Christlich-Soziale Union: Politisches Kapital und zentrale Herausforderungen der CSU im 21. Jahrhundert [1. Aufl.] 9783658307301, 9783658307318

Die CSU steht vor großen Herausforderungen: Die Partei muss Reformen entschlossen anpacken, um dauerhaft zukunftsfähig z

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German Pages X, 315 [314] Year 2020

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Front Matter ....Pages I-X
Front Matter ....Pages 1-1
Christlich-Soziale Union als politisches Kapital und aktuelle Herausforderung der CSU: Zur Einführung in den Gegenstand (Martin Sebaldt, Gerhard Hopp, Benjamin Zeitler)....Pages 3-20
Front Matter ....Pages 21-21
Das Kapital der Geschlossenheit: Die CSU als Verkörperung regionaler Identität in Bayern und Deutschland (Anton Preis)....Pages 23-40
Die bayerische Identität der CSU im Zeitalter von Europäisierung und Globalisierung (Manfred Weber)....Pages 41-52
Front Matter ....Pages 53-53
Das Kapital der Wertbindung: Die CSU als parteipolitische Verkörperung christlicher Ethik (Reiner Anselm, Philipp W. Hildmann)....Pages 55-74
Herausforderungen des Relativismus: Die christliche Ethik der CSU im Zeitalter der Säkularisierung (Martin Sebaldt)....Pages 75-96
Front Matter ....Pages 97-97
Die CSU als zeitlose Volkspartei im Spiegel ihrer modernen Programmatik (Markus Blume)....Pages 99-120
Herausforderungen des Zuschnitts: Die Programmatik der CSU im Zeitalter parteipolitischer Polarisierung (Christian Deutschländer)....Pages 121-138
Front Matter ....Pages 139-139
Die Wählerschaft der CSU im Wandel (Gerhard Hirscher)....Pages 141-159
Herausforderungen der Distanz: Die soziale Verankerung der CSU in Stadt und Land im Zeitalter der Individualisierung (Franz Löffler)....Pages 161-179
Die Balance zwischen Kontinuität und Wandel: Die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise der CSU (Thomas Huber)....Pages 181-202
Front Matter ....Pages 203-203
Das Kapital der Realpräsenz: Die CSU als lebendige Parteiorganisation (Gerhard Hopp, Benjamin Zeitler)....Pages 205-224
Herausforderungen der Digitalisierung: Die Organisation der CSU im Zeitalter der Virtualität (Dorothee Bär, Judith Gerlach)....Pages 225-242
Front Matter ....Pages 243-243
Das Kapitel des Bewährten: Die CSU als professionelle Führungskraft in Bayern und der Bundespolitik (Sebastian Kraft)....Pages 245-254
Zusammenführen statt Spalten – Politische Führung im Zeichen des Populismus (Udo Zolleis, Michael Opitz)....Pages 255-274
Front Matter ....Pages 275-275
Christlich-Soziale Union – Modell mit Zukunft? Politisches Kapital und aktuelle Herausforderungen der CSU in der wissenschaftlichen Bilanz (Martin Sebaldt, Gerhard Hopp, Benjamin Zeitler)....Pages 277-315
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Christlich-Soziale Union: Politisches Kapital und zentrale Herausforderungen der CSU im 21. Jahrhundert [1. Aufl.]
 9783658307301, 9783658307318

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Martin Sebaldt Gerhard Hopp Benjamin Zeitler Hrsg.

ChristlichSoziale Union Politisches Kapital und zentrale Herausforderungen der CSU im 21. Jahrhundert

Christlich-Soziale Union

Martin Sebaldt · Gerhard Hopp · Benjamin Zeitler (Hrsg.)

Christlich-Soziale Union Politisches Kapital und zentrale Herausforderungen der CSU im 21. Jahrhundert

Hrsg. Martin Sebaldt Institut für Politikwissenschaft Universität Regensburg Regensburg, Deutschland

Gerhard Hopp Runding, Bayern, Deutschland

Benjamin Zeitler Weiden, Bayern, Deutschland

ISBN 978-3-658-30730-1 ISBN 978-3-658-30731-8  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Jan Treibel Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Inhaltsverzeichnis

Einführung und Grundlagen Christlich-Soziale Union als politisches Kapital und aktuelle Herausforderung der CSU: Zur Einführung in den Gegenstand . . . . . . . 3 Martin Sebaldt, Gerhard Hopp und Benjamin Zeitler Bayerische Identität Das Kapital der Geschlossenheit: Die CSU als Verkörperung regionaler Identität in Bayern und Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Anton Preis Die bayerische Identität der CSU im Zeitalter von Europäisierung und Globalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Manfred Weber Christliche Ethik Das Kapital der Wertbindung: Die CSU als parteipolitische Verkörperung christlicher Ethik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Reiner Anselm und Philipp W. Hildmann Herausforderungen des Relativismus: Die christliche Ethik der CSU im Zeitalter der Säkularisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Martin Sebaldt

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Programmatik Die CSU als zeitlose Volkspartei im Spiegel ihrer modernen Programmatik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Markus Blume Herausforderungen des Zuschnitts: Die Programmatik der CSU im Zeitalter parteipolitischer Polarisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Christian Deutschländer Soziale Verankerung Die Wählerschaft der CSU im Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Gerhard Hirscher Herausforderungen der Distanz: Die soziale Verankerung der CSU in Stadt und Land im Zeitalter der Individualisierung. . . . . . . . . . . . . . . . 161 Franz Löffler Die Balance zwischen Kontinuität und Wandel: Die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise der CSU. . . . . . . . . . . . . . . 181 Thomas Huber Organisation Das Kapital der Realpräsenz: Die CSU als lebendige Parteiorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Gerhard Hopp und Benjamin Zeitler Herausforderungen der Digitalisierung: Die Organisation der CSU im Zeitalter der Virtualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Dorothee Bär und Judith Gerlach Politische Führung Das Kapitel des Bewährten: Die CSU als professionelle Führungskraft in Bayern und der Bundespolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Sebastian Kraft Zusammenführen statt Spalten – Politische Führung im Zeichen des Populismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Udo Zolleis und Michael Opitz

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Bilanz und Folgerungen Christlich-Soziale Union – Modell mit Zukunft? Politisches Kapital und aktuelle Herausforderungen der CSU in der wissenschaftlichen Bilanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Martin Sebaldt, Gerhard Hopp und Benjamin Zeitler

Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Reiner Anselm,  Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie und Ethik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dorothee Bär, Dipl.-Pol., Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Bad Kissingen, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung. Markus Blume, Dipl.-Pol.,  Mitglied des Bayerischen Landtags für den Stimmkreis München-Ramersdorf und Generalsekretär der CSU. Christian Deutschländer, Dipl.-Pol.,  Ressortleiter Politik und Hintergrund beim Münchner Merkur. Judith Gerlach, Ass. iur.,  Mitglied des Bayerischen Landtags für den Stimmkreis Aschaffenburg-Ost und Staatsministerin für Digitales der Bayerischen Staatsregierung. Dr. Philipp W. Hildmann, Leiter des Kompetenzzentrums Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Interkultureller Dialog im Planungsstab der ­Hanns-SeidelStiftung e. V. Dr. Gerhard Hirscher,  Referatsleiter für Grundlagen der Demokratie, Parteienentwicklung und Wahlforschung im Planungsstab der Hanns-Seidel-Stiftung e. V. Dr. Gerhard Hopp, M.A., Politikwissenschaftler, Mitglied des Bayerischen Landtags für den Stimmkreis Cham und Mitglied des Landtagspräsidiums. Thomas Huber, MBA, Mitglied des Bayerischen Landtags für den Stimmkreis Ebersberg und stellv. Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie.

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Autorenverzeichnis

Sebastian Kraft, M.A.,  Pressesprecher in der Bayerischen Staatsverwaltung. Franz Löffler, VFW,  Landrat des Landkreises Cham und Bezirkstagspräsident der Oberpfalz. Michael Opitz, Dipl.-Pol., MBA,  Politischer Referent Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber im Europäischen Parlament.

des

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Dr. Anton Preis,  Pressesprecher in der Bayerischen Staatsverwaltung. Prof. Dr. Martin Sebaldt, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Politikwissenschaft (Schwerpunkt Westeuropa) der Universität Regensburg. Manfred Weber, Dipl.-Ing., Stellv. Parteivorsitzender der CSU, Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei. Dr. Benjamin Zeitler, M.A.,  Politikwissenschaftler, CSU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat der kreisfreien Stadt Weiden in der Oberpfalz. Prof. Dr. Udo Zolleis,  Honorarprofessor für Politikwissenschaft der Universität Tübingen.

Einführung und Grundlagen

Christlich-Soziale Union als politisches Kapital und aktuelle Herausforderung der CSU: Zur Einführung in den Gegenstand Martin Sebaldt, Gerhard Hopp und Benjamin Zeitler 1 Christlich-Soziale Union als Kapital und Herausforderung: Zur Fragestellung Die „CSU-Hegemonie in Bayern“ (Mintzel 1998) scheint Geschichte. Insbesondere seit der letzten Landtagswahl von 2018 ist der Verlust der absoluten Mehrheit kein einmaliger Betriebsunfall mehr, sondern erneuert eine Erfahrung, die Bayerns Christsoziale schon im Jahre 2008 machen mussten. Und jüngste Verlautbarungen des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder deuten darauf hin, dass sich die Partei deshalb langfristig auf ein derartiges Szenario und damit auf das Erfordernis von Koalitionsregierungen einrichtet (Wittl 2019), zumal die derzeitige Zusammenarbeit mit den Freien Wählern gut funktioniert. Gleichwohl ist bei solchen Prognosen Zurückhaltung angesagt, denn schon 2008 stimmten viele Beobachter schadenfroh einen politischen Schwanengesang auf die CSU an, der im Nachgang Lügen gestraft wurde: Mit „Servus, Volkspartei CSU“ betitelte der SZ-Redakteur Kurt Kister seinen ausgesprochen

M. Sebaldt (*)  Institut für Politikwissenschaft, Universität Regensburg, Regensburg, Deutschland E-Mail: [email protected] G. Hopp  Runding, Deutschland B. Zeitler  Weiden, Deutschland © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_1

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kritischen Kommentar zum Abschneiden der bayerischen Christsozialen: Vorbei seien die Zeiten, „als die bayerischen Lodenmachos gelegentlich sogar ihre große Schwesterpartei überholten“, und übrig bleibe von der CSU am Ende nur ein „CDU-Landesverband in Dirndl und Lederhose“ (Kister 2008). Auch schon im Vorfeld der damaligen Wahlen war von einer ‚dräuenden‘ „Götterdämmerung“ (Auer et al. 2008) und einer „Lethargie im Stoiberland“ (Effern 2008) die Rede. Der bayerische Urnengang 2013 belehrte diese politischen Auguren eines Besseren: Die CSU gewann unter Horst Seehofer die absolute Landtagsmehrheit zurück, und das Experiment einer bayerischen Koalitionsregierung war einstweilen Geschichte. Wenn diese Entwicklung also eines lehrt, dann doch dies: Erfolg und Misserfolg einer Partei sind von vielen Faktoren abhängig und schwerlich mit pauschalen Daumenpeilungen zu ermessen, und ein differenzierter und mit innerem Abstand vorgenommener Blick sollte eigentlich vor solchen Schnellschüssen bewahren. Wir haben bereits 2010 – und damit weit im Vorfeld der CSU-Renaissance des Jahres 2013 – vor solch gewagten Prognosen gewarnt und Bayerns Christsozialen auf Basis einer umfänglichen Bestandaufnahme (Hopp et al. 2010a) ein gutes Zeugnis ausgestellt (Sebaldt 2010). Insoweit ist uns die jetzige Situation nicht ganz unbekannt: Nach dem erneuten Verlust der absoluten Landtagsmehrheit und auch nach den durchwachsenen Bundestags- und Europawahlergebnissen 2017 und 2019 ist es wieder chic geworden, dem Volksparteienanspruch der CSU ein überhebliches „Servus“ entgegenzuhalten. Gleichwohl soll damit nicht der Eindruck erweckt werden, als sei der Erfolg der CSU aus unserer Warte lediglich von politisch-konjunkturellen Schwankungen temporär beeinträchtigt und ansonsten generell ungefährdet. Ganz im Gegenteil gehen wir davon aus, dass eine dauerhaft angelegte Erfolgsbilanz letztlich doch von der professionellen Erfüllung des Pflichtenhefts abhängt, dem moderne Volksparteien generell und Bayerns Christsoziale im Besonderen unterworfen sind – langfristig angelegte Aufgaben und Befähigungen also, die nicht nur von aktuellen bzw. punktuellen Ereignissen (Wahlen, Eurokrise, Pandemiebekämpfung etc.) abhängig, sondern strukturell angelegt und damit auch ebenso langfristig gewachsen sind. Wie dieses Pflichtenheft im Einzelnen aussieht, wird anschließend genauer erläutert. Vorab soll jedoch ein Spannungsfeld, ja letztlich Dilemma benannt werden, dem gerade traditionsreiche Volksparteien und damit auch die CSU besonders ausgesetzt sind und die Bestimmung der politischen ‚Marschkompasszahl‘ zur zentralen Herausforderung macht: Welchen Stellenwert soll die bisherige Tradition für die künftige Parteiarbeit haben, und ist wirklich etwas damit

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gewonnen, dass man parteipolitische Besitzstände zugunsten von Neuerungen aufgibt? Schon das Wortspiel unseres Buchtitels verweist auf diese Problemstellung und schneidet sie zugleich auf das Spannungsfeld zu, dem die CSU ausgesetzt ist: Denn „Christlich-Soziale Union“ ist ja nicht nur der Vollname, der hinter dem üblicherweise verwendeten Parteikürzel steht, sondern verkörpert auch den eigenen Anspruch, nicht nur eine Volkspartei im Allgemeinen zu sein. Die CSU versteht sich darüber hinaus als christliche Volkspartei, was sie von nichtchristlich definierten Konkurrenten unterscheidet (Oberreuter 2007), als soziale Organisation, die sich von liberal-elitären Gruppierungen absetzt (Weigl 2013, S. 55–60), und sie ist nicht nur mit Blick auf die Schwesterpartei CDU, sondern vor allem wegen ihres umfassenden gesellschaftlichen Vertretungsanspruchs dem Unionsgedanken verpflichtet (Hermannseder 2014). Dies herauszustellen heißt aber zugleich schon die zentralen Herausforderungen zu benennen, die auf die CSU deshalb künftig zukommen und ihre parteipolitische Arbeit maßgeblich prägen werden: Denn erstens kann ein konfessionell geprägtes Parteiverständnis dann zum existentiellen Problem werden, wenn die christliche Prägung der Gesellschaft schwindet. Zweitens wird ein sozial-inklusives Selbstverständnis zur Herausforderung, wenn sich eben diese Gesellschaft durch Individualisierungsprozesse zunehmend segmentiert und an innerem Zusammenhalt verliert. Und drittens wird ein Unions-Anspruch dann brüchig, wenn Polarisierungsprozesse diese Gesellschaft wiederum in Lager spalten und elitäre populistische Bewegungen Konjunktur haben, die genau mit dem gegenteiligen Programmangebot Erfolge erzielen. Damit soll keineswegs pauschal in den Raum gestellt werden, dass Bayerns Gesellschaft sich generell auf solchen Entwicklungspfaden befände. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass christliches Gepräge, Solidarprinzip und Unionsgedanke nicht nur der CSU, sondern auch der Masse der hiesigen Bevölkerung nach wie vor eigen sind. Und doch sind Trends im Auge zu behalten, die in diese Richtung deuten: Die konfessionellen Bindungen schrumpfen merklich, und der Stadt-Land-Gegensatz sowie das Auseinanderdriften spezifischer sozialer Milieus erodieren das gesamtbayerische Solidarverständnis. Und auch polarisierende Populismen haben Bayern nicht nur in Gestalt der AfD längst erreicht; ihre Wahlerfolge zeigen, dass man es sich zu einfach machen würde, wollte man sie als vermeintlich temporäre Erscheinungen einfach ignorieren (Friedrich 2019). Auf diesem Problemhintergrund fragt die Studie deshalb gezielt und auch bewusst so zugespitzt, ob eine „Christlich-Soziale Union“ unter diesen Bedingungen ein Modell mit Zukunft ist. Dabei gilt es die bisherigen Leistungen bzw. Stärken der CSU, mithin ihr „politisches Kapital“, sinnvoll gegen die

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„zentralen Herausforderungen“ der kommenden Jahrzehnte abzuwägen. Das ist das zentrale Erkenntnisinteresse des vorliegenden Bandes, und die restlichen Passagen dieser Einführung werden nun genauer erschließen, wie dem konkret entsprochen werden soll.

2 Das Pflichtenheft einer Volkspartei: Das Profil der CSU im systematischen Zugriff Die CSU versteht sich als Volkspartei. Damit ist auch parteientheoretisch ein hoher Anspruch verknüpft. Otto Kirchheimer zufolge haben vor allem das Verschwimmen sozialer Milieugrenzen und die immer stärkere Orientierung am elektoralen Nutzenmaximierungsprinzip zur Entwicklung der „Allerweltspartei“ (catch all party) geführt (Kirchheimer 1965). Strukturell und programmatisch ist dieser Parteitypus also ein Produkt gesamtgesellschaftlicher Wandlungsprozesse, die westliche Demokratien vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg generell kennzeichnen. Der Terminus „Allerweltspartei“ ist im Wesentlichen deckungsgleich mit dem deutschen Volkspartei-Begriff, und Kirchheimer postuliert dabei auch, dass diese Organisationsform durch die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit älterer Parteitypen bzw. deren Diskreditierung zur dominierenden Organisationsform geworden sei. Volksparteien weisen demzufolge mehrere funktionale und strukturelle Merkmale auf, die sie deutlich von anderen Parteiformen unterscheiden und die als Beurteilungsmaßstab für die vorliegende Studie von besonderem Interesse sind (Mintzel 1984, S. 103–104): In funktionaler Hinsicht bieten sie ein breites, alle gesellschaftlichen Gruppen ansprechendes Programm; ihr Selbstverständnis ist das eines Trägers von Gemeinwohlinteressen und eines sozialen Schlichters zwischen konkurrierenden sozialen Gruppeninteressen; und nicht zuletzt dienen sie als Sozialisationsagentur für nachwachsende politische Eliten. Strukturell betrachtet werden sie diesen Erfordernissen vor allem durch eine flächendeckende Organisation gerecht, mit der sie nicht nur Wähler und Mitglieder an sich binden, sondern auch die eigenen Parteieliten formieren und nicht zuletzt eine geregelte innerparteiliche Willensbildung ermöglichen. All dies dient als Voraussetzung für den zentralen Lebenszweck einer Volkspartei: die Erlangung politischer Macht und die Übernahme staatlicher Verantwortung (Kronenberg und Mayer 2009). Dieses allgemeine Anforderungsprofil gilt demzufolge auch für die CSU (Kießling 2004; Zolleis und Wertheimer 2013). Und doch bliebe das Bild zu blass, wenn man es nicht um das spezifische Lokalkolorit ergänzte, dem die Christsozialen ebenfalls entsprechen müssen, um den Volksparteienanspruch

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authentisch und glaubhaft zu verkörpern: Neben die allgemeinen Aufgaben einer umfassenden Programmatik, breiter sozialer Verankerung, flächendeckender Organisation und der Übernahme politischer Führungsfunktionen tritt deshalb zum einen das aus ihrer regionalen Verankerung erwachsende Erfordernis, bayerische Identität authentisch zu verkörpern (Mintzel 1975). Zum anderen erwächst aus dem christlichen Selbstverständnis der CSU die Erwartung, auch die christliche Ethik parteipolitisch zu repräsentieren (Kirchmann 1985). Insgesamt sechs Kernaufgaben resultieren daraus, die nachfolgend in gebotener Kürze charakterisiert werden.

2.1 Bayerische Identität „Liberalitas Bavarica“ umschreibt seit dem 18. Jahrhundert die grundsätzliche Lebenseinstellung der bayerischen Bevölkerung und der in der Bayernhymne besungenen Stämme. Die über Jahrhunderte gewachsene politische Ordnung nahm durch die Gründung des Königreichs Bayern 1806 und die Schaffung der Verfassung von 1818 erstmals moderne und wegweisende Konturen an, die Schritt für Schritt zum heutigen demokratischen Verfassungsstaat führten. Bayern vereint in sich eine heterogene Kulturlandschaft (Treml 2006). Eine Landschaft, welche auf starken Regionen sowie Städten und Gemeinden fußt. Das damit verbundene Lebensgefühl bedeutete Respekt gegenüber der Unterschiedlichkeit, in einer kulturellen Leichtigkeit sowie im Selbstbewusstsein der reichen Geschichte der einzelnen Gebiete, welche sich gegenseitig ergänzend zu einem wachsenden Gemeinschaftsgefühl führten. Bis in die heutige Zeit ist dies identitätsstiftend. Es erklärt, warum gerade in Bayern die Menschen sich überdurchschnittlich stark vor Ort für das Miteinander engagieren, aber auch die Skepsis gegenüber dominanten Machtzentralen so ausgeprägt ist. Subsidiarität, also die selbstbestimmte Übernahme von Verantwortung vor Ort bei gleichzeitiger überörtlicher Bündelung von Kräften dort, wo notwendig (Nell-Breuning 1990), trägt folglich zum Profil der bayerischen Identität ebenfalls maßgeblich bei. Freilich soll das die historischen Brüche nicht überdecken, denen Bayern in den letzten beiden Jahrhunderten ausgesetzt war und die gleichfalls identitätsbestimmend waren. Insbesondere seit der Rekonstituierung des Freistaats im Dezember 1946 begann sich das Selbstverständnis der Menschen im Angesicht der Zerstörung des Landes durch die verbrecherische Politik der NS-Diktatur nachhaltig zu verändern. Die Vorbehalte gegenüber einem zentralistischen Staat hatten sich dadurch fest eingegraben und der Wunsch nach einer nachhaltigen

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Friedensordnung für ganz Europa war allgegenwärtig. Bayern trat in weiten Teilen als geschichtlich unbelasteter Ersatz an die Stelle des deutschen Nationalstaates, wenn es um die Identifikation mit einem staatlichen Gemeinwesen ging (Kock und Treml 2006). Mit der Entnazifizierung durch die US-amerikanische Besatzungsmacht und durch eine demokratiefördernde politische Bildung der bayerischen Bevölkerung sollten die Grundlagen für ein neues Gesellschaftsmodell gelegt werden. Die politische Neuordnung erfolgte im Bewusstsein, aus den Fehlern zu lernen, und mit dem Versprechen, dass die Verbrechen der jüngeren Vergangenheit sich nicht wiederholen sollten. Bei diesem Neuaufbau einer arbeitsteiligen Gesellschaftsordnung, mit dem Ziel, keine Machtkonzentrationen mehr zuzulassen, spielten in Bayern aber tagesaktuelle Herausforderungen, wie z. B. die Integration von über zwei Millionen Heimatvertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, eine wesentliche Rolle (Ohlbaum 1980). Der Wiederaufbau des durch die Agrarwirtschaft stark geprägten Landes stand im Vordergrund, um die Versorgung in dem knapp neun Millionen Einwohner zählenden Gebiet sicherzustellen und den Menschen eine Perspektive zu geben. Was Identität und Zusammenhalt schaffte, war das gemeinsame Anliegen, die Not zu lindern. Alle diese Leistungen haben in den darauffolgenden Jahrzehnten nichts an Wertschätzung verloren, aber die auch in Bayern neu zu bewältigenden Aufgaben sind eben dazugekommen: Generationenkonflikte im Gefolge der 68er-Bewegung, die Wandlung vom Agrarstaat zu einer boomenden High-Tech-Region, die Wiedervereinigung Deutschlands, die fortschreitende ­ europäische Integration und nicht zuletzt die Globalisierung betten die Suche nach bayerischer Identität mittlerweile in einen deutlich veränderten Gesamtkontext ein (Glaab und Weigl 2013). Die Frage, die sich Volksparteien und damit auch der CSU in einer derart transformierten und globalisierten Welt folglich drängender denn je stellt, ist: was stiftet Identität heute? Und vor allem, abgesehen von den tiefen historischen Wurzeln des ältesten Territorialstaates der Bundesrepublik: was macht eine moderne bayerische Identität im 21. Jahrhundert aus? Gerade in einem Zeitalter, in dem Megatrends wie Digitalisierung, Zuzug in die großen Metropolen sowie langfristige Wanderungsbewegungen das Umfeld für Gesellschaften und Parteien nachhaltig verändern, treffen unterschiedliche Einflüsse, Werte und Erfahrungen aufeinander. Eine herausfordernde Ausgangslage also für auf alle Schichten ausgerichtete Volksparteien, die damit stärker auf ein gesamtgesellschaftlich verbindendes Miteinander und auf Orientierung zur politischen Mitte ausgerichtet sein müssen (Hopp et al. 2010b, S. 15).

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2.2 Christliche Ethik Neben dieser regionalen Identität ist die Zugehörigkeit zu einer der großen christlichen Kirchen nach wie vor ein prägendes Charakteristikum Bayerns. Die Pflege dieser identitätsstiftenden religiösen Komponente zählt daher ebenfalls zum Pflichtenheft einer bayerischen Volkspartei. Die Gründerväter der Christlich-Sozialen Union haben sich deshalb auch ganz bewusst für eine feste Bindung an das Christentum entschieden, obwohl auch das am Anfang zumindest bei der Namensfindung für die neue Partei nicht unumstritten war (Fait 1995, S. 40). Damit wollten sie sich nicht nur gezielt von der gottlosen Nazityrannei abgrenzen, sondern zugleich auch Leitlinien und ein Wertefundament für das politische Handeln schaffen. Diese Ausrichtung spiegelte sich in der programmatischen Verankerung des christlichen Wertekanons, aber auch in vielen Einzelentscheidungen. Dies erwies sich als stabiler normativer Anker, und die neue Partei konnte so vor allem im Lager der aktiven Katholiken und Protestanten eine feste Wählerklientel aufbauen. Dieses Zusammenspiel ging so weit, dass der katholische Kirchgänger bis heute als typischer CSU-Wähler gilt. Die Lehre aus der Weimarer Zeit war aber darüber hinaus, einen überkonfessionellen Politikansatz zu verfolgen (Mintzel 1977, S. 58–64). Die frühere konfessionelle Spaltung der Parteien sollte überwunden werden, um die Kräfte für den Wiederaufbau der Heimat zu bündeln. Gerade im Bayern der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Bedarf gesehen, im Gegengewicht zu sozialistischen und kommunistischen Kräften jene Anhänger zusammenzuführen, die eine Politik basierend auf christlicher Ethik und Soziallehre verfolgten. Darunter fielen eben nicht nur die mehrheitlich katholischen, sondern auch die evangelischen Christen. Dies führte dann folgerichtig zur Gründung der Christlich-Sozialen Union als konfessionsübergreifender Partei. Allerdings bringen die schon angesprochenen gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse auch dieses fest geglaubte Fundament ins Wanken. Die schrittweise Säkularisierung der Gesellschaft lässt die Zahl der Konfessionslosen steigen und die Zahl der christlichen Gläubigen sinken (fowid 2019). Zudem spüren die Kirchen selbst eine geringere Bindung ihrer Mitglieder, was sich beispielhaft an den immer weniger besuchten Gottesdiensten zeigt. Diese Entwicklungen gehen natürlich auch an einer Partei nicht spurlos vorbei, die sich explizit dem christlichen Wertebild verschrieben hat. Heutzutage sind nur noch knapp zwei Drittel der rund 13 Mio. Bayern Mitglied einer der christlichen Kirchen, mit fallender Tendenz. Das lange Zeit gültige Bild der durch das christliche Ehesakrament gestifteten Familie hat sich

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verändert und der individuelle Freiheitsanspruch ist größer denn je. Gleichzeitig steigt das Anspruchsdenken gegenüber dem Sozialstaat, während an anderer Stelle sich die Menschen wieder selbst zu organisieren beginnen. Auch dies stellt traditionelle christliche Normen vor Herausforderungen, wie auch die christliche Partei CSU. Zu fragen ist also auch hier, inwieweit Bayerns Christsoziale diesen neuen Anforderungsprofilen gerecht werden. Denn im Angesicht fortschreitender Säkularisierungsprozesse stellt sich gerade für eine religiös fundierte Partei die Frage, ob eine solch christlich definierte politische Identität am Ende überhaupt eine langfristige Überlebenschance hat oder ob sie Gefahr läuft, in einer säkular fragmentierten Welt ihre Verankerung zu verlieren.

2.3 Programmatik Westliche Gesellschaften waren lange Zeit durch dauerhafte gesellschaftliche Konfliktlinien (cleavages) charakterisiert, die zur Formierung gegnerischer sozialer Großgruppen führten. Lipset und Rokkan unterschieden hier vier dominierende cleavages: Zentrum vs. Peripherie, Stadt vs. Land, Staat vs. Kirche und Kapital vs. Arbeit (Lipset und Rokkan 1967). Im Rahmen dieses Bruchlinienszenarios entstanden moderne Parteien als politische Repräsentanzen und waren daher für ihre jeweilige Klientel natürlicher politischer Identifikationspunkt und besaßen in ihrer zugehörigen Großgruppe mangels effektiver Konkurrenz oft ein faktisches Repräsentationsmonopol. Bayern machte da keine Ausnahme, denn die traditionsreichen Parteien des Landes ließen sich in diesem Koordinatensystem verschiedener Konfliktlinien gut zuordnen, wie etwa die SPD dem Arbeitermilieu oder eben auch die CSU den kirchlich geprägten Gesellschaftssegmenten. Solange diese gesellschaftlichen Konfliktlinien stark waren, war demzufolge auch von einer Dominanz soziostruktureller Einflussfaktoren bei der Wahlentscheidung auszugehen und auch keine grundlegende Änderung des zugehörigen Parteiensystems zu erwarten. Genau aber diese Voraussetzung ist inzwischen stark erodiert: Zwar entfalten gerade regionale Konfliktlinien nach wie vor deutliche Identifikationspotenziale, wie insbesondere an europäischen Separatismuskonflikten (Nordirland, Katalonien etc.) ablesbar; die übrigen, von Lipset und Rokkan identifizierten Bruchlinien sind jedoch in ihrer Bedeutung inzwischen stark reduziert (Decker 2018, S, 41–60). Die Verringerung dieser traditionellen Bindungsmuster stellt dann aber in der Folge auch das Programmkalkül moderner Parteien auf eine deutliche geänderte Grundlage: War bislang die Frage leitend, welche Inhalte den Interessen der jeweils spezifischen cleavage-Klientel entsprachen, so wird in einer Gesellschaft

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ohne klare Bruchlinien das zahlenorientierte Nutzenmaximierungsprinzip immer bedeutsamer: Programm wird dann im Sinne des catch all eben das, was möglichst viele Wähler an sich bindet. Freilich ist auch diese moderne Perspektive in dieser Pauschalität überzogen. Denn Wahlentscheidungen sind nach wie vor Resultat komplexer Einstellungsmuster, die sich aus langfristig wirkenden soziostrukturellen Faktoren (Gruppenbindung) und mittel- und kurzfristig angelegten individuellen Kalkülen ergeben. Das ist in der modernen Demoskopie weitgehend unbestritten (Noelle-Neumann und Petersen 2005). Parteiidentifikation wird vor allem durch das Elternhaus und peer groups vermittelt, Themen- und Kandidatenorientierung resultieren aus der individuellen Lebenssituation. Parteiidentifikation entsteht damit recht frühzeitig und bedingt auch eine ‚Voreingenommenheit‘ hinsichtlich Kandidaten und Themen, wird später aber wiederum von diesen spezifischen Kandidaten- und Themeneinschätzungen modifiziert. Die Programmarbeit moderner Volksparteien und damit auch der CSU gerät auf diesem Hintergrund also zur komplexen Herausforderung: Einerseits können gesellschaftliche dealignment-Prozesse nicht in Abrede gestellt werden (Decker 2018, S, 41–60), und sie nötigen die Parteien mehr und mehr zu einer umfassenden programmatischen catch all-Strategie. Andererseits sind die klassischen Bindungsmuster längst nicht verschwunden, und die traditionellen cleavage-Affinitäten müssen daher immer noch im Auge behalten werden. Konkret und exemplarisch: Kirchliche Bindungen schwinden zusehends, aber sind keineswegs bedeutungslos geworden, was gerade für eine christlich geprägte Volkspartei wie die CSU von kardinaler Bedeutung ist. Insoweit ist auch hier zu fragen, wie Bayerns Christsoziale diese moderne Herausforderung programmatisch bewältigen.

2.4 Soziale Verankerung Wenn über die soziale Verankerung der CSU gesprochen wird, entsteht vielfach der Eindruck, dass diese quasi mit ihrer Gründung im Jahr 1945 schon vorhanden war. Doch die Bindung an Verbände, Vereine, Kirchen und Volksgruppen kam nicht automatisch, sondern wurde von der CSU ganz bewusst mit inhaltlicher Positionierung und organisatorischer Ausgestaltung angesteuert (Zeitler 2010). Ziel war dabei, als Volkspartei für alle Gruppierungen, alle Landesteile und alle Interessengruppen wählbar zu sein (Mintzel 1975). So wurde von Beginn an darauf geachtet, durch Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise die Breite der Gesellschaft zu spiegeln, und bis heute ermöglichen

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diese Vorfeldorganisationen, dass sich in der CSU beispielsweise bei der Arbeitsgemeinschaft CSA sowohl die Arbeitnehmer als auch bei der Mittelstandsunion MU die Arbeitgeber innerhalb der christsozialen Familie wiederfinden können (Nerl 2010). Durch diese breite Aufstellung vermied es die CSU von Beginn an, eine reine Klientelpolitik zu betreiben. Jedoch konnte sie sich in einzelnen Bereichen eine stärkere Verankerung aufbauen, wie etwa bei der ländlichen Bevölkerung oder den katholischen Kirchgängern. Diese Nähe bringt in Zeiten der Individualisierung und Modernisierung natürlich auch Probleme mit sich. Nicht nur dass 2008 erstmals wieder die absolute Mehrheit bei den Landtagswahlen verloren ging, sondern auch die Zahl der CSU-Stammwähler sinkt stetig (Hirscher 2012, 2014). Vor allem bei jungen, städtischen und weiblichen Wählern schafft die CSU immer weniger Bindungswirkung. Gerade hier stellt sich also die Frage, ob dieser Trend zu stoppen oder gar umzukehren ist. Denn die Herausforderung bleibt, neue Wählergruppen zu erschließen, gleichzeitig aber die bestehenden Milieus weiterhin fest an die CSU zu binden. Staatliche Institutionen, die das Zusammenleben regulieren und organisieren sowie die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen ermöglichen, werden dabei eine wesentlichere Rolle spielen. Denn das Individuum kann sich nur einbringen, wenn der gesellschaftliche Konsens von der gesamten Gemeinschaft aus realisiert und durchgesetzt wird. Und nur dort, wo der Einzelne sich selbst entfalten kann und wo es ein Miteinander statt ein Nebeneinander gibt, findet der Mensch seinen Platz im Leben und damit seine persönliche Identität in einem organisch verfassten Gemeinwesen. Zu fragen ist deshalb auch hier, wie es der CSU gelingt, sich in diesem herausfordernden Kräftefeld zwischen Nähe und Distanz zu den vielfältigen gesellschaftlichen Gruppen auch in Zeiten der Individualisierung so zu positionieren, dass ihre Rolle als breit verankerte bayerische Volkspartei auch in Zukunft Bestand haben kann. Klar aber ist schon jetzt: Die unübersehbaren demografischen Entwicklungen machen ein zügiges Nachsteuern der CSU nötig, um ihre führende parteipolitische Stellung in Bayern dauerhaft zu sichern.

2.5 Organisation Moderne Parteiorganisationen sehen sich angesichts der Vielzahl gesellschaftlicher und innerparteilicher Veränderungsprozesse einem außergewöhnlichen Spannungsbogen gegenüber, dessen Tragweite erst in der Gesamtsicht deutlich wird: So müssen sie zum einen auf zunehmend komplexeren Wählermärkten und

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unter den Bedingungen einer modernen Mediengesellschaft agieren (Saalfeld 2007). Zum anderen sind Parteien als kollektive Organisationen mit einer Vielzahl an individuellen Interessen und Teilakteuren selbst hochkomplexe und kaum exakt steuerbare Gebilde. Strategische Entscheidungen der Parteiführung und Professionalisierungsoder Modernisierungsprozesse müssen auch innerparteilich nachvollzogen und akzeptiert werden, um die notwendige Unterstützung für den Kurs der Parteiführung zu gewährleisten (Schmid und Zolleis 2005, S. 12). Für den Erfolg – und dies bedeutet für Volksparteien wie die CSU nach wie vor, die Wähler in möglichst hoher Zahl für sich zu gewinnen – muss sich eine Partei neuen gesellschaftlichen Veränderungen deshalb auch organisatorisch öffnen, sich strukturell modernisieren und gleichzeitig die eigene Parteimitgliedschaft von diesem Weg überzeugen. Als Regionalpartei mit bundes- und europapolitischem Anspruch steht die CSU vor besonderen Herausforderungen, will sie die strukturellen Merkmale einer Volkspartei – umfassende und flächendeckende Organisation, durchorganisierter und ebenenübergreifender Aufbau, hauptamtliche und professionalisierte Parteiführung, gezielte und strukturierte Partizipation der Parteibasis sowie systematische Beziehungen zu Vorfeldorganisationen (Hopp et al. 2010b, S.  15) in veränderten Rahmenbedingungen aufrechterhalten und optimal nutzen. Die CSU steht dabei vor der schwierigen Aufgabe, den gesellschaftlichen und technologischen Wandel gleichermaßen zu bewältigen und Organisationsstrukturen zu modernisieren, ohne gleichzeitig die starke Mitgliederbasis zu verlieren. Insbesondere die fortschreitende Digitalisierung der Welt gerät hier in den Blick: Traditionell gewachsene Parteistrukturen verlieren zugunsten virtueller Kommunikationsformate an Zuspruch, ohne jedoch dadurch völlig an Relevanz zu verlieren. Denn dieser Wandel spiegelt auch generationenspezifische Unterschiede, die gerade eine breit aufgestellte Volkspartei wie die CSU berücksichtigen muss: Für junge digital natives, die nie etwas anderes kennengelernt haben als die alltagsprägende Kraft des Internet (Appel und Michel-Dittgen 2013), haben digitale Organisationsangebote einer Partei naturgemäß einen wesentlich höheren Stellenwert als für ältere digital immigrants, die noch in analogen Zeiten sozialisiert wurden und deshalb die persönliche und unmittelbare Ansprache wesentlich mehr einfordern. Auch diesen Spagat muss die CSU also bewältigen, und gerade dies wird ihre Zukunftsfähigkeit maßgeblich mitbestimmen (Deininger 2020, S. 322–328).

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2.6 Politische Führung Als letzte Aufgabenstellung ist diejenige der politischen Führung zu benennen. Henrik Gast hat diesen Sachverhalt treffend als komplexen Zusammenhang aus den Komponenten „Führung als Beeinflussung“, „Führung als Integrationsaufgabe“ und „Führung als Ausrichtung auf die Gruppen- und Organisationsziele“ charakterisiert (Gast 2010, S. 13–15). Denn in der Tat wäre ein Führungsverständnis unzureichend, das kurzschlüssig nur das selbstbestimmte Handeln des Personals an der Spitze einer Organisation damit verbände. Ganz im Gegenteil ist davon auszugehen, dass ein Großteil politischer Führungsaktivitäten darin besteht, die zu führende Organisation dialogisch zu integrieren und dabei zugleich den übergeordneten Organisationszielen verpflichtet zu bleiben. Das gilt auch für die CSU. Dieses Spannungsfeld zwischen individueller Motivation der Führungspersönlichkeiten und organisationsseitig vorgegebenen Erfordernissen und Wünschen kommt auch in einer aufschlussreichen Typologie von Richard Rose zum Ausdruck, denn drei der vier von ihm unterschiedenen Führungstypen verweisen auf die große Kontextabhängigkeit des Spitzenpersonals: Je nach Stringenz und Dominanz politischer Führung stuft Rose ab zwischen dem Leader, dem Bargainer, dem Juggler und schließlich dem Symbol (Rose 1991, S. 19). Während Rose den besonders führungsstarken Leader in einheitsstaatlichen Gefügen ohne effektive territoriale Vetospieler und gleichzeitig an der Spitze einer homogenen Einparteienregierung verortet sieht, findet sich das Symbol in komplexen Koalitionsszenarien mit simultan hochgradig ­föderal-machtteilenden Strukturen, die dem Regierungschef am Ende eben nur mehr symbolhafte Führungsfunktionen zugestehen. Die anderen beiden Führungstypen repräsentieren dann Mischformen, je nachdem ob eine Konstellation aus Einparteienregierung und dezentralisiertem System (Bargainer) oder eine Koalitionskonstellation in einem einheitsstaatlichen Gefüge (Juggler) vorliegt. Ein vergleichender Blick auf die politische Praxis zeigt zwar, dass die einzelnen Staaten bzw. Führungstypen selbst mit dieser recht einfach strukturierten Typologie keineswegs immer pauschal zugeordnet werden können. Aber als Heuristik taugt die Typologie doch, und gerade hinsichtlich der Führungsbedingungen in Deutschland und damit auch bei der CSU ist sie recht passgenau: Denn Spitzenpolitiker können hier recht treffend als Bargainer eingestuft werden, weil sie zum einen in föderalen Szenarien agieren, gleichzeitig aber trotz bestehender Koalitionen als starke Regierungschefs, also einer Einparteienregierung ähnlich agieren (Gast 2011). Das liegt weniger an den verfassungsrechtlich verankerten Richtlinienkompetenzen, sondern (zumindest bislang)

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an den deutlichen parteipolitischen Machtasymmetrien: Denn abgesehen von Großen Koalitionen steht an der Spitze einer Koalitionsregierung eine deutlich stärkere Partei, welcher der Führungsanspruch schon deshalb zugestanden wird. Die aktuelle Szenerie in Bayern ist daher durchaus typisch, und für die CSU ist demzufolge auch hier zentral, ob ihr erfolgreiche politische Führung unter diesen Bedingungen auch künftig gelingen wird. Die derzeitige Corona-Krise, die das Handeln der Bayerischen Staatsregierung und insbesondere des Ministerpräsidenten naturgemäß noch stärker in den Fokus rückt und auch die direkte Führung im Sinne des hierarchiebetonten ­Leader-Stils noch weiter stärkt, sollte demgegenüber als Ausnahmesituation trotz der unbestreitbaren Erfolge der CSU-geführten Koalition auch nicht überbewertet werden. Denn wie in anderen westlichen Demokratien auch, etwa während der britischen Einheitsregierung zwischen 1940 und 1945, sind solche Sonderzeiten doch strukturell eingehegt und führen anschließend meist recht zügig wieder zum Normalzustand zurück. Kriegspremier Winston Churchill wurde noch in der Endphase des Zweiten Weltkriegs von den Briten wieder abgewählt, weil diese sich für die Nachkriegsphase von der sozialpolitischen Kompetenz der Labour Party mehr für die Entwicklung des Landes versprachen als vom Haudegen Churchill, der aus seiner Affinität zum Kriegerischen nie einen Hehl gemacht hatte (Roberts 2018). Soll also heißen: Langfristig betrachtet bemisst sich die Professionalität politischer Führung eben doch an der Bewährung im lange währenden Normalzustand, nicht in zeitlich begrenzten Krisenszenarien. Riskant wäre deshalb das Kalkül, auf hohen Zustimmungswerten zum erfolgreichen Krisenmanagement in Ausnahmezeiten längerfristig aufbauen zu können. Denn gerade das Beispiel Churchill zeigt, dass die Bürger ihre politischen Uhren sehr schnell wieder auf null stellen, also ihre politische Beurteilungsmaßstäbe wieder auf den Normalzustand ausrichten können.

3 Politisches Kapital und aktuelle Herausforderungen der CSU: Das Konzept der Studie Die Aufgabenfelder dieses Pflichtenhefts spiegeln damit auch das zentrale Vorhaben des vorliegenden Bandes: Er bezweckt eine zukunftsorientierte, alle wesentlichen Problemkomplexe erfassende Analyse von ‚Soll und Haben‘ der CSU. Im Mittelpunkt steht deshalb im Unterschied zu unserer Vorgängerstudie (Hopp et al. 2010a) vor allem die aktuelle Situation der Partei. Dabei werden

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Autoren aus Wissenschaft und politischer bzw. journalistischer Praxis zu Wort kommen, um der Studie eine möglichst große perspektivische Breite zu verleihen. Das Autorentableau zeigt, dass es gerade mit Blick auf die Praxisseite gelungen ist, ein breites und sich dabei gut ergänzendes Spektrum an Persönlichkeiten einzubinden: Aufseiten der CSU selbst repräsentieren der stellvertretende Vorsitzende Manfred Weber und Generalsekretär Markus Blume die Spitze der Partei, und Manfred Weber steht zugleich für deren europapolitischen Arm. Die beiden Staatsministerinnen Dorothee Bär und Judith Gerlach repräsentieren die CSU als Regierungspartei, und dies auf Bundes- wie auf Landesebene. Gerhard Hopp und Thomas Huber stehen darüber hinaus für das parlamentarische Kraftzentrum der Partei, Franz Löffler und Benjamin Zeitler für ihre kommunal- und regionalpolitische Organisation. Die journalistische Perspektive bringen Christian Deutschländer, Anton Preis und Sebastian Kraft zur Geltung, und dies wiederum different: Denn ersterer schreibt aus der Perspektive des Zeitungsjournalisten, die anderen beiden auf ihrem Erfahrungshintergrund als ministerielle Pressesprecher. Auf wissenschaftlicher Seite wurde Wert gelegt auf eine angemessene interdisziplinäre Breite, um der inhaltlichen Vielfalt des Untersuchungsfeldes gerecht werden zu können: Die Theologen Reiner Anselm und Philipp Hildmann waren daher für den Bereich „Christliche Ethik“ ebenso unverzichtbar wie die Politikwissenschaftler Udo Zolleis, Manfred Opitz und Gerhard Hirscher für die Analyse politischer Führungsmuster und der Wählerbewegungen. Die wissenschaftliche Analysekompetenz kommt im Übrigen auch durch den Ausbildungshintergrund etlicher Praktiker zur Geltung: Gerhard Hopp und Benjamin Zeitler zählen mit ihren politikwissenschaftlichen Doktorgraden ebenso dazu wie Markus Blume, Dorothee Bär, Christian Deutschländer und Sebastian Kraft, die ein politikwissenschaftliches Examen besitzen. Wirtschafts- und verwaltungswissenschaftliche sowie juristische Expertise schließlich bringen Anton Preis, Thomas Huber, Franz Löffler und Judith Gerlach ein. Gerhard Hopp plante und ermöglichte darüber hinaus ein prominent besetztes Autorentableau, hielt permanenten Kontakt und schob unermüdlich nach, wo nötig. Martin Sebaldt schließlich zeichnet neben seinen eigenen Beiträgen verantwortlich für das Konzept des Bandes, für die inhaltliche und formale Gesamtüberarbeitung, für die Verlagsabsprachen und die Drucklegung sowie für die Bewältigung der Ausnahmezustände, die bei solchen Projekten regelmäßig aufzutreten pflegen. Aber was für das militärische Gewerbe gilt, gilt auch hier: Wer solche Vorhaben ohne operative Reserven plant, hat schon verloren. Die Anordnung der Beiträge folgt dabei der gerade eingeführten Pflichtenheft-Systematik: Zunächst werden die Problemkomplexe „Bayerische ­

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Identität“ und „Christliche Ethik“ abgehandelt, weil sie den regionalen bzw. normativ-religiösen Kontext erschließen, in den Bayerns Christsoziale ein­ gebettet sind. Daran anschließend werden die Aspekte Programmatik, soziale Verankerung, Organisation und politische Führung abgehandelt, die nun die genuinen, kontextunabhängigen Aufgabenstellungen von Volksparteien und damit auch der CSU betreffen. Dabei dient einer der Beiträge primär der Dokumentation der Habenseite: Hier wird also jeweils zunächst das bestehende politische Kapital der Partei bilanziert, welches sie groß gemacht hat und welches auch für ihre Zukunft als Aktivposten verbucht werden kann. Gleichzeitig sollen auch hier schon erkannte Schwachpunkte der CSU isoliert und den jeweiligen Aktiva gegenübergestellt werden. Primär auf der Sollseite sind demgegenüber zentrale Herausforderungen zu analysieren, denen sich die Christsozialen zwar durchaus stellen, die sie aber im Lichte der sinkenden Wähleranteile offensichtlich nicht erfolgreich genug bewältigen. Dieser Themenstellung ist dann der jeweils anschließende Beitrag gewidmet. Auch hier geht es also darum, bisher Erreichtes dem noch zu Bewältigenden gegenüberzustellen, jedoch ist die Gewichtung der beiden Teile nun umgekehrt. In der vergleichenden Gesamtbilanz ist dann zu ermitteln, in welchen Bereichen sich typische Aktivposten oder Schwächen der CSU finden lassen. Und dies wiederum wird dann ein abschließendes Gesamturteil darüber zulassen, in welchem Ausmaß die Christlich-Soziale Union nun wirklich ein Modell mit Zukunft ist. Die Aktualität der Befunde und auch die eingebundenen journalistischen und politisch-praktischen Perspektiven sollen dann auch systematische Ansatzpunkte für strukturelle, prozedurale und programmatische Reformen aufweisen, um die CSU dort weiterzuentwickeln, wo sie heute noch nicht adäquat auf die zukünftigen Herausforderungen eingestellt ist. Stichtag für die letzten Beiträge war dabei Ende Januar 2020, als die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die bayerische Politik noch nicht ­ absehbar waren. Da aber auch gegenwärtig (April 2020) nicht klar ist, wie sich diese Krisenerfahrung in Bayern und insbesondere in der CSU langfristig niederschlagen wird, wurde bewusst darauf verzichtet, umfänglich darauf einzugehen. Das muss späteren Studien vorbehalten bleiben. Oder anders herum gewendet: Wenn man aus der aktuellen Krisen-Perspektive heraus und damit gleichsam ‚im Eifer des Gefechts‘ unreflektiert bewerten würde, drohte eine ungute Verschiebung der Maßstäbe und auch eine konzeptionelle Schieflage. Denn in der vorliegenden Studie stehen ja gerade nicht punktuelle Ereignisse und deren parteipolitische Auswirkungen im Fokus, sondern langfristig angelegte Entwicklungsmuster.

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Bayerische Identität

Das Kapital der Geschlossenheit: Die CSU als Verkörperung regionaler Identität in Bayern und Deutschland Anton Preis 1 Bayern und die CSU – Identität und Symbiose Bayern und die CSU – in vielen politischen Reden werden Land und Partei miteinander in Verbindung gesetzt, eng verknüpft, ja eine Identität beschworen (u. a. Söder 2019b). Und nicht weniger stark fällt von politischen Gegnern die Kritik aus über diese Betonung der engen Verbindung zwischen Staat und staatstragender Partei: die CSU tue gerade so, als hätte sie den Chiemsee ausgehoben und die Alpen aufgeschüttet (Marquardt 2010). Woher rührt diese enge Beziehung, die die einen als jahrzehntelang erfolgreiches politisches Marketing loben, andere als Arroganz der Macht geißeln? Ein Blick in die Geschichte ist unabdingbar, um festzustellen, was Bayern ausmacht, was die CSU ausmacht und wie sich beide – wenn man so will – Marken angenähert haben. Drei Aspekte mögen die bayerische Identität im Folgenden verdeutlichen: Immanente Pluralität, eigenstaatliche Tradition und ein gewisser Hang der Bayern zum Revoluzzertum. Bayern als Staatsgebilde ist in seiner Gebietsstruktur verhältnismäßig jung und durchaus heterogen. Nachdem Bayern als Königreich von Napoleons Gnaden entstanden war, mühte sich Bayerns zweiter König Ludwig I., eine regionale Identität herauszubilden und überall im Land Identifikationspunkte mit dem neuen zusammengewürfelten Königreich zu schaffen, etwa mit der Befreiungshalle in Kelheim oder der Walhalla in der Nähe von Donaustauf. Aber auch an anderer Stelle Bayerns wurden Initiativen ergriffen, so etwa durch den Grafen Franz Erwein von Schönborn, der als mediatisierter Fürst seine Rechte verloren

A. Preis (*)  München, Deutschland © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_2

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hatte, und quasi trotzdem die Konstitutionssäule im unterfränkischen Gaibach errichten ließ anlässlich der Verfassung von 1818. Ein weiteres Beispiel, wie Bayern im Laufe der Jahrzehnte zusammengewachsen ist, ist die Übernahme der Schulden der ehemals freien Reichsstadt Nürnberg durch das Königreich Bayern. Die Schulden der ehemaligen Reichsstadt betrugen genau 9.923.850 Gulden an Kapital und 2.292.520 Gulden an rückständigen Zinsen. Zur Klärung der Frage, ob und inwieweit das Nürnberger Schuldenwesen anerkannt bzw. übernommen werden sollte und ob weiterhin Zinsen an die Gläubiger bezahlt werden mussten, wurde eine Liquidationskommission eingesetzt. Schließlich kam die Schuldentilgungsfrage 1819 in den Bayerischen Landtag. Dort entschied man sich, nach langem und heftigem Streit, mehrheitlich für die Übernahme der Nürnberger Schulden und für die Zahlung der Zinsrückstände. Den Nürnberger Gläubigern – es waren genau 1666 Bürger – wurden ihre Schuldverschreibungen zu 100 % anerkannt und vom bayerischen Staat übernommen (Ngoc 2019). Durch solche klaren Bekenntnisse des noch jungen Landtags – es war eine der ersten Entscheidungen des Landtags auf Basis der Verfassung von 1818 – wuchs Bayern auch wirtschaftlich zusammen. Aber auch noch nach Jahrzehnten sah sich etwa ein König Ludwig II. genötigt, nach dem verlorenen Krieg von 1866 zur Stärkung der Loyalität der Franken im November und Dezember 1866 sein Land zu bereisen. Nach der Verwirklichung der kleindeutschen Lösung mit Bayern als Teil des Kaiserreichs ab 1871 konnten jedoch auch die wenigen Reservatrechte des Königreichs diese Zäsur in Bayerns Eigenstaatlichkeit nicht heilen. Die Bamberger Verfassung von 1919 war das letzte Aufgebot an bayerischer Eigenstaatlichkeit in der Weimarer Republik, denn die Weimarer Verfassung schränkte die Rechte der Länder zugunsten eines zentralistischen Ansatzes ein. Entsprechend deutlicher betonte die Bayerische Verfassung von 1946 die Eigenstaatlichkeit – noch dazu, wo im Gegensatz zu 1919 eine übergeordnete Verfassung erst 1949 mit dem Grundgesetz in Kraft gesetzt wurde. Beispielsweise wurde bei der Verfassung von 1946 ernsthaft die Position eines bayerischen Staatspräsidenten als Staatsoberhaupt diskutiert, dann jedoch wieder verworfen (Schlemmer 2007, S. 133). Noch einmal zum Staatsgebilde: Selbst das, was als Altbayern bezeichnet wird und die heutigen Regierungsbezirke Oberbayern, Niederbayern und die Oberpfalz umfasst, war zu Zeiten der bayerischen Herzöge zersplittert, teilweise sogar geteilt in Herrschaftsgebiete wie Bayern-Ingolstadt, -Landshut, -München und -Straubing. Hinzu kommen die drei fränkischen Regierungsbezirke und Schwaben, die als Resultat der napoleonischen Kriege zu Bayern kamen und

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deren Einwohner sich, im Gegensatz etwa zu den kurzzeitig bayerischen Landesteilen Tirol oder Salzburg, auch sprachlich-kulturell von Altbayern unterscheiden. Das Bairische wird in Altbayern gesprochen, aber daneben gibt es das Fränkische und das Schwäbische. Zudem war bis nach dem Zweiten Weltkrieg auch die linksrheinische Pfalz Teil Bayerns. Diese Heterogenität wird noch durch die Tatsache verstärkt, dass Bayern seit Jahrzehnten Zuwanderungsland ist. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg fanden in Bayern Heimatvertriebene aus den deutschen Ostgebieten eine neue Heimat. Die Sudetendeutschen werden deshalb neben Franken, Schwaben und Altbayern als „vierter Stamm“ Bayerns bezeichnet und sehen in der Staatsregierung verlässliche Unterstützer (Kittel 2010, S. 5). Darüber hinaus gelten die Mitglieder der jüdischen Glaubensgemeinschaft als Bayerns fünfter Stamm (u. a. Söder 2019a). Diese eben beschriebene regionale Heterogenität ist Teil bayerischer Identität. Diese Vielschichtigkeit erlaubt es, die Zugehörigkeit zu Bayern zu akzeptieren, gerade weil jede Region, ja fast jedes Dorf Bayerns durch gewisse kulturelle oder sprachliche Eigenheiten geprägt ist. Diese immanente Pluralität, die die CSU immer wieder erfolgreich aufgreifen konnte, macht Bayerns Identität aus. „Wir Franken sind in Bayern Franken, aber außerhalb Bayerns sind wir Franken auch Bayern“, hat die langjährige bayerische Sozialministerin und Landtagspräsidentin Barbara Stamm diese Pluralität und gleichzeitiges Bekenntnis zum Gesamtstaat oft zusammengefasst (Metzler 2018). Der von vielen Journalisten und politischen Beobachtern immer wieder belächelte Regionalproporz etwa bei Kabinettsbildungen hilft, die regionalen Identitäten zu berücksichtigen und zentralistischen Tendenzen vorzubeugen. Dazu gehört auch die ebenso häufig von Journalisten und Beobachtern kritisierte Behördenverlagerung. Das Heimatministerium in Nürnberg als Außenstelle des Bayerischen Finanzministeriums oder die angestrebte Komplettverlagerung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege nach Nürnberg sind ausgehend von den hier beschriebenen Sachverhalten ebenso als Ausfluss und Anknüpfung an die bayerische Identität zu sehen wie die Bildung sogenannter Behördensatelliten im ländlichen Raum. Der CSU gelang und gelingt es, auf Bayerns Heterogenität und die regionale Vielfalt einzugehen, ohne in den Verdacht zu geraten, nur eine Partei des ländlichen Raums, oder der Stadt, oder der Arbeiter oder Unternehmer zu sein. Der zweite Aspekt ist Bayerns starke eigenstaatliche Tradition, welches sich besonders im Vergleich zu anderen Bundesländern erschließt. Das Beispiel Sachsen diene zur Veranschaulichung: Zwar war Sachsen Königreich im

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Deutschen Kaiserreich, jedoch wurden zu Zeiten der DDR im Zuge der Verwaltungsreform von 1952 die Länder abgeschafft zugunsten von Bezirken. Erst die Wiedervereinigung brachte die Tradition der Länder zurück. Ebenso besteht Bayern leicht den eigenstaatlichen Vergleich mit Niedersachsen, dessen Gebiet größtenteils mit dem ehemaligen Königreich Hannover gleichzusetzen ist, aber bereits im Zuge des Deutschen Krieges von 1866 als Provinz im Königreich Preußen aufging. Diese eigenstaatliche Tradition ist es, an die die CSU jahrzehntelang erfolgreich anknüpfen konnte: Zwar stand die CSU bei ihrer Gründung im Jahr 1945 in Teilen in der Tradition der Bayerischen Volkspartei (BVP), die sich in den Anfangsjahren der Weimarer Republik von der katholischen Zentrumspartei abgespalten hatte und stärker bayerische Interesse vertreten wollte. Die rechtskonservativen Positionen der BVP wurden jedoch nicht übernommen. Stattdessen – und das war ein gewaltiger strategischer Schritt – sah sich die CSU als überkonfessionelle Partei an, die Bayerns Bürger an sich binden wollte, gleich ob sie evangelischen oder katholischen Glaubens waren. Damit steht die Partei nicht gänzlich in der Tradition der BVP, die als Abspaltung der katholischen Zentrumspartei nur für eine Konfession offen war. Die starken konfessionellen Unterschiede in Bayerns Landesteilen – das überwiegend katholische Altbayern steht einem teilweise protestantischen Franken mit Ausnahme der ehemaligen Gebiete der Bistümer Würzburg oder Bamberg gegenüber – waren somit kein integratives Hemmnis. Zugleich profitiert die CSU durch die Tatsache, dass sie nicht einfach ein Landesverband der CDU ist, sondern eine eigenständige Partei, immens von Bayerns eigenstaatlicher Tradition. Auf keine Weise könnte dieser Tradition durch eine Partei besser Rechnung getragen werden. Einlassungen wie die des langjährigen ­Bayernkurier-Chefredakteurs Wilfried Scharnagl unterstreichen dies (Scharnagl 2008, S. 231). Wenn es aber eine andere Partei schafft, diesen Eigenstaatlichkeitsanspruch besser als die CSU zu vertreten, wird bzw. wurde es gefährlich: In den Anfangsjahren der CSU wurde die Bayernpartei zur strategischen Herausforderung, denn ihr gelang es, in den 1950er und 1960er Jahren stärker eigenstaatliche, ja gar separatistische Einstellungen zu bedienen – und das in Zeiten, als die CSU versuchte, überkonfessionell und integrativ besonders bei den vielen Zugewanderten zu wirken. Zudem gelang es der Bayernpartei, auch im Bund präsent zu sein, und verbuchte bei der Bundestagswahl 1949 17 Mandate für sich, darunter elf Direktmandate. Besonders schmerzlich musste die CSU diese strategische Herausforderung bei den zweiten Bayerischen Landtagswahlen 1950 erfahren, als ein massiver

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Stimmenrückgang um fast 25 Prozentpunkte zu verzeichnen war, dabei vor allem zugunsten der Bayernpartei, die aus dem Stand 17,9 % holte. Hinzu kamen die teils erbittert geführten Flügelkämpfe zwischen dem liberalen und dem ­klerikal-konservativen Flügel der CSU (Schlemmer 2007, S. 60). Ebenso war die Viererkoalition von 1954–1957 ein Einschnitt für die CSU, die durch ein Bündnis aus SPD unter Wilhelm Hoegner, FDP, BHE und Bayernpartei in die Opposition geschickt wurde. In den 1960er Jahren gelang es der CSU – teils ohne eigenes Zutun aufgrund von Fehlern der Bayernpartei-Führung, teils durch Kämpfe mit harten Bandagen – die Bayernpartei zurückzudrängen. Heute spielt die Bayernpartei nur noch die Rolle einer Kleinpartei. Im Gegensatz zu den Freien Wählern kommt sie als Option für eine bürgerliche Alternative bei der Mehrheit der Wählerschaft nicht mehr ins Spiel, da die Wähler nicht davon ausgehen können, dass es die Bayernpartei über die 5 %-Hürde schafft. Es ist einer der wichtigsten Meilensteine in der CSU-Geschichte, dass es ihr in den 1950er Jahren gelungen war, die Bayernpartei zu marginalisieren (Berls 2013, S. 184). Nach diesem wichtigen strategischen Schritt gegenüber der Bayernpartei konnte die CSU lange Jahre von einer gewissen Homogenität der Strukturen in Bayern profitieren. Dort, wo Bayern bäuerlich-ländlich geprägt war, hatte sie stets starke Wahlergebnisse eingefahren. Es gelang zudem, nicht nur besitzbürgerliche Wähler zu mobilisieren, sondern auch im Beamten- und Angestelltenbereich Wähler zu gewinnen. „Außerdem verschmolzen CSU und Freistaat in Zeiten der Alleinregierung fast zu einem Synonym, was sie zur ­quasi-natürlichen ersten Wahl der staatsloyalen Mittelschicht machte“ (Weigl 2013, S. 486). Wo das klassische Arbeitermilieu dominierte und verstärkt Industriearbeitsplätze verfügbar waren, konnte die SPD starke Ergebnisse holen und auch kommunale Mandatsträger stellen, so etwa im industrieaffinen Landkreis Schwandorf oder auch in Teilen Frankens. Bei der CSU wurden erste Erosionstendenzen bei verlässlichen Wählerschaften nicht erst bei der Landtagswahl 2008 deutlich. Schon 2003 wurde das vordergründig fulminante Wahlergebnis von über 60 %, das zu einer Zweidrittelmehrheit der Mandate im Landtag führte, fehlinterpretiert: In absoluten Zahlen hatte die CSU nämlich an Stimmen verloren, nämlich rund 230.000. Die Landtagswahl 2008, die seit Jahrzehnten den Verlust der absoluten Mehrheit für die CSU brachte, offenbarte ein Wegbrechen traditioneller Wählerschaften. So war die Wahlbereitschaft bei Landwirten, die 1994 bei 78 % lag und 2003 sogar auf 91 % geklettert war, 2008 auf 52 % gesunken. Die zweitbesten Werte holte die CSU in der Regel bei den Rentnern, dort war allerdings auch ein Rückgang von über 60 % der Stimmen auf 56 % zu verzeichnen. Den Charakter der CSU als Volkspartei unterstreicht ihr Abschneiden bei Arbeitern, wo sie oft Werte um die

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50 % und 2003 sogar 65 % holte, 2008 aber ebenfalls auf einen Wert von 41 % zurückfiel. Gegenüber früheren Landtagswahlen war die CSU 2008 besonders deutlich bei den Wählern unter den Beamten und Selbstständigen zurückgegangen (Hirscher 2012, S. 16). Als drittes macht die bayerische Identität, wie es von verschiedenen Beobachtern immer wieder beschrieben wurde, der gewisse Hang zum Revoluzzertum aus. Dazu braucht man nicht bis zum Aufstand gegen die Österreicher, der in der brutalen Niederschlagung in der Sendlinger Mordweihnacht gipfelte, oder bis zu den Schwierigkeiten eines Ludwigs I. mit Lola Montez zurückgehen. Auch die Tatsache, dass die Bayern als erste im Deutschen Kaiserreich am Ende des Ersten Weltkriegs ihren König davonjagten („Majestät, genga S’ hoam, Revolution is“), zeugt von diesem Revoluzzertum. Nein, auch die jüngere Geschichte hält Beispiele bereit: Die Abschaffung des Bayerischen Senats per Volksbegehren („Schlanker Staat ohne Senat“) und Volksentscheid oder auch das sogenannte Bienen-Volksbegehren können als Belege dieses Hangs zu – um es anders zu umschreiben – zeitlich begrenzter ­Non-Konformität herhalten. Auch der erbitterte, auch gewaltsam geführte Kampf, der in der vermeintlich ruhigen, bodenständigen Oberpfalz gegen die atomare Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in den 1980er Jahren geführt wurde, kann als Beleg für diese These dienen. Einer Partei, die in Bayern erfolgreich sein will, muss es also gelingen, die bayerische Identität, die geprägt ist durch die immanente Pluralität, den Hang zur Eigenstaatlichkeit und die Neigung zum Revoluzzertum, aufzugreifen und zu bespielen, aber ohne zu überdrehen oder die Wählerschaft durch Extreme in diesen Komponenten zu verschrecken. Oder anders zusammengefasst, um das Bild von den Uhren zu bemühen: „Die besondere bayerische Identität lässt im Freistaat die Uhren anders gehen. Die bayerische Staatspartei CSU profitiert von einem regionalen Sonderbewusstsein“ (Kießling 2004, S. 12).

2 Die Geschlossenheit der CSU als Zugang zu Bayerns Identität Politische Berichterstatter, die sich mit der CSU auseinandersetzen, stoßen früher oder später auf den Begriff der „legendären Geschlossenheit“ (z. B. Weigl 2015, S. 85; Englisch 2017). In seiner Rücktrittsankündigung vom 18. Januar 2007 rekurriert Edmund Stoiber auf diese Geschlossenheit: „Der Erfolg und die Geschlossenheit der CSU, das Wohl und die Zukunftsfähigkeit des Freistaates Bayern waren stets mein oberstes Politisches Ziel“ (Stoiber 2007; dazu

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auch Sterian 2007). Im Folgenden wird nun dargestellt, warum es gerade die Geschlossenheit der CSU ist, die der Partei half, die bayerische Identität aufzugreifen, und warum ein dauerhafter Mangel an Geschlossenheit die CSU beim Wähler immer diskreditiert hatte. Auch im Vergleich zur Schwesterpartei CDU galt die CSU als geschlossener: Dies zeigte sich schon in der ersten sogenannten Großen Koalition von 1966– 1969 bei der CSU-Landesgruppe: „Als homogenes, überschaubares Fünftel der Gesamtfraktion blieb sie von Flügelkämpfen weitgehend verschont und zur Geschlossenheit fähig.“ Richard Stücklen charakterisierte so gegenüber Unionsfraktionschef Rainer Barzel deren Hang zur Eigenständigkeit, nicht aber zur Eigenwilligkeit (Eichhorn 2009, S. 101). Die CSU lebte dabei immer gut vom Spannungsverhältnis zwischen München und Bonn, das ihr bei aller bundespolitischen Mitverantwortung und umfassendem Gestaltungsanspruch bei Bedarf unter Betonung bayerischer Eigenpositionen eine gewisse Distanz gegenüber etwaigen negativen Auswirkungen der Bonner Regierungsverantwortung erlaubte (Schäuble 2000). Seit sich die CSU endgültig gegen die Bayernpartei durchgesetzt, teilweise Akteure der Bayernpartei bei sich integriert und zum ersten Mal seit 1946 die absolute Mehrheit der Stimmen bei den Landtagswahlen 1962 geholt hatte, musste sich die Partei jedoch immer wieder neu erfinden, um dem politischen und gesellschaftlichen Gegenwind zu trotzen. Dabei mussten früh vermeintlich eherne Positionen geräumt werden, um dem Zeitgeist nicht hinterherzulaufen. Erfolgsrezept war dabei immer die hohe Bandbreite an politischen Themen und politischen Richtungen, die die Partei abzudecken versuchte und damit den Begriff der Volkspartei mit Leben erfüllen konnte (zu Volksparteien vgl. Kühnel 2011, S. 103). Die Forderung von Franz Josef Strauß, dass es rechts neben der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, konnte jahrzehntelang erfüllt werden. Parteien wie die Republikaner konnten trotz zeitweiser signifikanter Ergebnisse erfolgreich niedergehalten oder verdrängt werden. Zugleich schaffte es die CSU, politische Positionen in der Breite mit Personen zu verknüpfen und bei Bedarf zu aktivieren und so zu zeigen, dass die Partei „schon immer“ für ein bestimmtes Thema gestanden habe. Die bereits erwähnte Barbara Stamm gilt als „soziales Gewissen“ der CSU und personifiziertes „S“ der Partei, was besonders in den Zeiten der Auseinandersetzungen um eine härtere Linie in der Migrationspolitik half, die politische Mitte nicht gänzlich zu verlieren – oder als es Sozialministerinnen gab, denen die Wählerschaft die Empathie für Sozialthemen nicht gänzlich abnahm.

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Diese Aktivierbarkeit gilt ebenso für die Umweltpolitik. Zwar muss die Tatsache, dass Bayern als erstes Bundesland überhaupt im Jahr 1970 ein Umweltministerium gegründet hatte, sehr häufig für die Umweltaffinität der CSU Pate stehen, jedoch galt Umweltpolitik lange auch als Nischenthema in der Partei. Umweltpolitiker wie Josef Göppel besetzten dabei oft Positionen, die auch bei politischen Wettbewerbern wie den Grünen zu finden waren. Rückte die Umweltpolitik jedoch wieder in den Vordergrund, wie etwa beim Atomausstieg 2011 oder noch aktueller bei der Klima- und Fridays-For-Future-Debatte, konnte die CSU glaubhaft versichern, dass ja schon immer Umweltthemen im Fokus waren, und Positionen mit den entsprechenden Personen untermauern. Auch im Hinblick auf die Kirchen konnte sich die CSU im Laufe der Zeit nicht immer auf bedingungslosen Rückhalt verlassen (Huber 2016). Wenn es zu Konflikten mit den Kirchen kam, wie etwa jüngst im Zuge der Flüchtlingsdebatte, der Mittelmeerrettung, aber auch im Zuge der sogenannten Kreuzpflicht für Behörden des Freistaats, standen Personen Pate als glaubwürdige Vertreter und Schnittstellen der Partei in die Kirchen hinein. Darunter der derzeitige Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Joachim Unterländer, oder Parteigrößen wie Hans Maier und Alois Glück, die viele Jahre Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) waren. Auch Markus Söder war bis zu seiner Wahl zum bayerischen Ministerpräsidenten Mitglied der evangelischen Landessynode, ebenso wie sein Amtsvorgänger Günther Beckstein. Dabei gelang es den genannten Akteuren nahezu immer, ihre Positionen zu vertreten, ohne dass die Geschlossenheit der Partei durch den Wähler offen infrage gestellt worden oder offener Streit in der Partei ausgebrochen wäre. Eigene, teils abweichende Positionen wurden mit dem Anspruch der CSU, Volkspartei zu sein, gerechtfertigt und auf die benötigte Bandbreite einer Volkspartei verwiesen. Der Kabarettist Bruno Jonas nennt es die Fähigkeit, nicht synthesefähige Widersprüche problemlos aufheben zu können (zit. in Knobbe und ­Neumann 2015). Gefährlich wurde es für die Partei demzufolge immer dann, wenn diese Geschlossenheit aufgegeben wurde und Konflikte offen, in aller Härte und lang andauernd ausgetragen wurden. Dies wurde von den Wählern nie honoriert oder mit fallenden Umfragewerten bestraft. Vielmehr gelang es der CSU erst wieder, beim Wähler zu punkten, wenn die Geschlossenheit wieder sichtbar eingekehrt war. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen. Der Kreuther Trennungsbeschluss vom 19. November 1976: Franz Josef Strauß hatte mit der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth beschlossen, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag aufzulösen. 30 Abgeordnete der Landesgruppe stimmten für die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft, 18 dagegen, eine Stimme war ungültig (Müller 2016, S. 134). Die Volte der CSU

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stieß jedoch auf eine gut vorbereitete CDU, die intern Pläne präsentieren konnte, die CDU auf Bayern auszudehnen, was das wichtige Alleinstellungsmerkmal der CSU ernsthaft bedroht hätte. Eine CDU in Bayern hätte das konservative Wählerpotenzial aufgespalten und sofort die absolute Mehrheit, die ein Spitzenkandidat und Ministerpräsident Goppel 1974 problemlos geholt hatte, in Gefahr gebracht. Die Folgen wären unabsehbar gewesen. Der Trennungsbeschluss wurde daher bald wieder rückgängig gemacht. Der Konflikt um das Ministerpräsidentenamt 1993 zwischen Edmund Stoiber, damals Innenminister, und Theo Waigel, damals Parteivorsitzender und Bundesfinanzminister: Der Konflikt wurde in aller Härte ausgetragen, inklusive der Lancierung privater Inhalte über die Medien. Ein landespolitisch unerfahrener Beobachter hätte meinen können, dass ein Parteivorsitzender eine Art Erstzugriffsrecht auf das Ministerpräsidentenamt oder gar ein natürliches Nachfolgerecht habe. Bei dem Beispiel zeigte sich aber das eigentliche Entscheidungsgremium: Es ist in erster Linie die CSU-Landtagsfraktion, nicht die Partei, die den Ministerpräsidenten bestimmt – und zwar denjenigen, mit dem sie die größte Wahrscheinlichkeit auf Machterhalt und den Erhalt der größten Anzahl an Mandaten verbindet. Ebenso abwägend kann die Fraktion einen Ministerpräsidenten stürzen, was die Beispiele Streibl 1993, Stoiber 2007 und Seehofer 2017/2018 zeigen. „Die CSU war stets zu jeder Grausamkeit fähig, wenn es darum ging, Anführer loszuwerden, denen sie die Sicherung ihrer Ausnahmestellung nicht mehr zutraute“ (Deininger und Ritzer 2018, S. 308). In beiden Fällen waren die Umfragewerte höchst schwierig für die CSU. So sah eine Focus-Umfrage die CSU im Februar 1993 bei 39 %, die Forschungsgruppe Wahlen im Zeitpunkt von Stoibers Sturz bei 45 % (Wahlrecht.de 2019). An dieser Stelle muss auch die unionsinterne Kontroverse um die Flüchtlingspolitik, beginnend im Herbst 2015 und gipfelnd im Sommer 2018, erwähnt werden. Die AfD, die sich im Sommer 2015 schon in der Spaltung befand und nahezu durchgehend in den Umfragen unter die 5 %-Hürde gerutscht war, erhielt durch die Flüchtlingspolitik ein neues Thema und damit einen neuen Aufschwung. Bei der traditionell wichtigsten Umfrage in Bayern ­(kontrovers-Bayerntrend) lag die CSU im Januar 2015 bei 46 %, die AfD bei 4 %. Ein Jahr später war die CSU stabil bei 47 %, die AfD jedoch schon bei 8 %. „Der Taktiker Seehofer hat im Konflikt mit der Kanzlerin um die Flüchtlingspolitik einen Haken nach dem anderen geschlagen. Zwischendrin schien das zu funktionieren“ (Deininger und Ritzer 2018, S. 308).

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Solche Entwicklungen führten dazu, dass es die CSU nicht ernsthaft schaffte, den Konflikt mit CDU und Kanzlerin Merkel bis zur Bundestagswahl 2017 glaubhaft zu befrieden. In den letzten Umfragen vor dieser Bundestagswahl rangierte die CSU in Bayern bei 47 bis 49 %, die AfD stabil über der 5 %-Hürde, aber nicht zweistellig. Die Wahl selbst brachte für alle Strategen, die den Konflikt mit der CDU als wesentliches Abgrenzungs- und Profilierungsvehikel betrachteten, ein böses Erwachen: Die CSU landete bei 38,8 % in Bayern und wurde entgegen den Erwartungen abgestraft, die AfD erhielt in Bayern mit 12,4 % zweistellige Ergebnisse, die von den Demoskopen so nicht vorhergesagt worden waren. Die quälend lange Regierungsbildung bis ins Frühjahr 2018 hinein und die Zugeständnisse, die der SPD trotz ihres historisch schlechten Ergebnisses gemacht werden mussten – mit Finanzen, Soziales und Außen holte sich die Partei drei Schlüsselministerien – war nicht dazu geeignet, die CSU wieder dauerhaft über die 40 %-Marke zu hieven. Der eskalierende Konflikt mit drohender Spaltung zwischen den Schwestern CDU und CSU und im Raum stehendem Kanzlerinnensturz im Sommer 2018 ließ für die Landtagswahl 2018 Schlimmes erwarten: Die letzte Umfrage vor dem Wahltermin von infratest dimap für die ARD zeigte sogar 33 % an für die CSU, Tendenz fallend. So zeigte sich einmal mehr, dass Zeiten, in denen es an Geschlossenheit mangelt, gefährlich für die Partei werden können. Ein Mangel an Geschlossenheit, der vom Wähler bestraft werden kann, zeigt sich auch innerhalb von Regierungskoalitionen. Die erste Zeit der – damals für die CSU ungewohnten – Koalition in Bayern mit der FDP ab 2008 (Kabinett Seehofer I) brachte immer wieder kleinere Scharmützel und Konfliktstoff mit sich. Diese Reibereien nutzten aber eher der FDP und schadeten der CSU. Daher war gegen Mitte der 16. Wahlperiode in Bayern ein strategisches Umdenken zu beobachten: Die FDP wurde quasi „zu Tode umarmt“ und potenzielle Konfliktherde wie etwa die Abschaffung der Studienbeiträge oder die Beschäftigungsaffäre im Landtag wurden geräuschlos erledigt. Die FDP hatte mehrfach Chancen verstreichen lassen, sich trotz schwieriger Umfragesituation durch Austragen eines Konflikts zu profilieren. Ein solcher Konflikt hätte dem kleineren Koalitionspartner womöglich genützt, während er dem größeren Partner als mangelhafte Geschlossenheit in der Regierung ausgelegt worden wäre. Die FDP hätte beispielsweise um die Studienbeiträge kämpfen können und deren Abschaffung nicht zustimmen müssen oder im Falle der Beschäftigungsaffäre den Rücktritt von involvierten CSU-Kabinettsmitgliedern verlangen können. Diese Koalition der Harmonie ­ brachte für die CSU die absolute Mehrheit in Bayern zurück, die FDP schied in Bayern mit 3,3 % aus dem Landtag und eine Woche später – noch negativ

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befördert durch eine von Unionsseite heftig bekämpfte Zweitstimmenkampagne – aus dem Bundestag aus. Die Union hingegen schrammte knapp an der absoluten Mehrheit im Bundestag vorbei und das CSU-Ergebnis von knapp 50 % in Bayern trug einen wichtigen Anteil dazu bei. Wenig überraschend: war doch der Wahlkampf für Bundes- und Landtagswahl von Geschlossenheit geprägt. Wenn man an dieser Stelle wieder auf den Befund vom Anfang rekurriert, gemäß dem den Bayern ein gewisses Revoluzzertum innewohnt, lässt sich zum einen schlussfolgern: Die CSU lässt sich durch dieses umstürzlerische Wesen der Bayern, durch die Bereitschaft, die Staatsmacht ärgern zu wollen, nicht dauerhaft treiben. Vielmehr gelang und gelingt es der CSU immer wieder, sich an die Spitze von Bewegungen zu stellen. Beispiel Studienbeiträge: Als ein erfolgreiches Volksbegehren mit Volksentscheid zur Abschaffung der ungeliebten Gebühren drohte, räumte die CSU, angetrieben von ihrem damaligen Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Horst Seehofer, das Thema ab. Im Wahljahr 2018 hatte das Thema durchaus das Potenzial, monatelang die politischen Debatten zu bestimmen. Eine ähnliche Strategie wurde bei der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G 9) oder beim sogenannten Bienen-Volksbegehren verfolgt, bei dem zusätzlich versucht wurde, die Landwirte durch ein Versöhnungsgesetz abzuholen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten neigt die CSU nicht mehr dazu, sich gegen einen dominanten Bevölkerungswillen – hier soll bewusst nicht der Begriff der Bevölkerungsmehrheit gebraucht werden – dauerhaft zu verkämpfen. Eine zweite Schlussfolgerung zum bayerischen Revoluzzertum lautet an dieser Stelle: Die Bayern mögen die Revolution, aber sie muss schnell gehen. Den dauerhaften Konflikt mögen sie nicht. Und natürlich mögen sie auch nicht den, der den ersten Schritt macht, politisch den ersten Schuss abgibt, wenn es zu einer Revolution kommt. Wer beim Königsmord den Dolch führt, wird selten selbst der neue König (Müller 2016, S. 308). Vermutlich hätte es ein kurzes Zeitfenster gegeben, in dem die Kanzlerin Angela Merkel nach dem Scheitern von Jamaika und auch im Sommer 2018 hätte gestürzt werden können. Vielleicht hätte das der Wähler nicht abgestraft. Lähmende Debatten und dauerhafte Konflikte zahlen jedoch bei der CSU ausgehend von den bisherigen Erfahrungen nicht ein. Es geht vielmehr darum, die Geschlossenheit zum richtigen Zeitpunkt wiederherzustellen (Kießling 2004, S. 337) und sie dann auch nach lähmenden Auseinandersetzungen wieder zu betonen (Schnell und Wittl 2018). Ebenso gehört dazu, offenes politisches oder persönliches Nachtreten gegen Amtsvorgänger und einstige Gegner zu unterlassen, wie es beispielsweise der ehemalige Ministerpräsident und langjährige bayerische Innenminister Günther Beckstein immer praktiziert hat (Säuberlich und Tscharnke 2009). Zudem wirkt

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eine geschlossene CSU immer auf die große Schwesterpartei: Es gelingt der CDU nämlich selten, eine geschlossene Position gegenüber einer abweichenden Position der CSU herzustellen, da regelmäßig die von der CSU vertretene Position von einer erheblichen Minderheit der CDU ebenfalls vertreten wird (Schäuble 2000). Geschlossenheit nach innen zu halten ist die eine Sache. Geschlossenheit in den Wählermilieus kann eine CSU aber nur wenig beeinflussen: Bayern war nicht nur nach dem Zweiten Weltkrieg Zuwanderungsland, als viele heimatvertriebene Deutsche nach Bayern kamen. Bayern zieht auch heute viele Zuwanderer aus anderen Bundesländern an. Für die CSU ist das eine strategische Bürde, wie Wahlanalysen zeigen. Viele Zugezogene können mit dem unverblümt dargestellten Eigenstaatlichkeitsanspruch Bayerns und dem – wie häufig so bezeichneten – krachledernen Image nicht viel anfangen und müssen sich erst daran gewöhnen. Nach ARD-Analysen wählten bei der Landtagswahl 2018 von 520.000 zugezogenen Wahlberechtigten 100.000 die Grünen, aber nur 90.000 die CSU (Tagesschau.de 2019). Schmerzvoll für die SPD: Nur 20.000 neu wählende Zugezogene entschieden sich für sie, 50.000 für die FDP im Gegensatz dazu, aber auch 30.000 für die AfD. Zugleich gibt es eine schwer quantifizierbare, aber durchaus relevante Bevölkerungsgruppe, die darunter leidet, wie ihre Heimat „entbayert“ wird (Berls 2013, S. 183). Hier bietet sich für eine Volkspartei die Möglichkeit, mit einer thematischen Bandbreite zu agieren. Eine solche thematische Bandbreite geht jedoch auf Kosten der Geschlossenheit oder zumindest gefühlt für den Wähler auf deren Kosten. Die CSU stand immer vor der Herausforderung, Stadt und Land gleichermaßen bedienen zu müssen. Hier zeigt sich wieder die Heterogenität und immanente Pluralität, die Bayern ausmacht. Dabei konnte sich die Partei stimmenmäßig auf den ländlichen Raum besonders stark verlassen, während in Großstädten wie Nürnberg oder München vor allem die SPD kommunalpolitisch stark war. Die zunehmende Entfremdung zwischen Stadt- und Landbevölkerung stellt die CSU vor strategische Herausforderungen, denn eine stärkere städtische Orientierung droht wie bei einer kommunizierenden Röhre zuungunsten der Wählerschaft auf dem Land zu wirken. Hinzukommt die Konkurrenz durch die Freien Wähler, die besonders auf dem Land stark verankert sind und die Landbevölkerung bewusst bedienen können, den städtischen Raum aber eher rar bespielen. Zudem nimmt die Bindung zu Parteien ab, weil viele Bürger keinen individuellen Nutzwert mehr für sich im politischen Angebot der Parteien erkennen. Die CSU hat das Problem erkannt, tut sich aber noch schwer mit diesem Spagat. Wurde Horst Seehofer erst belächelt, als er vor der Landtagswahl 2013 die Schaffung eines Heimatministeriums

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ankündigte, so entwickelte sich das später in Nürnberg als zweiter Dienstsitz des Finanzministeriums gegründete Haus zum Erfolgsmodell, an das im Bund nach der Bundestagswahl 2017 angeknüpft werden sollte, indem das Bundesinnenministerium den Titel Heimatministerium im Namen führt.

3 Über Bayern hinaus – die CSU als Bayerns Stimme im Bund Erst vor wenigen Monaten äußerte einer, der eher politischer Gegner als politischer Partner der CSU ist, in einer Mischung aus Bewunderung und Neid: „Die CSU war in Bayern eine der genialsten Erfindungen, das muss man ehrlicherweise sagen.“ Und weiter: „Immer wenn die Union regiert, ist eine Regionalpartei, die es nur in Bayern gibt, mit dabei. Davon können andere nur träumen“ (Hägler und Wittl 2019). Damit fasste Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein Kernerfolgsrezept der CSU zusammen: Dass die CSU eine eigene Partei in Bayern ist und nicht einfach nur ein Landesverband, eröffnet ihr traditionell gewaltige strategische Möglichkeiten, sofern die Union Teil der Bundesregierung ist. Bei sämtlichen Koalitionsverträgen bestimmt der Parteivorsitzende der CSU allein schon formell mit und ist direkter Unterzeichner. Plastischer kann man einen bayerischen Eigenstaatlichkeitsanspruch – um auf die Identitätsdiskussion zurückzukommen – nicht unterstreichen. Dass das bei der Schwesterpartei CDU nicht immer auf Gegenliebe gestoßen ist, beweist unter anderem der dauerhafte Skeptizismus eines Wolfgang Schäuble: Seit Schäuble 1991 der CSU den Status einer „bayerischen Regionalpartei“ zumaß, „grassiert bei den Christsozialen zu allem Überfluss auch noch die Vorstellung, der Badener bewerte die CSU ohnehin nur wie einen Landesverband der CDU. Ein Alptraum, der die CSU am empfindlichsten Nerv erwischt: ihrem bundespolitischen Anspruch“ (Reitz 1995). Ebenso ist in Zeiten von Regierungsbeteiligungen in Berlin zu beobachten, dass die CSU überproportional mehr Kabinettsmitglieder in Berlin stellt. So waren im Kabinett Merkel I Horst Seehofer (Landwirtschaft) und Michael Glos, später Karl-Theodor zu Guttenberg (Wirtschaft) vertreten, im Kabinett Merkel II gingen zunächst die Ressorts Verteidigung, Verkehr und Landwirtschaft an die CSU, später Inneres statt Verteidigung mit dem Wechsel von Guttenberg zu Hans-Peter Friedrich. Vergleicht man die Präsenz der BayernSPD am Kabinettstisch von Merkel III, so war mit Florian Pronold nur der damalige Vorsitzende des immerhin mitgliedermäßig zweitstärksten Landesverbands als Parlamentarischer

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Staatssekretär im Umweltministerium vertreten, während die CSU wiederum drei Ministerposten für sich behaupten konnte (Verkehr, Landwirtschaft, Entwicklungshilfe). Zugleich gelang es der CSU auf diese Weise immer wieder, im Bund für Bayern Sonderprojekte zu verwirklichen oder zumindest anzustoßen (Knobbe und Neumann 2015). Doch auch wenn die CSU nicht gerade Teil der Bundesregierung ist, wie etwa in den Zeiten der sozialliberalen Koalition unter den Kanzlern Brandt und Schmidt und unter der Rot-Grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder, profitiert die CSU, indem sie – da sie ja nicht regierungsbeteiligt ist – auf die vorgeblich schlechte Politik in Bonn bzw. später Berlin verweist, und versucht zu zeigen, dass es die Staatsregierung in Bayern besser kann. ­CSU-Kanzlerkandidaten, nämlich Strauß 1980 und Stoiber 2002, hatten immer aus einer bundespolitischen Oppositionsrolle heraus agieren können. Strauß verlor deutlich, Stoiber knapp. Beide CSU-Kanzlerkandidaten konnten sich aber auf einen überproportionalen Stimmenschub aus Bayern verlassen. Strauß holte – trotz leichten Stimmenverlusts gegenüber 1976 im Jahr 1980 58,4 % der gültigen Zweitstimmen in Bayern, wohingegen die Union insgesamt 4,1 Prozentpunkte verlor. Stoiber holte 58,9 % in Bayern bei einem deutschlandweiten Gesamtergebnis der Union von 38,5 %. Beide Kandidaten spürten aber das Handicap, das auch in der Literatur immer wieder thematisiert wird, dass ein Bayer für den Rest der Republik als Unionskanzler nicht wählbar ist (u. a. Hirscher 2005, S. 98). Der Gegenbeweis steht noch aus, wobei noch bis zum August des Jahres 2002 die Chancen Stoibers sehr gut standen und ein Sieg sehr realistisch schien. Zu erwähnen bleibt, dass Stoiber nicht 6.000 Stimmen von der Kanzlerschaft trennten. Es waren mehr. Jedoch holte Hans-Christian Ströbele von den Grünen das damals erste ­Bundestags-Direktmandat für seine Partei in einem Wahlkreis, den sonst die PDS geholt hätte. So hatte die PDS nur zwei Direktmandate, bei einem dritten hätten sie über die Direktmandatsklausel ihre 4 % in Mandate umgemünzt bekommen und es wäre keine erneute Rot-Grüne Mehrheit möglich geworden, sondern vermutlich eine Große Koalition. Die CSU profitiert also davon, dass dem Wähler leichter vermittelbar ist, dass eine CSU-Stimme „Bayernstimme“ ist, also potenziell direkter Bayern stärkt als bei anderen Parteien. Dieses Argument verstärken Spitzenpolitiker der CSU dadurch, dass bewusst darauf hingewiesen wird, Berlin rede bei den meisten anderen Parteien direkt mit. Sichtbar war das beispielsweise bei den Sondierungsgesprächen zum zweiten Kabinett Söder, als bei dem Treffen mit Bündnis 90/Die Grünen deren bundespolitische Akteure Anton Hofreiter und Claudia Roth – wenn auch Bayern – mit dabei waren, aber auch Parteichef Robert Habeck von Ferne

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mitredete und im Vorfeld der Wahl in einem Tweet die Demokratie in Bayern anzweifelte (Deutschländer und Schier 2019). Auch bei der Koalitionsregierung mit der FDP unter Ministerpräsident Seehofer waren die gefühlten Einmischungen aus Berlin durchaus vorhanden und präsent. Die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war als Landesvorsitzende der FDP Teil des Koalitionsausschusses auf Landesebene und stand für viele Beobachter für eine starke Einfluss-Komponente auf die bayerische FDP aus Berlin. Eine strategische Herausforderung sind in diesem Zusammenhang die Freien Wähler. Zwar gibt es sie bundesweit als Partei und ihr Bayern-Vorsitzender Hubert Aiwanger ist auch Bundeschef. Bislang sind sie in Brandenburg im Landtag vertreten, bei der Wahl 2019 dort erneut eingezogen und hatten auch bei der Landtagswahl in Sachsen 3,4 % geholt. In anderen Bundesländern sind sie jedoch noch nicht nennenswert in Erscheinung getreten. Daher gelten die Freien Wähler bei der bayerischen Wählerschaft durchaus als bayerisch, was das eben beschriebene Alleinstellungsmerkmal der CSU untergräbt. ‚CSU-Stimme ist Bayern-Stimme‘ kann daher nicht mehr gänzlich als Slogan gelten. Ein großes Problem für die CSU stellt die AfD und ihr Potenzial, Protestwähler auf sich zu ziehen, dar. Vor allem im ostbayerischen Grenzgebiet erzielte die AfD bei der Bundestagswahl 2017 erhebliche Stimmenanteile, die in den grenznahen Kommunen fast durchgängig über 20 % lagen. Zum einen wurde das durch die direktere Betroffenheit durch den Flüchtlingszustrom im Jahr 2015 erklärt. Zum anderen dadurch, dass die ostbayerischen ländlichen Regionen als eher konservativ gelten. Dem klassischen CSU-Wähler im Osten Bayerns fehlte bei der Bundestagswahl die konservative oder bürgerliche Alternative zur CSU, gegen die die Parole „CSU-Stimme ist Merkel-Stimme“ verfing. Die Freien Wähler kamen bei der Bundestagswahl als realistische bürgerliche Alternative nicht ins Spiel, da ihnen durch die Wählerschaft der Sprung über die 5 %-Hürde nicht zugetraut wurde. Ganz anders aber bei der Landtagswahl: Für dieselbe, von der CSU enttäuschte Wählerschicht lebten hier die Freien Wähler als Alternative auf, da mit einem Wiedereinzug in den Landtag fest gerechnet werden konnte. Entsprechend rückläufig waren dann bei der Landtagswahl die Stimmen der AfD in Ostbayern zugunsten der Freien Wähler. Dieser Problemlage begegnete die CSU in ihrem Wahlkampf am Ende durchaus erfolgreich, indem sie die AfD als „unbayerische Partei“, als Feind Bayerns zu diskreditieren versuchte (Birnbaum 2018). Im Gegensatz zu Umfragen, die die AfD im sicheren zweistelligen Bereich gesehen hatten, erzielte sie bei der Landtagswahl 2018 nur 10,2 %. Noch bei den ­Exit-Polls, die am Nachmittag des Wahltags kursierten, war die AfD mit 15 %

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taxiert worden. Dabei war die Tatsache, dass AfD-Wähler dazu neigen, in Nachwahlbefragungen ihr Wahlverhalten nicht aufzudecken, überschätzt worden. Die Herausforderung wird also sein, dass die CSU ihren Wählern auch in Zukunft vermitteln kann, dass sie es schafft, für die bayerische Identität zu stehen und bayerische Interessen zu vertreten. Damit das gelingt, darf die Schwesterpartei CDU nicht in den Verdacht geraten, gegen bayerische Interessen zu handeln, wie etwa bei der Flüchtlingskrise. Denn dies würde die CSU direkt in ein strategisches Dilemma führen: Es hätte zur Folge, dass die CSU handeln und sich gegen die Schwesterpartei positionieren muss, denn die CSU muss sichtbar bayerische Interessen vertreten. Mündet dies aber in einen dauerhaften, nicht schnell beilegbaren Konflikt, wird die Geschlossenheit aufgegeben und die CSU wird vom Wähler abgestraft.

