Das besondere Gewaltverhältnis: Vorträge des 25. Sonderseminars 1984 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.] 9783428458257, 9783428058259


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German Pages 106 Year 1985

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Das besondere Gewaltverhältnis: Vorträge des 25. Sonderseminars 1984 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer [1 ed.]
 9783428458257, 9783428058259

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 97

Das besondere Gewaltverhältnis Vorträge des 25. Sonderseminars 1984 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer

Herausgegeben von

Detlef Merten

Duncker & Humblot · Berlin

esondere

Gewaltverhältnis

S c h r i f t e n r e i h e der H o c h s c h u l e Speyer Band 97

Das besondere Gewaltverhältnis Vorträge des 25. Sondereeminare 1984 der Hochschule für Verwaitungewieeenechaften Speyer

herausgegeben von

Detlef Merten

DUNCKER

&

HUMBLOT

/

BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Das besondere Gewaltverhältnis / hrsg. v o n Detlef Merten. — Berlin: Duncker & Humblot, 1985. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer; Bd. 97) (Vorträge des . . . Sonderseminars der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer; 25) I S B N 3-428-05825-9 NE: Merten, Detlef [Hrsg.]; Hochschule für Verwaltungswissenschaften (Speyer): Schriftenreihe der Hochschule . . . ; Hochschule f ü r Verwaltungswissenschaften (Speyer): Vorträge des . . .

Alle Rechte vorbehalten © 1985 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: K.-D. Voigt, Berlin 61; Druck: Alb. Sayffaerth / E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-05825-9

Vorwort Ein Federstrich des Bundesverfassungsgerichts kann zwar Gesetze, nicht aber dogmatische Institute beseitigen. Und so ist die Diskussion um das Besondere Gewaltverhältnis trotz — vielleicht aber auch wegen — des Verdikts aus Karlsruhe nicht verstummt, sondern eher lauter geworden, ist die Literatur zu diesem Thema nicht Makulatur geworden, sondern Magnet geblieben. „Besonderes Gewaltverhältnis — funktionsloses Relikt oder bleibende Notwendigkeit" war das Thema des 25. Sonderseminars, das die Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer i n Zusammenarbeit mit der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Köln, i n der Zeit vom 26. bis 28. März 1984 i n Speyer veranstaltete. Die Referate dieser Tagung sind i n diesem Band enthalten. Detlef

Merten

Inhaltsverzeichnis Prof. Dr. Wolf gang Loschelder,

St. Augustin:

Staatseingliederung als Institutionalisierungsproblem. Z u r Entwicklung u n d Krise des besonderen Gewaltverhältnisses I. Unsicherheit über den Gegenstand

9 9

1. Aktuelles oder antiquarisches Interesse? S. 9; 2. E n t w i c k l u n g oder Versteinerung? S. 10; 3. Krise für wen? S. 11; 4. Institutionalisierung als Problem S. 14 I I . Unterschätzung des Gegenstands

16

1. Der geistesgeschichtliche K o n t e x t S. 16; 2. Allgemeine u n d besondere Gewalt S. 17; 3. Der „rechtsfreie Raum" S. 19; 4. Die S t r u k t u r der Einzel Verhältnisse S. 21 I I I . Der Rechtsstoff u n d seine Forderungen

23

1. Die wachsende Entfernung v o m Stoff S. 24; 2. Die Eigengesetzlichkeit des Stoffes S. 24; 3. Die Maß-Geblichkeit des Stoffes S. 26; 4. Die A n t w o r t des Grundgesetzes S. 27

Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch,

Speyer:

Das besondere Gewaltverhältnis als verwaltungsrechtliches I n s t i t u t

33

A . Vorbemerkung

33

B. Die dogmatische Bedeutung des besonderen Gewaltverhältnisses

33

C. Das besondere Gewaltverhältnis i m Verwaltungsrecht

40

Prof. Dr. Dr. Detlef Merten,

Speyer:

Grundrechte u n d Besonderes Gewaltverhältnis

53

A . Z u m Begriff des „Besonderen Gewaltverhältnisses"

53

1. Die „Gewalt"-Phobie S. 53; 1. Der Staat als „Gewalt"-Träger S. 53; 2. Das Begriffsmißverständnis S. 54; 3. Staatsgewalt u n d Privatgewalt S. 56; 4. Staat u n d Herrschaft S. 56 — I I . Das Besondere Gewaltverhältnis als Sonderverhältnis S. 56; 1. „Obrigkeitsstaatliches Relikt" oder bleibende Notwendigkeit? S. 56; 2. Das Besondere Gewaltverhältnis als Kunstbegriff S. 58; 3. Vieldeutigkeit des Begriffs? S. 59; 4. Besonderes Gewaltverhältnis als Rechtsverhältnis S. 60; 5. Begriffsersetzungen S. 61

8

Inhaltsverzeichnis

Β . Die grundrechtsdogmatische Bedeutung des Besonderen Gewaltverhältnisses

63

I. Die Grundrechte u n d ihre Gesetzesvorbehalte S. 63; 1. Beschränkungsermächtigung u n d Beschränkungsmodalität S. 63; 2. Der „Schrank e n w i r r w a r r " des Grundrechtskatalogs S. 64 — I I . Besonderes Gewaltverhältnis als zusätzliche Beschränkungsermächtigung? S. 65; 1. Besonderes Gewaltverhältnis u n d immanente Grundrechtsschranken S. 65; 2. Verfassungserwähnungen als Beschränkungsermächtigung? S. 66; 3. Das Schranken-Dilemma des Bundesverfassungsgerichts S. 70 C. Ergebnis

73

I. Besonderes Gewaltverhältnis u n d grundrechtliche Beschränkungsermächtigung S. 73 — I I . Besonderes Gewaltverhältnis u n d Eingriffsmodalität S. 74

Prof. Dr. Carl Hermann

Ule, Heidelberg:

Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis Prof. Dr. Wolf-Rüdiger

77

Schenke, Mannheim:

Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis

83

A . Einleitung

83

B. Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis 85 I. Der verfassungsrechtliche Rahmen S. 85; 1. A k t e i m besonderen Gewaltverhältnis als „öffentliche Gewalt" i. S. des A r t . 19 Abs. 4 GG S. 85; 2. Keine Einschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses S. 87; 3. Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis u n d Verwaltungseffizienz S. 87; a) Einschränkungen der gerichtlichen Überprüfbarkeit als Konsequenz einer Restriktion der materiellen Rechtsstellung des Gewaltunterworfenen S. 88; b) Materielle Rechtsstellung des Gewaltunterworfenen u n d V e r waltungseffizienz S. 89; c) Keine Einschränkung der Funktionsfähigkeit besonderer Gewaltverhältnisse durch Gewährung v o n Rechtsschutz S. 90; 4. Der Umfang des verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutzes S. 91; a) die Erstreckung des Rechtsschutzes auf generell-abstrakte Regelungen i m besonderen Gewaltverhältnis S. 91; b) Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte bei A k t e n i m besonderen Gewaltverhältnis? S. 92 — I I . Die Realisierung des verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutzes auf der Basis der V w G O S. 93; 1. Streitigkeiten i m besonderen Gewaltverhältnis als öffentlichrechtliche Streitigkeiten i. S. des § 40 V w G O S. 93; 2. Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis u n d Klageart S. 95 C. Zusammenfassung

98

Aussprache zu den Referaten von Carl Hermann Ule u n d Wolf-Rüdiger Schenke 101

Staatseingliederung als Institutionalisierungsproblem Zur Entwicklung und Krise des besonderen Gewaltverhältnisses Von Wolfgang Loschelder

I. Unsicherheit über den Gegenstand Wer über „Entwicklung und Krise des besonderen Gewaltverhältnisses" sprechen w i l l , begibt sich auf ein ungewisses Gelände. Bevor er noch zu Einzelfragen vordringt, w i r d i h m das Thema selbst fragwürdig. 1. Aktuelles

oder antiquarisches Interesse?

Zum ersten kann er sich nicht sicher sein, welcher zeitlichen Dimension sein Gegenstand angehört, der Gegenwart oder einer endgültig historischen Vergangenheit. Sowohl vor zehn wie vor zwanzig Jahren wäre die Antwort hierauf eindeutig ausgefallen — wenn auch in gegenläufigem Sinne. Bis zum 14. 3.1972 änderte alle Grundsatzdiskussion 1 nichts daran, daß man die Verhältnisse des Beamten, des Schülers, des Insassen geschlossener Anstalten usw. allgemein als „besondere Gewaltverhältnisse" begriff 2 . Nach diesem Tag, an dem das Bundesverfassungsgericht Grundrechte und Gesetzmäßigkeitsprinzip — am Beispiel des Strafgefangenen — auch hier für uneingeschränkt wirksam erklärte 3 , zweifelte andererseits kaum jemand an der Erledigung der Rechtsfigur 4 . 1 Vgl. zum Meinungsstand i m Überblick Erichsen, Besonderes Gewaltverhältnis u n d Sonderverordnung, in: FS für H. J. W o l f f zum 75. Geburtstag, hrsg. v. C. F. Menger, 1973, S. 219, 230 f.; Wenninger, Geschichte der Lehre v o m besonderen Gewaltverhältnis, 1982, S. 222 ff.; Evers, Das besondere Gewaltverhältnis, 1972. 2 Herbert Krüger, Das besondere Gewalt Verhältnis, V V D S t R L 15 (1957), S. 109 ff.; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, 9. A u f l . 1966, S. 121; H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I, 8. A u f l . 1971, § 32 I V c 3; vgl. aber auch noch H. J. Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. A u f l . 1974, § 32 I V c 3. 3 BVerfGE 33, 1, 10 f. 4 Z u den Reaktionen Loschelder, V o m besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 1 Fn. 5; Ronellenfitsch, Das besondere Gewaltverhältnis — ein zu f r ü h totgesagtes Rechtsinstitut, DÖV 1981, 933 Fn. 1, 937 Fn. 38.

10

Wolfgang Loschelder

Inzwischen hat sich das Blatt erneut gewendet. Von einer abschließenden Klärung ist die Situation jedoch weit entfernt. Zunächst nur vereinzelten Zweifeln sind mehr und mehr Stimmen gefolgt, die die abrupte Totsagung generell als übereilt verwerfen 5 . Aber weder bilden sie die Mehrheit, noch sind sie sich i n den Konsequenzen einig. Die Staatspraxis dagegen geht unbeirrt den eingeschlagenen Weg, produziert Gesetz auf Gesetz, Verordnung auf Verordnung, u m der Forderung nach „Verrechtlichung" der engeren Staat/Bürger-Beziehungen zu genügen 6 . 2. Entwicklung

oder Versteinerung?

Man könnte sich damit beruhigen, daß wenigstens ein Teil des Themas auf verläßlichen Grund führe: der — wenn auch vielleicht „antiquarische" —, welcher die „Entwicklung" des besonderen Gewaltverhältnisses betrifft. Doch auch hier stockt man sogleich. „Entwicklung" weckt die Vorstellung folgerichtiger Veränderung. Der Gegenstand indessen, u m den es geht, w i r k t eigentümlich starr. Scheinbar unempfindlich gegen allen Wandel behauptet er seine tragenden Züge von der konstitutionellen Epoche bis i n die grundgesetzliche Ära. Fast ein Jahrhundert lang w i r d er immer wieder auf die gleiche Weise umschrieben: Das besondere Gewaltverhältnis bezeichnet einen Zustand „verschärfter Abhängigkeit" 7 des einzelnen vom Staat. Da i n ihm die Grundrechte nicht gelten, bedarf die Verwaltung auch keiner gesetzlichen Ermächtigung für ihre Anordnungen. Diese ergehen i m „rechtsfreien" Binnenraum, haben weder Verwaltungsakts- noch Rechtsnormqualität, binden allein den Adressaten, nicht ihren Autor selbst 8 . Allerdings zeigen sich Ungereimtheiten i n diesem klaren Bild, sobald man näher herantritt. Der angeblich „rechtsfreie" Raum des Beamtenverhältnisses ist seit je intensiv gesetzlich durchgeformt 9 . Die fehlende δ Vgl. Wolff / Bachof t Verwaltungsrecht I I , 4. A u f l . 1976, § 99 I V b 3; Dürig, Diskussionsbeitrag, V V D S t R L 37 (1979), S. 322; Ronellenfitsch (Fn. 4); v. Münch, V e r w a l t u n g u n d Verwaltungsrecht i m demokratischen u n d sozialen Rechtsstaat, i n : Allgemeines Verwaltungsrecht, hrsg. v. Erichsen / Martens, 6. A u f l . 1983, S. 1, 52. β Kritisch dazu für den Bereich des Schulrechts Kopp, Die pädagogische Freiheit des Lehrers, Grundlagen u n d Grenzen, DÖV 1979, 890 m. w . N.; vgl. auch Hans Maier, Z u r inhaltlichen Gestaltung der Schule aus der Sicht von P o l i t i k u n d Verwaltung, i n : Essener Gespräche zum Thema Staat u n d Kirche 12 (1977), hrsg. v. Krautscheidt / Marré, S. 11, 22 f.; vgl. zum gleichen Problem i m Bereich des Strafvollzugs Jung, Das Strafvollzugsgesetz, JuS 1977, 203, 206 f. 7 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., 3. A u f l . 1924, S. 101. 8 Vgl. Otto Mayer, a.a.O., S. 102 f.; Fritz Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. A u f l . 1928, S. 166 f.; Walter Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. A u f l . 1931, S. 122; vgl. aus der neueren L i t e r a t u r Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, 10. A u f l . 1973, S. 129 f.

Staatseingliederung als Institutionalisierungsproblem

11

Grundrechtsgeltung läßt sich schwer mit den Überlegungen i n Einklang bringen, die zur Meinungsfreiheit des Beamten 10 , zur Versammlungsfreiheit des Soldaten 11 , zur Teilnahmepflicht des Schülers am Religionsunterricht 1 2 — lange vor dem Ende der Monarchie — angestellt wurden. Und wenn nach 1918 Grundrechts- wie Rechtsschutzfragen erhöhte Bedeutung gewannen, neue — keineswegs erste — Erkenntnisse hierzu formuliert wurden 1 3 , wenn dieser Vorgang sich nach 1949 auf abermals anderer Grundlage mit abermals weiterreichenden Ergebnissen wiederholte 1 4 , so relativiert sich die Unbeweglichkeit, die dem Stoff nachgesagt wird, entschieden. Aber die Widersprüche selbst sind damit nicht behoben. 3. Krise für wen? I m Gegenteil treten weitere Zweifel hinzu. Sie richten sich vor allem auf den zweiten Aspekt des Themas, die „Krise" der Rechtsfigur. Einerseits nämlich w i r d auf dem skizzierten Hintergrund der Begriff der „Krise" fragwürdig. Bezieht man ihn auf die gegenwärtige Lage, so mag er eher zu harmlos klingen, gemessen an dem nahezu widerstandslosen und völligen Zusammenbruch der überkommenen Vorstellungen. Faßt man dagegen den Gang der Dinge seit den Anfängen ins Auge, so stimmt der Akzent aus anderen Gründen nicht: „Krise" deutet auf ein zeitliches und sachliches Nacheinander — auf eine ursprünglich intakte Struktur, die, aus welchen Gründen auch immer, von einem bestimmten Punkt an problematisch wird. Waren jedoch allgemeine Gestalt und konkrete Ausformung der Institution von vornherein nicht aufeinander abgestimmt, wie die angeführten Beispiele nahelegen 15 , so stellen sich auch die nachmaligen Schwierigkeiten nicht so sehr als ein neues Kapitel dar, sondern als weitere Phase i n einem von Anbeginn an prekären Prozeß. 9 Z u r Entwicklung der Beamtengesetzgebung i m 19. Jahrhundert Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, 1980, S. 236 ff. 10 Vgl. etwa, gegen PrOVGE 14, 404, 406, Schwartz, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat, 1896, S. 107; ferner Fritz Fleiner, I n s t i tutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 3. A u f l . 1913, S. 157 f. Fn. 7 a. 11 Ausdrücklich untersagt A r t . 38 der preußischen Verfassung v o n 1850 der „bewaffneten Macht", „ i n u n d außer dem Dienste (zu) beratschlagen oder sich, anders als auf Befehl (zu) versammeln". Dies versteht sich also nicht v o n selbst. Vgl. Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat 1. Bd., 1912, S. 524 f. » Dazu Anschütz (Fn. 11), S. 196 f., 228, 387 f. 18 Nachweise bei Loschelder (Fn. 4), S. 163 ff., 177 f.; Wenninger (Fn. 1), S. 196 f.; vgl. auch Hattenhauer (Fn. 9), S. 320 ff. 14 Vgl. dazu Krüger (Fn. 2), S. 109 ff.; Vie, Das besondere Gewaltverhältnis, W D S t R L 15 (1957), S. 133 ff.; dazu auch Erichsen (Fn. 1), S. 233 f. u n d 238 ff. 15 Z u dieser „verspannten" Zweigliedrigkeit der Rechtsfigur Loschelder (Fn. 4), S. 23 ff., 45 f., 139 ff.

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Wolfgang Loschelder

Das bedeutet andererseits, daß auch der Inhalt der „Krise" verschwimmt. Nicht die Lebensverhältnisse selbst, die man vordem als „besondere Gewaltverhältnisse" einordnete, haben offenbar den entscheidenden Umbruch erfahren — jedenfalls nicht i n erster Linie und nicht aus dem hier interessierenden Blickwinkel. Nach wie vor steht der Beamte unter den besonderen Pflichten des Amtes, der Schüler i m pädagogischen Bezug, der Häftling unter dem Reglement der Anstalt. Gewiß hat der allgemeine emanzipatorische Impuls vor ihnen nicht haltgemacht. Nur äußert er sich hier nicht so prinzipiell anders als außerhalb der Sonderbeziehungen, daß sich daraus allein die tiefgreifende Umorientierung erklären ließe. Allerdings haben sich die rechtlichen Formen verändert. A n die Stelle genereller und konkreter Weisungen sind Gesetze, Rechtsverordnungen, Verwaltungsakte getreten. Schlechthin verdrängt haben sie jene aber nicht 1 6 . Dennoch wäre der Schluß vorschnell, es habe sich lediglich das juristische Arsenal des „Außenverhältnisses" ein weiteres Mal i n das „Staatsinternum" vorgeschoben — nur dramatischer nach Umfang und Geschwindigkeit als früher 1 7 . Für eine bloß quantitative Korrektur erscheint der Wechsel der Koordinaten zu radikal; für eine reine Terminologiereform 1 8 wäre auch der emotionale Aufwand übertrieben. Indessen ist die neue rechtliche Handhabung nur eine Folge des eingetretenen Wandels, nicht seine Ursache. Sie erklärt i h n m i t h i n auch nicht. Was also hat sich verändert, worin besteht die genannte „Krise" i m Kern? Wiederum kann die Inkohärenz des überlieferten Bestandes den Fingerzeig geben. Tat sich die ältere Lehre schwer, das große Konzept mit den Details der verschiedenen Sonderverhältnisse zur Deckung zu bringen, so ließ sie doch beide Elemente pragmatisch nebeneinander bestehen. Man muß nur die damaligen Lehrbücher des Verwaltungsrechts aufschlagen, u m das zu erkennen — angefangen bei Otto Mayer: Stets w i r d das „besondere Gewaltverhältnis" an zwei Stellen behandelt, als scharf gezeichnete Institution i m „Allgemeinen Teil" und i n der vielfältigen Ausformung der einzelnen Typen über den „Beson16

Vgl. zur umfänglichen Regelung des Schulbereichs durch Verwaltungsvorschriften Staupe, Die „Verrechtlichung" der Schule — Erscheinungsformen, Ursache u n d Folgen, Leviathan — Zeitschrift f ü r Sozialwissenschaft 1982, 273, 280 f.; vgl. zu den beamtenrechtlichen Dienstanweisungen Schütz, Beamtenrecht des Bundes u n d der Länder, Kommentar, Stand A p r i l 1984, C § 58 Rdnr. 5 f. 17 Z u r ersten Phase der „Verrechtlichung" unter dem Grundgesetz, die v o r allem bei der Ausweitung des Rechtsschutzes ansetzte, grundlegend Ule (Fn. 14); einen Überblick gibt Wenninger (Fn. 1), S. 220 f., vgl. auch S. 223. 18 „Umetikettierung der Regelungsformen": Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, hrsg. v. Erichsen/ Martens, 6. A u f l . 1983, S. 66.

Staatsengliederung als Institutionalisierungsproblem

13

deren Teil" verstreut 1 9 — ohne daß man es für nötig hielte, auf die Divergenzen näher einzugehen. Die moderne Doktrin dagegen klammert den zweiten Komplex insgesamt aus, konzentriert sich ausschließlich auf die abstrakten Thesen. „Keine Grundrechtsgeltung", „keine Rechtsqualität", infolgedessen auch „keine Justitiabilität" — das sind die Aussagen, m i t denen sie sich i m Schwerpunkt auseinandersetzt 20 — und damit eine entscheidende Perspektivverengung vornimmt. Der Verlust an Differenzierung reicht aber noch weiter. Auch auf ihrem selbstgewählten, eingeschränkten Feld bleibt die neue Position per saldo negativ. Sie setzt der früheren Sicht nicht eine eigenständige Handhabung nach grundgesetzlichem Muster entgegen, sie bestreitet der überkommenen lediglich ihre Berechtigung. „Grundrechtsgeltung wie sonst auch", „Rechtsqualität nach allgemeinen Regeln", „unbegrenzte gerichtliche Überprüfung" 2 1 — diese Postulate werden zwar nicht voll durchgehalten 22 , bedeuten aber letztlich die Einebnung der Sonderverhältnisse i n das Recht des Außenbezugs. Hierin nun liegt das eigentlich neue Moment gegenüber allen vorangegangenen Phasen: Es geraten nicht nur die Eigengesetzlichkeiten der einzelnen Sonderbeziehungen aus dem Blick, vielmehr w i r d die Eigenständigkeit der Staatseingliederung überhaupt geleugnet. Denn das stand bislang außer Zweifel: daß die besondere Lage, i n die der einzelne i m Verwaltungsinnern gerät, eine eigene rechtliche Behandlung fordert — mag die Durchführung auch nicht i n jeder Hinsicht schlüssig gelungen sein. Nunmehr jedoch w i r d diesem Stoff eine spezifische Regelungsbedürftigkeit schlechthin aberkannt 2 3 . Das heißt: Die „Krise" — wenn es eine ist — betrifft primär die Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten, das Urteil darüber, ob ihre Sachstrukturen von denen der allgemeinen Staatsdistanz wesentlich verschieden sind.

19 Vgl. einerseits Otto Mayer (Fn. 7), S. 101 ff.; andererseits ders.: „Die Finanzgewalt", ebenda, S. 315 ff.; ders., Deutsches Verwaltungsrecht Bd. 2, 3. A u f l . 1924, S. 181 ff.: „Das Gewaltverhältnis des Dienstpflichtigen"; S. 285 ff.: „Die Anstaltsdisziplin", w o r i n ζ. B. die Benutzung v o n Armenhäusern, Krankenanstalten u n d Schulen zusammengefaßt ist. 20 Nachweise oben, Fn. 1. 21 Eingehend dazu Fuß, Personale Kontaktverhältnisse zwischen V e r w a l tung u n d Bürger. Z u m Abschied v o m besonderen Gewaltverhältnis, DÖV 1972, 765 ff.; vgl. auch Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1982, S. 308 f.; Scheerbarth / Höffken, Beamtenrecht, 4. A u f l . 1982, S. 72. 22 Wie insbesondere die fortdauernde Abgrenzung v o n Verwaltungsakt u n d innerdienstlicher Weisung — ungeachtet aller Unterschiede i n Begründungsansatz u n d Terminologie — zeigt. 23 Pointiert Selmer, Der Vorbehalt des Gesetzes, JuS 1968, 489, 497: „Es k a n n vielmehr n u r u m die Festlegung einer erweiterten Außensphäre gehen."

14

Wolfgang Loschelder

4. Institutìonalisierung

als Problem

Es handelt sich i n der Tat u m eine Krise — wie insbesondere die praktischen Auswirkungen belegen. Die Materie sperrt sich gegen die qualifikationslose Anwendung der Außenmaßstäbe, weist sie als sachlich nicht angemessen zurück. So führen die Rechtsverhältnisse des Beamten, Richters und Soldaten, des Schülers und Studenten, des Untersuchungs- und Strafgefangenen nach wie vor ein Eigenleben, das sich klar gegen den allgemeinen Status des Staatsbürgers absetzt. Gerade wo dies nicht beachtet wird, dokumentiert der Widerstand — jenseits aller interessenpolitischen und ideologischen Positionen —, wie groß die Selbstbehauptungskraft jener konkreten Ordnungen ist. I m Beamtenrecht etwa liegen die Beispiele auf der Hand — von den grundsätzlichen Vorstößen zugunsten eines Einheitsdienstrechts 24 bis zu den aktuellen Versuchen, Krankheitsfürsorge und Altersversorgung des Beamten i n das sozialversicherungsrechtliche System einzuplanieren 25 . Mehr noch läßt sich an den parallelen Fragestellungen ablesen, daß die verschiedenen Einzelbereiche Ausprägungen einer einheitlichen, prinzipiell gleich strukturierten, vom Außenbezug abgesetzten Binnenkategorie darstellen. Unverändert ist für den Schüler wie für den Beamten zu entscheiden, wie weit seine persönliche, grundrechtlich abgesicherte Freiheit — etwa zur Meinungsäußerung — reicht; wo sie von besonderen Bindungen überlagert wird; wann eine Verwaltungsregelung — Verhaltensanweisung, Leistungsbeurteilung — den Adressaten als Rechtsträger betrifft und wann nicht; von welchem Punkt an demgemäß die gerichtliche Kontrolle einsetzt — und so fort 2 6 . Man könnte einwenden, all dies beweise lediglich, daß die grundlegende Neubewertung jener Rechtsverhältnisse noch nicht voll realisiert sei. Indessen zeigen gerade die Bemühungen, hier „Fortschritte" zu er24 Dazu insbesondere Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bericht der Kommission, 1973, nebst Anlagebänden 5 u n d 6; ferner etwa die Beiträge bei Leisner (Hrsg.), Das Berufsbeamtentum i m demokratischen Staat, 1975. 25 Z u ersterem Leisner, Beamtensicherung zwischen Beihilfe u n d K r a n k e n versicherung, 1978; ders., Die beabsichtigte Neuordnung des Beihilferechts — 1983, ZBR 1983, 141 ff.; zu letzterem Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme, Gutachten der Sachverständigenkommission, 1983, 2 Berichtbände nebst 2 Anlagebänden; dazu Fürst, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Neuregelung der Beamtenversorgung, ZBR 1983, 319 ff.; Loschelder, „Annäherung" der Beamtenversorgung an die Rentenversicherung?, DÖV 1984, 1003 ff. 26 Vgl. z . B . das Tragen v o n Plaketten: Lehrer i m Beamtenverhältnis: einerseits V G Hamburg, N J W 1979, 2164, andererseits V G Berlin, N J W 1979, 2629 f.; Schüler: BayVGH, DVB1. 1982, 457 ff.; BayVerfGH, N J W 1982, 1089 ff.; für das Soldatenverhältnis: B V e r w G E 53, 327 ff.; 73, 237 ff.

Staatseingliederung als Institutionalisierungsproblem

15

zielen, daß man es mit einem grundsätzlichen Problem zu t u n hat. Vor allem stößt die „Verrechtlichung" der Sonderbindungen auf unübersehbare Grenzen 27 . Bereits die erste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts merkt vorsorglich an, daß das zu schaffende Strafvollzugsgesetz „allerdings auf — möglichst eng begrenzte — Generalklauseln nicht . . . (werde) verzichten können" 2 8 . Seitdem sind die Klagen über eine Überreglementierung beispielsweise i m Schulrecht nicht abgerissen, unterscheidet man zwischen „Groblernzielen", die gesetzlich festzulegen seien, und „Feinlernzielen", die der Verwaltung überlassen bleiben müßten 2 9 . Auch das Beihilferecht, wo es rechtssatzförmig fixiert ist, vermag nur dem typischen Fall gerecht zu werden, verlangt Spielraum für atypische Bedürfnisse 30 . Und die Kriterien, die die Verfassungsrechtsprechung — nicht zuletzt i m Hinblick auf die Sonderbindungen — entwickelt hat, u m den Vorbehaltsbereich von Parlament und Gesetzgeber zu konkretisieren — „Wesentlichkeit", „Grundrechtsrelevanz" 3 1 —, signalisieren i n ihrer Unbestimmtheit eher ungelöste Fragen als ein geschlossenes Konzept. Faßt man die Überlegungen zur „Entwicklung und Krise des besonderen Gewaltverhältnisses" i n einem Zwischenergebnis zusammen, so läßt sich der Befund wie folgt umreißen: Die rechtliche Bewältigung der Eingliederungsverhältnisse des Bürgers i n die staatliche Verwaltung weist zwei deutlich unterscheidbare Phasen auf. Die ältere — die des „besonderen Gewaltverhältnisses" — ist dadurch gekennzeichnet, daß i n ihr jenen Beziehungen eine eigenständige rechtliche Ausgestaltung zuteil wurde. Allerdings setzt sich das dafür entwickelte Instrumentarium aus zwei Komponenten zusammen, die nicht ohne Rest auf einen Nenner zu bringen sind: I m Vordergrund stehen hart formulierte generelle Aussagen, neben denen die vielgestaltigen Einzeltypen ein erhebliches Maß an Eigengesetzlichkeit behaupten. Die jüngere Phase — seit dem vielbeschworenen „Abschied vom besonderen Gewaltverhältnis" 3 2 — betrachtet dagegen die engeren Staat/Bürger-Verbin27 Vgl. für den Schulbereich Niehues, Schul- u n d Prüfungsrecht, 2. A u f l . 1983, Rdnr. 179; allgemein Ronellenfitsch (Fn. 4), 939 m. N. aus der Rspr.; vgl. auch oben Fn. 6. 28 BVerfGE 33, 1,11. 20 So Niehues, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen u n d die Stellung der an i h m Beteiligten zu regeln?, Referat auf dem 51. Deutschen Juristentag, Abteilung: Schule i m Rechtsstaat, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentags Bd. 2 (Sitzungsberichte), 1976, S. M 40, 58 f.; vgl. auch BVerfGE 47, 46, 83. 30 Z u r „normativen Beihilfen-(Mindest-)Regelung" siehe Leisner, Beamtensicherung zwischen Beihilfe u n d Krankenversicherung, 1978, S. 6. 51 Vgl. n u r BVerfGE 33, 303; 34, 165; 41, 251; 47, 46. 82 Z u r Formulierung Fuß (Fn. 21); vgl. auch Ossenbühl, Schule i m Rechtsstaat, DÖV 1977, 801, 802.

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Wolfgang Loschelder

düngen prinzipiell als einen Ausschnitt aus dem allgemeinen Staat/ Bürger-Bezug, für den die generellen Regeln gelten. Andererseits gelingt es ihr nicht, daraus die volle Konsequenz zu ziehen. Die Lebenssachverhalte bleiben bestehen und verschließen sich m i t ihren spezifischen Fragen i n erheblichem Umfang der gewünschten Einebnung. Problematisch ist die Institutionalisierung also i n beiden Fällen. Gerade deswegen verspricht es Gewinn, die gegenwärtigen Schwierigkeiten an den vergangenen Lösungen zu messen — und umgekehrt. I I . Unterschätzung des Gegenstands Der zeitliche Rahmen gestattet es nicht, bei der Darstellung des gewachsenen Rechtsbestands Filigran zu betreiben. Nur die wichtigsten Aspekte seien daher hervorgehoben. 1. Der geistesgeschichtliche

Kontext

Vor allem kann — erstens — nicht genug betont werden, daß das besondere Gewaltverhältnis m i t seinen Vorzügen und Mängeln, auch mit seiner Terminologie, ein Produkt seiner Epoche ist. Zu Recht w i r d Otto Mayer als der eigentliche Vater genannt 33 . Wichtiger jedoch ist der zeitliche Kontext, i n dem er seine Dogmatik des deutschen Verwaltungsrechts entwickelte, der staatsrechtliche Positivismus 34 . Ein zentrales Mißverständnis der nachmaligen K r i t i k besteht darin, daß sie hier unhistorisch vorgeht, die Rechtsfigur nicht an den Maßstäben mißt, unter denen sie entsteht — denen des bürgerlichen Rechtsstaats, der konstitutionellen Monarchie —; daß sie sie als rechtsstaatlich und demokratisch defizitär verwirft, n u r weil sie den grundgesetzlich geprägten Vorstellungen nicht entspricht 35 . Aus dieser Perspektive erklärt sich namentlich, daß der tiefe Graben übersehen wird, der den Positivismus von der voraufliegenden Epoche trennt. Es gehört zum festen Ritual wissenschaftlicher Abhandlungen über den vorliegenden Gegenstand, daß man seine geschichtlichen Wurzeln zurückverfolgt und dabei auf den von Schmitthènner vor der Jahrhundertmitte geprägten Begriff des „organischen Subjektionsverhält33

Vgl. statt aller Wenninger (Fn. 1), S. 130 Fn. 34. Grundlegend Emst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz u n d gesetzgebende Gewalt, 1958, S. 211 ff.; vgl. ferner Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. A u f l . 1967, S. 930 ff. 35 Bezeichnend etwa Hildegard Krüger, Die Grundrechte i m besonderen Gewaltverhältnis, ZBR 1956, 309 ff.; ferner — m . w . N . — Brohm, V e r w a l tungsvorschriften u n d besonderes Gewaltverhältnis, DÖV 1964, 238 ff.; vgl. auch Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, 2. A u f l . 1968, S. 206 ff. 34

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nisses" verweist 3 6 . Gewiß ist dieser Begriff später aufgenommen und verarbeitet worden 8 7 . I n der Substanz aber ist die angebliche Kontinuität zum besonderen Gewaltverhältnis brüchig. Schmitthenner versteht „Subjektion" primär als ein „sittliches Lebensverhältnis", zu dem das Recht nur überformend hinzutritt 3 8 . Er sieht sie als eine umfassende, personale Eingliederung des einzelnen i n die staatlich-gesellschaftliche Ordnung, kontrastiert sie zum stets begrenzten „Obligationenverhältnis" 3 9 . Schließlich — i n dritter Linie — unterscheidet er die allgemeine Subjektion des einzelnen gegenüber dem Staat von der näheren, gesteigerten des Staatsdieners 40 . Von diesen drei Elementen geht gerade das entscheidende erste beim Transport i n den positivistischen Gedankenkreis verloren. Man rühmte sich, die „täuschenden Bilder" der Vorgänger überwunden, durch eine „realistische" Betrachtungsweise des Staates ersetzt zu haben 41 . I n Wahrheit entledigte man sich m i t der übergreifenden „sittlichen" Idee auch der sie verkörpernden Wirklichkeit. A l l e i n das außerrechtliche Faktum staatlicher Macht bleibt übrig, der gegenüber man sich auf ein rein „juristisches" System dogmatischer Begriffe und kausaler Verknüpfungen zurückzieht 42 . Daß sich darin — neben der „Denkweise der zeitgenössischen Naturwissenschaft" 43 — auch eine zeitgeschichtlich bedingte Entfernung vom politischen Geschehen ausdrückt 44 , kann hier nur angemerkt werden. 2. Allgemeine

und besondere Gewalt

Auf dieser Folie hellt sich — zweitens — auch die Funktion auf, die dem Terminus der „Gewalt" i m positivistischen Staatsverständnis zu86

K r i t i s c h demgegenüber Erichsen (Fn. 1), S. 222 m. w . N. Nachweise bei Loschelder (Fn. 4), S. 56; Ronellenfitsch (Fn. 4), S. 933 f. Fn. 3. 38 Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, 1843, S. 278; vgl. auch ders. f Grundlinien der Geschichte der Staatswissenschaften, der Ethnologie, des Naturrechtes u n d der Nationalökonomie, 2. A u f l . 1839, S. 23 ff. 36 Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechtes, S. 278. 40 Ebenda, S. 505 ff. 41 v. Seydel, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, 1873, S. V ; besonders zugespitzt van Krieken, Über die sogenannte organische Staatstheorie, 1873, insbes. S. 124 ff. 42 So insbes. v. Seydel (Fn. 41), S. 8, 13 ff.; w . N . bei Loschelder (Fn. 4), S. 49, 70 ff. 43 Formulierung bei Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. A u f l . 1979, S. 27. 44 Dazu Böckenförde (Fn. 34), S. 214; Böckenförde / Grawert, Sonderverordnungen zur Regelung besonderer Gewaltverhältnisse, AöR 95 (1970), 1, 18; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften u n d Grundgesetz, 1968, S. 51 f.; Rüfner, Formen öffentlicher V e r w a l t u n g i m Bereich der Wirtschaft, 1967, S. 92 f. 37

2 Speyer 97

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fällt. Zugleich w i r d klar, wieweit die Angriffe ihr Ziel verfehlten, welche die m i t i h m verbundenen Assoziationen später gegen das „besondere Gewaltverhältnis" auslösten. „Unser Staat vermag rechtlich schlechthin Alles . . ." 4 δ . Diese Aussage Otto Mayers scheint dazu angetan, alle Vorurteile gegen die vorrechtsstaatliche Natur des „Gewalt"-Topos zu bestätigen. Tatsächlich aber ist gerade er geeignet, den realen Gehalt der positivistischen Doktrin zu erschließen. Diese sah sich vor der schwierigen Aufgabe, i n ihr — quasi mechanistisches — B i l d von der Staatsperson einerseits, den Rechtssubjekten des gesellschaftlichen Raums andererseits das alleinige Vermögen der ersteren einzuordnen, über alle anderen einseitig zu verfügen. Denn nach den eigenen Prämissen war ihr dabei der Rückgriff auf eine „sittliche Idee" verwehrt. A l l e i n für diesen Zweck zog sie den — wesentlich quantitativen — Begriff der staatlichen „Gewalt" heran, verstanden als einen „übermächtigen" Willen, eine unbegrenzte Durchsetzungsfähigkeit, monopolisiert bei einer Instanz 46 . Der scheinbar radikale Satz Otto Mayers, eines dezidierten Vertreters des bürgerlichen Rechtsstaats, verdeutlicht nun näher, i n welchem Sinne dies gemeint ist. Zunächst ist Staatsgewalt nicht per se negativ. A u f dem Hintergrund der europäischen Bürgerkriegserfahrungen des 16. und 17. Jahrhunderts 4 7 stellt sie einen unbestreitbaren Fortschritt und eine wesentliche Bedingung des späteren Rechtsstaats dar 4 8 . Sodann beschreibt diese „Gewalt" nicht eine empirische Realität — für welche sich die „rein juristische Methode" nicht interessiert 49 . Sie ist ein gedankliches Modell, dazu bestimmt, die unterschiedlichen Fähigkeiten der Rechtssubjekte klarzustellen. Endlich bewegen sich diese Überlegungen auch nicht auf einer verfassungsrechtlichen, sondern auf der staatstheoretischen Ebene, liegen dem Verfassungsrecht voraus 50 . Letzteres beginnt, i n rechtsstaatlicher Sicht, erst mit dem nächsten Schritt, 45

3, 30.

