsein diese soziale Identitt als Grenze und als Bedingungsrahmen des Strebens nach dem Selbst erfhrt, genauer: Meine soziale Identitt wird mir bewußt, indem die nach dem Selbst suchende Negation auf das Ich, das Teil der Welt ist, als Grenze stßt. »Ohne Welt keine Selbstigkeit, keine Person; ohne Selbstigkeit, ohne Person, keine Welt.« (SN 214; 149) Dabei ist Welt als das strukturierte, sinnmßig geordnete Gegenber des Bewußtseins zu verstehen, das durch die Nichtung konstituiert wird. Dieses Bewußtsein des Selbst als Verfehltem jenseits des Ich ist fr Sartre das erste Moment dessen, was den Menschen vom Hund unterscheidet: Ich weiß um meine Herkunft, um deren Mglichkeiten und Hemmnisse, ich kann auch wissen, welche Einstellungen und Handlungen Folgen meiner kleinbrgerlichen Erziehung sind. Dieses Wissen bildet keine Substanz aus, es ist ein Vorgang der Vergegenwrtigung, in dem ich mich erfasse als einen das Selbst Suchenden in dieser Form des In-derWelt-Seins, ohne dieses Selbst je wirklich zu sein, denn ich bin stets »anderswo«. Persnlichkeit bedeutet nach Sartre in einem zweiten Moment: freier Bezug zu sich selbst. Die Reflexion, die Nichtung meines unmittelbar bewußten In-der-Welt-Seins hebt mich ber die Ebene der psychischen und sozialen Determinanten hinaus und erlaubt mir eine bewußte Einstellung zu mir selbst. (Inwieweit sie auch Handlungs- und Gestaltungsfreiheit ermglicht, wird noch zu untersuchen sein.) – Es handelt sich insofern um eine freie Notwendigkeit, als die nichtende Suche nach sich selbst ontologisch vorgegeben ist, also sein muß. Selbstgegenwrtigkeit und bewußte Einstellung zu sich selbst sind fr Sartre die Charakteristika der Persnlichkeit. Sie erlauben A

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mir nicht, immer das zu tun, was ich bewußt beabsichtige, und die Einstellungen zu haben, die ich als reflektierte haben will, denn das Ich ist Teil der Welt und somit deren Schicksal sowie den in ihr herrschenden Daseinsbedingungen ausgesetzt. Aber sie befhigen mich dazu, stets um mich zu wissen, und so kann ich mich nie damit herausreden, ich htte nicht gewußt, was ich tat. Bedeutet Freiheit dann: bewußt mitzuverfolgen, was ich tue, weil ich es tun muß? Der Andere So sehr die Persnlichkeit ontologisch nachrangig ist, so vorrangig ist im Gegensatz dazu die Existenz des Anderen oder das Fr-den-Anderen-Sein. Es wrde eine eigene, umfangreiche und lohnenswerte Studie erforderlich machen, das komplexe Problemfeld der Zwischenmenschlichkeit zu untersuchen, so wie es sich fr Sartre darstellt. Was er hierzu sagt, gehrt sicher zu den am meisten beeindruckenden Teilen seiner Philosophie, sicherlich auch zu den deprimierendsten. – Hier knnen nur die ontologische und die metaphysische Dimension des Fr-den-Anderen-Seins gekennzeichnet und der vorliegenden Fragestellung zugeordnet werden. Wie stets bildet auch hier das Cogito (als erste, absolute Gewißheit) den Ausgangspunkt der Erfahrung des Anderen. »Das Cogito muß, noch einmal untersucht, mich aus sich heraus auf den Anderen werfen, wie es mich aus sich heraus auf das An-sich geworfen hat, … indem es mir die konkrete und unbezweifelbare Gegenwart dieses oder jenes konkreten Anderen entdeckt.« (SN 455; 308) Dieses geschieht in der Erfahrung der Scham [»la honte«]. Sartre bringt hier eine seiner glnzenden Erlebnisanalysen, die kurz nachzuzeichnen ist (SN 467–473; 317–320): »Stellen wir uns vor, ich sei aus Eifersucht, aus Neugierde oder lasterhafterweise soweit gekommen, mein Ohr an eine Tr zu legen, durch das Schlsselloch zu sehen.« Ich gehe ganz in dieser Eifersucht, in diesem Horchen und Schauen auf. Da ist kein Ich, das sich ber diese Situation Rechenschaft gibt, »das das Bewußtsein bewohnt«. Ich beurteile die Situation auch nicht (weder intellektuell noch moralisch), ich lebe sie einfach, und zwar auf der Ebene des unmittelbaren, nicht reflektierenden Bewußtseins. 76

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»Jetzt habe ich Schritte im Flur gehrt. Man betrachtet mich. Was will das heißen? Daß ich pltzlich in meinem Sein getroffen bin, und daß wesentliche Modifikationen in meiner Struktur auftauchen … Gerade diesen Einbruch des Ich hat man viele Male beschrieben: ich sehe mich, weil man mich sieht.« – In dem Moment, wo ich mich beobachtet weiß, wird mir schlagartig bewußt, was ich da tue bzw. was ich als einer, der solches tut, bin: ein Voyeur, ein von Eifersucht zur Indezenz Getriebener. Der Blick des Anderen hat dieses reflexe Verhltnis zu mir selbst veranlaßt; ich sehe mich pltzlich mit anderen Augen, genauer: mit den Augen des Anderen. Ich stehe pltzlich in einer Distanz zu mir, die ich zwar selbst vollzogen, aber nicht ausgelst habe, die sich in mir ereignet hat und die ich daher auch nicht zurcknehmen kann: der Andere ist in mein Bewußtsein eingedrungen, in seinen Augen bin ich ein Voyeur, und zwar unwiderruflich. Denn der Andere hat nicht mein stndiges Außer-sich-Sein im Blick (meine Freiheit, durch die ich stets ber das Gegebene hinausschreite), sondern das, was ich da, in dieser konkreten Situation bin: ein Voyeur. Die Zge meines Wesens werden mir nun bewußt: Das Ich, das ich im Blick des Anderen bin, wird mir gegenwrtig, und ich gewinne einen reflexiven Bezug zu ihm: »Das unreflektierte Bewußtsein erfaßt die Person nicht direkt und als ihr Objekt: die Person ist dem Bewußtsein gegenwrtig, insofern sie Objekt fr den Anderen ist. Das bedeutet, daß ich pltzlich Bewußtsein von mir habe, insofern ich mir entgleite, nicht insofern ich Grund meines eigenen Nichts bin, sondern insofern ich meinen Grund außer mir habe. Ich bin fr mich nur als reiner Verweis auf den Anderen.« Mein Ich »ist durch ein Nichts von mir getrennt, welches ich nicht ausfllen kann, denn ich erfasse es, insofern es nicht fr mich ist und es prinzipiell fr den Anderen existiert … Ich bekomme es in den Blick, … indem es mich prinzipiell flieht und mir niemals wieder gehren wird«. – Pltzlich schme ich mich meiner. »Die Scham … ist eine Scham ber sich, sie ist Eingestndnis, daß ich wirklich das Objekt bin, das der Andere betrachtet und ber das er urteilt. Ich kann mich nur meiner Freiheit schmen, insofern sie mir entgleitet, um gegebenes Objekt zu werden. Ich bin dieses Ich, das ein Anderer erkennt, jenseits der Erkenntnis, die ich haben kann. Und dieses Ich, das ich bin, bin ich in einer Welt, die der Andere mir entfremdet hat, denn der Blick des Anderen umfaßt mein Sein und in Wechselwirkung dazu die Mauern, die Tr, das Schloß … Also bin ich mein Ego fr den Anderen inmitten einer Welt, die in Richtung auf den Anderen abfließt.« A

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»Alles verluft so, als ob ich eine Seinsdimension htte, von der ich durch ein radikales Nichts getrennt bin: und dieses Nichts ist die Freiheit des Anderen; … jede meiner freien Verhaltensweisen bezieht mich in ein neues Umfeld ein, wo die Materie meines Seins die unberechenbare Freiheit des Anderen ist.« (SN 473; 320) Diese Beschreibung erlaubt es, die Vernderungen zu erfassen, die der »Einbruch« des Anderen in die Strukturen meiner Existenz bedeutet. – Die Analyse des Fr-sich hatte gezeigt, daß es stets außer sich, anderswo ist: das Nichts meiner selbst wirft mich stets aus mir heraus, trennt mich von mir selbst, macht eine stets neue Einstellung zu mir erforderlich. In diesem berschreiten meiner selbst bin ich fr mich kein Voyeur, da ich stets schon anderswo, das heißt ber mich selbst hinaus bin. (Das ist der ontologische Grund meiner Falschheit, ein rechtes Verhltnis zu mir selbst kann ich nicht gewinnen.) Der Andere erfaßt mit seinem Blick nicht mein bersteigen, meine Transzendenz, sondern das, als was mich diese Situation ausweist, er schreibt mich fest als etwas, das ich in dieser Gegebenheit tatschlich bin. »Das Auftauchen des Anderen trifft das Fr-sich mitten ins Herz.« Denn in der Nichtung versucht das Fr-sich-Sein seine gegebene Existenz, sein Dasein an sich, zu berwinden, zu fliehen auf eine unmgliche Zukunft hin (auf das An-und-fr-sich-Sein). Aber »durch und fr den Anderen erstarrt die verfolgende Flucht zum Ansich … Fr den Anderen bin ich unabnderlich, was ich bin, und sogar meine Freiheit ist eine gegebene Eigenschaft meines Seins … Aber diese erstarrte Flucht ist niemals die Flucht, die ich fr mich bin; sie ist draußen erstarrt. Diese Objektivitt meiner Flucht empfinde ich als eine Entfremdung, die ich weder transzendieren noch erkennen kann.« (SN 634 f.; 429) – Der Blick des Anderen schiebt ein Nichts zwischen das, was ich (in dieser Situation) bin, und meine Transzendenz bzw. Nichtung; er macht es mir dadurch unmglich, das, was ich bin (ein Voyeur), nichtend zurckzunehmen bzw. zu berschreiten. Meine Nichtung wird gleichsam fixiert, festgehalten. Damit ist fr Sartre eine ontologisch, nicht nur psychologisch neue Struktur gegeben: Der Blick des Anderen schreibt mein Fr-sich fest, so daß es – zunchst – ber die festgeschriebene Situation nicht hinaus kann. Der Andere »beraubt mich meiner Transzendenz« (SN 513; 347). – Hier handelt es sich um ein neues, ebenso absolutes, nirgendwo herleitbares, kontingentes Ereignis (SN 503; 342), vergleichbar mit dem des Fr-sich: um einen weiteren ontologischen Schritt des Sich-Verlierens. 78

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Der Sinn dieses neuen Sich-Verlierens wird ebenso zum Gegenstand metaphysischer Vermutungen, wie es beim Sich-Verlieren des An-sich-Seins der Fall war. – Zunchst aber ist dieses neue und radikalere Außer-sich-Sein in seiner ontologischen Struktur zu beschreiben, und deren Implikationen und Konsequenzen sind zu untersuchen. Der Blick des Anderen verweist mich auf mich selbst, nicht auf den Anderen. Indem er meine Transzendenz festhlt, schreibt er mich fest, macht er mich zum Objekt. Er trennt mich gleichsam von mir selbst, indem er meine nichtende Bewegung durch seinen Blick unterbricht, so daß die Kontinuitt abreißt. Ich bin so, wie der Blick des Anderen mich in der gegebenen Situation erfaßt, weil der Riß in der Kontinuitt der Nichtung das Fr-sich in dieser Situation festhlt. »Der Andere, das ist dieses Ich-selbst, von dem nichts mich trennt, absolut nichts als dessen reine, totale Freiheit.« (SN 360; 330) Diese Trennung macht erstmals ein objektives Verhltnis zu mir selbst mglich. Nicht direkt, so als ob ich ein unmittelbares, objektives Bewußtsein meiner selbst, also mich selbst zum Gegenstand haben knnte, vielmehr vermittelt ber den Umweg des Anderen, denn durch dessen Blick erfahre ich mich als Voyeur, als Feigling usw. Zu dieser festschreibenden Objektivierung kann ich wiederum eine doppelte Einstellung entwickeln: Ich kann in der Scham das Objektsein zurckweisen, mich nicht mit ihm identifizieren wollen oder im Stolz mir dieses Objektsein zu eigen machen. – Auf jeden Fall gilt: »So erfahre ich durch den Blick den Anderen konkret als freies und bewußtes Subjekt … Und die unmittelbare Prsenz dieses Subjekts ist die notwendige Bedingung eines jeden Gedankens, den ich ber mich selbst versuchen wollte.« (Ebd.) Ein Nachdenken ber mich selbst muß den Umweg ber den Blick des Anderen gehen, denn Nachdenken setzt ein losgelstes Betrachten voraus, und das ist mir, der ich mir zu nahe bin, nur durch die Perspektive des Anderen hindurch mglich. So bekommt die Entwicklung der Persnlichkeit (d. h. meiner Selbstgegenwrtigkeit und meiner freien Einstellung zu mir selbst) ihre wesentlichen Anstße durch den Blick des Anderen (SN 507; 343). Daher ist »der Andere unerlßlich fr meine Existenz, ebenso brigens fr meine Erkenntnis, die ich von mir selbst habe … So entdecken wir sofort eine Welt, die wir die Intersubjektivitt nennen werden, und in dieser Welt entscheidet der Mensch, was er ist, und was die Anderen sind.« (EH 166; 67) A

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Auf dieser Basis wird auch verstndlich, wenn Sartre sagt: »der individuelle Akt betrifft die ganze Menschheit« [»l’acte individuel engage toute l’humanit«] (EH 151; 27): 9 In der Tat entscheiden wir uns immer im Blick des Anderen. Der Blick, der mich trifft, ist kein seltsamer Zufall, sondern ein ontologisches Ereignis, das fr jeden unabweisbar eintritt. Wie der Andere mich aber anblickt, das heißt: wozu er mich objektiviert, hngt von seinen Grundeinstellungen ab. Seine Freiheit betrifft also mein Objektsein, mit dem ich mich auseinanderzusetzen habe, und das meine Reaktionen herausfordert. So entsteht ein Klima der Intersubjektivitt, in dem sich ein Bild des Menschen durchsetzen kann, das faktisch einen normativen Wert erreicht; denn Blicke vervielfltigen sich durch eine Art zwischenmenschlichen Schneeballeffekt, und dem multiplizierten Blick lßt sich so schnell nicht entkommen. Dennoch: Auf den Einbruch des Anderen reagiere ich. – Auch die Hinnahme der Objektivierung ist eine Reaktion, denn die Transzendenz des Fr-sich ist ja nicht zerstrt, sondern nur durch das Nichts des Anderen unterbrochen und festgeschrieben; sie entspringt auch aus der Festschreibung wieder neu. Diese Reaktionen vollziehen sich dann im Umkreis der Selbstigkeit. – Meine Reaktion kann nicht darin bestehen, den Anderen zu negieren, denn negieren kann ich nur, was als Gegenstand gegeben ist. »Der Andere ist das Nicht-Ichnicht-Objekt.« Der Blick des Anderen verweist mich auf mich selbst, nicht auf den Anderen, und negieren kann ich nur, worauf ich verwiesen bin: nmlich das Ich-Objekt. Dieses Ich-Objekt negiere ich als Fr-sich und gewinne dadurch ein bewußtes Verhltnis zu ihm. »In diesem Sinn kann meine grundlegende Negation keine direkte sein, denn es gibt nichts, worauf sie sich richten knnte. Was zu sein ich schließlich abweise, kann nichts anderes sein als die Zurckweisung, ein Ich zu sein, durch das der Andere mich zum Objekt macht; oder, wenn man lieber will, ich weise mein abgewiesenes Ich zurck; ich bestimme mich als Ich-selbst durch die Zurckweisung des abgewiesenen Ich; ich setze dieses abgewiesene Ich als entfremdetes-Ich durch die Auflehnung selbst, durch die ich mich dem Anderen entreiße … Ich entgleite dem Anderen, indem ich ihm mein entfremdetes Ich in den Hnden zurcklasse.« (SN 510; 345)

Die bersetzung, der individuelle Akt »zieht die ganze Menschheit nach sich« (EH 151), ist sachlich nicht haltbar.

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Das Klima der Intersubjektivitt ist also ein entfremdetes Klima. Meine Persnlichkeit entwickelt sich in Auseinandersetzung mit dem, was der Blick des Anderen aus mir macht. Der Andere ist der Schlssel zu meinem Sein. (SN 520; 351) Es ist klar, daß das Fr-sich diese Entfremdung durch den Blick des Anderen nicht hinnehmen kann, denn es ist ja seiner ontologischen Verfassung nach Streben nach sich selbst, nach Selbstgrndung. »Dies ist der Ursprung meiner konkreten Beziehungen zum Anderen: sie sind ganz und gar geleitet durch meine Einstellungen gegenber dem Objekt, das ich fr den Anderen bin. Und da die Existenz des Anderen mir das Sein enthllt, das ich bin, ohne daß ich mir dieses Sein aneignen oder gar klar vorstellen kann, motiviert diese Existenz zwei entgegengesetzte Haltungen: der Andere betrachtet mich, und als solcher besitzt er das Geheimnis meines Seins, er weiß, was ich bin, so ist der tiefe Sinn meines Seins außer mir, eingeschlossen in einer Abwesenheit; der Andere hat Gewalt ber mich. Indem ich das An-sich fliehe, das ich bin, ohne es zu grnden, kann ich nun versuchen, dieses Sein zu negieren, das mir von außen verliehen wird; das heißt, ich kann mich zum Anderen wenden, um ihm meinerseits die Objektivitt zu verleihen, denn die Objektivitt des Anderen ist zerstrerisch fr meine Objektivitt fr den Anderen. Insofern der Andere als Freiheit Grund meines An-sich-Seins ist, kann ich andererseits aber diese Freiheit einzufangen und mich ihrer zu bemchtigen suchen, ohne ihr ihren Freiheitscharakter zu entziehen: Wenn ich mir in der Tat diese Freiheit aneignen knnte, die der Grund meines An-sich-Seins ist, wre ich fr mich selbst mein eigener Grund.« (SN 636; 430) Zunchst ist festzuhalten, daß es einen wechselseitigen Blick, eine Begegnung im Blick und damit eine direkte, auf Gegenseitigkeit beruhende zwischenmenschliche Beziehung fr Sartre nicht gibt. Noch einmal: der Blick des Anderen verweist mich allein auf mich als entfremdetes Objekt, nicht aber auf den Anderen. Dessen Blick ist kein faßbares Objekt, wie es etwa die Augen wren. Er ist eine unbestimmte, ungegenstndliche, strukturverndernde Gegenwart in meinem Fr-mich. Ich kann diesen Blick also nirgends konkret festmachen, auch nicht an den Augen des Anderen. Sobald ich die Augen des Anderen betrachte, werden sie zum Objekt, und der Blick verschwindet. In diesem Fall objektiviere ich den Anderen. Die Beziehung zum Anderen verluft also stets und nur ber die Objektivierung und kann deshalb nicht wechselseitig sein: In der Beziehung A

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zum Anderen gibt es immer nur ein Subjekt und ein Objekt, keine intersubjektive Gegenseitigkeit. »So ist dieses entfremdete und abgewiesene Ich zugleich meine Verbindung zum Anderen und das Symbol unseres absoluten Getrenntseins.« (SN 511; 345) Auch im Verhltnis zum Anderen bleibt der Mensch in tragischer Weise allein. Meine Versuche, mich dem Anderen zu entreißen, erfolgen endlich parallel zu denen des Anderen. Whrend ich versuche, mir den Anderen zu unterwerfen, versucht dieser ein gleiches (SN 638; 431). Daher gilt: »Der Konflikt ist der ursprngliche Sinn des Fr-den-Anderen-Seins.« (Ebd.) »Ich bin an der Wurzel selbst meines Seins Entwurf der Objektivierung oder der Besitznahme des Anderen.« (SN 636; 430) – Dies ist unser Schicksal: auf den Anderen unausweichlich verwiesen zu sein, aber in Einsamkeit und Entfremdung und stets im Konflikt. »Wenn ich mir die Freiheit des Anderen zu eigen machen knnte, die Grund meines An-sich-Seins ist, wre ich fr mich selbst mein eigener Grund.« (Ebd.) Dieses versucht der Mensch, und dieser Versuch heißt Liebe. »Wir haben festgestellt, daß die Freiheit des Anderen Grund meines Seins ist. Aber gerade weil ich durch die Freiheit des Anderen existiere, habe ich keine Sicherheit, bin ich gefhrdet in dieser Freiheit.« (SN 641; 433) Ich weiß nicht, was der Andere aus mir macht, ich erleide seine unspezifische, nicht zu fassende Gegenwart. »Mein Entwurf, mein Sein wieder zurckzubekommen, kann sich also nur verwirklichen, wenn ich diese Freiheit in die Hand bekomme, wenn ich sie auf eine Freiheit reduziere, die meiner Freiheit unterworfen ist.« (Ebd.) Das versuche ich, indem ich den Anderen verfhren will. »Der Liebende muß also den Geliebten verfhren; und seine Liebe unterscheidet sich nicht von diesem Unterfangen der Verfhrung.« (SN 650; 439) Ich versuche, mich fr den Anderen zum »faszinierenden Objekt« (SN 646; 439) zu machen, um die Freiheit des Anderen in meinen Bann zu ziehen. Ich will fr den Anderen »absoluter Wert« (SN 473; 436) sein, ich will die Welt – die ganze Welt – fr den Anderen bedeuten (SN 644; 435). – Der Liebende »will das Objekt sein, in dem die Freiheit des Anderen sich zu verlieren hinnimmt, das Objekt, in dem der Andere so etwas wie seine zweite Faktizitt, sein Sein und seinen Daseinsgrund zu finden hinnimmt« (ebd.). Wrde dies gelingen, knnte ich die Freiheit des Anderen in 82

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meinen Bann ziehen und ber sie herrschen, und auf diesem Umweg wrde ich auch ber mich herrschen, denn ich htte es so selbst in der Hand, wer ich bin, da ich den Blick des Anderen durch die Faszination, die ich auf ihn ausbe, steuern kann. Ich wre Grund meiner selbst. »Und da der Andere Grund meines Objektseins ist, verlange ich von ihm, daß das freie Auftauchen seines Seins als einziges und absolutes Ziel die Wahl meiner selbst habe, das heißt, daß er gewhlt habe zu sein, um meine Objektivitt und meine Faktizitt zu grnden. So ist meine Faktizitt ›erlst‹ … Ich habe ihn mit meiner Faktizitt infiziert, aber da er als Freiheit infiziert worden ist, schickt er sie mir als angenommene und bejahte Faktizitt zurck … Von dieser Liebe aus erfasse ich meine Entfremdung und meine eigene Faktizitt somit in anderer Weise. Sie ist – als Fr-den-Anderen – nicht ein Faktum, sondern ein Recht. Meine Existenz ist, weil sie auserwhlt ist. Diese Existenz wird, insofern ich sie annehme, reine Freigebigkeit. Ich bin, weil ich mich verschwende … Anstatt uns ›berflssig‹ zu fhlen, fhlen wir jetzt, daß diese Existenz angenommen und in den kleinsten Einzelheiten gewollt ist von einer absoluten Freiheit, die sie zugleich bedingt – und die wir selbst wollen mit unserer eigenen Freiheit. Dort ist der Grund des Liebesglcks, wenn es vorhanden ist: wir fhlen uns gerechtfertigt, zu existieren.« (SN 649 f.; 438 f.) Die Liebe ist demnach der Versuch, die Kontingenz zu berwinden, die im Ekel erfahrene Tatsache unserer berflssigkeit. Wir haben in ihr einen Grund zu sein, einen Sinn unseres Daseins, denn wir bedeuten fr den Geliebten alles, wir sind fr ihn die Welt. All unsere Gesten und Worte haben jetzt einen Wert. Unsere Unsicherheit, unsere Zweifel sind auch die des Geliebten. »Wenn wir das ganze System verinnerlichen knnten, wren wir Grund unser selbst.« (SN 650; 439) Lieben – das gilt es gegenwrtig zu halten – heißt nicht, den anderen lieben, es »ist in seinem Wesen der Entwurf, sich lieben zu lassen« (SN 656; 443), den anderen in seinen Bann zu ziehen. Ziel des menschlichen Handelns ist nicht die zuneigende Selbstlosigkeit, nicht die Hingabe, sondern die Selbstgrndung und damit die berwindung der Kontingenz. Was der Mensch in der Religion sucht: Erlsung, Erfllung, Auserwhltsein, Gewollt- und Aufgehobensein, das ist wiederum nur der ins Jenseits projizierte Wunsch, die Freiheit der beunruhigenden Existenz des Anderen in den Griff zu bekommen, um so die eigene berflssigkeit zu berwinden. So hat die A

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Religion ihren wahren, anthropologischen Kern: »Mein Fr-den-Anderen-Sein wird verfolgt durch die Andeutung eines absoluten Seins, das Selbst wre als Anderer, und Anderer als Selbst, und das, indem es sich als Anderer frei sein Selbst-sein gibt und als Selbst sein Anderer-sein, das Sein des ontologischen Beweises selbst wre, das heißt Gott.« (SN 640; 432 f.) Dieser Versuch muß scheitern. »Im Liebespaar will jeder Objekt sein, in dem sich die Freiheit des Anderen entfremdet.« (SN 657; 444) Das kann nicht gelingen, denn es gibt keine sich begegnende Objektivitt und keine sich begegnende Subjektivitt, auch keinen wechselseitigen Blick. Wenn der Andere mich anblickt, und ich dabei seine Freiheit auf mich gezogen habe, liebt er mich nicht: Als Blick verlangt und bewirkt er meine Entfremdung. Liebt mich der Andere, will er im Grunde nur geliebt werden, das heißt: meine Freiheit in seinen Bann ziehen, aber nicht mich in meiner Kontingenz bejahen und aufnehmen. »Wenn der Andere mich liebt, enttuscht er mich radikal durch seine Liebe selbst: Ich verlangte von ihm, daß er mein Sein als privilegiertes Objekt grndet, indem er sich mir gegenber als reine Subjektivitt behauptet; sobald er mich aber liebt, empfindet er mich als Subjekt und versinkt in seine Objektivitt angesichts meiner Subjektivitt. Das Problem meines Fr-den-Anderen-Seins bleibt also ohne Lsung, die Liebenden verbleiben jeder fr sich in totaler Subjektivitt, … nichts wird ihre Kontingenz aufheben oder sie von ihrer Faktizitt erlsen.« (SN 658; 444) Was aber ist der Sinn dieses Außer-sich-Seins im Anderen? – Das Cogito hatte den Anderen als Einbruch in das Fr-sich erfahren, als absolutes, auf nichts weiter zurckfhrbares Ereignis, ebenso unrckfhrbar wie das Fr-sich. – Schon das Fr-sich war ein Außersich. – Es liegt nahe, in der Abfolge und Radikalisierung der Formen des Außer-Sich (Fr-sich-Sein, Fr-den-Anderen-Sein) eine Linie zu sehen, eine Richtung auf ein bestimmtes Ziel hin, und von daher eine Vermutung anzustellen ber diese Richtung und ihren Sinn, so wie es eine Vermutung ber den Sinn des Fr-sich-Seins gab. Wenn man die Linie vom An-sich-Sein zum Fr-sich-Sein weiter verlngert zum Fr-den-Anderen-Sein, ergibt sich, daß hier der Versuch des Seins, sich zu grnden, seine letzte und radikale Mglichkeit ausspielt: sich zu grnden, aber nicht mehr durch eine innere Nichtung, sondern durch eine Nichtung durch den Anderen oder die Andersheit, eine, in der das Sein ber die einfache Nichtung seiner selbst hinaus eine Art Zweiteilung [»scissiparit«] vornimmt, um 84

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durch das Einholen einer radikaleren, das Fr-sich von sich selbst trennenden Nichtung Grund seiner selbst zu werden. Im Lichte dieser Hypothese werden drei Stufen des Außer-sichSeins, drei Ekstasen deutlich: 10 Die erste bildet einen »ersten Riß«, durch den sich das Bewußtsein unmittelbar konstituiert und durch den das Fr-sich-Sein entsteht. Die zweite ist eine Nichtung dieser unmittelbaren Nichtung selbst, ein »Sich-Losreißen von diesem Sich-Losreißen« (SN 531; 359), womit Distanz zu sich, Reflexion und Freiheit gegeben sind. Diese Nichtung oder Ekstase muß beim Versuch, sich zu grnden, scheitern, »weil ich dazu verdammt bin, diese Nichtung zu sein« (ebd.), ich mich also nicht von ihr lsen kann, um sie zu grnden. Die dritte Nichtung oder Ekstase, das Fr-den-Anderen-Sein, bietet diese Loslsung, ihr aber kann es ebenso wenig gelingen, das Sein zu grnden, und zwar aus dem umgekehrten Grund: Die Loslsung geht zu weit, »weil das Eingeholte nicht das Einholende« (SN 534; 361), die Zweiteilung also zu radikal ist. »Alles verluft so, als ob meine Selbstheit im Angesicht derjenigen des Anderen von einer Totalitt hervorgebracht und aufrechterhalten wrde, die ihre eigene Nichtung zum ußersten triebe; das Fr-den-Anderen-Sein erscheint als die Verlngerung der rein reflexiven Zweiteilung. In diesem Sinne verluft alles so, als ob die Anderen und Ich selbst, als ob wir die vergebliche Anstrengung einer Totalitt der Fr-sich-Seienden darstellten, sich in die Hand zu bekommen.« (Ebd.) – Sartre nimmt damit an, »daß meine Selbstheit und die des Anderen Strukturen ein und derselben Seinstotalitt sind« (ebd.). Diese Totalitt aber muß scheitern bei ihrem Versuch, sich einzuholen, und sie wird »bei ihrer radikalen Anstrengung, sich von sich loszureißen, berall ihr Sein als ihr Anderswo hervorbringen: das Flimmern von An-sich-Sein einer zerbrochenen Totalitt, immer anderswo, immer fern von sich, niemals in sich selbst, dennoch stets im Sein erhalten durch das stndige Aufbrechen dieser Totalitt, das wre das Sein der Anderen und meiner selbst als Anderen«. (SN 535; 361) Es sei hier darauf verzichtet, die schwierig nachzuvollziehenden Ausfhrungen Sartres ber die komplexen Nichtungsvorgnge zwischen dem Fr-sich-Sein und dem Frden-Anderen-Sein nachzuzeichnen; es gengt, die Grundlinien dieses Verhltnisses wiederzugeben (SN 530–537; 358–363).

