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German Pages 685 Year 1997
Demokratie und Verwaltung
Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 50
Demokratie und Verwaltung 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
Zweite Auflage
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Demokratie und Verwaltung: 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. - 2. Aufl. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 50) ISBN 3-428-09073-X NE: Hochschule für Verwaltungswissenschaften (Speyer): Schriftenreihe der Hochschule ...
1. Auflage 1972
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-09073-X
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Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Geleitwort des Rektors zur zweiten Auflage Die Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer besteht 1997 seit einem halben Jahrhundert. Bei den Vorbereitungen für die aus Anlaß des 50jährigen Jubiläums der Hochschule erscheinende wissenschaftliche Festschrift geriet auch die 1972 erschienene Festschrift zum 25jährigen Hochschuljubiläum erneut ins Blickfeld. Der Leser wirdvielleicht mit Erstaunen - feststellen, daß viele der seinerzeit behandelten Themen keineswegs an Aktualität verloren haben und daß viele Aussagen weiterhin gültig sind. Im übrigen ermöglicht der Vergleich von Themen und Inhalten der Festschriften zum 25jährigen und 50jährigen Jubiläum der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer interessante Einblicke in die Entwicklung der Hochschule und der an ihr vertretenen Fachgebiete. So entstand der Wunsch nach einer Neuauflage des vorliegenden Bandes. Dem Verleger, Herrn Professor Dr. iur. h. c. Norbert Simon, gebührt Dank dafür, daß er diese Neuauflage ermöglicht hat. Speyer, im Januar 1997
Klaus Lüder
Geleitwort des Rektors Im Jahre 1947 als Staatliche Akademie für Verwaltungswissenschaften gegründet, besteht die Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer nunmehr seit einem Vierteljahrhundert, einem Vierteljahrhundert der Arbeit in Forschung und Lehre, getragen von einer kleinen Wissenschaftlergruppe, die erst in den letzten Jahren kräftig erweitert werden konnte, ermuntert von der Fürsorge des Bundes und der Länder, vor allem aber gefördert vom Lande Rheinland:"'Pfalz, dessen Ministerpräsidenten und Chefs der Staats kanzlei zu ihren wahren Protektoren geworden sind. Nachdem die Hochschule schon zu ihrem zehnjährigen Bestehen mit einem Sammelband "Staats- und verwaltungswissenschaftliche Beiträge" (1957) an die Öffentlichkeit getreten ist und so einen überblick über ihre wissenschaftliche Arbeit zu geben versuchte, hat sich ihr Senat zur Feier des 25jährigen Jubiläums zur Herausgabe der vorliegenden Festschrift entschlossen. Die Festschrift steht unter dem einheitlich'en Gesamtthema "Demokratie und Verwaltung". Der Entschluß zu einem solchen Gesamtthema ist das Ergebnis der überlegung, daß es das 25jährige Bestehen einer Hochschule allein nicht rechtfertigt, sie durch eine Festschrift zu feiern. Ein von ihr vorgelegtes wissenschaftliches Werk, das über die in ihr vertretenen Fachrichtungen und Forschungsansätze Auskunft gibt und einen Einblick in ihre wissenschaftliche Arbeit vermittelt, findet seine Rechtfertigung aber jedenfalls dann, wenn es sich einem brennenden Thema der Zeit widmet. Das Thema "Demokraüe und Verwaltung" gestattet es, die verschiedenartigen Aspekte zu beleuchten, unter denen Demokratie und Verwaltung gesehen werden können, und ist überdies besonders geeignet, von den verschiedenen, an der Hochschule vertretenen Disziplinen behandelt zu werden. Vielleicht können durch diese Schrift einige Lücken im Schrifttum geschlossen werden. Aus der Absicht, zu einem geschlossenen Gesamtthema eine wissenschaftliche Selbstdarstellung zu vermitteln, ergaben sich Folgerungen für den Mitarbeiterkreis. Die Bitte des Senats um Mitarbeit richtete sich einerseits an den amtierenden Lehrkörper (ordentliche Professoren und Emeriti, Privatdozenten, aktive Honorarprofessoren, Lehrbeauftragte, Wissenschaftliche Assistenten und Institutsreferenten), anderer-
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Geleitwort des Rektors
seits an Professoren anderer Hochschulen, die früher als Mitglieder des Lehrkörpers in Speyer tätig waren. Mit Freude und Dank darf ich feststellen, daß sich eine beachtliche Anzahl von ihnen zur Mitarbeit entschlossen und so ihre Verbundenheit zur Hochschule für Verwaltungswissenschaften bekundet hat. Neben den Beiträgen zur Gesamtthematik umfaßt die Festschrift eine einleitende Darstellung, in welcher Geschichte, gegenwärtiger Stand und Entwicklungsperspektiven der Hochschule behandelt sind. Ich danke aUen, die das vorliegende Werk durch ihre Mitarbeit als Verfasser, aber auch durch ihre Mitarbeit bei der Vorbereitung und Betreuung gefördert haben. Dank gebührt insbesondere Herrn Regierungsrat Dr. Heinrich Josef Schröder, dem Sekretär der zur Vorbereitung der Festschrift eingesetzten Senatskommission. Ich möchte hoffen und wünschen, daß die Festschrift der Hochschule den Anstoß zu einer intensiven Diskussion der von ihr behandelten Problematik gibt. Roman Herzog
Inhaltsverzeichnis Geleitwort des Rektors ................................................
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Dr. iur. Franz Knöpjle, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer ..........
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I. Historische und systematische Aspekte
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Dr. phil. Rudotj Morsey, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Zur Beamtenpolitik des Reiches von Bismarck bis Brüning 101 Dr. phil. Hans Fenske, Privatdozent an der Universität FreiburglBreisgau: Monarchisches Beamtenturn und demokratischer Staat. Zum Problem der Bürokratie in der Weimarer Republik .......................... 117 Dr. phil. Georg Smolka, em. o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Beamteninitiative und Polizeistaatsdenken. Zur Vorgeschichte des preußischen Auswanderungsgesetzes vom 7. Mai 1853 ................ 137 Dr. rer. pol. Reinhard Schaeder, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Demokratische Tendenzen in der Pflege der Verwaltungswissenschaft 159 Dr. phil. Arnold Gehlen, em. o. Professor an der Technischen Hochschule Aachen: Demokratisierung .................................................. 179 Dr. phil. Hans Ryjjet, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Der demokratische Gedanke im politischen und im sozialen Bereich.. 191 Dr. sc. pol. Niktas Luhmann, o. Professor an der Universität Bielefeld: Politikbegriffe und die "Politisierung" der Verwaltung .............. 211
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Inhaltsverzeichnis
Dr. iur. WiHi Geiger, Richter am Bundesverfassungsgericht und Senatspräsident am Bundesgerichtshof, Honorarprofessor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes ...................... 229 Dr. iur. Hartwig Bülck, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Europäische Integration und demokratische Repräsentation .......... 247 Dr. iur., Dr. rer. pol. Klaus König, ao. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Verwaltungsreform und Demokratiediskussion ...................... 271
11. Die Verwaltung in Staat und Gesellschaft
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Dr. iur. Christian-FTiedrich Menger, o. Professor an der Universität Münster: Verwaltungsrichtlinien - autonome Rechtsetzung durch die Exekutive? ............................................................ 299 Dr. iur. Hans Georg Dahlgrün, Staatsminister a. D., Landeszentralbankpräsident a. D., Honorarprofessor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Parlamentarische Kontrolle und autonome Verwaltungsbereiche 317 Dr. iur. Franz Mayer, o. Professor an der Universität Regensburg: Selbstverwaltung und demokratischer Staat ........................ 327 Dr. phi!. Renate Mayntz, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Funktionen der Beteiligung bei öffentlicher Planung ............ . ... 341 Dr. iur. Rudolf Stich, o. Professor an der Universität Trier-Kaiserslautern: Die Mitwirkung des Bürgers und der Öffentlichkeit an der Raumplanung ............................................................ 355 Dr. iur. Hans-Joachim Kraemer, Leitender Ministerialrat im Sozialministerium Rheinland-Pfalz, Lehrbeauftragter an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Anforderungen der demokratischen Gesellschaft an die Sozialverwa!tung der Länder unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Rheinland-Pfalz ................................................ 375
Inhaltsverzeichnis
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Dr. iur. Albert Stamm, Direktor i. R., Lehrbeauftragter an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Wachstumsorientierte Renten im Blickfeld der öffentlichen Verwaltung .............................................................. 395 Dr. iur. Heinrich Joset Schröder, Regierungsrat, Referent am Forschungsinstitut der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Die Konzertierte Aktion - Modell für eine Zusammenarbeit von Staat und Verbänden? ............................................ 419 Dr. iur. Hans-Werner Laubinger, M. C. L., Regierungsrat, Referent am Forschungsinstitut der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Die Verwaltung als Helfer des Bürgers. Gedanken zur behördlichen Betreuungspflicht .................................................. 439 Volker Heydt, Assessor, Referent am Forschungsinstitut der Hochschule
für Verwaltungswissenschaften Speyer: Zum Verkündungswesen im demokratischen Rechtsstaat ... . .... . ... 463
111. Aufbau und Strukturen der Verwaltung
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Dr. iur. Roman Herzog, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Möglichkeiten und Grenzen des Demokratieprinzips in der öffentlichen Verwaltung 485 Dr. iur., Dr. phil. Erich Bec1cer, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Die vollziehende Gewalt nach der demokratischen Verfassung des Grundgesetzes .................................................... 497 Dr. iur. Wilhelm Reuß, Staatssekretär a. D., Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Darmstadt und an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Betriebsjustiz und Demokratisierung der Gesellschaft .............. 517 Dr. iur. Eberhard Laux, Landrat a. D., Vorstandsmitglied der Wirtschaftsberatungs-AG Düsseldorf, Honorarprofessor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Verwaltungsführung und betriebliches Management .... . ...... . .... 537 Dr. iur. Roman Schnur, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: über Team und Hierarchie ........................................ 557
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Inhaltsverzeichnis
Dr. iur. Frido Wagener, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: öffentliche Planung und zukünftige politische Entscheidung ........ 571 Dr. iur. Hubert Görg, em. o. Professor an der Universität Marburg: Zur Entwicklung des Schulverwaltungsrechts ........................ 589 Dr. iur. Hans Heinrich Rupp, o. Professor an der Universität Mainz: Demokratie und Wissenschaftsverwaltung .......................... 611 Dr. iur. Dietrich Bahls, M. C. L., Regierungsrat, Wissenschaftlicher Assistent an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Der Inhalt des Rechts auf freie Wahl der Ausbildungsstätte als Maßstab für die Regelung des Zugangs zur Hochschule .................. 629 Dr. iur. Walter Rudol!, o. Professor an der Universität Mainz: Probleme der auswärtigen Kulturverwaltung ...................... 645 Dr. iur. Carl Hermann UIe, o. Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer: Demokratisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit? .................. 663
25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Von Franz Knöpfle 1. Von der Ecole Superieure d'Administration zur Hochschule für Verwaltungswissenschaften 1. Gründung im Jahr 1947: 2. Entwicklung bis zum Errichtungsgesetz des Landes Rheinland-Pfalz von 1950; 3. Verwaltungsabkommen über den Beitritt der übrigen Länder und des Bundes; 4.. Vereinigung der Freunde und Förderer.
II. Weitere Entwicklung ihrer Verfassung, Verwaltung und rechtlichen Stellung
1. Mitwirkung von Gruppenvertretern im Senat; 2. Reformvorbereitungen im Zusammenhang mit dem allgemeinen Hochschulgesetz des Landes Rheinland-Pfalz von 1970; 3. Hochschulverwaltung; 4. Neubau des Hochschulgebäudes mit Wohnheim; 5. Hochschulbibliothek; 6. Westdeutsche Rektorenkonferenz und Wissenschaftsrat.
rII.
Lehre und Forschung im Wandel 1. Das Selbstverständnis der Hochschule im Spiegel des Ausbaus ihres
Lehrkörpers; 2. Ausbildung der Referendare; a) Grundsätze der Ausgestaltung; b) Verkürzung des juristischen Vorbereitungsdienstes in den Jahren 1965 und 1971; c) Vorschläge zur Reform der juristischen Ausbildung; d) Mitwirkung an der einstufigen Juristenausbildung; e) Lehrplan und Unterrichtsgestaltung; f) Leistungsnachweise; 3. Berufsbegleitende Fortbildung (Kontaktstudium); a) Aufgabe und allgemeine Entwicklung; b) Kurztagungen; c) Ausbau des Kontaktstudiums; d) Internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Fortbildung; 4. Forschung; a) Aufgabe; b) Verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagungen; c) Forschungsinstitut an der Hochschule; d) Habilitationsrecht; e) Promotionsrecht. Anhänge
A. Chronik der Hochschule; B. Verzeichnis der Rektoren; C. Verzeichnis der
Ehrensenatoren; D. Verzeichnis der Mitglieder des Lehrkörpers; E. Fortbildungsveransta!tungen und Arbeitstagungen; F. Schriften der Hochschule.
I.
1. Die ersten Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges waren für die öffentliche Verwaltung eine Zeit des Wiederanknüpfens an geistige Entwicklungslinien, die mit dem Ende der Weimarer Republik
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Franz Knöpfle
unterbrochen worden waren, und ihrer Weiterführung gemäß den veränderten Bedürfnissen der Gegenwart. Die Gründung der "Höheren Verwaltungsakademie" in Speyer im Jahr 1947 fällt in diese Epoche, so daß zunächst vermutet werden könnte, mit Schaffung dieser Institution sei eine Wiederbelebung der großen deutschen verwaltungswissenschaftlichen Tradition beabsichtigt gewesen. Diese war bereits im letzten Jahrhundert durch die Entfaltung der fortan auch die Verwaltungsausbildung beherrschenden Verwaltungsrechtslehre unter der Ägide Otto Mayers in den Hintergrund gedrängt worden. In der Tat hatte es in Deutschland eigene Pflegestätten einer verwaltungswissenschaftlichen Ausbildung gegeben, nämlich die Kameral-Hohe-Schule zu Lautem (1774 bis 1784) und die Hohe-Karls-Schule zu Stuttgart (1780 bis 1793). Im Gegensatz zu diesen Bildungsstätten war vergleichbaren Gründungen in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, wie der Hochschule für kommunale Verwaltung in Düsseldorf (1911 bis 1923), der Hochschule für kommunale und soziale Verwaltung in Köln (1912 bis 1919) und der Fürst-Leopold-Akademie für Verwaltungswissenschaften in Detmold (1918 bis 1923), kein nachhaltiger Einfluß beschieden. Gründerin der Speyerer Hochschule war indes die französische Besatzungsmacht!, die sich, ohne Berücksichtigung deutscher Traditionen, an der im Jahr 1945 unter dem Einfluß von Resistance-Kreisen in Paris errichteten "Ecole Nationale d'Administration" orientierte. Dies zeigt deutlich ein Vergleich des Inhalts des Errichtungsdekrets mit Struktur und Zielsetzungen des französischen Vorbilds: Die Aufnahme in die zentrale französische Ausbildungsstätte für die oberen Beamtenränge2 setzte das Bestehen einer schweren Prüfung unter Konkurrenzbedingungen (Coneours) voraus3 • Zugelassen wurden zunächst 4 Fakultätsabsolventen sowie Beamte aller Laufbahnen und Grade, bis zu einem gewissen Höchstalter, unabhängig von vorherigen Studien und Diplomen, falls sie vier Jahre im Verwaltungsdienst tätig gewesen waren. 1 s. Verfügung Nr. 194 des Administrateur General über die Errichtung einer Höheren Verwaltungsakademie vom 11. Januar 1947, Journal Officiel du Commandement en Chef Fran!;ais en Allernagne, Nr. 52 vom 17. Januar 1947, S. 538. Die folgende Darstellung stützt sich, soweit keine anderen Quellen angegeben sind, auf die Akten der Hochschule. Sie gibt die persönliche Auffassung des Verfassers wieder, der für ergänzende Aufschlüsse den Professoren Dr. Dr. Erich Becker und Dr. Arnold Gehlen und für die Erstellung der Anhänge Regierungsrat Dr. Heinrich Josef Schröder zu Dank verpflichtet ist. 2 s. Helmut Quaritsch, Eine Schule der Verwaltung: L'Ecole Nationale d'Administration, in Verwaltungsarchiv, 52. Band, 1961, S. 217 ff., 217. 3 s. Georges Langrod, Einige Hauptprobleme der französischen Verwaltung der Gegenwart, in Verwaltungsarchiv, 48. Band, 1957, S. 191 ff., 201. 4 Später durchgeführte Reformen können hier außer Betracht bleiben, da es auf die Verhältnisse im Jahr 1947 ankommt.
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Unterricht und weitere Prüfungen unterschieden nicht zwischen ehemaligen Studenten und Beamten ohne akademische Vorbildung. Allen begabten Kandidaten beider Kategorien sollte der Aufstieg zu den höchsten Verwaltungsstellen offenstehen. Eine gute Plazierung bei der Abschlußprüfung sicherte dem Absolventen eine freie Planstelle in der Verwaltung. Entsprechende Regelungen enthält das dem Errichtungserlaß beigefügte Statut der Speyerer Akademie: Sie sollte Hörern mit Universitätsstudium von mindestens sechs Semestern, gleich welcher Fachrichtung, die sich zu einem mindestens fünf jährigen Verwaltungsdienst verpflichteten, sowie besonders befähigten Beamten der mittleren Laufbahn ohne akademische Ausbildung offenstehen. Mit der Zulassung zur Akademie nach einer Aufnahmeprüfung sollten die Studierenden Rechtsstellung und Gehalt von Referendaren, vom zweiten Jahr an von Ass·essoren erhalten. Nach einem viersemestrigen Studium, das sich auf die Pflichtfächer Deutsch, Geschichte, Nationalökonomie, Wirtschaftsgeographie, Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre, Finanzrecht und öffentliches Rechnungswesen sowie auf Fremdsprachen und die Wahlfächer Allgemeine Verwaltung, Finanzverwaltung sowie Wirtschafts- und Ernährungsverwaltung zu erstrecken hatte, war das Abschlußexamen an der Akademie selbst abzulegen. Die Statuten bestimmten weiter, daß künftig das Diplom der Akademie Voraussetzung für jede Ernennung zum Beamten der höheren Verwaltungslaufbahn sei und die Absolventen der Akademie in dem Land, dem sie angehören, einen Rechtsanspruch auf Anstellung besäßen. Wenn auch volle Klarheit über kultur- und nationalpolitische Hintergründe der Hochschulneugründungen der französischen Besatzungsmacht, nämlich der Universität Mainz, der Dolmetscherhochschule in Germersheim und der Speyerer Hochschule, erst nach Offenlegung der französischen Akten zu gewinnen sein dürfte, so läßt sich doch feststellen, welche administrativen Ziele mit dieser weitreichenden Angleichung der Verwaltungsausbildung an das französische Muster erreicht werden sollten: Titel I der Statuten bezeichnet als Zweck der Akademie die möglichst rasche Neubildung einer Beamtenschaft, "die - im Besitze der notwendigen fachlichen Fähigkeiten, vermöge der Hingabe an ihr Amt und VOn Pflichtbewußtsein beseelt - dazu befähigt ist, zur Wiedergeburt des demokratischen Geistes in den Ländern der Französischen Besatzungszone beizutragen". Neben dem Ziel einer geistigen Regeneration der Beamtenschaft und einer Schließung der Lücken, die im Zusammenhang mit der Entnazifizierung entstanden waren5 , stand die Absicht, das Juristenmonopol in der Verwaltung durch Öffnung der Laufbahn für anders vorg·ebildete Bewerber zu beseitigen. Die Militär5 Vgl. F. Roy Willis, The French in Germany 1945-1949, Stanford, California, 1962, S. 176.
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regierung betrachtete - zu Unrecht - den "juristischen Geist" als Friedensstörer, den es auszumerzen gelte 6 • Errichtungserlaß und Statut bestimmten, daß die Akademie eine rechtsfähige Anstalt lImit finanzieller Selbständigkeit" ist, deren Einrichtungs- und Betriebskosten auf die einzelnen Länder der französischen Besatzungszone entsprechend ihrer Bevölkerungszahl umgelegt werden sollten. Als Organe waren vorgesehen der Verwaltungsrat, der von diesem zu bestellende Leiter der Akademie und der Senat. Der Verwaltungsrat wurde gebildet aus dem Leiter der Akademie als Präsident, je einem höheren Beamten als Vertreter der Regierungen der beteiligten Länder, den Rektoren der Universitäten des Besatzungsgebiets, dem V~rwaltungsdirektor der Akademie und zwei gewählten Vertretern des Lehrkörpers. Seiner Funktion nach war er ein überwachungsorgan, das auch über das Budget und die Einführung neuer Lehrfächer zu entscheiden, bei der Ernennung der Beamten mitzuwirken und eines oder mehrere seiner Mitglieder in die Kommission zur Abnahme der Schlußprüfungen zu entsenden hatte. Der Leiter, der die Akademie nach außen vertrat, war verantwortlich für den ordnungsmäßigen Studienbetrieb, "die Disziplin in der Anstalt" und für die Geschäftsführung in finanzieller Hinsicht. Der Senat, der sich aus den Professoren, den Abteilungsdirektoren und je einem gewählten Mitglied der einzelnen Abteilungen zusammensetzen sollte, hatte lediglich die Aufgabe, den Leiter in allen Angelegenheiten des Studienbetriebs und der Anstaltsdisziplin zu beraten. Die Akademie sollte in eine allgemeine Abteilung, die das Lehrangebot in den genannten Pflichtfächern zu bestreiten hatte, und in Spezialabteilungen für die bezeichneten Wahlfächer gegliedert werden. Der Unterricht in der allgemeinen Abteilung sollte nur von vorübergehend in Speyer tätigen Gastprofessoren, der in den Spezialabteilungen von regulären Professoren oder von Verwaltungsbeamten erteilt werden. Die französischen Vorstellungen unterschieden sich also in bezug auf Aufgabenstellung, Zugang zum Studium, Gestaltung des Studienplanes, Verfassung und Lehrkörperstruktur wesentlich von dem klassischen Bild der deutschen Universität. Stellt man jedoch die Gründung in Speyer in den größeren Zusammenhang der in beiden Richtungen über den Rhein ziehenden geistigen Strömungen, dann wird erkennbar, daß 8 So z. B. der Hinweis des Präsidenten der Akademie auf der Sitzung ihres Verwaltungsrats am 4. August 1948, S. 3 der Niederschrift. - Im Schreiben der Militärregierung der Französischen Besatzungszone der Provinz Pfalz an den Oberregierungspräsidenten vom 29. September 1947 heißt es: "Herr Generaladministrator betont außerdem, daß nicht die Rede davon sein kann, Beamte, die aus dem höheren Justizdienst kommen, in den Verwaltungsdienst übertreten zu lassen, da die Akademie unter anderem das Ziel verfolgt, die Vorrangstellung der Juristen innerhalb der Verwaltung zu brechen."
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die französische Initiative? einen Akt in dem jahrhundertelangen Prozeß wechselseitiger kultureller Befruchtung darstellt: Im Jahr 1845 erschien im zweiten Band der "Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft" -ein Aufsatz von Robert von Mohl (1799-1875) mit dem Titel "Ueber eine Anstalt zur Bildung höherer Staatsdiener"8. Ihm schwebte die Errichtung einer wissenschaftlichen "Bildungsschule für den Generalstab des Civildienstes" vor; sein Gedanke war, befähigten Dienstbewerbern nach Abschluß ihrer Universitätsstudien "durch Einräumung einer sorgenfreien, vor äußeren Störungen und fremdartigen Geschäften geschützten Lage Gelegenheit zu geben zu mehrjähriger rein theoretischer und systematischer Höherbildung in einem beliebigen besondern Zweig ihres Faches". Häufige mündliche Disputationen sollten "Schlagfertigkeit im Gedankenkampfe" geben; eine umfangreiche Schlußabhandlung sollte den besten Ausweis "der ... erlangten höchsten theoretischen Ausbildung" darstellen. Diese Abhandlung fand in Frankreich starke Beachtung und trug nicht unwesentlich zur Errichtung der Ecole d' Administration in Paris durch die Regierung der H. Republik im Jahr 1848 bei. Obwohl diese Schule bereit., im August des Jahres 1849 wieder beseitigt wurde, gilt sie, weil die in ihr verwirklichte Idee einer verwaltungswissenschaftlichen Ausbildung lebendig blieb, als Vorläuferin der heutigen Ecole Nationale d'Administration. An der Verbreitung der in Deutschland entwickelten Vorstellungen über die Pflege der Verwaltungswissenschaften jenseits des Rheins hat ein ehemaliger Schüler der Hohen Karls-Schule zu Stuttgart, nämlich der berühmte Anatom Georges Cuvier aus Montbeliard, der dem Conseil d'Etat angehörte, entscheidenden Anteil 9 • Am 15. Mai 1947 eröffnete die Akademie ihre Pforten für 50 angenommene Hörer von 190 Bewerbern um Zulassung. Ihr erster Leiter war Regierungspräsident i. R. Professor Dr. iur. Hermann Haußmann, Ehrensenator der Universität Greifswald; er hatte vor seiner juristischen Ausbildung das Studium für den Dienst als Volksschullehrer absolviert, war Regierungspräsident von Stralsund bis zur Auflösung dieses Bezirks im Jahr 1932 gewesen und gleichzeitig mit seiner Berufung an die Akademie zum Professor ernannt worden. Sein pädagogisches Engagement und seine in leitender Stellung erworbene Verwaltungserfahrung empfahlen den politisch unbelasteten Beamten dem französischen Oberkommando in Baden-Baden, mit dem er bei einer 7 Zu dieser Seite der französischen Besatzungspolitik vgl. F. Roy Willis. France, Germany and the New Europe 1945-1967. Revised and Expanded Edition, London, Oxford, New York, 1968, 2. Kapitel, S. 32 ff., mit dem Titel "The Paradoxical Occupation, 1945-1949". 8 a.a.O., S. 268 ff. e s. Georges Langrod, Einige Hauptprobleme der französischen Verwaltung der Gegenwart, in Verwaltungsarchiv, 48. Band, 1957, S. 191 ff., 212 f.
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Vorsprache in anderer Angelegenheit zufällig in Kontakt gekommen sein soll. Als sein Vertrauensmann besaß er, wie dies in den ersten Jahren der Besatzungszeit vielfach der Fall war, umfassende Befugnisse; so hatte er weitgehend freie Hand bei der Bildung des Lehrkörpers. 2. Bedenkt man, daß die Gründung der Akademie allen erreichbaren Informationen zufolge weder mit deutschen Behörden noch Professoren abgesprochen wurde, daß das durch sie verwirklichte Rekrutierungsund Ausbildungssyst-em der deutschen Verwaltung fremd war und daß schließlich das Errichtungsdekret der neuen Institution nicht das Gesamtgepräge einer wissenschaftlichen Hochschule gab, dann wird verständlich, daß die an die Akademie berufene Professorenschaft von Anbeginn an eine andere Konzeption -entwickelte, um die hohe Schule in den deutschen Rahmen einzufügen. Sie ist gekennzeichnet durch die wissenschaftliche Prätention, "die Verwaltungswissenschaft zu neuem Leben zu erweclren"10, also auch Forschung zu betreiben (hierzu s. unten Abschnitt III 4), zum anderen durch die Anknüpfung an das Regierungsreferendariat und die Betonung des Leistungsprinzips in der Ausbildungsprogrammatik, und schließlich auf dem Fortbildungssektor durch die Aufnahme "der alten Tradition der Fortbildungskurse der im Dienst befindlichen Beamten für die höhere Laufbahn" 11. Eine Ausrichtung am französischen Modell wäre im übrigen daran gescheitert, daß der Leiter der Akademie und die anderen Professoren eine Vorstellung von dessen Lehrinhalten und -formen nicht hatten und sich ein Bild hi-erüber auch nicht aus dem Schrifttum oder durch persönliche Anschauung hätten verschaffen können. So steht die ganze Entwicklung der Akademie im Zeichen eines bewußten Abrückens von wichtigen französischen Zielvorstellungen und Rechtsvorschriften. Der eigene "deutsche Kurs" wird schon äußerlich sichtbar durch die im Journal Officiel nicht vorgesehenen Bezeichnungen der Akademie und ihres Leiters1!. Von den französischen Rechtsgrundlagen wurde insbesondere in folgenden Punkt-en abgewichen: Von den Hörern mit Hochschulbildung wurde als Zulassungsvoraussetzung neben der Aufnahmeprüfung ein Abschlußexamen verlangt; auch die Beamten der mittleren Laufbahn mußten trotz hervorragender Qualifikation eine Aufnahmeprüfung ablegen. Der Studiengang wurde in Anlehnung an das d-eut10 s. Erich Becker, Stand und Aufgaben der VerwaItungswissenschaft, in Festschrift für Friedrich Giese, Frankfurt 1953, S. 31 Anm. 55 und 57; ebenso in der Sache Haußmann, s. unt~n Anm. 23. 11 s. die Abhandlung "Wesen und Aufgabe der Akademie" im ersten Vorlesungsverzeichnis des Sommersemesters 1947, S. 6. n Schon das erste Vorlesungsverzeichnis des Sommersemesters 1947 verwendet die fortan geführte Bezeichnung "Staatliche Akademie für Verwaltungswissenschaften Speyer" statt des Titels nach dem Journal Officiel "Höhere VerwaItungsakademie" (übersetzung von teole Superieure d'Administration) und die Amtsbezeichnung "Rektor", während im Journal Offieiel "Direeteur" mit "Leiter" übersetzt ist.
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sche Regierungsreferendariat um einen 18-monatigen praktischen Dienst bei Verwaltungsbehörden verlängert, das Schluß examen der Hochschule in die Staatsprüfung für den höheren Verwaltungsdienst nach deutschem Recht umgewandelt. Auch die Bestimmung, daß die Ablegung des Examens an der Akademie einen Rechtsanspruch auf Anstellung im höheren Verwaltungsdienst gewährt, wurde nicht beachtet. Die noch im ersten Vorlesungsverzeichnis als "vielleicht wichtigste Aufgabe" erwähnte Funktion, "die in allen Ländern der französischen Besatzungszone entstehenden Verwaltungsschulen für mittlere Beamte zusammenzufassen und zu vereinheitlichen"l1, wurde als nicht zu den Obliegenheiten einer deutschen wissenschaftlichen Hochschule gehörend nicht aufgegriffen. Eine "Allgemeine Abteilung" und "Spezialabteilungen" wurden nicht gebildet; alle Professoren ohne Rücksicht auf die von ihnen vertretenen Fächer wurden hauptamtlich angestellt. Die Akademie erhielt keinen eigenen Etat. Die Mittel wurden vielmehr, im ersten Jahr auf Weisung der Besatzungsmacht, im Haushalt der Staatskanzlei bereitgestellt; ihre Kürzung um 60 % nach der Währungsreform im Jahr 1948 führte zu krisenhaften Erscheinungen. Der übergang von der Direktorial- zur Rektoratsverfassung vollzog sich, ebenfalls ohne Änderung der Rechtsgrundlagen, erst im Herbst 1949, indem die Voten des Senats in der Praxis als "Beschlüsse" behandelt wurden. Das Erstaunliche an diesem Abgehen von den Intentionen der Errichtungsdekrete ist, daß es sich zwar nicht in allen Punkten, aber weithin mit stillschweigender Duldung, wenn nicht mit ausdrücklicher Zustimmung der Besatzungsbehörden vollzog. Schon im Mai 1947 hatte die Militärregierung die Landesregierung von Rheinland-Pfalz angewiesen, deutsche Rechtsvorschriften für die Akademie zu erlassen. Dazu kam es aber nicht, weil der Ministerialentwurf eines Akademiegesetzes, dem die Akademie zugestimmt hatte, vom Kabinett so weitgehend abgeändert wurde, daß sie ihn in seiner neuen Fassung als untragbar ablehnte. Aufgrund ihres Einspruchs veranlaßte die Militärregierung seine Absetzung von der Tagesordnung des Landtags. Ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Verständnis für eine stärkere Berücksichtigung der deutschen Verhältnisse zeigten vor allem der Leiter der Direction de l'Education Publique beim französischen Oberkommando, General Raymond Schmittlein, früher. Professor für Germanistik in Litauen13 , und seine "rechte Hand", Mme. Giron, die als Tochter eines französischen Konsuls in Hamburg aufgewachsen war. Beide ermunterten die Hochschule, ihre Chancen zu nutzen, ließen ihr aber die Freiheit, sich in eine andere Richtung zu entwickeln als sie im Gründungserlaß vorgezeichnet war. n
über ihn s. F. Roy Willis, a.a.O. (oben Anm. 7) S. 44 f.
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Nach und nach versuchten die Länder der französischen Zone, auf das Ausbildungs- und Prüfungswesen mehr Einfluß zu gewinnen. Zu neuen überlegungen gab weiter Anlaß, daß sich der Gedanke einer einheitlichen Ausbildung für alle juristischen Berufe immer mehr durchsetzte. Um den sich abzeichnenden Entwicklungen Rechnung tragen zu können, wurde erwogen, die Akademie mit der Universität Mainz zu verbinden, ihren Wirkungskreis auf die "Trizone" zu erweitern und ihre übernahme durch die zu gründende Bundesrepublik vorzuschlagen. Die Besprechungen über Status und künftige Aufgaben der Akademie wurden jedoch belastet durch wachsende Spannungen zwischen den Ländern sowie dem Verwaltungsrat auf der einen und dem eigenwilligen Präsidenten der Akademie, Professor Haußmann, der im Umgang mit den Ländern den richtigen Ton nicht getroffen zu haben scheint, auf der anderen Seite. Auf der Verwaltungsratssitzung am 24. September 1949 kam es zu seinem "Sturz": er wurde mit sofortiger Wirkung seines Amtes als Präsident und Professor enthoben. Mag auch einen wesentlichen Grund für diesen Schritt der unbefriedigende Fortgang der Verhandlungen mit den Ländern über die Schaffung deutscher Rechtsgrundlagen für die Akademie und eine allgemeine Unzufriedenheit mit s'einer zum Autoritären neigenden Amtsführung gebildet haben, so dürfte doch auch die Abneigung gegen das französische Auswahl- und Ausbildungskonzept der Akademie mitgespielt haben, das die Länder ihrer Autonomie zur Einstellung und Ausbildung ihres Verwaltungsnachwuchses beraubt hatte und das jedenfalls zum Teil auch dem "Gründungspräsidenten" der Hochschule zugerechnet wurde. In derselben Sitzung wurde Professor Dr. iur., Dr. phi!. Erich Becker zum kommissarischen Leiter bestellt. Weiter war beschlossen worden, die Regierungen der drei Länder der französischen Zone zu bitten, die erforderlichen Schritte zum übergang der Akademie auf den Bund zu unternehmen, "falls die Auslegung des Artikel 130 Grundgesetz eine derartige Maßnahme zuläßt". Der Vertreter des Innenministeriums des Landes Rheinland-Pfalz äußerte sogar die Auffassung, es wäre das beste, die Akademie nach und nach zu liquidieren. Schon in früheren Sitzungen war über die Frage ihres Fortbestands diskutiert worden; so hatte beispielsweise Ministerialrat Theodor Eschenburg als Delegierter Württemberg-Hohenzollerns in übereinstimmung mit dem Vertreter Südbadens erklärt, daß der Nachwuchsbedarf in ihren Ländern infolge des Abschlusses der Entnazifizierung für mehrere Jahre gedeckt sei, weswegen für die Ausbildung von Anwärtern an der Akademie kein Bedürfnis mehr bestehe. Professor Becker unternahm sogleich alle Anstrengungen, um das Interesse der Länder der früheren amerikanischen und britischen Besatzungszone an der Akademie wachzurufen, weil die Beschränkung
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ihrer Tätigkeit auf die französisch besetzten Länder mehr und mehr zum Stein des Anstoßes geworden war und bei einer Vereinheitlichung der Juristenausbildung vollends ihre Berechtigung verlieren mußte. Seinen Bemühungen in dieser Richtung ist es zu danken, daß schon am 19. November 1949 Bayern, Hessen, Niedersachsen, Schieswig-Holstein und Württemberg-Baden außer den bisher an der Hochschule beteiligten Ländern an einer Konferenz über das weitere Schicksal der Akademie teilnahmen. Nach einem einführenden Vortrag von Professor Becker über deren mögliche künftige Aufgaben erklärten die Länder Bayern14 und Niedersachsen, die schon bisher Assessoren und Referendare an die Akademie entsandt hatten, sowie Hessen ihre Bereitschaft zum Beitritt. Auch Schleswig-Holstein zeigte sich stark interessiert. Wertvolle Dienste bei der Herstellung der Verbindung zu diesem Land und zu Niedersachsen leistete der damalige Speyerer Oberbürgermeister Dr. Paulus Skopp, Ehrensenator der Hochschule. Als sich abzeichnete, daß die Akademie überleben und sogar ihren Wirkungskreis erweitern würde, sicherte das Land Rheinland-Pfalz, um die Gefahr einer Verlegung in ein anderes Land nicht aufkommen zu lassen, maßgebliche Förderung zu. Nach weiteren Sondierungsgesprächen brachte der kommissarische Rektor dann am 23. Februar 1950 eine zweite Länderkonferenz zustande, an der außer den am Beitritt interessierten Ländern auch der Bund und der Deutsche Städtetag teilnahmen. Den Beratungen unter dem Vorsitz des Justiz- und Kultusministers des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Adolf Süsterhenn, des späteren Vorsitzenden des Verwaltungsrats, wurde der Entwurf eines Gesetzes zur übernahme der Akademie durch das Land RheinlandPfalz zugrundegelegt, der von Professor Becker erstellt und nach überarbeitung durch einen interministeriellen Ausschuß des Landes Rheinland-Pfalz von dessen Kabinett grundsätzlich gebilligt worden war. Einigkeit bestand weiter darüber, daß sich alle übrigen beteiligten Länder und der Bund im Fall seines Beitritts an der Verwaltung und Finanzierung der neuen Hochschule auf der Grundlage eines abzuschließenden Verwaltungsabkommens beteilig'en sollten. Gesetz und Verwaltungsabkommen sollten jedoch nur die Grundlinien der neuen Konzeption enthalten; alle übrigen Fragen sollten in der zu erstellenden Satzung der Hochschule geregelt werden. Eine übernahme der Akademie durch die Bundesrepublik wurde nicht mehr ins Auge gefaßt, weil - auch von dieser selbst - die Heranbildung des BeamtennachU Bayern setzte sich in der entscheidenden Phase der Umwandlung nachdrücklich für den Fortbestand der Hochschule ein; maßgebliches Motiv, insbesondere für die Bereitschaft zur finanziellen Beteiligung, war dabei die überlegung, auf diese Weise eine Verbindung mit dem bei Kriegsende verlorenen pfälzischen Landesteil zu halten. Die Hoffnung auf eine Wiederangliederung war zu dieser Zeit auf bayerischer Seite noch durchaus lebendig.
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wuchses als Angelegenheit der Länder anerkannt wurde. Der Bund bekundete jedoch ein starkes Interesse an seiner Mitwirkung im Hinblick darauf, daß er bei der Gewinnung seines eigenen Beamtennachwuchses auf die Landesverwaltungen angewiesen war. Auch der Deutsche Städtetag, der um ein Expose über die Möglichkeiten zur Weiterbildung kommunaler Beamter des gehobenen Dienstes bat, zeigte sich aufgeschlossen. In der Absicht, für die Aus- und Fortbildung der Kräfte des höheren Verwaltungsdienstes und für die deutsche verwaltungswissenschaftliche Forschung eine gemeinsam getragene Pflegestätte mit dem Rang einer Hochschule zu errichten, kamen die Länder Baden, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz überein, letzteres Land zu bitten, durch das vorgesehene Gesetz die Grundlage für die Umwandlung der Akademie in eine solche Institution zu schaffen und den Entwurf einer Satzung, in der die Rektoratsverfassung und die Mitwirkung aller beteiligten Länder durch einen Verwaltungsrat vorgesehen ist, auszuarbeiten. Die erwähnten Länder erklärten sich weiter bereit, ein Verwaltungsabkommen über ihre Beteiligung an der neuen Hochschule zu schließen sowie zu ihrer Finanzierung nach Maßgabe ihrer Haushaltsmittel beizutragen. Auf dieser Sitzung fiel auch die grundsätzliche Entscheidung, daß die Hochschule ausschließlich den Nachwuchs für den höheren Dienst ausbilden solle. Dabei wurde gedacht an die Entsendung von Referendaren im einheitlichen juristischen Vorbereitungsdienst, von Regierungsreferendaren bis zum Auslaufen dieses Ausbildungsganges, von Assessoren, die in den höheren Verwaltungsdienst einzutreten wünschen, und von Aufstiegsbeamten aus dem gehobenen Dienst, weiter an die Fortbildung von im Berufsleben stehenden Beamten, insbesondere von Flüchtlingen, die sich in das deutsche Recht einarbeiten mußten. Im allseitigen Einverständnis erließ das Land Rheinland-Pfalz sodann das Landesgesetz über die Errichtung der "Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer" vom 30. August 1950 (GVBl. S. 265), das rückwirkend mit Beginn des Sommersemesters 1950 in Kraft trat .. Durch dieses Gesetz wurde die Hochschule als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts des Landes Rheinland-Pfalz errichtet, die von ihm gemeinsam mit den Ländern Baden, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sowie der ebenfalls von Anfang an beigetretenen Bundesrepublik Deutschland geführt wird 15 ; anderen deut15 Auf die staatsrechtliche Problematik gemeinsamer Einrichtungen mehrerer Länder und solcher des Bundes wie der Länder kann hier nicht eingegangen werden. Erich Becker, a.a.O. (unten Anm. 21), S. 17 f., nimmt an, das Landesgesetz über die Errichtung der Hochschule sei "zugleich treuhänderisch für den Bund und die anderen deutschen Länder" erlassen worden. Gegen diese Auffassung s. Rolf Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, Band 57 der Schriften zum öffentlichen Recht, Berlin 1967, S. 230. Grawert äußert an der Zu-
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schen Ländern und Verbänden sollte der Beitritt offenstehen. Der Hochschule wurde die Aufgabe gestellt, die verwaltungswissenschaftliche Ausbildung, Fortbildung und Forschung zu pflegen. Sie besitzt Rektoratsverfassung; der Rektor wird von dem aus den ordentlichen und einem Vertreter der außerordentlichen Professoren bestehenden Senat gewählt. Der sich aus Repräsentanten der beteiligten Träger zusammensetzende Verwaltungsrat beschließt über Haushalt, personelle Zusammensetzung des Lehrkörpers und Lehrplan. Die Beamten der Hochschule stehen im Dienst des Landes Rheinland-Pfalz. Am 10. Oktober 1950 erließ der Verwaltungsrat auf Vorschlag des Senats, wie es das Errichtungsgesetz vorsieht, die Satzung der Hochschule, die in den folgenden Jahren eine Reihe von Änderungen erfuhr. Sie bestimmt, daß dem Senat über die im Errichtungsgesetz aufgeführten stimmberechtigten Mitglieder hinaus noch ein Vertreter der Lehrbeauftragten mit beratender Stimme angehört, daß den emeritierten ordentlichen Professoren das Stimmrecht noch so lange zusteht, als sie nach ihrer Emeritierung ihren Lehrstuhl vertreten, und regelt den Zugang zum Studium. Weiter sieht sie vor, daß die ordentlichen Hörer ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortung unter der Rechtsaufsicht der Hochschule verwalten, eine eigene Satzung beschließen, die der Genehmigung des Senats bedarf, und zu ihrer Vertretung Sprecher bestellen (s. auch unten Abschnitt II 1 und 2).
3. Entsprechend den Vereinbarungen auf der Länderkonferenz im Februar 1950 und der Bestimmung des Errichtungsgesetzes, wonach die Hochschule gemeinsam mit der Bundesrepublik und den dort genannten Ländern geführt wird, schlossen der Bund und diese, mit Ausnahme Hessens, im Laufe des Jahres 1952 ein entsprechendes Verwaltungsabkommen, in dem sie sich zur Leistung von Beiträgen "im Rahmen der in ihrem Haushalt bereitgestellten Mittel im angemessenen Verhältnis" verpflichteten und andererseits dafür die Berechtigung erhielten, Beamte und Beamtenanwärter sowie Angestellte des höheren Dienstes zur Aus- und Fortbildung an die Hochschule zu entsenden. Dieser Vereinbarung traten in den folgenden Jahren die übrigen Länder 1:-ei, nämlich Bremen und Nordrhein-Westfalen im Jahr 1953, Baden-Württemberg und Hamburg im Jahr 1955, das Saarland im Jahr 1957 und Berlin im Jahr 1961.
lässigkeit einer "verdeckten" Gemeinschaftseinrichtung wie der Hochschule verfassungsrechtliche Bedenken unter den Gesichtspunkten der Mitwirkung des Bundes an Verwaltungsangelegenheiten der Länder wie der Verkürzung der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Exekutive, wenn entsprechend den getroffenen Verwaltungsvereinbarungen über die Besetzung des Lehrkörpers der Verwaltungsrat der Hochschule "beschließt", in dem der Vertreter des Landes Rheinland-Pfalz nur eine von so vielen Stimmen besitzt, als Abkommenspartner beteiligt sind; s. a.a.O., S. 235 f.
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Vor dem Beitritt Hessens im Jahr 1956 waren einige Schwierigkeiten zu überwinden: Dieses Land, dessen Laufbahnverordnung den bestqualifizierten Beamten des gehobenen Dienstes über ein viersemestriges Studium an der Hochschule den Weg zur Ablegung der Großen Staatsprüfung für den höheren Verwaltungsdienst eröffnet hatte, ließ in den Jahren 1947 bis 1952 eine Reihe Beamter des gehobenen Dienstes durch die Hochschule für den höheren Dienst ausbilden. Obwohl das hessische Landespersonalamt nach Absprache mit dem Rektor zur Länderkonferenz vom November 1949 formell eingeladen und das Kabinett im Februar 1950 die Beteiligung des Landes an dem abzuschließenden Verwaltungsabkommen beschlossen hatte, trat Hessen dem Abkommen zunächst nicht bei, weil ihm die Umstellung des Lehrbetriebs auf die immer mehr an Bedeutung gewinnende Einheitsausbildung ein viersemestriges Studium für gehobene Beamte entsprechend seinem besonderen Laufbahnrecht nicht mehr zu gewährleisten schien. Der Ministerpräsident hatte ursprünglich wohl angenommen, der Schwerpunkt der Hochschule liege auf der Vorbildung gehobener Beamter für den höheren Dienst1 6 • In den folgenden Jahren erwog das Land, eigene Wege in der Aus- und Fortbildung seiner Beamten zu gehen - in diesem Zusammenhang ist die Einführung der Hessischen Hochschulwochen zu sehen -, entschloß sich aber nach längeren Verhandlungen, in deren Verlauf die Rektoren mehrmals beim Ministerpräsidenten vorsprachen und sich leitende Beamte über den Lehrbetrieb in Speyer an Ort und Stelle unterrichteten, nach der notwendigen Änderung der hessischen Ausbildungsordnung Referendare an die Hochschule zu entsenden. 4. Blickt man auf die Entwicklung der Hochschule, so sollte die Vereinigung ihrer Freunde und Förderer, die dank der Vorarbeit des kommissarisch-en Rektors schon im November 1949 gegründet wurde, nicht unerwähnt bleiben. Sie setzt sich zum Ziel, die Verbindung zwischen der Hochschule und der Speyerer Bevölkerung zu pflegen. Durch Begrüßungsabende, Semesterbälle, Hochschulkonzerte und finanzielle Beiträge zu verschiedensten Anliegen der Hörerschaft, angefangen von der Hörerbücherei im Wohnheim bis zum Ruderboot, trug sie in all den Jahren wesentlich dazu bei, daß eine Generation von Studierenden die gastliche Hochschulstadt in guter Erinnerung behält. In neuester Zeit hat sie sich die Unterstützung der Bestrebungen Speyers, Sitz zumindest eines Teils einer künftigen Universität im vorderpfälzischen 18 s. hierzu die Bemerkungen des Staatssekretärs im Hessischen Ministerium der Justiz, Rosenthal-Peltdram, auf dem Festakt am 14. September 1960 in der unten in Anm. 20 zitierten Schrift S. 18 f.; a.aO., S. 18: "Den Sinngehalt der Errichtung der Hochschule in Speyer sah Ministerpräsident Dr. Zinn einmal in der von dem überkommenen Laufbahnsystem abweichenden Öffnung eines neuen Weges aus dem gehobenen Dienst in den höheren Justizdienst, ... ".
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Raum zu werden, zur weiteren satzungsmäßigen Aufgabe gemacht und sich deshalb im November 1971 in "Hochschulvereinigung" umbenannt.
11. 1. In übereinstimmung mit der Entwicklung an den Universitäten wurden erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre Wünsche der Studierenden nach einer Mitwirkung an der Arbeit des Senats laut. Ein Antrag der Hörerschaft des Sommersemesters 1966, zu den Senatssitzungen ihren ersten Sprecher mit beratender Stimme beizuziehen, erschien erstaunlicherweise den Nachfolgern im folgenden Semester al~ zu weitgehend, obwohl in seiner Begründung hervorgehoben worden war, es gehe den Hörern keineswegs um einen Prestige- oder Machtzuwachs, sondern darum, die Entwicklung der Hochschule zu fördern. Angestrebt wurde nunmehr eine Ergänzung der Hochschulsatzung nur dahin, daß der Rektor die Anliegen der Hörerschaft im Senat vorträgt und deren Sprecher zu ihrer Beratung nach seinem Ermessen beiziehen kann; weiter sollte er die Hörerschaftsvertretung zu Beginn und am Ende eines Semesters zu einer Besprechung einladen. Diesen Wünschen wurde durch eine Änderung der Satzung Rechnung getragen. Nicht verwirklicht werden konnte dagegen ein Vorschlag von Professor Dr. earl Hermann UZe vom April 1968, je einen gewählten Vertreter der Lehrbeauftragten und der Assistenten mit Stimmrecht in den Senat aufzunehmen, weil es dazu einer Änderung des Hochschulgesetzes, das die Zusammensetzung des Senats enumerativ regelt, bedurft hätte.
In ein neues Stadium trat die Entwicklung zu Beginn des Jahres 1969: Auslösendes Moment war die Ablehnung des Wunsches der Hörerschaftsvertretung, die Ergebnisse einer von ihr durchgeführten umfassenden Fragebogenaktion über die Lehrveranstaltungen vor dem Senat zur Sprache zu bringen. Dieser wegen rechtlicher Bedenken gegen eine wertende Erörterung einzelner Lehrveranstaltungen vor dem Senat zunächst ergangene Beschluß, der nach einem klärenden Gespräch zwischen Hörerschaftsvertretung und Rektor auf dessen Vorschlag im Umlaufverfahren wieder aufgehoben wurde, gab den Wissenschaftlichen Assistenten und Referenten am Forschungsinstitut Anlaß, sich zum ersten Mal zu einer eigenen Gruppe zu konstituieren und eine aus drei Sprechern bestehende Vertretung zu wählen. Sie begrüßten das sachliche Bemühen der Hörerschaft, zur Verbesserung des Lehrbetriebs beizutragen, und äußerten weiter die Meinung, daß bis zum Erlaß eines neuen Hochschulgesetzes je zwei Vertreter der Lehrbeauftragten, der Assistenten- und der Hörerschaft an der Tätigkeit des
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Senats mit beratender Stimme beteiligt werden sollten. Der Senat beschloß auf diesen und einen inhaltlich übereinstimmenden Antrag von Professor Ule im Februar 1969, zum Zwecke besserer Zusammenarbeit und wechselseitiger Unterrichtung bis zur Änderung der einschlägigen Bestimmungen des Hochschulgesetzes je zwei Vertreter der einzelnen Gruppen zur beratenden Mitarbeit im Senat in den sie betreffenden Angelegenheiten beizuziehen; weiter bildete er eine Kommission zur Vorbereitung der Reform des Hochschulgesetzes und der Satzung. Nachdem die Hörerschaftsvertretung Sinn und Ergebnisse ihrer Umfrage dargestellt hatte, sicherte ihr der Senat bei künftigen Aktionen dieser Art seine volle Unterstützung zu. Die Hörerschaftsversammlung faßte daraufhin vor Semesterende eine Resolution des Inhalts, daß sie sich zur Zusammenarbeit mit der Hochschule bekenne und daher nachdrücklich dafür einsetze, die hochschulrechtlichen Grundlagen dahingehend fortzuentwickeln, daß sie künftig im Senat in allen, nicht nur in Hörerangelegenheiten durch zwei Sprecher mit Sitz und Stimme vertreten sein könne. Einstweilen sollte ihr eine Mitwirkung mit beratender Stimme durch eine entsprechende Satzungsänderung eingeräumt werden. Die Assistentenschaft erklärte, eine geeignete Zwischenlösung des Repräsentationsproblems bestehe darin, ihre Vertreter an der Beratung aller anstehenden Punkte teilnehmen zu lassen. Nachdem sich der Senat im Mai 1969 mit der beratenden Teilnahme von je zwei Vertretern der Hörer- und Assistentenschaft grundsätzlich einverstanden erklärt hatte, befaßte sich die Satzungskommission im Juni 1969 unter dem Vorsitz des neugewählten Rektors Professor Dr. Hans Ryffel eingehend mit allen Fragen der Beiziehung von Gruppenvertretern. Der Beratung zugrundegelegt wurde ein von ihm erstelltes Arbeitspapier, das auf eine Reihe von Gesichtspunkten hinwies, so auf das "Faktum heutiger Bestrebungen zur Demokratisierung von Entscheidungsgremien aller Art" und die "einmalige Chance der Speyerer Hochschule zu sachgerechter und fairer Lösung der anstehenden Fragen ohne Unverstand, politischen Druck und Demagogie", sowie allerdings auch auf die Gefahr einer "parakonstitutionellen Auslagerung wichtiger und heikler Fragen". Am 7. Juli 1969 traf der Senat eine definitive Regelung über die Mitwirkung für die übergangszeit bis zur Novellierung des Hochschulgesetzes. Bis dahin sind hiernach zu den Sitzungen des Senats je zwei Vertreter der Lehrbeauftragten, der gemeinsamen Gruppe der Wissenschaftlichen Assistenten und Referenten des Forschungsinstituts sowie der Gruppe der Hörerschaft beratend heranzuziehen, bei Habilitationen, Berufungen und (etwaigen späteren) Promotionen jedoch nur anzuhören; eine Mitwirkung entfällt in Personalangelegenheiten. Im nächsten Semester wurde der Begriff "Anhörung" der Gruppenvertreter bei Habilitationen und Berufungen konkretisiert: Den Anhörungsberechtigten ist bei Habilitationen auf ihr Verlangen
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Einblick in den Antrag nebst Unterlagen und in die Habilitationsschrift zu geben. Bei Berufungen sind ihnen auf ihr Verlangen Lebenslauf und Schriftenverzeichnis der zur Berufung vorgeschlagenen und in die engere Wahl gezogenen Personen sowie der Bericht der Berufungskommission zugänglich zu machen; diese Regelung gilt sinngemäß für die Erteilung und Rücknahme von Lehraufträgen. Weiter stellte der Senat klar, daß der Ausschluß von der Mitwirkung in Personalangelegenheiten nicht für Punkte gilt, die den Lehrbetrieb als solchen zum Gegenstand haben; die Gruppenvertreter sollten nämlich bei Erörterungen etwa über die Einführung oder die Art und Weise der Durchführung von Lehrveranstaltungen mitwirken können, auch wenn dabei persönliche Eigenschaften der Dozenten zur Sprache kommen sollten. 2. Zu Beginn des Wintersemesters 1969/70 wurden die Arbeiten zur Erstellung eines Entwurfs für ein neues Hochschulgesetz aufgenommen. Sie erwiesen sich schon bald als besonders dringlich, weil nämlich das Kultusministerium des Landes Rheinland-Pfalz Mitte Dezember 1969 seine "Thesen zu einem neuen Hochschulgesetz in Rheinland-Pfalz" bekanntgab. Diese sahen die Einbeziehung der Hochschule in das allgemeine Gesetz vor, versuchten aber dem Umstand, daß sie auf ihrem Gebiet Aufgaben für alle Länder zu erfüllen hat, im Vergleich zu den Universitäten eine geringere Zahl von Hörern ausbildet und schließlich vom Bund und den übrigen Ländern mitgetragen wird, durch eine besondere Verfassung gerecht zu werden: Abweichend von den Vorschlägen für das allgemeine Hochschulrecht, die Fachbereiche und auf der Ebene der Hochschulspitze den Senat, den Präsidenten und die Versammlung der Hochschule vorsahen, sollten ihre Organe Senat, Präsident und ein Verwaltungsrat, dieser als Repräsentanz der beteiligten Länder und des Bundes, sein. Während die Assistentenschaft in einer ersten Stellungnahme die Einbeziehung der Hochschule in das allgemeine Hochschulgesetz für wünschenswert hielt, ihre Eigenständigkeit aber gewahrt sehen wollte, sprach sich der Senat unter Zustimmung der Referendarvertretung dafür aus, die Rechtsverhältnisse der Hochschule auch künftig in einem eigenen Gesetz zu regeln. Dies erschien ihm im wesentlichen aus folgenden drei Gründen geboten: (a) Wegen der Trägerschaft mehrerer Beteiligter sei es nicht angemessen, die Hochschule dem im ganzen doch auf die Landesuniversitäten zugeschnittenen allgemeinen Hochschulrecht eines einzelnen Landes zu unterwerfen. Im übrigen seien an. der Novellierung ihrer Rechtsgrundlagen alle Mitträger schon aus dem Grund zu beteiligen, weil die Verwaltungsabkommen auf das Hochschulgesetz von 1950 Bezug nähmen, wodurch dieses zu ihrem - nicht einseitig abänderbaren Bestandteil geworden sei. Wenn nicht alle Abkommenspartner rasch ihr volles Einverständnis erklären sollten, müsse eine Verzögerung
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der Neuordnung des allgemeinen Hochschulrechts des Landes befürchtet werden. (b) Weiter unterscheide sich die Speyerer Hochschule von allen übrigen in der Bundesrepublik durch ihren postuniversitären Charakter, dem angemessen Rechnung zu tragen sei. Hierbei gelte es insbesondere zu berücksichtigen, daß neben die Referendarausbildung immer mehr das berufsbegleitende Kontaktstudium trete. (c) Schließlich dürfe nicht außer Betracht bleiben, daß selbst das Studium der Referendare, die Ausbildungsveranstaltung mit der zeitlich längsten Dauer, nur ein Semester betrage, weswegen dieser hauptsächliche Hörerkreis von Semester zu Semester vollständig wechsle, und daß die obere Grenze der Zahl der Studierenden bei ca. 300 liege. Der daher laufend mögliche unmittelbare Kontakt zwischen Lehrkörper und allen Hörern habe, wie die Verhältnisse zeigten, zur Folge, daß eine sinnvolle Reform der Hochschule, die deren Leistungsfähigkeit steigert, in der Paritätenfrage in den zentralen Organen nicht ihren Schwerpunkt habe. Dafür ist bezeichnend, daß die Hörerschaft des Wintersemesters 1969/ 70 in ihren Reformvorschlägen nicht 'einmal einen Stimmenanteil, wie ihn die Thesen des Kultusministeriums für den Senat vorsahen (Verhältnis Professoren: Mittelbau: Studenten = 2: 1 : 2), wünschte. Sie sprach sich vielmehr für ein Verhältnis zwisch'en allen Lehrkräften auf der einen Seite und den Wissenschaftlichen Assistenten und der Hörerschaft zusammen auf der anderen Seite von 1 : 1 aus 17 • Die Assistent-enschaft warf in ihrer Stellungnahme vom März 1970 zu den genannt'en Thesen zunächst die Frage auf, ob die in ihnen geforderte, auf eine große Universität zugeschnittene Organisationsstruktur ein geeignetes Modell auch für die Speyerer Hochschule darstelle, hielt aber an ihrer schon früher geäußerten grundsätzlichen Zustimmung zu deren Einbeziehung fest 18 • 17 In der Begründung des in der Vollversammlung der Hörerschaft vom 5. Februar 1970 beschlossenen Sondervotums dieses Inhalts zum Gesetzentwurf des Senats heißt es: "Die Forderung der Hörerschaft und der Assistenten nach größerer Beteiligung im Senat ist von den Professoren allgemein anerkannt worden. Von den Sprechern der Hörerschaft ist darauf hingewiesen worden, daß die b e s 0 n der e n Ver h ä I t n iss e der S p e ye re rHo c h s c h u I e (im Original keine Sperrung) eine Beteiligung nach dem Vorbild der Universitäten (etwa Drittelparität) nicht notwendig machten; es ist schwer, sich während des einsemestrigen Studiums in die Probleme der Hochschule einzuarbeiten ... 18 Um Fehlinterpretationen dieses Standpunktes entgegenzuwirken. hatte die Assistentenschaft schon in einem Schreiben vom 16. Januar 1970 betont, daß sie sich damit keineswegs für eine Änderung von Status und Aufgaben der Hochschule aussprechen wollte. Sie sei vielmehr weiterhin der Auffassung, "daß der Charakter der Hochschule als postuniversitäre, von Bund
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Im April 1970 sprach sich der Verwaltungsrat mit den Stimmen des Landes Rheinland-Pfalz in überinstimmung mit dem Senat für ein eigenes Gesetz sowie dafür aus, die Hochschule auch künftig ressortmäßig bei der Staatskanzlei zu belassen. Desungeachtet sah der Gesetzentwurf des Kultusministeriums vom 26. Mai 1970, in dem die zu den Thesen eingegangenen Stellungnahmen verwertet worden waren, wiederum die Einbeziehung der Hochschule in das allgemeine Hochschulgesetz vor. Unter dem Einfluß der Gegenvorstellungen der Hochschule setzte sich dann erst in der Kabinettsitzung am 8. Juni 1970 die Auffassung durch, diese im neuen Landesgesetz zwar als wissenschaftliche Hochschule des Landes aufzuführen, ihre Rechtsverhältnisse aber in einem eigenen Gesetz zu regeln. Der Regierungsentwurf vom 18. Juni 1970 (Landtagsdrucksache VI/2020) trägt dem Rechnung. Der Landtag stimmte dieser Lösung zu: In § 6 des Landesgesetzes über die wissenschaftlichen Hochschulen in RheinlandPfalz vom 22. Dezember 1970 (GVBl. 1971, S. 5) wird die Hochschule zu den wissenschaftlichen Hochschulen des Landes gezählt, die Normierung ihrer Rechtsverhältnisse, insbesondere ihrer Verfassung, Verwaltung und ihrer Stellung im gegliederten Hochschulbereich, aber einem besonderen Gesetz vorbehalten. Der vom Senat im Februar 1970 beschlossene Entwurf eines neuen Gesetzes für die Speyerer Hochschule sieht als Organe Verwaltungsrat, Senat und Rektor, dessen Amtszeit zwei Jahre beträgt, vor. Der Senat setzt sich zusammen aus den hauptamtlichen Professoren, die nach ihrer Emeritierung oder Pensionierung jedoch nur beratende Stimme haben, aus den Lehrstuhlvertretern sowie den Honorarprofessoren und Privatdozenten, solange diese eine Lehrtätigkeit ausüben; hinzu kommt eine der Anzahl der Gruppen der hauptamtlichen Professoren und Lehrstuhlvertreter entsprechende Gesamtzahl von Vertretern der nebenamtlich tätigen Lehrkräfte, soweit diese nicht schon den vorher genannten Gruppen angehören, der Gruppe der Wissenschaftlichen Assistenten und Referenten des Forschungsinstitutes und der Gruppe der Hörerschaft. Bei dieser Regelung wurde die Gruppe der Honorarprofessoren und Privatdozenten nicht in die Parität einbezogen, weil sie zahlenmäßig nicht ins Gewicht fällt und im Hinblick auf ihre Interessen eine vermittelnde Stellung einnimmt, die ihre Zurechnung zu der einen oder anderen Hauptgruppe nicht rechtfertigen würde. Hingewiesen sei weiter auf die Bestimmungen des Entwurfs, daß der Senat für längstens ein Semester beschließende Ausschüsse bilden kann, in denen alle Gruppen vertreten sein müssen, daß die ordentlich€n Studierenden die Hörerund Ländern gemeinsam getragene Einrichtung mit speziellen Ausbildungsund Forschungsaufgaben nicht in Frage gestellt werden soll lind daß dies auch im neuen Hochschulgesetz zu berücksichtigen ist".
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schaft bilden, deren Organe zu wählen sind, und daß die Grundordnung vom Senat zu beschließen und vom Verwaltungsrat zu bestätigen ist. In der Frage der Struktur des Lehrkörpers, insbesondere der Rechtsstellung der Assistenten, und des Verfahrens bei Habilitationen und Promotionen enthält der Entwurf keine eigenen Bestimmungen, weil insoweit keine Besonderheiten vorliegen, die ein Abweichen vom allgemeinen Hochschulrecht des Landes notwendig machten. In ihren Stellungnahmen zu die~m Gesetzentwurf haben sich die Assistenten- und die Hörerschaft im Hinblick auf die zunehmende Arbeitslast der Hochschulspitze übereinstimmend für eine Präsidialverfassung ausgesprochen - eine Meinung, die auch eine Minderheit des Senats nachdrücklich vertreten hatte. Dagegen hielten beide Gruppen die Vorschläge des Entwurfs über die Zusammensetzung des Senats für vertretbar, mit der Maßgabe, daß die Honorarprofessoren und Privatdozenten in die Gruppe der Professoren einbezogen werden, daß also zwischen den Lehrkräften auf der einen und der Assistenten- und Hörerschaft auf der anderen Seite ein Verhältnis von 1:1 besteht. Keine Billigung fand bei ihnen der vorgesehene Negativkatalog. Die Hörerschaft forderte schließlich für sich die Rechtsfähigkeit. Im Wintersemester 1971/72 erhob die Hörerschaft erstmals die Forderung nach drittelparitätischer Zusammensetzung des Senats, jedoch mit einer funktionalen Differenzierung dahin, daß ihr in Angelegenheiten, die nicht die Referendarausbildung betreffen, ein Stimmrecht nicht zustehen, während ihr in einer Senatskommission über die Ausgestaltung des Lehrangebots ein Anteil von 50 Ofo der Stimmen zukommen solle; weiter sollen dem Senat zwei Vertreter der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter angehören. Die Assistenten hingegen hielten - in Anlehnung an die Bestimmungen des rheinland-pfälzischen Hochschulgesetzes vom Dezember 1970 über die Zusammensetzung der Fach~ bereiche - ein Verhältnis von Professoren, Lehrbeauftragten, Assistenten, Hörern und nichtwissenschaftlichen Bediensteten wie 6: 2: 4: 4: 2 für angemessen; die Gesamtzahl der Mitglieder des Senats solle so bemessen werden, daß in ihm alle Lehrstuhlinhaber einen Sitz haben. In seiner letzten Sitzung im Jahr 1971 begrüßte der Senat die Mitarbeitsbereitschaft der Hörer bei der Aufstellung des Lehrprogramms und räumte ihr die Möglichkeit zu einer verstärkten, infolge der bestehenden Rechtslage zunächst allerdings nur beratenden Mitwirkung ein. Im Hinblick auf die in vollem Gang befindliche Ausweitung des Kontaktstudiums (s. hierzu unten Abschnitt IU 3 c) hielt er jedoch neue Vorschläge für die Paritäten im Augenblick für nicht tunIich. Um die Dringlichkeit einer Reform des Hochschulrechts zu unterstreichen, wurde die Staatskanzlei gebeten, die nötigen Vorarbeiten sogleich in
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Angriff zu nehmen, damit nach Ergehen des erwarteten Bundesrahmengesetzes dem Landesparlament alsbald ein Gesetzentwurf vorgelegt werden kann. Die Landesregierung ist in übereinstimmung mit dem Verwaltungsrat der Auffassung, daß ein neues Hochschulgesetz erst nach Inkrafttreten des angekündigten Rahmengesetzes des Bundes ergehen soll, um nicht nur dessen Inhalt, sondern auch die im Fluß befindliche Entwicklung der Aus- und Fortbildungsaufgaben der Hochschule bei der Novellierung berücksichtigen zu können. Mag auch die derzeitige Verfassung der Hochschule bis zu der vorbereiteten und erwarteten Novellierung des Gesetzes von 1950 von neugeschaffenen Hochschulverfassungen in wichtigen Punkten abweichen, so läßt sich nicht behaupten, daß sie für die Arbeit in Forschung und Lehre zu einem Hemmnis geworden sei. Daß das noch geltende Hochschulgesetz ein volles Stimmrecht aller Gruppen nicht zuläßt, wurde zum Teil jedenfalls ausgeglichen durch das redliche und intensive Bemühen aller Hochschulorgane um Verbesserung der Studienbedingungen und den ständigen Kontakt, den die kleinere Hörerzahl ermöglicht. Rektor und Senat gingen Anregungen der Gruppen stets aufgeschlossen nach. Daß der Lehr- und Forschungsbetrieb dank der konstruktiven Mitarbeit der Hörer- und Assistentenschaft in den letzten Jahren von Störungen, wie sie an Universitäten in unterschiedlichem Ausmaß vorgekommen sind, freigeblieben ist, hat die Situation der Hochschule bei Berufungen erkennbar verbessert. Ihr liegt jedoch nichts ferner, als darob in eine Art Selbstzufriedenheit zu verfallen und sinnvollen Reformen nicht die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn bei der bevorstehenden Novellierung des Hochschulrechts am Prinzip einer funktionsgerechten Mitbestimmung der Gruppen festgehalten werden soll, dann darf nicht außer Betracht bleiben, daß die beginnende Verstärkung der berufsbegleitenden Fortbildung der Hochschule eine neue Kategorie von Hörern zuführt; hierdurch und durch die Verkürzung des Referendarstudiums auf drei Monate auf der anderen Seite (hierzu s. unten Abschnitt III 2 b) ergeben sich Verschiebungen in der Zusammensetzung des Hörerkreises. Unter funktionalen Gesichtspunkten dürfte es deshalb geboten sein, an die Stelle der Referendare in all den Angelegenheiten, die einen anderen Adressatenkreis betreffen, dessen Repräsentanz mitwirken zu lassen, insbesondere bei der Kommissionarbeit. Dies wird auch von den Referendaren anerkannt; sie enthielten sich schon bisher einer Einflußnahme auf Fragen, die nicht ihre Ausbildung betrafen. Neue Gesichtspunkte werden sich bei der möglichen Einbeziehung der Hochschule in die einstufige Juristenausbildung nach Maßgabe des § 5 b Deutsches Richtergesetz (DRiG) ergeben (s. hierzu unten Abschnitt III 2 d).
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3. Infolge der Vergrößerung des Lehrkörpers, der zunehmenden Differenzierung der Hörergruppen, der Ausweitung des Fortbildungsprogramms und der Zunahme von Forschungsprojekten nahmen die Anforderungen an die Leitung und die Verwaltung der Hochschule laufend zu, ohne daß letztere entsprech'end verstärkt worden wäre. In den letzten Jahren wurde sie bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit beansprucht. Um beim Rektor anzufangen: Bis zum Ende des Jahres 1970 standen ihm zu seiner Unterstützung nur zur Verfügung sein Lehrstuhlassistent und die tüchtige Rektoratssekretärin Frau Wiltrud WedHch, die seit 1958 über den Wechsel der Rektoren hinweg diesen wichtigen Posten bekleidet. Erst im Haushalt 1971 wurde die Stelle eines eigenen Rektoratsassistenten geschaffen. Bei so wenigen Mitarbeitern im Rektorat konnte unter der Last der vordringlichen Geschäfte mancher wichtigen Aufgabe, wie beispielsweise der Öffentlichkeitsarbeit, nicht stets die wünschenswerte Aufmerksamkeit zuteil werden. Auch die Hochschulverwaltung, die seit 1959 von Ober amts rat Erwin Schweinstetter mit Umsicht und Hingabe an das Amt geleitet wird, leidet seit den letzten Jahren unter Personalmangel. Das Wachstum des Hochschul etats von 307.000.- DM im Jahr 1950 auf 1.246.000.- DM im Jahr 1960 und schließlich auf 2.765.000.- DM im Jahr 1971 läßt Rückschlüsse auf die wachsende Beanspruchung der Hochschulverwaltung zu; einen gewaltigen Sprung nach oben, nämlich auf 4.122.800 DM, macht der Haushaltsvoranschlag des Jahres 1972, in dem sich der personelle Ausbau der Hochschule widerspiegelt. Die Zahl der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter einschließlich des Personals des Wohnheims wuchs von 15 im Jahr 1950 auf 63 im Jahr 1972. Bei den mit zusätzlicher Arbeit verbundenen größeren Tagungen und Kongressen, wie etwa bei der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Oktober 1970, zeigten sich alle beteiligten Mitarbeiter stets zu einem über das pflichtmäßige Maß hinausgehenden Einsatz bereit. Im Sommer 1970 wurde die gleitende Arbeitszeit eingeführt. Im Januar 1971 konstituierte sich nach rund zehnjähriger Unterbrechung wiederum ein Personalrat. 4. Nach Abschluß der Verwaltungsabkommen über die Mitträgerschaft und dem dann einsetzenden Zustrom von Referendaren aus allen Ländern war nicht mehr daran zu zweifeln, daß die Hochschule, die zusammen mit der Ausbildungsstätte für den Höheren Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik19 in der ehemaligen Lehrerbildungsanstalt 19 Einige Bemerkungen über diese Schule finden sich in dem Buch "Aus der Schule der Diplomatie" (Festschrift zum 70. Geburtstag von Peter Pfeiffer), Düsseldorf und Wien 1965, und zwar in den Geleitworten von Gerhard Schröder (a.a.O., S. 9 f.) und Karl-Günther von Hase (a.a.O., S. 11 ff.) sowie in dem Beitrag "Erinnerungsblatt an Speyer" von Helene Schöttle, a.a.O., S. 32 ff. - Noch heute kommt es vor, daß die Hochschule mit der "Diplomatenschule", die in der Zeit von 1950 bis 1955 ihren Sitz in Speyer hatte, verwechselt wird.
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in der Johannesstraße beengt untergebracht war, Bestand haben würde. Es ging nun darum, sie räumlich so unterzubringen, daß sie ihre Aufgaben als verwaltungswissenschaftliches Zentrum für das gesamte Bundesgebiet voll erfüllen konnte. Der Anstieg der Hörerzahlen auf über 200 im Sommersemester 1955 machte die Errichtung eines Neubaus unumgänglich. Der Rektor des Jahres 1954/55, Professor Dr. Reinhard Schaeder, nahm sich im Zuge seiner Bemühungen um die Stabilisierung der Hochschule dieser großen Aufgabe tatkräftig an. Dank der Förderung des Projekts durch Oberbürgermeister Dr. Skopp stellte die Stadt eine Fläche von rund 20.000 qm am westlichen Stadtrand an der Dudenhofer Straße zur Verfügung. Mit der Planfertigung betraut wurde Architekt Professor Dr. Sep Ruf, damals Präsident der Akademie der bildenden Künste in München; er hatte den von der Landesregierung ausgeschriebenen Architektenwettbewerb gewonnen. Nach zweijähriger Bauzeit konnte der Neubau des Lehrgebäudes wie des Wohnheims an der Freiherr vom Stein-Straße am 14. September 1960 im Beisein des Bundespräsidenten, des Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz, der Innenminister sämtlicher deutschen Länder und von 18 Rektoren deutscher Universitäten und Hochschulen seiner Bestimmung übergeben werden20 • Hatte man bei der Projektierung des Neubaukomplexes geglaubt, den Raumbedarf der Hochschule auf lange Sicht gedeckt zu haben, so mußte infolge der Vergrößerung des Lehrkörpers und des Aufbaus des Forschungsinstituts schon nach wenigen Jahren an eine Erweiterung gedacht werden. Bereits Mitte der sechziger Jahre wurden Pläne für ein Institutsgebäude ausgearbeitet, das auch Zimmer für Referendarinnen enthalten sollte. Infolge der Rezession der Jahre 1966/67 konnte dieses Projekt jedoch nicht in Angriff genommen werden. Die Raumnot hat sich in den zurückliegenden Jahren so sehr verschärft, daß Abhilfe dringend geboten ist. Um nur die unbedingt erforderlichen Räume für neue Lehrstühle sowie für Forschungsreferenten bereitstellen zu können, mußte ein Drittel der 153 Plätze im Wohnheim ihrem eigentlichen Zweck entfremdet werden. Dies hatte in dem stark besuchten Sommersemester 1971 die unerfreuliche Folge, daß manche Hörer große Mühe hatten, ein geeignetes Zimmer zu finden. Dank der Mithilfe des Speyerer Oberbürgermeisters und Vorsitzenden der Förderervereinigung Dr. Christian Roß kopf, der die Hochschule stets nach Kräften unterstützt, konnten aber schließlich auch diese Schwierigkeiten über20 über den Neubau, die Ansprachen beim Festakt und die im Zusammenhang mit der Einweihung veranstaltete Lehrtagung, an der hundert ehemalige Hörer und die Mitglieder des Lehrkörpers teilnahmen, s. die von der Hochschule herausgegebene, von Rudol! Stich bearbeitete Schrift "übergabe des Hochschulneubaues am 14. September 1960 und Lehrtagung ehemaliger Referendare vom 13. bis 15. September 1960", Speyer 1960.
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wunden werden. Die Hochschule hat im Sommer 1970 nach sorgfältiger Berechnung des zu erwartenden Raumbedarfs einen Erweiterungsbau für den Lehrbetrieb und das Forschungsinstitut mit einer Gesamtnutzfläche von 1.807 qm dringend beantragt. Bei der derzeit angespannten finanziellen Situation de~ öffentlichen Hand muß allerdings befürchtet werden, daß sogar ein so vordringliches Projekt wie dieses einstweilen zurückgestellt werden könnte. Wenn sich nicht alsbald zumindest eine Behelfslösung, wie etwa die Anmietung der leerstehenden Landwirtschaftsschule in Speyer, finden läßt, wird der weitere Ausbau der Hochschule durch ihre Raumnot ernstlich behindert. 5. Nicht minder notwendig wie genügender Raum ist für das Arbeiten einer wissenschaftlichen Hochschule die zulängliche Ausstattung ihrer Bibliothek. Seit ihren Anfängen war die Hochschule darauf bedacht, ihre Bibliothek entsprechend ihren weitreichenden Lehr- und Forschungsaufgaben auszubauen. Erworben wurde nicht nur juristische, sondern auch außerrechtliche verwaltungswissenschaftliche Literatur unter Einschluß der angrenzenden Gebiete benachbarter Disziplinen wie der Wirtschaftswissenschaft, Geschichte, Rechts- und Sozialphilosophie, Soziologie, Staatslehre und Politischen Wissenschaft. Von der deutschsprachigen Literatur konnte die neuere nahezu lückenlos, die ältere in weiten Teilen beschafft werden. Bedeutenden Anteil an dem Erwerb wertvoller und nur schwer erhältlicher Werke hat der Geschäftsführende Direktor der Bibliothek der Jahre 1961 bis 1966, Professor Dr. Franz Mayer. Zur Bereicherung ihrer verwaltungswissenschaftlichen Fachliteratur des Auslandes seit 1945 tragen Mittel der Stiftung Volkswagenwerk, die Bibliothek von Professor Dr. Fritz Morstein Marx und eine jährliche Spende seiner Angehörigen bei. Der Bestand der Bibliothek, die heute zu einer Schwerpunktbibliothek auf dem Gebiet der Verwaltungswissenschaften geworden ist, beläuft sich zu Beginn des Jahres 1972 auf rund 56.000 Bände. Ihr Beschaffungsetat stieg von 10.000 DM im Jahr 1951 auf 40.000 DM im Jahr 1962 und erreicht voraussichtlich im Jahr 1972 die Höhe von 208.000 DM. Mit der Pfälzischen Landesbibliothek in Speyer, über die der Fernleihverkehr abgewickelt wird, und den Universitätsbibliotheken in Heidelberg und Mannheim, mit denen Vereinbarungen über die Benützung durch Speyerer Hörer getroffen wurden, besteht ein enger Kontakt. Durch einen im März 1970 fertiggestellten Erweiterungsbau konnte die Fläche des Lesesaals und der Büchermagazine verdoppelt werden. Eine wesentliche Verbesserung erfuhr die Ausstattung der Bibliothek dank der Initiative ihres Geschäftsführenden Direktors der Jahre 1958 bis 1961, Professor Bülck, und zwar auch in personeller Hinsicht. Im Jahr 1959 konnte erstmals ein hauptamtlicher Bibliotheksleiter eingestellt werden. In der Bibliothek, die zur Zeit von Bibliotheksassessor Dr. Karl-Heinz
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Haar geleitet wird, sind neun Kräfte, von ihnen einige nur halbtags, tätig. Von den beiden Stellen des höheren Dienstes, ist eine, die noch nicht besetzt werden konnte, speziell für das Gebiet der Dokumentation vorgesehen. "
6. Die Beziehung der Hochschule zu zentralen Organisationen des wissenschaftlichen Bereichs litt darunter, daß ihr einz'elne akademische Rechte, wie sie zum Wesen einer deutschen wissenschaftlichen Hochschule gehören, ursprünglich fehlten, so das Habilitationsrecht bis zum Jahr 1961 (hierüber s. unten Abschnitt III 4 d) und das Promotionsrecht bis zum Jahr 1971 (hierüber s. unten Abschnitt III 4 e). Aber auch nach ihrer Erlangung hielten gewisse Schwierigkeiten an; sie haben ihre Ursache in dem von den Universitäten abweichenden Gesamtgepräge der Hochschule als einer nachuniversitären wissenschaftlichen Institution, die sich zwar auf ihrem Gebiet mit den Universitäten in die Forschung und Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses teilt, deren Lehrtätigkeit aber, wenn man so sagen will, auf den "quartären Sektor" gerichtet ist. Obwohl seit einer Reihe von Jahren allenthalben der Ruf nach Kontaktstudium und berufsbegleitender Fortbildung erhoben wird, ließen es doch manche Organe der "etablierten Wissenschaft" an der nötigen Aufgeschlossenheit gegenüber einer Institution fehlen, die sich ihrer Bestimmung gemäß dieser, in ihrer bildungspolitischen Bedeutung heute keineswegs mehr verkannten Aufgabe schon seit einem Vierteljahrhundert annimmt. Es hieße die Besonderheiten dieser Ausbildungsfunktion verkennen, wenn man sie anhand von Maßstäben beurteilen wollte, die auf Einrichtungen im tertiären Bildungsbereich zugeschnitten sind, so z. B. nach der Zahl der zur Verfügung stehenden Studienplätze, andrerseits aber Umständen, die sich aus der Zusammensetzung des Hörerkreises ergeben, eine ihnen nicht zukommende Bedeutung beimessen wollte, so etwa der Tatsache, daß die Referendare zum Studium an die Hochschule "abgeordnet" werden. Die Abordnung der Hörer, die es bei Universitätsstudenten nicht gibt, ist die Folge davon, daß j'eder Jurist, der das Assessorexamen ablegen will, in den Vorbereitungsdienst und damit in ein Beamtenverhältnis eintreten muß. Es wäre deshalb abwegig, aus dem Formalakt der Abordnung - der Sache nach kommen nur jene Referendare nach Speyer, die sich frei für ein Studium entscheiden und aufgrund dieses ihres eigenen Entschlusses ihre Anmeldung in die Wege leiten - den Schluß zu ziehen, daß es keinen "freien Zugang" zur Hochschule gäbe, oder im Hinblick auf die Beamteneigenschaft dieser Hörergruppe annehmen zu wollen, daß die Hochschule in ihrer Lehre nicht frei sei; seit den Tagen der französischen Besatzungszeit wurde von keiner Seite jemals auch nur der Versuch gemacht, ihre Lehrfreiheit zu beschneiden. Ebenso würde es der spezifischen AusS Speyer 60
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und Fortbildungsaufgabe der Hochschule nicht gerecht, bei Beurteilung ihrer Förderungswürdigkeit darauf abzustellen, ob sie einen "durchgängigen Studiengang" bietet. Es liegt auf der Hand, daß es kaum sinnvoll wäre, einem zwar an Aus- oder Weiterbildung interessierten Personenkreis, dem hierfür aber nur ein zeitlich bemessener Ausbildungsabschnitt oder, soweit es sich um schon im Berufsleben stehende Kräfte handelt, nur wenige Wochen im Jahr zur Verfügung steht, ein länger dauerndes Studium anzubieten. Schließlich würde es der spezifischen Ausbildungsintention der Hochschule zuwiderlaufen, ihr eine volle Integration in den tertiären Bereich anzusinnen. Die ihr angemessene Kooperation mit den übrigen Hochschulen, an der sie selbst sehr interessiert ist, bezieht sich zunächst auf die Ebene der postuniversi-_ tären Weiterbildung, der sich erfreulicherweise mehr und mehr auch die Universitäten anzunehmen scheinen (vgl. hierzu unten Abschnitt !II 3 c). Auf Mißverständnisse der angedeuteten Art mag es zurückzuführen sein, daß der nach Verleihung des Promotionsrechts im Jahr 1970 gestellte Antrag des Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz, des Rektors der Universität Mainz, die Hochschule in die Westdeutsche Rektorenkonferenz aufzunehmen, in deren zuständigen Gremien längere, kontroverse Diskussionen ausgelöst zu haben scheint. Nachdem verschiedene Bedenken ausgeräumt waren, wurde die Hochschule am 9. November 1971 als 67. Mitglied aufgenommen; im Hinblick auf die beabsichtigte Neuregelung von Stimmrecht und Stimmgewicht wurde ihr vorerst allerdings ein Stimmrecht nicht zuerkannt. Ähnliche Schwierigkeiten waren zu überwinden, um den Wissenschaftsrat zu bewegen, die Aufnahme der Hochschule in das Hochschulverzeichnis gemäß § 4 des Hochschulbauförderungsgesetzes zu empfehlen. Diese Aufnahme ist Voraussetzung dafür, daß sich der Bund an der Finanzierung ihres beabsichtigten Bauvorhabens beteiligt. Der Wissenschaftsrat hat sich im November 1971 "in Anbetracht ihrer anerkannten wissenschaftlichen Qualität" dafür ausgesprochen, jedoch gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß möglichst rasch Vorstellungen über die Einbeziehung ihrer "Ausbildungsgänge" in eine Gesamthochschule im vorderpfälzischen Raum entwickelt werden sollten. Das Land hat demgegenüber unterstrichen, daß die Hochschule nicht regionale, sondern bundesweite Bedeutung hat, also nicht primär unter dem Aspekt der regionalen Sättigung des pfälzischen Raumes mit Gesamthochschuleinrichtungen gesehen werden dürfe.
IH. 1. In der Zusammensetzung des Lehrkörpers der Hochschule, auf deren Lehrstühle ausnahmslos habilitierte Dozenten berufen wurden,
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spiegeln sich die Stadien ihrer Entwicklung. Im wesentlichen lassen sich drei Abschnitte unterscheiden: Das Konzept der ersten Phase v€rdeutlicht ein Blick auf die Fachrichtungen der fünf hauptamtlichen Professoren, die bei Eröffnung der Akademie ihre Tätigkeit aufnahmen21 • Gepflegt wurden die "Allgemeinen Verwaltungswissenschaften" durch den Präsidenten Professor Dr. iur. Hermann Haußmann, die Nationalökonomie durch Professor Dr. iur., Dr. phil., Dr. rer. pol. h. c. Albert Hesse 22 , Soziologie und Psychologie durch Professor Dr. phil. Arnold Gehlen, das öffentliche Recht durch Professor Dr. iur., Dr. phil. Erich Becker und das Privatrecht durch Professor Dr. iur. Theodor Süß, der sich auch mit Völkerrecht befaßte. Das öff€ntliche Recht war allerdings stärker vertreten, als es nach der Verteilung der Lehrstühle den Anschein haben könnte, nämlich durch die Lehrtätigkeit des Gastprofessors Dr. iur., Dr. rer. pol. h. c. Friedrich Giese auf staatsrechtlichem Gebiet. Das Lehrangebot wurde abgerundet durch finanzwissenschaftlich€, betriebswirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische, steuerrechtliche und fremdsprachliche Lehrveranstaltungen von Gastprofessoren und Lehrbeauftragt€n. Das wissenschaftstheoretische Verständnis, das dieser breiten Auffächerung des L€hrkörpers zugrundeliegt, wird sichtbar in Äußerungen von Professoren der ersten Stunde, die Akademie habe sich zur Aufgabe gestellt, die allgemeine Verwaltungswissenschaft - um den ersten Rektor zu Wort kommen zu lassen - in Wiederbelebung der von Lorenz von Stein vor fast hundert Jahren begründeten Verwaltungslehre herauszuarbeiten und zu pflegen23 ; die Verwaltungswissenschaft, deren Umfang durch die der gesamten öffentlichen Verwaltung gemeinsamen Fragen bestimmt werde, sei aufzufassen als Erfahrungs- und Tatsachenforschung, als Normwissenschaft und als Wertwissenschaft, mit anderen Worten: als Verwaltungsl€hre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik 24 • So mag es zutreffend sein, von einer thematisch breit angelegten, synkretisierenden "staatswissenschaftlichen" Anfangsperiode zu sprechen. Die Zusammensetzung des Lehrkörpers wurde den dama21 über die Zusammensetzung des ganzen Lehrkörpers von der Gründung bis zum Jahr 1957 s. Erich Becker, Entwicklung und Aufgaben der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, in Staats- und verwaltungswissenschaftliche Beiträge, hrsg. von der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Stuttgart 1957, S. 9 ff. 22 Die Hochschule gedachte seiner in einer Feier am 6. Dezember 1965. Die Gedenkreden von Rektor Prof. Dr. Hans Ryjjel und von Prof. Dr. Robert NöH von der Nahmer, Universität Mainz, s. in der von der Hochschule herausgegebenen Schrift "Albert Hesse zum Gedenken", Speyer 1966. 23 s. Hermann Haußmann, Ordnung und Idee als Grundbegriffe einer Allgemeinen Verwaltungswissenschaft, Band 1 der Schriftenreihe der Akademie Speyer, Tübingen 1949, S. 21; im gleichen Sinn äußert sich Erich Becker; s. oben Anm. 10. U s. Erich Becker, a.a.O. (oben Anm. 10), S. 14 bis 31.
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ligen Anforderungen an eine eigenständige Ausbildung für den höheren Verwaltungsdienst gerecht: Hörern der verschiedensten Vorbildung, mit und ohne Universitätsstudium, sollte die öffentliche Verwaltung unter allen Gesichtspunkten anschaulich gemacht werden. Als sich aber herausstellte, daß die Sonderlaufbahn für Regierungsreferendare 25 keine Zukunft haben würde, erschien es der Hochschule in einer zweiten Stufe notwendig, ja lebenswichtig, sich mit ihrem Ausbildungsprogramm auf den neuen Hörerkreis, Referendare im einheitlichen juristischen Vorbereitungsdienst, einzustellen. Aus diesem Grund, aber auch weil das Recht im Staat des Grundgesetzes ein wichtiges Handlungsmuster der Verwaltung darstellt - fast jedes Verwaltungsprojekt hat seine rechtliche Seite -, wurde nunmehr das öffentliche Recht im Lehrangebot verstärkt. Diese Entwicklung26 findet ihren Ausdruck in der Besetzung zweier Lehrstühle im Jahr 1955 mit den Professoren Dr. iur. Christian-Friedrich Menger und Dr. iur. Carl Hermann Ule, deren wissenschaftliches Interesse im besonderen dem Verwaltungsrecht gilt. Lag beim Nachfolger von Professor Süß, bei Professor Dr. iur. Gustav Adolt Bulla, der Schwerpunkt auf arbeitsrechtlichem Gebiet, so befaßt sich dessen Nachfolger, Professor Dr. iur. Hartwig Bülck, der im Jahr 1957 an die Hochschule kam, ausschließlich mit öffentlichem Recht, vornehmlich mit Völker- und Europarecht sowie Wirtschaftsverwaltungsrecht. Auch die meisten Lehraufträge hatten rechtliche Themen zum Gegenstand. Die Hochschule war in ihre vom öffentlichen Recht geprägte Epoche eingetreten. In Senat und Verwaltungsrat gewann überdies die Meinung an Boden, sie müsse nach und nach mit allen wichtigen Ordinariaten einer juristischen Fakultät ausgestattet werden, schon um das Promotionsrecht erlangen zu können. Im Oktober 1967 äußerte sich die Hochschule in diesem Sinne gegenüber der Westdeutschen Rektorenkonferenz und noch im Februar 1969 gab der Senat einem im Jahr 1968 neugeschaffenen Lehrstuhl die Umschreibung "Arbeitsrecht, Wirtschaftsrecht und allgemeine Prozeßrechtslehre". Der in dieser Zeit zu seinem überwiegenden Teil aus Juristen bestehende Senat hat jedoch die Verstärkung außerrechtlicher Disziplinen keineswegs vernachlässigt: Durch Ernennung des außerordentlichen Professors Dr. phi!. Georg Smolka im Jahr 1960 zum ordentlichen Professor wurde ein Ordinariat für Neuere Geschichte geschaf26 Ihre Vorzüge für den Verwaltungsnachwuchs vor einer zu sehr justizien geprägten Einheitslaufbahn unterstreicht Erich Becker, a.a.O. (oben Anm. 10), S. 48 ff. 28 Im folgenden überblick bleibt die Nachfolge auf die fünf "Gründungslehrstühle" außer Betracht, wenn sich nicht wesentliche Akzentverschiebungen ergeben haben. Vorübergehend waren an der Hochschule tätig Professor Dr. iur. Arnold Köttgen von 1950-1953, zuerst als Gastprofessor, und Professor Dr. iur. Hubert Görg von 1953-1954, zuerst als Lehrstuhlvertreter.
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fen, auf das nach dessen Emeritierung im Jahr 1969 Professor Dr. phi!. Rudolf Morsey berufen wurde. Ein neuer Lehrstuhl wurde für Vergleichende Verwaltungswissenschaften eingerichtet und im Jahr 1962 mit Professor Dr. iur. Fritz Morstein Marx, der seit 1932 in den Vereinigten Staaten in Verwaltung und Wissenschaft gewirkt hatte, besetzt; dieser Lehrstuhl ist bis heute der einzige seiner Art in Deutschland. Der Nachfolger von Professor Gehlen, Professor Dr. phi!. Hans Ryffel, pflegte die Soziologie weiter, legte aber den Akzent auf die für die Hochschule neuen Disziplinen Rechtstheorie und Rechts- und Sozialphilosophie. Von zwei weiteren neuen Lehrstühlen wurde der eine für Staatslehre und Politik reserviert und im Jahr 1969 mit Professor Dr. iur. Roman Herzog besetzt; die Umschreibung des anderen lautet "Wirtschaftliche Staatswissenschaften". Wenn in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre eine gewisse Unsicherheit über das künftige Profil der Hochschule festzustellen sein dürfte, dann hauptsächlich aus exogenen Gründen: es ließ sich nämlich nicht absehen, welche Vorstellungen Bund und Länder für die sich ankündigende berufsbegleitende Fortbildung hegten. Die Hochschule hatte sich aber eingehend mit allen neuen Strömungen befaßt und war so für den Aufbruch zu neuen Ufern gerüstet. Das Leitbild für den weiteren Weg gewann Konturen, als Ministerpräsident Dr. Peter Altmeier, Ehrensenator der Hochschule, auf der verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung im Herbst 1968 erklärte, das Land beabsichtige, die Hochschule zu einem Zentrum der verwaltungswissenschaftlichen Fortbildung auszugestalten. Endgültig beseitigt wurde jegliche Unsicherheit auf der Sitzung des Verwaltungsrats am 16. Oktober 1969. Der im Mai jenes Jahres in sein Amt berufene neue Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Helmut Kohl, bekräftigte vor diesem Gremium seine schon in der Regierungserklärung geäußerte Bereitschaft zur weiteren Förderung der Hochschule. In der Aussprache über die Zielvorstellungen, in der die zum Teil neuen Anforderungen des Kontaktstudiums an das Lehrangebot Berücksichtigung fanden, trat die Auffassung des Verwaltungsrats zutage, daß angesichts einer Wandlung der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung die Kenntnis des Rechts und die Fähigkeit zu seiner sachgemäßen Anwendung allein kein hinlängliches Rüstzeug mehr bildeten; der Verwaltungsbeamte von morgen müsse auch außerhalb eines Konditionalprogramms wie der Rechtsanwendung zu rationalem Handeln befähigt sein, so wenn es gelte, komplexe Sachverhalte zu analysieren, Zielprojektionen zu erarbeiten und Zielkonflikte zu erkennen, Maßnahmenkataloge zu erstellen, Handlungsalternativen aufzuzeigen und zu bewerten und auf globale Prozesse Einfluß zu nehmen. Der Verwaltungsrat faßte auf Vorschlag des neuen Rektors, Professor Diplomvolkswirt Dr. iur. Franz
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Knöpfle, der sich dabei auf Vorstellungen des Senats stützen konnte, einstimmig den Grundsatzbeschluß, die Hochschule in Richtung der für eine praxisbezogene Aus- und Fortbildung und für die verwaltungswissenschaftliche, auch interdisziplinäre Forschung besonders bedeutsamen, an ihr bisher noch nicht oder nicht hinlänglich vertretenen außerrechtlichen verwaltungswissenschaftlichen Disziplinen auszubauen. Allseits für erforderlich gehalten wurde die Einbeziehung insbesondere der empirischen Sozialforschung, der modernen quantitativen Methoden unter besonderer Berücksichtigung der elektronischen Datenverarbeitung, der Sozialpsychologie und der Finanzwissenschaft. übereinstimmung bestand aber auch darüber, daß die Hochschule nach wie vor eine Stätte der Pflege des öffentlichen Rechts bleiben solle. Nach dieser Klärung wandelte der Senat sogleich die noch unbesetzte neue Professur für Prozeßrechtslehre in einen Lehrstuhl für Organisationssoziologie, insbesondere Verwaltungssoziologie, um; auf ihn wurde im Jahr 1971 Frau Professor Dr. phil. Renate Mayntz-Trier berufen, die auch die Einführung in die Methoden und Probleme der empirü,chen Sozialforschung übernommen hat. Im Jahr 1971 konnten zwei neue verwaltungswissenschaftliche Ordinariate errichtet werden, das eine mit theoretischer Akzentuierung, das andere mit dem Gewicht auf praxisbezogenen Fragen; letzteren Lehrstuhl hat seit Mai 1971 Professor Dr. iur. Frido Wagener inne. In demselben Jahr wurden darüber hinaus ein Extraordinariat sowie eine außerplanmäßige Professur geschaffen; ihre Inhaber, ao. Professor Dr. iur., Dr. rer. pol. Klaus König und apl. Professor Dr. iur. Heinrich Siedentopf, wenden ihr wissenschaftliches Interesse ebenfalls hauptsächlich außerrechtlichen verwaltungswissenschaftlichen Problemen zu. Das Potential der Hochschule auf diesen Gebieten wird seit einigen Semestern verstärkt durch Lehrveranstaltungen von Honorarprofessoren und Lehrbeauftragten 27 • Die Tendenzen zu einer sozialwissenschaftlichen Fundierung der Ausbildung für die Verwaltung rechtfertigen es, von einer dritten, spezifisch verwaltungswissenschaftlich orientierten Periode der Hochschulentwicklung zu sprechen. Sie läuft parallel zu der Öffnung der Verwaltungslaufbahn für Nicht juristen und zu den Bestrebungen der Universität Konstanz, einen eigenen verwaltungswissenschaftlichen Studiengang einzurichten273 • %7 Gegenstände ihrer Veranstaltungen sind Themen wie z. B. Raumordnung und Landesplanung, Führungsprozeß und Planung. Statistik und andere quantitative Methoden (mit übungen am elektronischen Rechner). SystemBudgetierung. psychologische Beurteilung. Berufskunde und Arbeitsmarktpolitik. Öffentlichkeitsarbeit sowie Vortragstechnik. 27,. Hierzu s. Fritz W. Scharpf. Das Konstanzer Verwaltungsstudium nach drei Jahren: Entwicklungen, Erfahrungen und Probleme. in DÖV 1971,
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Der hier nur in groben Umrissen gezeichnete personelle Ausbau des Lehrkörpers, zu dem im Jahr 1972 außer den 14 Ordinariaten und den beiden übrigen Professuren weiter sechs Honorarprofessoren, 25 Lehrbeauftragte, vier Lektoren und 15 Assistenten und Forschungsreferenten gehören, wäre nicht möglich gewesen ohne die verständnisvolle Unterstützung sowohl des früheren wie auch des derzeitigen Chefs der Staatskanzlei, der Staatssekretäre Präsident Professor Fritz Duppre und Willibald Hilf; dank ihres Amtes als Vorsitzende des Verwaltungsrats hatten sie stets vollen Einblick in die jeweilige Gesamtsituation der Hochschule und konnten so deren Belange, insbesondere gegenüber dem Finanzministerium des Landes Rheinland-Pfalz, das 75 Ufo des Kostenaufwands trägt, mit Sachkunde nachdrücklich vertreten. 2. a) Der besondere Ausbildungsgang für Regierungsreferendare und mit ihm das viersemestrige Studium an der Hochschule, das mit der Ablegung der Großen Staatsprüfung an ihr selbst seinen Abschluß fand 28 , lief im Jahr 1951 aus. Damit wandelte sich ihre Ausbildungsaufgabe: Die Hörerschaft bestand fortan fast ausschließlich aus Referendaren im juristischen Vorbereitungsdienst, die zu einem nur einsernestrigen, im Sommer drei, im Winter vier Monate dauernden Studium nach Speyer kamen, um dann nach Fortsetzung der Ausbildung bei Gerichten und Verwaltungsbehörden vor dem zuständigen Prüfungsamt, also nicht mehr an der Hochschule, sich der für alle Juristen einheitlichen zweiten Staatsprüfung zu unterziehen. Die Hörer kamen aufgrund ihrer eigenen Meldung; lediglich ein Teil der Referendare des Landes RheinlandPfalz wurde bis zum Jahre 1971 ohne ihr Zutun abgeordnet. In der übergangszeit von 1950 bis 1952 studierten an der Hochschule unterschiedliche Kategorien von Hörern, nämlich noch die Regierungsreferendare, die an ihr das Staatsexamen ablegten, "Kriegs-Assessoren" (Referendare, die mit Rücksicht auf ihre Einberufung zum Wehrdienst ohne zweites Examen zu Assessoren ernannt worden waren), Referendare im regulären Vorbereitungsdienst und Aufstiegsbeamte; es bereitete nicht geringe Schwierigkeiten, diesen verschiedenen Hörergruppen mit unterschiedlicher Vorbildung gleichermaßen gerecht zu werden. Die Palette der Hörer wurde einige Jahre später wieder bunt, als nach Schaffung der entsprechenden Laufbahnen Post- und Wirtschaftsreferendare mit nicht juristischer Vorbildung erstmals in den Jahren 1956 und 1961 an die Hochschule kamen. Im Sommersemester 1971 entsandte 28
über die Gegenstände der Prüfung und das Benotungssystem s. Erich
Becker, a.a.O. (oben Anm. 21), S. 15. Diese sehr strenge Prüfung wurde abge-
halten in der Zeit von 1948 bis 1952. Einige Bewerber haben die Gesamtnote "gut" erhalten; von den 15 Aufstiegsbeamten, die sich der Prüfung unterzogen, haben mit einer Ausnahme alle besser als mit der Gesamtnote "ausreichend" abgeschnitten, während eine Reihe von Kandidaten mit akademischem Studium diese Note erhalten haben oder durchgefallen sind.
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Berlin zum ersten Mal Regierungsreferendare mit einem politologischen oder soziologischen Universitätsstudium im Rahmen des für sie entwickelten besonderen Vorbereitungsdienstes zu einem einsernestrigen Studium nach Speyer; entgegen manchen Unkenrufen bildeten sie keinen "Sprengstoff"; sie haben vielmehr mit großem Interesse an der für sie eingerichteten Arbeitsgemeinschaft teilgenommen und sich um einen Zugang zu den ihnen fremden Gebieten, insbesondere zum öffentlichen Recht, bemüht. Nach dem Grundsatz der Lernfreiheit können die Hörer aus dem Lehrangebot der Hochschule frei wählen mit der Maßgabe, an der länderweise durchgeführten Arbeitsgemeinschaft teilzunehmen, insgesamt 24, später 20 Stunden in der Woche zu belegen und die geforderten Leistungsnachweise zu erbringen; gelegentlich machten abordnende Behörden den Besuch bestimmter Lehrveranstaltungen zur Auflage. Das Semesterprogramm wird abgerundet durch Abendvorträge und die Vorführung konkreter größerer Verwaltungsprojekte unter Mitwirkung der jeweils damit befaßten Behörden und sonstiger beteiligter Stellen. Bei diesen Projektdemonstrationen, an denen bisweilen Hörergruppen aktiv mitgewirkt haben, geht es darum, den Hörern die Methoden zur Lösung komplexer Verwaltungsaufgaben nahezubringen und sie auch aus Fehlern und Erfahrungen lernen zu lassen; diese Darbietungen ergänzen so in instruktiver Weise die theoretische Behandlung eines Fragenkreises. Weiter werden jedes Semester, nach Möglichkeit in Zusammenhang mit dem behandelten Lehrstoff, Lehrfahrten, häufig auch mehrtägige am Semesterende, veranstaltet. b) Im Herbst 1965 schien die einsemestrige Referendarausbildung an der Hochschule durch die Kürzung des juristischen Vorbereitungsdienstes von dreieinhalb auf zweieinhalb Jahre 29 gefährdet zu sein. Die Ausbildungsordnungen der Länder ließen jedoch die an der Hochschule zu verbringende Wahlstation unbeeinträchtigt. Auch die Befürchtung, daß sich angesichts der Verkürzung viele Referendare nicht mehr in der Lage sähen, zu Lasten der Ausbildung bei Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten nach Speyer zu kommen, erwies sich als unbegründet. Zu einer Bedrohung des verwaltungswissenschaftlichen Referendarstudiums an der Hochschule wurden dagegen in den Jahren 1969 bis 1971 die ursprünglichen Pläne des Bundesjustizministeriums zur Reform der Juristenausbildung: Diese sahen eine weitere Verkürzung des Vorbereitungsdienstes auf insgesamt 21 Monate und im Zuge dieser 2D Durch das Gesetz zur Kürzung des Vorbereitungsdienstes für den Erwerb der Befähigung zum höheren Beamtendienst und zum Richteramt vom 18.8. 1965 (BGBl. I S. 891), das vorbehaltlich einer übergangslösung für den schon begonnenen Vorbereitungsdienst am 1. 10. 1965 in Kraft trat; sein Art. 3 Abs. 1 Buchst. a enthielt die Neufassung des § 5 Abs. 3 Satz 1 DRiG, der die Dauer des Vorbereitungsdienstes festlegt.
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Maßnahme die Beseitigung des Referendarstudiums an der Hochschule vor; es sei Sache der Verwaltung, ihren Nachwuchs - nach dem Assessorexamen - erforderlichenfalls zur Fortbildung an sie zu entsenden. Nachdem der Hochschule erkennbar geworden war, daß die beabsichtigte Regelung, soweit sie davon berührt wurde, auf die Vorstellung zurückzuführen war, die Station in Speyer stelle eine Verlängerung der theoretischen Ausbildung dar, wie sie der junge Jurist schon an der Universität erhalten hat, unternahm sie alle Anstrengungen, die Bedeutung eines verwaltungswissenschaftlichen Studiums auch innerhalb eines verkürzten Vorbereitungsdienstes deutlich zu machen, indem sie ihre Funktion im Rahmen der Juristenausbildung umriß: Die Anforderungen, die an das allgemeine Berufswissen eines Verwaltungsbeamten bei Eintritt in den höheren Dienst zu stellen sind, wurden dem Wissensund Ausbildungsstand, den er während seines Universitätsstudiums und des Vorbereitungsdienstes ohne Ausbildung an der Hochschule erlangen kann, gegenübergestellt; dabei wurde aufgezeigt, daß der so ausgebildete Assessor in außerrechtlichen verwaltungswissenschaftlichen Disziplinen in aller Regel überhaupt keine, auf öffentlich-rechtlichem Gebiet aber häufig nur unzulängliche Kenntnisse mitbringt. Die Schließung dieser Lücken sehe die Hochschule als eine ihrer wesentlichen Ausbildungsaufgaben an, auf die ihr Lehrprogramm ausgerichtet sei. Im übrigen könnten auch Referendare, die nicht die Verwaltungslaufbahn ergreifen wollen, ein berechtigtes Interesse an einem Studium in Speyer haben, weswegen eine Verschiebung der Ausbildung auf verwaltungswissenschaftlichem Gebiet auf die Zeit nach der Einstellung der Assessoren in den Verwaltungs dienst das Semester an der Hochschule nicht ersetzen könne. Für die Erhaltung der Referendarausbildung an der Hochschule setzten sich auch die Assistenten- und die Hörerschaft nachdrücklich ein. Die besonders aktive Hörerschaftsvertretung des Wintersemesters 1969170 schrieb dem Bundesjustizminister, "daß die Ausbildung in Speyer gegenüber der normalen Referendarausbildung wesentlich gründlicher und besser ist"; es sei unerläßlich, die Hochschule, eine der wenigen Institutionen, die Forschung und Lehre auf verwaltungswissenschaftlichem Gebiet betreiben, für die Ausbildung der jungen Juristen auch künftig nutzbar zu machen. Diesen Standpunkt vertraten auch das Bundesinnenministerium, der zuständige Ausschuß der Justizministerkonferenz und die meisten Innenministerien der Länder. Den Umschwung brachte der Regierungsentwurf eines Änderungsgesetzes vom 20. August 1970 (Bundesratsdrucksache 457170), der ein dreimonatiges Studium an der Hochschule unter Anrechnung auf bestimmte andere Ausbildungsstationen zuließ. Diese Regelung ging dann in das Gesetz zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes vom 10. September
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1971 (BGBL I S. 1557) ein: § 5 a Abs. 2 DRiG in der neuen Fassung läßt auch künftig ein Studium an der Hochschule bis zu drei Monaten zu. Dagegen war es leider trotz allen Bemühens nicht möglich, eine Anrechnung bis zu vier Monaten zu erreichen, so daß das Wintersemester künftig um 'einen Monat verkürzt werden muß. In der Begründung des Regierungsentwurfs vom 28. August 197030 heißt es hierzu, eine weitergehende Anrechnung wäre angesichts der Verkürzung der praktischen Ausbildung auf 21 Monate nicht vertretbar. Obwohl die Fraktion der CDU/CSU in ihrem Initiativantrag vom 22. April 197031 eine Anrechnung bis zu vier Monaten vorgesehen und sich der Bundesrat auf Antrag des Landes Rheinland-Pfalz für ein Studium von vier Monaten Dauer ausgesprochen32 hatte, verblieb es im Vermittlungsaussuß bei der Begrenzung des Speyerer Studiums auf drei Monate 33 , während die Dauer des Vorbereitungsdienstes abweichend vom Regierungsentwurf auf 24 Monate festgesetzt wurde. c) über die Fragen des verwaltungswissenschaftlichen Studiums in Speyer hinausgreifend hat die Hochschule mehrfach ihre Aufmerksamkeit der Reform der Ausbildung des Juristen in der Verwaltung zugewandt. Diese stand in den Jahren 1962 und 1964 im Mittelpunkt von Tagungen34 • Auf Anregung von Professor Ryffel hat sich die Hochschule selbst im Juli 1970 in einem kurzen Memorandum, das von einer Senatskommission unter seiner Leitung im Einvernehmen mit der 30 Bundesrats-Drucksache 457/70, Abschnitt B, zu Artikel I Nr. 1 Buchst. a, Abschnitt 2. 31 Bundestags-Drucksache VI!665, Sachgebiet 301. 3: Bundesrats-Drucksache 157/2/70 und Protokoll über die 356. Sitzung am 2. Oktober 1970, S. 198. 33 Nach dem Regierungsentwurf vom 28. August 1970 sollten die Ausbildungsstation bei den Verwaltungsbehörden und die sog. Pflichtwahlstation, auf die das Speyerer Studium angerechnet werden sollte, jeweils sechs Monate betragen. Bei einer viermonatigen Studiendauer hätten dann die genannten Stationen lediglich noch zwei Monate gedauert, was dem Ziel der Reform, Kurzstationen wegen ihres geringen Ausbildungswertes zu vermeiden, nicht entsprochen hätte. Wegen dieser Bedenken hat sich das Bundesjustizministerium der Anrechnung von vier Monaten widersetzt. Dem hat die Hochschule in ihrem Schreiben vom 20. Januar 1971 entgegengehalten, daß ihre Lehrveranstaltungen einen engen Bezug zur Verwaltungspraxis aufwiesen und daß die Intensität ihrer Ausbildung wesentlich höher sei als an manch anderen Ausbildungsstationen. - Ob die vorgebrachten Ablehnungsgründe noch fortbestehen, läßt sich erst feststellen, wenn die Länder den bundesrechtlichen Rahmen hinsichtlich der Dauer der einzelnen Stationen ausgefüllt haben werden; das Änderungsgesetz vom 10. September 1971 schreibt die Dauer der einzelnen Ausbildungsstationen nicht mehr vor, sondern beschränkt sich darauf anzuordnen, daß sich der Vorbereitungsdienst bei einer Stelle auf mindestens drei Monate beläuft und daß er bei höchstens fünf Stellen abgeleistet werden soll (§ 5 a Abs. 2 Satz 1 DRiG in der neuen Fassung). . 8. s. hierzu Probleme der juristischen Ausbildung in der Verwaltung, Berlin 1963, und Die Verwaltungsausbildung der Juristen, Berlin 1965, Bände 17 und 25 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer.
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Assistenten- und Hörerschaft erstellt worden war, zur Neuordnung des Vorbereitungsdienstes geäußert, unter Vorbehalt einer besonderen Stellungnahme zur einstufigen Ausbildung. Sie hat darin die Auffassung vertreten, daß die Ausbildung bis jetzt zu einseitig auf die Vorbereitung für den Justizdienst ausgerichtet sei. Bei grundsätzlicher Wahrung der Einheit der Juristenausbildung und des Assessorexamens, das weiterhin die Befähigung zu allen juristischen Berufen verleihen solle, empfehle sich eine Differenzierung des Vorbereitungsdienstes nach der angestrebten Berufsrichtung. Vorgeschlagen wird deshalb eine einheitliche Eingangsstufe von elf Monaten und eine Spezialisierungsstufe von 13 Monaten, die an den ausgeprägten Berufsbildern des Justizjuristen, Verwaltungsjuristen, Rechtsanwalts und Wirtschaftsjuristen orientiert ist. Das Studium an der Hochschule solle nicht nur künftigen Verwaltungsbeamten, sondern insbesondere auch künftigen Anwälten und Wirtschaftsjuristen offenstehen. Die Gestaltung des Assessorexamens sollte es zulassen, den speziellen Ausbildungsrichtungen in angemessener Weise Rechnung zu tragen. d) Zur Zeit prüft die Hochschule, ob und gegebenenfalls wie sie an der einstufigen Juristenausbildung, die das neue Recht35 probeweise bis zum September 1981 zuläßt, mitwirken kann. Die Beantwortung dieser Frage hängt allerdings weitgehend davon ab, für welches der mehreren in der Diskussion stehenden Modelle sich die einzelnen Länder entscheiden, und wie diese zum Zweck des Einbaus eines verwaltungswissenschaftlichen Studiums an der Hochschule fort'entwickelt werden. Die Verwirklichung dieser Absicht setzt ein enges Zusammenarbeiten mit den Ländern, die den einstufigen Ausbildungsgang regeln, voraus. e) In Lehrangebot und Unterrichtsgestaltung verfolgte die Hochschule seit jeher das Ziel, den Stoff übergreifend darzustellen und die Hörer zur aktiven Mitarbeit aufzurufen. Beide Forderungen konnten jedoch in der Praxis nicht in allen Lehrveranstaltungen in gleichem Maße in die Tat umgesetzt werden. Erfuhren auch die "juristischen" Lehrveranstaltungen36 durch die Einbeziehung außerrechtlicher Fragestellungen eine thematische Ausweitung hin zu den übrigen Fächern, so war das Lehrprogramm im ganzen noch nicht in sich geschlossen. Erst mit der Entscheidung über die künftige Konzeption der Hochschule vom Oktober 1969 konnte das Ausbildungsziel genauer festgelegt und ein in seinen einzelnen Teilen inhaltlich aufeinander abgestimmtes Lehrangebot entwickelt werden. ~~ s. § 5 b DRiG i. d. Fassung des Änderungsgesetzes vom 10. September 1971, BGBl. I S. 1557, i. V. mit Art III § 2 des zit. Änderungsgesetzes. 38 Von den 39 Lehrveranstaltungen des Eröffnungssemesters 1947 waren 14 juristische, von den 75 des Wintersemesters 1971/72 hatten 19 einen recht-
lichen Inhalt, während 28 Veranstaltungen sich zum Teil mit juristischen, zum Teil mit außerrechtlichen Gegenständen befaßten.
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Dieser Aufgabe unterzog sich unter Leitung von Professor Ryffel ein Unterausschuß der Lehrprogrammkommission, dem hierbei ein mit vollständigen und erläuterten Stoffübersichten ausgestatteter Entwurf der Assistentenschaft zustatten kam. Das neue Programm für ein einsemestriges Studium, dem der Senat Ende des Sommersemesters 1970 sein Plazet geben konnte, berücksichtigt nicht juristische Disziplinen in einem stärkeren Maß als die Lehrangebote früherer Semester, wie dies bereits ein Memorandum der Hochschule vom Juli 1966 über ihren Ausbau gefordert hatte. Es gliedert den Lehrstoff in Anlehnung an die traditionellen Disziplinen in fünf Hauptgruppen37 , innerhalb derer jeweils zwischen einem Mindestprogramm, das nach Möglichkeit in jedem Semester anzubieten ist, und einem ergänzenden Programm unterschieden wird38 • Die Lehrveranstaltungen sind jedoch inhaltlich keineswegs auf die jeweilige Stoffgruppe beschränkt; die Themen sollen vielmehr im Hinblick auf die Anforderungen, die eine spätere Tätigkeit in der Verwaltung an den "Generalisten" stellt, unter Einbeziehung weiterer Zusammenhänge behandelt werden, wie dies in vielen Vorlesungen und übungen der Hochschule seit langem geschieht. Das Programm sucht die wissenschaftlich fundierte Ausbildung durch Vermittlung instrumentalen Wissens und in der Verwaltung benötigter Techniken zu ergänzen. Auch das Zusammenwirken von Dozenten verschiedener Fachrichtungen in gemeinsamen Veranstaltungen wird ins Auge gefaßt. Einführende und auf ihnen aufbauende Veranstaltungen sind aufeinander abzustimmen. Gleichwohl wurde das Gesamtprogramm im Hinblick auf die wissenschaftshistorische und die noch bestehende wissenschaftstheoretische Situation in Anlehnung an die traditionellen Disziplinen gegliedert; der Gegenstand "Verwaltung" wird nämlich heute noch überwiegend als Forschungsobjekt der etablierten wissenschaftlichen Disziplinen angesehen, die ihn nach ihren Methoden untersuchen. Eine kohärente Verwaltungstheorie, die als Basis für die Neuordnung des Lehrprogramms geeignet gewesen wäre, bestand trotz einiger systemtheoretischer oder sonstiger integrativer Ansätze im Sommer 1970 jedenfalls noch nicht. So sehr sich das Hauptinteresse der Hörer, vor allem der aus norddeutschen Ländern, gegenüber früheren Jahren mehr und mehr auf die an der Hochschule nunmehr stärker gepflegten außerrechtlichen Fächer zu verlagern scheint, so durfte andererseits bei der Lehrplangestaltung nicht außer Betracht bleiben, daß viele Hörer an der Hochschule auch eine öffentlich-rechtliche Weiterbildung suchen. Im Programm wurde 37 Rechtswissenschaft; Verwaltungslehre; Wirtschaftswissenschaft; eine eigene Gruppe bilden Geschichte, Rechts- und Sozialphilosophie, Soziologie, Staatslehre und politische Wissenschaft; dazu kommen noch Sprachen. 38 s. dazu Franz Knöpfle, Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer setzt neue Akzente, in DÖV 1970, S. 634 f.