Otto Mayer, Z u r Lehre v o m öffentlich-rechtlichen Vertrage, AöR 3 (1888),

46 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht 1. Bd., 1. A u f l . 1895, S. 67; Rehm, Die rechtliche Natur des Staatsdienstes nach deutschem Staatsrecht, Annalen des Deutschen Reichs 1885, 65, 152; Heinrich Rosin, Souveränetät, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung, A n n a l e n des Deutschen Reichs 1883, 265, 299. 47 Z u diesem Zusammenhang Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 27 ff. 48 Vgl. die Darstellung der unumschränkten Staatsgewalt i m „Polizeistaat" u n d deren Einordnung i n „ F o r m u n d Gestalt des Rechtes" bei Otto Mayer (Fn. 7), S. 38 f., S. 54 ff. 49 Vgl. Heinrich Rosin (Fn. 46), S. 268: nicht „thatsächliche Machtverhältnisse", sondern allein „rechtliche Macht" maßgeblich. 50 Besonders deutlich Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. A u f l . 1919, S. 86 f.; charakteristisch auch ders., Allgemeine Staatslehre, 3. A u f l . 1914, S. 164.

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der über den monarchischen Obrigkeitsstaat hinausführt: mit der Bändigung, Begrenzung der Staatsgewalt durch das „allgemeine Gesetz" 51 , die strikte Gesetzesgebundenheit der Justiz und die „thunlichste Justizförmigkeit" der Verwaltung 5 2 . Für das besondere Gewaltverhältnis bedeutet das „Gewalt"-Moment m i t h i n kein eigentümliches, unterscheidendes Kriterium. Es ist hier wie dort dasselbe 53 — allenfalls diskutiert man darüber, ob sich i n den engeren Beziehungen überhaupt das staatliche Imperium äußert oder ob es sich bei ihnen nur u m von vornherein rechtsbegründete, vertragliche oder auch persönliche Bindungen handelt 5 4 . Wesentlich ist dagegen die zweite, verfassungsrechtliche Stufe, bei der es u m die Begrenzung der Staatsgewalt geht. Insoweit allerdings ist die Aussage klar: Die verfassungsrechtlichen Sicherungen des Außenverhältnisses greifen hier nicht, die Verwaltung verfügt aus eigener Befugnis über den Betroffenen 55 . Indessen w i r d sogleich zu zeigen sein, daß auch dies nicht W i l l k ü r , unbegrenzte Macht eröffnet — eine Vorstellung, dies w i r d regelmäßig zu gering veranschlagt, liegt wohl auch der gegenwärtigen Erfahrung ferner, die mit der Rechtskultur der Zeit schlechthin unvereinbar wäre 5 6 . Vorläufig genügt die Feststellung, daß „Gewalt" eine bloße Parabel, mit Nawiasky zu sprechen sogar eine „Hyperbel" 5 7 ist, ferner daß es beim „besonderen Gewaltverhältnis" i n Wahrheit nicht u m „besondere" Gewalt geht, sondern lediglich u m die „negative Ableitung" von Merkmalen des „allgemeinen Gewaltverhältnisses" 58 . 3. Der „rechtsfreie

Raum"

Ein weiteres Reizwort für die moderne K r i t i k — drittens — relativiert sich ebenfalls, wenn man seine Zeitgebundenheit berücksichtigt. Wenn nämlich das besondere Gewaltverhältnis als „rechtsfreier Raum" 51

Dazu grundlegend Carl Schmitt, Verfassungslehre, 5. A u f l . 1928, S. 138 ff. Otto Mayer (Fn. 7), S. 62. 53 Deutlich Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 1. A u f l . 1876, S. 387; Otto Mayer (Fn. 7), S. 101 f. 64 So Herzfelder, Gewalt u n d Recht, 1890, S. 170 ff.; Carl Friedrich von Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, 2. A u f l . 1869, S. 111 Fn. 1; Georg Jellinek (Fn. 50), S. 214 f. 85 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht 2. Bd., 3. A u f l . 1924, S. 284; vgl. ebenso Fritz Fleiner (Fn. 8), S. 166: „ E i n arbeitendes oder zu bearbeitendes Glied des staatlichen Verwaltungsapparates"; vgl. auch Walter Jellinek (Fn. 8). se Prägnant Georg Jellinek (Fn. 54), S. 84 f.; Thoma, Rechtsstaatsidee u n d Verwaltungsrechtswissenschaft, JöR I V (1910), 196, 201 ff. 62

57 58

2*

Forderungs- u n d Gewaltverhältnis, FS Zitelmann, 1913, S. 1, 16 Fn. 59. I m einzelnen Loschelder (Fn. 4), S. 13 ff., 51, 140 ff.

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apostrophiert w i r d 5 9 , so kommt doch alles darauf an, was unter „Recht" i n diesem Zusammenhang zu verstehen ist. Objektiv-rechtlich steht außer Zweifel, daß die generellen Regelungen i m Verwaltungsinnern, also auch i n den Sonderbindungen, gemeinh i n nicht zu den „Rechtssätzen" gezählt wurden 6 0 . Vordergründig ist dies freilich eine rechtstheoretische Aussage; doch kaschiert dies nur mühsam den dahinterstehenden „historisch-konventionellen" Gehalt 6 1 . Wenn man als „Rechtssatz", „materielles Gesetz" nur solche rechtlichen Regeln versteht, die zwischen Rechtssubjekten gelten, so ist es an sich folgerichtig, alle staatlichen Willensäußerungen auszuscheiden, die sich auf den Innenraum des als einheitlich aufgefaßten Rechtssubjekts „Staat" beziehen 62 . Bezeichnenderweise w i r d diese Konsequenz aber nicht von allen akzeptiert 6 3 , auch sachlich — wie insbesondere das Haushaltsgesetz zeigt 6 4 — nicht ausnahmslos gezogen. Gerade diese „Fehler" i m Muster lenken den Blick auf seinen Untergrund, die dualistische Verfassungslage der konstitutionellen Monarchie. Sie weisen die scheinbar theoretische Abgrenzung als Nachzeichnung der realen Kompetenzverteilung aus: Was der gemeinsamen Entscheidung von Monarch und Parlament unterliegt — die Relation Staat/Gesellschaft, aber auch Ausschnitte aus dem Staatsinternum — führt zu „Rechtssätzen"; was der Disposition der Krone allein vorbehalten ist — Heer und Verwaltung i m übrigen — kann durch „Verwaltungsverordnungen" geregelt werden 6 5 . Erneut lautet die Schlußfolgerung für das besondere Gewaltverhältnis, daß seine dogmatische Einordnung nicht eine andere — mindere — rechtliche Qualität begründet, sondern lediglich negativ besagt, daß das Instrumentarium des Außenbezugs hier keine Anwendung findet. Für 69 Vgl. dazu Herbert Krüger, Diskussionsbeitrag, V V D S t R L 11 (1954), 140; Ossenbühl (Fn. 44), S. 25; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 19 ff.; Schnapp, Amtsrecht u n d Beamtenrecht, 1977, S. 41. 00 Vgl. die Nachweise bei Loschelder (Fn. 4), S. 80 f. 61 So i n eindringlicher Analyse am Ende der Epoche Thoma, Der Vorbeh a l t des Gesetzes i m preußischen Verfassungsrecht, Festgabe für Otto Mayer, 1916, S. 165, 176; vgl. auch Böckenförde (Fn. 34), S. 211 ff. 62 Thoma, a.a.O., S. 177 f. 83 V o r allem Otto v. Gierke, Labands Staatsrecht u n d die deutsche Rechtswissenschaft, Schmollers Jahrbuch 7 (1883), 1097 ff.; ders., Die Genossenschaftstheorie u n d die deutsche Rechtsprechung, 1887, S. 673 ff., 685 ff.; Haenel, Das Gesetz i m formellen u n d materiellen Sinne, Studien zum deutschen Staatsrecht, Bd. 2, 2, 1888, S. 215 f., 221 ff. u n d passim. 64 Vgl. die E n t w i c k l u n g zur Theorie des Haushaltsgesetzes bei Friauf, Der Staatshaushaltsplan i m Spannungsfeld zwischen Parlament u n d Regierung, Bd. 1, 1968, S. 246 ff., insbes. S. 251 ff. 65 Dazu etwa Thoma (Fn. 62), S. 177 f., der dies f ü r „Schulregulative, A n ordnungen der Kommandogewalt, Hausordnungen der Strafanstalten, m a n ches i n Zollregulativen, Verhaltensvorschriften für Staatsbeamte" feststellt.

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seine positiven Strukturen bleibt das Blankett der allgemeinen Aussagen wiederum ungefüllt 6 6 . Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Wendung vom „rechtsleeren Raum" subjektiv-rechtlich betrachtet. Auch insoweit steht außer Streit, daß insbesondere die Grundrechte — prinzipiell jedenfalls — hier nicht gelten 67 . Aber was heißt das? Die Grundrechte, die sich erst vor kurzem zu einem geschlossenen Kreis u m die Freiheit des einzelnen gefügt haben, sind „polizeigerichtet" 6 8 ; sie markieren die Schranke, die der Verwaltung für eigene Interventionen i n die gesellschaftliche Sphäre gezogen ist. Den Gesetzgeber binden sie ohnehin nicht 6 9 , und auf das Staatsinnere hin sind sie von vornherein nicht konzipiert 7 0 . 4. Die Struktur

der Einzelverhältnisse

Es bleibt ein letzter — vierter —, der entscheidende Aspekt. Die überkommene Lehre beläßt es nicht bei dem nur negativ ausgrenzenden — erst i n unseren Tagen als positiv beschreibend mißverstandenen und bekämpften — Bild. Weil ihre allgemeinen Thesen nur aussagen, was i m besonderen Gewaltverhältnis — von der Grundkonzeption her — nicht gilt, vermag sie unbefangen der Ausgestaltung der Einzelverhältnisse Spielraum zu geben. Es stört sie nicht, daß sich hier vieles anders darstellt als i m großen Entwurf. Es fehlt ihr jedes Motiv, die Differenzierungen puristisch zu „glätten". Entsprechend muß man sich gerade jenen Details zuwenden, wenn man positiven Aufschluß gewinnen w i l l . Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Rechtskultur der Zeit Freiheit der Verwaltung vom Gesetz nicht m i t Ungebundenheit gleichsetzt 71 . I m Einklang damit w i r d allgemein die Begrenzung durch den jeweiligen konkreten Zweck der Sonderbeziehung hervorgehoben 72 . I n dieser Hinsicht ergeben sich i m übrigen fließende Übergänge zum „freien", d.h. gesetzlich nicht vorgeformten Ermessen i m Außenverhältnis, beispielsweise i m Polizeirecht 73 . ββ

Vgl. Böckenförde / Grawert (Fn. 44), S. 2. Vgl. für die nicht ausdrücklich genannten Verbürgungen, etwa die M e i nungsfreiheit, Anschütz (Fn. 11), S. 581 f.; f ü r die „besonderen Gehorsamsu n d Unterwerfungsverhältnisse" i m übrigen vgl. S. 506 f., 510, 513, 524 f.; vgl. für die Pressefreiheit i n der W R V auch Walter Jellinek (Fn. 8), S. 484; für die Versammlungs- u n d Vereinigungsfreiheit i n der W R V ders. (Fn. 8), S. 488. 88 Georg Jellinek (Fn. 54), S. 95 f.; Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 5. A u f l . 1911, S. 151 f. Fn. 2. 89 Anschütz (Fn. 11), S. 94 m . w . N . ; Otto Mayer (Fn. 7), S. 1, 4 f.; vgl. auch § 1 Abs. 1 S. 2 Reichsvereinsgesetz v. 19.4.1908 (RGBl. S. 151). 70 Vgl. etwa Anschütz (Fn. 11), S. 506 f., 524 f. 71 Oben bei Fn. 56. 72 Vgl. etwa Otto Mayer (Fn. 7), S. 101 f.; Fritz Fleiner (Fn. 8), S. 167. 67

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Speziell die Aussonderung aus dem Rechtssatzbegriff bedeutet ferner nicht, daß die internen Regelungen nur für den Bürger Pflichten erzeugten. Sie sind auch für die nachgeordnete Behörde, den ausführenden Beamten, verbindlich 7 4 . Zwar erlauben sie, anders als das „materielle Gesetz", Durchbrechungen, aber nur, u m der größeren Beweglichkeit des Verwaltungsbetriebs, dem atypischen Fall zu genügen 75 . Daß dieser Bereich schließlich nicht gerichtlich, nur administrativ kontrollierbar ist, kann einer Zeit nicht anstößig erscheinen, die auch i m übrigen nur einen punktuellen Verwaltungsrechtsschutz kennt 7 6 . Doch t r i f f t dies noch nicht den Kern. Betritt man das Feld der einzelnen Sonderbeziehung, so stößt man allenthalben auf gesetzliche Regelungen, Rechtsverordnungen — am dichtesten i m Beamtenrecht, aber nicht nur dort 7 7 . Gesetzlich vorgesehene Leistungen, Disziplinarvorschriften, Besoldungsregelungen erzeugen zudem Ansprüche, subjektive Rechte — nur daß dies alles zwar auf dem Vorrang des Gesetzes beruht, nicht aber von einem Vorbehalt gefordert w i r d 7 8 . Speziell das Disziplinarrecht bringt eigenständige Rechtsschutzmechanismen hervor 7 9 ; daneben gelten die allgemeinen Regeln, soweit etwa ein Gesetz eine Leistung quasi „nach außen" zieht — die Postbeförderung, die Beamtenbesoldung — und generell eine „actio" bereitsteht 80 . Vor allem überspringen die Grundrechte die prinzipielle Trennung. Wo die besonderen Pflichten — des Amtes, der anstaltlichen Eingliederung — über den unmittelbaren Gang der Verwaltung hinaus das Dasein des Betroffenen überlagern, werden die Kollisionen mit der individuellen Freiheit erkannt und i n beachtlichem Umfang — bei allem 73 Dazu Stier-Somlo, Das freie Ermessen i n Rechtsprechung u n d V e r w a l tung, in: Festgabe f ü r Laband, 2. Bd. 1908, S. 443 ff., insbes. S. 505 ff.; vgl. auch Otto Mayer (Fn. 7), S. 77, 99. 74 Otto Mayer (Fn. 7), S. 94 f.; vgl. auch ders. (Fn. 55), S. 184. 75 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., 2. A u f l . 1914, S. 374; 2. Bd., 2. A u f l . 1917, S. 318 f., 499 Fn. 9; zur entsprechenden Kompetenzverteil u n g — Befugnis zur Einzelweisung für den unmittelbar handelnden nachgeordneten Beamten — 1. Bd., 2. Aufl., S. 105 f. 76 Vgl. i m Überblick Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Bd., 1. A u f l . 1895, S. 150 ff. 77 Otto Mayer (Fn. 55), S. 287 Fn. 7, gibt dafür anschauliche Beispiele aus der Postordnung u n d aus Landesverordnungen für Erziehungs- u n d Pflegeanstalten. 78 Vgl. dazu eingehend Otto Mayer (Fn. 55), S. 284 ff.: „Ansprüche v o n ausgeprägterer Gestalt" können sich n u r „nebensächlicherweise m i t der A b w i c k l u n g des Verhältnisses" verbinden. 79 I m einzelnen dazu Loschelder (Fn. 4), S. 41 ff.; Anschauungsmaterial bei A. G. Heffter, Über Verbrechen u n d Disciplinar- Vergehungen der Staats- u n d Kirchendiener, Neues Archiv des Criminalrechts 13 (1832/1833), 48 ff., 155 ff. 80 Vgl. etwa Ottmar Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte u n d i h r Schutz i n der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, 1914, S. 47 f. m. w . N.

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Streit um die Abgrenzung — i m Sinne der Freiheit gelöst 81 . Politische Meinungsäußerungen des Beamten, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit auch des Schülers und Studenten stehen i m Mittelpunkt der Erörterungen 82 . Daneben finden sich zahlreiche Hinweise, daß ein elementarer Rechtsbestand — Religionsfreiheit, Freiheit der Person — i m Kern überhaupt für unantastbar gehalten, also auch von der Eingliederung i n das Verwaltungsgefüge nicht i n Frage gestellt w i r d 8 3 . Besonders ergiebig sind die Abweichungen „nach oben", weil sie die Eigengesetzlichkeit der Sonderbindungen hervortreten lassen. Während das Außenkonzept von der „liberalen" Scheidung von Staat und Gesellschaft ausgeht, w i r d i m Innenbezug die Hinwendung zur Person des Betroffenen spürbar. Sie erschöpft sich keineswegs i n den weitgespannten Reglementierungen. Sie drückt sich stärker noch i m Moment des Schutzes und der Fürsorge aus, welches u m so deutlicher ausgeprägt scheint, je intensiver die Bindung ist. Die materiellen und immateriellen Leistungsansprüche des Staatsdieners sind nur das eindeutigste Beispiel für diese Komponente, die gerade — und nur — für die Eingliederungslage charakteristisch ist 8 4 . Freilich fehlt es auch hier an einer vollen dogmatischen Ausformung — entsprechend der Blickfixierung auf das „allgemeine Gewaltverhältnis". Auch insoweit jedoch w i r d das Eigenleben der Sonderordnung gelassen hingenommen.

ΙΠ. Der Rechtsstoff und seine Forderungen Die Skizze kann nicht vollständig sein. Sie läßt aber erkennen, aus welchen Gründen es der älteren Lehre Schwierigkeiten bereitete, die Verhältnisse der Staatseingliederung rechtlich zu bewältigen. Zugleich 81 Vgl. Fritz Fleiner (Fn. 10), S. 157 f. Fn. 7 a. Eingehend wurde diese Problematik insbesondere bei den Beratungen des Reichsvereinsgesetzes erörtert: vgl. dazu Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz v. 19. A p r i l 1908, 1909, § 1, S. 34 ff.; Delius, Deutsches Vereinsrecht u n d Versammlungsrecht i n p r i v a t u n d öffentlich-rechtlicher Beziehung unter besonderer Berücksichtigung des preußischen Rechts, 4. A u f l . 1908. S. 226 f. 82 Vgl. PrOVGE 14, 404, 406; 55, 467, 471 f.; v. Rheinbaben, Die preußischen Disziplinargesetze, 1904, S. 64 f.; Schwartz (Fn. 10), S. 107; ferner außer den Nachweisen i n Fn. 81 auch Romen, Das Reichsvereinsgesetz, 1908, S. 27 ff. 83 Z u r Gewährleistung persönlicher Freiheit i n A r t . 5 PrVerf.-Urk. Adolf Arndt, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat, 7. A u f l . 1911, S. 92; Giese, Die Grundrechte, 1905, S. 98; v. Rönne / Zorn, Das Staatsrecht der preußischen Monarchie, 2. Bd., 5. A u f l . 1906, S. 152 f.; zur Religionsfreiheit Anschütz (Fn. 11), S. 193, 195, 233. 84 Dazu i m einzelnen Loschelder (Fn. 4), S. 137 f.; vgl. auch die Formulierung bei Hermann Schulze, Das preußische Staatsrecht, 1. Bd., 2. A u f l . 1888, S. 329, wonach das Recht des Beamten auf A l i m e n t i e r u n g „ein nothwendiges u n d organisches Korrelat seiner ganzen amtlichen Stellung" darstellt.

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w i r d deutlich, daß diese Problematik auch heute — und gerade heute — nicht abgetan ist. 1. Die wachsende

Entfernung

vom Stoff

Was zunächst an der Rechtsfigur des „besonderen Gewaltverhältnisses" ins Auge sprang, war ihre Zweigliedrigkeit — allgemeine Aussagen hier, Einzelausgestaltung dort — und der geringe Zusammenhang zwischen beiden Gliedern. Bewirkt wurde diese Schwäche, wie sich zeigte, dadurch, daß die Dogmatik des staatsrechtlichen Positivismus einseitig am Modell des allgemeinen Staat/Bürger-Bezugs orientiert blieb, der Eigenart der Sonderbeziehungen nicht inne wurde. Der „rein juristische" Ansatz der Epoche begünstigte dies noch, der für die „Realia" kaum Interesse aufbrachte 85 . Der „Abschied vom besonderen Gewaltverhältnis" hat diese StoffFerne nicht überwunden, er hat sie entscheidend gesteigert. Er nahm die tradierten allgemeinen Aussagen nicht als das, was sie waren: Ausgrenzungen aus der Kategorie des „allgemeinen Gewaltverhältnisses". Infolgedessen übersah er auch den Spielraum, den sie boten und der, freilich unsystematisch, durch das Eigenleben der einzelnen Sonderbeziehungen gefüllt wurde. Stattdessen erklärte er die — grundgesetzlichen — Maßstäbe des Außenverhältnisses für allgemeingültig 8 6 . Der bisherige Spielraum fiel fort, womit der Konflikt zwischen den Anforderungen des Regelungsstoffs und dem Regelungsinstrumentarium erst praktisch wurde. Daß es sich u m einen Konflikt handelt, ist an den Spannungen abzulesen, die bei der Durchführung dieses Konzepts auftraten. Zwar bestehen nach wie vor die speziellen Eingliederungstypen fort, haben sich sogar weiter verselbständigt. Aber sie existieren nicht mehr nur unabhängig von den „allgemeinen Lehren", sie müssen sich i n erheblichem Umfang gegen sie durchsetzen — und t u n dies auch 87 . 2. Die Eigengesetzlichkeit

des Stoffes

Diese Widerstandskraft der Einzelverhältnisse — während der konstitutionellen Zeit, i m Übergang zur neuen Verfassungslage von Weimar und nun erst recht unter dem Grundgesetz — ist das eigentlich kontinuierliche, aber auch eigentlich erklärungsbedürftige Moment i n der „Entwicklung und Krise des besonderen Gewaltverhältnisses". Was 85

Z u dieser Einengung auf „logisch-formale Begrifflichkeiten" Böckenförde (Fn. 34), S. 219. 86 Deutlich BVerfGE 33, 1, 10 ff.; vgl. auch Fuß (Fn. 21), S. 766 f. 87 Vgl. oben bei Fn. 24 f.

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ihm zugrunde liegt, deutet sich i n dem alten Begriffsgegensatz von „Außen-" und „Innenrecht" an, der vielfach als bloße Metapher mißverstanden und verworfen wurde 8 8 . Der Terminus „Eingliederungslage" 8 9 pointiert noch stärker, daß es u m eine grundsätzlich anders geartete tatsächliche Befindlichkeit des Betroffenen geht. Die Normalsituation des Bürgers zum Staat ist — jedenfalls unter rechtsstaatlichen Bedingungen — die einer mindesten Distanz. Das gilt auch i m demokratischen Rechtsstaat. Beteiligung an der allgemeinen Willensbildung ist etwas anderes als individuelle Freiheitsbetätigung zur Gestaltung des eigenen Daseins. Staatszweckverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung bleiben auch bei gleichen Akteuren geschiedene Vorgänge 90 . Ebensowenig hebt der soziale Rechtsstaat die Distanz auf. Noch soviel Fürsorge und ausgleichende Intervention des Staates i n das Konkurrenzgeschehen der einzelnen und Gruppen ändert nichts an der Verteilung der Gewichte 91 : Primär ist die natürliche, grundsätzlich unbegrenzte individuelle Freiheit; sekundär, stets begrenzt, legitimationsbedürftig die staatliche A k t i v i t ä t 9 2 . Zutreffend bedient sich demgemäß auch heute noch die Verfassungsdogmatik des Bildes der Freiheitssphäre f der Vorstellungen von Eingriff, Schranke und SchrankenSchranke. Das heißt: Sie legt ein Regel/Ausnahme-Schema zugrunde 93 . I n der Staatseingliederung fallen die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür fort. Die Distanz w i r d aufgehoben. A n die Stelle abgrenzbarer Bereiche t r i t t das räumliche und gedankliche Ineinander, die Gleichzeitigkeit. I m gleichen Raum der Anstalt — der Schule, der öffentlichen Bibliothek — realisiert der Verwaltungsbetrieb seine Zwecke und betätigt der Benutzer seinen individuellen Willen 9 4 . I n der gleichen Person des Beamten, Soldaten, Richters „verkörpert" sich das „anvertraute öffentliche A m t " 9 5 und verwirklicht sich die eigene autonome Indivi88 Vgl. Herbert Krüger, Rechtsverordnung u n d Verwaltungsanweisung, FS Smend, 1952, S. 211, 219; pointiert Rupp (Fn. 59), S. 33; dagegen etwa Risken, Grenzen amtlicher u n d dienstlicher Weisungen i m öffentlichen Dienst, 1969, S. 69. 89 Hierzu u n d zum Folgenden Loschelder (Fn. 4), S. 184 ff., 227 ff., 298 ff. 90 Isensee, Verfassungsgarantie ethischer Grundwerte u n d gesellschaftlicher Konsens, N J W 1977, 545, 546; ders., Subsidiaritätsprinzip u n d Verfassungsrecht, 1968, S. 152 ff. 91 Z u r Gefahr der Freiheitsverkürzung durch sozialstaatliche Ingerenz Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses, Verhandlungen des 50. D J T Bd. 2, 1974, S. G 16 f., 29 ff.; Hans H. Klein, Die Grundrechte i m demokratischen Staat, 2. A u f l . 1974, S. 64 f.; Martens, Grundrechte i m Leistungsstaat, W D S t R L 30 (1972), 7, 33. 92 Z u m rechtsstaatlichen „Verteilungsprinzip" Carl Schmitt (Fn. 51), S. 158; vgl. auch S. 126. 93 Nachweise bei Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 60 ff. 94 I m einzelnen Loschelder (Fn. 4), S. 213 ff.

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dualität 9 6 . Die beiden unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten überlagern und durchdringen einander, soweit die Staatseingliederung des einzelnen reicht, sind allseitig miteinander konfrontiert, müssen umfassend synchronisiert werden 9 7 . Vor einer solchen von Grund auf anderen Wirklichkeit werden Begriffe wie „Sphäre", „Schranke" und „Eingriff" gegenstandslos, laufen Regel/Ausnahme-Aussagen leer, w i r d die „Berührungslinie" der gegenläufigen Prinzipien durch ein komplexes Spannungsfeld ersetzt 98 . Jede Handlung des Bibliotheksbenutzers kollidiert potentiell m i t der Nichtstörungsforderung des Verwaltungsbetriebs, und bis i n den privatesten Bereich unterliegt der Amtswalter der Verschwiegenheitspflicht. 3. Die Maß-Geblichkeit

des Stoffes

Es ist eine Binsenwahrheit, daß das Sollen sich nicht aus dem Sein ableiten läßt, daß der staatliche Regelungsautor vor den Sachstrukturen nicht seine Freiheit verliert. Ebenso unbezweifelbar ist jedoch die andere Feststellung, daß sich die Angemessenheit einer normativen Regelung an den tatsächlichen Bedingungen des Gegenstands bewährt oder nicht bewährt. Gerade für diesen zweiten Satz legt die Geschichte des besonderen Gewaltverhältnisses, legt die gegenwärtige Krise der Eingliederungsverhältnisse Zeugnis ab. Weil der staatsrechtliche Positivismus die tatsächlichen Gegebenheiten der Distanzaufhebung ignorierte, blieben seine generellen Aussagen über sie negativ. Weil er dabei aber pragmatisch genug war, der Realität i m einzelnen Raum zu lassen, konnte sich das Recht der verschiedenen Sonderverhältnisse dennoch eigenständig entwickeln. Weil dieses Recht i m Einklang m i t den Sachanforderungen stand, vermochten die speziellen Materien sich ungeachtet aller Wandlungen des Koordinatensystems i m übrigen auch i n der Folge so nachdrücklich zu behaupten und fortzugestalten. Und w e i l schließlich die heutige Einebnung i n das allgemeine Distanzrecht die abweichenden Strukturen der Eingliederung erstmals positiv leugnet, fehlen n u n die geeigneten rechtlichen Mittel, ihnen gerecht zu werden. Man sieht: Die Konsequenzen sind stets nur tatsächlicher Natur, welche sich aus der größeren oder geringeren Hinorientierung der rechtlichen Ausgestaltung auf ihren Gegenstand ergeben. Entsprechend bieten auch die heutigen Unzuträglichkeiten für sich allein noch keine 95 So der T i t e l der grundlegenden Abhandlung v o n Köttgen für Rudolf Smend, 1962, S. 119 ff.

96

Loschelder (Fn. 4), S. 314 ff.

97

Ebenda, insbes. S. 327 ff., 384 ff. Ebenda, S. 391 ff.

98

in: Festgabe

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Handhabe, eine bestimmte Lösung für den regelnden Staat des Grundgesetzes als verbindlich anzusehen. Die Frage kann vielmehr nur lauten, ob das geltende Verfassungsrecht es zuläßt — möglicherweise gebietet —, den Sonderverhältnissen mit eigenständigen Rechtsformen zu begegnen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die überwiegende Auffassung i m Schrifttum scheinen dies zu verneinen. Sieht man jedoch näher zu, so ergibt sich, daß das eigentliche Problem dabei gar nicht ins Auge gefaßt wird. Seit ihren Anfängen bewegt sich die K r i t i k am „besonderen Gewaltverhältnis" ausschließlich i n der Alternative zwischen der — auf die „generellen Aussagen" verkürzten — überkommenen Dogmatik einerseits, den Kategorien des allgemeinen Staat/Bürger-Verhältnisses andererseits". Das heißt: Sie argumentiert nach wie vor auf einer „rein juristischen" Ebene, schwankt zwischen zwei Möglichkeiten, die beide ohne Bezug zum Regelungsstoff der Eingliederungslage konzipiert sind. Daß es einen dritten Weg gibt, w i r d übersehen: Die Entwicklung eines rechtlichen Instrumentariums, welches sich einerseits i n die grundgesetzlichen Vorgaben einfügt, andererseits aber den spezifischen Gegebenheiten der Verwaltungseingliederung Rechnung trägt. Es w i r d insbesondere nicht erkannt, daß der gewachsene Rechtsbestand — zumal in Gestalt der einzelnen Sonderbeziehungen — vielfältige Ansätze i n dieser Richtung bietet. 4. Die Antwort

des Grundgesetzes

Läßt man sich andererseits auf die Anforderungen des Gegenstands selbst ein, so ergibt sich, daß man dabei keineswegs mit den Verfassungsvorgaben i n Konflikt gerät. I m Gegenteil: Das Grundgesetz erlaubt nicht nur eine eigenständige Dogmatik der Eingliederungslage, es setzt sie vielfach voraus, verlangt, zumindest dem Grunde nach, ihre Herausbildung. Freilich würde es die Grenzen des Themas überschreiten, den nachfolgenden Referaten vorgreifen, sollte nun das Konzept einer solchen Dogmatik i m Detail entworfen werden. Immerhin können einige Thesen formuliert werden, die sich aus den bisherigen Überlegungen ergeben und zur weiteren Diskussion beitragen mögen. (1) Zunächst bin ich — i m Gegensatz zu Herrn Kollegen Ronellenfitsch 1 0 0 — der Auffassung, daß das besondere Gewaltverhältnis — oder wie man, zur Vermeidung der mit diesem Begriff verbundenen Fehl99

Vgl. oben bei Fn. 20 ff. Ronellenfitsch (Fn. 4), 938 ff.; ders., Entwicklungstendenzen i n der Rechtsprechung zum besonderen Gewaltverhältnis, V e r w A r c h 73 (1982), 245; kritisch auch Frank Rottmann, Grundrechte und Rechtsschutz i m Beamtenverhältnis, ZBR 1983, 77, 86 f. 100

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deutungen, vielleicht besser sagt: die „öffentlich-rechtliche Sonderbindung" — durchaus nicht nur als verwaltungsrechtliche Kategorie fortbesteht. Nach wie vor handelt es sich u m eine Rechtsfigur von primär verfassungsrechtlicher Relevanz. Die zahlreichen Versuche der Vergangenheit, die einzelnen Sonderverhältnisse als grundgesetzlich vorgesehen nachzuweisen 101 , sind nicht i n Bausch und Bogen zu verwerfen. Sie greifen lediglich zu kurz, sind ebenfalls durch eine Verengung des Blicks auf den „nur juristischen" Aspekt geprägt. Gewiß ist i m Grundgesetz nirgends von „besonderem Gewaltverhältnis" oder „öffentlichrechtlicher Sonderbindung" die Rede, finden sich unter so generellem Blickwinkel keine Hinweise auf Modifikationen für Grundrechte, Gesetzmäßigkeitsprinzip oder Justitiabilität. Jedoch nimmt die Verfassung auf verschiedene Sonderverhältnisse Bezug 1 0 2 , gewährleistet sie — i m Falle des Beamten und Richters —, gestattet sie — für den Wehrpflichtigen und Soldaten — oder setzt sie erkennbar voraus — so beim Schüler, Studenten und Strafgefangenen 103 . Damit w i r d indessen mehr rezipiert als ein größerer oder geringerer Bestand vorgefundener rechtlicher Strukturen. Es w i r d i n erster Linie die jeweilige Eingliederungslage selbst von Verfassungs wegen aufgenommen, als Feld rechtlicher Gestaltung institutionalisiert 1 0 4 . Angesichts der vorgrundgesetzlichen Entwicklung — vor allem i n den speziellen Materien — kann dies nur heißen, daß damit eine eigengesetzliche, eingliederungsgerechte rechtliche Ausformung vorgezeichnet w i r d — nicht i m Sinne einer starren Fixierung einzelner Elemente und, natürlich, unter dem Vorbehalt der Grundsatzentscheidungen, die die neue Verfassung für das Verhältnis von Staat und Bürger getroffen hat. (2) Infolgedessen ist unter dem Grundgesetz auch nicht mehr fraglich, ob i n den Sonderbindungen die Grundrechte „gelten". Diese beherrschen den Staat/Bürger-Bezug i n allen seinen Ausprägungen und i n vielfältiger Weise. Doch bedeutet dies andererseits nicht, daß sie auch stets die gleiche Wirkung äußern 1 0 5 . Für die Bereiche aufgehobener Staats101 Hildegard Krüger (Fn. 35), S. 309; vgl. i m übrigen die Nachweise bei Erichsen (Fn. 1), S. 235; Ronellenfitsch (Fn. 4), S. 936. 102 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. A u f l . 1984, Rdnr. 323, 325 f.; vgl. ferner die Nachweise bei Erichsen (Fn. 1), S. 325. 103 Einer gesonderten Prüfung bedarf demgegenüber die Frage, welche Anforderungen i m einzelnen erfüllt sein müssen, damit eine Sonderbindung als T e i l der „verfassungsmäßigen Ordnung" (Hesse, a.a.O., Rdnr. 326) anzusehen ist, insbesondere ob insoweit v o n einem numerus clausus auszugehen ist oder nicht. 104 Dazu Loschelder (Fn. 4), S. 374 ff. 105 Nachweise i m einzelnen ebenda, S. 372 f.; vgl. auch zu den verschiedenen grundrechtlichen Wirkungsweisen Böckenförde, N J W 1974, 1529 ff.; Ossenbühl, N J W 1976, 2100 ff.

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distanz folgt hieraus vor allem: Da hier Persönlichkeitsentfaltung und Staatszweckverwirklichung nicht gegenständlich getrennt sind, beide Sphären einander komplex durchdringen, sind alle Vorstellungen grundrechtlichen Freiheitsschutzes hinfällig, die auf dem Distanzmodell beruhen 1 0 6 . Für die negatorische Dimension entfällt damit insbesondere das Gegenüber von Freiheit und Eingriff. Stattdessen müssen i n dem beweglichen Ineinander beider Momente jeweils für die konkrete Situation Reichweite und Gewicht der kollidierenden Güter ermittelt werden 1 0 7 . Nicht abstrakt, allenfalls typisierend werden so Konstellationen unterscheidbar 108 ; solche, i n denen die Persönlichkeitsentfaltung voll zum Zuge kommt — etwa, regelmäßig, bei den privaten Lebensentscheidungen des Staatsdieners —; andere, i n denen sie durch die administrativen Abläufe begrenzt w i r d — so bei der politischen oder nebenberuflichen Betätigung des Beamten —; wieder andere schließlich, i n denen sie gar nicht zur Diskussion steht — wie bei der unmittelbaren Amtsausübung, den „amtsadressierten" Weisungen 109 . Auf der anderen Seite verlangt die umfassende Grundrechtsgeltung nach Kompensation für die verminderte Autonomie 1 1 0 . Entsprechend bringen die Sonderbindungen Sonderfreiheiten hervor — Beispiel: die Vorsorgefreiheit des Beamten für den Krankheitsfall 1 1 1 . Wichtiger noch ist die Ergänzung durch ausgleichende Fürsorge 1 1 2 — für die materiellen und immateriellen Interessen des Beamten und seiner Angehörigen, aber auch etwa i n Gestalt der Gefangenenseelsorge, die auf den Verlust an eigenen Dispositionsmöglichkeiten i n der räumlichen Gebundenheit antwortet 1 1 3 .

