Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip [1 ed.] 9783428505005, 9783428105007

Beide Pole, Chancengleichheit und Föderalismus, finden Anknüpfungspunkte im Grundgesetz und bedürfen deshalb einer gegen

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Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip [1 ed.]
 9783428505005, 9783428105007

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NICOLE ENGELS

Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 870

Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip

Von Nicole Engels

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Engels, Nicole:

Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip / Nicole Engels. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 870) Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10500-1

Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10500-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2000 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Der Text wurde im Juni 2000 abgeschlossen, für die Drucklegung sind, soweit möglich, die Nachweise bis Juli 2001 ergänzt worden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Rolf Grawert. Er hat das Thema angeregt, den Fortgang der Arbeit mit wertvollen Hinweisen und kritischen Gesprächen gefördert und mir darüber hinaus durch die Beschäftigung an seinem Lehrstuhl bestmögliche Forschungsmöglichkeiten eröffnet. Sehr verbunden bin ich ebenfalls Herrn Professor Dr. Gerd Ketteier, der mich nach dem Abschluß meiner Verwaltungsausbildung zum Studium ermutigt und die Entstehung dieser Arbeit mit Rat und Ansporn begleitet hat. Herrn Professor Dr. Friedrich E. Schnapp danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens, Herrn Professor Dr. jur. h. c. Norbert Simon für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe „Schriften zum Öffentlichen Recht". Zu danken habe ich ferner dem Rektor der Ruhr-Universität Bochum, der das Promotionsvorhaben mit einem Stipendium nach dem Graduiertenförderungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützte, sowie dem Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Für seine ständige Bereitschaft zur Diskussion sowie für tatkräftige Unterstützung und liebevollen Zuspruch danke ich schließlich Herrn Thomas Eckhold. Nicole Engels

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Chancengleichheit und Föderalismus im Konflikt. Eine immer aktuelle Problemstellung des Bundesstaates

13

Erster Teil Ausgangsbasis der Problemstellung

20

§ 1 „Chancengleichheit" - ein schillernder (Rechts-)Begriff A. Wortsinn B. Chancengleichheit in der demokratischen Industriegesellschaft C. Chancengleichheit als Startgleichheit D. Chancengleichheit und Rechtsgleichheit E. Chancengleichheit und tatsächliche Gleichheit F. Chancengleichheit und Freiheitsgrundrechte G. Chancengleichheit und Sozialstaatsprinzip H. Verfassungsrechtliche Grundlage der „Chancengleichheit" I. Chancengleichheit in der Rechtsprechung der Bundesgerichte I. Bildungs-und Prüfungsrecht II. Chancengleichheit der Parteien III. Chancengleichheit im Prozeß IV. Chancengleichheit im wirtschaftlichen Wettbewerb J. Ergebnis

20 20 20 21 22 23 24 25 26 28 28 29 29 30 30

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat A. Bundesstaat im Sinne des Grundgesetzes B. Historischer Überblick I. Entwicklung bis 1945 II. Wiedererrichtung des Bundesstaates nach 1945 C. Zwischenergebnis D. Aktuelle Legitimationsthesen des Bundesstaatsprinzips I. Gewaltenteilungs-/Dezentralisationsfunktion II. Funktion der Sicherung von Freiheit III. Experimentier-und Wettbewerbsfunktion IV. Funktion des Minderheitenschutzes V. Förderung von Sachnähe VI. Förderung von Demokratie-Adäquanz VII. Ergebnis

31 32 34 34 41 43 45 45 47 47 49 50 50 50

§ 3 Realverfassung und Entwicklungstendenzen des Bundesstaates in Korrelation zur Chancengleichheit A. Legislative

51 51

8

Inhaltsverzeichnis

B.

C.

D.

E. F.

G.

I. Entwicklung 51 II. Chancenungleichheit durch legislative Spielräume der Länder 54 1. Konkurrierende Gesetzgebung des Bundes, Art. 74, 72 GG 54 2. Rahmengesetzgebung des Bundes, Art. 75, 72 GG 55 3. Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes, Art. 71 GG 55 4. Kernbereiche der Landeskompetenz, Art. 70 GG 55 Exekutive 57 I. Entwicklung 57 II. Chancenungleichheit durch divergierende Ausführung von Bundesgesetzen 57 Judikative 58 I. Die Rechtsprechung im deutschen Bundesstaat 58 II. Rechtsprechende Gewalt und Chancengleichheit 60 Finanzwesen/Finanzverfassung 60 I. Entwicklung 61 II. Verteilung des Steueraufkommens nach dem System des Finanzausgleichs 62 III. Auswirkungen der deutschen Wiedervereinigung 64 IV. Chancenungleichheit durch unterschiedliche Finanzkraft der Bundesländer 66 Selbstkoordination der Länder 67 Europäische Integration 68 I. Europäische Integration und bundesstaatliche Ordnung 68 II. „Europa der Regionen" 69 Zwischenergebnis 70

§ 4 Ergebnis zum Ersten Teil

71 Zweiter Teil

Verfassungsrechtliche Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung durch die Länder

73

§ 1 Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG A. Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 GG B. Ungleichbehandlung I. Länderübergreifende Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG II. Wesentliche Gleichheit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG III. Auswirkungen einer Überregionalität der Lebenssachverhalte IV. Ergebnis

74 75 76 76 79 83 86

§ 2 „Sozialer Bundesstaat" A. Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG I. „Personale" soziale Schieflage II. „Regionale" soziale Schieflage III. Bedeutungsgehalt im Bundesstaat B. Gleichwertigkeit oder Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet als übergeordnetes Leitprinzip des Grundgesetzes?

87 87 89 89 90 91

Inhaltsverzeichnis I. Art. 72 Abs. 2 GG 1. Interpretation des Art. 72 Abs. 2 GG nach alter Rechtslage 2. Interpretation des Art. 72 Abs. 2 GG nach neuer Rechtslage a) Von der Einheitlichkeit zur Gleichwertigkeit b) Vom „Bedürfnis" zur „Erforderlichkeit" c) Von der „Wahrung" zur „Herstellung" d) Art. 72 Abs. 2 GG als Kompetenzhürde e) Justitiabilität nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG f) Zwischenergebnis II. Angleichungstendenzen in der Finanzverfassung III. Demokratische Einheit IV. Zwischenergebnis: sozial-bundesstaatliche Spannungslage C. Ausgleich der Spannungslage I. Praktische Konkordanz II. Abwägungsrahmen - Gebot gerechter Abwägung D. Ergebnis § 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen A. Verfassungskonformität bei isolierter Betrachtung der Landesregelung B. „Strengere" Regelung in einem Bundesland I. „Regionale" Freiheitsbetätigung II. „Überregionale" Freiheitsbetätigung 1. Umfassende Grundrechtsbindung 2. Kongruenz mit der Kompetenzzuweisung des Grundgesetzes 3. Vereinbarkeit mit der Staatsqualität der Länder 4. Vereinbarkeit mit der Nichtanwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 GG 5. Kongruenz mit den Funktionen des Bundesstaates 6. Zwischenergebnis C. Faktische Auswirkungen der Landesregelungen auf Bürger in anderen Bundesländern I. Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsgrundrechts 1. Grundrechtsrelevanz 2. Zurechnung tatsächlicher Beeinträchtigungen a) Finalität/Voraussehbarkeit b) Schwere der Beeinträchtigung c) Schutzzweck d) Mittelbare Auswirkungen jenseits der Landesgrenzen II. Zumutbarkeit III. Zwischenergebnis D. Freiheitsbeeinträchtigende Vielfalt der Regelungen I. Zusammenwirken der Regelungen II. Zurechenbarkeit der „summierten" Grundrechtsbeeinträchtigung 1. Theorie der unmittelbaren Verursachung 2. Gemeinsame Verantwortung III. UnVerhältnismäßigkeit der Beeinträchtigung IV. Umfang des Freiheitsschutzes V. Zwischenergebnis E. Ergebnis zu den Freiheitsgrundrechten

94 94 96 97 98 99 100 101 101 102 105 107 108 108 110 113 114 115 117 117 119 120 126 127 128 129 130 130 131 131 132 133 135 136 136 137 138 138 140 140 141 142 143 145 148 149

10

Inhaltsverzeichnis

§ 4 Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens als Grenze divergierender Teilrechtsordnungen A. Das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens B. Rechts Wirkungen des Gebots der Bundestreue I. Unterlassungspflichten II. Handlungspflichten C. Intensität der Interessenverletzung D. Die Bundestreue als akzessorisches Prinzip E. Das Gebot der Bundestreue und divergierende Landesregelungen I. Eingriff in landesfremde Kompetenzen II. Störung des bundesstaatlichen Funktionsgefüges III. Einheit der Rechtsordnung als Ausdruck der Bundestreue IV. Zwischenergebnis

150 150 151 153 154 154 155 156 156 158 160 161

§ 5 Ergebnis zum Zweiten Teil

162 Dritter Teil

Verfassungsrechtliche Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

164

§ 1 Bundesstaatlich relevante Differenzierungen A. Differenzierung nach Landesangehörigkeit B. Differenzierung nach „landesinternem" Vorbildungsnachweis I. Verbindlichkeit landesfremder Hoheitsakte 1. Territorialitätsprinzip 2. Bundesstaatlich begründete Geltungskraft II. Zwischenergebnis C. Ergebnis

164 164 166 166 166 169 170 171

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote A. Spezielle Gleichheitssätze I. Verstoß gegen Art. 33 Abs. 1 GG 1. Zweck der Vorschrift 2. Jeder Deutsche/in jedem Lande 3. Gleiche „staatsbürgerliche Rechte und Pflichten" a) „Staatsbürgerlich" b) Ermessensentscheidungen 4. Konkretisierung des Begriffs „Landesangehörigkeit" a) Landesstaatsangehörigkeit b) Landesstaatsangehörigkeit gleichkommender Rechtsstatus aa) Geburt/Abstammung/Ehe bb) Wohnsitz im Land cc) Im Land erworbener Vorbildungsnachweis dd) Zwischenergebnis 5. Einschränkungen des Anwendungsbereichs a) „Natur der Sache" b) Sachgerechtigkeit

171 171 171 171 173 173 173 175 177 177 178 178 179 183 184 184 184 185

Inhaltsverzeichnis c) „Instrument" der Besserstellung Einheimischer d) Verfassungsrechtlich „relevante" Differenzierung 6. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 7. Ergebnis II. Sonderregelung beim Zugang zum öffentlichen Dienst:Art. 33 Abs. 2 GG 1. Zweck der Vorschrift 2. Öffentliches Amt 3. Eignung, Befähigung und fachliche Leistung 4. Bedeutung des Art. 33 Abs. 2 GG im föderalen System a) Landeszugehörigkeit b) Anknüpfung an einen landesintern erworbenen Vorbildungsnachweis aa) Individuelle Befähigung bb) Gleichwertigkeit des Vorbildungsnachweises c) Zwischenergebnis 5. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 6. Ergebnis III. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG 1. Abstammung 2. Heimat 3. Herkunft 4. Ergebnis B. Allgemeiner Gleichheitssatz: Art. 3 Abs. 1 GG I. Anwendbarkeit des allgemeinen Gleichheitssatzes II. Ungleichbehandlung 1. Differenzierung nach Landesangehörigkeit 2. Differenzierung nach landesinternem Vorbildungsnachweis / Anerkennung landesfremder Vorbildungsnachweise III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Sachlicher Grund 2. Verhältnismäßigkeit a) Berücksichtigung des Freizügigkeitsrechts, Art. 11 GG b) Berücksichtigung sonstiger Freiheitsgrundrechte, insbesondere Art.12Abs.lGG c) Abwägung aa) Differenzierung nach Landesangehörigkeit bb) Benachteiligung aufgrund eines auswärtigen Vorbildungsnachweises IV. Ergebnis

185 187 190 192 193 193 194 197 197 197 198 198 199 200 200 201 201 201 202 203 203 203 204 205 205 207 208 208 209 210 212 214 214 214 215

§ 3 Das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens als föderativer Mechanismus gegen Landeskinderbegünstigungen 216 A. Differenzierung nach Landesangehörigkeit 216 B. Anerkennung landesfremder Abschlüsse 217 I. Störung des bundesstaatlichen Systems 217 II. Anforderungen an die Gleichwertigkeit 218 §4 Ergebnis zum Dritten Teil

219

12

Inhaltsverzeichnis Vierter Teil Verknüpfung der bisherigen Befunde der Untersuchung

221

Fünfter Teil Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse

224

§ 1 Individualrechtsschutz: Die Rechte des einzelnen A. Disparitäre Rechtsausübung durch die Länder I. Sozialstaatlich begründetes Rücksichtnahmegebot II. Freiheitsgrundrechte 1. Verhalten der öffentlichen Gewalt 2. Abgrenzung zum Unterlassen 3. Tauglicher Beschwerdegegenstand a) Besonders „strenge" Regelung in einem Bundesland b) Faktische Auswirkungen einer Landesregelung auf Grundrechtsträger in anderen Bundesländern c) Verfassungswidrige Kumulation der Regelungen III. Individualrechtlicher Gehalt des Grundsatzes des bundesfreundlichen Verhaltens B. Privilegierung von Landesangehörigen I. Spezielle Differenzierungsverbote und allgemeiner Gleichheitssatz II. Landeskinderprivilegierungen als Verstoß gegen das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens

224 224 224 226 226 226 227 227

234

§ 2 Bundesstaatsinterne Durchsetzbarkeit A. Disparitäre Rechtsausübung durch die Länder I. Ausschließliche Bundeskompetenz aus der „Natur der Sache" II. Art. 28 Abs. 3 GG III. Art. 37 GG (Bundeszwang) IV. Abstrakte Normenkontrolle V. Bund-Länder-Streit B. Privilegierung von Landesangehörigen

234 234 234 236 236 237 238 240

227 227 230 232 232

Sechster Teil Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

241

Literaturverzeichnis

248

Sachwortverzeichnis

268

Einleitung: Chancengleichheit und Föderalismus im Konflikt Eine immer aktuelle Problemstellung des Bundesstaates Föderalismus beinhaltet naturgemäß die Gewährleistung potentieller Ungleichheit zwischen der Politik der Länder. Die Verteilung von Staatsgewalt auf verschiedene Hoheitsträger stellt die systemimmanente Voraussetzung möglicher Ungleichheit dar: Föderalismus als „offene Flanke" der Gleichheit1. Die Zulässigkeit von Disparitäten scheint jedoch in einer nach gleichwertigen Lebensbedingungen drängenden Industriegesellschaft eher eine Last als Hilfe zu sein. Während das Bundesstaatsprinzip nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch im Bewußtsein der Bürger als verfestigt angesehen werden kann2, gilt dies nur bedingt für die Folgen, die die Verschiedenartigkeit zwischen den Ländern für die spezifische Lebenssituation haben kann. Wird der Bürger gefragt, ob er für den Föderalismus Opfer zu bringen bereit ist, ob er auch Unterschiede hinnehmen will, so dürfte die allgemeine Erwartungshaltung eher auf Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gerichtet sein3. Der Wohn-, Aufenthalts oder Tätigkeitsort darf keine rechtliche Relevanz entfalten 4. Das föderative Staatsrecht verliert aus Sicht des Bürgers mit Blick auf Art. 3 GG „»moralisch4 permanent seine entscheidenden Gefechte" 5. Es scheint trotz regionaler Eigenheiten, Traditionen und Einstellungen als Gebot der Gerechtigkeit, jedermann innerhalb des Bundesstaates ohne Rücksicht auf seinen Wohnsitz die gleichen Lebenschancen einzuräumen6. Es wird sogar von einer Art „magischem Glanz" gesprochen, den die Formel der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" angenommen habe7. Bundesweit effektive Grundrechtssicherung, Mobilität und das Sozialstaatsprinzip sind nur einige Argumente für weitgehende Vereinheitlichung. Die Kompetenzverteilung im Bundesstaat, die freiheitsfördernde Funktion der föderativen Gliede1 2 3 4 5 6 7

Schock, DVB1. 1988, S.863, 870. Dittmann, FS Dürig, S. 221. OssenbühU DVB1.1989, S. 1230;Scheuner, Staatstheorie, S.425;dersDÖV 1966, S.517. Hans Schneider,, VVDStRL 19 (1961), S. 19. Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Rn.239. Benda in: Probleme des Föderalismus, S.73. Lerche, FS Berber, S. 299.

14

Einleitung

rung und Innovation durch Wettbewerb sind Gesichtspunkte, die dagegen ins Feld geführt werden. Welcher gemeinsame Nenner ist aber aus (verfassungs-)rechtlicher Sicht im Spannungsfeld mit dem Bundesstaatsprinzip zu suchen? Wird unter dem Druck der „Einheitlichkeit" beziehungsweise „Gleichwertigkeit" der Lebensverhältnisse, der „Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit" oder im Hinblick auf das in der Präambel des EG-Vertrages formulierte Bestreben, „den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete" zu verringern, die Rechtfertigung der föderativen Struktur versagen? Wie weit kann die Forderung nach einheitlichen Regelungen gehen? Daß die Struktur des deutschen Bundesstaates, seine Perspektive und die Frage seiner Reformbedürftigkeit derzeit wieder eine kontroverse Diskussion in Gang hält, wird genährt durch die Forderung nach einer Neujustierung zugunsten von Subsidiarität und Wettbewerb8. Dies wurde unlängst anläßlich des vom Bundesrat veranstalteten wissenschaftlichen Symposiums zu dem Thema „50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent - Zur Struktur des deutschen Föderalismus" vom 19.-21. August 1998 im Kloster Seeon9 von einigen Referenten erneut betont. So sieht Häberle den „bodenlosen Ökonomismus des Zeitgeistes" als Ursache dafür, daß fast alles zur „Standortfrage" denaturiere 10. Der Bundesstaat habe sich gerade in jüngster Zeit wieder in Richtung eines „Konkurrenzföderalismus" entwickelt11. Dem Gedanken des Wettbewerbs wurde auch vom jetzigen Bundespräsidenten Rau eine „herausgehobene Rolle" in der Diskussion um die Zukunft des Föderalismus in Deutschland zugeschrieben12. Zwar wurde diese Tendenz im Rahmen des Symposiums mit Blick auf die Mobilität im Bundesstaat nicht nur positiv bewertet 13, die Länder stehen aber in Zeiten zunehmender Globalisierung mehr und mehr in einem gegenseitigen Standortwettbewerb, dem sie sich schon aufgrund der immer stärker werdenden internationalen Konkurrenz nicht entziehen können. Die Attraktivität eines Standorts wird nicht nur durch steuerliche Aspekte oder gewährte Subventionen 14 , sondern nachhaltig auch durch sonstige Faktoren wie beispielsweise der Infrastruktur, der Serviceorientierung der Verwaltung (Dauer und Kosten von Geneh8

Stamm/Merkl, ZRP 1998, S.467, fordern eine „Revitalisierung des Wettbewerbsföderalismus"; zum „Wettbewerb als Zukunftsvehikel" siehe Bull, DÖV 1999, S.270ff.; HoffmannRiem, DVB1.1999, S. 660 ff.; Vogel/Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorb. zu Art. 104a-215, Rn. 70; Schmidt-Jortzig, DÖV 1998, S.749ff.; Calliess, DÖV 1997, S. 891 ff.; Rennert, Der Staat 32 (1993), S. 273ff.; Scholz, DVB1. 2000, S. 1382ff.; Scharpf, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 7.4.2001, S. 15; Graf Lambsdorff\ Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 2.9.1999; vgl. auch: Korioth, Der Finanzausgleich, S. 164. 9 Vgl. hierzu Lang, DÖV 1999, S. 507 ff. 10 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 57. 11 Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 62. 12 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 20. 13 Vgl. Lieb, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 163. 14 Zu materiellen „Anreizen" durch die Länder im Kampf um den Untemehmenssitz unlängst Döring, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 20.9.1999, S. 10f.

Einleitung

migungsverfahren), der öffentlichen Kreditpolitik sowie des Ausbildungsniveaus der Arbeitnehmer bestimmt15. Nehmen solche qualitativen Standortfaktoren im Rahmen der Globalisierung eine zentrale Rolle ein, so sind die Länder dieser neuen Herausforderung nur gewachsen, wenn sie auch die Möglichkeit der unterschiedlichen Gestaltung haben. „Der Wettbewerbsföderalismus soll gute Landespolitik wieder lohnend werden lassen"16. So fordert auch die Friedrich-Naumann-Stiftung in ihrem Manifest „Wider die Erstarrung in unserem Staat": „[...] die Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern sowohl bei der Erfüllung als auch bei der Finanzierung ihrer Aufgaben strikt zu trennen, das Subsidiaritätsprinzip konsequent anzuwenden, den Wettbewerb unter den Gebietskörperschaften und nicht die Nivellierung als Leitbild zu wählen" 17 . Eine solche Akzentverschiebung setzt aber gleichzeitig auch die Bereitschaft der Bürger voraus, mehr Verschiedenheit und damit unterschiedliche Lebenschancen zu „ertragen" 18. Dennoch räumen auch die Befürworter einer Betonung von Konkurrenzföderalismus ein, daß „Wettbewerb ohne Chancengleichheit nicht denkbar" sei19. Damit wird die enge Verknüpfung der „Reföderalisierungstendenz" mit den Forderungen nach Chancengleichheit offenbar und eine verfassungsrechtliche Analyse unter aktuellen Legitimationsgesichtspunkten interessant. Soll insofern die Angleichung der Rahmenbedingungen auf das „verfassungsmäßig Gebotene"20 beschränkt werden, so wird die Frage nach diesem verfassungsmäßigen Minimum dringlich. Anstoß zu diesem Thema gab die kontroverse Diskussion über die Reform des Hochschulrahmengesetzes21. Insbesondere der hierbei entbrannte Streit um die Einführung von Studiengebühren oder deren bundesweites Verbot hat die Frage aufgeworfen, inwieweit das Postulat der Chancengleichheit eine bundeseinheitliche Regelung erfordert, um so unterschiedlichen Studienbedingungen im Bundesstaat vorzubeugen. Das bundesweite rahmengesetzliche Verbot von Studiengebühren wurde einerseits mit Hinweis auf die Chancengleichheit und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nachdrücklich gefordert 22, andererseits als Verstoß gegen den Gedanken des Wettbewerbsföderalismus abgelehnt23. Indes konnte sich ein solches Verbot in der Reform nicht durchsetzen, so daß damit die Entscheidung über die Erhebung einer Studiengebühr den Ländern obliegt24. Mit der Diskussion um Studien15 Vgl. Grossekettler, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 209; Scharpf \ Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 7.4.2001, S. 15. 16 Grawert, Der Staat 38 (1999), S. 349; ähnlich auch Stamm/Merkl, ZRP 1998, S.467. 17 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.8.1998, S. 14. 18 Vgl. Schulz-Hardt, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 165. 19 So ebenfalls die Friedrich-Naumann-Stiftung, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22.8.1998, S. 14. 20 So Schulz-Hardt, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 168. 21 Vgl. nunmehr das Hochschulrahmengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Januar 1999, BGB1.I, S.18. 22 BT-Sitzungsprotokoll v.30. Oktober 1997, S. 18002, 18004,18006ff., 18016. 23 Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S.62 Fn. 16.

16

Einleitung

gebühren ist aber zugleich die Frage verknüpft, ob ein Land seine Studienplatzkapazitäten überhaupt für landesfremde Bewerber bereitstellen muß und ob es gegebenenfalls die Studiengebühren auf diese beschränken beziehungsweise die landeseigenen Studierwilligen von diesen befreien darf. Konträr zur Zielsetzung der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes, gerade eine Deregulierung und Dezentralisierung zu erreichen, entzündete sich der Streit an der Forderung nach bundeseinheitlicher Regelung25. Einerseits sollte mit der Deregulierung den Hochschulen die Chance gegeben werden, ihr eigenes Profil auszubilden, andererseits wurde schon in der Begründung des Entwurfes des Änderungsgesetzes festgeschrieben, daß keinesfalls auf einheitliche Regelungen verzichtet werden dürfe, wenn „im Hinblick auf die Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern innerhalb des Bundesgebietes unterschiedliche Länderregelungen schädlich" oder unter dem Gesichtspunkt der „Wahrung der Rechtseinheit" und zur „Freiheits- und Qualitätssicherung" bundeseinheitliche Regelungen erforderlich wären beziehungsweise der Sicherstellung der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" dienten26. Reform, Freiheit, Vielfalt und insbesondere Wettbewerb sind vielbenutzte Schlagworte innerhalb dieser Kontroverse. Das Verständnis von Hochschulen wandelt sich in die Richtung eines Nutzen- und Zweckdenkens, auch private Werbung in staatlichen Hochschulen ist nicht mehr unvorstellbar 27. Die größere Autonomie der Hochschulen soll eine Effektivitätssteigerung mit sich bringen 28. Die moderne Universität wird nicht mehr als Insel der Forschung und Lehre begriffen; sie muß sich der Konkurrenz stellen und sich im Wettbewerb behaupten. So ist ein wesentliches Element Änderung des Hochschulrahmengesetzes die Umstellung auf eine im Grundsatz leistungsabhängige, „output-orientierte" 29 Hochschulfinanzierung (vgl. § 5 HRG 30 ). Dennoch wurde immer wieder vorgebracht, die Neuregelung des Hoch24 Baden-Württemberg hat eine Langzeitstudiengebühr nach einem Bildungsguthabenmodell eingeführt (Landeshochschulgebührengesetz, Gbl. 1999, S. 605 ff.), dieses Modell wurde vom VGH Baden-Württemberg für verfassungsgemäß erachtet: VB1BW 2000, S. 432 ff., diese Entscheidung wurde vom BVerwG bestätigt: Urt. v. 25.7.2001, Az. 6C8-11/00; Bayern hat für das Erststudium Gebühren ausgeschlossen (Art. 85 Abs. 1 BayHSchG), für das Zweitstudium allerdings Studiengebühren eingeführt (Art. 85 Abs. 3,4 BayHSchG); Sachsen hat eine Studiengebühr für das Zweitstudium nach Ablauf der Regelstudienzeit eingeführt (Ziff. 3 der Anlage zu § 1 Sächs. Hochschulgebührenordnung); Berlin hat die Erhebung von Gebühren ausgeschlossen (§ 2 Abs. 10 BerlHSchG), ebenso Nordrhein-Westfalen für den Erststudiengang (§ 10 HG NW). 25 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.2.1998, S. 1, 3; Frankfurter Rundschau v. 14.2.1998, S.3,7; Westdeutsche Allgemeine Zeitung v. 14.2.1998, S.2; BT-Sitzungsprotokollv. 30.10.1997, S. 17998ff. 26 BT-Drs. 13/8796, S. 14. 27 Vgl. Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 75, der auch die negativen Folgen dieser Entwicklung aufzeigt. 28 Vgl. Groß, DÖV 1999, S. 895 ff. 29 BT-Drs. 13, S.8796. 30 „Die staatliche Finanzierung der Hochschulen orientiert sich an den in Forschung und Lehre sowie bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erbrachten Leistungen. Dabei sind auch Fortschritte bei der Erfüllung des Gleichstellungsauftrags zu berücksichtigen."

Einleitung

schulrahmengesetzes erfülle nicht die Pflicht, für ein Mindestmaß an Einheitlichkeit im Bundesgebiet zu sorgen31. Die so geschaffene Konkurrenz des Marktes gehe in nicht hinnehmbarem Maße zu Lasten der Chancengleichheit32. Der bundesstaatliche Aspekt des Hochschul- und Β ildungswesens erfährt daher durch die Neuregelung verfassungspolitische und verfassungsrechtliche Brisanz. Der Gedanke ist aber gleichwohl nicht neu: Wegen der im Hochschulbereich von Studenten in weitem Umfang ausgeübten Freizügigkeit und der angestrebten bestmöglichen, bundesweiten Auslastung der vorhandenen Studienplatzkapazitäten, schlägt sich seit jeher im Hochschulwesen die Tendenz zur Vereinheitlichung besonders deutlich nieder 33. So werden das Hochschulzulassungsrecht sowie das Prüfungsrecht als „wichtigster Hobel für die freiwillige Einebnung des Föderalismus" 34 bezeichnet. Die Tragweite des Themas beweist auch die immer wieder aufflammende, derzeit hochbrisante Diskussion um den Länderfinanzausgleich nach Art. 107 GG 35 , für den das Bundesverfassungsgericht unlängst maßgebliche Prinzipien festgelegt hat, unter deren Berücksichtigung eine Neuregelung des Finanzausgleichsgesetzes zu erfolgen hat 36 . Diesen Vorgaben soll nunmehr der am 24. Juni 2001 geschlossene Kompromiß zwischen den Ländern und dem Bund über den Finanzausgleich Rechnung tragen, der mit einem flacheren Finanzausgleichstarif und einem höheren Steuerselbstbehalt („Prämienmodell") eine stärkere Anreizorientierung beinhaltet37. Der horizontale Finanzausgleich wurde bisher immer als Voraussetzung für die Herstellung einheitlicher Lebensbedingungen gesehen; er wurde jedoch zunehmend von den sogenannten „Geberländern" angegriffen, die ihre „Solidaritätspflicht" überschritten sahen und sehen38. Sie beklagen, daß die Höhe des Ausgleichsniveaus den Ländern die finanziellen Grundlagen eines politischen Wettbewerbs entziehe und daher mit der Bewahrung der regionalen Pluralität als wichtigem Ziel der bundesstaatlichen Ordnung im Widerspruch stehe39. Die Frage nach einer „Überforderung" des Ausgleichsmechanismus im Kontext bundesstaatlicher Solidarität ist folglich 31

BT-Sitzungsprotokoll v. 30.10.1997, S. 18002 (E. Bulmahn) BT-Sitzungsprotokoll v. 30.10.1997, S. 18012 (L. Elm) 33 Karpen, Hochschulplanung und Grundgesetz, S.727. 34 Hufen in: Probleme des Föderalismus, S. 218. 35 Vgl. nur Bull DÖV 1999, S. 269ff.; Hidien, DÖV 1999, S. 903 ff.; Jens-Peter Schneider, Der Staat 40 (2001) S. 276ff. 36 EuGRZ 1999, S.617ff.; vgl. hierzu BulUMehde, DÖV 2000, S. 305ff.; Christmann, DÖV 2000, S. 315ff.; Linck, DÖV 2000, S. 325ff. 37 Vgl. das am 5. Juli 2001 vom Bundestag und am 13. Juli 2001 von Bundesrat verabschiedete Maßstäbegesetz sowie die Entschließung des Bundesrates vom 13. Juli 2001, BT-Drs. 14/5951 i. d. F. Drs. 14/6533, BR-Drs. 485/01. 38 „Bayern und Baden-Württemberg fühlen sich durch den Länderfinanzausgleich ungerecht belastet": Frankfurter Allgemeine Zeitung v.20. März 1998, S.4. 39 So die Begründung der Normenkontrollanträge der Regierungen von Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, vgl. EuGRZ 1999, S.635; vgl. auch Grossekettler, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 206 ff. 32

2 Engels

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Einleitung

zugleich die Frage nach Reichweite und Begrenzungswirkung des föderalistischen Systems. Die Reichweite bundesstaatlicher Solidarität ist zugleich angesprochen, wenn ein Bundesland öffentliche Einrichtungen zur Verfügung stellt, die in großem Umfang von Landesfremden genutzt werden, deren „Heimatländer" vergleichbare Einrichtungen nicht bereithalten. Ebenso brachte die Kontroverse um die Rechtschreibreform eine bundesstaatliche Komponente zu Tage: Sie ist in der Öffentlichkeit auf große Kritik gestoßen, wurde zum Gegenstand von Volksabstimmungen40 und mit geteiltem Erfolg von Gerichtsverfahren 41. Aus bundesstaatlicher Sicht wurde insbesondere kritisiert, daß die Rechtschreibreform, da sie jedenfalls einheitlich sein müsse, nicht allein durch die Länder beschlossen werden könne42. Hingewiesen wurde insbesondere auf die mit einer unterschiedlichen Rechtschreibung verbundenen Probleme, speziell für Schüler 43. Dem hingegen hat das Bundesverfassungsgericht eine Regelungsbefugnis der Bundesländer angenommen, der es nicht entgegenstehe, daß Schreibung als Kommunikationsmittel im gesamten Sprachraum ein hohes Maß an Einheitlichkeit voraussetze, da den Ländern eine Herstellung von Einheitlichkeit verfassungsrechtlich im Wege der Selbstkoordination möglich sei 44 . Dies bedeute aber nicht notwendig eine Übereinstimmung in allen Einzelheiten, solange die Kommunikation im gesamten Sprachraum stattfinden könne45. Wie groß darf aber eine solche Uneinheitlichkeit aus bundesstaatlicher Perspektive oder aus Sicht betroffener Menschen sein? Gleichsam eine föderalistische Fragestellung ergibt sich im Rahmen der Rentendiskussion im Hinblick auf den Vorschlag, lediglich eine staatliche Mindestrente festzusetzen: Wäre diese am jeweiligen Lebensstandard des Bundeslandes, an einem durchschnittlichen „bundesweiten Lebensstandard" oder gar an dem höchsten im Bundesgebiet zu orientieren? Gebietet es möglicherweise das Sozialstaatsprinzip, daß nur eine bundeseinheitliche Mindestrente festgesetzt werden kann? Könnten bei Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz unterschiedliche regionale Bedarfe berücksichtigt werden oder kann es nur ein einheitliches Existenzminimum geben? Kürzlich hatte das Bundessozialgericht über den Sonderweg Sachsens bei der Pflegeversicherung zu entscheiden: Die Kläger hatten sich dagegen gewandt, daß sie den Beitrag zur Pflegeversicherung zu einem größeren Teil selbst finanzieren müssen als die Arbeitnehmer in den übrigen Bundesländern46. Das Bundessozialgericht konnte hierin keinen Verfassungsverstoß erblicken. 40 Beim Volksentscheid in Schleswig-Holstein am 27. September 1998 erhielten die Reformgegner 57,7 % der Stimmen. 41 Sächs.OVG, DÖV 1998, S. 118ff.; NS.OVG, NJW 1997, S.3456ff. 42 Roth, BayVBl. 1999, S.263. 43 Roth, BayVBl. 1999, S.263. 44 BVerfG, EuGRZ 1998, S. 395,403f.; zustimmend Wegener , Jura 1999, S. 188. 45 BVerfG, EuGRZ 1998, S. 395,404. 46 NJW 1999, S.XLVIII.

Einleitung

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Diese aktuellen Beispiele verdeutlichen, daß dort, wo den Ländern eigene Gestaltungsspielräume eingeräumt werden oder solche gefordert werden, uneinheitliche Lebenschancen entstehen können, so daß sich immer zugleich die Frage nach notwendigen Mindeststandards aufdrängt. Der Gedanke der Chancengleichheit und das Bundesstaatsprinzip stehen gerade bei einer stärkeren Betonung des Wettbewerbsföderalismus in einem Spannungsverhältnis, so daß die Zukunftsträchtigkeit dieser Problematik offenbar und eine rechtliche Analyse interessant wird. Moderne und entwickelte Gesellschaften mit überregional ausgerichteter Wirtschaft erfordern einerseits großräumige Entscheidungen, der Trend zur Unitarisierung erscheint daher unausweichlich47. Bereits im Jahre 1967 stellte Hesse fest: „Moderne Aufgaben des Staates, zunehmende Technisierung, Verflechtungen von Wirtschaft und Verkehr, das Verlangen nach gleichen Bildungschancen, Planungs-, Lenkungs- und Verteilungsaufgaben sowie die Entwicklung zum sozialen Rechtsstaat verlangen nach einer Einheitlichkeit im Sinne einer weitgehenden sachlichen Unitarisierung." 48 Die These Resses hat angesichts der momentanen Diskussionen nicht an Bedeutung verloren, die beschriebene Situation ist nicht entschärft. Dem steht jedoch die grundgesetzliche Entscheidung für das Bundesstaatsprinzip und damit für bundesstaatliche Vielfalt gegenüber, die unter die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG fällt. Sind damit derzeit zwei gegenläufige Argumentationen erkennbar - die für Unitarisierung im Dienste der Mobilität, der Vergleichbarkeit der Lebenschancen einerseits, und die für eine Stärkung dezentralisierter und sachnaher Entscheidungseinheiten zur Effizienzsteigerung im Zuge der Globalisierung andererseits - so stellt sich die Frage, ob es verfassungsrechtliche Grenzen gibt, innerhalb derer sich die Balance von Einheit und Vielfalt justieren muß. Wettbewerbsföderalismus bedarf der „Spielregeln", die dem Grundsatz der Chancengleichheit Rechnung tragen 49. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Bürger, der eine Neuorientierung in Richtung Wettbewerbsföderalismus unmittelbar zu spüren bekommt. Müssen deshalb föderalistische Werte hinter dem der Chancengleichheit immanenten Gerechtigkeitsprinzip zurückstehen? Den mit diesem Gesamtkomplex verbundenen Fragen soll mit dieser Bearbeitung nachgegangen werden.

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Vgl. Grawert, Der Staat 38 (1999), S. 345. Der unitarische Bundesstaat, in: Ausgewählte Schriften, S. 127; vgl. auch Scheuner, Staatstheorie, S.425. 49 Hoffmann-Riem, DVB1. 1999, S.662. 48

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Erster Teil

Ausgangsbasis der Problemstellung § 1 „Chancengleichheit" - ein schillernder (Rechts-)Begriff A. Wortsinn Der Begriff der Chancengleichheit wird insbesondere in der politischen Diskussion inflationär verwendet, dem Grundgesetz selbst ist er allerdings fremd. Seine umgangssprachliche Bedeutung betrifft Konkurrenzverhältnisse aller Art. Der ursprüngliche Wortsinn von „Chance" leitet sich aus dem lateinischen „cadentia" ( = das Fallende) ab und bedeutet wörtlich „Glücksfall" oder „gute Aussichten". Begriffe wie „Glück" und „gute Aussicht" lassen sich allerdings nicht als rechtliche Begriffe, rechtliche Kategorien fassen, eine Sicherung durch staatliche Maßnahmen ist nicht möglich1. Entsprechend ist es evident, daß es nicht darum gehen kann, gleiche „Glücksfälle" zu schaffen 2. Versteht man aber unter Chance lediglich die Eröffnung der Möglichkeit, individuelles Glück zu erlangen, nicht jedoch das Glück selbst, so liegt der Vergleich zum „persuit of happiness" der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 nahe, wonach das Streben nach Glück zu den unveräußerlichen Rechten gehört, aber eben kein Anspruch auf individuelles Glück begründet wird. Ein so interpretiertes „Glück" kann aber nur bedeuten, die Zufälligkeiten des Lebens, das individuelle Unglück auszuschalten, um so den Weg zur selbstbestimmten Lebensverwirklichung, zur Möglichkeit der Entfaltung der Anlagen und Fähigkeiten freizumachen 3.

B. Chancengleichheit in der demokratischen Industriegesellschaft Der hinter dem Begriff der „Chancengleichheit" verborgene Wille zur grundlegenden Gleichheit menschlicher Individuen wurde besonders eindrucksvoll durch die Losung der französischen Revolution von 1789 gegen das schicksalhafte Hineingeborensein in eine vorab rechtlich fixierte soziale Rolle offenbar 4. Hinter der plakativen Losung „Liberté, Egalité, Fraternité" verbarg sich im revolutionären 1 2 3 4

Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 33. Schoch, DVB1. 1988, S.881. Scholler, Gleichheitssatz, S. 16 f. Vgl. Zippelius, VVDStRL 47 (1988), S. 13.

§ 1 „Chancengleichheit" - ein schillernder (Rechts-)Begriff

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Frankreich die umfassende Forderung nach „Wohlstand, Unterricht, Gleichheit, Freiheit und Glück für alle" 5 . In der Verfassung der französischen Republik von 1793 wurde in Art. 1 „das allgemeine Glück" als „Ziel der Gesellschaft" festgeschrieben. Doch auch im heutigen modernen Industriestaat des Grundgesetzes sind die Forderungen nach Chancengleichheit nicht verklungen: Der Mehrheitswille erstrebt eine Angleichung der individuellen Lebenschancen im demokratischen Staat6. Man erwartet neben der Beseitigung von tatsächlichen und rechtlichen Hindernissen der Entfaltung auch die Bereitstellung von Leistungsangeboten, um milieubedingte Unterschiede auszugleichen und gleiche Entwicklungsmöglichkeiten in der Gesellschaft zu erreichen 7. Und es scheint, daß die Hindernisse um so störender wirken, desto kleiner sie werden. Dies ist eine bereits mehrfach festgestellte Tendenz: Bei umfassender Ungleichheit der Bedingungen findet auch die größte Ungleichheit keine Beachtung, während inmitten allgemeiner Gleichförmigkeit die geringste Abweichung Anstoß erregt 8. Dies erklärt, warum trotz einer umfassend gewährten Rechtsgleichheit und der durch ein weitgehendes Sozialsystem gesicherten Grundbedingungen der individuellen Lebensgestaltung die Forderung nach Chancengleichheit nach wie vor einen so hohen Stellenwert im öffentlichen Leben genießt. Im Konzept der Chancengleichheit kommen die liberalen und sozialen Traditionsmomente zum Ausgleich, womit es zu einer nahezu allgemein akzeptierten regulativen Idee demokratisch verfaßter Gesellschaften geworden ist 9 . Ausgewiesen werden können die Lebenschancen anhand von Sozialindikatoren wie Einkommen, Bildung, Gesundheit, Wohnung, Arbeitsbedingungen, Bürgerrechte und Umweltqualität10.