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deshalb zu Recht betont, daß Lehrveranstaltungen mit unmittelbarem Bezug auf die juristische Staatsprüfung an der Hochschule ihren Platz behalten werden, dies umsornehr, als eine sinnvolle Examensvorbereitung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts für die künftige Berufstätigkeit als Verwaltungsjurist von hohem Nutzen sein kann. Nach der Auffassung von Referendaren, vornehmlich aus süddeutschen Ländern, ist das Angebot an Lehrveranstaltungen für die juristische Weiterbildung an der Hochschule in der letzten Zeit fast schon zu gering. Auf dringenden Wunsch der Hörer wurde in den letzten Jahren ein öffentlich-rechtlicher Klausurenkurs eingeführt. Das neue Lehrprogramm, das mit den vorhandenen Lehrkräften zur Zeit noch nicht voll verwirklicht werden kann, stellt zugleich eine Zielprojektion für den personellen Ausbau der Hochschule dar. Außer den beiden entsprechend diesem Konzept errichteten verwaltungswissenschaftlichen Lehrstühlen sind weitere für das Gebiet der Sozialpsychologie und Soziologie, für wirtschaftliche Staatswissenschaften mit dem Schwerpunkt auf der Finanzwissenschaft und in fernerer Zukunft für öffentliches Recht erforderlich. Seit Beginn der Lehrtätigkeit der Akademie wurde mitarbeitsintensiven Lehrformen breiter Raum gegeben. Schon das erste Vorlesungsverzeichnis des Sommersemesters 1947 kennt nicht die Kategorie "Vorlesung", sondern spricht von "Vorträgen mit Lehrgespräch"; die Jahre später erhobene Forderung nach Auflockerung der Monolog-Vorlesung war also in Speyer schon damals erfüllt worden. In thematischer wie didaktischer Hinsicht nehmen die im Jahr 1952 allgemein eingeführten öffentlich-rechtlichen Arbeitsgemeinschaften, die nicht mehr als 20 Hörer umfassen sollen, eine Schlüsselstellung ein. Ihrem verwaltungswissenschaftlichen Charakter entsprechend wurden sie im Jahr 1957 in "Arbeitsgemeinschaften für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik" umbenannt; gleichzeitig wurde die Teilnahme für obligatorisch erklärt. Sie haben das Zie}39, durch eine exemplarische, in der Regel von konkreten Fragestellungen oder Verwaltungsaufgaben ausgehende Stoffbehandlung verwaltungswissenschaftliches Wissen zu vertiefen und die Fähigkeit zu entwickeln, es richtig anzuwenden. Für die gewünschte "praxisbezogene Aktualisierung" und die Berücksichtigung der sich wandelnden Anforderungen an eine moderne Verwaltung trugen besonders die als Lehrbeauftragte tätigen Praktiker Sorge. Die kleine Teilnehmerzahl ermöglicht gruppenorientierte Lehrformen und 38 Vgl. hierzu und zum Lehrbetrieb im allgemeinen earl Hermann Ule, La preparazione in scienza dell'amministrazione presso la Scuola Superiore di Scienze Amministrative di Speyer (mit einer Anmerkung von Professor Silvio Lessona), in La Scienza e la Teenica della Organizzazione nella Pubblica Amministrazione 1963, S. 551 ff.
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damit das Einüben -eines guten "Teamverhaltens". Seit Jahren werden in mehreren Arbeitsgemeinschaften Plan- und Projektspiele veranstaltet, so beispielsweise die Simulation eines verwaltungsgerichtlichen Prozesses oder eines Rechtsetzungsverfahrens mit verteilten Rollen, aber auch die Lösung komplexer, gestalterischer Verwaltungs aufgaben in Gruppenarbeit40 • Obwohl wegen der Studienerfahrung und der bestehenden Lernmotivation der Hörer, die aus freien Stücken nach Speyer kommen, sowie wegen der Möglichkeit, jederzeit mit Professoren und Assistenten persönliche Kontakte aufzunehmen, an der Hochschule Fragen der Didaktik nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie bei Studienanfängern, glaubt sich die Hochschule nicht der Aufgabe einer Verbesserung der Lehrmethodik enthoben. Damit sich die angemeldeten Hörer schon zu Hause über ihren Studienplan klar werden können, werden ihnen außer dem Vorlesungsverzeichnis detaillierte Unterlagen über die Seminare mit einführenden Literaturhinweisen zugesandt. Das Lehrprogramm vom Juli 1970 spricht sich für eine Studienberatung aus und unterstreicht das Erfordernis einer nicht nur thematischen, sondern auch zeitlichen Abstimmung korrespondierender Veranstaltungen. Notwendige konzentrierte Informationen sollen in zusammenhängenden "Blökken" geboten werden. Auch die "Richtlinien zur Neugestaltung der verwaltungswissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften", die von der Senatskommission zur überprüfung der Form der Lehrveranstaltungen und der Leistungsnachweise unter Leitung von Professor Herzog unter Mitwirkung von Arbeitsgemeinschaftsleitern und der Assistenten- und Hörerschaft erarbeitet und vom Senat im Juli 1971 gebilligt wurden, befassen sich mit der Lehrmethodik. Sie umreißen zunächst die Funk40 Zu Planspielen über Gesetzgebungsvorhaben in der Arbeitsgemeinschaft von Professor Ule s. den von der Hochschule herausgegebenen Band "Zum Musterentwurf eines Verfahrensgesetzes", Speyer 1966, und UZe/Steidel in DVBl. 1967, S. 681 ff.; über ein anderes Planspiel s. UZe in DVBl. 1965, S. 552.Planspiele, die Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtliche Prozesse zum Gegenstand hatten, wurden mehrfach in den Arbeitsgemeinschaften der Professoren Becker und Knöpfle veranstaltet. In der Arbeitsgemeinschaft von Professor König wurden die Projekte der Ansiedlung eines Industriebetriebes in der Westpfalz und der Bildung eines gemeinsamen Nahverkehrsträgers für einen Ballungsraum durchgespielt. Professor Siedentopf hat eine das ganze Semester dauernde Gruppenarbeit unter Mitwirkung der der Berliner Regierungsreferendare mit unterschiedlicher akademischer Vorbildung über das Thema "Stadtsanierung Speyer" ausgegeben. Einen Gewinn für den einzelnen erblickt die Gruppe in der interdisziplinären Zusammenarbeit, in der Schulung der Kooperationsfähigkeit und in der Sammlung arbeitspsychologischer und soziologischer Erfahrungen, so etwa der, daß die Lösung von Organisations- und Koordinationsschwierigkeiten einen unverhältnismäßig großen Teil der Arbeitskraft und -zeit absobiert hat. Es liegt auf der Hand, daß sich solche Einsichten und Erfahrungen in den traditionellen Lehrveranstaltungen nicht gewinnen ließen.
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tion der Arbeitsgemeinschaften41 im Lehrangebot der Hochschule: Diese sollen verwaltungswissenschaftliche Gegenstände mit einem Bezug zur Praxis unter den für die Verwaltung beachtlichen Gesichtspunkten und mit den für sie bedeutsamen Methoden wissenschaftlich behandeln. An didaktischen Formen sollen die Simulation von Verhandlungen mit Bürgern, Gruppenvertretern und Behörden, von Gerichtsverhandlungen, von Beratungen in Parlamenten und Ausschüssen sowie die Erarbeitung und kritische Untersuchung von Gesetz-, Verordnungs- und Satzungs entwürfen und von Verwaltungsakten in schwierigen Fällen im Vordergrund stehen. Zu achten ist auf eine ständige aktive Mitarbeit aller Teilnehmer entsprechend dem Modell der "gestreuten Mitarbeitsintensität" . Die Richtlinien sehen weiter regelmäßige Konferenzen der Arbeitsgemeinschaftsleiter, zusätzlich zu den schon seit langem durchgeführten Arbeitsbesprechungen des Lehrkörpers, vor, mit dem Ziel des Informationsaustausches, der Zusammenarbeit bei der Planung von Semesterprogrammen und der Verbesserung der Didaktik. Die Hinwendung zu außerrechtlichen verwaltungswissenschaftlichen Disziplinen wirft neue didaktische Fragen insofern auf, als die Hörer mit diesen Gebieten während des juristischen Studiums und der Ausbildung in der Praxis meist noch nicht konfrontiert wurden. Eine Einführung in die Thematik erscheint deshalb hier unerläßlich. Auch bei der Auswahl zu behandelnder Fragestellungen und Forschungsansätze in Bereichen, deren wissenschaftliche Entfaltung erst eingesetzt hat, gilt es, auf die Lernmotivation der Referendare Bedacht zu nehmen. Ihre zu geringe Berücksichtigung mag manche Lehrveranstaltungen um den Erfolg gebracht haben, den man nach dem ursprünglichen Interesse der Hörer hätte erwarten dürfen. Die kurze Dauer der Ausbildung wird es allerdings meist nur gestatten, die Problemstellung auszubreiten, die methodischen Ansätze zur Lösung der Fragen aufzuzeigen und multidisziplinäres Denken zu fördern, um so eine Grundlage für ein weiteres Einarbeiten zu geben. Die Hochschule selbst befindet sich auf dem Gebiet der Didaktik, auf dem sich neue Entwicklungen abzeichnen, noch inmitten eines 41 Die Arbeitsgemeinschaft, die als einzige Lehrveranstaltung länderbezogen organisiert ist, bleibt so ein Forum für die Erörterung auch landesspezifischer Fragen vor einem geschlossenen Hörerkreis, von dem im Hinblick auf seine Beziehung zu dem abordnenden Land Interesse hieran erwartet werden kann. Dies ermöglicht es auch, in Ermangelung ausreichender Kräfte der Hochschule fachlich und pädagogisch qualifizierte Beamte des betreffenden Landes im Einvernehmen mit den zuständigen obersten Landesbehörden mit der Leitung einer Arbeitsgemeinschaft zu betrauen; die meist in Ministerien tätigen nebenamtlichen Arbeitsgemeinschaftsleiter, auf deren wertvolle Mitarbeit die Hochschule nicht verzichten kann, lassen sich auch die Pflege der Beziehungen zwischen der Hochschule und dem jeweiligen Land angelegen sein.
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"Lernprozesses". Die Erkenntnis, daß es auf diesem Feld noch grundlegender Vorarbeiten bedarf, veranlaßte sie im Jahr 1971, sich auch in ihrer Forschungsarbeit der Didaktik anzunehmen, und zwar zunächst der vor und nach der Referendarausbildung liegenden Stufen: Das Forschungsinstitut übernahm auf Anregung des "Gesprächskreises Verwaltungslehre"42 im Zusammenwirken mit zwei Professoren an Universitäten ein Forschungsvorhaben mit dem Titel "Behandlung der ,Verwaltungslehre' an den Universitäten in Lehre und Prüfung"; seit Aufnahme dieses Faches in den Katalog der Wahlpflichtfächer der Ausbildungsordnungen mehrerer Länder sehen sich die Universitäten nämlich vor die Aufgabe gestellt, ein Curriculum auszuarbeiten sowie die Gestaltung des Examens auf diesem neuen Gebiet zu regeln. Hierbei sollen die Erfahrungen der Speyerer Hochschule nutzbar gemacht werden. Diese würde es begrüßen, wenn die Referendare künftig mit gewissen verwaltungswissenschaftlichen Vorkenntnissen nach Speyer kämen. Was die Didaktik im nachuniversitären Bereich anlangt, so hatte die Prüfung des Schrifttums ergeben, daß es sich dieser kaum annimmt. Den in ihm ausführlich behandelten Fragen, wie der Lernmotivation, der Gestaltung von Studiengängen, der Anleitung von Anfängern zum richtigen Lernen, des Einsatzes audio-visueller Hilfsmittel und der Bewältigung des Massenandrangs, kommt an einer postuniversitären Hochschule ein geringerer "Stellenwert" zu als an Universitäten. Daher wurde einem Referenten des Forschungsinstituts unter Leitung von Professor König die wissenschaftliche Untersuchung des Themas "Gegenstände und Didaktik der berufsbegleitenden Fortbildung für den höheren Verwaltungsdienst" übertragen. f) Seitdem die Referendare im Rahmen des Vorbereitungsdienstes an der Hochschule studieren, erteilt sie ihnen ein Schlußzeugnis 43 , wie dies auch in anderen Ausbildungsstationen zu geschehen hat. Voraussetzung für seine Erlangung waren ursprünglich zwei ausreichende übungs42 Dieser Kreis wurde auf Initiative einiger Professoren mehrerer Hochschulen als lose Vereinigung von Hochschullehrern und anderen Persönlichkeiten, die sich die Pflege der Verwaltungswissenschaften in Lehre und Forschung besonders angelegen sein lassen, zum gegenseitigen Meinungsaustausch im Oktober 1967 in Speyer gegründet. 43 Während die Notengebung in früheren Jahren im Schatten des Interesses der Hörerschaft zu stehen schien, änderte sich dies im Jahre 1970, als die Prüfungsordnungen mehrerer Länder die Anrechnung von Noten für Leistungen im Vorbereitungsdienst auf das Assessorexamen einführten. Angesichts der unterschiedlichen Notenskalen in den verschiedenen Ländern führten Fragen der Umrechnung des Zeugnisses der Hochschule zu Erörterungen mit den betroffenen Ländern. Die Hörer begannen mehr Wert darauf zu legen, daß die Maßstäbe für die Erteilung der Noten offengelegt werden. Kontroversen zwischen Dozenten und einzelnen Hörern über die Benotung, die es bis dahin so gut wie nicht gegeben hatte, nahmen zu. Im Jahr 1971 wurden erstmals gegen Schlußzeugnisse Rechtsmittel eingelegt, weswegen die Hochschule erwägt, die Zeugnisse künftig mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen.
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oder Seminarzeugnisse; seit dem Sommersemester 1956 muß einer dieser Scheine in der Pflichtarbeitsgemeinschaft erlangt sein. Im Jahr 1961 wurde die Zahl dieser Scheine auf drei erhöht. Um die Hörer anzuhalten, sich wenigstens mit einem Thema vertieft wissenschaftlich zu beschäftigen, ist nach einem Senatsbeschluß vom Frühjahr 1971 wenigstens ein Schein in einem Seminar zu erwerben. Das Erfordernis von Leistungsnachweisen als solches, wie auch die Regelung des "Scheinwesens" im einzelnen, werden von einem Teil der Referendare in letzter Zeit in zunehmenden Maße kritisiert: Es sei dem mündigen Referendar selbst zu überlassen, wie er sich auf das Examen vorbereite, welche Lernziele er sich setze und welcher Arbeitsform er s:ch zu ihrer Erreichung bediene. An die Stelle der "Reglementierung des Lehrbetriebs" müsse die "eigenverantwortliche Lernfreiheit" treten. Der Leistungsdruck44 wirke sich auf die Lernmotivationen negativ aus und fördere eine Schülermentalität. Diesen Stimmen steht die Auffassung anderer Referendare gegenüber, das Studiensemester an der Hochschule, das im Vergleich zu sonstigen Ausbildungsstationen durch seinen "hohen Freizeitwert" charakterisiert werde 45 , sollte höhere Anforderungen stellen. Mehrmals wurde sogar einem strafferen Lehrbetrieb mit obligatorischen Veranstaltungen das Wort geredet i6 • 44 Sicherlich hat sich das Bewußtsein in den letzten 125 Jahren so gewandelt, daß den Motiven Robert von Mohls für "regelmäßige schriftliche Ausarbeitungen" in der "Anstalt zur Bildung höherer Staatsdiener" heute keine Bedeutung mehr zukommt: Er weist darauf hin, "wie schwer es ist, ohne eine bestimmte äußere Veranlassung angestrengte Studien zu verfolgen, und wie leicht namentlich ein junger Mann sich in solchem Zustande völliger Freiheit zur Beschäftigung mit bloßen Liebhabereien und seinem Zwecke fremdartigen Dingen, wo nicht gar zu völligem Nichtsthun, verleiten lassen kann" (a.a.O. - s. oben Anm. 8 - S. 286); weiter scheint ihm eine "äußere Veranlassung zu beständigem Fleiße selbst für den Talentvollen und Kenntnisreichen ersprießlich in dem Alter der Leidenschaften und der überschäumenden Lebenslust" (a.a.O., S. 282). 45 In diesem Sinn äußern sich nicht nur zahlreiche Berichte von Hörern, sondern auch Stellungnahmen der Hörerschaft oder ihrer gewählten Sprecher. So heißt es in dem Beschluß der Vollversammlung vom Juli 1966, der Sprecher der Referendare müsse im Senat zu Wort kommen können, wenn die Hochschule "nicht zu einem bloßen Urlaubsort für Referendare entarten soll". Der Bericht der Referendare eines Landes über das Sommersemester 1969 hebt hervor, daß sich unter ihnen diesmal "keine Touristen" befunden hätten. Der Sprecher einer Arbeitsgemeinschaft des Sommersemesters 1971 weist darauf hin, bei der Entscheidung über ein Studium in Speyer seien die Referendare deren "Selbstselektion ... weitgehend auf irrationaler Grundlage erfolgt", auf die Mundpropaganda in Juristenkreisen angewiesen, und alle Empfehlungen bezögen sich einseitig auf den Freizeitwert Speyers. Symptomatisch ist auch der Bericht eines Referendars über dasselbe Semester, der hervorhebt, "daß die Studenten, die den Aufenthalt in Speyer als 'Urlaubsmöglichkeit' betrachten, mit ihren Anschauungen und ihrem Verhalten auf den anderen Kreis einwirken"; er fährt fort, es sei möglich, die Pflichtveranstaltungen auf einen Tag der Woche zu legen, so daß der Hörer nur an diesem Tag in Speyer anwesend zu sein brauche.
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Die gewählten Organe der Hörerschaft haben sich stets für eine sinnvolle Nutzung der bestehenden Studienmöglichkeiten ausgesprochen und an dem System der Leistungsnachweise nur insoweit Kritik geübt, als es ihrer Auffassung nach einem vollen Studienerfolg hinderlich ist. In den letzten Semestern wuchs die Abneigung der Referendare gegen schriftliche Aufsichtsarbeiten. Es läßt sich eine Tendenz feststellen, die Einzelleistung als "unzeitgemäß" abzutun, mit der Begründung, sie entspreche nicht mehr den heutigen Arbeitsverhältnissen in der Praxis von Verwaltung und Justiz, in der jeder nicht ganz einfach gelagerte Fall ohnehin mit Kollegen erörtert werde. Dem ist entgegenzuhalten, daß, jedenfalls nach dem noch geltenden Recht, die Befähigung zur Ausübung eines juristischen Berufes, auf den die Referendarzeit vorbereiten soll, nicht einer wie immer zusammengesetzten Kleingruppe zuerkannt wird. Im übrigen bestätigten manche Kritiker der Klausuraufsicht, für die auf Wunsch der Assistentenschaft im Jahr 1970 vom Senat Richtlinien aufgestellt wurden, durch ihr Verhalten beim Klausurenschreiben, daß sie ohne diese "Gängelei" nicht gewillt gewesen wären, die geforderte Einzelleistung zu erbringen. So positiv die Gruppenarbeit als Ausbildungsmittel zu beurteilen ist, eine geeignete Grundlage für die Erteilung individueller Zeugnisse kann sie nicht bilden, wenn sich der einzelne Beitrag nicht ermitteln und für sich allein bewerten läßt. Zu einem ernsten Konflikt kam es im Sommersemester 1971, als sich weite Teile der Hörerschaft weigerten, in den Arbeitsgemeinschaften die bei den obligatorischen schriftlichen Aufsichtsarbeiten zu schreiben. Der Anstoß hierzu ging von den hamburgischen Referendaren aus, die in der Sache vom hamburgischen Senatsamt für den Verwaltungsdienst unterstützt wurden. Dies·es Amt hatte sich gegen Klausuren ausgesprochen mit der Begründung, sie stellten angesichts der inhaltlichen Gestaltung der Arbeitsgemeinschaften für Referendare aus den Stadtstaaten in ihr einen Fremdkörper dar und störten zudem "die Entwicklung 48 So wenden sich die von einer Referendargruppe im Sommer 1968 verfaßten "Gedanken zur Arbeit der Hochschule", die nach ihrer Vorbemerkung mit der Auffassung der breiten Mehrheit der Hörerschaft übereinstimmen, gegen eine negative Bewertung von Leistungskontrollen ; sie sprechen sich für ein Ausleseverfahren, Ausnützung des Semesters "zu intensivster Arbeit" und Öffnung der Bibliothek bis 23.00 Uhr aus. Weiter verlangen sie die zeitliche Festlegung der einzelnen Arten von Lehrveranstaltungen: "Jeden Morgen finden für jeden Hörer zwei Falldiskussionen von je 11/2 Stunden Länge statt, nachmittags Vorlesungen, Seminare, technische Kurse bis etwa 17.00 Uhr, anschließend Gruppenarbeit. Der Abend bleibt für persönliche Studienund Fallvorbereitungen frei." - Im Wintersemester 1969170 hat die Lehrprogramm-Kommission der Hörerschaft der Meinung Ausdruck gegeben, "daß eine neu konzipierte Hochschule auf Effizienzkontrollen nicht verzichten kann und Anforderungen an die Stelle akademischer ,Freiheit' setzen muß".
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eines neuen Lernstiles, weil sie bei vielen Referendaren das Engagement für bessere Lehrformen, z. B. für Planspiele, vermindern" würden. Sie seien auch deshalb kein geeignetes Mittel der Leistungskontrolle, weil sie üblicherweise in ihren Fragestellungen nicht auf das Lehrprogramm ausgerichtet seien, sondern ein ohnehin vorhandenes Wissen und Können prüften. Auf dieser Linie bewegte sich auch die Argumentation der Referendare aus den übrigen Ländern, die sich der hamburgischen Auffassung anschlossen. Senat und Verwaltungsrat, die sich mit den "Entschließungen" der Referendare gegen die Pflichtklausuren befaßten, sahen weder einen rechtlichen noch 'einen sachlichen Grund, die geltende hochschulrechtliche Regelung sofort abzuändern, zumal die schon im Wintersemester 1970/71 gebildete Senatskommission zur überprüfung der Form der Lehrveranstaltungen und der Leistungsnachweise, in der die Hörerschaftsvertretung mitarbeitete, sich mit den anstehenden Fragen zu befassen hatte. Der Senat verlangte allerdings, daß die Themen der Klausuren in eng'em Zusammenhang mit dem in der Arbeitsgemeinschaft behandelten Stoff zu stehen hätten. Im Laufe des Semesters verwirklichten die Referendare ihre Ankündigung, ihren "Forderungen durch geeignete Maßnahmen Nachdruck zu verleihen". Die erste Klausurarbeit war von den meisten "bestreikt" 'Norden. In einer Hörerschaftsversammlung wurde beschlossen, die strittigen Fragen in allen Lehrveranstaltungen einer bestimmten Woche zu diskutieren und eine "Urabstimmung" über das Schreiben von Klausuren vorzunehmen. Zur Ausführung dieser Schritte kam es jedoch, abgesehen von dem Versuch einer Diskussion gegen den Willen eines Dozenten, nicht mehr, weil der Senat in einer außerordentlichen Sitzung mit Mehrheit das Erfordernis zweier Klausuren für das laufende Semester aufhob mit der Maßgabe, daß mindestens zwei gleichwertige andere Leistungsnachweise erbracht werden. Beigetragen zu diesem Umschwung hatte die Äußerung mehrerer Arbeitsgemeinschaftsleiter, sie seien auch ohne Klausuren zur Erteilung von Zeugnissen in der Lage, und die Erkenntnis, daß die Reformkommission des Senats für die Zukunft die Abschaffung der Pflichtklausuren vorschlagen würde. Die in anderem Zusammenhang schon erwähnten Richtlinien zur Neugestaltung der Arbeitsgemeinschaften vom Juli 1971 bestehen ebenfalls nicht mehr auf schriftlichen Aufsichtsarbeiten; sie sehen statt ihrer andere Leistungsformen vor 47 • Demgegenüber erachten die Länder 47 Als solche werden gennannt: Schriftliche Leistungen wie das Abfassen von Rechtsnormen, Verwaltungsakten, gerichtlichen Entscheidungen, Problemübersichten und Berichten, ferner mündliche Leistungen wie Referate und Diskussionsleitungen, wenn letztere nicht nur erhebliche Kenntnisse auf dem behandelten Gebiet, sondern auch beachtliche Fähigkeiten zur Leitung erkennen lassen. Aktenvorträge und Beiträge im Rahmen von Planspielen.
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ganz überwiegend schriftliche Aufsichtsarbeiten nach wie vor für ein wertvolles Mittel zur Ausbildung auf die spätere Berufstätigkeit. Sie haben deshalb, mit Ausnahme Bremens, Hamburgs und Niedersachsens, im Wintersemester 1971/72 den in Speyer studierenden Referendaren die Fertigung zu benotender Klausurarbeiten, die aufgrund Hochschulrechts nicht mehr verlangt wird, weiterhin zur Pflicht gemacht. Verwaltungsrat und Senat halten an dem Grundsatz fest, daß die Referendare Leistungsnachweise zu erbringen haben. Aufgrund jahrelanger Erfahrungen, vor allem aufgrund der Auswertung von Referendarberichten und von Gesprächen mit ehemaligen Hörern, sind sie der Auffassung, daß der Erwerb von drei ausreichenden Einzelzeugnissen, deren Vorlage Voraussetzung für das Schlußz'eugnis ist, in aller Regel keine im ganzen unangemessene Belastung mit sich bringt. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, das bisherige System der Leistungsnachweise sei frei von Mängeln48 • Zur Ausschaltung von Unzuträglichkeiten, die sich auf Leistungsbereitschaft und Lernmotivation negativ auswirken, bedarf es wohl einer Umstellung des ganzen Systems der Leistungsnachweise. Um nur eine zu prüfende Möglichkeit anzusprechen: Im Sommersemester 1970 diskutierte die Hörerschaftsvertretung in der Lehrprogrammkommission die Frage, anstelle des bisherigen Scheinsystems eine Art Abschlußprüfung in der letzten Woche des Semesters mit gewissen Wahlmöglichkeiten für den einzelnen Referendar einzuführen. So sehr die Hochschule aufgerufen bleibt, durch Verbesserungen zur Erhöhung der Lernbereitschaft und des Lehrerfolges beizutragen, so sehr kommt es auch auf die Qualifikation und den Arbeitswillen der Studierenden an. Nicht ohne Grund weisen Referendare darauf hin, das "Arbeitsklima" könne gestört werden, wenn Hörer ihr Studium Voraussetzung für die Erlangung des Zeugnisses sind zwei schriftliche oder mündliche Leistungsnachweise die gleiches Gewicht haben. Als dritte Teilnote tritt die Bewertung der mündlichen Beteiligung während des ganzen Semesters hinzu. 48 So hat die freie Wahl der Lehrveranstaltungen zur Folge, daß der Zustrom zu den Seminaren unterschiedlich ist; während im einen Seminar Themen mehrfach vergeben werden müssen, finden sie in anderen kaum Bearbeiter. Nicht selten sehen sich Hörer während der Ausarbeitung von Referaten am Besuch sie interessierender Lehrveranstaltungen gehindert. Sicherlich stehen auch die Themen mancher Klausurenaufgaben in keinem Sachzusammenhang mit dem übrigen Stoff und sind so angelegt, daß es nur auf "Karteikartenlernen" ankommt; hier könnte man von einem Zerrbild einer Klausurenaufgabe sprechen, die bei thematisch und didaktisch gutem Aufbau von hohem Ausbildungswert ist. Schließlich leidet die Chancengleichheit darunter, daß an die Leistungsbewertung in den einzelnen Lehrveranstaltungen trotz klarer Definition der Notenstufen und koordinierender Besprechungen unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Die Hörer wissen darüber Bescheid und berücksichtigen - begreülicherweise - auch diesen Gesichtspunkt bei Aufstellung ihres Studien planes.
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nicht ernst nähmen und gewissermaßen nur "nebenher" nach Speyer kämen. Schon der hohe Finanzbedarf der Hochschule verlangt, auf Effizienz bedacht zu sein. Im allgemeinen ist jedoch die Lernaktivität der Hörer nicht "verkürzt"; sie nutzen die sich bietenden Studienmöglichkeiten, sei es, daß vornehmlich eine vertiefte Weiterbildung auf öffentlich-rechtlichem Gebiet gesucht wird, sei es, daß der Akzent auf die Einführung in außerrechtliche verwaltungswissenschaftliche Disziplinen gelegt wird, wie dies der neuen Ausbaurichtung der Hochschule am besten entspricht. 3. a) Das ganze Vierteljahrhundert hindurch hat sich die Hochschule auch der Weiterbildung der schon im Berufsleben stehenden Verwaltungsbeamten des höheren Dienstes angenommen. Der Aufbau der Verwaltung nach dem Krieg unter rechts- und sozialstaatlichen Gesichtspunkten sowie die übernahme einer großen Zahl von Beamten, die als Flüchtlinge in die westlichen Besatzungszonen kamen und mit dem deutschen Recht nicht vertraut waren, verlangte zunächst einführende Hilfen. Im Laufe der sechziger Jahre setzte sich indes allgemein die Einsicht durch, daß auch der schon lange im Beruf stehende höhere Beamte einer laufenden Fortbildung bedarf, die nicht mehr allein seiner eigenen Initiative überlassen bleiben kann. So erachtete der Präsident des Bundesrechnungshofes als Beauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung in einem Gutachten vom Juli 1965 eine systematische Ausbildung von Führungskräften als dringend notwendig. Im selben Jahr erwog die Konferenz der Innenminister der Länder, eine Akademie für Führungskräfte der Verwaltung zu errichten. Ein entschiedener Verfechter eines solchen Projekts, der Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Innenministerium Klaus von der Groeben, dachte dabei auch an eine Mitwirkung der Hochschule. Die Vorstellungen des Senats gingen jedoch mehr in Richtung eines Aufbaustudiums in Form von "Assessorensemestern" in Speyer. Anstöße gingen auch aus von den Empfehlungen des Wissenschaftsrates für das Kontaktstudium im Jahr 1966 und von entsprechenden Bestrebungen im kommunalen Bereich. Auf einer von Rektor Professor Ryffel durch ein detailliertes Arbeitspapier vorbereiteten Sondersitzung im Juli 1966 zur Behandlung hochschulpolitischer Fragen sprach sich der Senat dafür aus, die Hochschule so auszubauen, daß das Referendarstudium auf zwei Semester erweitert und später eine berufsbegleitende Fortbildung geboten werden könne. Nachdem die Länder das Projekt einer Führungsakademie schließlich verworfen hatten, kamen sie im Herbst 1968 überein, die systematische Fortbildung der in den Verwaltungsdienst eintretenden höheren Beamten nach Maßgabe des vom Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein entworfenen Rahmenplans gemeinsam in Angriff zu nehmen; dieser sieht Kurse von ins-
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gesamt sechs Wochen innerhalb der ersten drei Jahre der Berufstätigkeit vor. Der Bund hingegen errichtete im August 1969 eine Akademie für öffentliche Verwaltung 49 , die für seinen Bereich die Fortbildungsaufgaben übernahm, sich jedoch eigener Forschung enthält; sie steht mit der Hochschule in Gedankenaustausch. b) Lange vor diesen Planungen, nämlich schon seit dem Jahr 1947, hatte die Speyerer Akademie mit mehrtägigen Fortbildungskursen begonnen 50 • Von den ersten Kursen spannt sich thematisch ein weiter Bogen bis zu der 40. Tagung im Frühjahr 197251 , die sich mit Regierungsprogrammen und Regierungsplänen befaßte .. Wie viele andere stand auch diese Tagung unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Becker, der sich durch die übernahme dieser wichtigen Aufgabe um die Hochschule sehr verdient gemacht hat. Diese Kurztagungenermöglichen auf einem bestimmten Teilgebiet eine fachspezifische Weiterbildung, sei es, daß vorhandene Kenntnisse auf den neuesten Stand gebracht, sei es, daß neues Wissen und neue Techniken für bestimmte Verwaltungsfunktionen vermittelt oder offene Fragen zur Diskussion gestellt werden. Bei der Auswahl der Tagungsthemen wurde darauf geachtet, daß sie darstellungs- und diskussions bedürftig sind und einen unmittelbaren Bezug zur Praxis haben. An diesen Tagungen nehmen ein von Jahr zu Jahr mit der Thematik wechselnder Kreis von einigen hundert Verwaltungs beamten und Verwaltungsrichtern, ferner Wissenschaftler und ausländische Gäste teil. Die an geschichtlichem und kulturellem Erbe reiche Kaiserstadt am Rhein mit ihrem romanischen Dom und die Beschaulichkeit der Landschaft zwischen Rhein und Haardt schufen stets eine Atmosphäre, die dem weiterführenden Gespräch im kleinen Kreis und der Aufnahme kollegialer Kontakte förderlich war. Rahmenprogramme boten Ausgleich und die willkommene Möglichkeit, die Stadt und die nahe Deutsche Weinstraße mit dem Pfälzer Wald kennenzulernen. 49 s. Joseph Kälble, Bundesakademie für öffentliche Verwaltung ein Anfang und wie weiter?, in Zeitschrift für Rechtspolitik 1969, S. 283 f., Alfred Faude, Die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, in Zeitschrift für Beamtenrecht 1969, S. 365 ff., und Frieling, Die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung, in BayVBl. 1970, S. 15 ff. 50 Am Anfang standen drei vierzehntägige Kurse für je ca. 40 Leiter von Arbeitsämtern über Thtmen der Arbeitsverwaltung. Im Jahr 1949 wurden fünf Kurse über verschiedene verwaltungswissenschaftliche Fragen für Angehörige der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets durchgeführt, davon einer in Frankfurt a. M. Seit 1950 wurde die Programmdauer auf zwei bis drei Tage herabgesetzt, weil sich gezeigt hatte, daß eine längere Abwesenheit der Teilnehmer von ihrer Behörde auf zunehmende Schwierigkeiten stieß; gleichzeitig wurden die Tagungen für alle interessierten Teilnehmer aus der gesamten Verwaltung geöffnet; über diese Entwicklung s. Erich Becker, a.a.O. (oben Anm. 21) S. 16 f., 21 und 28 ff. 51 über die Themen der Tagungen s. Anhang E I unten S. 90 ff.
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c) Die Erweiterung des Lehrangebots trug erste Früchte auch auf dem Sektor der Fortbildung insofern, als sich die Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, im Jahr 1970 entschloß, alle neu 'eingestellten Kräfte des höheren Dienstes, bei denen es sich nicht mehr um Referendare im Vorbereitungsdienst, sondern um Verwaltungs räte oder entsprechende Angestellte am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn handelt, zu einem einsernestrigen Studium, wie es den Referendaren angeboten wird, an die Hochschule zu entsenden. Die "Nürnberger Hörer", etwa 30 bis 50 im Semester, weisen die unterschiedlichste akademische Vorbildung auf und können so zu einer begrüßenswerten Belebung der Diskussionen beitragen; ihre Integration in die Hörerschaft nimmt von Semester zu Semester zu. Die Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt brachte für die Hochschule eine Bereicherung auch insofern, als auf deren Wunsch und mit ihrer Unterstützung, eine Reihe neuer Lehrveranstaltungen eingeführt wurden, die für alle Hörer offenstehen. Der Ausbau der Hochschule gab ihr im Jahr 1969 die Möglichkeit, sich der verwaltungswissenschaftlichen Weiterbildung mehr als bisher anzunehmen. Auf der Grundlage eines umfassenden Exposes von Professor Dr. iur. Roman Schnur erarbeitete eine neu gebildete Fortbildungskommission des Senats unter der Leitung des Rektors Professor Knöpfle eine Denkschrift zu dieser Aufgabe, deren Konzept sich der Senat im Februar 1970 zu eigen machte. Ausgehend von der überlegung, daß das Universitätsstudium den Ausbildungsbedürfnissen der Verwaltung auf außerrechtlichen Gebieten auf absehbare Zeit nicht in vollem Maße wird Rechnung tragen können, wird versucht, ein sinnvolles System der Weiterbildung der höheren Beamtenschaft zu skizzieren und aufzuzeigen, wie sich die Hochschule bei seiner Verwirklichung beteiligen kann. Das Memorandum prüft die verschiedenen Ziele des Kontaktstudiums und ordnet sie bestimmten Stufen zu: (a) Bei den Beamten der Eingangsstufen kommt es vor allem darauf an, auf den wesentlichen Gebieten des allgemeinen Berufswissens Mängel des gegenwärtigen Ausbildungsganges auszugleichen. Das Expose enthält ein vollständiges Programm für eine sechswöchige Fortbildung auf der Grundlage des erwähnten Rahmenplans der Innenministerkonferenz 52 • 6t Das Lehrprogramm sieht folgende, im einzelnen konkretisierte Rahmenthemen vor: Soziale, politische und rechtliche Aspekte öffentlicher Verwaltung; Staat und wirtschaftliche Umwelt; öffentliche Finanzen und Haushalt; Verwaltungsorganisation; Sozialpsychologie in der öffentlichen Verwaltung; Verwaltungshandeln und seine spezifische Rationalisierung (darzustellen anhand der quantitativen Methoden und an Beispielen von Kosten/NutzenUntersuchungen und der Kommunikation). über den Rahmenplan selbst s. Walter Wiese, Der Rahmenplan zur Fortbildung der Probebeamten des
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Dieser Teil des Fortbildungskonzepts, das die grundsätzliche Zustimmung des Bundes und der Länder gefunden hat, konnte schon erprobt werden: Nach einer Erörterung des Lehrprogramms mit den Innenministerien im Mai 1970, die zu einigen Abänderungen Anlaß gab, und einer koordinierenden Vorbesprechung mit den zum Teil der Hochschule nicht angehörenden Dozenten im Januar 1971, auf der vor allem die Erfordernisse einer Vorinformation, einer praxisbezogenen und mitarbeitsintensiven Stoffbehandlung erörtert wurden, konnte der sechswöchige Lehrgang für Beamte der Eingangsstufen in drei vierzehntägigen Abschnitten im März und Oktober 1971 und im März 1972 an der Hochschule durchgeführt werden. An ihm nahmen 26 Beamte aus der Verwaltung des Bundes, aller Länder und einiger kommunaler Körperschaften teil. Der gewählte Sprecher äußerte schon in seinem Bericht über den ersten Abschnitt, der Kurs werde - trotz mancher Kritik an ihm im Detail - von den Teilnehmern als "sehr anregend und nützlich" beurteilt53 • Da eine Fortbildung sämtlicher Beamter der Eingangsstufen an der Hcchschule selbst weder beabsichtigt noch möglich ist, wird zu prüfen sein, ob diese durch die Aufbereitung von Themen, etwa des Kapitels "Entscheidungstechniken", und von Fallstudien künftig an den eigenen Fortbildungsveranstaltungen der Länder mitwirken kann. Diese würden, wie sich im Verwaltungsrat zeigte, derartige sowohl thematisch wie didaktisch ausgearbeitete "Lehrpakete" begrüßen. Weiter bietet s:ch als künftige Aufgabe der Hochschule die "Fortbildung der Fortbilder" an. (b) Das Ziel einer Fortbildung von Beamten der mittleren Führungsebene (mittlere Beförderungsstufen, z. B. Regierungsdirektoren), die in der Wirtschaft vielfach mid-career-training bezeichnet wird, besteht hauptsächlich darin, Beamten in herausgehobenen Positionen das erforderliche Führungswissen zu vermitteln und ihnen auf Gebieten, höheren Dienstes der allgemeinen und inneren Verwaltung, in DVBl. 1969, S. 692 f.
63 In der Schlußbesprechung wurde deutlich, daß das Interesse der juristisch vorgebildeten Beamten in erster Linie außerrechtlichen Gebieten gilt. An Kritik wurde insbesondere vorgebracht, daß manche Vorträge nicht den gewünschten Bezug zur Verwaltungspraxis aufwiesen und daß umfassendere Gebiete im Blocksystem, also nicht verteilt auf die verschiedenen Kursabschnitte, behandelt werden sollten. Bedauert wurde, daß die knappe Zeit die Behandlung komplexer Probleme im Wege eines Planspiels kaum zuläßt. Einer generellen Ersetzung der informierenden Vorlesung durch gruppenorientierte Lehrformen wurde nicht das Wort geredet. Der Vorschlag, ein Thema von gegensätzlichen Auffassungen oder Interessenlagen her zu beleuchten, wurde im zweiten KursabsChnitt in der Weise verwirklicht, daß mehrere Dozenten, die als Exponenten verschiedener Betrachtungsweisen gelten können, einzelne Themen gemeinsam behandelten. s. auch den Bericht über die beiden ersten Kursabschnitte von Klaus Rüter, der
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die in ihrem herkömmlichen Studiengang nicht einbezogen waren, die erforderlichen Grundkenntnisse zu geben. Die Fortbildungskommission des Senats, nunmehr unter dem Vorsitz von Professor König, arbeitete in Weiterentwicklung der Programmatik der Denkschrift vom Februar 1970 für ein achtwöchiges Kontaktstudium dieser Beamtengruppe einen vom Senat im November 1971 grundsätzlich gebilligten Plan über Gegenstände, didaktische Gestaltung und Organisation dieser Art von Fortbildungskursen aus. Da der Fortbildungsbedarf der mittleren Führungsebene für einen breiten Beamtenkreis derselbe ist, wurde ein standardisiertes Rahmenprogramm von acht Wochen Dauer entwickelt, das im Hinblick auf die Arbeitsbelastung, die eine längere Abwesenheit der fortzubildenden Beamten nicht zuläßt, auf vier Abschnitte zu je zwei Wochen aufgeteilt wird. Unter Berücksichtigung der Anforderungen der Verwaltungspraxis umfaßt es folgende vier Stoffgruppen: Organisation und Management; Planung und Entscheidung; Personalwirtschaft und -führung; Finanzen und Haushalt. Jede Stoffgruppe ist in "Unterblöcke" gegliedert54 • An Lehrformen stehen neben konzentrierter Information durch die Dozenten mitarbeitsintensive, auch gruppenorientierte Veranstaltungen, die auch Einblicke in die Gruppendynamik geben, im Vordergrund. Dies ist auf dieser Ebene möglich, weil die Teilnehmer über ein Grundwissen und über berufliche Erfahrungen in der Umsetzung von Informationen in praktisches Handeln verfügen. Durch Vorinformationen, deren Umfang der meist starken Arbeitsbelastung der Teilnehmer vor der Abreise zu den Kursen Rechnung tragen muß, soll das vorbereitende Selbststudium gefördert werden. Die Betreuung jedes Kurses und die Koordinierung der Veranstaltungen obliegt einem Studienleiter und Abschnittsleitern. Der erste Kursabschnitt der "Modellserie" fand im Frühjahr 1972 unter der Obhut von Professor Wagener statt. Wie auch bei den Kursen für Beamte der Eingangsstufen, bildete die letzte Veranstaltung eine allgemeine "Manöverkritik"; die hierbei gegebenen Hinweise stellen einen Bestandteil der Erfolgskontrolle dar und werden bei der Vorbereitung weiterer Kurse und Programme mit verwertet. (c) Die Fortbildung der Beamten der oberen Führungsebene (Ministerialräte und ranghöhere Beamte) hat im wesentlichen das Ziel, deren allgemeines Berufswissen auf den neuesten Stand zu bringen und sie im Frühjahr 1972 im Deutschen Verwaltungsblatt erscheint (Seitenangabe noch nicht möglich). 54 Als Beispiel sei die Gliederung der Stoffgruppe "Planung und Entscheidung" wiedergegeben: Grundprobleme administrativen Entscheidungshandeins; Entscheidungsprogramme und ihre Erstellung; administrativer Entscheidungsprozeß; moderne Hilfen der Planung, Entscheidung und Information; Entscheidungsvollzug; Kontrolle des Verwaltungshandeins; jede dieser Stoffgruppen ist weiter aufgeschlüsselt.
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mit dem für Leitungsaufgaben erforderlichen Führungswissen auszustatten. Schwerpunkte der Fortbildung dieser Gruppe werden auf der Methodik der Planung und einzelwirtschaftlicher wie gesamtgesellschaftlicher Entscheidungsprozesse sowie auf der Organisations- und Führungslehre einschließlich ihrer psychologischen und sozialpsychologischen Aspekte liegen; hinzu kommt die wissenschaftliche Information über die gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere im Bereich des politischen und juristischen Bezugsrahmens für das Verwaltungshandeln. Bis jetzt wurde für diesen kleineren Kreis ein genormtes Programm noch nicht ausgearbeitet, zum einen. weil es fraglich erscheint, ob dessen Fortbildungsbedürfnisse die zu diesem Zweck erforderliche Einheitlichkeit aufweisen, und zum anderen, weil - bejahendenfalls - an eine enge Zusammenarbeit der Hochschule und der Universität Mannheim auf diesem Gebiet gedacht wird. Diese hat bereits Erfahrungen mit der Fortbildung von Spitzenkräften der Wirtschaft gesammelt und ist der Auffassung, daß für die Inhaber von leitenden Positionen in Verwaltung, Wirtschaft und Politik ein gemeinsames Kontaktstudium eingerichtet werden sollte, weil dieser Personenkreis im wesentlichen dieselben Fortbildungsbedürfnisse haben dürfte. Weiter könnte es für Angehörige aller drei Bereiche nützlich sein, zu erfahren, wie sich gemeinsame Probleme aus anderen Blickwinkeln darstellen. Im übrigen erscheint eine Zusammenarbeit und eine durch gemeinsame Fortbildung auf lange Sicht vielleicht mögliche Austauschbarkeit von Führungskräften in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Verbänden nicht unerwünscht. In Betracht kommen zusammenhängende, etwa dreiwöchige Seminare. Neben diese in Stufen einteilende Programmatik stellt das Memorandum vom Februar 1970 die fachspezifische Fortbildung, die sich nicht bestimmten Laufbahnstufen eindeutig zuordnen läßt; das Interesse an ihr kann je nach dem Thema gleichermaßen vom Assessor bis zum Staatssekretär reichen, wie die staatswissenschaftlichen Fortbildungstagungen der Hochschule des öfteren gezeigt haben. Das Expose spricht sich für eine "punktuelle" fachspezifische Fortbildung aus und schlägt Halbtagsveranstaltung'en an zentralen Orten und mehrtägige überregionale Tagungen für Beamte gleicher Funktionen aus verschiedenen Verwaltungsbereichen vor, um auch dem befruchtenden Erfahrungsaustausch Raum zu geben. d) Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der verwaltungswissenschaftlichen Fortbildung reicht über die Grenzen hinaus. Die Hochschule unterhält zu einer Vielzahl verwandter Einrichtungen in aller Welt Kontakte. Kongresse aller europäischen Institutionen zur beruflichen Fortbildung der Verwaltungsbeamten fanden im Oktober 1968 auf Einla-
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dung der Scuola Supe rio re de la Pubblica Amministrazione in Reggia di Caserta und im September 1970 auf Einladung der Escuela National de Administration Publica in Alcalä de Henares bei Madrid statt. Beide sehr nützlichen Tagungen dienten dem Austausch von Erfahrungen auf der Grundlage einer vollständigen übersicht über Aufgaben, Organisationen und Methoden der nationalen Fortbildungsarbeit, die durch einheitlich gegliederte Berichte der teilnehmenden Staaten ermöglicht wurde. Die von der Hochschule unter Mitwirkung des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes erstellten Berichte zu diesen Tagungen geben einen überblick über Inhalte und Methoden der Ausbildung für den höheren Verwaltungsdienst in der Bundesrepublik. Im Herbst 1971 unternahm das Internationale Institut für Verwaltungswissenschaften mit dem Sitz in Brüssel erste Schritte zur Vorbereitung einer entsprechenden Zusammenarbeit der mit verwaltungswissenschaftlicher Fortbildung und Forschung befaßten wissenschaftlichen Hochschulen Europas. 4. a) Schon die "Höhere Verwaltungsakademie" betrachtete sich, wie erwähnt, nicht als eine Art von Fachhochschule im heutigen Sinn mit der Aufgabe, zwar auf wissenschaftlicher Grundlage, aber ohne eigene Forschung, eine praxisbezogene Ausbildung zu vermitteln, sondern als wissenschaftliche Hochschule, zu deren Wesen die Forschung gehört. Diese Aufgabe ist im Errichtungsgesetz des Jahres 1950 ausdrücklich ausgesprochen. Auch an der Hochschule schöpft die Lehre aus der eigenen Fon:chung, wie diese umgekehrt aus den Lehrveranstaltungen und besonders den Diskussionen mit erfahrenen Verwaltungsbeamten und Fachleuten der verschiedensten Gebiete auf den Fortbildungstagungen Impulse empfängt55 • Von den wissenschaftlichen Publikationen des Lehrkörpers, in denen seine Forschungstätigkeit ihren Niederschlag findet, enthält die auf das Jahr 1949 zurückgehende Schriftenreihe der Hochschule, die bis jetzt einschließlich der Berichte über Tagungen ca. 50 Bände umfaßt 58 , nur einen kleinen Teil. Als wissenschaftliches Werk verdient in diesem Zusammenhang trotz seiner Bezeichnung als "einführende Darstellung" auch genannt zu werden der von Professor Morstein Marx in Verbindung mit den Professoren Becker und UZe herausgegebene Sammelba~d "Verwaltung", Berlin 1965, dessen Beiträge aus der Feder von Angehörigen der Hochschule oder ihr verbundener Autoren stammen. b) Mitte der fünfziger Jahre entschloß sich die Hochschule, über eigenes wissenschaftliches Arbeiten hinaus die verwaltungswissen~5 58
Vgl. Erich Becker, a.a.O., (s. oben Anm. 21) S. 30. Die vollständige Liste enthält Anhang F unten S. 94 ff.
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schaftliche Forschung durch Arbeitstagungen zu fördern 57 • Sie sollten ein Forum zur Erörterung aktueller verwaltungswissenschaftlicher Probleme durch einen kleineren Kreis ausgewählter Sachkenner in Wissenschaft und Verwaltungspraxis sein und so zu deren Klärung beitragen. Die erste Tagung dieser Art im März 1956 unter Leitung von Prof.essor Becker war der Verwaltungsreform gewidmet, deren große Bedeutung für die Zukunft erkennbar wurde 58 • Da sich viele verwaltungswissenschaftliche Fragen in gleicher Weise auch im Ausland stellen und ein gegenseitiger Informations- und Gedankenaustausch nutzbringend erschien, wurde an eine Beteiligung anderer Länder gedacht. Im Februar 1957 konnte die erste, von Professor UZe vorbereitete und geleitete internationale Arbeitstagung der Hochschule stattfinden: ausgezeichnete Sachkenner aus mehreren Ländern behandelten die grundsätzliche Frage nach der Lage der Verwaltung und dem Stand der verwaltungswissenschaftlichen Forschung in den europäischen Staaten59 • Der nationale Rahmen wurde, wie schon bei der ersten Tagung, in den folgenden Jahren mehrfach überschritten. Im Mittelpunkt des Besuchs einer Gruppe von Studierenden der Ecole Nationale d'Administration im April 1966 standen Fragen der Struktur der deutschen Verwaltung 60 • Auf die Mitwirkung des Auslandes angelegt war auch die Tagung des Jahres 1968 über Stand und Tendenzen der Verwaltungswissenschaft in europäischen Ländern 61 • Sie war die letzte unter der Leitung von Professor Morstein Marx, der am 9. Oktober 1969 tödlich verunglückte 62 • Eine Zusammenstellung der Tagungen enthält Anhang E III, unten S.93. Obwohl diese Tagung in den Verzeichnissen der Hochschule und ihnen folgend unten in Anhang E I, S. 92, auch als 22. Fortbildungskurs geführt wird, war sie die erste Tagung im kleineren Kreis mit der neuen Zielsetzung; siehe Erich Becker, a.a.O. (s. oben Anm. 21) S. 30. Berichte über die Tagung: s. Wilhelm Geffers in DÖV 1956, S. 360 ff., und Walter Tietgen in DVBl. 1956, S. 2!l2 ff. 68 s. hierüber den Tagungsbericht von Roman Schnur in JZ 1957, S. 286; über die Veröffentlichung der Referate und Tagungsberichte s. die Vorbemerkung der Schriftleitung des Verwaltungsarchivs zu dem im 48. Band, 1957, S. 191 ff. veröffentlichten Vortrag von Georges Langrod. 60 s. Zur Struktur der deutschen Verwaltung. Föderalismus und Probleme der Zentralisation und Dezentralisation, Band 33 der Schriftenreihe der Hochschule, Berlin 1967. CI s. Verwaltungswissenschaft in europäischen Ländern. Stand und Tendenzen, Band 42 der Schriftenreihe der Hochschule, Berlin 1969. n Er selbst äußerte sich über diese Tagung, die schon bald die Bezeichnung "Speyerer Konferenz" erhielt, und über die Hochschule im allgemeinen in den beiden Abhandlungen A New Look at Administrative Science in Europe: The Speyer Conference, in International Review of Administrative Sciences, Vol. .xxXV, 1969, S. 1 ff., und Verwaltungswissenschaft - Möglichkeiten zu ihrer Institutionalisierung, in Recht und Politik, 1970, S. 135 ff., 139 f. und 142 ff. Die Hochschule gedachte seiner in einer Gedächtnisfeier. Die Gedenkansprachen des Rektors Professor Knöpfle und des Nachfolgers auf seinem Lehrstuhl Professor Schnur sind veröffentlicht im Verwaltungs archiv 1970, S. 105 ff. 67
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Dem Ziel, Brücken zu schlagen zwischen den Völkern und Kulturkreisen, war -ein Gutteil seiner Lebensarbeit gewidmet. Diese Zusammenkunft machte deutlich, "daß in fast allen der europäischen Länder ein erhebliches Maß an Unkenntnis über Stand und Tendenzen der Verwaltungswissenschaft in den anderen Ländern besteht"; auf ihr wurde auch vielfach der Wunsch laut, europäische Arbeitstagungen dieser Art regelmäßig abzuhalten63 • Die Hochschule kam diesem Wunsch nach, indem sie der Arbeitstagung vom September 1971 über aktuelle Probleme der Ministerialorganisation64 wiederum internationalen Charakter gab. Dieser Kongreß unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Schnur führte ebenfalls namhafte Wissenschaftler und leitende Beamte nicht nur aus mittel- und westeuropäischen Ländern, sondern auch aus Israel, Jordanien, Jugoslawien und Polen nach Speyer. Der Pflege wissenschaftlicher Kontakte dienen auch die zahlreichen Besuche und die länger dauernden Studienaufenthalte ausländischer Gäste an der Hochschule. c) Als die Schwierigkeiten der Umstellung auf die einheitliche Ausbildung aller Ref-erendare überwunden waren und die Hochschule Fuß gefaßt hatte, konnte sie sich stärker der Forschung zuwenden. Erwogen wurde zunächst die Herausgabe eines verwaltungswissenschaftlichen Jahrbuchs. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre reifte sodann der Plan zur Errichtung 'eines Forschungsinstituts. Anregungen hierzu gingen auch von der Verwaltung aus, die seit rund 20 Jahren nach einer Verwaltungswissenschaft ruft65 • Sie erhoffte sich auch von der Hochschule Unterstützung bei der Erfüllung der zunehmenden und sich wandelnden Aufgaben durch eine praxisbezogene Forschung und dachte ihr di-e Rolle eines Dokumentationszentrums zu; so fand der Vorschlag auf der erwähnten Arbeitstagung über Verwaltungsreform, dieser alle in Bund und Ländern anfallenden Materialien hierüber zur wissenschaftlichen Auswertung zu übergeben, einhellige Zustimmung. Die Verwaltung, besonders das Bundesinnenministerium, begann der verwaltungswissenschaftlichen Forschung ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Dieses neuerwachte Interesse zeigt sich auch an der Gründung der Deutschen
s. Fritz Morstein Marx, a.a.O. (s. oben Anm. 61) S. 16 f. Wegen der Bedeutung dieses Themas für die Bundesrepublik hat die Deutsche Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften angeregt, im Jahr 1972 nochmals eine Tagung über denselben Gegenstand für einen größeren deutschen Teilnehmerkreis unter Auswertung der bei der internationalen Konferenz gesammelten Erkenntnisse zu veranstalten. 85 s. Michael Fellner, Gebt uns eine Verwaltungslehre!, in DÖV 1950, S. 142; Karl Hahn, Verwaltungslehre, in DöV 1950, S. 733 ff.; Erwin Leß, Zur Notwendigkeit einer Verwaltungslehre, in DÖV 1960, S. 249 ff.; s. auch Klaus von der Groeben I Roman Schnur I Frido Wagener, über die Notwendigkeit einer Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden 1966. 83 84
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Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften im Januar 1956 und an der Teilnahme einer starken deutschen Delegation am X. Internationalen Kongreß für Verwaltungswissenschaften in Madrid im September 1956 66 • Unter dem Eindruck dieser Tagung unterstrich Rektor Professor Ule die Notwendigkeit, sich mit den Ergebnissen der fortgeschrittenen verwaltungswissenschaftlichen Forschung des Auslandes vertraut zu machen und sie im Lehrbetrieb zu verwerten. Nach den Vorstellungen des Senats sollte sich ein künftiges Forschungsinstitut vornehmlich mit Struktur und Methoden der Verwaltung, der verwaltungswissenschaftlichen Systembildung, der Vergleichung, Vereinfachung und Bereinigung des Rechts sowie der wissenschaftlichen Vorbereitung der Gesetzgebung befassen. Im März 1956 stimmte der Verwaltungsrat der Errichtung eines Forschungsinstituts, dessen Kosten zu einem erheblichen Teil vom Bund getragen werden sollten, grundsätzlich zu. Die damalige Absicht, hierüber ein besonderes Verwaltungsabkommen abzuschließen, wurde jedoch bald wieder verworfen wegen der zu erwartenden dienstrechtlichen Schwierigkeiten beim Bestehen zweier getrennter Rechtsgrundlagen für die Hochschule und das ihr anzugliedernde Institut. Fortan wurde nicht mehr die Errichtung eines Instituts an der Hochschule, sondern die Schaffung einer Forschungsstätte der Hochschule ins Auge gefaßt. Trotz der Unterstützung durch das Bundesinnenministerium und die Ständige Konferenz der Innenminister der Länder scheiterte dieses Projekt aber an der Verweigerung der erforderlichen Haushaltsmittel - veranschlagt war ein Kostenaufwand von rund 250 000 DM jährlich - durch den Bund. Auch eine daraufhin vom baden-württembergischen Mitglied des Verwaltungsrats, Ministerialdirektor Dr. Max Fetzer, im Dezember 1957 vorgeschlagene "kleine Lösung", nämlich mit einem Aufwand von 75000,- DM jährlich drei Stellen für Forschungsreferenten und Hilfskräfte zu schaffen, die der Senat nur unter Zurückstellung erheblicher Bedenken wegen der ungenügenden Ausstattung billigte, konnte aus finanziellen Gründen nicht verwirklicht werden. Die im Entwurf des Haushaltsplanes des Bundesinnenministeriums für das Rechnungsjahr 1959 eingesetzten Mittel verfielen im Haushaltsausschuß des Bundestags wiederum der Streichung87 • So blieben für die Forschung nur die drei an die Lehrstühle angelehnten Seminare für Hechtswissenschaft, für Wirtschaftswissenschaft sowie für Soziologie 88 Hierüber s. den Bericht von Herbert Weichmannn, Der X. Internationale Kongreß für Verwaltungswissenschaften, in Verwaltungsarchiv, 48. Band, 1957, S. 71 ff. 87 s. die Beantwortung der Frage des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen über die Möglichkeiten zur Einrichtung eines verwaltungswissenschaftlichen Forschungsinstituts durch den Bundesinnenminister am 7. Dezember 1961; stenographische Berichte des Deutschen Bundestags, 4. Wahlperiode, Band 50, Bonn 1962, S. 132 f.
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und Geschichte, denen in den folgenden Jahren einige zusätzliche AssistentensteIlen zugewiesen wurden. Seine Bemühungen um ein selbständiges Forschungsinstitut nahm der Senat im Jahr 1961 wieder auf. Nach einem in seinem Auftrag erstellten Memorandum des damaligen, am rechtswissenschaftlichen Seminar tätigen Regierungsrats Dr. Roman Schnur vom April 1961 sollte das Institut mit einem Stab von fünf Forschungsreferenten, unter ihnen ein Soziologe und ein Nationalökonom, ausgestattet werden. Ein "Oberreferent" im Rang eines Oberregierungsrates, in wissenschaftlicher Hinsicht ein primus inter pares, sollte in institutstechnischen Fragen als eine Art Generalsekretär fungieren. Sowohl Ein:tel- wie Teamarbeit, je nach dem Gegenstand auch interdisziplinäre, wurden ins Auge gefaßt; auf zweckbedingte Forschung sollte einstweilen verzichtet werden. Meinungsverschiedenheiten bestanden im Senat über die Organisation der Institutsspitze: Während sich ein Teil für eine Direktorialverfassung einsetzte, hielt der andere einen mit dem Senatsprinzip der Hochschulverfassung übereinstimmenden kollegialen Vorstand, dem sämtliche Professoren ohne Rücksicht auf ihre eigenen Forschungsabsichten angehören sollten, für angemessener. Dem Rektor des Jahres 1961/62, Professor Bülck, der sich für die Errichtung eines in seiner wissenschaftlichen Zielsetzung unabhängigen Instituts nachdrücklich einsetzte, gelang es, die Meinungsverschiedenheiten zu überbrücken und die allgemeine Zustimmung zu einem kollegialen Institutsvorstand, in dem der Rektor den Vorsitz führen sollte, herbeizuführen. Auf dieser Grundlage wurde dann durch einen hochschulinternen Errichtungsbeschluß das Institut unter der Bezeichnung "Institut für Forschung und Information" am 1. Januar 1962 gebildet, indem die in den vorhergehenden Jahren der Hochschule einzeln zugewiesenen Stellen für Forschungsassistenten zusammengefaßt wurden. Bis zur förmlichen Errichtung des Instituts durch den Erlaß des Ministerpräsidenten vom 31. Januar 1965, mit dessen Inkrafttreten es die Bezeichnung "Forschungsinstitut der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer" erhielt, verging noch einige Zeit. Dies hat seine Ursach'e hauptsächlich darin, daß eine Reihe von Fragen über das Verhältnis des Instituts zur Hochschule 6B , bei denen es in der Sache zum Teil auch um die Möglichkeit einer Instrumentalisierung der Forschungsarbeit ging, zwischen dieser und der Staats kanzlei zu klären waren. Es setzte sich schließlich die Auffassung durch, das Institut, das faktisch schon bestand, durch Organisationsakt des Ministerpräsidenten 88 So die Fragen, ob das Institut seine Rechtsgrundlage in einer autonomen Satzung der Hochschule oder in einem Errichtungsakt des Staates finden, ob seine Eigenständigkeit auch haushaltsrechtlich zum Ausdruck gebracht werden solle, und ob Senat und Rektor Organe des Instituts sein sollen.
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auch rechtlich ins Leben zu rufen und ihm zugleich ein eigenes Statut zu geben. Nach dem Errichtungserlaß besteht der Vorstand des Instituts, das keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, aus dem Senat der Hochschul-e; der Rektor führt als Vorsitzender des Vorstands die Verwaltungsgeschäfte und vertritt das Institut nach außen. Forschungsvorhaben werden nach Billigung durch den Vorstand unter der Leitung eines Professors von den Institutsreferenten durchgeführt. Es gibt keinen gesonderten Institutsetat; die benötigten Mittel werden ohne haushaltsmäßige Absonderung von den übrigen Mitteln im Haushalt der Hochschule ausgewiesen. Eine gewisse Bedeutung erlangte in der Praxis die Bestimmung des Statuts, daß ein Forschungsleiter einen ihm für ein bestimmtes Projekt zugewiesenen Referenten weiterhin behalten dürfe, wenn er sofort im Anschluß an ein abgeschlossenes Vorhaben den Beginn eines neuen anmeldet. Diese Klausel begünstigte ein Streben nach einer "Besitzstandswahrung" und damit - in Abweichung von dem ursprünglichen Konzept einer kollegial geleiteten institutsbezogenen Forschung - den Zug zu der Ein-Mann-Forschung im Rahmen des einzelnen Lehrstuhls. Um die Leistungsfähigkeit des Instituts zu steigern, um es besser als bisher zu befähigen, größere, insbesondere auch mit empirischen Untersuchungen verbundene und interdisziplinäre Projekte bearbeiten zu können und um ihm eine diesen Zielsetzungen angepaßte Personalstruktur geben zu können, leitete der Senat zu Beginn des Rektoratsjahrs 1969/70 eine weittragende Reform ein. Eine Kommission, der auch ein Forschungsreferent angehörte, erarbeitete unter Leitung des Rektors Professor Knöpfte ein neues Organisationsstatut, das den genannten Zielen Rechnung zu tragen sucht. Es wurde vom Senat im Februar 1970 gebilligt. Nach der vorgeschlagenen Verfassung sind Organe des Instituts ein weiterhin kollegialer Vorstand, der in allen grundsätzlichen Angelegenheiten entscheidet, insbesondere darüber, welche Forschungsprojekte ausgeführt und welche Aufgaben dauernd wahrgenommen werden. Er besteht aus den hauptamtlich-en Professoren der Hochschule und den wissenschaftlichen Hauptreferenten, denen die Stellung von Abteilungsleitern zukommen soll; die Assistenten und Forschungsreferenten sprachen sich demgegenüber im Interesse einer effektiven Institutsleitung für einen kleineren Vorstand aus. Die Forschungsarbeit ist zu leisten von den vom Vorstand zu berufenden Projektleitern, die nicht Professoren zu sein brauchen, den Hauptreferent-en und den übrigen Mitarbeitern, aus denen je nach dem Gegenstand in ihrer Zusammensetzung wechselnde Projektgruppen gebildet werden können. Je nach ihrer Aufgabe werden die Mitarbeiter im Beamten-, im Angestelltenverhältnis oder nebenamtlich tätig. Um die Fl-exibilität in der Programmgestaltung nicht zu beeinträchtigen, sollen
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die Referenten dem Institut grundsätzlich nur auf eine bestimmte Zeit angehören. Dem wissenschaftlichen Meinungsaustausch aller Mitarbeiter dienen regelmäßige Kolloquien. Die Staatskanzlei hielt den Entwurf für eine geeignete Grundlage zur Neustrukturierung. Sie erklärte ihr Einverständnis, daß vorläufig nach ihm verfahren werde, sah aber von einem definitiven Statut noch ab, weil sich die Möglichkeiten zum Ausbau des Instituts - die Errichtung zweier forschungsintensiver verwaltungswissenschaftlicher Lehrstühle wurde für das Jahr 1971 angestrebt - und die Schwerpunkte seiner künftigen Forschungsarbeit noch nicht hinlänglich genau übersehen ließen. Nach Billigung der Grundzüge der vorgeschlagenen Neustrukturierung durch das Land beschloß der Senat noch im Sommer 1970 ein Forschungsprogramm, das als Schwerpunkte Untersuchungen der Verwaltungsorganisation, der Verwaltungskontrolle, des Wandels der Verwaltungsleistungen, personalwirtschaftlicher und sozialpsychologischer Fragen sowie die vergleichende Verwaltungsforschung vorsieht. Ende des Jahres 1971 waren 13 Projekte in Bearbeitung, davon drei Habilitationsvorhaben. Drei weitere Untersuchungen betreffen Fragenkreise, die für die bevorstehende Reform des Rechts des öffentlichen Dienstes von Bedeutung sind; in diesem Zusammenhang fand unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Ule in Verbindung mit der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften im November 1971 ein Symposion über Recht und System des öffentlichen Dienstes in internationalen und übernationalen Organisationen statt, das in erster Linie zur Information der von der Bundesregierung berufenen Studienkommission zur Reform des öffentlichen Dienstrechts galt. An einigen Forschungsvorhaben wirken Mitarbeiter verschiedener Fachrichtungen zusammen, so daß, wenn das Thema daraufhin angelegt ist, mehr als bei der Ein-Mann-Forschung eine interdisziplinäre Analyse erwartet werden darf. Mit der angestrebten Intensivierung der verwaltungswissenschaftlichen Forschung hofft die Hochschule, einen verstärkten Beitrag zur Verringerung des Rückstandes auf diesem Gebiet in Deutschland leisten zu können. Die größeren Arbeiten des Instituts, die in stattlicher Zahl vorliegen69 , erstrecken sich über das ganze verwaltungswissenschaftliche Spektrum. Sie reichen von juristischen und soziologischen Abhandlungen bis zu Untersuchungen über organisationstheoretische Probleme der öffentlichen Verwaltung und über wissenschaftstheoretische Fragestellungen in bezug auf die Verwaltungswissenschaft. Auf den beiden letztgenannten Gebieten hat sich als einer der ersten Niklas Luhmann beschäftigt, der von 1962 bis Oktober 1965 am Institut tätig war und 69 s. hierüber die Zusammenstellung in Anhang F unten S. 94 ff., in der die im Forschungsinstitut entstandenen Arbeiten mit "F" gekennnzeichnet sind.
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dort seinen wissenschaftlichen Ausgang genommen hat. Er hat in einer im Institut entstandenen Schrift70 die Erkenntnisse der Organisationstheorie für die Verwaltungswissenschaft fruchtbar gemacht und weitergeführt; in einem anderen Werk71 , für das die Vorarbeiten nach seiner Erklärung im Vorwort zum Teil noch am Forschungsinstitut geleistet wurden, hat er die öffentliche Verwaltung als System faktischen Handeins interpretiert, dessen spezifische Funktion die Spezialisierung auf die Herstellung bindender Entscheidungen ist, und so den Kern einer "allgemeinen" Theorie über die Verwaltung entwickelt, die es ermöglicht, Gedankengut wie die auf viele soziale Bereiche anwendbare funktionale Systemtheorie in die Verwaltungswissenschaft einzuführen, das nicht speziell im Blick auf die öffentliche Verwaltung erarbeitet wurde. d) In dem Maße, in dem der Zustrom wissenschaftlichen Nachwuchses zur Hochschule anstieg, empfand sie das Fehlen des Habilitationsrechts immer schmerzlicher. Die besten Assistenten und befähigte Verwaltungsbeamte mußten an eine Universität verwiesen werden, wenn sie sich habilitieren wollten; so wanderten im ersten Jahrzehnt sieben Habilitationsbewerber an andere Hochschulen ab. Da im übrigen mehrere juristische Fakultäten seit dem Jahr 1945 bis zum Ende der fünfziger Jahre niemandem mehr die Lehrbefugnis für öffentliches Recht verliehen hatten, ergaben sich auch Schwierigkeiten bei der Besetzung von Lehrstühlen, wenn Speyerer Professoren an Universitäten berufen wurden. Schließlich sah es die Hochschule als ihre Aufgabe an, gewisse Lücken in der Heranbildung verwaltungswissenschaftlich interessierter Privatdozenten zu schließen. Aus all diesen Gründen sprachen sich Senat und Verwaltungsrat im Juli 1958 für das Habilitationsrecht aus, "um hervorragende Kräfte auf dem Gebiet der Verwaltungswissenschaften fördern zu können". Die Landesregierung hielt hierfür alle Voraussetzungen für gegeben und verabschiedete im Juli 1960 die Landesverordnung über das Habilitationsrecht, das eine "Morgengabe" zur Einweihung des neuen Hochschulgebäudes im September 1960 darstellen sollte72 • Zwar war die Vereinbarung zwischen der Ständigen Konferenz der Kultusminister und der Westdeutschen Rektorenkonferenz vom September 1959, derzufolge Promotions- und Habilitations70 Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Band 20 der Schriftenreihe der Hochschule, Berlin 1964. 71 Niklas Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft. Bestandsaufnahme und Entwurf, Köln und Berlin 1966. Wissenschaftstheoretische Fragen sind auch Gegenstand der im Forschungsinstitut entstandenen Habilitationsschrift von Klaus König; s. unten S. 69. 72 Bei der Formulierung dieser Verordnung wurde entsprechend den Wünschen der Hochschule der Eindruck vermieden, als sei diese konstitutiv; es wurde die neutrale Fassung gewählt, die Hochschule "hat das Recht, Privatdozenten zuzulassen".
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rechte nicht gegen eine einzuholende Empfehlung der Westdeutschen Rektorenkonferenz erteilt werden dürfen, formell auf die Hochschule Speyer nicht anwendbar, weil diese nicht zum Ressort des Kultusministers gehört. Trotzdem legte der Senat Wert darauf, die Zustimmung der in der Rektorenkonferenz zusammengeschlossenen Universitäten zu erhalten, um zu vermeiden, daß Speyerer Privatdozenten später Schwierigkeiten bekämen. Anlaß für ein sorgfältiges Vorgehen in dieser Frage bot ihm insbesondere der "Fall Wilhelmshaven": Der dortigen Hochschule war das Promotions- und Habilitationsrecht ohne Zustimmung der Rektorenkonferenz verliehen worden; diese hat nicht nur hiergegen protestiert, sondern auch vorgenommene Habilitationen nicht anerkannt. Sei es, daß die Universität Mainz, deren Rektor als "Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz" das Begutachtungsverfahren hätte in Gang bringen sollen, der irrigen Meinung war, die Verleihung des Habilitationsrechts komme erst nach Aufnahme der Hochschule in die Rektorenkonferenz in Betracht, sei es, daß sie unter dem Einfluß ihrer Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, die einem Speyerer Habilitationsrecht ablehnend gegenüberstand, eine hinhaltende Taktik verfolgte - das Plazet der Rektorenkonferenz lag bis September 1960 nicht vor. Die Hochschule bat deshalb die Regierung eindringlich, von der Verkündung der Rechtsverordnung bis auf weiteres abzusehen. Trotz verschiedener Aktivitäten der Rektoren der Jahre 1959/60 und 1960/61, der Professoren Schaeder und Becker, denen der damalige Vorsitzende der Kommission für Hochschulrecht der Rektorenkonferenz, Professor Werner Weber, Göttingen, mit Rat und Tat zur Seite stand, wurde das Verfahren erst in Gang gesetzt, nachdem der Ministerpräsident dem Rektor der Universität Mainz im Juli 1961 mitgeteilt hatte, die Regierung beabsichtige, das Habilitationsrecht zu verleihen. In einem Memorandum vom August 1961 für die Rektorenkonferenz erklärte die Hochschule, um das Habilitationsrecht nicht zu gefährden, daß sie das Promotionsrecht nicht anstrebe; sie setze voraus, daß Referendare, die den Doktorgrad erwerben wollten, bis zu ihrem Studium in Speyer schon promoviert hätten und sei "an einer Nachlese nicht interessiert". Die juristische Promotion stehe in engstem Zusammenhang mit dem Universitätsstudium und erfordere den wissenschaftlichen Befähigungsnachweis auf dem Gesamtgebiet der Rechtswissenschaft. Einige Tage vor der Sitzung der Rektorenkonferenz, auf der die Entscheidung fallen sollte, hatte sich die Angelegenheit zugespitzt: Deren Präsident teilte dem Speyerer Rektor mit, in das Begutachtungsverfahren sei noch der Fakultätentag der Juristischen Fakultäten einzuschalten. Jener widersetzte sich dem nachdrücklich mit dem Hinweis darauf, daß dies weder in dem anzuwendenden Abkommen vorgesehen
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noch von der Sache her gerechtfertigt sei, und daß der Landesregierung ein längeres Zuwarten mit der Verkündung der seit Jahr und Tag beschlossenen Verordnung nicht mehr zugemutet werden könne, zumal das einschlägige Verfahren auf die Hochschule nur auf deren ausdrücklichen Wunsch analog angewendet werde. Weiter stellte er klar, daß für einen Unwillen der Rektorenkonferenz gegen die Hochschule und die Landesregierung kein Anlaß bestehe, da beide niemals eine Frist gesetzt, sondern rund 15 Monate auf die Durchführung des Verfahrens geduldig gewartet hätten. Die Einschaltung des Falkultätentags unterblieb daraufhin. Obgleich die eingeholte Stellungnahme der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Mainz negativ ausgefallen war, äußerte sich der für die Abgabe des Votums zuständige Länderausschuß der Rektorenkonferenz im September 1961 zustimmend; er folgte dem eingehenden Gutachten des Ausschusses für Hochschulrecht, das von Professor Hans Gerber, Freiburg i. Br., unter Verwertung der eingegangenen Äußerungen der Kommissionsmitglieder erstellt und von Professor Weber vor dem Länderausschuß vertreten worden war. Dieses Gutachten hebt hervor, daß der Lehrkörper der Speyerer Hochschule in seiner Zusammensetzung und in seinem Zusammenwirken einer Fakultät gleichgestellt werden könne. Dem Bedenken, daß an Universitäten bei Habilitationen Vertreter der gesamten Rechtswissenschaft mitwirkten, während in Speyer nur Vertreter des öffentlichen Rechts und sozialwissenschaftlicher Disziplinen tätig seien, trat die Kommission mit der Erwägung entgegen, die Hochschule wünsche die Verleihung der Lehrbefugnis nur für das Gebiet des öffentlichen Rechts und der Verwaltungslehre. Auf diesem gegenständlich beschränkten Forschungsbereich sei sie angesichts ihrer Ausstattung mit fünf Lehrstühlen des öffentlichen Rechts und Vertretern der wirtschaftlichen Staatswissenschaften, der Soziologie und der Geschichte zu einer kritischen Beurteilung einer wissenschaftlichen Leistung durchaus in der Lage. Die Kommission, die das Beg'ehren auch unter dem Gesichtspunkt der Schaffung eines Präzedenzfalles prüfte, kam hierbei zu der Erkenntnis, daß "mit Rücksicht auf die Einmaligkeit und Einzigartigkeit der Speyerer Hochschule", die sich als postuniversitäre Einrichtung von allen Institutionen "im Vorfelde des Akademischen" unterscheide, jede bedenkliche Präzedenzwirkung ausgeschlossen sei. So sehr sich die wissenschaftlichen Hochschulen verpflichtet fühlten, sich an einem klaren Leitbild zu orientieren, so wenig wollten sie sich "gegen die Wissenschaftlichkeit einer so einmaligen Einrichtung wenden, wie es die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer ist". Aufgrund dieses positiven Gutachtens stimmte die Rektorenkonferenz der Verleihung des Habilitationsrechts ZU 73 , wobei sie allerdings
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davon ausging, "daß Folgerungen für ein Promotionsrecht daraus nicht gezogen werden". Die Verordnung über die Verleihung des Habilitationsrechts konnte daraufhin im Oktober 1961 ausgefertigt und verkündet werden74 • Die vom Senat im Juli 1963 erlassene Habilitationsordnung bestimmt, daß die Lehrbefugnis für öffentliches Recht und Verwaltungslehre oder nur für öffentliches Recht verliehen werden kann. Bis zum Sommersemester 1972 hatten sich Frido Wagener, Klaus König und Heinrich Siedentopf habilitiert7 5 • Während sich die Schrift von Wagener zum Ziel setzt, durch ein nachvollziehbar quantifiziertes Maßstabsgerüst für einen optimalen Neubau des Gesamtgefüges der öffentlichen Verwaltung ein Programm aufzustellen, das von der Verwaltungspraxis unmittelbar genutzt werden kann, liegt das Werk Königs auf dem Gebiet der Wissenschaftstheorie; er versucht, auf erkenntnistheoretisch-methodologischem Wege eine über die Verwaltungsrechtslehre hinausgreifende integrative Verwaltungswissenschaft, die vor allem durch ihre eigenen Erkenntnisinteressen gekennzeichnet wird, zu konzipieren76 • Bei der Arbeit Siedentopfs handelt es sich um eine vergleichende Untersuchung, die rechtsdogmatische, organisationstheoretische und empirische Betrachtungen verbindet, über ein für die Regierungspraxis bedeutsames Teilgebiet des politischen Gesamtsystems, das bisher weder im französischen noch im deutschen Schrifttum hinlänglich erforscht war; das Werk wurde im Jahr 1971 mit dem von der Universität Straßburg verliehenen Preis der "Stiftung F. V. S." ausgezeichnet. - Zur Zeit sind drei Habilitationsbewerber mit der Abfassung ihrer Schriften beschäftigt. 73 In Anerkennnung seiner Verdienste um das Habilitationsrecht und damit seines Eintretens für den verwaltungswissenschaftlichen Nachwuchs hat die Hochschule Professor Werner Weber im Oktober 1961 ihre Erinnerungsmedaille verliehen. 74 s. die Landesverordnung über das Habilitationsrecht der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer vom 2. Oktober 1961, GVBl. S. 197. 75 über die Titel der Habilitationsschriften s. das Verzeichnis der Schriften der Hochschule in Anhang F unten S. 94 ff., in dem diese mit "H" gekennzeichnet sind. Die demnächst erscheinende Schrift von Sieden topf trägt den Titel "Regierungsführung und Ressortführung in Frankreich. Zur Organisation und Funktion der Cabinets ministeriels". 76 s. hierzu die Rezension von Georges Langrod, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, in Verwaltungsarchiv, 63. Band, 1972, S. 1 ff. über die zurückhaltende Beurteilung der Möglichkeiten zur Entwicklung einer einheitlichen Theorie der Verwaltung s. Niklas Luhmann, Theorie der Verwaltungswissenschaft. Bestandsaufnahme und Entwurf, Köln und Berlin 1966, S. 14 bis 17. Zum Theorieansatz, in Verwaltungswissenschaft in europäischen Ländern. Stand und Tendenzen, Band 42 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Berlin 1969, S. 250 f. Darüber, daß eine (wohl auch heute noch anzutreffende) "Stimmung der Unzufriedenheit" über den Stand der Verwaltungswissenschaft keine auf Deutschland beschränkte Erscheinung ist, s. den Bericht in dem vorbezeichneten Tagungsband über Groß-Britannien von Nevil Johnson, a.a.O., S. 51 ff., 55 f. (vgl. a.a.O., S. 67 ff.).
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e) Das Promotionsrecht erhielt die Hochschule erst im November 1970, obwohl Bestrebungen zu seiner Erlangung in die Tage der Akademie zurückreichen. Schon auf der Länderkonferenz im Februar 1950 wurde auf Antrag Bayerns und Niedersachsens der einstimmige Beschluß gefaßt, für die künftige Hochschule das Promotionsrecht bei der Landesregierung zu beantragen. Die Konferenz ließ sich hierbei von der Auffassung leiten, daß die Hochschule "ihren Aufgaben in Lehre und Forschung nur gerecht werden kann, wenn sie durch Verleihung des Promotionsrechts den Charakter einer wirklichen Hochschule und dadurch auch die Mitgliedschaft im Hochschulverband und in der Rektorenkonferenz erhält". Ein solcher Antrag wurde dann allerdings nicht vorgelegt, weil der Senat Bedenken hatte, das juristische Promotionsrecht - die Verleihung eines anderen Doktorgrades wurde damals nicht in Erwägung gezogen - in einem Zeitpunkt anzustreben, in dem die Hochschule noch nicht über alle Lehrstühle einer juristischen Fakultät v~rfügte. Da nicht damit zu rechnen war, daß dies in absehbarer Zeit der Fall sein würde, gingen die konkreten Schritte zunächst in andere Richtungen: Durch Absprachen mit einzelnen Professoren juristischer Fakultäten sollte erreicht werden, daß S~yerer Hörer auf Empfehlung der Hochschule von jenen unter Befreiung vom Erfordernis eines zweisemestrigen Studiums an der betreffenden Universität als Doktoranden angenommen werden. Eine im Dezember 1958 gebildete Senatskommission zur Führung von Verhandlungen mit Nachbaruniversitäten über diese Frage konnte jedoch kein Ergebnis erzielen. Mitte der sechziger Jahre wurde erwogen, eine "Fremdpromotion" Spey~rer Hörer und Assistenten in der Weise zu institutionalisieren, daß Professoren der Hochschule ein Thema vergeben können und zu externen Gutachtern der mit einer solchen Regelung einverstandenen Fakultäten berufen werden. Umgekehrt wurde die Möglichkeit ins Auge gefaßt, auswärtige Professoren zu Honorarprofessoren der Hochschule zu ernennen, um so eine Repräsentanz nicht vertretener Disziplinen zu schaffen. Auf dieser Linie bewegten sich in den Jahren 1967 und 1968 Verhandlungen von Rektor Professor Ryffel und seines Nachfolgers Professor Ule der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes. Di~se war grundsätzlich bereit, mit der Hochschule auf dem Gebiet der Fortbildung eng zusammenzuarbeiten und deren Angehörige nach näherer Absprache promovieren zu lassen, suchte sich aber dafür der Mitarbeit einiger Speyerer Professoren in der Lehre zu versichern. Eine Vereinbarung dieses Inhalts kam aber schließlich nicht zustande wegen rechtlicher Bedenken gegen ~ine Zusicherung der Hochschule, daß einzelne ihrer Professoren regelmäßig Lehrveranstaltungen in Saarbrücken übernähmen.
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Ob der erwogenen Anlehnung an eine Universität verlor die Hochschule jedoch den Gedanken eines eigenen Promotionsrechts nicht aus dem Auge. Der Rektor der Jahre 1965 bis 1967, Professor Ryffel, versuchte taktvoll und umsichtig die Reaktion der Universitäten auf die Verleihung des Promotionsrechts an die Hochschule zu erkunden, etwaige Gegenargumente zu erfahren und diese zu -entkräften. Mit dieser Zielsetzung führte er Gespräche mit der Universität Mainz, von der die Hochschule als einer Universität desselben Landes am ehesten Unterstützung zu finden hoffte, den Universitäten Heidelberg und Frankfurt und im besonderen mit dem Vorsitzenden der Kommission für Hochschulrecht der Rektorenkonferenz. Trotz Bekundungen eines gewissen Wohlwollens wurden jedoch immer wieder Bedenken laut: Die Hochschule sei, selbst wenn sie einige zusätzliche Lehrstühle erhalte, doch keine volle juristische Fakultät, die Promotion stelle den Abschluß eines vollen Studienganges dar und könne aus diesem Grund mit der Habilitation nicht verglichen werden; im übrigen müsse ein mindestens zweisemestriges Studium an der Hochschule verlangt werden. Weiter wurde in Verkennung des Charakters der Speyerer Hochschule befürchtet, die Verleihung des Promotions rechts könnte andere Institutionen, wie etwa Pädagogische Hochschulen und Fortbildungsakademien, zu entsprechenden Anträgen ermuntern. Die Rektorenkonferenz berief sich auf die seinerzeitige Erklärung der Hochschule, sie strebe das Promotionsrecht nicht an; hinzu kam eine - gegenüber der Hochschule jedenfalls nicht begründete - Verstimmung über die seinerzeitige Ankündigung der Landesregierung, der Hochschule auf jeden Fall das Habilitationsrecht verleihen zu wollen. Auf der anderen Seite wurde die Meinung laut, das begehrte Promotionsrecht könnte die juristischen Fakultäten entlasten; bei einem weiteren Ausbau in Richtung einer vollen juristischen Fakultät oder bei einer Ausdehnung ihres Angebots auf alle Sozialwissenschaften könne die Hochschule künftig "an den drückenden Ausbildungslasten der Universitäten in den siebziger Jahren" teilnehmen77 • Während die Kommission für Hochschulrecht der Rektorenkonferenz, mit der die Hochschule Kontakte aufgenommen hatte, der Verleihung des Promotionsrechts wohlwollend gegenüberstand, sprach sich die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Mainz, deren Gutachten nach den einschlägigen Verfahrensbestimmungen einzuholen war, im Dezember 1966 aus den aufgeführten Gründen mit Mehrheit dagegen aus. Wiederaufgenommen wurden die Bemühungen im Oktober 1969. Die Sachlage hatte sich in den letzten Jahren geändert: Die Verwaltungs77 s. den Brief des Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz vom 3. Januar 1967 an den Rektor der Universität Mainz.
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wissenschaften hatten in der zurückliegenden Zeit einen beachtlichen Aufschwung genommen, ein zügiger weiterer Ausbau der Hochschule in verwaltungswissenschaftlicher Richtung stand zu erwarten, und nicht zuletzt war die Geneigtheit, ihren Besonderheiten Rechnung zu tragen, gewachsen. Angesichts dieser Entwicklung beschloß der Verwaltungsrat im Oktober 1969 auf Antrag des Rektors Professor Knöpfle, das formelle Verfahren zur Einholung der gutachtlichen Äußerung der Rektorenkonferenz, bei der die Hochschule sondiert hatte, einzuleiten. Im Antrag des Vorsitzenden des Verwaltungsrats vom November 1969 wurde unterstrichen, daß die Hochschule, deren wissenschaftlicher Charakter seit jeher außer Zweifel gestanden hatte 78 , durch den mittlerweile erreichten Ausbaugrad und die in den nächsten Jahren zu erwartenden weiteren Lehrstühle alle Voraussetzungen einer verwaltungswissenschaftlichen Forschung erfüllt. Weiter wurde darauf hingewiesen, daß es der Hochschule in erster Linie darum gehe, den Assistenten und Referenten am Forschungsinstitut die Möglichkeit zur Promotion zu bieten, dies auch um die verwaltungswissenschaftliche Forschungsarbeit durch die Vergabe geeigneter Projekte als Dissertationsthemen fördern zu können. Der Gutachterausschuß der Rektorenkonferenz unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten Professor Werner Maihofer, sprach sich auf seiner Sitzung am 27. Juni 1970, auf der die Staatskanzlei und der Rektor ihre Auffassungen nochmals darlegen konnten, für die Verleihung des Promotionsrechts aus. Die Kommission erkannte an, daß die Hochschule, deren Lehrkörper ein sozialwissenschaftlich arbeitendes Kollegium darstelle, die Verwaltungswissenschaften in Lehre und Forschung mit ihren nunmehr elf Lehrstühlen für alle erforderlichen Fachrichtungen pflegen könne wie kaum eine Fakultät. Dem Argument, die Promotion stelle nur den Abschluß eines vollständigen Studiums dar, wurde entgegengehalten, daß auch im Universitätsbereich häufig Bewerber promovierten, die ihr Studium an einer anderen Universität absolviert hätten, und vor allem, daß die Universitäten noch keinen spezifisch verwaltungswissenschaftlichen Studiengang ermöglichten. Die Hochschule mit ihrem Forschungsinstitut sei dazu berufen, wissenschaftlichen Nachwuchs heranzubilden, wozu sie, ebenso wie zur Entfaltung der Forschungsarbeit, des Promotionsrechts bedürfe. Weil die Promotion im übrigen den Eingang zur Laufbahn des Hoch~chullehrers bilde, stelle es eine organische Entwicklung dar, wenn dem Habilitationsrecht, von dem die Hochschule in verantwortungsvoller Weise Gebrauch gemacht habe, nunmehr das Promotionsrecht folge. Seine Verleihung könne kein Präjudiz bilden, weil die Speyerer Hoch~chule immer noch die einzige postuniversitäre wissenschaftliche Hochschule in der Bundesrepublik sei. 78 s. Z. B. Hans Gerber. Das Recht der wissenschaftlichen Hochschulen, Band I, Tübingen 1965, S. 21 f.
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Nach Erlaß der Landesverordnung über das Promotionsrecht im November 197079 erließ der Senat die von einer Kommission unter Leitung des Rektors Professor Knöpfle vorbereitete Promotionsordnung, die nach Genehmigung durch den Ministerpräsidenten am 25. Mai 1971 in Kraft trat80 • Sie sieht die Verleihung ausschließlich des akademischen Grades des Doktors der Verwaltungswissenschaften (Dr. rer. publ.) vor, wie ihn auch die Handelshochschule St. Gallen seit langem vergibt 81 • Dieses Doktorat entspricht am besten dem integrativen sozialwissenschaftlichen Ansatz, der auch dem Lehrprogramm der Hochschule zugrundeliegt. Die Promotionsordnung geht nicht nur hinsichtlich des zu verleihenden Grades, sondern auch in anderen Fragen neue Wege 82 : Zuzulassen ist jeder Bewerber, der die aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, soweit dem nicht schutzwürdige Belange der Hochschule entgegenstehen83 • Um zu vermeiden, daß ein Doktorand ohne vorherige Fühlungnahme mit der Hochschule Zeit und Arbeitskraft für die Erstellung einer Dissertation aufwendet, um dann bei der Einreichung der Doktorarbeit erfahren zu müssen, daß er aus irgendwelchen Gründen zur Prüfung nicht zugelassen werden kann, wurde das Verfahren in ein Annahmeund ein Prüfungsverfahren aufgeteilt; wer angenommen wird, hat dann auch die Gewähr, zur Promotion geführt zu werden. Hat der Promotionsbewerber die wissenschaftliche Betreuung seines Vorhabens nicht mit einem "Doktorvater" vereinbart, so führt die neugeschaffene Promotionskommission des Senats ein Betreuungsverhältnis mit einem Mitglied des Lehrkörpers herbei. Der Erfüllung rechtsstaatlicher Grundsätze und der angestrebten Objektivierung des Verfahrens dienen die Bestimmungen, daß Dissertation wie mündliche Leistung von einer dreiköpfigen Prüfungskommission bewertet werden84, eine ablehnende Entscheidung im Annahmeverfahren auf Verlangen des Bewerbers schriftlich zu begründen ist, daß bei der Bekanntgabe der Benotungen 7Q s. die Landesverordnung über das Promotionsrecht der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer vom 10.11. 1970, GVBl. vom 28.11.1970, S.418. so s. Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz Nr. 19 vom 24. 5. 1971, S. 323. 81 s. Erich Becker, Verwaltungswissenschaftliche Promotionen, in DÖV 1950, S. 740 f. 82 Hierzu s. auch Hans- Werner Laubinger, Doktor der Verwaltungswissenschaften. Verleihung des Grades des Doktors der Verwaltungswissenschaften durch die Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, in DÖV 1971, S. 552 f. 83 Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die Hochschule durch die Annahme weiterer Bewerber übermäßig belastet würde, oder wenn ein Vertreter der spezifischen Fachrichtung, in der das Thema einer beabsichtigten Dissertation seinen Schwerpunkt hat, fehlt. St s. hierzu Peter Becker, Prüfungsordnungen und Rechtsstaatsgebot, in DÖV 1970, 730 ff.
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die wesentlichen Bewertungsgesichtspunkte darzulegen sind und eine Niederschrift über äußeren Verlauf, Hauptgegenstände und Ergebnisse der mündlichen Prüfung aufzunehmen ist. Die Hörerschaftsvertretung, die an der Ausarbeitung der Promotionsordnung mitarbeitete, war sich mit dem Senat darüber einig, daß ein hohes wissenschaftliches Niveau des Speyerer Doktorats anzustreben ist. Dem entsprechen die strengen Zulassungsvoraussetzungen: Außer einem überdurchschnittlichen Hochschulexamen oder einer entsprechenden Staatsprüfung wird ein zweisemestriges Studium an der Hochschule verlangt, während dessen zwei mit mindestens "gut" bewertete Seminarzeugnisse aus zwei verscheidenen Stoffgruppen zu erwerben sind. Ein Referendar muß sich für das zweite Semester aus dem Vorbereitungsdienst beurlauben lassen, sofern er nicht die Wahlstation dafür verwenden kann. Wie sich jetzt schon absehen läßt, führt gerade dieses Erfordernis dazu, daß nur zu vertiefter wissenschaftlicher Betätigung bereiten Bewerbern an der Speyerer Promotion liegt. Dem Ziel, die Doktoranden zu einem intensiven Studium der Verwaltungswissenschaften anzuhalten, dient die Bestimmung, daß die Verwaltungslehre in jedem Fall Gegenstand der mündlichen Prüfung ist85 , unabhängig von der Fachrichtung des akademischen Studiums des Bewerbers und der Thematik seiner Dissertation. Aus der Unzulässigkeit eines neben einer anderen Haupttätigkeit betriebenen Studiums erwächst der Hochschule andererseits die Verpflichtung, sich ihrer Doktoranden in besonderem Maße anzunehmen: Erster Schritt war im Sommersemester 1971 ein Doktorandenkolloquium unter der Leitung von Prof.essor Knöpfle, das die Promovenden zur Selbstreflexion anhalten und ihnen Gelegenheit zur Ausbreitung und Diskussion ihrer wissenschaftlichen Vorhaben, insbesondere auch in methodischer Hinsicht, schaffen sollte; weiter sollte ein Einblick in die Arbeitsgebiete anderer Doktoranden eröffnet werden. An dieser Lehrveranstaltung nahmen erstmals an der Hochschule Professoren, Forschungsreferenten und Assistenten verschiedener Fachrichtungen zusammen teil, was ihr interdisziplinäre Züge gab .
...
Gegenstände der mündlichen Prüfung sind darüber hinaus die an der Hochschule gepflegten Teilgebiete der folgenden Stoffgruppen: öffentliche::; Recht und die für die öffentliche Verwaltung bedeutsamen Teile des Privatrechts; Wirtschaftswissenschaft; Geschichte; Rechts- und Sozialphilosophie, Soziologie sowie Staatslehre und Politische Wissenschaft. Der Bewerber kann aus diesen Stoffgruppen zwei, und innerhalb der einzelnen Stoffgruppe einzelne Teilgebiete gemäß dem Katalog des jeweiligen Lehrprogramms der Hochschule auswählen. Die mündliche Prüfung wird in der Form eines wissenschaftlichen Gesprächs durchgeführt und soll erkennen lassen, ob es sich bei der Dissertation um eine eigenständige Leistung des Bewerbers handelt und ob dieser Kenntnisse und die Fähigkeiten zu selbständigem Urteil auf den Prüfungsgebieten besitzt. 85
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Mit der Verleihung des Promotions rechts war der weite Weg zur Erlangung der vollen Rechte einer wissenschaftlichen Hochschule zurückgelegt. Ihre Leistung in den vergangenen 25 Jahren, auf die es ankommt, wird jedoch nicht an institutioneUen Kriterien zu messen sein, sondern daran, inwieweit es ihr gelungen ist, auch materiell zu einer "deutschen Zentralstelle zur Pflege der Verwaltungswissenschaft und Verwaltungspraxis" zu werden, wie sie schon im Jahr 1916 gefordert worden war 86 • Das Urteil hierüber soll der Fachwelt überlassen bleiben. Für die nächsten Jahrzehnte ist der Hochschule zu wünschen, daß sie sich weiterhin ungestört ihrer wissenschaftlichen Arbeit widmen kann und daß es ihr gelingen möge, die Ergebnisse ihres Forschens der verwaltungswissenschaftlichen Aus- und Fortbildung und damit der öffentlichen V'erwaltung selbst nutzbar zu machen: sie würde ihrer Aufgabe nicht gerecht durch eine Lehre, die nicht auch aus eigener Forschung gespeist würde, und durch eine Forschung, die sich nicht auch der konkreten Fragestellungen der öffentlichen Verwaltung der Zukunft annähme.
86 s. Ferdinand Schmid, Eine deutsche Zentralstelle zur Pflege der Verwaltungswissenschaft und Verwaltungspraxis, Leipzig 1916.
Anhang A: Chronik der HodtscllUle Stand: 1. Januar 1972
11. 1. 1947 Errichtung der Staatlichen Akademie für Verwaltungswissenschaften Speyer durch Verfügung Nr. 194 des Administrateur G{meral für die französische Besatzungszone, J. O. Nr. 52 vom 17.1. 1947, S. 538 15. 5. 1947 Eröffnung der Akademie 1949/50 1. 4.1950
Wandel der Akademie zur Hochschule Errichtung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer durch rheinland-pfälzisches Landesgesetz vom 30.8. 1950 (GVBl. S.265)
23. 4. 1952 Verwaltungsabkommen über die Hochschule für Verwaltungswissenschaften zwischen Rheinland-Pfalz, der Bundesregierung (unterzeichnet am 19. 5. 1952) und den Länderregierungen Bayern (17.5.1952), Niedersachsen (12.8.1952) und Schleswig-Holstein (23.9. 1952). Dem Verwaltungsabkommen sind beigetreten die Länder Nordrhein-Westfalen (2.7.1953), Bremen (1. 10. 1953), Baden-Württemberg (28.4. 1955), Hamburg (1. 9. 1955), Hessen (25. 11. 1956), Saarland (19.3.1957) und Berlin (27.6.1961). 4. 11. 1958 Beginn des Neubaus der Hochschule 14. 9. 1960 übergabe des Hochschulneubaus 2.10.1961 Verleihung des Habilitationsrechts an die Hochschule 1. 1. 1962 Eröffnung des Instituts für Forschung und Information der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 22. 7. 1963 Erlaß einer Habilitationsordnung 1. 2. 1965 Errichtung des Forschungsinstituts der Hochschule durch Erlaß des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz vom 31. 1. 1965 10.11. 1970 Verleihung des Promotionsrechts an die Hochschule 1. 4. 1971
Erlaß einer Promotionsordnung
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Anhang B: Verzeimnis der Rektoren
Rektoratsjahr:
Rektor:
Präs. Prof. Dr. Hermann Haußmann Prof. Dr. Dr. Erich Becker (kommissarisch, vom Verwaltungsrat bestellt) Prof. Dr. Dr. Erich Becker 1950/51 Prof. Dr. Arnold Gehlen 1951/52 Prof. Dr. Arnold Gehlen 1952/53 Prof. Dr. Dr. Erich Becker 1953/54 Prof. Dr. Reinhard Schaeder 1954/55 Prof. Dr. Gustav Adolf Bulla 1955/56 Prof. Dr. Carl Hermann Ule 1956/57 Prof. Dr. Christian-Friedrich Menger 1957/58 Prof. Dr. Christian-Friedrich Menger 1958/59 Prof. Dr. Reinhard Schaeder 1959/60 Prof. Dr. Dr. Erich Becker 1960/61 Prof. Dr. Hartwig Bülck 1961/62 Prof. Dr. Carl Hermann Ule 1962/63 Prof. Dr. Georg Smolka 1963/64 Prof. Dr. Georg Smolka 1964/65 1965/66 Prof. Dr. Hans Ryffel Prof. Dr. Hans Ryffel 1966/67 Prof. Dr. Carl Hermann Ule 1967/68 1968/23.6. 1969 Prof. Dr. Reinhard Schaeder 24. 6. 1969/30. 9. 1969 Prof. Dr. Hans Ryffel Prof. Dr. Franz Knöpfle 1969170 Prof. Dr. Franz Knöpfle 1970/71 Prof. Dr. Roman Herzog 1971/72 1947-1949 1949/50
Anhang C: Verzeichnis der Ehrensenatoren der Hochschule Dr. h. c. Peter Altmeier, Ministerpräsident a. D. des Landes Rheinland-Pfalz Dr. Wolfgang Heintzeler, Mitglied des Vorstandes der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik AG, Ludwigshafen am Rhein Dr. Paulus Skopp, MdL, Oberbürgermeister a. D. der Stadt Speyer
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Anhang D: Verzeichnis der Mitglieder des Lehrkörpers der Hochschule von 1947 bis 1972 Stand: 1. Januar 1972
Vorbemerkungen und Abkürzungen über die Funktion an der Hochschule:
oP = ordentlicher Professor; aoP = außerordentlicher Professor; aplP = außerplanmäßiger Professor; TP = Titularprofessor; PD = Privatdozent; HoP = Honorarprofessor; GP = Gastprofessor; LV = Lehrstuhlvertreter; D = Dozent; LB = Lehrbeauftragter; L = Lektor; A = Wissenschaftlicher Assistent; R = Referent am Forschungsinstitut; SS = Sommersemester; WS = Wintersemester; t = verstorben. Die Berufsbezeichnungen geben in der Regel die zuletzt eingenommene Position wieder; wenn auf die Tätigkeit zur Zeit des Wirkens an der Hochschule abgestellt wird, ist dies durch den Zusatz "damals" gekennzeichnet. Arimond, Heinrich, Dr. phi!., Verwaltungsdirektor bei der Bundesanstalt für
Arbeit
Bahls, Dietrich, Dr. iur., M. C. L., Regierungsrat
LB seit WS 1970/71 A seit SS 70
BaHweg, Ottmar, Dr. iur., ap!. Professor an der Universität Mainz
LV WS 71172
Bartsch, Günther, Dr. iur., Rechtsanwalt
ASS 62-SS 64
Bauer, Erwin, Regierungsrat, Stellvertretender Leiter des Instituts für öf-
fentliche Verwaltung, Hilden
A WS 70/71 - SS 71
Bauer, Joachim, Dr. iur., Regierungsrat beim Innenminister des Landes
Nordrhein -Westfalen
A WS 69170 - SS 70
Baumann, Fritz Achim, Dr. iur., Oberregierungsrat beim Regierungspräsi-
denten in Arnsberg
A WS 65/66 - SS 66
Baumann, Johannes, Dr. iur., Oberregierungsrat beim Regierungspräsiden-
ten in Köln
Becker, Erich, Dr. iur., Dr. phi!., o. Professor
A WS 67/68 - SS 68 oP seit SS 47
Bergmann, Reinhard, Dr. iur., Oberregierungsrat beim Bundesminister des
Innern
R WS 65/66 - SS 66
25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
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Berke, Claus, Dr. iur., Generaldirektor bei Interatom, Bensberg bei Köln
ASS 57 - WS 57/58
Berndt, Dieter, Ministerialrat im Landesjustizprüfungsamt beim Justizmini-
ster des Landes Nordrhein-Westfalen
A WS 61/62 - SS 62 LB SS 64 - WS 70/71, seit WS 71/72
Berner, Georg, Generalstaatsanwalt am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof
LB WS 54/55 - WS 57/58
Bernhardt, Wolfgang, Dr. iur., o. Professor an der Technischen Hochschule
München
oP SS 48
Bickel, Heribert, Dr. iur., Landrat des Kreises Mainz-Bingen
LB WS 62/63 -
Boon, Gerard, Licencie en droit Bossung, Hanno, Dr. iur., Weingutsbesitzer
SS 71
L seit WS 67/68 A WS 50/51 - SS 52
Brackmann, Kurt, Senatspräsident am Bundessozialgericht
LB WS 57/58 - WS 58/59
Breitling, Rupert, Dr. phil., Privatdozent der Universität Heidelberg
LB SS 68 - WS 68/69
Breuckmann, Elmar, Dr. iur., Regierungsdirektor (beurlaubt), tätig bei der
Europäischen Organisation für Sicherheit der Luftfahrt - Eurocontrol -, Brüssel ASS 60 - SS 62 R WS 62/63 - WS 65/66
BrUl, Hermann Louis,
t, Dr. iur., Staatssekretär a. D., Honorarprofessor HoP WS 51/52 -
SS 58
Brockmann, Theodor, Dr. iur., Ministerialdirektor beim Bundesminister des
Innern
Brühl, Dietrich, Graf von, Vortragender Legationsrat Buch, Friedrich, Dr. iur., Botschafter Bülck, Hartwig, Dr. iur., o. Professor Buhl, Herbert, Dr. rer. pol.
LB SS 57 - WS 57/58 A WS 55/56 - WS 56/57 SS 48 oP seit SS 57 D SS 48 - SS 49
Bulla, Gustav Adolf, t, Dr. iur., o. Professor an der Universität Freiburg
aoP WS 51/52-WS 54/55 oP SS 55 - SS 56 Clausen, Harald, Dr. iur., Regierungsdirektor in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen LB SS 70, SS 71
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Dahlgrün, Hans-Georg, Dr. iur., Staatsminister a. D., Präsident der Landes-
zentralbank Rheinland-Pfalz a. D., Honorarprofessor LB SS 52 - WS 62/63 HoP seit SS 63
Dahlgrün, Hans Martin, Dr. iur., Oberregierungsrat an der Hochschule für
Verwaltungswissenschaften (Rektoratsassistent)
A SS 65 - WS 68/69
Drath, Martin, Dr. iur., o. Professor an der Technischen Hochschule Darm-
stadt, Richter am Bundesverfassungsgericht a. D.
LB SS 49
Dreibus, Heinz, Verwaltungsdirektor beim Landkreistag Rheinland-Pfalz LB seit SS 7l Duppre, Fritz, Staatssekretär a. D., Präsident der Landeszentralbank Rhein-
land -Pfalz, Honorarprofessor
LB SS 67 - SS 69 HoP seit WS 69/70
Düwel, Peter, Dr. iur., Ministerialrat beim Niedersächsischen Minister der
Justiz
Eckert, Christian,
R SS 63 SS 66
WS 63/64,
t, Dr. iur., Dr. phil., Dr. rer. pol., em. o. Professor an der
Universität Köln
oP SS 47
Eggen van Terlan, Jan, Dr. iur., Dr. phil., ehern. Professor an der Universität
Gent und ehern. Dozent an der Universität Bonn
GP SS 49 - SS 50
Erdsiek, Gerhard, Dr. iur., Ministerialdirektor a. D., Honorarprofessor an der
Universität Köln
Erlewein, Max, Dr. rer. pol., Wirtschaftsberater
LB WS 62/63 - WS 67/68 LB SS 47 - SS 52
Erlewein, Annelise, geb. Thiel, Diplom-Dolmetscherin
L seit SS 51
Ernst, Werner, Dr. iur., Staatssekretär a. D., Honorarprofessor an der Univer-
sität Münster
LB WS 65/66 - SS 66
Eschenburg, Theodor, Dr. phil., o. Professor an der Universität Tübingen
LB SS 49
Fenske, Hans, Dr. phil., Privatdozent der Universität Freiburg, Wissenschaft-
licher Assistent am Auslands- und Dolmetscherinstitut in Germersheim A WS 63/64 - WS 70/71
Fensterer, Wilhelm, Dr. phil., stellvertretender Chefredakteur der Zeitung
"Die Rheinpfalz"
LB seit WS 7l/72 Fittschen, Dierk, Regierungsdirektor im Niedersächsischen Landesrechnungshof
A WS 63/64 - SS 65
25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Flasdieck, Dierk, Dr. rer. pol., Geschäftsführer
81
A SS 62 - WS 65/66
Fonk, Friedrich Hermann, Dr. iur., Ministerialrat beim Minister für Wissen-
schaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen A WS 63/64 - SS 64 R SS 66 - WS 66/67
Fritsche, Klaus-Jürgen, Dr. iur., Dipl. Kfm., Erster Beigeordneter der Stadt
Detmold
GaHas, Andreas, Assessor
R SS 69 - WS 70/71 ASS71
Gehlen, Arnold, Dr. phil, em. o. Professor an der Technischen Hochschule
Aachen
oP SS 47 - WS 61/62
Geiger, Willi, Dr. iur., Richter am Bundesverfassungsgericht und Senatsprä-
sident am Bundesgerichtshof, Honorarprofessor
HoP seit SS 52
Gerhard, Georg Reinhold, Wissenschaftlicher Direktor an der Akademie für
Wehrverwaltung und Wehrtechnik Mannheim
LB seit SS 70
Gerke, Friedrich, t, Dr. phil., o. Professor an der Universität Mainz SS48 Giese, Friedrich, t, Dr. iur., em. o. Professor an der Universität Frankfurt SS 47 - SS 48 GP WS 48/49-WS SI/52 Girschner, Walter, Dipl.-Soz.
A seit SS 71
Görg, Hubert, Dr. iur., em. o. Professor an der Universität Marburg
LB SS 53 LV WS 53/54 oP SS 54 - WS 54/55
Görner, Erich, Dr. iur., Präsident des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
a.D.
Grosse, Franz, Dr. rer. pol. Grothe, Herbert, damals Referendar
LB SS 61 - WS 69170 D SS47- SS49 LB WS 49/50 - SS 50
Grilter, Stephan, Dr. iur., Erster Beigeordneter der Stadt Meerbusch
A WS 68/69 -
SS 69
Hahn, Alois, Dr. phil., Dozent an der Pädagogischen Hochschule Esslingen,
Lehrbeauftragter an der Universität Tübingen
LB 70/71
t, Dr. iur., Präsident der Hochschule, o. Professor, Regierungspräsident a. D. oP SS 47 - SS 49
Haußmann, Hermann,
tI
Speyer 50
82
Franz Knöpfle
Hamann, Andreas, Dr. iur., Verwaltungsgerichtsrat am Verwaltungsgericht
Braunschweig
A WS 65/66 - SS 66
Hanf, Kenneth Ivins, Assistant Professor an der Universität Berkeley, Kali-
fornien
A WS 64/65 - WS 66/67, WS 67/68 Heberer, Ottmar, Dr. iur., Leitender Verwaltungsdirektor beim Landesarbeitsamt Hessen LB seit WS 71/72 Herbig, Gottfried, Dr. iur., Oberregierungsrat im Ministerium des Innern des
Landes Rheinland-Pfalz
R WS 68/69 - SS 70
Hermanns, Karl, Verwaltungsoberrat bei der Bundesanstalt für Arbeit LB seit WS 71/72 Herzog, Roman, Dr. iur., o. Professor Hesse, Albert,
oP seit WS 69/70
t, Dr. iur., Dr. phil., Dr. rer. pol. h. c., Ministerialdirektor
a. D., em. o. Professor
oP SS 47 - SS 65
Heydt, Volker, Assessor
A WS 68/69 - SS 71 R seit WS 71/72 Hoepner, Hermann, Bundesrichter am Bundesgerichtshof LB WS 51/52 - SS 59 Hoff, Joseph. Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Zweibrücken LB seit SS 51 Hoffmann, Walter, Landrat des Kreises Germersheim
LB SS 54 - SS 55
Hofmann, Walter, Dr. iur., Ministerialdirigent a. D.
Horn, damals Bürgermeister a. D. Hüper, Ernst Heinrich, Assessor Jonas, Friedrich,
LB WS 50/51 - SS 55 WS 61/62 - WS 67/68 D SS47
A seit WS 71/72
t, Dr. rer. poL, o. Professor an der Universität Mainz
A WS 60/61- WS 61/62 Jung, Hans, Dr. iur., Oberbürgermeister der Stadt Kaiserslautern LB seit SS 71 Karst, Joseph, Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Koblenz LB WS 61/62 - WS 68/69 Kempf, Eberhard, Assessor
A seit WS 71/72
Kennerknecht, Aloys, Dr. phil., Akademischer Oberrat a. D. SS 47 -
SS 48
25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
83
Kem, Ernst, Dr. iur., Ministerialrat beim Bundesminister des Innern, Direk-
tor an der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung LB WS 53/54 WS 54/55 - W8 56/57 Kirschner, Valentin, Präsident des Landesarbeitsgerichts Rheinland- Pfalz LB seit WS 56/57 Klose, Ulrich, Regierungsassessor A seit WS 71/72 Knöpfle, Franz, Dr. iur., Dip!.-Volkswirt, o. Professor
oP seit S8 66
König, Klaus, Dr. iur., Dr. rer. pol., ao. Professor
R SS 65 - WS 70/71 PD WS 70/71 aoP seit SS 71 LV seit SS 71 Köttgen, Arnold, t, Dr. iur., o. Professor an der Universität Göttingen GP SS 50 oP WS 50/51 - WS 52/53 Kraemer, Hans-Joachim, Dr. iur., Leitender Ministerialrat im Sozialministerium Rheinland-Pfalz A SS 59 - WS 59/60 LB seit SS 69 Kratzer, Jakob, Dr. iur., Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs a.D. LB SS 58 - SS 62 Kraus, Emil, Dr. phi!., Oberbürgermeister a. D., Vorsitzender des Landesver-
bandes Rheinland-Pfalz des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes D 8S48- SS49
Kreft, Friedrich, Dr. iur., Bundesrichter am Bundesgerichtshof
LB seit SS 62
Kriele, Rudolf, Dr. iur., damals Verwaltungsanwalt Kurz, Hans, Dr. rer. po!., Dip!.-Volkswirt
LB SS49 LB SS 52 - SS 63
Kutscher, Hans, Dr. iur., Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemein-
schaften, Honorarprofessor an der Universität Heidelberg LB SS 61
Landwehrmann, Friedrich, Dr. rer. pol., o. Professor an der Universität
Mainz
LV 88 70
Laubinger, Hans-Werner, Dr. iur., M. C. L., Regierungsrat
A S8 68 - WS 69/70 R seit SS 70
Lautensach, Hermann, Dr. phil., o. Professor an der Technischen Universität
Stuttgart
11·
GP SS 47 - WS 47/48
84
Franz Knöpfle
Laux, Eberhard, Dr. iur., Landrat a. D., Vorstandsmitglied der Wirtschaftsbe-
ratungs-Aktiengesellschaft, Düsseldorf, Honorarprofessor LB WS 70/71 - SS 71 HoP seit WS 71/72 Leikeb, Hanspeter, Dr. rer. pol., Verwaltungsoberrat bei der Bundesanstalt für Arbeit LB seit WS 71/72 Leveque, Marcei, t L SS 47 - SS 66 Leveque, Irene L seit SS 47 Loewenhaupt, Friedrich, damals Studienprofessor LB SS 47 - SS 48 Löffler, Hans-Jürgen, Rechtsreferendar A seit WS 71/72 Löhr, Franz-Joseph, Regierungsdirektor an der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung beim Bundesminister des Innern A WS 62/63 - SS 63 Lüdtke, Peter Bernd, Sozialgerichtsrat am Sozialgericht Freiburg A SS 66 - WS 68/69 Luhmann, Niklas, Dr. sc. pol., o. Professor an der Universität Bielefeld R SS 62 - WS 65/66 Manke, Albert, Verwaltungsdirektor beim Südwestfunk in Baden-Baden D SS 47 - SS 48 LB SS 49 - SS 53 Markull, Fritz, Dr. iur., Generaldirektor a. D., Honorarprofessor an der FU Berlin LB SS 57 - WS 59/60 Martens, Uwe, Dr. iur., Regierungsrat R seit WS 71/72 Mayer, Franz, Dr. iur., o. Professor an der Universität Regensburg, Mitglied des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes oP SS 61 - SS 65 LV WS 65/66 Mayntz-Trier, Renate, Dr. phil., o. Professor
oP seit SS 71
Menger, Christian-Friedrich, Dr. iur., o. Professor an der Universität Mün-
ster
oP SS 55 - SS 61
Meyer-Hentschel, Gerhard, Dr. iur., Präsident des Oberverwaltungsgerichts
und Vorsitzender des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz LB SS 61 - WS 61/62 WS 71/72 Michel, Gerhard, Dr. iur., Ministerialrat in der Staatskanzlei RheinlandPfalz A WS 57/58 - WS 58/59 LB SS 66, seit WS 68/69
25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Minzenmay, Eugen, Regierungsdirektor a. D.
Mohn, Hans, Stadtdirektor der Stadt Siegen
85
LB SS 47 - SS 48, WS 50/51 - SS 52 A WS 52/53 - SS 53
Montaner, Antonio, Dr. rer. pol., o. Professor an der Universität Mainz LB WS 51/52 - WS 54/55 Morbach, Reiner, Dipl.-Volkswirt, Regierungsdirektor beim Bundesminister
für Wirtschaft und Finanzen
A WS 55/56 - SS 59
Morsey, Rudolf, Dr. phil., o. Professor Morstein Marx, Fritz,
versität Heidelberg
oP seit SS 70
t, Dr. iur., o. Professor, Honorarprofessor an der UniGP SS 62 oP WS 62/63 - SS 69
Müller, Alban, Pater, S. J.
ASS 63- SS 64
Müller, Horst Josef, Regierungsrat im Bayerischen Staatsministerium des
Innern
A WS 67/68 - WS 69170
Neuner, Johann, Verwaltungsgerichtsdirektor a. D. Noll, Alfons, LL. M., Conseiller juridique
a la
LB WS 50/51
Division des Stupefiants de I'O.N.U. (Internationale Rauschgiftkommission der UNO), Genf A WS 66/67, R SS 67
Nordmann, Harald, Oberregierungsrat beim Minister für Bundesangelegen-
heiten des Landes Nordrhein-Westfalen
A WS 66/67 - SS 67
Normann, Klaus von, Oberregierungsrat beim Minister für Mittelstand und
Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen
LB SS 71
Oeftering, Heinz, Dr. iur., Erster Präsident der Deutschen Bundesbahn, Ho-
norarprofessor an der Universität Mainz
Oppler, Kurt, Dr. iur., Botschafter a. D.
SS 47 - SS 48 TP WS 48/49 - SS 49 GP WS 49/50 - SS 53 LB SS 49
Paulick, Heinz, Dr. iur., o. Professor an der Universität Würzburg LB SS 59 - SS 61 Pawlowski, Hans-Martin, Dr. iur., o. Professor an der Universität Mannheim GP SS 68 Peters, J. F. H., Dr. iur.
D WS 47/48 - SS 49
86
Franz Knöpfle
Pietzner, Rainer, Assessor Postius, Johannes, Dr. phil., Oberstudiendirektor Ramstetter, Benno, damals Oberstaatsanwalt Ranft, Christian, Dipl.-Soz.
A seit WS 69170 LB SS 48 -
SS 49
WS 47/48 - SS 48 R SS 68 - WS 69170
Reichel, Gerhard Hans, Dr. iur., Oberregierungsrat im Bayerischen Staats-
ministerium des Innern
ASS 70 - SS 71 seit 1. 1. 1971 Rektoratsassistent Reinermann, Heinrich, Dr. rer. pol., Dipl.-Kfm., Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensforschung der Universität Mannheim LB seit WS 71172 Reinheimer, Wilhelm, Präsident des Oberlandesgerichts Zweibrücken LB WS 51/52 - SS 67 Reiter, Hans, Dr. rer. pol., Dipl.-Ing., Dipl.-Volkswirt, Technischer Geschäftsführer A WS 59/60 - WS 61/62 Renzing, Rüdiger, Dr. rer. pol., Akademischer Oberrat am Auslands- und Dolmetscherinstitut der Universität Mainz in Germersheim L seit WS 68/69 Reuß, Wilhelm, Dr. iur., Staatssekretär a. D., Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Darmstadt und an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer LB SS 57 - SS 59 HoP seit WS 59/60 Rose, Klaus, Dr. rer. pol., Dipl.-Volkswirt, o. Professor an der Universität Mainz LV WS 70/71 Rößler, Peter, Dr. iur. h. c., Präsident des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg, Honorarprofessor an der Universität Hohenheim LB seit SS 61 Roth, Georg, Dr. iur., Regierungsdirektor an der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung beim Bundesminister des Innern A SS 59 - WS 64/65 R SS 65 - SS 68 Rudolf, Walter, Dr. iur., o. Professor an der Universität Mainz A SS 58 - WS 58/59 Rüggeberg, Jörg, Oberregierungsrat in der Staatskanzlei des Landes Rhein-
land-Pfalz
R SS 68 - SS 70
Rupp, Hans, Dr. iur., Richter am Bundesverfassungsgericht, Honorarprofessor an der Universität Tübingen LB WS 53/54 -- SS 55
25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
87
Rupp, Hans-Heinrich, Dr. iur., o. Professor an der Universität Mainz A WS 56/57 - WS 58/59 Ryffel, Hans, Dr. phil., o. Professor SaTtoTius, Otto, Dr. phil., Weingutsbesitzer
oP seit WS 62/63 D SS 47 - WS 47/48
SaueTmost, Heinz, Präsident des Rechnungshofes Rheinland-Pfalz a. D.
LB SS 53 - SS 65
SchaedeT, Reinhard, Dr. rer. pol., o. Professor
oP seit WS 52/53
ScheeTbaTth, Hans Walter, Dr. iur., Ministerialrat in der Staatskanzlei Nord-
rhein-Westfalen
LB WS 61/62 - WS 62/63
ScheTzbeTg, Kurt, damals Verwaltungsschuldirektor a. D.
