Codex Aureus: Das Goldene Evangelienbuch von Echternach 3534236912, 9783534236916

Der "Codex Aureus" mit seiner tausendjährigen Geschichte ist ein Kunstwerk höchsten Ranges und ein einzigartig

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German Pages 152 [154] Year 2011

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Table of contents :
Cover
Inhalt
Vorwort
Der „Codex Aureus“ – Glanzstück der salischen Buchkunst
I. Echternach, Gotha, Nürnberg – zur Geschichte des „Codex Aureus“
In der Schatzkammer von Echternach
Der Prunkcodex in Gotha
Die Erwerbung durch das Germanische Nationalmuseum
II. Der Prunkeinband des „Codex Aureus“
Der goldene Buchdeckel des „Codex Aureus“
Die Elfenbeintafel
Der Goldschmiederahmen
Die Idee der Ausstrahlung als Programm
Zur Frage von Stiftern und Stiftungsanlass
Der Buchdeckel in Echternach
III. Illumination und Illustration – die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“
Grundlegende Gestaltungsprinzipien
Das Layout
Die Schrift
Der Inhalt der Texte
Das Ausstattungssystem
Das Verhältnis von Text und Bild
Die einzelnen Bild- und Zierseiten
Bildprolog zu den Vorreden (f. -1r – 7v)
Auftakt in Purpur (f. -1v – 2r)
Doppelseite mit der „Majestas Domini“ (f. 2v – 3r)
Zierseiten zu den Vorreden (f. 3v – 7r)
Kanontafeln mit Vorreden (f. 7v – 14r)
Vorreden zu den Kanontafeln (f. 7v – 9r)
Die Kanontafeln (f. 9v – 14r)
Text- und Bildprolog zum Matthäusevangelium (f. 14v – 17r)
Zierseiten (f. 14v – 17r)
Die erste Teppichseite (f. 17v – 18r)
Christuszyklus I: Kindheit und Berufung der ersten Jünger (f. 18v – 20r)
Evangelistenbild und Lobpreisung des Matthäus (f. 20v – 21r)
„Incipit“- und Initialzierseite zum Matthäusevangelium (f. 21v – 22r)
Ornamentale und figürliche Initialen im Matthäusevangelium: Variation und Hervorhebung (f. 22v – 48v)
Text- und Bildprolog zum Markusevangelium (f. 49r – 56r)
Zierseiten zum Prolog des Markusevangeliums (f. 48v – 51r)
Die zweite Teppichseite (f. 51v – 52r)
Christuszyklus II: Wunder und öffentliches Wirken (f. 52v – 54r)
Evangelistenbild und Lobgedicht zu Markus (f. 54v – 55r)
„Incipit“- und Initialzierseite zum Markusevangelium (f. 55v – 56r)
Text- und Bildprolog zum Lukasevangelium (f. 72v – 80r)
Zierseiten zum Prolog des Lukasevangeliums (f. 72v – 74r)
Die dritte Teppichseite (f. 75v – 76r)
Christuszyklus III: Gleichnisse (f. 76v – 78r)
Evangelistenbild und Lobgedicht des Lukas (f. 78v – 79r)
„Incipit“- und Initialzierseite zum Lukasevangelium (f. 79v – 80r)
Text- und Bildprolog zum Johannesevangelium (f. 107v – 114r)
Zierseiten zum Prolog des Johannesevangeliums (f. 107v – 109r)
Die vierte Teppichseite (f. 109v – 110r)
Christuszyklus IV: Die Passion (f. 110v – 112r)
Evangelistenbild und Lobgedicht zu Johannes (f. 112v – 113r)
„Incipit“- und Initialzierseite zum Johannesevangelium (f. 113v – 114r)
IV. Maler und Übermaler – zur Herstellung des „Codex Aureus“
Die Miniaturisten
Die Herstellungsphasen der Handschrift
Maler und Übermaler
V. Buchmalerei in Echternach zur Salierzeit
Ein Blick in das Echternacher Skriptorium
Das Bremer „Evangelistar Heinrichs III.“
Kaiser Heinrich III. als Auftraggeber in Echternach: der „Codex Aureus“ im Escorial
Der „Codex Caesareus“ in Uppsala
Die „kleineren“ Echternacher Prachthandschriften
Eine kunsthistorische Neubestimmung der „Echternacher Schule“
VI. Der „Codex Aureus“ im Kontext der ottonisch-salischen Buchkunst
Kunstgeschichte und Maltechnologie: neue Forschungsansätze
Skriptorium und Bibliothek des Klosters Echternach seit der Gründungszeit
Echternach unter Abt Humbert (1028–1051)
Vorbilder und Vorlagen der Echternacher Buchmaler: Versuch einer Rekonstruktion des Musterbestands
Wege der Vermittlung: Echternach und die Trierer Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“
Bibliophile „Diademe“: der „Codex Aureus“ als Höhepunkt der Echternacher Buchmalerei
Handschriftenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Register
Abbildungsnachweis
Dank
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Codex Aureus: Das Goldene Evangelienbuch von Echternach
 3534236912, 9783534236916

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Codex Aureus Das Goldene Evangelienbuch von Echternach

Anja Grebe

Codex Aureus Das Goldene Evangelienbuch von Echternach

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

Sonderausgabe 2011 (3., unveränderte Auflage) © 2007 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1. Auflage 2007 2., unveränderte Auflage 2008 Umschlagabbildung: Evangelistenbild des Matthäus (f. 20v). Umschlagentwurf: Peter Lohse, Heppenheim Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Seeheim in Zusammenarbeit mit Elke Göpfert, Mörlenbach Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN-13: 978-3-534-23691-6

Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag Umschlagabbildung: Evangelistenbild des Lukas (f. 78v). Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt www.primusverlag.de ISBN 978-3-89678-724-8

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72159-7 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-72160-3 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-715-2 (Buchhandel) eBook (ebub): 978-3-86312-716-9 (Buchhandel)

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der „Codex Aureus“ – Glanzstück der salischen Buchkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

I. Echternach, Gotha, Nürnberg – zur Geschichte des „Codex Aureus“ . . . . . . . .

16

In der Schatzkammer von Echternach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

Der Prunkcodex in Gotha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Erwerbung durch das Germanische Nationalmuseum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

II. Der Prunkeinband des „Codex Aureus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

Der goldene Buchdeckel des „Codex Aureus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Goldschmiederahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 28

Die Idee der Ausstrahlung als Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

Zur Frage von Stiftern und Stiftungsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

Der Buchdeckel in Echternach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Illumination und Illustration – die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus““ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Elfenbeintafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Grundlegende Gestaltungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Das Verhältnis von Text und Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36 36 38 39 39 40

Die einzelnen Bild- und Zierseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

Bildprolog zu den Vorreden (f. -1r – 7v) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 40 41 46

Das Layout . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Inhalt der Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Ausstattungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Auftakt in Purpur (f. -1v – 2r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Doppelseite mit der „Majestas Domini“ (f. 2v – 3r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zierseiten zu den Vorreden (f. 3v – 7r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

Kanontafeln mit Vorreden (f. 7v – 14r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Vorreden zu den Kanontafeln (f. 7v – 9r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kanontafeln (f. 9v – 14r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text- und Bildprolog zum Matthäusevangelium (f. 14v – 17r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T

47 47 48

Zierseiten (f. 14v – 17r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die erste Teppichseite (f. 17v – 18r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christuszyklus I: Kindheit und Berufung der ersten Jünger (f. 18v – 20r) . . . . . . . . . . . . . . . . . Evangelistenbild und Lobpreisung des Matthäus (f. 20v – 21r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Incipit“- und Initialzierseite zum Matthäusevangelium (f. 21v – 22r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ornamentale und figürliche Initialen im Matthäusevangelium: Variation und Hervorhebung (f. 22v – 48v) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

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Text- und Bildprolog zum Markusevangelium (f. 49r – 56r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T

Zierseiten zum Prolog des Markusevangeliums (f. 48v – 51r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die zweite Teppichseite (f. 51v – 52r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christuszyklus II: Wunder und öffentliches Wirken (f. 52v – 54r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evangelistenbild und Lobgedicht zu Markus (f. 54v – 55r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Incipit“- und Initialzierseite zum Markusevangelium (f. 55v – 56r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text- und Bildprolog zum Lukasevangelium (f. 72v – 80r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T

Zierseiten zum Prolog des Lukasevangeliums (f. 72v – 74r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die dritte Teppichseite (f. 75v – 76r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christuszyklus III: Gleichnisse (f. 76v – 78r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evangelistenbild und Lobgedicht des Lukas (f. 78v – 79r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Incipit“- und Initialzierseite zum Lukasevangelium (f. 79v – 80r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text- und Bildprolog zum Johannesevangelium (f. 107v – 114r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . T

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Zierseiten zum Prolog des Johannesevangeliums (f. 107v – 109r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die vierte Teppichseite (f. 109v – 110r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christuszyklus IV: Die Passion (f. 110v – 112r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evangelistenbild und Lobgedicht zu Johannes (f. 112v – 113r) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Incipit“- und Initialzierseite zum Johannesevangelium (f. 113v – 114r) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Maler und Übermaler – zur Herstellung des „Codex Aureus“ . . . . . . . . . . . . . .

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Die Miniaturisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

108

Die Herstellungsphasen der Handschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Maler und Übermaler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Buchmalerei in Echternach zur Salierzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118

Ein Blick in das Echternacher Skriptorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118

Das Bremer „Evangelistar Heinrichs III.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kaiser Heinrich III. als Auftraggeber in Echternach: der „Codex Aureus“ im Escorial . . . . . .

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Inhalt 6

Der „Codex Caesareus“ in Uppsala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

Die „kleineren“ Echternacher Prachthandschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

Eine kunsthistorische Neubestimmung der „Echternacher Schule“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VI. Der „Codex Aureus“ im Kontext der ottonisch-salischen Buchkunst . . . . . . .

130

Kunstgeschichte und Maltechnologie: neue Forschungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130

Skriptorium und Bibliothek des Klosters Echternach seit der Gründungszeit . . . . . . . . . . . . .

130

Echternach unter Abt Humbert (1028 – 1051) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorbilder und Vorlagen der Echternacher Buchmaler: V Versuch einer Rekonstruktion des Musterbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

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Wege der Vermittlung: Echternach und die Trierer Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

138

Bibliophile „Diademe“: der „Codex Aureus“ als Höhepunkt der Echternacher Buchmalerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Handschriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt 7

Vorwort

rend dieser Ausstellung als Faksimileblätter präsentiert, so dass sich ein Überblick über den gesamten Buchschmuck des Werkes ergibt. Übrigens ist auch dieses hervorragende Faksimile inzwischen im Handel längst vergriffen und erreicht auf Auktionen fünfstellige Preise. Die Anregung zu der hier vorliegenden wissenschaftlichen Publikation war letzter Auslöser für die Ausstellungsidee. Für Publikation und Ausstellung wurden umfangreiche Forschungen durchgeführt, sowohl von der Autorin Anja Grebe als Kunsthistorikerin als auch von Doris Oltrogge und Robert Fuchs von der Fachhochschule Köln, welche die Handschrift technologisch untersuchten und ihre Ergebnisse großzügigerweise für die Auswertung im vorliegenden Buch zur Verfügung stellten. Die Zusammenarbeit von Kunstgeschichte und Naturwissenschaften erwies sich als äußerst fruchtbar, um viele der bis dahin ungeklärten Fragen beantworten zu können. Damit erscheint erstmals nach dem umfangreichen Faksimile-Kommentar von Rainer Kahsnitz wieder eine grundlegende Publikation zum „Codex Aureus“, die zahlreiche neue Erkenntnisse zur Handschrift und ihrer Entstehung beinhaltet. So lässt die Buchmalerei – und hier haben die naturwissenschaftlichen Analysen eine wichtige Rolle gespielt – auf den ersten Blick einige Überarbeitungen, bei genauer Untersuchung aber zahlreiche Übermalungen der Darstellungen erkennen. Die wichtigsten Ergebnisse werden in der Ausstellung, didaktisch umsichtig aufbereitet durch Frank Heydecke vom Institut für Kunsttechnik und Konservierung am Germanischen Nationalmuseum, erstmals einem größeren Publikum anschaulich präsentiert. Eine umfassende Publikation der technologischen Untersuchungen durch Robert Fuchs und Doris Oltrogge ist in Vorbereitung. Kunsthistorisch stellt sich nicht zuletzt die Frage nach der Einordnung des „Codex Aureus“ in

1982 war der „Codex Aureus“, das „Goldene Evangelienbuch von Echternach“, zum zweiten und letzten Mal im Germanischen Nationalmuseum ausgestellt. Damals hatte man das Buch auseinandergenommen, um ein vollständiges Faksimile herstellen zu können. Danach verschwand der Buchblock im Tresor der Bibliothek, während der Einband als wertvolle Goldschmiedearbeit, die eine dauerhafte Ausstellung erlaubt, Teil der Mittelalter-Präsentation des Germanischen Nationalmuseums wurde. Doch bereits wenige Jahre später wurde diese Mittelalterabteilung vorübergehend aufgelöst, um dem neuen Eingangsbau des Museums Platz zu machen, und es folgte eine lange Zeit provisorischer Ausstellungsorte in verschiedenen Sammlungsräumen des Germanischen Nationalmuseums. Erst 2006 konnte die neue Mittelalterabteilung des Museums eröffnet werden, in der nunmehr der Einband des „Echternacher Codex“ seinen festen Platz hat. Die mit goldener Tinte geschriebene und mit zahlreichen Miniaturen versehene wertvolle Pergamenthandschrift wird auch künftig nicht dauerhaft ausgestellt werden. Gleichwohl ist sie eines der am meisten angefragten Objekte des Museums. Das klima- und lichtempfindliche Material erlaubt es aber nicht, sie in den inzwischen zahlreichen Sonderausstellungen zur hochmittelalterlichen Kunst und Kultur, wie sie zuletzt etwa in Berlin, Magdeburg, Paderborn, Bamberg und München gezeigt wurden, zu präsentieren. Das große Interesse an diesem vielleicht wertvollsten, zumindest aber lange Zeit teuersten Buch Deutschlands, hat das Germanische Nationalmuseum veranlasst, die Handschrift erneut in einer dreimonatigen Ausstellung zu präsentieren. Allerdings wird das Original dafür nicht auseinandergenommen, sondern im Laufe der Ausstellungsdauer geblättert werden. Die jeweils nicht zu sehenden Bildseiten des Originals werden wäh-

8

Wissenschaftliche Buchgesellschaft in Darmstadt dieses Buch in so hervorragender Weise ausgestattet hat und es einem breiten Interessentenkreis zugänglich macht. Denn natürlich soll das Lesen und Blättern auch Vergnügen bereiten – und auch nach Ablauf der Ausstellung eine bleibende Erinnerung an die Pracht des Originals bieten.

den künstlerischen Kontext der Buchmalerei der Ottonen- und Salierzeit und speziell nach dem Verhältnis zwischen Echternach, Trier und der umstrittenen „Reichenauer“ Malerschule, die einigen Forschern als Weltkulturerbe, anderen als reine Fiktion gilt. Buch und Ausstellung wollen die Forschung voranbringen, ohne Eitelkeiten alte Forschungsergebnisse hinterfragen, neue Ergebnisse präsentieren und Anregungen für die künftige Forschung geben. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert soll die Forschung einen neuen Impuls erhalten. Wir freuen uns deshalb, dass die

G. Ulrich Großmann Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums

Vorwort 9

Der „Codex Aureus“ – Glanzstück der salischen Buchkunst

Der „Codex Aureus Epternacensis“ – das „Goldene Buch von Echternach“ – zählt zu den bedeutendsten Bücherschätzen des Mittelalters (Abb. 1). Er entstand um 1045 in der Benediktinerabtei Echternach, dem wichtigsten Skriptorium der Salierzeit. Der Codex wurde ausschließlich mit Goldtinte geschrieben – daher der Name „Codex Aureus“ („Goldener Codex“). Nach einer spannenden Ankaufsgeschichte wurde die Handschrift als bis dahin teuerstes Buch Deutschlands im Jahre 1955 für das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg erworben. Seither ist sie einer der Publikumsmagneten des Museums, auch wenn sie aus konservatorischen Gründen nur selten gezeigt werden kann. Zum Codex gehört ein kostbarer, edelsteingeschmückter Buchdeckel. Er ist ein Meisterwerk der Trierer Goldschmiedekunst um 985/90, gefertigt aus Gold, Elfenbein, Email, Edelsteinen und Perlen. Er gelangte vermutlich als Stiftung der Kaiserin Theophanu und ihres Sohnes Otto III. nach Echternach. Rund 50 bis 60 Jahre später fertigten die Echternacher Buchkünstler den „Goldenen Codex“ und schmückten ihn mit dem Prunkdeckel. Der Codex besitzt mit seiner goldenen Schrift und prächtigen Ausstattung alle Kennzeichen einer kaiserlichen Handschrift, doch bleibt sein Auftraggeber unbekannt. Als Evangeliar enthält der „Codex Aureus“ den vollständigen Text der vier Evangelien, ergänzt durch Vorreden, Kapitelverzeichnisse und die Kanontafeln. Mit ihrem Folioformat gehört die Handschrift zu den größten ihrer Zeit. Sie besitzt einen außergewöhnlich umfangreichen Buchschmuck. Keine Seite blieb unverziert. Initialen in Gold und Purpur schmücken die Evangelientexte, farbige Zierfelder und Zierkolumnen kennzeichnen besondere Textanfänge. Ungewöhnlich reich gestaltet sind die zehn Kanontafeln unter einer antik anmutenden Bogenarchitektur. Jedes Evan-

gelium beginnt mit einer Sequenz von ganzseitigen Miniaturen und Zierseiten (Abb. 2). Besonders prunkvoll ist die Titelillustration zu Beginn des Evangeliars (f. 2v – 3r). Gerahmt von den Evangelistensymbolen thront Christus als Weltenherrscher („Majestas Domini“) in einer goldenen Mandorla, auf der rechten Seite flankiert von zwei Engeln, die ein Lobgedicht zu seinen Ehren präsentieren. Mit seinen zahlreichen Bild- und Schmuckseiten ist der „Codex Aureus“ eine der am reichsten verzierten Handschriften des Mittelalters. Er steht in einer Reihe mit den bedeutendsten Handschriften der ottonisch-salischen Buchkunst wie dem „Codex Egberti“ (um 980/85), dem „Perikopenbuch Heinrichs II.“ (um 1012) oder dem „Codex Aureus Escorialensis“ (um 1045/50). Alle diese Handschriften sind in jüngerer Zeit umfassend untersucht und in aufwendigen Faksimile-Editionen publiziert worden, wobei zahlreiche neue Einsichten über ihre Herstellung, die beteiligten Künstler und mögliche Vorlagen gewonnen werden konnten, die das Bild der ottonischen Buchmalerei wesentlich schärfer umrissen haben. Dies war ein Anlass, auch den Nürnberger „Codex Aureus“ mit neuen kunsthistorischen Fragestellungen und modernen technologischen Methoden zu untersuchen. Die im Auftrag und in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Germanischen Nationalmuseums im Jahre 2006 durchgeführte technologische Analyse durch Robert Fuchs und Doris Oltrogge von der Fachhochschule Köln förderte überraschende Ergebnisse zutage, die bislang ungeahnte Einblicke in die Ent-

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Vor dem Matthäusevangelium präsentiert V ein Engel ein riesiges geöffnetes Buch mit goldenen Zeilen (f. 21r).

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Der „Codex Aureus“ 12

„Codex Caesareus“, der weit über seinen eigentlichen Gegenstand hinaus die Echternacher Buchmalerei insgesamt betrachtet (Nordenfalk 1971). Nordenfalk bemerkte bereits, dass viele der Echternacher Prunkhandschriften stilistisch unterschiedliche Miniaturen enthalten, wobei er einen Hauptmeister, den „Werkstatt-Meister“ („Workshop-Master“), und einen Gehilfen, den „Meuterer-Meister“ („Master of the Muniteers“), unterschied, die gemeinsam für den Großteil des Buchschmucks verantwortlich gewesen seien. Die Beobachtungen des schwedischen Forschers wurden in den wenigen späteren Überblicksdarstellungen (Plotzek 1974, von Euw 1999) und Publikationen zu einzelnen Echternacher Handschriften (Knoll 1981/1993, Kahsnitz 1982, Rathofer 1999/2001) nicht weiter diskutiert. Eine genaue Analyse des Buchschmucks und Ausstattungskonzepts des „Codex Aureus“ sowie der Herstellung des Evangelienbuchs und eine Untersuchung zu Zusammensetzung und Arbeitsweisen des Echternacher Skriptoriums fehlt in der bisherigen Literatur. Sie sind der Hauptgegenstand der vorliegenden Publikation. Auch wenn nicht alle Geheimnisse der Handschrift ergründet werden konnten, ließen sich dank einer präzisen Fragestellung, einer interdisziplinären Herangehensweise und neuer technologischer Untersuchungsmethoden, die der älteren Forschung vielfach noch nicht zur Verfügung standen, zahlreiche neue Erkenntnisse zu den Entstehungsumständen des „Goldenen Evangelienbuchs“ gewinnen. Mit Robert Fuchs und Doris Oltrogge führten zwei Spezialisten auf dem Gebiet der technologischen Handschriftenforschung die Untersuchung des „Codex Aureus“ durch, die zudem durch ihre vorherigen Analysen des Echternacher „Codex Caesareus“ (Fuchs/Oltrogge 2001) und von Handschriften der Trierer Werkstatt des „Gregormeisters“ (z.B. Fuchs/Oltrogge 2005) breites Vergleichsmaterial besaßen. Die Ergebnisse der technologischen Untersuchung des „Codex Aureus“ sind so umfangreich, dass sie in einer eigenen Monografie dargelegt werden sollen. Zentrale Erkenntnisse konnten aber dank einer großzügig zur Verfügung gestellten Vorab-Auswertung bereits für die vorliegende kunsthistorische Analyse des „Echternacher Evangelienbuches“ verwendet werden. Die Untersuchung förderte überraschende Ergebnisse zutage, die ungeahnte Einblicke in die Entstehungsumstände des Prachtcodex geben.

stehungsumstände des Prachtcodex geben. Zuletzt war der „Goldene Codex“ 1982 im Rahmen der Faksimilierung und Begleitausstellung in zwei Monografien gewürdigt worden. Die maßgeblich von Rainer Kahsnitz verfassten und herausgegebenen Publikationen enthalten ausführliche Beiträge zur Geschichte des Klosters Echternach sowie der Geschichte und Forschungsgeschichte der Handschrift (Kahsnitz 1982 und Kahsnitz u. a. 1982). Ein Schwerpunkt des Faksimilekommentars liegt auf einer umfassenden Analyse des Bildprogramms des Prunkdeckels und der Herkunft vieler Motive unter Berücksichtigung der Untersuchungen Hiltrud Westermann-Angerhausens zur Trierer Goldschmiedewerkstatt des 10. Jahrhunderts unter Erzbischof Egbert (Westermann-Angerhausen 1973) und Frauke Steenbocks Grundlagenwerk zum „Kirchlichen Prachteinband“ des frühen und hohen Mittelalters (Steenbock 1965). Offen bleiben hingegen die Fragen nach dem genauen Stiftungsanlass und der ursprünglichen Erscheinungsform des Deckels sowie dem Zeitpunkt seiner Verbindung mit der Handschrift, die bis heute nicht abschließend geklärt sind. Die Trierer Kunstproduktion des späten 10. Jahrhunderts, vor allem die Buchmalerwerkstatt des sogenannten „Meisters des Registrum Gregorii“ („Gregormeisters“), ist der zweite Schwerpunkt von Kahsnitz’ Faksimilekommentar. Ausgehend von Carl Nordenfalks „Chronologie“ (Nordenfalk 1972) gibt er einen Überblick über die Werke des „Gregormeisters“, der neben Erzbischof Egbert („Codex Egberti“) auch für das Kloster Echternach tätig war. Erstmals ausführlich wissenschaftlich gewürdigt wird von ihm das „Evangeliar der Sainte-Chapelle“, das er als unmittelbaren „Anreger und Vorbild“ (Kahsnitz 1982, S. 58) für den „Codex Aureus“ sieht, wobei die genauen Vermittlungswege nicht weiter thematisiert werden. Eine umfassende ikonografische und stilistische Analyse des Miniaturenschmucks des „Goldenen Evangelienbuchs“ selbst war zwar vorgesehen, kam jedoch nicht mehr zustande. Ansätze hierzu enthalten die älteren Publikationen von Peter Metz (Metz 1956) zum Nürnberger „Codex Aureus“ und Carl Nordenfalks Kommentar zum

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Prunkinitiale „Liber“ („Buch“) zum Beginn des Matthäusevangeliums (f. 22r).

Glanzstück der salischen Buchkunst 13

der gesamten Echternacher Buchmalerei in die ottonische bzw. salische Kunst möglich. Die Kunst der Salierzeit, die mit der Regierung Konrads II. (1024 – 1039) beginnt und mit der Herrschaft Heinrichs V. (1106 – 1125) endet, wird immer noch als Teil der ottonischen Kunst oder als „spätottonisches“ Anhängsel an die ottonische Blütezeit betrachtet. Nicht nur in politischer Hinsicht sollte das Jahrhundert der Salier als eigene Epoche gelten. Auch kunsthistorisch sind genug eigenständige Stilmerkmale vorhanden, die es rechtfertigen, von einer Kunst der Salierzeit zu sprechen. Ebenso wie die ottonische Kunst aus der karolingischen hervorgegangen ist, ist die salische aus der ottonischen Kunst erwachsen. Mit dem Tod des letzten Ottonenherrschers Heinrich II. (1002 – 1024) bestanden die Werkstätten und Skriptorien weitgehend fort und bildeten den Nährboden für die neue Kunst der Salierzeit. Diese zeichnet sich durch Charakteristika wie Klarheit in den Strukturen, ein höchstes Streben nach Prachtentfaltung, den Einbezug internationaler ebenso wie vielfältiger historischer Vorbilder und ein ausgesprochenes Interesse an Materialimitationen aus. Ein herausragendes Beispiel für den neuen Stil ist der „Codex Aureus“. In ihm offenbart sich die Verbindung von ottonischer und salischer Kunst in V geradezu symbolhafter Art und Weise. Mit dem von Otto III. und Theophanu gestifteten Prunkdeckel bildete die ottonische Kunst gleichsam den Rahmen, unter dessen Schutz die salische Kunst eine umso größere Blüte entfalten konnte. Selbst wurde die Kunst der Salierzeit zur Voraussetzung der im 12. Jahrhundert beginnenden Romanik in Deutschland. Es gehört zu den großen Glücksfällen, dass der „Codex Aureus“ und sein Prunkeinband bis auf den heutigen Tag in weitgehend unversehrter Form erhalten blieben. Handschrift und Deckel besitzen eine über tausendjährige Geschichte. Ihre Faszination hält bis heute an.

Schon mit bloßem Auge ist zu erkennen, dass mehr als die drei von Nordenfalk genannten Maler an der Ausführung der Handschrift beteiligt waren. Die technologische Analyse ermöglichte, das Zusammenwirken der Schöpfer besser zu fassen. Zu den erstaunlichsten Erkenntnissen gehören die umfangreichen Übermalungen, die auf fast jeder Bildseite festgestellt wurden. Auch wenn für die Übermalungen kein eindeutiger Grund vorzuliegen scheint, erlauben sie Einsichten in die Arbeitsweisen des Echternacher Skriptoriums. Die Zusammenarbeit der Miniaturisten war viel enger als bislang angenommen. Sie betrifft nicht nur den „Codex Aureus“, sondern auch die anderen Echternacher Prunkhandschriften. Alles deutet darauf hin, dass in Echternach zwischen 1040 und 1050 die bedeutendste Buchwerkstätte des Salierreichs existierte, die sich auf Prachtcodices für das Herrscherhaus und hochrangige Kirchenfürsten spezialisiert hatte. Im Mittelpunkt der Produktion steht der Nürnberger „Codex Aureus“. Er ist mit den anderen Handschriften einerseits durch die Verwendung gemeinsamer Vorlagen und einer ähnlichen Ornamentik, andererseits durch personelle Überschneidungen eng verbunden. Diese enge Verflechtung mit der um 1040 bis 1050 entstandenen Hauptgruppe Echternacher Prunkhandschriften hat zur Folge, dass die bisherige Datierung des Codex neu überdacht werden muss. Statt als frühes Meisterwerk um 1030 entstand er sehr wahrscheinlich um 1045 als Herzstück der Gruppe, und damit zu einer Zeit, als das Skriptorium die höchste Aufmerksamkeit des Salierherrschers Heinrich III. genoss. Mit der neuen Datierung des „Codex Aureus“ muss aber auch die Frage nach den bislang ungeklärten Ursprüngen und der weiteren Entwicklung der Echternacher Buchmalerei im 11. Jahrhunderts erneut gestellt werden. Durch die Untersuchung wird eine präzisere Einordnung des Codex wie

Der „Codex Aureus“ 14

I.

Echternach, Gotha, Nürnberg – zur Geschichte des „Codex Aureus“

In der Schatzkammer von Echternach

Malberg bei Bitburg geschafft wurden, befanden sich der Stab und das Kopfreliquiar des Klostergründers Willibrord, wichtige Urkunden und „VI bücher die uff dem hochaltar gelegen han“. Besonders erwähnt wird ein „guld(en) text“ (zitiert nach Kahsnitz 1982, S. 94). Es ist kein Echternacher Buch bekannt, auf welches die Beschreibung „goldener Text“ besser passen würde als den vollständig mit Goldtinte geschriebenen „Codex Aureus“. Er hat hier vermutlich seine erste nachweisbare Erwähnung gefunden. Der insgesamt gute Erhaltungszustand von Buch und Deckel spricht dafür, dass das Evangelienbuch nur wenig gebraucht wurde und die Schatzkammer höchstens an den wichtigsten kirchlichen Festen verlassen hat. Wie sich aus Geschichtswerken und Reisebeschreibungen ersehen lässt, gehörte der Codex schon früh zu den Attraktionen der Abtei. Als erster erwähnte Caspar Bruschius in seiner „Deutschen Klostergeschichte“ (1551) das „ganz in reinem Gold auf das eleganteste geschriebene Evangelienbuch“ (übersetzt nach Kahsnitz 1982, S. 95). Als Historiker interessierte sich Bruschius besonders für die Darstellungen Ottos und Theophanus auf dem Einband. Auch die nachfolgenden Autoren sahen im „Codex Aureus“ vor allem ein Dokument der frühen Reichsgeschichte, wobei man die Figur des „Otto Rex“ bis ins 19. Jahrhundert mit Otto II. identifizierte. In der „Voyage littéraire“ (1724) der Benediktinermönche Edmund Martène und Ursin Durand ist erstmals ein genauerer Blick auf die Miniaturen der Handschrift dokumentiert, zu denen sie bewundernd notierten: „Ein Evangelientext in Goldschrift auf Pergament von bezaubernder Schön-

Der „Codex Aureus von Echternach“ besitzt eine über tausendjährige, mitunter wechselvolle Geschichte. Er ist ein Kunstwerk von höchstem Rang und zugleich ein einzigartiges Dokument der europäischen Vergangenheit. Die Geschichte des Codex beginnt in der Ottonenzeit, der Gründungszeit des Römischen Reiches im Mittelalter. Der um 985/90 geschaffene Prunkdeckel ist eine Stiftung Ottos III. (983 – 1002) und Kaiserin Theophanus (973 – 991) (Abb. 3). Der genaue Zeitpunkt und der Anlass der Stiftung sind unbekannt. Die Handschrift selbst entstand um 1045 im Reichskloster Echternach in engem Zusammenhang mit den Prachthandschriften für den Salierherrscher Heinrich III. (1039 – 1056) (Abb. 4). Im Gegensatz zu vielen anderen Prunkcodices der Zeit birgt das „Goldene Evangelienbuch“ keinerlei Hinweise auf einen Auftraggeber oder Bestimmungsort. Offenbar war es von Anfang an für das Kloster selbst angefertigt worden und hat seinen Ursprungsort bis zum Ende des 18. Jahrhunderts mit einer kurzen Ausnahme nicht verlassen. Kostbare Evangelienbücher wie der „Codex Aureus“ wurden im Mittelalter nicht in den Klosterbibliotheken, sondern im Kirchenschatz aufbewahrt. Mittelalterliche Schatzverzeichnisse führen neben Reliquien bzw. Reliquiaren, liturgischen Gewändern und den für die Messfeier benötigten Geräten auch zahlreiche liturgische Bücher auf. Leider hat sich kein mittelalterliches Schatzinventar aus Echternach erhalten. Das älteste Echternacher Schatzverzeichnis stammt von 1543, als die Mönche aufgrund des Krieges zwischen Franz I. von Frankreich und dem Habsburgerkaiser Karl V. Teile des Kirchenschatzes in Sicherheit brachten. T Unter den Gegenständen, die in zwei Fässern verpackt in die rund 30 Kilometer entfernte Burg

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König Otto III. vom Prunkdeckel des „Echternacher Codex“.

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Der Prunkcodex in Gotha

heit; ich glaube, man kann nichts Vergleichbares finden, das schöner ist. Man findet darin das ganze Leben Christi in Miniaturen abgebildet. Er ist darin mit vier Nägeln ans Kreuz geheftet zu sehen und in Purpur gekleidet. Auch die beiden Schächer sind bekleidet dargestellt. Man nimmt glaubhaft an, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um ein Geschenk Kaiser Ottos handelt, der auf dem Deckel mit der Kaiserin Theophanu dargestellt ist. Dieses Geschenk ist zweifellos eines so großen Fürsten würdig.“ (übersetzt nach Kahsnitz 1982, S. 95 – 96).

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts fristete das „Goldene Evangelienbuch“ ein relativ ruhiges Dasein in der Abtei Echternach. Mit der Französischen Revolution überstürzten sich allerdings die Ereignisse. Im August 1794 mussten die Echternacher Mönche sich selbst und ihre wertvollsten Besitztümer vor den plündernden französischen Revolutionstruppen in Sicherheit bringen. Zusammen mit Teilen des Kirchenschatzes und der Bibliothek gelangte der „Codex Aureus“ nach Erfurt in das Benediktinerkloster auf dem Petersberg. Während die Mönche 1795 für eine kurze Zeit nach Echternach zurückkehrten, blieben die Zimelien im Peterskloster. Am 1. September 1796 wurde die Abtei endgültig aufgehoben, Anfang 1797 Gebäude und Klostergut öffentlich versteigert. Zu den fatalen Folgen der Revolutionszeit zählte die Zerschlagung und teilweise Zerstörung des Echternacher Buchbesitzes. Die Abtei besaß eine lange Buchtradition und eine reiche Bibliothek. Der um 1761 erstellte Bibliothekskatalog des Klosters listet über 4000 Bände auf, darunter rund 160 mittelalterliche Handschriften und zahlreiche Frühdrucke. Zum Zeitpunkt der Auflösung waren vermutlich 7000 bis 8000 Bücher vorhanden, nicht eingerechnet die liturgischen Bücher, die sich in der Kirche, der Sakristei und dem Kirchenschatz befunden hatten. Der „Ausverkauf“ der Echternacher Bücherschätze begann jedoch schon einige Jahre vor der Französischen Revolution. Zwischen 1785 und 1790 wurden mindestens vier wertvolle Handschriften aus dem Klosterbesitz veräußert, darunter ein mit zahlreichen Initialen geschmückter Psalter des 8. Jahrhunderts, heute in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart, und das um 1030/40 illuminierte „Darmstädter Sakramentar“, die zunächst nach Köln in die Sammlung des Barons von Hüpsch, eigentlich Jean Guillaume Adolphe Fiacre Honvlez (1730 – 1805), gelangten (Abb. 5).

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Die Abteikirche von Echternach.

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„Kreuzigungs“-Miniatur aus dem Darmstädter Sakramentar-Antiphonar, das um 1785/90 aus Echternacher Klosterbesitz an den Kölner Sammler Baron von Hüpsch verkauft wurde (Darmstadt, Universitätsund Landesbibliothek, Hs. 1946, f. 12r).

I. Zur Geschichte des „Codex Aureus“ 18

Der Prunkcodex in Gotha 19

Einer seiner Hauptkunden war Herzog Ernst II., dem er zwischen 1795 und 1801 rund 50 Handschriften und zahlreiche gedruckte Bücher vornehmlich aus Klosterbesitz verkaufte. 1802 ernannte ihn die französische Regierung zum „Kunst-Kommissar“ für die Rheinprovinzen. In dieser Funktion beschlagnahmte er in den folgenden Jahren unzählige Handschriften und wertvolle Drucke für die Pariser Nationalbibliothek. Darunter befanden sich auch 84 Handschriften aus Echternach, die nach der Auflösung des Klosters 1797 mit den verbleibenden Beständen der Bibliothek in die neu gegründete Luxemburger Zentralschule überführt worden waren. Aufgrund dieser Vorkommnisse sind die ehemaligen Bestände der V Klosterbibliothek heute weitgehend auf die Nationalbibliotheken in Paris und Luxemburg verteilt, einige geringere Bestände gelangten in die Stadtbibliothek und das Stadtarchiv Trier. Nach der endgültigen Auflösung der Klosters sahen sich die Echternacher Mönche zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zum Verkauf des in Erfurt deponierten Klosterschatzes gezwungen. In Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg war rasch ein Interessent für den „Codex Aureus“ und andere Zimelien gefunden, doch zogen sich die Verkaufsverhandlungen über mehrere Jahre hin. Den Kontakt hatte vermutlich Jean Baptiste Maugerard hergestellt, der dem bibliophilen Herzog aus Echternacher Besitz bereits eine Riesenbibel des späten 11. Jahrhunderts (Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek, Memb. I 1), eine Sammelhandschrift mit Werken des Abtes Thiofried (Gotha, Memb. I 70) und den „Liber Aureus“ (Gotha, Memb. I 71), das wichtigste Kopialbuch der Abtei mit Abschriften Echternacher Urkunden von 715 bis 1222, verkauft hatte. Pater Keiffer hatte dem Herzog den „Codex Aureus“ zunächst für 200 Karolin, rund 2200 Gulden, angeboten. Am 1. September 1801 erwarb Ernst II. den Codex aus seiner Privatkasse schließlich für 120 Karolin zusammen mit weiteren wertvollen Handschriften und Inkunabeln. Zwischen 1801 und 1945 gehörte der „Codex Aureus“ zu den Prunkstücken der Herzoglichen Bibliothek in Gotha. Als „Echternacher Evangeliencodex“ wurde er nicht nur einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, sondern stand auch erstmals der wissenschaftlichen Erforschung zur Verfügung (Abb. 6). 1835 widmete ihm der Kurator Georg Rathgeber in seiner „Beschreibung der Herzogli-

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Die älteste Abbildung des Buchdeckels erschien 1858.

Eingefädelt wurde der Verkauf vermutlich vom letzten Bibliothekar des Klosters, Pater Constantin Keiffer, und dem französischen Benediktiner und Handschriftenexperten Jean Baptiste Maugerard. Beide waren auch am Verkauf des „Codex Aureus“ an Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1745 – 1804) beteiligt. Der 1735 geborene Maugerard galt als ausgezeichneter Kenner alter Handschriften und Drucke. Er nutzte seine Bibliotheksreisen allerdings nicht nur zu wissenschaftlichen Zwecken, sondern auch zum Handel mit wertvollen Büchern.

I. Zur Geschichte des „Codex Aureus“ 20

chen Gemälde-Gallerie zu Gotha“ eine längere Würdigung: „Der Codex, durchaus mit goldener Schrift geschrieben, besteht aus 135 ungemein schönen Pergamentblättern. Unter diesen sind diejenigen, welche Gemälde oder die Titel, wodurch das folgende von dem vorhergehenden Evangelium getrennt werden soll, enthalten, purpurbraun angestrichen. […] Sowohl diese als die ähnlichen Titel der übrigen Evangelien nehmen jedes Mal eine ganze Folioseite ein und sind mit verschwenderischer Pracht ausgeziert. […] Ich schließe diese Beschreibung des Evangelienbuches mit allgemeinen Betrachtungen über den Styl seiner Malereien. Derselbe ist fast durchgängig der Byzantinische, wie er damals im Hauptsitz Byzantinischer Kunst, in Constantinopel, bestand.“ (Rathgeber 1835, S. 12 – 18). Bahnbrechend wirkte eine ausführliche Abhandlung Karl Lamprechts, in der er den Bildschmuck des Evangeliars mit jenem des Trierer „Codex Egberti“ (um 980/90) verglich, welcher in der Folge immer wieder als maßgebliche Vorlagenhandschrift für den Miniaturenzyklus genannt werden sollte. Die Popularität des „Codex Aureus“ zeigt nicht zuletzt die häufige Verwendung seiner Miniaturen und Zierseiten in Jahresgaben, so etwa 1930 als „Neujahrsgabe der Vereinigung von Freunden des Kunsthistorischen Instituts in Bonn“. Auch der Prunkdeckel erregte wegen der Darstellungen Ottos III. und Kaiserin Theophanus weiterhin die Aufmerksamkeit von Publikum und Wissenschaft.

neben einigen wertvollen Besitztümern vor den anrückenden Sowjet-Truppen retten können. Im Rucksack eines Angestellten versteckt, soll der Codex samt seinem goldenen Prunkdeckel nach einer abenteuerlichen Eisenbahnfahrt im Frühjahr 1945 das sicherere Coburg erreicht haben. Erhebliche Vermögensverluste infolge des Krieges zwangen den Herzog zum Verkauf des „Goldenen Evangelienbuchs“. Die Verhandlungen wurden zunächst mit der Bayerischen Staatsbibliothek geführt, doch die Preisforderung überstieg mit 1,2 Millionen Mark die finanziellen Möglichkeiten des Bayerischen Staates in der Nachkriegszeit. Am 17. Dezember 1953 erhielt Ludwig Grote einen vertraulichen Brief von einem Münchner Museumskollegen, der ihm nahe legte, sich als Leiter des Nationalmuseums für den Ankauf des Codex einzusetzen, für den ausländische Interessenten bereits hohe Summen geboten hätten. Zwar stand die Handschrift seit 1921 auf der „Liste der national wertvollen Kulturgüter“, doch sicherte dieser Status einer deutschen Institution nur ein Vorkaufsrecht und beinhaltete keine Ankaufsverpflichtung durch den deutschen Staat. Die Gefahr eines Verkaufs ins Ausland blieb bis zum Abschluss der Erwerbungsverhandlungen 1955 akut. Alle Schwierigkeiten hielten Grote nicht davon ab, umgehend positiv auf das Angebot zu reagieren und damit die Chance wahrzunehmen, das Nürnberger Museum durch den spektakulären Ankauf „dieses Nationaldenkmal[s] erster Klasse“ (Brief Grotes an Ministerialdirigent Bott, 11. Dezember 1954) nachhaltig ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Noch am selben Tag nahm Grote Kontakt zur Herzoglichen Hauptverwaltung und wenig später zu den Finanzierungsstellen des Museums beim Bund auf, ohne zu ahnen, dass sich die Verhandlungen mit ungewissem Ausgang fast anderthalb Jahre ausdehnen würden. Als Hauptproblem erwies sich die Finanzierung. Während beständig höhere Offerten aus den USA eintrafen und die Herzogliche Hauptverwaltung auf einen Verkauf drängte, sah sich Grote immer neuen Verhandlungen mit den Bundes- und Länderministerien ausgesetzt. Dabei hoffte er, dass sich einem Ankaufswunsch von höchster Stelle – der amtierende Bundespräsident Theodor Heuss war zugleich Verwaltungsratsvorsitzender des Germanischen Nationalmuseums – auch die Länderministerien nicht widersetzen würden. Der Ankauf des „Codex

Die Erwerbung durch das Germanische Nationalmuseum Der Erste Direktor des Germanischen Nationalmuseums, Ludwig Grote, konnte sich also des Interesses der Öffentlichkeit gewiss sein, als er Ende 1953 den Ankauf des „Codex Aureus“ unternahm. Die Handschrift befand sich zu diesem Zeitpunkt in München, wo sie 1950 in der Ausstellung „Ars Sacra“ zu sehen gewesen war und anschließend in der Bayerischen Staatsbibliothek deponiert wurde. Eigentümerin war die Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’sche Stiftung für Kunst und Wissenschaft mit Sitz in Coburg. In den Wirren der letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs hatte Herzog Carl Eduard (1884 – 1954) den Codex

Die Erwerbung durch das Germanische Nationalmuseum 21

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Festakt zum Ankauf des „Codex Aureus“ im Germanischen Nationalmuseum am 9. Mai 1955 in Anwesenheit der Herzogin von Coburg-Gotha.