C. Chancengleichheit als Startgleichheit Die Forderung nach Chancengleichheit hat allerdings nicht die Einebnung aller sozialen Unterschiede zum Inhalt 11 . Insoweit ist die Reichweite der Chancengleichheit auf die Bedingungen der Ausgangssituation und des Verfahrens beschränkt; das Ergebnis des Wettbewerbs wird nicht in die Steuerung einbezogen12, vielmehr wird 5

Babeuf, zit. nach: Ramm, Die großen Sozialisten, Bd.I, S. 162. Zippelius, VVDStRL 47 (1988), S. 15. 7 Vgl. zum Gleichheitsstreben in der Demokratie: Tocqueville , Demokratie in Amerika, 2. Teil, S. 109 ff. 8 Tocqueville , Demokratie in Amerika, 2. Teil, S.318f.; Scholler, Gleichheitssatz, S. 103; Zippelius, VVDStRL 47 (1988), S. 16. 9 Kaufmann in: Staatslexikon, Lemma „Chancengleichheit". 10 Kaufmann in: Staatslexikon, Lemma „Chancengleichheit". 11 Scholler, Gleichheitssatz, S. 16. 12 Robbers, DÖV 1988, S.757. 6

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

das Risiko des Fehlschlagens eigener Bemühungen gerade in Kauf genommen13. Die „Chance" beinhaltet damit immer die Möglichkeit, sie gerade nicht wahrzunehmen. Genau hierin verwirklicht sich das Freiheitsmoment 14: Eine uneingeschränkte Ergebnisgleichheit würde die eigenverantwortliche, individuelle Lebensgestaltung einebnen und damit die Freiheit in ihr Gegenteil verkehren. Folglich läge hierin eine freiheitswidrige Ausdehnung der Chancen- auf die Ergebnisgleichheit 15. Zugleich würde eine auf Ergebnisgleichheit gerichtete Sozialgestaltung das Gebot der Rechtsgleichheit auflösen 16. Besteht daher eine Ungleichheit trotz gleicher Startbedingungen, so ist deren Aufhebung nicht durch den Chancengleichheitsgedanken legitimiert, denn hier realisiert sich gerade die Unterschiedlichkeit der Individuen. Es darf daher keine verteilende Gerechtigkeit dahingehend erfolgen, daß gleiche Ergebnisse eines Prozesses erzielt werden sollen, sondern es geht um die Angleichung der Startbedingungen: Forderung nach Chancengleichheit meint daher nur Startgleichheit im Sinne gleicher Ausgangsbedingungen17, gleicher Entwicklungsmöglichkeiten18. Mit dieser Interpretation der Chancengleicheit als Startgleichheit geraten zwei Aspekte in den Blick: das rechtliche Dürfen und das tatsächliche Können.

D. Chancengleichheit und Rechtsgleichheit In der Tat setzt die Möglichkeit der individuellen, optimalen Lebensgestaltung eine Ausgangsposition voraus, die eine entsprechende Entwicklung überhaupt realisierbar macht; und soweit diese Positionen rechtlich ausgestaltet sind (zum Beispiel: Beruf, Ausbildung, Eigentum oder Existenzminimum), gehen Chancengleichheit und Rechtsgleichheit konform 19. Chancengleichheit im Sinne rechtlicher Gleichheit der Chance bezieht sich daher darauf, jedem für seine Entwicklung den gleichen rechtlichen Rahmen wie allen anderen zu setzen20 und so das rechtliche Dürfen zu sichern. Dort, wo der Staat Einrichtungen schafft, bedeutet dies daher zunächst, daß er auch für jeden rechtlich die gleiche Möglichkeit eröffnet, daran teilzuhaben. Darüber hinaus gilt es aber auch, rechtliche Hindernisse abzuwehren, die unterschiedliche Voraussetzungen zum Gebrauch der Freiheitsgrundrechte bedingen. 13

BVerfGE 73,40, 86. Vgl. Scholler, Gleichheitssatz, S. 17f.; Robbers, DÖV 1988, 757. 15 Gröschner in: Dreier, Art. 20 Rn. 39; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 35; Schwacke/Schmidt, Staatsrecht I, S. 121. 16 Vgl. BVerfGE 12, 354, 367. 17 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art.3Rn.33; Schoch, DVB1.1988, S. 881 ; Gröschner in: Dreier, Art. 20 Rn. 39; Maurer, Staatsrecht, § 8 Rn. 76. 18 Stern,, Staatsrecht I, S. 930. 19 Scholler, Gleichheitssatz, S. 15; vgl. dazu ferner Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 34. 20 Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 (Sozialstaat) Rn.39 (Hervorh. v. Verf.). 14

§ 1 „Chancengleichheit" - ein schillernder (Rechts-)Begriff

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Dennoch geht die allgemeine Forderung nach Chancengleichheit über die Rechtsgleichheit hinaus. Denn die Rechtsgleichheit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG ist eine relative Gleichheit, sie setzt immer eine Relation von einer Sache/Person mit einer anderen Sache/Person anhand einer Vergleichsgruppe voraus. Damit hat Rechtsgleichheit zur Folge, daß eine Gleichbehandlung auch dort erfolgt, wo unterschiedliche tatsächliche Verhältnisse die Wettbewerbsverhältnisse verzerren. Die formale Gleichstellung hat mithin noch nicht zur Folge, daß die Möglichkeit der Freiheitswahrnehmung und der individuellen Entfaltung im Sinne eines tatsächlichen Könnens nunmehr für jeden gewährleistet ist. Das Erreichen von Chancengleichheit durch Rechtsgleichheit steht daher in Frage. Im Gegenteil: Behandelt man die Menschen unabhängig von den tatsächlichen, persönlichen Gegebenheiten gleich (indem man beispielsweise jedem Abiturienten den Zugang zur Hochschule zubilligt, aber keinem der Studierenden - unabhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern - staatliche Studienförderungen zukommen läßt), so werden zwar alle „gleich" behandelt, die faktischen Unterschiede bleiben allerdings bestehen, werden unter Umständen sogar vertieft.

E. Chancengleichheit und tatsächliche Gleichheit Hat daher aufgrund tatsächlicher Gegebenheiten nur ein Teil der Bevölkerung die tatsächliche Möglichkeit, von den rechtlichen Chancen überhaupt Gebrauch zu machen, so genügt zur Schaffung einer Gleichheit der Startchancen - insbesondere im Bereich der Teilhabe an staatlichen Leistungen - eine rechtliche Gleichstellung nicht. Hier wäre es zum Ausgleich der vorgefundenen sozialen Ungleichheiten notwendig, eine Differenzierung vorzunehmen, die sich an der Zielsetzung der Herstellung gleicher Grundlagen für ein tatsächliches Können in bezug auf die Wahrnehmung der Entfaltungsmöglichkeiten auszurichten hätte. Denn ansonsten kann auch eine Differenzierung bestehende soziale Unterschiede verstärken. Dabei ist die Wirkung einer Differenzierung bei gleichen Ausgangsbedingungen eindeutig: Behandelt man gleiche Dinge gleich, so bleiben sie gleich; behandelt man sie hingegen ungleich, so werden sie ungleich21. Werden beispielsweise gleich begabte Kinder gleichermaßen gefördert, so wird ihr Leistungsstand annähernd gleich bleiben, beschränkt sich die Förderung indes auf ein Kind, so wird sich der Leistungsstand auseinanderentwickeln. Die Forderung nach Chancengleichheit wird jedoch immer dann aktuell, wenn die Ausgangsbedingungen ungleich sind. Behandelt man ungleiche Dinge formal gleich, so bleiben die Ergebnisse ungleich; ebenso, wenn man ungleiche Dinge entsprechend ihrer Eigenart ungleich behandelt: Die Behandlung jeder Person entsprechend ihrer Begabung, ihrer objektiven oder auch finanziellen Möglichkeiten führt zu einer Verstärkung von Ungleichheiten22. Würden beispielsweise allein besonders begabte Kinder gefördert, so würde sich die Diskrepanz zwi21 22

Vgl. Karpen, JA 1985, S.563f. Karpen, JA 1985, S. 564f.; vgl. auch Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 35.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

sehen ihnen und den weniger begabten Kindern weiter vergrößern. Etwas anderes gilt folglich nur dann, wenn eine ausgleichende Unterscheidung vorgenommen wird 23 . Die Rechtsgleichheit läßt die Unterschiede im Hinblick auf die Ausgangsposition unangetastet, macht sie sogar zum Ausgangspunkt der Differenzierung. So gilt - trotz des engen Zusammenhangs zwischen Rechts- und Chancengleichheit - im Prinzip, daß die Rechtsetzungsgleichheit eher geeignet ist, bestehende tatsächliche Ungleichheiten rechtlich zu konservieren, statt sie zu verändern. Die Forderung nach Chancengleichheit sieht gerade hierin einen Mangel und hat zum Ziel, diese Ungleichheitsbereiche durch staatliche Mittel zu minimieren 24. Chancengleichheit und die Schaffung tatsächlicher Gleichheit gehen daher insoweit konform, als zur Realisierung der Chancengleichheit eine Angleichung der tatsächlichen Voraussetzungen zum Erwerb materieller und immaterieller Güter und damit der faktischen Vorbedingungen, die zur Nutzung der Freiheitsrechte notwendig sind 25 . Mithin ist die Forderung nach Chancengleichheit auch eng mit der Angleichung der Lebensbedingungen verknüpft, denn diese bilden die Basis der Chanceneröffnung. Diese Forderung kann sich freilich nur auf Hemmnisse beschränken, die der Staat beeinflussen kann und die nicht in der Persönlichkeit des einzelnen Menschen ihre Ursache finden 26.

F. Chancengleichheit und Freiheitsgrundrechte Diese Überlegungen deuten bereits auf den engen Zusammenhang zwischen Chancengleichheit und Freiheitsausübung hin. Denn die Effektivität der Freiheitsgrundrechte hängt entscheidend von der Möglichkeit der Ausübbarkeit ab. Die zahlreichen Förderungsmaßnahmen im Ausbildungsbereich zeigen, daß die Berufsfreiheit ein nur ungleich gewährleistetes Grundrecht wäre, wenn nicht die Startchancen durch öffentliche Leistungen angeglichen würden. Die Förderung ist nur an bestimmte, in ihrer Ausgangslage „schlechtergestellte" Gruppen gerichtet, um so Startgleichheit und damit Gleichheit in der Freiheitsausübung zu ermöglichen: Chancengleichheit als „Vorbedingung des Freiheitsgebrauchs" 27. Zugleich wird der Bezug zu den Teilhaberechten offenbar: Sobald der Staat Einrichtungen und Leistungen anbietet, die für die Lebenschancen von Bedeutung sind (zum Beispiel: Berufsbildung), dann hat zwar nicht jeder einen positiven Zugangsanspruch, aber aufgrund der Chancengleicheit zumindest grundsätzlich einen An23 24 25 26 27

Vgl. Karpen, JA 1985, S.564. Karpen, JA 1985, S.565; Schwache/Schmidt, Staatsrecht, S. 120f. Maurer, Staatsrecht, § 8 Rn.78; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 106. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 33. Martens, VVDStRL 30 (1972), S. 19; vgl. auch Stern, Staatsrecht I, S. 931 f.

§ 1 „Chancengleichheit" - ein schillernder (Rechts-)Begriff

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spruch auf gleiche Teilhabe an bestehenden Kapazitäten . Damit ist der Grundsatz der Chancengleichheit zugleich Freiheits- und Gleichheitsregelung29.

G. Chancengleichheit und Sozialstaatsprinzip Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat, Art. 20 Abs. 1 GG. Die Grundlage jeder sozialen Forderung ist naturgemäß das Streben nach Gleichheit, was bereits auf die enge Verknüpfung beider Interessen hindeutet. Beschränkt sich - wie ausgeführt - der Chancengleichheitsgedanke nicht nur auf die Sicherstellung der rechtlichen Gleichheit der Chancen, sondern auf die Absicherung einer möglichst weitgehenden faktischen Gleichheit der Entwicklungschancen, so ist der zweite Aspekt primär im Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes zu verankern 30. Im Gegensatz zum bürgerlich-liberalen Rechtsstaat werden Relationen sozialer Ungleichheit nicht mehr nur zwischen Gruppen, sondern auch zwischen verschiedenen Lebenssituationen (zum Beispiel: Alter) und Sachbereichen wahrgenommen31. Der Sozialstaat verpflichtet den Gesetzgeber, durch den Ausgleich sozialer Gegensätze eine gerechte Sozialordnung zu schaffen 32 und hat damit unter anderem mehr Gleichheit für diejenigen, die an ihrer persönlichen Entfaltung gehindert sind 33 , zum Ziel 34 . Das bedeutet, daß der Gesetzgeber nicht nur dazu ermächtigt, sondern im Sinne der Chancengleichheit auch verpflichtet ist, bestehende Ungleichheiten zwischen den Menschen und insbesondere im sozialen Leben durch staatliche Maßnahmen zu minimieren 35. Die Kompensation dieser Ungleichheiten kann durch Eingriffsmaßnahmen im Sinne einer staatlichen Korrektur (Beschränkung oder Förderung; zum Beispiel: Mieter-/Verbraucherschutz), durch Gewährleistung eines allgemeinen Zugangs zu wesentlichen Gütern und Diensten, öffentliche Daseinsvorsorge (etwa Krankenversorgung, Bildung), öffentliche Leistungen (Subventionen) sowie durch Verfahren (Zugang zum Recht) erfolgen 36. Sozialstaatlich gefordert ist demnach die reale „Chance zur Entfaltung" für jedermann 37. Die damit einhergehende Einwirkung auf 28

Karpen, JA 1985, S. 569; ähnlich R M. Huber, Konkurrenzschutz, S. 563 f. Kunig, HStR II, § 33 Rn. 63; vgl. auch Grawert, Der Staat 38 (1999), S. 346. 30 Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 (Sozialstaat) Rn.39f.; Starck in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 6, 35; Kirchhof, NJW 1987, S. 2355; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 106; Maurer, Staatsrecht, § 8 Rn. 76; Schwacke/Schmidt, Staatsrecht, S. 120f. Hierzu näher unten: 2. Teil §2 A. 31 Zacher, HStRI, §25 Rn.33. 32 BVerfGE 22, 180, 204; Benda, HVerfR (1), § 17 Rn. 90; Maurer, Staatsrecht, § 8 Rn. 76. 33 BVerfGE 35, 202, 236; Karpen, JA 1985, S.567. 34 Zacher, HStRI, § 25 Rn.25. 35 Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 Rn. 36; Stern, Staatsrecht I, S. 930; Gubelt in: v. Münch/Kunig, Art. 3 Rn. 63 (Kindergärten). 36 Vgl. Zacher, HStRI, §25 Rn.34. 37 BVerfGE 35, 202, 235. 29

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

die Sozialsphäre und faktischen Lebensbedingungen zeigt die inhaltliche Überschneidung des Sozialstaatsprinzips und der Chancengleichheit und macht zugleich deutlich, daß Chancengleichheit nicht nur das Verbot an den Staat richtet, die Freiheitsbetätigung einzelner Bevölkerungsgruppen einzuschränken, sondern ihm darüber hinaus die positive Pflicht auferlegt, auch die tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheitsausübung zu schaffen.

H. Verfassungsrechtliche Grundlage der „Chancengleichheit" Mangels einer ausdrücklichen grundgesetzlichen Bestimmung ist die verfassungsrechtliche Verankerung der Chancengleichheit nicht eindeutig zu bestimmen. Die „Chancengerechtigkeit" im Wirtschaftsleben findet in Art. 42 Abs. 1 S. 2 der brandenburger Verfassung als anzustrebendes Ziel neben dem wirtschaftlichen Wettbewerb Erwähnung. Im Europäischen Gemeinschaftsrecht wird die Chancengleichheit der Unternehmen im wirtschaftlichen Wettbewerb im Sinne eines Verbots von Wettbewerbsverzerrungen aus der Zusammenschau der Diskriminierungsverbote des Europäischen Gemeinschaftsrechts abgeleitet38. Die besondere Diskriminierungsverbote beinhaltenden Grundfreiheiten sollen marktzugangs- und wettbewerbsverfälschende Schlechterstellungen von Waren aus anderen Mitgliedstaaten verhindern 39. Deshalb wird insbesondere Art. 28 EGV (freier Warenverkehr, Art. 30 a. F. EGV) nicht nur als Verbot beschränkender Maßnahmen verstanden, sondern in Verbindung mit Art. 10 EGV auch als Handlungsgebot interpretiert, das die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Realisierung der Grundfreiheiten sicherzustellen40. Die italienische Verfassung fordert in Art. 3 neben der Rechtsgleichheit ausdrücklich auch die Beseitigung von Hindernissen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art, die die Freiheit und Gleichheit der Bürger tatsächlich einschränken. Im deutschen Staatsrecht wird ohne nähere Begründung das Gebot der Chancengleichheit teilweise dem Art. 3 Abs. 1 GG selbst entnommen41, dies überwiegend in einer Konstellation, in der der Chancengleichheitsaspekt eng am Benachteiligungsverbot orientiert ist: Chancengleichheit als Gebot, jedem gleichermaßen die Chance 38 EuGH, Slg. 1979, 322; 1979, 343; 1981, 1993; 1981, 3019, 3020; Bleckmann, Europarecht, Rn. 1781, 1779, spricht ausdrücklich von „Chancengleichheit". 39 Leible in: Grabitz/Hilf, Art. 28 EGV Rn. 8. 40 So EuGH, Slg. 1997,6959,6960; vgl. auch Leible in: Grabitz/Hilf, Art. 28 EGV Rn. 5; Füßer, DÖV 1999, S.96ff. 41 BVerfGE 52, 380, 388; 79, 212, 218; BVerwGE 87, 258, 261: „Der Grundsatz der Chancengleichheit als prüfungsrechtliche Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes"; BVerwGE 85,323,325; BVerwGE 35,344,347: „Der Grundsatz der Chancengleichheit ist ein Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes auf dem Gebiete des Wahlrechts"; BVerwGE 21, 58 („Verdichtung" des Art. 3 GG zum Grundsatz der Chancengleichheit), BVerwG, DVB1. 1993, S.49; DVB1. 1993, S. 1310, 1311; DVB1. 1983, S.90, 91; Karpen,, Hochschulplanung, S.587; 594f.; Robbers, DÖV 1988, S.757; Haug, WissR 2000, S.9.

§ 1 „Chancengleichheit" - ein schillernder (Rechts-)Begriff

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zu eröffnen, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen (zum Beispiel: gleiche Prüfungsbedingungen). In Betracht gezogen wird aber ebenso der allgemeine Gleichheitssatz in Zusammenschau mit dem Sozialstaatsprinzip42, vornehmlich dann, wenn nicht nur die Unterlassung von Benachteiligungen, sondern eine Angleichung im Sinne einer positiven Förderungspflicht (zum Beispiel: Prozeßkostenhilfe) als Ziel der Chancengleichheit konstatiert wird. Überdies findet sich eine gemeinsame Heranziehung von allgemeinem Gleichheitssatz und Freiheitsgrundrechten 43 (bei enger Verknüpfung mit Freiheitsbetätigung, zum Beispiel: Berufszulassungsprüfungen), dies wiederum teils in Verknüpfung mit dem Sozialstaatsprinzip44 (insbesondere bei Teilhaberechten, zum Beispiel: Zulassung zum Studium). Letztlich wird die Wahrung der Chancengleichheit in Sachbereichen, in denen das Chancengleichheitsprinzip fester Bestandteil der Rechtsprechung ist (zum Beispiel: Prüfungs-, Wettbewerbsrecht), als selbständiger Grundsatz ohne Hinzuziehung einer Rechtsgrundlage zitiert 45 . Der besondere Fall der Chancengleichheit der Parteien wird einerseits als grundlegendes Prinzip der freiheitlich demokratischen Grundordnung qualifiziert 46, andererseits wird die Rechtsgrundlage in Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 GG 47 oder allein in Art. 21 und 38 GG 48 erblickt. Festzustellen bleibt, daß als Anknüpfungspunkt zur Begründung der Chancengleichheit überwiegend (zumindest auch) auf Art. 3 Abs. 1 GG zurückgegriffen wird. Gleichwohl reicht wegen der Zusammensetzung aus sowohl gleichheits- als auch freiheitsrechtlichen sowie sozialstaatlichen Elementen der allgemeine Gleichheitssatz als Forderung von Rechtsgleichheit jedenfalls nicht allein als Rechtsgrundlage aus. Es ist vielmehr (auch) der freiheitssichernde und sozialstaatlich gebotene Aspekt, der den Gleichheitssatz in die Richtung lenkt, auch auf die gleiche Möglichkeit der Wahrnehmung und damit auf die Herstellung gleicher Ausgangsbedingungen hinzuwirken. Der allgemeine Gleichheitssatz ist damit zwar grundlegender Ausgangspunkt der Chancengleichheit; es sind aber letztlich Gleichheits42

BVerfGE 22, 83, 88 (Chancengleichheit im Prozeß); BVerfGE 9, 124; Zippelius, VVDStRL 47 (1988), S. 29; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 36. 43 BVerfGE 84, 34, 51 (Chancen zum Beruf: Art. 121 i.V.m. 31); 37, 342, 354 (Prüfungsrecht: Art.3Ii.V.m. 121); BVerfG, NJW 1993, S.917,918; BVerwGE94,64 (Chancengleichheit im Prüfungsrecht: Art. 121 i.V.m. Art. 31); 27, 360, 364 (Art. 31 i.V.m. Art. 7 IV); OVG NW, DVB1. 1992, S. 1054f. 44 BVerfGE 33, 303, 331f.; 62, 117, 146 (Zulassung zum Studium; Art. 121 i.V.m. Art.3I i.V.m. Sozialstaatsprinzip), 43, 291, 313f. (Zulassung zum Studium); BVerwG, DVB1. 1997, S. 611, 612, 613. 45 BVerfGE 71,183,199 (Chancengleichheit in Wettbewerbssituationen); 74,78,92 (Chancengleichheit im Prozeß); BVerfG, NVwZ 1995, S. 577,578 (Chancengleichheit der Parteien); BVerwGE 99, 172, 184; 80, 282, 284f. (Chancengleichheit im Prüfungsrecht); BVerwGE 94, 288, 293; 92, 196, 207 (Chancengleichheit der Parteien); BVerwGE 72, 195, 205 (Chancengleichheit der Bewerber). 46 BVerfGE2, 1, 13; 73, 40, 88. 47 BVerfGE7, 99,107; BVerwGE 87, 270, 276. 48 Osterloh in: Sachs, Art. 3 Rn. 60.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

satz, Sozialstaatsprinzip und Freiheitsgrundrechte zusammen, von denen die maßgeblichen Impulse für die Chancengleichheit ausgehen. Ob und inwieweit das Gebot der Chancengleichheit den Gesetzgeber oder sonstige Staatsorgane letztlich zur Herstellung von Startgleicheit verpflichtet, ist dann von den in Betracht kommenden Verfassungsnormen und den konkreten Umständen abhängig49.

I. Chancengleichheit in der Rechtsprechung der Bundesgerichte Die Vielfalt der angesprochenen Anknüpfungen der Rechtsgrundlagen resultieren nicht zuletzt daraus, daß die Rechtsprechung die Chancengleichheit in unterschiedlichen Bereichen anerkannt und ausgeformt und somit nach und nach ihre übergreifende Bedeutung herausgearbeitet hat. So kommt das Prinzip der Chancengleichheit sowohl in der Verfassungs- als auch in der Verwaltungsrechtsprechung immer wieder zum Ausdruck, konzentriert sich aber im wesentlichen auf vier Bereiche: I. Bildungs- und Prüfungsrecht Die schon mehrfach angesprochene Bedeutung der Bildung für den sozialen Aufstieg zeigt die Relevanz der Forderung nach Chancengleichheit im Bildungsbereich auf. Die beruflichen Möglichkeiten werden in der heutigen Gesellschaft von einem Bildungsstand und damit von erbrachten Bildungsnachweisen abhängig gemacht. Diese „soziale Abhängigkeit" von Bildungsnachweisen hat zur Konsequenz, daß insbesondere im Bereich der dafür abzulegenden Prüfungen die Frage der Chancengleichheit immer wieder virulent wird. Deshalb ist „Chancengleichheit" insbesondere in Entscheidungen zum Prüfungsrecht ein immer wiederkehrender Begriff 50 . Der Grundsatz der Chancengleichheit wird hier im Sinne gleicher Voraussetzungen und gleicher Erfolgschancen 51 durch Schaffung möglichst gleichartiger äußerer Bedingungen52 interpretiert. Es gilt, vergleichbare Prüfungsbedingungen für vergleichbare Prüflinge zu gewährleisten53. Zentrum der Chancengleichheit im Prüfungsrecht ist somit, daß unterschiedliche Ergebnisse nur auf unterschiedliche Leistungen und nicht auf ungleiche Ausgangsbedingungen zurückführbar sind. Demgegenüber werden Unterschiede aufgrund unterschiedlicher individueller Leistungsfähigkeit als 49

Robbers, DÖV 1988, S.757. Vgl. BVerfGE 52, 380, 388; 84, 34, 52; 79, 212, 218; BVerfG, NJW 1993, S.917, 918; BVerfG, NJW 1991, S.2007; BVerwGE 80,282,289; 85,323,325; 87,258,261; 99,172,184; 94, 64; BVerwG, DVB1. 1983, S.90, 91. 51 BVerwGE 31, 190, 191; 41, 34, 35; BVerwG, DVB1. 1996, S. 1381 f.; DÖV 1999, S.790 (befangener Prüfer); VGH Mannheim, NVwZ 1987, S. 1013 f.; vgl. auch Gubelt in: v. Münch/ Kunig, Art. 3 Rn. 63. 52 BVerwGE 85, 323, 325; 87, 258, 261. 53 BVerwG, DVB1. 1996, S. 1381 f. 50

§ 1 „Chancengleichheit" - ein schillernder (Rechts-)Begriff

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54

„legitim" angesehen, ja sind gerade Ausdruck einer nicht zu verleugnenden, unüberbrückbaren Ungleichheit verschiedener Individuen. Neben dem Bereich des Prüfungsrechts bildet die Chancengleichheit auch ein wichtiges Gebot bei der Zulassung zum Hochschulstudium. Aufgrund der sozialen Bedeutung des Studiums für das weitere berufliche und gesellschaftliche Fortkommen wird aus dem Grundsatz der Chancengleichheit ein verfassungsmäßiges Recht der in Frage kommenden Bewerber auf Zulassung zum Studium postuliert und ein entsprechender hoher Maßstab an die Zulassungsbeschränkungen angelegt55. II. Chancengleichheit der Parteien Als weiteres bekanntes und wichtiges Anwendungsfeld gerät die Chancengleichheit der Parteien in den Blick. Bereits im Jahre 1952 wurde die Chancengleichheit für alle politischen Parteien als ein grundlegendes Prinzip der freiheitlich demokratischen Grundordnung herausgestellt56, und ihre Bedeutung wurde durch zahlreiche weitere Entscheidungen unterstrichen 57. Der so entwickelte Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien bringt zum Ausdruck, daß alle politischen Parteien die formal gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und folglich die gleichen Chancen im Wettbewerb haben sollen58. Dieses Gebot ist nicht auf den Bereich der Wahlen beschränkt, sondern umfaßt auch die gleiche Behandlung aller Parteien bei der Zuteilung von Sendezeiten in Rundfunk und Fernsehen59 sowie die Überlassung von öffentlichen Räumlichkeiten (vgl. § 511 ParteiG) 60. Nur so kann den Parteien eine wirksame Mitwirkung an der politischen Willensbildung gewährleistet und damit die Parteifreiheit des Art. 21 GG gewahrt und gesichert werden. I I I . Chancengleichheit im Prozeß Unter besonderer Betonung des Sozialstaatsprinzips findet das Gebot der Chancengleichheit im Prozeßrecht als Prozeßgleichheit seinen Anwendungsbereich. Danach gilt es, die Chancengleichheit der Verfahrensbeteiligten im Prozeß zu wahren 61 . Dies verlangt unter anderem eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Gewährung von Rechtsschutz62. Die erfolg54

Vgl. Kaufmann in: Staatslexikon, Lemma „Chancengleichheit". BVerfGE 33, 303, 332; 43, 291, 313; 62, 117, 146. 56 BVerfGE2, 1, 13; vgl. ferner schon sub H. 57 BVerfGE3,19,26; 4, 375, 387; 7,99,107; 8,51,64; 73,40, 88; 73,40,65; 82, 322,335; BVerfG, NVwZ 1995, S.577,578; BVerwGE 75,79,83; 87,270,276; 92,196,207; 94,288,293. 58 BVerfGE 35, 344, 347. 59 BVerfGE7,99,107;34,160,163f.;47,198,225ff.;69,257,268ff.;BVerwGE87,270,276. 60 BVerwG, NJW 1990, S. 134f. 61 BVerfGE 22, 83, 88; 74, 78. 62 BVerfGE 9, 124. 55

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

reiche Rechtsverfolgung soll nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Partei abhängen, so daß zur Sicherung der Chancengleichheit insbesondere die Gewährung von Prozeßkostenhilfe geboten ist.

IV. Chancengleichheit im wirtschaftlichen Wettbewerb Ein weiterer, von den einzelnen Sachverhalten sehr weitgreifender Problembereich der Chancengleichheit läßt sich unter das Stichwort „Chancengleichheit im wirtschaftlichen Wettbewerb" einordnen und konzentriert sich auf die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen 63. Gleiche Chancen der Unternehmen im europäischen Wirtschaftsraum hat der Europäische Gerichtshof aus den Diskriminierungsverboten des EGV abgeleitet64. In der deutschen Rechtsprechung wird der Grundsatz der Chancengleichheit im Wettbewerb im wesentlichen bei der Erteilung von Genehmigungen in kontingentierten Gewerbezweigen65, bei Werbeverboten und anderen Regelungen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation haben66 sowie bei der Gewährung von Subventionen67 relevant. Durch die staatliche Subvention darf sich die Chance der Konkurrenz, am Markt zu bestehen, nicht wesentlich verschlechtern 68. Einen positivrechtlichen Ausdruck hat der Gedanke der Chancengleichheit im wirtschaftlichen Wettbewerb im bereits angeführten Art. 42 Abs. 1 S. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg erfahren 69.

J. Ergebnis Die Darstellung vom Wortsinn bis zu den wesentlichen Leitgedanken der Rechtsprechung hat die Vielgestaltigkeit der Fragen und Probleme rund um ein Chancengleichheitsgebot aufgezeigt, welches das heutige Denken nach wie vor beeinflußt. Dabei hat die Rückführung auf rechtliche Grundlagen und gedankliche Ausgangspunkte vielfältige Anwendungsfelder offenbart und zugleich ihr Zentrum bestimmt. Zusammengefaßt kann der Begriff der Chancengleichheit als Schaffung gleicher Startbedingungen durch Abbau rechtlicher und tatsächlicher Hindernisse bezeich63

Hierzu: BVerfGE4, 7, 19; 21, 12, 27f.; 21, 292, 298; 30, 292, 332f.; 36, 321, 334f.; 43, 58, 72ff.; 64, 229, 239f. 64 Vgl. hierzu schon oben sub H. 65 BVerwG, DVB1. 1984, S.91ff. (Güterfernverkehrsgenehmigung); BVerwGE 21, 58, 60. 66 BVerfGE 71, 183, 199 (Ärztliche Werbeverbote). 67 BVerwG, Buchholz, 451.55, Subventionsrecht, Nr. 65; Für die Chancengleichheit bei der Subventionierung von Privatschulen: BVerwGE 23,347,350; 27,360,364 (Art. 31 i. V. m. Art. 7 IV); Pressesubventionierung: BVerfGE 80, 124, 134; OVG Berlin, DVB1. 1975, S.905, 908. 68 BVerwGE 23, 347, 350: „Gewährt der Staat öffentlichen Schulen einen höheren Zuschuß pro Schüler als Privatschulen, so kann dies die Chance der Privatschulen, Schüler zu bekommen, wesentlich verschlechtern." 69 Siehe oben sub H.

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

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net werden, zu dessen Verwirklichung den Staat nicht nur das Verbot trifft, beeinträchtigende Maßnahmen zu unterlassen, sondern auch die Verpflichtung, den rechtlichen Rahmen und die tatsächlichen Voraussetzungen für die realen Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen. Dabei ist zu beachten, daß Chancengleichheit keine Gleichförmigkeit im Sinne einer Ergebnisgleichheit bedeutet, denn dann würde die Chance zur Entfaltung der Persönlichkeit in ihr Gegenteil verkehrt, die Erkenntnis der Individualität obsolet. Es geht um die Sicherung der gleichen rechtlichen und bis zu einem gewissen Grade auch gleichen tatsächlichen Voraussetzungen individueller Freiheitsbetätigung70. So verstanden, ist rechtlicher Ausgangspunkt der Chancengleichheit zwar der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, doch ist das Postulat gleichwohl untrennbar mit dem Sozialstaatsprinzip und auch mit den Freiheitsgrundrechten verbunden 71. Zielt die Chancengleichheit also auf die Herstellung gleicher Lebensbedingungen, auf die Milderung und Minimierung gesellschaftlicher Unterschiede, so gerät auch das Bundesstaatsprinzip wieder in den Blick. Damit geht die angesprochene Frage einher, inwieweit sich Konfliktlagen aus dem so verstandenen Prinzip der Chancengleichheit und dem sogleich aufzubereitenden Bundesstaatsprinzip ergeben; inwieweit es Ansatzpunkte im Grundgesetz gibt, die diese Problemkonstellationen lösen. Dementsprechend erscheint es als Gebot der Gerechtigkeit, jedermann innerhalb des Bundesstaates die gleichen Lebenschancen einzuräumen72. Hierbei wird in der Bundesrepublik Deutschland die Toleranz gegenüber bundesstaatlich begründeten Unterschieden trotz weniger spürbarer Unterschiede im Gegensatz zu anderen föderativen Staaten, in denen wesentlich größere Diskrepanzen bestehen, als besonders gering eingestuft 73. Andererseits stellt sich die Frage, ob unterschiedliche tatsächliche und rechtliche Verhältnisse nicht in gewissem Umfang in einem Bundesstaat zu tolerieren, ja womöglich von Verfassungs wegen gewollt sind und welche verfassungsrechtlichen Postulate dieser Tendenz entgegenwirken.

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat Inwieweit die föderalistischen Werte gegenüber dem Prinzip der Chancengleichheit zurückstehen müssen, hängt von der Bedeutung der dem Bundesstaatsprinzip immanenten Funktionen ab. Eine Gegenüberstellung kann daher nur erfolgen, wenn das ideologische und theoretische Fundament der bundesstaatlichen Ordnung in sei70

P. M. Huber, Konkurrenzschutz, S. 564. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 35; Jaras s in: Jarass/Pieroth Art. 20 Rn. 106; Scholler, Interpretation, S. 15; Kloepfer, Gleichheit, S.36f.; P.M. Huber, Konkurrenzschutz, S.564. 72 Benda, Föderalismus in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S.73. 73 Schulz-Hardt, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 167; Scheuner, Staatstheorie, S.445. 71

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

nen Grundzügen skizziert wird. Denn die den Bundesstaat rechtfertigenden Funktionen bilden die Ausgangsbasis und Grenze für dessen Bewertung und dessen beschränkende Kraft.

Λ. Bundesstaat im Sinne des Grundgesetzes Art. 201 GG lautet: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Hierdurch kommt die bundesstaatliche Ordnung bereits zweimal zum Ausdruck: ,Bundesrepublik" wird definiert als „demokratischer und sozialer Bundesstaat Das Bundesstaatsprinzip ist damit eines der Strukturprinzipien der Bundesrepublik Deutschland, und der Bundesstaatsgedanke wird insbesondere durch Art. 28, 30,70ff., 83 ff. GG ausgeformt und zieht sich nahezu durch alle Teile des Grundgesetzes74. Diese umfangreiche Normierung trägt jedoch nicht zu einer klaren Definition des Bundesstaates bei. Zu Recht wird daher angeführt, daß der Verfassungstext, anders als dem traditionellen Diktum „kurz und unklar" entsprechend, in den bundesstaatlichen Komponenten „ausführlich und unklar" ist 75 . Dennoch wird der hohe Stellenwert des Bundesstaatsprinzips von Art. 79 Abs. 3 GG nachdrücklich unterstrichen, wodurch der Bundesstaat zu einem wesentlichen Merkmal der politischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland geworden ist. Das in Art. 20 Abs. 1 GG verbürgte Bundesstaatsprinzip ist staatsrechtlicher Ausdruck der politischen Idee des Föderalismus und damit das Bekenntnis zum föderativen Prinzip 76 . Föderalismus (lat.: foedus = Bündnis) zielt darauf ab, Einheit mit Vielfältigkeit zu verbinden 77. Im Gegensatz zum Unitarismus, in dem die staatliche Gewalt einheitlich organisiert ist, verbirgt sich hinter dem Föderalismus der Zusammenschluß mehr oder weniger selbständiger Glieder zu einem übergeordneten Ganzen78. Diese Aufteilung der Staatsgewalt ist bestimmendes Merkmal des Föderalismus und damit auch der bundesstaatlichen Ordnung. Zur Charakterisierung als Bundesstaat ist daher die Stellung der Gliedstaaten maßgebliches Kriterium. Definiert wird der Bundesstaat folglich primär in Abgrenzung zum Einheitsstaat und zum Staatenbund. Demgemäß ist ein Bundesstaat eine Zusammenfassung mehrerer staatlicher Organisationen und Rechtsordnungen, nämlich derjenigen der mit eigener Staatsgewalt ausgestatteten Gliedstaaten und derjenigen des Gesamtstaates79; Gesamtstaat und Gliedstaaten sind dabei einander in der Weise zugeordnet, daß die staatlichen Aufgaben zwischen ihnen aufgeteilt, daß den Gliedstaaten durch ein besonderes Or74

Stern, Staatsrecht I, S. 664. Isensee, AöR 115 (1990), S.250. 76 Stern, Staatsrecht I, S.660; Bethge in: Staatslexikon, Lemma „Bundesstaat". 77 Oberreuter in: Staatslexikon, Lemma „Föderalismus"; Bothe, Föderalismus, S.25. 78 Oberreuter in: Staatslexikon, Lemma „Föderalismus". 79 Zur jeweiligen Staatlichkeit von Bund und Ländern bereits BVerfGE 1, 14, 34; 36, 342, 360f.; BVerfG, DÖV 1982, S.591, 594. 75

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

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gan bestimmte Einflußmöglichkeiten auf den Gesamtstaat und umgekehrt dem Gesamtstaat gewisse Einflußmöglichkeiten auf die Gliedstaaten eingeräumt sind, und daß eine gewisse Homogenität der gesamt- und gliedstaatlichen Ordnungen hergestellt und gewährleistet wird 80 . Hierin spiegelt sich das föderalistische Prinzip der „Vielfalt in der Einheit" wider 81 . Dabei gibt es über die Elemente Gesamtstaat und Gliedstaaten hinaus nach der Konstruktion des Grundgesetzes kein weiteres Bündnis 82 . Insoweit ist dem zweigliedrigen Bundesstaats Verständnis zu folgen, nach dem „Bund" als durch die Verbindung der Länder entstehender Gesamtstaat und „Bundesrepublik" als synonyme Begriffe verstanden werden und damit nur die Ebenen Bund und Länder bestehen83. Demgegenüber kennt der Einheitsstaat nur eine einheitliche staatliche Organisation und Rechtsordnung, seine Glieder haben im Gegensatz zum Bundesstaat keine Staatsqualität84. Auch im Einheitsstaat können allerdings autonome regionale Organisationseinheiten bestehen, die durch staatsähnliche Kriterien charakterisiert werden können. So sind beispielsweise den Regionen in Italien durch Art. 117 ff. Verf. und Sonderstatute bestimmte Materien der Gesetzgebung und Verwaltung zugewiesen, zudem haben sie einen Regionalrat, dessen Regelung größtenteils jener für die parlamentarischen Versammlungen nachempfunden ist 85 . Maßgeblich ist in Abgrenzung zum Bundesstaat, daß die Organisationseinheiten im Einheitsstaat keine originären, sondern übertragene Hoheitsbefugnisse wahrnehmen86. Demgegenüber haben sich im Staatenbund nach außen weiterhin uneingeschränkt souveräne Staaten lediglich völkerrechtlich zusammengeschlossen, ohne sich zu einer staatlichen Einheit zu verbinden 87. Der Bund besitzt keine eigene Staatsgewalt. Um die Spannungslage zwischen dem Bundesstaatsprinzip und der Chancengleichheit aufzuzeigen, genügt es nicht, den Bundesstaat in Abgrenzung zu Staaten80 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 217; Vogel, HVerfR (2), § 22 Rn. 2; Brinkmann, Verfassungslehre, S.358. 81 Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 29. 82 BVerfGE 13, 54, 78f.; so aber die sog. „Dreigliedrigkeitslehre", die insbesondere in den Anfangsjahren des Bestehens der Bundesrepublik vertreten wurde: vgl. Nawiasky, Grundgedanken des Grundgesetzes, S.35ff.; Maunz, Deutsches Staatsrecht (5. Aufl. 1956), S. 125; distanziert hiervon allerdings in: HStR IV, § 94 Rn. 7. Die Diskussion um den zwei- bzw. dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff hat heute keine Bedeutung mehr, vgl. Kimminich, HStRI, § 26 Rn. 41; Isensee, HStR IV, § 98, Rn. 82ff.; Bothe in: Alternativkommentar, Art. 31 Rn. 2, Barschel, Staatsqualität, S.21. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.217, Fn. 1: „Die dreigliedrige Ordnung kann als überwunden gelten". 83 BVerfGE 13, 54, 78f.; Frowein, Konstruktion, S.52f.; Bethge in: Staatslexikon, Lemma „Bundesstaat". 84 Boehl, Bundesstaat, S. 135; Isensee, HStR IV, §98 Rn.4; Barschel, Staatsqualität, S.6f.; Sachs in: Staatsbürgerlexikon, Lemma „Bundesstaat". 85 Vgl. Pizzorusso, Das italienische System der Gebietsautonomien, S.50ff. 86 Maurer, Staatsrecht, § 10 Rn.6. 87 Kimminich, HStRI, § 26 Rn. 6; Brinkmann, Verfassungslehre, S. 349; Isensee, HStR IV, §98 Rn.4; Barschel, Staatsqualität, S.6f.; Polaschek, Föderalismus als Strukturprinzip, S. 10.