4 Das Kapital der Geschlossenheit: Befunde und Folgerungen Als Zusammenfassung kann festgestellt werden, dass die CSU immer dann besonders erfolgreich war, wenn sie die viel zitierte „legendäre Geschlossenheit“ walten lassen konnte. Dauerhafter Streit, sei es nach innen, innerhalb der Union oder innerhalb einer Koalition, wurde vom Wähler abgestraft und schlug sich negativ in Umfragen nieder. Kurze Zeiten der Auseinandersetzung, die im Austausch von Spitzenpersonal gipfelten, richteten nicht dauerhaft Schaden an, sondern wirkten, um das Bild zu bemühen, wie ein reinigendes Gewitter, solange die künftig zu bestehende Wahl noch in gebührendem Abstand lag. Davon abzugrenzen ist thematische Breite: Von der Verkörperung breiter, ja teils verschiedener politischer Inhalte durch Personen konnte die CSU immer profitieren. Dadurch blieben Themenfelder bei Bedarf aktivierbar. Diese Breite muss die CSU behalten, wenn sie Volkspartei bleiben will. Die Breite ist auch unabdingbar, wenn es um einen Konflikt geht, der die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bestimmen wird: Das Auseinanderdriften von Stadt und Land, von urban geprägten Gebieten und dem ländlichen Raum. Waren schon beim Bienen-Volksbegehren die Eintragungsquoten in städtisch geprägten und gut ­ situierten Gegenden überdurchschnittlich hoch, so manifestiert sich der Gegensatz auch bei den Fridays-for-Future-Debatten. Wenn in Großstädten durch eine radikalisierte sogenannte Extinction Rebellion der Pkw-Verkehr lahmgelegt wird oder große Automobile beschmiert werden, während gleichzeitig in Kleinstädten wie Roding oder Hallstadt gut

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bezahlte Arbeitsplätze in der Automobilzulieferindustrie ersatzlos wegfallen, wird der Gegensatz noch stärker fassbar. Hierauf eine, im Sinne der beschriebenen Geschlossenheit, konsistente Antwort zu finden und darin Stadt und Land gleichermaßen zu berücksichtigen, ganz im Sinne des bayerischen Verfassungsgrundsatzes der gleichwertigen (nicht gleichartigen!) Lebensverhältnisse, wird die große Herausforderung der Zukunft für die CSU sein, wenn sie die Symbiose zwischen Parteiidentität und bayerischer Identität weiterhin leben will.

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Die bayerische Identität der CSU im Zeitalter von Europäisierung und Globalisierung Manfred Weber

„Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft.“ Dieser von Franz Josef Strauß formulierte Dreiklang aus Freistaat, Nationalstaat und Europa hat schon immer das Selbstverständnis der CSU bestimmt und er ist heute wahrer denn je: Die CSU wird auch in Zukunft nur erfolgreich sein, wenn sie alle Ebenen zusammen denkt und sich verstärkt Europa als Gestaltungsebene zuwendet (Budich 2013). Europa ist ein ganz zentraler Bestandteil unserer bayerischen wie deutschen Identität. Europa begründet ein weltweit einzigartiges Wertefundament. Die selbstbewusste Verteidigung dieser europäischen Werte ist eine zentrale Aufgabe der CSU. Für uns Christsoziale ist Europa dabei ein Projekt der Bürgerinnen und Bürger. Wir kämpfen für eine echte parlamentarische Demokratie auf EU-Ebene, um die zentralen Zukunftsentscheidungen in die Hände der Menschen zu legen.

1 Bayern, Deutschland und Europa: Der gestalterische Dreiklang der CSU Die CSU versteht sich als Regierungspartei auf allen Ebenen. Sie ist zwar in ihren Wurzeln und ihrem Anspruch ganz klar eine bayerische Partei (Mintzel 1975). Die CSU betreibt aber ganz bewusst keine Kirchturmpolitik. Wir übernehmen Verantwortung weit über die Landesgrenzen hinaus, um Deutschland, Europa und

M. Weber (*)  Straubing, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_3

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die Welt mitzugestalten und zugleich die Probleme der Menschen in Bayern bestmöglich zu lösen. Das Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre ist dabei unsere Richtschnur (Oberreuter 2007): Die CSU findet Lösungen so nah vor Ort wie möglich. Gleichzeitig aber haben wir immer anerkannt, dass es Herausforderungen gibt, die sich entweder ausschließlich oder aber deutlich effektiver auf einer höheren Ebene lösen lassen.

1.1 Bayerische Eigenständigkeit der CSU Die Eigenständigkeit der CSU innerhalb der deutschen Unionsfamilie ist ein historischer Glücksfall. Während die anderen christdemokratischen Landesparteien in Westdeutschland sich innerhalb von fünf Nachkriegsjahren bis 1950 zur CDU Deutschlands zusammenschlossen, lehnte die CSU unter Führung von Josef Müller gemeinsam mit Hans Ehard, Fritz Schäffer und dem jungen Franz Josef Strauß es strikt ab, in einer deutschen Partei aufzugehen (Mintzel 1977, S. 78–93). Damit stand die frisch gegründete CSU in der föderalstaatlichen Tradition der Bayerischen Volkspartei BVP (1918–1933), die sich bewusst von der gesamtdeutschen Zentrumspartei losgesagt hatte, die man in Bayern als zu zentralistisch empfand. War die BVP dank dieser Entscheidung für Bayern bei allen Landtagswahlen der Weimarer Zeit stärkste Kraft geworden, konnte die CSU an diesen Erfolg sofort nach dem Krieg anknüpfen und ihn numerisch sogar deutlich übertreffen. Die CSU ist damit seit einem dreiviertel Jahrhundert die große Volkspartei in Bayern (Hermannseder 2014). Der einmalige Aufstieg Bayerns vom ärmsten aller westdeutschen Länder zum wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Spitzenreiter in ganz Deutschland ist kein Zufall. Dank bayerischem Alleinstellungsmerkmal der CSU war es möglich, eine maßgeschneiderte Politik speziell für Bayern zu gestalten, sozialen und wirtschaftlichen Erfolg darin einmalig zu verknüpfen und auch die Identität der Menschen in einer einzigartigen Verbindung aus Tradition und Moderne zu bewahren (Hopp et al. 2010). Die CSU wird deshalb nie eine „CDU Bayern“ werden, sondern sie wird immer einen eigenen, selbstbewussten Weg gehen und sich auf ihre bayerischen Wurzeln gründen. Bayern und CSU gehören untrennbar zusammen. Mehr noch: Bayern und CSU bedingen ihren gegenseitigen Erfolg. Unsere Partei muss deshalb immer die Partei Bayerns bleiben.

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1.2 Bundesweiter Gestaltungsanspruch der CSU Bayerisch verwurzelt zu sein hat für die CSU aber nie geheißen, dass uns das Geschehen westlich der Iller und nördlich der Rhön nichts anginge. Dass die Grenze unseres Freistaats nie auch eine Grenze in unseren Köpfen geworden ist, das ist die zweite historische Stärke der CSU. Die CSU hat sich seit der „Stunde Null“ zu einem starken Bayern in einem föderalen Deutschland bekannt und beidem maßgeblich zum Erfolg verholfen (Weigl 2013a, S. 27–77). Das war ihr zentraler Unterschied zur Bayernpartei. Der CSU-geführten bayerischen Staatsregierung unter Ministerpräsident Hans Ehard ist es zu verdanken, dass die Bundesrepublik eine der föderalsten Verfassungen unserer Zeit erhalten hat. Auf ihre Einladung trafen sich die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder zum Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee und erarbeiteten dort den Großteil des Grundgesetzes. Ganz selbstverständlich ist der Freistaat Bayern dann auch Mitglied dieses Bundesstaats geworden. „Wir bekennen uns zu Deutschland, weil wir zu Deutschland gehören!“: Dieser berühmte Satz vom Ministerpräsidenten und späteren Parteivorsitzenden Hans Ehard aus der entscheidenden Landtagsdebatte am 20. Mai 1949 zur konditionierten Annahme der Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes bringt auf den Punkt, was seitdem zur bayerischen Staatsräson und zur DNA der CSU gehört. Die CSU war immer eine konstruktive Kraft in der Bundesrepublik (Mintzel 1998, S. 92–112). Die Bayernpartei unter ihrem Vorsitzenden und ehemaligen CSU-Mitglied Joseph Baumgartner hat ganz im Gegenteil ihre Ablehnung dieses bundesweiten Weges binnen weniger Jahre in die faktische Bedeutungslosigkeit geführt. Nach einem starken Aufblitzen mit fast 18 % bei der Landtagswahl im Folgejahr 1950 ging es für sie in den darauffolgenden Wahlen beständig abwärts: Schon in den 1960er Jahren konnte sie die Fünf-Prozent-Marke nicht mehr überspringen und ab den 1970ern war sie endgültig zur Splitterpartei abgestiegen, mit Stimmenanteilen unter zwei und oftmals sogar unter einem Prozent. Dass die CSU parallel zum Abstieg der Bayernpartei förmlich aufgeblüht ist, hatte jenseits der Identitätsfrage vor allem mit der Umsetzung von Inhalten zu tun: Nicht nur verstanden die Menschen, dass sie als Bayern zu Deutschland gehören. Sie sehen am Beispiel der CSU auch, wie viel mehr man im bundesdeutschen Verbund gemeinsam erreichen kann, als ganz allein auf sich selbst gestellt. Die CSU der Gründergeneration hat damit vorgemacht, wie man moderne Staatlichkeit Bayerns denkt (Mintzel 1975).

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Prominentester Vordenker und auch ‚Vorleber‘ dieses bundesweiten Gestaltungsanspruchs der CSU ist Franz Josef Strauß. Er hat es als einer der Ersten verstanden, dass sich bayerische Interessen in vielen Politikbereichen am besten über den Bund gestalten lassen. Dabei war Strauß aber nie abgehobener Bundespolitiker, sondern er hat sich immer auch in die Landespolitik eingemischt und Bayern in all seinen Funktionen entscheidend geprägt. Franz Josef Strauß war nie München allein genug, noch sah er sich als bloßer Bonner. Er hat immer beides zusammen gedacht (Deininger 2020, S. 98–104). So ist es kein Zufall, dass Strauß sich als junger aufstrebender Politiker zunächst bewusst für die damalige Bundeshauptstadt Bonn entschieden hat, anstatt den vielleicht näherliegenden Weg in München einzuschlagen (Strauß 1989, S. 139–158). Von der allerersten Legislaturperiode an war Strauß zunächst 29 Jahre lang Mitglied des Deutschen Bundestages (1949–1978) und stand als Bundesminister an der Spitze von vier verschiedenen Bonner Ressorts. Erst als Bayerischer Ministerpräsident entschied er sich für das Landtagsmandat – beides über einen im direkten Vergleich kurzen Zeitraum von insgesamt zehn Jahren (1978–1988). Selbst als CSU-Parteivorsitzender (1961–1988) war Franz Josef Strauß deutlich länger Bundestags- denn Landtagsabgeordneter. Strauß’ bundespolitische Ämter taten seiner Durchschlagskraft in Bayern keinen Abbruch: Unter Strauß’ Parteivorsitz gewann die CSU mit Alfons Goppel bei der Landtagswahl 1962 erstmals nach 1946 wieder eine absolute Mehrheit der Sitze im Maximilianeum. Dank starkem Einsatz von Strauß wurde das christliche Bekenntnis im Volksschulunterricht in der 1968 geänderten Bayerischen Verfassung verankert. Aber auch im Bund war Strauß prägend: Westbindung, Wiederbewaffnung, europäische Einigung, solide Bundesfinanzen und eine hoch moderne Energiepolitik – all diese zukunftsweisenden Grundsatzentscheidungen für die junge Bundesrepublik, die zugleich im ureigensten Interesse Bayerns lagen und dessen späteren Aufstieg ermöglicht haben, hat Franz Josef Strauß sozusagen in Personalunion durchgesetzt: Als einer der mächtigsten Bundespolitiker und gleichzeitig als einflussreichster Bayer seiner Generation ­(Siebenmorgen 2017). Mit starken Bundesministern, bislang zwei Kanzlerkandidaten der CSU, einer schlagkräftigen CSU-Landesgruppe und einer selbstbewussten Stimme in Bundesrat und Koalitionsausschuss nimmt unsere Partei diesen Gestaltungsanspruch seitdem sehr erfolgreich wahr. Der bundesweite Gestaltungsanspruch ist ganz selbstverständlich das zweite zentrale Standbein der CSU zur effektiven Durchsetzung unserer bayerischen Identität. Die CSU ist stolze Bundespartei ohne Wenn und Aber.

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1.3 Europäische Interessendurchsetzung der CSU Ebenso selbstverständlich wie der bundespolitische Gestaltungsanspruch ist für die CSU auch die europapolitische Interessendurchsetzung Teil der Parteiidentität (Schramek 2010). Das supranationale Europa war von Anfang an die Ebene, auf der unsere Partei zentrale Zukunftsfragen entschieden hat, die sich allein im Freistaat oder im Bund nicht mehr zufriedenstellend bewältigen ließen (Hübler 2003a). Fünf Beispiele für die europäische Interessendurchsetzung in der Geschichte der CSU: Franz Josef Strauß hat schon 1952/1953 die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) gefordert und sie als junger Abgeordneter und begnadeter Debattenredner gegen den Widerstand der SPD mit durch den Bundestag gebracht. Denn Strauß sah – gerade als überzeugter Transatlantiker –, dass Europa sich mit vereinten Kräften ungleich besser gemeinsam mit den USA gegen die sowjetische Bedrohung wappnen konnte und dass für Deutschland der europäische Verbund der geeignetste Weg war, um international wieder Verantwortung übernehmen zu können (Siebenmorgen 2017). Auch nach Ablehnung der Französischen Nationalversammlung 1954 hielt Strauß zeitlebens am Ziel der EVG, d. h. an einer europäischen Armee, fest. 65 Jahre später steht das Thema endlich wieder auf der Tagesordnung und werden erste konkrete Schritte beschlossen. Der französische Staatspräsident wird dafür heute als Visionär gefeiert – die CSU hat die europäische Verteidigungsunion schon seit Anbeginn in ihrer politischen DNA. Franz Josef Strauß war es auch, der gegen alle Widerstände den Airbus als deutsch-französisches Projekt unter späterer Beteiligung weiterer Europäer durchgesetzt und daran festgehalten hat. Deutschland unter der sozial-liberalen Bundesregierung wollte in den 1970er Jahren mehrfach aus dem Airbus-Projekt aussteigen. Strauß aber hielt als Airbus-Aufsichtsratsvorsitzender unbeirrbar daran fest. Im Ergebnis gibt es heute auch dank der CSU einen echten europäischen Hightech-Industriegiganten in der Luft- und Raumfahrt, wo bislang die Amerikaner allein das Sagen hatten. Allein national, geschweige denn regional wäre uns dies niemals gelungen. Friedrich Zimmermann hat als Bundesinnenminister ab 1985 im Zuge der Schengen-Einführung dafür gesorgt, dass es in Europa Freizügigkeit nur in Kombination mit mehr Sicherheit gibt: Dank Zimmermann haben wir heute die europäischen Fahndungsdatenbanken des Schengener Informationssystems (SIS) und die grenzüberschreitende Kriminalitätsbekämpfung, inklusive Schleierfahndung an innereuropäischen Grenzen. Das konsequente Beharren der CSU auf

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mehr Innerer Sicherheit im Schengenraum hat gemeinsame Fahndungserfolge in Europa ermöglicht und garantiert bis heute einen besseren Schutz der Menschen in Bayern und ganz Europa vor Verbrechen und Organisierter Kriminalität (Hübler 2003b). Theo Waigel war als Bundesfinanzminister nicht nur einer der Väter der europäischen Gemeinschaftswährung. Er war es auch, der dem Euro – zunächst gegen französischen Widerstand – die Maastricht-Stabilitätskriterien zur Seite gestellt hat. Der so entstandene starke und stabile Euro hat – gepaart mit der EU-Osterweiterung – den massiven wirtschaftlichen Erfolg Bayerns in den vergangenen zwei Jahrzehnten ganz entscheidend ermöglicht: Seit der ­Euro-Einführung 1999 sind Bayerns Exporte um 153 % und ist die bayerische Wirtschaftskraft um 87 % gewachsen, während sich die Arbeitslosenquote in Bayern mehr als halbiert hat – auf ihren tiefsten Stand seit 45 Jahren. Die europäische Währungspolitik der CSU hat einen nie da gewesenen Wohlstand in Bayern ermöglicht (Hübler 2003b). Zusammen mit der Hanns-Seidel Stiftung (HSS) hat die CSU die jungen Demokratien in ganz Europa ganz entscheidend mit aufgebaut. So haben im Bulgarien des Jahres 2005 – zwei Jahre vor EU-Beitritt – CSU und HSS vor allen anderen auf Boyko Borissov gesetzt und ihm geholfen, die Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) aufzubauen und das politische Vakuum in der konservativen Mitte der Parteienlandschaft zu besetzen. Günther Beckstein und mehrere CSU-Kommunalpolitiker sind wiederholt nach Bulgarien gereist und haben dort finanzielle und logistische Unterstützung geleistet. Heute regieren Boyko Borissov und GERB schon in der dritten Amtszeit das Land und schützen besser als jeder andere unsere gemeinsame europäische Außengrenze. Die mögliche Alternative wäre gewesen, dass Bulgarien heute in den Händen von Altkommunisten oder Rechtsextremisten wäre, mit absehbaren Folgen. Das europäische Engagement der CSU innerhalb der EVP-Familie begünstigt Stabilität in unseren europäischen Partnerländern und gemeinsame Lösungen zum Wohle Bayerns und ganz Europas zugleich. Diese fünf Punkte zeigen beispielhaft, in welch verschiedenen Bereichen die Durchsetzung bayerischer Interessen am wirkungsvollsten auf europäischer Ebene ansetzt. Von der erfolgreichen Fortschreibung dieses Dreiklangs und vom Liefern handfester Politikergebnisse auf allen drei Ebenen wird deshalb auch der künftige Erfolg der CSU abhängen. Unser Bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Markus Söder hat genau diesen Dreiklang des Lieferns in seiner Regierungserklärung „für ein starkes und freies Europa“ vom 23. Mai 2019

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beschrieben: Ein Europa des Friedens, der Freiheit, des Wohlstands, der Sicherheit, der Weltoffenheit, der globalen Wettbewerbsfähigkeit, der Innovation und des Umweltschutzes – dafür arbeiten wir auf allen Ebenen mit ganz konkreten Politikinhalten, zum Wohle der Menschen in Bayern und in ganz Europa.

2 Die europäische Identität der CSU als Zukunftsfrage in einer zunehmend globalisierten Welt Mit diesem vorrangig funktionalistischen Argument allein ist es aber nicht getan. In einer immer turbulenteren Welt wird Europa zunehmend die Wertefrage gestellt, der wir uns auch in Bayern stellen müssen (Weigl 2013b). Die CSU bekannte sich immer zu Europa. Sie trug es von der deutsch-französischen Freundschaft über die Westbindung bis hin zu allen europäischen Verträgen mit. Wir Bayern haben uns schon immer ganz klar als Europäer gefühlt, mit einer bis ins 6. Jahrhundert zurückreichenden Geschichte Bayerns, die eine extrem starke kulturelle, politische und wirtschaftliche Vernetzung mit unseren europäischen Nachbarn bedeutet (Kraus 2013). Der Blick auf andere Weltregionen und globale Verwerfungen macht klar, wie sehr wir Europäer uns von anderen Gesellschaftsund Wirtschaftsmodellen in der Welt unterscheiden und wie wichtig der europäische Zusammenhalt zur Bewahrung unserer Werte ist. Dabei stehen wir als CSU ganz klar für ein bürgerliches Europa, das Modernität mit Tradition verbindet, und das wirtschaftliche und gesellschaftliche Trends nicht verschläft, sondern sie mit einem klaren Wertekompass prägt und zukunftsfest macht (CSU 2016).

2.1 Ein weltweit einzigartiges europäisches Wertefundament Uns Europäer verbinden ein einzigartiges Wertefundament und ein Bewusstsein des Miteinanders, wie es sie nirgendwo sonst auf der Welt zu finden gibt. Im Europawahlkampf 2019 bin ich durch ganz Europa gereist. Bei allen nationalen und regionalen Unterschieden, bei all der Vielfalt, konnte ich in meinen Gesprächen mit den Menschen doch immer spüren, dass ich in Europa war: Bei sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit sind wir Europäer einzigartig in der Welt. Die USA haben es bis heute kaum geschafft, eine rudimentäre Krankenversicherung für einen Teil der Bedürftigen einzuführen. In Europa

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gibt es überall Sozialsysteme, die sicherstellen, dass kein Mensch in Not allein seinem Schicksal überlassen bleibt. Bei uns haben weder Wildwest-Kapitalismus noch sozialistische Staatswirtschaft eine Chance. In ganz Europa sind wir stolz auf die Soziale Marktwirtschaft, die unsere Gesellschaften in ihren Grundfesten zusammenhält (Erhard 2009). Das Verbot der Todesstrafe ist für uns selbstverständlich und unverhandelbares Kriterium sowohl für den Beitritt als auch für den Verbleib in der EU. Selbst unsere Verbündeten in den USA und Japan richten immer noch regelmäßig Kapitalverbrecher hin. Wir Europäer haben spätestens mit den Schrecken von Naziterror und Kommunismus gelernt, dass die Würde des Menschen unantastbar sein muss und kein Staat seinen Bürgern das Leben nehmen darf. Europa setzt primär auf Diplomatie und gemeinsame Lösungen anstatt sich in sinnloser Konfrontation zu verbeißen oder sich gleich ganz der Verantwortung zu entziehen. Der nukleare Rüstungsstopp im Iran wie auch das Pariser Klimaabkommen wären ohne den massiven Einsatz Europas nie zustande gekommen. Heute ist es wiederum Europa, das angesichts des Rückzugs der ­Trump-Administration beide Abkommen, so gut es geht, am Leben erhält. Diese Liste ließe sich noch deutlich verlängern: die Gleichberechtigung von Mann und Frau; Demokratie und Rechtsstaatlichkeit; Religionsfreiheit und das Eintreten für religiöse Minderheiten in der Welt; eine einmalige Meinungs- und Pressefreiheit. Sich zu diesem gemeinsamen europäischen Wertefundament, dem „European Way of Life“, zu bekennen und ihn zu verteidigen, das macht unser bürgerliches Verständnis von Politik aus – in der CSU wie auch in unserer christdemokratischen EVP-Familie (Schöfbeck 2010).

2.2 Der „European Way of Life“ als selbstbewusste Leitkultur der bürgerlichen Mitte Die selbstbewusste Verteidigung unserer europäischen Werte kann ein klares Alleinstellungsmerkmal der CSU im Vergleich zu unseren politischen Wettbewerbern sein. Als CSU waren wir schon immer stolz auf unsere Werte und haben sie auch offensiv in Bayern wie im Bund vertreten. Die CSU war dabei weder bloßer Funktionsapparat noch ideologischer Kampfverband, sondern verstand sich stets als Partei, die gemeinsam mit den Menschen eine wertegeleitete Politik entwirft und umsetzt (Sebaldt 2010). Diesen Anspruch der klar wertegeleiteten Politikgestaltung muss die CSU noch offensiver auf Europa ausdehnen: Mit dem „European Way of Life“ haben wir in CSU und EVP in den vergangenen Jahren einen einschlägigen Begriff geprägt und einen erfolgreichen

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Europawahlkampf bestritten. Unser Verständnis von Identität ist nicht gegen etwas, sondern für etwas. Wir verrennen uns weder in ideologischen Debatten noch verlieren wir uns in einer ängstlichen Beliebigkeit, die am Ende niemandem gerecht wird. Wir schaffen Gemeinsamkeit und besinnen uns auf das Verbindende in Europa, um zusammen für alle mehr zu erreichen. Um es mit den Worten des Stanforder Politikprofessors Francis Fukuyama (vgl. Fukuyama 2019) zu sagen: „Identität kann benutzt werden, um zu spalten, aber auch um zu vereinen. Dieses zweite, Gemeinsinnstiftende und vereinende Verständnis von Identität ist das zentrale Heilmittel gegen den Populismus unserer Zeit.“ Genau das ist unser Ansatz in der CSU: Rechte Demagogen verleugnen Europa und all das Verbindende. Linke verteufeln den Nationalstaat und klare Werte und wissen oft gar nicht so recht, wo sie hingehören – bloß was sie alles nicht sind. Wir in der CSU bekennen uns zu unserer Identität als Bayern, Deutsche und Europäer und sind stolz auf alles drei. Dieses Alleinstellungsmerkmal unserer Partei sollten wir auch in Zukunft ganz selbstbewusst herausstellen.

2.3 Europas Parlamentarische Demokratie als Grundvoraussetzung zur Bewahrung unserer Identität Um unseren europäischen Lebensstil und damit auch unsere bayerische Lebensart auch in Zukunft zu bewahren, muss die CSU die treibende Kraft sein, Europa zu einer wirklichen parlamentarischen, handlungsfähigen Demokratie weiterzuentwickeln. Unser europäisches Lebensmodell steht auf der Kippe: Ohne europäische Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit werden wir in den kommenden Jahren unter die Räder weit größerer Mächte geraten. Weder private Internetgiganten noch Staatswirtschaften und Autokratien wie China und Russland werden die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit, Wohlstand und Fairness, Toleranz und Ordnung für uns sichern. Nur ein geeintes Europa kann unsere Werte verteidigen, wo jeder Staat für sich genommen zu klein wäre. Diese Jahrhundertaufgabe kann aber nicht als fernes Elitenprojekt weniger Staatenlenker funktionieren. Europas Bürgerinnen und Bürger müssen das entscheidende Wort haben, wer ihren Kontinent regiert und welche Zukunftsentscheidungen in ihrem Namen umgesetzt werden. Das ist die Leitidee der europäischen Christdemokratie, prominent formuliert von Jacques Maritain in „L‘Europe et l‘idée fédérale“ (Maritain 1993).

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Als Volkspartei haben wir in der CSU immer auf parlamentarische Repräsentation gesetzt. Bis 2024 sollten wir die Grundsätze der parlamentarischen Demokratie im EU-Entscheidungsprozess fest verankert haben, beispielsweise, indem der Spitzenkandidaten-Prozess verbindlich festgeschrieben wird, damit die Wählerinnen und Wähler bestimmen, wer die Europäische Kommission anführt und mit welchem Programm. Dafür brauchen wir europaweite Wahlkämpfe, bei denen über die wirklich entscheidenden Fragen gesprochen, gerungen und letztlich entschieden wird. Und es braucht endlich ein legislatives Initiativrecht für das Europäische Parlament, damit es die Gesetze, die es am Ende beschließt, auch selbst einbringen kann. Dieser demokratische Legitimationsschub würde die Grundlagen schaffen, um Europas derzeitige Sprachlosigkeit in vielen Bereichen zu beenden und gemeinsame Handlungsfähigkeit herzustellen, wo sich noch allzu oft nationale Eitelkeiten gegenseitig blockieren (Schmidt 2019, S.  429–438). In der europäischen Außenpolitik muss das Einstimmigkeitsprinzip abgeschafft werden, da es von Tsipras bis Orbán allzu oft dazu benutzt wurde, Europa in der Welt den Mund zu verbieten. Auch muss Europa mit mehr Elan sprechen, um eine fairere Weltwirtschaftsordnung mit ambitionierten Handelsverträgen zu schaffen, das Pariser Klimaabkommen weltweit verbindlich fortzuschreiben und in Europa eine wirkliche Sicherheitsunion aufzubauen, die Terroristen die Stirn bietet und sich neuen digitalen Gefahren wirkungsvoll entgegenstellt. Die Entwicklung einer echten Europäischen Parlamentarischen Demokratie bedeutet dabei keinesfalls einen ersten Schritt hin zu einem europäischen Superstaat. Ganz im Gegenteil: Die volle parlamentarische und politische Souveränität auf allen Ebenen – bei gegenseitiger Verschränkung und Kontrolle – ist die beste Garantie dafür, dass administrativer Verselbstständigung ein Riegel vorgeschoben wird und nicht Bürokraten entscheiden, sondern die Bürgerinnen und Bürger über ihre eigene Zukunft bestimmen. Bayern und die CSU haben schon seit den Nachkriegsjahren darauf gedrängt, dass das neue demokratische Deutschland einen föderalen Staatsaufbau erhält, mit starken Bundesländern und selbstbewussten Parlamenten auf allen Ebenen (Kießling 2004, S. 55–65). So blieb nicht nur Deutschland über all die Jahrzehnte hinweg handlungsfähig und erfolgreich, sondern gerade auch Bayern konnte sich ganz einzigartig entfalten. Analog müssen wir als CSU uns in den kommenden Jahren weiterhin mit voller Kraft für die Schaffung einer echten Europäischen Parlamentarischen Demokratie einsetzen. Nur ein demokratisches Europa mit starken Parlamenten wird unsere Identität und unsere Art zu leben bewahren können, in Bayern, in Deutschland und in ganz Europa.

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3 Fazit Wenn politische Freunde aus ganz Europa zu mir daheim nach Niederbayern kommen, dann erlebe ich regelmäßig erfreutes Erstaunen über all die Gemeinsamkeiten: Spanier, Griechen, Rumänen oder Esten finden sich wieder in unseren Bräuchen und Sitten, unserer Art zu leben und zu denken. Und sie stellen immer wieder begeistert fest: Bayern ist ihnen gar nicht fremd. Und auch umgekehrt: Wenn mich Menschen aus der Heimat bei meiner Arbeit in Brüssel und in Straßburg besuchen und mit meinen Abgeordnetenkollegen aus den anderen Ländern Europas sprechen, dann erleben sie: Wir gehören zusammen, als Europäer und als europäische Christdemokraten. Europa ist für die Menschen eine echte Realität geworden, die sie greifen können und über die sie sich identifizieren. Dies war und ist ein Erfolg der CSU und unser Auftrag für die Zukunft: Nur wenn wir es schaffen, Europa noch stärker als Gestaltungsebene zu begreifen, unsere europäischen Werte noch selbstbewusster zu verteidigen und die europäischen Zukunftsentscheidungen wirklich in die Hände der Menschen zu legen, dann werden wir unsere einzigartige Symbiose bewahren, mitzugestalten, worauf es in Zukunft ankommt – als Bayern, als Deutsche und als Europäer.

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M. Weber

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Christliche Ethik

Das Kapital der Wertbindung: Die CSU als parteipolitische Verkörperung christlicher Ethik Reiner Anselm und Philipp W. Hildmann 1 Christliche Ethik und Wertbindung der CSU: Zur Fragestellung Von Anfang an gehört das Christentum zur DNA der CSU. Als sich auch in Bayern nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Unrechtsherrschaft „konservative, nationale, liberale und soziale Kräfte“ (Schlemmer 1998, S. 10) zusammenfanden, um im Angesicht „des Trümmerfeldes, zu dem eine Staatsund Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges“ (Verfassung des Freistaates Bayern 2009, S. 10) geführt hatte, über die Neugründung einer ausdrücklichen Volkspartei auf breiter Basis nachzudenken, war genau diese Erkenntnis ihr zentraler Orientierungspunkt. „In der Schrecksekunde nach dem Zusammenbruch war Politik aus christlicher Verantwortung ein einleuchtendes Gebot der Stunde“ (Maier 2007, S. 72). Christliche Verantwortung bedeutete Verantwortung aller Christen. In der Konsequenz wurde die für die Katastrophe des Dritten Reiches mitursächliche Weimarer Parteienzersplitterung durch eine Sammlung in der gesellschaftlichen Mitte überwunden und die traditionelle konfessionelle Spaltung der bayerischen

R. Anselm (*)  LMU München, München, Deutschland E-Mail: [email protected] P. W. Hildmann  Hanns-Seidel-Stiftung, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_4

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R. Anselm und P. W. Hildmann

Wählerschaft durch eine politische Zusammenarbeit der Konfessionen ersetzt.1 Als prägend erwiesen sich hier nicht zuletzt die im gemeinsamen Widerstand gegen den Nationalsozialismus entstandene „interkonfessionelle Widerstandskoalition“ (Sebaldt 2010, S. 562) inklusive einer nicht selten geteilten Erfahrung von Verfolgung und Inhaftierung. Diese Geburtsentscheidung, aus dem Christentum abgeleitete Werte zur Grundlage politischen Handelns einer überkonfessionellen Volkspartei zu machen, spiegelte sich fortan nicht nur im Namen2 der frisch entstandenen „Nova am Parteienhimmel“ (Maier 2007, S. 73), sondern gerade auch in einer programmatischen Verankerung von bemerkenswerter Konstanz. Ob dieser Befund ausreichend ist, pauschal von der CSU als einer parteipolitischen Verkörperung christlicher Ethik zu sprechen, wird am Ende zu fragen sein.

2 Die programmatische Verankerung des christlichen Weltbilds Der genuine Ort für eine Partei, ihre „theoretische Basis als Leitlinie für das politische Handeln“ (Kirchmann 1985, S. 98) festzuschreiben, sind Parteiprogramme bzw. Grundsatzprogramme. In ihnen werden „die Fundamente der Partei gelegt“ (Schäfer 2010, S. 174). Sie sind für die Abgrenzung gegenüber politischen Mitbewerbern ebenso wichtig wie für die eigene Profilschärfung und Identitätsprägung. Die CSU hat bislang sieben dieser Programme erarbeitet

1Trotz

dieses konfessionsübergreifenden Ansatzes behielt die CSU allerdings auch nach der Überwindung ihrer katholisch-klerikal akzentuierten Gründungsphase eine starke katholische Prägung, die sich in Mitgliedschaft und Wählerschaft bis heute in abgemilderter Form erhalten hat. Ergab eine Erhebung der Parteimitglieder nach Konfession 1948 ein Verhältnis von 91,3 % Katholiken gegenüber 8,4 % Protestanten (vgl. Gerngroß 2010, S. 86), so stehen im Jahr 2019 74 % Katholiken 15,7 % Protestanten gegenüber (schriftliche Mitteilung der CSU-Landesleitung an die Verfasser vom 4. September 2019). Zahlen, die sich allein durch die katholische Dominanz in der bayerischen Bevölkerungsstruktur nicht begründen lassen. 2Verschwiegen werden sollte allerdings nicht, dass das „C“ um Haaresbreite nicht Bestandteil des Parteinamens geworden wäre. Als auf der entscheidenden Sitzung am 12. September 1945 über die drei Namensbestandteile einzeln abgestimmt wurde, fand sich für „das Prädikat ‚christlich’, das für manche eine zu enge Bindung an die Kirche ausdrückte, […] eine nur äußerst knappe Mehrheit […] – neun dafür, acht dagegen, eine Enthaltung“ (Fait 1995, S. 40).

Das Kapital der Wertbindung

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und verabschiedet. Als Mitglieder der jeweiligen Kommissionen waren an der Erstellung fast aller CSU-Grundsatzprogramme auch Theologen beteiligt. So der katholische Priester Emil Muhler (1892–1963) am Programm von 1957, das er der „Landesversammlung“ vor dessen Verabschiedung „in einem Kurzreferat“ auch auf Bitten des Parteivorsitzenden präsentieren durfte.3 Der katholische Theologe Alfons Fleischmann (1907–1998) und der evangelische Theologe Walter Künneth (1901–1997) konnten sich in das Programm von 1968 einbringen. Gleiches galt mit Blick auf das Programm von 1976 für den evangelischen Theologen Hans Roser (1931–2005) und das Programm von 1993 für den evangelischen Theologen Paul Rieger (1928–2013). Bei der Erstellung des Programms von 2007 schließlich war der katholische Theologe Alois Baumgartner (*1941) Mitglied der Grundsatzkommission und anschließend auch der CSU-Zukunftskommission. Dem ersten CSU-Grundsatzprogramm war bereits eine ganze Reihe von Dokumenten vorausgegangen, die allerdings in der turbulenten und von erbitterten „Führungs- und Flügelkämpfen“ (Schlemmer 2007, S. 61) geprägten Gründungsphase der Partei noch von keinem hierzu legitimierten Organ beschlossen werden konnten. Alle nennenswerten dieser frühen Entwürfe teilen neben dem überkonfessionell-integrierenden Ansatz die gemeinsame Grundüberzeugung, dass „die Erneuerung von Staat und Gesellschaft nur aus dem christlichen Glauben heraus möglich“ (Schlemmer 1998, S. 46) sein werde. Diese fand ihren deutlichen Niederschlag dann auch im ersten CSU-Grundsatzprogramm von 1946, das gemeinsam mit einem selbiges erläuternden und begründenden Dreißig-Punkte-Plan unter Federführung des ersten CSU-Parteivorsitzenden Josef Müller (1898–1979) verabschiedet wurde. Zusammengenommen nehmen beide Dokumente eine klare Ausrichtung des eigenen politischen Handelns an „einer Ordnung“ vor, die ihren höchsten und umfassenden Ausdruck in der Lehre des Christentums gefunden hat. „Die Krönung des Christentums“, heißt es weiter, „ist die tätige Nächstenliebe, die wahrhaft soziale Tat“ (GP 1946, S. 1). Neben diesem Solidaritätsprinzip finden sich auch deutliche Bekenntnisse etwa „zur Würde und zur Freiheit der menschlichen Persönlichkeit“, zu „unveräußerlichen Menschenrechten, die uns von Gott verliehen sind“, oder zur Familie als „Urzelle jeder Gemeinschaft“ (DP 1946, S. 1 f.). Noch ohne es beim Namen zu nennen, wird das Subsidiaritätsprinzip

3Archiv

für ­Christlich-Soziale Politik, ACSP, PT 19570601, S. 4.

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postuliert.4 Und in der „Bindung an Gott“, so heißt es im achtundzwanzigsten der dreißig Punkte, „und in der Verpflichtung unseres Gewissens sehen wir die einzige Gewähr für wahre Freiheit. Als die wesentliche Grundlage unserer Kultur erkennen wir das Christentum“ (DP 1946, S. 14). Zusammengefasst hat sich die Partei schon in ihrem ersten Grundsatzprogramm in aller Deutlichkeit fest auf christlicher Grundlage verortet, ihren Anspruch auf das Christlich-Soziale formuliert und sich mit dieser Selbstverpflichtung auf das ‚C‘ des Christentums „ein Alleinstellungsmerkmal unter den großen deutschen Parteien gegeben“ (Zollitsch 2010, S. 3), das sie trotz unterschiedlicher Akzentuierungen in den folgenden Programmen im Kern bis heute nicht aufgegeben hat. Hanns Seidel (1901–1961), der für die CSU in ihrer Oppositionszeit als Parteivorsitzender die Entstehung des zweiten Grundsatzprogramms orchestrierte, war einer derjenigen Politiker, für die in besonderer Weise das „christliche Menschenbild den Maßstab politischen Handelns bildete“ (Möller 2007, S. 85). Seine persönliche Überzeugung, dass politische Entscheidungen nicht allein aus pragmatischem Kalkül heraus getroffen werden sollten, sondern auf festen Grundprinzipien basieren müssten, die wiederum aus christlichen Werten abzuleiten seien, schrieb er dem zweiten CSU-Grundsatzprogramm von 1957 ein. Diesbezügliche Formulierungen sind allerdings allgemeiner und offener gehalten als noch in der Gründungsphase und zudem in die Präambel und den Abschnitt über die Kulturordnung verbannt. Auf den Begriff ‚christlich‘ wird deutlich weniger zurückgegriffen und der inzwischen vorangeschrittenen Entklerikalisierung der Partei Rechnung getragen, was das Programm auch für Menschen anschlussfähig machen sollte, die eine größere Distanz zu den Kirchen hatten. Insgesamt gelang der CSU mit ihrem zweiten Grundsatzprogramm ein Balanceakt zwischen einer noch immer dezidierten Verankerung in „den geistigen und sittlichen Werten des christlichen Glaubens“ (GP 1957, S. 9) und einer liberal-modernen Zukunftsausrichtung, worin sich bereits eine gewisse „Hinwendung zum Pragmatismus“ (Kirchmann 1985, S. 108) der folgenden Programme abzuzeichnen begann. Dieser Kurs wurde im dritten Grundsatzprogramm von 1968 unter der Federführung des CSU-Parteivorsitzenden Franz-Josef Strauß (1915–1988) konsequent fortgesetzt. Es formuliert den Anspruch, „allen Anforderungen der modernen

4„Wir

treten für einen demokratischen Aufbau von unten ein und lehnen darum auch jeden innerbayerischen Zentralismus ab. Die untere Instanz soll jeweils alle ihr gemäßen Aufgaben verantwortlich erfüllen. Der Bereich der Staatsverwaltung beginnt erst dort, wo es sich um die Wahrnehmung übergeordneter hoheitlicher Aufgaben handelt“ (DP 1946, S. 5).

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Zeit“ (GP 1968, o.P.) gewachsen zu sein. Eine Verortung des politischen Handelns der CSU „auf der Grundlage der christlichen Bestimmung und Deutung des Menschen und der Welt“ (GP 1968, o.P.) ist zwar noch vorhanden. Dennoch tritt die Berufung auf das Christentum im Verhältnis zu den vorangegangenen Programmen deutlich in den Hintergrund. Als neuer Akzent wird die CSU hier erstmals zusätzlich als „eine konservative Kraft“ (GP 1968, o.P.) bezeichnet. Franz Josef Strauß führte damit die von Hanns Seidel behutsam begonnene „Entreligionisierung der Parteiausrichtung“ (Gerngroß 2010, S. 89) weiter fort, um bei aller Treue zu den Wurzeln in einer sich zunehmend säkularisierenden Gesellschaft auch den Anspruch, Volkspartei zu sein, nicht unnötig zu gefährden. Damit war die Linie vorgegeben, an der sich auch das folgende vierte Grundsatzprogramm von 1976 orientierte. Noch immer trug Franz Josef Strauß als CSU-Vorsitzender die Verantwortung. Den über drei Jahre dauernden Entstehungsprozess orchestrierte indes als Leiter der Grundsatzkommission federführend der seinerzeitige JU-Chef Theo Waigel (*1939). Zwar findet sich in diesem Programm gleich mehrfach der Hinweis auf „eine an christlichen Wertvorstellungen ausgerichtete Politik“ (GP 1976, S. 14 f.). Aber das ‚C‘ im Parteinamen erfährt doch eine deutliche Relativierung. „Der christlichen Sicht der Politik“, heißt es weiter, „entspricht die Erkenntnis und das Eingeständnis, daß aus der christlichen Grundlage kein politischer Absolutheitsanspruch hergeleitet werden kann. Die Christlich Soziale Union hält es für möglich, daß man auch außerhalb des christlichen Glaubens zu diesen politischen Vorstellungen kommen kann. Die Christlich Soziale Union steht daher auch Nichtchristen offen“ (GP 1976, S. 15). In diesen Sätzen zeigte sich die wenig beachtete, für den verantwortungsvollen Kurs zum Erhalt des Status einer Volkspartei aber unabdingbare „Fähigkeit zur Integration“ (Möller 2015, S. 20) eines Franz Josef Strauß.5 Zugleich vollzog die CSU mit diesem Eingeständnis, dass die Politik einer C-Partei ohne Abstriche auch von Nichtchristen gestaltet werden kann, den wohl radikalsten Schritt ihrer Profanisierung. Die veränderten gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber Religion und Kirche aufgreifend, wurde die CSU fortan „eine Union von Christen und Nichtchristen, die gemeinsame politische Vorstellungen verbindet“ (Gerngroß 2010,

5„Für

mich“, so erinnert sich Franz Josef Strauß, „[…] war und ist die CSU eine Partei für Bürgerinnen und Bürger, die sich zum christlichen Sittengesetz in der weitesten Auslegung dieses Begriffes bekennen. Ob der Betreffende praktizierender Christ, ob er überhaupt Mitglied einer Konfession ist, habe ich nie als unsere Angelegenheit angesehen“ (Strauß 2015, S. 646).

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S. 90). Sie folgte damit unausgesprochen der nahezu zeitgleich formulierten Diagnose des seinerzeitigen bayerischen Kultusministers Hans Maier (*1931), dass ein Christ „in Dingen der Wertordnung und der Grundwerte nicht klüger ist als seine nichtchristlichen Zeitgenossen; daß er sich, wie sie, um eine redliche Analyse der sozialen und politischen Gegebenheiten bemühen muß; daß er der Versuchung widerstehen muß, spezifische Inhalte der christlichen Offenbarung in aktuelle Grundwertlücken einzusetzen – denn es geht hier um säkulare Werte, die sich zwar auf einem christlichen Hintergrund entwickelt haben, die aber prinzipiell für alle gültig sind“ (Maier 1977, S. 188). Diesen Kurs sollte die CSU in den folgenden Jahrzehnten beibehalten. 1981 nahm die Grundsatzkommission ihre Arbeit zunächst noch unter Federführung von Theo Waigel wieder auf, um die Diskussion über Grundsatzfragen in der Partei lebendig zu halten. Es fanden in den 1980er-Jahren allerdings nur vereinzelt Tagungen statt, die ihren Niederschlag 1986 in dem Band „Materialien zur Grundsatzkommission“ fanden. „Am Anfang“, heißt es darin, „[…] steht die Frage nach der Politik und den Politikern im Spannungsfeld zwischen ethischer Verantwortung und praktischer Politik. Politik und Moral, die Grundprinzipien eines modernen freiheitlichen Staatswesens, Glaubwürdigkeit der handelnden Politiker, Verantwortung und Gelassenheit – das sind Markierungspunkte eines christlichen Politikverständnisses. Ohne das Fundament einer Werteordnung und der Offenheit für die Transzendenz ist die Zukunft nicht zu gestalten. Die Christlich-Soziale Union steht auf dem Fundament der christlichen Soziallehre, auf dem Fundament des Glaubens an Gott und der Verantwortung des Menschen. Politik, die eine moralische Grundlage politischen Handelns ablehnt und einem Werterelativismus anheimfällt, artet über kurz oder lang in Anarchie aus“ (Materialien 1986, S. 8).

Damit ist gleichwohl keiner Gesinnungsethik in der Politik das Wort geredet. Denn, so heißt es weiter: „Christlich verstandene Politik versucht, die konkreten Probleme zu lösen und dabei möglicherweise auftretende negative Auswirkungen politischer Entscheidungen so gering wie möglich zu halten. Eine derartige Politik ist getragen von Verantwortungsethik“ (Materialien 1986, S. 8). Als Nachfolger des unerwartet verstorbenen Franz Josef Strauß kündigte Theo Waigel unmittelbar nach seiner Wahl zum CSU-Parteivorsitzenden 1988 die Fortschreibung des bestehenden Grundsatzprogramms an und benannte Edmund Stoiber (*1941), zu jener Zeit bayerischer Innenminister, als neuen Leiter der

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Grundsatzkommission.6 Am Ende eines intensiven Arbeitsprozesses, in dessen Verlauf Stoiber „zum christlich-sozialen Chefprogrammatiker“ (Kießling 2004, S. 209) avancierte, stand allerdings nicht die Fortschreibung, sondern die Neuschreibung des nun fünften CSU-Grundsatzprogramms, das 1993 verabschiedet wurde. Auch mit ihm schritt die „Entreligionisierung der CSU“ (Gerngroß 2010, S. 91) weiter voran. Zwar wird unter Bezug auf die erfolgte deutsche Wiedervereinigung „Zum Geleit“ zu Beginn festgehalten, dass ein Grundsatzprogramm „gerade in einer Zeit epochalen politischen Umbruchs ein unentbehrlicher Kompaß“ sei, „wenn tagespolitische Entscheidungen Perspektiven vermitteln sollen“, weshalb das vorliegende „die geistigen Grundlagen“ aufzeige, zu denen sich die CSU bekenne. „Christliches Menschenbild und christliche Wertordnung“, heißt es weiter, „sind bewährte und deshalb unveränderte Grundlagen unserer Politik. Die CSU hat keine Veranlassung, auch in einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Wandels in der Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen der Zeit Standort, Orientierung und Richtung ihrer Partei grundlegend zu verändern“ (GP 1993, S. 10). Im Verlauf des inzwischen auf knapp 150 Seiten angewachsenen Grundsatzprogramms sucht man inhaltliche Ausführungen hierzu allerdings nahezu vergeblich. An unterschiedlichen Stellen wird eher allgemein auf die aus der katholischen Soziallehre herrührende Trias von Personalität, Solidarität und Subsidiarität „als die Markenzeichen christlich-sozialer Politik“ (GP 1993, S. 16) hingewiesen. Als neuer Akzent taucht die Formulierung einer „Politik aus ethischer Verantwortung“ (GP 1993, S. 20) auf. Fast verschämt findet sich am Ende des Grundsatzprogramms schließlich noch ein kurzer Abschnitt zum Profil der CSU. Dort heißt es zwar, dass die Partei „schöpferische Kraft für die Gestaltung des politischen Lebens“ auf „christlicher Grundlage“ entwickle und daraus „die Motivation zum Einsatz für die Schöpfung, für Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit“ gewinne. Betont wird auch, dass „eine der starken Wurzeln der CSU“ in der Zusammenarbeit von Christen der beiden Konfessionen liege. Aber sogleich folgt in der argumentativen Linie des vorherigen Programms der relativierende Zusatz: „Aus der christlichen Grundlage ihrer Politik leitet die CSU keinen politischen Absolutheitsanspruch ab. Sie steht allen offen, deren politische Vorstellungen mit der christlichen Wertorientierung vereinbar sind“ (GP 1993, S. 141 f.). Zusammengefasst ist von der kurzzeitig in den zitierten „Materialien zur Grundsatzdiskussion“ wieder stärker

6Zum

dahinterstehenden machtpolitischen Kalkül vgl. Kießling (2004, S. 192–197).

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betonten programmatischen Rückbindung an das Christentum im fünften Grundsatzprogramm nicht mehr allzu viel zu spüren. Ab Mitte der 1990er Jahre gewannen gleich mehrere gesellschaftspolitische Debatten an Dynamik, die mittel- oder unmittelbar auch christliche Themen betrafen. Als Beispiele können der sogenannte Kruzifix-Streit, der durch die Urteile von 1995 und 2002 befeuert wurde, oder die Blasphemie-Debatte von 2006 dienen. Auch die wachsende Präsenz von Menschen muslimischen Glaubens im öffentlichen Raum und nicht zuletzt an den Schulen brachte viele Fragestellungen auf die Tagesordnung, die wiederum mitursächlich wurden für die Leitkultur-Debatten um die Jahrtausendwende. Hinzu kamen intensiv geführte Auseinandersetzungen um Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik oder Sterbehilfe sowie 2005 die Wahl des ‚bayerischen Papstes‘ Benedikt XVI. Diese erweiterte Aufmerksamkeit für religiös konnotierte Themen hatte auch Auswirkungen auf die programmatischen Debatten der CSU. Alois Glück (*1940), den CSU-Parteivorsitzender Edmund Stoiber zum Leiter der nächsten Grundsatzkommission ernannt hatte, brachte als Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion und ab 2003 dann als Präsident des Bayerischen Landtags nicht zuletzt unter dem Eindruck der laufenden gesellschaftspolitischen Debatten einen „neuen Stil der Nachdenklichkeit“ (Kießling 2004, S. 210) auch in dieses Gremium. Ab 2006 wurde unter seiner Federführung das mit fast 200 Seiten bislang umfangreichste sechste Grundsatzprogramm erarbeitet. 2007 konnte es verabschiedet werden. Intensiver als alle seine Vorgänger und in Umkehrung des bislang nachgezeichneten Trends zur Marginalisierung des ‚C‘ widmet sich dieses Programm ausführlich dem christlichen Markenkern der Partei und der Ausbuchstabierung einer Politik aus christlicher Verantwortung. Explizit will es Antwort geben auf die Frage: „Was bedeutet unser christliches Menschenbild für das politische Handeln heute und morgen?“ (GP 2007, S. 9). Das programmatisch entscheidende Kapitel „Christliche Werte. Eigenverantwortung. Zusammenhalt“ beginnt dann auch mit den Worten: „Ausgehend vom christlichen Menschenbild setzen wir auf Eigenverantwortung und Solidarität. Dazu gehören für uns die Verantwortung vor Gott und die Liebe zu den Menschen, der Schutz des Lebens, die Verantwortung für die Zukunft, Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit, kultureller Zusammenhalt und Patriotismus. Unser Leitbild für eine vitale und gerechte Gesellschaft ist die Solidarische Leistungsgesellschaft […], eine an das christliche Menschenbild gebundene, wertorientierte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, mit der wir die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches Leben und eine gerechte Teilhabe aller am Fortschritt schaffen“ (GP 2007, S. 27).

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Durchzogen wird das ganze Programm von dem Versuch, christliche Werte zu konkreter Sachpolitik etwa im bildungs-, umwelt- oder gesundheitspolitischen Bereich in Bezug zu setzen. Bei aller erneuten Schärfung der Bedeutung des ‚C‘ im sechsten CSU-Grundsatzprogramm bleibt dieses aber zugleich bei der Betonung einer grundsätzlichen Offenheit der Partei für alle Menschen, „die unsere Werte und Ziele bejahen, unabhängig von ihrer persönlichen Glaubensüberzeugung“ (GP 2007, S. 27). Auch ohne den Auftrag zur Erstellung eines neuen Grundsatzprogramms riss in den folgenden Jahren das innerparteiliche Nachdenken über die christliche Prägung der Partei nicht ab. So veröffentlichte 2010 die ­CSU-Zukunftskommission unter ihrem Leiter Manfred Weber (*1972) ein Papier „Das ‚C‘ als Orientierungspunkt. Warum Politik aus christlicher Verantwortung modern und zukunftsfähig ist“ (CSU-Zukunftskommission 2010)7. Zwar wird darin eine „nachgelassene und mutmaßlich weiter nachlassende Bindungskraft der Kirchen“ konstatiert, die „auch auf das Wahlverhalten der Menschen in Bayern Einfluss […] haben könnte“ (S. 3). Zugleich wird aber betont, dass die CSU gerade deshalb „zur größten und einzigen wirklichen Volkspartei in Bayern geworden“ sei, weil sie „trotz aller pragmatischen Notwendigkeiten des politischen Alltags den Kernbestand ihrer Politik aus christlicher Verantwortung nie in Frage gestellt“ habe (S. 3). Ungeachtet der fortschreitenden Entchristlichung der Bevölkerung habe sich das ‚C‘ im Parteinamen bewährt, gerade weil es fernab der politischen Tagesmoden Beständigkeit und Verlässlichkeit markiere. „Es geht für die politische Zukunft der CSU darum“, heißt es weiter, „diesem ‚C‘ seine Leuchtkraft wieder zu geben, sichtbar zu machen, dass es eine allen Menschen gemäße politische Haltung und Ordnung anzeigt, dass es mit konfessioneller Enge nichts zu tun hat, sondern eine Einladung an alle signalisiert, die sich politisch engagieren und ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten wollen. Die CSU steht allen Menschen ungeachtet einer konfessionellen Festlegung oder Glaubensausrichtung offen, fordert sie zur Mitwirkung und Mitarbeit am gemeinsamen Ganzen von Staat und Gesellschaft auf“ (S. 4). Zwei Jahre darauf, 2012, griff die CSU-Zukunftskommission dieses Thema erneut auf und veröffentlichte das Positionspapier „Unser Kompass. 7 Leitsätze“ (CSU-Zukunftskommission 2012)8, in dem sie sich unter Berufung auf die „christlich-abendländische Tradition“ mit ihrem ­„christlich-biblischen Blick auf

7ACSP, 8ACSP,

DS 9/350. DS 9/409.

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den Menschen“ entlang ausgewählter Regeln des Heiligen Benedikt von Nursia ihrer normativen Wertmaßstäbe neu versicherte (vgl. Hildmann 2012, S. 22). Im gleichen Jahr folgte schließlich noch ein zustimmend angenommener Antrag „Bayern als christlich geprägtes Land“ des von Manfred Weber geleiteten CSUBezirksverbands Niederbayern auf dem ­CSU-Parteitag, der festhielt, dass das „moderne Bayern“ und „unsere weltoffene Gesellschaft […] ohne christlichen Glauben und christliches Denken nicht vorstellbar“ seien, weshalb die CSU an Bayern als einem „christlichen Land […] unverrückbar“ festhalten müsse (CSUBezirksverband Niederbayern 2012, S. 143). Auch mit diesem Antrag wurde noch einmal deutlich unterstrichen, dass sich die CSU künftig ihrem christlichen Wertefundament verpflichtet fühle und ihr politisches Handeln daran ausrichten wolle. 2014 berief der amtierende CSU-Vorsitzende Horst Seehofer (*1949) erneut eine Grundsatzkommission ein und ernannte Markus Blume (*1975) zu deren Vorsitzenden. Unter seiner Leitung entstand das aktuell gültige siebte CSU-Grundsatzprogramm „Die Ordnung“ von 2016. Anders als in früheren Kommissionen befand sich unter den Mitgliedern und Beauftragten diesmal kein Berufstheologe. Gleichwohl wird auch in diesem, mit knapp über 100 Seiten wieder deutlich verschlankten Programm eine ähnlich intensive Verankerung der CSU-Politik auf christlicher Grundlage vorgenommen wie im vorangegangenen Grundsatzprogramm. Gleich zu Beginn werden katholische Soziallehre und protestantische Sozialethik – neben Humanismus und Aufklärung sowie freiheitlichen und wertkonservativen Überzeugungen – als die „geistigen Wurzeln“ (GP 2016, S. 15) der Partei genannt. Aus der Orientierung an einem „christlichen Menschenbild in seiner abendländischen Prägung“ (GP 2016, S. 16) respektive an daraus abgeleiteten Werten werden sodann politische Verantwortlichkeiten definiert: für den „Schutz der Menschenwürde“ und „des menschlichen Lebens“ (GP 2016, S. 26), für den Schutz von „Ehe und Familie“ (GP 2016, S. 38) und die „Gleichberechtigung von Mann und Frau“ (GP 2016, S. 48), für die „Bewahrung der Schöpfung“ (GP 2016, S. 27), für die Einhaltung von „Recht und Gerechtigkeit“ (GP 2016, S. 28) und die Durchsetzung des „Subsidiaritätsprinzips“ (GP 2016, S. 80), für den Einsatz für die „Soziale Marktwirtschaft“ (GP 2016, S. 29) und „eine ökologisch, ökonomisch und sozial ausgewogene Welt“ (GP 2016, S. 30), für die Einhegung des Fortschritts durch „ethische Leitplanken“ (GP 2016, S. 65) oder für den Erhalt der „christlichen Prägung unseres Landes“ (GP 2016, S. 39). Der zunehmenden Säkularisierung der Bevölkerung und der Tendenz zu einer religiös pluraleren Öffentlichkeit wird gleichwohl erneut durch die seit 1976 übliche Betonung Rechnung getragen, dass die Partei allen Menschen offenstehe,

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die sich zu ihren Grundwerten bekennen, „unabhängig von ihrem persönlichen Glauben“ (GP 2016, S. 26). Die überkonfessionelle Gründungsidee der CSU findet indes im aktuellen Grundsatzprogramm noch eine entscheidende Erweiterung: „Heute sehen wir den Begriff der Union noch umfassender.[…] Die Stärke unserer Politik liegt im Zusammenführen von vermeintlichen Gegensätzen. Bürgerwille und Gemeinwohl, Heimat und Weltoffenheit, Tradition und Moderne, Fortschritt und Nachhaltigkeit – dort, wo andere unversöhnliche Gegensätze konstruieren, praktizieren wir die Symbiose. Wir führen zusammen, anstatt zu spalten. Einheit in Vielfalt: Das ist unser Verständnis von Union als Sammlungsbewegung und Wertegemeinschaft“ (GP 2016, S. 31).

Dies spiegelt sich auch in der Gesamtanlage des siebten Grundsatzprogramms, das den Dreiklang der CSU als moderne Volkspartei, bayerische Partei und konservative Zukunftspartei intoniert, um in Zeiten nachlassender Bindungskräfte der traditionellen Volksparteien ein möglichst breites Wählerspektrum anzusprechen. Im Rückblick auf diese Tour d’Horizon durch knapp sieben Jahrzehnte CSU-Programmatik ist eine bemerkenswerte Konstanz hinsichtlich der Rück­ bindung und Orientierung des eigenen politischen Handelns an ein christliches Welt- und Menschenbild festzustellen. Diese programmatische Verankerung erfolgte im Spiel der sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in unterschiedlicher Intensität und inhaltlichen Ausbuchstabierung. Der Stellenwert der christlichen Ethik als identitätsprägender „archimedischer Ankerpunkt“ (Schäfer 2010, S. 192) im Programmfundament ist offenkundig nach wie vor ungebrochen – und in den letzten beiden Grundsatzprogrammen sogar wieder merklich ausgeprägter. Sie zählt von der Gründung der Partei bis heute zumindest in den schriftlichen Grundlagendokumenten zur DNA der CSU. Und dennoch scheint der Verdacht nicht unbegründet, dass hier Hegels ‚Eule der Minerva‘ gerade in der einbrechenden Dämmerung ihren Flug beginnt. Je weniger die Ausbuchstabierung dieses explizit christlichen Fundaments in konkrete Tagespolitik auf einem gesellschaftlichen, aber auch auf einem innerparteilichen Konsens gründet, desto wichtiger scheint es für die Partei, die Frage, wie das ‚C‘ des Parteinamens mit Leben erfüllt werden kann, in ihren programmatischen Grundlagentexten zu thematisieren und zu beantworten. „Die sich intensivierende Auseinandersetzung mit der christlichen Wertegrundlage der Partei in den Grundsatzprogrammen ist damit gerade nicht Beleg für restaurative Bestrebungen innerhalb der CSU, sondern vielmehr Ausdruck des Abschieds von früheren Selbstverständlichkeiten“ (Weigl 2013, S. 53).

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Damit ist die Zukunftsfrage aufgeworfen. Wie soll die CSU bei weiter zunehmender Dämmerung mit dem ‚C‘ in ihrem Parteinamen umgehen? Bis zum Jahr 2060 könnte sich die Zahl der Mitglieder sowohl in der evangelischen wie auch in der katholischen Kirche deutschlandweit nahezu halbieren (vgl. Projektion 2060, 2019, S. 8). Schon heute gehören nur noch 55 % der Bayern der katholischen und 21 % der evangelischen Kirche an (vgl. Zeilmann 2017). Und auch bei den Parteimitgliedern selbst ist die Anzahl konfessionell gebundener Menschen seit Jahren rückläufig.9 „Die CSU ist hineingestellt in die Gesamtentwicklung von Religion und Glaube und Kirche in unserer Zeit“ (Glück 2007, S. 305). Unter welchen Vorzeichen kann das ‚C‘ vor diesem Hintergrund auch in elektoraler Hinsicht Strahlkraft gewinnen? Kann, soll oder will die CSU überhaupt künftig Identifikationspunkt christlicher Bürgerschaft sein?

3 Die CSU als Identifikationspunkt christlicher Bürgerschaft Der Durchgang durch die CSU-Grundsatzprogramme hat gezeigt: Das christliche Profil gehört ebenso deutlich zur DNA der CSU wie es in seiner konkreten Durchbuchstabierung undeutlich bleibt – und aufgrund des spezifischen Charakters des christlichen Glaubens in seiner Bedeutung für die Sphäre des Politischen auch bleiben muss. Denn so sehr der christliche Glaube immer auch politisch ist,10 so wenig lässt sich von ihm aus eine direkte und unmittelbare Verbindung zu konkreten Themen der politischen Auseinandersetzung ziehen. In politikwissenschaftlichen Termini gesprochen: Der christliche Glaube entfaltet seine Orientierungskraft eher auf den Ebenen der Polity und der Politics, der Gestaltung der politischen Ordnung und dem Stil und den Verfahren der politischen Meinungs- und Urteilsbildung, sehr viel weniger aber auf der Ebene der Policy, der konkreten, kontroversen Auseinandersetzung um Ziele und Interessen einzelner Gruppen. Nicht im Blick auf konkrete Entscheidungen, wie

9So

ging die Zahl der Katholiken von knapp 130.000 im Jahr 2006 auf etwas mehr als 103.000 im Jahr 2019 zurück, die Zahl der Protestanten im gleichen Zeitraum von etwas über 28.500 auf unter 22.000 (schriftliche Mitteilung der CSU-Landesleitung an die Verfasser vom 4. September 2019). 10Schon Jesu Predigt vom Anbrechen des ‚Reich Gottes‘ lässt sich ja ebenso wie seine Verurteilung und Hinrichtung durch die römische Besatzungsmacht nur verstehen, wenn man sie vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Struktur politischer Herrschaft hört.

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etwa zum Renteneintrittsalter oder dem anzustrebenden Energiemix, lassen sich aus der christlichen Botschaft greifbare Forderungen ableiten, wohl aber hinsichtlich der Rahmenbedingungen und der Umgangsformen. Das bedeutet natürlich nicht, dass Christen ebenso wie die Vertreter der christlichen Kirchen in aktuellen politischen Debatten keine eigene Position einnehmen könnten, eine Position, die sie natürlich auch als die Position des Glaubens ausflaggen. Es handelt sich aber um die Sichtweise des jeweils eigenen Glaubens, denn in ethischen Fragen kann es für Christen immer nur ihre je individuelle Sicht geben. So unterschiedliche Denker wie Thomas von Aquin (1225–1274), Martin Luther (1483–1546) oder Immanuel Kant (1724–1804) haben gerade diese Sichtweise in großem Konsens festgehalten und die Unhintergehbarkeit der Meinungs- und Entscheidungsbildung sowie dann eben auch der Verantwortung des Einzelnen in ethischen Fragen herausgestellt. Die Hochschätzung des Gewissens entspringt diesem Denken und ist gleichzeitig ein wichtiger und interessanter Fingerzeig für die Polity-Relevanz des Christentums. Die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie eine Rechts- und Verwaltungsordnung, die wohlwollend Entscheidungen gegenüber verfährt, die aus einer individuellen Gewissensentscheidung resultieren, ist eng mit christlichen Überzeugungen verbunden. Dabei haben alle christlichen Denker in großer Übereinstimmung festgehalten, dass derartige Entscheidungen nicht einfach Allgemeinverbindlichkeit beanspruchen können. Zugleich suspendiert dies aber die Einzelnen nicht von der Bindekraft des Gewissens – und das Gemeinwesen nicht vor einem entsprechenden Respekt vor den Gewissensentscheidungen der Einzelnen. Häufig ist, auch durchaus zu Recht, darauf hingewiesen worden, dass diese Offenheit für eine individuelle, auf die eigene Perspektive und den eigenen Kontext hin formulierte Position mit der großen Distanz zwischen den Ordnungsvorstellungen der Bibel und heutigen Fragestellungen zusammenhängt. In der Tat lässt sich nicht leugnen, dass sich das Koordinatensystem politischer Ordnung unserer Gegenwart ganz grundsätzlich von dem unterscheidet, das die neutestamentlichen Schriftsteller vor Augen hatten. Allein die Vorstellung von Obrigkeit und Untertan, die ganz selbstverständlich von der Literatur des Neuen Testaments vorausgesetzt wird, aber auch die der Wirtschaftsweise oder das Verständnis der Staatsaufgaben unterscheiden sich ganz fundamental von der unsrigen – und was für das Neue Testament gilt, das gilt in besonderer Weise auch für die hebräische Bibel. Ideale des Zusammenlebens in der Familie, die Erklärungen von Krankheiten oder die Erkenntnisse zur Ordnung der Natur sind weitere Beispiele für einen derartigen Abstand, den jeder Rückgriff auf die Bibel zu berücksichtigen hat.

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So sehr allerdings die Sensibilität für solche Differenzen wichtig ist für einen verantwortungsvollen Rückgriff auf die Bibel, so wenig trifft das den Kern der Gründe für die Unhintergehbarkeit der individuellen und damit notwendig pluralen Auffassungen in konkreten politischen Entscheidungen. Der allgemeine Grund besteht darin, dass das Christentum in Weiterführung des Auftretens und der Verkündigung Jesu die bedingungslose Zuwendung des als Vater verstandenen Gottes zu allen Menschen vertritt: Jede und jeder Einzelne ist Kind Gottes, eine Beziehung, die nicht über natürliche Abstammungen, sondern durch den Glauben der Einzelnen konstituiert wird. Daher betont Paulus in Gal 3,28 f.: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen, Erben kraft der Verheißung.“ Der Glaube als eine individuelle Beziehung ist persönlicher Glaube, und damit ist auch das Verhältnis zum Nächsten immer dadurch gekennzeichnet, dass das Handeln ihm gegenüber in die Verantwortung und die Gestaltung des beziehungsweise der Einzelnen gestellt ist. So wie Jesus in seinem Auftreten nur den Menschen im Blick hat,11 so sollen sich auch Christen aus ihrem Glauben heraus vorrangig dem Nächsten zuwenden. Dies vor Augen ist das Neue Testament außerordentlich sparsam mit konkreten inhaltlichen Aussagen zur Ordnung des Zusammenlebens. Wo diese Ordnungen begegnen, sind sie Reflexe der das junge Christentum umgebenden antiken Sozialordnung. Der aus Augsburg stammende Theologe und Kulturphilosoph Ernst Troeltsch (1865–1923) hat daher schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seiner groß angelegten Untersuchung „Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ herausgestellt, dass sich diese Soziallehren, verstanden als die Konkretionen des politischen Handelns, stets aus der konkreten Umwelt und der jeweils konkreten Aufgabenstellung und Perspektive ergeben (vgl. Troeltsch 1912). Diese unhintergehbare Individualität bedeutet natürlich keine souveräne Einzigartigkeit, wie sie etwa Friedrich Nietzsche (1844–1900) in seiner Ethik des ‚Übermenschen‘ entworfen hatte. Sondern, das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter hat es schon intoniert, der Individualität der Gottesbeziehung entspricht im Christentum die Zuwendung des Einzelnen zum Nächsten. An ihm, nicht an den eigenen Interessen soll sich das christliche Leben und Handeln, soll sich mithin auch eine Politik aus christlicher Verantwortung ausrichten, ganz so, wie Gott sich in Jesus selbstlos allen Menschen zuwendet.

11Man

denke nur an Zachäus den Zöllner oder das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, vgl. Lk 19,1 ff. und 10,25 ff.

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Aus diesem Grund wäre auch das christliche Profil einer Partei missverstanden, wenn es in exklusiver Absicht formuliert würde, worauf Hans Maier und andere, wie bereits zitiert, immer wieder hingewiesen haben. An diesem Punkt ist die Rede von der Wertorientierung zumindest missverständlich, kann doch der Wertbegriff leicht auch mit einer Abwertung einhergehen. Zumindest steht er der Exklusion Andersdenkender mitunter sehr nahe. Carl Schmitt (1888–1985) hat daher von der „Tyrannei der Werte“ gesprochen, denn niemand könne werten, ohne abzuwerten, aufzuwerten und zu verwerten (vgl. Schmitt 2011). Er folgte damit einer Warnung des Wertphilosophen Nicolai Hartmann (1882–1950), der schon 1926 gemahnt hatte: „Jeder Wert hat die Tendenz, wenn er einmal Macht gewonnen hat über eine Person, sich zum alleinigen Tyrannen des ganzen menschlichen Ethos aufzuwerfen, und zwar auf Kosten anderer Werte. So gibt es einen Fanatismus der Gerechtfertigtkeit, der keineswegs bloß der Liebe ins Gesicht schlägt, sondern schlechterdings allen höheren Werten“ (Hartmann 1926, S. 524–525). Die Wertbindung des Christentums kann und darf daher eben nicht in einer exkludierenden Positionierung in Einzelfragen liegen. Sie manifestiert sich vielmehr im Eintreten für eine Ordnung, die die Zuwendung zum Einzelnen und zu Einzelfragen unterstützt und darin Verfahren entwickelt, um mit der unhintergehbaren Pluralität der Einschätzungen in konkreten politischen Entscheidungen, die aus der Unvertretbarkeit des individuellen Glaubens entspringt, umgehen zu lernen. Der Respekt vor dem Rechtsstaat, der sich selbst an unverlierbare Grund- und Menschenrechte gebunden hat, aber auch der Respekt vor transparenten, gleichförmigen und vor allem auch einklagbaren Verwaltungsverfahren und staatlichen Aktionsformen ist in dieser Perspektive ein Kapital, das aus der christlichen Wertbindung entsteht und für das eine Politik aus christlicher Verantwortung respektive christliche Parteien in besonderem Maße einzutreten haben. Denn im Unterschied zu einer mitunter vertretenen Ansicht, dass es vorrangig die Aufgabe einer christlichen Position im Politischen sei, mit der Autorität des Glaubens bestimmte Formen zu unterfüttern und im Namen einer so stabilisierten Moral die Verfahren und Entscheidungen des politischen Systems infrage zu stellen, muss christliche Ethik gerade auf die Gefahren hinweisen, die eine Suspendierung des Rechts im Namen der Moral birgt: Angesichts der Tatsache nämlich, dass uns diese Moral immer nur in der Vielfalt ihrer Vertreter zugänglich ist, besteht die Gefahr, dass der Rekurs auf die Moral und die Kritik des Rechts zu Willkür führen. Persönliche Einschätzungen, Bindungen und Vorlieben führen dann das Wort – und am Ende entscheiden der Zufall persönlicher Begegnungen oder die Machtverhältnisse darüber, welche Position sich durchsetzt. Der Respekt vor dem Recht, das ohne Ansehen der Person urteilt, ist hier das notwendige Äquivalent zur Hochschätzung des Einzelnen und der Ausrichtung am Nächsten.

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Das bedeutet zugleich, dass das Christliche den im Politischen vertretenen Meinungen nicht einfach eine weitere, eben christliche Meinung hinzufügt, sondern dass das Christliche die Möglichkeiten schafft, dass plurale, individuelle Perspektiven im Raum der politischen Auseinandersetzung möglich bleiben. Das Wort Richard von Weizsäckers (1920–2015) aus dem Jahr 1996, die Kirchen wollten nicht Politik machen, sondern Politik möglich machen, trifft es dabei auf den Punkt (vgl. Weizsäcker 1997, S. 152). Das Christliche ist die Voraussetzung, vielleicht sogar die entscheidende, für eine plurale, am Einzelnen orientierte Politik. Denn anders als es noch vor wenigen Jahren schien, ist eine solche politische Ordnung keineswegs selbstverständlich oder aus sich heraus stabil. Sie bedarf vielmehr des sie tragenden Fundaments des christlichen Glaubens, der aus der Überzeugung heraus, dass Gott der Schöpfer, Versöhner und Erlöser der Welt ist, für die Rahmenbedingungen eintritt, ohne die eine freiheitliche und plurale Gesellschaft nicht dauerhaft existieren kann, die Voraussetzungen nämlich, die dazu beitragen, den Anderen als Anderen, als Freien und Gleichberechtigten anzuerkennen. Das Christentum repräsentiert keine Abgrenzung, sondern tritt für das Verbindende ein, ohne das freiheitliche Gesellschaften und mit ihnen die Pluralität der Lebensformen nicht existieren können. Dieses Verbindende ist deutlich mehr und gehaltvoller als die häufig in pluralen Gesellschaften vertretene Forderung, dass es um der Sicherstellung der Freiheit willen genügen müsse, äußerliche Rechtstreue einzufordern. Es ist aber, als Folge des aus dem christlichen Glauben resultierenden Respektierens der Weltlichkeit der Welt und der Vorläufigkeit aller weltlicher Ordnung (vgl. Anselm 2015, S. 239 f.), auch weniger, als dies in manchen vermeintlich mit christlichen Werten argumentierenden Positionen vertreten wird. Die Ausrichtung des christlichen Fundaments auf die Polity zielt darauf, die Rahmenbedingungen zu stabilisieren, ohne die eine liberale Ordnung ihre eigenen, die Freiheit individueller Lebensführung garantierenden Grundlagen zu zerstören droht. In dieser Zielsetzung liegt die besondere, nicht abtretbare Bedeutung christlicher Ethik für das Zusammenleben in der Gesellschaft.

4 Das Kapital der Wertbindung: Befunde und Folgen In dieser Perspektive besteht das Kapital der Wertbindung in der Pflege des Verbindenden, das politischen Streit sowie politische Entscheidungen ermöglicht und zugleich auch begrenzt. Das Christentum und der christliche Glaube im Raum des Politischen stellen die Überzeugungsressourcen bereit, die die Voraussetzung

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dafür bilden, strittige Fragen unter dem Verzicht auf Absolutheitsansprüche und unter der Anerkennung des Anderen als Gleichberechtigtem auszutragen. Verschiedenheit als Gleichwertigkeit anzuerkennen ist dabei eine Perspektive, die ebenso eng mit der Tradition des christlichen Glaubens verbunden ist wie sie mit den Hintergrundüberzeugungen und fundamentalen Prinzipien einer liberalen, rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zusammenhängt. Ganz auf dieser Linie argumentiert auch der seinerzeitige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch (*1938), wenn er festhält: „Es wird den christlichen Wurzeln der Union nicht gerecht, wenn man sie lediglich als soziales Korrektiv zu einer wirtschaftsliberalen Position, als gesellschaftspolitischen Gegensatz zu einer Liberalisierung beispielsweise der Familienpolitik oder als universale Idee gegenüber einem verengten Konservatismus verstehen würde. Das Christliche ist vielmehr ein Rahmen, ja ein Nährboden, der die Grundlage für alle Geistesströmungen in der CDU darstellt. Es hat eine integrierende Funktion. Die aus dem christlichen Menschenbild abgeleiteten Politikvorstellungen integrieren sowohl die konservativen als auch die liberalen und sozialen Ideen. Eine am christlichen Menschenbild orientierte Politik ist konservativ, weil sie das Leben des Menschen von seinem Anfang bis zum Ende schützt und bewahrt; sie ist konservativ, wo sie sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt. Sie ist liberal, d. h. der Freiheit verpflichtet, weil sie die Würde des Menschen, die in seiner Gottesebenbildlichkeit gründet, achtet, ihm deshalb freies Handeln ermöglicht und Vertrauen in den Menschen und seine Eigenverantwortung setzt. Sie ist sozial, weil sie, dem Gebot Jesu folgend, die Schwächeren nicht am Rande stehen lassen kann, sich für Verfolgte und Benachteiligte einsetzt“ (Zollitsch 2010, S. 2).

Das Bestreben, als Volkspartei unterschiedliche Strömungen und Positionen zu integrieren, das Bestreben auch, nach Ausgleich und Kompromiss zu suchen, ist die unmittelbare Folge aus diesen Leitüberzeugungen. Es war schon davon die Rede, dass die christliche Wertbindung ihre Orientierungskraft nicht nur auf der Ebene der Polity, sondern auch auf der Ebene der Politics, der Verfahren des Umgangs in politischen Kontroversen, entfaltet. Dass Aggression nicht zu den Mitteln einer Politik aus christlicher Verantwortung gehören sollte, dürfte dabei hinreichend deutlich sein. Es gibt aber noch weitergehende Aspekte. Das Christentum, es kann nicht oft genug betont werden, ist keine Philosophie, keine Erkenntnis, sondern zuvörderst eine soziale Praxis. Dementsprechend entscheidet sich das Christliche weniger in positioneller Schärfung, als in einer spezifischen Umgangsform, in einem Lebensstil. Gerade in diesem Bereich scheint eine Rückbesinnung auf einen christlichen Lebensstil von besonderer Bedeutung zu sein. Gerade hier liegt das Potenzial der christlichen Tradition für ein Identifikationsangebot an eine christliche Bürgerschaft.

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Denn ein christlicher Lebensstil ist gerade nicht durch eine Unduldsamkeit oder durch die Lust an der Zuspitzung gekennzeichnet, sondern durch die Fähigkeit, vom Absolutheitsanspruch der eigenen Position zurückzutreten, die Sicht des respektive der Anderen einzunehmen und in dieser Perspektive Polarisierungen zu vermeiden. Diskurse zu eröffnen, das Politische als den Raum des Weltlichen zu verstehen, in dem es keine Letztgültigkeiten gibt, anzuerkennen, dass es einen Respekt vor Fakten gibt, dass diese aber keine Deutung und Entscheidung ersetzen können, Fehler eingestehen und korrigieren zu können, all dies kennzeichnet eine Haltung, die mit der Tradition des christlichen Glaubens verbunden ist und das Kapital des Christlichen im Raum des Politischen darstellt. Dass das Christentum eine Praxis darstellt, bedeutet dann aber auch, dass diese Praktiken nicht delegierbar sind, sondern von jedem Einzelnen, der sich auf das Christentum beruft, gelebt werden müssen. Hier gibt es sicherlich ein großes Potenzial für die CSU. Aber in der konkreten programmatischen Ausgestaltung besteht hier zugleich auch Nachholbedarf – zumal dieser Aspekt in den CSU-Grundsatzprogrammen der letzten knapp sieben Jahrzehnte bislang noch nicht näher in den Blick genommen wurde. Vor dem Hintergrund der bereits konstatierten aufziehenden Dämmerung im schwächer werdenden Licht abnehmender Strahl- und Bindekräfte des Christlichen in der Gesellschaft wäre die CSU gut beraten, sich diesem Thema künftig noch stärker zuzuwenden. Die positionelle Schärfung des ‚C‘ und eine prononcierte Wertebindung sind als identitätsprägender Ankerpunkt und Alleinstellungsmerkmal auch künftig sicherlich unverzichtbar. Aber erst eine Behebung des vorstehend beschriebenen Desiderats dürfte der Zuschreibung der CSU, eine parteipolitische Verkörperung christlicher Ethik zu sein, ihre volle Gültigkeit verleihen und sich auch in elektoraler Hinsicht bezahlt machen.

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Herausforderungen des Relativismus: Die christliche Ethik der CSU im Zeitalter der Säkularisierung Martin Sebaldt 1 Einführung In einer denkwürdigen Diskussion mit dem damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger brachte Jürgen Habermas anschaulich auf den Punkt, „wie gläubige und säkulare Bürger miteinander umgehen sollten“ (Habermas und Ratzinger 2005, S. 34). Schon die gleichberechtigte Gegenüberstellung der Adjektive „gläubig“ und „säkular“ deutet darauf hin, dass er dabei weder die Ablösung des einen Bürgertypus durch den anderen oder gar eine wertende Abstufung im Sinn hatte, sondern das Plädoyer für ein gedeihliches Miteinander. Modere Demokratien mit ihrer pluralistischen Grundstruktur seien ohne eine derartige Verständigung nicht denkbar, und daraus erwachse letztlich für jeden Einzelnen eine große politische Verantwortung: „Die weltanschauliche Neutralität der Staatsgewalt, die gleiche ethische Freiheiten für jeden Bürger garantiert, ist unvereinbar mit der politischen Verallgemeinerung einer säkularistischen Weltsicht. Säkularisierte Bürger dürfen, soweit sie in ihrer Rolle als Staatsbürger auftreten, weder religiösen Weltbildern grundsätzlich ein Wahrheitspotenzial absprechen, noch den gläubigen Mitbürgern das Recht bestreiten, in religiöser Sprache Beiträge zu öffentlichen Diskussionen zu machen. Eine liberale politische Kultur kann sogar von den säkularisierten Bürgern erwarten, dass sie sich an Anstrengungen beteiligen, relevante Beiträge aus der religiösen in eine öffentlich zugängliche Sprache zu übersetzen“ (Habermas und Ratzinger 2005, S. 36).

M. Sebaldt (*)  Institut für Politikwissenschaft, Universität Regensburg, Regensburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_5

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Habermas hat damit ein normatives Spannungsfeld abgesteckt, das nicht nur generell bedeutsam ist, sondern gerade für religiös geprägte Parteien erhebliche Herausforderungen birgt: Denn insbesondere deren Wähler und Mitglieder müssen ja nicht nur für sich selbst entscheiden, wie sie den Spagat zwischen religiöser Bindung und ethischer Offenheit bewältigen wollen, sondern sie erwarten dies zu Recht auch von den Parteien, welche sie wählen oder denen sie angehören. Die Herausbildung einer partizipativen und von Individualismus geprägten modernen Bürgerkultur hat dieses Spannungsmoment noch einmal verstärkt und Josef Ratzinger später sogar zur Diagnose einer „Diktatur des Relativismus“ (Ratzinger 2005) verleitet. Die Christlich-Soziale Union trägt dieses Spannungsmoment schon im Namen und geht damit bewusst ein großes Risiko ein. Denn sie macht ihre Existenz von der fortwährenden christlichen Prägung der Gesellschaft abhängig ­(Oberreuter 2007), aber gerade dies ist trotz der versöhnlichen Perspektive von Jürgen Habermas keineswegs garantiert. Die daraus erwachsende Kernfrage liegt auf der Hand: Welche Rechtfertigung kann eine christlich definierte Partei am Ende noch besitzen, wenn einer Gesellschaft dieser Kompass durch Säkularisierungsprozesse abhandenkommt, und kann es wirklich gelingen, eine derart religiös geprägte Parteiidentität in einem säkularen Zeitalter dauerhaft zu bewahren? Die nachfolgenden Ausführungen sollen erschließen, wie die CSU dieser Herausforderung gerecht zu werden sucht.

2 Säkularisierung als Kennzeichen kultureller Modernisierung: Der Gesamtkontext Säkularisierung ist kein singulär und kontextlos zu betrachtendes Phänomen. Vielmehr ist sie als Einzelelement einer komplexen gesamtgesellschaftlichen Modernisierung zu verstehen, die mit etlichen anderen Komponenten in Verbindung steht. Wolfgang Zapf hat Modernisierung ganz allgemein als „Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Anpassungs- und Steuerungskapazität“ definiert (Zapf 1979, S. 23). Mit dieser pauschalen Begriffsprägung will er zum Ausdruck bringen, dass derlei Anpassungsprozesse vielgestaltig sind und in jeder Gesellschaft simultan an verschiedensten Stellen wirken. Sie betreffen die individuelle Sozialisation ebenso wie die Entwicklung ganzer sozialer Gruppen, kulturelle und wissenschaftliche Innovationen ebenso wie Umbauprozesse im System der Wirtschaft. Und schließlich machen sie auch vor dem Gefüge des politischen Systems nicht halt (Zapf 2001).

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Dieser komplexe Gesamtzusammenhang kann an dieser Stelle nur angedeutet werden, zumal hier die kulturellen Modernisierungsprozesse von Interesse sind. In entwickelten Gesellschaften sind diese in dreierlei Hinsicht fassbar: Zum einen im exponentiellen Anwachsen der Produktion von Wissen, zum zweiten in den vergleichbar gestiegenen technischen Möglichkeiten des Wissenstransfers und der Kommunikation, und zum dritten eben in einer damit einher gehenden Säkularisierung des gesamtgesellschaftlichen Wertehaushalts (Dreier 2018). Für die Entwicklung zu einer Wissensgesellschaft macht Walter Bühl die „evolutionäre Dynamik der Wissenschaft“ (Bühl 1984, S. 295) verantwortlich, welche er aus einer Vielzahl konkurrierender und gleichzeitig arbeitsteilig ablaufender Forschungsprogramme erwachsen sieht. Der Kampf solch konkurrierender Ideen bzw. Wissenschaftsorganisationen um das epistemologische Dasein, von Bühl nicht zu Unrecht mit den darwinistischen Begriffen „Mutation“ (Entstehen konkurrierender Ideen) und „Selektion“ (Ausscheiden von Unwahrheiten) charakterisiert (Bühl 1984, S. 301–304), ist folglich das entscheidende Movens dieser wissenschaftlichen Evolutionsdynamik und führt letztlich auch zu einer Akzeleration des Prozesses, weil die immer weiter gehende wissenschaftliche Arbeitsteilung immer mehr Raum für ‚mutative‘ Konkurrenz schafft. Gleichermaßen akzelerierend wirken auch hier die gewachsenen technischen Möglichkeiten zur Informationsübermittlung und zur Kommunikation. ‚Informationsgesellschaft‘ impliziert, dass Zeit- und Ressourcenaufwand für Wissenstransfer stark abgesunken sind und zudem die Wahrscheinlichkeit für das Auffinden bereits bestehender Wissensbestände deutlich zugenommen hat. Der bequeme elektronische Zugriff auf Bibliografien und Bibliothekskataloge weltweit verschafft Wissen oft in Minutenfrist, wo früher mehrere Tage aufwendiger Recherche in gedruckten Werken nötig war. Elektronische Recherchen dagegen sind zeit- und ressourcensparend zu tätigen, und die Chancen für den solitär arbeitenden Wissenschaftler, auch Großprojekte ohne großen Arbeitsstab bewältigen zu können, sind damit erheblich gewachsen. Auch dies führt zu einer Akzeleration der Wissenskumulation. Abseits des Feldes der Wissenschaft kommen die neuen Möglichkeiten der Kommunikation im Übrigen auch dem gewachsenen Individualismus entgegen, insoweit man per Internet oder Smartphone jederzeit Kontakte knüpfen bzw. beenden kann, wenn der individuelle Wunsch danach besteht. Kommunikation ist daher nicht mehr nur dem Ordnungsregime von sozialen Gruppensituationen unterworfen, sondern ist für jedes Individuum mehr denn je frei steuer- und gestaltbar.

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All dies hat gerade den hier im Fokus stehenden Säkularisierungsprozessen (Pollack 2012) noch zusätzlich Anschub verschafft: Denn im Zuge der exponentiellen Produktion und Dissemination von Wissen wächst auch dessen Widersprüchlichkeit: Traditionelle Wahrheiten werden mehr denn je zur Disposition gestellt, weil die konkurrierende Fundamentalkritik jederzeit zur Hand ist. Vor allen Dingen die etablierten Religionsgemeinschaften haben hierunter zu leiden (Mintzel 2008), welche naturgemäß für sich ein normatives Deutungsmonopol beanspruchen müssen, das aber im Lichte dieser Entwicklung eben zunehmend fragwürdig wird (Dreier 2018). Diese Problemskizze bedarf allerdings zweier Zusatzbemerkungen, um die Herausforderungen der Säkularisierung (für die CSU) richtig einordnen zu können: Erstens darf sie nicht vorschnell mit generellem Werteverlust gleichgesetzt werden; vielmehr verbirgt sich dahinter eine nachhaltige Pluralisierung der Wertelandschaft, welche den Individuen auch die Suche nach einer für sie passenden Kulturgemeinschaft gleichsam à la carte ermöglicht. Anders formuliert: Wertbindungen bleiben auch unter den Bedingungen der Säkularisierung bestehen, doch werden ihre Wurzeln und organisatorischen Formen eben vielfältiger. Zweitens sollen damit gegenläufige Prozesse nicht in Abrede gestellt werden (vgl. Anselm 2012). Schon ein Blick auf die Kreationismusbewegung in den USA, die bis heute auf der Wahrheit des biblischen Schöpfungsmythos beharrt und die Evolutionstheorie als modernistische Irrlehre abtut, belehrt eines Besseren. Gleiches gilt für den modernen Islamismus, dessen militanter Fundamentalismus bis in den Alltag westlicher Gesellschaften hineinwirkt. Gleichwohl: Es ist am Ende eine Frage der Gewichtung. Denn diese Phänomene sind im Vergleich zu den gesamtgesellschaftlich fortschreitenden Säkularisierungsprozessen wohl eher sekundär, und eine bisweilen in den Raum gestellte „Resakralisierung“ (Gerngroß 2010, S. 77) ist deshalb doch eher unwahrscheinlich.

3 Relativismus und Säkularisierung: Herausforderungen für die CSU Dieses kulturelle Modernisierungsszenario birgt für die CSU gleich mehrere Herausforderungen: Erstens schlägt es sich in einer tiefgreifenden Veränderung der Wählergeografie nieder, worauf die Partei mit dazu passenden Wahlangeboten angemessen reagieren muss. Zweitens ist auch das Profil der eigenen Parteimitglieder diesem Wandlungsprozess unterworfen, was durch eine entsprechend

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modernisierte Mitgliederarbeit zu berücksichtigen ist. Und um dies alles inhaltlich richtig zu unterlegen ist drittens durch eine entsprechende Aktualisierung der Parteiprogrammatik nachzusteuern. Diesen Aspekten sind die nun folgenden Abschnitte gewidmet.