L WS 47/48
SchlebeTgeT, Erwin, Stellvertretender Leiter des Statistischen Landesamtes
des Landes Nordrhein-Westfalen
Schiffmann, Gerfried, Landgerichtsrat
LB SS 64 - WS 65/66 R seit WS 71/72
Schilling, Karl Jürgen, Dr. iur., Regierungsdirektor im Sozialministerium des
Landes Rheinland-Pfalz
A WS 64/65 - SS 65
Schmidt, Eberhard, Dr. iur., em. o. Professor an der Universität Heidelberg
GP SS 50
Schmitz, Hans Jürgen, Dr. phil., Regierungsrat in der Staatskanzlei des Lan-
des Rheinland-Pfalz
SchnuT, Roman, Dr. iur., o. Professor
Scholz, Georg, Dr. iur., Rechtsanwalt und Repetitor
A SS 66 - WS 70/71 LB seit WS 70/71 A WS 56/57 - WS 60/61 R SS 62 - 63/64 LB SS 61 - WS 63/64 oP seit WS 68/69 A SS59-SS 61
Schott, Erich, Dr. iur., Landgerichtsdirektor beim Landgericht Aschaffenburg
LB seit SS 68
SchTödeT, Heinrich Josef, Dr. iur., Regierungsrat
ASS 69-SS 71 R seit WS 71/72
SchTödeT, Jürgen, Dr. rer. pol., Dipl.-Volkswirt, Professor an der Universität
Mainz
LB SS 71 LV WS 71/72
88
Franz Knöpfle
Schilhly, Alfred, Dr. iur., Staatsminister a. D., Präsident des Verwaltungsge-
richtshofs a. D., Honorarprofessor an der Universität Freiburg/Br. LB SS 55 - WS 60/61
t, Dr. iur., o. Professor an der Universität Tübingen, Honorarprofessor an der Universität Heidelberg GP SS 50 Schunck, Egon, Dr. iur., Richter am Bundesverfassungsgericht a. D., Honorarprofessor LB SS 49 - WS 53/54 HoP seit SS 54 Schille, Adolf,
Schwarz, Günther, damals Organisator
D SS47
SeUmann, Klaus-Albr€cht, Dr. iur., Oberkreisdirektor des Landkreises Fal-
lingbostel
A WS 66/67 - WS 67/68
Siebrecht, Valentin, Dr. rer. pol., Dipl.-Volkswirt, Präsident des Landesar-
beitsamtes Südbayern
LB seit WS 70/71
Siedentopf, Heinrich, Dr. iur., apl. Professor
A SS 69 - WS 70/71 aplP seit SS 71 Siegmund-Schultze, Gerhard, Dr. iur., Ministerialrat beim Ni-edersächsischen Minister des Innern ASS 61- SS 63 Simmat, Wilhelm, Dipl.-Psychologe, Verwaltungsoberrat, Ltd. Psychologe des Landesarbeitsamtes Hessen LB seit WS 70/71 Skopp, Paulus, Dr. rer. pol., Oberbürgermeister a. D., M. d. L., Ehrensenator der Hochschule LB SS 49 - WS 50/51 Smolka, Georg, Dr. phi!., em. o. Professor D WS 47/48 - SS 49 LB SS 50 - WS 53/54 aoP SS 54 - WS 59/60 oP seit SS 60 Spitaler, Armin, t, Dr. iur., o. Professor an der Universität Köln GP SS 51 Stamm, Albert, Dr. iur., Direktor i. R. LB seit WS 58/59 Steidel, Arno, Oberverwaltungsgerichtsrat am Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz R S5 67 - WS 67/68 LB SS 69 Steppert, Armin, Verwaltungsgerichtsrat am Verwaltungsgericht Neustadt Kammer Mainz A WS 55/56 - SS 57 Sternberg, Dietrich, Assessor
A seit WS 71/72
25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
89
Stich, Rudolf, Dr. iur., Ministerialrat a. D., o. Professor an der Universität
Trier-Kaiserslautern
LB WS 59/60 - WS 69/70 WS 71/72
Stingl, Josef, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit
LB seit WS 70/71
Stöckle, Joachim, Regierungsdirektor im Ministerium des Innern des Landes
Rheinland-Pfalz, Leiter des Landesrechenzentrums R WS 67/68 - SS 68
Stilper, Karl Heinz, Dipl.-Volkswirt, Dr. rer. pol., Vorstandsmitglied der Bay-
erischen Elektrizitäts-Lieferungs-Gesellschaft AG, Bayreuth A WS 53/54 - SS 55
Stump, Wolfgang, Dr. phi!.
A seit WS 70/71
t, Dr. iur., Botschafter a. D., o. Professor an der Universität
Süss, Theodor,
Köln
oP SS 47 - WS 48/49 GP SS49 oP WS 49/50 - WS 50/51
Süsterhenn, Adolf, Dr. iur., Staatsminister a. D., Präsident des Oberverwal-
tungsgerichts Rheinland-Pfalz a. D., Honorarprofessor HoP seit WS 51/52
Thiele, Herbert, Thieme, Karl,
heim)
t, Dr. phil., Oberstudiendirektor
LB SS 47 - WS 47/48
t, Dr. phil., o. Professor an der Universität Mainz (Germers-
ThierfeZder, Hermann,
Baden-Württemberg
GP SS 47 - WS 47/48
t, Dr. iur., Ministerialdirigent im Innenministerium LB SS 61 - WS 61/62
Thumm, Ludwig, Dr. iur., Bundesrichter am Bundesgerichtshof
LB seit WS 67/68
UZe, earl Hermann, Dr. iur., Oberverwaltungsgerichts-Vizepräsident a. D., o.
Professor
oP seit SS 55
Veltmann, Gerhard, Oberregierungsrat beim Regierungspräsidenten in Aa-
chen
A WS 64/65 - SS 65
Wagener, Frido, Dr. iur., Beigeordneter a. D., o. Professor
PD SS 69 - WS 69/70 oP seit SS 71
WaZdhausen, Hubertus, Ministerialrat beim Innenminister des Landes Nord-
rhein-Westfalen
Weber, Eberhard, Dr. iur., Assessor
ASS54 A seit WS 71/72
90
Franz Knöpfle
Wegner, Otto, Dr. iur., Ministerialdirigent a. D., Honorarprofessor an der
Universität Mainz
D 8848 - 88 49 LB W8 49/50 - 88 51
Wenz, Helmut,
t, Dr. iur., Regierungsdirektor
Wessel, Franz,
t, Bundesrichter und Richter am Bundesverfassungsgericht
LB 88 51 - 88 58 LB 88 54
Winschuh, Josef,
t, Dr. rer. pol., Dr. iur. h. c., Fabrikbesitzer
LB 8848
Witaschek, Wolfram, Oberregierungsrat beim Innenminister des Landes
Nordrhein -Westfalen
Wittmann, Karl Heinrich,
LB 88 70
t, cand. phil.
WS 64/65 - WS 65/66
Wunder, Gerhard, Dr. iur., Dr. phi!., Oberregierungsrat bei E8RO/ESOC.
Darmstadt
R WS 63/64 - SS 65
Zachäus, H., Dr., damals Hauptschriftleiter Zauner, Alfred, Dr. iur. Zeidler, Karl,
t. Dr. iur., o.
SS 48 A seit WS 71/72
Professor an der Universität Freiburg A WS 54/55 - 8S 55, LB SS 59 - SS 60
Zieger, Gottfried, Dr. iur., Abteilungsvorsteher und Professor an der Univer-
sität Göttingen
LV WS 70/71
Zurhausen, Guido, Ltd. Ministerialrat beim Arbeits- und Sozialminister des
Landes Nordrhein-Westfalen
A WS 53/54
Anhang E: Fortbildungsveranstaltungen und Fortbildungstagungen (WL
= Wissenschaftliche Leitung)
I. Staatswissenschaftliche Fortbildungstagungen
1. vom 2. 7.-31. 7. 1947 Arbeitsverwaltung, Kommunalverwaltung, allgemeine Verwaltung WL: Regierungsdirektor Minzenmay i. V. m. Professor Dr. Dr. Becker
25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
91
vom 22. 7.-25. 7. 1948 Arbeitslosenversicherung und wertschaffende Arbeitslosenfürsorge WL: Regierungsdirektor Minzenmay i. V. m. Professor Dr. Dr. Becker 3. vom 2. 11.-13. 11. 1948 Berufsberatung WL: Regierungsdirektor Minzenmay i. V. m. Professor Dr. Dr. Becker 2.
4.-8.
vom 1. 8.-30. 10. 1949 Staats-, verwaltungs- und wirtschaftswissenschaftliche Probleme. Fortbildung für Angehörige des Vereinigten Wirtschaftsgebietes WL: Präsident Professor Dr. Haußmann i. V. m. Professor Dr. Dr. Becker
9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
16. 17. 18.
19. 20.
vom 16. 1.-28. 1. 1950 Staats-, verwaltungs- und wirtschaftswissenschaftliche Probleme WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 23. 4.-29. 4. 1950 Staat, Verwaltung und Wirtschaft WL: Professor Dr. Dr. Beclcer vom 16.10.-27.10. 1950 Staat und Gemeinde WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 26. 2.-7. 3. 1951 Finanzen, Steuern und betriebswirtschaftliche Erwägungen WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 16.4.-21. 4. 1951 Verwaltungsreform WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 8. 10.-12. 10. 1951 Jugendfragen in Staat und Gesellschaft WL: Professor Dr. Gehlen vom 6. 10.-8. 10. 1952 Innere Organisation, Verwaltungs- und Finanzverantwortung der Gemeinden im Gefüge der Bundesrepublik WL: Professor Dr. Köttgen vom 24. 3.-26. 3. 1953 Ländliche Selbstverwaltung WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 1. 10.-3.10. 1953 Die öffentliche Verwaltung und die Verwaltungsgerichtsbarkeit WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 23. 3.-25. 3. 1954 Wandlungen der Verwaltungsaufgaben, des Rechtsschutzproblems und der Struktur des öffentlichen Dienstes WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 28.9.-30. 9. 1954 Strukturwandel des öffentlichen Dienstes WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 29. 3.-31. 3. 1955 Die Leistungen der öffentlichen Verwaltung und ihre Kontrollen WL: Professor Dr. Dr. Becker
92
Franz Knöpfle 21. vom 27.9.-29. 9. 1955 Probleme der Sozialordnung WL: Professor Dr. Dr. Becker 22. vom 22. 3.-24. 3. 1956 Die Neuordnung der Landesverwaltung (Rationalisierung, Organisation, Zuständigkeit, Verfahren) (stellt zugleich die 1. verwaItungswissenschaftliche Arbeitstagung dar) WL: Professor Dr. Dr. Becker 23. vom 27.9.-29.9.1956 Grundfragen der VerwaItungsreform in Bund, Ländern und Gemeinden WL: Professor Dr. Dr. Becker 24. vom 27.3.-29.3.1957 Staat und Kultur WL: Professor Dr. Dr. Becker 25. vom 25. 9.-27. 9. 1957 Öffentliche Sicherheit und Ordnung WL: Professor Dr. Dr. Becker 26. vom 24. 9.-26. 9. 1958 Europäische Organisationen WL: Professor Dr. Bülck 27. vom 23.4.-25.4.1959 Kommunale Finanzen WL: Professor Dr. Dr. Becker 28. vom 23. 3.-25. 3. 1960 Aktuelle Probleme des Verwaltungshandelns WL: Professor Dr. Dr. Becker 29. vom 22. 3.-24. 3. 1961 Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden WL: Professor Dr. Dr. Becker 30. vom 11. 4.-13. 4.1962 Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung WL: Professor Dr. Dr. Becker 31. vom 3. 4.-5. 4. 1963 Aktuelle Probleme der Kommunalaufsicht WL: Professor Dr. Dr. Becker 32. vom 22. 4.-24. 4. 1964 Staat und Wirtschaft im nationalen und übernationalen Recht WL: Professor Dr.Bülck, Professor Dr. Ryffel 33. vom 31. 3.-2. 4. 1965 Verfassungs- und VerwaItungsprobleme der Raumordnung und Landesplanung WL: Professor Dr. Dr. Becker 34. vom 30.3.-31. 3.1966 Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung WL: Professor Dr. Dr. Becker i. V. m. Professoren Bülck, Morstein Marx und Ule
25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
93
35. vom 19.4.-21. 4. 1967 36. 37. 38. 39.
40.
Öffentlicher Dienst und politischer Bereich WL: Professor Dr. Knöpfle vom 3. 4.-5. 4. 1968 Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 26.3.-28.3.1969 Funktionsgerechte Verwaltung im Wandel der Industriegesellschaft WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 7.4.-9.4.1970 Zehn Jahre Verwaltungsgerichtsordnung - Bewährung und ReformWL: Professor Dr. Ule vom 31. 3.-2. 4. 1971 Entwicklung der Aufgaben und Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 21. 3.-24. 3. 1972 Regierungsprogramme und Regierungspläne WL: Professor Dr. Dr. Becker
11. Kurse zur berufsbegleitenden Fortbildung der Verwaltungsbeamten des höheren Dienstes
Mit der Durchführung der Kurse für Beamte der Eingangsstufe wurde im Frühjahr 1971 begonnen. Der 1. Kurs fand in der Zeit vom 8.-20. März 1971, der II. vom 4.-16. Oktober 1971 und der III. vom 28. Februar bis 11. März 1972 statt. Der I. Kurs zur Fortbildung von Verwaltungsbeamten der mittleren Beförderungsstufen wurde in der Zeit vom 6.-10. März 1972 veranstaltet. 111. Verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagungen
1.
2.
3.
4.
5.
vom 22. 3.-24. 3. 1956 Die Neuordnung der Landesverwaltung (Rationalisierung, Organisation, Zuständigkeit, Verfahren) (stellt zugleich die 22. staatswissenschaftliche Fortbildungstagung dar) WL: Professor Dr. Dr. Becker vom 6. 2.-9. 2. 1957 Die gegenwärtige Lage der Verwaltung und der Stand der verwaltungswissenschaftlichen Forschung in den europäischen Staaten WL: Professor Dr. Ule vom 6. 3.-8. 3. 1958 Mitwirkung von Ausschüssen in der staatlichen Verwaltung - Möglichkeiten, Bewährung und Grenzen WL: Professor Dr. Ule vom 24.9.-26.9. 1959 Die Ausweitung des öffentlichen Dienstes in der staatlichen und kommunalen Verwaltung - Ursachen, Folgen, Abhilfe WL: Professor Dr. Ule vom 13.9.-15.9. 1960 Staatswissenschaftliche Probleme der Gegenwart Lehrtagung ehemaliger Referendare
Franz Knöpfle
94 6.
vom 27.9.-29. 9. 1961 Gegenwartsprobleme des öffentlichen Haushalts WL: Professor Dr. Dr. Becker
7.
vom 26. 9.-27. 9.1962 Probleme der juristischen Ausbildung in der Verwaltung Verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagung WL: Professor Dr. Mayer, Professor Dr. Ule
8.
vom 25.9.-27.9.1963 Städteerneuerung und Eigentumsordnung Verwaltungswissenschaftliche Arbeitstagung mit internationaler Beteiligung WL: Professor Dr. UZe
9.
vom 21. 10.-23. 10. 1964 Die Verwaltungsausbildung der Juristen Verwal tungswissenschaftliche Arbeitstagung WL: Professor Dr. Dr. Becker, Professor Dr. Ule
10. vom 28. 4.-30. 4. 1966
Struktur der deutschen Verwaltung (Föderalismus und Probleme der Zentralisation und Dezentralisation) Gemeinsame Tagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer mit der :Ecole Nationale d'Administration, Paris WL: Professor Dr. Ryffel
11. vom 19.10.-21. 10. 1966
Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage WL: Professor Dr. Morstein Marx
12. vom 25.9.-27.9.1968
Verwaltungswissenschaft in europäischen Ländern: Stand und Tendenzen WL: Professor Dr. Morstein Marx
13. vom 14.9.-17.9.1971
Aktuelle Probleme der Ministerialorganisation WL: Professor Dr. Schnur
Anhang F: Sduiften der HomsdlUle Die Bände 1 bis 6 sind erschienen im Verlag J. C. B. Mohr, Tübingen, die Bände 7 bis 10 im Verlag Kohlhammer, Stuttgart, die Bände ab Band 11 im Verlag Duncker & Humblot, Berlin. Stand: 1. Januar 1972 Band 1 Hermann Haußmann, Ordnung und Idee als Grundbegriff einer allgemeinen Verwaltungswissenschaft, 1949. 2 Arnold Gehlen, Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, 1949. 3 Resi Koller, Das Flüchtlingsproblem in der Staatsverwaltung, 1949.
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4 Friedrich Giese, Enteignung und Entschädigung früher und heute. Eine verfassungstheoretische Untersuchung, 1950. 5 Carl Hermann UZe, Das Bonner Grundgesetz und die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1950. 6 Georg Strickrodt, Die Finanzverfassung des Bundes als politisches Problem, 1951. 7 Georg Kratz, Mittelrhein-Saar. Eine verwaltungsgeschichtliche Studie, zugleich ein Beitrag zur Verwaltungsneugliederung nach der Kapitulation, 1954. B Kommunale Finanzen, Vorträge und Diskussionsbeiträge des 27.
Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1959.
9 Willi Geiger, Die Grundrechte in der Privatrechtsordnung, 1960. 10 Wilhelm Reuß / Kurt Jantz, Sozialstaatsprinzip und soziale Sicherheit, 1960. 11 Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 29. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1961. 12 Gegenwartsprobleme des öffentlichen Haushalts. Vorträge, Berichte und Diskussionsbeiträge der internationalen verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1962. 13 Wandlungen der rechtsstaatlichen Verwaltung. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 30. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskurses der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1962. 14 Franz Mayer, Das Opportunitätsprinzip in der Verwaltung, 1963. 15 Fritz Morstein Marx, Amerikanische Verwaltung. Hauptgesichtspunkte und Probleme, 1963. F
16 Franz Becker / Niklas Luhmann, Verwaltungsfehler und Vertrauensschutz. Möglichkeiten gesetzlicher Regelung der Rücknehmbarkeit von Verwaltungsakten, 1963. 17 Probleme der juristischen Ausbildung in der Verwaltung. Vorträge und Diskussionsbeiträge der verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1963.
F
IB Friedrich Jonas, Staatliche Hilfe bei wirtschaftlichen Strukturänderungen, dargestellt am Cotton Industry Act 1959, 1963. 19 Aktuelle Probleme der Kommunalaufsicht. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 31. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1963.
F
20 Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 1964. 21 Städteerneuerung und Eigentumsordnung. Vorträge und Diskussionsbeiträge der verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. 1964.
96
Franz Knöpfle 22 Staat und Wirtschaft im nationalen und übernationalen Recht. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 32. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1964.
F
23 Peter Düwel, Das Amtsgeheimnis, 1965.
F
24 Niklas Luhmann, Öffentlich-rechtliche Entschädigung rechtspolitisch betrachtet, 1965. 25 Die Verwaltungsausbildung der Juristen. Vorträge und Diskussionsbeiträge der verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1965. 26 Fritz Morstein Marx, Das Dilemma des Verwaltungsmannes, 1965. 27 Verfassungs- und Verwaltungsprobleme der Raumordnung und Landesplanung. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 33. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1965.
F
28 Elmar Breuckmann, Die Vorbereitung auf den höheren Verwaltungsdienst. Eine historische und vergleichende Untersuchung, 1965.
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29 Niklas Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung, 1966. 30 Sachverstand und Verantwortung in der öffentlichen Verwaltung. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 34. Staatswissenschaftlichen Fortbildungskursus der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1966.
F
31 Carl Hermann Ule in Verb. mit Franz Becker und Klaus König, Verwaltungsverfahrensgesetze des Auslandes, 1967. 32 Hartwig Bülck (Hrsg.), Zur Stellung der Mitgliedstaaten im Europarecht, 1967. 33 Zur Struktur der deutschen Verwaltung. Föderalismus und Probleme der Zentralisation und Dezentralisation. Vorträge und Diskussionsbeiträge der gemeinsamen Tagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer mit der Ecole Nationale d'Administration Paris, 1967. 34 Die Staatskanzlei: Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage. Vorträge und Diskussionsbeiträge der verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1967.
F
35 Fritz-Achim Baumann, Die allgemeine untere staatliche Verwaltungsbehörde im Landkreis, 1967.
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36 Friedrich Fonk, Die Behörde des Regierungspräsidenten, Funktionen - Zuständigkeiten - Organisation, 1967. 37 Öffentlicher Dienst und politischer Bereich. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 35. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1968.
F
38 Georg Roth, Die Gefahrenvorsorge im sozialen Rechtsstaat, 1968.
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39 Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 36. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1968. F
40 earl Hermann UZe (Hrsg.), Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes zur Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes, 1969.
H
41 Frido Wagener, Neubau der Verwaltung. Gliederung der öffentlichen Aufgaben und ihrer Träger nach Effektivität und Integrationswert, 1969. 42 Verwaltungswissenschaft in europäischen Ländern. Stand und Tendenzen. Vorträge und Diskussionsbeiträge der internationalen verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1968. 43 Funktionsgerechte Verwaltung im Wandel der Industriegesellschaft. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 37. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1969.
F
44 Gottfried Herbig, Die öffentlichen Einrichtungen im sozialen Rechtsstaat der Gegenwart, 1970. 45 Zehn Jahre Verwaltungsgerichtsordnung. Bewährung und Reform. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 38. Staatswissenschaftlichen Fortbildungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1970.
F, H 46 Klaus König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, 1970. 47 Entwicklung der Aufgaben und Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden. Vorträge und Diskussionsbeiträge der 39. Staatswissenschaftlichen FortbiIdungstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1971. Demnächst erscheint: 48 Aktuelle Probleme der Ministerialorganisation. Vorträge und Diskussionsbeiträge der internationalen verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1972.
I. Historische und systematische Aspekte
Zur Beamtenpolitik des Reiches von Bismarck bis Brüning Von Rudolf Morsey I. Vorbemerkungen Der Titel dieser Festschrift "Demokratie und Verwaltung" würde es, streng genommen, dem Historiker kaum erlauben, den Blick auf die Geschichte der Reichsverwaltung und Beamtenpolitik vor 1918 zu richten. Dennoch beruhen die beamtenpolitischen Zielsetzungen und Maßnahmen der Reichsregierungen wie der Länderregierungen in der Zeit der Weimarer Republik auf den Grundlagen, Konzeptionen und Praktiken, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausgebildet und mit zunehmender Dauer und Stabilisierung des monarchisch-konservativen Systems im Bismarckschen und Wilhelminischen Reich verfestigt haben. Darin liegt ein Grund für einen historischen Rückblick. Hinzu kommt die Tatsache, daß angesichts des Fehlens einer spezifisch "reichischen" Verwaltungs- und Beamtentradition die entsprechenden Normen der Reichsleitung - eine "Reichsregierung" hat es im staatsrechtlichen Sinne bis zur "Oktoberverfassung" von 1918 nicht gegeben - preußischen Maßstäben und Traditionen entstammten. Die allmähliche Ablösung von dieser einzelstaatlichen Grundlage begann mit der Verabschiedung und Fortentwicklung der ReichsbeamtenGesetzgebung. Im gleichen Sinne wirkte die zunehmend stärkere personelle Trennung der Reichsbeamtenschaft von der preußischen Wurzel, wenngleich sich noch in den neunziger Jahren selbst Reichskanzler und Staatssekretäre nichtpreußischer Herkunft - wie wir von Hohenlohe-Schillings fürst und Marschall nur zu gut wissen - gegenüber der preußischen Bürokratie und Machtstruktur nur schwer durchzusetzen vermochten. Für einen fundierten überblick über die Beamtenpolitik im Reich, ihre Ausleseprinzipien, Versetzungs- und Beförderungspraktiken, aber ebenso für die soziale Herkunft und Bindung der Beamtenschaft und ihre politische Ausrichtung für die Zeit nach 1890 fehlen immer noch so gut wie alle Vorarbeiten1 • Hingegen sind wir über die entsprechen1
Die von mir 1957 gewonnenen Ergebnisse über die Beamtenpolitik Bis-
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Rudolf Morsey
den Entwicklungen in einigen Bundesstaaten, insbesondere in Preußen, besser informiert, wenngleich auch die großen territorialen Verwaltungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts noch keineswegs ausreichend, geschweige denn mit einigermaßen gleichgerichteter Fragestellung (trotz unterschiedlicher Materialgrundlage) untersucht worden sind. Der verdienstvollen Arbeit von Wolf gang Runge über die preußische Beamtenpolitik in der Zeit der Weimarer Republik 2 sind vergleichbare Studien für andere deutsche Länder vor und nach 1918 noch nicht gefolgt. Die Minusbilanz in der historischen Erfors.chung der Geschichte des Beamtentums erklärt sich nicht zuletzt aus dem Gegenstand seiner Betrachtung. Er entzieht sich jeglicher Pauschalurteile und erfordert zur Urteilsbildung - abgesehen von der Kenntnis der institutionellen Entwicklung, des jeweiligen "Regierungsprogramms" und seiner strukturellen Grundlagen - die Summierung und Auswertung einer Vielzahl von 'einzelnen Beamtenschicksalen und -lebensläufen. Da aber gerade die Personalakten kaum Hinweise auf (partei-)politische Betätigung, Zuneigung oder Patronage bieten, ergeben sich langwierige, nicht immer kurzweilige Vorarbeiten3 . Im übrigen werden derartige Studien vielfach dadurch erschwert, daß Personalakten verloren gegangen oder aber unzugänglich sind. 11. Im Zeitalter Bismarcks
Um eine 'einheitliche Durchsetzung der Regierungslinie, gegen die zunächst in der Reichsbeamtenschaft keinerlei Opposition bestand, zu gewährleisten, besaß die Reichsleitung eine Reihe von Möglichkeiten. marcks im Reich (Die oberste Rcichsverwaltung unter Bismarck 1867-1890. Münster 1957, S. 242 ff., und ders., Zur Geschichte der obersten Reichsverwaltung im Wilhelminischen Deutschland [1890-1900], in: Deutsches Verwaltungsblatt 86, 1971, S. 8 ff.) bedürfen dringend einer Fortsetzung. Vgl. den Literatur-Hinweis in dem letztgenannten Aufsatz, Anm. 2. 2 Politik und Beamtentum im Parteienstaat. Die Demokratisierung der politischen Beamten in Preußen zwischen 1918 und 1933. Stuttgart 1965. An Hand der einschlägigen Akten des preußischen Staats- und Innenministeriums im Deutschen Zentral archiv, Abt. Merseburg - deren Benutzung Runge nicht gestattet wurde (S. 13) - lassen sich zweifelsohne noch Korrekturen und Ergänzungen anbringen. 3 Es ist bemerkenswert, daß Theodor Eschenburg in seinen einschlägigen Schriften (Ämterpatronage. Stuttgart 1961; Der Beamte in Partei und Parlament. Frankfurt 1952) auf die Reichsbürokratie gar nicht eingeht, sondern seine Beispiele für Patronage- und Parteibuch-Beamtentum einzelstaatlichen, vor allem preußischen Verhältnissen entnimmt. Noch mehr überrascht, daß Helmut Böhme noch 1966 zur Personalpolitik in der Reichsverwaltung unter Bismarck auch die (bekannte) Feudalisierung in der preußischen Staatsverwaltung gerechnet wissen will. Deutschlands Weg zur Großmacht. Köln 1966, S. 582 Anm. 318.
Zur Beamtenpolitik des Reiches von Bismarck bis Brüning
103
Dazu gehörten die Einstellung bzw. (angesichts des Fehlens eigenen Beamtennachwuchses) übernahme solcher Kandidaten für den höheren Verwaltungsdienst, von denen keinerlei Opposition zu erwarten war, aber auch die "Säuberung" der Ressorts von "widerspenstigen" und politisch andersdenkenden Beamten. Das galt insbesondere für die Kategorie der sogenannten politischen Beamten, die nach Analogie der preußischen Lösung von 1849/52 4 geschaffen worden waren und deren Kreis sich im Laufe der Zeit ausweitete. Bezeichnenderweise war es Bismarck 1873 bei der Verabschiedung des Reichsbeamtengesetzes nicht gelungen, auch die Vortragenden Räte der obersten Reichsbehörden vollständig in den Kreis der "politischen Beamten" aufnehmen zu können. Dagegen hatte die liberale Reichstagsmehrheit erfolgreich opponiert und durchgesetzt, daß die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nur bei denjenigen Beamten möglich war, bei denen der Anstellungsvertrag ausdrücklich di-ese Möglichkeit vorsah. Dieser Vorbehalt aber durfte bei nicht mehr als der Hälfte der im Dienst befindlichen Vortragenden Räte und etatmäßigen Hilfsarbeiter gemacht werdens. Infolgedessen konnte der Reichskanzler 1878/79, im Zusammenhang seiner bedeutsamsten innenpolitischen Kursänderung - der konservativen Wende, die man neuerdings zu anspruchsvoll gern als "zweite Reichsgründung" bezeichnet die Ressorts nicht vollständig "purifizieren" (Bismarck), um den gewünschten Beamtenschub zu erreichen, ohne dabei die Reichsverwaltung zu schädigen, offene Rechtsverletzungen zu begehen und unnötige politische Aufmerksamkeit zu erregen. Sein Ziel erreichte er kraft seiner persönlichen Autorität, die er rücksichtslos einzusetzen wußte, und dank der Rückendeckung durch den Kaiser auf dem Wege von Versetzungen, gezielter Handhabung von Beförderungen, Änderung der Kompetenzen, Anreiz und Belohnung durch Orden, Auszeichnungen, Titel usw. 6 • Spätestens seit der Ersetzung Rudolf Delbrücks an der Spitze des Reichskanzleramts (1876) durch den wirtschaftspolitisch nicht als Freihändler "vorbelasteten" hessischen Ministerpräsidenten Karl Hofmann7 wußte Bismarck, daß 4 Vgl. Fritz Hartung, Studien zur Geschichte der preußischen Verwaltung, 2. Teil, in: Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze. Berlin 1961, S. 248 ff. S Gerhard Stoltenberg, Der Deutsche Reichstag 1871-1873. DÜ3seldorf 1955, S.122. ft Dazu vgl. R. Morsey, Die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck, S. 273 ff. 7 Daß Hofmann auf Empfehlung Delbrücks dessen Nachfolge antrat, kann außer durch Äußerungen Bismarcks (vgl. R. Morsey, ebd., S. 84 Anm. 1) auch durch den Briefwechsel Delbrück - Hofmann vom 1./3. April 1876 belegt werden. Danach ist der hessische Politiker von Delbrücks Angebot überrascht und
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Rudolf Morsey
ein Personenwechsel auf wenigen Spitzenpositionen ausreichte, um die gewünschte "politische Zuverlässigkeit" der höheren Beamtenschaft, auf die es in erster Linie ankam, zu erreichen. Das wurde bei der Besetzung der Spitzenposten in dem 1879 neu geschaffenen Reichsschatzamt drastisch sichtbar. - Die Gesamtzahl der Beamten (im Range eines Vortragenden Rats und darüber), mit denen es die Reichsleitung noch in den neunziger Jahren zu tun hatte, lag übrigens bei nur 1208 und bildete damit eine leicht überschaubare Größe. Die Tatsache, daß sich Reichskanzler v. Bülow 1907 veranlaßt sah, bei der Neufassung des Reichsbeamtengesetzes auch die Vortragenden Räte der Reichskanzlei - also einer Behörde ohne spezielle Verwaltungstätigkeit - in die Kategorie der politischen Beamten aufzunehmen, entsprach der gesteigerten Bedeutung dieser Position, war aber auch ein Indiz für die geminderte Autorität des Reichskanzlers. Am Beispiel der Beamtenpolitik Bismarcks läßt sich - allerdings mehr in Preußen als im Reich, dessen Verwaltung, von der Heichspost abgesehen, keinen Unterbau im Lande besaß - zeigen, daß die Regierung nicht nur einheitlich gouvernementale Gesinnung und passiven Gehorsam ihrer Beamtenschaft voraussetzte, sondern auch den aktiven Einsatz für ihre Politik verlangte. Das kam am sichtbarsten zum Ausdruck in den Anweisungen zur Wahlbeeinflussung im Sinne der konservativen Regierungsparteien, wie sie den Verwaltungsinstanzen im Lande bis hin zu den Landräten immer wieder eingeschärft wurden. Diese Indoktrination, die seit 1851 das Charakteristikum der "Reaktionsära " bildete9 , wurde in der Folgezeit mit wechselnder Intensität und Geschicklichkeit fortgesetzt und in der Ära des Kulturkampfs um den Begriff der kirchlichen bzw. kirchenpolitischen Unzuverlässigkeit bereichert. In dessen Zeichen wurden zahlreiche katholische Beamte, insbesondere Landräte, überwacht, verwarnt oder - so besonders in Westfalen - ihres Amtes enthoben10 • Diese Politik führte wiederholt zu offenen Konflikten, wenn Beamte sich nicht aktiv genug als "Wahlhelfer" betätigten oder gar in ihrer Eigenschaft als Parlamentarier im Preußischen Abgeordnetenhaus ge"erschreckt" worden. PoIlt. Archiv des Auswärtigen Amtes, Pol. Abt. I AA a 62 Gen. 8 Nach John C. G. Röhl, Beamtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland, in: Das kaiserliche Deutschland, hrsg. von Michael Stürmer. Düsseldorf 1970, S.308.
o Es wäre festzustellen, ob die bis 1848 in Preußen geführten "geheimen Konduitenlisten", mit deren Hilfe die politische. Grundeinstellung der höheren Beamten überwacht wurde (vgl. Dietrich Wegmann, Die leitenden staatlichen Verwaltungsbeamten der Provinz Westfalen 1815-1918. Münster 1969, S. 50). später in anderer Form wiederaufgelebt sind. 10 Ebd., S. 182 ff.
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gen Regierungsvorlagen stimmten. Der einseitig konservative Kurs der preußischen Beamtenpolitik der achtziger Jahre verknüpft sich zwar mit dem Namen des Innenministers v. Puttkamer (1881-1888), lag aber durchaus in der Konsequenz von Bismarcks Zielsetzungen und bildete infolge seiner flankierenden Absicherung ein abschreckendes Beispiel für den Reichsdh:mst. Das gilt unbeschadet der Tatsache, daß Bismarck selbst den von ihm eruierten königlichen Erlaß vom 4. Januar 1882, der den preußischen Beamten die Vertretung der Regierungspolitik "auch bei den Wahlen" einschärfte, angesichts heftiger Kritik im Reichsparlament und in der öffentlichen Meinung interpretatorisch zu entschärfen suchtelI. 111. Im Wilhelminischen Deutschland Die Formel von der notwendigen "rückhaltlosen Hingabe an die Krone" bildete den Ausgangspunkt auch für die Reichsleitung, um mögliche Loyalitätskonflikte zwischen König und Regierung bzw. zwischen Krone und Staat auf der einen und der Treue zur beschworenen Verfassung auf der anderen Seite von vornherein zu ihren Gunsten zu entscheiden. Nachdem es Bismarck 1867 nicht hatte verhindern können, daß Beamten das aktive Wahlrecht zum Reichstag zugestanden wurde, suchte er auf andere Weise sicherzustellen, daß keine Durchbrechung oder Erschwerung des einheitlichen Staats- und Regierungskurses erfolgte. In der Folge kam es allerdings wegen der Zugehörigkeit der (wenigen) Reichsbeamten zum Reichstag nicht zu ernsthaften Konflikten. Anders lagen die Verhältnisse in Preußen, wo zahlreiche Beamte, insbesondere aus der Provinzialverwaltung, dem Abgeordnetenhaus angehörten. Der bekannteste Konfliktsfall seit dem Erlaß des Disziplinargesetzes von 1852 führte 1899 zur strafweisen Amtsenthebung einer großen Zahl von höheren und höchsten Beamten, den sogenannten "Kanalrebellen". Die meisten von ihnen. wurden allerdings, teilweise schon kurze Zeit später, wieder "begnadigt", reaktiviert und durch Beförderungen oder ehrenvolle Versetzungen hinreichend entschädigt. In diesem Falle hatte Wilhelm 11., der sich durch die Stimmabgabe "seiner" Beamten persönlich beleidigt fühlte, nicht nur die Konservative Partei gegen die Strafmaßnahmen aufgebracht, sondern auch die öffentliche Meinung, die dem Staatsministerium um die Jahrhundertwende keineswegs mehr gleichgültig war. Die Öffentlichkeit erfuhr allerdings nicht den Beschluß des Kabinetts, daß die "Kanalrebellen" für die Wiederverwendung im Staatsdienst ihr Mandat aufzugeben 11
Vgl. F. Hartung, Preußische Verwaltung, S. 266.
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hatten l2 • Noch 1891 war ein Versuch von Reichskanzler v. Caprivi (1890-1894) gescheitert, die Aufgabe des Mandats zur Voraussetzung für die übernahme eines preußischen Beamten in die Reichsverwaltung zu machen l3 • Das wesentlichste Ergebnis der jüngsten Forschungen über die Zeit des Kaiserreichs ist in bezug auf die Beamtenpolitik der Reichsleitung bis hin zum Ende des Ersten Weltkriegs die Feststellung, daß die Reichsbürokratie - die man schwerlich mit Ernst-Rudolf Huber als eine "neue Art Reichsaristokratie" bezeichnen kann 14 - keineswegs so "neutral" über Konfessionen, Parteien, Interessen(verbänden) usw. gestanden hat, wie das wiederum Huber unterstellt; noch weniger trifft zu, daß das Reich dank der Haltung seiner Bürokratie ein "konf.essionell neutraler Staat" gewesen seps. Vor 1918 fehlte jedes Bestreben in Hinsicht auf konfessionelle Parität. Katholische Beamte wurden "so gut wie völlig" vom Zugang zur hohen Reichsbürokratie ausgeschlossen und in bezug auf ihre "staatstreue Gesinnung" mißtrauisch beobachtet l6 • Diese Tatsache hatte allerdings innerhalb der obersten Reichsverwaltung - vielleicht mit Ausnahme der Verwaltung des Reichslands Elsaß-Lothringen - weniger nachteilige Folgen als in den Einzelstaaten, insbesondere in Pr·eußen. Dort wurde noch nach der Jahrhundertwende die "politische Zuverlässigkeit" der Beamten bei katholischen Kandidaten nicht von vornherein unterstellt1 7 • Ferner besaßen Anhänger der Sozialdemokratie und Angehörige jüdischen Glaubens oder auch nur jüdischer Abkunft so gut wie keine Chance, in die (höhere) Beamtenschaft aufzurücken l8 • Dieser "geschlosSenen Gesellschaft" fehlte es zudem vielfach an Verständnis für soziale Veränderungen im Gefolge der industriellen Entwicklung, für wirtschaftlich-technische Zusammenhänge und wirtschaftspolitische Notwendigkeiten. Daraus resultierte eine - allerdings auch sozial und gesellschaftlich bedingte - Verbindung mit wirtschaftlichen Interessenverbänden, die bis zur Abhängigkeit gehen konnte l9 . Umgekehrt J. C. G. Rähl, Beamtenpolitik, S. 305. Ebd., S. 303. U Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1790. Bd. 3. Stuttgart 1966, S. 968. 1911 hatte Otto Hintze von der Entwicklung einer neuen adlig-bürgerlichen "Amtsaristokratie" im höheren Beamtentum der zweiten Hälfte des 19 ..Jahrhunderts gesprochen. Der Beamtenstand. Nachdruck Darmstadt 1963, S. 43. U Ebd., S. 969. 18 Vgl. John C. G. Rähl, Beamtenpolitik, S. 296. 17 Vgl. D. Wegmann, Die staatlichen Verwaltungsbeamten, S. 223. 18 Belege dafür bei Ernest Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands. Tübingen 1968, S. 95 ff. 19 Dazu vgl. Dirk Stegmann, Die Erben Bismarcks. Parteien und Verbände in der Spätphase des Wilhelminischen Deutschlands. Köln 1970, passim. U
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kam es häufig zu einer sehr unbürokratischen Vertretung einer bestimmten politischen Linie - etwa in der Marine- und Flottenpolitik, aber auch bei Durchbringung einzelner Finanz- und Steuerreformen20 -, die mit massiven propagandistischen Mitteln erfolgte. Auf diese Weise wurden Abgeordnete gewonnen und die öffentliche Meinung entsprechend beeinflußt. Dafür standen Mittel privater Geldgeber zur Verfügung. Die Wege und Methoden, denen sich verschiedene Reichsressorts für ihre "Öffentlichkeitsarbeit" bedienten, sind bisher erst teilweise erforscht. Auch die nach wie vor feudal ausgerichtete Personalpolitik im auswärtigen Dienst, wo Beamte adliger Herkunft weitaus überproportional vertreten waren, aber auch deren große Zahl an der Spitze der meisten Reichsämter21 zeigt, in welcher Richtung die Personalpolitik tendierte. Das galt unabhängig von jener Entwicklung unter Caprivi und Hohenlohe, die man als "Anarchie der Ressorts" bezeichnet hat. Auf diese Weise kam es zu einer "bedingten Aufhebung der Rechtsgleichheit"22. Im übrigen bewirkten die Kosten für den (unbesoldeten!) Vorbereitungsdienst und die notwendigen Zulagen zu den relativ niedrigen Gehältern eine Auslese nach finanziellen Gesichtspunkten. Hinzu kam die Bedeutung gesellschaftlicher und familiärer Konnexionen sowie die prägende Kraft der Reserve-Offiziers-Ausbildung und der Zugehörigkeit zu studentischen ("feudalen") Korporationen oder/ und den entsprechenden Regimentern. Ein weiteres Mittel, eine gleichgerichtete gouvernementale Grundstimmung zu erreichen, war die Hürde der Examensschwellen im Zusammenhang der einseitig juristisch-positivistischen Vorbildung der Beamtenschaft, aber auch die vierjährige Dauer der Ausbildungszeit. Der strikt beibehaltene "Assessorismus" förderte die scharfe Trennung zwischen dem höheren und dem mittleren Dienst. Er wurde auf der Stufe der unteren Beamtenschaft als Folge der vorgeschriebenen übernahme von Militäranwärtern durch einen "Militarismus" ergänzt, der besonders im Umgangston hervortrat. Wieweit Bismarcks überlegungen von 1889/90 über eine Reform der Beamtenausbildung "größere Berücksichtigung der Humaniora" und Erziehung zu "gebildeten Europäern"23 - ernst gemeint (und praktikabel) waren, ist nicht zu sagen. Auswirkungen hatten sie jedenfalls nicht. 20 Vgl. Peter-Christian Witt, Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1903 bis 1913. Lübeck 1970, S. 217 ff. 21 Vgl. R. Morsey, Reichsverwaltung im Wilhelminischen Deutschland, S. 15. 22 Joachim H. Knoll, Führungsauslese in Liberalismus und Demokratie. Stuttgart 1957, S. 84. 23 Nach einem späteren Bericht des Chefs der Reichskanzlei, v. Rottenburg. Vgl. R. Morsey, Die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck, S. 251.
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Rudolf Morsey
Die zunehmende Bedeutung der öffentlichen Meinung, der insbesondere Reichskanzler v. Bülow (1900-1909) entgegenzukommen suchte, führte dazu, daß neben dem sehr kleinen Presse dezernat des Auswärtigen Amtes - das seit 1894 in Otto Hammann einen geschickten Vertreter gefunden hatte - die Reichsämter eigene Pressereferate einrichteten bzw. bereits bestehende Institutionen ausbauten. Diese "Öffentlichkeitsarbeit" erforderte einen neuen Typ des Beamten, ebenso wie eine andere ungewohnte Tätigkeit: die Kontaktaufnahme und Pflege persönlicher Verbindungen zu einflußreichen Parlamentariern. In dieser Hinsicht taten sich die führenden Persönlichkeiten des Reichsmarineamts besonders hervor, wie denn überhaupt die ranghöchsten Beamten dieses Ressorts am frühesten und am erfolgreichsten "Öffentlichkeitsarbeit" zu betreiben wußten. Die starke Vergrößerung des Verwaltungsapparats und die Errichtung neuer Reichsämter während des Ersten Weltkriegs hatten keine Änderung des personalpolitischen Kurses zur Folge. Die Zulassung von Mitgliedern der Sozialdemokratie zum öffentlichen Dienst betraf nicht die höhere Beamtenschaft und deren Nachwuchsrekrutierung.
IV. Im Zeichen der Republik
Auch der revolutionäre Umbruch vom November 1918, zunächst vor allem sichtbar durch den Wechsel der Träger der Staatsgewalt, hat trotz grundlegender Veränderungen des politischen Machtgefüges und des gesellschaftlichen Status die administrative Kontinuität und das überkommene Verwaltungsgefüge nicht berührt. Anspruch und Ausübung der Staatsgewalt durch die neugebildete Regierung der "Volksbeauftragten" blieben so gut wie unbestritten. Dazu trug - in entscheidendem Maße? - Eberts Appell vom 9. November an alle Beamten bei, "aus Liebe zu unserem Volke" auf ihren Posten zu bleiben,um "das deutsche Volk vor Bürgerkrieg und Hungersnot zu bewahren"24. Mit ähnlichen Formulierungen riefen auch der Berliner Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte am 11. und 12. November sowie die neugebildeten Linksregierungen in den Ländern die Beamten zum Verbleiben auf. Dabei Wurde ihnen etwa von der preußischen Regierung gleichzeitig zugesichert, ihre Gehalts- und Pensionsansprüche unverkürzt anzuerkennen25 • Weitere Ankündigungen bestätigten die bisherigen Zuständigkeiten der Staats- und Kommunalbehörden und die !4 Vgl. Prinz Max von Baden, Erinnerungen und Dokumente. Berlin 1927, S.426. 25 Vgl. W. Runge, Polik und Beamtentum, S. 16 f.
Zur Beamtenpolitik des Reiches von Bismarck bis Brüning
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Fortgeltung früherer Gesetze und Verordnungen, soweit sie nicht ausdrücklich aufgehoben wurden. Am und nach dem 9. November 1918 stellte sich die große Mehrheit der Beamtenschaft widerspruchslos auf den Boden der "neugeschaffenen Tatsachen"26. Daß sich die Bürokratie dem Appell zur Weiterarbeit nicht versagt hatte, wurde von Ebert bereits Mitte November anerkennend hervorgehoben27 • In einer Entschließung der sechs großen Beamtenzentralverbände - die sich kurz darauf zum Deutschen Beamtenbund zusammenschlossen - vom 14. November 28 hieß es eindeutig, daß sich deren 11/2 Millionen Mitglieder der "gegenwärtigen Regierung" im "Dienste des Gemeinwohls zur Verfügung" stellten. Als konkrete Gegenleistung allerdings wurde eine Zusicherung erwartet, "daß alle durch Gesetz und Vertrag zugesicherten Rechte" der Beamten gewährleistet blieben. Diese Zusicherung erfolgte am 2. Dezember durch ein Schreiben Eberts29 , dessen Formulierung (die Reichsregierung werde alles tun, um die der Beamtenschaft durch den Krieg auferlegten Lasten zu mildern und sie wirtschaftlich gegen die Kriegsfolgen "in weitestem Umfange sicherzustellen") den Beamtenvertretern indes nicht weit genug ging. Infolgedessen setzten sie alles daran, konkretere Sicherungen zu erlangen, was ihnen bereits im Februar 1919 gelang30 •
In den revolutionären Wirren des Spätjahrs 1918 bildete der "Primat administrativer Kontinuität" eine wirksame Barriere gegen jegliche Erweiterung der Rätekompetenzen31 • Während der dreimonatigen "Dik!6 Dazu vgl. die Tagebucheintragung von Ernst Troeltsch: "Sonntag, den 10. November [1918], war ein wundervoller Herbsttag. Die Bürger gingen in Massen wie gewöhnlich im Grunewald spazieren. [... ] Alles etwas gedämpft wie Leute, deren Schicksal irgendwo weit in der Ferne entschieden wird, aber doch beruhigt und behaglich, daß es so gut abgegangen war. [... ] Auf allen Gesichtern stand geschrieben: Die Gehälter werden weiterbezahlt." SpektatorBriefe, hrsg. von H. Baron. Tübingen 1924, S. 24. Für Bayern vg1. Georg Kalmer: "Die Beamtenschaft tat ihren Dienst weiter, im eigenen Interesse wie im Interesse des Volkes. [...] Die Beamtenschaft war - abgesehen von Ausnahmen - nicht revolutionär." Beamtenschaft und Revolution, in: Bayern im Umbruch, hrsg. von Karl Bos1. München 1969, S. 227. !7 Vgl. Wolfgang Elben, Das Problem der Kontinuität in der deutschen Revolution. Die Politik der Staatssekretäre und der militärischen Führung von November 1918 bis Februar 1919. Düsseldorf 1965, S. 32. Für ein einzelnes Ressort vg1. Heinz Günter Sasse, Zur Geschichte des Auswärtigen Amtes, in: 100 Jahre Auswärtiges Amt 1870--1970. Bonn 1970, S. 33: Eberts Aufruf sei der "größte Teil der alten Beamtenschaft" gefolgt. 28 Abgedruckt: Deutscher Beamtenbund. Zur 50. Wiederkehr des Gründungstages am 4. Dezember 1918, hrsg. von der Bundesleitung des DBB. Bad Godesberg o. J., S. HIlO f. ZD Abgedruckt: A. Falkenberg, Die deutsche Beamtenbewegung nach der Revolution. Berlin 1920, S. 54. 30 s. unten Anm. 39. 31 Vgl. W. Runge, Politik und Beamtentum, S. 17.
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tatur der Volksbeauftragten"32 sicherten die an der Spitze der obersten Reichsämter verbliebenen ("kaiserlichen") Staatssekretäre - acht von insgesamt zwölf -, unbeschadet der ihrem Ressort zugeteilten politischen Beigeordneten (SPD- bzw. USPD-Politiker) mit Kontrollrecht, die Kontinuität der Verwaltung33 . Diese "Beigeordneten" vermochten - mangels fehlender sachlicher Kompetenz und infolge unklar umschriebener Aufgaben, aber auch wegen der starren Haltung der Staatssekretäre - keine Bedeutung zu gewinnen. Ihre Funktion kehrte sich nach kurzer Zeit bereits um: Sie bestand in der Hauptsache darin, den Ressorts eine "möglichst unbelästigte Amtsführung" gegen Kontrollen und Eingriffe der Berliner Rätezentrale zu sichern34 . Nach dem Zusammentritt der Verfassunggebenden Nationalversammlung Anfang Februar 1919 war ihnen praktisch die Grundlage ihrer Tätigkeit entzogen, wenn sie auch teilweise noch monatelang amtierten35 . Ebenso wie Aufbau und Struktur der Behördenorganisation blieben auch die Zusammensetzung und Gliederung der Beamtenschaft, die am 29. November 1918 von Wilhelm Ir. ihres Treueids formell entbunden und zur Weiterarbeit im Dienste des Volkes aufgefordert wurde, durch die revolutionären Ereignisse weitgehend unberührt. Die Kontinuität zur Vorkriegszeit, wie sie im Verwaltungsapparat bestand, kann in ihrer Bedeutung für die weitere politische Entwicklung der Weimarer Republik hinein "gar nicht überschätzt werden"36. Es gab keine spezielle Beamtenpolitik des Rats der Volksbeauftragten. Dazu war die Zeit zu kurz und die Lösung existentieller Aufgaben (Ernährung, Demobilisierung, Umstellung der Kriegswirtschaft, Arbeitsbeschaffung für Kriegsheimkehrer usw.) vorrangig. Auch der rasch sichtbar werdende Fehlschlag der Räte-Kontrolleure reizte nicht zu einer Fortsetzung dieses Experiments in größerem Ausmaß. Hinzu kam das Fehlen geeigneter Persönlichkeiten aus den Reihen der Sozialdemokratie zur Besetzung der infrage stehenden Posten. Auch im Auswärtigen Amt, das am heftigsten seiner "feudalen" Personalpolitik wegen kritisiert wurde, gab es keine "Säuberung". Die Forderung des USPD-Beauftragten Barth, im auswärtigen Dienst 82 So Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur. Bd. 1. Berlin 1963, S. 42.
33 über die "unsichere dienstliche Haltung" der Beamtenschaft in der Reichskanzlei - deren Chef, Unterstaatssekretär v. Wahnschaffe, zu den Opfern des Umsturzes gehörte und von dem SPD-Politiker Kurt Baake abgelöst wurde - vgl. A rnold Brecht, Aus nächster Nähe. Stuttgart 1966, S. 202 f. 84 Vgl. W. EIben, Kontinuität, S. 39. 8S über das planmäßige "Austrocknen" des "roten Vollzugsrats" im Preußischen Wohlfahrtsministerium im Herbst 1919 vgl. Heinrich Brüning, Memoiren 1918-1934. Stuttgart 1970, S. 61. 86 So W. EIben, Kontinuität, S. 160.
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gründlich "aufzuräumen"37, blieb zunächst - und dann für die Dauer - unerfüllt, wenn man von einzelnen Ablösungen im Amt (etwa Unterstaatssekretär Frhr. v. Stumm) absieht. Die relativ geringe Zahl von "Außenseitern", die in den folgenden Jahren auf diplomatische Spitzenposten gelangte, vermochte keinen neuen Stil zu bilden oder auch nur den Apparat der Wilhelmstraße zu beeinflussen. Die im Dezember 1918 vom Rat der Volksbeauftragten geforderte Umorganisation des Auswärtigen Amtes begann - wie üblich - mit der Vorlage von Denkschriften (durch Angehörige des Amtes). Sie führte 1919/20 zur Schülerschen Reform, die eine interne, organisatorische Umgliederung bedeutete und durch die Verschmelzung der diplomatischen und konsularischen Laufbahnen eine traditionelle Barriere abbaute. Das Bündnis der Regierung des Rats der Volksbeauftragten mit der intakten Bürokratie funktionierte ausgezeichnet, soweit es zur Umsetzung politischer Entscheidungen herangezogen wurde. Das galt in erster Linie für die Ausführung jener sozialpolitischen Maßnahmen der Regierung, die den eigentlichen Kern der politischen Entscheidungen im Winter 1918/19 bildeten. Da hingegen Sozialisierungsmaßnahmen, von deren Durchführung man einen Zusammenbruch der Wirtschaft befürchtete, nicht zur Debatte standen, stellte sich für die höhere Beamtenschaft nicht die Frage, angesichts einer echten "revolutionären" Entwicklung persönliche Konsequenzen zu ziehen. Eine vergleichbare Lösung wie die in Preußen am 26. Februar 1919 geschaffene Möglichkeit, daß Beamte mit einer Dienstzeit von mehr als 10 Jahren aus politischen Motiven wegen der "Umgestaltung des Staatswesens" bis zum 31. Dezember 1920 freiwillig ihren Abschied aus dem Staatsdienst nehmen konnten, fehlte auf der Reichsebene.
v. Republik ohne republikanische Beamte Als Argument für das Verbleiben vieler monarchistisch gesinnter Beamten im Amt (und später: als gemeinsame Basis) spielte die fiktive Trennung von "Staatswesen" und Verfassungssystem eine Rolle: gegenüber einem abstrakten "Staat oberhalb der Parteien" wurde eine selbstverständliche Treue- und Dienstverpflichtung konstruiert. Auf diese Weise konnte man leicht - nachdem die Institution des Berufsbeamtenturns nicht angetastet worden war - von der republikanischpartei'enstaatlichen Verfassungswirklichkeit abstrahieren. Mit der Annahme der Reichsverfassung vom 11. August 1919, die eine Anstellung auf Lebenszeit, Schutz vor willkürlicher Entlassung 37
Vgl. Hermann Müller, Die November-Revolution. Berlin 1928, S. 156 f.
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und eine Garantie der "wohlerworbenen" Beamtenrechte (Art. 129) sowie der Freiheit politischer Gesinnung (Art. 130/2) enthielt38 , war die Zeit möglicher beamtenpolitischer Experimente vorbei. Bereits am 26. Februar 1919 hatte Reichsministerpräsident Scheidemann dem Vorsitzenden des Deutschen Beamtenbundes und DDP-Abgeordneten der Nationalversammlung Ernst Remmers auf eine entsprechende Anfrage hin bestätigt, daß den Beamten kein "wohlerworbenes Recht verloren gehen" werde 39 • Die Frage, ob der Eid auf die Reichsverfassung auch Treue zur republikanischen Staatsform beinhalte, blieb zunächst unentschieden. Auch an Institution wi'e Status der disponiblen "politischen Beamten" änderte sich nichts. Die "Normalisierung" nahm ihren Fortgang. Das Juristenmonopol als Voraussetzung zumindest für die politisch bedeutsamen Verwaltungslaufbahnen (Justiz, innere Verwaltung, Finanzverwaltung) wurde nur behutsam gelockert. Der im Dezember 1918 gegründete Deutsche Beamtenbund richtete sein Augenmerk in erster Linie auf die soziale und materielle Sicherung bzw. Besserstellun~ der Beamten. Die erste Probe auf die verfassungsmäßige Zuverlässigkeit des Beamtentums wurde während des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 vollauf bestanden. Reichspräsident Ebert und Reichskanzler Bauer dankten am 29. März 1920 in einer gemeinsamen Erklärung der Beamtenschaft für ihre "Verteidigung des Rechts und der Demokratie" und ihre "entschlossene Absage an die Männer des Staatsstreichs und der Reaktion"40. Nun war es allerdings in diesem Falle für die Angehörigen der Reichsverwaltung in Berlin nicht schwer, zwischen legaler Regie· rung und reaktionären Putschisten zu unterscheiden. Im Gefolge des Republikschutzgesetzes von 1922 erfolgte keine "Säuberung" oder auch nur Ausrichtung der Beamtenschaft im Reich im Sinne einer konsequenten Republikanisierung41 . Die neuen disziplinargesetzlichen Handhaben gegen antirepublikanische Elemente erläuterten im wesentlichen nur längst vorhandene und bekannte Vorschriften. Sie erwiesen sich - wie die folgenden Jahre zur Genüge zeigten (Mitgliederschaft von Beamten bei antidemokratischen Part'eien, Eintreten für das Anti-Young-Plan-Volksbegehren der radikalen Rechtsparteien 1929) - als wirkungslos. In der Verfassungswirklichkeit bestand eine 38 Auf die Gestaltung dieser Verfassungsartikel hat der neugegründete Deutsche Beamtenbund entscheidenden Einfluß genommen. Vgl. Hans Wernerey, Die verfassungsrechtliche Sicherung des Berufsbeamtentums, in: Deutscher Beamtenbund, S. III/8. 3D VgI. A. Falkenberg, Beamtenbewegung, S. 55. 40 Abgedruckt ebd., S. 110. 41 Vgl. A. Brecht, Aus nächster Nähe, S. 394.
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"ohnmächtige Wehrlosigkeit der liberalen Demokratie", die keine Gesinnungsschnüffelei duldete, selbst ihren Beamten gegenüber42 • Eine konsequent republikanisch ausgerichtete Beamtenpolitik war schon angesichts des raschen Wechsels unterschiedlich zusammengesetzter Koalitionsregierungen nicht möglich. Auf diese Weise wurde der Fortbestand des (unpolitischen) Fachbeamtentums begünstigt und systematischer Ämterpatronage entgegengewirkt, andererseits aber in Einzelfällen eine Art von Proporzlösung möglich. Die Mehrzahl derjenigen Beamten allerdings, die auf dem Wege der Ämterpatronage begünstigt wurde, waren Fachbeamte mit loser Verbindung auch zur eigenen Partei, darunter nicht wenige "Novembergefallene". Selbst in diesem Zeitraum, dem "Höhepunkt der Emanzipation", blieb der Anteil der Juden innerhalb der höheren Beamtenschaft des Reiches minimal4s • Von der 1922 durch das Gesetz über die Pflichten der Beamten zum ,schutz der Republik erfolgten Erweiterung des Kreises der "politischen Beamten" gingen keine entscheidenden Impulse für eine republikanische Orientierung der überwiegend gemäßigt konservativ eingestellten höheren Beamtenschaft aus 44 • Arnold Brecht war 1927 der erste Ministerialdirektor, der seit 1918 aus "politischen Gründen" von einem der DNVP angehörenden Innenminister (W. v. Keudell) in seinem Amt (Leiter der Verfassungsabteilung im Reichsinnenministerium) abgelöst wurde 45 , bezeichnenderweise aber nicht wegen antirepublikanischer, sondern im Gegenteil wegen prorepublikanischer Gesinnung! Die Möglichkeit, in den Schlüsselpositionen der Reichsverwaltung einen Personalwechsel vornehmen zu können, hatte - wie sich 1932 nach Papens "Preußenschlag" erstmals in großem Umfang zeigen sollte - die nicht beabsichtigte Folge, daß auf diesem Wege die republikanisierte Spitze der hohen Beamtenschaft rasch und legaliter ausgewechselt werden konnte. Die teilweise erheblichen Einsparungsmaßnahmen und der einschneidende Beamtenabbau des Jahres 1923/24 scheinen nicht dazu benutzt worden zu sein, antirepublikanisch eingestellte Beamte abzulösen. Den mit Abstand größten, historisch verständlichen "Nachholbedarf" bei der Ämterbesetzung hatte naturgemäß die SPD. Dieser Partei fiel es andererseits auch am schwersten, für ihr "zustehende" Posten außerGotthard Jasper, Der Schutz der Republik. Tübingen 1963, S. 214. Vgl. E. G. Lowenthal, Die Juden im öffentlichen Leben, in: Entscheidungsjahr 1932, hrsg. von Werner E. Mosse. Tübingen 1965, S. 54. 44 Es ist nicht ersichtlich, worauf sich Karl Dietrich Brachers Bemerkung stützt, daß die Zahl der politischen Beamten ständig zurückgegangen sei. Die Auflösung der Weimarer Republik. Stuttgart 21957, S. 176. 45 A. Brecht, Aus nächster Nähe, S. 467. 42
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halb des Kreises von Partei- und Gewerkschaftsfunktionären fachlich geeignete Kandidaten zu präsentieren. Auf längere Sicht hätte eine erfolgversprechende Personalpolitik zudem eine Abschaffung des überkommenen Bildungsprivilegs zur Voraussetzung g'e habt. Die immer noch fehlende konfessionelle Parität kam darin zum Vorschein, daß 1924 von den 680 höchsten Reichsbeamten 11,9 v. H. katholisch waren, während der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung 33 v. H. betrug 46 • Versuche insbesondere des Zentrumsabgeordneten Georg Schreiber, in dieser Hinsicht im auswärtigen Dienst Abhilfe zu schaffen, stießen vor allem bei Stresemann auf wenig Geneigtheit47 und konnten nur geringe Erfolg'e verbuchen. Gerade im auswärtigen Dienst lag weiterhin der Prozentsatz adliger Beamter sehr hoch 48 • Wieweit bei der Nachwuchsauslese gesellschaftliche Beziehungen und die Mitgliedschaft in (exklusiven) Korporationen eine Rolle spielte, ist nicht feststell bar. Mit fortschreitendem Abstand vom November-Umsturz von 1918 festigte sich die staatliche Bürokratie, deren Personalstruktur unverändert blieb. Bereits 1925 beklagte Hugo Preuß die fehlende Homogenität zwischen der Reichsverfassung und der überkommenen Verwaltung, in der er die "wichtigste unmittelbare Ursache für die meisten Schwächen des neuen Staates" sah49 • "Außenseiter" hatten kaum mehr eine Chance. Im Reichstag blieben insbesondere die Etatreferenten für die einzelnen Ministerien darauf bedacht, Anhänger ihrer Parteirichtung zu fördern und bei Beförderungen und Versetzungen zu unterstützen. Die bereits erwähnte, sehr allgemein umschriebene Verfassungsloyalität ermöglichte eine unpersönliche Einordnung in den Regierungskurs. Selbstverständnis und Beharrungsvermögen des überwiegend formal parteilosen, tatsächlich aber gemäßigt konservativ geprägten Berufsbeamtentums wirkte sich genauso wie die offen antidemokratische Einstellung eines großen Teils der Richterschaft zuungunsten der Republik und ihrer Verfassungsordnung aus. Das Gleiche galt für das apolitische Standesbewußtsein, soweit es noch prägende Kraft besaß. Es ist bezeichnend, wie vorsichtig 1926 der SPD-Politiker Wolfgang Heine (preußischer Innenminister 1919/20) formulierte, daß seit 1919 Vgl. K. D. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, S. 180. Vgl. Th. Eschenburg, Der Beamte, S. 108 f. 48 Im Reichstag wies der Berichterstatter für den Etat des AA, der DNVPAbg. Hoetzsch, am 22. März 1926 darauf hin, daß von den 484 Beamten des höheren auswärtigen Dienstes 126 adlig seien. Stenographische Berichte des Reichstags, S. 6440. 1929 waren 20 der insgesamt 43 Missionsch·e fs im Ausland adliger Herkunft. Vgl. Paul Seabury, Ribbentrop and the German Foreign Office, in: Political Science Quarterly 66,1951, S. 533 Anm. 3. 49 In: Staat, Recht und Freiheit. Tübingen 1926, S. 129 f. 46 47
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zur Republikanisierung der Beamtenschaft in der "preußischen und auch wohl [I] in der Reichsverwaltung viel geschehen" sei50 • Die Folge der zunehmenden Ausdehnung staatlich'er Verwaltung auf der einen und des starken Zustroms ökonomisch entwurzelter Teile des Mittelstandes und des aufstrebenden Kleinbürgertums zum Beamtenturn auf der anderen Seite war eine gewisse "Sozialisierung". Aus der Masse der Beamten hoben sich die Angehörigen der höheren Beamtenschaft um so betonter ab 51, ein Prozeß, der im 19. Jahrhundert begonnen hatte, seitdem die Unteroffiziere nach dem Ende ihrer Dienstzeit in den zivilen Verwaltungsdienst übernommen wurden. Mit dem allgemeinen Absinken des Sozialprestiges schwand die soziale Vorrangstellung der höheren Beamtenschaft. Das wurde anschaulich sichtbar bei der durchgreifendsten Erhöhung der Beamtengehälter während dieser Zeit, die im Dezember 1927 durch Reichsfinanzminister Köhler erfolgte. Dabei wurden prozentual die Gehälter der unteren Beamten - ein besonderes Anliegen Köhlers - am stärksten angehoben (bis zu 33 v. H.). Diese Neuregelung führte dazu, daß sich die Gehaltsunterschiede zwischen den verschiedenen Beamtengruppen weiter nivellierten: eine Entwicklung, die seitdem kontinuierlich fortgeschritten ist52 • VI. Die Ära Brüning Die Tatsache, daß bereits wenige Jahre später durch einschneidende Kürzungen auf dem Wege von drei Notverordnungen der Jahre 1930 und 1931 unter Reichskanzler Brüning erhebliche Gehaltsreduzierungen erfolgten (zwischen 13 und 23 v. H.), bildete gleichsam den Schlußpunkt hinter die Beamtenpolitik der Weimarer Republik. Diese auf befristete Zeit gedachten, aber dann viele Jahre in Kraft gebliebenen Notmaßnahmen - mit denen die Beamten zu "Interessenten neben anderen" gestempelt wurden53 - bildeten den spektakulärsten äußeren Eingriff in die "wohlerworbenen" Beamtenrechte. Sie schufen eine Vertrauenskrise zwischen Beamtentum und Staat, die von der NSDAP geschickt für ihre Zwecke genutzt wurde 54 • Die Beamten der Republik, in: Sozialistische Monatshefte 32, 1926, S. 611. So Gerhard Schulz, in: Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Sauer, Gerhard Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Köln 1960, S. 481. 62 Dazu vgl. den instruktiven überblick bei Arnold Hülden, Entwicklung der Beamtenbesoldung in den letzten 50 Jahren, in: Deutscher Beamtenbund, S. III/59 ff., bes. S. 76 f. 63 So Waldemar Besson, Württemberg und die deutsche Staatskrise 19281933. Stuttgart 1959, S. 249. 54 Vgl. Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich. Stuttgart 1966, S. 28f. 50
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Bei der Kritik an diesen Sparmaßnahmen haben viele zeitgenössische wie spätere Kritiker nicht beachtet oder aber erwähnt, daß sie eine Anpassung an das gesunkene Preisniveau bezweckten und keineswegs etwa eine vergleichsweise prozentuale Minderung des Lebensstandards zur Folge hatten 55 • Das Gehalt des Reichskanzlers wurde um nicht weniger als 28 v. H. gekürzt. Für das politische Klima wie für die Eigenständigkeit der Reichswehr ist es bezeichnend, daß deren Angehörige von der Gehaltskürzung verschont blieben. Die Ära Brüning bildete keine Zäsur in der Beamtenpolitik des Reiches, führte aber zu einer größeren Machtfülle und stärkeren Beanspruchung der Reichsbürokratie. Deren Exponenten mußten infolge des Notverordnungskurses in großem Maßstab auch legislative Aufgaben erfüllen. Da Brüning zudem das Beamtentum, insbesondere das preußische, ungewöhnlich hoch schätzte, arbeitete er am liebsten mit den beamteten Spitzen der Reichsressorts unter Umgehung mancher Minister zusammen, um Zeit und Friktionen zu sparen. So erhielten vor allem die Staatssekretäre der großen Reichsministerien bedeutenden Einfluß auf die Gestaltung der Reichspolitik, die im Zeichen von "Sachlichkeit" und Haushaltsausgleich stand. Außenseiter hatten bei dieser Konstellation keine Chance, in den höheren Reichsdienst zu gelangen. Das "Funktionieren" der Reichsbürokratie, zumal in ihren Spitzen, täuschte darüber hinweg, daß angesichts der wirtschaftlichen Notlage auch in der Beamtenschaft Erbitterung und Hoffnungslosigkeit wuchsen. Im gleichen Ausmaß verstärkte sich die politische Hinwendung zum Nationalsozialismus. Die Zugehörigkeit zur NSDAP bildete ja keinen Grund, einen Beamten zu entlassen oder auch nur zu verwarnen. Die "national" eingestellte und überwi'egend gemäßigt konservative Beamtenschaft war solange eine Stütze der Republik, wie diese sich nicht selbst aufgegeben hatte.
65 Ferdinand A. Hermens, Das Kabinett Brüning und die Depression, in: Staat, Wirtschaft und Politik in der Weimarer Republik. Festschrift für Heinrich Brüning, hrsg. von Ferdinand A. Hermens und Theodor Schieder. Berlin 1967, S. 294.
Monarchisches Beamtentum und demokratischer Staat Zum Problem der Bürokratie in der Weimarer Republik* Von Hans Fenske Victor Bredt machte 1924 die aphoristische Bemerkung, daß der Geheimrat in der deutschen Revolution eine sehr viel größere Rolle gespielt habe als die Arbeiter- und Soldatenräte1 , und er faßte damit das komplexe Problem von Kontinuität und Neubeginn beim übergang von der konstitutionellen Monarchie zur demokratischen Republik in einer eingängigen Formel zusammen. Während die revolutionären Räte nicht nur keine besonderen Initiativen entfalteten, sondern eigentlich schon im Dezember 1918 abdankten, blieb der überkommene staatliche Apparat, gelenkt von den ,Geheimrät'en', weitgehend unangetastet und funktionierte vielerorts so weiter, als sei gar nichts geschehen. In seinen Memoiren erwähnt Hermann Pünder einen kleinen Vorgang, der das sehr schön illustriert. Als er sich Anfang 1919 im Preußischen Justizministerium beim Pförtner nach dem Weg zum Minister erkundigte, um sich dort zum Dienstantritt zu melden, fragte der Pförtner erstaunt: "Aber Herr Assessor, wat wollen Se denn bei dem Minister? ... gehn Se man gleich zu Exzellenz!" Pünder darauf: "Ja gerne, aber wer ist denn diese Exzellenz?" "Aber Herr Assessor, det wissen Se nich? Det is doch unser Herr Unterstaatssekretär. Der hat hier zu sagen .... Natürlich harn wer och 'nen neuen Minister. Hat sich mir aber noch nicht vorjestellt." Die Exzellenz nun, Dr. Mügel, nach Pünders Zeugnis eine Zierde altpreußischen Beamtenturns und einer der wenigen ruhenden Pole in jener unruhigen Zeit, war "Monarchist bis auf die Knochen"2.
* Es wäre eine reizvolle und ohne Zweifel sehr lohnende Aufgabe, ausführlich auf die Einstellung der Beamtenschaft insgesamt zum Weimarer Staat und auf die daraus erwachsenen Probleme einzugehen. Platzgründe und das Generalthema dieses Bandes - Demokratie und Verwaltung - verboten eine solche breitere Anlage. So sind die folgenden Ausführungen im wesentlichen auf die wenigen tausend höheren Beamten der allgemeinen und inneren Verwaltung in den Ländern beschränkt. I Johann Victor Bredt, Der Geist der deutschen Reichsverfassung, Berlin 1924, S. 172. 2 Hermann Pünder, Von Potsdam nach Europa, Stuttgart 1968, S. 43. Zur Haltung der Staatssekretäre vgl. Wolfgang Elben, Das Problem der Kontinuität in der deutschen Revolution, Düsseldorf 1965.
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Diese Aussage läßt sich ohne weiteres verallgemeinern. Sie trifft auf fast jeden Angehörigen des höheren Dienstes zu. Daß die Verwaltung gleichwohl ungestört weiterarbeite, das war der stillschweigende oder ausdrücklich erklärte Wunsch aller Einsichtigen in den stürmischen Novembertagen des Jahres 1918. Sie mußte es, wenn anders man nicht den völligen Zusammenbruch riskieren wollte. Friedrich Ebert wies deshalb auch mit vollem Recht in seinem Aufruf an alle Behörden und Beamten in Stadt und Land am 9. November darauf hin, daß "ein Versagen der Organisation in dieser schweren Stunde ... Deutschland der Anarchie und dem schrecklichsten Elend ausliefern" würde3 • Die Bürokratie teilte diese Befürchtung uneingeschränkt. Vielen höheren Beamten ist 'es eingedenk ihres den Monarchen geleisteten Eides und aus ihrer konservativen Gesinnung heraus unzweifelhaft sehr schwer gefallen, sich den neuen Machthabern zur Verfügung zu stellen, zumal die Eidesentbindung und die Aufforderung zur Weiterarbeit auch durch die vormaligen Herrscher oft erst einige Tage oder - wie in Preußen - Wochen nach dem Ausbruch der Revolution erging. In den kritischen Stunden und Tagen nach dem 7. November haben viele Beamte, und gerade die in den leitenden Positionen, ernstlich mit sich gerungen, ob sie ihre Arbeit fortsetzen sollten oder nicht 4 • Sie entschieden sich dafür nicht so sehr, weil sie sich von der existentiellen Sorge leiten ließen, was aus ihnen persönlich würde, wenn sie sich versagten, sondern sehr viel stärker aus der nüchternen überlegung heraus, daß ihr Abseitsstehen das Chaos zur Folge haben könnte. Wenn die Wirtschaft und die Versorgung der Bevölkerung weiterlaufen sollten, wenn man wenigstens einigermaßen die Ordnung wahren und di:e Liquidation des Krieges einleiten wollte, dann war eine andere Haltung gar nicht möglich. Auch erkannte die Beamtenschaft sehr schnell, daß die bürokratische Kontinuität eine vielleicht unwiederbringliche Gelegenheit darstellte, Sand ins Getriebe der Revolution zu streuen, sie dadurch weitgehend zu entschärfen und die Weichen so zu stellen, daß sich nur ein Minimum sozialistischen Geistes bei der Neugestaltung Deutschlands geltend machen konnte, kurz: unmerklich Widerstand zu leisten. So nahm sie das von Ebert angebotene Bündnis an. 3 Friedrich Ebert, S. 93 f.
Schriften, Aufzeichnungen, Reden, Bd. 2, Dresden 1926,
4 "Viele, viele haben mir die Frage vorgelegt, ob es nicht richtiger sei für uns alte Verwaltungsbeamte, die Ämter zu verlassen und so das neue Regime dadurch sehr bald zu Bruch gehen zu lassen", so Magnus Frhr. v. Braun, Von Ostpreußen nach Texas, 2. Auf!. Stollhamm/Oldbg. 1956, S. 174, iilmlich Franz Schweyer in der Bayerischen Staatszeitung am 14. 11. 1918, zit. bei Georg Kalmer, Beamtenschaft und Revolution. Eine sozialgeschichtliche Studie über Voraussetzungen und Wirklichkeit des Problems, in: Karl Bosl (Hg.), Bayern im Umbruch, München 1969, S. 201 f.
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Es handelte sich dabei jedoch nur um ein Einverständnis auf Zeit. Beiden Seiten war das von vornherein klar. Die Mehrzahl der Beamten betrachtete die neuen Minister letztlich nur als Usurpatoren, denen man einzig im Interesse des Staates diente. Und nicht wenige hofften, daß die Verhältnisse sich wieder ändern würden. Ihnen war Rückkehr zur Normalität gleichbedeutend mit Wiederherstellung des Vorkriegszustandes. Auf der anderen Seite hielten es die Träger des demokratischen Gedankens für unmöglich, auf die Dauer mit einem konservativen, der konstitutionellen Gedankenwelt stark verhafteten und von da her von einem hohen Selbstgefühl getragenen Beamtenstand Deutschland die nötige und längst fällige demokratische Ausgestaltung zu geben. Für sie war deshalb das Bestreben nach Demokratisierung der Verwaltung eine Selbstverständlichkeit. Jetzt besaßen sie die Möglichkeit, das zu realisieren, was sie vor der Revolution ständig gefordert hatten, daß nämlich in die Bürokratie ein neuer Geist einziehen und daß ihre gleichsam ständische Abgeschlossenheit überwunden werden müsse. Das alte Beamtentum werde "neue, dem Wesen des Volksstaates entsprechende Formen ... annehmen müssen", so faßte der Herzensmonarchist und Vernunftrepublikaner, der Berliner Historiker Friedrich Meinecke die anstehende Aufgabe Mitte November 1918 in einem Artikel für die Neue Rundschau zusammen5 • Neue Formen - darunter ließ sich ein ganz'es Bündel von Veränderungen begreifen. Man konnte etwa versuchen, Elemente der Selbstverwaltung in die staatliche Bürokratie zu integrieren, man konnte danach trachten, die Verwaltung und ihr Handeln insgesamt transparenter zu machen, die vordringlichste Aufgabe war es jedoch, die Beamtenschaft im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten, also unter Wahrung der wohl erworbenen Rechte, an die Erfordernisse des neuen Staates anzupassen. Das war in erster Linie eine Frage an die Personalpolitik. Einmal mußte das bisherige, sehr enge soziale Rekrutierungsfeld der Bürokratie ausgeweitet werden, eine Maßnahme, die in der praktischen Durchführung sehr viel Zeit beanspruchte, von der man auf die Dauer aber einen entschiedenen Wandel in der Zusammensetzung und damit auch der inneren Haltung der Beamtenschaft erwarten konnte 6 • Zweitens waren die Benachteiligungen auszugleichen, denen eine ganze Reihe von Beamten vor der Revolution aus politischen odu konfessio6 Friedrich Meinecke, Verfassung und Verwaltung der deutschen Republik (Neue Rdsch. 30, 1919), in: ders., Politische Schriften und Reden, Darmstadt
1958, S. 287. 6 Noch 1930 mußte man davon ausgehen, daß
2/S der damals aktiven Beamten schon vor dem Kriege in ihrer Stellung waren, Ottoheinz v. d. Gablentz, in: Deutsche Berufskunde, Leipzig 1930, S. 426.
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nellen Gründen ausgesetzt waren7 , und drittens mußte für 'eine längere Übergangszeit das Maß an demokratischer Gesinnung in der Verwaltung dadurch vermehrt werden, daß man Außenseiter heranzog und ihnen politisch wichtige Positionen gab - Severing hat das in seinen Erinnerungen die verstärkte demokratische Durchblutung genannt. Gerade der Ausgleich der alten Benachteiligungen und die demokratische Durchblutung waren nun nur allzu sehr geeignet, Verärgerung und Verbitterung innerhalb der Beamtenschaft zu erzeugen. Schon deshalb war die Personalpolitik ein sehr viel diffizileres Feld als vor dem Kriege. Zudem war die alte Führungsschicht nicht gewillt, ihren Platz kampflos zu räumen. Mancherorts wurde die Verwaltung deshalb eines der Schlachtfelder der infolge der Niederlage, der Revolution und der kriegsbedingten materiellen Einbußen - erst 1938 entsprach ja die ökonomische Situation wieder der von 1913 - mit verstärkter Intensität geführten sozialen Auseinandersetzung. In Parlament und öffentlicher Meinung bildete die Personalpolitik einen ständig wiederkehrenden und mit großer Erbitterung umkämpften Streitpunkt. Fast jede Maßnahme von größerem Umfang löste Widerspruch und heftige Diskussionen aus, und häufig gerieten selbst einzelne Fälle in das Kreuzfeuer der Kritik. Nicht selten auch wurden die Entscheidungen wieder revidiert, wenn die politischen Verhältnisse es erlaubten. Die konservativ gestimmten bürgerlichen Parteien, die DNVP, die DVP und die kleineren Parteien der Rechten, dazu später mit besonderer Heftigkeit die NSDAP, prangerten das Vorgehen vor allem der SPD als Beuteprinzip an und warfen ihr vor, sie wolle das deutsche Berufsbeamtenturn zerstören oder doch wenigstens unterminieren. Während der Tagung der Staatsrechtslehrer in Halle im Jahre 1931 scheute sich beispielsweise Hans Gerber nicht, die preußische Praxis der Personalpolitik als in Widerspruch zu den geltenden verfassungsmäßigen Grundsätzen über Ämterverfassung und Beamtentum zu bezeichnen8 • Die These war in der Weimarer Zeit immer wi:eder zu hören, daß die Parteien die Verwaltung einer starken Politisierung unterwürfen und damit eine nur schwer ausheilbare Zersetzung auslösten, Gedanken übrigens, die auch nach 1945 noch mit Entschiedenheit geäußert worden 7 So entsprach der Anteil der Katholiken in der höheren Beamtenschaft keineswegs ihrem Anteil an der Bevölkerung Preußens oder des Reiches, sie waren vielmehr deutlich unterrepräsentiert. Darauf hatte neben der Personalpolitik allerdings auch eigene Zurückhaltung gegenüber dem preußischdeutschen Verwaltungsdienst hingewirkt. 8 In VVDStRL, Heft 7, Berlin 1932, S. 45, in seinem Referat über Entwicklung und Reform des Beamtenrechts; stellvertretend für viele parlamentarische Äußerungen E. Leidig (DVP) in der 190. Sitzung der Preuß. Landesversammlung am 6. 12. 1920, Steno Ber. S. 14.650 f., die SPD betreibe die "völlige Vernichtung des durch sich selbst getragenen deutschen Beamtenturns",
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sind9 • Demokratisierung und Entpolitisierung der Verwaltung, das wurden so im Laufe der Zeit die Gegenpole der beamtenpolitischen Diskussion. Hinter der Warnung vor einer zu starken Politisierung der Bürokratie steckte nun freilich ein gehöriger Schuß Amtsstubenmetaphysik, die überzeugung nämlich, daß die Beamtenschaft bis 1918 neutral gewesen sei. Diese Auffassung entsprach zwar der stilisierten Bewertung der konstitutionellen Monarchie und ihrer besonderen Fähigkeit zum Ausgleich, die in der Zeit des Kaiserreichs neben vielen anderen vor allem Treitschke und Schmoller formuliert hatten, beide übrigens mit einem kaum zu überschätzenden Einfluß auf Generationen von Studenten, aber sie wurde deshalb nicht richtiger. Treitschke hatte in seiner vielgehörten Vorlesung ,Politik' gemeint, die sittliche überlegenheit der wohlgeordneten Monarchie gegenüber Republiken bestehe darin, daß die Staatsgewalt in der Monarchie unparteiisch sein könne, er hatte allerdings vorsichtig hinzugesetzt: "wenn sie es auch nicht immer ist"!o. Vielleicht hätte Treitschke diese Einschränkung selbst für das wilhelminische Deutschland gemacht. In den letzten Jahrzehnten des Kaiserreichs war die deutsche Bürokratie keineswegs neutral. So hat der vorzüglichste Kenner der neueren deutschen Verwaltungsgeschichte, Fritz Hartung, denn auch mit gutem Recht mehrfach von "der immer stärkeren Ausprägung des parteikonservativen Charakters der preußischen Verwaltungsbeamten" gesprochenl1 • Es war dies ein sich über Jahrzehnte hinziehender Prozeß, der in der Mitte des 19. Jhs. begann, seinen Höhepunkt mit der Ernennung Robert von Putt karners im Jahre 1881 zum preußischen Innenminister erreichte und seine vollen Früchte in der wilhelminischen Ära trug. Die Schaffung politischer Beamtenstellen und die Auswahl-, Ausbildungs- und Beförderungskriterien sorgten mit großer Sicherheit dafür, daß seit etwa 1880/1890 "liberale politische Anschauungen unter den Verwaltungsbeamten so gut wie gar nicht vertreten waren". Der jüngere Nachwuchs dachte in seiner Staatsauffassung konservativ!2. 9 Vgl. etwa Theodor Eschenburg, Politik und Verwaltung im Verfassungsrecht, in: Universitas 3, 1948, S. 917 ff. (2. Halbband), bes. S. 922. 10 Heinrich von Treitschke, Politik. Vorlesungen ... , Bd. 1, Berlin 21899, S. 156 f., vgl. dazu auch Gustav Schmoller, Zwanzig Jahre deutscher Politik, München 1920, S. 103 ff. (Demokratie und soziale Zukunft, 1912) und S. 63 ff. (Die preußische Wahlrechtsreform, 1910). 11 Fritz Hartung, Studien zur Geschichte der preußischen Verwaltung, in: ders., Staatsbildende Kräfte der Neuzeit, Berlin 1961, S. 178 ff., Zitat S. 271; vgl. auch S. 258. 12 Albert v. Puttkamer (Hg.), Staatsminister von Puttkamer. Ein Stück preußischer Vergangenheit 1828-1900, Leipzig 1929, S. 80 f.; zur Beamtenpolitik im wilhelminischen Deutschland neuerlich John C. G. Röhl, Beamtenpolitik im wilhelminischen Deutschland, in: Michaet Stü.rmer (Hg.), Das kaiserliche Deutschland, Düsseldorf 1970, S. 287 ff., ferner Lysbeth W. Muncy, The Junker
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Für den Zugang zum höheren Verwaltungs dienst und für den Aufstieg waren neben den sachlichen Voraussetzungen, für die freilich sehr hohe Ansprüche galten, weitere Qualifikationen nicht nur erforderlich, sondern wichtiger. Die beste Empfehlung war adlige Abkunft. Ferner mußte man einem bestimmten Kreis von studentischen Verbindungen angehören, und man mußte Reserveoffizier sein. Wer nicht zwei dieser Begabungen besaß, stand in wenig aussichtsreicher Position, falls er nicht besondere Beziehungen spielen lassen konnte 13 • Ein junger Mann, dem alle drei Qualifikationen fehlten, hatte keinerlei Aussichten; er erwecke mit Recht den Verdacht, liberal zu denk-en oder im Laufe seines Lebens zu liberalen oder gar sozialistischen Vorstellungen vorstoßen zu können, so glossierte 1908 der "Bürgermeister Y. Y. in Z.", Lothar Schücking, diese Auswahlkriterien14 • Das System, mit dessen Hilfe die politisch'e und soziale Homogenität der preußischen Beamtenschaft erreicht wurde, war denkbar einfach. Die Annahme der Regierungsreferendare geschah durch den Regierungspräsidenten. ,T ede Regierung erhielt eine bestimmte Anzahl von Stellen zugewiesen, die sogenannte Normalzahl. Meldete sich nun ein Bewerber, der nicht in das Konzept paßte, so konnte er ohne jede weitere Begründung mit der Bemerkung abgewies-en werden, daß die Normalzahl erreicht sei oder die gerade freien Plätze schon vorgemerkt seien. Mit dieser Begründung wurden z. B. 1903-1905 690 Bewerber abgewiesen und nur 55 aus ,anderen Gründen'. Von den 648 Angenommenen waren 233 Söhne von Landwirten, also von Gutsbesitzern, 144 hatten einen Offizier, 135 einen höheren Verwaltungsbeamten und 113 andere höhere Staatsbeamte zum Vater. Ein perfekteres System der Ämterpatronage konnte nicht ersonnen werden, solange durch die Auswahl der Regierungspräsidenten sichergestellt war, daß keine anderen als konservative Bewerber zugelassen wurden, und das wiederum war durch die Beförderungskriterien gewährleistet. Konservativ mußte nicht unbedingt parteikonservativ heißen. Den betonten Agrariern stand die Bürokratie sogar mit einiger Skepsis gegenüber. Die Freikonservativen galten selbstverständlich als vollwertig, und auch die Zugehörigkeit zum recht-en Flügel der Nationalliberalen oder des Zentrums war akzeptabel, bei den Nationalliberalen jedoch nur mit Einschränkungen. Natürlich hat es in Preußen auch in der wilhelminischen Ära liberal gesinnte Beamte gegeben. Ganz lückenlos konnte das System nicht in the Prussian Administration under William 11, 1888-1914, Providence Rh.Isl. 1944; die Studie von Herbert Jacob, German Administration since Bismarck, New Haven 1963, ist wenig ertragreich. 13 Hellmuth von GerZach, Von rechts nach links, Zürich 1937, S. 38 und S. 76 ff.; eine politische Gefälligkeit war sicher auch die Besetzung des Landratsamtes Springe mit einem der Söhne Bennigsens, Puttkamer, S. 81. 14 (Lothar Schücking), Die Reaktion in der inneren Verwaltung Preußens, Berlin-Schöneberg 1908, S. 43, dort S. 44 f. auch die folgenden Zahlen.
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funktionieren, und es konnte auch nicht in jedem Fall einen späteren Wandel der überzeugungen verhindern. Für viele gerade der qualifizierteren Beamten galt sicher die von Schmoller zitierte Bemerkung, sie kämen fast alle konservativ ins Amt und würden nach wenigen Jahren von der Logik der Tatsachen liberal gemacht!5. Allerdings handelte es sich dabei gemeinhin um einen recht maßvollen Liberalismus, der fest auf dem Boden des Konstitutionalismus stand. Nur in wenigen Bundesstaaten sah es entschieden anders aus als in Preußen. Am stärksten kopierte Sachsen die Verhältnisse des großen Nachbarn. Auch hier wurden nationalliberale Haltungen nur mit Bedenken akzeptiert, und auch hier waren adlige Abstammung, das Patent des Reserveoffiziers und die Bindung zum Cösener S. C. für die Einstellung - als Assessor - und für die Karriere entscheidend. Der Beitritt zur Konservativen Partei war förderlich!6. In Süddeutschland, wo es nicht in diesem Umfang einen sozial wie politisch einflußreichen landsässigen Adel gab, war die äußere und innere Feudalisierung der Bürokratie dagegen wesentlich geringer ausgeprägt. Ihr soziales Rekrutierungsfeld war breiter und der Aufstieg zu führenden Positionen eher möglich. Auch hier galt jedoch weithin, daß die Arbeitsposten in den Zentralen bürgerlich, die repräsentativen und politischen Posten dagegen adlig besetzt wurden. Für Bayern, dessen Bürokratie zur Zeit des Königreiches eingehend untersucht worden ist, hat man ausdrücklich festgestellt, "daß grundsätzlich für einen tüchtigen Beamten auch im vorigen Jahrhundert der Stand des Vaters kein Hindernis für dessen Aufstieg zu hohen Würden darstellte". Mit der Erreichung von leitenden Stellen war freilich hier mehr als anderswo die Verleihung des persönlichen Adels verbunden!7. Am längsten blieb die innere Verwaltung Domäne des Adels, am größten war die soziale Offenheit im Kultusministerium. Was für das 19. Jahrhundert galt, traf für das 20. um so mehr zu. Auch hier ist jedoch di'e allmähliche Verdrängung der liberalen durch konservative Vorstellungen zu beobachten, und auch hier gab es eine Ämterpatronage, die sich an der politischen Einstellung und an der sozialen Herkunft orientierte. In Baden und Hessen, die beide eine jahrzehntelange liberale Vorherrschaft erlebten, verstanden Schmolter, Zwanziger Jahre, S. 70. WiUibalt ApeZt, Jurist im Wandel der Staatsformen, Tübingen 1965, S. 43; Richard Lipinski, Der Kampf um die politische Macht in Sachsen, Leipzig 1926, S. 37 ff.; Lipinski war 1920-23 sächsischer Innenminister. 17 WaZter SchärZ, Die Zusammensetzung der bayerischen Beamtenschaft von 1806-1918, Kallmünz/Oberpfalz 1955, S. 49. Als Beispiel für die relative soziale Offenheit der Bürokratie in Bayern sei auf den oben Anm. 4 erwähnten Franz Schweyer verwiesen, von 1921 bis 1924 bayerischer Innen15
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minister. Er war der Sohn eines ,Ökonomen' mit nicht sonderlich großer Wirtschaft; 1917 wurde er mit 49 Jahren Ministerialrat im Innenministerium, im Juli 1920 unter Kahr Staatssekretär.
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es die Nationalliberalen sehr gut, die maßgeblichen Stellen für sich zu monopolisieren - ungeachtet ihrer Angriffe auf eben diese Praktiken in Preußen und Sachsen. Heinrich Köhler, seit 1920 badischer Finanzminister und bis zur Revolution Beamt-er des mittleren Dienstes in der badischen Finanzverwaltung, meinte aus der Rückschau sogar, daß die Nationalliberalen, im sicheren Besitz aller führenden Stellen, einen "wahren Terror" gegen Andersdenkende ausgeübt hätten. Ein gläubiger Katholik jedenfalls war für leitende Positionen ungeeignet 18 . Schließlich galt auch in den Bundesstaaten mit einer liberalen Personalpolitik, daß "ein Sozialdemokrat beim Staat nicht einmal die Stelle eines Amtsdieners erhalten konnte"19. Mit dem Diensteid war, darüber bestand bis 1918 kein Zweifel, auch die Anerkennung des monarchischen Prinzips und die uneingeschränkte Bejahung der geltenden Verfassung ausgesprochen. Es kann somit überhaupt keine Rede davon sein, daß die deutsche Beamtenschaft bis zum Ende des Krieges politisch neutral gewesen sei und über den Parteien gestanden hätte. Im Gegenteil, es läßt sich ein wohlausgeklügeltes, einwandfrei funktionierendes und umfassendes System der Ämterpatronage beobachten, das streckenweise fast das Gepräge der Korruption trug und das es auf jeden Fall sehr gut verhinderte, daß die Bürokratie sich mit dem Nachrücken jüngerer Beamter von innen heraus liberalisierte und damit selbst erste Schritte zur Demokratisierung tat. Um den erwünscht-en Durchblutungseffekt zu erzielen, machte die Republik ganz unbedenklich von den Möglichkeiten Gebrauch, die das Institut der politischen Beamten bot. Sie griff darüber hinaus zum Mittel der Ämterpatronage und tat damit nur das, was auch das alte System getan hatte, ein Faktum, das allzu viele Kritiker der demokratischen Personalpolitik nicht wahr haben wollten. Zudem bestand der gewichtige Unterschied, daß die Ämterpatronage vor 1918 der Fixierung eines schon längst überholten status quo diente, während sie jetzt 18 Heinrich Köhler, Lebenserinnerungen des Politikers und Staatsmannes 1878-1949, hg. von Josef Becker, Stuttgart 1964, S. 21 f. Auch Köhler notiert
den Standesdünkel der akademischen Beamten und verweist auf die Bedeutung der Korporationen, S. 7 f. 19 Adam Remmele, Staatsumwälzung und Neuaufbau in Baden, Karlsruhe 1925, S. 175. Für Bayern vgl. beispielsweise den Eisenbahnerrevers vom 1. 6. 1913. Alle in die Eisenbahnverwaltung eintretenden Arbeiter und Beamtenanwärter mußten die Verpflichtung abgeben, sich keinem Verband anzuschließen, der das Streikrecht auch der Arbeiter proklamierte. Es handelte sich dabei um das Antrittsgeschenk der Regierung Hertling, der ersten quasiparlamentarischen Regierung Bayerns, an das Zentrum. Der dem Zentrum nahestehende Bayerische Eisenbahnerverband stagnierte mitgliedermäßig, während der mit ihm konkurrierende Süddeutsche Eisenbahnerverband kräftig wuchs, vgl. Willy Albrecht, Landtag und Regierung in Bayern am Vorabend der Revolution von 1918, München 1968, S. 61 ff.
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dazu beitragen sollte, eben diesen status quo zu überwinden. Der Elan und die Erfolge der neuen Personalpolitik waren im Reich und in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Es ist allerdings schwer, darüber genaue Aussagen zu machen, weil bisher erst das Vorgehen in Preußen, und auch dies nur partiell, eingehender untersucht worden ist2o • Allgemein gilt, daß der Prozeß der Demokratisierung sich nur langsam vollziehen konnte. Allen maßgeblichen Männern war klar, daß er seine Grenze in der Notwendigkeit haben mußte, die Leistungsfähigkeit der Verwaltung in keiner Weise zu beeinträchtigen. Außerdem waren alle Maßnahmen an die überkommenen Grundsätze des Beamtenrechts gebunden, und an ihnen nahmen die meisten Länder nach 1918 nur unwesentliche Korrekturen vor 21 • Damit war der Spielraum für eine Erneuerung der Beamtenschaft ganz erheblich eingeengt. Eine weitere Beschränkung ergab sich daraus, daß die Kabinette in Reich und Ländern gewöhnlich Koalitionsministerien waren. Die Parteien konnten also die Personalpolitik gegenseitig recht effektiv kontrollieren; für politisch relevante Positionen galt das Prinzip des Proporzes. Und schließlich erwies 'es sich als außerordentlich bedeutsam, daß die neuen Regierungsparteien nicht über genügend geschultes Personal verfügten, um auch nur diejenigen Stellen sofort umzubesetzen, die nach geltendem Recht ohne weiteres neuen Männern hätten anvertraut werden können. Am schwersten hatte es die SPD. Sie mußte allzu oft, mehr als ihr lieb war, ihr Personal aus den bürokratischen Apparaten der Partei und der Gewerkschaften rekrutieren und dabei manch'en Mißgriff in Kauf nehmen. Das Zentrum und die DDP konnten dagegen auf Kräfte aus der Kommunalverwaltung zurückgreifen, dem Zentrum standen überdies Angehörige der Justiz zur Verfügung. Aber auch hier ergaben sich Schwierigkeiten. Am einfachsten lagen die Dinge in Württemberg. Hier hielt man konsequent an den Fachbeamten fest und konnte das um so mehr, als das Land vor der Revolution von allen Bundesstaaten die liberalste Personalpolitik gesehen hatte. Politische Beamte gab es bis 1918 nicht. Sie 20 Wol/gang Runge, Politik und Beamtentum im Parteien staat. Die Demokratisierung der politischen Beamten in Preußen zwischen 1918 und 1933, Stgt. 1965 (für Rheinprovinz, Westfalen, Hessen-Nassau), Hans Karl Behrend, Zur Personalpolitik des Preußischen Ministeriums des Innern. Die Besetzung der Landratsstellen in den östlichen Provinzen 1919-1933, in: Jb. f. Gesch. Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 6, 1957, S. 173-214 (für Ostpreußen, Pommern, die Grenzprovinz und Brandenburg). 21 Ein überblick über die Entwicklung des preußischen Beamtenrechts unter dem Aspekt der Demokratisierung bei Eberhard Pikart, Preußische Beamtenpolitik 1918-1933, in: Vjh. f. Zeitgeschichte, 6, 1958, S. 119-137, für die anderen Länder vgl. die Berichte im JöR. Strittig war im wesentlichen die Abgrenzung der politischen Beamten nach unten. Besonders in Thüringen verfuhr man dabei im Staatsbeamtengesetz von 1923, revidiert 1926, sehr großzügig.
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wurden auch in der Republik nicht eingeführt. Mithin konnten Außenseiter in der württembergischen Verwaltung nicht Fuß fassen. Durch die Revolution verlor kaum ein Beamter sein Amt oder auch nur seine Funktion. Das schloß natürlich nicht aus, daß auch hier in der Folge parteipolitische Rücksichten etwa bei Beförderungen eine gewisse Rolle spielten. Insgesamt war der übergang von der alten zur neuen Personalpolitik hier jedoch am wenigsten spürbar. Dazu trug sicherlich nicht unwesentlich bei, daß man in Württemberg am längsten an den Beamtenministern festhiel t 22 • Es liegt auf der Hand, daß die Erfolge bei der Demokratisierung dort am größten waren, wo es den Parteien der Weimarer Koalition gelang, sich an der Regierung zu halten. Das war in den größeren Ländern außer in Preußen nur in Hessen und Baden der Fall. Hessen und Baden hatten zudem den Vorteil, daß die Aufgabe hier wegen des schon lange andauernden liberalen Beamtenregiments nicht so schwierig war wie in Norddeutschland, auch wenn man bedenkt, daß der Nationalliberalismus in Hessen sehr konservativ gewesen war und daß in Baden wenigstens die ält'eren Nationalliberalen eine durchaus konservativnationale Haltung einnahmen. Auf jeden Fall konnte die Umstellung hier leiser und unauffälliger eingeleitet werden. Auch das machte freilich viel böses Blut. Die liberalen Geheimräte vermerkten es übel, daß ihre Aufstiegschancen nun kleiner waren als vordem und daß ihnen - so in Baden - häufig Angehörige des Zentrums vorgezogen wurden. Selbstverständlich rieb sich die Opposition in Presse und Parlament immer wieder an der vermeintlich schwarzen Personalpolitik der Regierung, Angriffe, denen sich die Regierung ruhig stellte 23 • Für die kleineren Länder gilt insgesamt, daß die Kleinheit der Ministerialbürokratie und die geringe Zahl der Außenstellen Veränderungen nur wenig Spielraum bot. Baden hatte in der allgemeinen und inneren Verwaltung nur rund 100 Stellen des höheren Dienstes, Württemberg 200, Sachsen 300, Preußen dagegen mehr als 1600, davon ein knappes Drittel politische Beamte. Obwohl es durchaus verständlich gewesen wäre, wenn man diese etwa 500 Beamte rasch ausgetauscht hätte, begann der personelle Umbau der inneren Verwaltung erst im 22 Ein 1932 auf Antrag der NSDAP eingesetzter parlamentarischer Untersuchungsausschuß über Parteibuchbeamte kam zu negativen Ergebnissen, Waldemar Besson, Württ€mberg und die deutsche Staatskrise 1928-1933, Stgt. 1959, S. 51; vgl. auch Alfred Dehlinger, Württembergs Staatswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung bis heute, Bd. 2, Stgt. 1953, S. 928 ff., Karl WeHer, Die Staatsumwälzung in Württemberg 1918-1920, Stgt. 1930, S. 138 f., Karl Ströle, Im Dienst der vier württembergischen Staatspräsidenten der Weimarer Zeit, in: Staats anzeiger f. Baden-Württemberg, Beilage Nr. 3, März 1967, S. 5-12, bes. S. 7 und S. 11. 23 Vgl. Remmele, S. 175.
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Frühjahr 1919 und nur sehr langsam. Nur bei denjenigen, die sich auf keinen Fall in die neuen Verhältnisse einpassen wollten, sorgte ,sanfter Druck' für eine Veränderung24 • In schnellere Bewegung gerieten die Dinge nach dem Kapp-Putsch, hatte er doch deutlich gezeigt, daß 'ein beträchtlicher Teil der Beamtenschaft nicht abgeneigt war, der Republik die Loyalität aufzusagen. Der oft apostrophierte Widerstand der Bürokratie war in erster Linie ein Widerstand der Ministerialdirektoren, die Mehrheit der übrigen Beamten zeigte eine abwartende Haltung. "Hätte sich das Unternehmen militärisch durchgesetzt und die verfassungsmäßige Regierung durch Verhaftung ausschalten lassen, wären Kapp und Lüttwitz von der Seite der Ministerialbürokratie keine Schwierigkeiten gemacht worden", sie erkannte jedoch schnell, daß das Unternehmen auf schwachen Füßen stand25 , und so war die Entscheidung pro oder contra nicht weiter problematisch. Immerhin, nicht wenige der Landräte waren zu Kapp übergegangen oder hatten ihre Sympathie allzu deutlich werden lassen. Die SPD verlangte jetzt mit Entschiedenheit die rasche Demokratisierung, und im sogenannten Berliner Abkommen mit den Gewerkschaften wurde die Notwendigkeit einer Reinigung auch ausdrücklich anerkannt. Der neue preußische Innenminister earl Severing - sein Vorgänger Wolfgang Heine hatte resigniert, weil er dem Druck der Partei auf personal politische Entscheidungen nicht nachgeben wollte - war sich darüber klar, daß die Regierung um ihrer Autorität willen f'est durchgreifen mußte, "auch wenn in den Vereinbarungen mit den Gewerkschaften nicht ausdrücklich die Reinigung der öffentlichen Verwaltung von gegenrevolutionären Persönlichkeiten zugesagt worden wäre"26. Im Grunde begrüßte er es, daß j'etzt die Gelegenheit zu einem schärferen Vorgehen gegeben war. Noch unter Reine waren etwa 20 politische Beamte wegen ihrer Haltung während der Putschtage beurlaubt worden. Bis zum Jahres24 Otto Braun, Von Weimar zu Hitler, New York 1940, S. 49. Nach einem Jahr waren immerhin noch 2 der alten Oberpräsidenten im Dienst; bei den Regierungspräsidenten waren es noch 2/3, bei den Landräten 90 % , die ihre Stellung behalten oder im königlichen Preußen eine entsprechende Funktion ausgeübt hatten. Ein Teil der Beamten schied freiwillig aus dem Amt. Innerhalb von 3 Jahren machten 10,5 Ofo der Beamten der inneren Verwaltung von der am 26.2.1919 erlassenen Verordnung über den ausnahmsweisen freien Eintritt in den Ruhestand auf Grund der Umbildung des Staatswesens Gebrauch. Unter den Landräten lag die Zahl im Osten (19,4 0/0) wesentlich höher als im Westen (11,2 %), vgl. Runge, S. 100 ff., bes. S. 119 f., Behrend, S. 205. 2S Johannes Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, Düsseldorf 1967, S. 206 ff., Zitat S. 210. Bei der Entscheidung für Kapp spielte, besonders in Ostpreußen, auch das Pflichtbewußtsein eine Rolle; hier hatte sich Oberpräsident August Winnig mangels jeder genauen Information aus dem Reich der neuen Regierung angeschlossen und die ihm unterstellten Beamten aufgefordert, sich entsprechend zu verhalten, vgl. Magnus Frhr. v. Braun, S. 181 f. 28 Cart Severing, Mein Lebensweg, Bd. 1, Köln 1950, S. 280, zum folgenden Runge, S. 123 ff.
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ende wuchs die Reihe auf rund 100 an; 3 Oberpräsidenten, 3 Regierungspräsidenten, 2 Polizeipräsidenten und 88 Landräte wurden entlassen, versetzt oder mit Geldbußen belegt; auch einige nichtpolitische Beamte wurden gemaßregelt. Die so entstandenen Lücken wurden mit Außenseitern aufgefüllt, soweit j'edenfalls, wie es sich um Stellen handelte, die der SPD zufielen. Die Bereitschaft Severings, von dieser Möglichkeit in größerem Umfang Gebrauch zu machen, hat seiner Personalpolitik bei der Opposition den Namen des Systems Severing eingetragen - für ihn selbst handelte es sich um die "Durchführung des Selbstverständlichen"27. Die Praxis hatte unzweifelhaft schwache Stellen, aber sie war doch sinnvoller als das bruchlose Weiterarbeiten mit aus der Monarchie stammenden Beamten, die nur nach außen loyal waren. Das halbe Jahr von Alexander Dominicus (DDP) im Innenministerium bedeutete nach dem Programm des Ministers die Rückkehr zur Normalität. Mit erneuter Intensität wurde die Demokratisierung der Verwaltung im zweiten Halbjahr 1922, nach der Ermordung Rathenaus, aufgenommen. Zur Disposition gestellt wurden vornehmlich die Beamten, die nach Severings Ansicht den Rechtsradikalismus zu lasch überwacht hatten, 9 Regierungspräsidenten, 3 Vizepräsidenten und einige Landräte. Die Masse der alten königlichen Landräte blieb nach wie vor im Amt, und Severing hatte selbst bei dieser an sich geringfügigen Maßnahme Schwierigkeiten, seine bürgerlichen Kabinettskollegen von der Notwendigkeit zu überzeugen. In der Folge hielt Severing sich personalpolitisch zurück. Nur 1926 wurden nochmals einige Landräte amtsenthoben, die sich beim Volksbegehren über die entschädigungslose Fürstenenteignung in Gegensatz zu der Regierung gebracht hatten. Otto Braun monierte denn auch, daß "unter der beschaulichen Bedachtsamkeit" Severings der Gang der Geschäfte im Innenministerium etwas schleppend geworden sei28 . Severings Nachfolger, Albert Grzesinski, schlug wieder ein schärferes Tempo an. Er betonte wiederholt, daß die Zeit der Toleranz für traditionsgebundene Beamte einmal abgelaufen sei 29 . Aber auch er ließ die Landräte unangetastet, im Vertrauen auf die heilende Kraft der Zeit, di'e den Typus des bis auf die Knochen monarchistischen Beamten schon von selbst aussterben lassen würde. Im Zusammenhang mit dem Young-Plan, im Frühjahr 1930, als sich drei der DNVP nahestehende Severing, Bd. 1, S. 283. Otto Braun, S. 97. 29 ALbert Grzesinski, Republik und Beamter (1929), in: Das Beamtentum im neuen Staat, Berlin 1930, S. 10. - Außer einem Regierungspräsidenten und 6 Vizepräsidenten verabschiedete Grzesinski auch einige Landräte, weil sie 27
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der Republik nur mit Vorbehalten gegenüberstanden.
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Landräte gegen das vom Kultusministerium angeordnete Verbot des NS-Schülerbundes ausgesprochen hatten, und im Winter 1931/32 anläßlich des Volksbegehrens über die Auflösung des preußischen Landtags wurden nochmals kleinere Personalschübe vorgenommen. Der Staatsstreich Papens schnitt in Preußen die Entwicklung nicht nur ab, sondern machte die Erfolge des vergangenen Jahrzwölftes wieder rückgängig. Vor der Machtergreifung Papens hatte die preußische Bürokratie ihr Gesicht, gemessen am Stand im Winter 1918119, ganz erheblich gewandelt. Sie war sozial sehr viel offener geworden, in ihr zeigte sich ein anderer Ton und ein anderer Geist, und es war gelungen, demokratische Stützen einzuziehen. Von den 540 politischen Beamten außerhalb der Ministerien waren Ende 1929 107 Sozialdemokraten, 72 Demokraten und 112 rechneten zum Zentrum. 291 Angehörigen oder Anhängern der Koalitionsparteien standen 95 Mitglieder oder Sympathisanten der DVP und rund 50 der DNVP gegenüber. über die politische Haltung der anderen ist nichts bekannpo. In den folgenden 21/2 Jahren bis Mitte 1932 besserte sich das Verhältnis nochmals zugunsten der Koalitionsparteien. Wenn auch in Rechnung zu stellen ist, daß nicht jeder Anhänger dieser drei Parteien überzeugter Verfechter der Prinzipien war, zu denen seine Partei sich bekannte, wenn man namentlich den recht starken konservativen Flügel des Zentrums berücksichtigen muß, so weisen diese Zahlen doch aus, daß das Severing~che Konzept der Durchblutung ganz erhebliche Fortschritte gemacht hatte. Insofern leuchtet es nicht ganz ein, warum Runge zu dem Ergebnis gelangt, der Versuch einer Demokratisierung des wichtigsten preußischen Verwaltungszweiges nehme sich wenig imponierend aus 31 • Verglichen mit der Entwicklung in den meisten anderen Ländern und in der Reichsverwaltung und bei Würdigung der Schwierigkeiten, die dem Unternehmen entgegenstanden, konnte sich das Resultat wohl sehen lassen. Die Aufgabe war zu groß und der zur Verfügung stehende Zeit30 Vgl. die Angaben bei Grzesinski, Republik und Beamter, S. 13, bei Runge, S. 201, bei Pikart, S. 124 und bei Behrend, S. 203. Auffällig ist, daß immer noch mehr als die Hälfte der Landräte den Koalitionsparteien nicht angehörte oder deutlich mit ihnen sympathisierte. Die SPD war besonders stark unter den Oberpräsidenten vertreten (5 von 12), noch stärker bei den Polizeipräsidenten (23 von 44, dies ein deutliches Indiz für die Aufmerksamkeit, die Severing und Grzesinski der personellen Struktur der Polizei widmeten). Auffällig ist schließlich der hohe Anteil von Zentrumsanhängern unter den politischen Beamten. Das Zentrum meldete überall dort Anspruch auf leitende Stellen an, wo es mehr als 25 % Zentrumswähler oder mehr als 50 % Katholiken gab. Da es personalpolitisch sehr hart vorging, setzte es sich zumeist durch. - Von den 48 Staaatssekretären und Ministerialdirektoren Preußens gehörten 37 den Weimarer Parteien an, davon nur 6 der SPD. 31 Runge, S. 257. Er konzediert jedoch, daß die Zahl verfassungstreuer Beamter in Preußen "wahrscheinlich höher war als in anderen Ländern". Auch Behrend meint S. 213, daß das Ziel kaum erreicht wurde.
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raum war zu kurz, als daß sie auch nur annähernd gelöst werden konnte - jedenfalls nicht mit der in Preußen geübten Praxis, nur dann einzugreifen, wenn pflichtwidriges Handeln vorlag. Anders als in den Ländern mit beständiger Weimarer Koalition gestalteten sich die Dinge dort, wo der Kurs der Politik mehrfach wechselte. Die Demokratisierung der Verwaltung wurde auch hier mit teilweise sicher zu großem - Elan angegangen, aber die meisten getroffenen Maßnahmen wurden sofort nach dem Wechsel der Parlamentsmehrheit und der Regierung wieder rückgängig gemacht. Der Machtkampf wurde auch auf dem Rücken der Beamten ausgetragen. Musterbeispiele dafür sind Sachsen, Thüringen und Braunschweig, alles drei Länder, in denen die entschiedene Linke in den ersten Jahren der Republik einen erheblichen Einfluß hatte, während das Pendel schließlich um so stärker nach rechts schlug. In Sachsen stellte Apelt im Frühjahr 1927 bei seinem Amtsantritt als Innenminister fest, daß die Masse der Beamten politisch rechts von ihm stand und daß es in der inneren Verwaltung kaum Parteibuchbeamte gab 32 • Diese Beobachtung konnte er nur machen, weil seit dem Frühjahr 1924 personell unter dem maßg·eblichen Einfluß der DVP eine entschiedene Politik der Restauration getrieben worden war. In Sachsen wie in Thüringen, wo man sich in der ersten Zeit sogar Beamte von außer halb der Landesgrenzen geholt hatte, kontrastierte die mangelnde Fähigkeit zur Stellenbesetzung besonders scharf mit dem Drängen der SPD und der USPD auf eine entschiedene Beamtenpolitik33 • Die verfügbaren Kräfte reichten nur aus, einige wenige Amts- und Kreishauptmannschaften an Sozialdemokraten zu geben; überall sonst mußte es bei den alten Stelleninhabern bleiben. Vom Innenministerium aus wurde die Personalpolitik zwar nicht gerade nach den alten Prinzipien, aber doch in einem betont konservativen Sinne weitergeführt. Zugleich versuchte die alte königlich-sächsische Bürokratie auch von außerhalb Druck auf die Regierung auszuüben. über den Bund Sächsischer Staatsbeamter beanspruchte sie nachhaltig ein Mitspracherecht bei der Beamtenernennung. Namentlich kämpfte sie darum, daß Amts- und Kreishauptmannschaften nur an Juristen mit Verwaltungserfahrung gegeben wurden. Da es solche P.ersönlichkeiten bei den Linksparteien auf Grund der alten Personalpolitik nicht geben konnte, schien mit dieser Forderung gewährleistet, daß in der Außen verwaltung kein 32 Apelt, Jurist, S. 142. Apelt hatte vor dem Kriege zu den Nationalliberalen gehört, war dann aber zur DDP gegangen. 33 Für Sachsen siehe Walter Fabian, Klassenkampf um Sachsen, Löbau 1930, und Richard Lipinski, Der Kampf um die politische Macht in Sachsen, Leipzig 1926, S. 26 ff. und S. 83 ff., für Thüringen Georg Witzmann, Thüringen von 1918 bis 1933. Erinnerungen eines Politikers, Meisenheim 1958, bes. S. 77 ff. und S. 113 ff.
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Bruch eintrat. Immerhin konzedierte die Regierung, daß sie am Fachbeamtenprinzip nach Möglichkeit festhalten wolle, und im Juli 1920 räumte Minister Kühn sogar ein, daß "in Fällen, wo in Rücksicht auf besondere Staatsnotwendigkeiten von dem Beamtenprinzip abgewichen werden muß" eine Verständigung mit dem Bund der Staatsbeamten zu suchen sei, "damit nicht durch Protest der Beamtenschaft unnötigerweise Erbitterung und Mißtrauen der Bevölkerung gegen die Beamtenschaft ausgelöst" werde 34 • Die Regierung schien in der Defensive. Das führte zu erheblichen Spannungen mit der SPD-Fraktion und der Landesorganisation; nicht zuletzt deshalb waren Ministerpräsident Gradnauer und Innenminister Uhlig im April 1920 zurückgetreten. Erst als Richard Lipinski (USPD) im Dezember 1920 das Innenministerium übernahm, wurde dem Druck des Beamtenbundes mehr Widerstand entgegengesetzt. Ministerpräsident Buck führte am 9. 12. 1920 in seiner Regierungserklärung aus, daß die Anerkennung der Verfassung der oberste Grundsatz für die Beamtenschaft sein solle und daß künftig auch Nichtbeamte in wichtige Stellen berufen würden, damit sie dort ihre Lebenserfahrungen nutzbar machen könnten, es dauerte indessen noch einige Monate, ehe die bürokratische Resistenz einigermaßen überwunden werden konnte. Im Herbst 1921 wurde der noch aus der Monarchie stammende Leiter der Personalangelegenheiten, Ministerialdirektor Dr. Schmitt, in den Wartestand versetzt, ein Schritt, der zu heftigen parlamentarischen Zusammenstößen mit den Deutschnationalen führte. An seine Stelle trat im April 1922 mit Dr. Lempe der erste sozialdemokratische Ministerialdirektor im Innenministerium überhaupt - fast 31/2 Jahre nach der Revolution. Unter Lempe wandelte sich die Beamtenpolitik entschieden. Auch wurde in der Folge das Beamtenrecht, namentlich das Dienststrafrecht, neu gefaßt. Der Kreis der leitenden Beamten, die ohne weiteres in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden konnten, wurde wesentlich ausgeweitet und damit überhaupt erst die Möglichkeit einer intensiven sozialdemokratischen Personalpolitik geschaffen35 • Fast alle bis zum November 1923 getroffenen personal politischen Entscheidungen wurden jedoch ab Frühjahr 1924 von der Regierung der Großen Koalition - in der die Sozialdemokraten wegen des sich anbahnenden Sachsenkonfliktes einen schweren Stand hatten - revidiert, ein Teil der zur Disposition gestellten Beamten wurde erneut ins Amt berufen, die Personalabteilung ging an einen Angehörigen der DVP. Um auch nichtpolitische Beamte treffen zu können, wurden gewichtige organisatorische Veränderungen vorgenommen und viele Aufgabenbereiche aus dem Innenministerium ganz ausgegliedert. Das Beamtenrevirement erinnerte so in manchem 34
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Zitiert bei Lipinski, S. 35. Fabian, S. 117, vgl. auch W. Seheleher im JöR 12, 1923/24.