108

Vgl. oben bei Fn. 98. Dies entspricht der Forderung Hesses (Fn. 102), nach „praktischer K o n kordanz" der Grundrechtsordnung, vgl. insbes. Rdnr. 324 ff.; i m einzelnen Loschelder (Fn. 4), S. 393 ff., 421 ff.; vgl. auch den differenzierenden Ansatz bei Rottmann (Fn. 100). 108 Loschelder (Fn. 4), S. 330 ff., 439 ff. 109 Dazu eingehend Walter Schmidt, Gesetzesvollziehung u n d Rechtsetzung, 1969, S. 206 ff.; Schnapp (Fn. 59), S. 145; vgl. auch Rottmann (Fn. 100), S. 87 ff. 110 Dazu Loschelder (Fn. 4), S. 342 ff., 439 ff.; vgl. auch Fürst / Loschelder, Versorgungsgerechtigkeit beim Zusammentreffen von Ruhegehalt u n d Rente, ZBR 1983, 1, 6 ff. 111 Dazu Leisner (Fn. 30), S. 51 ff. 112 Loschelder (Fn. 4), S. 220 ff., 339 ff., 439 ff.; vgl. auch, abgrenzend zur allgemeinen „Staatsbürgerfürsorge", Detlef Merten, „Gekappte" Besoldungsanpassung als verkappte Besoldungsnivellierung, in: Verantwortung u n d L e i stung, Heft 9, J u n i 1983, S. 6 u n d passim. 113 Vgl. die Argumentation bei von Campenhausen, Staatskirchenrecht, 2. A u f l . 1983, S. 113 ff. 107

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(3) Greift das Modell von „Freiheit und Eingriff" nicht, so hat auch das Gesetz eine andere Funktion als i m „Außenverhältnis". Es ist nicht Grundlage für Beschränkungen, strukturiert vielmehr die Verflechtung individueller und administrativer Belange 114 . Nach dem Maßstab des „schonendsten Ausgleichs" 1 1 5 formt es die Betätigungsweisen beider Seiten aus und konkretisiert das Verfassungskonzept nach den Gegebenheiten von Ort und Zeit. Dabei ist namentlich zu beachten, daß die größere Beweglichkeit, Situationsgebundenheit, welche die Eingliederung der Person i n den Verwaltungsbetrieb kennzeichnet, strikten, „zweiseitig verbindlichen" Regelungen 116 Grenzen setzt. Insoweit weist das Bundesverfassungsgericht zu Recht auf die Notwendigkeit offener, generalklauselartiger Befugniszuweisungen h i n 1 1 7 . Sie werden — i n ihrer geminderten Bestimmtheit — durch die verfassungsrechtliche Institutionalisierung der Sonderordnung legitimiert. Darüber hinaus verdient ein weiterer Gedanke wieder aufgenommen zu werden, den die moderne Entwicklung nahezu verschüttet hat: der einer Aufgabenteilung zwischen Gesetzgeber und Verwaltung. Noch i n der letzten Phase der Entwicklung wurde verstärkt der Versuch unternommen, der Exekutive ein eigenes Regelungsinstrument i n der Sonderbindung, die „Sonderverordnung", zuzuordnen 118 . Dieser Ansatz ist nach wie vor fruchtbar. Denn gerade die persönliche Einbeziehung i n den tätigen Verwaltungsablauf, die daraus resultierende Situationsabhängigkeit begründet eine Sphäre, i n der nur die Verwaltung selbst — aus der Nähe — sachgerecht zu reagieren vermag 1 1 9 . Den Überlegungen, was — von Grundgesetzes wegen — der Gesetzgeber oder, i n Abhängigkeit von ihm, der Verordnungsgeber an Strukturierung leisten muß 1 2 0 , korrespondiert die Gegenfrage, wo — gleichermaßen verfassungsverankert — die eigene Regelungsaufgabe der Verwaltung, wo ihr „Vorbehaltsbereich" beginnt 1 2 1 . 114

Loschelder (Fn. 4), S. 402 ff., 419 ff. Ebenda, S. 419, vgl. S. 393 ff. 116 Dazu grundlegend Otto Mayer (Fn. 7), S. 76 u n d 96. 117 E 33, 1, 11. 118 Vgl. schon Wolff , Verwaltungsrecht I, 1. A u f l . 1956, § 25 V I I I ; sowie insbes. Böckenförde / Grawert (Fn. 44); vgl. auch Ossenbühl, Z u r A u ß e n w i r k u n g von Verwaltungsvorschriften, Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverwaltungsgerichts, 1978, S. 433, 436; kritisch insbes. Erichsen (Fn. 1). 119 Vgl. Nachweise zuvor. 120 Vgl. Loschelder (Fn. 4), S. 402 ff., 408 ff., 419 ff. 121 Vgl. etwa Erichsen, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum V e r w a l tungsrecht, V e r w A r c h 70 (1979), 249. Daß die Frage nach einem „Verwaltungsvorbehalt" neue A k t u a l i t ä t gewinnt, zeigt die entsprechende Themenstellung der Jahrestagung 1984 der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer i n Göttingen. Vgl. insoweit die Referate v o n Maurer u n d Schnapp, V V D S t R L 43 (1985), S. 135 ff., 172 ff. 115

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(4) Es bleibt das Problem der gerichtlichen Überprüfung. I m Grundsatz kann auch hier kein Streit bestehen: Wo die Verfügung der Verwaltung auf subjektive, insbesondere grundrechtliche Positionen des einzelnen trifft, ist prinzipiell auch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle eröffnet 1 2 2 . Allerdings spiegelt auch insoweit die Ausgestaltung i m einzelnen die materiell abweichend gelagerten Verhältnisse des Binnenbezugs wieder. So ist zum einen davon auszugehen, daß, anders als i n der Staatsdistanz, nicht jedes T u n und Lassen des Individuums grundrechtlich bewehrt ist. Die „amtsadressierte Weisung" disponiert nach nahezu einhelliger Auffassung nicht über rechtlich geschützte Freiheit 1 2 3 — obwohl ihr der Amtswalter i n Person zu folgen hat. Der Grund liegt darin — parallele Konstellationen ließen sich i m äußeren Vollzug des anstaltlichen Betriebes bilden 1 2 4 —, daß sich insoweit, verfassungsrechtlich vorgesehen, die Notwendigkeiten des Amtes, des ungestörten Verwaltungsablaufs gegen das private Interesse schlechthin durchsetzen 125 . Ein zweiter Punkt kommt hinzu: Da sich die Beweglichkeit der Sonderordnung, wie dargestellt, strikter Abstraktion entzieht 1 2 6 , kann auch die Grenze dieses Bereichs nicht ein für allemal festgelegt werden. Sie läßt sich typisierend beschreiben, i m übrigen aber nur i m konkreten Fall ermitteln. Ule insbesondere hat diesen Sachverhalt durch die Gegenüberstellung von „Grund-" und „Betriebsverhältnis" zu erfassen gesucht 127 . Seinem Modell ist i n der Folge mangelnde Trennschärfe vorgeworfen, die verwirrende Kasuistik bei seiner Anwendung entgegengehalten worden 1 2 8 — zu Unrecht. Denn diese Phänomene weisen nicht das Modell als unzulänglich aus. Sie markieren die Eigenart des Regelungsstoffs, seine komplexe und bewegliche Natur. Ein Rechtsschutz, der 122 Vgl. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 7. A u f l . 1978, S. 156 ff. m i t umfangreichen Nachweisen aus der neuesten Rechtsprechung; die ältere Rechtsprechung ist aufgeführt bei ders., Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. A u f l . 1962, § 42 A n m . I V 4 a; ferner Menger, Der Schutz der Grundrechte i n der Verwaltungsgerichtsbarkeit, i n : Bettermann / Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte Bd. 3, 2, 1972, S. 717, 744; Paetzold, Der Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis, DVB1. 1974, 454 ff.; Ronellenfitsch (Fn. 4), S. 940; Schenke, Rechtsschutz bei Divergenz v o n F o r m u n d I n h a l t staatlichen Verwaltungshandelns, V e r w A r c h 72 (1981), 185, 214 ff. 123 Nachweise oben Fn. 109. 124 Vgl. f ü r den Schulbereich Niehues (Fn. 27), Rdnr. 180. 125 Vgl. Loschelder (Fn. 4), S. 453. 126 Oben bei Fn. 108. 127 Ule (Fn. 14), S. 151 ff.; vgl. auch zu den prozeßrechtlichen Konsequenzen Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 7. A u f l . 1978, S. 156 ff. 128 Schnapp (Fn. 59), S. 121 ff.; vgl. auch Fuß (Fn. 21), S. 770.

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Wolfgang Loschelder

auf die Sicherung subjektiver Positionen zielt, kann nicht weiterreichen als diese, folgt deren Grundmuster notwendig nach 1 2 9 . Auch insoweit ergibt sich mithin: Das besondere Gewaltverhältnis gehört nur insofern der Geschichte an, als man darunter eine bestimmte, zeitgebundene Antwort auf die Probleme der Staatseingliederung, den Ausdruck des positivistischen Konzepts versteht. Die tatsächliche Situation, die man darunter faßte, besteht dagegen fort. Unverändert gilt, daß sie sich vom Verhältnis der Staatsdistanz grundlegend unterscheidet, angemessen nur durch ein spezifisches Rechtsinstrumentarium bewältigt werden kann. Das Grundgesetz aber bietet — materiell wie prozessual — Raum für eine solche Dogmatik der öffentlich-rechtlichen Sonderbindung.

129

So zu Recht Ronellenfitsch

(Fn. 4), S. 940.

Das besondere Gewaltverhältnis als verwaltungsrechtliches Institut Von Michael Ronellenfitsch

A. Vorbemerkung Wer i n einer umfassend konzipierten Veranstaltung über das besondere Gewaltverhältnis das spezielle Thema: Das besondere Gewaltverhältnis als verwaltungsrechtliches Institut, zu behandeln hat, befindet sich sozusagen i n der Rolle des Libero, d.h. er hat die Freiheit, Fragen anzuschneiden, die thematisch von den anderen Referaten erfaßt werden, da sich sein Thema ohne Überschneidungen mit dem Verfassungs- und Prozeßrecht sinnvollerweise gar nicht behandeln läßt. Dem entspricht der folgende Aufbau: Anknüpfend an den Beitrag von Loschelder 1 finden sich i n einem ersten Hauptteil einige unerläßliche allgemeine dogmatische Bemerkungen zum besonderen Gewaltverhältnis. A u f dieser Grundlage w i r d i m zweiten Hauptteil der Versuch unternommen, die Besonderheiten des besonderen Gewaltverhältnisses i m Verwaltungsrecht darzustellen. Da die meisten Institute des Verwaltungsrechts einen prozessualen Einschlag haben, sind dabei Ausblicke auf den Rechtsschutz unvermeidbar.

B. Die dogmatische Bedeutung des besonderen Gewaltverhältnisses L

1. Besondere Gewaltverhältnisse lassen sich umschreiben als Sonderstatusverhältnisse, die durch eine verschärfte Abhängigkeit der Betroffenen vom Staat gekennzeichnet sind 2 . Nach früher herrschender Auffassung wirkte sich die verschärfte Abhängigkeit auf die Reichweite des Gesetzesvorbehalts, die Grundrechtsschranken und auf den Rechtsschutz aus. Dieser Auffassung wurde durch den Strafvollzugs-Beschluß des 1

I n diesem Band S. 9 ff. Grundlegend Otto Mayer, 1924, S. 101 f. 2

3 Speyer 97

Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Band, 3. Aufl.,

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Michael Ronellenfitsch

B V e r f G v o m 14. 3.1972 3 so w e i t g e h e n d d e r B o d e n entzogen, daß v i e l e das besondere G e w a l t v e r h ä l t n i s v o r s c h n e l l f ü r t o t e r k l ä r t e n 4 . 2. I c h h a b e d e m g e g e n ü b e r d i e These v e r t r e t e n , daß das besondere G e w a l t v e r h ä l t n i s i n d e r T a t z w a r k e i n e eigenständige verfassungsr e c h t l i c h e K a t e g o r i e m e h r d a r s t e l l t , daß es aber seine B e d e u t u n g a u f der Ebene des V e r w a l t u n g s r e c h t s b e h a l t e n h a t 5 . Diese These h a t m i r v i e l K r i t i k eingetragen. D a h e r s t e l l e i c h i h r e B e g r ü n d u n g h i e r e r n e u t z u r Diskussion. a) A u s z u g e h e n ist v o n d e r E n t w i c k l u n g Gewaltverhältnis. Genauer: Z u untersuchen sagen aus d e m V o r l i e g e n eines besonderen abgeleitet w u r d e n u n d h e u t e noch abgeleitet

der L e h r e v o m besonderen ist, w e l c h e r e c h t l i c h e n A u s Gewaltverhältnisses früher werden können6.

aa) V o r d e m staatstheoretischen H i n t e r g r u n d eines a u f das A u ß e n v e r h ä l t n i s z u g e s c h n i t t e n e n Rechtsbegriffs m i e d d i e klassische k o n s t i t u t i o n e l l e L e h r e v o m b e s o n d e r e n G e w a l t v e r h ä l t n i s b e w u ß t rechtsstaatliche F o r m e n 7 . I h r e v i e r z e n t r a l e n Aussagen l a u t e t e n : (1) I m besonderen Gewaltverhältnis g i l t der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g nicht. 3 BVerfGE 33, 1 = DÖV 1972, S. 561 m. A n m . Wolf Bogumil Maetzel = JZ 1972, S. 357 m. A n m . Christian Starck = JR 1972, S. 512 = DVB1. 1972, S. 386 = N J W 1972, S. 811 = M D R 1972, S. 582 = DRiZ 1972, S. 208 = JuS 1972, S. 339 (Bericht Hermann Weber); zu dieser Entscheidung auch Hans-Uwe Erichsen, Grundrechtseingriffe i m besonderen Gewaltverhältnis — BVerfG, N J W 1972, 811, JuS 1972, S. 701 ff.; Heinz Müller-Dietz, Verfassung u n d Strafvollzugsgesetz, N J W 1972, S. 1161 ff.; Karl Peters, Freiheit w i r d Gebundenheit des Strafgefangenen, JR 1972, S. 489; Reinhard Rupprecht, Grundrechtsbegriffe i m Strafvollzug, N J W 1972, S. 1345 ff. 4 Ernst-Werner Fuß, Personale Kontaktverhältnisse zwischen V e r w a l t u n g u n d Bürger, DÖV 1972, S. 765 ff.; Kempf, JuS 1972, S. 701 ff.; Müller-Dietz, N J W 1972, S. 1161 ff.; Maetzel, DÖV 1972, S. 561 ff.; Starck, JZ 1972, S. 357 ff.; Hans-Uwe Erichsen, Besonderes Gewaltverhältnis u n d Sonderverordnung, in: FS für H. J. Wolff, 1973, S. 238 ff., 242; Dieter Hesselberger, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit v o n Erziehungs-, Sicherungs- u n d Strafmaßnahmen gegenüber Schülern, RdJB 1974, S. 17 ff.; Hans-Heinrich Rupp, Die „ V e r waltungsvorschriften" i m grundgesetzlichen Normensystem, JuS 1975, S. 609 ff. (614); Bernhard Stüer, Schule i m Rechtsstaat, RdJB 1977, S. 46 ff. (46); Bodo Pieroth, Rechtsverweigerung zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen, V e r w A r c h 1977, S. 217 ff. (217); Folkert Kiepe, E n t w i c k lungen beim besonderen Gewalt Verhältnis u n d beim Vorbehalt des Gesetzes, DÖV 1979, S. 399 ff. (402); Thomas Wülfing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte u n d Grundrechtsschranken, 1981, S. 123 ff. 5 Das besondere Gewaltverhältnis — ein zu f r ü h totgesagtes Rechtsinstitut, DÖV 1981, S. 933 ff.; Entwicklungstendenzen i n der Rechtsprechung zum besonderen Gewaltverhältnis, V e r w A r c h 1982, S; 245 ff. 8 Zur historischen Entwicklung ausführlich Ludwig Wenninger, Geschichte der Lehre v o m besonderen Gewaltverhältnis, 1982, S. 11 ff.; Wolf gang Loscheider, V o m besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sondérbindung, 1982, S. 7 ff. 7 Vgl. Otto Mayer, a.a.O. (Anm. 2), Bd. 2, 3. A u f l . 1924, S. 284.

Das besondere Gewaltverhältnis als verwaltungsrechtliches I n s t i t u t

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(2) Insbesondere gelten die Grundrechte nicht. (3) Anordnungen i m besonderen Gewaltverhältnis ergehen i n F o r m v o n verwaltungsinternen Verwaltungsvorschriften u n d Anweisungen. (4) Derartige Verwaltungsvorschriften u n d Anweisungen können gerichtlich nicht angegriffen werden.

bb) Die klassische Lehre hielt sich i n der Weimarer Zeit, obwohl etwa A r t . 130 Abs. 2 und A r t . 133 Abs. 2 W V den Beamten und Soldaten bestimmte Grundrechte zuerkannte 8 , und stieß erst Mitte der 50er Jahre auf massiven Widerspruch 9 , nachdem Forsthoff bereits i n der ersten Auflage seines Lehrbuchs auf die Lücke des Rechtsstaats hingewiesen hatte 1 0 . Diese Lücke wurde nun schrittweise geschlossen. Die Grundrechtsbindung des Staates i m besonderen Gewaltverhältnis bestritt kaum noch jemand. Die besonderen Gewaltverhältnisse rechtfertigten jedoch nach wie vor Beschränkungen der Grundrechtsausübung. Die Vorschriften zur Regelung besonderer Gewaltverhältnisse waren nicht lediglich Verwaltungsvorschriften, sondern Rechtsvorschriften, die nach einer verbreiteten Meinung allerdings nicht dem Vorbehaltsbereich der Legislative unterlagen 1 1 . Bei den Anordnungen i m besonderen Gewaltverhältnis übte die von Ule herausgearbeitete Unterscheidung von Grund- und Betriebsverhältnis großen Einfluß aus, da sie es ermöglichte, Maßnahmen des Grundverhältnisses sowie des Betriebsverhältnisses i m Wehrdienst und bei geschlossenen Anstalten gerichtlich anzugreifen, i m übrigen jedoch den Rechtsschutz ausschloß12. Lediglich die Negierung des Gesetzesvorbehalts i m besonderen Gewaltverhältnis blieb unangetastet, was wohl damit zusammenhängt, daß die wichtigsten Gewaltverhältnisse wie das Beamten- und Soldatenverhältnis ohnehin ausführlich vom Gesetzgeber geregelt worden waren. Die bis vor Erlaß des Strafvollzugs-Beschlusses herrschende Lehre läßt sich wie folgt umschreiben: (1) Der Gesetzesvorbehalt ist zwar i m Bereich der besonderen Gewaltverhältnisse weitgehend v e r w i r k l i c h t ; zulässig sind aber auch Eingriffe der V e r w a l t u n g i n Eigentum u n d Freiheit ohne gesetzliche Grundlage. (2) Die Grundrechte gelten auch i m besonderen GewaltVerhältnis. I h r e Ausübung w i r d jedoch durch den Zweck des jeweils besonderen Gewaltverhältnisses eingeschränkt. (3) I m besonderen Gewaltverhältnis steht der Exekutive eine originäre K o m petenz zum Erlaß v o n Rechtssätzen (Sonderverordnungen) zu. Hiervon zu unterscheiden sind die allgemeinen Verwaltungsvorschriften, bei denen 8

Vgl. Loschelder, a.a.O. (Anm. 6), S. 144 ff., 163 ff. Hierzu Ronellenfitsch, DÖV 1981, S. 933 ff. (935 m. A n m . 20). 10 Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 1. A u f l . 1950, S. 104 = 10. A u f l . 1983, S. 130. 11 Nachweise bei Ronellenfitsch, DÖV 1981, S. 933 ff. (936 m i t A n m . 29 ff.). 12 Das besondere Gewaltverhältnis, V V D S t R L 15 (1957), S. 133 ff. (152 ff.). 9

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es sich ebenso w i e bei den das Betriebsverhältnis betreffenden k o n k r e t individuellen Anordnungen u m Verwaltungsinterna handelt. (4) Rechtsschutz gibt es i n der Regel n u r gegen Maßnahmen, die das Grundverhältnis berühren.

Das besondere Gewaltverhältnis war danach immer noch eine verfassungsrechtliche Kategorie: Es verschob die Gewichte der Staatsgewalt zugunsten der Exekutive und ermächtigte (per se) zur Beschränkung von Grundrechtspositionen. cc) Der Strafvollzugs-Beschluß räumte mit dieser Auffassung gründlich auf. Da er weitgehend auf Zustimmung i m Schrifttum stieß und von der Rechtsprechung rasch übernommen wurde 1 3 , lohnt eine nähere Auseinandersetzung mit i h m nicht, so reizvoll diese angesichts einiger zumindest verbal überzogener Formulierungen erscheinen mag. Aus Zeitgründen w i l l ich auch die jüngste Rechtsprechung zum besonderen Gewaltverhältnis nicht i m Einzelnen vortragen 1 4 . A u f die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis w i r k t sich diese Rechtsprechung jedenfalls wie folgt aus: (1) Der Gesetzesvorbehalt gilt auch i m besonderen Gewaltverhältnis. (2) Auch die Ausübung v o n Grundrechten k a n n i m besonderen Gewaltverhältnis n u r durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. (3) Eine originäre Rechtssetzungsgewalt der Exekutive besteht i m besonderen Gewaltverhältnis nicht. (4) Auch gegen Maßnahmen innerhalb des besonderen Gewaltverhältnisses ist bei Rechtsbeeinträchtigungen der Gewaltunterworfenen Rechtsschutz gegeben.

Eigenständige verfassungsrechtliche Relevanz kommt damit dem besonderen Gewaltverhältnis nicht mehr zu. b) Eine nähere Analyse der Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgericht 15 zeigt indessen, daß dem besonderen Gewaltverhältnis nicht jegliche rechtliche Bedeutung abgesprochen wurde. Es wäre daher verfehlt, das besondere Gewaltverhältnis als „fossile Kategorie" 1 6 aus dem juristischen Sprachgebrauch zu streichen. Auch für eine Wortkosmetik sehe ich keinen Anlaß. Gewalt ist kein Unwert an sich. Eine Bewertung des Gewaltbegriffs setzt vielmehr Kenntnis der Umstände voraus, wer wemgegenüber aus welchen Gründen und auf welche Weise Gewalt ausübt. Daß der Staat nach innen und außen Staatsgewalt ausüben muß, ist selbstverständlich. So empfindet niemand die Gewalten13

Nachweise bei Ronellenfitsch, DÖV 1981, S. 933 ff. (937). Hierzu Ronellenfitsch, V e r w A r c h 1982, S. 245 ff. 15 Vgl. insbesondere B V e r f G v. 5.2.1981, BVerfGE 57, 170. 16 Alfred Rinken, Verfassungsrechtliche Aspekte zum Status des Studenten, JuS 1968, S. 257 ff. (258). 14

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teilungslehre als anrüchig, obwohl sie logisch das Vorhandensein von Staatsgewalt voraussetzt. Gerade die Gewaltenteilung zeigt, daß Gewalt und Recht keine Gegensätze bilden müssen. Ein Gewaltverhältnis bleibt damit ein Rechtsverhältnis. Abstufungen bei Gewaltverhältnissen drücken dann lediglich unterschiedliche Grade der rechtlichen Unterworfenheit aus. Zwischen einem Sonderstatus 17 , einer Sonderbindung 18 und der besonderen Gewalt bestehen somit i n der Sache keine Unterschiede. Daher sollte man m i t offenen Karten spielen und den Ausdruck besonderes Gewaltverhältnis beibehalten. Ein juristischer terminus technicus hat freilich nur dann Existenzberechtigung, wenn er sich auf einen realen Gegenstand beziehen läßt. Das ist beim besonderen Gewaltverhältnis der Fall; das besondere Gewaltverhältnis ist eine Gegebenheit 19 . Es ist eine Binsenwahrheit, daß der einzelne außer i m Staat i n zahlreichen Ordnungen lebt, für die Eigengesetzlichkeiten gelten. Es wäre daher sehr außergewöhnlich, wenn i m Verhältnis zum Staat selbst nur ein einheitliches Rechtsverhältnis i n Betracht käme. Tatsächlich erfordert die Vielfalt der vom Staat zu verwirklichenden Zwecke oft besondere, an der jeweiligen Zweckbestimmung ausgerichtete Zusammenordnungen von Personen 20 . Das Besondere an diesen Zusammenordnungen liegt dann darin, daß sie zwingend einen von den allgemeinen Rechten und Pflichten abgegrenzten, rechtlich anerkannten Sonderstatus voraussetzen. Erkennt unsere Rechtsordnung derartige besondere Gewaltverhältnisse an, die zum Teil sogar i m Grundgesetz erwähnt werden 2 1 , dann muß sie auch deren Funktionsfähigkeit sichern. Die Funktionsfähigkeit der besonderen Gewaltverhältnisse stellt somit einen eigenständigen Rechtswert dar 2 2 . Die Verwirklichung dieses Rechtswerts erfolgt dabei auf der Ebene des einfachen Rechts, i n erster Linie auf der Ebene des Verwaltungsrechts.

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1. Meine Auffassung hat m i r Angriffe von zwei Seiten eingetragen. Die einen sahen i n ihr den mehr oder weniger reaktionären Versuch, das endlich überwundene besondere Gewaltverhältnis doch noch zu 17 So Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. A u f l . 1984, Rdnr. 321 ff. 18 So Loschelder, a.a.O. (Anm. 6), pass. Auch der „neue Sammelbegriff" des Einordnungsverhältnisses f ü h r t nicht weiter, da Einordnung sich letztlich doch i n Gewaltunterworfenheit ausdrückt; a. A . aber Martin Löf fier, Die Kommunikationsfreiheit i m Einordnungsverhältnis, N J W 1984, S. 1206 ff. 19 Vgl. Loschelder, a.a.O. (Anm. 6), S. 2 f., 354 ff. 20 Ronellenfitsch, D Ö V 1981, S. 933 ff. (939). 21 A r t . 7, 170, 33, 104 GG. 22 Ebenso Loschelder, a.a.O. (Anm. 6), pass.

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retten 2 3 , die anderen betrachten das besondere Gewaltverhältnis immer noch als verfassungsrechtliche Kategorie 2 4 . Das gemeinsame Argument meiner K r i t i k e r geht dahin, daß sich Verfassungs- und Verwaltungsrecht nicht trennen lassen 25 . Die K r i t i k gilt also weniger dem dogmengeschichtlichen Befund als der Methode, und sie ist zudem nicht gerade originell. Mittlerweile sollte sich herumgesprochen haben, daß der Ausspruch Otto Mayers i m Vorwort der dritten Auflage seines Verwaltungsrechts: „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht", überhaupt nicht i m Gegensatz steht zu Fritz Werners programmatischem Aufsatz von 1959 über das „Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht" 26 . Auch Otto Mayer ging es darum, die Anknüpfungspunkte zu berichtigen, und auch Fritz Werner bestritt nicht, daß sich verfassungs- und verwaltungsrechtliche Streitigkeiten trennen lassen. Selbstverständlich sind bei der Interpretation verwaltungsrechtlicher Vorschriften die verfassungsrechtlichen Bindungen zu berücksichtigen, aber das ist dann eben keine Verfassungsinterpretation. Mein verstorbener Lehrer Ernst Forsthoff hat diesen methodischen Ansatz am Sozialstaatsprinzip sehr klar durchexerziert 27 . Bekanntlich kommt der Sozialstaat auf der Ebene des Grundgesetzes nur i n adjektivischer Form 23 Vgl. etwa Frank Rottmann, Grundrechte u n d Rechtsschutz i m Beamtenverhältnis, ZBR 1983, S. 77 ff. (86 f.); s. bereits ders., Der Beamte als Staatsbürger, 1981, S. 105 ff.; skeptisch auch Michael Sachs, Die Pflicht zum Einsatz v o n Leben u n d Gesundheit i n öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen, BayVBl. 1983, S. 460 ff. (462 f.). 24 So Loschelder, a.a.O. (Anm. 6), S. 373 ff.; Merten, i n diesem Band S. 53 ff. Für die Beibehaltung des besonderen Gewalt Verhältnisses als verwaltungsrechtliche Kategorie Ulrich Battis, Die Entwicklung des Beamtenrechts i m Jahre 1981, N J W 1982, S. 973 ff. (973); ders., Die Entwicklung des Beamtenrechts i m 1983, N J W 1984, S. 1332 ff. (1332); Curt Lässig, Rechtsschutz gegen Leistungsbewertungen i n beamtenrechtlichen Ausbildungsverhältnissen, DÖV 1983, S. 876 ff. (877); Wolfgang Riifner, Die Nutzung öffentlicher Anstalten, V e r w a l t u n g 1983, S. 19 ff. (34); Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepub l i k Deutschland I, 2. Aufl., 1983, S. 379. 25 So insbesondere Rottmann, ZBR 1983, S. 77 ff. (86 f.); Loschelder, i n diesem Band S. 9 ff. 26 DVB1. 1959, S. 527 ff. 27 Vgl. bereits die Schrift Rechtsstaat u n d Sozialstaat, in: Bericht über die Tagung des Bielefelder Kreises höherer Verwaltungsbeamter i n Bielefeld am 21. u n d 22. Februar 1953 (hektographiert), S. 4 ff. Großes Aufsehen — auch auf internationaler Ebene — erregten dann die beiden Publikationen aus dem Jahr 1954: Begriff u n d Wesen des sozialen Rechtsstaats, W D S t R L 12 (1954), S. 8 ff., sowie Verfassungsprobleme des Sozialstaats, 2. Aufl., 1961, beide wiederabgedruckt u n d durch Anmerkungen aktualisiert i n Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit u n d Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 145 ff., 165 ff., u n d Forsthoff, Rechtsstaat i m Wandel, 2. Aufl., 1976, S. 50 ff., 65 ff. I m (süd-) europäischen Raum w u r d e n die Thesen Forsthoff s bekannt durch die Schriften La Republica federale tedesca come Stato d i D i r i t t o e Stato sociale, in: Rivista Trimenstrale d i D i r i t t o Pubblico, 1956, S. 547 ff.; Der Dualismus v o n Rechtsstaat u n d Sozialstaat i m Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Studi i n onore de Achille Donato Giannini, 1960, S. 569 ff., u n d Problemas actuales des Estado social de Derecho en Alemania, 1966.

Das besondere Gewaltverhältnis als verwaltngsrechtliches I n s t i t u t

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v o r 2 8 . Seine gesamte T r a g w e i t e erschließt sich erst a u f d e r Ebene d e r V e r w a l t u n g u n d des V e r w a l t u n g s r e c h t s . F o r s t h o f f zeigte, daß k e i n A n l a ß besteht, d i e v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e n sozialen R e a l i s a t i o n e n v e r fassungsrechtlich a u f z u l a d e n 2 9 . L e i d e r v e r m o c h t e er sich n i c h t d u r c h z u setzen 3 0 . D e n n o c h s o l l t e d i e verfassungsrechtliche V e r a n k e r u n g des Sozialstaatsprinzips eher als abschreckendes B e i s p i e l d i e n e n , d e n n als methodisches V o r b i l d . O h n e diese E r w ä g u n g e n h i e r f o r t z u f ü h r e n , w a r n e ich d r i n g e n d d a v o r , d i e H e i l i g t ü m e r d e r V e r f a s s u n g i n die V o r h ö f e des einfachen Rechts z u z e r r e n 3 1 . 2. Z u r ü c k z u m besonderen G e w a l t v e r h ä l t n i s . Daß besondere G e w a l t v e r h ä l t n i s s e i m Grundgesetz e r w ä h n t u n d d a m i t auf d e r Verfassungsebene a n e r k a n n t w e r d e n , steht außer F r a g e 3 2 . D a m i t ist die F u n k t i o n s f ä h i g k e i t dieser besonderen G e w a l t v e r h ä l t n i s s e d u r c h die V e r f a s s u n g v e r b ü r g t , w a s z w a n g s l ä u f i g verfassungsrechtliche K o n s e q u e n z e n h a t . I c h e r w ä h n e n u r d i e B e s t i m m u n g der G r u n d r e c h t s s c h r a n k e n (Stichworte: verfassungsimmanente Schranken; E i n h e i t der Verfassung; p r a k tische K o n k o r d a n z ) 3 3 . A b e r diese K o n s e q u e n z e n b e t r e f f e n das j e w e i l i g e besondere G e w a l t v e r h ä l t n i s u n d s i n d m . E. n i c h t v e r a l l g e m e i n e r u n g s 28

A r t . 20 Abs. 1, A r t . 28 Abs. 1 GG. Das bedeutet nicht, daß Forsthoff den Sozialstaat disqualifizieren wollte; vgl. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 32 f.: „Die soziale Realisation hat Veränderungen i m Gefüge des Staates b e w i r k t , die hinter der Außenseite der — v o n der nationalsozialistischen Zeit abgesehen — i m P r i n zip unveränderten Verfassungsform des gewaltenteilenden Rechtsstaats v i e l fach nicht hinreichend bemerkt werden. Der aus dieser Entwicklung hervorgegangene Sozialstaat ist ein Staat eigenen Typs v o n logischer Geschlossenheit." Forsthoff hielt i m übrigen die soziale Realisation mehr oder weniger für abgeschlossen u n d sah lange ehe die Technik-Phobie ausbrach i n der technischen Realisation den Motor gesellschaftlicher Veränderungen. M i t t l e r weile stellt sich die Frage, ob nicht durch die Verhinderung technischer Realisationen soziale Realisationen bis h i n zur Sozialversicherung gefährdet w e r den. Die A n t i n o m i e v o n Rechts- u n d Sozialstaat hätte dann n u r eine neue Dimension gewonnen. Vgl. auch Rupert Scholz, Sozialstaat zwischen Wachstums« u n d Rezessionsgesellschaft, 1981; Josef Isensee, Der Sozialstaat i n der Wirtschaftskrise, in: Festschr. f. Broermann, 1982, S. 365 ff. 30 Z u m Streitstand Klaus Stern, a.a.O. (Anm. 24), S. 872 ff.; Emst Benda, Das Sozialstaatsprinzip, i n : HdBVerfR, 1983, S. 509 ff.; Christoph Degenhart, Rechtsstaat - Sozialstaat, Anmerkungen zum aktuellen Problemstand, in: Festschr. f. Menger, 1983, S. 537 ff. Die den Sozialstaat verabsolutierende Gegenposition zu Forsthoff vermochte sich freilich ebenfalls nicht durchzusetzen; vgl. Helmut Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 44 ff., aber auch Ekkehard Stein, Staatsrecht, 8. Aufl., 1982, S. 70 ff. Weiterführend demgegenüber Klaus Doehring, Sozialstaat, Rechtsstaat u n d freiheitlich-demokratische Grundordnung, Die politische Meinung, Sonderheft 1978; ders., Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., 1980, S. 252 ff. 81 Vgl. auch Günter Dürig, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz, Komm., 1958 ff., A r t . 1 Rdnr. 29; A r t . 11 Rdnr. 72. 32 Vgl. auch Rupert Scholz, in: Maunz / Dürig, a.a.O. (Anm. 31), A r t . 12 Rdnr. 291. 33 Hierzu Hesse, a.a.O. (Anm. 17), Rdnr. 72. 29

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fähig, d. h. sie rechtfertigen nicht mehr die Annahme eines verfassungsrechtlichen Instituts des besonderen Gewaltverhältnisses. Davon abgesehen, sind diese Konsequenzen recht bescheiden. Sie modifizieren keine Verfassungsgrundsätze mehr, sondern w i r k e n sich, wie ich gleich zeigen werde, schwerpunktmäßig i m Bereich des Verwaltungsrechts aus. 3. Hier meine ich allerdings sehr wohl, daß man von den einzelnen besonderen Gewaltverhältnissen abstrahieren und zumindest typisieren kann. Da es hier nicht auf die Legitimation von Grundrechtseingriffen ankommt, spielen freilich die alten Unterscheidungen nach dem Begründungsakt (z.B. freiwillig/unfreiwillig) keine Rolle. Auch der Rechtsschutz kann von dem Satz volenti non fit iniuria nicht abhängen 84 . Wichtig ist dagegen, auf welcher Seite des Zaunes der Betroffene des besonderen Gewaltverhältnisses steht. Es macht einen Unterschied, ob jemand Bindungen unterworfen ist, weil er sich i n einem verschärften Abhängigkeitsverhältnis wie i n der Schule oder i n der Strafhaft befindet, oder ob (zusätzliche) Bindungen bestehen, weil jemand Gewalt nach außen ausüben darf wie ein Lehrer oder ein Strafvollzugsbeamter. Von daher ist es eben nicht das gleiche, wenn Schüler und Lehrer irgendwelche Anti-Plaketten i m Unterricht tragen 3 5 . Aber das sind bereits Einzelheiten, die zu meinem zweiten Hauptteil überleiten, bei dem es u m die Nutzanwendung meiner Ausgangsthese geht.

C. Das besondere Gewaltverhältnis im Verwaltungsrecht I. Es versteht sich von selbst, daß ich nicht gewissermaßen ein Allgemeines Verwaltungsrecht für besondere Gewaltverhältnisse vorführen kann. Ich gehe daher exemplarisch vor und behandle die Rechtsquellen sowie die Handlungsformen der Verwaltung. I n diesem Zusammenhang werde ich auch den Komplex Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff ansprechen, obwohl die Gebundenheit und Freiheit der Verwaltung primär den Rechtsschutz berührt. Abschließend möchte ich die erwähnte Unterscheidung nach Lagern aufgreifen und die besonderen 34 Damit soll die Leistung Otto Mayers nicht geschmälert werden, der w o h l erstmals i m Verwaltungsrecht das Einwilligungsprinzip aus dem i m N a t u r recht verwurzelten, v o n Kant (Metaphysik der Sitten, Rechtslehre § 46) ausformulierten Freiheitsgedanken ableitete; vgl. Verwaltungsrecht, Bd. I, 1. Aufl., a.a.O. (Anm. 2), S. 98: „Die Freiheit selbst aber wäre verleugnet, w e n n dieser Schutz unbedingt gemeint wäre; eine Verfügungsfähigkeit des Geschützten muß bestehen bleiben." 35 Vgl. auch Ronellenfitsch, Die Durchsetzung staatlicher Entscheidungen als Verfassungsproblem, in: Bodo Börner (Hrsg.), Umwelt, Verfassung, V e r w a l tung, VEnergR 50, 1982, S. 13 ff. (27 f.).