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Der Andere und Ich wren damit Momente in dem Versuch des Seins, sich zu grnden. – Man kann sagen: Momente des gescheiterten Werdens Gottes. »Alles geht so vor sich, als ob es der Welt, dem Menschen und dem Menschen-in-der-Welt nur gelnge, einen verfehlten Gott zu verwirklichen.« (SN 1064; 717)

§ 7 Das Dasein ist sexuell in seinem Grund »Die Achtung vor der Freiheit des Anderen ist ein leeres Wort« J.-P. Sartre, L’Etre et le Nant

Wo von der Sexualitt die Rede ist, denkt man an einen krperlichen Trieb, der auf geschlechtliche Vereinigung zielt und im Orgasmus seinen Hhepunkt und seine Befriedigung findet. Man kann auch nicht unterschlagen, daß die geschlechtliche Vereinigung ihrer biologische Anlage nach auf die Zeugung neuen Lebens ausgerichtet ist. Diese biologischen Grundtatsachen finden bei Sartre keinerlei Beachtung. Im Rahmen seiner intensiven und breit angelegten Analysen der Sexualitt ist von den krperlichen Vorgngen und Bedrfnissen nirgends die Rede, und daß bei der geschlechtlichen Vereinigung Empfngnis erhofft, erzwungen oder befrchtet wird, ist fr seine Sicht der Dinge ohne Bedeutung. So taucht der Krper nur aus der Sicht der phnomenologischen Analyse der Bewußtseinsvorgnge auf: Objekt kann er nur fr den Anderen sein, als solcher wird er als »wehrlose Gegenstndlichkeit« (EN 516; 349) erfahren, dem Zugriff der Anderen und den Wechselfllen des Milieus ausgesetzt. Fr mein Bewußtsein ist er der Bezugspunkt, der meinen kontingenten, aber in seiner Kontingenz notwendigen Ort in der Welt darstellt. 11 Das heißt: es ist zufllig, daß ich an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit geboren wurde. Diese Zuflligkeit ist aber notwendig, denn sonst wrde es mein Bewußtsein nicht geben. Der Krper als solche kontingente Faktizitt taucht mit mir auf, ohne Rechtfertigung, und erlaubt mir, mein Verhltnis zur Welt einzurichten. (EN 548;371) Der Krper enthllt uns unser ursprngliches Verhltnis zur Welt (vgl. EN 575;389). Als endliches Bewußtsein bersteigen wir zwar die Welt, aber wir berflie»Der Krper ist die kontingente Form, die die Notwendigkeit meiner Kontingenz annimmt.« (EN 391)

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gen sie nicht (vgl. EN 578; 391). Er ist mein »Standpunkt« gegenber der Welt, dem gegenber ich keinen Standpunkt haben kann« (EN 582; 394), weil mein Bewußtsein ihm zu nahe ist, um ihn als Gegenstand erfassen zu knnen. Der Krper als biologische Gegebenheit ist fr Sartre Teil der Welt; die Befriedigung seiner Bedrfnisse im Austausch mit anderen Krpern ist fr die menschliche Wirklichkeit als bewußte Existenz ohne Bedeutung bzw. ausschließlich da von Bedeutung, wo sie gleichsam zum Austragungsort unseres Seinsschicksals, der Kmpfe des Bewußtseins bzw. der Bewußtseinssubjekte um- und untereinander wird. Was den Menschen vom Tier (und von den Dingen) unterscheidet, ist das Fr-sich-Sein, das Grund des Bewußtseins, der Freiheit und alles menschlichen Schicksals ist. – Unser Seinsschicksal ist es, daß wir danach streben mssen, uns zu grnden (s. o. § 6). Dieses versuchen wir, indem wir den Anderen verfhren, um uns seiner Freiheit zu bemchtigen. Damit wren wir die Welt fr den Anderen, unser Dasein wre nicht mehr berzhlig, und wir htten die Definitionsmacht ber uns selbst gewonnen. Der Krper dient uns als Mittel der Verfhrung. »Das sexuelle Verlangen ist der ursprngliche Versuch, mich der freien Subjektivitt des Anderen … zu bemchtigen.« (EN 669; 451) Es ist »ganz und gar Absturz in die Komplizitt mit dem Krper« (EN 678; 457); ich mache mich zum Fleisch in Gegenwart des Anderen, um mich seines Fleisches zu bemchtigen« (SN 680; 458). 12 Er ist der Schauplatz, wo der Kampf der Bewußtseinssubjekte die Formen von Liebe und Haß, Sadismus und Masochismus annimmt. Sartres Desinteresse an der krperlichen Bedrfnisdimension liegt darin begrndet, daß er die menschliche Sexualitt nicht auf der biologischen (des An-sich), sondern auf der Ebene des Fr-sichSeins angesiedelt sieht. In ihr kommt eine Seinsnotwendigkeit zum Tragen, der gegenber die krperlichen Bedrfnisse gleichsam verblassen. Das Dasein als Fr-sich-Sein ist in seinem Grunde sexuell. Der Mensch ist ein geschlechtliches Wesen nicht weil er einen Krper hat, sondern aufgrund einer Daseinsnotwendigkeit. Die Geschlechtsorgane sind gleichsam Mittel bzw. Austragungsort des Kampfes um Selbstgrndung. »Fleisch«, franz. »chair«, ist die bersetzung des biblischen Wortes s€rx und meint den Krper als begehrenden bzw. als Objekt der Begierde.

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»Man wird sich vielleicht wundern, auf der Stufe der primren Haltungen, die lediglich unsere ursprngliche Art manifestieren, ein Phnomen erwhnt zu sehen, das gewhnlich unter den psycho-physischen Reaktionen eingeordnet wird. Fr die meisten Psychologen steht ja die Begierde als Bewußtseinsfaktum in enger Korrelation zur Natur unserer Geschlechtsorgane und lßt sich nur in Verbindung mit einem vertieften Studium dieser Organe verstehen. Da aber die differenzierte Struktur (Sugetier, Lebendgebrender usw.) und mithin die besondere Struktur des Geschlechts (Gebrmutter, Eileiter, Eierstcke usw.) zum Bereich der absoluten Kontingenz gehren und keineswegs zur Ontologie des ›Bewußtseins‹ oder des ›Daseins‹, scheint es fr die sexuelle Begierde auch so zu sein. So wie die Geschlechtsorgane eine kontingente und besondere Ausbildung des Krpers sind, wre auch die ihnen entsprechende Begierde eine kontingente Modalitt unseres psychischen Lebens, das heißt, sie knnte nur auf der Ebene einer auf der Biologie fußenden empirischen Psychologie beschrieben werden. … Deswegen glaubten die Existenzphilosophien sich nicht mit der Sexualitt befassen zu mssen. Heidegger zum Beispiel deutet sie in seiner existentiellen Analytik nicht im mindesten an, so daß sein ›Dasein‹ uns als geschlechtslos erscheint. … Diese Grnde sind nicht absolut berzeugend. Daß der Geschlechtsunterschied zum Bereich der Faktizizt gehrt, geben wir gerade noch zu. Aber muß das bedeuten, daß das ›Fr-sich‹ ›zufllig‹ geschlechtlich ist, und zwar durch die bloße Kontingenz einen solchen Krper zu haben? Knnen wir annehmen, daß diese ungeheure Angelegenheit, die das Geschlechtsleben ist, den menschlichen Daseinsbedingungen bloß hinzukommt? Auf den ersten Blick wird vielmehr deutlich, daß die Begierde und ihre Umkehrung, die sexuelle Abscheu, fundamentale Strukturen des Fr-den-Anderen-Seins ist. … Der Mensch, sagt man, sei ein geschlechtliches Wesen, weil er ein Geschlecht besitzt. Und wenn es umgekehrt wre? Wenn das Geschlecht nur das Instrument und gleichsam das Abbild einer fundamentalen Sexualitt wre? Wenn der Mensch ein Geschlecht nur besße, weil er ursprnglich und fundamental ein geschlechtliches Wesen als ein Wesen ist, das in der Welt in Verbindung mit anderen Menschen existiert?« (EN 669 f., 451 f.) »Sobald es den Krper gibt und den Anderen gibt, reagieren wir mit Begierde, mit Liebe und den Haltungen, die sich von ihnen herleiten. … So knnen wir sagen, daß das Fr-sich-Sein schon in seinem Auftauchen gegenber dem Anderen sexuell ist und daß 88

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durch eben dieses die Sexualitt in die Welt kommt.« (Ebd. 709; 477) So gilt: »Alle komplexen Verhaltensweisen der Menschen gegeneinander sind nur Bereicherungen dieser zwei ursprnglichen Haltungen. … Zweifellos sind die konkreten Verhaltensweisen (Zusammenarbeit, Kampf, Rivalitt, Wetteifer, Engagement, Gehorsam) unendlich viel schwieriger zu beschreiben, … aber sie sind alle wie in ihr Skelett in sexuelle Beziehungen eingeschlossen.« (Ebd. 710; 477) Wir knnen nicht anders, als uns sexuell zu verhalten, daß heißt wir mssen versuchen, durch krperliche Verfhrung die Freiheit des anderen in unseren Besitz zu bekommen. – Wenn dies so ist, schließt Sartre folgerichtig: »Die Achtung vor der Freiheit des Anderen ist ein leeres Wort« (ebd. 714; 480) 13 , und kommentiert dies folgendermaßen: »Wir sind schon im Angesicht des Anderen in die Welt geworfen, unser Auftauchen ist die freie Begrenzung seiner Freiheit, und nichts, nicht einmal der Selbstmord, kann diese ursprngliche Situation verndern, welches auch unsere Handlungen sein mgen, wir fhren sie in der Tat in einer Welt aus, wo es schon den Anderen gibt und wo ich in bezug auf den Anderen berzhlig bin. Aus dieser einzigartigen Situation scheint der Begriff der Schuld und Snde herzurhren. Schuldig bin ich im Angesicht des Anderen. Schuldig zunchst, weil ich unter seinem Blick meine Entfremdung und meine Nacktheit als Niedergang empfinde, die ich auf mich nehmen muß; das ist der Sinn des berhmten ›Sie erkannten, daß sie nackt waren‹ der Heiligen Schrift. Schuldig darber hinaus, wenn ich meinerseits den Anderen anblicke, weil ich ihn eben aufgrund meiner Selbstbehauptung als Objekt und als Instrument konstituiere und ihm diese Entfremdung antue, die er auf sich nehmen muß. So ist die Erbsnde mein Auftauchen in einer Welt, wo es den Anderen gibt, und was auch meine spteren Beziehungen zum Anderen sein werden, sie werden nur Variationen ber das Urthema meiner Schuld sein.« (Ebd. 714 f.; 480 f.)

Das heißt nicht, daß sie nicht geschuldet wre. Wer seine eigene Freiheit um der Freiheit willen bejaht, wird unauthentisch, wenn er die Freiheit des Anderen nicht achtet. (s. Kap. V) Wir haben dies zu tun in allen ffentlichen und privaten Verhltnissen – auch in der Beziehung der Geschlechter, selbst da, wo eine Seinsnotwendigkeit uns treibt, die Freiheit des Anderen in unsere Hand zu bekommen.

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§ 8 Das Wir »Selbst im Inneren seiner Exstasen bleibt der Mensch allein.« (SN 452; 307) Eine menschliche Gemeinschaft im Sinne einer Gegenseitigkeit des Blicks gibt es nicht. Sartre verkennt aber nicht, daß es eine Erfahrung des Wir gibt, nur ist dies eine sekundre, von außen hervorgerufene, keineswegs eine ursprngliche. Das Wir hat keine tragende Kraft im Verhltnis von Mensch zu Mensch. (SN 721 f.; 485) Die Erfahrung des Wir ist eine doppelte: die des Wir als Subjekt und die des Wir als Objekt. Beide sind von sehr unterschiedlicher Art und daher getrennt zu betrachten. Das Wir als Objekt Der kollektive Arbeitsprozeß stellt fr Sartre einen Fall des Wir-Objekts dar: »Wenn mehrere Personen sich von einem Dritten wahrgenommen fhlen, whrend sie gemeinsam an ein und demselben Gegenstand arbeiten, verweist der Sinn des hergestellten Objekts selbst auf die arbeitende Kollektivitt als auf ein Wir. Die Geste, die ich mache, und die durch die zu fertigende Montage gefordert ist, hat nur Sinn, wenn ihr eine entsprechende Geste eines Nachbarn vorausgeht, und wenn ihr eine entsprechende Geste eines anderen Arbeiters folgt … Die Anforderungen des Gegenstandes selbst verweisen … auf das Wir-Objekt der Arbeiter. Wir erfahren uns somit als erfaßt als Wir durch einen zu ›schaffenden‹ materiellen Gegenstand hindurch.« (SN 730; 491) – Der materielle Gegenstand schafft aber nur den Anlaß der Wir-Erfahrung, hervorrufen kann er sie als schlichter Gegenstand nicht. Als Wir erfhrt sich das Arbeitsteam durch den Blick des Dritten, des Werkmeisters z. B., der den Arbeitsprozeß leitet und kontrolliert. Seine Prsenz schafft erst und allein das Solidarittsgefhl, das bei den Arbeitern ein Wir hervorruft. »Man darf nicht aus dem Blick verlieren, daß jede menschliche Situation, die Einsatz inmitten der Anderen ist, als Wir erfahren wird, sobald der Dritte auftaucht.« (Ebd.) – Wenn das Wir wegen fehlender Wechselseitigkeit des Blicks nicht aus dem Verhltnis zum Anderen, auch nicht aus dem gegenstndlichen Bezug allein kommen kann, dann kann es nur von einem außenstehenden menschlichen Subjekt kommen, eben dem Dritten. Der Werkmeister als der Dritte ruft bei den Arbeitern 90

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von außen her eine Solidarisierung hervor, die ihnen innerlich durchaus widerstreben mag, denn persnlich kann das Verhltnis derer, die da zusammenarbeiten, sehr gespannt und von manchen Rivalitten getragen sein. Die vom Dritten hervorgerufene Solidaritt ist somit eine, die uns innerlich fremd bleibt. »Man muß nmlich begreifen, daß die Zugehrigkeit zum Wir-Objekt ursprnglich als noch viel radikalere Entfremdung des Fr-sich empfunden wird, weil dieses nicht nur gezwungen ist, das auf sich zu nehmen, was es fr den Anderen ist, sondern dazu noch eine Totalitt, die es nicht ist, obwohl es deren integrierender Bestandteil ist. In diesem Sinne ist das Wir der brske Beweis der menschlichen Grundsituation als einbezogen inmitten der Anderen …« (SN 729; 490) Ob wir wollen oder nicht, die Gesellschaft, in der wir freiwillig oder gezwungenermaßen leben, faßt uns vielfltig zu Objekt-Gemeinschaften zusammen, die ein Wir-Gefhl oder auch eine Solidaritt zu Menschen erzeugen, denen wir berhaupt nicht nahestehen, und die wir vielleicht persnlich gar nicht leiden knnen. Kollegen desselben Berufsstandes z. B. halten zusammen gegenber Instanzen, die sie als Dritte insgesamt in Frage stellen, auch wenn unter ihnen Neid und Eiferschteleien vorherrschen. Auch das ist eine Notwendigkeit, der wir unterworfen sind. Fr Sartre tritt dieses aufgentigte Wir-Gefhl am deutlichsten im gesellschaftlichen Klassenbewußtsein auf, wenn man eine Gesellschaft als geteilt betrachtet in Unterdrckte und Unterdrcker. »Die oberste Tatsache ist, daß das Mitglied einer unterdrckten Kollektivitt, das als einfache Person in fundamentale Konflikte mit anderen Mitgliedern dieser Kollektivitt verwickelt ist (Liebe, Haß, Interessenrivalitt usw.), seine Lebensbedingungen und die der anderen Mitglieder dieser Kollektivitt als angeblickt und gedacht durch Bewußtseinstrger versteht, die ihm entgleiten. Der ›Herr‹ oder der ›Feudalherr‹, der ›Brger‹ oder der ›Kapitalist‹ erscheinen nicht nur als Mchte, die befehlen, sondern auch und vor allem als die Dritten, das heißt als die, die außerhalb der unterdrckten Gemeinschaft stehen und fr die diese Gemeinschaft besteht. Fr sie also und in ihrer Freiheit wird die Realitt der unterdrckten Klasse existieren. Sie lassen diese durch ihren Blick entstehen. Fr sie und durch sie enthllt sich die Identitt meiner Lebensbedingungen und die der anderen Unterdrckten; fr sie existiere ich in einer organisierten Situation mit anderen … Das bedeutet, daß ich das Wir, in dem ich integriert bin, oder ›die Klasse‹ außerhalb entdecke, in dem Blick des Dritten, und diese kollektive A

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Entfremdung nehme ich auf mich, indem ich ›wir‹ sage.« (SN 732 f.; 492 f.) »Wir sind nur wir im Auge der Anderen.« (SN 735; 494) Das Wir als Subjekt Ebenso von außen konstituiert ist die Erfahrung des Wir als Subjekt. – Wer die Pariser Metro kennt – oder eine der anderen großen Untergrundbahnen der Welt –, fr den ist ohne Schwierigkeiten nachvollziehbar, was Sartre meint: Zu den Hauptverkehrszeiten strmen große Menschenmassen durch die Gnge zwischen den Stationen, bewegen sich mit gleicher Geschwindigkeit und im selben Rhythmus auf diesen oder jenen Bahnsteig zu, teilen sich und laufen mit anderen Bewegungen wieder zusammen. Was diese Strme eint, ist nicht ein innerer Wille zur Gemeinsamkeit, sondern eine ußere, von der Anlage der Metro und der Lage der Wohnzentren her vorgegebene Zielsetzung: Um von der Station Trocadero nach Svres-Babylone zu kommen, muß »man« in La Motte-Picquet umsteigen. (SN 737 f.; 496) Keine Wechselseitigkeit des Blicks, keine von innen her kommende Identifikation verbindet diese Menschenstrme. »In diesem Sinne verlieren wir unsere reale Individualitt, denn der Entwurf, der wir sind, ist genau der Entwurf, der die Anderen sind. In diesem Flur der Untergrundbahn gibt es nur ein und denselben Entwurf, seit langem in die Materie eingeschrieben, und in den eine lebendige und undifferenzierte Transzendenz einstrmt. In dem Maße, in dem ich mich in der Einsamkeit als eine irgendbeliebige Transzendenz verwirkliche [als solche bin ich als Individuum in der Masse jederzeit austauschbar; alle transzendieren diesen Gang auf dasselbe Ziel hin – J. H.], … habe ich nur die Erfahrung des Undifferenziert-Seins; … da verwirkliche ich meinen Entwurf als einen unter tausend identischen Entwrfen, die von einer gleichen undifferenzierten Transzendenz entworfen wurden, da mache ich die Erfahrung einer gemeinsamen, auf ein einziges Ziel hin gerichteten Transzendenz, von der ich nur eine kurzlebige Besonderung bin. Ich reihe mich in den großen menschlichen Strom ein, der unermdlich und seit es die Metro gibt, durch die Gnge der Station ›La Motte-Picquet‹ fließt. Aber man muß festhalten: 1. daß diese Erfahrung psychologischer Art ist und nicht ontologischer. Sie entspricht in keiner Weise einer wirklichen Vereinigung der in Betracht kommenden Fr-sich-Seienden. 92

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Sie entspringt auch nicht aus einer unmittelbaren Heimsuchung ihrer Transzendenz als solcher (wie im Erblicktwerden), sie wird vielmehr angeregt durch die doppelte objektivierende Wahrnehmung des gemeinsam transzendierten Objekts [der Metrognge – J. H.], und der Krper, die den meinen umgeben. Insbesondere die Tatsache, daß ich mit den anderen in einem gemeinsamen Rhythmus verbunden bin, zu dessen Entstehen ich beitrage, ist ein besonders stark auslsendes Motiv fr die Erfassung meiner als einbegriffen in einem Wir-Subjekt.« (Ebd.) »Es handelt sich nur um eine Weise, mich inmitten der Anderen zu fhlen. Und zweifellos kann diese Erfahrung als Symbol der absoluten und metaphysischen Einheit aller Transzendenzen gesucht werden; es scheint nmlich, daß sie den ursprnglichen Konflikt der Transzendenzen unterdrckt, indem sie diese zur Welt hin konvergieren lßt; in diesem Sinne wre das ideale Wir-Subjekt das Wir einer Menschheit, die sich zur Herrin ber die Erde machte. Aber die Erfahrung des Wir verbleibt auf dem Boden der Individualpsychologie und ist auch weiterhin nur ein einfaches Symbol der wnschenswerten Einheit der Transzendenzen; … die Subjektivitten bleiben unerreichbar und radikal voneinander getrennt.« (SN 740; 497 f.) Aus alldem ergibt sich: Das Wir ist eine von außen konstituierte, rein psychologische, unauthentische Erfahrung; diese vermag die ontologischen Aussagen ber das Scheitern der Zwischenmenschlichkeit nicht außer Kraft zu setzen. Das Wesen der Beziehungen zwischen den Bewußtseinssubjekten ist nicht das Mitsein, es ist der Konflikt.

§ 9 Die Freiheit und der Koeffizient des Widerstands der Dinge 14 In den 1981 erschienenen Gesprchen mit Jean-Paul Sartre hlt Simone de Beauvoir diesem vor: »Ihre Konzeption der Freiheit ist im Grunde die stoische Freiheit: was nicht von uns abhngt, hat keine Bedeutung, und was von uns abhngt, ist die Freiheit; man ist also frei in jeder Situation.« (ZA 451; 445) Auf dem Hintergrund der Sartreschen Analyse von Sein und 14

»le coefficient d’adversit des choses« (SN 834; 562). A

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Nichts ist diese Bemerkung durchaus einsichtig: Der Mensch teilt mit allen Seienden die fundamentale Kontingenz des An-sich-Seins, er kann sich nicht selbst grnden. So kann er seine Position in der Welt nicht whlen (SN 179 f.; 126 f.), er findet sich vor. Das geht zum Beispiel einem Hund genauso. Die eigentlich menschliche Wirklichkeit beginnt erst mit der Nichtung, die den Menschen dazu befhigt, eine bewußte Einstellung zu sich selbst zu haben. Diese bewußte Einstellung ist selbst gewhlt, also frei. So kann – noch einmal – der Mensch etwa die ihm angeborene konstitutionelle Schwche bejahen. Dann wird diese zu seinem »Wesen«, und sie wird zur Grundlage seiner Einstellungen und Handlungen. Er kann sie aber auch ablehnen und beispielsweise durch intellektuelles Schaffen zu kompensieren versuchen. Darin liegt seine Freiheit. Aus der Welt schaffen kann er diese konstitutionelle Schwche nicht, aber als solche ist sie bedeutungslos. Menschlich bedeutsam wird sie erst durch die bewußte Hineinnahme in einen gewhlten Lebensentwurf, und auch nur durch ihn, innerhalb seiner, wird sie als Grenze erfahren, wenn ich nmlich etwas tun will, wozu die physischen Krfte nicht ausreichen. Sartre bejaht folglich in den zitierten Gesprchen und przisiert: »Die Freiheit und das Bewußtsein, das war fr mich dasselbe. Sehen und Freisein, das war dasselbe. Weil es sich nicht um Gegebenes handelte; indem ich es selbst erlebte, schuf ich Wirklichkeit daraus.« (ZA 451; 445) Und Sartre fgt hinzu: »Aber alle meine Handlungen waren nicht frei.« Ist es dann nicht so, daß der Mensch bzw. die menschliche Wirklichkeit nur in der Beobachtung seiner selbst bestnde, in einer freien zwar, in einer engagierten und bewußt reflektierenden, wie der Zuschauer im Parkett, der reagieren, die Schauspieler verunsichern oder durch Beifall ermutigen, den Ablauf des Geschehens auf der Bhne aber nicht wirklich beeinflussen kann? Ist der Mensch nur frei als Zuschauer seines Tuns? Es sieht fast so aus, denn woher soll die Freiheit als reines Nichts (»Die Freiheit fllt mit dem Nichts zusammen, das im Herzen der Menschen ist«) (SN 765; 516) die Kraft nehmen, von sich aus Bewegung in das An-sich-Sein zu bringen und hier die Dinge wirklich zu gestalten? Wenn Freiheit aber mehr bedeutet als die bloße Wahl einer bewußten Einstellung zu dem, was in mir und um mich herum ohnehin geschieht, dann muß sie in irgendeiner Weise Orientierungen – Ziele – setzen und im Bereich des An-sich-Seins auch verwirklichen kn94

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nen. Sie muß aus irgendeiner Quelle auch die Dynamik der Zielsetzung und die Kraft der Verwirklichung schpfen. Orientierung und Zielsetzung mssen einmal nach außen hin mglich sein, also gegenber den Dingen bzw. der Welt, dann aber auch nach innen, gegenber dem Ich (als Teil dieser Welt), das heißt gegenber der Gesamtheit dessen, was ich als bio-soziales Bndel bin. Der ußere Widerstand der Dinge »Kann ich whlen, groß zu sein, wenn ich klein bin? Zwei Arme zu haben, wenn ich einarmig bin?« (SN 833; 651) Natrlich nicht, und Sartre sagt mit aller Deutlichkeit, daß Freiheit nicht bedeutet, stets erreichen zu knnen, was man will. Dies ist ein gewhnlicher Begriff von Freiheit, nicht der technische der Philosophie (SN 836; 563). »Ich bin weder frei, dem Schicksal meiner Klasse, meiner Nation, meiner Familie zu entrinnen, noch auch, mir Einfluß und Vermgen aufzubauen oder meine harmlosesten Bedrfnisse bzw. Gewohnheiten zu besiegen. Ich werde als Arbeiter, als Franzose geboren, mit ererbter Syphilis oder Tuberkulose.« (SN 833; 561) Solche elementaren Einsichten zu verleugnen, wrde von einem gestrten Realittssinn zeugen. Dies ist Sartre fremd. – Aber diese Einsichten haben »die Vertreter der menschlichen Freiheit nie tiefer verunsichert. Descartes erkannte als erster, daß zugleich der Wille unendlich ist und man versuchen muß, ›mehr uns selbst als das Schicksal zu besiegen‹.« (SN 834; 562) Die Dinge sind an sich, was sie sind, und daran kann die Freiheit nichts ndern. Sie sind nicht in idealistischer Manier durch das Bewußtsein konstituiert. »Der Entwurf meiner Freiheit fgt den Dingen nichts hinzu.« (SN 878; 591) »Wenn ich berhaupt etwas tun knnen soll, muß ich meine Handlung auf Wesen hin ausben, deren Existenz unabhngig von meiner Existenz im allgemeinen und meiner Handlung im besonderen ist.« (SN 874; 588) Ein Felsblock zum Beispiel, der mir im Wege steht, hat ein gewisses Gewicht, und von einer bestimmten Grße an kann der Mensch ihn nicht mehr hinwegheben, er kann ihn auch nicht erfolgreich ›hinwegwnschen‹. Aber: Dieser »Koeffizient des Widerstands der Dinge insbesondere kann kein Argument gegen unsere Freiheit sein, denn nur durch uns, d. h. durch das vorgngige Setzen eines Zieles taucht dieser KoeffiA