3.1 Die Wählerschaft Da die CSU-Wählerschaft an anderer Stelle genauer untersucht wird, reichen hier einige zusammenfassende Bemerkungen.1 Zugespitzt und pointiert formuliert ist der ‚typische‘ C ­ SU-Wähler überdurchschnittlich alt, katholischer Provenienz und der Mittelschicht zugehörig sowie in einer ländlichen Region wohnhaft. Aber auch Protestanten mit starker kirchlicher Bindung gehören zur Stammklientel der Christsozialen (Weigl 2013, S. 254–267). Diese typischen Bindungsmuster sind allerdings merklichen Wandlungen unterworfen. Denn inzwischen ist weniger die formale konfessionelle Mitgliedschaft entscheidend, sondern die am regelmäßigen Kirchgang gemessene faktische kirchliche Bindung. Da diese aber in den letzten Jahrzehnten generell stark geschwunden ist, rekrutiert die Partei ihre Wähler inzwischen nur mehr etwa zu einem Drittel aus dem Reservoir treuer Kirchgänger. Zusammenfassend ist damit aber absehbar, dass das traditionelle ‚christliche‘ Programmprofil in Zukunft gerade durch diese demografischen Wandlungsprozesse immer weniger Zugkraft entwickeln wird (fowid 2019): Die stark christlich gebundenen älteren Wählerkohorten verschwinden Schritt für Schritt, und durch die Landflucht wird auch der religiöse Verankerungsschwerpunkt in der breiten Fläche zunehmend kleiner. Dabei ist allerdings sorgsam zwischen der christlich-abendländischen Wertetradition im Allgemeinen und spezifisch christlichen Normen im Besonderen zu differenzieren. Denn der Austritt aus kirchlichen Gemeinschaften bzw. der unterbliebene Eintritt bedeutet ja nicht zwingend, dass christliche Werte abgelehnt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Werte trotzdem verinnerlicht werden, jedoch ohne spezifisch religiöse Bezugnahmen. Dem muss die Programmarbeit der CSU adäquat Rechnung tragen und dabei auch berücksichtigen, dass das weniger stark an spezifisch christliche Normen gebundene Wählerspektrum zu einem erheblichen Teil aus Wechselwählern

1Vgl.

dazu den Beitrag von Gerhard Hirscher.

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besteht, die sich auch auf dem Hintergrund der beschriebenen gesellschaftlichen Individualisierungsprozesse nicht mehr fest an eine bestimmte Partei binden wollen, sondern ihre Stimme von Fall zu Fall je nach Beurteilung des programmatischen Angebots vergeben.

3.2 Die Mitglieder Mit Blick auf die Parteimitglieder der CSU wird die Herausforderung dieser Wandlungsprozesse noch deutlicher. Auch hier sollen nur die wesentlichen Rahmeninformationen präsentiert werden, da detaillierte Analysen dazu anderweitig verfügbar sind. Generell ist zunächst festzuhalten, dass Bayerns Christsoziale seit der Wiedervereinigung personell um rund ein Viertel geschrumpft sind: Gehörten der Partei im Jahre 1991 noch 184.513 Mitglieder an, ist diese Zahl bis 2018 auf 138.354 abgesunken (Niedermayer 2019, S. 6). Damit ist dieser Schwund zwar nicht so dramatisch wie bei der Schwesterpartei CDU, deren Mitgliederbestand sich im selben Zeitraum fast halbierte, doch zu Sorge Anlass geben muss er schon. Gleichwohl ist die CSU in dieser Zeit trotz der beschriebenen gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozesse und auch trotz stark angestiegener Kirchenaustritte eine konfessionelle und insbesondere katholische Partei geblieben: Denn die Anteile der religiös überhaupt nicht gebundenen bzw. einer nichtchristlichen Religion angehörenden Mitglieder ist zwar seit 1991 von 1,9 % auf jüngst 9,7 % (2018) gestiegen, doch die Masse ist nach wie vor konfessionell gebunden. Das traditionell starke Übergewicht der Katholiken ist dabei ebenfalls erhalten geblieben: 1991 machten sie 80,4 % aller Parteimitglieder aus, die Protestanten nur 17,7 % (Niedermayer 2019, S. 33). Bis zum Jahr 2018 verloren zwar beide Gruppen an Anteilen, aber nur unwesentlich, und das unausgewogene Konfessionsverhältnis blieb dabei erhalten (74,5 % Katholiken, 15,8 % Protestanten). Vergleicht man diese Befunde mit den entsprechenden Werten der Schwesterpartei CDU, fallen im Übrigen deutliche Unterschiede auf: Die Christdemokraten wiesen traditionsbedingt schon im Jahr 1991 einen wesentlich höheren Protestanten-Anteil auf (38,6 %), aber auch damals schon 9,4 % nichtchristliche Mitglieder. Im Jahr 2018 war deren Anteil mit 23 % sogar schon fast auf ein Viertel der Mitgliedschaft gewachsen, wogegen Katholiken (47,1 %) und Protestanten (29,9 %) merklich an Boden verloren hatten (Niedermayer 2019, S. 33).

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Diese Verschiebungen spiegeln zum Teil die schon thematisierten gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, aber ein genauerer Blick erschließt auch die Bindungsprobleme gerade der CSU: So waren im Jahr 2018 in Bayern nur mehr 66,6 % der Bevölkerung überhaupt konfessionell gebunden (48,8 % Katholiken, 17,9 % Protestanten), also deutlich weniger als bei den CSU-Mitgliedern (80,4 %) (Kirchenaustritt 2018; Niedermayer 2019, S. 33). Vergleicht man das im Übrigen mit zurückliegenden Jahrzehnten, wird das Ausmaß des wohl auch künftig fortschreitenden Wandels erst richtig fassbar: Im Jahr 1970 machten nichtchristliche Mitbürger Bayerns lediglich 4,4 % der Bevölkerung aus, die Katholiken dagegen allein schon 70,4 %, die Protestanten 25,2 %. 2004 war der Anteil der Nichtchristen dann schon auf 20,4 % gestiegen, der der Katholiken auf 57,8 % und derjenige der Protestanten auf 21,8 % gesunken (fowid 2005). Kurzum: Diese demografischen Daten zeigen deutlich, dass die CSU nicht nur eine christliche, sondern vor allem eine katholisch geprägte Partei geblieben ist. Insoweit schreiben sich jahrzehntelange Befunde der Parteienforschung (Mintzel 1975, S. 176–177, 1998, S. 70) weiter fort, wenn auch inzwischen auf niedrigerem Niveau. Sie zeigen aber auch, dass der religiös-konfessionelle Wandel in Deutschland bzw. Bayern insgesamt wesentlich rascher voranschreitet und insbesondere der Anteil konfessionell gebundener Bürger stetig schwindet. Soll heißen: Eine Partei, die auch künftig auf einen christlichen Markenkern setzen will, muss diese Entwicklungen bei ihrer Programmarbeit adäquat berücksichtigen, soll sie nicht Opfer dieser gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozesse werden (Weidenfeld 2012).

4 Die CSU und ihre programmatischen Reaktionen Im Folgenden ist deshalb genauer zu untersuchen, inwieweit es der Partei gelungen ist, die beschriebenen Säkularisierungsprozesse programmatisch einzufangen. Denn ein bloßes Fortschreiben eines lediglich christlich definierten Wertefundaments würde ja die Gefahr bergen, dass die CSU sowohl inhaltlich, vor allem aber auch politisch-praktisch zu den Gesellschaftsteilen den Bezug verliert, die sich eben nicht mehr über das Christentum definieren. Dazu werden im Folgenden die Grundsatzprogramme der Partei und dabei insbesondere die aktuelle „Ordnung“ in den Blick genommen.

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4.1 Generelle Entwicklungslinien im Überblick In diesen Grundsatzdokumenten finden sich zum einen programmatische Konstanten, die nun in der Tat vor allem das christliche Wertefundament der CSU versinnbildlichen: Unverhandelbar ist für Bayerns Christsoziale zum einen die bayerische Eigenstaatlichkeit, und dies sowohl im Rahmen des deutschen Bundesstaates als auch im Kontext der europäischen Integration. Die Begründung hierfür wird nicht nur in der langen Staatstradition Bayerns gesucht, sondern speist sich auch aus den Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre, insbesondere aus dem darin formulierten Subsidiaritätsprinzip (Nell-Breuning 1990, S. 77–148). Das zeigt den großen und gleichzeitig unveränderten Stellenwert der christlichen Ethik im Programmfundament der CSU, der im Übrigen auch bei zentralen gesellschaftlichen Streitfragen zum Ausdruck kommt, wo die Christsozialen trotz sonstiger Programmänderungen auch gegen Zeitgeisttrends an überkommenen Grundsätzen festhalten: So ist die Position der CSU zum Thema Abtreibung seit Jahrzehnten weitgehend unverändert; liberalen Fristenlösungen hat sie mit Verweis auf ihr christliches Wertefundament stets eine klare Absage erteilt (Schäfer 2010, S. 189). An anderen Stellen hat sich die Programmsubstanz in den letzten Jahrzehnten allerdings deutlich geändert, was sowohl auf die schon thematisierten gesellschaftlichen Wandlungsprozesse in Bayern zurückzuführen ist als auch auf Verschiebungen in der nationalen und der internationalen Szenerie. So lässt sich in den Dokumenten zum einen eine deutliche Änderung des Frauenbildes erkennen, weg vom traditionellen Verständnis der dominierenden Rolle als Hausfrau und Mutter hin zu einem modernen Rollenbild, in dem die Gleichberechtigung der Geschlechter im Vordergrund steht und das Bestreben, auch den Frauen eine vollwertige Berufstätigkeit zu ermöglichen (Schäfer 2010, S. 188–189). Auch das Familienbild hat sich in diesem Zusammenhang insoweit liberalisiert, als nunmehr auch Lebensgemeinschaften jenseits der klassischen Ehe stärkere Akzeptanz finden. Gerade mit dem katholischen Ehe-Sakrament, welches diese Lebensform religiös überhöht, ist dies allerdings nur mehr bedingt vereinbar. Zum anderen wird im Zuge der wachsenden Globalisierung und der fortschreitenden europäischen Integration auch der stark gestiegenen sozialen Mobilität und insbesondere der Herausforderung der Migration Rechnung getragen, indem die Partei nun deutlich für eine Begrenzung der Zuwanderung eintritt, um einer multikulturellen Überfremdung der bayerischen Gesellschaft

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vorzubeugen. Auch hier steht ein christlich geprägtes Leitkulturverständnis Pate, das einer unreflektierten kulturellen Öffnung eine deutliche Absage erteilt. Und schließlich findet seit Mitte der siebziger Jahre auch der Umweltschutzgedanke Eingang in die Programmatik (Egleder 2010). Damit trug die Partei vergleichsweise frühzeitig ökologischen Prinzipien Rechnung, und hier steht sie einmal mehr in der Tradition des christlichen Schöpfungsgedankens, denn der Bewahrung der Schöpfung ist christsoziale Umweltpolitik besonders verpflichtet.

4.2 Christliches Selbstverständnis und Säkularisierung: ein programmatischer Spagat Die moderne CSU versteht sich als christlich geprägte Partei, ohne dabei einer bestimmten Lesart bzw. Konfession explizit verpflichtet zu sein (Kirchmann 1985). Das aktuelle Grundsatzprogramm „Die Ordnung“ von 2016 verknüpft diese christliche Grundausrichtung vielmehr mit dem abendländischen Wertekanon im Allgemeinen, dem auch die christlichen Normen angehören, ohne jedoch damit deckungsgleich zu sein: „Das C in unserer Partei steht für die christliche Werteorientierung. Unsere Grundwerte leiten sich aus dem christlichen Menschenbild ab. Auf Basis dieser Werte gestalten wir eine Ordnung, die ein Leben in Würde, Freiheit und Verantwortung ermöglicht. Im Zentrum unseres Denkens steht kein abstrakter Gesellschaftsentwurf. Bei uns ist der Mensch im Mittelpunkt, mit seiner unantastbaren Würde, seiner Freiheit und seiner Verantwortung. Unsere Partei steht allen Menschen offen, die sich zu diesen Grundwerten und unseren Zielen bekennen – unabhängig von ihrem persönlichen Glauben“ (CSU 2016, S. 4).

Diese offene Interpretation des C kann in der Tat als Reaktion auf die beschriebenen Säkularisierungsprozesse verstanden werden, um die ethische Identität der Partei offener und damit gesellschaftlich auch weiter anschlussfähig zu gestalten. Denn natürlich ist davon auszugehen, dass Agnostiker und sogar Atheisten keineswegs unethisch veranlagt sind, sondern lediglich das enge Korsett religiös definierter Normen scheuen. Oder anders formuliert: Den abendländischen Wertekanon, der eben auch humanistisch-aufklärerisch fundiert und keineswegs nur religiös grundiert ist, kann letztlich jeder akzeptieren, sofern ihm selbst ein humanistisches Menschenbild eigen ist. Und wenn das so ist, ist es gerade für Parteien mit spezifisch christlichen Wurzeln angeraten, diese Öffnung mitzumachen. Auch in der „Ordnung“ kommt das zum Ausdruck: „Unsere Grundüberzeugungen sind tief in der Mitte unserer Gesellschaft verankert und

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werden gemeinsam gelebt. Sie entspringen den christlich-jüdischen Wurzeln, dem Humanismus und der Aufklärung“ (CSU 2016, S. 4). Ein Blick in die Parteigeschichte offenbart demgegenüber dann nicht unerwartet deutliche Unterschiede: Denn die Fokussierung auf das genuin christliche Moment ist gerade in den Programmen der Frühzeit deutlich stärker und zum Teil auch recht dogmatisch gefasst. 1946 versteht die Partei die zurückliegende Katastrophe des NS-Regimes als „Abwendung von der göttlichen Ordnung“ und leitet daraus für die Zukunft eine religiös unmissverständliche Deutungshoheit ab: „Unser Wollen und Handeln muß daher für den Aufbau und für alle Zukunft nach den ewigen Gesetzen dieser [göttlichen] Ordnung ausgerichtet sein: einer Ordnung, die ihren höchsten und umfassendsten Ausdruck in der Lehre des Christentums gefunden hat“ (CSU 1946, S. 1). Auch in der Präambel des CSU-Grundsatzprogramms von 1957 heißt es noch recht unmissverständlich: „Die Christlich-Soziale Union will die dem Heil und der Wohlfahrt der Staaten und Völker dienende christliche Wahrheit ihrem politischen Wollen und Handeln zugrunde legen; darum nennt sie sich christlich. […] Die Christlich-Soziale Union in Bayern will alle Christen zum Dienst am Volk ­ zusammenführen; darum nennt sie sich Union“ (CSU 1957, S. 3). Von dieser recht dogmatischen Fixierung auf das Christentum löst sich die Partei jedoch später Schritt für Schritt. Versteht sie sich im Programm von 1968 noch dezidiert als „politische Aktionsgemeinschaft, die auf der Grundlage der christlichen Bestimmung und Deutung des Menschen und der Welt steht“, findet bereits acht Jahre später eine Weitung der Perspektive statt, die schon moderne Züge aufweist: „Die Christlich-Soziale Union sieht die Grundlage ihrer politischen Arbeit in einem Menschenbild, das von christlichen Wertvorstellungen geprägt ist“ (CSU 1968, S. 11). Insoweit beginnen die gesamtgesellschaftlichen Wertwandelprozesse schon in diesen Jahren im programmatischen Profil der CSU Spuren zu hinterlassen, die dann auch im Programm von 1976 eine bemerkenswerte Akzentverschiebung bewirken. Die dogmatische Überhöhung der christlichen Lehre ist nun endgültig Geschichte, und auch „Nichtchristen“ werden nun explizit zur Mitgliedschaft aufgefordert: „Der christlichen Sicht der Politik entspricht die Erkenntnis und das Eingeständnis, daß aus der christlichen Grundlage kein politischer Absolutheitsanspruch hergeleitet werden kann. Die Christlich Soziale Union hält es für möglich, daß man auch außerhalb des christlichen Glaubens zu diesen politischen Vorstellungen kommen kann. Die Christlich Soziale Union steht daher auch Nichtchristen offen“ (CSU 1976, S. 15). 1993 definiert sich

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die Partei ebenfalls schon deutlich allgemeiner über die Grundsätze „Christliches Menschenbild, Selbstverantwortung in Solidarität und Subsidiarität als die Markenzeichen ­christlich-sozialer Politik“ (CSU 1993, S. 7). Im Jahr 2007 findet eine weitere Öffnung statt, die neben den genuin christlichen Wurzeln der Partei nun auch die anderen geistesgeschichtlichen Quellen des Abendlandes und dabei insbesondere den Einfluss nichtchristlicher Elemente explizit benennt: „Unser Menschenbild hat seine Grundlage im Christentum mit seinen jüdischen Wurzeln. Maßstab und Orientierung unseres Handelns ist das christliche Menschenbild mit der Entwicklung aus Antike, Humanismus und Aufklärung“ (CSU 2007, S. 28). Dabei ist der Verweis auf die abendländische Tradition als solche zwar nicht neu, sondern reicht bis in die programmatische Frühzeit zurück. Auffällig jedoch ist, dass dieser Gesamtzusammenhang eben nun differenzierter und quellenspezifischer ausgedeutet wird, was die Dominanz der christlichen Perspektive abschwächt. Und doch hat diese perspektivische Öffnung bis heute Grenzen, und das wird gerade an der aktuellen „Ordnung“ ablesbar. Denn dort wird die identitätsstiftende Rolle des Christentums, anschließend an die eingangs zitierte ­religiös-normative ‚Öffnungsklausel‘, eben doch wieder in den Fokus gerückt, bis hin zum Verweis auf dessen Brauchtumspraktiken: „Wir stehen zu unserer christlichen Prägung. Zu unseren christlichen Werten gehören Toleranz und Respekt gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen. Im Gegenzug verlangen wir auch Respekt vor der christlichen Prägung unseres Landes. Falsch verstandene Toleranz, die unsere ­christlich-jüdisch-abendländisch geprägten Werte relativiert, lehnen wir ab. Christliche Feiertage bestimmen unseren Kalender. Christliche Kirchen prägen unsere Orte. In den christlichen Traditionen wurzelt unser Brauchtum“ (CSU 2016, S. 9).

Festzuhalten bleibt also fürs Erste, dass die CSU über die Jahrzehnte programmatisch durchaus nachsteuert, um den gesamtgesellschaftlichen Wandlungs- und insbesondere Säkularisierungsprozessen zu begegnen: Das eng gefasste christlich-dogmatische Selbstverständnis der Frühzeit weicht Schritt für Schritt einem offeneren Verständnis christlicher Identität und insbesondere einer wesentlich breiteren ethischen, auch nichtreligiösen Fundierung, in der zuletzt allen wesentlichen Quellen abendländischer Kultur Referenz erwiesen wird. Jedoch bleibt dies alles doch recht unbestimmt, und gerade die Verweise auf nichtchristliche Wertegrundlagen sind eher beiläufig eingestreut und nicht wirklich konsistent mit genuin christlichem Gedankengut verwoben.

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4.3 Personalität – Subsidiarität – Solidarität: Der Einfluss der katholischen Soziallehre Im Fokus stehen stattdessen nach wie vor die christlichen und insbesondere katholischen Wurzeln. Denn eine wesentliche normative Quelle ist für die CSU seit ihrer Anfängen durchgängig die katholische Soziallehre. Ihr zufolge bilden Personalität, Subsidiarität und Solidarität die drei wesentlichen Elemente sozialen Miteinanders. Diese Prinzipien sind katholischem Denken seit langem eigen, wurden aber erst durch die päpstlichen Enzykliken rerum novarum (1891) und insbesondere quadragesimo anno (1931) programmatisch gefasst: Personalität verweist auf den Menschen als Gottes Ebenbild, woraus sich genuine, unveräußerliche Individualrechte ableiten; Solidarität ergibt sich aus der gegenseitigen Verantwortung der Christenmenschen in der Gesellschaft und ist durch Subsidiarität am besten zu entfalten: Subsidiarität (so viel Selbsthilfe wie möglich, so viel Fremdhilfe wie nötig) gewährleistet zum einen die gottgewollte Freiheit des Einzelnen, sichert aber zugleich seine soziale Einbettung (Nell-Breuning 1990, S. 87–93). Gerade das Subsidiaritätsprinzip wird dabei zum umfassenden Schlüsselelement der katholischen Soziallehre: Es soll in Gesellschaft, Kirche, Wirtschaft sowie im Staat gleichermaßen befolgt werden: Familiäre Eigenverantwortung (insb. in der Erziehung), kirchliche Laienmitarbeit sowie betriebliche Mitbestimmung in der Wirtschaft sollen ein Maximum an Selbstbestimmung garantieren. Demgegenüber soll ein subsidiärer Wohlfahrtsstaat nur dort eingreifen, wo soziale und ökonomische Selbstregulierung versagt. Im Übrigen wird deshalb auch der Föderalismus als konsequente institutionelle Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips verstanden, indem den unteren Ebenen bei Bewahrung gesamtstaatlicher Solidarität Rechte garantiert werden (Böttcher 2004). Bereits im Grundsatzprogramm von 1976 sind die zuvor noch recht allgemein gebliebenen Bezüge zumindest begrifflich eindeutig: „Freiheit, Solidarität und Subsidiarität sind die Ordnungsprinzipien für den demokratischen Rechts- und Sozialstaat genauso wie für eine offene Gesellschaft“ (CSU 1976, S. 17), und auch die nachfolgenden Programme von 1993 (CSU 1993, S. 106) und 2007 (CSU 2007, S. 28) schreiben dies fort. Eine genauere Ausarbeitung dieses theoretisch-konzeptionellen Dreiklangs der katholischen Soziallehre findet sich dann auch in der aktuellen „Ordnung“. Dort werden die drei Leitbegriffe Personalität, Subsidiarität und Solidarität nicht nur benannt, sondern in einzelnen Abschnitten gesondert behandelt, um ihre zentrale Bedeutung für die programmatische Identität der CSU hervorzuheben.

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Zum Personalitätsprinzip liest sich das so: „Der Mensch ist ein Geschöpf Gottes. Er ist einzigartig. Das verleiht ihm Personalität. Er ist frei geboren, mit Vernunft ausgestattet und befähigt, seine Eigenverantwortung wahrzunehmen und sich vor Gott für sein Tun zu verantworten. Wir bekennen uns zu diesem christlichen Menschenbild in seiner abendländisch-aufgeklärten Prägung. Dies ist der Ausgangspunkt unserer Politik“ (CSU 2016, S. 4). Aber auch hier ist wieder auffällig, dass die unmittelbare Anleihe bei der katholischen Soziallehre nicht explizit gemacht wird; stattdessen wird das Personalitätsprinzip erneut in den weiteren Kontext abendländischer Prägung gestellt. Ideengeschichtlich betrachtet ist das zweifellos richtig, denn natürlich ist gerade diese individualistische Komponente ohne den Einfluss der Aufklärung nicht denkbar und ist gerade auch über den Protestantismus zu Einfluss gelangt. Gleichwohl: Die Lesart ist doch erkennbar ‚katholisch‘ und gerade durch den Verweis auf die Verantwortung des Menschen vor dem göttlichen Schöpfer deutlich eingehegt. Der Passus zur „Subsidiarität als Eigenverantwortung“ bildet den Kanon der katholischen Soziallehre dann ebenso präzise ab und bildet damit auch hier ein sinnvolles Korrelat zum Personalitätsprinzip, denn aus diesem ließ sich ja schon das Postulat eigenverantwortlicher Initiative herleiten. Infolgedessen heißt es dann in der „Ordnung“: „Jeder trägt für sich und die Seinen Verantwortung. Unser Maßstab ist der eigenverantwortliche Mensch. Mithilfe seiner Vernunft verwirklicht er sich selbstbestimmt und entfaltet seine Fähigkeiten. Umgekehrt lehnen wir Fremdbestimmtheit oder gar Entmündigung ab. Eigenverantwortung ist für uns zentrales Ordnungsprinzip einer Gesellschaft, die sich von unten aufbaut: Wir bekennen uns zur Subsidiarität. Das heißt: Vorrang von Eigenverantwortung vor Gemeinschaftsaufgabe und Vorrang der kleineren Einheit vor der größeren“ (CSU 2016, S. 5).

Diese geradezu mustergültige Umsetzung und Anwendung der katholischen Soziallehre mündet dann auch konsequenterweise in das Einfordern ihrer letzten Komponente: „Solidarität ist die zwingende Ergänzung von Eigenverantwortung. Aus der Eigenverantwortung erwächst die Leistungskraft des Menschen. Sie ist Grundlage zur Unterstützung der Schwachen in unserer Gesellschaft. Auch derjenige, der trotz allem Bemühen nicht für sich sorgen kann, hat das Recht auf soziale Sicherheit und ein selbstbestimmtes Leben in Würde. Soziale Sicherheit ist eine solidarische Gemeinschaftsaufgabe von Bürgern und Staat. In der gelebten Solidarität in Familie, Nachbarschaft und Gesellschaft zeigt sich die Humanität einer Gesellschaft. Das ehrenamtliche und bürgerschaftliche Engagement hat einen unschätzbaren Wert, den es immer zu würdigen gilt“ (CSU 2016, S. 6).

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Insgesamt betrachtet ist der Aufbau der gesamten Programmarchitektur der CSU auf diesen drei normativen Säulen damit zukunftsweisend wie zweischneidig. Dieses Paradox erklärt sich so: Zum einen sind Personalität, Subsidiarität und Solidarität in der Tat so allgemein gefasst, dass sie problemlos aus dem Entstehungskontext der katholischen Soziallehre gelöst werden und als generelles Erbe abendländischer Wertetradition begriffen werden können (Römpp 2009). Gerade deren personenbezogene Komponenten lassen ebenso gute Bezüge zur Aufklärung herstellen, und auch das Solidaritätsprinzip ist im Lichte ­ständisch-korporativer, aber auch sozialistischer Traditionen keineswegs nur aus religiösen Quellen herleitbar. Und doch birgt die geradezu unselbstständig wirkende Abbildung der drei Prinzipien der katholischen Soziallehre die Gefahr, perspektivisch zu einseitig einer katholischen Lesart der Gesellschaft verpflichtet zu bleiben. Beim Solidaritäts- und auch beim Subsidiaritätsprinzip wird das noch nicht so spürbar, denn beide lassen sich im Lichte der gerade beschriebenen alternativen abendländischen Wurzeln ohne Schwierigkeit aus dem religiösen Rahmen herausnehmen. Für das Personalitätsprinzip gilt dies jedoch nicht: Denn das Postulat menschlicher „Einzigartigkeit“ gründet im biblischen Schöpfungsmythos und der Vorstellung, Gott habe den Menschen nach seinem Bilde erschaffen. Und hier findet die programmatische Anschlussfähigkeit der CSU an säkular geprägte kulturelle, gesellschaftliche und auch politische Lebenswelten dann eben doch ihre strukturelle Grenze: Denn ein religiös derart überhöhtes Menschenbild wird nicht nur im Lichte der modernen Evolutionstheorie fragwürdig, sondern es kann auch dort nicht mehr Akzeptanz finden, wo die menschliche Identität eben nicht mehr als Abbild des Göttlichen begriffen wird, sondern als autonome Qualität.

4.4 Christliches Bekenntnis und Schulbildung Dieser Spagat zwischen spezifisch religiöser und allgemein kulturhistorischer Begründung der eigenen programmatischen Identität begleitet die CSU dann auch in ganz konkreten Gestaltungsfeldern. Das gilt zum einen für die Bildungsund dabei insbesondere für die Schulpolitik, wo Bayerns Christsoziale über die Jahrzehnte hinweg erhebliche Zugeständnisse an die gesamtgesellschaftlichen Säkularisierungsprozesse machen mussten (Roth 2008, S. 288–302). Das ursprüngliche Beharren der CSU auf einer spezifisch konfessionell geprägten Schulbildung in Form der Bekenntnisschule machte dabei Schritt für Schritt Platz für das Regelmodell christlicher Gemeinschaftsschulen, in welchen der

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Religionsunterricht zwar nach wie vor seinen Stellenwert besitzt, die aber ansonsten allen Schülerinnen und Schülern ohne Ansehen ihres religiösen Hintergrunds offenstehen. Diese Positionsveränderung der CSU vollzog sich sowohl parteiintern als auch landespolitisch keineswegs reibungslos. In der Nachkriegszeit stand für sie die enge Verbindung zwischen schulischer und konfessionell geprägter Bildung noch außer Frage. Entsprechend offensiv ist etwa das Grundsatzprogramm von 1946 dazu gefasst: „Wir fordern die Erziehung der Jugend zur Ehrfurcht vor Gott und seiner Schöpfung, zu Charakterstärke und sozialer Gesinnung, zu selbständigem Denken und zu körperlicher Leistungsfähigkeit“ (CSU 1946, S. 4). Das Nachfolgedokument bekräftigt diese Forderung im Jahre 1957 fast wortgleich (CSU 1957, S. 9). Dies bleibt nun aber nicht so allgemein stehen, sondern wird anschließend mit dem expliziten Plädoyer für die christliche „Konfessionsschule“ (CSU 1946, S. 4) bzw. „Bekenntnisschule“ (CSU 1957, S. 9) verknüpft, und ebenso deutlich verwahrt sich die CSU dabei „gegen die diffamierende Behauptung, daß die Bekenntnisschule zur Absonderung und zu Gegensätzen innerhalb des Volkes führe“ (CSU 1957, S. 9). Dementsprechend wurde der katholischen wie auch der evangelisch-lutherischen Landeskirche ein maßgeblicher Einfluss auf die Lehrerbildung zugestanden. Den Kampf um den Erhalt konfessionell getrennter Volksschulen hat die CSU am Ende aber doch verloren, denn 1968 wurden sie per Volksentscheid zumindest gegen den Willen ihres konservativen Flügels zugunsten christlicher Gemeinschaftsschulen abgeschafft (Roth 2008, S. 289). Christsoziale Reformer dagegen hatten sich schon weit im Vorfeld der Abstimmung auf deren Abschaffung und die Einführung christlicher Gemeinschaftsschulen eingestellt: „Bereits der Schulentwicklungsplan von Kultusminister Ludwig Huber […] weichte das Prinzip der Bekenntnisschule faktisch auf“ (Schäffer 2006). Das zog parteiinterne Spannungen und auch Konflikte mit den Kirchen nach sich. Zudem waren damit die schulpolitischen Dilemmata der CSU noch nicht vom Tisch. Denn nun musste eine Formel gefunden werden, die das fortwährende Plädoyer für eine christlich geprägte Schulbildung mit dem nun bestehenden inklusiven Gemeinschaftsschulmodell stimmig vereinbarte (Mintzel 1977, S. 306–315). Der Ausweg bestand darin, sich auf Grundsätze der bayerischen Verfassung (Art. 131) zu berufen, die genau dies ermöglichten. Im Grundsatzprogramm von 1976 liest sich das so: „Die Christlich Soziale Union besteht darauf, daß die in der Bayerischen Verfassung genannten Ziele – Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsbereitschaft, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre,

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M. Sebaldt Gute und Schöne, Erziehung im Geist der Demokratie, Liebe zur Heimat und zum Volk, Erziehung zur Völkerverständigung, Bildung von Herz und Charakter – unverzichtbare Grundlagen jeder Bildungspolitik bleiben“ (CSU 1976, S. 33).

Die Rückzugsposition der CSU bestand mit anderen Worten also darin, eine religiös geprägte Schulbildung nunmehr aus der Verfassung des Freistaats selbst abzuleiten, aber eben in einer offener angelegten und nicht konfessionell spezifizierten Form. Das war zwar gerade für die Traditionalisten kein gleichwertiger Ersatz für die weggefallenen Bekenntnisschulen, jedoch immerhin eine belastbare, weil staatsrechtlich unterfütterte Rechtfertigung einer auch künftig christlich geprägten Schulbildung.2 Bei dieser pragmatisch angelegten offenen Position ist es bis heute geblieben. Die „Ordnung“ fasst es deshalb im Jahr 2016 zwar kürzer, aber mit identischem Tenor so: „Zum Bildungs- und Erziehungsauftrag gehört es, die Werte unserer Gesellschaftsordnung zu vermitteln und für Demokratie zu begeistern. Wir wollen jungen Menschen Respekt vor Kultur, Religion und Schöpfung näherbringen. Selbstbestimmung, Verantwortungsbewusstsein und Hilfsbereitschaft gegenüber den Mitmenschen stärken den Zusammenhalt“ (CSU 2016, S. 11). Damit wird nun ganz konkret greifbar, wie gesamtgesellschaftliche Säkularisierungsprozesse auf spezifische Politikfelder durchschlagen und die CSU unter Anpassungsdruck setzen: Lange stemmte sich zumindest die konservative Parteimehrheit gegen die Abschaffung der Bekenntnisschulen, weil diese ihrem schulischen Bildungsideal eben wesentlich mehr entsprachen. Anschließend musste man sich mit den neuen Bedingungen arrangieren und fand eine praktikable Lösung darin, den Verfassungsauftrag als primäre Begründung heranzuziehen. Dies allerdings in wesentlich unverbindlicherer Form als in der Nachkriegszeit, wo auf dem Hintergrund einer noch unbestrittenen Dominanz christlicher Identität die „Erziehung der Jugend zu Ehrfurcht vor Gott und seiner Schöpfung“ noch direkt und unmissverständlich eingefordert werden konnte.

2Allerdings

ergaben sich auch später noch ähnlich gelagerte schulpolitische Kontroversen, die bis vor das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte getragen wurden: Die sog. ‚Kruzifix-Urteile‘ des BVerfG von 1995 und des EGMR von 2009 und 2011 hatten die Frage zu entscheiden, ob das Aufhängen von Kruzifixen in öffentlichen Schulen Bayerns gegen das Grundgesetzgebot der Religionsund Gewissensfreiheit verstoße. Das BVerfG bejahte dies, der EGMR verneinte es letztlich. Aus Kapazitätsgründen kann dies hier aber nicht weiterverfolgt werden. Im Jahr 2018 bekam die Thematik erneut Auftrieb durch den hochumstrittenen Beschluss der Bayerischen Staatsregierung, im Eingangsbereich aller staatlichen Behörden ein Kreuz aufzuhängen. Vgl. zur Grundproblematik im Einzelnen Reichelt (2019).

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4.5 Religiös geprägte „Leitkultur“ als Fluchtpunkt und Problem Jedoch wäre es kurzschlüssig, aus den Wandlungen der schulpolitischen ­CSU-Positionen ein generelles Abrücken von ihren religiösen Postulaten folgern zu wollen. Das Gegenteil ist der Fall. Denn gerade die im Kontext der gesamtdeutschen Leitkulturkulturdebatte (Lammert 2006; Ohlert 2015; Meier-Walser 2017) formulierte „Ordnung“, die deshalb den Leitkulturbegriff auch offensiv und positiv besetzt verwendet, lässt diesbezüglich keinen Zweifel aufkommen: „Wer bei uns lebt, muss die Leitkultur unseres Landes respektieren. […] Die große Mehrheit der Menschen sucht Sinnstiftung und will Orientierung durch Religion. Der Staat hat die Glaubens- und Religionsfreiheit zu garantieren. Kirchen und anerkannte Religionsgemeinschaften sollen öffentlich wirken können“ (CSU 2016, S. 13). Das Postulat der Leitkultur und das Eintreten für die Bewahrung christlich-religiöser Wertegrundlagen der Gesellschaft stehen für die CSU folglich in einem engen Zusammenhang, eben weil für Bayerns Christsoziale Ersteres ohne Zweiteres nicht denkbar ist. Besonders deutlich wird das dort, wo mit dieser positiv besetzten Charakterisierung christlicher Tradition auch eine explizite Abgrenzung zu anderen Religionen einhergeht. Dem Entstehungszeitpunkt der „Ordnung“ geschuldet steht dabei der Islam im Mittelpunkt, also in einem vom islamistischen Terrorismus geprägten zeitlichen Kontext. Hier formuliert die Ordnung glashart: „Der Politische Islam gehört nicht zu Deutschland. Wer unserer Werte- und Rechtsordnung nicht folgt, wer die christliche Prägung unseres Landes ablehnt, wer die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nicht akzeptiert und wer unsere offene Gesellschaft umbauen will, der hat bei uns keinen Platz. Der Islam muss sich in unsere Ordnung einfügen. Er kann keine kulturelle Dominanz beanspruchen. Wir begleiten die Entwicklung eines aufgeklärten, europäischen Islam, der sich auf unserer Wertebasis gründet“ (CSU 2016, S. 13).

Freilich geschieht dies in dieser Schärfe nur an dieser Stelle, und ist zudem nur auf die (wie auch immer definierte) politische Variante des Islam fokussiert, nicht aber auf das muslimische Bekenntnis im Allgemeinen auch nicht auf andere Religionen. Zudem gelten für die CSU auch hier die üblichen Einschränkungen, die im Kontext einer pluralistisch verfassten Staatsordnung zu beachten sind und denen die Partei infolgedessen erneut verpflichtet ist: „Umgekehrt erwarten wir aber auch, dass die grundsätzliche Trennung zum Staat beachtet wird. Religiöse Überzeugungen können niemals die Rechtsordnung, das staatliche

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Gewaltmonopol oder den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag ersetzen. Religionen sollen in Deutschland partnerschaftlich für die Wahrung unserer Werte und des gesellschaftlichen Zusammenhalts eintreten. Wir wollen dazu einen intensiven, stetigen Dialog zwischen und mit den Religionen“ (CSU 2016, S. 13). Kurzum: Die Schärfe der jüngsten deutschen Leitkulturdebatte, die im Übrigen nicht von der CSU initiiert wurde, sondern von islamkritischen Intellektuellen wie Bassam Tibi (2001, 2002) oder konservativen Protagonisten der Schwesterpartei CDU wie Friedrich Merz (Bein 2020), wird im Programmprofil der bayerischen Christsozialen immer eingehegt durch den Verweis auf die pluralistisch-toleranten bundesdeutschen Verfassungsgrundsätze. Der harte Seitenhieb auf den „politischen Islam“ ist deshalb mehr als politisch-aktueller Ausreißer zu werten denn als ‚fundamentalistischer‘ Schwenk. Gleichwohl darf dabei nicht übersehen werden, dass ‚Leitkultur‘, wenn auch in anderer begrifflicher Fassung, schon seit jeher zur politischen DNA der CSU gehört. Ein Blick in das erste Grundsatzprogramm der Partei von 1946 lässt hieran keinen Zweifel: „Wir bekennen uns als Bayern zu Deutschland als dem Land einer wertereichen Kultur und treten ein für die organische Weiterentwicklung und Pflege des deutschen Kulturschaffens auf der Grundlage ­ christlich-abendländischen Geistes“ (CSU 1946, S. 3; Hervorhebung im Original). Das unmittelbare Vorgängerprogramm von 2007 hat diesem Gesamtzusammenhang dann auch unter der Überschrift „Zusammenhalt fördern, kulturelle Identität stärken, Integration unterstützen“ (CSU 2007, S. 142–151) einen eigenen Abschnitt gewidmet, in dem „unser Volk als Kultur-, Solidar- und Schicksalsgemeinschaft“ (CSU 2007, S. 143) verstanden und dem Multikulturalismus eine klare Absage erteilt wird: „Wir lehnen ein multikulturelles Neben- und Gegeneinander ab, weil es kalt und unsozial ist, die Solidarität unseres Volkes untergräbt und zu Intoleranz und Gewalt führt“ (CSU 2007, S. 147). Das Spannungsfeld zwischen dem Postulat einer normativ offen verfassten pluralistischen Gesellschaft und der Verteidigung einer als solcher wahrgenommenen Leitkultur hat also gerade bei Bayerns Christsozialen ein lange Tradition.

5 Fazit Die Säkularisierung der Gesellschaft hat bei der CSU deutliche Spuren hinterlassen: Nicht nur schwinden die Anteile ihrer religiös gebundenen Wähler und Mitglieder, sondern auch in programmatischer Hinsicht mussten Bayerns Christsoziale diesem gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozess Rechnung tragen.

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Im Jahr 1946 konnte die Partei auf dem Hintergrund einer konfessionell definierten Gesellschaft noch ohne Rückhalt formulieren: „Religion muß der tragende Pfeiler jeder Kulturordnung sein“ (CSU 1946, S. 3). Für die gerade gegründete CSU stand das damals auch in dieser Zuspitzung außer Frage. Aber die Zeiten haben sich geändert, und der heute in der CSU-Programmatik vorherrschende allgemeinere Verweis auf vielfältige abendländische Wertegrundlagen, unter denen spezifisch christliche eben nur eine Komponente bilden, spiegelt das Erfordernis, die auch in der gesellschaftlichen Realität pluraler und vielfältiger gewordenen Identitätsgrundlagen in der eigenen Parteiposition adäquat abzubilden. Gerade ein genauerer Blick auf die aktuelle „Ordnung“ zeigt aber, dass das grundlegende Spannungsmoment zwischen religiöser Bindung einerseits und säkularer Lösung von ihnen andererseits nicht immer überzeugend aufgelöst werden kann: Denn solange der Mensch am Ende doch als Gottes Ebenbild verstanden und ihm deshalb im Rahmen der Schöpfung eine herausgehobene Stellung zugewiesen wird, kann die Herauslösung ethischer Grundpositionen aus ihrem religiösen Kontext nur begrenzt glücken. Bei Solidar- und Subsidiaritätskonzepten ist das durchaus möglich, weil diese auch aus nichtreligiösen geistesgeschichtlichen Quellen erwachsen sind, beim biblischen Personalitätsprinzip hingegen nicht. Säkularisierung bleibt daher eine zentrale normative Herausforderung der CSU, und gerade deren Bewältigung wird über ihre Zukunft maßgeblich entscheiden. Diese Problemstellung ist im Übrigen keineswegs akademischer Natur, sondern für die CSU erst jüngst unmittelbar spürbar geworden: In mehreren bayerischen Kommunen strebten muslimische Parteimitglieder eine Bürgermeisterkandidatur an, aber einer von ihnen zog diese nach parteiinternem Widerstand bald wieder zurück: Kritik war laut geworden an seinen fehlenden christlichen Bindungen (Münchner Merkur 2020). Zwar wandte sich die Parteiführung umgehend gegen derartige Ausgrenzungsversuche, und ihr Verweis auf gleiche ethische Wurzeln von Christentum und Islam ist ohne Zweifel richtig. Und doch zeigt sich gerade hier, dass am Ende weniger die programmatische Perspektive der Parteiführung zählt, sondern das Empfinden der politischen Basis. Das kann man als unreflektierte ‚Bauchentscheidung‘ abtun, doch ratsam ist das nicht: Denn es verweist deutlich darauf, dass an der Parteibasis die spezifisch christliche Lesart des „C“, also die enger definierte religiöse Tradition der Partei, noch weit verbreitet ist. Zwar handelt es hierbei nicht um eine aus der Säkularisierung erwachsende Herausforderung, aber das Grundproblem ist trotzdem gleich: In einer normativ immer vielfältiger werdenden Gesellschaft – ob durch Säkularisierungsprozesse oder wie im vorliegenden Beispiel durch religiöse Pluralisierung – ist

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die programmatische und auch praktisch-politische Gründung einer Partei auf religiös abgeleitete Fundamente eine zweischneidige Angelegenheit, die letztlich nur pragmatisch durch eine ausgewogene Positionsbestimmung zwischen tunlichst zu vermeidenden Extremen zu bewältigen ist. Auch demokratietheoretisch betrachtet ist dies anzuraten (Sebaldt 2015, S. 110–117). Einer „Diktatur des Relativismus“ darf man am Ende ebenso wenig erliegen, weil sie zur normativen Konturlosigkeit führt, wie einer zu einseitig religiös-dogmatischen Fixierung, weil sie ein Opfer der Moderne wird.

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Programmatik

Die CSU als zeitlose Volkspartei im Spiegel ihrer modernen Programmatik Markus Blume

Im Jahr 2020 feiert die Christlich-Soziale Union ihr 75-jähriges Bestehen. Man kann sich heute kaum mehr hineinversetzen in die Gründungszeit und vor allem in die außerordentlichen Umstände der „Stunde null“. Die Gründung der CSU war eine unmittelbare Antwort auf das Grauen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Es ging um das politische Unterfangen, eine sittliche Antwort auf die Gottlosigkeit zu geben, die die deutsche Nation an den Abgrund der Menschheit geführt hatte (CSU 1946). Das war zugleich das erste Programm der CSU in Zeiten, in denen die Not von Land und Leute am größten war. Es ist damals eine Partei zusammengewachsen, die verstanden hat, dass mit Ratio allein noch keine Gemeinschaft der Bürger entstehen kann. Es braucht eine Wertgebundenheit, die sich aus Idealen, Grundüberzeugungen und weltanschaulichen Konstanten zu einem Kitt der Gesellschaft formt. Dieser Überzeugungskern hat bis heute Bestand (CSU 2016). Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sind die Aufgaben und Herausforderungen gleichwohl andere. Globale Transformationen und Phänomene – von Digitalisierung über Klimawandel bis hin zum Pandemiegeschehen – verändern Gesellschafts-, Wirtschafts- und politische Ordnung tiefgreifend. Moderne Kommunikation führt in Echtzeit zu einer neuen Atomisierung des Einzelnen. Das Gemeinsame verliert mehr und mehr an Boden gegenüber dem Trennenden. Gleichzeitig fragmentiert sich das politische System zunehmend in populistische Antagonismen mit dem Erstarken neuer Parteien. Konfliktlinien des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts wie Kirche vs. Staat und Arbeit vs. Kapital nehmen an M. Blume (*)  CSU-Landesleitung, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_6

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Bedeutung ab. Andere wie Stadt vs. Land und Zentrum vs. Peripherie verschärfen sich hingegen. Und neue, wie Nation vs. Supranationalität sowie Identität vs. Multikulturalität, kommen hinzu (Merkel 2017). Für die Politik bedeutet das: Es müssen neue Brücken gebaut werden. Die Volksparteien als Sammelbecken müssen auf diese gesellschaftlichen Veränderungen zügig reagieren. Alte Antworten lassen sich nicht einfach auf neue Umstände übertragen; ein „Weiter so“ ist daher nicht möglich. Als Generalsekretär der CSU, aber auch als christlich geprägter Bürger, dem die Bewältigung dieser Herausforderungen maßgeblich am Herzen liegen, analysiere ich daher im Folgenden, von welchem weltanschaulichen Ausgangspunkt und mit welchen programmatischen Prinzipien die CSU dem gerecht zu werden sucht. Meine beiden zentralen Thesen seien hier schon vorweggenommen: Die CSU stand und steht in der Mitte – als politische Klammer des Landes und Heimat bürgerlicher Überzeugungen. Und die CSU wird erfolgreich bleiben als eine Volkspartei neuen Typs: klassisch positioniert als profilstarke C-Partei, aber neue Stärke gewinnend als attraktive Sammlungsbewegung, die auch die neuen Konfliktlinien jenseits des Links-Rechts-Schemas überwindet. Damit erfüllt die CSU auch im politischen System eine wichtige Funktion: Sie ist und bleibt Stabilitätsanker.

1 Im Namen des „C“: Das Fundament der CSU als C-Partei Parteien christlicher Prägung haben eine lange Tradition im Wertekanon unseres alten Kontinents. Sie sind der gewachsene Ausdruck einer gesellschaftlichen Verfasstheit unseres Gemeinwesens – ein politisches Verständnis dessen, wie wir uns einen Gesellschaftsvertrag vorstellen, der die staatliche Ordnung und den Einzelnen ins Lot bringt. Seit der Aufklärung im Zuge der Französischen Revolution 1789 leben wir die Trennung von Staat und Religion (Schulin 1989). Das heißt aber nicht, dass es keine Verschwisterung zwischen dem Staat und bestimmten Prinzipien der Sittlichkeit gibt. Der Kern dieser Sittlichkeit liegt für die CSU im christlichen Maßstab und seinen Werten begründet. Das sind vor jeder Tagespolitik die gewachsenen Wurzeln und das Fundament der CSU: „Vom Christlichen Menschenbild zum Leben in Würde, Freiheit und Verantwortung“ (CSU 2016, S.  26), so ist die politische Dialektik der ­Christlich-Sozialen Union zusammenzufassen. Der Bezug ist dabei stets zum Menschen als Individuum herzustellen, und politisch bezweckt die CSU daher ein

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explizit inklusives Angebot, das jedem – unabhängig von seiner religiösen Überzeugung – die Hand reicht, der sich bereit erklärt, in diesen Wertekanon einzustimmen. Im Folgenden werden die Traditionslinien nachgezeichnet, die zur politischen Seele, dem Menschenbild der CSU, führen und in Ableitung davon die drei Säulen einer christlichen Volkspartei wie der CSU ergeben: konservativ, liberal und sozial.

1.1 Traditionslinien christlich-sozialer Politik „Die Christlich-Soziale Union handelt im Wissen um ihre geistigen Wurzeln in der katholischen Soziallehre, der protestantischen Sozialethik, Humanismus und Aufklärung sowie in freiheitlichen und wertkonservativen Überzeugungen. Sie hat nach den Schrecken der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft den politischen Neuanfang in Bayern und Deutschland maßgeblich mitgestaltet: im Bewusstsein der Geschichte, überkonfessionell, im Geiste der Bayerischen Verfassung und auf dem Boden des Grundgesetzes. Diese Gründungsidee ist fortwährender Auftrag“ (CSU 2016, S. 15).

So heißt es gleich zu Beginn im aktuellen Grundsatzprogramm der CSU. Die Gründung der CSU ist vor dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte einzuordnen: Sie erfolgte als Antwort auf die grausame NS-Herrschaft. In diesem Sinne war die Gründung der CSU eine notwendige Rückbesinnung auf das „christliche Sittengesetz“ (Strauß 1989, S. 62) und knüpfte an die früheren Freiheitsmomente deutscher Geschichte an, die durch die gottlose Barbarei der Nationalsozialisten verschüttet waren. Verbunden ist die Gründung der CSU mit historischen Persönlichkeiten wie Josef Müller, Karl Scharnagl, Alois Hundhammer, Otto Frommknecht und anderen, die zum Teil schreckliche Erfahrungen in der NS-Herrschaft gesammelt hatten: Verurteilungen, Gestapo-Festnahmen und KZ-Aufenthalte waren prägend für ihr politisches Engagement. Das Bewusstsein der Notwendigkeit einer überkonfessionellen Klammer nach den Schreckenserfahrungen des sog. Dritten Reichs wurde zum inneren Antrieb der ersten Stunden und prägt die Partei noch heute (Mintzel 1975; CSU 2016). Daraus erwuchsen drei Kernaufträge der CSU: erstens für eine wertgebundene Staats- und Gesellschaftsordnung in Achtung vor Gott einzutreten, zweitens konfessionelle Spaltung zu überwinden und drittens sich als politische Wertegemeinschaft zu verstehen. Der erste Auftrag ist die Erfüllung des Versprechens des ‚nie wieder‘ hinsichtlich der schrecklichen Erfahrungen des sog. Dritten Reichs. Der Gottesbezug in Grundgesetz und Bayerischer Verfassung und die Bindung aller Staatlichkeit an

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die Menschenwürde und die zentralen Grundwerte ist Ausdruck dieser Überzeugung. Im Ergebnis steht die CSU für eine wertgebundene, religionsfreundliche Ordnung, in der Staat und Kirche zwar unterschieden sind, sich aber eben auch nicht indifferent gegenüberstehen oder gar laizistisch getrennt wären. Die überkonfessionelle Ausrichtung ist der zweite Auftrag. Sie war zu Anfang keinesfalls selbstverständlich und hart umrungen. Und doch macht gerade das die Union aus, wie es im Grundsatzprogramm von 1957 heißt: „Die Christlich-Soziale Union in Bayern will alle Christen zum Dienst am Volk ­ zusammenführen; darum nennt sie sich Union“ (CSU 1957, S. 3). Konfessionelle Spaltung sollte nie mehr politische Spaltung nach sich ziehen. Deshalb steht die CSU den großen Konfessionen gleichermaßen nahe und fühlt sich allen kirchlich engagierten Menschen verbunden. Aus den ersten beiden Aufträgen entwickelte sich im Laufe der Zeit ein dritter: Aus der christlichen Werteorientierung eine politische Wertegemeinschaft zu formen – und zwar nicht exklusiv nur bezogen auf Christen. Im Grundsatzprogramm von 2016 ist das ‚C‘ als Einladung an alle formuliert, die die christlichen Grundwerte und eine Politik orientiert am christlichen Menschenbild teilen: „Unsere Partei steht allen Menschen offen, die sich zu diesen Grundwerten und unseren Zielen bekennen – unabhängig von ihrem persönlichen Glauben“ (CSU 2016, S. 26).

1.2 Das christliche Menschenbild als ethische Grundlage Das 21. Jahrhundert ist das Zeitalter der Veränderung. Eine nie da gewesene Beschleunigung hat Gesellschaft, Wirtschaft und Politik erfasst. Wandel wird die neue Normalität – und weckt damit neue Ängste. Es sind die Ängste vor Verlust: des sozialen Status, der kulturellen Identität oder des staatlichen Sicherheitsversprechens (Reckwitz 2017). Das fordert den Zusammenhalt in unserem Land heraus und macht die Frage aktuell, was uns im Kern verbindet an Werten, Leitbildern und Ordnung. Das ‚C‘ im Parteinamen der Christlich-Sozialen Union ist sichtbarer Ausdruck der christlichen Werteorientierung und Wegweiser der CSU, um den Kitt in unserer Gesellschaft zu organisieren. Eine Gesellschaft ohne kulturell-identitären Bezugspunkt kann keine Gesellschaft sein, die weiß, wo sie steht (Fukuyama 2019). Ausgangspunkt dieser Politik ist kein abstrakter Gesellschaftsentwurf, sondern der Mensch: als Geschöpf Gottes, als Individuum, frei geboren und mit Vernunft ausgestattet. Dieses christliche Menschenbild findet seine politische

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Übersetzung in der unantastbaren Würde des Menschen, in seiner Freiheit und in seinem Handeln in Verantwortung vor Gott und seinen Mitmenschen. Die Aufklärung ist Bestandteil unseres Verständnisses vom Menschen. Auch hier findet sich eine Form des Sittengesetzes: der kategorische Imperativ. „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ (Kant 1974, S. 140, A54). Das bildet das Grundverständnis der Ethik von Immanuel Kant. Seine Schriften wie auch die von John Locke, Voltaire und anderen stehen für das ideengeschichtliche Fundament der Aufklärung, die die Vernunftbegabung des Menschen, seine Individualität und Toleranz als Handlungsmaßstäbe herausarbeiteten (Geier 2012). Beide Stränge – die Aufklärung wie die christliche Lehre – verdichten sich in unserem Menschenbild vom freien und selbstverantwortlichen Menschen: Es ist das christliche Menschenbild in seiner abendländisch-aufgeklärten Prägung. Damit sich der Mensch in Freiheit entfalten kann, müssen Sicherheit und die Befähigung zur Freiheit gewährleistet sein. Freiheit braucht ganz offenkundig eine politische Ordnung, die ihr dient. Ebenso untrennbar verbunden sind Freiheit und Verantwortung: Es gibt im christlichen Menschenbild keine Freiheit ohne Verantwortung (Nell-Breuning 1990). Der Mensch ist für sein Tun rechenschaftspflichtig: vor Gott, vor seinen Mitmenschen und vor sich selbst. Deshalb geht Freiheit für uns zwingend einher mit Verantwortung. Aus dem Bekenntnis zum christlichen Menschenbild erwachsen noch keine unmittelbaren politischen Handlungsanweisungen. Vielmehr ist es die Aufgabe, politische Überzeugungen auf der Basis dieses Wertefundaments zu formulieren und in der politischen Praxis zum Tragen zu bringen. Diese Wertgebundenheit des politischen Handelns ist der eigentliche Kern christlich-sozialer Politik – mit dem christlichen Menschenbild als geistig-moralischem Identitätsanker. Gemeinsam mit den weiteren Wurzeln der CSU – den liberalen und konservativen Überzeugungen – macht das den Volksparteicharakter der CSU aus.

1.3 Konservativ, liberal und sozial als Symbiose im Zeichen des „C“ Konservativ, liberal und sozial sind die drei politischen Charaktermerkmale der CSU, die sich aus dem Menschenbild der Partei ableiten lassen. Es ist das, was die CSU als Volkspartei ausmacht, was ihr Kontur und Unterscheidbarkeit zu anderen Parteien gibt: Die Trias einer Klammer, um verschiedene Bevölkerungsschichten zusammenzubringen und dabei das Einende zu betonen und das

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Trennende zu vermeiden. Oder um es auf den Punkt zu bringen: Eine Symbiose bürgerlicher Politik. Den Konservativen unterscheidet vom Menschenbild der Progressiven und Linken, dass er von der Gleichheit der Menschen nach Rechten ausgeht und nicht von der Gleichheit nach Fakten. Dies meint, den Menschen als Einzelnen in seiner Individualität und Unterschiedlichkeit zu achten und zu respektieren. Konservative Politik soll den Menschen die Voraussetzung dafür schaffen, ihr Leben nach eigener Façon zu gestalten. In der Liberalitas Bavariae kommt das im Grundsatz des „leben und leben lassen“ zum Ausdruck. Dem Staat kommt dabei die Funktion einer Ordnungsmacht zu, die bei allen den gleichen Maßstab anlegt, ohne jedoch gesellschaftlich zu nivellieren. Hier unterscheidet sich der Konservative wesentlich vom dogmatischen Vernunftglauben jakobinischer Prägung. In seinem Staatsverständnis ist der Konservative geleitet vom bejahenden Ordnungsgedanken staatlicher Institutionen. Er erkennt die Notwendigkeit eines organisierten und zugleich organisch gewachsenen Staatswesens für das Funktionieren des Gemeinwesens an (Schmitz 2009). Während linke Politik dem Gewaltmonopol des Staates prinzipiell skeptisch gegenübersteht und mit Misstrauen begegnet, zeichnet konservative Politik ein positives Bild von Beständigkeit und Sicherheit einer Ordnung, ja auch von gelebter guter Tradition, die Freiheit erst ermöglichen. Den dabei notwendigen Ausgleich sowie den Schutz vor Willkür schafft der Staat durch das Prinzip der Gewaltenteilung. Menschenbild und Staatsverständnis des Konservativen münden als Grundlage im konkreten Politikverständnis. Konservativ bedeutet dabei nicht, das Bewahrende als Selbstzweck wie eine Monstranz vor sich herzutragen. Keinesfalls ist die Vergangenheit der Zukunft automatisch vorziehen – dies würde bedeuten, reaktionär zu sein. Vielmehr muss sich konservative Politik stets an der Gegenwart und damit an der Realität ausrichten. Im Umkehrschluss heißt das, Skeptizismus gegenüber etwaigen Utopien an den Tag zu legen. Weltfremdes Wunschdenken ist in der Politik ebenso unangebracht wie Hypermoral. Nur ein antiquiertes paternalistisches Politikverständnis kann die politische Utopie über die Lebenswirklichkeit der Menschen stellen. Demzufolge ist es auch eine konservative Position, gegen solch weltfremde Irrlehren aufzutreten und diesen das (Selbst)bewusstsein einer eigenen Position gegenüber zu stellen, die Tradition und Moderne organisch und lebensnah verbindet. Aufbauend auf zwei Skizzen von Max Weber heißt dies zum einen, die Notwendigkeit des Dezisionismus in der Politik anzuerkennen (Weber 1988b, S. 604), also dem Erfordernis, zwischen einer richtigen und einer falschen Gesinnung zu entscheiden. Gleichwohl darf dabei diese Gesinnungsethik nicht

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verabsolutiert werden, denn Max Weber fordert an anderer Stelle ja völlig zurecht einen sinnvollen Ausgleich zwischen ebendieser und einer pragmatisch grundgelegten Verantwortungsethik ein (Weber 1988a, S. 505–560). Letztlich ist dem konservativen Politiker noch zu eigen, dass er in einem verschwisterten Verhältnis zur Religion steht. Nicht laizistisch, aber säkular. Er anerkennt den sittlichen Schöpfungswert der Religion als sinnstiftend für ein gesundes und erfolgreiches Zusammenleben in einer organisch formierten Gesellschaft. In diesem Sinne ist das Plädoyer für eine Leitkultur beispielhaft, weil es nach dem Diktum von Böckenförde die Ausbuchstabierung der Annahme ist, dass der Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht schaffen kann (Böckenförde 1991). Die zweite Säule christlich-sozialer Politik ist die liberale: Der liberale Stammvater der deutschen Christdemokraten und gleichermaßen der Christsozialen ist der ehemalige Wirtschaftsminister und Bundeskanzler Ludwig Erhard. Mit der Sozialen Marktwirtschaft hat er einen dritten Weg der Ökonomie zwischen zentraler Planwirtschaft einerseits und grenzenlosem Laissez Faire anderseits aufgezeigt (vgl. Nohlen und Grotz 2011, S. 106). Das Vertrauen in die freien Kräfte des Marktes ist dabei die eine Seite der Medaille – jedoch nicht ohne die andere Seite der Medaille vorstellbar, die Ordnungsfunktion des Staates. Hier liegt auch der Tangentenpunkt zwischen einer gesellschaftspolitisch konservativen und einer wirtschaftspolitisch liberalen Politik. Neben den wirtschaftlichen Aspekten des Marktes der freien Entscheidung liegt ein wesentlicher Begriff von Freiheit im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft begründet: Subsidiarität. Dadurch übernimmt der mündige Bürger Eigenverantwortung zur selbstgewählten Verwirklichung. Solidarische Hilfe erfährt der Einzelne dann, wenn er aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, seine Probleme zu überwinden: „Was der Einzelne leisten kann, ist er berechtigt und verpflichtet zu tun, was er nicht leisten kann, dazu wird ihm geholfen“ (Schumann 2007, S. 142). Darin wurzelt ein liberales Abwehrrecht gegenüber staatlicher Bevormundung. Kein Zweifel besteht, dass eine konservative und liberale Politik ein ständiges Spannungsverhältnis auflädt, dessen Folge am Ende auch mehr ein Nebeneinander als ein Miteinander sein kann. In Bezug auf eine Partei wie die CSU bedeutet das, die Einheit in Vielfalt zu finden. Als Handlungsmaxime kann gelten, dass das konservative und das liberale Moment nicht unreflektiert und kurzschlüssig vermengt werden sollten. Vielmehr gibt die einfache Maxime Orientierung, dass die eigene individuelle Freiheit (das liberale Moment) dort endet, wo sie die Freiheit der Anderen, also der gesamten organisch gewachsenen Gesellschaft (das konservative Moment) einschränkt – und umgekehrt.

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Die dritte Säule ist die soziale Komponente der CSU als Volkspartei. Auch hier ist der Bezug zur Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft evident. Ist Freiheit in Form der Subsidiarität das Kernstück eines liberalen Verständnisses in der CSU, so ist es Verantwortung im Zusammenhang mit dem Sozialen (CSU 2016, S. 5). Jeder sollte in erster Linie Verantwortung für sich selbst tragen und sein Leben selbst gestalten und verwirklichen. Doch gibt es in unserer Gesellschaft auch Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Das sind die Schwachen, die unverschuldet in eine Notlage geraten sind und Unterstützung verdienen, damit sie sich in der Folge wieder selbst helfen können. Deshalb ergänzt die CSU in ihrem sozialen Verständnis den Begriff der Eigenverantwortung um den der Solidarität – der Hilfestellung der Starken in unserer Gesellschaft für die Schwachen, damit auch diese wieder stark werden (Winterberg 1994, S. 102). Der Unterschied zur Linken besteht darin, dass der Christsoziale einer ist, der den Menschen nicht als soziales Wesen von seiner Bedürfnisstruktur her begreift, sondern von seiner Bedürftigkeitsstruktur. Soll heißen: es ist Aufgabe der Politik, den Menschen ein soziales Netz zu knüpfen, das sie vor Existenzbedrohung und Menschenunwürdigkeit der Lebensbedingungen schützt und ihnen die Leiter baut, um aufsteigen zu können (Schumann 2007, S. 142–144). Umgekehrt ist es nicht Aufgabe christlich-sozialer Politik, die individuellen Wünsche und Bedürfnisse von Menschen zu erfüllen. Nicht alle können daher per se ein unbeschränktes und unkontrolliertes Recht auf alles haben, weil dies zur seelenlosen Konkurrenz zwischen den Menschen führen würde. Schon Thomas Hobbes warnte daher zurecht vor solch einer antigesellschaftlichen Dystopie (Hobbes 1996, S. 14).

2 Auf der Seite der Freiheit: Der Markenkern der CSU als Mitte-Rechts-Partei Das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist seit dem Zweiten Weltkrieg von einer parlamentarischen Dichotomie zwischen linken und rechten Kräften geprägt. Die Aufteilung zwischen Kräften links und rechts der Mitte kennen wir in Europa seit der Verteilung der Sitzordnung in der Französischen Nationalversammlung nach der Revolution von 1789 (Schulin 1989). Mittlerweile ist eine starre Demarkationslinie zwischen den beiden politischen Lagern unter Anbetracht der Wandlung des ursprünglichen deutschen ­Drei-Parteiensystems hin zu einer Sechs-Parteien-Konstellation nicht mehr einfach zu ziehen. Zudem sind im 21. Jahrhundert neue politische Konfliktlinien hinzugekommen, die nicht mehr automatisch zwischen links und rechts verlaufen.

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Und dennoch: Bei der Positionierung in den klassischen Politikfeldern von der Innen- über die Sozial- bis hin zur Wirtschaftspolitik – also dem, was gemeinhin als Markenkern einer Partei angesehen wird – ist das Links-Rechts-Schema nach wie vor eine geeignete Unterscheidungshilfe. Ja mehr noch: Es wird diese Differenzierbarkeit zwischen Links und Rechts umso stärker wieder nachgefragt werden, wie diese Politikfelder zunehmend in den Fokus rücken. Nun ist in den postmodernen Gesellschaften von heute die Programmatik der politischen Lager prima facie nicht mehr so einfach zu kategorisieren, wie das Franz-Josef Strauß mit der Losung von „Freiheit oder Sozialismus“ im Bundestagswahlkampf 1976 tat (Grau 2003). Aber bei ehrlicher Betrachtung dessen, was gerade auch von Parteien des linken Lagers aktuell immer wieder in den politischen Diskurs gestellt wird – Enteignungen, Zwangsverstaatlichungen, weitreichende Verbote –, scheint der obige Schlachtruf gar nicht mehr allzu weit hergeholt. Klar ist jedenfalls: Den Markenkern von CDU und CSU als ­ MitteRechts-Parteien macht aus, dass die Union unverbrüchlich auf der Seite von Freiheit und Verantwortung steht. Es ist die Aufgabe von CDU und CSU, aus dieser Standortbestimmung folgend notwendige Orientierung in den einzelnen Politikfeldern zu geben.

2.1 Subsidiarität und Solidarität Freiheit beginnt mit Eigenverantwortung. Die CSU bekennt sich klar zum Gedanken der Subsidiarität, also dem Vorrang der kleineren Einheit vor der größeren. Subsidiarität ist Ausdruck von Eigenverantwortung und beginnt beim Menschen selbst: Aus der persönlichen Freiheit erwächst die Verantwortung für sich. Als vernunftbegabtes, freies Wesen gestaltet der Mensch sein Leben in Eigenverantwortung (Böttcher 2004). Das ist das Grundgerüst vieler politischer Maßnahmen – sie sind auf den Einzelnen bezogen und sprechen ihm Verantwortung wie auch Rechte zu: das Bestreiten des eigenen Lebensunterhalts, das Recht auf Eigentum, individuelle Freiheitsrechte oder das Leistungsprinzip in unseren Sozialversicherungen – all das ist Ausdruck des Vorrangs der Eigenverantwortung vor der Verantwortung der Gemeinschaft. Hier zeigt sich die enge Verknüpfung von Subsidiarität und Solidarität: Solidarität ist die zwingende Ergänzung dieser subsidiären Eigenverantwortung. In unserem Verständnis ist jeder Mensch zunächst für sich selbst verantwortlich; die Gemeinschaft wiederum tritt aber dann für den Einzelnen ein, wenn dieser an die Grenzen seiner Möglichkeiten gelangt ist und zu scheitern droht. Subsidiarität und Solidarität sind deshalb auch flexible und gerade dadurch humane Prinzipien:

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Nicht jeder bringt die gleichen intellektuellen, gesundheitlichen und sozioökonomischen Voraussetzungen mit, um für sich selbst zu sorgen. Der Schwache bedarf daher mehr der gesellschaftlichen Solidarität als der Starke. Das ist bei alldem mitbedacht. Denn der Mensch ist nur als soziales Wesen denkbar – daraus ergibt sich eine Verantwortung für andere wie auch eine Verantwortung für das Zukünftige.

2.2 Familien und Ehe im Zentrum Eine freie Gesellschaft baut sich von unten auf. Familien sind der Ursprung der Gemeinschaft. Sie sind der Ort, wo Solidarität, Verantwortung für den Nächsten und Miteinander gelernt und gelebt werden. Die CSU tritt deshalb seit jeher für den besonderen Schutz und die Förderung von Ehe und Familie ein. Sie bekennt sich unverändert zu dem Leitbild, wie es von der Mehrzahl der Menschen gelebt wird, ohne die Vielfalt der Lebenswirklichkeit auszugrenzen oder andere Formen zurückzusetzen (CSU 2016, S. 10–11). So kann und muss moderne Familienpolitik allen familiären Situationen gerecht werden. Die Familienpolitik der CSU stützt sich auf die Wahlfreiheit der Eltern und ihre Verantwortung in der Erziehung: Der Staat muss ermöglichen statt gängeln, wertschätzen statt bewerten. Auch der Wert der Ehe drückt sich zurecht im besonderen Schutz des Staates aus: Wenn zwei Menschen Ja zum gemeinsamen Leben in wechselseitiger Verantwortung sagen, dann ist das wertvoll und von der Gesellschaft anzuerkennen. Es ist Ausdruck christlicher Werte wie Verantwortung, Solidarität und Miteinander. Familie und Ehe sind die wohl stärksten Formen der Nächstenliebe – der Liebe, die über das eigene Selbst hinausgeht. Elementarer Bestandteil der CSU-Familienpolitik ist daher die immer wieder neu zu beantwortende Frage, ob der Staat genug für die Familien tut.

2.3 Fairness durch die Soziale Marktwirtschaft Die Soziale Marktwirtschaft ist die Wirtschaftsordnung, die Eigenverantwortung und Solidarität, Freiheit und Fairness miteinander vereint (Erhard 2009). Die CSU bekennt sich zur Sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsund Sozialordnung der fairen Chancen. Gerechtigkeit herrscht, wenn die Bedingungen für das Erreichen von Wohlstand fair sind. Fairer Wohlstand heißt

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für die CSU: Die Teilhabe an Wohlstand muss verwirklicht werden können. Das mindeste Wohlstandsniveau muss noch auskömmlich sein, und die Erwirtschaftung des Wohlstands muss zu ethisch vertretbaren Bedingungen erfolgen. Die christlichen Werte und das Streben nach Freiheit finden konkret in verschiedenen Prinzipien und Elementen der Sozialen Marktwirtschaft ihre Ausprägung: etwa im Recht des Individuums auf Eigentum, im Wert und der Wertschätzung der eigenen Hände Arbeit, in der Akzeptanz eines sozialorientierten Steuersystems sowie in der Verantwortung des Unternehmers für Betrieb und Personal. All das hat den Wirtschaftsstandort Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten geprägt und stark gemacht (Abelshauser 2011). All das gehört zu den programmatischen Grundfesten der CSU.

2.4 Heimat als Bindeglied in der offenen Gesellschaft Die offene Gesellschaft ist als Ordnung der Freiheit diejenige, die dem christlichen Menschenbild entspricht – mit allem, was dazugehört an freier Meinungsäußerung, Respekt vor der Lebensleistung anderer und Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen (Popper 1957). Die offene Gesellschaft kann aber nur Bestand haben, wenn sie auf Zusammenhalt gebaut ist. Deshalb ist der CSU zentrales Anliegen, das gemeinsame Wertefundament zu betonen und dadurch die notwendigen Bindekräfte zu stärken. Der Erhalt der christlichen Prägung des Landes, die Orientierung von Integration an unseren Werten und die Bewahrung der lebenswerten Heimat sind dafür Eckpfeiler (CSU 2016, S. 9–10) – was im linken Lager regelmäßig bestritten wird. Für echte Teilhabe an der freiheitlichen Gesellschaft ist Bildung der Schlüssel. Die CSU will, dass alle Menschen an den Chancen des Gemeinwesens gleichberechtigt teilhaben können. Jeder soll seine Begabungen so frei wie möglich zur Entfaltung bringen. Das ist ein zentrales Element des christlichen Menschenbildes. Bildung in diesem Sinne ist übrigens weit mehr als die Aneignung von Wissen: „Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt“ (Verfassung des Freistaates Bayern: Artikel 131, 2).

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2.5 Starker Staat für Sicherheit, Recht und Ordnung Die offene Gesellschaft braucht auch Schutz und eine Ordnung, die sie trägt. Das Bekenntnis zu einem starken Staat gehört zum Markenkern der Union. Ein starker Staat ist ein solcher, der das Gewaltmonopol innehat und auch in der Lage ist, dieses durchzusetzen. Er ist ein Versprechen konservativer Natur, das die Menschen vor Willkür schützt. Der Staat hat die Rechte zur Durchsetzung von Sicherheit, Recht und Ordnung von den Menschen delegiert bekommen. Der dafür notwendige Gesellschaftsvertrag, der die Verfasstheit unseres Zusammenlebens organisiert, stellt eine Form von delegierter Verantwortung dar, damit alle die gleichen Rechte haben. Grundlage für unseren Rechtsstaat ist die ­freiheitlich-demokratische Grundordnung (Detjen 2012). Sie zeichnet sich durch das Verhältnis der Staatsgewalt zum freien und mündigen Staatsbürger aus. Sie tritt gegen diejenigen auf, die unsere demokratische Grundordnung angreifen. Nach dem Diktum von Karl Popper darf es auch in einer „offenen Gesellschaft“ keine Toleranz für die Intoleranten geben (Popper 1957). Dies ist die Grundlage unserer wehrhaften Demokratie. Diese wehrhafte Demokratie stellt eine wesentliche Lehre aus den Wirren der Weimarer Republik dar, die durch die Front der Verfassungsfeinde von links und rechts implodierte (Bracher 1955). Zu einem starken Staat gehört ganz wesentlich auch die Staatsorganisation. Aus der deutschen Geschichte ist der föderale Aufbau unseres Staates obligatorisch. Die deutschen Länder sind in ihrer langen Geschichte historisch gewachsen und verfügen über selbstständige Traditionslinien. Dies gilt insbesondere für Bayern – seine Kultur und Identität. Als CSU sind wir die Partei für einen starken, dabei aber immer auch bürgernahen Staat, weil wir der Überzeugung sind, dass es insbesondere in Zeiten, in denen die Welt in Unordnung gerät, einer verlässlichen öffentlichen Ordnung bedarf.

2.6 Schutz des Lebens und Bewahrung der Schöpfung Freiheit und Verantwortung sind untrennbar miteinander verbunden. Das christliche Menschenbild setzt nicht nur Maßstäbe für die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Es verpflichtet auch unmittelbar, insbesondere auf den Schutz des individuellen Lebens. Und mit dieser jeden Einzelnen betreffenden Fürsorge wird dann auch das große gemeinsame Ganze bewahrt, dem wir von Gott her angehören: Schutz des Lebens und Bewahrung der Schöpfung stehen also in engem Zusammenhang, und das ist auch und gerade der CSU Verpflichtung (CSU 2016, S. 4).

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Das Recht auf Leben steht sowohl dem geborenen wie dem ungeborenen Menschen zu, dem Kranken wie dem Sterbenden. Dementsprechend lautet der politische Auftrag für die CSU seit jeher, menschliches Leben von seinem Anfang bis zum Ende zu schützen. Das umfasst das ungeborene Leben ebenso wie das Sterben als untrennbarer Bestandteil des Lebens. Klar ist deshalb auch: Leben und Sterben dürfen nicht kommerzialisiert werden. Der Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung speist sich ebenfalls aus der christlichen Werteorientierung. Als erste Partei trieb die CSU den Umweltschutz massiv voran: Im Dezember 1970 beschloss der Bayerische Landtag die Gründung des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen (Egleder 2010, S. 209). Zur Einordnung dieses Schritts: Es war nicht nur das erste Umweltministerium in Deutschland, sondern auch das erste in Europa und weltweit. Heute ist Bayern erneut Vorreiter, wenn es darum geht zu zeigen, dass Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze sein müssen. Intelligentes Wachstum und nachhaltiger Fortschritt bedeuten, Umwelt-, Tier-, Arten- und Ressourcenschutz als integrale Ziele des politischen Handelns mitzudenken und mit sozioökonomischer Planung sinnvoll zu verknüpfen.

2.7 Frieden als Verantwortung für Deutschland und Europa Der friedvolle Umgang im Miteinander gehört zu den Grundfesten einer freiheitlichen Gesellschaft und des christlichen Glaubens. Und so gehört das Streben nach Frieden auch zum Kern christlich-sozialer Politik (CSU 2016, S. 34–41). Die CSU verfolgt eine Politik, die ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand ermöglicht – bei uns wie anderswo. Das beinhaltet, sich zur internationalen Verantwortung Deutschlands zu bekennen und gleichzeitig Europa und die westliche Wertegemeinschaft dafür stark zu machen, einen gemeinsamen Beitrag zur Verantwortungsübernahme in der Welt leisten zu können. Die europäische Einigung ist das große Friedensprojekt der Nachkriegsgeschichte (Lipgens 1988). Jetzt muss es gelingen, Europa zu einem Friedens- und Stabilitätsprojekt für die Welt zu machen. Ein Europa stark im Großen und freiheitlich im Kleinen – das will die CSU mitgestalten. Und auch, wenn es von linker Seite regelmäßig bestritten wird: Das Bekenntnis zur Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas wie auch die transatlantische Sicherheitsarchitektur sind wesentliche Bausteine beim Ringen um Frieden und Freiheit.

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3 Für ein neues Miteinander: Der Auftrag der CSU als Klammer von Anywheres und Somewheres So hilfreich das Links-Rechts-Schema für die Orientierung in den klassischen Politikfeldern offensichtlich immer noch ist, so wenig taugt es für die Einordnung neuer Konfliktlinien. Zahlreiche politische Inhalte sind heute eben nicht mehr im Spannungsfeld von links vs. rechts zu verorten, sondern liegen gleichsam quer dazu, weil sie die Lager spalten oder weil die Lager sie gleichermaßen für sich beanspruchen. Die Ökologiekompetenz, die linke und grüne Kräfte gerne pauschal für sich in Anspruch nehmen, mag dafür als erstes Beispiel dienen, denn der Anspruch zur Bewahrung von Umwelt und Schöpfung ist auch und gerade den christlichen Parteien eigen – und dies schon lange bevor die Grünen überhaupt das politische Licht der Welt erblickten (Mauritz 1995). Seit den 1990er Jahren gibt es eine anhaltende Debatte rund um eine Globalisierung, die nicht mehr nur das Ökonomische bestimmt, sondern in ihrer Dynamik auf nahezu alle Lebensbereiche übergreift und damit die Frage der Gemeinschaft neu stellt (vgl. u. a. Taylor 2002). Damit verbunden ist eine Art der Politisierung des Alltäglichen, die neue Konfliktlinien in unserer Gesellschaft erzeugt hat. Zu den klassischen Demarkationslinien der politischen Diskussion gehörten beispielsweise die soziale Frage oder auch in Deutschland seit Anfang der 1980er Jahre die ökologische Frage. Von der Globalisierung, die die Menschen weit in ihren persönlichen Lebensbereichen erfasst, erben wir folgende Konfliktgruppierung: Diejenigen, für die es egal ist, wo sie leben, gegenüber denen, für die es nicht egal ist (Goodhart 2017). Hier stehen also die Somewheres als Verfechter einer kulturellen Gemeinschaft und von gewachsener Zugehörigkeit den Anywheres gegenüber, die nicht dort alt werden müssen, wo sie aufgewachsen sind und für die es egal ist, ob sie in München, London oder Tokio ihre Zelte aufschlagen (Merkel 2017). Für letztere Gruppe geht es damit konkret um ihren aktuellen Lebensmittelpunkt und ihren momentanen Identitätsbezug. Beide sind variabel und je nach Lebensphase räumlich und sozial sehr vielgestaltig. Für die erste Gruppe aber geht es um existenzielle Fakten – den Beruf. Der Handwerksmeister, der den familiengeführten Traditionsbetrieb in dritter Generation weiterführt und der seinen Lebensunterhalt nicht irgendwo verdienen kann, sondern auf gute – und das heißt gleichwertige – Lebensverhältnisse dort angewiesen ist, wo er herkommt. Die Divergenz von Anywheres und Somewheres begünstigt daher eine Spaltung der Gesellschaft in kosmopolitische und kommunitaristisch-national

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orientierte Bevölkerungsgruppen, die den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens epochal herausfordert. Aufgabe der Politik ist daher, solchen Spaltungstendenzen entgegenzuwirken und zwischen Anywheres und Somewheres Brücken zu bauen, Distanz abzubauen und Vertrauen sowie Einheit zu bewahren bzw. wieder neu zu stiften. Denn eines ist klar: Beide Orientierungen, kosmopolitisch wie kommunitaristisch, sind gleichermaßen legitim, und gerade einer pluralistisch verfassten politischen Ordnung wie der unseren muss es daher Verpflichtung sein, diesen Ausgleich herzustellen (Sebaldt 2015, S. 184–188). Im Übrigen ist auch dies eine Form christlich gelebter Toleranz, und deshalb kann sich hier gerade die CSU wieder einmal als historisch erprobter Brückenbauer bewähren. Ich gehe sogar noch weiter: Die CSU ist auch nach 75 Jahren noch Volkspartei, weil sie es in ihrer Geschichte immer wieder vermocht hat, Konfliktlinien zu überwinden. So muss es auch diesmal sein. Wir wollen diese Brücken bauen und setzen dabei auf Ordnung und Identität, ohne auf Weltoffenheit und gesellschaftliche Vielfalt zu verzichten.

3.1 Freiheit und Ordnung verbinden Im Zuge der großen gesellschaftlichen Umbrüche stellt sich die Frage nach dem Umgang mit der scheinbar grenzen- und regellosen Freiheit. Freiheit kann nur in einer stabilen Ordnung gedeihen und langfristig auf Akzeptanz stoßen. Grenzenlose Freiheit führt zu Kontrollverlust, Überforderung und Abwendung vom gesellschaftlichen Miteinander (Reckwitz 2017). Freiheit und Ordnung sind somit kein Gegensatzpaar, sondern wechselseitige Notwendigkeiten. Die offene Gesellschaft braucht einen verbindlichen Ordnungsrahmen, der auf unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der Gewaltenteilung und unserem Rechtsstaat mit seinem Gewaltmonopol beruht. All das findet seinen Ausdruck in einem starken Staat. Nur ein starker Staat ist handlungsfähig und kann für Freiheit und Sicherheit sorgen. Nur ein starker Staat sichert eine wertbestimmte und wehrhafte Demokratie, die nicht zum Opfer ihrer eigenen Freiheit wird. Kurzum: Gelingendes Zusammenleben setzt einen starken Staat voraus. Der starke und handlungsfähige Staat ruht auf dem Vertrauen der Menschen, das er sich selbst stets neu durch sein Handeln verdienen muss (Böckenförde 1991). Umgekehrt gilt: Ein handlungsschwacher Staat, der Entgrenzungen und Regellosigkeit mit sich bringt, erschüttert eine Gesellschaft bis ins Mark. Die Flüchtlingskrise war eine solche Erschütterung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens (Luft 2017): Der Glaube an die Handlungsstärke des Staates und an die Wirkung des Rechts hatte gelitten. Das Vertrauen der Menschen in den

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Staat wurde auf eine harte Probe gestellt – eine Erfahrung, die Wasser auf die Mühlen der Populisten beider politischer Extreme war. Deshalb konnte es auch nur eine Antwort geben: im Angesicht des kulturellen Konflikts und im Zuge der Flüchtlingskrise das Vertrauen in den Staat zu erneuern. Ein starker Staat setzt die Regeln der offenen Gesellschaft durch; das kann auch heißen, dass er Grenzen setzt. So entscheidet in Fragen der Zuwanderung allein das gesetzte Recht, wer einreisen und bleiben darf, nicht der moralische Zeigefinger oder ein gefühltes Recht. Die CSU hatte in der Flüchtlingskrise nicht nur die Debatte um die Handlungsfähigkeit des Staates geführt. Der CSU ging es zuvorderst um den Zweiklang von Humanität und Ordnung – auch wenn diese Botschaft – überlagert vom unionsinternen Streit – allenfalls selektiv ankam. Mit etwas Abstand zum Jahr 2015 bleibt der Sache nach richtig, was damals in falscher Schärfe postuliert wurde: Humanität und Ordnung, Integration und Begrenzung, Recht und Verantwortung müssen zusammenkommen (CSU 2015). Das ist gleichzeitig Blaupause, wie derartige Konflikte um Freiheit und Verantwortung, um Recht und Moral ausgehandelt werden können: Weder die einseitige Abschottung noch die maßlose Offenheit würden einer solchen Situation gerecht. Vielmehr muss der Staat seiner doppelten Verantwortung gerecht werden – gegenüber der heimischen Bevölkerung und jenen, die anderswo unserer Hilfe bedürfen oder zu uns kommen. So vereint die CSU Offenheit und Ordnung im Leitbild des starken Staats, der seiner humanitären Verantwortung gerecht wird (CSU 2016, S. 27–33).

3.2 Heimat und Weltoffenheit zusammenbringen So wie die Sorge vor dem Kontrollverlust des Staates aufgefangen werden muss durch eine Wiederherstellung des Urvertrauens in einen starken Staat, so muss auch der Angst vor Identitätsverlust begegnet werden (Fukuyama 2019). Der Konflikt zwischen Offenheit und Abschottung ist gesellschaftlich nur auszuhalten und auszuhandeln, wenn es eine kulturelle Klammer für den inneren Zusammenhalt gibt. Gleichzeitig darf sich in der aufgeheizten Auseinandersetzung im kulturell-identitären Konflikt genau diese Grundübereinstimmung in unserer Gesellschaft nicht auflösen. Mit anderen Worten: Was die ­freiheitliche-demokratische Grundordnung für den starken Staat ist, das ist die kulturelle Grundordnung für die offene Gesellschaft. Diese kulturelle Grundordnung der Gesellschaft: Das ist die gelebte Leitkultur unseres Landes im Sinne eines identitätsbildenden Grundkonsenses (Tibi 2002).

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In der Präambel zum bayerischen Integrationsgesetz wird deutlich, was zu diesem Grundkonsens, zu dieser kulturellen Klammer gehört: das Bekenntnis zur deutschen Nation und ihren Ländern mit gemeinsamer Sprache und Kultur, zu unseren Werten und Traditionen des gemeinsamen christlichen Abendlandes; dazu die Akzeptanz des Grundrechtekonzepts, das Verinnerlichen der Lehren aus der Geschichte, die Verpflichtung auf das Gemeinwesen, die Verbindung von Eigenverantwortung und Solidarität, ein Bekenntnis zu Brauchtum, Sitten und Traditionen. Und schließlich das Verständnis einer freiheitlichen Lebensweise in einer offenen und pluralen Gesellschaft, das gleichermaßen gegenseitige Toleranz und Achtung der kulturellen Prägung erfordert, ganz im Geiste von Weltoffenheit mit dem Ziel eines gemeinsamen europäischen Weges (Bayerisches Integrationsgesetz 2016, Präambel). Die gelebte Leitkultur bildet einen praktikablen und lebensnahen Modus für die Bewältigung des Spannungsverhältnisses zwischen Abschottung und Offenheit (Lammert 2006). Sie ist Basis für einen gelingenden Alltag in unserem Land. Denn gemeinsame Regeln unseres Zusammenlebens schaffen Identität, stiften neuen Zusammenhalt und bieten Heimat. Damit wiederum wird die Basis gelegt, dass die Gesellschaft eine weltoffene sein kann: Weil man sich der eigenen Sache sicher ist, kann man auch offen für Anderes und Neues sein. Heimat und Weltoffenheit ist so kein Gegensatzpaar, sondern gegenseitige Bedingung. Umso wichtiger ist, Heimat zu bewahren. Die CSU hat es seit jeher als ihren Auftrag gesehen, Menschen zu beheimaten (Mintzel 1977). Statt Bürgerinnen und Bürger heimatlos zu machen, müssen wir uns unserer Verantwortung für sie bewusst werden und ihnen Orientierung geben. Damit Menschen im Zuge gestiegener kultureller Verlustängste und dem massiven Zuwachs an Freiheit nicht entwurzelt werden, braucht es mit Leben erfüllte Heimat. Das hat nichts mit einer Pflicht zur Lederhose zu tun oder ähnlichen absurden Ideen einer linken kritischen Distanziertheit zum Heimatbegriff. Heimat ist inhaltsreich und kann – muss sogar – auch im Feuilleton bestehen und stattfinden. Heimat ist das Gegenstück zur Globalisierung: ein örtlicher Anker in beschleunigten Zeiten. So schafft Heimat Identität und Vertrauen in die individuelle Lebensumwelt. Heimat ist dort, wo ich ‚dahoam‘ bin, wo ich Identität spüre und lebe. Die Fragen nach Heimat und Identität wurden durch die Zuwanderung neu gestellt. Die Zuwanderung hat vieles in diesem Land verändert und neue Aufgaben mit sich gebracht (Etzold et al. 2019). Dazu gehört, die Integration anhand klarer Spielregeln sicherzustellen. An dieser Stelle trifft linke Ideologie auf harte Wirklichkeit und treten offene Widersprüche zutage: Wie gehen etwa mittelalterliche Frauenbilder, offener Antisemitismus und demonstrative Intoleranz mit

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naivem Multikulturalismus, linkem Vielfaltsdenken und selbstvergessener Übertoleranz zusammen? Es zeigt sich deutlich: gar nicht. Genau deshalb braucht es ein Verständnis von Leitkultur, das im Sinne einer kulturellen Grundordnung eben mehr umfasst als das Grundgesetz. Die Formel des linken Spektrums, es reiche, sich für die Integration in unsere Gesellschaft an Recht und Gesetz zu halten, ist unzureichend und schlichtweg falsch. Ja mehr noch: Leitkultur ist eine Bestandsbedingung für die offene Gesellschaft. Wenn wir nicht wollen, dass die offene Gesellschaft an sich selbst scheitert, dann sollten wir sie dringend verteidigen. Eine starke eigene Identität und Weltoffenheit schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. Wer seine Heimat liebt, der grenzt nicht aus, sondern hält zusammen. Wir schützen unsere Identität, um auch künftig weltoffen sein zu können. In der Vergewisserung unser selbst liegt die Stärke der Verbindung von Heimat und Weltoffenheit als Basis für gelingendes Zusammenleben.

3.3 Ökonomie und Ökologie versöhnen Die Konfliktlinie zwischen Anywheres und Somewheres zeigt sich nicht nur in den Fragen der Migrations- oder Identitätspolitik. Die globale Auseinandersetzung um den richtigen Weg beim Klimaschutz hat uns vor Augen geführt, dass auch diese Frage geeignet ist, Gesellschaft und Politik entlang derselben Konfliktlinie tief zu spalten. Die Gelbwesten-Proteste in zahlreichen Ländern auf der einen Seite und die weltweiten Klimastreiks der jungen Generation auf der anderen Seite stehen dabei symptomatisch für die Unversöhnlichkeit von zwei Extrempositionen: Klimaschutz hinten anstellen vs. Klimaschutz über alles setzen. Am Erregungshöhepunkt der Debatte wurde gar von Extinction Rebellion, dem extremen Arm der Klimaschutzbewegung, gefordert, für einen wirksamen Klimaschutz quasi die Demokratie zu pausieren. Nun steht völlig außer Frage, dass der Klimawandel in eine neue Phase eingetreten ist – wissenschaftlich, wirtschaftlich, politisch – und umgehendes Handeln erfordert. Wer aber handelt, ohne auch den notwendigen Ausgleich mitzudenken, vertieft nur die schon existierenden Gräben. Es war dann die CSU, die als erste Partei in Deutschland eine umfassende und ausgewogene Klimaschutzkonzeption im September 2019 beschloss. Sie übersetzte damit den urkonservativen Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung in aktuelle Politik und zeigte einen Weg auf, wie man beides tun kann: Klima schützen und Konjunktur stützen – oder genereller: wie man Ökonomie und Ökologie verbindet.

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Die Klimaschutzkonzeption der CSU, die später dann auch in die Beschlüsse der Bundesregierung Eingang gefunden hat, lässt sich mit ihrer versöhnenden Zielsetzung aus dieser Passage des Beschlusspapiers herauslesen: „Wir sorgen für eine Klimapolitik, die Ambition und Ausgleich verbindet. Die CSU als Partei der bürgerlichen Mitte mit klarem wirtschaftlichen und christlich-sozialem Profil wird Moderator und Treiber einer wissenschaftlich fundierten, wirtschaftlich sinnvollen, sozial ausgeglichenen und integriert gedachten Klimapolitik sein. Unsere Aufgabe als Volkspartei ist, Klimapolitik mit Maß und Mitte zu betreiben. Klimaschutz kann nur gelingen, wenn er Akzeptanz findet als gesamtgesellschaftliches Generationenprojekt. Ob Stadt oder Land, Kurz- oder Langstrecken-Pendler, kleine oder mittlere Einkommen – wir sorgen dafür, dass niemand benachteiligt wird. Das sichert nachhaltige Unterstützung für die Jahrhundertaufgabe des Klimaschutzes“ (CSU 2019, S. 3).

4 Die Volkspartei der Zukunft: Ein Appell Was ist folglich unser zentraler Auftrag? Die CSU muss die Volkspartei der Zukunft sein! Die Partei, die die neuen Konfliktlinien in der Gesellschaft wieder ausgleicht; die das aristotelische Maß der Mitte findet. Denn nur diese ‚goldene Mitte‘, die schädliche Extreme vermeidet und pragmatisch und mit Augenmaß austariert, ist einer modernen Demokratie gemäß. Das zeigen auch aktuelle Forschungsergebnisse: Krank wird eine Demokratie dann, wenn die Extreme übergewichtig werden und sie damit aus dem Lot gerät. Gesund bleibt sie dann, wenn ihr die Wahrung der aristotelischen Mitte gelingt (Sebaldt 2015). Dafür arbeitet die CSU seit jeher, und deshalb können wir hier an 75 Jahre alte Grundsätze anknüpfen. Das ist unser Ausgangspunkt, der uns Orientierung für eine politische Programmatik des 21. Jahrhunderts gibt! Leicht ist das wahrlich nicht: Die Flüchtlingskrise hat die öffentliche Debatte befeuert und zu einer lange nicht gekannten Polarität in der Gesellschaft geführt – zwei Lager stehen sich scheinbar unversöhnlich gegenüber. Die einseitigen Antworten der beiden Lager verstärken die Polarisierung und verhindern so eine ausgleichende öffentliche Debatte. Populismus nutzt diese Polarisierung und setzt mit manipulativer Kommunikation auf einseitige politische Lösungen. Die Extreme in unserer Gesellschaft werden also heftiger. Das Internet hat unseren Meinungsbildungsprozess zusätzlich verändert und den Polarisierungsprozess noch verstärkt: In Echokammern des Netzes wird die Meinungsbildung selbstbezogen und abgeschottet.