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Bindungen derjenigen beleuchten, die zugleich Gewaltunterworfene und Gewaltausübende sind. II. 1. Die engste Verknüpfung des Verfassungsrechts mit dem Verwaltungsrecht erfolgt — wie bei den anderen Rechtsmaterien auch — über die Rechtsquellenlehre. Hierzu wurde bereits das Nötige gesagt. Die besonderen Gewaltverhältnisse sind keine rechtsfreien Räume mehr, bedürfen somit der Regelung durch Rechtsnormen. Das Institut des besonderen Gewaltverhältnisses gibt ferner keinen Titel für Regelungen der Exekutive. Der Gesetzesvorbehalt beansprucht vielmehr Geltung wie i m allgemeinen Gewaltverhältnis auch. Damit ist noch nichts über die Regelungsdichte der Gesetze gesagt, auf die ich noch näher eingehen werde. 2. Für den Augenblick geht es nur darum, eine offene Flanke i n meiner Argumentation zu schließen. Diese Flanke ist die Wesentlichkeitstheorie, die ja gerade i m Bereich der besonderen Gewaltverhältnisse entwickelt und erst später auf das allgemeine Gewaltverhältnis übertragen worden ist 3 6 . Anknüpfend an den Strafvollzugs-Beschluß erklärte das Bundesverfassungsgericht die Freiheits- und Eigentumsformel für überholt und stellte auf die Grundrechtsbeeinträchtigung ab 3 7 . Die Grundrechtsbeeinträchtigung ergibt die Wesentlichkeit einer Regelung, und alle wesentlichen Regelungen muß der Gesetzgeber selbst treffen 3 8 . Die Wesentlichkeitstheorie war von Anfang an problematisch, weil die „Wesentlichkeit" einer Angelegenheit so unbestimmt ist, daß 86 Hierzu Ronellenfitsch, Das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, 1983, S. 156 ff. 37 Erste Ansatzpunkte für die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden sich i m Facharztbeschluß v. 9. 5.1972, BVerfGE 33, 125 (157 f.), u n d i m Numerus-clausus-Urteil v. 18. 7.1972, BVerfGE 33, 304 (345 f.). Ausdrücklich verwendet w i r d das Wesentlichkeitskriterium i n der Entscheidung zur hessischen Förderstufe v. 6.12.1972, BVerfGE 34, 165 (192), während i n der (zweiten) Strafvollzugsentscheidung v. 28.10.1975, BVerfGE 40, 237 (249), wiederum davon die Rede ist, daß über alle den Bürger u n m i t telbar betreffende grundsätzliche Fragen durch Gesetz entschieden werden müsse. Erneut aufgegriffen wurde das Wesentlichkeitskriterium i n den E n t scheidungen v. 27.1.1976, BVerfGE 41, 251 (259 f.) — Speyerkolleg — u n d v. 22.6.1977, BVerfGE 45, 400 (417 f.) — Neuordnung der gymnasialen Oberstufe i n Hessen —. Der zuletzt genannte Oberstufenbeschluß stützt die Wesentlichkeitstheorie auf das Rechtsstaats- u n d Demokratieprinzip. Einen vorläufigen Abschluß u n d nähere Erläuterungen dieser Rechtsprechung brachte die Sexualkundeentscheidung v. 21.1.1977, BVerfGE 47, 46 (78 f.). Erheblich zurückgeschraubt wurde die Wesentlichkeitstheorie dann endlich durch den Kalkar-Beschluß v. 8. 8.1978, BVerfGE 49, 89. 38 Vgl. ζ. B. Thomas Oppermann, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen u n d die Stellung der an i h m beteiligten zu ordnen? Gutachten C zum 51. Deutschen Juristentag, 1976, S. 49 f.

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sie faktisch zu einer Kompetenz-Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts führt 3 9 . Darüber hinaus entwickelte die Wesentlichkeitstheorie eine untragbare Eigendynamik, als sie auf eine je/desto-Formel gebracht wurde: Je wesentlicher die Angelegenheit, desto intensiver muß sie der Gesetzgeber regeln 40 . A u f die Spitze getrieben führt die Wesentlichkeitstheorie dazu, daß der Gesetzgeber ganz wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen hat 4 1 . So weit ging letztlich auch das OVG Münster, das die Genehmigung des Brutreaktors i n Kalkar nach § 7 A t G für verfassungswidrig hielt 4 2 . Das Bundesverfassungsgericht brach der Wesentlichkeitstheorie i n der Kalkar-Entscheidung zumindest diese Spitze ab und erklärte unbestimmte Rechtsbegriffe sogar bei Entscheidungen von national-existenzieller Bedeutung für zulässig 43 . Daher kommt es nicht mehr darauf an, eine Rechtfertigung für unbestimmte Rechtsbegriffe zu finden. Hält man freilich an der Wesentlichkeitstheorie fest, dann könnte man sagen, daß das besondere Gewaltverhältnis dem Gesetzgeber auch bei wesentlichen Entscheidungen einen größeren Freiraum verschafft. Dann allerdings beeinflußt das besondere Gewaltverhältnis nach wie vor die Verfassungsinterpretation. Sie werden aber gemerkt haben, daß ich wenig von der Wesentlichkeitstheorie halte, nur ist hier nicht der Ort für eine Auseinandersetzung 44 . 3. Immerhin führt die angedeutete Modifikation der Wesentlichkeitstheorie zurück zum Gesetzesvorbehalt und zum Strafvollzugs-Beschluß. 39 Z u r K r i t i k Ronellenfitsch, Genehmigungsverfahren, a.a.O. (Anm. 35), S. 159 ff. 40 So etwa Gunter Kisker, Neue Aspekte i m Streit u m den Vorbehalt des Gesetzes, N J W 1977, S. 1313 ff. (1317). 41 So i n der Tendenz sehr deutlich der von der Arbeitsgemeinschaft Volksbegehren u n d Volksentscheid „Keine Startbahn West" hrsg. E n t w u r f eines Gesetzes über die Raumordnung i m Bereich des Verkehrsflughafens F r a n k furt a. M., 1981, Tz. 25.3 (S. 168 f.). 42 Beschl. v. 18. 8.1977, DÖV 1977, S. 854 = ET 1977, S. 705 m. A n m . Ulrich Büdenbender = EuGRZ 1977, S. 362 = DVB1. 1978, S. 62 = N J W 1978, S. 439 = ZfE 1978, S. 156 = 2 Pari. 1978, S. 63 = U m w e l t Nr. 58, 1977, S. 26. 43 Beschl. v. 8.8.1978, BVerfGE 49, 89 = DÖV 1979, S. 49 = EuGRZ 1978, S. 553 = GewArch 1979, S. 53 = ET 1979, S. 40 = DVB1. 1979, S. 45 = N J W 1979, S. 359 = JZ 1979, S. 178 m. A n m . Wildried Fiedler = BayVBl. 1979, S. 174 = RdE 1979, S. 34 = ZfE 1979, S. 63 = atw 1979, S. 95 = JuS 1979, S. 362 (Bericht Hermann Weber); hierzu ferner Joachim Linck, Z u m Vorrang des Parlaments gegenüber den anderen Gewalten, DÖV 1979, S. 165 ff.; Klaus RothStielow, Grundrechtsschutz u n d Schadensausschluß i m Atomrecht, DÖV 1979, S. 167 ff.; Hans-Uwe Erichsen, Z u m Verhältnis v o n Gesetzgebung u n d Verw a l t u n g nach dem Grundgesetz, V e r w A r c h 1979, S. 249 ff.; Ditmar Haeusler, Verfassungsmäßigkeit des Atomgesetzes, RdE 1979, S. 29 ff.; Rüdiger Breuer, Rechtspolitische I m p l i k a t i o n e n der Kalkar-Entscheidung, ZfE 1979, S. 268 ff. 44 F ü r eine sinnvolle Verwendung der Wesentlichkeitstheorie m i t beachtlichen Argumenten Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz u n d gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981, S. 391 ff. Die Gleichsetzung von Gesetzen- u n d Parlamentsvorbehalt w i r d problematisch, w e n n m a n die erwähnte Eigendynamik der Wesentlichkeitstheorie i m Blick behält.

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Daß besondere Gewaltverhältnisse einen größeren norminterpretierenden Freiraum der Exekutive verlangen, erkannte das Bundsverfassungsgericht selbst an. Wörtlich: „Die Grundrechte von Strafgefangenen können also nur durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, das allerdings auf — möglichst engbegrenzte — Generalklauseln nicht w i r d verzichten können 4 5 ." Die Bedeutung solcher Generalklauseln zeigt sich wieder auf der Ebene des Verwaltungsrechts. Da ich Generalklauseln ohne weiteres für mit dem Gesetzesvorbehalt vereinbar halte, benötige ich kein Institut des besonderen Gewaltverhältnisses als verfassungsrechtliche Legitimationsgrundlage. Dem steht nicht entgegen, daß das besondere Gewaltverhältnis die Generalklausel sachlich rechtfertigt. Für die Rechtsquellenlehre bleibt damit festzuhalten, daß der Gesetzesvorbehalt i m besonderen Gewaltverhältnis uneingeschränkt gilt. Generalklauseln sind, selbst wenn man sich der Wesentlichkeitstheorie anschließt, auch i n wichtigen, grundrechtsrelevanten Angelegenheiten zulässig.

m. 1. Systematik und Einteilungskriterien der Verwaltungshandlungen sind Ihnen geläufig. Die Einteilung von Rechts- und Tathandlungen interessiert i n unserem Zusammenhang wohl nicht. Ausklammern möchte ich auch vertragliche Gestaltungsformen, obwohl ich den Eindruck habe, daß sie zum Teil i n einem geradezu dialektischen Gegensatz zum besonderen Gewaltverhältnis stehen. Häufig w i r d nämlich auf vertragliche Handlungsformen ausgewichen, u m die Bindungen besonderer Gewaltverhältnisse zu vermeiden, um i m allgemeinen Gewaltverhältnis zu verbleiben. Für unser Thema unerläßlich ist dagegen die Einteilung der Rechtshandlungen i n solche mit Innen- und Außenwirkung. Ferner erleichtert die Unterscheidung von abstrakt-generêllen und konkret-individuellen Handlungen die Darstellung. 2. Ich beginne mit den abstrakt-generellen außenwirksamen Regelungen. Hierzu wurde das meiste bereits gesagt. Abstrakt-generelle Regelungen i n besonderen Gewalt V e r h ä l t n i s s e n können n i c h t mehr wie früher ohne weiteres als allgemeine Verwaltungsvorschriften eingestuft werden. Entfalten sie Rechtswirkungen, dann handelt es sich um Rechtssätze der Exekutive. Damit stellt sich die Frage, ob der Exekutive eine originäre Rechtssetzungsgewalt i n besonderen Gewaltverhältnissen zusteht. W i r sahen, daß das nicht der Fall ist 4 6 . Die i n manchen Lehrdar45

BVerfGE 33, 11.

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Stellungen mitgeschleppten Sonderverordnungen 47 sind überholt. Möglich sind nur Rechtsverordnungen und Satzungen mit den üblichen Ermächtigungsanforderungen. Was die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm angeht, so gilt auch hier, was zur Wesentlichkeitstheorie und zum Gesetzesvorbehalt ausgeführt wurde, nämlich, daß ein Freiraum zur Ausgestaltung der besonderen Gewaltverhältnisse erhalten bleiben muß, der durch die Verwendung von Generalklauseln sichergestellt werden kann. 3. Abstrakt-generelle Regelungen treffen auch die VerwaltungsVorschriften, die laut Ossenbühl ein staatsstrukturelles Grundproblem unserer Verfassungsordnung ausmachen 48 . Die Auseinandersetzung mit diesem Grundproblem würde ein eigenes Sonderseminar erfordern. Sie haben bemerkt, daß ich der Kürze halber auf die früher gängige Unterscheidung der Verwaltungsvorschriften von den überkommenen Rechtsquellen nach dem K r i t e r i u m der „Außenwirkung" abgestellt habe. Dabei bin ich m i r der Fragwürdigkeit dieses Kriteriums durchaus bewußt. Andererseits ist der Rechtssatzbegriff nicht rechtstheoretisch, sondern historisch-konventionell zu verstehen; jedenfalls liegt er i n diesem Sinn dem Grundgesetz zugrunde 49 . Folglich kann man Rechtsnormen und Verwaltungsvorschriften nicht kurzerhand gleichsetzen. Zwischen dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit von Verwaltungsvorschriften und der mit A r t . 80 GG unvereinbaren Anerkennung von Sonderverordnungen muß es einen dritten Weg geben. Dieser dritte Weg läuft m. E. über das besondere Gewaltverhältnis. Allgemeine Verwaltungsvorschriften mögen mittelbare Außenwirkung i m Rahmen der Selbstbindung der Verwaltung 5 0 oder bei der Amtshaftung 5 1 entfalten; 46 a. A . Loschelder, a.a.O. (Anm. 6), S. 467 ff. Sobald die Verwaltungsvorschriften Rechtswirkung entfalten, stellen sie die für das allgemeine Gewaltverhältnis kennzeichnende Distanz her. Hierzu weiter i m T e x t unter 3. 47 Vgl. etwa Ernst-Wolfgang Böckenförde / Rolf Grawert, Sonderverordnungen zur Regelung besonderer Gewaltverhältnisse, AöR 95 (1970), S. 1 ff.; Fritz Ossenbühl, in: Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., 1981, § 7 V ; Detlef Merten, Das System der Rechtsquellen, Jura 1981, S. 182 ff., 236 ff. (139); Wolf-Rüdiger Schenke, Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis, JuS 1982, S. 906 ff. (908 f.); ablehnend zu Recht Norbert Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1982, § 15 Rdnr. 58. 48 Zur A u ß e n w i r k u n g von Verwaltungsvorschriften, in: Verwaltungsrecht zwischen Freiheit, Teilhabe u n d Bindung, Festg. 25 Jahre Bundesverwaltungsgericht, 1978, S. 433 ff. (433). 49 Z u m Gesetzesbegriff Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland I I , 1980, S. 557 ff. 50 Vgl. B V e r w G v. 13.7.1973, B V e r w G E 44, 1 (6) = DÖV 1974, S. 429 (LS); v. 4.11.1977, Buchholz 237 Ο § 39 L B G Bad.-Württ. Nr. 1; v. 26.4.1979, DÖV 1979, S. 714 (715); 1. 6.1979, DÖV 1979, S. 793 = N J W 1980, S. 75 = JuS 1980, S. 71 (Bericht Peter Selmer); O V G B e r l i n v. 26. 9.1975, DÖV 1976, S. 53; O V G N W v. 12.2.1976, VerwRspr. 28, Nr. 5, S. 23 (25); zur früheren Rechtsprechung Fritz Ossenbühl, Die Verwaltungsvorschriften i n der verwaltungsgerichtli-

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dennoch sind sie zulässig wenn sie sich innerhalb des exekutiven Funktionsbereichs halten 5 2 , wenn ihr Adressat die Exekutive ist. Insoweit beziehe ich mich auf die Entscheidung des BayVerfGH vom 21.4.1982 zur Rechtsnatur der Richtlinien der Bayerischen Staatsregierung über die Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen und freier Berufe bei der Vergabe öffentlicher Aufträge 5 3 . Kurz: Das besondere Gewaltverhältnis des öffentlichen Dienstes und allgemeine Verwaltungsvorschriften bedingen sich wechselseitig. Etwas anders sieht es auf der anderen Seite des Zaunes aus. I n verschärften Abhängigkeitsverhältnissen kann auf die Unterscheidung von innen und außen, von Betriebsund Grundverhältnis nicht verzichtet werden. A u f das Grundverhältnis bezogene Verwaltungsvorschriften verstoßen gegen den Gesetzesvorbehalt und sind unmittelbar vor den Verwaltungsgerichten angreifbar 5 4 . Ich breche hier die Erörterung der Verwaltungsvorschriften ab und bitte, meine Ausführungen nur als Anregung zu verstehen. M i r ging es nur u m den Nachweis, daß w i r auf das besondere Gewaltverhältnis als verwaltungsrechtliche Kategorie auch deshalb nicht verzichten können, weil w i r sonst die Verwaltungsvorschriften rechtlich nicht bewältigen können. 4. Der Verwaltungsakt als konkret-individuelle außenwirksame Regelung ist zwar nunmehr zutreffend i n den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder definiert, weil es sich um einen chen Praxis, AöR 92 (1967), S. 1 ff. (18 ff.); ders., Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 514 ff., 517 ff.; ders., in: Festg. BVerwG, a.a.O. (Anm. 48),S. 441 ff.; ferner Maximilian Wallerath, Die Selbstbindung der V e r w a l tung, 1968; Hans-Joachim Mertens, Die Selbstbindung der Verwaltung, 1969; Christoph Gusy, Die Pflicht zur Veröffentlichung von Verwaltungsvorschriften, DVB1. 1979, S. 720 ff. (722); Walter Krebs, Z u r Rechtsetzung der Exekutive durch Verwaltungsvorschriften, V e r w A r c h 1978, S. 259 ff. (267); Gertrude Lübbe-Wolf, Der Anspruch auf Information über den I n h a l t ermessensbindender Verwaltungsvorschriften, DÖV 1980, S. 594 ff. (596 ff.); Hans Hermann Scheffler, Wachsende Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, DÖV 1980, S. 236 ff. (238 f.); Hansjörg Jellinek, Veröffentlichung v o n verwaltungsinternen Ermessensrichtlinien, N J W 1981, S. 2235; Kritisch u. a. Hans Heinrich Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S. 118 f.; ders., JuS 1975, S. 609 ff. (615 „Verfahren, das eher einem Zauberstrick als gediegener Rechtsmethode gleicht"). 51 So bereits RG v. 1. 6.1922, RGZ 105, 99 (100); v. 10.10.1934, RGZ 145, 204 (215); ferner Hans-Jürgen Papier, in: Münchner Kommentar zum BGB, Bd. 3, Halbbd. 2, 1980, § 839 Rdnr. 126. 52 So z. B. Winfried Brohm, Verwaltungsvorschriften als administrative Rechtsquelle — ein ungelöstes Problem des Innenrechts, in: Drittes deutschpolnisches Verwaltungssymposium 1983, S. 12 ff. (20, 23 ff.). 53 N V w Z 1983, S. 150. 54 Zutreffend Schenke, JuS 1982, S. 908 f.; ders., Der Rechtsschutz des B ü r gers gegen Verwaltungsvorschriften, DÖV 1979, S. 622 ff. (625 f.); ders., i n diesem Band S. 83 ff.

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Verwaltungsverfahrens- und materiell-rechtlichen Begriff handelt; seine Hauptbedeutung zeigt sich jedoch unter dem Blickwinkel des Rechtsschutzes55. Zu Zeiten des verwaltungsgerichtlichen Enumerationsprinzips war das evident, aber auch unter der Geltung von § 40 VwGO ist das alte Aktionendenken noch nicht völlig überwunden. Bis zur Umsetzungsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. 5.1980 56 bestand gerade i m besonderen Gewaltverhältnis die Neigung, den Begriff des Verwaltungsakts auszudehnen, weil man glaubte, nur so einen A n knüpfungspunkt für den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu haben 5 7 . Die Gedankenkette: „Rechtsbeeinträchtigung = Eingriff i n das Grundverhältnis = angreifbarer Verwaltungsakt" überzeugt aus mehreren Gründen nicht 5 8 . Begriffsmerkmal des Verwaltungsakts ist dessen — objektiv zu bestimmende — Außengerichtetheit 59 . Bei Maßnahmen, die den Dienstbetrieb betreffen, fehlt es an diesem Merkmal selbst dann, wenn sie i m Einzelfall tatsächlich Rechte des Betroffenen verletzen. Sie beziehen sich eben nur auf das Betriebsverhältnis. Faßt man demgegenüber das Grundverhältnis enger, stellt man wie Ule 6 0 wieder streng auf Begründung, Veränderung oder Beendigung des besonderen Gewaltverhältnisses ab und nicht auf einen vagen „Rechtskreis der Gewaltunterworfenen" 6 1 , dann ist i n der Tat jede das Grundverhältnis betreffende Maßnahme ein Verwaltungsakt. Das ergibt auch einen Sinn. Trotz § 40 VwGO darf nicht vergessen werden, daß der Verwaltungsakt für die Bestimmung der richtigen Klageart unerläßlich ist 6 2 , von der wiederum der einstweilige Rechtsschutz abhängt. Jede Ausdehnung des Grundverhältnisses m i t Hilfe eines aufgeblasenen Begriffs des Verwaltungsakts blockiert über den Suspensiveffekt der Rechtsbehelfe den Dienstbetrieb. Die restriktive Rechtsprechung des 55 Vgl. allgemein Wolf gang Löwer, F u n k t i o n und Begriff des Verwaltungsakts, JuS 1980, S. 805 ff. 56 B V e r w G v. 22. 5.1980 — 2 C 30 178 —, B V e r w G E 60, 144 = N J W 1981, S. 67 = DVB1. 1980, S. 882 = DöD 1980, S. 203 = BayVBl. 1981, S. 57 = Z B R 1981, S. 28 = DÖV 1981, S. 98 = JuS 1981, S. 232 (Bericht Lerke Osterloh); vgl. auch B a y V G H v. 8. 6. 1981, BayVBl. 1981, S. 465 — 2 C 29/78 —, Buchholz 232 § 26 B B G Nr. 20. 57 I n diesem Sinn immer noch Erich Eyermann / Ludwig Fröhler, V e r w a l tungsgerichtsordnung, Komm., 8. Aufl., 1980, § 42 Rdnr. 14. 58 Vgl. auch Rainer Pietzner / Michael Ronellenfitsch, Das Assessorexamen i m öffentlichen Recht, 5. Aufl., 1985, § 7 Rdnr. 7 ff. 59 Grundlegend B V e r w G E 60, 144 (Anm. 56); fortgeführt durch B V e r w G v. 12. 2.1981, N V w Z 1982, S. 103 = DVB1. 1981, S. 495 = ZBR 1981, S. 339 = JuS 1983, S. 71 (Bericht Lerke Osterloh); hierzu Ulrich Battis, Änderung des A u f gabenbereichs eines Beamten durdh Organisations Verfügung k e i n V e r w a l tungsakt, N V w Z 1982, S. 87 f. 60 Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., 1962, S. 158. 61 Vgl. Paul Stelkens / Hans-Joachim Bonk / Paul Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, Komm., 2. Aufl., 1983, § 35 Rdnr. 100. 62 Vgl. Wolf-Rüdiger Schenke, i n diesem Band S. 83 ff.

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Bundesverwaltungsgerichts verdient damit Zustimmung. Die Entscheidungen vom 13.1.1983 zur Rüge an den Rechtsbeistand 63 und vom 5. 5. 1983 zu § 223 Abs. 1 BRAO 6 4 dürften atypische Ausnahmen sein. Damit sollte klar geworden sein, daß w i r die Kategorie des besonderen Gewaltverhältnisses weiterhin benötigen, u m — ausgehend von der Unterscheidung von Grund- und Betriebsverhältnis — das Begriffsmerkmal der Außengerichtetheit des Verwaltungsakts besser i n den Griff zu bekommen. 5. Die konkret-individuellen, auf das Betriebsverhältnis bezogenen Einzelweisungen können, wie gesagt, den Gewaltunterworfenen ausnahmsweise auch i n seinen Rechten betreffen. Gegen Umsetzungen wurde wohl deshalb so häufig prozessiert, weil es sich oft u m verkappte Disziplinarmaßnahmen handelte 6 5 . Hier kommt man auch ohne die A n nahme eines Verwaltungsakts unmittelbar über § 40 VwGO zu einem effektiven Rechtsschutz 66 . Überwiegend w i r d eine allgemeine Leistungs- oder Feststellungsklage für zulässig gehalten 67 . Ohne das vertiefen zu können, sehe ich keinen Grund, den zivilprozessualen aktionenrechtlichen numerus clausus der Gestaltungsklagen auf den Verwaltungsprozeß zu übertragen; daher befürworte ich die allgemeine Gestaltungsklage zur Kassation außenwirksamer Maßnahmen mit Ausnahme von Verwaltungsakten 6 8 . Bei den betriebsbezogenen Weisungen muß ferner wieder unterschieden werden, i n welchem Lager der Gewaltunterworfene steht. Dient er — um mit Ule zu sprechen 69 — dem Betrieb, dann kann er i n einen Konflikt geraten, wenn er durch die Weisung zu einer rechtswidrigen Gewaltausübung veranlaßt werden soll, für die er die persönliche Verantwortung trägt. Den Ausweg aus dem Konflikt bietet das Remonstrationsrecht 70 . E i n Durchgriff auf das Grundverhältnis erübrigt sich. Völlig anders ist die Situation bei den Gewaltunterworfenen, denen der Betrieb dient, für die der Betrieb da ist. Das „Re83

DÖV 1983, S. 730 = DVB1. 1983, S. 1248 DVB1. 1983, S. 542. 65 Vgl. etwa Christian-Friedrich Menger, Probleme des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes bei der Umsetzung eines Beamten, V e r w A r c h 1977, S. 169 ff. (174). 86 B V e r w G E 60, 144 (Anm. 56). 87 Vgl. etwa Hans-Uwe Erichsen, Die Umsetzung v o n Beamten, DVB1. 1982, S. 95 ff. (99 f.); Christian-Friedrich Menger, Z u r Rechtsnatur u n d v e r w a l tungsgerichtlichen Überprüfbarkeit beamtenrechtlicher Umsetzungen, V e r w A r c h 1981, S. 149 ff. (153 f.); Schenke, JuS 1982, S. 906 ff. (910). 88 Vgl. Pietzner / Ronellenfitsch, a.a.O. (Anm. 58). 89 V V D S t R L 15 (1957), S. 133 ff. 70 § 56 B B G ; vgl. auch O V G Bremen v. 30.12.1980, DÖD 1981, S. 92; Josef Isensee, Der öffentliche Dienst, in: HdbVerfR Sp. 1149 ff. 64

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monstrationsrecht" der Studenten gegen eine Klausurbewertung ist zumindest eine Sprachverwirrung. Hier handelt es sich um einen der Gegenvorstellung vergleichbaren Rechtsbehelf i n eigenen Angelegenheiten. IV. 1. Die Gebundenheit und Freiheit der Verwaltung i m besonderen Gewaltverhältnis klang bereits i m Zusammenhang mit dem Gesetzesvorbehalt und m i t der Wesentlichkeitstheorie an 7 1 . Die vom Bundesverfassungsgericht eingeräumte Zulässigkeit von Generalklauseln namentlich i n besonderen Gewaltverhältnissen bezog sich auf das Verhältnis der Exekutive zum parlamentarischen Gesetzgeber. Der so gewonnene Freiraum der Exekutive würde aber nichts nützen, wenn er auf der anderen Seite durch die rechtsprechende Gewalt besetzt wäre. Damit stellt sich die Frage, wie es u m die richterliche Kontrolldichte bei der Überprüfung generalklauselhaft formulierter Vorschriften für besondere Gewaltverhältnisse bestellt ist. Auch dieses ist eine Frage primär des Rechtsschutzes, so daß ich mich mit wenigen Bemerkungen begnüge und unter Ausklammerung der Ermessenslehre gleich auf den unbestimmten Rechtsbegriff eingehe. 2. Bei unbestimmten Rechtsbegriffen gilt das Prinzip der einzig richtigen Entscheidung. Da auf den ersten Blick jeder diese richtige Entscheidung finden kann, ist es einhellige Rechtsprechung und weitaus überwiegende Lehre, daß die Gerichte die Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe durch die Exekutive grundsätzlich i n vollem Umfang zu überprüfen haben 7 2 . Leider ist es aber so, daß bisweilen nur wenige imstande sind, die richtige Entscheidung zu finden. Für Gerichte bleibt dann der Ausweg, Sachverständige zu befragen 73 . Trotzdem gibt es Bereiche, die dem vollen Zugriff der Gerichte verschlossen bleiben, zu denen nur die Exekutive Zugang hat. Offenbar scheut man davor zurück, schlicht einzugestehen, daß — wenn überhaupt — nur die Exekutive die richtige Entscheidung treffen kann. Stattdessen w i r d die Reduzierung der richterlichen Kontrolldichte mit einem administrativen Beurteilungsspielraum begründet, der indessen nur i n einigen wenigen Ausnahmefällen anerkannt ist: Materielle Prüfungsentscheidungen 74 , 71

Oben unter C I I 3. Vgl. n u r B V e r w G v. 26.6.1980, B V e r w G E 60, 254 (255); v. 4.2.1982, BVerwGE 65, 19 (22 f.) = DVB1. 1982, S. 642. 73 Vgl. zu § 15 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVO, B V e r w G v. 18.3.1982, B V e r w G E 65, 157 (164) = DVB1. 1982, S. 1047; ferner O V G Lüneburg v. 6.11.1979, DÖV 1979, S. 874; V G H Bad.-Württ. v. 13.10.1980, VB1BW 1982, S. 21. 74 Leitentscheidung B V e r w G v. 24.4.1959, B V e r w G E 8, 272, seitdem st. Rspr.: B V e r w G v. 21.8.1969, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 37 v. 1.10. 72

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dienstliche B e u r t e i l u n g e n 7 5 , k o m p l e x e Prognoseentscheidungen76, w o h l auch E n t s c h e i d u n g e n m i t p l a n u n g s r e c h t l i c h e m E i n s c h l a g 7 7 u n d schließl i c h E n t s c h e i d u n g e n p l u r a l i s t i s c h besetzter F a c h g r e m i e n 7 8 . D e r sachliche H i n t e r g r u n d f ü r diese A u s n a h m e n w u r d e schon anged e u t e t . E r ist w e n i g e r eine besondere F a c h k u n d e , o b w o h l dieser A n s a t z p u n k t v o r a l l e m i m technischen Sicherheitsrecht a u s b a u f ä h i g e r s c h e i n t 7 9 , w e n n m a n sich n i c h t d u r c h d i e G j S - E n t s c h e i d u n g 8 0 f e h l l e i t e n l ä ß t . D e r sachliche H i n t e r g r u n d ist v i e l m e h r d e r n i c h t r e k o n s t r u i e r b a r e enge personale K o n t a k t i n besonderen G e w a l t v e r h ä l t n i s s e n . D i e n s t l i c h e B e u r t e i l u n g e n h a b e n n u n e i n m a l e i n e n s u b j e k t i v e n Einschlag. Sie m ö g e n gelegentlich falsch sein. W e n n A u ß e n s t e h e n d e sie t r e f f e n , s i n d sie indessen von vornherein falsch.-Die Folge k a n n n u n n i c h t der V e r zicht auf j e d e n Rechtsschutz sein. A b e r d i e K o n t r o l l e b e s c h r ä n k t sich z w a n g s l ä u f i g a u f offensichtliche F e h l e r 8 1 . D i e gleiche P r ü f u n g s l e i s t u n g 1971, ebd. Nr. 44; v. 14.3.1979, D Ö V 1979, S. 752; v. 12.11.1979, DÖV 1980, S. 380; v. 16.4.1980, BayVBl. 1980, S. 503; v. 27.2.1981, DVB1. 1981, S. 583; v. 13.10.1981, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 153, V G H Bad.-Württ. v. 10.4.1979, B W V P r . 1979, S. 253; v. 10.9.1979, B W V P r . 1980, S. 88; BayV G H v. 8.3.1982, N J W 1982, S. 2685; O V G B e r l i n v. 7.11.1974, DVB1. 1975, S. 731; N W v. 11.11.1978; GewArch 1979, S. 21; O V G Lüneburg v. 10.9.1982, DVB1. 1983, S. 131. V o l l überprüfbar ist demgegenüber das Prüfungsverfahren; vgl. B V e r w G v. 24.4.1978, B V e r w G E 55, 355; v. 14.6.1982, DVB1. 1983, S. 89; auch B V e r f G v. 13.11.1979, BVerfGE 52, 380. I m einzelnen liegen Entscheidungen vor zum Zeitpunkt der Rüge von Verfahrensfehlern, B V e r w G v. 9.8.1978, DÖV 1979, S. 412; v. 22.10.1982, DVB1. 1983, S. 93; V G H Bad.-Württ. v. 10.1. 1979, GewArch 1979, S. 198; B a y V G H v. 11.12.1981, BayVBl. 1981, S. 271; O V G RhPf v. 16.1.1980, DVB1. 1981, S. 591; zu den Prüfungsbedingungen, B V e r w G v. 19.8.1978, BayVBl. 1979, S. 58; v. 6.7.1979, DÖV 1980, S. 140; B a y V G H v. 26. 7.1979, BayVBl. 1980, S. 66; V G H Bad.-Württ. v. 25. 2.1982, N V w Z 1983, S. 565; zur Durchführung der Prüfung, V G H v. 24.10.1981, S. 94; v. 20.2.1979, B W V P r . 1979, S. 250; zur Bewertung, V G H Bad.-Württ. v. 24.1.1979, DÖV 1979, S. 755; v. 12.4.1983, DVB1. 1983, S. 597; v. 19.5.1980, DÖV 1980, S. 612; v. 7.7.1980, DÖV 1981, S. 594; B V e r w G v. 3.12.1981, N J W 1983, S. 407; v. 9.7.1982, DVB1. 1983, S. 90 u n d schließlich zu den Folgen v o n Verfahrensverstößen, B V e r w G V. 16.4.1980, DÖV 1980, S. 82; B a y V G H v. 27.4.1981, N J W 1982, S. 2627. 75 Grundlegend B V e r w G v. 26. 6.1980, B V e r w G E 60, 245 = BayVBl. 1981, S. 52 u n d 54; v. 28.11.1980, DVB1. 1981, S. 460. 76 B V e r w G v. 23.10.1981, DVB1. 1982, S. 301 = N J W 1982, S. 1168 = JuS 1982, S. 531 (Bericht Lerke Osterloh); v. 26.3.1981, VPR 1982, S. 53; zweifelnd allerdings B a y V G H v. 31. 3.1982, DÖV 1982, S. 748 (750). 77 So zu § 1 Abs. 3 BBauG V G H Bad.-Württ. v. 12.11.1968, ESVGH 19, S. 227. Z u r Unternehmergenehmigung m i t planungsrechtlichem Einschlag Ronellenfitsch, Vorüberlegungen zur Bereinigung des luftrechtlichen Verfahrensrechts, DVB1. 1984, S. 501 ff. (502 f., 509 f.). 78 B V e r w G v. 16.12.1971, B V e r w G E 39, 197; v. 13.12.1979, B V e r w G E 59, 213; v. 25.6.1981, DVB1. 1982, S. 29; O V G Lüneburg v. 27.5.1982, N J W 1983, S. 1218. 79 Vgl. etwa Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Dokumentation zum K o l loquium 1980, Technik als Rechtsquelle, 1980; Fiedler, Beurteilungsspielraum „aus Sachnähe"?, ET 1982, S. 580 ff. 80 B V e r w G E 39, 197. 4 Speyer 97

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Michael Ronellenfitsch

kann nur einmal erbracht werden, und ein Richter kann nicht einmal die Benotung einer juristischen Prüfungsleistung übernehmen, weil i h m die Umstände fremd bleiben, unter denen die Leistung erbracht wurde 8 2 . Die vorzeitige Entlassung von Strafgefangenen schließlich erfordert eine positive Verhaltensprognose, für die trotz spektakulärer Gegenbeispiele die Vollzugsbehörden am besten geeignet sind 8 3 . Fazit: Das besondere Gewaltverhältnis rechtfertigt administrative Beurteilungsspielräume bei Entscheidungen, die Erkenntnisse voraussetzen, welche nur i m engen personalen Kontakt mit den Gewaltunterworfenen gewonnen werden können. (Beurteilungsspielraum kraft Sachnähe.)

V. 1. Wie eingangs angekündigt, möchte ich noch auf die besondere Bindung derjenigen eingehen, die zugleich Gewaltunterworfene und Gewaltausübende sind. Daß i n diesen Gewaltverhältnissen Dienst- und Treuepflichten gegenüber dem Dienstherrn, gegenüber dem Volk als Souverän sowie gegenüber Recht und Verfassung bestehen, bedarf keiner Vertiefung 8 4 . Was i n der Diskussion häufig zu kurz kommt, ist dagegen, daß für Gewaltträger auch Bindungen bestehen, weil sie Gewalt gegen Dritte ausüben dürfen. Die Pflicht der Richter zum Tragen einer Amtstracht 8 5 besteht auch i m Interesse der Prozeßbeteiligten. Bedauerlicherweise ist A r t . 33 Abs. 4 GG nur als Regelvorschrift gefaßt. Daraus folgt indessen, daß jeder, der hoheitliche Befugnisse ausübt, Pflichten unterworfen sein kann, die den beamtenrechtlichen Pflichten durchaus vergleichbar sind. I m Klartext: Ich habe keinerlei Skrupel, die Grundsätze für die Prüfung der Verfassungstreue etwa auf den Vorstand der Deutschen Bundesbahn 86 anzuwenden. 81 Beispiele: B V e r w G v. 30. 8.1978, N J W 1979, S. 330; V G H Bad.-Württ. v. 10.4.1979, B W V P r . 1979, S. 253; v. 14.12.1981, DÖV 1982, S. 164; v. 10.9.1979, B W V P r . 1980, S. 88; O V G Lüneburg v. 16. 6.1981, DÖV 1982, S. 513. 82 Vgl. die Argumentation i n den i n A n m . 74 aufgeführten Entscheidungen. 83 Nachweise bei Ronellenfitsch, DÖV 1981, S. 933 ff. (940 m. A n m . 80). 84 Hierzu zuletzt Willi Thiele, Die Stellung der Beamten i n unserem Staat, DÖD 1984, S. 1 ff. 85 B V e r w G v. 9. 6.1983, N J W 1983, S. 2589 = DVB1. 1983, S. 1110. 86 Vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1, § 8 a BundesbahnG. Bis zur 3. Änderung des BundesbahnG v. 22.12.1981 (BGBl. I S. 1689) bestand ohnehin ein Beamtenverhältnis. Die dienstrechtliche Neuregelung ändert richtiger Ansicht nach an den Treupflichten nichts; vgl. allgemein Ulrich Battis, Neue Führungss t r u k t u r der Deutschen Bundesbahn durch Dienstrechtsänderung, Z B R 1982, S. 37 ff.; Günter Fromm, Z u r Änderung des Bundesbahngesetzes, B B 1982, S. 264 ff.; ders. (zur historischen Entwicklung), Bundesbahnautonomie u n d Grundgesetz, DVB1. 1982, S. 288. Z u m Verwaltungscharakter der Deutschen Bundesbahn bereits Ernst Forsthoff, Rechtsprobleme der Gemeinwirtschaftlichkeit der Deutschen Bundesbahn, in: Berkenkopf / Forsthoff, Die gemein-

Das besondere Gewaltverhältnis als verwaltungsrechtliches I n s t i t u t

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2. Ein Letztes: W i r d Gewalt innerhalb besonderer Gewaltverhältnisse ausgeübt, dann bestehen die strengsten Bindungen, weil die Gewalt auf eine verschärfte Abhängigkeit trifft. Das beamtenrechtliche Neutralitäts- und Mäßigungsgebot 87 richtet sich daher verschärft an militärische Vorgesetzte, Lehrer, Strafvollzugsbeamte und vergleichbare Personengruppen. Trotz aller K r i t i k halte ich an meiner früher geäußerten Forderung fest, daß die genannten Personengruppen i m Dienst keine politischen Meinungsplaketten tragen dürfen 8 8 . Damit komme ich zum Schluß. Das besondere Gewaltverhältnis ist kein Relikt. Es hat bleibende Bedeutung i m Verwaltungsrecht.

wirtschaftliche Verkehrsbedienung der Deutschen Bundesbahn, 1958, S. 21 ff. (23 ff.); Armin Dittmann, Die Bundesverwaltung, 1983, S. 164 ff. 87 Hierzu V G B e r l i n v. 30.9.1981, N J W 1982, S. 1113; V G H Bad.-Württ. v. 26.11.1982, N J W 1983, S. 1215. 88 V e r w A r c h 1982, S. 245 ff. (253 f.). 4·

Grundrechte und Besonderes Gewaltverhältnis* Von Detlef Merten

A. Zum Begriff des „Besonderen Gewaltverhältnisses" I . Die „Gewalt"-Phobie 1. Der Staat als

„Gewalt"-Träger

Das Besondere am „Besonderen Gewaltverhältnis" scheint die „Gewalt" zu sein. Ist es doch dieses Begriffselement, das Widerspruch und Ablehnung hervorruft. So hält Benda 1 i m freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat die Auffassung für unangemessen, „daß der Staat auch nur i n einem Teilbereich Gewalt über seine Bürger habe". Diese Gewaltphobie erstaunt. Handelt nicht die Verfassung selbst von der „Staatsgewalt", von der „staatlichen" oder „öffentlichen", der „verfassungsgebenden" und „gesetzgebenden", der „rechtsprechenden" und der „vollziehenden Gewalt", kennt sie nicht auch die „Befehls- und Kommandogewalt"? Gerade weil der Staat, u m Staat zu sein, auch als freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat Gewalt über seine Bürger hat und haben muß, statuiert A r t . 20 Abs. 2 GG, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und von i h m i n Wahlen und Abstimmungen, i m übrigen durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt wird, verpflichtet A r t . 1 Abs. 1 Satz 2 GG alle staatliche Gewalt zur Achtung und zum Schutze der Menschenwürde, und gewähren A r t . 19 Abs. 4 sowie A r t . 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG Gerichtsschutz, falls die öffentliche Gewalt rechtswidrig und rechtsverletzend bzw. grundrechtsverletzend ausgeübt wird. Ist der Staat aber i m Gesamtbereich mit Staatsgewalt begabt und der Bürger ihr — freilich nur i n den Grenzen der Verfassung — unterworfen, so ist nicht einsichtig, weshalb i n Teilbereichen eine Gewalt über den Bürger unangemessen sein soll. * I m folgenden w i r d der i n der Festschrift für K a r l Carstens zum 70. Geburtstag („Einigkeit u n d Recht u n d Freiheit") veröffentlichte Beitrag i m Interesse der Vollständigkeit des vorliegenden Sammelbandes m i t freundlicher Genehmigung des Carl Heymanns Verlags nochmals abgedruckt. 1 Z u m Freiheitsbegriff des Grundgesetzes, 1983, S. 11.