3 Engels

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

bund und Einheitsstaat zu charakterisieren. Es bedarf vielmehr einer näheren Konkretisierung des Inhalts des Bundesstaates. Die spezifischen Merkmale des grundgesetzlichen Bundesstaates lassen sich allerdings nicht aus einem abstrakten, übergeordneten „Bundesstaatsbegriff' herleiten, denn jeder Bundesstaat hat sein individuelles Gepräge88. Es gibt nicht „den Bundesstaat als solchen", dessen Struktur und Kompetenzverteilung genau festzumachen ist 89 , keine allgemeingültige Theorie des Bundesstaates90 und damit keinen vorgegebenen staatstheoretischen Begriff 91 . Der Begriff „Bundesstaat" ist ein dogmatischer Begriff, womit allein die konkrete Ordnung in der Verfassung mit Blick auf die historisch gewachsene Individualität des jeweiligen Bundesstaates maßgebend ist. 92 So ist der deutsche Bundesstaat gekennzeichnet durch die besonderen Bedingungen des deutschen Staatslebens, in dem der normative Entwurf der Verfassung Gestalt annimmt93.

B. Historischer Überblick Die heutige Ausformung der bundesstaatlichen Ordnung Deutschlands beruht auf vielfältigen historischen, politischen und verfassungsgeschichtlichen Ursachen. Es sollen daher an dieser Stelle die Eckpunkte der deutschen Föderalismustradition skizziert werden, um den Hintergrund zu erhellen, vor dem man Funktion und Wert des heutigen Bundesstaatsprinzips erklären kann und vor dem sich auch die aufgezeigten aktuellen Fragestellungen ergeben. Hierbei soll der Schwerpunkt auf die Unitarisierungs- und Dezentralisierungstendenzen unter dem Leitgesichtspunkt der Gesetzgebungskompetenzen gelegt werden, der offenbart, daß die Spannungslage zwischen Einheit und Vielfalt ein den deutschen Föderalismus immer begleitendes Konfliktfeld darstellte. I. Entwicklung bis 1945 Die Wurzel des Föderalismus wird im „Personenverband" des Mittelalters und insbesondere im Städtewesen ab dem 12. Jahrhundert erkannt 94. Der mächtigste Städtebund war die Deutsche Hanse95, die allerdings schon deshalb kein „Bundesstaat" war, da sie sich eben nicht aus Staaten, sondern aus Städten zusammensetzte. 88 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.217; Stern, Staatsrecht I, S.648; Bot he, Föderalismus, S.22. 89 Bothe, Föderalismus, S.21. 90 Zu den verschiedenen Modellen und Lehren vgl.: Barschel, Staatsqualität, S. 21 ff. 91 Vogel, HVerfR (2), § 22 Rn. 2. 92 Bethge in: Staatslexikon, Lemma „Bundesstaat"; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 217; Vogel, HVerfR (2), § 22 Rn. 3. 93 Isensee, AöR 115 (1990), S.251. 94 Kimminich, Grundlagen, S.2. 95 Zur Hanse: Sprandel, Quellen zur Hanse-Geschichte.

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

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Mit dem westfälischen Frieden von 1648, der den Landesfürsten das „ius territoriale" und das „ius foederationis" (Art. VIII §§ 1, 2 des Friedensvertrags vom 14./24. Oktober 164896) einräumte, gerieten die Städte unter die Herrschaft der Landesherren, verloren ihre rechtliche und politische Unabhängigkeit, die Städtebünde verschwanden97. Die grundsätzliche Anerkennung von Libertät, Superiorität und Bündnisrecht der Reichsstände bildete den Abschluß einer längeren Entwicklung im Reich98. Sie hatte zur Folge, daß sich die Souveränität nicht auf der Ebene des Reiches, sondern auf der Ebene der Landesherren durchsetzte; nicht das Reich wurde zum modernen Staat, sondern die von den Landesfürsten beherrschten Gebiete verdienten die Bezeichnung „Staat" 99 . Das Reich bestand vielmehr aus einem Verband von Territorien, für die der Kaiser das verbindende Glied darstellte 100. Die Kompetenzen des Reiches waren gering 101 , trotzdem dokumentiert das Nebeneinander von souveränen Staaten unter dem Dach des Reiches Ansätze einer föderalen Struktur 102 und zeigt besonders das „bündische" Element auf, das das Deutsche Reich kennzeichnete. Der damalige Disput um die Rechtsnatur des Deutschen Reiches regte eine Auseinandersetzung mit den Strukturmerkmalen föderalistischer Staatsgebilde sowie eine lebhafte Diskussion über Staatsformen, Souveränität und Bündnisse an 103 . Aus ihr gingen zahlreiche Abhandlungen hervor 104, von denen der von Ludolph Hugo 105 die wissenschaftliche Begründung des Bundesstaatsprinzips zugeschrieben wird 106 . In seiner Schrift über den staatsrechtlichen Status der deutschen Gebiete führte er aus: „Es liegt vor Augen, daß unser Reich durch eine zwiefache Regierung (duplex regimen) gelenkt wird, denn das Reich als Gesamtheit bildet ein gemeinsames Staatswesen und die einzelnen Gebiete, aus denen es zusammengesetzt ist" 107 . Jeder Gewalt solle zugewiesen werden, was sie besser zu besor96 Abgedruckt bei v. Puttkamer, Föderale Elemente, S. 27; vgl. darüber hinaus auch: Karl Weber, Kriterien, S.43. 97 Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 220, 223; E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I, S.41; Willow e it, Verfassungsgeschichte, S. 138; Kimminich, Grundlagen, S. 3. 98 Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S.50. 99 Kimminich, Grundlagen, S.3; ders., HStRI, §26 Rn. 27, ders., Verfassungsgeschichte, S.219. 100 Karl Weber, Kriterien, S.43. 101 Nipperdey, Föderalismus, S. 66. 102 Kimminich, Grundlagen, S.3. 103 Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S.55f.; Kimminich, Grundlagen, S.3 ff.; Maurer, Staatsrecht, § 2 Rn. 20 ff. 104 Conring, De nomothetica; Pufendorf\ Über die Verfassung des deutschen Reiches (er beschreibt das Reich als System souveräner staatlicher Einheiten, die gleichwohl einen Gesamtkörper bilden); Kreitmayr, Grundriß des allgemeinen deutschen und bayerischen Staatsrechts. 105 „De Statu Regionem Germaniae". 106 Stern, Staatsrecht I, S. 656; Karl Weber, Kriterien, S. 43; Brie, Der Bundesstaat, S. 16ff.; Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1, S.238; Kimminich, Verfassungsgeschichte, S.222f.; H.-R Schneider in: Staatsdenker, S. 206ff.; Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S.58f., relativiert diese Aussage unter Berücksichtigung der Ideen anderer zeitgenössischer Staatsrechtler, an die sich Hugo anlehnte.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

gen imstande sei 108 . Eine bemerkenswerte Aussage, die in ihrem Gehalt bereits auf die Ausgangslage hindeutet, die gerade das Spannungsverhältnis Bundesstaat und Chancengleichheit begründet. Nach Auflösung des Reiches im Jahre 1806 rief Napoleon den Rheinbund ins Leben, der mangels eigener Staatsqualität ein Staatenbund war 109 , jeder der konföderierten Könige und Fürsten erhielt volle Souveränität. Zum ersten Mal tauchte allerdings in der Verfassung des Rheinbundes der Begriff „Bundestag" (Art. V I u. X I der Bundesakte) auf, „auf dem die gemeinschaftlichen Interessen der verbündeten Staaten" verhandelt werden (Art. XI). Auch im Rheinbund stellte das bündische Element die Legitimationsgrundlage des Zusammenschlusses dar. Der Rheinbund blieb eine kurze Episode, er wurde schon 1815 durch den Deutschen Bund abgelöst. Der Deutsche Bund wurde durch die Bundesakte vom 8. Juni 1815 gegründet, die nach mühsamen Verhandlungen über die organisatorische Gestalt und verfassungsmäßige Zuständigkeit des Bundes110 einen föderalen Minimalkonsens enthielt: eine föderale Verbindung souveräner Staaten111 zu einem „beständigen Bunde" 112 . Die Souveränität der beteiligten Länder wurde in der Präambel und in Art. 1 der Bundesakte festgeschrieben. Art. 1 der Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820 beschrieb den Deutschen Bund als einen „völkerrechtlichen Verein der deutschen souveränen Fürsten und freien Städte, zur Bewahrung der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit ihrer im Bunde begriffenen Staaten und zur Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands". Primärer Zweck des Bundes war folglich die Abwehr innerer und äußerer Gefahren 113. In Art. 2 dieser Akte wurde festgelegt: „Dieser Verein besteht in seinem Innern als eine Gemeinschaft selbständiger, unter sich unabhängiger Staaten mit wechselseitigen, gleichen Vertragsrechten und Vertragsobliegenheiten, in seinen äußeren Verhältnissen aber als eine in politischer Einheit verbundene Gesamtmacht". Die Wiener Schlußakte gab in weiteren Artikeln die Zuständigkeiten des Deutschen Bundes vor. Es wurde der Bundesebene allerdings keine größere Macht zugeordnet, die Kompetenzen blieben auf ein Mindestmaß reduziert, so daß sich der föderale Charakter des Deutschen Bundes aus heutiger Sicht als Staatenbund bezeichnen läßt 114 . 107 108 109

Hugo, De Statu Regionem Germaniae, Cap. I, § 4. Hugo, De Statu Regionem Germaniae, Cap. II, § 13. Kimminich, Grundlagen, S.6.; Deuerlein, Föderalismus, S.66f.; Brie, Der Bundesstaat,

S.32. 110

Deuerlein, Föderalismus, S.70; Laufer, Das föderalistische System, S.22. Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S.227; Karl Weber, Kriterien, S.46; Vogel, HVerfR (2), §22 Rn.4; Kimminich, Verfassungsgeschichte, S.321. 112 Art. 1 der Deutschen Bundesakte v. 8. Juni 1815. 113 Vgl. auch Nipperdey, Föderalismus, S.70; Oeter, Integration und Subsidiarität, S.24f. (siehe hierzu die Besprechung von Grawert, Der Staat 39 [2000], S. 611 ff.); Maurer, Staatsrecht, § 2 Rn. 26. 114 Kimminich, Grundlagen, S. 10; Maurer, Staatsrecht, §2 Rn.26; Deuerlein, Föderalismus, S. 70; Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S. 243; Vogel, HVerfR (2), § 22 Rn. 4; Anschütz, VVDStRL 1 (1924), S. 11 f.; Karl Weber, Kriterien, S.46; Laufer, Das föderalistische 111

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

37

In der Praxis hing die politische Kraft des Deutschen Bundes von der Bundespolitik der beiden Hegemonialstaaten Österreich und Preußen ab 115 . Einziges Bundesorgan zur Besorgung der Bundesangelegenheiten war die ständige Bundesversammlung in Frankfurt. Der Bund hatte kein Oberhaupt, keine Regierung, keine Verwaltungsbehörden, kein Gericht und keine Repräsentativversammlung. Innerhalb der Bundeskompetenzen besaß der Bund schwache unmittelbare Gesetzgebungsgewalt, die er selbst durch zurückhaltende Wahrnehmung, die vorwiegend dem Erhalt des staatenbündischen Charakters diente 116 , beschränkt hat 117 . Dementsprechend wurde weder von der Möglichkeit der Schaffung einheitlicher Regelungen auf dem Gebiet der Wirtschaft noch der Normierung einheitlicher Grundrechte Gebrauch gemacht; diesbezügliche Erwartungen wurden enttäuscht118. Die „Vorläufer deutscher Rechtseinheit" - beispielsweise das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 und die Allgemeine Deutsche Wechselordnung von 1848 - , beruhten vielmehr auf einzelstaatlicher Parallelgesetzgebung auf Grundlage einer vorausgegangenen vertraglichen Verständigung der Glieder 119 . Als gravierende Strukturschwäche des Deutschen Bundes erwies sich, daß er wegen seines eng begrenzten Zweckes - namentlich: der Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit - den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Erfordernissen der einsetzenden industriellen Entwicklung nicht gerecht werden konnte120 . Daher forderte die liberal-nationale Bewegung einen stärkeren Zusammenschluß, den sie in der Entwicklung des Deutschen Bundes zu einem Bundesstaat verwirklicht sah 121 . Sie versprach sich von der bundesstaatlichen Ordnung die Durchsetzung bürgerlichen Freiheiten durch Rechtsgleichheit und gemeinsame Bürger- und Grundrechte 122 . Die nationale Bewegung sah die Rechtseinheit zugleich als Vehikel der Nationenbildung und als Garant der nationalen Einheit 123 . Schon hier wurde also die Lösung der Probleme einer zunehmenden überregionalen Verflechtung in einer stärkeren Vereinheitlichung gesucht. Ein Durchbruch der Bundesstaatsidee konnte gleichwohl noch nicht verzeichnet werden. In seiner Verwirklichung sah die politische Bewegung des Jahres 1848 ihr Ziel. In den Motiven zur Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 heißt es: „Eine System, S.22; Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn.236; Sachs in: Staatsbürgerlexikon, Lemma „Bundesstaat". 115 Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S.229. 116 E. R. Huber, Verfassungsgeschichte I, S. 622, 631 ff. 117 Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S.233; Nipperdey, Föderalismus, S.71. 118 Nipperdey, Föderalismus, S.71; Deuerlein, Föderalismus, S.70ff.; Oeter, Integration und Subsidiarität, S.24. 119 Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn.237; Laufs, Rechtsentwicklungen, S. 176. 120 Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S.263; Lauf er, Das föderalistische System, S.23; Deuerlein, Föderalismus, S.79. 121 Nipperdey, Föderalismus, S.73. 122 Nipperdey, Föderalismus, S.73. 123 Grawert, Der Staat 30 (1991), S. 211.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

neue Bundesform, die zwischen der Einheitsregierung und der bisherigen Form des Staatenbundes in der Mitte steht, die Form des Bundesstaates kann nach der allgemeinen Ansicht allein den Forderungen genügen, nur sie kann zunächst den bestehenden Verhältnissen und Interessen Deutschlands entsprechen" 124. Die Verfassung sah daher einen Bundesstaat vor und nahm Bestimmungen wie die Beteiligung eines die Länder repräsentierenden Bundesrats sowie „Bundesrecht bricht Landesrecht" auf. Durch einheitliche Gesetzgebung und mächtige zentrale Organe sollte eine Hebung des allgemeinen Lebensstandards erreicht werden 125. Damit war die Paulskirche ihrer Zeit weit voraus 126. Das Bemühen der Paulskirchenversammlung, mit der Frankfurter Reichs Verfassung einen „bundesstaatlichen Nationalstaat"127 im Sinne eines der Verwirklichung der Gesamtinteressen bestimmten Staates128, der „herrlichen Vereinigung von zwei Elementen"129 zu schaffen, scheiterte bekanntlich130. Verwirklicht wurde dieser zunächst durch den Norddeutschen Bund 131 , dessen Verfassung am 1. Juli 1867 in Kraft trat. Der Norddeutsche Bund war allerdings nur eine Zwischenstation: Ein Bundesverhältnis norddeutscher und süddeutscher Staaten in Form eines Bundesstaates wurde durch die Reichsgründung von 1871 erreicht. Die Bismarcksche Reichsverfassung vom 16. April 1871, die rückwirkend zum 1. Januar 1871 in Kraft trat, schuf das Deutsche Reich als Staatenverband mit der Qualität eines souveränen Staates unter Aufrechterhaltung der Staatsqualität der nunmehr 25 Gliedstaaten. Diese unterstanden der Bundesgewalt, waren aber an deren Willensbildung beteiligt. Zentrales Verfassungsorgan war ein Bundesrat, der für Gesetzgebung und Verwaltung zuständig war 132 und der die Einzelstaaten integrieren sollte 133 , in dem aber ein großer politischer Druck von Preußen ausging134. Während die Verwaltungskompetenzen eine Domäne der Gliedstaaten blieben, kamen dem Reichstag weitreichende Gesetzgebungskompetenzen in für die bürgerliche Gesellschaft wichtige Bereichen des Zivil- und Zivilprozeßrechts sowie des Wirtschaftsrechts zu 135 . Finanziell war das Reich von den Einzelstaaten abhängig, die Fi124 Stenogr. Berichte über die Verhandlungen der deutschen const. Nationalversammlung Frankfurt/M 1848, Bd. 4, S.2722. 125 Nipperdey, Föderalismus, S.75. 126 Vogel, Das Vermächtnis der Paulskirche, NJW 1998, S. 1635. 127 Nipperdey, Föderalismus, S.77. 128 Zur Qualifizierung des Bundesstaates, wie ihn die Paulskirchenverfassung vorsah: Brie, Der Bundesstaat, S.77 ff.; Deuerlein, S. 84 f. 129 Stenogr. Bericht der deutschen Nationalversammlung Frankfurt/M, Bd. 4, S. 2723. no Vgi_ z u den Hauptimpulsen der Paulskirchenverfassung auch Kühne, 150 Jahre Revolution von 1848/49 - ihre Bedeutung für den deutschen Verfassungsstaat, NJW 1998, S. 1513, 1515, der das Scheitern der Verfassung als „vertane Chance" einstuft. 131 132 133 134 135

Sachs in: Staatsbürgerlexikon, Lemma „Bundesstaat". Vgl. Art. 6 ff. Verf. 1871. Vogel, HVerfR (2), §22 Rn.4. Scheuner, Staatstheorie, S.439. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 36.

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

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nanz- und Steuerhoheit lag in größerem Maße bei den Ländern 136. Es bestand ein unausgewogenes Kräfteverhältnis zwischen Reich und Einzelstaaten sowie zwischen den Einzelstaaten selbst, was die Anerkennung des Bundesstaatsprinzips erschwerte 137 . Aufgrund der Vormachtstellung Preußens und der rechtlichen und faktischen Ungleichheit der Gliedstaaten wird der von Bismarck geschaffene Bundesstaat ζ. T. als „scheinföderalistisch" 138 bezeichnet. Da der Reichstag von seinen Gesetzgebungskompetenzen umfassend Gebrauch machte, war die politische Praxis im Bismarckreich gekennzeichnet durch Zentralisation, die sich in der zunehmenden Bedeutung des Reichstages zu Lasten des Bundesrates widerspiegelte 139. Bedingt war diese Entwicklung durch zunehmende Industrialisierung und die daraus resultierende Tendenz nach Vereinheitlichung der Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung140. Die überregionale Rechtsangleichung wurde sowohl von der dynamischen Wirtschaftsgesellschaft im Hinblick auf eine einheitliche Volkswirtschaft als auch von der liberalen Bürgergesellschaft gefordert, um der Vollendung des Rechtsstaats und nationalen Integration Raum zu geben141. Damit wurde der unitarische Impuls nicht aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere nicht aus einem Postulat der Chancengleichheit, sondern aus tatsächlichen Gegebenheiten sowie aus der Vorstellung genährt, daß die Rechtseinheit die „ideale Einheit des Reichs" und die Bundeskompetenz auf das gesamte Recht auszudehnen, „der lebendige Drang und das Gefühl des deutschen Volkes" 142 sei. Der erste Weltkrieg brachte einen großen Vereinheitlichungsschub mit sich 143 , der bedingt wurde durch die Notwendigkeiten des Krieges: Die Bedürfnisse der Rüstung, der Steuerung der Wirtschaft, der Versorgung und des Transportwesens verlangten nach einer Bündelung der Kräfte durch einheitliche Planung und führten zur Erweiterung der Reichskompetenzen und zu einer zunehmenden Zentralisierung 144. Die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 erhielt die bundesstaatliche Struktur, jedoch war das föderale Prinzip gegenüber der Verfassung des Kaiserreichs deutlich abgeschwächt145 und ein stärkeres Maß an unitarischer Gestaltung 136

Nipperdey, Föderalismus, S. 82; Oeter, Subsidiarität und Integration, S.43. Vogel, HVerfR (2), §22 Rn.4. 138 Karl Weber,, Kriterien, S.48. 139 Karl Weber, Kriterien, S. 50; Vogel, HVerfR (2), § 22 Rn. 5; Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 182. 140 Karl Weber, Kriterien, S.50; Oeter, Integration und Subsidiarität, S.36. 141 Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 182; ders., Föderalismus, S.84. 142 Beide Zitate: Verhandl. d. deutschen Reichstages, I.Leg. Periode, II. Session 1871, Stenogr. Berichte, 21. Sitzung, S.288 (Abg. Lasker). 143 Nipperdey, Föderalismus, S. 88; Oeter, Integration und Subsidiarität, S.53. 144 E.R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. V, S.69ff.; Nipperdey, Föderalismus, S.88; Oeter, Integration und Subsidiarität, S.53 f. 145 Kimminich, Grundlagen, S. 15. 137

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

normiert worden 146 , denn die Nationalversammlung in Weimar war mit der Intention der Sicherung innerer Einheit des Reiches in ihrer Mehrheit unitarisch ausgerichtet147. Ausdruck dieser unitarischen Züge ist im besonderen, daß die Weimarer Republik von einigen zeitgenössischen Kommentatoren zunächst als „dezentralisierter Einheitsstaat"148 charakterisiert wurde. Die Länder blieben zwar die alleinigen Träger der Verwaltung und behielten ein gewisses Maß an Gesetzgebung149, neben einer weit gefaßten Reichsaufsicht sah die Verfassung allerdings vor, daß die Reichsgesetze durch Landesbehörden ausgeführt wurden, soweit nicht Reichsgesetze etwas anderes bestimmten (Art. 14 WRV). Von dieser Befugnis, im Wege der einfachen Gesetzgebung die Reichsverwaltung zu erweitern, machte das Reich bald nach Inkrafttreten der Verfassung Gebrauch 150. Der politische Schwerpunkt beim Gesamtstaat wurde unterstützt von der schwachen Stellung der Länderkammer: Der Reichsrat hatte geringe Mitwirkungsmöglichkeiten im Gesetzgebungsprozeß (kein absolutes Zustimmungsrecht), im politischen System der Weimarer Republik spielte er keine aktive, gestalterische oder ausgleichende Rolle 151 . Zudem wurden die Gesetzgebungskompetenzen des Reiches durch die Weimarer Verfassung erheblich ausgedehnt und auch ausgeschöpft 152. Dabei waren die Einflußmöglichkeiten der Länder im Gesetzgebungsverfahren durch die geringe Macht des Reichsrates deutlich geschmälert 153. Entscheidend für die Aushöhlung der politischen Substanz der Länder war auch die Umkehr der Finanzmacht154: die finanzielle Abhängigkeit der Länder vom Reich. Durch die Gesetzgebungskompetenz über Abgaben und sonstige Einnahmen beim Reich und die Schaffung der Reichsfinanzverwaltung am 1. Oktober 1919 erhielt das Reich eine vorrangige und bestimmende Stellung im finanziellen Bereich, während den Ländern die Möglichkeit genommen war, ihren Finanzbedarf selbst durch festzulegende Einnahmen zu dekken 155 . Es konnte zudem ein Funktionenwandel des „Bundestreue"-Gedankens von der Sicherung der Rechte der Glieder zur Wahrung des bündischen Prinzips hin zu einer Pflicht der Länder, sich in den Gesamtstaat planmäßig einzuordnen, verzeichnet werden 156. 146 Anschiitz/Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts I, S. 302; Anschütz, VVDStRL 1 (1924), S. 17; Deuerlein, Föderalismus, S. 171 ff.; Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 488ff.; Nipperdey, Föderalismus, S.88. 147 Laufer, Das föderalistische System, S.33. 148 Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches, S. 65, 67; Wittmayer, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 102 ff. 149 Nipperdey, Föderalismus, S. 89. 150 Laufer, Das föderalistische System, S.34. 151 Laufer, Das föderalistische System. S.34; Katz, Staatsrecht, Rn.241; vgl. auch Oeter Integration und Subsidiarität, S.62f. 152 Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 59; Laufer, Das föderalistische System, S. 35. 153 Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S.42f.; Oeter, Integration und Subsidiarität, S.63. 154 Nipperdey, Föderalismus, S. 89. 155 Laufer, Das föderalistische System, S.36.

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

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Sämtliche föderalistischen Züge der Weimarer Reichsverfassung verschwanden nach der Machtergreifung Hitlers. Die Länder als eigenständige Machtzentren wurden systematisch ausgeschaltet157. Aufgrund der Notverordnung „zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen" v. 6. Februar 1933 158 wurden zunächst dem Reichskommissar für Preußen die Befugnisse des preußischen Staatsministeriums übertragen, Anfang März 1933 wurden auf Grundlage der Reichstagsbrandverordnung auch in allen anderen Bundesländern Reichskommissare mit der Wahrnehmung polizeilicher Befugnisse beauftragt. Durch das vorläufige Gleichschaltungsgesetz v. 31. März 1933 159 wurde auch in den Bundesländern die Exekutive zur Gesetzgebung ermächtigt und die Landtage wurden entsprechend der Reichstagswahl v. 5. März 1933 besetzt. Durch das 2. Gleichschaltungsgesetz v. 7. April 1933 160 wurden in allen Bundesländern Reichsstatthalter eingerichtet, die mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet waren. Der Einheitsstaat wurde durch das „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" v. 30. Januar 1934161 endgültig erreicht, dessen Art. 1 die Aufhebung der Landtage anordnete und die Verschmelzung des deutschen Volkes „über alle innenpolitischen Grenzen und Gegensätze hinweg zu einer unauflöslichen, inneren Einheit" festschrieb. Die Landesregierungen wurden der Reichsregierung unterstellt, sie waren damit Verwaltungsbehörden des Reiches. Mit Gesetz v. 14. Februar 1934 162 wurde der Reichstag aufgehoben. Damit entstand die uneingeschränkte Machtkonzentration bei Hitler. II. Wiedererrichtung des Bundesstaates nach 1945 Nach 1945 erstarkten von den historisch gewachsenen Ländern aufgrund der primär durch Besatzungsinteressen diktierten Aufteilung Deutschlands durch die Siegermächte nur einzelne erneut zu Staaten163. Die historischen Länder des Kaiserreichs und der Weimarer Republik hatten während der NS-Herrschaft die Staatsqualität verloren und zwischen 1933 und 1945 nur noch als Gliederungsstufe der Reichsverwaltung bestanden164. Als Einheiten mit historischer Tradition blieben im Westen Deutschlands daher nur Bayern (ohne Pfalz) und die Hansestädte Hamburg und Bremen, überwiegend handelte es sich jedoch um Neugründungen aus der „ter156

Oeter, Integration und Subsidiarität, S.75. Vgl. hierzu Grawert, HStR I, § 4 Rn. 11 ; Frotscher/Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn.577ff.; Laufer, Das föderalistische System, S.38. 158 RGB1.I, S.43. 159 RGB1.I, S. 153. 160 RGBl. I,S. 173. 161 RGBl.I, S.75. 162 RGB1.I, S.89. 163 Vogel, HVerfR (2), §22 Rn.7; Zinn, AöR 75 (1949), S.291, 295. 164 Grawert, HStRI, §4 Rn. 11, 13; Stern, Staatsrecht I, S. 12, Barschel, Staatsqualität, S. 83 f.; Boehl Bundesstaat, S. 140. 157

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

ritorialen Konkursmasse des aufgelösten preußischen Staates"165, die zum Teil auf willkürlichen Grenzziehungen beruhten 166. Die meisten gebildeten Länder hatten somit nichts mit den geschichtlichen deutschen Einzelstaaten gemein167. Eigene Staatlichkeit wurde zunächst in den neu geschaffenen Ländern wirksam. Durch die Priorität dieser Entwicklung vor der Bildung der deutschen Gesamtorganisation wurde der Grundgesetzgeber vor vollendete Tatsachen gestellt168. Die Ministerpräsidentenkonferenz war zunächst die einzige zentrale deutsche Staatsgewalt 169 . Der Parlamentarische Rat ging aus den Länderparlamenten hervor, die Existenz der Länder hatte daher ein föderales Eigengewicht170. Überdies sollte aber auch gerade eine Abkehr vom nationalsozialistischen Einheitsstaat erfolgen, die unterstützt wurde durch die ideologische Rechtfertigung des Föderalismus in Publikationen deutscher Emigranten 171. Eine wichtige Rolle spielte insbesondere das aus der katholischen Soziallehre stammende Subsidiaritätsprinzip 172, nach dem es ein Gebot der Gerechtigkeit ist, daß das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten können, nicht der weiteren und übergeordnete Gemeinschaft zugeordnet werden darf. Seine Verwirklichung sah man am ehesten in einem bundesstaatlichen Aufbau 173 . Zwar focussiert sich dieser Grundsatz in seiner eigentlichen Bedeutung darauf, daß die Menschen die verantwortlichen Träger des gesellschaftlichen Lebens sind (Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft), ihm kann aber gleichzeitig die Funktion zugeschrieben werden, zwischen höheren und niedrigeren staatlichen Einheiten abzugrenzen. Im Londoner Deutschland-Kommuniqué vom 7. Juni 1948 wurde von den Alliierten für die Verfassung Westdeutschlands die „föderative Regierungsform" gefordert 174. Diese Forderung wurde durch die Formulierung des Verfassungsauftrags an den Parlamentarischen Rat durch die Frankfurter Dokumente unterstrichen: Es sollte eine Verfassung ausgearbeitet werden, „die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene Einheit schließlich wiederherzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralin165

So Boehl, Bundesstaat, S. 141. Ossenbühl, DVB1. 1989, S. 1230. 167 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 220. 168 BVerfGE 6, 309, 360. 169 Thieme, DÖV 1989, S.500. 170 Vogel HVerfR (2), § 22 Rn. 8; Boehl, Bundesstaat, S. 142. 171 Vogel, HVerfR (2), § 22 Rn. 9, der weitere Faktoren für die Schaffung eines Bundesstaates anführt, z. B.: lange deutsche Föderalismustradition, Abneigung der Alliierten gegen einen starken deutschen Zentralstaat. 172 Vgl. besonders die Enzyklika „Quadragesimo anno" v. Papst Pius XI, 1931. Zum Subsidiaritätsprinzip im Bundesstaat: Oeter, Integration und Subsidiarität, passim; vgl. hierzu die Besprechung von Grawert, Der Staat 39 (2000), S. 611 ff. 173 Vgl. auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 147,239; Vogel, HVerfR (2), § 22 Rn. 9; Stern, Staatsrecht I, S. 660; Oeter, Integration und Subsidiarität, S.2. 174 E. R. Huber, Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit, S. 196. 166

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

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stanz schafft und Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält" 175 . Es war daher eine Vielfalt von Faktoren, die eine bundesstaatliche Ausgestaltung begünstigt hat 176 : die deutsche Staatstradition, das Streben nach einer optimalen Staatsform, die Interessen der Besatzungsmächte, die historische Priorität der Länder sowie die Zusammensetzung des Parlamentarischen Rates.

C. Zwischenergebnis Der Föderalismus hat in Deutschland Tradition. Er kann als „deutsches Schicksal" 177 bezeichnet werden und beherrscht als Grundstruktur des deutschen Verfassungslebens sowohl das Grundgesetz als auch weite Teile des Gesellschaftsstruktur (Orts-, Landes- und Bundeseinheiten in vielen gesellschaftlichen Organisationen) 178. Verdeutlicht die aufgezeigte historische Entwicklung, daß bei zunehmender Industrialisierung aufgrund der einhergehenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Erfordernissen 179 die Lösung regelmäßig in einer stärkeren Unitarisierung gesehen wurde, so zeigt sie zugleich, daß die Rechtfertigungsgrundlage der bundesstaatlichen Ordnung einen vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse (keine sprachlichen, kulturellen, religiösen Unterschiede, weitgehend einheitliche Mentalität, verflochtene Wirtschaftsstrukturen, gemeinsame Außenpolitik, zunehmende einheitliche/zentrale Gesetzgebung) einen Wandel erfahren hat. Bis zum Bismarckreich war das tragende Element des Föderalismus der bündische Zusammenschluß souveräner Länder zu einem handlungsfähigen Ganzen, die Erhaltung und Integration historisch-politischer, gewachsener Individualitäten180: Föderative Ordnung als Instrumentarium und Form zur Erlangung einer nationalen politischen Einheit 181 , in der der Einzelstaat zum Reich hin geordnet wird 182 . Doch bereits in der Weimarer Verfassung trat an die Stelle des „bündischen" Gedankens die innerstaatliche Gliederung bzw. die territoriale Dezentralisation 183 als Rechtferti175 Dokument I vom 1. Juli 1948, abgedruckt bei E. R. Huber, Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit, S. 198. 176 Stern, Staatsrecht I, S. 666; Kimminich, HStRI, § 26 Rn. 35; anders: W Weber, Spannungen und Kräfte im deutschen Verfassungssystem, S. 58: „Der Parlamentarische Rat selbst trägt für die Verfassungsgestaltung einer »Bundesrepublik' keine Verantwortung, vielmehr haben die Besatzungsmächte uns die bündische Auflockerung unseres Staates auferlegt"; hiergegen wiederum Ossenbühl, DVB1. 1989, S. 1230: „Die Auffassung, der Föderalismus sei den Deutschen von den Besatzungsmächten oktroyiert worden, ist längst als Legende zu den Akten gelegt. Der grundgesetzliche Bundesstaat ist ein ureigenes deutsches Gewächs". 177 Kimminicl·i, Grundlagen, S. 15; ders, HStRI, § 26 Rn. 26. 178 Schulz-Hardt, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungkonvent, S. 166. 179 Vgl. zuvor unter Β I . 180 Böckenförde, FS Schäfer, S. 187. 181 Laufer, Das föderalistische System, S.55. 182 Bilfingen VVDStRL 1 (1924), S.36. 183 Böckenförde, FS Schäfer, S. 187.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

gung der bundesstaatlichen Struktur. Dies wird bei der Wiederherstellung der bundesstaatlichen Ordnung nach 1945 wegen der unabhängig von historisch-politischen Individualitäten vorgenommenen Neuordnung der Länder noch deutlicher. Nicht der Erhalt der Einzelstaaten mit den landsmannschaftlichen, kulturellen, ethnischen, sprachlichen oder sonstigen Eigenheiten war Ziel, sondern die Schaffung einer optimalen Staatsform 184. Sie trägt daher Züge eines „rück-föderalisierten Einheitsstaates"185 und hat sich folglich von seiner ihm historisch zukommenden Funktion der „Wahrung der Vielfalt in der Einheit" in mehrfacher Hinsicht gelöst 186 . Es ist daher nicht verwunderlich, daß die Mehrheit der Bürger sich nicht in erster Linie als „Landesangehörige", sondern vornehmlich als „Deutsche" bezeichnen. Dennoch bleibt auch der Bundesstaat des Grundgesetzes ein Modell der Einheitsbildung 187 , so wie jede staatliche Einheit als Zweck-, Organisations- und Verfassungseinheit die nationale Einheit des Volkes und insoweit auch den Willen der Menschen zu staatlicher Gemeinsamkeit voraussetzt 188. Auch kann es mittlerweile den Ländern nicht abgesprochen werden, ein „Länderbewußtsein" entwickelt zu haben. In langjähriger organisatorischer Verfestigung und Gewöhnung an die neue Ordnung ist trotz der Länderneuschöpfungen ein gewisses Bewußtsein regionaler Individualität entstanden189. Daß auch in den durch die Wiedervereinigung neu entstandenen Bundesländern ein solches Bewußtsein besteht, unterstreicht der durch Volksentscheid abgelehnte Zusammenschluß der Länder Berlin und Brandenburg 190 . Es gibt landsmannschaftliche Besonderheiten in Deutschland, die auch von dem Menschen subjektiv erfahren und gefühlt werden 191. Diese emotionale Bindung zum Land ist gleichwohl nicht so tief, daß sie die bundesstaatliche Ordnung entscheidend prägt. Deshalb liegt auch nach 50 Jahren Grundgesetz der Schwerpunkt der Rechtfertigung des Bundesstaatsprinzips nicht auf dem „Bündnis", sondern auf den Funktionen, die dem Bundesstaatsprinzip zugeschrieben werden. Mußte insofern keine besondere Rücksicht auf territoriale Interessen genommen werden, so fiel es der Poli184

Ossenbühl, DVB1. 1989, S. 1230. Boehl, Bundesstaat, S. 140; W. Schmidt, AöR 87 (1962), S.253, 260, 265, 281; Isensee, AöR 115 (1990), S.253, spricht in diesem Zusammenhang von der „Reföderalisierung" in der Bundesrepublik. 186 Schenke, JuS 1989, S.698; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.220ff.; Calliess, DÖV 1997, S.890. 187 Kloepfer, ZRP 1978, S. 122. 188 Zur nationalen Einheit: Isensee, HStRI, § 13 Rn. 111. 189 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 220. 190 Der Neugliederungsvertrag wurde bei der Volksabstimmung am 5. Mai 1996 abgelehnt, da er im Land Brandenburg nicht die erforderliche Mehrheit fand; Vgl. hierzu auch: Bauer/ Seidel, LKV 1999, S. 343 ff.; Jung, ZParl. 1997, S. 13ff.; Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S.63, der dieses Ergebnis in bezug auf die Eigenständigkeit der Verfassungskultur positiv bewertet. 191 Frowein, Konstruktion, S.54. 185

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

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tik nicht schwer, das Schwergewicht mehr und mehr in Richtung Vereinheitlichung zu lenken und den Einfluß des Bundes zu stärken. Denn auf der anderen Seite stand als politisches Gegengewicht keine gegebene Differenziertheit der Gliedstaaten, die auf Erhaltung eigenständiger Gestaltungsmöglichkeiten drängte und deren Bewahrung zur Sicherung der Einheit notwendig war. Wenn aber für die gewandelte bundesstaatliche Ordnung weder die ethnische, geographische noch die historische Begründung kritikfrei herangezogen werden kann, so stellt sich die Frage, welche grundsätzlich-politische Begründung es für den Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland geben kann 192 . Denn die im Bund-Länder-Verhältnis aufgeworfenen Rechtsfragen können nur beantwortet werden, wenn offenliegt, woher der Föderalismus seine Kraft nimmt, um weiterzubestehen. Es gilt, sich Klarheit darüber zu verschaffen, welchen Sinn und Zweck die bundesstaatliche Ordnung heute hat. Denn es ist evident, daß ein Föderalismus, dessen Funktion unklar ist, sich weder gegenüber Unitarisierungsimpulsen noch gegenüber Aushöhlung behaupten kann.

D. Aktuelle Legitimationsthesen des Bundesstaatsprinzips Die aktuellen Legitimationsgesichtspunkte der bundesstaatlichen Verfassungsstruktur erschließen sich insbesondere im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsgedanken, der als Leitprinzip neben der Integration dem föderalen Staatsgebilde Funktionsmaßstäbe liefert. Er spielte nicht nur bei der Entstehung des Bundesstaates nach 1945 eine wichtige Rolle, sondern bildet eine fortwirkende Legitimation des Bundesstaates193, wird sogar als Sinngehalt des föderalen Staatsaufbaus bezeichnet194. Unabhängig von seiner Bedeutung im einzelnen kommt seine Zielsetzung in einigen aktuellen Legitimationsthesen der bundesstaatlichen Ordnung zum Ausdruck. I. Gewaltenteilungs-/Dezentralisationsfunktion Einen unmittelbaren Bezug zum Subsidiaritätsprinzip weist eine der wichtigsten Legitimationsthesen des Bundesstaates, die Gewaltenteilung195 und die damit ein192

Laufer, Das föderalistische System, S.55. Vgl. Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 239. Der Frage, ob dem Grundsatz nicht auch durch einen dezentralisierten Einheitsstaat ausreichend Rechnung getragen werden kann und er damit nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bundesstaatsprinzip steht, kann hier nicht nachgegangen werden. 194 L. Müller, W M 1993, S. 1225; A. Weber, JZ 1993, S.328: „immanentes Strukturprinzip". 195 BVerfGE 12, 205, 229; 55, 274, 318f.; Isensee, HStR IV, §98 Rn.301; Stern, Die föderative Ordnung, S.21; Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 10; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, S. 109; Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 59; H.-P. Schneider, Kooperation, Konkurrenz oder Konfrontation?, S.98; Maurer, Staatsrecht, §20 Rn.75. 193

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

hergehende Verhinderung von Willkür und staatlichem Machtmißbrauch 196, auf 197 . Die Rechtfertigung des bundesstaatlichen Aufbaus liegt eben nicht mehr nur in der Bewahrung regionaler Vielfalt 198 , sondern in einer Ausbalancierung im Sinne von Begrenzung und Kontrolle der politischen Macht zwischen Bund und Ländern. Das klassische Modell der Gewaltenteilung, das die Staatsmacht in Legislative, Exekutive und Judikative aufgliedert, wird im Bundesstaat ergänzt durch eine spezifisch föderative (sog. „vertikale") Gewaltenteilung, die die Staatsmacht zusätzlich auf verschiedene staatliche Ebenen verlagert 199: Die Gesetzgebungs-/Vollzugs- und Rechtsprechungskompetenzen werden zwischen Bund und Ländern geteilt 200 . Auf diese Weise wird die staatliche Herrschaftsmacht durch wechselseitige Kontrollmaßnahmen und Mitwirkungsbefugnisse von Bund und Ländern vielfältiger differenziert und stärker kontrolliert 201 . Diese „balance of power" ist um so wirkungsvoller, je mehr sich die Aufteilung der Staatsgewalt die Waage hält, wobei nicht nur der quantitative, sondern vor allem der qualitative Aspekt eine wesentliche Rolle spielt 202 . Dies gilt insbesondere für den Bereich der Gesetzgebung, da das politische Machtzentrum dort auszumachen ist, wo die überwiegenden Gesetzgebungskompetenzen konzentriert sind 203 . Überdies hat auch die bei bundesgesetzlicher Regelung bestehende Ausführungskompetenz der Länder (Art. 83 ff. GG) eine gewaltenteilende Funktion im Sinne von Machtbegrenzung und Machtkontrolle. Bereits die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland legt die gewaltenteilende Funktion des föderalistischen Systems nahe: Die Besatzungsmächte wollten der abermaligen Machtkonzentration und der damit verbundenen Gefahr des Machtmißbrauchs durch eine bundesstaatliche Struktur entgegentreten204. Neben der vertikalen Gewaltenteilungswirkung ist gleichsam ein Stück horizontaler Gewaltenteilung eng mit dem Bundesstaatsprinzip verknüpft: Durch den Bundesrat wirken die Länder gemäß Art. 50 GG an der Gesetzgebung des Bundes mit und bringen hierbei die Länderinteressen im Willensbildungsprozeß des Bundes zur Geltung. Das dadurch entstehende Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander der politischen Kräfte entfaltet gewaltenteilende Wirkung, die wegen der Zuord196 Schodder, Föderative Gewaltenteilung, S. 3 ff.; Bethge in: Staatslexikon, Lemma „Bundesstaat"; ders., BayVBl. 1985, S.257; Böckenförde, FS Schäfer, S. 187. 197 Vgl. Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S.237. 198 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 223; W. Weber, Gegenwartslage, S. 11 f. 199 Schodder, Föderative Gewaltenteilung, S.25; Schambeck in: FS Geiger, S.662;, Stern, Staatsrecht I, S.658; Laufer, Das föderalistische System, S.56; Schenke, JuS 1989, S.700; Bökenförde, FS Schäfer, S. 187; Müller-Brandeck-Bocquet, Die Verwaltung 29 (1996), S. 143; kritisch gegenüber dem Gewaltenteilungsargument: Isensee, AöR 115 (1990), S.269 m. w.N. 200 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 231; Schodder, Föderative Gewaltenteilung, S.9; Schambeck, FS Geiger, S.646; Laufer, Das föderalistische System, S.56. 201 Laufer, Das föderalistische System, S.56. 202 Schenke, JuS 1989, S.698. 203 Schenke, JuS 1989, S.699. 204 Schodder, Föderative Gewaltenteilung, S. 19; s.o. 1. Teil, §2BII.