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Volksparteien wie die CSU können diese Spaltungstendenzen also nicht ignorieren und womöglich sogar unbequeme Meinungen von sich fernhalten. Denn genau dies würde unsere Gesellschaft aus dem Lot bringen. Das Gegenteil ist notwendig: Es braucht die Wirkmächtigkeit und Integrationskraft von Institutionen wie der Volkspartei, um auf solche gesellschaftliche Herausforderungen Antworten zu geben und sich auch dem oft schwierigen Dialog mit den jeweils gegenüberliegenden Lagern zu stellen – selbst in den schwierig zu erreichenden ‚Echokammern‘ des Internet. Wir müssen Menschen hierzu wieder beheimaten, ihre Meinungen integrieren, uns ihren Sorgen zuwenden, sie in der guten gesellschaftlichen Mitte vereinen. Die CSU nimmt die Anliegen der Menschen ernst und gibt ihnen eine politische Heimat. Sie hört hin, entscheidet nicht über Köpfe hinweg, sondern formuliert Politik mit den Menschen, ohne ihnen nach dem Mund zu reden. Volksparteien können diese integrierende und verbindende Aufgabe wahrnehmen – sie müssen sie wahrnehmen, um Menschen im Diskurs mitzunehmen. Denn gerade unsere offene Gesellschaft lebt von der freien Meinungsbildung, die im Ergebnis Maß, Mitte, Kompromiss und vernunftbasierte Lösungen hervorbringt. Volksparteien müssen einen wichtigen Beitrag für diesen gesunden gesellschaftlichen Diskurs leisten, an dessen Ende die Versöhnung polarisierender Gesellschaftselemente steht. Die langfristige Stabilität unseres Parteiensystems steht und fällt mit der Integrationsfähigkeit des Meinungsspektrums der Bevölkerung in die politischen Parteien und der Lösung von Herausforderungen im Zuge der vielfältigen Umwälzungen. Volksparteien tragen entscheidend dazu bei. Und vor allem müssen wir dabei gemeinsam dem Populismus den Boden entziehen – durch Wort und Tat. Denn gerade er schafft die demokratieschädliche Spaltung, die wir alle nicht wollen. „Zusammenführen statt spalten“ war und bleibt Anspruch der CSU. Als Volkspartei trägt die CSU durch Orientierung zur gesellschaftlichen Stabilität bei. Die Antwort der CSU auf die dominierenden Konfliktlinien des 21. Jahrhunderts ist kein einseitiges „Entweder-oder“, sondern ein verbindendes „Sowohl-als-auch“. Damit zählt die CSU zu denen, die dringend gebraucht werden: den wahren Freunden der offenen Gesellschaft. Denn nur mit einem identitätsstiftenden Wertefundament, einer verlässlichen Ordnung und echter Debatte kann die offene Gesellschaft Bestand haben.

Die CSU als zeitlose Volkspartei

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Herausforderungen des Zuschnitts: Die Programmatik der CSU im Zeitalter parteipolitischer Polarisierung Christian Deutschländer 1 Zur Fragestellung Manchmal hilft ein Blick in „Die Ordnung“, um das Ausmaß der Um-Ordnung zu erkennen. Spät, erst deutlich in der zweiten Hälfte, benennt das geltende CSU-Grundsatzprogramm erstmals den Begriff des Klimaschutzes (CSU 2016, S. 67), zurückhaltend eingebettet in Überlegungen zur Energiesicherheit. Wer genau sucht, findet in den Parteigrundsätzen durchaus auch Belege, dass für die CSU der Einsatz gegen den Klimawandel schon länger als erstrebenswertes Ziel definiert ist. Atemberaubend erscheint jedoch, in welcher Geschwindigkeit sich die Schwerpunktsetzung geändert hat. „Die Ordnung“, beschlossen Ende 2016, verspricht im Vorwort des damaligen Parteivorsitzenden „Antworten auf die drängenden Fragen der Menschen“ (CSU 2016, S. 7). Was nur gut zwei Jahre später, im Jahr 2019, als allesüberwölbendes Thema über Monate hinweg den politischen Diskurs bestimmt und milliardenschwere Umwälzungen in den Haushalten erzwingt – der Klimaschutz und die CO2-Debatte –, ist im Parteiprogramm indes nur ein Randaspekt. Das soll nicht herhalten zur Diskreditierung der damaligen Programmkommissionen und Führungsgremien, sondern ist eher ein Beleg, wie extrem schnell eine auf ein Jahrzehnt ausgelegte Parteiprogrammatik mit steilen Erregungskurven von Politik und Öffentlichkeit kontrastieren kann. Ein Einzelfall? Mitnichten. Das wiederholt sich in verschiedenen Konstellationen. Bereits in der Vergangenheit gab die CSU mehrfach klar ausformulierte Grundhaltungen vollständig auf; hier dient die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 als C. Deutschländer (*)  München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_7

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Musterbeispiel, weil im damals geltenden Grundsatzprogramm, 2007 verabschiedet, noch ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Pflichtdienst fixiert war.1 Sogar häufiger ist zu beobachten, dass die Partei Antworten auf neue oder in neuer Ausführlichkeit und Komplexität gestellte Fragen zu finden hat. In monothematisch dominierten Debatten, die potenziell tief in den Markenkern einschneiden, innerhalb kurzer Zeit vollständig neue Antworten suchen zu müssen, erlebte die CSU nach 2012 sogar drei Mal in rascher Abfolge: mit einer Energiewende ab 2012, in der Migrationspolitik, hochexplosiv im Herbst 2015, und eben in der Klimadebatte ab 2019. In keinem dieser Fälle konnte die Partei aus ihren ausformulierten Grundsätzen direkt eine Handlungsanweisung ableiten. Ein für alle Eventualitäten ausformuliertes Grundsatzprogramm, ähnlich der Bedienungsanleitung für technisches Gerät, existiert nicht, es hielte auch den schnelllebigen Themenwechseln der modernen Mediendemokratie und den Erfordernissen einer knapperen, prägnanteren Positionierung im immer schärferen Wettbewerb zwischen den Parteien und um Aufmerksamkeit nicht stand. Die CSU musste also in jedem dieser Fälle neue Rezepte erdenken. Nicht immer gelang das. Wie geht die Partei damit um – getrieben oder gestaltend, glaubwürdig oder beliebig, geschlossen oder verunsichert? Im Folgenden soll beleuchtet werden, wie die CSU auf neue Themen und auf neue Herausforderungen im parteipolitischen Umfeld, auch von jenseits des extrem rechten Randes, reagiert. Erkennbar ist eine Fortsetzung eines schon seit mehreren Jahren eingeschlagenen Weges: Die Bedeutung des ausformulierten Grundsatzprogramms schrumpft, immer wichtiger wird eine wendige, notfalls tagesaktuell zum völligen Kurswechsel bereite und fähige Spitze.

2 Pluralisierung der Angebote: Die CSU im Spannungsfeld parteipolitischer Vielfalt 2.1 Die Macht über die Agenda geht verloren Im vergangenen Jahrzehnt hat die CSU in der politischen Planung und Steuerung auf allen Ebenen unangenehme Erfahrungen gemacht: Eine Regierungsmehrheit, sogar eine absolute Mehrheit, sichert längst nicht mehr die Hoheit über die Agenda. Die Hoffnung trügt, zu Beginn einer Legislaturperiode die politischen

1CSU

(2007, S. 171). Dort heißt es: „Die Allgemeine Wehrpflicht bleibt von zentraler Bedeutung für unsere nationale Sicherheitsvorsorge.“

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Schwerpunkte und mit ihnen den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit verlässlich vorausahnen oder gar festlegen zu können. Gesellschaftliche Strömungen, mediale Schwerpunkte oder externe Großereignisse verschieben die Themensetzung häufig in Bereiche jenseits der eigenen parteipolitisch bevorzugten Felder. Das letzte Mal, als die CSU eines ihrer Kernthemen (in diesem Fall: stabile Finanzen) bundesweit erfolgreich auf die Agenda setzen sowie in und jenseits von Bayern implementieren konnte, dürfte die Festlegung der Schuldenbremse mitsamt Tilgungsplan bis 2030 in Bayern sein; und selbst letzterer wurde zwischenzeitlich verworfen. Es klingt überraschend – doch in erheblichem Ausmaß hat die CSU die Möglichkeit verloren, die Themen im Land zu bestimmen. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Generell verlieren Parteien an Bindungskraft; die bayerische Gesellschaft ist heterogener geworden; klassische Milieus lösen sich auf; in der modernen Demokratie wollen auch die Massenmedien eigene Agenden setzen; soziale Netzwerke als Kanäle zur Informationsgewinnung und Meinungsbildung verstärken Aufregungswellen; der konstant gestiegene Wohlstand und eine Epoche des Friedens in Mitteleuropa tragen dazu bei, dass in der Bevölkerung weniger die klassischerweise von der Union besetzten Themen Wirtschaft und innere/äußere Sicherheit die Alltagssorgen prägen. Zugespitzt gesagt: Nicht Überlebensfragen, sondern Lebensgefühle bestimmen verstärkt die politische Agenda. Dementsprechend sinkt auch die Überzeugungskraft politischer und wirtschaftlicher Kennzahlen, mit denen die CSU landespolitisch erfolgreiches Regieren belegen könnte. So werden „Erfolgsdaten im politischen Meinungskampf stets relativ“ (Oberreuter 2018, S. 37). Stärker denn je bestimmt also die Gesellschaft (oder eher eine Teilmenge daraus), manchmal angestoßen durch plötzliche externe Ereignisse wie die Reaktorkatastrophe von Fukushima, und nicht die bis dato fast immerwährende Regierungspartei die politische Agenda. Aus zunächst nachrangig oder ungefährlich eingeschätzten Vorgängen kann deshalb fast unvermittelt großes Mobilisierungspotenzial gegen die CSU entstehen. So zu erleben im Frühjahr und Sommer 2018: In München kam es zu Großdemonstrationen mit zehntausenden Teilnehmern explizit gegen die CSU. Einer der Auslöser war der Streit um das verschärfte Polizeiaufgabengesetz. Hier war der CSU im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens über Wochen die Kommunikation entglitten, bedingt natürlich durch die landespolitischen Verwerfungen im Zuge des Führungswechsels Seehofer/ Söder. Das Protestpotenzial und der Erklärungsbedarf wurden anfangs unterschätzt. Argumentativ die Vorbehalte, mitunter auch Falschmeldungen – etwa die vermeintliche Aufrüstung der Streifenpolizei mit Handgranaten – auszuräumen,

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stellte die Staatsregierung im Wahljahr vor schwere Probleme. Im Ergebnis gelang dies; der Preis war eine Politik über längere Zeiträume im Reaktions- statt im Aktionsmodus.

2.2 Plötzlich eine Reihe politischer Auswärtsspiele Das Polizeiaufgabengesetz überstand, allenfalls gering modifiziert, die Auseinandersetzung. Auf mehreren anderen Themenfeldern sah sich die CSU indes gezwungen, die eigene Positionierung komplett zu überarbeiten. Hier sticht die vollständige Übernahme des Artenschutz-Volksbegehrens in der ersten Jahreshälfte 2019 hervor. Detailregelungen zu mehr Umwelt- und Artenschutz in Bayern fanden unter dem grob simplifizierenden, aber emotionalisierenden Schlagwort der „Bienen-Rettung“ enormes Echo in der Bevölkerung,2 bis in konservative Kreise hinein. Das Volksbegehren, unter anderem von ÖDP und Grünen unterstützt, erlebte trotz Eintragungsfrist im Winter mehr UnterstützerUnterschriften (1,7 Mio.) als jemals ein anderer direktdemokratischer Vorstoß in Bayern. In der CSU-Führung setzte sich die Vermutung durch, einen Volksentscheid in dieser Frage niemals gewinnen zu können. In der Folge strebte Parteiund Regierungschef Söder die inhaltliche Totalübernahme des Volksbegehrens an, auf Kosten erheblicher Unruhe unter den Landwirten, die Söder selbst trotz ihres schrumpfenden Anteils zu seiner Kernklientel zählt.3 Indem er die Anliegen der Initiatoren aufnahm, absorbierte, teils übererfüllte, nahm Söder so dem auch gegen die bisherige Agrarpolitik der CSU gerichteten Protest den Wind aus den Segeln. Dass eine stolze Partei auch mal gegen Widerstände gerade von Links stehen bleiben müsse, war eine in jenen Wochen häufiger zu vernehmende Kritik aus der CSU-Basis. Die Realität aber war auch in dieser Frage eine andere: „Nicht die Parteien schaffen sich eine Gesellschaft, sondern die Gesellschaft schafft

2Von dem emotionalisierenden „Bienen“-Titel profitierten die Organisatoren zweifellos. Die Inhalte reichen indes weit darüber hinaus; Lebensräume für Bienen zu erhalten, ist nur ein Randaspekt. Ein Gedankenexperiment wert – aber nicht Gegenstand dieser Abhandlung – wäre die Frage, wie ein Volksbegehren mit den Titeln „Rettet die Mücken“ oder „Volksbegehren für die Anpassung der Mahd- und Walzzeitpunkte“ ausgegangen wäre. 3Von den „drei B“ spricht Söder 2018 wiederholt gegenüber Journalisten: „Bauern, Beamte, Bürgermeister“ sind gemeint als Kernklientel, an deren Interessen vorbei sich nur schwierig mehrheitsfähige Politik machen lasse.

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sich Parteien, die ihre Interessen und Positionen artikulieren sollen“ (Oberreuter 2018, S. 38). Ähnlich geschah dies in der Folge mit den klimapolitischen Entscheidungen auf weiteren Feldern der Umweltpolitik. Söder wies seine eigene Partei wiederholt auf das Ausmaß und die Dramatik des Richtungswechsels hin. „Wenn wir den Klimaschutz nicht mit Entschlossenheit, Energie und Klugheit anpacken, dann haben wir versagt“ (zit. nach Deininger und Wittl 2019). Sein Kurs wurde in der Folge mit wenigen Widerworten und teils einstimmigen Beschlüssen gebilligt und akzeptiert. Auf seinen Führungsstil, diesen Kurs mit Macht und Autorität vorzugeben, wird später noch genauer eingegangen. Die CSU macht sich auch hier Positionen, politische Konzepte und in Teilen auch die dazu passende Rhetorik zu eigen, die bisher nicht bei ihr beheimatet waren. In Medien wird das, teils ironisch, als „Ergrünung“ der CSU bezeichnet. Besonders spöttisch fasste das die Süddeutsche Zeitung im August 2019 zusammen. Noch im Januar desselben Jahres habe man „die Vorstellung für völlig absurd gehalten, dass Markus Söder sich mit Bienen und anderen Insekten befreunden und Bäume umarmen würde, als wären sie Familie“ (Deininger und Wittl 2019). Die Parteispitze greift auf ein übergeordnetes christlich-konservatives Erklärungsmuster der Umweltpolitik zurück: die ­ Bewahrung der Schöpfung als Uranliegen einer C-Partei. Das hilft bei der Überzeugung der eigenen Anhängerschaft. Es verdeckt aber kaum, dass die CSU hier erneut eine Schlacht auf dem Kernkompetenzfeld eines politischen Gegners, in diesem Fall der Grünen, zu schlagen hatte. Eine Partei, die im Spannungsfeld von Moderne und Markenkern mit solchen Auswärtsspielen klarkommen kann, muss agiler sein, schneller. Das Wedeln mit Leitsätzen aus Grundsatzprogrammen ist überholt. Schon 2011 konstatierte der Politologe Heinrich Oberreuter, angesichts kurzfristig orientierter „Opportunitäts-, Popularitäts- und Stimmungsabhängigkeiten der modernen Demokratie“ müsse man die Relevanz von Wertorientierungen hinterfragen, „die im Vollzug instinktsicherer Alltagsreaktionen eher nachrangig erscheinen“ ­(Oberreuter 2011, S. 238). Zumal es der CSU auch heute trotz ungewöhnlich hoher Medienpräsenz ihres Vorsitzenden nicht verlässlich gelingt, mit eigenen Themen die politische Agenda zu dominieren. Mehrere Anläufe, Fragen des Föderalismus und seiner Reform umfangreich zu thematisieren, verfingen selbst für den sehr kommunikationsbegabten Parteichef Söder kurz nach seiner Amtsübernahme nur in wenigen Medien – zu komplex, zu wenig emotionalisierend, zu wenig zuspitzbar auf Konflikte.

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2.3 Schwere Fehler im Heimspiel Noch schwerer wiegt, dass die Union insgesamt – und damit auch die CSU – mit der Flüchtlingskrise spätestens ab Herbst 2015 einen gravierenden Glaubwürdigkeitsverlust hinnehmen musste, der sich zu einem erheblichen Teil auf dem Kernkompetenzfeld der Inneren Sicherheit abspielt. Sicherheit, Kontrolle und Ordnung aufrecht zu erhalten, ist eine Art Mindestanspruch der Wähler an die CSU, die sich stets als Partei eines starken Rechtsstaats versteht. Der vorübergehende Kontrollverlust des Staates über die Zuwanderung hat das Zutrauen vor allem bürgerlich-konservativer Wähler erschüttert. Der CSU in Bayern wurde das (Nicht-)Handeln der CDU-Bundeskanzlerin mit zugerechnet; dies besonders emotionalisiert, weil der Freistaat allein aufgrund der geografischen Lage die überwiegende Hauptlast der Flüchtlingsankünfte zu bewältigen hatte. Zudem hatte die CSU in ihren Grundsatzprogrammen stets eher eine Begrenzung der Integrationsfähigkeit betont, während die CDU explizit das „Integrationsland“ Deutschland hervorhob (vgl. Bandau 2018, S. 98). Die Entscheidung der Bundesregierung, die Grenzen nicht zu schließen, wurde zwar von der CSU-Führung in der Folge vernehmlich kritisiert, aber nicht korrigiert. Das Versprechen eines starken Staates mit der Kraft, die Rechtsordnung zu vollziehen, bekräftigte die CSU zwar sogar ausführlich in ihrem jüngsten Grundsatzprogramm (CSU 2016, S. 28–29), erfüllte es aber auf Bundesebene nicht. Für die CSU in Bayern lässt sich diese Vertrauenskrise in Zahlen ausdrücken: In den Januar-Erhebungen des Bayerntrend von Infratest dimap wird seit 2016 der Politikbereich Migration/Integration als wichtigstes Problem beschrieben (Bayerischer Rundfunk 2019). Die Kompetenzwerte, die der CSU auf diesem Feld in Bayern zugeordnet werden, sind aber zwischen 2016 und 2019 von 54 auf 32 % Jahr für Jahr immer tiefer gefallen. Eine Partei, die auf dem von den Bürgern als zentral markierten Politikfeld nur das Vertrauen von unter einem Drittel der befragten Wähler genießt, ist von absoluten Mehrheiten weit entfernt.

3 Polarisierung der Angebote: Die CSU im Spannungsfeld politischer Extreme In den vergangenen Jahren ist die politische Landschaft bundes- und landesweit ausgefranst. Das ist auch in Bayern für die CSU eine wachsende Herausforderung. Zwar hat sich trotz erheblichem Zu-, Um- und Wegzugs nicht die grundlegende politische Orientierung der Wähler im Freistaat in der Summe

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geändert; noch immer kam bei der Landtagswahl 2018 ein aus CSU, Freien Wählern, FDP und AfD geformtes (theoretisches) Lager auf gut über 60 %, vergleichbar mit den Summen der Landtagswahl 2013; ebenso sind die summierten Werte von SPD, Grünen und Linken mit knapp über 30 % stabil (vgl. Schlemmer 2018, S. 34). Doch ist es innerhalb dieser beiden Lager zu gravierenden Verschiebungen gekommen, wegen derer sich die CSU heute geschrumpft in einem grob veränderten Spannungsfeld wiederfindet – in einer Art Sandwich-Position zwischen städtischen oder stadtnah lebenden, eher den Grünen zuneigenden Wählern, und ländlich orientierten, konservativen und wenig kosmopolitischen Bürgern, die im Fall einer Abkehr von der CSU eher der AfD zuneigen.

3.1 Rechtsaußen Wichtigste Neuerung ist das Aufkommen einer radikal rechten Kraft. Die AfD, mit gut 10 % und anfangs 22 Abgeordneten im Herbst 2018 in den Landtag eingezogen, fordert die CSU auf mehreren Feldern heraus. Die Wand, die die CSU nach Strauß’ Diktion rechts von sich vermutete, ist eingestürzt. Inhaltlich bedeutet das für die CSU, dass sie jederzeit von im Landtag vertretenen Kräften rechts überholt werden kann. Das zeigte sich schwerwiegend in der Migrationspolitik und der Bewältigung der Folgen des ungeregelten Zuzugs ab dem Herbst 2015. Die CSU hat sich hier nach anfänglichem Zögern und erheblichen Schlingerbewegungen bis 2018 erst unter der Regie des neuen Parteivorsitzenden Söder auf eine Linie geeinigt, die auf dem Zweiklang von Humanität und Ordnung fußt. Die Rhetorik dazu wurde nach dem Ende des unionsinternen Streits deutlich gemäßigt. Medial festgemacht wurde das mit dem Bekenntnis Söders, das Wort „Asyltourismus“ nicht mehr zu verwenden und sich im Landtag dafür zu entschuldigen. Für die CSU entschärfte dies, zumindest ein Stück weit, den inneren Konflikt mit kirchennahen, liberalen und/oder in der Migrationspolitik engagierten Wählern. Gleichzeitig öffnete der Kurswechsel aber eine Flanke: Härter zu formulieren, weniger oder gar keine Zuwanderung zu fordern, mit der Verknüpfung von Migration und Kriminalität latente Stimmungen in Teilen des Landes zu bedienen, ist nun das Monopol der AfD, die diesen Spielraum noch zu erweitern versucht, indem sie mit immer neuen rhetorischen Provokationen die Grenzen des juristisch ungestraft Sagbaren nach rechts verschiebt. Die CSU nimmt das nicht mehr klaglos hin, hat aber nun – anders als in den letzten Jahrzehnten seit der Verzwergung der Republikaner – wieder eine

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ernsthafte Abgrenzung rechts statt nur links zu betreiben. Was am bayerischen Stammtisch Beifall findet, kann plötzlich rechts vom Kurs der CSU verortet sein; für eine Partei, die stets die Lufthoheit über den Stammtischen für sich zu beanspruchen versucht, ist das ein nicht zu unterschätzendes Problem. Eine wortreich argumentativ ausdifferenzierte Position von Maß und Mitte spricht sicherlich erhebliche Teile der Bevölkerung an. Die CSU muss aber immer auch versuchen, Menschen zurückzugewinnen, „denen die Welt zu komplex geworden ist, die sich auf eine nationale Übersichtlichkeit zurückziehen wollen“ (Stoiber 2019, S. 50). Zumal sich das nicht auf die Migrationsdebatte beschränkt. Auch in der Klimapolitik franst das politische Feld nach rechts aus. Zu den im Landtag offen vertretenen Meinungen zählt nun auch die AfD-Position, die den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel vollständig leugnet. Aus wissenschaftlicher Sicht mag man das mit einem Kopfschütteln und Verweis auf klare Befunde abtun; für die Volkspartei CSU ist der Umgang damit nicht so leicht. Sie muss stets auf der Hut sein, dass in Teilen ihrer Wählerschaft ein Unverständnis über Belastungen der Bürger durch klimapolitische Maßnahmen etwa zur Verteuerung von Kraftstoff und Heizen nicht umschlägt in ein generelles Anzweifeln des menschlichen Anteils am Klimawandel. Die CSU-Führung muss also in diesem Spannungsfeld einen Mittelweg zwischen „Hysterie und Ignoranz“ (Münchner Merkur 2019)4 einschlagen.

3.2 Links der Mitte Auf der anderen Seite des politischen Spektrums findet die CSU mit den Grünen ebenso einen in dieser Stärke neuen Wettbewerber, wenngleich einen, der das demokratische Spektrum der Meinungsäußerungen zumeist nicht verlässt. Die Grünen finden sich derzeit in der Rolle als größte Oppositionspartei in Bayern, untermauert durch das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte 2018 und die daraus resultierende Oppositionsführung im Landtag. Sie übernehmen die Rolle der dramatisch geschrumpften SPD als Gegenspieler der CSU links der politischen Mitte, rekrutieren aber ihre Wählerschaft nicht mehr nur dort, wie zum Beispiel der Gewinn von vier Direktmandaten in der Stadt München bei der Landtagswahl

4Söder

sagt hier im Einzelnen: „Mit Parteienstreit über Klimaschutz – zwischen Hysterie und Ignoranz – ist dem Klima nicht geholfen.“

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2018 und von zwei Landratsposten in Oberbayern und in Franken in den zurückliegenden Jahren nahelegen. Inhaltlich wird die CSU auch von den Grünen erheblich herausgefordert. Beim Megathema Migration positionierten sich die Grünen von Anfang an klar und ohne größere Schwankungen für die Aufnahme und Integration einer größeren Zahl von Flüchtlingen. Die CSU grenzte sich hiervon vor wie nach den Seehofer/Söder-Kurskorrekturen stets ab, unter Inkaufnahme allerdings von Konflikten mit der eigenen (zum Beispiel) kirchennahen Wählerschaft. Ähnliches in der Umwelt- und Klimapolitik: Hier besetzen die Grünen mit der Forderung nach einem radikalen Umsteuern, vom Staat zum Teil erzwungen durch Verbote und Besteuerung, eindeutig das andere Ende des Spannungsfelds, innerhalb dessen die CSU nach einer mehrheitsfähigen Position suchen muss. Die Grünen erweisen sich inhaltlich zudem als Herausforderung für die CSU, weil sie – anders als die AfD – zumindest in Bündnissen mit Großdemonstrationen oder direktdemokratischen Vorstößen eigene Themen auf die Agenda bringen können. Als Beispiel dient der Artenschutz. Und nicht zuletzt weiten die Grünen das Spektrum an politischen Ansichten nach links aus – nicht im gleichen Ausmaß wie die AfD nach rechts, aber zumindest punktuell, etwa mit dem innerhalb der beiden Parteien weitgehend unwidersprochen hingenommenen Anstoß einer Enteignung großer Wohnungsunternehmen5. Erschwerend kommt hinzu: Die beiden Parteien, die links und rechts der CSU das politische Spannungsfeld begrenzen und bespielen, stehen weder in Bayern noch im Bund in Regierungsverantwortung. Weder Grüne noch AfD müssen also die Umsetzbarkeit ihrer Konzepte unmittelbar nachweisen; auch werden sie vom Wähler nicht für Konsequenzen der Regierungsarbeit (etwa: Milliardenausgaben für Integration oder höhere Belastungen der Bürger durch eine CO2-Bepreisung) verantwortlich gemacht. Grüne und AfD können also erheblich freier agieren als die SPD, als sie noch der hauptsächliche Gegenspieler der CSU in Bayern war und in Berlin gleichzeitig in mehreren Legislaturperioden selbst (mit-)regierte.

3.3 Die Schwächen in der Strategie Strategisch muss die CSU auf diese veränderte Konstellation Antworten finden. Hier zeigte die Partei aber auf beiden Seiten Schwächen und ließ mindestens 5Der

Vorstoß wurde zunächst vom Bundesvorsitzenden der SPD-Jugendorganisation Jusos vorgebracht, später aber unter dem Schlagwort der „Vergesellschaftung“ unter anderem vom G ­ rünen-Landesverband Berlin aufgegriffen.

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zeitweise eine klare Linie vermissen. Am deutlichsten ist das in den mehrfachen Strategiewechseln im Umgang mit der AfD zu beobachten. Im Herbst 2017 bemühte sich die CSU-Führung, Angriffe von rechts zu ignorieren. Der Vorsitzende Seehofer verfügte, auch nicht auf eine Plakat-Aktion („Strauß würde AfD wählen“) zu reagieren und ließ sich mit den Worten zitieren: „Alles Provokation. Und man sollte in der Politik nicht auf Provokationen hereinfallen“ (zit. nach Deutschländer 2018). In der ersten Hälfte 2018 korrigierte die CSU, noch unter Seehofer, diesen Kurs und bemühte sich um eine massiv verschärfte Wortwahl in der Migrationspolitik. Mit Begriffen wie „Asylgehalt“ und „Asyltourismus“ versuchte die Partei, ein Abwandern von Wählern nach rechts zu stoppen. Als neuer Ministerpräsident leitete Söder dann im Angesicht immer dramatischer sinkender Umfragewerte für die CSU eine weitere Wende ein: Die Migrationsfragen eher zu dethematisieren, mit einem Aufbau von Sozialleistungen der AfD neue Angriffsflächen zu verbauen und ihr generell die Lösungskompetenz abzusprechen. Parteiintern sorgte dieser kurvenreiche Kurs für wiederholte Debatten. Unmittelbar nach der Landtagswahl im Oktober 2018 kritisierte etwa der frühere Landtagspräsident Alois Glück eine „reflexhafte Fixierung auf die AfD“ (Münchner Merkur 2018)6. Auf der Passauer Aschermittwochskundgebung 2019 vollzog Söder dann den letzten und schärfsten Schnitt in der Abgrenzung mit seinem Aufruf an AfD-Wähler, sie sollten zurückkehren und „die Nazis in der AfD“ alleine lassen. Bis auf weiteres fand die strategische Achterbahnfahrt damit einen Abschluss. Rückblickend räumt Söder Fehler ein, zumindest in der scharfen Wortwahl. „Es war, als würden wir auf die dunkle Seite der Macht kippen“ (zit. nach Hildebrandt 2019). Der Schlingerkurs der CSU im Umgang mit der AfD hat zudem ihren kommunikativen Spielraum eher eingeschränkt als erweitert. Aussagen, die früher der demokratischen Rechten zugeordnet wurden und akzeptierter Teil des demokratischen Diskurses waren, werden jetzt in der Öffentlichkeit, in Medien und Politik schneller als nationalistisch, rechtspopulistisch oder rechtsradikal kategorisiert. So kann auch eine sachliche Intonation von Fragen der Kriminalität unter Zuwanderern, des Ordnungsbegriffs im Staat oder des Patriotismus ebenso wie die Ablehnung multikultureller Gesellschaften zu Vorwürfen führen, sich extremer Parolen zu bedienen. Der frühere CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber bilanziert, der Raum für Meinungsfreiheit habe sich „in den letzten Jahren deutlich verengt, aber nur rechts der Mitte“ (Stoiber 2019, S. 51). Träger rechtskonservativer Meinungen

6Ausdrücklich

setzt Glück hier hinzu: „Die Fixierung auf die AfD war falsch.“

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würden aus dem demokratischen Spektrum gedrängt, was die Volksparteien schwäche und die Ränder stärke. Man muss dieses Entstehen einer vermeintlichen demokratischen Grauzone allerdings nicht wie Stoiber allein einer „Verengung des Mainstream auf links-liberale Positionen“ (Stoiber 2019, S. 51) zuschreiben. Anteil daran dürfte schon auch haben, dass die CSU – namentlich Söder – sich 2018 vorübergehend gezielt eines Teils des Vokabulars der AfD bediente im Versuch, der rechtspopulistischen Partei so Raum zu nehmen. Als Musterbeispiel sei hier erneut auf das Wort vom „Asyltourismus“ verwiesen. Die Strategie wurde verworfen, der Flurschaden blieb. Weniger abrupte Kurswechsel, aber temporäre Unschärfen und offene Widersprüche kennzeichnen den Umgang der CSU mit dem Hauptgegner auf der linken Seite der Mitte. Söder bemüht sich nicht erst seit seinem Amtsantritt um eine klare Abgrenzung von den Grünen. „Das Duell ist ab jetzt eindeutig Schwarz gegen Grün, nicht Schwarz gegen Rot“ (zit. nach Wittl 2019), erklärt er nach der Europawahl im Mai 2019. Unter den CSU-Parlamentariern in Land und Bund findet diese Position schon länger große Unterstützung. Nicht zuletzt der Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt machte schon seit Jahren die Grünen als Hauptgegner aus („Ideologie statt Vernunft“) und warnte vor grün geführten Regierungen weit links der Mitte (Dobrindt 2019). Auf einen anderen Kurs dringt hingegen Parteivize Manfred Weber. Er erklärt die Grünen 2019 zum Wunschpartner für eine künftige Bundesregierung. „Die Lust zu gestalten, die Lust Verantwortung zu übernehmen – all das spürt man bei den Grünen“ (Weber 2019). Er nennt dies eine gute Grundlage für eine verlässliche Regierung. Die Parteiführung ist im Auftrag Söders über mehrere Wochen hinweg mit Dementis beschäftigt.

3.4 Drei Beispiele: Der Umgang mit den Inhalten im Spannungsfeld politischer Extreme Ein einheitlicher Kurs der CSU im Umgang mit den zumeist aufgezwungenen Themen ist nicht zu erkennen. An drei ausgewählten, hier bereits eingeführten Beispielen zeigen sich unterschiedliche Muster, wo sich die Parteispitze zwischen den Extrempolen rechts (AfD) und links (zumeist Grüne) positioniert. In der Handhabung der Migration geriet die CSU nach 2015 auf Schleuderkurs zwischen einer laut und aggressiv formulierten Politik der Zuwanderungsbegrenzung und dem ebenfalls tief in der Partei-DNA und den christlichen Wurzeln verankerten Anspruch der Humanität. Entgegen offiziellen Beteuerungen ist das Problem auch mehrere Jahre nach dem Flüchtlingsherbst 2015 nicht gelöst, lediglich dethematisiert dank der zwischenzeitlich stark zurückgegangenen

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Ankunftszahlen: ein Abgleiten in den „politischen Erschöpfungsschlaf“ (Schuler 2019, S. 230) zur Überdeckung der Ratlosigkeit in der ungelösten Sachfrage, ob Grenzschutz wirklich gewährleistet werden kann und soll. In der Reaktion auf das Artenschutz-Volksbegehren ab der zweiten Hälfte 2018 zeigte sich ein vollständig anderes Muster: Mit der Übernahme sämtlicher Forderungen, teils sogar ihrer Über-Erfüllung, entschärfte die hier entscheidend von Markus Söder gesteuerte CSU die Gefahr, direktdemokratisch überrannt zu werden. Das unmittelbare politische Problem kann als gelöst bezeichnet werden, die sich daraus ergebenden inhaltlichen Folgen werden abgearbeitet – in der Hoffnung, dass sich die Verwerfungen in der Wählerschaft, vor allem bei den Landwirten, legen. In der Klimaschutzpolitik 2019 suchte die Parteiführung hingegen einen Mittelweg zwischen den Maximalforderungen der Grünen und der offenen Leugnung des Klimawandels durch die AfD. Der von der CSU beschlossene Kurs bleibt eindeutig hinter den radikalen Forderungen der Klimabewegung zurück, bekennt sich aber klar zu Maßnahmen zur Linderung und Verzögerung des menschengemachten Anteils am Klimawandel. Interessant ist die Betrachtung dieser drei Beispiele auch vor dem Hintergrund der medialen Rezeption. Die CSU ist die Ausgangslage gewöhnt, bundesweit einer veröffentlichten Meinung gegenüberzustehen, die nicht deckungsgleich mit der Meinung der Wählerschaft in Bayern ist. Bei Migration, Artenschutz wie Klimaschutz sah sie sich stets medialer Kritik ausgesetzt. Im Fall der Migrations- sowie der Klimapolitik ist dies eine andauernde Begleitung. Im Fall der Artenschutz-Maßnahmen ist auffällig, dass die Kritik in der veröffentlichten Meinung und das Medieninteresse über Bayern hinaus schlagartig mit der Entscheidung der vollständigen Übernahme der Inhalte des Volksbegehrens abebbten. Für die Zukunft wirft das die Frage auf, ob und wie lange die CSU bereit sein wird, eigene Positionen auch unter Druck der veröffentlichten Meinung durchzuhalten.

4 Befunde und Folgerungen Die CSU macht Politik in einem Umfeld, in dem das Stöbern in Grundsatzprogrammen kaum noch tragfähige Antworten auf aktuelle Fragen gibt. Die oft in Aufregungswellen auftauchenden Probleme sind entweder neu oder der Partei bisher nicht gut vertraut. Mit eigenen Themen die politische Agenda zu dominieren, fällt der Partei erkennbar schwer, unter anderem wegen der

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problematischen Regierungsbilanz in Berlin. Eines der klassischen Kompetenzfelder, die innere Sicherheit, hat durch den zwischenzeitlichen Kontrollverlust in der Migration ab 2015 erheblichen Schaden genommen. Die Union kann sich nur schwierig „glaubhaft als die Lösung der Probleme anbieten, die man selbst mitverursacht hat“, formuliert der Journalist Ralf Schuler (Schuler 2019, S. 223). Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft der Wähler, in Zahlen dokumentierbare Leistungen einer Regierung, etwa eine stark unterdurchschnittliche Kriminalitätsrate in Bayern, als Grundlage ihrer Wahlentscheidung zu nehmen. Die CSU redet deshalb seit 2018 lieber so wenig wie möglich über Migrationspolitik. Weitere beherrschende Mega-Themen der vergangenen Jahre entsprangen den Kernkompetenzfeldern der Grünen: die bundesweite Aufgabe der Energiewende nach dem Atomausstieg, die landesweite Frage des Artenschutzes bis hin zu kleinteiligen Detailregelungen und die weltweit geführte Debatte über mehr Klimaschutz. In diesen Bereichen musste die CSU teils vollständig neue Positionen entwickeln, ihre Gremien, Mitglieder und Wähler davon überzeugen und in den Koalitionsregierungen in Berlin und München die Umsetzung in die Wege leiten. Innerparteiliches Murren und medialer Spott über ein „Ergrünen“ der Partei waren die Folge. Strategisch dürften diese Neupositionierungen ohne realistische Alternative sein, will die CSU in einer sich verändernden Wählerschaft insbesondere im wachsenden urbanen Raum mehrheitsfähig bleiben. Sie muss dazu einerseits ihren aus demografischen Gründen schwindenden Stammwählern klarmachen, dass Konservativismus nicht als Standhaftigkeit um jeden Preis misszuverstehen ist; und dass auffällige Veränderung kaum reichen wird. Das stellt den Zweiklang der „Demonstration von Kontinuität bei gleichzeitigem permanentem Wandel“ als „Erfolgsrezept der CSU“ (Hirscher 2012, S. 41) auf eine Belastungsprobe. Andererseits muss die CSU mit jeder Kurskorrektur um ihre inhaltliche Unverwechselbarkeit fürchten. Während die Probleme der Gegenwart nach meist komplizierten Antworten verlangen, muss die CSU zudem in einem vor allem nach Rechts ausgefransten Parteiensystem um modernisierungsscheue Wähler bangen, die in der AfD eine Partei zu erkennen glauben, die mit simplen Botschaften aller Veränderung Einhalt gebieten könnte. Mindestens ebenso deutlich wie der inhaltliche Umbruch ist der strategische Umbau, mit dem die CSU auf die neuen Lagen reagiert. Hier fällt auf, wie stark die CSU selbst über den mitnichten reibungsfreien Umbruch ­ Seehofer-Söder hinweg auf eine Personalisierung an der Spitze setzt. Zwei für die CSU lange selbstverständliche Grundlagen verlieren deutlich an Bedeutung: die ausformulierten Grundsätze des Parteiprogramms in Sachfragen; und die durch

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unterschiedliche Personen abgedeckte innerparteiliche Meinungsbreite. Zwar feierte sich die CSU immer gerne, nicht die klassischen organisierten „Flügel“ der in Berlin stationierten Parteien zu haben. Doch war durch prominente und exponierte Köpfe – etwa die Sozialpolitiker Stamm oder Glück hier, der Wirtschaftspolitiker Wiesheu da – stets die Bandbreite der Volkspartei auch für politische Laien erkennbar. Die Aufstellung unter Seehofer und nun noch deutlicher unter Söder – beide unterscheiden sich hier weniger, als ihre ausgeprägte Rivalität vermuten lässt – ist komplett anders: Fixiert auf die Spitze, mit möglichst großer Handlungskompetenz, einer drastisch verstärkten Personalisierung und dem Aufbau des Images als Kümmerer, Landesvater und Politiker mit Lösungskompetenz auf den Ebenen Land wie Bund.7 Seit Söders Übernahme auch des Parteivorsitzes beschleunigt sich diese Entwicklung sogar. Der Trend zur Zentralisierung und Personalisierung von Entscheidungen und Kommunikation bei ihm reicht tief hinein bis in kleinste Details der Regierungs- und Parteiarbeit. Vereinfacht formuliert, gilt unter Söders Regentschaft der Grundsatz: Wo ich bin, ist vorn, und wenn ich hinten bin, ist hinten vorn. Bei einer generell heterogenen Interessenlage in der Partei sind solche Vorgaben, auch plötzliche Richtungswechsel, leichter zu bewerkstelligen; auch für neue Zielbestimmungen wie etwa beim Artenschutz-Volksbegehren finden sich parteiintern Unterstützer (vgl. Weigl 2013, S. 285). Das verlangt dennoch Autorität, Präsenz und Schnelligkeit. Söder nutzt dazu jahrelang aufgebaute Loyalitäten zu politischen Vertrauten, sein kleines Team an engsten Mitarbeitern, die in kürzester Zeit auf Schlüsselstellen postiert wurden, aber auch die aus der Doppelrolle in Regierung und Partei gegebene Macht bei der Ämter- und Postenvergabe. Alleingänge der Minister und anderer Parteigrößen sind unerwünscht.

7Das

war nicht immer so. Spätestens seit Stoiber ist ein wellenartiger Umgang mit Machtzentralisierung in Regierungs- und Parteiapparaten zu erkennen. Stoiber konzentrierte alle Entscheidungen in seinem engsten Umfeld in der Staatskanzlei, versprach erst später eine bessere Einbindung der CSU und ihrer Gremien. Seehofer trat mit dem Versprechen an, die „Basta-Politik“ zu beenden und einen neuen Politikstil einzuführen (Korndörfer 2010, S. 257). Diesen Stil, zunächst auch untermauert durch Erneuerung und Rochaden unter den Spitzenbeamten der Staatsregierung, verfolgte er nur in der Anfangszeit seiner Regentschaft. Später versuchte auch er, mit härterer Hand und teils öffentlichen Zurechtweisungen Partei und Regierung zu ordnen. In der Folge ließ seine Autorität allerdings erkennbar nach. 2013, in etwa zu Seehofers Halbzeit in beiden Ämtern, konstatierte Michael Weigl (Weigl 2013, S. 285), „anders als früher besitzt aktuell kein Akteur in der CSU die uneingeschränkte innerparteiliche Akzeptanz, der Partei strukturell wie programmatisch die Richtung weisen zu können“. Söder hat sich diese Akzeptanz wieder erkämpft.

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Sein Regierungsstil setze, so sagt er selbst, „mehr auf Harmonie und nicht auf Profilierung gegeneinander. Der Ministerpräsident hat dabei die Führungsrolle“ (Söder 2019). Bis dato zeigt sich eine sehr hohe, selten angegriffene Autorität Söders. Er gibt den Kurs vor und verkündet ihn in der Regel auch selbst. Das bringt taktisch mehrere Vorteile mit sich. Eine Partei erscheint als reaktionsschneller, wenn sie täglich – in sozialen Netzwerken minütlich – Botschaften verbreiten kann, nicht erst im bestenfalls 14-tägigen Takt von Gremiensitzungen. Abstimmungsprobleme sind ausgeschlossen und offene Widersprüche selten, wenn nur einer spricht. Die nötige hohe Medienpräsenz auf Landes- und Bundesebene fordert ihm kein Opfer ab. Söder setzt und wiederholt Botschaften durch Interviews und auf Medienberichterstattung abzielende Auftritte in rascherer Abfolge als alle seine Vorgänger. Risiken dabei sind aber unübersehbar. Ein heikler Punkt ist die Frage der persönlichen Wandelbarkeit in inhaltlichen Fragen und der Schwerpunktsetzung. Nicht geduldig und leise abzuwarten, in welche Richtung sich innerparteiliche Entscheidungsprozesse hinneigen und sich dann anzuschließen, sondern mit einer Abfolge öffentlicher Hinweise und Festlegungen voranzugehen und anschließend die Partei von der Richtigkeit des neuen Kurses zu überzeugen – dies verlangt, dass ein Vorsitzender und Regierungschef eine Richtungsentscheidung mit tiefster Überzeugung begründet. Und dass er (notfalls über-)deutlich für eine neue Richtung persönlich einsteht. Hier ist hilfreich, dass „Söder alles, was er tut, 150-prozentig macht“ (Hildebrandt 2019). So beugte sich Söder also nicht achselzuckend dem gesellschaftlichen Druck, mehr für den Klimaschutz zu tun, sondern strebte 2019 danach, mit der CSU als erster Partei ein ausformuliertes und weitreichendes, wenn auch im Inhalt moderateres Klimaschutz-Programm vorzulegen, flankiert durch erste landespolitische Schritte. Das schließt die Argumentation mit einem persönlichen Erkenntnisgewinn ein, am besten für eine breite Öffentlichkeit in prägnanten Botschaften und auch in einer Bildsprache8 verfolgbar. „Er erfindet sich neu und gibt es zu“ (Hildebrandt 2019). Die Herausforderung dabei ist, bei hoher inhaltlicher Beweglichkeit sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, beliebig zu handeln. Auch ein unumstrittener Parteivorsitzender kann für sich nicht eine absolute Themenaffinität auf jedem Politikfeld in Anspruch nehmen. In einer begrenzten Anzahl von Fällen kann

8So

posierte Söder im Spätsommer 2017 für mehrere Interviews, unter anderem mit der Deutschen Presse-Agentur, im Hofgarten vor der Staatskanzlei an einen Baum gelehnt, später auch besorgt vor dem schwindenden Eis des Zugspitz-Gletschers.

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ein Spitzenpolitiker zudem unbeschadet eine Fehleinschätzung einräumen und öffentlich korrigieren. Söder tat dies im Strategieschwenk gegenüber der AfD und in der Migrationsdebatte 2018; oder im Einräumen des Vorwurfs, die CSU habe in vorangegangenen Jahren die Umweltpolitik unterbetont; dies lässt sich nicht beliebig oft ohne Autoritätsverlust wiederholen. Langfristig bergen alle Kurskorrekturen das Risiko eines Glaubwürdigkeitsverlustes; insbesondere des Vorsitzenden, der die Wenden persönlich vorgibt und mit eigenem Erkenntnisgewinn begründet. „Das Problem ist: Viele glauben, dass die Ehrlichkeit nur sein neuester Trick sei“ (Hildebrandt 2019). Womöglich ist er derzeit ein Extremfall des „Alleinherrschers“ (Reithmeier 2013, S. 113 f.) in der Doppelfunktion als Partei- und Regierungschef. In der Person Söder, der die Führung der CSU mit Autorität und Wortgewalt, nicht aber mit ausgeprägtem Teamgeist übernommen hat, liegt somit Potenzial für eine Stabilisierung der Partei zumindest oberhalb der 2019 noch sehr fern erscheinenden 40 %. Insgesamt ist diese Konstruktion aber nicht zeitlich unbegrenzt so durchzuhalten; Parteigremien werden in kommenden Jahren verstärkt frühere Mitsprache einfordern, Loyalitäten lassen durch über die Zeit getroffene Personalentscheidungen nach. Zudem ist jetzt schon bemerkbar: Je präsenter Söder auftritt, desto stärker rückt seine Regierungsmannschaft in den Hintergrund. Selbst seine Minister wirkten „wie stumme Maskottchen, die neben dem Star der Mannschaft zum harmlosen Lächeln verdammt sind“ (Clauß 2018), urteilte der „Spiegel“ schon Ende 2018: „Ein Teamplayer ist Markus Söder nicht.“ Die CSU-Führung erscheint unter Söder schmaler, seine Regierungsmannschaft blasser. Das ist keine Frage nur von Popularität und Haltungsnoten, sondern tangiert massiv die Fähigkeiten, mit eigenen Themen Debatten zu anzuschieben. Eine Riege bayerischer bundesweit profilierter Minister könnte die CSU aus der derzeit viel zu oft reagierenden Position in die Offensive bringen und auf Kernkompetenzfeldern wie Justiz-, Finanz- oder Wirtschaftspolitik Leuchtturmthemen herausarbeiten. Grundsatz: Treiben statt getrieben werden. Das setzt aber ein starkes Profil und eine bundesweite Präsenz der zuständigen Kabinettsmitglieder voraus und ist in einer Ein-Mann-Show nicht zu leisten.9

9Weitere

erschwerende Faktoren für die bundesweite Profilierung seien an dieser Stelle kurz angetippt: Im Bundesrat ist die Lage durch viele ­Grünen-Regierungsbeteiligungen auf Länderebene verkompliziert. Zudem hat die CSU in ihrer bayerischen Koalition mit den Freien Wählern die Möglichkeit verloren, über den Bundesrat Initiativen „CSU pur“ einzubringen. Im Bereich Wirtschaft stellt sie nicht einmal den zuständigen Minister.

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Eine Führungsreserve ist nach Söders Übernahme zwar nicht sofort zwingend erforderlich, aber auch perspektivisch noch nicht erkennbar. All das trägt noch nicht die Züge eines Umbaus des trägen Tankers CSU zu einer flexibleren, einer „Bewegung“ ähnlichen Partei als „Thematisierungs- und Mobilisierungsagentur“ (Oberreuter 2011, S. 228). Der Weg dorthin ist auch weit – weniger personell mit Söder, sondern vielmehr strukturell und angesichts der zuletzt auf einzelnen Politikfeldern spürbar erodierten Glaubwürdigkeit. Vor allem ist offen, ob nach den zurückliegenden Jahren mit Versäumnissen und großen Themenschwenks die Vertrauensbasis dafür tragfähig genug ist. Vor allem der mehrfache Flurschaden durch die Flüchtlingspolitik der unionsgeführten Bundesregierung, durch die eskalierenden Auseinandersetzungen mit der CDU bis 2018 und durch die Achterbahnfahrt im Umgang mit der AfD ist Ende 2019 längst noch nicht behoben.

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Soziale Verankerung

Die Wählerschaft der CSU im Wandel Gerhard Hirscher

1 Die Verankerung der CSU und ihre Rolle im deutschen Parteiensystem Die CSU ist eine bayerische Partei und kann nur im Freistaat Bayern gewählt werden. Dies galt für ihre gesamte Geschichte seit 1945. Bei allen überregionalen Wahlen – ob Kommunal-, Landtags-, Bundestags- oder Europawahlen trat sie nur dort an. Mit ihrer Gründung als eigenständige Partei als Teil des ­christlich-demokratischen Lagers wurde aber auch eine Arbeitsteilung festgelegt, die bis heute ihre Gültigkeit behalten hat: Die CSU kandidiert in Bayern, die CDU im restlichen Deutschland. Insofern ist die CSU Regionalpartei, aber als Teil der Gesamt-Union auch Filiale einer bundespolitischen Kraft. Daher kann man sie als unechte Regionalpartei bezeichnen (Hirscher 2012). Diese Konstruktion hat in der Geschichte des deutschen Parteiensystems auch mit dafür gesorgt, dass die CSU nicht wie andere Regionalparteien (Bayernpartei oder Deutsche Partei) mit der Zeit an Bedeutung verloren hat oder in einer anderen Partei aufgegangen ist. Eine Veränderung dieser grundlegenden Konstellation würde entweder zu einer bundesweiten Ausdehnung der CSU oder zu einer Eingliederung als Landesverband einer christlich-demokratischen Bundespartei führen. Beide Optionen scheinen gegenwärtig wie in der bisherigen Geschichte der CSU wenig aussichtsreich. Auf dieser Grundlage hat die CSU immer das Selbstverständnis formuliert, eine regionale Partei nicht nur mit bayerischem, sondern auch mit bundes- und europaG. Hirscher (*)  Hanns-Seidel-Stiftung, München, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_8

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weitem Anspruch zu sein. Da nur Bayern ihre Machtbasis sein konnte, kam dem Wahlverhalten im Freistaat stets entscheidende Bedeutung zu. Dieser Anspruch bedeutete aber immer auch einen großen Druck für die Partei: Nur als starke Partei, die in Bayern die Regierungen anführt, konnte sie auf Dauer ihr Bestreben begründen, auch die Politik im Bund und in Europa entscheidend mitbestimmen zu können. Diese Machtbasis in Bayern war immer die Grundlage für alle weitergehenden Ansprüche. Die Wahlerfolge in Bayern waren deren Voraussetzung. Grundlage hierfür war eine breite Basis in der Wählerschaft, also eine größtmögliche Ausweitung der potenziellen Wählerschaft und deren breitestmögliche Ausschöpfung. In diesem Artikel wird versucht, einen Überblick über die Entwicklung der Wählerschaft der CSU vorzunehmen. Gleichzeitig soll umrissen werden, wie die Struktur der Wählerschaft der CSU heute aussieht, wie sie sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln und welche Folgen dies für die weitere strategische Orientierung der CSU haben könnte. Aufgrund der Datenlage, aber auch der Relevanz der Landtagswahlen für diese Stellung der CSU wird dabei der Schwerpunkt auf das Wahlverhalten bei diesen Wahlen für den Bayerischen Landtag gelegt.

2 Die Wahlergebnisse der CSU 2.1 Wahlen zum Bayerischen Landtag Zweifelsohne war die CSU von Anfang an eine erfolgreiche Neugründung. In den frühen Jahren der Parteigeschichte gab es bei den Landtagswahlen jedoch heftige Ausschläge und es sollte einige Zeit dauern, bis sich die Ergebnisse konsolidierten und sich die CSU als die in Bayern führende Partei etabliert hatte (Schlemmer 1999). Nach dem Gewinn von 52,3 % der Stimmen bei den ersten Landtagswahlen in Bayern 1946 konnte die CSU bei der Bundestagswahl 1949 nur noch 29,2 % und bei der Landtagswahl 1950 noch 27,4 % der Stimmen in Bayern auf sich vereinen – größtenteils Verluste, die wohl die BP für sich verbuchen konnte. Daneben kämpften (wie in anderen Teilen Deutschlands auch und heute erneut) noch andere kleine Parteien um das bürgerlich-konservative oder liberale Wählerpotenzial. Die Landtagswahl vom 1954 brachte einen weiteren Rückschlag für die Partei. Zwar gewann die CSU stark hinzu und verbesserte sich auf 38,4 %. Dennoch wurde bis 1957 eine breite Koalition aus SPD, FDP, GB/ BHE und BP gebildet, die „Viererkoalition“ – ein Bündnis äußerst heterogener Partner mit dem einzigen gemeinsamen Nenner, die CSU von der Regierung abzuhalten.

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Damit war die erste und bislang einzige Regierungskoalition in Bayern ohne Beteiligung der CSU zustande gekommen. Es sollte bis zu den Landtagswahlen 1970 dauern, bis die CSU das Resultat von 1946 erreichte und übertraf, während sie bei den Bundestagswahlen schon im Jahr 1957 ein besseres Ergebnis als zur ersten Landtagswahl erzielte. Voraussetzung hierfür war nicht nur eine Beendigung der innerparteilichen Kämpfe, sondern auch eine allmähliche Bereinigung und Konzentration des Parteiensystems. Die CSU hat diesen Prozess im Laufe der Zeit immer stärker mitgesteuert und ging daher als Gewinner aus dieser Entwicklung hervor, da sie sich vor allem als führende Kraft des modernen Bayern präsentierte, die den Wandel von einem armen Agrar- zu einem modernen Industrie- und später High-Tech-Land gestaltete. Bei den Landtagswahlen 1970 übersprang die CSU mit 56,4 % erstmals seit 1946 auch in Bayern klar die 50 %-Marke. Auf diesem Niveau blieb die Partei (bis 1988 unter den Ministerpräsidenten Alfons Goppel und Franz Josef Strauß, danach unter Max Streibl und Edmund Stoiber) bis zur Landtagswahl 2008. Die Ära Stoiber war da bereits beendet – eine neue Doppelspitze mit Günther Beckstein und Erwin Huber stellte sich zur Wahl (Kießling 2008). Das Ergebnis der Landtagswahl vom 28. September 2008 war für die CSU eine Enttäuschung in unerwartetem Ausmaß (Schultze 2009; Wagemann 2009): Sie holte nur noch einen Anteil von 43,4 % – der schlechteste Wert seit 1954. Zwar blieb die CSU in allen Bevölkerungsgruppen relativ die stärkste Partei, aber die deutliche Dominanz, die bei der Wahl 2003 (wieder)errungen worden war, war verschwunden. Über 50 % schnitt die CSU nur noch bei den Rentnern und den Landwirten ab – dort allerdings mit starken Verlusten (Infratest dimap, Landtagswahl Bayern 2008). Damit war das Ende der kurzzeitigen neuen Doppelspitze eingeläutet und der Weg für die Übernahme des Vorsitzes der Partei wie des Amts des Ministerpräsidenten durch den seinerzeit beliebtesten CSU-Politiker, Horst Seehofer, geebnet. Die Zeit der Alleinregierung der CSU war beendet und sie musste erstmals seit 1957 eine Koalition mit der FDP eingehen. Bei der Landtagswahl 2013 konnte die CSU mit einem Anteil von 47,7 % noch einmal die absolute Mandatsmehrheit holen. Diese ging bei der letzten Landtagswahl 2018 wieder verloren, sodass die CDU (bei einem Anteil von 37,2 %) eine Koalitionsregierung mit den Freien Wählern einging. Erstmals wurden die Grünen zweitstärkste Partei im Landtag, während die SPD auf den vierten Platz zurückfiel und die AfD erstmals in den Landtag einzog. Das bayerische Parteiensystem hatte sich grundlegend verändert.

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2.2 Wahlen zum Deutschen Bundestag Der CSU war es bei Bundestagswahlen weitaus früher gelungen als bei den Landtagswahlen, Werte über der 50 %-Marke zu erringen. Bei den ersten Bundestagswahlen 1949 wurde sie allerdings voll von der Kandidatur der BP und der von ihr mitgetragenen Debatte um die Rolle Bayerns in der neu zu schaffenden Bundesrepublik in Mitleidenschaft gezogen. Sie erhielt nur 29,2 % der Stimmen. Allerdings waren diese Mandate – anders als bei den Konkurrenzparteien – recht gleichmäßig über die bayerischen Traditionszonen verteilt. Trotz des mäßigen Ergebnisses konnte die CSU also „zumindest in der Fläche für sich in Anspruch nehmen, in allen bayerischen Landesteilen verankert und damit die einzige wahre gesamtbayerische Partei zu sein“ (Zellhuber 2011, S. XXII). Die Bundestagswahl 1953 war vor allem deswegen für die CSU von großer Bedeutung, weil es ihr gelang, nach den deprimierenden Wahlergebnissen bei der Landtagswahl 1950 nahe an die 50 %-Marke zu kommen und ihren Anspruch auf politische Vertretung des Freistaats Bayern deutlich zu untermauern. Sie erhielt 47,8 %, gewann 42 der 47 Wahlkreise und holte dazu zehn Listenmandate. Als Hochburgen erwiesen sich die ländlichen Regionen in Schwaben, Unterfranken und der Oberpfalz. Die Präsenz der CSU im Bundestag und im Bundeskabinett zahlte sich bei der Bundestagswahl vom 1957, als die Union die absolute Mehrheit der Mandate im Bundestag holte, noch deutlicher aus. Sie erzielte mit 57,2 % der Stimmen einen enormen Zugewinn. Erstmals holte die CSU alle 47 Direktmandate und zusätzlich sechs Abgeordnete über die Landesliste. Die Hochburgen verteilten sich nun gleichmäßig über alle Landesteile (Zellhuber 2011, S. XXIV). Die Werte der CSU bei Bundestagswahlen blieben bis in die neunziger Jahre auf diesem hohen Niveau. Bei der Bundestagswahl vom 1998 geriet allerdings auch die CSU in den Strudel des Ansehensverlustes der Bundesregierung und rutschte erstmals seit 1953 bei einer Bundestagswahl wieder unter die 50 %-Marke. Sie erreichte 47,7 % der Stimmen, konnte aber erneut ihren Vorsprung als dritte Kraft im Parteiensystem vor FDP und Bündnis 90/Die Grünen behaupten. Bei der Bundestagswahl 2002 trat Edmund Stoiber als gemeinsamer Kanzlerkandidat an (Richter 2004; Müller 2004). Zwar scheiterte der Versuch knapp, die rot-grüne Bundesregierung abzulösen, aber die CSU holte bei diesen Bundestagswahlen ein überragendes Ergebnis. Sie erzielte in Bayern 58,6 %. Die Bundestagswahl von 2005 zeigte aber, dass die Rolle der CSU im deutschen Parteiensystem des 21. Jahrhunderts immer schwieriger würde aufrechterhalten werden können (Hirscher 2006). Die CSU konnte zwar als Partner in die Regierung der Großen Koalition mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin einsteigen, sie erhielt aber nur noch 49,2 % und fiel damit erneut unter die 50 %-Marke.

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Die Bundestagswahl 2009 brachte für die CSU ein zwiespältiges Ergebnis: Auf der einen Seite konnte die Union mit der FDP wieder eine Regierung bilden. Die CSU konnte sich auch durch den Gewinn aller 45 Direktmandate bestätigt fühlen. Auf der anderen Seite erreichte die CSU in Bayern mit 42,5 % das bislang schlechteste Ergebnis bei Bundestagswahlen seit 1949. Bei der Bundestagswahl 2013 konnte sie sich wieder auf 49,3 % verbessern und wurde erneut Teil einer Regierung zusammen mit der FDP, bei der Bundestagswahl 2017 war sie mit 38,8 % aber so weit von der 50 %-Marke entfernt wie seit 1994 nicht mehr. Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP trat sie Anfang 2019 wieder als Partner in eine Regierung mit CDU und SPD ein.

2.3 Wahlen zum Europäischen Parlament Die Europawahlen liefen auch in Bayern eher unter landespolitischen Gesichtspunkten ab. Insbesondere bei den frühen Europawahlen wurden diese stärker als Nebenwahlen interpretiert und vom Wähler gelegentlich für unorthodoxes Wahlverhalten genutzt. Zugleich kann man aufgrund der vorhandenen sozialstrukturellen Daten davon ausgehen, dass sich für die CSU auch bei diesen Wahlen dieselben Charakteristika zeigten wie bei anderen Wahlentscheidungen. Kam sie bei der ersten Europawahl 1979 auf 62,5 % und der nächsten auf 57,2 %, so fiel sie bei den beiden folgenden Europawahlen mit 45,5 % (1989) und 48,9 % (1994) unter die 50 %-Marke, die sie bei Landtags- und Bundestagswahlen in dieser Zeit noch klar übertraf. 1999 und 2004 überstieg sie diese Marke wieder deutlich, fiel aber 2009 auf 48,1 % zurück. Bei der Europawahl 2014 kam sie mit 40,5 % auf ihr bislang schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen überhaupt. Bei der jüngsten Europawahl 2019 blieb die CSU mit 40,7 % auf dem Niveau von 2014. Hier dürften sich aufgrund der bisher bekannten bundesweiten Daten ähnliche Faktoren wie bei den Landtagswahlen im Jahr zuvor ausgewirkt haben.

3 Die Wähler der CSU: Ein zusammenfassender Überblick 3.1 Alter und Geschlecht – Landtagswahlen Auf der Basis der seit 1974 vom Statistischen Landesamt geführten repräsentativen Wahlstatistik, die – anders als auf Bundesebene – bislang nicht unterbrochen wurde (Landeswahlleiter Bayern 2020), lassen sich zwei zentrale

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Entwicklungen in Bezug auf Alter und Geschlecht erkennen: Zum einen waren die Stimmen der CSU in den siebziger Jahren noch homogener über die Altersgruppen verteilt. Zum anderen waren die Rückgänge (bei den Wahlen, bei denen Verluste zu verzeichnen waren) in den jüngeren Altersgruppen stärker als bei den Senioren. Bei den jüngsten Landtagswahlen hat sich das Wahlverhalten aller Altersgruppen unter 60 Jahren stark angeglichen, blieb aber deutlich unter dem Niveau der Senioren: Bei der Landtagswahl 2008 holte die CSU bei den über 60jährigen 57,0 %, bei allen anderen Altersgruppen landete sie unter der 40 %-Marke. Bei keiner anderen Landtagswahl zuvor war die Differenz zwischen den Wählern über und unter 60 Jahren größer als 2008. Diese Differenz wurde 2013 etwas abgemildert, aber bei der Landtagswahl 2018 noch stärker akzentuiert: Bei der jüngsten Wählergruppe der bis 25jährigen kam die CSU nur noch auf 27 %. Insgesamt blieb sie auch bei den über 60jährigen mit 47 % unter der 50 %-Marke, und laut infratest dimap lag sie nur bei den über 70jährigen noch mit 52 % knapp darüber. Diese Verteilung sah in den früheren Jahren noch deutlich anders aus: 1974 holte die CSU bei den über 60jährigen 63,2 %, lag aber auch bei den anderen Altersgruppen nicht sehr weit darunter (45–59: 60,7 %, 35–44: 61,2 %, 25–34: 60,4 % und 18–24: 59,1 %). Die Werte für die jüngeren Generationen gingen in den folgenden Jahren zum Teil deutlich zurück, während die über 60jährigen auch in allen weiteren Jahren einschließlich 2003 der CSU Werte über der 60 %-Marke bescherten; 2003 sogar 65,3 %. Vor allem in den Generationen bis 45 Jahren gingen diese jedoch bis 1998 deutlicher auf Werte um die und später deutlich unter die 50 %-Marke zurück. Lediglich bei den 45–59jährigen blieb die CSU bis 2003 über diesem Wert. Eine große Ausnahme bildet die Wahl von 2003, als die CSU nochmals in allen Altersgruppen (mit Ausnahme der 18–24jährigen) auf dem Niveau der 80er Jahre abschnitt und die Senioren sogar mit einem Rekordwert aufwarteten. Bei den Frauen war dabei zumeist die Unterstützung der CSU in allen Altersgruppen stärker ausgeprägt als bei den Männern. Elektoral war die CSU also immer eine Frauenpartei, während sie bei Mitgliedern und auch Mandatsträgerinnen im Vergleich zu den meisten Konkurrenzparteien ein Frauendefizit zu verzeichnen hatte. Auch hier zeigte sich dieser Unterschied bei den Landtagswahlen 2008 erstmals stärker als zuvor: Bei den Wählern über 60 holte die CSU bei den Frauen dort 59 %, bei den Männern nur 54 %; auch bei den Frauen war die Differenz zu den jüngeren Jahrgängen so hoch wie nie. Bei den Landtagswahlen 2013 und 2018 blieben die Werte bei den Frauen über 60 Jahren höher als bei den Männern, aber bei nicht mehr so großen Unterschieden: 2013 mit 47,4 zu 46,1 % und 2018 36,6 zu 34,4 %. Bei den jüngeren Jahrgängen zeigte sich

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ein differenziertes Bild: So lagen 2013 und 2018 in der Altersgruppe von 45 bis 59 Jahren die Männer vor den Frauen; dies galt teilweise auch bei beiden Wahlen für die jüngeren Altersgruppen. Bei beiden Wahlen erzielte die CSU also in den Jahrgängen unter 60 Jahren bei den Frauen tendenziell niedrigere Werte als bei den Männern. Sollte diese Entwicklung anhalten – was jüngere demoskopische Befunde unterstreichen – dann könnte dies für die CSU eine Schwächung in einem für sie traditionell wichtigen und ergiebigen Wählerreservoir bedeuten. Insgesamt ist der Trend zur Überalterung der Wählerschaft unübersehbar und ungebrochen. Dieser geht zwar parallel zur Überalterung der Gesamtbevölkerung in Deutschland und Bayern, damit bleibt aber dennoch die Frage offen, ob die CSU auch künftig von einer derart überproportionalen Zustimmung bei den älteren Wählern profitieren kann wie bisher. Die CSU steht – wie CDU und SPD auch – vor dem Dilemma, dass sich einerseits der überwiegende Teil der Wählerschaft in fortgeschrittenem Alter findet. Andererseits braucht die Partei jugendlichen Nachwuchs, der aber quantitativ nur einen relativ kleinen Teil der Wählerschaft ausmacht und noch dazu unterdurchschnittlich mobilisiert werden kann.

3.2 Alter und Geschlecht – Bundestagswahlen In Bezug auf das Wahlverhalten nach Geschlecht lässt sich erkennen, dass die Frauen mit ihren Zweitstimmen auch hier zumeist stärker als die Männer CSU gewählt haben (Landeswahlleiter Bayern 2020). Anders war dies nur bei den Bundestagswahlen 1980 und 2002 – also bei den Wahlen, bei denen die CSU den Spitzenkandidaten stellte. Die Diskrepanz hat sich allerdings im Laufe der Zeit deutlich reduziert: Von 1957 (dort wurde die Statistik erstmals geführt) bis 1969 war der Anteil der Frauen weit höher als der der Männer unter den CSU-Wählern: 1957 betrug der Unterschied 61,4 zu 51,9 %, 1961 59,1 zu 50,0 %, 1965 59,6 zu 50,0 % und 1969 59,6 zu 48,9 %. In der Wählerschaft war die CSU bei Bundestagswahlen also ebenfalls lange Zeit eine ausgesprochene Frauenpartei. Dann wurden die Unterschiede deutlich geringer (1972 56,3 % zu 52,8 % und 1976 60,5 % zu 58,6 %); 1980 wählten umgekehrt 57,5 % der Frauen, aber 57,6 % der Männer CSU. In den folgenden Wahlen lagen die Frauen wieder vorn (1983 60,4 % zu 58,1 %; 1987 56,5 % zu 53,4 %; 1990 53,9 % zu 53,4 % – für die Jahre 1994 und 1998 wurde die Statistik ausgesetzt). 2002 lagen die Männer mit 57,5 % wieder vor den Frauen mit 56,6 %, während sich 2005 wieder ein Vorsprung der Frauen von 48,7 zu 47,1 % durchgesetzt hat. Dieser Vorsprung blieb auch bei den künftigen Bundestagswahlen erhalten (2009 44,1 % zu 39,0 %, 2013

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51,1 % zu 46,4 % und 2017 41,2 % zu 34,7 %). Nach wie vor scheint sich also die Wählerschaft der CSU bei Bundestagswahlen im Regelfall durch einen Vorsprung bei den weiblichen Wählern auszuzeichnen, der zum Teil auch wieder größer geworden ist – allerdings auf einem niedrigeren Niveau als in früheren Jahrzehnten. In Bezug auf das Alter lassen sich ähnliche Verteilungen wie bei anderen Wahlen erkennen (Landeswahlleiter Bayern 2020), auch wenn hier die Daten erst für den Zeitraum ab 1972 vorliegen. Bei allen Wahlen war bei der Wählerschaft der CSU die Gruppe der über 60jährigen am stärksten vertreten. Diese ist – mit leichten Schwankungen – von 59,8 % 1972 auf 63,3 % 2002 gestiegen. Außerdem ist der Abstand zu den jüngeren Wählergruppen etwas größer geworden. In den Altersgruppen von 35 bis 45 und von 45 bis 60 sind die Werte für die CSU seit 1983 gefallen, bei den jüngeren schon ab 1976. Eine Ausnahme bildet das Jahr 2002 (Kanzlerkandidat Stoiber), wo die Werte in allen Altersgruppen und auch bei den jüngeren nochmals deutlich angestiegen waren. 2013 gab es nochmals einen kleinen Anstieg, 2017 fielen aber die Altersgruppen bis 59 Jahren wieder etwa auf die Werte von 2009. Innerhalb der Geschlechter lassen sich ebenfalls deutliche Unterschiede erkennen. Die Frauen über 60 Jahren blieben während des gesamten Zeitraums eine feste Bank für die CSU – sie erreichten immer Werte über 60 % und blieben seit 1987 sogar über 63 %. Bei den Frauen ab 35 bis 45 Jahren und von 45 bis 60 Jahren holte die CSU 1972 noch weniger als 60 %. 1976 stiegen sie in dieser Gruppe über 60 %, um 1980 darunter zu fallen und 1983 wieder über 60 % zu steigen. Allerdings gingen die Werte für die CSU dann wieder deutlich zurück; besonders auffällig ist dies bei den Frauen von 35 bis 45 Jahren, wo die CSU von 1983 bis 1990 von 61,2 auf 49,9 % zurückging. Bei den Frauen unter 35 Jahren hatte die CSU die 60 %-Marke niemals erreicht und fiel 1987 unter die 50 %-Marke zurück. Eine Ausnahme war auch hier die Wahl 2002, als die CSU bei den Frauen in allen Altersgruppen bis 60 Jahren über die 50 %-Marke kam. Bei den Männern über 60 Jahren blieb die CSU immer (wenn auch 1976 und 1980 nur knapp) unter der 60 %-Marke, die sie nur 2002 mit 62,6 % deutlich überschreiten konnte. Bei den jüngeren Männern war die Verteilung immer etwas homogener als bei den Frauen. So blieben die Werte bei den Männern in allen Altersgruppen (mit Ausnahme der 18 bis 24jährigen 1972 und der 25 bis 35jährigen 1987) immer über dem Wert von 50 %. Nur 1990 blieb die CSU bei den Männern unter 45 deutlich unter der 50 %-Marke, um 2002 wieder klar darüber zu steigen; ab 2005 fielen sie aber wieder darunter. Während die CSU 2013 bei den Männern zwischen 25 und 59 Jahren noch deutlich über der

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40 %-Marke lagen, lag sie 2017 klar darunter und bei den unter 35jährigen insgesamt sogar unter 30 %. Bei den Frauen hingegen hatte sie bei beiden Wahlen darüber abgeschnitten.

3.3 Alter und Geschlecht – Europawahlen Bezogen auf das Alter waren die Stimmen für die CSU (62,5 %) bei den Europawahlen 1979 noch relativ homogen über die Altersgruppen verteilt (Infratest dimap Wahlreports Europawahlen). So erhielt die CSU bei den über 60jährigen 65,0 % und bei den 45 bis 59jährigen sowie den 35 bis 44jährigen jeweils 63,4 %. Bei den 25 bis 34jährigen waren es immerhin noch 57,8 % und bei den jüngsten Wählern (18 bis 24 Jahre) mit 55,9 % auch noch ein Wert klar über der absoluten Mehrheit. Bereits bei der nächsten Europawahl 1984 (CSU mit 57,2 %) waren die Unterschiede bei den Altersgruppen größer: Zwar lagen die über 60jährigen mit 62,2 % klar vorn und auch die beiden nächsten Altersgruppen deutlich über der 50 %-Marke (45–59: 59,4 %; 35–44: 56,7 %), bei den Jüngeren fielen die Ergebnisse aber ab (25–34: 47,1 %; 18–24: 48,6 %). Die beiden folgenden Europawahlen mit weniger guten Ergebnissen zeigten dann noch stärkere Abweichungen, die darauf hindeuten, dass sich die Verluste vor allem auf die jüngeren und mittleren Altersgruppen konzentriert haben dürften. So blieben 1989 (CSU 45,4 %) nur noch die Werte der über 60jährigen über 50 % (55,1 %), bei den 45 bis 59jährigen holte die CSU noch 48,6 % und bei den 35 bis 44jähirgen 41,3 %. Bei den jüngeren Wählern blieb sie sogar deutlich unter der 40 %-Marke (25–34: 34,6 %; 18–24: 36,2 %). Die Europawahl 1994 (CSU mit 48,9 %) zeigt strukturell dasselbe Bild; die CSU konnte sich aber in fast allen Altersgruppen wieder verbessern, vor allem bei den älteren Wählern über 60, wo sie auf 60,8 % kam. Bei den 45–59jährigen legte sie auf 51,7 % zu und holte bei den 35 bis 44jährigen mit 40,5 % fast denselben Wert der letzten Europawahl. Auch bei den jungen Wählern konnte sie sich knapp verbessern (25–34: 36,1 %; 18–24: 37,7 %). Bei der Rekordwahl 1999 (CSU 64,0 %) schossen die Ergebnisse vor allem bei den jüngeren Wählern deutlich nach oben: Bei den 18 bis 24jährigen erhielt die CSU 60,4 %, bei den 25 bis 34jährigen 57,4 % und den 35 bis 44jährigen 55,0 %. Die besten Werte erzielte sie bei den 45 bis 59jährigen (62,0 %) und den über 60jährigen (69,9 %) – insgesamt gab es also deutlich weniger Abweichungen über die Altersgruppen. Diese haben sich bei der Europawahl 2004 aber wieder vergrößert: Dort holte die CSU insgesamt 57,4 % und bei den über 60jährigen mit 66,7 % fast den Wert der

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vorigen Wahl, lag aber bei den 45 bis 59jährigen mit 52 % um zehn Prozentpunkte niedriger. Auch bei den jüngeren Wählern lag sie wieder deutlich darunter (35–44: 47,2 %; 25–34: 49,1 %; 18–24: 46,2 %). Die Europawahl 2004 war also bislang die Wahl, bei der sich das Wahlverhalten zwischen den Generationen am stärksten unterschied und damit die älteren Wähler am deutlichsten das Ergebnis der CSU noch über die 50 %-Marke bringen konnten. Insgesamt zeigte sich die Tendenz, dass die Wahlen, die für die CSU nicht so günstig abliefen, eine größere Differenzierung im Wahlverhalten zwischen den Generationen erkennen lassen. Die Europawahlen, die eine größere Mobilisierung für die CSU aufwiesen, konnten diese Mobilisierung (mit Übergewicht bei den älteren Wählern) aber in allen Altersgruppen realisieren. Auch bei den folgenden Europawahlen konnte die CSU ihren Mobilisierungserfolg von 1999 gerade bei den jüngeren Generationen nicht wiederholen. Bei der Europawahl 2009 fiel die CSU mit 48,1 % wieder unter die 50 %-Marke. Sie verlor in allen Altersgruppen, aber am wenigsten bei den Senioren. So kam sie bei den über 60jährigen auf 59,9 %, blieb aber bei allen jüngeren Altersgruppen unter oder an der 40 %-Marke (45–59: 40,8 %; 35–44: 38,2 %; 25–34: 39,3 %; 18–24: 35,9 %). Im Jahr 2014 kam die CSU bei den über 60jährigen nur noch auf 48,3 %; auf diesem Niveau verblieb sie auch bei der letzten Europawahl 2019. Diese Differenzierung wird noch deutlicher, wenn man das Abstimmungsverhalten von Männern und Frauen gesondert betrachtet. Bei den beiden ersten Europawahlen lagen die Frauen in den meisten Altersgruppen insgesamt vor den Männern. Dies hat sich bei den jüngsten Europawahlen geändert und folgte demselben Muster wie bei Landtagswahlen: Eine im Durchschnitt stärkere Abwanderung erst bei jüngeren Frauen, dann auch bei Frauen mittleren und höheren Alters. Deutlich wird in jedem Fall, dass sich die Volatilität bei den Europawahlen stärker zeigte als bei anderen Wahlen und das Wahlverhalten dort das bei Landtags- oder Bundestagswahlen vorwegnahm.

3.4 Berufsstruktur Für andere soziodemografische Daten liegen für die letzten beiden Jahrzehnte – jedenfalls für die Landtagswahlen – ebenfalls einige aussagefähige Werte vor (Infratest dimap, Wahlreports Landtagswahlen). Auch daran lassen sich interessante Entwicklungen ablesen. Dort zeigt sich, dass die CSU gegenüber den früheren Landtagswahlen in allen Berufsgruppen an Zustimmung verloren hat. Eine Ausnahme ist wiederum die Landtagswahl 2003, wo die Partei nochmals relative Rekordwerte in allen Segmenten holen konnte. Allerdings ist die Wahlbereitschaft

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bei Landwirten, die 1994 bei 78 % lag und 2003 sogar auf 91 % geklettert war, in den jüngsten Wahlen auf etwa 66 % gesunken. Angesichts des heute geringen Anteils dieser Berufsgruppe an der Bevölkerung wirkt sich dieses überproportionale Resultat allerdings kaum im Gesamtergebnis aus. Die zweitbesten Werte holte die CSU in der Regel bei den Rentnern, dort war allerdings auch ein Rückgang von über 60 % auf 47 % im Jahre 2018 zu verzeichnen. Den Charakter der CSU als Volkspartei unterstreicht ihr Abschneiden bei Arbeitern, wo sie oft Werte um die 50 % und 2003 sogar 65 % holte, 2008 aber ebenfalls auf einen Wert von 41 % und 2018 auf 37 % zurückfiel. Gegenüber früheren Landtagswahlen verlor die CSU 2008 besonders deutlich bei Beamten und Selbstständigen und ist hier bis heute auf einem niedrigeren Niveau geblieben. Nur bei Landwirten und Rentnern erzielt die CSU also bis heute überdurchschnittliche Resultate, während sich bei allen anderen Berufsgruppen eine große Abhängigkeit von der jeweiligen Zustimmung für die Partei insgesamt erkennen lässt. Es muss aber auch berücksichtig werden, dass die CSU bislang in Bayern in den meisten Berufsgruppen auch bei rückläufigen Resultaten stärkste Partei geblieben ist. Eine strukturelle Mehrheit lässt sich allerdings in keiner größeren Gruppe mehr erkennen.

3.5 Bildung Betrachtet man das Bildungsniveau, dann wird erneut der Charakter als Volkspartei deutlich: Bei der Landtagswahl 2008 hat die CSU zwar bei den Wählern mit formal niedriger Bildung nur noch 51 % erzielt (nach 67 % 2003 und 56 % 1998), damit war sie aber in dieser Gruppe deutlich überproportional gegenüber den anderen gemessenen Gruppen vertreten (mittlerer Bildungsabschluss: 43 %; höherer: 35 %). Auf der anderen Seite hatte die CSU 2008 bei den Wählern mit hoher formaler Bildung etwa 10 Prozentpunkte schlechter abgeschnitten als bei den drei vorhergehenden Wahlen. In dieser Gruppe gingen ihre Werte auch bei den jüngsten Landtagswahlen weiter zurück. Umgekehrt war die CSU in den Wahlen der letzten Jahrzehnte immer in der Gruppe mit der formal niedrigsten Qualifikation am stärksten vertreten, was ihrem Charakter als Volkspartei entsprach. Dabei handelte es sich bis in die jüngste Zeit vor allem um ältere Wähler mit relativ niedriger Qualifikation. In dieser Gruppe war die CSU auch in der Landtagswahl 2018 mit 43 % überrepräsentiert, andererseits erhielt sie in der Gruppe der Wähler mit formal höherer Qualifikation nur 30 %. Da dies ein wachsendes Segment auch der bayerischen Wählerschaft ist (laut Forschungsgruppe Wahlen waren dies bei der Landtagswahl 2018 schon 40 %

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der bayerischen Wähler) (FG Wahlen, Wahlbericht Landtagswahl Bayern 2018), wäre ein Rückstand der CSU in diesem Bereich mittelfristig ein nennenswerter ­Nachteil.

3.6 Konfession Der Rückgang der Wählerschaft bei der Landtagswahl 2008 zeigte sich auch an der konfessionellen Verteilung: Zwar holte sie bei den Katholiken 50 %, aber auch das war deutlich niedriger als bei den vorherigen Wahlen. Bei den Protestanten war sie noch mit 40 % vertreten. Besonders stark aber war der Rückgang bei den Wählern ohne oder mit anderer Konfession: da kam die CSU nur noch auf 22 % – der mit Abstand schlechteste Wert seit 1994. Die Landtagswahl 2013 ergab auch hier eine leichte Rückwärtsbewegung, aber 2018 ging der Trend wieder in die andere Richtung. Bei den Katholiken kam sie nur auf 45 %, den Protestanten auf 36 % und den Sonstigen auf 19 % (hier wurden erstmals die Grünen mit 26 % stärkste Partei). Angesichts der Tatsache, dass dieser Bereich aus demografischen Gründen in den nächsten Jahrzehnten am stärksten wachsen dürfte, könnte sich dies als ein struktureller Nachteil für die CSU erweisen.

3.7 Wählerwanderungen und Mobilisierung Nicht eindeutig zu beantworten ist die Frage, wie sich die Mobilisierungsfähigkeit der CSU bei künftigen Wahlen entwickelt. Nimmt man die Wählerwanderungsbilanzen aus den Wahlanalysen von Infratest Dimap, dann waren die Bewegungen bei den letzten Landtagswahlen sehr unterschiedlich. Der Verlust an den Generationenwechsel (also der Saldo aus Erstwählern und Verstorbenen) war jedoch bei allen Wahlen messbar und ist jeweils angestiegen – dies ist bei der Union auch bei anderen Wahlen in Bund und Ländern zu verzeichnen. Bei der Wahl 2008 hat die CSU an alle anderen Gruppierungen verloren mit Ausnahme der neu hinzugezogenen – dort war der Saldo mit 50.000 Stimmen positiv. Die größten Verluste gingen an Freie Wähler und FDP, also die unmittelbaren Konkurrenten im bürgerlichen Lager. Auch in den Bereich der Nichtwähler wanderte mit 130.000 Stimmen eine beachtliche Zahl ab. Interessant ist aber, dass die CSU bei der Rekordwahl 2003 netto ebenfalls Stimmen verloren hat: Sie konnte zwar 172.000 Stimmen von der SPD und eine geringe Anzahl von den Freien Wählern holen, verlor aber 341.000 Stimmen ans Nichtwählerlager. Bei der Landtagswahl 1998 hatte die CSU zwar leicht an die

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Freien Wähler und den Generationenwechsel verloren, ansonsten aber aus allen anderen Parteien gewonnen und sogar 71.000 Stimmen aus dem Nichtwählerbereich geholt. Insbesondere vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Partei 2008 massive Mobilisierungsprobleme hatte. Bei den Landtagswahlen 2013 und 2018 konnte die CSU zwar jeweils 300.000 sowie 270.000 Stimmen aus dem Nichtwählerbereich mobilisieren, diese wurden aber insbesondere 2018 durch Verluste an praktisch alle anderen Parteien außer der SPD wieder kompensiert. Der Verlust an den Generationenwechsel blieb bei allen Wahlen erhalten, mit einem Rekordwert von 150.000 Stimmen bei der Landtagswahl 2018. Die Überalterung ihrer Wählerschaft ist ein kontinuierlicher Faktor des Wahlverhaltens der CSU – aber ebenso der CDU und der SPD.

4 Strategische Optionen: Heutige und künftige Wählerschaft der CSU 4.1 Die Wahlergebnisse in Perspektive Über Jahrzehnte hat die CSU ihre dominante, ja hegemoniale Stellung im bayerischen Parteiensystem gehalten (Mintzel 1998). Ihr Aufstieg in der Gunst der bayerischen Wähler – ab 1953 bei Bundestagswahlen, mit einiger Verzögerung bei Landtags- und Kommunalwahlen – hat in Verbindung mit der Konsolidierung der Parteienkonkurrenz dazu geführt, dass sich in Bayern immer mehr ein asymmetrisches Parteiensystem entwickelt hat. Dieser Prozess ist mit der Landtagswahl 2008, als erstmals seit über 50 Jahren die Fähigkeit zur Alleinregierung in Bayern verloren ging, mindestens zum Stillstand gekommen. Die Alleinregierung konnte zwar 2013 wiedererobert werden, wurde aber 2018 erneut durch eine Koalitionsregierung abgelöst. Werte über 50 % hat die CSU letztmals bei der Bundestagswahl 2002 und bei der Landtagswahl 2003 erzielt. Die Wahlen der Jahre 2017 bis 2019 haben gezeigt, dass auch Werte über 40 % künftig nicht mehr einfach zu erreichen sein werden. Innerhalb des christlich-demokratischen Lagers hat die CSU schon aus quantitativen Gründen eine gewichtige Rolle gespielt. Nur bei den ersten Bundestagswahlen 1949 war die Union bundesweit im Verhältnis stärker als die CSU in Bayern allein. Bei allen späteren Bundestagswahlen holte die CSU relativ einen höheren Wert als die Union insgesamt – mit zum Teil erheblichen Unterschieden. Besonders hoch fiel diese Differenz 1980 (57,6 % zu 44,5 %) und 2002 (58,6 % zu 38,5 %) in den Jahren mit CSU-Kanzlerkandidaten aus. Aber auch in anderen

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Jahren war die Differenz erheblich (so 1976 oder 1998). Noch bei der Bundestagswahl 2005 holte die CSU in Bayern 49,2 %, die Union im Bund 35,2 %. Bei der letzten Bundestagswahl 2017 war die Differenz aber deutlich geringer – 38,8 % für die CSU in Bayern bei 32,9 % für die Union bundesweit. Nach wie vor trägt die CSU aber erheblich und weit überdurchschnittlich zum Gesamtergebnis der Union bei. Auch der Abstand der CSU zur SPD blieb – mit Ausnahme der Wahl 2003 – seit Ende der 70er Jahre auf einem ähnlichen Niveau. Selbst bei der Landtagswahl 2008 konnte die CSU diesen Abstand zur SPD bei 24,8 Prozentpunkten halten, bei den Europawahlen 2009 sogar bei 35,2 Punkten. Nur bei wenigen Wahlen konnte sich die SPD in den letzten Jahrzehnten der CSU überhaupt etwas annähern, so bei der Bundestagswahl 1998: Dort fiel der Abstand auf 13,3 Punkte, um 2002 wieder auf 32,5 und 2005 auf 32,7 Punkte anzusteigen. Selbst bei der für die CSU schwierigen Bundestagswahl 2009 betrug er noch 25,7 Punkte. Dieser Abstand ist geblieben – so bei der Landtagswahl 2013 mit 27,1 und 2018 mit 27,5 Punkten. Durch den Absturz der SPD und den Anstieg der Grünen ist allerdings eine neue Situation entstanden: In Bayern wurden 2018 die Grünen zur größten Konkurrenzpartei der CSU – ein Abstand von 19,6 Prozentpunkten und damit weniger, als dieser Abstand zur SPD in den letzten Jahrzehnten gewesen war. Innerhalb des Unionslagers hat die CSU schon aus quantitativen Gründen eine gewichtige Rolle gespielt. Nur bei den ersten Bundestagswahlen 1949 war die Union bundesweit im Verhältnis stärker als die CSU in Bayern allein. Bei allen späteren Bundestagswahlen holte die CSU einen relativ höheren Wert als die Union insgesamt – mit zum Teil erheblichen Unterschieden. Dennoch ist die CSU bei ihren letzten Resultaten unter den langfristigen Durchschnitt der Wahlergebnisse in Bayern gefallen. Andererseits war der Abstand der CSU zur SPD seit Ende der 70er Jahre auf etwa demselben Niveau. Die SPD als größte Oppositionspartei in Bayern hatte also in den letzten Jahrzehnten keinerlei Chance, zur CSU aufzuschließen. Selbst wenn man sich die Parteilager ansieht, ist das Bild nicht grundlegend anders. SPD und Grüne zusammen haben in Bayern zusammen seit 1982 stets weniger Stimmen geholt als die CSU allein. Mit einem Anwachsen des linken Lagers in Bayern ist also nicht zu rechnen. Die CSU kann allerdings aus diesem großen bürgerlichen Wählerpotenzial nicht mehr so einfach ihre Mehrheiten holen wie in früheren Jahren. Die klassischen Lager („Schwarz-Gelb“ oder „Rot-Grün“ bzw. „Rot-Rot-Grün“), die in der deutschen Politik über Jahrzehnte die Regierungsbildungen dominierten, haben im Bund wie in den Ländern ihre Funktion eingebüßt. Die CSU kann also nicht

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mehr dominante Partei in einem Lager sein, sondern muss potenziell lagerübergreifende Koalitionspartner suchen. Ein wichtiger Indikator für die Verankerung einer Partei ist die Zahl der bei Wahlen tatsächlich erreichten Stimmen. Auch wenn die prozentualen Anteile bis in die jüngste Zeit zumeist auf hohem Niveau verblieben, zeigt sich eine etwas ungünstigere Entwicklung, wenn man die Ausschöpfungsquote betrachtet, also die Zahl der für die CSU abgegebenen Stimmen nicht an der Zahl der Wähler, sondern der Wahlberechtigten misst (eigene Berechnung auf der Basis der Werte des Landeswahlleiters). Bei den Bundestagswahlen hatte dabei die CSU auch 1980 und 1983 Werte um die 50 % erreicht, die in der Folge in den neunziger Jahren nur noch ein Niveau von 37–39 % erreichten. Im Jahr 2002 stieg der Anteil wieder auf 47,4 %, um 2005 erneut auf das bisherige Niveau von 37,9 % und 2009 weiter auf 30,2 % abzufallen. Nach einem Anstieg 2013 auf 34,3 % lag das Niveau 2017 wieder bei 30,1 %. Bezogen auf die absoluten Stimmen bedeutete das, dass die CSU bei der Bundestagswahl 2017 fast 2,87 Mio. Zweitstimmen erhielt (bei über 9,5 Mio. Wahlberechtigten in Bayern und über 7,4 Mio. abgegebenen Stimmen) – ein Wert, der nur geringfügig über dem von 2009 lag. Zum Vergleich: In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts holte die CSU über 3 Mio. Zweitstimmen bei weniger als 7 Mio. Wählern. Die Ausschöpfungsquote ist also deutlich geringer geworden. Bei den Europawahlen ist die Ausschöpfungsquote – die wegen der Wahlbeteiligung immer schon niedriger war – bei den Wahlen 2004 auf 22,5 % und 2009 auf 20,2 % gesunken. 2014 wurde der Tiefstwert von 16,4 % erreicht, ist aber 2019 wieder auf 24,7 % gestiegen. Dieser Anstieg dürfte aber größtenteils am Anstieg der Mobilisierung durch den bayerischen Spitzenkandidaten gelegen haben. Bei den Landtagswahlen ist die Entwicklung ähnlich wie bei den Bundestagswahlen: Nur 1950 lag die CSU bei 21 %. Dann stiegen die Werte deutlich an und lagen in den 70er und 80er Jahren um und über 40 %. Bei den Landtagswahlen 1990, 1994 und 1998 lagen sie fast stabil um die 35 %, um 2003 etwas und 2008 deutlich auf unter 25 % abzusinken. Auch hier gab es in den folgenden Wahlen nur eine leichte Erholung auf 26,6 % 2018. Gleichzeitig zeigt der Blick auf die tatsächlich erhaltenen Stimmen ein deutliches Bild: So erhielt die CSU bei der Landtagswahl 2018 etwas mehr als 2,5 Mio. Stimmen (im Mittelwert zwischen Erst- und Zweitstimme) bei fast 9,5 Mio. Wahlberechtigten und gut 6,8 Mio. Wählern. Fast dieselbe Stimmenzahl erhielt die CSU schon 1966 bei damals allerdings nur 6,7 Mio. Wahlberechtigten und 5,4 Mio. Wählern. Die Lücke zwischen den potenziell erreichbaren und konkret erreichten Wählern ist also deutlich größer geworden.