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Detlef Merten

2. Das Begriffsmißverständnis I n Wirklichkeit beruht die Begriffssensibilität auf einem Begriffsmißverständnis. Staatliche Gewalt ist nicht mit physischer oder körperlicher Gewalt identisch. Sie meint Herrschaft oder Funktion, nicht Zwang, i n den Kategorien des römischen Rechts potestas oder Imperium 2 , nicht vis. Das w i r d bei der klassischen Lehre der Gewaltenteilung und der mit ihr verbundenen Forderung der Gewaltentrennung deutlich, so daß Kelsen 3 zu Recht für die drei Staatsgewalten synonym die Begriffe Funktionen und Rechte verwendet und das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 die Gewaltenterminologie durch eine (reine) Rechtsterminologie ersetzt hat 4 . Wie uneinheitlich und unsystematisch die „Gewalt"-Terminologie des Grundgesetzes ist, zeigt sich auch daran, daß es teils von „Gesetzgebung", „Verwaltung" und „Rechtsprechung", teils von „gesetzgebender" (vgl. A r t . 122 GG), „vollziehender" (Art. 1 Abs. 3, 20 GG) und „rechtsprechender Gewalt" (Art. 92 GG) spricht. Staatliche Herrschaft, die i m Rechtsstaat Gesetzesherrschaft ist, kann sich allerdings nicht i n der Regelung erschöpfen, sondern muß auch deren Durchsetzung umfassen. Ihrer bedarf es, damit nicht Rechtsüberzeugung und Rechtsgesinnung leiden und Rechtsstaatlichkeit verloren geht. So muß die Rechtsordnung zugleich Zwangsordnung sein, und ist es die Zwangsbewehrung, durch die sich Rechtssätze charakteristischerweise von anderen Sollens-S ätzen unterscheiden. Staatsgewalt als Möglichkeit und Fähigkeit der Herrschaftsdurchsetzung i m Staatsgebiet ist begriffliches Merkmal staatlicher Souveränität 5 . Für die reine Herrschaftsdurchsetzung verwendet die Rechtsordnung in der Regel den Begriff „Zwang", indem sie von „Bundeszwang" (Art. 37 Abs. 2 GG), „Zwangsarbeit" (Art. 12 Abs. 3 GG), „Zwangsgeld", „Zwangshaft" 6 oder der „Anwendung unmittelbaren Zwanges" 7 spricht. 2 Hierzu Mommsen, Römisches Staatsrecht, Band I, 2. Aufl., Leipzig 1876, S. 22 f., siehe auch Hans Schneider, A r t . Gewalt, öffentliche, in: Ev. Staatslexikon, 2. Aufl., 1975, Sp. 855. 3 Die Lehre v o n den drei Gewalten oder Funktionen des Staates, abgedruckt in: Die Wiener rechtstheoretische Schule, hrsg. v o n Klecatsky, Marciò u n d Schambeck, Bd. I I , 1968, S. 1625 ff. (1627). 4 Kelsen / Fröhlich / Merkl, Die Bundesverfassung v o m 1. Oktober 1920, S. 65. 5 Vgl. Quaritsch, Staat u n d Souveränität, 1970, S. 255. 6 z. B. § 888 ZPO. 7 Vgl. z. B. §§ 1, 4 Abs. 1 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) v o m 10. März 1961 (BGBl. I S. 165) sowie das Gesetz über die A n w e n d u n g unmittelbaren Zwanges u n d die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr u n d zivile Wachpersonen (UZwGBw) v o m 12. August 1965 (BGBl. I S. 796).

Grundrechte u n d Besonderes Gewalt Verhältnis

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I n Ausnahmefällen, wenn die Zwangsmittel versagen, insbesondere wenn Widerstand geleistet wird, muß staatliche Herrschaft notfalls auch mit physischer (körperlicher) Gewalt durchgesetzt werden 8 . Dieses Recht zum Gebrauch physischer Gewalt ist das absolute Vorrecht des Staates der Neuzeit. Erst durch dieses „Gewaltmonopol" 9 wurde er zum Friedensverband, konnte er den bellum omnium contra omnes beenden, „unerlaubte Privatgewalt" 1 0 bannen und das Recht des Mächtigen durch das mächtige Recht ersetzen. Meint Staatsgewalt i n erster Linie staatliche Herrschaft oder Funktion und nur zu guter Letzt auch staatliche Zwangsgewalt, so ist es mehr als vordergründig, gegen den Begriff des Besonderen Gewaltverhältnisses um der „Gewalt" w i l l e n zu polemisieren. Bei ideologischer Betrachtung mögen sich „vorrechtsstaatliche oder gar schlimmere Assoziationen" 1 1 ergeben, die sich dann aber auch bei der zu Recht als moderne Errungenschaft gefeierten „Gewaltentrennung" oder — je nach Ideologie oder Phantasie — bei anderen geläufigen Begriffen des Staatsrechts wie „Exekutive" oder „Berufsverbot" 1 2 einstellen können. Gerade weil der Begriff des Besonderen Gewaltverhältnisses nicht der Normsprache, sondern der Fachsprache angehört 13 , muß die „terminologische Unebenheit" 1 4 nicht zur Begriffseliminierung führen, weil die juristische Diskussion von Grundwissen und Vorurteilsfreiheit ausgeht. Modernes Umtäufertum, das aus Unehelichen „Nichteheliche", aus Negern „Schwarzafrikaner", aus Schwarzarbeit „SchattenWirtschaft" und aus der elterlichen Gewalt „elterliche Sorge" macht, läuft Gefahr, begriffliche Kosmetik schon als reformerischen Fortschritt anzusehen. Dabei gewahrt man nicht einmal den eigenen Rückschritt, den die Verwendung des aus der staatlichen Für-Sorge verbannten Begriffs der „Sorge" 1 5 bei der Kreation der „elterlichen Sorge" 16 nach Auffassung der Reformer darstellen müßte.

8

Vgl. z. B. § 758 Abs. 3 ZPO. Hierzu Merten, Rechtsstaat u n d Gewaltmonopol, 1975; Isensee, Die Friedenspflicht der Bürger u n d das Gewaltmonopol des Staates, in: Festschrift für Eichenberger, 1982, S. 23 ff.; Scholz, Rechtsfrieden i m Rechtsstaat, N J W 1983, 705 ff. 10 So § 96 I 7 P r A L R . 11 Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit u n d die besonderen Gewaltverhältnisse, 1969, S. 18. 12 Vgl. A r t . 55, 66 GG. 13 Vgl. hierzu auch Podlech, a.a.O., S. 45. 14 Ule, W D S t R L 15, 1957, S. 144. 15 Vgl. Merten, A r t . Sozialhilfe, in: Ev. Staatslexikon, 2. Aufl., 1975, Sp. 2362. 16 Vgl. A r t . 9 § 2 Nr. 3 u n d 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge v o m 18. J u l i 1979 (BGBl. I S. 1061). 9

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Detlef Merten

3. Staatsgewalt und Privatgewalt Die Uberempfindlichkeit gegen den (mißverstandenen) Begriff staatlicher Gewalt ist u m so auffälliger, als sie vielfach mit einer Abstumpfung gegen unmißverständliche und rechtswidrige Privatgewalt einhergeht. Hierbei w i r d unerlaubte Gewalt nicht nur sprachlich als „Gegengewalt" verharmlost 1 7 , sondern strafrechtlich unzulässig auf Gewalttätigkeit verengt, so daß strafbare Gewaltanwendungen bei Sitzstreiks oder Blockaden überraschend als „gewaltloser Widerstand" erscheinen oder sogar als Gewaltfreiheit gefeiert werden. 4. Staat und Herrschaft Staatliche Gewalt als potestas hat auch und gerade i n der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes ihre Daseinsberechtigung. Hier ist staatliche Herrschaft demokratisch legitimiert, rechtsstaatlich kanalisiert und freiheitlich limitiert, so daß sie u m so eher akzeptiert werden kann. M i t der Ersetzung der Fürstensouveränität durch die Volkssouveränität, der Autokratie durch die Demokratie hat — wie schon die Sprache akzentuiert und für (Alt-)Sprach-lose mit „Volksdemokratie" überakzentuiert — Herrschaft nicht ihr Ende gefunden, sondern nur ihren Träger gewechselt, weshalb auch das Bundesverfassungsgericht* 8 die freiheitliche demokratische Ordnung des Grundgesetzes zu Recht als „rechtsstaatliche Herrschaftsordnung" umschreibt. Ein Staat ohne Herrschaft führt konsequent i n die Anarchie. Diesen Weg können nur Tagträumer und Staatsutopisten leugnen, die über eine proletarische Diktatur i n Negierung des Negativen zur Herrschaftslosigkeit gelangen wollen. I I . Das Besondere Gewaltverhältnis als Sonderverhältnis

1. „Obrigkeitsstaatliches

Relikt"

oder bleibende Notwendigkeit?

Ist an der Gewalt nichts Besonderes zu finden, so muß das Besondere des Besonderen Gewaltverhältnisses das besondere Verhältnis sein. Und in der Tat unterscheidet sich, dem Grundgedanken der Spezialität 19 entsprechend, das Besondere vom Allgemeinen Gewaltverhältnis 2 0 durch die speziellere Ausgestaltung bestimmter Begriffsmerkmale. So ist der „Staatsbürger i n Uniform" oder i n Sträflingskleidung eben nicht Staats17

18

Hierzu Merten,

E 2, 1 (12).

Gewaltmonopol (FN 9), S. 42 ff. (52).

19 Vgl. Stree, in: Schönke / Schröder, StGB, 21. Aufl., 1982, Vorbem. vor 52 ff., Rdnr. 110. 20 Hierzu Thoma, Der Polizeibefehl i m Badischen Recht, 1906, S. 17 ff.

Grundrechte und Besonderes G e w a l t e r h ä l t n i s

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bürger schlechthin, sondern ein mit bestimmten Pflichten und gegebenenfalls Rechten ausgestattetes Rechtssubjekt, das sich dadurch und insoweit vom „Normalbürger" abhebt. Diese Sondersituation hat bereits das Preußische Allgemeine Landrecht deutlich mit den Worten hervorgehoben, daß die M i l i t ä r - und Civilbedienten „außer den allgemeinen Unterthanenpflichten, dem Oberhaupte des Staats besondere Treue und Gehorsam schuldig" sind und daß ein jeder „nach der Beschaffenheit seines Amtes, und nach dem Inhalte seiner Instruktion, dem Staate noch zu besonderen Diensten durch Eid und Pflicht zugethan" sein muß 2 1 . Dabei wäre es wiederum nur vordergründig, auf den Unterschied zwischen dem königlichen Rock und der republikanischen Uniform, dem Eid auf den König und dem auf Staat und Verfassung, zwischen der (absoluten, aufgeklärten und konstitutionellen) Monarchie einerseits und der (demokratischen) Republik andererseits zu verweisen. Denn auf Treue und Gehorsam, Tapferkeit und Pflichterfüllung seiner Staatsdiener jenseits der allgemeinen Staatsbürgerpflichten ist auch der Staat des Grundgesetzes angewiesen, weshalb er die Treuebindung in seiner Verfassung besonders hervorhebt (Art. 33 Abs. 4, 5 Abs. 3 Satz 2 GG). Weil Vergangenheitsbeschimpfung noch keine Gegenwartsbewältigung darstellt, ist die Charakterisierung des Besonderen Gewaltverhältnisses als eines Relikts des Obrigkeitsstaates 22 nur diffus und polemisch, nicht aber prägnant und adäquat, wobei nach dem Zusammenbruch offenbar eine Distanz zur jüngsten Epoche durch Larmoyanz über vergangene Zeiten gesucht wurde. Das (demokratiestaatliche) Verdikt des (obrigkeitsstaatlichen) Relikts könnte i m übrigen mit derselben Berechtigung gegen das A m t des Bundespräsidenten als Monarchen-Surrogat, die — nur historisch erklärbare — Ausfertigung von Gesetzen 23 oder die Gegenzeichnung der Bundesregierung 24 erhoben werden. Temporale Instituts- oder Institutionenvergleiche müssen jedoch dynamisch und dürfen nicht statisch erfolgen, weil zeitliche Veränderungen auch institutionelle Mutationen bewirken. Die historische Verwurzelung i m vor-demokratischen Staat kann ebenso wenig gegen das A m t des Bundespräsidenten wie gegen das Institut des Besonderen Gewaltverhältnisses gewendet werden. Für ihre Daseinsberechtigung im demokratischen Rechtsstaat ist vielmehr maßgeblich, ob frühere Vernunft noch aktuellen Sinn gibt oder ob wegen Zeitablaufs aus Wohltat Plage wurde. Spricht das Erfordernis staatlicher Integration und Repräsentation für das A m t des Bundespräsidenten, so streitet die 21

§§ 1, 2 I I 10. So E. Becker, V V D S t R L 14, 1956, 96. 23 Vgl. i n diesem Zusammenhang A r t . 45 Satz 3 der preußischen Verfassung v o m 31. Januar 1850. 24 Vgl. A r t . 43 u n d 44 der preußischen Verfassung v o m 31. Januar 1850. 22

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Funktionsfähigkeit des Staates für das Besondere Gewaltverhältnis, dessen der Staat i m Interesse seiner Sicherheit, seiner Hoheit und seiner K u l t u r bedarf. Streitmacht und Staatsdienst, Schule und Universität, aber auch Strafvollzug sind nach allgemeiner oder zumindest nach deutscher Staatstradition unabhängig von der jeweiligen Staatsform essentielle Staatsagenden. Trotz unterschiedlicher Funktion i m einzelnen ist allen Erscheinungsformen des Besonderen Gewaltverhältnisses das gemeinsame Merkmal eigen, daß sich die davon Betroffenen in einem Sonderverhältnis zum Staat befinden. 2. Das Besondere Gewaltverhältnis

als Kunstbegriff

Unschlüssig wäre es, das Besondere Gewaltverhältnis mit dem Hinweis begraben zu wollen, es handele sich dabei nicht u m einen Verfassungs-, sondern u m einen Kunstbegriff 2 5 . Denn Verfassungsbegriffe sind ohnehin nur i m Falle einer (derogatorischen) Verfassungsänderung sterblich, und einige führen bereits hienieden ein ewiges Leben. Kunstbegriffe als Folge „juristischer Entdeckungen" 26 oder Erzeugungen sind oftmals forensisch vitaler und dogmatisch ergiebiger als Gesetzesbegriffe, wofür die „culpa i n contrahendo" 27 oder die „positive Vertragsverletzung" 2 8 anzuführen sind. Macht es doch gerade die Kunst des juristischen Abstrahierens und Systematisierens aus, über das vordergründig Konkrete mit seinen vielfältigen Einzelmerkmalen zum hintergründig Abstrakten mit seinen übergreifenden Ordnungsgrundsätzen und Wertungen zu gelangen, der unteren Schicht positiver Einzelnormen gleichsam einen theoretischen Überbau von Rechtsinstitutionen und ein Systemgewölbe aufzusetzen 29 . Obwohl beispielsweise dem Grundgesetz eine umfassende BundesGesetzgebungskompetenz für das Sozialrecht als Ganzes mangelt und es nur Teilbereiche bei der konkurrierenden Gesetzgebung aufführt 3 0 , ist es von wissenschaftlichem Interesse, das Sozialrecht als Teilgebiet des öffentlichen Rechts unter einem einheitlichen Begriff wissenschaftlich 26 Vgl. i n diesem Zusammenhang Zeizinger, Verfassungsgerichtshof u n d „besonderes Gewaltverhältnis", JB1. 1973, 191 sub I I 1; Podlech, Gewissensfreiheit (FN 11), S. 45. 28 Hierzu Dölle, Juristische Entdeckungen, Verhandlungen des 42. Deutschen Juristentages, Bd. I I / B , 1958. 27 Vgl. Dölle, a.a.O., B. 9. 28 Dölle, a.a.O., Β 15 f. 29 Vgl. i n diesem Zusammenhang Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. I, S. 8 ff.; Coing, Juristische Methodenlehre, 1972, S. 17; ders., Geschichte u n d Bedeutung des Systemgedankens i n der Rechtswissenschaft, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie u n d Zivilrecht, 1947 - 1975, Bd. I, 1982, S. 191 ff. (193 ff.). 30 Vgl. BVerfGE 11, 105 (111); a. A . Gitter, Sozialrecht, 1981, S. 26.

Grundrechte u n d Besonderes G e w a l t e r h ä l t n i s

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zusammenzufassen 81 . Dabei hängt der Wert wissenschaftlichen Systematisierens von der unmittelbaren rechtlichen Relevanz der gefundenen Begriffe und Rechtsinstitute nicht entscheidend ab. So ist der Begriff des Maßnahmegesetzes unabhängig von seiner verfassungsrechtlichen Bedeutung 82 für die Gesetzestypologie wichtig — abgesehen davon, daß die Unterscheidung zwischen einer klassischen Kodifikation und einem hektisch erarbeiteten, von tagespolitischen Zeit- und Sachzwängen diktierten „Wegwerf-Gesetz" 33 auch für die Interpretation, insbesondere für die Würdigung von Lücken, bedeutsam sein kann. Wegen des die Wissenschaft konstituierenden Elements der Freiheit und Unabhängigkeit muß auch die These, kraft verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses gebe es keine Besonderen Gewaltverhältnisse mehr 3 4 , relativiert und limitiert werden. Was für den Staat und seine Organe i m Interesse der Verfassungsstaatlichkeit verbindlich werden muß, hat für die Wissenschaft u m ihrer Eigengesetzlichkeit und ihres Wahrheitsauftrags willen unverbindlich zu bleiben. 3. Vieldeutigkeit

des Begriffs?

Gängige Einwände gegen den Begriff des Besonderen Gewaltverhältnisses sind Konturenlosigkeit und Blankettcharakter, die beliebiges Ausfüllen zuließen. Gewiß hat das Besondere Gewaltverhältnis erst i m Laufe der Zeit konkrete Gestalt angenommen 35 , und ordnete ihm noch Otto Mayer 8 6 ζ. B. die Staatsangehörigkeit zu. Allmählich hat die Dogmatik jedoch ein Rechtsinstitut m i t fest umrissenem und anerkanntem Inhalt geformt, dem selbst Unebenheiten i n Randzonen nichts anhaben. Da die an das Rechtsinstitut geknüpften Rechtsfolgen unter dem Grundgesetz nur für die verfassungsrechtlich anerkannten Besonderen Gewaltverhältnisse gezogen werden 3 7 , konnte es auch nicht Gefahr 31 Vgl. Merten, A r t . Sozialrecht, Sozialpolitik, in: Handbuch des Verfassungsrechts, 1983, S. 765. 32 Vgl. BVerfGE 25, 371 (396); Forsthoff, Über Maßnahmegesetze, in: Forschungen u n d Berichte aus dem öffentlichen Recht, Jellinek-Gedächtnisschrift, 1955, S. 221 ff. 33 E i n typisches Beispiel hierfür ist das Zweite Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2. Haushaltsstrukturgesetz) v o m 22.12.1981 (BGBl. I S. 1523). Das Gesetz enthält eine Fülle v o n Systemwidrigkeiten, Ungereimtheiten u n d Fehlerhaftigkeiten. Mehrere Regelungen muß ten schon bald nach I n k r a f t t r e t e n des Gesetzes wieder aufgehoben werden. 34 So Benda, a.a.O. (FN 1). 35 Hierzu grundlegend Loschelder, V o m besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 1 ff.; vgl. ferner Ludwig Wenninger, Geschichte der Lehre v o m besonderen Gewaltverhältnis, 1982, passim. 36 Z u r Lehre v o m öffentlichen Vertrag, AöR I I I , 1888, S. 54. 37 Vgl. statt aller v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. I, 1957, Vorbem. Β X V I 4 S. 137.

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laufen, zum trojanischen Pferd für Rechtsstaatlichkeit oder Freiheit zu werden. So hat sich auch das Bundesverfassungsgericht dieses Instituts i n der Argumentation bedient 8 8 , bis es i n einer späten Kehrtwende — dreiundzwanzig Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes — davon abrückte und selbst dann noch eine Ubergangsfrist einräumte 3 9 . 4. Besonderes Gewaltverhältnis

als Rechtsverhältnis

Zur bewährten Polemik gegen das Rechtsinstitut gehört es, das Besondere Gewaltverhältnis als rechtsfreien Raum 4 0 m i t „beliebiger" und „unerträglicher" Grundrechtsrelativierung 4 1 darzustellen. Hinter der Unrichtigkeit und Undifferenziertheit dieser Argumentation w i r d die gängige Vorliebe deutlich, Feindbilder u m so dunkler und bedrohlicher zu zeichnen, je müheloser man sie liquidieren möchte. Der durch Rechtsherrschaft ausgezeichnete Rechtsstaat kann — beinahe begriffsnotwendig 42 — keine rechtsfreien Räume mit beliebigem oder willkürlichem Zugriff dulden. Geschichte und Lehre des Besonderen Gewaltverhältnisses werden gründlich verkannt, wenn mißverstandene „Gewalt" eine Gegensätzlichkeit von Gewaltverhältnis und Rechtsverhältnis konstruieren soll. Bereits das Preussische Allgemeine Landrecht kennt die Titelüberschrift „Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staats" 43 , und seit Beginn des 19. Jahrhunderts erlassen fast alle deutschen Staaten Staatsdienergesetze 44 , so daß die These von der Rechtlosigkeit historisch in sich zusammenfällt. Wie theoretisch unhaltbar sie ist, zeigen die Darlegungen Thomas 45 , der schon i n der politologisch unpräzis als „obrigkeitsstaatlich" bezeichneten Epoche das Gewaltverhältnis als ein „Rechtsverhältnis" umschreibt, „kraft dessen eine Person gewissen Anordnungen einer andern Person Folge leisten muß". Sowohl das Allgemeine als auch das Besondere Gewaltverhältnis sind demnach Rechtsverhältnisse 46 . Nur weist das letztere gegenüber dem 38

Vgl. BVerfGE 15, 288 (293). BVerfGE 33, 1 (13). 40 Vgl. die abweichende Meinung des Bundesverfassungsrichters Hirsch zum Beschluß des Zweiten Senats v o m 5. 2.1981 (BVerfGE 57, 182 ff., 183): „Das Vorherrschen dieser D o k t r i n hat die Schaffung von rechtlichen Grundlagen für den Strafvollzug verzögert." 41 BVerfGE 33, 1 (10, 11). 42 Es sei denn, daß die Verfassung den Herrschaftsanspruch des Rechtsstaats selbst zurücknimmt, w i e sie es für die Begnadigung als „Sicherheitsv e n t i l " für Ausnahmefälle getan hat. Hierzu Merten, Rechtsstaatlichkeit und Gnade, 1978, S. 61 f., 75 f.; vgl. ferner Bachof, Über Fragwürdigkeiten der Gnadenpraxis u n d der Gnadenkompetenz, JZ 1983, 469 ff. 43 T e i l I I , T i t e l 10. 44 Vgl. Hattenhauer, Geschichte des Beamtentums, 1980, S. 236 ff. 45 Der Polizeibefehl i m Badischen Recht, 1906, S. 19. 39

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ersteren besondere Merkmale auf, wie beispielsweise auch die Ehe als (vertraglich begründetes) Rechtsverhältnis i m Vergleich mit anderen Sondercharakter hat. Rechtsexemtion kann auch nicht denjenigen Besonderen Gewaltverhältnissen vorgehalten werden, die wie das Schul- oder das Strafvollzugsverhältnis traditionell nicht durch formelle Gesetze, sondern durch Verwaltungsvorschriften ausgestaltet waren. Denn Verwaltungsvorschriften sind Teil der objektiven Rechtsordnung und keineswegs „Nicht-Recht". Als rechtsverbindliche, generell-abstrakte Regelungen wenn auch mit einem auf den staatlichen Innenbereich beschränkten Adressatenkreis zählen sie grundsätzlich 47 zu den Rechtsnormen 48 . Gesetzesfreiheit bedeutet also noch nicht Rechtsfreiheit und darf nicht mit ihr gleichgesetzt oder verwechselt werden. 5. Begriffsersetzungen Nach allem erweist sich der Streit um den Begriff des Besonderen Gewaltverhältnisses als wissenschaftlich weder fruchtbar noch originell. Terminologische Reformen wurden bereits i n der Weimarer Republik vorgeschlagen 40 , so daß sich die wissenschaftliche Lehre mitschwingender Mißverständnisse 50 schon lange bewußt war, bevor das Bundesverfassungsgericht den Totenschein für diesen Begriff ausstellte. Aber möglicherweise lag dem Attest nur ein Scheintod zugrunde, weil das totgesagte Institut fortexistiert und i h m nicht nur Lebensfähigkeit, sondern auch Lebensnotwendigkeit bescheinigt werden 5 1 . Allerdings w i r d das Besondere Gewaltverhältnis nun vielfach unter anderen Namen geführt, die das Rechtsinstitut jedoch nicht präziser und anschaulicher erfassen. Das gilt zunächst für den Begriff des „Sonderrechtsverhältnisses" 52 , der nur deutlich macht, daß i n den Rechtsbeziehungen zwi46 Hierzu Lorenz, Allgemeiner T e i l des deutschen Bürgerlichen Rechts, 4. Aufl., 1977, § 12, S. 161 ff. 47 Nicht jedoch i m Sinne v o n A r t . 2 EGBGB; vgl. Merten / F. Kirchhof, in: Staudinger, 12. Aufl., A r t . 2 EGBGB, Rdnr. 34. 48 Vgl. Bettermann, Die Bindung der Sozialbehörden an Gesetz u n d Recht, in: Rechtsschutz i m Sozialrecht, 1965, S. 58; Hans H. Klein, Rechtsqualität u n d Rechtswirkung v o n Verwaltungsnormen, Festgabe für Ernst Forsthoff, 1967, S. 173; Rupp, JuS 1975, 612; Ossenbühl, Die Quellen des Verwaltungsrechts, in: Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., 1983, § 7 I V 3, S. 87 ff.; Merten, Das System der Rechtsquellen (V), Jura 1981, 236 ff. (240); BVerfGE 40, 237 (255). 49 So v o n Ule („besonderes Pflichtenverhältnis"), siehe unten F N 55; ähnlich schon Reichsminister Dr. Preuß, siehe unten i n u n d zu F N 69; Carl Schmitt („Sonderstatus"), Verfassungslehre, 4. Aufl., 1965, S. 182. 50 Ä h n l i c h auch Schnapp, Amtsrecht u n d Beamtenrecht, 1977, S. 64. 51 Vgl. beispielsweise Ronellenfitsch, Das besondere Gewaltverhältnis —« ein zu f r ü h totgesagtes Rechtsinstitut, DÖV 1981, 933 ff. 52 Maunz / Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 25. Aufl., § 20 I I 3, S. 165.

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sehen den beteiligten Rechtssubjekten besonderes Recht gilt, was aber auch für den Sozialmieter oder den Sozialhilfeempfänger angeführt werden kann. Auch die Umschreibung als „Sonderstatusverhältnis" 58 trifft das Rechtsinstitut nicht exakt, da ζ. B. auch Botschafter oder Abgeordnete wegen ihrer unterschiedlich ausgestalteten Immunität einen Sonderstatus innehaben. Noch blasser ist der Ausdruck „Sonderverhältnis" 5 4 . Die von Ule 5 5 schon früh vorgeschlagene Umbenennung i n „besonderes Pflichtenverhältnis" erfaßt sicherlich ein wesentliches Element des Rechtsinstituts, da den Betroffenen über die allgemeinen Staatsbürgerpflichten hinaus zusätzliche und besondere Pflichten auferlegt werden. Aber i n der Begründung von Pflichten erschöpft sich das Besondere Gewaltverhältnis nicht, weil es dem Staat als dem an diesem zweiseitigen Rechtsverhältnis Beteiligten nicht nur Rechte verleiht, sondern auch i h m Pflichten zuweist. Das w i r d beispielhaft i m Beamtenverhältnis als einem gegenseitigen Dienst- und Treueverhältnis deutlich, i n dem der Staat dem Grundsatz Treue u m Treue entsprechend nicht nur Hingabe verlangen darf, sondern auch Fürsorge gewähren muß 5 6 . Die Betonung der besonderen Rechte der „Gewalt"-Unterworfenen ist — so paradox dies scheinen mag — gerade dem demokratischen Staat gegenüber erforderlich, weil dieser weitaus stärker als der geschmähte „Obrigkeitsstaat" vom Mehrheitswillen und damit von Zeitströmungen und Modemeinungen abhängig und so versucht ist, der Emotionalität zu Lasten der Rationalität nachzugeben 57 . Erschöpfte sich der Streit u m das Besondere Gewaltverhältnis i m Terminologischen, so könnte er als Begriffsstürmerei und Wortpedanterie abgetan werden. Die Zählebigkeit des Instituts, aber auch die Versuche einer Begriffsersetzung weisen jedoch auf eine über den bloßen Begriff hinausgehende Bedeutung hin, die sich insbesondere bei dem Problem der Grundrechtsbeschränkungen i m Besonderen Gewaltverhältnis zeigt.

53 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 13. Aufl., 1982, § 10 I I I , Rdnr. 321 ff.; ebenso schon Carl Schmitt, a.a.O. (FN 51). 54 Vgl. Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., 1979, § 32 I V c 3, S. 212; kritisch auch Schnapp (FN 50), S. 64. 55 Das besondere Pflichtenverhältnis u n d der Wandel der Staatsidee, RVerwBl. 1934, 649 ff.; vgl. dens., V V D S t R L 15, 1957, 144. 56 Vgl. statt aller BVerfGE 9, 268 (286). 67 Dies zeigt sich beispielsweise i n der (populären) Auferlegung v o n Sonderopfern für Beamte. Hierzu Merten, Treulosigkeit bei leeren Kassen?, Die Fortbildung, 1983, 75 ff.

Grundrechte u n d Besonderes Gewaltverhältnis

63

B. Die grundrechtsdogmatische Bedeutung des Besonderen Gewaltverhältnisses I . Die Grundrechte und ihre Gesetzesvorbehalte 1. Beschränkungsermächtigung

und

Beschränkungsmodalität

Außer i m Verwaltungsprozeß ist das Besondere Gewaltverhältnis vor allem für die Grundrechtsdogmatik von Interesse. Der Staat als Grundrechtsverpflichteter bedarf der Gewißheit, ob die von der Funktion des jeweiligen Besonderen Gewaltverhältnisses geforderten Grundrechtsbeschränkungen mit den Gesetzesvorbehalten der Einzelgrundrechte vereinbar sind oder ob das Rechtsinstitut als solches gegebenenfalls zusätzliche Beschränkungen gestattet. Für den i n ein Besonderes Gewaltverhältnis eingegliederten Bürger als Grundrechtsberechtigten stellt sich die korrespondierende Frage, i n welchem Umfange ihm die i m Allgemeinen Gewaltverhältnis geltenden Grundrechte auch i m Besonderen Gewaltverhältnis zustehen und ob, inwieweit und wodurch der Staat erforderlichenfalls zusätzliche Beschränkungen erlassen darf. Beide Aspekte zeigen übereinstimmend, daß vor der Beschränkungsmodalität die Beschränkungsermächtigung, vor dem „Wie" das „Ob" der Begrenzung zu prüfen ist. Denn da die Grundrechte die Freiheitssphäre des Bürgers schützen und für i h n Freiheitsräume aussparen 58 , ist i n erster Linie entscheidend, ob der Staat den Freiheitsraum überhaupt einengen darf und erst i n zweiter Linie von Interesse, welche Staatsgewalt gegebenenfalls beschränkungsbefugt ist. „Quae sit actio", nicht „qui sit auctor" muß die Eingangsformel für die Prozedur von Grundrechtsbeschränkungen lauten. Nur auf den auctor legis stellt jedoch das Bundesverfassungsgericht 59 , ab, wenn es den rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes auf den Bereich der Besonderen Gewaltverhältnisse erstreckt und damit die auctoritas des parlamentarischen Gesetzgebers verstärkt. Auf dessen Zuständigkeit kann es jedoch nur sekundär ankommen, weil die Grundrechte als System von grundsätzlicher Freiheitsverbürgung und spezieller Beschränkungsermächtigung primär einen materiell-rechtlichen Passierschein der beschränkenden Staatsgewalt erheischen und nur bei dessen Existenz unter den beschränkenden Staatsgewalten selektieren. I m Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung schützen die Grundrechte gerade auch gegen den parlamentarischen Gesetzgeber, der bür58 Hierzu Merten, Handlungsgrundrechte als Verhaltensgarantien — zugleich ein Beitrag zur F u n k t i o n der Grundrechte —, in: V e r w A r c h 73, 1982, 103 ff. (104 ff.). 59 Vgl. BVerfGE 33, 1 (11).

64

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gerliche Freiheiten längst nicht mehr nur behütet, sondern auch gefährdet, und w i r d die „Selbstherrlichkeit" der Legislative konstitutionell limitiert und justitiell kontrolliert. Da die Weimarer Grundrechte auf die Exekutive zielten 6 0 , wäre eine Einbeziehung der Besonderen Gewaltverhältnisse i n den Grundrechtsschutz durch Beseitigung des „Hausguts der Exekutive" ein voller Sieg gewesen. Unter dem Grundgesetz bleibt sie zunächst ein Unentschieden, wenn und soweit nicht nachweisbar ist, daß trotz der Absage an das Besondere Gewaltverhältnis die für das Allgemeine Gewaltverhältnis konzipierten grundrechtlichen Schranken und Beschränkungsmöglichkeiten für die Sonderverhältnisse ausreichen und deren Funktionieren ermöglichen. 2. Der „Schrankenwirrwarr"

des Grundrechtskatalogs

Dem Grundgesetz mangelt ein systematisches Konzept der Grundrechte sowie ihrer Schranken und Schrankenvorbehalte. So ist der Grundrechtskatalog weniger Kodifikation als Addition einzelner historisch gefährdeter Freiheiten 6 1 , sind demzufolge auch die grundrechtlichen Beschränkungsmöglichkeiten nicht aufeinander abgestimmt, was daran deutlich wird, daß das Recht auf Leben unter einfachem Gesetzesvorbehalt steht (Art. 2 Abs. 2 GG), der künstlerischen Freiheit dagegen keine ausdrücklichen Schranken gezogen sind (Art. 5 Abs. 3 GG). Trotz fehlenden Schrankensystems und vorhandenen „Schrankenwirrwarrs" 6 2 kann jedoch wegen der Positivität der Grundrechte i n einer als Verfassungsgesetz und nicht als bloßes Verfassungsprogramm konzipierten Konstitution über die jeweiligen Gesetze&vorbehalte bei den Einzelgrundrechten und die Differenzierung zwischen uneinschränkbaren Grundrechten, Grundrechten mit qualifizierten und solchen mit einfachen Gesetzesvorbehalten nicht einfach hinweggegangen werden. So kann den Grundrechten nicht von vornherein ein begrifflicher „Gemeinschaftsvorbehalt" unterstellt werden, wonach durch ihre Inanspruchnahme nicht „die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden" dürfen 6 3 . Ebenso wenig darf ohne weiteres auf die Schrankentrias der allgemeinen Handlungsfreiheit zurückgegriffen werden, weil dann insbesondere die Schranke der „verfas60

Vgl. statt aller Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, A r t . 1 Abs. 3, Rdnr. 103 ff. Vgl. G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 1905, S. 95 f.; dens., Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., S. 419; Dürig, in: Maunz / Dürig, GG, A r t . 2 Abs. 1, Rdnr. 4 u n d 8; dens., JZ 1957, 171; Scheuner, DÖV 1967, 590; dens., V V D S t R L 22, 1965, 45 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 13. Aufl., 1982, § 9 I I I , Rdnr. 300. 62 Bettermann, Grenzen der Grundrechte, 1968, S. 3. 63 BVerwGE 1, 48 (52); vgl. ferner E 1, 92 (94); 269 (270); 303 (307); 2, 89 (94); 295 (300); 345 (346); 3, 21 (24); 4, 95 (96); 167 (171); 5, 153 (159); kritisch Bachof, JZ 1957, 337; Dürig, in: Maunz / Dürig, A r t . 2 Abs. 1, Rdnr. 70. 61

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65

sungsmäßigen Ordnung" als allgemeiner Rechtsvorbehalt die unterschiedlichen Gesetzesvorbehalte der Einzelgrundrechte nicht nur nivellierte, sondern erübrigte 6 4 . Daher hat es das Bundesverfassungsgericht 65 zu Recht abgelehnt, vor allem die nach dem Verfassungswortlaut vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte den Schranken des A r t . 2 Abs. 1 GG auszuliefern. Andererseits ist es wegen der Unzulänglichkeit des Grundrechtswortlauts und zur Vermeidung absurder Ergebnisse unabweisbar, durch subtile Auslegung der Einzelgrundrechte nicht genannte, ihnen aber „immanente" Schranken und schließlich ein System allgemeiner Grundrechtsschranken zu gewinnen 6 6 , wobei trotz der Systemlosigkeit des Grundrechtskatalogs die systematische Interpretation auch für die Grundrechtsauslegung zur Verfügung steht 67 . I I . Besonderes Gewaltverhältnis als zusätzliche Beschränkungsermächtigung?