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

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nung des Bundesrates zu den Bundesorganen als „horizontal" bezeichnet werden kann 205 . II. Funktion der Sicherung von Freiheit Mit der Statuierung des Bundesstaats als Form der Gewaltenteilung geht unmittelbar eine weitere Funktion, nämlich die der Freiheitssicherung, einher, die ebenfalls Zielsetzung des Subsidiaritätsgedankens ist 206 . Horizontaler wie auch vertikaler Gewaltenteilung des Bundesstaates kommt freiheitssichernder Charakter zu 207 . Minderheiten haben im Bundesstaat die Chance, ihren individuellen Präferenzen entsprechend zu leben und sich zu organisieren. Denn eine Gruppe, die im Gesamtsystem des Bundesstaates kaum ins Gewicht fällt, kann im Subsystem eines Landes zu einem beachtlichen Faktor, ja zur Mehrheit werden 208. Die größere Transparenz der kleineren Einheit bietet Schutz vor Gewaltenmonismus und Machtmißbrauch und sichert schon dadurch individuelle Freiheit 209 . Damit fördert die bundesstaatliche Ordnung eine an den Bedürfnissen vor Ort orientierte Entscheidung210. Durch verschiedene Entscheidungszentren auf der vertikalen Ebene und dem Bundesrat als Mitbestimmungsorgan auf der horizontalen Ebene werden Wettbewerb, Kontrolle und die Entfaltung von Alternativen gesichert 211. Der Bundesstaat fördert regionale Eigenart, ohne das überwölbende Ganze aus dem Auge zu verlieren 212, er garantiert eine größere Durchschaubarkeit und Schutz vor Gewaltenmonismus, womit Minderheiten größere Chancen haben zur Artikulation und Verwirklichung ihrer Ziele. III. Experimentier- und Wettbewerbsfunktion Durch die föderale Struktur verbleibt Handlungsspielraum für die verschiedenen Entscheidungszentren, politisch zu experimentieren. Wird dabei von allen Ländern 205

Schodder, Föderative Gewaltenteilung, S. 26; Stern, Staatsrecht I, S. 658; Schenke, JuS 1989, S.701; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.232; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, S. 109. 206 Vgl z u m Zusammenhang des Subsidiaritätsprinzips mit dem Freiheitsgewinn für den einzelnen: Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S.237. 207

Bethge in: Staatslexikon, Lemma „Bundesstaat"; ders, BayVBl. 1985, S.257; Maunz/ Zippelius, Staatsrecht, S. 109; Kisker, Grundlagen, S.25; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 219ff.; Stern, Staatsrecht I, S.658; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Rn. 238; Dittmann, HStR IX, § 205 Rn. 2; Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 59; Bothe, Föderalismus, S.26, hält das Argument der Freiheitssicherung für theoretisch überzeugend, historisch aber zweifelhaft. 208 Kisker, Grundlagen, S.24. 209 Stern, StaatsrechtI, S.658; ders., Die föderative Ordnung, S.21; Kisker, Grundlagen, S. 24; zur freiheitssichernden Wirkung des Wettbewerbs allg.: Bull, DÖV 1999, S. 269ff. 210 Kisker, Grundlagen, S.24; Schäfer, Bundesstaatliche Ordnung, S. 1. 211 Stern, Die föderative Ordnung, S.21; Miller, DÖV 1986, S. 141. 212 Bethge in: Staatslexikon, Lemma „Bundesstaat".

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

ein gleiches oder ähnliches Ziel verfolgt, kommt es zwischen ihnen zu einem Wettbewerb 213, der die Entfaltung von Alternativen sichert. 214. In der neueren verfassungsrechtlichen Diskussion nimmt die Wettbewerbsfunktion des Bundesstaates eine herausragende Stellung ein 215 . Wettbewerb beschreibt grundsätzlich eine Marktform, in der die Beteiligten Anreiz haben, ihre Kräfte zu mobilisieren, weil sie ständig damit rechnen müssen, daß die anderen ihnen etwas von ihren Besitzständen oder Chancen wegnehmen216. Insbesondere die freie, selbstverantwortete Entscheidung ist wesentliches Element des Wettbewerbs, der gute Leistungen belohnt und schlechte Leistungen bestraft und so Verantwortlichkeiten für Fehlentwicklungen erkennbar macht 217 . Die Eigenständigkeit der Länder eröffnet ihnen die Möglichkeit, auch Entwicklungen zu fördern, die ansonsten bundesweit keine Mehrheit finden würden. Damit erlaubt das föderale Gefüge eine „Erprobung im Kleinen", Handlungsspielräume innovativ und selbstbewußt zu nutzen218, so daß Erfahrung aus Erfolg und Mißerfolg geschöpft werden kann 219 , bevor das Modell „in Serie geht" 220 und läßt durch Schaffung permanenter Leistungsanreize die Länder zum „Schrittmacher des Fortschritts" 221 werden. Auch zunächst „extravagant" erscheinende Landesentscheidungen können sich später als innovativ entlarven und eine Vorreiterfunktion einnehmen. Der dieserart erreichte Wettbewerb kann für die einen Länder eine Attraktivitätssteigerung zur Folge haben222, für die anderen aber gleichzeitig den Anreiz bieten, eine konkurrenzfähige Alternative zu entwickeln. Dies fördert die Suche nach innovativen Lösungen223, die wiederum dem Gesamtsystem zugute kommt. Der Wettbewerbsgedanke gibt daher dem Bundesstaat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine entwicklungspolitische Legitimation 224 .

213

Gaßner/Dürschke/ZorzU ZFSH 1998, S.264. Oberreuter in: Staatslexikon, Lemma „Föderalismus"; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 233; Müller-Brandeck-Bocquet, Die Verwaltung 29 (1996), S. 143; Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 11; Bothe, Föderalismus, S.27; Frenkel, Föderalismus und Bundesstaat, S. 146ff.; H.-P. Schneider, Kooperation, Konkurrenz oder Konfrontation?, S.99. 215 Bull, DÖV 1999, S.269; vgl. auch schon oben: Einleitung. 216 Bull, DÖV 1999, S.269. 217 Stamm/Merkl, ZRP 1998, S.467; Schmidt-Jortzig, DÖV 1998, S.750. 218 Schmidt-Jortzig, DÖV 1998, S.749. 219 Laufer, Das föderalistische System, S.57. 220 Stern, Staatsrecht I, S. 665. 221 Thieme, Föderalismus im Wandel, S. 151; vgl. auch Stamm/Merkl, ZRP 1998, S.467. 222 Thieme, Föderalismus im Wandel, S. 151. 223 Stamm/Merkl, ZRP 1998, S.467. 224 Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 59. 214

§ 2 Bundesstaatsprinzip - Stellung der Länder im deutschen Bundesstaat

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IV. Funktion des Minderheitenschutzes Wie bereits bei der freiheitssichernden Funktion angesprochen, entfaltet die bundesstaatliche Ordnung als Instrument zur Einengung der Mehrheitsherrschaft 225 Minderheiten schützende Wirkung, denn sie erschwert es der Bundesmajorität, Bundesminderheiten zu beeinträchtigen, die auf Landesebene eine starke Stellung haben. Aber auch einer Landesminderheit bietet der engere Rahmen eines Landes eher ein Forum zur Artikulation und Verwirklichung ihrer Ziele und erleichtert es ihr so, sich im Spiel der politischen Kräfte zur Geltung zu bringen 226. Dies wird unterstützt durch die weitere Möglichkeit, sich auch innerhalb des Landes in kleineren Entscheidungsebenen (Gemeinden, Kreise) Gehör und Zustimmung zu verschaffen. Eine höhere Kontrolldichte, verstärkt durch differierende politische Mehrheiten, erschwert es den jeweiligen Machtinhabern, Minderheiten zu benachteiligen. Diese schützende Wirkung gilt insbesondere auch für politische Minderheiten: gerade siefinden ihre Chance im Föderalismus 227. Minderheitsparteien, insbesondere der Bundes-Oppositionspartei, wird durch das Bundesstaatsprinzip die Möglichkeit eröffnet, ihre Alternativprogramme mindestens partiell in einigen Ländern zu realisieren, ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen und theoretische Konzeptionen durch praktische politische Erfahrungen zu überprüfen 228. Diese Politik der Alternative stärkt das politische Selbstbewußtsein der Parteien und bietet zudem den Landespolitikern die Chance, sich in der politischen Verantwortung zu profilieren. Der Weg zur Bundespolitik scheint über die Landespolitik vorgezeichnet zu sein: Alle Bundeskanzler haben zuvor auf Landesebene hohe politische Ämter bekleidet, die Mehrzahl als Ministerpräsidenten (Adenauer: Präsident des preußischen Staatsrats, Erhard: bayerischer Wirtschaftsminister, Kiesinger: Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Brandt: Regierender Bürgermeister von Berlin, Schmidt: Innensenator von Hamburg, Kohl: Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Schröder: Ministerpräsident von Niedersachsen) und auch für die Kanzlerkandidaten läßt sich diese Stufenfolge vom Land zum Bund feststellen.

225

Bethge, BayVBl. 1985, S.257. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.225; Maunz/Zippelius, Staatsrecht, S. 109; Scheunen DÖV 1962, S.542; ders., Staatstheorie, S.426; H.-P. Schneider, Kooperation, Konkurrenz oder Konfrontation?, S. 97; kritisch gegenüber der minderheitenschützenden Wirkung des Föderalismus Β ο the, Föderalismus, S. 25: „Bundesstaatliche Organisationsformen sind nicht ohne weiteres in der Lage, bei gemischten Bevölkerungsstrukturen einen für alle Minderheiten angemessenen Schutz zu gewähren". Er verweist dabei auf die jugoslawische, kanadische und insbesondere die amerikanische Problematik: „Im Gegenteil bedurften hier Minderheiten häufig den Schutz durch den Bund". 227 Thieme, Föderalismus im Wandel, S. 152; Hübe rie, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S.59; Rennert, Der Staat 32 (1993), S.274. 228 Läufer, Das föderalistische System, S. 57; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.226; W. Weben Gegenwartslage, S. 13; Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 10; vgl. auch Bull, DÖV 1999, S.271; Mauren Staatsrecht, § 10 Rn.77. 226

4 Engels

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

V. Förderung von Sachnähe Der bundesstaatliche Aufbau beschränkt Inhalt und Wirkungen dieser Ordnung nicht auf die Spitze des staatlichen Aufbaus, sondern rückt sie der „Basis" näher 229. Schon bedingt durch die kleineren Einheiten fördert die bundesstaatliche Ordnung eine an den Bedürfnissen vor Ort orientierte Entscheidung. Die größere Lebensnähe verstärkt die Effektivität der Aufgabenerfüllung 230, sie schafft größeres Problembewußtsein231 und die Möglichkeit sachnaher und eigenverantwortlicher Entscheidung232. VI. Förderung von Demokratie-Adäquanz Aufgrund des so erreichten Mehr an Lebensnähe wird unmittelbar auch die vom Grundgesetz beabsichtigte demokratische Struktur verfestigt und gestärkt. Eine auf zentrale Institutionen beschränkte repräsentative Demokratie bringt eine erhebliche Entfremdung zwischen Wählern und Volksrepräsentanten mit sich, was den demokratischen Prozeß der Willensbildung von unten nach oben beeinträchtigt 233. Auf einer Mehrzahl kleinerer Ebenen kann sich der vielschichtige Wählerwille indessen besser entfalten 234. In der föderativen Ordnung besteht die Chance, daß der Bürger näher an die Herrschaftsinstitutionen heranreichen kann und damit eher die Möglichkeit hat, das politische Handeln der Amtsinhaber zu erfassen, daran Anteil zu nehmen und es zu beeinflussen 235. Diese Mitbeteiligung und Mitverantwortung des Bürgers führt zu einer Verstärkung und Ergänzung des Demokratieprinzips 236. Damit der in der kleineren Einheit gebildete Volkswille auch repräsentiert wird, bedarf es aber zugleich den notwendigen Rahmen an eigenen Handlungsspielräumen. VII. Ergebnis Die Synthese von Eigenart und Einheit (Integrationsfunktion 237) kann heute nicht mehr als einzige Aufgabe des Bundesstaates verstanden werden. Sie wird vielmehr ergänzt um eine Reihe von weiteren Funktionen, von denen vornehmlich die der 229

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 224. Lerche, Aktuelle föderalistische Verfassungsfragen, S. 11; Müller-Brandeck-Bocquet, Die Verwaltung 29 (1996), S. 143. 231 Laufer, Das föderalistische System, S.56. 232 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.224; Degenhart, ZfA 1993, S.410; diese Zielsetzung geht ebenfalls mit der des Subsidiaritätsprinzips konform, vgl. Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S.237. 233 Bothe, Föderalismus, S.26. 234 Rennert, Der Staat 32 (1993), S. 274. 235 Laufer, Das föderalistische System, S.56; kritisch hierzu: Bull, DÖV 1999, S.271. 236 Stern, Staatsrecht I, S. 658; Laufer, Das föderalistische System, S.56. 237 Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 59. 230

§ 3 Bundesstaat und Chancengleichheit

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Freiheitssicherung als Schutz vor staatlicher Macht im demokratischen Staat von beträchtlicher Bedeutung ist. Dies deutet zugleich aber auch schon auf die bestehende Spannungslage zwischen Integration und Subsidiarität hin: Die beschriebenen Funktionen können ihre Kraft nur entfalten, wenn den politischen Kräften ausreichend Raum gegeben wird. Ein eigenes politisches (Landes-)Profil setzt deshalb voraus, daß durch eigene Gesetzgebungskompetenzen Handlungsspielräume eröffnet werden, in denen eigene Programme verwirklicht werden und Eigeninteressen zum Ausdruck kommen können. Wettbewerb - so auch der zwischen den Ländern - schafft aber nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer 238. Deshalb stellt sich im bundesstaatlichen Wettbewerb die Frage, ob dieser so frei sein darf, wie ein „Wirtschaftsmarkt" oder ob er im Hinblick auf die Chancengleichheit der Bürger strengeren verfassungsrechtlichen „Spielregeln" unterliegt.

§ 3 Realverfassung und Entwicklungstendenzen des Bundesstaates in Korrelation zur Chancengleichheit Nach der bisher dargelegten - im Grundgesetz verankerten - „Idealstruktur" ist der Blick nunmehr darauf zu richten, wie sich der deutsche Bundesstaat unter Berücksichtigung der Veränderungen in der Zeit nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes heute darstellt und wo sich die entscheidenden Weichen im Hinblick auf den Konflikt mit dem Chancengleichheitsgrundsatz stellen. Nur vor diesem Hintergrund können die Konfliktlagen und ihre Aktualität analysiert werden.

A. Legislative I. Entwicklung Das Grundgesetz statuiert Zuständigkeitskataloge für den Bund, wodurch dokumentiert wird, daß es von einer grundsätzlichen Länderkompetenz (vgl. Art. 30, 70 GG) ausgeht, gegenüber der die Bundeskompetenz die Ausnahme darstellen soll. Hierin kommt der Leitgedanke des Verfassunggebers zum Ausdruck, Zentralisierung auf ein notwendiges Maß zu beschränken und insoweit der Subsidiarität Rechnung zu tragen 239. Dabei unterscheidet das Grundgesetz zwischen ausschließlicher und konkurrierender Gesetzgebung des Bundes, die letztere wird wiederum in zwei Unterformen, die Voll- und der Rahmenzuständigkeit untergliedert. Mit Änderungsgesetz vom 12. Mai 1969 ist die Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundes hinzugekommen. 238 239

4*

Vgl. Bull, DÖV 1999, S.269. Vgl. Isensee, Subsidiarität, S. 225 ff.

52

1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

Von dem in der Verfassung angelegten Ausnahmecharakter der Bundeskompetenz ist der Ist-Zustand der Bundesrepublik Deutschland allerdings weit entfernt: Die fortschreitende wirtschaftliche Verflechtung sowie die nahezu unbegrenzte Mobilität hatten eine zunehmende Forderung nach Vereinheitlichung zur Folge. Diese Tendenz schlug sich in zahlreichen Verfassungsänderungen nieder, die überwiegend eine Erweiterung der Gesetzgebungskompetenzen zu Gunsten des Bundes und damit eine Kompetenzverschiebung zu Lasten der Länder beinhalteten. In den Kompetenzkatalog Art. 74 GG wurden mit den Nummern 4 a, 10 a, 11 a, 19 a, 24, 25 und 26 2 4 0 und der Neufassung von Nr. 13 und 22 2 4 1 eine Serie von Gesetzgebungsbefugnissen eingefügt, daneben wurde der Umfang der konkurrierenden Gesetzgebung durch Art. 74 a GG erweitert 242. Diese Tendenz wurde weiterhin gefördert von einer extensiven Ausschöpfung der im Grundgesetz angelegten Möglichkeiten der Bundesgesetzgebung. Insbesondere hat der Bund von den Kompetenzbereichen der konkurrierenden Gesetzgebung umfassend Gebrauch gemacht243 - vor allem von Art. 74 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft). Durch die vom Bundesverfassungsgericht tolerierte Einschätzungsprärogative des Bundes im Hinblick auf die Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG a. F. 244 wurde diese Vorschrift der ihr zugedachten Funktion als Barriere gegen eine Zentralisierung nicht gerecht 245. Durch die Verfassungsreform vom 27. Oktober 1994 hat der bisherige Verfassungstext eine Veränderung erfahren, die eine Föderalismusstärkung mit sich bringen soll 246 . In diesem Kontext wurden Art. 74 Nr. 5 GG (Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung in das Ausland) in die Rahmengesetzgebung überführt, Art. 74 Nr. 8 GG (Staatsangehörigkeit in den Ländern) - diese hatte keine praktische Bedeutung - aufgehoben. Das Recht der Erschließungsbeiträge wurde ausschließliche Materie der Landesgesetzgebung, dazu wurde in Art. 74 Nr. 18 GG hinter das Bodenrecht „(ohne das Recht der Erschließungsbeiträge)" angefügt. Zugleich aber wurde der Kompetenzkatalog um die Nr. 25 (Staatshaftung) und Nr. 26 (Gentechnik) ergänzt 247. Art. 72 Abs. 2 GG wurde neu dahingehend gefaßt, daß eine 240 Nr. 4a durch G. v. 28.7.1972 (BGBl. I, 1305); Nr. 10a durch G. v. 16.6.1965 (BGBl. I, 141), Nr. I I a durch G.v.23.12.1959 (BGB1.I, 813); Nr. 19a durch G. v. 12.5.1969 (BGB1.I, 363); Nr. 24 durch G.v. 12.4.1972 (BGB1.I, 593); Nr. 25 u. 26 durch G.v. 27.10.1994 (BGB1.I, 3146). 241 Durch G.v. 12.5.1969 (BGB1.I, 363). 242 Durch G.v. 18.3.1971 (BGB1.I, 206). 243 Vgl. die Auflistung bei Lichtenstern, Die Gesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Bund und Ländern, S. 33 ff. 244 Vgl. BVerfGE 1, 272f.; 2, 224f.; 10, 245; 34, 39. 245 Ossenbühl, DVB1. 1989, S. 1233; vgl. hierzu noch unten 2. Teil §2BI. 246 Vgl. Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S.64; Dittmann, HStR IX, §205 Rn. 16 ff. 247 Vgl. zu den Änderungen Kloepfer, Verfassungsänderung statt Verfassungsreform, 1995; Rybak/Hofmann, NVwZ 1995, S.234; Scholz, DVB1. 2000, S. 1380.

§ 3 Bundesstaat und Chancengleichheit

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Regelungsbefugnis des Bundesgesetzgebers nicht mehr besteht, weil die „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus" (Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 a. F.) sie erfordert, sondern „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet" eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Hiermit sollen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zugunsten der Landesgesetzgebung verschärft und präzisiert werden 248. Die Neuformulierung wurde mit einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gekoppelt (Art. 93 Nr. 2 a GG), in dem das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG überprüft werden kann. Zu beachten ist dabei die Bestandsgarantie des Art. 125 a Abs. 2 GG: Recht, das auf Grund des Art. 72 Abs. 2 a. F. erlassen worden ist, gilt als Bundesrecht fort. Die bisherige Rahmengesetzgebungskompetenz wurde dahingehend verändert, daß nach der Neufassung des Art. 75 Abs. 2 GG Rahmenvorschriften nunmehr nur in Ausnahmefällen in Einzelheiten gehende oder unmittelbar geltende Regelungen enthalten dürfen 249. Hiermit sollte der bisherigen Praxis begegnet werden, nach der Rahmenvorschriften auch weitreichende Detailregelungen enthalten haben250. Insgesamt blieben die Änderungen hinter den Hoffnungen, die insbesondere die Länder in sie gesetzt hatten, zurück. Die Neuregelung der kompetenzrechtlichen Vorschriften hält im wesentlichen an den bisherigen Grundstrukturen fest 251 . Ob mit der Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG tatsächlich eine Stärkung des Föderalismus erreicht wird, bleibt abzuwarten. Die Untersuchung der Frage, inwieweit von der Norm nach wie vor eine unitarisierende Wirkung ausgeht, ist der Bearbeitung im 2. Teil vorbehalten 252. Es bleibt daher festzustellen, daß für die Gesetzgebung in der Bundesrepublik im wesentlichen der Bund zuständig ist, die gesetzgeberische Tätigkeit der Länder sich hingegen auf die Mitwirkung an der Gesetzgebung durch den Bundesrat verlagert hat 253 . Denn mit der Kompetenzverlagerung einher ging der Ausbau der Position des Bundesrates. Insoweit hat sich auch durch die jüngsten Verfassungsänderungen keine wesentliche Änderung der beschriebenen Lage eingestellt. Das ursprüngliche Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Landesgesetzgebung hat sich in der 248 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 33; Rybak/Hofmann, NVwZ 1995, S.231; näher hierzu unten 2. Teil § 2 B I 2 . 249 Zu dieser Änderung siehe auch die Bewertungen von Rybak/Hofmann, NVwZ 1995, S.234; Sommermann, Jura 1995, S.397. 250 Vgl. den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 36. 251 Rau, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 22; Rybak/Hofmann, NVwZ 1995, S.235; Müller-Brandeck-Bocquet, Die Verwaltung 29 (1996), S. 144: „äußerst bescheidene Reformergebnisse"; vgl. auch Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S.64; Scholz, DVB1. 2000, S. 1381. 252 Siehe dort: §2BI. 253 Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 70 Rn. 1; Thieme, DÖV 1989, S.500; Leonardy, ZParl 1990, S. 181; Ossenbühl, DVB1.1989, S. 1232; Rudolf,\ Aktuelle Probleme und Entwicklungstendenzen, S.229; Esser, Strukturprobleme, S. 13; H.-P. Schneider, NJW 1991, S.2453.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

Wirklichkeit des deutschen Bundesstaates umgedreht 254. Diese Entwicklung verwischt die Zuordnung von Verantwortlichkeiten im Bundesstaat, die nicht nur für die Demokratie-Adäquanz von Bedeutung ist, sondern auch die Basis bildet für Verantwortungsbereitschaft und damit letztlich für verantwortliches Handeln255 Deshalb wird diese Verfassungswirklichkeit gerade in jüngerer Zeit nicht mehr widerspruchslos akzeptiert, sondern es wird zunehmend eine Neujustierung in Richtung Konkurrenzföderalismus durch Stärkung der Gesetzgebungskompetenzen der Bundesländer gefordert 256.

II. Chancenungleichheit durch legislative Spielräume der Länder Dennoch bleiben den Ländern auch unter der geltenden Kompetenzordnung Spielräume für eigene Regelungen, die bei der geforderten stärkeren Betonung des „Wettbewerbsföderalismus" vermehrt ausgeschöpft und ausgeweitet werden müßten und die unmittelbare Auswirkungen auf die Chancengleichheit der Bürger haben können. 7. Konkurrierende

Gesetzgebung des Bundes, Art. 74, 72 GG

Gemäß Art. 72 Abs. 1 GG haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Insoweit liegt der Gestaltungsspielraum beim Landesgesetzgeber. Nimmt der Bundesgesetzgeber die konkurrierende Gesetzgebung hingegen wahr, so entfaltet diese eine Sperrwirkung hinsichtlich der Landesgesetzgebung. Ein teilweises Gebrauchmachen hat zur Folge, daß die Länder im nicht geregelten Bereich die Gesetzgebungskompetenz behalten257. Dabei kann der Bund ausdrücklich nur einen Teilbereich regeln, er kann im Gesetz Vorbehalte, Ermächtigungen sowie bewußte Aussparungen für den Landesgesetzgeber vorsehen oder es kann dem Gesetz durch Auslegung zu entnehmen sein, daß keine abschließende Regelung vorliegt. Rechtsfolge des NichtGebrauchmachens bzw. des teilweisen oder nicht wirksamen Gebrauchmachens ist die Regelungskompetenz der Länder. So bleiben auch bei einer Bundesregelung regionale Sonderregelungen bestehen, soweit hierfür von Seiten des Bundes Raum gelassen wird (zum Beispiel: Landesimmissionsschutzgesetz). Denn der Bundesgesetzgeber ist nicht gehalten, wenn er seine Kompetenz wahrnimmt, alle bestehenden Sonderregelungen zu beseitigen und zu verhindern 258. 254 255 256 257 258

Böckenförde, FS Schäfer, S. 185; Hoffmann-Riem, DVB1. 1999, S.661. Bull, DÖV 1998, S.748. Vgl. hierzu bereits oben: Einleitung. BVerfGE 62, 354, 369; 78, 132, 144; 83, 363, 379; 85, 226, 234. BVerwG, MDR 1962, S.504 (zu §3 BNotO).

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Damit können unterschiedliche rechtliche Bedingungen im Bundesgebiet darauf zurückzuführen sein, daß der Bundesgesetzgeber seine Kompetenz aus konkurrierender Gesetzgebung nicht ausschöpft und somit unterschiedliche Landesregelungen existieren. 2. Rahmengesetzgebung des Bundes, Art. 75, 72 GG Im Bereich der Rahmengesetzgebung besteht bei Nichtregelung durch den Bundesgesetzgeber gemäß Art. 72 Abs. 1 GG grundsätzliche Gesetzgebungskompetenz der Länder bzw. gelten die bereits erlassenen Landesgesetze, so daß auch hier unterschiedliche Bedingungen schon aufgrund der Nicht-Inanspruchnahme durch den Bund entstehen können. Des weiteren sind nach Art. 75 Abs. 2 n. F. GG im Gegensatz zur Rechtsprechung zur alten Rechtslage, nach der für einzelne Teile einer Materie bei einem legitimen Interesse an einer einheitlichen Regelung eine vollständige Regelung getroffen werden 259 und für den Bürger unmittelbar geltendes Recht gesetzt werden 260 durfte, nunmehr in Einzelheiten gehende und unmittelbar im Staat-Bürger-Verhältnis geltende Regelungen nur in Ausnahmefällen zulässig, d.h. sie bedürfen eines rechtfertigenden Grundes 261. Es besteht daher trotz des „Rahmens" ein Gesetzgebungsspielraum der Länder, der ebenfalls unterschiedliche Regelungen zur Folge haben und damit die Chancengleichheit im oben definierten Sinne beeinträchtigen kann. 3. Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes, Art. 71 GG Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder gemäß Art. 71 GG die Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden. Selbst wenn der Bundesgesetzgeber keine Regelung trifft, bleibt die Materie daher dem Landesgesetzgeber vorenthalten. Konfliktlagen aufgrund unterschiedlicher Landesregelungen beschränken sich folglich auf dem Gebiet der ausschließlichen Gesetzgebung auf die Fälle der ausdrücklichen Übertragung. Die ausdrückliche Übertragung kann sich aus Gründen regionaler Differenzierung auch auf einige Länder beschränken262. 4. Kernbereiche der Landeskompetenz, Art. 70 GG Sofern also dem Bund für eine Materie durch das Grundgesetz keine Gesetzgebungskompetenz verliehen ist beziehungsweise entsprechend den vorangegangenen 259 260 261 262

BVerfGE 43, 291, 343; 66, 270, 285. BVerfGE4, 115, 130; 80, 137,157. Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 75 Rn. 1; Degenhart in: Sachs, Art. 75 Rn. 12. Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 71 Rn.4.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

Ausführungen auch bei bestehender Kompetenz ein Spielraum der Länder verbleibt, ist diesen nach Art. 70 GG die Gesetzgebungsgewalt zugewiesen. Bei den Kernbereichen der Länderkompetenzen handelt es sich vielfach um Materien, in denen die Chancengleichheit einen besonders hohen Stellenwert genießt. Gerade das bedeutsame Feld der Kulturhoheit der Länder, das vom Erziehungs-, Bildungs-, Ausbildungs- und Hochschulwesen über Wissenschaft bis hin zu Kulturförderungen reicht, ist eng mit der Forderung nach Chancengleichheit verbunden. Denn die Ausbildung eines Menschen ist mit seinen weiteren Lebenschancen intensiv verknüpft, deshalb werden hier bestehende Unterschiede den Bürgern besonders bewußt. Verschiedenartige Schulformen, Pflichtfächer, unterschiedliche Anforderungen an den Hochschulzugang263, die Stipendienvergabe, die Schaffung von Bildungseinrichtungen, die Förderung von Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie unterschiedliche Standards bei Qualifikationen haben eine Diskrepanz der Bildungsmöglichkeiten in den einzelnen Ländern zur Folge 264 , die weder für die dort ansässigen Bürger noch für die anderen Bundesländer wirkungslos bleibt und die Frage nach einer bundesweiten Chancengleichheit aufwirft. Ein prägnantes und aktuelles Beispiel für die Auswirkungen eines bestehenden Regelungsspielraums ist die Möglichkeit der Einführung von Studiengebühren265: Im neuen Hochschulrahmengesetz ist entgegen der vielfachen Forderung 266 kein bundeseinheitliches Verbot der Erhebung von Studiengebühren festgeschrieben worden. Dies kann dazu führen, daß uneinheitlich in einigen Ländern Gebühren erhoben werden, in anderen hingegen nicht. Die Auswirkungen für die Chancengleichheit und auch für das föderalistische System liegen auf der Hand: Gerade die Einführung von Studiengebühren hat für die Studenten erhebliches Gewicht und ist für die Studienbedingungen von entscheidender Bedeutung. Damit nimmt die jeweilige Entscheidung des Bundeslandes bereits Einfluß auf die Wahl des Studienortes; sie kann den innerhalb eines gebührenerhebenden Bundeslandes Wohnenden von einem heimatnahen Studium abhalten und zu einem Studium in einem anderen Bundesland bewegen u. ä., was zu einer Verschiebung zu Lasten der gebührenfreien Bundesländer führen kann. Besondere Bedeutung - vornehmlich im Hinblick auf die bundesstaatliche Struktur - erlangt die Erhebung von Studiengebühren zudem für die Ausstattung der Hochschulen und damit auf die Qualität von Forschung und Lehre. Damit gerieten die Hochschulen der Bundesländer in einen Konkurrenzkampf, der sich für die Absolventen auf dem Arbeitsmarkt und beim Studienortwechsel niederschlüge. Die Entscheidung des Rahmengesetzgebers gegen ein bundeseinheitliches Verbot ist daher von großer Relevanz für die Entstehung von Konfliktlagen im Spannungsverhältnis Bundesstaatsprinzip und Chancengleicheit, denn 263 So ist derzeit der Hochschulzugang ohne Abitur in vielen Bundesländern unterschiedlich geregelt. 264 Zur Selbstkoordination unten sub E. 265 Vgl. bereits oben: Einleitung. 266 Vgl. BT-Sitzungsprotokoll v.30. Oktober 1997, S. 18002; 18004; 18007; 18008; 18016.

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gerade hier wird die Weiche für unterschiedliche Regelungen der jeweiligen Landesgesetzgeber und gegen Vereinheitlichung gestellt.

B. Exekutive I. Entwicklung Zwar ist ein Zentralisierungstrend in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auch im Verwaltungsbereich auszumachen267: Die Verwaltungsmacht des Bundes wurde durch die Einführung von Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a, b GG) sowie der Investitionshilfen (Art. 104 a Abs. 4 GG) gestärkt. Weiteren Einfluß hat der Bund durch den zunehmenden Erlaß von Verwaltungsvorschriften des Bundes erhalten, die ein Instrument zur Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis der Länder darstellen 268. Dennoch liegt die Verwaltungskompetenz im Gegensatz zur Gesetzgebungskompetenz entsprechend der Normierung in Art. 83 GG primär bei den Ländern. Die bundeseigene Verwaltung ist auf wenige herkömmliche Bereiche beschränkt. II. Chancenungleichheit durch divergierende Ausführung von Bundesgesetzen Der in Art. 83 GG festgeschriebene Grundsatz, daß der Bund nur die ihm zugewiesenen Verwaltungskompetenzen besitzt, diese im übrigen aber bei den Ländern liegen, entspricht auch der faktischen Kompetenzverteilung 269 im „föderalen Verwaltungsstaat"270. Art. 83 GG überträgt den Ländern die Gesetzesausführung in verwaltungsmäßiger Weise, d. h. den Erlaß von Verwaltungsvorschriften bis hin zu Verwaltungsmaßnahmen für den Einzelfall 271 . Dabei ist der Gestaltungsspielraum des Landes von der gesetzlichen Vorgabe abhängig. Ermessensnormen und eingeräumte Beurteilungsspielräume begründen in begrenztem Umfang ebenso Entscheidungsspielräume im Einzelfall wie im Vollzugsfall entstehende Kollisionen verschiedener rechtspolitischer Aspekte, die durch die ausführende Verwaltung in gewisser Eigenständigkeit bewältigt werden müssen272. Besonders ausgedehnt ist der Spielraum bei Programm- oder Planungsgesetzen des Bundes, die sich auf - ζ. T. komplexe - Zielvorgaben an das ausführende Organ beschränken. Folglich bleibt auch im Bereich der Verwaltungskompetenzen Raum für abweichende Maßnahmen. Der Zwiespalt 267 268 269 270 271 272

Vgl. dazu Ossenbühl, DVB1 1989, S. 1233. Thieme, DÖV 1989, S.501. Bull in: Alternativkommentar, Vor Art. 83 Rn. 5. V. Münch, Staatsrecht II, Rn. 592. Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 83 Rn.4. Lerche in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 83 Rn.61.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

zwischen Bundesstaatsprinzip und Chancengleichheit wird folglich auch durch die den Bundesländern obliegende Ausführung der Bundesgesetze intensiviert.

C. Judikative I. Die Rechtsprechung im deutschen Bundesstaat Das föderalistische Prinzip spiegelt sich bereits in Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG wider: Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Als Ausdruck der gliedstaatlichen Autonomie steht den Ländern jedoch auch eine eigenständige Verfassungsgerichtsbarkeit zu 273 . Nicht nur die Verfassungsbereiche des Bundes und der Länder, sondern auch die Verfassungsgerichtsbarkeit des Bundes und der Länder stehen grundsätzlich selbständig nebeneinander274. Nach § 90 Abs. 3 BVerfGG bleibt das Recht, hinsichtlich desselben Akts öffentlicher Gewalt eine Verfassungsbeschwerde an das Landesverfassungsgericht nach dem Recht der Landesverfassung zu erheben, von der Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht unberührt. Von der Befugnis zur Errichtung eigener Landesverfassungsgerichte haben alle Länder mit Ausnahme Schleswig-Holsteins Gebrauch gemacht. Zuständigkeitskonkurrenzen ergeben sich dabei insbesondere bei der Landesverfassungsbeschwerde, weil die Landesgrundrechte überwiegend mit den Bundesgrundrechten übereinstimmen. Dabei gilt, daß das Landesverfassungsgericht nur die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit mit der jeweiligen Landesverfassung feststellen darf und das Bundesverfassungsgericht auf den Prüfungsmaßstab des Grundgesetzes beschränkt ist 275 . Das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bleiben aber auch im Rahmen der landesverfassungsgerichtlichen Entscheidung nicht unberücksichtigt: Stimmt eine Norm der Landesverfassung nicht mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht überein, so besteht eine Vorlagepflicht des Landesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 GG. Zudem besteht eine Verpflichtung zur Vorlage nach Art. 100 Abs. 3 GG, wenn das Landesverfassungsgericht bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder eines anderen Landesverfassungsgerichts abweichen will. Die Überprüfung durch die Landesverfassungsgerichte bleibt auf Maßnahmen der Landesstaatsgewalt beschränkt, hierbei bestehen jedoch häufig Abgrenzungsschwierigkeiten zu Maßnahmen der Bundesstaatsgewalt276. 273 Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 334b; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 21 I I Rn. 4 („Krönung" der gliedstaatlichen Autonomie). 274 BVerfGE4,178,189; 6,376,382; 22,267, 270; 41, 88,118; 60,175, 209; 64, 301, 317; BVerfG, DVB1. 1998, S.390, 391. 275 BVerfGE 69, 112,118; Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 334e. 276 In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage, ob die Anwendung von gerichtlichem Verfahrensrecht des Bundes (z.B. die StPO) durch die Landesgerichte noch als Maßnahme der Landesstaatsgewalt einzustufen und damit eine Überprüfungskompetenz der

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Trotz der Parallelität von Bundes- und Landesverfassungsgerichtsbarkeit kommt dem Bundesverfassungsgericht in der Rechtspraxis und im Bewußtsein der Bürger vorherrschende Bedeutung zu 277 . Wo auch das Grundgesetz als Maßstabsnorm in Betracht kommt, tragen die Beteiligten bei Verfassungsstreitigkeiten um landesrechtliche Materien ihre Kontroversen häufig lieber in Karlsruhe als vor dem Landesverfassungsgericht aus 278 . So sind im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht die Landesverfassungsgerichte weniger ausgelastet und führen dementsprechend ein „Schattendasein"279. Dieser Tatsache wird in der jüngsten „Reföderalisierungsdiskussion" mit der Forderung nach einer „arbeitsteiligen Gesamtverantwortung" 280 im föderativen Verfassungsgerichtssystem entgegengetreten, die auch in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Ausdruck gefunden hat 281 . Es wird - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Überlastung des Bundesverfassungsgerichts - eine Stärkung der Kompetenzen und Aufgaben der Landesverfassungsgerichte angestrebt 282, die für den Verfahrensbeteiligten zumindest den Vorteil eines zeitnahen Urteils mit sich bringt 283 und gleichzeitig die Eigenstaatlichkeit der Länder stärkt 284 . Insgesamt ist die Abgrenzung von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Rechtsprechung im Grundgesetz nicht so deutlich wie im Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung geregelt. Gemäß Art. 92 GG ist aber die Einrichtung der Gerichte grundsätzlich Sache der Länder, während die Bundeszuständigkeit - neben dem Bundesverfassungsgericht - auf die im Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte beschränkt ist. Die Abgrenzung zwischen Bundes- und Länderzuständigkeit wird erfolgt jedoch nicht nach Sachgebieten, sondern nach Funktionen: Der Bund stellt in den in Art. 95 GG genannten fünf Zweigen der Gerichtsbarkeit die den Instanzenzug abschließenden Revisionsinstanzen, so daß ein Instanzenweg von den LandesLandesverfassungsgerichtsbarkeit eröffnet ist. Dies hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß des Zweiten Senats vom 15. Oktober 1997 (NJW 1998, S. 1296ff.) bejaht, soweit die Landesgrundrechte mit denen des Bundes kongruent sind: „Die Kompetenz des Landes für seine Landesverfassungsgerichtsbarkeit erlaubt eine Regelung, nach der eine Verletzung mit dem Grundgesetz inhaltsgleicher Landesverfassungsrechte durch ein Gericht des Landes bei der Durchführung des bundesrechtlich geregelten Verfahrens mit der Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht gerügt und die angegriffene Entscheidung von diesem aufgehoben werden kann."; vgl. auch den „Honecker-Beschluß" des Berliner VerfGH v. 12. Januar 1993 (NJW 1993, S.515ff.); Tietje, AöR 1999, S.283ff.; Tiedemann,DÖV 1999, S.200ff.; Wittreck, DÖV 1999, S. 634ff.; Franke, FS Mahrenholz, S.926. 277 Heyde/Gielen, Die Hüter der Verfassung, S.55; Burmeister, NWVB1. 1998, S.422. 278 Isensee, Einheit in Ungleichheit, S. 151. 279 Vgl. Franke, FS Mahrenholz, S. 923; Benda, Föderalismus in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 82; vgl. aber HessStGH, NJW 1999, S.49; v. Zezschwitz, NJW 1999, S. 17 ff. 280 Tietje, AöR 1999, S.295. 281 BVerfG, NJW 1994, S.59f.; NJW 1998, S. 1296ff.; NJW 1998, S. 1296ff. 282 Tietje AöR 1999, S. 282ff. 283 So Burmeister, NWVB1. 1998, S.422. 284 Tietje, AöR 1999, S.304; Franke, FS Mahrenholz, S. 924ff.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

zu den Bundesgerichten mit entsprechenden rechtlichen und faktischen Bindungen besteht. Die Verfassung behandelt die rechtsprechende Gewalt insofern materiell als Einheit, nur hinsichtlich ihrer organisatorisch-technischen Wahrnehmung wird sie auf Bund und Länder verteilt 285 . Zurückzuführen ist dieser gegenüber Gesetzgebung und Verwaltung divergierende Mechanismus auf die Aufgabe der obersten Bundesgerichte, im Rahmen des Bundesrechts die Einheitlichkeit der Rechtsprechung (vgl. Art. 95 Abs. 3 GG) und damit unter bundesstaatlichen Gesichtspunkten die Einheit der Rechtsordnung zu wahren 286. So wird einer Vielfalt der Auslegungen vorgebeugt 287 . Im Ergebnis ist festzustellen, daß die Rechtsprechung „quantitativ" bei den Ländern angesiedelt ist, aber letztlich „qualitativ" beim Bund liegt.