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4.2 Veränderte Rahmenbedingungen – unklare Mehrheitsperspektiven Die CSU war über Jahrzehnte eine integrative und dominante Volkspartei unter den besonderen historischen, kulturellen und soziologischen Bedingungen Bayerns. Lange Zeit haben sich die Struktur der Wählerschaft in Bayern und die der CSU von der der Union im restlichen Deutschland unterschieden. Dies dürfte aber in der nahen Zukunft nicht mehr – zumindest in dieser Form – der Fall sein. Die Prozesse der Veränderung und der Angleichung laufen weiter, haben aber die Differenzen bisher nicht komplett aufheben können. Eine Studie aus dem Jahr 2011 hat gezeigt, dass sich noch Anfang des Jahrtausends deutliche Unterschiede zu anderen Teilen Deutschlands erkennen lassen. So ist etwa die Zahl der Konfessionslosen in der Wählerschaft in Bayern von 5 % im Zeitraum 1980 bis 1990 angestiegen auf 9 % in den Jahren 1991 bis 1998 und 11 % in den Jahren von 2000 bis 2008. Im sonstigen Westdeutschland sind diese Werte jedoch von 9 über 14 auf 16 % gestiegen; in Ostdeutschland sogar auf 71 % (Pappi 2011, S. 12). Der Anteil der Katholiken betrug in der Zeit von 2000 bis 2008 in der Wählerschaft noch 37 % (11 % im restlichen Westdeutschland). Diese traditionelle Kerngruppe der Wählerschaft der CSU war bis vor kurzem noch überdurchschnittlich stark vertreten, was dazu führte, dass die katholischen Kirchgänger in Bayern 2000 bis 2008 noch 34 % der Wählerschaft der CSU ausmachten, aber nur 21 % der CDU-Wählerschaft im Westen und nur 3 % der CDU-Wähler im Osten (Pappi 2011, S. 24). Auch andere Faktoren für den Volksparteicharakter der CSU waren erkennbar: So war 2000–2008 die Gruppe der Wählerschaft, die sich subjektiv der Arbeiterschicht zugehörig fühlt, mit 34 % noch deutlich größer als im restlichen Westdeutschland mit 27 %. Auch die nach 1945 geborenen ohne Abitur sind in Bayern mit 59 % stärker vertreten als in Westdeutschland mit 52 %. Dies trug dazu bei, dass in diesem Zeitraum die Arbeiterschicht in Bayern 33 % der Wähler stellte gegenüber nur 24 % für die CDU in Westdeutschland (Pappi 2011, S. 14–15, 25). Insgesamt waren die Wähler in der unteren Einkommensgruppe im Zeitraum von 2000 bis 2008 bei der CSU mit 27 % deutlich stärker vertreten als bei der CDU im Westen mit 22 % – in der CDU in den neuen Bundesländern allerdings mit 32 % noch stärker (Pappi 2011, S. 29). Diese Analyse verdeutlicht, wie sehr die CSU Rücksicht nehmen musste auf traditionelle Bevölkerungsgruppen, auch der unteren Mittelschicht und der ‚kleinen Leute‘. In diesen Gruppen – vor allem ältere Wähler im ländlichen Raum mit starker konfessioneller Prägung – war aber der größte demografische Schwund zu verzeichnen. Diese sozialstrukturelle

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Basis hat sich in den letzten zehn Jahren wahrscheinlich nochmals stark verändert und wird zur Folge haben, dass stärker die formal höher qualifizierten Wähler jüngeren und mittleren Alters in den urbanen Verdichtungsräumen in den Fokus der strategischen Orientierung treten dürften. Hier bündeln sich die Mobilisierungsprobleme der Partei: Eine überalterte Wählerschaft, die nicht ausreichend durch nachrückende jüngere Generationen ersetzt wird, rückläufige Resonanz in Schichten und Berufsgruppen, in denen die CSU lange stark vertreten war (wie Landwirte und Arbeiter), die aber durch die ökonomische Entwicklung ohnehin quantitativ weniger und qualitativ differenzierter werden, rückläufiges Interesse bei den formal höher Qualifizierten, die auch in Bayern mittlerweile stark anwachsen und sich auf verschiedene soziale Segmente verteilen, sinkende Bedeutung der konfessionellen Verankerung für die CSU wie für die gesamte Gesellschaft und schließlich rückläufiges Interesse bei den Frauen insbesondere der jüngeren Generationen. Kurzfristig scheint diesen Entwicklungen kaum entgegenzusteuern sein. Umso wichtiger dürfte es für die CSU sein, sich strategisch in den nächsten Jahren so zu positionieren, dass sie in allen Regionen Bayerns und allen sozialen wie altersmäßigen Segmenten der sich verändernden bayerischen Gesellschaft Wählerpotenziale erhält und wieder ausbaut. Auch die CSU sieht sich veränderten Rahmenbedingungen der politischen Partizipation ausgesetzt. Viele der Wandlungsprozesse, die in Deutschland und Europa schon länger abzusehen waren, manifestieren sich heute auch in Bayern – die Uhren gehen im Freistaat nicht mehr so viel anders wie das vielleicht früher der Fall war. Das Wählerverhalten hat sich über Jahrzehnte verändert und praktisch überall mehr Vielfalt in die Parteiensysteme einziehen lassen. Die Nachfragestruktur hat sich auch im deutschen Parteiensystem geändert; schon seit langem war auch in Bayern eine Mehrheit der Bevölkerung gegen eine absolute Mehrheit einer Partei. Es spricht für die Integrationskraft der CSU, dass sie es bis ins 21. Jahrhundert hinein immer wieder geschafft hat, bei verschiedenen Wahlen mehr als 50 % der Stimmen zu bekommen. Dies scheint gegenwärtig nicht mehr möglich zu sein, aber ihre führende Stellung in Bayern scheint ungefährdet (Weigl 2013). In den letzten Jahren haben sich grundlegende Veränderungen im deutschen wie im bayerischen Parteiensystem ergeben. Die SPD ist weit deutlicher zurückgegangen, mittlerweile in ihrem Bestand als Volkspartei gefährdet und nicht mehr die große konkurrierende Kraft. Gleichzeitig war sie als Koalitionspartner im Bund in einer als alternativlos wahrgenommenen Koalition unentbehrlich. Auch wenn die rückläufige Zustimmung zu dieser großen Koalition die

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Sozialdemokraten stärker getroffen hat, spüren auch CDU und CSU die Auswirkungen. Strategisch wird es für die CSU wichtig sein, sich in den nächsten Jahren als stärkste bayerische Partei, die aber keine absolute Mehrheit mehr erzielen kann, koalitionspolitisch so zu positionieren, dass dies der bestmöglichen Ausschöpfung ihres Wählerpotenzials dienlich ist. Dabei kann auch künftig die Situation entstehen, in einer Bundesregierung in andere Konstellationen eingebunden zu sein als in Bayern. Daher wird es auch in Zukunft eine wichtige Entscheidung sein, ob man überhaupt in eine Bundesregierung eintritt. Auch die Frage, ob unterschiedlich gefärbte Bündnisse in Berlin und in München der bestmöglichen Ausschöpfung des Wählerpotenzials eher schaden oder nützen, wird sich dann stellen – also zum Beispiel, ob man bei einer Koalition mit den Grünen in Berlin eine ebensolche auch in München anstreben sollte oder nicht. Die Grünen haben sich in einer beachtlichen Nische des Wählerpotenzials festgesetzt und in der Demoskopie wie bei manchen Wahlen – nicht zuletzt in Bayern – die Sozialdemokraten als zweitstärkste Partei abgelöst. Die Linke bleibt in Bayern eine Kleinpartei. Selbst alle drei Parteien zusammen kommen nicht annähernd an die CSU heran. Dies gilt auch für die FDP, die in Bayern immer um den Einzug in den Landtag, der ihr 2018 wieder gelungen ist, kämpfen muss. Die Freien Wähler waren bei den Kommunalwahlen und Landtagswahlen der größte Profiteur der Gesamtkonstellation. Sie werden weiterhin bei Bundestags- und Europawahlen wohl keine Rolle spielen, könnten sich aber im Bayerischen Landtag und auch als Regierungspartei weiter etablieren. Schließlich hat sich die AfD als ernsthafter Faktor im Parteienspektrum erwiesen, auch wenn sie in Bayern von 2017 bis 2019 rückläufige Werte erzielte und bei weitem schwächer als in anderen Teilen Deutschlands (vor allem in den neuen Ländern) ist. Die CSU wird diese Konkurrenz in den nächsten Jahren stärker zu spüren bekommen. Umso wichtiger ist es für sie, ihre Mobilisierungsfähigkeit als Volkspartei zu erhalten und zu erneuern. Dies ist die Voraussetzung für alle weiteren strategischen Überlegungen und bildet die Basis für das Überleben der CSU als dominanter Regierungspartei in Bayern.

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Herausforderungen der Distanz: Die soziale Verankerung der CSU in Stadt und Land im Zeitalter der Individualisierung Franz Löffler 1 Soziale Verankerung der CSU und Herausforderungen der Öffnung Seit ihrer Gründung im Jahr 1945 war und ist die CSU die Leitpartei in Bayern (Mintzel 1975; Sebaldt 2018). Der gesellschaftliche und wirtschaftliche Wiederaufbau in Bayern und in Deutschland wurde von ihr maßgeblich mitgestaltet. An der CSU muss sich der politische Gegner im Freistaat seit 75 Jahren messen lassen. Die Programmatik der Partei ist in dieser langen Zeit im Kern die gleiche geblieben (Schäfer 2010). Toleranz, kommunale Selbstverwaltung, Selbstverantwortung des Einzelnen, soziale Gerechtigkeit, gleiche Möglichkeiten für alle ohne Rücksicht auf Geburt, Stand und Vermögen, privatwirtschaftliche Initiative und Verantwortlichkeit, gerechte Löhne, Stärkung der Verantwortlichkeit der Länder – diese Grundsätze aus dem Zehn-Punkte-Grundsatzprogramm aus 1945 finden sich auch im aktuellen Grundsatzprogramm der Partei wieder (CSU 2016). Und dies zu Recht. Denn diese Grundsätze sind nicht nur der Kern der Partei, sie bilden den Kern unserer Gesellschaft. Man könnte auch sagen, dass die Gründungsmitglieder der Partei schon damals absolut zutreffend erkannten, auf welche Grundwerte Staat, Partei und Gesellschaft aufgebaut sein müssen, um für die Menschen Rahmenbedingungen für ein humanes und selbstbestimmtes Leben zu schaffen.

F. Löffler (*)  Waldmünchen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_9

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Auf Basis dieser Grundwerte entwickelte sich der Freistaat Bayern zu einem Land, das im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich seinesgleichen sucht. Eine starke Verankerung der CSU in der Gesellschaft war die Folge (Mintzel 1998). Daraus erwuchs auch das Selbstverständnis der CSU. Die Wahlergebnisse spiegelten eine hohe gesellschaftliche Integration. Wer Bayern sagte, meinte die CSU (Weigl 2013). Sicherlich stellt die politische Landschaft in Bayern ein bundespolitisches Novum dar – welches zunächst erarbeitet und im Weiteren erhalten werden musste. Dass diese bayerische Eigenheit einer über mehrere Jahrzehnte hinweg äußerst erfolgreichen Ein-Parteien-Regierung bei den letzten Wahlen durchaus ins Wanken geriet, muss hier nicht gesondert erläutert werden. Die Wahlergebnisse gerade bei der Landtagswahl 2018, die für die CSU eine erneute Koalition erforderten, sprechen für sich. Über die Gründe, die zur aktuellen Entwicklung der Akzeptanz und Verankerung der Partei in der Gesellschaft führen, aber auch um mögliche Ansätze, die Distanz zwischen den Menschen und der Partei wieder zu verkleinern, soll es in diesem Aufsatz gehen. Seit 1983 bin ich Mitglied dieser bürgerlich-christlichen Partei. Ich bin in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem viel über Politik gesprochen und diskutiert wurde. In der Nachbarschaft lebte auch ein damals sehr bekannter Politiker, der frühere Landrat und Senator Heinrich Eiber. Zudem war ich in der Vereinsarbeit, zum Beispiel im Trenckverein, engagiert und auch von daher am politischen Geschehen in meiner Heimatstadt sehr interessiert. Das hat sich durch die Berufsausbildung und die anschließende Tätigkeit in der Kommunalverwaltung noch verstärkt. Sowohl als Bürgermeister der Stadt Waldmünchen, Kreisrat, Bezirksrat und seit 2010 als Landrat des Landkreises Cham orientiert sich mein politisches Handeln aus Überzeugung am Wertekodex der CSU. In dieser Zeit ist mir der gesellschaftliche Wandel, welcher auch von Wissenschaftlern und führenden Politikern als eine der Hauptursachen für den vermeintlichen Niedergang der Volksparteien dargestellt wird, natürlich nicht verborgen geblieben. Die Kernfrage muss aber lauten: Ist das wirklich so? Gab es nicht schon zuvor einen gesellschaftlichen Wandel? Obwohl es auch in der Vergangenheit durchaus Situationen gab, in denen (große) Teile der Gesellschaft nicht unbedingt hinter den Entscheidungen der in Bayern politisch handelnden CSU stand – ich darf hier nur an das Thema WAA Wackersdorf erinnern – so vermochte es die politische Führung trotzdem, die große Mehrheit der Menschen für sich und ihre Ansichten zu gewinnen bzw. wiederzugewinnen. Was sind also die Unterschiede bzw. Entwicklungen, die zu Wahlergebnissen in der jüngeren Zeit von weit unter 40 % geführt haben? Und

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wenn man diese Entwicklungen benennen kann, ist es dann wirklich unmöglich, etwas dagegen zu unternehmen? Sicherlich, im Moment sieht es so aus, als ob die großen Zeiten der Volksparteien vorbei wären. Aus meiner Sicht kann man diesen Niedergang durchaus an einer dreistufigen Entwicklung ablesen. Mit Ausnahme der Ersten Großen Koalition von 1966 bis 1969, welche durch den Austritt der FDP aus der Koalition mit der Union begründet war, sind alle folgenden Großen Koalitionen mangels anderweitiger Mehrheitsalternativen zustande gekommen. Mit Ausnahme der Legislaturperiode von 2009 bis 2013 gibt es auf Bundesebene seit 2005 nur noch die Große Koalition aus Union und SPD. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Stimmenanteil der Koalitionsparteien von 69,4 % bei der Bundestagswahl 2005 auf 53,4 % bei der Bundestagswahl 2017 gesunken ist. Auf Länderebene ist im Herbst 2019 eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. In Sachsen konnte bei der vorhergehenden Landtagswahl 2014 ebenfalls eine Koalition der beiden Volksparteien CDU und SPD gebildet werden. 2019 war dies weder in Sachsen noch in Brandenburg möglich. Die ursprünglichen „Volksparteien“ brauchen in beiden Ländern mittlerweile einen dritten Koalitionspartner, um regieren zu können. Zusammengefasst kann man durchaus feststellen, dass die Zeiten, in denen es zum Regieren (vor allem) im Bund oder in den Ländern einen ‚großen‘ und einen ‚kleinen‘ Koalitionspartner brauchte, anscheinend vorbei sind. Sogar Regierungen mit den ursprünglichen Volksparteien CDU und SPD können alleine also kaum mehr gebildet werden. Ein Trend der Abkehr der Wähler von den Volksparteien ist feststellbar (Kronenberg und Mayer 2009). Es hat den Anschein, als ob man in immer mehr Regierungsbündnisse mit drei oder sogar vier Parteien abdriftet. Gerade mit Blick auf die AfD muss dabei auch die Frage aufgeworfen werden, ob es für die Demokratie insgesamt von Vorteil ist, wenn man alle demokratischen Parteien zum Regieren braucht und die Rolle der Opposition von radikalen Kräften alleine bzw. mit einem gewichtigen Wählerpotenzial eingenommen wird. Politik lebt vom Meinungsaustausch und der Fähigkeit, zu überzeugen und für seine Ansichten zu werben. Dies alles hat natürlich auf einem demokratischen Wertefundament zu erfolgen. Eine Opposition hat die Aufgabe, die politisch Verantwortlichen zu hinterfragen und zu kontrollieren sowie eine demokratische Option für den Wähler zu bilden, falls dieser mit den Ergebnissen der Regierungsarbeit nicht zufrieden ist (Helms 2002). Die politische Zusammenarbeit erfordert natürlich das Bilden von Kompromissen. Im Grunde kann man die Kompromissfindung als ‚Handwerkszeug‘ für die Politik sehen. Ein möglicher Nachteil bei zu viel (durch den Koalitionsvertrag erzwungener) Annäherung kann aber durchaus darin liegen, dass der Wähler am Ende nicht

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mehr zu unterscheiden vermag, welcher Partei aus der Regierung er denn seine Stimme geben soll, da keine inhaltliche Differenz mehr zu erkennen ist. Ein Konstruktionsfehler der ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland (Weimarer Republik) war ein fehlendes Instrument, welches lenkend in eine zu große politische Bandbreite eingriff. Nach dem Krieg wurde dies in Form der 5 %-Hürde korrigiert, um eine zu große Parteiensplitterung zu vermeiden. Somit wurde ein praktikables und effektives demokratisches Arbeiten möglich. Der aktuellen Entwicklung lässt sich natürlich nicht mit einem Anheben der Hürde auf beispielsweise 15 % entgegensteuern. Wie kann man also dieser neuen Art der Parteienzersplitterung und den oben skizzierten Folgen begegnen? Meine Antwort ist hier klar: Volksparteien. Auch vor diesem Hintergrund wage ich die These aufzustellen, dass funktionierende Demokratien große Volksparteien benötigen. Alleine schon deshalb dürfen die jüngsten Wahlergebnisse der CSU nicht als Status quo akzeptiert werden. Ist dieser Trend umkehrbar? Grundlage für die positive Entwicklung unserer Heimat, unseres Landes sind seine Menschen. Das gilt gleichermaßen für die Metropolen wie für die ländlichen Räume. Menschen, die als Unternehmer mit innovativen Ideen vorangehen und in großer Verantwortung Arbeitsplätze sichern und neue mit großer Wertigkeit schaffen. In gleicher Weise sind das aber auch die Menschen, die ihr Engagement und ihre Kreativität einbringen, um im Beruf, an welcher Stelle auch immer, ihr Bestes zu geben. Und es sind vor allem auch die Menschen, die in Familie und Gesellschaft ihren Beitrag zu lebenswerten Regionen leisten. Für die CSU, die sich seit jeher als Volkspartei versteht, ist es daher von fundamentaler Bedeutung, nahe an diesen Menschen zu sein und ihre Bedürfnisse zu kennen (Straßner 2010). Nur wer weiß, was die Menschen bewegt, kann daraus politische Zielsetzungen entwickeln, sie in programmatische Forderungen gießen und schließlich auch politische Verantwortung übernehmen. Was bewegt die Menschen aktuell? Zur Beantwortung dieser Frage sollten wir zunächst einen Blick auf die Situation in der Welt werfen. Hier sehen wir einen amerikanischen Präsidenten, der Länder gegeneinander aufbringt und so Ängste vor weltweiten Konflikten schürt. Er holt zu verbalen Rundumschlägen aus und scheut sich nicht davor, in drastischer Rhetorik Verbündete wie Deutschland anzugreifen. Er bezeichnet deutsche Autos als Gefahr für die nationale Sicherheit der USA und droht Strafzölle an. Er kritisiert den deutschen Handelsüberschuss, drängt Deutschland, den Verteidigungsetat aufzustocken, und kritisiert lautstark die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. In erster Linie sorgen diese Ausbrüche des amerikanischen Präsidenten für ein Gefühl der Unsicherheit bei den Menschen, die bisher auf die transatlantische Partnerschaft vertrauten. Die kriegerischen

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Konflikte vor der Haustür Europas (Ukraine, Syrien) tragen zu dieser Verunsicherung zusätzlich massiv bei. Hinzu kommt, dass die Welt im wahrsten Sinn des Wortes in Bewegung geraten ist: Laut UN sind derzeit weltweit 65 Mio. Menschen auf der Flucht oder werden vertrieben. Auch Europa und die Europäische Union zeigen sich nicht gerade als Hort der Stabilität. Gerade jetzt, wenn die USA von „Make America great again“ sprechen und China über die sogenannte „Neue Seidenstraße“ geradezu aggressiv neue Märkte erobern will, braucht Europa Orientierung, um nicht zwischen den großen Mächten USA und China zerrieben zu werden. Stattdessen stellen wir leider fest, dass die Solidarität innerhalb der EU ab- statt zunimmt! Hierzu braucht man nicht einmal den Brexit zu bemühen. Der Egoismus und Nationalismus in einzelnen EU-Staaten, beispielsweise festzumachen an der Haltung in der Flüchtlingsfrage, rührt an den Grundfesten der Europäischen Union, die auf Solidarität gründet. In Deutschland sehen wir, dass der Zuspruch für populistische Ideen – wie auch in anderen europäischen Ländern – gestiegen ist (Müller 2016). Die Folgen dieser Unsicherheit drücken die Wähler dadurch aus, dass sie Parteien folgen, die (vermeintlich) einfache Antworten auf eine immer komplexer werdende Welt haben. Der Vorteil eines politisch nicht Verantwortlichen liegt durchaus darin, dass er für seine Ansichten, Vorhaben und Thesen nicht unmittelbar geradestehen muss. Aber einfache Antworten können verleiten. Darin liegt die Gefahr. Und sollen wir wirklich abwarten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist und solche Parteien das Ruder übernehmen? Deutlich möchte ich aber darauf hinweisen, dass man nicht den Fehler machen sollte, Wählerinnen und Wähler durch eine pauschale oder undifferenzierte Wortwahl für länger bzw. für immer zu verlieren. Die Demokratie gibt den Menschen nach bestimmten Zeitabständen immer wieder die Möglichkeit, die Volksvertreter (und damit die Parteien) neu zu wählen und in Regierungsverantwortung zu bringen – oder sie auch wieder zu entfernen. Im politischen Wettkampf sollte deshalb genauestens darauf geachtet werden, wen man als „radikal“ und „undemokratisch“ bezeichnet. Dies gilt im Übrigen auch für die Medienlandschaft. Aus der Sicht eines Wählers, der als Protestwähler vielleicht in der inneren Absicht ‚nur mal einen Denkzettel‘ verpassen wollte und eine radikale Partei gewählt hat, wird sich womöglich ebenfalls als radikal abgestempelt fühlen, wenn in der politischen Auseinandersetzung nicht genau darauf geachtet wird, wer bzw. was nun radikal ist. Die Partei mit ihrem Wahlprogramm oder der Protestwähler gleich mit dazu? Zugegebenermaßen ist es schwer, eine Partei als radikal und undemokratisch zu bezeichnen, ihre Wählerinnen und Wähler aber nicht. Es muss also gelingen, eine immer komplexere und unsicherer werdende Welt durch klares politisches Handeln und verständliche Kommunikation zu erklären,

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Lösungen anzubieten und auch umzusetzen. Dabei wäre es ein verfehltes Ziel, alle Wählerinnen und Wähler erreichen zu wollen. Die CSU bietet, wie eingangs erwähnt, durch ihre seit 75 Jahren im Kern unveränderten Grundwerte einen nach wie vor hohen Deckungsgrad mit der Gesellschaft und deren Wertvorstellungen. Natürlich gibt es auch Zeitgenossen, die wenig von Toleranz und Demokratie halten. Unbelehrbaren sollte aber nicht unverhältnismäßig viel Zeit geopfert werden. Politik muss im Grunde ‚nur‘ Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Menschen ihr Leben in größtmöglichem Maße selbstbestimmt gestalten können. Es ist also genau der Mittelweg zwischen Individualisierung (und Selbstverwirklichung) und notwendigem gesellschaftlichen Konsens zu finden. Es dabei jedem recht machen zu können, ist ein unmögliches Unterfangen. „Man muss dem Volk aufs Maul schauen, ihm aber nicht nach dem Munde reden!“. Dieser Satz, der neben Martin Luther auch von Franz Josef Strauß bemüht wurde, trifft den Nagel auf den Kopf. Die Nähe zu den Menschen ist auch Grundlage meines politischen Handelns. Woher soll man sonst die Sorgen und Nöte der Menschen kennen? Aus den Schilderungen der Menschen muss dann das notwendige Handeln abgeleitet werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nicht – oder noch nicht – umsetzbare Themen ebenfalls klar kommuniziert und erklärt werden. Die Notwendigkeit eines Umdenkens im Bereich Klimaschutz beispielsweise werden die meisten Menschen wohl einsehen. Jedoch haben sie sehr feine Antennen, wen die Politiker zur Lösung dieser Frage ‚ins Visier‘ nehmen. Wer den Menschen den einmaligen Urlaubsflug oder die Inlandsflüge madig macht und es im Gegenzug nicht schafft, attraktive und konkurrenzfähige Angebote zu schaffen, braucht sich am Ende des Tages nicht wundern, dass sich die Menschen abwenden. Ein Gegenbeispiel: Jedes Jahr fliegen 200 vollbeladene Jumbo-Jets nichts anderes als Rosen und sonstige Schnittblumen von Äthiopien und Kenia nach Deutschland, welche dann für sehr wenig Geld in Supermärkten angeboten werden. Das ist fast täglich ein Flieger, der Blumen, die unter den fragwürdigsten Umständen angebaut, geerntet, gekühlt gelagert und mit Plastikfolien bereits für den Verkauf fertig verpackt wurden, zu uns transportiert. Warum wird dagegen nichts unternommen? Im Gegensatz dazu wird laut über eine CO2-Besteuerung für Kfz nachgedacht. Mir ist hier wichtig aufzuzeigen, dass die Menschen auch unbequeme Thematiken sicherlich mitgehen und die Einsicht zu einem Umsteuern da ist. Man muss aber den Eindruck vermeiden, dass nur die Kleinen den Preis bezahlen und ‚die Großen‘ nahezu ungeschoren davonkommen. Arbeitet man die Themen vollumfänglich auf und setzt diese dann entsprechend um, gelingt es auch, dass die Menschen notwendige Einschnitte verstehen und

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akzeptieren. Sie werden es am Wahltag auch nicht mit einem Kreuz bei der anderen Partei quittieren. Wir leben in einer politisch sehr bewegten Zeit. Klimaschutz, Handelskriege und Terror verunsichern. Sie öffnen Demagogen Tür und Tor. Verunsicherung ist ein Nährboden für Populismus, wenn es die demokratischen Parteien nicht schaffen, diese Verunsicherung zu unterbinden. Charakterstarke Politik ist ein Gegenmittel hierzu. Zu der damit verbundenen Verunsicherung der Menschen kommt die sogenannte Individualisierung, die den Einzelnen nicht mehr so stark an eine Gemeinschaft bindet, wie es zum Beispiel das eigene Dorf oder die eigene Kommune ist. Die zunehmende Individualisierung zeigt sich auch an Wahlergebnissen bei den Kommunalwahlen (Vetter und Haug 2019). Gerade im kommunalen Bereich gibt es seit jeher große Gestaltungsmöglichkeiten. Die Entscheidungen in den kommunalen Gremien wirken sich direkt auf die Bürgerinnen und Bürger der Kommune aus. Getroffen werden die Entscheidungen von den in den Stadt-, Markt- und Gemeinderäten vertretenen Parteien und Wählergruppierungen. Diese wiederum legitimieren sich durch eine tiefe Verankerung bei ihren Mitgliedern und Anhängern. Das gilt oder galt zumindest in der Vergangenheit besonders für die CSU in den ländlichen Räumen. Dennoch stellen wir in den letzten Jahrzehnten auch hier eine Veränderung fest. Der Anteil der CSU wird immer geringer. Am Beispiel des Landkreises Cham und der Zusammensetzung der jeweiligen Kreistage in den Perioden 2002 bis 2008, 2008 bis 2014 und 2014 bis 2020 möchte ich das aufzeigen. Der Landkreis ist 1972 im Zuge der Gebietsreform entstanden. Die drei Landkreise Cham, Waldmünchen und Kötzting sowie ein Teil des Landkreises Roding wurden zum neuen Landkreis Cham zusammengelegt. Wenn vier ‚Arme‘ sich zusammentun, wird noch lange kein ‚Reicher‘ daraus, hieß es damals in Anspielung auf die schlechte wirtschaftliche Situation in diesen Altlandkreisen. Die Kommunalpolitik im Landkreis Cham war deshalb in den vergangenen fast fünfzig Jahren darauf ausgerichtet, die Region vom strukturschwachen Zonenrandgebiet zum erfolgreichen Wirtschaftsstandort weiterzuentwickeln. Das ist gelungen: Der Landkreis Cham ist heute eine dynamische Wirtschaftsregion mit einer Vielzahl von starken, international tätigen mittelständischen Familienunternehmen in unterschiedlichsten Branchen. So steht der Landkreis Cham beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner an dritter Stelle unter den Landkreisen der Oberpfalz. Dieser Indikator der Wirtschaftsleistung ist seit dem Jahr 2000 um 69 % gestiegen, während es bayernweit nur 49 % waren. Die Arbeitslosenquote liegt regelmäßig unter 2 % (Beispiel: 1,8 % im Oktober 2018). Auch im Winter, wo die Quote noch vor 20 Jahren auf über 15 % kletterte, haben wir

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jetzt Quoten um die zwei Prozent (Dezember 2018: 2,2 %; Dezember 2017: 2,3 %). Trotz der Fachkräfteproblematik steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit 1990 jährlich um 600 bis 800 Personen, aktuell sind es rund 53.000, dies ist ein Indiz für die Attraktivität unserer Wirtschaftsregion. Mutige Unternehmerinnen und Unternehmer in Industrie und Handwerk, in Dienstleistung und Gewerbe bieten hochwertige Arbeitsplätze an. Gerade die Wertigkeit der Arbeit steigt kontinuierlich. Die Zahl der Arbeitnehmer mit Hochschulbildung hat sich in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt. Die jungen Menschen vertrauen dem Landkreis, er hat eine außerordentlich hohe Quote an unter 25-Jährigen bei den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen: Während dies im Landkreis Cham 15,5 % sind, waren es bayernweit 12,1 % und deutschlandweit 10,4 % (Zahlen aus 2016). Das „Verfügbare Einkommen je Einwohner“ hat überdurchschnittlich zugenommen, auch wenn die absoluten Zahlen noch unterdurchschnittlich sind (Landkreis Cham 20.939 €, Bayern 23.658 €). Die Steigerungsrate von 2012 auf 2015 lag im Landkreis Cham bei 6,2 %, während es in Bayern im selben Zeitraum nur 4,2 % waren. Dabei gilt es auch zu beachten, dass die regionale Kaufkraft hier nicht berücksichtigt ist. Mieten und Lebenshaltungskosten sind beim „Verfügbaren Einkommen“ noch nicht abgezogen. Es ist unstrittig, dass der ländliche Raum abseits der Ballungsräume mit niedrigeren Lebenshaltungskosten punktet. Die Einwohnerzahl im Landkreis Cham steigt seit 2014 wieder, von 125.553 zum 31. Dezember 2013 auf 127.592 zum 30. Juni 2018. Bemerkenswert ist vor allem, dass bereits seit 2010 jährlich mehr Menschen in den Landkreis zuziehen als fortziehen. Der positive Wanderungssaldo, also die Differenz zwischen Zugezogenen und Fortgezogenen, lag 2017 bei 8071. Während die Menschen früher die Heimat verlassen mussten, um Arbeit zu finden, können wir heute das Wertschöpfungspotenzial in der Region nutzen. In der Erkenntnis, dass Bildung und Innovation Wohlstand für die Menschen schaffen, hat der Landkreis Cham zusammen mit den Kommunen mit Unterstützung des Staates bestmögliche Rahmenbedingungen für Bildung und Innovation, für Forschung und Entwicklung im Landkreis Cham geschaffen. Beispiele dafür sind neue bedarfsorientierte Fachschulen wie die Fachakademie für Sozialpädagogik in Furth im Wald oder die Technikerschulen für Maschinenbau und erneuerbare Energien in Waldmünchen. Der Landkreis Cham hat sich mit einer Außenstelle der Technischen Hochschule Deggendorf als Hochschulstandort etabliert. Die durch den Landkreis neu errichtete Berufsschule zählt zu

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873, 2015: 921, 2014: 524, 2013: 451, 2012: 518, 2011: 93, 2010: 190.

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den modernsten in Bayern. Im Digitalen Gründerzentrum findet Wissens- und Technologietransfer in der digitalen Produktion zwischen dem Technologie Campus, den KMU’s und den Gründern statt. Grundsätzlich ist also festzustellen, dass sich der Landkreis Cham in den letzten 20 Jahren hervorragend entwickelt hat. Die geringe Hartz IV-Quote zeigt, dass viele Menschen im Landkreis Cham auch wirtschaftlich ihr Auskommen haben. Dies ist unbestreitbar auch ein Verdienst der CSU vor Ort. Jedoch: Auch hier kommt die zunehmende Individualisierung des Wählerverhaltens darin zum Ausdruck, dass eine Partei oder eine Wählergruppe nicht nur wegen ihrer programmatischen Grundsätze und ihren vergangenen politischen Leistungen gewählt wird, sondern oft ganz gezielt eine Person oder Personengruppe, mit deren spezifischen Zielen sich ihre Wählerinnen und Wähler identifizieren können. Die Wahlentscheidung wird dann eben oft nicht von langfristigen Erfolgen, auf die Politiker gerne verweisen, bestimmt, sondern von individuellen Überlegungen, die auch der allgemeinen politischen Situation und Stimmungslage geschuldet sind. So auch im Landkreis Cham: Bei den Wahlen zum Bayerischen Landtag im Jahr 2018 erzielte die AfD hier aus dem Stand 16,1 % der Gesamtstimmen! Auf die CSU entfielen 41,7 % der Gesamtstimmen. Das ist im Bayernvergleich (37,2 %) ein sehr guter Wert. Dennoch ist ein stetes Absinken des Wertes der CSU Realität. Erzielte sie 1990 noch 64,3 %, 1994 58,7 %, 1998 60,2 % und 2003 stolze 68,6 %, fiel dieser Wert bei den Folgewahlen deutlich. 49,2 % waren es bei der Wahl 2008, 53,1 % in 2013 und schließlich 41,7 % im Jahr 2018. Auch die Kommunalwahlen im Landkreis spiegeln diese Umbrüche und Verschiebungen. In der folgenden Betrachtung wird der Einfachheit halber aber nur auf die CSU-Liste eingegangen. Die mit der CSU in einer Fraktionsgemeinschaft zusammengeschlossenen Wählergruppierungen finden hier keine Berücksichtigung. In der Wahl am 3. März 2002 wurden 26 Kreisrätinnen und Kreisräte über die CSU-Liste gewählt. Am 2. März 2008 waren es noch 23 und am 16. März 2014 noch 21 Kreisrätinnen und Kreisräte. Gleichzeitig stieg die Zahl der Sitze, die von Wählergruppen errungen wurden: Von 24 (2002) auf 27 (2008) und 31 (2014). Für diese Entwicklung gibt es sicherlich viele verschiedene Gründe. Unter anderem spielt dabei auch eine Rolle, dass bei der Wahl 2014 erstmals die Partei FW FREIE WÄHLER Bayern e. V. zusätzlich zu den bestehenden Wählergruppen mit einer eigenen Liste angetreten ist. Hier aber schon von einer Tendenz, wie oben bei Bundes- und Landtagswahlen, zu sprechen, halte ich für verfrüht.

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In diesem Zusammenhang ist noch ein wesentlicher Faktor für die fortschreitende Individualisierung des Wählerverhaltens anzusprechen: die Digitalisierung unserer Gesellschaft (Lucks 2020). Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hatten so viele Menschen aus allen sozialen Schichten Zugang zu Wissen und Informationen – sowohl im positiven als auch im negativen Sinn. Menschen sind nicht mehr wie früher nur Informationsempfänger. Per Facebook und Twitter wird jeder zum eigenen ‚Netzredakteur‘ und kann seine Meinung, sein Wissen, seine Kenntnisse und Fähigkeiten über das Internet präsentieren und teilen. Dies stellt die wesentliche Zäsur dar. Früher empfingen die Menschen ihre Informationen per Fernsehen, Zeitung oder Radio. Eine Reaktion auf diese Informationen war kaum möglich. Eine Kommunikation – über weitere Strecken – war nur per Telefon oder Brief möglich. Und heute? Ein WhatsAppBild, in Australien aufgenommen, ist nach ca. zwei Sekunden auf dem Handy in Deutschland. In diesen zwei Sekunden legen die Bilddaten mehrere zehntausend Kilometer Signallaufwege über die Satelliten zurück. Der Grad der Vernetzung und der Informationsaustausch steigen im Übrigen täglich an. Die individuelle Selbstverwirklichung findet in der Folge gerade durch diese modernen Kommunikationstechniken ideale Voraussetzungen. Dazu gehört natürlich auch, dass man sich seine politische Meinung durch den Zugang zu nahezu unendlich vielen Informationen bilden kann. Jeder politische Aspekt, sei es Umwelt, Finanzen, Soziales, Wirtschaft, Gesellschaft, kann über das Internet aufgerufen werden. Es ist nur eine logische Konsequenz, dass sich daraus eine Vielzahl von individuellen Ansichten und differenzierten Schwerpunkten bildet. Das Internet bietet die in diesem Ausmaß bisher nicht gekannte Möglichkeit, relativ schnell von z. B. Parteien kommunizierte Inhalte auf Fakten zu überprüfen, auszuwerten und sofort seine Sicht der Dinge der ‚Community‘ mitzuteilen. Wie bereits angesprochen, ist durchaus fraglich, ob die Menschen dieses unerschöpfliche Angebot an Information überhaupt verarbeiten können. Politik muss es deshalb schaffen, in dieser Informationsflut ihre Themen zu platzieren und sie kurz und knapp zu erläutern. Um keine Polemik zu erzeugen, muss die Hintergrundarbeit dafür umso exakter und detaillierter ablaufen. Dies erfordert ein Höchstmaß an fachlicher und kommunikativer Expertise. Diese tieferen Informationen müssen dem Wähler natürlich bei Interesse auch zur Verfügung stehen. Genau in diesem Punkt trennt sich Polemik von Politik. Einfache und inhaltsleere Informationen, die nur zur Verunsicherung beitragen, gehören den Demagogen. Einfache und substanziierte Informationen müssen Gegenstand von ehrlicher Politik sein. Trotz aller Technisierung unserer Gesellschaft: Die Menschen schätzen nichts mehr als den persönlichen Kontakt. Dies wird mir gerade auch von jungen

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Menschen – den „Digital Natives“ – immer wieder bestätigt. Es ist also nach wie vor dringend geboten, den Menschen zuzuhören und mit ihnen zu reden. Der Mensch hat sich in den letzten tausenden Jahren evolutionär nicht mehr wesentlich verändert, seine (durch Technisierung selbstgemachte) Umwelt aber dafür massiv. Da der Mensch und nicht die Technik im Mittelpunkt unseres Handelns steht, sind die altbewährten Mittel des miteinander Redens und aufeinander Zugehens immer noch zeitgemäß und sehr zu empfehlen.

2 Städte auf Distanz: Die Effekte der Urbanisierung als Verankerungsproblem Die flächendeckende Mitgliederorganisation der CSU mit einer räumlichen Gliederung in Bezirks-, Kreis- und Ortsverbände und ihre Einbettung in die Gesellschaft auch außerhalb parteipolitischer Netzwerke ermöglichten, dass die CSU ‚nah am Menschen‘ war und ist (Zeitler 2010). Hinzu kommen Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise, die sich verschiedenen Thematiken widmen und so breite gesellschaftliche Entwicklungen und Themen abdecken (Nerl 2010). Voraussetzung dafür ist aber eine gewisse Kontinuität in der Zusammensetzung der Gruppen, die angesprochen werden sollen. Im Folgenden möchte ich mich der Frage widmen, ob dabei die Urbanisierung eine Rolle spielt. Unter Urbanisierung (Verstädterung) versteht man gemeinhin den wachsenden Anteil der in städtischen Siedlungen lebenden Bevölkerung. Das kann einerseits durch das Wachsen bereits bestehender Städte, andererseits durch die Einbeziehung ursprünglich ländlicher Siedlungen im Umfeld der Städte erfolgen. Der Landkreis Cham hat in den letzten Jahren sogar wieder mehr Zu- als Abwanderer, aber dennoch ist festzustellen, dass Zuwanderung vor allem in die großen Städte stattfindet. Vor allem Landkreise in den Speckgürteln der Großstädte wachsen und können auch mit weiterem Bevölkerungswachstum rechnen. Die Zentren mit ihren Arbeitsplätzen strahlen dabei weit in ihr ländliches Umland aus. Die Ergebnisse der neuen Bevölkerungsvorausberechnung 2017–2037 für den Freistaat Bayern zeigen, dass die unterschiedlichen regionalen Entwicklungspfade den Freistaat auch weiterhin prägen. So wird Bayern nach den aktuellen Vorausberechnungsergebnissen zwar in 20  Jahren 13,48  Mio. Einwohner zählen, was einem Plus von 3,7 % entspricht (+484.000 Personen). Regional werden sich die Bevölkerungszahlen jedoch sehr unterschiedlich entwickeln: Die Bevölkerungszunahme Gesamtbayerns wird vor allem vom südbayerischen Raum und der Region Nürnberg getragen, während der Norden und der Osten

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des Freistaats zwischen 2017 und 2037 weiterhin an Einwohnern verlieren oder zumindest stagnieren werden. Diese Menschen wandern vor allem deshalb zu, weil sie angelockt werden von attraktiven Arbeitsplätzen und der vermeintlichen Vielfalt der Möglichkeiten, sich selbst und seine Vorstellungen weiter zu entwickeln als dies in ihrem bisherigen Umfeld möglich war. Hohe Mieten und Grundstückspreise wirken – zumindest derzeit noch – nicht abschreckend. Viele Menschen nehmen das in der Abwägung offenbar noch in Kauf. Ein Teil dieser Menschen ist aber sicher auch bereit, wieder abzuwandern, wenn es an anderen Orten scheinbar bessere Möglichkeiten gibt, die eigenen Ziele zu erreichen. Das individuelle Fortkommen steht an erster Stelle. Das ist an sich nichts, was zu kritisieren wäre. Das ist vielmehr die Triebfeder jedes menschlichen Handelns. Diese Bevölkerungsgruppe macht es aber einer Partei, deren Erfolg zu einem großen Teil auf gesellschaftlicher Verankerung beruht, zunehmend schwer, weil sie eben das individuelle Fortkommen und nicht die Gemeinschaft in den Vordergrund stellt (Maier 2010). Es gilt also, einen gesamtgesellschaftlichen Grundkonsens zu schaffen, der für ein friedliches Zusammenleben unabdingbar ist. Am Reichstag in Berlin steht die Inschrift „Dem Deutschen Volke“ und nicht „Den 80 Millionen Individualisten“. Dabei darf man sich auch weiterhin nicht scheuen, von „Werten“ zu sprechen. Auch das Wort „Volk“ darf nicht durch Rechtspopulisten für alle Zeit mit einem braunen Schleier überzogen sein. Ohne einen Wertekorridor, in dem sich die überwiegende Masse der Menschen in diesem Lande wiederfindet (wiederfinden muss), wird es auch eine Volkspartei schwer haben, die nötigen Mehrheiten zu erreichen. Wie sich das auf die Demokratie insgesamt auswirken kann, habe ich bereits erläutert. Auf der anderen Seite stelle ich aber auch fest, dass sich auch Menschen in den ländlichen Regionen zunehmend schwertun und mit Blick auf die vermeintlich blühenden Städte ein Gefühl des ‚Abgehängtseins‘ entwickeln. Auch das schlägt sich dann in einer geringeren Akzeptanz der CSU nieder. Ich erinnere an die Wahlerfolge der AfD, die sie bei den letzten Bezirks- und Landtagswahlen gerade im Grenzraum zur Tschechischen Republik errungen hat. Dass sich der Wähler von den Vorgängen in Land und Bund auch bei Kommunalwahlen beeinflussen lässt, muss hier nicht näher erläutert werden. Den Bürger dabei auf die Frage der Zuständigkeit bei bestimmten Sachthemen hinzuweisen, macht erfahrungsgemäß wenig Sinn. Mehr Sinn macht es, diese vermeintlichen ‚Retter des Abendlandes‘ bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu stellen und mit allen demokratischen Mitteln zu bekämpfen – vor allem in der Öffentlichkeit. Auch im linken Spektrum gibt es Tendenzen, die der CSU ihre Wählerschaft durchaus streitig machen. Mit Blick auf die Ergebnisse bei der Landtagswahl

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2018 für die Stadt München muss man feststellen: Das Herz der Landeshauptstadt schlägt politisch grün. Dass München noch nie ein Hort christlich-sozialer Politik war, muss nicht näher diskutiert werden. Die Menschen in den Städten wählen also grün. Warum ist das so? Es liegt meiner Meinung nach daran, dass die Städte im Freistaat im Gegensatz zu anderen Städten im Bundesgebiet durchaus mit einer hohen Lebensqualität aufwarten können. Dabei wird oft verkannt, dass überwiegend sicherheits-, sozial- und wirtschaftspolitische Weichenstellungen einer konservativen Landesregierung zu dieser Attraktivität geführt haben. Dies gilt im Übrigen auch für den ländlichen Raum – nur heißt hier der politische Gegner AfD. Man hat es also vor allem in den Städten mit einer Wählerschaft zu tun, die diese (konservativen) Erfolge zur individuellen Lebensgestaltung nutzen, das Zustandekommen dieser Erfolge aber äußerst kritisch hinterfragen und bei den Wahlen nicht unterstützen (Maier 2010). Nun erfolgt dieser Zuzug in die großen Städte Bayerns nicht nur aus dem Freistaat, sondern auch wie oben beschrieben aus anderen Landesteilen. Politische Arbeit muss es nun sein, diese Zugezogenen davon zu überzeugen, dass es beide Dinge – maximale persönliche Individualisierung bei maximaler Lebensqualität (hierzu zählt auch das Thema Sicherheit!) – so einfach nicht geben kann und man sich fragen muss, ob man auch in einigen Jahren noch die ‚bayerische Art‘, für die man ja hierher gezogen ist, noch erleben möchte. Ob sich diese Effekte aus den Städten auch auf den ländlichen Raum übertragen, wird sich zeigen. Im Zeitalter der Digitalisierung darf man die Geschwindigkeit derartiger politischer Trends aber nicht unterschätzen.

3 Herausforderungen der Distanz: Befunde und Folgerungen Politische Zielsetzung einer Partei, die in der Mitte der Gesellschaft verankert sein will, muss es sein, den Menschen Stabilität und Orientierung zu geben. Und zwar nicht mit vordergründigen schnellen Lösungen, sondern mit Konzepten, die die Menschen mitnehmen und die im Denken der Menschen verankert sind. Es geht um eine Vertrauensfrage – in den Staat, in die Politik, in die Parteien. Ich führe viele Gespräche mit Menschen: Dabei stelle ich immer wieder fest, dass die wirtschaftliche Sicherheit in unserem Land alleine nicht reicht. Vor allem die Menschen, die sich zur bürgerlichen Mitte zählen, artikulieren zunehmend ihre Ängste und Sorgen. Es sind vor allem die Menschen, die jeden Tag in die Arbeit gehen, die Steuern zahlen und zwar in Deutschland (und nicht auf

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paradiesischen Inseln), die sich um ihre Familie kümmern und dafür sorgen, dass ihre Kinder für das Leben vorbereitet und ihre Eltern einen würdigen Lebensabend genießen. Diese Menschen sind zudem auch diejenigen, die daneben auch noch wichtige Ehrenämter in der Gesellschaft wahrnehmen. Deren zentrale Frage ist, ob der Staat das umsetzen kann, was die Politiker zusagen. Findet die Lebenswirklichkeit der Menschen Eingang in die Politik und das staatliche Handeln? Werden die Menschen ernst genommen? Es geht um Dinge wie das friedliche Zusammenleben der Staaten untereinander, aber auch innerhalb der Gesellschaft unseres Landes, um Fragen der Sicherheit, um Umwelt und um Klimaschutz. Die Ergebnisse des Volksbegehrens für mehr Artenschutz „Rettet die Bienen“ haben meines Erachtens gezeigt, was viele Menschen bewegt und dass das bisher nicht oder in nicht ausreichendem Maße gewürdigt wurde. Eine gewisse Distanz und Entfremdung von Staat und Gesellschaft ist hier schon spürbar zutage getreten. Woran liegt das? Staat und Politik wurden meines Erachtens in den letzten Jahren immer mehr optimiert. Man orientierte sich an Wirtschaftsunternehmen, man professionalisierte den Staat mehr und mehr. Dadurch sind der Staat und die Verwaltung effizienter, dafür aber auch abgeschliffener und austauschbarer geworden. Oftmals verlor der Staat für viele Menschen den direkten Bezug, wurde anonym, ohne Gesicht und ein Stück weit auch ohne Herz. Das gefühlte Recht passt oft nicht mehr zum geschriebenen Recht bzw. der Rechtsauslegung der Juristen. Auf der anderen Seite erweckt die Politik den Eindruck, dass der Staat im Sinne einer ‚Vollversorgungsmentalität‘ alles für die Menschen regelt, ja sogar besser regelt! Kinderbetreuung vom Säuglingsalter weg, Ganztagesbetreuung, Bildung, Werteerziehung, Freizeitangebot, Soziale Sicherung, Betreuung der Alten und Kranken usw. – alles in staatlicher Hand. Interessant daran: „Dem Staat“ wird dieses übergroße Engagement in all diesen Feldern keineswegs gedankt; die Kritik wächst stetig – auch darüber, was der Staat alles nicht kann! Wenn dann doch jemand mit mehr Eigenverantwortung diese Themen selber in die Hand nimmt, ist er oftmals der ‚Dumme‘, der doppelt bestraft wird. Denn ihm erwächst daraus eine größere Belastung und nicht selten muss er dafür sogar Verdienstausfälle in Kauf nehmen. Mit den neuen Kommunikationsformen und -möglichkeiten verändert sich auch das Verhältnis der Gesellschaft zum Staat. Nachrichten über Facebook und Twitter lassen offenbar jede Hemmschwelle von Anstand und Kultur verschwinden. Das spüren insbesondere Staat und Politik, vor allem aber Politikerinnen und Politiker. Die Fälle, in denen diese gezwungenermaßen die Reißleine ziehen und auf diese Art der Kommunikation verzichten, um nicht zum Opfer eines „Shitstorms“ zu werden oder persönliche Angriffe übelster Art

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hinnehmen zu müssen, werden immer mehr. Hinzu kommt, dass in den sozialen Medien jeder nur das hört, was er hören will, indem er sich seine „Freunde“ selbst auswählt und nur deren Ansichten erhält. Was kann man dagegen tun – wie kann der Staat, wie kann die Politik, wie kann eine Partei wie die CSU wieder mehr Vertrauen gewinnen? 1. Der Staat muss für die Bürger wieder greifbarer werden. Politische Inhalte müssen mehr im Vordergrund stehen als das reine ‚Verkaufen‘ von Botschaften. Die Bürger müssen Staat und Politik bürgerfreundlich und menschlich erleben statt als rein formal funktionierendes anonymes Gebilde. Sie müssen sich wieder als „der Staat“ verstehen. Dies kann vielleicht auch dadurch gelingen, dass die Menschen nicht nur am Wahltag von ihrer Macht Gebrauch machen können. Bayern ist mit seinen Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung durch Bürger- und Volksentscheid Vorreiter in Deutschland. Die Forderung solcher Mitwirkungsmöglichkeiten auf Bundesebene sollte daher eine fundamentale Forderung bayerischer Politik sein. Das oftmals bemühte Argument, dass die Menschen die komplexen Vorgänge nicht verstünden, muss nicht den Menschen angelastet werden, sondern mangelnder Aufklärungsarbeit vonseiten der Politik. 2. Wir müssen den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern verstärken. Nicht nur zuhören, sondern mit den Menschen auch reden und ihnen Gelegenheit geben, die Anliegen und Sorgen auch ehrlich zu erörtern. Im Landkreis Cham gehen die Mandatsträger der CSU deshalb bewusst in die Gemeinden und Dörfer und stellen sich der Diskussion mit den Menschen. Das ist nicht immer ein ‚Wohlfühltermin‘, aber nur so können wir den Menschen zeigen, dass es uns ernst ist mit ihren Anliegen! 3. Die Menschen müssen sich auch ernstgenommen fühlen. Wir müssen wieder mehr Vertrauen schaffen. Staat bedeutet nicht ‚Wir da unten‘ und ‚Die da oben‘. Staat ist die Zusammenarbeit von Staatsvolk und Staatsgewalt zum Wohle aller. Beispiele und Betätigungsfelder dafür gibt es viele! 4. Die in der Verfassung verankerte Freiheit muss auch einher gehen mit Verantwortung des Einzelnen für sich selber und den Staat bzw. die Gesellschaft. Der Staat kann nicht alles regeln. Die Erhaltung von Wohlstand geht nur mit einem hohen Maß an Selbstbestimmtheit und Verantwortung. 5. Das u. a. von der katholischen Soziallehre entwickelte Subsidiaritätsprinzip muss wieder stärker gelebt werden – und zwar auf allen Ebenen. Altbekannt, aber leider erfolglos lässt sich das am Beispiel der Europäischen Union aufzeigen. Die Europäische Union sollte sich um die Sicherheit der E ­ U-Außengrenzen und um Terrorbekämpfung sorgen, aber nicht um

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Normen für Traktorsitze oder den Färbegrad von Pommes. In Deutschland haben wir mit dem Föderalismus hier sehr gute Ansätze. Es gibt aber immer wieder Versuche, das aufzuweichen. Der Bildungspakt, bei dem mit viel Geld gelockt wird, ist ein Beispiel. Ich bin der Meinung, dass wir den Gestaltungsraum der Länder erhalten und verteidigen müssen. Aber auch in Bayern müssen Entscheidungen möglichst nach unten und in die Fläche getragen werden. Den Kommunen darf man durchaus mehr zutrauen – hier erleben die Bürger den Staat! So wird der Staat für den Bürger auch wesentlich greifbarer. 6. Die rechtsstaatliche Ordnung darf nicht nur auf dem Papier stehen. Ein Beispiel, das gerne von rechten Gruppierungen herangezogen wird, ist das Thema Flüchtlinge. Wir dürfen aber nicht nur den Rechten dieses Feld überlassen. Wie kann es sein, dass wir ohne Kontrolle Menschen ins Land gelassen haben, bei denen wir von vielen bis heute nichts über ihre Identität wissen? Als Landrat erlebe ich täglich die Folgen. Wie kann es sein, dass abgelehnte und sogar straffällig gewordene Asylbewerber nicht abgeschoben werden können? Weil wir oft mangels Identität nicht wissen, wohin wir abschieben sollen. Weil es Abschiebehindernisse gibt, die vor unseren Gerichten erfochten werden. Das musste ich sogar in meinem Landkreis in einem sehr tragischen Fall erleben. Ein verurteilter Brandstifter konvertierte zum Christentum, um der Abschiebung zu entgehen, und wurde dann zum Mörder eines kleinen Kindes. Bei der rechtsstaatlichen Ordnung geht es auch darum, die Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum zu stärken: Bürgerinnen und Bürger müssen auf den Autoritätsanspruch des Staates vertrauen dürfen. Eine starke Polizei steht für Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger! Distanz zu den Bürgerinnen und Bürgern wird hier erzeugt, wenn man in solchen gesellschaftskritischen Fragen, keine praktikablen Antworten hat – und, sollte es sie geben, sie nicht umsetzt und einen klaren Kurs fährt. 7. Als Mitglieder der CSU müssen wir aktiv dafür eintreten, die Grundwerte unserer Gesellschaft bewusst zu leben. Es muss Ziel sein, dass unsere Gesetze und unsere Kultur mit christlich-abendländischer Prägung respektiert werden. Dazu gehören die unantastbare Würde des Menschen, die strikte Gleichberechtigung von Mann und Frau und die unbedingte Anerkennung der Rechtsordnung. Glaube und Religion stehen nicht über, sondern neben oder hinter dem Staat. Diese Werte müssen wir aber auch selber leben und leben dürfen, um sie den Menschen begreiflich zu machen, die hier bei uns leben wollen. 8. Das Thema Gerechtigkeit – gerade auch soziale Gerechtigkeit – muss für die Menschen spürbar sein. Es ist für viele nicht nachvollziehbar, dass

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jemand, der 30 Jahre gearbeitet hat und dann längere Zeit arbeitslos wird, von der Grundsicherung auf dieselbe Stufe gestellt wie jemand, der noch nie gearbeitet hat. Warum sind Kinder, die nach 1992 geboren wurden, in der Rentenversicherung mehr wert wie die vor 1992 Geborenen? Warum ist der Staat nicht in der Lage, die steuerlichen Schlupflöcher für die wirklich Vermögenden und die multinationalen Konzerne zu schließen, während der normale Arbeitnehmer steuerlich zu 100 % ein offenes Buch ist? Manchmal haben wir den Eindruck, dass viele in Politik und Wirtschaft nur den kurzfristigen Gewinn sehen. Der Staat verzeichnet sprudelnde Steuereinnahmen, die Wirtschaft brummt, aber viele Bürgerinnen und Bürger haben das Gefühl, dass bei ihnen nichts oder zu wenig davon ankommt. 9. Hier kommt auch das Thema „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ zum Tragen. Eine gleichwertige Infrastruktur und gleichwertige Bildungschancen sind unerlässlich für die Zukunftschancen des ländlichen Raums und damit auch für die Akzeptanz einer Partei bei den Menschen. Es ist deshalb dringend erforderlich, die nötige Balance zwischen Stadt und Land zu halten und vor allem die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ zu betonen, diese aber auch zu fördern. Wir dürfen keine Kluft zwischen Stadt und Land aufbauen. Es herrschen lediglich andere Bedingungen und Voraussetzungen. Der Landkreis Cham hat es wirtschaftlich geschafft, die Lücke zu verkleinern: Vollbeschäftigung, hervorragende wirtschaftliche und technologische Dynamik und auch Erfolge bei der Infrastruktur. Gerade aber für diese Räume ist es eine Daueraufgabe, den Innovations- und Entwicklungsdruck weiter hoch zu halten. Nur so kann es gelingen, den Agglomerationsvorteil der Großräume ein wenig auszugleichen. Die wirtschaftliche Entwicklung zeigt, dass oftmals Betriebe im ländlichen Raum Technologietreiber und sog. Hidden Champions sind. 10. Die kontinuierliche Investition in Infrastruktur muss deshalb zeitgleich und in einem höheren relativen Maße erfolgen als in der Vergangenheit. Und dies in zweifacher Hinsicht: Es gilt, wie oben beschrieben, die Gleichwertigkeitslücke zu schließen und darüber hinaus im wahrsten Sinne des Wortes in Regionen zu investieren. Vor allem sollten die Bedingungen, die zu einem Ausbau von Infrastruktur führen, überdacht werden. Es müssen immer zuerst bestimmte Verkehrsfrequenzen und Verkehrsbelastungen erreicht werden, bevor man überhaupt mit Planungen beginnen kann. Summa summarum: Wenn man Regionen wirklich entwickeln möchte, so sollte man nicht darauf warten, bis ein gewisser Leidensdruck von Mensch, Umwelt und Wirtschaft erreicht ist, sondern tatsächlich Bedingungen herstellen, die es

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wert sind, ‚geschaffenes Entwicklungspotenzial‘ genannt zu werden. Gleichwertigkeit braucht auf jeden Fall gleichwertige Mobilität! Allerdings sehe ich hier noch großen Nachholbedarf, wenn es zum Beispiel um den vierspurigen Ausbau der Hauptverkehrsadern des Landkreises, der Bundesstraße 85 nach Westen und der Bundesstraße 20 nach Süden geht. Das Gleiche gilt für den Ausbau der Metropolenbahn München/Nürnberg – Prag, der zwar im Bundesverkehrswegeplan mit Priorität versehen ist, gleichwohl aber noch auf sich warten lässt. Öffentlicher Personennahverkehr wird im ländlichen Raum kaum in derselben dichten Taktung wie in den Metropolen möglich sein. Gerade deshalb brauchen wir aber intelligente Konzepte, um auch in der Fläche Mobilität zu jeder Zeit und an allen Orten sicherzustellen und Alternativen zum privaten PKW anbieten zu können. Das Konzept der Rufbusse, das wir im Landkreis Cham jetzt einführen, kann hierzu ein Beitrag sein. Auch die Breitbandversorgung insgesamt ist Grundvoraussetzung für die Daseinsvorsorge. Die Privatisierungswelle Anfang der neunziger Jahre zeigt nun ihre Schattenseiten. Mit einem immens hohen Aufwand übernimmt der Landkreis Cham die ihm eigentlich fremde Aufgabe, ein Glasfasernetz zur Erschließung der sog. ‚weißen‘ und „grauen Flecken“ zu errichten. Der Landkreis Cham hat aus der Not eine Tugend gemacht und einen kommunalen Eigenbetrieb „Digitale Infrastruktur“ gegründet. Damit wollen wir die Chancen der Digitalisierung für die Region und ihre Menschen nutzen. So geht z. B. mit dem Eigenausbau der Glasfaserinfrastruktur die Schaffung der Basisinfrastruktur für das vielfältige 5G-Mobilfunknetz einher. Der Staat muss also noch stärker als bisher eine strategische Gesamtwirtschafts- und Regionalpolitik verfolgen. Diese Politik muss unabhängig von Ressortgrenzen allgemein von allen auf dieses Ziel ausgerichtet sein, um die sog. „Gleichwertigkeit“ zu erreichen. Gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land sind das grundlegende Instrument, damit Landflucht und Verstädterung nicht zum Lebensmodell unserer jungen Leute werden. Der ländliche Raum liefert nicht nur Nahrung, Energie und Erholung. Auch Wissenschaft, Forschung und Innovation sind keine Privilegien für den urbanen Raum. Mit der entsprechenden Infrastruktur ist Forschung und Innovation überall möglich. Dies kann und darf kein Alleinstellungsmerkmal der Metropolen bleiben. Der ländliche Raum bietet Entwicklungspotenzial, welches in den Städten bereits an seine Grenzen gestoßen ist. Bayern wird sich vor allem auf dem Land weiterentwickeln und nicht in überfüllten Städten. Wenn die Menschen gerne im ländlichen Raum leben und sich mit ihm identifizieren, sehe ich darin auch eine Chance für die Zukunftsfähigkeit der CSU!

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Die Balance zwischen Kontinuität und Wandel: Die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise der CSU Thomas Huber

1 Einführung: Zur Rolle und Bedeutung der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise in der Geschichte der CSU Die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise sind seit vielen Jahrzehnten ein wesentlicher Bestandteil der Parteistruktur der Christlich-Sozialen Union (Mintzel 1977, S. 185–191). Sie sind in ihrer Gesamtheit in allen bayerischen Bezirken, allen Landkreisen und kreisfreien Städten sowie in praktisch allen Kommunen präsent. In ihnen engagieren sich zahlreiche Parteimitglieder, aber auch viele andere bayerische Bürgerinnen und Bürger, die nicht der CSU angehören. Der Verfasser dieses Beitrags war und ist selbst Mitglied bzw. Ortsund Kreisvorsitzender mehrerer dieser Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise im Landkreis Ebersberg, in Oberbayern sowie auf Landesebene. Er möchte mit diesem Artikel einen Beitrag zur aktuellen Reformdiskussion innerhalb der CSU leisten. Die Rolle der Arbeitsgemeinschaften in der Geschichte der CSU wurde in der politikwissenschaftlichen Forschung wiederholt untersucht. Dazu verweist der Verfasser für die Jahre bis 1972 auf die seit langem dazu als Standardwerk T. Huber (*)  Grafing b.M., Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_10

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geltende Studie von Alf Mintzel „Die CSU. Anatomie einer konservativen Volkspartei 1947–1972“ (Mintzel 1975). Was die jüngere Geschichte der Arbeitsgemeinschaften der CSU anbelangt, so hat sie Tobias Nerl in seinem Beitrag für den Sammelband „Die CSU. Strukturwandel, Modernisierung und Herausforderung einer Volkspartei“ bereits 2010 ausführlich beschrieben und analysiert (Nerl 2010). Innerhalb der acht Arbeitsgemeinschaften der CSU, so Nerl, hätten Junge Union, Frauen-Union und Senioren-Union eine „herausgehobene Stellung“, die sich deutlich in ihrer innerparteilichen Vertretung herauskristallisierten: „Lediglich die JU und die FU konnten sich allerdings als größte Arbeitsgemeinschaften effektiv im vorpolitischen Raum etablieren, und ihnen kann die Rolle als politische Multiplikatoren zugestanden werden“ (Nerl 2010, S. 409–410). Diese Multiplikatorenrolle, so Nerl weiter, treffe auf die anderen Arbeitsgemeinschaften abgestuft in geringerem Maße zu. Nach der auf eigenen jahrzehntelangen Mitgliedschaften in mehreren Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen fußenden Kenntnis des Verfassers ist diese Beschreibung und Analyse nach wie vor in den wesentlichen Punkten zutreffend. Den Arbeitsgemeinschaften kommt, wie Nerl richtig schreibt, auch heute noch „eine bedeutende Rolle zu: die interessenspezifische Verankerung der CSU im vorpolitischen Raum“ (Nerl 2010, S. 410). Der Verfasser verweist deshalb zur Entstehungsgeschichte sowie zur Mitgliedsentwicklung der Arbeitsgemeinschaften der CSU in den vergangenen Jahrzehnten auf diesen Beitrag. In Ergänzung zu Nerl stellt der Verfasser aufgrund seiner eigenen Erfahrung allerdings fest, dass sich neben der JU und der FU in den vergangenen Jahren auch die 1999 gegründete Senioren-Union mit ihren derzeit über 12.000 Mitgliedern effektiv im vorpolitischen Raum etablieren konnte. Sie nimmt daher ebenfalls eine wichtige – und aufgrund der demografischen Entwicklung sicherlich weiter steigende – Rolle als Multiplikator der CSU-Politik ein. Der Schwerpunkt meiner Betrachtungen liegt auf der Beschreibung des Status Quo der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise an der Schwelle zum dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. Darüber hinaus werde ich aber auch die für die CSU als „Modell mit Zukunft“ wichtige Frage erörtern, welche Rolle die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise künftig innerhalb der Partei spielen sollten bzw. nach ihrem eigenen Verständnis spielen möchten. Dabei liegt der Fokus auch auf deren Beteiligung an der aktuellen Parteireform. Um das leisten zu können, hat der Verfasser im Juni 2019 die Landesvorsitzenden aller Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise der CSU angeschrieben und ihnen sieben Fragen zu ihren Vorschlägen für die Parteireform der CSU gestellt. Darauf wird weiter unten ausführlich eingegangen.

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2 Der Status Quo der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise der CSU Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Menschen, die in Deutschland Mitglied einer politischen Partei sind, mit Ausnahme eines einzigen Jahres permanent gesunken (Rossmann 2019). Bis heute hat sie sich fast halbiert. Im Bundestagswahljahr 2017 verzeichneten die Parteien mit +1,8 % erstmals wieder gestiegene Mitgliederzahlen. Diese Aufwärtsentwicklung setzte sich im Jahr 2018 – in dem in Bayern und Hessen Landtagswahlen stattfanden – allerdings nicht fort, alle Parteien zusammen verloren 0,2 % ihrer Mitglieder. Berücksichtigt man, dass Grüne und AfD ein Plus von 15,7 bzw. 21,3 % verzeichnen konnten, dann kann man daraus unschwer errechnen, dass die Verluste der mitgliederstärksten Parteien SPD sowie CDU und CSU deutlicher ausfielen als minus 0,2 % (Niedermayer 2019). Die Mitgliederzahl der Christlich-Sozialen Union ist seit 1990 um 25,7 % gesunken. Zum Stichtag 31. Dezember 2018 hatte die Partei 138.354 Mitglieder. Laut Generalsekretär Markus Blume konnte die CSU im Jahr 2019 allerdings bereits rund 6000 Mitglieder gewinnen und lag Mitte 2019 wieder bei deutlich über 140.000 Mitgliedern.1 Obwohl die CSU seit 1990 rund ein Viertel ihrer Mitglieder vor allem durch Austritt oder Ableben verloren hat, bescheinigt ihr der Parteienforscher Oskar Niedermayer allerdings nach wie vor die größte „Rekrutierungsfähigkeit“ aller Parteien, worunter er den Anteil der Parteimitglieder an den Parteibeitrittsberechtigten definiert: „Ende 2017 waren knapp 1,3  Prozent der bayerischen Bevölkerung ab 16 Jahren Mitglied in der CSU, während die CDU nur 0,7 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren außerhalb Bayerns und die SPD nur 0,6 Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung ab 14 Jahren für eine Mitgliedschaft gewinnen konnte“ (Niedermayer 2019, S. 2). Die Mitglieder aller anderen Parteien, so Niedermayer, erreichten nicht einmal 0,1 % der Bevölkerung in Deutschland. Das zeigt, dass die CSU wesentlich stärker in der Bevölkerung verankert ist als alle anderen Parteien. Dazu tragen auch ihre Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise bei, die Mitte 2019 zusammen rund 110.000 Mitglieder zählten – wobei man

1CSU-Generalsekretär

Markus Blume am 29.07.2019 bei der Diskussion Parteireform in der CSU-Landesleitung.

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allerdings zahlreiche Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften berücksichtigen muss.2 Mitte 2019, also noch vor dem geplanten Reformparteitag, gab es in der CSU acht Arbeitsgemeinschaften, 12 Arbeitskreise, vier Kommissionen sowie sechs Foren, insgesamt also 30 verschiedene Gremien, die sich mit den unterschiedlichsten Themen beschäftigen.3 Hinzu kommen noch diverse Untergliederungen dieser 30 Gremien. So hat zum Beispiel der Arbeitskreis Schule, Bildung und Sport insgesamt 13 Fachausschüsse, die sich jeweils um eine Schulart (Grundschule, Mittelschule, Realschule, Gymnasium etc.) oder um schulartübergreifende Themen (Lehrerbildung/Schulentwicklung, Integration, Digitalisierung etc.) kümmern.4 Die 13 Fachausschüsse des Arbeitskreises Schule, Bildung und Sport sind ein Beispiel dafür, dass in den Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen sowie in ihren Untergliederungen viele Themen engagiert und vor allem auch vertieft diskutiert werden – von C ­ SU-Mitgliedern, aber auch von Bürgerinnen und Bürgern, die lediglich Mitglied des jeweiligen Arbeitskreises sind. Im Fall des genannten Arbeitskreises also vor allem Lehrkräfte und andere Bildungsexperten. Die große gesellschaftliche und thematische Bandbreite der Volkspartei CSU spiegelt sich deshalb gerade auch in ihren Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen (Weigl 2013, S. 102–107). Sie machen die große Vielfalt der Partei aus und sind die Garanten dafür, dass praktisch alle Themen innerhalb der Gesamtpartei permanent reflektiert und diskutiert werden.

2.1 Die Arbeitsgemeinschaften der CSU Derzeit bestehen in der CSU laut §29 ihrer Satzung5 acht Arbeitsgemeinschaften: 1. Junge Union Bayern (JU), 2. Frauen-Union (FU), 3. Arbeitnehmer-Union (CSA),

2Angaben

der CSU-Landesleitung, 23.07.2019.

3https://www.csu.de/partei/parteiarbeit. 4https://www.csu.de/partei/parteiarbeit/arbeitskreise/aks/wir-ueber-uns. 5Satzung

der C ­ hristlich-Sozialen Union, Stand 15. Dezember 2017. www.csu.de/common/ csu/content/csu/hauptnavigation/partei/satzung/20171215_Satzung.pdf.

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4. Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaft (AGL), 5. Kommunalpolitische Vereinigung (KPV), 6. Mittelstands-Union (MU), 7. Union der Vertriebenen (UdV), 8. Senioren-Union (SEN). Laut § 29 Abs. 7 ist es „die Aufgabe aller Arbeitsgemeinschaften“, „das Gedankengut der CSU in ihren Wirkungskreisen zu verbreiten, für die Partei Mitglieder zu werben und an der Lösung der ihren Bereich betreffenden Fragen mitzuarbeiten“. Nach § 29 Abs. 9 sind dabei „die Organe der Partei und die der Arbeitsgemeinschaften (…) zu ständiger vertrauensvoller Zusammenarbeit verpflichtet. Dies gilt auch bei der Abgabe öffentlicher Erklärungen“. Dabei unterliegen auch die Arbeitsgemeinschaften den Bestimmungen des Parteiengesetzes. Ihr organisatorischer Aufbau entspricht dem der Partei, übergeordnetes Organ auf Landesebene ist gemäß § 42 Abs. 3 der CSU-Satzung der Parteivorstand. Zu den Besonderheiten der Arbeitsgemeinschaften und auch der Arbeitskreise der CSU gehört, dass ihre Mitglieder nicht Mitglied der CSU sein müssen.

2.2 Aufgaben, Mitgliederzahlen, Strukturen, Vorsitzende Junge Union Bayern (JU) Die Junge Union Bayern, die Nachwuchsorganisation der Christlich-Sozialen Union, ist mit rund 22.500 Mitgliedern Mitte ­20196 die größte politische Jugendbewegung in Bayern. Mitglied kann man zwischen dem 14. und dem 35. Lebensjahr werden, wobei Funktionsträger auch über die Altersgrenze hinaus erst mit dem Ende ihrer Amtszeit aus der JU ausscheiden müssen. Aufgabe der JU ist es, junge Menschen an die Politik heranzuführen, die politische Meinungsbildung junger Menschen zu fördern und damit Generationenbrüche zu vermeiden (Gruber 2010). Die Junge Union Bayern ist gleichzeitig ein Landesverband der JU Deutschlands und dementsprechend auch Mitglied in allen Gremien auf Bundesebene (Junge Union Bayern 1997). Sie gliedert sich bayernweit in 10 Bezirks- und 107 Kreisverbände sowie 757 Ortsverbände.7 Landesvorsitzender ist

6CSU-Generalsekretär

Markus Blume am 29.07.2019 bei der Diskussion Parteireform in der ­CSU-Landesleitung. 7CSU-Generalsekretär Markus Blume am 29.07.2019 bei der Diskussion Parteireform in der CSU-Landesleitung.

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seit September 2019 Christian Doleschal. Die Berufung seines Vorgängers Hans Reichhart zum Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr im November 20188 unterstreicht den hohen Stellenwert der Jungen Union innerhalb der CSU. Frauen-Union (FU) Die Frauen-Union ist die Frauenarbeitsgemeinschaft der CSU. Sie wurde 1947 gegründet und hat heute rund 23.500 Mitglieder.9 Im Gegensatz zur Jungen Union ist die FU Bayern kein Landesverband der Frauen-Union der CDU, sondern deren Schwesterorganisation (Frauen-Union der CSU 1997). Sie gliedert sich bayernweit in 10 Bezirks- und 105 Kreisverbände sowie 516 Ortsverbände.10 Vorsitzende ist seit September 2019 die ehemalige bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf. Christlich-Soziale Arbeitnehmerunion (CSA) Die 1947 gegründete CSA ist die Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte, Beamte und Auszubildende sowie Rentner und Pensionäre sowie auch der Menschen mit Behinderung) in der CSU und versteht sich als „Sozialer Motor“ der Partei (Walker 2000). In diesem Sinne sieht sie sich „als Denkfabrik der CSU für die Fragen der Sozial- und Arbeitspolitik“.11 Die CSA will laut § 2 Abs. 2 ihrer Geschäftsordnung „eine zukunftsorientierte Gesellschaftspolitik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes und des Modells der sozialen Marktwirtschaft mit einem Höchstmaß an persönlicher Freiheit und sozialer Gerechtigkeit gestalten. Sie versteht sich als Forum für den Austausch von Informationen und der Entwicklung von Ideen zu den Themen Arbeit, Soziales, Familie und Gesellschaft.“12 Die CSA hat heute rund 4300 Mitglieder. Seit 2018 ist der Augsburger Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich ihr Landesvorsitzender.

8https://www.br.de/nachrichten/bayern/hans-reichhart-vom-ju-chef-zum-minister,R9HXfsQ. 9CSU-Generalsekretär

Markus Blume am 29.07.2019 bei der Diskussion Parteireform in der ­CSU-Landesleitung. 10CSU-Generalsekretär Markus Blume am 29.07.2019 bei der Diskussion Parteireform in der CSU-Landesleitung. 11https://www.csu.de/partei/parteiarbeit/arbeitsgemeinschaften/csa/ueber-uns. 12https://www.csu.de/common/csu/content/csu/hauptnavigation/partei/parteiarbeit/csa/ CSA-Geschaeftsordnung_-_Stand_05.03.2018.pdf.

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Arbeitsgemeinschaft für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (ELF) Die Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaft wurde 1963 gegründet und ist die Interessenvertretung der bäuerlichen Landwirtschaft innerhalb der CSU. Sie tritt dafür ein, „in Zeiten zunehmenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels […]“ die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten und für ihre Zukunftsfähigkeit Sorge zu tragen: „Die Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaft will die Eigentumsrechte der Landwirte wahren, die bäuerlichen Betriebe in ihrer unternehmerischen Tätigkeit stärken und für eine umweltverträgliche und nachhaltige Landbewirtschaftung einstehen. Sie gliedert sich in 7 Bezirksverbände und 57 Kreisverbände. Seit November 2011 ist die Bundestagsabgeordnete Marlene Mortler Landesvorsitzende der ELF.“13 Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) Die KPV ist, wie der Name schon sagt, die Vereinigung der Kommunalpolitiker in der CSU. Da ihr laut ihrer Geschäftsordnung alle kommunalen Mandatsträger angehören, die Mitglied der CSU oder einer ihrer Arbeitsgemeinschaften oder Arbeitskreise sind, hat sie über 15.000 Mitglieder.14 Diese Zahl schwankt damit je nach der Zahl der kommunalpolitischen Mandatsträger der CSU. Die KPV entwirft kommunalpolitische Konzepte und setzt sie mit den Mandatsträgern der CSU auf allen politischen Ebenen um. Landesvorsitzender ist seit Dezember 2018 der Landrat des Landkreises Donau-Ries Stefan Rößle. Mittelstands Union (MU) Die Mittelstands-Union ist die Arbeitsgemeinschaft der mittelständischen Unternehmer innerhalb der CSU. Sie setzt sich „für eine freiheitliche, zukunftsorientierte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf dem Fundament der Sozialen Marktwirtschaft ein. Wir vertreten den Mittelstand und die Mittelschicht auf allen politischen Ebenen und vereinen Unternehmer, Selbstständige sowie leitende Angestellte, wobei wir immer auch die Interessen der Arbeitnehmer im Blick haben. Wir stehen für eine verantwortungsbewusste, solide, rational sachliche und ordnende Politik. Wir wollen, dass der Wirtschaftsstandort

13https://www.csu.de/partei/parteiarbeit/arbeitsgemeinschaften/elf/ueber-uns. 14https://www.csu.de/common/csu/content/csu/hauptnavigation/partei/parteiarbeit/kpv/

KPV-Geschaeftsordnung.pdf.

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zukunftsfähig und innovationsstark bleibt. Wir fordern Entlastungen hinsichtlich Bürokratie und Steuer, um unternehmerische Freiheit zu sichern. Wir sind der Kümmerer und Ansprechpartner für den Mittelstand.“15

Der Landesverband hat zehn Bezirke (diese haben Kreisverbände) und sieben Fachausschüsse. Die Mittelstands-Union gehört als Landesverband der ­Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) an. Landesvorsitzender ist seit Dezember 2018 der ehemalige bayerische Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer. Ende 2019 hatte die Mittelstands-Union Bayern fast 4000 Mitglieder. Union der Vertriebenen (UdV) Die Union der Vertriebenen und Aussiedler (UdV) ist die älteste Arbeitsgemeinschaft der CSU. Sie wurde 1947 gegründet, um die Interessen der deutschen Vertriebenen, Flüchtlinge und Aussiedler zu vertreten. Die UdV tritt „für die internationale Ächtung von Vertreibungen, die Aufhebung von Unrechtsdekreten, das Recht auf Heimat als Menschenrecht, die Förderung und den Erhalt der Kulturarbeit der Heimatvertriebenen und die Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen ein. Außerdem liegt uns die Aufnahme, Unterstützung und Integration deutscher Aussiedler sehr am Herzen“.16 Die UdV gliedert sich in 7 Bezirksverbände, zahlreiche Kreisverbände sowie einige Ortsverbände. Landesvorsitzender ist seit 1997 der ehemalige Europaabgeordnete Bernd Posselt. Senioren-Union (SU) Die Senioren-Union der CSU wurde 1999 gegründet und ist damit die jüngste Arbeitsgemeinschaft der Partei. Ihr Ziel es ist, die Anliegen der älteren Generation zu bündeln und gegenüber Politik und Gesellschaft zu vertreten. Die Senioren-Union der CSU verfügt bayernweit über 10 Bezirks- und rund 100 Kreisverbände. Sie hat derzeit über 12.000 Mitglieder mit steigender Tendenz.17 Landesvorsitzender der Senioren-Union ist seit 2013 Staatsminister a.D. Thomas Goppel.

15https://www.csu.de/partei/parteiarbeit/arbeitsgemeinschaften/mu/ueber-uns. 16https://www.csu.de/partei/parteiarbeit/arbeitsgemeinschaften/udv/ueber-uns. 17Angaben

der CSU-Landesleitung, 23.07.2019.

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2.3 Arbeitskreise Nach § 30 Abs. 1 der CSU-Satzung kann der Parteivorstand auch „die Gründung und Auflösung von Arbeitskreisen beschließen“. Laut § 30 Abs. 2 haben sie folgende Aufgaben: „Aufgaben der Arbeitskreise sind insbesondere die Vorberatung von Themen ihrer Politikfelder und ihrer Berufsfelder oder Gruppen in die CSU hinein und die Verbreitung des Gedankenguts der CSU in ihren Wirkungskreisen.“ Aktuell bestehen in der CSU 12 Arbeitskreise: • • • • • • • • • • • •

Außen- und Sicherheitspolitik (ASP) Umweltsicherung und Landesentwicklung (AKU) Schule, Bildung und Sport (AKS) Hochschule und Kultur (AKH) Evangelischer Arbeitskreis (EAK) Polizei und Innere Sicherheit (POL) Öffentlicher Dienst (OeD) Juristen (AKJ) Gesundheitspolitischer Arbeitskreis (GPA) Energiewende (AKE) Arbeitskreis Netzpolitik der CSU (CSUnet) Migration und Integration (AK MIG).

3 „Wir wollen zurück zu alter Stärke“: Das Jahr 2019 als „Jahr der Erneuerung“ der CSU und die Rolle der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise Wer die Herausforderungen richtig einordnen will, vor denen die CSU insgesamt als Partei sowie ihre derzeit acht Arbeitsgemeinschaften und zwölf Arbeitskreise aktuell stehen, muss zunächst einen Blick auf die seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 für die CSU massiv veränderten politischen Rahmenbedingungen im Bund und in Bayern werfen. Diese Umbrüche kamen vor allem in der Bundestagswahl 2017 und in der bayerischen Landtagswahl 2018 zum Ausdruck, die daher eingangs kurz rekapituliert werden sollen.

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3.1 Die Bundestagswahl 2017 und die Landtagswahl 2018 als Auslöser für die Parteireform der CSU Die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen im Bund begann für die CSU, die seit 1953 bei allen Bundestagswahlen (mit einer Ausnahme 2009) immer Ergebnisse von an die 50 % bis sogar 60 % erzielte18, mit der Bundestagswahl am 24. September 2017. Sie endete für die Partei mit einem in dieser Dimension unerwarteten Stimmenverlust von 10,5 Prozentpunkten gegenüber 2013. Die CSU kam nur noch auf 38,8 % der Stimmen, ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit 1949. Neben der CSU war auch die SPD klare Verliererin der Wahl: Sie verlor 4,7 Prozentpunkte und kam nur noch auf 15,3 %, was auch für sie das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl in Bayern überhaupt bedeutete. Gewinner der Wahl waren die AfD, die 12,4 % erreichte (+8,1), die FDP mit 10,2 % (+5,1), die Grünen mit 9,8 % (+1,4) sowie die Linke mit 6,1 % (+2,3).19 Bei der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober 2018 setzte sich dieser Negativtrend für die CSU fort. Sie verlor erneut 10,5 Prozentpunkte und kam nur noch auf 37,2 % – ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl seit 1950. Wie schon bei der Bundestagswahl war auch die SPD die zweite klare Verliererin der Wahl: Sie verlor mit 11,0 Prozentpunkten mehr als die Hälfte ihres Ergebnisses von 2013 und unterschritt mit 9,7 % sogar erstmals die 10 %-Marke. Hauptgewinner der Wahl waren die Grünen, die ihr Ergebnis von 2013 mehr als verdoppeln konnten und mit 17,6 % erstmals bei einer Wahl in Bayern zur zweitstärksten Partei wurden (+9,0) sowie die erstmals bei einer Landtagswahl in Bayern angetretene AfD, die 10,2 % erreichte. Stimmengewinne verzeichneten auch die Freien Wähler mit 11,6 % (+2,6), die FDP mit 5,1 % (+1,8) sowie die Linke mit 3,2 % (+1,1). Das bedeutete für die CSU nicht nur den Verlust der absoluten Mehrheit der Mandate, welche die Partei in der Legislaturperiode 2013–2018 hatte, sondern auch, dass sie sich einen Koalitionspartner suchen musste, um erneut den bayerischen Ministerpräsidenten stellen zu können.20 Dieser Koalitionspartner

18https://de.statista.com/statistik/daten/studie/754340/umfrage/stimmenanteile-der-csu-in-

bayern-bei-den-bundestagswahlen. 19https://www.bundestagswahl2017.bayern.de. 20https://www.landtagswahl2018.bayern.de.

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wurde mit den Freien Wählern dann auch rasch gefunden, sodass seitdem in Bayern eine Koalition aus CSU und Freien Wählern regiert.21

3.2 CSU-Parteitag 2019 gibt Startschuss zur Parteireform Die Christlich-Soziale Union hat das schlechte Abschneiden bei diesen beiden Wahlen dann zum Anlass genommen, die Gründe dafür eingehend zu analysieren. Auf ihrem Parteitag am 19. Januar 2019 in München, auf dem der seit dem 16. März 2018 als Nachfolger von Horst Seehofer als bayerischer Ministerpräsident amtierende Markus Söder auch zu dessen Nachfolger als CSU-Vorsitzender gewählt wurde, legte der Parteivorstand den rund 1000 Delegierten einen Leitantrag zur Parteireform „Unsere CSU: Die Volkspartei des 21. Jahrhunderts“ vor.22 Darin wird eingangs festgestellt, dass sich die Bedingungen für Volksparteien in ganz Europa veränderten, die CSU aber am Konzept Volkspartei festhalte: „Auch wenn die Wahlergebnisse bei den letzten Wahlen die schwierigeren Umstände widerspiegeln: Wir finden uns nicht einfach mit solchen Wahlergebnissen ab, sondern wollen zurück zu alter Stärke.“ Deshalb wolle die CSU die Idee der Volkspartei „revitalisieren“, diese aber gleichzeitig erneuern: „Wir wollen Volkspartei bleiben und Zukunftsbewegung werden.“ Bei der Vorstellung des Leitantrags betonte Generalsekretär Markus Blume, 2019 solle für die CSU „das Jahr der Erneuerung“ werden: „Wir wollen neue Begeisterung entfachen. Nur wenn wir uns bemühen, jünger und weiblicher zu werden, werden wir es schaffen, als Volkspartei tief verankert zu bleiben.“ Der Leitantrag, so Markus Blume, gehe aber noch weiter: „Wir wollen uns mehr um unsere Anhänger kümmern. Die CSU als Bewegung – wir wollen neue Menschen begeistern.“ Außerdem wolle die Partei den Bürgerinnen und Bürgern neue Angebote im digitalen Bereich machen: „Wir wollen die CSU zur echten Mitmachpartei machen und neue politische Akzente setzen.“

21https://www.bayern.de/staatsregierung/koalitionsvertrag-2018-bis-2023. 22 https://www.csu.de/common/csu/content/csu/hauptnavigation/politik/beschluesse/ Beschluss-Leitantrag_Unsere_CSU__2019-01-19_BF.pdf.

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3.3 „Expertise besser für die Gesamtpartei nutzbar machen und einbinden“ – die Rolle der Arbeitsgemeinschaften bei der Parteireform In Kapitel II des Leitantrags werden explizit acht Handlungsfelder genannt, in denen sich die CSU erneuern wolle – und die natürlich auch für die im Rahmen der Parteireform vorgesehene Reform der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise gelten: u

„Unsere Mitglieder: Die CSU lebt von ihrer Basis.“

Hier wird zunächst betont, dass die CSU ihre Mitgliederbasis wieder deutlich vergrößern wolle. Deshalb müsse die Partei folgende Fragen beantworten: „Was können wir tun, um der Mitgliedschaft in unserer Partei neue Attraktivität zu verleihen? Muss es neue Formen der Parteimitgliedschaft geben? Wie können wir auf den demografischen Wandel reagieren und mehr junge Menschen für die CSU begeistern?“ u

„Unsere Anhängerschaft: Wieder näher am Menschen.“

Ziel sei es, „mit allen im Gespräch zu sein“, da eine Partei „weit über ihren Mitgliederkreis hinaus wirken“ müsse: „Wir wollen alle gesellschaftlichen Strömungen hören und diejenigen besser einbinden, die unsere Grundsätze unterstützen.“ Dabei gehe es auch um die Fragen: „Wie erneuern wir unsere Funktion als Brückenbauer zum vorpolitischen Raum und zu den Kirchen?“ und „Wie sprechen wir Zugezogene aus dem In-und Ausland, die zunehmend einen größeren Anteil der Bevölkerung in Bayern einnehmen werden, besser an?“ – beides Fragen, die natürlich auch die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise in besonderer Weise betreffen. u

„Unsere Verantwortungsträger: Die besten Köpfe für unsere Partei.“

In diesem Punkt formuliert die CSU das Ziel, die Partei breiter aufzustellen: „Wir brauchen Politiker, die die Herzen der Menschen erreichen, die begeistern können und unsere Haltung überzeugend durchsetzen und repräsentieren. Wir suchen Botschafter für unsere gemeinsamen Überzeugungen aus der Mitte unserer Anhänger und der Vielfalt der Bevölkerung.“ Um das zu erreichen, müsse die Partei darüber diskutieren, ob es offenere Wahlverfahren mit mehr direkter

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Mitbestimmung bei der Personalauswahl geben solle. Außerdem müsse erörtert werden, ob die CSU mehr internen Wettbewerb bei der Kandidatenfindung brauche. Darüber hinaus müsse eine flexiblere Auswahl der Kandidaten erreicht werden, in dem die Chancen für Quereinsteiger, Frauen und Jüngere erhöht werden. u

„Zeitgemäße Frauenförderung: Starke Frauen für die CSU.“

In diesem Abschnitt wird das klare Ziel formuliert, mehr Frauen zu gewinnen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass Frauen stärker als bisher in verantwortungsvollen Führungspositionen vertreten sind. Darüber hinaus müsse die CSU aber auch die Frage erörtern, wie ein höherer Frauenanteil in den Parlamenten erreicht werden könne: „Wie kommen wir zu einer besseren Repräsentanz von Frauen in Mandaten – in Europa, Bund, Land und Kommune?“ u

„Digitaler Fortschritt: Vorteile nutzen für die CSU.“

Bei der Reform der Partei setzt die CSU weiterhin stark auf die Digitalisierung. Ziel sei es, „die Digitalisierung besser in die Parteigliederungen (zu) tragen, um alle unsere Ehrenamtlichen an den Chancen und Vereinfachungen teilhaben zu lassen. Sie soll allen Mitgliedern und Funktionsträgern nützen und das persönliche Netz unserer Partei ergänzen.“ u

„Moderne Parteiarbeit: Die CSU als echte Mitmachpartei.“

In diesem Punkt wird explizit auf die Rolle der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise im Rahmen der Parteireform eingegangen: „Unsere Gliederungen, Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise sind Motor und Herzstück der Partei zugleich. Hier sind die Menschen, hier sind die Meinungen. Eine moderne Parteistruktur beteiligt ihre Mitglieder bestmöglich. Wir wollen die Parteiarbeit attraktiver machen. Wir geben Impulse für mehr Mitwirkung und Gestaltung und reformieren zu diesem Zwecke die Struktur der Parteiarbeit. • Mehr gestalten, weniger verwalten: Wie können wir die ehrenamtliche Parteiarbeit optimieren und satzungsgemäße Aufgaben mitglieder- und verbändefreundlicher ausgestalten? • Themenspezifisch einbringen: Wie können wir die vorhandene Expertise der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise besser für die Gesamtpartei nutzbar

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machen und einbinden? Brauchen wir neue Formate zur regelmäßigen Aussprache und Rückkopplung? • Bester Service vor Ort: Welche Anpassungen an der hauptamtlichen Parteistruktur sind erforderlich, damit wir zukunftsfest aufgestellt sind?“ u

„Starke Inhalte: Stets die Lebenswirklichkeit im Blick.“

Die CSU postuliert in diesem Abschnitt, dass sie sich „als werteorientierte Volkspartei“ an den Bedürfnissen der Menschen orientiere und sich daher „inhaltlich weiterentwickeln und die Herausforderungen unserer Zeit prägen (wolle). (…) Energie, Mobilität, Digitalisierung, Umwelt- und Klimaschutz etc. – welche Zukunftsfelder müssen wir neu denken?“ Außerdem wolle man „Visionen für Großstädte“ und „Antworten auf den urbanen Lebensstil“ geben. Dabei müsse auch die Frage gestellt werden, ob die Partei für „neue Themen neue Plattformen mit mehr Bündelung“ brauche. u

„Schnelle Kommunikation: Informationen passgenau platzieren.“

Da die Kommunikation schneller geworden sei, wolle die CSU ein besseres, einfacheres und rascheres Service-Angebot für Mitglieder, Funktionsträger und Ehrenamtliche bereitstellen und den Informationsfluss zwischen Landesleitung, Mandatsträgern und Mitgliedern verbessern. Außerdem solle „die Partnerschaft untereinander“ gestärkt werden – ein Punkt, der natürlich auch die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise betrifft. Abschließend beschreibt der Leitantrag den weiteren Weg, „wie die Parteireform aus der Basis erwächst“. So solle sich zunächst eine vom Parteivorstand zu berufende Kommission unter Leitung des Generalsekretärs mit allen Fragestellungen zur Zukunft der CSU beschäftigen, sie mit den Mitgliedern diskutieren und dann deren Ideen und Wünsche in einem Gesamtpaket zusammenfassen. Bis zum Reformparteitag im Herbst 2019 solle die Kommission dann „entscheidungsreife Vorschläge“ vorlegen. Wenig später, im Februar 2019, wandte sich der CSU-Vorsitzende Markus Söder persönlich mit einem Schreiben, das die programmatische Überschrift „Unsere CSU: Zeit für neue Stärke“ trug, an alle Mitglieder (Söder 2019). Die CSU, so Söder, lebe „als echte Volkspartei“ von ihrer Basis, die sie auszeichne und stark mache. Deshalb lade er alle Mitglieder ein, „sich beim Erneuerungsprozess einzubringen“. Er kündigte an, „in den kommenden Monaten einen Reformprozess zu starten“, in dem es darum gehe, sich „darüber auszutauschen,

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wie wir besser werden können. Dafür möchte ich in Regionalkonferenzen zuhören und Anregungen und Ideen aufnehmen.“ Gleichzeitig skizzierte er die Richtung, in die dieser Reformprozess gehen solle: „Wir wollen uns breit und thematisch offen aufstellen – als ein Team von starken Persönlichkeiten auf allen Ebenen: in Bayern, Berlin und in Europa. Die CSU hat viele starke Köpfe, die für die Breite der Volkspartei stehen. Wir wollen auch verstärkt Frauen und junge Menschen ansprechen, ohne unser Stammpublikum zu verlieren. Wir wollen als CSU aktiv den Dialog mit sozialen und ökologischen Gruppen, Kirchen, Vereinen und Verbänden führen. Die Partei soll Ort des Zuhörens und des offenen Diskurses sein!“

3.4 Die Diskussion der Parteireform mit den Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen Demgemäß lud Generalsekretär Markus Blume die Vertreter der Arbeitsgemeinschaften, Arbeitskreise, Foren und Kommissionen am 29. Juli 2019 zur ersten Diskussion der Parteireform in die CSU-Landesleitung ein.23 In seiner Begrüßung betonte er gegenüber den rund 100 Teilnehmern, „dass sich der Respekt der CSU gegenüber den Arbeitsgemeinschaften, Arbeitskreise, Foren und Kommissionen darin zeigt, dass Ihr die Ersten seid, mit denen wir sprechen“. Da sich seit geraumer Zeit vieles in der politischen Landschaft verändere, müsse sich auch die CSU verändern, um auch in Zukunft Volkspartei bleiben zu können, betonte Blume in seinem Eingangsstatement: „Wir nehmen die Herausforderung an. Wir wollen und werden Volkspartei bleiben.“ Deshalb wolle er die CSU als „Mitmachpartei“ wiederbeleben und gemeinsam mit den Vertretern der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise darüber diskutieren, wie das erreicht werden könne. Der CSU-Generalsekretär erläuterte die acht Handlungsfelder des Leitantrags und betonte, dass sich die CSU in einen politisch interessierten, aber parteipolitisch noch ungebundenen Menschen hineinversetzen müsse, der für sich die Frage stelle: „Wo bin ich mit meinen Interessen, gut aufgehoben? – also zum Beispiel Klimaschutz“. Diese Frage müsse daher als Leitfrage über der Parteireform der CSU stehen. Daraus, so Blume, ergäben sich drei weitere zentrale Fragen:

23Handschriftliche

Mitschrift von Martin Hübler, 29.07.2019.