Leyden, für das man auf dem amerikanischen Markt 100 000 US-Dollar, rund 420 000 DM, zu erhalten hoffte. Am Ende konnte Grote mehr als 500 000 DM mit dem Gemälde erzielen – allerdings erst nach einer langen Zitterpartie, welche ihn fast den „Goldenen Codex“ gekostet hätte. Statt der erlösenden Nachricht vom Verkauf des Bildes erhielt der Erste Direktor um den 1. Dezember 1954 Besuch von James Joseph Rorimer, dem Direktor des New Yorker Museums The Cloisters. Mit einem Angebot von einer Million US-Dollar, etwa 4,2 Millionen DM, trat Rorimer offen als Mitkonkurrent um den „Echternacher Codex“ auf. Erst am 11. Dezember konnte Grote dem Bundespräsidialamt mitteilen, dass der Verkauf des Lucas-van-Leyden-Gemäldes an das Museum of Fine Arts in Boston geglückt war. Diese Nachricht beschleunigte das langsame Vorgehen der Behörden keineswegs. Angesichts immer höherer Dollar-Gebote des „internationalen Kunsthändlerkonsortiums“ (Brief Grotes an Ministerialrat Hübinger, 11. Dezember

Aureus“ sollte zum Politikum in der Geschichte der jungen Bundesrepublik werden: „Wenn ein Kunstwerk überhaupt als nationales Denkmal angesprochen werden kann, ist es dieses Buch. Es darf für Deutschland auf keinen Fall verloren gehen.“ (Brief Grotes an das Bundesministerium des Inneren, 29. Januar 1954). Um seinem Antrag Nachdruck zu verleihen, war Grote zu Opfern bereit: Mit dem Verkauf eines Kunstwerks aus der Sammlung wollte das Museum selbst einen Teil der Finanzierung übernehmen, womit nicht zuletzt gewährleistet war, dass der Codex tatsächlich zum Eigentum des Museums und nicht zur – widerrufbaren – Dauerleihgabe des Bundes wurde. Die umstrittene Wahl fiel auf das Gemälde „Moses schlägt Wasser aus dem Felsen“ (1527) des Niederländers Lucas van

I. Zur Geschichte des „Codex Aureus“ 22

befürchten, dass sich weitere Minister dieser Haltung anschließen würden. Grote alarmierte den im Urlaub befindlichen Hessischen Kultusminister Arno Henning, der sich stets für eine Erwerbung des Codex eingesetzt hatte. Dank seiner Hilfe konnten auch die letzten Ankaufsgegner überzeugt werden und am 24.März stimmte die Ministerkonferenz der Länder der Bereitstellung der Mittel zur Erwerbung des „Echternacher Codex“ zu. Am 30. April nahm Ludwig Grote die Prunkhandschrift in München „in einwandfreiem Zustand“ in Empfang und brachte sie nach Nürnberg, wo am 9. Mai in Anwesenheit der Herzogin von Coburg-Gotha die feierliche Übergabe stattfand (Abb. 7). Damit war das fast anderthalb Jahre währende Ringen um die Erwerbung des Codex zu einem glücklichen Abschluss gelangt und das Germanische Nationalmuseum rechtmäßiger Eigentümer eines Kunstwerks, das in der Presse schon vorab als eines der bedeutendsten Zeugnisse abendländischer Kultur gefeiert wurde: „Der ganz unirdische Farbenglanz der Blätter, die in der ‚Ars Sacra‘ in einer beleuchteten Vitrine in dem kleinen Mittelraum im Münchener Prinz-Karl-Palais auslagen, bleiben unvergessen. […] keine andere der Echternacher Handschriften weist einen solchen Reichtum der Erscheinungen auf. […] Das Zarte, das Melodiöse, der allgemeine Wohllaut kennzeichnen den Echternacher Codex gegenüber der geistdurchwehten Dynamik der Reichenauer Schule; aber auch das ist Ausdruck des christlichen Abendlandes im Mittelalter und macht das Evangeliar aus dem frühen 11. Jahrhundert zu einem der bedeutendsten künstlerischen Zeugnisse, die damals im Westen Deutschlands entstanden sind.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Februar 1955).

1954) sah sich der Erste Direktor zu einer ungewöhnlichen Maßnahme gezwungen. Zum Weihnachtsfest sandte er an sämtliche Ordinarien für Kunstgeschichte an den Universitäten und die Direktoren wichtiger kulturhistorischer Institutionen ein Schreiben mit der Bitte, sich beim Bundesinnenministerium befürwortend für den Ankauf des Codex einzusetzen. Die Resonanz auf Grotes Aufruf war ausgesprochen positiv. Einhellig war man der Meinung, dass „dieser Schatz Deutschland erhalten“ bleiben müsse (Brief Hans Sedlmayrs an Grote, 23. Dezember 1954), Luitpold Dussler von der Technischen Hochschule München bezeichnete die Erwerbung gar als „nationale Ehrenpflicht“ (Brief an Grote, 10. Januar 1955). Kritisiert wurde allerdings der Verkauf des Lucasvan-Leyden-Bildes. Nach und nach wurden auch auf politischer Ebene weitere Weichen gestellt. Ein endgültiger Entscheid wurde für die Kultusministerkonferenz am 28. Januar 1955 erwartet. Außerdem fehlte noch die Zusage zum Beitrag der Bundesregierung. Dennoch erschienen in den Medien bereits erste Meldungen über die geplante Erwerbung des „Codex Aureus“. So meldete Grote triumphierend nach Coburg: „Der Blätterwald rauscht nur noch Echternacher Codex“ (Brief vom 10. Februar 1955). Die Öffentlichkeit wartete ab Mitte Februar 1955 gespannt auf die Nachricht, dass der Kauf getätigt und der Verbleib des Codex in Deutschland gesichert war. Während in Nürnberg erste Glückwunschschreiben zum „Codex Aureus Groteanus Epternacensis et Norimbergensis“ (Brief Albrecht Knaus an Grote, eingegangen 7. März 1955) eintrafen, erreichte Grote die Nachricht, dass der Niedersächsische Kultusminister Voigt Einspruch gegen den Ankauf erhoben hatte, und es war zu

Die Erwerbung durch das Germanische Nationalmuseum 23

II.

Der Prunkeinband des „Codex Aureus“

Der goldene Buchdeckel des „Codex Aureus“

tionen der vier Paradiesflüsse. Innerer und äußerer Zierrahmen sind durch Edelstein-Email-Bänder verbunden, die zusammen die Form eines Kreuzes bilden, welches die Idee der crux gemmata aufgreift. Zusätzlich gehen diagonal verlaufende doppelte Perlenbänder strahlenförmig vom Kreuzigungs-Elfenbein aus. Wohl Mitte des 11. Jahrhunderts wurde der Buchdeckel mit dem „Codex Aureus“ verbunden. Dabei wurde auch der Rückendeckel ergänzt, der mit einem kostbaren rot-grünen byzantinischen Seidenstoff bezogen ist und mit ornamentalen Kupferbeschlägen geschmückt wurde (Abb. 9). Auch der Buchrücken ist mit einem grünen Seidenstoff bezogen, ebenso finden sich Stoffreste an den beiden Lederschließen. Die hölzernen Deckel waren an den Kanten ursprünglich vollständig verkleidet. Der Vorderdeckel besitzt noch Teile der originalen Goldblechverkleidung, während die Kanten des Rückendeckels mit vergoldetem Kupferblech überzogen sind. Trotz des Wertes, den byzantinische Seidenstoffe im Mittelalter besaßen, ist der Rückendeckel vom Reichtum seiner Verzierung der Vorderseite untergeordnet. Der Vorderdeckel ist damit eindeutig als Schauseite des „Codex Aureus“ hervorgehoben.

Der Buchdeckel des „Codex Aureus“ gehört zu den bedeutendsten Goldschmiedearbeiten des Mittelalters (Abb. 8). Nicht nur aufgrund seines insgesamt guten Erhaltungszustands bildet er einen der Höhepunkte der Trierer Goldschmiedekunst unter Erzbischof Egbert (977 – 993). Er entstand sehr wahrscheinlich zwischen 985 und 991 im Auftrag Ottos III. und Kaiserin Theophanus als Geschenk an die Abtei Echternach. Mit seinen fein getriebenen Reliefs, den ziselierten Edelsteinfassungen und ornamentalen Emails belegt er die hohe Blüte der Goldschmiedekunst in der Ottonenzeit. Das zentrale Elfenbeinrelief schuf einer der herausragendsten Bildschnitzer des späten 10. Jahrhunderts. Der Prunkeinband ist jedoch nicht nur eine Ansammlung kostbarer Bestandteile, vielmehr steht hinter der Zusammenstellung der einzelnen Elemente ein ausgefeiltes Konzept, das als zentrale Idee die Ausstrahlung des christlichen Glaubens veranschaulicht. Im Zentrum der Komposition steht das Elfenbeinrelief mit der Kreuzigung Christi. Es wird eingefasst von einem Rahmen aus ornamentalen Emailplättchen und Edelsteinen in ziselierten Fassungen, die auch den äußeren Rahmen schmücken. Dazwischen befindet sich eine Zone aus getriebenen Goldreliefs. An den Außenseiten stehen jeweils vier Figuren, die der zentralen Kreuzigung zugewandt sind und anhand ihrer Attribute und Namensinschriften identifiziert werden können. Links sind von oben nach unten die heiligen Maria, Willibrord und Benedikt sowie ein König Otto, rechts sind die heiligen Petrus, Bonifatius, Liudger sowie die Kaiserin Theophanu dargestellt. In den Feldern ober- und unterhalb der Kreuzigung erscheinen innen die Symbolfiguren der vier Evangelisten und außen die Personifika-

Die Elfenbeintafel Die 20,5 mal 12,7 Zentimeter große Elfenbeintafel ist das Werk eines höchst originellen anonymen Bildschnitzers (Abb. 10). Sie zeichnet sich durch eine große Lebendigkeit und Detailfreude aus. Charakteristisch sind die bewegten Figuren mit

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Die Vorderseite des Prunkeinbands des „Codex Aureus“, Trier, sogenannte Goldschmiedewerkstatt Erzbischof Egberts, um 980/990.

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Verismus ist auch die Muskulatur und Anatomie V an den Beinen, Armen und dem Brustkorb des Gekreuzigten gestaltet. Auch die Gewanddarstellung zeichnet sich durch einen großen Realismus aus, wie die locker fallenden Tuniken der Soldaten mit ihrer gerafften Hüftpartie, das geknotete Lendentuch Christi und das vor das Haupt gehaltene Tuch der Luna zeigen. Akribisch hat der Schnitzer Kleidungsdetails wie die geschnürten Beinkleider und Schuhe des Longinus oder die Musterborten an Ärmel und Saum der beiden Tuniken und des Lendentuches Christi wiedergegeben. Beim Eimer des Stephaton meint man die Holzstruktur wahrnehmen zu können, auf dem Essigschwamm ist ein kleines Kreuz eingeritzt. Hingegen wirken die Gesichter mit ihren übergroßen Mündern, Nasen und Ohren und den hervortretenden Stirnfalten überraschend grob. Dabei ist die expressive Mimik zumindest teilweise inhaltlich motiviert und unterstreicht die Handlung und die Charakterisierung der Figuren. So wendet sich Christus Longinus nicht einfach zu, vielmehr sind die beiden durch einen direkten Blickkontakt verknüpft, der als virtuelle Linie parallel zur Lanze verläuft. Der im Johannesevangelium erwähnte Soldat, der Christus als Beweis des vollbrachten Todes den Lanzenstich versetzt (Joh 19,34), wurde T in der christlichen Überlieferung mit dem Zenturio gleichgesetzt, der nach Matthäus die Kreuzigung überwachte (Mt 27,54). Durch das aus der Seitenwunde hervorquellende Blut Christi wurde er von einer momentanen Blindheit geheilt und bekehrt. Unbekehrt blieb hingegen der links von Christus dargestellte Stephaton, der ihm kurz vor dem Tod den Essigschwamm reichte und hier entsprechend auf der negativ besetzten linken Seite steht. Die Bildkunst hat die beiden Bibelepisoden von Longinus und Stephaton schon früh zu einer gemeinsamen Darstellung der beiden Soldaten unter dem Kreuz vereint. Dabei ist meist der Moment kurz vor dem Tode Christi dargestellt. Die Nürnberger Elfenbeintafel folgt dieser Tradition, erweitert sie jedoch um die Personifikationen von Sol (Sonne) und Luna (Mond), die als Sinnbilder von Tag und Nacht trauernd ihr Haupt verhüllen. T Unter dem Kreuz beziehungsweise dem Suppeda-

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Der Rückendeckel des „Codex Aureus“ ist mit kostbarer byzantinischer Seide bezogen und mit Metallbeschlägen verziert.

überlangen Beinen und großen Gliedmaßen. In ihrer kunstvoll gedrehten Haltung scheinen die beiden auf der unteren Rahmenleiste stehenden Soldaten Longinus und Stephaton fast um das Kreuz zu tanzen und mit ihren ausladenden Bewegungen den Rahmen der Schnitzerei zu sprengen. Mit erstaunlichem, an der Spätantike geschultem Realismus hat der Künstler die Muskulatur wiedergegeben; fast vermeint man unter den locker sitzenden Gewändern den Körper in seinen Formen und Drehungen von Schulterblättern und Gesäßbacken spüren zu können. Mit ähnlichem

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Die Elfenbeintafel mit der Kreuzigung Christi vom Prunkdeckel des „Codex Aureus“.

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schmalen Leiste ausgefüllt war, doch haben sich hierfür keine Anhaltspunkte finden lassen. Kompositorisch macht die Kreuzigungsszene im Kontext des Bildprogramms am meisten Sinn. Formal sind Goldschmiederahmen und Kreuzigung durch die Fortführung des Kreuzstammes im vertikalen Edelstein-Email-Streifen verbunden. Die diagonalen Perlbänder lassen sich als Verlängerung der Lanze und des Essigstabes verstehen. Damit erweitert der Rahmen mit der crux gemmata die Kreuzigung im Zentrum in formaler, aber auch symbolischer Hinsicht.

neum kauert die Personifikation der Terra (Erde), die mit hängenden Brüsten schwer an ihrer Last trägt. Das Kreuz selbst entspricht der griechischen Form mit doppeltem Querbalken. Auf dem oberen Balken ist die von den seitlichen Medaillons überlagerte Inschrift „(I)HCNAZARENV(S)“ zu lesen. Die expressiven Körperdrehungen der Figuren verbinden die Elfenbeintafel mit Werken eines Künstlers, der von Wilhelm Vöge als sogenannter „Deutscher Meister“ in die Kunstgeschichte eingeführt wurde (Vöge 1899). Zu seinem Œuvre gehören ein Diptychon mit der „Gesetzesübergabe an Moses“ und dem „Ungläubigen Thomas“ sowie eine „Majestas Domini“ (alle: Berlin, SMB, Skulpturensammlung), die mit ähnlichen, an Eichblattlaub erinnernden Blattwerkrahmen umgeben sind. Die charakteristischen, zugleich feingliedrigen wie derben Figuren finden sich jedoch nur auf der Nürnberger Tafel und lassen sich auf keiner zweiten Elfenbeinarbeit des späten 10. Jahrhunderts wiederfinden. Wann die Tafel farbig gefasst wurde, ist nicht bekannt. Die heute fragmentarisch erhaltene Bemalung muss nicht original ein. Möglicherweise war das Elfenbein einst vergoldet, zumindest sind an einigen Stellen kleine goldene Farbspuren sichtbar. Nicht zu verkennen ist, dass zwischen Elfenbeinplatte und Goldschmiederahmen eine Lücke von mehreren Millimetern klafft. Dies gab zu der unter anderem von Frauke Steenbock geäußerten Hypothese Anlass, dass die Tafel nicht ursprünglich sei, sondern erst aus dem 11. Jahrhundert stamme, was die auffällige Stildifferenz zu den bekannten ottonischen Elfenbeinwerken erklären könne (Steenbock 1965, S. 120). Im Moment der Verbindung des Deckels mit dem „Codex Aureus“ V sei die ursprüngliche Tafel, möglicherweise eine Darstellung der „Majestas Domini“, durch das jetzige Kreuzigungsrelief ersetzt worden. Gegen diese Theorie spricht, dass viele mittelalterliche Prunkdeckel Passungenauigkeiten aufweisen. Die Theorie, dass der Spalt auf eine natürliche Schrumpfung der Elfenbeintafel infolge von Austrocknung zurückzuführen sei (Kahsnitz 1982, S. 150), lässt sich nicht belegen. Ein solcher Vorgang hätte vermutlich sichtbare Risse des auf dem Holzdeckel befestigten Reliefs hervorgerufen; die Nürnberger Tafel ist jedoch ohne diesbezügliche Schäden. Offenbar hat die mittelalterlichen Betrachter der Spalt nicht gestört. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, dass die Lücke von einer

Der Goldschmiederahmen Das rahmende Gemmenkreuz wird aus unterschiedlich gemusterten rechteckigen Emailplättchen im Wechsel mit verschiedenfarbigen Edelsteinen in ziselierten Fassungen gebildet (Abb. 11). Die insgesamt 14 verschiedenen Emailmuster sind in den rechten und linken Rahmenstreifen spiegelsymmetrisch angeordnet, während es bei den oberen und unteren Streifen zu Verschiebungen kommt, die teilweise durch Reparaturen beziehungsweise Restaurierungen zu erklären sind. Die Blatt- und Rankenornamente der Emails entsprechen Formen, wie sie sich in der ottonischen Trierer Buchmalerei, aber auch in der Initial- und Rahmenkunst der karolingischen Buchmalerei finden lassen. Der Herkunftsort Trier wird neben der Ornamentik auch durch die Emailtechnik nahegelegt, die sich ähnlich auf den für Erzbischof Egbert gearbeiteten Reliquiaren findet. Außer Voll- und Zellenschmelzen verwandten die Trierer Goldschmiede auch farbige Fonds, welche die Farbwirkung der Emails verstärkten. Typisch für die Trierer Werkstatt sind die herzT förmigen Almandine, welche die großen Edelsteine an den Ecken rahmen. Am häufigsten wurden Amethyst, Bergkristall, Perlmutt und Smaragd verwandt, daneben finden sich einzelne Beispiele für grauen Achat, Onyx, Granat, Chalzedon, Glas, gefärbten Chalzedon, Karneol und Pyrit. Das Arrangement der Edelsteine scheint im Gegensatz zu den Emailplättchen eher willkürlich bestimmt, hinsichtlich ihrer Größe und Farbigkeit lässt sich kein strenges Prinzip erkennen. Nur für die Ecken und Mittelstücke scheinen meist besonders große Steine ausgewählt worden zu sein. Allerdings sind genauere Aussagen über die ursprüngliche Anordnung der Edelsteine kaum mehr möglich, da rund die Hälfte nicht mehr original

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ist. Misstrauisch stimmt bereits der neuzeitliche Schliff vieler Steine, der im Gegensatz zur typisch muggeligen Form der mittelalterlichen Edelsteine steht. Auch an den Fassungen lässt sich erkennen, dass die originalen Steine eine andere Form besessen haben müssen, die für die Ersatzsteine entsprechend zurechtgedrückt wurde. Der Nürnberger Buchdeckel zeigt exemplarisch, wie wichtig es ist, sich zunächst über die Originalität der verwandten Materialien klar zu werden, bevor Aussagen über das ursprüngliche Bild- oder Dekorationsprogramm oder gar eine symbolische Bedeutung der Bestandteile getroffen werden. Weitge-

Goldrelief mit Johannes-Adler und der Personifikation des Paradiesflusses Geon, gerahmt von Edelstein-EmailBändern. Prunkdeckel des „Codex Aureus“ (Detail).

hend original sind hingegen die grazilen ziselierten Fassungen und die fein geschmiedeten Zackenbänder, die zwischen den diagonalen Perlbändern verlaufen. Sie offenbaren die hohe Kunst des Trierer Goldschmiedeateliers. Die Edelstein-Email-Bänder rahmen sowohl die Elfenbeinplatte wie die getriebenen Goldreliefs,

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Kreuzigungsdarstellung und Rahmenfiguren im Zusammenhang, so erscheinen diese wie eine inhaltliche Ergänzung der Binnenszene, die gewissermaßen zum Typ einer volkreichen Kreuzigung erweitert wird, angeführt durch die Gottesmutter Maria und den Apostelfürsten Petrus.

die sie zugleich in acht Zonen gliedern. In jedem Kompartiment sind jeweils zwei äußerst fein gearbeitete Figuren beziehungsweise Personifikationen zu sehen. Die plastische Wirkung der im Laufe der Jahrhunderte stark eingedrückten Figuren muss ursprünglich weitaus stärker gewesen sein. Heute vermitteln wohl am ehesten die oberen rechten Felder einen Eindruck vom einstigen Erscheinungsbild. Alle Figuren stehen auf kleinen Erdhügeln und sind durch Inschriften, teilweise auch Attribute, identifizierbar. Die Auswahl der Personen scheint allein durch den Auftrag begründet und ist in keinem anderen Beispiel überliefert. Während die Evangelistensymbole gewissermaßen zum Standardprogramm frühmittelalterlicher Buchdeckel gehören, sind die vier Paradiesflüsse hier erstmals als Deckelverzierung belegt. Als Vorbild dienten dem Künstler sehr wahrscheinlich antike Darstellungen von Flussgöttern, wofür ihre lagernde Pose, die vasenartigen Attribute und die naturalistische Baumgestaltung sprechen. Zwar konnte keine exakte Vorlage ausfindig gemacht werden, doch waren in der einstigen Römerstadt Trier im 10. Jahrhundert zahlreiche antike Bau- und Kunstwerke vorhanden, die den ottonischen Künstlern als Anregungsquelle gedient haben könnten. Möglich ist auch eine Vermittlung über karolingische Kopien. Die Figuren erscheinen in den oberen Kompartimenten freier, zugleich wirkt die Komposition dort ausgewogener und die Evangelistensymbole und Flusspersonifikationen sind stärker aufeinander bezogen. Allerdings ist die Detailzeichnung der Figuren oder der Flügel der Evangelistensymbole ähnlich fein ausgearbeitet. Letztlich erlaubt der Erhaltungszustand der Reliefs keine Entscheidung in der Frage, ob die oberen und unteren Reliefs von unterschiedlichen, wenn auch stilistisch eng verwandten Künstlern geschaffen wurden. Die Heiligen- und Stifterfiguren an den Seiten zeichnen sich durch eine schlanke, die Vertikale betonende Körperform und eine eher steife Haltung aus. Der Eindruck von Starre wird auch dadurch verstärkt, dass die Gewänder wie Hüllen wirken, die nur wenig Binnenzeichnung aufweisen. Die Figuren sind der Kreuzigung in der Mitte zugewandt. Die sechs Heiligen tragen als Attribut ein Buch in den Händen, Petrus zusätzlich einen mit seinem Namen versehenen Schlüsselstab, während die Stifterfiguren ihre Hände im Akklamationsgestus erhobenen haben. Betrachtet man

Die Idee der Ausstrahlung als Programm Die Idee der Binnenwendung wird überlagert vom Gedanken des Ausstrahlens als zentralem Konzept des ganzen Deckels. Mit seinem Kreuzestod schaffte Christus die Voraussetzung zur Erlösung der Menschheit. Diese zentrale Botschaft des christlichen Glaubens wird in den Evangelien, vertreten durch die Evangelistensymbole, verkündet. Auch die vier Paradiesströme repräsentieren die Verbreitung des Gotteswortes. Die Figuren in den V Seitenreliefs stehen einerseits dem sterbenden Christus zur Seite, andererseits verkörpern sie mit ihrem eigenen Lebensbeispiel die Verbreitung seiner Botschaft durch die Kirche. Maria als Mutter Christi und Urmutter der Kirche steht dem Apostel Petrus als erstem Bischof Roms gegenüber (Abb. 12). Ihr Werk wird fortgeführt von den Missionsheiligen, Ordens- beziehungsweise Klostergründern und frühen Bischöfen Willibrord, Benedikt, Liudger und Bonifatius, die zugleich Begründer der fränkischen Reichskirche sind. Auf der Höhe der „Terra“ sind die Kaiserin Theophanu und König Otto III. als die weltlichen Schutzherren der Kirche und zugleich als Stifter des Prunkdeckels dargestellt. Der Einband führt damit die Idee der Heilsgeschichte und ihrer Verbreitung durch die Kirche mit dem ganzen V Glanz seiner kostbaren Materialien vor Augen.

Zur Frage von Stiftern und Stiftungsanlass Ausgehend von der Interpretation des theologischen Programms stellt sich die Frage nach weiteren Bedeutungsebenen des Buchdeckels. Die Darstellung des kaiserlichen Paares könnte auf eine mögliche politische beziehungsweise kirchenpolitische Funktion hinweisen und gibt Anlass zur Frage nach den genauen Umständen seiner Stiftung beziehungsweise Schenkung. Ungeklärt ist

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auch die ursprüngliche Verwendung des Prunkdeckels, bevor er Mitte des 11. Jahrhunderts mit dem „Codex Aureus“ verbunden wurde. Dabei sind sein Programm und der Bezug einzelner Figuren zu Echternach keineswegs so eindeutig und zwingend, wie dies von der Forschung bislang behauptet wurde. Vielmehr gibt die Wahl der Personen Rätsel auf. Ein unmittelbarer Stiftungsanlass ist weder in schriftlichen Dokumenten überliefert noch ergibt er sich aus der Darstellung des Buchdeckels. Es kann daher nur versucht werden, das theologische Programm des Deckels mit historischen Daten zur Abtei Echternach, dem Stifterpaar Otto III. und Theophanu sowie der Darstellungspraxis kaiserlicher beziehungsweise königlicher Stifter in der Ottonenzeit im Allgemeinen in Zusammenhang zu bringen. Dabei spielt neben der Auswahl auch die in der spezifischen Anordnung vermittelte Hierarchie der Personen auf dem Buchdeckel eine Rolle. Die Spitze der Figurenreihe nehmen Maria und Petrus ein. Maria genoss als Gottesmutter seit dem frühen Mittelalter besondere Verehrung. Zahlreiche Kirchen im Frankenreich besaßen ihr Patrozinium. Im Gegensatz zu den späteren Salierkaisern scheinen jedoch weder Otto III. noch Theophanu Maria über das übliche Maß hinaus verehrt oder ihren Kult besonders gefördert zu haben. In der Echternacher Abteikirche wurde ihr 1034 der Hauptaltar der Krypta geweiht, wo sie vermutlich auch vor dem Neubau der Kirche verehrt worden war. Dem Apostelfürsten Petrus waren ebenfalls zahlreiche bedeutende Kirchen und Dome geweiht, so auch die Klosterkirche in Echternach. Direkt unter Maria im selben Kompartiment erscheint der heilige Willibrord (658 – 739), der damit als wichtigster Heiliger nach Petrus hervorgehoben ist (Abb. 13). Der im bischöflichen Messornat mit Pallium dargestellte Missionar wurde von Papst Sergius I. 695 zum Erzbischof der Friesen ernannt und begründete im Auftrag Pippins II. das Bistum Utrecht. Um 698 gründete er das Kloster Echternach. Dank zahlreicher Wunder erfuhr der in der Echternacher Abteikirche bestattete

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Goldrelief mit Petrus und Bonifatius vom Prunkdeckel des „Codex Aureus“ (Detail).

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rung der germanischen Völker und der Einrichtung von Bistümern im Frankenreich widmete. Im Jahr 754 wurde er im friesischen Dokkum erschlagen. Die Figur auf dem Echternacher Buchdeckel gilt als die früheste bekannte Darstellung des Bonifatius in der Kunstgeschichte. Verehrt wurde er vor allem in seiner Klostergründung Fulda, im Bistum Mainz, in Franken und Thüringen, später auch in Utrecht. In den beiden unteren Kompartimenten sind links der heilige Benedikt und Otto III., rechts der heilige Liudger und Theophanu dargestellt. Der unter Willibrord in Tunika und Überwurf stehende Benedikt (um 480 – um 547) war Gründer des Benediktinerordens und Verfasser der ersten Mönchsregel, nach der das Echternacher Kloster 973 nach einer Zeit als Kanonikerstift reformiert wurde. Ihm gegenüber ist der heilige Liudger (um 740 – 809) zu sehen, der von Karl dem Großen zum Leiter der Friesen- und Sachsenmission berufen und 805 zum Bischof von Münster geweiht wurde. Seine Verehrung beschränkte sich zur Ottonenzeit vor allem auf das Bistum Münster, das von Liudger gegründete Benediktinerkloster Werden bei Essen und einige Orte in Friesland beziehungsweise der Diözese Utrecht. Unterhalb der Heiligen, doch in gleichem Maßstab, sind die beiden Stifter „Otto Rex“, das heißt Otto III. (980 – 1002), und „Theophanu Imperatrix“, also Kaiserin Theophanu (950/55 – 991), dargestellt (Abb. 14). Otto erscheint im selben Kompartiment wie Benedikt, während Theophanu ein Feld mit Liudger teilt. Weder für Otto noch für Theophanu ist eine spezielle Verehrung für einen dieser Heiligen bekannt, gleiches gilt auch für ihre Beziehung zu Bonifatius und Willibrord. Die Stiftungstätigkeit der Ottonen konzentrierte sich auf ihre sächsischen Kerngebiete und besonders das Bistum Magdeburg. Theophanu förderte vor allem die Abtei Memleben, bedachte aber auch das Kölner Pantaleonskloster, das sie als Grablege bestimmt hatte. Ein engerer Bezug zu Echternach, der über die einem „normalen“ Reichskloster entgegengebrachte Aufmerksamkeit hinausgehen und einen Stiftungsanlass bieten würde, ist in den Quellen nicht überliefert. Ein Aufenthalt in Echternach ist für keinen der beiden Stifter bezeugt. Auch die Urkunde, in welcher Otto III. am 15. Mai 993 auf Bitten des Klostervogts Graf Sigfried und explizit zum Seelenheil seines Großvaters Otto I., seines

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Die älteste bekannte Darstellung des heiligen Willibrord findet sich auf dem Prunkdeckel des „Codex Aureus“.

Willibrord schon bald nach seinem Tod die Verehrung eines Heiligen und wurde Mitte des 8. Jahrhunderts zu einem der Titelheiligen der Kirche. Sein Kult erstreckt sich neben Echternach vor allem auf Kirchen im Bistum Utrecht und der Eifel. Ihm gegenüber steht sein Zeitgenosse und Missionarskollege Bonifatius (um 675 – 754). Der seit dem 16. Jahrhundert als „Apostel der Deutschen“ bekannte Bischof und Märtyrer betätigte sich ab 716 unter Willibrord in der Friesenmission, bevor er sich ab 722 in päpstlichem Auftrag der Bekeh-

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Vaters Otto II. und seiner Mutter Theophanu dem Kloster Echternach sämtliche im Reich gelegenen und von Reichswegen an andere zu Lehen gegebenen oder durch Gewalt entwendeten Kirchen restituierte, bekräftigt allein die legitimen, lange eingeforderten Ansprüche der Abtei (Wampach 1930, Nr. 180). Der Vorgang belegt weder ein besonderes Verhältnis des Herrschers zum Kloster noch eine besondere Verehrung Ottos III. für den heiligen Willibrord. Aus den Quellen geht kein Anlass für die Schenkung des Prunkdeckels hervor. Betrachtet man die Heiligen auf dem Deckel, so handelt es sich mit Ausnahme von Maria und Benedikt um Bischöfe oder Erzbischöfe. Wäre nicht der Ordensgründer Benedikt dargestellt, so hätte der Buchdeckel eher als Geschenk an die Kathedrale von Utrecht Sinn gemacht, deren erster Erzbischof Willibrord war. Denn der Bezugspunkt der übrigen Heiligen besteht in der Friesenmission der frühen Karolinger, als deren Begründer Willibrord wirkte. Der Buchdeckel beinhaltet damit ein kirchenpolitisches und kirchenhistorisches Manifest wie kaum ein anderes bekanntes Kunstwerk der Zeit. Die Betonung des Benediktinerordens bestätigt jedoch das Kloster Echternach als plausibelsten Bestimmungsort. Die Bezeichnung Ottos als „REX“ und Theophanus als „IMP(eratrix)“ legt eine Entstehung zwischen 983 und 991 während der Regentschaft Theophanus für ihren minderjährigen Sohn Otto nahe. Diese Zeitspanne lässt sich mit Blick auf den Thronfolgestreit nach dem plötzlichen Tod Ottos II. am 7. Dezember 983 in Rom mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Jahre zwischen 985 und 991 eingrenzen. Theophanu kehrte erst im Frühjahr 984 nach Deutschland zurück, am 29. Juni 984 konnte sie Otto III. aus den Händen seines Entführers, Heinrich des Zänkers, in Empfang nehmen, die endgültige Aussöhnung mit Heinrich erfolgte erst auf der Frankfurter Reichsversammlung am 2. Juli 985. Da zu Heinrichs Parteigängern auch Erzbischof Egbert von Trier gehörte, kann vermutet werden, dass Theophanu den Auftrag für die Anfertigung des Prunkdeckels in den Trierer Werkstätten erst nach der Versöhnung erteilte. Geht man von einem arbeitsteiligen Herstellungsprozess aus, so müssen für die Anfertigung des Buchdeckels mindestens sechs Monate gerechnet werden. Dass die Trierer Goldschmiede überhaupt Aufträge von auswärtigen Bestellern annahmen und

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Kaiserin Theophanu, Stifterin des Prunkdeckels.

nicht nur für den eigenen Bedarf arbeiteten, geht aus einem Brief des Reimser Erzbischofs und späteren Papstes Sylvester II., Gerbert von Aurillac, an Egbert hervor. Gerbert, der auch Lehrer Ottos III. war, bat Egbert im Sommer 987 um die Anfertigung eines Kreuzes, wobei er neben Modellzeichnungen das nötige Gold und die Edelsteine mitsandte: „Für das vorgesehene Werk senden wir gezeichnete Bildvorstellungen. Eine bewundernswerte Form möge der Bruder (der Erzbischof von Trier) für den Bruder (den Erzbischof von Reims) […] schaffen. Unser geringes Material wird Euer großes und gefeiertes Ingenium durch die Hinzuführung des Glases (Emails) und durch die Gestaltung eines geschmackvollen Künstlers veredeln.“ (zitiert nach Kahsnitz 1982, S. 85). Neben Gold und Edelsteinen sollten also auch Emails („vitri“) als Schmuckauflagen verwandt werden, die offenbar als Spezialität der Trierer Werkstatt galten. Der Brief ist ein einzigartiger Beleg

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Der Buchdeckel in Echternach Die Abtei Echternach ist während der Regierung Ottos III. mit keinem Ereignis aus dem Dunkel der Überlieferung hervorgetreten, das einen überzeugenden Anlass für ein so wertvolles Geschenk dargestellt hätte. Die eher routinemäßige Gewährung oder Verlängerung von Privilegien unter einem neuen Herrscher erscheint als Grund nicht ausreichend. Für den damaligen Abt Ravanger (973 – 1007), der nach der Reform des Klosters 973 aus Sankt Maximin in Trier nach Echternach gekommen war, sind ebenfalls keine engen Beziehungen zum Kaiserhaus bekannt. Für eine solch wertvolle Schenkung erforderte es eine besondere Gelegenheit, wie sie etwa der Chronist Thietmar von Merseburg für Magdeburg überliefert hat. Theophanus Gatte Otto II. hatte den Magdeburger Domherren das Recht zur Wahl des Erzbischofs verliehen. Um dieses Privileg zu bekräftigen, übergab der bei der Feier persönlich anwesende Kaiser einen heute verlorenen Codex, der mit den goldenen Bildnissen des Kaiserpaares geschmückt war: „ein Buch, in dem sein und der Kaiserin Theophanu Bildnis, in Gold geformt, leuchtet“ (zitiert nach Kahsnitz 1982, S. 148). Doch ist zuwenig über die Geschenkpraxis der Ottonen bekannt und der erhaltene Bestand an Kunstwerken aus dieser Zeit zu gering, als dass allgemeinere Aussagen oder gar Prinzipien aus den wenigen Quellen und Artefakten abgeleitet werden könnten. Rätsel umgeben nicht nur den Auftrag, sondern auch die ursprüngliche Verwendung des Deckels vor seiner Verbindung mit dem „Codex Aureus“. Zwar gibt es in mittelalterlichen Kircheninventaren Belege, dass goldene Buchdeckel auch für sich, das heißt ohne eingebundenen Codex, in den Schatzkammern verwahrt wurden, doch bleiben diese Fälle Ausnahmen. Fast alle Prunkdeckel gehören zu einer Handschrift, auch wenn diese in der Üppigkeit ihrer Verzierung weit hinter dem Einband stehen kann. Allerdings ist kein ottonisches Evangeliar bekannt, das von den Maßen und der Entstehungszeit zum Echternacher Buchdeckel passen würde. Dies schließt jedoch die Existenz einer solchen Handschrift nicht aus. Für den Sonderfall eines einzelnen Buchdeckels könnte die Inschrift sprechen, die sich auf der Innenseite des Vorderdeckels befindet. Dort wurde im oberen Drittel der bloßen hölzernen Rückseite

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Ursprünglich in den Buchdeckel eingeklebtes Vorsatzblatt mit Abdruck der Inschrift vom Innendeckel und unvollendeter Zeichnung eines „Thronenden Christus“ (seitenverkehrte Reproduktion).

für die Kunstfertigkeit der Trierer Goldschmiede, die überregionalen Ruhm genossen. Gleichzeitig macht er auf die Rolle Egberts als Auftragsvermittler und Vorsteher der Werkstatt aufmerksam, die sehr wahrscheinlich in seinem unmittelbaren Umkreis aktiv war. Der genaue Sitz des Ateliers geht aus den Quellen jedoch nicht hervor.

II. Der Prunkeinband des „Codex Aureus“ 34

Schließlich besteht die Möglichkeit, dass der Deckel ursprünglich Teil eines Buch- oder Reliquienkastens war, der zur Einbindung des „Goldenen Codex“ zweckentfremdet und mit dem seidenbezogenen Rückendeckel verbunden wurde. Wie ein solcher Kasten ausgesehen haben könnte, zeigt ein zumindest fragmentarisch überliefertes Beispiel aus karolingischer Zeit (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum). Jede der genannten Möglichkeiten kann hinsichtlich des originalen Aussehens und der ursprünglichen Bestimmung des Deckels in Frage kommen. Kein Rekonstruktionsversuch lässt sich jedoch endgültig beweisen. Welches Anliegen oder welche Gunst Theophanu und Otto mit der Schenkung des goldenen Buchdeckels an das Kloster Echternach verbanden, bleibt weiterhin ein Geheimnis.

in schwarzer Tinte die zu einer Kirchweihe passende Perikope aus dem Lukasevangelium geschrieben (Lk 19,1 – 10), die sich auf das Vorsatzblatt abgedruckt hat (Abb. 15). Die Schrifttype ist eine sehr gerade karolingische Minuskel, die vom Duktus derjenigen des Echternacher Sakramentars in Darmstadt (um 1030/40) ähnelt, wenngleich nicht identisch ist. Der Entdecker der Inschrift, Carl Nordenfalk, schlug einen Zusammenhang mit der Neuweihe der Echternacher Abteikirche 1031 vor (Nordenfalk 1932). Allerdings erscheint es merkwürdig, dass der Rücken des Prunkdeckels bei der Schenkung unbedeckt geblieben sein soll – zumindest ein Seidenbezug ist zur Verhüllung des bloßen Eichenholzbrettes anzunehmen. In diesem Falle wäre die Inschrift jedoch nicht mehr lesbar gewesen. Zudem liegt das Datum lange nach der Schenkung durch das ottonische Kaiserpaar.

Der Buchdeckel in Echternach 35

III. Illumination und Illustration – die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ Grundlegende Gestaltungsprinzipien

dekorativen „Erleuchtung“ des Textes. Dabei muss der Schmuck der Buchseite nicht unbedingt eine inhaltliche Illustration des jeweiligen Textabschnitts sein. Immer ist er jedoch eine Sichtbarmachung seiner Bedeutung. Dieser Gestaltungsgrundsatz offenbart sich auch im Konzept des „Codex Aureus“.

Der „Codex Aureus“ von Echternach gehört zu den prachtvollsten Evangelienhandschriften des Mittelalters und kommt im Reichtum der Verzierungen dem goldenen Prunkdeckel in jeder Hinsicht gleich (Abb. 16). Mit seinem Folioformat, der durchgängigen Goldschrift, der Fülle an Zierseiten und den großformatigen Miniaturen übertrifft der Codex bereits rein quantitativ die meisten Handschriften der Zeit. Auch qualitativ nimmt er eine Spitzenstellung ein. Die Sorgfalt, mit der die Materialien, angefangen vom Pergament bis zur Vielzahl der Farben, ausgewählt und verarbeitet V wurden, die Feinheit der Zeichnung von Figurenszenen und Ornamenten, der sorgfältige, fein modellierende Farbauftrag und der offensichtliche Wunsch nach größter Variationsbreite heben den „Echternacher Codex“ selbst aus der an Höhepunkten nicht eben armen ottonisch-salischen Buchmalerei heraus. Dabei haben die Buchkünstler größtmögliche Ordnung und Klarheit mit größtmöglicher Variation verbunden. Dieser Gestaltungsgrundsatz, der hier erstmals als grundlegendes Konzept beschrieben wird und die Wiederholung einer bestimmten Abfolge von Ausstattungselementen mit ihrer Veränderung verbindet, lässt sich als Prinzip der „geordneten Variation“ bezeichnen. Er ist das übergreifende Konzept des Codex und wurde von den beteiligten Künstlern zur höchsten Vollendung gebracht. Das Konzept umfasst alle Ebenen der Buchgestaltung, angefangen von der Schrift über die Initialen bis zu den Zierseiten und Miniaturen. Die mittelalterliche Buchmalerei ist die Gestaltung und Illumination oder „Erleuchtung“ eines Textes in seiner materiellen Form als Buch. Sie T diente der inhaltlichen „Erhellung“ ebenso wie der

Das Layout Mit einer Blattgröße von 44,5 mal 31 Zentimeter gehört der Codex zu den größten erhaltenen Evangelienhandschriften des Mittelalters. Die Blattmaße variieren geringfügig in der Höhe von 43,7 bis 44,8 Zentimeter und in der Breite zwischen 30,5 und 31 Zentimeter. Der ungleiche Abschluss des Musterrapports bei einigen Teppichzierseiten deutet darauf hin, dass die Blätter des Codex ursprünglich noch größer waren und zu einem unbekannten Zeitpunkt – möglicherweise anlässlich der Einpassung in den Prunkdeckel – leicht um etwa ein bis 1,5 Zentimeter beschnitten wurden. Das Buch besteht aus 136 Blatt feinem Kalbspergament, das kaum Löcher, Beschädigungen oder Verfärbungen aufweist. Die hervorragende Qualität des Pergaments ist ein weiterer Beleg für die sorgfältige Herstellung der Handschrift. Der Text wurde auf die noch ungebundenen Einzelblätter geschrieben, die anschließend verziert und zu insgesamt 17 Lagen, vorwiegend Quaternionen, d. h. Viererlagen, zu acht Blatt bzw. 16 Seiten, zusammengelegt wurden. Dabei wurde für ein einheitliches Gesamtbild möglichst darauf geachtet, dass sich auf einer Doppelseite jeweils Haar- und Fleischseite des Pergaments gegenüberstehen. 16

Eine der prachtvollsten Initialzierseiten findet sich zum Beginn der Vorrede des Hieronymus (f. 4r).

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schmal sind, verfügt der Codex über großzügige Außenränder. Breite Kopf-, Außen- und Fußstege rahmen den Text und die bildliche Darstellung im Zentrum. Allein bei den Teppichseiten bedeckt der Textilien imitierende Musterrapport die ganze Pergamentseite.