II. Rechtsprechende Gewalt und Chancengleichheit Sind damit die Mehrheit der Gerichte Landesgerichte, so wird doch offenbar, daß nicht nur die maßgeblichen Grundsätze der Judikatur von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der Gerichtshöfe des Bundes ausgehen, sondern den Ländern aufgrund der weitreichenden bundesgesetzlichen Ausgestaltung eines großen Anteils des materiellen Rechts sowie insbesondere des Gerichtsverfassungsund Verfahrensrechts einschließlich der Rechtsstellung der Richter, kaum eigene Gestaltungsspielraum auf dem Gebiet der Rechtsprechung verbleibt 288. Daher weist die Problematik der Chancenungleichheit in dem spezifischen Bereich der rechtsprechenden Gewalt derzeit geringe Relevanz auf, könnte sich aber im Zuge einer Stärkung landesverfassungsgerichtlicher Kompetenzen wieder verschärfen.

D. Finanzwesen/Finanzverfassung Die Betrachtung der Finanzverfassung eines Bundesstaates gibt Aufschluß über die Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit der Gliedstaaten, über die ausgleichende Funktion des Gesamtstaates, die Chancengleichheit für die Bürger und über die Stellung der Gemeinden im gesamten Staatsaufbau 289. Von der Gestaltung der Finanzverfassung eines Bundesstaates hängt die selbständige Ausnutzung der den Ländern in den übrigen Abschnitten des Grundgesetzes zugewiesenen Kompetenzen ab 290 . Die Entscheidungsspielräume der Länder stehen in engem Zusammenhang mit den zur Verfügung stehenden Finanzmitteln, deren Regelung ist daher im 285

Vogel, HVerfR (2), §22 Rn. 107. Degenhart, HStR III, § 75 Rn. 5; Meyer in: v. Münch/Kunig, Art. 95 Rn. 3. 287 Grawert, Der Staat 30 (1991), S. 214. 288 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 252. 289 Schäfer, Bundesstaatliche Ordnung, S. 10; vgl. auch die Begründung der Normenkontrollanträge zum Länderfinanzausgleich, EuGRZ 1999, S.635. 290 Lensch,, Finanzverfassung, S.98. 286

§ 3 Bundesstaat und Chancengleichheit

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Bundesstaat von besonderer Bedeutung291, denn Wettbewerb unter den Ländern setzt den dafür erforderlichen finanziellen Hintergrund notwendig voraus. I. Entwicklung Das Trennsystem, das mit dem Grundgesetz 1949 eingeführt wurde, konnte einerseits die finanzielle Autonomie der Länder nicht sicherstellen und trug andererseits der für erforderlich gehaltenen Einheitlichkeit der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie der sozialen Verhältnisse nicht ausreichend Rechnung292. Mit der Finanzreform von 1955293 wurde daher der Übergang von einem Trenn- in ein Verbundsystem eingeleitet, die mit der als Ergänzung des Länderfinanzausgleichs dem Bund die Möglichkeit der Finanzzuweisungen an die Länder zum Ausgleich von Mehrbelastungen einher ging. Damit war der Grundstein für die Einflußnahme des Bundes auf originäre Länderaufgaben gelegt 294 . Mit der Finanzreform von 1969295 wurde ausdrücklich festgelegt, daß die Ausgaben- der Aufgabenlast folgt. Dabei handelte es sich um die Klarstellung eines bereits in der Finanzverfassung von 1949 angelegten Prinzips 296. Durch Art. 91 a, b GG wurden Gemeinschaftsaufgaben geschaffen und damit die Mischfinanzierung von Bund und Ländern auf eine verfassungsrechtliche Basis gestellt und zugleich aber auf die aufgezeigten Aufgaben beschränkt. Überdies wurden die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Steuerbereich erweitert (Art. 105 Abs. 2 GG). Damit wurde die verfassungsrechtliche Grundlage für eine Gesetzgebungspraxis des Bundes gelegt, die den Ländern praktisch keine Gesetzgebungsspielräume im Steuerbereich offenließ 297. Gemäß Art. 107 Abs. 3 GG wurde die Umsatzsteuer in den Steuerverbund einbezogen. Diese Entwicklung zeigt auf, daß den Ländern zwar eigene Aufgaben sowie die Ausführung der meisten Bundesgesetze verblieben sind, gleichwohl wurden ihnen entsprechende Möglichkeiten eigener Mittelbeschaffung nicht eröffnet 298. Praktische Folge ist, daß der Bund auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung heute nahezu die alleinige Gesetzgebungskompetenz hat 299 , er setzt bundeseinheitlich 90% aller öffentlichen Steuereinnahmen Tarife und Hebesätze fest, von denen 40 % den Ländern und Gemeinden zufließen 300. „Der Unitarismus scheint nirgendwo weiter per291 292 293 294 295 296 297 298 299 300

Thieme, DÖV 1989, S.502; Jens-Peter Schneider, Der Staat 40 (2001), S.276f. Lensch, Finanzverfassung, S. 100 f. FinanzverfassungsG v.23.12.1955, BGB1.I, S.817. Lensch, Finanzverfassung, S. 102. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 12.5.1969, BGBl. I, S. 359. BVerfGE 26, 338, 390. Lensch, Finanzverfassung, S. 104. Lensch, Finanzverfassung, S. 105. Schäfer, Bundesstaatliche Ordnung, S. 10; Ossenbühl, DVB1. 1989, S. 1231. Lensch, Finanzverfassung, S. 105.

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

fektioniert zu sein als im Steuerrecht." 301 Von einer autonomen Erfüllung der nach dem Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben mit umfassender Finanzautonomie kann daher nicht gesprochen werden 302. Es kommt vielmehr dazu, daß die Länder oftmals den Einfluß des Bundes auf die Finanzierung von Länderaufgaben dulden müssen, um so ihren Aufgaben überhaupt gerecht zu werden 303. Dieses weitreichende Auseinanderfallen von Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung führt zwangsläufig zu einer Abhängigkeit der Länder von der Finanzplanung des Bundes und verhindert so innovative Maßnahmen, die nicht von der Bundespolitik getragen werden. Gleichsam nimmt die häufig fremdbestimmte Ausgabenverpflichtung (Kostentragung trotz geringer Mitspracherechte) den Ländern die Möglichkeit, die Lösung der die Ausgaben auslösenden Probleme nach ihren Vorstellungen anzugehen304. Ob die Länder ihre Kompetenzen auch tatsächlich wahrnehmen können, bestimmt sich deshalb nach der Verteilung des Steueraufkommens.

II. Verteilung des Steueraufkommens nach dem System des Finanzausgleichs Einen wichtigen Bereich der Fragestellung „Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip" stellt daher der bundesstaatliche Finanzausgleich dar. Gerade hier geraten Einheitlichkeit/Chancengleichheit auf Kollisionskurs mit der Eigenverantwortlichkeit der Länder. Der Finanzausgleich verändert die Finanzkraft mit der Folge einer weitgehenden Nivellierung, in der die aus eigenverantwortlicher Standortpolitik resultierende unterschiedliche Wirtschaftskraft nicht zum Ausdruck kommt 305 . Im Finanzausgleich spiegelt sich mithin die Balance zwischen Eigenstaatlichkeit der Länder und bundesstaatlicher Solidargemeinschaft wider 306 : „Es ist die richtige Mitte zu finden zwischen der Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Individualität der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite" 307 . Die Verteilung des Steueraufkommens (Ertragshoheit) bestimmt sich zunächst nach Art. 106 GG (vertikaler Finanzausgleich). Die Einkommens- und Körperschaftssteuer stehen Bund und Ländern je zur Hälfte zu, die Anteile von Bund und 301

Färber, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 105. Vogel/Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem.z. Art. 104a-115 Rn.76f. 303 Lensch, Finanzverfassung, S. 106; Scheuner, Staatstheorie, S.403; vgl. zur Hochschulbauförderung Lieb, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 160 f. 304 Vgl. Färber, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 98ff.; Hoffmann-Riem, DVB1. 1999, S.661; Bull, DÖV 1998, S.275; Leonardy, ZParl 1999, S. 135,148f. 305 Ottnad/LinnartZy Föderaler Wettbewerb, S. 86ff. 306 Vgl. BVerfG, EuGRZ 1999, S.642. 307 BVerfGE 72, 330, 398; 86, 148, 240. 302

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Ländern an der Umsatzsteuer werden hingegen durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates im allgemeinen für zwei Jahre festgelegt (Art. 106 Abs. 3 S. 3 GG). Eine weitere Form des vertikalen Finanzausgleichs stellt Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG dar, der den Bund zum Ausgleich einer unterdurchschnittlichen Finanzausstattung beziehungsweise einer bestehenden Haushaltsnotlage308 unter Berücksichtigung des föderalen Gleichbehandlungsgebotes309 ausnahmsweise zu Ergänzungszuweisungen berechtigt. Diesem vertikalen Finanzausgleich folgt ein horizontaler Finanzausgleich (Art. 107 Abs. 2 GG), in dem Ausgleichszahlungen der finanzstarken Länder sowie Zuweisungen des Bundes an diefinanzschwachen Länder als Korrektur der Ergebnisse der primären Steuerverteilung, soweit sie aus dem bundesstaatlichen Gedanken der Solidargemeinschaft, des bündischen Einstehens füreinander, unangemessen erscheinen 310, vorgesehen sind. Gerade der horizontale Finanzausgleich trägt in sich die Forderung, Finanzkraftunterschiede in den einzelnen Bundesländern abzubauen311, um so die finanziellen Voraussetzungen für eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung zu schaffen 312 und damit auf Chancengleichheit hinzuwirken. Der deutsche Bundesstaat besitzt folglich mit dem Steuerverbund sowie dem Finanzausgleich Mechanismen des vertikalen und horizontalen Ressourcenausgleichs, die die Voraussetzungen dafür schaffen sollen, die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen im Bundesgebiet zu verwirklichen 313. Er ist aber im Laufe der Jahre immer wieder in die Kritik geraten. Die Spannungen haben ihre Ursache einerseits darin, daß es der Finanzausgleich bisher nicht vermocht hat, Disparitäten der Wirtschaftskraft zwischen den Ländern nachhaltig aufzuhalten: Wachstumsund Beschäftigungsindikatoren sowie Verschuldungskennziffern zeigten bereits vor der deutschen Einheit ein Gefalle zwischen den wirtschaftsstarken sowie den struktur- undfinanzschwachen Bundesländern 314. So lagen das Steueraufkommen je Einwohner sowie das Bruttoinlandsprodukt von Hessen und Baden-Württemberg um rund ein Drittel über dem von Schleswig-Holstein und Niedersachsen315. Andererseits verweisen die Kritiker auf den Widerspruch zum föderalen Wettbewerb, der sich durch die Einebnung der Finanzkraftunterschiede ergebe 316. Der Finanzausgleich lasse den Ländern zu wenig Handlungsanreize und baue die finanziellen Ri308 309 310 311 312

BVerfGE 72, 330,405 f. BVerfGE 86, 148, 272. BVerfGE 86, 148, 214. BVerfG, EuGRZ 1999, S.463. Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, Art. 107 Rn. 6; Siekmann in: Sachs, Art. 107

Rn.6. 313

Benz, DÖV 1991,S. 590. Zur Frage, ob hierin ein Verfassungsziel zu sehen ist: 2. Teil§2B. Vgl. Finanzbericht des Bundesministeriums der Finanzen, 1989, S. 126ff.; Ottnad/Linnartz\ Föderaler Wettbewerb, S. 20ff. 315 Quelle: Statistisches Bundesamt. 316 Vgl. die Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, EuGRZ 1999, S.635; Ottnad/ Linnartz\ Föderaler Wettbewerb, S. 125. 3,4

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

siken für politische Fehlentscheidungen in bedenkenswerter Weise ab 317 . Angesichts dessen werden Forderungen nach „legislativer Kausalität" laut, nach der die gesetzgebende Ebene im bundesstaatlichen System selbst die finanzielle Verantwortung für ihre Gesetzgebung übernimmt 318. Dieser Kritik hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11.11.1999 über die Normenkontrollanträge der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen insoweit Rechnung getragen, als es für die Neuregelung des Finanzausgleichs Maximen festgelegt hat, die einer zu weitgehenden Nivellierung der Länderfinanzen entgegenwirken: Der Finanzausgleich dürfe nicht allein von dem Gedanken der finanziellen Geichheit der Länder bestimmt sein, sondern müsse die Eigenstaatlichkeit und Eigenverantwortung der Länder berücksichtigen 319. Das Gebot angemessenen Ausgleichs verbiete eine Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge unter den Ländern im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs320. Mit Blick auf diese Vorgaben haben sich nunmehr am 24. Juni 2001 Bund und Länder über die Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ab 2005 geeinigt, durch den eine Senkung der Ausgleichsintensität und eine Verbesserung von Leistungsanreizen erreicht werden soll. Die Neuregelung beinhaltet einen flacheren Finanzausgleichstarif; die Spitzenabschöpfung von 75 % (bisher 80 %) wird künftig erst bei einer Finanzkraft ab 120% (bisher 110%) erreicht; die durchschnittliche Abschöpfung für „Geberländer" wird auf 72,5 % „gedeckelt". Darüber hinaus wird ein sogenanntes Prämienmodell eingeführt, nach dem gegenüber dem Vorjahr überdurchschnittliche Steuermehreinnahmen beziehungsweise unterdurchschnittliche Steuermindereinnahmen aus Einkommens- und Körperschaftssteuer sowie den Landessteuern je Einwohner zu 12 % im Länderfinanzausgleich ausgleichsfrei gestellt werden 321 .

I I I . Auswirkungen der deutschen Wiedervereinigung Die deutsche Vereinigung stellte den Bundesstaat vor die Aufgabe, fünf neue Bundesländer zu integrieren, die gerade neu entstanden waren, über keine finanzielle Ausstattung verfügten und deren wirtschaftliche Lage gegenüber den alten Bundesländern weit zurückfiel. Dies hat die Disparität zwischen den Ländern erhöht, die ohne die Hilfe der westdeutschen Länder nicht überwunden werden konnte und 317

Vgl. die Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, EuGRZ 1999, S.636. Leonardy, ZParl 1999, S. 149; vgl. auch Scharpf, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 7.4.2001, S. 15; Scholz, DVB1. 2000, S. 1382f. 319 BVerfG, EuGRZ 1999, S. 617 ff., 642. 320 BVerfG, EuGRZ 1999, S.617, 643. 321 Vgl. Entschließung des Bundesrates vom 13. Juli 2001, BR-Drs. 485/01; Übersicht über die Neuregelung in der Informationsschrift des bayerischen Staatsministeriums der Finanzen: „Der neue Finanzausgleich ab 2005". 318

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kann . Die teilweise intensiven Personal-, Sach-, und Finanzhilfen durch den Bund sowie die alten Bundesländer wurden von Häberle als ein Stück „lebenden Föderalismus" bezeichnet323. Durch diese besondere Form von Solidarität wurde und wird die deutsche Finanzverfassung allerdings auch auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Denn die Entwicklung der neuen Länder zu einer selbständigen Aufgabenwahrnehmung, zur Eigenstaatlichkeit, hing und hängt entscheidend von ihrer finanziellen Situation ab. Wegen der erheblichen Diskrepanz der Steuerstruktur zwischen den alten und den neuen Bundesländern sind im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 Übergangsregelungen für die horizontale Umsatzsteuerverteilung und den Finanzausgleich unter den Ländern festgelegt worden. Die Übergangsregelungen sind insbesondere auf den Druck der alten Bundesländer zurückzuführen, die eine zu starke Umverteilung zu ihren Lasten fürchteten 324. Bis Ende 1994 fand daher ein steuerkraftbezogener Umsatzsteuerausgleich und ein Länderfinanzausgleich zwischen alten und neuen Bundesländern nicht statt. An dessen Stelle ist für die Zeit bis Ende 1994 der Fonds „Deutsche Einheit" zugunsten der jungen Bundesländer eingerichtet worden, dessen Mittel sich für die Jahre 1990 bis 1994 auf ein Gesamtvolumen von rund 160,7 Mrd. D M beliefen 325. Auch 1997/98 unterschied sich die Finanzlage der alten und neuen Bundesländer noch deutlich 326 . Aufgrund des Nachholbedarfs der neuen Länder und der nach wie vor bestehenden strukturellen Defizite der ostdeutschen Wirtschaft waren die Ausgaben je Einwohner in den neuen Ländern um 40 % höher als in den westlichen Ländern. 1996 bestand eine Steuerfinanzierungsquote 327 in den ostdeutschen Ländern von 43,2%, während sie in den alten Ländern 71,5% betrug. Zur Realisierung des Anschlusses an die Lebensverhältnisse in den alten Ländern sind die neuen Länder seit 1995 vollständig in den Länderfinanzausgleich einbezogen328. Den neuen Ländern sind im Jahr 1995 über horizontale Umsatzsteuerverteilung und den Länderfinanzausgleich zusammen Transferleistungen von 25 Mrd. DM zugeflossen 329. Hinzu kommen Fehlbetrags- und Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen in Höhe von 90% der nach dem Länderfinanzausgleich verbleibenden Fehlbeträge an die 322

Benz, DÖV 1993, S. 85; vgl. auch Miiller-Overtheu, Der bundesstaatliche Finanzausgleich, passim; Dittmann, HStR IX, §205 Rn.5. 323 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S.61. 324 Vgl. Lensch, Finanz Verfassung, S. 107 ff. 325 Finanzbericht des Bundesministeriums der Finanzen, 1998, S. 143. 326 Finanzbericht des Bundesministeriums der Finanzen, 1998, S. 138ff.; Ottnad/Linnartz, Föderaler Wettbewerb, S.45. 327 Anteil der Steuereinnahmen an den Ausgaben. 328 Finanzbericht des Bundesministeriums der Finanzen, 1998, S. 144. 329 Im Rahmen des Länderfinanzausgleichs steht Nordrhein-Westfalen 1995 mit 3449 Mio. DM und 1996 mit 3135 Mio. DM neben Hessen an der Spitze der Geberländer, obwohl selbst durch Strukturwandel und hohe Arbeitslosenzahlen belastet. 5 Engels

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

neuen Länder mit einem Gesamtvolumen von 14Mrd. DM jährlich. Außerhalb des eigentlichen Finanzausgleichs werden den neuen Ländern als weitere flankierende Maßnahme zur Steigerung der Wirtschaftskraft gemäß Art. 104 a Abs. 2 GG seit 1995 für die Dauer von 10 Jahren Finanzhilfen in Höhe von 6,6 Mrd. DM jährlich nach dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost gewährt. Diese Zahlen verdeutlichen, daß vereinigungsbedingten strukturellen Unterschiede noch nicht überwunden sind 330 und die bündische Solidarität der alten Länder nach wie vor auf die Probe gestellt wird. Diese sehen sich neben den Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes durch die Folgen der Einheit belastet, so daß die Umschichtung von West nach Ost ihrem Widerstand begegnet331. Die zusätzliche Belastung der Haushalte verstärkt zudem die bereits vor der deutschen Einheit bestehenden Disparitäten zwischen den Ländern. Diese Zahlen zeigen aber auch die starke Abhängigkeit der neuen Länder vom Bund. Die fünf neuen Länder sind finanziell vom Bund so stark abhängig, daß dieser ihnen viele Entscheidungen „aufzwingen" kann, solange er ihre Sonderinteressen berücksichtigt und zufriedenstellt 332. Eine solche Abhängigkeit ist geeignet, die bundesstaatliche Machtbalance ins Wanken zu bringen. Denn mit ihr einher geht die sachliche Unitarisierung, da der Bund wegen der geringen Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Länder auch in den infrastrukturellen, städtebaulichen, kulturellen und wirtschaftspolitischen Bereichen, die ursprünglich in die Eigenverantwortung der Länder fallen, mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützend tätig wird 333 .

IV. Chancenungleichheit durch unterschiedliche Finanzkraft der Bundesländer Die Problematik des bundesstaatlichen Finanzausgleichs enthält demnach ebenfalls ein hohes Konfliktpotential in Verbindung mit dem Chancengleichheitsgrundsatz. Wachsende Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Länder haben unweigerlich Auswirkungen auf die dortigen Lebensbedingungen. Dies sogar in doppelter Hinsicht: Länder, in denen sich wirtschaftliche, soziale und ökologische Problemlagen konzentrieren, verfügen in der Regel über geringere Einnahmen und stehen gleichzeitig höheren nicht-disponiblen Ausgabenverpflichtungen gegenüber, können daher weniger kostenintensive Programme im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich verwirklichen als andere Länder 334 . Eine Dezentralisierung von Aufgaben, die mit regionalen Disparitäten zu tun haben, verstärkt diesen Zusam330 Ygi Fugmann-Heesing, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 191, unter Hinzuziehung von Arbeitslosigkeit und Produktivität. 331 Benz, DÖV 1993, S.85. 332 H. P. Schneider, Der Föderalismus, S. 86. 333 Benz., DÖV 1993, S.85. 334 Benz, DÖV 1991, S. 590.

§ 3 Bundesstaat und Chancengleichheit

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menhang335. Ein wirksamer Wettbewerbsföderalismus setzt indes voraus, daß sich die Eigendynamik der Länder mit der einhergehenden unterschiedlichen Standortattraktivität nicht im Kanal der staatlichen Umverteilung der Finanzkraft verliert 336 . Gerade diesem Aspekt will die leistungsorientiertere Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs ab 2005 Rechnung tragen. Hier wird die Brisanz des bundesstaatlichen Finanzausgleichs deutlich und damit die Frage, inwieweit die anderen Länder zum Ausgleich verpflichtet sind und wo die Solidaritätspflichten in eine Überforderung übergehen und damit die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems gefährdet erscheint, so daß eine Verschiedenheit möglicherweise unausweichlich ist. Auch die Bestimmung der Grenzen finanzieller Umverteilung wirkt sich folglich auf die Chancengleichheit der Bürger aus. Die deutsche Einheit hat die Probleme des Finanzausgleichs noch verschärft und hat eine Problemlage offenbart, durch die die Frage nach einem verfassungsrechtlichen Gebot der Herstellung einheitlicher/gleichwertiger Lebensverhältnisse und damit nach gleichen Lebenschancen neue Brisanz erhalten hat.

E. Selbstkoordination der Länder Nicht nur die Verflechtung zwischen Bund und Ländern hat die Erosion des Bundesstaates unterstützt, sondern auch die Selbstkoordination der Länder untereinander 337 , auf der sog. „Dritten Ebene" 338 . Die Länder haben wirksame Instrumente einer Selbstkoordination geschaffen, dazu zählen u. a. Ministerpräsidentenkonferenzen, Fachministerkonferenzen sowie Referentenbesprechungen. Institutionalisiert wurde die Kooperation der Bundesländer untereinander beispielsweise durch die Filmbewertungsstelle in Wiesbaden, die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze in Dortmund und das Zweite Deutsche Fernsehen. Antrieb zu diesem kooperativen Föderalismus waren einerseits die Herstellung gleichartiger Lebensverhältnisse, Chancengleichheit und die Möglichkeit der Freizügigkeit im Bundesgebiet339. Andererseits ist die Kooperationsbereitschaft der Länder auch mittelbarer Effekt einer weitergehenden Schrumpfung der Zuständigkeitsbereiche der Länder, der man durch verstärkte und zunehmend institutionalisierte Kooperation - etwa in Form von Mustergesetzen - entgegentreten wollte 340 , 335

Benz, DÖV 1991, S. 590. Ottnad/Linnartz, Föderaler Wettbewerb, S. 86 ff.. 337 Vgl. zur Selbstkoordination der Länder Kisker, Kooperation im Bundesstaat; Scheuner, Staatstheorie, S. 399 ff. 338 Rudolf,i HStR IV, § 105 Rn.74; Ossenbühl, DVB1. 1989, S. 1233; Thieme, DÖV 1989, S.506. 339 Benda, Föderalismus in der Rechtsprechung des BVerfG, S. 79; Pietzcker, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 37. 340 Böckenförde, FS Schäfer, S. 182f.; Pietzcker, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 37. 336

5=

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

mit der aber eben zwangsläufig auch eine sachliche Unitarisierung einher ging 341 . Es entstand ein Verbundsystem gegenseitiger Abstimmung, das immer mehr intensiviert wurde: So sitzen derzeit beispielsweise die Mitarbeiter der baden-württembergischen Ministerien in 928 länderübergreifenden Gremien und Ausschüssen, bei denen die Ergebnisse der Verhandlungen meist wenig Raum lassen für Individualität 342 . Dennoch besteht vom Verfahren her betrachtet ein wesentlicher Unterschied zwischen zentralen Regelungen und der freiwilligen Selbstkoordination der Länder, denn es beruht insoweit auf der eigenen Entscheidung, ob eine Materie gleich oder unterschiedlich geregelt wird. Die zahlreichen verfassungsrechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der freiwilligen Länderkooperation, insbesondere im Hinblick auf die vielfach bemängelte Beeinträchtigung der staatlichen Machtbalance343 sowie das ihm immanente Demokratiedefizit 344, sollen hier wegen der fehlenden Auswirkungen auf die vorliegende Problemstellung ausgeklammert werden.

F. Europäische Integration I. Europäische Integration und bundesstaatliche Ordnung Die aktuelle Diskussion befaßt sich weitergehend mit der noch offenen Frage, ob sich die fortschreitende europäische Integration nachhaltig auf die bundesstaatliche Ordnung auswirken wird 345 . Fest steht, daß mehr und mehr Kompetenzen auf die Ebene der Europäischen Union verlagert werden, auch die, die in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen. Unter dem Titel „Rechtsvereinheitlichung" nimmt die Europäische Union in zunehmendem Maße Sachzuständigkeiten in Anspruch 346. Damit gehen den Ländern weitere Gestaltungsspielräume verloren, ähnlich wie bei den Verlagerungen auf den Bund 347 . Durch die Neufassung des Art. 23 GG am 21. Dezember 1992 348 sollte die Kompensation dieses Verlustes durch Mitwirkungsbefugnisse der Länder am europäischen Einigungsprozeß auf eine verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden 349. Die durch die bisherige Gestaltung des Integrationsprozesses nachhaltig gestörte Balance zwischen den Verfassungsorganen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sollte wiederhergestellt werden 350. Dazu 341

Ossenbühl, DVB1. 1989, S. 1233. Vgl. Rau, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungkonvent, S. 20. 343 Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 135 ff. 344 Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 133ff.; Rudolf,\ HStR IV, § 105 Rn. 81. 345 Vgl. Nass, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24. Juni 2000, S. 7; Leonardy, ZParl 1999, S. 156 ff. 346 Thieme, DÖV 1989, S.508. 347 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 234. 348 BGB1.I, S.2089. 349 Streinz in: Sachs, Art.23 Rn.4. 350 BT-Prot. 12/126, S. 10834 (Abg. Verheugen). 342

§ 3 Bundesstaat und Chancengleichheit

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wirken gemäß Art. 23 Abs. 2 GG die Länder „durch den Bundesrat" in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. In den Absätzen 4 und 5 wurde der Einfluß des Bundesrates je nach Länderbetroffenheit unterschiedlich festgelegt. Die Spannbreite reicht vom Unberücksichtigtbleiben der Stellungnahme des Bundesrates über die „Berücksichtigung" bei der Entscheidung (Bundesregierung muß Stellungnahme einbeziehen und sich mit ihr auseinandersetzen) bis hin zur maßgeblichen Berücksichtigung der Stellungnahme351. Wenn es sich im Schwerpunkt um eine Angelegenheit handelt, die der Gesetzgebungsbefugnis der Länder unterfällt, so soll die deutsche Mitwirkung gemäß Art. 23 Abs. 6 GG vom Bund auf einen Ländervertreter übertragen werden, der vom Bundesrat ernannt wird. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Bundesländer ihre Mitbestimmungsrechte bei der Willensbildung und Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland auf der Ebene der Europäischen Union ausgebaut haben352. Dem Bundesrat wird eine aktive Rolle zugeschrieben, die dem binnenstaatlichen Ausgleich von Kompetenzverlusten dient 353 . Die einzelnen Länder in ihrer Vielfalt und Verschiedenheit haben dadurch aber wenig gewonnen: „Gewinner" ist der Bundesrat und damit die im Einzelfall vorhandene politische Mehrheit 354 . Die Mitwirkung über den Bundesrat ist daher auch nicht in der Lage, die Kompetenzverluste seitens der Länder, insbesondere seitens der Landesparlamente, vollständig zu kompensieren 355. II. „Europa der Regionen" Andererseits eröffnet Europa unter dem Stichwort „Europa der Regionen"356 auch neue Perspektiven für den Bundesstaat. Die in Art. 151 EGV verankerte „regionale Vielfalt" erfährt insbesondere durch den Ausschuß der Regionen (Art. 198 a bis c, Art. 263 EGV) eine Stärkung. In den Regionenfindet nicht nur der einzelne seine haltgebende „Heimat" 357 , im Rahmen zunehmender Globalisierung wird sich der Wettbewerb zwischen den einzelnen Regionen als Investitionsstandorte verschärfen. Die Bundesländer können dem nur mit einem hohen Grad an Eigenverantwortlichkeit und föderativem Wettbewerb begegnen, der aber zwangsläufig mit der Abkehr von Chancengleichheit einhergeht. Denn nur so können sie ihre Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit unter Beweis stellen, um so ihre Kompetenzen nicht nur gegenüber dem Bund, sondern auch gegenüber der europäischen Integration zu verteidigen 358. 351

Vgl. hierzu Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 23 Rn. 55 f. Ossenbühl, DVB1. 1993, S.636. 353 Streinz in: Sachs, Art.23 Rn.91; Magiern, Jura 1994, S.9. 354 Rojahn in: v. Münch/Kunig, Art. 23 Rn. 57. 355 Streinz in: Sachs, Art. 23 Rn.97; Stein, VVDStRL 53 (1994), S.36f. 356 Vgl. hierzu Polaschek in: Föderalismus, S.9ff.; Leonardy, ZParl 1990, S. 180ff.; ders., ZParl 1999, S. 158f.; Benz, DÖV 1993, S. 85f.; Calliess, DÖV 1997, S. 891 f. 357 Häberle, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 64 f. 358 Vgl. Di Fabio , 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 155; Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich, S.285; Jens-Peter Schneider, Der Staat 40 (2001), S.292. 352

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

G. Zwischenergebnis Der aufgezeigte Ist-Zustand des Bundesstaates im Gesetzgebungs-, Verwaltungsund Finanzbereich hat eine Vereinheitlichungstendenz offenbart, die zu weitgehendem Abbau der sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Disparitäten im Bundesstaat geführt und damit das Ziel der gleichen Lebenschancen gefördert hat. Genährt wurde diese Entwicklung von zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtungen, von Mobilität und Gleichheitsforderungen der Bürger. Demzufolge liegt die Gesetzgebungskompetenz heute überwiegend beim Bund. Soweit den Ländern Gesetzgebungsmaterien verblieben sind, suchen sie nicht selten, sich untereinander abzustimmen, um auch in ihrem ureigensten Gesetzgebungsbereich im Interesse der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im ganzen Bundesgebiet zu übereinstimmenden Regelungen zu gelangen359. So fördern die Länder den Unitarismus durch Musterentwürfe (zum Beispiel: Bauordnung 360) und stellen damit die Notwendigkeit länderverschiedener Regelungen selbst in Frage 361. Die den Ländern zum Ausgleich der Kompetenzverluste eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse auf Bundesebene bewirken zwar die Berücksichtigung der Auffassungen der einzelnen Länder, haben aber im Ergebnis immer eine Einheitlichkeit und eben keine Vielfältigkeit zur Folge. Die „Rechtsvielfalt als Markenzeichen des Bundesstaates"362 kann sich derzeit kaum entfalten. Bundesgesetzgebung und bundesgesetzlich bewirkte Rechtseinheit sind dominant363. Dennoch zeigt die Struktur des Bundesstaates auch vielfältige Handlungsspielräume der Länder auf, deren Ausgestaltung Auswirkungen auf die Lebenschancen der Bürger hat. Die weitgehend abstrakt dargelegten Konfliktlagen lassen die Ausstrahlungswirkung der Problemstellung in vielfältige Lebensbereiche erkennen. Insbesondere die Aufsplittung der Gesetzgebungskompetenzen birgt neben ihren positiven Wirkungen 364 mithin schwierige Fragen der angemessenen Berücksichtigung des das heutige Denken stark beeinflussenden Prinzips der Chancengleichheit in sich. Mit Blick auf die zunehmende Globalisierung wird überdies zunehmend die Reparaturnotwendigkeit des bundesstaatlichen Systems beschworen und die Forderung erhoben, durch intensivere und separative Ausschöpfung der bestehenden Landeskompetenzen und weitere Rückübertragung von Bundeskompetenzen auf die Länder mehr Wettbewerb unter den Ländern zu erreichen. Die vorzunehmende und bereits in Gang befindliche Neujustierung des deutschen Bundesstaates - einschließlich der Finanzverfassung - setzt jedoch gleichzeitig die Akzeptanz größerer Ungleichheit voraus. Es bedarf daher der Definition, inwieweit andere verfassungsrechtliche Aspekte eine Einheitlichkeit fordern. 359 360 361 362 363 364

Rudolf Aktuelle Probleme und Entwicklungstendenzen, S.228. Musterbauordnung (MBO) i.d.F. vom 30.10.1959. Ossenhühl DVB1. 1989, S. 1236. Grawert, Der Staat 30 (1991), S. 215. Grawert, Der Staat 30 (1991), S.216. Vgl. hierzu oben: §2D.

§ 4 Ergebnis zum 1. Teil

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§ 4 Ergebnis zum Ersten Teil Unter Chancengleichheit ist die Forderung nach gleichen rechtlichen und tatsächlichen Startbedingungen zu verstehen, für die der Staat nicht nur durch Unterlassung von beeinträchtigenden Maßnahmen, sondern auch durch positive Förderungsmaßnahmen Sorge tragen kann. Ergebnisgleichheit ist nicht vom Begriff der Chancengleichheit umfaßt. Der Föderalismus hat in Deutschland eine lange Tradition. Anders als zur Zeit des Deutschen Bundes ist die föderalistische Struktur der Bundesrepublik aber nicht mehr von dem „bündischen Element" geprägt, sondern von den Funktionen, die dem Bundesstaatsprinzip zugesprochen werden. Dazu zählen namentlich Gewaltenteilung, Freiheitssicherung, Wettbewerb, Minderheitenschutz, Sachnähe sowie Demokratie-Adäquanz. Diese Funktionen können aber nur dann Wirksamkeit entfalten, wenn der dahinterstehende „Vielfaltsaspekt" des Bundesstaates auch Verfassungswirklichkeit ist. Legt man den obigen Begriff der Chancengleichheit zugrunde, so kommen als Konfliktfelder mit dem Bundesstaatsprinzip diejenigen Bereiche in Betracht, die unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten der Einwohner verschiedener Bundesländer bedingen. Dazu zählen zunächst die Materien der Landesgesetzgebung, in denen der bestehende Spielraum zu Chancengleichheit führt. Der Zwiespalt zwischen Bundesstaatsprinzip und Chancengleichheit zeigt sich zudem bei Diskrepanzen in der Verwaltungspraxis und bei unterschiedlicher Finanzlage der Länder, die sich besonders nachhaltig auf die tatsächlichen Lebenschancen der Bewohner auswirken kann. Der deutsche Bundesstaat ist indes derzeit überwiegend unitarisch ausgerichtet: Er ist geprägt von einer weitreichenden Bundesgesetzgebung und einer primär bei den Ländern liegende Verwaltung. Die Entwicklung der Finanzverfassung hat zu einer weitreichenden finanziellen Abhängigkeit der Länder vom Bund geführt, diese Tendenz wurde durch die deutsche Einigung noch verschärft. Durch die Selbstkoordination der Länder untereinander ist ein Verbundsystem gegenseitiger Abstimmung entstanden, das zu einer weitgehenden Vereinheitlichung geführt hat. Der so genährte Drang zur Einheitlichkeit hat zu einer weitreichenden Chancengleichheit im deutschen Bundesstaat beigetragen. Gleichwohl wird zunehmend die Hinwendung zu mehr Wettbewerbsföderalismus und eine größere Finanzierungsverantwortung der Länder gefordert. Die bündische Solidarität wird auf den (unter anderem bundesverfassungsgerichtlichen) Prüfstand gestellt und eine Stärkung der Gesetzgebungskompetenz der Länder als unausweichliches Gebot zur Wahrung der Konkurrenzfähigkeit im Wettbewerb der Regionen als Wirtschaftsstandorte betrachtet. Ein hoher Grad an Eigenverantwortung der Länder auf dem Gebiet der Gesetzgebung insbesondere in den Standortfaktoren Bildung und Ausbildung wirkt sich indes unmittelbar auf die Chancengleichheit der

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1. Teil: Ausgangsbasis der Problemstellung

ansässigen Bürger aus. Denn Chancenungleichheit kann durch die unterschiedliche Behandlung von „Konkurrenten" (auf dem Arbeitsmarkt, im wirtschaftlichen Wettbewerb, in bezug auf den Zugang zu Bildungseinrichtungen usw.) entstehen. Beruht diese unterschiedliche Behandlung aber auf der bundesstaatlichen Ordnung, so kompliziert sich die Fragestellung. Deshalb soll der Schwerpunkt der rechtlichen Analyse des Spannungsfeldes im Rahmen dieser Bearbeitung auf die Gesetzgebungskompetenzen der Länder gelegt werden, denn sie sind die entscheidende Weiche für oder gegen Chancengleichheit im Bundesstaat. Besonders vor dem Hintergrund einer Neujustierung zugunsten des föderalen Wettbewerbs stellt sich die Frage, welche präzisen Aufträge und Grenzen im Hinblick auf das weitreichende Konfliktfeld „Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip" aus dem Grundgesetz abzuleiten sind. Ist im Grundgesetz selbst ein Trend zur Unitarisierung angelegt oder ist Vielfalt - auch auf Kosten der Chancengleichheit - von der grundgesetzlichen Ordnung gefordert? Welches sind die Maßstäbe, an denen die „zulässige Chancenwngleichheit" im Bundesstaat gemessen wird? Aufgrund der Vielgestaltigkeit der Konstellationen liegt kein „Patentrezept" auf der Hand. Vielmehr ist es geboten, jede Problemlage gesondert in den Blick zu nehmen, nach der Lösung zu suchen und mögliche Parallelen aufzudecken. Aufgrund der thematischen Konzentration auf die Analyse der Korrelation zwischen Chancengleichheit und deutschem Bundesstaatsrecht sowie unter Berücksichtigung des Umfangs dieser Fragestellung werden die europarechtlichen Vorschriften weitgehend ausgeklammert und nur am Rande erörtert. Sollte sich die Europäische Union, die derzeit noch als Staatengebilde sui generis qualifiziert wird 365 , in Richtung eines europäischen Bundesstaates nach deutscher Prägung entwikkeln 366 , so ist es je nach Ausgestaltung zumindest denkbar, einige Anregungen für das Verhältnis zwischen Chancengleichheit und divergierenden einzelstaatlichen Regelungen auch den hier gefundenen Ergebnissen zu entnehmen.

365

Vgl. hierzu Hechel, Der Föderalismus, S. 89 ff. Vgl. zur europäischen Föderation Joschka Fischer, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 15.5.2000, S. 15. Ob die Mitgliedschaft Deutschlands in einem europäischen Bundesstaat verfassungsrechtlich zulässig ist, hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen gelassen: BVerfGE 89, 155, 188f.; vgl. auch Heckel, Der Föderalismus, S. 128. 366

Zweiter Teil

Verfassungsrechtliche Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung durch die Länder Chancenungleichheit kann bei Wahrnehmung von Länderkompetenzen im Bundesstaat insbesondere unter zwei verschiedenen Aspekten entstehen1, deren Trennung für die Lösung von wesentlicher Bedeutung ist. Sie kann einerseits darauf zurückzuführen sein, daß ein Hoheitsträger im Rahmen seiner eigenen Kompetenz eine Differenzierung in der Weise vornimmt, daß er seine Maßnahmen auf Einheimische beschränkt und damit für diese Personengruppe selbst eine abweichende Behandlung begründet. So liegt es beispielsweise, wenn ein Bundesland von ihm gewährte Leistungen allein den Landesangehörigen zukommen läßt. Diese sogenannten „Landeskinderklauseln" beschreiben daher ein eigenes Konfliktfeld im Rahmen der Wahrnehmung von Länderkompetenzen, das einer eigenen Lösung zuzuführen ist (Privilegierung von Landesangehörigen)2. Andererseits kann die Chancenungleichheit daraus folgen, daß eine Mehrzahl von Teilrechtsordnungen nebeneinander besteht und daher für verschiedene Bevölkerungsteile jeweils eigene Regelungen gelten. Die Ungleichbehandlung liegt in diesem Fall nicht darin, daß der Gesetzgeber eines Landes zwischen verschiedenen Personengruppen differenziert und unterschiedliche Rechtsfolgen anordnet, sondern darin, daß er die Adressaten dieser Regelung in einer bestimmten Art und Weise behandelt, während die Vergleichsgruppe von dem Gesetzgeber eines anderen Landes abweichend behandelt wird (disparitäre Kompetenzwahrnehmung durch die Länder). Die Chancenungleichheit resultiert folglich aus der unterschiedlichen Behandlung durch verschiedene Bundesländer. Diesem Problemkomplex soll in diesem Abschnitt der Untersuchung nachgegangen werden. Der oben aufgeworfene Gedanke der Gerechtigkeit durch Schaffung gleichwertiger Lebens- und Sozialbedingungen läßt die Forderung aufkommen, bundesweit möglichst einheitliche Regelungen zu treffen. Diesem Ansinnen stehen im Bundesstaat allerdings die den Ländern verfassungsrechtlich eingeräumten Kompetenzbereiche gegenüber, die es diesen ermöglichen, für ihr Hoheitsgebiet eigene - durchaus von anderen Bundesländern abweichende - Vorschriften zu erlassen oder von ihrer Regelungskompetenz keinen Gebrauch zu machen. Die so bereits durch das Grundgesetz vorgezeichnete Rechtsverschiedenheit bringt die Gefahr mit sich, daß die 1 2

Vgl. zu dieser Unterscheidung auch: Fastenrath, JZ 1987, S. 173. Dieser Problembereich wird eingehend im 3. Teil untersucht.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

Rahmenbedingungen für die Entwicklungsmöglichkeiten der Einwohner verschiedener Bundesländer variieren, und birgt daher erhebliches Konfliktpotential innerhalb des föderalistischen Systems. Dieser schon aus dem grundgesetzlichen System folgende Problemkreis unterschiedlicher Länderregelungen erlangt deshalb besondere praktische Bedeutung und ist aus Sicht des Bürgers, der wenig Verständnis für seine „Andersbehandlung" aufbringt, besonders virulent. So wird beispielsweise ein Schüler, der leistungsbedingt vom Besuch des Gymnasiums ausgeschlossen wird, es kaum nachvollziehen können, daß er unter gleichen Voraussetzungen in einem anderen Bundesland nicht entlassen worden wäre und letztlich seine weiteren Chancen für die Berufswahl deshalb geringer sind, weil er gerade in diesem „strengeren" Land wohnt3. Die Beurteilung, ob die Länder oder sogar der Bund zur Herstellung über Landesgrenzen hinausreichender Chancengleichheit verpflichtet sind und welche Ungleichheiten im einzelnen im bundesstaatlichen Gefüge angelegt sind, hat von der gesamtstaatlichen Verfassung aus zu erfolgen. Denn für die positivrechtliche Betrachtung ist allein bedeutsam, welche Lösungen der Verfassungsgeber getroffen hat4. Das systemimmanente Problem wirft daher die Frage auf, ob das Grundgesetz selbst Lösungsmöglichkeiten anbietet, namentlich welche Mechanismen der Konfliktbewältigung das Grundgesetz für das Spannungsfeld der Rechtsverschiedenheit zwischen den Ländern bereithält.