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1. Wie können wir unsere Strukturen verbessern? 2. Wie können wir mehr Wertschätzung für die inhaltliche Arbeit (der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise) erreichen? 3. Wie können wir wieder mehr Mitglieder gewinnen? Zum ersten Punkt bemerkte er, dass es neben den Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen und ihren Untergliederungen weitere Kommissionen und Foren in der CSU gebe. Zähle man diese zusammen, käme man auf über 50 verschiedene Gremien, die zwar inhaltlich gute Arbeit leisteten, untereinander aber nur wenig zusammenarbeiten würden. Deshalb schlage er die Einführung von thematisch übergreifenden Foren vor, die als Plattform zur Beschäftigung mehrerer dafür zuständiger Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise mit einem aktuellen Thema dienen sollten. So könnten sich zum Beispiel beim Thema „Klimaschutz“ der Arbeitskreis Umwelt, der Arbeitskreis Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie der Arbeitskreis Energie zu einem Forum „Klimaschutz“ zusammenschließen, um hier rasch und effizient Vorschläge zu erarbeiten. In der Diskussion dazu betonten mehrere Vertreter der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise, dass sie ihre Unabhängigkeit behalten wollten, bekundeten aber auch ihren Willen zur Zusammenarbeit in solchen (temporären) Foren. Gleichzeitig wurde aber auch die Forderung laut, dass die Partei die inhaltliche Arbeit der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise mehr wertschätzen und ihre Expertise besser einbinden müsse.

3.5 Reformvorschläge aus den Reihen der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise Um einen Einblick in die interne Diskussion über die Parteireform in den einzelnen Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen der CSU zu geben, hat der Verfasser deren Landesvorsitzende im Juni 2019 schriftlich gebeten, ihm ihre Positionen zu sieben Fragen mitzuteilen. Die Zusammenfassungen der unten aufgeführten Antworten auf diese Fragen beruhen auf deren Stellungnahmen sowie auf Beiträgen ihrer Vertreter im Rahmen der Diskussion zur Parteireform am 29. Juli 2019 in der CSU-Landesleitung. Sie erheben nicht den Anspruch, repräsentativ für den gesamten vielfältigen Diskussionsprozess innerhalb der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise zu sein, spiegeln aber nach Auffassung des Verfassers die in ihm diskutierten zentralen Fragen gut wider.

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Fragen

Mit welchen Herausforderungen sieht sich die AG/der AK aktuell am stärksten konfrontiert? Hier wurde am häufigsten genannt, dass die Arbeitsgemeinschaften und -kreise die für ihren Bereich relevanten Themen aufgreifen, diskutieren und entsprechende Vorschläge erarbeiten müssten. Dies müsse wegen der zunehmenden Schnelllebigkeit der gesellschaftlichen Diskussion rascher geschehen als bisher, zum Beispiel beim Klimaschutz. Darüber hinaus sei es zentral für die Bedeutung der Arbeitsgemeinschaften und -kreise, mehr öffentliche Aufmerksamkeit und Bekanntheit zu erreichen. Die Arbeitsgemeinschaften der CSU zeichnet seit jeher eine starke Verankerung in ihren jeweiligen gesellschaftlichen Zielgruppen aus. Wie will die AG/der AK angesichts der zunehmenden Heterogenität in unserer Gesellschaft diese starke Verankerung auch in Zukunft erreichen? Sehr wichtig sei es, die Verzahnung der Arbeitsgemeinschaften und -kreise mit ihren jeweiligen Zielgruppen durch den Aufbau persönlicher Kontakte wieder zu verstärken. Darüber hinaus sei es unerlässlich, das Engagement der Arbeitsgemeinschaften und -kreise im vorpolitischen Raum an die gewandelten Bedingungen des digitalen Zeitalters anzupassen. Was plant die AG/der AK, um die Mitgliederbasis zu erweitern? Die Arbeitsgemeinschaften und -kreise müssten sich wieder stärker im vorpolitischen Raum engagieren, zum Beispiel durch gemeinsame Veranstaltungen mit Vereinen und Verbänden. Dazu bedürfe es einer internen und externen Kommunikationsstrategie. Da viele Arbeitsgemeinschaften und -kreise große Nachwuchsprobleme hätten, sollten sie einen eigenen Jugendbeauftragten installieren. Dessen Hauptaufgabe müsse es sein, junge Menschen für die Arbeit des jeweiligen Arbeitskreises zu interessieren und als Neumitglieder zu gewinnen. Welche digitalen Kommunikationswege hält die AG/der AK für geeignet, um die Mitglieder stärker an sich zu binden und um neue Mitglieder zu bekommen?

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Generell müsse die Präsenz aller Arbeitsgemeinschaften und -kreise in den sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Instagram erhöht werden, um mehr Aufmerksamkeit für die eigene Arbeit zu gewinnen. Zielgruppen sollten über die sozialen Medien gezielt angesprochen werden. Darüber hinaus sei eine schnellere digitale Kommunikation mit den eigenen Mitgliedern notwendig. Diese sollten auch online an Veranstaltungen teilnehmen können. Wünschenswert sei auch eine digitale Vorberatung der Anträge zum Parteitag. Auf diese Weise sollten die Mitglieder im Vorfeld darüber abstimmen können, welche Anträge auf dem Parteitag dann tatsächlich aufgerufen werden. Ein Vorschlag, der im Übrigen sofort aufgegriffen und für den Parteitag im Oktober 2019 umgesetzt wurde. Wie will die AG/der AK erreichen, mehr jüngere Menschen für eine Mitgliedschaft zu gewinnen? Als Antwort auf diese Frage wurde am häufigsten genannt, dass die Arbeitsgemeinschaften und -kreise konsequent auf Digitalisierung setzen müssten. Die Mitwirkung dürfe nicht länger vom physischen Besuch von Veranstaltungen abhängen; es müsse auch möglich sein, an jeder Mitglieder- und Delegiertenversammlung online teilzunehmen. Um die CSU-Mitglieder sowie politisch Interessierte besser einzubinden, sollten regelmäßig Online-Befragungen zu aktuellen politischen Themen durchgeführt werden. Was plant die AG/der AK, um mehr weibliche Mitglieder zu gewinnen? Die Arbeitsgemeinschaften und -kreise sprechen sich unisono für eine stärkere Einbeziehung von weiblichen Mitgliedern in die Struktur- und Entscheidungsprozesse innerhalb der CSU und die Erhöhung des Frauenanteils in ihren jeweiligen Vorständen aus. Eine Quoten-Lösung ist allerdings umstritten. Darüber hinaus sollten sich die dafür infrage kommenden Arbeitsgemeinschaften und -kreise stärker mit solchen Themen beschäftigen, die vor allem Frauen interessieren. Welche sonstigen Vorschläge zur künftigen Rolle/Struktur der Arbeitsgemeinschaften hat die AG/der AK? Die Arbeitsgemeinschaften und -kreise wünschen sich, dass ihre inhaltliche Arbeit und Expertise von der CSU stärker beachtet und mittels konkreter Fragen und Arbeitsaufträge besser in die politische Arbeit der Gesamtpartei einbezogen wird. Wichtig sei auch, dass die Arbeitsgemeinschaften und -kreise bei

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plötzlich auftretenden Themen wieder stärker als „Frühwarnsystem“ der Partei funktionieren müssten, damit keine „Megatrends“ wie zum Beispiel der Klimaschutz verpasst werden. Der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgemeinschaften und -kreisen müsse verbessert werden, da es viele komplexe Themen gebe, die in den Zuständigkeitsbereich mehrerer Arbeitsgemeinschaften und -kreise fielen. Es solle aber keine Zusammenlegung von Arbeitsgemeinschaften geben, da diese in ihren jeweiligen Bereichen eine gute und wichtige inhaltliche Arbeit leisten würden. Digitale Tools wie z. B. Onlineumfragen sollten weiter ausgebaut werden, um gezielt Mitglieder und Sympathisanten der CSU nach ihrer Meinung zu fragen und um Stimmungstrends frühzeitig zu erkennen.

3.6 CSU-Parteitag 2019 beschließt Parteireform Der 85. Parteitag der CSU am 18./19. Oktober 2019 in der Münchener Olympiahalle stand unter dem Motto „Aufbruch Bayern, Zukunft Deutschland“ ganz im Zeichen der Parteireform. Nach einer langen, intensiven und kontroversen Debatte stimmten die Delegierten mehrheitlich dem 75 Punkte umfassenden Leitantrag des Parteivorstands und damit auch den Vorschlägen zur Reform der Arbeitsgemeinschaften und -kreise zu.24 Im Mittelpunkt der Debatte stand die vom Parteivorstand vorgeschlagene verpflichtende Ausweitung der Frauenquote auf alle Ebenen der Partei. Diesem Vorschlag stimmten die Delegierten jedoch nur in abgeschwächter Form zu. Die bisherige 40 %-Quote bei Landes- und Bezirksvorständen gilt zwar künftig auch für Kreisvorstände, allerdings nicht, wie vom Parteivorstand vorgeschlagen, als bindende Muss-, sondern nur als empfehlende Soll-Bestimmung. Die engeren Vorstände – also Vorsitzender, stellvertretende Vorsitzende, Schatzmeister, Schriftführer, Digitalbeauftragter – müssen aber künftig auf Landes- und Bezirksebene mit Frauen und Männern paritätisch besetzt sein. Auf Kreisebene ist diese paritätische Besetzung ebenfalls eine Soll-Regelung.25

24Leitantrag

zur Parteireform – Aufbruch in eine neue Zeit. https://www.csu.de/politik/ beschluesse/leitantrag-zur-parteireform-aufbruch-in-eine-neue-zeit. 25Parteitag zerpflückt Leitantrag zur CSU-Reform. https://www.merkur.de/politik/csu-chefsoeder-nach-gescheiterem-plan-fuer-frauenquote-wirft-uns-um-jahre-zurueck-13137071. html.

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4 Fazit und Ausblick: Zur künftigen Rolle der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise der CSU Auch wenn der allgemeine Trend zum Rückgang parteipolitischer Bindungen in Deutschland in den letzten Jahren nicht vor den Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen der CSU Halt gemacht hat, werden sie dennoch auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil der Volkspartei CSU bleiben. Allein ihre noch immer beeindruckende Zahl von rund 110.000 Mitgliedern und ihre Verwurzelung in allen Regionen und Gesellschaftsschichten sind Garanten dafür, dass die CSU wesentlich stärker in der bayerischen Bevölkerung verankert bleibt als alle anderen Parteien (Hermannseder 2014). Die Arbeitsgemeinschaften und -kreise spiegeln durch ihre Konzentration auf Sachthemen und die entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen und Verbände auch in besonderer Weise das CSU-Motto „Näher am Menschen“. Zu ihren Kernkompetenzen und ihren Stärken gehört die Tatsache, dass sie sich intensiv und vor allem auch permanent mit Themen auseinandersetzen, die für viele Menschen sehr wichtig sind – die aber in der Gesamtpartei CSU und auch in der Öffentlichkeit mangels Zeit oder öffentlicher Aufmerksamkeit nicht oder nur oberflächlich, weil wenig „medientauglich“, diskutiert werden. Gleichwohl müssen sich die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise aber auch verändern, um ihre Scharnierfunktion als politische Multiplikatoren in einer veränderten politischen und medialen Landschaft aufrechterhalten zu können. Dafür ist eine zeitgemäße Kommunikation mit ihren eigenen Mitgliedern und den relevanten Zielgruppen unerlässlich. Denn nur so können auch in Zukunft breite Kreise der Bevölkerung und vor allem wieder mehr junge Menschen erreicht werden. Und das wiederum ist die Grundvoraussetzung dafür, dass auch neue Mitglieder gewonnen werden können. Als einzig verbliebene Volkspartei in Bayern darf die CSU dabei aber gleichzeitig nicht den Fehler machen, ihr Stammpublikum aus den Augen zu verlieren (Deininger 2020). Positiv für die CSU ist, dass sowohl viele Führungspersönlichkeiten als auch einfache Mitglieder der Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise diese Notwendigkeit zur Veränderung nicht nur erkannt, sondern ihre diesbezüglichen Vorschläge auch sehr engagiert in den Reformprozess der CSU eingebracht haben. Die Reformdiskussion hat die Volkspartei CSU belebt und ist für sie daher ein echter Gewinn. Die Arbeitsgemeinschaften und -kreise der CSU spiegeln in ihrer

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Vielfalt die ständig wachsende Komplexität unseres Lebens und der zu treffenden politischen Entscheidungen. Der Verfasser ist deshalb der festen Überzeugung, dass sie auch in Zukunft ein unerlässliches Korrektiv zur von vielen Menschen beklagten Oberflächlichkeit der Politik sind, bei der wichtige und oftmals sehr komplexe Nachrichten in 30-Sekunden-Statements oder in wenige Zeichen bei Twitter ‚gepresst‘ werden. In den Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen der CSU engagieren sich ehrenamtlich viele hoch qualifizierte Frauen und Männer. Ihre Expertise ist ein Schatz, den die CSU stärker als bisher heben und in ihre politische Arbeit einbringen sollte. Die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise selbst stehen jetzt vor der großen Aufgabe, die für die CSU als Partei sowie für sie selbst erfolgversprechende Balance zwischen Kontinuität und Wandel zu finden. Gelingt ihnen das, dann werden sie auch in Zukunft wichtige inhaltliche Beiträge zur Politik der CSU liefern können.

Literatur Deininger, Roman. 2020. Die CSU. Bildnis einer speziellen Partei. München: Beck. Frauen-Union der CSU, Hrsg. 1997. 50 Jahre Frauen-Union. Augsburg: Hofmann-Druck. Gruber, Andreas K. 2010. Auf dem Weg zur politischen Führung: Die Junge Union als Kaderschmiede der CSU. In Die CSU. Strukturwandel, Modernisierung und Herausforderungen einer Volkspartei, Hrsg. Gerhard Hopp, Martin Sebaldt, und Benjamin Zeitler, 479–497. Wiesbaden: VS Verlag. Hermannseder, Eveline. 2014. Europas letzte Volksparteien. Die Christlich-Soziale Union und die Südtiroler Volkspartei im Vergleich. Baden-Baden: Nomos. Junge Union Bayern, Hrsg. 1997. 50 Jahre Junge Union Bayern. Zukunft einer Volkspartei. 1947–1997. Grünwald: Atwerb. Mintzel, Alf. 1975. Die CSU: Anatomie einer konservativen Volkspartei 1947–1972. Opladen: Westdeutscher Verlag. Mintzel, Alf. 1977. Geschichte der CSU. Ein Überblick. Opladen: Westdeutscher Verlag. Nerl, Tobias. 2010. Auf Stimmen- und Mitgliederfang im vorpolitischen Raum – Die Rolle der Arbeitsgemeinschaften. In Die CSU. Strukturwandel, Modernisierung und Herausforderungen einer Volkspartei, Hrsg. Gerhard Hopp, Martin Sebaldt, und Benjamin Zeitler, 393–416. Wiesbaden: VS Verlag. Niedermayer, Oskar. 2019. Parteimitglieder in Deutschland: Version 2019, Arbeitsheft aus dem Otto-Stammer-Zentrum, Nummer 30. Berlin: Freie Universität Berlin. Rossmann, Robert. 2019. Es war nur ein Sommertraum… Im Jahr 2017 verzeichneten die Parteien in Deutschland erstmals gestiegene Mitgliederzahlen – Doch inzwischen setzt sich der Niedergang fort. Süddeutsche Zeitung, 29. Juli.

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Söder, Markus. 2019. Unsere CSU: Zeit für neue Stärke. Brief des CSU-Vorsitzenden an alle CSU-Mitglieder. München. Walker, Thomas. 2000. Die Arbeitnehmer-Union in der CSU. Geschichte und Strukturen der CSA von 1953 bis 1990. München: Hanns-Seidel-Stiftung. Weigl, Michael. 2013. Die CSU. Akteure, Entscheidungsprozesse und Inhalte einer Partei am Scheideweg. Baden-Baden: Nomos.

Organisation

Das Kapital der Realpräsenz: Die CSU als lebendige Parteiorganisation Gerhard Hopp und Benjamin Zeitler

1 Einführung Als eine tragende Säule für den Parteierfolg der CSU hat sich im Laufe der Jahrzehnte die breite Parteistruktur vom kleinen Dorf bis hinein in die Großstadt erwiesen. Die flächendeckende Organisation in Orts-, Kreis- und Bezirksverbänden zeigt die historisch gewachsene, bayernweite Verankerung der CSU. Doch erst die professionelle Organisation in Form der Landesleitung sorgt dafür, dass diese breite Basis auch erfolgreich gemanagt werden kann. Gerade die Verknüpfung einer breiten ehrenamtlichen Basis mit einer starken hauptamtlichen Parteizentrale hat maßgeblich dafür gesorgt, dass die CSU auch im 21. Jahrhundert noch erfolgreiche Mehrheits- und Regierungspartei in Bayern ist. Darüber hinaus spielt die CSU-Landesleitung auch in der Bundes- und Europapolitik eine wichtige Rolle, gerade im Vergleich zu Landesgeschäftsstellen anderer Parteien: In der Münchner Parteizentrale werden sowohl die organisatorischen Stränge innerhalb Bayerns als auch die bundes- und europa-

G. Hopp (*)  Runding, Deutschland E-Mail: [email protected] B. Zeitler  Weiden, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_11

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politischen Aktivitäten gebündelt. Die Scharnierfunktion der CSU-Landesleitung besteht demzufolge nicht nur darin, nach außen zu wirken und die Partei in ihrer Arbeit zu unterstützen (Großveranstaltungen, Wahlkämpfe usw.), sondern auch ein Stimmungsbild von der Parteibasis nach oben zu vermitteln. Zudem wird der Parteizentrale eine wichtige Rolle bei formalen und informellen Abstimmungen der unterschiedlichen Akteursgruppen innerhalb der CSU zugeschrieben (Kießling 2004, S. 100–106). Neben einem umfassenden Anspruch an das Kommunikationsmanagement, dem im Prinzip alle Parteizentralen in vergleichbarer Form gerecht werden müssen, hat die Landesleitung ein spezielles Aufgabenportfolio, das dem bereits erwähnten bundes- und europapolitischen Anspruch der Regionalpartei CSU geschuldet ist. So will sie nicht mit den Landesgeschäftsstellen der anderen Parteien, sondern mit deren Berliner Bundesgeschäftsstellen auf Augenhöhe agieren. Folglich ist ihr Selbstverständnis auch, sich bei Organisation, Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen wie Parteitagen mit dem Konrad-Adenauer- oder dem Willy-Brandt-Haus zu messen (Zolleis 2010). Im Umkehrschluss macht ihre einzigartige Position aus, dass sie sowohl landespolitische Aspekte (Kommunen und Bezirke, Landtagsfraktion, Staatsregierung) als auch den bundes- und europapolitischen Anspruch (CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Beteiligung an der Bundes­ regierung, CSU-Gruppe im Europäischen Parlament) in ihrer Arbeit verknüpft und von München aus ihren Gestaltungsanspruch deutlich macht (Weigl 2013). Diesen komplexen Zusammenhang gilt es im Folgenden genauer zu erschließen.

2 Die CSU als Partei der Regionen Nach Paragraf 12 der CSU-Satzung gliedert sich die CSU in Orts-, Kreis- und Bezirksverbände (CSU 2017, S.  13). Damit decken sich die Gebietsverbände weitgehend mit den staatlichen Verwaltungseinheiten in Bayern, gehen aber darüber hinaus. Dies zeigt sich gerade auf Ortsebene. So stehen den 2056 Gemeinden in Bayern rund 2800 Ortsverbände gegenüber (Kießling 2004, S. 76). Für die CSU erweist sich dabei immer noch als Vorteil, dass die Ortsverbände nach der Gebietsreform 1979 in vielen ehemaligen Gemeinden bestehen blieben und somit die örtliche Bindung deutlich stärker war. Darin liegt auch begründet, dass die CSU weiterhin hohe Mitgliederzahlen hat und diese auch im gesamten Bayern nachweisen kann.

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Jahr

CSU-Mitglieder in Bayern

Jahr

CSU-Mitglieder in Bayern

1991

185.429

2007

167.302

1995

178.027

2009

160.900

1997

180.165

2011

150.181

1999

182.426

2013

148.291

2001

178.497

2015

143.972

2003

178.365

2017

140.631

2005

173.000

2019

140.876

Quelle: Hanns-Seidel-Stiftung (2018, S. 1–2) Zwar hat auch die CSU mit rückläufigen Mitgliederzahlen zu kämpfen, jedoch sind diese bei weitem weniger dramatisch als bei anderen Parteien. So verliert die CSU 25,6 % ihrer Mitglieder zwischen den Jahren 1990 und 2018. Dieser Mitgliederschwund fällt deutlich geringer aus als etwa bei der CDU (47,5 % weniger Mitglieder) und der SPD (53,6 % weniger Mitglieder) für den Vergleichszeitraum (Niedermayer 2019, S. 6). Auf Kreisebene stehen den 71 Landkreisen und 25 kreisfreien Städten 105 CSUKreisverbände gegenüber (CSU 2019a). Hier gleicht sich die Organisationsstruktur im Wesentlichen den kommunalen Gebietskörperschaften an mit der Ausnahme, dass in den großen Städten Augsburg, München und Nürnberg jeweils mehrere Kreisverbände existieren. Auf der dritten Ebene schließlich gliedert sich die Partei in zehn Bezirksverbände. Neben den sieben Regierungsbezirken gibt es je einen Bezirksverband für die Städte Augsburg, München sowie den Städteverbund Nürnberg-FürthSchwabach. Formell ist die Stellung der Bezirksverbände in § 20 der CSU-Satzung geregelt. Absatz 1 beschreibt dabei die Zusammensetzung des Bezirksvorstands, Absatz 2 die Aufgaben dieses Gremiums. Dazu zählt die Satzung vor allem die Vertretung der Partei im Bereich des Bezirksverbands, die Behandlung dringlicher politischer Themen und die Erledigung der laufenden Geschäfte (CSU 2017, S. 17). Rein formell geht somit der Einfluss der Regionalgliederungen nicht über den jeweiligen Bezirk hinaus. Allerdings sind die Bezirksvorsitzenden bereits kraft Amtes Mitglied im Parteivorstand und somit im höchsten Gremium der Partei vertreten.1 Die Verankerung der Bezirksvorsitzenden vor Ort ist dabei 1Dabei

ist laut Satzung (§ 24 Abs. 5) bei den 32 weiteren Mitgliedern des Parteivorstands nur darauf zu achten, dass jeder Bezirk angemessen vertreten ist. Dies wird dadurch gewährleistet, dass bei den Parteitagen zunächst ein fester Zehnerblock gewählt wird, in dem sich üblicherweise die Bezirksvorsitzenden zur Wahl stellen. Erst im Anschluss erfolgt die Wahl der weiteren 22 Mitglieder des Parteivorstands, bei der meist mehr Kandidaten antreten.

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eine ­ entscheidende Grundlage für deren parteiinterne Position: „Der Einfluss der Bezirksvorsitzenden liegt in ihrer Verankerung im Bezirk. Sie sind unabhängig und selbstständig, da sie keine Funktion haben, die von oben vergeben wird, sondern von unten getragen wird“ (Weber 2010). Und dieser Einfluss hat Konsequenzen: Denn würde man einen prototypischen CSU-Bezirksvorsitzenden beschreiben wollen, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit auch Mitglied des Bayerischen Landtags und zugleich der Staatsregierung. Eine effektive Verankerung in einer CSU-Regionalgliederung setzt sich also regelmäßig um in zentrale politische Mandate und Ämter. Aufgrund dessen wird die Bedeutung der Bezirksverbände auch in Zukunft nicht abnehmen.2 Ihre Macht erwächst aus der Verwurzelung in der jeweiligen Region, und dies lässt sie über weite Strecken unabhängig von der Parteispitze agieren. Gleichwohl ist dieses Einflusspotential kein Selbstläufer und hängt vor allem vom politischen Geschick des jeweiligen Bezirksvorsitzenden ab: Für die Erfüllung seiner Aufgaben muss dieser erstens Integrationskraft besitzen. Die verschiedenen Interessen müssen sich im Bezirksvorsitzenden personell wiederfinden. Dazu gehört, dass er nicht zu sehr polarisiert und sich nicht als Vertreter von Einzelinteressen positioniert hat. Darüber hinaus muss er zweitens die Bündelungsfunktion erfüllen. Er muss sowohl die inhaltlichen als auch die personellen Vorstellungen in seinem Bezirk in sinnvolle Paketlösungen einbringen, damit die Vielfalt lokaler und regionaler Bedürfnisse auf Landesebene sinnvoll zur Geltung gebracht wird. Zu guter Letzt benötigt er drittens auch Führungsstärke, um Beschlüsse der Parteispitze in seinem Bezirk zu vertreten und umzusetzen. Dabei gilt es insbesondere, auf Landesebene erzielte Kompromisse den Mitgliedern im Bezirk zu vermitteln. Erfüllen die Bezirksvorsitzenden diese Funktionen, stellen sie einen wesentlichen Machtfaktor in der Machttektonik der CSU dar und bilden damit auch das entscheidende Scharnier zwischen der Flächenorganisation der CSU und der Parteiführung.

2Dementsprechend

kann die Einschätzung von Kay Müller keineswegs geteilt werden, der in seiner Bilanz 2004 davon ausgeht, dass die Bezirke „heute […] weitgehend funktionslos“ (Müller 2004, S. 215) sind.

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3 Die Landesleitung als organisatorisches Zentrum der CSU 3.1 Traditionen Die CSU-Parteizentrale, die seit 1955 Landesleitung genannt wird, wurde im Zug der Entwicklung zur „Massen- und Apparatpartei modernen Typs“ (Mintzel 1975, S. 67) kontinuierlich ausgebaut. Insbesondere Franz Josef Strauß hatte immer wieder auf die Notwendigkeit einer „straff durchorganisierten Partei“ verwiesen und den Ausbau des Parteiapparates als „Instrument im Konzert anderer politischer Instrumente zur Bewältigung gesellschaftlicher und politischer Krisensituationen“ (Mintzel 1977, S. 73) hervorgehoben. Im Verlauf der 1960er, 1970er und 1980er Jahre wurde die Landesleitung sowohl personell verstärkt als auch technisch modernisiert (Mintzel 1977, S. 71–76). Darüber hinaus kam jedoch nicht nur der Parteizentrale im engeren Sinn, sondern auch deren Präsenz in der Fläche eine entscheidende Rolle zu. Mit dem Aufbau eines flächendeckenden Netzes von zehn Bezirks- und rund 40 Bundeswahlkreisgeschäftsstellen mit hauptamtlichen Mitarbeitern der ­CSU-Landesleitung wurde ergänzend zu den ehrenamtlich Tätigen auf Kreisund Ortsebene ein dichtes organisatorisches Netz geschaffen, das der CSU eine hohe Kampagnenfähigkeit ermöglichte (Mintzel 1977, S. 71–72, 1998, S. 43–64; Hanns-Seidel-Stiftung 1995, S. 624). Bundesweit stellt dies bis heute eine nach wie vor einmalige Konstruktion dar. Eine Reduktion der CSU-Landesleitung lediglich auf die Zentrale in München würde demnach zu kurz greifen. Vielmehr sind das Franz Josef Strauß-Haus und die Bundeswahlkreis- sowie die Bezirksgeschäftsführer gemeinsam und in ihren Funktionen als komplementär zu betrachten. Örtlich erlebte die CSU-Landesleitung mehrere Entwicklungsphasen. Zunächst in der Hildegardstraße angesiedelt, verlegte die CSU ihre Parteizentrale 1960 in die Lazarettstraße 33, in der nunmehr die H ­ anns-Seidel-Stiftung beheimatet ist. Nachdem sich die Parteiführung Mitte der 1970er Jahre für einen Neubau entschieden hatte, konnten 1979 neue Räumlichkeiten in der Nymphenburger Straße 64 bezogen werden (Hanns-Seidel-Stiftung 2010, S. 14, 20; CSU 2007). Anlässlich des ersten Todestages von Franz Josef Strauß wurde das Gebäude 1989 offiziell nach ihm benannt (Kuhne 2007, S. 102). Jedoch führte der schlechte bauliche Zustand des nur wenig repräsentativen Franz Josef ­Strauß-Hauses zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu erneuten Umzugsplänen. Für die nunmehr etwa 75 Mitarbeiter sollte anstatt des renovierungsbedürftigen und

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als „70er Jahre Kasten mit Hinterhof-Atmosphäre“ (Die WELT 2001a) oder „Betonwürfel“ (SZ 2003) bezeichneten Baus ein modernerer Ersatz gesucht werden. Die Umzugspläne wurden 2003 vor allem aus finanziellen Gesichtspunkten aber zunächst zurückgestellt. Im Jahr 2016 erfolgte dann aber eine radikale organisatorische Neuorientierung der CSU, die mit ihrer Parteizentrale nunmehr vom Münchner Stadtzentrum in ein modernes, funktionales Bürogebäude direkt im Norden der Landeshauptstadt wechselte. Nicht nur die bessere Verkehrsanbindung sowie eine erheblich verbesserte Raum- und Parksituation, sondern auch die optische Wirkung des CSU-Logos direkt an der A9, auf der jeden Tag tausende Pendler vorbeikommen, belegen eine deutliche Aufwertung des Standorts der Landesleitung. Mit dem Verkauf des alten Standortes in der Innenstadt und dem Erwerb des weiter außerhalb gelegenen Bürokomplexes, von dem größenbedingt ein erheblicher Teil vermietet werden kann, konnte die Partei zudem finanziell wesentlich effektiver wirtschaften (Augsburger Allgemeine 2016). Im Gebäude befinden sich die Büros des Vorsitzenden, des Generalsekretärs bzw. der Generalsekretäre, des Landes- bzw. Hauptgeschäftsführers sowie der unterschiedlichen Abteilungen der CSU-Landesleitung einschließlich einer Druckerei. In den Konferenzräumen finden regelmäßig Sitzungen von Parteivorstand, Parteipräsidium, den Arbeitsgemeinschaften sowie Abstimmungsrunden der CSU-Führungsspitze statt.

3.2 Strukturreformen nach 1999 Neben räumlichen Veränderungen wurden zudem fortlaufend organisatorische Reformen durchgeführt, um sowohl landes- als auch bundesweite Aufgaben besser bewältigen zu können: Während die erfolgreiche Aufteilung von Parteizentrale und Bundeswahlkreisgeschäftsstellen nicht zur Disposition stand, wurde die organisatorische und personelle Ausrichtung der CSU-Landesleitung einschließlich des Bayernkuriers im Gutachten des Unternehmensberaters Roland Berger 1999 auf den Prüfstand gestellt. Zielrichtung der Analyse und der darauf folgenden Reorganisation der Landesleitung war, der finanziell angespannten Gesamtlage der Partei entgegenzuwirken und die CSU gerade angesichts der Oppositionsrolle auf Bundesebene seit 1998 zu modernisieren und auf die neuen Anforderungen vorzubereiten (Kießling 2004, S. 99). Eine strukturelle Finanzreform wurde aber nicht umgesetzt. So wurden Schulden in Höhe von 28 Mio. DM durch den Verkauf von 105 Wohnungen weitgehend abgetragen. Beitragserhöhungen, welche vor dem Hintergrund eines

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zurückgehenden Spendenaufkommens diskutiert worden waren, wurden somit weitgehend verhindert. Der defizitäre Bayernkurier sollte mit „Auffrischung“, „Abo-Werbung“ und stärkerer „Vernetzung mit dem Internet“ wettbewerbsfähiger gemacht und in die Lage versetzt werden, neue und vor allem jüngere Leser anzulocken (Die WELT 1999). Nach mehrmaligen Reform- und Neuorientierungsprozessen wie einer umfangreichen Online-Ausgabe wurde 2019 jedoch beschlossen, den Bayernkurier endgültig einzustellen. Konsequenzen wurden nach dem Berger-Gutachten 1999 auch für die Führungsebene und vor allem die grundlegende Organisation der Landesleitung gezogen: So sah das Gutachten, das generell auf flache Hierarchien, Flexibilität, Straffung von Strukturen und Teamarbeit setzte, die Abschaffung der Position des Landesgeschäftsführers vor. Dies wurde bereits im November 1999 umgesetzt, wobei das Experiment mit der Berufung von Michael Höhenberger als Landesgeschäftsführer bereits 2001 wieder beendet wurde, da die politische und organisatorische Leitung des Hauses vom Generalsekretär allein zeitlich nicht leistbar war (Kießling 2004, S. 99). Als nachhaltiger erwies sich die Straffung des Organigramms der Parteizentrale auf den unteren Ebenen. Aus zuvor sechs Geschäftsbereichen, die für Öffentlichkeitsarbeit, Parteiarbeit, Politik, Satzungsund Wahlrecht, Finanzen und Verwaltung sowie Medien zuständig waren, wurden nun vier Abteilungen bzw. „Teams“ gebildet (Kießling 2004, S. 99–100).3 Diese wurden in „Presse- und Medienarbeit“ mit einer Online-Redaktion, „Politik und Parteiarbeit“ mit an Politikfeldern und den Arbeitsgemeinschaften bzw. Arbeitskreisen der CSU orientierten Referaten, „Finanzen und Dienstleistungen“ sowie „Öffentlichkeitsarbeit“ mit dem Schwerpunkt „Veranstaltungsorganisation“ unterteilt. Zusätzlich war bereits kurz zuvor eigens ein Planungsstab geschaffen worden, der ausschließlich dem Parteivorsitzenden zuarbeitet. Mit dieser Aufteilung sollte eine deutlich höhere Effektivität und verbesserte Zusammenarbeit der unterschiedlichen Abteilungen ermöglicht werden. „[E]rheblichen Nachholbedarf“ (Die WELT 1999) hatte das Gutachten zudem bei administrativen Abläufen erkannt, da allein der Landesleitung durch ineffektive Mitgliederverwaltung jährlich bis zu zwei Millionen DM an nicht gezahlten Beiträgen entgingen. Mittels eines Systems, in welchem Daten zentral gespeichert,

3Das

Berger-Gutachten sah ursprünglich die Bildung von drei Teams „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“, „Politik und Parteiarbeit“ sowie „Finanzen und Verwaltung“ plus einen Planungsstab für den Parteivorsitzenden vor. Die Aufteilung in die Teams „Presseund Medienarbeit“ und „Öffentlichkeitsarbeit“ wurde bei verstärkter Kooperation aufrechterhalten (Die WELT 1999).

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aber vor Ort in den Bundeswahlkreisen verwaltet werden konnten, sollte höhere Effektivität erreicht werden (Die WELT 1999). Zumindest kurzzeitig, aber dennoch erfolglos, wurde ein weiteres Projekt umgesetzt, das zur Verbesserung der Präsenz und Kommunikation der CSU-Landesleitung gedacht und vor allem dem bundespolitischen Anspruch ­ geschuldet war: So eröffnete CSU-Generalsekretär Thomas Goppel im Juli 2001 ein Verbindungsbüro der CSU-Parteizentrale in Berlin, das als christsoziale Repräsentanz in Ergänzung zur CSU-Landesgruppe und als Arbeits- und Übernachtungsmöglichkeit für den Generalsekretär gedacht war (SZ 2001). Zielsetzung der Einrichtung mit einer Mitarbeiterin war zudem, als CSU „ohne Umweg über München“ (SZ 2001) Kontakte pflegen zu können. Trotz wiederholter Beteuerungen wurde diese Außenstelle jedoch als unangemessene und unnötige Konkurrenz zur CSU-Landesgruppe empfunden und war in der Praxis ohne effektive Anbindung sowohl nach München als auch innerhalb Berlins. Bereits nach wenigen Monaten wurde sie daher wieder aufgelöst (Die WELT 2001b).

3.3 Aktueller Aufbau Im Kern sind die organisatorischen Umgestaltungen der Parteizentrale seit 1999 einschließlich der Wiedereinführung der Position des Geschäftsführers 2001 bis jetzt erhalten geblieben. An der Spitze stehen der Parteivorsitzende, die Generalsekretäre sowie der Landes- bzw. seit 2010 der Hauptgeschäftsführer mit ihren jeweiligen Büros. Insgesamt arbeiten der Führungsspitze des Hauses von den insgesamt rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa zehn direkt zu. Nachdem bereits zuvor eine Straffung der Organisation durchgeführt wurde – so wurde unter dem Parteivorsitzenden Horst Seehofer beispielsweise die Leitung des Planungsstabs sowie des Teams „Presse und Medien“ 2010 in eine Hand gelegt – bündelte der neue Parteivorsitzende Markus Söder die Aufgaben im Frühsommer 2019 noch stärker. Neben den zentralen Diensten teilt sich die Organisation aktuell in drei große Schwerpunktbereiche (Partei mit allen Parteigliederungen, Kampagne mit Marketing und Veranstaltungsmanagement sowie Kommunikation) auf. Insbesondere im Bereich der Kommunikation wurden nicht nur mehrere Bausteine gebündelt, sondern lässt sich auch der Spannungsbogen moderner Parteiorganisationen gut ablesen. So wurden Presse und digitale Kommunikation zusammengefasst und sowohl externe Kommunikation als auch interne Mitgliederkommunikation unter einem Dach organisiert.

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Neben den Mitarbeitern in der Münchner Parteizentrale sind die 42 ­undeswahlkreis- und Bezirksgeschäftsführer, welche entweder vollständig B oder zumindest in Mischfinanzierung Angestellte der CSU-Landesleitung sind, wichtige Akteure. Als Teil des kommunikativen Nervensystems der CSU in der Fläche und Herzstück der Parteiorganisation fungieren sie als Schnittstellen zwischen den Wahlkreisen und der Parteiführung. So sind sie nicht nur bei Bundestagswahlkämpfen erste Ansprechpartner hinsichtlich der Umsetzung einer einheitlichen Wahlkampflinie in den Bundeswahlkreisen, sondern bieten den örtlichen Kreis- und Ortsverbänden von CSU sowie den Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen Dienstleistungen, Informationsmaterial und Unterstützung an.4 Dazu gehört beispielsweise der Druck und Versand von Einladungen, der Verleih von Materialien für Veranstaltungen und die Verwaltung der Mitgliederdaten im jeweiligen Bundeswahlkreis (CSU 2010). Für den Erfolg als professionelle Parteiorganisation und die flächendeckende Kampagnenfähigkeit in ganz Bayern kommt den Bundeswahlkreisgeschäftsstellen gerade vor dem Hintergrund abnehmenden ehrenamtlichen Engagements große Bedeutung zu. Im Zug der Parteireform 2019 wurde beschlossen, die Bundeswahlkreise noch effektiver als Dienstleister für die CSU-Kreisverbände aufzustellen (CSU 2019b, S. 6).

4 Die Landesleitung als Schaltzentrale zwischen interner und externer Kommunikation 4.1 Pressearbeit: Informationsarbeit nach innen und außen Am Beispiel der Pressearbeit lassen sich das Zusammenspiel und die ergänzende Wirkung interner und externer Kommunikation der CSU-Landesleitung in München als Herzstück der Parteiorganisation zwischen den regionalen Ebenen und der Bundes- und Europaebene gut verdeutlichen: Für eine optimale mediale Präsenz sind die Wirkungskreise „Kampagnenarbeit, Inszenierung von Großereignissen und Informationsarbeit“ (Adam et al. 2008, S. 81) nach innen wie außen von Bedeutung. Als klassische externe Mittlersysteme lassen sich zum einen Nachrichtenagenturen, Printmedien, Rundfunk, Fernsehen sowie

4In

den Geschäftsstellen sind zudem häufig die Büros der ­CSU-Bundestagsabgeordneten untergebracht.

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das ­Internet allgemein anführen. Ergänzend kann die CSU-Landesleitung zum anderen auf eigene interne Mittlersysteme wie Mailings, Neue Soziale Medien, die Parteigliederungen sowie den eigenen Internetauftritt zurückgreifen. Zentrale und häufigste Form der aktiven Kommunikation mit der Zielsetzung, eigene Botschaften in der öffentlichen Wahrnehmung zu platzieren, ist die Pressemitteilung, die an einzelne Journalisten, Redaktionen, Verleger und Herausgeber oder an Nachrichtenagenturen herausgegeben wird (Strohmeier 2004, S. 154). Dem gleichen Zweck dienen die Parteitage, Pressekonferenzen und Stellungnahmen. Eine immer wichtigere Bedeutung kommt hierbei der Kontaktpflege und optimalen Aufbereitung von Informationen für die Medien zu, da „sich die Nachrichtenagenturen immer seltener kostspielige Eigenrecherchen aufgrund ihrer Ressourcenknappheit hinsichtlich Personal, Material und Zeit leisten können“ (Tenscher 2003, S. 100). Die Vor- und Nachbereitung von öffentlichen Terminen laufen in enger Abstimmung der einzelnen Teams, die sich jeweils als Zuarbeiter für die Generalsekretäre und den Parteivorsitzenden sehen. Ebenso wie bei der externen Kommunikation stehen die Mitarbeiter bei Anfragen von außen an den Parteivorsitzenden und die Generalsekretäre zur Verfügung. Dabei erfolgt die Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen weiteren Funktionen und Zuständigkeiten des Parteivorsitzenden vor allem vom Ministerpräsidentenamt über die Themen. Abstimmungen mit anderen Pressestellen werden überwiegend telefonisch und auf Mitarbeiterebene vorgenommen. Die Informationen, Aussagen und Mitteilungen werden aber nicht nur der Presse und den externen Mittlersystemen zur Verfügung gestellt, sondern auch zur internen Kommunikation für die CSU-Mandats- und Funktionsträger sowie die Mitglieder aufbereitet. So werden der Informationsdienst „CSU-topaktuell“ sowie in gebündelter Form „CSU-aktuell“ herausgegeben und verschickt. Regelmäßig werden darüber hinaus auch Reden, Erklärungen und Programme weitergeleitet. Entscheidende Neuerung der vergangenen Jahre auch mit Blick auf die Zusammenlegung von Pressearbeit, digitaler und Mitgliederkommunikation ist, einen noch größeren Schwerpunkt auf direkte Kommunikation zu den Mitgliedern zu legen und unmittelbar zu informieren. Die Aufgabe, die zuvor der Bayernkurier übernahm (Öffentlichkeit herstellen und Mitglieder unmittelbar informieren), wurde damit in die digitale Kommunikation aller Mitglieder überführt. Der Bayernkurier hatte sich zuvor über Jahrzehnte als traditionelleres Gegenstück zur modernen Internetkommunikation mit durchaus vergleichbaren grundlegenden Aufgaben im Bereich der internen und externen Kommunikation erwiesen. Im Zug der Reformansätze auf Grundlage des Berger-Gutachtens 1999 wurden allerdings Aufmachung und Struktur des Wochenblattes erneuert und modernisiert und als

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Wochenendausgabe konzipiert (SZ 2004). Insbesondere beim Internetauftritt einschließlich eines „E-Papers“, durch das die gesamte Zeitung online eingesehen werden konnte, wurden Verbesserungen vorgenommen (Bayernkurier 2010). Als echte Plattform zur Information von Mitgliedern, zum Austausch von inhaltlichen Positionen oder zur gezielten Diskussion von relevanten Themen etablierte sich das Organ dennoch nicht. Nach den Wechseln in der Chefredaktion nach Wilfried Scharnagl 2001 auf Peter Schmalz und 2008 auf Peter Hausmann hatte das Blatt seine Rolle angesichts der veränderten gesellschaftlichen und medialen Rahmenbedingungen nicht gefunden. Gerade angesichts der anhaltenden Absatz- und damit einhergehenden finanziellen Schwierigkeiten blieb für den Bayernkurier weiterhin Reform- und Handlungsbedarf. Mit einer neuen Konzeption als hochwertiges Monatsmagazin, das nun jedoch nur als E-Paper kostenfrei zugänglich war, wurde ab 2015 ein neuer Anlauf gestartet, der 2019 jedoch aus Kostengründen endgültig auslief (FAZ 2019). Nach fast 70 Jahren wurde der Bayernkurier deshalb zugunsten digitaler Medien eingestellt.

4.2 Digitalisierung und Service für Ortsverbände5 Die wachsende Verlagerung auf digitale Kommunikationsformate ist bereits seit Jahren festzustellen. So wurde die CSU-Homepage in mehreren Schritten sowohl zur internen als auch externen Kommunikationsplattform ausgebaut. Bereits 1998 wurde ein „Intranet“ eingerichtet und 2002 sowie 2008 folgten neu gestaltete Internetportale bzw. Auffrischungen (Hanns-Seidel-Stiftung 2010, S. 26, 29). Seit dem Umbau 2008 bot die zuvor als veraltet kritisierte Homepage ein breites Informationsangebot für Medienvertreter und Interessierte auf der einen sowie zusätzlich im internen Bereich der „CSUnity“ vielseitigen Service für Mitglieder auf der anderen Seite. „CSUnity“ soll dabei auch als „Online-Kommunikationsplattform“ und „Online-Stammtisch“ der Partei­ angehörigen dienen. Im frei zugänglichen Bereich werden die inhaltlichen Positionen, das Führungspersonal sowie die einzelnen Parteigliederungen vorgestellt. Neben den veröffentlichten Pressemitteilungen besteht die Möglichkeit, sich in Newsletter-Verteiler zu einzelnen Fachbereichen oder von „CSU topaktuell“ ­

5Dieser

Abschnitt dient als einführender Überblick zur Thematik. Umfassend wird sie im anschließenden Beitrag von Dorothee Bär und Judith Gerlach behandelt.

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e­ inzutragen. Großen Wert legt das Internetportal mittlerweile auf die Verwendung neuer Medien. So können in der „Mediathek“ Videofilme und Bilder eingesehen werden, wird ein Forum zum Austausch angeboten und werden regelmäßig Online-Umfragen durchgeführt. Auch in den neuen Mittlersystemen und sozialen Netzwerken wie insb. Facebook, twitter oder Youtube ist die CSU-Landesleitung verstärkt vertreten. Das „Web 2.0“ wurde als Mittlersystem vor allem in Wahlkämpfen verstärkt genutzt. Moderne Kommunikationsmöglichkeiten wie eine CSU-App oder auch eine WhatsApp-Gruppe wurden insbesondere in den Wahlkämpfen 2017 und 2018 verstärkt eingesetzt, um Kandidaten, Unterstützergruppen und Funktionsträgern sowohl schnellere Informationen als auch direkten Austausch zu ermöglichen. Großer Wert wird auch auf das Angebot an Download- oder Bestellmöglichkeiten von Informationsmaterial, Flyern und Werbemitteln bis hin zu Bildschirmschonern gelegt. Im Zug der Parteireform 2019 wurde überdies beschlossen, das digitale Angebot im Sinne der CSU als „erste Digitalpartei“ (CSU 2019b, S. 9) deutlich auszubauen: Ein digitaler Mitgliedsausweis, die Weiterentwicklung der C ­ SU-App zu einer Mitglieder-App, der Ausbau der Plattform für Werbematerialien „CSU kreativ“ oder auch mehr Service für die Ortsverbände beispielsweise mit zentraler Buchhaltung und zentralem Beitragseinzug sollen das Ehrenamt entlasten und die Ortsverbände schlagkräftiger machen, so die Zielsetzung. Insbesondere die schleppende Umsetzung wurde bei den Ortsverbänden und Funktionsträgern vor Ort regelmäßig kritisiert. Das Service- und Informationsangebot wurde damit neben dem althergebrachten „CSU topaktuell“ als Infoblatt zur aktuellen politischen Lage mit Argumentationskarten zu bestimmten Themen oder umfassenden Wahlanalysen deutlich erweitert. Neben dem Online-Service-Angebot bietet die Parteizentrale den Ortsverbänden kostenlose Basisausstattungen für einen eigenen Internetauftritt an. Auch Schulungen zur eigenständigen Erstellung und Betreuung von Ortsverbands-Internetportalen oder zur Kampagnenführung werden zur Ver­ fügung gestellt. Klare Zielsetzung ist, die „Landesleitung zur Servicezentrale“ zu machen (CSU 2019b, S. 11).

4.3 Veranstaltungsmanagement Neben dem alltäglichen Austausch mit externen und internen Adressaten wird die öffentliche Wahrnehmung der CSU durch eine Reihe von Großveranstaltungen geprägt, die in Wahrnehmung und Reichweite weit vor vergleichbaren Ver-

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anstaltungen anderer Parteien in Bayern anzusetzen sind. Neben den Parteitagen ist der Politische Aschermittwoch als „bayerisches Polit-Spektakel mit Integrationsfunktion“ (Mintzel 1998, S. 82) hervorzuheben. Wie kaum eine andere Veranstaltung wird er trotz aller Nachahmung durch andere Parteien als Inbegriff der CSU-Veranstaltung wahrgenommen. Der „größte Stammtisch der Welt“, der an eine bis 1888 nach Vilshofen zurückreichende Tradition anknüpfen kann und seit 1975 in Passau zunächst in der Nibelungenhalle und mittlerweile in der Dreiländerhalle stattfindet, richtet sich ebenso an die etwa 4000 Besucher der Veranstaltung wie die Medien und die Öffentlichkeit. Im Mittelpunkt der medienwirksamen Inszenierung, in welcher der Gleichklang an bayerischer Identität und CSU, die innerbayerische politisch-kulturelle Kohäsion und auch die Abgrenzung nach außen verdeutlicht werden sollen, steht die Rede des CSU-Parteivorsitzenden, welche in jedem Jahr mit Spannung erwartet wird. Bei der Vorbereitung der Rede als Herzstück der Veranstaltung arbeiten der Planungsstab der Landesleitung sowie das Büro des Parteivorsitzenden Hand in Hand. An Ablauf und Inszenierung hat sich prinzipiell wenig geändert, wobei durchaus Ansätze zur Modernisierung unternommen wurden. Mit dem Wechsel in die Dreiländerhalle 2004 etwa wurde zwischenzeitlich ein vorgeschobenes rundes Podest nach amerikanischem Vorbild als Rednerbühne verwendet (SZ 2005). Zu starke Amerikanisierungstendenzen sowie eine „Popkonzert“-Atmosphäre (SZ 2006) erwiesen sich aber nicht als erfolgreich, sodass bald eine Kehrtwende zurück zur traditionelleren, aber dennoch technisch hochwertigen Veranstaltungsform vollzogen wurde. Solch überzogene Modernisierungsversuche, welche die CSU weltmännischer und moderner wirken lassen sollten und sich beispielsweise an der Vorauswahl der Transparente im Saal, der Kleidung der Sprecher oder einer Zuschauertribüne zeigten, erwiesen sich mit anderen Worten also eher als kontraproduktiv. An diesem Beispiel zeigt sich der Spagat, den die CSU-Landesleitung bewältigen muss: Zum einen muss sie die organisatorische Modernisierung der Partei vorantreiben und darf sich neuen Trends nicht verschließen. Zum anderen sind Binnenleben, Traditionen und das Selbstverständnis der Partei zu berücksichtigen. Beim Reformparteitag 2019 wurde mit einem Mitglieder- und Basisparteitag in der Münchner Olympiahalle der Versuch unternommen, den zuvor den Delegierten vorbehaltenen Parteitag auch für alle Mitglieder zu öffnen. So wurde zusätzlich zu den knapp 1000 Delegierten mit etwa 2000 Besuchern auf den Zuschauerrängen der Halle gerechnet (Münchner Merkur 2019). Die Zahl der Teilnehmer an diesem basisdemokratischen Experiment blieb dann jedoch

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weit hinter den Erwartungen zurück – was ebenfalls zeigt, dass nicht jedes gut gemeinte Reformvorhaben auch funktioniert.

4.4 Dienstleistungen, Service und Nachwuchsförderung Zusätzlich zu den Angeboten, die direkt über die Homepage der CSU angefordert werden können, bietet die CSU-Landesleitung Bürgerinnen und Bürgern sowie in besonderem Maß Mitgliedern und Funktionsträgern weitere Dienstleistungen. So werden Bürgeranfragen telefonisch oder per Email bearbeitet und beantwortet sowie Informationsmaterial zugesandt. Auf Anfrage kann gegen Entgelt Veranstaltungszubehör angefordert werden. Ebenfalls gegen Entgelt kann im ­CSU-Werbemittelshop über die „Bavaria GmbH“ eine Vielzahl an Werbemitteln, Ausstattungsgegenständen wie Roll-Ups, Tischverkleidungen usw. oder Bücher bestellt werden. Seit 2007 unterhält die CSU zudem eine eigene Führungsakademie (CSU Akademie), in der gezielt Nachwuchsführungskräfte gefördert werden sollen. Kern der Ausbildung stellt eine Reihe von Wochenendseminaren, Workshops sowie ein Mentoring-Programm dar, welche die Teilnehmer auf spätere Führungsaufgaben vorbereiten sollen.

4.5 Koordinierungsfunktion und Abstimmungsrunden Allein örtlich betrachtet nimmt die CSU-Landesleitung eine herausgehobene Rolle bei Koordinierung und Abstimmung der Kommunikation der unterschiedlichen Akteure und Subakteure der CSU ein, da eine Vielzahl an Gesprächen im Franz Josef Strauß-Haus stattfindet. Analytisch ist zwischen der politischen und der Mitarbeiterebene zu unterscheiden. Neben den offiziellen Gremien Parteivorstand und Parteipräsidium kommt kleineren und handlungsfähigen informellen Parteiführungsgremien besondere Bedeutung zu. Hier ist vor allem der so genannte „Jour fixe“ als Koordinationsinstrument anzuführen (Kießling 2004, S. 102). Zur Absprache politischer Aktivitäten und Planungen der unterschiedlichen politischen Ebenen ist dieser regelmäßig tagende Kreis, an dem im Kern der Parteivorsitzende, der Generalsekretär sowie die Vorsitzenden der jeweiligen parlamentarischen Fraktionen bzw. Gruppierungen der CSU beteiligt sind, bedeutsam. Zudem tagt der „Jour fixe“ nach Bedarf. Hilfreich zur Abstimmung der CSU-Linie zwischen den naturgemäß um Wahrnehmung und Einfluss ringenden Machtzentren ist die Teilnahme des

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Generalsekretärs Markus Blume an Sitzungen der CSU-Landesgruppe. Von Bedeutung ist darüber hinaus die Abstimmung zwischen Parteivorsitzendem und den zehn Bezirksvorsitzenden. Dieser Runde wird besonderes Gewicht beigemessen, da in ihr sowohl die Parteigliederungen als auch die unterschiedlichen Machtzentren (Staatsregierung, CSU-Landesgruppe, CSU-Landtagsfraktion und ­CSU-Europagruppe) abgebildet werden (Kießling 2004, S. 104). Über den Parteivorsitzenden hinaus spielt die CSU-Landesleitung in politischer Hinsicht keine Rolle bei den Abstimmungen: „Das Verhältnis ist ein reines Arbeitsverhältnis, wobei die Bezirksvorsitzenden wenig auf die Landesleitung angewiesen sind, da sie ihre eigenen Bezirksgeschäftsstellen haben. Bei politischen Fragen geht man immer direkt an den Parteivorsitzenden“ (Weber 2010). Vielmehr dient sie „als Scharnier zwischen der politischen Spitze und den Bezirken als operative Ebene“ (Kränzle 2010). Bei der Umsetzung der politischen Weichenstellungen gewinnt die Mitarbeiterebene an Bedeutung. Hier läuft die Abstimmung ausschließlich informell ab. Fragen werden im Gespräch persönlich oder per Telefon geklärt. Hilfreich ist hierbei der persönliche Kontakt, durch den Kompetenzstreitigkeiten schnell geklärt werden können (Zolleis 2010; Alte 2010). Die Abgrenzung bei der Durchführung von Öffentlichkeitsarbeit erfolgt zum einen thematisch. Zum anderen wird zwischen Parlaments- und Parteiarbeit unterschieden. Während demnach die CSU-Landesgruppe oder die CSU-Landtagsfraktion und deren Geschäftsstellen im Schwerpunkt die parlamentarische Arbeit der jeweiligen Ebene im Blick haben müssen, ist die CSU-Landesleitung stärker für die CSU als Ganzes zuständig, kann aufgrund ihrer Doppelrolle aber im Unterschied zu Landesgeschäftsstellen anderer Parteien in Bayern auf deutlich mehr Ressourcen zurückgreifen. Während andere Landesparteien lediglich für ‚ihren‘ Einflussbereich sprechen können, vereint die CSU insbesondere in ihrer Parteizentrale in München regional- und überregionalpolitische Akteure gepaart mit dem Anspruch, als einzige ausschließlich für Bayern zu sprechen und keine Kompromisse mit anderen Interessenlagen eingehen zu müssen, auf einzigartige Art und Weise unter einem Dach.

4.6 Ausnahmesituation Wahlkampf Eine besondere, koordinierende Rolle wird Parteiorganisationen in Wahlkampfzeiten zugeschrieben. Obwohl ihr bei der Vorbereitung und Umsetzung von Wahlkampagnen unbestritten eine wichtige Rolle zukommt, lässt sich die ­CSU-Landesleitung aber nicht als einziges herausragendes strategisches Zentrum,

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in welchem alle beteiligten Kräfte gebündelt und koordiniert werden, bezeichnen. Vielmehr stellt die Landesleitung eines von mehreren Zentren dar, welches spezifische Aufgaben übernimmt. So war sie beispielsweise im Bundestagswahlkampf 2002 Bestandteil der unterschiedlichen Koordinierungsgremien und vor allem für die Umsetzung des Wahlkampfes in Bayern zuständig. Hier zeigt sich auf der politischen Ebene, wie wichtig das Verhältnis zwischen Parteivorsitzendem und Generalsekretär ist: So war der Einfluss des Generalsekretärs Thomas Goppel stark begrenzt, der bei wichtigen strategischen Entscheidungen kaum eine Rolle spielte (Der Spiegel online 2002). Bezeichnenderweise wurde das Wahlprogramm von CSU-Seite federführend vom CSU-Landesgruppenchef Michael Glos erarbeitet. Bei der Koordinierung und Abstimmung der Wahlkampfplanungen muss sich die Landesleitung neben den Gremien der CDU und den Beraterkreisen sowie immer wichtiger werdenden Werbeagenturen auch gegenüber der Bayerischen Staatskanzlei als Akteur behaupten. Diese Konkurrenzsituation gilt im Hinblick auf die Staatskanzlei in besonderem Maß für Landtagswahlkämpfe, bei denen die Regierungszentrale in CSU-Hand bei der Themensetzung deutlich dominiert, wie sich beispielsweise im Landtagswahlkampf 2018 zeigte. Bei der Umsetzung der Wahlkampfstrategien und der Mobilisierung sowohl von Mitgliedern als auch Wählern kommt der Landesleitung eine entscheidende Rolle als „Organisationsund Rückkoppelungsmechanismus zwischen den gewählten Kommunikationsstrategien und der Bevölkerung“ (Sarcinelli 2009, S. 223) zu. In ihrer Funktion als Dienstleister baute die CSU-Landesleitung ihr Angebot an die Parteigliederungen in Form von Informationen, Handbüchern oder Vorlagen für Plakate oder Flyer kontinuierlich aus. Neben der klassischen Unterstützung wurde auch die Bandbreite moderner Bestandteile mit Videos, Mailingaktionen und Social Media-Auftritten deutlich erhöht.

5 Fazit und Perspektiven Wie schnell sich die Rahmenbedingungen auch für tief verwurzelte Volksparteien wie die CSU in Bayern ändern, zeigt sich daran, dass nach der 2010 durchgeführten Reformdiskussion Leitbild 2010 (SZ 2009, 2010a, b) schon im Jahr 2019 erneut eine Reformkommission unter der Führung des Generalsekretärs Markus Blume etabliert wurde. Neben der Arbeit der Kommission selbst, in die haupt- und ehrenamtliche Vertreter aller politischer Ebenen berufen wurden, fand ähnlich wie ein knappes Jahrzehnt zuvor auch in den Bezirksverbänden ein Basisdialog statt. Erneut standen Struktur, Finanzierung und Arbeitsweise der Partei

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und vor allem modernere und offenere Beteiligungsformen für die Parteibasis und Interessierte im Mittelpunkt. Neben den bekannten Aspekten der Mitmachpartei im Sinne direkter Beteiligung und Öffnung der Verbandsarbeit wurden in dem 75 Punkte umfassenden Leitantrag, der auf dem CSU-Parteitag 2019 in München beschlossen wurde, digitale Beteiligungsmöglichkeiten und die stärkere Einbindung Jüngerer und der Frauen diskutiert. Dass sich die CSU-Basis schwer tut, dem Modernisierungskurs der Parteiführung insbesondere im Hinblick auf eine Quotenregelung bei Frauen zu folgen, zeigte sich bei den Diskussionen: Nach intensiver, harter Debatte musste die Parteiführung um den Vorsitzenden Markus Söder von ihrem ursprünglichen Plan einer verpflichtenden Frauenquote abweichen und konnte nur mit Mühe einen Kompromiss einer „Soll-Bestimmung“ von 40 % Frauenanteil in den ­CSU-Kreisvorständen erreichen. Die „alte CSU“ (Augsburger Allgemeine 2019) hatte den Parteichef hier deutlich „ausgebremst“. Der Verlauf der Debatte zur Parteireform belegt also das Spannungsfeld, in dem sich die CSU-Landesleitung hier bewegt: Generelle strukturelle Modernisierung insbesondere im organisatorischen Bereich wird von der Parteibasis durchaus unterstützt, wohingegen spezifische Eingriffe insbesondere bei Quotenregelungen immer wieder auf Widerstände stoßen. Größte Herausforderung ist hier, die Basis bei den Veränderungen mitzunehmen. Dieser Spagat der Landesleitung lässt sich auf mehrere Ebenen herunterbrechen; insbesondere lässt er sich zwischen interner und externer Kommunikation, notwendiger Modernisierung und Bewahrung der Wurzeln der Partei sowie zwischen dem externen Wettbewerbsdruck gegenüber Parteizentralen anderer Bundesparteien und der CSU-internen Konkurrenzsituation mit anderen Machtzentren feststellen. Um sich zu behaupten, durchläuft die Landesleitung, wie die Betrachtung gezeigt hat, einen strukturellen Modernisierungsund Wandlungsprozess, der noch nicht abgeschlossen ist. So wurden vor allem das Profil als Dienstleister geschärft und das Angebot schrittweise ausgebaut. In diesem Bereich liegt die Stärke der Landesleitung in Kombination mit der Bundeswahlkreis-Struktur und der organisatorischen Verflechtung der unterschiedlichen Ebenen Bayerns. Aber auch in strategisch-planerischer Hinsicht wurden die Voraussetzungen mit der Etablierung des Planungsstabes verbessert. Gleichwohl verbleiben Herausforderungen wie die Digitalisierung und die effektive Nutzung der Neuen Medien. So bringt CSU-Präsenz in den Social Media nicht automatisch Internetkompetenz der Partei mit sich, wie die Diskussion um das „Rezo-Video“ im Vorfeld der Europawahlen 2019 exemplarisch gezeigt hat. Auch strukturell werden trotz aller Erneuerungen Zwänge und Handlungsbeschränkungen bestehen bleiben: So bleibt es für die

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­ SU-Landesleitung trotz verstärkter Bezeichnung als „Franz Josef Strauß-Haus“ C oder der Umbenennung des Landes- in Hauptgeschäftsführer schwierig, mit dem ­Willy-Brandt-Haus oder dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin auf Augenhöhe zu agieren. Auch strukturelle und personelle Engpässe im Vergleich zu Ministerien oder der Staatskanzlei beeinträchtigen die Arbeit. Im Lichte der vielfältigen Funktionen, die diese Parteiorganisation seit langem erbringt, müssen solche Kapazitätsengpässe daher konsequent beseitigt werden. Die CSU als Ganzes kann davon nur profitieren.

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Weigl, Michael. 2013. Die CSU. Akteure, Entscheidungsprozesse und Inhalte einer Partei am Scheideweg. Baden-Baden: Nomos. Zolleis, Udo. 2010. Hintergrundgespräch mit Dr. Udo Zolleis, Leiter des Planungsstabes der CSU-Landtagsfraktion, München, 10. 02.

Herausforderungen der Digitalisierung: Die Organisation der CSU im Zeitalter der Virtualität Dorothee Bär und Judith Gerlach 1 Die Christlich-Soziale Union und der Anspruch der „modernsten Volkspartei Europas“ (Wittl 2018) „Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren“ (FJS.de 2019). So formulierte der langjährige Vorsitzende Franz Josef Strauß prägnant einen der wesentlichen Leitsätze christlich-sozialen Regierungshandelns, der heute aktueller denn je ist. Strauß und der damalige Ministerpräsident Alfons Goppel förderten in den sechziger und siebziger Jahren massiv die Ansiedelung der Luft- und Raumfahrtindustrie in Bayern und gründeten neue Universitäten, wie beispielsweise in Augsburg, Bayreuth und Regensburg (vgl. Stoiber 1995, S. 298–300). Aufgrund dieser Fortschrittsoffensive entwickelte sich der Freistaat in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik vom Agrarstaat und Nehmerland des Länderfinanzausgleiches hin zum führenden Industriestandort und größtem Ausgleichs-Geberland (vgl. Straßner 2010, S. 64–65). Als Nachfolger von Strauß und Streibl prägte Edmund Stoiber in seiner von 1993 bis 2007 dauernden Amts-

D. Bär (*)  CSU-Landesleitung, München, Deutschland J. Gerlach  Aschaffenburg, Deutschland © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_12

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zeit, dieser Tradition folgend, das Diktum von „Laptop und Lederhose“1 (Wörle 2010, S. 194), das die Verbindung von Tradition und modernem Fortschritt spiegelt. Auf dieser Grundlage baut heute Ministerpräsident und Parteivorsitzender Markus Söder auf. So initiierte er nach den erfolgreichen Koalitionsverhandlungen im Herbst 2018 das bundesweit erste Staatsministerium für Digitalisierung und legte mit seiner Regierungserklärung ‚Hightech Agenda Bayern‘ im Oktober 2019 den Grundstein für die wissenschaftliche und wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit Bayerns in den kommenden Jahrzehnten. Der Freistaat wird in naher Zukunft zahlreiche neue Forschungscluster und eine Vielzahl von Lehrstühlen und Professuren in den Bereichen der Künstlichen Intelligenz, der Quantentechnologie und der Luft- und Raumfahrt schaffen (vgl. Bayern.de 2019). Das Staatsministerium für Digitalisierung ist das erste seiner Art und Judith Gerlach somit auch die erste Digitalministerin auf Landesebene in Deutschland. Die Verbindung von Tradition auf der einen Seite und moderner Technik auf der anderen ist und war jedoch nicht nur Handlungsmaxime ­christlich-sozialer Regierungspolitik, sondern ist zugleich stets Anspruch der Partei an sich selbst. Die Nutzung neuer technischer Möglichkeiten und deren Potenzial ist ein wichtiges Instrument der internen und externen Kommunikation der bayerischen Volkspartei. Nur so kann die CSU ihren Führungsanspruch in Bayern und Deutschland verteidigen. Dies stellt die Partei dennoch durch den immer schneller werdenden digitalen Wandel und die Veränderung der politischen Großwetterlage vor große Herausforderungen. Nach 75 Jahren ist deshalb eine organisatorische Neujustierung notwendig geworden. Parteivorsitzender Markus Söder hat Generalsekretär Markus Blume damit beauftragt, eine umfassende Parteireform zu erarbeiten (vgl. von Delhaes-Guenther 2019b). Der Leitantrag „Aufbruch in eine neue Zeit – CSU: Die Volkspartei des 21. Jahrhunderts“ wurde auf dem Parteitag der Christlich-Sozialen Union Mitte Oktober beschlossen. Die Umsetzung der 75 Reformpunkte wird dann anschließend durch die ­CSU-Landesleitung vollzogen (vgl. Christlich-Soziale Union 2019). Bei der Umsetzung der Reform steht die Volkspartei CSU im Wesentlichen vor zwei großen Herausforderungen. Erstere ist die demografische Struktur der

1Obwohl der Ursprung des Zitats Edmund Stoiber zugerechnet wird, stammt es in Wahrheit aus einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog aus dem Jahr 1999. Allerdings wurde die Redewendung später von Stoiber selbst und zahlreichen Journalisten aufgegriffen und verwendet (vgl. Wörle 2010, S. 194).

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Partei: Die CSU verfügt Stand November 2019 über insgesamt rund 140.000 Mitglieder und ist die drittgrößte Partei Deutschlands mit einem Durchschnittsalter von 59,4 Jahren2 (vgl. Niedermayer 2019). Knapp die Hälfte aller Mitglieder ist folglich 60 Jahre oder älter. Dies bedeutet, dass die Partei, um den Ansprüchen jüngerer Altersgruppen gerecht zu werden, ihr bereits vorhandenes digitales Angebot stark ausbauen muss, aber andererseits über keine allzu großen Spielräume verfügt, traditionelle Kommunikationsmittel, wie z. B. Wandzeitungen oder Flyer, aus dem Sortiment zu nehmen, da diese nach wie vor von einem nicht geringen Anteil der älteren Mitglieder nachgefragt und verlangt werden. Die zweite große Herausforderung stellen die begrenzten personellen und finanziellen Mittel einer politischen Partei dar. Die CSU gleicht mit ca. 120 hauptamtlichen Mitarbeitern und Einnahmen in Höhe von ca. 43 Mio. € jährlich eher einem kleinen mittelständischen Unternehmen und weniger einem großen Konzern (vgl. Deutscher Bundestag 2017). Folglich muss die kostenintensive Restrukturierung mit einem begrenzten Budget bewerkstelligt werden. Dennoch zeigt ein Rückblick, dass die Landesleitung es in den vergangenen Jahrzehnten trotz dieser Herausforderungen stets geschafft hat, mit der Zeit zu gehen bzw. sogar im Vergleich zu anderen deutschen Parteien eine Vorreiterrolle in diesem Feld eingenommen hat. Im Folgenden sollen nun die digitalen Anfänge der Partei bis zum Wahljahr 2013 und die ersten strukturellen Neuerungen vor der Parteireform von 2014 bis zu den Wahlen in den Jahren 2017 bis 2019 aufgezeigt werden. Anschließend werden die Ergebnisse der Parteireform vorgestellt und die Herausforderungen der digitalen Kommunikation in den kommenden Jahren skizziert.

2 P1 und Politik 2.0 – Erste Schritte im ‚Neuland‘ der Sozialen Medien Seit Mitte 1997 verfügte die CSU über eine eigene Homepage und schaffte dazu parallel in der Pressestelle die Position des Online-Redakteurs. In den kommenden Jahren wurde die Webpräsenz mit der Hilfe verschiedener Agenturen ausgebaut und untergliederten Verbänden erstmals die Möglichkeit geboten, eine eigene Homepage zu schalten, was für die Verbände aber noch 50 Deutsche

2Das Durchschnittsalter liegt bei 59,4 Jahren und somit auf derselben Ebene wie bei CDU, SPD und AfD. Lediglich die Anhänger von FDP, Linke und den Grünen sind im Schnitt jünger (vgl. Statista 2019).

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Mark pro Monat kostete (vgl. Hopp 2010, S. 366). Dieser Service konnte dann schlussendlich ab 2002 für die Verbände kostenlos angeboten werden. Zudem wurde im Rahmen der beständigen Weiterentwicklungen parallel zur Homepage die ‚csunity‘ entwickelt, eine Art Forum, das den Mitgliedern die Möglichkeit gab, sich Profile anzulegen und ihnen eine virtuelle Kommunikationsplattform verlieh, um zum Beispiel politische Anträge zu beraten. Im Jahr 2007 erfolgte dann ein Relaunch der Homepage auf eine TYPO3 basierte Plattform, und das Projekt ‚csunity‘ wurde aufgrund der aufkommenden sozialen Plattformen wie Lokalisten, Facebook, MeinVZ eingestellt. Parallel verfügte die Landesleitung bereits ab dem Jahr 2000 über eine vollständig digitalisierte Mitgliederdatenbank. Nachdem die Christlich-Soziale Union im Herbst 2008 eine schwere Niederlage erlitten hatte, erstmals seit 46 Jahren im Freistaat keine absolute Mehrheit mehr erreichte und eine Koalitionsregierung mit den Freien Demokraten eingehen musste, wurde Horst Seehofer zum neuen Vorsitzenden der Partei gewählt (vgl. Nerb 2010, S. 520). Im Zuge dieses personellen Neuanfangs berief Seehofer 2009 Alexander Dobrindt zum neuen Generalsekretär und stellte ihm die Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär als Stellvertreterin zur Seite. Beide wurden gemeinsam mit dem damaligen Hauptgeschäftsführer Bernhard Schwab damit beauftragt, die Landesleitung zu modernisieren und für die anstehende Bundes- und Landtagswahl 2013 fit zu machen (vgl. Hopp 2010, S. 370). Einer dieser Schritte war die Gründung des Arbeitskreises CSUnet als erster virtueller Verband und netzpolitischer Arbeitskreis, in dem den ‚digital natives‘ der Partei eine Basis gegeben wurde. Zur Vorsitzenden wählten die Mitglieder die stellv. Generalsekretärin Dorothee Bär (vgl. Neumann 2011; vgl. csu.de 2019). Schwab und die Generalsekretäre erkannten die sich neu bietenden Möglichkeiten der sozialen Medien und setzten deshalb Anfang 2011 auf eine Umstrukturierung der Landesleitung. Im Zuge dessen wurde die Abteilung ‚Politik 2.0‘ geschaffen. Unter deren Dach wurden das personell aufgestockte Referat der Online-Redaktion aus der Pressestelle, das Referat IT aus der Finanzund Dienstleistungsabteilung und das Servicebüro vereinigt. Letzteres war Erstansprechpartner für alle eingehenden Mails, Telefonanrufe und Schreiben und verteilte die Arbeitsaufträge an die weiteren Referate zur Bearbeitung. Es war folglich das Ohr der Partei an der Basis und bei den Wählern, die sich mit ihren Wünschen und ihrer Kritik an die Christlich-Soziale Union wenden. Zur besseren Verarbeitung wurde zudem in der Landesleitung in der Nymphenburger Straße ein ‚Newsroom‘ eingerichtet. Diese damals auf dem neusten technischen Stand befindlichen Mittel ermöglichten es den Mitarbeitern, aktuelle Trends und Debatten auf Nachrichtenseiten und sozialen Medien zu verfolgen und zu antizipieren. So konnte die

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entsprechende Reaktionsschnelligkeit, die für Social Media-Postings und ­Online-Debatten benötigt werden, gewährleistet werden (vgl. Riedhammer 2019). Vorrangiges Ziel der Abteilung 2.0 war es, bis zu den Wahlen eine entsprechende Reichweite und einen Adressatenkreis aufzubauen, der zur Wahl bespielt werden konnte. Hierbei setzte man vorrangig auf eine Mischung aus politischen und unpolitischen Inhalten, wie Veranstaltungswerbung etc. Anfangs ließ das Wachstum der Reichweite der Twitter- und Facebook-Accounts jedoch trotz des deutlich erhöhten personellen und finanziellen Aufwandes zu wünschen übrig. Die Berichterstattung über die neuen digitalen Wege der CSU und die Einrichtung eines ‚Newsrooms‘ in überregionalen Medien trugen jedoch dazu bei, dass mehr und mehr Fans und Follower hinzukamen. In diesem Zusammenhang zeigte sich zudem, dass gerade einige Journalisten sehr kritisch über die Pläne der Christlich-Sozialen Union berichteten, da die Partei hierdurch das Informationsoligopol der klassischen Medien brechen würde (vgl. Riedhammer 2019). Die mit Abstand erfolgreichste PR-Aktion zur Bewerbung der Kanäle war die ­Facebook-Party der Partei in der Münchner Diskothek ‚P1‘ im Mai 2012. Vorsitzender Horst Seehofer lud alle Personen, die jeweils die CSU-Seite likten und bei einer Facebook-Veranstaltung auf Teilnahme klickten, ins P1 ein. Innerhalb von zehn Tagen kamen bereits 2500 Anmeldungen zusammen und letztlich musste ein Einlassstopp verhängt werden. Unabhängig von der Party selbst bewirkte die Aktion zudem eine enorme mediale Reichweite und die FollowerZahlen konnten um ein Vielfaches gesteigert werden (vgl. Meiritz 2012). Ein weiterer wichtiger Aspekt der Online-Strategie war in dieser Phase das Ausrollen der Social-Media-Aktivitäten an der Basis, also bei den zahlreichen Verbänden vor Ort. Durch Schulungsprogramme wurden deren Funktionäre unterstützt und animiert, selbst aktiv zu werden und verstärkt eigene Homepages und Social Media-Accounts ins Leben zu rufen und zu pflegen (vgl. Riedhammer 2019). Dies stellte gerade mit Blick auf die eingangs erwähnte Altersstruktur der Partei eine gewaltige Herausforderung dar. Dennoch konnten auch hier unter tatkräftiger Mitwirkung der Jungen Union beachtliche Erfolge erzielt werden. Gerade viele Verbände der Jungen Union hatten in den Jahren vor 2012 bereits entsprechende Seiten und halfen nun auch den CSU-Ortsverbänden nachzuziehen. Der Erfolg der Schulungsoffensive, der bis heute besteht, war insofern auch von besonderer Relevanz, da sechs Monate nach der Landtags- und Bundestagswahl im Herbst 2013 im Frühjahr 2014 Kommunalwahlen stattfinden würden und die Verbände hier ihre neuen Kommunikationswege entsprechend weiter nutzen konnten. Im Nachgang betrachtet war die Modernisierungsstrategie der Generalsekretäre unter dem Strich sehr erfolgreich und einer der wesentlichen Bausteine

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für die beiden Wahlsiege im Herbst 2013. In Bayern konnte die absolute Landtagsmehrheit zurückerobert werden, sieben Tage später gewann die CSU bei den Bundestagswahlen alle bayerischen Direktmandate und sicherte sich mit 50,0 % ein Ergebnis, das bisher nicht mehr wieder erreicht werden konnte (vgl. Hirscher 2014, S. 135–136; S. 192–193). Alexander Dobrindt wurde nach den erfolgreichen Koalitionsverhandlungen mit der SPD zum neuen Minister für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) und Dorothee Bär zu seiner Staatssekretärin ernannt (vgl. Reinbold 2013a, b).

3 „Wir schaffen das“ – Die Superwahljahre 2017– 2019 Die Phase zwischen den Wahljahren 2013/2014 und den Jahren 2017–2019 ist durch einen starken personellen Umbruch gekennzeichnet. Neben Alexander Dobrindt verließ auch Bernhard Schwab nach der gewonnenen Wahl die ­CSU-Landesleitung und kehrte in den Staatsdienst zurück. Zu Schwabs Nachfolger wurde der Leiter des Planungsstabes und ehemalige CSU-Pressesprecher Hans-Michael Strepp berufen (vgl. dpa 2013). Strepp forcierte den digitalen ­ Wandel der Partei auch in anderen Abteilungen des Hauses (vgl. Weisser 2019). Um der Modernisierung der Partei und den damit veränderten Arbeitsstrukturen Rechnung zu tragen, zog die Partei Ende des Jahres 2015 von der Nymphenburger Straße in der Maxvorstadt in ein größeres, moderneres Gebäude in der Parkstadt in Schwabing (vgl. Sauter 2016). Die Abteilung Politik 2.0 wurde aufgelöst, die Referate ‚Online-Redaktion‘, ‚Social Media‘ und das Servicebüro wurden unter Leitung des stellv. Abteilungsleiters Andreas Weisser in die neu geschaffene Abteilung Presse und Kommunikation eingegliedert und das IT-Referat wieder in die Finanz- und Dienstleistungs-Abteilung rücküberführt (vgl. Weisser 2019). Des Weiteren wurde die personelle Besetzung der beiden Referate im Hinblick auf die Wahlen 2017–2019 weiter ausgebaut. Zudem wurde ein Kooperationsvertrag mit einer auf Social Media spezialisierten Agentur geschlossen, die die CSU langfristig berät und grafische Dienstleistungen und Contents zuliefert. Mit einem festen Werbebudget wurde seither mehr in die Bewerbung von Posts und Inhalte gesetzt, um die Reichweite weiter auszubauen (vgl. Weisser 2019). So entwickelte sich die CSU zunehmend zum digitalen Vorreiter in der Parteienlandschaft. 2014 verzeichnete die CSU erstmals von den etablierten Parteien die höchste Reichweite und die meisten Facebook-Fans. Lediglich Parteien mit extremen Positionen wie Die Linke und später dann die Alternative

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für Deutschland konnten die Christlich-Soziale Union hier überholen (vgl. Voigt 2017). Des Weiteren war die CSU die erste Partei, die auf Instagram, Snapchat und auf Pinterest vertreten war und diese Plattformen mit Inhalten bespielte (vgl. Weisser 2019). Zugleich setzte sich die Partei mit den negativen Begleiterscheinungen der Sozialen Netzwerke auseinander. Deshalb gewährte die CSU dem auf Political Data Science spezialisierten Politikwissenschaftler der Technischen Universität München Simon Hegelich Zugang zu ihrem Datenschatz. Hegelich hatte ein Verfahren zur Identifizierung von social bots und fake usern entwickelt, die sich aktiv in ausgelöste Debatten einklinken, um die Meinungsbildung in eine entsprechend gewünschte Richtung zu verzerren. Durch Hegelichs Verfahren wurde ein Großteil der social bots und fake user identifiziert und konsequent von der CSU gelöscht (vgl. Gruber 2017). Das Servicebüro wurde Ende 2016 in die Abteilung ‚Verbands- und Mitgliedermanagement‘ verlegt und sukzessive zu einer Servicedienststelle für moderne Parteiarbeit und die Koordination der anstehenden Wahlkämpfe umgewandelt. Bereits ein Jahr vorher wurde die Einführung eines digitalen Customer-Relationship-Systems (CRM) vorangetrieben. Es ermöglicht eine deutlich bessere, datenschutzkonforme Verarbeitung und Auswertung von Daten und Adressen. Hierdurch konnte beispielsweise das Einladungsmanagement besser gestaltet und eine Entlastung anderer Mitarbeiter erreicht werden. Im Schnitt versendet die CSU pro Jahr circa eineinhalb Millionen Mails an Mitglieder und Interessierte (vgl. Cencic 2019). Hauptaufgabe der Servicedienststelle war jedoch die Vorbereitung und die Durchführung des Haustürwahlkampfes bei den anstehenden Wahlen. Studien der US-Präsidentschaftswahlen zeigten, dass Haustürwahlkampf, also die direkte Ansprache der Wähler durch Freiwillige, einen positiven Mobilisierungseffekt auslöst und somit Wahlen beeinflussen kann (vgl. Völlinger 2017). Die direkte Ansprache der Wähler wurde zu einem immer wichtiger werdenden Faktor, da durch das inzwischen stark divergierende Mediennutzungsverhalten von Wählern unterschiedlicher Altersgruppen neue Wege der Ansprache gesucht werden mussten. Da Haustürbesuche eine sehr zeit- und personalintensive Strategie sind, wurde versucht, dies durch die Nutzung neuer Werkzeuge effizienter zu gestalten. Deshalb entwickelte die CSU ein Zielgruppenmodul, das den klassischen Offlinewahlkampf mit digitalen Methoden optimieren sollte. Durch den Ankauf von öffentlich zugänglichen Strukturdaten baute sich die Partei datenschutzkonform eine eigene Datenbank auf. Diese ermöglichte es den Wahlkämpfern vor Ort, Strukturdaten über den jeweiligen Wahl- und Stimmkreis im Gesamten, aber auch über einzelne Kommunen zu erfragen. Anhand der Daten wurde zudem errechnet, inwiefern in einzelnen Wohngebieten eine Affinität zur

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CSU gegeben ist. Ziel war es, durch die Vorortbesuche hauptsächlich potenzielle eigene Wähler zu besuchen und diese somit für die Stimmabgabe am Wahltag zu mobilisieren. Insgesamt waren sowohl 2017 als auch 2018 mehr als 1000 Freiwillige im Einsatz und haben mehr als 480.000 Haushalte besucht (vgl. Cencic 2019). Gerade in größeren Städten zeigte sich, dass der Haustürwahlkampf einen positiven Effekt auf die Wahlergebnisse hatte. Die Zahl der Eingaben oder Nachfragen einzelner Wähler an das Servicecenter stieg während der Haustürwahlkämpfe deutlich an. Somit wurde der direkte Draht zum Bürger intensiviert (vgl. Cencic 2019). Im Nachgang der Bundestagswahl 2017 wurde zudem eine Optimierung des Konzeptes unternommen. Als Folge wurde eine neue CSU-App entwickelt und veröffentlicht, die vorerst nur für die Wahlkämpfer gedacht war und dann sukzessive mit weiteren Funktionen erweitert wurde. Wahlkämpfer konnten hier direkt ihr Feedback eintragen und erhielten dann als Belohnung eine bestimmte Anzahl an Punkten gutgeschrieben. Diese Punkte gab es jedoch nicht nur für den Haustürwahlkampf, sondern auch beispielsweise für das Teilen von Social Media Posts oder anderer Inhalte (vgl. Cencic 2019). Im weiteren Verlauf wurde die App stetig für den Einsatz im Wahlkampf weiterentwickelt, beispielsweise durch push-Benachrichtigungen für aktuelle Informationen sowie durch eine Funktion, mit der man beschädigte oder zerstörte Plakate melden konnte. All diese Aktionen belohnten die Nutzer im Sinne der Gamification mit einer entsprechenden Anzahl an Punkten und der einzelne Nutzer konnte somit verschiedene Ränge erreichen und sich in regionalen aber auch bayernweiten Bestenlisten mit anderen Wahlkämpfern messen. Insgesamt wurde die App während des Wahlkampfes 2018 über 6000-mal heruntergeladen und benutzt (vgl. Cencic 2019). Neben dem Einsatz von neuen Tools rund um den Haustürwahlkampf baute die CSU zudem ihre Schulungsoffensive aus, um mehr Fachwissen an die Basis und die Verbände vor Ort weiterzugeben. In diesem Zusammenhang ist zudem die Entwicklung der Online-Grafikplattform ‚CSU kreativ‘ besonders hervorzuheben. Bei dieser Plattform handelt es sich um eine abgespeckte Version eines Grafikprogramms, mit dem die Verbände vor Ort ohne die Einschaltung von Grafikagenturen ihre eigenen Flyer, Plakate oder Werbemittel gestalten und produzieren lassen können (vgl. Graf 2019). Dies geht mit einer finanziellen Entlastung der jeweiligen Verbände einher, da bisher in einem Wahlkampfbudget ca. 20 % für Agenturkosten eingeplant werden mussten. Verbände können zudem das Programm nutzen, um templates, also Bildposts, für die Sozialen Medien selbst zu gestalten und zu generieren. Dies führte zu einem professionalisierten Auftritt bei einer Vielzahl von Verbänden. In Vorbereitung der Wahlen 2017

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bis 2019 wurden die digitalen Referate in der Struktur der Landesleitung aufgewertet. Aus den Referaten in der Presseabteilung wurde die Abteilung ‚Digitale Kommunikation‘ gebildet und die Informationstechnologie wurde ebenfalls zu einer eigenständigen Abteilung weiterentwickelt. Trotz der Etablierung der zahlreichen digitalen Neuerungen haben vor allem die Ereignisse des Herbstes 2015 und deren Folgen zu einer massiven Verschlechterung der politischen Großwetterlage zuungunsten der CSU geführt. Dies zeigte sich besonders im Laufe des Bundestagswahlkampfes 2017, bei dem eine bis dato nie da gewesene Intensität von Zerstörung und Vandalismus gegen Werbeflächen und Plakate hingenommen werden musste (vgl. shz.de 2017). Zugleich haben andere Parteien im Bereich der Sozialen Medien in den vergangenen Jahren aufgeholt und somit die digitale Überlegenheit der Partei relativiert. Vor allem die AfD investiert massiv in Strukturen, die es ihnen ermöglicht, Diskussionen in sozialen Netzwerken und Online-Foren zu ihren Gunsten zu verändern. Hinzu kommt, dass die Algorithmen emotionale Posts deutlich besser ranken als neutrale Posts. Posts extremer Parteien, die durch verrohende Gestaltung oder Inhalt stark polarisieren, erzielen eine deutlich höhere organische Reichweite als konventionelle Posts demokratischer Parteien (Hegelich et al. 2019, S. 14). Im Kontext des Mediennutzungsverhaltens jüngerer Menschen, die kaum mehr klassische Medien, wie TV, Zeitungen oder Zeitschriften zur kritischen Reflexion der politischen Thematiken verwenden, ist dies umso bedenklicher (vgl. Kalogeropoulos 2019, S. 54–55).