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an die spätere Praxis Brachts in Preußen. Man mochte darin den Versuch sehen, "das alte Berufsbeamtentum wieder voll zur Geltung zu bringen"38, in Wirklichkeit handelte es sich um das Bestreben, die SPD aus der Bürokratie herauszudrängen. Das gelang offenbar in relativ kurzer Zeit37 • Bis zum Ende der Republik blieb die Personalpolitik in Sachsen dann Sache der bürgerlichen Parteien. Zu ähnlichen und vergleichsweise umfangreichen Revirements kam es wiederholt auch in Braunschweig und Thüringen, wo die Regierung regelmäßig zwischen einer Links- und einer Rechtskoalition wechselte. In Braunschweig schien vor allem der Kultus- und Justizminister ab 1927, Hans Sievers (SPD), mit der Maxime in die Fußstapfen Severings und Grzesinskis treten zu wollen, die Opposition möge reden, was sie wolle, die Regierung werde handeln. "Auf die Dauer wird man dem Volk nicht vorenthalten können, daß es in der Republik von republikanischen Beamten gerichtet und verwaltet wird, und was in meiner Kraft steht, das republikanische Element in der Verwaltung und in der Justiz zu verstärken, das wird geschehen38 ." Dabei konnte er sich auf das Vorbild der vorhergehenden deutschnational gefärbten Regierung berufen, die alles getan hatte, die Verwaltung mit konservativem Geist zu erfüllen. Die wenigen bedeutsamen Posten der braunschweigischen Landesverwaltung waren in den 20er Jahren die regelmäßige Beute der wechselnden Regierungen. Aber gerade weil das Land und seine Verwaltung so klein waren, mußten Personalschübe, wie die Regierung Sievers-Steinbrecher sie 1928 vornahm, besonders erbittern. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß die Koalition von Bürgerlich'er Einheitsliste und NSDAP ab Herbst 1930 eine konsequente Entdemokratisierung der Verwaltung einleitete. Dabei tat sich in der zweiten Phase besonders der nationalsozialistische Minister Dietrich Klagges hervor; in Thüringen hatte kurz zuvor Wilhelm Frick während seiner 16monati gen Ministerschaft eine entsprechende Politik betrieben39 • 38 So Max v. Stockhausen, Sechs Jahre Reichskanzlei, Bonn 1954, S. 254, über die Säuberungen Brachts in Preußen. 37 Der Einfluß der DVP in Sachsen war deshalb so groß, weil die SPDFraktion des Sächsischen Landtags wegen des Beschlusses, eine große Koalition einzugehen, in zunächst unüberbrückbaren Gegensatz zur Landesorganisation der Partei geraten war. 23 der 40 SPD-Abgeordneten hielten konsequent an der Koalition fest, sie verloren damit Jede Stütze an der Partei und wurden schließlich 1926 ausgeschlossen. Faktisch war so die DVP (mit 19 Abgeordneten) die wichtigste Regierungspartei. 38 Zitiert bei Ernst August Rolo!!, Braunschweig und der Staat von Weimar, Braunschweig 1964, S. 142, zur Personalpolitik insgesamt dort S. 141 ff. 39 Die Geschichte der Ära Frick in Thüringen ist nc.::h nicht geschrieben. Frick sorgte durch eine Fülle von Maßnahmen dafür, daß sich die Aufmerksamkeit ganz Deutschlands auf Thüringen richtete, erinnert sei nur an den Streit um die Polizeikostenzuschüsse, an die Schulgebete, überhaupt an die Kulturpolitik. Nach Hans Fabricius, Dr. Frick. Ein Lebensbild ... , Berlin 1938,
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Wurde das Problem der Demokratisierung der Verwaltung in Württemberg wegen der Verhältnisse vor der Revolution eigentlich nicht akut, so wurde es in Bayern nicht gesehen. Bayern war neben Württemberg das zweite Land, in dem diese Frage nach 1918 keine Rolle spielte. In gewisser Weise war hier der Kapp-Putsch erfolgreich gewesen. Der übergang der Regierung von Johannes Hoffmann an Gustav Ritter v. Kahr war nur ein notdürftig in die Formen der Legalität gekJ.eideter erzwungener Machtwechsel 40 • Ab März 1920 wurde die Regierung betont gegen die Linke geführt und nach außen wurde eine entschiedene Frontstellung gegen Berlin aufgebaut. Das Land wehrte sich verbissen gegen die Weimarer Verfassung, wenn auch immer wieder betont wurde, daß der Verfassungswandel nur auf legalem Wege erfolgen solle - dies übrigens ein Postulat, an das man sich wenigstens im Herbst 1923 nicht ganz gehalten zu haben scheintu. Das nachrevolutionäre Bayern verstand sich als Ordnungszelle Deutschlands, als Kristallisationspunkt für die Erneuerung der Struktur des Bismarckreiches. Die entscheidenden Kräfte in der maßgeblichen Partei, der BVP, wollten eine partielle Rückwärtsrevision der Verfassung. Diese Bestrebungen boten natürlich keinerlei Boden für Demokratisierungstendenzen in der Verwaltung. Man gewinnt den Eindruck, daß nirgends so wenig geändert wurde wie hier. Als der Landrat von Halle i. Westf. im Frühjahr 1922 bei einer Feier des landwirtschaftlichen Kreisvereins ein Hoch auf den ehemaligen Kaiser ausbrachte, verlor er unverzüglich seinen Posten, weil Severing das als im Widerspruch zum Diensteid stehend empfand. Als Kahr, inzwischen wieder Regierungspräsident von Ober bayern, bei ähnlicher Gelegenheit ein ,vivat Rupertus Rex!' formulierte, geschah gar nichts. Innenminister Schweyer erklärte schließlich im Landtag, es könne von den Beamten keine innere übereinstimmung mit der gegenwärtigen S. 16 f., hat Frick durch einen resoluten Personalabbau 60 % der Angehörigen der obersten Beamtengruppen aus dem Amt gebracht, also eine Säuberung größten Umfanges vorgenommen. 40 Viele Aufschlüsse über das innere Klima des Landes zwischen 19181933 in der Dokumentation von Wolfgang Benz, Politik in Bayern 1918-1933. Berichte des württembergischen Gesandten Moser v. Filseck, Stgt. 1971, zum Ereignisablauf, wenngleich allzu oft sehr zurückhaltend, Karl Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, München 1924. - Im Jahre 1919 war es nicht zu einem Beamtenrevirement gekommen, weil man mit der ständig sich verschärfenden Revolution mehr als genug andere Sorgen hatte. Nach der Niederwerfung der Räteherrschaft war die Stellung der SPD psychologisch viel zu schwach, als daß sie derartige Wünsche noch hätte durchsetzen können, auch mußte sie ständig Rücksicht auf ihren Koalitionspartner BVP nehmen. 41 Vgl. meine Arbeit Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918, Bad Homburg 1969, S. 188 ff.
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republikanischen Staatsform verlangt werden42 • Das war sicher richtig. aber es hätte in Bayern ebenso wie anderswo gelten sollen, daß Beamte, die aus ihrer monarchischen, ja gegenrevolutionären Gesinnung kein Hehl machten, nicht die geeignete Besetzung für hohe und politisch relevante Posten waren. Diese Frage hat sich jedoch in München im ersten Nachkriegsjahrfünft überhaupt nicht gestellt. Wir finden in Bayern nicht nur Beamte, die in der Wolle gefärbte Monarchisten waren - das war nach 1918 nirgends etwas Ungewöhnliches -, sondern die auch den Weimarer Staat unter Ausnutzung ihrer dienstlich gegebenen Möglichkeiten erbittert bekämpften. Es wäre hinzuweisen auf Kahr selbst, auf den 1919 bis 1921 als Polizeipräsident von München fungierenden und dann zum OLG-Rat ernannten Ernst Pöhner, auf Wilhelm Frick, der unter Pöhner Leiter der Politischen Abteilung in der Münchener Polizeidirektion war, auf den Chef des Landespolizeiamtes, Hans Seißer, oder auf den Nürnberger Polizei direktor Gareis, um nur einige der wichtigsten Namen zu nennen. Die Regierung sah in allen dies'en Fällen keinen Grund zum Einschreiten. Nur Pöhner und Frick wurden im Herbst 1921 von Kahrs Nachfolger im Ministerpräsidium, Lerchenfeld, von ihren Posten abgelöst, nicht weil sie die Republik bekämpften, etwa indem sie den Chef der OC deckten, sondern weil sie zu deutlich dem ReC'htsradikalismus zuneigten43 • Nicht untypi~ch für die Haltung der höheren bayerischen Beamtenschaft waren sicher auch die Oberregierungsräte und späteren Justizminister Christian Roth und Franz GÜrtner. Roth zählte zum völki~chen Flügel deI Mittelpartei, der bayerischen Schwesterorganisation der DNVP, und war 1924 Reichstagsabgeordneter der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung; Gürtner, der spätere Reichs- und Preußische Justizminister, hielt schon 1923 und 1924 seine Hand schützend über die NSDAP. Die politische Einstellung und Tätigkeit der eben Genannten war der Staatsregierung durchaus bekannt. Es wäre ihre Pflicht gewesen, hier einzuschreiten. Dazu entschloß sie sich jedoch erst nach dem Fiasko des 9. November 1923 - und auch nur allzu zögernd. Aber weitergehende Schritte waren nach der inneren Haltung der in der BVP tonangebenden Kreise offenbar nicht möglich. Allzu sehr beherrschte ihr Denken die Vorstellung, daß die bestehende Staatsordnung den Deutschen mehr als aufgehandelt sei 44 • Wenn die Bewertung der Weimarer Verfassung, 42 Vgl. Schweyer in der 134. Sitzung des Bayer. Landtages am 6.7.1922, zum Fall Roerig in Halle, Runge S. 138. 43 Pöhner war einer der intimsten Förderer des grassierenden Rechtsradikalismus. Vgl. zu seiner Kennzeichnung Karl Alexander v. Müller, Im Wandel einer Welt, München 1966, S. 142 ff., Arnold Brecht, Aus nächster Nähe, Stgt. 1966, S. 330 ff., Fenske, Konservativismus, S. 140-142. 44 Kennzeichnend für die in der höheren Bürokratie des Landes vorwaltende Haltung war vermutlich die Bemerkung des Ministerialrats im Innenministerium, Zetlmeier, am Schlusse einer Aktennotiz über den Rechtsradi-
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wie es bei Heinrich Held, Ministerpräsident ab 1924, der Fall war, wesentlich von der Tatsache bestimmt war, daß sie der Revolution entsprungen war, und wenn man Revolution und gewaltsamen Umsturz konsequent für Sünde hielt, dann war gewiß kein Anlaß gegeben, das zu wollen, was die Revolution in Bayern versäumt hatte: die Demokratisi:erung der Verwaltung 45 • So wie für Held Kronprinz Rupprecht immer die Majestät blieb, so blieb die bayerische Beamtenschaft in der Weimarer Republik die alte königlich-bayerische Bürokratie. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, verhielt sich die Beamtenschaft in der Weimarer Republik gewiß loyal. Sie nahm indessen an ihrer tradierten politischen Grundhaltung keinerlei Korrektur vor. Die Loyalität wurde damit zur Leerformel. Julius Leber hat das treffend charakterisiert, als er im Mai 1926 im Lübecker Volksboten schrieb: "Loyal gegen die Verfassung. Dieses Wort ist im Laufe der J ahl'e für viele Beamte eine Ausrede geworden. Sie tun nichts, was in der Verfassung irgendwie ausdrücklich verboten ist. Im übrigen aber sabotieren sie die Verfassung, machen monarchistische Propaganda, bekennen sich zu Schwarz-Weiß-Rot, schimpfen auf Demokratie und Parlament46 ." Von einer Beamtenschaft, die es Jahrzehnte hindurch gewohnt war, die Sozialdemokratie als erklärte Reichs- und Staatsfeinde47 zu sehen, die einem Bürgertum entstammte, das sich durch die Revolution des ihm gemäßen Staates beraubt sah, die die Demokratie als dem Deutschen wesensfremd betrachtete und ihrer verlorenen Stellung nachtrauerte und die schließlich mit breiten Kreisen des Bürgertums dazu neigte, im Nationalsozialismus einen "Sturmbock gegen die verhaßte Sozialdemokratie" zu erblicken48 , war freilich nichts anderes zu erwarten. Sie konnte nicht über ihren Schatten springen, sondern blieb der Republik fremd. Das gilt nicht nur für die Verwaltung, sondern für alle Gruppen der höheren Beamten gleichermaßen. Die Blindheit der Justiz auf dem rechten Auge ist häufig getadelt worden, und die Lehrerschaft machte aus ihrer politischen Einstellung oft auch im Unterricht kein Hehl. kalismus im Februar 1922. Es sei, so schrieb Zetlmeier, nach den Verhältnissen der Zeit psychologisch ganz verständlich, daß es radikale Organisationen gebe. Auch meinte er, "daß es, vom Standpunkt unseres früheren Staatswesens aus betrachtet, nahezu traurig wäre, wenn es nicht organisierte Bestrebungen gäbe, die uns auch nach meiner Meinung mehr als aufgehandelte Staatsordnung wieder zu beseitigen", zit. bei Fenske, Konservativismus, S. 171. 45 Vgl. dazu das Portrait Helds bei Schwend, S. 271 ff., fern0r R. KeßZer, Heinrich Held als Parlamentarier, Berlin 1971. 48 JuZius Leber im Lübecker Volksboten am 14.5. 1926, in: Ein Mann geht seinen Weg, Berlin 1952, S. 137. TheobaZd v. Bethmann HoZIweg, Betrachtungen zum Weltkriege, Bd. 1, BerIin 1919, S. 19. 48 Friedrich Meinecke, Nationalsozialismus und Bürgertum, Köln. Zeitung Nr. 696, 21. 12. 1930, in: Polit. Schriften und Reden, S. 443. (7
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Nicht zuletzt die feindselige Einstellung größerer Teile der Gymnasialund Hochschullehrer zur W'eimarer Republik hat es bewirkt, daß die Hoffnung sich nicht erfüllte, es würden republikanische Beamte in größerer Zahl nachwachsen. Hierbei hätten Schule und Universität die Vorarbeit leisten müssen, und dazu waren sie nicht bereit 49 • Hatte die Beamtenschaft sich zunächst erkennbar an die neuen Verhältnisse angepaßt, so ließ sich ab Mitte der 20er Jahre eine zunehmende Orientierung nach rechts beobachten. Je schneller die Weimarer Republik ihrer Auflösung entgegentrieb, desto stärker wurde diese Tendenz. Die Aufkündigung des 1918 geschlossenen Paktes zeichnete sich ab. Dabei haben neben dem allgemeinen Unbehagen an der Republik und an ihrem Vielparteien-Parlamentarismus mit den häufig wechselnden Regierungen auch durchaus individuelle Gründe eine Rolle gespielt, namentlich die demokratische Personalpolitik. Die konservativen Beamten fühlten sich auf ein Nebengleis geschoben, und so bemächtigte sich ihrer eine erhebliche Verbitterung. Die Abbau-Verordnungen und die Sparmaßnahmen ab Ende der 20er Jahre trugen dazu erheblich bei50 • All das machte die Bemühungen um eine Neuformierung der Verwaltung fruchtlos. Was nützte es, wenn man an die Spitze der bürokratischen Pyramide Männer nahm, die voll und ganz hinter dem neuen Staat standen, und an die eigentlichen Kader nicht herankam? Die Demokratisierung der Verwaltung war in der Weimarer Republik eine unlösbare Aufgabe. Das Problem der Bürokratie zwischen 1918 und 1933 war das Problem der Weimarer Republik selbst: ein Staat zu sein, dem die Mehrheit der Bevölkerung mit Ablehnung und Mißtrauen begegnete. Der 9. November hatte das deutsche Volk zutiefst gespalten. Es bedurfte erst des völligen Zusammenbruchs im Jahre 1945, um die alten Gräben einzuebnen und die Voraussetzungen für einen neuen Anfang zu schaffen.
(0 Untersuchungen über die Haltung der Justiz und der Lehrer sind immer noch Desiderate. Für die Justiz sei einstweilen verwiesen auf H. und E. Hannover, Politische Justiz, Frankfurt 1966. - Innerhalb der Hochschullehrerschaft war es beispielsweise möglich, daß der Freiburger Staatsrechtler Frhr. Marschall v. Bieberstein 1925 eine akademische Rede hielt, in der "die Willensakte der Usurpatoren, der Herren Ebert, Haase und Genossen", einfach als Hochverrat bezeichnet wurden, zit. nach Willy HeHpach, Wirken in Wirren, Bd. 2, Hamburg 1949, S. 175. 50 Die Sparmaßnahmen haben sicher den Radi)l:alen ,die Hasen in die Küche getrieben', so Otto Braun, S. 318. Die Abbauverordnungen sollten zwar nicht zu einer ,Säuberung' der Verwaltung herangezogen werden, aber das bedeutete nicht, daß es stellenweise nicht doch geschah, und vor allem, daß sie nicht so aufgefaßt wurden.
Beamteninitiative und Polizeistaatsdenken Zur Vorgeschichte des preußischen Auswanderungsgesetzes vom 7. Mai 1853
Von Georg Smolka I.
Wenn je eine Zeitspanne, so waren die ersten beiden Drittel des neunzehnten Jahrhunderts die geschichtliche Stunde der preußischen Bürokratie. Als solche stellen sie sich jedenfalls dar, wenn man die Freiheit der Machtverfügung zum Maßstab nimmt. War diese bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts durch den monarchischen Absolutismus eingeengt, der dem Beamten grundsätzlich die Stellung eines jederzeit absetzbaren Bediensteten zuwies, so sorgte hernach, seit den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, ein konstitutionell verbrämter Kanzlerabsolutismus dafür, daß die Beamtenschaft aller Ränge in der Furcht des Herrn verblieb. In beiden Fällen waren der Initiative und den Wirkungsmöglichkeiten der Bürokratie von vornherein enge Grenzen gesetzt.
Im friderizianischen Preußen stellte die Bürokratie nichts anderes als eine technische, ganz vom Willen oder auch der Willkür des Monarchen abhängige Apparatur dar. Etwaigen Selbständigkeitsgelüsten war nicht nur durch diese, aus dem Herrschaftsgedanken des Ancien Regime resultierende Qualität ein wirksamer Riegel vorgeschoben, sondern auch durch die spezifische Eigenart der preußischen Staats- und GeseIlschaftsstruktur. Diese lag nach Mirabeaus bekanntem Dictum darin, daß Preußen nicht wie alle anderen ein Staat war, der eine Armee, sondern eine Armee, die einen Staat besaß. Aus dieser differentia specifica ergab sich für die Beamtenschaft, daß sie nicht weniger streng in Pflicht genommen und in Zucht zu halten war als das Offizierskorps, dessen ziviles Negativ oder Komplement sie darstellte. Eine weitere, sehr konkrete und wirksame Bindung ergab sich aus der Tatsache, daß die höheren Ränge der Bürokratie weitestgehend mit Angehörigen jener Adelsschicht besetzt waren, aus der sich auch das Offizierskorps rekrutierte, und die gemeinsam mit der Krone den Staat als Patrimonium innehatte. Aus Loyalität wie aus wohlverstandenem Interesse
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mochte also die Unterordnung unter das ,sic volo sic jubeo' des Monarchen auch in Fällen gerechtfertigt erscheinen, in denen man von der Richtigkeit seiner Maßnahme nicht überzeugt war. Je mehr sich freilich die Konflikte zwischen dem Sachverstand der Bürokratie und dem autokratischen Prestigebedürfnis des alternden Königs häuften, desto mehr Auftrieb mußte das Selbständigkeitsstreben des seiner Leistungen bewußten und von seiner Unentbehrlichkeit für das Staatswesen überzeugten Beamtenapparates erhalten. Bei der Profilierung seiner Aspirationen kamen die Einschübe des Aufklärungsdenkens zum Tragen, dem in Preußen - ähnlich wie in den meisten europäischen Ländern - viele höhere Beamte zuneigten. Sie kannten aus Erfahrung die zahlreichen, schwerwieg·enden Unzulänglichkeiten der überkommenen staatlich-gesellschaftlichen Ordnungen, und der Gedanke an eine Um- und Neugestaltung vom Prinzipiellen her mußte ihnen unschwer einleuchten. Damit aber war auch die Frage nach der Funktion und Stellung des Behördenapparates im Gemeinwesen gestellt, und die Antwort mußte in jedem Falle die Notwendigkeit seiner Abschirmung gegen unsachliche und unkontrollierbare Eingriffe ergeben. Der entscheidende Schritt auf dem Wege zu dieser Verselbständigung erfolgte noch vor der Jahrhundertwende, indem die Absetzbarkeit des Beamten vom Urteil einer kollegialen Disziplinarbehörde abhängig gemacht wurde. Bald darauf stürzten die verkrusteten Strukturen des friderizianischen Preußen, die nicht nur der Entfaltung der Bürokratie im Weg·e gestanden hatten, beim Zusammenstoß mit dem napoleonischen Frankreich in sich zusammen. Der erneuerte und gewaltig vergrößerte preußische Staat, der 1815 aus den Wirren der Revolutionsära hervorging, bot der Schaffenskraft seiner erneuerten Bürokratie ein überreiches Wirkungsfeld. Es war eine immense Leistung, daß es innerhalb eines Menschenalters gelang, aus den weit verstreuten, äußerlich wie innerlich heterogenen Teilen der Monarchie ein Ganzes zusammenzufügen, das die Belastungsprobe von 1848 unversehrt überstand. Als sehr wirksames Mittel der Angleichung und Verschmelzung erwies sich dabei die Abschaffung der Binnenzölle 1816 und der übergang der preußischen Handelspolitik zum gemäßigten Freihandel mit dem Zollgesetz von 1818. Diese Maßnahme war zugleich die Vorstufe zu der folgenreichsten politischen Tat der preußischen Bürokratie: der Gründung des Deutschen Zollvereins 1833. Sie gab nach der Stagnation der zwanziger Jahre der deutsch·en Nationalbewegung neuen Auftrieb und lenkte ihre Einungshoffnungen auf den preußischen Staat, der seinen "deutschen Beruf" mit dieser Initiative zu bestätigen schien. Es konnte nicht ausbleiben, daß auch in einer anderen Frage, die damals als nationales Problem ins Bewußtsein zu treten begann, das Heil von Preußen erwartet wurde: in der Frage der
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deutschen Auswanderung!. Auch in diesem Falle fehlte es nicht an weitschauenden Initiativen preußischer Beamter. Daß sie nicht zum Tragen kamen, stellt sich in der Rückschau als eine kaum minder folgenschwere Vorentscheidung dar als das Gelingen im Falle der ZoUeinung.
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Von einer Auswanderungspolitik der deutschen Regierungen vor 1848 läßt sich nur mit Einschränkung sprechen 2 • Einige Gliedstaaten des Deutschen Bundes übernahmen nach 1815 in ihre Verfassungen die Bestimmungen des Artikels 18 der Bundesakte über die Freiheit zum Wegzug in einen anderen Bundesstaat. Nur die nassauische Verfassung von 1814 enthielt die Auswanderungsfreiheit als Grundrecht des Staatsbürgers, Wohnsitz und Landeszugehörigkeit nach Belieben zu bestimmen; eine Auffassung, die dann über di·e Reichsverfassung von 1849 in die jüngeren Landesverfassungen, darunter auch die preußische von 1850, Eingang fand. Aber auch in diesen Fällen blieb die Auswanderung eine reine Verwaltungsangelegenheit, die nach den bestehenden Vorschriften zu behandeln war. Allenfalls mochte bedürftigen Auswanderungswilligen zur Entlastung der Armenkasse von der Heimatgemeinde oder aus Staatsmitteln ein Zuschuß für die Transportkosten gewährt werden. Jedes weitere behördliche Interesse konnte als Förderung der Auswanderung aufgefaßt werden und war darum unerwünscht. Immerhin fehlte es im vormärzlich·en Deutschland nicht an Versuchen, die Regierungen zum Abgehen von einer Haltung zu bewegen, die je länger desto weniger der Wirklichkeit Rechnung trug. Vor allem im Südwesten waren "die Züge der Auswanderer seit langem ein all1 Die Geschichte der deutschen Auswanderung hat noch keine umfassende Darstellung gefunden und ist ungeachtet wertvoller Einzelarbeiten auf weite Strecken hin eine terra incognita geblieben. Daß eine Ursache dieser Vernachlässigung in der Verengung unseres geschichtlichen Horizonts durch die Bismarcksche Reichsgründung zu suchen ist, sei hier nur angemerkt. - Der vorliegende Beitrag stützt sich, soweit nicht aus Anmerkungen anderes hervorgeht, auf Aktenbestände des Preußischen Geheimen Staatsarchivs BerlinDahlem. ! Grundlegend ist E. von Philippovich, Auswanderung und Auswanderungspolitik in Deutschland (Leipzig 1892). Die Arbeit, die als Vorstudie für das "Reichsgesetz über das Auswanderungswesen" vom 9.6.1897 zustande kam, enthält eine Reihe von Untersuchungen zur Gesetzgebung der deutschen Hauptauswanderungsländer, die z. T. auch auf die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte der Auswanderung eingehen. - Vgl. dazu UlTich Scheuner, Die Auswanderungsfreiheit in der Verfassungsgeschichte und im Verfassungsrecht Deutschlands. In: Festschrift Richard Thoma (Tübingen 1950), S. 199-224, insbes. 212-214.
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tägliches Bild im deutschen Leben"3. Nach dem Verrauschen der jähen Flutwelle der Elendsjahre 1816/17, die allein aus Baden und Württemberg etwa 35 000 Menschen nach Amerika und Rußland trieb, war zwar die deutsche Auswanderung in den zwanziger Jahren zu einem dünnen Rinnsal versiegt. Aber Anfang der dreißiger Jahre überschritt sie bereits die Zehntausendgrenze, hielt sich bis Mitte der vierziger Jahre zwischen 20000 und 40000 und dürfte am Vorabend der Revolution bei etwa 80-100000 gelegen haben4 • Gerade die Hauptauswanderungsgebiete - neben Baden und Württemberg das Großherzogturn Hessen, die Pfalz und die preußischen Rheinlande - waren auch von den unter dem Schlagwort der "Pauperisierung" zusammengefaßten sozialen Veränderungen5 besonders betroffen. Dieser gesellschaftlichen Mobilität des südwestdeutschen Raumes entsprach eine ungewöhnlich lebhafte Anteilnahme der Bevölkerung und besonders der Bildungsschicht am Zeitgeschehen, die es wiederum mit sich brachte, daß hier früher als anderswo die Bedeutung des Auswanderungsproblems ins öffentliche Bewußtsein trat6 • Ein nicht geringer Anteil daran kam dem nass au ischen Reichsfreiherrn Hans Christoph von Gagern zu, einem Freunde des Freiherrn vom Stein, der wie Gagern frühzeitig die humanitäre, wirtschaftlich-soziale und politische Relevanz der Auswanderung erkannt hatte. In zahlreichen publizistischen Arbeiten, als niederländischer Bevollmächtigter am Bundestage 1816-18 und seit 1828 als Mitglied der Ersten Kammer des Großherzogturns Hessen trat Gagern unermüdlich für eine der Bedeutung des Gegenstandes gemäße Regelung der Auswanderung von Staats und Bundes wegen ein. Die großen, durch seine Bemühungen und das lebhafte Interesse des Staatsministers du Thil angeregten Kammerdebatten zur Auswanderungsfrage in den vierziger Jahren trugen dazu bei, daß Hessen 1846 einem Vorschlage aus Stuttgart zustimmte, die deutschen 3 Fr. Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert (Freiburg 1934) III, S. 354. 4 Einigermaßen genaue Ziffern gibt es nur für die Einwanderung in die Vereinigten Staaten. Vgl. dazu G. Smolka, Auswanderung und Kolonisationsprojekte im Vormärz. Kalifornienplan und Texasverein. In: Staat und Gesellschaft. Festgabe für Günther Küchenhoff, hrsg. von Franz Mayer (Göttingen 1967), S. 231, Anm. 3. 5 Das zeitgenössische Schrifttum bei earl Jantke und Dietrich Hilger, Die Eigentumslosen. Der deutsche Pauperismus und die Emanzipationskrise in Darstellungen und Deutungen der zeitgenössischen Literatur (Freiburg / München 1965). 8 Dazu und zum folgenden: Mack Walker, Germany and the emigration 1816-1885 (Cambridge Mass. 1964), insbes. Kap. I, und Hellmuth Rössler, Zwischen Revolution und Restauration. Ein Lebensbild des Reichsfreiherrn Hans Christoph von Gagern, 1766-1852 (Göttingen 1958), S. 215 ff. - Vgl. auch Hans Richter, Hessen und die Auswanderung 1815-1855. In: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins N. F. Bd. 32, S. 49-139 (Gießen
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Regierungen zu einer gemeinsamen Regelung des Auswanderungswesens zu bewegen. Vorausgegangen war eine Initiative des Finanzkammerdirektors von Werner, der der Württembergischen Zweiten Kammer ein sorgfältig ausgearbeitetes Projekt vorlegte, das zur Betreuung der Auswanderer und zur Lenkung der Auswanderung gemeinsam mit allen an der Auswanderung interessierten Regierungen die Gründung eines deutschen Auswanderungs- und Kolonisationsvereins vorsah. In Baden hatte schon 1842 die Zweite Kammer einen Antrag zur Regelung der Auswanderung unter dem Schutze der deutschen Regierungen einstimmig an die Regierung weitergeleitet, und 1846 wiederholte sie diese Empfehlung 7 • Als die Regierung untätig blieb, kündigte Ende 1847 der Abgeordnete Buss einen erneuten Antrag auf eine "im nationalen Interesse liegende Organisation der deutschen Auswanderung" an. Die Grundzüge einer solchen Organisation hatte mit eingehender Motivierung der angesehene liberale Verwaltungsmann und damalige Staatsratspräsident Nebenius in einer Denkschrift über das Auswanderungswesen vom 17. Juni 1847 entwickelt, die von der Staatsregierung gebilligt und 1848 von der Kammer mit der Maßgabe angenommen wurde, daß es Aufgabe der Frankfurter Zentralgewalt sei, das Auswanderungswesen in der vorgeschlagenen Weise zu regeln. Die Einsicht, daß eine befriedigende Lösung des deutschen Auswanderungsproblems die Kräfte eines oder mehrerer Ein~elstaaten übersteige, daß der Deutsche Bund aber im Lichte der Erfahrungen seit 1815 dazu ungeeignet sein würde, hatte schon in den dreißiger Jahren das Augenmerk auf Preußen gelenkt. So lange allerdings die Möglichkeit zu bestehen schien, den Hauptstrom der deutschen Auswanderer nach Südosten, in die Länder an der unteren Donau und die europäische Türkei zu lenken, empfahl es sich, dem Bunde und dem in diesem Falle unmittelbar interessierten Österreich die Hauptaufgaben der Organisation zu überlassen. Bis in die fünfziger Jahre hinein gab es zahlreiche, durchaus ernst zu nehmende Köpfe wie Gagern, Schmidt-Phiseldeck, Moltke, Friedrich List und Julius Fröbel, die im Hinblick auf das deutsche und europäische Interesse wie um der Auswanderer selbst willen der Südostwanderung den Vorzug gaben. Allerdings hatte sich schon mit der Gründung des Zollvereins die Linie abzuzeichnen begonnen, die solche Perspektiven mit der Hinausdrängung Österreichs aus Deutschland hinfällig machte. Aber der Zollverein war nicht Deutschland; er präjudizierte die deutsche Politik vorerst nur am Rande, und auf die Richtung der Auswanderung übte er zunächst keinen Einfluß aus. Gerade in den anderthalb Jahrzehnten nach seiner Entstehung 7
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trat jedoch die Auswanderung als nationales Problem ins Bewußtsein der politisch interessierten, zum größten Teil liberal orientierten Öffentlichkeit; und da deren Hoffnungen auf einen politischen Zusammenschluß Deutschlands sich ganz überwiegend auf Preußen richteten, wurde auch die Organisation der Auswanderung in ihren Augen zu einer Sache der preußischen Politik. In Berlin war man nicht gewillt, Preußen zum Vorspann einer nationalen Politik machen zu lassen, am wenigsten durch ein Vorangehen in der Auswanderungsfrage. Eine nennenswerte Auswanderung aus Preußen gab es nicht; nur aus einigen Kreisen im Südwesten der Rheinprovinz war um 1840 ein Ansteigen der Auswanderungsziffern zu verzeichnen, fast durchweg da, wo schon 1817 das Auswanderungsfieber grassiert hatte. Schwierigkeiten waren nicht zu befürchten, die Rechtslage war klar. Durch Erlaß vom 15. September 1818 war die Auswanderungserlaubnis in das Ermessen der Regierungsbehörden gestellt, und in der Regel wurde sie anstandslos erteilt. Einer besonderen Erlaubnis bedurften nur die Angehörigen des stehenden Heeres und der Kriegsreserve sowie aktive Beamte; bei Männern von 17 bis 25 Jahren war zu prüfen, ob sie sich durch die Auswanderung nur der Militärpflicht entziehen wollten. Das Gesetz vom 31. Dezember 1842 erkannte darüber hinaus grundsätzlich die Auswanderungsfreiheit an: in Friedenszeiten war die Entlassung aus dem Staatsverbande als Voraussetzung der Auswanderungsgenehmigung zu gewähren, soweit nicht die im Gesetz'e vorgesehenen Einschränkungen hinsichtlich der Erfüllung der Wehrpflicht im Wege standen. Mit der Auswanderung schied der Staatsbürger aus dem behördlichen Gesichtskreise aus; der Staat hatte ihm gegenüber weder Ansprüche noch Verpflichtungen und war an seinem weiteren Ergehen nicht interessiert. Die Wirklichkeit des Lebens meinte es anders als der Buchstabe des Gesetzes. 1845 verzeichnete die Statistik für Preußen zum erstenmale einen - geringen - Auswanderungsüberschuß; beunruhigend erschien dabei die Tatsache, daß die Auswanderung auch auf die von ihr bisher unberührten Ostprovinzen übergriff. Politisch um vieles bedenklicher drohten sich aber einige Vorkommnisse auszuwirken, die ein grelles Schlaglicht auf die Unzulänglichkeit der bisherigen Auswanderungspolitik warfen, zugleich jedoch die politischen Möglichkeiten erkennen ließen, die ein aktives Engagement in dieser Frage eröffnete. Am peinlichsten war für Berlin der Fall Dünkirchen. Ein Transportunternehmer aus dieser Hafenstadt hatte unter irreführenden Vorspiegelungen eine große Anzahl von Auswanderern nach Brasilien angeworben, auf überfüllten Schiffen hinübergeschafft und die Kosten der - angeblich freien - überfahrt über die brasilianischen Behörden
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durch Arbeitskontrakte eintreiben lassen. Sehr viele andere, die sich hatten verlocken lassen, waren in Dünkirchen, Le Havre und Antwerpen zurückgeblieben, wo sie schamlos ausgeplündert und ihrem Schicksal überlassen wurden. Obwohl ein großer Teil von ihnen aus dem preußischen Regierungsbezirk Trier kam, durfte auf Weisung aus Berlin der preußische Konsul in Dünkirchen nicht eingreifen, um ihr Los zu erleichtern. Ein deutscher Professor am Dünkirchener Gymnasium schlug jedoch in der deutschen Presse Lärm und erreichte über den preußischen Gesandten von Arnim in Paris, daß etwa 900 der Unglücklichen eine Landzuteilung in Algerien und freie überfahrt erhielten. Daß das Auswärtige Amt schließlich ihm und den Dünkirchener Behörden für die den "ehemaligen preußischen Untertanen" erwiesene Hilfe dankte, trug nicht gerade zur Beschwichtigung der deutschen Öffentlichkeit bei; ebenso wenig wie die Tatsache, daß die belgische Polizei einige hundert verelendete Auswanderer über die preußische Grenze abschob. Die Empörung, die sich in der Presse sehr drastisch Luft machte, richtete sich noch mehr gegen die deutschen Regierungen und besonders gegen die Haltung Berlins als gegen die gewissenlosen ausländischen Ausbeuter; nicht mit Unrecht, denn die Werbungen des Dünkirchener Unternehmers waren in Frankreich untersagt worden, während in Preußen seine Agenten freies Spiel hatten, da sie keiner Konzession bedurften. Auch abgesehen von dem Falle Dünkirchen wurden die Jahre 1845 bis 47 zu 'einer wahren Katastrophenperiode der deutschen Auswanderungsgeschichte. Das Mißgeschick des Texasunternehmens, der Zusammenbruch der belgischen, von vielen westdeutschen Auswanderern besiedelten Kolonie Santo Tomas de Guatemala und der Fehlschlag eines Kolonisationsversuches an der Mosquitoküste, der 115 ostpreußischen Auswanderern zum Verhängnis wurde, - solche und ähnliche Vorkommnisse brachten weitesten Kreisen zum Bewußtsein, wie sinnwidrig und planlos die deutsche Auswanderung vor sich ging. Noch schärfere Kritik aber mußten die Mißstände in der Auswandererbeförderung hervorrufen, die sich bei dem unerwarteten Andrang dieser Jahre besonders kraß bemerkbar machten. Oft mußten die Auswanderer wochenlang im Hafen auf eine Schiffsgelegenheit warten und dabei einen großen Teil ihrer Habe aufzehren; auch gab es schon vor der Abreise nicht selten Krankheiten und Todesfälle infolge von ungenügender oder schlechter Ernährung. In den Kanalhäfen kam es 1846 zu haarsträubenden Vorfällen, die trotz der Hilflosigkeit der Auswanderer auch in Deutschland bekannt wurden. Das hochfliegende Nationalbewußtsein der vormärzlichen Bewegung 'empfand es als unerträgliche Schmach, daß deutsche Landsleute von holländischen und belgischen Reedern und Seeleuten in einer Weise behandelt wurden, die
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jedes Menschen, nicht nur des Angehörigen einer großen Nation unwürdig war. Zwar griffen immer wieder Privatleute oder einzelne Konsuln auf eigene Verantwortung helfend ein; aber gerade ihre Menschenfreundlichkeit rückte das Versagen der Behörden in ein peinliches Licht und ließ es doppelt unbegreiflich erscheinen, daß immer noch deutsche Regierungen den Standpunkt vertraten, der Auswanderer gehe sie nach der Entlassung aus d€m Staatsverbande nichts mehr an. Es war nicht zuletzt der Druck der deutschen Öffentlichkeit, der die preußische Regierung 1846 zwang, sich ernstlich mit der Auswanderungsfrage zu beschäftigen. Auf Drängen des preußischen Konsuls Carp in Rotterdam, wo die Zustände besonders schlimm waren, wandte sich das Auswärtige Amt an die badische und hessische Regierung mit der Anfrage, "ob und was etwa zur künftigen Verhütung jener übelstände zu tun sein möchte". Gleichzeitig erhielt der preußische Gesandte am Bundestag d€n Auftrag, sich mit den Vertretern interessierter deutscher Staaten wegen gemeinsamer Maßnahmen ins Benehmen zu setzen, da "diese Angelegenheit von allgemeinem deutschen Interesse" sei. Der preußisch€ Innenminister von Bodelschwingh sprach sich jedoch schroff gegen alle staatlichen Maßnahmen aus; die Auswanderung habe für Preußen keine große Bedeutung, und in jedem staatlichen Eingreifen könne "mehr oder weniger eine Beförderung d€r krankhaften Erscheinung des Auswanderns gefunden werden". Die Tatsachen führten jedoch eine zu deutliche Sprache, als daß man sich ihnen auf die Dauer so billig hätte entziehen können. Es war eine peinliche Zurechtweisung, als die Vereinigten Staaten im Frühjahr 1847 Gesetze erließen, die die Zahl der Zwischendeckspassagiere je Schiff herabsetzten, um eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten. Die unmittelbare Folge war freilich ein so rapides Steigen der überfahrtspreise, daß viele Auswand€rer aus Mangel an Mitteln in den Häfen zurückbleiben mußten, und das Elend zunächst noch größer wurde 8 • Da die preußische Regierung weiterhin auf ihrem engherzigen Standpunkte verharrte, ergriffen die am meisten betroffenen südwestdeutschen Staaten das Gesetz des Handeins. Hessen hatte schon 1846 eine Verordnung zum Schutze der Auswanderer erlassen, und im Frühjahr 1847 folgte die badische Regierung diesem Beispiel. Kurz 8 Allein in Bremen fehlte Ende April für 8000 Auswanderer der kontraktlich vereinbarte Schiffsplatz. In Rotterdam stiegen die Passagekosten in wenigen Wochen von 44 auf 110 fl. - übrigens brachten die Schiffseigener und Kapitäne, nicht zuletzt die amerikanischen, es fertig, die neuen Bestimmungen so anzuwenden, daß das Gegenteil der Absicht erreicht wurde. Vgl. dazu H. Wätjen, Aus der Frühzeit des Nordatlantikverkehrs (Leipzig 1932), S. 145 ff., der jedoch zusammenfassend urteilt: "Das scharfe Vorgehen der Amerikaner war für die Reeder, Expedienten und Kapitäne der deutschen Seehäfen eine heilsame Lehre."
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darauf regte Württemberg, das schon 1846 einen Auswanderungsagenten in Mannheim ernannt und durch Verordnungen im Mai 1846 und Januar 1847 seine Auswanderer gegen übervorteilung zu schützen gesucht hatte, Besprechungen zwischen den Bundesgesandten der beteiligten Länder über eine gemeinsame Regelung des deutschen Auswanderungswesens an, was jedoch wieder am Einspruch Bodelschwinghs scheiterte. Es verfing denn auch nicht, als der badische Minister Dusch in Berlin auf die Bedeutung eines Vorangehens Preußens in der Auswanderungsfrage für sein politisches Ansehen in Deutschland hinwies. Daß das keine übertreibung war, zeigte sich, als im Sommer 1847 das Gerücht aufkam, Preußen werde beim Bundestag die Initiative zu einer umfassenden Regelung der Auswanderungsfrage ergreifen. Die Begeisterung, mit der diese Nachricht überall aufgenommen wurde, hätte den preußischen Staatsmännern zu denken geben sollen. Hier war ein Punkt, an dem "Preußens deutscher Beruf" sich durch die Tat beweisen konnte, ohne die Eifersucht der Mittelstaaten zu wecken. Die Auswanderung war zu einer Sache geworden, in der ein großer Teil des deutschen Volkes sich über die staatlichen Grenzen hinweg als Ganzes empfand. Viele Anhänger der Einheitsbewegung gingen allerdings mit ihren Wünschen weit über alles hinaus, was mit einiger Wahrscheinlichkeit erreichbar erschien. Aus den vielen Anregungen, Diskussionen und Projekten der vormärzlichen Jahre hatten sich drei Zielvorstellungen herausgeschält: die Gründung mehr oder weniger selbständiger Gründungskolonien in übersee, der gegenüber von manchen der Gedanke einer großzügigen Siedlungsaktion im ostdeutschen Raume und den Donauländern vertreten wurde; die Schaffung deutschsprachiger, mit kultureller Autonomie ausgestatteter Distrikte in den Haupteinwanderungsländern, z. B. in Nordamerika oder Brasilien; und als bescheidenste Möglichkeit die Bewahrung eines freien, inneren Zusammenhaltes der Ausgewanderten in der neuen und mit der alten Heimat durch die gemeinsamen Bande der Sprache und des Kulturgutes unter Betreuung und Förderung vom Mutterlande aus. - Von alle dem lag mindestens die Pflege und Bewahrung der kulturellen Eigenart, auch im fremden Staatsverbande, und die Aufrechterhaltung enger Beziehungen zur alten Heimat im Bereiche des Möglichen. Dieser Wunsch wurde auch von vielen Ausgewanderten geteilt, vor allem in Nordamerika. Je stärker das deutsche Element durch den Zustrom deutscher Auswanderer wurde, desto entschiedener erhob es Anspruch auf Wahrung seiner Eigenart9• Auch die Lenkung der Auswanderung nach be9 Schon die deutschen Massenversammlungen in Pittsburgh und Philippsburg 1838/39 hatten sich für die Wahrung der nationalen Rechte der deutschen Einwanderer und die Pflege des deutschen Kulturgutes ausgesprochen
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stimmten, klimatisch und wirtschaftlich günstigen Gebieten erschien nicht ausgeschlossen, wofern die deutschen Staaten sich zu gemeinsamem Handeln entschlossen. Die Ära der Kolonialpläne hingegen war seit den frühen vierziger Jahren vorüber; und es zeugte nicht von Wirklichkeitssinn, sondern von dem nationalen überschwang am Vorabend der deutschen Revolution, wenn noch 1847 ein namhafter Publizist die Gründung eines deutschen Staates durch Kauf mexikanischer oder texanischer Gebiete vorschlug und daran die Hoffnung knüpfte, daß "in wenig Jahren die ganze amerikanische Nation deutsch" sein werde, da schon 1845 die deutsche Einwanderung in die Union die britische übertroffen habe 10 • Die Meinung, daß eine kulturelle Betreuung der Auswanderer in ihrem Interesse wie in dem des Mutterlandes liege, besaß in der Berliner Regierung einen überzeugten Verfechter in dem Kultusminister Eichhorn. Angeregt durch das Unternehmen des Texasvereins, das die Aussicht auf die Zusammenfassung einer größeren Zahl deutscher Auswanderer in einem begrenzten Gebiete der Union zu eröffnen schien, hatte Eichhorn seine Vorstellungen von einer preußischen Auswanderungspolitik in einer Denkschrift vom 17. Februar 1845 ausführlich dargelegt. In seiner Gründlichkeit und Nüchternheit, seinem Gedankenreichtum und der Klarheit der Argumentation ist dieses Schriftstück ein Musterbeispiel gediegener Beamteninitiative. Daß es auch die Auswirkungen einer Aktivierung auf dem Auswanderungssektor auf Preußens Stellung in Deutschland einbezog, verstand sich von selbst bei einem Manne, der maßgeblich bei der Gründung des Zollvereins mitgewirkt und frühzeitig die nationalpolitische Bedeutung dieses Zusammenschlusses erkannt hatte. Ein Erfolg blieb Eichhorns Vorstoß freilich versagt, da seine Ministerkollegen sich bei aller Anerkennung seiner Darlegungen auf den reinen Rechtsstandpunkt zurückzogen: der Innenminister von Arnim mit dem Hinweis, daß die preußische Regierung sich um die Auswanderer nicht zu kümmern brauche, da nur wenige Preußen darunter seienl l • Im übrigen sorgte auch eine Denkschrift des Staatsministers von Rother vom 30. Oktober 1845, die für die Beschränkung der Auswanderung zugunsten einer großzügigen Kolonisation in den preußischen Ostprovinzen plädierte, dafür, daß die kulturund die Anmaßung der Knownothings, das wahre Amerikanertum darzustellen, entschieden zurückgewiesen. - Zahlreiche Beispiele für den Wunsch nach Pflege des kulturellen Zusammenhanges mit dem Amerikadeutschtum bei A. Meyer, Die koloniale Bewegung des frühen deutschen Liberalismus im Spiegel der Publizistik (Hamburg 1935). 10 E. L. Brauns, Neu-Deutschland in West-Amerika (1847), S. 75. 11 Eichhorns Denkschrift ist abgedruckt bei A. Zimmermann, Geschichte der preußisch-deutschen Handelspolitik (Oldenburg / Leipzig 1892), Bd. I, Anhang.
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politische Fragestellung bei der Erörterung des Auswanderungsproblems in Berlin für einige Zeit in den Hintergrund trat!2. Für eine praktische kulturpolitische Betreuung der Auswanderer, wie sie Eichhorn empfohlen hatte, gab es 1847 genug brauchbare Vorschläge. Den ersten Schritt von der Erörterung zur Verwirklichung tat seltsamerweise das von der Auswanderung verhältnismäßig wenig betroffene Bayern. Am 11. Juli 1847 verfügte die Regierung, Agenturen für die Auswanderung nach Nordamerika sollten nur solchen Personen überlassen werden, "von deren Gesinnung mit Grund zu erwarten steht, daß sie zur Bewahrung deutscher Volkstümlichkeit unter den Auswanderern nach Tunlichkeit tatkräftig dahin wirken werden, daß dortselbst Deutsche allenthalben wieder zu Deutschen kommen!s." Was Bayern möglich war, hätte auch Preußen unschwer tun können. Einen neuen Anstoß dazu stellte ein Vorschlag der Gesandtschaft in Washington dar, den der Gesandtschaft zugeteilten Assessor Lischke auf einer Reise durch die Union Erhebungen über die Lage und Bedürfnisse der deutschen Einwanderer und über die Frage anstellen zu lassen, wie die Auswanderung für Deutschland nutzbar gemacht werden könne. Wie alle früheren Anregungen scheiterte auch diese an dem kategorischen Widerspruch des Innenministeriums, der damit begründet wurde, daß die Auswanderung "unter allen Umständen ein übel sei, daß der Auswanderer, der dem Vaterlande jedenfalls ohne Notwendigkeit den Rücken kehre und ihm seine Kräfte entziehe, keinen An12 Sie erschien später als anonyme Broschüre unter dem Titel "über Auswanderung und innere Colonisation in besonderer Beziehung auf Preußen" (Berlin 1848). Huber (in Philippovich, a.a.O., S. 263) ist die Verfasserschaft Rothers unbekannt. Zur Vorgeschichte und dem Ergebnis der Denkschrift Rothers vgl. meine Artikelreihe "Siedlungsversuche im vormärzlichen Preußen" in der Monatsschrift "Der Ostsiedler" 4. Jg. (Berlin 1933) Nr. 8---10, die durch die Osthilfeskandale und die Abwürgung der Brüningschen Ostsiedlung durch die "Harzburger Front" angeregt wurde. 13 Der Erlaß wird in dem Beitrag von Krieg in Philippovich, a.a.O., zwar beiläufig erwähnt, aber nur im Hinblick auf seinen gewerbepolitischen Inhalt. Auch in dieser Hinsicht war Bayern mit den Verordnungen von 1837, 1840 und 1845 den anderen deutschen Staaten vorangegangen. Gänzlich neu und in der vormärzlichen Gesetzgebung ohne Gegenstück ist aber der national-deutsche Tenor des Erlasses von 1847. Ein Kommissionsbericht der Germanistenversammlung von 1847 spiegelt diesen Eindruck wider, wenn er "mit inniger Freude ... die unseres Wissens erste, ausdrücklich auf die Erhaltung der Nationalität im Auslande gerichtete Anordnung einer deutschen Regierung" begrüßte. - übrigens bemerkt Krieg, a.a.O., S. 62: "Stets war es ein leitender Gedanke der bayerischen Regierung, daß die Auswanderer nach solchen Ländern sich wenden, in welchen sie die deutsche Nationalität bewahren und mit Deutschland in Verbindung bleiben könnten." In dieser Hinsicht steht die - außerhalb unseres zeitlichen Rahmens liegende, aber thematisch einschlägige - bayerische Initiative am Bundestag 1856 in einem historischen Zusammenhang, der bisher kaum beachtet worden ist. Er sollte jedoch zwecks richtiger Einschätzung der leyenda negra der bayerischen Geschichte im neunzehnten Jahrhundert zur Kenntnis genommen werden.
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spruch auf Schutz und Hilfe seitens des verlassenen Landes habe, und daß deshalb für die Regierung kein Grund vorliege, dem Auswanderer seinen Schritt irgenwie zu erleichtern14 ." - Wie über solche Engstirnigkeit selbst hochachtbare Staatsdiener urteilten, ließ eine als Manuskript gedruckte Broschüre des Kölner Appellationsgerichtsrates von Ammon erkennen. Unter deutlicher Anspielung auf Friedrich Wilhelm IV. schrieb er, es sei widersinnig, Tausende für die Missionierung der Heiden und für die Heiligen Stätten aufzuwenden, aber mit dem Heller für die notleidenden Brüder zu geizen. Das Auswanderungselend klage "vor Gott die Regierungen an, daß sie nichts taten, es zu wenden ... Warum verkennt der Staat seine Pflicht, ... seine Ehre? ... Ich fordere, daß er sich nicht nur auf negatives Dulden beschränke, ... , daß er die Auswanderung leite, ihr ratend und helfend zur Seite stehe; ... ich fordere dies am meisten von dem preußischen Staate, dem man in vielen anderen Dingen eine vielleicht zu große Bevormundung seiner Glieder vorwirft15 ." III. Seit dem Einsetzen der deutschen Massenauswanderung in den dreißiger Jahren war es, allen Bemühungen von innen wie von außen zum Trotze, nicht gelungen, die preußische Regierung zu einer Auseinandersetzung mit dem Auswanderungsproblem zu veranlassen, die der Bedeutung der Sache und Preußens Ansehen in Deutschland entsprach. Sie hatte sich geweigert, eine Tatsache amtlich zur Kenntnis zu nehmen, die immer tiefer in das Leben des deutschen Volkes eingriff und auch das Ausland nicht gleichgültig ließ. Die Führungsmacht des Zollvereins war von der öffentlichen Meinung wie von namhaften Politikern und kompetenten Sachkennern immer wieder auf die wirtschaftliche, soziale und politische Bedeutung der Auswanderung hingewiesen worden. Sie hatte jeden Appell an ihre nationale oder humanitäre Verantwortung von sich abprallen lassen. Erst unter dem Eindruck der unmittelbar bevorstehenden Revolution entschloß sie sich zu dem Schritte, dem sie bisher hartnäckig ausgewichen war: die Bundesvertretung für die Regelung dieser deutschen Frage in Anspruch zu nehmen. Es war der Vertraute Friedrich Wilhelms IV., General Josef Maria von Radowitz, der diese Notwendigkeit seit langem erkannt und in das von ihm angestrebte "preußische Bündnis mit der öffentlichen Meinung Deutsch14 Es war nur das folgerichtige Ergebnis dieser Gr"mdsätze, wenn noch Ende 1851 die Regierung Köslin das "Heilmittel" für die Auswanderung in dem abschreckenden Beispiel erblickte, das das Elend der Rückwanderer für die Daheimgebliebenen bilde. 15 "Die Auswanderungen in ihrer Beziehung zum Staate" (1846).
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lands" eingeplant hatte t6 • Unter dem Eindruck der Februarereignisse in Süddeutschland konnte er in einem Ministerrate unter dem Vorsitze des Königs die preußische Regierung auf das von ihm entworfene Bundesreformprogramm verpflichten; und als eine der Maßnahmen, die zur "Belebung und Kräftigung des Deutschen Bundes" geeignet seien, wurde dabei auch die Errichtung von Bundeskonsulaten und die Regelung der Auswanderungs- und Kolonisationsfrage in Aussicht genommen. Die Ereignisse ließen solche verspätete Einsichten hinter sich t7 • Mit der Einberufung der Nationalversammlung, der Errichtung der Zentralgewalt und der Schaffung von Reichsministerien ging das Gesetz des Handeins an die souveräne Nation und ihre Organe über. Da bei den Beratungen der Paulskirche zunächst dringlichere Fragen im Vordergrund standen, blieb die Erörterung des Auswanderungsproblems im Sommer 1848 auf die Presse und die zahlreichen Auswanderungsvereine beschränkt, die sich aufgrund der Koalitionsfreiheit überall, vor allem aber in Süddeutschland, bildeten. Der bedeutendste von ihnen war der "Nationalverein für deutsche Auswanderung und Ansiedlung", der seinen Sitz bald von Darmstadt nach Frankfurt verlegte und in mehreren Städten Zweigvereine unterhielt. Auf seine Anregung trat im Oktober in Frankfurt unter Beteiligung namhafter Persönlichkeiten ein Kongreß deutscher Auswanderungsvereine zusammen, der die Nationalversammlung ersuchte, in den Hafenstädten und in Amerika Kommissare für die Betreuung der Auswanderer einzusetzen. Auch von anderen Vereinen und von einer ganzen Reihe von Patrioten in Deutschland und im Auslande gingen der Nationalversammlung Vorschläge für die Organisation der deutschen Auswanderung zu, die fast durchweg die Erhaltung der deutschen Nationalität bei den Auswanderern forderten. Das Hauptergebnis der Revolution in der Auswanderungsfrage bestand darin, daß am 20. Juli 1848 die Nationalversammlung den § 6 der Grundrechte annahm: "Die Auswanderungsfreiheit ist von Staats wegen nicht beschränkt. Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden. Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutz und der Fürsorge des Reiches". Zur Ausführung dieser Bestimmung legte der Volkswirtschaftliche Ausschuß am 6. März der Versammlung den Entwurf eines Gesetzes über die Schaffung eines Reichsauswanderungsamtes vor. Die16 P. Hessel, Joseph Maria von Radowitz, I, 1797-1848 (Berlin 1905), S. 385, 460 ff. 17 Zum folgenden: V. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution 1848 bis 49 (Berlin 1931) I, S. 161 ff., S. 323 und passim. - G. LeibbTand und F. Dickmann, Auswanderungsakten des Deutschen Bundestages (1817-1866) und der Frankfurter Reichsministerien (1848/49) (Stuttgart 1932); M. WalkeT,
op. cit. Kap. IV.
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ser Behörde sollte die überwachung der Auswandererbeförderung obliegen, wobei auch die Konsuln herangezogen werden sollten. Bei der Beratung erklärten sich die Vertreter der Reedereiinteressen aus den Hansestädten gegen jedes staatliche Eingreifen zugunsten der Auswanderer. Dagegen trat die Mehrheit der Versammlung entschieden für einen baldigen Erlaß des Gesetzes ein, das daraufhin am 16. März beschlossen, jedoch infolge des Zusammenbruchs der Revolution nicht mehr publiziert wurde 18 • - War damit auch die von der Nationalbewegung angestrebte einheitliche Regelung des Auswanderungswesens vereitelt, so waren doch wichtige Richtlinien und Zielpunkte für die einzelstaatliche Gesetzgebung normiert worden, an die nach dem Scheitern des Frankfurter Versuches die Regelung des Auswanderungsproblems zurückverwiesen war. Darüber hinaus hatte der revolutionäre Ausbruch deutlich gemacht, daß zwischen den politischen Spannungen des Zeitalters und der Auswanderung ein innerer Zusammenhang bestand. Beide hatten einen gemeinsamen Quellgrund: die restriktiven Strukturen in Staat und Gesellschaft, mit denen die restaurierten alten Herrschaftsmächte nach 1815 die zerstörerische Kraft der revolutionären Tendenzen im Denken und Leben hatten bändigen wollen. Diese Strukturen hatten von Anfang an weitgehend die neue Wirklichkeit verfehlt, die sich in den Geburtswehen der politischen, wirtschaftlich-technischen und sozialen Umwälzungen seit dem Ende des Ancien Regime angekündigt hatte; und eben dieses Versagen hatte den Protest hervorgetrieben, der sich in den Freiheits- und Einheitsparolen der liberal-nationalen Bewegung ideologisch zu artikulieren versucht und in der vormärzlichen Auswanderungswelle unreflektiert entladen hatte. Nicht als ob die Auswanderung vor oder nach 1848 vorwiegend politisch motiviert gewesen wäre: die ,Emigranten aus Gewissensgründen' haben damals wie immer nur eine Welle des Stromes gebildet. Existentiell aber lag hier wie da der gleiche Widerspruch gegen verkrustete Ordnungen vor, die der konkreten Wirklichkeit des Menschen der entstehenden nationalstaatlichen und nationalwirtschaftlichen Welt nicht gerecht wurden. Im Auswanderungsschrifttum der vierziger Jahre findet sich denn auch das gleiche unklare Gemisch von politischem Ressentiment, sozialem Unbehagen, philantropischer Gefühlsaufwallung, wirtschaftlichem Sichdurchsetzenwollen und zuweilen leicht hypertrophem nationalen Selbstbewußtsein, das dann im Revolutionsgeschehen aufbrodelte. - Das Scheitern der Nationalbewegung hatte auch die Auswanderungsfrage in den Hinter18 Hinsichtlich der Datierung herrscht im einschlägigen Schrifttum einige Verwirrung. Valentin (II, 323) datiert das Gesetz vom 18. März; nach Philippovieh, op. eit., XIII, legte der Ausschuß am 16. März dem Plenum den Entwurf vor, der "noch in derselben Sitzung beraten und angenommen" wurde.
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grund gedrängt. Das Problem aber war geblieben, und es erforderte nach wie vor eine Antwort: wie die Einheitsfrage, mit der es zusammenhing.
IV.
In der Revolution von 1848 war der 1815 bei der Gründung des Deutschen Bundes ausgeschaltete Dualismus der bei den deutschen Großmächte aufs neue entfacht worden. Friedrich Wilhelm IV. hatte zwar die von der Paulskirche angebotene Kaiserkrone abgelehnt; aber damit begann nur das Ringen um die deutsche Einheit unter preußischer Hegemonie in anderer Gestalt. Eine Deutsche Union aus Mittelund Kleinstaaten unter der Führung Preußens sollte an die Stelle des kleindeutschen Reiches der Frankfurter Versammlung treten. Dabei konnte ein Vorangehen in der Auswanderungsfrage dem von Radowitz schon am Vorabend der Revolution befürworteten "Bündnis Preußens mit der öffentlichen Meinung Deutschlands" nur zustatten kommen. Der starke Mann der Berliner Märzregierung, der Innenminister von Manteuffel, hatte bereits am 30. September 1848 unter Hinweis auf die eiru:chlägigen Beratungen der Nationalversammlung dem Außenminister von Arnim 19 eine "sorgfältige Prüfung" der Frage einer "tätigen Einwirkung" der Regierung auf die Auswanderungsangelegenheit nahegelegt. Das Ergebnis der daraufhin von Arnim eingeholten Informationen war allerdings infolge des kurz vorher erfolgten Revirements im auswärtigen Dienste ziemlich dürftig; nur der bereits erwähnte, inzwischen aus Nordamerika zurückgekehrte Assessor Lischke nahm ausführlich in einem Memorandum vom Dezember 1848 Stellung. Er forderte eine Lösung des Auswanderungsproblems nicht vom "abstrakten Standpunkt der Humanität" aus, sondern unter dem Gesichtspunkte des deutschen Nationalinteresses. Die Regierungen sollten die Auswanderer beraten, sie auf geeignete Gebiete hinweisen und durch staatliche Kommissare in den Ankunftshäfen betreuen lassen. Dann würde das Auswandererelend gänzlich, der Verlust der Nationalität wenigstens 19 Arnim hatte als Gesandter in Paris die Indolenz der Berliner Amtsstellen gegenüber in Not geratenen Auswanderern gründlich kennengelernt. Er hielt es darum 1846 in dem Katastrophenfalle Dünkirch~n (s.o.) für zwecklos, überhaupt nach Berlin zu berichten und wandte sich lieber an die französische Regierung um Hilfe. Als diese - trotz größter Besorgnis um Leib und Leben der geschwächten und nicht genügend ausgerüsteten Auswanderer - einen großen Teil von ihnen nach Algerien schaffen ließ, schrieb Arnim, die "mörderische Barmherzigkeit der Franzosen" sollte eigentlich den deutschen Regierungen deutlich machen, daß "das Gefühl der Nationalität nicht weniger als das der Menschlichkeit" Maßnahmen zum Schutze der Auswanderer fordere (Zimmermann, op. cit., S. 388 ff.).
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zum Teil vermieden werden. - Der als Gutachter hinzugezogene, soeben aus Washington eingetroffene Gesandte von Gerolt stimmte Lischkes Ausführungen in jeder Hinsicht zu. Im Frühjahr 1849 fanden auf Manteuffels Anregung interministerielle Kommissionsberatungen über die Stellung der Staatsregierung zur Auswanderung statt. Gleichz'eitig wurde in der Zweiten Kammer ein Gesetzentwurf eingebracht, der strenge Maßnahmen zum Schutze der Auswanderer sowie die Errichtung eines Auswanderungsamtes und die Unterstützung seiner Arbeit durch die Konsulate vorsah. Während dieser Entwurf infolge der Kammerauflösung Ende April nicht mehr zur Beratung kam, wurde bei den Kommissionsberatungen im Mai festgestellt, daß "die Ansicht, daß die Auswanderung als ein übel anzusehen und dem Interess'e der Auswandernden von Staats wegen Aufmerksamkeit nicht zuzuwenden sei, ... im verwichenen Jahre aufgegeben worden" sei. Polizeiliche Vorschriften allein seien nicht ausreichend, und die Auswanderungsfrage sei durch gemeinsame Gesetzgebung der verbündeten Regierungen zu regeln20 • Diese grundsätzliche Hinwendung zu einer aktiven Auswanderungspolitik gab auch dem von der Kommission ausgearbeiteten Gesetzentwurfe das Gepräge, der jedoch infolge des politischen Umschwungs im Sommer 1849 nicht zum Tragen kam. Als Manteuffel Mitte September unter Hinweis darauf, daß kein deutsches Auswanderungsgesetz mehr zu erwarten sei, auf ein selbständiges Vorgehen Preußens drängte und sich mit dem Entwurf der interministeriellen Kommission einverstanden erklärte, legte nach langem Zögern der Handelsminister von der Heydt am 12. März 1850 einen eigenen Entwurf vor, der sich auf die gewerbepolizeiliche Beaufsichtigung der Auswandererbeförderung beschränkte.
Im Sommer 1850 spitzte sich das Verhältnis der beiden deutschen Großmächte durch Preußens Festhalten an der Unionspolitik und Österreichs Widerstand gegen jede Minderung seiner Stellung in Deutschland krisenhaft zu. Dabei schien sich noch einmal die Möglichkeit einer umfassenden Regelung der Auswanderung wenigstens für die in der Union zusammengeschlossenen Staaten zu eröffnen. Die vom Erfurter Unionsparlament am 26. Mai 1850 beschlossene Verfassung bestimmte in Artikel 134 in wörtlicher übernahme der Formulierung der Paulskirche: "Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutz und der Fürsorge der Deutschen Union". Schon am 2. Juli legte daraufhin Manteuffel den übrigen Ministern einen Gesetzesentwurf vor, der am 13. Juli vom Ministerrat einstimmig angenommen und anschließend dE:m in Berlin als höchstes Organ der Union tagenden Provisorischen Fürstenkollegium zugeleitet wurde. Außer Bestimmungen über die 20
Gemeint waren die Partner des "Dreikönigbündnisses" vom 26. Mai 1849.
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gewerbepolizeiliche Regelung des Auswanderungswesens sah er die Errichtung eines Auswanderungs- und Kolonisationsamtes vor, das mit den Staatsregierungen und den Unionskonsuln zum Wohle der Auswanderer zusammenwirken sollte. Ihm sollte die Aufsicht über die Auswandererbeförderung und über die Auswanderungsvereine und Kolonisationsgesellschaften obliegen, ferner "tunlichste Fürsorge" für deutsche Ansiedlungen in übersee und die Sammlung von zuverlässigen Nachrichten über die Einwanderungsländer. Der Schutz der Deutschen Union sollte ohne Rücksicht auf die Staatszugehörigkeit jedem Deutschen zuteil werden, der ihn anrief. Bis zur Stellung von Unionsgesandten und Konsuln sollten die Vertreter der einzelnen Unionsregierungen sich der Auswanderer annehmen. Sie sollten ihnen, zusammen mit den deutschen Vereinen in übersee und im Einvernehmen mit den Behörden der Einwanderungsländer, bei der Niederlassung und Ansiedlung behilflich sein und dem Auswanderungs- und Kolonisationsamte regelmäßige und genaue statistische Mitteilungen über die Einwanderung in ihrem Amtsbereiche machen. Dadurch und durch die Mitarbeit der heimischen Behörden sollte das Amt in Stand gesetzt werden, alle mit der Auswanderung zusammenhängenden Fragen zentral zu bearbeiten. Schließlich sollte die Union versuchen, den Bestimmungen des Gesetzes auch in den nicht zur Deutschen Union gehörenden deutschen Staaten auf dem Verhandlungswege Geltung zu verschaffen. In der deutschen Öffentlichkeit fand der Entwurf, der im Staats anzeiger veröffentlicht wurde, begeisterte Aufnahme 21 • Bei der Beratung im Fürstenkollegium äußerten nur die Vertreter der Hansestädte ähnlich wie beim Reichsauswanderungsgesetz - Bedenken wegen einiger Bestimmungen über das Agenten- und Transportwesen, die den Reedereiinteressen nachteilig erschienen. Auf harten Widerstand aber stieß der Entwurf bei dem Handelsminister von der Heydt, der die Regelung der Auswanderung in erster Linie als Angelegenheit seines Ressorts betrachtete. Er erhob Einspruch dagegen, daß sein Gesetzesentwurf vom 12. März achtlos beiseite geschoben und sein Ministerium bei der Ausarbeitung des neuen Entwurfes ganz übergangen worden sei. Grundsätzlich wandte er ein, daß der Unionsentwurf eine Zentralbehörde errichten wolle, der außer legislatorischen Befugnissen auch 21 Der "Nationalverein für deutsche Auswanderung und Ansiedlung" in Frankfurt (s.o.) erbat einige Exemplare, um durch seine Zweigvereine in Württemberg, Baden und den beiden Hessen bei den dortigen Regierungen den Erlaß gleichlautender Gesetze anzuregen. Ein süddeutsches Blatt schrieb: "Wie auch die politische Gestaltung Deutschlands aus den Wirren der Gegenwart hervorgehen mag, es wäre sehr zu wünschen, daß die gemeinnützigen Bestrebungen dieses Gesetzes von dem staatlichen Zwiespalt unseres Vaterlandes nicht berührt würden, sondern allgemeine Anerkennung finden möchten." (zitiert bei Zimmermann, op. cit., S. 407).
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eine Stellung eingeräumt sei, "wodurch mit Umgehung der oberen Landesbehörden in den Unionstaaten ein Subordinationsverhältnis der Lokal- und Provinzialbehörden unter das zu errichtende Amt" geschaffen werde. Dies erscheine "mindestens bedenklich." - Manteuffel unterstrich demgegenüber, daß die deutsche Auswanderung aus volkswirtschaftlichen, sozialen und politischen Gründen eine umfassende Regelung erfordere. Von der Heydts Entwurf habe nur Bestimmungen über die Auswandererbeförderung enthalten, die in angemessener Weise berücksichtigt worden seien. Die Schaffung einer Zentralbehörde sei ein allgemein anerkanntes Bedürfnis, und ihre Stellung den Lokalbehörden der Einzelstaaten gegenüber entspreche durchaus dem Geiste der Unionsverfassung. Im übrigen sei die grundsätzliche Richtigkeit der für den Entwurf maßg·eblichen Gesichtspunkte von der gesamten Öffentlichkeit des In- und Auslandes anerkannt worden. Während noch dieser von Ressortehrgeiz und preußisch-partikularistischem Staatsdenken inspirierte Papierkrieg im Gange war, entzog der Zusammenbruch der preußischen Unionspolitik (Olmütz 28. November 1850) dem Gesetzesvorhaben die Grundlage. Schon wenige Tage darauf versuchte von der Heydt von neuern, seine Konzeption durchzusetzen. Zu seiner Enttäuschung stellte sich jedoch der neue Innenminister von Westphalen auf den Standpunkt seines Vorgängers, indem er ein bloßes Polizeigesetz für unzulänglich erklärte und zugleich bemängelte, daß von der Heydts Entwurf nur auf die preußischen Verhältnisse zugeschnitten sei. Die Notwendigkeit einer über den Einzelstaat hinausgreifenden Regelung der Auswanderung bleibe bestehen, und man müsse versuchen, durch Verhandlungen mit den Einzelregierungen dem Ziele näherzukommen. Gerade unter den gegenwärtigen Verhältnissen sei es angebracht, der "diesseitigen Regierung das Feld für Unterhandlungen mit den übrigen deutschen Staaten über dergleichen allgemeine Angelegenheiten in jeder Beziehung offen zu halten und die dazu geneigten Regierungen durch einseitige legislative Bestimmungen in keiner Weise abzuschrecken." Die Auswanderungsfrage sei in dieser Hinsicht ein vortreffliches Betätigungsgebiet für die deutsche Politik Preußens. Er schlage darum vor, in kommissarischen Ver':' handlungen die Grundzüge eines Vertrages zu entwerfen, der für den Beitritt anderer deutscher Staaten geeignet sei. Als der Handelsminister wieder Einwände dagegen erhob, unterstrich Westphalen nochmals mit ungewöhnlichem Nachdruck den leitenden Gesichtspunkt der preußischen Auswanderungspolitik in seinem und Manteuffels Sinne: "Wir wünschen dringend, daß in dieser so viele Interessen der Nation berührenden Angelegenheit, die überdies die öffentliche Aufmerksamkeit in hohem Grade in Anspruch nimmt, so schnell als möglich vorgegangen und dabei von Preußen die bisherige leitende Stellung beibehalten werde".
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Einen praktischen Schritt in dieser Richtung unternahm die Regierung, indem sie auf eine Anregung von dritter Seite hin 22 , die preußischen Vertreter in Süd- und Mittelamerika anwies, sich im Bedarfsfalle der immer zahlreicher werdenden deutschen, auch nichtpreußischen Einwanderer in diesen Ländern anzunehmen. In denkbar stärkstem Gegensatze zu dem Inhalt und Geiste dieses Erlasses und zu allen programmatischen Äußerungen Manteuffels und Westphalens standen jedoch die Beratungen der vom Innenminister im April vorgeschlagenen Kommission, die erst im Oktober zusammentrat. Sie beschloß sofort mit großer Mehrheit, den Entwurf des Handelsministers zugrundezulegen, d. h. sich bei dem auszuarbeitenden Vertragsentwurf auf die Regelung des Auswanderertransportes zu beschränken. - Die Gründe für diesen radikalen Kurswechsel lagen darin, daß die am 15. Mai beendete Dresdener Konferenz alle Hoffnungen auf einen von Preußen geführten Sonderbund in Deutschland zunichte gemacht hatte. Österreich hatte die Wiederherstellung des Deutschen Bundes in seiner alten Gestalt vorgezogen, weil Preußen die erwartete Gegenleistung in Gestalt einer engeren wirtschaftlichen und politischen Verklammerung Österreichs in Deutschland nicht zugestehen wollt~. Durch diese Entwicklung aber waren Verhandlungen Preußens mit anderen deutschen Staaten über eine umfassende Regelung des ganzen Auswanderungswesens in nationalem Sinne gegenstandslos geworden. Dafür war nunmehr wieder der Bundestag zuständig, und nichts lag der Berliner Politik ferner als die Absicht, ihn zu einem funktionsfähigen Organ des deutschen politischen Lebens zu machen. Wurde aber eine so spektakuläre Frage wie die Auswanderung aufgeworfen - in den Jahren 1851 bis 54 wanderten 6-700000 Deutsche allein nach übersee aus -, so stand nicht nur mit Sicherheit zu erwarten, daß der Bundestag sie an sich ziehen werde, sondern daß in diesem Zusammenhange auch die Frage der deutsch-mitteleuropäischen Wirtschaftseinung zur Sprache kommen würde. Ein Anschluß Österreichs an den Zollverein und die Formierung eines großdeutschen Mitteleuropa hätte wiederum alle Möglichkeiten einer preußisch~n Hegemonie in Deutschland auf Dauer ausgeschlossen, und darum war die Berliner Politik an der Aufrollung der Auswanderungsfrage im Herbste 1851, nach Dresden, nicht mehr interessiert. Unter diesen Umständen'einigte man sich bei den Kommissionsberatungen sogleich auf den Entwurf von der Heydts, der diesen heiklen 22 Manches spricht dafür, daß es sich um bestellte Arbeit handelte. Die Anregung kam vom "Berliner Verein", in dem ein Mitarbeiter Manteuffels, der Regierungsrat Gaebler, eine führende Stellung einnahm (s. u.). Es kommt hinzu, daß eine Denkschrift des Auswärtigen Amtes vom April 1851 sich in ganz ähnlichen Gedankengängen wie die Motivierung des Vereinsantrags bewegt.
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Punkt von vornherein ausschloß. Widerspruch erhob nur der als Vertreter des Innenministeriums beteiligte Regierungsrat Gaebler, ein ausgezeichneter Sachkenner und Mitbegründer des 1849 entstandenen "Berliner Vereins zur Centralisation deutscher Auswanderung und Kolonisation". Auch er hielt eine Gesamtregelung der Auswanderungsfrage angesichts der gegebenen politischen Situation nicht für erreichbar, wollte aber trotzdem über die polizeiliche überwachung des Auswanderertransportes hinausgehen; nur dann sei bei etwaigen Verhandlungen mit anderen Bundesstaaten auf Zustimmung zu rechnen. Seine grundsätzlichen Einwände faßte er in einem Separatvotum zusammen, das die politische Seite der Auswanderungsfrage betonte und Gegenvorschläge machte, die auf einen behelfsmäßigen Ersatz für das nicht zustande gekommene Auswanderungsamt hinausliefen. Die dem geplanten Vertrage beitretenden Regierungen sollten nämlich jährlich mindestens einmal ihre Kommissarien zu gemeinschaftlichen Beratungen zusammentret'en lassen, und in der Zwischenzeit sollte ein ständiger Ge:;;chäftsaus:;;chuß das statistische Material über die deutsche Auswanderung sammeln, die Gesetzgebung der europäischen und überseeischen Länder in Auswanderungs- und Kolonisationsfragen verfolgen und die gesammelten Erfahrungen, nötigenfalls mit Anträgen und Bemerkungen, den Versammlungen der Regierungskommissare vorlegen23 • Der von der Kommission im Laufe des Winters erarbeitete Entwurf erwies sich als eine Totgeburt: am 5. Juli 1852 schrieb von der Heydt dem Ministerpräsidenten, man müsse die Absicht aufgeben, das Auswanderungswesen durch vertragliche Einigung und gemeinsame Gesetzgebung der beteiligten Staaten zu regeln. Bei näherem Zusehen bestehe jedoch auch kein derartiges Bedürfnis, denn die bisher dafür vorgebrachten Gründe seien nicht mehr stichhaltig. Sie seien sachlicher und historischer Natur gewesen: sachlich, insofern man in der deutschen Massenauswanderung "einen Keim und Anfang deutscher Macht und deutscher Staatenbildung jenseits des Ozeans" erblickt habe; historisch, insofern man nach dem Frankfurter Vorgehen 1849 gemeint habe, spä23 Zur Begründung wies Gaebler darauf hin, daß die Auswanderung schon aus wirtschaftlichen Gründen die größte Aufmerksamkeit verdiene. Aus Deutschland zögen alljährlich etwa 100000 Menschen mit 20 Millionen Talern fort, aus Preußen allein 30000 mit 6 Millionen Talern an barem Gelde. "Wäre es irgend eine Industrie, die jährlich 6 Millionen Taler nach einer bestimmten Richtung hin ab- oder zufließen ließe, man würde sie gewiß nicht ignorieren!" Ein ernstes und dauerndes Studium der Auswanderung liege ebenso im preußischen Interesse wie die Schaffung der Kommission, in der Preußen eine ausschlaggebende Rolle einnehmen werde. Die Auswanderung sei nicht nur materiell eine höchst wichtige, sondern auch eine populäre Frage. "Die Gelegenheit wird hier geboten, in dieser Frage eine leitende Gewalt auszuüben. Die so unscheinbare Geschäftskommission kann den Keim zu manch anderem und größerem enthalten. Man lasse diese schwerlich wiederkehrende Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen!"
Beamteninitiative und Polizeistaatsdenken
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ter in Berlin, Erfurt und Dresden nicht "ganz auf die Gemeinsamkeit in denjenigen Dingen verzichten zu können", die bereits in Frankfurt über das Stadium allgemeiner Erörterungen hinausgeführt worden waren." Beide Motive seien "jedenfalls heute für die preußische Regierung nicht mehr maßgebend." - Die ausdrückliche Zustimmung sämtlicher übrigen Minister zu diesem Schreiben bestätigte nur, daß Berlin sich für das Problem der deutschen Auswanderung nicht mehr interessierte, nachdem es sich für das preußische Hegemoniestreben als untaugliches Werkzeug erwiesen hatte. Am 18. Januar 1853 legte der Handelsminister einen Gesetz'esentwurf vor, der fast unverändert vom Staatsministerium angenommen und vom König gebilligt wurde 24 • Bei der Beratung in den Kammern wurden die im Entwurf nur für die überseewanderung gedachten Vorschriften auf die Auswanderung preußischer Staatsbürger überhaupt ausgedehnt. In dieser Fassung wurde am 7. Mai 1853 das preußische "Gesetz betreffend die Beförderung von Auswanderern" veröffentlicht, das bis zur Jahrhundertwende in Kraft geblieben ist: während der ganzen Epoche der deutschen Massenauswanderung im neunzehnten Jahrhundert.
V. "Parturiunt montes "könnte man als Fazit zu ziehen versucht sein. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der heute nicht selten selbst Fachhistoriker die Elle der eigenen Urteile oder auch Vorurteile an Vergangenes anlegen, trägt nicht eben zum geschichtlichen Verstehen bei. Warum die Berliner Ministerialbürokratie, die 1815-1867 über mehr Macht verfügte als je zuvor oder nachher, zu spät die Möglichkeit begriff, die die deutsche Auswanderung einer weitschauenden preußisch-deutschen Politik bot, hat vielerlei Gründe; darunter viele, die nicht zu Lasten derer gehen, die vor dieser Aufgabe versagten. Nicht einmal das Befangensein in etatistischen Koordinaten wird man den Führungskräften eines Staatswesens zum Vorwurf machen dürfen, das nie mehr als Staat war und damals noch nicht den Anspruch erhob, der nationale Staat des deutschen Volkes zu sein. Daß aber Männer wie Bodelschwingh vor und von der Heydt nach 1848 polizeistaatliche Reglementierung statt politischer Regelung für ein mögliches Mittel zur Lösung eines großen, über den eigen-en Staat hinausweisenden Problems hielten, zeigt die Beschränktheit eines Denkens, das in der Routine des Verwaltens und Regierens Gefahr läuft, das Ziel allen menschlichen Dienstes aus den Augen zu verlieren: den Menschen in seiner konkreten Existenz. 24
Ausführlich bei Leidig, Die Preußische Auswanderungspolitik. In: Phi-
lippovich, op. cit., S. 446 ff.
Demokratische Tendenzen in der Pflege der Verwaltungswissenschaft Von Reinhard Schaeder Wenn die berühmte Formel Lincolns, welche er 1863 in der ,Gettysburg Address' für ein demokratisches Gemeinwesen prägte: "government of, by and for the people", auch für die Bundesrepublik gelten soll, so darf hier von einem Eingehen auf das "of" (vgl. dazu Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, in Entsprechung zu Art. 1 Abs. 2 WeimV) deshalb abgesehen werden, weil das damit angesprochene Prinzip der Volkssouveränität ein Thema nicht der Verwaltungswissenschaft, sond-ern der Allgemeinen Staatslehre (und des Staatsrechts)! ist. Es bleiben für eine spezifisch verwaltungswissenschaftliche Abhandlung demzufolge die Sinngehalte des Formelwortes "by" , womit auf die "Organisation" (im weitesten Sinne) abg-estellt ist, sowie des Ausdruckes "for", der die (demokratischen) "Funktionen" jener Organisation anspricht. Auf Organisation und Funktionen des "government" sollen sich demgemäß die folgenden Ausführungen beziehen, indem die Untersuchung nach den demokratischen Tendenzen fragt, welche gerade diese - für eine "Demokratie" offenbar schlechthin grundlegenden - Bereiche im Rahmen der Verwaltungswissenschaft charakterisiert haben und heute kennzeichnen.
I. Hierbei muß ersichtlich vorweg geklärt werden, was "government" im demokratischen Milieu zu bedeuten hat. Eine differenzierende Klärung würde um so unerläßlicher sein, wenn anzunehmen wäre, daß 1 Vgl. dazu Roman Herzog: Allgemeine Staatslehre [Frankfurt 1971], S. 53 und bes. 201 ff. (Es sei hier sogleich auf die zahlreichen in dem Buch von Herzog gegebenen orientierenden Hinweise auf Artikel des ,Evangelischen Staatslexikon', Stuttgart und Berlin 1966 aufmerksam gemacht, die die erforderlichen "Einstiegsmöglichkeiten" in Probleme aufzeigen, welche in den folgenden Ausführungen anklingen, in diesen aber nicht in extenso behandelt werden können). - Ferner Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre. 2 Stuttgart 1966, bes. S. 200; vorher Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre, 3 (1914) Vierter Neudruck Berlin 1922, bes. S. 707 ff.; schließlich die Vorträge über ,Demokratie' und die Diskussionsbeiträge zu diesen in dem Anm. 21 zitierten Werk, das. passim.
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dafür verschiedene Interpretationen des Begriffs "government" nicht allein grundsätzlich möglich wären, sondern die Wahl des jeweils bevorzugten Begriffsinhalts in Rück-, wenn nicht gar in Wechselwirkung zu Organisation und Funktionen, wie sie hier zu verstehen sind, stünde. Aber ist jene Annahme überhaupt angebracht und zwingend? Diese Frage läßt sich verneinen, wenn man an der in neuerer Zeit besonders von Max Weber begründeten2 - und wohl allseits 3 (bis auf die entschiedensten Vertreter eines ideologischen Marxismus) ausdrücklich anerkannten - Aussage des Inhalts festhält, daß jedes Gemeinwesen - und damit auch ein solches, das sich als "demokratisch" versteht - in seiner Organisation wie der Erfüllung irgendwelcher Funktionen gleichermaßen der Machtausübung durch mit Zwangsgewalt ausgestattete Herrschaft bedarf, also insofern nicht mit prinzipiellen Unterschieden zwischen verschiedenen Fällen oder (ideell gesehen) Betrachtungsweisen zu rechnen ist. Positiv gewendet: auch einem Gemeinwesen, das "demokratisch" ist bzw. sein will, muß die Existenz von Herrschaft, welche Macht durch Zwang ausüben kann, eigen sein und zugedacht werden. Wenn das gilt, braucht man hier nicht auf das damit verbundene Legitimitätsproblem4 - welches wiederum von der Allgemeinen Staatslehre zu bedenken (und vom Staatsrecht normativ auszuformen) wäre - einzugehen. Auch einige weitere Abgrenzungen legen sich eingangs nahe, die zwar nicht zwingend (also nur affirmativ, als Vorschlag aufzufassen) sind, aber der Stringenz des weiteren Gedankenganges zugutekommen können: Einmal soll die folgende Untersuchung sich auf die verschiedenen (unter disparatesten Bezeichnungen und disziplinären Zurechnungen unternommenen) Behandlungen unseres Gegenstandes aus der Zeit von etwa 1800 ab bis zur Gegenwart beschränken. Zwar spricht vieles dafür, daß alles Wesentliche über ihn - wie ich in anderem Zusam2 Vgl. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. 2 oder (unverändert) 3 Tübingen 1925 bzw. 1947, S. 124 ff., 650 ff. bes. 667. (Es wird hier stets davon abgesehen, spätere - insbesondere "erweiterte" und manchmal mit (recht überflüssigen) "Geleitworten" versehene - Auflagen der Originalausgaben der Schriften Max Webers heranzuziehen. Vielmehr wird er immer nach den Originalfassungen zitiert). 3 Vgl. dazu den (Anm. 21 zitierten) Vortrag von Hans Kelsen über die ,Demokratie' (das. S. 37, 51 ff.) sowie die entsprechenden Äußerungen in der Diskussion (das. 77: Franz Oppenheimer, 85: Leonard Nelson, 105, 107: Gottfried Salomon). - Ferner aus neuerer Zeit noch Wolfgang Lipp: Handlung und Herrschaft - Systemkategorien bei V. Pareto, M. Weber und T. Parsons; in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 19 (1968), S. 332-362 (mit weiteren Literaturangaben); ferner bes. Roman Herzog: Allgemeine Staatslehre. Frankfurt 1971, S. 312 und die das. genannte Literatur. 4 Vgl. dazu Hermann Heller: Staatslehre. 3 Leiden 1963 (bes. die im Sachund Namensregister angegebenen Fundstellen zum Stichwort ,Legitimität').
Demokratische Tendenzen in der pflege der Verwaltungswissenschaft 161 menhang 5 nachweisen möchte - schon vorher gedacht und ausgesprochen wie zum Druck gebracht worden ist. Aber wenn wir auf die Berücksichtigung jener Vorleistungen hier verzichten, so lassen sich um 50 klarer die Vertreter einer Wissenschaft von der (öffentlichen) Verwaltung herausst-ellen, die in der uns seit dem 19. Jahrhundert geläufigen systematischen Weise erstmals und zugleich endgültig über das demokratische Verständnis von Organisation und Funktionen - und jetzt darf schlicht gesagt werden: staatlicher Herrschaft sich geäußert haben. Die Herausstellung solcher Vertreter der Verwaltungswissenschaft muß gerade für die Gegenwart auch deshalb wesentlich erscheinen, als die Bezugnahme auf sie von der Würdigung vieler modernerer "Leistungen" (welche nicht der Aufdringlichkeit, aber um so mehr der Originalität ermangeln) abzusehen erlaubt6 • - In diesem Sinne darf man sagen: für das Problem einer demokratisch verstandenen Organisation findet sich alles wesentlich-e bei St-Simon7 , bei Johann Plenge B, 5 Vgl. dazu mein demnächst erscheinendes Buch: ,Verwaltungswissenschaft - Entwicklung, Stand, Tendenz'. Inzwischen sind - u. a. als Quellenwerke - sehr dienlich: Gustav Marchet: Studien über die Entwickelung der Verwaltungslehre in Deutschland von der zweiten Hälfte des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. München 1885 (Nachdruck 1966); aus neuerer Zeit Hans Maier: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (Polizeiwissenschaft). Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft in Dzutschland. Neuwied und Berlin (1966); besonders aber das (nach heutigen Maßstäben ganz ungewöhnlich sorgfältig gearbeitete) Buch von Hans L. StaUenberg: Geschichte der deutschen Gruppwissenschaft (Soziologie) mit besonderer Beachtung ihres Wortschatzes. Erster [einziger] Teil bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Leipzig 1937. 6 Vgl. dazu auch Anm. 62. 7 Das Schrifttum von St-Simon (und seinen Schülern) ist äußerst unübersichtlich. Vgl. dazu die näheren Angaben bei Gerhard Stavenhagen: Saint-Simon und die Saint-Simonisten. In: HdSw 9 (1953) 1956, S. 79-84. Um sicher zu gehen, wird man nach dem damaligen Stande immer noch die 47bändige Gesamtausgabe (Nachdruck Aalen 1963/64) heranzuziehen haben. Glücklicherweise ist letzthin (1966) in Paris eine 6bändige "konzentrierte" französische Neuausgabe erschienen, die nicht nur alles wesentliche aus der erwähnten Gesamtausgabe komplett enthält, sondern dazu einige wichtige Arbeiten, die in der letzteren noch nicht enthalten sind. - Für das (heute auch bei uns wieder zunehmende) Interesse an den Gedanken St-Simon's (darüber jetzt sehr aufschlußreich Manfred Hahn: Präsozialismus: ClaudeHenri de Saint-Simon. Ein Bericht. Stuttgart 1970, der auch - das. S. 60-76 - eine sorgfältig überprüfte Bibliographie der Schriften von und über StSimon nach dem Stande von 1965/66 bringt) ist bezeichnend, daß gerade jetzt (1971) eine größere - etwa 1000 Seiten umfassende - deutschsprachige Auswahl seiner ,Schriften zur politischen Theorie' geplant wird, nachdem man sich in deutscher übersetzung bisher hauptsächlich mit den Auswahlsammlungen von Georg Adler (Leipzig 1905), Friedrich Muckle (Leipzig 1911) und Gottfried Salomon-Delatour (Berlin 1919) sowie - Neuausgabe - (Neuwied und Berlin 1962) behelfen mußte. - Eine vorzügliche Untersuchung übe r ,Saint-Simon und die Saint-Simonisten' aus neue ster Zeit (und besonders unter "modernen" Aspekten) bringt das 1970 (Basel, Tübingen) erschienene Buch von Rolf Peter Fehlbaum. 8 Bezüglich des Schrifttums von J ohann Plenge lagen die Dinge bisher ähnlich wie bei St-Simon. Nunmehr hat sich einer Neuedition derselben in
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sowie einer hauptsächlich in Österreich beheimateten Gruppe von Wissenschaftlern9 ; für die in gleicher Weise aufgefaßten Funktionen außer bei St-Simon - insbesondere bei Hermann Roesler lO und wiederum bei einer hauptsächlich von Deutschland her orientierten Gruppe von Wissenschaftlern (meist aus dem Bereich der Historie kommend), welche zumindest im Sinne einer Entwicklungstypologie die systematischen Grundlagen einer auch für uns verbindlichen Lehre von den administrativen Funktionen geschaffen haben l l . Es ist naheliegend, daß erster Linie Hanns Linhardt angenommen: (a) ,Das System der Verkehrswirtschaft'. Tübingen 1903, jetzt als Nachdruck in: Johann Plenge - Hanns Linhardt: Das System der Verkehrswirtschaft. Tübingen 1964; (b) Cogito ergo sumus. Eine Auswahl aus den Schriften von Johann Plenge, 1874-1963, über Wirtschaft und Gesellschaft, Geschichte und Philosophie, Sozialismus und Organisation, Berlin (1964); (c) Johann PI enges Organisations- und Propagandalehre. Berlin (1965); hierin auch S. 179-190 ein - wohl komplettes - Verzeichnis der veröffentlichten ,Schriften von Johann Plenge'. (Dazu sehr beachtliche Rezension von Renate Mayntz in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 18 (1966), S. 611-613). - Man sollte hinsichtlich der Qualität der Plenge'schen Auffassungen auch nicht übersehen, daß ein Mann vom Range Werner Sombart's zu Plenge's Buch ,Marx und Hegel' (Tübingen 1911) bündig erklärt hat: "Gehört zu dem Besten, was über Marx geschrieben ist". Werner Sombart: Der proletarische Sozialismus ("Marxismus"). 10 Jena 1924, Bd. 1, S. 430. - Eine ausgezeichnete neuere Arbeit übe r Plenge stellt der von Bernhard Schäfers 1967 (Stuttgart) herausgegebene Sammelband: Soziologie und Sozialismus, Organisation und Propaganda. Abhandlungen zum Lebenswerk von Johann Plenge, dar. g Vgl. dazu die einzelnen Nachweise für (a) Adolf Merkl: Anm. 17-19; (b) Hans Kelsen: Anm. 21-22. - Es wäre zu wünschen, daß die bei uns heute das lauteste Wort führenden "in der Wolle gefärbten Demokraten" von dieser ganzen Literatur über Organisation und Funktionen einer wirklich demokratischen Verwaltung endlich einmal Kenntnis nähmen. 10 Bequemster Nachweis der "juristischen" wie "ökonomischen" Schriften von Hermann Roesler (1834-1894) in: HdSt 4, 7 (1926), S. 111, sowie neuerdings in dem nachstehend angeführten Buch von Rauscher, S. 291 bis 293. (über Roesler's ,Das sociale Verwaltungsrecht' wiederholt Ernst Forsthoff immer noch - in seinem ,Lehrbuch des Verwaltungsrechts', I J München und Berlin 1966, S. 45 sein sich völlig verständnislos gebendes Urteil). - Demgegenüber ist Roesler in neuester Zeit gewissermaßen wieder "entdeckt" worden in der hervorragenden Schrift übe r Roesler von Anton Rauscher: Die soziale Rechtsidee und die überwindung des wirtschaftsliberalen Denkens. Hermann Roesler und sein Beitrag zum Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft. München, Paderborn, Wien 1969. - Man wird Roesler wohl auch als denjenigen anzusehen haben, der als erster im normativen Bereich die Möglichkeiten für ein "institutionalisiertes Fortschreibungsverfahren" (so Roman Herzog: In: Funktionsgerechte Verwaltung im Wandel der Industriegesellschaft. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 43). Berlin 1969, bes. S. 26) gesehen und entwickelt hat. Diesen Gedanken hat jetzt Roman Herzog in seiner Allgemeinen Staatslehre. Frankfurt 1971, bes. S. 326 ff. des Näheren ausgeführt. 11 Hinsichtlich der hier angesprochenen systematisch-typologischen Leistung ist in erster Linie zu verweisen auf (a) Gustav (von) Schmoller (1838-1917): über Behördenorganisation, Amtswesen und Beamtenthum im Allgemeinen und speciell in Deutschland und Preußen bis zum Jahre 1713. In: Acta Borussica. Behördenorganisation und allgemeine Staatsverwaltung, 1. Bd. Berlin 1894; ferner seine -
Demokratische Tendenzen in der Pflege der Verwaltungswissenschaft 163 sowohl bei jener, wie bei dieser Gruppe ein führender Kopf für das administrative Verständnis maßgebend geworden ist: dort ist es Adolf Merkl, hier (früher Gustav von Schmoller, jetzt) Fred W. Riggs 12 • Im übrigen wird es sich noch empfehlen, aus der Behandlung die heute zahlreichen - Fälle von jungen "Entwicklungsländern" (es gibt auch "alte", für welche anderes gilt) auszuklammern 13 • Denn für ihre administrative Würdigung und adäquate Verwaltungswissenschaft "demokratische" Tendenzen fordern zu wollen, muß - was übrigens gerade F. W. Riggs überzeugend dargetan hat 14 - auf eine ebenso naive wie verhängnisvolle Groteske hinauslaufen. Das werden die späteren Ausführungen - wenn auch manchmal (der gebotenen Kürze wegen) sozusagen nur im Gegenschluß - des näheren zu belegen haben; hier möge - als wiederum zunächst nur affirmative Behauptung - dieser Hinweis genügen.
II. Was also ist zunächst bisher von der Wissenschaft für das demokratische Verständnis der administrativen Organisation 15 geleistet worden? Als die hier in erster Linie zu nennenden Wissenschaftler wurden oben schon Claude-Henri de Rouvroy Comte de Saint-Simon (1760-1825) sowie Johann Plenge (1874-1963) und nicht zuletzt Adolf Merkl (1890 bis 1970) bezeichnet. Dabei ist mit Bezug auf ihr Werk von allem nur "Zeitlichen" (einschließlich mancher - überall anzutreffender - persönlich getönter aus dem Nachlaß herausgegebene - ,Preußische Verfassungs-, Verwaltungs- und Finanzgeschichte' . Berlin 1921. (b) Otto Hintze (1861-1940): Gesammelte Abhandlungen. 3 Bde. 2 Göttingen 1962, 1964, 1967. (Vgl. das. im 3. Bd. im Sachregister die Fundstellen zu den Stichworten ,Typus' usw., ,Idealtyp'.) Den Primat jener Leistung wird man doch wohl Schmoller zuzusprechen haben (vgl. dazu u. a. Carl Brinkmann: Gustav Schmoller und die Volkswirtschaftslehre. Stuttgart 1937, bes. S. 115 ff.; dagegen neuerdings HansUlrich Wehler (Hrsg.): Moderne deutsche Sozialgeschichte. Köln, Berlin 1966 (darin bes. die Aufsätze von Werner Conze und Hans Mommsen). 12 Hauptsächlich sind hier folgende beiden Bücher von Fred W. Riggs zu nennen (das eine ein Aufsatzband, das andere eine Monographie): (a) Administration in Developing Countries. The Theory of Prismatic Society. Boston 1964. (b) Thailand. The Modernization of a Bureaucratic Polity. Honolulu 1966. 13 Vgl. dazu Alfred Diamant: Modellbetrachtung der Entwicklungsverwaltung (Autoris. übers. von Hans Jecht). Baden-Baden 1967. 14 Vgl. dazu bes. seine Anm. 12 unter (a) zitierte Aufsatzsammlung. 15 Diese bezeichnet Schmoller in seinE:m oben (Anm. 11 a) zitierten Einleitungsaufsatz zu den Acta Borussica - gewiß mit Recht - als "das wichtigste Stück ... der Staatsverfassung" (das., S. 17).
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Sottisen), woran sich - wenn sonst Spitzenqualität vorliegt - am wenigsten ein Wissenschaftler, aber eigentlich auch kein politischadministrativer " Praktiker " (innerlich) stoßen sollte, abzusehen16 . Dann aber tritt das Bleibende ihres spezifisch demokratischen Organisationsverständnisses um so deutlicher hervor. Bei St-Simon ist es - so könnte man wohl am besten ihn (wie entsprechend die weiterhin zu Nennenden) charakterisieren - die Einschätzung der "Industriellen" (was besagen will: aller wirtschaftliche Werte Schaffenden) als jedenfalls faktisch (und auch wünschbar?), der "Wissenschaftler" als jedenfalls wünschbar (und auch faktisch?) die administrative Apparatur Lenkenden; dabei hat er das relative "Gewicht" jener Industriellen für die Zukunft etwa unseres demokratisch zu nennenden Gemeinwesens wohl immer noch unter-, dasjenige seiner Wissenschaftler wohl umgekehrt überschätzt. Den Gewichtungsfehler dieser (trotzdem noch eine erstaunliche Voraussicht verratenden) Klassifikation hat dann, wenn man so sagen darf, Plenge korrigiert, indem er für ein demokratisches Gemeinwesen einen "organisatorischen Sozialismus" als adäquat ansah - eine Auffassung, für die er damals weder "links" noch " rechts " auf nennenswertes Verständnis stieß, deren Zukunftsträchtigkeit uns dagegen heute drastisch ad oculos demonstriert wird. Beiden war dabei einer der wichtigsten Wesenszüge (auch und wohl gerade) der Demokratie bewußt, daß es für ihre Existenz und Bejahung nicht entscheidend ist, daß sie als solche besteht, sondern daß (insbesondere zum "richtigen" Zeitpunkt) die jeweils für die politische Gewichtsverteilung genügende Zahl von Individuen daran glaubt, daß es so sei oder werde. Dieses Element eines - wie der "wahre" Demokratiegläubige sagen könnte - gewissen politisch-administrativen Zynismus findet sich dann zumindest ebenso deutlich bei den erwähnten neueren Autoren der österreichischen Provenienz, so bei Adolf Merkl schon in seiner 1923 erschienenen Schrift "Demokratie und Verwaltung"17 und seinem 1927 publizierten "Allgemeines Verwaltungsrecht"18 sowie noch neuerdings in seinem Vortrag von 1955 vor der Österreichischen Aka16 über die "aktuelle" Bedeutung St-Simons vgl. besonders Ernst Forsthoff in seiner Anm. 28 zitierten Schrift (das., S. 36 ff.). Wenn Forsthoff dort (S. 37) sagt: "Nicht die Zielsetzung, wohl aber die Argumente Saint-Simons
verdienen heute Beachtung", so ist dem nur vollkommen beizupflichten. 17 Adolf Merkl: Demokratie und Verwaltung. Wien und Leipzig 1923. Wer die hier und in dem folgenden Gedankengang aufscheinenden (nur scheinbaren) "Widersprüchlichkeiten" nicht ohne weiteres - i. a. mangels eigener Anschauung - nachzuvollziehen vermag, lese einmal ein Buch wie die "Erinnerungen und Reflexionen" (Reinbek bei Hamburg 1969, und mehrfach später) des österreich ischen Sozialdemokraten/Kommunisten Ernst Fischer. - Man versteht danach auch besser Max Web"r's bekanntes Urteil über den Beruf des Politikers. 18 Adolf Merkl: Allgemeines Verwaltungsrecht. Wien und Berlin 1927. (Nachdruck Darmstadt 1969); dort besonders die im ,Sachverzeichnis' nachgewiesenen Fundstellen unter "Demokratie" und "Demokratisierung".
Demokratische Tendenzen in der Pflege der Verwaltungswissenschaft 165 demie der Wissenschaften l9 , bei seinem Wiener Kollegen Hans Kelsen erstmals (soviel ich sehen kann20 ) in seinem Vortrage über die ,Demokratie' auf dem Fünften Deutschen Soziologentag 1926 in Wien 21 sowie in der Neuauflage von 1929 seiner Schrift "Vom Wesen und Wert der Demokratie"22. Zusammenfassend besagt die Meinung dieser Verwaltungswissenschaftler: Gerade in einer Demokratie müssen der öffentlichen Verwaltung autokratische Züge eigen sein (und sind es), insofern gerade hier die von Max Weber für die Bürokratie zusammengestellten Merkmale 23 gelten und sogar notwendig sind, wenn die Verwaltung dem Bestand der politischen Demokratie dienen soll. Im umgekehrten Fallalso auch bei einer "Durchdemokratisierung" der öffentlichen Verwaltung, wozu wir heute bei uns mehr als massive Ansätze finden - kann die Verwaltung schließlich zum Totengräber jener Demokratie werden, insofern sie entweder einem totalitären Staat oder der puren Anarchie den Weg bereitet24 • Abgesehen von der Feststellung dieses höchst bemerkenswerten "Kreuzverhältnisses" von allgemeiner Demokratie und autokratischer Verwaltung (dem wir übrigens ja auch in anderen Disziplinen begegnen, so in der "cross relation" von Wirtschaftsordnung und ihr eingefügter Geldordnung in der modernen, also konträrtheoretischen Ökonomik 25 ), ergibt der entwickelte Gedankengang - der heute von allen 19 Adol! Merkl: Die politische Freiheit als Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis. (Sonderdruck aus dem Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Jahrgang 1955, Nr. 21). Wien 1956. 20 Auf die Anführung aller anderen Autoren, die damals und gar heute! - ähnliche Auffassungen vertreten haben, soll hier verzichtet werden, um nur jene beiden zu nennen, an deren striktest demokratischer Gesamthaltung niemals irgendein Zweifel obgewaltet hat. 21 Hans Kelsen: Vortrag über die ,Demokratie'. In: Verhandlungen des Fünften Deutschen Soziologentages vom 26. bis 29. September 1926 in Wien. (Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. I. Serie: Verhandlungen der Deutschen Soziologentage. V. Band). Tübingen 1927 (Nachdruck Frankfurt 1969), S. 37-68 und (in der Diskussion) ,Schlußwort Kelsen' S. 113-118. Hier sind die wichtigsten Belegstellen auf S. 45, 54 f., 57 f. 22 Hans Kelsen: Vom Wesen und Wert der Demokratie. 2 Tübingen 1929, S. 70 f.; dazu das. S. 117 Anm. 35: "Vgl. dazu die in diesem Punkte abweichenden Anschauungen, die ich noch in der 1. Auflage dieser Schrift [1920], S. 23 ff., vertreten habe." !8 Vgl. dazu Max Weber, a.a.O., (bes.) S. 650 ff. U Vgl. hierüber besonders auch den Anm. 21 zitierten Vortrag von Hans Kelsen, a.a.O., passim, sowie aus neuester Zeit - ausgelöst z. T. durch wachsende Bedenken gegen unseren bisherigen "demokratischen" Kurs - die kleine Schrift ,Thesen gegen den Mißbrauch der Demokratie', herausgegeben (im August 1971) vom Beirat für politische Fragen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sowie das Buch von Heinz-Dietrich Ortlieb: Die verantwortungslose Gesellschaft oder wie man die Demokratie verspielt. München (Oktober) 1971. - Früher schon Georg Jellinek (vgl. Anm. 1), S. 612. 2S Dieses Kreuzverhältnis von (liberaler) Wirtschaftsordnung und "absolutistisch-autokratischer" Regierungsform allgemein hat schon Os kar Mor-
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möglichen Autoren (darunter den "vorsichtigen" in der Form des "Einerseits - Anderseits") kopiert wird, ohne daß sie von seinen Schöpfern eine rechte Ahnung bewahrt haben - noch eine frappante Konsequenz (die übrigens auch für die unten gewürdigten Verwaltungsfunktionen analog gelten könnte): Sollte die öffentliche Verwaltung gewissermaßen zufolge ihrer geschichtlichen Entwicklung gerade dann, wenn sie am "autokratischsten" zu sein scheint, effektiv am "demokratischsten" sein? Anders formuliert: Sollte gerade, wenn heute die Forderung nach möglichst totaler "Durchdemokratisierung" der öffentlichen Verwaltung am lautesten erschallt, die darin liegende Tendenz mit einiger Sicherheit - worüber das Erforderliche der (modernen) Anthropologie 26 zu entnehmen wäre - zum Gegenteil: der Gefährdung echter Demokratie27 führen? Und schließlich - womit einer solchen Entwicklung der Charakter eines geschichtlichen "Gesetzes" zuteil würde -: Stoßen wir hierbei auf einen der großen Pendelschläge der Weltgeschichte, die jene Entwicklung von einem zum anderen Extrem gar sich im Sinne einer historischen "Zwangsläufigkeit" vollziehen ließe? Man wagt kaum, sollte diese These sich bewahrheiten, zu fragen, in welcher Phase der geschichtlichen Entwicklung der Organisation unserer öffentlichen Verwaltung wir uns dann heute und in der nächsten Zukunft befinden mögen. genstern: Die Grenzen der Wirtschaftspolitik. Wien 1934 (z. B. S. 130) hervorgehoben. - Speziell zur cross relation von Wirtschaftsordnung und zugehöriger Geldordnung vgl. die Angaben und weiteren Nachweise in meinem Aufsatz: Vergleich der Gesamtsysteme von Wirtschafts- und Staatsordnung; in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 19 (1968), bes. S. 301 und Anm. 76. Die dort angedeutete einschlägige Position Walter Eucken's - darüber Weiteres in meinem Vortrag: Gemeinwohl und öffentliche Interessen im Recht der globalen Wirtschafts- und Finanzplanung. In: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Band 39). Berlin 1968, bes. S. 105 Anm. 39 - ist neuerdings von WUlibald J. Folz: Das geldtheoretische und geldpolitische Werk Walter Euckens. Berlin 1970 gewürdigt worden, der dabei - trotz manches Rechtfertigungsversuches nicht umhin kann, festzustellen (S. 208): "Die Geldpolitik Euckens offenbart einen seltsamen Widerspruch". 26 Darüber neuestens das Stichwort "Anthropologie" mit dem zugehörigen Sonderbeitrag von Arnold Gehlen: Philosophische Anthropologie. In: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 2. Bd. (1971), S. 298-310 und 312-317. - Auch die neue ,Allgemeine Staatslehre' von Roman Herzog, Frankfurt 1971, die ich gerade noch nach Konzipierung dieses Aufsatzes lesen konnte, ist (höchst fruchtbar) gänzlich von dieser anthropologischen Komponente (die Herzog schon in seinem Vorwort, S. 5 f. anspricht) durchzogen. Vgl. das. bes. S. 59 ff., ferner (sehr wichtig) S. 174. 27 Um hier gewissermaßen exemplarisch die Stimme eines Experten aus der Weimarer Zeit zu Wort kommen zu lassen, sei auf die einschlägigen Ausführungen und Zitate bei Hildemarie Dieckmann: Johannes Popitz. Entwicklung und Wirksamkeit in der Zeit der Weimarer Republik. Berlin 1960, bes. S. 1;30 ff. hingewiesen,
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!Ir. über die modernen demokratischen Funktionen der öffentlichen Verwaltung bietet die zeitgenössische Wissenschaft im allgemeinen die Aussage, diese Funktionen seien seit einigen Jahrzehnten in ständigem quantitativen wie qualitativen Wachsen begriffen, und es müsse für absehbare Zeit mit einem weiteren Anhalten dieser Entwicklung gerechnet werden 28 • In solchem Sinne wird hierfür vielfach auch das von Adolph Wagner so formulierte "Ges-etz der wachsenden Ausdehnung der öffentlichen, bez. der Staatsthätigkeiten"29 angezogen. Dabei hätte die von Wagner gebrauchte Formulierung - öffentliche, bez. Staatsthätigkeiten - eigentlich schon zur Vorsicht in dem Sinne gemahnen müssen, daß man sein "Gesetz" - fiskalisch ausgedrückt - nicht einfach (wie es heute meist geschieht) als Aussage über wachsende Ausgaben (nur) des Staates auffaßt30 • Denn er spricht ja zunächst von "öffentlichen" Tätigkeiten, worunter er ausdrücklich z. B. auch solche der Selbstverwaltung versteht, die ja zumind-est zu seiner Zeit in weitem Maße "unentgeltlich" (ehrenamtlich) erfolgte3t • Dies müßte jeden28 Als ein Fall aus neue ster Zeit der durchweg fraglosen - Verwendung dieser These sei die Schrift von Ernst Forst hoff: Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland. München 1971 genannt. Die These wird aber auch im heutigen (darum beileibe aber nicht auch wirklich "modernen") ökonomischen Fachschrifttum ständig verwandt; vgl. dazu das Anm. 33 zitierte Buch von Uwe Harms (das. z. B. S. 111 ff.) mit weiteren Literaturangaben. - Vgl. im übrigen besonders in rechtsdogmatischer und -politischer Hinsicht neuerdings Michael Krautzberger: Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private. Zum Begriff des staatlichen Bereichs. Berlin 1971. 29 Adolph Wagner gibt selbst die literarische Genese dieses Gesetzes wie folgt an: Erste Formulierung in seiner Schrift: Die Ordnung des österreichischen Staatshaushaltes. Wien 1863 (S. 2 ff.); dann (über verschiedene Zwischenstationen) definitive Formulierung in seinem Lehr- und Handbuch der politischen Ökonomie. Erste Hauptabtheilung. 3. Auf!. Leipzig 1893, §§ 362 bis 370 (= S. 892-908). 30 Vgl. hierzu neuerdings Hans Claus Recktenwald: Kritik an Wagners Gesetz der wachsenden Staatsausgaben; in: Wirtschaftswoche / DER VOLKSWIRT, 25, 18 (30.4. 1971), S. 44-47 (mit neuerer Literatur). Recktenwald bestimmt hier das Maß der gesamten Staatstätigkeit durch den Anteil der (unmittelbaren, statistisch bereinigten) Staatsausgaben am Volkseinkommen. Ob diese Methode überhaupt sinnvoll sein kann, darf hier offenbleiben. Im übrigen werden hier "Staatstätigkeiten" bzw. "Staatsausgaben" als solche aller Ebenen - d. h. ohne Rücksicht auf den föderalen Aufbau der Bundesrepublik - verstanden. über Fragen, die sich aus diesem föderalen Aufbau für Organisation und Funktion unserer öffentlichen Verwaltung ergeben, vgl. meinen Aufsatz: ,Föderalismus und soziale Sachbereiche'. In: Zur Struktur der deutschen Verwaltung. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 33. Berlin 1967, S. 90-113). 31 Bez. der Einzelheiten vg!. Heinrich Heffter: Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. 2 Stuttgart 1969; auch - wenngleich mehr auf die gesellschaftliche Rolle abgestellt -: Wilhelm Montz Frh. v. Bissing: Das Ehrenamt im historischen und soziologischen überblick; in: Schmollers Jahrbuch, 88 (1968), S. 17-30.
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falls den historisch geschulten Verwaltungswissenschaftler zur Berücks:chtigung des Umstandes veranlassen, daß sich die "staatliche" Tätigkeit durch ein ständiges "Ein-" und (wie gleich hinzuzufügen ist) "Auswandern" von Funktionen aus bzw. nach anderen Bereichen auszeichnet; man denke z. B. an die (ländlichen) "Polizei"funktionen des Gutsherrn bis ins 19. Jahrhundert32 , an den übergang zur staatlich reglementierten und dotierten Schulpflicht, und umgekehrt an die (jedenfalls relativ anzunehmende) Minderung öffentlicher Funktionen durch den modernen privaten Personen- und Güterverkehr. Angesichts solcher Verschiebungen ist die Möglichkeit jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen, daß nicht nur die Forderung eines konstanten Staatsanteils am Bruttosozialprodukt33 erhoben werden kann, sondern diese Konstanz - geschichtlich sicher besser bezogen auf das Maß des Anteils öffentlicher "Aktivität" an allen Arten von Wirksamkeit - stets34 tatsächlich einigermaßen geherrscht hat, oder daß man letzteres zumindest (wenn sich eine quantitative Nachprüfung als schlechterdings ausgeschlossen erweisen sollte) sozusagen "spekulativ" auf Grund der beobachtbaren35 Indizien zu vermuten habe. Zu einem dahingehenden "non liquet" würde schließlich veranlaßt sein, wer mit Schumpeter36 demokratische Politik als den Konkurrenzkampf von Politikern um Macht und Amt auffaßt, welcher, gewissermaßen nebenbei, auch die soziale Funktion der Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Verwirklichung des Gemeinwohls erfüllt. Vgl. dazu auch Max Weber, a.a.O., S. 666. Vgl. hierzu Uwe Harms: Die Forderung eines konstanten Staatsanteils am Bruttosozialprodukt. Hamburg 1970. Seine übersicht über die Versuche, die Fragestellung als "Allokationsproblem" zu behandeln, deckt so viele dazu notwendige Annahmen bzw. limitation ale Faktoren auf, daß gegenüber solchen Versuchen (was Harms - vgl. S. 28 - durchaus sieht) von vornherein größte Skepsis angebracht erscheint. 34 Vgl. in diesem Sinne Hans Kelsen in seinem Vortrag über die ,Demokratie' (vgl. Anm. 21), das. S. 57. 35 Solche Beobachtungen haben weder mit "liberaler Sicht" (vgl. dazu das oben in Anm. 33 zitierte Buch von Uwe Harms, S. 109) noch sonst mit irgendeiner fixierten Ideologie das mindeste zu tun; vielmehr beruhen sie richtigerweise auf (empirischer Erfassung) der Realität, aus der in dieser ganzen Untersuchung die letztlich gültigen Kriterien und Maßstäbe gewonnen werden. Dabei soll gewiß nicht die Begründetheit des von Hans Kelsen (in seinem Vortrag ,Demokratie' - s. Anm. 21 -, das. S. 39) formulierten Gedankens verkannt werden: "Denn was man in diesem Gegensatze der Ideologie gegenüber als ,Realität' voraussetzt, stellt sich bei näherer Untersuchung häufig selbst wieder als eine Ideologie heraus". Vgl. zu der hier das Problem bildenden Konstanz auch meinen Vortrag auf den Berliner Beamtentagen 1969 ("Verwaltung im modernen Staat". Berlin 1970): ,Von den Änderungen in der Aufgabenstellung und den Handlungsformen der modernen Verwaltung in einer sich wandelnden Gesellschaft', Abschn. IV (das. S. 86). . 36 Vgl. Joseph A. Schumpeter: Capitalism, Socialism, and Democracy. Third (= definitive) Edition. New York 1950, S. 282. - In gleichem Sinne Adolf Merkl, in seiner Anm. 17 genannten Schrift von 1923, das. bes. S. 88. 32 33
Demokratische Tendenzen in der Pflege der Verwaltungswissenschaft 169 . Welcher durchgängige (konstante, wenn das eben Dargelegte zuzugeben ist) sachliche Gehalt ihrer Aufgabe, welche Funktion also kommt der öffentlichen Verwaltung zu, und - indem es hier um demokratische Tendenzen geht - von wo, von wem werden ihr solche Funktionen auferlegt? Dies ist der zweite, oben37 bezeichnete, also der qualitative Aspekt unserer Frage nach dem, was in moderner demokratischer Sicht über die Funktionen der öffentlichen Verwaltung auszumachen ist. Suchen wir zunächst nach dem demokratischen Urheber jener Funktionen, so lautet die Antwort bislang gewöhnlich: das gesetzgebende Parlament. Aber weder die dem zugrundeliegende "Gewaltenteilungslehre" (hinsichtlich derer des ferneren zu fragen bleibt, ob sie von ihrem Vollender Montesquieu jemals so verstanden wurde 38 ) noch die ebenfalls für die bezeichnete Antwort konstitutive Repräsentationsthese 39 scheinen heute noch in solchem Sinne haltbar, und wenn man sich demgemäß von ihnen abwendet, kann man nur zu leicht auf die Untiefen ständisch-korporativer Ordnung 40 einerseits, eines "Rätesystems"41 anderseits geraten. Welche Lösung bleibt danach? Wohl nur die - gerade heute sich als realistischste anbietende - Erklärung, letztlich gebe sich die öffentliche Verwaltung im demokratischen Verstande ihrer Rolle ihre Funktionen von Fall zu Fall nach Lage der Dinge selber. Dazu bieten Umstände wie der, die meisten parlamentarischen Gesetze erwüchsen heutzutage aus der öffentlichen Verwaltung selber42 , einen reichlich äußerlichen und nicht sehr beweiskräftigen Vgl. S. 167. Vgl. zur bequemsten Information über die Lehre und ihren Ursprung wie ihre moderne Interpretation: Heinz Rausch (Hrsg.): Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung. (Wege der Forschung, Band CXCIV). Darmstadt 1969. (Der Band reicht in seinen Beiträgen allerdings nur bis 1966; die spätere, dem Theorem i. a. immer kritischer gegenüberstehende Literatur müßte also weiterhin berücksichtigt werden). 39 Vgl. statt aller Herbert Krüger: a.a.O., bes. die im Sachregister unter dem Stichwort ,Parlament' ersichtlichen FundsteIlen. 40 Hier sei einmal nicht die übliche einschlägige Literatur (Edgar TatarinTarnheyden [1922], Walter Adolf Jöhr [1937], Justus Beyer [1941] usw.) angeführt, sondern die Schilderung eines konkreten Extremfalles: Egon W. Heine: Versuch einer ständisch-korporativen Ordnung unter dem Regime petain. (Jur. Diss. Freiburg [Br.]). (Darmstadt 1965). 41 Vgl. zu diesem (erstmals wohl bei Proudhon anzutreffenden) Prinzipaußer dem oben in Anm. 40 angeführten allgemeinen Schrifttum - die Literaturangaben bei Georg Anschütz: Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Kommentar. 4. Bearbeitung (14. Auflage). Berlin 1933, zu Art. 165, sowie neuerdings die (scharf kritisierte) Schrift von Wilfried Gottschaleh: Parlamentarismus und Rätedemokratie. Berlin 1969. 42 Hierfür nennt die Literatur Anteilszahlen bis 95 0/0. Zur Sache schon wie hier Adolf Merkl, in seiner Anm. 17 genannten Schrift von 1923, das. bes. S. 67 ff. - Vgl. zu der ganzen Frage auch grundlegend Rolf-Richard Grauhan: Politische Verwaltung. Freiburg (Br.) 1970, bes. S. 18 ff. - Außerdem ist hier 37
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Beleg; denn so unverkennbar dieser Tatbestand ist, besagt er darum nicht auch, daß hiernach der Verwaltung eine echte Sachinitiative zukommen müsse. Eine solche kann also in unserem demokratischen Milieu nur "aus der Natur der Sache"43 folgen und durch sie - wenn man so sagen darf: erzwungen werden. Daß "der Staat" (in diesem Falle genauer: die Gesetzgebung, bzw. das Parlament) sich mit dieser Situation gerade dann, wenn sich schnelle Wandlungen im Gemeinwesen nahelegen, richtigerweise abzufinden habe, ist schon früh bemerkt worden44 . Insoweit ließe sich schon aus dem modernen Tempo der allgemeinen Entwicklung ein derartiger "Freibrief" für wahrhaft autonome Aktivität der öffentlichen Verwaltung herleiten. Man wird aber kaum bei dieser (doch möglicherweise reichlich zeitgebundenen) Erklärung stehenbleiben dürfen. Weiter führen und tiefer reichen würde demgegenüber die Annahme einer Autonomie der Verwaltung hinsichtlich ihrer Aktivität, wenn sich (noch über die wohl unbestreitbare Realistik jener Annahme in der Gegenwart hinaus) dartun ließe, daß öffentliche Verwaltung stets - also auch in demokratischen Gemeinwesen - ihrem Wesen nach so handeln muß (und besonders in dem gemeinten Falle auch gehandelt hat). Daß beides immer der Fall war, läßt sich (gleichviel, ob man an Bereiche denkt, die mit dem gewohnten Rechtsausdruck unter dem Vorbehalt des Gesetzes 45 stehen, oder an andere Funktionen) nun ersichtlich nicht in Abrede stellen. Jene Autonomie der öffentlichen Verwaltung entspricht ja auch - wenn nicht bloßer Willkür ihrer Träger - rational letztlich dem schlichten und stets zu befolgenden Gebot der Selbsterhaltung. Wollte sie, um tätig zu werden, jeweils erst auf das "Stichwort" des Gesetzes warten, so könnte sie in doppeltem Sinne den richtigen Zeitpunkt ihres Auftretens versäumen: einmal, insofern die logische Distanz gerade von "echten"46 Gesetzen zum konkreten an die Tatsache zu denken, daß nach Art. 24 GG durch "nichtparlamentarische" Instanzen kreiertes supranationales Recht für den Bereich des GG unmittelbar geltendes Recht werden kann. Dazu des Näheren schon Hartwig Bülck: Der Stand der europäischen Integration. In: Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 32. Berlin 1967, bes. S. 24 und Anm. 43, sowie Hans Peter Ipsen: Fusionsverfassung Europäische Gemeinschaften. Bad Homburg v. d. H:, Berlin, Zürich 1969, bes. S. 35. - Gegen die "schleichende Entparlamentarisierung" speziell zugunsten des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaften ist bei uns in letzter Zeit mehrfach heftig remonstriert worden. 43 Hierüber die (m. E. bis heute beste) Darstellung des Problems bei Ottmar Ballweg: Zu einer Lehre von der Natur der Sache. 2 Basel 1963. - Vgl. ferner R. Dreier: Zum Begriff der "Natur der Sache". Berlin 1965. 44 Dazu des weiteren Ernst Forsthoff in seiner Anm. 28 zitierten Schrift (das. bes. S. 94 ff.). 45 Darüber zuletzt Roman Herzog: Allgemeine Staatslehre. Frankfurt 1971, bes. S. 268 ff. . 48 Wenn man so einmal nicht "situationsgebundene" und "kurzlebige" (Maßnahme-)Gesetze bezeichnen darf; vgl. dazu Hans Schneider: Art. "Maßnahmegesetz". In: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart, Berlin 1966.