§ 1 Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 G G Da eine Schieflage der tatsächlichen Lebensbedingungen und damit eine Chancenungleichheit hier aus unterschiedlichen Länderregelungen folgt, also aufgrund der rechtlichen Ungleichbehandlung sich gleichender Sachverhalte durch die einzelnen Länder, ist Art. 3 Abs. 1 GG die naheliegende Norm. Denn der hier verankerte allgemeine Gleichheitssatz ist sowohl als subjektives Recht5 als auch in seiner Funktion als in allen Bereichen geltender Verfassungsgrundsatz 6 ein grundsätzliches Korrektiv rechtlicher Ungleichheiten. Unterstützt wird dieser Ansatz dadurch, daß der Ausgangspunkt des allgemeinen Chancengleichheitsgedankens regelmäßig in Art. 3 Abs. 1 GG gesehen wird, gerade im Hinblick auf die Abwehr von chancenbeeinträchtigenden Differenzierungen. Zu klären ist mithin, ob die unterschiedliche (politische) Würdigung verschiedener Sachbereiche, die ihren Niederschlag in voneinander abweichenden Regelungen findet, einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG begründen kann. Dazu müßte Art. 3 Abs. 1 GG überhaupt zur Auflösung der föderativen Divergenzen ins Feld geführt werden können und ihm die Wirkung zuzu3 Vgl. zu unterschiedlichen Regelungen der leistungsbedingten Entlassung aus dem Gymnasium: BVerwG, NVwZ 1998, S.859f. 4 Vgl. Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S.227. 5 BVerfGE 6, 84, 91; BVerwGE 55, 349, 351. 6 BVerfGE 6, 84, 91; 38, 225, 228; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 1.

§ 1 Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG

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messen sein, länderspezifische Regelungen abzubauen und auf diesem Wege Chancengleichheit herzustellen. A. Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 G G Art. 3 Abs. 1 GG als „Konkretisierung des Gerechtigkeitsgebots"7 lautet wörtlich: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich". Doch anders als es der Wortlaut „vor dem Gesetz" nahelegt, ergibt sich aus dem Zusammenhang von Art. 3 Abs. 1 mit Art. 1 Abs. 3 GG, daß das Gleichheitsgebot sowohl Legislative, Exekutive als auch Judikative bindet8 und damit Rechtssetzungs- und Rechtsanwendungsgleichheit fordert. Er erlangt durch den tatsächlichen umfassenden Gebrauch der Gesetzgebungskompetenzen und die daraus resultierende weitreichende Normierung im Bereich der Gesetzgebung sogar erhöhte Relevanz9. Gerade durch Gesetzgebung kann das Ziel der Vorschrift, die Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten zu erreichen 10, effektiv verfolgt werden. Aufgrund der Individualität der Menschen kann Art. 3 Abs. 1 GG nicht eine völlige Gleichstellung aller Menschen anstreben, sondern es sind für verschiedene Fallgestaltungen unterschiedliche Vergleichsmaßstäbe heranzuziehen, an denen jeweils die Gleichbehandlung beziehungsweise Ungleichbehandlung gemessen werden kann. Unter diesem Gesichtspunkt nimmt das Bundesverfassungsgericht eine Betroffenheit von Art. 3 Abs. 1 GG an, wenn wesentlich Gleiches ungleich beziehungsweise wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird 11 . Im Verlauf der Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht den Gleichheitssatz mit der sogenannten „neuen Formel" näher konkretisiert, nach der „der Gesetzgeber [...], wenn er die Rechtsverhältnisse verschiedener Personengruppen differenzierend regelt, eine Gruppe von Normadressaten im Verhältnis zu anderen Normadressaten nur dann anders behandeln [darf], wenn zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können"12. Mit dieser „Formel" sind zwei Bereiche der Gleichheitsprüfung angesprochen: Ungleichbehandlung einerseits, verfassungsrechtliche Rechtfertigung andererseits.

7

BVerfGE 33, 303, 334f. Dies war unter der Geltung der WRV noch umstritten (vgl. RGZ 111, 320,238ff.; 113,6, 13; 136,211,221; 139,6,11 f.; Hesse, AöR 109, S. 176ff.), ist aber heute einhellige Meinung: BVerfGE 1, 14, 52; 13, 348, 355; Jarass in: Jarass/Pieroth Art. 3 Rn. 14; Gubelt in: v. Münch/ Kunig, Art. 3 Rn. 8; Osterloh in: Sachs, Art. 3 Rn. 3; Rüfner in: Bonner Kommentar, Art. 3 Rn. 2; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Rn.292ff. 9 Rüfner in: Bonner Kommentar, Art. 3 Rn. 165; Gubelt in: v. Münch/Kunig, Art. 3 Rn. 8. 10 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 1. 11 BVerfGE3, 58, 135; 42, 64, 72; 71, 255, 271; 72, 141, 150; (st. Rspr.). 12 BVerfGE 76, 256, 329; 84, 133, 157. 8

2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

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B. Ungleichbehandlung Eine Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn eine Person oder Situation in einer bestimmten Weise rechtlich behandelt wird, eine andere Person oder Situation in einer anderen Art und Weise behandelt wird und beide unter einen gemeinsamen, weitere Personen oder Situationen ausschließenden Oberbegriff gefaßt werden können 13 . Mit Blick auf die Problematik unterschiedlicher Länderregelungen ergibt sich daraus, daß abweichende Regelungen verschiedener Bundesländer, die eine Eingriffsmöglichkeit oder eine Leistung des Staates beziehungsweise ein Teilhabeoder Verfahrensrecht des Bürgers regeln, als Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG zu werten wären, wählte man als gemeinsamen Oberbegriff „Bürger der Bundesrepublik Deutschland". Deshalb erscheint es untersuchungsbedürftig, ob auf föderativen Disparitäten beruhende Ungleichbehandlungen in dieser Form tatsächlich von Art. 3 Abs. 1 GG erfaßt werden. Der Grundsatz der „Einheit der Verfassung" verlangt, jeden Artikel immer im Sinnzusammenhang mit den übrigen Verfassungsbestimmungen zu sehen14, daß die Verfassung so nicht ein Konglomerat zufällig aneinander gereihter Rechtssätze bildet, sondern von der Konzeption, ein geschlossenes Ganzes der Ordnung des Staatsund Gemeinschaftslebens zu sein, getragen ist 15 . Ausmaß und Richtung der sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Bindungen des Bundes- und Landesgesetzgebers werden mithin von anderen verfassungsrechtlichen Entscheidungen maßgeblich beeinflußt 16. So steht dem Gleichheitssatz verfassungsrechtlich das Bekenntnis zum Bundesstaat mit den ihm immanenten Funktionen und grundsätzlich hinzunehmenden Folgen gegenüber. Denn nimmt ein Landesgesetzgeber eine ihm in diesem Rahmen eingeräumte Kompetenz wahr und führt dies zu Ungleichheiten im Bundesstaat, so kann das Gleichheitsgebot diese durch die Kompetenzzuweisung grundgesetzlich angeordneten und gewollten Regelungsunterschiede nicht ohne weiteres aufheben. Es fragt sich also, wie dieses Spannungsverhältnis zu lösen ist. I. Länderübergreifende Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG Wenn die Anwendung des Gleichheitssatzes an den Ländergrenzen scheitern würde, so würde die durch ihn geforderte Egalität im bundesstaatlichen System gehemmt. Doch fordert Art. 1 Abs. 3 GG eine grundrechtsgemäße Ausgestaltung der Gesetze17. Diese Verpflichtung trifft auch die Gesetzgeber in den Ländern, ohne daß ein verminderter Geltungswille für vom Föderalismus geprägte Sachverhalte er13

Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn.435. BVerfGE 1, 14, 32; 7,198, 205; 33, 23,27; 49, 24, 56. In BVerfGE 19, 206, 220 wird die Einheit der Verfassung sogar als „vornehmstes Interpretationsprinzip" bezeichnet. 15 Stern, Staatsrecht I, S. 132. 16 Dittmann, FS Dürig, S. 226; Zippelius, VVDStRL 47, S. 29. 17 Stern, Staatsrecht III/l, S. 1258. 14

§ 1 Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG

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kennbar wird . Ähnlich dem „effet utile" im Europarecht, der die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in der Verfassungswirklichkeit fordert 19, könnte innerhalb des bundesstaatlichen Gefüges eine Verpflichtung zur effektiven Verwirklichung der „Bundesgrundrechte" 20 und damit auch des Gleichheitssatzes anzunehmen sein, der die Länder dazu anhält, auch innerhalb ihres Kompetenzbereichs für bundesweite Egalität zu sorgen. Unterstützung erlangt diese Annahme durch den Gedanken, daß der Gleichheitssatz als Ausdruck des Gerechtigkeitsprinzips 21 vor allem einer Interpretation aus der Sicht der Bürger bedarf, deren Gerechtigkeitsempfinden aber gegen unterschiedliche Länderregelungen „rebelliert" 22 . So verweist namentlich Bleckmann 23 darauf, daß im Rahmen der wachsenden Verflechtung von Wirtschaft und Gesellschaft und der Angleichung des Werthorizonts die Bevölkerung nicht mehr bereit sei, größere Regelungsunterschiede hinzunehmen und die bundesstaatliche Kompetenzverteilung als Grund für eine Differenzierung zu akzeptieren. Bei der Gerechtigkeit handele es sich um einen Wert, der nur durch den Rückgriff auf das Gerechtigkeitsempfinden der heute lebenden Bürger konkretisiert werden könne24. Daher sei ein länderübergreifender Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zumindest dann anzunehmen, wenn eine unterschiedliche Ausprägung und Anwendung der die bundesweiten Grundbedürfnisse des Menschen sicherstellenden Grundrechte vorliege 25. Unterstützt werde diese Annahme durch die Bestimmung des Art. 72 Abs. 2 GG, die zeige, daß der Grundsatz der Gleichheit durch das Bundesstaatsprinzip dann nicht durchbrochen werden dürfe, wenn es sich um die Durchsetzung des Sozialstaatsprinzips handele26. Diese Interpretation nimmt ein länderübergreifendes Gleichheitsgebot an, bei dem das Bundesstaatsprinzip als sachlicher Grund für eine divergierende Landesgesetzgebung zwar regelmäßig die Ungleichbehandlung rechtfertige 27, aber eine 18

Lücke, Der Staat 17 (1978), S. 347 f. Bleckmann, Europarecht, Rn. 559. 20 Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 186. 21 Vgl. oben: sub Α. 22 Bleckmann, NJW 1985, S.2857. 23 NJW 1985, S.2857 f. 24 Bleckmann, NJW 1985, S.2857. 25 Bleckmann, NJW 1985, S.2857. 26 Bleckmann, JZ 1991, S.906. 27 So ist wohl auch Bethge, BayVBl. 1985, S. 260 zu verstehen, wenn er ausführt: „Der Gleichheitssatz bricht sich grundsätzlich an der bundesstaatlich geforderten Eigenständigkeit der Länder. [...] Die Bundesstaatlichkeit kann insoweit grundsätzlich als Rechtfertigung für die Begrenzung von Grundrechten in Anspruch genommen werden." Vgl. auch Grawert, Der Staat 14 (1975), S. 229 Fn. 4: „[...] dagegen BVerfGE 33, S. 303 ff., 351 ff. (, Landeskinder'-Bonus), demgemäß die Bundesstaatsstruktur als Differenzierungsgrund für Art. 31 GG verdrängt wird durch »übergreifende Lebenssachverhalte'" (Hervorh. v. Verf.); Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 100: „Zumindest in diesem Fall gilt das Gleichbehandlungsgebot bzw. Diskriminierungsverbot des Art. 3 GG vorrangig vor der föderalen Struktur." 19

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andere Beurteilung dann geboten sei, wenn sich die Auswirkungen auf grundrechtlich geschützte Freiheitsbereiche als unverhältnismäßig darstellen würden. Damit wird die Anwendung des Gleichheitssatzes nicht von vornherein auf das Hoheitsgebiet eines Landes beschränkt, sondern die föderalistisch bedingte Ungleichbehandlung der Rechtfertigung durch das bundesstaatliche System unterworfen. Diese Sichtweise läßt aber Raum für eine Einzelfallabwägung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter: Auf der einen Seite das Bundesstaatsprinzip und die damit einhergehende Regelungshoheit der Länder, die gerade eine von anderen Ländern unabhängige Wahrnehmung ermöglicht, und auf der anderen Seite ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtspositionen der Bürger. Im Rahmen der Abwägung besteht somit die Möglichkeit, daß aufgrund einer Höherwertigkeit der Rechtspositionen des Bürgers die Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung versagt. Wenn es Ziel des Gleichheitssatzes ist, ein Mindestmaß an „Gerechtigkeit" und „Chancengleichheit" herzustellen, so liegt ein Schutz gegen landesgesetzliche Vielfalt durch Art. 3 Abs. 1 GG bei überwiegender Berücksichtigung der Sicht der Bürger sicherlich nahe. Dennoch legt Bleckmann seinen Überlegungen eine unzutreffende Prämisse zugrunde: Er sieht den vorrangigen Rechtfertigungsgrund für die Kompetenzverteilung im Grundgesetz in der Funktion, der unterschiedlichen Wertung derselben Sachverhalte durch die Bevölkerung der verschiedenen Länder Rechnung zu tragen und folgert aus der von ihm angenommenen wesentlichen Abnahme dieser Wertverschiedenheit, daß eine Ungleichbehandlung nicht mehr in allen Bereichen gerechtfertigt sei 28 . Dadurch kommt zum Ausdruck, daß der für maßgeblich erachtete Funktionsverlust die Rechtfertigungskraft der bundesstaatlichen Kompetenzaufteilung beeinträchtigt. Es wurde aber bereits ausgeführt 29, daß die föderale Ordnung und damit Aufteilung der Kompetenzen eben nicht primär durch regionale Wertverschiedenheit, sondern durch den gewaltenteilenden, wettbewerbsfördernden sowie freiheitssichernden Effekt getragen wird. Ist damit die bundesstaatliche Struktur nicht nur durch Wertverschiedenheit der Bevölkerung, sondern primär durch andere Aspekte legitimiert, so bleibt die Rechtfertigung der Regelungsdivergenzen trotz Abnahme der Wertverschiedenheit erhalten. Vor diesem Hintergrund kann allein eine Angleichung der Wertvorstellungen nicht ohne weiteres zu einer länderübergreifenden Anwendung des Gleichheitssatzes führen. „Le plébiscite des tous les jours" vermag die Reichweite des Grundgesetzes nicht zu bestimmen. Auch der Rückgriff auf Gerechtigkeitserwägungen kann das Ergebnis nicht stützen, denn auch das objektive Prinzip der Gerechtigkeit kann die föderalistischen Gegebenheiten nicht außer Kraft setzen30. Zwar hat der Gesetzgeber auch das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung zu beachten, es kann aber nicht die Verteilung der Kompetenzen aushöhlen, zumal das vermeintliche Gerechtigkeits28 29 30

Bleckmann, NJW 1985, S.2857. Vgl. oben: 1. Teil § 2D. Bethge, ZUM 1994, S. lOf.

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empfinden der Bevölkerung vielfach dadurch bestimmt sein wird, ob die jeweilige Abweichung zum eigenen Vorteil ist oder nicht 31 . Dagegen stellt Lücke 32 zur Begründung der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG darauf ab, daß aufgrund von Art. 1 Abs. 3 GG eine prinzipiell umfassende Grundrechtsbindung bestehe. Dies verkennt jedoch, daß die hier verankerte Bindung in der Reichweite und im Anwendungsbereich der Grundrechte selbst wieder ihre Begrenzung findet. Infolgedessen greift diese Argumentation zu kurz: Art. 1 Abs. 3 GG kann den Gesetzgeber nur an das binden, was die Grundrechte ihrem Gehalt nach verlangen, denn die abstrakte Verpflichtung, bestimmte Normen zu beachten, sagt noch nichts über den Umfang der Pflichten im einzelnen aus. Art. 1 Abs. 3 GG vermag den Grundrechten mithin keine Inhalte zu verleihen, die nicht in ihnen selbst angelegt sind 33 , eine darauf gestützte Argumentation erweist sich insoweit als zirkelschlüssig. Wenn Art. 3 Abs. 1 GG also von vornherein im Anwendungsbereich auf das Hoheitsgebiet des Landes beschränkt ist, so bezieht sich auch die Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG nur auf diesen bestehenden Umfang. Lücke betont zwar, daß der Gleichheitssatz auf föderative Gemengelagen nicht uneingeschränkte Anwendung finde, weil dies das föderative System entwerte, will dann aber doch eine Abwägungsentscheidung im Sinne einer „praktischen Konkordanz" als Ausdruck des Gebots des bürgerfreundlichen Verhaltens treffen 34, das er wiederum u. a. aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitet. Damit scheint das Ergebnis der Abwägungsentscheidung und damit die Zumutbarkeit für den Bürger über die bundesweite Anwendung beziehungsweise Nichtanwendung des Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen der Landesgesetzgebung zu entscheiden. Mag der Maßstab der „Zumutbarkeit" zur Begrenzung bundesstaatlicher Vielfalt auch im Ergebnis überzeugen, so kann hiervon nicht abhängen, ob der Landesgesetzgeber landesfremde Sachverhalte als Vergleichsgruppe in seine Entscheidung mit einbeziehen muß oder nicht. Es bleibt damit bei der Frage, ob Art. 3 Abs. 1 GG in seinem Anwendungsbereich auf den Hoheitsbereich eines Landes beschränkt ist, so daß es auf Zumutbarkeitserwägungen insoweit nicht mehr ankommt.

II. Wesentliche Gleichheit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG Entsprechend den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts 35 entscheidet über die Anwendbarkeit des Gleichheitsgebotes grundsätzlich das Vorliegen einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung. Ist eine solche im Fall der landesgesetzlichen Vielfalt schon nicht zu konstatieren, scheidet Art. 3 Abs. 1 GG 31 32 33 34 35

Kathrin Weber, RdJB 1990, S.75. Der Staat 17 (1978), S. 347 f. Stern, Staatsrecht m/1, S.503. Der Staat 17 (1978), S. 353. BVerfGE 72, 141, 150; 76, 256, 329; 84, 133, 158; vgl. dazu oben: sub Α.

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von vornherein als Anknüpfungspunkt aus. Dabei setzt eine Ungleichbehandlung denknotwendig zunächst eine wesentliche Gleichheit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG voraus. Soll die Obergruppe für den Landesgesetzgeber über die Landesgrenzen hinaus gefaßt werden können, ist somit zunächst zu prüfen, ob die zu fordernde wesentliche Gleichheit zwischen den Einwohnern verschiedener Bundesländer innerhalb des bundesstaatlichen Systems Deutschlands überhaupt besteht: Damit kommt es darauf an, ob Adressaten verschiedener Normgeber überhaupt als Vergleichsgruppen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht kommen. Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes teilt die Staatsgewalt auf verschiedene Hoheitsträger auf, wodurch die Verfassung selbst den Sachbereichen einen einheitlichen oder unterschiedlichen Maßstab verleiht 36. Wenn der Bund nicht regelt oder nicht regeln darf, so ist gerade die „Konkurrenz" der Länder eröffnet, was Unterschiede nicht nur gestattet, sondern vielmehr voraussetzt37. Damit macht das Grundgesetz zugleich deutlich, daß die Normadressaten eines Landesgesetzgebers nicht in vollem Umfang mit denen anderer Länder rechtlich gleichzustellen sind. Sie dennoch als zulässige Vergleichsgruppen in Betracht zu ziehen, würde daher die Kompetenzaufteilung des Grundgesetzes unterlaufen. Dies gilt im besonderen, weil gerade die Kompetenzverteilung für den Föderalstaat kennzeichnend ist; sie wird zutreffend als „Herzstück" bundesstaatlicher Struktur bezeichnet38. Damit kommt ihr besondere Relevanz im Hinblick auf die Abgrenzung zum Einheitsstaat zu: Die Bundesländer sind vom Grundgesetz mit eigenen Kompetenzen ausgestattet, mit denen ein Ausgestaltungsspielraum einhergeht. Sinn der Kompetenzaufteilung ist nämlich nicht allein die Wahrnehmung durch die Länder, sondern eben auch eine inhaltliche Vielfalt der Initiativen. Eine allgemeine Vergleichsgruppenbildung über die Landesgrenzen hinaus würde aber eine weitgehende Vereinheitlichung der Gesetzgebung verlangen und somit den eingeräumten Spielraum und damit die inhaltliche Vielfalt wieder einengen. Dieses Ergebnis käme aber dem Einheitsstaat mit seinem entscheidenden Kennzeichen der einheitlichen Rechtsordnung so nahe, daß die Grenze hierzu verwischt würde. Ein so interpretierter allgemeiner Gleichheitssatz und damit verbundene allgemeine Gleichförmigkeit würde das von Art. 79 Abs. 3 GG erfaßte Bundesstaatsprinzip aushebeln39. Die Möglichkeit der autonomen Kompetenzwahrnehmung bedeutet damit auch inhaltliche Ausgestaltungsfreiheit, die bei landesübergreifendem Gleichbehandlungsgebot leerliefe 40. Selbst wenn die Länder in diesem Rahmen eine freiwillige Angleichung anstreben, so beruht 36

Kirchhof,; HStRV, § 124 Rn. 177. Kirchhof HStRV, § 124 Rn. 178. 38 Stern, Staatsrecht I, S. 645. 39 Oeter, Integration und Subsidiarität, S.541. 40 Vgl. BVerfGE 21,54,68 für den Fall der verschiedenen Belastung gleichstrukturierter Betriebe durch unterschiedliche Gewerbesteuer der jeweiligen Gemeinde: „Es wäre mit der den Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Selbstverwaltung nicht vereinbar, wenn eine Gemeinde sich bei Wahrnehmung der ihr zustehenden Rechtssetzungsbefugnisse den Regelungen anderer Gemeinden anzupassen hätte." 37

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dies auf der eigenen Entscheidung des Landes und ist so immer noch Ausdruck der selbstverantwortlichen Kompetenzwahrnehmung. Überdies ermöglicht gerade die Kompetenzverteilung und die damit einhergehende Vielfalt die Entfaltung der den Bundesstaat auszeichnenden Funktionen, insbesondere die der Wettbewerbsförderung sowie die der Gewaltenteilung mit der ihr immanenten freiheitssichernden Wirkung. Bei einer länderübergreifenden Anwendung des Gleichheitssatzes könnten diese Funktionen durch die Einebnung der Vielfalt nicht zur Geltung kommen, womit die Legitimitätsbasis des Bundesstaates als solchem in Frage gestellt würde. Der jeweils handelnde Landesgesetzgeber hätte sämtliche in Betracht kommende Vergleichsgruppen anderer Bundesländer, ihre rechtliche Lage und eine eventuelle Ungleichbehandlung zu diesen zu erwägen, was aufgrund der Vielzahl der Möglichkeiten die Gesetzgebung beeinträchtigen würde. Die Rechtsverschiedenheit ist vielmehr durch die bundesstaatliche Kompetenzordnung impliziert, auch wenn das im Einzelfall dazu führt, daß die Einwohner eines Landes im praktischen Ergebnis mehr belastet oder begünstigt werden als die Einwohner eines anderen Landes41. Ungleichheiten sind daher nicht nur notwendige Folge der Kompetenzaufteilung, sondern zugleich auch im Hinblick auf die Funktionen beabsichtigt. Diese Entscheidung darf nicht durch die generelle Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG über die Ländergrenzen hinaus unterlaufen werden 42. Selbst die Berücksichtigung des Bundesstaatsprinzips als Differenzierungsgrund im Rahmen der Abwägungsentscheidung des Art. 3 Abs. 1 GG würde dieser verfassungsrechtlichen Wertung nicht gerecht. Eine solche Aushöhlung der bundesstaatlichen Vielfalt würde die im Grundgesetz angelegten Differenzierungen aufheben und die kompetenzmäßige Aufteilung obsolet machen. Diese Interpretation findet eine Parallele im Europäischen Gemeinschaftsrecht: Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV liegt nicht vor, wenn sich die Unterschiede in der Behandlung für die dem Gemeinschaftsrecht unterstehenden Personen und Unternehmen aus Unterschieden zwischen den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten ergeben, sofern diese Rechtsordnung auf alle ihrer Herrschaft unterworfenen Personen ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit anwendbar sind43 . Auch die Mitgliedsstaaten werden durch das Diskriminierungsverbot folglich nur verpflichtet, innerhalb ihres Hoheitsgebietes die ihrer Herr41

Rupp> Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz II, S. 384. Kisker, VVDStRL 47, S. 99; Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 541 ; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn.226; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Rn.233ff.; Schoch, DVB1. 1988, S.870. 43 EuGH, Slg. 19961, 161, 175f.; 1979, 2345, 2361; Zuleeg in: v.d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 6 (a. F.) EGV, Rn. 7; v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf, Art. 6 (a. F.) EGV, Rn. 14; Bleckmann, Europarecht, Rn. 1782. Hingegen werden die der Grundfreiheiten eigenen besonderen Diskriminierungsverbote teils als allg. Beschränkungsverbote verstanden, die auch tatsächliche Diskriminierungen erfassen, sofern sie Hindernisse für den Binnenmarkt begründen (EuGH, Slg. 1974,837,852; 1979,649; 19941,6097; 19951,4921; vgl. Leible in: Grabitz/Hilf, Art. 28 EGV Rn. 8; Streinz, Europarecht, Rn. 671 ff.). 42

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schaft unterworfenen Personen ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit gleich zu behandeln. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist seiner Intention nach daher darauf angelegt, daß der Gesetzgeber innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereiches Gleiches gleich und nicht ungleich regelt 44. Daß außerhalb des Gesetzgebungsbereiches gleichgelagerte Tatbestände anders geregelt sind, ist für die Anwendung des Gleichheitssatzes ohne Bedeutung45. Liegen die Divergenzen in der föderativen Ordnung, so greift der Gleichheitssatz nicht ein, denn diese werden grundsätzlich gebilligt 46 . Die Anwendung des Gleichheitssatzes setzt voraus, daß die Ungleichbehandlung durch dieselbe Recht$setzungsgewalt erfolgt 47 , ansonsten fehlt es bereits tatbestandlich an der erforderlichen Vergleichbarkeit 48. Insoweit besteht ein isolierter Geltungsbereich der Regelung49; werden die gleichen Sachverhalte durch verschiedene Hoheitsträger unterschiedlich ausgestaltet, so liegt demnach keine rechtliche Ungleichbehandlung, sondern eine kompetenzübergreifende, unechte Ungleichbehandlung50 vor. Vergleichspaare aus dem kompetenzmäßig zugewiesenen Regelungsbereichen verschiedener Bundesländer sind daher schon nicht „wesentlich gleich" im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG, so daß seine Anwendung bereits tatbestandlich ausscheidet. Dabei ist nicht primär entscheidend, daß sich die Anwendung des Gleichheitssatzes auf einen räumlichen Rechtsbereich beschränkt, sondern daß ein Normgeber nur Adressaten seiner Regelungen beziehungsweise ein Entscheidungsträger nur die in Betracht kommenden Berechtigten zu berücksichtigen hat. Maßgebliches Kriterium ist dabei die Zuständigkeit des Hoheitsträgers. So kann beispielsweise eine Regelung über die Anforderungen an die leistungsbedingte Entlassung aus dem Gymnasium 51 nicht mit der Begründung angefochten werden, in anderen Bundesländern bestünden weniger strenge Anforderungen, da der handelnde Landesgesetzgeber die Schüler der anderen Länder seiner Regelung mangels Zuständigkeit gar nicht unterwerfen kann52. Aus alledem folgt, daß die Ungleichbehandlung von demselben Hoheitsträger ausgehen muß53. „Rechtliche Gleichheit" im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG bedeutet 44

Β GHZ 12, 161, 179f. (Hervorh. v. Verf.). BayVGH, Amtl. Slg. N. F. Bd. 12, S. 152; die Divergenz kann aber aus anderen verfassungsrechtlichen Erwägungen bedeutsam sein: vgl. sogleich unter §§2, 3,4. 46 Bethge, ZUM 1994, S. 11; Ders., DÖV 1990, S.629; Kisker, FS Bachof, S.55; Brüning, NVwZ 2001, Sp.5 Stehsatz (in Drucklegung), Fastenrath, JZ 1987, S. 173. 47 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn.431; Klein, FS Scupin, S. 182; Heun in: Dreier, Art. 3 Rn. 41; Gubelt in: v. Münch/Kunig, Art. 3 Rn. 8; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 226; Rüfner in: Bonner Kommentar, Art. 3 Rn. 162. 48 Siekmann/Duttge, Staatsrecht I, Rn.920. 49 Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Rn.240. 50 Siekmann/Duttge, Staatsrecht I, Rn.920; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art.3 Rn. 10. 51 Vgl. BVerwG, NVwZ 1998, S.859f. 52 Dazu genauer unten: 3. Teil § 2 A15 d). 45

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mithin nur Gleichheit vor dem gleichen Gesetzgeber. Der Vergleich mit ähnlichen Sachverhalten/Personen aus anderen Bundesländern betrifft somit nicht die rechtliche, sondern die faktische Gleichheit. Dies macht auch die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts deutlich, wonach ein Landesgesetzgeber in seinem Kompetenzbereich prinzipiell nicht gehindert sei, von der Gesetzgebung anderer Länder abweichende Regelungen zu treffen, selbst wenn dadurch die Einwohner eines Landes im praktischen Ergebnis mehr belastet oder begünstigt würden 54. Die ungleiche Gesetzeslage wirkt sich so aus, daß für die Betroffenen aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen im Ergebnis eine tatsächliche Ungleichheit entsteht. Eine solche, durch „äußere" (hier: landesfremde) Umstände beeinflußte, faktische Ungleichheit auszugleichen, ist aber nicht Ziel der Rechtsgleichheit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG 55 . Diesen Überlegungen entsprechend entscheidet das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung: „Der Gesetzgeber ist nur gehalten, in seinem Herrschaftsbereich den Gleichheitssatz zu wahren" 56. Er ist prinzipiell nicht gehindert, innerhalb seines Kompetenzbereiches von der Gesetzgebung anderer Länder abweichende Regelungen zu treffen 57; die Zulässigkeit der eigenen Regelung hängt nicht von der Regelung anderer Landesgesetzgeber ab 58 . Auch die „neue Formel" 59 ist von diesem Gedanken getragen, denn bereits in der Formulierung „Gruppe von Normadressaten" kommt zum Ausdruck, daß als Vergleichsgruppe nur diejenige in Betracht kommt, die überhaupt vom Regelungsbereich der Norm erfaßt ist.

I I I . Auswirkungen einer Überregionalität der Lebenssachverhalte Es stellt sich allerdings die Frage, ob ein überregionaler Lebenssachverhalt die länderübergreifende Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes rechtfertigen kann. Diese Sichtweise könnte durch die vieldiskutierte 60 sogenannte „Numerus53

Siekmann/Duttge, Staatsrecht I, Rn.920. BVerfGE 33, 303, 352; 93, 319, 351. 55 Starck, Die Anwendung des Gleichheitssatzes, Symposium Leibholz, S.55f.; ders. in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn.4ff.; Schoch, DVB1. 1988, S. 867; Jarass in: Jarass/ Pieroth, Art. 3 Rn. 1; Siekmann/Duttge, Staatsrecht I, Rn.917: „Der Gleichheitssatz verlangt keine ubiquitäre Gleichheit in der Lebens Wirklichkeit"; Heun in: Dreier, Art. 3 Rn. 60: „Ein und derselben Norm, also dem Gleichheitssatz, ein Prinzip und sein Gegenteil zu entnehmen, nämlich ein Recht auf Gleichbehandlung und auf Herstellung faktischer, sozialer Gleichheit, überzeugt demgegenüber nicht." 56 So oder ähnlich: BVerfGE 10, 354, 371; 11, 299, 305; 12, 139, 143; 12, 319, 324; 16, 6, 24; 17,319,331; 17,319,331; 21,87,91; 27,175,179; 30,90,103; 32,157,169; 32,346,360; 42, 20, 27; 93, 319, 351; 52, 42, 57f.; vgl. auch Klein, FS Scupin, S. 172ff. 57 BVerfGE 32, 346, 360. 58 BVerfGE 37, 314, 323. 59 Vgl. oben sub Α. 60 Vgl. nur Häberle, DÖV 1972, S. 729ff.; Kisker, FS Bachof, S.47ff. 54

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clausus-Entscheidung" des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 197261 gestützt werden. Aus dem hier interessierenden Blickwinkel ging es in dieser Entscheidung unter anderem um die Verfassungsmäßigkeit einer Bevorzugung bayerischer Studienbewerber bei der Zulassung zum Studium an bayerischen Hochschulen (Art. 3 Abs. 2 bay. Zulassungsgesetz v. 8. Juli 1970) sowie um die Notwendigkeit bundesweit einheitlicher Auswahlkriterien bei der Hochschulzulassung. Das Gericht führt in diesem Zusammenhang aus, daß der Gleichheitssatz zwar durch eine durch die föderalistische Struktur bedingte Abweichung der Regelungen eines Landesgesetzgebers von denen anderer Länder nicht verletzt sei 62 . Doch wenn es „bei einer in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers fallende Materie um einen Lebenssachverhalt [geht], der seiner Natur nach über die Landesgrenzen hinausgreift und eine für alle Staatsbürger der Bundesrepublik gleichermaßen gewährleistete Rechtsposition berührt, dann können einseitige Begünstigungen der Einwohner eines Landes eine Ungleichbehandlung anderer Staatsbürger bewirken" 63. Zwar beziehen sich diese Ausführungen auf die abweichende Problematik einer sogenannten „Landeskinder"-Vergünstigung, also einer Differenzierung durch ein und denselben Hoheitsträger zugunsten von Landesangehörigen; aus der hier aufgeworfenen Fragestellung einer länderübergreifenden Egalisierungswirkung des Art. 3 Abs. 1 GG ist jedoch der Gedankenansatz zu verfolgen, ob das Bundesverfassungsgericht den Gleichheitssatz zum Ausgangspunkt der Einebnung bundesstaatlich implizierter Rechtsverschiedenheit und damit zur Überwindung kompetenzrechtlicher Divergenzen fruchtbar gemacht hat. Denn eine naheliegende Schlußfolgerung aus der vom Bundesverfassungsgericht gewählten Formulierung ist es, auch in diesem Fall eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung zu sehen und damit die aufzulösende Spannungslage über das Gleichheitsgebot zu bereinigen 64. Dementsprechend wird das Urteil in der Literatur vielfach dahingehend ausgelegt, daß der an sich nicht anzuwendende allgemeine Gleichheitssatz in Fällen grundrechtlicher Relevanz nun doch gegen Landesindividualität greife 65. Um die Überregionalität des Lebenssachverhalts für eine länderübergreifende Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG fruchtbar zu machen, gilt es zunächst, diesen Be61

BVerfGE 33, 303. BVerfGE 33, 303, 352. 63 BVerfGE 33, 303, 352, (Hervorh. v. Verf.). 64 Rupp, FG BVerfG II, S. 384: „Neuerdings scheint das Bundesverfassungsgericht dem Gleichheitssatz jedoch einen mehr unitarischen Zug zu geben...". 65 So ausdrücklich Kisker, FS Bachof, S.55, Fn. 33; vorsichtiger Rupp, Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz II, S. 385: „Damit scheint Art. 3 das Gebot bundesweiter Einheitlichkeit unterlegt zu werden"; so wohl auch Benda, Föderalismus in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 78; Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S.43, Fn. 124; Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 183; Lücke, Der Staat 17 (1978), S. 348: „Einschränkend äußert das BVerfG für »übergreifende Lebenssachverhalte' deshalb, daß der Gleichheitssatz wenigstens dann eingreife, wenn ein Vorgang seiner Natur nach über die Landesgrenzen hinausgreife ... Dem ist zu entnehmen, daß Art. 3 Abs. 1 durchaus fähig sein kann, unitarisierend auf die föderalistische Ordnung einzuwirken." 62

§ 1 Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG

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griff zu konkretisieren. Ein überregionaler Lebenssachverhalt muß seiner „Natur nach über die Landesgrenzen hinausgreifen" 66. Es kommen daher nur Materien in Betracht, die in der Bundesrepublik ein „zusammenhängendes System"67 darstellen und eine Rechtsposition zum Inhalt haben, die allen Deutschen gleichermaßen zusteht. Bleiben also die Wirkungen der Regelung eines Landes nicht auf den eigenen Hoheitsbereich beschränkt, sondern haben sie bundesweite Auswirkungen auf die Freiheitsbetätigungen der Bürger, so kann ein länderübergreifender Sachverhalt angenommen werden. Gefordert ist mithin eine „Fernwirkung" der getroffenen Regelung auf eine verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition Landesfremder. Indes kann eine solche „Fernwirkung" die landesübergreifende Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen. Wird der Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichheitssatzes grundsätzlich auf den eigenen Kompetenzbereich beschränkt, so kann dieser Grundsatz allein durch eine besondere Sachlage nicht durchbrochen werden, solange nicht dargetan wird, daß dies rechtlich eine andere Wertung zuläßt. Scheiden die Einwohner anderer Bundesländer aber als Vergleichsgruppe von vornherein aus, so kann die tatsächlich erreichte Fernwirkung der Regelung daran nichts ändern, denn es bleibt der Sache nach eine durch tatsächliche Unterschiede begründete faktische Ungleichbehandlung. Die Überregionalität des Lebenssachverhalts vermittelt allenfalls eine besondere Schwere der Betroffenheit, die aber nicht über Anwendung und Nichtanwendung entscheiden kann, sondern nur im Rahmen einer Abwägungsentscheidung Berücksichtigung finden könnte. Auf diese kommt es aber aufgrund der bereits festgestellten Unanwendbarkeit gar nicht mehr an. Überdies begründet die Fernwirkung gerade eine Betroffenheit in einer anderen Rechtsposition (hier: Art. 12 Abs. 1 GG). Eine Lösung kann dementsprechend auch aus Sicht dieser betroffenen Rechtsstellung gesucht werden. Diese Auffassung findet Unterstützung in den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts. Es erwähnt den Gleichheitssatz zunächst vorrangig im Zusammenhang mit der „Landeskinder-Vergünstigung" und zieht ihn überdies nicht allein zur Begründung heran, sondern zitiert ihn „in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG" 68 . Wendet sich sodann der Blick auf die hier relevanten Ausführungen zu den unterschiedlichen Zulassungsvoraussetzungen, so wird deutlich, daß es vorrangig die „in allen Bundesländern gleichermaßen gewährleistete Rechtsposition" (namentlich Art. 12 Abs. 1 GG in Form des Rechts zur freien Wahl der Ausbildungsstätte) und damit das Einstehen für gleiche Freiheit ist, welche die Entscheidung in bezug auf die landesrechtliche Vielfalt trägt. Das Bundesverfassungsgericht nimmt eine „Mitverantwortung" der Länder „für eine kooperative Verwirklichung des Grundrechtsschutzes" an, die darauf beruhe, daß der geltende Grundrechtsschutz gegenüber der Gesetzgebung des Bundes wie der Länder gleichermaßen garantiert sei 69 . Nicht der 66 67 68 69

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

33, 303, 352. 33, 303, 352; Rupp, FG BVerfG II, S. 384. 33, 303, 355. 33, 303, 357 f.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenz Wahrnehmung

Gleichheitssatz trägt hier die Angleichung, sondern die drohende „Entwertung von Grundrechten" 70. Es geht also bei Divergenzen zwischen den Teilrechtsordnungen bei übergreifenden Lebenssachverhalten nicht (nur) um Gleichbehandlung, sondern um eine Grenzziehung zwischen zulässiger und unverhältnismäßiger Freiheitsbeschränkung71. Infolgedessen ist die Entscheidung nicht ohne weiteres dahingehend zu interpretieren, daß nunmehr der Gleichheitssatz auch zwischen den Teilrechtsordnungen Anwendung findet 72, sondern die effektive Verwirklichung der Freiheitsgrundrechte (in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG) eine Angleichung der Bundesländer erfordern kann. Ob dieser Ansatzpunkt letztlich durchgreift, bleibt zu erörtern 73, kann jedoch im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG offen bleiben. So verstanden beläßt es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bei dem Grundsatz, daß der Gleichheitssatz gegenüber föderativen Verschiedenheiten, die in der kompetenziellen Zuordnung des Grundgesetzes ihre Ursache haben, keine unitarisierende Wirkung hat.