Die Schrift Der Text ist durchgängig mit Goldtinte in karolingischer Minuskel in lateinischer Sprache geschrieben. Nur am Innenrand der Mandorla in der „Majestas Domini“-Miniatur (f. 2v) und bei den Münzbildnissen im Rahmen der Initialzierseite zum Lukasevangelium (f. 80r) finden sich Inschriften in griechischen Lettern. Während die Schrift im ersten Teil des Buches sehr klar ist, wirkt das Schriftbild ab dem Lukasevangelium etwas steiler, unregelmäßiger und gedrängter. Dies spricht dafür, dass sich zwei Schreiber die Arbeit geteilt haben. Zur Auszeichnung von Textanfängen standen den Künstlern verschiedene Formen von Initialen zur Verfügung. Kleine Initialen für untergeordnete Textabschnitte wurden als etwas größere GoldT majuskeln aus der Textkolumne herausgerückt und stammen vermutlich von einem der Schreiber. Hingegen wurden die Initialen zu wichtigeren Text- und Versanfängen sehr wahrscheinlich von T einem Miniaturisten ornamental ausgestaltet. Zusätzlich zu den Initialen sind bestimmte Textstellen durch hervorgehobene Zeilenanfänge T und Überschriften ausgezeichnet. Hierzu wählten die Schreiber oftmals eine besondere Schriftform oder -größe, um diese Stellen in ihrer Bedeutung noch deutlicher aus dem Textfluss herauszuheben. Während der durchgängige Text in Minuskeln, also Kleinbuchstaben, geschrieben ist, erscheinen Überschriften, Textanfänge und Schlusszeilen oftmals in Großbuchstaben, meist in Kapitalis. Besonders wichtige Kapitelanfänge und -enden wurden als Schriftzierfelder gestaltet, bei denen die auf mehrere Zeilen vergrößerten Buchstaben auf einem farbigen Untergrund erscheinen, der anschließend mit einem farbigen Zierrahmen eingefasst wurde. Hierbei finden sich Kapitalis und Unzialis mitunter gemeinsam verwandt. Diese Schriftzierfelder sind als ein hervortretendes Gestaltungsmerkmal jedoch bereits dem Bereich der Illumination zuzuordnen. Der „Codex Aureus“ verfügt über ein sehr differenziertes Schriftsystem, das die Gliederung bzw. Hierarchie der Texte in ihrer schriftlichen Materialisierung fassbar macht.

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Text- und Zierseite zu den Vorreden des Markusevangeliums. An einigen StelT len ist die feine Blindritzung des Layouts zu erkennen. In der Zierkolumne finden sich Lettern in Kapitalis und Unzialis (f. 50v).

Bevor der Text geschrieben werden konnte, mussten die Seiten zunächst liniert werden (Abb. 17). Statt einer auffälligen Linierung mit Tinte oder Metallstift wurde das Seitenlayout im „Codex Aureus“ mittels feiner Ritzlinien angezeichnet. Die sogenannte „Blindritzung“ legt die für das gesamte Buch geltende Anordnung von Schriftspiegel und Seitenrändern fest, die für die Text- ebenso wie für die Bildseiten gilt. Das VerT hältnis von Mitte und Rändern ist äußerst großzügig. Allein durch die Menge an ungenutztem Pergament zeichnet sich der Codex als Prunkhandschrift aus. Die Seitenaufteilung orientiert sich an der Doppelseite. Während die Binnenränder und Bundstege, auch bedingt durch die Bindung, eher

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 38

Der Inhalt der Texte

Das Ausstattungssystem

Der „Codex Aureus“ ist ein Evangeliar. Er enthält den Teil des Neuen Testaments mit den vier Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes in der Fassung der Vulgata. Diese lateinische Edition des Alten und Neuen Testaments war ab 383 vom Kirchenvater Hieronymus (um 347 – 420) im Auftrag des Papstes Damasus I. (366 – 384) erstellt worden und galt seit dem späten 8. Jahrhundert im Frankenreich als verbindliche Version. Wie in vielen mittelalterlichen Evangeliaren sind auch im „Codex Aureus“ den Evangelien verschiedene Einleitungstexte und die Kanontafeln vorangestellt. Die Sequenz beginnt mit einer Vorrede in Form eines Briefes, in welchem Hieronymus Papst Damasus seine Bibelübersetzung erläutert. In einer zweiten Vorrede äußert er sich zur Bedeutung der vier Evangelien. Dazwischen stehen Anmerkungen eines anonymen Verfassers zu den Kanontafeln. Diese Konkordanzen der Evangelien waren mit Hieronymus zum kanonischen Bestandteil eines Evangeliars geworden. Der Autor der Kanontafeln, Bischof Eusebius von Caesarea (um 260 – 339), erläutert ihren Gebrauch in einem Brief an einen anonymen Adressaten namens Carpianus, welcher die Reihe der Einleitungstexte im Nürnberger Evangelienbuch abschließt. Nur in dieser Handschrift überliefert ist das Gedicht zu den canones, das als Textzierseite unmittelbar vor den zehn Kanontafeln steht. Nach diesem Abschnitt beginnt der Hauptteil des Buches mit den vier Evangelien in der kanonischen Reihenfolge Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, denen jeweils ein Prolog zum Leben des Evangelisten und der Genese des Textes sowie ein Kapitelverzeichnis voransteht. Jedes Evangelium endet mit einem aufwendig gestalteten „Explicit“. Rätselhaft ist das Fehlen des „Capitulare Evangeliorum“, d. h. des Verzeichnisses der bei der Messe zu lesenden Evangelienabschnitte in der Reihenfolge des Kirchenjahres, welches für den liturgischen Gebrauch der Handschrift unabdingbar war und in allen anderen Echternacher Evangeliaren enthalten ist. Es finden sich keine Hinweise, dass ein solches Verzeichnis ursprünglich geplant oder gar Teil des Buches gewesen und später entfernt worden wäre. Dies ist die einzige auffällige Unvollständigkeit des „Goldenen Evangelienbuches“, die jedoch dessen liturgische Verwendung stark einschränkte.

Mit den vier Evangelien, die Leben, Wirken und Worte Christi überliefern, enthält der „Codex Aureus“ die zentralen Texte des Christentums. Als lebendiges Wort Gottes und Text-Leib Christi besaßen die Evangelien eine herausgehobene, fast reliquienähnliche Stellung. Die hohe Verehrung der Evangelienbücher im Mittelalter veranschaulicht kaum eine Handschrift besser als der „Codex Aureus“. Lässt sich bereits die Schrift als goldene Verkörperung des Gotteswortes verstehen, so wird diese Idee von den zahlreichen Miniaturen, Initial- und Ornamentseiten gesteigert. Sie bilden ein kostbares künstlerisches Gewand um den Text und unterstreichen den Rang und die Würde des göttlichen Wortes. Die Funktion der Bilder als schmückende Hülle des Gotteswortes ist im Ausstattungssystem der Handschrift konkretisiert. Vor die eigentlichen Evangelientexte sind die Kanontafeln und mehrere Vorreden geschaltet, denen ebenfalls ein aus mehreren Seiten bestehender Bildprolog vorangestellt ist, der zugleich die Titelsequenz des ganzen Buches bildet. Auf zwei Purpurseiten, die vermutlich kostbare Seidenstoffe imitieren sollen, folgt eine Doppelseite mit der „Majestas Domini“ und einer zugehörigen Schriftzierseite sowie eine weitere Doppelseite mit dem „Incipit“ und einer Initialzierseite. Die einzelnen Vorreden beginnen jeweils mit einer Zierkolumne. Vor den reich geschmückten Kanontafeln steht wiederum eine Schriftzierseite mit einem einleitenden Gedicht. Es folgt der Hauptteil mit den vier Evangelien, die jeweils mit einem mehrseitigen Text-Bild-Prolog beginnen, der als ebenso auszeichnendes wie retardierendes Element die Bedeutung der folgenden Texte heraushebt. T Die Evangelien-Textseiten weisen außer den zahlreichen ornamentalen Initialen und der Titelzeile keinen Schmuck auf. Die ausgiebige Dekoration ist wie ein reich bebilderter Vorhang dem Evangelientext vorgelagert und stets nach dem gleichen Prinzip aufgebaut: Auf den mit ein oder zwei Schriftzierkolumnen eingeleiteten Textprolog mit „Argumentum“ und Inhaltsübersicht folgt der Bildprolog. Er besteht aus einer Teppich-Doppelseite, zwei Doppelseiten mit Streifenminiaturen, die in chronologischer Abfolge Szenen aus dem Leben Christi von der „Verkündigung“ bis zum „Pfingstwunder“ zeigen, dem jeweiligen Evangelistenbild, gepaart mit einer Schriftziersei-

Grundlegende Gestaltungsprinzipien 39

fasst wurden, der sein Werk König Ludwig dem Deutschen (gest. 876) widmete. Die durch das Ausstattungssystem bedingte Textferne wird teilweise durch die Bildtituli ausT geglichen, die über jedem Miniaturstreifen stehen und die Geschehnisse in poetischer Form kommentieren und Hinweise zur Identifizierung der Szenen geben. Dies ist vor allem in der Bildfolge mit den Wundern vor dem Markusevangelium nötig, die häufig abbreviaturhaft nur die Begegnung Christi mit einem Kranken, nicht jedoch dessen wundersame Heilung zeigen. Dank der Tituli können beispielsweise die auf den ersten Blick recht ähnlichen Darstellungen der „Heilung der Tochter des kanaäischen Weibes“ (f. 52v) und der T „Heilung der blutflüssigen Frau“ (f. 54r) eindeutig identifiziert werden. Trotz der oft sehr komprimierten, auf wenige zentrale Figuren konzentrierten Darstellungsform, die wohl durch den begrenzten Bildraum nötig wurde, zeichnen sich die meisten Miniaturen durch eine lebendige Erzählweise aus. Die aussagekräftige und stellenweise differenzierte Gestik und Körperhaltung der Figuren verrät das Bemühen der Buchmaler, nicht nur Handlungen und Dialoge wiederzugeben, sondern bis zu einem gewissen Grade auch psychologische Regungen, wie sie in den Evangelientexten beschrieben werden. Besonders gut sind etwa dem Maler der Kindheitsszenen der Ausdruck des Erstaunens gelungen oder dem Maler der Wunderszenen die Wiedergabe von Verzweiflung bei den Bittstellern und von ungläubiger Verwunderung bei den umstehenden Zeugen. Auch wenn die Miniaturen des „Codex Aureus“ inhaltlich auf den Bibeltext zurückgehen, sind sie keine abhängige Illustrationsfolge, sondern stellen eine eigenständige Erzählung der Heilsgeschichte in Bildern dar.

te, abschließend einer „Incipit“-Zierseite und einer Initialzierseite mit dem Beginn des Textes. Das gesamte Buch ist in dieser strengen Abfolge aufgebaut, doch entsteht beim Blättern nicht der Eindruck von Gleichförmigkeit oder gar Langeweile. Vielmehr haben sich die beteiligten Künstler bemüht, durch größtmögliche Vielfalt jede Seite anders zu gestalten und nach dem Prinzip der „geordneten Variation“ damit auch jedem Evangelium ein individuelles Erscheinungsbild zu verleihen.

Das Verhältnis von Text und Bild Das Ausstattungssystem hat nicht nur Auswirkungen auf den formalen, sondern auch den inhaltlichen Zusammenhang von Text und Bild im „Codex Aureus“. Der Nürnberger Codex ist im Gegensatz zu anderen ottonisch-salischen Prunkevangeliaren, etwa den „Evangeliaren Ottos III.“, nicht mit über den Text verstreuten Einzelszenen illustriert, sondern enthält acht Doppelseiten, die in der Art eines modernen Comicstrip die zentralen Episoden aus dem Leben Jesu in fortlaufender Erzählung wiedergeben. Die Entscheidung, die Evangelien mit einem vorgeschalteten Bildzyklus zu illuminieren, verhindert einen direkten Bezug der Miniaturen zur Textstelle, deren Inhalt sie illustrieren. Hinzu kommt, dass es sich um einen so genannten „harmonisierten“ Zyklus handelt, bei dem die vier Evangelien zu einer großen, in vier chronologische Abschnitte aufgeteilten Bildergeschichte oder Bildbiographie Christi verschmolzen wurden. Es sind daher zumeist nicht die Episoden dargestellt, die im folgenden Evangelium geschildert werden, sondern Szenen aus anderen Evangelien. So sind viele Szenen der Kindheitsgeschichte, die vor dem Matthäusevangelium steht, nur bei Lukas enthalten, während die meisten Wunderszenen von Johannes berichtet werden, im „Codex Aureus“ jedoch vor das Markusevangelium platziert sind. Durch den „harmonisierten“ Zyklus wird die Zusammengehörigkeit der vier Evangelien betont. Die Streifenminiaturen machen keinen Unterschied zwischen den einzelnen Evangelienbüchern, sondern stellen das Verbindende heraus. Sie entsprechen damit textlich den so genannten Evangelienharmonien, wie sie in karolingischer Zeit unter anderem durch Otfried von Weißenburg (um 800 – um 870) erstmals in althochdeutscher Sprache ver-

Die einzelnen Bild- und Zierseiten Bildprolog zu den Vorreden (f. -1r – 7v) Auftakt in Purpur (f. -1v – 2r) Der „Codex Aureus“ beginnt nach vier purpurfarbigen Auftaktseiten (f. -1v – 2r) mit einem künstlerischen Paukenschlag: der Doppelseite mit der „Majestas Domini“. Sie wird von den Purpurseiten, die kostbare byzantinische Seidenstoffe imi-

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 40

In den grünen Eckfeldern sind die Propheten Jesaja, Jeremias, Ezechiel und Daniel dargestellt. Sie verdeutlichen als alttestamentarische Autoren die Einheit der Heiligen Schrift und die Erfüllung der im Alten Testament prophezeiten Heilsbotschaft. Ezechiel (Ez 43,4) und Jesaja (Is 2,19) sprechen explizit von der „Majestas Domini“ („Herrlichkeit des Herrn“), die als Vorausschau auf die Erscheinung des thronenden Weltenherrschers in der Apokalypse gedeutet wurde, der von den Vier Lebenden Wesen – Löwe, Stier, Mensch, Adler – umgeben ist (Offb 15,8). Auf die apokalyptische Herrlichkeit des Herrn spielt auch die ungewöhnliche griechische Inschrift am Innenrand der Mandorla an, die einem Psalmvers entnommen ist: „Dein Thron, Gott, steht in alle Ewigkeit, das Zepter der Gerechtigkeit ist das Zepter Deiner Herrschaft“ (Ps 44,7). Während die Zusammenstellung des thronenden Herrn mit den Evangelistensymbolen seit der Spätantike verbreitet ist, ist die Kombination mit den Propheten weniger geläufig. Ein frühes, allerdings in der Anordnung variiertes Beispiel findet sich in der karolingischen „Vivian-Bibel“ (f. 329v). Hier handelt es sich bei den Schreiberfiguren in den Eckfeldern um die vier Evangelisten, während die Figuren in den Medaillons als Propheten gekennzeichnet sind. Eine jüngere Variante ist die von Rainer Kahsnitz (Kahsnitz u. a. 1982, S. 78 – 83) ausführlich diskutierte „Majestas“-Seite im „Evangeliar der Sainte-Chapelle“ (f. 1v), deren Schreiberfiguren in den Inschriften allerdings als Evangelisten bezeichnet werden (Abb. 20). Vermutlich waren dem Miniaturisten des „Codex Aureus“ diese oder ähnliche Darstellungen bekannt, die er jedoch in Kombination mit eigenen Ideen für seine eigene Komposition verwandt hat. Die „Majestas“-Seite spannt einen faszinierenden Bogen über zwei Jahrhunderte, indem sie die karolingische Buchmalerei – mit dem Beispiel der „Majestas“-Darstellung der „Vivian-Bibel“ – mit der ottonischen Buchmalerei – in Gestalt der „Majestas Domini“ im „Evangeliar der SainteChapelle“ – und der salischen Buchmalerei – mit der entsprechenden Darstellung im „Codex Aureus“ – verbindet. Während der Maler bei der „Majestas“-Miniatur auf eine reiche Darstellungstradition zurückgreifen konnte, ist die Komposition auf der rechten Seite ein absolutes Unikum. Im Zentrum steht eine große Texttafel, die von zwei Engeln gehal-

tieren sollen, gewissermaßen bedeckt oder eingehüllt. Eine solche Stoffimitation zierte ursprünglich auch den Innendeckel. Erst 1932 wurde das auf den Holzdeckel geklebte Makulaturblatt abgelöst, wobei eine verworfene „Majestas“-Darstellung zum Vorschein kam, die nunmehr als erstes Blatt (f. -1r) die Bildfolge des Codex eröffnet. Die Farbe Purpur galt im Mittelalter, ausgehend vom byzantinischen Hofzeremoniell, als ein Hoheitszeichen und war damit dem Höchsten, also Gott, oder seinem irdischen Stellvertreter, dem Herrscher, vorbehalten. Als solche diente sie auch in der westlichen Buchmalerei als Auszeichnungsfarbe. Zwar verwandten die Miniaturisten nicht den immens teuren Farbstoff der seltenen Purpurschnecke, mit dem die östlichen Seidenweber ihre Stoffe färbten, sondern benutzten pflanzliche Pigmente, z. B. aus Flechten, oder Schildlausfarblack. Im „Codex Aureus“ wurden zwei Purpurfarbstoffe parallel eingesetzt. Während der dunklere Flechtenfarbstoff für größere Farbflächen, etwa in den Randzonen, gebraucht wurde, sind manche Gewänder mit Schildlausfarblack gemalt. In beiden Fällen stellt das ausgiebig verwandte Purpur ein Synonym für Kostbarkeit und Erlesenheit dar. Doppelseite mit der „Majestas Domini“ (f. 2v – 3r)

Mit dem Umblättern der Purpurseiten „enthüllt“ sich die prächtigste Doppelseite des „Codex Aureus“ (f. 2v – 3r) (Abb. 18 und 19). Links ist die „Majestas Domini“ dargestellt, der thronende Christus in einer goldenen Mandorla, gerahmt von den Evangelistensymbolen und Propheten, rechts halten zwei Engel eine Texttafel mit einem Lobgedicht. Jede Seite ist von einem mehrteiligen Ornamentrahmen umgeben. Christus ist in strenger Frontalität wiedergegeben. Seine Rechte hat er zum Segensgestus erhoben, seine Linke hält ein geöffnetes Buch mit der lateinischen Inschrift: „Freuet euch, ihr, deren Namen eingeschrieben sind in das Buch des Lebens“. Mit dem „Buch des Lebens“ („Libro vitae“) ist die Bibel gemeint, speziell das Neue Testament mit den vier Evangelien, welche die frohe Botschaft enthalten. Christus erscheint zugleich als Weltenherrscher und Urheber der Evangelien, deren Autoren Johannes, Lukas, Matthäus und Markus durch ihre Symbolfiguren in den Rahmenmedaillons vertreten sind.

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 41

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Prunkseite mit der „Majestas Domini“: Christus erscheint in einer goldenen Mandorla, umgeben von den Evangelistensymbolen und Propheten (f. 2v).

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Textzierseite: Zwei Engel präsentieren eine riesige Schrifttafel mit einem Lobgedicht zur „Majestas Domini“, im Rahmen T befinden sich Medaillons mit Tugendpersonifikationen (f. 3r).

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 43

ten wird, die mit Purpurmänteln bekleidet sind. Sie stehen halb verdeckt von der hohen Tafel auf kleinen Erdhügeln und blicken zu beiden Seiten hinter derselben hervor (Abb. 21). Der dreifache Zierrahmen ist der aufwendigste im ganzen Codex und wird von vier goldenen Medaillons mit den Personifikationen der Kardinaltugenden Justitia (Gerechtigkeit), Temperantia (Mäßigung), Prudentia (Klugheit) und Fortitudo (Stärke) besetzt. Die fast spiegelbildliche Komposition von linker und rechter Seite legt eine inhaltliche Entsprechung von Evangelisten und Kardinaltugen-

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„Majestas Domini“-Seite im „Evangeliar der Sainte-Chapelle“ (Paris, Bibliothèque Nationale de France, lat. 8881, f. 1v).

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Der Trägerengel blickt hinter der riesigen Schrifttafel hervor (f. 3r, Detail).

den nahe, ein Bezug, der u. a. vom karolingischen Dichter und Gelehrten Hrabanus Maurus in seinem Kommentar zu Ezechiel hergestellt wurde. Die symbolhafte Gleichsetzung von Christus und Schrifttafel wird durch das Gedicht unterstützt. Auf der purpurnen Texttafel steht in weißen Lettern auf goldenem Grund ein lateinisches Gedicht eines unbekannten Autors mit einer Lobpreisung der Tugenden Gottes: „Auf der ersten Seite des Buches thront der Herrscher des Olymp; hierher gesetzt als der Erste (an die erste Stelle), da ihm niemand vorausging. Aller Könige König ist er und Gott der Götter. Wer dem Herrn des Himmels, dem das himmlische Reich dient, sich einen will und zugesellen, der tue, was dieses Buch befiehlt, auf dass er, frei von Schuld, dorthin gelange, wo er (Christus) in alle Ewigkeit lebt.“ (zitiert nach Kahsnitz 1982, S. 79).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 44

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Die Idee, dem Betrachter ein Gedicht als Schrifttafel in materialisierter Form darzubieten, gehört zu den erstaunlichsten Bilderfindungen der salischen Miniaturisten und ist in der gesamten ottonischen Buchmalerei ohne Parallele. Der Einfall wird im „Codex Aureus“ im Bildprolog vor jedem Evangelium aufgegriffen, wenn auch keine Variante so aufwendig gestaltet wurde wie die V „Majestas“-Seite. Bei der Suche nach Vorbildern für diese ungewöhnliche Kompositionsform stößt man auf das „Thomas-Evangeliar“ im Trierer Domschatz (Abb. 22), dessen Zusammenhang mit der Engelseite noch keine ausführliche Untersuchung erfahren hat. Das zu Beginn des 8. Jahrhunderts in Echternach geschriebene und illuminierte Evangeliar stellt eine Mischung zwischen insularen, d. h. angelsächsisch-irischen, und römischspätantiken Elementen dar. Eindeutig spätantik in-

Engel mit Schrifttafel im „Thomas-Evangeliar“ (Trier, Domschatz, Cod. 134/61, f. 10r, Detail).

spiriert ist die Miniatur vor dem dortigen Matthäusevangelium (f. 10r), in der die Erzengel Michael und Gabriel eine Texttafel mit dem „Incipit“ des Evangeliums vorweisen. Trotz einiger gestalterischer Unterschiede und der ungleich monumentaleren Wirkung der Szene im „Codex Aureus“ scheint das „Thomas-Evangeliar“ oder eine Kopie der Komposition als Quelle für den Miniaturisten in Frage zu kommen. Wie eine solche Kopie ausgesehen haben könnte, zeigt die „Incipit“-Zierseite zum Lukasevangelium in einem Ende des 10. Jahrhunderts entstandenen Evangeliar aus dem Kloster Stablo (f. 118r)

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Zierseiten zu den Vorreden (f. 3v – 7r) Die typische Echternacher Verbindung von insularer und spätantiker Ornamentik, vermittelt über karolingische und ottonische Vorbilder, prägt auch die folgenden Zierseiten zu den Vorreden des Hieronymus (f. 3v – 4r). Sie haben im „Codex Aureus“ jedoch eine besonders prächtige Gestaltung erhalten. Bei der mit einem breiten Rahmen versehenen „Incipit“-Seite links erscheint der Text in weißer und silberner Kapitalis auf purpurgerahmten goldenen Textfeldern auf grünem Grund, der mit gelben und purpurnen „Blütensternen“ übersät ist (Abb. 24). Im breiten äußeren Rahmen wechseln sich ein letztlich spätantikes Mäanderornament mit sternartigen Mustern auf Goldgrund ab. Die große „B“-Initiale rechts bildet den Auftakt zum Hieronymus-Brief an den „Beato papae Damaso“. Ein grüner, blütenübersäter Hintergrund verbindet die „Incipit“- mit der Initialzierseite rechts. Der goldene, mit Flecht- und Knotenwerk verzierte und mit wirbelnden Blattranken gefüllte Initialbuchstabe nimmt fast die gesamte Seite ein, so dass die übrigen Buchstaben kaum Platz haben.

„Incipit“-Zierseite zum Lukasevangelium in einem Ende des 10. Jahrhunderts entstandenen Evangeliar aus dem Kloster Stablo (Dublin, The Chester Beatty Library, Ms. 17, f. 118r).

(Abb. 23). Die Miniatur ist eine monumentale Variante der „Incipit“-Seite aus dem „Thomas-Evangeliar“: Wiederum halten zwei Engel eine quadratische Texttafel vor sich, so dass nur noch Brust und Füße hervorschauen. Dieselbe Handschrift wird eröffnet von einer Textzierseite mit dem „Incipit“ zu den Vorreden des heilige Hieronymus, bei der ein Engel eine große runde Texttafel vorweist, die fast seinen gesamten Körper bedeckt und in gewisser Weise ersetzt (f. 1v). Die Miniaturen im Evangeliar aus Stablo stellen die zeitlich und gestalterisch direktesten Vorbilder für die ungewöhnlichen Textzierseiten im „Codex Aureus“ dar. Allerdings sind die Zierseiten des Nürnberger Evangeliars von ungleich höherer malerischer Qualität und Variationsbreite, was noch andere Anregungsquellen für die Echternacher Miniaturisten vermuten lässt, die nicht überliefert sind.

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„Incipit“-Zierseite zu den Vorreden des Hieronymus. Der grüne Grund ist mit farbigen „Blütensternen“ übersät (f. 3v).

Zur Steigerung der Wirkung sind die Binnengründe des Initialbuchstabens blau und purpur hinterlegt und zusätzlich mit kleinen weißen Blüten und Fäden durchsetzt. An der zentralen Gelenkstelle befindet sich ein Maskenkopf, aus dem der Buchstabe herauszuwachsen und zugleich ausgespieen zu werden scheint (Abb. 25). Die Endstellen der Buchstabenschäfte sind als kleine Tierköpfe gestaltet. Die Zierinitiale ist ein gutes Beispiel für den Echternacher Initialstil, in dem sich insulare und spätantike Elemente zu einer lebendigen neuen Form von großer Eleganz und Ebenmäßigkeit verbinden. Dabei verwandeln sich die wuchtigen Knoten- und Flechtmuster insularer Initialen zu luftigen Arabesken, die mit den geschwungenen,

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Initialzierseite zu den Vorreden des Hieronymus: Blattmaskenkopf in der Mitte des Buchstabens (f. 4r, Detail).

aus der spätantiken Tradition übernommenen Blattranken eine vitale Beziehung eingehen. Keine Zierinitiale im Codex gleicht der anderen, vielmehr werden die Grundelemente stets neu variiert. Bereits die folgenden Zierseiten und -spalten zu den verschiedenen Vorreden führen den Variantenreichtum der Buchmaler vor Augen, deren gestalterische Bandbreite sich auf den weiteren Seiten des Codex ganz erschließt. Der optische Zusammenhalt entsteht vor allem durch den wiederkehrenden Farbdreiklang von Blau, Grün und Purpur, ergänzt durch Weiß und Mennigrot.

Kanontafeln mit Vorreden (f. 7v – 14r) Vorreden zu den Kanontafeln (f. 7v – 9r) Der Abschnitt zu den Kanontafeln beginnt mit dem bereits erwähnten, in vielen Evangeliaren vertretenen Brief des Eusebius an Carpianus, in

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 47

im zehnten schreibt jeder das Besondere seiner Lehren: / Durch sie alle unterrichtet, ist der Geist im Besitz des Ganzen. / Deshalb mögest du, Gläubiger, den schmalen Pfad des Kanon durcheilen, / auf dass er dich dorthin führe, wo kein Irrender eintritt.“ (alle Gedichttexte und Bildtitel übersetzt nach Metz 1956, S. 48 – 74). Die Kanontafeln (f. 9v – 14r) In kaum einem Teil des Codex wird das Prinzip der „geordneten Variation“ deutlicher vor Augen geführt als bei den Kanontafeln. Auf fünf Doppelseiten führt der Miniator, bei dem es sich wahrscheinlich um den Maler der „Majestas“-Doppelseite handelt, sein ganzes malerisches Können, seinen gesamten Erfindungsreichtum, aber auch seine hohe maltechnische Qualität vor Augen (Abb. 27). Die Kanontafeln, d. h. die tabellarische Gegenüberstellung der Parallelstellen der vier Evangelien, wurden zwischen 314 und 331 von Bischof Eusebius von Caesarea entwickelt. Sie sind eine Kunstform, die spezifisch für den Buchtyp des Evangeliars bzw. der Bibel und das Medium Buchmalerei ist. Schon früh findet sich die architektonische Präsentationsweise. Sie hat im „Codex Aureus“ eine der aufwendigsten Gestaltungen in der mittelalterlichen Buchmalerei insgesamt gefunden. Dabei standen dem Künstler nur zehn statt der üblichen 12 bis 16 Seiten für die Evangelienkonkordanzen zur Verfügung. Er bedeckte sie mit ganzseitigen, überreich verzierten Bogenarchitekturen, unter denen auf vertikalen Purpurbalken die Parallelstellen der Evangelien gegenübergestellt sind. Der Aufbau der Seiten folgt dem Prinzip der „variierten Symmetrie“: Linke und rechte Hälfte einer Doppelseite entsprechen sich in der Architektur, während die Ornamentik variiert ist. Unter einem großen Bogen befinden sich drei oder vier Purpurspalten, die jeweils von einem kleineren Bogen überfangen werden, der von verschieden gemusterten Säulen getragen wird. Die Architektur eines Kanonbogens ist dabei von außen nach innen weitgehend symmetrisch. Die Bogenreihen erinnern an die reale Architektur mittelalterlicher Kirchenschiffe und Kreuzgänge, die bauplastischen Verzierungen mit den Atlantenfiguren, ausladenden Blattkapitellen und Marmorierungen scheinen jedoch freie Erfindungen des Miniaturisten. Allerdings ist zu bedenken, dass auch die vorromanischen Kirchen weitge-

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Textzierseite mit Gedicht zu den Kanontafeln (f. 9r). T

dem er Ursprung und Gebrauch der Kanontafeln erläutert (f. 7v – 8v). Hingegen ist das folgende Gedicht zu den Kanontafeln wieder ein Unikum des „Codex Aureus“ (f. 9r) (Abb. 26). Die zwischen Purpurbalken geschriebenen Verse eines anonymen Autors stellen eine poetische Reflexion über die Bedeutung der Kanontafeln dar, materialisiert in Form einer Schrifttafel mit breitem, scheinbar profiliertem Rahmen: „In den Worten des Herrn vollendet sich das Gesetz / In wie vielen seiner Worte dies immer geschieht, ebenso viele Kanones erleuchten die Schrift des folgenden Werkes: / Vier stimmen im ersten überein, drei im zweiten; V / der dritte besteht in der Harmonie von dreien, von ebenso vielen der vierte; / der fünfte erglänzt in zweien, auch der sechste in zweien; / auch der siebente, achte und neunte freut sich in zweien; /

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 48

hend ausgemalt waren und damit auch die gebaute Architektur sehr viel farbenfroher und ornamentreicher war als dies heute den Anschein hat. Die Kanonbögen werden durch Tiere und kleine Figuren bereichert, die an den Seiten des großen Bogens auf vertikalen Ranken balancieren und verschiedene Tätigkeiten ausüben. Trotz ihres großen Realismus wurden die Tiere und menschlichen Figuren nicht nach der Natur gemalt, sondern gehen sehr wahrscheinlich auf karolingische, d. h. letztlich spätantike Vorbilder zurück, wofür auch das bereits erwähnte „ThomasEvangeliar“ ein Beispiel ist. Aus diesem Vorlagenfundus schöpften schon die ottonischen Buchmaler des späten 10. und frühen 11. Jahrhunderts, die ihre Prunkhandschriften, beispielsweise das „Evangeliar Ottos III.“ in München oder das „Evangeliar der Sainte-Chapelle“, mit ähnlichen Bekrönungsfiguren bereicherten. Trotz vieler Ähnlichkeiten kann keine Handschrift als direkte Vorlage für den Maler des „Codex Aureus“ beV stimmt werden, vielmehr ist zu vermuten, dass er die Kanontafeln aus verschiedenen Mustervorlagen und eigenen Zutaten zusammenfügte. Betrachtet man die Folge der kleinen Bekrönungsfiguren, so ließe sich nicht nur von einer „geordneten“, sondern einer „gesteigerten Variation“ sprechen. Wichtig war den Buchgestaltern bei den Kanontafeln offenbar nicht allein eine möglichst große Vielfalt von Verzierungsformen, vielmehr versuchten sie, die Komposition von Seite zu Seite komplexer werden zu lassen. Die ersten fünf Kanontafeln sind hinsichtlich Architektur, Ornamentik, Farbigkeit und Figuren streng spiegelsymmetrisch aufgebaut. Dies betrifft auch die Bekrönungsfiguren mit paarweise einander zugewandten Vögeln, z. B. Hähnen, Enten oder Pfauen. Die strenge Spiegelsymmetrie wird ab der sechsten Seite zunehmend aufgegeben. Hier sind zwei Raubvögel dargestellt, von denen der linke einen Hasen, der rechte aber einen Fisch in den Klauen hält (f. 12r). Auf den folgenden Seiten finden sich auch menschliche Figuren, die jeweils unterschiedliche Tätigkeiten verrichten. Die erste Doppelseite (f. 12v – 13r) zeigt links einen Zimmermann und einen Bauern oder Handwerker mit einem Spaten, rechts einen Weinbauern und einen Maurer mit Flaschenzug (Abb. 28 und 29). Dabei ist die aus dem Bogen herauswachsende Blattranke beim Arbeiter im Weinberg zu einer Weinrebe umgedeutet, beim

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Kanontafel mit Greifvögeln als Bekrönungsfiguren, die einen Hasen und einen Fisch in den Klauen halten (f. 12r).

Maurer zur vertikalen Stange, an welcher der Flaschenzug befestigt ist. Auf der nächsten Seite (f. 13v – 14r) erscheinen links zwei Reiher, rechts ein Jäger und ein Kentaur mit Pfeil und Bogen (Abb. 30 und 31). Sie zielen auf die linke Seite und machen scheinbar Jagd auf die beiden Reiher. Die einzelnen Seiten stehen mit ihren Schilderungen nicht isoliert, vielmehr nehmen die Darstellungen über die Seitengrenzen hinweg aufeinander Bezug. Mit seiner narrativen Verknüpfung der Doppelseitenhälften hob der Maler des „Codex Aureus“ die Gestaltung der Kanontafeln auf eine neue Stufe. Auch wenn der Miniator bei vielen Elementen auf Vorlagen zurückgreifen konnte, hat er sie zu einem neuen Ganzen zusammengefügt, das allein seine Erfindung ist.

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 49

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Kanontafel mit einem Zimmermann und einem Bauern als Bekrönungsfiguren (f.12v).

Kanontafel mit einem Weinbauern und einem Maurer als Bekrönungsfiguren (f. 13r).

Text- und Bildprolog zum MatthäusT evangelium (f. 14v – 22r)

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Kanontafel mit zwei Reihern als Bekrönungsfiguren (f. 13v).

Zierseiten (f. 14v – 17r) Im Anschluss an die Kanontafeln beginnt der Hauptteil des Evangeliars mit dem Evangelium nach Matthäus. Vor den goldgeschriebenen Evangelientext ist ein mehrseitiger Prolog gesetzt, der das einführende „Argumentum“, das Kapitelverzeichnis und eine umfangreiche Folge von Bildund Zierseiten umfasst. Prachtvolle Initialzierseiten, Zierkolumnen und reich ornamentierte Rahmen offenbaren die Erfindungsgabe der Miniaturisten und bringen das göttliche Wort in immer wieder neuen Varianten im wahrsten Sinne zum Leuchten.

Die erste Teppichseite (f. 17v – 18r) Ihren Ideenreichtum und ihre malerische Virtuosität beweisen die Echternacher Buchmaler auch auf den Schmuckseiten in Imitation kostbarer Seidenstoffe, die bei jedem Evangelium zwischen Kapitelverzeichnis und Miniaturenzyklus geschaltet sind (Abb. 32). Sie gehören zum Ungewöhnlichsten, was aus der mittelalterlichen Buchmalerei überliefert ist. Jede der vier Doppelseiten weist ein anderes Muster auf, das byzantinisch-sassanidische Seidenstoffe imitiert. Die Imitation ist so

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 50

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Teppichseite in Imitation eines purpurnen T Seidenstoffs (f. 17v – 18r).

nen verschiedener Typen von Seidenwebereien, deren Trompe-l’œil-Charakter auf einen Wiedererkennungseffekt beim Betrachter abzielt. Die Teppichseite vor dem Matthäusevangelium zeigt einen Rapport in Purpurtönen auf hellem Grund, der aus drei Reihen von großen Medaillons mit pflanzlichen und tierischen Motiven und abstrakten Ornamenten besteht. Die rautenförmigen Flächen zwischen den Medaillons sind mit abstrakten floralen Motiven geschmückt. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass sich die Muster auf der linken und rechten Hälfte der Doppelseite leicht unterscheiden. Die mittlere, etwas hellere Medaillonreihe zeigt in der Mitte als Füllmotiv einen Adler und zu beiden Seiten paarweise einander zugewandte Enten (Abb. 33). Die obere und untere Medaillonreihe sind in dunklerem Purpur gehalten und mit floralen Motiven gefüllt, wie sie ähnlich bei einigen Schmuckinitialen erscheinen, hier jedoch von kleinen drachenartigen Fabelwesen gerahmt werden. Wie exakt das Buch durchgeplant wurde, zeigt sich an der erstaunlichen Tatsache, dass die Teppich-Doppelseiten stets das Ende einer Lage und

perfekt, dass sich fast von einer Augentäuschung sprechen lässt und der Betrachter erst auf den zweiten Blick erkennt, dass es sich um einen gemalten, nicht um einen echten Stoff handelt. Sehr wahrscheinlich hat der Maler wirkliche Textilien als Anregungsquelle für den Trompe-l’œil-Effekt benutzt. Orientalische Seidenstoffe waren im Mittelalter weit verbreitet und wurden ungeachtet ihrer oft heidnischen Motive für liturgische und zeremonielle Zwecke, als Reliquienhüllen oder für Bucheinbände verwandt. Auch beim „Codex Aureus“ ist der hintere Deckel innen und außen mit einem byzantinischen Seidenstoff überzogen. Die Ornamentseiten sind bewusste Materialimitatio31

Die letzte Kanontafel mit einem Jäger und einem Kentaur als Bekrönungsfiguren, die mit Pfeil und Bogen Jagd auf die beiden Reiher auf der linken Seite machen (f. 14r).

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 53

Die Stoffseiten sind einer Hülle vergleichbar, welche die Heilsgeschichte umgibt, die sich beim Umblättern sukzessive enthüllt. Sie spiegeln damit die Verwendung echter Textilien als Gewandstoffe, Vorhänge, Reliquienhüllen oder Bucheinbände. Orientalische Seidenstoffe waren im Mittelalter ein Symbol für Kostbarkeit. Die kunstvollen Textilimitationen, angefangen von den frühmittelalterlichen irischen Handschriften bis zu den flämischen Stundenbüchern der Renaissance, steigern den künstlerischen Wert einer Handschrift und sind ein Zeichen für den bewussten Umgang mit künstlerischen Artefakten, deren Wertschätzung sie unterstreichen. Christuszyklus I: Kindheit und Berufung der ersten Jünger (f. 18v – 20r) Innerhalb des Ausstattungsprogramms des „Codex Aureus“ bilden die Textilseiten ein zugleich retardierendes wie auszeichnendes Element. Beim Umblättern offenbart sich sukzessive die Heilsgeschichte in Bild und Wort. Den Auftakt bilden zwei purpurumrandete Doppelseiten mit dem Bildzyklus zum Leben Jesu Christi (Abb. 34 und 35). Jede Bildseite besteht aus drei horizontal angeordneten Bildstreifen, über denen jeweils ein Purpurbalken mit dem Bildtitulus platziert ist. Die nächsten Vorbilder für solche Streifenminiaturen finden sich in den großen karolingischen Bibelhandschriften wie der „Bibel von Moutier-Grandval“. Es ist jedoch keine komplette Serie von Streifenminiaturen mit der Christusgeschichte erhalten, die als direkte Vorlage für den „Codex Aureus“ gedient haben könnte. Zu den Vorteilen der Streifenminiaturen gehört es, viele Szenen in dichter Folge auf engem Raum unterzubringen. Im Echternacher Codex sind die einzelnen Episoden nicht einfach nebeneinander gestellt, vielmehr nutzten die Maler die Kompositionsform auch für raffinierte erzählerische Verbindungen. Der erste Teil des Zyklus vor dem Matthäusevangelium umfasst die Kindheitsgeschichte Christi und die Anfänge seines öffentlichen Wirkens mit der Berufung der ersten Jünger. Jede Miniatur ist aus drei waagerechten Streifen aufgebaut, die von links oben nach rechts unten zu betrachten sind. Der Zyklus beginnt mit der „Verkündigung an Maria“ und der „Heimsuchung“ (oben), es folgen die „Geburt Christi“ und die „Hirtenverkündigung“ (Mitte) sowie die „Heiligen Drei Könige vor Herodes“ (unten). Rechts sind die

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Detail aus der Teppichseite mit einem Entenmotiv in einem Medaillon (f. 17v).

den Anfang einer neuen Lage einnehmen. Linke und rechte Seite sind also nicht auf einem Doppelblatt, sondern auf zwei getrennten Blättern entstanden. Dies macht sich im Erscheinungsbild der Doppelseiten zunächst kaum bemerkbar. Die leichten Verschiebungen im Rapport sind nicht zwingend koordinatorischen oder künstlerischen Mängeln zuzuschreiben, sondern können auch die Folge der Bindung bzw. einer Neubindung sein, bei der die Blätter zudem am Rand um etwa ein bis zwei Zentimeter beschnitten wurden. Der Beschneidung fielen teilweise auch die Zierleisten zum Opfer, mit denen die Teppichseiten eingefasst waren. Die Borten lassen den Willen der Maler erkennen, ein vollständiges Tuch darzustellen, nicht einen Ausschnitt aus einem Musterrapport.

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 54

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Christuszyklus I: Erste Seite mit Szenen aus der Kindheitsgeschichte Christi, gemalt vom „KindheitsMaler“ (f. 18v).

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 55

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Christuszyklus I: Zweite Seite mit Szenen aus der Kindheitsgeschichte Christi, gemalt vom „KindheitsMaler“ (f. 19r).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 56

werden. / Entflammt der Geist die Unfruchtbare, während die Jungfrau grüßt.“) Die beiden Szenen des obersten Bildstreifens folgen der Schilderung bei Lukas (Lk 1,26 – 56), der als einziger Evangelist näher auf „Verkündigung“ und „Heimsuchung“ eingeht, während die „Verkündigung“ bzw. Empfängnis durch den Heiligen Geist im Matthäusevangelium (Mt 1,18) nur angedeutet wird und die „Heimsuchung“ gar keine Erwähnung findet. In einem spärlich möblierten Innenraum ist der Moment kurz nach dem Eintreten des Erzengels Gabriel dargestellt. Durch den Kreuzesstab als göttlicher Bote gekennzeichnet, entbietet er Maria, die sich erstaunt von ihrem kissenbedeckten Faltsessel erhoben hat, seinen Gruß und verkündet ihr die Nachricht ihrer Auserwählung. Der eigentliche Moment der Empfängnis ist, entsprechend der Schilderung bei Lukas, nicht dargestellt. Auch wurde er nicht wie in spätmittelalterlichen Tafelbildern durch die Taube als Symbol des Heiligen Geistes angedeutet. Die nebenstehende Szene der „Heimsuchung“, d. h. der Begegnung Marias mit ihrer schwangeren Verwandten Elisabeth, der Mutter Johannes des Täufers, ist ebenfalls von zwei Architekturelementen gerahmt und von einem zinnenbedeckten Bogen überfangen. Allerdings zeigt der Steinhügel an, dass es sich nicht um eine Innenraumdarstellung handelt, sondern dass die rahmenden Turmarchitekturen für die Städte stehen, aus welchen die beiden Frauen zu ihrem Treffen geeilt sind (Lk 1,39 – 40), um sich gegenseitig vom Wunder ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Der Miniaturist hat die Szene gewissermaßen im Zeitraffer dargestellt und mehrere Episoden in einer Darstellung zusammengefasst.