Demokratische Tendenzen in der Pflege der Verwaltungswissenschaft 171 Fall vielfach so weit ist, daß die öffentliche Verwaltung sich auch beim Vorhandensein derartiger an sie gerichteter Normen doch schließlich erst in sich selber darüber schlüssig werden muß, ob und wie sie dann zu handeln hat; und weiter, weil Gesetze, und zwar am meisten die vorhin als "echt" bezeichneten, oft N ot- und Mißstände - die allgemein als solche empfunden werden, und in denen gerade eine demokratische Gesellschaft um so ungeduldiger vom "Staat", und das heißt insbesondere: von der öffentlichen Verwaltung, deren Abstellung erwartet - "zu spät" aufgreifen. Pflichtgefühl, wenn nicht blanker Selbsterhaltungstrieb in ihren Rollenträgern, erscheinen demnach gerade im demokratischen Milieu als der eigentliche Motor des Verwaltungshandelns 47 ; und so ist auch von der Verwaltungswissenschaft, wenn sie sich um realistische Aufhellung der hier in Frage kommenden Triebkräfte bemühte 48, ihre Funktion durchweg verstanden worden. Das besagt dann aber: was überhaupt die öffentliche Verwaltung leistete, war jeweils Ergebnis der Umstände, ob es sich dabei um Maßnahmen (nur so möglicher) kollektiver Leistungserbringung, oder ob es sich "nur" um eine Art von (massen)psychologischer Meinungspflege 49 handelte. Die hiernach in Betracht kommenden Funktionen unterscheiden sich dann auf den ersten Blick danach, ob sie - zumindest nach den uns gewohnten Vorstellungen - wesentlich von staatlicher Seite, oder (auch) in privater Aktivität zu erfüllen sind; an ihrem "Gesamtvolumen" (wie quantitativ 50 , so auch hier qualitativ gesehen) ändert sich dadurch nichts Nennenswertes. Stets also hatte und hat die öffentliche Verwaltung primär funktional dem Bestand des Gemeinwesens, dem sie angehört, zu dienen. Das muß gleichzeitig Funktion im Dienste der Gesellschaft bedeuten (womit 47 So auch durchgängig die im Traite (vgl. Anm. 49) zum Ausdruck kommende Auffassung, die sich auch darin ausprägt, daß dort stets ausschließlich von den "administres" gesprochen wird. Im gleichen Sinne Max Weber, der a.a.O., S. 667 ausspricht, daß der Demos verwaltet wird. Die "Verwalteten" interessieren also im Prinzip als Objekte, nicht als Subjekte der öffentlichen Verwaltung - ausgenommen Extremlagen, in denen ihre (politische) "Persönlichkeit" relevant wird. In solchen Extremlagen gewinnt dann auch die Grenze für irgendwelche einfache Willkür der öffentlichen Verwaltung (vgl. dazu S.170) reale Bedeutung. - Vgl. in diesem Zusammenhang auch Burkhard Sievers: System - Organisation - Gesellschaft - Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme -; in': Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 22 (1971), S. 24-57 (mit eingehenden Literaturangaben). 48 Vgl. hierzu den von Fritz Morstein Marx herausgegebenen Sammelband: Verwaltung. Eine einführende Darstellung. Berlin 1965, darin bes. die Beiträge von Erich Becker (S. 187-214) und Elmar Breuckmann (S. 215-226). 49 Vgl. hierzu den höchst beachtlichen - Beitrag von Emile Simon: Relations publiques et administration. In dem (großartigen) Traite de Science administrative. Paris, La Haye 1966, S. 483-510. ~o Vgl. dazu S. 167 ff.
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allerdings in den Augen des orthodoxen Marxisten impliziert ist, daß es sich um einen "Klassenstaat" handelt)51. Was dann genau im konkreten Falle zu geschehen hat, hat verschiedene wissenschaftliche Disziplinen seit je beschäftigt; man wird hier aber doch wohl am besten bei der Feststellung Halt machen, daß es dabei in erster Linie um eine "Kunst" geht (was deren "Verwissenschaftlichung" keineswegs ausschließt)52. Lassen sich aber über diese Beobachtung hinaus auch hinsichtlich der Funktionen der öffentlichen Verwaltung, speziell im Hinblick auf unser demokratisches Gemeinwesen, Tendenzen der Entwicklung angeben, die - wie das oben53 bezüglich ihrer Organisation als Möglichkeit angedeutet wurde - im Sinne geschichtlicher "Notwendigkeit" auf ein historisches Gesetz hinweisen? In der Tat scheinen gerade in unserer Gegenwart solche Tendenzen wieder offenbarer zu werden; man braucht hier nur an eine - wichtige, wenngleich im Grunde mehr beiläufig gemachte - Bemerkung eines jüngeren Autors zu denken, daß, wie wir heute in ein Zeitalter von Planungen aller Art eingetreten sind, Entsprechendes bereits den Staats instanzen des Kameralismus und Merkantilismus gleichermaßen vertraut gewesen sei s4 . Damit würden wir (falls man heute wirklich sagen dürfte, das Wesen moderner, demokratischer Verwaltung sei besonders auch durch solche Planungen gekennzeichnet) in der Entwicklung an eine frühere Phase gemahnt, deren "Wiederkehr" - wenn tatsächlich eine solche zu bejahen wäreder Vermutung Raum geben könnte, es bestehe für die Funktionen der öffentlichen Verwaltung eine analoge Rekurrenz wie für ihre Organisation; vielleicht sogar in der Weise, daß hier (gleichfalls) ein historisches "Gesetz" aufscheine. Bevor zu dieser modernen Hypothese Stellung genommen werden kann, ist aber doch zunächst zu prüfen, ob denn überhaupt von einer 61 Vgl. dazu ausführlich Heinrich Cunow: Die Marxsche Geschichts-, Gesellschafts- und Staatstheorie. Grundzüge der Marxschen Soziologie. 2 Bde. Berlin 1920, 1921; bes. I. Bd., S. 245 ff. 62 Vgl. hierzu den Beitrag von Georges Langrod: La Science administrative et sa place parmi les sciences voisines. In: Traite (vgl. Anm. 49), S. 92-123. 53 Vgl. S. 166. Vgl. Elmar Stachels: Das Stabilitätsgesetz im System des Regierungshandeins. Berlin 1970, S. 100.- Mit dieser Bezugnahme wird gewiß nicht "anachronistisch genug die alte Kameralistik en miniature" (Hans Ryffet: Grundprobl€me der Rechts- und Staatsphilosophie. Philosophische Anthropologie des Politischen. Neuwied und Berlin 1969, S. 504; das Hauptstichwort findet sich auch nicht im ,Sachregister') wieder auf den Schild gehoben; die Bedeutung des Zusatzes "en miniature" muß im übrigen dem Kenner des Kameralismus dunkel bleiben. Man kann sich demgegenüber an den Ausspruch von Werner Sombart (Die drei Nationalökonomien. München und L€ipzig 1930. Nachdruck Berlin 1967, S. 331) erinnern: "eine zeitgenössische Kameralistik tut uns bitter not".
5.
Demokratische Tendenzen in der Pflege der Verwaltungswissenschaft 173 Wiederkehr in der eben gemeinten Bedeutung gesprochen werden darf. Zunächst gilt es da, etwaige Analogien zwischen der Planung z. B. des Kameralismus einerseits, der "gegenwärtigen" öffentlichen Verwaltung andrerseits aufzusuchen. In dieser Hinsicht kommt man mit Aussagen der Art, damals habe es sich um absolutistische Staaten gehandelt, während es heute um ein sich als demokratisch verstehendes Gemeinwesen gehe, über blasseste Ideologie keinen Schritt hinaus. Denn wer wollte behaupten, das Zeitalter des aufgekZärten Absolutismus - um das es für jenen Fall geht 55 - sei im Effekt mehr oder weniger "demokratisch" als unsere Epoche gewesen? In solcher Richtung ist also ein stichhaltiger, d. h. ein realer Unterschied zur Gegenwart nicht zu erwarten. Ungleich gewichtiger für den Kameralismus und das Planungsmoment in seiner öffentlichen Verwaltung muß demgegenüber der Umstand erscheinen, daß diese es damals (besonders in unserem Raum) mit durch Kriege und ähnliche Katastrophen weithin devastierten Gemeinwesen zu tun hatte, für welche die öffentliche Verwaltung gar nicht anders als "richtig" planen konnte; denn es galt auf längere Zeit nur, den staatlichen wie privaten Wiederaufbau zu ermöglichen, und das zudem für eine im wesentlichen homogene "Gesellschaft"56. Eine gleichartige Situation der Planung in unserer "Gegenwart" haben wir in den ersten beiden Jahrzehnten nach 1945 durchgemacht; zwar war damals keineswegs die deutsche Wirtschaft aus dem Debakel gänzlich zerstört hervorgegangen (wie das jahrelang, bis zum Erscheinen gegenteiliger Darstellungen besonders im angelsächsischen Bereich57 , fast allenthalben geglaubt wurde), aber das Gemeinwesen als solches befand sich doch anfangs in einer "Nullsituation"58, welche für den fraglichen Zeitraum die volle Analogie zur Planungslage des 55 Vgl. hierzu statt aller Pet er Klassen: Die Grundlagen des aufgeklärten Absolutismus. Jena 1929, sowie Fritz Hartung: Der aufgeklärte Absolutismus. (zuerst 1955, wieder abgedruckt in:) Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze. Berlin 1961, S. 149-177. - Aus neuerer Zeit ferner Heinrich atto Meissner: Verfassung, Verwaltung, Regierung in neuerer Zeit. (Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin). Berlin 1962, bes. S. 23 (Hardenberg!). 68 Sogar noch im Anfang des 19. Jahrhunderts betrug der Anteil der landwirtschaftlich Tätigen an der deutschen Gesamtbevölkerung über 70 Ofo (vgl. Max Sering: Deutsche Agrarpolitik auf geschichtlicher und landeskundlicher Grundlage. Leipzig 1934, S. 64). 57 Bahnbrechend hat hier das Buch von Alan S. Milward: The German Economy at War. London 1965; dt. u. d. T.: Die deutsche Kriegswirtschaft 1939-1945. (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Nr. 12). 1966 gewirkt. 58 Vgl. dazu etwa Ernst Forsthoff, zuletzt in seiner Anm. 28 zitierten Schrift. Sein abgegebenes (auch hier, vgl. S. 74 f.) Urteil über die Rolle der deutschen Wirtschaft, besonders der Industrie, nach 1945 bedarf allerdings nicht zuletzt im Hinblick auf die Feststellungen des oben Anm. 57 genannten Buches von Milward - einer erheblichen Korrektur.
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Kameralismus erlaubt59 • Es würde sich damit der geschichtliche Bogen insoweit spannen von der Zeit um die Mitte des 18. zur Mitte des 20. Jahrhunderts, und - mit der dazwischen liegenden sozusagen "rezessiven" Phase des 19. - eine Periode von etwa 200 Jahren umfassen. Damit wäre auch hinsichtlich der funktionalen Seite der öffentlichen Verwaltung eine ähnliche Periodenlänge anzunehmen, wie sie oben60 als Hypothese in Bezug auf ihre Organisation erörtert wurde; das käme auf eine Welle mit der Erstreckung von 3-4 Kondratieffs hinaus 61 • Ob diese Entsprechung von administrativen Perioden mit (im weitesten Sinne) demodynamischen Wellen in irgendeiner Weise folgerungsfähig sein kann, wäre des näheren zu prüfen; immerhin würden, wenn jener Hypothese hinsichtlich der Entwicklung eben (auch) der Funktionen der öffentlichen Verwaltung überhaupt ein Wahrheitsgehalt innewohnte, jedenfalls zahlreiche, auf ihre heutigen "demokratischen" Funktionen gemünzten Schlagworte82 sich als das erwiesen haben, was sie sind. 59 Für die neueste Zeit also die letzten 5-10 Jahre - gilt eine solche Analogie nicht mehr. Denn was wir heute als "Planung" erleben, verdient diese Bezeichnung wohl auf kaum einem der zahlreichen Gebiete, auf denen sie verwandt wird. Das scheint - allenfalls abgesehen von militärischen und ähnlichen Bereichen - in praktisch allen Ländern der westlichen Welt ähnlich zu liegen. Insofern zeigt sich offenbar, daß Planung umso schwieriger, wenn nicht überhaupt unmöglich, wird, je "höher" die Ausgangslage in Bezug auf die Phänomene ist, auf die sie sich bezieht. Vgl. hierüber die grundlegende Arbeit von Peter Knirsch: Strukturen und Formen zentraler Wirtschaftsplanung. Berlin 1969. Ferner hätten wir dann Anlaß, auf die - unbestreitbaren - Planungserfolge im östlichen Bereich mit neidvoller Beschämung zu blicken, falls uns nicht der Trost verbleiben sollte, dort handele es sich eben (nach wie vor) um "Primitivplanung". Vgl. dazu die übersicht bei Gerhard Stavenhagen: Wirtschaftssysteme. In: Staatslexikon 8, 8 (1963), Sp. 827-838 (mit Angabe weiterer Literatur). 80 Vgl. S. 166. 81 Zum Begriffsinhalt der "langen Welle" des "Kondratieff": Joseph A. Schumpeter: Business Cyc1es. New York und London 1939. vol. I, bes. S.169 und passim. (deutsch: Konjunkturzyklen. [Grundriß der Sozialwissenschaft. Begründet von Reinhard Schaeder.] 2 Bde. Göttingen 1961). - Bei diesem Problem hätte auch wohl die historische Kulturmorphologie ein Wort (wenngleich nicht unbedingt das letzte) mitzusprechen. - Vgl. dazu das (viel zu wenig beachtete) Werk von Ernst Wagemann: Menschenzahl und Völkerschicksal. Hamburg 1948, bes. S. 365 ff. und die Literaturangaben im ,Anhang', bes. S. 464 ff. 82 Um hier nur ein Beispiel solcher Schlagwort-Klopffechterei (von Hunderten allein aus neuester Zeit) anzuführen, sei das Buch von Emmette S. Redford: Democracy in the Administrative State. New York, London, Toronto 1969 genannt. Der Verfasser hat sich mit ihm das Ziel gesetzt, eine Korrelation "of normative standards contained in democratic morality and of practices inherent in administrative government" festzustellen. Welche entsetzliche Ansammlung plattester Gemeinplätze dabei herauskommt, ist kaum vorzustellen. Aber wehe dem "modernen" Verwaltungswissenschaftler, der nicht (auch) ein solches Produkt gelesen zu haben zumindest vorgibt! Zur einschlägigen Literatur im allgemeinen: Ich kenne sie jedenfalls, soweit sie in "westlichen" Sprachen erschienen ist. Dagegen ist mir die Literatur "östlichen" Ursprungs nur im Umfange vorhandener übersetzungen bekannt.
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IV. Damit ist eine der - vielleicht wichtigsten - Aufgaben einer modernen Verwaltungswissenschaft angedeutet. Von ihnen darf abschließend der Blick sich noch einmal auf die bereits gesicherten Aussagen der Wissenschaft über die demokratischen Funktionen der öffentlichen Verwaltung richten. In dieser Beziehung befinden wir uns heute keineswegs mehr auf dem Stande ihrer bloß "subtraktiven" Bestimmung63 , einem logischen Monstrum, zu dem man wohl nur vom Standpunkt juristisch durchaus begründeter - sachlicher "Leere" gelangen konnte64 • Darüber hinaus haben in erster Linie mutige inhaltliche "Fortschreibungen" rechtlicher Art geführt, wozu heute hinzuzufügen wäre: nun auch ein zunehmendes Verständnis für die autonome, also "eigenwillige" Bestimmung ihrer Funktionen, wie sie gerade am deutlichsten für eine demokratisch orientierte Verwaltung notwendig ist. Lassen wir aber das letztere (insofern es noch in seiner - auch wissenschaftlichen - Durchsetzung begriffen scheint) zunächst beiseite, und wenden wir uns jenen "Fortschreibungen" zu. Wie es zu ihnen gekommen ist, ob hierzu von deutscher Seite in jüngerer Zeit der entscheidende Beitrag von Arnold Köttgen oder Ernst Forsthoff geleistet wurde, kann in unserem Zusammenhang offenbleiben65 • Wesentlich ist jetzt vielmehr, daß die fraglichen, anfangs unter dem Stichwort der "Daseinsvorsorge" von juristischer Seite unternommenen Extensionen der "sozialen" Funktionskomponente der öffentlichen Verwaltung neuestens auch (in derselben Weise) auf die Garantie einer ihr gemäßen Währungspolitik66 , der Vollbeschäftigung 67 und schließlich 13 Vgl. hierzu statt aller Ernst Forst hoff: Lehrbuch des Verwaltungsrechts 1 8 , München und Berlin 1966, S. 1 ff. 14 Dazu den Abschnitt III (= S.95-100) meines Aufsatzes: "Gemeinwohl und öffentliche Interessen im Recht der globalen Wirtschafts- und Finanzplanung". In: Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39). Berlin 1968. 15 Vgl. hierzu den Abriß der deutschen Genese des Begriffs der Daseinsvorsorge bei Viktor Weidner: Zur Problematik privater und öffentlicher Daseinsvorsorge; in: Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft, 50 (1961), S. 141-238. - Den von Weidner dabei genannten juristischen Autoren wären aus anderen Disziplinen wohl noch insbesondere - außer der ganzen früheren Literatur des Marxismus - Adolph Wagner, Wichard von Moellendorff, Ludwig Mises hinzuzufügen. - Aus der ausländischen Literatur sollen hier nur zwei Autoren genannt werden: Für den angelsächsischen Sprachbereich Dwight Waldo: The Administrative State. New York 1948, bes. Chapter 7, sowie: The Administrative State Revisited; in: Public Administration Review (Washington, D. C.), XXV (1965), S. 5-30; für den französischen Roland Drago: Les Missions de l'administration. In: Traite (vgl. Anm. 49), S. 223-256. 61 So nach Theodor Eschenburg - Hans-Joachim Arndt: Politik und Sachverstand im Kreditwährungswesen. Berlin 1963, bes. Abschn. C 9 = S.195-214.
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auch einer Wachstumsvorsorge88 wie einer ununterbrochenen Wohlstandsentwicklung88 erstreckt werden, alles das also verstanden als Individual-, wenn nicht gar Grundrechte des Bürgers gegenüber dem Staat unseres Grundgesetzes. Daß hiermit der Zustand eines - sich so (zu Recht?) als "demokratisch" verstehenden - Wohlfahrtsstaates70 wieder erreicht ist, wird kaum einer weiteren Beweisführung bedürfen. Auch das scheint zu besagen, daß heute der öffentlichen Verwaltung die gleichen Funktionen erwachsen, die sie schon einmal - zur Zeit des vom Liberalismus dann so geschmähten ("polizeilichen") Wohlfahrtsstaates - zu erfüllen hatte. Aber es scheint dies "nur" zu besagen; denn der entscheidende Unterschied zwischen damals und heute liegt darin, daß jetzt subjektives Individualrecht sein soll, was damals allgemeines und damit im Einklang staatliches Interesse war. Daß eine solche "Verrechtlichung" des Wohlfahrtsprinzips dieses schließlich ad absurdum führen muß, wird nun zunehmend auch im politischen Raum - in dem zunächst kaum jemand jenem "modernen" Trend zu widerstehen wagte - erkannt und als Fehlentwicklung zu korrigieren gesucht. Wird diese Besinnung sich - geschichtlich gesehen - noch rechtzeitig durchsetzen? Ein anderer Beitrag dieses Bandes7! enthält die Feststellung: "Hinter der Forderung nach ,Demokratisierung' der Verwaltungsgerichtsbarkeit steht ... ein utopisches Menschenbild." Die damit ausgesprochene Beobachtung gilt uneingeschränkt für den Administrator überhaupt 07 Vgl. dazu auch Ernst Forsthoff in seiner Anm. 28 angeführten Schrift, S. 81,164. os Mit diesen und ähnlichen Postulaten setzt sich Klaus Stern: Grundfragen der globalen Wirtschaftssteuerung. Berlin 1969 (vgl. auch das. Anm. 6) auseinander. - Man lese hierzu nur den ebenso theoretisch wie wirtschaftspolitisch hervorragenden (letzten) Aufsatz von Erich Preis er: Wirtschaftliches Wachstum als Fetisch und Notwendigkeit; in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 123 (1967), S. 586-598 (wieder abgedruckt in seinem Sammelband: Wirtschaftspolitik heute. Grundprobleme der Marktwirtschaft. 2 München 1969, S. 142-160), um zu wissen, was von jenem Prinzip als Theorem wie als Postulat wirklich zu halten ist. oe Vgl. zum Ganzen die Beiträge der von Ernst Forsthoff herausgegebenen Aufsatzsammlung: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit. (Wege der Forschung, Bd. CXVIII). Darmstadt 1968; dazu ferner Roman Herzog: Allgemeine Staatslehre. Frankfurt 1971, bes. S. 117 und 144, sowie den von Forsthoff in seiner Anm. 28 angeführten Schrift auf S. 78 Anm. 12 zitierten Aufsatz von D. Suhr. 70 Vgl. dazu auch Ernst Forsthoff in seiner Anm.28 zitierten Schrift, S.77. Wenn Forsthoff dort erklärt, "der Begriff der Daseinsvorsorge '" gehört den Staatswissenschaften an, wie sie im 18. Jahrhundert verstanden wurden", so stoßen wir damit wiederum auf die Periodizität der oben (S. 174) angedeuteten Art und "Wellenlänge". 71 Vgl. earl Hermann UZe: Demokratisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, S. 681 f.
Demokratische Tendenzen in der Pflege der Verwaltungswissenschaft 177 wie für den administrierten Bürger. Aus ihr ist für unsere heutige und zukünftige öffentliche Verwaltung zu folgern: alles hängt davon ab, ob es gelingt, in unserer Verwaltung - die ihre Funktionen letztlich selber bestimmen und wahrnehmen muß72 - das Handeln nach bestem Wissen und Gewissen vorwalten zu lassen. Sollte das unmöglich (geworden) sein, so hätten wir zwar vielleicht eine Verwaltung, die "durchdemokratisiert" wäre; um so ungewisser würde aber damit die Chance ihrer spezifischen Bewährung73 .
72 Wenn Forsthoff (in seiner Anm. 28 zitierten Schrift, das. S. 146) meint: "Der uneingeschränkt verwirklichte Sozialstaat wäre nicht mehr als eine Großadministration ohne politische Potenz", so kann man das letztere ("ohne politische Potenz") zumindest im Außenverhältnis als zwangSläufige Realität bezweifeln; zu dem ersteren ("Großadministration") würde wohl mancher meinen: warum auch nicht? 73 Vgl. hierzu auch Roman Herzog: Allgemeine Staatslehre. Frankfurt 1971, bes. S. 133 und 144 (sowie das. Anm. 46).
Demokratisierung Von Arnold Gehlen I.
W'enn auch das Wort Demokratisierung erst in neuester Zeit eine verbreitete Anwendung fand, so ist es doch der Soziologie seit langem geläufig, denn Max Weber (Wirtschaft und Gesellschaft, 1922, S. 666 ff.) stellte anläßlich der Untersuchung massendemokratischer Erscheinungen heraus, wie die mit ihnen unabwendbar einsetzende Bürokratisierung im Interesse der ihr wesenseigenen Regelhaftigkeit der Verfahren jegliches Privileg verabscheut. Mit erstaunlicher Sicherheit hat er noch zwei andere Merkmale in der Nachbarschaft dieses Sachverhalts festgelegt, wenn er sah, daß die ungegliederte Masse immer verwaltet wird und allenfalls die Art der Auslese der herrschenden Verwaltungsleiter auswechselt. Niemals, so kann man nun folgern, wird es eine herrschaftslose Gesellschaft geben, sondern eine dahin gehende Forderung bedeutet nur eine Verkleidung des Wunsches bisher Unbeteiligter, an der Herrschaft (Verwaltung, Administration usw.) teilzunehmen. Hier erreichte M. Weber die weitere Einsicht, daß nämlich Personenkreise aus der Mitte des "Demos" in wechselndem Maße die Verwaltungstätigkeit beeinflussen, indem sie die "Ergänzung einer sog. öffentlichen Meinung" heranziehen. Demokratisierung bedeute nicht notwendig eine Zunahme des aktiven Anteils der Beherrschten an der Herrschaft, wohl aber gehe es in einer politischen Demokratie wesentlich um eine "Minimisierung der Herrschaftsgewalt im Interesse tunlichster Verbreitung der Einflußsphäre der öffentlichen Meinung". Der berühmte Gelehrte hat mit diesen Vorstellungen den Begriff der Demokratisierung auf die Nivellierung der beherrschten (verwalteten) Massen gegenüber der Bürokratie bezogen; das ist ein Akzent, den wir heute kaum in den Vordergrund setzen würden, nachdem jener Begriff inzwischen eine so breite Verwendung gefunden hat, daß im Juni 1971 die Eröffnung der Kieler Woch'e durch einen elf jährigen Schüler vom Pressechef der Stadt als Demokratisierung gefeiert wurde. Aber drei von M. Weber genannte Merkmale umgrenzen heute noch den Raum,
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in dem der Prozeß verläuft: Kampf gegen Privilegien, Kampf um Teilnahme an der Macht und "Ergänzung durch die sog. öffentliche Meinung". Nunmehr können wir auf die Worte des Bundeskanzlers Brandt Bezug nehmen, die er nach Pressemeldungen auf dem Parteitag der SPD in Saarbrücken verwendete: "Die Aufgaben der Zukunft, wie ich sie sehe, sind nur auf dem Wege und mit den Mitteln der Demokratisierung zu bewältigen, deshalb bezeichne ich als die politische Richtlinie der Sozialdemokratischen Partei für die 70er Jahre die Verwirklichung der sozialen Demokratie, das heißt die Demokratisierung unserer Gesellschaft. Und Demokratisierung heißt hier - damit es keine Unklarheiten gibt - zielstrebiger Abbau der Privilegien auf allen Gebieten." In gleichem Sinne äußerte sich der Bundeskanzler in dem Artikel "Die Alternative" (Die neue Gesellschaft, Sonderheft vom 1. Mai 1969): Die Auffassung von der Demokratie als einer bloßen Organisationsform des Staates sei konservativ und auch, im historisch-politischen Sinne des Wortes, liberal. Modern sei sie nicht. Vielmehr müsse die Demokratie das gesamte gesellschaftliche Leben erfassen. "Die überwindung des Untertanengeistes, von dem Gustav Heinemann spricht, und der unserem Volk so viel Schaden zugefügt hat, kann nur durch die gründliche Demokratisierung unserer Schule und unserer Universität erfolgen. Die überwindung sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten ist nur im Sinne einer demokratischen Mitbestimmung zu erreichen" (S. 4). Hier tritt ein weiterer Begriff, nämlich der der Mitbestimmung, in den Zusammenhang ein. Er artikuliert die Unerwünschtheit von Privilegien dadurch, daß Entscheidungs- und Machtpositionen von unten (oder außen) her unter Kontrolle gestellt werden sollen. Anders gesagt: hier kommt eine seit dem 2. Weltkrieg in den hochindustrialisierten Teilen der westlichen Welt machtvoll erscheinende Gesinnungstendenz zu Worte, die auf Gleichheit geht, und zwar nicht nur auf Rechtsgleichheit; sondern gemeint ist ja eine "zielstrebig auf allen Gebieten zu realisierende". Wilhelm Hennis hat in einer interessanten Broschüre "Demokratisierung" (1970) in dieser bedeutenden Neuerung eine "tief affektbeladene, von einem ungeheueren Befreiungspathos durchpulste" Bewegung erkannt, eine Bewegung für Abschaffung jeder Ungleichheit und jeden Privilegs. Allerdings kennt das Grundgesetz zwei privilegierte Gruppen, nämlich die Richter mit ihren im Art. 97 aufgezählten Sonderrechten und die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, für die der Art. 33 den Ausdruck "öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis" reserviert,
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und die infolgedessen das Privileg genießen, nicht zu Streik-Urabstimmungen aufgerufen werden zu können. Vor allem aber wird angesichts der schon von M. Weber erkannten "ergänzenden" Funktion der sog. öffentlichen Meinung, konkret also der Massenmedien, und noch konkreter: der Publizisten jeder Art eine Revision von deren Privilegien eine zähe Sache sein, denn die verwaltenden Personenkreise sind von deren "ergänzender" Mitarbeit in hohem Grade abhängig. Immerhin gibt es schon einen Gesetzentwurf, den das Aktionsbündnis "Bürgermitbestimmung beim Bayerischen Rundfunk" betreibt, um die Bestellung des Rundfunkrates durch Wähler zu erreichen (Die Welt, 13.7.71). Am nächsten Tage berichtete dieselbe Zeitung über eine Studie, die Rechtsfragen der Mitbestimmung im Rundfunk betreffend, die der Intendant Franz Mai auftragsgemäß seinen Kollegen vorgelegt hat. Die Demokratisierung findet hier keine begeisterte Unterstützung. Die Studie warnt vor der "Auslieferung des Rundfunks an die Individualinteressen seiner Mitarbeiter" und hält es für verfehlt, den schon bestehenden Einfluß der Redaktionen noch durch besondere Mitbestimmungsrechte zu erweitern, weil die Redakteure "am ehesten Nachrichten verfälschen oder Meinungen manipulieren können". Auch die Bemühungen des Aktionsbündnisses benutzen den Ausdruck "Demokratisierung". Als Privilegien, die abzuschaffen sind, gelten, wie die Erscheinungen der sog. Hochschulreform oder die Bestrebungen für Erweiterung der Mitbestimmung in der Industrie zeigen, in erster Linie exklusive Entscheidungskompetenzen. Ein Unternehmer z. B. trifft seine Entscheidungen in der Regel allein oder in Abstimmung innerhalb kleinster Gremien, in denen jeder sich kennt. So zeigt sich, daß das Anweisungsprivileg noch ein weiteres in sich enthält, nämlich das Distanzprivileg. Die entscheidende Stelle will nicht für alle Agenden und Agenten zugänglich sein und sich bestimmte Kompetenzen samt den dazugehörigen Informationen reservieren. Wenn der Anweisende "entprivilegisiert" werden soll, so muß er logischerweise irgendwie vergesellschaftet werden. Er soll seine Anordnungen nicht in Einsamkeit treffen, sondern sie, wie man sagt, diskutieren, d. h. er soll in Abstimmung mit anderen verfahren. Eine Diskussion besteht in der Erörterung eines Themas nach mehreren Seiten hin, vor allem aber in einer Ent-Distanzierung, und da am Ende der Diskussion eine Entschlußbildung, ein Ergebnis herauskommen soll, so bedeutet sie auch die Vermehrung der beteiligten Instanzen. Folglich wird es undemokratisch, ein Thema der Diskussion vorzuenthalten. Mit diesem Verfahren wurden die in der Tat nicht mehr überzeugenden Privilegien der Hochschullehrer aufgerollt, die nach zwei politischen
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Säuberungen an Nimbus eingebüßt hatten: die aktiven Teile der Studenten besetzten mit Diskussionen erst die Unterrichtszeit, dann schoben sie (im wesentlichen in den "conversational occupations" wie Soziologie, Philosophie, Psychologie, Theologie, Politikwissenschaft) den Lehrstoff aus den Gleisen und waren damit sofort bei der Mitbestimmung über die Unterrichtsthemen. Daraus folgte unmittelbar die Forderung nach Mitbestimmung in Personalsachen, mindestens nach einer Veto-Kompetenz.
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Auf der Regierungsebene besteht die Schwierigkeit demokratisierender Lagen darin, die politü:;ch unvermeidbaren Dezisionen der Diskussion, d. h. dem Anspruch auf Mitbestimmung zu entziehen. Dafür gibt es keine Lösung, nur den Ausweg der Geheimhaltung oder zweideutiger und vernebelnder Erklärungen. Politik war im Zentrum immer 'ein diskretes Geschäft, aber inzwischen haben die Massenmedien mit ihrem Anspruch auf Kritik und Öffentlichkeit ein Klima erzeugt, in dem gewisse politische Themen gar nicht mehr behandelbar sind. Daher die unermeßliche Bedeutung des Falles "Pentagon Papers - the Secret War" (Time Magazin, 28.6. 1971). Hier stellte sich heraus, daß das demokratisch-pazifistisch'e öffentliche Vokabular der Vereinigten Staaten (einschließlich der parallelen Ethik) die Intervention in Südost asien, die mehrere einander folgende Regierungen für notwendig hielten, überhaupt nicht ausdrücken konnte, denn es kann nur Kreuzzüge gegen unmoralische Diktaturen formulieren, die auf der reaktionären Seite stehen. Die Regierung, die es für lebenswichtig hielt, an der Nahtstelle dreier Großmächte (Rußland, Japan, China) anwesend zu sein, mußte daher "concealments" betreiben, z. B. im Falle des Angriffs nordvietnamesischer Boote auf den Zerstörer Maddox im August 1964 und folgend in zahlreichen Fällen. Die Aufdeckung dieser concealments erfolgte in der allgemein etablierten öffentlichen Gesinnungssprache und schlug deshalb sofort breit durch. Die Mitwirkung an Entscheidungen höherer Ebene setzt natürlich auch Mit-Informiertheit voraus, denn Information ist ein bedeutendes Spitzen-Privileg. An dieser Stelle wird gewöhnlich "Transparenz" verlangt, die jedoch der Sachlogik nach immer nur eine ungefähre sein kann, denn es gibt keine beachtliche Institution, die nicht irgendeine Macht ausübt, und wollte sie ihre Karten offen auflegen, so hieße das, Interventionisten geradezu auffordern. So ist denn auch die Transparenz sehr mächtiger Einrichtungen wie der Gewerkschaften und Sender recht gering.
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Im Zusammenhang mit der im Grunde nur als Kampfparole verwendbaren, wörtlich genommen aber illusionären Rede von Transparenz ist die Erkenntnis von Erwin K. Scheuch (Der "Demokratisierungsprozeß" als gesamtgesellschaftliches Phänomen, in: Demokratie und Mitbestimmung, hg. von Utz und Streithofen, 1970, 91 ff.) bedeutsam, nach der wesens mäßig Gremien jeder Art eine "Milieuwirkung" entfalten, in der Entscheidungen bisweilen nicht mehr lokalisierbar sind. Er glaubt, daß der Entscheidungsprozeß in Universitäten nicht transparenter, sondern undurchsichtiger und unverantwortlicher geworden ist, und erwartet dasselbe von der paritätischen Mitbestimmung im Sinne des DGB. Derselbe Autor führt aus, daß im Gegenzug zu nichttransparenten Milieuauswirkungen ein Personenkult notwendig entstehen müsse: "Je undurchsichtiger reale Verläufe werden, um so größer das Bedürfnis, sie durch Rückbezug auf die Rolle von einzelnen Personen wieder einfach und anschaulich zu machen" (94). Es handelt sich hierbei wohl um das, was man in Ausdrücken der Psychoanalyse als Verdichtung und Verschiebung beschreiben könnte, denn der Drang zur Rückübersetzung komplizierter Sachlagen ins Anschauliche, z. B. eine populäre Kompetenzfigur, verschiebt zugleich den Problemgehalt. Nach unserer Darstellung ist nicht zweifelhaft, daß der Tatsachenkomplex "Demokratisierung" mit seinen Merkmalen "Kampf gegen Privilegien", "Teilnahme bzw. Mitbestimmung" und "Ergänzung durch die sog. öffentliche Meinung" auf einen sehr klassischen Sachverhalt und ein Hauptthema der gesamten Geschichte hinausläuft, nämlich eine großzügige Appropriation. Wie wir schon im Jahre 1960 (Soziologische Aspekte des Eigentumsproblems in der Industrie-Gesellschaft, in: Veröff. der Walter-Raymond-Stiftung Bd. 1, 164 ff.) zeigten, ist der reale Tatbestand, den das Wort "Eigentum" meint, mehrseitig, so daß der Eingriff anderer in eine oder mehrere dieser Seiten zwar nicht gleich rechtlich, wohl aber faktisch eine Teil-Appropriation bedeutet, der früher oder später die Gesetzgebung nachfolgt. In unserem Falle geht mit der Demokratisierung zunächst eine Teilnahme an der Kontrolle über den Zugang zur Sache einher (bzw. zum Betrieb), die sich als Mitentscheidung bei den Ernennungen, Einstellungen oder Berufungen leitender Personen wie auch bei deren Entlassung darzustellen pflegt. Zweitens bedeutet Mitbestimmung immer auch eine Kontrolle, Informationsbeschaffung oder Mitverfügung über den Produktionsvorgang selbst, in Hochschulen z. B. über den Lehrplan, im allgemeinen also eine Teilnahme an dem "Code" des Betriebs, über die interne Politik desselben und an den spezifischen Operationsbedingungen. Alles das sind Arten des "Verfügens" bzw. Mitverfügens, und das Verfügen gehört zu den Wesens-
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merkmalen des Eigentums im Realsinne. Damit sind wesentliche Bestandteile dieses Eigentums appropriiert. Die regelmäßige und faktische Folge dieser Appropriationen ist die Teilhabe an irgendwelchen Erwerbs- oder Gewinnchancen, auch indirekten, z. B. politischen. Umgekehrt besteht ein Aspekt dieser Appropriationen darin, den Eigentümer (auch im Falle öffentlicher Einrichtungen den Staat) an der Verfügung zu hindern, z. B. einen Verzicht auf die Kontrolle über den Zugang zur Sache zu erzwingen oder Leistungen herauszunötigen (Nulltarif). Die Folgen dauernder Kraftfeststellungen und Eingriffe treffen den schwächsten Partner, und das ist meistens der Geldwert. Daß durch solche Appropriationen die Produktivität des betreffenden Betriebes gesteigert wird, ist eine mögliche, aber nicht sicher eintretende Folge. Hierzu sei an die Bemerkung M. Webers (57) erinnert: "Die Art der Appropriation stiftet Renten- oder Verdienstchancen mannigfacher Art, welche die Entwicklung zur technisch optimalen Verwertung von Produktionsmitteln dauernd obstruieren können" (im Text gesperrt). Die Demokratisierung aller Lebensbereiche bedeutet somit einen Emanzipationsprozeß aus vielen bisher gültigen Rechtsformen und -inhalten. "Reform" ist die Bezeichnung für eine in demokratisch legaler Form geschehende Veränderung der bisher überlieferten Axiome von Einrichtungen oder Gesetzen. Der Summationseffekt von Reformen dieser Art ist schwer kalkulierbar und er regt daher zu "futurologischen" Kombinationen an. Ausdrücklich soll zugestanden sein, daß die Demokratisierungs-Tendenz einer bestimmten, nämlich der humanitaristischen Ethik entspricht. Die Bedingung derselben, daß in weiten Verkehrsräumen die allgemeine Gleichheit schon aus Gründen praktischer Vereinfachung sich empfiehlt, ist ebenso erfüllt, wie sie es im Jahre 212 war, als Caracalla allen freien Einwohnern des römischen Weltreichs das Bürgerrecht gab. Unter den weiteren Determinanten wird man das moderne Aktionsdenken finden, den Glauben an eine handgreifliche Plastizität der Gesellschaft, der sich als "Notwendigkeit der Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen" ausdrückt. Es ist nicht zweüelhaft, daß eine über mehrere Jahrhunderte gehende Eingewöhnung in die enormen Erfolge eines technischen Denkens, das in der Außenwelt operiert, sich endlich in das Bewußtsein der sog. Gebildeten als ein "erworbenes Apriori" derart einlagerte, daß nunmehr mit Selbstverständlichkeit die soziale Struktur als formbar erscheint. Diese Vorstellung hat jedoch in dem schlau gewordenen alten Europa kaum viel zündende Kraft, und da nur echt utopische, geradezu wahnhafte Gedanken den Fanatismus der Massen erregen können, so ermangelt die Idee der
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Demokratisierung der sozusagen explosiven überzeugungskraft der wirklich verrückten Utopien. Aber es wäre möglich, daß die ebenfalls irrationale Dynamik der Bevölkerungsvermehrung in der Gleichheit aller eine ihrer Ausdrucksformen fände; denn die substanzielle, die Haut- und Haar-Gleichheit ist ja nur von der Einheit der Gattung her plausibel, also biologisch, und folglich fände sie ihre definitive Konsequenz in der Praktizierung eines allgemeinen zwischenmenschlichen Konnubiums. In diese Richtung dachte wohl auch Hannah Arendt (Vita activa, 1960, 46), als sie die "Gesellschaft" für die Form erklärte, in welcher der Lebensprozeß sich selbst öffentlich etabliert und organisiert hat. Immerhin erscheint es vorläufig als wahrscheinlich, daß rassistische, von unterprivilegiert gewesenen Populationen ausgehende oder neo-nationalistische Interzessionen in allen Kontinenten die Etablierung einer "Weltgesellschaft" lange hinausschieben werden. Eine bedeutende Schwierigkeit findet die Demokratisierung an noch näherliegender Stelle, weil sie nämlich in die Organisationsformen der verfassungspolitischen Demokratie nicht bruchlos eingeht. Die Einebnung bzw. Reform überkommener Institutionen setzt Rivalitäten frei, die sich gruppieren, und denen nun irgendwelche Wahlregeln oder Paritätsregeln operative Möglichkeiten bieten müssen. Die entstehenden Gebilde ähneln dann den Fraktionen in Parlamenten, wozu die Drittelparität an Hochschulen ein Beispiel bietet. Aus dem Kampf gegen die Privilegien erhebt sich nunmehr das irrationale Privileg der Mehrheit, das mit dem Programm einer "Veränderung der Gesellschaft" schwer zu vereinbaren ist. Denn erstens ist die Demokratisierung in ihrer Extremform ganz sicher kein Bedürfnis der Arbeiter, der Angestellten, Beamten, Bauern und der sog. Selbständigen, sondern der Intellektuellen bzw. der verschiedenen Führungs- und Funktionärsgruppen, die von Intellektuellen beraten werden. Diese bilden eine Minderheit in der Bevölkerung, und ob sie zum Zuge kommen, hängt von den großen Wahlen ab, deren kataklysmatische Atmosphäre sich so erklärt. Ein radikaler Nivellierungsprozeß würde wohl von unten her jederzeit einsetzbare und abwählbare Führungsgruppen verlangen, und in dieser Linie liegen auch die "basisdemokratischen" Vorstellungen von aktiver, direkter Mitwirkung an "Entscheidungsprozessen", mit Delegation kurzfristig amtierender Vertrauensleute und Kumulierungsverbot solcher Ämter. Jedenfalls drückt sich ein extremer Gleichheitstrend, in die Form der Wahlen mit Mehrheiten eingegangen, nicht in genau passender Sprache aus, und die richtige Bemerkung von Scheuch (86) gehört in diesen Zusammenhang: "Die Rechte der politischen Teilnahme, die als Bestandteil demokratischer Verfassungen gelten, wirken
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sich tendenziell wenigstens teilweise gegen eine weitere Egalisierung der Soziallagen aus." Die Demokratisierung hat eine innere Dynamik in sich, die jede Durchgangsphase im Hinblick auf eine noch radikalere Gleichheit durchläuft, die auf der gewonnenen Stufe erst sichtbar wird. Diese vorlaufende Ideologie ist an studentischen Äußerungen natürlich als ungebrochen abzulesen, z. B. in dem Entwurf eines Hochschulgesetzes, den der Hamburger SDS im Jahre 1968 vorgelegt hat, und an den W. Hennis (19 f.) erinnert: dieses Gesetz sieht eine übergangsphase vor, in der die fortschrittlichen Teile der Studentenschaft diktatorische Vollmachten besitzen, bis infolge einer Bewußtseinsänderung (!) am Ende die Aufhebung des Gegensatzes von Lehrenden und Lernenden, mithin so etwas wie die wahre Universitäts demokratie, erreicht werden kann. Derartige Pläne sind zunächst nicht von praktischem, wohl aber von theoretischem Interesse, denn sie begründen die Vermutung, daß es schwer ist, demokratische Argumente gegen eine noch weiter ausgreifende Demokratisierung zu finden, es sei denn, man stütze sich unter allen Umständen auf das Privileg der Mehrheit. Aber gerade jener Gesetzentwurf beweist die Schwierigkeit, plausibel zu machen, warum die Autorität der Könige, der Kirchen, der Gerichte, der Hochschulen, der Armee und Polizei, überhaupt des Staates zu weichen hat, die des Mehrheitsprinzips aber nicht. Folglich erscheint mit logischer Konsequenz die APO, die ja außerhalb der demokratischen Wahlmodalitäten und der Volksvertretungen die Entwicklung in ihrem Sinne voranzutreiben bemüht ist. Bei den Jusos führt das oft zu einer Doppelstrategie, die zu dem Eindruck eines rollenden Prozesses beiträgt. Es ist von erheblicher Bedeutung, daß in der Bundesrepublik das Ziel der Verstaatlichung großer Produktionskomplexe, wie es die Labour Party verfolgt, nicht offiziell vertreten wird. Auch das Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes von 1963 drückt sich in den "Wirtschaftspolitischen Grundsätzen" etwas unbestimmt und mehr am Rande wie folgt aus: "Die Gewerkschaften fordern die Erhaltung und Ausweitung des öffentlichen Besitzes an wirtschaftlichen Unternehmen und seine Weiterentwicklung zu einem sinnvollen System öffentlicher und öffentlich gebundener Unternehmen. Die freie Gemeinwirtschaft ist ein Bestandteil einer am Gemeinwohl ausgerichteten Wirtschaftsordnung" ... Was die Sozialdemokratische Partei betrifft, so ist auf dem Parteitag in Saarbrücken im Mai 1970 immerhin der Antrag 625 angenommen worden: "Die unabdingbar notwendige Demokratisierung der Wirtschaft durch eine erweiterte Mitbestimmung, die an den derzeitigen Eigentumsverhältnissen festhält, wird die Interessengegensätze zwar
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mildern, aber nicht überwinden. Dies könnte letztlich nur durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel bewirkt werden" (lt. Deutsche Tagespost, 9. 12. 1970). Die Ausdrücke "öffentlicher Besitz", "öffentlich gebundenes Unternehmen", "Vergesellschaftung von Produktionsmittel" u. a. bedeuten jedenfalls nicht Verstaatlichung. Infolge der nachhaltigen Kompromittierung des Staates durch das Hitler-Regime und der nachfolgenden auf Minimisierung der Staatsgewalt zielenden Tendenz des Grundgesetzes kann man sich eine Popularität von Verstaatlichungs-Programmen in der Wirtschaft kaum versprechen. Andererseits 'ermangeln die anderen angebotenen Formeln der konkreten Verstehbarkeit, denn wirtschaftliche Realitäten werden grundsätzlich erst dann erkannt, wenn sie hervorgebracht worden sind.
II!. Der Kampf um Teilnahme an der Macht, zunächst der politischen, war in dem alten Griechenland oder Rom schon ein Hauptthema der Geschichte, die Abschaffung verkehrshindernder Ungleichheiten seit eben dieser Zeit eine Funktion großräumiger Wirtschaftsbereich-e. Die Demokratie als Verfassungsform großer Staaten, seit dem 18. Jahrhundert in Erscheinung getreten, zeigte schon in der französischen Revolution ihre Neigung, noch radikaleren, gesellschaftsverändernden Tendenzen nachzugeben. Wie steht es nun um die "Ergänzung durch die öffentliche Meinung"? Hier stoßen wir endlich auf eine Erstmaligkeit. Als um 1964 in amerikanischen Hochschulen stürmische Aktionen einsetzten, entzündeten sie sich teils an dem Krieg in Vietnam, teils an Negerfragen, und von der Negeropposition übernahmen die Studenten die Herausforderungen wie Go-in und Sit-in. Die beiden großen Anlässe schärften den Blick dafür, daß die "Entwicklungsländer" gegenüber den großen Industrienationen Abstand verloren und in die Rolle gerieten, die Toynbee mit dem Wort "äußeres Proletariat" bezeichnet hatte. So wurden marxistische Kategorien wiederbelebt. Dort also lag genug Zündstoff vor, aber daß diese Bewegungen in die Bundesrepublik übergriffen, liegt nicht nur an der imitatorischen Genialität unseres Volkes. Mit Begeisterung haben die meisten Sender und Zeitungen die zuerst noch vereinzelten Nachahmungen hochgespielt, denn sie erkannten in den Studenten ihre Gesinnungsgenossen des Fortschritts. Massenmedien sind auf "News" angewiesen, sie leben davon, und junge Leute sind lebende News, sie treten gern in diese Rolle ein. Auch geistig gibt es die engsten Beziehungen, denn die Be-
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satzungen der Massenmedien sind, wie die Studenten, "professional secondhand dealers in ideas" (F. A. Hayek, The Intellectuals and Socialism, in: The Univ. of Chicago Law Review, 16/3, 1949), und damit sind sie "constitutionally disposed to certain views", nämlich solchen, die mehr Einfluß versprechen, wenn Privilegien und Autoritäten kritisiert werden. Diese Ideen wie Gleichheit und Freiheit kann man in so gut wie jedem Thema unterbringen und konkretisieren: die Ächtung Spaniens oder Griechenlands, der Springer-Presse oder die Abdeckung der Zustände in Hochschulen sind den Medien so interessennahe, daß man nicht weiß, ob das politische Ideal oder die Presse den Druck macht. Dabei ist zu würdigen, daß die Massenmedien, wenn man von den begrenzten Auditorien der Geheimdienste und Auswärtigen Ämter absieht, die einzige Kommunikationsebene für internationale Ereignisse darstellen. Und vor allem erfreuen sich die von den Medien adoptierten Ansichten einer dreifachen Chance: Was dort gedruckt oder gesendet wird, gewinnt einen Verstärkereffekt potenzierter Wichtigkeit, sodann einen Legitimationseffekt halboffizieller Gültigkeit und drittens den Ansteck:ungseffekt, d. h. eine Anregung in Hinsicht der Nachahmung. Langfristig eingesetzt, sind diese Effekte unermeßlich wirksam. Deshalb konnte der z. Z. amtierende Staatssekretär Ahlers am 9. Mai 1968 vor dem Emnid-Institut in Hamburg sagen: "Wir haben eine Situation erreicht, in der man von einer Objektivierung der politischen Information durch die deutsche Publizistik kaum noch sprechen kann, wo man feststellen muß, daß der Trend genau in der entgegengesetzten Richtung geht" (Der Spiegel, 27.5.1968). Dazu kommt, daß die Redakteure und Publizisten, in ihre Büros gebannt, in den aktiven Studenten ihren eigenen praktischen Arm erblicken mußten, ihre Chance der Mitwirkung an der großen Veränderung. Auf dem Hintergrund dieser Tatsachen hat man die "Pentagon Papers" zu sehen, um die sehr große symptomatische Bedeutung derselben zu ermessen. Die Studentenunruhen hatten daher einen Partner von weit größerer Reichweite, wenn auch beide Gruppen sich in demselben Klassenbewußtsein fanden, das durch die Worte Hegels charakterisiert ist: "Ist das Reich der Vorstellung revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus" (Briefe I, 194, zit. Hennis). In moderner Formulierung heißt dasselbe bei Hayek: "Once the more active part of the intellectuals have been converted to a set of beliefs, the process by which these become generally accepted is almost automatie and irreversible". Das konkretisiert die von Max Weber gefundene und eingangs zitierte Formel von der "tunlichsten Verbreitung der Einflußsphäre der öffentlichen Meinung". Wie steht es nun um diese Unausweichlichkeit? Auf der Seite der neuen Studentenbewegung, der pacemaker der Demokratisierung, stehen bedeutende verstärkende Potenzen: so die
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Unsicherheit zahlreicher Politiker aller Parteien, die mit ganz verschiedenen Motivationen das Abwarten begründen. Dann die Bildungsprogrammatik. Die realen Bedürfnisse der Gesellschaft nach mehr Menschen mit besserer Ausbildung begegnen sich hier mit einem politischen Programm, das mit der Gewißheit eines durchschlagenden Erfolges der intellektuellen Regsamkeit auf die öffentliche Meinung entstanden ist, und schließlich gewann dieser Schub des Zusammenwirkens eine solche Gewalt, daß niemand wagt, ihm mit realistischen Argumenten eine Kontrolle zuzumuten. Daß auch die Schüler in zunehmender Zahl in die Bildungshoffnungen einbezogen werden, eröffnet noch unkalkulable Aussichten. Andererseits gibt es gegenhaltende Instanzen. Soziologisch gesehen erscheint hier als wichtigster Faktor die von keinem Bewußtsein erfaßbare summierte Bremswirkung aller Alltagsgewohnheiten, jener Dauerprozeß der Lebensgeschäfte, der unter allen Oberflächenspannungen hindurch weiterläuft. Revolutionäre müssen ungeduldig sein, von langen Fristen können sie wenig erwarten, zumal es in unserer Zeit ganz offensichtlich auf die Stetigkeit der Mehrproduktion ankommt, auf die Ernährung und Behausung der zahllosen Millionen. Es ist der Beweis nicht geliefert, daß die Vorstellungen der Medien und Studenten dazu wirksam beitragen könnten, im Gegenteil: alles ist veränderbar, nur nicht die Sachlogik der Wirtschaft, und diese Logik rechnet mit fixierten oder ungemein schwer beweglichen Gegebenheiten: Lagerstätten, Verkehrswegen und -mitteln, arbeitenden Anlagen, Personalpotentialen und Geldbewegungen. Deshalb muß man großräumig planen, und alle Planung erfolgt in der Verlängerung des schon Vorhandenen. Ferner ist der Unterschied zwischen angehobenen Vorstellungen und echten Utopien doch unverwischbar, und nur diese erzeugen die rücksichtslose Großherzigkeit und den fanatischen Opfermut, den das Wort "Revolution" einschloß. Davon ist nichts mehr zu sehen, überall wird gerechnet. Doch birgt die Lage Gefahren anderer Art, die der Weltfremdheit. Aus der second-hand-Position der Intellektuellen folgen gewandte Reflexionen, die sofort in die "Große Lage" hineinführen, ein Gelände, in dem die Soziologie, Theologie, Politikwissenschaft usw. ihren Reiz unter Beweis stellen und wo man leicht vergißt, wie gern sich die Deutschen imitatorisch in die Verantwortlichkeiten der Großmächte hineinagitieren, woran schon Wilhelm 11. einging. Doch beweisen gerade die zunehmenden Gewaltsamkeiten und Geheimbündeleien, daß die Wirksamkeit der Rhetorik sich erschöpft. Wenn eine Veränderung der Gesellschaft in den Fundamenten kein hedonistisches Postulat sein soll, so ist sie allenfalls möglich, wo disziplinierte Gruppen sie methodisch von unten her betreiben - schwierig in einer Zeit, deren
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Hauptmerkmal und wichtigste Neuigkeit überall der Verfall der Disziplin ist. Um am Ende auf den Anfang zurückzukommen: Die Demokratisierung kann man heute nicht mehr, wie es Max Weber tat, von den Interessen der Bürokratie her auffassen. Es handelt sich um eine starke und internationale Strömung in den Industriegesellschaften westlichen Stils, die viele Komponenten enthält. Unter dem Fortschrittsdruck der Ideologen und Intellektuellen werden die Grenzen, innerhalb derer die Demokratisierung praktikabel und produktiv ist, auf dem Wege von Trial and Error ausgetastet.
Der demokratische Gedanke im politischen und im sozialen Bereich Von Hans Ryffel Die weltweite Demokratie-Diskussion ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß für den Begriff der Demokratie in steigendem Maße eine über den politischen Bereich hinaus greifende Tragweite in Anspruch genommen wird. Zwar ist schon der politische Gehalt des Demokratiebegriffs höchst umstritten, doch entzünden sich an der Ausweitung und Universalisierung des demokratischen Gedankens die eigentlichen Kontroversen, die längst nicht mehr im akademischen Raum verbleiben, sondern die politische und gesellschaftliche Praxis bestimmen und vermutlich so oder anders überaus folgenreich sein werden. Gewiß ist manch-es in diesem weiten Problemfeld der Klärung näher gebracht worden, so sehr Schlagworte und Polemik zuweilen überborden, wenn sich beide Lager gegenseitig der "Ideologie" bezichtigen und einander unrealistische "Menschenbilder" zuschreiben, seien es pessimistische, optimistische, oder gar utopische. Soviel ich sehe, ist man aber der zentralen, freilich im Grunde philosophischen Frage bislang meist ausgewichen, ob es einen dem politischen Demokratieprinzip vorgelagerten allgemeinen demokratischen Gedanken gebe, und vornehmlich, wie er gegebenenfalls zu begründen wäre. Diese primär normative Klärung des Demokratieprinzips ist auch für die immer bedeutsamer werdende empirische Demokratieforschung unentbehrlich, wenn sich diese nicht in der Beschreibung und damit Bestätigung und Rechtfertigung der bestehenden tatsächlichen Zustände, die vielleicht zu Unrecht mit der Etikette "Demokratie" belegt werden, erschöpfen sol11. Meist geht man allzu unbedacht, wie mich dünkt, vom politischen Demokratieprinzip aus. Selbst die Parteigänger einer weiteren Fassung des demokratischen Gedankens tun dies oft und arbeiten so ihren Kritikern in die Hände, für die es ein Leichtes ist, das Unsachgemäße, ja Unsinnige einer solchen Anwendung politischer Strukturen und Mecha1 Ein instruktiver überblick über die heutige vor allem in den USA gepflegte empirische Demokratieforschung bei Charles F. Cnudde and Deane R. Neubauer (Eds.), Empirical Democratic Theory, 1969. Kritisch zu solchen Ansätzen von einem weiter gefaßten Demokratiebegrüf: Carole Pateman, Participation and Democratic Theory, 1970.
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nismen auf den gesamten sozialen Bereich aufzuzeigen. Das heißt freilich nicht, daß denjenigen, die die Demokratie auf den politischen Bereich beschränken möchten, zuzustimmen wäre. Ich glaube vielmehr, daß sich einer systematischen philosophischen Besinnung auf die Ursprünge der modernen Demokratie in der Tat ein sehr allgemeines und fundierendes demokratisches Prinzip erschließt, das seinen Ausformungen im politischen und in den verschiedenen sozialen Bereichen noch vorausliegt. Des näheren besagt meine These, daß sich der demokratische Gedanke, und zwar in seiner weitesten Fassung, im übergang von vorgegebenen zu aufgegebenen Ordnungen ergibt, und daß in diesem übergang ein irreversibles Ereignis zu erblicken ist, das einen unabschließbaren Prozeß einleitet: Demokratie ist wesenhaft "Demokratisierung" (wenn dieser hüben und drüben so arg maltraitierte Ausdruck, wiewohl in Anführungsstrichen, überhaupt noch verwendet werden darf). Dieser These sei im folgenden ein wenig nachgegangen!.
I. Seitdem der demokratische Gedanke aufkam, in einem sozusagen naturwüchsigen Prozeß, war er durch die zwei Momente der Freiheit und Gleichheit bestimmt (von früheren, in andere soziale und kulturelle Zusammenhänge eingefügten Ansätzen sei hier abgesehen3). Da sich Freiheit und Gleichheit als neuzeitliche Ordnungsprinzipien von den vordemokratischen, sog. klassischen Ordnungsvorstellungen ganz wesentlich unterscheiden, will ich zunächst versuchen, diese OrdnungsvorsteIlungen in aller Kürze zu kennzeichnen. Während Jahrtausenden hat der Mensch in festen Ordnungen gelebt, die er als ihm vorgegebene auffaßte. In diesen Ordnungen früherer Epochen war die menschliche Entfaltung ein für alle Mal festgelegt ("Entfaltung" ist hier nicht in pathetischem, sondern in einem struktut über die weiteren Zusammenhänge vgl. meine Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie - Philosophische Anthropologie des Politischen, 1969, insbes. 299 ff., 433 ff., 467 ff. - Vgl. schon vorher meine Speyerer Rektoratsrede 1965: Aspekte der Emanzipation des Menschen, in ARSP, Vol. 1966 LU, 1 ff. S Ich denke vor allem an die athenische Demokratie. Daß ich auch von ihr absehe und den demokratischen Gedanken ganz der Neuzeit zuweise, bedürfte der näheren Begründung. Ich muß mich hier auf den Hinweis beschränken, daß sich die antike Demokratie, soviel ich sehe, grundsätzlich im Rahmen vorgegebener Ordnungen (zu diesem Begriff gleich im Haupttext) bewegt. Vgl. im übrigen zur griechischen Demokratie insbes. Christian Meier, Die Entstehung des Begriffs ,Demokratie', in Zft. f. Politik, 1970, 535 ff., ferner TuttuTarkianinen, Die athenische Demokratie, 1966, finn. Orig. 1959 (dort über die Abgrenzung der athenischen Staatsbürgerschaft, 39 ff.).
Der demokratische Gedanke im politischen und im sozialen Bereich 193 rellen Sinne zu verstehen). Die vorgegebenen Ordnungen haben, jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen, zu einem hierarchischen Aufbau der Gesellschaft geführt, mit wohlabgetrennten Ständen und namentlich mit der scharfen Scheidung zwischen einer dünnen herrschenden Schicht und der breiten Masse des beherrschten und untertänigen Volkes. Am anschaulichsten tritt uns eine solche Ordnung in der Form der göttlichen Schöpfungsordnung entgegen. In dieser ist vorgezeichnet, wer über wen herrscht, Gott hat die Menschen an ihren schöpfungsgemäßen Ort gestellt. Noch bei Hegel heißt es, "die Pflichten" des Menschen seien das, "was ihm in seinen Verhältnissen vorgezeichnet, ausgesprochen und bekannt ist"4. Vorgegebene Ordnungen, die in längeren Zeiträumen keinem merklichen Wandel unterliegen, erhalten den Anschein des Absoluten und Unverbrüchlichen, als Schöpfungsordnungen ohnehin. Das erklärt sich daraus, daß der Mensch aufgrund seiner Daseinsverfassung zu Absolutem fortgehen muß - dies bekundet sich in der Menschheitsgeschichte bis in unsre Tage -, und daß er in einem ersten Schritt glaubte, Absolutes lasse sich auch inhaltlich formulieren. Das Richtige, an dem sich der Mensch als ein freies und verantwortliches, ein plastisches Wesen auszurichten hat, erscheint in den vorgegebenen Ordnungen ein für alle Mal anwesend zu sein, ausgebreitet und als solches fraglos. Fragwürdig sind nur die jeweiligen Verwirklichungen. Wenn nun das menschliche Dasein und die Gesellschaft in Fluß geraten, reichen die überkommenen vorgegebenen Ordnungen nicht mehr aus. Vorgegebene Ordnungen finden wir in Gesellschaften agrarischen und handwerklichen Charakters. Wenn aber Wissenschaft, Technik und Industrie das Dasein bestimmen, wird dieses fortschreitender Veränderung unterworfen. Auf das Ganze gesehen, kann man wohl sagen, daß der Mensch seit dem Mittelalter in auffallender Weise in Bewegung gerät, in einem immer radikaleren Prozeß der Aufklärung aus den vorgegebenen Ordnungen heraustritt, diese beiseite schiebt und allmählich als fragwürdig empfindet, mehr noch: Ordnungen, die unabhängig vom Lauf der Welt, unabänderlich, ein für alle Mal richtig, absolut richtig sein wollen, werden schließlich als unbegründbar eingesehen. Denn Werte und Normen und die Ordnungen als Inbegriffe von Normen sind von der Wirklichkeit nicht völlig abzulösen, die Wirklichkeit ist aber in Veränderung begriffen, deshalb sind es die Werte, Normen und Ordnungen ebenfalls, so sehr sie die Wirklichkeit gestalten und diese auch ihrerseits verändern. Mit dem Schwinden der vorgegebenen Ordnungen erscheinen Freiheit und Gleichheit als die wesentlichen Bestimmungen des Menschen. , Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 150. 13 Speyer 50
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Es ist ein auffallender Tatbestand, mit welchem Nachdruck diese Bestimmungen formuliert und proklamiert werden, vor allem bei Locke und insbesondere bei Rousseau, diesem eigentlichen Bahnbrecher der modernen Demokratie und der modernen Gesellschaft überhaupt, der leider auch heute noch weithin mißverstanden wird 5• Was ist mit Freiheit und Gleichheit gemeint? Der neuzeitliche Sinn von Freiheit scheint von vornherein verständlich. Sie bedeutet die Befreiung von den vorgegebenen Ordnungen, diese beinhalten in heutiger Sicht Bevormundung und Unterdrückung. War die Entfaltung früher in vorgegebenen Ordnungen eingebunden und beschränkt, wird sie jetzt grundsätzlich unbeschränkt. Das heißt nicht, daß der Mensch in Wirklichkeit ein unbeschränktes Wesen geworden sei. Doch die menschliche Entfaltung ist nicht mehr ein für alle Mal festgelegt, die Grenzen sind verschiebbar, es gibt keine eindeutigen und unverrückbaren Vorgegebenheiten von Ordnungen mehr, und die Vorgegebenheiten der Natur (wie Geschlecht, Alter, natürliche Umwelt, Naturgesetze aller Art) können immerhin beeinflußt, überformt und überlagert und in neue Zusammenhänge eingerückt werden. Ordnungen sind dann nicht mehr vorgegeben, sondern aufgegeben. Das ist mit Nachdruck zu unterstreichen. Die Menschen "finden" nicht mehr die fraglosen Ordnungen, in deren Bahnen sie sich allein zu entfalten hätten, vielmehr müssen sie die jeweiligen Ordnungen selber "erfinden", sie entwerfen, neu gestalten, sie stets anpassen, in Entsprechung zur grundsätzlich unbegrenzten und offenen Entfaltung der Menschen. Schwieriger zu fassen ist, was unter der Gleichheit aller Menschen im neuzeitlichen Sinn zu verstehen sei. Der Sinn solcher Forderung scheint zwar zunächst in einer Hinsicht eindeutig: natürlich kann dies nicht heißen, daß alle Menschen auch in Wirklichkeit gleich seien was sie offenkundig nicht sind -, vielmehr sollen sie alle den gleichen Anspruch auf offene Entfaltung im Rahmen der zu erfindenden und aufzubauenden Ordnungen haben. Aber wieso soll solcher gleicher Entfaltungsanspruch allen zustehen? Einige meinen denn auch, dies sei gar nicht erwünscht. Ich glaube, daß wir den Gedanken der Gleichheit mit den folgenden überlegungen einsichtig machen können. Das Richtige (die Maßstäbe, die obersten Ziele, Wertungen), an denen sich der Mensch zu orientieren hat, war für frühere Epochen in den vorgegebenen Ordnungen enthalten, diese waren sozusagen Inkarnation des Absoluten. Insofern diese Ordnungen hierarchische gesell6 Zu Rousseau vgl. vor allem das vortreffliche Buch von Otto Vossler, Rousseau's Freiheitslehre, 1964; dazu ferner meine Rezensionsabhandlung: Rousseau als Philosoph der modernen Gesellschaft, in Studia Philosophica (eH), Vol. XXIV, 1964, 222 ff.
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schaftliche und politische Gefüge vorzeichneten und rechtfertigten, legten sie eine ungleiche Entfaltung der Einz{!lnen im Rahmen dieser Ordnungen ein für alle Mal fest. Solche Ungleichheit war durch die vorgegebene Ordnung gerechtfertigt. Noch La Bruyere, ein sehr kritischer Moralist in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, sieht in einer "certaine inegalite dans les conditions qui entretient l'ordre et la subordination" nichts Geringeres als "l'ouvrage de Dieu"6. Der Einzeln{! konnte, als unvollkommener Statist der Ordnung, dieser gar geopfert werden, was nur zu rechtfertigen war, weil die Ordnung das ausgebreitete vermeintliche Absolute war. Wenn nun vorgegebene Ordnungen zerfallen, fällt damit die Orientierung des Menschen am Richtigen als solchem nicht gleichzeitig dahin - wie viele sehr zu Unrecht meinen. Denn diese Orientierung am Richtigen gehört unabdingbar zur Daseinsverfassung des Menschen. Nur das vermeintlich ein für alle Mal vorgegebene Richtige ist für immer dahin. Ist aber das Richtige nicht mehr in den vorgegebenen Ordnungen enthalten, erscheint es dort, wo es in Wahrheit seine Stätte hat, wo es sozusagen durch- und aufbricht: im Menschen, genauer: im einzelnen Menschen. Sofern das Richti~ dann weiterhin in den von den Menschen aufzubauenden Ordnungen zum Ausdruck kommt, ist es nicht mehr ein Vorgegebenes, ein für alle Mal, ein absolut Richtiges, sondern ein Aufgegebenes, ein im Zusammenwirken aller sich Ergebendes und so {!in Wandelbares, auch nur ein mehr oder minder Vertretbares, stets ein Unvollkommenes, deshalb andauernd zu kritisieren und zu verbessern. Wir können auch sagen, das Richtige bestehe in der offenen Entfaltung aller Menschen, woraus eben die neuen aufgegebenen Ordnungen entstehen. Es sei angemerkt, daß die Unmöglichkeit absolut richtiger Ordnungen nicht im Sinne eines flachen sog. Relativismus mißverstanden werden darf. Der nicht abzuleugnende Ernst des menschlichen Daseins, der Umstand, daß dieses nichts Beliebiges und Willkürliches ist, muß dahin gedeutet werden, daß der Mensch in seinem Streben nach Richtigem an einem Unverfügbaren, einem "Absoluten" orientiert ist, das er nie inhaltlich formulieren kann und das er in letzter Absicht jeweils sehr verschieden auffassen mag: als Gott, Allnatur, die in der Geschichte erscheinende Vernunft oder wie immer. Nur unter der Voraussetzung eines so v{!rstandenen "Absoluten" gibt es Toleranz und Frieden in einem philosophischen Sinn, können Unterdrückung und Bevormundung grundsätzlich überwunden werden. Man muß deshalb sagen, am richtig verstandenen "Absoluten" hänge recht eigentlich der Bestand der Menschheit1. Les Caracteres ou Les Moeurs de ce siecle (1668), Des Esprits forts, i. f. Vgl. meinen Beitrag in der Festschrift für Erik Wolf, 1972: Zur Rolle des "Absoluten" in der Philosophie der Politik. e 7
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Nach dem Z-erfall der vorgegebenen Ordnungen, der im ausgehenden Mittelalter allmählich einsetzte, Ende des 18. Jahrhunderts einen Höhepunkt verzeichnete und sich auch im Westen bis in unsere Tage hinzieht, besteht so, wie mir scheint, der Maßstab für die nunmehr aufgegebenen Ordnungen in der gleichen Chance der grundsätzlich nicht mehr beschränkten Entfaltung der unübersehbar vielen Menschen (oder der heraufkommenden Massen, wie derjenige formuliert, der innerlich noch ablehnt, oder auch wer die Zögernden und Abl-ehnenden heilsam schockieren will). Dies gilt für alle, nicht nur für die entwickelten Gesellschaften des Westens. Es kommt so auf die offene Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung aller an. Die aufgegebenen Ordnungen sind d-eshalb nur auf dem Wege der Autonomie, der Selbstbestimmung aller Beteiligten zu rechtfertigen, wie vermittelt auch immer in den heutigen Großgesellschaften (mit entsprechenden Mechanismen, wie Sachabstimmungen, Referendum, Initiative, Delegation, Repräsentation, konkurrierenden Parteien, Einheitspartei offener oder geschlossener Art, Mehrheitsprinzip usw.). Da der Mensch der Ordnungen bedarf, diese aber jetzt selber aufbauen muß, ist der im vorliegenden Zusammenhang verbreitete Terminus "Emanzipation" nicht sonderlich glücklich. Es geht um mehr, um Selbstbestimmung, was freilich die Emanzipation von den vorgegebenen Ordnungen voraussetzt. Ein Blick auf die heutige politische und soziale Szenerie zeigt, daß eine solche KlarsteIlung weithin vonnöten wäre. Aufgaben können mehr oder weniger erfüllt werden, und gewiß wird die Aufgabe, verantwortbare Ordnungen zu schaffen und durchzuhalten, bislang schlecht genug -erfüllt. Natürlich muß es einen Vorrang der Fähigen und Tüchtigen geben, weshalb die neuen Ordnungen von vielen mit den vorgegebenen alten Ordnungen verwechselt werden. Ja, selbst die Bevormundung und Unterdrückung der Unfähigen und Untüchtigen sind auf weit-e Strecken und für wohl unabsehbare Zeit unvermeidlich, an der Tagesordnung sind sie leider ohnehin. Freilich, nach dem Zerfall der vorgegebenen Ordnungen sollte dies einsichtigermaßen nach Möglichkeit ausgeschaltet, auf das Mindestmaß beschränkt werden, so daß die Ordnungen grundsätzlich von allen akz-eptiert werden können. Die Menschen sollen dann mit Gott, nicht aber den Mitmenschen hadern, wenn schon gehadert sein muß. II. Der skizzierte demokratische Gedanke ist, wie aus dem Gesagten unmittelbar erhellt, nicht nur, ja auf di-e Sache gesehen, nicht einmal in erster Linie ein politisches Prinzip, wiewohl er zuerst in der politischen
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Sphäre zur Geltung kommt. Vielmehr ist er ein Prinzip der Daseinsgestaltung schlechthin, das sich auf alle Lebensbereiche bezieht: auf die politische Ordnung, auf Großbetriebe jeglicher Art, z. B. der Industrie, Bürokratien, d. i. auch Verwaltungen, auf Schulen und Bildungseinrichtungen, Kirchen und auf welche Sozialgebilde und welches Zusammenwirken von Menschen auch immer. Demokratie ist "un style de vie collective" (Georges Burdeau). Man wäre versucht, im Anschluß an Karl Mannheim und Alfred Weber, von "Fundamentaldemokratie" zu sprechen, wenn dieser Ausdruck nicht schon allzu diskreditiert wäre. Diese weite oder besser: grundsätzliche Fassung des demokratischen Gedankens ist keineswegs beliebig oder gar eine bloß terminologische Angelegenheit, auch wenn man vielleicht einen anderen Ausdruck verwenden könnte (Autonomismus z. B.). Sie ist auch keine "Gleichschaltung" von Politischem und Sozialem. Denn was ich hier als demokratisches Prinzip anspreche, bedeutet die Verabschiedung bisheriger vorgegebener Ordnungen im ganzen und die Begründung aufgegebener Ordnungen, wiederum im ganzen, und zwar durch ein einheitliches, umfassendes, in sich zusammenhängendes Prinzip. Da diese grundsätzliche Fassung des demokratischen Gedankens, die dem politischen Demokratiebegriff noch vorgelagert ist, erst in allerneuester Zeit ins öffentliche Bewußtsein tritt, muß man sagen, daß wir eigentlich erst am Anfang der demokratischen Entwicklung stehen. Die weite Fassung des demokratischen Gedankens findet sich auch anderwärts, wiewohl mit anderer Begründung und Akzentuierung B• Doch herrschen die Beschränkung auf den politischen Bereich oder die unsachgemäße Ausweitung des primär politisch konzipierten Demokratiebegriffs auf die Gesellschaft vors. 8 So vor allem schon bei Tocqueville, der zugleich, in religiöser Perspektive, den übergang von den vorgegebenen zu den neuen demokratischen (d.1. aufgegebenen) Ordnungen als unausweichlichen Prozeß, als von Gott verhängtes Schicksal sah. Unter den gegenwärtigen Autoren seien genannt: Georges Burdeau (Traite de Science politique, tome V, 19702, auch La democratie, 1956 u. ö.), mit unüberhörbaren Tönen altliberaler Nostalgie angesichts des "gauchissement de l'idee democratique"; Carl Joachim Friedrich (insbes. HDSW 2. Bd., 1959, Art. "Demokratie"), für den die Demokratie eine "Lebensform" ist; Richard F. Behrendt (vor allem Zwischen Anarchie und neuen Ordnungen - Soziologische Versuche über Probleme unserer Welt im Wandel, 1967); Arthur F. Utz (in Demokratie und Mitbestimmung, hrsg. von A. F. Utz und Heinrich B. Streithofen, Veröff. d. Instituts f. Gesellschaftswissenschaften Wallerberg eV., Bd. IV., 1970), mit zu kurzem Sprung zur "Metaphysik": Frieder Naschold, Organisation und Demokratie, 1969; Fritz Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, z. B. 66 ff. e Ein Versuch, die Beschränkung auf den politischen Bereich zu rechtfertigen, neuestens insbes. bei Wilhelm Hennis, Demokratisierung - Zur Problematik eines Begriffes, 1970. Vgl. ferner etwa Manfred Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, 1970, 49 ff., und Erwin Scheu eh, Der ,Demo-
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Daß der demokratische Gedanke zuerst im politische'n Bereich, in der Gestaltung von Recht und Staat, zur Geltung kommt, und daß dadurch die Demokratieproblematik weithin bis in unsere Tage geprägt ist, erklärt sich leicht daraus, daß die rechtlich-staatliche Ordnung drastisch und nicht selten brutal in die Entfaltung des Einzelnen eingreift, ohne daß er sich dem entziehen könnte. Ferner wird durch die rechtlich-staatliche Ordnung zugleich der Rahmen für alle menschliche Entfaltung in sämtlichen Lebensbereichen gezogen. Denn das gemeinschaftliche Dasein bedarf der politischen Ordnung, die heute in einer alle Bereiche durchdringenden rechtlich-staatlichen Ordnung erscheint. Im politischen Bereich und so auch in der rechtlich-staatlichen Ordnung geht es um die Herrschaft, die auch im Fall allseitig konsentierter Normen immer Herrschaft von Menschen über Menschen nun einmal bleibt. Sieht man nur oder primär auf die politische Demokratie, wird der Kern des demokrati~chen Gedankens im Abbau von Herrschaft gesehen. Gewiß ist dies wichtig, auch für den sozialen Bereich, in dem die ver~chiedensten Formen der Bevormundung und Unterdrückung anzutreffen sind. Zum demokratischen Gedanken gehört aber auch die Möglichkeit der Mitwirkung, der Partizipation. Entfaltung verlangt Freiräume und Selbstbestimmung, da aber die Entfaltung aller sich in zunehmender vielfältiger Interdependenz vollzieht, zugleich kooperative Selbstbestimmung, d. h. Mitbestimmung, Partizipation, aktive Beteiligung an den gemeinsamen Angelegenheiten. Deren Umfang wird nicht nur immer größer, sondern kann auch nicht ein für alle Mal abgegrenzt werden. Unbeschadet der Einheitlichkeit des allgemeinen demokratischen Prinzips sind freilich die Anwendungen in den einz'elnen Bereichen sehr verschieden. Dieser wichtige Tatbestand ist mit einigen überlegungen zu verdeutlichen. Im Hinblick darauf ist zunächst die folgende überlegung zur Trias von Wissenschaft, Technik und Industrie einzuschalten. Mit dem Schwinden der vorgegebenen Ordnungen erhält die objektive und vor allem wissenschaftliche Feststellung von Sachzusammenhängen zentrale Bedeutung. Früher wurde das Wirkliche nur im Raster von vorgegebenen Ordnungen aufgefaßt, auf Wandlungen wurde so prinzipiell nicht Bedacht genommen (wie auch heute noch nicht im Rahmen enger naturrechtlicher Konzeptionen). Beim Aufbau der neuen und sich wandelnden Ordnungen muß aber dem Wirklichen andauernd in neuer Weise Rechnung getragen werden, das erst jetzt vorurteilsfrei als solches zugänglich wird. Denn zugleich mit der Freisetzung des kratisierungsprozeß' als gesamtgesellschaftUches Phänomen, in: Arthur F. Utz und Heinrich B. Streithofen, a.a.Q. (oben Anmerkung 8).
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Menschen in seinem Entfaltungsstreben wird das Wirkliche im ganzen freigesetzt und der Erkenntnisbann gelöst, mit dem bisher das Wirkliche belegt war. Erst jetzt entsteht die Wissenschaft; und in ihrem Gefolge die Technik, die das Erkannte, soweit dieses ein Machbares ist (in der Naturwissenschaft und in aller nach ihrem Muster verfahrenden Wissenschaft, mit Einschluß der szientistisch betriebenen Humanwissenschaften), macht; und des weiteren die Industrie, die das Machbare in beliebigen Mengen und Gebrauchsformen herstellt. Denn moderne Wissenschaft ist von Haus aus instrumental, auch wenn dies in gar keiner Weise in der subjektiven Absicht des Forschers liegt. Früher waren das Erkennen und Machen in die vorgegebenen Ordnungen eingebunden, drastisch etwa, wenn die vorgegebene Ordnung als geoffenbarte göttliche Schöpfungsordnung in einem buchstäblichen Sinn verstanden wurde. Nur das durfte erkannt und gemacht werden, was sich der vorgegebenen Ordnung fügte, weshalb Wissenschaft in unserem Sinn noch nicht entstehen konnte. Wie ersichtlich, sind der demokratische Gedanke und die Dreiheit von Wissenschaft, Technik und Industrie aufs engste verbunden. Ihr Generalnenner ist die Freisetzung des Wirklichen im ganzen, in Entsprechung zum Schwinden und Zerfall vorgegebener Ordnungen. Zur recht verstandenen Autonomie gehört deshalb auch die Anerkennung der wissenschaftlich festgestellten Tatsachen und ihrer Zusammenhänge. Aus dieser überlegung folgt, daß die Fachkundigen und die wissenschaftlichen Sachverständigen durch sog. demokratische Willens bildung Unkundiger nicht ersetzt werden können. Die jeweilige Ausgestaltung demokratischer Strukturen (Mitbestimmungs- und Partizipationsformen) muß sich im Rahmen der Sachanforderungen bewegen1o . Das Hauptgewicht in der Verwirklichung des demokratischen Gedankens liegt deshalb zunächst auf dem völlig freien und ungehinderten Zugang aller Fähigen und Kundigen zu den entsprechenden Positionen und zum Erwerb der dafür erforderlichen Voraussetzungen. Des weiteren kommt es entscheidend auf eine angemessene öffentliche Kontrolle oder doch auf eine Kontrolle der Beteiligten und ihrer berufenen Vertreter an. Schließlich sind Unfähige in Gottes Namen in ihren sich nach der gegebenen Lage als unüberwindlich erweisenden Schranken zu belassen, ja nötigenfalls in diese zu verweisen. Den Humanisten und den Technokraten unter den Verächtern der Demokratie ist unumwun10 Einen beachtlichen Versuch, sowohl dem demokratischen Gedanken als auch den Sachanforderungen gerecht zu werden, stellt der sog. BiedenkopfBericht über "Mitbestimmung im Unternehmen" dar (Bundestags-Drucksache VI/334 vom 4. Febr. 1970). Vgl. insbes. 61 ff. Dabei wird allerdings der demokratische Gedanke, dessen scharfe Fassung ohnehin nicht Sache der Kommission in ihrer Zusammensetzung sein konnte, zu sehr in die Nachbarschaft nicht ausweis barer, religiöser oder schlicht faktischer Positionen gerückt (vgl. z. B. 18, 56, 65 f.).
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den zuzugestehen: Unkundige und schiere Dummköpf.e den Fachleuten und Fähigen gleichzustellen, hat in der Tat mit dem demokratischen Gedanken nichts zu tun. Damit würde letztlich die Lebensbasis für breiteste Kreise geschmälert oder gar zerstört. Freilich - und das ist nicht minder zu unterstreichen - darf man nicht übersehen, daß die Grenzen zwischen den Kundigen und Unkundigen, sowie den Fähigen und Unfähigen keineswegs überall in unkontroverser Weise gezogen werden können: etwa zwischen Professoren und Assistenten sowie fortgeschrittenen Studenten, übrigens auch nicht in allen, z. B. "weichen" Disziplinen in gleicher Weise; zwischen Beamten, Angestellten und Arbeitern verschiedenen Ranges; kirchlichen Würdenträgern unterschiedlicher Stufe, Pfarrherren und Laien usw. Nicht nur die zuweilen prekären Beurteilungsmaßstäbe, sondern auch die Verfilzung von einmal, wie auch immer erworbenen Positionen des Einflusses und des Prestiges mit der jeweils großzügig unterstellten Sachkunde und Fähigkeit stehen einer solchen Grenzziehung vielfach im Wege. Dazu kommt ein Weiteres: Alle, auch die Geringsten, haben Anspruch auf Selbstentfaltung und damit darauf, daß sie an ihrem Platz ihren Beitrag in die gemeinsame Leistung nach bestem Wissen und Können einbringen dürfen. Die vorhandenen Entfaltungspotentiale werden zweifellos weithin unterschätzt und in den wenigsten Fällen voll fruchtbar gemacht. Dabei könnte man gar hinzufügen: it pays to be human! Sachzwänge (die viel mißbrauchten "Sachgesetzlichkeiten") sind aber nie ein Letztes, sondern im Rahmen der menschlichen Handlungszusammenhänge und der prinzipiell offenen Zielsetzungen zu sehen. Sie erweisen sich dann oft im gegebenen Fall als irrelevant oder überspielbar. Angesichts dieser Sachlage darf man sagen, daß auch in den durch Sachzwänge besonders geprägten Bereichen ein "Demokratisierungsprozeß" stetsfort im Gang zu sein habe, der mit starren Strukturen unverträglich ist. Der Sachzwang kommt vor allem dort zum Zug, wo fraglose und ausreichend bestimmte geschlossene Ziele zu erreichen sind, wodurch Mittel und Fachwissen vorgezeichnet werden. Anders ist es dagegen in den Bereichen, in denen es um offene Ziele geht, die die Daseinsgestaltung im ganzen betreffen und die nach letzten Maßstäben, die niemandem aufgezwungen werden dürfen, immer neu bestimmt werden müssen. Hier sollen mittels geeigneter und praktikabler Verfahren alle Betroffenen mitbestimmen können. Dies gilt vor allem für den politi~chen Bereich wiewohl man auch da an sich geneigt sein könnte, auf weite Strecken Sachkunde zu verlangen, z. B. selbst die Ausübung der politischen Bürgerrechte an bestimmte bildungsmäßige Voraussetzungen zu knüpfen. Doch wäre dies in praktisch befriedigender Weise und ohne schwersten Mißbrauch nicht durchführbar, wie Geschichte
Der demokratische Gedanke im politischen und im sozialen Bereich 201 und Gegenwart lehren. Ganz abgesehen davon, daß sog. ungebildete Arbeiter z. B. die Fragwürdigkeit nationaler Ekstase, Romantik und Mystik zuweilen besser erkennen als Akademiker. Andererseits ist allenthalben dem grundsätzlichen übergang von vorgegebenen zu aufgegebenen Ordnungen, soweit er in der Tat in Gang gekommen ist, Rechnung zu tragen. Das gilt auch für die Verwaltung. Ihre Organisation, ihr Selbstverständnis, ihr Führungsstil, ihr Verhältnis zum heutigen Bürger und die Mechanismen zu ihrer Kontrolle müssen dem über den politischen Bereich weit hinausgreifenden demokratischen Gedanken in sachgemäßer Weise Rechnung tragen. Andernfalls sind Schwierigkeiten nicht zu vermeiden. Der sog. demokratische Führungsstil und gewisse in die gleiche Richtung weisende Praktiken der Human-Relations-Bestrebungen und ähnliches sind zweifellos Phänomene unserer Epoche der aufgegebenen Ordnungen. Da vorgegebene Ordnungen in zunehmendem Maße innerlich nicht mehr nachvollzogen werden können und sich dies rechtfertigen läßt, sind die neuen Führungs- und Betriebsstile in einem entsprechenden sozialen Kontext auch effizienter. Entsprechend ist der sog. autoritäre Führungsstil um so ineffizienter, je mehr der soziale Kontext durch demokratische Strukturen geprägt ist. Die neuen Organisationskonzepte, im Grunde übrigens durchwegs Partizipationskonzepte, wie sie etwa Frieder Naschold neuerlich referiert und weiter verarbeitet hat, fügen sich ohne weiteres in den hier entwickelten normativen Rahmen und sind dahin zu verstehen, daß nach dem Zerfall von vorgegebenen Ordnungen Organisationen heute schon aus Gründen des überlebens "demokratisiert" werden müssenll . Besondere Probleme stellen sich der "Demokratisierung" der Schulund Bildungsanstalten12 • Hier ist sowohl auf die verschiedenen Sachprobleme als auch auf die unterschiedlichen funktionalen Kategorien von Beteiligten (Lehrer, Hilfskräfte, Zöglinge bzw. Studierende) abzustellen. Daß der Ausbilder und der Auszubildende auf eine Stufe gestellt würden, ist natürlich abwegig. Im Erziehungs- oder Ausbildungsprozeß soll ja der Zögling oder Auszubildende dorthin gebracht werden, wo eine volle "Demokratisierung" erst Platz greifen kann. Freilich, auch da sind die Grenzen durchaus fließend. Auch muß die freie Selbstbestimmung einmal eingeübt werden. Erfährt so der allgemeine demokratische Gedanke von Bereich zu Bereich eine verschiedene Ausgestaltung, ist es unzulässig, die einem 11 Vgl. Naschold, a.a.O. (oben Anm. 8), insbes. 80 ff. Allerdings scheint mir der Verfasser die Fähigkeiten der Organisationsmitglieder allzu großzügig einzuschätzen. 12 Es ist auffallend und bedauerlich zugleich, daß soviel ich sehe Rousseau's pädagogische Einsichten nicht genutzt werden, was sich aufdrängte.
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bestimmten Bereich angemessenen und dort bewährten Verfahren auf einen anderen schlicht zu übertragen. Die nach politischem Muster gestaltete sog. "Demokratisierung" von Universitäten und Hochschulen (mit sog. Drittelparität und was sonst noch dazu gehört) ist deshalb fehl am Platz; nicht aber - was ich nachdrücklich unterstreichen möchte - eine den besonderen Verhältnissen der akademischen Bildungsstätten angemessene "Demokratisierung" durch geeignete Mechanismen, wozu m. E. auch zahlenmäßig ausreichende vollberechtigte Vertretungen der Studierenden und des sog. Mittelbaus in den zuständigen Organen gehören. So sehr aber die verschiedenen Bereiche zu trennen sind, so sehr stützen sie sich andererseits auch gegenseitig. Wer im sozialen Bereich unmündig gehalten wird, dort ein Knecht ist, wird vermutlich auch nie ein mündiger Bürger sein, vielleicht aber ein aggressiver Desperado, und umgekehrt fördert die Mündigkeit im sozialen Bereich die verantwortliche Selbstbestimmung auch im politischen. Und schließlich, wer in der Schule und Ausbildungsstätte nicht zur Selbstbestimmung angeleitet worden ist und sich dort nicht einüben konnte, wird es schwerer haben, sich später im sozialen und politischen Bereich selber zu bestimmen13 •
IH. Man sollte meinen, daß der allgemeine demokratische Gedanke in seinem bis jetzt skizzierten Gehalt unkontrovers ist - es sei denn, daß einer vordemokratischen Auffassungen anhängt, die letztlich auf den zerfallenen und nicht ausweisbaren vorgegebenen Ordnungen früherer Epochen beruhen, und der deshalb frühere Zustände repristinieren möchte. Doch bricht im Rahmen des demokratischen Gedankens gerade jetzt, aber nicht zufällig jetzt, wo dessen ubiquitäre Tragweite ins Bewußtsein tritt, ein tiefgreifender Gegensatz auf. Um diesen Gegensatz zu verstehen, müssen wir das demokratische Prinzip noch etwas schärfer beleuchten und uns Rechenschaft geben von den bisherigen Etappen und dem Richtungssinn seiner Entfaltung. Die Forderung der gleichen Entfaltungschance aller, die ich als den Kern der neuzeitlichen demokratischen Grundvorstellung anspreche Freiheit und Gleichheit für alle - wurde zunächst als eine abstrakte Forderung aufgestellt, ohne daß man in ausreichender Weise auf die 13 über die Beziehungen zwischen "participatory democracy" in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, insbes. in der Industrie, und der politischen Demokratie, verbunden mit einer kritischen Auseinandersetzung mit der anglo-amerikanischen sog. realistischen Demokratietheorie vgl. Carole Pateman, a.a.O. (Anm. 1).
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Wirklichkeit Bezug genommen hätte. Die verschiedenen wirklichen Ausgangslagen der Einzelnen, durch die die Entfaltung in unterschiedlicher Weise eingeschränkt ist, wurden nicht in Rechnung gestellt. Die Forderung der gleichen Entfaltungschance aller wurde eben als eine nur abstrakte formuliert, ohne Bedachtnahme auf den "homme situe" (Georges Burdeau). Daraus ergaben sich eine starke, ja zum Teil krasse Ungleichheit der Entfaltungschance, eine Klassengesellschaft und ein Klassenstaat. Dasselbe gilt für das Verhältnis der verschiedenen Gesellschaften, auch hier ergab sich eine große Ungleichheit. Dies ist der Ansatzpunkt für die heutige weltweite Entwicklungspolitik, die für alle Gesellschaften und deren Glieder gleiche Entfaltungschancen schaffen möchte 14 •
Am bloß abstrakten Charakter der Forderung der gleichen Entfaltungschance aller wurde von Anfang an und in immer steigendem Maße Kritik geübt. Demgemäß wurde die Konkretisierung der bloß abstrakten Chance allenthalben gefordert. Das Prinzip der konkretisierten Entfaltungschance aller, in dem das Prinzip der bloß abstrakten Chance sich erfüllt, wurde immer entschiedener der eigentliche Zielpunkt, und schrittweise wurde es in die politische und soziale Wirklichkeit übergeführt. Es ist die formulierte Programmatik heutiger westlicher Demokratien, und es scheint auch am Ursprung der östlichen sog. Volksdemokratien zu stehen, nur daß diese den liberalen Ursprung in Wort und Tat verleugnen, wohl deshalb, weil sie die liberale Phase in ihrer Geschichte nicht durchlaufen und auch nicht in ihrem Kern bewahren konnten. Karl Marx hat als radikaler Liberaler begonnenl5 , und man kann dessen spätere Auffassung sehr wohl als einen radikal konkretisierten Liberalismus verstehen, trotz aller ökonomistischen Verzerrungen und Dogmatisierungen. So haben ihn etwa die Prager Reformer aufgefaßt. Was bedeutet dieses Prinzip der gleichen konkretisierten Entfaltungschance aller des nähern? Und werfen wir einen Blick auf bisherige Verwirklichungen16 • Ich möchte mich auf vier Hauptpunkte beschränken. 14 Instruktiv über die grundsätzlichen Aspekte des internationalen Schichtungs- (bzw. Klassen-)systems: Gustavo Lagos, International Stratification and Underdeveloped Countries, 1963. Eine kürzere Zusammenfassung desselben Autors: Der Status der Nation und das internationale Schichtungssystem, in Peter Heintz (Hrsg.), Soziologie der Entwicklungsländer, 1962, 42 ff. lS Vgl. die Artikel in der "Rheinischen Zeitung" (1842/43), insbes. Debatten über die Pressefreiheit (Marx, Werke, hrsg. von Lieber, Bd. 1, 1962, 110 ff.), auch heute noch eine Fundgrube für einen liberalen Festredner. Allmählich, so vor allem schon in den Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz (a.a.O., 208), wurden die sozialen, insbesondere die ökonomischen Verhältnisse einbezogen, und die abstrakten liberalen Begriffe von Freiheit und Gleichheit wurden fortschreitend konkretisiert.
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Dieses Prinzip bedeutet -erstens, daß die bloß abstrakte Chance der Entfaltung aller in der Weise konkretisiert wird, daß die Ausgangslagen angepaßt und Hindernisse, die der Entfaltung aller im Wege stehen, beseitigt werden. Deshalb werden zunächst die ökonomischen Lagen fortschreitend ausgeglichen und aufeinander abgestimmt (der bereits etablierte Begünstigte spricht von "Nivellierung"). Wir kennen heute zahlreiche Vorkehrungen, die darauf abzielen: die indirekte Umverteilung von Vermögen und Einkommen, insbesondere durch die Steuerg-esetzgebung und die Einrichtungen der "Sozialen Sicherheit" (soweit die heute verfügbaren Mechanismen nicht bloße Scheinergebnisse zeitigen und in einem ökonomischen Teufelskreis nicht wieder die Schwachen belasten), die Ausgliederung immer neuer öffentlicher Aufgaben und das steigende Angebot öffentlicher, tendenziell unentgeltlicher Leistungen. Aber wir sind schon über den bloß ökonomischen Ausgleich hinausgeschritten. Ich erinnere etwa an die Bestrebungen zur Einräumung gleicher Bildungschancen für alle. Hier kommen wir mit Stipendien, Honneffer-Modell und Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Lehrmittel allein nicht zum Ziel. Auch die Milieubedingungen werden korrigiert, z. B. durch Vorschulerziehung; auch sind bei Eltern und Lehrern Vorurteile und soziale Schranken abzubauen. Dies lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, daß sich hier - wie auch in anderen Bereichen - eine sehr weit ausgreifende Grundvorstellung abzeichnet, wonach in einer durchaus nicht ein für alle Mal abgrenzbaren Weise allen die gleiche Chance zur Entfaltung, wir können auch sagen: zur Selbstverwirklichung eingeräumt werden soll. Menschliche Potenzen, meist verschüttet, sollen freigesetzt werden, wenn wir den Tatbestand deutend weiter ausleuchten (Erwachsene sind verkümmerte Kinder). Das Wesentliche ist dabei nicht, daß alle gleich seien, weil es unerträglich wäre, daß Unterschiede bestehen, sondern daß allen eine optimale Entfaltungschance zukommt. In der Einräumung gleicher Entfaltungschancen werden ferner die Spontaneität und die Freiheit bewahrt, niemand soll gezwungen werden. Der heutige sog. Pluralismus wird so, mit dem Korrektiv gleicher Chancen für alle, recht eigentlich gerechtfertigt. Nach dem Zerfall der vorgegebenen Ordnungen mit dem Anschein des Absoluten gibt es keine absoluten Inhalte mehr, und jeder hat grundsätzlich sein Dasein selbst zu gestalten, in freier Zu18 Burdeau (a.a.O., oben Anm. 8) zeichnet den Prozeß der Konkretisierung im Wandel der Demokratieformen nach ("democratie gouvernee", "democratie gouvernante", "democratie consentante", wobei die letztere freilich nur materiale Demokratie, ohne ausreichende formale Partizipation ist). Vgl. auch C. B. Macpherson, Drei Formen der Demokratie, 1967. - Eine instruktive kritische Analyse dieses Konkretisierungsprozesses in der BundesrepubUk Deutschland, mit einer Option für künftige weitergehende Vorkehrungen, bei Hans Hermann Hartwich, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher status quo, 1970.
Der demokratische Gedanke im politischen und im sozialen Bereich 205 sammenarbeit mit den Mitmenschen. Dieses Prinzip ist ein zugleich demokratisch-es und liberales, ein konkret-liberales, ein Prinzip erfüllter Freiheit. Demokratische Freiheit und Gleichheit sind, auf den Grund der Sache gesehen, keine Gegensätze, sondern Aspekte ein und derselben Grundvorstellung. Nur in der Realisierung im einzelnen ergeben sich die vielberufenen Spannungen, was die Liberalen veranlaßt, eine grundsätzliche Antinomie von Freiheit und Gleichheit zu proklamieren. Die gegen die so verstandene Gleichheit ausgespielte angeblich gegensätzliche Freiheit ist aber, genau besehen, stets die Freiheit weniger, nicht aber aller, mit einem Wort: die heute unmenschliche altliberale Freiheit. Daß Entscheidendes in der Ungleichheit der Chancen auch auf das Konto einer nicht beeinflußbaren Anlage geht, ist natürlich zutreffend. Aber durch entsprechende Umweltgestaltung könnte selbst bei übermäßiger und unzulässiger Betonung genetischer Faktoren, so viel erreicht werden, daß wir kaum je an die Grenze der Gestaltbarkeit gelangen - abgesehen von krassen Fällen der Debilität und ähnlichem. Hier tut sich ein weites Feld für die Anwendung heutiger Wissenschaften vom Menschen, für die ziel bewußte Ausrichtung dieser Wissenschaften auf eine solche Anwendung und die sich ergebenden praktischen Maßnahmen auf. Wir stehen noch in den allerersten Anfängen. Freilich ist es ungeheuer schwierig, im Dienst gleicher Entfaltungschancen aller gezielte Eingriffe vorzunehmen, die verantwortbar sind, nicht unannehmbare Folgen zeitigen, z. B. unzulässigen Zwang gegen andere bedingen oder gar ins Gegenteil umschlagen. Und doch können wir nicht nur im Fall verantwortbarer Machbarkeiten auf solche Eingriffe nicht verzichten, wir müssen auch alles daran setzen, verantwortbare Machbarkeiten zur Verfügung zu stellen, wenn wir den demokratischen Gedanken begriffen haben und ihn in den Ernst einbeziehen, mit dem wir unser Dasein je leben. Um die Lage mit zwei Beispielen zu illustrieren: Unsere Bildungsplanung basiert noch auf viel zu schmalen sicheren Ergebnissen und riskiert schwerste Rückschläge. Dies zeigen etwa unausgegorene Gesamtschulpläne17 • Das heißt aber nicht, daß wir die Hände in den Schoß legen und alles beim Alten belassen könnten. Ferner: Es wäre heute in den westlichen Ländern schlechterdings nicht zu verantworten, eine Sozialisierung der Produktionsmittel in die Wege leiten zu wollen, so sehr sich dies in mancher Hinsicht aufdrängen mag. Denn geeignete Mechanismen, die die Freiheit als teilbar erscheinen lassen, stehen nicht zur Verfügung. Es genügt nicht, daß die erratischen Blöcke in der allmählich Gestalt anneh17 Eine kritische Würdigung bei Hartmut von Hentig, Systemzwang und Selbstbestimmung - über die Bedingungen der Gesamtschule in der Industriegesellschaft, 1968.
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menden demokratischen Landschaft die Gemüter in Wallung bringen - derer, die sich dar an wund reiben, und derer, die profitable Requisite der guten alten Zeit um j·eden Preis verteidigen. Vielmehr ist eine mit Nüchternheit und Sachkunde gepaarte Phantasie vonnöten, damit das vom demokratischen Gedanken sowohl Geforderte als auch Realisi-erbare umsichtig ins Werk gesetzt werde. Das Zweite, das ich zur Charakterisierung unseres Prinzips hervorheben möchte: Die Chance allein reicht nicht aus. So wird für alle soweit sich so etwas überhaupt bewerkstelligen läßt - eine effektive konkrete Entfaltung in einem Mindestausmaß gesichert. Das deutsche Recht etwa räumt aufschlußreicherweise einen Rechtsanspruch auf Unterhalt im Fall der Bedürftigkeit ein. Di-e Ausgangslagen der Einzelnen werden fortschreitend angeglichen, damit komme ich zu einer dritten Feststellung, die der Kennzeichnung unseres Prinzips dient. Ein grundsätzliches Ende nämlich der Konkretisierung der Entfaltungschancen und der Anhebung des Mindestausmaßes, in dem effektive Entfaltung sichergestellt wird, ist nicht abzusehen. Gewiß kann man vor immer weiteren Konkretisierungen der Entfaltungschancen in der Zukunft zurückschrecken (man mag sich die gesellschaftliche, um nicht zu sagen: kollektive Aufzucht und Erziehung der Kinder ausdenken, oder gar künftige Ansprüche auf einmal machbare biotechnische Eingriffe, um anlagebedingte Ungleichheiten auszumerzen). Doch glaub-e ich, daß daraus keine Gegenargumente abgeleitet werden können, denn wir können den Weltlauf und die Empfindungen späterer Generationen nicht vorwegnehmen. Wir können uns von einer fernen Zukunft kein so eindeutiges Bild machen, daß wir daraus für die Gegenwart und für eine nahe Zukunft Schlüsse ziehen könnten. Die einzigen Kriterien sind die jeweilige menschliche Selbstverwirklichung und die konkrete Erfüllung neuer Formen, die wir erprob-en müssen und die sich dann, auch in der kritischen Auseinandersetzung mit den Mitmenschen, als lebenswürdig und lebenswert zu erweisen haben. So erhält das Prinzip der konkreten Entfaltung aller immer erst in den jeweiligen Verwirklichungen und in der gemeinsamen lebendigen Auseinandersetzung Umriß und Inhalt. Ein Viertes schließlich: Die Konkretisierung betrifft sowohl den materialen Gehalt des demokratischen Gedankens ("Versorgung" mit Gütern sowie Chancen aller Art) als auch die Mitwirkungsmöglichkeiten in der politischen Sphäre und in den jew-eils relevanten sozialen Bereichen. Dann erst ist Demokratie "government of the people, by the people and for the people" (Abraham Lincoln). Der Vorrang des materialen Gehalts in den heutigen kommunistischen Staaten sowie im Kubanischen Modell und damit verwandt-en
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Regimen der Entwicklungsländer stellt eine bedenkenswerte Warnung dar, die, aufs Ganze gesehen, nicht ernst genug genommen werden kann. So unerläßlich die skizzierte Konkretisierung der Entfaltungschance ist, so darf doch die gefährliche Verschränkung von politischem und sozialem Bereich, zu der sie führen kann, nicht übersehen werden. Je mehr die abstrakte Chance aller konkretisiert wird, um so mehr verfließen die Grenzen zwischen dem Politischen und dem Sozialen. Denn die "Demokratisierung" im sozialen Bereich bedarf der rechtlichstaatlichen Konturierung. Die Freiheit des Menschen ist verloren, wenn hier nicht ein grundsätzlicher Freiraum der Aktivität und Spontaneität des Einzelnen gewahrt wird, was nur eine völlig undogmatische, von allen übergriffen auf das "Absolute", das dem Menschen Nicht-Verfügbare, freie Haltung gewährleistet. Man könnte auch sagen (wenn es nur nicht im Sinne handgreiflicher naiver Dogmen oder unzulässiger Spekulation mißverstanden würde), der Bezug des Menschen zum "Absoluten" müsse gewahrt werden.
IV. Wenn wir das demokratische Prinzip sehen, wie ich vorschlagen möchte, erhellt ohne weiteres, daß es nur in einem unabgeschlossenen und nie vollendbaren Prozeß Wirklichkeit werden kann. Andernfalls müßte der Mensch sich selbst, nämlich alles mit ihm verbundene Gegebene überwinden, ein utopischer Gedanke, der jeden erdenklichen Begriff vom Menschen übersteigt. In diesem Tatbestand wurzelt nun der grundlegende Gegensatz, der heute aufbricht und der den demokratischen Gedanken zu sprengen droht, kaum daß er als ein allgemeiner in ersten Ansätzen verwirklicht werden soll. Die Vorstellungen über die Erfüllbarkeit sowie über Tempo und Ausmaß der Verwirklichungen - soweit weitere Verwirklichungen überhaupt noch für nötig befunden werden - gehen so stark auseinander, daß das auf den ersten Blick gemeinsame Prinzip in die Brüche zu gehen scheint. Die einen neigen dazu, die ersten Anfänge der "Demokratisierung" zu versteinern und in der damit verbundenen Bestätigung der etablierten Positionen auf die Stufe des Altliberalismus, ja der Klassengesellschaft, wie gemäßigt und verhüllt auch immer, zurückzufallen. In Begriffen und Grundsätzen wird die abstrakte Entfaltungschance verfochten, was zwangsläufig zur Begünstigung bestimmter Positionen führt. Die etablierte Ordnung wird zum Tabu, und der Rechtsstaat muß selbst menschenunwürdige Zustände decken. Man spricht von "Spielregeln der Demokratie", die als solche einzuhalten seien. Ein guter
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Gedanke, wenn man ihn nur richtig versteht, d. h. wenn die konkrete Chancengleichheit der Spieler gewahrt ist. Es gibt aber auch törichte und grausame Spiele, und dann ist das Spiel aus. Andererseits wird aus den Spielregeln blutiger Ernst gemacht, wenn das Bestehende in Frage gestellt wird. Ich möchte diese erste Gruppe die Putativdemokraten nennen, die nur scheinbar die Demokratie vertreten und um so unglaubwürdiger wirken, je mehr sie zu den vorwärts drängenden Tendenzen in Widerspruch geraten. Sie wollen am Bestehenden festhalten, abgesehen von unwesentlicher Kosmetik. Die andern wollen von den vorläufigen Etappen, die wir nie hinter uns bringen können, zur absoluten Grenze, zum Vollkommenen springen. Sie opfern die elementarsten Schranken und Sicherungen rechtsstaatlicher und damit auch demokratischer Ordnung sowie die zivilisatorische Lebensbasis unserer Großgesellschaften einer Utopie. Das sind die Demokratisten, die den demokratischen Gedanken auf die Spitze treiben und zerstören. Beide, Putativdemokraten und Demokratisten, übersehen, daß die Ordnungen, deren der Mensch bedarf, stets unvollkommen und verbesserungsbedürftig sind. Der Mensch kann aber der Unvollkommenheit von Ordnungen nicht entgehen. Er ist immer nicht nur durch naturhafte, sondern durch soziale und kulturelle Gegebenheiten bestimmt, in seiner Entfaltung immer schon eingeschränkt. Alle Ordnungen begünstigen die einen und beeinträchtigen die andern, setzen zugleich Entfaltungen frei und hemmen Entfaltungen, sind, vom Prinzip der Entfaltungschance aller aus gesehen, grundsätzlich immer ungerecht. Die entscheidende Frontlinie im (beginnenden) Kampf um die Demokratie verläuft zwischen denjenigen, die in der jeweiligen Etappe im Prozeß der "Demokratisierung" stehen bleiben wollen, und denjenigen, die utopistisch nach den Sternen greifen und im blinden Vertrauen auf die vollkommene Demokratie das Erreichte leichtfertig aufs Spiel setzen. Das Schicksal der Demokratie hängt heute davon ab, ob diese von zwei Seiten, den Putativdemokraten und den Demokratisten, angegriffene Frontlinie vorgetragen und gehalten werden kann. Diese Front ist heute weltweit. Mehr oder weniger ausgeprägt bestimmt sie die Lage in den verschiedenen Gesellschaften, geht aber durch die Gesellschaften hindurch. Ein möglicher Weltbürgerkrieg zwischen Putativdemokraten und Demokratisten scheint sich da und dort abzuzeichnen, und unheilige Allianzen könnten uns in einem solchen Vorgang aufgezwungen werden, je nach den Umständen das Mitmachen mit einem der zwei Lager nämlich, die aufs Ganze gesehen beide gleich verabscheuungswürdig sind.
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Unsere Probleme, mit denen wir unter den Titeln der "Demokratie", "Demokratisierung" und "Partizipation" heute ringen, ergeben sich aus dem Zerfall der vorgegebenen Ordnungen und aus der davon völlig unabhängigen, unverzichtbaren Anerkennung von Richtigem sowie, in Verbindung mit beidem, aus der vollen Akzeptation eines jeden Menschen. Man mag im übrigen die entstandene Lage beklagen und glossieren, wie man will ("Entwurzelung", "Autoritätsverfall ", "Disziplinlosigkeit", "Nivellierung", "grenzenlose Begehrlichkeit" oder wie auch immer). Und die Aussichten für wahrhaft demokratische Ordnungen mögen angesichts der Schwäche des Fleisches und der widerstrebenden Realitäten noch so gering veranschlagt werden. Die Aufgabe ist und bleibt gestellt. Das gemeinschaftliche Dasein kann nur noch aufgrund einer allseitigen Kooperation in einer dem heute erscheinenden Wesen des Menschen würdigen Weise eingerichtet werden. Wenn dies nicht gelingt, bleiben nur offene und dann zunehmend brutale Bevormundung und Unterdrückung oder ständiger Aufruhr, beides gleich hassenswert. Dahin führen auch alle Versuche der Rückkehr in vorgegebene Ordnungen. Wer die "heile Welt" beschwört, unvermeidlicherweise wie gebrochen auch immer, entbindet Bevormundung und Unterdrückung als das jetzt offenbare Wesen jener Welt. Soweit an vorgegebene Ordnungen noch geglaubt wird, soll solcher Glaube gewiß nicht mutwillig zerstört werden, aber man muß sich bei Zeiten darauf einstellen, daß dessen Tage überall einmal gezählt sein werden. In seiner Erörterung des Verfalls der athenischen Demokratie, die sich Humanisten zum Muster für heutige Klagen nehmen könnten, sagt Plato, daß bei der Mißachtung der Gesetze "die alte Titanennatur" , von der die Sage berichtet, zu Tage trete18 • Man möchte vielleicht im Ungestüm des neuzeitlichen Menschen eine neue Titanennatur erblikken, denn die vorgegebenen Ordnungen, die es für Plato noch gab, und die ihnen verpflichteten "Gesetze" sind einsichtigermaßen dahin. Freilich, wenn die neuen aufgegebenen Ordnungen nicht in verantwortlicher Selbstbestimmung und Selbstbindung, damit aber in der Bindung an ein "Absolutes", das den Menschen übersteigt und für ihn unverfügbar ist, entworfen und durchgehalten werden, zeigt sich keine neue, sondern "die alte Titanennatur" . Der Mensch führt dann, wie die Titanen der Sage, "ein elendes Leben in unaufhörlichem Unglück".
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Legg. 70 1 B/C.
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Politikbegriffe und die "Politisierung" der Verwaltung Von Niklas Luhmann
I. Die alte Diskussion um das "Wesen" des Politischen ist ergebnislos abgebrochen worden. Es scheint, daß sich die Interessenlage und die Art des Zugriffs auf das Thema verschoben haben, ohne daß neuartige Fragestellungen sich schon deutlich artikulieren könnten. Das Gesamtbild hat sich radikal vereinfacht. Der historische Diskussionskontext scheint einem, vielleicht heilsamen, Prozeß des Verlernens zum Opfer zu fallen. Die seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts vorgeschlagenen, heute bereits klassischen Definitionen, politisch sei alles, was sich auf den Staat beziehe, was sich auf das Gemeinwohl oder auf öffentliche Interessen beziehe, was Macht involviere, das Politische sei schöpferische, irrationale Entscheidung im Unvorhersehbaren, sei Orientierung am Unterschied von Freunden und Feinden1 - all diese Bestimmungen werden kaum noch zitiert und sicher nicht mehr ohne Einschränkungen vertreten. Aber sie sind nicht ersetzt worden, sie sind im Prozeß des Alterns wissenschaftlicher Meinungen verfallen. Zugleich ist die Problematik des Ansatzes eines jeden Politikbegriffs bewußter geworden2 • 1 Um nur einige Belege zu nennen: Max Weber, Politik als Beruf, 4. Aufl., Berlin 1964, auch in ders., Gesammelte Politische Schriften, 2. Aufl., Tübingen 1958, S. 493 ff. und dazu Christian von Ferber, Die Gewalt in der Politik, Stuttgart 1970; Albert Schäffle, über den wissenschaftlichen Begriff der Politik, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 53 (1897), S. 579-600; Karl Mannheim, Ideologie und Utopie, 3. Aufl., Frankfurt 1952, S. 95 ff.; Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Neuausgabe des Textes von 1932, Berlin 1963; Hermann HeUer, Staatslehre, Leiden 1934, S. 59 ff., 238 ff.; Ulrich Scheuner, Grundfragen des modernen Staates, Recht, Staat, Wirtschaft 3 (1951), S. 126-165 (insb. 135). Eine neuere "Kritische Betrachtung einiger StaatsPolitik-Begriffe" findet man bei Rolf-Richard Grauhan, Politische Verwaltung: Auswahl und Stellung der Oberbürgermeister als Verwaltungschefs deutscher Großstädte, Freiburg 1970, S. 53 ff. 2 Vgl. namentlich Wolf-Dieter Narr, Logik der Politikwissenschaft eine propädeutische Skizze, in: Gisela Kress/Dieter Senghaas, Politikwissenschaft: Eine Einführung in ihre Probleme, Frankfurt 1969, S. 9-37, und allgemeiner ders., Einführung in die moderne politische Theorie Bd. I, Theoriebegriffe und Systemtheorie, Stuttgart 1969.
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Zumindest eine Achse der älteren Diskussion ist indes mit etwas verschobenen Begriffen nach wie vor relevant. Früher ging es um die Frage, ob es möglich sei, Politik unabhängig vom gouvernementalen Apparat des "Staates" zu begreifen. In dem Maße, als Politikwissenschaft und Soziologie den Begriff des Staates durch den des politischen Systems ersetzen und ihn damit in die Gesellschaft einordnen, kann und muß diese Frage für das politische System wiederholt werden. In der Tat scheinen auf dieser Linie sich heute die Diskussionsfronten zu konsolidieren. Es gibt wiederum die Möglichkeit, einen vermeintlich "inhaltlichen" Begriff von Politik zu bilden, von dem aus das politische System dann beurteilt, zensiert, kritisiert werden kann; und andererseits die Möglichkeit, einen angeblich "formalen" Begriff von Politik zu bilden, der dann durch Verweisung auf das politische System ausgefüllt wird. Die mehr "inhaltlichen" Begriffe von Politik verbinden sich gern mit einem normativ verstandenen Demokratie-Konzept; sie setzen der Politik Aufgaben wie Emanzipation des Menschen, Konsensbildung, Konfliktregulierung, maximale Berücksichtigung von Werten, Auswahl zwischen wertdivergenten Handlungsalternativen3 • Dabei bleibt der Bezug auf die Staatsorganisation stillschweigend vorausgesetzt. Die als "formal" charakterisierten Begriffe von Politik benutzen nach wie vor eine Machttheorie, ferner den Systembegriff und als Prozeß-Kategorie den Begriff des bindenden Entscheidungsprozesses 4 • Und hierbei bleibt die Nichtbeliebigkeit der Entscheidungsinhalte als Prämisse impliziert. Einen Augenblick verwundert, wenn man die Kontinuität der Problemstellung bedenkt, daß die politische Selbst- und Fremdeinschätzung sich stark gewandelt, ja geradezu umgekehrt hat. Während früher ein "inhaltlicher", vom Staatsapparat abgelöster und dadurch kritischaggressiver Politikbegriff eher von Autoren vertreten wurde, die als konservativ eingeschätzt wurden, halten sich heute die Vertreter eines "inhaltlichen", "demokratischen" Politikbegriffs für progressiv, wenn nicht revolutionär. Es mag sein, daß sie sich in diesem Punkte irren. Das kann jedoch auf sich beruhen, denn einer Alternative dieser Art 3 Als einen der Ausgangspunkte siehe Jürgen Habermas/Ludwig von Friedeburg/Christoph Oehler/Friedrich Weltz, Student und Politik, Neuwied 1961; ferner etwa Gisela Kress/Dieter Senghaas (Hrsg.), Politikwissenschaft: Eine
Einführung in ihre Probleme, Frankfurt 1969. Vgl. für andere Varianten auch
Frieder Naschold, Demokratie und Komplexität, Politische Vierteljahres-
schrift 9 (1968), S. 494-518; ders., Die systemtheoretische Analyse demokratischer politischer Systeme, in: Probleme der Demokratie heute, Sonderheft 2/1970 der Politischen Vierteljahresschrift, Opladen 1971, S. 3-39; Grauhan, Politische Verwaltung, a.a.O., S. 23 ff. 4 Vgl. etwa David Easton, A Systems Analysis of Political Life, New York -London-Sydney 1965; Gabriel A. Almond/G. Bingham Powell, Jr., Comparative Politics: A Developmental Approach, Boston 1966; Niklas Luhmann, Soziologie des politischen Systems, in: ders., Soziologische Aufklärung: Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, Köln-Opladen 1970, S. 154 ff.
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kommt in einer dynamischen Gesellschaft, wie wir sie erleben, ohnehin keine nennenswerte Bedeutung zu. Ebensowenig trägt die abgeschliffene Unterscheidung von "inhaltlich" und "formal" etwas zur Klärung bei. Um was geht es in der Sache? II. Um was geht es zunächst konkret? Die Tendenzen zu einer zunehmenden Politisierung oder Demokratisierung der Verwaltung, die in letzter Zeit literarisch propagiert worden sind und mit dem Generationswechsel jetzt auch faktisch wirksam zu werden beginnen, sind keineswegs einheitlicher Art. Sie haben eine gemeinsame Grundlage in der Erfahrung eines unzureichenden Funktionierens zentraler politischer Steuerung. Der Ausgangspunkt, daß es zumindest in der Bundesrepublik an organisierter politischer Kapazität zur Planung und Durchsetzung struktureller Reformen in der Gesellschaft und im politischen System fehlt, scheint unbestritten zu sein oder wird zumindest durch die politische Praxis bisher nicht widerlegt 5 • Diese Erfahrung setzt, schon als Befund, bestimmte Anspruchsniveaus voraus, mit denen die Realität konfrontiert wird. Die Anspruchsniveaus wiederum werden durch Politikbegriffe gesteuert. Anspruchsniveaus und Politikbegriffe divergieren jedoch, und dadurch kommt es, daß die Kritik in sehr verschiedene Kanäle abfließt. Eine Richtung der Argumentation erwartet von der Politik eine Veränderung der menschlichen Lebenslage in Hinsicht auf ein besseres (humaneres, glücklicheres, freieres) Leben. Sie nennt dieses Ziel (ohne Rücksicht auf Wortsinn und Begriffsgeschichte) Demokratie und sucht es durch Abbau von "Herrschaft" innerhalb und außerhalb der Organisationen zu erreichen. Als Mittel empfiehlt sie deshalb Formen der Minderung von Herrschaft; nämlich Emanzipation (als Befreiung von Herrschaft) und Partizipation (als Gewinnen eines Anteils an Herrschaft). Das Utopische wird also nicht nur in der Zielsetzung, sondern auch in der Widersprüchlichkeit der Mittel zum Ausdruck gebracht. Die Unfähigkeit zentraler politischer Steuerung scheint in ihrer bloßen Existenz zu liegen. Vor allem ist nicht recht zu sehen, wie dieses Konzept zur Politisierung der Verwaltung beitragen könnte. Wie sollte zum Beispiel die Emanzipation der Müllabfuhr sich vollziehen? Und könnte man den Ministern, Präsidenten und Direktoren verweigern, was den 6 Vgl. etwa Frieder Naschold, Kassenärzte und Krankenversicherungsrefonn: Zu einer Theorie der Statuspolitik, Freiburg 1967; Hans Maier, Reform in der Demokratie, Zeitschrift für Politik 15 (1968), S. 389-402; Fritz W. Scharpf, Refonnen in der Demokratie: Eine Machtfrage, Die neue Gesellschaft
16 (1969), S. 120-126.