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zient auf. Jener Felsblock, der einen massiven Widerstand zeigt, wenn ich ihn beiseite schaffen will, wird andererseits aber eine wertvolle Hilfe sein, wenn ich hinaufklettern will, um die Landschaft zu betrachten. In sich selbst … ist er neutral, das heißt: er wartet darauf, im Lichte eines Zieles zu erscheinen, um sich als Gegner oder als Hilfe zu offenbaren.« (SN 834; 562) Klarer kann ein Beispiel nicht sein: Der Felsblock bedeutet an sich berhaupt keine Einschrnkung meiner Freiheit. Er ist ihr gegenber indifferent. Erst und allein von einer bestimmten, von mir gewhlten Zielsetzung her gewinnen seine Grße, seine Lage und Gewicht Bedeutung. – Will ich einen Berg besteigen, stellen z. B. die zweitausend Meter bis zum Gipfel und der Neigungswinkel der Hnge ein massives Hindernis dar. Will ich nur betrachten, bereiten diese Grßenordnungen sthetischen Genuß. – So kann Sartre sagen: »Unsere Freiheit muß zuvor den Rahmen, die Technik und die Ziele schaffen, denen gegenber sie [sc. die Dinge – J. H.] sich als Grenzen enthllen … Unsere Freiheit konstituiert also die Grenzen, auf die sie nachher trifft.« (Ebd.) Der Koeffizient des Widerstands der Dinge hngt somit von meiner freien Zielsetzung ab; an sich beschrnken die Dinge meine Freiheit nicht. Aber liegen darin nicht ein gewisser Selbstbetrug oder ein Stck Realittsverleugnung? Sicher, wenn ich eine Felswand nur betrachten will, anstatt sie zu besteigen, ist sie nichts, was meine Freiheit beeintrchtigt. Und wenn jemand nicht gehen will, hindern ihn die schmerzenden Fße nicht. Aber ohne hin und wieder zu gehen, kommt man schlecht durchs Leben. – Es gibt eben Ziele, die ich nicht frei whlen, von denen ich dennoch nicht ablassen kann: Essen, Trinken, Arbeiten (fr die Mehrzahl der Menschen), und diesen Zielen stehen dann unausweichliche Grenzen gegenber (Mißernten, Krankheit, soziales Elend, Arbeitslosigkeit), denen der Mensch nicht durch Wechsel der Zielsetzung entgehen kann, und die nicht selten existenzbedrohend sind. Das Drama unseres Lebens spielt sich in der Regel zwischen diesen notwendigen Zielen und den sich ihnen entgegenstellenden Koeffizienten des Widerstands der Dinge ab. – Wie stark und wie umfassend dieser Widerstand ist, haben wir nicht immer in der Hand. Solange die materiellen und sozialen Verhltnisse ertrglich sind, in denen wir leben, erledigen sich die notwendigen Dinge von 96

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selbst, da der Widerstand gering ist. Sie spielen dann in unserem Wollen und Planen, in unseren bewußten Lebensentwrfen kaum eine Rolle. Das Bewußtsein erscheint einigermaßen frei, zu wollen, was es will, frei, gleichsam aus Laune heraus zu wollen. (Dies ist die gewhnliche – und illusionre – Vorstellung von Freiheit.) Doch es ist nicht immer so, daß wir den Eindruck haben, tun zu knnen, was wir wollen, und auch dann wre noch zu prfen, wieviel Illusion darin steckt (s. u. § 9). Mehr oder weniger – frher oder spter, zerschellt dieser Traum, wollen und tun zu knnen, was man will, am inneren und ußeren Widerstand der Dinge, bis hin zur Not, wo der Widerstand gegen das, was wir wollen mssen, sich so auftrmt, daß die Sorge darum unser Bewußtsein ausfllt und unser Handeln verbiegt in eine Richtung, die wir nicht gewollt haben. Das bersieht Sartre keineswegs. In der Kritik der dialektischen Vernunft entwickelt er seine an Marx orientierte Entfremdungstheorie, die diese Erfahrung der Umbiegung des Wollens durch den Widerstand der Dinge zum Ausgangspunkt hat (s. u. Kap. IV). Der Essay von 1946 Ist der Existentialismus ein Humanismus? nennt die Grenzen bzw. Notwendigkeiten, die der menschlichen Existenz unausweichlich vorgegeben sind: »In der Welt sein, darin an der Arbeit, inmitten der Anderen und sterblich sein.« (166; 68) Diese Notwendigkeiten knnen zur Not werden, das braucht nicht eigens begrndet zu werden. Wie stimmen solche Einsichten aber mit der stets wiederkehrenden Aussage zusammen, »daß wir fr unsere Freiheit keine andere Grenze als sie selbst finden knnen« (SN 764; 515)? – Sartres Aussagen werden schlssig, wenn man den zugrundegelegten Begriff der Freiheit und das, was er einschließt bzw. ausschließt, klar im Blick hat. Sartre selbst weist darauf hin: »Es muß darber hinaus entgegen allgemeinen Vorstellungen festgehalten werden, daß ›frei sein‹ nicht meint ›erreichen, was man gewollt hat‹, sondern ›sich zum Wollen entschließen‹ (im weiten Sinne von whlen). Anders gesagt, der Erfolg hat keinerlei Bedeutung fr die Freiheit. Die Diskussion, die den Philosophen die allgemeine Vorstellung entgegenhlt, resultiert hier aus einem Mißverstndnis: der empirische und volkstmliche Begriff der ›Freiheit‹, aus historischen, politischen und moralischen Gegebenheiten hervorgegangen, ist gleichbedeutend mit ›Fhigkeit, die gewhlten Ziele zu erreichen‹. Der technische und philosophische Begriff der Freiheit, den wir hier ausschließlich betrachten, bedeutet nur: Autonomie der Wahl.« (SN 836; 563) A

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Die Freiheit ist »der Stoff meines Seins« (SN 762; 514), diese Aussage im empirisch erhebbaren Sinn unserer Wnsche zu verstehen, hieße, Sartres Philosophie zur Artikulation unserer Sehnschte und Illusionen zu machen, und ihr zugleich eine vllige Realittsferne zuzuerkennen. – Daß die condition humaine uns fr gewhnlich sehr enge Grenzen in bezug auf unsere realen Mglichkeiten setzt, war Sartre nicht unbekannt. Sich dieser Einsicht nicht zu stellen, ist pubertr, keineswegs ›existentialistisch‹. Der »Stoff meines Seins« ist keineswegs eine beliebig verfgbare Gestaltungsmasse, die ich nach meinem Gutdnken modellieren kann; an sozialen Zwngen, an physischen und psychischen Vorgegebenheiten komme ich nicht vorbei. »So sagen wir nicht, daß der Gefangene stets frei ist, das Gefngnis zu verlassen, das wre absurd, oder daß es ihm stets freisteht, seine Freilassung zu wnschen, das wre eine Binsenweisheit ohne Bedeutung.« (SN 837; 564) »Gewiß bleibt bei allem ein unnennbares und undenkbares Residuum, das zum An-sich gehrt.« (SN 834 f.; 562) Aber dieser Rest (der recht groß sein kann, z. B. fr den Gefangenen) determiniert das Bewußtsein nicht. Dieses ist kein Epiphnomen, keine Resultante innerer (psychophysischer) oder ußerer (sozialer) Kausalketten. Das Bewußtsein entspringt spontan: In dieser Spontaneitt bezieht es frei Stellung zum Gegebenen. Das meint der »technische und philosophische Begriff der Freiheit«. Dieser lst sich von Illusionen, schließt aber das Bewußtsein nicht ein in die Rolle eines ohnmchtigen Zuschauers, als ob ihm nur ein resignierendes Abwhlen des unerreichbaren Zieles bliebe wie dem hungrigen Fuchs in der alten Fabel: Weil die Trauben fr ihn zu hoch hngen, betrachtet er sie als ungenießbar und wendet sich ab; so entgeht er der Krnkung, nicht erreicht zu haben, was er wollte. – Auch das wre eine illusionre Freiheit. Der Gefangene hat nicht stets die Mglichkeit, aus dem Gefngnis zu fliehen, und dem Kleinwchsigen hilft es nicht, sich groß zu wnschen. Aber beide haben gegenber ihrer Existenz eine bewußte Wahl zu vollziehen, und diese ist fr ihre reale Situation und ihre Zukunft nicht folgenlos. Der Gefangene kann angesichts der Mauern, die ihn einschließen, resignieren, sich mit dieser Situation abfinden. Dann wird er auch keine Mglichkeit suchen, ihr zu entkommen, und sie auch nicht finden. Er wird innerlich eine lhmende Bitterkeit empfinden, die ihm eines Tages die physische und psychische Kraft rauben wird, einen neuen Weg zu gehen, wenn sich fr 98

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ihn die Tore ffnen. Er kann aber auch die Mauern innerlich nicht hinnehmen. Er wird dann stets die Mglichkeit suchen, zu entkommen (sie vielleicht finden) und zugleich die physischen und psychischen Krfte des Widerstands wachhalten, die ihm eines Tages einen neuen Anfang mglich machen. So hat die bewußte Wahl durchaus ihren Niederschlag in der Realitt, auch wenn sie selbst nicht direkt eine neue Wirklichkeit schafft. In diesem Sinne ist auch der Gefangene frei: nicht die Umstnde, er selbst bestimmt, welche Folgen die gegebene Situation fr ihn und seine Zukunft hat. Allerdings: Sich aus dem Gefngnis erfolgreich herauswnschen kann er nicht; das wrde bedeuten, daß er seine Kontingenz aufheben knnte. Das aber wre illusionre Wirklichkeit. »Wenn es gengte, sich etwas auszudenken, um es zu verwirklichen, dann wre ich in eine Welt eingetaucht, die der des Traumes hnelt, wo sich das Mgliche berhaupt nicht mehr vom Wirklichen unterscheidet.« (SN 835; 562) Es gbe kein Dasein und kein Handeln in der Welt. Das Bewußtsein wre reiner, illusionrer, in sich verschlossener Selbstbezug. »Daher sind die Widerstnde, die die Freiheit im Existierenden enthllt, keineswegs eine Gefahr fr die Freiheit, sie erlauben ihr nur, als Freiheit aufzutauchen. Ein freies Fr-sich kann es nur geben als eingebunden in die Weit, die widersteht. Außerhalb dieses Eingebundenseins verlieren die Begriffe von Freiheit, Determinismus, Notwendigkeit bis aufs letzte ihren Sinn.« (SN 836; 563) – Allein im Spannungsverhltnis zwischen dem gewollten Ziel und dem im Lichte dieses Ziels auftauchenden Widerstand der Dinge, in der Anstrengung, sich diesem Widerstand zu stellen und ihn zu berwinden, werden Freiheit und Notwendigkeit zur Realitt und zu erfahrbaren Grßen und bekommen die Dinge berhaupt Bedeutung. – Kleinwchsigkeit ist an sich etwas Neutrales. Im Vergleich mit anderen aber und innerhalb eines gewissen Ideals von Mnnlichkeit fhrt sie zum Komplex, wenn jemand sich mit diesem Ideal identifiziert. In Gefahrensituationen hingegen kann sie sehr hilfreich sein, etwa wenn sie es leichter macht, sich zu ducken und zu entkommen. So sind die Dinge gegenber dem freien Entwurf im Grunde neutral – aber doch nicht ganz. Je nach den gegebenen Umstnden kann das An-sich zur Rettung werden oder zum Abgrund. »Jeder freie Entwurf rechnet, sich entwerfend, die Zone der Nicht-Voraussagbarkeit mit ein, die der Unabhngigkeit der Dinge zu verdanken ist.« (SN 875; 588) A

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Der innere Widerstand der Dinge »Die Freiheit ist Stoff meines Seins.« – Auch nach innen hin meint das nicht, daß wir so sein oder uns so formen knnen, wie wir wollen. An sich sind wir ein bio-soziales Bndel von ererbten und erworbenen Eigenschaften und Verhaltensweisen, das zur unaufhebbaren Kontingenz unseres Daseins gehrt. In welcher Weise und inwieweit sind wir dem gegenber frei? »Eine ziemlich verbreitete Tendenz geht dahin, … die freien Handlungen den Willensakten zuzurechnen, und die deterministische Erklrung der Welt den Leidenschaften vorzubehalten. Das ist insgesamt der Standpunkt Descartes’.« (SN 766; 517) Sartre teilt diesen Standpunkt nicht, denn aus diesem wrde folgen, daß der Mensch zerfiele in einen Bereich, in dem der Wille voraussetzungslos und beliebig schalten und walten, wo er gleichsam machen knnte, was er wollte, und in einen anderen, wo die Leidenschaften bzw. Affekte ein Eigenleben fhren und eine unkontrollierte Eigendynamik entfalten. »Die menschliche Wirklichkeit erscheint demnach als ein freies Vermgen, das von einer Gesamtheit determinierter Prozesse umlagert wird.« (Ebd.) Eine andere Lsung bestnde darin, daß man annimmt, daß der freie Wille in die gesetzmßig verknpften Ablufe eingreifen kann. – Aber wie soll das mglich sein? Kann der Wille ndern, was an sich ist, also eine empirische Tatsache, ein Gefhl, per Beschluß annullieren? Kann der Wille als reine, unbestimmte Spontaneitt das Gesetz affektiver Ablufe vorgeben? Kann der Wille, wenn er etwas anderes ist als ein physiologischer Prozeß, einen solchen ursprnglich hervorrufen? »Wenn die Hand greifen kann, dann weil sie ergriffen werden kann«, sagt Sartre (SN 767; 517 f.). Ein freier Wille kann nur verstanden werden als Negation, als Absetzung von affektiven bzw. physiologischen Prozessen. Was sich absetzt, kann aber nicht urschlich eingreifen (SN 768; 518). Der Wille als reine Spontaneitt ist nicht aus dem ›Stoff‹ gemacht, der auf den ›Stoff‹ der Affekte wirken kann. Sartre sieht nur einen einzigen Weg, die Einheit des Psychischen und damit die Geschlossenheit menschlichen Verhaltens und Handelns theoretisch zu fassen: Die Gesamtheit des Psychischen, also auch die Leidenschaften und Affekte, muß das Moment der Negation und damit der Freiheit enthalten. »Ist der Affekt nicht zunchst Entwurf und Unternehmung, statuiert er nicht genau einen Zustand der Dinge als unertrglich und ist er nicht aufgrund dieser Tatsache 100

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gezwungen, Abstand zu diesem Zustand zu nehmen und ihn zu nichten, indem er ihn von der Umgebung abtrennt und ihn im Lichte eines Ziels betrachtet, d. h. eines Nicht-Seins? Und hat der Affekt nicht seine eigenen Ziele, die genau in dem Moment erkannt werden, wo er sie als nicht existierend setzt? Und wenn die Nichtung genau das Sein der Freiheit ist, wie kann man den Affekten die Autonomie absprechen und sie dem Willen zusprechen?« (SN 769; 519) Die Struktur des Fr-sich-Seins als Nichtung von etwas Gegebenem will Sartre auch im Affekt entdecken. Als solcher negiert dieser gleichsam einen Ist-Zustand und verwirft die Ausgangssituation als eine zu berwindende. Ob diese Betrachtungsweise zu berzeugen vermag, soll letztlich dahingestellt bleiben. In dieser Form lßt sich eine Struktur der Negation auch im vegetativen Bereich feststellen: Die Pflanze, die ihre Bltter zum Licht hinwendet, negiert einen bestimmten Zustand als unertrglich um eines bestimmten Zieles (der Photosynthese) willen. Dennoch wird niemand der Pflanze Autonomie zusprechen wollen. Autonomie besagt: der Ursprung eines Vorgangs zu sein. Diese Definition lßt sich auf das Bewußtsein schlssig anwenden, denn es ist reine Spontaneitt. Der Affekt aber ist keine reine Spontaneitt, die Liebe hat ihre Grundlage in einem biologischen Trieb, sie zielt in ihrer geschlechtlichen Form auf einen festgelegten organischen Vorgang mit einer bestimmten physiologischen Befriedigung. Hier gibt der biologische Rahmen das Ziel vor und schafft den Reiz zur Auslsung. Nicht der Affekt schafft das Ziel, Affekte sind eher reaktiv als spontan. Sartres Position ist nur nachvollziehbar, wenn man in den Affekten ausschließlich reine Bewußtseinsphnomene nicht reflexiver Art sieht und ihre physiologischen Grundlagen ausklammert. Das kann Sartre hier tun, weil es ihm um eine formale Untersuchung geht, die den ontologischen Status der Affekte erfassen will. In diesem Falle lßt sich sagen: Der physiologische Anteil des Affektes (der Trieb nach geschlechtlicher Befriedigung) gehrt zum An-sich-Sein. Der bewußte (deswegen aber nicht reflexe) Anteil entspringt negierend in diesem und gibt ihm eine autonome Zielsetzung: in der Liebe z. B. die Unterwerfung der Freiheit des Anderen. Das eigentlich psychophysische Problem, wie Bewußtsein und Leib, Freiheit und physiologische Gesetzmßigkeit ineinandergreifen, ist auch hier nicht gelst (ebensowenig wie anderswo), es wird nur verlagert auf die A

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Ebene der Affekte. Zwischen der Autonomie der Zielsetzung durch das Bewußtsein und der Zielgerichtetheit physiologischer Prozesse klafft ein Abgrund, der An-sich-Sein und Fr-sich-Sein unberwindlich trennt. Fr Sartre sind Wille und Affekte zwei quasi gleichberechtigte, miteinander konkurrierende Ausdrucksformen, beide aber nicht die ursprngliche Freiheit selbst. Ihrem Ursprung nach liegt die Freiheit hinter beiden bzw. liegt sie beiden zugrunde als Akt der Nichtung, durch den das Fr-sich-Sein entspringt. Die ursprngliche Freiheit hat ihre innere, ontologisch vorgegebene, nicht zur Disposition stehende Finalitt: An-und-fr-sich-Sein bzw. Gott sein zu wollen. Im Handeln bzw. in den zu ttigenden Entscheidungen des Lebens nimmt diese Zielverfolgung konkrete Gestalt an: Sie wird entweder Wille oder Affekt. »Der Wille setzt sich in der Tat als reflektierte Entscheidung in bezug auf bestimmte Ziele. Aber diese Ziele schafft er nicht selber. Er ist vielmehr eine Seinsweise in bezug auf diese: er ordnet an, daß die Verfolgung dieser Ziele reflektiert und berlegt sein wird. Der Affekt kann dieselben Ziele setzen.« (SN 769; 519) – Die Wahl zwischen beiden Formen fllt in der jeweils konkreten Situation der Freiheit selber zu – ansonsten wre sie fremdbestimmt. Sartre tritt hiermit einer gelufigen Annahme entgegen, dergemß ein freier, bewußt entscheidender Wille blinden Affekten gegenbersteht. Dem Willen bliebe dann nur die Kapitulation vor der Eigendynamik der Affekte oder der Versuch, durch einen asketischen Kraftakt (mit welchen Mitteln?) die Affekte auszuschalten und im Handeln und Verhalten rationalen Entscheidungen zu folgen. Sartre nennt diese Annahme einen »psychologischen Manichimus« (SN 772; 521). Nicht nur der christlichen Ethik, auch einer skularisierten Vernunftmoral sind solche Zge nicht fremd. Eine solche Moral muß, wenn Sartres berlegungen richtig sind, dazu fhren, daß wir mit uns selbst nicht zurechtkommen. Denn einerseits gibt es die Erfahrung, daß unser konkretes, bewußtes Wollen so selbstndig gar nicht agiert, daß es vielmehr an tieferliegende Einstellungen gebunden ist, die nicht zur Disposition stehen, sondern die Richtung des Wollens bereits vorgeben (s. u. § 9): Wenn wir berlegen, was wir wollen, spren wir oft dunkel, daß die Entscheidung bereits gefallen ist. Im konkreten Handeln erscheint deshalb unsere Verantwortung zugleich weiter und begrenzter, als man zunchst annehmen mchte. Die Ad-hoc-Entscheidung in der konkreten Situation ist gar nicht die Ursache unserer Tat, auf die die ganze Verantwortung fiele. Eine vor102

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ausliegende Grundhaltung bestimmt sie letztlich, und fr sie tragen wir die Verantwortung, weil sie eins mit unserer Freiheit ist. So reicht die Verantwortung fr unsere Taten oft sehr weit zurck. Andererseits gibt es auch die Erfahrung, daß unser affektives Verhalten so unfrei und damit so entschuldbar nicht war, daß wir schon etwas dafr knnen, geliebt oder gehaßt zu haben, und zwar in einem ursprnglichen Sinn und nicht nur, weil wir der Liebe oder dem Haß keinen bewußten Widerstand entgegengesetzt haben. – Diesen Erfahrungen vermag Sartres Verhltnisbestimmung von Freiheit, Wille und Affekt Rechnung zu tragen. »Auf die eine wie auf die andere Weise ist es [sc. das Fr-sich – J. H.] verantwortlich … Es erscheint … als der freie Grund seiner Gefhle ebenso wie seiner Willensakte.« (SN 773; 521) Wenn auch der Wille seinem Wesen nach reflexiv ist, besteht seine Aufgabe doch nicht darin, im Grundsatz zu entscheiden, welches Ziel zu erreichen ist, da ja in jeder Hinsicht die Wrfel schon gefallen sind. Die Intention des Wollens richtet sich vielmehr auf die Weise, dieses schon gesetzte Ziel zu erreichen. Wo sind denn die Wrfel gefallen, wenn wir wollen, und wie groß ist dann noch der Spielraum dieses freien Wollens? Bevor dieser Frage nachgegangen wird, soll das Verhltnis zwischen Freiheit und Faktizitt, zwischen autonomem Handeln und dem Widerstand der Dinge noch einmal zusammenfassend bestimmt werden: »Das Gegebene ist weder Ursache der Freiheit (denn es kann nur Gegebenes hervorbringen), noch Grund (denn jeder Grund kommt durch die Freiheit zur Welt) … Es tritt in keiner Weise in die Konstitution der Freiheit ein, denn diese wird Innerlichkeit als innere Negation des Gegebenen. Es ist schlicht die reine Kontingenz, welche die Freiheit im Vollzug negiert, indem sie Wahl wird, es ist die Seinsflle, die die Freiheit mit Ungengen und Negativitt einfrbt, indem sie sie im Lichte eines Ziels, das nicht existiert, durchleuchtet … Der Leser hat verstanden, daß dieses Gegebene nichts anderes ist als das An-sich, genichtet durch das Fr-sich, das es zu sein hat, als der Krper als Blickpunkt auf die Welt, als die Vergangenheit als Wesen, das das Fr-sich war: drei Bezeichnungen fr ein und dieselbe Wirklichkeit.« (SN 841 f.; 567) Ontologisch betrachtet ist das Fr-sich Nichtung, aber stets Nichtung von etwas an sich Seiendem, denn es kann nicht Nichtung von Nichts sein. Der Ort der Nichtung, die ich bin, ist mein Krper A

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als »Blickpunkt ber die Welt« und insofern mein Krper zugleich Teil der Welt ist, bin ich in sie eingebunden und ihrem Schicksal ausgesetzt. Das ist meine Kontingenz: Ich bin unausweichlich Nichtung dieses Krpers, den ich nicht gewhlt habe. Dieser Krper wird im Akt der Nichtung zum Ort und zum Bedingungsgefge meines Daseins in der Welt. So kann ich mich nicht ›groß‹ whlen, wenn ich kleinwchsig bin, auch der Geschlechtstrieb ist eine Realitt, die ich nicht geschaffen habe. Aber: »Durch ihr nichtendes Zurcktreten bewirkt die Freiheit, daß ein Bezugssystem vom Standpunkt des Zieles aus entsteht zwischen ›den‹ An-sich … Durch ihre Selbstentwerfung auf ein Ziel hin konstituiert die Freiheit ein besonderes Datum als Sein inmitten der Welt, ein Sein, das sie zu sein hat.« (Ebd.) – Die Freiheit schafft Bezugssysteme auf ihr Ziel hin, und damit bestimmte »Daten«. So faßt sie zum Beispiel den Geschlechtstrieb und setzt ihn unter das gesetzte Ziel, den Anderen in den eigenen Bann zu ziehen, um dadurch an und fr sich zu sein. Das wre der Weg, auf dem die Freiheit nach innen hin, innerhalb der Psyche ›frei‹ ist, das meint hier: Gestaltungsmglichkeiten hat: Sie nimmt das An-sich psychischer Faktoren (Triebe, Bedrfnisse) in ihre Zielsetzung hinein und knpft so Bezugssysteme zwischen den an sich unverbundenen Faktoren; so werden neue, dieses Mal durch die Freiheit gesetzte Verhaltens- oder Daseinsmuster geschaffen. Diese Verhaltens- oder Daseinsmuster werden – rckblickend – zu meinem ›Wesen‹, und dies wird zur Grundlage je meiner Vergangenheit, die stets wieder zu nichten, zu berwinden oder neu einzuholen ist. Als Grundlage dieser Nichtungen komme ich nie vollkommen von ihr los. Aber ich kann und muß zu ihr stets eine neue Einstellung gewinnen. Zuschauer meiner selbst, bin ich doch auch Schauspieler und Regisseur. In welchem Verhltnis steht das zueinander?