„Anbetung der Könige“ (oben), der „Traum und Aufbruch der Könige“ (Mitte) und die „Darbringung im Tempel“ (unten) zu sehen. Die zweite Doppelseite beginnt mit dem „Traum des Joseph“ und der „Flucht nach Ägypten“ (oben), es folgen der „Kindermord von Bethlehem“ (Mitte) und „Christus mit den Schriftgelehrten“ sowie die „Taufe Christi“ (unten). Die letzte Seite zeigt die drei „Versuchungen Christi“ (oben), die „Berufung der ersten Jünger“ (Mitte) und die „Berufung des Zöllners Matthäus“ (unten) (Abb. 36 und 37). Die Identifizierung der Figuren geschieht – allerdings nicht systematisch – über kurze Namensinschriften in den Bildstreifen selbst. Die erste Doppelseite wurde von einem Maler geschaffen, der von den Figuren, den Architekturen und der Komposition dem Stil des „MajestasMalers“ nahe steht, jedoch hellere Inkarnate bevorzugt. Die zweite Doppelseite verrät die Hand eines Künstlers, den man aufgrund der Physiognomie seiner Figuren den „Langnasen-Maler“ nennen könnte. Er war jedoch erst als zweiter Maler tätig. Der „Langnasen-Maler“ übermalte die Inkarnate der Figuren und die Hintergründe des ersten Malers, beließ die Gesamtkomposition, die Architekturen und Gewänder jedoch weitgehend im Originalzustand. Ein Grund für diese merkwürdigen „Restaurierungen“ ist nicht auf Anhieb ersichtlich, denn wie die stellenweise Abplatzung der obersten Malschicht verrät, ist die Ursprungsfassung ohne Schäden. Infolge der Übermalung unterscheiden sich die beiden Doppelseiten des Kindheitszyklus auffällig in der Farbgestaltung. Während der erste Maler einfarbige Bildhintergründe in rosa, blau und grün malte und die Innenräume jeweils in einer der anderen Farben absetze, versah der „LangnasenMaler“ seine Szenen mit bunten Streifengründen. Diese sind typisch für die spätantike Buchmalerei, kennzeichnen aber auch den um 985 in Trier illuminierten „Codex Egberti“, der immer wieder als Vorbild für den „Codex Aureus“ genannt wird. Nicht verändert wurden die Bildtitel, die auf den Balken oberhalb eines jeden Bildstreifens erscheinen und die Miniaturen teils erklärend, teils assoziativ begleiten und kommentieren.

„Geburt Christi“ und „Hirtenverkündigung“ „Quem sine matre pater, genuit sine semine mater.“ („Den der Vater ohne Mutter gezeugt hat, erzeugte ohne Samen die Mutter.“) Auch „Geburt“ und „Hirtenverkündigung“ sind, abgesehen von einer kurzen Erwähnung bei Matthäus (Mt 1,25), nur im Lukasevangelium überliefert (Lk 2,4 – 15) (Abb. 38). Der lateinische Bildtitel bezieht sich allein auf das Wunder der jungfräulichen Geburt, während die Hirtenverkündigung, welche mehr als die Hälfte des Bildstreifens einnimmt, keine Erwähnung gefunden hat. Allerdings hat der Maler die Streifenform dazu benutzt, die beiden aufeinanderfolgenden Szenen

„Verkündigung“ und „Heimsuchung“ „Plasmavit qui te, nascetur conditor ex te. Spiritus inflammat sterilem, dum virgo salutat.“ („Der dich gebildet hat, der Schöpfer, wird aus dir geboren

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 57

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Christuszyklus I: Dritte Seite mit Szenen aus der Kindheitsgeschichte Christi, Übermalungen vom „LangnasenMaler“ (f. 19r).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 58

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Christuszyklus I: Vierte Seite V mit Szenen aus der Kindheitsgeschichte Christi, Übermalungen vom „LangnasenMaler“ (f. 19r).

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 59

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Blickrichtung und den Gesten der Hirten sowie der Marschrichtung ihrer Tiere deutlich. Während der vordere der Hirten, die mit der Inschrift „Pastores“ versehen sind, in Richtung Engel weist, den Kopf aber bereits in Richtung Stall gedreht hat, weist der hintere zum Stall, sein Blick ist aber dem Engel zugewandt. Durch den Kunstgriff dieser doppelten Verbindungsfigur hat der Miniaturist die Episode der Hirtenverkündigung mit der folgenden Szene, dem Aufbruch zum Stall von Bethlehem, verknüpft. Die Geburtsszene stellt den Zielort der Hirten dar und in der Art einer bildlichen Sprechblase oder Parenthese zugleich den Inhalt der Botschaft des Engels auf dem Felde. Was der Bibeltext nur sukzessive schildern kann, hat der Maler durch die besondere Art der Simultandarstellung zu einer Szene verschmolzen.

Christuszyklus I, 1. Seite, mittlerer Bildstreifen: Die „Geburt Christi“ und die „Verkündigung an die Hirten“ sind durch Gesten und Blicke erzählerisch verknüpft (f. 18v, Detail).

durch Gesten und Blicke zu verknüpfen und damit bis zu einem gewissen Grade als Parallelhandlungen darzubieten. Das mit zwei Tortürmen, Säulen und einem goldenen Bogendach prächtig ausgestattete Architekturgehäuse widerspricht der Schilderung einer ärmlichen Stallarchitektur bei Lukas. Die Darstellung ist auf zwei Ebenen verteilt. Im Mittelpunkt liegt Maria fast bildparallel auf einer purpurbedeckten Bettstatt, an ihrem Haupt hockt der mit aufgestütztem Kopf sinnende oder schlafende Josef. Ihre herausgehobene Position ist durch die beiden um die Säulen geschlungenen Vorhanghälften, ein seit der Antike bekanntes Auszeichnungsmerkmal, betont. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man das Jesuskind, das, bewacht von Ochse und Esel, über Maria im Giebelfeld liegt. Die räumliche Anordnung lässt sich weniger als Über-, denn Hintereinander und zugleich als buchstäbliche „Erhebung“ Christi verstehen. Die Verkündigung an die Hirten („Pastores“) ist, wie die grünen Erdhügel anzeigen sollen, gemäß dem Bibeltext im Außenraum angesiedelt. Im Zentrum der Szene steht der Engel in Begleitung einer Engelsschar und verkündet den beiden gestikulierenden Hirten zu seiner Rechten die frohe Botschaft. Der Inhalt seiner Rede wird in der

Die „Heiligen Drei Könige bei Herodes“ „Virgines in partu nova stella refulsit in ortu, Pectoribus verum lumen monstrans […].“ („In der Jungfrauengeburt erstrahlte im Aufgang ein neuer Stern: den Herzen das wahre Licht, das ihnen den Weg zeigt.“) Die folgenden drei Bildstreifen sind der Geschichte der „Heiligen Drei Könige“ gewidmet, die hier als Magier („Magi“) bezeichnet werden. Die erste Szene zeigt den nur von Matthäus berichteten „Besuch der Drei Könige bei Herodes“ (Mt 2,1 – 9), den der Miniaturist in einer palastartigen Architektur situiert hat, die fast die gesamte Breite des unteren Bildstreifens einnimmt. Von links treten die drei „Magier“ durch das geöffnete

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 60

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Tor in den Thronsaal vor König Herodes, der mit Szepter und Krone auf einem hohen steinernen Thron sitzt. Zu Füßen des Königs erscheinen drei bärtige Männer, bei denen es sich vermutlich um die von Herodes herbeigerufenen Schriftgelehrten handelt, die ihm den von den Propheten geweissagten Geburtsort des neuen Königs der Juden mitteilen sollen. Auch bei diesem Bildstreifen handelt es sich um eine Simultandarstellung, in welcher der Maler mehrere Handlungsmomente in einer Szene verschmolzen hat. Nach dem Bibeltext hörte Herodes zunächst die Schriftgelehrten, bevor er die Könige zu sich rufen ließ, um sie zu bitten, ihm nach dem Besuch in Bethlehem von dem neugeborenen Kind zu berichten, was durch seinen Zeigegestus angedeutet ist. Er weist zugleich auf die beiden rechts im Torbogen stehenden Wachen, die mit ihren erhobenen Waffen wie ein drohender Vorgriff auf den erst auf der nächsten Doppelseite dargestellten „Kindermord von Bethlehem“ wirken.

Christuszyklus I, 2. Seite, mittlerer Bildstreifen: Traum und Aufbruch der „Heiligen Drei Könige“ sind durch die Gesten des Botenengels erzählerisch miteinander verknüpft (f. 19r, Detail).

die entsprechenden Gefäße – der thronenden Muttergottes nähern. Demutsvoll treten sie in das vom Stern von Bethlehem markierte Gebäude ein, das eine Mischung aus dem Stall und dem Haus der Maria aus der Verkündigungsszene auf der linken Seite ist. Offensichtlich war dem Miniator die formale Entsprechung wichtiger als eine logische Fortsetzung der Erzählung. Der „Traum“ und die „Weiterreise der Könige“ „Celitus ammoniti sunt recto calle reversi.“ („Auf die Weisung des Himmels kehren sie auf dem rechten Wege zurück.“) Nur auf einem einzigen Bibelvers (Mt 2,12) beruht die folgende Darstellung des „Traums der Könige“ und ihrer Weiterreise, auf die sich auch der Bildtitel bezieht (Abb. 39). Die beiden getrennten Szenen wurden vom Miniator wieder zu einer Simultandarstellung verknüpft. Links sieht man die drei „Magier“ in ihren Betten. Im Traum erscheint ihnen ein Engel, der sie auffordert, nicht zu Herodes zurückzukehren, sondern auf einem anderen Weg nach Hause zu reiten. Die rechte Szene lässt sich zugleich als Sichtbarmachung der Traumbotschaft wie als Fortsetzung der Geschichte, d. h. sowohl als Inhalt wie Konsequenz des Traums verstehen. Ähnlich wie bei der Hirtenverkündigung

Die „Anbetung der Könige“ „Munera carne deum tria sunt testata magorum.“ („Die drei Geschenke der Magier Gott im Fleische bezeugt haben.“) Es folgt die „Anbetung der Könige“ (Mt 2,9 – 11), die im Bildtitel als Zeugen für die Inkarnation Christi aufgerufen werden. Dargestellt ist der Moment, in dem sich die drei „Magier“ mit ihren Geschenken – den in der Bibel erwähnten Gaben Gold, Weihrauch und Myrrhe, symbolisiert durch

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 61

roten Sattel mit ebenso heller Satteldecke an, die vom „Langnasen-Maler“ deutlich reduziert und farblich abgemildert wurden. Grund für die Korrektur war möglicherweise die farbliche Vereinheitlichung der getrennt hergestellten Doppelseiten.

werden die beiden Szenen durch die verschränkten Zeigegesten von Engel und vorderstem König verknüpft. Die „Darbringung im Tempel“ „Hic Symeon vetulis Iesum suscepit in ulnis.“ („Simeon empfängt hier Jesus in seinen ältlichen Armen.“) Den Abschluss der Doppelseite bildet die bei Lukas berichtete „Darbringung im Tempel“ (Lk 2,21 – 35). Die Komposition mit der bildbestimmenden Architektur scheint den Herodes-Palast auf der linken Seite in leicht variierter Form zu spiegeln. Das rechte Bauwerk ist jedoch deutlich als Sakralbau gekennzeichnet. Maria und Joseph stehen im Langhaus, während sich Simeon mit dem Jesusknaben auf dem Arm im Chorraum befindet, der durch eine Säule und einen geteilten Vorhang ausgezeichnet ist. Mit viel Detailfreude sind das regelmäßig behauene Mauerwerk, die gedrehten Säulen als Hinweis auf den Tempel von Jerusalem, die bunten Dachziegel, die Außenansicht der Apsis sowie die Fensterreihe im Obergaden als Merkmal einer Basilika wiedergegeben.

Der „Kindermord von Bethlehem“ „Rex quia turbatur, infantum turba necatur.“ („Da der König in Bestürzung gerät, werden die Kinder in Scharen ermordet.“) Der mittlere Bildstreifen mit dem „Kindermord von Bethlehem“ (Mt 2,16 – 18) zeichnet sich durch eine äußerst drastische Darstellung aus (Abb. 40). Links erteilt der in einem Architekturgehäuse thronende Herodes den neben ihm stehenden Soldaten die Anweisung, den anderen Schergen, die als „carnificis“ gekennzeichnet sind, beim Kindermord zur Hand zu gehen. Vor dem Palasttor liegen die aufgetürmten Leichen der Säuglinge, betrauert von ihren verzweifelten Müttern. In der Mitte wird ein Kind zwischen dem zuschlagenden Soldaten und seiner Mutter fast zerrissen. In den unterschiedlichen, teilweise abgeplatzten Inkarnaten der Kinderleiber treten die beiden Malphasen deutlich zutage.

Der „Traum des Joseph“ und die „Flucht nach Ägypten“ „Angelus ut iussit, Ioseph surrexit et ivit.“ („Wie der Engel befahl, so erhob sich Joseph und ging.“) Die zweite Doppelseite des Kindheitszyklus beginnt mit dem „Traum des Joseph“ und der „Flucht nach Ägypten“ (Mt 2,13 – 15), deren unmittelbare Aufeinanderfolge der Bildtitel deutlich macht. Die Traumszene zeigt den schlafenden Joseph mit dem über ihm schwebenden Engel, der ihm in merkwürdig verdrehter, fast akrobatisch erscheinender Haltung die Anweisung gibt, mit Maria und dem neugeborenen Sohn zu fliehen. In der rechten Hälfte des Bildstreifens sieht man die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten. Josef schreitet mit Stock und weiten Schritten voran und zieht den Esel, auf dem Maria mit dem Kind in fast frontaler, thronender Pose sitzt, am roten Zügel hinter sich her. Im Gegensatz zum „Traum der Heiligen Drei Könige“ sind die beiden Szenen erzählerisch nicht miteinander verknüpft. Die starken Abplatzungen der obersten Farbschicht verursachen einen fleckigen Eindruck, ermöglichen aber interessante Einblicke in die Herstellung der Handschrift. So trat die Muttergottes die Flucht nach Ägypten zunächst auf einem grell-

„Christus unter den Schriftgelehrten“ und „Taufe Christi“ „Ut discens audit doctores, omnia qui scit. Nos lavat a culpa Christus Iordanis in unda.“ („Der, der alles weiß, hört wie ein Lernender die Lehrer. / Im Wasser des Jordan wäscht Christus uns rein von Schuld.“) Der unterste Bildstreifen vereint zwei zeitlich und räumlich getrennte Episoden aus der Jugend Christi. Links ist die nur bei Lukas berichtete Szene des „Zwölfjährigen Christus unter den Schriftgelehrten“ zu sehen (Lk 2,41– 52), rechts die in allen Evangelien enthaltene „Taufe Christi“ (Mt 3,13 – 17; Mk 1,9 – 11; Lk 3,21– 22; Joh 1,29 – 34). Die Tempelszene zeigt Christus zwischen erregt gestikulierenden, bärtigen Männern. Jesus ist durch seine zentrale, aber weitgehend isolierte Position, den Fußschemel und den Kreuznimbus hervorgehobenen. Er hält das Ende einer ausgebreiteten Schriftrolle, die vielleicht eine Thorarolle vorstellen soll und um deren Auslegung es in der Diskussion offensichtlich geht. Die rechte Hälfte des Bildstreifens zeigt eine ganz neue Szene, die mit der linken in keinem er-

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 62

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zählerischen Zusammenhang steht. Dargestellt ist die Taufe Christi im Jordan, der wie in vielen frühmittelalterlichen Darstellungen als eine Art Wasserhügel wiedergegeben ist. Christus steht unbekleidet inmitten der Wellen und wird von Johannes getauft, der im Pelzgewand am Rande des Jordan steht, während von oben die Taube des Heiligen Geistes aus dem Himmelsrund herabschwebt.

Christuszyklus I, 3. Seite, mittlerer Bildstreifen: Der von Herodes befohlene „Kindermord von Bethlehem“ ist besonders drastisch dargestellt (f. 19v, Detail).

Der folgende Bildstreifen bietet mit der „Berufung der ersten Jünger“, Simon Petrus und Andreas (Mt 4,18 – 20; Mk 1,16 – 18; Lk 5,1– 9) sowie Jakobus und Johannes (Mt 4,21– 22; Mk 1,19 – 20; Lk 5,9 – 11), einen erneuten Szenenwechsel. Die in zwei fast identische Hälften geteilte Darstellung zeigt Christus jeweils am Rande eines Gewässers mit einem Fischerboot. Mit ähnlichem Zeigegestus wie im oberen Bildstreifen fordert er die Bootsinsassen – links Petrus und Andreas, rechts Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus – auf, ihm zu folgen, um zu „Menschenfischern“ zu werden.

Die „Versuchungen Christi“ „Temptatur Christus, hostis fit ter superatus.“ („Versucht wird Christus, der Feind wird dreimal überwunden.“) Nach der Taufe setzt der „Geist“, d. h. der Teufel, Christus mehreren Versuchungen aus, die Thema des rechten oberen Bildstreifens sind (Mt 4,1 – 11; vgl. auch Mk 1,12 – 13; Lk 4,1– 13). Nacheinander fordert ihn der Teufel auf, Steine in Brot zu verwandeln, vom Jerusalemer Tempel zu springen und sich seiner Macht zu unterstellen. Zur Belohnung bietet er ihm alle Schätze dieser Welt an, die der Maler als goldenen Tupfenregen wiedergab. Die Miniatur ist entsprechend der dreifachen Versuchung dreigeteilt, wobei Christus, vielleicht um seine Standhaftigkeit zu verdeutlichen, stets in fast identischer Haltung dargestellt ist, während der Teufel sich durch Einsatz vieler Gesten und lockender Körperbewegungen als Verführer zu erkennen gibt.

Die „Berufung des Matthäus“ „Ardor lucrandi frigescit voce sequendi. Spem peccatori dant haec exempla Mathei.“ („Die Glut der Gewinnsucht erkaltet unter dem Ruf der Nachfolge. / Hoffnung geben dem Sünder diese Exempla des Matthäus.“) Einen Sprung in der Chronologie stellt der unterste Bildstreifen mit der „Berufung des Zöllners Matthäus“ dar. Sie wird in der Bibel (Mt 9,9 – 13) erst nach den ersten Wundertaten Christi erzählt, welche im „Codex Aureus“ Thema des Bildzyklus vor dem Markusevangelium sind, doch wahrscheinlich wurde die Berufung des „Mathis“, wie es in der Bildinschrift heißt, angesichts des folgenden Matthäusevangeliums vorgezogen. Die Episode ist auf zwei Szenen verteilt: Links tritt Christus

Die „Berufung der ersten Jünger“ „Hic duo germani capiuntur famine Christi. Hic duo cum navi patrem liquere vocati.“ („Hier werden die zwei Brüder durch den Ruf Christi ergriffen. / Hier verlassen die zwei Berufenen ihren Vater mit dem Schiffe.“) V

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 63

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Evangelistenbild des Matthäus in einer reich geschmückten Bogenarchitektur. Im Tympanon ist der Engel als Symbol des Matthäus mit einer Schriftrolle dargestellt (f. 20v).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 64

Zu sehen ist ein riesiger Engel mit einem geöffneten Buch, in dem ein Lobgedicht zu Matthäus geschrieben steht: „Ihr Menschen glaubet den Schriften des Menschen Matthäus, damit der, von dem er berichtet, der Mensch Jesus, euch den Lohn erteile.“ Wie bei der Textzierseite gegenüber der „Majestas Domini“, ist auch hier das Gedicht in materialisierter Form in Gestalt eines aufgeschlagenen Codex dargeboten. Dabei erscheint der Engel gleichsam als Detailvergrößerung des Matthäussymbols auf der linken Seite. Als monumentaler Buchständer erhebt der auf einem kleinen Erdhügel stehende Engel die Lobpreisung der Heiligen Schrift in einer Art Apotheose, die nach oben fast den Rahmen der Darstellung sprengt.

mit einem geöffneten Buch auf Matthäus zu, der mit dem Abwiegen der Zollwaren beschäftigt ist. Rechts ist, nahezu spiegelbildlich zur linken Buchseite, das Mahl im Hause des Zöllners dargestellt, das den durch ein goldenes Ehrentuch herausgehobenen Christus bei seiner Tischrede hinter einer reich gedeckten Tafel zeigt. Evangelistenbild und Lobpreisung des Matthäus (f. 20v – 21r) Auf der folgenden Doppelseite ist das Evangelistenbild des Matthäus mit einer Textzierseite zum Matthäusevangelium kombiniert (Abb. 41 und 42). Matthäus ist wie auch die anderen Evangelisten nach spätantiker Tradition als Autor bei seiner Schreibtätigkeit dargestellt. Er sitzt nach rechts gewandt unter einer reich verzierten Arkadenarchitektur auf einem prunkvollen Faltsessel vor einem Schreibpult, in seinem Schoß liegt ein mit Edelsteinen besetztes Buch. Soeben hat er den Beginn seines Evangeliums – „Liber generationis“ – auf ein goldgerahmtes Blatt geschrieben. Im goldgrundigen Giebelfeld des Arkadenbogens erscheint der Engel, seine Symbolfigur, mit einer leeren Schriftrolle. Im Purpurfeld darunter ist die lateinische Inschrift „Den in Fleisch erschienenen Gott bezeichnet Matthäus durch sein Wort und sein Bild“ zu lesen. Die Seite war Gegenstand umfangreicher Übermalungen. Wie die Schäden am blauen Streifengrund erkennen lassen, war der Hintergrund ursprünglich einheitlich rosa. Der Mantel des Evangelisten war hingegen in Blau angelegt und wurde dann in Ockergelb geändert. An einigen schadhaften Stellen scheint der originale mittelblaue Farbton durch. Zur Abgrenzung der Farbflächen zog der Übermaler die Konturen in schwarz-brauner Farbe nach. Die Inkarnate scheinen ursprünglich zu sein. Die grünlich-braune Schattierung findet sich auch in einigen Passionsszenen vor dem Johannesevangelium, so dass vermutet werden kann, dass derselbe Maler auch das Matthäusbild ausführte und möglicherweise sogar selbst für die Übermalungen und farblichen Angleichungen sorgte. Während die Matthäusfigur an den entsprechenden Evangelisten im „Sainte Chapelle-Evangeliar“ erinnert und möglicherweise nach dieser oder einer ähnlichen Vorlage gestaltet wurde, handelt es sich bei der Textzierseite rechts vermutlich um eine selbstständige Erfindung des Echternacher Buchmalers.

„Incipit“- und Initialzierseite zum Matthäusevangelium (f. 21v – 22r) Der Bild- und Textprolog vor dem Matthäusevangelium kulminiert in der folgenden Doppelseite in einer „Incipit“-Zierseite und der Initialzierseite mit dem Beginn des Evangeliums. Der DiptychonEffekt der beiden Seitenhälften wird durch die ähnliche doppelte Blattmusterrahmung mit goldenen ornamentierten Quadraten und die gemeinsame grüne Hintergrundfarbe unterstrichen. Die große Zierinitiale „L“ auf der rechten Seite ist zusätzlich mit dem bekannten Farbdreiklang von Blau, Grün und Hellpurpur gefüllt. Auch hier sind die Buchstabenenden mit kleinen Drachenköpfen verziert, die teilweise die Ranken auszuspeien oder zu schlucken scheinen.

Ornamentale und figürliche Initialen im Matthäusevangelium: Variation und Hervorhebung (f. 22v – 48v) V Nach der Prachtentfaltung der großen Bild- und Textzierseiten wirken die goldgeschriebenen TextT seiten des Matthäusevangeliums auf den ersten Blick weniger abwechslungsreich. Da die Illustrationen zu den Evangelien als Bildsequenz vorangestellt und damit gewissermaßen „ausgelagert“ wurden, finden sich auf den Textseiten keine Miniaturen. Trotzdem sind die Evangelientexte nicht ohne Verzierung geblieben, sondern mit einer ungewöhnlich dichten Folge von Initialen geschmückt. Sie markieren die Kapitel- und Versanfänge, besonders wichtige Perikopen sind durch gerahmte Initialen hervorgehoben. Die zumeist

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Textzierseite T mit Lobgedicht zu Matthäus: Ein Engel hält ein geöffnetes Buch mit goldenen Schriftzeilen (f. 21r).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 66

vier- bis fünfzeiligen Initialen zeichnen sich durch eine reiche Ornamentik aus vegetabilen, geometrischen und figürlichen Elementen aus. Kein Buchstabe gleicht dem anderen. Die vielfältigen Möglichkeiten der Initialgestaltung etwa zeigt eine Doppelseite mit sieben Varianten des Buchstabens „E“ (f. 27v – 28r). Dass die Seiten nicht nur gelesen, sondern wie ein Text-Diptychon betrachtet werden sollten, zeigt die mittig stehende goldgerahmte „Kopfzeile“, die auf allen Textseiten das jeweilige Evangelium angibt. Auf der linken Seite ist stets „Secundum“, auf der rechten Seite der Name des entsprechenden Evangelisten, zunächst also „Matheum“, zu lesen. Die Initialen sind nach dem Typ der RankenFlechtband-Buchstaben gestaltet, wie er bei den großen Zierinitialen bereits zu sehen war. Der goldene Buchstabenkörper ist mit einem schmalen Rand in Mennigrot umsäumt. Die Hohlräume des Buchstabens sind weiß gefüllt, ebenso sind die schmalen Verbindungsstege oder „Klammern“ weiß gekennzeichnet. Der schlichte Grundkörper ist mit verschiedenartigem Rankenwerk gefüllt, das oftmals an den Seiten über die Begrenzung des Buchstabenkörpers hinauswächst. Die Ranken sind mit knollenartigen Blättern besetzt, die bisweilen an den Enden als Efeu-, Klee- oder Pfeilblatt geformt sind. An manchen Rankenverbindungen finden sich kleine, rosettenartige Blüten. Bei vielen Initialen ist das sonst wild wuchernde Rankenwerk symmetrisch arrangiert oder zu geometrischen Ornamenten gestaltet und damit gewissermaßen „gezähmt“. Bis auf den Buchstaben „I“ stehen alle Initialen vor farbigen Hintergründen oder sind farbig gefüllt. Im Matthäusund Markusevangelium handelt es sich überwie-

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Zwei Varianten des Buchstabens „O“. Dem oberen Buchstaben entsteigt ein Drache (f. 37r, Detail).

gend um Purpurgründe, im Lukas- und Johannesevangelium tauchen vermehrt auch blaue und grüne Hintergründe auf. Zu den reizvollsten Erfindungen gehören verschiedene Initialen, bei denen der Buchstabe nicht mehr nur ein zweidimensionales, ornamentales Schriftzeichen ist, sondern sich in ein Tier verwandelt, das in kunstvollen Biegungen versucht, sich selbst in den Schwanz zu beißen, eine Buchstabenranke zu verschlingen oder auszuspeien (z. B. f. 25r, 35r, 36r) (Abb. 43 und 44). Der selbstreflexive Charakter der Tierinitialen, die ihre eigene Entstehung oder Zerstörung thematisieren, wird von jenen Initialen gesteigert, bei denen sich 44

Ein Drache verbeißt sich in den Stamm seines Buchstabens (f. 35r, Detail).

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 67

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Der Querbalken des Buchstabens „T“ hat sich in einen knorrigen Baumstamm verwandelt, der von einem Mann getragen wird (f. 40r).

Der Mann scheint den „Stamm“ seines Buchstabens ausreißen oder pflanzen zu wollen (f. 40r).

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10), scheint nicht zu bestehen. Dies gilt auch für das zweite Beispiel, das auf einer der vorausgehenden Doppelseiten erscheint (f. 61v). Wieder findet sich ein aufrecht stehender Jüngling, der diesmal jedoch vollständig nackt ist und seine Blöße schamhaft verdeckt (Abb. 48). Bei der ebenso gewagten wie verblüffenden Figur handelt es sich um eine der frühesten autonomen, nicht in eine Szene eingebundenen Aktdarstellungen der Kunstgeschichte, die hier als Initiale „I“ der Schilderung von der Enthauptung Johannes’ des Täufers voransteht (Mk 6,17 – 29). Wieder ist kein inhaltlicher Zusammenhang mit dem Text auszumachen. Die Figureninitialen markieren den Grenzbereich zwischen Illustration und Dekoration, welche die beiden Pole der mittelalterlichen Buchillumination bilden und sich im „Codex Aureus“ zu einigen höchst ungewöhnlichen Kreationen vereinigt haben. Solche Figuren- und Tierinitialen finden sich nur im Matthäus- und Markusevangelium. Sie sind ein Ausdruck der hohen künstlerischen Virtuosität und den reflektierten Umgang mit den Traditionen der Initialgestaltung und lassen die Hand des „Majestas-Malers“ vermuten. Ihm stand ein zweiter Maler zur Seite, der auf einigen Seiten des Matthäus- und Markusevangeliums, vor allem aber im Lukas- und Johannesevangelium wirkte. Er zeichnet sich durch eine nachlässigere und weniger einfallsreiche, dafür aber buntere Initialgestaltung aus, bei der neben Gold auch Silber als Buchstabenfarbe vorkommt.

Der Buchstabe „I“ erscheint als bekleidete Jünglingsfigur (f. 63r).

der Buchstabe in ein Objekt verwandelt, das etwa von einer kleinen Figur getragen, scheinbar ausgerissen werden kann oder sich in eine Säule verwandelt (z.B. f. 35r, 37v, 39v, 40r) (Abb. 45 und 46). Besonders erstaunlich angesichts der Entstehungszeit der Handschrift sind zwei Figureninitialen im Markusevangelium. Bei der einen hat der Künstler den Buchstaben „I“ in einen Menschen verwandelt (f. 63r), augenscheinlich einen Jüngling mit lockigem Haar, der mit überkreuzten Armen neben der Textkolumne steht (Abb. 47). Ein inhaltlicher Zusammenhang von Figur und Text, in dem es um die Speisung der Viertausend geht (Mk 8,1–

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 68

Die zweite Teppichseite (f. 51v – 52r) Die Doppelseite zeigt insgesamt 14 horizontal angeordnete Zierstreifen, die von einem gepunkteten Rahmen eingefasst werden (Abb. 50). Die buntfarbigen Ornamentstreifen stellen innerhalb der sonst purpurgründigen Teppichseiten im Codex eine Besonderheit dar, die auch innerhalb der abendländischen Buchmalerei kein Vergleichsbeispiel besitzt. Die Streifen sind in vertikaler Hinsicht weitgehend spiegelsymmetrisch angeordnet. Auf den farbigen Gründen erscheinen verschiedene florale, geometrische und gegenständliche Motive im Wechsel mit Greifen, Löwen und Adlern. In der Mitte stehen zwei Streifen mit entenartigen Vögeln, die jeweils ein Blatt im Schnabel halten – ein seit dem 10. Jahrhundert im Mittelmeerraum bis nach Vorderasien verbreitetes Motiv mit wohl spätantiken Wurzeln. Christuszyklus II: Wunder und öffentliches W Wirken (f. 52v – 54r) Die Teppichseite bildet wieder eine Art symbolischer Umhüllung für die folgenden beiden Doppelseiten mit Streifenminiaturen, die dem Wunderwirken Christi gewidmet sind (Abb. 51 und 52). Die Miniaturen ähneln stilistisch der ersten Doppelseite des Christuszyklus, zeichnen sich aber durch einfachere Architekturen, wenig variierte Farbhintergründe und einen zwar proportionierten, doch gedrungeneren und auf wenige Typen beschränkten Figurenstil aus. Sie sind daher T einem dritten Miniaturisten zuzuschreiben, der hier aufgrund der Thematik als „Wunder-Maler“ bezeichnet werden soll. Es handelt sich um die einzigen Miniaturseiten im Codex, die weitgehend frei von Übermalungen geblieben sind. Die Wundersequenz beginnt mit der „Hochzeit zu Kana“ und endet mit der „Heilung der Aussätzigen“. Der Maler hat die Schilderungen der Evangelien wieder zu einer eigenständigen Bildergeschichte harmonisiert. Die Chronologie entspricht weder einem bestimmten Evangelientext noch der liturgischen Abfolge, die in Evangelistaren wie dem „Codex Egberti“ überliefert ist, die damit nicht als direkte Vorlage gedient haben können.

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Der Buchstabe „I“ wurde in eine der frühesten Aktdarstellungen der Kunstgeschichte verwandelt (f. 61v).

Text- und Bildprolog zum MarkusT evangelium (f. 49r – 56r) Zierseiten zum Prolog des Markusevangeliums (f. 48v – 51r) Das Matthäusevangelium endet mit einer ganzseitigen „Explicit“-Zierseite gegenüber der „Incipit“Seite des Markusevangeliums. Beide Seiten sind fast identisch gestaltet: In einem schmalen Profilrahmen befindet sich ein grünes Binnenfeld mit jeweils fünf Purpurzeilen, auf denen der Text in goldener Unzialis bzw. Kapitalis geschrieben steht. Die Doppelseite bildet ein Scharnier zwischen den beiden Evangelien, bleibt jedoch das einzige Beispiel dieser Art im „Codex Aureus“. Entsprechend dem grundlegenden Gestaltungsprinzip der „geordneten Variation“ ist der Textund Bildprolog zum Markusevangelium nach dem Muster des Matthäusprologs aufgebaut. Auf das mit einer kunstvollen Initialzierseite eingeleitete „Argumentum“ (f. 49v) und das Kapitelverzeichnis folgt die zweite Teppichseite (Abb. 49).

Die „Hochzeit zu Kana“ „Fecit aqua vinum deus inter fercula primum.“ („Als erstes machte Gott Wasser zu Wein beim Mahle.“)

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lung von Wasser in Wein stattfindet. Die Geste und die geöffnete Haustür dienen dabei gewissermaßen als Scharnier zwischen den beiden zeitlich parallel dargebotenen Handlungsteilen.

Teppichseite mit Streifenmuster vor der Bildsequenz zum T Markusevangelium (f. 51v – 52r).

Der oberste Miniaturstreifen zeigt die „Hochzeit zu Kana“, die von Johannes als erstes Wunder bzw. „Zeichen“ Christi überliefert ist (Joh 2,1– 12) (Abb. 53). Nach seinem Bericht ging während der Hochzeitsfeier, zu der Christus mit seiner Mutter und den Jüngern eingeladen war, der Wein aus, woraufhin Maria Christus um Hilfe bat. Die linke Hälfte der Miniatur zeigt den erstaunten Bräutigam, dem der Diener den Wein bringt und mit einer erklärenden Geste nach außen weist, wo soeben die Wand-

Die „Heilung des Aussätzigen“ und die „Heilung des Knechts des Hauptmanns von Kapharnaum“ „Leprosum mundat hic, servum famine curat.“ („Hier reinigt er den Aussätzigen, den Diener heilt er durch das Wort.“) Im mittleren Bildstreifen sind mit der „Heilung des Aussätzigen“ und der „Heilung des Knechts des Hauptmanns von Kapharnaum“ zwei Krankenheilungen dargestellt, die auch im Matthäusevangelium aufeinanderfolgen (Mt 8,1– 4 und 5 – 13; vgl. Mk 1,40 – 45; Lk 5,12 – 14 und 7,1– 10). Links heilt Christus, gefolgt von zwei Jüngern und einer Menschenschar, den Aussätzigen durch Handauflegen. Der „Leprosus” ist durch sein Bettlergewand, die schwarzen Schwären und das Sig-

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Initialzierseite zu den Vorreden des Markusevangeliums mit kunstvoll ligiertem Namen „MARCUS“ (f. 49v).

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Christuszyklus II: Erste Seite mit Wunderszenen Christi, gemalt vom „WunderMaler“ (f. 52v).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 72

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Christuszyklus II: Zweite Seite mit Wunderszenen Christi, gemalt vom „WunderMaler“ (f. 53r).

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 73

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Der Baum, unter dem der Bettler laut dem Evangelientext hockt, ist zugleich Ortsangabe und Trennlinie zur rechten Szene mit der „Heilung der T Tochter des kanaäischen Weibes“ (Mt 15,21– 28; T Mk 7,24 – 30). Das Wunder ist entsprechend der biblischen Schilderung in zwei fortlaufenden Szenen dargestellt, in denen die Mutter um die Heilung ihrer von einem Dämon besessenen Tochter bittet. Die kranke Tochter ist selbst jeT doch nicht wiedergegeben. Die beiden sukzessiven Handlungsmomente sind durch kleine Detailveränderungen deutlich gemacht. So hat Christus im ersten Teil beide Hände erhoben, während er im zweiten Teil ein Buch in der Hand hält, und auch das Gewand der Frau ist farblich verschieden.

Christuszyklus II, 1. Seite, oberer Bildstreifen: Die „Hochzeit zu Kana“ mit dem Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein (f. 52v, Detail).

nalhorn gekennzeichnet, dessen Gebrauch im Mittelalter zur Warnung vor Ansteckung Pflicht war. Die rechte Szene spielt in der Stadt Kapharnaum, welche Christus und die beiden Jünger durch das Torgebäude betreten haben. Auf die Bitte des Hauptmanns („Centurio“) heilt Christus dessen rechts auf dem Boden liegenden Diener. Die „Heilung des Blinden bei Jericho“ und die „Heilung der Tochter des kanaäischen Weibes“ „Condonat luce, natam sanat Chananeae.“ („Diesem spendet er Licht, die Tochter der Kanaäerin heilt er.“) Auch bei dem folgenden Bildstreifen, der wieder zwei Wunderszenen enthält, sind nur die bittenden Kranken, nicht die erfolgte Heilung dargestellt. Die linke Bildhälfte zeigt die „Heilung des Blinden bei Jericho“ (Mt 20,29 – 34; Mk 10,46 – 52; Lk 18, 35 – 43). Zu sehen ist Christus, gefolgt von den Jüngern, vor einem Mann mit einem langen Stab, der unter einem Baum kauert und von einem Jungen in rotem Gewand am Arm gepackt wird. Der Blinde streckt seine Rechte hilfesuchend zu Christus aus, der ihn segnet und ihm nach dem Bildtitel „Licht spendet“. Nach dem Markusevangelium ersuchte der blinde Bartimäus den vorbeiziehenden Christus um Hilfe, woraufhin dieser ihn wieder sehend machte.

Die „Vertreibung der Händler aus dem Tempel“ und das „Wunder am Teich Bethesda“ „Expulit hos templo deus, hunc dat surgere lecto.“ („Diese vertreibt er aus dem Tempel Gottes, dieser konnte von seinem Bett aufstehen.“) Auf der nächsten Seite ist im obersten Bildstreifen links die „Vertreibung der Händler aus dem Tempel“ dargestellt, die mit Ausnahme des JohanT nes von allen Evangelisten der Passionsgeschichte zugeordnet wird (Joh 2,13 – 16; vgl. Mt 21,12 – 17; Mk 11,15 – 19; Lk 19,45 – 46). Johannes stellt sie an den Anfang des Wunderwirkens Christi, ebenso wie die nur bei ihm erwähnte „Heilung der Lahmen am Teich Bethesda“ (Joh 5,1– 18), welche als fortlaufende Erzählung die rechte Hälfte des Mi-

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 74

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niaturstreifens einnimmt. Die zweigeteilte Szene zeigt das Vorher und Nachher der Heilung des Lahmen, der links auf einer Matratze liegt, die er rechts geschultert hat und davonträgt.

Christuszyklus II, 2. Seite, unterer Bildstreifen: Bei der „Heilung der Besessenen von Gerasa“ fahren die Dämonen in Gestalt kleiner Teufel in eine Schweineherde (f. 53r, Detail).

Die „Speisung der Fünftausend“ „Panibus hic quinque saciavit milia quinque.“ („Hier segnet er fünf Brote für Fünftausend.“) Die mittlere Bildstreifen mit der in allen Evangelien berichteten „Speisung der Fünftausend“ durch die wundersame Vermehrung von fünf Broten (Joh 6,1– 15; Mt 14,13 – 21; Mk 6,31– 44; Lk 9,10 – 17) fällt durch seine fast symmetrische Komposition und die starke Zentralisierung von Christus auf. Er steht streng frontal, die Hände nach beiden Seiten ausgestreckt und reicht in einer Art „Güterkette“ Brotlaibe über zwei Jünger an die zu beiden Seiten sitzende Menschenmenge weiter.

nen befreit, der als kleine Teufelsgestalt durch den Mund entschwindet. Rechts findet sich eine fast identische Figurenkonstellation mit dem zweiten Besessenen. Die Episode ist jedoch insofern erweitert, als die ausgetriebenen Dämonen in eine Herde von Schweinen fahren, die am Fuße eines Berges weiden und sich nun in einen See stürzen und ertrinken. Rechts im Hintergrund ist zu sehen, wie zwei Soldaten mit Lanzen und Schilden, bei denen es sich nach dem Bibeltext eigentlich um Schweinehirten handelt, zwei Männern, die hinter den Zinnen einer Stadtmauer hervorschauen, von dem Wunder berichten.

Die „Heilung der Besessenen von Gerasa“ „Doemonibus pulsis fit dira vesania porcis.“ („Mit den ausgefahrenen Dämonen treibt er die Schweine zur Raserei.“) Der untere Bildstreifen mit der Heilung der „Besessenen von Gerasa“ (Mt 8,28 – 31; Mk 5, 1– 13; Lk 8,26 – 33) scheint die spiegelsymmetrische Komposition des darüberliegenden Streifens zu wiederholen, ist jedoch aus zwei kontinuierlichen bzw. parallelen Szenen aufgebaut (Abb. 54). Links ist dargestellt, wie Christus mit einer befehlenden Geste den ersten Besessenen von seinem Dämo-

„Christus am Jakobsbrunnen“ und „Christus und die Ehebrecherin“ „Poscit ab hac potum, necis hac pellendo reatum.“ („Von dieser verlangt er Trank, die Angeklagte rettet er vor dem Steinigungstod.“) Die nächste Doppelseite beginnt im oberen Bildstreifen mit zwei bei Johannes berichteten Geschichten, in denen Christus ausgestoßenen Frauen hilft (Abb. 55 und 56). Links ist die Szene von „Christus mit der Samariterin am Jakobsbrunnen“ (Joh 4,5 – 26) dargestellt, mit der Christus spricht, obwohl es sich nach dem Verständnis seiner Jünger um eine unreine Frau handelt. Rechts

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 75

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Christuszyklus II: Dritte Seite mit Wunderszenen Christi, gemalt vom „WunderMaler“ (f. 53v).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 76

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Christuszyklus II: Vierte Seite V mit Wunderszenen Christi, gemalt vom „WunderMaler“ (f. 54r).

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 77

Die „Heilung der blutflüssigen Frau“ und die „Auferweckung des Jünglings von Nain“ „Sanguinis hanc fluxu solvit, hunc mortis ab ictu.“ („Diese löst er vom Blutfluss, diesen erlöst er vom Stoß des Todes.“) Auf der folgenden Seite sind im oberen Streifen links die „Heilung der blutflüssigen Frau“ und rechts die „Auferweckung des Jünglings von Nain“ zu sehen, welche nur im Lukasevangelium, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, gemeinsam erwähnt werden (Lk 8,43 – 48 und Lk 7,11– 17; vgl. Mt 9,20 – 22; Mk 5,25 – 34). Dargestellt ist eine Frau, die sich in einer Menschenmenge in der Hoffnung auf Erlösung an Christus herandrängt und sein Gewand berührt, worauf sie geheilt wird. Die rechte Szene ist entsprechend dem Bibeltext außerhalb der Stadt situiert, deren Türme rechts im Hintergrund aufragen. Auf der von zahlreichen Männern geschulterten Bahre liegt ein Junge, daneben steht seine klagende Mutter. Der Miniaturist hat bereits den Vollzug des Wunders dargestellt; der zum Leben erweckte Jüngling sitzt auf der Bahre.

rettet Christus eine Ehebrecherin (Joh 8,1– 11) vor der Steinigung durch eine wütende Volksmenge. Obwohl an den rechten Außenrand gerückt, erscheint Christus durch seine Körpergröße als Hauptfigur im Bild. Mit übergroßem Zeigefinger gebietet er dem Volk Einhalt mit den Worten: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.“ (Joh 8,7), worauf die Menge von der Frau ablässt. Die „Heilung des Blindgeborenen“ und die „Auferweckung des Lazarus“ „Iste lavans vidit, Lazarus de morte resurgit.“ („Jener sieht durch Waschen, Lazarus steht von den Toten wieder auf.“) Im mittleren Bildstreifen ist die nur bei Johannes berichtete „Heilung des Blindgeborenen“ als fortlaufende Szene dargestellt (Joh 9,1– 7). Christus heilt ihn dadurch, dass er seine Augen mit Erde bestreicht, die er mit seinem Speichel befeuchtet hat, wie auch der erste Teil des Bildtitels besagt. Der Teich Schiloach (Siloe), in dem sich der Geheilte anschließend die Augen wäscht, ist in der Miniatur zu einem Brunnen geworden, der zugleich die Trennlinie zum nächsten Wunder markiert. In der etwas breiteren rechten Hälfte ist die Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1– 44) zu sehen. Christus steht als große Figur fast im Zentrum, gefolgt von Lazarus’ Schwestern Maria und Martha und einer dicht gedrängten Menschenmenge, die das Wunder bestaunt.