IV. Ergebnis Von verschiedenen Kompetenzträgern erlassene, entgegengesetzte gesetzliche Regelungen derselben Frage haben mithin vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand. Soweit ein Bürger durch ein Landesgesetz anders behandelt wird als ein Bürger eines anderen Landes, in dem es keine oder eine andere Regelung gibt, fehlt es von vornherein an der „wesentlichen Gleichheit" der Sachverhalte74. Dementsprechend sind von Art. 3 Abs. 1 GG aus gesehen auch die „Chancen" nur an den jeweiligen Landesregelungen zu messen75. Eine verfassungsrechtlich relevante Vergleichbarkeit und damit eine Ungleichbehandlung liegt nicht vor, so daß sowohl die eine als auch die andere Regelung mit dem Gleichheitssatz vereinbar sein kann. Art. 3 Abs. 1 GG hat damit keine selbständige rechtliche Kraft, bundesweite Egalität der Regelungen herzustellen; der Gleichheitssatz wird bundesstaatlich begrenzt. Ist das Gebot der Rechtsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht in der Lage, bundesstaatliche Vielfalt zu unitarisieren, so ergibt sich daraus noch nicht, daß jede landesrechtliche Regelung ungeachtet ihrer Wirkungen in der Zusammenschau mit Vorschriften anderer Bundesländer Bestand haben kann: Ergebnis ist nur, daß der allgemeine Gleichheitssatz allein keine Angleichung herbeiführen kann. Gleichwohl wird sich im Verlauf der Arbeit immer wieder ein Bezug zu Art. 3 Abs. 1 GG finden, denn auch bei der Betrachtung vom Gleichheitssatz losgelöster 70 71 72 73 74 75

BVerfGE 33, 303, 353. Vgl. Fastenrath, JZ 1987, S. 175; Kathrin Weher, RdJB 1990, S.75. Wie hier Fastenrath, JZ 1987, S. 173, Fn. 49. Siehe unten §3. So auch Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn.431. Vgl. auch Fastenrath, JZ 1987, S. 174 Fn. 56.

§ 2 „Sozialer Bundesstaat"

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Normen ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der „Einheit der Verfassung" sein Grundgedanke stets zu berücksichtigen.

§ 2 „Sozialer Bundesstaat" Beinhaltet das (Verfassungs-)Ziel der Chancengleichheit nicht nur ein Verbot von Freiheitsbeeinträchtigungen, sondern insbesondere auch ein Gebot, die tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheitsausübung zu ermöglichen 76, stellt sich die Anschlußfrage, inwieweit der Staat verpflichtet ist, einen bundesweit einheitlichen Standard der Freiheitsvoraussetzungen zu gewährleisten. Denn je stärker die Betonung auf Konkurrenzföderalismus gelegt wird, um so nachhaltiger wirkt sich dieser Aspekt auf das tatsächlich erreichbare Maß von Chancengleichheit aus: Stehen die Länder untereinander im Wettbewerb, so kann dies in erhöhtem Maße zu Differenzen in Wirtschaftskraft, Bildungsstandard u. ä. führen und bedingt so eine weitgehende Abkehr von gleichen Entwicklungsmöglichkeiten. Der Umfang des zulässigen Konkurrenzföderalismus ist somit abhängig von der Frage, ob Bund und/oder Länder gehalten sind, durch angleichende Maßnahmen Unterschiede in den tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheitsausübung zwischen den Bundesländern zu minimieren. Ein solches Postulat wäre nämlich geeignet, den Entscheidungsspielraum des Landesgesetzgebers in Richtung einer Angleichung der Standards einzuschränken. Diese Forderung findet Ausdruck im Abbau wesentlicher Leistungs- und Belastungsunterschiede und der damit verbundenen Förderung der Chancengleichheit, weil der Abbau regionaler Disparitäten den Bürgern weitgehend gleiche Chancen in der persönlichen Entfaltung sichert 77.

Λ. Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG Wird nun die Frage nach einem Leitprinzip gleicher Lebenschancen im Bundesgebiet gestellt, rückt sogleich das Sozialstaatsprinzip in den Blick, dessen Aussage eine zentrale Bedeutung zukommt78. Obwohl das Sozialstaatsprinzip inhaltlich unbestimmt sowie im Grundgesetz nur sehr lückenhaft konkretisiert und deshalb ein der kokreten Ausgestaltung in hohem Maße fähiges und bedürftiges Prinzip ist 79 , zielt es doch im Kern darauf ab, soziale Ungerechtigkeiten in Richtung einer Anpassung und Verbesserung und des sozialen Kompromisses im Sinne eines Ausgleichs der Interessen aller zu beseitigen80. Zur Beantwortung der Frage, was konkret als sozial ungerecht anzusehen ist, gilt es zu beachten, daß die Sozialstaatsdeklaration eng 76 77 78 79 80

Vgl. oben: 1. Teil § IE. Fischer-Menshausen, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 150. Vgl. zum Verhältnis Sozialstaatsprinzip/Chancengleichheit bereits oben: l.Teil § 1 G. BVerfGE 85, 198; Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 Rn. 18 ff. BVerfGE5, 85, 198; 40, 121, 134.

2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

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verknüpft ist mit prinzipiellen Veränderungen des Staatsdenkens, das dem modernen Staat heute in Abkehr vom reinen Liberalismus, der die bestehende Güterverteilung sicherte, eine aktive Gestaltung der Gesellschaft abverlangt 81. Das Sozialstaatsprinzip als ein Strukturprinzip des Grundgesetzes82 wird daher mit Recht als genereller Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber83 zur Verwirklichung und Sicherung sozialer Gerechtigkeit 84 verstanden. Unter Berücksichtigung dieses Bedeutungswandels wird offenbar, daß sich das Sozialstaatsprinzip nicht in der Herstellung formaler Gleichheit erschöpft, sondern es um die Schaffung sozialer Gleichheit geht85. Dementsprechend wurde die Forderung nach dem Sozialstaat aus der Tatsache geboren, daß aufgrund wirtschaftlicher und sozialer Unterschiede nur ein Teil der Bevölkerung überhaupt in der Lage war, von gleichen rechtlichen Möglichkeiten tatsächlich Gebrauch zu machen86. Der moderne Sozialstaat beschränkt sich mithin im Unterschied zum liberalen Staat nicht auf die Sicherstellung einer rechtlichen Gleichheit im Sinne eines rechtlichen Dürfens 87, sondern ergänzt die Bereitstellung eines rechtlichen Rahmens um die Komponente des tatsächlichen Könnens. Damit geht die im Sozialstaatsprinzip verankerte „soziale Gerechtigkeit" über die Sicherung eines Existenzminimums als formal-gleiche Absicherung der Grundbedürfnisse eines menschenwürdigen Daseins88 hinaus und sichert daneben eine möglichst weitgehende faktische Gleichheit der Entwicklungschancen in der Gesellschaft 89. Dies verdeutlicht, daß auch die sozialstaatliche Gleichheit in dem oben definierten Sinn der Chancengleicheit als Gleichheit der Startbedingungen verstanden werden muß: Sozialstaat bedeutet weder „Gleichheit in der Besitzlosigkeit"90 noch Wohlstand für alle, sondern fordert die Angleichung unterschiedlicher Freiheitsvoraussetzungen91, mithin die Herstellung realer Freiheit 92. Hier tritt die enge Verknüp81

Schnapp, JuS 1998, S.877; Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 Rn.7. Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 102. 83 BVerfGE 22, 180, 204; 27, 253, 283; 59, 231, 263; 69, 272, 314; Pagenkopf Finanzausgleich im Bundesstaat, S. 157; Bieback, EuGRZ 1985, S.666; Gröschner in: Dreier, Art. 20 (Sozialstaat) Rn. 39; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 107; Stern, Staatsrecht I, S. 930; Benda,, HVerfR, § 17 Rn. 158; Dreier,, Jura 1994, S.508. 84 BVerfGE 22,180, 204; 27, 253, 283; 40, 121,133f.; 59, 231, 263; 69, 272, 314; 94, 241, 263; BVerwGE 23,304,306; Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S.702ff.; Bieback, EuGRZ 1985, S. 665f.; kritisch zu diesem Begriff: Sommermann in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn.98. 85 Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 Rn. 36. 86 Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 Rn. 39; Gröschner in: Dreier, Art. 20 Rn. 5. 87 Vgl. hierzu bereits oben: 1. Teil § 1 C, D. 88 Hierzu: BVerfGE35,202,236;40,121,133;43,13,19; 82,60, %5\Depenheuer,mtK\X, § 204 Rn. 78; Gröschner in: Dreier, Art. 20 Rn. 16,41, 54ff. 89 Schnapp, JuS 1998, S. 877; ders. in: v. Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 18; Stern, Staatsrecht I, S.930; Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 Rn.39f. 90 Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 Rn. 46. 91 Schnapp in v. Münch/Kunig, Art. 20 Rn. 18; Zacher, HStRI, §25 Rn.32ff.; Gröschner in: Dreier, Art. 20 Rn. 20; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 106. 82

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fung des Sozialstaatsprinzips mit den objektiv-rechtlichen Funktionen der Freiheitsgrundrechte 93 und zugleich das Spannungsverhältnis zu bundesstaatlich begründeter Ungleichheit von Chancen deutlich zu Tage. Dieses Spannungsverhältnis zwischen sozialstaatlicher Gleichheit der Entwicklungsmöglichkeiten und bundesstaatlicher Vielfalt spiegelt sich bereits im Wortpaar „sozialer Bundesstaat" des Art. 20 Abs. 1 GG wider 94 .

I. „Personale" soziale Schieflage Dabei zielt das Sozialstaatsprinzip in erster Linie auf die Herstellung gleicher Entwicklungsmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsschichten in Richtung einer Abfederung sozialer Härten 95. Indiziert ist somit der Ausgleich sozialer Differenzierungen von Gruppen in einer Gesellschaft, die aufgrund ihrer spezifischen Lebenssituation (wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Alter, Behinderung) besser beziehungsweise schlechter gestellt sind. Die Besser-/Schlechterstellung ist hierbei regelmäßig in Relation zu der gesamtgesellschaftlichen Situation zu definieren. Aufgrund der Anknüpfung an der persönlichen Lebenssituation der Betroffenen kann diese Relation als „personale" soziale Schieflage bezeichnet werden, die durch sozialstaatliche Maßnahmen abgefedert werden soll.

II. „Regionale" soziale Schieflage Indes kann sich die Besser-/Schlechterrelation nicht nur aus der persönlichen Lebenssituation innerhalb der Gesellschaftsstruktur, sondern auch aus der Ansässigkeit in einer bestimmten Region ergeben. Auch räumliche Disparitäten im Infrastruktur·, Versorgungs-, Arbeitsplatz- und Bildungsangebot haben unmittelbare Auswirkungen auf die sozialen Chancen der Bewohner eines Gebietes96. Insofern ist dem sozialstaatlichen Gedanken der Herstellung der Gleichheit der Entwicklungsmöglichkeiten auch eine räumliche Komponente nicht abzusprechen, denn eine soziale Unausgewogenheit kann sich gleichfalls in Bezug auf Regionen ergeben. Dementsprechend kann hier von einer „regionalen" sozialen Schieflage gesprochen werden. Ist der Sozialstaat - wie ausgeführt - insoweit aufgerufen, sozialen Unausgewogenheiten entgegenzuwirken, so gilt dies gleichermaßen für diejenigen, die räumlich bedingt sind. Der Sozialstaat des Grundgesetzes wirkt somit in dieser wei92

Gröschner in: Dreier, Art. 20 Rn. 19. Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.298. 94 Renzsch, Staats Wissenschaften und Staatspraxis 8 (1997), S. 87; Fischer-Menshausen, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 147; Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S.232. 95 Vgl. Depenheuer, HStR IX, § 204 Rn. 90. 96 Hübler, Zur Problematik der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, S. 29; Depenheuer, HStR IX, § 204 Rn. 89. 93

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

teren Zielebene grundsätzlich auf eine räumliche Chancengleichheit hin 97 . In der Tat drängt daher das Sozialstaatsprinzip zur Angleichung der Lebensverhältnisse im Sinne einer Vermittlung einheitlicher Standards98, denn die „soziale Gerechtigkeit" beinhaltet - wie soeben unter I. ausgeführt - die Annäherung von rechtlicher und tatsächlicher Gleichheit und damit die Herstellung annähernd vergleichbarer Lebenschancen, fordert aber keine Egalität99. Eine solche Forderung würde die zur Freiheitswahrnehmung notwendige und sonst der Chancengleichheit immanente Selbstverantwortung aushebeln. Unter Berücksichtigung der Garantie liberaler Freiheitsrechte ist die Herstellung sozialer Gleichheit kein „absolutes Ziel", sondern ist von vornherein nur im Sinne einer relativen Gleichheit zu verstehen 100. Unter dieser Prämisse könnte die sozialstaatliche Prägung des Bundesstaates die Tendenz kennzeichnen, daß auch von den Ländern innerhalb ihrer Kompetenzen die räumliche Chancengleichheit zu fördern ist, ganz nach dem Leitsatz: „Gerechtigkeit kennt keine [Landes-JGrenzen"101. Dabei würde die Annahme einer uneingeschränkten Geltung die bundesstaatlich begründete Spannung zwischen Einheit und Vielfalt zugunsten sozialstaatlicher Chancengleichheit auflösen und der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers erheblich eingeschränkt. Indes ist mit der Feststellung, daß dem Sozialstaat die Tendenz nach räumlicher Chancengleichheit innewohnt, noch kein Urteil darüber gesprochen, ob sie den Bundesstaat aus den Angeln zu hebeln vermag 102.

I I I . Bedeutungsgehalt im Bundesstaat Die Formulierung „sozialer Bundesstaat" in Art. 20 Abs. 1 GG deutet keine besonders sozialstaatliche Ausrichtung des Bundesstaates an. Als Adjektiv (adiectiv = hinzugefügtes [Wort]) beschreibt „sozial" eine Eigenschaft des Bundesstaates, die neben die weiteren Eigenschaften tritt und diese nicht beherrscht. Der staatlichen Komponente „föderal" („rechtsstaatlich", „demokratisch", „republikanisch") wird vielmehr die Komponente „sozial" hinzugefügt. Das „Soziale" versteht sich mithin von vornherein im bundesstaatlichen Wertgefüge und Organisationsrahmen 103 , föderale und soziale Aspekte ergänzen und beschränken sich gegenseitig. Allein schrankenloser Zentralismus wie Partikularismus werden ausgeschlossen, dazwischen hält der Begriff „sozialer Bundesstaat" jedoch erhebliche Entschei97

Vgl. auch Hettlage., VVDStRL 31 (1973), S. 100; Hohmann, DÖV 1991, S. 194; Depenheuer, HStR IX, §204 Rn. 89 (in bezug auf Ost und West); Leonardy, ZParl 1999, S. 153. 98 Köttgen, Der soziale Bundesstaat, S.437,442. 99 Stern, Staatsrecht I, S. 930. 100 Depenheuer, HStR IX, § 204 Rn. 94. 101 So Tacher, Sozialpolitik und Verfassung, S.215. 102 Korioth, Der Finanzausgleich, S. 183. 103 Zacher, HStR I, § 25 Rn. 82; Vogel/Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem. z. Art. 104 a-115 Rn. 85.

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dungsspielräume offen . Die Wortkombination nimmt somit keine Wertung in die eine oder andere Richtung vor, sondern zeigt vielmehr auf, daß sowohl das Sozialstaats- als auch das Bundesstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankert ist. Daher kommt weder der bundesstaatlichen Vielfalt noch dem sozialstaatlichen Postulat räumlicher Chancengleichheit nach dem Wortlaut „sozialer Bundesstaat" exklusiver normativer Gehalt zu, sondern die Bandbreite möglicher Konkretisierungen muß beide verfassungsrechtlichen Zielvorstellungen berücksichtigen 105. Hierin findet sich auch die Wurzel für die Annahme, daß - unter Ausklammerung weiterer Aspekte - dem Sozialstaatsprinzip kein „Oberprinzip" der länderübergreifenden Chancengleichheit entnommen werden kann, das Bund und Länder ohne weiteres zur Angleichung der Freiheitsbedingungen drängt. Die Funktion der Angleichung wohnt dem Sozialstaatsprinzip zwar inne, sie wird aber durch das Bundesstaatsprinzip begrenzt, denn dieses steht dem Sozialstaatsprinzip auf gleicher Normhöhe gegenüber106. Nimmt das Grundgesetz durch die Entscheidung für das föderative System Ungleichheiten in Kauf, so kann das Sozialstaatsprinzip - mag es auch „räumliche" Chancengleichheit fordern - keine Angleichung verlangen, die diese Entscheidung obsolet macht. Doch andererseits darf das Verhältnis zwischen Föderalismus und Sozialstaat nicht in gleicher Weise wie beim allgemeinen Gleichheitssatz bestimmt werden 107, weil eine Begrenzung darauf, daß jeder Hoheitsträger nur in seinem Kompetenzbereich das Sozialstaatsprinzip zu beachten hätte, ihn gänzlich von der Verpflichtung, die räumliche Chancengleichheit der Bürger zu beachten, befreien würde. Damit würde das Bundesstaatsprinzip zu einseitig auf Kosten des Sozialstaatsprinzips betont und dieses liefe in seiner bundesweiten Angleichungsfunktion leer. Sozialstaatlich implizierte regionale Chancengleichheit ist damit ebenso verfassungsrechtlich legitime Zielsetzung staatlicher Tätigkeit wie bundesstaatlich implizierte Vielgestaltigkeit der Lebensbedingungen. Die beiden Prinzipien Sozialstaat und Bundesstaat bedingen somit erst die Spannungslage und eine allein hieraus begründete Überbetonung des einen oder des anderen verbietet sich, es gilt vielmehr einen Ausgleich zu suchen108.

B. Gleichwertigkeit oder Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet als übergeordnetes Leitprinzip des Grundgesetzes? Gleichwohl könnte die sozialstaatlich intendierte räumliche Chancengleichheit im Bundesstaat eine erhöhte Antriebskraft durch andere egalitäre Ziele des Grundgesetzes erhalten. So könnte ein selbständiges Leitprinzip der Schaffung gleichwer104 105 106 107 108

Zimmermann, Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse", S. 36 Fn. 4. Depenheuer, HStR IX, § 204 Rn. 34. Kittner in: Alternativkommentar, Art. 20 Abs. 1-3 (Sozialstaatsprinzip) Rn.69. So Richter, DÖV 1979, S. 187; Laaser, RdJB 1982, S. 356. Dazu unten sub C.

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tiger/einheitlicher 109 Lebensbedingungen die Wirkung des Sozialstaatsprinzips derart verstärken, daß das Gebot bundesstaatlicher Vielfalt insgesamt zurückgedrängt wird und so maßgebliche Impulse für eine gleichwertige Verteilung von Lebenschancen gesetzt werden. Allerdings sieht sich das Bemühen um die rechtliche Ableitung, aber auch die rechtliche Widerlegung eines verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Herstellung einheitlicher/gleichwertiger Lebensverhältnisse regelmäßig dem Einwand ausgesetzt, daß die Diskussion allein der vermeintlich rechtlichen Untermauerung eines politisch gewünschten Zieles, sei es nun größere Einheit, sei es nun stärkere Vielfalt, diene 110 . Denn auch in der politischen Diskussion setzen Politiker immer wieder einen „Verfassungsgrundsatz" wie selbstverständlich voraus:,»Nicht umsonst steht im Grundgesetz, daß uns das Ziel aufgegeben ist, eine Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zu gewährleisten" 111; „Hier hat der Bundesgesetzgeber die Pflicht, für ein Mindestmaß an Einheitlichkeit im Bundesgebiet zu sorgen. Deshalb müssen die Länder verpflichtet werden [...]" 112 . Diese Verquickung von politischen Interessen und rechtlicher Verfassungsinterpretation zeigt sich beispielhaft an der verstärkten Befassung mit dem Leitprinzip „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" im Zusammenhang mit der stets aktuellen Kontroverse um den Länderfinanzausgleich 113, die besonders nachhaltig durch die verschiedenen finanzpolitischen Interessen der Länder bestimmt wird. Angesichts dieser politischen wie rechtlichen Breitenwirkung mag es nicht verwundern, daß die Forderung nach einheitlichen/gleichwertigen Lebensverhältnissen mit dem Beitritt der fünf ostdeutschen Bundesländer eine Renaissance erlebte 114, die bedingt war durch die anfangs erheblich schwächere finanzielle Leistungsfähigkeit der fünf neuen gegenüber den elf alten Bundesländern, die das Problem der ungleichen Lebensbedingungen im deutschen Bundesstaat im Vergleich zu der Lage vor der Wiedervereinigung deutlich verschärft hat. Die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung war deshalb geprägt von Versuchen zahlreicher Autoren, ein verfassungsrechtliches Gebot der Einheitlichkeit/Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse für eine möglichst schnelle Angleichung der neuen Bundesländer an westdeutsche Standards fruchtbar zu machen115. Doch auch schon davor gab es Bemühungen, un109

Zur begrifflichen Abgrenzung unten sub 2 a). Vgl. Koriotl· ι, Der Finanzausgleich, S. 169. 111 M. Berninger (B90/Die Grünen), BT-Sitzung v.30. Oktober 1997, BT-Prot. 13/18008. 112 E. Bulmahn (SPD), BT-Sitzung v.30. Oktober 1997, BT-Prot. 13/18002. 113 Vgl. Oeter,, Integration und Subsidiarität, S.533; Selmer,, VVDStRL 52 (1993), S.24; Schuppert, Staatswissenschaften und Staatspraxis 6 (1995), S. 680ff.; Korioth, Der Finanzausgleich, S. 169ff.; Leonardy, ZParl 1999, S. 150f. 114 So auch Oeter, Integration und Subsidiarität, S.539. 115 Vgl. Hohmann, DÖV 1991, S. 191 ff.; Ernst, DVB1. 1991, S. 1027f.; Kilian, JZ 1991, S.426; H.-R Schneider,, NJW 1991, S.2251 f.; Wieland,, DVB1.1992, S. 1182,1192;Heun, Der Staat 31 (1992), S. 214, der allerdings den Grundsatz zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse gegenüber der Pflicht zur Wahrung föderativer Vielfalt als nicht gleichwertig einstuft (S. 214 Fn. 50); Arndt, JuS 1993, S. 362 (restriktiv zu handhabender Verfassungsauftrag). 110

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ter den Prämissen des kooperativen Föderalismus sowie des von Hesse beschriebenen tatsächlichen Verlangens des Sozialstaats nach sachlicher Unitarisierung 116 verfassungsrechtliche Direktiven zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse herauszustellen117. Folglich verwundert es nicht, daß die Einheitlichkeit/Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse als prägendes Leitbild für die konkrete Bewältigung der dem Bundesstaatsprinzip innewohnenden Spannungslage von Einheit und Vielfalt charakterisiert wird 1 1 8 und zumindest vielfach eine entsprechende Erwartungshaltung besteht. Maßgeblich ist allerdings die Normativität der „einheitlichen/gleichwertigen Lebensverhältnisse", denn für die rechtliche Heranziehung des Grundsatzes zur Lösung der Spannungslage von Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip ist allein entscheidend, ob ihm \ertassungsrechtliche Bindungswirkung zukommt: Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich damit einzig die Frage, ob der Begriff der Einheitlichkeit/Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet als bindender Verfassungsauftrag für alle Staatsgewalten angesehen werden kann. Nur dann könnten unterschiedliche Regelungen gleicher Materien in verschiedenen Ländern wegen Verletzung einheitlicher/gleichwertiger Lebensverhältnisse verfassungswidrig sein 119 . Dies bedarf der verfassungsrechtlichen Reflexion. In der Tat finden sich an einigen Stellen des Grundgesetzes Formulierungen, in denen sich ein Einheitlichkeits- beziehungsweise Gleichwertigkeitsgedanke widerspiegelt: - Art. 72 Abs. 2 GG: „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine gesamtstaatliche Regelung erforderlich macht"; - Art. 104 a Abs. 4 GG: „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wrrtschaftskraft im Bundesgebiet"; - Art. 106 Abs. 3 Nr. 2 GG: „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet"; - Art. 107 Abs. 2 GG: „Durch das Gesetz ist sicherzustellen, daß die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird"; 116

Der unitarische Bundesstaat, in: Ausgewählte Schriften, S. 126ff. Hettlage, VVDStRL 31 (1973), S. 100; Groß, DVB1. 1969, S.96; Wagener, DÖV 1970, S. 159; Scheuner, DÖV 1972, S.590; Pagenkopf, DÖV 1970, S.299: verfassungsrechtlich verankertes Postulat; kritisch: Lerche, FS Berber, S. 299ff.; der bereits 1973 von einer „Art magischen Glanz" sprach, den die Formel der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" schon angenommen habe. 118 Selmer, VVDStRL 52 (1993), S. 19f.; vgl. auch Leonardy, ZParl 1999, S. 150f.: „Die Bedeutung der Forderung nach »Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse' im deutschen Föderalismus kann kaum überschätzt werden." 119 Vgl. auch Hohmann, DÖV 1991, S. 193. 117

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- Art. 109 Abs. 2 u. 4: „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht"; - Art. 115 Abs. 1 S. 2: „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts". Gleichwohl gilt es zu hinterfragen, ob daraus ein übergeordneter Leitgedanke abgeleitet werden kann, der in der Lage ist, den Gesetzgeber in eine Richtung zu dirigieren. Denn ein solches übergeordnetes Ausgleichsziel ist dem Grundgesetz nur zu entnehmen, wenn die verfassungsrechtlichen Faktoren die sozialstaatliche Angleichungsfunktion so verstärken, daß insgesamt eine Vorrangigkeit gegenüber bundesstaatlicher Vielfalt angenommen werden kann. Es stellt sich mithin die Frage nach der normativ-verfassungsrechtlichen Reichweite der Gleichwertigkeit/Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. I. Art. 72 Abs. 2 GG 1. Interpretation

des Art. 72 Abs. 2 GG nach alter Rechtslage

Ein Verfassungsauftrag beziehungsweise eine Staatszielbestimmung zur Angleichung der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet wurde insbesondere unter Bezugnahme auf Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG a. F. („Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse") betont: Art. 72 Abs. 2 [a. F.] GG enthalte die von Bund und Ländern bei der Ausübung ihrer Kompetenzen zu beachtende materielle Pflicht, durch Förderungsmaßnahmen Divergenzen und Widersprüche im Bundesstaat zu verhindern 120. Zwar regele Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 [a. F.] GG nicht explizit den Ausgleich zwischen den Regionen oder Teilräumen, vielmehr sei dort die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nur neben anderen Zwecken als Anlaß zur Wahrnehmung konkurrierender Gesetzgebungskompetenzen des Bundes genannt, dennoch erschöpfe sich die Bedeutung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 [a. F.] GG nicht in dem engen verbalen und systematischen Bedeutungsgehalt121. Der Kompetenznorm könne und müsse vielmehr die Förderung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet als Verfassungsauftrag entnommen werden 122, denn sie regele zumindest den Konflikt zwischen der prinzipiellen föderalen Eigenständigkeit der Länder und den Belangen des Gesamtstaates, indem sie eine Wertung zugunsten der Einheitlichkeit vornehme 123 . Insofern komme der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in diesem Norm120 Bleckmann, JZ 1991, S.905f.; Groß, DVB1. 1969, S.96; Bleckmann entnimmt auch der Einheit der Rechtsordnung und der Einheit der Wirtschaftsordnung das Verbot an Bund und Länder, autonom Gesetze zu erlassen, welche die Divergenzen im Bundesstaat noch vergrößern: JZ 1991, S. 906. 121 Spannowsky, Der Handlungsspielraum, S. 116. 122 Hettlage, VVDStRL 31 (1973), S. 100;Badura, Staatsrecht Rn.F36; Ernst, DVB1.1991, S. 1028 (als Leitlinie der Verfassung); wohl auch Sachs, Staatsbürgerlexikon, Lemma „Bundesstaat". 123 Spannowsky, Der Handlungsspielraum, S. 116; vgl. auch Arndt, JuS 1993, S.362.

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Zusammenhang eine Doppelfunktion zu: Damit sei erstens ein Belang des Gesamtstaates benannt, der konkret die Inanspruchnahme von Bundeszuständigkeiten rechtfertige; aber indem er den prinzipiellen Vorrang gegenüber der Eigenständigkeit der Länder beanspruche, sei darin zweitens durchaus ein übergeordneter Grundsatz zu erkennen 124. Zwar seien im Interesse eines funktionierenden Bundesstaates im Grundgesetz flexible und den politischen Kräften Raum gebende Formulierungen gewählt worden, sie zielten indes insgesamt auf eine Stärkung des unitarischen Elements125. Diese dominierende Position im bundesstaatlichen Kräfteparallelogramm werde gestützt durch die Entscheidung des Grundgesetzes für eine Wirtschaftseinheit 126. Damit sei das so begründete Einheitlichkeitsgebot bindendes Prinzip nicht nur für den Bundes-, sondern auch für den Landesgesetzgeber: „Soweit die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse es gebietet (Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 [a. F.] GG), sollten die Länder ihr Verhalten daher vertraglich koordinieren, solange der Bund nicht zuständig ist." 127 Art. 91 a Abs. 1 Ziff. 2, Art. 104a Abs. 4, Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 [a. F.] und Art. 106 begründeten eine Pflicht des Bundes und der Länder, durch positive Förderungsmaßnahmen Verzerrungen zwischen den Wirtschaftsstrukturen der Länder abzugleichen 128 , und auf dieses Ziel sei die Tätigkeit der öffentlichen Hand auszurichten129. Das Grundgesetz selbst habe dem Ausgleichsziel mithin verfassungsrechtlichen Leitzielcharakter verliehen, das durch wesentliche Unterschiede gestört und insoweit von Verfassungs wegen diskriminiert werde 130 . In der Konsequenz wurde zumindest der völlige Verzicht beziehungsweise der weitreichende Teilverzicht auf den Abbau von Disparitäten als verfassungswidrig eingestuft 131, darüber hinaus wurde dem Ausgleichsgedanken im Sinne einer Harmonisierung auch die Forderung nach einer weitgehend einheitlichen Aufgabenerfüllung auf verschiedenen Gebieten132 sowie die Schaffung eines Mindeststandards an Chancengleichheit in all denjenigen Lebensbereichen, die der Steuerung durch die öffentliche Hand unterliegen 133, entnommen. Diese Interpretation wurde zusätzlich genährt durch die sehr weite Auslegung der Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 a. F. GG durch das Bundesverfassungsgericht, 124

Spannowsky, Der Handlungsspielraum, S. 116. Pagenkopf,\ Finanzausgleich im Bundesstaat, S. 160; ders., DÖV 1979, S.614. 126 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S.216. 127 Groß, DVB1. 1969, S. 96; vgl. auch Thieme, VVDStRL 19 (1961), S. 156; Ipsen, VVDStRL 19 (1961), S. 157. 128 Bleckmann, JZ 1991, S.905. 129 Ernst, DVB1. 1991, S. 1028. 130 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung, S.214f. 131 Spannowsky, Der Handlungsspielraum, S. 117, 213. 132 Pagenkopf DÖV 1979, S.614, Ernst, DVB1. 1991, S. 1028. 133 Vgl. Hübler, Zur Problematik der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, S.28; Hohmann, DÖV 1991, S. 194. 125

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die die ursprüngliche Schranke für den Bundesgesetzgeber leerlaufen ließ 134 . Die Bedürfnisklausel galt als „eines der Haupteinfallstore für die Auszehrung der Länderkompetenzen" 135. Die Kriterien des Art. 72 Abs. 2 a. F. GG, an die die Inanspruchnahme der konkurrierenden und der Rahmengesetzgebungskompetenz geknüpft waren, erwiesen sich als sehr dehnbar und der Bund schien die Vorschrift fast als „Weisung", Fragen an sich zu ziehen, mißverstanden zu haben136. Das Bundesverfassungsgericht beschränkte seine Kontrolle auf die Frage, ob die Begriffe durch den Bundesgesetzgeber „im Prinzip zutreffend ausgelegt und [er] sich in dem dadurch bezeichneten Rahmen gehalten"137 hatte. Ob ein „Bedürfnis" nach bundesgesetzlicher Regelung bestand, war „eine Frage pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers, die ihrer Natur nach nicht justiziabel und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen"138 war. Das Bundesverfassungsgericht beschränkte sich auch hier auf die Prüfung, ob der Bundesgesetzgeber die in seinem Ermessen gezogenen Grenzen verkannt oder das ihm eingeräumte Ermessen mißbraucht hatte, ob das Ermessen eindeutig und evident überschritten war 139 . Zudem wurde das „Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung mit dem Bedürfnis nach bundeseinheitlicher Regelung" gleichgesetzt140. Art. 72 Abs. 2 a. F. GG erwies sich daher nicht als Korrektiv, sondern ermöglichte es dem Bundesgesetzgeber - insbesondere unter Berufung auf die „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" (Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 a. F. GG) - von seiner Kompetenz in großem Umfang Gebrauch zu machen. 2. Interpretation

des Art. 72 Abs. 2 GG nach neuer Rechtslage

Mit dem Ziel, die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebung zugunsten der Landesgesetzgebung zu konzentrieren, zu verschärfen und zu präzisieren, um so die Justitiabilität zu verbessern 141, wurde Art. 72 Abs. 2 GG im Rahmen der Grundgesetzrevision von 1994 geändert. Es wurden zwei alternative Anforderungen sowie die Voraussetzung der „Erforderlichkeit" einer bundesgesetzlichen Regelung „im gesamtstaatlichen Interesse" geschaffen. Die Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG wurde ergänzt durch die Einführung eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens zur Überprüfung seiner Voraussetzungen (Art. 93 Nr. 2 a GG). 134

Vgl. M. Müller, Auswirkungen der Grundgesetzrevision, S. 47; Stern, Staatsrecht II, S.597; Scheuner, DÖV 1966, S.517; Meyer in: v. Münch/Kunig, Art. 93 Rn.41; Sannwald, ZG 1994, S.135. 135 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S.33. 136 Scheuner, DÖV 1966, S.517. 137 BVerfGE 13, 230, 234; 26, 338, 382; 67, 299, 327. 138 BVerfGE2, 213, 224; 10, 234, 245. 139 BVerfGE 34, 9, 39. 140 BVerfGE 18,407, 415. 141 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 33; vgl. auch Sten. Bericht, 11. Sitzung, 15. Oktober 1992, S. 18 (Vogel).

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Auch unter Geltung der neuen Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG wird hierin eine Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet zu Lasten eines Länderwettbewerbs gesehen, „dessen wirtschaftliche und soziale Auswirkungen zu verstärkter Chancenungleichheit [...] innerhalb der Bevölkerung führen würden" 142 . Um allgemein als Instrument zur Bewältigung der Spannungslage zwischen Vielfalt und Chancengleichheit zu fungieren, müßte Art. 72 Abs. 2 GG aber eine in eine Kompetenznorm gehüllte verfassungsrechtliche Zielbestimmung sein, der gegenüber der bundesstaatlichen Vielfaltskomponente der Vorrang gebührt. Zwar kommen auch durch die neue Fassung „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" und „Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit" egalitäre Ziele zum Ausdruck, die überdies in einem für den föderativen Aufbau sehr wichtigen Artikel verortet sind 143 , dennoch ist ihnen kein übergeordnetes, länderübergreifendes Chancengleichheitsgebot zuzuordnen. a) Von der Einheitlichkeit zur Gleichwertigkeit Die gewählte neue Formulierung „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse", soll in bewußter Abkehr von der „Einheitlichkeit" zum Ausdruck bringen, daß nicht jede bundesstaatlich begründete Ungleichbehandlung beseitigt werden muß, sondern Raum für Vielfalt und föderative Wettbewerbsfähigkeit gelassen wird 144 . Der Begriff der Gleichwertigkeit bietet nämlich gerade die Möglichkeit, Unterschiede bestehen zu lassen und mit ihnen umzugehen145. Er zielt wie der Begriff der „Einheitlichkeit der Lebensbedingungen" zwar ebenso auf Vereinheitlichung ab, verlangt aber keine „Gleichmacherei" 146 und weniger „Identität" 147 , sondern ist in größerem Maße einer „wertenden" Entscheidung zugänglich. Der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist bereits genüge getan, wenn die sozialen Gegebenheiten in den Bundesländern einander angenähert werden 148. Die Formulierung „Gleichwertigkeit" trägt damit dem Bedürfnis nach Bewahrung von Unterschiedlichkeit Rech142

H.-P Schneider, NJW 1998, S.3758. Zimmermann, Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse", S. 39. 144 Vgl. dazu: Gemeinsame Verfassungskommission, Sten. Bericht, 11. Sitzung, S. 18 (Jahn); Stettner in: Dreier, Art. 72 Rn. 19; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 72 Rn. 25; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 72 Rn. 11 ; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 2 Rn. 91 ; Calliess, DÖV 1997, S.896; Schmehl, DÖV 1996, S.726; Kröger/Moos, BayVBl. 1997, S.708; Pestalozza in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Art. 72, Rn.352; Haug, WissR 2000, S.2; Degenhart, DVB1.1998, S. 1312; ders. in: Sachs, Art.72 Rn. 10; Leonardy, ZParl 1999, S. 152; Sannwald, ZG 1994, S. 139; Rohn/Sannwald, ZRP 1994, S.68; Beaucamp, JA 1998, S.55; Gaßner/ Diirschke/ZorzU ZFSH 1998, S. 262; Korioth, Der Finanzausgleich, S. 177, erkennt von der Einheitlichkeit zur Gleichwertigkeit keine Änderung im Grad der Übereinstimmung. 145 Pestalozza in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Art. 72 Rn. 353. 146 Wimmer, DVB1. 1982, S. 64 (zum Begriff der Gleichwertigkeit unter alter Rechtslage). 147 Vgl. auch M. Müller, Auswirkungen der Grundgesetzrevision, S.55. 148 Beaucamp, JA 1998, S.55; Rybak/Hofmann, NVwZ 1995, S.233; Degenhart in: Sachs, Art. 72 Rn. 11. 143

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

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nung und entspricht deshalb nach Auffassung der Gemeinsamen Verfassungskommission mehr dem föderalistischen Gedanken als die in der alten Formulierung zum Ausdruck kommende „nivellierende Vereinheitlichung" 150. Mit ihr sollte die mit der alten Formulierung einhergehenden tatsächlichen „Auszehrung der Länderkompetenzen" beseitigt werden 151. Der Begriff der Gleichwertigkeit wurde auf der anderen Seite gerade wegen der mit ihm verbundenen Möglichkeit des Gesetzgebers, eine größere Differenzierung im Hinblick auf die Lebensverhältnisse der einzelnen Bundesländer zu ermöglichen, und der befürchteten Folge einer Verfestigung von Ungleichgewichten kritisiert 152 . Die Festlegung auf „Gleichwertigkeit" in Abkehr von „Einheitlichkeit" stellt somit klar, daß auch durch Art. 72 Abs. 2 GG bundesstaatliche Ungleichheiten grundsätzlich gebilligt werden. Sie bringt ein Ausbalancieren von Angleichung unterschiedlicher wirtschaftlicher und sozialer Rahmenbedingungen und der Bewahrung der Eigenarten der Gliedstaaten zum Ausdruck 153. Gerade der vorher von der Norm ausgehenden „unitarischen Tendenz" sollte entgegengewirkt werden. Dieser Zielrichtung würde die Interpretation als Oberprinzip gleichwertige Lebensverhältnisse mit grundsätzlichem Vorrang gegenüber bundesstaatlicher Vielfalt entgegenstehen. b) Vom „Bedürfnis" zur „Erforderlichkeit" Auch die Formulierung „im gesamtstaatlichen Interesse [...] erforderlich" wurde hinzugefügt, damit die genannten Voraussetzungen nicht per se eine entsprechende Bundeskompetenz begründen, sondern eben nur dann, wenn sie im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich machen154. Der Erforderlichkeitsvoraussetzung kommt deshalb eigenständige Bedeutung zu 155 und sie bezieht sich sowohl auf die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" als auch auf die „Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit" 156. Eine bundesgesetzliche Regelung ist nur erforderlich, wenn nicht die Länder eine Regelung getroffen haben157 oder die gleichwertigen Lebensverhältnisse möglicherweise durch eine 149

Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 2 Rn. 94. Gemeinsame Verfassungskommission, Sten. Bericht, 11. Sitzung, 15. Oktober 1992, S. 18 (H.-J. Vogel). 151 Gemeinsame Verfassungskommission, Bericht, BT-Drs. 12/6000, S.33; vgl. auch Stettner in: Dreier, Art. 72 Rn. 19 Fn. 44; Haug, WissR 2000, S. 2. 152 Gemeinsame Verfassungskommission, Sten. Bericht, 11. Sitzung, S. 17 (Birthler). 153 Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 2 Rn. 94. 154 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S.34. 155 Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art.72 Rn.9; Degenhart in: Sachs, Art.72 Rn. 11,15; Schmehl, DÖV 1996, S.726; M. Müller, Auswirkungen der Grundgesetzrevision, S.58ff.; a. Α.: Rybak/ Hofmann , NVwZ 1995, S.232. 156 Degenhart in: Sachs, Art. 72 Rn. 13; M. Müller, Auswirkungen der Grundgesetzrevision, S. 60; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 2 Rn. 108. 157 M. Müller, Auswirkungen der Grundgesetzrevision, S. 60; Beaucamp, JA 1998, S. 55 f. 150

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Vielzahl gleichgerichteter Ländergesetze verwirklicht werden können . Die Erforderlichkeitsklausel setzt insoweit das Subsidiaritätsprinzip immanent voraus 159, womit eine einschränkende Wirkung hinsichtlich zentraler Regelungen einhergeht 160. Die Neuregelung hat überdies zur Folge, daß der Bund einem stärkeren Rechtfertigungszwang unterliegt, denn er muß nunmehr begründen, daß die konkrete Regelung erforderlich ist 161 . Die Erforderlichkeit wirkt demnach ebenfalls auf eine restriktivere Handhabung des Art. 72 Abs. 2 GG hin und verdeutlicht, daß die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zwar ein legitimes Ziel des Bundesgesetzgebers ist, dieses aber die Wahrnehmung der Kompetenzen nicht ohne weiteres rechtfertigt. c) Von der „Wahrung" zur „Herstellung" Während unter der alten Formulierung „Wahrung" ganz überwiegend nicht nur als Bewahren von Vorhandenem, sondern auch das Herstellen und Erstreben von Einheitlichkeit im Bundesgebiet verstanden wurde 162 , ist zwar die „Herstellung" nunmehr ausdrücklich in den Verfassungstext aufgenommen worden, dies läßt aber nach wie vor nicht den Schluß zu, daß diese „Herstellung" einen übergeordneten Verfassungsauftrag darstellt. Die Einbettung der genannten Ziele in eine Kompetenzbestimmung hat vielmehr zur Folge, daß sie durch den Bundesgesetzgeber nur in den ausdrücklich normierten Zuständigkeiten verwirklicht werden können; nur in diesem Rahmen ist es möglich, das jeweils politisch erwünschte Maß an Einheitlichkeit anzustreben. Es handelt sich bei der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" beziehungsweise der „Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit" überdies um anerkannte, jedoch nicht um notwendige Ziele des Bundesgesetzgebers. Es liegt vielmehr in der Hand des Bundesgesetzgebers, die Gegenstände unter den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG an sich zu ziehen oder sie der Landesgesetzgebung zu überlassen und damit Ungleichheiten zu ermöglichen. Der Bund wird durch Art. 72 Abs. 2 GG nur legitimiert, ihm wird eine Befugnis eröffnet, es wird ihm aber durch Art. 72 Abs. 2 GG keine Rechtspflicht auferlegt, zugunsten der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse einzugreifen 163. Wenn die Politik sich auch vielfach 158 Begründung des Entwurfs des Bundesrates, BT-Drs. 12/7109, S. 14f.; Pieroth in: Jarass/ Pieroth, Art. 72 Rn. 9; Rohn/Sannwald, ZRP 1994, S. 68. 159 Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 2 Rn. 108. 160 Vgl. Stamm/Merkl, ZRP 1998, S.470. 161 M. Müller, Auswirkungen der Grundgesetzrevision, S.61. 162 Hohmann, DÖV 1991, S. 194; Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 72 Rn.23. 163 BVerfGE 13, 230, 232; Stettner in: v. Münch/Kunig, Art. 72 Rn. 19 Fn.44; Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 540; ders. in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 2 Rn. 98; Wimmer, DVB1. 1982, S.64; Kreutz, ZFSH 1998, S.538; anders Depenheuer, HStR IX, §204 Rn. 37: „Der Bund ist legitimiert, aber auch verpflichtet, die Spannungen im Bund nicht zu groß werden zu lassen."; Pestalozza in: v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Art. 72 Rn. 352.