§ 10 Der Spielraum freien Wollens In den bereits zitierten Gesprchen mit Jean-Paul Sartre hlt Simone de Beauvoir ihrem Gesprchspartner mit einem Hinweis auf seinen Roman Saint Genet, Comdien et Martyr vor: »Frappierend ist an dem Buch, daß fast keine Unze Freiheit bleibt, die dem Menschen zugestanden wird. Sie messen der Prgung des Individuums, seiner 104

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gesamten Konditionierung eine extreme Bedeutung zu. Sie sprechen von einer Menge Leute, nicht nur von Genet, und es gibt fast keinen, der als freies Subjekt erschiene.« (ZA 454; 448 f.) – Sartre antwortet: »Dennoch wird dieses homosexuelle Kind, das geschlagen, vergewaltigt, von jungen Schwulen in Besitz genommen, von den harten Typen seiner Umgebung mehr oder weniger wie ein Spielzeug behandelt wurde, der Schriftsteller Jean Genet. Da hat ein bergang stattgefunden, der das Werk der Freiheit ist. Die Freiheit, das ist die Verwandlung des Jean Genet, des unglcklichen homosexuellen Kindes, in Jean Genet, den großen Schriftsteller, den Schwulen aufgrund einer Wahl, und, wenn auch nicht glcklich, so doch seiner selbst sicher. Diese Verwandlung des Jean Genet ist wirklich dem Gebrauch seiner Freiheit zu verdanken. Sie hat den Sinn der Welt verndert, indem sie ihr einen anderen Wert gab.« (Ebd.) Dieser bergang wre nher zu bestimmen, um den Spielraum freien Wollens auszumachen. »Sicher, jede meiner Handlungen, auch die kleinste, ist gnzlich frei in dem Sinne, den wir aufgezeigt haben, aber das heißt nicht, daß sie jede beliebige sein kann, noch daß sie unvorhersehbar ist.« (SN 786; 530) – Freiheit im Sartreschen Sinn meint Spontaneitt, ein Entspringen aus sich selbst ohne Verursachung von außen. Das schließt aber nicht aus, daß diese Spontaneitt eine ihr innewohnende, nicht beliebige, aufgrund ihrer ontologischen Struktur vielmehr notwendige Zielbestimmung hat, und zwar so weitgehend, daß Freiheit und Notwendigkeit dieser Zielbestimmung geradezu zwei Seiten ein und derselben Realitt sind. Um dies deutlich zu machen, wre folgendes zu rekapitulieren: Freiheit ist Nichtung des Seins. Diese Nichtung erzeugt einen Mangel an Sein, den das Sein nur auf sich nimmt um eines erwarteten Gewinns willen: um den Gewinn des An-und-fr-sich-Seins. Dies wrde die berwindung der Kontingenz bedeuten, des Daseins fr nichts und wieder nichts. »Die Nichtung ist vergebliches Unterfangen eines Seins, sein eigenes Sein zu grnden, und dieses grndende Zurcktreten von sich selbst ruft den winzigen Abstand hervor, durch den das Nichts in das Sein eintritt … Der grundlegende Wert, der diesem Versuch vorausgeht, ist genau das An-und-fr-sich-Sein, das heißt das Ideal eines Bewußtseins, das Grund seines eigenen Ansich-Seins wre mittels des reinen Bewußtseins, das es von sich selbst gewnne. Dieses Ideal kann man Gott nennen … Wie auch immer nachher die Mythen und Riten der betreffenden Religion beschaffen A

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sein mgen, Gott ist zunchst ›fr das Herz‹ des Menschen ›sprbar‹ als das, was ihn [sc. den Menschen – J. H.] in seinem letzten und grundlegenden Entwurf ankndigt und definiert. Und wenn der Mensch ein vorontologisches Verstndnis des gttlichen Seins besitzt, dann haben weder die großen Schauspiele der Natur noch die Macht der Gesellschaft ihm dies verschafft: Gott, hchster Wert und oberstes Ziel der Transzendenz, stellt vielmehr die dauernde Grenze dar, von der aus der Mensch sich selbst ankndigt, was er ist. Mensch sein heißt, danach streben, Gott zu sein.« (SN 971 f.; 653) 15 Das Streben danach, Gott zu sein, ist eine ontologische Notwendigkeit, kein menschlicher bermut. Alle Religionen sind demnach Symbole, die dem Menschen etwas ber sich selbst aussagen, indem sie diese ontologische Notwendigkeit artikulieren. Eine solche Religiositt erklrt auch, woher das Fr-sich den Antrieb zum Handeln nimmt: Die ontologische Notwendigkeit treibt das Fr-sich, in der Welt, dem Ort seines Daseins, ttig zu werden. Inmitten der anderen und der Dinge treibt sich die Freiheit um bei dem Versuch, Gott zu werden. Um handlungsorientierend sein zu knnen, mssen sich dieser Versuch bzw. dieses Ziel konkretisieren, denn als ontologisches ist es vllig abstrakt, und als allgemeines Streben steht es den vielfltigen und vielgestaltigen konkreten Bedrfnissen und Wnschen des Lebens gegenber, die diffus und unorganisiert nebeneinander bestehen. Eine Handlungsorientierung wird nur mglich, wenn in der Mitte zwischen beiden Seiten (dem ontologischen Ziel und der konkreten Bedrfniswelt) das Fr-sich-Sein eine Grundwahl trifft, nmlich die, in welcher Weise es das allgemeine Seinsziel in der konkreten Bedrfniswelt zu verwirklichen sucht. »Das Streben nach dem Sein verwirklicht sich immer im Streben nach einer Weise zu sein. Und dieses Streben nach einer Weise zu sein drckt sich seinerseits als der Sinn der Myriaden konkreter Wnsche aus, die das Gewebe unseres bewußten Lebens bilden. So finden wir sehr komplexe symbolische Architekturen vor, die zumindest drei Ebenen haben: Im empirischen Streben kann ich die Symbolisierung eines konkreten Grundstrebens ausmachen, das die Person ist, und das die Weise darstellt, in der nach ihrer Entscheidung das Sein in seinem Sein in Frage steht; und dieses Grundstreben drckt seinerseits konkret und in der 15

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›Gott sprbar fr das Herz‹ – eine Anspielung auf Pascal!

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Welt, in der besonderen Situation, die die Person umschließt, eine abstrakte und sinnhafte Struktur aus, die das Streben nach Sein im allgemeinen ist, und die als menschliche Wirklichkeit in der Person betrachtet werden muß.« (SN 972; 654) Dies sei an einem Beispiel erlutert: In einer brgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts vermag das jngste Kind sich gegenber dem strengen, erfolgreichen, allseits geschtzten Vater und auch gegenber dem großen Bruder nicht zu behaupten. Es entwickelt kein normales Verhltnis zur Sprache und vermag die Worte nicht in sinnvollen Bezug zur Realitt zu setzen: »Geh’ in die Kche und sieh’ nach, ob ich dort bin«, so sagt man dem kleinen Gustave (IF 15; 17). Und er geht und schaut nach. Als Erwachsener wird dieser Junge Romane schreiben, die ihm Weltruhm bringen. – Dies ist – grob – die Lebensgeschichte Flauberts, und Sartre deutet sie im Lichte seiner »existentiellen Psychoanalyse«: Auf der empirisch-konkreten Ebene finden wir die Hnseleien des Bruders und des Personals, die gefhlsarme und ungeduldige Mutter, den strengen Vater, die berbehtetheit des Jungen in der brgerlichen Familie. – Hier gibt es unerfllte Bedrfnisse und Herausforderungen, die der kleine Gustave bewltigen muß. Seine schwache gesundheitliche Konstitution erlaubt es ihm nicht, diese Forderungen bzw. Herausforderungen mit Erfolg zu meistern. Um diesen Forderungen zu entkommen, whlt er die Unterlegenheit, die Minderwertigkeit als seine Weise, zu sein: Er versteht nicht, was die Leute zu ihm sagen. »Die gewhlte Demtigung«, heißt es in Das Sein und das Nichts (SN 817; 551), »kann zum Beispiel, wie der Masochismus, einem Werkzeug gleichgesetzt werden, dazu bestimmt, uns von der Fr-Sich-Existenz zu befreien, sie kann ein Entwurf sein, uns unserer bengstigenden Freiheit zu entledigen zum Nutzen der anderen; … So ist die gefhlte und gelebte Minderwertigkeit das gewhlte Werkzeug, um uns einer Sache gleichzumachen, das heißt, um uns wie ein reines Draußen inmitten der Welt existieren zu lassen.« – Das Streben nach Sein im allgemeinen, der Versuch, sich zu grnden, liefert die innere Dynamik auch unserer Beziehungen zu den Anderen. Ich kann einmal versuchen, die Freiheit des Anderen ganz in meinen Bann zu ziehen, einziger und ausschließlicher Lebenssinn fr den anderen zu sein (s. o. § 6), dann htte ich durch den Besitz des Blickes des Anderen meine Objektivierung (durch ihn) selbst in der Hand. Ich wre (objektiv) das, was ich sein wollte. Der junge Gustave geht einen anderen Weg: er versucht zu sein, indem er A

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sich zur wehrlosen Sache macht, indem er nicht reagiert, nicht versteht. Ihm fehlt die Kunst zu faszinieren, die Anderen in seinen Bann zu ziehen, um sie auf diesem Wege zu beherrschen. Er verschließt sich, macht sich unverstndig wie ein Stein, wird dadurch zum Gesptt fr die Anderen. So flieht er die Freiheit des Anderen ebenso wie die seinige und befreit er sich vom Kampf um das Dasein als Fr-sich; er »verkriecht« sich in das An-sich-Sein, um als solches in sich geschlossen, bei sich selbst und nicht mehr außer sich zu sein. – Die ontologische Notwendigkeit (an und fr sich sein zu wollen) konkretisiert sich in der Weise, minderwertig zu sein, und dies drckt sich auf der empirischen Ebene in der Unfhigkeit zur sprachlichen Kommunikation aus. Dem jungen Gustave fehlte die Kunst zu faszinieren oder hat er diese Kunst nicht gewollt? – Die starken Persnlichkeiten seiner familiren Umgebung, die schwache gesundheitliche Konstitution, das strenge Reglement des brgerlichen Haushaltes machen verstndlich, warum Gustave kein Selbstvertrauen hatte und in die Minderwertigkeit floh. Urschlich hervorgerufen haben diese Faktoren das Verhalten Gustaves nicht, denn das Fr-sich entspringt als Nichtung des Gegebenen, und diese Nichtung bedeutet Wahl, d. h. sie konstituiert ein Verhltnis zu sich selbst, das nicht durch das Gegebene determiniert wird. So htte Gustave die Minderwertigkeit nicht whlen mssen, obwohl es gute Grnde gibt, daß er sie gewhlt hat, und die diese Wahl verstndlich machen. – Die Wahl war naheliegend und durch die familiren Verhltnisse vorgezeichnet, notwendig war sie nicht. »Wir erfahren … unsere Wahl, das heißt uns selbst, als nicht zu rechtfertigen, das heißt, wir erfassen unsere Wahl als von keiner vorausliegenden Realitt herleitbar … Die Unmglichkeit der Rechtfertigung ist nicht nur die subjektive Anerkennung der absoluten Kontingenz unseres Seins, sondern auch der Kontingenz der Verinnerlichung und der eigenen Aufnahme dieser Kontingenz. Denn die Wahl …, hervorgegangen aus der Kontingenz des An-sich, die sie nichtet, bertrgt diese Kontingenz auf die Ebene der willkrlichen Selbstbestimmung des Fr-sich.« (SN 805; 542) Hier liegt der Spielraum, in dem sich die Freiheit ohne innere und ußere Notwendigkeit, also willkrlich (wenn auch nicht ohne Grund), bewegt und festlegt. Groß ist dieser Spielraum nicht. Er beschrnkt sich auf die Konkretisierung der ontologischen Notwendigkeit durch die Wahl einer Weise zu sein innerhalb einer vorgegebenen Bedrfnis- und Bedin108

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gungskonstellation. Letztere gibt gleichsam den materiellen Rahmen der Gestaltungsmglichkeiten ab: Gustave ist und bleibt Sprßling einer brgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts. Seine Wahl bezieht und beschrnkt sich auf das Feld dieser sozialen Existenz. Auch wenn er diese Existenz negieren wollte, wrde sein Gegenentwurf sich doch auf das beziehen, wogegen er sich entscheidet, und hierdurch geprgt sein. Innerhalb eines solchen Rahmens nur konnte Gustave eine Weise whlen, zu sein. Noch einmal: Diese Wahl erfolgte willkrlich (im Sinne von nicht vorausbestimmt), aber doch nicht ohne Grund. Die inneren und ußeren Rahmenbedingungen der Wahl machen sehr verstndlich, daß alles so gekommen ist, wie es ist. Das Spektrum whlbarer Seinsweisen erscheint in dieser Mittelstellung zwischen ontologischer Notwendigkeit und empirisch konstatierbarer Bedrfnissituation berdies nicht allzu breit: Es beschrnkt sich auf die Integration beider in einer bestimmten Weise, zu sein. Sartre inventarisiert diese Weisen nirgends. Das ist auch kaum mglich, da es sich hier nicht um kategoriale Modi des Seins im Sinne der klassischen Ontologie handelt, sondern um Grundeinstellungen, die eher psychologisch zu fassen (Minderwertigkeit, Masochismus, Sadismus, Scham, Stolz), fr Sartre ihrem Sein nach aber ontologisch und deren bergnge fließend sind. »Seinsweise« meint hier eine Grundhaltung gegenber dem Selbst, dem Leben allgemein und dem Anderen, die tiefer liegt als das entsprechende psychologisch konstatierbare Motiv (welches nur ihr konkreter Ausdruck ist). Diese Seinsweise definiert unsere Existenz, weil sie die Form unseres Zugangs zu allem, d. h. die konkrete Form unseres Existierens darstellt. Wo immer ich auf etwas treffe, deute ich es im Lichte dieser Grundhaltung und verhalte mich in ihrem Sinn. Sie ist gleichsam das Auge, mit dem ich die Dinge wahrnehme, und das Muster, das diese Wahrnehmung strukturiert. Das Auge aber als Organ der Wahrnehmung, als das, womit ich wahrnehme, kann selbst nicht Gegenstand der Wahrnehmung sein, ich sehe mit meinen Augen, nie aber meine Augen selbst. So kann auch dieser Grundentwurf nicht Gegenstand meines reflektierenden Bewußtseins sein; ich habe kein bewußtes Verhltnis zu ihm, da er die Form der Daseinswahrnehmung ist. Von daher lßt sich sagen, daß ich gleichsam Opfer meiner eigenen Seinswahl bin. Ich kann die Dinge gar nicht anders wahrnehmen und auch gar nichts anders wollen als auf der Basis dieser Wahl, und deswegen knnen die Dinge A

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meine Wahrnehmung und mein Wollen nicht in Frage stellen. Zu dieser Wahl habe ich deshalb kein kritisches Verhltnis. »Solange ich nmlich ›im‹ Minderwertigkeitskomplex bin, kann ich mir nicht einmal vorstellen, daß ich durchaus aus ihm herauskommen kann, denn selbst wenn ich trume, aus ihm herauszutreten, hat dieser Traum seine genaue Funktion darin, mich die Scheußlichkeit meines Zustandes noch strker spren zu lassen, er kann also nur innerhalb und durch die Intention auf Minderwertigkeit hin verstanden werden.« (SN 823; 554) Das bewußte, reflektierende Wollen ist demnach (das wird auch von dieser Seite her deutlich) niemals primr. Ich will immer nur im Lichte des Seinsentwurfs und von diesem aus: »Denn was wir gewhnlich unter Wollen verstehen, ist eine bewußte Entscheidung, und die ist fr die meisten unter uns dem nachgeordnet, was ein jeder aus sich gemacht hat.« (EH 150; 23) Von hier aus wird nachvollziehbar, daß Gustave Flaubert Romancier geworden ist: »Es versteht sich, daß ich als Handlungsfeld einen Bereich, wo ich minderwertig bin, nur whlen kann, wenn diese Wahl den reflektierten Willen impliziert, dort berlegen zu sein. Whlen, ein minderwertiger Knstler zu sein, heißt notwendig, ein großer Knstler sein wollen: sonst wre die Minderwertigkeit weder erlitten noch anerkannt.« (SN 818; 551) – Als Schriftsteller treibt Flaubert die Form zur Perfektion, um durch die extremen Anforderungen an sie den Abstand zwischen dem eigenen Wollen und Knnen deutlich zu machen und dadurch seine Minderwertigkeit zu realisieren. »So ist die Trennung zwischen spontanem Bewußtsein und Willen … ursprnglich von unserer Grundfreiheit entworfen und verwirklicht; sie wird nur verstndlich in und durch die tiefe Einheit unseres ursprnglichen Entwurfs, der darin besteht, uns als minderwertig zu whlen. Aber diese Trennung impliziert gerade, daß die willentliche Abwgung … beschließt, unsere Minderwertigkeit zu kompensieren oder zu maskieren durch Werke, deren tiefe Zielsetzung darin liegt, uns im Gegenteil zu erlauben, diese Minderwertigkeit auszumessen.« (SN 819; 552) Der Spielraum konkreten Wollens, der bewußten, reflektierten Entscheidung ber uns und unser Handeln, ist somit noch einmal enger als der unserer spontanen Seinswahl. Wir mssen wollen, was durch diese schon vorgezeichnet ist, und haben hchstens in der Zuordnung zu bestimmten Affekten, Bedrfnissen, menschlichen Bezgen und situativen Konstellationen gewisse Alternativen. Das 110

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Grundmuster aber liegt fest. »Der Blick auf den Entwurf als ganzen erlaubt es, die jeweilige Einzelstruktur zu ›verstehen‹. Nun haben uns die Gestaltpsychologen gezeigt, daß die Dominanz der umfassenden Formen die Variabilitt einiger sekundrer Strukturen nicht aufhebt.« (SN 596; 548) So htte Gustave z. B. ebenso Gedichte schreiben knnen. Eine solche Wahl htte sich in seinen grundlegenden Entwurf ebenso eingefgt. »Wir erleben unsere Kindheit als unsere Zukunft, sie bestimmt die Gesten und Rollen im Hinblick auf das Kommende. Es handelt sich hier keineswegs um das mechanische Wiederaufleben von Einstellungen. Weil die Gesten und Rollen nicht abzutrennen sind von dem Entwurf, der sie umgestaltet, sind es Bezge, die von den Bezugspunkten, die sie vereinen, unabhngig sind und die sich in allen Stadien der menschlichen Unternehmung auffinden lassen mssen. berschritten und aufrechterhalten bilden sie das, was ich die innere Frbung des Entwurfs nennen mchte … Aber seine innere Frbung, das heißt subjektiv sein Geschmack, objektiv sein Stil, ist nichts anderes als die berwindung unserer ursprnglichen Umwege – die berwindung ist nicht eine Augenblicksbewegung, es ist eine lange Arbeit: Jedes Moment dieser Arbeit ist zugleich berwindung, und in dem Maße, wie es sich fr sich setzt, das schlichte und einfache Bestehen dieser Umwege auf einem gegebenen Integrationsniveau: aus diesem Grunde verluft ein Leben in Spiralen: es kommt immer wieder an denselben Stellen vorbei, aber jeweils auf unterschiedlichen Niveaus der Integration und der Komplexitt.« (KD 115 f.; 71) – Als Kind hatte Flaubert darunter zu leiden, daß der Vater den lteren Bruder vorzog. Dieser glich seinem Vater, und um von ihm in gleicher Weise geliebt zu werden, htte er wie sein Bruder werden mssen. Gustave weigert sich und flieht in die Verstockung. – Hier wchst ein Beziehungsgefge, das erhalten bleibt, auch nachdem Flaubert der familiren Situation lngst entwachsen ist: Benachteiligung, Weigerung, es dem Tchtigen gleichzutun, Flucht in die Unterlegenheit, dieses Beziehungsgefge berlebt die Kindheit und wird zur »Frbung« seines Entwurfs. Es bestimmt die Gesten und Rollen, was auch immer Flaubert tut. Allerdings: Auch wenn ich mir innerhalb meines Entwurfs, solange dieser der meine ist, eine andere Grundhaltung nicht vorstellen kann, so ist doch der Bruch mit diesem Entwurf und die Wahl eines anderen durchaus mglich, denn das Fr-sich, die menschliche Wirklichkeit, ist aus dem Akt der stets neu entspringenden Nichtung des A

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Gegebenen gemacht. Im Normalfall kehrt die Nichtung zum ursprnglichen Entwurf zurck und macht sich diesen wieder zu eigen, und zwar schon deshalb, weil der ursprngliche Entwurf die vertraute Sicht der Dinge ist. Er hat sich – nicht objektiv, aber subjektiv – als meine Problemlsung bewhrt, weil er schlecht und recht funktioniert hat. »Und dennoch erfasse ich in jedem Augenblick diese Ausgangswahl als kontingent und nicht zu rechtfertigen, stehe ich in jedem Augenblick dicht davor, sie pltzlich objektiv in den Blick zu nehmen und sie in Folge davon zur vergangenen zu machen, indem ich das befreiende Jetzt entspringen lasse. Daher meine Angst, die Furcht, die ich habe, pltzlich eine Teufelsaustreibung zu erfahren, das heißt radikal ein anderer zu werden; aber von daher auch das hufige Auftreten von ›Bekehrungen‹, die meinen ursprnglichen Entwurf ganz und gar umgestalten … Diese außergewhnlichen und wunderbaren Augenblicke, wo der vorausgehende Entwurf zusammen- und in die Vergangenheit hineinstrzt im Lichte eines neuen Entwurfs, der sich aus dessen Trmmern erhebt und der erst nur umrißhaft auftaucht, wo Demtigung, Angst, Freude, Hoffnung eine enge Verbindung eingehen, wo wir loslassen, um zu ergreifen, und wo wir ergreifen, um loszulassen, sie haben offensichtlich hufig das klarste und das rhrendste Bild unserer Freiheit geliefert. Aber sie sind nur ein Ausdruck von ihr unter anderen.« (SN 823 f.; 555) Die menschliche Wirklichkeit ist in der Regel nicht so impulsiv und vollzieht sich in ihren leitenden Strmungen untergrndiger, weniger als bewußt erlebte. Stets außer mir in dem nichtenden Akt, der mich als Freiheit konstituiert, treibt mich eine innere Notwendigkeit, Grund meiner selbst zu werden. Sie ist die innere Dynamik all meinen Tuns, die am An-sich der Dinge, auch an dem, was ich konstitutionell und in sozialer Gewordenheit bin, nichts ndern kann. Meine Existenz habe ich nicht gewhlt, die Gegebenheiten in mir und um mich herum auch nicht. Der Weg zu mir selbst fhrt ber den entfremdenden Blick des Anderen. Damitten zwischen mich vorfindend, habe ich ein Datum zu setzen: Ich whle eine Weise zu sein (Macht oder Minderwertigkeit, Liebe oder Haß), von der aus ich das Gegebene gleichsam auf die Schnur einer Lebens- oder Handlungsrichtung ziehe, vorbei an Ecken und durch Widerstnde hindurch, die die Anderen und die Dinge mir bieten, um das zu versuchen, was unmglich ist. Das ist das Schicksal des Menschen: »Wir sind zur Freiheit verurteilt.« (SN 838; 565) 112

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Exkurs: Gabriel Marcel zu Sartre

Daß die Sexualitt beim Menschen in erster Linie nicht die Befriedigung einer biologischen Notdurft ist, sondern seine grundlegende Daseinsform, daß sie nicht nur leibliche Beziehungen, sondern ein tiefes und unentrinnbares Abhngigkeitsverhltnis zwischen den Bewußtseinssubjekten begrndet, aus dem das Verhltnis eines jeden zu uns selbst und zum Dasein als solchen erst erwchst, diese Lehre kann als eines der eindrucksvollsten Teile der Philosophie Sartres angesehen werden. – Daß aber die Beziehungen zwischen den Geschlechtern stets nur in einem aussichtslosen Unterwerfungskampf mnden, mag nicht jeden berzeugen – trotz deren unleugbarer Fragilitt. Warum muß die Besttigung meiner selbst durch den Anderen als der, der ich sein will, erzwungen werden, indem ich durch Verfhrung den Anderen mir gleichsam gefgig mache? Kann sie nicht auch ein freies Geschenk des Anderen sein? Diese Perspektive verschließt sich fr Sartre schon von seinem streng phnomenologischen Ansatz her: Jedes Bewußtsein ist Bewußtsein eines Gegenstandes. Gegenstnde sind das, auf das das Bewußtsein als Seiende oder Anwesende trifft, denen gegenber es sich als Nichtung konstituiert. Das Bewußtsein selber ist kein Gegenstand, es ist Nichtung, Transzendenz. So kann mein Bewußtsein die Gestalt, die Augen usw. des Anderen erfassen, aber nicht seinen Blick. Dieser entzieht sich als Freiheit und Transzendenz der gegenstndlichen Wahrnehmung. Der Blick des Anderen fhrt mich nicht zu ihm, sondern wirft mich auf mich selbst zurck. Gabriel Marcel 1 geht von Sartre verwandten existentialistischen Grundannahmen aus andere Denkwege, die als grundlegende Kritik an dessen Schlußfolgerungen genommen werden knnen. Marcel unterscheidet zwei Formen bzw. Wege der Erkenntnis:

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1889–1973; 1922 Konversion zum Katholizismus A

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Exkurs: Gabriel Marcel zu Sartre

Erkenntnis als Formulierung und Lsung eines Problems, Erkenntnis als Zugang zum Geheimnis. 2 Ein Problem ist das, was man hat. Hier stehen forschendes Subjekt und Gegenstand als unterschiedene, fremde, gegeneinander. Die Uhr, die vor mir liegt, steht in keinem innerlichen Verhltnis zu mir. Ich kann sie weglegen; um sie zu erkennen, nehme ich sie auseinander. Marcel nennt diesen Erkenntnisweg einen »mechanischen«. Ein Geheimnis ist das, was man ist 3 , hier fallen Subjekt und Objekt zusammen. »Geheimnisse sind nicht Wahrheiten, die uns bersteigen, sondern die uns umfassen.« 4 Der Gegenstand des Fragens ist uns so innerlich, daß wir ihm gegenber keinen objektivierenden Standpunkt einnehmen knnen. So gibt es zum Beispiel eine gelebte Erfahrung der Einheit von Krper und Geist. Aber sie bleibt ein Geheimnis. »Die unteilbare Einheit, die immer nur unangemessen durch Formeln wie diese ausgedrckt wird: ich habe einen Krper, ich bediene mich meines Krpers, ich fhle meinen Krper, etc. … ist jeder Analyse ußerlich und knnte auf keine Weise auf synthetischem Wege nachvollzogen werden.« 5 »Alles scheint hier so zu verlaufen, als wenn ich mich begnstigt erfhre durch eine Intuition, die ich besitze, ohne unmittelbar zu wissen, daß ich sie besitze, eine Intuition, die eigentlich gesagt, nicht fr sich sein knnte, die vielmehr nur erfaßt werden kann durch die Erfahrungsweisen, ber die sie sich reflektiert und die sie durch diese Reflexion erhellt.« 6 Liebe kann ich nicht an sich erfassen wie einen Gegenstand, den man von allen Seiten betrachten und kritisch prfen kann. Als solcher wird sie zum Problem, das keine Lsung findet. Nur in der konkreten, erfahrenen Weise der liebenden Zuwendung wird eine solche Intuition gegenwrtig, die sich sofort wieder auflst, wenn ich sie zum Problem mache. »Wir sehen hier deutlich, daß die Unterscheidung zwischen dem, was in mir ist, und dem, was nur vor mir steht, hinfllig wird. … In der Liebe sehen wir am besten die Auflsung der Grenze zwischen dem In mir und dem Vor mir; – vielleicht knnte man sogar belegen, daß die Sphre des Meta-problematischen mit Vgl. Etre et Avoir, Paris 1935, S. 145 ff.; Position et Approches concr tes du myst re ontologique, Paris 1949, 57 ff. 3 Journal mtaphysique, Paris 1927, S. 301 4 Etre et Avoir, S. 205 5 Position …, S. 58 6 Etre et Avoir, Paris 1935, S. 170 2

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der der Liebe zusammenfllt, daß ein Geheimnis wie das der Einheit von Krper und Geist nur von der Liebe aus zu erfassen ist und es auf gewisse Weise zum Ausdruck bringt.« 7 Marcel spricht hier von einer »erblindeten Intuition« 8 . Als Intuition ist sie unmittelbar gegeben, »erblindet« nennt Marcel sie, weil sie nicht auf gegenstndliche Wahrnehmung zurckgreift, sondern wie der Blinde, gleichsam nur aus der inneren Wahrnehmung schpft. Sobald ich versuche, meine Existenz zum Problem zu erheben, entgleitet sie mir. Die mechanische Erkenntnis versagt hier. Fr Marcel ist die Liebe zwischen Menschen etwas, das sich nur als Geheimnis erschließt. Liebe hat man nicht, wie Hunger oder Lust, sie ist eine Weise des Zugehens und der Bejahung des Anderen, die wir von unserem Sein nicht lsen knnen. Sobald wir sie zum Problem erheben, entgleitet sie uns. Aus der Sicht Marcels macht Sartre eben diesen Fehler. Sein phnomenologischer Ansatz ist ein mechanischer: »Wenn ich den Anderen als einen Art Mechanismus außerhalb meiner betrachte, dessen Antriebsfeder und Funktionsweise entdeckt werden soll, … werde ich niemals anderes als eine rein ußerliche Erkenntnis erlangen knnen, die ihn als reales Wesen in gewisser Weise verleugnet.« 9 Sartres Ansatz erscheint aus dieser Sicht als epistemologische Engfhrung. Auf der Ebene der Gegenstnde des Bewußtseins finde ich den Blick des Anderen in der Tat nicht. Wenn es aber legitim ist, auf eine andere Erkenntnisebene zu setzen, mssen Sartres Aussagen ber das Scheitern der Liebe nicht das letzte Wort sein. Dann wre auch die Wechselseitigkeit einer (liebenden und anerkennenden) Intuition konzipierbar. 10 Im selben Kontext und ebenso schon vor dem Erscheinen von Etre et le Nant bringt Marcel eine Kritik der objektivistischen Philosophie, die auf Marcel Proust zielt, aber ebenso auf Satre gemnzt sein knnte: »Man stellt mit berraschung fest, daß eine rein objektivistische Philosophie, in deren Namen man das Geheimnis der Hoffnung denunziert, sich bis hin zur Identifikation dem radikalen Subjektivismus eines Proust nhert, fr den die Liebe ein Mißverstndnis ist Position …, S. 59 Ebd., S. 82 9 Homo Viator, S. 29 10 Siehe Gabriel Marcel, Moi et Autrui, in Homo Viator, S. 15–35 7 8

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und sich auf Auswirkungen von Perspektiven reduziert. … Die subjektivistische Konzeption der Liebe 11 mitsamt ihrer Rechtfertigung der Verzweiflung … scheint umso weniger angreifbar, als ein Mensch mehr und mehr Gefangener eines Wahns wird, fr den der Andere weniger Gegenstand als Vorwand ist, denn er wird nicht mehr von der Intuition erreicht noch von irgendeiner anderen Erkenntnis, die diesen Namen verdiente. Ich sehe umso weniger einen Menschen, als ich von ihm besessen bin, denn meine Besessenheit tritt an seine Stelle. Man muß hinzufgen, daß diese Besessenheit umso tyrannischer wird, je mehr ich beanspruche, ihn zu besitzen, ihn zu monopolisieren, je hartnckiger ich seine Bindungen an andere zu zerstren suche in der Hoffnung, ihn vollkommen mir eigen zu machen. … Entweder oder: Angesichts dieses Willens zur Bemchtigung entweicht der Andere durch Flucht oder Lge oder er entstellt sich und lst sich auf. Eine unerbittliche Dialektik fhrt in beiden Fllen dazu, daß die Liebe ihren Untergang vollzieht, da sie ihre Mission verfehlt hat und pervertiert wurde. … Wir werden trotz allen Anscheins uns selber fremd in dem Maße, wie wir die Wirklichkeit als etwas behandeln, das wir ergreifen und uns verfgbar machen knnen. Man knnte noch hinzufgen, daß die so in Beschlag genommene und egoistischen Zielen unterworfene Wirklichkeit ebenfalls pervertiert und zum Trugbild und Idol wird.« 12 Von seinem objektivistischen Satz konnte Sartre nur eine besitzergreifende Liebe konzipieren. Ein anderer Weg htte allerdings auch seiner Metaphysik des Scheiterns einen Pfeiler entzogen.