Die „Heilung des Wassersüchtigen“ und die „Stillung des Sturmes auf dem See“ „Curans ydropicum, compescit famine ventum.“ („Er heilt den Wassersüchtigen, durch sein Wort beruhigt er den Wind.“) Der mittlere Miniaturstreifen ist in eine Innenund eine Außenraumdarstellung geteilt. Links heilt Christus durch Handauflegen den Wassersüchtigen (Lk 14,1– 4). Die unmittelbar angrenzende Szene zeigt die „Stillung des Sturmes auf dem See“ (Mt 8,23 – 26; Mk 4,35 – 39; Lk 8,22 – 24) als fortlaufende Erzählung in einer Szene. Links im Boot wird der schlafende Christus von Petrus geweckt, um rechts die als kleine Dämonenköpfe personifizierten bösen Winde zu beruhigen.

Die „Heilung des Gichtbrüchigen“ und die „Auferweckung der Schwiegermutter des Petrus“ „Hic sanatus abit, plebs hic pro febre rogavit.“ („Hier geht der Geheilte weg, hier bittet das Volk für die Fiebernde.“) Auch im unteren Bildstreifen sind zwei unabhängige Wunderszenen dargestellt. Links sieht man in einem breiten Architekturgehäuse die „Heilung des Gichtbrüchigen oder Gelähmten“ (Mt 9,1– 7; Mk 2,1– 12; Lk 5,17 – 25). Während einer Versammlung wird der Kranke von zwei Männern durch das Dach des Hauses zu Christus abgeseilt, das er kurz darauf mit seiner geschulterten Matratze durch das Tor verlässt. Rechts ist die Auferweckung der Schwiegermutter des Petrus (Mt 8,14 – 15) dargestellt, welche krank im Bett liegt und von Christus durch Berühren ihrer Hand geheilt wird.

Die „Heilung der zehn Aussätzigen“ „Denos mundabat, grates ast unus agebat.“ („Er reinigte zehn, allein einer sagte ihm Dank.“) Den Abschluss der Wunderszenen bildet die „Heilung der zehn Aussätzigen“ (Lk 17,11– 19), die den gesamten Miniaturstreifen einnimmt. Das eher selten dargestellte Wunder ist als aufeinan-

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 78

farblich auf den doppelten Blattwerkrahmen abgestimmt.

derfolgende Erzählung in zwei Episoden geteilt. Die innerhalb einer Stadt dargestellte Szene links zeigt Christus bei der Heilung der Aussätzigen. Rechts ist der Samariter zu sehen, der als einziger Christus seinen Dank abstattet, während seine Gefährten davoneilen.

„Incipit“- und Initialzierseite zum Markusevangelium (f. 55v – 56r) Den Abschluss des Markusprologs bilden wieder eine „Incipit“-Seite und eine Initialzierseite, die optisch ein Diptychon ergeben. Zu diesem Eindruck tragen vor allem der beidseitig grüne Hintergrund und eine ähnliche Rahmengestaltung bei. Die doppelten, leicht unterschiedlichen Blattwerkrahmen sind an den Ecken und Leistenmitten mit goldenen Quadraten besetzt. Auf die Initialzierseite folgt das Markusevangelium (f. 56v – 71r).

Evangelistenbild und Lobgedicht zu Markus (f. 54v – 55r)

Entsprechend dem Ausstattungskonzept folgen auf der nächsten Doppelseite das Bild des Evangelisten Markus und ein Lobgedicht zum Markusevangelium (Abb. 57 und 58). Der Evangelist Markus sitzt unter einer dreigeteilten Arkade mit erhöhtem Mittelbogen auf einem steinernen, reich profilierten Thron, über ihm hängt eine Lampe. Links steht ein Schreibpult mit Schriftrolle und Schreibgerät, rechts neben ihm ein größeres Bücherpult mit einem geöffneten Buch. Die Darstellung des Markus unterscheidet sich in mehrerer Hinsicht von den anderen Evangelistenbildern im „Codex Aureus“. Er ist als einziger frontal und nicht bei der Schreibtätigkeit dargestellt, sondern hat seine Rechte im Redegestus erhoben. Ungewöhnlich ist auch sein Bischofsgewand mit dem Pallium, wohl ein Verweis auf sein legendäres Bischofsamt von Alexandrien. Der Darstellungstyp findet sich wenig früher im „Evangeliar der SainteChapelle“ (f. 52v). Die rahmende Bogenarchitektur ist äußerst detailreich ausgeführt, angefangen von den marmorierten Säulen mit Blattmaskenkapitellen über die von kleinen Rundfenstern durchbrochenen Arkaden bis hin zu dem mit kleinen Drachenköpfen besetzten Bogenfries. Unter dem Giebelbogen sitzt ein geflügelter Löwe, das Symboltier des Markus, die Vorderläufe auf einen Purpurbalken mit der Inschrift gelegt: „Stärker als alle ist, den du bezeichnest, o Markus, durch den Löwen“. Die Tugend der Stärke wird auch im Gedicht auf der T Textzierseite rechts thematisiert: „Seid stark und T hütet euch vor dem Löwen [= dem Teufel], so dass er satt gemacht werde durch das Lamm, das den Schafstall Christi reinigt [= entsühnt]; gegen diesen Löwen lass aufstehen, o Markus, den Löwen Christus.“ Der purpurfarbene Schriftspiegel wird wieder in materialisierter Form als Texttafel dargeboten, getragen von vier Engeln, die an den Ecken aus flammend-gezackten Wolkenbändern herauszuwachsen scheinen. Ihre Gewänder und Flügel sind

Text- und Bildprolog T zum Lukasevangelium (f. 72v – 80r) Zierseiten zum Prolog des Lukasevangeliums (f. 72v – 74r) Der Prolog zum Lukasevangelium beginnt gemäß dem Ausstattungskonzept mit einer „Incipit“Doppelseite und einer Initialzierseite mit dem Namen des Evangelisten (f. 72v – 73r) (Abb. 59). Beide Seiten sind in komplementärer Farbigkeit aufeinander abgestimmt und werden jeweils von verschiedenen, klein gemusterten Mäanderrahmen umgeben. Die dritte Teppichseite (f. 75v – 76r) Die Teppichseite zeigt einen durchgehenden Rapport mit paarweise einander zugewandten, purpurfarbenen Löwen in Quadratfeldern auf Purpurgrund (Abb. 60). In den Kreuzungspunkten sind kleine goldene Medaillons mit versetzt einander zugewandten Profilköpfen zu sehen, die an antike Münzen erinnern. Die Zungen der Löwen stechen golden hervor, während Zähne und Klauen silbern blitzen. Der simulierte Seidenstoff ist als komplettes Tuch wiedergegeben, das heißt der Quadratrapport erscheint vollständig ohne scheinbar abgeschnittene Kanten und ist an den Rändern zusätzlich von einer mehrteiligen Schmuckborte mit Punktmuster umgeben. Christuszyklus III: Gleichnisse (f. 76v – 78r) Der folgende Teil des Christuszyklus ist keinen Begebenheiten aus seiner Vita, sondern den Gleichnissen gewidmet, die in den Evangelien

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 79

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Evangelistenbild des Markus im Bischofsgewand mit Pallium unter einer reich verzierten Arkadenarchitektur (f. 54v).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 80

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Textzierseite T mit Gedicht, das die Stärke des Evangelisten Markus besingt, getragen von vier Engeln (f. 55r).

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Das „Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg“ (f. 76v) „Quidam conducit, quos mundi vinea poscit, Diversis horis hominis aetatibus aptis. / Aetas quaeque viri conducitur hanc operari; Nummum quo capiat promissum, valde laborat. / His opus iniungit, cum vesper lumina fundit. His dat cum primis in primis iura laboris.“ („Ein Mann dingt Arbeiter, die der Weinberg der Welt erfordert, in den verschiedenen Stunden den Zeitaltern des Menschen angepasst. / Alle Zeitalter des Menschen sind hier zur Arbeit zusammengeführt; Um die versprochene Münze zu erhalten, arbeiten sie sehr. / Hier weist er noch andere in die Arbeit ein, als der Abend sich naht. Diesen gibt er von den Jüngsten bis zu den Ersten den verdienten Arbeitslohn.“) Die erste Seite mit dem nur von Matthäus (Mt 20,1– 16) berichteten „Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg“ ist unverkennbar vom „Langnasen-Maler“ geprägt. In einem weitgehend schematischen Layout, bei dem sich oberer und unterer Bildstreifen fast spiegelbildlich wiederholen, ist oben dargestellt, wie der Weinbergbesitzer

Dritte Teppichseite mit purpurfarbenen Löwen in Purpurquadraten (f. 75v – 76r).

recht breiten Raum einnehmen (Abb. 61 und 62). Da die Gleichnisse in der Liturgie mit wichtigen Festtagen verbunden sind, wurden sie schon früh im Rahmen von Evangelistaren illustriert. Für die Miniatursequenz vor dem Lukasevangelium wurden vier Gleichnisse ausgewählt, die jeweils eine ganze Seite einnehmen, womit ihnen mehr Raum geschenkt wird als den eigentlichen Ereignissen aus dem Leben Christi. Nach den Unterschieden in Komposition und Figurenstil zu urteilen, war auf jeder Seite ein anderer Miniaturist tätig, wobei der „Langnasen-Maler“ wieder nur als „Übermaler“ fassbar wird. 59

Initialzierseite zum Prolog vor dem Lukasevangelium mit dem Namen des Evangelisten „LUCAS“ (f. 73r).

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Christuszyklus III: Erste Seite mit dem „Gleichnis der Arbeiter im Weinberg“, übermalt vom „LangnasenMaler“ (f. 76v).

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Christuszyklus III: Zweite Seite mit dem „Gleichnis der bösen W Winzer“, Erstfassung vom „Gleichnis-Maler“, teilweise übermalt vom „LangnasenMaler“ (f. 77r).

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keine Porträts der zeitgenössischen Arbeitswelt, doch haben sich die Künstler in vielen Details um ein realistisches Bild bemüht.

nacheinander zwei Gruppen von Arbeitern einstellt. Sie sind im mittleren Bildstreifen bei der Arbeit im Weinberg zu sehen (Abb. 63). Unten wird links nochmals eine Gruppe von Arbeitern eingestellt, rechts folgt die Auszahlung des Lohns. Dargestellt sind allein die im Evangelientext berichteten Handlungen, nicht die aus dem Gleichnis hervorgehende Lehre – „So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten” – die auch in den Bildtiteln nur flüchtig thematisiert wird. Die vierfache Wiederholung des Bildmotivs, bei dem der Weinbergbesitzer vor seinem Haus einer stets leicht variierten Arbeitergruppe gegenübersteht, ist zwar inhaltlich durch die Gleichniserzählung motiviert, lässt jedoch einen gewissen Eindruck von Monotonie aufkommen. Ausnahme ist der mittlere Bildstreifen, in dem in einer fast spiegelsymmetrischen Komposition die mühevolle Bearbeitung des Weinbergs dargestellt ist, der in der Ursprungsfassung mit Weinreben regelrecht überwuchert war. Die Arbeitsvorgänge und die eingesetzten Geräte, etwa das Bearbeiten des Bodens oder das Beschneiden der Reben mit Sicheln, sind detailreich und durchaus realistisch wiedergegeben. Die Bezüge zur Alltags- und Arbeitswelt des 11. Jahrhunderts sind in diesem und dem folgenden Gleichnis stärker als in den anderen Miniaturen des Codex. Wie viele Klöster besaß auch die Abtei Echternach verschiedene Weinberge, und die Welt des Weinbaus war den angenommenen Adressaten des Buches ebenso vertraut wie offenbar den Miniaturisten. Die Gleichnisszenen sind in ihrer formelhaften Reduzierung zwar

Das „Gleichnis von den bösen Winzern“ (f. 77r) „Vinea plantatur cultoribus atque locatur. / Servi mittuntur pro fructibus. Heu! Perimuntur. / Mittitur et natus sine culpa fitque necatus.“ („Ein Weinberg wird gepflanzt und den Winzern verpachtet. / Die Knechte werden entsandt, um die Früchte in Empfang zu nehmen. Wehe! Sie werden ermordet. / Der Sohn wird auch entsandt, ohne Schuld wird er getötet.“) Der Welt des Weinbaus ist auch das in drei Evangelien geschilderte „Gleichnis von den bösen Winzern“ (Mt 21,33 – 41; Mk 12,1– 12; Lk 20,9 – 19) entnommen, das auf der rechten Seite dargestellt ist. Der Figurenstil, die eigentümliche Form der Hintergründe und die unausgewogener wirkende Komposition zeigen an, dass die Seite von einem weiteren Miniaturisten stammt, der aufgrund des Themas als „Gleichnis-Maler“ bezeichnet werden soll. Allerdings wurden einige Figuren sowie der Weinberg im obersten Bildstreifen vom „Langnasen-Maler“ übermalt. Dargestellt sind im oberen Streifen die Verpachtung des Weinbergs durch den Besitzer, in der Mitte als Doppelszene die Aussendung und Ermordung seiner Knechte und unten die Aussendung und Ermordung seines Sohnes. Das detailliert wiedergegebene und von einem Flechtzaun umfriedete Weingut taucht in jedem Bildstreifen deutlich wiedererkennbar auf.

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Christuszyklus III, 1. Seite, mittlerer Bildstreifen: „Arbeiter im Weinberg“ (f. 76v, Detail).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 86

Form der Parallelerzählung die neuen Gäste zu sehen. Mühsam schieben sich Arme, Krüppel und Kranke in einer aufsteigenden Erzählanordnung nach oben, wo sie im obersten Bildstreifen an der reich gedeckten Tafel Platz finden.

Der Besitzer ist in allen drei Bildstreifen fast identisch dargestellt und erinnert in Größe und Haltung an Christus. Die folgende Doppelseite zeigt zwei Gleichnisse, die nur bei Lukas berichtet werden (Abb. 64 und 65). Sowohl das „Gleichnis vom Gastmahl“ (Lk 14,16 – 24) wie auch das „Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus“ (Lk 16,19 – 31) nehmen ihren Ausgang in einer Tafelszene, womit zumindest auf gestalterischer Ebene eine Einheit innerhalb der Doppelseite hergestellt wird.

Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (f. 78r) „Divitis in foribus Lazarus iacet ulcere plenus. / Hic pauper moritur Abrahae gremio que locatur. / Dives obit mundo diro cruciandus averno.“ („Vor der Tür des Reichen liegt Lazarus voller Geschwüre. / Hier stirbt der Arme und wird in Abrahams Schoß versetzt. / Der Reiche verlässt die Welt, um in der Hölle grausig gepeinigt zu werden.“) Auch im abschließenden „Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus“ geht es vordergründig um den Gegensatz von reichem Hausherrn und Bettler. Die deutlichen Schwächen in der Figurengestaltung zeigen einen neuen Miniaturisten an, der hier als „Lazarus-Maler“ bezeichnet werden soll. Oben ist der Prasser mit seiner Familie an einer reich gedeckten Festtafel zu sehen, wobei der Maler in der Anordnung bis hin zu Kleidungsdetails die Darstellung der „Hochzeit zu Kana“ aufgreift. Statt des Wunders der Weinverwandlung ist rechts der an der Haustür bettelnde Lazarus zu sehen, zu dem jedoch nur die Hunde kommen und seine Geschwüre lecken. Gerechtigkeit erfährt Lazarus erst nach dem Tod, verdeutlicht durch die fast parallele KompoT sition in mittlerem und unterem Streifen. Lazarus stirbt zwar allein und bettelarm im Freien, doch wird seine Seele von Engeln in Empfang genommen und erscheint rechts in Abrahams Schoß. Der Prasser stirbt hingegen im Kreise seiner Familie auf einer leinenbedeckten Bettstatt im Haus, doch seine Seele wird von Teufelsfiguren in die Hölle getragen. Sie ist als rot loderndes Flammenmeer mit riesigen dunklen Teufelsgestalten wiedergegeben, zwischen denen einzelne Seelen um ihre Errettung bitten und so den mittleren und unteren Bildstreifen erzählerisch verknüpfen.

Das „Gleichnis vom Gastmahl“ (f. 77v) „Ad caenam magnam multos vocat hic homo quidam. Hanc inopes intrant, fortes et adesse recusant. / ‚Excusa, rogo, me retint commertia villae.‘ ‚Ne cogas ire, quoniam iuga vado probate.‘ ‚Propter coniugium non illuc pergere possum.‘“ („Zu einem großen Gastmahl lädt viele hier ein Mann. Hier treten die Armen ein, die Reichen weigern sich dabei zu sein. / ‚Verzeihung, aber ich werde durch den Handel um ein Landgut zurückgehalten.‘ ‚Ich will nicht gezwungen werden zu kommen, ich gehe ein Joch Ochsen ausprobieren.‘ ‚Ich kann nicht kommen, weil ich mich zu meiner eigenen Heirat begebe.‘“) Das „Gleichnis vom Gastmahl“ ist das Werk eines Miniaturisten, der hier aufgrund der charakteristischen Frisuren seiner Figuren als „IgelhaarMaler“ bezeichnet wird. Er zeichnet sich darüber hinaus durch eine große Variationsbreite der Inkarnatstöne aus, wie ein Blick auf die hinter der Tafel versammelten Armen, die „Pauperes“, zeigt. Möglicherweise war ein Beweggrund des Künstlers, den Figuren durch die verschiedenen Hautfarben ein individuelleres Erscheinungsbild zu verleihen. Für die Darstellung des Gleichnisses änderte er die sonst überwiegend sukzessive Erzählfolge der drei Bildstreifen. Der oberste Streifen mit der Bewirtung der Bettler-Gäste dient als bildlicher Rahmen für die gesamte Erzählung und nimmt das Ergebnis des biblischen Berichts vorweg, während die beiden folgenden Streifen die Hintergründe und Details schildern und auch kompositorisch auf den oberen Streifen bezogen sind. Sie zeigen den Diener des Hausherren bei der Abholung der Gäste, die jedoch unter verschiedenen Vorwänden – die Erwerbung eines Landguts, der Kauf von Ochsen und die eigene Hochzeit – die Einladung absagen. Links sind in einer ungewöhnlichen

Evangelistenbild und Lobgedicht des Lukas (f. 78v – 79r)

Das Bild des Evangelisten Lukas auf der nächsten Doppelseite ist wieder mit einem Lobgedicht kombiniert (Abb. 66 und 67). Lukas thront nahezu frontal zwischen zwei Schreibpulten, hinterfangen von einer dreifachen Bogenarchitektur, um

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Christuszyklus III: Dritte Seite mit dem „Gleichnis vom Gastmahl“, gemalt vom „IgelhaarMeister“ (f. 77v).

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Christuszyklus III: Vierte Seite V mit dem „Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus“, gemalt vom „Lazarus-Maler“ (f. 78r).

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Evangelistenbild des Lukas (f. 78v).

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Textzierseite T mit Gedicht zum Evangelisten Lukas (f. 79r).

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der vier Elemente („IGNIS“, „AER“, „TERRA“, „AQUA“) als männliche und weibliche Halbfiguren vor Goldgrund erscheinen. Ungewöhnlich ist die äußere Rahmenleiste, die aus aneinandergereihten kleinen Feldern mit stehenden und springenden goldenen Löwen auf blauem Grund besteht. Das Motiv erinnert an eine Stoffborte. An den vier Ecken des Rahmens befinden sich quadratische Felder, die mit münzähnlichen Goldmedaillons mit Profilköpfen besetzt sind. Die für die Textzierseiten typische Materialimitation ist hier T vom Mittelfeld gewissermaßen in den Rahmen gewandert.

Im Rahmen des Giebelbogens über Lukas erscheinen kleine Maskenköpfe (f. 78v, Detail).

deren marmorne Säulen rechts und links ein Vorhang geschlungen ist. Der Evangelist, der Schreibfeder und Messer in den Händen hält, ist in einem Moment des Innehaltens während seiner Schreibtätigkeit dargestellt. Im Tympanon über ihm erscheint sein Symboltier, der Stier, mit einem goldenen Buch mit weißem Deckel. Seine Vorderbeine liegen auf einem Purpurbalken mit der goldenen Inschrift: „Wegen des Todes Christi führt Lukas das Bild eines jungen Stiers“. Das Giebelfeld wird von einem Bogen mit einem ungewöhnlichen Tropfenornament gerahmt, aus dessen Binnenfeldern kleine Köpfe hervorblicken (Abb. 68). Wesentlich schlichter als bei den früheren Bildprologen ist das Lobgedicht auf der rechten Seite gestaltet, das auf einfachem Purpurgrund steht: „Geschaffen bist du, o Mensch, aus den ersten vier Elementen. Wenn du aus diesen [über sie hinaus] nicht Sohn des Lichtes bist, wirst du im Tode zugrunde gehen. Darum lass bitten den T Lukas, auf dass du leben mögest mit dem ewigen Lichte.“ Der Textspiegel ist von einem breiten grünen Rahmenfeld umgeben, dessen Ecken mit Medaillons besetzt sind, in denen die Personifikationen

„Incipit“- und Initialzierseite zum Lukasevangelium (f. 79v – 80r) Medaillonköpfe zieren auch die Rahmen der folgenden Doppelseite mit dem „Incipit“ und der „Q“(voniam)-Initiale zum Lukasevangelium (Abb. 69). Die auf der rechten Seite befindlichen Porträts im Profil, der linken Seite zugewandt,

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Initialzierseite zum Lukasevangelium. Der Zierrahmen ist an den Ecken mit Posaunenengeln verziert, in der Leistenmitte finden sich Medaillonköpfe, die byzantinische Münzbildnisse der Kaiser Konstantin und Konstantius imitieren sollen (f. 80r). r

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 92

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Kombinierte Schrift- und Initialzierseite zum Johannesevangelium (f. 107v).

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 94

Christuszyklus IV: Die Passion (f. 110v – 112r) Der letzte Teil des Christuszyklus ist vollständig der Passion Christi gewidmet, ergänzt durch die Szenen „Himmelfahrt“ und „Pfingsten“, die in der Bibel nicht mehr in den Evangelien, sondern in der Apostelgeschichte geschildert werden (Abb. 72 und 73). In den Streifenbildern waren vor allem zwei Miniaturisten malend und übermalend tätig, von denen der hier als „Passions-Maler I“ bezeichnete nur die erste Seite vollständig übernahm, während die übrigen Seiten weitgehend einem zweiten Miniaturisten zugeschrieben werden können, der hier „Passions-Maler II“ genannt werden soll.

sind durch weiße Beischriften in griechischen Lettern als Münzbildnisse der Kaiser Konstantin und Konstantius identifizierbar. Zu den Münzen haben sich nur ähnliche, jedoch keine genau gleichen realen Gegenstücke erhalten, so dass der Maler authentische Münzen wohl als Anregung benutzt, sie aber nicht exakt porträtiert hat. Die Rahmenleisten sind an den Ecken mit Posaunenengeln besetzt, die als Halbfiguren vor Goldgrund erscheinen und ihre Instrumente zu den Medaillonköpfen in der Mitte der Rahmenleiste ausgerichtet haben. Anschließend folgt der Text des Lukasevangeliums (f. 80v – 107r).

Text- und Bildprolog zum JohannesT evangelium (f. 107v – 114r)

Der „Einzug in Jerusalem“ „Regnator caeli fit uillis sessor aselli sternendo uestes cui dant pia cantica plebes.“ („Der Herr des Himmels macht sich zum niedrigen Eselreiter; die Kleider vor ihm hinbreitend weiht ihm fromme Gesänge das Volk.“) Die Passionssequenz beginnt mit dem in allen Evangelien erwähnten „Einzug in Jerusalem“ (Mt 21,7 – 9; Mk 11,1– 11; Lk 19,28 – 40; Joh 12,12 – 19). Der Miniaturist hat jedoch auf jede genauere Ortsangabe, etwa mittels einer Stadtabbreviatur, verzichtet. Vielmehr erscheinen die Figuren vor einem vielfarbigen Streifengrund. Genau in der Mitte des Bildstreifens ist Christus dargestellt, der mit vorgestreckter und segnender Hand auf dem Esel reitet. Ihm folgen die Jünger unter Führung von Petrus, während auf der anderen Seite das Volk wiedergegeben ist, bunt gewandet und mit erhobenen Palmwedeln, welche sie vor dem Esel auf dem Boden ausbreiten. Die Szene ist ganz auf die Darstellung der Huldigung konzentriert, während die sonst üblichen anekdotischen Zusätze wie der Knabe auf dem Palmbaum fehlen. Auch die im Bildtitel explizit erwähnten Gesänge sind weder durch Gestik noch Mimik sichtbar gemacht.

Zierseiten zum Prolog des Johannesevangeliums (f. 107v – 109r) Der Prolog zum Johannesevangelium beginnt mit einer ungewöhnlichen Kombination von „Incipit“und Initialzierseite (f. 107v). Statt „Incipit“ und Initiale auf zwei Seiten bzw. Spalten zu verteilen, hat der Buchmaler die beiden Zierseiten ineinander gesetzt (Abb. 70). Das Ergebnis sprengt buchstäblich den Rahmen, der von dem üblichen Vierzu einem Zwölfeck vervielfacht ist. Die Initiale wurde als querformatiges Sechseck in die „Incipit“-Seite eingebettet, wobei in der Initialligatur nicht der Name des Evangelisten, sondern der Beginn des Textes, „HIC EST“, erscheint, der im unteren Teil des „Incipit“-Feldes fortgeführt wird. Die Zierseite zeigt, dass die Buchmaler trotz der engen Bindung an das auf der Basis der Texthierarchie entwickelte Ausstattungskonzept gestalterische Freiräume besaßen, die sie produktiv ausfüllen konnten. Die vierte Teppichseite (f. 109v – 110r) Die Teppichseite vor dem Johannesevangelium wirkt verglichen mit den übrigen eher schlicht (Abb. 71). Der Rapport besteht aus purpurgrundigen Rauten, die mit stilisierten Lilien gefüllt sind, während die Eckpunkte mit einer einfachen vierblättrigen Blüte akzentuiert werden. Merkwürdig ist ein Rautenfeld links in der untersten Reihe, das statt des Pflanzenmotivs einen steigenden Löwen zeigt, allerdings ohne Silberzeichnung. Möglicherweise war ursprünglich ein Wechsel von Lilien und Löwen geplant, was zugunsten des durchgehenden Lilienmotivs geändert wurde.

„Gefangennahme Christi“ und „Christus vor Kaiphas“ „Cum signo pacis hunc Juda pessime tradis captus tu duci dux ad Cayphan volvisti.“ („Mit dem Zeichen des Friedens verrätst du diesen auf das böseste, Judas! Als Gefangener wollest du, Führer, dann zu Kaiphas geführt werden.“) Als nächste Episode sind im mittleren Bildstreifen die „Gefangennahme“ und die „Vorführung

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„Verleugnung Petri“ und „Geißelung“ „Ad cantum galli reminiscere te petre falli. Virgarum XPS patienter sustulit intus.“ („Beim Hahnenschrei erinnere dich, Petrus, des Falles. Christus erträgt die Geißelung.“) Der untere Bildstreifen ist in zwei Szenen geteilt, die sich durch die kompositorische Verknüpfung als zeitlich simultane Ereignisse verstehen lassen. Allerdings widerspricht diese Parallelisierung der Bibelschilderung, wo die „Verleugnung Petri“ (Mt 26,69 – 75; Mk 14,66 – 72; Lk 22,55 – 61; Joh 18,15 – 27) zeitgleich zum Verhör durch den Hohepriester geschieht, hier also im mittleren Bildstreifen hätte dargestellt werden müssen. Die Verleugnungsszene findet an einem Ort statt, desV sen grüner Grund wohl einen Innen- oder Vorhof markieren soll. Auf dem Dachvorsprung des länglichen Gebäudes, das die Architekturhülle zur Geißelung (Mt 27,26; Mk 15,15; Joh 19,1) bildet, sitzt der Hahn, der nach Petrus’ dreimaliger

Teppichseite mit Lilien in Purpurrauten (f. 109v – 110r). T

Christi vor den Hohepriester Kaiphas“ wiedergegeben. Die „Gefangennahme“ kondensiert mehrere Momente des Evangelienberichts (Mt 26,47 – 56; Mk 14,43 – 50; Lk 22,47 – 53; Joh 18,3 – 12), indem sie den Judaskuss, die Darstellung der anrückenden Soldaten und Bauern und die Heilung des abgeschlagenen Ohres von Malchus in einer Simultanszene vereint. Es folgt die „Vorführung Christi vor dem Hohepriester“ (Mt 26,57; Mk 14,53; Lk 22,54 – 71; Joh 18,12 – 24), die in einem kargen Innenraum situiert ist. Die Darstellung fußt auf dem Evangelium des Matthäus, der berichtet, wie sich der hier als „Cayphas“ bezeichnete Hohepriester aus Wut über die vermeintliche Gotteslästerung das Hemd zerreißt, nachdem Jesus sich Messias genannt hat.

III. Die Miniaturen und Zierseiten des „Codex Aureus“ 96

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Christuszyklus IV: Erste Seite mit dem Beginn der Passion Christi, gemalt vom „PassionsMaler I“ (f. 110v).

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Christuszyklus IV: Zweite Seite des Passionszyklus, gemalt vom „PassionsMaler II“ (f. 111r).

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Verleugnung gemäß der Prophezeiung kräht. Innen im Gebäude ist die Geißelung Christi zu sehen, die hier durch einen einzigen Schergen ausgeführt wird, der den an eine rote Marmorsäule gebundenen Christus mit einer Rute schlägt. Der Maler hat die Brutalität des Vorgangs durch die weit ausholende Geste des Peinigers und die Blutspuren auf dem Rücken Christi verdeutlicht.

Christuszyklus IV, Seite 2, mittlerer Bildstreifen: „Kreuzigung Christi“ (f. 111r, Detail).

Die „Kreuzigung“ „Mundi Salvator moritur hic ut male factor qui solus iustus est cu repbis crucifixus.“ („Der Heiland der Welt stirbt hier wie ein Übeltäter; der allein Gerechte wird mit den Schlechten gekreuzigt.“) Das goldgrundige Kreuz, dessen Inschrift Christus als „König der Juden“ ausweist, findet sich auch im Mittelstreifen (Abb. 74). Er ist ganz der „Kreuzigung“ auf dem durch wenige Grashalme bezeichneten Golgathahügel gewidmet (Joh 19,16 – 37). Die streng symmetrisch aufgebaute Miniatur zeigt den Todesmoment Christi. Dieser ist durch die Mittelstellung herausgehoben. Links vom Kreuz steht Longinus mit der Lanze, rechts Stephaton mit dem spiegelsymmetrisch auf Christus gerichteten Essigschwamm. Unter dem Kreuz würfeln zwei Soldaten um die Gewänder Christi, dessen Körper gleichwohl mit einem purpurfarbenen Gewand bedeckt ist. Das Kreuz ist oben von Medaillons mit Personifikationen von Sonne und Mond bzw. Tag und Nacht gerahmt, die trauernd ihr Antlitz verhüllen. Es folgen zu beiden Seiten die trauernden Maria und Johannes, welche ihre Arme in spiegelbildlicher Haltung klagend erhoben haben. Ganz außen sind in kleinerem

„Dornenkrönung“ und „Kreuztragung“ „Spinis contextam ponunt tibi XPI corona conpulsus valde fitligni portitoriste.“ („Eine Dornenkrone setzen sie dir auf, Christus! Sehr genötigt ein Kreuzträger wird.“) Die gesamte rechte Seite ist den Szenen um die im Mittelstreifen dargestellte Kreuzigung gewidmet, die gewissermaßen die Seite kompositorisch dominiert. Oben sieht man den „Kreuzweg“ (Mt 27,28; Mk 15,17; Joh 19,2), der in der linken Bildhälfte zugleich mit der „Dornenkrönung“ kombiniert ist. Allerdings ist die Identität der Männer, die Christus begleiten, nicht eindeutig bestimmbar, es scheint sich teilweise um Schergen, teilweise um seine Jünger zu handeln. Nicht Christus trägt das Kreuz, sondern Simon von Kyrene, der mit einigem Abstand vorangeht (Mt 27,32; Mk 15,21; Lk 23,23). Es erscheint als riesiges goldenes, rotumrandetes Kreuz und damit weniger als Leidenswerkzeug, sondern bereits als Siegeszeichen.

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Hand erinnert an die großen Miniaturseiten der sogenannten Reichenauer Buchmalerei, etwa im „Perikopenbuch Heinrichs II.“ (f. 116 – 117r).

Figurenmaßstab die Schächer am Kreuz zu sehen, denen zwei Schergen als zusätzliche Strafe und Folter mit erhobenen Hämmern die Beine brechen. Der zur Rechten Christi dargestellte gute Schächer wendet zum Zeichen seiner Reue sein Haupt dem Heiland zu.

Die „Emmaus-Jünger“ „Discipulis visus est binis ut peregrinus coghitus est illis imprimo fragmine panis.“ („Zwei Jüngern erschien er als Fremdling, erkannt wurde er von ihnen sogleich am Brotbrechen.“) Die von Lukas ausführlich geschilderte Erscheinung Christi vor zwei Jüngern auf dem Weg nach Emmaus ist im mittleren Bildstreifen in zwei fortlaufenden Szenen dargestellt (Lk 14,13 – 35; vgl. Mk 16,12). Links sieht man die Begegnung der beiden Jünger, ein älterer Mann und ein Jüngling, die Christus jedoch nicht erkennen. Rechts zeigt die ringförmige Mauer die Stadt Emmaus an, wo sich Christus bei einem gemeinsamen Mahl zu erkennen gibt. Ungewöhnlich ist der goldene Hintergrund der Szene, der sehr wahrscheinlich zu einer Übermalungsphase des Bildes gehört.

„Kreuzabnahme“ und „Grablegung“ „Granum depositu deligno mortificatum obsequiis horu sepelitur fructificandu.“ („Das abgestorbene und vom Holze herabgekommene Samenkorn, unter der Fürsorge dieser wird es begraben, um Frucht zu bringen.“) Die in Lukas- und Johannesevangelium unmittelbar aufeinanderfolgenden Szenen der „Kreuzabnahme“ (Lk 23,50 – 53; Joh 19,38) und „Grablegung“ (Lk 23,53 – 54; Joh 19,39 – 42; vgl. Mt 27, 57 – 61; Mk 15,42 –47) stehen im untersten Bildstreifen nebeneinander. Links nehmen Joseph von Arimathia und Nikodemus Christus vom Kreuz ab. Während der hohe „Pilzbaum“ den bewachsenen Golgathahügel anzeigt, bleibt die Bestimmung des Gebäudes am linken Bildrand unklar. Möglicherweise soll es sich um die Stadtmauern Jerusalems handeln, die im Hintergrund aufragen. Rechts ist die ebenfalls von langstieligen „Pilzbäumen“ umrahmte Grablegung zu sehen, bei der die beiden Männer den Leichnam in einen goldenen, rotgerandeten Sarkophag legen, der von der Farbgebung dem Kreuz Christi ähnelt. Die beiden Szenen sind von einem durchgehenden Streifengrund hinterfangen, der räumliche Kontinuität anzeigen soll.

Die „Begegnung mit Maria Magdalena“ und dem „Ungläubigen Thomas“ „Quem flet querendo gaudet Maria videndo, tunc dnm pangit Thomas dum winera tangit.“ („Den sie beweint im Suchen, freut sich Maria zu schauen, dann stellt Thomas den Herrn fest, während er die Wunden berührt.“) Zwei weitere Begegnungsszenen teilen sich den unteren Bildstreifen. Vor einem leuchtend roten Hintergrund ist links die Begegnung Christi mit Maria Magdalena im Garten neben dem geöffneten Grab zu sehen, das von zwei Engeln bewacht wird (Mk 16,9; Joh 20,11– 18). Maria Magdalena hat ihr Haupt vor Christus geneigt, der sich zu ihr umwendet und die Hand zum Segensgestus erhoben hat. Die nur bei Johannes berichtete Begegnung mit dem ungläubigen Thomas ist in einem Gebäude situiert (Joh 20,24 – 29). Rechts steht Christus mit entblößter rechter Brust, dem Thomas den Zeigefinger an die Seitenwunde legt. Hinter Thomas folgen zwei Jünger, die als Zeugen die Szene mit erstaunten Gesten kommentieren.

Die „Drei Frauen am Grabe“ „O vos xpicolae nimium nolite tigere, quem mors extinxit ihs surgendo revixit.“ („O ihr, die ihr Christus liebt, fürchtet euch nicht. Der vom Tod ausgelöschte Jesus ist wieder lebendig geworden und auferstanden.“) Die folgende Seite ist den Geschehnissen bzw. verschiedenen Erscheinungen Christi nach seiner Auferstehung gewidmet, die selbst nicht dargestellt ist (Abb. 75 und 76). Der oberste Bildstreifen zeigt den in allen Evangelien berichteten „Besuch der drei Frauen am Grabe“ (Mt 28,1– 8; Mk 16,1– 8; Lk 24,1– 12; Joh 20,1– 13) (Abb. 77). Die Darstellung ist zweigeteilt: Links nähern sich die Frauen mit ihren Salbgefäßen dem auf der rechten Seite wiedergegebenen Sarkophag, auf dem ein Engel mit weit ausgebreiteten Flügeln sitzt. Mit seiner majestätischen Pose und der übergroß ausgestreckten

Die „Himmelfahrt Christi“ „Transmigratores quid statis suspicientes, hunc deus assumpsit hominem quer virgine sumpsit.“ („Ihr Sterblichen, was blickt ihr empor; diesen Menschen, den die Jungfrau aufnahm, hat Gott aufgenommen.“)

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Christuszyklus IV: Dritte Seite mit den Szenen nach der „Auferstehung Christi“ (f. 111v).

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Christuszyklus IV: Vierte Seite V mit den Szenen der Apostelgeschichte (f. 112r).

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Christuszyklus IV, 3. Seite, oberer Bildstreifen: Die „Drei Frauen am Grabe“ (f. 111v, Detail).

schaft der Gläubigen lässt sich, unterstützt durch die parallele Gestaltung, als unmittelbare Folge der Himmelfahrt verstehen (Apg 2,1– 4; Apg 1,15 – 2,47). Gleichsam durch seinen Aufstieg vermittelt Christus die vom Himmel ausgehende Macht an die Jünger weiter, die im mittleren Bildstreifen allein oder paarweise unter Arkaden sitzen. In der Mitte ist der Apostelfürst Petrus direkt unter dem Himmelskreis dargestellt, von dem rote Strahlen zu allen Aposteln ausgehen, welche die Heilsbotschaft an die Menschen weiterleiten. Ihnen in Haltung und Blickrichtung zugeordnet sind die zur Communis vita gehörenden Personen im unteren Bildstreifen, der durch das gemeinsame Oval mit der Apostelreihe verbunden ist. Die auf eine Stelle in der Apokalypse zurückgehende Gemeinschaft der Gläubigen besteht aus bärtigen Männern in roten und grünen Gewändern, die durch Gesten und Blicke signalisieren, dass sie bereit sind, die göttliche Botschaft zu empfangen. Bei einigen von ihnen fehlen die Augen – offenbar ist diese Miniatur nicht ganz fertig geworden.

Die letzte Seite des Christuszyklus ist Ereignissen der Apostelgeschichte gewidmet. Die Bildfolge findet in der über zwei Bildstreifen reichenden Darstellung des „Pfingstwunders“ mit den die Heilsbotschaft empfangenden Völkerscharen einen imposanten Abschluss. Die den obersten Bildstreifen einnehmende „Himmelfahrt“ ist streng symmetrisch angeordnet (Apg 1,9 – 11). Christus steht mit erhobenen Armen auf einem von blühenden Gräsern bewachsenen Hügel, sein Kopf hat als Sinnbild seines Aufstiegs und seiner Überwindung des Irdischen bereits den Rand des vielfarbigen Himmelskreises durchstoßen. Zu beiden Seiten Christi stehen zwei Engel mit riesigen Flügeln, die mit ausgebreiteten Armen auf das Geschehen weisen und die Verbindung zu den zwei am Fuße des Hügels stehenden Jüngern herstellen, die links von Maria, rechts von Petrus angeführt werden. „Pfingsten“ „Discipuli tristes templo pariter residentes sumunt omnigenas subito de pneumate linguas. / Centum viginti fuerant his consociati qui fiunt pleni de munere pneumatis almi.“ („Die Jünger traurig im Tempel beieinander sitzend empfangen plötzlich T vom Geiste verschiedene Sprachen. / Einhundertzwanzig waren mit ihnen versammelt; sie werden voll von der Gabe des fruchtbaren Geistes.“) Die über zwei Bildstreifen reichende, nur vom Inschriftenbalken durchbrochene Darstellung des Pfingstwunders unter Zeugenschaft der Gemein-

Evangelistenbild und Lobgedicht zu Johannes (f. 112v – 113r) Die folgende Doppelseite mit dem Evangelistenbild des Johannes und der zugehörigen Textzierseite zeichnet sich durch eine ausgewogene Komposition aus (Abb. 78 und 79). Johannes sitzt seitlich auf einem hohen Thron mit einer grünen textilen Rückenlehne, den Kopf nach rechts gewandt, und hält im Schoß ein Buch. Als einziges

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Evangelistenbild des Johannes (f. 112v).

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Textzierseite T mit Gedicht zum Johannesevangelium (f. 113r).

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Initialzierseite zum Johannesevangelium. Den Rahmen zieren Medaillons mit Tugendpersonifikationen (f. 114r).

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Evangelistenbild besitzt die Miniatur einen goldenen Grund. Den großen Arkadenbogen schmücken Tierkapitelle und ein Mäanderfries, im Giebelfeld sitzt der Adler, das Symboltier des Johannes, auf einem goldgerahmten Purpurbalken mit der Aufschrift: „Dem Adler ähnlich ist vom Worte die Predigt des Johannes“. Die Textzierseite rechts ist nach dem Muster der Gedichtseite zum Lukasevangelium gestaltet. Um das einfache purpurne Textfeld, das vor einen grünen Untergrund gesetzt ist, sind zu allen vier Seiten Medaillons mit männlichen Personifikationen der Himmelsrichtungen zu sehen. Entgegen der heute üblichen genordeten Anordnung nimmt der Osten („Oriens“) die Spitze ein, in der Mitte sind der Norden („Septentrio“) und der Süden („Meridiens“) dargestellt, ganz unten steht der Westen („Occidens“). Die Inschrift der Texttafel stellt den Bezug zwischen Christus und den Himmelsrichtungen her, die für die weltumspannende Gemeinschaft der Gläubigen stehen: „Die Gläubigen alle, die nach den vier Himmelsrichtungen hin die Erde bewohnen, mögen mit demütigem Herzen über alles Irdische hinausschreiten, damit sie gewürdigt werden, mit Johannes zu Christus zu gelangen.“

Die Seite wird eingefasst von einer doppelten Rahmenleiste, die außen aus einem ungewöhnlichen Wellenmuster und innen aus einer Folge von Wirbelrädern besteht. „Incipit“- und Initialzierseite zum Johannesevangelium (f. 113v – 114r) Den Abschluss der Prologseiten bildet wie zu erwarten eine „Incipit“- und Initialdoppelseite (Abb. 80). Als Besonderheit sind in die Rahmen links und rechts Eckfelder mit weiblichen Halbfiguren eingelassen, die mit erhobener Hand einander zugewandt sind. Anhand der Beischriften lassen sich die Figuren der rechten Seite als Personifikationen der Tugenden Virginitas (Jungfräulichkeit), Continentia (Enthaltsamkeit), Castitas (Keuschheit) und Sobrietas (Nüchternheit) identifizieren. Ungewöhnlich ist die Schriftaufteilung der „Incipit“Seite, bei der die Wörter der zweiten und vierten Reihe auseinander gezogen sind. Der Rahmen der kunstvoll verschlungenen Ranken- und Knoteninitiale rechts wird von einer doppelten Blattmaskenleiste gebildet. Im Anschluss folgt das Johannesevangelium (f. 114v – 135v).