4 Aufbruch in eine neue Zeit – Die Transformation zur Volkspartei des 21. Jahrhunderts Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte die CSU insgesamt 38,8 % der Stimmen, konnte aber alle Direktmandate verteidigen. Im Landtagswahlkampf erreichte die Partei 37,2 % der Stimmen und verlor erstmals fünf Direktmandate in München und Würzburg an die Grünen (vgl. Hirscher 2017). Diese Ereignisse zeigen, dass die Modernisierung der 75-jährigen Volkspartei noch längst nicht abgeschlossen ist und in den kommenden Jahren konsequent fortgesetzt werden muss. Mit der Wahl von Markus Söder auf dem Parteitag am 19. Januar 2019 wurde neben dem Generalsekretär Markus Blume und seinem Stellvertreter Florian Hahn auch die neue Hauptgeschäftsführerin Carolin Schumacher mit dieser Aufgabe betraut (vgl. Wittl 2019). Bereits vor dem außerordentlichen Parteitag im Januar 2019 veranstaltete der dort neu gewählte Parteivorsitzende Markus Söder seine Basiskonferenzen, zu

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denen insgesamt 3000 Mitglieder kamen, um Ideen für den anstehenden Reformprozess zu sammeln. Des Weiteren beauftragte er den Generalsekretär mit der Bildung einer Reformkommission. Zwischen Ende Februar und Mitte Oktober 2019 tagte an sieben Terminen die aus 49 Mitgliedern bestehende, repräsentativ und ausgewogen besetzte Kommission, deren Ergebnis schlussendlich in den Leitantrag ‚Aufbruch in eine neue Zeit‘ gegossen wurde. Der Leitantrag umfasste abschließend 75 Reformvorschläge, die mit einigen wenigen Ausnahmen auf dem Parteitag am 18. und 19. Oktober mit großer Mehrheit angenommen wurden (vgl. Zeit Online 2019). Das ambitionierte Ziel der Christlich-Sozialen Union lautet in den kommenden Jahren, die Partei zur ersten „Digitalpartei“ (Christlich-Soziale Union 2019, S. 9) zu machen. Mithilfe digitaler Prozesse sollen der interne und externe Informationsfluss deutlich verbessert und ein umfangreicherer Service für die mehr als 50.000 Amts- und Mandatsträger ermöglicht werden. Hierzu wurde eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die im Folgenden vorgestellt werden. Eine der wesentlichen Neuerungen ist die Fortentwicklung des C ­SUnetKonzeptes der virtuellen Mitgliedschaft hin zu einer in der Satzung verbrieften ortsungebundenen Mitgliedschaft in der Partei (CSUnet 2019). Dies ermöglicht potenziellen Interessenten, sich künftig auch wohnortungebunden und themenorientiert in der Partei zu engagieren (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 3). Optimiert werden soll die Aufnahmegeschwindigkeit der Neumitglieder. Dies dauert derzeit noch bis zu einigen Wochen, soll künftig aber stark verkürzt werden und binnen weniger Stunden möglich sein. Neu aufgesetzt wird die Mitgliederdatenbank (MGV), die es den Mitgliedern künftig ermöglicht, ihre persönlichen Daten selbst einzupflegen und zu verwalten. Des Weiteren werden in der MGV zusätzlich neue Funktionen wie beispielsweise Beruf, Ehrenamt oder Social Media-Profil eingeführt. Dies hilft der Partei einerseits den gewaltigen Mitgliederschatz von 140.000 Mitgliedern effizienter zu nutzen, andererseits bekommen die Mitglieder künftig, aufgrund der von ihnen spezifizierten Angaben, deutlich besser auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Informationen (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 9). Neben dem Mitgliedermanagement sollen die Mitglieder von einem enormen Plus an Serviceleistungen profitieren. Hier wird die Partei künftig auf ein breites Portfolio von sehr spezifischen bis hin zu allgemein nutzbaren Verbesserungen zurückgreifen. Hierzu zählt beispielsweise die Einführung eines für alle Verbände nutzbaren Online-Buchführungssystems, das den Schatzmeistern der über 2800 Verbände massive Erleichterungen einbringen wird. Zudem werden in Zukunft auch moderne Bezahlmöglichkeiten wie paypal oder Apple-Pay bei Veranstaltungen zur Verfügung stehen (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 10–11). Bereits beim Reformparteitag wurde zudem die Etablierung des neuen digitalen Mitgliedsausweises erfolgreich getestet, der Delegierten und Gästen von

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Veranstaltungen zukünftig eine vollständig elektronische Akkreditierung ermöglicht (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 9). Des Weiteren sollen alle bereits vorgestellten Neuerungen zukünftig über ein sog. ‚Mitgliedercockpit‘ schnell und einfach erreichbar sein. Beim Mitgliedercockpit handelt es sich um eine Plattform, in der Mitglieder und Funktionsträger künftig, je nach ihren Aufgaben, alle hierfür verfügbaren Dienstleistungstools der Christlich-Sozialen Union finden und nutzen können (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 9). Diese Maßnahme soll einerseits zur Entbürokratisierung der Parteiarbeit beitragen und somit den Verwaltungs- und Zeitaufwand für die Funktionsträger massiv reduzieren, andererseits die hauptamtliche Struktur entlasten. Das bereits im vorhergehenden Kapitel vorgestellte ­Gestaltungs-Service-Tool ‚CSU kreativ‘ soll sukzessive erweitert werden. Dies stellt einen echten Mehrwert für die Öffentlichkeitsarbeit der Verbände vor Ort, auch gerade in Nichtwahlkampfzeiten dar. Abschließend soll die CSU-App mithilfe des Mitgliedercockpits von einer Wahlkampf- und Mobilisierungs-App hin zu einer serviceorientierten Mitglieder-App weiterentwickelt werden. Neben der digitalen Serviceoptimierung ist vor allem auch eine ‚Revolution‘ des innerparteilichen Meinungsbildungsprozesses geplant. Künftig sollen dem einzelnen Mitglied mehr Mitwirkungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Hierzu sind inzwischen alle Mitglieder und nicht mehr nur Delegierte zum Parteitag antragsberechtigt (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 7). Der eigentlichen Antragsdebatte auf den Konferenzen wird zukünftig eine Online-Debatte vorgeschaltet, die bereits Möglichkeit zum Austausch von Argumenten bieten wird. Darüber hinaus wird es künftig in einem zweiten Schritt ein Online-Voting geben. Nur wenn ein Antrag in diesem ein gewisses Quorum erhält, wird er anschließend auf dem Parteitag zugelassen. Hierdurch werden die Mitglieder dazu animiert, künftig stärker für ihre inhaltlichen Positionen und Forderungen zu kämpfen. Künftig können und sollen damit also im Rahmen von Parteitagen und Bezirksversammlungen elektronische Abstimmungsverfahren zum Einsatz kommen (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 10). Des Weiteren legen sich die Mandatsträger zukünftig mit der O ­ nlineAntragsverfolgung ein eigenes Controlling-Tool auf. Mit diesem Tool können die Mitglieder verfolgen, was mit ihren Anträgen nach dem Stellen auf dem Parteitag passiert und wie ihre Eingaben in die Parlamentsarbeit eingeflossen sind und umgesetzt wurden. Die Fraktionen sind hierfür Rechenschaft schuldig und müssen dementsprechend auf jedem Parteitag berichten. So werden die Einflussmöglichkeiten der Delegierten und Mitglieder gegenüber den Mandatsträgern deutlich gesteigert (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 7). Für eine inhaltliche Richtungsbestimmung zwischen den Parteitagen hat die Christlich-Soziale

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Union zudem die Möglichkeit der Online-Umfragen in ihrer Satzung verankert. Künftig sollen die Mitglieder hierdurch verstärkt und tagesaktuell in den inhaltlichen Willensbildungsprozess der Partei eingebunden werden und somit mehr mitbestimmen können (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 10). Der Weg zur „Digitalpartei“ (Christlich-Soziale Union 2019, S. 9) erfordert auch strukturelle Änderungen innerhalb der Partei. Den sichtbarsten Schritt hierzu stellt die Streichung eines satzungstechnisch verankerten Schriftführers und die Einführung eines neuen Vorstandsamtes, das des Digitalbeauftragten, dar. Die Digitalbeauftragen, die den geschäftsführenden Vorständen aller 2800 Ortsverbände angehören werden, sollen sich künftig um die digitalen Aspekte der Parteiarbeit kümmern. Hierzu zählen die Einrichtung einer modernen und zeitgemäßen Kommunikationsstruktur sowie Aufbau und Präsenz des Auftritts in Web und Sozialen Medien etc. Darauf werden die 2800 Beauftragen durch eine gesonderte Schulungsoffensive seitens der Landesleitung vorbereitet. Dies schafft in den Augen der Mitglieder, gerade bei denjenigen über dem Durchschnittalter der Partei, höhere Aufmerksamkeit und Wertschätzung. So soll gewährleistet werden, dass die Digitalisierung der Partei wirklich flächendeckend voranschreitet und keine weißen Flecken, wie es derzeit der Fall ist, entstehen (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 10). Zudem wurden die satzungstechnischen Voraussetzungen getroffen, dass Sitzungen und Parteitage auf den unterschiedlichen Ebenen künftig ortsungebunden digital stattfinden können. Dieses Verfahren wurde vom Arbeitskreis CSUnet übernommen, der dies bereits seit Gründung in seiner Geschäftsordnung vorsieht und erfolgreich praktiziert (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 10). Die zweite strukturelle Neuerung ist die Etablierung von themen- und projektbezogenen On- und Offlineforen. Diese sollen künftig neben den klassischen Arbeitsgemeinschaften, Arbeitskreisen und Kommissionen bestehen und Mitgliedern ein Engagement bei bestimmten Themen und Fragestellungen ermöglichen. Durch die Möglichkeit der virtuellen Teilhabe kann dies auch ortsungebunden ohne Mitgliedschaft in einem der Arbeitskreise oder einer Arbeitsgemeinschaft erfolgen. Mitglieder können so an einem für sie relevanten Thema mitarbeiten, ohne allzu große Verpflichtungen einzugehen. Flankiert werden soll die digitale Forenarbeit durch themenbezogene ‚physische‘ Veranstaltungen seitens der Landesleitung (vgl. Christlich-Soziale Union 2019, S. 10).

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5 Neue Herausforderungen der digitalen Kommunikation im 21. Jahrhundert Zentraler Bestandteil des Reformprozesses ist eine weitreichende Neustrukturierung der kommunikativen Strategie der Partei. Bereits während der Reformkommission wurde mit einer Umstrukturierung in der ­CSU-Landesleitung begonnen. Markus Söder holte den langjährigen Pressesprecher der ­CSU-Landtagsfraktion Franz Stangl in die Parteizentrale und unterstellte ihm in der neu geschaffenen Funktion des Bereichsleiters Kommunikation sowohl die Presse- als auch die Digitale Kommunikationsabteilung (vgl. von DelhaesGuenther 2019a). Ziel soll es sein, künftig effizienter und schneller zu arbeiten und Synergieeffekte der modernen Kommunikation zu nutzen. Bei dieser Umstrukturierung orientiert sich die Landesleitung u. a. an bereits vorhandenen Kommunikationskonzepten, wie dem trimedialen Konzept des Bayerischen Rundfunks (vgl. Frank 2019). Zentraler Bestandteil des Konzepts ist die Etablierung eines zentralen Redaktionsraums, bei dem nicht jede Abteilung einzeln recherchiert und analysiert, sondern dies künftig zentral gesteuert wird und die generierten Informationen crossmedial verwertet und ausgespielt werden (vgl. Frank 2019). Die CSU möchte hierbei keine journalistischen Konkurrenzangebote erschaffen, sondern lediglich ihren Teil zur politischen Willensbildung beitragen. Das bestehende Onlineangebot soll kräftig erweitert, und dabei sollen auch neue Formate erschlossen werden. So möchte die Partei künftig verstärkt über die Plattform LinkedIn neue Zielgruppen erschließen. Ebenfalls neu und bereits gestartet ist das Podcast-Format, das den Namen ‚Neue Töne‘ trägt und bei dem Generalsekretär Markus Blume monatlich Gäste zum lockeren Meinungsaustausch trifft. Die Auftaktsendung mit Digitalisierungsstaatsministerin Dorothee Bär schaffte es in der ersten Woche auf Platz eins der Apple Podcast Charts in der Kategorie ‚Politik‘ (vgl. van Ackeren 2019; vgl. Stangl 2019). Neben der Landesleitung sind auch die Kommunikationsabteilungen der jeweiligen ­CSU-Fraktionen in den einzelnen Parlamenten mit neuen Projekten und Formaten unterwegs. So entwickelte beispielsweise die Bundestags-CSU im Auftrag von Alexander Dobrindt den YouTube Vlog CSYOU, der besonders mit seiner ersten Folge für einige mediale Aufmerksamkeit sorgte (vgl. Anton 2019). Ziel soll es sein, den bereits eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen und durch neue, innovativere Formate mehr Reichweite in den Sozialen Medien zu generieren und somit in direkten Austausch mit den Bürgern zu kommen. Im Fokus der Online-Strategie steht vorwiegend das Entwickeln von Informationsformaten für die Generation Y. Diese zeichnet sich überwiegend dadurch aus, dass

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sie sich fast ausschließlich digital informiert und mit klassischen Medienangeboten kaum mehr erreicht werden kann. Die Analyse der Europawahl hat gezeigt, dass die Union in diesem Alterssegment zurückfällt. Erstmals hat die relative Mehrheit der Bürger in der Altersgruppe von 18 bis 25 nicht für Union gestimmt. Ein möglicher Weg ist hierbei, Parteimitglieder als Influencer verstärkt zu nutzen und einzubinden. Eigene Mitglieder sollen künftig dabei unterstützt werden, als politische Influencer aus dem Parteileben zu berichten, und gleichzeitig müssen aber auch gewählte Mandatsträger ihre klassische Rolle als Ansprechpartner um den digitalen Bereich erweitern (vgl. Stangl 2019). Die CSU hat schlussendlich und als erste Partei Influencer zum Parteitag im vergangenen Oktober eingeladen und eine eigene Social Media Lounge bereitgestellt (vgl. Jerabek 2019). Die größte Herausforderung der Partei im Digitalbereich sind nicht die politischen Mitbewerber, sondern die Algorithmen der Sozialen Netzwerke. Facebook hat seinen Algorithmus in den vergangenen Jahren so verändert hat, dass Seiten von Verbänden und Organisationen schlechter gerankt werden als Seiten und Posts von natürlichen Personen. Gleichzeitig bewertet Facebook organische Interaktionen besser als beispielsweise bezahlte Interaktionen. Dies ist im Kontext eines normalen Nutzer/Werbetreibenden-Verhältnisses durchaus legitim und sinnvoll, in der politischen Kommunikation jedoch fatal. Denn während die CSU auf sachlich korrekte Aussagen baut, agieren extreme Parteien wie die Linke oder die AfD mit polarisierenden Inhalten, die bei den Nutzern für emotionale Aufregung sorgen und entsprechende Reaktionen triggern. Emotionale Reaktionen werden vom Facebook-Algorithmus als natürliche Emotion bewertet und gut gerankt. Dies verschafft gerade extremen Meinungen einen deutlichen Startvorteil. Facebooks Ziel ist die Erhöhung der Verweildauer der Nutzer im Netzwerk. Zeit im Sozialen Netzwerk soll ‚meaningfull interaction‘ sein. Dies führt bei emotional agierenden Nutzern dazu, dass immer mehr polarisierende Posts angezeigt werden. Dadurch geraten diese in Filterblasen und radikalisieren sich hierdurch so sehr, dass sie für die Argumente anderer Parteien kaum mehr empfänglich sind (vgl. Hegelich et al. 2019, S. 14). Hinzu kommt, dass Parteien wie die AfD die vergangenen Jahre massiv genutzt haben, um eine Infrastruktur aufzubauen, die nur in den sozialen Medien agiert. Dies bedeutet, dass die AfD kaum finanzielle Mittel für bezahlte Werbung im digitalen Bereich ausgeben muss, allerdings dennoch mit weitem Abstand die größte Reichweite erzielt, da sie über eine Vielzahl von hyperaktiven Nutzern mit teilweise sogar mehreren Accounts verfügt, die ihre Inhalte verbreiten. Dieses Phänomen konnte von Simon Hegelich im Rahmen einer Auswertung der Werbeaktivitäten der Parteien während der Europawahlen bestätigt werden (vgl. Hegelich et al. 2019, S. 14).

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6 Die Zukunft der Digital-Volkspartei Rekurrierend auf das eingangs erwähnte Zitat von Franz Josef Strauß kann festgehalten werden, dass die Christlich-Soziale Union auch über 30 Jahre nach seinem Tod immer noch alle Maßnahmen und Vorkehrungen trifft, um an der Spitze des Fortschritts zu marschieren. Die Analyse hat gezeigt, dass diese Entwicklung keineswegs ein Selbstläufer war und dass die Rahmenbedingungen für die bayerische Volkspartei keinesfalls einfacher werden. Dennoch kann bilanziert werden, dass die Partei mit ihrer Bereitschaft, neue Trends und technische Möglichkeiten zu adaptieren, trotz begrenzter finanzieller Ressourcen sehr erfolgreich war und ist. Entscheidend könnten auch die zum Ende des Jahres ausverhandelten neuen Regelungen des Medienstaatsvertrags sein. Sie werden zukünftig darüber entscheiden, welche Vorgaben für politische und meinungsbildende Formate auf digitalen Plattformen gelten sollen. Derzeit ist dieser Bereich noch komplett unreguliert. Die CSU als Organisation ihrerseits muss die im Oktober auf dem Reformparteitag verabschiedeten Maßnahmen schnellstmöglich umsetzen und ggf. weitere Schritte planen. Das oberste Ziel sollte sein, mittelfristig höhere, organische Reichweiten zu erzielen. Erste Erfolge zeichnen sich hier in den ersten sechs Monaten nach dem Strategiewechsel bereits ab. Zwar wird es der CSU durch die strukturellen Gegebenheiten der sozialen Netzwerke nicht möglich sein, den Vorsprung von extremen Parteien wett zu machen, dies ist aber auch nicht das strategische Ziel. Statt Quantität soll die Qualität der Informationen im Fokus stehen. Es muss gelingen, die personelle Stärke der drittgrößten deutschen Partei mit 140.000 Mitgliedern und über 700 hauptberuflichen Mandatsträgern besser auszuspielen und zu nutzen. Die 2800 neu zu wählenden Digitalbeauftragen werden in diesem Prozess eine Schlüsselrolle spielen. Sie und die hauptberuflichen Mandatsträger müssen in ihren Kreisverbänden als digitale ‚role models‘ und Vorbilder wirken. In ihrer Hand liegt es, die künftig lebensnotwendige digitale Mobilisierung der Basis sicherzustellen und zu garantieren. Jedes Parteimitglied ist gefordert, sich einzubringen und sich zu beteiligen. Die neu geschaffenen Möglichkeiten, Abstimmungen, virtuelle Sitzungen und Foren werden dazu beitragen, alle Mitglieder an digitalere Arbeitsabläufe zu gewöhnen. Ziel muss es sein, die Stammtische vom Analogen ins Digitale zu verschieben.

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Politische Führung

Das Kapitel des Bewährten: Die CSU als professionelle Führungskraft in Bayern und der Bundespolitik Sebastian Kraft

Ein Erfolgsgeheimnis der CSU ist es, sich immer wieder neu zu erfinden und auf die aktuellen Herausforderungen umgehend zu reagieren (Mintzel 1998). So erkannte Bayern als erstes Bundesland die besondere Bedeutung des Umweltschutzes und beschloss am 8. Dezember 1970 die Gründung eines eigenen Umweltministeriums (Egleder 2010, S. 209). Als die Themenkomplexe Wohnen, Bau und Verkehr durch den langjährigen Zuzug in die bayerischen Ballungszentren immer größere Bedeutung bekamen, löste Ministerpräsident Markus Söder bei seiner ersten Kabinettsbildung im Frühjahr 2018 diese Themenbereiche aus dem Innenministerium heraus und gründete ein eigenes Staatsministerium für diese Zukunftsthemen. Der Schritt kam für viele überraschend, stand aber zu keinem Zeitpunkt infrage. Ein halbes Jahr später, bei seiner zweiten Kabinettsbildung, rief Ministerpräsident Söder das Digitalisierungsministerium ins Leben – erneut war der Freistaat das erste Bundesland, erst im Januar 2019 gründete mit Hessen ein weiteres Bundesland ein Digitalisierungsministerium. Kontinuität und gleichzeitiger Wandel untermauern Führungskraft und Führungsanspruch der CSU in Bayern und der Bundespolitik.

S. Kraft (*)  Ergolding, Deutschland © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_13

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1 Politische Führung und Bewährung der CSU: Zur Fragestellung Passgenaue Antworten auf den schnelllebigen Wandel zu finden wird auch in Zukunft eine zentrale Aufgabe der CSU bleiben. Wir leben in einer Zeit, in der die Bindungskräfte der großen Volksparteien nachlassen (Kronenberg und Mayer 2009). Die SPD konnte auch durch mehrere Führungs- und inhaltliche Richtungswechsel den über Jahre anhaltenden kontinuierlichen Sinkflug bei Umfragewerten wie Wahlergebnissen nicht aufhalten. Die öffentlich ausgetragene Selbstbeschäftigung der Genossinnen und Genossen hat diesen Trend zudem verstärkt. Die CDU läuft derzeit Gefahr – trotz warnendem Beispiel der SPD vor Augen –, in einen ähnlichen Abwärtstrend zu geraten und sich in endlosen Personaldebatten zu verstricken. Gemessen an diesen Entwicklungen steht die CSU trotz des historisch schlechten Wahlergebnisses bei den Landtagswahlen 2018 mit 37,2 % stabil da. Doch die Herausforderungen sind gewaltig: In den Städten wie den Umlandgemeinden der Ballungsräume sind die Grünen zu einer nachhaltigen Herausforderung geworden (Mintzel 2014). Die CSU sieht sich plötzlich der Gefahr ausgesetzt, lange Zeit unantastbare Direktmandate wie in München zu verlieren, die zahlreiche politische Existenzen gefährden können. Die Kommunalwahlen im März 2020 waren dabei ein wichtiger Gradmesser, ob die CSU im eher liberaleren Großstadtmilieu die richtigen politischen Konzepte anbieten und vorweisen kann oder ob der Siegeszug der Grünen eine neue Stufe erreicht. Galt früher der ländliche Raum, vor allem in Oberbayern, als die wichtigste Lebensversicherung für Landtagswahlen, hat sich diese Situation nun durch den jahrelangen Zuzug in die Ballungsräume geändert. Will die CSU in Bayern und im Bund auch in Zukunft Führungsstärke beweisen, muss sie vor allem in den urbanen Gebieten personell und inhaltlich passende Angebote machen. Gleichzeitig steht die CSU auch im ländlichen Raum vor großen Herausforderungen (Weigl 2013, S. 60–65). Das bisher konservativ geprägte kirchliche Milieu wird zunehmend kleiner und sympathisiert darüber hinaus teilweise auch mit den Grünen. Mit den Freien Wählern hat sich in vielen Landesteilen (besonders in Niederbayern, Schwaben und Oberfranken) ein bürgerlicher Konkurrent auf Augenhöhe etabliert. Inhaltlich trennen beide Parteien oft nur kaum wahrnehmbare Nuancen, personell kandidieren unterlegene Kandidatinnen und Kandidaten gerne danach für die andere Partei, wie bei den Kommunalwahlen 2020 zu beobachten war. Wobei der Wechsel von der CSU zu den Freien

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Wählern eher die Regel und der Wechsel von den Freien Wählern zur CSU meist die Ausnahme darstellt. Unbestritten ist jedoch, dass die Regierungsbeteiligung der Freien Wähler mit einem stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger die Freien Wähler endgültig in Bayern etabliert und damit zum härtesten Konkurrenten der CSU im bürgerlichen Lager gemacht hat. Denn im Gegensatz zur AfD durchdringen die Freien Wähler viele Bereiche der Gesellschaft und konnten ihren Rückhalt in den für Bayern wichtigen Verbänden und Vereinen stärken (Deininger 2020, S. 291– 301). So ist z. B. das Ringen zwischen CSU und Freien Wählern um die Nachfolge im wichtigen bayerischen Jagdverband auch ein Ringen um den Einfluss der beiden Parteien im vorpolitischen Raum. Parallel dazu ist die AfD in vielen ländlichen Regionen, besonders in Niederbayern, zu einer weiteren Herausforderung geworden, auf die die CSU (wie auch andere Parteien), bisher noch keine passende Antwort gefunden hat (Deininger 2020, S. 302–311). Die bisherigen Rezepte und strategischen Überlegungen – verschweigen, mit ähnlichen Positionen nachahmen oder offen zu attackieren und zu demaskieren – verfingen bisher nicht. Die AfD steht weiterhin stabil da und will nun auch in weiteren Kommunalparlamenten Fuß fassen. Strukturell und inhaltlich steht die CSU also vor der großen Herausforderung, den Spagat zwischen urbanen und ländlichen Räumen zu meistern und in Zeiten nachlassender Bindungskräfte der Volksparteien alle Gesellschaftsschichten im Freistaat zu durchdringen. Die Grundlage für die Führungsstärke im Bund bleiben weiterhin überdurchschnittliche Wahlergebnisse im Bayern.

2 Staatsregierung und Landtag: Politische Führung in Bayern Auch wenn die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag sich traditionell als „Herzkammer“ versteht (Bürger 2010), geht der Führungsanspruch der CSU immer von einer starken Person in der Exekutive und damit an der Spitze der Staatsregierung aus (Kießling 2004, S. 121–134). Mit Persönlichkeiten wie Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber und Horst Seehofer hat die CSU in der Historie immer ihre Sonderstellung untermauern und aus einer Position der Stärke heraus Bayern regieren können (Steiler 2010; Reithmeier 2013). An diese Tradition will Markus Söder nun anknüpfen und ist nach anfänglichen Schwierigkeiten in die Rolle des Bayerischen Ministerpräsidenten mittlerweile hineingewachsen. Zur Führungsstärke müssen politischer Kurs, Programm und

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Personen zusammenpassen. In allen drei Bereichen hat sich die CSU unter ihrem Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden Markus Söder gefestigt.

2.1 Profil der Abgrenzung nach rechts Ursprünglich wollte die CSU noch unter Horst Seehofer den neuen politischen Konkurrenten AfD mit ähnlicher Rhetorik und harten Positionen in der Flüchtlingsfrage überbieten und abgewanderte Wählerinnen und Wähler somit wieder zurückgewinnen. Diesem Kurs liegt die Überlegung zugrunde, dass das bürgerliche Lager in den letzten Jahrzehnten bei Landtagswahlen immer zwischen 60 und 65 % auf sich vereinen konnte, während das linke Lager aus SPD, Grünen und der in Bayern kaum existenten Linkspartei zwischen 30 und 35 % erreicht hat. 2003 konnte die CSU noch fast alle bürgerlich orientierten Wählerinnen und Wähler an sich binden und eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag erreichen, während 2008 große Verluste an Freie Wähler und FDP folgten (Lautner 2010). Während 2013 die absolute Mehrheit wieder zurückerobert werden konnte, warben 2018 mit der erstmals antretenden AfD erstmals vier Parteien mit ­bürgerlich-konservativer Orientierung um dasselbe Wählerpotenzial – wenngleich viele Beobachter Teile der AfD schon außerhalb des demokratischen Spektrums einordnen. Mit dem Erstarken der Grünen, die auch für das bürgerlich-liberale Klientel in den Ballungsräumen wählbar sind, gelten diese alten Grundsätze jetzt zunehmend nicht mehr. Vielmehr geht es für die CSU jetzt nicht mehr darum, alten Idealen von „50 plus x“ hinterher zu träumen, sondern mit einem klaren Profil und klarem Kurs ihre Vormachtstellung in Bayern zu behaupten. Folgerichtig hat die CSU unter Markus Söder ihre anfängliche Strategie, die AfD mit vergleichbaren Positionen aus dem Landtag heraus zu halten, geändert und fährt nun in der aktuellen Legislaturperiode einen klaren Kurs der Abgrenzung zur AfD. Für die Wählerschaft soll damit klar werden, wofür die CSU steht. Gleichzeitig bezeichnet Markus Söder die AfD offen als „neue NPD“ und betont, dass man den AfD-Funktionär Björn Höcke gerichtlich bestätigt als „Nazi“ bezeichnen dürfe. Als erster Unions-Politiker hat er sich unmittelbar nach der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich durch AfD-Stimmen klar distanziert und Neuwahlen für Thüringen gefordert. In Bayern und auch Deutschland hat Markus Söder mit dieser klaren politischen Kursbestimmung an Profil gewonnen und die Leitplanken nach rechts wie links klar definiert.

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2.2 Programmatische Modernisierung der CSU Ein zweiter Aspekt der Führungsstärke ist die inhaltliche wie personelle Modernisierung der CSU. Bedingt durch das schnelle Erstarken der Grünen hat Markus Söder seiner Partei einen Reformkurs auferlegt, ohne den ein Erfolg bei den Landtagswahlen 2023 vermutlich in weite Ferne rücken würde. Söder beschreitet damit den Weg kontinuierlich fort, den sein Vorgänger Horst Seehofer mit der Aussetzung der Wehrpflicht, dem umweltfreundlichen Ausbau der Donau und der Aufgabe der Kernenergie bereits beschritten hat (Reithmeier 2013, S. 111–113). Sein Modernisierungskurs ist allerdings geprägt von hohem Tempo: So hat er das Volksbegehren für mehr Artenvielfalt, das in Bayern über eine Millionen Menschen unterschrieben hatten, in wenigen Wochen auch gegen Widerstand aus den eigenen Reihen selbst umgesetzt, um einer drohenden Niederlage bei einem Volksentscheid zuvor zu kommen. Konflikte mit der Bauernschaft, weiterhin ein wichtiges Wählerklientel der CSU, nahm er dabei in Kauf. Klimaschutz und Ökologie spielen mittlerweile in allen Ministerien eine herausragende Rolle. Der öffentliche Personennahverkehr wird mit großen Investitionen ausgebaut, während bei Straßenbaumaßnahmen die umweltverträgliche Umsetzung hervorgehoben wird. Die CSU reagiert damit auf das wachsende Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zu Ökologie und Klimaschutz. Gleichzeitig muss und will die CSU eine Antwort auf die Demonstrationen der jungen Generation in allen Landesteilen geben, die von der Fridays-for-Future-Bewegung angeführt werden. Auch wenn Teile der konservativen Bevölkerung mit dieser Organisation und ihren teils radikalen Zielen wenig anfangen können, gilt es gesellschaftliche Strömungen wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Andernfalls droht der CSU der Verlust einer ganzen Generation, die sich politisch eine andere Heimat sucht und dann nur schwer wieder zurückzugewinnen ist. Die Stimmungen der jungen Generation aufzugreifen und darauf Antworten zu finden ist Grundlage der zukünftigen Führungsstärke in Bayern: Die CSU hat im Laufe der Geschichte immer wieder bewiesen, dass sie über ihre Nachwuchsorganisation Junge Union neue kluge Köpfe hervorbringen kann, die nach und nach in politische Verantwortung hineinwachsen (Gruber 2010).

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2.3 Personelle Neuaufstellung: Die Suche nach mehr Frauen Aus dieser Nachwuchsorganisation ist auch der aktuelle Parteivorsitzende und Bayerische Ministerpräsident Markus Söder hervorgegangen. Mittlerweile hat er die CSU – ganz nach seinen politischen Vorbildern Strauß und Stoiber – stark auf sich zugeschnitten und ist damit erfolgreich. Die Mitglieder seines Kabinetts kommen wie üblich aus allen Landesteilen und Regierungsbezirken, streng nach Proporz. Diese von außen nicht selten belächelte Begebenheit sorgt zum einen für parteiinterne Machtbalance nach innen und sichert zum anderen den Führungsanspruch nach außen. Im Gegensatz zu den Freien Wählern, die in der kommunalen Breite zwar eine große, in der Landespolitik aber weiterhin eine dünne Personaldecke aufweisen, kann die CSU für sich in Anspruch nehmen, mit allen Landesteilen am Kabinettstisch vertreten zu sein. Auch bei der Gleichstellung der Geschlechter treibt Markus Söder die Modernisierung der CSU stetig voran. So bestand die Liste für die Stadtratswahl 2020 in Nürnberg aus gleicher Anzahl an Frauen wie Männern. Für manche war das Tempo der Reform allerdings zu hoch. So lehnte der CSU-Parteitag im Oktober 2019 den Vorstoß ab, die 40 %-Frauenquote, die bei der CSU schon auf Bezirksvorstands- und Parteivorstandsebene gilt, auch auf Kreisebene auszuweiten (Augsburger Allgemeine 2019). Ein paar Monate später nutzte Markus Söder im Februar 2020 bei einer kleinen Kabinettsumbildung die Möglichkeit, erstmals in der Geschichte des Freistaats für Parität bei den C ­ SU-Ministerposten zu sorgen: Die Christsozialen sitzen jetzt mit fünf Ministerinnen und fünf Ministern am Kabinettstisch – der Koalitionspartner Freie Wähler weist bei drei männlichen Ministern nur eine Frau als Staatssekretärin auf.

3 Zwischen Koalitionen und Opposition: Politische Führung im Bund Politische Führung im Bund zu übernehmen und in Berlin Taktgeber zu sein ist für die CSU per se ein schwieriges Unterfangen (Müller 2005). Die CSU ist in Berliner Regierungsverantwortung in der Regel der kleinste Partner und wird von Teilen der CDU ohnehin als ‚Geburtsfehler der Union‘ angesehen. Darüber hinaus stand auch ein starker CSU-Vorsitzender wie Horst Seehofer immer im Schatten der omnipräsenten Bundeskanzlerin Angela Merkel. In den Jahren der schwarz-gelben Koalition (2009–2013) war die Konstellation noch besser,

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da es neben der CDU mit FDP und CSU zwei annähernd gleich starke kleinere Partner gab. In den beiden großen Koalitionen mit der SPD (2005 bis 2009 und 2013 bis 2017) war die Wahrnehmbarkeit ungleich schwieriger, sodass oft nur die Provokation half, um Führungsstärke zu demonstrieren. Mit Slogans wie „Wer betrügt, der fliegt“ bei der Debatte um den Missbrauch von Sozialleistungen oder dem Fordern einer starren Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr versuchte Horst Seehofer die Kanzlerin größtenteils erfolglos vor sich her zu treiben und riskierte dabei mitunter auch den Bruch der Union (Bewarder und Kamann 2013). Oft entstand so der Eindruck, dass die CSU Oppositionspolitik zur eigenen Kanzlerin betreibt, um wahrgenommen zu werden und eigene politische Akzente zu setzen. Wirklich erfolgsversprechend war dieser Weg aber nicht. Denn statt Oppositionspolitik ist es vielmehr auch die Stärke der CDU-Kanzlerschaft und die damit verbundene Einheit der Union gewesen, die wie im Jahr 2013 der CSU herausragende Wahlergebnisse in Berlin wie München bescherte. Zweimal versuchte die CSU die Führung der Bundesrepublik zu übernehmen und den Kanzler zu stellen – sowohl Franz Josef Strauß (1980) als auch Edmund Stoiber (2002) scheiterten (Richter 2004). Auf den zweiten Blick zeigt sich aber auch, dass die CSU ihrem Führungsanspruch im Bund durchaus gerecht wird: So stellt sie auch in der aktuellen Legislaturperiode drei Bundesminister, während die CDU Baden-Württemberg als starker Landesverband mit vergleichbarer Größe Bayerns kein Kabinettsmitglied mehr vorweisen kann. Die historische Sonderrolle weiß die CSU oft klug zu nutzen, wenn sie als gleichberechtigter Partner auf Augenhöhe bei Koalitionsverhandlungen oder Koalitionsausschüssen ihre Interessen durchsetzt. Die jüngsten Entwicklungen mit der großen Umbruchsphase in der CDU zum Ende der Ära Angela Merkel zeigen, dass die CSU mit der nötigen Cleverness nicht nur Führungsstärke beweisen, sondern auch Taktgeber der Bundesrepublik sein kann. Parteichef Markus Söder hat die personellen wie inhaltlichen Schwächen der CDU erkannt und lenkt mit Forderungen wie nach einer Verjüngung des Bundeskabinetts tagelang die Debatten im Bund. Das aufgrund des Scheiterns der CDU-Vorsitzenden und potenziellen ­ Merkel-Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer entstandene Machtvakuum füllt er mit seinem Führungsanspruch. Bei der Debatte um die Wahl des Thüringer ­FDP-Ministerpräsidenten mit AfD-Stimmen schien er in der öffentlichen Wahrnehmung die Linie vorzugeben und die Union durch die Krise zu führen. Diese Führungsstärke des CSU-Vorsitzenden im Bund basiert in dieser Übergangsphase zu großen Teilen auf der Schwäche bzw. der noch nicht erfolgten personellen Neuaufstellung der CDU. Sollte diese abgeschlossen sein, wird das Wort der CSU

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bei der Bestimmung des Kanzlerkandidaten der Union aber ein großes Gewicht haben. Im Windschatten solcher medialen Debatten bedeutet politische Führung in Berlin für die CSU vor allem, möglichst viel Bundesgelder nach Bayern zu lenken. Seit jeher gehören das Landwirtschafts- sowie das Verkehrsministerium zu den beliebtesten Kabinettsposten, um Fördermittel für Infrastruktur und Bauern in den Freistaat zu holen. Was von der Opposition oder gerne auch mal Parteifreunden aus der Union immer wieder kritisiert wird, nutzt CSU-Politikern der Berliner Landesgruppe, um bei Auftritten in ihrem Wahlkreis die Hoheit über die Stammtische zu behalten (Hempel 2010). Auch bei der Strukturpolitik kommt der CSU ihre Sonderrolle im Bund zugute: Schon Franz Josef Strauß verstand es, politisch durchzusetzen, dass große Teile der Rüstungsindustrie in Bayern angesiedelt wurden und in der Folge viele Jahre für einen Wirtschaftsaufschwung sorgten. Jeder CSU-Parlamentarier im Berliner Bundestag wird weiterhin daheim daran gemessen, was er oder sie in den jeweiligen Wahlkreis nach Bayern holen kann.

4 Das Kapitel des Bewährten: Befunde und Erfolge Eine professionelle Führungs- und Gestaltungskraft besteht folglich aus mehreren Aspekten. Grundlage ist für die CSU immer der Erfolg in Bayern, nahezu jede Landtagswahl ist existenziell und die oft zitierte „Mutter aller Schlachten“. Nur mit einem starken Ministerpräsidenten kann die CSU in Berlin Taktgeber, Motor und Antreiber der Bundesregierung sein und sich mit eigenen Akzenten und Forderungen Gehör verschaffen (Weigl 2013, S. 126–133). Historisch hat es sich bewährt, wenn das Amt des Ministerpräsidenten und der Parteivorsitz in der Hand einer durchsetzungsfähigen Persönlichkeit sind (Korndörfer 2010). Eine Doppelspitze wie bei Edmund Stoiber und Theo Waigel war nur bei klarer Aufgabenteilung in München und Berlin möglich und aufgrund persönlicher Befindlichkeiten meist nur auf Zeit erfolgreich. Zur nachhaltigen Führung gehört allerdings auch, dass die CSU mit ihren zahlreichen Ministerinnen und Ministern im Freistaat wie im Bund glaubwürdig in alle Landesteile wirkt und dort sichtbar ist. Hier unterscheidet sie sich stark von den Grünen, die auf dem Land kaum wahrnehmbar sind, und den Freien Wählern, die Probleme in den Großstädten und Ballungsräumen haben. Nur mit der Durchdringung aller Bevölkerungs- und Gesellschaftsschichten kann die CSU eine authentische Anziehungskraft für die besten jungen Köpfe schaffen,

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sich politisch zu engagieren und die notwendigen Mühlen der Ebenen zu durchlaufen, um dann politische Verantwortung zu übernehmen. Schafft es die CSU darüber hinaus, drängende Probleme des Freistaats bei der Mobilität und der Wohnungsnot zu lösen und mit der Hightech-Agenda die richtigen wirtschaftlichen Impulse zu setzen, sollte sie ihren Führungsanspruch auch gegen derzeit starke Konkurrenten wie die Grünen oder die Freien Wähler behaupten können.

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S. Kraft

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Zusammenführen statt Spalten – Politische Führung im Zeichen des Populismus Udo Zolleis und Michael Opitz 1 Der Populismus: Mehr als ein Stresstest für die CSU Politische Führung innerhalb der CSU zeichnete sich stets dadurch aus, ein feines Gespür für gesellschaftliche Veränderungen zu entwickeln und im Hinblick auf Herausforderungen im Parteiensystem die richtigen Entscheidungen zu treffen. Der CSU-Aufstieg in den Gründungsjahren der jungen Bundesrepublik hin zu einer modernen Volkspartei hing eng mit strategischen Entscheidungen zur Konsolidierung des bürgerlichen Wählerspektrums zusammen, indem die CSU nicht nur wichtige Wählergruppen der Bayernpartei und der Vertriebenenparteien abwarb, sondern auch – anders als in Österreich – keinen Raum für eine nationalistische Partei zuließ. Die dominierende Rolle der CSU im bayerischen Parteiensystem lag auch in vorteilhaften sozio-strukturellen Gliederungsmustern der Wählerschaft begründet. Zu einem größeren Teil waren es aber in entscheidenden Momenten wegweisende Führungsentscheidungen, die zum Ergebnis hatten, dass die CSU sich von vergleichbar weniger erfolgreichen Parteibeispielen in anderen Ländern abkoppeln und als moderne Volkspartei mit satten Regierungsmehrheiten weiterregieren konnte.

U. Zolleis (*)  München, Deutschland M. Opitz  Bruxelles, Belgien E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_14

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Die vergangenen Landtags-, Bundestags- wie auch Europawahlen haben aber gezeigt: Der Regierungsanspruch der CSU bleibt zwar unverändert bestehen, ihre Mehrheiten dafür aber bröckeln sichtbar. Gerade das Erstarken der AfD fordert die CSU heraus. Wie in vielen europäischen Ländern ist mit der AfD auch in Bayern der Populismus in den politischen Markt eingezogen. Dabei hat die AfD das bayerische Parteiensystem nicht nur numerisch verändert: Die Rechtspopulisten verkleinern den Kuchen für die demokratischen Parteien am Wahlsonntag, sie fordern aber auch mit ihrem politischen Stil, ihrer aggressiven Themensetzung und ihrem Organisationsselbstverständnis als ­Anti-Establishment-Bewegung alle Parteien in den Parlamenten heraus, ganz besonders die dominierende Regierungspartei. Der Umgang mit dem aufsteigenden Populismus ist für die heutige politische Führungsgeneration der CSU die entscheidende strategische Herausforderung für die künftige Mehrheitsfähigkeit der Partei. Dabei ist „Populismus“ kein singuläres politisches Phänomen in Bayern. Ganz im Gegenteil: In Zeiten von Brexit, der Euro-Krise oder auch von Donald Trump ist Populismus ein geflügeltes Wort in der politischen Debatte geworden, das die „guten“ etablierten Kräfte von destabilisierenden politischen Zündlern abgrenzt (Albright 2018, S. 115). Dennoch ist der negativ konnotierte Begriff äußerst vage, da „Populismus“ weniger eine konkrete politische Ideologie benennt, als vielmehr eine innere Logik des Führungsverständnisses ausdrückt (Müller 2016, S. 51; Judis 2016, S. 13). Von Trump über Orbán bis hin zu Tsipras beansprucht der populistische Anführer einen Alleinvertretungsanspruch: „Nur ich kenne, nur ich vertrete wirklich das Volk.“ Populismus ist daher nicht nur antielitär, er ist vor allem auch antipluralistisch (Müller 2016, S. 44). Damit beleben Populisten das Gegenteil vom politischen Selbstverständnis von Volksparteien, die per Definition pluralistisch und einbindend angelegt sind (Smith 1982, S. 59–62). Mit der pluralistischen Organisationsphilosophie einer Volkspartei ist ein populistischer Führungsanspruch nicht vereinbar. Die politischen Parteifamilien, auf denen die heutigen Volksparteien – wie eben die Christdemokratie – fußen, sind zwar auch einstmals als Gegenbewegungen gegen etablierte Parteien wie die Liberalen oder auch die Säkularkonservativen entstanden, aber sie waren und sind Verfechter der parlamentarischen Demokratie (Kalyvas 1996, S. 261) und setzen dabei gerade auch auf einen demokratischen Wettbewerb sowie das Einbinden möglichst vieler, auch manch äußerst unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen in ihre eigene Parteiorganisation. Ihr organisatorisches Politikverständnis entspringt nicht einem alleinigen Vertretungsanspruch, sondern vergleichbar mit einem Omnibus, der unterschiedliche Fahrgäste auf einer gemeinsamen Reise mit

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gleichen Zielen mitnimmt, versuchen Volksparteien unterschiedliche Wählergruppen unter einem Dach zu vereinen, unter anderem auch indem bestimmte Konfliktlinien gerade nicht polarisierend verschärft, sondern pragmatisch überbrückt wurden (von Beyme 2000, S. 193). Beispielsweise war dies bei der Christdemokratie zwischen Kapital und Arbeit, aber auch im konfessionsübergreifenden Ansatz der Fall (Zolleis 2007, S. 63). Im wiedererstarkten Klassenkampf der unmittelbaren Nachkriegsjahre war die CSU bewusst schichtübergreifend angelegt. Das Zusammenführen von gesellschaftlichen Gruppen war ihrem Verständnis als Volkspartei zugrunde gelegt (Zolleis und Wertheimer 2013, S. 101–109). Seit der Gründung der CSU war der Anspruch jedes ihrer Vorsitzenden, die Partei als breite und in unterschiedlichen Wählermilieus verankerte Volkspartei zu etablieren und weiterzuentwickeln (Müller 2005, S. 216). Auch heute definiert sich die CSU als „einzige Volkspartei in Bayern“ (CSU 2016, S. 1). Damit stehen die bayerischen Christsozialen nicht nur rhetorisch, sondern auch in ihrem Organisations- wie Politikverständnis eindeutig im Widerspruch zu den Populisten von links wie rechts. Unbestritten fordert heute der Populismus die westlichen Demokratien heraus (Eatwell und Goodwin 2018, S. 3–14; Krastev 2014; Art 2016; Ignazi 2016; Fukuyama 2018) und, wie die vergangenen Bundes-, Landtags- und Europawahlen in Bayern gezeigt haben, wirbelt die AfD auch das bayerische Parteiensystem durcheinander. Keine Frage, die politische Auseinandersetzung mit der populistischen Herausforderung gehört zu den vorrangigen Aufgaben politischer Führung in der CSU. Dennoch bedeutet „Auseinandersetzung“ nicht nur eine Abgrenzung vom politischen Gegner, sondern auch, sich auf seine eigenen Stärken zu besinnen und die Ursachen für den Populismus konsequent anzugehen.

2 Politische Führung in der CSU Schon seit geraumer Zeit wird den Volksparteien die Totenglocke geläutet. Der Abstieg der Sozialdemokratie nicht nur in Deutschland gilt hier vielen Beobachtern als Beleg. Populistische Parteien gelten als neue Strömung, die den gesellschaftlichen Konsens, auf dem die etablierten Volksparteien fußen, untergräbt (Meinel 2019). Neue kulturelle Konflikte, aber auch wieder zunehmende Verteilungskonflikte, würden den gesellschaftlichen Zusammenhalt bröckeln lassen, sodass der Nachkriegskonsens ad acta gelegt werden müsste. Giovanni Sartori hat in seinem Klassiker über politische Parteien aber darauf Wert gelegt,

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dass Parteien mehr sind als bloße Wählermembran. Parteien setzen auch das politische Angebot und sind demnach Veränderungen nicht hilflos ausgesetzt (Sartori 1976). Mögen Kontexte variieren, Parteien haben im Grunde ihren Erfolg selbst in der Hand, auch wenn er mitunter schwieriger zu erzielen ist. Diese Richtungsentscheidungen hängen aber ganz maßgeblich von der politischen Führung ab. „Politische Führung“ ist – wie Manfred G. Schmidt feststellte – eine uneinheitlich definierte Bezeichnung für politische Steuerung und Leitung politischer Prozesse. Dieser Leitungs- und Steuerungsprozess kann von einer Person, aber durchaus auch von einem Team oder sogar einer gesamten Institution ausgeübt werden (Schmidt 1995, S. 742). Im Unterschied zu Regierungen hat politische Führung bei Parteien den Vorteil, dass sie nicht heterogene Gesellschaften „führen“ muss, sondern sie allein ein Gebilde steuert, das durch ein Minimum an Gemeinsamkeiten, durch ähnliche Überzeugungen oder verwandte gesellschaftliche Interessen miteinander verbunden ist (Lösche 2005, S. 350). „Politische Führung“ kennt – wie die USamerikanische L ­ eadership-Forschung zeigt –, vor allem vier Elemente: Personen, das institutionelle Machtgefüge, die politischen Herausforderungen und das Erreichen der Erfolgskriterien. Anders als andere Parteien hatte die CSU nie ein Problem mit „politischer Führung“. Alf Mintzel attestiert ihr sogar einen zu starken Appetit darauf: „Was die demokratische Mitgliederpartizipation anbelangt, so war aufseiten der Mitgliedschaft und Delegierten gegenüber den Parteiführern und prominenten CSU-Politikern in der Regel ein gefolgschaftsähnliches Verhältnis, aufseiten der Parteiführer ein prononcierter autoritärer Führungsstil zu beobachten. Parteiführer der CSU missverstanden zuweilen das Prinzip demokratischer Mitgliederpartizipation als bloß akklamierende Beteiligung, als nur organisationstechnische Hilfstätigkeit und Werbeaktivität“ (Mintzel 1975, S. 508). Dennoch war die CSU nie ein monolithisches Gebilde, das einem Parteivorsitzenden voll und ganz unterworfen oder gar ausgeliefert war. Bereits ihr erster Parteivorsitzender, Josef Müller, musste erleben, dass die CSU zwar keine lose verkoppelte Anarchie darstellte, aber ihre Steuerung zumindest auf einem institutionellen Machtgefüge aufgebaut war. Sein Scheitern als Parteivorsitzender konnte der „Ochsensepp“ an einer fehlenden Hausmacht und vor allem seinem fehlenden Rückhalt in der Landtagsfraktion festmachen (Müller 2005, S. 220). Gerade weil die CSU eine vielschichtige Organisation war und ist, konnte diese Volkspartei weder ohne Hausmacht noch ohne institutionelles Wissen gesteuert werden.

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Abgesehen von den ersten beiden Parteivorsitzenden, Josef Müller und Hans Ehard, die durch die politischen Umbrüche in der unmittelbaren Nachkriegszeit recht unvermittelt an die Spitze von Partei und Staat gespült wurden, zeichneten sich die CSU-Spitzenvertreter doch durch ähnliche Karrierewege aus. Sie mussten zunächst als Parlamentarier, Landesgruppenchefs, Staatssekretäre, Minister oder auch als Generalsekretäre ihre Parteifreunde von ihrer Eignung, ihrem Können und auch mit Erfolgen überzeugen, bevor sie in Spitzenämter der CSU aufsteigen durften. Der Aufstieg von Hanns Seidel bis Markus Söder lief zumindest bis auf die letzten Meter stets in geregelten Bahnen ab. Alle Parteivorsitzenden kamen aus kleinen Verhältnissen und kletterten nach und nach die politische Karriereleiter hoch. Politische Dynastien wie die Bushs, Kennedys oder auch Clintons kennt die CSU nicht. Politische Führung in der CSU wird nicht vererbt oder putschartig übernommen, sie muss in langjähriger Kärrnerarbeit erarbeitet werden. Weder reicht der Verweis auf einen verdienstvollen Großvater, noch eine grandiose Parteitagsrede oder ein historisches Heldenstück aus. Auch kannten viele Karrieren der CSU-Spitzenpolitiker, bevor sie an die Führungsspitze der CSU traten, Rückschläge, wie den für Franz Josef Strauß äußerst schmerzlichen Rücktritt als Verteidigungsminister. Nachwirkende politische Traumata aus dramatischen politischen Niederlagen aber, die das Abdriften beispielsweise von Orbán oder auch Chavez hin zum Populismus prägten (Albright 2018, S. 126), waren und sind den CSU-Spitzenpolitikern fremd. Ein Denken „ich gegen das Establishment“ hat bis heute kein Mitglied der CSU-Parteispitze besessen. Alles in allem war der Weg an die CSU-Spitze kaum planbar, aber verlief doch in vorhersehbaren Bahnen. Das festgefügte Organisationsverständnis der CSU ließ personelle Wechsel an ihrer Spitze vielleicht nie ganz konfliktfrei vonstattengehen, aber organisatorische Disruptionen verursachte es jedenfalls nie. Eine bonapartistische Herrschaftserlangung gab es innerhalb CSU nicht. Personen – ihre Erfolge wie auch ihre Fehler – waren innerhalb CSU stets einflussreich, aber viel entscheidender war das institutionelle Machtgefüge: Die Parteiorganisation mit Vorstand und Parteitag, Landtagsfraktion, Landesgruppe und Staatskanzlei. Klare institutionelle Strukturen und geregelte Machtransfers unterscheiden die CSU auch in der Führungskultur von den meisten populistischen Parteien. Die CSU legte stets Wert darauf, dass sie institutionell geführt wird. Ihr Selbstverständnis hing weder an einer Person noch im Gegenentwurf zu einer anderen Partei. Vielmehr drückte sich ihre Identität im Regierungsanspruch aus, der von unterschiedlichen innerparteilichen Machtzentren mitgestaltet wurde. Die Kunst der politischen Führung in der CSU besteht folglich – wie es Andreas

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Kießling ausdrückte – im Steuern dieses institutionellen Machtgefüges (Kießling 2004). So schwankte der Einfluss von Landtagsfraktion, Landesgruppe oder auch der Staatskanzlei auf den Kurs der Partei, die CSU wurde aber nie informell oder gar autokratisch geführt. Zwar hat sich eine breite Mitgliedschaft erst allmählich in der Geschichte der CSU herausgebildet, aber die Wurzeln der bayerischen Volkspartei entstammen den christlichen Milieus mit einem breiten Netzwerk an Vereinen, denen die meisten Anhänger von der Wiege bis zur Bahre angehörten. Die Partei verstand sich als politischer Arm dieser Milieus, die gerade auch noch in der Frühphase der CSU wirksam waren und auch den 27 Jahre amtierenden Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß in seinen Kindheits- und Jugendjahren maßgeblich prägten (Siebenmorgen 2015, S. 27). Die Milieuparteien waren folglich eingebettet in ein Gemeinschaftsgefühl, das nicht nur nach außen abschirmend wirkte, sondern auch nach innen sozial wärmte. Die ‚Seele der Partei‘ ist somit nicht eine viel beschworene Chimäre in schwülstigen Aschermittwochsreden, sondern sie stellt die unausgesprochenen Codes und die ungeschriebenen Traditionen – sprich die politische Kultur – der Partei dar. Die Mitgliederrekrutierung erfolgt dementsprechend nicht auf Karrieremessen, sondern in der Nachbarschaft, im Vereinsleben oder schlicht im Freundeskreis. Dieser Befund soll kein falsches Idyll vorgaukeln. Natürlich ging und geht es in der CSU auch um Macht, Ämter und politische Schlüsselentscheidungen, aber die bayerische Volkspartei ist auch ein Verein gelebter Gemeinschaft. In der CSU lernten und lernen sich Menschen auch dort fürs Leben kennen und aus manchen Parteifreunden wurden Ehepartner, enge Freunde oder auch Taufpaten der Kinder. Parteitage werden von politischen Ereignissen geprägt, aber weit entscheidender als dicke Antragsbücher ist das ­Klassentreffen-Gefühl, das am Parteitagsabend herrscht. Dieses Gemeinschaftsgefühl lässt jede Ambition einer einzigen Person in den Hintergrund treten. Die CSU war stets mehr Gemeinschaft als eine reine Machtmaschine. Macht ist in der CSU – wie in jeder Volkspartei – nicht alles. Politische Führung bedeutet mehr als reine Machtausübung (Burns 1978, S. 11). Die Rolle eines Ministerpräsidenten wie Parteivorsitzenden unterscheidet sich doch maßgeblich von der Rolle eines ‚Machthabers‘. Sie stehen einem demokratischen Staatsgefüge bzw. einer demokratischen Partei vor. Die Personalisierung in einer Volkspartei bedeutet in der politischen Kommunikation Komplexität zu reduzieren, aber nicht die Macht zu konzentrieren. Oder in anderen Worten: Führung bedeutet nicht, dass Menschen genau das machen, was sie nicht wollen, sondern dasjenige zu wollen, was die eigene Partei und ihre Werte voranbringt, d. h. ihre grundlegenden Ziele verwirklicht. Führung knüpft an den Wünschen, Aspirationen und Erwartungen sowohl von Parteiführung als auch Mitgliedschaft

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an (Burns 2003). Beide müssen dann auch vom Getanen überzeugt sein (Burns 1978, S. 15–19). CSU-Parteiführungen sind nicht vom Kontext abgehobene ‚freie Herren‘, sondern ganz wesentlich externen Erwartungshalten ausgesetzt. Das betrifft zwangsläufig zwei Ämter in der CSU-Welt, die die Schlüsselrolle in der CSU-Führung spielen: den Bayerischen Ministerpräsidenten und den Parteivorsitzenden. Etwas mehr als die Hälfte der Zeit in der Parteigeschichte waren beide Ämter in einer Hand vereint. Aufgrund des CSU-Selbstverständnisses als bayerische Regierungspartei mit bundes- und ­ europapolitischem Anspruch kommt dem bayerischen Regierungschef wie auch dem Parteivorsitzenden eine enorme Koordinierungsfunktion nicht nur zwischen den jeweiligen politischen Ebenen, sondern auch zwischen den Regierungen und den unterschiedlichen Parlamentsfraktionen zu. Gleichzeitig müssen beide Ämter divergierende gesellschaftliche Gruppen mitvereinen. Nicht ohne Grund nennt sich die CSU Union. In ihrer Gründungsphase gelang es der CSU, Katholiken und Protestanten politisch zusammenzubringen, die es mehrheitlich sogar ablehnten, Kinder und Enkel in dieselben Grundschulen zu schicken, oder auch im Zeitalter von Klassenkampfrhetorik gleichermaßen Arbeiter, Mittelständler und Unternehmen zusammenzuführen. Der Erfolg der CSU seit ihrer Gründung basiert vornehmlich auf ihrer Fähigkeit, divergierende Wählerschichten miteinander zu verbinden (Gelberg 2003, S. 768), das heißt Konfliktlinien zu überwinden. Dabei hat die CSU stets versucht, unterrepräsentierten Mitgliedergruppen spezielle Vereinigungen zur Seite zu stellen, um gerade ihren Interessen ein stärkeres institutionelles Gehör zu verschaffen. Gleichzeitig galten vor allem die parlamentarischen Vertretungen als Seismografen in der Wählerschaft. Als Folge ist sowohl in Zeiten von Doppelspitzen als auch der Personalunion von Ministerpräsidentschaft und Parteivorsitz das Verhältnis von Leadership und Followership in der CSU keinem rein hierarchischen Schema unterworfen. Eine „Alleinherrschaft“ (Reithmeier 2013, S. 113) gibt es auch aufgrund der dezentralen Rekrutierungsprozesse der politischen Klasse in der CSU nicht. Diese Mixtur zwischen einer mitunter anarchischen Freiheit und strategischen Selbstbehauptung der CSU-Parlamentsmandatsträger ist ein entscheidender Punkt, warum die Selbsterneuerung der CSU zwar nie ganz reibungsfrei, aber dennoch bis heute erfolgreich gelang (Kießling 2004). Der Rekrutierungsprozess begrenzt zwar die Gestaltungskraft der Parteispitze, aber er verankert die politische Klasse fest vor Ort. Die Basis, nicht die Parteispitze bestimmt die direkt gewählten Abgeordneten, die sich vor der Kandidatennominierung zum Landtags-, Bundestags- oder Europaabgeordneten in der Partei und vor allem vor Ort bewährt haben müssen.

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Selbst die Listenaufstellung – wie etwa für die Europawahl – erfolgt einem klar ausgeklügelten Prinzip des Regionalproporzes, das bestimmte Zielgruppen mit einschließt. Beispielsweise muss die CSU-Europagruppe seit der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament 1979 stets einen Landwirtschaftsvertreter in ihren Reihen wissen. Durch dieses Organisationsverständnis der CSU wird das Zusammenführen unterschiedlicher regionaler, politischer wie auch beruflicher Interessen sichergestellt und in ihren parlamentarischen Vertretungen manifestiert. Die entsprechend durchmischten Fraktionsversammlungen dienen dann auch weniger als Wohlfühlveranstaltungen mit Führungsnachwuchs oder Führungsgehilfen denn als Frühwarnsysteme für aufkommenden Unstimmigkeiten oder Anliegen in der Bevölkerung. Mögen Fraktionssitzungen für den jeweiligen Ministerpräsidenten wie Parteivorsitzenden mitunter mühsam sein, sie verhindern das Abheben. Trotz allem Austarieren hat die CSU ein übergeordnetes Ziel: Sie sieht sich als geborene Regierungspartei. Ihr selbst gestecktes Ziel ist es, auf möglichst allen Ebenen die Politik mitzubestimmen und insbesondere in Bayern zu regieren (Berls 2013, S. 192). In diesem Punkt ist die CSU mit ihrer Führung unerbittlich. Sobald die regierungsbefähigende Mehrheit abhanden zu kommen droht, steht ihre Parteiführung nicht nur zur Disposition, sondern wurde oftmals ausgewechselt (Kießling 2004, S. 343). Dabei ordnet die CSU dem Regierungsauftrag in Bayern alles unter, egal ob der Parteivorsitzende Bundes- oder Landespolitiker ist. Diese Regierungsausrichtung hat auch einen pragmatischen und weniger ideologischen Politikansatz zur Folge. Um ihre Macht zu sichern, setzt die CSU auf klassische pragmatische Regierungskunst: Wichtige Herausforderungen frühzeitig zu erkennen, darauf mehrheitsfähige Antworten zu formulieren und diese dann zügig zu implementieren, wird von ihrer politischen Führung erwartet. Dabei kann die Parteispitze auch bisher als sicher geglaubte Wahrheiten gefühlt unvermittelt über Bord werfen, sobald das die Mehrheitsfähigkeit der CSU garantiert. Das war bei Franz Josef Strauß‘ Abrücken von den konfessionell getrennten Volksschulen ebenso wie bei der Abschaffung der Kernenergie in Deutschland unter Mitwirkung von Horst Seehofer der Fall. Von der Parteiführung wird geradezu verlangt, die Lordsiegelbewahrer in Landtagsfraktion oder Landesgruppe zu überwinden. Diese checks and balances zwischen ‚Modernisierern‘ und ‚Bewahrern‘ sollen auch dazu führen, dass mögliche Reformen nicht über das Ziel hinausschießen. Ziel dieser andauernden Modernisierung ist es, die Mehrheitsfähigkeit der CSU zu erhalten. Dafür ist die Partei oft auch bereit, Teile ihres programmatischen Tafelsilbers zu veräußern. Allzu gewagte Reformen können

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aber auch nach hinten losgehen, falls sie mehr Skepsis denn Bewunderung auslösen – gut ablesbar am Abstieg Edmund Stoibers. Zudem hat die CSU meist eine ausbalancierte Modernisierungspolitik verfolgt. Aufgrund ihres Volksparteicharakters war die CSU nie einseitig neoliberal im Sinne umfassender Deregulierung und Zurückfahren von Sozialpartnerschaft und sozialstaatlicher Errungenschaften eingestellt. Die Begeisterung in der CSU für Margaret Thatcher beschränkte sich auf ihren scharfen Anti-Kommunismus, bezog sich aber nicht auf ihre Wirtschaftspolitik. Radikale Kurswechsel gerade auch in der Wirtschaftsund Sozialpolitik waren der CSU immer fremd. Ihre Politik musste gerade auch in der ‚Leberkäs-Etage‘ Bestand haben. Ein „Godesberger Programm“ oder auch einen „Leipziger Parteitag“ gab es deshalb bei der CSU nicht. Vielmehr versuchte die Parteiführung stets einen Mix zwischen programmatischer Erneuerung und politischer Tradition. Gerade auch im sozio-kulturellen Bereich verstand sich die CSU nie als Avantgarde, sondern passte den richtigen Zeitpunkt ab, wenn Reformen unaufschiebbar wurden, sodass sie ihre teilweise strukturkonservative Anhängerschaft nicht verprellte. Aufgrund ihrer medialen Durchdringung und auch ihres pragmatischen Politikverständnisses scheute sie sich auch nicht, programmatische Vorschläge ihrer parteipolitischen Mitbewerber zu übernehmen. Entscheidend war dabei, es dann ‚richtig‘ zu machen, d. h. nicht nur Programmkompetenz, sondern besonders auch Implementierungsfähigkeit zu beweisen. Die CSU war stets Volkspartei und Regierungspartei.

3 Die CSU ist die Kraft, die den Populismus überwinden kann Die AfD ist mehr ein Symptom als die Ursache für einen generell wachsenden Populismus. In zahlreichen Ländern gewinnen populistische Parteien an Zuspruch. Sie setzen die westlichen Parteiendemokratien unter Druck (Zielonka 2018, S. 6). Dabei ist das Problem nicht allein das Auftreten neuer Parteien per se. Zwar gefährdet jeder neue Mitbewerber Mandate und bisher gewohnte Regierungsmehrheiten der etablierten Parteien und wird von diesen zwangsläufig als Ärgernis empfunden, aber er muss nicht gleich die Logik des Parteiensystems auf den Kopf stellen. Beispielsweise hat die FWG das bayerische Parteiensystem bis heute nicht fundamental verändert. Die Freien Wähler sind zwar institutionell etabliert, aber noch nicht im Wählermarkt gefestigt. Ihre Kraftquelle ist weder eine eigene Ideologie noch Protest oder ein alternatives Politikangebot, sondern im Grunde eine rein personelle Alternative, die manche Detailfrage anders sieht

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oder sie in Oppositionszeiten ungezwungener fordern konnte. Eine verbindende institutionelle Klammer, die sie gesellschaftlich oder programmatisch zusammenhält, fehlt den Freien Wählern aber bis heute. In ihrer nun dritten Legislaturperiode sind sie mehr Bündnispartner denn Korrektiv der CSU. Ihre Kraftquelle ist das Nützlichkeitsversprechen eines erweiterten politischen Angebots, aber kein kontrastierendes Gegenangebot. Den politischen Wettbewerb haben die Freien Wähler deshalb nicht auf den Kopf gestellt. Allein eine größere Anzahl von Parteien setzt ein Parteiensystem nämlich noch nicht zwangsläufig unter Druck, solange Fragmentierung, Segmentierung und Polarisierung nicht zunehmen. Erst wenn neue Parteien diese drei Faktoren verändern, sind alte Mehrheiten perdu, die Regierungsbildungen erschweren sich, ehemals verbundene Wählergruppen finden immer weniger politische Übereinstimmungen, die politischen Auseinandersetzungen verschärfen sich und die politische Agenda verschiebt sich hin zu bisherigen Randthemen (Mair 1997, S. 49). Für die Herausbildung neuer Parteien ist es bedeutend, dass sie nicht nur ein Thema besetzen, sondern aus einer Akkumulation unterschiedlicher Themen politische Strömungen in der Gesellschaft herausbilden, als deren legitimes politisches Sprachrohr sie dann gelten. Ob neue Parteien es dann wirklich schaffen, sich zu etablieren, ist zuletzt auch Ergebnis strategischer Entscheidungen oder auch Fehler der etablierten Parteien. Denn neue Parteien haben zu Beginn sicherlich Startschwierigkeiten, bei der Rekrutierung genügend qualifizierten Personals, der organisatorischen Durchdringung ihrer Wählerschaft wie auch der politischen Glaubwürdigkeit, geforderte Inhalte auch tatsächlich umsetzen zu können. Dabei sind die populistischen Parteien – wie die AfD – heute noch keineswegs die bestimmenden Träger, sondern immer noch Getragene dieser politischen Verschiebungen. Populismus bedeutet ja nicht, dass populistische Parteien eine neue programmatische Ideologie zutage gefördert hätten, sondern sie sind noch immer mehr Protest denn eigene gesellschaftliche Strömung. Die AfD ist bei uns der sichtbarste Ausdruck von Populismus auf der politischen Bühne, sie muss dabei aber nicht zwangsläufig allein bleiben. Boris Johnson oder auch Donald Trump zeigen, dass ein populistischer Politikstil auch auf etablierte Parteien überspringen kann. Auslöser dieses politischen Stils sind Verlustängste, die sich sowohl im materiellen wie auch im Identitätsbereich ausdrücken. Diese Stilveränderung fällt aber keineswegs vom Himmel. Sie ist Ausfluss wirtschaftlicher Veränderungen, gesellschaftlicher Ängste und politischer Enttäuschungen (Mishra 2017). Diese Kombination bildet einen Nährboden, auf dem neue populistische Parteien gedeihen und sich auch gesellschaftlich verankern können, bzw. etablierte Parteien ins Populistische abrutschen. Dabei zeigen Populisten das

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genaue Gegenteil erfolgreicher politischer Führung von Volksparteien wie der CSU. Sie leben von gesellschaftlichen Spaltungen und versuchen deshalb nicht, sie zu überbrücken. Sie schüren Ängste gegenüber künftigen Entwicklungen und malen ein idealisiertes Wunschbild der Vergangenheit. Ihre politische Rhetorik beschränkt sich auf schwarz-weiß und versucht gar nicht erst den diversen Schattierungen einer Gesellschaft gerecht zu werden. Populistische Politik kontrastiert deshalb den Politikansatz der CSU, die der bürgerlichen Welt versprach, wirtschaftliche Chancen mit dem Bewahren des Vertrauten zu kombinieren. Gesellschaftlicher Wandel wurde in der CSU adaptiert, aber nicht zu weit getrieben. Die Gegenwart wie auch die Zukunft wurden dabei stets positiv aufgeladen. Materieller Fortschritt wurde als Ermöglichung verstanden, das bisher erstrebte Leben in den bekannten Bahnen zügiger und auch sicherer erreichen zu können. Das Zukunftsversprechen zeigte in der CSU-Rhetorik keine unbekannten Horizonte oder neuen Umwälzungen auf, ­ sondern war im Grunde ein Sicherungsversprechen. Diese Aufstiegsgewissheit ist heute vielen Menschen abhandengekommen. Aus diesen Gründen werden die 1980er Jahre auch glorifiziert. Der bisherige Erfolg der AfD drückt daher auch weniger ein stärkeres Verlangen nach diesem bürgerlichen Sicherheitsversprechen aus, sondern eine grassierende emotionale wie auch materielle Ungewissheit, ob ein Leben in geordneten Bahnen überhaupt noch möglich sei. Dabei ist der Populismus – im Übrigen genauso links wie rechts und im Falle von Boris Johnson auch in der politischen Mitte – kein Protest-, sondern ein Angstschrei. Dieser Schrei kann aber nicht verstummen, wenn er einfach verstärkt oder gar ignoriert wird. Daher setzt die AfD die politische Führung der CSU unter Druck, da sie im Vergleich zur erfolgreich marginalisierten Bayernpartei, aber auch zu den Republikanern ein neues Phänomen darstellt. Die Bayernpartei verkörperte in den späten 1940er und den frühen 1950er Jahren das ‚Tafelsilber‘ der CSU-Vorgängerpartei, der BVP. Bayernpartei wie CSU fischten im gleichen Wählerbecken und hatten nahezu die gleichen Politikangebote. Nur lehnte die Bayernpartei jegliche Erneuerungsstrategie ab. Ihre Vorbilder lagen in der Vergangenheit, in der „guten alten Zeit“ des Königreichs Bayern. Die Protagonisten der Bayernpartei waren der Zeit vor den Schrecken des Nazi-Terrors und des Zweiten Weltkriegs verhaftet geblieben. Dieser „Zurückin-die-Vergangenheit“-Ansatz warf der CSU einen zu starken Kompromiss mit dem Zeitgeist vor (Zorn 1986, S. 655–660). Ihr politisches Manifest hätte – etwas überspitzt ausgedrückt – auch in Georg Lohmeiers ­ weiß-blauem Amtsgericht geschrieben werden können. Die Bayernpartei war teilweise monarchistisch gesinnt und glaubte, dass Bayern am besten allein in Europa, losgelöst von Deutschland, aufgehoben wäre (Kranenpohl 2007, S. 165–168).

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Die CSU entschied sich nach heftigen Debatten für eine klare Abgrenzungsstrategie. Die Relevanz der politischen Existenz der Bayernpartei wurde in Zweifel gezogen. Die Bayernpartei sollte von der CSU keineswegs – wie beispielsweise vom damaligen Passauer Bischof favorisiert – als Bündnispartner in einer gemeinsamen Auseinandersetzung mit Sozialdemokraten und KPD gewonnen, sondern vielmehr politisch vollkommen isoliert werden (Balcar und Schlemmer 2007, S. 194). Der erste Schritt zur Ausgrenzung der Bayernpartei erfolgte nach der für die CSU desaströsen Bundestagswahl 1949, mit ihrem bis heute schlechtesten Ergebnis. Auf der Rhöndorfer Konferenz der Spitzen von CDU und CSU entschied sich die Partei – gedrängt von ihrem Generalsekretär Franz Josef Strauß – nicht nur, eine kleine Koalition gegen die SPD einzugehen, sondern auch die Bayernpartei davon auszuschließen (Siebenmorgen 2015, S. 84). Damit untermauerte die CSU ihre Führungsrolle im bürgerlichen Lager in Bayern. Sukzessive gelang es den Christsozialen, diesen Anspruch in der Wirklichkeit auszudrücken, da die CSU, aber nicht die Bayernpartei, an den Schlüsselentscheidungen für die Zukunft der jungen Bundesrepublik mitwirkte. Gleiches galt auf Landesebene. Auch nach der alles andere als erfolgreichen Landtagswahl 1950 entschied sich die CSU gegen eine Koalition mit der Bayernpartei und setzte die Koalition mit den Sozialdemokraten fort, bewahrte aber ihr bürgerliches Image, indem sie sich gleichzeitig auf Bundesebene deutlich von der SPD und ihrem stark polarisierenden Parteivorsitzenden Kurt Schumacher abgrenzte. Diesem Ausfallschritt hatte die Bayernpartei nichts entgegenzusetzen, als sie 1954 ihren Kardinalfehler beging und eine Vierer-Koalition mit den Sozialdemokraten gegen die CSU einging. Auf den Oppositionsbänken in München forcierte die CSU ihre bürgerliche Politik, die sie in Bonn weiter erfolgreich mit Westbindung, dem Aufbau der Bundeswehr und der Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft umsetzte. Als SPD-Bündnispartner verlor die Bayernpartei gleichzeitig nicht nur ihr Profil als weiß-blaue Lordsiegelbewahrerin und Hüterin konservativen Tafelsilbers, sondern auch das Vertrauen ihrer oftmals sehr konservativen bis reaktionären Wählerschaft. Bürgerliche Wähler votierten bei den kommenden Landtags- und Bundestagswahlen für die CSU, und die Christlichsozialen verstanden es, innerhalb von nur zehn Jahren die Bayernpartei zu einer politisch unerheblichen Splitterpartei zu marginalisieren (Zorn 1986, S. 659). Die CSU versuchte diese Marginalisierungsstrategie, die bei der Bayernpartei perfekt funktioniert hatte, zunächst beim Aufkommen der AfD in der ­Euro-Frage von 2014 und 2015. Eine strikte Euro-Rettungspolitik wurde forciert und der AfD möglichst wenig Raum gegeben. Die AfD-Lösungskonzepte wurden

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bezweifelt und wirtschaftspolitisch kritisiert. Gleichzeitig stellte sich die CSU als die wesentlich wirkungsvollere Hüterin einer stabilen Währung dar, die am Berliner Kabinetttisch über die Zukunft des Euros mitentschied. Diese politische Marginalisierungsstrategie scheiterte aber dadurch, dass die AfD sich zunehmend weder als klassisch bürgerlich noch als Anti-Euro-Partei verstand. Anders als die Bayernpartei radikalisierte sich die AfD zunehmend, je länger sie dem politischen Betrieb angehörte. Sie wurde von einer anfangs bürgerlichen Alternative zu einer populistischen Partei, die das politische System insgesamt herausforderte. Als das Euro-Thema mit fortschreitender Überwindung der Finanzkrise nach und nach an Durchschlagskraft verlor, erhielt die AfD mit der Flüchtlingskrise schlagartig ein neues Thema. In diesem Fall war für die CSU die Regierungsbeteiligung in Berlin nur bedingt hilfreich. Die Christsozialen wurden von den Rechtspopulisten in Mithaftung für die Regierungsentscheidungen von Angela Merkel genommen. Die AfD profilierte sich zum Sprachrohr einer radikalen Anti-Flüchtlingspolitik. Der pragmatische Regierungsansatz der Großen ­ Koalition erreichte nun den gegenteiligen Effekt. Die AfD wurde stärker. Das Flüchtlingsthema wurde zum Katalysator für die Wahlerfolge der AfD. In dieser Situation lag der Vergleich zur ‚Asylkrise‘ zu Beginn der 1990er Jahre nahe. Damals wurden die Republikaner von CDU, CSU, FDP und SPD erfolgreich bekämpft, als das Asylrecht massiv verschärft und damit der Zustrom von Asylsuchenden restriktiv eingeschränkt wurde. Die Republikaner als ein-ThemenPartei wurden damals irrelevant, da sie ‚ihr‘ Thema verloren hatten. Gleiches versuchte die CSU auch jetzt, indem sie auf eine restriktivere Flüchtlingspolitik setzte. Jedoch war ihre Strategie diesmal nur sehr bedingt erfolgreich, da zum einen weder CDU noch SPD mitzogen. Die dann einsetzende verschärfte Rhetorik wie auch die zunehmenden Konflikte innerhalb der Bundesregierung lösten weder das Problem noch verdrängten sie es von der politischen Tagesordnung. Ganz im Gegenteil: Es wurde immer unklarer, ab wann die Flüchtlingskrise als gelöst gelten konnte. Je länger der Konflikt schwelte, desto stärker wurde die AfD. Zum anderen war die CSU-Anhängerschaft bei dem Flüchtlingsthema wesentlich gespaltener als noch vor 25 Jahren. Durch einen kurzfristigen Kursschwenk konnte anders als noch bei der Themenlage zu Beginn der 1990er Jahre die neue Partei nicht mehr marginalisiert werden. Die AfD versucht deshalb weiterhin einen neuen gesellschaftlichen Konflikt dauerhaft im deutschen Parteiensystem zu verankern. Wie gefährlich die Existenzfrage einer neuen Partei für eine bisherige werden kann, zeigt der Umgang der SPD mit der Linkspartei. Wenn man die Existenz einer Partei akzeptiert, indem man mit ihr koaliert, ihr Alleinstellungsmerkmal

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akzeptiert und gleichzeitig ihre Themen als legitim anerkennt, gibt man zwangsläufig zu, dass die Partei einen politischen Mehrwert für das Parteiensystem besitzt und wird somit zum Steigbügelhalter ihrer politischen Existenz. Die CSU-Führung hat es bis heute abgelehnt, die Fehler der SPD im Umgang mit der Linkspartei zu wiederholen und die Existenzberechtigung der AfD stets in Zweifel gezogen. In der Flüchtlingsfrage deutet sich für die Volksparteien eine Konfliktlinie zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlieren an, die sich mitten durch die eigene Anhängerschaft zieht. Letztlich ergeben sich für die CSU drei Szenarien im Umgang mit dem Populismus. Alle drei setzen zentrale Führungsentscheidungen voraus. Den ersten Ansatz könnte man – wiederum etwas überspitzt – die ‚Stell das Tafelsilber ins Schaufenster‘-Methode nennen. Die CSU-Führung würde die drohende Spaltung der eigenen Anhängerschaft zu vermeiden versuchen, indem sie alte Themen in den Mittelpunkt stellt und damit alte Wahlkämpfe wiederzubeleben versucht. Das wäre dann eine klassische Auseinandersetzung zwischen ‚Links‘ und ‚Rechts‘, vornehmlich um Wirtschafts- und Sozialthemen. Die neue linkere SPD-Parteiführung würde – so die Hoffnung – diesen Dualismus dankbar aufgreifen. Das Problem an diesem Szenario ist der Kontext. Eine neu aufgebrochene Konfliktlinie kann überbrückt, aber nie einfach ignoriert werden. Zudem ist fraglich, ob eine scharfe wirtschaftspolitische Auseinandersetzung nach der Finanzmarktkrise die Breite der CSU-Anhängerschaft wirklich elektrisieren wirken würde. Der zweite Strategieansatz könnte eine Kopie von Boris Johnsons Umgang mit der Brexit-Partei sein. Der britische Premierminister positionierte sich in seinem politischen Stil klar als populistischer Akteur. Er verschob die Tory-Kampagne mehr auf sozio-kulturelle Identitätsfragen denn auf handfeste Wirtschaftsthemen. Aber ist das beispielgebend für die CSU-Führung? Wohl eher nicht. Auch hier unterscheidet sich der Kontext sowohl politisch wie institutionell erheblich. Johnsons Wahlsieg resultierte zum einen viel mehr aus einem tief erschütterten Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in ihre politische Klasse, denn aus einer eigenen Stärke Johnsons. In Nachwahlbefragungen lehnen über die Hälfte die britische Regierungspolitik ab. Über die Hälfte seiner Landesleute finden ihren Premierminister sogar vollkommen unglaubwürdig. Zwei Drittel halten seine Regierung in den wesentlichen Politikbereichen wie der Migrations- und Gesundheitspolitik sowie bei der Inneren Sicherheit für falsch. In der Bildungspolitik sieht es nicht viel besser aus: 57 % der Briten lehnen sie ab. Johnsons selbst ausgerufener konservativer Aufbruch begeistert die Briten deshalb nicht wirklich. Sein Erfolg gründete sich vielmehr auf den Ermüdungserscheinungen vieler britischer Bürger

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mit dem von Johnson mit verursachten Brexit-Chaos. Er brachte weder eine Wirtschaftspolitik noch ein klare Strategie gegenüber der EU hervor (YouGov 2019). Neben der politischen Ausgangslage profitierte Johnson zum zweiten von den Besonderheiten des britischen Mehrheitswahlrechts. Johnsons entscheidendes Plus lag dabei im Vergleich zu seinem desaströs schwachen Gegenspieler Jeremy Corbyn. Bekanntlich geht es im britischen Mehrheitswahlrecht nicht darum, die Mehrheit der britischen Wählerstimmen zu erhalten, sondern besser als der Konkurrent zu sein. Eine enttäuschte politische Mitte kann sich anders als im deutschen Wahlrecht bei einer zunehmenden Polarisierung nicht regierungsbildend äußern. Dies kam nun Boris Johnson zugute. In Deutschland würde ein Vakuum in der Mitte aber eingedenk eines anderen Wahlrechts eher anderen Parteien, wie beispielsweise der FDP oder auch den Grünen, zugutekommen. Daher ist eine Johnson-Kopie für die CSU wenig Erfolg versprechend. Das dritte und erfolgversprechendste Szenario für die CSU ist, zu verhindern, dass die sich abzeichnenden politischen Konfliktlinien auch zur gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bayern werden, damit sie nicht das Parteiensystem analog dem französischen dominieren können. Falls die gesellschaftliche Spaltung zwischen „Cosmopolitains“ und „Natives“ sich verstärkt, würde sich für die CSU nicht nur das Problem ergeben, dass sich eine populistische Partei in Bayern langfristig festsetzen würde, sondern auch, dass vermutlich ihr Gegenspieler eine ganz andere Partei denn die CSU sein würde. Die CSU würde – analog den französischen Sozialdemokraten oder Les Républicains – von zwei Seiten dieser neuen Konfliktlinie in die Zange genommen werden. Beispielsweise entstanden im 19. Jahrhundert die Sozialdemokraten als Antwort auf die zunehmende Industrialisierung, die gerade von den Liberalen befördert wurde. Als parteipolitischer Hauptgegner entpuppten sich dann aber nicht die marktwirtschaftlich orientierten Liberalen, sondern die Konservativen. Sie hatten nämlich nicht nur sozio-ökonomisch, sondern auch sozio-kulturell den Sozialdemokraten etwas entgegenzusetzen und konnten sich somit am besten auf der Gegenseite der Konfliktlinie behaupten. In die heutige Zeit übersetzt würde sich bei einer zunehmenden Konfliktlinie zwischen Cosmopolitains und Natives ein Gegensatz zwischen Linksliberalen vs. Rechtspopulisten abzeichnen, da sie die geringste Schnittmenge an Themen, Lebenswelten wie auch Anhängerschaften bieten. In Frankreich wurde ein solches Phänomen zwischen Macron und Le Pen bei der vergangenen Präsidentschaftswahl wie auch bei der vergangenen Parlaments- wie Europawahl sichtbar. Folglich kann die CSU-Führung kein Interesse an einer Zunahme dieser Konfliktlinie haben, da nicht nur ihre Anhängerschaft gespalten würde, sondern sie sich auch nicht glaubwürdig programmatisch vollständig für das eine oder andere

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Lager entscheiden könnte. Für die CSU stellt sich demnach nicht die Frage, auf welche Seite sie sich schlagen soll, sondern wie sie den Graben überbrücken kann anstatt ihn zu vertiefen. Die CSU ist nicht einfach die Gegenkraft im Kampf gegen den Populismus, sondern weit mehr: Sie ist die Kraft, die ihn überwinden kann. Damit dies gelingt, wird es aber insbesondere auf die Führungsleistung in der CSU ankommen.

4 Ausblick: Zusammenführen statt spalten – die Aufgabe politischer Führung in der CSU im Umgang mit dem Populismus Da das Phänomen „Populismus“ sich nicht auf die AfD reduzieren lässt, reicht es für die CSU auch nicht aus, allein die AfD zu attackieren. Um den Populismus erfolgreich abzuwehren, bedarf es vor allem zwei zentraler Elemente. Zum einen muss die CSU zeigen, dass konstruktive Regierungspolitik das Leben aller Menschen in Bayern verbessert. Zum zweiten müssen die Christsozialen verhindern, dass sich eine Konfliktlinie im bayerischen Parteiensystem festsetzt, die letztlich die eigene Wählerschaft zerreißen würde. Um dies zu erreichen, hat die CSU-Führung im Grunde die gleichen Werkzeuge wie im Laufe ihrer gesamten Parteigeschichte: ihren politischen Stil, ihr Organisationsverständnis und ihr programmatisches Angebot. Die Auseinandersetzung mit dem Populismus ist eine Frage der Leidenschaft. Populistische Parteien haben dann gute Chancen, wenn Bevölkerungsgruppen meinen, die politische Klasse hege nicht (mehr) die gleiche brennende Leidenschaft für ihre Anliegen. Zuviel Regierungspragmatismus kann den Wunsch nach neuer, populistischer Leidenschaft hervorrufen (Canovan 1999). Politische Parteien lassen sich aber nicht in pragmatische versus leidenschaftliche Parteien unterteilen. Im Grunde brennen beide Seelen in der Brust jeder Partei. Jede Gründungsgeschichte der klassischen Parteienfamilie entstand mit programmatischem Elan und jede etablierte Partei hat bis heute versucht, institutionelle Stabilität durch gewisse pragmatische Handlungen, zumindest im organisatorischen Bereich, herzustellen. Das Unterscheidungskriterium ist vielmehr, in welche Richtung die politische Leidenschaft kanalisiert und begrenzt wird. Wie die Sozialdemokraten oder auch die liberale Parteienfamilie sind die Christdemokraten und Christsozialen zwar als Gegenbewegung, aber mit einem positiven Gestaltungsanspruch gegründet worden. Ihr politisches Angebot

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war, dass die betreffenden Parteien ihren Anhängern ein besseres Leben bieten könnten. Bürgerliche Politik speist ihre Leidenschaft aus dem Gestalten, nicht aus Verhindern oder Ausgrenzen. Diese positive Leidenschaft unterscheidet die CSU von den Populisten. Natürlich ist das Verhindern politisch nicht nur leichter zu bewirken, sondern auch einfacher zu kommunizieren. Eine Abwärtsspirale lässt sich mit imaginären Feinden leichter befeuern, als sie mit langem Atem zusammen mit den Menschen umzukehren. Dafür braucht es wie in der Vergangenheit wieder ein Bild von einem besseren Leben, das die Menschen begeistert. In den kommenden Jahren werden die Regierungsparteien noch stärker als heute unter Druck gesetzt werden, nicht nur politische wie wirtschaftliche Krisen pragmatisch zu lösen, sondern auch eine positive politische Zukunftsvision zu formulieren. Diese politische Zukunftsvision ist aber nicht mit einer Regierungserklärung abgehandelt. Die Stärke der CSU lag immer darin, dass sie unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, die durchaus divergierende Interessen haben konnten, miteinander verband. Eine Parteiorganisation ist mehr als die institutionelle Manifestation politischer Ambitionen. Daher ist es für eine Partei nicht nur entscheidend, was sie beschließt, sondern wie sie zu ihren Entscheidungen kommt. Die CSU-Führung hatte immer Wert daraufgelegt, unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen einzubinden. Wie jede etablierte Partei erfährt auch die CSU eine zunehmende Akademisierung (Zolleis und Wertheimer 2013, S. 103). Für den Volksparteicharakter der CSU wird es nicht nur darauf ankommen, für die junge wie auch für die weibliche Wählerschaft attraktiv zu sein, sondern eben auch schichtübergreifend über die unterschiedlichen Ausbildungs- und Berufsgruppen hinweg. Bei dieser Einbindungsstrategie sind die Parteigremien wichtig. Viel entscheidender sind aber die Parlamentsgremien. Gerade bei der dezentralen Kandidatenaufstellung muss es der CSU deshalb wieder besser gelingen, die unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft anzusprechen und abzubilden. Gleiches gilt für die programmatische Themensetzung. Als Regierungspartei verstand die CSU es immer, ihre Erfolge in das Fenster zu stellen, sodass mit wenigen Ausnahmen ihre Regierungsleistung bei Landtags- wie auch bei Bundestagswahlen meist überdurchschnittlich beurteilt wurden. Mit Auftreten der Populisten ist eine blanke Werbesprache aber nur bedingt hilfreich, da sie Abwehrreflexe eher verstärken könnte. Auch werden in der rhetorischen Zuspitzung die Populisten nie übertroffen werden können. Das bedeutet: ­CSU-Parteiführungen müssen klare Richtungsentscheidungen treffen, dabei aber die ganze Gesellschaft mit ihren divergierenden Interessen im Blick behalten und mit an Bord nehmen. Dies gilt gerade auch für den gezielten Einsatz von Social

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Media zur Einbindung breiter Gesellschaftsgruppen in die Ausarbeitung von Zukunftsentscheidungen. Zentral bei der Themensetzung war und ist für die CSU aber die Hoheit über die Stammtische. Die Menschen müssen spüren, dass die CSU ihre Sorgen und Nöte versteht, und sie müssen sich in der Partei sowohl geborgen als auch gehört fühlen. Das hat viel mit Organisation, aber noch mehr mit einem richtigen Themenmix und dem frühzeitigen Erkennen zukünftiger Herausforderungen zu tun. Wirtschafts- und Sozialthemen im digitalen Zeitalter werden genauso entscheidend sein wie die künftige Wirtschafts- und Außenpolitik gegenüber China am Ende des langen amerikanischen Jahrhunderts, und natürlich auch die Bildungsfrage. Hier muss die CSU neue Leidenschaft und auch neue Ambition entfalten. Das unterschied sie früher von anderen Volksparteien, und das unterscheidet sie auch jetzt. So wird die CSU-Führung mit ihrer Partei die populistische Herausforderung meistern. Wie das Beispiel der SPD beweist: Den Populisten wird man weder Herr, wenn neue Konfliktlinien geleugnet oder – wie im Fall der Linkspartei geschehen – Anliegen als legitime Interessen anerkannt werden. Die CSU ist nicht die Gegenpartei gegen die Populisten, sondern hat die Chance, viel mehr zu sein: Als zusammenführende Volkspartei hat sie die Chance, die Populisten zu überwinden, wenn es ihr gelingt, keine neue Konfliktlinie zwischen Globalisierungsund Digitalisierungsgewinnern auf der einen und deren Verlierern auf der anderen Seite entstehen zu lassen. Eine leidenschaftliche Zukunftspolitik ist das beste Rezept gegen den grassierenden Populismus. Hierbei ist Führungsleistung gefragt, indem die CSU Alt und Jung, Stadt und Land wie auch Arm und Reich in einer Organisation vereint und deren Interessen in einem kraftvollem Zukunftsprogramm zusammenführt.

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Bilanz und Folgerungen

Christlich-Soziale Union – Modell mit Zukunft? Politisches Kapital und aktuelle Herausforderungen der CSU in der wissenschaftlichen Bilanz Martin Sebaldt, Gerhard Hopp und Benjamin Zeitler

1 Christlich-Soziale Union – Modell mit Zukunft? Der Ausgangspunkt Dieses Jahr begeht die Christlich-Soziale Union in Bayern ihr 75-jähriges Gründungsjubiläum. Sie hat die Geschicke des Freistaats seit dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich bestimmt und ist dadurch selbst nachhaltig verändert worden (Schlemmer 2018). Bei einer gesellschaftlich breit eingebetteten Volkspartei kann es auch gar nicht anders sein: Die Rolle Bayerns im bundesdeutschen Verbund, in Europa und der restlichen Welt ist heute eine andere als in der Nachkriegszeit, und gesellschaftliche Modernisierungsprozesse haben christlich geprägte Traditionsbestände im Freistaat ebenfalls markant beeinflusst (Kock und Treml 2006). Die sozialen Beziehungsmuster in Stadt und Land sind heute deutlich anders als noch 1945. M. Sebaldt (*)  Institut für Politikwissenschaft, Universität Regensburg, Regensburg, Deutschland E-Mail: [email protected] G. Hopp  Runding, Deutschland E-Mail: [email protected] B. Zeitler  Weiden, Deutschland E-Mail: [email protected] © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Sebaldt et al. (Hrsg.), Christlich-Soziale Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30731-8_15

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Nicht nur die CSU musste diesen umfassenden Wandlungsprozessen in Bayern und darüber hinaus Rechnung tragen, sondern auch andere Parteien (Glaab und Weigl 2013). Jedoch legte gerade ihr eigener Anspruch, nicht nur eine von vielen bayerischen Parteien zu sein, sondern das Land als solches parteipolitisch zu verkörpern, besonders hohe Maßstäbe an das Handeln der bayerischen Christsozialen an. Oder konkreter gefasst und zugleich auf die hier zugrunde gelegte Systematik bezogen: Die politische Verkörperung bayerischer Identität, christlicher Ethik, programmatischer Breite, umfassender sozialer Verankerung, flächendeckender Organisation und nicht zuletzt effektiver Staatsführung ist nichts, was man der CSU erst von außen ins Stammbuch hätte schreiben müssen, sondern diesem Pflichtenkatalog hat sie sich von Anfang an selbst verschrieben (Mintzel 1975). An diesem Anspruch ist die Partei nun abschließend zu messen, und daran wird abzulesen sein, ob die CSU auch ein Modell mit Zukunft ist.

2 Bayerische Identität Wer politische Einstellungen, Zusammenhalt und Identität der bayerischen Gesellschaft mit Blick auf die Wahlergebnisse und -erfolge der CSU oder auch die Lebenszufriedenheit der Bayern als homogen bezeichnet, agiert vorschnell. Denn bei genauerem Hinsehen offenbart die bayerische Bevölkerung ganz im Sinne der „Liberalitas Bavariae“ eine vielschichtige Zusammensetzung mit regionalen Disparitäten, Konkurrenzen und immer wieder neu zu integrierenden Bevölkerungsgruppen.1 Einer im Wandel befindlichen Gesellschaft mit regionaler Vielfalt war und ist deshalb vonseiten der CSU Orientierung und eine politische Projektionsfläche zu geben, um dem Anspruch als Volkspartei, Mehrheiten zu gewinnen, dauerhaft gerecht zu werden. Darüber hinaus musste für eine erfolgreiche Modernisierung des Landes der Widerspruch von Tradition und Neuerung aufgelöst werden, und dies nicht nur innerhalb des deutschen Föderalstaates, sondern auch vor dem Hintergrund von Europäisierung und Globalisierung. Gleichzeitig weitreichende Modernisierungen (Industrialisierung, Hightech-Offensive) vorzunehmen und trotzdem eine bleibende Verankerung in der Bevölkerung zu garantieren

1Vgl.

dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Anton Preis.