Von meinen Befindlichkeiten ausgehend suche ich die bzw. frage ich nach der Liebe des Anderen – J. H. 12 Esquisse d’une phnomnologie de l’Esprence, 1942, in: Homo Viator, S. 79 f. 11

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IV. Kritik der dialektischen Vernunft. Freiheit als entfremdete Notwendigkeit

»Fr uns ist der Mensch vor allem durch das berschreiten einer Situation gekennzeichnet, durch das, was ihm aus dem zu machen gelingt, wozu man ihn gemacht hat.« J.-P. Sartre, Critique de la Raison Dialectique

Sartre erzhlt uns eine Bekehrungsgeschichte: die der jungen Intellektuellen in der Zeit zwischen den Weltkriegen, die dunkel die Bewegung der Geschichte sprten, ohne sie schon erfassen zu knnen, und die im Existentialismus die Unruhe artikulierten, die aus dem Widerspruch zwischen der gesprten Bewegung und den reflektierten Positionen resultierte: »Whrend dieser Jahre habe ich ›Das Kapital‹ und die ›Deutsche Ideologie‹ gelesen: ich verstand alles glnzend, und doch absolut nichts … Denn verstehen heißt: sich ndern, ber sich selbst hinausgehen. Was mich dagegen zu verndern begann, das war die Realitt des Marxismus, die damals in meinem Horizont in bedrngender Gegenwrtigkeit sichtbar werdenden Arbeitermassen, dieser riesige, dunkle Krper, der den Marxismus lebte, ihn praktizierte, und der aus der Entfernung heraus eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die kleinbrgerlichen Intellektuellen ausbte.« (KD 22 f.; 21 f.) Sartre hatte schon 1936 darauf hingewiesen, daß seine Phnomenologie durchaus vereinbar war mit einem historischen Materialismus (s. o. Kap. II), aber dies war nur eine theoretisch formulierte Mglichkeit. Ganz im Sinne eines humanistischen Marxismus ist aber schon der 1946 erschienene Aufsatz Materialismus und Revolution (0.8) geschrieben. Wenn Sartre nun mit der Kritik der dialektischen Vernunft (1960) die Hinwendung zum Marxismus durchgreifend vollzieht, so ist das der ganz undramatische Abschluß einer gedanklichen Entwicklungslinie, die von Anfang an vorgezeichnet war, aber erst im Anschluß an die Philosophie des Subjekts zur Ausarbeitung kam. Hierzu bedurfte es keiner Abkehr von den existentialistischen A

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Positionen: Die Theorie des Subjekts war die Theorie des Bewußtseins, aus dem das Ich ausgeschlossen wurde. Dieses Ich ist fr Sartre Teil der Welt und als solches den Wechselfllen der Gesellschaft und Geschichte ausgesetzt. – Der Marxismus stellt nunmehr fr Sartre das Forschungsinstrumentarium zur Verfgung, das zu verstehen erlaubt, was ich als Teil der Welt geworden bin. Es ist natrlich ein Marxismus eigener Art, den Sartre entwikkelt, und der ihm den grßten rger der kommunistischen Partei Frankreichs eingebracht hat (Jeanson, 1.9, 174–189). »Der Marxismus ist zum Stillstand gekommen: gerade weil diese Philosophie die Welt ndern will, … hat sich in ihr eine fundamentale Spaltung vollzogen, auf deren eine Seite die Theorie, auf deren andere die Praxis zurckgedrngt ist.« So die Kritik Sartres (KD 28; 25). Die Realitt ist immer komplexer und widerspenstiger, als daß sie sich durch eine Theorie erschpfend und ohne Widerspruch zur Erfahrung einfangen ließe. »Aus Angst, die Erfahrung knne ihre eigene Erhellung mit sich bringen und so gewisse Leitgedanken in Frage stellen sowie zu einer »Abschwchung des ideologischen Kampfes« beitragen«, wurde »die Lehre als dem Einfluß der Erfahrung gnzlich entzogen« betrachtet. »Die Trennung von Theorie und Praxis fhrte zu einer Umformung der Praxis in einen prinzipienlosen Empirismus und eine Umwandlung der Theorie in ein reines und starres Wissen.« »Man unterwarf a priori Menschen und Dinge der Theorie.« (KD 29; 25) Das Subjekt wurde aufgelst in abstrakte Zusammenhnge. Diese Auflsung aber war ein willkrlicher, subjektiver Akt zur ideologischen Durchsetzung von Machtansprchen. Sartre begrndet in einer langen und einer argumentativ eindringlichen Fußnote, daß die marxistische Theorie des Bewußtseins inkohrent ist, und daß der Marxismus eine widerspruchsfreie Grundlegung der Erkenntnis nicht leisten kann. (KD 30 ff.; 30 f.) Es gibt nur einen tragfhigen und redlichen Ausgangspunkt der Erkenntnis: das Subjekt, das sich selbst in der Welt vorfindet. Jede Theorie, die den Menschen außerhalb dieses Momentes aufgreift, wo er zu sich selbst kommt, ist zunchst eine Theorie, die die Wahrheit unterdrckt.« (EH 165; 64) – Da der Marxismus so verfuhr, »hat der Existentialismus wiedererstehen und sich behaupten knnen, weil er die Wirklichkeit der Menschen wieder zur Geltung brachte, wie Kierkegaard gegen Hegel seine eigene Wirklichkeit zur Geltung brachte … Existentialismus und Marxismus haben denselben Gegenstand, nur: der letztere hat den Menschen in der Idee aufgehen las118

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sen, der erstere hingegen sucht ihn berall, wo er geht und steht, bei seiner Arbeit, zuhause und auf der Straße.« (KD 35; 28) Hier trifft er den Menschen aber nicht nur in seiner inneren Entfremdung an, in der des Bewußtseins, sondern auch in seiner gesellschaftlichen Entfremdung. Der Entwurf, die Seinswahl, wird durch die materielle Not gleichsam umgebogen auf Ergebnisse hin, die wir nicht gewollt haben, »Indem wir unser eigenes Ziel erreicht haben, verstehen wir, daß wir in der Tat anderes verwirklicht haben.« (KD 237; 282) Die treibenden Krfte dieser Umbiegung liegen in der materiellen Lebensproduktion bzw. in den Produktionsverhltnissen, die sich als fremde Macht ber den Menschen konstituieren. 1 »Der Mensch muß nicht nur gegen die Natur kmpfen, gegen das soziale Milieu, das ihn hervorgebracht hat, gegen andere Menschen, sondern auch gegen seine eigene Tat, insofern sie eine andere wird.« (KD 132; 202) – Sartre nennt als Beispiel die Abnutzung großer Waldgebiete in China. Deren Ziel war die Sicherung der materiellen Lebensbedingungen der Bauern, ihre wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung. Aber »das positive System der Anbaukultur hat sich in eine Teufelsmaschine verwandelt«: Bodenerosion war die Folge, Regenwasser und Luftfeuchtigkeit wurden nicht mehr durch die Wlder gespeichert, die klimatischen Verhltnisse nderten sich. Die Felder brachten keine Ernten mehr, die Bauern verarmten. »Die Handlung, in ihrem lebendigen Werden betrachtet, bezieht weder intentional noch real diesen Gegenschlag ein.« (KD 172; 233) Die Ausbeutung der Natur schlgt in eine »Gegenfinalitt« um, die die

Die differenzierten und weitreichenden Analysen vielschichtiger gesellschaftlicher Entfremdung nachzuzeichnen, die Sartre in der Kritik der dialektischen Vernunft offenlegt, wrde den gegebenen Rahmen bei weitem berschreiten. Eine eigene Studie erforderte ebenfalls die kategoriale Auseinandersetzung hinsichtlich der Geschichtsdialektik, die Sartre mit dem Marxismus fhrt. Der Titel Kritik der dialektischen Vernunft – er drckt sicher auch den Anspruch aus, den drei großen Kritiken beigeordnet zu werden – ist ja in erster Linie die Formulierung eines Programms: die marxistische Geschichtsdialektik aus ihrer dogmatischen Erstarrung zu lsen und ihr jene analytische Geschmeidigkeit zu verleihen, die den Wechselfllen von Geschichte und sozialen Entwicklungen wirklich Rechnung tragen kann, ohne den Ausgang dogmatisch vorwegzunehmen und zu verleugnen, was dem Dogma im Wege steht. – Im hier vorliegenden Rahmen muß es gengen, die Entfremdung der inneren Notwendigkeit durch die ußeren, materiellen Lebensverhltnisse an Beispielen zu kennzeichnen und im Verhltnis dazu das, was fr die Freiheit bleibt, zu bestimmen.

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Finalitt unserer Handlungen in eine Richtung umbiegt, die sich gegen uns selbst kehrt (ebd.). Die Ausbeutung der Natur fhrt zum Mangel, und diese Entwicklung hat soziale Folgen gravierender Art: Arbeit und Hunger lassen den Anderen, den Mitmenschen, zum Feind und zum Konkurrenten werden. »Das Individuum wird von jedem in seinem Sein in Frage gestellt … So kehrt sich sein eigenes Tun gegen es und kommt zu ihm als anderes durch das soziale Milieu hindurch zurck. Durch die vergesellschaftete Materie … konstituiert sich der Mensch als ein Anderer als der Mensch. Fr jeden existiert der Mensch als unmenschlicher Mensch.« (KD 137; 206) – Diese »radikale Infragestellung des Menschen durch die Materie« (ebd.) entfremdet den Menschen vom Mitmenschen und verkehrt so die sozialen Bande in feindliche. Eine Gemeinschaft, die ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen kann, entsteht so nicht, nur eine Serialitt, die von außen konstituiert wird. – Sartre macht dies an einem anderen Beispiel deutlich: Eine Gruppe von Menschen steht an einer Haltestelle und wartet auf den Bus. Was sie miteinander verbindet, ist einzig dieselbe Fahrtrichtung. Sie nehmen voneinander kaum Notiz, hchstens in dem Maße, wie der Andere Konkurrent um einen Platz im Bus ist. »Man muß zunchst festhalten, daß es sich um eine Vielheit von Einsamkeiten handelt. Diese Personen kmmern sich nicht umeinander, sprechen nicht miteinander.« (KD 273; 308) Jener Mensch ist nicht nur isoliert durch seinen Krper als solchen, sondern auch durch die Tatsache, daß er seinem Nachbarn den Rcken zuwendet, der dies brigens selbst nicht bemerkt hat.« (KD 273 f.; 309) »Man kann … jede einzelne Einsamkeit von den auflsenden Krften aus definieren, die die soziale Gesamtheit auf die Individuen ausbt … Oder – wenn man so sagen will – die Intensitt der Einsamkeit als Beziehung des Sich-Ausschließens zwischen den Gliedern einer provisorischen und kontingenten Ansammlung drckt den Grad der Vermassung eines sozialen Ganzen aus.« (KD 274; 309) Als Masse sind die Individuen nicht mehr Subjekte ihrer Handlungen, sondern von Krften bestimmt, die sie selbst nicht kontrollieren. So wurde zum Beispiel mit der Erfindung der Webmaschinen im England des 19. Jahrhunderts eine wirtschaftliche Situation geschaffen, der sich auch der einzelne Unternehmer nicht mehr entziehen konnte und die fr manchen von ihnen ruins war: Sein unmittelbares wirtschaftliches Interesse zwang ihn, Maschinen zu kaufen, 120

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da er sonst seine Produkte nicht mehr konkurrenzfhig auf den Markt bringen konnte. Die Maschinen fhrten aber nicht nur zur Verelendung der Arbeiter, auch das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage geriet durcheinander. (KD 212 f.; 263 f.) Neue Absatzmglichkeiten mußten gesucht, neue Maschinen angeschafft werden. »Sein Interesse war die Fabrik; aber das Interesse der Fabrik wird die Maschine selbst: im Moment, wo sie luft, ist sie es, die ber die Produktion entscheidet … Der Fabrikant hat in seine Werkshallen eine nicht mehr rckgngig zu machende Entwicklungsrichtung hineingebracht.« (KD 213; 264) Der Konkurrenzdruck erfordert immer neue, wirtschaftlichere Maschinen, immer rationellere Produktionen. Diesem Druck ist auch mancher Unternehmer nicht gewachsen, und so entsteht eine wirtschaftliche Dynamik, die ein Eigenleben fhrt und von den Individuen nicht mehr kontrolliert werden kann. Das Produkt unserer Ttigkeit konstituiert sich als fremde Macht ber uns. Der Mangel (an Absatzmglichkeiten fr den Unternehmer, an Arbeit fr den Arbeiter) bestimmt jeden »zum berzhligen, das heißt, daß der Andere des Anderen Rivale wre durch die Tatsache ihrer Identitt. Das Getrenntsein wrde zum Gegensatz.« (KD 278; 312) Indem der Unternehmer den Zwngen seiner Produktion folgt, legt er die Grundlagen fr Entwicklungen, die mittel- oder langfristig auch seinen Ruin wahrscheinlich machen. Elender noch ist die Situation einer Fabrikarbeiterin, die ein Kind erwartet, und es abtreibt. »Die Arbeiterin der Dop-Werke, die zu Abtreibungspraktiken greift, um die Geburt eines Kindes zu verhindern, das sie nicht ernhren knnte, faßt einen freien Entschluß, um dem Schicksal zu entgehen, das man ihr bereitet hat. Aber eben dieser Entschluß ist an der Basis durch die objektive Situation verflscht: sie verwirklicht von sich aus, was sie schon ist; sie fllt gegen sich selbst das Urteil, das schon gefllt ist, und das ihr die freie Mutterschaft verweigert.« (KD 250; 291) »Die Subjektivitt erscheint somit in ihrer ganzen Abstraktion als das Verdammungsurteil, das uns zwingt, von uns selbst aus und frei den Schiedsspruch zu verwirklichen, den eine ›in Gang befindliche‹ Gesellschaft ber uns gesprochen hat und der uns a priori in unserem Sein definiert.« (KD 74; 157 f.) Unser Sein ist »vorfabriziert«. Unsere freie Praxis fhrt uns stets zu diesem vorfabrizierten Sein zurck (KD 241; 285). Die Arbeiterin, die abtreibt, erfllt genau die Rolle, die die gesellschaftlichen Verhltnisse ihr vorgeben. A

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Gibt es keinen Ausweg? Sartre lßt Szenen der franzsischen Revolution lebendig werden: In den Straßen von Paris bilden sich Ansammlungen wtender, durch die Not zum ußersten getriebener Brger. Soldaten im Dienste der Herrschenden tauchen auf und greifen die Menge an. Panik kommt auf, eine Fluchtbewegung setzt ein, jeder rennt um sein Leben, fr sich allein, desorientiert. Die Fliehenden kommen sich ins Gedrnge, der Nebenmann wird zum Anderen, zum Gegner, der die eigene Flucht behindert. In dieser Serialitt ist die freie Aktivitt der Individuen entfremdet in der kollektiven Fluchtbewegung. Die Menge ist ohnmchtig. – Pltzlich aber bleibt irgend jemand stehen und schreit ›Halt!‹. Zunchst war dieser auch ziellos geflohen wie alle anderen. In einer spontanen Reaktion auf das Geschehen wird ihm die Fatalitt der kollektiven Desorganisation deutlich. In diesem Augenblick ist er nicht mehr der Andere, der wie alle wegluft; seine spontane Aktion reißt die anderen mit; die Reaktion der Anderen auf seine Aktion treibt ihn in die Fhrungsrolle, drngt ihn, die Flucht als geordneten Rckzug zu organisieren und eventuell einen geordneten Gegenangriff zu starten. »Fr ihn wird die Flucht, die als ansteckendes Phnomen begonnen hat, ein gemeinsamer und organisierter Akt, und zwar durch seine individuelle Praxis, aber insofern er die Gruppe in seinem Handlungsfeld geeint hat … In diesem Augenblick ist er souvern, das heißt er wird durch die Vernderung der Praxis Organisator der gemeinsamen Praxis. Nicht daß er sich als ein solcher will: er wird einfach dazu; seine eigene Flucht verwirklicht tatschlich die praktische Einheit aller in ihm; diese besondere Struktur resultiert aus dem besonderen Band, das den Dritten mit dieser Ansammlung im Auflsungsprozeß verbindet, und das aus ihm die synthetische, transzendente Einheit macht.« (KD 396; 401) Die Menschenmenge hat sich, durch die Bedrohung der Gegenseite unter Druck geraten, durch die Aktion des Dritten von der hilflosen Serialitt zur Gruppe gewandelt. Unter Fhrung des Dritten und durch ihn geeint wird sie zum Subjekt ihrer Handlungen. Auf diese Weise verbunden und geeint werden die Individuen aus ihrer Isolation herausgerissen und knnen so gemeinsam handeln. Durch die Gruppe entsteht eine neue Realitt, die die Menschen zum Subjekt ihrer Geschichte machen kann. (KD 464 f.; 453 f.) Was hier nachgezeichnet ist, drckt im Sinne Sartres beispielhaft die Bewegung der Geschichte aus: Unter dem Druck materieller Not und der durch sie verursachten gesellschaftlichen Verhltnisse 122

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wird der Mensch seiner selbst und des Anderen entfremdet. Der Andere wird zum Gegner, das Individuum gert in den Sog der Serialitt, deren Wirkung es ist, »jeder Gruppe den eigentlichen Sinn ihres Vorhabens zu rauben«. (KD 98; 62) – Wenn der Druck sich zur Unertrglichkeit steigert, kann es geschehen, daß im Auflsungsprozeß der Serialitt sich unter der Fhrung eines Dritten eine Gruppe bildet, durch die die Menschen »Subjekt ihrer Geschichte« (KD 99; 62) werden. In solchen Augenblicken wird die Befreiung des Menschen aus den Fesseln der Unterdrckung mglich, dort kommt das »Reich der Freiheit« in den Blick, von dem Marx sprach. Wrde dies Wirklichkeit, wre der Marxismus als treibende Kraft der Geschichte an seinem Ziel und Ende: »Sobald fr alle ein Spielraum wirklicher Freiheit zum Leben jenseits der Produktion besteht, hat der Marxismus seine Zeit vollendet; es wird dann eine Philosophie der Freiheit an seine Stelle treten.« (KD 41 f.; 32) Im Gegensatz zum Marxismus aber, der die Erreichung dieses Ziels wissenschaftlich glaubt voraussagen zu knnen (jedenfalls in seiner doktrinren Spielart), erscheint Sartre eine Prognose ber den Ausgang der Geschichte nicht mglich. Die Art Beziehung der Menschen untereinander ist auch in der Gruppe nicht die einer unmittelbaren, Wechselseitigkeit oder Gemeinschaft. Die Zusammengehrigkeit ist eine durch den Dritten vermittelte. 2 Das macht die Instabilitt der Gruppe aus. Sie ist somit stndig vom Rckfall in die Serialitt bedroht und muß durch Terror nach innen zusammengehalten werden, damit dem Verfall entgegengewirkt wird. (KD 458 ff.; 448 ff.) – So ist die Geschichte eher als ein Feld zu sehen, in dem sich Serialitt und Gruppenbildung ablsen, wobei nicht vorausgesagt werden kann, welche Krfte dauerhaft die Oberhand gewinnen. (KD 620 ff.; 570 ff.; KD 709 ff.; 636 ff.) – Jedenfalls kann nur durch eine spontane, gewaltttige Gruppenbildung Bewegung in die gesellschaftlichen Verhltnisse kommen. (Das erklrt Sartres Sympathie fr terroristische Gruppen der sechziger und siebziger Jahre.) Der Einzelne wird weiter mit der Entfremdung durch die Gesellschaft leben mssen. – Eine Erkenntnis birgt die Entfremdung jedoch in sich: Wenn der Mensch von sich selbst entfremdet ist, so muß etwas in ihm sein, das nicht Produkt der Krfte ist, die ihn entfremDie Bezge sind nach Sartre komplexer als hier etwas vereinfachend dargestellt; das Prinzip der Gruppenbildung drfte aber dennoch hinreichend erfaßt sein.

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den. Wre der Mensch nur Produkt, wre er reines Epiphnomen materieller Verhltnisse; er ginge in ihnen auf, wrde nicht an ihnen leiden und sie als Fesseln erfahren. Eine leidend erfahrene Entfremdung kann es nur geben, wenn eine ursprngliche menschliche Wirklichkeit zugrunde liegt, die durch entfremdende Krfte verbogen wird. »Wenn die Verdinglichung menschlicher Bezge mglich ist, dann deshalb, weil selbst diese verdinglichten menschlichen Bezge prinzipiell unterschieden sind von Bezgen von Sachen untereinander.« (KD 189 f.; 109) Die Existenz der freien menschlichen Wirklichkeit wird durch die gesellschaftliche Entfremdung nicht widerlegt, vielmehr besttigt. Die Entfremdung kann die Resultate einer freien Handlung umbiegen, aber die Realitt der Freiheit nicht abschaffen. »Wir wehren uns dagegen, den entfremdeten Menschen mit einer Sache, die Entfremdung selbst mit physischen Gesetzen gleichzusetzen, die die ußeren Konditionierungen steuern. Wir behaupten den Sondercharakter des menschlichen Tuns, das die gesellschaftliche Sphre durchdringt, dabei durchaus ihre Bestimmungen aufnimmt, und die Welt auf der Basis der gegebenen Bedingungen verndert. Fr uns ist der Mensch vor allem durch das berschreiten einer Situation gekennzeichnet, durch das, was ihm aus dem zu machen gelingt, wozu man ihn gemacht hat, selbst wenn er sich niemals in seiner Objektivierung wiedererkennt.« (KD 100 f.; 63) Wir knnen weder Gott sein noch sind wir einfach Produkt der gesellschaftlichen Verhltnisse. – Im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Dimensionen vollzieht sich unser Leben: zwischen der Notwendigkeit, Gott sein zu wollen, und der Not, den Grenzen und den Vorgaben, kurz: der Entfremdung, die uns das Dasein in der Welt auferlegt. Aus diesem Spannungsverhltnis werden wir uns nicht befreien knnen. Entscheidend ist allein, was uns aus dem zu machen gelingt, wozu man uns gemacht hat.

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V. berlegungen zur Judenfrage: Was heißt und wozu brauchen wir kulturelle Identitt? »Existierte der Jude nicht, der Antisemit wrde ihn erfinden« J.-P. Sartre, Rflexions sur la question ju ve

In der Geschichte Europas sind die Verfolgung und Unterdrckung der jdischen Menschen ohne Beispiel. – Davon soll hier nicht die Rede sein, sondern von ihren psychologischen und sozialen Ursachen, denen Sartre eine eindringliche Studie gewidmet hat. 1 Deren Aussagekraft reicht weit ber den von ihm selbst gesteckten Rahmen hinaus. Sartre untersucht die Situation seiner jdischen Mitbrger im republikanischen Frankreich der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Sein Fazit lautet: »Existierte der Jude nicht, der Antisemit wrde ihn erfinden« (JF 12; 14) 2 Ausgangspunkt des Antisemitismus ist fr Sartre eine »Urangst vor sich selbst« und eine »Angst vor der Wahrheit«: »Der vernnftige Mensch sucht unter Qualen, er weiß, daß seine Schlsse nur wahrscheinlich sind; er weiß nie genau, wohin es geht. … Es gibt jedoch Menschen, die von der Bestndigkeit des Steins angezogen werden. Sie wollen massiv und undurchdringlich sein, sie wollen sich nicht verndern: Wohin wrde die Vernderung sie fhren? Es handelt sich um eine Urangst vor sich selber und um Angst vor der Wahrheit.« (JF 15; 21) – Die Urangst vor sich selber resultiert aus der »Fatalitt der Spontaneitt des Bewußtseins«, die Sartre in Die Tranzendenz des Ego offengelegt hatte: »Es gibt keine Schranken mehr, keine Grenzen, nichts, was das Bewußtsein vor sich selbst verbirgt. Da pltzlich ngstigt sich das Bewußtsein, indem es das wahrnimmt, Rflexions sur la question juive, 1946 Sartre schreibt stets »der Jude« (»le Juif«). Im Deutschen erweckt diese Ausdrucksweise schlimmste Erinnerungen. Wir wrden lieber vom »jdischen Menschen« sprechen. In den Zitaten folge ich der wortgetreuen deutschen bersetzung. Es sei daran erinnert, daß die Redeweise »der Jude« im Franzsischen keinerlei negative Konnotationen impliziert, ebensowenig wie »der Deutsche« oder »der Englnder«.

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was man die Fatalitt seiner Spontaneitt nennen knnte: diese absolute, unheilbare Angst, diese Furcht vor sich selbst scheint uns konstitutiv fr das Bewußtsein«. (TE 88 f.; 82 f.) Wo sich zu dieser existentiellen Angst die Unfhigkeit gesellt, den gesellschaftlichen Wandel nachzuvollziehen und »die moderne Organisationsform der Gesellschaft zu verstehen« (JF 22; 35), neigen die Menschen dazu, sich einer rationalen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu erziehen. »Was sie erschreckt, ist nicht der Inhalt der Wahrheit, den sie nicht einmal ahnen, sondern die Form des Wahren, jenes Gegenstandes unendlicher Annherung. Das ist, als wre ihre eigene Existenz stndig in der Schwebe. Sie wollen jedoch ganz auf einmal und jetzt gleich existieren. … Da sie Angst vor dem Denken haben, mchten sie eine Lebensweise annehmen, bei der Denken und Nachforschen nur eine untergeordnete Rolle spielen, wo man immer nur nach dem forscht, was man schon gefunden hat, wo man immer nur wird, was man schon war«. (JF 15; 21) Diese Lebensweise ist die der Leidenschaft. »Nur eine starke und gefhlsmßige Voreingenommenheit kann zu einer berwltigenden Gewißheit fhren, nur sie kann das Denken an den Rand drngen, nur sie kann sich der Erfahrung verschließen und ein Leben lang fortbestehen.«(JF 16, 21 f.) – Die Leidenschaft aber braucht einen Gegenstand, und das kann nicht der Mensch der Leidenschaft selber sein; er kann sich nicht selbst lieben, da ihm eben die Angst jeden positiven Selbstbezug raubt. So bleibt ihm nur, die Selbstgewißheit aus dem Haß gegen den Anderen zu gewinnen, und als dieser Andere bietet sich der Jude an. Existierte er nicht, der Antisemit wrde ihn erfinden. »Der Antisemit hat den Haß gewhlt, weil der Haß ein Glaube ist.« (Ebd.) »Er hat auch gewhlt fruchterregend zu sein. … Niemand weiß, bis zu welchen Gewaltttigkeiten die Verwirrungen seiner Leidenschaft ihn treiben knnen, niemand außer ihm selbst: denn diese Leidenschaft ist nicht von außen provoziert. … Vor sich selbst hat er keine Angst: in den Augen der anderen [der verfolgten Juden – J. H.] sieht er jedoch sein furchterregendes Bild, und er paßt dem seine Worte, seine Gesten an. Dieses ußere Modell befreit ihn davon, seine Persnlichkeit in sich selbst zu suchen; er hat gewhlt, ganz draußen zu sein, sich niemals sich selbst zuzuwenden, nichts anderes zu sein als die Furcht, die er anderen einflßt: mehr noch als vor der Vernunft flieht er vor dem intimen Bewußtsein seiner selbst.« (JF 16 f., 23 f.) 126

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»Dieser Mensch frchtet jede Art von Einsamkeit, die des Genies ebenso wie die des Mrders: er ist der Mensch der Massen; so klein er auch sein mag, vorsichtshalber duckt er sich noch, um nicht aus der Herde herauszuragen und sich pltzlich selbst gegenberzustehen. … Es gibt einen leidenschaftlichen Stolz der Mittelmßigen, und der Antisemitismus ist der Versuch, die Mittelmßigkeit als solche aufzuwerten, um die Elite der Mittelmßigen zu schaffen. Fr den Antisemiten ist die Intelligenz jdisch, er kann sie also in aller Ruhe verachten. … Der wahre Franzose, in seiner Provinz, in seinem Land verwurzelt, von einer zweitausendjhrigen Tradition getragen, … braucht keine Intelligenz. Seine Tugend grndet in der Aneignung der Qualitten, die die Arbeit von hundert Generationen den Gegenstnden eingeprgt hat, die ihn umgeben. Selbstverstndlich handelt es sich um ererbtes, nicht kufliches Eigentum. … Der Antisemit begreift nur eine Art ursprnglicher und erdverbundener Aneignung, die auf einer echten magischen Besitzbeziehung beruht, bei der das besessene Objekt und sein Besitzer durch ein Band mystischer Teilhabe verbunden sind. … Dieses verwandelt den Eigentmer und stattet ihn mit einer besonderen und konkreten Sensibilitt aus. … Maurras 3 besttigt es: ein Jude wird niemals fhig sein, diesen Vers von Racine zu verstehen: Dans L’Orient dsert, quel devint mon ennui. Und warum sollte ich, der Mittelmßige, verstehen knnen, was der scharfsinnigste, kultivierteste Verstand nicht fassen konnte? Weil ich Racine besitze. Racine und meine Sprache und meinen Grund und Boden. Vielleicht spricht der Jude ein reineres Franzsisch als ich: das macht nichts. Diese Sprache spricht er erst seit zwanzig, ich seit tausend Jahren.« (JF 17 ff.; 25 ff.) »Der Antisemitismus ist nicht nur die Freude am Haß, er verschafft auch positive Lust: indem ich den Juden als ein niederes und schndliches Wesen behandle, behaupte ich zugleich, einer Elite anzugehren. … Ich brauche nichts zu tun, um meine Hherwertigkeit zu verdienen, und ich kann sie auch nicht verlieren. Sie ist mir ein fr allemal gegeben: sie ist ein Ding.« (JF 20; 30 f.) Die condition humaine, die Angst, außer-sich zu sein und sich selbst finden zu mssen, treibt den schwachen Menschen dazu, im Haß und der Verachtung des Anderen eine Selbstgewißheit zu suchen, die nicht erarbeitet werden muß. Er sucht die undurchdringFranz. Schriftsteller (1868–1952), Monarchist und leidenschaftlicher Verteidiger der Werte der Tradition. Anm. J. H.