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Boten, Chauffeuren und Schalterbeamten gewährt wird6 ? Man könnte hinter solchen Vorschlägen einen extremen Liberalismus vermuten, eine Art Selbstminimisierung der Staatsorganisation von innen heraus; oder für die Praxis wohl 'eher eine Art "Wohlfahrtsbürokratie" im Sinne von Presthus, die in der Linie für ihre eigenen Bedürfnisse sorgt7. Sehr viel differenzierter kann man argumentieren, wenn man die Zentralisierbarkeit politischer Prozesse nicht unter dem Gesichtspunkt einer Herrschaft von Menschen über Menschen, sondern unter dem Gesichtspunkt von Organisation und Entscheidungskapazität zum Thema macht. Die Politik richtet sich hier nicht gegen Herrschaft als solche, sondern mehr gegen ein Rechtsstaatsdenken, das seine Orientierung noch aus einem Gegensatz von Staat und Gesellschaft bezieht. Zur Kritik dieses überholten Modells benötigt man ein abstrakteres analytisches Instrumentarium, das man heute in systemtheoretischen oder in entscheidungstheoretischen Forschungsansätzen finden kann. Die Kritik kann dann doppeigleisig weiterlaufen: Sie kann sich darauf beziehen, daß die politischen Zentralen verfügbare Techniken der Planung, Organisation und Entscheidungsfindung nicht nutzen - gemessen am Stande wissenschaftlich gesicherter Möglichkeiten. Und sie kann sich gegen eine überzentralisierung des politischen Systems richten - also dagegen, daß man von politischen Zentralen zu viel Entscheidungskapazität erwartet hatte. Entsprechend doppelt sich dann die Forderung einer stärkeren Politisierung der Verwaltung: Sie kann abzielen auf Verbesserung der politischen Planung und auf ein dezentralisiertes Sich-Arrangieren mit den politischen Kräften "am Ort". Politische Planung und politische Kooperation mit den Betroffenen werden dann zu Programmpunkten für politische Reformen 8 • Es ist klar, daß auch dies auf eine widerspruchsvolle Zielformel hinausläuft. Die Frage aber ist, ob dieser Widerspruch nicht besser gewählt ist als der zwischen Emanzipation und Partizipation. Stecken schon in den beiden diskutierten Ansatzpunkten Widersprüche, die aus ihrer Eigenlogik resultieren, so wird die Lage vollends 8 Hierzu lesenswert Bertrand de JouveneZ, Der Mensch und seine Arbeit, in ders., Jenseits der Leistungsgesellschaft: Elemente sozialer Planung und Vorausschau, Freiburg 1971, S. 70 ff., über Veränderungen in der schichtenmäßigen Verteilung von Arbeit - und, wie ich hinzufügen würde, Fremdbestimmung des Verhaltens. 7 Siehe Robert V. Presthus, Weberian vs. Welfare Bureaucracy in Traditional Societies, Administrative Science Quarterly 6 (1961), S. 1-24, mit Bezug auf Entwicklungsländer. 8 Vor allem Fritz W. Scharpf verfolgt explizit beide Richtungen der Politisierung nebeneinander. Siehe Planung als politischer Prozeß, Die Verwaltung 4 (1971), S. 1-30, und Die politischen Kosten des Rechtsstaates, Tübingen 1970. Zu einem entsprechend komplex gebauten Demokratiebegriff auch ders., Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, Konstanz 1970.
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kompliziert dadurch, daß auch eine Verbindung beider Argumentationsrichtungen vorgeschlagen wird, namentlich von Frieder Naschold9 • Den Rahmen eines solchen Zusammenschlusses scheint die Systemtheorie bieten zu können, wenn sie sich zu einer hochkomplexen, sehr abstrakten und gleichwohl empirisch operationalisierbaren politischen Theorie entwickeln läßt. Formal könnte die Zusammenfassung dadurch erfolgen, daß sowohl Effizienz der Entscheidungsprozesse im Sinne maximaler Berücksichtigung von Werten als auch Maximierung von Emanzipation und Partizipation normativ als Zielfunktionen des politischen Systems angegeben werden. Inhaltlich ist noch nicht deutlich zu sehen, wie eine solche Zielfunktion in mögliche Strukturen und Prozesse übersetzt werden so111°. IH. Die Entscheidung zwischen diesen verschiedenen Möglichkeiten der Interpretation von Politik und Politisierung hat praktische Konsequenzen für Forschung und für Verwaltungspolitik. Sie wird sich gleichwohl nicht rein empirisch oder unter dem Gesichtspunkt der Bewertung ihrer Folgen treffen lassen. Der Politikbegriff signalisiert einen Bezug auf die menschliche Gesellschaft und, zumindest nach alteuropäischer Interpretation, ein Urteil über den Menschen als sittlich-vernünftiges Wesen (im Unterschied zum Tier). Letztlich sind jene Kontroversen daher von einer nichtmitdiskutierten Einschätzung der Gesellschaft im ganzen und in ihrer gegenwärtigen Lage getragen, für die sichere wissenschaftliche Grundlagen noch weithin fehlen. Sie lassen sich daher nicht allein auf der Ebene einer Organisations- oder einer Entscheidungstheorie lösen. Das zeigt sich auch, wenn man Parallelen in Betracht zieht. Am ausführlichsten wird ein entsprechendes Problem in der Religionsoziologie behandelt. Hier geht es um die Frage, ob ein von den Kirchen unabhängiger Religionsbegriff definierbar ist, gleichsam eine Art "natürliche Religiosität" bezeichnend, die den Kirchen dann als Maßstab dessen, was sie zu erfüllen hätten, von außen anzulegen wäre 11 • Alle Versuche, einen kirchenfreien Religionsbegriff zu bilden, scheinen in Vagheiten zu versanden und vor allem auf unüberwindliche Abgrenzungsschwierigkeiten zu stoßen12 • Typisch wird in dem Grundbegriff, e Vgl. die Hinweise oben Anm. 3, ferner Organisation und Demokratie, Stuttgart 1969. 10 Das fragt sich auch Scharpf, Demokratietheorie, a.a.O., S. 54 ff. 11 Zur Einführung in die Diskussion siehe Joachim Matthes, Kirche und Gesellschaft: Eine Einführung in die Religionssoziologie Bd. 11, Reinbek 1969. 12 Das gilt, um nur ein Beispiel zu geben, für Versuche, die sich des Identitätsbegriffs bedienen und Religion als Identitätserhaltung unter schwie-
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der den Bereich definieren soll, zu viel beansprucht - ganz ähnlich, wie "Macht", "Freund/Feind-Differenzierung", "Konfliktregulierung" , "Wahl zwischen wertheterogenen Alternativen" Politik definieren sollen, aber keineswegs nur in der Politik vorkommen. Nicht anders geht es Versuchen, Wahrheit ohne jeden Bezug auf Wissenschaft und ihren neuzeitlichen Wahrheitscode zu definieren13 • Im Bereich des Rechts verfügt man zwar über die gut artikulierte aristotelische Gerechtigkeitsethik, doch bei genauerem Zusehen ist es auch hier nicht anders: Die Assoziierung von Gerechtigkeit und Gleichheit ist übergeneralisiert und verweist auf eine Normordnung, die die Gesichtspunkte von gleich bzw. ungleich definiert. Gerechtigkeit läßt sich deshalb nur als immanente Kritik des Rechts, nicht als externer Standard, realisieren, obwohl sie ein Transzendieren und Begründen jeder gegebenen Rechtsordnung verlangt. Diese Beispiele genügen, um ein ihnen gemeinsames Problem erkennbar zu machen. Es liegt in der Art, wie gesellschaftliche Vermittlung menschlichen Erlebens und Handeins zu begreifen ist. Wir formulieren es zunächst mit Hilfe der Unterscheidung von Funktion und System. Die heutige Gesellschaft gliedert sich in Funktionsbereiche, die durch unterschiedliche Systemstrukturen und -prozesse bedient werden. Die Gesellschaftlichkeit des Erlebens und Handeins wird über Funktionen, nicht über eine gemeinsame Natur (und sei es natürliche Vernunft oder natürliche Sittlichkeit) vermittelt. Man kann deshalb die Funktion der Politik und das politische System unterscheiden, nicht aber in einer natürlich-gesellschaftlichen Existenz des Menschen außerhalb von Staat und Politik den Bezugspunkt für essentialistische oder normative Aussagen über Politik gewinnen. Es ist wichtig, diese Weichenstellung mit der notwendigen Klarheit und Weitsicht zu sehen; alle weiteren Optionen sind dann von untergeordneter Bedeutung. Wer seinen Politikbegriff - oder modischer: rigen Umständen definieren (vgl. z. B. Robert N. BelZah, Religion: The Sociology of Religion, International Encyclopedia of the Social Sciences Bd. 13, New York 1968, S. 406-414 (410 f.), obwohl es offensichtlich andere Formen der Identitätserhaltung gibt (siehe jetzt Lothar Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität: Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen, Stuttgart 1971). 13 Siehe etwa die Windungen der Gedankenführung, die Jürgen Habermas auf der Suche nach einer Konsensustheorie der Wahrheit auf sich nimmt (Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: JürgenHabermas/Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? Frankfurt 1971, S. 101-141 (123 ff.) und die, ähnlich wie schon bei Charles S. Peirce, damit enden, daß das Problem in der Form eines Vorgriffs auf idealisierte Kommunikationsbedingungen und deren etwaige Resultate gebracht und so in eine ferne, unbekannte Zukunft verschoben wird.
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seinen Demokratiebegriff - auf Konzepte wie Partizipation oder Emanzipation gründet, bleibt, ob bewußt oder nicht, innerhalb der Denkvoraussetzungen der alteuropäischen Tradition l4 • Er wird Entwicklung als Selbstentfaltung menschlicher Kräfte denken müssen eine schon im 19. Jahrhundert überwundene Vorstellung 15 - und die funktionalen Systematisierungen der heutigen Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt von Hindernissen - oder modischer: von Herrschaft in den Blick bekommen. Er wird Selektion als Repression interpretieren. Seine Schwierigkeit ist, wissenschaftlich zu erklären, was mit Veränderungen in Richtung auf Partizipation oder Emanzipation in der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit erreichbar ist. Zumeist fehlt auch die Erkenntnis, daß Partizipation und Emanzipation widerspruchsvolle Fernziele sind, die nicht gleichzeitig angestrebt werden können, sondern sich in der Realisierung wechselseitig blockieren. Für jene Konzeption spricht ihre Humanität und, wie die letzten Jahre gezeigt haben, ein bemerkenswerter Artikulationsvorsprung in der moralisch-politischen Agitation. Sieht man auf diesem Wege keine Chancen für fruchtbare Konzeptualisierungen, bleibt einem die Möglichkeit, den Gesellschaftsbezug in der Funktionalität der Systeme zu sehen. Damit ist weder die Gesellschaftlichkeit menschlichen Lebens geleugnet, noch die Möglichkeit von Strukturkritik begrenzt, sondern nur die Fragestellung verändert. Sie lautet für den uns interessierenden Bereich jetzt, ob und wie das politische System die Funktion von Politik erfüllt. IV.
Alles weitere hängt davon ab, wie man allgemein das Verhältnis von Funktion und System ansetzt. Nur wenn darüber Klarheit besteht, kann man inhaltlich abschätzen, welche Konsequenzen der eine oder andere Begriff von Politik haben wird. Allen bisher erörterten Politikbegriffen scheint ein Prinzip der Nichtidentität mit dem als Organisation Vorhandenen eigen zu sein: Macht gibt es nicht nur im Staat, Emanzipation und Partizipation sind noch nicht erreicht usw. Darin kommt die Tatsache der Differenzierung, nämlich die Differenz von Gesellschaft und politischem System zum Ausdruck. Diese Nichtidentität kann heute nicht mehr befriedigend als moralischer Appell im 14 Vgl. hierzu auch Otthein Rammstedt, Partizipation und Demokratie, Zeitschrift für Politik 17 (1970), S. 343-357. Ausdrücklich distanziert sich Naschold a.a.O., (1971), S. 6. 15 Siehe für eine eindeutige Zurückweisung etwa Herbert Spencer, The Principles of Sociology Bd. 1,·3. Aufl., London-Edinburgh 1885, S. 93 - ein Autor, bei dem man allerdings auch anders klingende Äußerungen finden kann. .
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Namen der Humanität des Menschen oder der Totalität der human finalisierten Gesellschaft zum Ausdruck gebracht werden. Sie kann aber als Differenz von Funktion und System formuliert und damit in ein zugleich analytisches und planerisches Instrument transformiert werden. Eine Funktionsbestimmung für das gesamte politische System und ohne Bezug auf bestimmte historisch-gesellschaftliche Lagen bleibt zwangsläufig abstrakt und für Prognose- und Erklärungszwecke oder gar für eine Begründung des Richtigen unzureichend l6 • Dieser Mangel hat zwingende logische Gründe; er beruht nicht auf der Verbindung von Funktionalismus und Systemtheorie, sondern wird durch diese Verbindung gerade abgebaut. Funktionsorientierung ist das Reflexionsprinzip der Systeme, Systeme sind das Reflexionsfeld des Funktionalismus. Zwar mag Reflexion als Bewußtwerden von Systemidentität auf sehr verschiedene Weise erreichbar sein, auch zum Beispiel durch gemeinsame Aktion oder Widerstand l7 ; rationalisierbar ist sie nur im Hinblick auf transzendierende Problemstellungen, in deren Licht identifizierende Systemstrukturen als kontingent, als so-undauch-anders-möglich erscheinen und gewählt werden können. Daß gewählt werden kann, ist unerläßliche Vorbedingung von Rationalität; was gewählt wird, kann und muß dann in System- und Umweltanalysen unter Gesichtspunkten struktureller Kompatibilität und mit Hilfe von Indifferenzen entschieden werden. Dafür gibt es brauchbare, aber nicht einzig-richtige Problemlösungen. 16 Dieser Einwand wird gegen den reinen Strukturalismus französischer Prägung ebenso wie gegen eine funktional orientierte Systemtheorie im allgemeinen erhoben. Zum letzteren etwa Karl Hermann Tjaden, Zur Kritik eines funktional-strukturellen Entwurfs sozialer Systeme, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 21 (1969), S. 752-769 und (mit Zuspitzung der Kritik einer mangelnden Berücksichtigung praktisch-emanzipatorischer Prozesse und ihrer gesellschaftlichen Bedingungen) ders., Soziale Systeme: Materialien zur Dokumentation und Kritik soziologischer Ideologie, Neuwied-Berlin 1971, S. 42 ff.; Hans-Joachim Blank, Verwaltung und Verwaltungswissenschaft, in: KresslSenghaas, a.a.O., S. 368-405 (400 f.); Hans RYffel, Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie: Philosophische Anthropologie des Politischen, Neuwied-Berlin 1969, S. 279 f.; Peter Badura~ Die Verwaltung als soziales System, Die öffentliche Verwaltung 23 (1970), S. 18-22; Günther Schmid, Niklas Luhmanns funktional-strukturelle Systemtheorie: Eine wissenschaftliche Revolution? Politische Vierteljahresschrift 11 (1970), S. 186-218; Jürgen Habermas, in Jürgen HabermaslNiklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung, Frankfurt 1971, insb. 146 ff.; Renate Mayntz, Zweckbegriff und Systemrationalität, Schmollers Jahrbuch für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 91 (1971), S. 57-63. Für ähnliche Einwendungen gegen Parsons siehe z. B. Uwe Schlottmann, Primäre und sekundäre Individualität, Stuttgart 1968, S. 60 ff. 17 Gerade im Bereich politischer Systeme sind Entstehung und Sozialisationsbedingungen politischer Reflexion völlig ungeklärt; darauf hat mich Wanda von Baeyer-Katte hingewiesen.
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Als analytische Technik, die Vorhandenes - zum Beispiel Handlungen oder Personen, dann abstrakter auch Rollen oder Entscheidungsprogramme und schließlich Systemidentitäten - im Hinblick auf andere Möglichkeiten dem Vergleich und der Substitution aussetzt, gibt funktionale Analyse der Reflexion eine spezifische Färbung. Meine These ist, daß (1) bei steigender Komplexität der Gesellschaft der Gesellschaftsbezug politischer Systeme schließlich nur noch in dieser Form der funktionalen Reflexion auf eigene Kontingenz hergestellt werden kann; und daß (2) Reflexion, auch politische Reflexion, in diesem spezifischen Sinne nur als systeminterner Prozeß möglich ist, weil die Komplexität der Systeme - zumindest bei heute gegebenen Mitteln - einen externen Zugriff ausschließt 18 • Treffen diese Argumente zu, dann führt das zu dem Schluß, daß Politik nicht mehr als richtige Politik von der Gesellschaft dem Staate abverlangt werden kann und erst recht nicht als Kritik von Herrschaft zu begreifen ist welcher Sprecher hätte denn auch das Recht, etwas Bestimmtes zu fordern, oder den Standpunkt zutreffender Kritik? -, sondern daß Politik in der Form eines immanenten Selbsttranszendierens und Kontingentsetzens im politischen System geleistet werden muß und nur in dieser Form auch verlangt werden kann. Das politisch'e System steht nicht außerhalb, sondern innerhalb der Gesellschaft. Es ist die Gesellschaft, soweit sie politisch interagiert, und es hat als Teilsystem der Gesellschaft nicht die Gesellschaft, sondern nur die nichtpolitischen Interaktionen als gesellschaftliche Umwelt außer sich. Diese Grenzbeziehung muß begrifflich scharf von dem Selbsttranszendieren und der Selbstdynamisierung der Politik unterschieden werden, die nur dann möglich sind, wenn ein politisches System in der Gesellschaft ausdifferenziert ist. Jene Nichtidentität von Politik mit vorgefundenen Strukturen und Prozessen hat die Form eines Selbstüberschreitens auf andere Möglichkeiten hin (die aber stets nur von gegebenen historischen Lagen aus als "andere" sichtbar zu machen sind). Sie liegt innerhalb des politischen Systems, weil außerhalb des politischen Systems vielleicht politisch reflektiert, aber nicht politisch gehandelt werden kann. Diese Einsichten haben Konsequenzen für den Begriff der Politisierung. Es ist selbstverständlich, daß öffentliche Verwaltung als Teil def; politischen Systems immer politische Verwaltung ist. Der Ausdruck "Politisierung" kann daher' nur den Sinn haben, Defizienz zu thematisieren und zum Gegenstand von normativen Postulaten oder von Trendannahmen zu machen. Wir hatten (oben unter H.) diese Defizienz 18 Etwas anders formuliert: eine externe Analyse würde ein System von höherer Komplexität voraussetzen - eine Voraussetzung, die heute nicht einmal von der Wissenschaft im ganzen, geschweige denn vom einzelnen Wissenschaftler erfüllt werden kann.
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im unzureichenden Funktionieren zentraler politischer Steuerung vermutet und darin einen gemeinsamen Ausgangspunkt sehr verschiedener Formen von politischer Kritik erkannt. Wir können nunmehr schärfer und präziser von einem Reflexionsdefizit sprechen. Damit ist gemeint, daß Strukturen und Prozesse des politischen Systems nicht in ausreichendem Maße auf die gesellschaftliche Funktion von Politik zurückbezogen werden können. Formuliert man dies, dann erkennt man sofort die Parallele zu einem entsprechenden Reflexionsdefizit in den Religionssystemen der Kirchen oder in den Wissenschaften, von der Wirtschaft ganz zu schweigen. Die unter Politikbegriffen erörterten Vorstellungen von Emanzipation, Partizipation, Demokratisierung, Politisierung, Konfliktregulierung, Werteverteilung bezeichnen sämtliche Aspekte dieses Problems, haben kompensatorischen Sinn, - Funktionen eines Defizienzausgleichs, der als solcher nicht ausreichend reflektiert ist. Sie führen dadurch zu Kontroversen, an deren Fronten die politische Theorie nicht weiterentwickelt werden kann, und praktisch zu Fehlsteuerungen der Reformpolitik. Das hier mit Reflexionsdefizit bezeichnete Problem liegt jenseits von Herrschaftskritik und Regierungsreform. Es ist auch nicht einfach ein Erkenntnismangel, der durch zusätzliches Wissen behoben werden könnte. Auf eine knappe Formel gebracht, geht es darum, daß das politische System seine Identität nicht mehr von der Gesellschaft ableiten kann, wenn es von der Gesellschaft gerade als ein kontingentes, auch anders mögliches System gefordert wird. Es muß sich dann in einer mit alteuropäischen Begriffen nicht mehr zu erfassenden Bewußtseinslage durch Strukturselektion selbst identifizieren. Politische Reflexion kann dann nur heißen: Erhaltung und Aktualisierung dieser Möglichkeit.
V. Mit der Frage nach Möglichkeiten politischer Reflexion beziehen wir uns auf einen gedanklichen Kontext zurück, der einst durch den Begriff der Repräsentation fixiert worden war. Die verschlungene Geschichte dieses Begriffs kann hier nicht abgehandelt werden19 • Es 10 Ihr bestimmendes Merkmal ist die Verquickung, Trennung und Wiederverquickung von Repräsentation und Vertretung. Daß das Problem so gestellt wurde, lag offensichtlich an der Vorstellung, das politische System sei die Form der Gesellschaft selbst und diese bestehe aus den Menschen, die auf einem Territorium zusammenleben. Zu den verfassungspolitischen Auswirkungen siehe Christoph MüHer, Das imperative und das freie Mandat: überlegungen zur Lehre von der Repräsentation des Volkes, Leiden 1966, mit ausführlichen Literaturhinweisen; ferner etwa A. H. Birch, Representative and Responsible Government, London 1964; Eberhard Schmitt, Repräsentation
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kommt nur auf den Hinweis an. Ähnlich wie im Falle von Partizipation handelt es sich um eine mittelalterliche Kategorie, die veränderten Bedingungen nur notdürftig angepaßt worden ist und eigentlich zu Unrecht weitergeführt wird20 • Letztlich ging es um Darstellung von Systemidentität, wie sie durch höhere Ordnungen - zeitlich gesehen durch eine andere, überirdische Zeit; daher: Re-Präsentation - vorgegeben war. Der Begriff setzte mithin Sozialstrukturen voraus, in denen das Gesellschaftssystem eine Welt konstituieren konnte, die die Identität der Teilsysteme noch zu prägen vermochte. Repräsentation müßte also, wenn man beachtet, wie die neuzeitliche Denkgeschichte sonst auf dieses Problem reagiert, durch Reflexion ersetzt werden - und nicht durch Interessenvertretung! Denn Reflexion heißt Konstituierung von Systemidentität unter kontingenten Bedingungen. In der kontinentaleuropäischen Diskussion ist das Repräsentationsprinzip hauptsächlich im Hinblick auf parlamentarische Volksvertretungen proklamiert worden. In diesem Bereich war sowohl Berufung auf als auch Distanzierung von Interessenvertretung weniger problematisch, weil es "nur" um Leitungsaufgaben geht; das genaue Verhältnis von Interessenvertretung und Repräsentation konnte im Dunkeln bleiben. Größere Schwierigkeiten entstehen mit dem Versuch, das Repräsentationsprinzip auch auf die Verwaltungsbürokratie zu übertragen und dort als Konzept für die Politisierung der Verwaltung zu benutzen. Bestrebungen dieser Art waren eine Zeitlang für die amerikanische Verwaltungswissenschaft bezeichnend21 • Auf dieser Ebene kommt jedoch zum allgemeinen Problem des politischen Interessenausgleichs das Problem der Unleitbarkeit einer Verwaltung hinzu, die und Revolution: Eine Untersuchung zur Genesis der kontinentalen Theorie und Praxis parlamentarischer Repräsentation aus der Herrschaftspraxis des Ancien Regime, München 1969; Peter Friedmann, Die Konzeption der Repräsentation bei Mably, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 56 (1970), S.415-441. 20 Dieser Versuch des Rückgriffs auf alte Gehalte ist in den 20er Jahren von Carl Schmitt und Gerhard Leibholz unternommen worden; siehe earl Schmitt, Römisch·er Katholizismus und politische Form, München 1925; ders., Verfassungslehre, München-Leipzig 1928, insb. S. 204 ff. und Gerhard Leibholz, Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems, Berlin-Leipzig 1929. In beiden Fällen führt die Suche nach einer gegenwärtig-relevanten Kategorie zu einer unhistorischen Betrachtungsweise. Siehe auch, historisch sorgfältiger, Hans J. Wolff, Organschaft und Juristische Person, Bd. 11, Berlin 1934, S. 16-91, neu gedruckt in: Heinz Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 116-208. 21 Vgl. etwa Norton E. Long, Bureaucracy and Constitutionalism, American Political Science Review 46 (1952), S. 808-818; V. Subramaniam, Representative Bureaucracy: A Reassessment, American Political Seien ce Review 61 (1967), S. 1010--1019. Als eine soziologische Untersuchung dieses Problems siehe auch Philip Selznick, TVA and the Grass Roots, Berkeley-Los Angeles 1949.
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selbst Interessenvertreter rekrutiert und ihnen in internen Abstimmungsprozessen die Zähne zieht. Nicht nur die Schwierigkeit einer solchen internen Konfliktregulierung, sondern gerade ihr Erfolg bildet dann wiederum ein politisches Problem. Daß unter Repräsentation nur noch "Internalisierung" von Interessenvertretung verstanden werden kann, scheint unausweichlich zu sein. Damit verschmelzen Repräsentation und Partizipation ins Ununterscheidbare. Ebenfalls ist sicher, daß man sich nicht abstrakt für oder gegen Repräsentation in diesem Sinne entscheiden kann. Eben deshalb kann aber mit dem Begriff der Repräsentation (so wie mit dem korrespondierenden Begriff der Partizipation) keine Begründung des politischen Systems mehr geleistet werden. Diese Begriffe zeigen weder Ziele noch gute Zustände des Systems an, sondern lediglich Reflexionsbedingungen, nämlich Bedingungen dafür, daß die Identität des politischen Systems überhaupt als kontingent und problematisch erfahren werden kann und bei wandelbaren Strukturen, die das System jeweils identifizieren, Identifikationen mit dem System und Stellungnahmen für oder gegen es erzeugt werden können. Wie dies geleistet werden könnte, ist durch jene Reflexionsbedingungen, die nur Kontingenz und Offenheit des Systems sichern, nicht vorgezeichnet. Es ist alte Tradition, dies Problem im Begriff des autonom gebildeten Willens zu verpacken und mit einer Theorie der Staatsorgane und ihrer Kompetenzen zu verknüpfen22 • Damit bleibt man indes in einer metaphorischen Verwendung psychologischer oder biologischer Begriffe stecken. Die Frage ist, ob man mit dem Begriffsinstrumentarium soziologischer Systemanalysen mehr herausholen kann.
VI. Mit diesen überlegungen ist die überzogene Abstraktionslage des gedanklichen Ansatzes noch nicht gebrochen. Wir sind noch bei der Form, nicht bei den Inhalten von Politik. In diesem Sinne bleibt denn auch die These, daß "die Gesellschaft" keine richtige Politik verlangen könne, doppeldeutig und mißverständlich. Diese Ambivalenz kann jedoch mit Hilfe systemtheoretischer Analyse behoben werden. Eine erste Klärung läßt sich erreichen, wenn man bedenkt, daß Systeme mehrere Grenzen haben, zeitlich gesehen zum Beispiel solche des Input und des Output. Charakterisierungen des Politischen beziehen sich manchmal mehr auf die Output-Grenze - so wenn man von 22 Vgl. als eine neuere Arbeit Hans Pollmann, Repräsentation und Organschaft. Eine Untersuchung zur verfassungsrechtlichen Stellung des Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1969.
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Herstellung bindender Entscheidungen oder von autoritativer WerteVerteilung spricht23 - und manchmal mehr auf die Input-Grenze, wenn der Gesichtspunkt der Problemlösung bei Dissens (als Input)24 oder der Wahl zwischen wertheterogenen Alternativen oder die Konfliktregulierung im Vordergrund steht25 . Solche Bestimmungen widersprechen sich nicht - zumindest nicht, wenn man ein Input-OutputModell zu Grunde legt, da dann selbstverständlich ist, daß Input die Möglichkeit von Output voraussetzt und umg·ekehrt26 . Ebenso selbstverständlich ist, daß nicht jedem einzelnen Problem auf der InputSeite eine Entscheidung auf der Output-Seite entspricht und umgekehrt; und daß infolgedessen Entwicklungen denkbar sind, in denen Systeme ihren Tätigkeitsschwerpunkt mehr auf der Input-Seite als auf der Output-Seite suchen bis hin zu pathologischen Lagen, wie man sie heute an manchen Universitäten beobachten kann. Solche Verschiebungen sind innerhalb des Politischen möglich, sie tangieren nicht den Begriff von Politik. Was Politik sein kann, verändert sich dadurch, daß mittels Systembildung Input- und Outputgrenzen auseinandergezogen werden können; ebenso verändert sich Politik dadurch, daß das politische System sich intern differenziert in einen im engeren Sinne politischen Bereich und in eine (mehr oder weniger politikferne) Verwaltung von Entscheidungskompetenzen27 . Kein Politikbegriff kann an dem Faktum dieser Differenzierung mehr vorbeigehen und bleibt damit auch an die Vgl. die oben Anm. 4 genannten Autoren. SO Z. B. Herbert J. Spiro, Comparative Politics: A Comprehensive Approach, The American Political Science Review 56 (1962), S. 577-595. 25 So Rolf-Richard Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung, Politische Vierteljahresschrift 10 (1969), S. 269-284 (275 ff.) mit bemerkenswerter Wendung vom Bezug auf große, allgemeine Alternativen auf konkrete Konfliktregulierung in Fällen, in denen allgemein anerkannte Ziele in Konflikt geraten. 26 Dies verwischt sich m. E. bei Scharpf, a.a.O. (1971), S. 1, wenn er der glücklichen Formulierung: "Ausgangsproblem der Politik ist die Möglichkeit kollektiven Handeins bei nicht vorauszusetzendem Konsens", die Warnung anfügt: "Diese Möglichkeit ist nicht sogleich auf den Modus der Herstellung bindender Entscheidungen zu reduzieren". Eine ähnliche Kritik bei Grauhan, Politische Verwaltung a.a.O., S. 29 ff. Ich sehe darin kein echtes Problem. Ob alles faktische Verhalten im Rahmen von Politik nun auf die Formel der Herstellung bindender Entscheidungen gebracht werden kann oder nicht: daß die Möglichkeit der Auslösung solcher Entscheidungen besteht, ist für Politik essentiell, auch wenn davon kein Gebrauch gemacht werden muß, weil man sich ohne Entscheidung einig wird. Im übrigen ist nicht zu verkennen, daß auch frei gebildeter Konsens in hohem Maße auf Zementierung durch bindende Entscheidungen angewiesen ist; er könnte sich sonst allzu leicht verflüchtigen. Hier liegen auch Gründe dafür, daß die Funktion der "Konsensherstellung" Politik nicht ausreichend beschreibt, deren Problem ja immer auch ist, Konsens zu erhalten bzw. wieder los zu werden. 27 Hierzu verschiedene Aufsätze in: Niklas Luhmann, Politische Planung: Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1971. 23
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Existenz einer Organisation zur Herstellung und Durchsetzung bindender Entscheidungen gebunden. Man kann vor allem nicht übergehen, daß der Politikbegriff damit doppeldeutig wird. Im politischen System, das Verwaltung einschließt, gibt es nochmals im engeren Sinne politische (vor allem parteipolitische) Prozesse, die in einem prägnanteren, spezielleren Sinne Politik treiben. Die Chancen jener Differenzierung von Politik und Verwaltung (die keineswegs identisch ist mit der von Input und Output) liegen in einer Steigerung der Selektionsleistung, vor allem in der Möglichkeit, Prämissen des Verwaltungshandelns wie Organisation, Personal und Programme unter im eng-eren Sinne politischen Gesichtspunkten zu variieren, ohne daß die Variation der Strukturen deren strukturierende Funktionen beeinträchtigte. Damit läßt sich das politische System auch auf seiner Strukturebene gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen. Eine dritte systemtheoretische Komplikation zielt in die gleiche Richtung: die Differenzierung von Struktur und Prozeß. Sie bedeutet, daß in der Struktur Möglichkeiten bereitgestellt werden, unter denen dann fallweise ausgewählt werden kann28 • Eigene Struktur heißt eigene Möglichkeiten, die nicht mit den Erwartungen der Umwelt identisch zu sein brauchen, und Nichtidentität mit der Umwelt auch auf der Ebene der Möglichkeiten gibt die Chance der SeLbststeuerung. Zugleich muß bei dieser Ausdifferenzierung auch der Konstitution von Möglichkeiten das Risiko übernommen werden, daß die (politischen) Probleme, die das politische System löst, nicht die Probleme der Gesellschaft sind 29 • Um so wichtiger wird die Reflexion der Identität des politischen Systems als eines Teilsystems der Gesellschaft und die Ermöglichung der Kritik seiner Strukturen. Diese überlegungen können hier nicht weiter ausgearbeitet werden. Sie sollen nur andeuten, in welcher Weise mit systemtheoretischen Analysen dem Vorwurf formaler Abstraktheit, der bei jedem umfassend angesetzten Politikbegriff zunächst berechtigt ist, begegnet werden kann. Das Ausgangsproblem ist - diese Formel von Fritz Scharpf könnte man akzeptieren - die Möglichkeit kollektiven Handeins bei nicht vorauszusetzendem Konsens. Dieses Problem gewinnt aber je nach dem Grade der Ausdifferenzierung darauf spezialisierter Systeme eine sehr unterschiedliche Färbung - je nach dem, in welchem Maße Input und Output auseinandergezogen, Politik und Verwaltung differenziert werden und durch Strukturbildung ein systemeigener über28 Dieser Gesichtspunkt ist auch für Narr, Logik der Politikwissenschaft, a.a.O., S. 22 f. wichtig. 29 Ein treffendes Beispiel erörtert Vilhelm Aubert, Einige soziale Funktionen der Gesetzgebung, in: Ernst E. Hirsch I Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Sonderheft 11 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Köln-Opladen 1967, S. 284-309.
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schuß an Möglichkeiten, also Selektivität und Selbststeuerung konstituiert werden kann. In dieses Raster (das durch weitere systemtheoretische Analysen verfeinert und ergänzt werden könnte) läßt sich die historische Lage bestimmter politischer Systeme "eintragen". Erst daraus ergibt sich die Möglichkeit, das jeweils real Mögliche und real Wahrscheinliche zu ermitteln und konkretere Bedingungen der Kompatibilität bzw. Inkompatibilität anderer Strukturen (also Reformen) zu erkennen. Nur so kann zum Beispiel unser politisches System sein Verhältnis zur historisch überlieferten, institutionell verankerten Rechtsstaatstradition reflektieren30•
VII. Von Politisierung der Verwaltung kann man, wenn man die vorstehenden Gedankenlinien auszieht, sprechen in dem Maße, als die Verwaltung ihre Stellung im politischen System der Gesellschaft reflektiert und sich von da her als kontingent, als auch anders möglich identifiziert. In dem Maße, als die Verwaltung als System sich ausdifferenziert, differenzieren sich auch Bezugspunkte für die Reflexion ihrer Identität, und deren Mehrheit wird zum Problem. Wir können drei vorherrschende Richtungen der Politisierung unterscheiden im Hinblick auf die Grenze zur Parteipolitik, im Hinblick auf die Grenze zum Publikum und im Hinblick auf das Problem der Strukturselektion. Die Emanzipation der Mitglieder des Verwaltungssystems ist dagegen kein mögliches Ziel politischer Reflexion, weil sie die Identität des Verwaltungssystems (oder im weiteren Sinne: des politischen Systems) nicht reflektieren, sondern aufheben würde. Im VeThältnis zur Parteipolitik gewinnt die Verwaltung ihre Identitäi aus den politischen Entscheidungen, die ihre Programme, ihre Personen in Ämtern und ihre Organisationsformen festlegen. In mehr oder weniger großem Umfang nimmt die Parteipolitik Einfluß auf die Programmatik, die Personalpolitik und die Organisationspolitik der Verwaltung. Diese Arten der Beeinflussung strukturgebender Prämissen sind in gewissem Umfange interdependent. Zum Beispiel dient die Auswahl politischer Führungspersonen sehr oft als Ersatz für eine (zu 30 Vgl. Ni1das Luhmann, Gesellschaftliche und politische Bedingungen des Rechtsstaates, in: Studien über Recht und Verwaltung, Köln-Berlin-BonnMünchen 1967, S. 81-102, neu gedruckt in ders., Politische Planung, a.a.O.; Fritz Scharpf, Die politischen Kosten des Rechtsstaats, Tübingen 1970 und als Beispiel für eine aus historischen Gründer. eher umgekehrte Reflexionsrichtung in den Vereinigten Staaten Theodore J. Lowi, The End of Liberalism: Ideology, Policy, and the Crisis of Public Authority, New York 1969.
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schwierige, zu riskante) ProgrammfesHegung; sehr oft lassen sich Personalentscheidungen nicht ohne Organisations änderungen realisieren, legen ihrerseits eine gewisse programmatische Verpflichtung von Personen nahe usw. Andererseits gibt es deutliche Schwerpunkte politischer Bestimmung in der einen oder anderen Hinsicht, und vor allem ist die "Tiefenwirkung" in die Verwaltungshierarchie hinein in Programmfragen eine andere als in Personalfragen und in Organisationsfragen. Hier spielen Unterschiede in den Möglichkeiten effektiver Kommunikation und Kontrolle eine Rolle und vor allem auch Unterschiede in den historisch geprägten Einstellungen der Politiker und Beamten. Auf Seiten der Verwaltung gibt es ein hohes Maß an "Beteiligung" an der politischen Festlegung programmatischer und organisatorischer Entscheidungsprämissen; nicht in geringem Umfange arbeitet die Verwaltung nach politisch festgelegten Richtlinien, die sie selbst ausgearbeitet und zur politischen Legitimation vorgelegt hat. Diese Form der Kooperation von Verwaltung und Politik scheint indes keine nennenswerte politische Reflexion auszulösen, sondern in Milieukenntnis, Positionskämpfen und versiertem Informiertsein stecken zu bleiben. Die Interaktion von Politik und Verwaltung wird, obwohl sie praktisch das politische System steuert, durch sehr konkrete Entscheidungsthematiken bestimmt - vermutlich deshalb, weil die organisatorischen Apparate auf beiden Seiten keine anderen Initiativen hergeben und das Führungspotential abhängig bleibt von dem Unterbau, der die Unterlagen zusammenstellt bzw. über Konsensbedingungen berichtet. Für distanzierte Beobachter entsteht der Eindruck, als ob die politische Führung in Politik und Verwaltung ihre Aufgabe, den Horizont des politisch Möglichen zu erweitern, vernachlässige und daß deshalb alle "unten" anlaufenden Initiativen und Planungen einen zu geringen Spielraum ansetzen. Eine Erweiterung des Möglichkeitshorizontes wäre aber eine der Voraussetzungen für eine Behebung des Reflexionsdefizits. Unabhängig von der Frage, ob politische Führung versagt oder nicht, wird zunehmend bewußt, daß der Verkehr der Verwaltung mit ihrem Publikum von Interessenten und Betroffenen eigene Anforderungen stellt, die ebenfalls politischer Reflexion zugänglich sein müßten. In dem Maße, als die Verwaltung nicht nur ein Selbstdarstellungszeremoniell praktiziert und nicht nur Sicherheit und Ordnung (also gegen einzelne im Namen aller anderen leicht durchsetzbare Ziele) garantiert, sondern gesellschaftliche Effekte zu bewirken sucht, wird sie abhängig von kooperativen Beiträgen ihres Publikums, die sich nicht ohne weiteres zentral (etwa rechtsförmig oder haushaltsmäßig) garan-
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tieren lassen. Diese Lage ist eine Folge steigender gesellschaftlicher Komplexität, steigender Interdependenz und steigender Regelungsbedürftigkeit durch dafür ausdifferenzierte Systeme; mit ihrer Fortdauer ist zu rechnen. Der Erfolg des politischen Systems und seiner Verwaltung kann nicht mehr allein auf unabhängig einsetzbaren Arbeitsmitteln wie Zwangsgewalt, Entscheidungskompetenzen oder Geld beruhen. Daher drängen sich tauschförmige, kompromißhafte, auf Verständigungen mit maßgebenden Kreisen basierende Umweltbeziehungen auf. Diese Erfordernisse prägen vor allem den politisch-administrativen Stil lokaler Verwaltungen, die dafür mit einem ortsnahen politischen System kommunalen Charakters verselbständigt werden. Ähnliches gilt aber auch für Sonderverwaltungen mit spezieller Clientele, vor allem in den Vereinigten Staaten. Analog zur Zentralpolitik zeigt sich auch hier. daß Kontaktsysteme mit wechselseitigem Einfluß allein noch keine politische Reflexion erzeugen. Die Konkretheit der Themen und die Bekanntheit des Milieus sind einerseits unabdingbar als Voraussetzung für relevante Erfahrungen und für Lernfähigkeit, sind andererseits aber keine ausreichende Grundlage für Reflexion auf Systemidentität. Die Identität der Verwaltung selbst im Kontext der Möglichkeiten, anders zu sein oder zu werden, bleibt unbestimmt. bleibt gleichsam Resultante von Geschichte und Opportunität. Politisierung heißt dann wiederum nur: Partizipation zur Durchsetzung eines Teils der eigenen Interessen, und sie begünstigt deutlich den Status quo und die vorherrschende Verteilung von Vorteilen und Chancen; denn natürlich kann nur der etwas geben, etwas verhindern, etwas zusagen, der etwas hat 31 • Nimmt man beide Analysen zusammen, dann wird sehr fraglich, ob Politisierung primär auf der Ebene von Interaktionssystemen. also im Sinne partizipatorischer Praxis, angesetzt werden kann. Dort gerade findet man keine Reflexion, sondern sehr rasche Kristallisation großer oder kleiner Establishments. Eine Selbstidentifikation des politischen Systems oder seiner Verwaltung kann unter den heute gegebenen gesellschaftlichen Umständen nur in der Thematisierung der Strukturselektion liegen - was Mitthematisierung der ausgeschiedenen Alternativen und Mitthematisierung von Änderungsmöglichkeiten erfordert. Dafür braucht man Fragestellungen. selbsttranszendierende Problemkonzeptionen eines jeweils ausreichenden Abstraktionsgrades. Orientierungen dieser Art sind nur durch wissenschaftliche Selbstanalyse zu erreichen. Wir sind gewohnt, derartige Forderungen an die Verwaltung 3\ Siehe die scharfe Kritik von Lowi. a.a.O., an diesem Konzept lokaler Politisierung. Lowi übersieht nur. daß die ihm vorschwebende Abhilfe durch zentrale rechts staatliche Steuerung an anderer Stelle auf ähnliche Schwierigkeiten stoßen würde.
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eher unter dem Gesichtspunkt von Wissenschaft als unter dem Gesichtspunkt von Politik zu registrieren. Aber diese Trennung ist nur sinnvoll, soweit sie sich auf ein außerhalb der Verwaltung bestehendes Wissenschaftssystem bezieht. Dieses Wissenschaftssystem hat jedoch für eine extern betriebene Verwaltungsforschung weder ausreichende Ressourcen, noch ausreichende Komplexität der Konzepte und Methoden. In einem Umfange, der politische Reflexion auslösen und zur Minderung jenes Reflexionsdefizits beitragen könnte, kann nur die Verwaltung selbst sich erforschen. In diesem Sinne läuft "Politisierung" letztlich auf eine Koppelung von wissenschaftlicher Selbsterforschung und Strukturselektion hinaus, die die klassischen Differenzierungen von Erleben und Handeln, Erkennen und Entscheiden, Wahrheit und Macht in Frage stellen könnte.
Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes Von Willi Geiger
I. Zur Abgrenzung des Themas vorweg: Unsere Verfassung ist nicht einfach eine "demokratische" Verfassung, insofern sie nicht ausschließlich getragen und geprägt ist von dem einen Prinzip der Demokratie. Gleich fundamental sind für die grundgesetzliche Ordnung das Rechtsstaatsprinzip, das Sozialstaatsprinzip, das Gewaltenteilungsprinzip, das föderative Prinzip und das freiheitliche Prinzip. Und deshalb läßt sich reden von einer "rechtsstaatlichen Demokratie", von einer sozialstaatlichen Demokratie, von einer föderativen Demokratie, von einer gewaltengeteilten oder freiheitlichen Demokratie. Und das wäre dann in jeder dieser Formulierungen ein spezifisches Demokratieverständnis des Grundgesetzes. So verstehe ich mein Thema nicht. Denn das würde nicht mehr und nicht weniger erfordern als eine Darstellung unserer gesamten Verfassungsordnung unter dem leitenden Gesichtspunkt der Verbindung, der Verschränkung und der Spannung zwischen dem Demokratieprinzip und den anderen, eben genannten Verfassungsprinzipien. Das ist in diesem Beitrag nicht zu leisten. Ich beschränke mich also im folgenden auf den einen Grundsatz der demokratischen Verfaßtheit unserer grundgesetzlichen Ordnung und erörtere nur die Eigentümlichkeiten dieser demokratischen Verfaßtheit, ohne die Implikationen, die die anderen oben genannten Verfassungsprinzipien auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Grundgesetzes bewirken. Andererseits geht es heute nicht mehr an, das demokratische Prinzip wie einst in der klassischen Staatslehre des 19. Jahrhunderts formal als eine der drei Typen möglicher "Regierungsformen" zu verstehen und in den theoretischen Gegensatz zur Staatsformentypologie zu bringen. Demokratie ist heute ein politisches Herrschaftssystem, das im einzelnen recht verschieden ausgestaltet sein kann je nach dem Demokratieverständnis, das der konkreten Verfassung zugrundeliegt.
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Wenn ein Jurist über das Demokratieverständnis der Verfassung spricht, dann geht es ihm nicht bloß um die Beschreibung der politischen Wirklichkeit; sie ist für ihn gewiß wichtig. Dem Juristen kommt es aber vor allem darauf an, aus dem Demokratieverständnis der Verfassung rechtliche Konsequenzen zu ziehen. "Demokratieverständnis des Grundgesetzes" übersetzt er in die juristische Sprache und Systematik, indem er fragt, was ergibt sich normativ aus dem Verfassungsprinzip "Demokratie", so wie es im Grundgesetz ausgeprägt und ausgestaltet ist. Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes ist also für den Verfassungsjuristen nichts anderes als die Interpretation eines Rechtsprinzips, das der Verfassung zugrundeliegt, in ihr eine bestimmte Ausformung gefunden hat und dessen näherer Inhalt mit den Mitteln rechtswissenschaftlicher Hermeneutik rational und objektiv entwickelt werden kann. Es geht also hier nicht um die Beschreibung dessen, was unter der Geltung des Grundgesetzes in unserem Lande faktisch an demokratischen Verhältnissen existiert, auch nicht darum, in welcher Weise in unserem Land die demokratische Wirklichkeit weiterentwickelt werden sollte, also nicht um rechts- und verfassungspolitische überlegungen. Solche überlegungen könn-en sich erst anschließen an das Ergebnis der Untersuchungen, die die verfassungsrechtliche Aussage des Grundgesetzes über das Demokratieprinzip, seinen Inhalt und s·eine Grenzen betreffen, und die den Gegenstand dieses Beitrags bilden.
11.
Die Verfassung ist kein Kodex erschöpfender und detaillierter Regelungen aller politischen Tatbestände. Die geschriebene Verfassung besteht überdies aus Sätzen von relativ bündiger Kürze; di·e Formulierungen beschränken sich auf die Aussage des Wesentlichen. Dadurch unterscheiden sich Verfassungs gesetze ihrer Art nach von Rechtssätzen in einer Prozeßordnung, in einem Handels- oder Strafgesetzbuch. Verglichen damit sind Verfassungssätze in erheblich höherem Maße interpretationsbedürftig, geben gleichzeitig auch der Interpretation mehr Raum und sind deshalb leichter im Wege der Interpretation "fortzuschreiben". Sie bedürfen, um ihren Inhalt zu präzisieren, vielfach der Ergänzung durch einfache Gesetze, die auch dort vorausgesetzt sein können, wo die Verfassung selbst nicht ausdrücklich auf sie verweist. Und wenn die geschriebene Verfassung kein lückenloses Recht für alle möglichen Sachverhalte des V-erfassungslebens enthält, dann gibt es in großem Umfang rechtlich nicht normierte Bereiche des Verfassungslebens (beispielsweise das Operationsfeld der politischen Parteien,
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die Tätigkeit der Abgeordneten). So betrachtet ist das Recht der Verfassung eine Ordnung, die nur bestimmte Positionen (Institutionen, Organe, Zuständigkeiten und Verfahren) rechtlich fixiert. Schließlich sind die in der Verfassung explizit oder implizit enthaltenen Verfassungsprinzipien als Prinzipien von einer gewissen inhaltlichen Unbestimmtheit und Weite, denen mehrere und verschiedene Verhaltensweisen genügen können. Aus all dem ergibt sich, daß man das Recht der Verfassung als schrankensetzendes Recht begreifen muß: es gestattet regelmäßig mit einiger Sicherheit zu sagen, was mit einem Satz der Verfassung jedenfalls nicht vereinbar ist. Es läßt sich dagegen nur relativ selten sagen, daß eine Vorschrift der Verfassung nur eine ganz bestimmte Maßnahme oder Verhaltensweise erlaubt. Das gilt vor allem für Verfassungsprinzipien. Ihnen kann regelmäßig in sehr verschiedener Weise genügt werden; sie enthalten ihrer Eigenart entsprechend einen erheblichen Spielraum der Gestaltung, und man kann nur jenseits dieses Spielraums von konkreten Tatbeständen feststellen, daß sie mit dem Prinzip unvereinbar sind. Ausgangspunkt für das rechte Verständnis des im Grundgesetz enthaltenen Demokratieprinzips muß also zunächst sein: Dieses Prinzip fixiert nicht eine bestimmte Konkretisierung von Demokratie. Die Annahme, nur die gegenwärtig ausgebildete Ordnung entspreche dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes, wäre ebenso falsch wie die Annahme, nur eine bestimmte andere, von einer Gruppe postulierte neue demokratische Ordnung entspreche unserer Verfassung. Das Demokratieprinzip unserer Verfassung ist vielmehr in gewissem Umfang offen und insoweit in verschiedener Weise konkretisierbar, also änderungsund entwicklungsfähig. Welchen verfassungsrechtlichen Spielraum das Prinzip läßt, ergibt sich aus einigen konkreten schrankensetzenden Sätzen der Verfassung und 'einigen daraus abzuleitenden weiter eingrenzenden verfassungsrechtlichen Rechtssätzen (wenn man, wie oben vorausgesetzt, hier von den Schranken absieht, die sich aus den anderen fundamentalen Verfassungsprinzipien ergeben).
III. Das Grundgesetz bestimmt, "alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG). Entkleidet man diese Formel ihres Pathos und der Ideologie, die sich teilweise mit ihr verbunden haben, dann besagt sie, daß das damit begründete politische System die politische Macht im Staat in eine entscheidende Abhängigkeit vom Willen des Wählervolkes bringt. Nachdem die Obrigkeit nicht mehr als Werkzeug
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des allmächtigen Gottes verstanden wird, nachdem im Staat nicht mehr das geheimnisvolle Wirken des Weltgeistes gesehen wird und auch die Vorstellung von der volonte generale Schwierigkeiten bereitet, bleibt als Basis einer rationalen Begründung von Herrschaft nur die Zustimmung der Gesellschaft und als Zügel und Begrenzung dieser Herrschaft nur das begrenzte Mandat der Gesellschaft, die Verantwortung des so legitimierten Inhabers von Staatsgewalt gegenüber dieser Gesellschaft und seine Kontrolle durch diese Gesellschaft. Und da Gesellschaft heute augenscheinlich pluralistische Gesellschaft ist, d. h. in so gut wie allen sozialen, wirtschaftlichen, politischen, geistig kulturellen Fragen in sich uneins ist und in die verschiedensten Gruppierungen zerfällt, benötigt dieses politische System um zu funktionieren einer besonderen Verfahrensweise, um in den politischen Fragen zur Einigung und Entscheidung zu kommen. Dieser "Entscheidungsprozeß" verlangt öffentliche Diskussion und öffentliche Auseinandersetzung, öffentliche Meinung, Toleranz und Fairness, Komprorniß und am Ende die Mehrheitsentscheidung. Das auf das demokratische Prinzip gegründete politische System bringt also den formierten Staat mit seiner Hoheitsmacht in die engste Verbindung mit der Gesellschaft. Es besteht zwischen beiden - Staat und Gesellschaft - nicht Identität; aber man kann sagen, soweit die Gesellschaft rechtlich verfaßt ist, ist der Staat die rechtlich verfaßte Gesellschaft. Das führt mit einer übertreibenden Metapher zu der Formel "Der Staat, das sind wir". Dagegen läßt sich mit dem verfassungsrechtlichen Satz "alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" nicht ernsthaft die Vorstellung verbinden, das demokratische Prinzip habe das Problem der Herrschaft von Menschen über Menschen dadurch gelöst, daß in diesem politischen System die Regierenden und die Regierten identisch seien nach der Parole "Herrschaft des Volkes durch das Volk für das Volk". In Wahrheit wird immer, auch in der Demokratie, und zwar auch in der Bundesrepublik Deutschland und ihrer demokratischen Ordnung Herrschaft und Macht von Menschen über (andere) Menschen ausgeübt. Das für diesen Tatbestand charakteristische ist nur, daß die Zuständigkeit und Kompetenz dazu unmittelbar oder mittelbar auf einem legitimierenden Akt der Wahlbürgerschaft beruht, die kompetenzgemäße Ausübung der so anvertrauten begrenzten Hoheitsrnacht von ihr in einem mehr oder weniger komplizierten Verfahren kontrolliert wird und dieser Kontrollmechanismus in Reaktionen der Wahlbürgerschaft mündet, die zu Veränderungen in der personellen Besetzung der verfassungsrechtlichen Institution und auf dem Feld der Politik führen, sei es, daß die Gesetze geändert, sei es, daß sonst Ziele der Politik neu bestimmt werden. Auf dieser ersten Stufe unserer überlegungen sind offenbar noch mehrere grundverschiedene Modelle eines demokratischen Systems
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denkbar, die dem Anspruch des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG genügen: Nicht nur unser System, sondern auch - um sofort das extrem kontrastierende Beispiel zu nennen - ein Rätesystem, sowohl das System der unmittelbaren, direkten Demokratie als auch das System der mittelbaren, repräsentativen Demokratie. Dieses weite Feld für die Gestaltung möglicher demokratischer Systeme wird nun durch einige Verfassungsbestimmungen unseres Grundgesetzes eingeschränkt, die unser Demokratieprinzip weiter konkretisieren (aber nicht abschließend fixieren, sondern kraft der schrankensetzenden Qualität der Verfassungsnormen Spielraum lassen).
IV.
Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes enthält eindeutig die Entscheidung zugunsten der sog. repräsentativen Demokratie. Es gibt weder eine Gesetzesinitiative des Wählervolkes (Volksbegehren) noch eine Volksgesetzgebung (Volksentscheid). Wenn Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG sagt, die Staatsgewalt werde vom Volk in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt, so folgt aus dem Kontext der Verfassung, daß das Volk zu Wahlen nur für die Bildung des Parlaments und zu Abstimmungen nur im Rahmen des Verfahrens zur Neugliederung des Bundesgebietes berufen ist, und daß der Schwerpunkt auf der zweiten Hälfte der zitierten Verfassungsbestimmung liegt: Die Staatsgewalt "wird durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt". Es gibt nach dem Grundgesetz keine Volkswahl des Bundespräsidenten oder irgend eines anderen Inhabers von Staatsgewalt, beispielsweise der höchsten Richter. Es gibt auch keine Mitwirkung der Wahlbürgerschaft bei der Gesetzgebung, nicht einmal eine Zustimmung des Volkes zu parlamentarisch beschlossenen Verfassungsänderungen. Und an dieser Grundentscheidung unserer Verfassung kann auch im Wege der einfachen Gesetzgebung nichts geändert werden, auch nicht in der Form, daß für bestimmte wichtige politische Fragen eine "Befragung" des Volkes eingeführt oder zu einer politischen Entscheidung von Parlament und Regierung eine Bestätigung durch eine Volksabstimmung zugelassen wird. Politische Forderungen dieser Art müssen also an dem geltenden Verfassungsrecht scheitern. Unser Grundgesetz mißtraut dem Wählervolk; es fürchtet - und dahinter steht die Erfahrung der Weimarer Zeit und besonders der Jahre 1931 und folgende - die Anfälligkeit der Wähler für politische Emotionen und Demagogen.
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V. Die repräsentative Demokratie ist so dann dadurch charakterisiert, daß zum Zentrum der politischen Willensbildung im Staat der Bundestag bestimmt ist. Hier konzentriert sich die staatliche Willensbildung. Der Bundestag ist entscheidend an der Gesetzgebung beteiligt, von ihm wird der Bundeskanzler gewählt und die Bundesregierung bestellt und kontrolliert; er hat entscheidenden Anteil an der Wahl des Bundespräsidenten; ihm sind die Spitzen der Verwaltung politisch verantwortlich; von ihm läuft di'e Legitimationskette für jede hoheitliche Tätigkeit irgendeines öffentlichen Bediensteten, eines Amtes einschließlich der Gerichte und der Richter. Damit ist de constitutione lata ausgeschlossen, daß neben und konkurrierend mit dem Bundestag (und dem Bundesrat im Rahmen seiner Kompetenzen) ein weiteres neu es "Organ" etabliert werden könnte, in dem sich für bestimmte Bereiche die staatliche Willensbildung vollziehen könnte. Ein Bundeswirtschaftsrat, der, was den Bestellungsmodus für seine Mitglieder und Kompetenzen anlangt, in verschiedenen Variationen im Gerede ist, wäre, wenn überhaupt, jedenfalls nur im Wege einer Verfassungsänderung zu verwirklichen. Aber auch alle anderen Vorstellungen, die darauf hinauslaufen, die politische Willens bildung im Staat für bestimmte Fragen vom Parlament weg in andere Gremien zu verlegen, widersprächen dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes.
VI. Unser Grundgesetz hat sich schließlich für die repräsentative Demokratie entschieden, die mit Hilfe politischer Parteien zu verwirklichen ist. Das Grundgesetz verlangt also die parteienstaatliche Demokratie. Und diese wichtige Grundentscheidung unserer Verfassung, di·e vor allem in Art. 21 GG zum Ausdruck kommt, hat mehrere Aspekte: Es gibt gewiß eine Menge politisch ambitionierter Gruppen und Verbände, darunter Großverbände mit besonderem politischem Gewicht, z. B. Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Bauernverband, Vertriebenenverbände, Beamtenverbände, Kirchen. Ihr Einfluß ist so groß, daß es manchem zweifelhaft ist, ob der Parteienstaat nicht in Wirklichkeit schon durch das Aufkommen eines "Verbände- und Gruppenstaates" infrage gestellt ist; das wäre die ungebrochene Fortsetzung des Pluralismus der Gesellschaft in den Staat hinein. Demgegenüber ist daran festzuhalten: Die Verbindung zwischen Staat und Gesellschaft bilden nach der Verfassung die politischen Parteien, die aus dem Kreis jener Vielzahl von politischen Verbänden nicht zuletzt durch ihre
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verfassungsrechtliche Qualität herausgehoben sind. Ihnen obliegt, indem sie zur spezifischen politischen Willensbildung des Volkes berufen sind, die entscheidende Funktion, die pluralistische Gesellschaft in den Staat zu integrieren und den Willensbildungsprozeß des Volkes in den Willensbildungsprozeß des Staates einmünden zu lassen. Die politischen Parteien sind die nicht ersetzbaren Vehikel, mittels derer freilich nicht mechanisch! - die politischen Anstöße, politischen Kräfte, politischen Strömungen und Anschauungen aus der Gesellschaft ins Zentrum der Staatswillensbildung und in die von ihm abhängigen staatlichen Organe und Ämter gelangen. D. h. nicht, daß jeder politische Einfluß oder Druck von politisch ambitionierten Gruppen und Verbänden illegitim wäre. D. h. nur, die politischen Parteien dürfen sich diesen Einflüssen nicht ausliefern, sollten die Kraft entwickeln, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ihre Eigenständigkeit zu wahren und ihnen auch, wo es zur Verwirklichung ihrer politischen Konzeption nötig ist, Widerstand leisten; das ist ein wesentliches Stück der sog. Integrationsfunktion der politischen Parteien. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre nur - aber das ist ein ganz anderes Problem -, das Parlament durch außerparlamentarische politische Gruppierungen unter ge zielten Druck zu setzen, um es an einer von ihm gewollten konkreten Entscheidung zu hindern. Klar ist also, daß mit der Entscheidung für die parteienstaatliche Demokratie unvereinbar wäre, die politischen Parteien entbehrlich zu machen durch eine anderweite politische Organisation der Gesellschaft, die das Zentrum der Staatswillensbildung bestimmen und entscheidend beeinflussen soll. Das liefe auf die Beseitigung bestehender verfassungsrechtlicher Institutionen und auf ihren Ersatz durch andere Institutionen hinaus. Es gibt also, um einen modernen Slogan zu verwenden, heute für den, der auf dem Boden unserer Verfassung bleibt und Reformen will, verfassungsrechtlich nur den "langen Marsch durch die Institutionen", zu denen die politischen Parteien wesentlich gehören. Die politischen Parteien, die das Demokratieverständnis unseres Grundgesetzes verlangt, sind offen konkurrierende Parteien, die vom verfaßten Staat unabhängig sein müssen. Die eine Staatspartei ist das kontradiktorische Gegenteil dessen, was unser Grundgesetz fordert. Auch eine Abhängigkeit der mehreren derzeit existierenden oder sich künftig neu bildenden Parteien vom Staat widerspräche dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes. Das ist besonders deutlich geworden in dem Streit um die sog. Parteienfinanzierung. In diesem Punkt gab es innerhalb des Bundesverfassungsgerichts keine Meinungsverschiedenheit. Die Meinungsverschiedenheit betraf nur die Frage, ob durch begrenzte Mittel aus dem staatlichen Haushalt die Unabhängigkeit der
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politischen Parteien beseitigt oder wenigstens beeinträchtigt wird. Für unseren Zusammenhang ist die andere Kontroverse interessant, die die Stellung der unabhängigen politischen Parteien im Gesamtgefüge unseres Staates und im Verfassungsleben betrifft: Ich bin nicht der Meinung, daß es richtig ist, nach unserem Grundgesetz sei die Unabhängigkeit der politischen Parteien nur gegeben, wenn allein einseitig von ihnen aus in den Staat hineingewirkt werde. Ich bin der Meinung, daß es einen ebenso legitimen und verfassungsrechtlich erlaubten umgekehrten Beeinflussungs- und Kommunikationsprozeß vom Staat zu den politischen Parteien und in die Gesellschaft hinein gibt. Eine der notwendigen Aufgaben der politischen Parteien ist die Mitwirkung bei den Wahlen zum Parlament. Sie sind dafür unentbehrlich, gleichgültig in welchem Wahlverfahren die Abgeordneten gewählt werden. Das gälte auch, wenn, was im Grundgesetz offen und der Entscheidung des einfachen Gesetzgebers überlassen ist, an die Stelle der Verhältniswahl in ihrer derzeitigen Form irgendeine Form der Mehrheitswahl treten würde. Bei der Bedeutung der politischen Parteien für das Funktionieren unseres demokratischen Systems spielt das Verhältnis der Gesellschaft der Bürger zu den politischen Parteien eine entscheidende Rolle für die Stärke oder Schwäche dieser Demokratie. Man kann heute, 25 Jahre nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes, nicht mehr so einfach dieses offenbar gestörte Verhältnis auf die bösen Erfahrungen aus den vor 1945 liegenden Jahren zurückführen. Die allgemeine Zurückhaltung und die verbreitete Aversion gegen die politischen Parteien beruhen heute, wie ich glaube, mehr auf einer satten Bequemlichkeit, auf einem Desinteresse an der politischen Auseinandersetzung, die das Salz der Demokratie ist, auf Voreingenommenheiten und Vorurteilen, zu einem Teil auch auf Unzufriedenheit mit dem Stil und dem Bild, die die politischen Parteien bieten, und auf einem Gefühl der Frustrierung durch die Partei. Verantwortung und Arbeit sind, wie überall, so auch im Feld der politischen Parteien mit Mühen, mit Kraft, mit Ärger verbunden. Aber eben dies gehört in einer Demokratie zu dem Tribut, den der Bürger für seinen Staat auf sich zu nehmen und zu zahlen bereit sein muß. Es ist ein schlechtes Zeichen für unseren Zustand, daß der Bürger im allgemeinen glaubt, genug getan zu haben, wenn er bei den anstehenden Wahlen zur Urne geht. Das tut er brav, wie die stets relativ hoch liegende Wahlbeteiligung ausweist. Aber das ist zu wenig. Die Mitgliederzahlen der politischen Parteien sind viel zu gering. Nur weil diese Basis der Parteien so schmal ist, können sie mehr als bloß in Verlegenheit gesetzt werden durch relativ kleine Gruppen, die gemeinsam und gezielt mit konkreten politischen Vorstellungen in eine Ortsgruppe eintreten und dann spektakuläre Schlagzeilen machen. Es wäre eine
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große staatsbürgerliche Aufgabe, die Eigenwerbung der politischen Parteien, die nicht nur besonders schwierig, sondern aus einer ganzen Reihe von Gründen relativ wenig erfolgreich ist, zu ergänzen durch eine allgemeine, von Presse, Rundfunk, Fernsehen, politischen Verbänden und gesellschaftlichen Einrichtungen getragene "überparteiliche" Werbeaktion für den Eintritt in eine politische Partei, für die Mitarbeit in einer politischen Partei im Interesse der Besserung unserer politischen Verhältnisse und zur Stärkung unseres demokratischen Staatswesens. Der öffentliche, nachdrückliche und wiederholte Appell an die Verantwortungsbereitschaft der Aktivbürger könnte, ganz abgesehen von der erwünschten Erhöhung der Mitgliederzahlen der Parteien, etwas beitragen zur gerechteren Beurteilung der Rolle und der Leistung unserer Parteien und zu einer stärkeren Identifizierung der Bürger mit ihrem Staat. In diesem Zusammenhang bedarf es noch einer Bemerkung zur Stellung des Abgeordneten, durch die ein nicht unwichtiger Aspekt des Demokratieverständnisses unseres Grundgesetzes sichtbar wird: Im Parteienstaat steht der Abgeordnete normalerweise in einer starken Abhängigkeit von seiner Partei. Er verdankt sein Mandat seiner Partei; ohne sie wäre er nicht als Kandidat aufgestellt worden, ohne den von ihr geführten Wahlkampf hätte er kaum eine Chance gehabt, seinen Abgeordnetensitz zu erobern. Für die Verhältniswahl mit Liste gilt das in besonderem Maße. Auch als Abgeordneter kann er sich weder einer allgemeinen Parteidisziplin noch - in den Ausnahmefällen dem Fraktionszwang entziehen, ohne seiner Partei gegenüber illoyal zu erscheinen. Diese parteienstaatliche Komponente im Status des Abgeordneten konsequent zu Ende gedacht, müßte dazu führen, daß das Mandat verliert, wer seine Partei verläßt. Solche Schlußfolgerungen und Forderungen werden aus aktuellem Anlaß gelegentlich auch laut. Eine andere Folgerung aus jener überlegung hat das Bundesverfassungsgericht im sog. SRP-Verbotsurteil gezogen: Mit dem Verbot der Partei verlieren die für die verbotene Partei ins Parlament gewählten Abgeordneten ihr Mandat. Beiden Folgerungen steht m. E. die Vorschrift des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG entgegen: Die Abgeordneten "sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Der Abgeordnete einer später als verfassungsfeindlich verbotenen politischen Partei kann aus dem Parlament nur in dem individuellen Verwirkungsverfahren des Art. 18 GG entfernt werden. Der den Status des Abgeordneten entscheidend bestimmende Art. 38 GG ist keineswegs nur ein gedankenlos aus der Vorstellungswelt der repräsentativen Demokratie des 19. Jahrhunderts ins Grundgesetz übernommenes Relikt, sondern eine ernst zu neh-
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mende Vorschrift, die gerade der im Parteienstaat vorhandenen Abhängigkeit des Abgeordneten von seiner Partei zur Erhaltung eines Minimums seiner Unabhängigkeit entgegenwirken soll. So richtig es ist, daß der Abgeordnete im allgemeinen davon ausgehen wird, er verwirkliche die ihm aufgetragene Aufgabe und Verantwortung für das gesamte Beste des Gemeinwesens, wenn er in Einklang und in übereinstimmung mit den politischen Zielen und Schritten seiner Partei arbeite, so wichtig ist es, daß er in kritischen Fällen sich auf das Gebot des Grundgesetzes stützen und seine persönliche politische Entscheidung mit der Berufung auf seine Pflicht, Vertreter des ganzen Volkes zu sein, Verantwortung für das Wohl des ganzen Volkes zu tragen und nur seinem Gewissen verantwortlich zu sein, rechtfertigen kann. Auch im Parteienstaat nach dem Grundgesetz gilt noch der Gedanke der "Repräsentation", der es ausschließt, sich als Abgeordneter nur als Parteivertreter zu verstehen. Deshalb gibt es keine Abberufung des Abgeordneten durch die Partei und keinen wirksamen Blankomandatsverzicht des Abgeordneten, den die Partei im Falle einer Divergenz mit dem Abgeordneten aus der Schublade ziehen kann. Auch eine Bestimmung des Wahlgesetzes, die den Verlust des Mandats an den Austritt aus der Partei oder der Parteifraktion knüpfen würde, müßte scheitern an Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, selbst scheitern, wenn die Vorschrift beschränkt bliebe auf Abgeordnete, die auf der Liste der Partei ins Parlament eingezogen sind.
VII. Noch ein Grundzug des Demokratieverständnisses unseres Grundgesetzes ist zu nennen: Es basiert auf der prinzipellen und radikalen (egalitären) Gleichheit der Bürger in ihrem politischen Status activus und der ebenso prinzipiellen radikalen (egalitären) Gleichheit der politischen Parteien im Verfassungsleben. Der verfassungsrechtliche Ansatz findet sich in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, der den Grundsatz der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl postuliert. Das aktive Wahlrecht ist nur noch an die deutsche Staatsangehörigkeit, an ein Mindestalter, das bis auf die unterste Grenze des sachlich Vertretbaren herabgesetzt worden ist, und an den Wohnsitz im Wahlgebiet geknüpft. Es ist nur ausgeschlossen für Entmündigte, unter vorläufige Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrech·en unter Pflegschaft Gestellte und für Verurteilte, denen das Wahlrecht aberkannt worden ist; das Wahlrecht ruht bei in einer Heil- oder Pflege anstalt oder zum Vollzug einer Maßregel der Sicherung und Besserung in einer Anstalt Untergebrachten. Alle Wahlberechtigten haben eine Stimme von gleichem Zählwert
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und Gewicht. Dasselbe gilt im Falle einer grundgesetzlich vorgesehenen Abstimmung. Einschränkungen irgendwelcher Art, auch eine verschiedene Gewichtung der Stimmen, sind von Verfassung wegen ausgeschlossen. Entsprechendes gilt für die sog. Chancengleichheit der politischen Parteien. Ob groß oder klein, es gibt für sie keine Beschränkungen hinsichtlich ihres Status als Verfassungsorgan im Bereich des Verfassungslebens. Die Rechtsprechung läßt nur Einschränkungen zu aus einem besonderen zwingenden Grund: So die 5 Ofo-Klausel im Wahlgesetz, das Unterschriftenquorum für neue Parteien zum Erweis der Ernsthaftigkeit eines Wahlvorschlags, die sog. 0,5 Ofo-Klausel als Voraussetzung für die Beteiligung am Ersatz von Wahlkampfkosten. Eine Grenze für die freie Bildung und die Aktivitäten der politischen Partei zieht allerdings Art. 21 Abs. 2, der zusammen mit Art. 18 GG der Demokratie des Grundgesetz'es den Charakter einer wehrhaften oder streitbaren Demokratie verleiht: Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, können als verfassungswidrig verboten werden; also keine Chancengleichheit für verfassungswidrige Parteien. Ohne hier allen mit dieser Vorschrift verbundenen Fragen nachzugehen, ist dazu der eine Hinweis nötig: Die bloße Vertretung von politischen überzeugungen und Auffassungen, die Ausdruck der Ablehnung der geltenden Verfassungsordnung sind, führt noch nicht zu einem Verbot nach Art. 21 Abs. 2 GG. Verlangt wird und nachgewiesen werden muß, daß die Aktivitäten der Partei darauf gerichtet sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung - in welchen Zeiträumen, taktischen Schritten, Stufen, Formen und Methoden auch immer - durch eine andere, nicht mehr freiheitlich demokratische Ordnung zu ersetzen.
VIII. Schließlich gehört zum Demokratieverständnis des Grundgesetzes die Anerkennung der geradezu existentiellen Bedeutung der freien öffentlichen Meinung für das Funktionieren eines demokratischen Systems. Man kann aUe Grundrechte als Verwirklichung und Konkretisierung des Verfassungsprinzips Freiheit verstehen. Und wenn man nicht alle die mit dem Demokratieprinzip konkurrierenden anderen Verfassungsprinzipien einfach zu unselbständigen Attributen des Demokratieprinzips relativieren will - ich verweise auf meine einleitende Bemerkung -, müssen sogar die Grundrechte systematisch unter das Leitwort "Freiheit" als Verfassungsprinzip eingeordnet werden, wenn na-
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türlich auch eine Beziehung zwischen ihnen und dem Verfassungsprinzip Demokratie besteht. Für das Grundrecht der Meinungsfreiheit gilt darüber hinaus aber noch etwas besonderes: So weit es Raum gibt für die ungehinderte Teilnahme an der Auseinandersetzung über politische Fragen, also Raum für das freie Wort in der Öffentlichkeit und in die Öffentlichkeit hinein, demnach für die Beteiligung an dem politischen Willensbildungsprozeß, enthält es mehr als nur den individuellen Grundrechtsanspruch des einzelnen. Art. 5 GG ist auch die verfassungsrechtliche Garantie, daß alle Äußerungen von einzelnen Gruppen, Vereinigungen, Minderheiten usf., alle vorhandenen politischen, kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, geistigen Meinungsströme, gleichgültig welchen Inhalts und ohne Rücksicht auf ihre Bewertung durch konkurrierende Meinungen und ohne Rücksicht, ob sie richtig oder falsch, wahr oder unwahr sind, alle Auseinandersetzungen, Kontroversen und Konflikte, die das Politische im weitesten Sinn, das öffentliche Interesse, das Gemeinwohl oder wie immer man den Gegenstand der Bildung der öffentlichen Meinung und der politischen Willensbildung in der Gesellschaft, den sog. Prozeß der politischen Willensbildung des Volkes bezeichnen mag, betreffen, ohne Eingreifen der öffentlichen Hand, das mehr ist als ein Teilhaben an diesem Prozeß der Bildung der öffentlichen Meinung, ungestört und ungehindert vonstatten gehen können. Die Demokratie des Grundgesetzes lebt von diesem Prozeß. Wiederum gibt es nur eine Einschränkung: Wer sich an diesem kontinuierlichen Kommunikationsprozeß beteiligt, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu bekämpfen, setzt sich einem Verwirkungsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht aus (Art. 18 GG). Was das im einzelnen bedeutet, ist hier nicht auszuführen; auch in diesem Zusammenhang muß der Hinweis genügen: Zur Verwirkung eines Grundrechts reicht es nicht aus, daß jemand eine politische überzeugung äußert, die offenkundig und eindeutig die bestehende freiheitlich-demokratische Ordnung - unter Umständen total - ablehnt. Niemand wird in diesem Staat bloß wegen seiner politischen überzeugung verfolgt.
IX.
Innerhalb des so verfassungsrechtlich abgesteckten und markierten Feldes der Demokratie gibt es nun eine Fülle von Möglichkeiten, mit Hilfe des Gesetzes oder auch innerhalb der freien Gesellschaft das Demokratieprinzip des Grundgesetzes näher zu konkretisieren und zu entfalten. Das Demokratieprinzip kann bei diesen Bemühungen nie im Wege stehen. Sehr wohl aber können andere Verfassungsprinzipien
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oder konkrete Vorschriften des Grundgesetzes solchen Bemühungen eine Grenze setzen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Anderswo kennt man die Wahl der Richter durch die Aktivbürgerschaft und zwar zum Teil die Wahl auf Zeit. Es ist gewiß eine Berufungsmodalität, die ihre Wurzel im demokratischen Prinzip hat. Bei uns läßt sie sich nicht einführen, weil das Grundgesetz ausdrücklich nur die Wahl durch einen besonderen Richterwahlausschuß zuläßt und weil zu den nach Art. 33 Abs. 5 GG garantierten hergebrachten und zu beachtenden Grundsätzen des Richtertums die grundsätzliche Bestellung des Richters auf Lebenszeit gehört. Ebensowenig läßt sich der im angelsächsischen Recht bekannte recall bei uns einführen, weil der Amtsverlust nur im förmlichen Dienststrafverfahren und für Richter im Verfahren des Art. 98 Abs. 2 GG vor dem Bundesverfassungsgericht verhängt werden kann. Oder: Es ließe sich durchaus mit dem Demokratieprinzip begründen, daß Parteibeschlüsse, die die Abberufung eines Beamten verlangen, von den zuständigen Dienstherren zu vollziehen sind. Eine entsprechende Änderung der derzeitigen Gesetzeslage würde scheitern an der Verfassung, die es nicht zuläßt, daß Gremien einer politischen Partei den Dienstherrn in seiner personalpolitischen Entscheidung binden. Unter Berufung auf das demokratische Prinzip der Mehrheitsentscheidung ließe sich eine ganze Menge von gesetzlichen Regelungen denken, die jedenfalls in den Augen der Mehrheit einen Fortschritt in Richtung großer Reformen sein mögen. Alle bedürfen sie der kritischen überprüfung, ob sie vereinbar sind mit den verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten. Die Freiheitsrechte sind ganz wesentliche Schranken und Grenzen für demokratischen Elan, der nach verbindlichen Regelungen ruft, ob es sich um die Neubestimmung der Eigentumsordnung, um das Eherecht, um Bildungsplanung, um Demokratisierung der Universitäten oder um Reglementierung eines Berufs handelt. Man kann den damit hervorgehobenen Zusammenhang auch so fassen: Es gibt auch in der Demokratie Sachverhalte und Zustände, deren Regelung einer verbindlichen Mehrheitsentscheidung entzogen ist. Es gibt in der Demokratie "Unabstimmbares", Dinge, die kontrovers und zugleich für den einzelnen oder eine Minderheit so wichtig sind, daß es unerträglich wäre, eine bestimmte Auffassung den Andersdenkenden kraft Mehrheitswillens aufzuzwingen. Und der wesentliche Bereich des innerhalb einer konkreten Gesellschaft Unabstimmbaren wird durch die Freiheitsräume umschrieben, die die Grundrechtsgarantien der Verfassung schaffen. Um es zu wiederholen: Es bleibt unbeschadet der angedeuteten Grenzen nach dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes für die Demokratisierung der Verhältnisse in unserem Staat noch ein weites Feld, innerhalb dessen der Ruf nach mehr Demokratie in allen Bereichen 16 Speyer 50
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der Gesellschaften des Staates realisierbar ist. Nur muß man sich darüber im klaren sein, daß die mit dieser Begründung geforderten Veränderungen keinesfalls verfassungsrechtlich geboten sind. In vielen Fällen enthält das Eintreten für eine Forderung, für eine bestimmte Maßnahme, für eine neue Regelung unter Berufung darauf, sie diene der Verwirklichung von mehr Demokratie, nicht einmal eine sachlich zureichende Motivierung. Ob eine konkrete Regelung, ein konkreter Zustand mehr oder weniger dem Demokratieprinzip entspricht, ist vom V'erfassungsrecht her überhaupt nicht entscheidbar. Solche Wertungen können nur politisch verstanden werden. Und in diesem Raum sind regelmäßig ganz andere überlegungen als sachgerecht durchschlagend und für oder gegen die Einführung einer Neuregelung oder einer Maßnahme entscheidend. Es gilt z. B. als undemokratisch die gegenwärtige Sitzordnung im Gerichtssaal. Sachgerecht scheint mir nur die überlegung zu sein, ob diese Ordnung funktionell den verschiedenen Rollen und Bedürfnissen der Prozeßbeteiligten gerecht wird und ob sie dienlich ist einem übersichtlichen, störungsfreien und fairen Ablauf der Gerichtsverhandlung. Oder: Die Frage, ob die Berufung eines Beamten erst und nur auf Grund einer öffentlichen Ausschreibung der freien Stelle erfolgen soll, ob die Bediensteten, die mit diesem zu berufenden Beamten zusammenarbeiten müssen, vorher befragt werden sollen, ob eine Personalfrage sonst in irgendeinem Gremium diskutiert werden soll, bevor sie entschieden wird, wer über die Berufung eines Ordinarius auf den Lehrstuhl einer Universität entscheiden soll usw. usf., das alles läßt sich nicht mit dem Argument, die eine Lösung sei demokratischer als die andere, entscheiden. Das muß rational und sachgerecht vor allem danach entschieden werden, ob das Verfahren, das demokratisch sein soll, praktikabel ist und ob das Ergebnis der einen Lösung oder der anderen Lösung qualitativ besser ausfällt. Noch fragwürdiger wird es, wenn unter Berufung auf das demokratische Prinzip gefochten wird für so allgemeine Forderungen wie Offenlegung des Entscheidungsprozesses in den Behörden oder Rechenschaftspflicht der Verwaltung gegenüber der Öffentlichkeit oder Abbau hierarchischer Strukturen innerhalb der staatlichen Verwaltung oder - konkreter für Ersetzung der monokratischen Entscheidung durch die kollegiale Entscheidung innerhalb einer Behörde oder für die allgemeine Beratungspflicht der Verwaltungsbehörden innerhalb ihrer Zuständigkeiten gegenüber dem Bürger. Nichts gegen das Drängen in Richtung solcher reformerischer Veränderungen. Aber man muß sehen, daß sie sich mit dem Demokratieprinzip nicht ausreichend begründen und noch weniger mit dieser Begründung durchsetzen lassen. Entscheidend sind ganz andere überlegungen: Beispielsweise, ob und inwieweit man den Entscheidungsprozeß innerhalb einer Behörde offenlegen kann, hängt auch davon ab, welche schutzwürdigen Interessen der Verfahrensbeteiligten
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zu bedenken sind, auch davon, ob eine größere Transparenz des Entscheidungsprozesses sachlich richtigere Entscheidungen erwarten läßt, als mit Hilfe der geltenden rechtlichen Verfahrenssicherungen zu erreichen sind, oder ob eine Ersetzung der monokratischen Organisation der Behörde durch eine kollegiale Organisation nicht zu unvertretbarer Verzögerung der Verwaltungsverfahren, zur überlastung der Behörden und zum Abbau klarer persönlicher Verantwortung führt; ob allgemeine Beratungs- und Hilfeleistungspflichten der Behörden nicht zur Lähmung der Behörden, zu unerwünschten Abhängigkeiten und Präjudizierungen der Verwaltungsentscheidungen und zu neuen Komplikationen, insbesondere Vorwürfen und Haftungsansprüchen gegen die beratenden Beamten führen. Und was den Abbau hierarchischer Strukturen in der Verwaltung anlangt, muß ernsthaft bedacht werden, daß auch die Demokratie nicht existieren kann ohne Anerkennung der Notwendigkeit und Legitimität von Ämtern, die im Rahmen der gesetzlich umschriebenen Zuständigkeiten und Kompetenzen und natürlich in Einklang mit den materiellen Gesetzen hoheitlich und das heißt auch verbindlich für die Beteiligten entscheiden. Abbau der Staatlichkeit, der staatlichen Autorität, der staatlichen Organe und Ämter mit Hilfe des Demokratieprinzips ist ein arges Mißverständnis.
x. Um noch weiter auszugreif'en: Was schließlich die Gesellschaft anlangt, die im staatsfreien Raum lebt und wirkt in einem ununterbrochenen Prozeß des vielfältigen Miteinander und Gegeneinander von einzelnen und Gruppen, Interessen und Bedürfnissen, der schließlich zu "Zuständen" und zu "Verhältnissen" führt, die ihrerseits sich mit ihren Unvollkommenheiten, Fehlern, Vorteilen und Nachteilen laufend ändern und weiterentwickeln und nie zur Ruhe und nicht zu einem Ende kommen, - diese Gesellschaft läßt sich durch das Demokratieprinzip überhaupt nicht reglementieren. Bezogen auf sie ist entscheidend die demokratische Gesinnung; und die politische Essenz demokratischer Gesinnung kann hier nur darin bestehen, Toleranz zu üben, Rücksicht auf die Interessen anderer zu nehmen, statt emotionell rational zu reagieren, aufeinander zu hören, miteinander zu sprechen, bereit sein, sich zu verständigen, die Auseinandersetzungen fair zu führen. Das alles gelingt tendenziell (d. h. mit allen Einschränkungen und Abstrichen, mit denen man sich in der Lebenswirklichkeit stets abfinden muß) nur in einem dauernden und anstrengenden Erziehungsprozeß, den Demokraten und eine demokratische Gesellschaft auf sich nehmen müssen.
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XI.
Zum Abschluß ist noch ein letzter verfassungsrechtlicher Ausblick nötig: Wo ist die äußerste Grenze einer künftigen Fortentwicklung des Demokratieprinzips des Grundgesetzes? Alles bisher Ausgeführte bezog sich auf das Demokratieverständnis des Grundgesetzes in seiner gegenwärtigen Fassung. Es gibt aber nach dem Grundgesetz auch die Möglichkeit von Verfassungsänderungen. Und das demokratische Prinzip kann durchaus auch Gegenstand einer Verfassungsänderung sein. Die äußerste Grenze einer zulässigen Verfassungsänderung wird durch Art. 79 Abs. 3 GG gezogen. Danach ist (u. a.) eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden, unzulässig. Auf das Demokratieprinzip beziehen sich Absatz 1 und Absatz 2 des Art. 20. Die dort genannten Grundsätze sind "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer Staat" und "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt". Diese Grundsätze können nach Art. 79 Abs. 3 GG zwar im Wege der Verfassungsänderung in der verschiedensten Weise konkretisiert und modifiziert, aber dürfen niemals in der Substanz beseitigt oder geschmälert werden. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsänderung über die Einschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ist dazu Näheres gesagt. Aus dieser Entscheidung ergibt sich vor allem, daß Art. 79 Abs. 3 GG - entstanden aus den Erfahrungen mit der Zerstörung der Weimarer Verfassung in den Dreißiger Jahren und als Sperre gegen eine Wiederholung formallegalistischer Depravierung unserer Verfassung gedacht - nicht einer systemimmanenten Weiterentwicklung unserer Verfassung im Wege stehen will, aber die Verfassungsidentität auch im Falle von Verfassungsänderungen sichern soll. Konkreter bedeutet das: Der Typ der repräsentativen gewaltengeteilten Demokratie muß erhalten bleiben. Damit wäre nicht unvereinbar, daß künftig die Fälle, in denen das Volk durch Abstimmung und Wahlen entscheidet, vermehrt werden, daß ein Zweikammersystem eingeführt wird oder daß die hergebrachte Selbstverwaltung der Gemeinden beseitigt und stattdessen als unterste Verwaltungseinheiten weiträumigere Regionen eingerichtet werden. Der Typ der repräsentativen gewaltengeteilten Demokratie wäre dagegen beispielsweise verlassen und deshalb eine darauf zielende Verfassungsänderung unzulässig, wenn so wesentliche Elemente der repräsentativen gewaltengeteilten Demokratie wie die allgemeine, geheime und regelmäßig wiederkehrende Wahl zum Parlament, die freie Bildung und das freie Wirken mehrerer miteinander konkurrierender
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politischer Parteien, die parlamentarische Opposition, die parlamentarische Verantwortung der Regierung, das Parlament als Zentrum der staatlichen Willensbildung, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Freiheit der politischen Willensbildung des Volkes und der öffentlichen Meinung beseitigt oder eingeschränkt werden sollten. Im Grunde ist die Schranke, die Art. 79 Abs. 3 GG für Verfassungsänderungen enthält, eine Grundregel, die auch gilt, wo eine Verfassung darüber schweigt. Art. 79 Abs. 3 GG markiert nur sichtbar die Grenze zwischen legitimer Verfassungsfortbildung und revolutionärem Verfassungsbruch. Ihm gegenüber endet die Kraft der Verfassung. Gegen geglückte Revolutionen gibt es keine Berufung auf die vorausgegangenen Verfassungen mehr. Das ist auch ein allerletztes Stück Demokratieverständnis des Grundgesetzes.
Europäische Integration und demokratische Repräsentation Von Hartwig Bülck
Das Europarecht, eine organisierte und deshalb sehr disziplinierte Disziplin, hat nach der Vorstellung seiner Meinungsmacher nur eine kurze Geschichte. Erst 25 Jahre sind seit dem Haager Gründungskongreß der "Europäischen Bewegung" und Schumans Plan für eine Europäische Montan-Union verstrichen, so viel oder so wenig Jahre, wie auch die Jubilarin alt ist, der dieser Beitrag gewidmet wird. Die Vorstellung jedoch, die das Europarecht zur Zeitgeschichte verkürzt, ist falsch, aus ähnlichen Gründen, aus denen auch die Speyerer Hochschule nur scheinbar eine kurze Geschichte hat. So wie diese sich ihres kameralistischen Stammvaters im alten Kaiserslautern erinnern muß, so muß auch das Europarecht sich seiner noch viel älteren Ahnen in Ruhe -er-innern, damit es nicht durch seine immer schnellere Bewegung außer-sich-gerät. Seine flüchtige Gegenwart mit ihrer zur Plan zeit gerafften Zukunft droht es zur bloßen Präsentation zu machen. Repräsentativ ist das Europarecht erst dann, wenn es sich den Boden vergegenwärtigt, auf dem es steht und aus dem es dauerhafte Einrichtungen hervorgebracht hat. Aus diesem Grunde mag auch das Thema für eine Festgabe geeignet erscheinen, wenn anders Feste und Feiern ihren sich immer mehr verflüchtigenden Sinn vollends verlieren. Europäische Integration und demokratische Repräsentation stehen seit mehr als 500 Jahren in einem Gegensatz, der stets von neuem nach Vermittlung und Aufhebung drängt. Die demokratische Repräsentation gehört zu jenem geschichtsmächtigen Vorgang, der die national-territorialen Staaten der Gegenwart herausgebildet hat. Er löste die Völker aus der Einheit des mittelalterlichen Reiches, der unitas christiana, wie Nikolaus von Kues sagte, und führte sie als politische Handlungs- und Entscheidungseinheiten zur Vielheit der modernen Staatenwelt. Die Volksrepräsentation gehört damit, dialektisch gesehen, auf die Seite der Differentiation eines Ganzen und der Ausbildung neuer Teile. Die europäische Integration dagegen gehört geschichtlich und begrifflich auf die andere Seite. Sie bedeutet Zusammenfassung, Wiedervereinigung der einzelstaatlichen Vielheit in einer neuen, die Christenheit
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überlagernden Einheit, eben Europa, das Enea Silvio de Piccolomini, ein Zeitgenosse des Kusaners, um die Mitte des 15. Jhs. auf einen ersten Begriff brachte und ihm auch den politischen Namen gabt. So wie die Differenzierung der Völker zu Staaten ein repräsentativer Vorgang ist, so ist auch ihre Integrierung zu Europa repräsentativ, das heißt in beiden Fällen eine sich herstellende und darstellende Welt, die die Neuzeit zur "Weltgeschichte Europas" macht. Die via moderna, der Weg zu Europa, wird in drei Etappen zurückgelegt. Die erste führt zur ständisch beschränkten und absolutistischen Monarchie vom 14. bis zum 18. Jh., die den Territorialstaat ausbildete, die zweite, das Repräsentativsystem des 19. Jhs., begründete den konstitutionellen Nationalstaat, und die dritte, gegenwärtige, organisiert den funktionalen Verwaltungsstaat und die zwischen- und überstaatliche Verwaltungsgemeinschaft. Diese drei Staats- und Organisationstypen nennt man heute in der Gleichzeitigkeit ihrer Ungleichzeitigkeit das Politische System. In jeder dieser Typen wird das Volk in anderer Weise nach innen und außen repräsentiert. Nach außen, worum es hier geht, wird im national-territorialen Staat das Volk durch das monarchische oder republikanische Staatsoberhaupt und seine Gesandten gegenüber Europa und den andern Völkern repräsentiert. Das ist bis heute geltendes Recht 2 • Das Volk, gleich ob in ständischer oder konstitutioneller Verfassung, wird nur mittelbar vertreten, insofern die auswärtigen Verträge des Staatsoberhauptes, von der absolutistischen Periode abgesehen, der Zustimmung der Stände oder des Parlaments bedürfen. Im dritten Typ, der Verwaltungsorganisation, rückt das Volk von innen nach außen, aus seiner bisherigen mittelbaren Repräsentation wird eine, wenn auch nur schwach ausgebildete, direkte Repräsentation in den verschiedenen Organisationen Europas. Dieser zeitlich aufeinanderfolgenden Darstellung des Volkes, der Repräsentation seiner institutionell gesicherten Teilhabe am politischen Gemeinwesen, entspricht auf jeder Wegstrecke eine Vorstellung, die sich das Volk von sich selbst macht oder die ihm gemacht wird. Diese Vor-stellung wird immer weiter voraus gestellt, sie entfernt sich in "systematischer" Weise vom Hier und Jetzt, bis sie sich in Wunschräumen und Wunschzeiten verliert. 1 W. Fritzemeyer, Christenheit und Europa, 1931, S. 18 ff.; zur frühen Begriffsgeschichte J. Fischer, Orient-Occident-Europa, 1957. -2 Vgl. das neue Wiener Diplomaten-Abkommen von 1961, das zur Rechtfertigung der diplomatischen Sonderstellung auch die hier skizzierten Etappen enthält: die Exterritorialität, der repräsentative Charakter und die funktionale Notwendigkeit. Yearbook of the Intern. Law Commission 1956 Ir, S. 129 ff., § 208.
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I. Im ständischen Territorialstaat wird das Volk durch die Stände repräsentiert, in der absolutistischen Periode von 1600-1800 auf dem Kontinent allerdings immer schwächer, aber doch noch in vielen Staaten wirksam. Die Stände sind es, die "als ,meliores et maiores terrae', d. h. als wirtschaftlich-sozial und politisch leistungsfähige und bevorrechtigte Schicht", wie Otto Hintze schreibt3 , "in körperschaftlicher Ordnung die Gesamtheit, das ,Land' oder das ,Reich', als politischen Verband gegenüber dem Herrscher ,vertreten'''. In Körperschaften mit Zweikammer- oder Dreikurienordnung, so typisch in England bzw. Frankreich formiert, besteht die Bedeutung der Stände nicht nur darin, "daß sie die Macht des Herrschers beschränken und ihn zwingen, die Privilegien zu respektieren, sondern vornehmlich (darin), daß sie ihn mit Rat und Tat unterstützen". Der Ständestaat bestand also aus dem Fürsten und dem Landtag, die als ein Doppelorganismus einen "Halbstaat" repräsentierten, wie Hintze im Hinblick auf den großflächigen Vollstaat der absolutistischen Epoche sagte 4 • Rat und Tat der Stände gebührten dem Monarchen auch in der Außenpolitik, in den ardua negotia regni, die zu seiner existenziellen Prärogative gehörte. So bedurften in vorabsolutistischer Zeit Allianz- und Friedensverträge, die neben wenigen Handelsverträgen die einzigen Verträge unter den Staaten bis zum Beginn der Industrie-Epoche waren5 , der Zustimmung der Stände, nicht zuletzt deshalb, weil sie die Steuern zu bewilligen hatten6 • Die Ständevertretung war zwar eine Vorstufe der Volksvertretung der konstitutionellen Verfassung, aber keine Volksvertretung im modernen Sinne. Die Stände wurden deshalb auch nicht kraft Mandats tätig, sondern "auf Grund einer traditionellen Rechtsanschauung oder ... eingeführter Rechtssatzung, ohne daß dem Vertretenen dabei eine Willensäußerung zustände"7. Diese angeblich durch den konstitu3 Typologie der ständischen Verfassung des Abendlandes, in: Ges. Abhdlg., Bd. I, 2. Aufl. 1962, S. 121, 123. , Bd. III, 1967, S. 5 und S. 254. & von Ompteda, Literatur des Völkerrechts, 1785, S. 583. 8 Vgl. J. G. Dickinson, The Congress of Arras (1453), Oxford 1955, S. 153; Art. VIII § 2 Instrumentum Pacis Osnabrugense (1648); J. J. Moser, Teutsches Auswärtiges Staatsrecht, 1772, S. 20. Weitere Belege bei H. W. Baade, Das Verhältriis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland, 1962, S. 146 ff. In den Außenländern der abendländischen Christenheit (Schweden, Polen, Ungarn), die "nicht durch die monarchische Schule der Lehnsverfassung hindurch gegangen sind" (Hintze, I S.433), waren die ständischen Rechte in der Außenpolitik besonders ausgeprägt. Für Schweden unter König Gustav Wasa um 1500 vgl. jetzt N. Ahnlund, Den svenska utrikes-politikens historia, Bd. I 1956, S. 75 ff. 7 a.a.O., Bd. I, S. 121.
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tionellen Repräsentationsbegriff unzeitgemäß beeinflußte Vertretungsthese Hintzes ist in der bekannten Polemik Otto Brunners durch die schlichte Aussage überboten: "Die Stände ,vertreten' nicht das Land, sondern sie ,sind' 'es8 ." Dieser verfassungsgeschichtliche Streit mag hier auf sich beruhen, zum al es heute bei dem Principle of Contemporaneity, wie es in der völkerrechtlichen Auslegungslehre heißt, nicht so sehr um eine Fehlinterpretation nach rückwärts, als um eine solche nach vorwärts geht. Der "sybillinische Charakter" der Identität von Landständen und Land 9 erklärt sich, wie mir scheint, am ehesten aus der Gemengelage, in der sich in der frühen Neuzeit aristotelisch-thomistischer Begriffsrealismus und Oxforder und Pariser Nominalismus befanden. Der Differenzierung in territoriale Ständestaaten entsprach von Anfang an ihre Integrierung zu Europa, das sich freilich selbst erst langsam aus der mittelalterlichen Einheit herauslöste. So waren auch die damaligen Europa-Pläne dem Geist der Zeit verhaftet. Im Jahre 1306 schlug Pierre Dubois, ein Verfechter des aufstrebenden französischen Königtums vor, den Papst zu bitten, daß er "diesseits der Alpen Prälaten und katholische Fürsten, die ihm gehorchen, besonders Könige und diejenigen, die keinen Oberen anerkennen, zu einem allgemeinen Konzil zusammenrufe"IO. Das Konzil sollte nicht nur einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen vorbereiten, sondern auch Streitigkeiten zwischen den Souveränen schlichten. Hier wird also die christliche Institution der Konzilien, die schon für die Reichs- und Landtage das Vorbild abgab, auch für ein Zusammenwirken zwischen den neu sich bildenden Staaten herangezogen. In der Mitte des 15. Jhs., als auf dem Friedenskongreß von Arras zwischen Frankreich, England und Burgund auch Kardinal-Legaten des Papstes und des Basler Konzils beteiligt warenl l , bat der König Podebrad von Böhmen den französischen König, "er möge eine Versammlung (Corpus, Congregatio), ein Parlament der Könige und Fürsten der Christenheit einberufen, die Gesetze geben und Streit zwischen den Staaten schlichten sollen"12. Das waren keine abstrakten Utopien. Dafür war das Gefühl der Zusammengehörigkeit des christlichen Europas noch viel zu stark. Auch waren diese Pläne noch verortet. Dubois' Konzil sollte in der Nähe von Toulouse stattB Land und Herrschaft, 5. Aufl. 1965, S. 421 ff., der freilich, was gemeinhin übersehen wird, seine These auf das späte Mittelalter beschränkt. e So die grundsätzliche Untersuchung von R. Renger, Landesherr und Landstände im Hochstift Osnabrück, 1968, S. 45. 10 De recuperatione terre sancte, zit. nach J. Ter Meulen, Der Gedanke der Internationalen Organisation, Bd. I, 1917, S. 103. Über den mit diesem Plan verbundenen Hegemonialanspruch der französischen Krone vgl. H. Kämpf, Pierre Dubois und die geistigen Grundlagen des französischen Nationalbewußtseins um 1300, 1935. 11 Vgl. Dickinson, a.a.O., S. 185 ff. 12 Vgl. den Plan von 1463, zit. nach Ter Meulen, a.a.O., S. 168 ff.
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finden und das von Podebrad in Basel. Der Begriffsrealismus, in den diese Pläne noch eingebettet waren, kommt in der Einleitung zum Ausdruck, die die aristotelisch-thomistische Naturrechtslehre über Frieden und Gerechtigkeit im Sinne des damaligen ius gentium europaeum dargelegt, wenngleich die nominalistischen Töne nicht zu überhören sind, die erst im 16. Jh. bei Ferdinand Vasquez vollen Klang bekommen13 • II.
Die große Re-formatio, das neue Welt-bild 14 und damit die zweite Etappe auf dem Weg zu Europa ist das Repräsentativsystem des 19. Jhs., das der heutigen Demokratie nach dem territorialen den nationalen Boden eingezogen hat. Weit mehr noch als die monarchisch-ständische Verfassung ist die neue "Konstitution" der europäischen Völker und ihrer Gemeinschaft das Ergebnis der Herstellung. Das naturwissenschaftlich-technische Denken kehrte im 17. Jh. das christlich-antike Denken um und konstruierte eine "zweite Natur" gegenüber der Physis als erster, eine neue Rechtswelt. Das Herstellen (techne), das künstliche Zerlegen in Teile und Wiederzusammensetzen zu einem neuen funktionierenden Ganzen, einem Mechanismus, ist seither ein beherrschender Zug auch des politisch-rechtlichen Tuns und Denkens; es überlagert sich der alten politischen Theorie und Praxis des klugen und tugendhaften HandeIns in einem von sich aus als sinnvoll erkannten Kosmos 15 • Mit dieser Umkehr rückt das Subjekt, sei es der einzelne Mensch oder einzelne Staat, in den Mittelpunkt. Sie machen nun die Welt, die sie sich vorstellen, oder anders ausgedrückt: sie bringen die Objekte, das kraft subjektiven Wollens Hervorgebrachte, in ein System. Subjekt und Objekt werden in der mittelalterlichen Scholastik gerade umgekehrt verstanden als heute. Das Subjekt war in aristotelischer Tradition die der Erkenntnis zugrundeliegende Natur der Dinge selbst, das ens reale, das deshalb subjectum genannt wurde. Dem Objekt aber lag 13 Ter Meuten, a.a.O., S. 108 ff. und H. Markgraf, Über Georg von Podebrads Projekt eines christlichen Fürstenbundes ... , Hist. Ztschr., Bd. 21 (1896), S. 280 ff. 14 Der vielschichtige Programmbegriff der "reformatio" stammt von Marsilio Ficino, De christiana religione, 1473, Kap. XVIII: der göttlichen "formatio" der Natur entspricht die menschliche "re-formatio", die dadurch zum Anliegen des Menschen wird, daß er in die erste Schöpfung nicht selbstverständlich und wie in sein Eigentum eingewurzelt ist. Zur "Seinsvalenz des Bildes" vgI. H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 1960, S. 128 ff. IS Vgl. H. Blumenberg, Das Verhältnis von Natur und Technik als philosophisches Problem, Studium Generale, Bd. 4 (1951), S. 461 ff.; Hannah Arendt, Vita activa, 1960; J. Kube, Techne und Arete, Platonisches und sophistisches Tugendwissen, 1969.
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im scholastischen Sinne der Gedanke des objicere, des VorstelligMachens, zugrunde, so daß das ens objective das bloß gedachte, gemeinte Sein war. Noch bei Ockham ist danach das esse subjectivum die Wirklichkeit, das esse objectivum unser Erkennen18 • Im 17. Jh. vollendet sich unter dem Einfluß des technisch-nominalistischen Denkens die Umkehr zum heutigen Gebrauch der Termini. Das Objekt steht nunmehr auf der Gegenstands-Seite, das Subjekt auf der Seite des Erkennens. Damit wandelt sich auch die überlieferte Auffassung der Repräsentation. Die alte Theorie der species (idola), nach der das Bild das Urbild darstellt17 , wird durch den mechanischen Gedanken ersetzt, daß Bewegungen, nicht Spezies die Verbindung zwischen Objekt und Subjekt (im neuen Sinne) vermitteln18 • Die Bewegungen und Zusammenstöße der einzelnen Subjekte in einem vorgestellten (Natur-)Zustand führen zu ihrer Vereinigung durch Vertrag, zum Gesellschaftsvertrag. Das hervorgebrachte Objekt, das so vom Subjekt hergestellt wird, repräsentiert dieses. Das ist das neue Vernunftrecht, das Recht der sekundären Natur. Sie verwandelt das in Stände gegliederte, durch den König geführte Volk in eine Vertragsgesellschaft, die Freiheit und Eigentum des handel- und gewerbetreibenden und im 19. Jh. industriellen Bürgertums zu schützen hat. Die als Vertragsgesellschaft konstruierte Nation kann sich in zwei extremen Formen repräsentieren. Die eine ist die absolutistische Lösung von Hobbes: Der Leviathan ist Repräsentant und damit Garant der Gesellschaft10 • Die andere ist die radikaldemokratische von Rousseau, bei der die volonte generale, der Wille der Nation, zum Repräsentanten wird20 • "Ich sehe kein erträgliches Mittleres zwischen der strengsten Demokratie und dem perfektesten Hobbismus" schreibt Rousseau an Mirabeau21 • Die Geschichte hat ihn widerlegt. Diktatur 18 G. Kahl - Furthmann, Objekt und Subjekt. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Kant'schen Kopernikanischen Wendung, Ztschr. f. Phil. Forschung, Bd. 7 (1953), S. 326 ff. 17 Cassmann, Psychologica anthropologica, 1594, S. 288: "Sensile proprium est mediatum, quod per repraesentantem speciem percipitur", zit. nach G. Köhler, Der Begriff der Repräsentation bei Leibniz, 1913, S. 17 ff. lS H. Schwarz, Die Umwälzung der Wahrnehmungshypothesen durch die mechanische Methode, 1895. 19 Bei Hobbes tritt folgerichtig der neue Begriff der Repräsentation deutlich in Erscheinung, vgl. Hanna Pitkin, Hobbes's Concept of Representation, American Political Science Rev., Bd. 58 (1964), S. 328 ff., 902 ff.; über Hobbes' Gesellschaftsvertrag als "politische Theorie des poietischen Subjektivismus" jetzt B. Willms, Die Antwort des Leviathan, 1970. 20 Vgl. J. J. Talmon, The Origins of Totalitarian Democracy, 1952, S. 40 ff., 98 ff. 21 Political Writings of J. J. Rousseau, ed. Vaughan, 1915, Bd. 11, S. 161.
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und Räteherrschaft - les extremes se touchent - sind für Europa auf die Dauer keine repräsentativen Institutionen22 • Es hat ein "erträgliches Mittleres" hervorgebracht in der umbildenden Anknüpfung an die älteren Formen der demokratischen Repräsentation: Die nationale Volksvertretung, eine Versammlung gewählter Abgeordneter, die frei von Weisungen ihrer Wählerschaft über das Wohl der Nation als einem Ganzen und deshalb als deren Vertreter beraten und beschließen23 • In Frankreich rückte schon Si{~yes die Rousseausche Utopie unvermittelter Repräsentation in der Wirklichkeit zurecht24 • In England waren es Locke, der die Vernunftrechtslehre mehr auf die Erfahrung als auf rationale Vorstellung gründete, und nach ihm Burke,die in Anknüpfung an den lehnsrechtlichen Trustgedanken25 für eine langsame überführung des ständisch gebundenen Parlaments in eine frei beratende Volksvertretung sorgten. Erst die Philosophical Radicals, Bentham und J. St. Mill, haben ihr scharf utilitaristische Züge eingeprägt 26 • In 22 Das bedeutet nicht, daß unmittelbare Befragungen und Entscheide des Volkes ausgeschlossen sind, wenn es um seine territoriale und nationale Existenz geht, wie z. B. bei der Neugliederung des Bundesgebiets oder der Wiedervereinigung Deutschlands nach dem Grundgesetz. 23 Die langsame Umbildung, das Alte im Neuen, hebt die jüngere Forschung stark hervor. Vgl. D. Gerhard, Regionalismus und ständisches Wesen als ein Grundthema europäischer Geschichte, Hist. Ztschr., Bd. 174 (1952), S. 307 ff.; ders. (Hrsg.), Ständische Vertretungen im 17. und 18. Jahrhundert, 1969; H. Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz, 1968. Die Geschichte der deutschen Landstände von F. L. Carstens, Princes and Parliament in Germany from the Fifteenth to the Eigtheenth Century, Oxford, 2. Aufl. 1963, die vor dem Hintergrund der deutschen politischen Katastrophe geschrieben wurde, hat in ihren antimonarchischen Akzenten Fr. Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl. 1959, S. 84 ff., 135 ff. und G. Oestreich, Stände und Staatsbildung in DeutSchland, Der Staat, Bd. 6 (1967), S. 61 ff. zurückgewiesen. Vgl. auch P. Herde, Deutsche Landstände und englisches Parlament. Bemerkungen zu F. L. Carstens, Princes and Parliament ... , Hist.Jhb., Bd. 80 (1960), S. 286 H., über die Unterschiede zwischen beiden. Für England A. H. Birch, Representative and Responsible Government, London 1964 und H. Quaritsch, Staat und Souveränität, 1970, S. 424 H. Selbst für Frankreich, wo man das Jahr 1789 mehr als ein Jahrhundert lang für "Die Stunde Null" gehalten hat, gilt die Kontinuität. Vgl. jetzt die quellenreiche Arbeit von E. Schmitt, Repräsentation und Revolution, 1969, die für das Parlament nachholt, was für die Verwaltung schon seit Tocqueville bekannt ist. 24 Loewenstein, Volk und Parlament nach der Staatstheorie der französischen Nationalversammlung von 1789, 1922, S. 3 H. !5 Vgl. F. Jonas, Geschichte der Soziologie, Bd. I, 1968 (rde) , S. 75 ff., der gegenüber dem bisherigen Gesichtspunkt, Locke als Glied einer juristischpolitischen Tradition von der Magna Charta bis Burke zu sehen (vgl. etwa J. W. Gough, John Lockes Political Philosophy, 1956), die nicht weniger legitime Perspektive entwickelt, nach der es Locke nicht mehr nur auf die oder jene Herrschaftsform ankam, sondern daß er die gesellschaftliche Integration selbst neu begreifen wollte. Er war insofern der Vorläufer Hegels; die Gesellschaft ist nicht nur Inbegriff von Bedürfnissen (subjektiver Geist), sondern auch von Institutionen, die diese Bedürfnisse regeln (objektiver Geist). 26 Zu ihnen K. Streijthau, Die Souveränität des Parlaments, 1963.
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Deutschland schließlich stieß der rationalistische Gedanke auf den geschichtlichen Begriff der Nation als Organismus, der seinerseits durch Vico beeinflußt war, der die geschichtliche Erfahrung in die moderne Poiesis eingebracht hat27 • Doch schrieb schon um die Mitte des 18. Jhs. der Kameralist von Justi in aufgeklärter Weise über die Ständeverfassung: "Wenn wir heute zu Tage solche Verfassungen erst neu einrichten sollten, so würden wir verhoffentlich das Recht, dem Vat-erlande zu rathen, nicht an diese oder jene Hufe Landes binden 28 ." Die Auseinandersetzung und Vermittlung von organischer und anorganischer Volkspräsentation dauerte in Deutschland das ganze 19. Jh. hindurch. Trotz aller historisch-territorialen Unterschied-e bestand das Gemeinsame der neuen Konstitution darin, daß das besitzende und gebildete Bürgertum im Parlament die Nation als seine Leistung repräsentierte. Im Parlament mußten deshalb auch seine Mitglieder von W'eisungen ihrer Wähler frei sein, weil aus dem alten Corpus mysticum ein Nationalkörper geworden war, in dem die partikularen Interessen aufgehoben waren, nicht zuletzt im dritten Sinne des Hinaufgehobenseins, das nun als Gesamtwohl des Volkes repräsentiert wird 29 • Die nationale Volksvertretung war damit nicht mehr Bild eines Urbildes, sondern Abbild eines Vor-bildes, eines ab- und hervorgehobenen Bildes. Das macht auch der Zusatz "Syst-em" deutlich, mit dem sich die Volksrepräsentation jener Epoche als Repräsentativsystem oder, wie man heute sagt, als Parlamentarisches System versteht. Zu Beginn des 17. Jhs., also gleichzeitig mit den Anfängen der modernen Repräsentation, wurde aus dem alten Syntagma, dem bloßen Kompendium von Wissensstoff, das System. So definierte Timpier in Anknüpfung an den stoischen Begriff der Kunst - techne de esti systema - ein System als ,,(integrum) corpus doctrinae ex diversis partibus coagmentatum", also als einen "Inbegriff nach bestimmten Prinzipien geordneter Sätze"30. Durch den Einfluß der subjektivistischen Philosophie von Malebranche 27 E. Kaufmann, über den Begriff des Organismus in der Staatslehre des 19. Jh., Ges. Schriften, Bd. III, 1960, S. 46 ff.; Gisela von Busse, Die Lehre vom Staat als Organismus, 1928, bes. S. 130 ff. 28 J. H. G. von Justi, Staatswirtschaft oder systematische Abhandlung aller Ökonomischen und Cameral-Wissenschaften, Bd. 2, 2. AufI. 1758, S. 592. 29 Burke's Wahlrede in Bristol 1780 faßt die Entwicklung zusammen: Das Parlament ist eine "deliberative assembly of one nation, with one interest". Dazu neuerdings H. Eulau et al., The Role of Representative: Some Empirical Observations on the Theory of Edmund Burke, Am. PoI.Science Rev., Bd. 53 (1959), S. 742 ff. Auf sprachanalytischer Grundlage Hanna Pitkin, The Concept of Representation, 1962, mit BibI.; zu Burke S. 168 ff. 30 Cl. Timpler, Metaphysicae systema methodicum, 1606, S. 4 ff., zit. nach A. von der Stein, Der Systembegriff in seiner geschichtlichen Entwicklung, in: A. Diemer (Hrsg.), System und Klassifikation in Wissenschaft und Dokumentation, 1968, S. 1 ff., S. 9.
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wurde im 18. Jh. der objektive Sinn des Systems als Inbegriff von Dogmen und Wahrheiten zurückgedrängt und die Bedeutung herrschend, "durch kunstgerechte Verarbeitung von zuvor in anderer Gestaltung vorliegenden Stoffen, Systeme überhaupt erst herzustellen"31. Diese Fertigkeit hat an der Epocheschwelle zum 19. Jh. Johann Heinrich Lambert zu einer formalen "Systematologie" ausgearbeitet32 , die noch die heutige Systemtheorie bestimmt. Bei dem von ihm und Chr. Wolff beeinflußten Kant wird das System dann "die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnis unter einer Idee", so daß auch "alle wahre Republik ist und kann nichts anderes sein als ein repräsentatives System des Volkes"33. In diesem System wurden die alten Majestätsrechte aufgeteilt und als Checks and Balances auf verschiedene Träger verteilt. Hauptträger war das Parlament. Bei ihm lag damit auch das Recht, durch bis heute sogenannten Zustimmungsgesetze das Staatsoberhaupt zur Ratifikation der Staatsverträge zu ermächtigen34, Verträge, die im 19. Jh., zum al seit den Vierziger Jahren, in denen die hochkapitalistische Entwicklungsphase einsetzte35 , sich nicht mehr auf Allianz- und Friedensverträge beschränkten, sondern alle Zweige der sich langsam bildenden Weltwirtschaft erfaßten: Niederlassungs-, Handels- und Schiffahrtsverträge, Post-, Telegraphen- und Eisenbahnabkommen, Maß-, Gewichts-, Urheberrechts- und Doppelbesteuerungsfragen. Trotz der zunehmenden Macht, die das Volk unter der konstitutionellen Verfassung in der Außenpolitik gewann, blieb seine Repräsentation nach außen mittelbar, vermittelt durch den Staat, der auch und gerade als Nationalstaat seine Nationalwirtschaft in den internationalen Wettbewerb führte. Dem nationalen Repräsentationssystem entsprach mit denselben Anfängen im 17. Jh. das "Europäische Staatensystem ", das aus ähnlichen mechanischen Balance-Vorstellungen heraus entstand und als "Systeme federatif ou d'equilibre" bezeichnet wurde 36 • "Holder of the balance" war England, das sich im 19. Jh. zum Dirigenten des "Europäischen 31 o. RitschI, System und systematische Methode in der Geschichte des wissenschaftlichen Sprachgebrauchs und der philosophischen Methodologie, 1906, S. 50 f. 32 Logische und philosophische Abhandlungen, 2. Bd. 1787, S. 385 ff.: Fragment einer Systematologie, abgedruckt bei Diemer, a.a.O., S. 165 ff. 33 Kritik der reinen Vernunft, B 860 und Rechtslehre, § 42. Zu Kants Repräsentationsbegriff vgl. im näheren G. Schramm, Das Problem der Staatsform in der deutschen Staatstheorie des 19. Jh., 1938, S. 92 ff. 34 K. HoUoway, Modern Trends in Treaty Law, 1967, S. 115 ff. 35 J. Schumpeter, Konjunkturzyklen, dt. 1961, S. 314 ff. 36 Metternich, Nachgelassene Papiere, Bd. 3, 1881, S. 166. über die Anfänge E. Kaeber, Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der publizistischen Literatur vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, 1907.
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Konzerts" machte, wie das europäische Gesamtsystem im Pariser Frieden von 1856 ausdrücklich genannt wurde 37 • Doch gingen die Pläne über eine solche horizontale Verteilung der Gewalten hinaus. Die vertikale Gewaltenteilung des innerstaatlichen Repräsentativsystems sollte auf die zwischenstaatliche Ordnung übertragen werden, um so den "Ewigen Frieden" für Europa und die Welt herzustellen. Die Engländer hielten sich zurück, wohl weil sie es im Zeichen der Pax Britannica nicht nötig hatten. Nur der Schotte Lorimer betrachtete es als das "Ultimate Problem of International Jurisprudence: How to find international equivalents for the factors known to national law as legislation, jurisdiction and execution"s8. Die Deutschen dagegen lieferten in romantischer Schwärmerei eine Fülle solcher Pläne39 , von denen der klarste und den organischen Gedanken am deutlichsten widerspiegelnde der von J. C. Bluntschli war. Europa, so sagt er, könne so wenig als Föderation nach Art der Vereinigten Staaten von Amerika organisiert werden, wie es eine universale Monarchie ertrage. "Eine politische Staatseinheit ohne ein Volk ist ein Widerspruch in sich. Da es kein europäisches Volk gibt, so kann es auch keinen Staat geben, der Europa heißt." Europa könne nur als Staatenbund vereint werden40 • Die Franzosen schließlich versuchten im 19. Jh. nachzuholen, was ihnen die napoleonischen Friedens- und Freiheitskriege schuldig geblieben waren41 • Schon 1793 legte Anarchasis Cloots, lIder Redner des Menschengeschlechts", die "Bases constitutionnelles de la republique du genre humain", die alle Menschen zu einer "confederation des individus" zusammenfaßt42 • Es ist der französische Begriff der Nation, der als Kern demokratischer Selbstbestimmung alle Völker ergreifen und vereinen soll. Dieser auf die Welt ausgedehnte demokratische Nationalstaat wird dann auch zum Muster für die "Vereinigten Staaten von Europa", deren Name erstmals in der Revolution von 1848 37 Vgl. neuestens Ch. WebsteT, The Art and Practice of Diplomacy, 1961, S. 55 ff.: The Council of Europe in the Nineteenth Century. 88 The Institutes of the Law of Nations, Bd. 2, 1884, S. 183 ff., S. 186. Vgl. allerdings die eng mit der industriellen Revolution verknüpften Friedenspläne von Bentham (1786) und James Mill. Dazu K. von RaumeT, Ewiger Friede, 1953, S. 89 ff. 89 H. GoHwitzeT, Europabild und Europagedanke, 2. Aufl. 1964. 40 J. C. BluntschU, Die Organisation des europäischen Staatenvereins, 1878, Neudruck 1962. 41 J. L. Talmon, Political Messianism, 1960, S. 242 ff.; Michelet: Gesta Dei per Franeos und R. SchnuT, Weltfriedensidee und Weltbürgerkrieg 1791/92 in: Der Staat, Bd. 2 (1963), S. 297 ff. 42 Text bei Selma SteTn, Anarchasis Cloots, 1914, S. 95 ff. Der "Paix perpetuelle" des AbM de Saint-Pierre von 1761 ist der Vorläufer. Rousseau, der von Europa als "une sorte de systeme" sprach, hatte den Plan bearbeitet und eine Konförderation von kleinen Staaten vorgeschlagen, die dem Gesellschaftsvertrag innerhalb des Staates entsprach. Vgl. O. VossleT, Rousseaus Freiheitslehre, 1963, S. 138 ff.