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war und ist dabei also der Spagat, den es zu bewältigen gilt. Wie groß der Spannungsbogen mittlerweile geworden ist, belegt auch die Renaissance des ­Heimat-Begriffs und der Verbundenheit mit der eigenen Region, welches trotz Mobilität und Internationalität in allen Altersschichten in ganz Bayern festzustellen ist (Roth 2008). Regionale und lokale Identität zu ermöglichen, in der kulturellen Diversität Sicherheit und Heimat zu geben und damit Rückhalt und Vertrauen für komplexe Entscheidungsprozesse in Bund und Europa zu gewinnen ist deshalb einer der Hauptansatzpunkte der CSU, um auch künftig Volkspartei bleiben zu können.

2.1 Symbiose zwischen CSU und Bayern „Eine der genialsten Erfindungen“ (Welt 2019) – wenn dieses überschwängliche Lob für die CSU nicht von einem christsozialen Parteifunktionär, sondern vom ‚grünen‘ Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann kommt, dann lohnt ein genauer Blick auf den Hintergrund. Dieses viel kommentierte und ebenso viel kritisierte Zitat des baden-württembergischen Politikers bezog sich auf die besondere Symbiose, welche die bayerische Partei mit dem Freistaat Bayern eingegangen ist. Dies ist in der Tat einer ihrer entscheidenden Erfolgsfaktoren der vergangenen Jahrzehnte (Hermannseder 2014). Von herausragender Bedeutung war dabei, dass die CSU die stets vorhandene regionale und kulturelle Heterogenität Bayerns als integrale Charakteristika der Identität des Landes begriffen hat (Deininger 2020). Erfolgsfaktor war deshalb vor allem, auf die Vielgestaltigkeit einzugehen, die Partei sowohl des Landes als auch der Städte zu sein und die starke eigenstaatliche Tradition Bayern zu bekräftigen und gleichzeitig zu kanalisieren. Eine entscheidende Weichenstellung bestand darin, den Weg als überkonfessionelle Partei zu gehen und zugleich den überregionalen Gestaltungsanspruch deutlich zu machen (Mintzel 1977, S. 58–64; Schlemmer 1998). Bayerisch, deutsch und europäisch gleichermaßen zu sein und dennoch die spezifischen Interessen Bayerns authentisch vertreten zu können, waren und sind Grundlagen für elektorale Mehrheiten in der bayerischen Bevölkerung. Hier hat die CSU immer noch einen erheblichen strategischen Vorteil. Hierzu gehört, über Bayern hinauszudenken und Berliner sowie Brüsseler Politik mitzugestalten. Wichtig war, dass die CSU ins Feld führen konnte, ihren überregionalen Gestaltungsanspruch nicht nur zu formulieren, sondern auch konkrete, greifbare Politikergebnisse zu liefern, etwa mit Blick auf die europäische Verteidigung, den

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europäischen Industriegiganten Airbus oder auch die Einführung des Euro mit dessen erheblicher Wohlstandswirkung für das Exportland Bayern.2 Dieses Alleinstellungsmerkmal ist demzufolge auch ein grundsätzlicher strategischer Vorteil der CSU im Wettbewerb mit den anderen Parteien. So erwies sich nicht nur die klare Abgrenzung von der AfD in den letzten Wahlkampfwochen 2018 als richtig, sondern auch deren Brandmarkung als „unbayerisch“. Und während die CSU-Stimme authentische Bayern-Stimme ist, kann die Partei zudem darauf verweisen, dass im Umkehrschluss die Bundesparteiorganisationen der meisten Mitbewerber in Bayern in die jeweiligen Landesgliederungen ‚hineinregieren‘, die damit also keineswegs so ‚urbayerisch‘ sind, wie sie häufig vorgeben. Für die Freien Wähler gilt dies so jedoch nicht. Insbesondere über ihren Landesund Bundesvorsitzenden Hubert Aiwanger werden auch sie im Wesentlichen als bayerische Partei wahrgenommen, am Ende aber wiederum auch als zu bayerisch, da ihnen wenig überregionale Durchschlagskraft zukommt. Dies belegen die Wahlergebnisse zu Bundestag und Europaparlament, die deutlich gegenüber den Landtagswahlen abfielen. Und doch ist fraglich, ob die CSU es in der Koalition mit den Freien Wählern vermag, diese ähnlich wie die FDP 2008–2013 politisch zu marginalisieren und in der Wahrnehmung damit hinfällig zu machen. Denn die FDP fiel ab 2013 nicht nur der Umarmungsstrategie der CSU anheim, sondern wurde auch vom negativen Bundestrend der Partei 2013 erfasst (Niedermayer 2013). Bei den Freien Wählern ist die Ausgangslage eine andere: Als ausgewiesene Kommunalpartei ist sie ungleich stärker lokal und regional verankert und kann auf einer breiten und starken Basis von Landräten, Bürgermeistern sowie Kreis- und Gemeinderäten aufbauen. Darüber hinaus muss sie nicht oder kaum auf Positionierungen außerhalb Bayerns Rücksicht nehmen. Wirklich gefährlich würde es für die CSU wohl aber erst dann, wenn die FW in vergleichbarem Maßstab als Partei wahrgenommen würden, die bayerische Interessen auch außerhalb der Grenzen des Freistaates wirkungsvoll vertreten könnte.

2.2 Fähigkeit zur Erneuerung Politische Modernisierung ist immer ein Wagnis, gilt es doch Tradition und Moderne miteinander zu versöhnen. Das widersprüchliche bayerische Lokalkolorit in Denkart und Identität erhöht die entsprechenden Hürden jedoch

2Vgl.

dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Manfred Weber.

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noch einmal, wie Anton Preis treffend herausgearbeitet hat: Der Hang zum ‚Revoluzzertum‘ und zur Non-Konformität, den die bayerische Bevölkerung sowohl mit Blick auf die eigene Regierung als auch gegenüber der überregionalen Politik aufweist, stellt die CSU vor Herausforderungen und Chancen gleichermaßen. So profitiert sie vom bayerischen Sonderbewusstsein (Treml 2006), bekommt die Eigenständigkeit aber beispielsweise bei Volksbegehren (Artenvielfalt, Neunjähriges Gymnasium, Abschaffung des Senats) auch selbst zu spüren. So sehr die bayerische Bevölkerung Alleingänge und ein gewisses Maß an „Aufmüpfigkeit gegen die in Berlin“ auch goutiert: die „Revolution muss schnell gehen“ (Anton Preis). Die Kunst besteht für die CSU folglich darin, sich zwar thematisch immer wieder neu zu erfinden und personell neu aufzustellen, aber immer ebenso schnell zur Geschlossenheit zurückzufinden. Überlanger Streit führt dazu, dass sich die Wählerinnen und Wähler abwenden. Dies belegen die für die Partei gefährlichen Situationen, in denen parteiinterne Konflikte überlang ausgetragen wurden (Kreuther Trennungsbeschluss 1976; Machtkampf Seehofer-Söder 2018). Derartige parteiinterne Eskalationen erwiesen sich immer als brandgefährlich, auch für die Mehrheitsfähigkeit der Partei in der bayerischen Wählerschaft (Müller 2016). Sich vor diesem komplexen Hintergrund politisch erfolgreich zu modernisieren ist daher auch für die CSU eine kardinale Herausforderung. Denn mit der schon beschriebenen Verknüpfung der Ebenen und dem föderalen Bekenntnis der CSU, das sie von reinen Regionalparteien unterscheidet, ist die zentrale Zukunftsaufgabe der Politik eng verbunden: in einer immer komplexeren Welt mit globalen Herausforderungen gleichzeitig der begründeten Sehnsucht nach Heimat gerecht zu werden. Bayerische Identität zu erhalten und gleichzeitig deutsch und europäisch zu handeln kann deshalb glaubwürdig nur eine Partei mit der regionalen Verankerung und dem überregionalen Gestaltungsanspruch der CSU. Als ein Knackpunkt wird sich erweisen, in welcher Form an dieser Front Positionen durchgesetzt und Lösungen geliefert werden können. Die von Manfred Weber eingeforderte Parlamentarisierung auf europäischer Ebene sowie die Demokratisierung von Entscheidungsprozessen mit der Verankerung des Spitzenkandidatenprinzips verdeutlichen sowohl europäischen Handlungsbedarf mit Blick auf die Glaubwürdigkeit der EU und seiner Institutionen als auch hinsichtlich der CSU: Die Partei hat höchstes Interesse an einer Demokratisierung der europäischen Politik mit echten parlamentarischen Einflussmöglichkeiten, muss dann aber auch dafür einstehen, dass CSU-Maximalpositionen nur schwerlich durchzusetzen sind. Leitsprüche wie „Bayern kann es auch allein“ (Scharnagl 2012) konterkarieren demgegenüber also den erfolgreichen Weg der CSU als

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europäische Volkspartei mit regionaler Verankerung, die bayerische, deutsche und europäische Identität organisch vereinen konnte.

2.3 Bayerische Identität und CSU: Befunde und Folgerungen Die Gleichsetzung von CSU und Bayern zeigt sich abschließend betrachtet also nicht darin, dass sich Partei und Land gleichförmig entwickelt hätten. Die Perspektive ist eine andere: Die Christsozialen haben die kulturelle, historische, sprachliche und wirtschaftliche Diversität der einzelnen Landesteile in sich aufgenommen und dennoch Bayern als Ganzes erfolgreich fortentwickelt. Der Regionalproporz im Kabinett, aber auch bei der Besetzung der Führungspositionen in der Fraktion (Fraktionsvorsitz und Stellvertretende Vorsitzende, Arbeitskreisvorsitzende in der Fraktion), trug dazu bei, dass sich jede Region in Partei und Staat vertreten fühlte (Weigl 2013, S. 167–172). Auf der anderen Seite vermochte es die CSU, im ganzen Land, auch in Stadt und Land, als diejenige Partei wahrgenommen zu werden, die die besten Entwicklungsperspektiven für den einzelnen anzubieten hatte. Auf die einzelnen Regierungsbezirke bezogen war sie dabei sehr erfolgreich, zieht man heran, wie gering sich die Unterschiede bei Arbeitslosigkeit, Kaufkraft und wirtschaftlicher Stärke zwischen ihnen inzwischen darstellen. Insgesamt betrachtet haben sich die Lebensbedingungen in ganz Bayern nicht nur auf das gesamte Land bezogen, sondern eben auch zwischen Stadt und Land erheblich verbessert und angenähert. Dennoch stellt genau dieser Gegensatz zwischen städtischer und ländlicher Bevölkerung, einhergehend mit der starken Zuwanderung nach Bayern und bedingt durch dessen wirtschaftlichen Erfolg, eine der Hauptherausforderungen für die Partei dar, um mehrheitsfähig zu bleiben, da sich dadurch auch das Verständnis von bayerischer Identität verändert. Entscheidend wird sein, dass die Landesspitze der Partei Verständnis und Akzeptanz für diese gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozesse nicht nur auf Vorstandsebene und in den Städten, sondern auch in den ländlichen Gebieten erreicht. Der Fall des muslimischen CSU-Bürgermeisterkandidaten in einer schwäbischen Gemeinde, der Anfang 2020 seine Kandidatur aufgrund lokaler Widerstände in seinem Ortsverband, dies sei nicht mit dem „C“ der Partei vereinbar, zurückzog, ist ein deutliches Symptom dafür, wie schwer sich die CSU bisweilen mit der Erneuerung tut (Münchner Merkur 2020). Die Partei darf auch mit Blick darauf nicht der Versuchung erliegen, in populistische Tonlagen einzustimmen, die kurzfristigen Applaus bringen, aber langfristig die Gefahr erzeugen,

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auf eine Regionalpartei mit folkloristischen Anklängen reduziert zu werden. Der schwierigere, aber mittel- und langfristig Erfolg versprechende Weg besteht darin, bayerische, deutsche und europäische Identität glaubhaft zu vereinen (Hefty 2007).

3 Christliche Ethik Die Christlich-Soziale Union hat sich schon mit ihrer Namensgebung 1945 dafür entschieden, dass aus dem Christentum abgeleitete Werte die Basis ihres politischen Handelns sein sollen (Fait 1995, S. 40).3 Die christliche Glaubensgemeinschaft gehörte somit von Beginn an „zur DNA der CSU“, wie Reiner Anselm und Philipp Hildmann in ihrem Beitrag feststellen. Diese religiöse Wertebindung ist nicht nur Handlungsauftrag und Kompass für die Parteimitglieder, sondern zugleich Maßstab für die Wählerinnen und Wähler (Kirchmann 1985). Damit hat sich die Partei aber auch bewusst in eine strukturelle Abhängigkeit begeben. Denn nur in einer christlich geprägten Gesellschaft ist der Fortbestand für die CSU als religiös grundierte Partei gesichert. Gesellschaftliche Modernisierungsprozesse könnten dies also gefährden. Die Entwicklungen sind geprägt von Individualisierung, Digitalisierung, Globalisierung und einem exponentiellen Wachstum von Wissen. Dies führt unter anderem zu einer fortwährenden Infragestellung bestehender Wertebilder und zu einer schrittweisen Säkularisierung der Gesellschaft. Gerade Religionsgemeinschaften werden in ihrer normativen Deutungshoheit herausgefordert und leiden spürbar unter diesen Entwicklungen.4 So sinkt die Zahl der Kirchenmitglieder in den christlichen Religionsgemeinschaften seit den 1970er Jahren deutlich und in den letzten Jahren sogar dramatisch (Kirchenaustritt 2018). Doch auch die Bindungen innerhalb des Katholizismus und des Protestantismus lassen spürbar nach, was statistisch an der Zahl der immer weniger werdenden Kirchgänger sichtbar wird. Für die richtige Einstufung dieser gesellschaftlichen Trends sind allerdings zwei weitere Aspekte von Bedeutung. Zum einen ist Säkularisierung nicht gleichzusetzen mit allgemeinem Werteverlust, sondern mehr mit einer Pluralisierung der Wertelandschaft. Zum anderen gibt es in Teilbereichen der Gesellschaft Tendenzen, in denen Glaube und Religion wieder eine stärkere, wenn nicht gar

3Vgl. 4Vgl.

dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Reiner Anselm und Philipp Hildmann. dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Martin Sebaldt.

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eine dominante Rolle spielen. Beispielhaft sei hier noch einmal auf die Kreationismusbewegung in den USA oder Ausprägungen des modernen Islamismus verwiesen, welcher auch in der westlichen Welt an Bedeutung gewinnt. In diesem Spannungsfeld bewegt sich also auch die CSU, und folglich ist zu fragen, wie es der Partei bisher gelungen ist und auch weiterhin gelingen kann, diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

3.1 Wertbindung und Relativismus als Chancen Ob diese christliche Wertebindung weiterhin eine Chance sein kann, hängt sehr davon ab, welche Bedeutung das Christentum in der CSU-Programmatik generell besitzt und ob sich diese normativ-ethische Grundierung als anpassungsfähig zeigt. Mit Blick auf die Grundsatzprogramme der CSU ist zunächst festzuhalten, dass die christliche Ethik im Programmfundament der CSU durchgängig seit 1945 einen zentralen Stellenwert einnimmt. Jedoch gibt es durchaus Verschiebungen, die ein genauerer Blick in die einzelnen Grundsatzprogramme aufzeigt. Denn gerade in den Anfangsjahren der Christlich-Sozialen Union lässt sich dort noch eine sehr dogmatische Fassung christlicher Werte feststellen. So sprechen die Autoren im ersten Dokument von 1946 noch deutlich von der Orientierung an der „göttlichen Ordnung“ (CSU 1946, S. 1). Auch das zweite Programm aus dem Jahr 1957 lässt mit dem Verweis auf die „christliche Wahrheit“ wenig Interpretationsspielraum (CSU 1957, S. 3). Doch bereits im Grundsatzprogramm von 1968 lässt sich eine ­ behutsame „Entreligionisierung“ (Gerngroß 2010, S.  91) feststellen, da die explizite Berufung auf das Christentum etwas in den Hintergrund tritt. Und spätestens 1976 ist die dogmatische Überhöhung der christlichen Lehre endgültig Geschichte. Denn in diesem Programm nimmt die CSU erstmals von der Fokussierung auf die christlich gebundene Bürgerschaft Abstand und öffnet sich expressis verbis auch für Nichtchristen. Allerdings stellt die Partei die Bindung an das Christentum als solches weder 1976 noch im folgenden Grundsatzprogramm von 1993 grundsätzlich infrage. Denn auch im ersten Programm nach der Wiedervereinigung bleiben für die CSU das „Christliche Menschenbild und die christliche Wertordnung“ (CSU 1993, S. 10) Grundlagen der Politik. Die Öffnung der Partei hat also in dieser Hinsicht Grenzen. Der christliche Markenkern der Partei bleibt hier und auch in den folgenden Programmen bis hin zur aktuellen „Ordnung“ unverhandelbar, wenngleich auch dort gleichlautend unterstrichen wird, dass die Partei weiterhin für jeden offen steht, unabhängig von der persönlichen Glaubensausrichtung.

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Die programmatischen Grundaussagen der CSU zeigen folglich zweierlei. Zum einen wird in allen Programmen eine klare Ausrichtung an der christlichen Ethik als Basis des politischen Handelns formuliert. Jedoch schafft es die Partei zum anderen, dogmatische Sichtweisen der Gründungszeit zu verlassen und sich durchaus den gesellschaftlichen Realitäten zu stellen. Dies zeigt sich in einer feinen Nachsteuerung und einem schrittweise angepassten und offeneren Verständnis der christlichen Identität und auch in einer breiteren ethischen, auch nichtreligiösen Fundierung. Doch nicht nur in den Grundsatzprogrammen findet sich der Bezug zum Christentum wieder, sondern auch in vielen konkreten politischen Grundsatzpositionen. So steht die CSU seit Jahrzehnten liberalen Fristenlösungen bei Schwangerschaftsabbrüchen ablehnend gegenüber. Vielfach geschieht dies mit dem Hinweis auf den Wert des Lebens, der aus dem christlichen Wertefundament hergeleitet wird. Doch zeigt sich die CSU bei ihren Grundsätzen – ähnlich wie im Parteiprogramm – anpassungsfähig. So hat sie sich Schritt für Schritt dem modernen Rollenbild der Frau geöffnet, welches ihre vollständige berufliche und gesellschaftliche Gleichstellung beinhaltet. Ähnlich stellen selbst in der CSU mittlerweile nur noch wenige das liberalisierte Familienbild infrage, das selbstverständlich auch Lebensgemeinschaften neben der klassischen Ehe zulässt, was nicht mit einer engen katholischen Auslegung des Ehe-Sakraments in Einklang steht. An diesen Beispielen zeigt sich erneut die Anpassungsfähigkeit der CSU, die diesen Wandel oftmals etwas zeitverzögert, jedoch trotzdem undogmatisch angeht (Sebaldt 2010, S. 565–567). Doch wie lässt sich diese schrittweise Abkehr von christlichen Vorgaben überhaupt mit der Wertebindung an das Christentum in Einklang bringen? Anselm und Hildmann erklären dies damit, dass diese Bindung auch darin liege, im Geiste des Subsidiaritätsprinzips die Zuwendung an den Einzelnen zu unterstützen und gleichzeitig die Pluralität der Einschätzungen zuzulassen. Die Ausrichtung am Christentum hat also aus ihrer Sicht keinen exkludierenden Faktor, sondern sorgt für einen Schutz vor Willkür. Diese Leitplanken machen gemäß Anselm und Hildmann eine plurale Gesellschaft erst möglich, denn das Christentum „repräsentiert keine Abgrenzung, sondern tritt für das Verbindende ein“. Somit stärkt ein christliches Fundament diejenigen politischen Rahmenbedingungen, die eine liberale Ordnung mit der Freiheit der individuellen Lebensführung garantieren. Nicht ohne Grund stehen deshalb die christlichen Wurzeln im Fokus, die die CSU aus der katholischen Soziallehre bezieht. Nach ihr bilden Personalität, Subsidiarität und Solidarität die drei wesentlichen Elemente des sozialen Miteinanders (Nell-Breuning 1990). So folgen die Individualrechte des Einzelnen aus

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der Definition des Menschen als Gottes Ebenbild. Die Solidarität ergibt sich aus der Verantwortung des Christenmenschen in der Gesellschaft, und die Subsidiarität bedingt Freiheit und Auftrag an jeden einzelnen gleichermaßen, zunächst für sich selbst zu sorgen und erst dann auf die Unterstützung der Gemeinschaft zu setzen. Diesen Leitlinien ist die CSU beständig treu geblieben. Denn auch moderne politische Fragestellungen, die in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung auftauchen, lassen sich mit diesem Bezug auf die christliche Ethik leichter beantworten als ohne ein derartiges Wertefundament.

3.2 Wertbindung und Relativismus als Probleme Jedoch schafft diese Wertebindung auch Probleme. Denn Modernisierung und die damit verbundene Säkularisierung bewirken weitreichende Veränderungen in der Parteimitgliedschaft und der Wählergeografie. Traditionell hat die CSU ihr treuestes Wählerreservoir bei den Katholiken und Protestanten mit starker kirchlicher Bindung. Doch sinkt die Zahl der Konfessionsmitglieder in Deutschland beständig. Waren in Bayern im Jahr 1950 noch 26,4 % protestantisch und 71,9 % katholisch, sind diese Anteile bis zum Jahr 2015 auf 19 % Protestanten und 51,2 % Katholiken (fowid 2018) abgesunken. Viel wichtiger ist aber für die Wahlentscheidung, wie stark die Religionsangehörigen sich an eine Kirche faktisch binden. Dies wird anhand der regelmäßigen Kirchgänger gemessen, die erheblich weniger geworden sind. Gerade dies zeigt, wie sehr die Existenz der Christlich-Sozialen Union von der christlichen Prägung der Gesellschaft abhängig ist. Zwar muss relativierend darauf hingewiesen werden, dass fehlender Kirchgang und auch der Austritt aus kirchlichen Gemeinschaften nicht zwingend bedeuten, dass der christliche Wertekanon abgelehnt wird. Jedoch – und dies zeigen die Wählerwanderungen – sind solche Wähler bei weitem weniger an die CSU gebunden und deutlich mehr bereit, ihre Stimme abhängig von Kandidat und Inhalt auch anderen Parteien zu geben. Der Rückgang der kirchlichen Bindungen und die zunehmend säkulare Gesellschaft spiegeln zudem ein Problem in der CSU-Mitgliederstruktur. Zwar ist der Anteil der religiös ungebundenen Mitglieder inzwischen auf 9,7 % gestiegen (2018), aber weiterhin dominieren die Parteiangehörigen, die einer der beiden großen Kirchen in Bayern angehören. Dabei machen die Katholiken mit 74,5 % den wesentlichen Anteil der konfessionell gebundenen Mitglieder aus. Das bedeutet, dass die CSU in dieser Hinsicht weiterhin, abgehoben vom gesellschaftlichen Trend, eine christliche und vornehmlich katholische Partei geblieben ist

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(Niedermayer 2019, S. 33). Insofern stellt sich auch aus dieser Perspektive die Frage, inwieweit eine Partei mit christlichem Markenkern langfristig überhaupt noch gesamtgesellschaftliche Strahlkraft entfalten kann. Oder noch direkter gefasst: Die zunächst klare Stärke als christliche Partei könnte durch diese gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse langfristig zu einer strukturellen Schwäche werden.

3.3 Christliche Ethik und CSU: Befunde und Folgerungen Die CSU hat sich bei ihrer Gründung entschieden, sich nicht nur im Namen, sondern auch im Werte- und Programmfundament auf die christliche Ethik zu berufen. In den Anfangsjahrzehnten des Freistaats Bayern nach 1945 hat sich dies durchaus als erfolgreicher Weg erwiesen. Die Christen, insbesondere die überproportional vertretenen Katholiken, konnten so für die CSU als Parteimitglieder und vor allem als Wähler langfristig gewonnen werden. Dies umso mehr, da sich die Gläubigen stark an die Kirchen gebunden fühlten, was sich nicht zuletzt im regelmäßigen Kirchgang zeigte. Aus diesem Vorteil wurde aber mehr und mehr eine Herausforderung. Die gesellschaftliche Modernisierung, die sich unter anderem in einer steigenden Individualisierung und Säkularisierung zeigt, führte zu einem enormen Rückgang der Kernklientel der CSU. Dieser Herausforderung hat sich die CSU gestellt, indem sie sich in den Grundsatzprogrammen schrittweise geöffnet und ziemlich früh die dogmatischen Grundlinien der Gründerjahre verlassen hat. Zwar blieb die Partei weiterhin dem christlichen Wertebild verschrieben, öffnete sich aber nun schrittweise und explizit auch für Nichtchristen. Diese Anpassung zeigt sich auch in der Veränderung konkreter politischer Positionen. So hat sie zwar langsamer als die anderen bundesdeutschen Parteien, aber trotzdem spürbar, ihr Familienbild an die gesellschaftlichen Realitäten angepasst, und selbst gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind mittlerweile auch in der CSU akzeptiert. Die grundsätzlichen Werte insbesondere aus der katholischen Soziallehre bleiben jedoch auch hier als ethischer Kompass erhalten (Glück 2007), jedoch bewusst so allgemein gefasst, dass sie auch auf außerchristliche Wertelinien zurückgeführt werden können. Damit bietet sich für die CSU auf der einen Seite die Chance, auch für Nichtchristen wählbar zu sein. Jedoch geht sie auf der anderen Seite das Risiko ein, in der eigenen Anhängerschaft und insbesondere bei den eigenen Parteimitgliedern den Rückhalt für diese weite Definition des christlichen Markenkerns zu verlieren. Somit bleibt dies eine zweischneidige

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Angelegenheit. Zwar wird die „positionelle Schärfung des ‚C‘ […] als identitätsprägender Ankerpunkt und Alleinstellungsmerkmal […] unverzichtbar sein“, wie Anselm und Hildmann festhalten, doch wird eine nicht nur christlich grundierte ethische Positionsbestimmung für die CSU künftig mehr denn je Erfolgsvoraussetzung sein.

4 Programmatik Parteiprogramme müssen mit der Zeit gehen. Das ist eine Binsenweisheit, gerät aber gerade für Volksparteien zur großen Herausforderung (Kronenberg und Mayer 2009). Denn ihr umfassender, alle gesellschaftliche Sektoren umfassender Vertretungsanspruch führt zu einer programmatischen Breite, die immer wieder in Konflikt mit dem Erfordernis tritt, jeweils aktuelle Leit- und Reizthemen in den Fokus zu rücken. Letzteres ist unabdingbar, weil eine Partei schnell ins Hintertreffen geraten würde, wenn sie dies verweigerte. Oder konkret und exemplarisch: Dem programmatischen Diskurs um die Prägung und Weiterentwicklung der Migrationspolitik könnte sich keine deutsche Partei ernsthaft verweigern, ohne politischen Schaden zu nehmen. Und schließlich ist es auch aus Gründen der öffentlichen Sichtbarkeit unabdingbar, ein umfangreiches Themenportfolio so zuzuschneiden, dass es medial gut vermittelbar ist und der Partei zugleich ein positiv besetztes Markenimage verleiht.5 Gleichwohl darf das nicht dazu führen, dass solche aktuellen Themen am Ende zu einseitig imageprägend werden. Denn gerade für inhaltlich und auch personell breit aufgestellte Volksparteien birgt dies ja die große Gefahr, vielleicht mit aktuellen programmatischen Akzentuierungen an einer Front Stiche zu machen, dies aber auf Kosten anderer Klientelen, die man genau damit verprellt. Oder erneut exemplarisch: Ein zu harter migrationspolitischer Kurs könnte gerade für eine konfessionell geprägte Partei zum Risiko werden, weil dabei für viele auch die Frage im Raum steht, ob dies mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe vereinbar ist. Resümierend ist deshalb nun zu fragen, wie die CSU diesen schwierigen programmatischen Spagat zwischen Vielfalt und Zuschnitt meistert.

5Vgl.

dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Christian Deutschländer.

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4.1 Traditionen: Programmvielfalt zwischen Konstanz und Wandel In programmatischer Hinsicht hat die CSU seit ihrer Gründung in der Tat eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen. Das wird zum einen schon am bloßen Umfang der diesbezüglichen Grundsatzdokumente ersichtlich: Umfasste die am Anfang stehende Zehn-Punkte-Erklärung des Jahres 1945 nur ganze zwei Seiten Text, so wuchs das Volumen der letzten Grundsatzprogramme auf Buchformat an. Einher ging diese quantitative Ausweitung mit einer grundlegenden Änderung der programmatischen Qualität: Waren die frühen Dokumente in erster Linie dazu gedacht, die generellen inhaltlichen Eckpunkte der Parteiagenda abzustecken, so gehen die neueren Programme deutlich über diesen Ansatz hinaus und sind auch als konkrete Handlungsleitfäden gefasst, in denen mittlerweile alle wesentlichen Politikfelder abgedeckt und zu denen jeweils auch spezifische Lösungsvorschläge formuliert werden (Weigl 2013, S. 50–77). Gerade darin kommt der Volksparteienanspruch der CSU besonders gut zum Ausdruck: Nicht nur klientelspezifische Forderungen werden festgeschrieben, sondern die Partei erhebt mit ihren Grundsatzdokumenten ganz explizit den Anspruch, konkrete Lösungsvorschläge für alle Teile der Bevölkerung anzubieten.6 Gleichwohl hat sich die Programmsubstanz in den letzten Jahrzehnten deutlich geändert, was sowohl auf innergesellschaftliche Wandlungsprozesse zurückzuführen ist als auch auf Verschiebungen in der weltpolitischen und internationalen Szenerie. Beides machte an etlichen Stellen substanzielle Anpassungen der Parteigrundsätze erforderlich: So lässt sich in den Dokumenten zum einen eine deutliche Änderung des Frauenbildes erkennen, weg vom traditionellen Verständnis der dominierenden Rolle als Hausfrau und Mutter hin zu einem modernen Rollenbild, in dem die Gleichberechtigung der Geschlechter im Vordergrund steht und das Bestreben, auch den Frauen eine vollwertige Berufstätigkeit zu ermöglichen. Insoweit hat sich die familienpolitische Position der CSU gegenüber den Anfängen stark verschoben. Zum anderen wird im Zuge der wachsenden Globalisierung und der fortschreitenden europäischen Integration auch der stark gestiegenen sozialen Mobilität und insbesondere der Herausforderung der Migration Rechnung getragen, indem die Partei nun deutlich für eine Begrenzung der Zuwanderung eintritt, um einer multikulturellen Überfremdung der bayerischen Gesellschaft vorzubeugen (Deininger 2020, S. 302–311).

6Vgl.

dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Markus Blume.

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Seit Mitte der siebziger Jahre findet darüber hinaus der Umweltschutzgedanke Eingang in die Programmatik der Christsozialen. Damit trug die Partei vergleichsweise frühzeitig ökologischen Prinzipien Rechnung (Egleder 2010). Jüngere internationale politische Bedrohungsszenarien sind in den letzten Programmen ebenfalls bereits abgebildet: So etwa werden die Gefahren des global operierenden Terrorismus ebenso erfasst wie die sich nach dem Ende des Kalten Krieges stark ausbreitende internationale organisierte Kriminalität. Vor allem islamistischen Aktivitäten wird explizit der Kampf angesagt, mit Forderungen nach konsequenten Verschärfungen von Bestimmungen zur inneren und äußeren Sicherheit. Und schließlich sind auch die weltpolitischen Umbrüche seit der Implosion des Ostblocks nicht spurlos an der CSU-Programmatik vorübergegangen: Nahm die Bekämpfung des kommunistischen Feindbilds noch bis in die achtziger Jahre einen prominenten Stellenwert in den Grundsatzprogrammen ein, so rückte dies mit dem Verschwinden der mittel- und osteuropäischen sozialistischen Systeme in den Hintergrund. Gleichzeitig schärfte und präzisierte die Partei ihre europapolitischen Positionen, was im Zuge der anstehenden Osterweiterung der Europäischen Union nun auch vordringlich wurde. Im Zuge dessen begann die Partei von früheren allgemeinen föderalen Postulaten abzurücken und stellte nun die Garantie des Subsidiaritätsprinzips, mithin die Bewahrung bayerischer Staatlichkeit und Autonomie in einem immer stärker zusammenwachsenden Europa, deutlich in den Vordergrund und legte sich insgesamt auf eine eher pragmatisch angelegte Europapolitik fest, die nicht frei von Integrationsskepsis ist. Diesen deutlichen Wandlungstendenzen stehen aber auch programmatische Konstanten gegenüber, die vor allem die schon angesprochenen bayerischen Wurzeln und das christliche Wertefundament der CSU spiegeln: Unverhandelbar ist für die Christsozialen zum einen die bayerische Eigenstaatlichkeit, und dies sowohl im Rahmen des deutschen Bundesstaates als auch im Kontext der europäischen Integration. Die Begründung hierfür wird nicht nur in der langen Staatstradition Bayerns gesucht, sondern speist sich auch aus den Grundprinzipien der Katholischen Soziallehre, insbesondere erneut aus dem darin formulierten Subsidiaritätsprinzip. Das zeigt den nach wie vor großen Stellenwert der christlichen Ethik im Programmfundament der CSU, der im Übrigen auch bei zentralen gesellschaftlichen Streitfragen zum Ausdruck kommt, wo die Christsozialen trotz sonstiger deutlicher Programmänderungen auch gegen Zeitgeisttrends an ihren Grundsätzen festhalten. Kontinuität ist schließlich – die unmittelbare Nachkriegsphase einmal ausgeblendet – auch bei der Wirtschaftspolitik feststellbar, in welcher die CSU bewusst einen ‚Dritten Weg‘ zwischen zügellosem Liberalismus einerseits und

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sozialistischer Planwirtschaft andererseits sucht und deshalb seit Jahrzehnten zu den entschiedensten Befürwortern der Sozialen Marktwirtschaft zählt, in der die Grundsätze des freien Marktes sinnvoll mit einer dosierten staatlichen Ordnungspolitik kombiniert werden sollen (Wörle 2010): Insoweit wird auch die wirtschaftspolitische Praxis der bayerischen CSU-Regierungen der letzten Jahrzehnte erklärlich, in welcher die ordnungspolitischen und die Fördermaßnahmen (regionale Strukturförderung, Anreize für Unternehmensansiedlungen, Unterstützung strukturschwacher Regionen, Mobilitätshilfen etc.) neben der Gewährleistung freier Marktbedingungen immer eine substanzielle Rolle spielten.

4.2 Die aktuelle Szenerie: Programmatischer Zuschnitt im Zeichen neuer Herausforderungen Gerade bei den programmatischen Konstanten stößt die CSU mit ihrem Volksparteienanspruch aber auch an strukturelle Grenzen: Wer sich nicht auf die Grundsätze christlicher Ethik und die daraus abgeleiteten sozialpolitischen Eckpunkte festlegen will, und wer auch einem anderen wirtschaftspolitischen Credo folgt, wird keine Heimstatt bei Bayerns Christsozialen finden. Ebenso wird ein Verfechter eines starken europäischen Bundesstaates sich zumindest mit der jüngeren CSU-Programmatik nicht anfreunden können. Mit anderen Worten: Da zur Wahrung der eigenen programmatischen Identität das Festhalten an Grundsätzen unabdingbar ist, wird ein Parteiprogramm ganz generell nur über eine begrenzte Reichweite verfügen und Weltsicht und Wünsche bestimmter Bevölkerungsteile nicht bedienen können. In dem daraus entstehenden Spannungsfeld aus zeitgemäßem programmatischen Wandel und dem aus Identitätsgesichtspunkten gebotenen Festhalten an Bewährtem und Grundlegendem ist es deshalb gerade für eine mit breiter programmatischer Basis ausgestattete Partei wie der CSU die wohl bedeutendste Herausforderung, dem selbst gesetzten Volksparteienanspruch auch faktisch gerecht zu werden (Oberreuter 2018). Dieses Spannungsfeld zeigt sich gerade in der Weiterentwicklung der CSU-Programmatik im letzten Jahrzehnt. Seine erste Fortschreibung erfuhr das zuvor prägende CSU-Grundsatzprogramm von 2007 bereits im Jahre 2013 durch den „Bayernplan“, der zwar primär für die anstehenden Wahlen des Jahres formuliert war, aber auch darüber hinaus verwies: Bayern sollte ihm zufolge unter anderem bis 2030 schuldenfrei sein und Vollbeschäftigung aufweisen, durch Erhöhung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge noch familienfreundlicher werden, die regionale Identität durch die Sicherung bäuerlicher Existenzen und nicht zuletzt durch ein

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eigenes Heimatministerium festigen und Bayerns Position im Bund durch die Reform des Länderfinanzausgleichs und durch die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene festigen (CSU 2013). Hier wird also das Bestreben der CSU gut deutlich, ihr breites Programmportfolio auf ein handhabbares und zugleich politisch zugkräftiges Set aktueller Themen zuzuspitzen, um damit in aktuellen Wahlen bestehen zu können. Auf dieser Grundlage wurde dann wiederum die Auflage eines neuen Grundsatzprogramms in Angriff genommen, das auf dem Parteitag im November 2016 verabschiedet wurde (CSU 2016). Auch hier bleiben die Christsozialem ihrem überkommenen programmatischen Markenkern zwar grundsätzlich treu, akzentuieren aber manches mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen noch stärker als früher und haben das Dokument gegenüber dem letzten Programm von 2007 auch auf etwa die Hälfte des Textumfangs eingekürzt. Auch dadurch liest sich vieles zugespitzter als früher. Denn neben den klassischen Plädoyers für ein „freiheitliches Miteinander“ (CSU 2016, S. 9) auf Basis der christlich geprägten Gesellschaftsordnung und für die Bewahrung der Sozialen Marktwirtschaft werden nun auch die Stärkung der hiesigen „Leitkultur“ (CSU 2016, S. 13) sowie der Staats- und Rechtsordnung erkennbar stärker in den Mittelpunkt gerückt. Das gilt auch für die Passagen zur „Friedens- und Sicherheitsordnung“, in denen nicht nur vor einer zunehmenden „Christenverfolgung“ (CSU 2016, S. 41) weltweit gewarnt wird, sondern neben der Bekämpfung der internationalen Sicherheitsrisiken auch die Bewältigung des Migrationsproblems und insbesondere die Begrenzung der Zuwanderung noch einmal explizit betont werden.

4.3 Programmatik im Spannungsfeld von Vielfalt und Zuschnitt: Befunde und Folgerungen Auch die CSU hat das Spannungsfeld von programmatischer Vielfalt und thematischem Zuschnitt im Blick, das ist unverkennbar. Gerade im letzten Jahrzehnt legt sie noch deutlicher als früher Wert darauf, aktuelle Themen in den Vordergrund zu rücken, ohne dabei ihren christlich-sozialen Markenkern zu gefährden. Gerade die stringente Komposition der aktuell geltenden „Ordnung“, die ihren Namen auch deshalb zu Recht trägt und gegenüber den weitschweifigen und recht katalogartigen Vorgängerprogrammen an Griffigkeit deutlich gewonnen hat, ist dafür ein zentraler Beleg. Und doch gelingt es der CSU auch damit nicht immer, die politische Deutungshoheit zu bewahren bzw. wiederzuerlangen. Das gilt zum einen für

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die Migrationspolitik, bei der insbesondere das neue Grundsatzprogramm zwar eine deutliche Schärfung des Parteiprofils erbracht hat, jedoch das Themenfeld als solches häufig eben doch den Rechtspopulisten zugeschrieben wird. Historisch gesehen ist das zwar unsinnig, weil sich Bayerns Christsoziale schon mit Migrationsfragen auseinandersetzten, als es die AfD noch gar nicht gab. Doch politisch zählt am Ende die öffentliche Wahrnehmung, und hier gilt die AfD vielen mittlerweile als migrationspolitisches Original, die CSU aber nur als taktisch motivierte Kopie. Gleiches gilt sinngemäß für den derzeitigen ökologischen Nachhaltigkeitskurs der Partei, der ihr bei vielen ebenso nur das Image des ökologischen Abziehbilds der eigentlich für diese Thematik stehenden Grünen verschafft hat. Kurzum: Gerade an diesen Beispielen wird deutlich, dass die Bewältigung des beschriebenen programmatischen Spannungsfeldes für die CSU derzeit eine kardinale Herausforderung darstellt: Die Bewahrung programmatischer Vielfalt ist auf der einen Seite unabdingbar, weil nur darauf der Volksparteienanspruch der CSU glaubhaft und authentisch gründen kann. Gleichwohl nötigen wahltaktische Überlegungen und aktuelle politische Themenkonjunkturen eben doch zur Zuspitzung, um öffentliche Sichtbarkeit und auch Erfolge bei Wahlen und Abstimmungen zu erzielen (Oberreuter 2011). Dabei ist jedoch entscheidend, nicht auf die falschen Schwerpunkte zu setzen. Denn wenn am Ende der öffentliche Eindruck entstünde, die CSU kapere als schlechte Kopie nur Themen, für die andere Parteien als gute Originale authentischer stünden, ist nichts gewonnen, aber viel verloren.

5 Soziale Verankerung Die CSU war und ist seit 1945 die Leitpartei in Bayern. Um diese Stellung zu erringen und gleichzeitig als Regionalpartei ihrem bundes- und europaweitem Anspruch gerecht zu werden, kommt dem Wahlverhalten in Bayern stets große Bedeutung zu.7 Denn nur wenn die CSU als starke Partei die Regierungen anführt, kann sie darüber hinaus die Politik im Bund und in Europa maßgeblich mitgestalten. Dass dies gelungen ist, zeigen Gerhard Hirschers Wahlanalysen (vgl. auch Hirscher 2012, 2014). Nach der Konsolidierung des Parteiensystems in Bayern konnte die CSU im Freistaat von 1957 bis 2008 alleine regieren. Als einer der

7Vgl.

dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Gerhard Hirscher.

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Faktoren für diese Wahlerfolge kann auch die soziale Verankerung der Partei im vorpolitischen Raum gelten. Doch die Zeit der Alleinregierungen war 2008 vorerst beendet. Zwar gelang es der CSU 2013 mit einem Landtagswahlergebnis von 47,7 % unter Ministerpräsident Horst Seehofer nochmals, die absolute Mehrheit der Mandate zu holen; 2018 wurde sie jedoch wieder verloren. Einhergehend mit diesem Stimmenrückgang kam es zum Erstarken der Grünen und zu einer vielfältigeren Parteienlandschaft. Diese Tendenzen sind ebenso in den Bundestagswahlen erkennbar. Das bayerische Parteiensystem hat sich also grundlegend verändert, was die Frage nach sich zieht, inwieweit eine schwächere soziale Verankerung der CSU ursächlich dafür ist und wie die Partei mit diesen gesellschaftlichen Trends umgehen sollte (Weigl 2015).

5.1 Nähe und Distanz als Chance Um eine breite Wählerschaft zu vertreten, konnte es sich die CSU von Anfang an nicht erlauben, spezifische Klientelpolitik zu betreiben. Sie musste sich stets an allen Bevölkerungsgruppen orientieren, um ihr Wählerpotenzial größtmöglich auszuweiten. Deshalb gab es für die Christsozialen über Jahrzehnte hinweg in der Zusammensetzung ihrer Wähler keine wesentlichen Verschiebungen. Ganz im Gegenteil deckte die Partei alle gesellschaftlichen Segmente gut ab. Wie Hirscher festhält, betrug etwa 1974 der Unterschied der CSU-Ergebnisse zwischen den am weitesten voneinander entfernten Altersgruppen lediglich 4,1 Prozentpunkte (63,2 % für die über 60jährigen; 59,1 % für die 18–24jährigen). Das bedeutet: die CSU war für Jung und Alt gleichermaßen wählbar. Auch der Unterschied bei den Geschlechtern war nur gering ausgeprägt: Auch wenn die Frauen der CSU öfter die Stimme gaben, betrugen die Unterschiede zwischen Männern und Frauen stets nur wenige Prozentpunkte. Ähnliche Ergebnisse stellt Hirscher auch beim Bildungsniveau und bei der Berufsstruktur der Wählerschaft heraus. Doch auch bei den Arbeitern, einer Klientel, die eher der SPD nahesteht, konnte die CSU substanzielle Erfolge erzielen. Überproportional gute Ergebnisse erhielt die CSU darüber hinaus immer bei kirchlich gebundenen Wählern und dabei insbesondere bei den katholischen Kirchgängern, wie bereits weiter oben angemerkt. In der Summe lässt sich festhalten, dass die CSU über Jahrzehnte hinweg in allen Teilen der Bevölkerung hohe Zustimmungswerte erhielt, die sich in guten Wahlergebnissen niederschlugen (Weigl 2013, S. 254–267). Dies gelang unter anderem dadurch, dass die CSU als Volkspartei immer den Willen hatte, alle Interessengruppen zu vertreten. Um diesen Interessen ein Forum zu geben, bildeten sich sehr schnell klientelspezifische Arbeitsgemeinschaften

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heraus. Diese sind seit vielen Jahrzehnten ein wesentlicher Bestandteil der Parteistruktur und auf allen politischen Ebenen, d. h. Orts-, Kreis-, Bezirks- und Landesebene präsent (Nerl 2010). Dabei nahmen die Junge Union und die Frauen Union seit jeher herausragende Stellungen ein. Doch auch ­ Senioren-Union, Arbeitnehmer-Union, Arbeitsgemeinschaft Landwirtschaft, Kommunalpolitische Vereinigung, Union der Vertriebenen und Mittelstands-Union kommt eine bedeutende Rolle dabei zu, die CSU in der Gesellschaft zu verankern. Doch ging die CSU noch einen Schritt weiter und gründete neben den acht Arbeitsgemeinschaften noch Arbeitskreise, Kommissionen und Foren, um sich mit spezifischen Politikfeldern zu beschäftigen.8 So entstanden die Arbeitskreise Außen- und Sicherheitspolitik (ASP), Umweltsicherung und Landesentwicklung (AKU), Schule, Bildung und Sport (AKS), Hochschule und Kultur (AKH), Evangelischer Arbeitskreis (EAK), Polizei und Innere Sicherheit (POL), Öffentlicher Dienst (OeD), Juristen (AKJ), Gesundheitspolitischer Arbeitskreis (GPA), Energiewende (AKE), Arbeitskreis Netzpolitik der CSU (CSUnet) und Migration und Integration (AK MIG). Im Jahr 2019 bestanden schließlich rund 30 solcher Gremien, was durchaus auch eine Schattenseite besitzt: Denn die Grundidee, allen Interessen ein Forum zu geben, führte damit auch zu einer organisatorischen Fragmentierung und auch dazu, dass einzelne dieser Gremien nicht mehr die nötige innerparteiliche Durchschlagskraft hatten. Mit dieser organisatorischen Entfaltung war auch eine starke regionale und lokale Verankerung der CSU verbunden. Die Kommunalpolitik spielt dabei naturgemäß eine maßgebliche Rolle. Da sich Entscheidungen in den kommunalen Gremien direkt auf die Bürgerinnen und Bürger auswirken, führt eine starke Präsenz in diesen Gremien zu einer deutlichen Wahrnehmbarkeit der CSU in ganz Bayern. Dies führt im Übrigen auch dazu, dass die CSU auch außerhalb parteipolitischer Netzwerke ‚nah am Menschen‘ ist, da die CSU-Kommunalpolitiker und die CSU-Mitglieder gleichzeitig im Vereinsleben engagiert sind.9 Dies war und ist im ländlichen Bereich jedoch stets deutlicher ausgeprägt als in städtischen Milieus.

5.2 Nähe und Distanz als Probleme Jedoch sieht sich die Partei in den letzten Jahren mit verstärkten Umbrüchen konfrontiert. Individualisierung, Digitalisierung, Urbanisierung und Globali-

8Vgl. 9Vgl.

dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Thomas Huber. dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Franz Löffler.

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sierung sind hier als die großen Megatrends zu benennen. Die Digitalisierung sorgt nicht nur für viele neue Techniken, sondern führt auch zu einer starken Verdichtung der Kommunikation. „Der Grad der Vernetzung und der Informationsaustausch“ steigen täglich an, betont Franz Löffler. Dies führt dazu, dass nun viele Wege zur Informationsbeschaffung existieren und sich dadurch auch „eine Vielzahl von individuellen Ansichten und differenzierten Schwerpunkten“ entwickelt. Dies produziert für die Volkspartei CSU zunehmend Schwierigkeiten, da viele weniger die Gemeinschaft im Blick haben, sondern das individuelle Vorankommen (Reckwitz 2017). Dies spiegeln auch die jüngeren Wahlergebnisse der CSU. So bleibt die CSU zwar bei den älteren Wählern stabil verankert, verliert aber deutlich bei den jüngeren. Dramatisch zeigte sich dies bei der Europawahl 2019, bei der die Union (CDU und CSU) bei den Erstwählern nur mehr 13 % erzielte. Auch im Geschlechterverhältnis vollzog sich ein Wandel: Wurde die CSU jahrzehntelang generell mehr von Frauen als von Männern gewählt, so geben der Partei inzwischen vor allem junge Frauen immer weniger ihre Stimme. In der Bildungsstruktur ist auffallend, dass die CSU zwar von Bürgern mit niedrigerer Qualifikation immer noch überproportional stark gewählt wird, aber bei der Gruppe mit formal höherer Qualifikation merklich an Zustimmung verliert. Bei der Landtagswahl 2018 wählten aus dieser Gruppe nur mehr 30 % die CSU (im Vergleich zum Gesamt-CSU-Ergebnis von 37,2 %). Im Bereich der Konfession zeigt sich, wie weiter oben schon angemerkt, immer noch eine starke Bindung der Katholiken und der Protestanten (45 % bzw. 36 % bei der Landtagswahl 2018), jedoch nur eine sehr geringe Affinität bei den sonstigen bzw. konfessionslosen Bürgern (19 %). Hirscher weist deshalb auf die wachsende Bedeutung letzterer Gruppe hin. Dies kann sich für die CSU als langfristiger Nachteil erweisen, wenn sich dieses elektorale Missverhältnis bei weiter anwachsenden Anteilen nichtreligiöser Bevölkerungsteile fortschreiben sollte. Diese relativen Verschiebungen lassen sich im Übrigen auch bei den tatsächlich erreichten Stimmen nachweisen. So holte die CSU etwa bei der Bundestagswahl 2017 bei 9,5 Mio. Wahlberechtigten fast 2,87 Mio. Zweitstimmen. Im Jahr 1960 konnte sie im Vergleich dazu aber bei lediglich 7 Mio. Wahlberechtigten 3 Mio. Zweitstimmen gewinnen – ein signifikanter Unterschied der Wähleranteile! Als zentrale Herausforderung kristallisiert sich in diesem Gesamtkontext der Stadt-Land-Gegensatz heraus (Herbert Quandt-Stiftung 2015). Einhergehend mit der Zunahme an weiteren Mitbewerbern (Grüne in den Städten, Freie Wähler und AfD in den dezentralen, ländlich geprägten Gebieten) zeigt sich die abnehmende Wählerbindung der CSU. Zwischen den beiden Polen Stadt und Land nicht zerrieben zu werden ist daher für die Partei überlebenswichtig. Kernfrage ist ­hierbei,

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ob mit der Hinwendung zu ‚grünen‘ Themen mehr Wähler (in den Städten) gewonnen werden können als traditionelle Wähler (im ländlichen Raum) verloren werden und damit insbesondere im rechtskonservativen Spektrum weitere Akteure auf Dauer etabliert bleiben (Freie Wähler, AfD). Der alte Spruch von Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe es nur die Eiger-Nordwand geben, erlangt dabei erneut Bedeutung. Löffler fasst auf diesem Hintergrund zusammen, wie die soziale Verankerung, aber auch das Vertrauen in die Politik stabilisiert und teilweise zurückgewonnen werden können. Gerade um dem Auseinanderfallen von Stadt und Land entgegenzuwirken, unterstreicht er die Bedeutung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, die nicht nur in der bayerischen Verfassung festgehalten, sondern auch für die CSU Leitlinie des Handelns ist. So arbeitet die CSU-geführte Staatsregierung beständig daran, gerade die ländlichen Regionen in ihrer Strukturplanung angemessen zu berücksichtigen. Eine Ausdehnung der Universitäten und Fachhochschulen bzw. Technischen Hochschulen in alle Regionen Bayerns, etliche Behördenverlagerungen in die Fläche und die Unterstützung finanzschwacher Kommunen sind nur einige Beispiele, wie Staatsregierung und CSU daran arbeiten, diesen Ansprüchen gerecht zu werden (Reiter 2013). So soll auch der Eindruck des „Abgehängtseins“ vermieden werden, welches laut Löffler gerade in ländlichen Regionen wahrnehmbar sei und teilweise auch in hohe AfD-Ergebnisse münde. Deswegen bleiben für den Autor die „gleichwertigen Lebensbedingungen in Stadt und Land […] das grundlegende Instrument, damit Landflucht und Verstädterung nicht zum Lebensmodell junger Leute werden“. Gleichzeitig sorgt eine solche Politik dafür, dass die soziale Verankerung vor Ort in Vereinen und Verbänden erhalten bleibt und somit auch die CSU von dieser Verbindung in den vorpolitischen Raum profitiert. In der Parteiorganisation selbst reagierte der Vorstand unter dem 2019 neu gewählten Vorsitzenden Markus Söder mit einer Parteireform und einem Jahr der Erneuerung, um „Volkspartei [zu] bleiben und Zukunftsbewegung [zu] werden“ wie es im Leitantrag zum Parteitag 2019 hieß (CSU 2019). Dabei fiel der Blick auch auf die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise. Offensichtlich hatten diese nicht mehr die Integrationskraft, die aus Sicht der Partei notwendig ist. Generalsekretär Blume wollte die Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreise konsolidieren und schlagkräftiger machen. Jedoch beharrten die Vertreter der Arbeitsgemeinschaften darauf, ihre Stellung zu behalten. Dies liegt auch darin begründet, dass diese Funktionäre ihre parteiinterne Machtposition absichern wollten. Denn als Landesvorsitzender selbst eines unbedeutenden Arbeitskreises erhält man doch eine andere Wahrnehmung und auch mehr Einfluss. Dies führte dazu, dass diese Gruppierungen im gesamten

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Reformprozess nur ein Randthema bildeten. Vielmehr konzentrierten sich die Diskussionen im Vorfeld und am Parteitag selbst im Wesentlichen auf die Einführung weiterer Frauenquoten, welche die Parteispitze nur zum Teil durchsetzen konnte (Augsburger Allgemeine 2019). Exemplarisch wird daran auch ein Grundproblem umfassender Parteireformen ersichtlich – zumal dann, wenn sie nicht nur die Parteiorganisation selbst, sondern auch die Vielfalt regionaler und sozialer Vorfeldorganisationen betrifft: Veränderungen können gerade hier nicht einfach von oben dekretiert werden, da langfristig gewachsene Strukturen aus Menschen bestehen, die ihre eigenen berechtigten Interessen besitzen und diese auch offen artikulieren. Das macht das Streben der Parteiführung nach einer weitreichenden Reform der Vorfeldstrukturen nicht unsinnig, verweist aber deutlich darauf, mit welchen Entscheidungskosten man dabei jetzt und auch künftig zu rechnen hat.

5.3 Soziale Verankerung und CSU: Befunde und Folgerungen Jahrzehntlang profitierte die CSU von einer starken sozialen Verankerung in der Gesellschaft. So konnte sie zum einen auf ein starkes Engagement der Mitglieder in allen kommunalen und regionalen Verbänden und Vereinen bauen. Außerdem besaß sie in unterschiedlichen Milieus starken Rückhalt. Gerade bei den konfessionell gebundenen Bürgern und insbesondere den katholischen Kirchgängern sowie in den ländlichen Regionen konnte die CSU stets mit überdurchschnittlichen Wahlergebnissen rechnen. Und nicht zuletzt sorgt die CSU mit Arbeitsgemeinschaften und Arbeitskreisen auch organisatorisch dafür, die unterschiedlichsten Interessen der bayerischen Gesellschaft zu berücksichtigen. Mit diesem Dreiklang konnte die CSU sich über Jahrzehnte die Alleinherrschaft in Bayern und ein bedeutendes Mitspracherecht im Bund und in Europa sichern. Wie alle Parteien trafen gesellschaftliche Veränderungen aber auch die CSU. Der demografische Wandel, die Digitalisierung, die Globalisierung und die Urbanisierung sind nur einige Trends, die hier zu nennen sind. Viele dieser Wandlungsprozesse, die andernorts schon viel früher einsetzten, manifestieren sich heute auch in Bayern. Dies führt zu einer größeren Vielfalt im Parteiensystem (Deininger 2020, S. 291–322). Zwar schafft es die CSU gerade in den ländlichen Regionen weiterhin, gute Ergebnisse einzufahren, was auch an der Politik der CSU-geführten Staatsregierung liegt. Die Betonung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land und die vielfachen Maßnahmen in diese Richtung sind ein Beispiel, wie

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dies gelingen kann. Darüber hinaus ist auch die gesellschaftliche Verankerung in den Dörfern und kleinen Städten leichter möglich als in den Großstädten. Gerade diese Faktoren führen dazu, dass die CSU es immer noch schafft, ihre führende Stellung in Bayern zu bewahren. Die jüngsten Ergebnisse der Landtags- und Europawahlen 2018/2019 zeigen aber auch, dass es für die konfessionell geprägte, von älteren Wählern bevorzugte und in der ländlichen Fläche gut aufgestellte CSU immer schwieriger wird, junge Menschen, konfessionell Ungebundene und insbesondere die Stadtbevölkerung für sich zu gewinnen. Gelingt ihr dies in Zukunft nicht wieder besser, ist aufgrund der demografischen Entwicklung auch ihre führende Stellung in Bayern dauerhaft gefährdet. Die Lösungen, die die CSU bisher dazu anbietet, gehen erkennbar noch nicht weit genug.

6 Organisation Wie Leuchttürme in einer sich radikal verändernden Welt sollen sie sein, Orientierung geben, Mitsprache und Beteiligung für jedes Parteimitglied ermöglichen, vom Digital Native bis hin zum konservativen Briefeschreiber alter Schule jeden Wähler nach seinen Wünschen ansprechen und ernst nehmen und sich sowohl in der Welt herkömmlicher Stammtische genauso etablieren wie an den virtuellen Stammtischen im Internet (Decker 2018). Die Aufgaben und Probleme, vor denen moderne Volksparteien und ihre Organisationen im beginnenden dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts stehen, ergeben ein umfangreiches Pflichtenheft, das dem Spannungsbogen zwischen realer und virtueller Welt, zwischen Realpräsenz und Digitalisierung umfassend gerecht werden muss. Deutlich geworden ist in den Analysen, dass der klassische Spagat zwischen interner und externer Kommunikation, den alle Parteiorganisationen zu bewältigen haben, um die gewaltige Dynamik digitaler Möglichkeiten und sich ebenso schnell verändernder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen zu erweitern ist. Nicht nur die Gesellschaft an sich verändert sich mit Blick auf schwindende Wählerbindungen bei gleichzeitig ansteigender Individualisierung, sondern eben auch die Kommunikation sowohl innerhalb der Parteiorganisation als auch mit ihren Umwelten. Die Digitalisierung gestaltet sich dabei als besondere Herausforderung und Chance gleichermaßen für die Binnen- und die externe Kommunikation.10 Eine Vielzahl an Adressaten, die Vielfalt an Ansprüchen und möglichen

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dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Dorothee Bär und Judith Gerlach.

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Kommunikationsstrategien treffen dabei auf eine Partei mit personell wie finanziell begrenzten Ressourcen, die weit entfernt sind von den Budgets großer DAX-Unternehmen (Hopp 2010). Die stete Neuerfindung der Partei, um dieses komplexe organisatorische und kommunikative Szenario bewältigen und dabei gleichzeitig ihrer traditionell gewachsenen Natur als christlich-soziale Volkspartei treu bleiben zu können, ist daher die zentrale Herausforderung, welche die CSU im Spannungsfeld von Realpräsenz und Digitalisierung zu bewältigen hat.

6.1 Realpräsenz und Digitalisierung: Potenziale und Erfolge Volkspartei zu sein heißt gerade mit Blick auf die CSU in Bayern, im ganzen Land flächendeckend präsent und ansprechbar zu sein sowie das Land auf allen politischen Ebenen durchgehend zu repräsentieren.11 Dies zeichnet die Christsozialen als Volkspartei mit der dritthöchsten Mitgliederzahl aller deutscher Parteien traditionell aus, obwohl sie nur in einem von 16 Bundesländern zur Wahl antritt. Mit derzeit rund 140.000 Parteiangehörigen verfügt die CSU nach wie vor über einen beeindruckenden Mitgliederstamm, der sich mit rund 3000 Ortsverbänden und Parteigliederungen in einem lückenlosen Netz auf das gesamte Land erstreckt und ihre Verwurzelung in der Gesellschaft verdeutlicht. Diese organisatorische, überwiegend ehrenamtlich getragene Stärke wurde durch eine ebenfalls über das gesamte Land aufgespannte hauptamtliche Struktur strategisch ergänzt: Die Bundeswahlkreis-Geschäftsstellen stellen in Kombination mit ihrer engen Anbindung an die CSU-Landesleitung eine wichtige Voraussetzung dar, um flächendeckend und durchgehend kampagnenfähig zu bleiben, welches keine andere Partei in Bayern in gleichem Ausmaß vorhalten kann. Ergänzend wirken die Bezirksverbände, deren Vorsitzende regelmäßig in den Kabinetten auf Landes- oder Bundesebene vertreten sind und gleichzeitig als Transmissionsriemen ins Land fungieren (Zeitler 2010). Dieser Regionalproporz, der sich am ausgeprägtesten in der Bayerischen Staatsregierung zeigt und der eng mit den Verantwortungsträgern auf Bezirksebene verbunden ist, stellt die flächendeckende Repräsentanz der Partei im Land sicher. In einer Koalitionsregierung auf Landesebene kommt neben den Kabinettsmitgliedern zunehmend auch den Führungsverantwortlichen in den

11Vgl.

dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Gerhard Hopp und Benjamin Zeitler.

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Fraktionen (AK-Vorsitzende) eine wichtige Rolle zu, um die CSU in allen Landesteilen und in allen Themenfeldern zu vertreten. Der bereits resümierte stete Wandel, der die CSU kennzeichnet, lässt sich auch in organisatorischer Hinsicht feststellen. So befindet sich die CSU-Landesleitung in einem permanenten Reformprozess, der jeweils Straffung der Strukturen, Ausbau der Dienstleistungen sowie in zunehmendem Maß – bei abnehmender Halbwertszeit – eine Modernisierung beim Instrumentenkasten der internen und externen Kommunikation aufweist (Hopp 2010). Hier sind erhebliche Anstrengungen insbesondere bei den beiden letzten Wechseln im Parteivorsitz mit Horst Seehofer 2008 und Markus Söder 2019 festzustellen. Ein grundsätzlicher strategischer Vorteil, den die CSU bzw. die CSU-Landesleitung gegenüber vergleichbaren Geschäftsstellen anderer ­ bayerischer Parteien aufweisen und in die Waagschale werfen können, ist die herausgehobene Rolle der zentralen Parteiorganisation als Drehscheibe einer Regionalpartei mit bundes- und europapolitischem Anspruch. Sowohl in Regierungszeiten im Bund als auch in Zeiten der Opposition kommt den Christsozialen dadurch mit Abstand die größte Wahrnehmung als „Stimme Bayerns im Bund“ (Anton Preis) zu. Ebenso gilt dies grundsätzlich für ihre Medienpräsenz und ihre Strahlkraft bei großen Traditionsveranstaltungen wie dem politischen Aschermittwoch. Hervorzuheben ist allerdings, wie schnell sich einerseits das Rad im digitalen Bereich dreht und wie sich andererseits Vorsprünge durch Wechsel von Rahmenbedingungen und Auftreten neuer Konkurrenten in Rückstände umwandeln können. So ließ sich die CSU im Vergleich zu anderen Volksparteien wie CDU und SPD deutlich früher und intensiver auf die Chancen von Digitalisierung und Web 2.0 ein, was sich – wie Dorothee Bär und Judith Gerlach eindrucksvoll aufbereitet haben – bei den Wahlkämpfen 2013 noch als Vorteil mit messbar gutem Wahlergebnis auswirkte. Zwei Aspekte werden als besonders bedeutsam eingeschätzt, die auch jetzt noch wichtige Ansatzpunkte liefern. So wurden die neuen Kommunikationsmittel sowohl für das Senden der Parteizentrale und Parteiführung nach außen intensiv genutzt als auch früh begonnen, die gesamte Partei mit ihrem großen Mitgliederund Mobilisierungspotenzial einzubinden, was sich beispielsweise am Einrichten von Informationsplattformen oder auch Mitgliederschulungen zeigt. Zudem begann die CSU damit, neue Wahlkampfmethoden wie die Verzahnung direkter Wähleransprache mit Möglichkeiten von CRM und Social Media voranzutreiben. Hatte sich dies in Kombination mit einer positiven politischen Großwetterlage 2013 bei den Landtags- und Bundestagswahlen für die Partei noch voll ausgezahlt, so änderte sich dieses Bild bei den nächsten beiden Wahlgängen auf

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Landes- und Bundesebene 2017/2018 massiv. Insbesondere die AfD konnte sich im digitalen Bereich einen erheblichen Vorsprung vor der CSU (und im Übrigen aller etablierter Volksparteien) erarbeiten (Friedrich 2019). Zwar liegt die CSU nach wie vor bei Präsenz und bei Interaktionen in Neuen Sozialen Medien wie Facebook vor Grünen und SPD. Auch die große Unionsschwester CDU lässt sie weit hinter sich, ebenso wie die FDP. Linkspartei und insbesondere AfD weisen jedoch eine erheblich höhere Reichweite auf. Bei der Nutzung neuer Technologien, dem Mitgliederservice und nicht zuletzt der Mobilisierung zeigt sich folglich erheblicher Optimierungsbedarf, was gleichzeitig zu den nun anzusprechenden Organisationsproblemen überleitet.

6.2 Realpräsenz und Digitalisierung als Probleme War zuvor jahrelang insbesondere mit Blick auf die Wahlerfolge der Union bzw. der CDU bei den Bundestagswahlen von einer erfolgreichen Demobilisierungsstrategie (asymmetrische Demobilisierung) die Rede, wurden die Probleme der großen Parteien, sowohl ihre Anhänger als auch die Mitglieder zu motivieren, bei den letzten Wahlgängen zunehmend ersichtlich. Was Kanzlerin Angela Merkel und der CDU zunächst half – dass mehr Wähler der anderen Parteien als der eigenen der Wahlurne fernblieben – wirkte sich ab dem Moment negativ aus, als neue Akteure, insbesondere die AfD, das politische Feld betraten. So haben sich die Rahmenbedingungen für Volksparteien wie die CSU grundlegend verändert; insbesondere verringerte sich die Bindung der Wählerinnen und Wähler an die Parteien.12 Zwar ist bei den Christsozialen festzuhalten, dass das Potenzial der Wähler, die sich vorstellen könnten, CSU zu wählen, unverändert bei weit über 50 % liegt. Als Stammwähler bezeichnen sich dahingegen jedoch nur noch etwa ein Viertel. Dies ist auch auf die schon angesprochenen demografischen Entwicklungen zurückzuführen, die sich innerhalb der Parteistruktur besonders bemerkbar machen. So ist der hohe Altersdurchschnitt der Parteimitglieder eine besondere Herausforderung, wenn es um Mobilisierung, das Einlassen auf neue Technologien und digitale Wahlkampfmethoden geht. Die bei der Parteireform 2019 beschlossene Schaffung von Digitalbeauftragten soll genau in diese Lücke stoßen, die auch hinsichtlich des digitalen know how in vielen Parteigliederungen existiert. Bei den älteren Wählern besitzt die CSU noch Mehrheiten. Die lange Zeit nahezu sprichwörtliche „Stammtischhoheit“

12Vgl.

hierzu erneut den Beitrag von Gerhard Hirscher.

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geht mit dem Rückgang der Stammtische und einem Wandel der politischen Debattenkultur Stück für Stück verloren. Nochmals verstärkt wird diese Herausforderung durch rechts- und linkspopulistische Konkurrenz im Netz und in den neuen sozialen Medien. Wie Bär und Gerlach herausgearbeitet haben, werden emotionalisierte Botschaften populistischer Parteien und ihrer Sympathisanten dort zunehmend bevorzugt. Das erhöht deren mediale Reichweite deutlich – nicht zuletzt auf Kosten der Christsozialen. So werden vereinfachte populistische Meinungen nicht nur in Filterblasen und Echokammern bestätigt und verstärkt, sondern auch technisch durch Algorithmen begünstigt. Um hier gegenhalten zu können, bleibt der CSU nur der Schritt, sowohl ihre eigene Arbeit weiter zu professionalisieren und auszubauen als auch massiv bei Ausbildung und Schulung der eigenen Mitglieder zu investieren. Dafür – auch aus Kostengründen – notwendige Schwerpunktsetzungen erschweren den Spagat zwischen den herkömmlichen analogen und diesen neuen digitalen Methoden der Mitglieder- und Wählerbindung. So waren die endgültige Einstellung des Bayernkuriers (FAZ 2019) und die Umschichtung der freiwerdenden Mittel in den Social-Media-Bereich dafür notwendige Schritte. Dennoch öffnet dies mit Blick auf die älter werdende Mitgliederschaft und Wählerklientel eine Flanke, da damit ein klassisches und traditionsreiches CSU-Medienorgan mit Markenqualität aufgegeben werden musste.

6.3 Organisation im Spannungsfeld von Realpräsenz und Digitalisierung: Befunde und Folgerungen In historischer Perspektive zeigt sich, dass sich die CSU im besten Sinne des Konservativismus stets neu erfinden musste und dies bislang auch erfolgreich bewerkstelligte, um mehrheitsfähig zu werden bzw. dies über Jahrzehnte auch zu bleiben. Im beschriebenen Spannungsbogen zwischen innerer und externer Kommunikation, Realpräsenz und Digitalisierung, direktem Mitglieder- und Wählerkontakt sowie Neuen Medien setzt die Partei derzeit mit einem weitreichenden organisatorischen Reformprozess dazu an, diese Spannungsmomente zu verringern und im Idealfall sogar ganz aufzulösen. Das Projekt „Digitalpartei“ soll nicht nur die Ansprache an die Wählerinnen und Wähler grundlegend verändern, sondern schlussendlich die Zweiteilung in Hauptamtliche (Parteiorganisation, Mandatsträger) und Ehrenamtliche (Mitglieder und Funktionäre) überwinden und möglichst viele der rund 140.000 Mitglieder für eine aktive Mitarbeit insbesondere in den Sozialen Medien gewinnen. Optimierung des Serviceangebotes, mehr und vereinfachte Mitsprache

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beispielsweise über inhaltliche Plattformen und neue Veranstaltungsformate sollen die Partei gleichzeitig agiler und attraktiver machen. Eine zentrale Rolle soll dabei den Digitalbeauftragten – im Idealfall rund 2800 über ganz Bayern verteilt – zukommen. Um dies auch wirklich umsetzen zu können, ist es unabdingbar, die Kreisvorsitzenden und Kreisvorstände für das Projekt zu gewinnen, um bestehende Aufgabenverteilungen neu auszutarieren. Dass dies kein Selbstläufer ist, sondern die traditionalistischen Beharrungskräfte gerade mit Blick auf die Altersstruktur der Partei hier stark ausgeprägt sind, zeigte sich an der Diskussion um die Ausweitung der Frauenquote auf dem Parteitag im Oktober 2019, bei dem die Parteiführung die Stimmung an der Basis und insbesondere in den Kreisverbänden falsch einschätzte. Hier ist Überzeugungsarbeit zu leisten, soll der Übergang zwischen der CSU als Partei in der realen und der virtuellen Welt noch fließender werden. Eine Gefahr, die auch in Zusammenhang mit dem Stadt-Land-Gegensatz und der Konkurrenz mit den Grünen auf der einen und den Freien Wählern sowie der AfD auf der anderen Seite des politischen Spektrums festzustellen ist, besteht darin, zu einer Partei der „zwei Geschwindigkeiten“ zu werden. Dieser eher mit Blick auf die Entwicklung der Europäischen Union verwendete Begriff kann bei der CSU auf „mehrere Geschwindigkeiten“ erweitert werden. So ist bei der Umsetzung der Reformen Sensibilität geboten, da die Lebenswirklichkeit der Menschen im Ballungsraum München sich von den ostbayerischen Grenzgebieten deutlich unterscheidet und nicht jede After-Work-Party, die in München Interessierte anzieht, auf jede bayerische Gemeinde gleichermaßen anwendbar ist bzw. sich sogar als kontraproduktiv erweisen könnte. In der Wähleransprache, beim Veranstaltungsformat, aber auch bei der Konzentration auf Neue Medien ist daher Augenmaß geboten. Ein ausgewogenes Portfolio im Sinne eines gut bestückten Instrumentenkastens ist daher angezeigt, um das Potenzial optimal und gleichzeitig zielgruppenspezifisch auszuschöpfen. Bildlich zusammengefasst heißt das: Die Hoheit am virtuellen Stammtisch zu gewinnen, ohne den realen Stammtisch zu vernachlässigen. Insoweit muss sich die CSU gerade in organisatorischer Hinsicht regelmäßig neu erfinden, um den Spagat zwischen Realpräsenz und Digitalisierung dauerhaft zu meistern.

7 Politische Führung Das John F. Kennedy zugeschriebene Bonmot „I must follow them, I’m their leader“ kann auch als Ausgangspunkt einer Zwischenbilanz zu den Führungsmustern in der CSU dienen. Denn natürlich sind die politischen ‚Freiheitsgrade‘,

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die dem jeweiligen Spitzenpersonal zu Gebote stehen, maßgeblich von der Architektur und der Mitgliedschaft der Partei vorbestimmt: Verschiedene Machtzentren der Partei auf Landes-, Bundes- und Europaebene konkurrieren miteinander (Kießling 2004), und dies auf dem Hintergrund einer vielgestaltigen Szenerie sektoraler Arbeitsgemeinschaften und Regionalgliederungen der Bezirke, Kreise, Städte und Gemeinden. Folgerichtig hat sich in dieser komplexen Machttektonik auch kein einheitlicher politischer Führungsstil herausgebildet, zumal gerade dieser sehr stark von den individuellen Vorstellungen und Qualitäten der Parteivorsitzenden bzw. Ministerpräsidenten abhängig ist. Auf diesem Hintergrund ist nun zu bilanzieren, inwieweit es der CSU dabei gelungen ist, bislang bewährte Führungsmuster auf moderne Herausforderungen so abzustimmen, dass sie auch künftig als parteipolitischer Handlungsleitfaden taugen.

7.1 Traditionen: Politische Führung zwischen Bewährtem und Problemen Bis heute wird in der CSU eine bestimmte Führungsfigur geradezu idealisiert und nachfolgenden Politikergenerationen als Vorbild präsentiert: Franz Josef Strauß (Möller 2015). Ohne Zweifel gelang es ihm, die Partei mit straffer Regie auf sich zuzuschneiden und das bundespolitische Gewicht der CSU durch seine lange Bonner Präsenz und auch durch sein Streben nach der Kanzlerschaft zu vergrößern.13 Gleichwohl verkennt diese pauschale Idealisierung die spezifischen Bedingungen, unter denen Strauß diese Führung ausübte. Zum einen wird gerne übersehen, dass sich die Führungstätigkeit von Strauß insbesondere bis zur Übernahme des Ministerpräsidentenamtes 1978 über weite Strecken auf die bundes- und auch die außenpolitischen Themen konzentrierte. Sein Führungsanspruch in der Partei blieb trotz der damit verbundenen Vernachlässigung der Landespolitik vor allem deshalb unangetastet, weil Ministerpräsident Alfons Goppel ihm loyal verbunden war – keine Selbstverständlichkeit, wenn man dies mit der Konstellation Theo Waigel – Edmund Stoiber der Jahre 1993 bis 1999 vergleicht, in der der Bayerische Ministerpräsident erkennbar bestrebt war, schließlich auch den Parteivorsitz zu übernehmen. Im Unterschied zur für Strauß personell günstigen Konstellation stand Waigels Führungsanspruch damit von vornherein unter keinem guten Stern.

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dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Sebastian Kraft.

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Aber auch nach Übernahme des Ministerpräsidentenamtes durch Strauß 1978 und der Fusion beider Rollen ergaben sich Probleme. Denn der damit einhergehende Rollenspagat zwischen bundespolitischer Präsenz, Ministerpräsidentenamt und bayerischem Landesvater ist schon strukturell gesehen sehr schwer zu bewältigen (Reithmeier 2013). Dabei gelang Strauß die Übernahme der landesväterlichen Funktionen, die Alfons Goppel vorher in geradezu prototypischer Manier wahrgenommen hatte, für die meisten Beobachter überraschend gut, die hier gewisse Konflikte mit seiner zuweilen polternden Impulsivität befürchtet hatten. Schwieriger gestaltete sich dagegen gerade in den Jahren bis zur gescheiterten Kanzlerkandidatur 1980 die Vereinbarung von bundespolitischer Präsenz und Ministerpräsidentenamt: Denn erkennbar verstand Strauß seine Münchner Position in dieser Phase als Sprungbrett für die höhere Weihe des Kanzlers und konzentrierte sich nicht mit voller Energie auf sein Amt als Ministerpräsident (Richter 2004). Erst nach 1980, als seine Chancen auf die Kanzlerschaft definitiv verschwunden waren, legte er den Schwerpunkt auf die Rolle als Ministerpräsident und verschaffte sich damit retrospektiv gesehen zurecht das Image eines erfolgreichen Modernisierers und starken Regierungschefs. Kurzum: Die Idealisierung des Führungsstils von Franz Josef Strauß ist mit deutlichen Fragezeichen zu versehen. Umgekehrt sind allerdings auch duale Führungsmodelle nicht ohne Schwierigkeiten. Zwar vermeiden sie zunächst die gerade beschriebenen Rollenkonflikte, doch finden sich dann auf der Soll-Seite der Bilanz neue Rollenprobleme und zudem Koordinationsschwierigkeiten. Bei der ersten möglichen Konstellation – Parteichef mit Ministeramt auf Landesebene vs. Ministerpräsident –, die kurzzeitig von Erwin Huber und Günther Beckstein zwischen 2007 und 2008 praktiziert wurde, ergibt sich vor allem für den Parteivorsitzenden ein schwieriger Spagat zwischen der parteiinternen Federführung und der kabinettsinternen Unterordnung unter die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs. Beim konzilianten Politiker Erwin Huber hat dies damals nicht die Regierungsarbeit beeinträchtigt, jedoch seine gestalterischen Freiräume als Parteichef. Bei einem kompetitiveren Naturell wären sicherlich auch Konflikte innerhalb der Regierung offen ausgebrochen. Wenn der Parteichef dagegen auf Bundesebene verbleibt, ist zumindest dieser unmittelbare Reibungspunkt vermieden. Gleichwohl hat die konfliktgeladene Konstellation Waigel – Stoiber gezeigt, dass auch damit neue Probleme entstehen können, wenn letztlich beide die Deutungshoheit in der Partei beanspruchen und insbesondere der Bayerische Ministerpräsident dem Parteichef die Rolle streitig macht. Da Alfons Goppel dies gegenüber Franz Josef Strauß nie ernsthaft versucht hat, war die in diesem dualen Führungsmodell schlummernde ‚Sollbruchstelle‘

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dagegen in den sechziger und siebziger Jahren keinem gefährlichen Druck ausgesetzt. Im Rahmen dieser verschiedenen Führungskonstellationen spielen dann noch die genuinen persönlichen Eigenschaften eine wichtige Rolle. Mit anderen Worten: selbst starke oder schwache Ministerpräsidenten bzw. Parteichefs sind dies häufig aus ganz unterschiedlichen individuellen Gründen. Gerade Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber, die beide zu Recht als starke und auch erfolgreiche CSU-Führer gelten, versinnbildlichen dies sehr gut – Strauß durch sein Image als impulsiver, charismatischer und zugleich süddeutsch-barocker kraftstrotzender Machtmensch mit einem Schuss Brutalität, Stoiber durch sein Image als detail- und kontrollversessener Technokrat mit autoritärem Gestus und einem systematischen Hang zur Machtzentralisierung (Steiler 2010). Sinngemäß gilt dieser Sachverhalt auch für die anderen Führungspositionen, was etwa an den variablen Rollenprofilen der CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag abzulesen ist (Kießling 2004, S. 108–120). Zwar sind die Handlungsspielräume des vor allen Dingen für die fraktionsinterne Willensbildung und die Koordination mit der Bayerischen Staatsregierung zuständigen Fraktionschefs vergleichsweise begrenzter. Und doch ist auffällig, wie selbst diese Position von unterschiedlichen Charakteren ebenso unterschiedlich ausgefüllt wurde. Retrospektiv wird Alois Glück, der dieses Amt von 1988 bis 2003 bekleidete, inzwischen eine ähnliche Idealisierung zuteil wie Franz Josef Strauß mit Blick auf dessen Partei- und Regierungstätigkeit – nicht ohne Grund, denn gerade Glück verstand es sehr gut, die mit der Rolle verbundene moderierende Zurückhaltung mit politischen Impulsgaben dort zu verbinden, wo sie nicht unmittelbar in den Regierungsalltag eingriffen, sondern im Sinne des Vordenkens langfristige Probleme thematisierten. Damit erlangte Glück faktisch ein sehr großes politisches Gewicht. Umgekehrt verliert ein Fraktionsvorsitzender dann an Gewicht, wenn er eine bzw. sogar beide dieser Aufgaben nicht richtig ausfüllt. Joachim Herrmann etwa (2003–07) wird zwar einerseits attestiert, die fraktionsinterne Abstimmung gut gemeistert zu haben; gleichzeitig aber schrieb man ihm politische Profillosigkeit zu, die nicht zuletzt zum starken Machtverlust der Fraktion in der Spätphase der Stoiber-Ära beigetragen habe.

7.2 Die aktuelle Szenerie: Politische Führung im Zeichen von Koalitionen und Populismus Gerade seit dem Ende der Stoiber-Ära steht die CSU jedoch vor neuen Herausforderungen, die in den überkommenen Führungsstrukturen und

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Handlungsrepertoires nicht oder nur unzureichend abgebildet sind. Zum einen gilt dies für das in Bayern vergleichsweise neue Koalitionsformat, auf das sich die seit 1966 durchgängig alleine regierende ‚Staatspartei‘ nach der Landtagswahl 2008 erstmals umstellen musste. Zur Herausforderung geriet dabei zum einen der offensive Führungsstil des neuen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der beim neuen Koalitionspartner FDP wenig Anklang fand. Hier zeigte sich also bald, dass der für eine erfolgreiche Koalitionsarbeit wichtige kooperative Umgangsstil in der CSU noch ungewohnt war (Lautner 2010). Freilich trug auch die FDP zu diesen Dissonanzen bei, denn auch sie hatte Schwierigkeiten, ihre öffentliche Profilierung sinnvoll auf die Regierungszusammenarbeit abzustimmen. Zudem wurde die Koalition seit dem Herbst 2009 von den erheblichen Dissonanzen der neuen schwarz-gelben Regierung auf Bundesebene beeinträchtigt. Gleichwohl stellten sich beide Parteien nach diesen Startproblemen auf das in Bayern ungewohnte Regierungsformat doch noch professionell ein. Dieser Erfahrungshintergrund hat auch die Koalitionsverhandlungen mit den Freien Wählern im Jahr 2018 begünstigt, zumal die Wahlprognosen im Unterschied zu 2008 der CSU schon seit dem Sommer klar den Verlust ihrer absoluten Landtagsmehrheit signalisierten. Die programmatische Nähe beider Parteien und der koalitionsorientierte Pragmatismus der FW um ihren Vorsitzenden Hubert Aiwanger wirkten ebenfalls förderlich, und so hat sich denn auch zügig eine stabile bürgerliche Staatsregierung Bayerns etabliert. Paradoxerweise ging diese recht pragmatisch angelegte Kooperation mit dem neuen Koalitionspartner einher mit einer simultanen Verschärfung innerparteilicher Spannungsmomente der CSU. Denn hier geriet zum einen der fortwährende Machtkampf zwischen Parteichef Seehofer und Ministerpräsident Söder zum Problem, zumal Seehofer sein Amt als bayerischer Regierungschef 2018 nur unter Druck aufgegeben hatte (Deininger 2020, S. 26–44). Zum anderen behinderte Seehofers sprunghafte Amtsführung als Bundesinnenminister seit 2017 die programmatische Positionierung der Christsozialen in Bayern (Bandau 2018), auch hier insbesondere bei Migrationsfragen. Die Quittung erhielt Seehofer durch die starken Stimmverluste der CSU bei der Landtagswahl 2018, was seine Position als Parteichef irreparabel beschädigte und maßgeblich zu seiner Ablösung beitrug. Aber mit der Bewältigung dieser innerparteilichen Querelen und der Einstellung auf das in Bayern neue Koalitionsformat war und ist eine weitere Herausforderung politischer Führung nicht verschwunden – ganz im Gegenteil: Denn der inzwischen deutschlandweit etablierte parteipolitische Rechtspopulismus macht gerade der CSU die politische Deutungshoheit zunehmend streitig,

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indem insbesondere die AfD für sich in Anspruch nimmt, der wahre Hort des Konservatismus zu sein.14 Der Umgang damit fällt der Partei durchaus schwer, was auch an merklichen Akzentverschiebungen ihrer politischen Führung ablesbar wird: Herrschte unter Horst Seehofer noch die Strategie vor, den Rechtspopulisten ihre Leitthemen (insb. Migration) zu entwenden, um sie damit politisch marginalisieren zu können, setzt Markus Söder nunmehr auf eine konsequente Abgrenzungsstrategie (Frasch 2019). Gerade mit Verweis auf die rechtsextremen Momente des ‚Flügels‘ um den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke wird nun jegliche Bezugnahme auf diesen parteipolitischen Rechtsausleger verweigert. Damit versucht die CSU auch der Gefahr zu entgehen, sich die thematische Deutungshoheit durch die Rechtspopulisten aufzwingen zu lassen. Gerade im Fall der Migrationspolitik ist das aber nur begrenzt praktikabel, denn die aktuellen Herausforderungen nötigen die Partei hier trotzdem zu einer klaren Positionsbestimmung. Auch mit Blick auf das andere politische Lager, das der CSU in den letzten Jahren gefährlich geworden ist, zeigt sich dieses Dilemma zwischen parteipolitischer Abgrenzung einerseits und nicht vermeidbaren thematischen Bezugnahmen andererseits: Gerade in Bayern haben die Grünen stark an politischem Gewicht gewonnen, weil sie nicht nur von den bereits beschriebenen demografischen Wandlungsprozessen profitieren, sondern auch von einer hochaktuellen Themenagenda: Vor allem junge, gebildete und in städtischen Agglomerationen lebende Bürger sind für das ökologisch-nachhaltig geprägte Themenportfolio der Grünen besonders ansprechbar, und Bayerns Christsoziale haben diese strukturelle Herausforderung gerade unter Markus Söder inzwischen sogar in den Mittelpunkt ihrer Strategie gerückt (Deininger 2020, S. 311–322). Denn diese buchstäblich nachwachsende Klientel muss die Partei künftig stärker an sich binden, um strukturell und personell zukunftsfähig zu bleiben. Besonders bei der Übernahme des Volksbegehrens-Entwurfs „Rettet die Bienen“ durch die Bayerische Staatsregierung wurde das deutlich, zeigt aber auch die Zweischneidigkeit dieser Strategie: Denn die nachfolgenden Proteste insbesondere in der Bauernschaft zeigten die strukturelle Gefahr auf, die mit einem derartigen ‚grünen‘ Schwenk verbunden ist: Zwar kann man damit kurzfristig durchaus das politische Momentum wieder für sich gewinnen, und auch die ‚grüne‘ Klientel ist mit diesem CSU-Schwenk inhaltlich durchaus einverstanden. Und doch ist es kurzschlüssig, sich davon einen nachhaltigen Wechsel parteipolitischer Bindungen zu versprechen; im Zweifelsfall wird am Ende eben doch wieder das ‚grüne‘ Original gewählt. Und zusätzlich droht eine derartige ‚grüne‘ 14Vgl.

dazu im Einzelnen auch den Beitrag von Udo Zolleis und Michael Opitz.

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Umarmungsstrategie auch traditionell der CSU nahestehende konservative Klientelen zu vergraulen. Was man links der Mitte gewinnt, verliert man dann wieder rechts – und dies auch an die Rechtspopulisten. Ob die aktuelle Corona-Krise daran etwas ändern wird, muss die Zukunft zeigen. Zwar sind solche Ausnahmesituationen traditionell Zeiten der Regierung, und mit Zustimmungswerten von annähernd 50 % für die CSU und sogar mit 94 % für Ministerpräsident Markus Söder im April 2020 schlug sich dies auch demoskopisch eindeutig nieder (Schmid 2020). Jedoch sind Krisen zumeist zeitlich begrenzte Phänomene, und ob sich dieser derzeitige Amtsbonus auch in einer dauerhaften Erhöhung des parteipolitischen Gewichts der CSU niederschlagen wird, bleibt folglich abzuwarten.

7.3 Politische Führung im Spannungsfeld von Bewährtem und Stilwechsel: Befunde und Folgerungen Insgesamt betrachtet zeigen die jüngsten Entwicklungen, dass die Führungsfähigkeit der bayerischen Christsozialen in der Zukunft von mehreren Faktoren abhängt: Erstens vom Rollenwechsel weg von der klassischen ‚Staatspartei‘ Bayerns hin zum kompromissbereiten Koalitionspartner, denn dieses Regierungsformat wird Bayern künftig prägen, zweitens von der professionellen Bewältigung innerparteilicher Spannungen und drittens von einer weiteren programmatischen Modernisierung. Insoweit ist für die CSU „Zusammenführen statt Spalten“, wie Udo Zolleis und Michael Opitz in ihrem Beitrag bemerken, in der Tat nötige Zielstellung und Herausforderung politischer Führung zugleich: Weder innerparteilich noch mit Blick auf aktuelle bzw. potenzielle Koalitionspartner, und schon gar nicht hinsichtlich der bayerischen Gesellschaft als Ganzes sind traditionalistische oder polarisierende Führungsstrategien zukunftsfähig. Denn politischer Traditionalismus idealisiert einen Status quo ante mit satten CSU-Mehrheiten und unbestrittener ‚Markenführerschaft‘ der Christsozialen in Bayern (Mintzel 1998), der so nicht wiederkehren wird. Aber auch politisches Polarisieren ist nicht zielführend, weil es die politische Anschlussfähigkeit der Partei beschädigt, die in einem Vielparteiensystem mit regelmäßigen Koalitionserfordernissen nun einmal überlebensnotwendig ist. Gerade mit Blick auf die aktuelle CSU-Strategie gegenüber den Grünen, die hinsichtlich ihres politischen Gewichts durchaus richtig als zentraler Gegner

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a­ usgemacht werden, ist das zu berücksichtigen: Denn überzogenes Polarisieren kann hier das beeinträchtigen, was in der deutschen Parteienlandschaft immer wahrscheinlicher bzw. unumgänglicher wird: die langfristige Einstellung auf ­schwarz-grüne Koalitionsformate. Aber Polarisieren wäre auch gesellschaftspolitisch die falsche Strategie. Denn sie droht aus selbst gezogenen parteipolitischen Gräben erst gesellschaftliche dort zu schaffen, wo sie in dieser Form zuvor nicht existierten. Oder anders formuliert: Ein Signum des modernen Populismus ist es ja, aus Eigennutzerwägungen heraus dort ideologische Frontstellungen aufzumachen, wo sie gesellschaftlich noch gar nicht existieren (Judis 2016)! Das ist am Agieren Donald Trumps ebenso ablesbar wie am Führungsstil Boris Johnsons. Gerade in einer vergleichsweise konsensuell angelegten politischen Kultur, wie sie auch Bayern kennzeichnet, wäre eine polarisierende Parteistrategie deshalb gesellschaftspolitisch fatal und würde im Übrigen auch der CSU selbst schaden, weil derlei eben traditionell nicht zur Erwartung der großen Wählermehrheit zählt. Programmatische Abgrenzung von den parteipolitischen Gegnern schließt das natürlich nicht aus, denn die eigenen Parteikonturen dürfen in konsensuellen Koalitionsformaten nicht verschwimmen. Aber das ist auch möglich, ohne sich freiwillig in eine Polarisierungsfalle zu manövrieren, aus der ein Entkommen nur mehr schwer möglich ist.

8 Christlich-Soziale Union – Modell mit Zukunft! Schlussbemerkung und Mahnung Alf Mintzel, langjähriger wissenschaftlicher Wegbegleiter der CSU, schrieb den bayerischen Christsozialen schon Ende der 1990er Jahre ins Stammbuch: „Die Hegemonialpartei kann sich nur selbst gefährden.“ Und er fuhr damals fort: „Die bisherige Entwicklungsgeschichte der CSU hat seit den 50er Jahren immer wieder gezeigt, daß die bayerische Mehrheitspartei immer dann Gefahr lief, an landespolitischer Macht einzubüßen, wenn sie nicht rechtzeitig und entschlossen genug Fehlentscheidungen im Polit-Management korrigierte und Führungsfragen löste“ (Mintzel 1998, S. 257). Diese Einschätzung hat immer noch Bestand. Sowohl die innerparteilichen Auseinandersetzungen um Edmund Stoibers Nachfolge als auch der Zweikampf zwischen Horst Seehofer und Markus Söder haben dem Image der CSU geschadet: Die Landtagswahlen 2008 und 2018 wurden nicht zuletzt deshalb zu herben Schlappen für die Christsozialen, wie auch die Bundestagswahlen 2009 und 2017. Die Urnengänge des Jahres 2013 zeigen demgegenüber, dass es auch

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anders geht: Zu diesem Zeitpunkt war Horst Seehofers Führungsanspruch noch weitgehend unbestritten, und das zumindest nach außen geschlossene Bild der Christsozialen setzte sich um in Wählervertrauen und Kompetenzzuschreibung. Dieses Kapital aber ist schnell verspielt, wenn persönliche Interessen über das Parteiwohl gestellt werden. Und in einer sich rasch wandelnden, ­politisch-kulturell modernisierten bayerischen Gesellschaft, in der gewachsene Traditions- und politische Besitzstände immer weniger gelten, wird die Rechnung dafür noch schneller gestellt als früher und fällt auch wesentlich höher aus. Mark Twain zufolge wiederholt sich Geschichte zwar nicht, reimt sich aber. Die Entwicklung der CSU bestätigt das: Die fortschrittlichste Programmatik, die beste Regierungsführung, die professionellste Parteiarbeit bleiben fruchtlos, wenn das Image der gesamten Organisation durch internen Zwist Schaden nimmt. Und dies gilt vor allem für eine Partei, die nicht nur für eine politische Strömung steht, sondern gemeinhin als christlich geprägter Markenkern Bayerns gilt (Zolleis und Wertheimer 2013).

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