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liche und unhinterfragbare Dichte, das Voll-Sein-von-sich-selbst, die Identitt, die dem An-sich-Sein eigen ist und die dem Stein gleicht. Dieser hat keine Fragen. »Der Antisemit flieht die Verantwortung wie das eigene Bewußtsein.« Er whlt »fr die eigene Person die Bestndigkeit des Steins« (JF 20). Diese will er sich in der mystischen Teilhabe am Boden und an der tausendjhrigen Kultur seines Landes aneignen. Er stellt sich in einen Gegensatz zum Juden wie das Gefhl zum Verstand, wie das Besondere zum Allgemeinen, wie die Vergangenheit zur Gegenwart. (Ebd.) »Wir beginnen den Sinn der Wahl zu erkennen, die der Antisemit fr sich getroffen hat: Er whlt das Unwandelbare aus Angst vor seiner Freiheit, die Mittelmßigkeit aus Angst vor der Einsamkeit, und diese unwandelbare Mittelmßigkeit erhebt er zu seinem dnkelhaften, versteinerten Adel. Fr diese verschiedenen Schritte braucht er unbedingt die Existenz des Juden: Wem wre er sonst berlegen?« (Ebd.) Die Bestndigkeit des Steins whlend, frchtet sich der Antisemit »vor der Erkenntnis, daß die Welt schlecht eingerichtet ist: man mßte dann ja erfinderisch sein, Vernderungen anstreben, und der Mensch wre wieder Herr seines eigenen Schicksals, beladen mit einer bengstigenden und unendlichen Verantwortung.« (JF 28; 46 f.) Um dieser Herausforderung aus dem Wege zu gehen, der er sich nicht gewachsen fhlt, »begrenzt er alles bel der Welt auf den Juden.« (Ebd.) »Es geht … um die Schden, die eine bse Macht der Gesellschaft zufgt. Folglich besteht das Gute darin, das Bse zu zerstren. Hinter der Verbitterung des Antisemiten verbirgt sich der optimistische Glaube, nach der Vertreibung des Bsen werde sich die Harmonie von selbst wieder einstellen. Seine Aufgabe ist also rein negativ: es geht nicht darum, eine Gesellschaft aufzubauen, sondern nur darum, die bestehende zu reinigen. … Ritter des Guten, ist der Antisemit heilig, und auch der Jude ist es auf seine Weise: heilig wie die Unberhrbaren, wie die unter einem Tabu stehenden Eingeborenen. So wird der Kampf auf religiser Ebene gefhrt, und sein Ende kann nur die heilige Vernichtung sein.« (Ebd. 29, 50) »Die Vorteile dieser Position sind mannigfaltig: zunchst begnstigt sie die Denkfaulheit: Wir sahen, daß der Antisemit von der modernen Gesellschaft nichts versteht, daß er unfhig ist, einen konstruktiven Plan zu entwickeln; sein Handeln … verharrt auf dem Boden der Leidenschaft. … Vor allem aber ist dieser naive Dualismus fr den Antisemiten selbst außerordentlich beruhigend: es geht nur 128

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darum, das Bse zu entfernen, weil das Gute schon gegeben ist. Man muß es nicht angstvoll suchen, nicht erfinden, und, ist es einmal gefunden, nicht immer wieder in Frage stellen, nicht im Handeln der Bewhrung aussetzen. … Wenn er seine Mission als heiliger Zerstrer erfllt haben wird, wird das verlorenen Paradies von selbst neu entstehen. Er ist jedoch im Moment derart beansprucht, daß er keine Zeit hat, darber nachzudenken: … er kmpft, und jede seiner Entrstungen ist ein Vorwand, der ihn davon ablenkt, angstvoll das Gute zu suchen.« (JF 30; 50 f.) So erklrt der Antisemit »den Lauf der Welt aus dem Kampf des Prinzips des Guten gegen das Prinzip des Bsen. Zwischen diesen beiden ist kein Ausgleich denkbar.« (JF 28; 47) Fr einen solchen Manichismus sind jedoch nach Sartre nicht die Menschen aller sozialen Schichten in gleicher Weise anfllig. Der marxistischen Erkenntnis- und Praxistheorie verhaftet schreibt er: »Jeder beurteilt die Geschichte nach seinen Beruf«. (JF 25) »Bei den Arbeitern findet man kaum Antisemitismus«. (Ebd.) Der Grund ist darin zu suchen, daß die arbeitende Bevlkerung zutiefst in den materiellen Produktionsprozeß involviert ist und diesen als gleichsam autonomen gesamtgesellschaftlichen Prozeß erfhrt, der als arbeitsteiliger von einer Vielzahl von Faktoren und Elementen bestimmt ist. Die Arbeiterklasse sieht die Geschichte als »Ergebnis des Spiels konomischer Organismen«. (Ebd.) »Die Mehrheit der Antisemiten gehrt im Gegenteil zu den Mittelschichten. … In der Tat produziert der Bourgeois nicht: er leitet, verwaltet, verteilt, kauft und verkauft. … seine Ttigkeit beruht auf einem stndigen Verkehr mit Menschen, whrend der Arbeiter in der Ausbung seines Berufs in stndiger Berhrung mit den Dingen ist. … Von seinem tglichen Einwirken auf die Materie geformt, sieht der Arbeiter die Gesellschaft als Produkt realer Krfte an, die nach strengen Gesetzen wirken. … Die Bourgeoisie dagegen und vor allem der Antisemit haben gewhlt, die Geschichte durch das Handeln individueller Willen zu erklren.« (Ebd.) Die Praxis dieser Leute besteht in erster Linie in der Einwirkung auf Menschen und in der Auseinandersetzung mit ihnen. »Hngen Sie nicht von eben diesen Willen in der Ausbung ihres Berufs ab? … Sie verhalten sich gegenber den sozialen Tatsachen wie primitive Vlker, die den Wind oder die Sonne mit einer kleinen Seele ausstatten.« (JF 25 f.; 42 f.) Wer als arbeitender Mensch, als Landwirt, Techniker, Ingenieur, Arzt usw., gelernt hat, einer ußerst komplexen, widerspenstigen anA

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organischen oder organischen Materie Erfolge abzuringen, wird nicht so leicht geneigt sein, in allen menschlichen Dingen individuelle willentliche Ursachen wirken zu sehen, die es bei Nichtgefallen einfach nur zu bekmpfen gelte, damit die wohlgelittenen brig bleiben. – Fr Sartre erliegen einem solchen Animismus in erster Linie die Mitglieder der gesellschaftlichen Klasse, die (im Marxschen Sinne) nicht arbeiten, also nicht die Erfahrung der Hrte der Produktion der materiellen Lebensgter gemacht haben. Dies knnen je nach Gesellschaftsformation die Kapitaleigner gegenber den Lohnabhngigen, die Mnner gegenber den Frauen, die Priester gegenber den Glubigen, die Intellektuellen gegenber den Bauern sein. Diese haben dann auch die Zeit, sich manichistischen Allmachtsphantasien hinzugeben. Der Versuch, Selbstgewißheit in Kultur und Boden zu suchen, die Bestndigkeit und Identitt des Gesteins verleihen, ist gefhrlich. Wer die Vergangenheit whlt, verspielt die Zukunft. Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt. Das Dasein definiert sich geradezu durch das berschreiten des Gegebenen, dessen, was die Gesellschaft, aber auch wir selbst aus uns gemacht haben. »Fr uns ist der Mensch vor allem durch das berschreiten einer Situation gekennzeichnet, durch das, was ihm aus dem zu machen gelingt, was man aus ihm gemacht hat.« (KD 101; 63) So wenig wie es den Menschen gibt, gibt es den Juden, den Deutschen, den Moslem, den Amerikaner. – Sartre hatte zu bedenken gegeben, daß der klassische Humanismus zum Faschismus fhrt: 4 Er erhebt ein bestimmtes Verstndnis des Menschlichen zur allgemeinen Norm. Mensch ist, wer dieser Norm entspricht. Damit werden alle, die dies nicht tun, zu Untermenschen. Ebenso gefhrlich ist eine Einstellung, die man entsprechend »kulturellen Humanismus« nennen knnte: die Idee des guten Juden, des guten Deutschen, des guten Amerikaners, des guten Moslems usw. Fr Sartre lßt sich der Mensch weder erfassen und verstehen noch wrdigen als Angehriger einer Rasse, eines Volkes, einer Kultur oder einer Religion. Ein solcher Anspruch wird dem Transzendenzcharakter der menschlichen Wirklichkeit nicht gerecht. Die »Identitt« des Menschen, das heißt, was ihn unverwechselbar zu dem macht, was er als Person ist, das ergibt sich nicht aus einer 4

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natrlichen oder kulturellen Zugehrigkeit, sondern vielmehr aus der individuellen ursprnglichen Wahl seiner selbst innerhalb des Spielraums freien Wollens, der ihm zwischen der ontologischen Notwendigkeit und den konkreten familiren, kulturellen und sozialen Bedingungen bleibt, innerhalb derer und aus der heraus er seine konkrete Weise zu sein bestimmt. »Wir glauben nicht an die menschliche Natur«, schreibt Sartre, »fr uns ist der Mensch vor allem als ein Sein ›in Situation‹ definiert. Das heißt, er bildet ein synthetisches Ganzes mit seiner biologischen, konomischen, politischen, kulturellen usw. Situation. Man kann ihn nicht von ihr unterscheiden, denn sie formt ihn und entscheidet ber seine Mglichkeiten, doch umgekehrt ist er es, der ihr ihren Sinn gibt, indem er sich in ihr und durch sie whlt.« (JF 38; 71 f.) – Eine Frau, die das islamische Kopftuch trgt, mag dies tun, weil ihr Milieu dies abverlangt. Aber die Tatsache als solche kennzeichnet sie weder als muslimische Fundamentalistin noch als gelebtes Eingestndnis des schuldhaften Charakters ihrer Weiblichkeit. Sie allein ist es, die dem Kopftuch einen Sinn gibt: Dieser kann der Liebe und Rcksicht auf den Gatten und die Kinder entspringen, ein Zeugnis religiser Zugehrigkeit (natrlich auch des Fanatismus) sein, den Willen ausdrcken, als Mensch bzw. als Frau und nicht nur als Objekt sexueller Begierde wahrgenommen zu werden – oder einfach eine gewohnte Art, sich zu kleiden. Sartre untermauert seine Position durch eine eindringliche Auseinandersetzung mit der Frage, was den Juden zum Juden macht: Er leugnet erst einmal nicht, daß es eine jdische Rasse gibt. »Doch wir mssen und recht verstehen. Wenn man unter Rasse diesen undefinierbaren Komplex versteht, in dem man kunterbunt somatische Merkmale und intellektuelle wie moralische Wesenszge hineinpackt, glaube ich daran nicht mehr als an das Tischrcken. Was ich mangels Besserem ethnische Merkmale nennen wrde, sind bestimmte ererbte physische Formen, denen man bei Juden hufiger begegnet als bei Nichtjuden. Aber auch da muß man vorsichtig sein. … Bekanntlich sind nicht alle Semiten Juden, was das Problem erschwert; es ist auch bekannt, daß manche blonden Juden aus Rußland von einem kraushaarigen algerischen Juden entfernter sind als von einem ostpreußischem Arier. … Wie dem auch sei, und sogar angenommen, alle Juden htten bestimmte physische Zge gemein, kann man daraus nicht schließen, … sie mßten auch dieselben Charakterzge haben.« (Ebd. 39 f.; 73 f.) Die physischen Merkmale, die man beim Semiten A

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feststellen kann, bestehen nebeneinander, sind nicht notwenig miteinander verbunden. »Im nchsten Augenblick kann ich eines von ihnen bei einem Arier wiederfinden. Werde ich daraus schließen, daß der Arier auch jene psychische Eigenschaft hat, die man gewhnlich Juden zuspricht?« (Ebd.) Dasselbe gilt fr die psychischen Eigenschaften, die weder untereinander noch mit den physischen Eigenschaften in einem bestimmten, notwendigen Zusammenhang stehen. »Aber dann strzt die ganze Rassentheorie in sich zusammen: sie setzt voraus, der Jude sei eine nicht zerlegbare Ganzheit; … wir knnen weder vom Physischen auf das Moralische schließen noch einen psychophysiologischen Parallelismus postulieren.« (Ebd.) Was wir als Juden wahrnehmen, ist eine »synkretistische Totalitt« (ebd.), in der einzelne Elemente faktisch, aber nicht notwendig miteinander verbunden sind. »Synkretistisch« meint: globale und mehr oder weniger konfuse Wahrnehmung eines Ganzen. 5 – Sartre macht dies an einem Beispiel deutlich: »Da ist ein Jude, der in der Rue des Rosiers vor seiner Tr sitzt. Ich erkenne ihn sofort als Juden: er hat einen schwarzen, gekruselten Bart, eine leicht gebogene Nase, abstehende Ohren, ein eisernes Brillengestell, eine bis zu den Augen heruntergezogene Melone, einen schwarzen Anzug, schnelle, nervse Gesten und ein seltsam schmerzlich-gtiges Lcheln. Wie soll man das Physische vom Moralischen Trennen? Sein Bart ist schwarz und gekruselt: das ist ein somatisches Merkmal. Doch was mir besonders auffllt, ist, daß er ihn wachsen lßt; dadurch drckt er seine Bindung an die Tradition der jdischen Gemeinschaft aus, er gibt sich als jemanden zu erkennen, der aus Polen gekommen ist und einer ersten Generation von Einwanderern angehrt; ist sein Sohn weniger Jude, weil er sich rasiert? Andere Zge, wie die Nasenform oder die abstehenden Ohren sind rein anatomisch, wieder andere rein psychisch und sozial, wie die Wahl der Kleidung und der Brille, das Minenspiel und die Gesten. Was kennzeichnet ihn fr mich als Juden, wenn nicht diese nicht zerlegbare Gesamtheit, bei der das Psychische und das Physische, das Soziale, das Religise und das Individuelle sich gegenseitig durchdringen, wenn nicht diese lebendige Synthese, die natrlich nicht durch Vererbung weitergegeben werden kann, und die, im Grunde, identisch mit seiner gesamten Person ist?« (JF 41; 76 f.) Die Identitt des Menschen, das also, was ihn unverwechselbar 5

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S. Le Petit Robert, Dictionnaire de la langue fran aise, Paris 1993, S. 2543

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zu dem macht, was er als Person ist, leitet sich nicht aus seiner Zugehrigkeit zu einer Ethnie, Kultur oder Religion ab. Diese Zugehrigkeit stellt jeweils nur ein (in sich selbst vielschichtiges) Element einer komplexen, gelebten Synthese aus einer Vielzahl physischer, psychischer, sozialer kultureller usw. Gegebenheiten dar, die durch die individuelle Wahl zu einer Ganzheit verbunden werden, in der die Elemente miteinander durch die getroffene Wahl Sinn und Bedeutung erlangen. Die Aufforderung des Korans zum heiligen Krieg wird sowohl faschistoid interpretiert im Sinne der physischen Ausrottung aller Unglubigen als auch spirituell im Sinne eines Kampfes gegen die inneren bsen Neigungen in uns. Dies kann davon abhngen, ob ein Mensch im Milieu gtiger Liebe oder des Hasses und der Demtigung aufwchst. Aber auch im letzten Fall determiniert ihn die Erfahrung des Hasses nicht notwendig. Als bewußte, freie Existenz stets außer sich muß der Mensch in ein bewußtes Verhltnis zu sich selbst und zu den Gegebenheiten treten. Er kann die Leidenschaft, den Haß, whlen, weil dieser ihn vom bewußten Denken befreit. Der Spielraum freien Wollens reicht aber auch aus, anstelle des Hasses die Gte der Botschaft seines Gottes zu whlen. Wenn weder die Rasse, noch die Kultur, noch das psycho-soziale Milieu den Menschen en bloc und notwendig bestimmen, ist es nachvollziehbar, daß ergebenster Gottesglaube und technologische Meisterschaft im Tten, vllige Verschleierung und innere Freiheit des Geistes, Gottlosigkeit und selbstlose Hingabe … sich miteinander verbinden. Was den Wert eines Menschen bestimmt, ist die je eigene gelebte Synthese, die eine Person, ihre Grße und Niederlagen ausmachen. Diese haben wir zu achten, sie fordert unser Verstehen und unsere Sympathie. Weder Gott noch die Kultur noch die Natur entschuldigen den Menschen oder retten ihn vor sich selbst. Die Kulturen als solche sind an sich ohne Wert, wie auch die Zugehrigkeit zu ihr. Entscheidend ist, was der Mensch aus ihnen macht bzw. was er aus dem macht, wozu man ihn gemacht hat. Diese Wahl und Tat liegt in seiner Verantwortung und macht seine Wrde aus. Das ist der Sinn des Humanismus im Sinne Sartres. Er fordert von uns, den Menschen als konkrete gelebte Synthese zu sehen und zu achten, nicht als Zugehriger einer natrlichen oder kulturellen Spezies, einer bestimmten Ethnie, Religion, Nation, Moral oder politischen Gesinnungsgemeinschaft. A

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VI. Ontologie und Moral

»Wenn ich das unmgliche Heil in der Requisitenkammer abgebe, was bleibt? Ein ganzer Mensch, aus allen Menschen gemacht, der soviel wert ist wie sie alle und wie ein jeder von ihnen.« J.-P. Sartre, Les Mots

Einleitend in seinen Essay Ist der Existentialismus ein Humanismus? listet Sartre selbst die Vorwrfe auf, die seiner Philosophie von unterschiedlicher Seite gemacht werden: sie fhre zum Quietismus und zur Verzweiflung, weil man an sich und an den Verhltnissen doch nichts ndern knne. Sartre habe die guten und schnen Dinge im Leben bersehen und nur das Niedertrchtige wahrnehmen wollen. Er verleugne das Positive und Ernsthafte in den menschlichen Unternehmungen. Der Mensch wrde als vereinzelter und vereinsamter gezeichnet und damit aus der menschlichen Solidaritt herausgenommen. (EH 145–147; 9–17) Wird nicht in der Tat ein deprimierendes Menschenbild sichtbar, das jeden lebensbejahenden Schritt vollkommen entmutigt? Sartre wehrt sich gegen solche Vorhaltungen; er verteidigt den humanistischen Charakter und verweist auf die »optimistische Hrte« seines Denkens. (EH 163; 59) Allerdings, es ist ein Humanismus besonderer Art, den er fr sich in Anspruch nimmt, und den er vom »klassischen« Humanismus abgrenzt: »In diesem Sinne gibt es zum Beispiel einen Humanismus bei Cocteau, wenn in seiner Erzhlung In 80 Stunden um die Welt eine Person, da sie nun die Gebirge mit dem Flugzeug berfliegt, erklrt: der Mensch ist fabelhaft. Das bedeutet, daß ich persnlich, der ich keine Flugzeuge gebaut habe, aus diesen besonderen Erfindungen Gewinn ziehe, und daß ich persnlich als Mensch mich als verantwortlich und geehrt fhlen kann durch besondere Taten, die einigen Menschen eigen sind … Dieser Humanismus ist absurd, denn nur das Pferd oder der Hund knnten ein Gesamturteil ber den Menschen fllen und erklren, daß der Mensch fabelhaft ist, 134

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was sie sich hten zu tun, jedenfalls meiner Kenntnis nach.« (EH 174 f.; 90 f.) Ein solches Urteil ber den Menschen wrde wohl nicht sehr positiv ausfallen. – Abgesehen aber von seinem illusorischen Charakter ist ein solcher Humanismus auch gefhrlich: Es bildet sich eine Idee vom wahren und idealen Menschen heraus, vom Menschen, wie er an sich ist oder zumindest sein sollte. Diese Idee des Menschen wird zum Maßstab, den man anlegen kann an jeden einzelnen, und der es erlaubt, die Menschen einzuteilen in Menschen und Untermenschen; letztere sind die, die diesem Maßstab nicht entsprechen. Im Namen des ›wahren‹ Menschen ist es dann gerechtfertigt, Menschen zu verachten, zu unterdrcken, ›umzuerziehen‹. »Der Kult der Humanitt fhrt zum geschlossenen Humanismus Comtes, und, das muß gesagt werden, zum Faschismus.« (EH 175; 92) Dieser ›wahre‹ Mensch existiert nicht. Fr Sartre jedenfalls ist der Mensch »immer neu zu schaffen«. »Der Mensch ist stndig außerhalb seiner selbst, er lßt den Menschen entstehen, indem er sich entwirft und sich außerhalb seiner selbst verliert.« (Ebd.) Als solche ist jede menschliche Existenz einmalig und unter keine Norm subsumierbar. Sie besteht in einer Wahl, und ohne diese Wahl des Menschen durch sich selbst gibt es die menschliche Wirklichkeit nicht. Was ein Mensch ist, entscheidet ein jeder fr sich durch die Wahl seiner Weise, zu sein. Hierauf grndet Sartre seinen, den existentialistischen Humanismus: »Humanismus, weil wir den Menschen daran erinnern, daß es keinen anderen Gesetzgeber gibt als ihn selbst, und daß er in Verlassenheit ber sich entscheidet.« (EH 176; 93 f.) Genau das unterscheidet den Menschen von einer Sache. »Aber was wollen wir denn damit anderes sagen, als daß der Mensch eine grßere Wrde hat als der Stein oder der Tisch?« (EH 22 f.; 22) Diese Wrde kommt jedem einzelnen aufgrund der Tatsache zu, daß er sich gewhlt hat, selbst wenn die getroffene Wahl der Sache nach und in ihren Folgen auch noch so unglcklich ist, denn die Last der Freiheit ist fr alle gleich. – Es gibt kein Gesetz des Menschlichen, das der eine dem anderen vorzuschreiben ein Recht htte! Darin liegt, das wurde mehrfach gesagt, der weltanschauliche und politische Sprengstoff der Philosophie Sartres. Wenn aber der Mensch aufgrund seiner ontologischen Notwendigkeit stets außer sich, nie bei sich, wenn er in seinem Sein leidend ist (SN 191; 134), dann gibt es keine Erlsung, weder durch einen A

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Umsturz der gesellschaftlichen Verhltnisse noch durch Huxleys schne neue Welt. Eine Erlsung, auch durch Gott, mßte die ontologische Verfaßtheit des Menschen aufheben; dann aber gbe es keine menschliche Wirklichkeit, weil kein Bewußtsein mehr, dessen integrativer Bestandteil das Leiden ist. Niemand leidet gern, und es gibt keinen Grund, das Leiden zu verherrlichen. Leiden setzt herab, jedenfalls solches, das nicht von einer klar faßbaren, ußeren, von uns nicht zu vertretenden Ursache herrhrt. So schmen wir uns der Grippe nicht, aber wir wollen nicht wahrhaben, daß wir an uns selbst leiden. Willkommen sind daher »die großen Erklrungsidole unserer Zeit: Erbanlagen, Erziehung, Milieu, physiologische Konstitution«. (SN 960; 645) Sie entlasten uns von uns selbst: wir sind nicht selbst schuld, daß wir so sind, wie wir sind, unsere Erziehung hat uns so gemacht, unsere Veranlagung usw. So knnen wir mit dem Finger auf die ›Ursachen‹ zeigen und uns zum Anklger der Umstnde, der Umwelt, des Lebens allgemein machen, anstatt daß wir uns uns selbst stellen. – Darin liegt das wenig geheimnisvolle, einfache, stets wirksame Rezept aller Manipulatoren der Menschheit: sie geben uns recht gegenber anderen, sie entlasten uns von uns selbst, und wenn wir von uns selbst entlastet und im Recht sind, knnen wir ber andere richten, anstatt mit uns selbst ins Gericht zu gehen. »Die Leute wren beruhigt, wenn wir wie Zola erklren wrden, daß sie so sind aufgrund der Erbanlagen, der Umwelteinflsse, aufgrund eines organischen oder physiologischen Determinismus, und sie wrden sagen: so ist es, wir sind so, niemand kann etwas dafr; wenn der Existentialist aber einen Feigling beschreibt, sagt er, daß der Feige fr seine Feigheit verantwortlich ist.« (EH 163; 59) »Es gibt immer eine Mglichkeit fr den Feigen, nicht mehr feige zu sein.« (EH 164; 62) Das ist die »optimistische Hrte«, die Sartre fr sein Denken in Anspruch nimmt. Der Mensch ist weder festgeschrieben noch festzuschreiben. Er muß sich stets whlen. Alle Versuche, die Last der Wahl abzuschieben auf bergeordnete Grßen (Gott, die gesellschaftlichen Verhltnisse, Triebschicksale usw.) sind falsch: Denn die alles bestimmende Existenz dieser Mchte ist nicht bewiesen; der Mensch whlt zunchst diese Mchte, um anschließend die Verantwortung fr sich auf sie abzuschieben. (EH 152 f.; 30 ff.) »Hart« ist das Denken Sartres, weil es solche Ausflchte nicht zulßt. »Der Existentialismus ist nicht in erster Linie in dem Sinn ein 136

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Atheismus, daß er sich darin erschpfen wrde zu beweisen, daß Gott nicht existiert. Er erklrt vielmehr: selbst wenn Gott existierte, wrde das nichts ndern; das ist unser Standpunkt. Nicht daß wir glauben, daß Gott existiert, aber wir glauben, daß das Problem nicht das seiner Existenz ist. Der Mensch muß sich selbst wiederfinden und sich davon berzeugen, daß nichts ihn vor sich selbst retten kann, und wre es ein gltiger Beweis der Existenz Gottes.« (EH 176; 95) Ein solcher »Optimismus« knnte widersprchlich erscheinen zu jenem Fatalismus der Notwendigkeit, der die Ontologie der menschlichen Existenz kennzeichnet. Mssen wir nicht immer den aussichtslosen Versuch unternehmen, Gott zu sein? Und fllt nicht dieser Versuch stets in den Rahmen der psychischen und sozialen Vorgaben zurck, den er zu berwinden trachtet? Hier gilt es, zwei Ebenen zu unterscheiden: die der existentiellen Grundbedingungen und die des konkreten, zu lebenden Lebens. Der Pessimismus hinsichtlich der Existenzbedingungen als solcher schließt den Optimismus hinsichtlich des konkreten Lebens nicht aus, er verleiht diesem vielmehr eine befreiende Klarheit. 1 Sicher: was uns umtreibt im Leben und Handeln, ist eine zum Scheitern verurteilte Notwendigkeit: der Versuch, uns zu grnden. Wenn dieser aber erfolglos bleibt, heißt das nicht, daß alles, was uns im Leben und Handeln begegnet, gemein und verwerflich ist. Das gelebte Leben beinhaltet schne und lebenswerte Seiten, die Sartre weder theoretisch noch praktisch verleugnet hat. – Dieses Schne und Lebenswerte im Leben kann um so freier genossen und bejaht werden, als es außerhalb seiner nichts gibt – außer der Pflicht zu erleiden, was unser Schicksal ist. Orest in Die Fliegen weiß von einer glcklichen Kindheit zu berichten, die er auch da nicht verleugnet, wo ihm bewußt wird, daß er auf der Suche nach etwas anderem ist: nach seiner Weise, zu sein (2. Akt, 4. Szene). Auch dispensiert uns der Pessimismus hinsichtlich der Existenz als solcher nicht davon, an der Auseinandersetzung um das Recht und die Freiheit des Einzelnen aktiv teilzunehmen. »Ich bin verpflichtet, mit meiner Freiheit zugleich die Freiheit der Anderen zu wollen, ich kann nicht meine Freiheit zum Ziel nehmen, wenn ich nicht in gleicher Weise auch die der anderen zum Ziel habe.« (EH 172; 83) – Sicher gibt es fr Sartre keine allgemeinverbindliche Das ist auch die Grundberzeugung Camus’. Vgl. J. Hengelbrock: Albert Camus. Ursprnglichkeit der Empfindung und Krisis des Denkens, Freiburg/Mnchen 1992.