1. Besonderes Gewaltverhältnis und immanente Grundrechtsschranken a) Die i m Grundgesetz zumindest mittelbar verankerten Besonderen Gewaltverhältnisse wurden nach früher wohl herrschender Ansicht als immanente Grundrechtsschranken angesehen, die über die ausdrücklichen Gesetzesvorbehalte hinaus die zur Erreichung des jeweiligen Zwecks erforderlichen Grundrechtsbeschränkungen zuließen 68 . Auch i n der Weimarer Republik hatte man die i m Allgemeinen Gewaltverhältnis geltenden Grundrechte i m Besonderen Gewaltverhältnis nicht oder nicht i n vollem Umfang für anwendbar gehalten. Hatte man bei den Verfassungsberatungen anfangs i m Hinblick auf die grundrechtlichen Konsequenzen einen besonderen Vorbehalt für diese Verhältnisse „unbeschadet der allgemeinen Grundrechte" erwogen, so sah man dann mit dem Hinweis davon ab, daß „die Grundrechte eine(r) . . . Regelung der besonderen Pflichtverhältnisse durch die Spezialgesetze . . . nicht präjudizieren solle(n)" 69 . Durch Spezialverfassungsnorm m i t Vereinigungs64

Vgl. Merten, JuS 1976, 347. BVerfGE 30, 173 (192); 32, 98 (107 f.); 33, 23 (29). ββ Vgl. Merten, a.a.O. 67 Vgl. Hesse, Grundzüge, a.a.O., Rdnr. 301. 68 Vgl. v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. I, 1957, Vorbem. Β X V I , S. 133 ff. (S. 136 f.); Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, 1979, S. 251 ff. (252); Ule, öffentlicher Dienst, in: Die Grundrechte, Bd. I V , 2 (1962), S. 615 ff. 69 Reichsminister Dr. Preuß, in: Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, 1919/20, S. 504. 65

5 Speyer 97

66

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freiheit und Freiheit der politischen Gesinnung bedacht (Art. 130 Abs. 2 WRV), wurde den Beamten die Berufung auf die (allgemeine) Meinungsäußerungsfreiheit des A r t . 118 WRV von Rechtsprechung und Literatur versagt 7 0 . Dieses Grundrecht fand nach Auffassung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts 71 beim Beamten seine Schranke „ i n den Pflichten, die i h m sein A m t auferlegt, vorzüglich i n der Treu- und Gehorsamspflicht, die es i h m verbietet, von diesem Recht einen gleich weitgehenden Gebrauch zu machen, wie es anderen Staatsbürgern gestattet ist, die nicht unter dem Zwange der i m allgemeinen, öffentlichen Interesse notwendigen Dienstzucht stehen". b) Aus der späteren Einfügung des A r t . 17 a i n das Grundgesetz lassen sich keine Argumente gegen das Besondere Gewaltverhältnis als immanente Grundrechtsschranke herleiten. Denn die neue Verfassungsbestimmung sollte nur Klarstellungsfunktion haben, so daß sich Umkehrschlüsse verbieten. Nicht weil man der Lehre vom Besonderen Gewaltverhältnis entsagen wollte, sondern weil eine Minderheit i m Rechtsausschuß des Bundestages das Wehrdienstverhältnis wegen Fehlens einer dem A r t . 33 Abs. 5 GG entsprechenden Vorschrift nicht als verfassungsrechtlich hinreichend gegründet ansah, wurde der Verfassungszusatz geschaffen 72 . Streitgegenstand war also das Vorfinden oder Erfinden des Wehrdienstverhältnisses als eines Besonderen Gewaltverhältnisses, nicht dessen grundrechtseinschränkende Funktion. Anderenfalls hätte man auch verfassungsergänzende Vorkehrungen für die übrigen Besonderen Gewaltverhältnisse treffen müssen. Das Grundgesetz hat aber die Grundrechtsbeschränkungen i m Besonderen Gewaltverhältnis weder bei seinem Entstehen noch anläßlich späterer Verfassungsergänzungen umfassend und abschließend, sondern nur vereinzelt und beiläufig geregelt. So findet sich wegen der Rezeption des A r t . 141 WRV eine Aussage über die religiöse Kultfreiheit „ i m Heer, i n Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten" und wegen der aus historischen Gründen naheliegenden A b sage an die Zwangsarbeit die Unbedenklichkeitserklärung für eine solche i m Falle gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung. 2. Verfassungserwähnungen

als

Beschränkungsermächtigung?

Da, wie bei der Einfügung des A r t . 17 a GG deutlich geworden, n u r verfassungsgesetzlich anerkannte Besondere Gewaltverhältnisse 70 Vgl. statt aller Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl., 1933, A r t . 138, A n m . 1, S. 604. 71 J W 1927, 2867. 72 Vgl. den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Rechtswesen u n d V e r fassungsrecht, BT-Drucks. 11/2150, S. 2; hierzu auch Dürig, in: M a u n z / D ü r i g , GG, A r t . 17 a, Rdnr. 18 ff.

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67

zu Grundrechtsbeschränkungen ermächtigen, könnten Gegner dieses Rechtsinstituts versucht sein, bereits i n den Verfassungserwähnungen als solchen die Ermächtigung zu Grundrechtsbeschränkungen zu sehen, so daß sie geschriebene Schranken vorweisen könnten und sich nicht auf ungeschriebene Schranken zurückziehen müßten. Das Streichen der grundrechtsbeschränkenden Funktion Besonderer Gewaltverhältnisse verkürzt zwar die Deduktion, führt aber dementsprechend auch zu einer Kurzschluß-Argumentation. Denn die verfassungsgesetzliche Verankerung muß nur so stark sein, daß sich daran die i n der Regel aus der historischen Entwicklung bekannten einzelnen Besonderen Gewaltverhältnisse festmachen lassen. Der Grundgesetz-Anker ist aber vielfach nicht so fest und muß es auch nicht sein, daß er den Anforderungen für Grundrechtsschranken und -beschränkungsermächtigungen standhält. a) Dies gilt zunächst, wenn aus den legislatorischen Kompetenzbestimmungen eine Verfassungserwähnung Besonderer Gewaltverhältnisse entnommen wird, wie dies für das Strafgefangenenverhältnis durch Hinweis auf A r t . 74 Nr. 1 GG („Strafvollzug") geschieht 73 . Zunächst statuieren Kompetenzregelungen nur Gesetzgebungsrechte, nicht aber Gesetzgebungspflichten des Kompetenzträgers 74 . Des weiteren und vor allem berechtigen sie aber nicht zu Grundrechtsbeschränkungen, die über die bereits vorhandenen expliziten oder immanenten, geschriebenen oder ungeschriebenen Schranken und Schrankenvorbehalte hinausgehen. Die Grundrechte des Grundgesetzes werden nicht nach Maßgabe der Kompetenzvorschriften gewährleistet, vielmehr darf umgekehrt die Gesetzgebung auf Grund der einzelnen Gesetzgebungsbefugnisse nur i m Rahmen der grundrechtlichen Beschränkungsmöglichkeiten ausgeübt werden. So darf der Bundesgesetzgeber die Freizügigkeit, das Vereins- oder Versammlungsrecht nicht schon wegen seiner Gesetzgebungskompetenz aus den A r t . 73 Nr. 3, 74 Nr. 3 GG, sondern nur unter Respektierung der durch die Grundrechte der A r t . 8, 9 und 11 abgesteckten Freiheitsräume begrenzen. Anderenfalls würden die i n wesentlichen Bereichen auch gesetzesfesten Grundrechte wegen der materiell weitgehend uniimitierten Kompetenzregelungen gesetzesfrei werden und damit leerlaufen. Die Kompetenzbestimmungen enthalten weder Einrichtungsgarantien irgendwelcher A r t noch Gesetzgebungsaufträge 7 5 . Infolgedessen berechtigt die Gesetzgebungskompetenz für die 78

Hesse, Grundzüge (FN 53), § 10, Rdnr. 323, S. 130. Vgl. Merten, Landesgesetzgebungspflichten k r a f t Bundesrahmenrechts?, in: Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, 1984, sub V 1 m i t weiteren Nachweisen. 75 Vgl. i n diesem Zusammenhang Pestalozza, Der Garantiegehalt der K o m petenznorm, in: Der Staat, 11, 1972, 161 ff.; Thomas Wülfing, Grundrechtliche 74

5*

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„Verhütung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht" (Art. 74 Nr. 14 GG) nicht zu grundrechtlich ungedeckten oder gar verbotenen Freiheitsbeschränkungen 76 . Aufgabe der grundgesetzlichen Kompetenzbestimmungen ist die Verteilung der Gesetzgebungsbefugnisse zwischen Bund und Ländern i m Bundesstaat. Für die Grundrechte haben sie nur Ergänzungsfunktion und auch dies nur i n formeller Hinsicht, da sie die vom Grundrechtskatalog — anders als i n der Weimarer Reichsverfassung 77 — offen gelassene Frage, ob Bund oder Länder von dem jeweiligen Gesetzesvorbehalt Gebrauch machen dürfen, beantworten. Grundrechtliche Beschränkungsermächtigungen können i n die Kompetenzvorschriften auch deshalb nicht hineininterpretiert werden, weil das Fehlen bestimmter Sachgebiete (z. B. Polizeirecht, Schulrecht) anderenfalls zu Mißverständnissen führte. Bedeutet es i n Wirklichkeit eine Zuweisung der Gesetzgebungsbefugnis an die Länder (arg. A r t . 70 Abs. 1 GG), so müßte eine Theorie der materiellrechtlichen Aufladung daraus die Konsequenz einer Ablehnung bestimmter Institutionen oder die Leugnung der polizeirechtlichen Generalklausel als allgemeiner Grundrechtsschranke ziehen 7 8 . Nach allem kann eine Gesetzgebungsbefugnis für den „Strafvollzug" das Problem der Grundrechtsbeschränkung i m Strafgefangenenverhältnis nicht lösen. b) Auch Verfassungserwähnungen Besonderer Gewaltverhältnisse an anderen Stellen des Grundgesetzes mangelt vielfach eine schrankenspezifische Aussagekraft. So reichen A r t . 7 Abs. 1 und A r t . 5 Abs. 3 GG für eine verfassungsrechtliche Anerkennung der Schul- und Hochschulverhältnisse als Besonderen Gewaltverhältnissen zwar aus, eignen sich jedoch nur i n geringem Umfang als Schranken oder Beschränkungsmöglichkeiten. A r t . 7 gibt außer einer verfassungsunmittelbaren Schranke für das elterliche Erziehungsrecht für Grundrechtsbeschränkungen i m Schul Verhältnis nichts her. Unmittelbar läßt sich mit dieser Grundrechtsbestimmung ζ. B. keine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit für Schüler begründen, die dieses Grundrecht i n einer Zeit abnehmender Formulierungsfähigkeit zunehmend m i t Hilfe vorformulierter Meinungsplaketten ausüben.

Gesetzesvorbehalte u n d Grundrechtsschranken, 1981, S. 116 ff.; Bleckmann, Z u m materiellrechtlichen Gehalt der Kompetenzbestimmungen des Grundgesetzes, DÖV 1983, 129 ff. u n d S. 808 f.; Andreas Menzel, DÖV 1983, 805 ff. 78 Dies gegen Bleckmann, DÖV 1983, 130. 77 Vgl. z.B. A r t . 111, 112 Abs. 1, 117, 123 Abs. 2, 128 Abs. 3, 151 Abs. 3, 156, 157 W R V . 78 Hierzu Dürig, i n : Maunz / D ü r i g , GG, A r t . 2 Abs. 1, Rdnr. 79 ff.; Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 19 ff.

Grundrechte u n d Besonderes Gewaltverhältnis

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c) Sieht man die verfassungsrechtliche Anerkennung des Strafgefangenenverhältnisses nicht i n A r t . 74 Nr. 1 GG, sondern i n den Art. 104, 2 Abs. 2 GG 7 9 , so lassen sich mit dem a maiore-Argument diejenigen Grundrechte beschränken, deren Ausübung die uneingeschränkte Freiheit der Person voraussetzen, wie dies bei der Bewegungsfreiheit, der Ausreisefreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), dem Aufenthaltswechsel (Art. 11 GG) oder bestimmten Erscheinungsformen der religiösen Kultfreiheit, ζ. B. Wallfahrten (Art. 4 Abs. 2 GG), der Fall ist. Dagegen lassen sich allein m i t der Freiheitsentziehung Beschränkungen der Versammlungsfreiheit i n geschlossenen Räumen (Art. 8 Abs. 1 GG), der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), der Ausübung der ehelichen Gemeinschaft in der Strafanstalt (Art. 6 Abs. 1 GG) oder der Petitionsfreiheit (Art. 17 GG) nicht rechtfertigen. d) Von allen verfassungsrechtlichen Verankerungen eines Besonderen Gewaltverhältnisses scheint A r t . 33 Abs. 5 GG noch am ehesten geeignet zu sein, als unmittelbare Grundlage für Beschränkungsermächtigungen zu dienen. Als Gesetzgebungsauftrag m i t dem Gebot einer Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums ausgestaltet, leitet sich aus der Bestimmung einerseits eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums ab und folgen aus i h r andererseits — jedenfalls hinsichtlich des Kernbestandes der hergebrachten Grundsätze — mittelbar Rechte und Pflichten des Beamten, die grundrechtsähnlichen bzw. grundpflichtenähnlichen Charakter haben. Sie bedürfen zwar einer gesetzlichen Regelung, sind aber wegen der Reduzierung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit letztlich von der Verfassung vorgegeben. Somit enthält A r t . 33 Abs. 5 GG nicht nur eine Beschränkungsermächtigung, sondern auch eine Beschränkungsverpflichtung und gibt sogar bestimmte Rechte und Pflichten von Verfassungs wegen über einen Transformationsauftrag an den Gesetzgeber vor. Als hergebrachte Pflichten des Berufsbeamten sind vor allem die Dienst- und Treuepflicht 8 0 grundrechtsrelevant. I m Unterschied zur Treuepflicht ist die Dienst- und die aus i h r resultierende Gehorsamspflicht des Beamten jedoch so unbestimmt, daß sie allein noch nicht für Grundrechtsbeschränkungen ausreichen kann. Denn ob dem kasernierten Polizeibeamten zeitweise eine Eheschließung untersagt werden 8 1 , dem beamteten Arzt ein Aufenthalt i n der Nähe des Dienstortes auch i n der dienstfreien Zeit angewiesen, dem Professor ein bestimmter Lehrinhalt geboten, der Lehrer am Rauchen i n der Schule gehindert 79 80 81

BVerfGE 33, 1 (9 f.). Vgl. Ule, Öffentlicher Dienst (FN 68), S. 571 ff. Vgl. Ule, a.a.O., S. 623 f.

70

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oder dem Feuerwehrmann eine Gefährdung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit auferlegt werden darf, ist nicht unmittelbar aus A r t . 33 Abs. 5 GG zu entnehmen. Wenn die Dienstpflicht jegliche Grundrechtsbeschränkung legitimieren könnte, würden die Grundrechte des Beamten letztlich nur nach Maßgabe des Beamtenrechts gelten. Somit zeigt sich, daß auch i m Beamtenverhältnis von dem Rechtsinstitut des Besonderen Gewaltverhältnisses als einer immanenten Grundrechtsschranke nicht abzugehen ist. A u f diese Weise w i r d die Geltung der Grundrechte i m Beamtenverhältnis gewährleistet, gleichzeitig aber sichergestellt, daß die i m Interesse des Zwecks und der Funktion des einzelnen Dienstverhältnisses liegende, am Maßstab der Erforderlichkeit gemessene Grundrechtsbeschränkung möglich ist. Der Zweck des jeweiligen Dienstverhältnisses und die Erforderlichkeit i m konkreten Rahmen garantieren eine stärkere Limitierung der Grundrechtsbeschränkung, als es die abstrakte Dienstpflicht vermöchte. Stärker als die statische, weil an den „hergebrachten" Pflichten ausgerichtete Beschränkung unmittelbar auf Grund des A r t . 33 Abs. 5 GG, sichert die Funktionsorientiertheit i m Besonderen Gewaltverhältnis eine dynamische und damit freiheitsfreundlichere Begrenzung. Sinkt beispielsweise die Arbeitszeit für Beamte und steigt damit die Freizeit über das zur Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitskraft notwendige Maß, so kann das aus A r t . 2 Abs. 1 GG folgende Recht auch zur entgeltlichen Nebentätigkeit nur i n geringerem Maße als früher und schon gar nicht unter Hinweis auf die Situation des Arbeitsmarkts beschränkt werden. 3. Das Schranken-Dilemma

des

Bundesverfassungsgerichts

a) Durch die Leugnung des Besonderen Gewaltverhältnisses als Rechtsinstituts hat sich das Bundesverfassungsgericht i n ein — anfangs womöglich nicht einmal erkanntes — Schranken-Dilemma gebracht 82 . Denn einerseits spricht es den Grundrechten, auch soweit sie ohne jeden Gesetzesvorbehalt garantiert sind, eine schrankenlose Geltung zu Recht ab 8 3 . Andererseits hat es mit der Verbannung des Besonderen Gewaltverhältnisses auch dessen Funktion als immanente Beschränkungsermächtigung beseitigt, obwohl der verfassungsrechtliche Bannspruch zunächst nur die Form, nicht die Ermächtigung des Grundrechtseingriffs vor Augen hatte. Ein Ausweg aus dem nun entstandenen Schranken-Irrgarten ist nur dadurch möglich, daß das Gericht entweder die Grundrechtsschranken allgemein, und zwar auch für die Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt oder mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt, aus82

Vgl. auch Hesse, Grundzüge (FN 53), S. 132, Fußnote 26. BVerfGE 49, 24 (56); 28, 243 (261); 30, 173 (179); vgl. auch BVerwGE 202 (209). 83

49,

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weitet oder daß es i m Wege einer verfassungsrechtlichen Ganzheitsbetrachtung das zur Vordertür hinausgewiesene Besondere Gewaltverhältnis zur Hintertür i n anderem Gewände wieder hineinläßt. b) Eine allgemeine Ausweitung der Grundrechtsschranken bewirkt die „Menschenbild"-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. I n stereotypen Wendungen weist das Gericht darauf hin, das Menschenbild des Grundgesetzes sei nicht das „eines isolierten souveränen Individuums" und das Grundgesetz habe die Spannung Individuum-Gemeinschaft „ i m Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden", so daß der einzelne sich die vom Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens i n den Grenzen des Zumutbaren und unter Wahrung der Eigenständigkeit der Person gezogenen Schranken gefallen lassen müsse 84 . aa) Die Formel ist weder originell noch weiterführend. Die Sozialität des Menschen, seine Eigenschaft als zoon politikon gehört zum kleinen Katechismus abendländischer Staatstheorie. Daß gerade der Grundgesetzgeber — die Notwendigkeit der Eingliederung von Millionen aus ihrem Staatsgebiet vertriebener Deutscher vor Augen — hiervon abrücken und i m Staat der Industriegesellschaft eine Robinson-Idylle schaffen wollte, ist unwahrscheinlich und w i r d durch die Verfassung selbst widerlegt. Denn diese begrenzt die Rechte des einzelnen zu Gunsten seiner Mitbürger, ζ. B. durch das Respektierungsgebot der „Rechte anderer" (Art. 2 Abs. 1 GG) und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG), sowie zu Gunsten des Staates (arg. A r t . 18 GG). Die vom Bundesverfassungsgericht ins Extreme gesteigerte Position einer Individualsouveränität i n „splendid isolation" ist so theoretisch, daß hieraus praktische Folgerungen kaum zu gewinnen sind. Problematisch ist nicht, ob Grundrechte Grenzen haben, sondern wo sie sie haben, ist nicht die Gemeinschaftsbezogenheit als solche, sondern i h r genaues Ausmaß. Die Trennlinie zwischen Freiheit und Bindung bei den Einzelgrundrechten ist nicht mit pauschalen Hinweisen auf „Menschenbild" und „Gemeinschaftsbezogenheit" zu finden. bb) Zwar ist die Formel unschädlich, solange sie das Bundesverfassungsgericht zur Interpretation des Schrankenvorbehalts der allgemeinen Handlungsfreiheit heranzieht 85 . Denn A r t . 2 Abs. 1 GG steht ohnehin unter allgemeinem Rechtsvorbehalt, so daß jedes sachgerechte Gemeinschaftsinteresse eine Grundrechtsbeschränkung rechtfertigt. Die 84 BVerfGE 4, 7 (15 f.); 30, 1 (20); 33, 303 (334); 39, 334 (367); 59, 275 (279); vgl. auch E 6, 389 (422 „sozialbezogene Persönlichkeit"); 8, 274 (329); 12, 45 (51); 27, 344 (351); 30, 32, 373 (379); 50, 290 (353 f.). 85 So BVerfGE 4, 7 (16); 27, 344 (351); 32, 373 (379); 59, 275 (279); vgl. auch E 33, 303 (334).

72

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„Menschenbild"-Rechtsprechung birgt jedoch Gefahren, wenn sie eine Beschränkung über die Schranken und Beschränkungsvorbehalte der Verfassung hinaus begründen soll 8 6 . Hier gerät die Klausel von der Gemeinschaftsbezogenheit der Grundrechte i n dichte Nähe zu der vom Bundesverfassungsgericht früher abgelehnten Gemeinschaftsklausel 87 und konterkariert die Funktion der Grundrechte. Denn diese sollen gerade auch für den gemeinschaftsorientierten Grundgesetz-Bürger individuelle Freiheitssphären i n unterschiedlicher Intensität sichern. Gerade weil die Verfassung auch als Reaktion auf eine freiheitsfeindliche Epoche mit dem — übrigens nicht genuin nationalsozialistischen — Schlagwort des Vorrangs des Gemeinnutzens vor dem Eigennutzen 88 entstanden war, ist nicht anzunehmen, daß der Verfassungsgeber die neugeschaffenen Individualgarantien wieder einer undifferenzierten Gemeinschaftsgebundenheit überantworten wollte, wogegen i m übrigen auch die differenzierten Gesetzesvorbehalte der Einzelgrundrechte sprechen. c) Keine festeren Maßstäbe gewinnt das Bundesverfassungsgericht, wenn es zur Beschränkung an sich uneinschränkbarer Grundrechte auf die verfassungsmäßige Ordnung als „ein Sinnganzes" rekurriert und einen Widerstreit zwischen verfassungsrechtlich geschützten Belangen „nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems" lösen w i l l 8 9 . Die Unschärfe macht berechenbare und nachprüfbare Deduktionen unmöglich, so daß die Entscheidungsfindung einer Dezision gleichkommt, bei der nahezu jedes gewünschte Ergebnis aus dem „Sinnganzen" und der „Einheit" des „Wertsystems" gewonnen werden kann. Die Schwäche dieser Argumentation erkennt auch das Bundesverfassungsgericht und beruft sich daher für die — auch Strafgefangenen gegenüber — ihrem Wortlaut nach uneinschränkbare Petitionsfreiheit auf „Beschränkungen, die sich aus dem Haftzweck zwingend ergeben" 90 . Damit kehrt es nun zum klassischen Argumentationsschema zurück, wonach ein von der Verfassung anerkanntes Besonderes Gewaltverhältnis zusätzliche 86 So für A r t . 5 Abs. 3 GG E 30, 173 (193); für die A r t . 8 Abs. 1 u n d 9 Abs. 1 G G BVerfGE 39, 334 (367); vgl. auch E 50, 290 (353); kritisch schon Merten, JuS 1976, 345 ff. (347 r. Sp.); vgl. i n diesem Zusammenhang ferner den Diskussionsbeitrag des Bundesverfassungsrichters Dr. Simon zu A r t . 5, Sitzungsbericht Ν zum 49. Deutschen Juristentag, 1972, Ν 133 ff. (N 134 f.); hiergegen treffend Bettermann, a.a.O., Ν 175 ff. 87 Siehe oben sub Β 12 zu Fußnote 65. 88 Vgl. hierzu die Rechtsformeln „Gemeiner Nutz geht vor sonderlichen" oder „Eigennutz ist Zerstörer des gemeinen Nutzens", nachgewiesen bei Graf / Dietherr, Deutsche Rechtssprichwörter, 1869, S. 487. 89 BVerfGE 49, 24 (56); noch vorsichtiger u n d konkreter E 28, 243 (261); vgl. ferner E 30, 173 (193). 90 BVerfGE 49, 24 (57).

Grundrechte u n d Besonderes Gewaltverhältnis

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Grundrechtsbeschränkungen ermöglicht, soweit Zweck und Funktion dieses Verhältnisses es zwingend erfordern.

C. Ergebnis I . Besonderes Gewaltverhältnis und grundrechtliche Beschränkungsermächtigung

Trotz der verfassungsgerichtlichen Absage an das Besondere Gewaltverhältnis hat sich gezeigt, daß die Funktion dieses Rechtsinstituts als immanente Beschränkungsermächtigung unerläßlich ist 9 1 . Wollte man auf sie verzichten, so müßte man i n kaum begründbarer Weise die Grundrechtsschranken allgemein so weit ziehen, daß sie die zur Aufrechterhaltung der Besonderen Gewaltverhältnisse zwingend erforderlichen Grundrechtsbeschränkungen gestatten. Hieran w i r d zugleich deutlich, daß das Rechtsinstitut des Besonderen Gewaltverhältnisses freiheitsschützend w i r k t . Es verhindert eine unnötige Schrankendehnung i m Allgemeinen Gewaltverhältnis und macht durch das limitierende Zweckerfordernis die Grundrechtsbeschränkung auch für den „Gewaltunterworfenen" berechenbar und vorhersehbar. Damit ist es auch für die Grundrechte mit einfachem Gesetzesvorbehalt bedeutsam. Denn obwohl diese an sich jede gesetzliche Beschränkung gestatten, macht vielfach erst das Besondere Gewaltverhältnis klar, weshalb die Betroffenen Grundrechtsbeschränkungen hinnehmen müssen, die den Staatsbürger nicht oder nicht auf diese Weise treffen können. So kann i m Besonderen Gewaltverhältnis die Bewegungsfreiheit nicht nur für Strafgefangene, sondern auch für Beamte oder Schüler 92 beschränkt werden, kann das Tragen einer Dienstkleidung 9 3 oder die Länge der Haartracht 9 4 vorgeschrieben, können unter bestimmten Voraussetzungen Rauchverbote erlassen werden 9 5 — Beschränkungen, die der Staatsbürger als solcher trotz der Einschränkbarkeit seiner Handlungsfreiheit nicht hinzunehmen brauchte. Die Gefahren für Leben und körperliche Unversehrtheit, die der Dienstherr i m Interesse der Funktionsfähigkeit der jeweiligen Dienstverhältnisse dem Polizeibeamten oder Feuerwehr91 Vgl. Maunz / Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 25. Aufl., 1983, § 20 I I 3, S. 166. 92 Z u m Problem des Nachsitzens i n der Schule vgl. VG Freiburg, NVwZ 1984, 131. 93 Z u r Pflicht, U n i f o r m zu tragen, vgl. BVerwGE 43, 353 (357 f.). 94 Vgl. BVerwGE 46, 1; siehe auch BVerwGE 43, 353 (357 f.) hinsichtlich der Pflicht, ein Haarnetz zu tragen. 95 Hierzu Merten, Der praktische Fall: Blauer Dunst i m A m t , JuS 1982, 365 ff.

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mann auferlegen darf, könnte er dem Bürger nicht zumuten, obwohl die betreffenden Grundrechte gesetzlich beschränkbar sind. W i l l man die Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt oder m i t qualifiziertem Gesetzesvorbehalt nicht nivellieren oder einem Dezisionismus überlassen, so vermag nur das Besondere Gewaltverhältnis zu erklären, weshalb beispielsweise das Recht, nicht wissenschaftlich forschen und lehren zu müssen (negative Forschungs- und Lehrfreiheit) zwar für den beamteten Hochschullehrer, nicht aber für den Privatgelehrten beschränkt werden darf, weshalb i n das Recht des freien Wohnsitz- und Aufenthaltswechsels sowie der Reisefreiheit (Art. 11 Abs. 1 GG) über die Vorbehalte des A r t . 11 Abs. 2 GG hinaus zwar dem Beamten, nicht aber dem Privatmann gegenüber eingegriffen werden darf 9 6 , weshalb dem Gefägniswärter i m Rahmen seiner Bewachungsaufgabe die Teilnahme an (Gefängnis-)Gottesdiensten aufgegeben werden darf, nicht aber dem Staatsbürger, weshalb jedermann i n den Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG eine „lose Zunge" haben, i m Besonderen Gewaltverhältnis aber der Grundsatz gelten darf: „die Zunge bindet Eid und Pflicht" 9 7 . Gerade für die Grundrechte des A r t . 5 Abs. 1 GG erübrigt nur das Besondere Gewaltverhältnis eine Überlagerung und damit Substituierung des A r t . 5 Abs. 2 GG durch die Klausel einer „Gemeinschaftsbezogenheit" der Grundrechte oder die Relativierung insbesondere der verfassungsunmittelbaren Schranken der „allgemeinen Gesetze" in einem Ausmaß, daß auch beamtenrechtliche Beschränkungen ihr noch unterfallen können 9 8 . Π . Besonderes Gewaltverhältnis und Eingriffsmodalität

Auch der grundlegende Fortschritt, den die Erstreckung des rechtsstaatlichen Vorbehalts des Gesetzes auf die Besonderen Gewaltverhältnisse scheinbar gebracht hat, ist bei näherem Zusehen geringer als allgemein angenommen, so daß aus dem Kreuzzug wider das Besondere Gewaltverhältnis i m Ergebnis nur eine Springprozession geworden ist. Denn zum einen modifiziert das Bundesverfassungsgericht den strengen Vorbehalt des Gesetzes durch eine problematische Wesentlichkeits98

Vgl. Merten, Der I n h a l t des Freizügigkeitsrechts, 1970, S. 27. Schikaneder, Die Zauberflöte, 1. Aufzug (Tamino — Erster Priester); vgl. auch Schiller, Wallensteins Tod, 1. Aufzug, 5. Szene: „Ich hab' hier bloß ein A m t u n d keine Meinung" (Wrangel). 98 Z u den Schwierigkeiten der Interpretation der „allgemeinen Gesetze" i m Zusammenhang m i t den Besonderen Gewaltverhältnissen für A r t . 118 W R V vgl. schon Häntzschel, Das Recht der freien Meinungsäußerung, in: Anschütz / Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I I , 1932, S. 651 ff. (658); siehe a u d i Bettermann, Die allgemeinen Gesetze als Schranken der Pressefreiheit, JZ 1964, 601 ff. 97

Grundrechte u n d Besonderes Gewaltverhältnis

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theorie", so daß i n „nicht-wesentlichen" Bereichen Grundrechtsbeschränkungen — nunmehr allerdings auch i m Allgemeinen Gewaltverhältnis — ohne förmliches Gesetz möglich sind. Zum anderen w i r d das Erfordernis des förmlichen Gesetzes durch die Zulässigkeit der — gerade i m Besonderen Gewaltverhältnis besonderes häufigen und unumgänglichen — Generalklauseln relativiert 1 0 0 . So hat die Pflicht bestimmter Beamtengruppen zum Einsatz des Lebens und der Gesundheit ihre formell-gesetzliche Verankerung lediglich i n dem beamtenrechtlichen Gebot, sich mit voller Hingabe dem Beruf zu widmen 1 0 1 , läßt sich die Pflicht zur Duldung ärztlicher Eingriffe oder Behandl u n g 1 0 2 oder zum Tragen einer Uniform 1 0 3 letztlich nur aus der Dienstund Treuepflicht ableiten. Hier zeigen sich wiederum eklatante Unterschiede zum Allgemeinen Gewaltverhältnis, i n dem es nicht vorstellbar wäre, daß dem Staatsbürger die Gefährdung seines Lebens und seiner Gesundheit nur durch Generalklauseln aufgegeben würde, die auf Grund ihrer Unbestimmtheit eine genaue Abschätzung des Anlasses, der Voraussetzungen und des Ausmaßes der Gefährdung seiner Grundrechte nicht erkennen ließen 1 0 4 . Die Beschränkung auf das „Wesentliche" und die Gestattung von Generalklauseln schränkt daher die Bedeutung der Einführung des Vorbehalts des Gesetzes i m Besonderen Gewaltverhältnis beträchtlich ein. Ist aber das Besondere Gewaltverhältnis unbeschadet terminologischer Streitigkeiten als immanente Beschränkungsermächtigung der Grundrechte unerläßlich und die Erstreckung des Vorbehalts des Gesetzes weit weniger radikal als angenommen, so war die Absage an das Besondere Gewaltverhältnis voreilig, und bleibt am Ende die kritische Frage, ob das grundrechtsdogmatische Ergebnis die Kampfesmühe gelohnt hat oder vielleicht nur die Chimäre des „Obrigkeitsstaates" den Ausbruch der Feindseligkeiten herbeigeführt hat — pointierter gefragt: tant de bruit pour u n (res-)sentiment? 99

Vgl. zur K r i t i k insbesondere Kisker, Neue Aspekte i m Streit u m den Vorbehalt des Gesetzes, N J W 1977, 1313 ff.; Roellecke, Die Verfassungsgerichtsbarkeit i m Grenzbereich zur Gesetzgebimg, N J W 1978, 1776 ff.; Wilke, Urteilsanmerkung, in: JZ 1982, 758 ff.; Erichsen, Z u m staatlich-schulischen E r ziehungsauftrag u n d zur Lehre v o m Gesetzesvorbehalt, V e r w A r c h 69, 1978, 387 ff.; Krebs, Z u m aktuellen Stand der Lehre v o m Vorbehalt des Gesetzes, Jura 1979, 304 ff. too V g L BVerfGE 33, 1 (11); 41, 251 (265). 101

Siehe Ule, Öffentlicher Dienst (FN 68), S. 624 f. Vgl. BVerwGE 63, 322 (324); BVerwG, Urt. v o m 26. 7.1983, N J W 1984, 677; Ule, a.a.O., S. 265. 108 Siehe F N 94. 104 Vgl. zur Gleichstellung v o n Grundrechtsgefährdungen m i t Grundrechtsverletzungen BVerfGE 49, 89 (141); 51, 324 (346 f.); BVerfG, Beschluß v o m 16.12.1983, N J W 1984, 601. 102

Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis Von Carl Hermann Ule (Berichterstatter: Rainer Buchholz)

Professor Ule begann m i t einem Rückgriff auf die geschichtliche Entwicklung des Rechtsschutzes i m besonderen Gewaltverhältnis, die er seit 30 Jahren beobachtet u n d maßgeblich mitgestaltet hat. Die Frage des Rechtsschutzes, betonte der Referent, sei eng m i t der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel verbunden; unter dem Enumerationsprinzip, das Maßnahmen i m besonderen Gewaltverhältnis v o m verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz ausgeschlossen habe, sei dies k e i n Problem gewesen. Selbst Otto Mayer hat, w i e Professor Ule betonte, diesen Zusammenhang nicht gesehen, w e n n er 1924 i m V o r w o r t zur 3. Auflage seines Lehrbuches „Deutsches Verwaltungsrecht" schreibt: „Gross Neues ist j a nicht nachzutragen", obwohl es schon seit dem Gesetz über die V e r w a l tungsrechtspflege v o m 16.12.1876 i n Württemberg, seit dem Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege v o m 19. 7.1900 i n Sachsen, seit dem Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit v o m 2.11.1921 i n Hamburg und seit dem Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit v o m 6.1.1924 i n Bremen eine verwaltungsgerichtliche Generalklausel gegeben habe. Selbst der Württembergische Verwaltungsgerichtshof hatte schon zu Lebzeiten Otto Mayers aufgrund der Generalklausel den Verwaltungsrechtsweg geöffnet für Klagen von Beamten gegen Zwangspensionierungen, gegen Zwangsbeurlaubungen, gegen Versetzungen u n d auf Einsicht i n die Personalakten. Ebenso hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht nach der i n Sachsen bestehenden Rechtslage für Klagen v o n Gemeindebeamten den Verwaltungsrechtsweg f ü r zulässig erklärt (Klagen gegen die Versetzung i n ein anderes A m t , i n den Wartestand, i n den Ruhestand, gegen die Kündigung oder Entlassung, gegen die Versagung der Einsicht i n die Personalakten, gegen die Festsetzung einer Amtsbezeichnung, gegen die Versagung eines Dienstzeugnisses, gegen die Einstufung i n eine Besoldungsgruppe, gegen die Festsetzung des Besoldungsdienstalters).