Die einzelnen Bild- und Zierseiten 107

IV. Maler und Übermaler – zur Herstellung des „Codex Aureus“

Die Miniaturisten

schränken sich die vom „Meister des Registrum Gregorii“ ausgeführten Miniaturen im „Codex Egberti“ auf die erste Textlage und das äußere Doppelblatt der folgenden Lage, bei einigen späteren Miniaturen legte er nur die Unterzeichnung an. Die übrigen Lagen wurden unter drei Malern aufgeteilt, die wohl weitgehend nach demselben Vorlagenzyklus wie der „Registrum-Meister“ arbeiteten, sich in der Maltechnik und den Inkarnaten jedoch deutlich unterscheiden. Diese Arbeitspraxis der Trierer „Registrum“Werkstatt trifft auf den Nürnberger „Codex Aureus“ nur bedingt zu. Wie die stilistische Analyse der Miniaturen nahelegt, waren an der Anfertigung der Handschrift mehrere Maler beteiligt, die teilweise nur eine Seite übernommen haben. Eine Trennung in Hauptmeister und Gehilfen ist nicht T auf Anhieb möglich, vielmehr besitzt jeder Maler eigenständige Charakteristika. Nach welchem Prinzip die Arbeitsverteilung erfolgte, lässt sich nicht unmittelbar erkennen. In der Regel waren mehrere Maler an einer Lage beteiligt, häufig stammen Vorder- und Rückseite eines Blattes von verschiedenen Miniaturisten, so etwa im Abschnitt mit den Kindheitsszenen oder den Gleichnissen. Auf einigen Seiten ist der Stil eines bestimmten Malers jedoch nicht klar identifizierbar, in der Figuren- und Hintergrundgestaltung finden sich in einigen Szenen deutliche Unterschiede. Dies betrifft etwa die Passionsszenen, einige Kindheitsszenen und Gleichnisepisoden, aber auch manche Evangelistenbilder und die Doppelseite mit der „Majestas Domini“. Eine Möglichkeit wäre, die stilistischen Ungereimtheiten mit der Beteiligung weiterer Malerhände, vor allem Gehilfen, zu erklären. Diese Annahme liegt dem Zuschreibungsmodell von Albert Boeckler zugrunde (Boeckler 1933, S. 26 – 43), der ausgehend von seiner Händescheidung im „Codex Aureus“ des Escorial auch

Der „Codex Aureus“ macht auf den ersten Blick einen sehr einheitlichen Eindruck. Dieser ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass keine Brüche im Ausstattungskonzept oder größere nachträgliche Veränderungen in der Gestaltung festzustellen sind. Trotzdem ist die Handschrift nicht aus einem Guss. Bereits beim ersten Blättern durch den „Codex Aureus“ fällt auf, dass die Miniaturen von mehreren Malern stammen. Besonders auffällig sind die Unterschiede in der Figurengestaltung und den Hintergründen, aber auch den Bildarchitekturen oder bestimmten Details. So hält Christus in den Wunderszenen meist eine große schneckenförmige Buchrolle in der Hand, die in den Passionsszenen zu einem kleinen Objekt verkümmert ist, das eher an einen Bischofsstab erinnert. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass eine Prunkhandschrift von mehreren Miniaturisten ausgestattet wurde. Die Buchherstellung im Mittelalter war ein stark arbeitsteiliger Prozess, an dem angefangen von der Pergamentherstellung über die Festlegung des Layouts, das Schreiben des Textes, die verschiedenen Arten von Verzierungen bis hin zur Bindung eine Vielzahl von Spezialisten beteiligt waren. Die Herstellung in einzelnen Blättern und Lagen, die erst nach Fertigstellung von Text und Verzierung gebunden wurden, machte das parallele Arbeiten mehrerer Schreiber und Miniaturisten möglich. Dabei lässt sich bei umfangreichen Werken oft eine Arbeitsverteilung zwischen Hauptmeister und Gehilfen beobachten, die nach den Vorlagen des Meisters und in seinem Stil tätig waren, in der Ausführung jedoch vielfach Mängel aufweisen. Ebenfalls häufig findet sich die aus der Praxis der Schreiber übernommene Aufteilung nach Lagen, an denen mehrere Meister und Werkstattmitarbeiter gleichzeitig tätig sein konnten. So be-

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kennen ist („Passions-Maler I“), die Engelseite verrät hingegen den Stil des „Majestas-Malers“. Die einheitliche Gestaltung des Christuszyklus II mit Jesu öffentlichem Wirken ist das Werk des „Wunder-Malers“. Für die Evangelistenminiatur des Markus war wieder der „Passions-Maler I“ verantwortlich. Die vier Seiten des Christuszyklus III mit den Gleichnissen besitzen jeweils einen unterschiedlichen Charakter und scheinen das Werk vier verschiedener Maler zu sein: Die erste Seite stammt vom „Kindheits-Maler II“ mit Übermalungen des „Langnasen-Malers“, die zweite überwiegend vom „Gleichnis-Maler“, die dritte vom „Igelhaar-Maler“ und die vierte vom „Lazarus-Maler“. Die beiden zuletzt genannten Miniaturisten waren offenbar nur in diesem Teil des Codex tätig. Das Evangelistenbild des Lukas ist wieder dem „Passions-Maler I“ zuzuschreiben, wobei das Gesicht wohl vom „Langnasen-Maler“ übermalt wurde. Der „Passions-Maler I“ führte die namensgebende erste Seite des Christuszyklus IV aus. Die zweite Passionsseite stammt von einem Maler, der sich durch sehr helle Inkarnate auszeichnet. Dieser „Passions-Maler II“ dürfte auch der Urheber der letzten Seite des Passionszyklus sein. Schwierig ist die Zuschreibung der dritten Passionsseite, da hier helle und dunkle Inkarnate gemeinsam auftreten und der Figurenstil teilweise innerhalb eines Bildstreifens variiert. Das Evangelistenbild des Johannes steht insgesamt dem Stil des „Majestas-Malers“ am nächsten, wenngleich die Inkarnate vollständig durch die anschließende Übermalungen verändert sind.

für das damals noch in Gotha befindliche Evangelienbuch allein für die Christusszenen eine Trennung in sieben „Meister“ und „Schüler“ vornahm. Auch Peter Metz sah am Nürnberger Codex ein ganzes „Kollektiv“ am Werk. Er steigerte die Zahl der am Christuszyklus beteiligten Maler auf zehn Künstler, weitere Maler wurden für die ornamentalen Verzierungen angenommen (Metz 1956, S. 92 – 93). Einer der besten Kenner der Echternacher Buchmalerei, Carl Nordenfalk, reduzierte die Zahl hingegen auf zwei Hauptmaler, den „Werkstatt-Meister“ („Workshop-Master“) und den „Meuterer-Meister“ („Master of the Mutineers“), die er auch in den anderen Echternacher Handschriften am Werk sah (Nordenfalk 1971, S. 129 – 137). Als eine Art Gast sei der „Langnasen-Maler“ („Master of the long-nosed figures“) an der Nürnberger Handschrift beteiligt gewesen. Bei einer genaueren Betrachtung der Handschrift vermag keines der Zuschreibungsmodelle zu überzeugen. Weder macht es Sinn, jede vermeintlich atypische Figur der Beteiligung eines neuen „Meisters“ oder „Schülers“ zuzuschreiben, noch lassen sich die deutlichen Stilunterschiede vieler Miniaturseiten verkennen. Allein an der Gleichnissequenz haben mindestens vier Maler mitgewirkt, deren Stil sich deutlich vom Maler der Wunderszenen und der ersten Kindheitsszenen unterscheidet. Dem ersten Augenschein nach waren tatsächlich neun Maler an der Ausführung des „Codex Aureus“ beteiligt, wobei im Falle der unfigürlichen Zierseiten und purpurnen Ränder eine exakte Zuschreibung schwierig ist und daher möglicherweise mehr Maler am Codex mitgewirkt haben könnten. Auf der „Majestas Domini“-Doppelseite trifft man auf den „Majestas-Maler“, der sehr wahrscheinlich auch für die meisten anderen großen Zierseiten der Handschrift verantwortlich war. Von ihm zu unterscheiden ist der Maler der ersten Doppelseite des Christuszyklus I („Kindheits-Maler I“), der sich durch sehr helle Inkarnate auszeichnet und vermutlich auch die Kanontafeln malte. Die zweite Doppelseite des Christuszyklus I stammt in der Erstfassung vom „Kindheits-Maler II“, wird in ihrem heutigen Erscheinungsbild aber weitgehend vom „Langnasen-Maler“ bestimmt. Das Evangelistenbild des Matthäus malte sehr wahrscheinlich der Maler der ersten Seite des Passionszyklus, wie an dem eckigen Kopf des Matthäus-Engels zu er-

Die Herstellungsphasen der Handschrift Die teilweise einschränkenden Aussagen sind weniger auf zu grobe Stilkriterien oder Schäden an den Malereien zurückzuführen, die eine Analyse beeinträchtigen würden. Vielmehr lassen sich nicht nur auf der dritten Passionsseite die genannten „Mischphänomene“ beobachten, bei denen eine Figur eine untypische Frisur oder die Szene einen abweichenden Hintergrund besitzen. Zweifel kommen bereits bei der genauen Zuschreibung der „Majestas Domini“-Doppelseite auf. Vergleicht man die Kopfformen des thronenden Christus, der Träger-Engel und der Tugendpersonifikationen auf der rechten Seite mit jenen der

Die Herstellungsphasen der Handschrift 109

die typisch für den „Majestas-Maler“ sind. Will man nicht einen dritten Maler annehmen, der Charakteristika beider Meister vereint, so muss nach einer anderen Erklärung für die Stilvermischung gesucht werden. Tatsächlich waren an der Doppelseite zwei Maler beteiligt – allerdings nicht neben-, sondern nacheinander. Bereits mit bloßem Auge ist zu erkennen, dass die Gesichtszüge einiger Figuren verändert wurden: Bei dem thronenden Christus sind unterhalb der Augen schwarze Flecken sichtbar, die zu einem früheren Augenpaar gehörten (Abb. 81 und 82). Noch deutlicher werden die Veränderungen bei den Tugendpersonifikationen in den Medaillons auf der rechten Seite, bei denen die originalen Pupillen wie schwarze Tränenpunkte auf den Wangen sitzen. Die Vermutung, dass die Gesichter vollständig übermalt wurden, wobei die Erstfassung erhalten blieb, bestätigt sich in den Infrarotaufnahmen (Abb. 83 und 84). Die Anfertigung der „Majestas“-Seite erfolgte in mehreren Schritten. Zunächst wurde der breite Purpurrand angelegt, der das Blatt an allen vier Seiten einfasst, wobei der für die Miniatur festge-

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Schon mit bloßem Auge ist die Veränderung des Christuskopfes durch den „Langnasen-Maler“ zu erkennen (f. 2v, Detail).

Propheten und des Matthäusengels, so ergeben sich auffällige Unterschiede. Statt heller Gesichtsfarbe, kleinen Nasen, gerade gezogenen Augenbrauen und geradem Pony zeichnen sich die großen Figuren durch ein dunkleres Inkarnat, lang gezogene Nasen und Gesichtszüge, fast dreieckig hochgezogene Augenbrauen und eine Scheitelfrisur aus. Die Unterschiede sind nicht mit dem Wunsch zu begründen, die großen Protagonistenfiguren hervorzuheben, sondern verraten eine andere Malerpersönlichkeit. Urteilte man nach der Mehrzahl der Gesichter, so müsste man die „Majestas“-Doppelseite dem „Langnasen-Maler“ zuschreiben. Dem widersprechen jedoch die Gewandgestaltung, die Figurenproportionen und die feinmalerische Ausführung,

82

Im Infrarotbild wird die Ursprungsfassung des Christusgesichts sichtbar (f. 2v, Detail).

IV. Zur Herstellung des „Codex Aureus“ 110

legte Platz ausgespart wurde. Allerdings ist die innere Linie nicht ganz exakt gezogen, sondern greift an einigen Stellen in das Miniaturfeld ein. Als zweiter Schritt wurde ein mehrere Zentimeter breiter weißer Randstreifen über den Purpurrahmen gemalt, um ihn von der Miniatur abzugrenzen. Dieser Aufwand wurde nur im ersten Teil der Handschrift betrieben (f. 2v – 53r), danach wurde der weiße Binnenrand direkt bei der Anlage des Purpurrandes ausgespart, so dass der bloße helle Pergamentgrund sichtbar blieb. Da der Wechsel 84

Das Infrarotbild zeigt deutlich die ursprünglichen Gesichtszüge der Personifikation, die der „Majestas-Maler“ angelegt hatte (f. 3r, Detail).

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mitten im Christuszyklus II erfolgt, dessen Miniaturen stilistisch einheitlich dem „Wunder-Maler“ zugeschrieben werden können, wurden die Purpurrahmen wohl unabhängig von den Miniaturen und im ersten Teil sicher zeitlich vor diesen angelegt und vielleicht von Gehilfen ausgeführt. Nach diesen sekundären Vorarbeiten kam die eigentliche Ausführung der Miniatur an die Reihe. Auch sie entstand in mehreren Arbeitsgängen. Zunächst wurde die Vorzeichnung angelegt. Im „Codex Aureus“ konnten sowohl Vorzeichnungen mit Purpurtinte wie mit Eisengallustinte festgestellt werden, wobei ein genauer Befund durch die sehr dichten Malschichten und die Tatsache, dass zumeist Vorder- und Rückseite bemalt sind, sehr erschwert ist und die Vorzeichnung nur an wenigen Stellen im Durchlicht erkennbar ist (Abb. 85). Zudem sind Purpurtinten mit Infrarotlicht praktisch nicht sichtbar zu machen. Im Anschluss an die Vorzeichnung wurden die dafür vorgesehenen Partien vergoldet. Im „Codex Aureus“ wurde ausschließlich Goldfarbe – Goldtusche oder Muschelgold – und kein Blattgold verwandt, welches in

Deutlich sichtbar ist das ursprüngliche Augenpaar der Tugendpersonifikation unter der Übermalungsschicht (f. 3r, Detail).

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Durchlichtaufnahme des Gewandes des thronenden Christus. Deutlich erkennbar ist die Vorzeichnung der Gewandfältelung, die von der gemalten Fassung abweicht (f. 2v, Detail).

Die Herstellungsphasen der Handschrift 111

Maler und Übermaler

der frühmittelalterlichen Buchmalerei ausgesprochen selten ist – eine Ausnahme sind die Miniaturen des „Registrum-Meisters“ im „Codex Egberti“. Der Auftrag der Goldfarbe erfolgte zu diesem frühen Zeitpunkt, da die Flächen poliert werden mussten, was nach Anbringung der übrigen Farben nur noch schwer möglich gewesen wäre. Beim Auftrag der Farben ist die Reihenfolge variabel, allerdings wurden bei Figuren meist zuerst die Inkarnate angelegt. In der Regel hat man zunächst die jeweilige Grundfarbe von Gewand oder Inkarnat aufgetragen, um sie dann heller oder dunkler abzuschattieren. Zum Schluss konnten besondere Verzierungen wie Gewandborten, Punkte oder Streublüten über der letzten Malschicht aufgebracht werden. Abschließend wurden die Konturen mit einer dünnen schwarzen, mennigroten oder weißen, auf anderen Seiten auch braunen Linie nachgezogen. Damit war die „Majestas“-Doppelseite zwar vollendet, der Malprozess jedoch noch nicht abgeschlossen. Vielmehr kam nun der „LangnasenMaler“ an die Reihe, den man besser als „Langnasen-Übermaler“ bezeichnen sollte. Er unterzog die Figuren einem gründlichen „Face-Lifting“. Zusätzlich übermalte er die Inkarnate an den Händen und Füßen, wobei er meistens an den veränderten Körperpartien auch die schwarzen Konturlinien erneuerte. Schließlich übermalte er auch die Haare von Christus, die ursprünglich tiefblau waren. Die originalen Inkarnate erscheinen nur bei den Prophetenfiguren, weil möglicherweise die Übermalungsschicht abgeplatzt ist. Hier wird sichtbar, dass das „Lifting“ des „Langnasen-Malers“ nicht nur eine Korrektur der Gesichtszüge, sondern eine koloristische Veränderung bedeutete. Die ursprüngliche Hautfarbe war nicht bräunlich, sondern pink bzw. purpurfarben, wie Farbmessungen ergeben haben, und entsprach am ehesten dem Hautton der Propheten und des Matthäus-Symbols. Verändert wurde auch das Fell des Löwen, das zunächst mit Gelbocker gemalt und dann mit einer stärker olivfarbenen Mischung übermalt wurde. Eine ähnliche Farbveränderung kann auch beim Gefieder des Johannes-Adlers festgestellt werden, wobei es sich in beiden Fällen auch um Farbkorrekturen des ersten Malers handeln könnte. Solche Pentimenti, d. h. Selbstkorrekturen des Miniaturisten während des Malprozesses, kommen auch an anderen Stellen in der Handschrift vor.

Ein unmittelbarer Grund für die Übermalungen des „Langnasen-Malers“ ist nicht ersichtlich. Die „praktische“ Hypothese, dass die Übermalungen frühe Restaurierungen schadhafter Inkarnate aufgrund von Farbveränderungen oder Abplatzungen darstellen, lässt sich nicht belegen. Wie die Prophetenköpfe zeigen, sind die originalen Inkarnate in gutem Zustand – eher bestand bei zu dicken Farbschichten infolge von Übermalungen die Gefahr von ungewollten Abplatzungen, wie sie an einigen Stellen der Handschrift auch zu beobachten sind. Auch die „inhaltliche“ Hypothese, dass den Figuren mit der Übermalung ein neuer Ausdruck verliehen werden sollte, kann an der „Majestas“-Doppelseite nicht und an anderen Stellen nur bedingt bestätigt werden. Nur bei wenigen Seiten, z. B. der „Begegnung von Christus und Maria Magdalena“ im Christuszyklus IV, wurde tatsächlich die Ausrichtung bzw. Blickrichtung des Gesichts korrigiert und damit eine geringfügige inhaltliche Änderung erzeugt. Da ähnliche Korrekturen aber auch bei sekundären Figuren wie den Posaunenengeln auf den „Incipit“- und Initialzierseiten zum Lukasevangelium auftauchen, die eher in den Bereich des Ornaments gehören, muss noch ein weiterer Beweggrund vorgelegen haben. Am ehesten scheinen die Übermalungen ästhetisch begründet. Dabei ist sowohl eine Form- wie Farbästhetik in Betracht zu ziehen. Zwar mögen die ursprünglichen Gesichtszüge des „MajestasMalers“ ebenmäßiger und für heutige Augen überzeugender als ihre Langnasen-Übermalungen gewesen sein, der originale rosa- bis pinkfarbene Inkarnatston ist jedoch tatsächlich gewöhnungsbedürftig, vor allem in Kombination mit dem ursprünglichen blauen Haarton, wie er in der Johannesminiatur teilweise freiliegt. Eine Vorstellung von der einstigen Farbwirkung vermitteln der Lukas-Stier im „Majestas“-Bild, die Blattmaskenköpfe im Rahmen der Initialzierseite zum Johannesevangelium (f. 114r), die Gestalt des Petrus in der Szene des Thomaszweifels (f. 111v) oder die Tuba blasenden Engel, die zudem noch die urT sprünglichen blauen Haare besitzen (f. 80r). Der bräunliche Inkarnatston ergibt im Zusammenklang mit den Gewand- und Hintergrundsfarben einen harmonischeren Eindruck. Der Wunsch nach einer Vermeidung greller Farbkontraste und besseren Abstimmung der einzelnen Bildelemen-

IV. Zur Herstellung des „Codex Aureus“ 112

te kann als überzeugendste Begründung für die Übermalungen angenommen werden. Sehr viel stärker als bei der „Majestas“-Seite waren die Eingriffe des „Langnasen-Malers“ bei einigen Miniaturseiten des Christuszyklus. So scheint die Doppelseite im Christuszyklus I mit den Szenen von der „Flucht nach Ägypten“ bis zur „Berufung des Matthäus“, die Anlass für die Namensgebung des Künstlers als „Langnasen-Maler“ war, auf den ersten Blick vollständig von diesem Miniaturisten gestaltet. Erst die technologische Analyse offenbarte, dass der „Langnasen-Maler“ auch auf diesen Seiten nur als Übermaler tätig war. Die ursprünglichen Miniaturen stammen von einem anderen Künstler, dem „Kindheits-Maler II“. Von dieser ersten Fassung sind noch die meisten Architekturversatzteile und die Gewänder der Figuren erhalten, während die Inkarnate vollständig übermalt wurden und nun die groben Hände, Füße und Gesichter des „Langnasen-Malers“ das Erscheinungsbild der Miniaturen prägen. Im Unterschied zur „Majestas“-Seite griff der „Langnasen-Maler“ hier auch in die Hintergründe ein, wobei er die ursprünglich einfarbigen Bildgründe in Streifenhintergründe veränderte (Abb. 86). Durch die Abplatzungen der dicken Übermalungsschichten werden an vielen Stellen die ursprünglichen Hintergründe wieder sichtbar. Ob er auch derjenige war, der in der ersten und letzten Szene die Goldgründe der Innenräume auftrug, kann nicht sicher geklärt werden. Zumindest überlappen die vom „Langnasen-Maler“ erneuerten Inkarnate an einigen Stellen die Goldgründe, was für eine frühere Übermalung der Bildgründe durch den Ursprungsmaler bzw. einen Zwischenmaler sprechen könnte. In diesen beiden Fällen wurde Gold also nicht als erste, sondern aufgrund der Übermalung als letzte Farbe über einem ursprünglich buntfarbigen Bildgrund aufgetragen und erscheint wesentlich fleckiger als die originalen Goldflächen. Im ersten und zweiten Bildstreifen hat die technologische Untersuchung einige tief eingreifende Veränderungen ergeben, bei denen nicht nur überV malt, sondern auch radiert wurde. Die auffälligste, teilweise mit bloßem Auge sichtbare Veränderung erfolgte bei der „Flucht nach Ägypten“. Wie unter der nicht ganz deckenden bzw. partienweise abgeplatzten Übermalungsschicht erkennbar wird, saß Maria ursprünglich auf einem hohen roten Höckersattel, der auf eine große, ebenso grellrote Sat-

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Christuszyklus I, 3. Seite, oberer Bildstreifen: Bei der „Flucht nach Ägypten“ wurde die ursprüngliche Form des Esels und des Sattels vollständig verändert (f. 19v, Detail). 87

Die Durchlichtaufnahme vermittelt einen Eindruck von den Farben der Erstfassung (f. 19v, Detail).

Maler und Übermaler 113

88

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Christuszyklus I, 3. Seite, mittlerer Bildstreifen: Der „Kindermord von Bethlehem“ zeugt von dreifacher Überarbeitung (f. 19v, Detail).

Das zwischen Mutter und Soldat befindliche Kind wurde auf einem radierten Grund gemalt, wie in der Infrarotreflektografie zu sehen ist (f. 19v, Detail).

teldecke aufgelegt war, deren Oberkante unter dem blauen Hintergrundstreifen zum Vorschein kommt. Mittels Infrarotreflektografie kann die Erstfassung der Sattelform sichtbar gemacht werden. Die Durchlichtaufnahme vermittelt einen Eindruck von den ursprünglichen Formen und der Farbigkeit der originalen Malerei (Abb. 87). Wie die abgeplatzte Kante der blauen Satteldecke offenbart, waren Rücken und Hinterbacken des Esels in der Originalfassung gleich hoch, hingegen waren die Ohren des Tieres leicht verschoben. Der Esel wurde bei der Übermalung vollständig verändert, ebenso die Figur der Maria, die jedoch zumindest partiell zuvor radiert wurde. Erst dann wurden in einem dritten Schritt vom „Langnasen-Maler“ die Hintergründe sowie die Inkarnate des gesamten Bildstreifens im typischen bräunlichen Farbton übermalt. Es ist daher möglich, dass die Veränderung des Esels noch auf den Ursprungsmaler bzw. einen unbekannten dritten Maler zurückgeht, während der „Langnasen-Maler“ nur die Inkarnate übermalte. Auch im daruntergelegenen Bildstreifen mit dem „Bethlehemitischen Kindermord“ lassen sich

an einigen Stellen drei Übermalungsphasen, wieder verbunden mit Radierungen, feststellen (Abb. 88). Bereits mit bloßem Auge fällt die unterschiedliche Hautfarbe der Kinder auf, die entweder bräunlich oder rosa-pink ist. Auch hier ist Pink der originale Inkarnatton, während Hellbraun der Übermalung durch den „Langnasen-Maler“ zuzuschreiben ist. Unklar ist, ob dieser die originalen Kinderleiber absichtlich ganz oder teilweise beließ oder ob die Sichtbarkeit der Ursprungsfassung durch spätere Abplatzungen hervorgerufen wurde. Mit einiger Sicherheit kann dies nur für die beiden braunen Säuglinge gesagt werden. Während das linke, das soeben ermordet wird, original zu sein

IV. Zur Herstellung des „Codex Aureus“ 114

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scheint, steht das zwischen Soldat und Mutter befindliche Kind im Zentrum auf einem stark fasrigen, d. h. radierten Grund (Abb. 89). Sehr wahrscheinlich handelt es sich wieder weitgehend um ein Pentimento des ersten „Kindheits-Malers II“, nicht um eine Kompletterneuerung des „Langnasen-Malers“. Aufgrund der sehr opaken Übermalungsschichten ist es schwierig, sich ein genaueres Bild vom Stil des „Kindheits-Malers II“ zu machen. Er scheint mit Ausnahme der ebenfalls vom „LangnasenMaler“ vollständig überarbeiteten Seite mit dem „Weinberg-Gleichnis“ (f. 76v) sonst nicht im Codex tätig gewesen zu sein. Die typischen rosafarbenen Inkarnate und die starke Weißhöhung der Gewänder mit den großen dreieckigen Zipfeln finden sich zwar auch auf der partiell vom „Langnasen-Maler“ übergangenen Seite mit dem „Gleichnis der bösen Winzer“ und einigen Passionsszenen, doch spricht hier der unterschiedliche Gewandstil der Figuren für einen jeweils anderen Miniaturisten. Die Übermalung der Köpfe und Hände durch den „Langnasen-Maler“ hat die Gesamtwirkung der Figuren stark beeinträchtigt, die nun weitaus grobschlächtiger erscheinen als sie ursprünglich waren. Diese Wirkung trat bei den Übermalungen der großen Figuren des „Majestas-Malers“ nicht so deutlich zutage wie bei den kleinen Szenen des „Kindheits-“ und des „Gleichnis-Malers“.

Christuszykus II, 3. Seite, unterer Bildstreifen: Durch eine chemische Reaktion der Farbschichten wird bei einigen Figuren des „Wunder-Malers“ die Unterzeichnung in Form gelblicher Linien sichtbar, hier bei Christus in der „Heilung des Gichtbrüchigen“ (f. 53v).

Weitgehend von Übermalungen verschont blieb der „Wunder-Maler“. Die einzigen Eingriffe in die ursprüngliche Bildfassung stellen die schwarzen Bärte einiger Figuren dar. Bei diesen partiellen Erneuerungen könnte es sich jedoch auch um Akzentuierungen handeln, die möglicherweise vom „Wunder-Maler“ selbst stammen. Einige Miniaturen des Christuszyklus II sind herstellungstechnisch von Interesse, da hier an mehreren Stellen die Vorzeichnung sichtbar ist, die auf den meisten anderen Miniaturseiten unter der sehr opaken Malschicht verborgen bleibt (Abb. 90). Allerdings wird die Unterzeichnung nur bei Grüntönen erkennbar, etwa dem grünen Gewand des Petrus in der „Blindenheilung“ im mittleren Register auf der ersten Zyklusseite (f. 75v) oder der Christusfigur in der „Heilung des Gichtigen“ (f. 76v). Offenbar hat nur bei diesem Farbmaterial eine chemische Reaktion der braunen Eisengallustinte der Vorzeichnung mit dem Kupfergrün- und dem Auripigment des Gewandes stattgefunden, welche das Bindemittel zer-

Maler und Übermaler 115

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Im Infrarotlicht tritt das „doppelte Gesicht“ des vorderen Engels deutlich zutage (f. 111v, Detail). 91

Christuszyklus IV, 3. Seite, unterer Bildstreifen: Bereits mit bloßem Auge ist die Veränderung der Köpfe der Engel auf dem Sarkophag zu erkennen (f. 111v, Detail).

men mit streifigen „Topffrisuren“ und eine Vorliebe für leuchtend rote Gewänder, Haare und Hintergründe aus. Die Haarfarben sind ansonsten sehr variiert, ebenso die Inkarnate, die jedoch alle einen leichten Rosastich bis hin zu pinkfarbenen Hauttönen aufweisen. Sie unterscheiden sich deutlich von den Inkarnaten des „Passions-Malers II“, der die folgende Seite mit der Kreuzigung malte und extrem blasse Hautfarben und schmalere Gesichter bevorzugte. Ihm ist aufgrund dieser Merkmale auch die letzte Seite mit der „Auferstehung Christi“ zuzuschreiben, die in Anbetracht der fehlenden Augen der Männerfiguren im unteren Streifen wohl teilweise unvollendet blieb. Auf der dritten Passionsseite finden sich beide Figurentypen vereint, erweitert um einen dritten Typ, der vor allem im obersten Streifen zu finden T ist. Die Szene mit den „Drei Frauen am Grabe“ scheint stilistisch dem „Kindheits-Maler I“ am nächsten zu stehen. Inwieweit dieser Maler auch die anderen Streifen zumindest anlegte, kann aufgrund der Überarbeitungen durch andere Künstler kaum mehr nachvollzogen werden. Sicher vom „Passions-Maler I“ stammen die Köpfe von Christus im mittleren Randstreifen, die sich deutlich von den Christusköpfen im untersten Streifen unterscheiden. Dass an dieser Stelle partiell übermalt wurde, ist bereits mit bloßem Auge zu erkennen (Abb. 91). Die beiden Engel links auf dem Sarkophag besitzen merkwürdig „überblendete“ Gesichter. In der Infra-

setzte. Auf diese Weise werden die scheinbar auf dem Gewand liegenden, bereits sehr differenzierten Linien der Vorzeichnung sichtbar, die in Wahrheit jedoch unter der Malschicht liegen. Die zweite Miniatur ohne größere Überarbeitungen durch eine fremde Hand ist überraschenderweise die Seite des „Gleichnisses vom reichen Manne und armen Lazarus“, die dem „LazarusMaler“ zugeschrieben wurde, der künstlerisch der schwächste Miniaturist war und ansonsten in der Handschrift weiter keine erkennbaren Spuren hinterlassen hat. Die Seite zeichnet sich durch eine dünne Malschicht aus, wobei der hier sehr rau und fast fasrig wirkende Pergamentuntergrund sowie die weitgehend fehlenden Konturen für ein „Ausfransen“ der Figurenumrisse gesorgt haben, die einen unruhigen und unordentlichen, fast unvollendeten Gesamteindruck ergeben. Wären die Übermalungen im Codex aus „restauratorischen“ Gründen ausgeführt worden, so hätte man auf der „Lazarus“-Seite am ehesten Korrekturen eines anderen Miniaturisten erwartet. Nicht nur der „Langnasen-Maler“ hat sich als Übermaler betätigt. Der zweite, wenngleich weniger auffällige Übermaler war der „Passions-Maler I“, von dem die erste Seite des Christuszyklus IV stammt. Er zeichnet sich durch eckige Kopffor-

IV. Zur Herstellung des „Codex Aureus“ 116

Farben benutzt haben. Dabei stand im Echternacher Atelier offenbar eine äußerst breite Palette zur Verfügung, in der nahezu alle in der Zeit verwandten Pigmente vertreten sind. Dies erlaubte den Malern feinste Farbnuancen, wobei Präferenzen eines Künstlers für einen bestimmten Blau-, Rot- oder Grünfarbstoff nicht nachgewiesen werden konnten. Die Übereinstimmung der Farben bestätigt zugleich die Hypothese einer zeitnahen Übermalungskampagne, die von den Künstlern des Ateliers selbst ausgeführt wurde. Der Grund, warum besonders der „LangnasenMaler“ mit umfangreichen Übermalungen beauftragt wurde, geht aus der Handschrift selbst nicht eindeutig hervor. Bei frühen Schäden, die noch vor der Bindung des Codex festgestellt worden wären, hätte eine partielle Ausbesserung genügt. Die Seiten des „Langnasen-Malers“ zeugen jedoch von einer systematischen Übermalung. Da praktische Gründe nicht ersichtlich sind, ist am ehesten von einer ästhetischen Motivation auszugehen. Offenbar waren gerade die Seiten des „Majestas-Malers“ und des „Kindheits-Malers II“ von stark pinkfarbenen Inkarnaten geprägt. Sie störten nach der Fertigstellung wohl den farblichen Gesamteindruck, so dass der „Langnasen-Maler“ die Übermalung übernahm, jedoch nur die bemängelten Fleischtöne sowie einige Hintergründe überging, vielleicht um den Kontrast zu Gesichtern und Händen zu verstärken. Die Rätsel um die Entstehungsgeschichte des „Codex Aureus“ werden vermutlich nie ganz gelöst werden können. Doch konnten die detaillierte stilistische und technologische Analyse die Kenntnis der Handschrift und ihres vielschichtigen Aufbaues mit verschiedenen Übermalungsstufen entscheidend verbessern. Die Entstehungsgeschichte des Codex ist in ihrer Komplexität für die ottonisch-salische Zeit wohl singulär und hebt das „Goldene Evangelienbuch“ aus der Handschriftenproduktion der Zeit heraus. Die Untersuchungsergebnisse unterstreichen zugleich die Rolle des übergeordneten Planers, der hinter dem Konzept des Codex und als Koordinator der verschiedenen Arbeitsgänge vermutet werden kann. Ob der leitende Gestalter auch an der malerischen Ausführung der Handschrift beteiligt war, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Die komplexe Entstehung betont die Bedeutung, die man von Anfang an dem „Codex Aureus“ beimaß, der damit zum zentralen Werk der Echternacher Buchmalerei des 11. Jahrhunderts wird.

rotreflektografie ist deutlich zu sehen, dass die Engelsköpfe in der Erstfassung nach vorne ausgerichtet waren und dann in Profilköpfe umgeändert wurden (Abb. 92). Aufgrund der durchscheinenden Ursprungsfassung entsteht für den heutigen Betrachter fast der Eindruck eines kubistischen Porträts Pablo Picassos, bei dem ebenfalls mehrere Ansichten eines Kopfes zu einer neuen Gesamtsicht vereint sind. Wie die eckige Kopfform und das pinkfarbene Inkarnat verraten, ist diese Übermalung dem „Passions-Maler I“ zuzuschreiben. Die dritte Passionsseite ist damit ein Beispiel, dass mindestens drei Maler an der Ausführung einer Streifenminiatur beteiligt sein konnten. Ein ähnlich komplexes Beispiel ist die Seite mit dem „Gleichnis der bösen Winzer“. Bei dieser Seite wurden nicht nur die Hintergründe weitgehend übermalt und der Weingarten im oberen Register völlig verändert, auch einige Figuren wurden anscheinend mehrfach übergangen. Die auffälligsten Veränderungen finden sich im unteren Register bei der Figur des Weinbergbesitzers, die nicht nur zwei, sondern drei Augenpaare aufweist. Ob die zweite Übermalung noch als Pentimento dem Maler der Erstfassung zuzuschreiben ist, dem eigentlichen Übermaler, d. h. dem „Langnasen-Maler“, oder einer dritten Hand, kann nicht entschieden werden. Während der „Langnasen-Maler“ im „Codex Aureus“ offenbar nur als Übermaler tätig war, arbeiteten andere Künstler wie der „PassionsMaler I“ sowohl als Erst- wie Übermaler. Die Mehrheit der Miniaturisten hat nur als Erstmaler gewirkt, wobei zumindest einige ganz von nachträglichen Veränderungen durch andere Hand verschont blieben. Hierzu gehören der „KindheitsMaler I“, der „Wunder-Maler“, der „Lazarus-Maler“ und der „Passions-Maler I“. Hingegen haben sich vom „Majestas-Maler“ und dem „KindheitsMaler II“ offenbar keine vollständigen bzw. unveränderten Miniaturseiten erhalten. Die detaillierte stilistische Analyse und die technologische Untersuchung haben ergeben, dass der auf den ersten Blick weitgehend homogen wirkende „Codex Aureus“ das Ergebnis eines äußerst komplexen und komplizierten Herstellungsprozesses ist. Dass die Übermalungen abgesehen von den wenigen genannten Stellen für das bloße Auge praktisch unsichtbar blieben, liegt neben dem Können der beteiligten Künstler auch an der Tatsache, dass Maler wie Übermaler weitgehend dieselben

Maler und Übermaler 117

V.

Buchmalerei in Echternach zur Salierzeit

Ein Blick in das Echternacher Skriptorium

sicht erschwert die genaue Lokalisierung des Raumes, in dem sich die Schreiber befinden. Grundsätzlich infrage kämen das Langhaus der Kirche, der Kreuzgang oder eine säulenumstandene Vorhalle. Der einfarbig grüne Grund und der im Verhältnis zur Architektur viel zu große Figurenmaßstab legen nahe, dass es um einen idealen Innenraum handelt, zumal ein Skriptorium inmitten von Kirche oder Kreuzgang nur schwer vorstellbar ist. Dieses musste innerhalb der Klosteranlage grundsätzlich außerhalb des Klausurbereichs situiert gewesen sein, so dass Mönche wie Laien zu ihm Zugang hatten. Die lateinische Inschrift am oberen Rand belegt, dass es sich bei der Darstellung tatsächlich um das Skriptorium der Abtei Echternach („locus Efternaca vocatus“) handelt: „O König, dieser Dein Ort, genannt Echternach, erwartet Deine Gnade bei Tag und bei Nacht“. Mit dem König, dessen Gunst das Kloster erbittet, ist der Salierherrscher Heinrich III. (1017 – 1056) gemeint, der in der Widmungsminiatur auf der rechten Seite erscheint (f. 125r) (Abb. 94). Hier ist zudem dargestellt, wie der Echternacher Abt dem thronenden Herrscher eine Bittschrift mit den Worten überreicht: „Unser Heil liegt in Deiner Hand, möge Deine Barmherzigkeit auf uns schauen.“ (Übersetzungen nach Knoll 1995, S. 106). Als Reichsabtei stand Echternach zwar grundsätzlich unter dem Schutz des Königs, doch wurden die Privilegien nicht automatisch von jedem neuen Herrscher verlängert, sondern mussten stets neu verliehen werden. Kaiser Heinrich III. bestä-

Zu den ungewöhnlichsten Miniaturen der ottonisch-salischen Buchmalerei gehört eine Seite im Bremer „Evangelistar Heinrichs III.“ (f. 124v), der kleinsten der Echternacher Prunkhandschriften. Dargestellt ist der Blick in ein mittelalterliches Skriptorium (Abb. 93). Unter einem hoch aufragenden, von vier Türmen gerahmten Architekturgehäuse sitzen zwei Männer an Schreibpulten. Der rechte trägt eine braune Kutte und ist durch seine Tonsur als Mönch gekennzeichnet. Hingegen ist der linke mit braunen Beinkleidern, einem knielangen rötlichen Obergewand und fehlender Tonsur eindeutig ein Laie. Beide sind mit denselT ben Arbeitsgeräten dargestellt – einer Feder und einem leeren Blatt –, die sie als Schreiber charakterisieren, aber keine genauere Aussage über ihre Funktion erlauben. Der helle Kittel, den sich der linke Schreiber wohl zum Schutz vor Farbspritzern umgebunden hat, könnte darauf hinweisen, dass er sich auch als Zeichner und Maler von Initialen und Miniaturen betätigt hat. Die mit gebeugtem Rücken in ihre Arbeit vertieften Männer wirken fast wie Atlantenfiguren, welche die mächtige Architektur über ihren Köpfen tragen. Übersetzt man das flächig dargestellte Architekturgehäuse in ein dreidimensionales Bauwerk, so ergibt sich eine dreischiffige Basilika mit Doppeltürmen im Osten und Westen und einem hohen Vierungsturm. Haupt- und Seitenschiff besitzen eine dichte Folge von Rundbogenfenstern. Interessant ist die unterschiedliche Farbigkeit der Säulen, die auf einen Stützenwechsel hindeuten könnte, wie er in vielen ottonischen Bauwerken, darunter auch im 1031 vollendeten Neubau der Echternacher Basilika, zu finden ist. In der Darstellung sind Innen- und Außenansicht der Kirche kombiniert. Diese doppelte An-

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Blick in das Skriptorium von Echternach. Miniatur im „Bremer Evangelistar Heinrichs III.“ (Bremen, Universitätsbibliothek, Ms. b. 21, f. 124v).

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Widmungsi miniatur im „Bremer Evangelistar“: Der Abt überreicht dem thronenden König Heinrich III. eine Bittschrift (Bremen, Universitätsbibliothek, Ms. b. 21, f. 125r).