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Moral, im Rahmen derer ein entsprechendes Gebot absoluten Geltungsanspruch htte. Aber es gibt das Postulat der Authentizitt, der bereinstimmung mit sich selbst, und dieses verlangt, daß ich, wenn ich meine Freiheit erkannt und als Wert bejaht habe, diese nicht ausschließlich fr mich in Anspruch nehmen kann, vielmehr allen zubilligen muß, die mit mir in gleicher Weise die condition humaine teilen. In diesem Sinne hat Sartre sich stets ffentlich und gegenber allen politischen und ideologischen Richtungen fr die Rechte des Einzelnen eingesetzt – nicht immer vorurteilslos und mit Blick fr die Realitten, aber doch ohne sich von der einen oder anderen Seite vereinnahmen zu lassen. – Sartres Dramen zeichnen neben Beispielen des Versagens (Geschlossene Gesellschaft) auch Beispiele menschlicher Solidaritt (Die respektvolle Dirne, Tote ohne Begrbnis). Die Verantwortung, die der Mensch fr den Menschen trgt, reicht fr Sartre noch weiter. Da es keinen Gott gibt, der festlegt, was der Mensch ist, legt jede einzelne Wahl ein Bild vom Menschen fest als eine gute, erstrebenswerte Weise, zu sein. Denn wenn wir eine Weise zu sein whlen, drcken wir damit aus, daß wir diese fr eine gute halten, denn niemand whlt, was er (fr sich selbst) als schlecht ansieht. (EH 151; 25) »In der Tat gibt es keine unserer Taten, die, indem sie den Menschen schafft, der wir sein wollen, nicht zugleich ein Bild des Menschen schafft, so wie wir meinen, daß er sein soll.« (Ebd.) Da wir uns alle im Angesicht des Anderen entwerfen (s. o. Kap. III, § 6), bleibt das Bild des Menschen, das ich lebe, nicht folgenlos: Es legt eine Weise des Menschseins fest, »die die ganze Menschheit betrifft«. (EH 151; 27) Diese berlegungen kennzeichnen einen Humanismus, der das Bild Sartres etwas weniger dster erscheinen lßt. Man kann natrlich zurecht behaupten, daß er sich nicht streng deduktiv aus Sartres Ontologie der menschlichen Existenz ergibt. Aber ist dies notwendig? Muß aus dem Sein ein Sollen ableitbar sein? Man hat gesagt daß in einem solchen Fall ein »naturalistischer Fehlschluß« vorliegt. 2 Wird man das Denken Sartres unter einen solchen naturalistischen Legitimationszwang stellen wollen und es ablehnen, weil eine ›positive‹ Moral aus ihm nicht zwingend zu begrnden ist? »Der metaphysische Pessimismus bringt keineswegs mit sich, 2

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Der Ausdruck stammt von G. E. Moore: Principia Ethica, Cambridge 1903, 38 f.

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daß man am Menschen verzweifeln muß«, schrieb Camus, der sich hnlichen Vorwrfen ausgesetzt sah (4.1, 1422). Wenn sich, um eine Moral zu begrnden, ein Rckgriff auf absolute Werte oder einen gttlichen Gesetzgeber verbietet, so ist man keineswegs zur Unmoral verdammt. Das Postulat der Authentizitt, der bereinstimmung mit sich selbst, erlaubt es, moralische Werturteile zu fllen (EH 171 f.; 82), wenn diese auch an die Anerkennung dieses Postulats gebunden sind. Aber auch der gttliche Gesetzgeber und die absoluten Werte bedrfen der Anerkennung durch einen jeden von uns. Der Mensch ist das, wozu er sich macht, und das wird in unterschiedlichen Situationen je etwas anderes sein. – Der Verzicht auf ein Ideal des Menschen an sich erlaubt einen ruhigeren Blick auf das Leben. »Die existentielle Psychoanalyse wird ihm das wirkliche Ziel seiner Suche erffnen, welches ist: das Sein als synthetische Fusion des An-sich und Fr-sich; sie wird ihn ber die tatschliche Bedeutung seiner Leidenschaft aufklren. Eigentlich gibt es viele Menschen, die diese Psychoanalyse auf sich selbst angewandt und die nicht gewartet haben, bis sie deren Grundstze kennerlernten, um sich ihrer als eines Mittels der Befreiung und des Heils zu bedienen. Viele Menschen wissen in der Tat, daß das Ziel ihres Suchens das Sein ist; und in dem Maße, wie sie diese Erkenntnis besitzen, unterlassen sie es, die Dinge sich um ihrer selbst willen aneignen zu wollen, und versuchen, die symbolische Aneignung ihres An-sich-Seins zu verwirklichen.« (SN 1070; 721) – Derjenige, der weiß, daß das, was ihn treibt, die Suche nach einer unmglichen Koinzidenz von Sein und Bewußtsein ist, wird von dem Wahn frei, etwas haben, etwas erreichen, etwas darstellen zu mssen. Er ist sich bewußt, daß alles Suchen und Tun seinen Sinn in sich selbst hat und nicht der Besttigung durch den Erfolg bedarf. Er erfaßt und bejaht dieses Suchen und Tun als Ausdruck und Symbol der inneren, ontologischen Notwendigkeit. Das Wissen um diese ermglicht die Vershnung mit sich selbst und auch die »Ergebenheit in das Notwendige« (Freud). – Die Einsicht in den symbolischen Charakter unserer Handlungen befreit vom Erfolgsdruck und schafft die Grundlage fr eine Solidaritt unter Menschen, die vom Anderen nicht mehr verlangt, als dieser geben kann. So bringt ein illusionsloser Blick auf den Menschen und auf sich selbst jenes Minimum an stoischer Gelassenheit hervor, ohne die das Leben nicht zu bewltigen ist. Wer eine solche Gelassenheit bt, wird A

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weniger vor sich selbst fliehen und vor dem eigenen Abgrund nicht mehr erschrecken. Wer den Abgrund in sich ertrgt, wird auch den Abgrund im Anderen ertragen und sich dem Mitmenschen nicht berlegen fhlen. »Wenn ich das unmgliche Heil in der Requisitenkammer abgebe, was bleibt? Ein ganzer Mensch, aus allen Menschen gemacht, der soviel wert ist wie sie alle und wie ein jeder von ihnen.« (W 145; 213)

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VII. Die Welt der Zeichen

»Eine Idee, das ist, in mir, die Sule der Stze, die sie wiedergeben, ihre Kapitelle in der Sonne, ihre Sockel im Dunkeln, und die mich in der Zeit definiert als der – mir selbst verborgene – Grund der ausgewhlten Wrter.« J.-P. Sartre, Der Idiot der Familie

Fr Sartre ist die Transzendenz das kennzeichnende Merkmal der menschlichen Existenz. Dies gilt aber nicht nur in bezug auf die biologischen, psychologischen und sozialen Gegebenheiten, sondern auch in bezug auf die kulturellen. Der Mensch ist Produzent seiner Kultur, aber nicht ihr Produkt. Als Produkt der Kultur wrde er innerhalb ihrer funktionieren, aber nie ihren Sinn verstehen, sie als solche, als menschliche Schpfung, berhaupt nicht erfassen. Zwar wird er in eine bestimmte Kultur hineingeboren, die unbestreitbar prgenden Einfluß auf ihn ausbt. Aber sein Fr-sich-Sein als stetige Neuschpfung in der Negation des Gegebenen zwingt ihn, sich ihr gegenber in ein gewhltes Verhltnis als »lebendige Synthese« zu setzen 1 . Hierin liegt seine Transzendenz ihr gegenber begrndet. Dieses gilt auch fr die Welt der Zeichen, die Sprache. Als Schpfer der Sprache ist das menschliche Bewußtsein Herr der Zeichen, nicht ihr Produkt. Sprache verstehen heißt, die Zeichen gleichsam aufzulsen bzw. aufgehen zu lassen im Erfassen des Sinns. Dies ist der Ausgangspunkt des letzten großes Werkes Sartres: L’Idiot de la Famille. Gustave Flaubert de 1821  1857 (1971). Dessen Leitfrage lautet: »Was kann man heute von einem Menschen wissen?« (IF 11; 8) Eine Antwort lßt sich nur finden, wenn man einmal den Versuch macht, »alle Informationen ber einen Menschen zu totalisieren« (ebd.). Sartre unternimmt dies in Bezug auf die Person Gustave Flauberts: Warum ist dieser Sptentwickler Schriftsteller und Perfektionist des Stils geworden? Sartres Untersuchungen setzen bei der Tatsache an, daß Flau1

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berts frhe Kindheit durch ein gestrtes Verhltnis zur Sprache gekennzeichnet war: Der kleine Gustave vermochte nicht, sie in eine rechte Beziehung zur Realitt zu setzen. Ein alter Hausdiener pflegte den Sechsjhrigen zu necken, indem er sagte: »Geh’ in die Kche und schau nach, ob ich dort bin!« Der kleine ging brav los, schaute in der Kche nach und sagte: »Nein, da bist Du nicht!«. (IF 14;17) – Sartre sah in dieser Ohnmacht gegenber der Sprache eine Weise gewhlter Minderwertigkeit, die spter ber viele Umwege, den Drang zum Perfektionismus verstndlich macht. Als Weise der Minderwertigkeit aber war das Unvermgen Gustaves kein gespieltes; die Wahl bewirkte ein tatschliches sprachliches Unvermgen, das nur durch das bersteigen dieser Wahl beseitigt werden konnte. Es muß an der Natur der Zeichen liegen und an der Art des Umgangs mit ihnen, daß eine solche Ohnmacht gegenber der Sprache mglich war. Sartre greift hier auf Saussures Zeichentheorie zurck 2 . Ein sprachliches Zeichen vereint ein Lautbild mit einer bestimmten Vorstellung. Die Verbindung zwischen beiden ist konventionell, beruht auf der bereinkunft einer Sprachgemeinschaft. Der Sprecher bermittelt seine Botschaft durch die Aneinanderreihung akustischer Signale, die die konventionellen Lautbilder darstellen. Der Hrer ordnet diesen Lautbildern die ihnen entsprechenden Vorstellungen zu. Dadurch konstituieren sich im Bewußtsein des Hrers die Zeichen, die in der Form von Stzen einen Zusammenhang bilden und eine Botschaft bermitteln sollen. Um diese zu erfassen, gengt es nicht, daß der Hrer die Zeichen einfach registriert, er transzendiert sie in Richtung auf die gegebene Situation bzw. Realitt, innerhalb derer sie ihre Bedeutung gewinnen. – Das normal entwickelte Kleinkind fllt schon in frhem Alter auf den Schabernack des Hausdieners nicht herein. Es nimmt die Zeichen nicht nur auf, es berschreitet sie auf die gegebene Situation hin und erfaßt somit den momentanen Sinn und den Hintersinn des Sprechenden. Dazu war der kleine Gustave nicht fhig. Fr ihn bleiben die Zeichen als Gegenstnde gleichsam materielle Substanzen im Bewußtsein, deren Bedeutung in ihnen eingeschmolzen war. »Das Unglck des kleinen Gustave besteht darin, daß ihn irgend etwas in ihm 2

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Vgl. Cours de Linguistique gnral, 1916.

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davon abhlt, Wrter als bloße Zeichen zu begreifen. … Er lernt zwar, die Nachricht zu dekodieren, aber nicht ihren Inhalt in Frage zu stellen. … Der Sinn wird Materie: er gewinnt deren trge Konsistenz. Nicht durch Evidenz: durch Dichte. Die Idee hat sich verdichtet, erdrckt den Geist, der sie trgt: sie ist ein Stein, den man weder aufheben noch wegwerfen kann. Dennoch ist diese kompakte Masse durch und durch Sinn geblieben. Die Bedeutung – jenes berschreiten, das nur durch den Entwurf existiert, auf den es zielt – und die Passivitt – reines An-sich, materielle Schwere des Zeichens – gehen ineinander ber: die beiden widersprchlichen Glieder dieses Paares durchdringen sich, anstatt in Gegensatz zu einander zu treten.« (IF 21; 19) Gustave begreift das Zeichen nicht als Zeichen: als etwas, das auf anderes als sich selbst verweist und sich gleichsam in seinem Verweisungscharakter verbraucht; fr ihn bleibt es ein Ding an sich. Er erfaßt zwar die Aufforderung des Hausdieners (er »dekodiert« sie), aber sie bleibt fr ihn gleichsam Sinn an sich, als »kompakte Masse«, die sich in keinem Verweisungsbezug verbraucht. Normalerweise wird die »Passivitt« der trgen Sinnmasse (die Bedeutung des Satzes an sich als Wortfolge) aufgelst im Erfassen der (situativen) Bedeutung, die sich im Transzendieren der trgen Sinnmasse von einer bestimmten Wahl her oder auf eine bestimmte Intention hin ergibt und die Zeichen in ihrer materiellen Dichte negiert. – Gustave hatte die Naivitt gewhlt, die Minderwertigkeit. Htte er die berlegenheit gewhlt (den Willen, der beste zu sein), wre von dieser Wahl aus die Aufforderung etwa in einen Kontext der Rivalitt geraten und in ihrer Hinterlist entlarvt worden. Die Bedeutung htte den »materiellen« Wortsinn aufgelst. »Um diese merkwrdige Leichtglubigkeit noch genauer zu erfassen, muß man sich einige elementare Tatsachen vor Augen fhren: zunchst diese, daß die Sprache des Sprechenden sich im allgemeinen unmittelbar im Geist des Zuhrers auflst; es bleibt ein zugleich begriffliches und verbales Schema, das die Wiederherstellung und das Verstndnis leitet. Dieses wird um so tiefer sein, je ungenauer die wrtliche Wiederherstellung sein wird. Dieses Verstndnis ist ein personaler Akt: Wenn der Zuhrer wiederholt, tut er nichts anderes als seine Stimme einem transzendenten Objekt leihen, das sich durch diese verwirklicht und zu neuen Stimmen hin fortfliegt [d. h. er berfhrt die trge Sinnmasse wieder die ihr zugehrige Lautfolge – J. H.]; wenn er versteht, legt er den bereits beschrittenen Weg fr sich selbst noch einmal zurck [d. h. er drckt A

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die Bedeutung mit eigenen Worten aus – J. H.]. Am Ende ist der Akt ganz und gar seiner. … Natrlich denkt man nicht ohne Wrter: aber wenn die Einsicht – oder das Verstndnis – vollstndig ist, definiert es praktisch eine unbegrenzte Reihe verbaler Ausdrcke und macht sich zur apriorischen Regel, um unter jenen Ausdrcken den auszuwhlen, der der Situation und dem Gesprchspartner am ehesten entgegenkommt. Der Gedanke ist also weder irgendein Glied der Reihe – als wenn ein bestimmter Ausdruck a priori privilegiert sein mßte – noch eine launenhafte und berschreitende Option. … Er ist zugleich die Totalitt der Reihe – das heißt der differentiellen Bezge, die untereinander die verschiedenen Ausdrcke verbinden in der unendlichen Verwicklung aller miteinander – und eine deutlich abgegrenzte Form auf dem dunklen Hintergrund der totalisierten Reihe. Jener der Ausdrcke, der der gegenwrtigen Situation am angemessensten erscheint.« (GF 21; 21 f.) Verstehen heißt somit, in der Auflsung der Zeichen Bedeutungen zu erfassen und zu stiften. Die Bedeutung kann durch eine vielfltige Folge von Zeichen wieder in Stze berfhrt bzw. durch sie wiedergegeben werden. Beide Stze: »Traurig, daß mein Freund so pltzlich gestorben ist«, und »es bedrckt mich außerordentlich, daß mein Freund so unerwartet verschieden ist«, bestehen aus unterschiedlichen Wrtern, sind aber ihrer Bedeutung nach identisch. Diese knnte noch durch zahlreiche andere Wortreihen wiedergegeben werden (Sartre spricht von einer »unendlichen Serie«). Was ich denke, ist also nicht an sich an eine bestimmte Reihung von Ausdrcken gebunden; es ist die Totalitt der Reihen und aller mglichen Reihen, die derselbe Gedanke in Worte fassen knnte. Und es ist doch etwas eindeutig Abgegrenztes, nmlich der Satz, den ich whle (auf dem Hintergrund aller mglichen), und durch den ich als Person einem anderen eine Botschaft bermitteln mchte: Whle ich den ersten Satz (»Traurig, daß …«), so gebe ich damit ein eher »lockeres« Verhltnis zum Tod meines Freundes kund. Der zweite Satz (»Es bedrckt mich außerordentlich …«) bekundet in seiner Gewundenheit meine Schwierigkeit, das Ereignis zu verkraften. »Die Sprache, das bin ich, und ich bin die Sprache. Eine Idee, das ist, in mir, die Sule der Stze, die sie wiedergeben, ihre Kapitelle in der Sonne, ihre Sockel im Dunkeln, und die mich in der Zeit definiert als der – mir selbst verborgene – Grund der ausgewhlten Wrter und im Augenblick definiert durch die souverne Wahl eines Ausdrucks in der unendlichen Verwicklung 144

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von allen, und folglich durch meine Einschtzung der Menschen und der Situation. Und in der spiralen Girlande der Wrter muß man auch mich im Anderen sehen. … Wenn also der Mensch Sprache und wenn die Sprache menschlich ist, wenn jedes Wort, das man uns im Vorbeigehen hinwirft, uns berschreitet durch alle seine verborgenden Bande mit den sprechenden Menschen, wenn wir jedes Wort auf die Idee hin berschreiten, das heißt auf die unendliche Reihe seiner mglichen Ersetzungen, so ist die Durchlssigkeit der Bewußtseinssubjekte derart groß, daß die Naivitt nicht mehr denkbar ist.« (Ebd.) Die Welt der Zeichen ist also keine autonome, in die wir eintauchen und die uns beherrscht. Wir sind nicht Untertanen von Diskursen, sondern beherrschen sie. Indem unser Bewußtsein sie bersteigt und ihren Verweisungscharakter erfaßt, lsen wir sie auf, indem wir ihre Bedeutung erfassen.

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VIII. Intellektuelle Redlichkeit und Metaphysik

»Ich will Spinoza sein oder Stendhal.« J.-P. Sartre, La Crmonie des Adieux

»Jede menschliche Wirklichkeit ist eine Leidenschaft, insofern sie sich dahin entwirft, sich zu verlieren, um das Sein zu grnden und um zugleich das An-sich zu konstituieren, das, sein eigenes Fundament geworden, der Kontingenz entkommt, das ens causa sui, das die Religionen Gott nennen. So verhlt sich die Leidenschaft des Menschen umgekehrt zu der Christi, denn der Mensch verliert sich als Mensch, damit Gott werde. Aber die Idee Gottes ist widersprchlich und wir verlieren uns vergebens. Der Mensch ist eine nutzlose Leidenschaft.« (SN 1051; 708) Solche Zeilen liest man kaum ohne Betroffenheit; der Gedanke drngt sich auf, daß sie mehr noch ber einen bestimmten Menschen aussagen als ber das Sein. Mßte dann nicht die Ontologie Sartres als der rationale Ausdruck seiner Biographie verstanden werden? Anders gefragt: Ist Sartres Denken die Ontologisierung einer Lebenserfahrung oder die rekonstruierte Lebenserfahrung als Beleg einer Ontologie? – In beiden Fllen handelte es sich um Sartres persnliche Abrechnung mit dem Christentum, so wie Nietzsche und Feuerbach die ihre vorgenommen haben: Was sich im Herzen der Menschen ankndigt, ist kein transzendenter Gott, es ist ihre eigene innere Sehnsucht und Notwendigkeit. »Vielmehr stellt Gott … die stndige Grenze dar, von der aus der Mensch sich ankndigen lßt, was er ist.« (SN 972; 653) »All das drehte sich um den Begriff Gottes«, bemerkt Simone de Beauvoir in den Gesprchen mit Sartre. (ZA 558; 550) Inwieweit sich mit diesem Begriff fr Sartre ein sehr persnliches Problem verband, wissen wir nicht, und dies zu wissen wrde auch nur eine gewhnliche Neugier befriedigen. – Von Interesse ist hier vielmehr die eben gestellte Frage, inwieweit eine Metaphysik der rationale Ausdruck oder Bewltigungsversuch einer Lebenserfahrung ist. Oder sind die Bezge komplizierter? 146

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Es knnte so sein, daß am Ausgangspunkt grundlegender metaphysischer Optionen ein diffuses, elementares Lebensgefhl steht. Es ist wahrscheinlich, daß die jeweilige Metaphysik sich aus einem solchen Lebensgefhl entwickelt, daß diese nachher aber in ihrer rationalen Entfaltung und Ausdifferenzierung zum Deutungssystem wird, mittels dessen wir die Erinnerungen unseres Lebens in einen inneren Zusammenhang bringen. Vielleicht gibt es einen solchen unvermeidbaren Zirkel des Denkens. Eine solche Metaphysik (gibt es eine andere?) ist deswegen nicht unkritisch. Denn ernsthaft betrieben ist sie nicht nur der Ausdruck, sondern zugleich auch die Infragestellung dieses Lebensgefhls; sie ist der Versuch, das Lebensgefhl der Klrung und der Bewhrungsprobe durch den Gedanken auszusetzen. Metaphysik ist in diesem Sinne eine Forderung intellektueller Redlichkeit. Lßt sich dies fr Sartre sagen? Wir erleben unsere Kindheit als unsere Zukunft. Sartre erzhlt einen Kindheitstraum, der in symbolischer Form sein Leben faßt (W 63 f.; 89 f.): Als Junge sitzt er in einem Zug, und der Schaffner kommt, um die Fahrkarte zu kontrollieren. Er hat keine. Es ist dies die Situation im Hause seines Großvaters, die der Traum widerspiegelt: Der junge hat eigentlich kein Recht, dort zu sein, denn es ist nicht das Haus seines Vaters. Er ist dort nur geduldet, berflssig. Im Traum erfindet der junge eine Geschichte von einer geheimen Staatsmission, der Schaffner wagt nicht, weitere Fragen zu stellen, und geht weiter. Darf man hier die Wurzel der Kontingenzerfahrung suchen, die Sartre so stark in den Mittelpunkt seiner Ontologie rckt? Die Erfindung der geheimen Mission wre dann der Versuch, der Kontingenz zu entkommen, etwas zu sein, ein Versuch, den Sartre durch das Schreiben unternahm: »Schreiben hieß fr mich lange Zeit, unter einer Maske den Tod, die Religion aufzufordern, mein Leben dem Zufall zu entreißen.« (W 142 f.; 208) Noch einmal: Soll man in der spteren Metaphysik den Ausdruck des in der Kindheit geprgten Lebensgefhls sehen, oder ist der erzhlte Traum die nachtrgliche Interpretation der Kindheit auf der Basis einer Metaphysik? Das lßt sich nicht entscheiden. Wahrscheinlich trifft im Sinne des oben beschriebenen Zirkels beides zu, und kommt nicht nur das Leben, sondern auch das Denken immer wieder an denselben Stellen vorbei. A

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Das große Werk ber Flaubert weist eine lngere Fußnote auf (IF 1, 137 f.; 136 f.), in der Sartre die Mglichkeit andeutet, daß das grundlegende Daseinsgefhl nicht notwendig das der berflssigkeit ist, sondern auch ein anderes sein kann. – Entscheidend fr das sptere Lebensgefhl ist eventuell das Maß an Zuwendung und Zrtlichkeit, welches die Mutter dem Sugling schenkt. ber Flauberts Mutter schreibt Sartre: »Ich stelle mir also vor, daß Mme Flaubert Gattin aus Berufung, aber Mutter aus Pflicht war. Eine ausgezeichnete Mutter, aber nicht gefhlvoll: pnktlich, bemht, korrekt. Nichts weiter.‚ (Ebd.) In diesem Zusammenhang ist dann die im folgenden zitierte Anmerkung zu sehen: »Der Andere ist da, diffus, vom ersten Tag an, durch die Entdekkung, die ich von mir aufgrund der passiven Erfahrung der Andersheit mache. Das heißt genauer: aufgrund des wiederholten Umgangs mit meinem Krper durch gezielte fremde Krfte, die meinen Bedrfnissen dienen. Selbst auf dieser Ebene, so elementar sie auch sein mag, ist Liebe erforderlich. Vielleicht ist die Liebe die erfahrene Frsorge. In diesem Augenblick ist es wichtig, daß sich das Kind … in einer ußeren und inneren Atmosphre der Liebenswrdigkeit erfhrt. Die Bedrfnisse kommen von ihm, aber das erste Interesse, das es seiner Person widmet, bezieht es von der Frsorge, deren Gegenstand es ist. Mit anderen Worten: Wenn die Mutter es liebt, entdeckt es nach und nach sein Objektsein als Geliebtsein … Als absolutes Ziel der gewohnten Verrichtungen wird es in seinen eigenen Augen ein Wert. Die Aufwertung des Suglings durch die Frsorge wird diesen umso tiefer erreichen, als die Zrtlichkeit offener ausgedrckt wird: wenn die Mutter zu ihm spricht, erfaßt er die Intention, bevor er die Sprache versteht, wenn die Mutter ihn anlacht, erkennt er den Ausdruck, bevor er das Gesicht erkennt. Seine kleine Welt ist von Sternschnuppen durchzogen, die ihm Zeichen geben, und deren Bedeutung vor allein darin besteht, ihm die mtterlichen Verhaltensweisen zu widmen. Dieses Monstrum ist absoluter Monarch, stets Ziel, niemals Mittel. Wenn ein Kind einmal in seinem Leben, mit drei oder sechs Monaten, das Glck dieses Stolzes genießen kann, ist es ein Mensch: in seinem ganzen Leben kann es diese hchste Wollust zu regieren weder wiedererwecken noch vergessen. Es wird aber bis in sein Unglck hinein eine Art religisen Optimismus bewahren, der auf der unspezifischen und ruhigen Gewißheit seines Wertes ruht. Selbst als Elender wird er noch ein Privilegierter sein.« 148