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Auch das Württembergische Beamtengesetz vom 21.1.1929 hat den Rechtsschutz der Beamten i n nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten nur noch bei „Dienstbefehlen" ausgeschlossen. Dasselbe Ergebnis sollte nach dem Willen des Verfassers der thüringischen Landesverwaltungsordnung, Oberregierungsrat K u r t Wagner, durch § 113 Abs. 2 LVO erreicht werden. Diese Ausnahmeregelung nahm gegenüber der Generalklausel des Abs. 1 „alle Verfügungen, die i m inneren Dienstbetrieb oder i m Dienstaufsichtsweg erlassen sind", von der Anfechtung i m Verwaltungsstreitverfahren aus. Die weitere geschichtliche Entwicklung schilderte Professor Ule mit folgenden Worten: Gegen die Meinung Wagners legte das Thüringische Oberverwaltungsgericht i n dem grundlegenden Urteil vom 30. März 1927 (Jahrb. Bd. 11, S. 143 ff.) diese Bestimmung dahin aus, daß alle Verfügungen, die gegen einen i m besonderen Gewaltverhältnis stehenden Beamten ergingen, der Anfechtung i m Verwaltungsrechtsweg entzogen seien, obwohl es zugab, daß »innerer Dienstbetrieb' eigentlich an den täglichen Dienst und was mit diesem zusammenhängt, erinnert, also ζ. B. an geschäftsleitende Maßnahmen des Behördenleiters. Es lehnte aber diesen Begriff des inneren Dienstbetriebes ab, weil er seiner Meinung nach zu eng sei, und stellte entgegen dem Sprachgebrauch fest, daß die beiden Worte zusammengenommen den Betrieb des gesamten Staatsorganismus bezeichnen sollen. Damit wurde also, i m Gegensatz zur Entwicklung i n Sachsen — Thüringen und Sachsen sind benachbart und haben i n rechtlicher Hinsicht viel voneinander gelernt —, ein Standpunkt eingenommen, der gemessen an der sächsischen Entwicklung einen Rückschritt darstellte. Wagner hat demgegenüber den »inneren Dienstbetrieb 4 identifiziert mit Verfügungen, die lediglich dazu erlassen werden, u m ausschließlich i m Bereich der zur Führung von Verwaltung bestehenden Einrichtungen und Veranstaltungen des Trägers der Verwaltung Bestimmungen zu treffen, und zwar dahin, und hier unterstreicht er wieder das Wort »DienstbetriebS daß diese Einrichtungen und Veranstaltungen ihrem Zweck gemäß w i r k e n können, Anordnungen also, die nach heutigem Sprachgebrauch als Maßnahmen i m Betriebsverhältnis zu verstehen sind. Sie sehen, daß hier schon ein Teil der Begriffsbildung vorliegt, aus der später die Unterscheidung zwischen Grundverhältnis und Betriebsverhältnis entwickelt worden ist. Ich habe zum ersten Mal den Ausdruck ,Grundverhältnis' 1951 i n meinem Aufsatz „Unklagbarkeit der Beamtenrechte?" (DVB1.1951 S. 338 ff.) verwendet. Daß die verwaltungsgerichtliche Generalklausel, wo sie uneingeschränkt galt, wie ζ. B. i n Hamburg, auch damals schon i m Schulrecht

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die Anrufung der Verwaltungsgerichte ermöglichte, hat Walter Jellinek schon 1925 auf der Leipziger Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer vorgetragen und damals als einen Fortschritt zum Rechtsstaat beschrieben. Zu Rückschritten i n der Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg hat dann die bekannte Begriffsbestimmung des Verwaltungsaktes i n Art. 61 des Entwurfs einer Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg geführt. Sie scheidet ,Verfügungen und Entscheidungen innerhalb eines besonderen Gewaltverhältnisses (Dienstgewalt, Anstaltsgewalt)' aus dem Begriff des Verwaltungsaktes aus. Man hat daraus, so ζ. B. Robert Nebinger, geschlossen, daß für jede solche Verfügung oder Entscheidung der Verwaltungsrechtsweg ausgeschlossen sei, auch wenn es sich u m Maßnahmen handelt, die ein besonderes Gewaltverhältnis begründen, verändern oder beenden. Damit hat sich Nebinger zweifellos i n Widerspruch gesetzt zu den Intentionen der Verfasser dieses Entwurfs einer Verwaltungsrechtsordnung, die i n der Begründung zu Art. 61 gesagt hatten, diese Bestimmung solle nur materiellrechtliche, aber keine verfahrensrechtliche Bedeutung haben. Die Entwicklung ist über diesen Standpunkt, daß i m besonderen Gewaltverhältnis überhaupt kein gerichtlicher Rechtsschutz möglich sei, hinweggegangen. Es folgte dann, vielleicht als ein Markstein i n der Entwicklung, die von m i r 1956 getroffene Unterscheidung zwischen Grund- und Betriebsverhältnis, die ich hier nicht weiter erläutern w i l l ; einmal, weil dies nicht zu meinem Thema gehört, und zum anderen, weil ich meine, daß Herr Kollege Schenke darauf eingehen wird. Gegenüber den aus der Literatur gegen diese Unterscheidung vorgebrachten Angriffen möchte ich hier jedoch darauf hinweisen, daß sie i n ihrer verfassungsrechtlichen Grundlage, wie m i r scheint, nicht so verstanden ist, wie ich es gemeint habe. 1956, als die Mainzer Staatsrechtslehrertagung stattfand, war die Unanfechtbarkeit aller Maßnahmen i m besonderen Gewaltverhältnis bereits i n Theorie und Praxis aufgegeben. Zum damaligen Zeitpunkt gab es bereits zahlreiche Prozesse über Fragen des beamtenrechtlichen Grundverhältnisses und ebenso von Schülern und Eltern über Aufnahme und Entlassung aus der Schule. Es ging zu diesem Zeitpunkt nur noch u m eine Alternative: uneingeschränkter oder eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis. Uneingeschränkter Rechtsschutz bedeutete, daß jede Maßnahme i m besonderen Gewaltverhältnis gerichtlich angreifbar sei, wenn der Kläger behauptete, durch die angefochtene Maßnahme i n seinen Rechten verletzt zu sein. Diese Lehre stützte sich auf den Wortlaut des A r t . 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes fordert aber eine Auslegung, weil er

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sich nicht darüber ausspricht, ob eingeschränkter oder uneingeschränkter Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis gelten soll. Bei Mehrdeutigkeit der Rechtsvorschrift muß man aber den Sinn zu finden suchen, der i n der Situation des Jahres 1949 und darüber hinaus als rechtlich richtig anzusehen ist. Die teleologische Auslegung dieser Verfassungsbestimmung muß also fragen, welcher der möglichen Auslegungen wäre unter verfassungsrechtlichen Aspekten der Vorzug zu geben. Die bloße Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip kann m. E. hier nicht weiterhelfen, denn es ist gerade die Frage, ob der Rechtsstaatsgedanke durch einen eingeschränkten oder uneingeschränkten Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis mehr gefördert wird. Auch nach 30 Jahren, die seitdem vergangen sind, und vielen Belehrungen, die ich insbesondere durch die Literatur erfahren habe, bin ich nach wie vor der Auffassung, daß das Rechtsstaatsprinzip nicht dafür bemüht werden kann, einen uneingeschränkten Rechtsschutz zu fordern, weil damit der Eigenart des — auch durch das Grundgesetz anerkannten — besonderen Gewaltverhältnisses nicht Rechnung getragen würde. Wer also aus A r t . 19 Abs. 4 Satz 1 GG den Schluß zieht, der Rechtsstaatsgedanke fordere den uneingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz, t r i t t den Eigenarten des besonderen Gewaltverhältnisses, das ζ. B. i n A r t . 33 Abs. 5 GG i n seiner herkömmlichen Gestalt unter den Schutz der Verfassung gestellt ist, zu nahe. Hier habe ich mit meiner Unterscheidung zwischen Grundverhältnis und Betriebsverhältnis eingesetzt, wobei das Grundverhältnis die Rechtsbeziehungen betrifft, die i n der Begründung, Veränderung und Beendigung des besonderen Gewaltverhältnisses bestehen, das Betriebsverhältnis dagegen aus den Beziehungen, die sich aus der Geltung der geschriebenen oder ungeschriebenen Betriebsordnung ergeben, der sich jemand, wenn er i n ein besonderes Gewaltverhältnis eintritt, unterwirft. Die Einbeziehung dieses Betriebsverhältnisses i n den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz würde nach meiner Meinung die rechtsstaatliche Entwicklung nicht fördern, weil sie vorzeitig Fragen zur gerichtlichen Entscheidung stellen müßte, die auf andere Weise innerhalb des besonderen Gewaltverhältnisses selbst gelöst werden können oder die zu Maßnahmen, die das Grundverhältnis betreffen, führen und i n diesem Zusammenhang gerichtlich überprüft werden können. Damals habe ich die Auffassung vertreten, i m Beamtenverhältnis, das weitgehend gesetzlich geregelt ist, und i n allen offenen Anstaltsverhältnissen (Schule und Hochschule) brauche es i m Betriebs Verhältnis keinen besonderen Rechtsschutz zu geben, weil Disziplinarmaßnahmen und ihre Anfechtung eine ausreichende Klärung rechtlicher Streitfragen zuließen, wohl aber i n dem damals gerade gesetzlich neugeregelten

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Wehrdienstverhältnis und i n allen geschlossenen Anstaltsverhältnissen. Diese Begründung, die ich 1956 für die Unterscheidung zwischen den besonderen Gewaltverhältnissen i m allgemeinen und dem Wehrdienst und geschlossenen Anstaltsverhältnis i m besonderen gegeben habe, ist durch die weitere Entwicklung bestätigt worden. Einmal durch die Wehrbeschwerdeordnung, dann durch das Strafvollzugsgesetz und vor seinem Erlaß schon durch die Verwaltungsgerichtsordnung, die i n ihren Übergangsvorschriften die §§ 23 ff. Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz enthält, nach denen man alle derartigen Maßnahmen gerichtlich angreifen kann. I n dem berühmten Fall, auf den w i r gleich kommen werden, hat j a auch ein gerichtlicher Rechtsschutz stattgefunden, nur hat er nicht zu dem vom Kläger gewünschten Erfolg geführt. Seit 30 Jahren, das ist ein sehr subjektives Urteil, ist die Lehre vom gerichtlichen Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis sicherlich vertieft worden (vor allem durch Loschelder und Schenke), aber eigentlich nicht so recht weitergekommen. Unergiebig sind die Referate auf der Kieler Staatsrechtslehrertagung 1965 von Evers und Fuß. Schon mein Hamburger Kollege Hans-Peter Ipsen hat auf dieser Tagung den Gesetzesvorbehalt i m Schul Verhältnis nur für das Grundverhältnis für erforderlich gehalten, nicht dagegen für das Betriebsverhältnis, das nach seiner Meinung nicht parlamentarisch normiert zu sein braucht. Man darf wohl annehmen, daß die Konsequenz dieser Unterscheidung ist, daß Maßnahmen i m Betriebsverhältnis gerichtlich nicht angefochten werden sollen. Keinen Schritt weiter i n unserer Frage führt der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 1972 (E Bd. 33 S. 1 ff.), i n dem das besondere Gewalt Verhältnis, wie Herr Ronellenfitsch bemerkt hat, ,zu früh totgesagt' worden ist. Ich habe die Begeisterung, die das Urteil bei vielen ausgelöst hat, nie verstanden. M i t dieser Entscheidung kann ich mich hier i m einzelnen nicht auseinandersetzen. Das Gericht brauchte zur Frage des gerichtlichen Rechtsschutzes gar nichts zu sagen, es hat sich i m wesentlichen m i t der Frage der Geltung von Grundrechten i m besonderen Gewaltverhältnis beschäftigt und die Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Gewaltverhältnis abgelehnt. Gegen das Urteil selbst kann man sagen, daß das Bundesverfassungsgericht seine eigene rechtsstaatliche Position dadurch geschwächt hat, daß es Generalklauseln zuließ, die engbegrenzt sein sollen, was m. E. ein Widerspruch i n sich ist, denn eine Generalklausel kann nicht eng begrenzt sein. Das Gericht geht auch von der — unrichtigen — These aus, daß nach der bis dahin geltenden Rechtslage ,im Strafvollzug die Grundrechte beliebig oder nach Ermessen eingeschränkt werden könnten'. Das ist eine These, die bis dahin niemand i n der Theorie 6 Speyer 97

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vom besonderen Gewaltverhältnis vertreten hatte. Immer hat man innerhalb dieser Lehre angenommen, daß die Zulässigkeit von Eingriffen i n die Freiheitssphäre des einzelnen vom Wesen und Zweck des besonderen Gewaltverhältnisses abhängig sei. Durch die von m i r geforderte Einschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes auf das Grundverhältnis werden alle die Maßnahmen i m besonderen Gewaltverhältnis ausgeschlossen, die in der Regel keine Rechtsverletzung darstellen können. Nach wie vor erscheint m i r deshalb die von m i r vorgeschlagene Lösung allein praktikabel, und ich kann i n der Feststellung, daß meine Unterscheidung nur eine pragmatische Lösung sei, keinen Tadel erblicken. Es ist doch wohl Aufgabe der Rechtswissenschaft, nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch befriedigende Lösungen von Auslegungsproblemen zu suchen. Die Frage nach dem Umfang des gerichtlichen Rechtsschutzes i m besonderen Gewaltverhältnis ist ein solches Auslegungsproblem, nämlich das Problem der richtigen Auslegung des A r t . 19 Abs. 4 Satz 1 GG. I h m w i r d sich, wie ich annehme, Herr Kollege Schenke jetzt zuwenden.

Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis Von Wolf-Rüdiger Schenke

A. Einleitung Als Referent des Themas „Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis" befinde ich mich zugegebenermaßen i n einer gewissen Verlegenheit. Mein Vorredner, Herr Ule, hat nämlich auf der Staatsrechtslehrertagung i n Mainz vor über einem Vierteljahrhundert bereits das Wesentliche zum Thema gesagt1. I n der späteren Diskussion sind die A k zente zwar ζ. T. anders gesetzt worden; auch ist es zu Randkorrekturen der Uleschen Ergebnisse gekommen. Die großen Linien, die i n dem seinerzeitigen Referat von Ule vorgezeichnet wurden, sind aber beibehalten worden bzw. beanspruchen nach wie vor Gültigkeit. Dies anzuerkennen kommen i m übrigen selbst solche Autoren 2 nicht umhin, welche die von Ule entwickelte Doktrin mit ihrer Unterscheidung von Grund- und Betriebsverhältnis verbal ablehnen bzw. als überholt betrachten. Schaut man jedenfalls näher hin, so fällt unschwer auf, daß auch sie der Sache nach meist auf die Topoi von Ule zurückgreifen. Nur haben sie die Etiketten verändert oder anders formuliert — um dem genius loci Rechnung zu tragen — ist durch sie alter Wein i n neue Schläuche gefüllt worden. Wenn hier trotz der grundsätzlichen Klärungen, die die Thematik schon erfahren hat, zu i h r nochmals Stellung genommen wird, so hat dies dennoch seinen guten Grund. Aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung 8 zur Grundrechtsgeltung i m besonderen Gewaltverhältnis ist nämlich z. T. abgeleitet worden, daß gegenüber allen Akten, die an eine i m besonderen Gewaltverhältnis befindliche Person gerichtet sind, genauso wie dies i m allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis zutrifft, verfassungsrechtlich eine gerichtliche Überprüfung auf ihre Rechtmäßigkeit garantiert sei 4 . Damit wäre aber der Unterschied 1

Ule, V V D S t R L Bd. 16, S. 133 ff. Vgl. z. B. Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., 1983, S. 175. 3 Grundlegend BVerfGE 33, S. 1 ff. 4 I n diese Richtung i n der Tat z. B. Gönsch, JZ 1979, S. 16 ff.; Schwerdtner, DÖV 1981, S. 108 f. 2



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zwischen allgemeinem und besonderem Gewaltverhältnis restlos eingeebnet. Gegenüber solchen Tendenzen gilt es i m folgenden klarzustellen, daß es auch auf dem Gebiet des Prozeßrechts nicht angebracht ist, das besondere Gewaltverhältnis zu begraben bzw. seiner nur noch als einem rechtshistorisch interessanten Fossil zu gedenken 5 . Man macht es sich zu leicht, wenn man das besondere Gewaltverhältnis als eine Rechtsfigur zu diskreditieren trachtet, „die als obrigkeitsstaatliches Rel i k t i m absolutistischen Staat wurzelt und diesen zu sichern bestimmt w a r " 6 . Sicher mag vieles an der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis zeitbedingt und deshalb einer Verpflanzung i n eine andere verfassungsrechtliche Landschaft nicht zugänglich sein. Zu einem nicht unerheblichen Teil verdankt aber die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis ihre Entstehung organisationssoziologischen Sachgesetzlichkeiten, die zu negieren keine Rechtsordnung i n der Lage ist. Insoweit hat das Institut des besonderen Gewaltverhältnisses einen zeitlosen Kern, der als solcher durch die Veränderung der verfassungsrechtlichen Fundamente i m Grundsatz nicht betroffen wird. Dieser Erkenntnis kommt, wie i m folgenden zu zeigen sein wird, gerade auch für die Problematik des Rechtsschutzes i m besonderen Gewaltverhältnis Relevanz zu. Die Beschäftigung m i t dem Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis rechtfertigt sich aber nicht nur aus dem Bedürfnis, eine voreilige „Bilderstürmerei" zu verhindern. Sie leitet sich auch daraus ab, daß es nach wie vor eine ganze Reihe interessanter Detailprobleme gibt, die dogmatisch aufzuarbeiten sind. Das gilt insbesondere, nachdem sich i n der bundesverwaltungsgerichtlichen Judikatur 7 i n den letzten Jahren eine Neuorientierung abzeichnet, die i n der Literatur 8 ein unterschiedliches Echo hervorgerufen hat und auch bei den Gerichten 9 ζ. T. auf Widerstand gestoßen ist. Bei den folgenden Ausführungen geht es zunächst darum, i n einem ersten Teil den verfassungsrechtlichen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen sich die Lösung der Rechtsschutzproblematik zu bewegen hat. Von Interesse ist dabei nicht nur, ob A r t . 19 Abs. 4 GG auch i m besonderen Gewaltverhältnis Rechtsschutz garantiert, gleichermaßen untersuchenswert ist auch, ob bei prinzipieller Anerkennung der Erstreckung der Rechtsschutzgarantie auf besondere Gewaltverhältnisse sich hier nicht möglicherweise Einschränkungen der gerichtlichen Kontrolldichte 6 Kritisch zu einer solchen Einschätzung z . B . auch Ronellenfitsch, DÖV 1981, S. 933 ff. • So Gönsch, JZ 1979, S. 17. 7 Vgl. BVerwG, DVB1. 1980, S. 882 ff.; N V w Z 1982, S. 103. β Kritisch z . B . Erichsen, DVB1. 1982, S. 95 ff. u. Schwerdtner, DÖV 1981, S. 108 f. 9 O V G Lüneburg, D Ö V 1981, S. 107 f.

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ergeben können, wie dies i n der Literatur neuerdings etwa von Ronellenfitsch 10 befürwortet wird. I m Anschluß an diese verfassungsrechtliche Grundlegung ist i m zweiten Teil des Vortrags aufzuzeigen, wie der verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutz auf der Basis der einfachgesetzlichen Verfahrensordnungen zu realisieren ist, bzw. an welcher Stelle Sperren für die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns i m besonderen Gewaltverhältnis durch den Gesetzgeber errichtet sind. B. Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis I . Der verfassungsrechtliche Rahmen

Der verfassungsrechtliche Rahmen, innerhalb dessen sich der Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis zu bewegen hat, w i r d durch A r t . 19 Abs. 4 GG markiert 1 1 . Durch ihn werden dem Gesetzgeber jene Linien vorgezeichnet, an denen sich das durch ihn entworfene Rechtsschutzsystem zu orientieren hat; etwaige Defizite sind — soweit ihnen nicht durch verfassungskonforme Auslegung Rechnung getragen werden kann — unter unmittelbarem Rückgriff auf A r t . 19 Abs. 4 GG a b z u gleichen. 1. Akte im besonderen Gewaltverhältnis als „öffentliche Gewalt" i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG Bei der Bestimmung des verfassungsrechtlichen Rahmens ergeben sich freilich Schwierigkeiten, da auch heute noch nicht voll geklärt ist, i n welchem Umfang die Rechtsschutzgarantie des A r t . 19 Abs. 4 GG i m besonderen Gewaltverhältnis zum Tragen kommt. Als spätestens seit dem Mainzer Vortrag von Ule verabschiedet gelten kann freilich heute jene Auffassung, die davon ausging, A r t . 19 Abs. 4 GG gelte überhaupt nicht i m besonderen Gewaltverhältnis. Sie stellt i n der Tat ein ideengeschichtliches Relikt der auf der Basis der konstitutionellen Doktrin entwickelten Impermeabilitätstheorie 12 Georg Jellineks und Labands dar. Ihre rechtstheoretische Verfehltheit bedarf heute keiner Hervorhebung mehr. Sie wurde auch dadurch nicht überzeugender, daß man zur Begründung der Rechtsschutzlosigkeit des Gewaltunterworfenen einen angeblichen Rechtsschutzverzicht nachschob oder auf Verfassungsgewohnheitsrecht rekurrierte. 10

Ronellenfitsch, D Ö V 1981, S. 940. Vgl. hierzu näher Schenke, in: Bonner Kommentar zum GG (Zweitbearbeitung), A r t . 19 Abs. 4, Rdnr. 197 ff. 12 Z u r Impermeabilitätstheorie s. z. B. G. Jellinek, Gesetz u n d Verordnung, 1887, S. 240. 11

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Ernster zu nehmen ist die auch heute noch von Schwerdtfeger 13 und Menger 1 4 i m Anschluß an Ule vertretene Ansicht, derzufolge A r t . 19 Abs. 4 GG nicht für alle A k t e i m besonderen Gewaltverhältnis gelte, sondern bestimmte Akte innerhalb des besonderen Gewaltverhältnisses zur Sicherung von dessen Funktionsfähigkeit aus der Rechtsschutzgarantie auszunehmen seien. Dies solle i m wesentlichen für solche Akte zutreffen, die sich aus der Eingliederung des Gewaltunterworfenen i n den Betrieb mit seiner „Betriebsordnung" ergeben, also das Betriebsverhältnis i m Sinne der von Ule entwickelten Terminologie betreffen. Dieser Auffassung w i r d man, so überzeugend sie auch auf den ersten Blick scheinen mag, letztlich doch nicht zustimmen können. Dabei richten sich die Einwände, die gegenüber dieser Auffassung zu erheben sind, weniger gegen die prozessualen Ergebnisse dieser Konzeption als gegen die dogmatische Konstruktion der Exemtion gewisser Akte i m besonderen Gewaltverhältnis aus der Rechtsschutzgarantie. A r t . 19 Abs. 4 GG enthält keine Anhaltspunkte dafür, daß er bestimmte Akte i m besonderen Gewaltverhältnis aus der Rechtsschutzgarantie ausnehmen w i l l . Soweit die Möglichkeit einer Rechtsverletzung gegeben ist, gewährt er vielmehr ohne jede Einschränkung Rechtsschutz. I n welcher Form die Rechtsverletzung vorgenommen wird, ist ohne Bedeutung. Insbesondere ist der Rechtsschutz nicht an das Vorliegen eines Verwaltungsakts gebunden. Dieser i m allgemeinen Staat-BürgerVerhältnis heute allgemein anerkannte Grundsatz beansprucht auch für das besondere Gewaltverhältnis Geltung. Deshalb kann aus dem Umstand, daß nicht alle Akte i m besonderen Gewaltverhältnis als Verwaltungsakte qualifiziert werden können, keine Restriktion der Rechtsschutzgarantie abgeleitet werden. Die Bejahung einer solchen Restriktion wäre auch m i t einer systematisch-teleologischen Auslegung des A r t . 19 Abs. 4 GG schwerlich vereinbar. Deutlich w i r d dies etwa bei Schwerdtfeger 15 , der zwar i n der dienstlichen Weisung an einen Beamten einen Eingriff i n dessen durch A r t . 2 Abs. 1 GG umfassend geschützte Freiheitssphäre sieht und damit bei Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs konsequenterweise zugleich eine Grundrechtsverletzung annimmt, dennoch aber hier i m Regelfall einen gerichtlichen Rechtsschutz verweigert. Bedenkt man, daß eine wesentliche Funktion des A r t . 19 Abs. 4 GG i m Schutz der vorher i m 1. Abschnitt des GG genannten materiellen Grundrechte besteht, so w i r d die Unstimmigkeit eines solchen Lösungsansatzes ganz evident. A r t . 19 Abs. 4 GG ist — 13 Schwerdtfeger, öffentliches Recht i n der Fallbearbeitung, 7. Aufl., 1983, S. 84 ff., insbes. Rdnr. 252. 14 Menger, V e r w A r c h Bd. 68 (1977), S. 177 f.; s. auch dens., V e r w A r c h Bd. 72 (1982), S. 149 ff. 15 Schwerdtfeger, a.a.O., S. 85.

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wie sich aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift belegen läßt* 6 — ganz bewußt i n unmittelbarem Anschluß an die materiellen Grundrechte i m ersten Abschnitt des Grundgesetzes piaziert worden. Hiermit sollte klargestellt werden, daß A r t . 19 Abs. 4 GG primär zur Bewehrung der vorher genannten materiellen Grundrechte dienen soll. Dann kann es aber schwerlich richtig sein, wenn man trotz der Bejahung von Grundrechtsverletzungen i m besonderen Gewaltverhältnis entgegen dem aufgezeigten systematisch-teleologischen Zusammenhang des prozessualen Hauptgrundrechts m i t den materiellen Grundrechten den gerichtlichen Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis nur begrenzt zum Tragen kommen läßt. 2. Keine

Einschränkung

des gerichtlichen

wegen mangelnden

Rechtsschutzes

Rechtsschutzbedürfnisses

Nicht überzeugen kann es auch, wenn man die Rechtsschutzgarantie des A r t . 19 Abs. 4 GG jedenfalls bei bestimmten Rechtsverletzungen i m besonderen Gewaltverhältnis am angeblichen Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses scheitern läßt. Diese früher von Obermayer 1 7 und dem OVG Koblenz 1 8 vertretene Ansicht ist zwar inzwischen durch Lässig 19 wiederbelebt worden; sie beruht aber auf einer unhaltbaren Überdehnung des Rechtsschutzbedürfnisses, das sonst n u r i n Ausnahmefällen eine Beschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes legitimiert, nach der hier abgelehnten Auffassung aber einen sehr weiten Anwendungsbereich einnehmen soll. Der Versuch einer Verquickung des Rechtsschutzbedürfnisses m i t der Schwere der Rechtsverletzung muß scheitern, weil A r t . 19 Abs. 4 GG keine Anhaltspunkte für eine Differenzierung des Rechtsschutzes je nach der Schwere der Rechtsverletzung zu entnehmen sind. Zu Recht ist deshalb Obermayer entgegengehalten worden 2 0 , i m Rechtsstaat sei Unrecht nie eine Bagatellsache. 3. Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis und Verwaltungseffizienz

Für eine auch nur partielle Ausklammerung des besonderen Gewaltverhältnisses aus der Rechtsschutzgarantie lassen sich ferner keine 16 Vgl. Süsterhenn, i n : Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses Bonn 1948/49, S. 36, der empfahl, die Rechtsschutzgarantie an den Schluß des Grundrechtskatalogs zu setzen, „ u m das Verfahren zu k e n n zeichnen, wodurch die materiellen Grundrechte verfahrensmäßig gesichert werden". 17 Obermayer, Verwaltungsakt u n d innerdienstlicher Rechtsakt, 1956, S. 168 ff.; aufgegeben i n D Ö V 1959, S. 312. 18 O V G Koblenz, DÖV 1960, S. 352.

19

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Lässig, DÖV 1983, S. 876 (879 ff.). Widtmann, ZBR 1960, S. 389.

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Gründe der Verwaltungseffizienz anführen 2 1 . Auch wenn man nämlich die Rechtsschutzgarantie i m besonderen Gewaltverhältnis für uneingeschränkt anwendbar hält, bedeutet dies keineswegs, hiermit könne nun jeder A k t i m besonderen Gewaltverhältnis einer gerichtlichen Uberprüfung zugeführt werden, und das besondere Gewaltverhältnis würde nunmehr zu einem Kampfschauplatz zwischen dem Staat und dem sich i m besonderen Gewaltverhältnis Befindlichen umfunktioniert. a) Einschränkungen der gerichtlichen Überprüfbarkeit als Konsequenz einer Restriktion der materiellen Rechtsstellung des Gewaltunterworfenen Voraussetzung für eine Aktivierung der Rechtsschutzgarantie i m besonderen Gewaltverhältnis wie auch i m Staat-Bürger-Verhältnis ist stets, daß durch einen Hoheitsakt subjektive Rechte verletzt werden können. A n dieser Voraussetzung mangelt es nun aber gerade i m besonderen Gewaltverhältnis häufig. Maßnahmen i m besonderen Gewaltverhältnis greifen vielfach nicht i n die subjektive Rechtsstellung des Gewaltunterworfenen ein 2 2 . Damit fehlt es aber auch rechtslogisch an der Möglichkeit einer Rechtsverletzung. Das gilt, und darin besteht nun i n der Tat eine Besonderheit des besonderen Gewaltverhältnisses, ζ. T. sogar bezüglich solcher Maßnahmen, die an den Gewaltunterworfenen adressiert sind. Während solche A k t e i m allgemeinen Staat-BürgerVerhältnis angesichts der hier feststellbaren umfassenden Subjektivierung der Freiheitssphäre des Bürgers stets dessen subjektive Rechtsstellung tangieren und damit potentiell seine Rechte verletzen können, läßt sich diese Annahme nicht i n gleicher Weise hinsichtlich des besonderen Gewaltverhältnisses aufrechterhalten. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit solcher besonderer Gewaltverhältnisse ist hier von einer Einschränkung des Rechtsstatus des Gewaltunterworfenen auszugehen 23 . Die grundgesetzliche Anerkennung besonderer Gewaltverhältnisse und die damit implizit ausgesprochene Anerkennung ihrer Funktionsfähigkeit macht es jedenfalls i n Verbindung m i t der einfachgesetzlichen Ausgestaltung besonderer Gewaltverhältnisse erforderlich, nicht i n jeder dem Gewaltunterworfenen gegenüber getroffenen Maßnahme einen Eingriff in dessen Rechtssphäre zu sehen. Deshalb enthält ζ. B. eine dienstliche Weisung an einen Beamten, obschon sie für diesen Verpflichtungen begründet, i n der Regel keinen Eingriff i n dessen subjektive Rechtsstellung 24 . Der Topos der Verwaltungseffizienz 25 , der Ule 21 So aber Menger, V e r w A r c h Bd. 68 (1977), S. 177 f.; Schwerdtfeger, a.a.O., Rdnr. 252. 22 Vgl. hierzu auch Schenke, in: B K , a.a.O., A r t . 19 Abs. 4, Rdnr. 204 f. 28 Hierzu grundlegend Loschelder, V o m besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlichrechtlichen Sonderbindung, 1982, S. 452 ff.

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und i h m folgend andere Autoren zur Kreation eines Betriebsverhältnisses veranlaßte, legitimiert eine Beschränkung der subjektiven Rechtsstellung des i m besonderen Gewaltverhältnis Befindlichen. Die organisationssoziologischen Sachgesetzlichkeiten, die unter dem Aspekt der Verwaltungseffizienz einen Teil der Literatur dazu veranlassen, bestimmte Akte i m besonderen Gewaltverhältnis aus der Rechtsschutzgarantie des A r t . 19 Abs. 4 GG auszuklammern, beanspruchen damit bereits auf einer früheren Stufe Relevanz, als dies etwa von Schwerdtfeger und Menger angenommen wird. Nicht die Rechtsschutzgarantie ist unter dem Topos der praktischen Konkordanz zu restringieren, sondern diese Restriktion hat bereits beim materiellen Recht anzusetzen. b) Materielle Rechtsstellung des Gewaltunterworfenen und Verwaltungseffizienz Gegenüber dem hier vertretenen Lösungsansatz greift es auch nicht, wenn Schwerdtfeger 26 m i r entgegenhält, es sei nicht einzusehen, warum ich mich mit Vehemenz gegen die von i h m und anderen Autoren verfochtene Einschränkung der Rechtsschutzgarantie zur Wehr setze, i m praktischen Ergebnis dann aber einen Rechtsschutz doch i m gleichen Umfang wie er befürworte. Dieser Einwand scheint m i r nur vordergründig überzeugend. Es handelt sich bei alledem nämlich keineswegs nur u m eine rein konstruktive Divergenz und theoretische Spielerei, sondern die hier befürwortete Konzeption führt zu einer Reihe bedeutsamer Unterschiede gegenüber jener erst bei A r t . 19 Abs. 4 GG ansetzenden Lösung. Diese Differenzen sind freilich dann nicht einsichtig, wenn man das Blickfeld verengt und seiner Beurteilung nur eine prozessuale Perspektive zugrunde legt. Eine solche Sichtweise— wie sie i n der modernen Diskussion des besonderen Gewaltverhältnisses nicht selten anzutreffen ist — scheint m i r diesem Rechtsinstitut aber nicht angemessen zu sein. Sie führt nicht nur — wie oben gezeigt — zu einer systemwidrigen Asynchronität von materiellem Recht und Prozeßrecht, sie verkennt auch den instrumentalen Charakter des Prozeßrechts i m Verhältnis zum materiellen Recht und geht daran vorbei, daß der A n satzpunkt für die Kreation des Rechtsinstituts des besonderen Gewaltverhältnisses i m materiellen Recht liegt. Der organisationssoziologische Befund, der unter dem rechtlichen Aspekt der Verwaltungseffizienz relevant wird, muß bereits für das materielle Recht fruchtbar gemacht werden. Andernfalls würde man bei der Sicherung der Funktionsfähigkeit des besonderen Gewaltverhältnisses auf halbem Wege stehen24 So auch Loschelder, a.a.O., S. 460; a. A . i n neuerer Zeit ζ. B. Lässig, DÖV 1983, S. 878; Schwerdtfeger, a.a.O., S. 85, Rdnr. 252. 26 Z u m Prinzip der Verwaltungseffizienz s. Schenke, VB1BW 1982, S. 313 ff. 26 Schwerdtfeger, a.a.O., S. 85, Fn. 15.

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bleiben. So wäre es etwa untragbar, wenn man die für das allgemeine Staat-Bürger-Verhältnis geltenden Grundsätze des Gesetzesvorbehalts uneingeschränkt auf das besondere Gewaltverhältnis übertragen würde. Als verfehlt erwiese sich eine Einebnung des besonderen Gewaltverhältnisses i m materiellen Recht auch insoweit, als i n ihrer Konsequenz ζ. B. bei rechtswidrigen dienstlichen Weisungen dem betroffenen Beamten — in Analogie zum Folgenbeseitigungsanspruch — ein Recht auf Beseitigung der rechtswidrigen Anordnung seines Vorgesetzten zuerkannt werden müßte. Gleichfalls untragbar wäre es, wenn man etwa dem Beamten bei i h m gegenüber ergangenen rechtswidrigen dienstlichen Weisungen Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung gemäß § 839 BGB i n Verbindung mit A r t . 34 GG zubilligte, wie es sich i n Konsequenz einer umfassenden Subjektivierung seiner Rechtsstellung ergeben würde. A l l diese, die Verwaltungseffizienz i n der Tat gefährdenden Weiterungen vermeidet man bei der hier vertretenen, i m materiellen Recht ansetzenden Lösung. c) Keine Einschränkung der Funktionsfähigkeit besonderer Gewaltverhältnisse durch Gewährung von Rechtsschutz Auch dort, wo i m übrigen durch Akte i m besonderen Gewaltverhältnis i n subjektive Rechte des Betroffenen eingegriffen w i r d und damit Art. 19 Abs. 4 GG zum Zuge kommt, ist keine nennenswerte Einschränkung der Funktionsfähigkeit von Sonderstatusverhältnissen zu befürchten. Einwände, die in dieser Richtung erhoben wurden, stützen sich meist darauf, daß die einfachgesetzlichen, den Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte regelnden Vorschriften nicht auf alle subjektivrechtlich relevanten Akte i m besonderen Gewaltverhältnis passen, was ζ. B. an § 80 und § 58 VwGO deutlich werde. Eine solche Argumentation vermag aber bereits deshalb nicht zu überzeugen, weil durch eine angeblich verfehlte Ausgestaltung des einfachgesetzlichen Rechtsschutzsystems die verfassungsgesetzliche Rechtsschutzgarantie schon rechtslogisch nicht in Frage gestellt werden kann. Die verfassungsgesetzliche Gewährleistung des Rechtsschutzes i n Verbindung mit der verfassungsrechtlichen Sicherung der Funktionsfähigkeit besonderer Gewaltverhältnisse kann hier vielmehr umgekehrt nur den Anlaß für den Gesetzgeber bieten, den Rechtsschutz an diesen verfassungsgesetzlichen Erfordernissen auszurichten. Diesem Postulat trägt die VwGO, wie noch zu zeigen (vgl. II), bereits Rechnung. Dort, wo Akte i m besonderen Gewaltverhältnis amtsbzw. betriebs- und nicht personenbezogen sind, fehlt diesen das Kriterium eines Verwaltungsakts. Durch sie w i r d — u m es i n der Terminologie des § 35 V w V f G auszudrücken — keine Regelung getroffen, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Daran ändert sich

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auch dann nichts, wenn solche typischerweise amts- bzw. betriebsbezogenen A k t e i n Ausnahmefällen subjektivrechtliche Relevanz auf weisen. 4. Der Umfang

des verfassungsrechtlich

garantierten

Rechtsschutzes

Zeigten unsere bisherigen Überlegungen, daß A r t . 19 Abs. 4 GG i m besonderen Gewaltverhältnis ebenso wie i m allgemeinen Staat-BürgerVerhältnis Rechtsschutz gewährleistet, so gilt es, nun auf der Verfassungsebene noch zwei Fragen zu untersuchen. Zum einen nämlich, ob A r t . 19 Abs. 4 GG nur Individualakte i m besonderen Gewaltverhältnis umfaßt, oder ob er auch Regelungen, die eine unbestimmte Vielzahl von Fällen zum Gegenstand haben, miteinbezieht. Zum zweiten ist zu klären, ob sich trotz prinzipieller Einbeziehung des besonderen Gewaltverhältnisses i n die Rechtsschutzgarantie auf diesem Sektor spezifische Beschränkungen i n der gerichtlichen Kontroll dichte ergeben können. a) Die Erstreckung des Rechtsschutzes auf generell-abstrakte Regelungen i m besonderen Gewaltverhältnis Da A r t . 19 Abs. 4 GG kein Anhaltspunkt für eine Differenzierung des Rechtsschutzes zwischen allgemeinem und besonderem Gewaltverhältnis zu entnehmen ist, muß er i n demselben Umfang, i n dem er gegen generell-abstrakte Regelungen i m allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis Rechtsschutz garantiert, diesen auch für das besondere Gewaltverhältnis gewährleisten. Ob A r t . 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz gegen Normen garantiert, ist bekanntlich umstritten. Das BVerfG 2 7 hat die Frage für nur materielle Gesetze offengelassen. M. E. sprechen Wortlaut, systematische Stellung wie teleologische Auslegung des A r t . 19 Abs. 4 GG aber eindeutig für eine Erstreckung der Rechtsschutzgarantie auch auf normatives Unrecht 2 8 . Dies muß dann aber auch bezüglich solcher Regelungen angenommen werden, die i m besonderen Gewaltverhältnis erlassen werden. Zu beachten bleibt freilich dabei auch hier, daß generellabstrakte Regelungen i m besonderen Gewaltverhältnis, sofern sie amtsbzw. betriebsbezogen sind, häufig keine subjektivrechtliche Relevanz auf weisen und daher ein Rechtsschutz am Fehlen einer subjektiven Rechtsverletzung scheitert. Selbst dort, wo subjektive Rechte durch generell-abstrakte Regelungen i m besonderen Gewaltverhältnis tangiert werden, bedeutet i m übrigen die verfassungsrechtliche Garantie nicht, daß hier generell eine prinzipale Normenkontrolle gegen solche Regelungen garantiert wird. I n weitaus den meisten Fällen genügt vielmehr eine inzidente Normenkontrolle 2 9 . 27

Vgl. BVerfGE 24, S. 33 (48 ff.). Hierzu eingehend Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 28 ff. 28

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b) Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte bei A k t e n i m besonderen Gewaltverhältnis? Was das Problem der gerichtlichen Kontrolldichte von Akten i m besonderen Gewaltverhältnis anbetrifft, so ist diese Thematik bisher nur am Rande und stiefmütterlich behandelt worden. Unlängst hat jedoch Ronellenfitsch 80 hier einen Vorstoß unternommen, indem er sich dafür ausgeprochen hat, die gerichtliche Kontrolldichte bei Akten i m besonderen Gewaltverhältnis generell einzuschränken. Das würde — folgte man dieser Auffassung — bedeuten, daß jene Fallgruppen, bei denen bisher schon von Rechtsprechung und Literatur ein nur beschränkt justitiabler Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden anerkannt wurde 8 1 , nunmehr u m eine weitere Fallgruppe zu erweitern wären. Ich habe aber Bedenken, dieser Auffassung i n dieser Generalität zu folgen. Die Fälle, i n denen bisher schon bei A k t e n i m besonderen Gewaltverhältnis ein Beurteilungsspielraum anerkannt wurde — nämlich bei dienstlichen Beurteilungen und Prüfungsentscheidungen i m besonderen Gewaltverhältnis — beruhen auf sachgesetzlichen Besonderheiten und sind damit nicht verallgemeinerungsfähig. Ihre Extension würde zu einer — wenn auch auf eine andere Stufe verlagerten — Differenzierung des Rechtsschutzes i m allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis und i m besonderen Gewaltverhältnis führen, für die A r t . 19 Abs. 4 GG keine Anhaltspunkte bietet. Geht man mit der h. M. davon aus, daß A r t . 19 Abs. 4 GG grundsätzlich eine umfassende Kontrolle des Verwaltungshandelns fordert und damit Beurteilungsspielräume der Verwaltung prinzipiell ausschließt, so beansprucht diese Erkenntnis auch i m besonderen Gewaltverhältnis Beachtung. Der Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit 8 2 besonderer Gewaltverhältnisse vermag demgegenüber nicht ins Feld geführt zu werden. Wie bereits ein Blick auf die bisherige Judikatur der Verwaltungsgerichte und ihre praktischen Auswirkungen beweist, erweisen sich i n diese Richtung geäußerte Befürchtungen als nicht stichhaltig. Der Funktionsfähigkeit der Verwaltung w i r d i n ausreichendem Umfang durch Ermessensspielräume des Gewaltinhabers Rechnung getragen, wobei solche Ermessensspielräume m. E. entgegen der h. M. nicht nur auf der Rechtsfolgen-, sondern auch auf der Tatbestandsseite angesiedelt werden können 8 8 . Auch läßt sich 29 Vgl. hierzu Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 145 ff. u. ders., in: B K , A r t . 19 Abs. 4, Rdnr. 270 f. 30 Ronellenfitsch, DÖV 1981, S. 940 f. u. ders., V e r w A r c h Bd. 73 (1982), S. 245 (246). 31 Vgl. hierzu m. w . Nachw. näher Schenke, in: B K , A r t . 19 Abs. 4, Rdnr. 334 ff. 32 A u f i h n stützt sich Ronellenfitsch, V e r w A r c h Bd. 73 (1982), S. 246. 33 Vgl. hierzu näher Schenke, in: B K , A r t . 19 Abs. 4,Rdnr. 307 ff.