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auftaucht, als Victor Hugo in Paris, dem "Vatikan der Vernunft" (Cloots), "von dem Tag (sprach), an dem die Kugeln und Granaten von dem Stimmrecht der Völker ersetzt würden, die sich dann zu einer höheren Gemeinschaft zusammenschlössen"". Diesen Tag erstrebte das ganze 19. Jh. hindurch die Internationale Liga für Frieden und Freiheit unter ihrem Präsidenten Lemmonier. Sie entwarfen eine Verfassung der "Etats Unis d'Europe", in denen die föderativ geeinte Macht der Völker auf dem Gleichgewicht ihrer gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt beruhen sollte 44 • Das war ein europäisches Repräsentativsystem: der gewaltenteilende etat juridique im Gegensatz zum etat de guerre, wie man im Hinblick auf das Vernunftrecht und die damalige Wirklichkeit Europas formulierte 45 - eine Vernunft, die bis heute nicht wirklich, und eine Wirklichkeit, die seither wesentlich unvernünftiger geworden ist. Wirklichkeit wurde vielmehr der konstitutionelle Bundesstaat auf nationaler Grundlage, der nach dem ständischen Staatenbund der vorangehenden Epoche die föderative Schöpfung der europäischen und amerikanischen Staatenwelt im 19. Jahrhundert war - das Deutsche Reich, die Vereinigten Staaten von Amerika und viele andere mehr. Europa blieb, was es 400 Jahre gewesen war: Thronende Herrscherin über die Welt, wie sie Tiepolos Fresko mit glanzvoller Schönheit in der Würzburger Residenz darstellt46 •
111. Die dritte Etappe auf dem Wege zu Europa ist seine Organisation. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wird Europa - auf gebrochenem Grund - immer schneller hergestellt, planmäßiger vorgestellt und abstrakter dargestellt. über den konstitutionellen Gesetzgebungsstaat und das europäische Staatensystem schieben sich der Verwaltungsstaat und die zwischen- und überstaatliche Verwaltungsgemeinschaft. Sie ziehen Europa nach dem territorialen und nationalen den dritten, den sozialen Boden ein. Die Staaten organisieren ihre Industriegesellschaften zu funktionalen Einheiten noch höherer Rationalität als im 19. Jh. Das geschieht in räumlich, zeitlich und fachlich verschiedenem Grad, womit die Region, die Planzeit und der Sektor zu organisatorischen 43 Rede auf dem Weltfriedenskongreß von 1849, zit. nach Ter Meulen, a.a.O., Bd. II11, 1939, S. 318. U Der Entwurf bei Ter Meulen, a.a.O., Bd. II/2, 1939, S. 29. Zusammenfassend Lemmonier, Les Etats Unis d'Europe, 1872. 45 Genfer Resolution der Liga von 1887, Ter Meulen, a.a.O., S. 163. 48 Th. Hetzer, Die Fresken Tiepolos in der Würzburger Residenz, 1943, S. 75 ff.; Bildtafeln S. 45 ff.
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Grundbegriffen werden47 • Das nationale Repräsentativsystem wird von einem inter- und supranationalen Organisationssystem durchdrungen und aufgehoben. Mit ihm schreitet die sekundäre Natur fort, sowohl im Sinne des Fortschritts einer "Zweiten Aufklärung" als auch eines ideologielosen Progres reel. Der Fortschritt findet in beiden Teilen Europas statt. Hier interessiert der westliche Teil, wenn auch nur aus "Raumgründen" . Die demokratische Repräsentation im bisherigen national-territorialen Sinne nimmt in den modernen Industriestaaten ab. Das Volk bildet besonders für seine sozialökonomischen Bedürfnisse als Leistungs- und Konsumgesellschaft funktionale Formen der Repräsentation aus. Der Prozeß läuft in den verschiedenen westeuropäischen Staaten ziemlich ähnlich 48 ; in der Bundesrepublik Deutschland erfaßt er aber wegen der Gebrochenheit der politisch-nationalen Existenz des deutschen Volkes, mehr als etwa in Frankreich, auch die nationalterritorialen Grundlagen - "Bruchstellen sind Fundstellen", heißt es schon bei Hugo von Hofmannsthal49 • Mit der Wendung zum Verwaltungsstaat ändert das Parlament seinen Aufbau und seine Aufgaben. Aus der nationalen Volksvertretung wird das in Parteien und Interessengruppen gegliederte Parlament mit Berufspolitikern, Fraktionszwang und imperativem Mandat. Das Gewicht verlagert sich vom Parlament in die Ausschüsse von sachverständigen Abgeordneten, die - von "Wissenschaftlichen Diensten" unterstützt - mit der fachlich kompetenten Ministerialbürokratie zusammenarbeiten. Die Kontrolle des Parlaments über die Regierung tritt zurück, da die Mehrheitsfraktion selbst die Regierung bildet. Von der Gesetzgebung als wesentlicher Aufgabe des liberalen Parlaments werden immer weitere Teile auf die Regierung delegiert. Zwar erläßt das Parlament wie bisher in den klassischen Rechtsmaterien: den Grundrechten, dem Zivil- und Strafrecht, dem Steuer-, Schul- und Militärrecht statusbegründende Dauergesetze; die sozialökonomische Gesetzgebung dagegen, die ständig sich ändernde Lenkungs- und Anpassungsgesetze in den verschiedenen Sektoren der neuen Industriegesellschaft erfordert, ist als Legislation secondaire auf die Regierung übergegangen50 , es sei denn, daß sich das Parlament wie in der Bundesre47 Vgl. die Bände 22 und 32 der Schriftenreihe der HochschuZe Speyer: Staat und Wirtschaft im nationalen und übernationalen Recht, 1964, und Zur Stellung der Mitgliedstaaten im Europarecht, 1967. 48 Union InterparZementaire, (ed.), Parlements. Une etude comparative sur la structure et le fonctionnement des institutions representatives dans cinquante-cinq pays, 2. ed. 1966. 49 über die völkerrechtliche Repräsentation in hegemonialen Schutzverhältnissen vgl. Sereni, La Representation en droit international, Recueil des Cours, Bd. 73 (1948 II), S. 69 ff.
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publik aus nicht allzu fernliegenden Gründen selbst zum Verwalter macht. Die R-egierung ist über eine "verfassungsmäßige Hilfstätigkeit" (Otto Mayer) längst hinausgewachsen und hat eine zentrale Steuerungsaufgabe übernommen. Zu ihr gehören vor allem auch Programme und verbindliche Pläne, an deren gesetzlicher Durchführung die Ministerialbürokratie, ein Heer von Sachverständigenausschüssen und eine noch größere Zahl von Interessentenverbänden beteiligt sind. Die Wahlen für eine Regierung und ein Parlament, in dem es nicht nur auf die Klugheit politisch-rechtlichen Handeins ankommt, sondern auch auf die fachlich-technische Sachrichtigkeit der Maßnahmen, solche Wahlen sind nicht mehr allein Ausdruck persönlichen Vertrauens im Sinne einer Treuhandschaft. Bei ihnen wird funktionale Autorität neben personaler gesucht und bestätigt51 • Dieses System bildet über der alten Gewaltenteilung eine neu-e Verbindung von Legislative und Exekutive, deren gegensätzliche Gemeinsamkeit man gewöhnlich mit der Formel Politik und Verwaltung bezeichnet. Nach dem rationalen Zweck/Mittel-Schema von "Politics and Administration" (Goodnow, 1900) trifft die Politik die programmatische Grundentscheidung (decision); die Durchführung des beschlossenen Programms ist Verwaltung (execution). Ihr neues Verhältnis kennzeichnet die Wendung vom liberalen Gesetzgebungsstaat zum sozialen Verwaltungsstaat. Der skizzierte "Strukturwandel der Demokratie"52 zeigt sich nicht nur im Inneren der Staaten, sondern auch nach außen. Hier noch ausgeprägter, weil die funktionale Aufgliederung demokratischer Repräsentation innerhalb der national-territorial festgegründeten Staaten weniger stark sein kann, als die entsprechende Zusammenfassung zwischen ihnen, die organisierte Integration des bloß völkerrechtlichen Zusammenhangs, die besonders in Europa zu hochrationalen und schnell fortschreitenden Organisationen führt. Die Abschwächung und Verlagerung nationaldemokratischer R-epräsentation nach außen ist dem Integrationsgrad der europäischen Gemeinschaften entsprechend verschieden. Gründung und Beitritt zu inter- und auch supranationalen Organisationen bedürfen nach wie vor des parlamentarischen Zustimmungs gesetzes. Gleiches gilt für die von int-ernationalen Organisationen, z. B. dem Europarat, geschlossenen Verträge; auch sie treten 60 Typisch ist die Entwicklung in Frankreich, vgl. R. KHsch, Gesetz und Verordnung in der Verfassung der 5. französischen Republik vom 4. Okt. 1958,
1971.
Vgl. H. HaTtmann, Funktionale Autorität, 1964. Bei ihm geht es um den Vorrang von Repräsentativverfassung und Organisationssystem ähnlich wie vor 150 Jahren von landständischer Verfassung und Repräsentativsystem - eine säkularisierte Wiederholung des Ikonoklasmus zu Beginn der Neuzeit zwischen der katholischen Verehrung des Marienbildes und der bilderlosen Gläubigkeit des Calvinismus. 61
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erst in Kraft, wenn die nationalen Parlamente zugestimmt haben. Anders wird es erst bei den Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften, die nicht zuletzt deshalb supranational sind, weil ihre zur Legislation secondaire fortgeschrittene Rechtsetzung kein staatliches Zustimmungsgesetz mehr nötig hat. Der ermächtigte supranationale Gesetzgeber ist dem entmachteten nationalen Parlament nur noch zur Information verpflichtet, zur vorherigen auch nur dann, wenn durch einen Beschluß des EWG-Rats "innerdeutsche Gesetze erforderlich werden oder in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbares Recht geschaffen wird"53. Der staatlichen Differentiation nach innen und außen entspricht mit konvergierender Tendenz die zwischen- und überstaatliche Integration. Sie reicht ins 19. Jh. zurück, wird mit der Wende zum 20. als "Organisation der Welt" (Schücking) universal und führt, eingegliedert in das internationale Organisationssystem, zu einer besonderen supranationalen Verdichtung in Europa. Dabei wird Europa auf einen rationalen Begriff gebracht. Schicksal und Plan haben sich seit der großen europäischen Spaltung verbündet und die westliche Hälfte als "Freies Europa" organisiert, politisch-kulturell im Europarat, militärisch in der Westeuropäischen Union, ökonomisch in der Europäischen Freihandelsvereinigung und den Europäischen Gemeinschaften für alle Wirtschaftssektoren: Landwirtschaft, Kohle und Stahl, Handel und Industrie, Dienstleistungen, Atomenergie usw. Hier wird Europa zu Kleineuropa, Kerneuropa, den Sechs, den Äußeren Sieben und anderen Abstraktionen mehr 54 • In dieser neuen Organisation hat es seinen alten politisch-räumlichen Begriff nur bei der "Wirtschaftskommission für Europa" behalten, die als Specialised Agency der Vereinten Nationen Ost und West in technisch-ökonomischen Nebenfragen an einen Tisch bringt. In den europäischen Organisationen, die alle nach dem internationalen Modell konstruiert sind, auch die supranationalen, die nur einen höheren Organisationsgrad haben, beherrschen Konferenzen weisungsgebundener Staatenvertreter und Ständige Staatenvertretungen das 63 Vgl. Art. 24 GG und Art. 2 Zustimmungsgesetz zum EWG-Vertrag von 1957, BGBl. 11, S. 753. über die gleichartige Rechtslage in allen Mitgliedstaaten ("L'affaiblissement du röle des Parlements") und die innerstaatlichen Vorkehrungen zur Verarbeitung der EWG-Informationen, d. h. die nationale Zusammenarbeit mit der supranationalen Organisation, vgl. die Beiträge in: P. Gerbert und D. Pepy (ed.), La decision dans les Communautes europeennes, 1969, S. 167 ff. Für die verfassungsrechtliche Lage der BRD im besonderen G. Holeh, Der Deutsche Bundesrat zur ReC'htssetzung der EWG, Europarecht, Bd. 2 (1967), S. 272 ff. und Bd. 4 (1969), S. 213 ff. 54 über das "Europa der Interpretationen" vgl. die realistische Analyse von Alting von Geusau, European Political Integration. ARecord of Confusion und Failure, Annuaire Europeenne, Bd. 11 (1963), S. 135 ff.
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Feld56 • Doch beginnt die politisch-industrielle Gesellschaft, sich nicht nur mittelbar über die nationalen Regierungen und Parlamente zu repräsentieren, sondern auch unmittelbar. Um die Jahrhundertwende, als der "Neomerkantilistische Kondratieff" begann58 , vereinigten sich im Zuge der damaligen Schieds- und Friedensbewegung Gruppen nationaler Parlamentarier zur Interparlamentarischen Union, die inzwischen als Non-Governmental Organisation mit einigen wenigen anderen zum Beraterstatus A bei den Vereinten Nationen aufgerückt ist. Wenn auch ihre demokratische Homogenität seither mit fast 70 nationalen Gruppen in Ost und West gelitten hat, so bemüht sie sich doch um eine Fülle von Aufgaben, vor allem in Kommissionen und hier besonders in der Commission pour l'Hude des questions parlementaires et juridiques, die vergleichende Berichte über den Parlamentarismus und seine Reform vorgelegt hat57 • Aus dieser universalen Union ist eine regionale Union hervorgegangen, die sich aus Abgeordneten der skandinavischen Parlamente zusammensetzt und die sich nach dem Krieg als Nordischer Rat konstituiert hat. Er arbeitet zur Hauptsache an einer Rechtsangleichung zwischen den nordischen Ländern, die wegen der politisch-sozialen Gleichartigkeit der beteiligten Staaten sogar schon zu (teilweise) gemeinsamen Staatsangehörigkeitsgesetzen geführt hat58 • Handelt es sich beim Nordischen Rat um eine selbständige Organisation, so sind die gemeinsamen Parlamente in Westeuropa lediglich interparlamentarische Organe innerhalb der jeweiligen Staatenorganisation. Hier lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden: die Beratende Versammlung des Europarates und das Parlament der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften. Die Beratende Versammlung von 140 Abgeordneten besteht aus Delegationen der Parlamente der 17 Mitgliedstaaten, deren Umfang nach national-territorialen Maßstäben zugunsten der kleinen Staaten festgelegt ist, z. B. Deutschland 18 und Malta 3. Anfänglich konnten auch Regierungsvertreter in die Versammlung entsandt werden; nunmehr müssen sie vom jeweiligen Par66 Dies betonen mit Recht die Lehrbücher des Völkerrechts von G. Dahm, 1958/61 und W. Wengler, 1964 - eine historisch-systematische Einsicht, für die die "Europarechtler" blind sind, weil sie von der Politischen Union, den Vereinigten Staaten von Europa geblendet werden. 68 Schumpeter, a.a.O., S. 410 ff. 67 Vgl. oben Anm. 48 und Problemes actuels du Parlement. Symposion Ülternational 1965. Zur Geschichte vgl. L'Union Interparlementaire de 1889 ä 1939, 1939, mit einem im traditionellen Verständnis gehaltenen Beitrag von L. Boissier, L'Union Interparlementaire et l'evolution du Regime Representatif (S. 133 ff.). Neuestens eingehend F. Sterzel, The Interparliamentary Union, Stockholm 1967. ae Vgl. F. Wendt, The Nordic Council and Cooperation in Skandinavia, 1959.
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lament "aus seiner Mitte" gewählt oder ernannt werden59 • Sie bleiben aber "Vertreter, Representatives" der Mitgliedstaaten. Doch haben sie den Weg beschritten, Members of Parliament zu werden. Sie bilden über die nationalen Delegationen hinweg politische Gruppen: die Christlich-Demokraten, die Sozialisten, die Liberalen, die Unabhängigen, zumeist Konservative aus Großbritannien und Skandinavien und die "Nicht-Eingeschriebenen". Die politische Arbeit der Versammlung wird nicht im Plenum geleistet, das jährlich nur in drei kurzen Perioden tagt, sondern in den 13 Ausschüssen und Unter-Ausschüssen, eine Entwicklung, die sich im Laufe der Jahre deutlich verstärkt hat. So wurde die Empfehlung an den Ministerrat für ein zweites Ergänzungsprotokoll zur Menschenrechtskonvention nach weniger als einstündiger Debatte im Plenum einstimmig angenommen; der Text aber war vorher 15 Monate lang in drei Sitzungen eines Unter ausschuss es und zwei Sitzungen des vollen Rechtsausschusses aufgrund eines sechsfachen Entwurfs ausgearbeitet worden60 • Doch finden im Plenum Debatten über die Große Politik, wie z. B. über Berlin, durchaus ihren Ort. Die Versammlung kann sich, von rein militärischen Ding'en abgesehen, über die ganze Breite politischer Fragen äußern, beschränkt sich freilich im allgemeinen auf politisch-kulturelle Fragen im humanitärindividualistischen Sinn61 • Hierfür hat sie aber als "beratende" Versammlung nicht mehr als das Recht der "Empfehlung", eines Ratschlages also, der gegenüber dem Minister-Komitee als ~entralem Organ unverbindlich ist. Die institutionelle Verbindung zwischen bei den Organen stellt das Joint-Committee dar, das nach einer Reihe von Zwischenschritten ohne Satzungs änderung eingerichtet worden ist, ebenso wie die jährlichen Kolloquien, die dem weiteren Meinungsaustausch zwischen den Parlamentariern und den Ministern dienen6!. Trotz dieser fortschreitenden Zusammenarbeit kann von Kontrollbefugnissen gegenüber dem Ministerrat keine Rede sein, so wenig wie bei der Versammlung der Westeuropäischen Union, die im übrigen nach ähnlichen Prinzipien konstruiert ist wie die Beratende Versammlung des Europarats63 • 69
Satzungs änderung des Europarats vom 28. 4.1971, BGBL II, S. 284.
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Manual of the Council of Europe, 1970, S. 45.
Vgl. Der Mensch in der europäischen Gesellschaft. Zwischenstaatliches Arbeitsprogramm des Europarates 1967-1968. 62 Vgl. im näheren The Consultative Assembly, Procedure and Practice, 6 th ed. 1969. 63 Vgl. B. Haas und H. Merkl, Parlamentarians against Ministers. The Case of the Western European Union, Intern. Organisation, Bd. 14 (1960), S. 37 ff. Noch schwächer organisiert ist die vertragsmäßig nicht vorgesehene parlamentarische Konferenz der NATO. Vgl. North Atlantic Treaty Organisation, Parliamentarians' Conference 1955-1959, London 1960. 61
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Der zweite Typ, das Europäische Parlament der Wirtschafts gemeinschaften, ist dadurch gekennzeichnet, daß es in ein supranationales Organisationssystem eingefügt ist. Sein Vorläufer, die Gemeinsame Versammlung der Montanunion von 1951, war im Zuge der Europäischen Bewegung für die Politische Union im parlamentarisch-konstitutionellen Stil verfaßt. Sie hatte gegenüber der Hohen Behörde, die als Regierung verstanden wurde, eine Kontrollfunktion und sogar das Recht, diese durch ein Mißtrauensvotum zu stürzen. Diese Pläne sind bei dem Debakel mit der Politischen Union in den 50er Jahren selbst gestürzt64 . Schon die zur Vernunft gekommenen Organisatoren der Wirtschaftsund Atomgemeinschaft von 1957, besonders aber die praktische Verwaltungserfahrung mit den "Realien", wie Eugen Huber sagen würde, haben die Versammlung auf den Boden der Wirklichkeit zurückgebracht, gegen den sie freilich immer wieder revoltiert. Auf dem Papier der neuen Verträge stehengeblieben ist der erste Rang der Gemeinsamen Versammlung unter den Organen und das Mißtrauensvotum gegenüber der Kommission. Auch sind die Abgeordneten nicht mehr Vertreter der Mitgliedstaaten, sondern "Vertreter der Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten", was allerdings keinen Unterschied macht, da die Abgeordneten von ihren nationalen Parlamenten nach demselben Verfahren gewählt werden wie für den Europarat65 • Die schon im Montan-Vertrag vorgesehenen "allgemeinen unmittelbaren Wahlen nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten" liegen zwar seit langem im Entwurf vor66 . Der Ministerrat hat sie bisher aber nicht einmal an die Mitgliedstaaten weitergeleitet. In der letzten Relance Europeenne - 20 Jahre später - heißt es: "Die Frage der direkten Wahl wird weiter vom Ministerrat geprüft67 ." Schließlich hat die Gemeinsame Versammlung sich selbst in "Europäisches Parlament" umgetauft, zunächst in deutsch und niederländisch, später auch in französisch und italienisch, eine Konversion, die die französische Regierung mißbilligt hat und der Ministerrat ignoriert, indem er das Parlament weiterhin mit seinem alten Vertragsnamen adressiert 6s . Das alles führt zum "Superparlament"69 - ce beau souci - und damit an den Sachen vorbei. 84 Zur heutigen Lage R. Bloes, Le "Plan Fouchet" et le Probleme de l'Europe Politique, 1970. 85 Th. Harms, Die RechtsteIlung der Abgeordneten in der Beratenden Versammlung des Europarats und im Europäischen Parlament, 1968, S. 38 ff. ee VgI. Europ. Parlament (Hrsg.), Für allgemeine direkte Wahlen zum Europäischen Parlament. Dokumentensammlung 1969. 87 Konferenz der Staats- und Regierungschefs der EWG-Mitgliedstaaten in Den Haag vom 1. und 2. Dez. 1969, ABI. EG 1970 Nr. C 136, S. 15. 68 Hierzu und zum folgenden K. Neunreither, Le röle du Parlement Europeen in: Gerbert und Pepy, a.a.O., S. 109 ff. - vgI. denselben auch im EuropaArchiv, Bd. 21 (1966), S. 11 ff. Der Autor, Abteilungsleiter im Europäischen
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Die Gemeinschaftspraxis selbst und auch Teile des EWG-Vertrages führen dagegen in die neue Sache hinein. Zunächst ist die Zusammensetzung des Parlaments richtig nach sozialökonomischen Maßstäben geändert worden. Die drei wirtschaftlich Großen haben doppelt so viele Sitze wie in der Europarats-Versammlung, während die drei Kleinen nur mäßig erhöht worden sind. Die höhere Gesamtzahl von 142 Abgeordneten bei nur sechs Mitgliedstaaten wird der um vieles größeren Arbeit gerecht. Diese wird fast ausschließlich in den Ausschüssen geleistet, die durchweg solide, von detaillierter Sachkenntnis zeugende Berichte für das Plenum erstellen70 • Auch gehen die dem Parlament durch den Rat zugeleiteten Kommissionsvorlagen regelmäßig zunächst in die Ausschüsse. Die politischen Gruppen haben sich vorher zumeist keine eigene Meinung bilden können, wodurch der politische Einfluß der Ausschüsse größer ist als der in den nationalen Parlamenten. Politische Fraktionen, genauer wohl "Integrationen" haben sich auch im Europäischen Parlament gebildet71 : Außer den Christlichen Demokraten, den Sozialisten und Liberalen auch eine gaullistische Fraktion. Alle Abgeordneten seien, wie es heißt, für die Europäische Einigung aufgeschlossen; Kommunisten sind deswegen, mit Ausnahme der italienischen, bisher nicht von ihren Heimatparlamenten nach Straßburg geschickt worden. In den Ausschüssen rangiert häufig das nationale Interesse der Abgeordneten vor ihrem Fraktionsinteresse. Gleichwohl ist die Bedeutung der europäischen Parteienbildung nicht zu unterschätzen, zumal wenn sie wie bei den Sozialisten alte Wurzeln hat. Besonders kennzeichnend für die Parlamentsarbeit ist die freilich meist diskret behandelte Hilfe des (General-)Sekretariats, das, ähnlich wie die Sekretariate der internationalen Verwaltungsgemeinschaften, großen Einfluß hat. Es h~ndelt sich um einen Stab qualifizierter Beamter nach Art der "Wissenschaftlichen Dienste", der dem Parlament überhaupt erst die Möglichkeit einer dauernden Sachkontrolle der Legislative und Exekutive gibt. In dieser kontrollierenden Mitwirkung liegt die eigentliche Aufgabe der Abgeordneten. Aus der allgemeinen Wendung im Montan-Vertrag hat der EWG-Vertrag eine ganze Reihe konkreter Rechte gemacht, nämlich zur "Stellungnahme". gegenüber den Kommissionsvorschlägen Parlament, gibt eine ideologiefreie und deshalb sachnahe Darstellung. Geschäftsordnung· des Europäischen Parlaments vom 10.11. 1967, ABI. EG Nr. 280, geändert durch Entscheidung vom 11. 3. 1969, ABI. EG Nr. L 41/9. . 89 Allan Hovey, The Superparliaments, 1966. 70 über ihre Organisation vgI. A. Reifferscheid, Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments, 1966. 71 G. van Oudenhove, The Political Parties in the European Parliament, 1965 und G. Boileau, Les Assemblees Europeennes et la Representation Fran~aise, These Lyon, 1960; im Thema, aber auch an wissenschaftlicher Qualität findet sich nichts Vergleichbares.
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in allen wichtigen Sachen. Zwar handelt es sich auch hier nur um eine unverbindliche Empfehlung. Doch folgt die Kommission willig72 , um ihre politische Stellung gegenüber dem Ministerrat zu stärken, der zusammen mit den Ständigen (Staaten-)Vertretern die beherrschende Stellung in den Gemeinschaften eingenommen hat. Von "Mißtrauen" zwischen Parlament und Kommission ist nicht die Rede, sondern von gegenseitigem Vertrauen in die gemeinsame Funktion. Der Rat seinerseits, der das Parlament auf Distanz hält 73 , ist bekanntlich an die Gesetzesvorschläge der Kommission gebunden; das ist das Brüsseler "Tandem", auf dem - um im Bilde zu bleiben - das Europäische Parlament und der Wirtschafts- und Sozialausschuß mitfahren und mitlenken. Diese supranationale Konstruktion ist nicht so neu, wie immer behauptet wird. Das Zusammenwirken politischer Entscheidungsgremien mit Ausschüssen von interessierten Sachverständigen und sachverständigen Interessenten hat im internationalen Recht z. B. bei der OEEC durchaus seine Vorläufer74 • Im nationalen Recht findet es seine oben skizzierte Entsprechung. Wie hier bei der sozialökonomischen Gesetzgebung die Regierung mit einer weisungsgebundenen Ministerialbürokratie das Parlament entmächtigt, so wird dort der Ministerrat mit einer weisungsfreien Kommission und einem beratenden Parlament ermächtigt. Dem nationalen Parlament bleibt bei Lenkungsgesetzen nur ein Prüfungs- und Einspruchsrecht; das Europäische Parlament gewinnt zusammen mit der Kommission ein Kontroll- und Initiativrecht. In diesem System sekundärer Gesetzgebung machen nationale Regierung und internationaler Ministerrat die Politik und treffen die programmatische Grundentscheidung. Die Initiative und Durchführung der beschlossenen Programme liegt bei der nationalen Ministerialbürokratie in Verbindung mit dem Parlament und bei der supranationalen Kommission mit der Versammlung, die in allen wichtigen Fällen an den Ministerrat gebunden bleiben. Es handelt sich um ein staatliches und überstaatliches Organisationssystem mit Regierungs- und Verwaltungsfunktionen, in dem die nationalen Parlamente noch eine große, wenn auch nicht mehr die Hauptrolle, ein supranationales Parlament aber schon eine Nebenrolle spielt. Die sekundäre Gesetzgebung, die systematische Herstellung von Gesetzen - Puchta sprach wohl als erster zu Beginn der industriellen Epoche von der "Gesetzesfabrik" - hat ein unerhörtes Tempo und ein 72 Vgl. jüngst etwa die Antwort der Kommission auf die Anfrage des Abgeordneten Vredeling Nr. 149/71, ABl. EG C 82, S. 4. 73 C. LassaHe, Les Rapports institutionnelles entre le Parlement Europeen et les Conseils de Ministres des Communautes, 1964. 74 Vgl. meinen Art. "Verwaltungsgemeinschaften" in Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, 1962, S. 564 ff.
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noch größeres Ausmaß angenommen. Ministerrat und Kommission haben in den letzten Jahren mehr als 10000 Rechtsnormen produziert, 1970 allein 2700 Verordnungen, mehr als das ganze 19. Jahrhundert an internationalen Verträgen. Das Europäische Parlament ist an der Herstellung, d. h. der Neuordnung und dauernden Lenkung aller Sektoren der Industriegesellschaft in räumlicher und zeitlicher Planmäßigkeit beteiligt. Besonders bei der vom EWG-Vertrag treffsicher bezeichneten "Herstellung" der Wettbewerbsfreih€it, der gemeinsamen Agrarmärkte, der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, der Freizügigkeit und des Sozialfonds hat es durch Berichte und Entschließungen seinen Einfluß durchzusetzen vermocht7 5 • Das Unbehagen über die "technische" Materi€ und der Arbeits- und Zeitdruck, über die so häufig im Europäischen Parlament geklagt wird76 , hat System. Zur Industriegesellschaft gehört ihre technisch-administrative Bewältigung auch und gerade im Detail: die Bekämpfung der St. Jose Schildlaus und die europäische Kennzeichnung von Bruteiern und Marmelade - so sieht SaintSimons ,,€nchainer le sort" aus der Nähe aus. Die demokratische Repräsentation wird im supranationalen Organisationssystem gegenüber dem nationalen Repräsentativsystem einerseits mittelbarer, andrerseits unmittelbarer. Das im Parlament vertretene Volk wird von einer funktionale Züge annehmenden Regierung in den Ministerräten und der von ihr ernannten noch funktionaleren Kommission weiter mediatisiert. Andrerseits gewinnt es im Europäischen Parlament eine neue direkte, wenn auch noch durch die nationalen Parlam€nte, so doch nicht mehr durch seine Regierung und das Staatsoberhaupt vermittelte Repräsentation. Es kann also außerhalb seines Staates, wenn auch mit seinem heimatlichen Parlament verbunden, im inter- und supranationalen Bereich wirken. Die organisierte Entwicklung des Industriesystems, in der sich technokratische und demokratische Elemente verknüpfen, hat einen neuen Grad von Rationalität erreicht. Die neuere Theorie d€s politischen Systems versucht, diesen Wandel durch kreisläufige In- und Output-Modelle zu deuten, womit der Me76 Zu den Ergebnissen vgI. im Näheren Europ. Parlament (Hrsg.), Die ersten zehn Jahre 1958-1968 und Europäische Dokumentation, Bd. 7 (1965), Nr. 8 und Bd. 12 (1970), Nr. 9 mit BibI. über das Interpellationsrecht, die Prüfung der Jahresberichte, die Haushaltsbefugnisse und den laufenden Ausbau der Parlamentsrechte vgI. E. Stein, The European Parliamentary Assembly: Techniques of Emerging "Political Control", Intern. Org., Bd. 13 (1959), S. 233 ff. In der "Mitwirkung der Gemeinsamen Versammlung und des Europäischen Parlaments auf dem Gebiete der Assoziierung", vgI. R. Behringer, Kölner Diss. 1967, liegt eine Analogie zum konstitutionellen Zustimmungsgesetz. 76 VgI. das erfrischende Unbehagen von Elena Bubba, Direktorin im Europ. Parlament: Europa-Archiv, Bd. 22 (1967), S. 601 ff.
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chanismus und der Organismus in der Organisation aufgehoben werden. In ihr legitimiert nicht mehr der Volkswille, sondern das (kybernetische) Verfahren, so daß auch die politische Wahl auf die Effektivität des Systems bezogen wird und nicht so sehr auf das individuelle Wahlerlebnis 77 • "Vertrauen" wird in diesem System "zum Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität"78. Dadurch relativiert sich die für das Europäische Parlament umstrittene Frage mittelbarer oder unmittelbarer Wahlen. Auch im inter- und supranationalen Bereich wird die Systemtheorie strukturell-funktionaler Art zur Deutung des Organisationsphänomens herangezogen79 • Sie entspricht im sozialen Bereich der physikalischen Ausbildung einer neuen Natur, wie sie sich seit der Wende zum 20. Jh. durch die Relativitätstheorie und Quantenphysik a bzeichnet80 . Zur Herstellung gehört die Vorstellung, genauer: die Voraus-stellung, das Programm. Die Planung oder Programmierung, wie man westeuropäisch sagt, bedeutet das Setzen von Entscheidungsprämissen in regionaler, temporaler und sektoraler Hinsicht. Sie ist eine Hauptfunktion aller Organisationen und spielt deshalb auch in der EWG eine dominierende Rolle mit Stufen, Plänen und Programmen aller Art, nach denen die Herstellung vorgenommen wird. Sind das Parlament und sein Gesetz das konstitutionelle Vorbild, so werden die Kommission und ihr Programm das funktionelle Leitbild. Doch sind sie nicht nur ein Leitbild, sie haben auch eines: ein Image. Das Image - ein Begriff, der aus der Marktpsychologie kommt81 - ist dadurch gekennzeichnet, daß es nicht die Wirklichkeit darzustellen braucht; es genügt, daß es der Vorstellung entspricht, die man sich von der Wirklichkeit macht oder 77 W. Easton, A Systems Analysis of Political Life, 1965; K. W. Deutsch, Politische Kybernetik, 1969; K. H. Tjaden, Soziale Systeme, 1971 (instruktive Auswahl), S. 249 ff.: Entwürfe organisatorischer Sozialsysteme und N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969, S. 141 ff., 155 ff. 78 So das gleichnamige Buch von N. Luhmann, 1968. 70 Vgl.M. A. Kaplan (ed.), New Approaches to International Relations, 1968. Zu den Arbeiten von Deutsch über die internationale Organisation vgl. W. E. Fisher, An Analysis of the Deutsch Sociocausal Paradigm of Political Integration, Intern. Org., Bd. 23 (1969), S. 254 ff.; L. N. Lindberg, An European Community as a Political System, Journal of Common Market Studies, Bd. 5 (1966), S. 344 ff. (nach dem Muster von Easton). L. N. Lindberg - St. A. Scheingold, Europe's Would Be Polity, 1970. 80 Vgl. W. v. Del-Negro,. Konvergenzen in der Gegenwartsphilosophie und die moderne Physik, 1969. Dort S. 139 ff. auch über die Rückwendung zu einem kritischen Realismus. über die Repräsentation in formalisierten Systemen vgl. Art. Logic, Combinatory, Encyclopaedia of Philosophy, Bd. 4, 1967, S. 504 ff. In der mathematisierten Rechtslogik (Klug, Tammelo) scheint sie noch nicht als nominalistisches Funktionszeichen verwendet zu werden. 81 Vgl. E. Dichter, Strategie im Reich der Wünsche, 1961. Zum ImageBegriff vgl. P. Dreitzel, Selbstbild und Gesellschaftsbild, Arch. Europeennes de Sociologie, Bd. 3 (1962), S. 181 ff.
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die einem gemacht wird. Es ist deshalb kein Bild, geschweige denn eine Species, sondern eine hergestellte Vorstellung, und wenn sie besonders gut gelingt: ein Brand-Image. Das klingt geringschätzig gegenüber der EWG, ist es aber nicht, ganz abgesehen davon, daß die von Kommission und Parlament betriebene Öffentlichkeitsarbeit, wie man die ImagePflege nennt, kein falsches Bewußtsein über die "Europäische Regierung"82 aufkommen läßt. Sie bemüht sich zusammen mit den anderen Organen um das magische Dreieck von Vollbeschäftigung, Preisstabilität und ausgeglichenem Zahlungsverkehr - die magische Balance des Fortschritts83 . Die sich dauernd herstellende Vorstellung fungiert als Leitbild einer sich dauernd vorstellenden Herstellung, wobei die Differenz zwischen Vorstellung und Herstellung jene "mauvaise constitution oscillatoire" des Organisationssystems hervorruft, von der Auguste Comte, ihr Entdecker, meinte, daß sie im wissenschaftlichen Endstadium reiner Klarheit weichen wird 84 . Erkennen und hantieren kann diesen oszillierenden Prozeß technisch-administrativer Rationalität nur noch der Spezialist und auch der nur in Ausschnitten; allen anderen geht es über den Horizont. So wird für den EWG-Spezialisten die techne de esti systema zur "abstrakten Kunst", und der Laie, der sich nicht mehr an Tiepolos "Europa" halten kann, klebt sie sich als Abziehbild in PopManier hinten auf sein Auto. Die einmalige, durch Ort, Zeit und Zeremoniell festgelegte Repräsentation wird zur dauernd sich reproduzierenden Präsentation, dem Image der industriellen Welt. Auch diese abstrakte Repräsentation hat wie jede Darstellung den Charakter der "Außenwelt-Stabilisierung"85, und es kommt für das Dasein und überleben der industriellen Gesellschaft sehr darauf an, die zwischen- und überstaatlichen Institutionen, die das Industriesystem repräsentieren, in ihrem funktionellen Zusammenhang auf Dauer zu stellen. Freilich wird es nur von Dauer sein, d. h. in der Pra81 VgI. die zurechtweisende Anfrage Nr. 565170 des Abgeordneten VredeZing im Europ. Parlament zu der Bemerkung des französischen Außen-
ministers, daß die Europäische Regierung nicht die Kommission, sondern der Rat sein könne, ABI. EG 1970, Nr. C 43/11 und allgemein den FurlerBericht, Europ. Parl., Dok. Nr. 31 vom 14. 6. 1963. 83 A. E. Ott, Magische Vielecke, in: A. E. Ott (Hrsg.), Fragen der wirtschaftlichen Stabilisierung, 1967, S.93tf. 84 Zum jetzigen Stadium vgl. H. J. Knebel, Ansätze einer soziologischen Metatheorie subjektiver und sozialer Systeme, 1970. über die ins Kraut schießende Futurologie vgl. H. Schelsky, Planung der Zukunft. Die rationale Utopie und die Ideologie der Rationalität, Soziale Welt, Bd. 17 (1966), S. 155 ff. Zur geschichtlichen Situation: H. Freyer - ehr. Papalekas - G. Weippert (Hrsg.), Technik im technischen Zeitalter, 1965. 85 Vgl. A. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, 1964, S. 54 ff., 243 ff. (Magie in Hochkulturen) und F. Jonas, Die Institutionenlehre Arnold Gehlens, 1966.
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xis wirksam bleiben, wenn es die Rechtsprinzipen einhält, auf denen es ruht, die Grundsätze des alten und neuen europäischen Rechts: Freiheit und Gegenseitigkeit, Gleichheit und Gemeinsamkeit. Sie in den europäischen Organisationen theoretisch zu erkennen, ist eine Arbeit, die in den Anfängen steckt. Sich statt dessen sympathetische Weltbilder und konstitutionelle Wunschbilder vorzustellen, ist wenig sinnvoll, da man sie vor die Arbeit stellt, sich diese verstellt. Erst wenn die Wissenschaft vom Europarecht sie geleistet hat, kann aus dem dreifach schattierten Europabild ein neues Sinn-bild werden. Demgegenüber sind die aus dem 19. Jh. stammenden und im 20. Jh. fortgeführten Pläne, Europa nach nationalem Bundesstaatsmuster zu konstituieren, wie sie Coudenhove-Kalergi mit seiner Europäischen Parlamentarier-Union und auch die Verfechter der "Europäischen Politischen Gemeinschaft" vor Augen haben86, veraltete Staats-Utopien87 • Die supranationale Organisation hat sie längst überholt und in einer neuen sekundären Wirklichkeit verortet. In ihr wird der Staat wieder "Halbstaat" , freilich nicht in zunehmendem, sondern in abnehmendem Sinne. Ein funktionelles Weltbild hat sich über das konstitutionelle geschoben. Die drei Stufen demokratischer Repräsentation und europäischer Integration, wie sie hier aufgezeigt wurden, folgen in der Neuzeit nacheinander, sie wirken aber aufeinander. Keine kann ohne die andere bestehen. Das national-territoriale Repräsentationssystem und das funktional-föderative Organisationssystem bedingen und durchdringen sich gegenseitig. Es wäre falsch, die funktionale Stufe von der territorialen und nationalen zu lösen und sie, wozu die moderne Systemtheorie auch in der Rechtswissenschaft neigt, zu verabsolutieren. Diesen "Stufenbau" darf man also nicht nach der Art von Kelsen als formale Struktur eines funktionalen Systems verstehen. Er ist vielmehr als institutionelle Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu begreifen, als ein "System von Vermittlungen", wie Hegel sagte88 , in dem 88 Europa. Dokumente zur Frage der Europäischen Einigung, 3 Bde., 1962. Einen europäischen Verfassungsplan im Stil des 19. Jhs. hat zuletzt der Basler Staatsrechtler M. Imboden in der Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1963 vorgelegt: "Der ort, an dem die (Europäische) Hauptstadt gebaut wird, ist durch Gesetz zu bestimmen" (Art. 6). 87 Gegen die Interpretation der Europäischen Gemeinschaften als Vorform der Vereinigten Staaten von (West-)Europa hat sich seit langem H. P. Ipsen mit Recht gewandt, zuletzt: Fusionsverfassung der Europäischen Gemeinschaften, 1969. Realistisch auch W. N. Hoggard, Representative Government and European Integration, 1967. 88 Rechtsphilosophie, Sämtliche Werke (Jubiläumsausgabe), Bd. 7, S. 412 (§ 302 Zusatz). K. Larenz, Hegels Dialektik des Willens und das Problem der juristischen Persönlichkeit, Logos, Bd. 20 (1931), S. 196 ff., hat als erster die Integration als Bestandteil der HegeIschen Repräsentationstheorie aufgezeigt
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die territorialen, nationalen und funktionalen Interessen der europäischen Völker in der Verbindung von Tradition und Fortschritt durch staatliche und überstaatliche Rechtsinstitutionen vermittelt und dargestellt werden.
und das vermittelnde Moment der Repräsentation in den als institutionelle Struktur erkannten, alle dialektischen Stufen miteinander verbindenden juristischen und natürlichen Personen deutlich gemacht. Es war ein Hauptanliegen Hegels auf der Schwelle der neuen Zeit (1821), die Differenz zwischen Herstellung und Vorstellung, die dem Industriesystem immanent ist, in vernünftigen Begriffen aufzuheben, d. h. sie durch praktische Erfahrung zu institutionalisieren. Vgl. O. MaTquaTd, Hegel und das Sollen, Phil. Jhb., Bd. 71 (1964/65), S. 101 ff. und M. Riedel, Theorie und Praxis im Denken Hegels, 1965.
Verwaltungsreform und Demokratiediskussion Von Klaus König 1. 1. Verwaltungsreform gilt heute bei uns als "permanente Aufgabe". Für einen Zusammenhang öffentlichen HandeIns, dem so etwas wie "Konservativismus aus Komplexität"1 eignet, wird Erneuerung unter einem Merkmal gefordert, das sonst auf die bescheideneren Änderungsraten eben des ständigen organisatorisch-sozialen Wandels bezogen wird2 • Die Entscheidungsprozesse über Reformen in administrativen Problembereichen und die einschlägigen sachverständigen Beratungen sind unterschiedlich in Gang gesetzt. Vielfach ist die konzeptionelle Phase noch nicht durchlaufen. Selbst zu einem so traditionsreichen und zu Vergleichen anregenden Reformthema wie das des öffentlichen Dienstes läßt sich fragen: Sind die Ziele geklärt, die Bezugspunkte definiert, die Probleme abgegrenzt? Auf anderen Feldern, vor allem im Bereich der Territorialreform, ist schon mehr erreicht. Wir haben Zielanalysen zur allgemeinen Raumordnung, Datensammlungen zu regionalen Verflechtungen, Modellkonstruktionen zum Stadt-Umland-Problem, Kostenabwägungen zu administrativen Gebietsgrößen und in einem Iterationsprozeß die Infragestellung verbandlicher zugunsten großgemeindlicher Problemlösungen.
In all diesen kommunikativ'en Prozessen des Entscheidens und pragmatischen Beratens wird Demokratie als übergeordneter politischkultureller Wert mitgeführt. Indes scheint hier Demokratie einer jener hochgestellten Werte am Zielehimmel zu sein, die durch ihre vielseitige Interpretierbarkeit gekennzeichnet sind. Der durch Verfassung und authentische Verfassungs interpretation f'estgelegte Demokratiebegriff3 verliert für die öffentliche Verwaltung an Deutungskraft. Es 1 Vgl. Niklas Luhmann, Tradition und Mobilität: Zu den "Leitsätzen zur Verwaltungspolitik", in: Recht und Politik 1968, S. 49 ff. t Zu Refonn und laufender Änderung vgl. Roman Schnur, Widerstände und Schwierigkeiten bei Verwaltungsreformen, in: Deutsches Verwaltungsblatt, 1970, S. 753 ff. ~ Zum demokratischen Prinzip im Grundgesetz vgl. die Referate von Werner v. Simson und Martin Kriele, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 29, S. 4 ff. bzw. S. 46 ff.
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wird von Emanzipation, Mündigkeit, vom demokratischen Beamten, von Mitbestimmung, Partizipation, demokratischer Teilhabe, von Demokratisierung der Personalpolitik, Demokratisierung der Ministerialorganisation, von Demokratisierung der Verwaltung schlechthin in einer neuen Weise gesprochen, ohne daß damit schon eine neue Deutlichkeit gewonnen wird. Hiernach Indikatoren zu erstellen, die uns beschreiben, wie denn eine demokratische Verwaltung beschaffen ist oder sein soll, erscheint kaum befriedigend. In solcher Lage von der Demokratietheorie schnelle Abhilfe zu erwarten, erweist sich als irrig. Die Mehrdeutigkeit des Demokratiebegriffs gilt für Wissenschaft und Praxis gleichermaßen. Konnte man vielleicht eine Zeit lang der Meinung sein, gleichsam Blöcke des Demokratieverständnisses bilden zu können - den westlichen, den östlichen und den einer dritten Welt' -, so reichen jetzt die Gegensätze bis in die kleinsten sozialen Zusammenhänge hinein und lassen ein Gewirr von Grenzlinien entstehen. Vielerorts hat man sich angewöhnt, das, was politisch gewünscht wird, demokratisch zu nennen. Gegenüber derartigen Legitimierungen praktischen Handeins erscheinen die Versuche der Wissenschaft, für begriffliche Klarheit zu sorgen, ohnmächtig5 • In die Sprache der Theorie fließt so viel Agitation ein, daß für die Distanz wissenschaftlicher Definitionen kaum mehr Raum zu sein scheint. Aber damit ist das Dilemma unseres Themas noch nicht zureichend beschrieben. Wir dürfen nicht übersehen, daß die öffentliche Verwaltung in der heutigen Demokratiediskussion oft unter negativen Vorzeichen steht, und zwar nicht bloß in den neomarxistischen Varianten, zu deren Konzept die Zerschlagung des bürokratischen Apparates als eines Unterdrückungsinstruments der herrschenden Klasse gehört. Nimmt man zum Beispiel das aktuelle Stichwort der Parlamentarismuskritik auf, dann gilt nicht nur in extremer Ablehnung die Legislative, in der Volksinteressen gesetzgeberisch Ausdruck finden sollten, gegenüber der Exekutive als bis zur Bedeutungslosigkeit herabgesunkene. Der Machtzuwachs der Verwaltung bei gleichzeitiger Entmachtung des Parlaments bildet die als sicher hingestellte Erfahrungsgrundlage für viele kritische Ansätze, wobei dann einmal die Verhältnisse so sind, , Vgl. C. B. Macpherson, Drei Formen der Demokratie, FrankfurtIM. 1967. Vgl. etwa Manfred Hättich, Demokratie als Herrschaftsordnung, Köln/ Opladen 1967; WilheZm Hennis, Demokratisierung: Zur Problematik eines Begriffs, in: Demokratisches System und politische Praxis der Bundesrepublik, hrsg. von Gerhard Lehmbruch u. a., München 1971, S. 68 ff.; Erich Küchenhoff, Möglichkeiten und Grenzen begrifflicher Klarheit in der Staatsformenlehre, Berlin 1967. 8 Vgl. Johannes AgnoZi, Die Transformation der Demokratie, Frankfurt/M. 1968, S. 59. 6
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weil die Verwaltung so ist, und zum anderen die Verwaltung so ist, weil die Verhältnisse so sind. Doch noch nicht in solchen als Beziehung von Legislative und Exekutive thematisierbaren Bereichen liegen die problematischen Voraussetzungen. Hier läßt sich über Realitäten und Möglichkeiten der öffentlichen Verwaltung in einem analytisch bearbeitbaren Feld diskutieren7 • Die Unannehmlichkeiten für unser Thema beginnen, wo alte Vorbehalte der Sozialtheorie gegenüber der Verwaltung unbesehen umgeformt werden zu imaginären Mustern demokratiefeindlicher Bürokratien von heute. Und die Neigung zu solchen Vorurteilen scheint in jüngster Zeit manchmal größer als die Intention, die Arbeitsweise Max Webers zu modifizieren und Demokratie und Bürokratie selbst verstehend zu erforschen. Beharren wir also darauf, daß es eine Fragestellung zu öffentlicher Verwaltung und Volksherrschaft - "Herrschaft für das Volk", "Herrschaft durch das Volk" - gibt, die sich im Sinne einer demokratü:ch reformierten Verwaltung formulieren läßt, dann sind vom Erkenntnisinteresse einer integrierenden Verwaltungswissenschaft8 her Analysen zu Strukturen und Funktionen administrativer Organisationen und Entscheidungsprozesse näher mit der Demokratiediskussion zusammenzubringen. Wie sehr es hierbei um Gesprächsgrundlagen geht, ersieht man daraus, daß Bezugspunkte in der Sache nicht ohne metatheoretische Vorklärungen möglich sind. Freilich enthalten Auseinandersetzungen über die demokratisch verfaßte Gesellschaft oft ein erkenntniskritisches Moment, etwa aus der Spannung von Normativismus und Empirismus bis zu spezifischen theoretischen Ausprägungen hin9 • Indes zeichnen sich in unserer Demokratiediskussion Positionen ab, die gerade im vorliegenden Zusammenhang einiger erkenntnistheoretischmethodologischer Vorbemerkungen bedürfen. 2. Eine erste Voraussetzung für die wissenschaftliche Annäherung der hier erörterten Gegenstände besteht darin, daß sich über Bezugspunkte, Konturen, Modelle einer im Sinne von Demokratie reformierten Verwaltung überhaupt theoretisch aussagen läßt. Gerade dies wird in der Demokratiediskussion von einer totalkritischen Dialektik abgelehnt1o • Nicht die Suche nach wissenschaftlich antizipierbaren Voraus7 Vgl. dazu etwa die Bemühungen von Thomas Ellwein, hier bes. Fonnierte Verwaltung - Autoritäre Herrschaft in einer parlamentarischen Demokratie, in: Kritik Bd. III, Parlamentarismus ohne Transparenz, hrsg. von Winfried Steffani, Opladen 1971, S. 48 fi. S Zu Pluralismus und Integrationen in der VerwaItungswissenschaft vgl. Klaus König, Erkenntnisinteressen der Verwaltungswissenschaft, Berlin 1970. 9 Vgl. z. B. Jack L. Walker, A Critique of the Elitist Theory of Democracy bzw. Robert A. Dahl, Further Reflections on "The Elitist Theory of Democracy", in: 60 American Political Science Review, 1966, S. 285 ff. bzw. S. 296 ff. 10 Vgl. Udo Bermbach, Rätegedanke versus Parlamentarismus? überlegungen zur aktuellen Diskussion der Neuen Linken, in: Kritik Bd. III, Par-
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setzungen des Demokratischen oder die Formulierung von Gegenmodellen gilt als Aufgabe kritischen Denkens. Demokratie kann nur negativ in der Ablehnung bestehender Verhältnisse, eben joeder Bürokratie schlechthin, bestimmt werden. Es bleibt die Utopie, die die Negation der bestehenden Wirklichkeit als der Negation besserer Möglichkeiten ist. Wir brauchen hier - selbst wenn sich eine solche Position mit respektablen wissenschaftsphilosophischen Gründen verbindet - den in der Demokratiediskussion so gern erhobenen Vorwurf "restriktiver Annahmen" nicht zu scheuen. Die neuzeitlichen Wissenschaften haben erkannt - und zwar nicht nur durch die gesellschaftstheoretische Erkenntniskritik -, daß es das absolut gesicherte Wissen (episteme) nicht gibt, und sie lernen immer besser, ihre Grenzen zu sehen und zu hinterfragen. Die Sozialwissenschaften haben so richtig die Frage nach den besseren Möglichkeiten des Menschen in der Gesellschaft nicht auf die unbekannte Zukunft störungsfreier Kommunikation vertagt l1 • Die Konsequenzen beschränkter wissenschaftlicher Erkenntnisleistungen sind an den Erfolgen und Mißerfolgen alltäglicher Praxis abzulesen, die wie in keinem Zeitalter zuvor durch theoretisch fundierte Handlungsanteile charakterisiert ist; um es zum Beispiel für den sozialökonomischen Bereich anschaulich zu machen: Wer wollte trotz aller Rückschläge Wirtschaftspolitik ohne jene Steuerungsmittel betreiben, die die Wirtschaftstheorie entwickelt hat? Weiter erscheint eine - freilich metatheoretisch jeweils überprüfbare - Selbstbeschränkung erforderlich, nicht um der Verwaltungswissenschaft schnell den departementalen Rang unter streng gefächerten Einzelwissenschaften zu geben, sondern um auch der interdisziplinären Arbeit auf dem Gebiete von Verwaltungsreform und Demokratie das notwendige Maß an professionaler Kapazität zu sichern. Für viele Politikwissenschaftler bedeutet die Theorie der Demokratie die Theorie des Politischen schlechthin und für manche darüberhinaus die Theorie vom Menschen, den man sich nicht anders als politisch-gesellschaftlich vermittelt vorstellen kann. Wie der Begriff des Politischen eine "universale Sensibilität" erhält, so bekommt die Demokratietheorie einen fast allumfassenden Charakter 12 • Nun hat die politischlamentarismus ohne Transparenz, hrsg. von Winfried Steffani, Qpladen 1971, S. 245 ff. 11 Vgl. in diesem Zusammenhang Jilrgen Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: Jilrgen Habermas/Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie Was leistet die Systemforschung? Frankfurt/M. 1971, S. 101 ff. t2 Vgl. die Beiträge von Wolf-Dieter Narr, in: Wolf-Dieter Narr/ Frieder Naschold, Theorie der Demokratie, Einführung in die moderne politische Theorie, Teil III, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1971.
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theoretische Reflexion über die "Natur" des Menschen hohe Tradition und die heutige Suche nach einer Theorie der "demokratischen Persönlichkeit" eine unbestreitbare wissenschaftliche Legitimität. Politischsozialanthropologisches Wissen ist auch von breiter Relevanz für die öffentliche Verwaltung und reicht bis zu Einzelproblemen der Verwaltungsreform. Wenn zum Beispiel in der Frage des Schußwaffentragens ein Vergleich zwischen englischen und deutschen Polizisten zu Lasten letzterer gezogen wird, dann ist der Wissenschaftler gehalten, die korrespondierende Bilanz im Hinblick auf die sozialen Normen des Publikums aufzustellen. Und wenn es weiter darum geht, die Verhaltensmuster der Polizei wie ihres Publikums in der Schußwaffenfrage zu reformieren, werden einschlägige wissenschaftliche Untersuchungen bis zu Aspekten einer politischen Sozialanthropologie vorstoßen können. Aber solche bestimmbaren Forschungshorizonte meint die allumfassende Demokratietheorie nicht. Von ihrem Universalitätsanspruch her ist alles, was ihr im Sinne der weitesten Veröffentlichung des Menschen kritisierbar erscheint, undemokratisch und fast beliebig weitläufiger Suche nach demokratischen Alternativen ausgesetzt. Mit diesem Anspruch läßt sich vielleicht eine universal-kritische Attitüde durchhalten, aber angesichts der Komplexität sozialer Praxis sind theoretisch bearbeitbare Größen einer Demokratie- und Verwaltungs forschung nicht zu erreichen. Die so konzipierte "Ausweitung des AlternativenRaums unter dem Aspekt sozial ermöglichter Ich-Stärkung" setzt eine wissenschaftliche Verarbeitungs kapazität für nicht mehr übersehbare Probleme voraus, jedenfalls mehr, als nach heutigem theoretischem und methodischem Vermögen zu leisten ist. Die Fehleinschätzung der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit angesichts reformerischer Variationsmöglichkeiten, ihrer Voraussetzungen und Folgen mündet dann in Behauptungen wie: wäre das Prinzip der Sozialstaatlichkeit durchgeführt, wäre das Steuersystem demokratisiert, wären die Bildungs- und Arbeitssituationen mit ihrer Fülle von neurotisierenden und pathologisierenden Folgen demokratiegemäß verändert, dann würden einschlägig'e Organisationen funktionslos und die zugehörigen Berufe arbeitslos. Schließlich heißt es, im "bestehenden Paradigma" seien zureichende Änderungen schwer vorstellbar, blieben illusionäre Vorstellungen von demokratisch-politischer Elite. Wir müssen demgegenüber festhalten, daß nicht alles, was Sozialwissenschaften zur Reform der öffentlichen Verwaltung anfassen, zu Problemen der Demokratie und der demokratischen Persönlichkeit geraten muß. Die Verwaltungsreform umfaßt Probleme der Persönlichkeit und des Personals und weiter formalisierter Entscheidungsprozesse, räumlicher und aufgabenmäßiger Reorganisation, finanzieller Mittelverteilung, des Rechtsschutzes, interner Kontrollen u. v. m., was aus demokratischen 1S"
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Bezugspunkten allein nicht abschließend interpretierbar ist. Die Verwaltungswissenschaft braucht noch andere Fragehorizonte, ohne diese gegenüber der Demokratietheorie endgültig meinen zu müssen. Schließlich benötigt ein wissenschaftliches Gespräch über Verwaltungsreform und Demokratie den Vorbehalt gegen absolute Zugriffe demokratietheoretischer Letztdeutungen. Der Begriff vom Verwaltungsmann als eines Agenten hat Verfassungsgeschichte - auch bei Rousseau findet sich dieser Ausdruck. Die Vorstellung von der öffentlichen Verwaltung als einer Agentur hat schon zu mancher leerformelhaften Einordnung verführt. Der "Diener der Gesamtheit" ist in der marxistischen Doktrin zum Agenten der ökonomisch herrschenden Klasse geworden. Auch heute - angesichts der "veränderten Stellung der Staatsbürokratien in der spätkapitalistischen Industriegesellschaft" - scheint sich daran im Grunde nicht viel zu ändern. Es geht nicht darum, die vielfältigen und problematischen Interdependenzen zwischen öffentlicher Verwaltung und anderen sozialökonomischen Handlungssystemen aufzudecken, sondern letzten Endes wird auf die einseitige Abhängigkeit vom "kapitalistischen Gesamtinteresse" zugeschnitten. Was sonst als Machtzuwachs der Verwaltung kritisiert wird, ist dann am Schluß der Manipulationsspielraum, um die private Form der Kapitalverwertung zu sichern und die Loyalität der Massen an diese Form zu binden13 • Nun gibt es, seit wir einen bürokratischen Sozialismus als gesellschaftlichen Sachverhalt beobachten können l 4, ein interessantes Erfahrungsmaterial zu Ökonomismushypothesen über die Verbindung von Wirtschaftssystem und Verwaltung. Indes zeigt schon der semantische Zusammenhalt des Bürokraten mit dem Agenten, daß die Komplexität öffentlicher Verwaltung unterschätzt wird. Aus dem Begriff der Bürokratie läßt sich der herrschaftliche Selbstbezug nicht streichen, und Agentur meint die Erledigung von Geschäftsaufträgen im Interesse anderer. Man ist schon durch den alltäglichen Sprachgebrauch zu dem Versuch gedrängt, ob sich wissenschaftlich unter Verwaltungsreform im Sinne der Demokratie nicht noch andere Beziehungsgefüge ins Blickfeld rücken lassen, als das eines bloßen Wirkungsweges der Sicherung von Kapitalverwertungsmöglichkeiten. Doch die Methodik des absoluten Zugriffs legt die Perspektive abschließend fest. Für weitere wissenschaftliche Unternehmungen wird die einschlägige Doktrin "funktionslos". Vom absoluten neomarxistischen Interpretationsschema 13 Vgl. etwa Joachim Hirsch, Wissenschaftlich-technischer Fortschritt und politisches System: Organisation und Grundlagen ad"ninistrativer Wissenschaftsförderung in der BRD, Frankfurt/M. 1970, bes. S. 55 ff., S. 241 ff. 14 Zur Einführung aus demokratietheoretischer Sicht vgl. Iring Fetscher, Die Demokratie: Grundfragen und Erscheinungsformen, Stuttgart/Berlin/ Köln/Mainz 1970, bes. S. 62 ff.
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her sind die behaupteten Zustände der Staatsbürokratie, gemessen an der immanenten Logik des monopolistischen Kapitalismus, in der gegebenen historischen Situation eben notwendig. Modelle einer demokratisch reformierten Verwaltung sind für sich sinnlos. Die Produktionsund Verwertungsverhältnisse müssen geändert werden. Für Verwaltungsreform und Demokratiediskussion ist demgegenüber zu besorgen, daß nicht nur andere Eingangsgrößen des Verwaltungssystems theoretisch beachtet werden, sondern daß die unauflösbaren Kontroversen ökonomistischer Letztdeutungen nicht obendrein daran hindern, die ökonomischen Abhängigkeiten öffentlicher Verwaltung in unserer Gesellschaft selbst aufzudecken.
n. 1. Nach diesen wegen der epistemologischen Beschaffenheit eInIger Demokratietheorien erforderlichen Vorbemerkungen können die Bezugspunkte administrativer Wirklichkeiten und reformerischer Möglichkeiten öffentlicher Verwaltung für die Demokratiediskussion der Sache nach überprüft werden. Nach wie vor weitreichende Erklärungskraft zu maßgeblichen Konturierungen von Verwaltung und Demokratie gewinnt man, wenn man auf unsere tradierten Lehren zu einer demokratisch legitimierten Verwaltung zurücksieht. Dabei lassen sich Namen wie die Kelsens und der Wiener Rechtsschule 15 nennen, um umfassendere wissenschafts- und staatstheoretische Zusammenhänge beispielhaft zu machen. In jener Interpretation entspricht einer demokratischen Gesetzgebung eine autokratische Verwaltung. Der immanente Sinn der Verwaltung ist Vollziehung und im besonderen in der Demokratie Vollziehung des im Gesetze geformten Volkswillens. Die autokratische, d. h. von der demokratischen Gesetzgebung streng abhängige Verwaltung wird so zu einem Werkzeug der Demokratie. Hingegen droht in der demokratisierten Verwaltung durch die partialen politischen Willensbildungen der Wille des Ganzen paralysiert zu werden. Administrative Sonderpolitiken gefährden die Herrschaft des Volkes, wie sie in der legislativen Gesamtwillensbildung zum Ausdruck kommt. Demokratie und Bürokratie sind dann letzten Endes keine Gegensätze. Die Bürokratisierung kann vielmehr die Aufrechterhaltung der Demokratie bedeuten. 15 Vgl. Hans Kelsen, Demokratie, in: Demokratie und Sozialismus Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von Norbert Leser, Dannstadt 1967, S. 22 ff.; Adol! Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, Nachdruck der Ausgabe 1927, Dannstadt 1969, S. 334 ff.; ferner ders., Demokratie und Verwaltung, Wien/Leipzig 1923.
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Uns interessiert an dieser Stelle noch nicht der demokratische Zentralismus, und auch das klassische Thema: Gesetz und Verwaltung können wir in seiner Vielschichtigkeit nicht würdigen. Die vorrangige überlegung gilt der Relation zwischen Parlament und Administration, zugespitzt auf das Problem, wieweit der parlamentarische Gesetzgeber seine demokratische Legitimation auf eine exekutivische Verwaltung ü berträgtt 6 • Verwal tungswissenschaftlich-entscheidungstheoretisch formuliert heißt dies, wieweit das Parlament die öffentliche Verwaltung durch positiv-gesetzliche Programme steuert. Daß darauf nur im Sinne begrenzter Möglichk€iten geantwortet werden kann, wollen wir mit dem Hinweis auf jenes Handlungssystem belegen, das in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte maßgeblich an der Erstellung rechtlicher Verwaltungsprogramme mitgewirkt hat, nämlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Ihr Einfluß ist in einer Betrachtungsweise gek€nnzeichnet, die auf die Frage nach dem "Imperium in der Verwaltung" einen wesentlichen, sogar den eigentlich autoritativen Bestandteil dieses Imperiums der Gerichtsbarkeit anvertraut sieht17 • Während also die Verwaltungs gerichtsbarkeit in Ausformung eines demokratietheoretischen Musters administrativer Exekution positiv-gesetzlicher Programme eigentlich auf einen engeren Kontrollbegriff des judikativen Vergleichs zwischen legislativ gesetzten Sollwerten und administrativ vollzogenen Istwerten beschränkt sein müßte, erleben wir sie im weiteren Sinne als Social control: soziale Beeinflussung, Steuerung, Herrschaft, Machtausübung. Hiernach muß sich jede Demokratiediskussion, die bei der Wirklichkeit heutigen administrativen HandeIns ansetzen will, um die Möglichkeiten einer reformierten Verwaltung zu reflektieren, vom Muster einfacher Steuerketten lösen. Die öffentliche Verwaltung unterliegt mehrfachen - und wie sich immer deutlicher zeigen wird: komplizierten und komplexen - Wirkungswegen. Wir wollen dies noch kurz am Fall einer anders angelegten Verwaltungsführung nachweisen. Der Erklärungszusammenhang von demokratisch-politischer Willensbildung und administrativ-exekutivem Willensvollzug ist auch für Verwaltungssysteme in Anspruch genommen worden, die in einer anderen als unserer Verwaltungstradition stehen t8 . Freilich fließen dann wiederum andere soziale Grundformen ein, also in Nordamerika etwa auch die: 15
Zu
Gesetzmäßigkeitsprinzip und
Parlament/Exekutive-Relation
vgl.
Dietrich Jesch, Gesetzgebung und Verwaltung: Eine Problemstudie zum Wandel des Gesetzmäßigkeitsprinzips, Tübingen 1961, S. 171 ff. 17 Vgl. Werner Weber, in der Aussprache über: Verwaltung und Verwal-
tungsrechtsprechung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 14, S. 188 ff. 18 Vgl. Frank J. Goodnow, Politics and Administration: A Study in Government (1900), New York 1967.
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"The field of administration is a field of business". Entsprechend erhält das Programm, durch das das demokratisch legitimierte Parlament die Administration steuert, eine andere Struktur. Es geht nicht mehr primär um die Rationalität eines gesetzlich durchnormierten Wenn-DannSchemas: Wenn die und die Voraussetzungen vorliegen, dann hat in gesetzgeberisch bestimmter Konsequenz das und das administrative Verhalten zu folgen. Vielmehr wird anstelle konditionaler Programmierung die finale eines Zweck-Mittel-Schemas dominant. Die parlamentarisch-politische Instanz legt die Ziele- und Mittelrahmen administrativ-exekutiven HandeIns fest. Der Sachverstand des Verwaltungsmannes äußert sich so nicht in den normativ-subsumierenden Leistungen, sondern in der ökonomischen Kombination von Mitteln mit Zwecken. Im Vollzug des finalen Programms wird die demokratische Legitimation des Parlaments auf die öffentliche Verwaltung übertragen. "Democratic control is budgetary controP9." Auch insoweit wollen wir hier nicht auf das kommunikative Bestimmungsvermögen konditionaler oder finaler Programmierungen selbst eingehen, sondern eine soziale Kraft kennzeichnen, die auch bei uns, in Nordamerika aber in spezifischer Weise auf die öffentliche Verwaltung einwirkt, nämlich die intermediären Interessenorganisationen2o • Der Einfluß organisierter Interessen ist dort in einer allgemeinen gesellschaftlichen Struktur des Gruppenpluralismus abgestützt. Er stößt auf eine Verwaltung, die sich angesichts der größeren Offenheit nach einem Zweck-Mittel-Schema zu lösender, denn gesetzlich durchnormierter Handlungssituationen in der politischen Umwelt abstützen muß. Die Art und Weise der Verwaltungsorganisation - Dezentralisierung, aufgabenmäßige Spezialisierung - bietet interessierten Gruppen einen deutlichen Ansatzpunkt. Einwirkungen nehmen teils den direkten Weg in die Verwaltung, teils, insbesondere bei der Budgetierung, den Umweg über parlamentarische Gremien. Im politischen Gesamtprozeß können Formen des Zusammenwirkens von Administration und Interessenorganisation entstehen, die eine Interpretation dahin nahelegen, daß die Verwaltung selbst nichts anderes als 19 Vgl. Ludwig von Mises, Bureaucracy, New Haven 1944, S. 43; zur Entwicklung der Verwaltung in den Vereinigten Staaten von Amerika vgl. Fritz Morstein Marx, Amerikanische Verwaltung: Hauptgesichtspunkte und Probleme, Berlin 1963. 20 Vgl. zur Einführung John M. PfiffnerlRobert Presthus, Public Administration, 5. Aufl., New York 1967, S. 148 ff.; bes. Pendleton Herring, Public Administration and the Public Interest, (1936) New York 1967; Philipp Selznick, TVA and the Grass Roots: A Study in the Sociology of Formal Organization, Berkeley/Los Angeles 1953; ferner FTitz Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, Konstanz 1970, S. 32 mit weiteren Nachweisen.
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Vertreter der Gruppen sei, in deren Interessenbereich sie nach ihren Aufgaben operiert. In modifizierter Weise ist der Einfluß von Interessenorganisationen als Eingangsgröße des Verwaltungssystems für unsere Verhältnisse zu berücksichtigen, wieweit wir dabei Entwicklungen der nordamerikanischen Demokratiediskussion von der Konzeption sich ausgleichender Gruppeninteressen über das Modell der Konkurrenz plural er Eliten bis zur Kritik einer oligarchischen Führungsschicht auch folgen mögen21 • Entsprechend bleibt die Steuerung der öffentlichen Verwaltung durch die Gerichtsbarkeit maßgeblich, mögen auch die Versuche der "Synthese von Rechtsstaat und Demokratie" - das ist nach der modernen Verfassungslage ein vordringliches Problem22 - heute eine interessante Wendung erfahren, da Demokratisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit verlangt wird 23 und sich unter dem demokratischen Paradigma Stimmen erheben, die die Stärkung der parlamentarischen Gesetzgebung fordern, wie Stimmen laut werden, die für die Emanzipation des Richters und für emanzipatorische Rechtsfindungsprozesse plädieren, da die Unfähigkeit des Parlaments, soziale Probleme richtig zu lösen, ohnehin offenkundig sei. Für unser Thema müssen wir indes, nachdem wir die Pluralität der Umwelteinwirkungen auf die öffentliche Verwaltung angedeutet haben, noch auf ein weiteres Moment aufmerksam machen, nämlich auf die Selbststeuerungen des Verwaltungssystems. Die Selbststeuerungen der öffentlichen Verwaltung unterliegen bei uns etwa im Vergleich zu dem oben genannten gerichtlichen Handlungssystem unterschiedlichen Neigungen theoretischer Behandlung, die nicht allein aus verschiedenen sozialen Funktionen des Entscheidungsverhaltens zu erklären sind. Während die eigenständigen Handlungsanteile der Gerichtsbarkeit bei der Entwicklung und Konkretisierung rechtlicher Verhaltensmuster zu immer neuen wissenschaftlichen Legitimationsversuchenangeregt haben, werden administrative Selbständigkeiten in Formulierungen wie Selbstführung des Verwaltungsapparates, Verwaltungsstaat, Herrschaft der Dienenden und weiter Gewichtsverlagerung zu Gunsten der Administration, Machtzu21 Zu einer kritischen Einführung in die nördamerikanische Demokratiediskussion vgl. Wolf-Dieter Narr/Frieder Naschold, Theorie der Demokratie - Einführung in die moderne politische Theorie, Bd. III, Stuttgart/Berlin/ Köln/Mainz 1971; zu verwaltungswissenschaftlichen Aspekten des Demokratiethemas vgl. Public Administration and Democracy: Essays in Honor of Paul H. Appleby, hrsg. von Roscoe C. Martin, Syracuse/New York 1965. 22 Vgl. Werner Kägi, Rechtsstaat und Demokratie (Antinomie und Synthese), in: Demokratie und Rechtsstaat, Festgabe zum 60. Geburtstag von Zaccaria Giacometti, Zürich 1953, S. 107 ff. 23 Vgl. Carl Hermann Ule, Demokratisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit?, in dieser Festschrift.
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wachs der Verwaltung, Verlagerung der wichtigsten Entscheidungen in die Verwaltungs ebene nicht nur tendenziell negativ thematisiert, sondern manchmal sogar theoretisch überhaupt verdrängt. Die Warnung vor wissenschaftlichen Argumentationsweisen nach der Art, "daß nicht sein kann, was nicht sein darf"24, haben demgegenüber nicht immer genutzt. Dabei scheint es heute nicht nur wegen der quantitativen Ausweitung der öffentlichen Verwaltung erforderlich, daß wir dieses System menschlich-gesellschaftlichen - und damit nicht festgelegten und sozial nicht absolut festlegbaren - Handeins weiter überprüfen, als es in dem Zugeständnis zum Ausdruck kommt, die Bürokratie habe heute Herrschaft, ohne diese recht zu wollen25 . Gerade eine Demokratietheorie, die die Verwaltungsreform mitmeint, muß auch qualitativen Veränderungen auf der Spur bleiben. Sie muß verfolgen, ob und mit welchen Konsequenzen für die Verwaltungen und dann für Parlamente, Kabinette, Gerichte usw. sich das Politische - wie sie es meint - verschiebt, etwa von der Wahl zwischen allgemeinen und abstrakten Wertalternativen auf die besonderen und konkreten Konfliktsfälle 26 . Erfahrungen wie die, daß gewisse Gruppen von Verwaltungsleuten sich immer mehr für die langfristigen Perspektiven öffentlichen Handeins interessieren, während gewisse Gruppen von Parlamentariern sich immer weniger dafür engagieren lassen, gehen Demokratie- wie Verwaltungsforschung gleichermaßen an. 2. Wir haben bisher einen zwar demokratietheoretisch besonders relevanten, insgesamt aber nur bescheidenen Ausschnitt aus den komplexen und komplizierten Wirkungswegen öffentlicher Verwaltung skizziert. Aber schon diese Pluralität von Umwelteinflüssen auf das Verwaltungshandeln und dazu die administrativen Selbststeuerungen können die öffentliche Verwaltung als ein großes System der Fremdbestimmung über den Menschen in der verwalteten Welt erscheinen lassen. Bemängelt man Inauthentizität, Entfremdung, repressives Handeln als Formen des heutigen politischen Lebens, dann gelten diese Vorwürfe besonders den Staatsbürokratien, und gerade ihnen gegenüber werden die Forderungen der Emanzipation, der Partizipation, der antiautoritären Verhaltensweisen erhoben und mit anderem mehr zum Postulat einer Demokratisierung der Verwaltung verwoben. Vom Erkenntnisinteresse einer integrierenden Verwaltungswissenschaft her lassen sich solche Wertvorstellungen nur zu einem gewissen Maß ver24 Vgl. Hans Peters, Der Kampf um den Verwaltungsstaat, in: Verfassung und Verwaltung in Theorie und Wirklichkeit, Festschrift für Wilhelm Laforet, München 1952, S. 19 ff. 25 Vgl. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965, S. 280. 26 Vgl. Rolf-Richard Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung, Konstanz 1969, S. 16 ff. .
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folgen, jedenfalls, wenn man die kulturellen und zivilisatorischen Lebensstandards einer Industriegesellschaft als mitgewünscht voraussetzt. Denn die Verwaltungswissenschaft interessiert die Frage, wie die Demokratie als Organisation der öffentlichen Verwaltung, als administratives Entscheidungshandeln eingerichtet ist oder wie sie sich besser besorgen läßt. Wo der "Prozeß der Selbstbefreiung des Menschen von den unbegriffenen Mächten" theoretisch so weiter geschrieben wird, daß er in bloßen Leerformeln von der Identität der Verwalteten und der Verwalter mündet, lassen sich Organisations- und Entscheidungsmodelle, die zwar nicht auf die Realität öffentlicher Verwaltung festgelegt sind, aber Realis~erbares im Rahmen sozialer Möglichkeiten unserer Zeit meinen, nicht mehr wissenschaftlich konzipieren. Wie beschränkt die Möglichkeiten einer identitär-demokratischen Verwaltung in einem Staat sind, der für Vollbeschäftigung sorgt, Wirtschaftskrisen verhindert, gefährdete Wirtschaftszweige fördert, die Währung aufrecht erhält, Bildung und Ausbildung verschafft, Pflege von Kranken und Alten übernimmt, die Jugendlichen betreut, sich um die Freizeitgestaltung kümmert, Wohnungen und Verkehrswege baut, Energie produziert, Wasser schützt, Rechtsschutz gewährt, vielfältige Auslandsbeziehungen pflegt usf., kann man wohl noch ehestens aus Erfahrungen eines Landes beurteilen, das wie die Schweiz eine Tradition direkter Demokratie hat. Hier hat man dann die Basis für eine theoretische Position, die sich gegen eine "reine" Demokratielehre wendet, in der Behörden bloß Ersatz, Notlösung, "gelebtes Sinnbild verhinderter Volkssouveränität", "die großen Entmündiger" sind 27 • Wir wollen es indes nicht bei jenen Erfahrungen bewenden lassen, sondern die organisations- und entscheidungstheoretisch faßbaren Gegenstände radikaler Demokratiediskussion auf die öffentliche Verwaltung und ihre Reform beziehen. Nachvollziehbare Aussagen finden sich insoweit vor allem im rätedemokratischen Mode1l 2B • Insoweit geht es nicht darum festzustellen, ob in den einschlägigen historischen Anschauungsfällen entgegen der Rätekonzeption Mobilisierung von ,oben, Fraktionierung, Oligarchisierung angelegt waren und warum räte demokratische Unternehmen scheiterten29 • Vielmehr soll darauf aufmerksam gemacht wer!7 Vgl. Kurt Eichenberger, Leistungsstaat und Demokratie, Basel 1969, bes. S. 18. 28 Vgl. zu einer Einführung Oskar Anweiler, Der revolutionsgeschichtliche Zusammenhang des Räteproblems; Peter Lösche, Rätesysteme im historischen Vergleich; Wilfried Gottschaleh, Modelltheoretische Darlegungen zum Problem der Rätedemokratie; Bernd Rabehl, Thesen zur Rätedemokratie; Udo Bermbach, Rätesysteme als Alternative? - Zum Repräsentationscharakter direkt-demokratischer Organisationsprinzipien; 'Jürgen Fijalkowski, Bemerkungen zu Sinn und Grenzen der Rätediskussion; alle in: Politische Vierteljahresschrift 1970, Sonderheft 2, Probleme der Demokratie heute, Räte als politisches Organisationsprinzip, S. 53 ff.
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den, daß sich Rätegedanken uns'erem heutigen Verwaltungssystem gleichsam als Folie unterlegen lassen. Denn das Rätemodell will ja ein Optimum demokratischer Selbstbestimmung der Menschen über ihre gemeinsamen Geschicke, die "Rücknahme der Staatsgewalt in die Gesellschaft" darstellen. Insoweit bietet es ein Reflexionsschema über öffentliche Verwaltung und Demokratie. Das Rätemodell ist durch folgende für uns aufschlußreiche Strukturen der Organisation und Entscheidungsprozesse gekennzeichnet. Die Bürger treten in identitär-demokratischen Basisgruppen, vorzüglich um einen Betrieb, zusammen. Diese direkten politischen Aktionseinheiten haben totale Kompetenz. Nur soweit Aufgaben von der Urwählerschaft nicht erfüllt werden können, werden sie an Räte und gegebenenfalls stufenweise an übergeordnete Räte, deren Wahl mittelbar ist, delegiert. Mandatsträger sind an v', .:!hleraufträge gebunden und jederzeit abberufbar. Alle Ämter werden durch Wahl vergeben. Ehrenamtlichkeit, jedenfalls Festlegung des Einkommens auf den Durchschnitt der Urwählerschaft, vor allem Ämterrotation sind vorgesehen. Schon aus dieser Skizze erhellt, was am Rätemodell sogleich zur prinzipiellen Widerlegung führt: der gemessen an der Komplexität unserer Gesellschaft geringe Grad an sozialer Ausdifferenzierung. Wenn man nur auf den heutigen Handlungszusammenhang von Demokratie und Verwaltung abstellt - parlamentarische Repräsentationsorgane mit freiem Mandat, besondere Politikerkarrieren, politische Regierungs- und Verwaltungsspitzen, bürokratische Verwaltungsapparate mit Mustern professionaler Laufbahnen, gegenübergestellte richterliche Kontrollgewalten, föderale Gliederung, kommunale, soziale, wirtschaftliche, wissenschaftliche Selbstverwaltung, institutionalisierte Parteien und Interessenverbände, organisierte Interventionen, Lenkungen, Umverteilungen gegenüber dem Publikum mit mannigfachen Rückkoppelungen -, dann ist nicht zu übersehen, daß sich die Verhaltensweisen einer hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaft auch als Zerlegung politisch-demokratischer Prozesse äußern. Kein Bürger hat die Informationsaufnahme- und Informationsverarbeitungskapazität für öffentliche Probleme, wie sie in den politisch-administrativen Systemen des Bildungs-, Verkehrs-, Finanz-, Polizei-, Verteidigungs-, Sozialversicherungssektors29 Vgl. dazu noch Udo Bert;nbach, Das Scheitern des Rätesystems und der Demokratisierung der Bürokratie 1918/19, in: Politische Vierteljahresschrift 1967, S. 445 ff.; Eric Era, Alle Macht den Räten? 2. Aufl., Frankfurt/M. 1969; Peter von Oertzen, Betriebsräte in der Novemberrevolution: Eine politikwissenschaftliche Untersuchung über Ideengehalt und Struktur der betrieblichen und wirtschaftlichen Arbeiterräte in der deutschen Revolution 1918/19, Düsseldorf 1963; Gerhard A. Ritter, "Direkte Demokratie" und Rätewesen in Geschichte und Theorie, in: Die Wiedertäufer der Wohlfahrtsgesellschaft: Eine kritische Untersuchung der "Neuen Linken" und ihrer Dogmen, hrsg. von Erwin K. Scheuch, Köln 1968, S. 188 ff.
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usf. gelöst werden müssen. Die Ergebnisse vo~ Systemanalysen zur Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft, vor allem auch in den Bereichen von Politik und Verwaltung30 , und der dadurch erbrachten sozialen Leistungen lassen den Schluß zu, daß die einmal in Gang gesetzte Rätedemokratie alsbald an ihren systemimmanenten Schwierigkeiten scheitern müßte. Als Reflexionsschema bringt das Rätemodell jedoch ins Blickfeld, daß unser System öffentlicher Verwaltung gegenüber einem partizipatorischen Demokratieverständnis mit Gründen differenzierender Arbeitsteilung gerechtfertigt werden kann. Die Zerlegungen des politischadministrativen Gesamtgeschehens - und deren theoretische Begründungen - bilden Bezugspunkte für die Diskussion von Verwaltungsreformen im Sinne der Demokratie, und zwar im großen wie im kleinen: der Abhebung der Politik von der Verwaltung, wie der Abtrennung von Sonderbehörden aus dem allgemeinen Behördensystem. Wir haben strukturell differenzierte Bereiche, die einmal mehr Machtbildung, Interessenartikulierung, Konsensbeschaffung besorgen, zum anderen mehr nach Maßgabe konditionaler und finaler Programme Entscheidungen produzieren. Aber gibt es nicht auch Stellen, wo demokratisches Handeln unnötig hinter den Erfordernissen von Planung und Entscheidung zurücktritt - und die Theorie es unnötig zurücktreten läßt31 ? Wir haben Verwaltungsaufgaben von so spezifischen Anforderungen der Informationsbeschaffung und -verarbeitung, daß sie in Sonderbehörden organisiert werden müssen. Aber gibt es nicht auch Instanzen, die ihre Wissens- und Informationsvorsprünge unnötig von den allgemeinen politischen Kontrollen separieren? , Einem ihrer Hauptprobleme begegnet die Organisationstheorie in der dezentralen Strukturierung des Rätesystems. In der von unten nach oben organisierten rätedemokratischen Pyramide mit der kompetenten Urwählerschaft als Basis findet sich das Merkmal der Weisungsunabhängigkeit, nach dem Dezentralisation von Zentralisation zu unterscheiden ist, und das sich aus vielfältigen Erscheinungen öffentlichen Handeins abstrahieren läßt. Wiewohl es mithin um eine altvertraute Frage auch unserer Staatspraxis geht, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik unter das Thema der "Verwaltungsreform als Aufgabe der Demokratie"32 gefaßt wurde, scheint es erforderlich, auf die demo30 Vgl. Niklas Luhmann, Soziologie des politischen Systems, in: Soziologische Aufklärung - Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, Köln/Opladen 1970, S. 154 ff.; ders., Politische Planung, in: Politische Planung - Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1971, S. 66 ff. 31 Vgl. dazu Frieder Naschold, Demokratie und Komplexität: Thesen und Illustrationen zur Theoriediskussion in der Politikwissenschaft, in: Politische Vierteljahresschrift 1968, S. 506 ff.; Niklas Luhmann, Komplexität und Demokratie, in: Politische Vierteljahresschrift 1969, S. 314 ff. 32 Vgl. die gleichnamige Schrift von earl Herz, Berlin 1927.
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kratietheoretischen Spannungslagen zentraler und dezentraler Systeme aufmerksam zu machen. Das Muster der Teilnahme in Basisgruppen, wie es sich aus dem rätedemokratischen Modell ergibt, muß ein partizipatorisches Demokratieverständnis zu der Intention führen, politischadministrative Beteiligungsmöglichkeiten durch Dezentralisierung zu verbessern33 • Traditionelle Selbstverwaltungsbereiche wie Universitäten wären zu stärken, neue teilautonome Bereiche in Schulen, öffentlichen Betrieben einzurichten. In einem weiteren partizipatorischen Sinne wäre ferner an die Delegation von Aufgaben an Länder und Kommunen mit ihren Parlamenten wie an Sonderbehörden zu denken, die sich dem Einfluß der von ihrem Handeln betroffenen Gruppen auszusetzen hätten. Solche Konzeptionen entsprechen praktischen Reformvorhaben. Die Verwaltungsreform ist nicht nur Territorialreform. Im Namen der Demokratie geht die Reformabsicht dahin, Aufgaben an die Basis des Verwaltungsgeschehens zu verlagern, insbesondere den kommunalen Bereich zu stärken. Entsprechend wird von Kompetenzverschiebungen vom Bund auf die Länder im Rahmen der Verfassungsreform gesprochen. Die Universität erhält neue Freiräume der Budgetierung. In der Schule wird der Einfluß von Eltern und Schülern formalisiert. In den öffentlichen Unternehmungen sucht man Partizipation informal durchzusetzen. Hiernach müssen wir die demokratietheoretische Gegenrechnung aufstellen. Syndikalistische Maßstäbe der Basisgruppen und damit der Zwang des Zusammenschlusses zu größeren Aktionseinheiten ergeben ein vielschichtiges Zentralismusproblem für das Rätesystem. Es hat auch eine demokratische Seite. Von der Avantgarde kommunistischer Parteien wurde diese mit dem Anspruch, für das Volk zu herrschen, im Sinne des demokratischen Zentralismus gelöst. Für uns bleibt eine demokratische Spannungslage von dezentral formulierten Partikularinteressen und zentral formulierten Gesamtinteressen. Das eine kommt partizipatorischem, das andere egalitärem Demokratieverständnis näher. Freilich fließen beim Ruf nach Zentralisierung öffentlichen HandeIns vielseitige Erfahrungen einS'. Jedoch zeigen manche Reformen in der Bundesrepublik egalitäre Züge. Die Aufgabenverlagerung von den Ländern auf den Bund steht unter dem Vorzeichen der "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" im gesamten Bundesgebiet. Der Rätegedanke dezentraler Organisation weist demgegenüber auf die 33 Vgl. Udo Bermbach, Rätesysteme als Alternative? Zum Repräsentationscharakter direkt-demokratischer Organisationsprinzipien, a.a.O., S. 130; zur Dezentralisierung in demokratietheoretischer Absicht vgl. ferner Fritz Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, a.a.O., S. 82. 3f Vgl. z. B. für die nordamerikanische Situation Theodore J. Lowi, The End of Liberalism: Ideology, Policy, and the Crisis of Public Authority, New York 1969.
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demokratischen Möglichkeiten des Föderalismus und der Selbstverwaltung hin. Von aufschlußreicher entscheidungstheoretischer Relevanz ist der rätedemokratische Gedanke direkter Informations- und Kommunikationsstrukturen zwischen Urwählern und Amtsträgern, die durch gebundenes Mandat, permanente Kontrolle und "recall" gewährleistet sein sollen. Wir können hier aus d€n Erfahrungen der Verwaltungspraxis und den Erkenntnissen der Verwaltungswissenschaft darauf hinweisen, daß Ansprüche solcher imperativen Steuerung, die gegenüber der öffentlichen Verwaltung traditionell in den verschiedensten Formen erhoben werden, nur beschränkt einlösbar sind. Oben ist auf die administrativen Selbststeuerungen aufmerksam gemacht worden. Man muß dazu berücksichtigen, daß auch die strenge hierarchische Anbindung der Verwaltung an ihre jeweilige politische Spitz'e keine absolute Festlegung des Verwaltungsgesch€hens bedeutet. Weisungsbefugnis, Evokationsrecht, Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht, Beanstandungsrecht, Kassationsrecht zusammen mit den zugehörigen Sanktionen stellen ein vielfältiges hierarchisches Steuerungsinstrumentarium dar, das aber nicht jene Direktheit bewirkt hat, wie sie d€r Rätegedanke vorstellt. In der Verwaltungstheorie versucht man es angesichts der Offenheit administrativer Entscheidungsmuster mit neuen Führungsmodellen des Management by objectives oder Management by exC€ption. Die Verwaltungspraxis vertraut meistens schlicht auf die physische und psychische Disposition ihrer Führungskräfte zu ständigem Krisenmanagement. In der Tat beruht es auf der begrenzten Determinierbarkeit sozialer Kommunikation schlechthin, daß Selbststeuerungen in menschlich-gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen unvermeidbar sind. Das Rätemodell verdeckt mit höchst unzulänglichen Mitteln gerade zwei Grundprobleme der Selektion von Informationen öffentlicher Verwaltung, nämlich mit der Doktrin vom "neuen Menschen" und der von der "überparteilichkeit" des Handelns 35 • Ein Vergleich des kommunikativen Grundmusters jenes marxistischen Menschen, der heute dies, morgen jenes tut, morgens jagt, nachmittags fischt, abends Viehzucht treibt, nach dem Essen kritisiert, wie er gerade Lust hat, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden, mit dem Muster des professional sachverständigen Verwaltungsmannes kann hier beiseite bleiben. Für Verwaltungs reform und Demokratiediskussion ist der weiter genannte Rätegedanke interessanter, was schon daraus erhellt, daß in anderer demokratietheoretischer Perspektive "überparteilichkeit" als 35 Vgl. zu letzterem bes. Udo Bermbach, Rätesysteme als Alternative? Zum Repräsentationscharakter direkt-demokratischer Organisationsprinzipien, a.a.O., S. 115 ff.
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"Lebenslüge des Obrigkeitsstaates" bezeichnet worden ist36 • Die Verwaltung verarbeitet Informationen nach vorgegebenen Gesetzen und Plänen. Aber diese konditionalen und finalen Programme sind keine geschlossenen Schemata für die Auswahl von Nachrichten. Die Verwaltung ist weiter nicht nur ihr eigener Informant, sondern auch ein maßgeblicher Informant der Minister, politischen Verwaltungs spitzen, Regierungen, Parlamente, Parteien usw. Sie ist in die Prozesse der Programmaufstellung eingeschaltet, entwickelt eigene Initiativen und vermittelt Programmanstöße aus dem Publikum in die politische Willensbildung37 . In solchen offenen Wirkungswegen bestehen Bezugspunkte für die demokratietheoretische Erörterung von Verwaltungs reformen. Wenn die Korrelativität politisch-administrativen HandeIns Doktrinen der überparteilichkeit nicht realisierbar erscheinen läßt, dann sind parteiliche Einflüsse in Rechnung zu stellen, und vielleicht stellt die schärfer formalisierte Ausdifferenzierung einer Klasse von "politischen" Beamten gegenüber den Laufbahnbeamten eine Verbesserung gemessen an dem heute mehr informalen Zustand dar. Wir müssen es bei diesen Versuchen, das Rätemodell als Reflexionsschema für unser Thema zu nutzen, bewenden lassen. Eines ist dabei sicher: die Idee der "Demokratie ohne Behörden" hat keine Verwirklichungschancen in unserer hocharbeitsteiligen Leistungsgesellschaft. Mit den historischen Anwendungsfällen rätedemokratischer Gedanken war demgemäß auch die Tendenz zum Aufbau bürokratischer Apparate verbunden38 . Und unternimmt man es darüberhinaus, die Konturen eines Rätemodells weiter auszuzeichnen, dann lassen sich kl'eine und große Bürokratien bis hin zu den Super apparaten "zentraler Planungsbüros"39 vorstellen, deren scheinbare überparteilichkeit der Datenermittlung und -verarbeitung wohl selbst den Automationsfachmann der öffentlichen Verwaltung stutzig machen würde, der jetzt noch in Computergläubigkeit von der sozialen Neutralität seines Tuns überzeugt ist. Aber wenden wir uns der Demokratie mit Behörden von heute zu und versuchen wir noch zwei demokratietheoretische Bezugspunkte für die Verwaltungsreform stärker zu markieren, deren Bedeutung heute wohl noch nicht genügend erkannt ist. se Vgl. Gustav Radbruch, Die politischen Parteien im System des deutschen Verfassungsrechts, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hrsg. von Gerhard Anschütz und Richard Thoma, Erster Band, Tübingen 1930, S. 289. 37 Vgl. Thomas Ellwein, Formierte Verwaltung Autoritäre Herrschaft in einer parlamentarischen Demokratie, a.a.O., S. 55; Rolf-Richard Grauhan, Modelle politischer Verwaltungsführung, a.a.O., S. 11 ff. S8 Vgl. Gerhard A. Ritter, "Direkte Demokratie" und Rätewesen in Geschichte und Theorie, a.a.O., S. 211. 89 Vgl. Bernd Rabehl, Thesen zur Rätedemokratie, a.a.O., S. 105 f.
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1. Begreifen wir die hochdifferenzierte Leistungsgesellschaft als sozialen Grundtatbestand öffentlicher Verwaltung, dann folgt, daß die dominante politisch-demokratische Steuerung des Verwaltungssystems wiederum aus anderen ausdifferenzierten gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen kommen muß, die ihrerseits auf das spezifisch Politische der Bildung von Macht, Artikulierung von Interessen, Beschaffung von Konsens spezialisiert sind. So ist von vornherein mit einer politisch-demokratischen Asymmetrie kommunikativer Beziehungen der Verwaltung mit ihrer Umwelt zu rechnen. Verwaltungsprogramme werden regelmäßig nicht direkt vom Publikum, sondern vor allem durch das Parlament ausgegeben. Entsprechend richten sich viele unserer Reformbestrebungen darauf, die Beziehung: Parlament/Regierung/Verwaltung zu verbessern. Man will das demokratisch legitimierte Parlament instand setzen, die Exekutive zu kontrollieren; man will die politisch verantwortliche Verwaltungsspitze mit einem Instrumentarium ausrüsten, das eine Steuerung administrativen HandeIns gewährleistet. Letzteres ist nicht einfach als Führungsideologie zu interpretieren. Es geht darum, auch in arbeitsteiligen Prozessen die Steuerketten des Politisch-Demokratischen wirksam zu halten. Wenn sich so die reformerischen Absichten auf neue Organisationsstrukturen - Stäbe, Projektgruppen -, neue Programmierungen von Entscheidungen - langfristige, integrierte Planungen -, neue Subsystembildungen - Unterkabinette, gemischte Parlamentarier/Beamten-Gremien -, neue Personalstrukturen - Parlamentarischer Staatssekretär, politische Berater des Ministers - im Bereich von Parlament/ Regierung/Verwaltung konzentrieren, wollen wir andere Regelungsprozesse ins Blickfeld rücken, nämlich die zwischen dem Publikum und der Verwaltung. Partizipatorisches Demokratieverständnis gibt sich nicht mit politischen Mediatisierungen zufrieden, sondern intendiert den unmittelbaren Zugriff des Publikums auf die öffentliche Verwaltung. Für den Gedanken direkterer Einflüsse auf das administrative Geschehen stehen traditionelle Formen wie die der Selbstverwaltung, der Wahl der Beamten, der Mitwirkung von Privaten. Heute wird die partizipatorische Problemstellung auch im Hinblick auf die öffentliche Verwaltung zunehmend ausgeweitet40 • Neue Partizipationsmodelle wie 40 Vgl. das Symposium Alienation, Decentralization, and Participation; HerbeTt Kaufman, Administrative Decentralization and Political Power; S. M. MiUer/Martin Rein, Participation, Poverty and Administration; Michaet P. Smith, Self-Fulfillment in a Bureaucratic Society: A Commentary on the Thought of Gabriel Marcei; Orion F. White, The Dialectical Organization: An Alternative to Bureaucracy; WiUiam G. Scott, Organization Government: The Prospects for a Truly Participative System; Herbert G. WUcox, Hierarchy,
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Bürgerinitiative und bürgerschaftliche Beteiligung an Planungsprozessen 41 mögen dann durchaus noch auf administratives Handeln beziehbar sein. Indes laufen Partizipationsvorstellungen letztlich Gefahr, in der Zweck/Mittel-Relation zu Endzielen zu geraten. Partizipation als demokratisches Maximierungskonzept hört auf, organisierbar zu sein'2. Die Beziehung des Publikums zur Verwaltung unterliegt auch dort, wo sie direkt-demokratisch gemeint ist, eigener Subsystembildungen. Im Bereich kommunaler, wissenschaftlicher usw. Selbstverwaltung richten sich organisatorische Zwischenschichten von politischer Spezifität ein. Wo Bürger sich zur Interessenwahrung gegenüber der Verwaltung organisieren, artikulieren alsbald eigene Verbandsbürokratien die Anteilnahme an den administrativen Entscheidungsprozessen. Wirken Private beim Verwaltungshandeln mit, separieren sie sich nach den Regeln des Verwaltungsverfahrens vom Publikum. Bürgerinitiativen pflegen durch eine Avantgarde vermittelt zu werden, die sich zum Sprecher von der Verwaltung nicht berücksichtigter Interessen macht. Erweiterte Teilnahme bei Planungsprozessen ist schließlich kaum organisierbar ohne Subsysteme räumlicher, fachlicher, statusmäßiger Differenzierungen. Doppelbesetzung, Rotation von Mitwirkenden, Untergliederung bestehender Aktionseinheiten, konkurrierende und beratende Instanzen usw. mögen die Informationsverarbeitungskapazität vergrößern, bedeuten aber nicht die Beseitigung von Mediatisierungen zwischen den Verwalteten und der Verwaltung. Unter diesen Umständen erweist sich ein Blick auf die Handlungssituation als nützlich, in der sich nach der Idee des liberalen Rechtsstaates die Persönlichkeit gegenüber der Verwaltung entfaltet. Es ist dies das Geltendmachen subjektiv-öffentlicher Rechte. Nun müssen wir sehen, daß der Begriff der subjektiv-öffentlichen Rechte derart ausgedehnt ist, daß er verschiedene soziale Funktionen meinen kann: von der allgemeinen Spannungslage zwischen Organisation und Individuum über asymmetrische Leistungszusammenhänge in hochdifferenzierten Gesellschaften bis zur Durchbrechung aktionenrechtlicher Rechtsschutzsysteme 43 • So greifen wir die überlieferte staatstheoretische Einteilung Human Nature, and the Participative Panacea; alle in: 29 Public Administration Review 1969, S. 3 ff.; ferner Robert R. Alford i. V. m. Harry M. Scoble, Bureaucracy and Participation: Political Cultures in Four Wisconsin Cities, Chicago 1969. 41 Vgl. Roland Ecken, Politische Partizipation und Bürgerinitiative, und Peter Dienel, Techniken bürgerschaftlicher Beteiligung an Planungsprozessen, in: Partizipation - Aspekte politischer Kultur, Offene Welt Nr. 101/1970, Opladen 1970, S. 30 ff. bzw. S. 144 ff. 42 Zur Zweck/Mittel-Problematik vgl. auch Otthein Rammstedt, Partizipation und Demokratie, in: Zeitschrift für Politik 1970, S. 343 ff., bes. 354 ff. 43 Vgl. zu einer Einführung Wilhelm Henke, Das subjektive öffentliche Recht, Tübingen 1968. 19 Speyer 50
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Georg Jellineks 44 zwischen negativen, positiven und aktiven Statusrechten nur auf, um ein nachwirkendes Interpretationsschema des Verhältnisses vom Bürger zum Staat mit der partizipatorischen Problematik zusammenzuhalten. In diesem Interpretationsschema bezeichnen negativer wie positiver Status Abgrenzungen des Staates gegenüber dem individuell-gesellschaftlichen Bereich. Einmal geht es um die individuelle Freiheitssphäre, um die Freiheit vom Staat. Zum andern handelt es sich zwar um die rechtliche Möglichkeit, die Staatsmacht für sich positiv in Anspruch zu nehmen; aber im Grunde stehen sich zwei ausgegrenzte Lebensbereiche gegenüber: das Individuum erhebt Forderungen an den Staat. Erst wenn der Bürger im aktiven Status und der ist in dieser Zusammenstellung traditionell umstritten45 - die politischen Wahl- und Stimmrechte ausübt, ist er für den Staat tätig, nimmt er Einfluß auf die Gestaltung der staatlichen Verhältnisse. Demgegenüber läßt sich im Sozialstaat der Daseinsvorsorge Verwaltungsrecht nicht mehr zuerst als "Umzäunung" administrativen Handelns begreifen. Sozial rechtliche Gewährleistungen - das hat die Theorie des sozialen Rechtsstaats herausgearbeitet 46 - gehen in erster Linie nicht auf Ausgrenzung staatlicher und individuell-gesellschaftlicher Sphären, sondern auf Teilhabe, und Teilhabe als Recht meint dann den leistenden, lenkenden, umverteilenden Staat und sein Subsystem: die öffentliche Verwaltung. Das schließt nicht aus, daß subjektiv-öffentliche Rechte negatorische Leistungen erbringen. Das öffentliche Recht hat die Spannungen von Individuum und organisierter Gesellschaft mitzutragen, und auch für unsere strukturell gewandelte Öffentlichkeit sollten wir dies nicht weginterpretieren47 • Aber unsere verwaltete Welt zeichnet sich durch die quantitative und qualitative Vielfalt rechtlicher Möglichkeiten aus, von der öffentlichen Verwaltung ein bestimmbares Handeln zu verlangen. über die Inanspruchnahme dieser Rechte lassen sich soziale Bedürfnisse aus dem Publikum in einer Weise anmelden, die die Teilnahme und die Teilhabe an administrativen Verhältnissen bedeutet. Ist der partizipatorische Aspekt im öffentlichen Recht des Sozialstaates erkannt, dann kann es der einschlägigen Demokratietheorie 44 System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. durchgesehene und vermehrte Auf!., Tübingen 1905. 45 Vg!. Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. neubearbeitete Auf!., I. Bd., Tübingen 1911, S. 331 f. 45 Vgl. bes. Ernst Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaats, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 12, S. 19. 47 Vgl. aber Jürgen Habermas, über den Begriff der politischen Beteiligung, in: ders. u. a., Student und Politik: Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten, 3. Auf!., Neuwied/Rh./Berlin 1969, S. 35 ff.
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nicht mehr gleichgültig sein, ob rechtlich durchformte Verwaltungsaufgaben in der Ministerialinstanz oder an der behördlichen Basis des Verwaltungs geschehens wahrgenommen werden. Man wird eine Verwaltungsreform im Sinne einer "bürgernahen" Erledigung der Verwaltungsgeschäfte verlangen, damit sich das Publikum durch kurze Wirkungswege mit der Verwaltung über Umweltanforderungen und Daseinsbedingungen verständigen kann. Bei einem partizipatorischen Demokratieverständnis muß man weiter darauf achten, auf welche Weise das Verwaltungsverfahren die politisch-demokratischen Einflußchancen des Publikums sichert. Sind es eben nicht nur die von politisch spezialisierten Systemen wie dem Parlament ausgegebenen offenen Entscheidungsprogramme, sondern auch die vom Publikum artikulierten Interessen, die die Prämissen administrativen Handeins bestimmen, dann hat der "due process" einen demokratischen Stellenwert. Und in der Tat muß man feststellen - auch wenn man nicht ganz andere Modelle eines rechtsförmigen Informationsverarbeitungsprozesses öffentlicher Verwaltung intendiert 48 - , daß die ausstehenden Reformen des Verwaltungsverfahrens auch ein demokratisches Defizit administrativen Geschehens darstellen. 2. Nachdem wir die öffentlich-rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten des Publikums auf die Verwaltung demokratietheoretisch kenntlich gemacht haben, wollen wir noch Verhaltensmuster administrativer Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten gegenüber dem Publikum in die Demokratiediskussion einbeziehen. Wir setzen dabei bei Reformkonzepten an, die sich auf den mitgliedschaftlichen Bereich der öffentlichen Verwaltung beziehen. Denn Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht schlagen bis zu den Verwaltungsmitgliedern durch, und vor dem Hintergrund überanstrengter Begrifflichkeiten in der Erörterung mitgliedschaftlicher Demokratisierungen der Administration wird die Relevanz externer Instanzen deutlich. überschläglich geht es bei jenen Reformvorschlägen um drei Fragenkreise. Der erste umfaßt Probleme zwischen Führungsstil und Betriebsklima: die Integration des Geführten in den Führungsprozeß, die "Führung im Mitarbeiterverhältnis" , die kooperativen und kollegialen Arbeitsweisen, die menschliche Entfaltung am Arbeitsplatz usw. Der zweite Fragenkomplex meint die Probleme der Personal- und Berufsvertretungen, insbesondere die Ausweitung der Rechtsstellung des Personalrats und der gewerkschaftlichen Beteiligungen, und weiter die des Streiks. Drittens geht es um die direktiven Mitbestimmungen durch die mitgliedschaftliche Basis oder Gewerkschaftsvertretungen bei der Wahrneh48 Vgl. die vergleichende Studie der deutschen und amerikanischen Verwaltungskontrollen von FTitz Scharpf, Die politischen Kosten des Rechtsstaats, Tübingen 1970.
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mung von Verwaltungs aufgaben selbst, vor allem im Gebiete der kommunalen Versorgungsbetriebe. Das ganze verbindet ein emanzipatorischer Zug von Argumenten der Persönlichkeitsentfaltung, der Befreiung von wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten, des mündigen Menschen. Es bleibt nicht aus, daß das, was der eine als gelungenes Modell der Partizipation bezeichnet, vom anderen als besonders subtile Art der Manipulation von Untergebenen durch die wirklich Mächtigen entdeckt wird, während der Dritte - es handelt sich schließlich um Bürokratien - vom Aushandeln zwischen ernannten, nicht demokratisch gewählten Amtsträgern spricht48 • Hiernach müssen wir auf eine Systemgrenze aufmerksam machen, die bei der Diskussion innerorganisatorischer Demokratisierungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung nicht genügend beachtet wird50 und die unabhängig von der jeweiligen politischen und rechtlichen Ordnung besteht51 • Emanzipatorische Reformabsichten dürfen nicht an dem Umstand vorübergehen, daß eigeninteressenbezogenes Verhalten von Menschen und sozialen Gruppen als Folge gesellschaftlicher Umweltfaktoren wie anthropologischer Grundkonstanten ein klassisches Problem gerade der Staatsbürokratien ist. Man findet es in rechtlichen Befangenheitsregeln festgehalten und demokratietheoretisch etwa im Thema der repräsentativen Bürokratie mitformuliert52 , wonach proportional zur gesellschaftlichen Makrostruktur alle Klassen, Kasten, Stände, Schichten, Religionen, Regionen usw. in der Verwaltung vertreten sein sollen. Im Grunde erweist sich das mitgliedschaftliche Eigeninteresse als unauflösbar, selbst wenn man davon ausgeht, daß mit wachsendem Anteil des öffentlichen Dienstes an der Erwerbsbevölkerung überproportional repräsentierte Gruppeninteressen abgebaut werden. Denn Verwaltungsmann und Verwaltungsdienst erfahren über menschliche Allgemeinkonstanten hinaus eine spezifische Ausprägung durch die Regeln ihrer Arbeitswelt. Mit Begriffen wie Korpsgeist, Sicherheitsstreben, Diskretion, Regeltreue, Unpersönlichkeit, Konformität usw. werden Merkmale des Verhaltens in Bürokratien miterfaßt, 4D Vgl. Francis E. Rourke, Bureaucracy, Politics, and Public Policy, Boston 1969, S. VII; allgemein zum personellen Aspekt vgl. Frederick C. Mosher, Democracy and the Public Service, New York/London/Toronto 1968. 50 So von Frieder Naschold, Organisation und Demokratie: Untersuchung zum Demokratisierungspotential in komplexen Organisationen, Stuttgart/ Berlin/Köln/Mainz 1969; vgl. die Kritik von Wilhelm Hennis, Demokratisierung: Zur Problematik eines Begriffs, a.a.O., S. 95; ferner Roland Eckert, Politische Partizipation und Bürgerinitiative, a.a.O., S. 38 ff. 61 Zu direktiven Einflüssen bei der westdeutschen Verfassungs- und Rechtslage vgl. Walter Leisner, Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, Bonn/ Bad Godesberg 1970. 52 Vgl. V. Subramaniam, Representative Bureaucracy: A Reassessment, in: 61 American Political Science Review 1967, S. 1010 ff.
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die eher in die Richtung einer Verteidigung angestammter Mitgliederinteressen, denn in die der Wahrnehmung von Interessen des Publikums und der politischen Verwaltungsspitzen weisen53 • Sind aber die Interessen von Publikum und Verwaltungsmitgliedern nicht identisch, dann sind mit der partizipatorischen Binnenkonstitutionalisierung des mitgliedschaftlichen Verhaltens die Demokratieprobleme nicht hinlänglich gelöst. Mag man bei autonomen, ihren Mitgliedern verantwortlichen Organisationen wie Parteien, Verbänden, Vereinen das Demokratisierungspotential in der Stärkung der Mitwirkung eben der Mitglieder sehen; bei Organisationsformen externer Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten kann das allenfalls ein Teilaspekt sein. Nehmen wir den Fall54 , daß in optimaler Partizipation von Verwaltungsspitze, mitgliedschaftlicher Basis, Personalrat und Berufsvertretung gegen die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung in einem Verwaltungsbereich entschieden würde, und zwar etwa aus Rationalisierungs- und Maschinenangst und gegen die Interessen des auf schnelle Erledigung angewiesenen Publikums, so zeigt sich, daß administratives Handeln ziemlich zuletzt aus den ausdifferenzierten mitgliedschaftlichen Handlungsformen demokratisch legitimiert werden kann. Damit ist das Thema der innerorganisatorischen Demokratie für die öffentliche Verwaltung nicht verabschiedet. Wir können etwa die angedeutete Problematik repräsentativer Entsprechung der gesellschaftlichen Makrostruktur in der Personalzusammensetzung der Verwaltung ausdehnen bis zur Frage fundamentaldemokratischer Kongruenz der Autoritätsmuster in verschiedenen Sozialbereichen. Aber Organisation ist nicht gleich Organisation. Und wenn organisatorisches Handeln wie im Falle der öffentlichen Verwaltung regelmäßig durch Instanzen jenseits der Systemgrenze mitgliedschaftlichen Verhaltens legitimiert wird, dann muß die Demokratiediskussion mehr auf die Muster extern-politischer Kontrollen denn auf die partizipatorischen Binnendisziplinierungen bezogen werden. Verwaltungsmitglieder unterliegen einem Netz verschiedener Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten55 • Dabei zeigen sich in 63 Vgl. Robert K. Merton, Bureaucratic Structure and Personality, in: Reader in Bureaucracy, hrsg. von dems. u. a., Glencoe/Illinois 1952, S. 361 ff. 64 In Umformulierung eines Beispiels von Frieder NaschoZd, Organisation und Demokratie: Untersuchung zum Demokratisierungspotential in komplexen Organisationen, a.a.O., S. 87 f. U Vgl. zu einer Einführung Chester I. Barnard, The Functions of the Executive, (1938) CambridgelMassachusetts 1960, S. 258 ff.; Carl J. Friedrich, Die öffentliche Politik und das Wesen der administrativen Verantwortlichkeit, in: ders., Zur TheOrie und Politik der Verfassungsordnung, Heidelberg 1963, S. 121 ff.; Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, S. 172 ff.; John M. PfiffnerlRobert Presthus, Public Administration, 5. Aufl., New York 1967, S. 538 ff.; Hans RYffel, Eigenverantwortlichkeit,
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hochdifferenziert-en sozialen Systemen gewisse Tendenzen ihrer organisatorischen Sicherstellung. Administrative Verantwortlichkeit wird nach Arbeitsbereichen spezifiziert. Erwartungen und Beurteilungsstandards werden konkretisiert. Zurechenbarkeiten von Leistungen und Fehlleistungen werden festgelegt. Sanktionszusammenhänge werden formalisiert. Auf die verantwortliche Informationsverarbeitung des kompetenten Nebenmannes kann man sich verlassen. Die Regeln des Einstehenmüssens für Fehler sind übersichtlich und verläßlich. Die Verantwortlichkeit folgt der hierarchischen Ordnung; sie wächst mit der Höhe der Stellung; ihr Schwerpunkt liegt an der Spitze. Es gilt das Prinzip, daß Aufgaben, nicht aber Verantwortlichkeiten delegierbar sind. Verwaltungsmitglieder werden durch spezialisierte Subsysteme - exekutive Spitzen, Disziplinargerichte usw. - kontrolliert. Im allgemeinen hat weder das Verwaltungs mitglied die Inanspruchnahme durch unkalkulierbare externe Instanzen zu fürchten, noch wird dem Außenstehenden zugemutet, den schwer überschau baren verwaltungsinternen Verantwortlichkeitsverteilungen nachzuspüren. D'em Publikum haftet regelmäßig die öffentliche Verwaltung selbst. Politischdemokratische Rechenschaftspflichten treffen vor allem die Mitglieder auf bestimmtes politisches Handeln spezialisierter Stellen, wie Parlamente, Kabinette; Verwaltungsmitglieder treffen sie, so sich diese im Rahmen des geltenden Rechts halten, allenfalls in herausgehobenen Stellungen, mediatisiert und mit einem beschränkten Sanktionsinstrumentarium wie Nichtbeförderung, Kaltstellung usw. In solcher Situation der arbeitsteilig ausdifferenzierten Leistungsgesellschaft ist die Neueinrichtung von Verhaltensmustern unmittelbarer Verantwortlichkeit der Verwaltungsmitglieder g·egenüber dem Publikum ein problematisches organisatorisches und entscheidungsprozessuales Unternehmen. Im Ergebnis könnte zum Beispiel eine Neuordnung des Zeichnungsrechts in der öffentlichen Verwaltung Formen direkterer politischer Kontrolle begünstigen. Nach traditionellen Verwaltungsgrundsätzen ist das Zeichnungsrecht beim Behördenleiter festgelegt. Nun wird als Prinzip angestrebt, daß die Unterschriftsbefugnis beim Sachbearbeiter liegen soll und die Unterzeichnung durch den Vorgesetzten die Ausnahme ist. Diese Verwaltungsreform stellt auf die Eigenverantwortlichkeit des Mitarbeiters in der Administration ab, und zwar unter Bezugnahme innerorganisatorischer Verbesserungen. Darüberhinaus wird aber die Erwartung ausgesprochen, daß sich der Kontakt zum Bürger verbessert, wenn dieser unmittelbar mit dem verantwortlichen Sachbearbeiter verhandeln kann. Für eine politisch-demoin: Verwaltung - Eine einführende Darstellung, hrsg. von Fritz Morstein Marx, Berlin 1965, S. 456 ff.; Herbert A. SimonlDonald W. Smithburg/Victor A. Thompson, Public Administration, New York 1970, S. 513 ff.
Verwaltungsreform und Demokratiediskussion
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kratische Rechenschaftspflicht des Verwaltungsmitglieds gegenüber dem Publikum läßt sich hiernach überlegen: wie sich seitens des Publikums politische Kontrollen artikulieren lassen, ob sich der Durchgriff zur mitgliedschaftlichen Ebene noch rechtlich formalisieren läßt, ob der Bürger nicht auf zufällige Unterstützungen durch kritische Eliten mit besonderen kommunikativen Möglichkeiten der Publizität angewiesen bleibt, und weiter seitens der Verwaltungsmitglieder: welche Leistungen der Absorption von Unsicherheit im Entscheidungsprozeß überhaupt noch übernommen werden können, ob die Beurteilungsstandards zu reduzieren sind, wie eine neue Risikobereitschaft belohnt werden kann. Diese und viele Fragen mehr gehen Demokratie- und Verwaltungsforschung gleichermaßen an. Verwaltungsreformen sind bei uns stellt man nur die den Status quo begünstigende Komplexität administrativer Verhältnisse und die Stabilisierungsfunktionen der öffentlichen Verwaltung einer hochentwickelten Gesellschaft in Rechnung in beachtlichem Umfang praktisch eingeleitet. Die Theorie kann hier behilflich sein, wenn sie nicht eine "absolute Verwaltung" (Horkheimer) zum Gegensatz gesellschaftlicher Freiheit stilisiert, wenn sie nicht Muster demokratiefeindlicher Bürokratien pflegt, wenn sie nicht einem utopischen Verständnis von Änderungsraten folgt und so eher noch die politische Apathie vor allem auch von reformerischen Kräften der Administration selbst fördert. Wir haben versucht, einige Bezugspunkte von Verwaltungsreformen für die Demokratiediskussion zu bezeichnen. Von hier ist wissenschaftlich noch viel bis zu einer Theorie der öffentlichen Verwaltung als "workable democracy"56 zu leisten. Indes sollte so viel für die Verwaltungswissenschaft sicher sein: Die These, die öffentliche Verwaltung könne in ihrer Organisation und in ihren Entscheidungsprozessen nicht demokratisch eingerichtet werden57 , ist in pauschaler Meinung nicht belegbar.
58 Vgl. Emmette S. Red/ord, Democracy in the Administrative State, New York/London/Toronto 1969, S. 196 ff. 67 Vgl. etwa A. D. Lindsay, The Modern Democratic State, Bd. I, London/ New York/Toronto 1943, S. 26.
Die H. Verwaltung in Staat und Gesellschaft
Verwaltungsrichtlinien - autonome Rechtsetzung durch die Exekutive? Von Christian-Friedrich Menger 1.