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Vielleicht wre Sartres Metaphysik anders ausgefallen, wenn er auf eine solche Erfahrung sich htte sttzen knnen. Auffallend ist die Hartnckigkeit, mit der Sartre immer wieder darauf besteht und darzulegen bemht ist, daß das Bewußtsein nur als Akt der Negation bestehen und niemals zu sich selbst zurckkehren kann. Was ist, ist, was nicht ist, ist nicht, mit diesem Postulat vorsokratischer Ontologie steht und fllt seine ganze Metaphysik. Aber bereits Platon hatte darauf hingewiesen, daß zwischen Sein und Nichts die Trennung und Unvereinbarkeit so grundstzlich nicht sein knnen (Parm. 162b 3–6). –Und die Fhigkeit des Selbst, in seiner Negation sich durchzuhalten, durch sie hindurch und aus ihr zurckkehrend sich zu finden und zu realisieren, ist geradezu der Grundgedanke Hegels. Die Mglichkeit des An-und-fr-sich-Seins (der Existenz Gottes also) erscheint als die Grundlage der gesamten idealistischen Philosophie. – Doch auch diese ist ein metaphysisches Postulat, das zwar rational bndig entwickelt werden, aber ebensowenig den Status einer unbezweifelbaren ersten Wahrheit beanspruchen kann wie Sartres Verdikt gegenber der Einheit von Sein und Nichts. Sollte der angestrengte Versuch der Sartreschen Philosophie, eine vorsokratischen Ontologie aufrechtzuerhalten (s. o. Kap. III, § 5), seinen Grund in der Absicht haben, den Atheismus in jedem Fall theoretisch durchzuhalten? »Worte sind Tonzeichen fr Begriffe; Begriffe aber sind mehr oder weniger bestimmte Bildzeichen fr oft wiederkehrende und zusammen kommende Empfindungen, fr Empfindungs-Gruppen. Es gengt noch nicht, um sich einander zu verstehen, dass man die selben Worte gebraucht: man muss die selben Worte auch fr die selbe Gattung innerer Erlebnisse gebrauchen, man muss zuletzt seine Erfahrung mit einander gemein haben.« (Nietzsche, 4.4, Nr. 268) – Vielleicht schleppen wir die Empfindungsgruppen, die sich einmal mit den Schlsselworten unseres Daseins verbunden haben (Vater, Gott, Mensch, Liebe, Wahrheit), stets mit uns weiter, und vielleicht sind es diese Empfindungsgruppen, die uns diese oder jene philosophische Grundannahme einsichtig erscheinen lassen oder zustimmungsfhig machen. So sehr sich Philosophen auch darum bemht haben: Die begrifflichen Bausteine unseres Denkens sind von einem intuitiven Empfindungsrest nicht zu entschlacken. Es ist nicht mglich, Grundbegriffe einer Metaphysik so ›rein‹ zu konstruieren, daß ihre BedeuA

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tung sich ausschließlich aus zwingend definierten Elementen ergibt. Der Bezug auf das gelebte Leben ist bedeutungstragend, aus ihm schpfen die Begriffe letztlich ihre Aussagekraft. – Und das subjektive Moment dieses intuitiven Restes ist nicht ausschaltbar. So ist es schon wahrscheinlich, daß die Wahl einer Metaphysik eine Frage von Kinderschicksalen ist. – Wenn es denn so wre, desavouiert dies die Philosophie allgemein und das Denken Sartres im konkreten nicht. Beweggrnde, Motive sind keine Argumente. Der Wert eines Gedankens liegt in seiner inneren Stimmigkeit und Aussagekraft: Er lßt sich nicht an den Motiven seines Autors bemessen. Am Ende der Auseinandersetzung mit der Sartreschen Metaphysik soll das Augenmerk noch einmal auf dies gerichtet werden: Der Imperativ, die Dinge zu Ende zu denken, erlaubt es nicht, stehenzubleiben bei der schlichten Tatsachenbehauptung, daß es das Sein gibt und das Nichts. Die Dualitt, die Existenz des Verschiedenen fordert die Frage nach dem Grund der Verschiedenheit heraus. Hier ist die Metaphysik gefragt, »Hypothesen zu bilden« (SN 1061; 715). »Alles verluft so, als ob sich das An-sich in einem Entwurf, sich selbst zu grnden, die Verwandlung des Fr-sich gbe.« (Ebd.) – Ein Entwurf, um sich etwas zu geben, ist ein willentlicher Akt. – Wird hier dem Sein doch ein Wollen zugesprochen (s. o. Kap. III, § 5)? Auch andere Formulierungen legen dies nahe: Das An-sich-Sein hat »den Wunsch, sich zu grnden« (SN 176; 124), es unternimmt einen »sich aufopfernden Akt, der es nichtet« (ebd.), es »erniedrigt sich zum Fr-sich« (ebd.), es zeigt das »Bemhen, sich zu grnden« (SN 180; 127). Sartre spricht auch vom »Abenteuer des Seins« (SN 1061, 715). All diese Umschreibungen drcken eine Intention, eine Finalitt aus: Metaphysik kommt offenbar ohne den Rckgriff auf diese nicht aus, wenn sie Zusammenhang in die Deutung der Dinge bringen, wenn sie den bergang von einem zu anderen, wenn sie Geschehen erklren will: Es muß einen Grund oder ein Ziel geben, um dessentwillen das Selbst das Andere, das Sein das Nichts hervorbringt. Dieser Grund muß im Sein selber liegen, denn außerhalb des Seins gibt es nichts. – Wenn aber das Sein ttig wird, um etwas entstehen zu lassen, was ihm fehlt: Setzt das nicht das Ins-Auge-fassen eines Ziels aufgrund eines Wissens um sich selbst voraus, also einen Willen? In der strengen Bewußtseinsanalyse erschien das Sein als undurchdringliche Identitt: es ist, was es ist. Zu Ende gedacht, muß 150

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ihm nun doch ein Wollen zugesprochen werden, sonst gibt es keine Erklrung dafr, warum es nicht dabei geblieben ist, das zu sein, was es ist, ungerhrt, von Ewigkeit her. So ist diese, aber vielleicht jede Metaphysik letztlich voluntaristisch. – Bei Sartre wird dieses Wollen nicht personal im Sinne eines gttlichen Subjekts gedacht, auch nicht als klarer Bewußtseinsakt. Es ist jene zum Scheitern verurteilte, dumpfe innere Bewegung des Seins, das seine eigene Mglichkeit und seinen eigenen Mangel dunkel ahnt. »Alles verluft so, als ob mein Selbstsein im Angesicht des Anderen hervorgebracht und aufrechterhalten wrde durch eine Totalitt, die ihre eigene Nichtung bis zum ußersten triebe.« (SN 534; 361) Es ist die »Passion des Geistes« (SN 536; 362), die wir zu leben haben und die zu erleiden unser Schicksal ist. – So hat unsere Existenz doch noch einen Grund, so gibt es einen Lebenssinn gleichsam kosmischer Art, der uns letztlich der berflssigkeit enthebt: Wir sind – ein jeder – einer der großen, unzhligen Versuche des Seins, an und fr sich zu sein. – Das Wissen darum mag uns mit unserem Schicksal vershnen, nimmt uns aber dessen Last nicht ab. Denn: »Die Welt, der Mensch und der Mensch in der Welt knnen nur einen verfehlten Gott realisieren.« (SN 1064; 717)

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Zeittafel

1905 1906 1917 1919/1922 1924–1929 1929–1931 1931–1933 1933/1934 1934–1936 1936 1936/1937 1938 1937–1939 1939 1940/1941 1941

1943 1945

1946 1947 1948

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21. Juni: Geburt als Sohn eines Marineoffiziers in Paris. Tod des Vaters. Sartres Mutter kehrt mit Jean-Paul in das Haus ihrer Eltern Charles und Louise Schweitzer zurck. Wiederverheiratung der Mutter. Die Familie zieht nach La Rochelle. Besuch des dortigen Gymnasiums. Besuch des Luce Louis-le-Grand in Paris und Abitur. Studium an der Ecole Normale Suprieure. Sartre lernt Simone de Beauvoir kennen. Militrdienst als Meteorologe in Tours. Gymnasiallehrer fr Philosophie in Le Havre. Studienaufenthalt in Berlin. Beschftigung mit Husserl und Heidegger. Gymnasiallehrer fr Philosophie in Le Havre. Die Transzendenz des Ego. Gymnasiallehrer fr Philosophie in Laon. Der Ekel. Gymnasiallehrer fr Philosophie in Paris. 2. September: Sartre wird zum Kriegsdienst eingezogen. Deutsche Kriegsgefangenschaft (Juni 1940 bis April 1941). Wiederaufnahme der Lehrttigkeit am Gymnasium nach Flucht aus der Kriegsgefangenschaft. Engagement in der Widerstandsbewegung. Die Fliegen. Das Sein und das Nichts. Sartre lernt Camus kennen. Aufgabe des Lehrberufs. Sartre lebt fortan als freier Schriftsteller im Quartier Saint-Germain-des-Prs in Paris. Grndung und Leitung der literarisch-politischen Zeitschrift Les Temps Modernes. Reise in die USA. Treffen mit Prsident Roosevelt. Ist der Existentialismus ein Humanismus? Betrachtungen zur Judenfrage. Baudelaire. Materialismus und Revolution. Der Vatikan setzt Sartres Werke auf den Index der verbotenen Bcher.

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Zeittafel

1952

Bruch mit Albert Camus. Teilnahme am kommunistischen »Vlkerkongress fr den Frieden« in Wien. Besuch bei Martin Heidegger. 1954 Erste Reise in die UdSSR. 1955 Reise nach China. 1956 Protest gegen die sowjetische Intervention zur Beendigung des Volksaufstandes in Ungarn. Protest gegen den Algerienkrieg. 1957 Verffentlichung von Das Gespenst Stalins ber die sowjetische Intervention in Ungarn. 1958–1962 Engagement gegen den Algerienkrieg und gegen die Politik de Gaules. 1960 Kritik der dialektischen Vernunft. Reise nach Kuba und Treffen mit Fidel Castro und Che Guevara. Empfang durch Chruschtschow in Paris. 1961 Bombenanschlag der rechtsextremen OAS auf Sartres Wohnung. 1962 Zweiter Bombenanschlag. Zweite Reise in die UdSSR und Treffen mit Chruschtschow. 1963 Les Mots. 1964 Nobelpreis fr Literatur. Sartre lehnt die Annahme ab. 1966 Reise nach Japan. 1967 Reise nach gypten und Israel. Vorsitz des Russell-Tribunals, das die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam verurteilt. 1968–1973 Untersttzung der Bewegung des Mai ’68. Formelle bernahme der Leitung der maoistischen Zeitung La Cause du Peuple, um sie vor dem Verbot zu retten. Sartres Sehschwche nimmt zu. 1971 Der Idiot der Familie, Bde. I und II. 1973 Der Idiot der Familie, Bd. III. Nach der Erblindung Zusammenarbeit mit Pierre Victor (Benny Levi), dem ehemaligen Fhrer der aufgelsten maoistischen Organisation Gauche proletarienne. 1975 Reise nach Portugal. 1978 Reise nach Israel zur Empfehlung einer positiven Antwort auf die Friedensinitiative des gyptischen Prsidenten Sadat. 1980 15. April: Sartre stirbt in einem Pariser Krankenhaus.

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Bibliographie

0. Werke von Sartre Im folgenden werden, in verschiedenen Gruppen und nach dem Ersterscheinungsjahr geordnet, die Werke von Sartre verzeichnet, die die Etappen seiner philosophischen und literarischen Arbeit ausmachen. Aus Raumgrnden knnen die Vielzahl der Essays und der Artikel Sartres, seine Vorworte zu fremden Schriften, seine Interviews und Diskussionsußerungen nicht vollstndig aufgefhrt werden. Dafr sei auf die weiter unten genannten Bibliographien verwiesen. Bei den bibliographischen Angaben wird pragmatisch verfahren: Wo ber das Erscheinungsjahr hinaus keine weiteren Angaben erfolgen, beziehen sich alle Seitenzahlen auf die Originalausgaben und die derzeit zugnglichen Ausgaben der deutschen bersetzungen. Wo es mglich ist, wird bei zitierten Texten auf greifbare Taschenbuchausgaben unter Angabe ihres Ersterscheinungsjahrs hingewiesen; nach ihnen wird in diesen Fllen der Zugnglichkeit halber zitiert. Im Rowohlt Verlag liegen inzwischen die Gesammelten Werke Sartres in Einzelausgaben vor (in Zusammenarbeit mit Arlette El KaimSartre herausgegeben von Traugott Knig), die auch in preiswerten Taschenbuchkassetten erhltlich sind. Siglen EH KD SN IF TE ZA W JF

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Der Existentialismus ist ein Humanismus (0.6) Kritik der dialektischen Vernunft (0.10) Das Sein und das Nichts (0.5) Der Idiot der Familie (0.33) Die Transzendenz des Ego (0.2) Die Zeremonie des Abschieds (0.26) Die Wrter (0.23) berlegungen zur Judenfrage (0.7)

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Bibliographie

a) Philosophische Schriften 0.1

L’imagination. Etude critique, Paris: Alcan 1936. Die Imagination, in: Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays 1931–1939, Reinbek 1982, 97–254. 0.2 La transcendance de l’ego, in: Recherches philosophiques 6 (1936/1937), 85–123, und Paris 1966. [Alle Zitate beziehen sich auf die letztere Ausgabe.] Die Transzendenz des Ego, in: Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays 1931–1939, Reinbek 1982, 39–96. 0.3 Esquisse d’une thorie des motions, Paris 1939. Skizze einer Theorie der Emotionen, in: Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays 1931–1939, Reinbek 1982, 255– 318. 0.4 L’imaginaire. Psychologie phnomnologique de l’imagination, Paris 1940. Das Imaginre. Phnomenologische Psychologie der Einbildungskraft, Reinbek 1994. 0.5 L’ tre et le nant. Essai d’ontologie phnomnologique, Paris 1943. Das Sein und das Nichts, Reinbek 1991. 0.6 L’existentialisme est un humanisme, Paris 1946. Der Existentialismus ist ein Humanismus, in: Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays 1943–1948, Reinbek 2002, 145–192. 0.7 Rflexions sur la question juive, Paris 1946. berlegungen zur Judenfrage, Reinbek 1994. 0.8 Matrialisme et rvolution, in: Situations III, Paris 1949, 135– 225. [Zuerst erschienen in: Les Temps Modernes 1,II (1945/ 1946), 1537–1563, 1,III (1945/1946), 1–32.] Materialismus und Revolution, in: Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays 1943–1948, Reinbek 2002, 193–266. 0.9 Questions de mthode, in: Les temps modernes 13,I (1957/ 1958), 338–417, 658–697. Fragen zur Methode, Reinbek 1999. 0.10 Critique de la raison dialectique I, prcd de Questions de Mthode, Paris 1960. Kritik der dialektischen Vernunft I, Reinbek 1980.

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Bibliographie

0.11 Plaidoyer pour les intellectuels, Paris 1972. Pldoyer fr die Intellektuellen, Reinbek 1995. 0.12 Cahiers pour une morale, Paris 1983. Aufzeichnungen zu einer Moral, Reinbek [in Vorb.]. 0.13 Critique de la raison dialectique II, Paris 1985. Kritik der dialektischen Vernunft II, Reinbek [in Vorb.]. b) Essays und Aufstze zu diversen philosophischen, literarischen, politischen Fragen 0.14 Determination und Freiheit. Philosophische Aufstze 1960 bis 1969, Reinbek [in Vorb.]. 0.15 Situations I–III, Paris 1947–1949. [Bd. II enthlt unter anderem: Qu’est-ce que la littrature?, Bd. III: Matrialisme et rvolution.] Situationen. Essays [Auswahl], Reinbek 1965. 0.16 Situations IV. Portraits, Paris 1964. [Enthlt unter anderem: Rponse  Albert Camus.] Portraits und Perspektiven, Reinbek 1971. 0.17 Situations V. Colonialisme et no-colonialisme, Paris 1964. Kolonialismus und Neokolonialismus. Sieben Essays, Reinbek 1968. 0.18 Situations VI. Probl mes du marxisme 1, Paris 1964. 0.19 Situations VII. Probl mes du marxisme 2, Paris 1965. 0.20 Situations VIII. Autour de 68, Paris 1972. 0.21 Situations IX. Mlanges, Paris 1972. 0.22 Situations X. Politique et autobiographie, Paris 1976. c) Autobiographisches 0.23 Les Mots, Paris 1964. Die Wrter, Reinbek 1988. 0.24 Sartre ber Sartre, Reinbek 1977. 0.25 Sartre. Un film ralis par Alexandre Astruc et Michel Contat, Paris 1977. Sartre. Ein Film von Alexandre Astruc und Michel Contat, Reinbek 1977. 156

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Bibliographie

0.26 Simone de Beauvoir: Entretiens avec Jean-Paul Sartre, in: La Crmonie des adieux, Paris 1981, 161–559. Die Zeremonie des Abschieds und Gesprche mit Jean-Paul Sartre, Reinbek 1981. 0.27 Les carnets de la dr le de guerre. Novembre 1939 – Mars 1940, Paris 1983. Tagebcher. November 1939 – Mrz 1940, Reinbek 1984. d) Literarische Schriften, Erzhlungen und Romane 0.28 La Nause, Paris: Gallimard 1938 [Taschenbuch: Paris 1972]. Der Ekel, Reinbek 1982. 0.29 Le Mur (Le mur. La chambre. Erostrate. Intimit. L’enfance d’un chef), Paris 1939. Die Kindheit eines Chefs, Reinbek 2003. 0.30 Les chemins de la libert. 3 Bde. (L’ge de raison. Le sursis. La mort dans l’me), Paris 1945–49. Zeit der Reife. Der Aufschub. Der Pfahl im Fleische, Reinbek 2002. 0.31 Baudelaire, Paris 1947 [Taschenbuch: Paris 1972]. Baudelaire, Reinbek 1986. 0.32 St. Genet, comdien et martyr, Paris 1952. Saint Genet, Komdiant und Mrtyrer, Reinbek 1986. 0.33 L’Idiot de la famille. Gustave Flaubert de 1821  1857. 3 Bde., Paris 1971–1972. Der Idiot der Familie. Gustave Flaubert 1821–1857. 4 Bde., Reinbek 1986. e) Dramen 0.34 Les Mouches, Paris 1943. Die Fliegen, Reinbek 1988. 0.35 Huis clos, Paris 1945. Geschlossene Gesellschaft, Reinbek 2005. 0.36 Morts sans spulture, Lausanne 1946, Paris 1947. Tote ohne Begrbnis, Reinbek 1988. 0.37 La putain respectueuse, Paris 1946. Die respektvolle Dirne, Reinbek 1987. A

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Bibliographie

0.38 Les jeux sont faits, Paris 1947. Das Spiel ist aus, Reinbek 2004. 0.39 Les mains sales, Paris 1948. Die schmutzigen Hnde, Reinbek 2003. 0.40 L’engrenage, Paris 1948. Im Rderwerk, Reinbek 2003. 0.41 Le diable et le bon Dieu, Paris 1951. Der Teufel und der liebe Gott, Reinbek 1991. 0.42 Les squestrs d’Altona, Paris 1960. Die Eingeschlossenen von Altona, Reinbek 1991.

1. Lebenszeugnisse, Biographien 1.1 1.2 1.3

1.4 1.5 1.6 1.7 1.8 1.9 1.10 1.11 1.12 1.13

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Aronson, R., Camus/Sartre: The Biography of a Relationship, Chicago 2003. Beauvoir, S. de: Tout compte fait, Paris 1972. Alles in Allem, Reinbek 1976. –: La Crmonie des adieux, suivi de: Entretiens avec Jean-Paul Sartre, Paris 1981. Die Zeremonie des Abschieds und Gesprche mit Jean-Paul Sartre, Reinbek 1981. Biemel, W.: Jean-Paul Sartre in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1964. Caws, P.: Sartre, London 1979. Cohen-Solal, A.: Sartre 1905–1980.Reinbek 1988. Danto, Arthur C.: Jean-Paul Sartre (aus dem Englischen von Ulrich Enzensberger), Gttingen 1986. Haymann, R.: J.-P. Sartre. Leben und Werk, Mnchen1987. Hackenesch, Christa: Jean-Paul Sartre, Reinbeck 2001. Jeanson, F.: Sartre par lui-m me, Paris 1955. –: Sartre dans sa vie, Paris 1974. Lvy, Bernard-Henri: Sartre. Der Philosophe des 2. Jahrhunderts, Mnchen/Wien 2001. Mbuß, Susanne: Sartre, Freiburg/Basel/Wien 2000

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Bibliographie

2. Bibliographien 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Contat, M. und Rybalka, M.: Les crits de Sartre. Bibliographie commente, Paris 1970. –: Sartre. A Comprehensive Bibliography of International Theses and Dissertations 1950–1985, Hrth-Efferen 1992. Jolivet, R.: Franzsische Existenzphilosophie, Bern 1948. Lapointe, F. und Lapointe, C.: Sartre and his critics. An international bibliography (1938–1975), Ohio 1975. Wilcocks, R.: Jean-Paul Sartre. A bibliography of international criticism, Edmonton 1975.

3. Hinfhrungen zum Denken Sartres, grundlegende philosophische Auseinandersetzungen, Wrdigungen Zur Literatur ber Sartre kann nur zustimmend zitiert werden, was Martin Suhr in Sartre zur Einfhrung anmerkt: »Wer sich ber den gegenwrtigen Stand der Diskussion der Philosophie Sartres informieren will, dem kann man rckhaltlos empfehlen: The Philososophy of Jean-Paul Sartre, ed. by Paul A. Schilpp (3.22) … und: Jean-Paul Sartre. Contemporary Approaches to his Philosophy, ed. by Hugh J. Silverman and Frederick A. Elliston (3.24) … Beide Bnde enthalten ebenfalls eine sehr gute Literaturbersicht. Leider gibt es im Deutschen kein vergleichbar gutes Buch ber Sartre, in dem hnlich vorurteilslos, sachlich und kritisch alle wichtigen Aspekte seiner Philosophie diskutiert werden. berhaupt ist die angelschsische Literatur zu Sartre der deutschen weit voraus, was die unbefangene und nchterne Diskussion seiner Philosophie anbelangt.« (3.25, 129) Die folgende Auswahl konzentriert sich auf die Titel, die zur Auseinandersetzung mit der Philosophie Sartres heute brauchbare Anregungen und Hilfen geben knnen. 3.1 3.2 3.3

Bell, L.: Sartre’s Ethics of Authentity, London 1989. Busch, Th. W.: The Power of Consciousness and the force of Circumstances in Sartres Philosophy, Bloomington 1990. Catalano, J.: Good Faith and other Essays: Perspectives on a Sartrean Ethics, Lanham 1996.

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Bibliographie

3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12

3.13 3.14 3.15 3.16 3.17 3.18 3.19 2.20 3.21 3.22 3.23 3.24 160

Detmer, D.: Freedom as a Value. A Critiue of Ethical Theory of Jean-Paul Sartre, La Salle 1998. Flynn, Thomas R.: Sartre and Marxist Existentialism, Chicago/ London 1984. –: Sartre, Foucault, and Historical Reason, Bd. I: Toward an Existential Theory of History, Chicago/London 1997. Garaudy, R.: Marxisme et existentialisme, Paris 1962. Hartmann, K.: Die Philosophie J. P. Sartres. Zwei Untersuchungen zu »L’ tre et le nant« und zur »Critique de la raison dialectique«, Berlin 1983. Jeanson, F.: Le probl me morale de la pense de Sartre, Paris 1965. Jolivet, R.: Sartre ou la thologie de l’absurde, Paris 1965. Knecht, I.: Theorie der Entfremdung bei Sartre und Marx, Frankfurt a. M. 1975. Knig, T. (Hrsg.): Sartre. Ein Kongreß, Reinbek 1988. [Enthlt die Vortrge des Internationalen Sartre-Kongresses an der Johann Wolfgang Goethe-Universitt in Frankfurt a. M., 9.–12. Juli 1987.] – (Hrsg.): Sartres Flaubert lesen, Reinbek 1980. Lvi-Strauss, Claude: Das wilde Denken [Kap. IX. Geschichte und Dialektik], Frankfurt a. M. 1968. Lvy, B.-H.: Sartre. Der Philosoph des 20. Jahrhunderts, Mnchen 2005. Marcel, G.: L’ tre et le nant, in: Homo Viator, Paris 1944, 233– 256. Miething, Chr.: Saint-Sartre oder der autobiographische Gott, Heidelberg 1983. Moser, S.: Freiheit und Anerkennung bei Simone de Bauvoir, Tbingen 2002. Poster, M.: Existential Marxism in Postwar France. From Sartre to Althusser, Princeton 1975. Renault, A.: Sartre, le dernier Philosophe, La Fl che 1993. Schaff, A.: Marx oder Sartre? Versuch einer Philosophie des Menschen, Wien 1964. Schilpp, Paul A. (Hrsg.): The philosophy of Jean-Paul Sartre, Illinois 1981. Scriven, M.: Sartre’s Existential Biographies, London 1983. Silvermann, H. und Elliston, Frederick A. (Hrsg.): Jean-Paul

ALBER PHILOSOPHIE

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Bibliographie

3.25 3.26 3.27 3.28 3.29 3.30 3.31

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4. Weiterhin im Text benutzte Literatur 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

Camus, A.: Lettre  Pierre Bonnel, in: Essais (Biblioth que de la Pliade), Paris 1965. Descartes, R.: Discours de la Methode, bers. und hrsg. von L. Gbe [Zweisprachige Studienausgabe], Hamburg 1964. Fichte, J. G.: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), in: Ausgewhlte Werke in sechs Bnden, Bd. 1, Darmstadt 1962, 275–519. Nietzsche, F.: Zur Genealogie der Moral, in: Friedrich Nietzsche. Smtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bnden, Bd. 5, Mnchen/Berlin/New York 1980, 245–412. Thomas von Aquin: Summa contra Gentiles, Editio Leonina, Bd. XIII, Rom 1918. –: Summa Theologiae, Editio Leonina, Bd. IV, Rom 1888; Bd. V, Rom 1889.

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Sachregister

Der Index enthlt nicht die zentralen systemtragenden Begriffe, die in den entsprechenden Paragraphen eigens entwickelt und durchgngig benutzt werden. Vielmehr bringt er Stichworte allgemeiner Bedeutung. Affekt 100–103 Angst 35, 62–63, 125–126 Arbeiter 90, 129 Arbeitsprozeß 90 Atheismus 137 Auserwhlt 83 Authentizitt 138–139 Begierde 88 Bewußtsein, unglckliches 65, 73 Cartesianisch 23–24 Charakter 35, 61 Christentum 21 Cogito 42–43, 71, 76 Daseinsschicksal 12 Determinismus 136 Dritte, der 90, 122–123 Dualismus 41–42 Dualitt 43 Entfremdung 78, 81, 89, 92, 119, 124 Entwurf 111 Erbanlagen 60 Erbsnde 89 Erkenntnis 41–42, 44, 114, 118 Erlsung 22, 83, 135–136 Erscheinung 40–41, 43 Erziehung 35, 136 Falschheit 62 Fatum 17, 19–20, 22 Finalitt 150

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Frage 53, 55–57 Gegenfinalitt 119 Geheimnis 114–115 Geist 49–50, 114–115 Gelassenheit 139 Geschichte 122–123 Geschlecht 87–88 Geschlechtsorgane 87–88 Geschpf 47 Gott 24, 45–47, 51, 72–73, 86, 105– 106, 137, 146, 151 Gottesbeweise 73 Grundwahl 106 Gruppe 122–123 Haß 87, 126–127 Heil 139–140 Humanismus 130, 134–135 Ich 28–33, 36–37, 39, 74 Idealismus 37 Identitt 47–48 Immanenz 48 Innerlichkeit 48 Intersubjektivitt 80 Kindheit 15, 17, 111, 142, 147 Klasse 91 Konflikt 82, 93 Konstitution 60 Kontingenz 51, 60, 67, 86, 146–147 Krper 32, 86–88, 103–104, 114– 115

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Sachregister Kreationismus 45, 50–51 Kultur 16, 133, 141 Leben 124 Leiden 66, 136 Leidenschaft 100, 126, 146 Liebe 82–84, 87–88, 114–116, 148 Liebende 82, 84 Liebesglck 83 Literatur 16 Manichismus 129 Marxismus 38, 117–118, 123 Masse 120 Materialismus 38, 50, 117 Materie 49–50 Minderwertigkeit 108–110, 142 Mittelschicht 129 Nacktheit 89 Naivitt 143 Neurose 15 Optimismus 137 Pantheismus 69 Person 75, 106–107 Persnlichkeit 75, 79 Pessimismus 137–138 Praxis 118, 121 Psychoanalyse 38 Psychoanalyse, existentielle, 139 Rasse 131, 133 Religion 83, 105–106, 146 Scham 76–77 Scheitern 71, 85 Schicksal 17, 22

Schicksalsmacht 18 Schpfer 45 Schpfung 46–47, 51 Schreiben 147 Schuld 89 Seinsschicksal 69 Serialitt 120, 122–123 Sexualitt 86–88, 113 Situation 61 Solidarisierung 91 Solipsismus 37 Spontaneitt 33, 35 Sprache 107, 141–142, 144–145 Snde 89 Tathandlung 20 Terror 123 Teufelsaustreibung 112 Theorie 118 Totalitt 72–73, 85 Transzendenz 72 Verantwortung 138 Verdinglichung 124 Verfhrung 82, 87, 89 Vergangenheit 58, 61 Verlassenheit 63 Vershnung 139 Verstehen 144 Wahl 109–110 Wahrheit 126 Wahrnehmung 43–44 Welt 25, 30, 56, 86–87 Wert 148 Werturteile 139 Wesen 60–62, 94, 103–104 Wille 95, 100, 102–103, 110 Willensakte 100

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