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Gewaltverhältnis

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der Handlungsspielraum der Verwaltung durch weitgefaßte unbestimmte Rechtsbegriffe ausreichend wahren. M i t der Anerkennung eines Beurteilungsspielraums hat dies freilich alles nichts zu tun. Für diesen ist nämlich — w i l l man den Begriff nicht völlig verwässern — typisch, daß hier die rechtliche Bindung der Verwaltung weiter reicht als die gerichtliche Kontrolle. Eine zusätzliche Flexibilität des Verwaltungshandelns w i r d i m übrigen dadurch gewährleistet, daß den i n Vollzug einer Rechtsnorm ergangenen v o l l justitiablen Entscheidungen i m besonderen Gewaltverhältnis häufig andere Entscheidungen vorgelagert sind, bezüglich derer der Gewaltinhaber einen erheblichen verwaltungspolitischen und verwaltungsorganisatorischen Spielraum besitzt 3 4 . So ist die sog. Faktorenlehre i n der Tat nicht zufällig durch die Rechtsprechung 35 auf dem Sektor des Beamtenrechts entwickelt worden. Sie darf aber — obschon die Grenzen i n praxi mitunter verschwimmen mögen — nicht m i t der A n erkennung eines Beurteilungsspielraums bei der Subsumtion unter unbestimmte Rechtsbegriffe gleichgesetzt werden. Damit sind w i r am Ende unserer verfassungsrechtlichen Überlegungen. Sie zeigten, auf einen kurzen Nenner gebracht, daß A r t . 19 Abs. 4 GG i m Rahmen des besonderen Gewaltverhältnisses i m gleichen Umfang Rechtsschutz gewährt, wie i m allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis.

I I . Die Realisierung des verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutzes auf der Basis der V w G O

I m zweiten Teil des Vortrags w i r d nunmehr darauf eingegangen, wie der Rechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis auf der Basis der VwGO zu realisieren ist. Von Interesse ist dabei insbesondere auch, an welcher Stelle und i n welchem Zusammenhang subjektivrechtlichen Besonderheiten, die für das besondere Gewaltverhältnis typisch sind, prozessual Rechnung zu tragen ist. 1. Streitigkeiten als öffentlichrechtliche

im besonderen Streitigkeiten

Gewaltverhältnis i. S. des § 40 VwGO

Klagen i m besonderen Gewaltverhältnis, die das Betriebs- oder Amtsverhältnis betreffen und deshalb i n der Regel keine subjektivrechtliche Relevanz aufweisen, läßt man häufig schon am Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 VwGO scheitern. Die Ansätze zur Begründung dieses Ergebnisses sind dabei unterschiedlich. Ζ. T. w i r d behauptet, es fehle 34 35

Dazu Schenke, i n : B K , A r t . 19 Abs. 4, Rdnr. 358 ff. Vgl. B V e r w G E 26, S. 65 (74); 39, S. 291 (299).

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hier am Vorliegen einer rechtlichen Streitigkeit 3 6 , teils geht man von einer durch A r t . 19 Abs. 4 GG begründeten Einschränkung des § 40 VwGO aus 37 . Beide Ansätze vermögen nicht zu überzeugen. Die Ansicht, es liege hier keine öffentlichrechtliche Streitigkeit vor, beruht auf der rechtstheoretisch nicht haltbaren Auffassung, bestimmte Beziehungen innerhalb des besonderen Gewaltverhältnisses seien nicht rechtlicher Natur. Damit w i r d verkannt, daß dem Innenrecht der Verwaltung die Rechtsqualität schwerlich abgesprochen werden kann. Wie anders läßt sich erklären, daß ζ. B. der Beamte den dienstlichen Weisungen seines Vorgesetzten zu folgen verpflichtet ist. Aus dem Umstand, daß durch solche Weisungen i n der Regel nicht i n die subjektive Rechtsstellung des Beamten eingegriffen wird, ergibt sich noch nicht, daß es sich hier um Nichtrecht handelt. Objektives und subjektives Recht sind vielmehr streng voneinander zu trennen. Daß die Rechtswegzuweisung des § 40 VwGO tatbestandlich nicht auf das subjektive Recht, sondern auf das objektive Recht abstellt, w i r d zusätzlich daran deutlich, daß § 42 und § 47 VwGO neben Rechtsschutz ver fahren u. a. auch nur objektivrechtliche gerichtliche Kontroll ver fahr en zum Gegenstand haben. Das aber setzt logischerweise voraus, daß der Gesetzgeber offensichtlich davon ausging, daß der Begriff der öffentlichrechtlichen Streitigkeit bei § 40 VwGO auf das objektive Recht verweist, würde es doch anderenfalls an einer Rechtswegzuweisung für solche objektiven Beanstandungsverfahren mangeln; die gesetzliche Regelung solcher Verfahren liefe damit leer und wäre sinnlos. Würde man den Begriff der öffentlichrechtlichen Streitigkeit i n § 40 VwGO als subjektivöffentlichrechtliche Streitigkeit interpretieren, so würden i m übrigen Popularklagen nicht erst an § 42 I I VwGO, sondern bereits an § 40 VwGO scheitern. Aus entsprechenden Überlegungen ergibt sich auch die Untauglichkeit des Versuchs, von A r t . 19 Abs. 4 GG her eine Einschränkung des Verwaltungsrechtsweges zu begründen. Konsequenterweise müßte nämlich dann immer dort, wo subjektive Rechtsverletzungen eines Klägers nicht möglich erscheinen, § 40 VwGO die Unzulässigkeit einer Klage begründen, ein Ergebnis, das i n dieser Allgemeinheit bezeichnenderweise von niemandem vertreten wird. I m übrigen liefe es auf eine Sinnverkehrung des A r t . 19 Abs. 4 GG hinaus, wenn man diesen, der nur eine Mindestzuständigkeit der Gerichte garantieren w i l l , ausgerechnet dazu benützen würde, die Zuständigkeit der Gerichte einzuschränken.

36

So Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 8. Aufl., 1983, S. 34. So z.B. Vehse, DÖV 1975, S. 754 (756); ähnlich w o h l auch Schwerdtfeger, a.a.O., S. 85. 37

e c h t u 2. Rechtsschutz

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im besonderen

Gewaltverhältnis

Gewaltverhältnis

und

95 Klageart

Eine wichtige Weichenstellung bezüglich des Rechtsschutzes i m besonderen Gewaltverhältnis nimmt § 42 VwGO vor. Der Rechtsschutz über die Anfechtungsklage ist danach davon abhängig, daß hier ein Verwaltungsakt gegeben ist. Maßgeblich für die Qualifikation ist dabei, ob die i n § 35 V w V f G genannten Kriterien erfüllt sind. Ohne Bedeutung ist demgegenüber, wie die Verwaltung einen von i h r i m besonderen Gewaltverhältnis erlassenen A k t qualifiziert 3 8 . Deshalb kann, selbst wenn die Verwaltung einen innerdienstlichen A k t i n der Form eines Verwaltungsakts, etwa m i t Rechtsmittelbelehrung versehen, erläßt, dies niemals die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage begründen. Bei Maßnahmen i m besonderen Gewaltverhältnis fehlt es, sofern sie amts- bzw. betriebsbezogen sind, am Vorliegen einer Regelung m i t Außenwirkung. Diese kann nämlich nur dann angenommen werden, wenn die Regelung auf eine Begründung, Aufhebung oder Veränderung des Rechtsstatus des Gewaltunterworfenen hinzielt. Zur Abgrenzung solcher A k t e von anderen, bei denen es an einer intendierten Außenw i r k u n g fehlt, bietet sich die plastische Unterscheidung Ules zwischen Betriebs- und Grundverhältnis an. Dabei ist allerdings zu beachten, daß das Grundverhältnis heute durch Lehre und Rechtsprechung erheblich ausgeweitet worden ist 3 9 . Von Relevanz ist überdies, daß Akte, die typischerweise das Betriebsverhältnis betreffen, ausnahmsweise auch i n die subjektive Rechtsstellung des Betroffenen eingreifen können. Beispiele hierfür liefert gerade die jüngste Rechtsprechung des B V e r w G 4 0 . So ist etwa die Umsetzung prinzipiell nur ein amts- und kein personenbezogener A k t . Der Beamte hat kein Recht auf Beibehaltung eines konkreten Amtes i m funktionellen Sinn. W i r d aber eine Umsetzung m i t einer dienstlichen Verfehlung eines Beamten begründet und hat sie insofern diskriminierenden Charakter, so kann hierin, sofern sich der Beamte einer solchen Verfehlung tatsächlich nicht schuldig gemacht hat, sehr wohl eine subjektive Rechtsverletzung liegen 4 1 . Da die Umsetzung des Beamten i m Regelfall nicht auf einen solchen Eingriff i n die Rechtsstellung des Betroffenen zielt und dieser sich nur aufgrund der Besonderheiten eines Einzelfalls ergeben kann, fehlt es hier an dem für das Vorliegen eines Verwaltungs88

Dazu näher Schenke, V e r w A r c h Bd. 72 (1981), S. 185 (200). Vgl. hierzu Beispiele bei Schenke, JuS 1982, S. 906 (909 f.). 40 BVerwG, DVB1. 1980, S. 883. 41 O V G Münster, DÖV 1976, S. 425; gleiches gilt dann, w e n n die Umsetzung m i t der Zuweisung unterwertiger, nicht laufbahngemäßer Aufgaben verbunden ist (vgl. BVerwG, Z B R 1975, 225 f.) oder m i t dem Verlust der Vorgesetzteneigenschaft (BVerwGE 14, S. 84 [871). 89

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akts essentiellen K r i t e r i u m der beabsichtigten Regelung mit Außenwirkung. Allgemeiner formuliert: Akte, die grundsätzlich nur das Betriebsverhältnis berühren, sind auch dann, wenn sich aus ihnen atypische, durch die Behörde nicht beabsichtigte Eingriffe i n die subjektive Rechtsstellung des Betroffenen ergeben, keine Verwaltungsakte. Diese Lösung des BVerwG hat nicht nur den Vorteil, daß sie die Frage nach der Rechtsnatur einer Maßnahme und der gegen sie zu richtenden Klageart nicht m i t materiell rechtlichen Fragen der Begründetheit der Klage vermengt und klarere, der Rechtssicherheit besser genügende Kriterien liefert als eine individualisierende Betrachtungsweise des einzelnen i m besonderen Gewaltverhältnis ergehenden Aktes. Sie trägt auch dem Erfordernis der Verwaltungseffizienz besser Rechnung, indem sie den an die Verwaltungsaktseigenschaft geknüpften E i n t r i t t des Suspensiveffekts bei Einlegung von Widerspruch und Klage gegen solche Maßnahmen verhindert, die prinzipiell nur amts- und betriebsinterne Bedeutung besitzen. Eine solche Lösung ist u m so unbedenklicher, als mit der Ablehnung der Verwaltungsaktsqualität keine Rechtsschutzeinbuße des Gewaltunterworfenen verbunden ist, dieser vielmehr über die heute allgemein anerkannte allgemeine Leistungsklage (vgl. § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO) verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu erreichen vermag. Aus diesem Grund sollte man i m übrigen auch bei anderen Akten i m besonderen Gewaltverhältnis nicht ohne Not von der Bejahung einer Verwaltungsaktsqualität ausgehen. So überzeugt es m. E. nicht, wenn man beispielsweise i n einer einzelnen Zeugnisnote, jedenfalls dann, wenn diese die Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums an einer Hochschule oder weiterführenden Schule darstellt, einen Verwaltungsakt sehen w i l l 4 2 . Eine Begründung, Veränderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses w i r d hierdurch ebensowenig bewirkt, wie durch eine dienstliche Beurteilung, bei der die h. M. 4 3 i m Einklang mit dem B V e r w G 4 4 zu Recht davon ausgeht, daß sie mangels einer rechtlichen Regelung keinen Verwaltungsakt darstellen kann. A u f diese Weise vermeidet man auch Probleme, die sich ζ. B. daraus ergeben können, daß erst nach der Notenerteilung das Notenerfordernis als Voraussetzung für den Besuch einer Hochschule aufgestellt wird. Soll hier etwa eine Metamorphose dergestalt angenommen werden, daß der Nichtverwaltungsakt sich nunmehr i n einen Verwaltungsakt verwandelt 4 5 ? Von wann an soll gegen diesen eine Anfechtungsfrist laufen? Ist schließlich 42

So aber ζ. B. Bryde, DÖV 1981, S. 193 (196); Lässig, DÖV 1983, S. 879. s. hierzu näher Schenke, JuS 1979, S. 886 (890 f.). 44 Vgl. B V e r w G E 28, S. 285 (291). 45 Das wäre i n der Tat die Konsequenz der v o m O V G Münster, DÖV 1975, S. 358 (359) u. Lässig, DÖV 1983, S. 879 vertretenen Meinung. 43

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die Rechtsnatur der Zeugnisnote etwa davon abhängig, welchen Berufsweg man später einschlägt? A l l diese Probleme stellen sich nicht, wenn man i n der Zeugnisnote keinen Verwaltungsakt sieht 4 6 . Sofern sie für das weitere berufliche Fortkommen des Schülers bedeutsam ist, kann gegen sie i m Wege einer allgemeinen Leistungsklage vorgegangen werden. Begrenzungen der Zulässigkeit eines solchen Rechtsschutzes ergeben sich dabei nur daraus, daß für diese Klageart analog § 42 Abs. 2 VwGO eine Klagebefugnis zu fordern ist. Diese Begrenzung der Zulässigkeit einer allgemeinen Leistungsklage ist unter dem Aspekt der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG unbedenklich, da diese nur dann zum Tragen kommt, wenn überhaupt die Möglichkeit einer Rechtsverletzung besteht. Bei generellen abstrakten Regelungen i m besonderen Gewaltverhältnis ist, sofern sie auf eine Veränderung des Rechtsstatus des Gewaltunterworfenen hinzielen, der Rechtsschutz gegen Normen gegeben. Soweit gewisse formale Mindesterfordernisse, wie die Publikation solcher Regelungen, erfüllt sind, spielt es dabei auch keine Rolle, ob diese i n der für Rechtsverordnungen oder für Verwaltungsvorschriften vorgesehenen Form erlassen wurden 4 7 . I n den Ländern, die von der Ermächtigung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht haben, kommt gegen Normen i m besonderen Gewaltverhältnis eine oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle zum Zuge. Andernfalls ist neben einer eventuell i n Betracht kommenden Verfassungsbeschwerde auf jeden Fall die Möglichkeit eines Rechtsschutzes durch inzidente Normenkontrollen eingeräumt. Sofern generell-abstrakte Regelungen grundsätzlich nur amts- bzw. betriebsbezogen sind, sie aber aufgrund atypischer Besonderheiten eine Person ausnahmsweise i n ihrer subjektiven Rechtsstellung betreffen, kann auch hier i n Konsequenz der o. g. bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Umsetzung nicht vom Vorliegen einer Norm ausgegangen werden. Gegen solche generell-abstrakten, prinzipiell betriebsinternen Regelungen, die nur i n atypischen Sonderfällen einen Eingriff i n subjektive Rechtsstellungen beinhalten, kommt auch hier nur eine allgemeine Leistungsklage i n Betracht. Soweit die bisher genannten Voraussetzungen der dem Rechtsschutz dienenden Verfahrensarten gegeben sind, läßt sich die Zulässigkeit entsprechender Klagen i n der Regel auch nicht unter Hinweis auf das Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses negieren. Die Fälle, i n denen das Rechtsschutzbedürfnis für Klagen i m besonderen Gewaltverhältnis ausscheiden soll, sind meist dadurch gekennzeichnet, daß es bei ihnen i n Wahrheit am rechtlichen Betroffensein des Adressaten fehlt. Damit 46 47

So ζ. B. auch Löwer, DVB1. 1980, S. 952 ff. Hierzu Schenke, V e r w A r c h Bd. 72 (1981), S. 195 f. u. 204 f.

7 Speyer 97

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e r g i b t sich aber die U n z u l ä s s i g k e i t solcher K l a g e n b e r e i t s aus F e h l e n der e r f o r d e r l i c h e n K l a g e b e f u g n i s .

dem

C. Zusammenfassung Z u s a m m e n f a s s e n d k a n n gesagt w e r d e n : A u c h i m besonderen G e w a l t v e r h ä l t n i s besteht h e u t e e i n verfassungsrechtlich g a r a n t i e r t e r u n e i n geschränkter Rechtsschutz. B e s o n d e r h e i t e n ergeben sich d a b e i a l l e r d i n g s daraus, daß d e r s u b j e k t i v e m a t e r i e l l e Rechtsstatus des G e w a l t u n t e r w o r f e n e n E i n s c h r ä n k u n g e n u n t e r w o r f e n ist, d i e auch prozessual „ d u r c h schlagen" müssen. Angesichts dieser S p e z i f i k a b e s i t z t die D i f f e r e n z i e r u n g v o n a l l g e m e i n e m u n d b e s o n d e r e m G e w a l t v e r h ä l t n i s — auch aus d e r W a r t e des Prozeßrechts — n a c h w i e v o r B e r e c h t i g u n g .

Thesen I. Der W o r t l a u t des A r t . 19 Abs. 4 G G w i e auch der systematische Z u sammenhang m i t den i h m vorangestellten materiellen Grundrechten indizierten die verfassungsrechtliche Garantie eines Rechtsschutzes auch i m besonderen Gewaltverhältnis. I I . Die Erstreckung des A r t . 19 Abs. 4 G G auf alle A k t e i m besonderen Gewaltverhältnis läßt sich nicht m i t der Funktionsfähigkeit besonderer Gewaltverhältnisse i n Frage stellen. Ebenso untauglich ist der Versuch, bestimmte Maßnahmen innerhalb des besonderen Gewaltverhältnisses wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses aus der gerichtlichen Überprüfung auszunehmen. I I I . Eine Einschränkung der gerichtlichen Überprüfimg v o n Maßnahmen i m besonderen Gewaltverhältnis ergibt sich i n p r a x i daraus, daß die subjektive Rechtsstellung der i m besonderen Gewaltverhältnis Befindlichen i m Interesse der Funktionsfähigkeit besonderer Gewaltverhältnisse Limitierungen erfährt. So k a n n ζ. B. i n einer amtsbezogenen W e i sung eines Vorgesetzten an einen Beamten i n der Regel k e i n Eingriff i n dessen subjektive Rechtsstellung gesehen werden. Das hat insofern mittelbare prozessuale Konsequenzen, als es damit an der für die verfassungsrechtliche Garantie eines Rechtsschutzes verlangten Möglichkeit einer Rechtsverletzung mangelt. Eine solche bereits i m materiellen Recht ansetzende Lösung m i t n u r mittelbaren prozessualen Konsequenzen begründet bedeutsame Unterschiede gegenüber der oben abgelehnten Auffassung, die v o n einer ausschließlich prozessual begründeten Restriktion der Rechtsschutzgarantie ausgeht. Sie ist daher streng v o n dieser zu trennen. I V . Für den durch A r t . 19 Abs. 4 GG gesicherten Rechtsschutz ist es ohne Bedeutung, ob eine subjektivrechtlich relevante Maßnahme i m besonderen Gewaltverhältnis i n F o r m eines Verwaltungsakts erfolgt. Auch generell-abstrakte Regelungen i m besonderen Gewaltverhältnis u n t e r liegen — sofern durch sie subjektive Rechte verletzt wer Jen können — der Rechtsschutzgarantie.

e c h t u

esondere

Gewaltverhältnis

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V. A r t . 19 Abs. 4 G G steht einer generellen Beschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte hinsichtlich i m besonderen Gewaltverhältnis erlassener A k t e i m Wege. Deshalb verbietet sich die Annahme, die V e r w a l t u n g besitze hier stets einen gerichtlich n u r beschränkt k o n t r o l l i e r baren Beurteilungsspielraum. V I . Der Verwaltungsrechtsweg ist — vorbehaltlich v o n Sonderzuweisungen — für alle Streitigkeiten innerhalb des besonderen Gewaltverhältnisses eröffnet. E r läßt sich weder unter Hinweis auf das Fehlen „rechtlicher" Streitigkeiten noch durch eine angeblich v o n A r t . 19 Abs. 4 GG her begründete Einschränkimg des Rechtsschutzes i m besonderen Gewaltverhältnis i n Frage stellen. V I I . Maßnahmen i m besonderen Gewaltverhältnis sind n u r dann als nach § 42 V w G O anfechtbare Verwaltungsakte anzusehen, w e n n sie auf eine Begründimg, Änderung oder Aufhebung v o n Rechten des Gewaltunterworfenen gerichtet sind. Bei Maßnahmen i m sog. „Betriebsverhältnis" fehlt es an dieser Voraussetzung. Solche typischerweise betriebsbezogenen Maßnahmen sind selbst dann keine Verwaltungsakte, w e n n ihnen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls subjektivrechtliche Relevanz zukommt (z. B. bei einer diskriminierenden Umsetzimg eines Beamten). Maßgebend für die Qualifikation einer Maßnahme i m besonderen Gewaltverhältnis als Verwaltungsakt ist i m übrigen deren I n h a l t , nicht hingegen ihre F o r m oder die durch die V e r w a l t u n g vorgenommene Bewertung. V I I I . Gegen Einzelmaßnahmen i m besonderen Gewaltverhältnis, die keine Verwaltungsakte darstellen, ist der Rechtsschutz über die allgemeine Leistungsklage zu gewähren. Voraussetzung für ihre Zulässigkeit ist aber i n analoger A n w e n d u n g des § 42 Abs. 2 V w G O die Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch die Maßnahme. I X . Gegen Rechtsverordnungen i m besonderen Gewaltverhältnis ist der auch sonst gegen Rechtsnormen eingeräumte Rechtsschutz möglich (oberverwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach Maßgabe des § 47 V w G O , Verfassungsbeschwerde bzw. inzidente Normenkontrollverfahren). Soweit eine generell-abstrakte betriebsbezogene Regelung n u r i n einem atypischen Einzelfall subjektivrechtliche Relevanz besitzt, ist der Rechtsschutz gegen sie hingegen n u r über die allgemeine Leistungsklage sicherzustellen.

Aussprache zu den Referaten von Karl Hermann Ule und Wolf-Rüdiger Schenke Die Aussprache über den Hechtsschutz i m besonderen Gewaltverhältnis leitete Prof. Dr. Ule (Speyer) ein, indem er den historischen Bezug und die Relevanz des Themas mit folgenden Worten umriß: „Vorher erlauben Sie mir, einen geschichtlichen Gedanken anzubringen, der vielleicht für das Verständnis des Themas von Bedeutung ist. Heute kommt i m Grunde genommen der Abgrenzung zwischen Grund- und Betriebsverhältnis nicht mehr die Bedeutung zu wie früher. Wenn sie sich aber die Situation Anfang der 50er Jahre vorstellen, als dies völlig anders war, dann haben w i r folgende Entwicklung durchlaufen. I m Jahre 1946 wurde die Generalklausel eingeführt durch die Verwaltungsgerichtsgesetze; i n Norddeutschland geschah dies durch die MR-Verordnung Nr. 165. Damit brach zum ersten Mal ein Damm, der bisher die Verwaltungsgerichte vor Klagen aus diesem Bereich geschützt hatte. Die erste Auswirkung dieser Entwicklung war die Anerkennung des Fürsorgeanspruchs als eines Rechtsanspruches durch die Obergerichte und das Bundesverwaltungsgericht. Das zweite war die Einbeziehung der besonderen Gewaltverhältnisse zumindest, was das Grundverhältnis anbetrifft, i n den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz. Dieser Schritt hat vor allem das Beamtenrecht und das Schulrecht betroffen, die Einbeziehung des Strafvollzugs folgte erst sehr viel später. I m Beamtenrecht hat noch 1950/51 mein verstorbener Kollege Wacke die These vertreten, es würde zum völligen Zusammenbruch des geltenden Beamtenrechts und des Berufsbeamtentums als Institution führen, wenn der einzelne Beamte gegen seinen Dienstherrn klagen könne, was er i m übrigen schon seit beinahe hundert Jahren tun konnte, soweit es sich u m vermögensrechtliche Ansprüche handelte oder u m Disziplinarverfahren. Wenn also das Berufsbeamtentum i n eine Krise geraten ist, dann sicherlich nicht aus diesem Grunde. Die zweite Gruppe von Fällen betraf die Rechtsstreitigkeiten i m Schulbereich. Als zum ersten Male Klagen von Schülern auftauchten, die nicht i n eine Schule aufgenommen wurden oder die ihr Abschlußzeugnis nicht bekamen, waren die Lehrer völlig überrascht, daß dies möglich sein sollte. Ich erinnere mich noch, wie mein verstorbener Freund Fritz Werner, der spätere Präsident des Bundesverwaltungs-

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gerichts, damals landauf-landab vor Lehrern gesprochen hat, u m klarzumachen, daß der Rechtsstaat nicht vor den Türen der Schulen aufhören könne. Viele waren überhaupt nicht für diesen Gedanken zu gewinnen. Ich habe als Anhänger der Generalklausel Verständnis für berechtigte Sorgen der Verwaltung, die davor warnt, den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu überdehnen. Dies mag zugleich als Begründung der These dienen, daß A r t . 19 Abs. 4 Satz 1 GG nur einen eingeschränkten gerichtlichen Rechtsschutz verbürgt. A u f dieser Linie liegt auch der Ausschluß von Maßnahmen i m Betriebs Verhältnis von der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung. So konnte man m i t einem Schlage, auch wenn i n Ausnahmefällen Rechtsverletzungen denkbar sind, alle diese Fälle von den Verwaltungsgerichten fernhalten. Dies ist, wenn Sie wollen, i n gewisser Weise ein Gedanke der Generalprävention gewesen. Man soll eben Streitigkeiten, die i n aller Regel keine Rechtsstreitigkeiten sind, aus dem verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz heraushalten. Soviel zum historischen Hintergrund. Für die folgende Dikussion würde ich vorschlagen, daß w i r i m A n schluß an das Referat von Herrn Kollegen Schenke i m Hinblick auf A r t . 19 Abs. 4 GG erst die verfassungsrechtliche Seite erörtern und dann von seinem Standpunkt aus — bei unbeschränktem Rechtsschutz — unter Weiterführung dieser Gedanken die verwaltungsprozessualen Aspekte." I n der Diskussion wurde zuerst die Beschränkung der Kontrolldichte i m besonderen Gewaltverhältnis erörtert. A r t . 19 Abs. 4 GG steht nach Ansicht des Referenten (These Α. V.) einer generellen Beschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte i m Wege. Diese sei, so betonte Professor Ule, wenn er den Referenten richtig verstanden habe, nicht auf das besondere Gewaltverhältnis zurückzuführen, sondern darauf, daß es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt ζ. B. u m ein pädagogisch-wissenschaftliches Werturteil handele, das aus der Natur der Sache heraus verwaltungsgerichtlich nur beschränkt überprüfbar sei. Aus dem besonderen Gewaltverhältnis als solchem sei eine geringere Kontrolldichte nicht abzuleiten. I m Anschluß daran ging es u m den Umfang besonderer Gewaltverhältnisse und ihre Beziehungen zu den Anstaltsverhältnissen. I m Gegensatz zu den Vorrednern, die sie nicht den besonderen Statusverhältnissen zugeordnet hatten, sah Professor Schenke keine grundsätzlichen Bedenken, die Anstaltsverhältnisse den besonderen Gewaltverhältnissen zuzuordnen. Hier wie dort bestünden gerade i m Hinblick auf den Rechtsschutz und den Status der Betroffenen Besonderheiten. Da innerhalb der besonderen Gewaltverhältnisse erhebliche Unterschiede i n

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der rechtlichen Ausgestaltung bestehen, könne der Rechtsstatus des einzelnen i n dem besonderen Gewaltverhältnis unterschiedlich ausfallen. Ein dritter Problemkreis drehte sich u m den Rechtsschutz gegen Normen i m besonderen Gewaltverhältnis. Nach Ansicht des Referenten umfaßt der Rechtsschutz des A r t . 19 Abs. 4 GG materielle und formelle Gesetze. Damit werde allerdings nicht gesagt, wie der Rechtsschutz i m einzelnen ausgestattet sei, so daß das Problem praktisch viel von seiner Brisanz verliere. I n den meisten Fällen werde ein ausreichender Rechtsschutz durch die prinzipale Normenkontrolle erreicht. Die Gültigkeit der Norm könne auch als Vorfrage durch inzidente Normenkontrolle geprüft werden. Wenn man die Voraussetzung mache, daß auch Rechtsvorschriften unter den Schutz des A r t . 19 Abs. 4 GG fallen, müsse man diesen Rechtsschutz konsequenterweise auch für Verwaltungsvorschriften gewähren, gab Professor Ule i n seinem Diskussionsbeitrag zu bedenken. Daraus folge, daß ζ. B. auch Beihilfevorschriften prinzipaliter mit der Normenkontrolle nach § 47 VwGO angefochten werden dürften, bevor ein Fall konkret eingetreten sei, der diese Rechtsvorschrift ausführe. Ob das eine rechtsstaatliche Verbesserung sei, lasse er von seinem Standpunkt aus dahingestellt. Professor Ule bezeichnete es als fragwürdig, einen Prozeß i n einem Zeitpunkt zu führen, i n dem nicht sicher sei, ob die Vorschrift Anwendung finde. Das sei sicherlich eine pragmatische Betrachtungsweise, trotzdem habe es immer Fälle gegeben, wo die Vorschriften i m Einzelfall hätten angegriffen werden können. Der vierte Themenkomplex befaßte sich m i t der gerichtlichen Überprüfung von Maßnahmen i m besonderen Gewaltverhältnis. Der organisationssoziologische Zugriff und die Verwaltungseffizienz erfordern nach Ansicht von Professor Schenke zur Sicherung der Funktionsfähigkeit besonderer Gewaltverhältnisse eine Einschränkung i m Rechtsstatus der Gewaltunterworfenen (These A. III.). Die grundrechtliche Anerkennung besonderer Gewaltverhältnisse ζ. B. i n A r t . 33 Abs. 5 GG, der die Einschränkung der subjektiven Rechtsstellung der Beamten verfassungsrechtlich absichert, macht es nach Ansicht des Referenten in Verbindung mit den einfachgesetzlichen Ausgestaltungen besonderer Gewaltverhältnisse erforderlich, nicht i n jeder Maßnahme einen Eingriff i n die Rechtssphäre des Gewaltunterworfenen zu sehen. Das Problem bestehe generell darin, die einzelnen Grundrechte und z.B. A r t . 33 Abs. 5 GG auf einen Nenner zu bringen. So könne i n einer dienstlichen Weisung des Vorgesetzten kein Eingriff i n die subjektive Rechtsposition eines Beamten gesehen werden. Diese Auffassung hat nach Professor Schenke insofern mittelbar prozessuale Konsequenzen, als es an der

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Möglichkeit einer Rechtsverletzung fehlt. Diese materiell-rechtliche Lösung m i t mittelbarer prozessualer Konsequenz enthalte aber bedeutsame Unterschiede gegenüber einer ausschließlich prozessual begründeten Einschränkung des Rechtsschutzes. Dem wurde entgegengehalten, daß der Referent damit die Probleme nur verlagere. Der letzte Themenkomplex setzte sich mit der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts i m besonderen Gewaltverhältnis auseinander. Der Ule'schen Lehre vom Grund- und Betriebsverhältnis habe man mangelnde Trennschärfe vorgeworfen. Es sei aber die Frage, ob mit der neuen Abgrenzung des Bundesverwaltungsgerichtes nach der objektiven Zielrichtung der Maßnahme eine bessere Abgrenzung erreicht werden könne. Entscheidend für die Abgrenzung ist nach dem Bundesverwaltungsgericht die objektive Zielrichtung der Maßnahme, nicht die Rechtsbeeinträchtigung. Die objektive Zielrichtung einer Umsetzung, Abordnung oder Versetzung sei aber fast immer verwaltungsintern, während die Auswirkung für den Beamten durchaus zu einer Veränderung der Rechtsstellung führen könne. Es sei daher die Frage, ob man hier eine bessere Abgrenzung erreiche. Dem trat der Referent mit der Auffassung entgegen, wenn eine Maßnahme typischerweise nicht i n die Rechtstellung des Betreffenden eingreife, dann sei sie, selbst wenn es sich ausnahmsweise um eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte handele, kein Verwaltungsakt. Dies sei pragmatisch m i t den Schwierigkeiten zu begründen, daß §§ 80 und 58 VwGO für diese Fälle einfach nicht paßten. Was das angesprochene Beispiel der Abordnung angehe, vertrat der Referent die Auffassung, daß der Fall hier anders liege: Die Abordnung sei eine i n den Beamtengesetzen näher geregelte Maßnahme, die nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei. Dies sei als Indiz zu werten, daß die Abordnung nicht nur ausnahmsweise, sondern typischerweise i n die Rechtsstellung des Beamten eingreife. Gerade diese Voraussetzung sei aber bei der Umsetzung üblicherweise nicht gegeben. Damit gebe der Gesetzgeber über die gesetzliche Ausgestaltung Indizien vor, welche Maßnahmen i n die Rechtsstellung der Gewaltunterworfenen eingreifen und welche nicht. Bei der Umsetzung fehle es aus diesem Grunde an einer subjektiv-rechtlichen Relevanz. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes verdient nach Professor Schenke aus einem weiteren Grunde Zustimmung: Die Zielgerichtetheit des Handelns sei auch über diesen Fall der Abgrenzung i m besonderen Gewaltverhältnis hinaus das maßgebliche K r i t e r i u m z.B. bei der Abgrenzung eines Verwaltungsaktes von einer anderen A r t des Verwaltungshandelns. Als Beispiel führte der Referent die Weisung einer Aufsichtsbehörde an die nachgeordnete Behörde an. Hier

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handele es sich u m keinen Verwaltungsakt. Das gelte selbst dann, was i n atypischen Fällen denkbar sei, wenn eine außenstehende Person durch diese Maßnahme i n ihrer Rechtsstellung betroffen werde (vgl. den berühmten Fall des Württ.-Bad. VGH: „Baustoff-Fall"). Nach der Erörterung weiterer Einzelfragen blieb es Professor Ule vorbehalten, folgendes Resümee zu ziehen: „Das alles, meine Damen und Herren, ist, wie Sie wahrscheinlich auch gesehen haben, ein weites Feld. Ob Ihnen diese Tagung zu einer größeren Klarheit verholfen hat, weiß ich nicht. Vielleicht gibt es aber auch keine größere Klarheit als die, die w i r erreicht haben."