überlegungen, welche unter dem Generalthema "Demokratie und Verwaltung" zur Standortbestimmung wie zum Selbstverständnis heutiger Verwaltung im demokratischen und sozialen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland beitragen sollen, können an dem Phänomen nicht vorübergehen, daß sich in Form der Verwaltungsrichtlinien eine Art "apokrypher" Rechtsetzung durch die Verwaltung eingebürgert hat, die sich - jedenfalls zum Teil - ohne ausdrückliche Ermächtigung durch den demokratisch legitimierten parlamentarischen Gesetzgeber vollzieht. Gleichwohl haben die Produkte dieser Rechtsetzung durch die Verwaltung, die Verwaltungsrichtlinien, für den Bürger wie für die Verwaltung selbst faktisch nahezu dieselbe Wirkung wie das auf Grund der Verfassungen des Bundes und der Länder von den dort dazu bestellten Organen erlassene formelle Gesetz bzw. das auf Grund deren ausdrücklicher Ermächtigung unter Beachtung des Art. 80 GG von der Exekutive als gesetzes aus führende Rechtsverordnung gesetzte materielle Recht. Das folgt aus dem von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelten Institut der sogen. "Selbstbindung der Verwaltung", auf das sogleich näher einzugehen sein wird. Es liegt auf der Hand, daß damit eine Gefährdung des demokratischen Prinzips gegeben sein kann oder sogar eintreten muß. Wir wollen, um sogleich die ganze "Bandbreite" der Problematik deutlicher zu machen, auf die Richtlinienpraxis in zwei Rechtsgebieten eingehen, in denen sie besondere Bedeutung hat, auf das Recht der Änderung und Feststellung von Familiennamen und der Änderung von Vornamen sowie auf das Recht der Vergabe von Subventionen, um an diesen Beispielen den unterschiedlichen Standort der jeweiligen Richtlinien im Gesamtgefüge unserer Rechtsordnung zu bestimment. 1 Auf zwei weitere Gebiete, auf denen diese Problematik bedeutsam ist, das Organisationsrecht und das Recht der sogen. "besonderen Gewaltverhältnisse",
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II. Das Institut der sogen. "Selbstbindung der Verwaltung" ist entwikIrelt worden im Rahmen der Ausübung des der Verwaltung durch Rechtssatz eingeräumten Ermessens. Zu diesem Fragenkomplex ist in den letzten Jahren so viel geschrieben worden, daß wir uns hier kurz fassen können2 • Daß sich die Verwaltung hinsichtlich der Ausübung eines ihr eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens durch ständige oder länger andauernde Verwaltungsübung - gewollt oder ungewollt selbst zu binden vermag, ist seit langer Zeit unbestritten. Diese seit etwa zwei Jahrzehnten mit dem Terminus "Selbstbindung der Verwaltung" bezeichnete Erscheinung ergibt sich zwingend aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, welcher gebietet, gleiche Tatbestände den nämlichen Rechtsfolgen zu unterwerfen. Dabei ist es selbstverständlich, daß diese Selbstbindung auch dort in Erscheinung tritt, wo die ständige Verwaltungsübung durch Verwaltungsvorschriften reglementiert wird. Ob nun diese Verwaltungsvorschriften eine schon vorhandene übung nachträglich zum Prinzip erheben, um so in den immer wiederkehrenden typischen Fällen eine gleichmäßige Ermessensausübung sicherzustellen, oder ob sie eine tatsächlich noch nicht bestehende übung im vorhinein reglementieren, ist für die Rechtsfolgen derartiger Selbstbindung grundsätzlich gleichgültig. Der Unterschied besteht lediglich darin, daß im letztgenannten Falle nicht auf Erfahrungen der Verwaltungspraxis zurückgegriffen werden kann; vielmehr dürfte in derartigen Fällen die Funktion der Verwaltungsvorschriften darin bestehen, die Motive des Gesetzgebers den mit Ermessensspielräumen ausgestatteten ausführenden Behörden deutlich zumachen. Festzuhalten bleibt, daß die Verwaltung sich bei der Aufstellung von Verwaltungsrichtlinien durch einen ausdrücklichen Willensakt der jegeht ein Rol! Gross: Zur originären Rechtsetzung der Exekutive, DÖV 1971, 186 ff. Vgl. dazu auch Win!ried Brohm: Verwaltungsvorschriften und besonderes Gewaltverhältnis, DÖV 1964, 238 ff. und Matthias Wentzel: Autonomes Berufsausbildungsrecht und Grundgesetz, 1970, S. 157 ff. I Vgl. dazu statt aller Fritz Ossenbühl: Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, S. 514 ff.; ders.: Administrative Selbstbindung durch gesetzwidrige Verwaltungsübung? DÖV 1970, 264 ff., Walter Schmidt: Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969, pass., ders.: Die Gleichheitsbindung an Verwaltungsvorschriften, JuS 1971, 184, 185 ff., Kreutzer: Selbstbindung der Verwaltung durch Verwaltungsvorschriften, MDR 1970, 564 ff., jeweils mit weiteren zahlreichen Nachweisen, sowie Hans J. Wolf!: Verwaltungsrecht 18, 1971, § 24 II d. Die ersten Äußerungen zu dieser Frage nach Inkrafttreten des Grundgesetzes sind, wenn wir recht sehen, die Entscheidungen des OVG Münster vom 27. September 1950, MDR 1951, 189 = JZ 1951, 119 mit zust. Anm. von Bacho!, und VG Stuttgart vom 24. Juni 1949, DRiZ 1950, 572 mit zust. Anm. von Bühler.
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weiligen Verwaltungsspitze selbst bindet, während das im Falle langandauernder oder ständiger übung durch konkludente Handlung geschieht. Auch die - publizierte oder nicht publizierte - Verwaltungsanordnung oder Richtlinie stellt weder eine Rechtsnorm dar, noch kann ihr auf irgendwelchen Umwegen Rechtsnormqualität beigelegt werden. Sie hat somit weder dem Gericht gegenüber noch für sonstige verwaltungsexterne Personen oder Institutionen verbindliche Kraft. Eine solche Verbindlichkeit vermag lediglich - mittelbar - über den Gleichheitsgrundsatz einzutreten. Nur auf Grund dieses Verfassungsrechtssatzes läßt sich demnach die Frage beantworten, ob eine Abweichung von den Richtlinien eine rechtswidrige Ungleichbehandlung darstellt oder nicht. Grundsätzlich ist die Frage, ob in einem konkreten Falle Maßnahmen der Verwaltung gegen das Verbot differenzierender Behandlung verstoßen, nur dann im Sinne des Verfassungsverstoßes zu beantworten, wenn die Verwaltung von einer (zumindest einmal) ausgeübten Praxis abweicht. Das folgt schon daraus, daß, soll eine differenzierende Behandlung erkennbar sein, entspreChende Vergleichsmaßstäbe vorhanden sein müssen. Solange es aber an Vergleichsfällen fehlt, mangelt es grundsätzlich auch an entsprechenden Vergleichsmaßstäben. Die Sachlage ist allerdings schon anders in den Fällen, in denen der Gesetzgeber von sich aus in abstrakter Weise Vergleichsmaßstäbe geschaffen hat, wie das z. B. mit den Regelungen in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG geschehen ist. Durch sie wird die Meßbarkeit der ungleichen Behandlung ohne Vorhandensein konkreter Vergleichsfälle ermöglicht, der den Akt der Verwaltung auf dessen übereinstimmung mit dem Gleichheitssatz überprüfende also in die Lage versetzt, eine ungleiche Behandlung auch dann feststellen zu können, wenn ein in concreto vergleichbarer Fall noch nicht vorliegt. In ähnlicher Weise vermögen innerdienstliche Verwaltungsanordnungen oder Richtlinien die Maßstäbe zu schaffen, die notwendig sind, um einen Verstoß gegen das Differenzierungsverbot feststellen zu können. Die wiederum meist abstrakt gefaßten Verwaltungsanordnungen oder Richtlinien lassen erkennen, welche Sachverhalte von der Verwaltung einer unterschiedslosen Behandlung zuzuführen sind, sie formulieren den Tatbestand, bei dessen Vorliegen eine gleichartige Handhabung einzusetzen hat. Der in der Verwaltungsanordnung oder Richtlinie genannte Tatbestand gibt somit in gleicher Weise einen am Gleichheitssatz meßbaren Tatbestand ab wie ein Tatbestand, von dem eine schon gehandhabte Verwaltungspraxis ausgegangen ist. Um die Tatsache, daß es sich bei verwaltungsinternen Anordnungen und Richtlinien nicht um Rechtssätze handelt, möglichst klar herauszustellen, haben wir vor Jahren geglaubt, vertreten zu sollen, daß es nicht
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darauf ankommen könne, ob die Verwaltungs anordnung - z. B. durch Veröffentlichung - ihren Charakter als reines Verwaltungsinternum verloren habe, solange sie nur überhaupt "erlassen", d. h. den nachgeordneten Behörden in gehörig€r Form bekanntgemacht worden sei3 • Wir möchten diese Ansicht heute nicht mehr aufrechterhalten, weil die "apokryphe Rechtsetzung" durch Verwaltungs anordnungen und Verwaltungsrichtlinien inzwischen ein Ausmaß angenommen hat, das bei Verzicht auf das Erfordernis der Publizierung das rechtsstaatliche Gebot der Berechenbarkeit der Rechtsordnung und damit die Rechtssicherheit zu gefährden droht. Es muß zugegeben werden, daß unsere Meinungsänderung in bei den Fällen überwiegend von rechtspolitischen Erwägungen bestimmt ist. Sie scheint uns aber auch deshalb geboten, weil das Institut der "Selbstbindung der Verwaltung" von einigen Autoren auch auf den Gedanken der Rechtssicherheit, auf Treu und Glauben und das Verbot des venire contra factum proprium zurückgeführt wird" wodurch das ohnehin schillernde und umstrittene Institut zusätzlich mit der Problematik belastet wird, daß auf diese Weise das Prinzip des Rechtsstaat€s, dessen eine Säule ja die Rechtssicherheit ist, gegen das im Grundgesetz verankerte Demokratiegebot ausgespielt werden könnte. II!. Als Beispiel für die Ausfüllung eines nach dem Gesetzeswortlaut der Verwaltung €ingeräumten sehr weitgespannten Ermessensrahmens durch Richtlinien sei hier zunächst auf das Recht der Namensänderung eingegangen. Nach § 1 des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 5. Januar 1938 (RGBl. I S. 9)5 - NÄG kann der Familienname eines deutschen Staatsangehörigen oder eines Staat€nlosen, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Deutschen Reich hat, auf Antrag geändert werden. Nach § 3 NÄG darf ein Familienname nur geändert werden, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt. Nach § 11 NÄG gelten die §§ 1 und 3 NÄG entsprechend für die Änderung und den Widerruf der Änderung von Vornamen. Das NÄG stellt also für die Namensänderung zwei Voraussetzungen auf: (1) es muß ein "wichtiger Grund" die Namensänderung a Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, VerwArch. Bd. 53 (1962) S. 390, 393, anders noch VerwArch. Bd. 51 (1960) S. 64, 71. t Vgl. die Nachweise bei Ossenbühl: Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 542. & I. d. F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes vom 18. Mai 1957 (BGBI. I, S. 518) und des Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 29. August 1961 (BGBl. I, S. 1621).
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rechtfertigen; insoweit arbeitet der Gesetzgeber mit einem unbestimmten Gesetzesbegriff. (2) Wird das Vorliegen des wichtigen Grundes von der zuständigen Verwaltungsbehörde bejaht, so steht es in ihrem pflichtgemäßen Ermessen, ob sie der beantragten Namensänderung stattgibt oder ob sie diese ablehnt; da das Gesetz selbst keinerlei nähere Regelungen für die Normalfälle von Änderungen der Familiennamen oder Vornamen trifft - es regelt nur einige wenige Spezialfragen und enthält im übrigen nur Verfahrensvorschriften -, hat der Gesetzgeber der Verwaltung also einen außerordentlich weiten Ermessensspielraum eröffnet. Ehe auf die nun zu erörternde Richtlinienproblematik eingegangen werden kann, sind noch zwei Vorfragen zu klären. Einmal könnte man der Ansicht sein, das Namensänderungsrecht sei ein schlechtgewähltes Beispiel, weil es Ausdruck nationalsozialistischen Gedankengutes sein könnte. Die Frage kann und braucht hier nicht vertieft zu werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war es das schon in seiner ursprünglichen Fassung weder im Ganzen noch in einzelnen Teilen6 • Es war in jener Fassung nach Ansicht desselben Gerichts auch mit dem Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit vereinbar und verletzte nicht die Würde des Menschen7 • Auf die eingehenden Begründungen der Entscheidungen mag hier verwiesen werden. Im übrigen ist das NÄG durch die beiden zitierten Änderungsgesetze in den Willen des heutigen Bundesgesetzgebers aufgenommen worden, der, wenn er Bedenken gegen das Gesetz im Ganzen oder einz'elne seiner Vorschriften gehabt hätte, sich nicht mit der Neufassung einer verfahrensrechtlichen Vorschrift, nämlich des § 9 Satz 1, und einer Ergänzung, dem neueingefügten § 3 a, begnügt haben würde, sondern eine völlige Neuregelung dieses Rechtsgebietes oder doch eine Novellierung der verfassungsrechtlich bedenklich erscheinenden Teile hätte vornehmen müssen. Es bleibt aUerdings gleichwohl ein gewisses Unbehagen sowohl angesichts des sehr unbestimmten Gesetzesbegriffes "wichtiger Grund"8 als auch angesichts des - jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut, worauf aUerdings noch zurückzukommen sein wird - allzuweit gespannten Ermessensrahmens. Zum anderen ist auf die Kritik einzugehen, die die von uns vertretene Ermessenslehre durch Hans Heinrich Rupp erfahren hat. Denn 8 BVerwG, DVBl. 1958, 544; vgl. zu dieser Judikatur und derjenigen der Instanzgerichte im übrigen Wolfgang Loos: Namensänderungsgesetz, Komm.,
1970, S. 18. 7
8
BVerwG, NJW 1957, 1732 und DVBl. 1958,544. Vgl. auch Loos: NÄG, S. 18.
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sollte diese Kritik zutreffen, dann könnte sich erweisen, daß sich die Problematik der Ermessensbindung durch Verwaltungsvorschriften und Richtlinien auf eine andere Ebene verschiebt. Wir haben seit jeher den Standpunkt vertreten und halten ihn aufrecht, daß entgegen weiter gefaßter Formulierungen von Ermessen nur gesprochen werden kann, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe von Lebenssachverhalten generalisierend und typisierend in der Tatbestandsseite eines Rechtssatzes erfaßt hat; ein Spruch des Gesetzgebers muß also stets erfolgt sein. Im Gegensatz zu den normalen ("bestimmten") Rechtssätzen hat er diesen Tatbestand jedoch nicht mit einer bestimmten Rechtsfolge verknüpft, sondern dem zur Anwendung des Rechtssatzes berufenen Organwalter zwei oder mehrere mögliche Rechtsfolgen zur Verfügung gestellt, aus denen er die dem zu regelnden Lebenssachverhalt angemessenste auszuwählen und zur Anwendung zu bringen hat. Eine Wahlmöglichkeit steht dem Organwalter aber immer nur hinsichtlich der Rechtsfolge zu, nicht hinsichtlich der Subsumtion des Lebenssachverhaltes unter die Tatbestandsseite des den Ermessensspielraum eröffnenden Rechtssatzes 9 • Die Verwaltung entscheidet also immer nur über das "Wie", niemals über das "Ob" ihres Tätigwerdens, wobei allerdings die Schranken des "Wie" außerordentlich weit gezogen sein können, wie nicht nur die zitierte Bestimmung in § 1 Abs. 1 NÄG deutlich macht, sondern auch etwa die polizeiliche Generalklausel. Gesetzliche Regelungen, wie sie etwa der Staatsanwaltschaft trotz des im Strafprozeß herrschenden Legalitätsprinzips gestatten, das Verfahren einzustellen, wenn die Schuld des Täters gering ist und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht (§ 153 StPO), sind nur scheinbar ein Gegenbeweis gegen unsere These; denn auch hier muß der mit den Ermittlungen betraute Staatsanwalt zunächst den Fall aufklären und unter die einschlägigen Strafvorschriften subsumieren, ehe er die Rechtsfolge "Einstellung des Verfahrens" zur Anwendung bringt. Nur der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, daß das Bundesverfassungsgericht die Einräumung von Ermessen durch den Gesetzgeber für verfassungskonform, insbesondere für vereinbar mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Berechenbarkeit der Rechtsordnung, erklärt hatto. Gegenüber dieser, im wesentlichen auch von der heute herrschenden Lehre vertretenen Ansicht hat Rupp eingewandt, "hinter einer gesetzlichen Regelung, die bisher als Einräumung von Verwaltungsermessen D Vgl. dazu mein System des verwaltungsgerichtlichen Rechtschutzes, 1954, S. 31 ff., sowie Der Schutz der Grundrechte in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Bettermann - Nipperdey - Scheuner: Die Grundrechte, Bd. 111/2, 1959, S. 717, 752 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 10 BVerfGE 9,137, 146 ff.
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im überlieferten Sinne verstanden wurde, (sei) - wie bei den unbestimmten Rechtsbegriffen und dem richterlichen Ermessen - eine rechtliche Normativität zu denken, die es nur mit geeigneten Mitteln der Hermeneutik, einschließlich der Teleo~ogik und der Topik, zu erkennen" gelte. "So gesehen (sei) aber auch bei angeblich Ermessen einräumenden Rechtssätzen ein subjektives Recht des Staatsbürgers auf die normgemäße Regelung ... denkbar l1 ." Diese Zeilen stehen bezeichnenderweise im Kapitel "Die subjektiven öffentlichen Rechte" innerhalb des Teiles "Das Außenrechtsverhältnis Bürger - Staat"; Rupp geht also von der den Bürger tangierenden Einzelmaßnahme der Verwaltung aus, die auf Grund eines Ermessen einräumenden Rechtssatzes getroffen wird. Von dieser Blick:richtung her ist es allerdings zutreffend, daß es jedenfalls in aller Regel immer nur eine, dem Gesetzeswillen entsprechende Entscheidung geben kann. Rupp verkennt jedoch, daß die herrschende Lehre von der Struktur des Rechtssatzes her argumentiert, also die Entscheidung des Gesetzgebers analysiert, während er dasselbe mit derjenigen des das Gesetz anwendenden Organwalters tut. So erweist sich die ganze Auseinandersetzung als ein Mißverständnis. Wie ausgeführt, räumt der Gesetzgeber des NÄG der Verwaltung einen nahezu unbeschränkten Ermessensspielraum ein, welcher nicht nur die zuständigen Verwaltungsbehörden überfordern müßte, sondern auch keinerlei Gewähr für eine rechtseinheitliche Handhabung des Namensänderungsrechts gäbe. Unter diesen Umständen hat die Bundesregierung am 14. Dezember 1960 gemäß § 13 NÄG eine "Allgemeine Verwaltungsvorschrift ... über die Änderung und Feststellung von Familiennamen sowie über die Änderung von Vornamen" erlassen, die heute in der geänderten Fassung vom 8. Mai 1963 gilt (Bundesanzeiger 1963 Nr. 91 = GBMl. 1963, 320). Der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift sind als Anlage A die "Richtlinien für die Bearbeitung der Anträge auf Änderung des Familiennamens" beigefügt. Während die "Allgemeine Verwaltungsvorschrift" nähere Verfahrensregelungen trifft, enthalten die "Richtlinien" in ihrem Abschnitt I Hinweise dafür, wie die Verwaltungsbehörden das ihnen eingeräumte Ermessen ausüben sollen, und in ihren Abschnitten II bis VIII Hinweise dafür, wann die Verwaltungsbehörden einen "wichtigen Grund" im Sinne des Gesetz'es bejahen sollen; jedoch ist es angesichts der Schwierigkeit, in der Praxis jeweils klar zu unterscheiden, ob eine Vorschrift einen unbestimmten Gesetzesbegriff verwendet oder ob sie einen Ermessensspielraum eröffnen will, verständlich, daß auch in den "Richtlinien" die Unterscheidung nicht sauber durchgeführt ist. 11
Hans Heinrich Rupp: Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre,
1965, S. 206. 20 Speyer 50
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Während die "Richtlinien" für die dort angesprochenen typischen Fälle für die Verwaltung bindend sind - sie darf nur im atypischen Fall unmittelbar auf die gesetzliche Regelung zurückgreifen -, stellt sich die Frage für die zur überprüfung der administrativen Entscheidung berufenen Verwaltungsgerichte anders. Hinsichtlich des "wichtigen Grundes" ist in ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte anerkannt, daß nur eine Entscheidung darüber rechtmäßig sein könne t2 , so daß die Anwendung dieses Begriffs durch die Verwaltungsbehörde im Einzelfall voller gerichtlicher Nachprüfung unterliege. Ein "wichtiger Grund" sei anzunehmen, wenn das Interesse des Namensträgers an der Namensänderung schutzwürdig sei und seine Gründe, anstelle des bisherigen Namens in Zukunft einen anderen Namen zu führen, so wesentlich seien, daß die Belange der Allgemeinheit dahinter zurücktreten müßten, welche wegen der sozialen Ordnungsfunktion des Namens und aus sicherheitspolizeilichen Gründen auf Fortführung des bisherigen Namens gerichtet seien. Die Funktion der "Richtlinien" wird dabei von der Rechtsprechung dahin verstanden, daß sie zwar keine Rechtsvorschriften mit unmittelbar verbindlicher Wirkung darstellten, für die Beurteilung des "wichtigen Grundes" jedoch die allgemeine Verkehrsauffassung widerspiegelten13. Da schon die Ausfüllung des unbestimmten Gesetzesbegriffs "wichtiger Grund" eine Abwägung der schutzwürdigen privaten Interessen und der öffentlichen Belange erfordere und da andererseits Faktoren, die von dem unbestimmten Gesetzesbegriff erfaßt würden, bei der Ausübung des Ermessens nicht noch einmal berücksichtigt werden dürften14 , könne im Rahmen des § 3 NÄG für eine Ermessensentscheidung, bei der ebenfalls auf das Für und Wider abzustellen sei, nur noch wenig Raum verbleiben, vielmehr s·ei der behördliche Ermessensspielraum weitgehend eingeschränkt. Zum Teil wird sogar die Ansicht vertreten, die Ermessensermächtigung des § 3 NÄG sei "gegenstandslos" geworden l5 • Doch wird man insoweit der überwiegenden Rechtsprechung und Lehre folgen müssen, daß die einschlägigen Verwaltungsrichtlinien noch Bereiche offen ließen, die außer halb der Beur12 Vgl. BVerwGE 15, 183 = NJW 1963, 604 = DVBl. 1964, 162 = DÖV 1963, 512 = VerwRspr. 15, 285; BVerwGE 15, 207 = VerwRspr. 15, 899; BVerwG, NJW 1971, 294 und OVG Münster, OVGE 17,98. 13 Vgl. BVerwGE 15, 26 = NJW 1963, 362 = DVBl. 1963, 306 = DÖV 1963, 225 = MDR 1962, 1016; BVerwGE 15, 207 und BVerwG in Recht der Landwirtschaft (RdL) 1969, 69; OVG Münster, OVGE 22, 1; vgl. aber die Kritik dieser Rspr. bei Loos: NÄG, S. 49 f., der eine zu extensive Interpretation des unbestimmten Gesetzesbegriffs "wichtiger Grund" zu Lasten des Ermessensspielraumes rügt. 14 BVerwGE 15, 207, BVerwG, RdL 1969, 69; OVG Münster, RdL 1969, 266 (268). 15 OVG Berlin, DÖV 1959, 869, LeisneT, FamRZ 1966, 123.
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teilung des wichtigen Grundes von Bedeutung sein könnten16 • Das muß vor allem für die von den "Richtlinien" nicht erfaßten atypischen Fälle gelten. Insgesamt wird man urteilen dürfen, daß die als Anlage A zu der "Allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung" erlassenen "Richtlinien" mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Sie sind auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung, nämlich des § 13 NÄG, 'erlassen worden; sie bringen zum Ausdruck, was nach allgemeiner Verkehrsauffassung seit langem17 und bis heute rechtens ist und füllen so den vom Gesetz selbst außerordentlich - bis an die Grenze des Zulässigen - unbestimmt formulierten Rahmen jedenfalls für die in der Praxis häufiger vorkommenden, typischen Fälle näher aus. Vor allem aber engen sie mit der näheren Umschreibung der Fälle, in denen ein "wichtiger Grund" anzunehmen ist, den vom Gesetzgeber allzuweit gespannten Ermessensspielraum erheblich ein und tragen so zu einer rechtsstaatlichen Disziplinierung dieses Rechtsgebietes bei. Diese Funktion erfüllen sie allerdings nur solange, wie sie - gegebenenfalls raschen gesellschaftlichen Veränderungen angepaßt - die allgemeine Verkehrs auffassung wirklich widerspiegeln und damit den Intentionen des Gesetzgebers des NÄG entsprechen. Insoweit muß eben berücksichtigt werden, daß der Gesetzgeber durch die Normierung unbestimmter Begriffe auch eine Flexibilität der Rechtsanwendung erreichen will.
IV. Als Beispiel für eine nicht "gesetzesakzessorische" Verwaltung, die sich überwiegend allein auf Richtlinien stützt, möge hier die Subventionspraxis stehen, welcher im Arsenal moderner Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik ja ein ständig steigendes Gewicht beizumessen ist. Da der zur Verfügung stehende Raum eine Auseinandersetzung mit dem umstrittenen SubventionsbegriffJ8 nicht zuläßt, sollen die überlegungen eingeschränkt werden auf "öffentliche Kredite", unter denen alle Leistungen der öffentlichen Hand verstanden werden sollen, die in einer "leihweisen übertragung von Kaufkraft oder einer Kaufpreis18 So BVerwG, FamRZ 1965, 327, OVG Münster, OVGE 17, 98 und Urteil vom 11. Juli 1969 (XI A 1166/68), noch unveröffentl.; Loos: NÄG, S. 72. 17 Vgl. Loos: NÄG, S. 16. 18 Vgl. dazu statt vieler Hans Peter Ipsen: Öffentliche Subventionierung Privater, 1956, S. 7 f., ders.: Verwaltung durch Subventionen, VVDtStRL H. 25, 1967, S. 257 (276), und Votkmar Götz: Das Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 1 f.
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stundung"lU bestehen und die der "Subventionsgeber unter günstigeren Voraussetzungen und (oder) zu günstigeren Bedingungen, insbesondere hinsichtlich der Verzinsung gibt oder geben läßt, als sie privat- (markt-) wirtschaftlich zu erhalten wären"20, denn derartige Leistungen werden von der nahezu einhelligen Ansicht in Judikatur und Literatur als Subventionen anerkannt21 . Soweit ersichtlich ist - anders als etwa in der Schweiz22 - in der Bundesrepublik Deutschland eine gesetzliche Regelung für die Gewährung staatlicher "Finanzhilfen"23, soweit sie sich, wie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, unter Einschaltung von Kreditinstituten24 vollzieht25 , nur in den §§ 253 ff. LAG und in § 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes28 getroffen worden. Im übrigen erfolgen Vergabe und Abwicklung derartiger wirtschaftsfördernder Maßnahmen auf Grund von Richtlinien, die ohne jede Grundlage im materiellen Recht von der Ministerialbürokratie geschaffen und von den zuständigen Ressortministern erlassen werden. Als Beispiele seien hier genannt: "Gemeinsame Richtlinien des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr, des Finanzministers und des Arbeits- und Sozialministers des Landes Nordrhein-Westfalen für die Gewährung von Krediten an Wirtschaftsunternehmen und freiberuflich Tätige (Landeskreditprogramm)" vom 1. Februar 1962 i. d. F. v. 31. Juli 1967 mit einer 1. Ergänzung vom 1. Februar 1968 und die "Bekanntmachung des bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr vom 23.3.1969 über die Richtlinien zur Durchführung des Bayerischen Refinanzierungsprogramms Georg Halm: Geld - Kredit - Banken, 1935, S. 92. Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht III2, 1967, § 154 II b 3. 21 Vgl. Ipsen: a.a.O., S. 8, Götz: a.a.O., S. 19. 22 Vgl. Ipsen: a.a.O., S. 67, Max Imboden: Der verwaltungsrechtliche Vertrag, 1958, S. 159 f. 23 Zum Begriff der "staatlichen Finanzhilfen" vgl. Karl-Otto Henze: VerIG
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waltungsrechtliche Probleme der staatlichen Finanzhilfe zugunsten Privater, Heidelberg 1958, S. 16, und Klaus von Wysocki: Öffentliche Finanzierungshilfen, 1961, S. 12 ff. 24 Vgl. Ellen Dittes: Die Finanzierungshilfen des Bundes und der Länder an die gewerbliche Wirtschaft; Sonderausgabe der "Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen" 1969. Danach sind von 24 öffentlichen Kreditprogrammen, die aus Haushaltsmitteln der Bundesländer finanziert werden, 17 als "indirekte Vergabe" ausgestaltet. 25 Wodurch zugleich teils auf Grund gesetzlicher Vorschrift [vgl. § 3 I des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau vom 5. November 1948 i. d. F. v. 23. Juni 1969 (BGBl. I, S. 74) und § 4 III des Gesetzes über den Lastenausgleich vom 14. August 1952 i. d. F. v. 1. Dezember 1965 (BGBl. I, S. 1945) - LAG -] teils auf Grund von Richtlinien (vgl. E. Dittes: Finanzhilfen, a.a.O.) - ein unmittelbarer Kontakt zwischen Subventionsträger und Bewerber ausgeschlossen wird. 28 Wohnungsbau- und Familienheimgesetz vom 27. Juni 1956/1. August 1961 i. d. F. v. 1. September 1965 (BGBl. I, S. 2065).
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1969 für die Förderung des gewerblichen Mittelstandes"27,28. Die Bindung an derartige Richtlinien entsteht für die beteiligten Kreditinstitute in diesen Fällen lediglich durch vertragliche Vereinbarungen, welche die Subventionsträger mit den Spitzenorganisationen bzw. -verbänden der Kreditwirtschaft abgeschlossen haben29.
Die von Jahr zu Jahr steigenden Mittel für die öffentlichen Finanzhilfeprogramme werden aus verschiedenen Quellen gespeist30 • Die Länder und die kommunalen Gebietskörperschaften stellen die dafür erforderlichen Mittel in aller Regel in ihren ordentlichen und außerordentlichen Haushalten bereit. Der Bund finanziert die von ihm getragenen zentralen Kreditprogramme teils aus Haushaltsmitteln, teils aus Mitteln der Sondervermögen und der Sonderfonds; in diesem Zusammenhange sind insbesondere zu nennen das ERP-Sondervermögen31 , der Lastenausgleichsfond32 und der Rücklagenfond der Bundesanstalt für Arbeit. Neben diese rein von der öffentlichen Hand finanzierten Kredite tritt eine besondere Quelle, deren Eigenart dadurch gekennzeichnet ist, daß die für das öffentliche Kreditprogramm benötigten Mittel teils aus Haushaltsmitteln einer Gebietskörperschaft und teils aus Mitteln stammen, die von den beteiligten Kreditinstituten aufgebracht werden33 , allerdings immer "auf Veranlassung öffentlicher Stellen"34, 35. Unabhängig von der gewählten Form der Vergabe gilt aber, daß es sich dabei stets um Ausübung materiell-öffentlicher Verwaltung handelt36 , die demzufolge den strengen Bindungen des öffentlichen Rechts WVMBI. 1969 Nr. 4 vom 2. April 1969. Zum Tatsachenstoff in diesem Teil der Untersuchung verdanke ich wertvolle Anregungen der Dissertation meines Schülers Rainer Huismans: Der öffentliche Kredit. Verwaltungsrechtliche Probleme der Einschaltung von Kreditinstituten bei der Vergabe von Subventionen an die gewerbliche Wirtschaft, 1971. 29 Vgl. Henze: Finanzhilfen, S. 92, Hans F. Zacher: Verwaltung durch Subventionen, VVDtStRL H. 25, 1967, S. 347 f. 30 Vgl. dazu von Wysocki: Finanzhilfen, S. 17 f., 20. 31 Gesetz über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens vom 31. August 1953 (BGBI. I, S. 1312). 32 § 5 LAG. 33 Zacher: VVDtStRL 25, 380 N. 349 spricht in solchen Fällen recht plastisch von "gemischten Kreditsubventionen" . 34 Vgl. von Wysocki: Finanzhilfen, S. 147 f. 35 Einen überblick über die Finanzhilfeprogramme des Bundes und der Länder zugunsten der Industrie, der gewerblichen Wirtschaft, der Landwirtschaft und des Wohnungsbaus geben die alljährlich erscheinenden, von Ellen Dittes bearbeiteten Sonderausgaben der "Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen". Vgl. auch die Angaben bei Ipsen: VVDtStRL 25, 257 (260) und Josef Kölble: Pläne im Bundesmaßstab ..., in: Planung I, herausgegeben von Joseph H. Kaiser, 1965, S. 99 ff. !7
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unterliegt, auch wenn - wie im Falle der Saarländischen Investitionskreditbank AG - die Entscheidung über die Vergabe des öffentlichen Kredits ausschließlich oder - wie im Falle der Berliner Industriekreditbank AG - bis zu einer gewissen Höhe des Einzelkredits von dem betreffenden Kreditinstitut selbständig getroffen wird37 • Der Unterschied des Rechtscharakters der Richtlinien im Namensänderungsrecht und im Recht der Subventionen liegt auf der Hand: im ersten Falle handelt es sich um Anweisungen an die Verwaltung, wie sie einen im Gesetz verwendeten, höchst unbestimmten Gesetzesbegriff interpretieren und den dort eingeräumten, allerdings außerordentlich weitgespannten Ermessensspielraum im konkreten "typischen" Falle auszufüllen hat, damit eine gewisse Rechtsanwendungsgleichheit bei Anträgen auf Änderungen von Familiennamen und Vornamen sichergestellt wird. Im zweiten Falle dagegen werden Voraussetzungen, Modalitäten und Abwicklung von Subventionen durch Richtlinien geregelt, die nicht der Ausfüllung von gesetzlich verwendeten unbestimmten Begriffen oder dort eingeräumtem Ermessen dienen, sondern "gesetzesvertretend" die Gesamtregelung selbst unmittelbar vornehmen, lediglich - zumeist wenigstens - gestützt auf eine zustimmende Willenserklärung der gesetzgebenden Organe, welche diese bei Beschlußfassung über den Haushaltsplan abgegeben haben.
V. Angesichts der Tatsache, daß in der Rechtswirklichkeit eben doch vielfach das ist, was eigentlich nach unserer Verfassungsordnung nicht sein darf, hat es nicht an Versuchen gefehlt, die sich in der RichtlinienVerwaltung dokumentierende Ausschaltung des Gesetzgebers aus dem Rechtsetzungsprozeß zu rechtfertigen oder jedenfalls doch zu erklären. 38 Einhellige Meinung, vgl. z. B. Ipsen: Öffentliche Subventionierung Privater, S. 65, ders.: VVDtStRL 25, 268, Otto Bachof: Der Rechtsschutz im öffentlichen Recht, gelöste und ungelöste Probleme, DÖV 1953, 417 (423), Maunz - Dürig - Herzog: Grundgesetz (3. Aufl.) Art. 1 Abs. 3, Rdnr. 134, 136. 37 Auf die sich jetzt zwangsläufig stellende Frage, ob diese Kreditinstitute deshalb als Beliehene anzusehen sind, obwohl dafür weder eine unmittelbare gesetzliche Vorschrift besteht, noch eine gesetzliche Ermächtigung an die Verwaltung, die Beleihung zu vollziehen, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Der bayVGH (BayVBl. 1970, 408) hält im Falle der Subventionsverwaltung auch die Frage, wie die Zuständigkeit zu regeln sei - einschließlich der Frage der Zuständigkeit für etwaige Beleihungen -, für einen Regelungsgegenstand ministerieller Richtlinien. Es genüge in einem solchen Falle eine bloße Haushaltsermächtigung, was nicht nur im Hinblick auf die Problematik der sogen. Organisationsgewalt bedenklich erscheint (vgl. dazu meinen Beitrag in "Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht", VerwArch. 61 (1970), 375 ff.); es darf hier auf die Dissertation von Huismans: Der öffentliche Kredit, Teil 11, verwiesen werden, der sich mit dieser Frage detailliert ausdnandersetzt.
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Wenn wir recht sehen, sind es vor allem vier Ansätze, von denen aus dabei argumentiert wird, wobei sich die Argumente gelegentlich überschneiden. Am weitesten geht wohl Ossenbühl, der in Erwägung zieht, "die Diskussion um die verfassungsrechtliche Zu lässigkeit der Subventionsverwaltung mit dem Hinweis auf ihre gewohnheitsrechtliche Grundlage abzuschneiden"38. Es könne weniger auf longa consuetudo ankommen, zumal wir nicht mehr in der Postkutschenzeit leben, ausschlaggebend sei vielmehr die "Dichte und Häufigkeit des Normverhaltens"39. Dem Einwand, die opinio juris communis könne sich nicht contra constitutionem bilden, begegnet er mit dem Argument: "Man kann den Parlamenten, die die Subventionsverwaltung etatmäßig inauguriert haben, dem Beamtentum, welches die parlamentarischen Aufträge ausgeführt hat, und dem Bundesverwaltungsgericht, das in ständiger Rechtsprechung die Subventionsverwaltung prinzipiell gebilligt hat, nicht in toto vorwerfen, sie hätten bewußt contra constitutionem gehandelt, denn darauf würde der Vorwurf mangelnder opinio juris hinauslaufen"40. Ossenbühl räumt aber selbst ein, es bedürfe "der Krücken des Gewohnheitsrechts nicht. Einer prinzipiell gesetzesfreien Verwaltung im Leistungsbereich (entspräche) eine prinzipielle Zulässigkeit der Subventionsverwaltung"41. Damit widerlegt er seine eigene Argumentationskette. Denn das von ihm erwogene Gewohnheitsrecht kann sich nicht bilden, wenn man nicht zuvor eine opinio juris communis festgestellt hat, daß es für die Leistungen gewährende Verwaltung der gesetzlichen Ermächtigung bedarf; darüber aber besteht nach wie vor größte Uneinigkeit42 . Eine Reihe von Autoren hält den Gesetzgeber für überfordert, wenn der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch auf deren leistenden Sektor ausgedehnt werde, und die ohnehin überlasteten Gesetzgebungsorgane die zur Zeit in Verwaltungsrichtlinien getroffenen Regelungen selbst schaffen müßten. Die Folge wären nur Blankett~egelungen mit weitgefaßten Generalklauseln und außerordentlich unbestimmten Gesetzesbegriffen43 . Damit aber werde dem rechtsstaat38 Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 247 f.; für Steuer-(Bewertungs-)Richtlinien, a.a.O., S. 137. 39 a.a.O., S. 247. 40 a.a.O., S. 248, Hervorhebungen im Original. n a.a.O., S. 248. 42 Vgl. dazu etwa BVerfGE 8, 155, 168; BVerwGE 6, 282, 288; die Diskussion auf der Kölner Staatsrechtslehrertagung nach den Referaten von Mallmann und Zeidler: VVDStRL H. 19, 1961, S. 242 ff.; Ipsen: VVDtStRL H. 25, S. 264 f. und Hans J. Wolf!: Verwaltungsrecht 18, §§ 17 IV, 30 I, IW,
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lichen Prinzip der Berechenbarkeit und Rechtssicherheit ein schlechter Dienst erwiesen, denn derartige "minimale Orientierungen am Gesetz" bedeuteten, wenn sie zur Regel würden, eine Verfälschung der rechtsstaatlichen Komponente des Gesetzesvorbehalts und vermittelten ein Scheinbild einer gesetzlich gebundenen Verwaltung, welches in noch größerem Maße geeignet sei, Willkür legal zu tarnen44 • Diese Einwände aus den Federn erfahrener Altmeister unserer Wissenschaft sind gewiß sehr ernst zu nehmen, zumal sie auch in Österreich erhoben werden, wo traditionell eine vollständige Gesetzesgebundenheit der Verwaltung vertreten wurde und noch wird 45 : Gleichwohl meinen wir, daß die langjährige Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts zur polizeilichen Generalklausel ebenso wie die heutige der Verwaltungsgerichte zum Namensänderungsrecht zeigen, daß sehr weitgefaßte generalklauselartige Regelungen der Rechtsprechung als Grundlage zu dienen vermögen, einen derartigen Rechtsbereich rechtsstaatlich zu bändigen, was ohne solche "Anhaltspunkte" im Gesetz sehr viel schwerer möglich wäre. Zum selben Ergebnis kommt - und ist daher ebenfalls dieser Ansicht zuzuordnen, obwohl die Motivation etwas differiert - Vogel, der ein Rechtsetzungsmonopol des Gesetzgebers leugnet und der Verwaltung "ein ursprüngliches eigenes Recht, sowohl organverbindliche wie gemeinverbindliche Normen zu setzen", zubilligt, soweit dadurch nicht die Grundrechtssphäre des Bürgers beeinträchtigt werde 46 • Dem ist der Satz Bettermanns entgegenzuhalten: "Die rechtsanwendenden Staatsorgane sind die Diener des Gesetzes. Sie taugen daher nicht zum Gesetzgeber, weil dies Herrschaft über das Gesetz voraussetzt47 ." Die Exekutive kann sich nicht mehr auf eine Vermutung für ihre Befugnisse berufen, "sie ist beschränkt auf die ihr durch die Verfassung zugewiesenen und darüber hinaus von der Legislative eingeräumten Kompetenzen"48. Das schließt ein Recht des ersten Zugriffs zur Gefah43 Hans Peters, in: Festschrift für Hans Huber, 1961, S. 210 ff.; Hans J. Wolff: Verwaltungsrecht 18, § 17 IV, IlIz, § 138 111 b; Martin Bullinger: Ver-
trag und Verwaltungsakt, 1962, S. 95 - jeweils mit weiteren Nachweisen -; vorsichtiger Arnold Köttgen in seinem Schlußwort auf der Berliner Staatsrechtslehrertagung, VVDtStRL 16, 1958, S. 269. U Peters: a.a.O., S. 216; ähnlich auch Fritz Werner: Probleme des Richterstaates, 1960, S. 18. 45 Vgl. dazu die Diskussionsbeiträge von Mayer - Maly und Strass er in: "Zur Erneuerung der Struktur der Rechtsordnung", veröffentl. vom östen. Bundesministerium für Justiz, 1970, S. 102, 112 ff. 48 Klaus Vogel: Gesetzgeber und Verwaltung, VVDtStRL H. 24, 1966, S. 125, 166; vgl. auch S. 162 f. n Karl August Bettermann: Freiheit unter dem Gesetz - Die Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und sozialer Rechtsstaat, 1962, S. 17. 48 Wilhelm Reuss: Öffentliche Wirtschaftsverwaltung mit privatrechtlichen Gestaltungsmitteln, in: Staatsbürger und Staatsgewalt 11, 1963, S. 225, 274.
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renabwehr - in einem nicht technisch gemeinten Sinne - nicht aus, doch darf diese Notkompetenz im Rahmen gesetzesfreier gestaltender Verwaltung nicht zur Rechtfertigung Jahre andauernder Staatspraxis mißbraucht werden49 • Die Ansicht, eine Ermächtigung zur exekutiven Rechtsetzung in der Form von Subventionsrichtlinien sei im Haushaltsgesetz in Verbindung mit dem Haushaltsplan zu erblicken, wird in jüngster Zeit vor allem von Ipsen vertreten50 , nachdem schon früher das Bundesverwaltungsgericht - freilich mehr als obiter dictum - eine solche Möglichkeit erwogen hatte·1 • Ipsen fordert eine "neu durchdachte verfassungsrechtliche Bewertung des Haushaltsgesetzes, seines Zusammenhanges mit dem Budget, seiner planhaften Zuordnung zur planausführenden Exekutive und - nicht zuletzt - ... der politisch gestaltenden und ermächtigenden Funktion der zweckgebundenen Mittelzuweisung durch das Parlament an die Exekutive"52. Er weist auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juli 1966 hin, wonach Haushaltsges'etz und Haushaltsplan eine Einheit bilden53 , und folgert: "Das Etatrecht des Grundgesetzes liefert eben seine besondere Ausgestaltung des demokratischen und des Gesetzmäßigkeitsprinzips für den Subventionsbereich der Leistungsverwaltung, die sich als für ihre spezifischen Strukturen geeignet und adäquat erweist"·4, soweit die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG herzuleitende Verfassungsgrenze des Subsidiaritätsprinzips beachtet werde. Diese Argumentation hat gewiß etwas Bestechendes und läßt sich nicht mit der bloßen Behauptung des Gegenteils widerlegen·5 • Wenn wir gleichwohl zögern, Ipsen auf dem von ihm eingeschlagenen Wege zu folgen, so einmal, weil wir meinen, daß der Zeitpunkt jedenfalls noch nicht gekommen ist, zu dem der Unterschied Kritisch gegenüber der von Vogel vertretenen Ansicht einer originären Rechtsetzungsbefugnis der Exekutive u. a. auch Ernst Forsthoff: Urt.-Anm., DVBl. 1957, 724, 725; Dietrich Jesch: Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 76 ff., 171 ff.; Max Imboden: Das Gesetz als Garantie rechtsstaatlicher Verwaltung, 2. Aufl., 1962, S. 42; Ipsen, VVDtStRL H. 25, 257, 290; Maunz - Dürig - Herzog: Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 20 Rdnr. 136, 137; sowie Menger: Die Bestimmung der öffentlichen Verwaltung nach den Zwecken, Mitteln und Formen des Verwaltungshandeins, DVBl. 1960,297,302 f. 49 Vgl. dazu meine Ausführungen, VerwArch. 52 (1961), 196 ff. 60 VVDtStRL 25, 257,291 ff. SI BVerwGE 6, 282, 287 f. Weitere Nachweise über Vertreter dieser Ansicht vgl. bei Pet er Selmer: Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschrift, VerwArch. 59 (1968), S. 114, 139 ff. S2 a.a.O., S. 291 f., Hervorhebung im Original. S3 BVerfGE 20, 56, 9l. 54 a.a.O., S. 292, Hervorhebung im Original. 55 So aber Maunz und Düng in Maunz - Dürig - Herzog: Grundgesetz, Art. 20 Rdnr. 137.
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zwischen einer materiell-rechtlichen Regelung in einem Gesetz und der bloß formalgesetzlichen Ermächtigung zur Ausschüttung von Mitteln an einen nur sehr global umschriebenen Kreis potentieller Empfänger vernachlässigt werden könnte; hier ist in der Tat noch ein Prozeß des Umdenkens und Umlernens vonnöten, vor allem aber müssen die weiteren Konsequenzen noch eingehend geprüft werden, die sich aus einer derartigen Umdeutung des Haushaltsgesetzes ergeben könnten. Zum anderen meinen wir, daß eine wenn auch mit sehr unbestimmten Gesetzesbegriffen und weiten Ermessensspielräumen arbeitende materiell-rechtliche Regelung wegen ihrer auf längere Zeit als nur die Haushaltsperiode von ein oder zwei Jahren angelegten Geltungsdauer den Gerichten eine bessere Gelegenheit verschafft, in einer kasuistischen Rechtsprechung zu festen Grundsätzen zu kommen als auf dem Umwege über Art. 3 GG. Damit sind wir schon bei dem letzten Argument, das in diesem Zusammenhang immer wieder anklingt und auch bei den anderen Rechtfertigungsversuchen unterschwellig mit eine Rolle spielt: dem Rechtsschutzargument, das vor allem in der Judikatur - naturgemäß - die wichtigste Rolle spielt56 • Nun ist gewiß zuzugeben und wir selbst haben immer wieder darauf hingewiesen, daß der vom Grundgesetz konstituierte Staat auf umfassenden Rechtsschutz gerade auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts hin angelegt ist. Prozessual sind die Rechtsschutzmöglichkeiten in der Tat lückenlos und die Warnungen vor Lücken im Rechtsstaat gehen ausschließlich auf die mangelnde Ausformung des materiellen Rechts zurück57 • Andererseits muß nach wie vor davor gewarnt werden, nun alle Verantwortung für eine gerechte Daseinsgestaltung zunehmend dem Richter aufzubürden58 • Die Rechtsprechungsorgane können und sollen die Aufgabe des Gesetzgebers nicht übernehmen; denn dessen Amt ist typischerweise die politische Gestaltung zukünftiger Geschehensabläufe, während der Richter regelmäßig in der Vergangenheit liegende abgeschlossene Sachverhalte auf ihre übereinstimmung mit der Rechtsordnung zu überprüfen hat. Wird das verkannt und werden deshalb die Funktionen bei der Staatsorgane verschoben oder gar vertauscht, so sind Fehlleistungen unvermeidlich. Insoweit gilt das nämliche wie bei einer Aufgabenverschiebung zwischen Legislative und Exekutive. 68 Vgl. dazu die umfassende Zusammenstellung bei Ossenbühl: Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 175 f., 514; sowie ders.: Administrative Selbstbindung durch gesetzwidrige Verwaltungsübung, DOV 1970, 264 ff. (zu BVerwG, DOV 1970, 275 = DVBl. 1970, 358 = MDR 1970, 357). 67 Vgl. zuletzt Menger: Rechtsschutz im Bereich der Verwaltung. Versuch einer Bilanz, DOV 1969, 153, 160 f. 58 Vgl. dazu MengeT: Moderner Staat und Rechtsprechung, 1968, S. 20, 27 ff.
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Für einen Teilbereich unseres Fragenkomplexes, dort wo das EinzelSubventionsrechtsverhältnis durch - öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen - Vertrag zwischen dem die Subvention vermittelnden Kreditinstitut und dem Subventionsnehmer begründet wird, wird man allerdings den Richtlinien insoweit Verbindlichkeit zusprechen können, als sie - ähnlich wie von Muttergemeinwesen erlassene Anstaltsordnungen bei in privatrechtlichen Formen erfolgender Nutzung einer nichtrechtsfähigen öffentlichrechtlichen Anstalt oder generalisierte Allgemeine Geschäftsbedingungen - als Bestandteil des Vertrages angesehen werden können. Nur bleibt auch hier das Unbehagen hinsichtlich der Legitimation zu deren Erlaß. Deshalb sollte sich der Gesetzgeber in Zukunft nicht mehr seiner Pflicht entziehen, die allgemeinverbindlichen Regeln aufzustellen, nach denen Verwaltung und Rechtsprechung dann den Einzelfall einer möglichst gerechten Regelung zuführen können.
Parlamentarische Kontrolle und autonome Verwaltungsbereiche Von Hans Georg Dahlgrün I. Das Ministerialprinzip
In der Staatsverwaltung herrscht in Bund und Ländern nach Grundgesetz und Landesverfassungen das Ministerialprinzip. Diese ministerielle Gebundenheit bedeutet, daß grundsätzlich einerseits die gesamte Staatsverwaltung - von den weiter unten zu besprechenden Ausnahmen abgesehen - von den einzelnen Ressortministern jeweils in ihrem Bereich geleitet und mit Weisungen versehen wird, und daß andererseits für jede Staatsverwaltungstätigkeit ein Minister gegenüber dem Parlament die Verantwortung trägt. Dieser mit der parlamentarischen Kontrolle unmittelbar verbundene Grundsatz der ministeriellen Gebundenheit der Verwaltung kommt besonders deutlich in der bayrischen Landesverfassung zum Ausdruck, wo es in den Bestimmungen der Artikel 53 Satz 3 und 55 Nr. 4 heißt, daß "jede Aufgabe der Staatsverwaltung einem ministeriellen Geschäftsbereich zuzuteilen ist und daß die gesamte Staatsverwaltung der Staatsregierung und den zuständigen Staatsministerien untergeordnet ist". Das Ministerialsystem involviert die Forderung nach Lückenlosigkeit. Ohne diese kann es keine oberste Leitung geben und kann wegen der alleinigen Verantwortung der Minister gegenüber dem Parlament keine umfassende parlamentarische Kontrolle stattfinden. Eine ministerialfreie Staatsverwaltung würde der Einwirkung der Staatsregierung und damit auch der Kontrolle durch das Parlament entzogen. Der Grundsatz der Ministerialgebundenheit der Staatsverwaltung gilt nicht ausnahmslos. Es gibt "autonome Bereiche", in denen kein ministerielles Weisungsrecht herrscht und deren Akte keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Diese Bereiche treten in zwei Erscheinungsformen auf: einmal als sich selbst verwaltende juristische Personen des öffentlichen Rechts und zum andern als weisungsfreie Teile der unmittelbaren Staatsverwaltung, parlamentsfreie Räume oder ministerialfreie Räume (Loening, DVBl. 1954, S. 175 ff.) genannt. Beide Erscheinungsformen sind voneinander zu trennen. Die zur autonomen Selbstverwaltung befähigten juristischen Personen des öffent-
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lichen Rechts sind regelmäßig nicht völlig frei von ministerieller Gebundenheit. Die ihnen im Sinn einer politisch erwünschten Dezentralisierung überantworteten Selbstverwaltungsaufgaben führen sie regelmäßig unter der Rechtsaufsicht des Staates aus. Zwar ersetzt diese Aufsicht bei weitem nicht das Weisungsrecht in einer hierarchisch gegliederten Verwaltung, enthält aber so viel an ministerieller Gebundenheit, daß noch ein Rest von übergeordneter staatlicher parlamentarischer Kontrolle über diese Selbstverwaltungskörper gegeben ist. Zur Gruppe dieser mit begrenzter Autonomie ausgestatteten Selbstverwaltungskörper gehören in erster Linie die Gemeinden und die Gemeindeverbände, dann auf Bundesebene die in Art. 86 GG begrifflich erwähnten Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts und auf Landesebene ebenfalls eine Reihe von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. 11. Autonomie und Verordnungsmacht
Haug (Autonomie im öffentlichen Recht, Heidelberg 1961) definiert die Autonomie wie folgt: "Die Autonomie ist eine vom Staat zwar begrenzte, aber innerhalb der Grenzen blanko verliehene Ermächtigung an nichtstaatliche, dem Staat aber unterworfene Träger, zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben staatliches Recht zu setzen." Träger der Autonomie sind meistens juristische Personen des öffentlichen Rechts, können aber auch natürliche Personen, Personengemeinschaften und Personengruppen sein. Obwohl Art. 28 Abs. 2 GG von Selbstverwaltung spricht, ist das Wesen der Autonomie nicht das Verwalten, sondern die Befähigung, Recht zu setzen und zwar öffentliches Recht, wenn von dem wissenschaftlich noch nicht restlos geklärten Fall der Tarifautonomie abgesehen wird, wo von den Tarifparteien privates Recht gesetzt wird. Dieses öffentliche Recht der autonomen Körper tritt uns in der Form der Satzung entgegen. Die öffentlich-rechtlichen Normen der Satzung wenden sich im Normalfall an die Angehörigen des autonomen Verbandes, denn das ist der Sinn der verliehenen Autonomie. Sie können aber auch nicht-verbands angehörige Personen binden, wie z. B. in einer Gemeinde auch Nichtgemeindebürger, fremde Personen, die zufällig anwesend sind, den Normen der Satzung unterworfen sind. Die Verleihung von Rechtsetzungsbefugnissen an die Exekutive durchbricht das Gewaltenteilungsprinzip. Es wäre deshalb Anlaß gewesen, die Autonomie im Grundgesetz zu regeln, wie auch das Verordnungsrecht in Art. 80 GG seine Regelung gefunden hat. Es gibt aber keinen eigenen Verfassungsartikel über Autonomie. Es werden nur
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zwei Fälle von Autonomie im Grundgesetz behandelt: die kommunale Autonomie in Art. 28 und die Autonomie der Kirchen in Art. 140 in Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Verfassung. Daraus zu folgern, daß, von diesen beiden Ausnahmen abgesehen, jede Ausstattung mit Autonomie rechtlich unzulässig ist, wäre falsch. Die Schaffung von selbständigen Rechtsträgern zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben verlangt, wenn echte nur der staatlichen Rechtsaufsicht unterliegende Selbstverwaltung geführt werden soll, die Befähigung zur Setzung von Normen des öffentlichen Rechts, also die Verleihung von Autonomie. Diese ist - beim Bund - immer da als zulässig zu achten, wo das Grundgesetz die Schaffung von selbständigen Rechtsträgern zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben zuläßt. Die Autonomie unterscheidet sich von der Verordnungsmacht nicht nur im Ermächtigungsadressaten (bei der Verordnung sind es nur die Bundesregierung, die Landesregierung und die Ministerien), sondern auch im Zweck und Inhalt. Verordnungsmacht wird für einzelne vorher bestimmte Materien verliehen. Während die Verordnung der verlängerte Arm des Gesetzgebers ist, erscheinen die im Rahmen der autonomen Satzung zu regelnden Sachen als eigene Angelegenheiten des autonomen Körpers, für die innerhalb abgesteckter Grenzen eine blankoverliehene Gesamtbefugnis erteilt ist. Im Gegensatz zum Verordnungsgegenstand sind die möglichen Inhalte vorgesehener autonomer Satzungen grundsätzlich unbegrenzt. Der von der autonomen Satzung angesprochene Personenkreis ist im Normalfall vorbestimmt, es sind die Verbandsangehörigen, während der von Verordnungsmacht erfaßbare Personenkreis nie ein irgendwie gesellschaftlich vorgeformter ist. Während die Verordnung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß im Gesetz bestimmt sein muß, können Inhalt und Ausmaß der vorgesehenen autonomen Satzung zur Zeit der Ausstattung mit Autonomie nicht exakt festgelegt werden, sie werden lediglich durch den Zweck bestimmt, zu dem die Autonomie verliehen wurde. III. Absolute Autonomie und ministerialfreier Raum Durch die Rechtsaufsicht über die autonomen Körper wird das System der ministeriellen Gebundenheit und der parlamentarischen Kontrolle der Verwaltung noch in einem Restbestand gewahrt. Fehlt auch die Rechtsaufsicht, stellt sich in diesem System eine Lücke ein. Die Justitiabilität der Verwaltungs akte des autonomen Körpers gibt dem betroffenen Bürger Rechtsschutz. Eine Kontrolle des Verwaltungsgebarens des auch von der Rechtsaufsicht befreiten autonomen Körpers von oben entfällt dagegen einschließlich der parlamentarischen Kontrolle.
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Nur die Finanzkontrolle durch die Rechnungsprufungsbehörde findet statt, soweit das Haushaltsrecht des Bundes und der Länder autonome Institutionen einer Prufungspflicht unterwirft. Der Fall einer solchen, wie man es nennen kann, absoluten Autonomie steht nicht in der rechtlichen Konstruktion, aber in der Wirkung dem ministerialfreien Raum (parlamentsfreien Raum) völlig gleich. Wegen der Durchbrechung des sonst geschlossenen ministeriellen-parlamentarischen Systems werden solche Räume selten sein und wird auch ihre Schaffung nur unter besonderen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen als möglich angesehen werden dürfen. Sie müssen sich entweder aus eigenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen oder aus der staatsrechtlichen Stellung des autonomen Bereichs oder aus einer die ministerielle Gebundenheit und parlamentarische Kontrolle zwingend ausschließenden AufgabensteIlung ergeben. Die staatsrechtliche Stellung, d. h. die Eigenschaft als an der Willensbildung des Staates unmittelbar beteiligtes Organ, führt auf Bundesebene zur Anerkennung eines ministerialfreien Raums in folgenden Fällen: Bei der Verwaltung des Bundespräsidenten, der Verwaltung des Bundestags, der Verwaltung des Bundesrats und der Verwaltung des Bundesverfassungsgerichts. Auf besonderer grundgesetzlicher Vorschrift (Art. 114 Abs. 2) beruht die Ministerialfreiheit = Unabhängigkeit des Bundesrechnungshofs. Als zwingend aus der AufgabensteIlung folgend kann die Ministerialfreiheit = Unabhängigkeit der Prüfungsausschüsse angesehen werden, die zwar organisatorisch in die Verwaltung eingegliedert, aber in ihrer Prufungsfunktion selbständig und unabhängig sind. Im übrigen sollte die Lückenlosigkeit des Ministerialund parlamentarischen Kontrollsystems gewahrt bleiben. Es erscheint als verfassungsrechtlich nicht zulässig, diesen Grundsatz etwa durch einen Selbstverzicht des Parlaments auf parlamentarische Kontrolle zu durchbrechen. Deshalb ist es äußerst zweifelhaft, ob das Parlament berechtigt ist, Teile der öffentlichen Aufgaben, seien es staatliche oder solche außerhalb der Staats organisation, aus seiner Kontrolle durch Beschluß zu entlassen. Das Parlament dürfte verfassungsrechtlich auch nicht befugt sein, Teile der Staatsverwaltung der obersten Leitung der Staatsregierung und damit auch seiner Kontrolle dadurch zu entziehen, daß es durch einfaches Gesetz einen ministerialfreien Raum schafft. So betrachtet ist die Unabhängigkeit der Mitglieder der Bundesprüfstelle für jugendgefährdendes Schrifttum (G. vom 9.6.53) verfassungsrechtlich angreifbar. Ähnliche verfassungsrechtliche Bedenken sind gegen die Unabhängigkeit = Ministerialfreiheit des Bundespersonalausschusses zu erheben. Seine Freiheit von ministerieller Bindung und parlamentarischer Kontrolle kann jedenfalls aus der AufgabensteIlung schwerlich zwingend abgeleitet werden.
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Der einzige durch das Verfassungsrecht selbst auf Bundesebene geschaffene ministerialfreie und parlamentsfreie Raum ist der Bundesrechnungshof; die einzige auch von staatlicher Rechtsaufsicht befreite, mit Unabhängigkeit gegenüber Regierung und Parlament ausgestattete rechtlich selbständige Einrichtung auf Bundesebene ist die Deutsche Bundesbank. Welche Auswirkungen die richterliche Unabhängigkeit bzw. die absolute Autonomie dieser beiden Institutionen gegenüber der Bundesregierung und dem Bundesparlament in rechtlicher und praktisch-politischer Beziehung hat, sei nachfolgend zuerst beim Bundesrechnungshof und so dann bei der Deutschen Bundesbank dargestellt und kritisch gewürdigt. IV. Der unabhängige Bundesrechnungshof
Es entspricht alter deutscher Tradition, daß die Mitglieder der obersten Prüfungsbehörde des Staates mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattet sind. Das gilt sowohl für den Bund als auch für die Länder. Die oberste Finanzkontrollbehörde soll frei, weder vom Parlament noch von der Regierung beeinflußbar, über die Gesetzmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des HandeIns der Exekutive, soweit es sich finanziell auswirkt oder auswirken kann - und das trifft auf den allergrößten Teil der staatlichen Verwaltungshandlungen zu -, ihr kritisches Urteil abgeben. Diese Unabhängigkeit berührt das parlamentarische, auf Regierungsverantwortlichkeit und Parlamentskontrolle beruhende System insofern nicht sehr, als der Rechnungshof über keine Sachentscheidungs befugnis verfügt. Der deutsche Rechnungshof prüft, stellt fest, beanstandet und ersucht um die Abstellung festgestellter Mängel, entscheidet aber nicht. Die Entscheidung liegt bei der geprüften Verwaltung bzw. Regierung. Der Rechnungshof trägt auch keine Mitverantwortung am Verwaltungshandeln, weil er nur abgeschlossene Vorgänge und Maßnahmen zu prüfen hat. Zwar ist der Bundesrechnungshof seit der Haushaltsreform von 1969 zwecks Erzielung größerer Gegenwartsnähe der Prüfung befugt, losgelöst von der Prüfung fertiger Rechnungen auch Einzelrnaßnahmen der Verwaltung zu prüfen, die sich noch nicht finanziell ausgewirkt haben (§ 89 Abs. 1 Nr. 2 BHO). Aber es muß sich auch in diesen Fällen immer um abgeschlossene Maßnahmen handeln. In die Planung, Vorbereitung und Ingangsetzung von Maßnahmen hat er sich nach deutschem Prüfungsrecht nicht mitbestimmend einzuschalten. Die alleinige Verantwortung der Exekutive bleibt gewahrt. Das dem Bundesrechnungshof neben seiner Prüfungsaufgabe zugewiesene Recht, die Bundesregierung und das Parlament zu beraten, geht über die Beraterfunktion der zahlreichen Beiräte und Sachverständigengremien der Ministerien nicht hinaus. Es bedeutet keine 21 Speye. 50
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Verschiebung der Verantwortlichkeit. Die Beratung kann eine Hilfe für den Entscheidungsprozeß sein, verantwortlich für die Entscheidung bleibt aber die Regierung. Nicht als Institution, wohl aber nach seiner Hauptfunktion kann der Bundesrechnungshof als ein Hilfsorgan des Parlaments bezeichnet werden, weil sich die parlamentarische Kontrolle der Exekutive auf die Prüfungsfeststellungen des Rechnungshofs stützt, und weil sein Prüfungsbericht die Grundlage für den Beschluß über die Entlastung der Regierung bildet. Die politisch motivierte und verfassungsrechtlich verankerte Unabhängigkeit der obersten Prüfungsbehörde und die Unabhängigkeit seiner Mitglieder gegenüber ihrem Präsidenten gewährleisten ein Optimum an objektiver Prüfung der Staatstätigkeit, sind aber nicht ohne negative Auswirkungen auf die Effektivität der Rechnungskontrolle. In Fachkreisen und in der Öffentlichkeit wird der berechtigte Vorwurf erhoben, daß das Rechnungsprüfungsverfahren viel zu lange dauert und wichtige Beanstandungen dadurch an Aktualität verlieren, und daß die Rechnungsprüfung im Parlament zu wenig Beachtung findet. Diese Mängel beruhen auf verschiedenen Ursachen, von denen eine in der rechtlichen Konstruktion und der inneren Verfassung des Rechnungshofs zu finden ist. Weil der Rechnungshof nur funktionell ein Hilfsorgan des Parlaments, institutionell dagegen eine seinem Einfluß entzogene Behörde ist, fehlt es an einem raschen und wirksamen Zusammenspiel zwischen Parlament und Prüfungsbehörde, wie es in England beobachtet werden kann, wo der Rechnungshof auch institutionell ein echtes Hilfsorgan des Parlaments geworden ist und wo seine an die Regierung gerichteten Anfragen und Auskunftsersuchen fristgerecht erledigt und seine Berichte und Prüfungsfeststellungen vom Parlament ohne Verzug bearbeitet werden. Außerdem sollte, vom Parlament her gesehen, die RegierungskontroUe politisch motiviert sein, während der unabhängige parlamentsfreie Rechnungshof betont unpolitisch verfahren zu müssen glaubt. Die Langsamkeit des Verfahrens wird wahrscheinlich durch die unabhängige Stellung der Mitglieder des Rechnungshofs gegenüber ihrem Präsidenten noch gefördert. Ob diese nicht zu leugnenden Nachteile durch die Vorteile einer gegenüber Parlament und Regierung unabhängigen, ein Optimum an unpolitischer Objektivität verbürgenden Rechnungsprüfung reichlich aufgehoben werden, kann und muß im Rahmen dieser Untersuchung dahingestellt bleiben. Nachdenklich stimmt jedenfalls die Erkenntnis, daß mit der staatsrechtlich ohnehin schwer begründbaren Schaffung ministerialfreier und parlamentsfreier Räume zwar das Ziel der Sicherung weisungs- und kontrollfreien Verwaltungshandelns erreicht, aber unter Umständen mit einer Minderung der Schlagkraft und des Tempos des Verwaltungshandelns erkauft wird.
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V. Die unabhängige deutsche Notenbank Probleme anderer Art ergeben sich, wenn eine staatliche Verwaltungsaufgabe einem autonomen, 'von staatlichen Aufsichtsrechten und parlamentarischer Kontrolle freien Körper übertragen wird, wie er uns in der Deutschen Bundesbank entgegen tritt. Die ministerielle Gebundenheit muß bei der Deutschen Bundesbank schon deshalb entfallen, weil ihrem obersten Organ, dem Zentralbankrat, und dem Direktorium die Stellung von obersten Bundesbehörden gegeben ist (§ 29 BBankG); denn eine oberste Bundesbehörde kann nicht von einer anderen obersten Bundesbehörde (Ministerium) Weisungen entgegennehmen. Von der Unterwerfung einer einzelnen obersten Bundesbehörde unter einen Kabinettsbeschluß und unter die Richtlinienkompetenz des Kanzlers ist die Bundesbank dadurch frei, daß ihr bei der Ausübung ihrer währungs- und kreditpolitischen Befugnisse durch Gesetz Unabhängigkeit von den Weisungen der Bundesregierung verliehen ist (§ 12 BBankG). Die übertragung einer für die Wirtschaft und den Staat so eminent bedeutsamen Aufgabe, wie es die Währungs- und Kreditpolitik ist, auf eine von der Staatsverwaltung getrennte selbständige Einrichtung entspringt nicht bloßen Dezentralisationserwägungen. Ihr liegen vielmehr politische Erwägungen zu Grunde, die in den Anschauungen der Allgemeinheit tief verwurzelt sind: das Volk, das zwei Inflationen durchgemacht hat, will sich gegen eine den Geldwert gefährdende Politik der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit schützen. Es sieht in der Notenbank den "letzten Damm gegen die Politisierung und Gouvernementalisierung des Geldes" (vgl. Röpke: Der Platz der Bank in einer entwickelten Volkswirtschaft, 175 Jahre C. G. Trinkaus, Düsseldorf 1961). Da die Währungspolitik nur ein Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik ist, für die die der parlamentarischen Kontrolle unterliegende Regierung die Verantwortung trägt, bedarf es einer Koordinierung der Maßnahmen der Regierung und der Notenbank, um eine einheitliche Gesamtwirtschaftspolitik zu erreichen. Diesem staatspolitischen Erfordernis sollen die in § 12 BBankG statuierte Pflicht der Bundesbank, unter Wahrung ihrer Aufgabe die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen, und die Vorschriften des § 13 BBankG (Beratungs- und Auskunftspflicht gegenüber der Bundesregierung, Recht der Kabinettsmitglieder auf Teilnahme an den Sitzungen des Zentralbankrats, suspensives Veto der Bundesregierung gegenüber Zentralbankratsbeschlüssen) Rechnung tragen. Die Formulierung des Bundesbankgesetzes, daß die Bank "unter Wahrung ihrer Aufgabe", d. h. der Wahrung der Aufgabe der Sicherung der Währung, verpflichtet ist, die allg'emeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unter21·
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stützen, wird einhellig dahin ausgelegt, daß die Pflicht zur Sicherung der Währung den Vorrang vor der Pflicht zur Unterstützung der von der Regierung und der Parlamentsmehrheit verfolgten Wirtschaftspolitik hat. Konfliktsfälle sind also theoretisch denkbar. Sie kommen, wie die jüngste Vergangenheit gezeigt hat, auch in der Praxis vor. über ihre Lösung trifft das Gesetz keine Regelung. In einer Konfliktsituation gibt es keinen Vermittlungsausschuß, der den Konflikt zwischen Bundesbank und Bundesregierung lösen kann; es gibt auch keine gerichtliche Instanz, die eine der Parteien, Bundesbank oder Bundesregierung anrufen könnte. Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht gegeben, weil es sich bei einer Auseinandersetzung über die Währungspolitik nach der im Schrifttum fast einhellig vertretenen Auffassung um Fragen handelt, die materiell dem Verfassungsrecht angehören. Das gilt natürlich nicht für Streitigkeiten in solchen Sachen, bei denen die Bundesbank im Auftrag der Bundesregierung tätig wird und weisungsgebunden ist (z. B. bei bestimmten Angelegenheiten des Außenwirtschaftsrechts). Hier steht der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VerwGO offen, nur wird es meistens am Rechtsschutzbedürfnis fehlen, da die Bundesbank bei Auftragsangelegenheiten regelmäßig keine eigenen Rechte besitzt, in denen sie verletzt sein könnte. Der verfassungsrechtliche Charakter eines Konflikts zwischen Bundesregierung und Bundesbank über den Umfang ihrer währungspolitischen Autonomie führt zu der Frage, ob zur Entscheidung des Streits das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann. Die Frage wäre zu bejahen, wenn die Bundesbank ein Verfassungsorgan wäre, d. h. ein Organ, dessen Bestand sich unmittelbar aus der Verfassung ergibt und das notwendig ist, um das Vorstellungsbild der Verfassung vom Staat und das Ziel der Verfassung im Zuständigkeitsbereich dieses Organs zu realisieren. Diese Kriterien treffen auf den Bundestag, den Bundesrat, die Bundesversammlung, den Bundespräsidenten, die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht zu. Ob die Bundesbank zu den Trägern oberster verfassungsmäßiger Staatsgewalt zu zählen ist, wird im Schrifttum verneint. Auch die weitere Frage, ob die Bundesbank, wenn auch kein Verfassungsorgan, so doch ein "anderer Beteiligter" ist, der durch das Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet ist (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG), muß verneint werden. Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht nennt in § 63 als Beteiligte nur die obersten Verfassungsorgane und die im Grundgesetz oder den Geschäftsordnungen mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe, zu denen die Bundesbank nicht gehört. über die einengenden Schranken dieser Legalinterpretation des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG hat sich das Bundesverfassungsgericht nur bei den politischen Parteien hinweggesetzt. Es hat ihnen den Weg des Organstreits mit der Begründung geöffnet, daß das
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Grundgesetz die Parteien zu verfassungsmäßigen Institutionen erhoben und sie in die Verfassung eingebaut habe; dadurch seien die politischen Parteien zu integrierenden Bestandteilen des Verfassungs aufbaus und des verfassungsrechtlich ~ordneten politischen Lebens geworden. Sie seien zwar keine formierten obersten Bundesorgane wie Parlament und Regierung aber "Kreationsorgane" im Sinne Jellineks (BVerfGE 1, 223). Diese Ausnahmestellung politischer Parteien kann für die Bundesbank nicht in Anspruch genommen werden. Ein "Kreationsorgan" ist sie nicht. Der juristischen Begründung der Ablehnung der Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts zur Entscheidung über einen währungspolitischen Konflikt zwischen Bundesregierung und Bundesbank ist der allgemeine Gedanke hinzuzufügen, daß ein Gericht schwerlich die geeignete Instanz ist, eine währungspolitische Entscheidung zu fällen. Es dürfte keine Instanz mit besserem Sachverstand zu finden sein, als ihn die beiden im Konflikt befindlichen Institutionen selbst aufweisen. Ist eine schwerwiegende Konfliktsituation zwischen Bundesregierung und Bundesbank gegeben und glaubt die Bundesregierung auf die Durchsetzung ihrer Politik nicht verzichten zu können, bleibt als ultima ratio nur die Anrufung des Gesetzgebers, der prüfen muß, ob er die Unabhängigkeit der Bundesbank aufhebt. Beschließt er keine Gesetzesänderung in diesem Sinn, bleibt die Divergenz zwischen der von der Bundesregierung verfolgten allgemeinen Wirtschaftspolitik und der von der unabhängigen Bundesbank betriebenen Währungspolitik bestehen, bis - möglicherweise unter dem Druck der öffentlichen Meinung eine Koordinierung erfolgt.
VI. Pro und contra Ministerialfreie Räume und aufsichtsfreie autonome Verwaltungskörper können, wie dargestellt, im Staatsleben Auswirkungen haben, die der systemgerecht denkende Verwaltungsjurist nur widerstrebend zur Kenntnis nehmen wird. Er sieht im Geist den Staat im Staate, der zu entstehen droht, wenn in dem geschlossenen parlamentarisch kontrollierten Ministerialsystem in wesentlichen Verwaltungsbereichen Lücken gelassen werden. Die Gründe für die Schaffung autonomer Zonen, also ministerialfreier = parlamentsfreier Räume und aufsichtsfreier autonomer Verwaltungskörper liegen durchweg weniger auf dem Gebiet der sachlichen Zweckmäßigkeit als im allgemeinen politischen Bereich. Daß zur einwandfreien Aufgabenerfüllung eines Rechnungshofs die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit eine unerläßliche Voraussetzung ist, kann nicht unbedingt behauptet werden, denn außerhalb Deutschlands gibt es ausgezeichnet ar'beitende Prüfungs-
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behörden, die nicht unabhängig sind, wie etwa die obersten Prüfungsbehörden Schwedens und der Schweiz oder auch diejenige Englands, die ein echtes Hilfsorgan des Parlaments ist. Niemand kann nach den Erfahrungen in den genannten Ländern sagen, daß ihre obersten Prüfungsbehörden ihre Aufgabe schlechter erfüllen als die Rechnungshöfe in Deutschland. Es sind ebenfalls praktische Erfahrungen außerhalb Deutschlands, die einen leichten Zweifel auch daran aufkommen lassen, daß nur eine regierungs- und parlamentsunabhängige Notenbank ihre währungs- und kreditpolitische Aufgabe einwandfrei erfüllen kann. Hingewiesen sei auf die Bank von England, die keine Unabhängigkeit genießt, der aber kein Sachkenner nachsagen wird, daß si'e ihrer Aufgabe unzulänglich gerecht werde. In Deutschland besteht die Neigung, die Unabhängigkeit von der Regierung und die damit gegebene Freiheit von parlamentarischer Kontrolle etwas überzubewerten. Man bekennt sich zum parlamentarischen System, schafft aber gleichzeitig kontrollfreie Räume. Das ist wenig konsequent und bedeutet letzten Endes ein Stückchen Mißtrauen gegen das eigene frei erwählte Staatssystem. Die Herrschaft der Parteien wird akzeptiert. Der Verfassungsgeber führt im Grundsatz ein lückenloses Ministerialprinzip und ein lückenloses parlamentarisches Kontrollsystem ein. Gleichzeitig schafft er aber den ersten ministerial- und parlamentsfreien Raum. Der einfache Gesetzgeber läßt weitere autonome Verwaltungsbereiche zu. Die Öffentlichkeit begrüßt diese Freiheitsräume, wohl ohne sich darüber klar zu sein, daß sie sich mit dem parlamentarischen System schlecht vertragen. Bei einem so wichtigen Verwaltungs bereich, wie es die Ausübung der Währungs- und Kreditpolitik ist, kann die Gewährung von absoluter Autonomie zu Situationen führen, die für den Staat und die Wirtschaft unerfreulich sind. Es kann kein gutes Ergebnis herauskommen, wenn die Regierung Gas gibt und die Notenbank auf die Bremse tritt oder umgekehrt. Ein Minimum von kontrollfreien autonomen Verwaltungsbereichen mag unentbehrlich sein, staatsrechtlich und staatspolitisch sind sie ein Problem.
Selbstverwaltung und demokratischer Staat Von Franz Mayer
Die Selbstverwaltung, wie sie sich im 19. Jahrhundert in den Gemeinwesen des deutschen Rechtskreises ausgebildet hat, wurde zu einem entscheidenden Baustein für den Aufbau des modernen demokratischen Staates. Die Idee der Selbstverwaltung, die diese Entwicklung getragen hat, erwuchs aus mehreren Wurzeln. Ihr liegt einmal zugrunde die alte deutschrechtliche Vorstellung von der gemeinsamen Herrschaft der Rechtsgenossen über die örtliche Mark (Markgenossenschaft), von der Gemeinde als der ursprünglichen Gebietskörperschaft, zum anderen auch die Vorstellungen von einem local government, einem pouvoir communal und einem pouvoir municipal. Nicht nur Einzelpersönlichkeiten wie der Freiherr vom Stein, List oder sonstige Köpfe des süddeutschen Liberalismus, sondern auch Rezeptionen aus fremdem Rechtskreis haben die Ausbildung der heutigen deutschen Selbstverwaltung maßgeblich geprägt. Ihre entscheidende Ausformung erhielt diese Selbstverwaltung durch die Kommunalgesetze des 20. Jahrhunderts. Das Prinzip der Selbstverwaltung ist aus einem politischen Postulat des frühen 19. Jahrhunderts! inzwischen zu einem tragenden politischen Prinzip, zu einem wesentlichen Element moderner Demokratie geworden. Darüber hinaus ist es heute ein Verfassungsprinzip, das nicht nur in den Verfassungen der Länder, sondern auch im Grundgesetz institutionell garantiert ist. Und schließlich, es ist nunmehr auch ein tragendes Rechtsprinzip, durch das das formelle und materielle Recht der Verwaltung, insbesondere ihr Organisationsrecht, entscheidend bestimmt wird. t Der Kampf wurde dabei mit Stoßrichtung gegen die Bürokratie geführt. So formulierte etwa der von den Reutlinger Bürgern in den Württembergischen Landtag entsandte List wie folgt: "eine vom Volk ausgeschiedene, über das ganze Land ausgegossene, in den Ministerien sich kOHzentrierende Beamtenwelt, unbekannt mit den Bedürfnissen des Volkes und den Verhältnissen des bürgerlichen Lebens, in endlosem Formenwesen kreisend, behauptet das Monopol der öffentlichen Verwaltung, jeder Einwirkung des Bürgers, gleich als wäre sie staatsgefährlich, entgegenwirkend". Friedrich List, Gesamtschriften, herausgegeben von L. Häusser, Bd. I (1850), S. 75 ff.; ferner Heinrich Heffter, Deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, Stuttg~rt 1950, S. 171.
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Unter Selbstverwaltung verstehen wir öffentliche Verwaltung, die von einem dem Staat inkorporierten öffentlichrechtlichen Rechtsträger in eigener Zuständigkeit und Verantwortung in den jeweils von der Rechtsordnung hierfür gezogenen Grenzen ausgeübt wird2 • Diese Selbstverwaltung gewährleistet im Rahmen der Verwaltungsund Rechtsordnung die verantwortliche Mitbeteiligung der örtlichen oder regionalen Bürgerschaft an der öffentlichen Verwaltung und stellt im heutigen Rechtsstaat ein wesentliches Element der Verbindung von Staat und Gesellschaft dar. Die Selbstverwaltungsträger sind in den ihnen von der Rechtsordnung zugestandenen Bereichen selbständig und führen als Rechtssubjekte, als Vermögensträger und in gewissem Umfang auch als Verwaltungskörper ein Eigenleben. Dadurch stellt das Selbstverwaltungsprinzip ein wesentliches Element der notwendigen Dezentralisierung der öffentlichen Verwaltung dar. Von besonderer Bedeutung für unsere Thematik ist die kommunale Selbstverwaltung, die vom Grundgesetz in Art. 28 Abs. 2 institutionell garantiert ist. Die Grundform kommunaler Selbstverwaltung ist die Selbstverwaltung der Gemeinde, die nach dem Willen des Grundgesetzes der Gemeinde ermöglichen soll, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Der Wirkungskreis gemeindlicher Selbstverwaltung stellt sich demnach als ein Bündel von Rechten dar, das insbesondere folgende Hoheitsrechte umfaßt: Gebietshoheit, Finanzhoheit, Personalhoheit, Organisationshoheit, Planungshoheit und Rechtsetzungshoheit. Was zum verfassungsrechtlich absolut geschützten Kernbereich der kommunalen Verwaltung gehört, läßt sich nicht in eine allgemein gültige Formel fassen. So kann der Kernbestand gemeindlicher Finanzhoheit wohl nicht darin bestehen, daß die Gemeinde völlig frei schalten und walten kann, sondern sie kann nur verantwortlich disponieren unter Beachtung ihrer Stellung innerhalb des modernen Verwaltungsstaates und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit des Finanzausgleichs'. Ferner muß es sich dabei immer um Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft handeln, d. h. um Verwaltungsfunktionen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können4 • Wenn Art. 28 Abs. 2 GG von Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze spricht, so bedeutet dies ! Vgl. zum Begriff insbes. Erich Becker, Selbstverwaltung, in: Staatslexikon, Bd. 7, Sp. 45 f.; derselbe in: Die Grundrechte, BerUn 1962, S. 680/681, S. 696; sowie F. Mayer in: Fritz Morstein Marx u. a., Die Verwaltung. Eine einführende Darstellung, BerUn 1965, S. 13. 3 BVerfG, Beschluß vom 21. 5. 1968, Bd. 23, S. 353-373. 4 BVerfG, Urteil vom 30.7.1958, Bd. 8, S. 122 [So 134].
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nicht den beliebigen Zugriff des Gesetzgebers. Auch Einschränkungen durch Gesetz haben den Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts unangetastet zu lassen und die zuständigen Gesetzgeber, Bundes- wie Landesgesetzgeber, können jeweils nur in den ihnen nach der allgemeinen Rechtsordnung zukommenden Sachbereichen dem Selbstverwaltungsrecht Schranken setzen5 • Denn Art. 28 Abs. 2 GG enthält keine die Selbstverwaltung beschränkenden Gesetzgebungsermächtigungen; solche müssen vielmehr für den Einzelfall aus der Rechtsordnung abgeleitet werden. Im übrigen ist eine Gesetzesregelung solcher Art nur möglich, soweit es sich um öffentliche Verwaltung handelt, die unter dem Vorbehalt des Gesetzes steht. Das verfassungsrechtlich den Bürgern garantierte Prinzip der Gesetzmäßigkeit gilt für den Gesamtbereich der Verwaltung, also auch für den Selbstverwaltungsbereich mit der Folge, daß notwendigerweise eine Aufsicht des Staates über den Selbstverwaltungsträger die Beachtung dieses Prinzips sicherstellenmuß. Jegliche Beschränkung der Selbstverwaltung, sei es durch den Gesetzgeber oder durch die Staatsaufsicht, unterliegt gerichtlicher Nachprüfung. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht prüft herkömmlich, ob die Einschränkung des Selbstverwaltungsrechts aus überwiegendem öffentlichen Interesse im Einzelfall notwendig und verhältnismäßig ist. Dabei sieht es die ratio des Art. 28 Abs. 2 GG vor allem darin, daß "eigenverantwortliche demokratische Mitarbeit, Spontaneität und Gewaltenhemmung den Umständen und Verhältnissen entsprechend ermöglicht und nicht mehr als unbedingt notwendig behindert werden"8. Inhaltlich geht aber die Selbstverwaltung in der Alltagspraxis weit über das hinaus, was durch die Rechtsordnung geregelt oder durch Art. 28 Abs. 2 GG garantiert ist. Selbstverwaltung als Rechtsbegriff umfaßt zunächst all das, was rechtlich den Selbstverwaltungsträgern garantiert ist. Innerhalb des weit gesteckten Rahmens der Rechtsordnung kommt darüber hinaus aber den Selbstverwaltungsträgern eine eigentlich nicht mehr aufzählbare Vielfalt von Verwaltungsfunktionen verschiedenster Art zu, die die allgemeinen Formeln unserer Gemeindeordnungen über lokale Allzuständigkeit oder die Allseitigkeit des Wirkungskreises irgendwie rechtlich einzufangen versuchen. Insbesondere die gemeindliche Selbstverwaltung umfaßt daher in der Praxis heute ihrem Inhalt und Umfang nach wesentlich mehr als Grundgesetz und Landesverfassungen den Gemeinden garantieren. BVerfG, Urteil vom 20.3. 1952, Bd. 1, S. 167-184. H. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 292; eh. Starck, Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Verfassungsrecht in Fällen, Bd. 17, S. 37/38, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 5
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Gerade darin liegt nicht zuletzt die aktuelle Bedeutung der Selbstverwaltung für den demokratischen Staat begründet. Als man sich in Deutschland 1945 anschickte, die Demokratie wieder herzustellen, verband man mit dem inzwischen so schillernd gewordenen Begriff wesentlich konkretere Vorstellungen als heute. Dem Wortsinn nach bedeutet Demokratie Herrschaft des Volkes. Eine Zeit, in der der Begriff Volk weithin durch den Begriff Gesellschaft ersetzt worden ist, vermag wohl mit dieser wörtlichen Sinndeutung wenig anzufangen. Im übrigen erscheint die Aussage, daß die Herrschaft im Gemeinwesen durch das Volk ausgeübt wird, zumindest in den großen Industriestaaten als eine Fiktion. Hans Peters hat nicht zuletzt deshalb dem Begriff Demokratie als Inhalt "lediglich eine ideelle Zurückführung aller im Staat ausgeübten Macht auf dieses Volk als höchsten Gewaltträger" zuerkannt? Da das Volk in den modernen Gemeinwesen kaum mehr unmittelbar die höchste Gewalt auszuüben, d. h. zu herrschen oder zu regieren vermag, werden die verschiedensten Verknüpfungen der tatsächlichen Herrschaftsgewalt mit dem Volkswillen versucht. So wird zum entscheidenden Problem des Begriffs Demokratie, der sowohl ein politischer wie ein verfassungsrechtlich fixierter Begriff ist, die Definition des Volksinteresses, des Volkswillens, die allein die Staatsrnacht legitimierenB. Im Kern ist Demokratie eine nach bestimmten rechtlich fixierten Regeln vom Volkswillen her legitimierte Herrschaft, eine Ordnung, in der unbeschadet der mannigfachen Mitwirkungs- und Mitspracherechte der Bürger, ihrer Freiheit und Gleichheit, eine Staats macht befiehlt und anordnet sowie von den einzelnen Bürgern Gehorsam fordert und notfalls auch erzwingt. Demokratie in diesem Sinn ist ein politisches Prinzip, ein politisches Konzept oder, wie W. v. Simson9 auf der Staatsrechtslehrertagung in Speyer formuliert hat, ein Vorsatz. Demokratie ist eine politische Ordnungsvorstellung, die in besonderer Weise der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung des Menschen und damit seiner Würde (Art. 1 GG) dienen will. Ihr politisch-technischer Ansatzpunkt ist: Mehrheit Hans Peters, Demokratie, in: Staatslexikon, Bd. 2, Sp. 561. Vgl. W. v. Simson, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL, Bd. 29, S. 6: "Nach der Zielsetzung demokratischer Regierungsformen dagegen ist die Definition des Volksinteresses, welches die Staatsrnacht legitimiert, im Prozeß der freien Diskussion, und die Bestimmung derjenigen, welche diese Macht ausüben, einem nach festgelegten Regeln stattfindenden Kampf um die politische Macht überlassen, Regeln, die in der Hauptsache folgendes erreichen sollen: die Freiheit der Meinungsäußerung, die Mitwirkung bei der Bildung des Staatswillens und bei der Kontrolle seiner Ausübung, die Bereitschaft, sich dabei überstimmen zu lassen, und das Recht der Minderheit, sich um die Macht zu bemühen". 7
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a.a.O., S. 12.
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entscheidetl°. Dies setzt wiederum voraus die Gleichheit aller Bürger, das möglichst privilegienfreie Gemeinwesen. Im Hinblick auf ihr Ziel, der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung des Menschen zu dienen, basiert die Demokratie aber auch auf der Freiheit der Menschen. Diese beiden Grundelemente der Demokratie, Freiheit und Gleichheit, stehen jedoch in einem schwer zu bewältigenden Spannungsverhältnis, das im Grunde genommen auch unserer derzeitigen demokratischen Diskussion zugrunde liegt. Mit ihren neun Thesen gegen den Demokratiemißbrauch sieht das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken eine Möglichkeit eines Spannungsausgleichs zwischen den beiden Polen Freiheit und Gleichheit in den Prinzipien der Solidarität und der Gerechtigkeit. "Diese Prinzipien bestehen in der freiwilligen Anerkennung der Gleichheit der Menschen, ihrer Natur wie ihrem Wert nach sowie im Bewußtsein, geistig und materiell aufeinander angewiesen zu sein. Die Solidarität bestimmt den Stärkeren, von der Freiheit nicht auf Kosten der Schwächeren Gebrauch zu machen, sie bestimmt aber auch die Schwächeren, dem Stärkeren nicht den Nutzen der Freiheit zu verbieten, soweit es ihnen nicht schadet ...11." Die Problematik der Demokratie, wie sie aus Mehrheitsentscheidung, Freiheit und Gleichheit erwächst, ist eine urpolitische. Da das Prinzip der Demokratie ein politisches Prinzip ist, ergeben sich aber auch ganz bestimmte Bereichsgrenzen der Demokratie. Demokratie ist nur anwendbar auf Bereiche, die ihrer Natur nach der politisch'en Durchdringung zugänglich sind. Das politische Prinzip Demokratie hat in unserer Verfassungs- und Rechtsordnung inzwischen eine sehr intensive rechtliche Grundlegung erfahren. Sowohl im Grundgesetz wie in den Landesverfassungen stellt es eines der tragenden Konstitutionsprinzipien des Verfassungssinns dar. Nach Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer Bundesstaat und diese Aussage ist über Art. 79 Abs. 3 GG auch der Verfassungsänderung entzogen. Dieses im Grundgesetz niedergelegte Demokratieprinzip ist jedoch gesellschaftspolitisch neutral. In der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung ist daher das Demokratieprinzip als Kampfmittel ungeeignet, insbesondere kann Demokratie nicht verstanden werden als ein Mittel zur Legitimierung einzelner und zur Diskreditierung anderer Meinungen12 • über Demokratie kann man Andersdenkende nicht ausschalten, ja Demokratie 10 Vgl. etwa Art. 2 BV: (I) Bayern ist ein Volksstaat. Träger der Staatsgewalt ist das Volk. (2) Das Volk tut seinen Willen durch Wahlen und Abstimmungen kund. Mehrheit entscheidet. 11 Dokumentation gegen Demokratiemißbrauch. Thesen des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Rheinischer Merkur 1971, Nr. 32, S. 4. 12 W. v. Simson, a.a.O., S. 3B.
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toleriert und setzt Andersdenkende sogar voraus. Die Demokratie des Grundgesetzes ist nicht zuletzt um der Sicherung ihrer Grundelemente willen eingebunden in den Rechtsstaat (Art. 20 GG) und sie ist, von wenigen plebiszitären Spuren abgesehen, eine repräsentative Demokratie. In einer pluralistischen Industriegesellschaft ist schon allein um des Schutzes der Minderheit willen Demokratie nur in rechtsstaatlicher Form erträglich oder wie Martin Kriele es auf der Staatsrechtslehrertagung in Speyer formuliert hat, Demokratie ist Herrschaft des Volkes durch Herrschaft des Rechts 13 • Die Beziehung Selbstverwaltung und Demokratie wird schon in der Geburtsstunde der modernen Selbstverwaltungsidee im frühen 19. Jahrhundert aktuell. über die Idee der Selbstverwaltung hat sich seinerzeit konservatives Denken mit der Demokratie abzufinden begonnen. Das typische Beispiel dieser ersten Entwicklung, die wegführt von einer Demokratie im Sinne Rousseaus, ist die Städteordnung des Reichsfreiherrn vom Stein. Hier soll unter Arierkennung des Gemeinwesens und der Fähigkeiten des Bürgers, allerdings unter Sicherstellung seiner Rechte, insbesondere seines Eigentums, der Volksstaat von unten nach oben aufgebaut werden. Die Idee der Demokratie soll für den neuen Staatsaufbau allerdings unter Beibehaltung der überkommenen Wertvorstellungen nutzbar gemacht werden, ein Unterfangen, das dann theoretisch von Constantin Frantz in seiner Gesellschaftsordnung14 für den bundesstaatlichen Aufbau weitergeführt worden ist16 • Von hier führt eine gerade Linie zu Art. 11 Abs. 4 der Bayerischen Verfassung: "Die Selbstverwaltung der Gemeinden dient dem Aufbau der Demokratie in Bayern von unten nach oben". Und von hierher ist auch die Aussage des Art. 11 Abs. 2 BV, eine Rezeption schweizerischer Rechtsvorstellungen, zu verstehen, die Gemeinden sind ursprüngliche Gebietskörperschaften. Der Selbstverwaltungsträger besitzt dem Staat gegenüber keine absolute, aber eine relative Selbständigkeit und dies auch soweit er öffentliche Gewalt ausübt. Die hierin steckende Antinomie ist nur eine vordergründige, wenngleich die Staatstheorie, insbesondere in der Weimarer Zeit, immer wieder zwischen der konsequenten Demokratie mit ihrer nivellierenden und zentralisierenden Tendenz und echter körperschaftlicher Selbstverwaltung eine unüberbrückbare Spannung sah. Ja, man glaubte sogar eine Unvereinbarkeit von Demokratie und Selbstverwaltung zu erkennen. So lesen wir bei 11
Martin Kriele, VVDStRL, Bd. 29, S. 49. C. Frantz, Der Föderalismus als das
leitende Prinzip für die soziale, staatliche und internationale Organisation unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland kritisch nachgewiesen und konstruktiv dargestellt, Mainz U
1879. 15
Vgl. H. Peters, Demokratie, in: Staatslexikon, Bd. 2, Sp. 577/578.
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Hans Herzfeld16 : "Die staatsrechtliche Literatur ist sich demgegenüber in der Hauptsache einig, daß die Erhebung von Gemeinden und Städten zum dritten Grundfaktor für die politische Ordnung der Nation neben dem Reich und den Ländern zur pluralistischen Auflösung des Staates als allgemeiner Ordnungsgewalt führen würde." Und auch earl Schmitt17 glaubte feststellen zu müssen, daß die Gemeinde "zum vornehmsten Stützpunkt der pluralistischen Polykratie" geworden ist. Um dem entgegenzuwirken, versuchte man an der alten These vom politischen Wesen des Staates und vom unpolitischen Wesen der Gemeinde festzuhalten18 , was notwendigerweise die gerade damals anstehende grundlegende Gemeindereform unmöglich machen mußte. Anders als etwa in den Staaten romanischer Rechtskultur ist aber in den Gemeinwesen des deutschen Rechtskreises die Mehrschichtigkeit staatlicher Gewalt nicht nur in horizontaler, sondern auch in vertikaler Gliederung, unbeschadet der schließlichen Einheit aller Staatsgewalt, allgemein anerkannt. Jeder Selbstverwaltungsträger, ob Gemeinde oder Universität, ist eingebettet in das Staatsganze; und ihre Selbstverwaltung ist ein nur in gewisser Weise verselbständigter Ausfluß staatlicher Gewalt. Die Verwaltungsmacht des Selbstverwaltungsträgers ist ein sachlich wie lokal begrenzter Teil der Staatsgewalt, die zwar von ihm in eigener Zuständigkeit und Verantwortung ausgeübt wird, die aber im demokratischen Staat allein vom gesamten Staatsvolk ausgeht, nicht aber von einem Gemeindevolk oder einem Universitätsvolk. Trotzdem ist die örtliche Volksvertretung im Rahmen ihrer gesetzlichen Funktion selbständig und nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland kein "Organ der Staatsrnacht" wie etwa in den sozialistischen Ländern, sondern Organ des jeweiligen Selbstverwaltungsträgers. Die Selbstverwaltungseinheit wie auch ihre Organe sind aber der Rechtsetzung und Rechtsprechung des Staates unterworfen; für sie gelten alle Rechtsregeln und Grundsätze des demokratischen und sozialen Bundesstaats1U und die öffentliche Gewalt, die sie ausüben, geht nach Art. 20 GG vom gesamten Staatsvolk aus. Hier stellt sich aber nun allerdings die ganz entscheidende Frage, was muß in einer Demokratie den Organen der Gesamtstaatsgewalt vorbehalten bleiben und was kann an Staatsgewalt zur Ausübung in eigener Zuständigkeit und Verantwortung, d. h. in dezentralisierter Form der lokalen Bürgerschaft und ihren Vertretern zur selbständigen Erledi18 H. HeTzfeld, Demokratie und Selbstverwaltung in der Weimarer Epoche, 1957, S. 34. 11 C. Schmitt, Hüter der Verfassung, Tübingen 1931, S. 92 f. 18 Hans HeTzfeld, a.a.O., S. 36. 19 ETich BeckeT, Kommunale Selbstverwaltung, in: Die Grundrechte, herausgegeben von K. A. Bettermann und H. C. Nipperdey, Berlin 1962, S. 688, S. 691, S. 699.
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gung überlassen werden? Diese Grenzziehung erscheint außerordentlich schwierig, weil hier allein mit der Formel von den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nicht durchzukommen ist. Die Auseinandersetzung um das Augsburger Zeughaus zwischen dem Freistaat Bayern und der Stadt Augsburg hat dies sehr deutlich gemacht20 • Es gibt Dinge, die rein vordergründig als lokale Angelegenheit erscheinen, zu deren Erledigung aber eben doch die Organe der örtlichen Gemeinschaft und die Organe des Gesamtstaatsvolks zusammenwirken müssen. Jede Abgrenzung wird um so problematischer, je mehr heute lokale Entscheidungen überlokale Auswirkungen haben. So mehren sich auch in den Verwaltungsgesetzen die Vorbehalte, die eine Kooperation von Staat und Selbstverwaltungsträger vorsehen. Gerade in dieser Kooperation liegt eine wesentliche Beziehung zwischen Demokratie und Selbstverwaltung. Einerseits besteht der demokratische Staat in seinem Aufbau von unten nach oben eben zunächst einmal aus einer Summe von Selbstverwaltungsbereichen, andererseits muß das gesamte Staatsvolk, von dem aUe Staatsgewalt ausgeht, davor geschützt werden, daß partikulare, egoistische Interessen übermächtig werden. So haben über die Grundstruktur unserer Universitäten bei aller Anerkennung ihres Selbstverwaltungsrechts eben nicht obskure "Vollversammlungen" zu beschHeßen, sondern der Gesetzgeber, d. h. die allgemeine politische Repräsentanz des gesamten Staatsvolks. Andererseits ist ein Uranliegen des Selbstverwaltungsgedankens, den Bürger dadurch stärker an das Gemeinwesen heranzuführen, daß er bei Ausübung der lokalen Herrschaft maßgeblich mitbeteiligt wird. Mehr als bei einer anderen Staatsform lebt der demokratische Staat vom Gemeinsinn seiner Bürger. Bis heute wird der Selbstverwaltungsbereich als die Grundschule für alle die angesehen, die später überlokale politische Funktionen wahrnehmen wollen. Nach 1945 wurde weithin der neue demokratische Staat aus dem Selbstverwaltungsbereich heraus aufgebaut. Und schließlich erscheint heute die Selbstverwaltung als das wichtigste Hilfsmittel, um unter den Gegebenheiten des modernen Großstaates der Industriegesellschaft Demokratie überhaupt praktikabel zu machen und als Staatsidee am Leben zu erhalten. Bei aller Bedeutung der Selbstverwaltung für die Demokratie sind aber in jedem Gemeinwesen - und das gilt es besonders heute zu betonen - der Demokratie auch klare Grenzen gesetzt, Grenzen, die in den letzten Jahren besonders in den verschiedenen Bereichen der Selbstverwaltung deutlich geworden sind. Demokratie ist ein durch die Verfassung rechtlich verfestigtes politisches Prinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 28 Abs. 1 GG) und 20 BayVGH, Urteil v. 18.12.1968, BayVBl. 1969, S. 286; BVerwG, Beschluß vom 22. 1. 1971, DVBl. 1971, S. 213.
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von qualifiziertem Bestand (Art. 79 Abs. 3 GG); sie wird von der ganz überwiegenden Mehrheit des Staatsvolkes als die derzeit bestmögliche Staatsform angesehen. Demokratie ist aber trotzdem kein absoluter Wert, sondern nur zeit- und umständebedingtes Mittel, Instrumentarium zur Organisation der Herrschaft im Gemeinwesen als einer Rechtsgemeinschaft. Demokratie ist eine Methode der politischen Willensbildung im Staat und in seinen unterstaatlichen Verbänden21 • Demokratie kann daher nur soweit reichen, als es sich um einen noch politischen Bereich handelt. Demokratie muß somit zessieren, wo ein nichtpolitischer Sachzwang herrscht; Demokratie ist keine Ideologie, erst recht keine Pseudoreligion oder gar Religionsersatz. Demokratie ist demnach in erster Linie ein Ordnungsprinizp, das dem Zusammenleben der Menschen im Gemeinwesen und zwar auf den verschiedensten Stufen in Bund, Land, Gemeindeverband, Gemeinde sowie sonstigen Selbstverwaltungsbereichen zu dienen hat. Mit Hilfe dieses Ordnungsprinzips wird die rechtlich dem Gemeinwesen zukommende Herrschaft organisiert. Demokratie für sich genommen bedeutet aber nicht zusätzliche Macht über die Menschen. Insbesondere kann und darf über das Demokratieprinzip kein neuer Mensch erzwungen werden. Der Mensch ist in seiner individuellen Freiheit jeglicher Verfassung, auch dem Recht und der Demokratie vorgegeben. Ein Bestreben, den Menschen oder die Gesellschaft unter Zuhilfenahme von Gewalt zu verändern, mag die Änderung gesellschaftspolitisch noch so vehement und von vielen postuliert werden, läßt sich nicht mit Demokratie rechtfertigen. Derartige gesellschaftspolitische Postulate, die darauf abzielen, vorgegebenen Freiheitsraum des Menschen zu eliminieren, sind sogar demokratie- und grundgesetzwidrig. Selbst eine noch so hilfreiche Terminologie, wie etwa der Ruf nach Demokratisierung, vermag darüber nicht hinwegzutäuschen. Demokratisierung als ideologisch verstandener Begriff, der sämtliche Lebensbereiche des Menschen Mehrheitsentscheidungen unterwerfen will, ist nicht Demokratie, sondern eigentlich ein völlig undemokratisches Unterfangen. Demokratie kann nie weiterreichen als der Staat selbst; der Bereich öffentlicher Gewalt kann rechtens nicht beliebig über Mehrheitsentscheidungen verbreitert werden. Eine Demokratie außerhalb des Rechtsstaates kennt aber das Grundgesetz nicht. Wenn unmittelbar nach dem Zusammenbruch 1945 von Demokratisierung die Rede war, so verstand man darunter ein Anheben, eine Stärkung der Bürgerverantwortung für die Angelegenheiten des Gemeinwesens 22 • 21 Georg Dahm, Deutsches Recht, 2. Auflage, Stuttgart 1963, S. 166; Hans Klein, Demokratisierung der Universität, 2. Auflage, Göttingen 1968, S. 15. 22 E. Becker im Handbuch der Kommunalen Wissenschaft und Praxis, herausgegeben von Hans Peters, Bd. I, Berlin, Tübingen, Heidelberg 1956, S. 156/157.
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Die heute nach Demokratisierung rufen, verstehen aber sichtlich darunter etwas ganz anderes, nämlich die Unterwerfung des ein~elnen unter Mehrheitsentscheidungen bei Ausschluß jeglichen individuellen Freiheitsraumes. Wilhelm Hennis sieht in dieser "emanzipatorischen Forderung nach Demokratisierung", im Grunde eine "Revolte gegen die Natur", ausgelöst von den auf Grund der Natur "durch Ungleichheit bestimmten Sozialtatbeständen". Da wir aber "nicht imstande sind, die Natur zu verändern, werden mit dem Begriff der Demokratisierung von Sozialtatbeständen Hoffnungen geweckt, die unerfüllbar sind"23. In dem so verstandenen Sinn gehört Demokratisierung dem Bereich der Utopie zu. über Art. 79 Abs. 3 GG ist der Begriffsinhalt Demokratie, wie er sich aus Art. 20 GG ergibt, auch der Mehrheitsentscheidung entzogen, also sogar demokratiefest. Und dies ist vom Verfassunggeber so gewollt; denn auch und gerade nicht über den Begriff Demokratie soll der öffentlichen Gewalt das Eindringen in den absoluten Freiheitsraum des einzelnen Bürgers ermöglicht werden; und dem entspricht letztlich auch die ratio des Art. 19 GG. Dem Bürger der Rechtsgemeinschaft des Grundgesetzes ist ein staats freier Raum zugestanden, der auch der "Demokratisierung" entzogen ist. Der Demokratie nicht mehr zugänglich sind daher alle Bereiche, die einer politischen Durchdringung unzugänglich sind, wie etwa Wissenschaft, Religion, Ideologien aller Art, Kultur und, um Institutionen zu nennen, Schule, Kirche, Betrieb, Familie. Diese Bereiche und Institutionen müssen um der Würde des Menschen und seiner Freiheit willen von politischen Prinzipien frei, d. h. auch demokratiefrei gehalten werden. In wissenschaftlichen und religiösen Fragen z. B. darf der einzelne nicht Mehrheitsentscheidungen unterworfen werden. Die Demokratie hat im 19. Jahrhundert im deutschen Rechtskreis gerade über die sich ausbildenden Selbstverwaltungsträger, insbesondere die Gemeinden und Gemeindeverbände, Boden gewonnen. Dies ist der entscheidende entwicklungsgeschichtliche Bezug zwischen Selbstverwaltung und Demokratie. Gerade aus der Erfahrung dieser geschichtlichen Entwicklung wissen wir aber auch, daß in den wichtigsten Selbstverwaltungsbereichen, in Gemeinden und Gemeindeverbänden das allgemein Politische dominant bleiben muß. Eine parteienstaatliche Mediatisierung etwa der Gemeinden würde der verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung widersprechen24 . Die Gemeinden wie auch sonstige Selbstverwaltungsträger dürfen daher nicht wie der demokratische Staat es heute schon ist, allein von den großen Parteien durchpolitisiert werden. Insoweit absorbiert Art. 28 23 Wilhelm Hennis, Demokratisierung. Zur Problematik eines Begriffs, Westdeutscher Verlag, 1970, S. 38/39. 24
eh. Starck, a.a.O., S. 42.
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GG auch ganz deutlich die parteienstaatliche ratio des Art. 21 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung zur Rathauspartei diesen Bezug sehr konkret und anschaulich herausgearbeitet. "Die in Art. 28 GG ausgesprochene Garantie der kommunalen Selbstverwaltung wirkt in die landesgesetzliche Gestaltung des kommunalen Wahlrechts hinein. Aus dieser Garantie ist nämlich zu folgern, daß die Auslese der Kandidaten für die kommunalen Wahlkörperschaften jedenfalls auch nach örtlichen Gesichtspunkten bestimmt werden muß und daher nicht ausschließlich den ihrem Wesen und ihrer Struktur nach in erster Linie am Staatsganzen orientierten politischen Parteien vorbehalten werden darf 25 ." Das Bundesverfassungsgericht umschreibt dabei die sogenannten Rathausparteien als wohl allgemein politisch ausgerichtete, aber ortsgebundene, überwiegend kommunale Interessen verfolgende Wählergruppen. Eine perfekte Durchpolitisierung im ideologischen Sinn kann sogar die notwendigen Funktionen eines Selbstverwaltungsträgers weithin erlahmen lassen oder möglicherweise völlig eliminieren, wie wir dies bei der derzeitigen bedauerlichen Entwicklung einiger deutscher Universitäten erleben. Hier gilt eben, daß auch der demokratische Staat in gewisse Sachbereiche sich besser nicht einmischt, weil ohne ihn die Dinge sachgerechter abgewickelt werden können. In besonderer Weise ist dies anzumerken für die überkommene Selbstverwaltung der Wissenschaft, die der Natur der Sache nach wohl nicht apolitisch, aber anti politisch und antiideologisch zu sein hat. Hier wird der Staat selbst in der Form der "Demokratie" hinderlich, sobald er sich hineinmischt26 • Aber auch da, wo die Organe der Selbstverwaltung durch Wahlen, die den demokratischen Spielregeln entsprechen, ins Amt kommen, kann um der Sache willen während ihrer Amtsperiode der Mehrheitsmeinung nicht die Steuerung der einzelnen Sachentscheidung überlassen bleiben. So sind nach übereinstimmendem deutschem Kommunalverfassungsrecht der Gesamtheit der Gemeindebürger ihre politischen Einflußmöglichkeiten abschließend zugewiesen. In der Gemeinde z. B. sind die Bürgermeister und Mitglieder der Gemeinderäte (Gemeindeversammlungen) nur dort rechtlich an die Willensbildung der Mehrheit der Bürger, die ihnen ihr Mandat übertragen hat, gebunden, wo dies ausdrücklich in der Rechtsordnung vorgesehen ist; so müssen nach 25 BVerfG, Beschluß vom 12.7.1960, Bd. 11, S. 266 und Urteil vom 15.11. 1960, Bd. 12, S. 10; vgl. ferner auch BVerfG, Urteil vom 2.11.1960, Bd. 11, S.351-366. 28 W. v. Humboldt, über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, Gesammelte Schriften, Bd. X, Berlin 1903, abgedruckt in: Die Idee der deutschen Universität, Darmstadt 1956, S. 377 [So 378]; insbesondere auch H. Klein, Demokratisierung der Universität?, a.a.O.
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verschiedenen Gemeindeordnungen bestimmte Beschlüsse von Gemeindeversammlungen beachtet werden und dergleichen. Wo aber, und dies ist ganz überwiegend der Fall, eine solche rechtliche Bindung fehlt, sind auch die gewählten Organwalter frei und nur dem Gesetz sowie ihrem Gewissen unterworfen. Im Bereich der Selbstverwaltung geht es eben nicht wie bei Parlamenten um grundlegende allgemeine politische Entscheidungen, sondern um schlichte Verwaltungs arbeit, mag sie auch so manchen politischen Aspekt aufweisen. Bei den heutigen schwierigen Verwaltungsfunktionen erscheint es schon vom Sachverstand und von den notwendigen Informationen her gesehen unmöglich, daß fallweise Bürgerversammlungen entscheiden, d. h. verwalten. Ja, je unmittelbarer hier die Rechtsgemeinschaft um die Verwaltungsentscheidung gefragt werden würde, desto unvollkommener käme ihr eigentlicher Wille zum Ausdruck. Je komplizierter die Verwaltungsvorgänge werden, desto notwendiger erscheint für die verantwortliche Wahrnehmung der einzelnen Verwaltungsfunktionen die Repräsentation durch ein konkret verantwortliches, handlungsfähiges Gremium bzw. den kommunalen Wahlbeamten, der gegenüber seiner örtlichen Gemeinschaft für eine fehlerhafte Entscheidung voll einzustehen hat. Diese Haftung, auf die es entscheidend ankommt, müßte notwendigerweise entfallen, wenn der Handelnde im Einzelfall an Plebiszite gebunden wäre; denn die Verantwortung erfordert eben ein Mindestmaß an Handlungsfreiheit. Ein imperatives Mandat ist damit nicht zu vereinbaren. So kommt es heute im Universitätsbereich nicht zuletzt deshalb zu oft ganz unmöglichen Entscheidungen, weil derzeit ein nicht unbeträchtlicher Teil der Mitglieder der akademischen Gremien teils völlig ohne Verantwortung entscheiden kann, teils durch neue Ordnungen nur noch formell verantwortlich erscheint, tatsächlich aber an meist nur zufällige Plebiszite gebunden ist. Hier stellt sich natürlich die Frage nach der Sachgerechtigkeit der Mehrheitsentscheidung in der Verwaltung überhaupt. Nun, wir haben gerade im Selbstverwaltungsbereich noch beachtliche Bestände an kollegialer Verwaltung, die durchaus funktionieren kann, solange sie sachbezogen bleibt. Franz Haymann hat es in der Festgabe für Rudolf Stammler formuliert, worauf es hier im letzten ankommt: "überall ist es das Interesse der Rechtsordnung an der Abstimmung nach einheitlichem sachlichen Gesichtspunkt, das alle diese Vorschriften wahren wollen. überall wird die Mehrheit nur durch die allen Abstimmenden gemeinsame Richtung auf das Gesamtinteresse gerechtfertigt27 ." 27 F. Haymann, Die Mehrheitsentscheidung, ihr Sinn und ihre Schranke, Festgabe für Rudolf Stammler zum 70. Geburtstag, Berlin und Leipzig 1926,
S. 395 f. [So 476].
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Gewisse Vorfälle in deutschen Großstädten haben gerade in jüngster Zeit deutlich werden lassen, daß Selbstverwaltung nur funktionieren kann, wenn unbeschadet aller demokratischen Spielregeln, nach denen die maßgeblichen Organwalter in ihr Amt kommen, diese frei und damit verantwortlich ihre Verwaltungs entscheidung treffen können. Dies gilt für einen Oberbürgermeister in gleicher Weise wie für einen Polizeipräsidenten; sobald ihnen von irgendwelchen weiter nicht verantwortlichen und der Sachgerechtigkeit nicht verpflichteten Gremien die Entscheidung aufgezwungen werden kann, wird das Selbstverwaltungskonzept des Grundgesetzes unvollziehbar. Gerade im Selbstverwaltungsbereich sind durch die eben angedeuteten Vorkommnisse nicht nur die Grenzen menschenmöglicher Demokratie, sondern insbesondere auch die Schranken einer sachbezogenen mehrheitlichen Willensbildung sowie der noch möglichen Transparenz dieses Vorgangs klar markiert worden. Werden diese Grenzen verletzt, so verliert die Verwaltungsentscheidung nicht nur ihre Sachbezogenheit; in Konsequenz führt eine solche Handhabung schließlich sogar zur Verletzung der Menschenwürde, zur Unterdrückung der gerade nach richtigem Demokratieverständnis zu schützenden Minderheit, zu Unfreiheit und Terror, ja zur Anarchie. Handlungsunfähigkeit und Unwirksamkeit der Selbstverwaltung wären die weitere Folge. Gewisse extrem ideologisierte Gruppierungen verfügen längst über hinreichende Fertigkeiten zur Manipulierung und Inszenierung entsprechender "willensbildender Versammlungen". Wie wir es bereits am Beispiel der "Vollversammlungsdemokratie" unserer Universitäten erlebt haben, würde dann gar bald die tatsächliche Entscheidungsgewalt in den verschiedenen Selbstverwaltungsbereichen auf Aktivistenkader übergehen. Das Grundgesetz schließt aber ein Rätesystem aus; denn die Demokratie des Grundgesetzes hat eine rechtsstaatliche zu sein. Gemäß Art. 28 GG gilt dies auch für die Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften. Von Verfassungs wegen sind somit um der Freiheit des Staatsvolkes wie der einzelnen Bürger willen auch dem Demokratieprinzip klare Grenzen gezogen. Von einigen wenigen und gesetzlich ausdrücklich fixierten plebiszitären Elementen abgesehen, gilt für den Selbstverwaltungsbereich im deutschen Rechtskreis das Prinzip der repräsentativen Demokratie, wobei schon von der Sache her gerade im Bereich der Verwaltung dem Demokratieprinzip schlechthin gewisse Schranken inhärent sind. Die Entwicklung des Demokratieverständnisses im deutschen Rechtskreis ist in den letzten Jahren durch eine immer stärker werdende Konturlosigkeit des Begriffsinhalts Demokratie gekennzeichnet. Aus recht durchsichtigen Gründen wird heute von verschiedenen Gruppen der Begriff Demokratie "mißverstanden". über die Schranken der 22·
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Art. 20, 21, 28, 38 und 79 Abs. 3 GG hinaus gibt es aber keine weitere Demokratisierung, es sei, man verlasse bewußt den Rechtsboden des Grundgesetzes. über diesen schillernden Begriff "Demokratisierung" will man von bestimmter Seite den gesellschaftspolitisch neutralen Begriff Demokratie ideologisieren; ja der Sache nach gebraucht man "Demokratisierung" schon als eine Art Ersatzbegriff für Diktatur des Proletariats. Den Vätern des Grundgesetzes sei Dank, daß ihr Demokratiebegriff so ideologie abweisend ausgefallen ist. Auch mit dem inzwischen voll ideologisierten Begriff "Demokratisierung" wird man das Grundg'esetz nicht unterlaufen können. Viel gefährlicher erscheint, daß für die Bewußtseinsbildung einer breiteren Öffentlichkeit in bedauerlicher Weise hierdurch die eigentlichen Positionen unscharf, gewissermaßen vernebelt werden. Besonders weit ist diese Entwicklung bereits in bestimmten Selbstverwaltungsbereichen vorangeschritten, wo offenbar die Revolutionäre Chancen der Umfunktionierung unseres Selbstverwaltungssystems in ein Rätesystem zu erkennen glauben. Gerade in diesen kleineren Gemeinschaften unseres Gemeinwesens gilt es daher heute die Demokratie des Grundgesetzes gegenüber Demokratismus und Demokratisierung zu wahren.
Funktionen der Beteiligung bei öffentlicher Planung Von Renate Mayntz Die Diskussion um "Partizipation" oder öffentliche bzw. demokratische "Beteiligung" leidet oft unter der ungenauen, nicht explizit zwischen verschiedenen Arten der Partizipation trennenden Verwendung der Begriffe. Versäumt man, solche Unterscheidungen zu treffen, dann geschieht es leicht, daß man eine Art der Partizipation an Funktionserwartungen mißt, die eigentlich eher für eine andere Art der Partizipation gelten. Differenzierte Funktionserwartungen für verschiedene Arten der Partizipation lassen sich aber nur entwickeln, wenn man sie im Zusammenhang, gleichsam als arbeitsteiliges System betrachtet - was zunächst eine entsprechende begriffliche Differenzierung von Partizipationsarten voraussetzt. Die Gründe, die in der gegenwärtigen Diskussion für die Notwendigkeit von Partizipation angeführt werden, lassen sich in den folgenden drei Funktionen zusammenfassen: 1. Erfüllung der Norm demokratischer Selbstbestimmung als Wert an sich;
2. Verbesserung der Qualität des politischen Entscheidungsinhalts (technische und substantielle Rationalität); 3. Erzeugung von Bereitschaft zur Erfüllung zentral gesetzter Ziele bzw. Normen. Obwohl die Funktionen prinzipiell unabhängig voneinander sind, kann es empirische Zusammenhänge zwischen ihnen geben, und zwar sowohl positiver wie negativer Art. Fragt man, von welchen Institutionen die Erfüllung dieser Funktionen erwartet wird, dann wird die erste Antwort lauten: von den Institutionen unseres repräsentativen politischen Systems - Parteien, allgemeinen Wahlen und Parlamenten. Allerdings wird heute behauptet, daß die Institutionen des parlamentarischen Systems diese ihnen zugeschriebenen Funktionen unter den gegenwärtigen Bedingungen nur noch unzureichend erfüllen, woraus sich dann die Forderung nach neuen Formen der Partizipation ableitet. Insbesondere spielt dabei
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eine Rolle, was heute unter Beteiligung im engeren Sinne verstanden wird, nämlich die unmittelbare Mitwirkung der Betroffenen an einem politischen Entscheidungsprozeß, vor allem an Planungen (wobei "unmittelbar" den direkten, nicht über gewählte Volksvertreter laufenden Kontakt meint). Bislang wurden Untersuchungen zur Frage der Beteiligung vor allem auf lokaler Ebene angestelltl. Dabei wurde wiederholt beobachtet, daß die etwa bei einer Verkehrsplanung, einer Sanierung, der Aufstellung eines Bebauungsplans oder in einem Flurbereinigungsverfahren Beteiligten die ihnen eröffnete Chance zumeist im Sinne der Wahrnehmung rein privater, und zwar insbesondere kurzfristiger materieller Interessen nutzen. Mehr noch: die Bereitschaft zur Beteiligung scheint meistens direkt davon abzuhängen, daß ein Betroffensein in diesem engen Sinne vorliegt. Unter diesen Umständen kann die Beteiligung natürlich die eingangs erwähnten Funktionen zumal im Hinblick auf die Verbesserung der Entscheidungsqualität (etwa im Sinne von Gemeinwohlbezogenheit, Zukunftsorientiertheit, Innovativität usw.) kaum erfüllen. Die Frage ist, ob man sie überhaupt am Anspruch dieser Funktionen messen sollte. Genau das wird jedoch von den meisten Autoren ausgesprochen oder unausgesprochen getan 2 , wobei dann das negative Ergebnis oft mit quasi entschuldigenden Hinweisen auf die partizipationsfeindliche politische Kultur eines Landes und die Einstellung seiner Bürger zum Staat, auf den niedrigen Informationsstand und die kurze Zeitperspektive von sozial minderprivilegierten Beteiligten oder auf die resignative Wirkung erfahrener Ohnmacht in politischen Entscheidungsprozessen zu erklären versucht wird3 • Einen Ansatz zu einer differenzierten Funktionszuweisung an verschiedene Formen der Beteiligung läßt sich in einer von J oseph Rovan und in ähnlicher Weise auch von Roland Eckert getroffenen Unterscheidung finden 4• Rovan möchte drei Formen der Partizipation unterschieVgl. hierzu vor allem die Beiträge im Journal of the American Institute seit Mitte der 60er Jahre; in der BRD ist diese Diskussion vor allem in Beiträgen in der Bauwelt geführt worden. Siehe aber auch Hans Pflaumer, Öffentlichkeit und Verwaltung in einem demokratischen Planungsprozeß, München 1970, sowie vor allem Bernhard Schäfers, Planung und öffentlichkeit, Düsseldorf 1970. Zu Großbritannien kennzeichnend der Skcffington-Report: People and Planning - Report of the Committee on Publi