V. Buchmalerei in Echternach zur Salierzeit 120

Abtei aufmerksam wurde, das er in der Folge mit mehreren prominenten Aufträgen bedachte. Die ungewöhnliche „Skriptoriums“-Miniatur demonstriert als gemalte „Signatur“ das Selbstbewusstsein der Echternacher Handschriftenhersteller, die hier eine Probe ihres Könnens gaben. Sie stellt zugleich den einzigen Beweis dar, dass um 1040 eine blühende Schreibstube in Echternach existierte, welche in diesem Stil Handschriften illuminierte. Der singuläre Einblick in die Arbeitsweisen des Skriptoriums zeigt deutlich, dass dieses zwar ein Klosterbetrieb war, jedoch nicht nur Mönche beschäftigte. Die Zusammenarbeit von Mönchen und Laien scheint zeitgenössischen Quellen zufolge eher die Regel als die Ausnahme gewesen zu sein. Besonders die Buchillumination, die im Gegensatz zur Schreibertätigkeit als Handwerksberuf angesehen wurde, galt für einen adligen Mönch als unstandesgemäß (vgl. Hoffmann 1986, S. 73 – 79). Bei den meisten mittelalterlichen Miniaturisten wird es sich um Laien-Handwerker, vielleicht auch Konversen gehandelt haben. Sie waren grundsätzlich flexibler und mobiler als die weitgehend ortsgebundenen Mönche. Die Beteiligung weltlicher Buchkünstler an der Handschriftenproduktion könnte nicht zuletzt eine Erklärung für die Wanderung bzw. zeitliche Parallelität von Motiven und Stilen sein, die auch die ottonisch-salische Buchmalerei geprägt hat und bis heute hinsichtlich der Lokalisierung von Handschriften Rätsel aufgibt.

tigte die Rechte und Freiheiten des Klosters erst am 16. Mai 1056 kurz vor seinem Tod auf Fürbitte seiner Gemahlin Agnes (Wampach 1930, Nr. 190). Die Miniatur ist mit hoher Wahrscheinlichkeit jedoch vor seiner Kaiserkrönung 1046 entstanden, da Heinrich noch als „REX“ angesprochen wird. Die Datierung lässt sich mit Blick auf eine Darstellung seiner Mutter Gisela in einer weiteren Dedikationsminiatur zu Beginn der Handschrift (f. 3r) weiter eingrenzen. Da Kaiserin Gisela 1043 starb, wird das Bremer Evangelistar am ehesten zwischen Heinrichs Regierungsantritt 1039 und dem Tod seiner Mutter 1043 angefertigt worden sein. Ein Anlass für die in der Widmungsminiatur dokumentierte Bittstellung geht aus den Quellen für diesen Zeitraum nicht eindeutig hervor. Sicher belegt ist für das Jahr 1041 die Bestätigung Heinrichs zur Restitution des Hauptklosterhofs zu Echternach an die Abtei durch den Klostervogt, Graf Heinrich von Luxemburg, wobei allerdings die Vasallen des Grafen ihre daraus geschöpften Lehen behalten durften (Wampach 1930, Nr. 187). Heinrichs Maßnahme zeugt jedoch nur bedingt von einer speziellen Gunst oder gar einem besonders engen persönlichen Verhältnis zu Echternach. Vielmehr lässt sie sich in eine ganze Reihe ähnV licher Restitutionen zugunsten verschiedener kleinerer Reichsklöster einordnen, die durch die wirtschaftliche Unterstützung besser in die Lage versetzt werden sollten, ihren Verpflichtungen im Rahmen des Königsdienstes (servitium regis) nachzukommen (vgl. Seibert 1991, S. 534). Ein Besuch Heinrichs III. und Giselas in Echternach, den die beiden Dedikationsminiaturen (f. 3r– 3v) am Beginn der Handschrift zu suggerieren scheinen, ist in keiner Quelle überliefert. Weder werden in der Inschrift der Ort der Darstellung noch die begleitenden Personen konkretisiert. Der Umstand, dass Heinrich und Gisela jeweils von zwei nicht näher identifizierten Äbten geführt werden, spricht eher für einen idealen Zug des Herrscherpaares zur „Majestas Domini“ auf der folgenden Seite (f. 4r), nicht für die Wiedergabe einer bestimmten Situation. Aus den Widmungsbildern kann allein geschlossen werden, dass die Handschrift zur Unterstützung einer Bittstellung oder als Dank für einen Gunsterweis angefertigt wurde, ohne dass ein konkreter Anlass genannt wird. Ob der junge Herrscher die Bitte des Klosters erhört hat, ist nicht überliefert. Sicher ist, dass er spätestens mit dieser Handschrift auf das Skriptorium der

Das Bremer „Evangelistar Heinrichs III.“ Das Bremer „Evangelistar Heinrichs III.“ ist die kleinste der Echternacher Prunkhandschriften, allerdings mit 52 vielfach ganzseitigen Miniaturen, zahlreichen Zierseiten und Schmuckinitialen der nach den beiden „Goldenen Evangeliaren“ am reichsten illuminierte Codex. Er wurde sehr wahrscheinlich zwischen 1039 und 1043 für Heinrich III. und seine Mutter Gisela hergestellt. Aus den Quellen geht nicht hervor, ob Heinrich den Codex behielt oder an eine Kirche, ein Kloster oder einen Gefolgsmann weiterverschenkte. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war er im Besitz des Schweizer Juristen Melchior Goldast von Haiminsfeld (1578 – 1635), gelangte nach dessen Tod in Bremer Privatbesitz und später in die Bremer Universitätsbiblio-

Das Bremer „Evangelistar Heinrichs III.“ 121

teiligt, doch erlaubt der überwiegend unfigürliche Stil dieser Seiten bzw. Schmuckelemente keine exakte Zuschreibung. Der „Widmungs-Maler“ weist enge stilistische Parallelen zum „WunderMaler“ im „Codex Aureus“ auf und kann sehr wahrscheinlich mit diesem identifiziert werden. Auch der Bremer „Weinberg-Maler“ war mit einiger Sicherheit im Nürnberger Codex tätig: seine charakteristischen eckigen Köpfe, das fleckige Inkarnat, die haubenartigen Frisuren und der Gewandstil verweisen auf den „Gleichnis-Maler“ – der in diesem Fall nicht vom „Langnasen-Maler“ übermalt wurde. Der Stil des „Kana-Malers“ ähnelt jenem des „Lazarus-Malers“ im „Codex Aureus“, auch wenn er aufgrund der im Bremer Codex exakteren Konturlinien nicht mit Sicherheit mit diesem identifiziert werden kann. Damit ergibt sich eine enge stilistische Verflechtung von Nürnberger und Bremer Codex. Die Annahme, dass die Hauptmaler des Evangelistars maßgeblich am „Codex Aureus“ beteiligt waren, deutet auf eine enge Werkstattzusammenarbeit hin, die wichtige Anhaltspunkte für die Datierung des Nürnberger Evangeliars liefert. Die stilistischen Parallelen legen nahe, dass der Nürnberger Codex frühestens um 1040 entstanden ist. Die Herstellung der Handschrift erfolgte damit rund zehn Jahre später als bislang von der Forschung überwiegend angenommen, die den Codex um 1030 datierte (z. B. Kahsnitz u. a. 1982).

thek. Die für eine liturgische Prunkhandschrift kleine Größe und das Fehlen alter Benutzungsspuren sprechen nicht für einen häufigen Gebrauch im Gottesdienst. Die Handschrift war vermutlich von Anbeginn an als Schatzkammerstück gedacht. Als Evangelistar beinhaltet der Codex die Evangelienperikopen in der Reihenfolge des Kirchenjahres, getrennt nach allgemeinen Festen (Temporale) und Heiligenfesten (Sanktorale). Beide Teile sind durchgehend illuminiert. Die MiniatuT ren mit Szenen aus dem Leben Christi sind dabei den entsprechenden Festen zugeordnet und erscheinen nicht in der Reihenfolge der Erzählung der Bibel. So folgen auf das „Pfingstbild“ verschiedene Gleichnisse und Wunder, und auch im Sanktorale sind Christusszenen zu finden, z. B. die „Darbringung im Tempel“ und die Geschichte von Maria und Martha. Im Gegensatz dazu ist der unter anderem im Faksimilekommentar (Knoll 1981/1993) als Vergleichshandschrift und mögliche Vorlage genannte „Codex Egberti“ mit einem chronologischen Christuszyklus illuminiert, der mit der Pfingstminiatur endet und das letzte Drittel des Codex ohne Miniaturenschmuck lässt. Ähnlich wie im „Codex Egberti“ variieren die Miniaturen des „Bremer Evangelistars“ in der Größe zwischen mehreren Zeilen bis zu einer ganzen Seite. Sie sind mit wenigen Ausnahmen von einer doppelten Rahmenleiste aus einem goldenen und einem farbigen Streifen umgeben. Nur die Widmungsminiaturen zu Beginn der Handschrift, die Evangelistenbilder und einige „Incipit“- bzw. Initialzierseiten sind mit Mäanderrahmen versehen. Die Hintergründe der Miniaturen und Zierseiten sind zumeist einfarbig oder als Streifengründe angelegt, nur wenige Szenen besitzen Goldgründe. Die Miniaturen werden von den großen, mit ausladenden Gesten agierenden Figuren beherrscht, auf Architektur- oder Landschaftskulissen wurde zumeist verzichtet. Die Illustrationen wirken auf den ersten Blick stilistisch recht homogen. Bei näherer Betrachtung ergeben sich jedoch bei der Gestaltung von Figuren, Hintergründen, der Farbwahl und Komposition zahlreiche Unterschiede. Sie lassen auf eine Beteiligung von drei Hauptminiaturisten schließen. Sie können nach den ihnen zugeschriebenen Miniaturen in den „Widmungs-Maler“, den „KanaMaler“ und den „Weinberg-Maler“ geschieden werden. Möglicherweise war ein weiterer Maler an der Anfertigung der Initialen und Zierseiten be-

Kaiser Heinrich III. als Auftraggeber in Echternach: der „Codex Aureus“ im Escorial Nicht mehr als Empfänger, sondern Besteller einer Handschrift tritt Heinrich III. im „Codex Aureus“ des Escorial auf (Abb. 95). Die Prunkhandschrift war als Stiftung zum Gedächtnis seiner Eltern, Kaiser Konrad II. und Kaiserin Gisela, für die kaiserliche Grablege im Dom zu Speyer bestimmt. Wie die Inschriften der Widmungsbilder nahelegen, erging der Auftrag vermutlich zwischen 95

Widmungsseite im „Codex Aureus“ des W Escorial: Heinrich III. überreicht Maria ein goldgeschmücktes Buch, rechts kniet seine Gemahlin Agnes (El Escorial, Real Biblioteca de San Lorenzo, Cod. Vit. 17, f. 3r).

V. Buchmalerei in Echternach zur Salierzeit 122

des ein Maximum an Prachtentfaltung. Vermisst wird allerdings die schöpferische Vielfalt des Nürnberger „Codex Aureus“ und der selbstreflexive Umgang mit den Verzierungselementen. Der „Escorialensis“ besitzt beispielsweise nur zwei Teppichdoppelseiten, bei denen die Stoffimitation T durch die dominanten Goldmotive zudem nicht so gelungen wirkt wie im Nürnberger Codex. Eine Besonderheit der Escorial-Handschrift sind hingegen die Musterhintergründe einiger Textzierseiten, die weiße Leinenwebereien vortäuschen. Eine zweite Spezialität sind die zahlreichen illusionistisch gemalten Herrschermedaillen, wobei Heinrich III. am häufigsten auftaucht. Die für den Nürnberger Codex typische Vergegenständlichung der Inschriftentafeln findet sich im „Escorialensis“ nur an wenigen Stellen. Zu den Ausnahmen gehören die „Incipit“-Seite (f. 92r) gegenüber dem Evangelistenbild des Lukas und die zugehörige Rückseite (f. 92v), bei der die goldgerahmte Initialschrift von Mönchen und Laien gehalten wird. Auf den „Incipit“-Seiten zum Markusevangelium (f. 62r – 63r) treten Träger-Engel als Rahmenmotiv auf (Abb. 96). Die Handschrift ist wieder das Ergebnis einer außergewöhnlichen Teamarbeit und beispielhaft für die gute Planung und Ausführung der Werkstatt. Erneut lassen sich stilistisch zahlreiche Parallelen zum Nürnberger „Cousin“ herstellen. Die Widmungsseiten verraten mit ihren zierlichen Figuren und blassen Inkarnaten die Hand des „Kindheits-Malers“ des Nürnberger „Codex Aureus“. Die Gesichter von Christus und Maria sowie des Matthäus-Engels sind eindeutig übermalt, wie auch die nicht überdeckten Haarsträhnen der Christusfigur verraten, die ursprünglich blau waren. Allerdings war hier nicht der „LangnasenMaler“ am Werk, sondern ein ansonsten in den Echternacher Handschriften nicht nachweisbarer Miniaturist, dessen Stil byzantinisch geprägt ist. Diese „Korrekturen“ wurden eventuell ausnahmsweise erst nach der Übergabe der Handschrift an Heinrich III. vorgenommen. Dem „Kindheits-Maler“ des Nürnberger Codex können aufgrund der im Vergleich zu den anderen Miniaturen hohen technischen und künstlerischen Qualität, des Detailreichtums an Verzierungselementen und des konzeptuellen Verständnisses die meisten großen Miniaturen und Zierseiten des „Escorialensis“ zugeschrieben werden. Ihm zur Seite stand ein Miniaturist, der hier aufgrund der

1043, dem Jahr des Todes seiner Mutter Gisela und seiner Eheschließung mit Agnes, und 1046, dem Jahr seiner Kaiserkrönung in Rom. Auf der Widmungsdoppelseite knien die kaiserlichen Eltern links zu Füßen der „Majestas Domini“, rechts überreicht der noch als „Rex“ bezeichnete Heinrich in Begleitung von Agnes den Codex an Maria, der Titelheiligen des Speyerer Doms. Die Inschrift – „Glanzvoll erstrahlt Speyer durch König Heinrichs Weihegabe“ – bringt die Pracht und den Wert des Buchgeschenks zum Ausdruck. Wie hoch der Wert der Handschrift eingeschätzt wurde, zeigen auch die beiden Dedikationsgedichte auf der folgenden Doppelseite (3v – 4r). Im ersten Gedicht werden dem aufmerksamen Leser des „Buches des Lebens“ „himmlische Reiche“ versprochen. Besonders interessant ist das zweite Gedicht, in dem der Codex als „Diadem der Bücher“ („diadema librorum“) bezeichnet wird, das „Caesar Heinrich“ („Heinricus Caesar“) explizit in Gold schreiben ließ, um dem Ewigkeitsanspruch des göttlichen Wortes Ausdruck zu verleihen: „[…] da ja die Weisheit spricht: / Alles wird vergehn, / nur meine Worte werden niemals vergehn.“ (Übersetzungen nach Rathofer 2001, Bd. 2, S. 117). Die Bezeichnung als „Diadem der Bücher“ ist nicht übertrieben. Tatsächlich handelt es sich um einen Codex der Superlative. Er ist wie der Nürnberger „Codex Aureus“ ganz in Gold geschrieben, übertrifft diesen mit einem Format von 50 mal 35 Zentimeter noch an Größe sowie in der Zahl der Miniaturen. Die beiden „Goldenen Evangelienbücher“ werden häufig als „Schwesternhandschriften“ angesehen, sind jedoch eher „Cousins“. Trotz zahlreicher ikonografischer und stilistischer Parallelen könnte das Ausstattungskonzept nicht unterschiedlicher sein. Ist das Nürnberger Evangeliar mit einem chronologisch geordneten Zyklus von vorgeschalteten Streifenminiaturen illustriert, sind die Szenen im „Escorialensis“ als Einzelminiaturen über die Evangelientexte verteilt und stehen nicht in chronologischer Ordnung. Beispielsweise beginnt die Bildfolge im Matthäusevangelium mit der „Anbetung der Könige“, während die Darstellung der „Verkündigung“ erst zu der entsprechenden Perikope im Johannesevangelium erscheint. Das „Evangeliar Heinrichs III.“ bietet von der Größe der Handschrift, der Zahl der Miniaturen und Zierseiten sowie der Menge verwandten Gol-

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Zierseite zum Lukasevangelium aus dem „Codex Aureus“ des Escorial (El Escorial, Real Biblioteca de San Lorenzo, Cod. Vit. 17, f. 92v).

Der „Codex Aureus“ im Escorial 125

V. Buchmalerei in Echternach zur Salierzeit 126

heller Umhang wird von einer goldenen Rundfibel gehalten, und er trägt deutlich erkennbar die Bügelkrone der ottonischen Kaiser. Die Handschrift wurde daher mit großer Wahrscheinlichkeit nach Heinrichs Kaiserkrönung Weihnachten 1046 in Rom in Auftrag gegeben. Im Gegensatz zu den beiden „Goldenen Codices“ ist der „Caesareus“ einspaltig in braunschwarzer Tinte geschrieben, nur die Versalien sind mit Goldtinte hervorgehoben. Auch bei der Zahl der Miniaturen wurde gespart: Neben den Dedikationsbildern weist die Handschrift allein ganzseitige Evangelistenbilder sowie verschiedene „Incipit“- und Initialzierseiten auf, jedoch keine szenischen Darstellungen. Der Initialschmuck in den Evangelienteilen ist allgemein größer als im „Codex Aureus“ und äußerst qualitätsvoll, was durch die häufige Verwendung von Gold und Purpur unterstrichen wird. Vermisst wird allerdings die gestalterische Vielfalt und selbstreflexive Dimension der Buchstaben in der Nürnberger Handschrift – Tier- oder Figureninitialen sind im „Caesareus“ praktisch nicht zu finden. Das Evangeliar in Uppsala ist stilistisch die einheitlichste der großen Echternacher Prunkhandschriften. Miniaturen und Zierseiten sind weitgehend vom Stil des „Langnasen-Malers“ geprägt. Wie im „Codex Aureus“ zeichnen sie sich durch einen insgesamt derberen Figurenstil und eine gröbere, fleckiger wirkende Malweise aus. Im Gegensatz zum Nürnberger Codex scheint der „Langnasen-Maler“ im „Caesareus“ nicht als Übermaler tätig gewesen zu sein, sondern die Miniaturen von Anfang an selbstständig ausgeführt zu haben. Dass auch der „Langnasen-Maler“ außergewöhnliche Kompositionen schuf, zeigen einige Miniaturen im „Caesareus“. Hierzu gehören die Dedikationsseiten ebenso wie die Doppelseite mit dem Evangelistenbild des Johannes und der zugehörigen Initialzierseite, die Teppichseiten zu Beginn des Evangeliars und – etwas bescheidener – die „Incipit“-Doppelseite zur Hieronymus-Vorrede. Alle genannten Seiten sind mit einem breiten Schmuckrand in Imitation von Purpurstoffen umgeben, der ein Binnenfeld in Imitation weißer, gemusterter Leinenweberei umgibt, auf welchem die Miniaturen bzw. Schriftfelder scheinbar aufliegen. Bei den Schmuckseiten zu Beginn der Handschrift blieben die weißen Binnenfelder unbedeckt und zeigen eine feine Zeichnung mit phantastischen Figuren und Ornamenten. Ein ungewöhnli-

ersten ihm zugeschriebenen Miniatur im Evangeliar als „Versuchungs-Maler“ bezeichnet werden soll. Seine Werke ähneln stilistisch den Miniaturen des „Passions-Maler II“ im „Codex Aureus“, so dass der „Versuchungs-Maler“ vermutlich mit diesem identifiziert werden kann. In einigen kleineren Miniaturen des Matthäusevangeliums war sehr wahrscheinlich der „Kana-Maler“ des Bremer Evangelistars tätig. Außerdem vermeint man in den Medaillons der Personifikationen (f. 4r) den „Langnasen-Maler“ zu ahnen, der auch in diesem „Goldenen Codex“ möglicherweise als Übermaler beteiligt war. Interessanterweise war offenbar keiner der in mehreren Handschriften tätigen Miniaturisten auf bestimmte Motive oder Szenen festgelegt, vielmehr scheinen die Themen bei jeder Handschrift weitgehend neu vergeben worden zu sein. Wie schon beim Bremer Evangelistar, sind die künstlerischen und personellen Verflechtung des Escorial-Evangeliars mit dem Nürnberger „Codex Aureus“ äußerst eng. Damit kann die Datierung des Nürnberger Codex weiter zur Mitte der 1040er Jahre präzisiert werden.

Der „Codex Caesareus“ in Uppsala Eine weitere Prunkhandschrift, die Heinrich III. in Echternach bestellte, ist das als „Codex Caesareus“ bekannte Evangeliar, eine Schenkung des Herrschers an das von ihm gegründete Stift Sankt Simon und Judas in Goslar, dessen Stiftskirche wohl 1051 geweiht wurde. Die Dedikationsdoppelseite zeigt auf der linken Seite Heinrich und Agnes, die von dem in einer goldenen Mandorla thronenden Christus gekrönt werden (f. 3v – 4r) (Abb. 97). Rechts überreicht Heinrich die Handschrift den Titelheiligen des Goslarer Stifts, Simon und Judas Thaddäus, an deren Festtag er 1017 geboren wurde. Heinrich ist in ein reiches, mit goldenen Borten verziertes Gewand gekleidet, sein

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„Majestas Domini“-Seite des „Codex Caesareus“ mit dem Kaiserpaar Heinrich III. und Agnes, die von Christus gekrönt werden (Uppsala, Universitätsbibliothek, Cod. C93, f. 3v).

Der „Codex Caesareus“ in Uppsala 127

ben wurde – in Frage kämen u. a. der Bremer Dom oder die Kathedrale von Metz –, beinhaltet Miniaturen von mindestens zwei verschiedenen Künstlern. Bei ihnen handelt es sich sehr wahrscheinlich um den „Lazarus-Maler“ und den „GleichnisMaler“ des „Codex Aureus“. Stimmt diese Zuschreibung, so war im „Brüsseler Evangelistar“ eine ähnliche Malerequipe wie im „Bremer Evangelistar“ tätig. Die Brüsseler Handschrift kann damit in zeitlicher Nähe zum Bremer Codex ebenfalls um 1040 datiert werden. Schwieriger fällt die Beurteilung bei dem „Darmstädter Sakramentar“, das auch von der Textgattung, der Schrift und der Ornamentik her T eine Ausnahme innerhalb der Echternacher Handschriftengruppe darstellt. Die wenigen Miniaturen lassen sich von der Figurengestaltung am ehesten mit dem „Passions-Maler I“ des „Codex Aureus“ verbinden, wobei sich die Farbigkeit der Inkarnate unterscheidet. Ebenfalls schwer ist die Zuschreibung der „kleinen“ Evangeliare, die in der wenig plastischen, fast blockartigen Figurengestaltung qualitativ deutlich gegenüber der Hauptgruppe abfallen. Zwar lassen sich in den Gesichtern der Figuren Parallelen zu den Malern des „Codex Aureus“ feststellen, die ebenso grobe wie flache Gewandgestaltung kann mit keinem dieser Künstler in Einklang gebracht werden. Auch wenn die nähere Zuschreibung und Datierung der letztgenannten Handschriften detaillierterer Forschungen bedarf, bestätigen die Stilparallelen insgesamt die Schlüsselstellung des Nürnberger Evangeliars innerhalb der Echternacher Buchmalerei. Sie legen gleichzeitig nahe, die bisherige Datierung der einzelnen Werke neu zu überdenken. Es erscheint bei den engen personellen Verflechtungen wenig wahrscheinlich, dass das Echternacher Skriptorium, wie bislang angenommen, zwischen 1028 bis nach 1060, d. h. über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren, aktiv war. Vielmehr konzentrierte sich die Tätigkeit auf eine V engen Zeitspanne von rund 10 bis 15 Jahren von etwa 1040 bis 1055. Sie fällt weitgehend zusammen mit den Regierungsjahren Heinrichs III. und der zweiten Hälfte der Amtszeit Abt Humberts (1028 – 1051). Die von der bisherigen Forschung angenommene Entwicklung der Echternacher Buchmalerei – angefangen mit dem „Darmstädter Sakramentar“ als Erstlingswerk um 1028 und dem Nürnberger „Codex Aureus“ als frühem Glanzpunkt um 1030

ches Motiv besitzt auch der Purpurrand um die Johannesseiten. Hier sind umlaufenden Medaillons mit Maskenköpfen besetzt, deren Flammenmähnen an die Häupter der Medusa erinnern. Die Schmuckmotive belegen, dass die Echternacher Buchmaler über ein breites Vorlagenrepertoire verfügten, dass sie in stets neuen Kombinationen und Abwandlungen einsetzten, um jeder Handschrift ein individuelles Aussehen zu verleihen. Trotz vieler Ähnlichkeiten gleicht kein Echternacher Codex einem anderen. Dies trifft auf die großen kaiserlichen Prunkhandschriften ebenso wie auf die kleineren Prachtcodizes für kirchliche Besteller zu. Die vermutliche Entstehung des „Caesareus“ zwischen 1046/1047 und 1051 steht der der vorgeschlagenen Datierung des „Codex Aureus“ um 1045 nicht entgegen, da der „LangnasenMaler“ in der Nürnberger Handschrift allem Anschein nach als letzter Miniaturist in der Rolle des Übermalers auftrat. Er kam möglicherweise erst um 1045 in das Echternacher Skriptorium. Seine Beteiligung legt jedoch ebenfalls nahe, dass der „Codex Aureus“ eher um die Mitte als zu Beginn der 1040er Jahre entstanden ist.

Die „kleineren“ Echternacher Prachthandschriften Die zwischen 1040 und 1050 entstandenen Prachthandschriften für Heinrich III. bilden zusammen mit dem Nürnberger „Codex Aureus“ den Höhepunkt der Echternacher Buchmalerei des 11. Jahrhunderts. An diese Kerngruppe lassen sich einige weitere Handschriften anfügen, welche durch ihren ähnlichen Figurenstil, eine korrespondierende Ornamentik ebenso wie paläografische Charakteristika eindeutig in Echternach hergestellt wurden. Zwei Handschriften, das „Evangeliar von Luxeuil“ und das „Brüsseler Evangelistar“, stehen aufgrund ihres Stils und der Komplexität ihres Ausstattungsprogramms in engstem Zusammenhang mit der Heinrich-III.-Gruppe und wurden vermutlich im selben Zeitraum vom weitgehend selben Miniaturistenteam illuminiert. Im „Evangeliar von Luxeuil“ waren sehr wahrscheinlich der „Majestas-Maler“ und der „Wunder-Maler“ des „Codex Aureus“ tätig, wobei zu prüfen ist, inwieweit auch hier der „Langnasen-Maler“ verändernd eingewirkt hat. Das „Brüsseler Evangelistar“, das vielleicht für eine Stephanskirche in Auftrag gege-

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wahrscheinlich nicht um Mönche handelte, die fest im Kloster Echternach lebten, sondern um Laien, vielleicht auch Laienbrüder, die ihren Arbeits- und Lebensort wechseln konnten. Die Legende von den mittelalterlichen Malermönchen ist ein Mythos des 19. Jahrhunderts. Was die Echternacher Buchmalerei trotz der individuellen Stile verbindet, ist ihre ausgesprochene Klarheit der Komposition, die Monumentalität, die Klarheit bzw. Reinheit der Farben und die Verwendung von farbigen Hintergründen statt Goldgründen wie in der so genannten Reichenauer Buchmalerei oder von Musterhintergründen wie in der Regensburger Buchmalerei. Weiter eint sie die Vorliebe für ausführliche Bildzyklen, die Teppichseiten mit Stoffimitationen und die Schriftund Textzierseiten mit breiten Schmuckrahmen sowie die Nachahmung antiker Kunstformen. Die Vorbilder sind nicht in der so genannten Reichenauer Schule zu finden, die in der Salierzeit nur noch ein wenig innovativer Abglanz der Blütezeit unter den Ottonen war, sondern in den Miniaturen der Trierer Schule des so genannten „Meisters des Registrum Gregorii“, aber auch eigenen Handschriften aus der Frühzeit des Echternacher Klosters wie dem um 730 erstellten „Thomas-Evangeliar“. Als Vorlagen kommen daneben spätantike Miniaturen, wahrscheinlich vermittelt über karolingische Handschriften, und – vor allem was die Initialkunst, aber auch die Vorliebe für ornamentale Zierseiten angeht – die irische bzw. anglo-irische Buchmalerei in Frage. Die unterschiedliche Größe der Miniaturen in den Echternacher Handschriften, die Auswirkungen auf den Figurenmaßstab und die Hintergrundgestaltung hat, erschwert den stilistischen Vergleich. Solange nicht alle Echternacher Codices umfassend technologisch untersucht sind, wird eine definitive Aussage hinsichtlich Zuschreibung und Identifizierung von Malerhänden nicht möglich sein, nicht zuletzt, weil auch in den anderen Codices mit Übermalungen gerechnet werden muss.

über die Prachthandschriften für Heinrich III. um 1040 bis 1050 bis zu den „kleinen“ Evangeliaren in London und Paris als „Abgesang“ um 1060 bis 1070 – kann an dem vorhandenen Handschriftenbestand nicht nachvollzogen werden. Die Stilunterschiede sind hauptsächlich individuell bedingt und nicht auf eine allgemeine Schulentwicklung zurückzuführen. Auch die Bestimmung bzw. die vom Auftraggeber gewünschte Verwendung von Materialien waren ausschlaggebend für die Wirkung einer Handschrift, wie sich etwa am Vergleich des „Darmstädter Sakramentars“ mit dem ebenfalls kleinformatigen „Bremer Evangelistar“ erkennen lässt.

Eine kunsthistorische Neubestimmung der „Echternacher Schule“ Im Jahrzehnt zwischen 1040 und 1050 kamen in Echternach die besten Buchmaler des Reiches zusammen, um jene Prunkwerke zu schaffen, die schon zu ihrer Entstehungszeit zu den größten Schätzen gehörten und bis heute zu den absoluten Spitzenwerken der mittelalterlichen Buchmalerei gezählt werden. Dabei übernahmen jeweils ein oder zwei Miniaturisten eine Handschrift in Hauptregie. Auch wenn es sich um einen Kreis von wenigen Künstlern handelte, die nach den gleichen bzw. sehr ähnlichen Vorlagen arbeiteten, gleicht keine Handschrift der anderen, vielmehr besitzt jede ihr individuelles Erscheinungsbild. Auch die Buchmaler blieben ihrem individuellen Stil treu. Dies spricht dafür, dass sie weitgehend nicht in Echternach ausgebildet waren, sondern von außen nach dort gerufen wurden. Für die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts haben die Klosterchroniken oder andere Schriftquellen keine Namen überliefert. Dies könnte indirekt die aus dem Skriptoriumsbild im „Bremer Evangelistar“ abgeleitete These bestätigen, dass es sich bei den Miniaturisten sehr

Eine kunsthistorische Neubestimmung der „Echternacher Schule“ 129

VI. Der „Codex Aureus“ im Kontext der ottonisch-salischen Buchkunst dar. Es ist davon auszugehen, dass viele Werke verloren sind oder wie das „Evangeliar von Luxeuil“ nur unvollständig überliefert sind. Damit gingen wichtige Bindeglieder zwischen den Handschriften und ihren Miniaturen verloren, die genauere Aufschlüsse über die Zusammenarbeit der Buchmaler, die Arbeitsorganisation im Skriptorium, aber auch die Auftraggeber, die Datierung und Bestimmung der Codices hätten geben können. Unklarheiten bestehen vor allem bei den Anfängen der salischen Buchmalerei in Echternach, die zwischen 1030 und 1040 anzusetzen sind. Jeder Rekonstruktionsversuch kann nur eine Annäherung sein und muss in vielen Aspekten Hypothese bleiben.

Kunstgeschichte und Maltechnologie: neue Forschungsansätze Mit dem „Codex Aureus“ und den Prunkhandschriften für Heinrich III. gehört das Echternacher Skriptorium zu den herausragenden Buchwerkstätten des 11. Jahrhunderts. Immer noch ungeklärt ist die Frage nach den künstlerischen Ursprüngen der Malerschule. Bislang ging die Forschung davon aus, dass sie Entwicklung der Echternacher Buchmalerei ab 1028 bis 1070 über einen Zeitraum von rund 30 bis 40 Jahren verlief. Der Nürnberger „Codex Aureus“ wurde dabei als frühes Meisterwerk um 1030 datiert, das gleichsam als „Musterstück“ für die späteren Handschriften in Echternach verblieben sei. Rund 15 Jahre später bildete der um 1045 datierte „Codex Aureus“ im Escorial den glanzvollen Höhepunkt der Echternacher Handschriftenproduktion. Im Vergleich dazu hätten die „kleinen“ Evangeliare ab 1060 nur noch langsam „degenerierende“ Spätwerke dargestellt. Wie die technologischen Analysen des „Codex Aureus“ und des „Codex Caesareus“ (vgl. Fuchs/ Oltrogge 2001) und der stilistische Vergleich der Echternacher Handschriften gezeigt haben, sind die Differenzen weniger entwicklungsbedingt, sondern individuell bzw. in der Größe des Buches begründet. Im Echternacher Skriptorium war eine Gruppe von Künstlerpersönlichkeiten weitgehend parallel tätig, die sich mit wenigen Ausnahmen im Nürnberger „Codex Aureus“ vereint. Die Aktivität des Skriptoriums konzentriert sich auf das Jahrzehnt zwischen 1040 und 1050 und auf die Tätigkeit für Heinrich III. Mit großer Wahrscheinlichkeit stellen die erhaltenen Prachtcodices nicht die komplette Produktion an illuminierten Handschriften aus Echternach

Skriptorium und Bibliothek des Klosters Echternach seit der Gründungszeit Die Abtei Echternach wurde nicht erst im 11. Jahrhundert zu einem Zentrum der Buchkultur. Die Anfänge des Skriptoriums reichen bis in die Gründungszeit des Klosters um 695/698 zurück. Die ersten für Echternach bezeugten Bücher waren die in insularem Stil geschriebenen und verzierten Handschriften, die der Klostergründer Willibrord (658 – 739) wahrscheinlich direkt aus seiner englischen Heimat mitgebracht bzw. von dort bezogen hatte. Hierzu gehört als berühmtestes Werk das „Echternacher Evangeliar“ in der Pariser Nationalbibliothek, dessen Verzierungen der Buchmalerei des Klosters Lindisfarne nahe stehen. Es ist zugleich ein Zeugnis für die Weiterpflege der angelsächsischen Liturgie in Echternach. Sehr wahrscheinlich installierte Willibrord in seinem Hauskloster ein Skriptorium, das illuminierte Bücher für den Bedarf der Abtei und der weiteren kirchlichen Gründungen Willibrords produzierte. Die Handschriften zeichnen sich durch

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ein Fortleben des insularen Schreib- und Malstils aus. Gleichzeitig ist ein erstes Eindringen „fremden“, spätantiken Formenguts zu beobachten. Die innovative Integrationskraft des Skriptoriums zeigt kein Werk besser als das um 730 entstandene „Evangeliar von Trier“, das nach seinem Schreiber auch „Thomas-Evangeliar“ genannt wird. Seine Kanontafeln und Evangelistenbilder sind Beispiele für die gelungene Verschmelzung spätantik-mediterraner ik di Fi Figürlichkeit mit dem Reich-

tum insularer Ornamentik. Etwa zur selben Zeit entstand ein von einem Schreiber namens „Presbyter Laurentius“ signiertes, hauptsächlich mit Initialen geschmücktes Evangeliar, das über die Sammlung Oettingen-Wallerstein in die Universitätsbibliothek Augsburg gelangte (Abb. 98). Ein 98

Evangeliar aus Echternach im insularen Stil, um 730, ehemalige Sammlung Oettingen-Wallerstein (Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. I. 4° 2, f. 127r).

Skriptorium und Bibliothek des Klosters Echternach 131

scher Zeit weiter geschätzt wurden und in Gebrauch waren. Nicht zuletzt belegt diese Maßnahme, dass die ottonischen Buchmaler Zugang zu den teilweise rund 300 Jahre alten Handschriften und ihren Miniaturen hatten. Dass den Echternacher Buchmalern des 11. Jahrhunderts das „Thomas-Evangeliar“ zumindest in einer Kopie zur Verfügung stand, belegen der „Codex Aureus“ im Escorial und das „Evangeliar von Luxeuil“, deren Kanontafeln in vielem auf die merowingische Handschrift zurückgehen. Sie hat auch in den Kanontafeln des Nürnberger „Codex Aureus“ ihre Spuren hinterlassen. Die typische Verbindung von insularem und spätantikem Formengut bildete einen Nährboden für die karolingische Buchmalerei. Diese scheint in Echternach jedoch nicht in dem Umfang gepflegt worden zu sein wie in den bischöflichen und höfischen Zentren Tours, Reims, Aachen und Metz oder im Kloster Sankt Gallen. Zwar war das Echternacher Skriptorium in karolingischer Zeit weiterhin aktiv, scheint die Produktion aber auf Texthandschriften für das Studium ohne anT spruchsvollen Buchschmuck beschränkt zu haben. Diese entstanden auch während der vermeintlich „dunklen“ Phase ab Mitte des 9. Jahrhunderts, als das Kloster von Kanonikern unter der Leitung von Laienäbten bewohnt war. In dieser Zeit entstand beispielsweise das um 895/900 datierte Sakramentar in Paris, dessen Initialschmuck von den insularen Vorbildern aus der Blütezeit des Skriptoriums im 8. Jahrhundert geprägt ist. Im Jahr 973 wird die Abtei auf Geheiß Kaiser Ottos I. reformiert und von rund 40 Mönchen unter Leitung des Abtes Ravanger aus dem Trierer Kloster Sankt Maximin neu besiedelt. Die Reform, bei der das Kloster erstmals offiziell der Benediktinerregel unterstellt wurde, führte auch zu einem Aufschwung der Buchproduktion, der zunächst jedoch anscheinend nur der Klosterbibliothek zugute kam. Bei den ottonischen Handschriften, die sich paläografisch und historisch nach Echternach lokalisieren lassen, handelt es sich praktisch ausnahmslos um Texthandschriften ohne anspruchsvolle Illuminierung. Sie belegen das Bestehen eines Skriptoriums mit kalligrafisch geschulten Schreibern sowie die Existenz eines Schulbetriebs in Echternach, nicht jedoch einer Malerwerkstatt. Diese lässt sich erst wieder in salischer Zeit nachweisen, als während der Amtszeit von Abt Humbert jene kostbaren liturgischen Kunstwerke für

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Werkstatt des „Registrum-Meisters“, Einzelblatt mit dem Evangelisten W Markus, Anfang des 11. Jahrhunderts dem Echternacher Evangeliar zugefügt. Auf der Rückseite ist noch der Abdruck der Initiale zu erkennen (Sankt Peter/Schwarzwald, Bibliothek des ehem. Priesterseminars).

Mitarbeiter des Trierer „Meisters des Registrum Gregorii“ ergänzte es in ottonischer Zeit sehr wahrscheinlich mit einer Serie ganzseitiger Evangelistenbilder, von denen sich zumindest das später herausgetrennte Blatt mit dem Evangelisten Markus in Sankt Peter im Schwarzwald erhalten hat (Abb. 99). Die ungewöhnliche Bereicherung des Evangeliars bedeutet zugleich eine Modernisierung wie Aufwertung. Sie zeigt, dass die vorkarolingischen und karolingischen Handschriften auch in ottoni-

VI. Der „Codex Aureus“ im Kontext der ottonisch-salischen Buchkunst 132

sind der Ort und die begleitenden Personen, darunter zwei Äbte, offenbar bewusst nicht durch Beischriften präzisiert. Erst bei der Dedikationsdoppelseite am Ende der Handschrift wird Echternach als Herstellungsort genannt. Der genaue Ort der Übergabe der Bittschrift bleibt folglich unklar. Die Abtei wird in den kaiserlichen Urkunden im Vergleich zu anderen Reichsabteien nur selten genannt, und die beurkundeten Vorkommnisse bleiben im Rahmen der üblichen Geschäftsgänge. Über den vermutlichen Initiator der Echternacher Malerwerkstätte, Abt Humbert, und seine familiären Hintergründe ist nur wenig bekannt. Er war zuvor Mönch in der Reichsabtei Sankt Maximin in Trier und wurde 1028 auf Vermittlung Abt Poppos von Stablo-Malmedy, der zugleich Abt von Sankt Maximin war, als Nachfolger Abt Urolds (1007 – 1028) eingesetzt, nachdem dieser aufgrund angeblicher persönlicher Verfehlungen und skandalösen Lebens („vita scandalo“) seines Amtes enthoben worden war. Laut der 1605 veröffentlichten Klosterchronik des Echternacher Abts Johannes Bertels erfolgte der Ruf Humberts „wegen seiner außergewöhnlichen Tugenden, mit denen ihn der allmächtige Gott versehen hatte“. Wohl im Auftrag Poppos führte er in Echternach Reformen durch und „stellte mit seltenem Eifer die unter Zusehen des Uroldus fast erloschene Ordensregel wieder her“ (zitiert nach Bertels 2000, S. 130 – 133). Zunächst hatte Humbert jedoch andere Aufgaben. Was drängte, war die Fertigstellung des von Urold begonnenen Neubaus von Kirche und Klosteranlage, die ein Feuer 1016 stark beschädigt hatte. Am 19. Oktober 1031 konnte die neue Kirche von Poppos Namensvetter, dem Trierer Erzbischof Poppo, geweiht werden. Zuvor hatte man die bislang in der Krypta aufbewahrten Gebeine des heiligen Willibrord auf den neuen Hauptaltar übertragen. Im Jahr 1034 folgte die Weihe von vier Altären in der Krypta, von denen der wichtigste der Gottesmutter Maria, ein Nebenaltar dem heiligen Bonifatius gewidmet war, 1039 wurde dann die Michaelskapelle im Turm mit drei Altären geweiht. Auch wenn Humbert den von seinem Vorgänger begonnenen Bau nur noch vollenden konnte, scheint er maßgeblich an dessen Ausstattung beteiligt gewesen zu sein. Laut dem älteren Echternacher Abtskatalog hatte Humbert den Bau mit Bildern, d. h. Skulpturen, und mit Malereien schmücken lassen („imaginibus et picturis decen-

auswärtige Auftraggeber entstanden, welche Echternach für rund 10 bis 15 Jahre zum herausragenden Zentrum für Prunkhandschriften im Salierreich machten. Bereits unter den Nachfolgern Abt Humberts und Kaiser Heinrichs III., Abt Reginbert (1051– 1081) und Heinrich IV. (1056 – 1106), wurden offenbar kaum mehr illuminierte Codices produziert. Erst unter dem Echternacher Abt Thiofrid (1081– 1110), der selbst schriftstellerisch tätig war und u. a. eine Vita des heiligen Willibrord verfasste, nahm die Buchherstellung wieder deutlich zu. Allerdings scheint unter Thiofrid der überwiegende Teil der erhaltenen Text- und Bilderhandschriften für den eigenen Bedarf hergestellt worden zu sein. Hierzu zählen eine mit farbigen Initialen illuminierte Riesenbibel und eine mit ganzseitigen Miniaturen illustrierte Prachtausgabe von Thiofrids „Flores epytaphii sanctorum“, heute in Gotha, die beide bis zur Auflösung des Klosters Ende des 18. Jahrhunderts in Echternach verblieben. Mit der Amtszeit Thiofrids endete die Produktion illuminierter Bücher in Echternach. Texthandschriften sind im Skriptorium jedoch weiter hergestellt worden.

Echternach unter Abt Humbert (1028 – 1051) Kunsthistorisch gesehen ist die fast fünfundzwanzigjährige Amtszeit Abt Humberts die leuchtendste Epoche in der Klostergeschichte, historisch gesehen gehört sie jedoch zu den dunkleren. Gäbe es nur die Schriftquellen, würde man die herausragende Rolle der Abtei und ihre Verbindung zu den höchsten Persönlichkeiten in der weltlichen und kirchlichen Hierarchie nicht vermuten. Weder politisch noch wirtschaftlich, weder kirchenpolitisch noch wissenschaftlich spielte Echternach in dieser Zeit eine wichtige Rolle. Mit rund 40 Mönchen gehörte die Abtei in der Reihe der Reichsklöster zu den kleineren Einrichtungen und scheint von den Mitgliedern des salischen Königs- bzw. Kaiserhauses oder anderen hohen Würdenträgern im Gegensatz zu anderen Klöstern niemals aufgesucht worden zu sein. Zwar wurde in der Forschung aufgrund der Widmungsbilder zu Beginn des „Bremer Evangelistars“ mit Heinrich III. und Gisela ein Besuch des Herrscherpaares als sicher angenommen, doch

Echternach unter Abt Humbert (1028 – 1051) 133

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Übereinstimmung der wenigen Zierfragmente auf eine Personalunion von Wand- und Buchmalern schließen wollen. Eine solche Identität lässt sich historisch jedoch nicht belegen. Wandmalerei und Buchillumination waren grundsätzlich zwei eigenständige Handwerksberufe, die jeweils eigene Materialien und Techniken erforderten. Die Wandmalerei-Reste zeigen aber, dass Miniaturisten und Wandmaler einen ähnlichen Vorlagenfundus besaßen, der in Echternach um 1030/40 auch in den Augen der Auftraggeber als höchst modern angesehen wurde. Woher die Wandmaler stammten, geht aus den Quellen nicht hervor. Möglicherweise handelt es sich um Künstler, die im Umkreis des Trierer Klosters Sankt Maximin tätig waren. Ebenso bleibt die Verbindung Echternachs und Abt Humberts zum V Kaiserhaus im Dunkeln. Vielleicht wirkten hier der Trierer Erzbischof Poppo oder Abt Poppo von Stablo-Malmedy, die als hohe Reichsfürsten in engem Kontakt zu den Salierherrschern und ihrem direkten Umkreis standen, als Vermittler. Sicher ist allein, dass während Humberts Amtszeit die berühmtesten Prunkhandschriften des Skriptoriums entstanden.

Fragmentarisch erhaltene Wandmalerei mit der „Geburt Christi“ in der Krypta der Abteikirche von Echternach.

tissime decoravit“; zitiert nach Kahsnitz 1982, S. 24). Die überlieferten Reste wurden bei der Zerstörung der Kirche im Zweiten Weltkrieg vernichtet, allein in der Krypta haben sich Fragmente von Wandmalereien mit einem christologischen Zyklus erhalten, der wohl aus dieser Zeit stammt (Abb. 100). Allerdings erlauben die wenigen Reste keine vollständige Rekonstruktion oder gar eine stilistische Analyse des Bildprogramms. Etwas besser erhalten sind die Wandmalerei-Fragmente in der benachbarten Pfarrkirche Sankt Peter, die im Chor an der Decke weibliche Halbfiguren in Medaillons aufweist, die einst wohl einen rahmenden Mäanderfries schmückten. Sie besitzen Ähnlichkeiten mit den Rahmenformen der ottonischen Trierer Buchmalerei unter dem „Meister des Registrum Gregorii“, die auch die Echternacher Buchmalerei prägten. Echternach-Spezialisten wie der schwedische Kunsthistoriker Carl Nordenfalk haben aus der

VI. Der „Codex Aureus“ im Kontext der ottonisch-salischen Buchkunst 134

Bereiche wie die Buchgestaltung und Kalligrafie. Zu einem richtigen Verständnis der Buchmalerei müssen nicht nur die einzelnen Miniaturen, sondern alle Elemente des Buchorganismus betrachtet werden. Die Analyse des „Codex Aureus“ und der anderen Echternacher Handschriften hat ergeben, dass die Miniaturisten auf verschiedene Traditionen zurückgriffen, die sie zu einem neuen „Echternacher“ Stil verbanden. Die Quellen, aus denen sie schöpften, waren dabei die „hauseigene“ Buchmalerei mit den insularen Prunkhandschriften aus den Anfangsjahren des Klosters, daneben die spätantike Buchmalerei, wohl vermittelt über karolingische bzw. ottonische Vorlagen, sowie die karolingische Buchkunst, vor allem die Schulen von Tours und Metz und die Hofschule Karls des GroT ßen, die besonders hinsichtlich der Architekturund Rahmenornamentik Parallelen aufweisen. Prägend wurde vor allem die wenig frühere ottonische Buchmalerei, allen voran die Trierer Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“. Hinzu kamen einige Besonderheiten wie die Vorliebe für Materialimitationen, etwa bei den Stoffzierseiten oder den illusionistischen Goldmünzen bzw. Medaillen. Ein anderes Charakteristikum ist die Vergegenständlichung von Zierelementen, wie sie bei einigen figürlichen Initialen oder den materialisierten Schrifttafeln zu finden ist. Für diese Echternacher Eigentümlichkeiten lassen sich zwar Anregungsquellen – für die Stoffimitationen etwa die um 972 entstandene „Heiratsurkunde der Theophanu“ –, in dieser ausgeprägten Form aber keine unmittelbaren Vorläufer bestimmen. Für keine Echternacher Miniaturseite kann in einer anderen Handschrift eine exakte Vorlage gefunden werden. Allerdings ist im Laufe der Jahrhunderte der größte Teil der mittelalterlichen Handschriften verloren gegangen, und die überlieferten Reste erlauben häufig nur einen ungenauen Eindruck vom einstigen Reichtum der mittelalterlichen Buchkunst. Die Buchherstellung war zwar in hohem Maße Kopistenarbeit, doch finden sich insgesamt unter dem erhaltenen Bestand illuminierter Handschriften keine zwei identischen Exemplare. Auch innerhalb der eng zusammenhängenden Echternacher Gruppe gibt es viele Parallelen, doch keine Überschneidungen von Kompositionen. Jede Handschrift ist ein Unikat. Die große Variationsbreite unterstreicht den Erfindungsreichtum der Miniaturisten. Sie legt aber

Vorbilder und Vorlagen V der Echternacher Buchmaler: Versuch einer Rekonstruktion V des Musterbestands So eng manche Beziehungen zwischen Wandund Buchmalerei im Mittelalter im Bereich der Figurenszenen und Rahmenornamentik erscheinen mögen, so wenig beweisen sie eine personelle Einheit ihrer Schöpfer. Ein berühmtes Beispiel für diese Fehlannahme sind die ottonischen Wandmalereien in der Reichenauer Kirche St. Georg. Der Zyklus mit dem Wunderwirken Christi wurde aufgrund seiner Ähnlichkeit mit Miniaturen in Handschriften wie dem „Codex Egberti“, den beiden „Evangeliaren Ottos III.“ und dem „Perikopenbuch Heinrichs II.“ immer wieder als Beweis für die Lokalisierung dieser Codices auf die Bodenseeinsel und die Existenz einer Reichenauer Malerschule angesehen. Die unbestreitbaren ikonografischen Parallelen zwischen Monumental- und Miniaturmalerei belegen jedoch allein, dass Wandmaler und Miniaturisten nach ähnlichen Vorlagen gearbeitet haben, nicht aber, dass es sich um dieselben Künstler handelt. Die wahrscheinlich aus der Spätantike übernommenen Vorlagen waren überdies in dieser Zeit in Westeuropa und selbst in Byzanz weit verbreitet. Wandmalerei und Buchmalerei sind von Materialien und Techniken deutlich unterschieden. Erfolgt bei der Wandmalerei das Auftragen der kalkvermischten Farben in Fresko- oder Seccotechnik auf einer z. B. mit Kalkmörtel verputzten Wand, handelt es sich bei der Buchmalerei um das Zeichnen und Malen mit Tinte und Deckfarben auf Pergament. Die jeweils spezifischen Werkstoffe und Maltechniken können nicht ohne weiteres in die andere Gattung übertragen werden. Wichtiger noch ist die Feststellung, dass sich die Buchillumination nicht auf Figurenszenen und Rahmen, wie sie auch in der Monumentalmalerei vorkommen können, beschränkt. Das wesentliche Arbeitsfeld der Miniaturisten bestand in medienspezifische Zierformen wie Initialen und Zierseiten. Diese Kunstformen kommen nur in der Buchmalerei vor und erfordern eine spezielle Schulung und eigene Vorlagen. Die grundlegende Aufgabe der Buchkünstler bestand in der Sichtbarmachung der Bedeutung eines Textes bzw. seiner Abschnitte. Ihre Arbeit umfasst damit auch

Vorbilder und Vorlagen der Echternacher Buchmaler V 135

len in karolingischen Büchern wie der „Bibel von Moutier-Grandval“ und der „Vivian-Bibel“ besitzen. Letztere befand sich im 10. Jahrhundert in der Bischofsstadt Metz, zu welcher Echternach in engem Austausch stand, wie etwa das „kleine“ Pariser Evangeliar aus Echternach nahelegt, das möglicherweise von Erzbischof Adalbero III. (1047 – 1072) an die Kathedrale Sankt Stephan in Metz gestiftet wurde. Die „Majestas“-Seite des „Codex Aureus“ stellt mit ihrem Einbezug der Propheten des Alten Testaments eine Verbindung zwischen den entsprechenden Seiten im „Evangeliar der Sainte Chapelle“ und der „Vivian-Bibel“ her, so dass dem Miniaturisten vermutlich eine entsprechende Komposition vorlag. Karolingische Handschriften aus Metz zeichnen sich durch eine sehr insular geprägte Ornamentik aus. Interessant in Bezug auf die Echternacher Buchmalerei sind die Kanontafeln in einigen Metzer Evangeliaren in Paris und Coburg, die Atlanten als Träger der Inschriftenbalken oder des ganzen Architekturgehäuses aufweisen und als eine Anregungsquelle für die kleinen Atlantenfiguren in den Initialen bzw. Kanontafeln der beiden „Goldenen Codices“ gewirkt haben könnten. Auch in der so genannten Hofschule Karls des Großen finden sich Trägerfiguren in den Kanontafeln, u. a. im „Evangeliar von Médard-Soissons“, wo die Evangelistensymbole als Atlanten auftreten (z. B. f. 7v, 9r). Typisch für die Schule sind auch die zahlreichen Medaillonköpfe, die in der Art antiker clipei in die großen Zierrahmen bzw. Schmuckinitialen eingelassen sind, wie in den heute in Abbeville und London befindlichen Evangeliaren zu sehen ist. Die wichtigste Grundlage für die Echternacher Buchmaler war die ottonische Buchmalerei, vor allem die nach Trier lokalisierte Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“, der allgemein als die herausragendste Künstlerpersönlichkeit der Ottonenzeit angesehen wird. Allerdings sind nur die wenigsten ihm zugeschriebenen Miniaturen wirklich eigenhändige Arbeiten, nimmt man das namensgebende Blatt mit „Papst Gregor und seinem Diakon Petrus“ aus der Trierer „Registrum Gregorii“-Handschrift als Zuschreibungsgrundlage. Als eigenhändig können die Miniaturen am Beginn des „Codex Egberti“ angesehen werden, wobei der Meister als Entwerfer auch an anderen Miniaturen des Codex mitwirkte und somit in weit größerem Umfang an dessen Planung betei-

auch nahe, dass das Skriptorium über einen umfangreichen Vorlagenfundus verfügt haben muss, der immer wieder als Grundlage und Anregungsquelle diente. Die insulare Tradition aus der Frühzeit des Klosters ist noch spürbar in der Initialornamentik mit ihren Knotenmotiven, Flechtbändern und geometrischen Strukturen, vielleicht auch der Vorliebe für Figuren- und Tierinitialen. Wie das um 730 entstandene „Thomas-Evangeliar“ zeigt, wurden die insularen Formen schon früh mit spätantiken Elementen verbunden. Möglicherweise dienten anglo-irische Handschriften den Echternacher Buchmalern in konzeptueller Hinsicht als Anregungsquelle für ihre ungewöhnlichen Teppichseiten, welche die Buch- bzw. Kapitelanfänge vieler Echternacher Codices auszeichnen und in keiner anderen Handschriftengruppe der Zeit in dieser ausgeprägten Form nachweisbar sind. Zumindest eine Teppichseite mit einem kreuzförmigen Grundmuster weist etwa das um 730 entstandene „Echternacher Evangeliar“ in der Universitätsbibliothek Augsburg auf (f. 126v). Das „ThomasEvangeliar“ könnte schließlich ein Vorbild für die ungewöhnlichen materialisierten Textzierseiten gewesen sein, die in dieser Vielfalt nur in der Echternacher Buchmalerei vorkommen. Gerade die beiden „Goldenen Codices“, vor allem der Nürnberger „Codex Aureus“, stehen am engsten in der Tradition der Handschriften aus der frühen BlüteT zeit des Echternacher Skriptoriums. Die Verbindung von insularen mit spätantiken Elementen kennzeichnet auch die karolingische Buchmalerei, die eine wichtige Anregungsquelle für die Echternacher Maler darstellte, ohne dass eine bestimmte Handschrift als unmittelbare Vorlage rekonstruiert werden kann. Wahrscheinlicher als eine umfangreiche direkte Kenntnis karolingischer Buchmalerei ist eine vermittelte Rezeption über ottonische Miniaturseiten, besonders die Trierer Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“. Beide Richtungen kennzeichnet die Vorliebe für klare Seitenkompositionen, antikisierende Architektur- und Rahmenornamente, große Flecht- und Rankenwerkinitialen mit farbigen Binnenflächen und die Realiensimulationen, etwa von Gemmen oder Münzen. Dass den Echternacher Buchmalern karolingische Handschriften, besonders aus der Schule von Tours, bekannt waren, zeigen die StreifenminiatuT ren des „Codex Aureus“, die ihre nächsten Paralle-

VI. Der „Codex Aureus“ im Kontext der ottonisch-salischen Buchkunst 136

ligt war, als in der älteren Forschung angenommen (vgl. Fuchs/Oltrogge 2005). Seinen Stil, wenngleich nicht in allen Teilen seine Hand, verraten auch die Miniaturen des mehrfach erwähnten „Evangeliars der Sainte-Chapelle“. So wirken die Evangelistenbilder der Pariser Handschrift im Vergleich zur dortigen „Majestas“-Seite wesentlich flacher und schematischer und sind sehr wahrscheinlich von einem anderen Künstler ausgeführt worden. Bis heute ist nicht geklärt, wo die Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“ ihren Sitz hatte, wie lange sie wirkte und in welchem Verhältnis sie zu Erzbischof Egbert stand. Dass Erzbischof Egbert zumindest mit den Trierer Goldschmieden in engem Kontakt stand, zeigt der in Zusammenhang mit dem Buchdeckel des „Codex Aureus“ erwähnte Brief des Erzbischofs Gerbert von Reims (969 – 989), in welchem dieser bei Egbert die Anfertigung eines goldenen Kruzifix in Auftrag gibt. Alles spricht dafür, dass die Blüte der salischen Buchmalerei in Echternach künstlerisch mit dem „Meister des Registrum Gregorii“ beginnt. Die Verbindung dieses Meisters zu Echternach wird durch zwei Einzelblätter aus seiner Werkstatt unterstrichen, die im 11. Jahrhundert in zwei nachweislich aus Echternach stammende Handschriften eingefügt worden waren. Bereits erwähnt wurde das später herausgeschnittene „Einzelblatt mit dem Evangelisten Markus“ in Sankt Peter im Schwarzwald, das wohl zu Beginn des 11. Jahrhunderts in das merowingische „Echternacher Evangeliar“ in der Augsburger Universitätsbibliothek eingefügt wurde, wie an dem Abdruck der Initialligatur auf der Rückseite des Blattes zu erkennen ist. Bei dem zweiten Stück handelt es sich um eine Miniatur mit dem „Thronenden Willibrord als Erzbischof“ zwischen zwei mit Heiligenscheinen ausgezeichneten Geistlichen, möglicherweise seinen Missionsgefährten (Abb. 101). Sie wurde in ein im dritten Viertel des 11. Jahrhunderts geschriebenes Echternacher Tropar als Illustration vor den Tropen zum Fest des Heiligen eingegliedert (f. 20v). Die Miniatur stammt möglicherweise aus einem um 1000 entstandenen Sakramentar, belegen lässt sich diese Forschungshypothese jedoch nicht. Dem Künstler sind nach Carl Nordenfalk, der ihn der Reichenauer Schule zuordnet, auch die Figuren in den Kanontafeln des „Sainte-

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Werkstatt des „Registrum-Meisters“: Miniatur mit dem W „Heiligen Willibrord“, eingefügt in ein Echternacher Tropar aus dem 3. Viertel des 11. Jahrhunderts (Paris, T Bibliothèque Nationale de France, lat. 10510, f. 20v).

Chapelle-Evangeliars“ zuzuschreiben (Nordenfalk 1972). Nordenfalk sieht ihn auch als Urheber einer Miniatur mit dem „Heiligen Paulus“ in einem dem „Codex Egberti“ nahe stehenden Trierer Epistolar in der Berliner Staatsbibliothek (f. 4v), die durch die unklare Bildräumlichkeit künstlerisch wesentlich schwächer als die Vergleichsbeispiele wirkt. Nordenfalks Gruppierung überzeugt daher nicht. Hinsichtlich des stilistischen Ursprungs der Echternacher Buchmalerei des 11. Jahrhunderts

Vorbilder und Vorlagen der Echternacher Buchmaler V 137

Handschrift trotz zahlreicher Parallelen nicht den ganzen „Codex Aureus“ erklären – für die Streifenminiaturen, die Textzierseiten und viele andere Zierseiten muss nach anderen Vorlagen – für die Idee der Streifenminiaturen etwa die genannten karolingischen Bibeln – gesucht werden. Grundsätzlich ist die Frage nach der Art und Form der Tradierung von Vorlagen zu stellen. Bereits intern gleicht keine Echternacher Handschrift einer anderen; diese Feststellung gilt auch für so eng zusammenhängende Werke wie die beiden „Goldenen Codices“, die beiden Evangelistare oder die „kleinen“ Evangeliare. Sie weisen zwar vielfach ähnliche Szenen und Zierformen auf, im Detail ergeben sich jedoch mehr Unterschiede und Eigenheiten. Sie lassen vermuten, dass in den Skriptorien keine kompletten Handschriften als Vorlagen dienten – was bei kostbaren PrunkcodiV ces, die für auswärtige Besteller geschaffen wurden und in den kirchlichen und klösterlichen Schatzkammern einen fast reliquienähnlichen Status besaßen, ohnehin kaum denkbar wäre –, sondern die Miniaturisten wie in späterer Zeit nach einzelnen Vorlagenblättern, möglicherweise auch aus daraus zusammengesetzten Musterbüchern arbeiteten, wie sie für das Spätmittelalter überliefert sind. Dass solche Musterzeichnungen mit Vorlagen für Miniaturen und andere KunstgattunV gen bereits in ottonischer Zeit existierten, belegen die wenigen erhaltenen Beispiele, die zumeist als Einzelblätter überliefert sind (vgl. Legner 1985, S. 314 – 319). Wie diese Beispiele zeigen, hat man für die Musterbücher in der Regel keine teuren Farben verwandt, sondern überwiegend Zeichnungen zusammengestellt. Dafür spricht auch die Tatsache, dass in den Handschriften zwar immer wieder dieselben Kompositionen und Zierformen auftauchen – sowohl innerhalb eines Skriptoriums wie auch in anderen Schreibstuben –, die Farbigkeit der Szenen wie auch ihre „Ausschmückung“ mit Hintergründen und Staffageelementen aber unterschiedlich ist. Entsprechend legten die Miniaturisten bei der Herstellung einer Handschrift wohl zunächst eine sehr detaillierte, aus dem Musterbuch übernommene Vorzeichnung an, die sie aber bei der anschließenden farbigen Ausgestaltung noch verändern konnten, wie auch im „Codex Aureus“ an vielen Stellen zu sehen ist. Die engen und vielgestaltigen, nicht nur auf das „Sainte-Chapelle-Evangeliar“ beschränkten Paral-

bildet der „Meister des Registrum Gregorii“ eine wichtige, jedoch nicht die alleinige Anregungsquelle. Die Figuren und der monumentale Stil der Echternacher Codices sind auf die Kompositionen des Trierer Meisters zurückzuführen. Diese verbanden die Echternacher Maler mit der „hauseigenen“ Ornamentik, wie sie in den insularen und karolingischen Handschriften des Skriptoriums entwickelt worden war. Hinzu kamen einige „Modernisierungen“ wie die Materialimitationen und die ausgiebige, wohl durch die byzantinische Kunst beeinflusste Verwendung von Purpur auf den Prunkseiten, die auch viele Werke der ottonischen Hofkunst, etwa die „Heiratsurkunde der Theophanu“, prägte. Aus diesen „Zutaten“ schufen die Echternacher Buchmaler im Auftrag der salischen Herrscher einen eigenen Stil, der zu den kostbarsten und innovativsten Kunstschöpfungen der Salierzeit gehört.

Wege der Vermittlung: Echternach und die Trierer Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“ Wie die versuchsweise Rekonstruktion des Musterbestandes der Echternacher Buchmaler ergeben hat, sind neben den älteren insularen und karolingischen Traditionen die engsten ikonografischen und stilistischen Parallelen zur Trierer Buchmalerei des späten 10. Jahrhunderts festzustellen. Die Vorbildhaftigkeit des ebenfalls mit Goldtinte geV schriebenen, wohl um 990/1000 in der Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“ entstandenen „Evangeliars der Sainte Chapelle“ für den „Codex Aureus“ wurde in der Forschung zuletzt von Kahsnitz herausgestellt (vgl. Kahsnitz 1982). Die Übereinstimmungen betreffen nicht nur die Miniaturen, sondern auch die Rahmenornamentik und Gestaltung der Schriftzierseiten. Es wurde sogar erwogen, dass es sich bei dem „Sainte-Chapelle-Evangeliar“ um die Handschrift handelt, die ursprünglich mit dem Buchdeckel des „Codex Aureus“ nach Echternach gestiftet wurde und später von diesem Codex als eine Art „Reinkarnation“ ersetzt wurde (vgl. Boeckler 1933, S. 72 – 73). Allerdings ist nicht bekannt, wo sich das ottonische Evangeliar vor seiner Schenkung an die Sainte Chapelle 1379 befunden hat. Zudem kann die

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lelen zwischen der ottonischen Trierer und der salischen Echternacher Buchmalerei lassen sich am ehesten damit erklären, dass dem Echternacher Skriptorium das Trierer Werkstattmaterial, sei es im Original oder in Kopie, zur Verfügung stand. Damit ist das Echternacher Skriptorium im materiellen wie übertragenen Sinne Erbe der Trierer Buchmalerei unter dem „Meister des Registrum Gregorii“, wobei es dieses Vermächtnis mit anderen Traditionen kreuzte. Dies belegt auch eine zweite mit Trier, Erzbischof Egbert und dem „Meister des Registrum Gregorii“ verbundene Handschrift, welche zudem auf den Vorlagenfundus für den Christuszyklus hinweist, der im „Evangeliar der Sainte-Chapelle“ fehlt: der „Codex Egberti“. Er enthält den mit 51 Miniaturen ältesten ausführlichen Christuszyklus in der westlichen Buchmalerei. Für den „Egbert“Zyklus wurden spätantike, byzantinische und karolingisch-touronische Vorlagen angeführt. Mehr noch als der „Codex Aureus“ weisen die einzel-

„Meister des Registrum Gregorii“, Verkündigung an Maria aus dem „Codex Egberti“ (Trier, Stadtbibliothek, cod. 24, f. 9v).

stehenden Christusszenen in den anderen Echternacher Handschriften auf diese Quelle hin (Abb. 102). Auch hier wurde gemutmaßt, dass der „Codex Egberti“ den Miniaturisten in Echternach im Original vorlag, doch stiftete Egbert das Evangelistar nach seinem Tod dem Trierer Dom, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass Egberts Nachfolger oder die Trierer Domherren den mit einem kostbaren goldenen Buchdeckel versehenen Codex über Jahrzehnte an das Echternacher Skriptorium ausgeliehen hätten. Vergleicht man die Echternacher Christusszenen mit den entsprechenden Miniaturen im „Codex Egberti“, so werden bei allen Gemeinsamkeiten auch hier wieder Unterschiede offensicht-

Echternach und die Trierer Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“ 139

stellten Mönche unterstrichen wird, die als „Augigenses“ bezeichnet werden (Abb. 103). Eher nach Trier als auf die Reichenau weist die Beteiligung des „Meisters des Registrum Gregorii“ bei einigen Miniaturen zu Beginn der Handschrift, die sich durch einen wesentlich plastischeren und „antikeren“ Malstil, den Farbauftrag und die Verwendung von kleinsten Blattgoldornamenten von den übrigen Miniaturen unterscheiden. Diese werden zwei Malern zugeschrieben, die im Umkreis des „Meisters des Registrum Gregorii“ tätig waren. Ein vierter Maler war u.a. für die Dedikations- und Evangelistenbilder zu Beginn der Handschrift zuständig, die von der Forschung dem Reichenauer Skriptorium und dort der so genannten Ruodprecht-Gruppe zugeordnet werden, welche nach dem in der Widmungsminiatur dargestellten Mönch des ebenfalls für den Trierer Erzbischof hergestellten „Egbert-Psalter“ in Cividale benannt ist. Hinsichtlich der Lokalisierung des „Codex Egberti“ auf die Reichenau besteht das Problem, dass weder Widmungsbild noch -gedicht eine Beteiligung des Bodenseeklosters an der Produktion der Handschrift bezeugen, sondern dieses allein als Schenker bezeichnen. Gleiches gilt für den ohne Herkunftsort genannten Geistlichen Ruodprecht im „Egbert-Psalter“, der nach der Widmungsinschrift („Donum fert Ruodprecht …“) explizit als Schenker, nicht als Schreiber oder gar Maler auftritt, ebenso wie wenig später Liuthar im Aachener „Evangeliar Ottos III.“. Die Wunderszenen, wie sie sich erstmals im „Codex Egberti“ finden, gehören zu den beliebtesten Themen der ottonischen Buch- und Wandmalerei. Berühmt sind die Evangeliare und Perikopenbücher, welche die so genannte Reichenauer Schule für die ottonischen Kaiser Otto III. und Heinrich II. angefertigt hat, aber auch die Wandbilder in Sankt Georg in Reichenau-Oberzell. Die Wunderszenen gelten als Verbindungsglied zwischen der „Reichenauer“, der Trierer und der Echternacher Buchmalerei. Trotz zahlreicher Bemü-

lich. Sie lassen vermuten, dass im Echternacher Skriptorium entweder Musterblätter nach dem Trierer Codex vorhanden waren, oder – noch wahrscheinlicher –, dass Vorlagenzeichnungen nach einem älteren Modell existierten, das auch dem Trierer Atelier des „Meisters des Registrum Gregorii“ als Grundlage gedient hatte. Die Echternacher Miniaturisten kombinierten und erweiterten diesen Zyklus mit Vorlagen aus anderen Quellen, etwa bei den für die Echternacher Zyklen typischen Gleichnisszenen. Ebenso wie der Nürnberger „Codex Aureus“ keine sklavische Kopie des „Sainte-Chapelle-Evangeliars“ darstellt, sind die Echternacher Evangelistare keine bloßen Nachahmungen des „Codex Egberti“. Dies belegen nicht nur die Miniaturfolgen, sondern auch die Unterschiede in der Textredaktion sowie die Buchgestaltung inklusive der Verteilung der Miniaturen im Text, die bei jeder Echternacher Handschrift unterschiedlich ist. Der „Meister des Registrum Gregorii“ ist eine kunsthistorische Konstruktion, hinter welcher sich mehrere Malerhände verbergen. Nimmt man das namensgebende Trierer Einzelblatt mit dem „Heiligen Gregor“ als Grundlage für die Händescheidung, so zeigen die darum herum gruppierten Miniaturen teilweise deutliche stilistische Abweichungen, die für einen anderen Miniaturisten, gleichwohl aber dasselbe Atelier sprechen. Dies betrifft die Evangelistenminiaturen im „Evangeliar der Sainte-Chapelle“ ebenso wie das Einzelblatt mit dem „Evangelisten Markus“ in Sankt Peter im Schwarzwald oder die stilistisch unterschiedlichen Evangelisten und Zierseiten im „StrahovEvangeliar“, von denen einige wohl vom „Meister des Registrum Gregorii“ selbst stammen. Zu den berühmtesten Werken des „Meisters des Registrum Gregorii“ gehört der „Codex Egberti“. Er wird in der Forschung zur ottonischen Buchmalerei als Verbindung zwischen der Trierer und „Reichenauer Schule“ gesehen. Dabei stellt paradoxerweise dieses Evangelistar die einzige Grundlage für die vorherrschende Lokalisierung der berühmtesten ottonischen Malerschule auf die Reichenau dar. Tatsächlich deuten auch paläografische Merkmale darauf hin, dass die Handschrift in Trier entstanden ist. Aus dem Widmungsgedicht geht hervor, dass der Codex ein Geschenk der „Augia Felix“, der Reichenau, an Erzbischof Egbert ist, was durch die beiden auf dem Dedikationsbild als Überbringer der Handschrift darge-

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Widmungsminiatur im „Codex Egberti“: W Die Reichenauer Mönche Keraldus und Heribertus überreichen dem thronenden Erzbischof Egbert je eine Handschrift (Trier, Stadtbibliothek, cod. 24, f. 2r).

VI. Der „Codex Aureus“ im Kontext der ottonisch-salischen Buchkunst 140

Echternach und die Trierer Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“ 141

104

Das goldene Buch des Lebens. Detail aus der „Majestas“-Seite des „Codex Aureus“ (f. 2v).

der Salierzeit scheint kaum stattgefunden zu haben. Das Echternacher Atelier wurde gewissermaßen selbst zum Trendsetter der Kunst der Salierzeit und zum bevorzugten Skriptorium des Salierherrschers Heinrich III. (Abb. 104). Der charakteristische Echternacher Stil ist aus verschiedenen Wurzeln erwachsen. So lassen sich die typischen Streifenminiaturen etwa in der karolingischen „Bibel von Moutier-Grandval“ finden, die in Tours um 840 hergestellt wurde. Spätantike Vorbilder wurden u. a. über den in Trier um 980 V entstandenen „Codex Egberti“ vermittelt. Aus derselben Werkstatt des Trierer Gregormeisters stammt auch das „Evangeliar der Sainte-Chapelle“, das mit seiner „Majestas“-Seite, den Evangelistenminiaturen, den Kanontafeln und den Schriftzierseiten die größten Ähnlichkeiten zum „Codex Aureus“ aufweist. Trotz aller Übereinstimmungen ist der „EchterT nacher Codex“ keine einfache Wiederholung der Vorbilder. Indem die Buchmaler die Vorlagen imiV tierten, haben sie diese zugleich modernisiert und dabei einen eigenen, charakteristischer Stil kreiert. Dass sich die Meister des „Codex Aureus“ der Unterschiede der Kunstgattungen und Zeiten bewusst waren und die Übernahmen kein blindes Kopieren, sondern reflektiertes Imitieren waren, zeigen auch die verschiedenen Trompe-l’œil-Motive, etwa die Teppichseiten als Imitationen byzantinischer Seidenstoffe, die Rahmenmedaillons, die Münzen und Siegel nachahmen oder die Textzierseiten, bei welcher die Schrift in materialisierter Form dargeboten wird und eine steinerne Tafel vortäuscht. Entsprechend dem Wunsch der ottonisch-salischen Kaiser nach einer „Renovatio imperii“ könnte man die Echternacher Buchmalerei als „Renovatio artii“ sehen, die ebenfalls nicht nur kopiert, sondern im Rückgriff auf das Alte neu schöpft und mit Selbstbewusstsein und Bewusstsein vorzeigt. Der „Codex Aureus“ ist der schönste Beweis, dass die Kunst der Salierzeit kein bloßes „Anhängsel“, eine „Spätblüte“ oder „Ausklang“ der ottonischen Kunst ist, wie dies bislang von der Kunstgeschichte gesehen wurde, sondern einen eigenen Stil hervorgebracht hat, den es zu würdigen gilt.

hungen ist es der Forschung bislang nicht gelungen, die postulierte „Hauptvorlage“ zu identifizieren, die für alle Malerschulen die Ausgangsbasis war. Sehr wahrscheinlich hat es eine solche nie gegeben. Ein genauer Vergleich der Handschriften zeigt, dass es bei der Gestaltung der Szenen zwar viele Parallelen, aber noch mehr Unterschiede gibt. Sie bestätigen die These, dass die Maler keine kompletten Handschriften, sondern einzelne Mustervorlagen als Grundlage für ihre Kompositionen benutzt haben, bei denen es sich vielfach nicht um farbige Miniaturen, sondern Zeichnungen gehandelt hat, wie die unterschiedliche Farbgestaltung paralleler Kompositionen nahelegt.

Bibliophile „Diademe“: der „Codex Aureus“ als Höhepunkt der Echternacher Buchmalerei Die Echternacher Buchmalerei ist auf vielfältige Weise mit der Kunst der Ottonenzeit verbunden. Dabei griffen die Miniaturisten überwiegend die „klassische“ ottonische Buchmalerei vom Ende des 10. Jahrhunderts auf, weniger jüngere Formen vom Beginn des 11. Jahrhunderts. Von besonderer Bedeutung war das Atelier des Trierer „Meisters des Registrum Gregorii“, das selbst sehr stark auf spätantike bzw. karolingische Vorbilder rekurrierte. Ein Austausch mit der zeitgenössischen Kunst

VI. Der „Codex Aureus“ im Kontext der ottonisch-salischen Buchkunst 142

Handschriftenverzeichnis

1. Illuminierte Echternacher Handschriften des 11. Jahrhunderts: die Gruppe um den „Codex Aureus“

2. Vergleichshandschriften

Ausgehend von der Analyse des „Codex Aureus“ wird folgende neue Chronologie der Handschriftengruppe um den „Codex Aureus“ vorgeschlagen:

Bibel von Moutier-Grandval, Tours, um 840, London, British Library, Add. Ms. 10546

Im Text genannte Vergleichshandschriften, in alphabetischer Reihenfolge:

Codex Egberti, Trier, um 980/85, Trier, Stadtbibliothek, Ms. 24

1. Sakramentar, Darmstadt, Hessische Landesund Hochschulbibliothek, Hs. 1946 (um 1030/40) 2. Evangelistar Heinrichs III., Bremen, Universitätsbibliothek, Ms. b. 21 (um 1040) 3. Evangeliar für Luxeuil, Paris, Bibliothèque Nationale, nouv. acq. 2196 (um 1040/45) 4. Evangelistar für eine Stephanuskirche (?), Brüssel, Bibliothèque Royale, Ms. 9428 (um 1040/45) 6. Lektionar/Epistolar und Evangelistar aus dem Trierer Dom, Trier, Bistumsarchiv, Ms. 95/434 (Domschatz, Hs. 146) (um 1040/45) 5. Codex Aureus Epternacensis, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 156142 (um 1045) 7. Codex Aureus Spirensis (Escorialensis), Madrid, Escorial, Real Biblioteca de San Lorenzo, Cod. Vitrinas 17 (um 1045/50) 8. Codex Caesareus Goslariensis (Upsaliensis), Uppsala, Universitätsbibliothek, Cod. C. 93 (um 1050) 9. Evangeliar für eine Stephanuskirche (?), London, British Library, Ms. Harley 2821 (um 1050/55) 10. Evangeliar, Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 10438 (um 1050/55) 11. Evangeliar, London, British Library, Ms. Egerton 608 (um 1050/55)

Echternacher Evangeliar, Echternach, um 730, Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 9389 Echternacher Evangeliar, ehem. Sammlung Oettingen-Wallerstein, Echternach, um 730, Augsburg, Universitätsbibliothek, Cod. I. 2 4°2 Echternacher Riesenbibel, Echternach, um 1080, Luxemburg, Bibliothèque Nationale, Ms. 264 Egbert-Psalter, Cividale, Museo Archeologico Nazionale, Cod. 136 Einzelblatt mit dem Evangelisten Markus, Trier, Werkstatt des „Meisters des Registrum Gregorii“, um 990/1000, Sankt Peter im Schwarzwald, Bibliothek des ehem. Priesterseminars Einzelblatt mit dem thronenden Kaiser Otto II. (?), Trier, „Meister des Registrum Gregorii“ oder T Werkstatt, um 980/85, Chantilly, Musée Condé, Ms. 14bis Evangeliar von Médard-Soissons, Hofschule Karls des Großen, um 814, Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 8850 Evangeliar, Hofschule Karls des Großen, 1. Drittel 9. Jahrhundert, Abbeville, Bibliothèque Municipale, Ms. 4 Evangeliar, Hofschule Karls des Großen, 1. Drittel 9. Jahrhundert, London, British Library, Harley 2788 Evangeliar aus Metz, Mitte 9. Jahrhundert, Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 9383

143

Evangeliar aus Metz, Mitte 9. Jahrhundert, Coburg, Veste Coburg, Ms. 1 Evangeliar Ottos III., „Reichenau“, um 1000, München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4453 Evangeliar Ottos III., „Reichenau“, um 1000, Aachen, Domschatz Evangeliar der Sainte-Chapelle, Trier, um 990/1000, Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 881 Evangeliar aus Stablo, Stablo, Ende 10. Jahrhundert, Dublin, Chester Beatty Library, Ms. 17

Registrum Gregorii (Fragment) und Einzelblatt mit dem thronenden Papst Gregor dem Großen, Trier, „Meister des Registrum Gregorii“ und Werkstatt, um 980/85, Trier, Stadtbibliothek, Hs. 171/1626

Heiratsurkunde der Theophanu, 972 (?), Wolfenbüttel, Niedersächsisches Staatsarchiv, 6 Urkunde 11

Thiofrid: Flores epytaphii sanctorum, Echternach, Anfang 11. Jahrhundert, Gotha, Forschungsund Landesbibliothek, Memb. I 70 Thomas-Evangeliar, Echternach, um 730, Trier, Domschatz, Cod. 134/61 Trierer Epistolar, Trier, um 980/90, Berlin, StaatsT bibliothek, Ms. theol. lat. fol. 34

Sakramentar aus Echternach, Echternach, um 895/900, Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 9433 Strahov-Evangeliar, Trier, „Meister des Registrum Gregorii“ und Werkstatt, um 980/90, Prag, Bibliothek des Klosters Strahov, Ms. DF III 3

Perikopenbuch Heinrichs II., „Reichenau“, um 1012, München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4452 Psalter aus Echternach, 8. Jahrhundert, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. bibl. fol. 12 a–c

Vivian-Bibel, Tours, um 845/46, Paris, BiblioV thèque Nationale, lat. 1

Handschriftenverzeichnis 144

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Literaturverzeichnis 148

Register

Nicht aufgeführt sind häufig vorkommende Begriffe wie „Codex Aureus“ (Epternacensis), Nürnberg und Bibliotheksorte. Werktitel erscheinen kursiv.

Einzelblatt mit dem thronenden Papst Gregor dem Großen 136, 140 Einzelblatt mit dem thronenden Willibrord als Erzbischof 137 Erfurt 18 Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg 20 Eusebius von Caesarea, Bischof 39, 47, 48 Evangeliar von Luxeuil 128, 130, 132 Evangeliar von Médard-Soissons 136 Evangeliar Ottos III. (Aachen) 40, 135, 140 Evangeliar Ottos III. (München) 40, 49, 135 Evangeliar der Sainte-Chapelle 11, 41, 49, 65, 79, 136 – 138, 140, 142 Evangeliar aus Stablo 45, 46 Evangelistar Heinrichs III. (Bremer Evangelistar) 118, 121, 122, 127, 129, 133 Evangelistar für eine Stephanskirche (Brüsseler Evangelistar) 128 Evangelist (Evangelistenbilder) 39, 41, 44, 65, 67, 79, 92, 95, 103, 108, 109, 124, 127, 132, 137, 140, 142 Evangelistensymbol 10, 24, 30, 41, 65, 79, 92, 107, 136

Aachen 132 Adalbero III., Erzbischof von Metz 136 Agnes, Kaiserin 121, 124, 127 Bertels, Johannes 133 Bibel von Moutier-Grandval 54, 136, 142 Boston 22 Bremen 121, 128 Bruschius, Caspar 16 Byzanz 24, 40, 41, 50, 53, 124, 135, 138, 139, 142 Carl Eduard, Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha 21 Coburg 21, 23 Codex Aureus Escorialensis (Evangeliar Heinrichs III.) 10, 108, 122, 124, 127, 132, 136, 138 Codex Caesareus 11, 127, 128, 130 Codex Egberti 10, 21, 57, 69, 108, 112, 122, 135 – 137, 139, 140, 142 Crux gemmata 24, 28

Franken 32 Frankfurt 33 Franz I. von Frankreich 16 Friesland 32, 33 Fulda 32

Damasus I., Papst 39, 45 Deutscher Meister 28 Dokkum 32 Durand, Ursin 16 Dussler, Luitpold 23

Gerbert von Aurillac (Papst Sylvester II.) 33, 137 Gisela, Kaiserin 122, 124, 133 Goldast von Haiminsfeld, Melchior 121 Goslar 127 Gotha 20, 109 Grote, Ludwig 21 – 23

Echternacher Evangeliar (Paris) 130 Echternacher Evangeliar (Augsburg) 131, 136, 137 Echternacher Riesenbibel 20 Echternacher Sakramentar (Darmstädter Sakramentar) 18, 35, 128, 129 Egbert, Erzbischof von Trier 11, 24, 28, 33, 34, 137, 139, 140 Egbert-Psalter 140 Eifel 32 Einzelblatt mit dem Evangelisten Markus 137, 140

Heinrich II. 14, 140 Heinrich III. 16, 118, 121, 122, 124, 127 – 130, 133, 142 Heinrich IV. 133

149

Perikopenbuch Heinrichs II. 10, 100, 135 Peterskloster (Erfurt) 18 Pippin II. 31 Poppo, Erzbischof von Trier 133, 134 Poppo von Stablo-Malmedy, Abt 133, 134 Prophet 41

Heinrich V. 14 Heinrich von Luxemburg, Graf 121 Heinrich der Zänker 33 Heiratsurkunde der Theophanu 135, 138 Henning, Arno 23 Heuss, Theodor 21 Hrabanus Maurus 44 Humbert, Abt 128, 132 – 134 Hüpsch, Baron von 18

Ravanger, Abt 34, 132 Regensburg 129 Reginbert, Abt 133 Registrum Gregorii 136 Reichenau 9, 129, 135, 140 Reims 33, 132 Rorimer, James Joseph 22

Insulare Buchmalerei 46, 47, 129, 131, 132, 136, 138 Kanontafel 10, 39, 47 – 50, 131, 132, 136, 137, 142 Karl der Große 32, 135, 136 Karl V. von Habsburg 16 Karolinger 33, 40, 54, 129, 132, 135, 136, 138, 139, 142 Keiffer, Constantin 20 „Kleines“ Echternacher Evangeliar (Paris) 136 Köln 32 Konrad II. 14, 122

Salier 9, 10, 14, 129, 132 – 134, 138, 139, 142 Sankt Benedikt 24, 30, 32, 33 Sankt Bonifatius 24, 30, 32, 133 Sankt Gallen, Kloster 132 Sankt Georg (Reichenau-Oberzell), Kirche 135, 140 Sankt Hieronymus, Kirchenvater 39, 45, 127 Sankt Liudger 24, 30, 32 Sankt Maria 24, 30, 31, 33, 133 Sankt Maximin in Trier, Reichskloster 34, 132, 133, 134 Sankt Peter, Pfarrkirche 134 Sankt Petrus 24, 30, 31, 103 Sankt Simon und Judas, Stift 127 Sankt Stephan, Kathedrale von Metz 136 Sankt Willibrord 16, 24, 30 – 33, 130, 133 Sergius, Papst 31 Sigfried, Graf 32 Speyer 122, 124 Strahov-Evangeliar 140

Liber Aureus von Echternach 20 Lindisfarne, Kloster 130 Lucas van Leyden 22, 23 Ludwig der Deutsche 40 Luxemburg 20 Magdeburg 32, 34 Mainz 32 Majestas Domini 10, 28, 38 – 40, 41, 45, 48, 65, 108 – 110, 112, 113, 121, 124, 136, 137, 142 Malberg, Burg 16 Martène, Edmund 16 Maugerard, Jean Baptiste 20 Meister des Registrum Gregorii (RegistrumMeister, Gregormeister) 11, 108, 112, 129, 132, 134 – 140, 142 Memleben 32 Metz 128, 132, 135, 136 München 21, 23 Münster 32

Teppichseite 36, 39, 50, 53, 54, 69, 79, 95, 124, T 127, 129, 135, 136, 142 Theophanu 10, 14, 16, 18, 21, 24, 30 – 35 Thiofrid, Abt 20, 133 Thietmar von Merseburg 34 Thomas-Evangeliar 45, 46, 49, 129, 131, 132, 136 Thüringen 32 Tours 132, 135, 136, 139, 140 T Trier 9 – 11, 20, 24, 28 – 30, 33, 34, 54, 108, 129, T 132, 134 – 140, 142 Trierer Epistolar 137 T

New York 21 Otfried von Weißenburg 40 Otto I. 32, 132 Otto II. 16, 18, 33, 34 Otto III. 10, 14, 16, 21, 24, 30 – 35, 140 Ottonen 9, 14, 16, 24, 28, 30, 31, 34, 35, 49, 127, 129, 132, 134 – 136, 138, 139, 142

Urold, Abt 133 Utrecht 31 – 33 V Vivian-Bibel 41, 136

Paradiesfluss 24, 30 Paris 20

Werden 32

Register 150

Abbildungsnachweis

Bibliothèque nationale de France, Paris: Abb. 20, 101.

Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden/Universitätsbibliothek, Bremen: Abb. 93, 94.

Robert Fuchs/Doris Oltrogge, Fachhochschule Köln: Abb. 83, 85, 87, 89.

Stadtbibliothek, Trier: Abb. 102, 103. The Trustees of the Chester Beatty Library, Dublin: Abb. 23.

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg (Fotoarchiv): Abb. 1 – 3, 6 – 19, 21, 22, 24 – 42, 49, 51 – 83, 86, 88, 90 – 92, 99, 104.

Universitätsbibliothek, Augsburg. Abb. 98.

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg (Christian Heuer): Abb. 43 – 48, 50.

Universitätsbibliothek, Uppsala: Abb. 97.

G. Ulrich Großmann, Fürth: Abb. 4, 100.

Universitäts- und Landesbibliothek, Darmstadt: Abb. 5.

Patrimonio Nacional/El Escorial, Real Biblioteca de San Lorenzo: Abb. 95, 96.

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Dank

Das Buch hätte ohne die großzügige Unterstützung, die vielfältigen Hinweise und die Kritik von Kollegen und Freunden nicht realisiert werden können. Der Dank gilt besonders Annika Dix, Barbara Eggert, Michele C. Ferrari, Ulrich Großmann, Simone Hänisch, Christian Heuer, Frank Heydecke, Ada Hinkel, Sabine Lata, Eef Overgaauw, Ralf Schürer, Eberhard Slenczka, Silvia Uhlemann und Jutta Zander-Seidel.

Zu danken ist vor allem Robert Fuchs und Doris Oltrogge (Fachhochschule Köln) für die umfangreiche Bereitstellung und Diskussion der Ergebnisse ihrer im Juli 2006 durchgeführten technologischen Untersuchung des „Codex Aureus“, die Grundlage für die Überlegungen zur Herstellung des Codex waren. Eine ausführliche Publikation ihrer Untersuchungsergebnisse in der Reihe der Wissenschaftlichen Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums ist in Vorbereitung.

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