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von dieser Zielvorstellung hat leiten lassen, so begründet dies keine rechtliche Basis dafür, Art. 72 Abs. 2 GG als einen Gesetzgebungsauftrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu qualifizieren 164. Macht der Bundesgesetzgeber von seiner Kompetenz keinen Gebrauch, so hat jedes Land grundsätzlich die Befugnis zur Gesetzgebung, ohne vom Verhalten anderer Länder abhängig zu sein 165 . Durch die Regelung des Art. 72 Abs. 2 GG bringt die Verfassung damit gerade zum Ausdruck, daß sie Ungleichheiten zwischen den Ländern voraussetzt und billigt. In den aufgeführten Sachgebieten ist lediglich die Entscheidung darüber dem demokratisch legitimierten Bundesgesetzgeber überantwortet. Verbleibende Ungleichheiten sind mithin auch nach Art. 72 Abs. 2 GG grundsätzlich zulässig. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist daher nach dem Sinn der Vorschrift kein bindendes Prinzip für den Bundesgesetzgeber und kann folglich auch nicht als Leitziel für die Landesgesetzgeber fruchtbar gemacht werden. d) Art. 72 Abs. 2 GG als Kompetenzhürde Weiterhin ist zu bedenken, daß Art. 72 Abs. 2 GG eine Kompetenzhürde darstellt 166 . Wurde die Funktion der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" bereits nach der alten Rechtslage als Restriktion eingestuft 167, so wird dies durch die neue Formulierung „wenn und soweit" und die Einführung der Erforderlichkeitsklausel nachhaltig unterstrichen. Denn aus dem zuvor Gesagten wird deutlich, daß der Handlungsspielraum des Bundesgesetzgebers nicht erweitert, sondern eingeschränkt werden soll: Anlaß und Umfang der bundesgesetzlichen Regelung werden begrenzt 168. Dementsprechend wurde schon Art. 72 Abs. 2 (a. F.) GG als ein „Moment dynamischer Subsidiarität als dauernder Impuls der Bundesstaatlichkeit" qualifiziert 169 . Ist die tatsächliche Entwicklung im deutschen Bundesstaat auch in die entgegengesetzte Richtung gegangen, so gilt nach Art. 72 Abs. 2 GG das Primat der landesrechtlichen Regelung. Die Kompetenz/iwrde des Art. 72 Abs. 2 GG zum Regelungsaufirag umzudeuten, kann daher nicht überzeugen.

164 Vgl. Bothe in: Alternativkommentar, Art. 72 Rn. 14 (zur alten Fassung); Vogel/Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem. z. Art. 104a-115 Rn. 87. 165 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 72 Rn. 4 (zur alten Fassung); zu den Einschränkungen sogleich sub C. 166 Für Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 a. F. GG: Selmer in: K. Schmidt, Vielfalt des Rechts, S. 206; zur neuen Fassung: Oeter, Integration und Subsidiarität, S.540; Stamm/Merkl ZRP 1998, S.470; Korioth, Der Finanzausgleich, S. 179. 167 Zimmermann, Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse", S. 39; Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 87; Fischer-Menshausen, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 147: „limitierende Funktion"; Laaser, RdJB 1982, S.356. 168 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 33; Gaßner/ Dürschke/Zorzi, ZFSH 1998, S.262. 169 Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S.227.

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e) Justitiabilität nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 (a. F.) GG ließ, wie ausgeführt, die Korrektivfunktion der Bedürfnisklausel weitgehend leerlaufen 170. Mit der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG wurde deshalb zugleich in Art. 93 Abs. 1 GG eine neue Nr. 2 a eingefügt, die dem Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zur gerichtlichen Überprüfung der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zuweist. Aus dem Wortlaut der Norm und dem kundgetanen Willen des Gesetzgebers171 ergibt sich deutlich, daß durch Verbesserung der Justitiabilität einer fortschreitenden Vereinheitlichungstendenz entgegengetreten werden sollte, weshalb Maßstäbe zur Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG entwickelt werden müssen, die dessen Justitiabilität nunmehr sicherstellen 172. Denn aus dem Zusammenspiel von Art. 72 Abs. 2 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG ergibt sich, daß die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bundesgesetzgeber nicht mehr bloß eine politische Entscheidung bedeutet, die nur beschränkt gerichtlich kontrolliert werden kann 173 . Die so verbesserte Justitiabilität und die damit einhergehende Betonung der Korrektivfunktion offenbart zugleich, daß Art. 72 Abs. 2 GG keine Basis für eine materielle Angleichungspflicht darstellt.

f) Zwischenergebnis Mithin ist festzustellen, daß - jedenfalls nach der Verfassungsänderung von 1994 - Art. 72 Abs. 2 GG nicht die Zielsetzung entnommen werden kann, die Lebensverhältnisse bundesweit angleichen zu müssen. Die als Voraussetzung für die Kompetenzwahrnehmung formulierte „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" geht über den damit abgesteckten Bedeutungsrahmen nicht hinaus; Art. 72 Abs. 2 ist kein allgemeingültiger normativer Kern gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu entnehmen174. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse hat in Art. 72 Abs. 2 GG vielmehr eine Konkretisierung erfahren, die gerade keine generelle Vorrangigkeit der gleichwertigen Lebensverhältnisse beziehungsweise der Rechts- und Wirtschaftseinheit, sondern den Gedanken eines Ausgleichs zwischen Einheit und föderalistischer Vielfalt in der Rechtsordnung beinhaltet175. Art. 72 170

Vgl. oben s u b i i . Vgl. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S.36. 172 M. Müller, Auswirkungen der Grundgesetzrevision, S. 64f.; Calliess, DÖV 1997, S.895f.; Degenhart, DVB1. 1998, S. 1313; Hendler, DÖV 1993, S.296. 173 Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 93 Rn. 23 a; Sannwald, ZG 1994, S. 140; Meyer in: v.Münch/Kunig, Art.93 Rn.41; Hendler, DÖV 1993, S.296. 174 Vgl. auch Vogel/Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem.z. Art. 104a-115 Rn.85; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 2 Rn. 98. 175 Calliess, DÖV 1997, S. 899; Stamm/Merkl, ZRP 1998, S.470; Korioth, Der Finanzausgleich, S. 178; Vogel/Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem.z. Art. 104a-115 Rn. 86 f. 171

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

Abs. 2 GG läßt somit Raum sowohl für separative Gestaltung als auch für Vereinheitlichung und hat so zum Ziel, daß die Lebensverhältnisse nicht zu sehr auseinanderfallen 176. II. Angleichungstendenzen in der Finanzverfassung Indes könnten sich aus der Finanzverfassung Anhaltspunkte für eine materielle Angleichungspflicht ergeben. So scheint die Finanzverfassung durch das Leitprinzip der Einheitlichkeit in besonderem Maße geprägt zu sein 177 , die „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" wird als „ungeschriebenes Rechtsgut der föderativen Finanzverfassung", als deren „Ziel" 1 7 8 , sogar als deren „ratio legis" 179 angesehen180. So verwundert es nicht, daß der Regierungsentwurf zum Finanzreformgesetz vom 30. April 1968 181 die grundgesetzliche Verpflichtung zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit und zur Förderung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse wie selbstverständlich annahm: „Kein moderner Bundesstaat, der ein sozialer Rechtsstaat ist, kann sich auf die Dauer einer weitgehenden Angleichung der Lebensverhältnisse entziehen". Deshalb [...] komme „der Wahrung der Einheitlichkeit der Lebens Verhältnisse mehr und mehr eine allgemeine Bedeutung zu" 182 . Auch wird der Existenz eines verfassungsrechtlichen Homogenitätsgebotes besonders in derfinanzverfassungsrechtlichen Literatur zugestimmt: Die Pflicht zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet bestimme als allgemeiner, ungeschriebener Verfassungssatz das gesamte Finanzgeschehen183. Es ergebe sich eine Zielverpflichtung gesamtstaatlicher, also Bund und Länder umfassender, Wirtschafts und Finanzpolitik auf gleichwertige Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik 1 8 4 . Der Länderfinanzausgleich selbst sei nur notwendiges Mittel, um dem Verfassungsgebot der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" gerecht zu werden 185. In der Tat findet sich im Rahmen der Finanzverfassung an mehreren Stellen ein Einheitlichkeits- beziehungsweise Gleichwertigkeitsgedanke 186, so daß ihm die Wirkung zugeschrieben werden könnte, den Abbau regionaler Unterschiede zu för176

Korioth, Der Finanzausgleich, S. 178. Vgl. auch Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 532; Sommermann in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 20 Rn. 30. 178 Müller-Overtheu, Der bundesstaatliche Finanzausgleich, S. 32. 179 Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, Art. 106 Rn.26e. 180 Pagenkopf DÖV 1979, S.613f. 181 BT-Drs. 5/2861, S. 11 f. 182 BT-Drs. 5/2861, S. 31. 183 F. Kirchhof VVDStRL 52 (1993), S. 83; vgl. auch Carl, AöR 114 (1989), S. 463 ff. 184 Mahrenholz in: Alternativkommentar, Art. 109 Rn. 14. 185 Jahresgutachten 1991/92 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drs. 12/1618 Rz.325. 186 Art. 104 a Abs. 4; Art. 106 Abs. 3 Nr. 2; Art. 107 Abs. 2, Art. 109 Abs. 2 u. 4; Art. 115 Abs. 1 S. 2, vgl. bereits oben vor I. 177

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dem 187 . Es gilt jedoch zu beachten, daß der Finanzausgleich den Ländern gerade einen ausreichenden und rechtlich gesicherten Handlungsspielraum für eine eigene Politik erhalten will 1 8 8 . Das bundesstaatliche System wird durch die Vorschriften des Finanzausgleichs konkretisiert, um die notwendigen Rahmenbedingungen für sein Bestehen zu schaffen. Die einheitlichen Lebensverhältnisse sind hierbei Kriterien, die diese Konkretisierungen ausfüllen und lenken. Ziel des Finanzsausgleichs ist daher nicht primär die Angleichung, sondern die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Finanzsystems im Dienste eines stabilen Bundesstaates. Denn ein unzureichendes Äusgleichssystem würde leistungsschwache Länder der Gefahr aussetzen, zum Bund oder zufinanzstärkeren Ländern in ein Abhängigkeitsverhältnis zu geraten 189 , das für die föderale Ordnung nicht förderlich wäre. Sie begründet damit aber keinen eigenständigen Grundsatz, sondern ist nur Ausdruck der bundesstaatlichen Spannungslage. Die Umsetzung des Finanzausgleichssystems fördert letztlich zwar auch die Einheitlichkeit (Gleichwertigkeit) im Bundesgebiet, ihre Herstellung bildet aber kein unmittelbares Rechtsgut der genannten Vorschriften 190; dem Impuls kommt dort nur eine „Hilfsfunktion" 191 zu. Denn daß die Institutionen Finanz- und Lastenausgleich sowie Finanzhilfen der gleichwertigen Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienert 192, begründet keinen Verfassungsauftrag, sondern beschreibt deren Wirkung. Der Finanzausgleich soll systemimmanente Unterschiede nicht einebnen, sondern eine Balance zwischen Eigenständigkeit der Länder und bundesstaatlicher Solidargemeinschaft fördern, indem er diese gegenläufigen Interessen in einen angemessenen Ausgleich bringt 193 : „Er nähert die Finanzkraft an, ohne zu nivellieren" 194 . Folglich gilt auch hier nicht das Primat der „Einheitlichkeit", sondern die Verfassung steckt den ausgleichenden Rahmen ab, in dem es dem Gesetzgeber freisteht, das bundesstaatliche Finanzwesen je nach Lage der (politischen) Dinge mehr in Richtung Länderautonomie und föderale Vielfalt oder (wie bisher) mehr in Richtung Unitarisierung auszugestalten195. Auch der Länderfinanzausgleich teilt damit die dem Bundesstaatsprinzip innewohnende Spannungslage196, die richtige Mitte zu 187 Fischer-Menshausen, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 147; ders. in: v. Münch/Kunig, Art. 106 Rn. 26e; Harald Schneider, GS Geck, S. 725. 188 So auch Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, Art. 106 Rn. 1. 189 Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, Art. 107 Rn. 4. 190 Selmer, JuS 1995, S.979; ders., VVDStRL 52 (1993), S.26; VogeUWaldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem. z. Art. 104a-115 Rn. 85; vgl. auch Jens-Peter Schneider, Der Staat 40 (2001), S.298. 191 Zimmermann, Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse", S.41. 192 So Hettlage, VVDStRL 31 (1973), S. 100 (Hervorh. v. Verf.). 193 BVerfG,EuGRZ 1999, S.642f.; vgl. zudemGaßner/Dürschke/Zorzi,ZFSH 1998, S.261. 194 BVerfG, EuGRZ 1999, S.646. 195 Selmer, JuS 1995, S.979; ders., VVDStRL 52 (1993), S.27; Neumark, Lebensverhältnisse, S. 169; Vogel/Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem. z. Art. 104 a-115 Rn. 86. 196 Vgl. bereits oben 1. Teil § 3 D.

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finden zwischen eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung durch die Länder und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung 197, um so Einheit und Vielfalt zu wahren. Die Steuerverteilung ist nicht primär vom Gleichheitsgedanken geprägt, sondern soll die im Hinblick auf die Solidargemeinschaft unangemessenen Unterschiede in der Finanzkraft in gewissem Umfang ausgleichen198. Auch die finanzverfassungsrechtliche Angleichungstendenz ist damit bereits durch das föderalistische Nivellierungsverbot begrenzt 199. Gegen eine Herleitung eines allgemeinen Angleichungsgebots aus den Vorschriften der Finanzverfassung spricht auch die Beschränkung der Angleichungstatbestände auf eben diesen Bereich: Selbst wenn man die „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" in Art. 106 Abs. 3 Nr. 2 GG eine richtungsweisende Rolle und damit als positive Forderung begreift 200, so betrifft sie dennoch nur die vertikale Zuordnung des Umsatzsteueraufkommens und scheidet insoweit als Sitz eines übergreifenden Unitarisierungsgebotes aus201. Das gleiche gilt für den „angemessenen Ausgleich unterschiedlicher Finanzkraft" in Art. 107 Abs. 2 GG. Es ist aus diesen Vorschriften keine Absicht erkennbar, über den eigentlich geregelten Rahmen hinaus in Richtung einer Vereinheitlichung wirken zu wollen. Daß der Angleichungsgedanke an einigen Stellen der Finanzverfassung explizit aufgenommen wurde, zeigt vielmehr die Begrenztheit dieses „Grundsatzes" auf. Auf den ersten Blick scheint auch der Begriff „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht" (Art. 104a Abs.4, Art. 109 Abs. 2 u. 4, Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG) in Richtung einer Vereinheitlichung zu drängen. Hier geht es aber nicht um die räumliche Komponente der Wirtschaftskraft, sondern um das Spannungsverhältnis innerhalb des „magischen Vierecks" 202 - der Teilziele: Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes Wirtschaftswachstum203 - und damit um den Ausgleich von Konjunkturschwankungen 204. Im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung soll eine Verfestigung des Wirtschaftsablaufs durch gleichzeitige und gleichrangige Verwirklichung der großen wirtschaftspolitischen Ziele erreicht werden 205. 197

BVerfGE 72, 330, 398; BVerfG, EuGRZ 1999, S.642. BVerfGE 72, 330, 387. 199 BVerfGE 1,117,131; 72, 330,398; BVerfG, EuGRZ 1999, S.642f.; auchFischer-Menshausen, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 149. 200 So Fischer-Menshausen, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 147; ders. in: v. Münch/Kunig, Art. 106 Rn 26 e. 201 Selmer, VVDStRL 52 (1993), S.25; ders. in: K. Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts, S.206; Zimmermann, Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse", S.40; Wimmer, DVB1. 1982, S.64; Stamm/Merkl ZRP 1998, S.470f.; Heun in: Dreier, Art. 106 Rn.24, Art. 107 Rn 10. 202 Mahrenholz in: Alternativkommentar, Art. 109 Rn.28. 203 Vgl. zu den Elementen des „magischen Vierecks": § 1 S. 2 StabG. 204 Vgl. hierzu Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, Art. 104 a Rn 26; Art. 109 Rn. 10. 205 Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, Art. 109 Rn. 10. 198

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Mithin läßt sich auch denfinanzverfassungsrechtlichen Vorschriften kein allgemeines, weiterreichendes Gebot an Bund und Länder entnehmen, grundsätzlich eine Angleichung der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet anzustreben. Indem der Finanzausgleich im Bundesstaat Finanzkraftunterschiede zwischen den Bundesländern ausgleicht, dient er zwar der Vermeidung sozialer Spannungen und hat damit auch sozialstaatliche Funktion 206 . Die dort verankerten Ziele sind jedoch separativ zu verstehen und dienen dem Ausgleich der bundesstaatlichen Spannungslage in der wichtigen Finanzfrage. Der Grad der ausgleichenden Finanzpolitik bleibt letztlich eine nach politischen Maßstäben zu entscheidende Frage 207, die in der politischen Realität des deutschen Bundesstaates genügend Sprengstoff in sich birgt. Eine allgemeingültige Verpflichtung möglichst einheitlicher Aufgabenerfüllung im Bundesstaat ist mithin in den Vorschriften der Finanzverfassung nicht zu erblicken. Es besteht folglich auch unter Berücksichtigung der Angleichungstendenzen im Grundgesetz keine generelle Pflicht des Bundes und der Länder, bundesstaatlich bedingte Ungleichheiten der Lebenschancen grundsätzlich auszugleichen. I I I . Demokratische Einheit Allerdings könnte das sozialstaatlichen Drängen nach räumlicher Chancengleichheit durch das Demokratieprinzip intensiviert werden, denn auch das Demokratieprinzip ist mit den sozialstaatlich geforderten gleichen Entwicklungsmöglichkeiten eng verwoben. Die Einheit der Bürger - und damit die Einheit des Staates - wächst mit der Integrationsbereitschaft der Bürger, die ihrerseits unter anderem gekoppelt ist an eine Angleichung und Verdichtung des sozialen Status208. Allzu große soziale Spannungen würden nicht nur die nationale Einheit, sondern auch die politische Einheit, die Stabilität der Demokratie gefährden 209. Eine „vorrechtliche Gleichartigkeit" im Sinne einer relativen Homogenität bildet damit die Grundlage, auf der eine demokratische Staatsform erst möglich wird und die Bürger zur Hinnahme von Mehrheitsentscheidungen bereit sind 210 . Zumindest annähernd vergleichbare Lebensverhältnisse sind damit auch eine Voraussetzung der demokratischen Staatsorganisation. Unterstützt werden könnte das Drängen nach Angleichung überdies durch das Wesen der Demokratie als Selbstbestimmung durch das Volk: Nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG geht alle Staatsgewalt und damit auch alles staatliche Recht vom Volke aus. Ist dieses Volk entsprechend der Präambel, Art. 1 Abs. 2 und Art. 146 GG das eine deutsche Volk, so könnte es nur dieser Wille sein, der sich „im Handeln der in206

Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, Art. 107 Rn. 2; Heun in: Dreier, Art. 107 Rn. 10. Neumark, Lebensverhältnisse, S. 169. 208 Vgl. Depenheuer, HStR IX, §204 Rn. 129. 209 Depenheuer, HStR IX, §204 Rn. 130f.; Kilian, JZ 1991, S.431; Sommermann in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Abs. 1 Rn. 30. 210 Böckenförde, HStRI, §22 Rn.47. 207

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stitutionell und funktionell geteilten staatlichen Gewalt niederschlagen" darf 211 . Das Demokratieprinzip würde insofern den „konstitutiven Legitimationsgrund und demnach die Einheitsidee der gesamten, vertikal und horizontal differenzierten Rechtsordnung" bilden und aus diesem Grunde ein strikt einheitliches, widerspruchsfreies Handeln" der geteilten Staatsgewalt erfordern 212. Unter Hinweis auf den verfassunggebenden Willen des ganzen Volkes wurde schon von C. Schmitt unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung auf das Bestehen nur einer politischen Einheit hingewiesen und die unitarische Tendenz der Demokratie behauptet213. Dies verkennt jedoch, daß eigene Staatsgewalt im Bundesstaat auf mehreren Ebenen existiert und existieren kann: Es gibt nicht nur den einen Willen des einen deutschen Volkes, sondern gleichermaßen eigenständige, demokratische Selbstbestimmung auch auf der Ebene der Länder (vgl. Art. 28 Abs. 1 GG) als Ausdruck ihrer Eigenstaatlichkeit. Die Landesangehörigen sind die demokratische Basis eines eigenen Parlaments und sie nehmen auf dieser Ebene durch die selbstverantwortliche Gestaltung eigene Interessen wahr, die sich - gerade bei divergierenden Mehrheitsverhälnissen - durchaus von den Gesamtinteressen des Bundes und der anderen Länder unterscheiden können. Es gibt gegensätzliche Meinungen und Interessen innerhalb des deutschen Volkes, die sich auf der Länderebene als eine abweichende „Einheit" formieren kann. Nur wenn die Abgeordneten auch dort in ihrer Entscheidung grundsätzlich frei sind, kann diese demokratische Legitimation ausgefüllt werden, ansonsten liefe die politische Selbstbestimmung und damit die demokratische Ebene der Länder leer. Wenn ein Land gehalten ist, seine Politik anderen Ländern anzunähern, kann sich seine politische Selbstbestimmung gerade nicht entfalten 214. Die politische Kontrolle und „Haftung" werden in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt, wenn politische Entscheidungen nicht eindeutig einem Verantwortungsträger zuzuordnen sind 215 . Die Demokratie kann daher in ihrer Funktion nur anhand ihrer konkreten Ausformung durch die Verfassung erfaßt werden 216. Diese setzt mit der Statuierung eines demokratischen Bundesstaates (Art. 20 Abs. 1 GG) aber gerade keinen Widerspruch sondern eine Wechselbezüglichkeit beider Prinzipien voraus. Diese Wechselbezüglichkeit findet insbesondere in der demokratiefördernden Funktion des föderalistischen Systems seinen Ausdruck. Es wird gerade dem Bundesstaat eine Verfestigung der demokratischen Struktur bescheinigt217. Die Möglichkeit der Beteiligung an Entscheidungen, die in der „kleineren Einheit" gewollt 211

Sodan, JZ 1999, S. 869. So Sodan, JZ 1999, S.869. 213 Verfassungslehre, S. 388 ff. 214 Am Beispiel der Finanzverantwortung: Stamm/Merkl, ZRP 1998, S.471. 215 Vgl. Grossekettler, 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 212; Gaßner/ Dürschke/Zorzi, ZFSH1998, S.265; Scharpf, Frankfurter Allgemeine Zeitung v.7.4.2001, S. 15. 216 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 127. 217 Vgl. dazu oben 1. Teil § 2D VI. 212

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und gebilligt werden, stärken das Demokratieprinzip. Gerade politischer Raum für Besonderheiten kann auch dazu beitragen, Probleme nationaler Gleichartigkeit zu relativieren 218 . Dies setzt aber auch einen bestehenden Entscheidungsspielraum und die Möglichkeit des Experimentierens voraus. Bundesstaatliche Vielfalt und demokratische Ordnung sind folglich nichts Wesensverschiedenes, sondern sie ergänzen, bedingen und stützen einander 219 . Somit ergibt sich auch für das Demokratieprinzip, daß es sowohl eine gewisse Gleichheit der Lebensverhältnisse voraussetzt als auch Vielfalt legitimiert und damit die Auflösung der Spannungslage nicht in eine Richtung dirigieren kann.

IV. Zwischenergebnis: sozial-bundesstaatliche Spannungslage Sowohl das Sozialstaatsprinzip als auch das Demokratieprinzip enthalten die Funktion, auf räumliche Chancengleichheit hinzuwirken. Gleichzeitig steht dieser Funktion aber immer ein gegenteiliges Prinzip gegenüber: die grundgesetzliche Entscheidung für den Bundesstaat legitimiert eine Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. Vom Grundgesetz gehen damit sowohl Impulse in Richtung Unitarisierung als auch in Richtung regionale Mannigfaltigkeit aus. Indem in den Artikeln 72 Abs. 2 , 1 0 4 a Abs. 4,106 Abs. 3 Nr. 2, 107 Abs. 2,109 Abs. 2 und 4 sowie 115 Abs. 1 S. 2 GG zum Erhalt des Systems Bedingungen genannt werden, die auf eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse hinwirken, wird noch keine Normierung eines allgemeinen Ausgleichsziels vorgenommen. Hierbei handelt es sich um Zielvorstellungen für bestimmte Bundesaktivitäten, die auf diese speziellen Entscheidungen begrenzt sind und keine davon losgelöste allgemeine Staatszielbestimmung konstituieren 220 . Vom Sozialstaats- oder Demokratieprinzip geht keine Angleichungstendenz aus, die nicht in einem Konflikt zum Bundesstaatsprinzip steht. Die ausgleichsorientierten Regeln sind nur Ausdruck der Spannungslage, die dem Bundesstaatsprinzip selbst innewohnt, sie bietet aber keine allgemeingültige Lösung an. Sie deuten nur eine verfassungsrechtliche Akzeptanz sowohl einer Entscheidung für größere Einheitlichkeit als auch für größere Vielfältigkeit an. Ein absolutes Verfassungsgebot, das auf die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse gerichtet ist, läßt sich gerade aufgrund dieses Spannungsverhältnisses nicht begründen. Dem Grundgesetz ist mithin keine Vorrangigkeit der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" als übergeordnetes Verfassungsgut zu entnehmen. Ist damit festzuhalten, daß die Entscheidung der Verfassung weder einseitig in Richtung einer Vereinheitlichung noch in Richtung einer möglichst weitgehenden Uneinheitlichkeit getroffen wurde, so stellt sich die Frage, ob damit das offenbarte 218

Böckenförde, HStRI, §22 Rn.48. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, in: Ausgewählte Schriften, S. 145; ders. Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.275; Kimminich, HStRI, §26 Rn.48. 220 Zimmermann, Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse", S. 50; Vogel7 Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem. z. Art. 104 a-115 Rn. 85. 219

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Spannungsverhältnis zwischen sozialstaatlicher Chancengleichheit und bundesstaatlicher Vielfalt in concreto unlösbar bleibt.

C. Ausgleich der Spannungslage Die obigen Ausführungen machen deutlich, daß die Verfassung an einigen Stellen Impulse für einen „angemessenen Ausgleich" der Spannungslage enthält. Der im „sozialen Bundesstaat" angelegte Konflikt zwischen sozialstaatlicher Einheitlichkeit und bundesstaatlicher Vielfalt spiegelt sich in Art. 72 Abs. 2 GG und in den Vorschriften zur Finanzverfassung wider 2 2 1 . Damit ist es Intention der Verfassung, einen angemessenen Ausgleich zwischen Einheit und Vielfalt anzustreben, um so ein möglichst „fruchtbares Spannungsverhältnis" zu erreichen. Ebenso, wie beim „personalen" Element der sozialstaatlichen Chancengleichheit eine Abwägung zwischen dem Bedürfnis nach Egalisierung und den Auswirkungen auf die Grundrechtspositionen, die zum Zwecke der Angleichung der tatsächlichen Verhältnisse beschränkt werden müssen, zu erfolgen hat 2 2 2 , ist hier ein Ausgleich zwischen sozialstaatlich begründeter Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip vorzunehmen.

I. Praktische Konkordanz Der Ausgleich der gegenläufigen Verfassungsziele könnte nach den bei Grundrechtskollisionen angewandten Grundsätzen „praktischer Konkordanz" vorgenommen werden 223 . So versteht Häberle sein „gemischtes" Bundesstaatsverständnis als Verbindung der Elemente des Konkurrenz - beziehungsweise Trennungsföderalismus mit solchen des Kooperativen beziehungsweise Solidarischen in „praktischer Konkordanz" 224 . Der Grundsatz praktischer Konkordanz fordert, daß nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren 225 . Es geht im Sinne der „Effektuierung" also darum, beide Prinzipien zu optimaler Wirksamkeit gelangen zu lassen 226 . Beiden Gütern müssen Grenzen gezogen werden, die nicht weiter gehen dürfen, als unbedingt geboten, um die Konkordanz beider Rechtsgüter herzustel221

Kertzsch, Staatswissenschaften und Staatspraxis 8 (1997), S. 87. G. Müller, VVDStRL 47, S. 55. 223 So bspw. Depenheuer, HStR IX, § 204 Rn. 30; Lücke, Der Staat 17 (1971), S. 353; Vogel/ Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem. z. Art. 104 a-115 Rn. 88. 224 Häberle in: 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 62. 225 BVerfGE 28,243,260f.; 39,1,43; 41,29,50; 52,247,251; 93,1,21; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 318; Stern, Staatsrecht III/2, S. 626; Vogel/Waldhoff in: Bonner Kommentar, Vorbem.z. Art. 104a-115 Rn. 88. 226 BVerfGE 81,278,292; 93,1,21; vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.318; Grabitz, AöR 98 (1973), S.576; Depenheuer, HStR IX, §204 Rn.74; Harald Schneider, GS Geck, S.726; Jarass in: Jarass/Pieroth, Einl. Rn. 6 sowie Vorb. vor Art. 1 Rn.41; Stern, Staatsrecht I, S. 133; Lerche, FS Stern, S. 198. 222

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len 2 2 7 . Es muß mithin nicht nur die UnVerhältnismäßigkeit ausgeschlossen, sondern die möglichst angemessenste Zuordnung angestrebt werden 228 . In diesem Sinne wäre zwischen dem Chancengleichheitsgebot und dem föderalistischen Prinzip im Rahmen der gesetzgeberischen Entscheidung ein „schonendster Ausgleich" durch eine umfassende Interessenabwägung herzustellen, in der ein in bezug auf die individuelle Chancengleichheit und die bundesstaatliche Vielfalt jeweils zumutbarer Kompromiß gesucht wird, in dem beide Prinzipien zu möglichst optimaler Wirksamkeit gelangen 229 . Die Festlegung eines solchen „Optimierungspunktes" 230 verkennt jedoch, daß es in erster Linie eine politische Aufgabe ist, den Ausgleich zwischen bundesstaatlicher Vielfalt und sozialstaatlicher Einheit zu erreichen. In diesem Rahmen kommt daher dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Dieser Spielraum ergibt sich bereits aus der Weite und Unbestimmtheit des Sozialstaatsprinzips, das ohnehin in besonderem Maße der Präzisierung durch den Gesetzgeber bedarf 231 . Im Rahmen dieser Gestaltungsaufgabe bleibt es ihm überlassen, das Sozialstaatsgebot inhaltlich auszufüllen und das, was gerecht sein soll, zu konkretisieren 232. Es bleibt somit schon aus Demokratie- und insbesondere Gewaltenteilungsgesichtspunkten ein beträchtlicher Spielraum für den Gesetzgeber. Zudem deutet der Wortlaut „gleichwertige Lebensverhältnisse" auf eine Wertungsoffenheit hin, die der Beurteilung durch den Gesetzgeber bedarf. Kehrseite dieses gesetzgeberischen Ermessens ist die verfassungsrechtliche Legitimation regionaler Leistungsunterschiede233. Auch das Bundesstaatsprinzip gibt nicht ein bestimmtes Maß an Vielfalt oder Einheit zwingend vor, sondern überläßt es gerade dem Gesetzgeber, je nach politischer Anschauung und wirtschaftlicher Lage des Staates separative oder im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten einheitliche Lösungen zu suchen. Es kann hier allein eine Grenzziehung im Sinne von Mindestrücksichten erfolgen 234 . Denn der Bundesstaat ist trotz verfassungsrechtlicher Normierung in besonderem Maße entwicklungsoffen 235. Nimmt man aber einen Optimierungspunkt im Sinne eines „Höchsterreichbaren" an, so kann dies im Ergebnis regelmäßig nur einen Punkt ausmachen, der damit zur realen Verfassungsverpflichtung avancierte 236. Dies würde aber der Wahrung des Gestaltungsraumes des Gesetzgebers nicht gerecht. 227 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 318; Stern, Staatsrecht III/2, S. 626; Harald Schneider, GS Geck, S.726. 228 Vgl. Grabitz, AöR 98 (1973), S.576. 229 Vgl. Lücke, Der Staat 17 (1978), S. 355 ff. 230 Stern, Staatsrecht III/2, S. 835; Grabitz; AöR 98 (1973), S. 576. 231 BVerfGE 22, 180, 204; 65, 182, 193; 71, 66, 80, BVerwGE 23, 304, 306: „Bei der Verwirklichung dieses Staatsziels steht dem Gesetzgeber ein weitgehendes Ermessen zu"; Bieback, EuGRZ 1985, S.666. 232 Grawert, Die Bedeutung sozialer Grundrechte für die Sozialordnung, Vortrag auf dem Symposium für Fritz Fabricius, Manuskript S.2 (unveröffentlicht). 233 Korioth, DVB1. 1991, S. 1056. 234 Hierzu sogleich unter II. 235 Isensee, AöR 115 (1990), S.268.

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II. Abwägungsrahmen - Gebot gerechter Abwägung Dennoch ist dieser Spielraum nicht grenzenlos. Obliegt die Festlegung des angemessenen Ausgleichs zwischen Einheit und Vielfalt auch in erster Linie dem Gesetzgeber, so wird durch das Grundgesetz zumindest ein äußerer Rahmen vorgegeben, der den Umfang der Rücksichtnahme absteckt. Zur Bestimmung dieses „Rahmens" können die zum „Abwägungsgebot" im Planungsrecht entwickelten Grundsätze hilfreiche Anhaltspunkte liefern. Danach ist das Gebot gerechter Abwägung verletzt, wenn eine Abwägung der Belange überhaupt nicht stattfindet, wenn ein Belang in die Abwägung nicht eingestellt wird, ein Belang in seiner Bedeutung verkannt oder der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Art und Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht 237 . Diese Anforderungen richten sich dabei sowohl an den Abwägungsvorgang als auch an das Abwägungsergebnis 238, innerhalb des so gesteckten Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen entschieden wird 2 3 9 . Die so erfolgte Festlegung auf einen Bereich zulässiger Lösungen weist Parallelen zum Optimierungssystem der betriebswirtschaftlichen Planung auf 2 4 0 . Dieses beinhaltet neben einer Zielfunktion auch eine Restriktionsfunktion, die der Vermeidung unerwünschter Ergebnisse dient. In den Restriktionen kommt die Gesamtheit der Bedingungen zum Ausdruck, die von der gesuchten Lösung eingehalten werden sollen 241 . Deshalb ist das Denken in Optimierungsmodellen ebenfalls ein Denken in Zielen und Grenzen 242 . Übertragen auf das hier problematische Spannungsverhältnis zwischen Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip bedeutet dies, daß der Landesgesetzgeber die Pflicht hat, Rücksicht auf die Chancengleichheit der Bürger zu nehmen. Hierbei kommt ihm jedoch ein weiter Spielraum zu, dessen Grenzen durch das „Gebot gerechter Abwägung" bestimmt werden. Innerhalb dieser Grenzen bleibt es der politischen Entscheidung überlassen, ob die Entwicklung mehr in Richtung Vereinheitlichung oder in Richtung Pluralismus gelenkt wird. So bleibt sowohl Raum für eine stärkere Akzentuierung des kooperativen Elements als auch des Wettbewerbs. Die genannten Kriterien gelten dann als Untergrenze legislativen Gestaltungsspielraums, ähnlich dem „Untermaßverbot", das im Rahmen der Schutzfunktion der Grundrechte entwickelt wurde 243 . Danach hat der Gesetzgeber unter Berücksichti236

Vgl. Lerche, FS Stern, S.208. BVerwGE 34, 301, 309; 56, 110, 122f. 238 BVerwGE 45, 309, 315; 56, 110, 123. 239 BVerwGE 34, 301, 309. 240 Vgl. hierzu Churchman/Ackoff/Arnoff, Operations Research, passim; Miiller-Merbach, Operations Research, passim. 241 Vgl. Müller-Merbach , Operations-Research, S. 65, 95; Kern , Operations-Research, S. 9. 242 Vgl. Kern , Operations-Research, S. 9. 243 BVerfGE 88, 203, 254ff., 259ff.; vgl. hierzu auch: Stern, Staatsrecht III/2, S. 813; Götzen, Verwaltungsrundschau 1994, S. 139; Hain, DVB1. 1993, S.983. 237

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gung eines weiten gesetzgeberischen Ermessens die Aufgabe, die Voraussetzungen zu schaffen, die den Menschen die Wahrnehmung und Ausübung ihrer Grundrechte faktisch ermöglicht 244 . Im Unterschied zu der hier problematischen Spannungslage bezieht sich die grundrechtliche Schutzpflicht zwar auf die Bewahrung der Bürger vor Übergriffen auf grundrechtlich geschützte Bereiche durch private Dritte. Hier wie dort ist aber die Lösung des Konflikts in erster Linie dem Gesetzgeber überantwortet, so daß die Bestimmung von Art und Umfang des Schutzes grundsätzlich Aufgabe des Gesetzgebers ist; die Verfassung gibt dabei das Ziel vor, nicht aber die Ausgestaltung im einzelnen 245 . Der Gesetzgeber hat allerdings bei Ausübung dieses Ermessens das Untermaßverbot zu beachten, das im Sinne von „Mindestanforderungen" die Untergrenze des legislativen Gestaltungsspielraums sicherstellen soll 246 . Die Bestimmung dieser Grenze hängt zwar von verschiedenen Faktoren ab, gefordert ist aber jedenfalls, daß der Ermessensspielraum „in vertretbarer Weise" gehandhabt worden ist und der Entscheidung eine verfassungsrechtlich tragfähige Einschätzung zugrunde liegt 247 . Das so bestimmte Gebot der Rücksichtnahme auf die Chancengleichheit der Bürger schränkt - anders als ein Mißbrauchsverbot - die Gesetzgebungsbefugnis ein, indem sie die Rechtsmacht begrenzt. Ähnlich der Wirkung der Richtlinien innerhalb der Europäischen Union 2 4 8 ist dieses Gebot nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels, nicht hingegen hinsichtlich der Wahl der Form und der Mittel verbindlich (Art. 249 Abs. 3 EGV). Es bleibt den Ländern überlassen, die Mittel auszuwählen, die sie zur Umsetzung dieses Ziels als geeignet betrachten. So kann erreicht werden, daß ein bestimmtes Maß an Chancengleichheit im Bundesstaat gewährleistet wird und zugleich die Vielfalt gewahrt bleibt. Was kann aber nun konkret im Spannungsfeld Einheit und Vielfalt noch als „vertretbare Weise" und damit als vom umfassenden politischen Spielraum des Gesetzgebers gedeckt gelten? Hier ist nunmehr wiederum auf die Grundsätze des planerischen Abwägens zurückzugreifen, womit demnach zunächst eine wertende Berücksichtigung beider Belange zu fordern ist. Somit hat der jeweils zuständige Bundes244

Götzen, Verwaltungsrundschau 1994, S. 139. BVerfGE 88, 203, 254. 246 Stern, Staatsrecht III/2, S. 813 f. ; Die Kritik, die Stern hinsichtlich des Untermaßverbotes vorbringt (keine eigenständige Bedeutung neben dem Übermaßverbot) greift hier nicht, weil keine „Dreieckskonstellation" im Sinne der Beeinträchtigung durch einen privaten Dritten vorliegt, der seinerseits wieder grundrechtlichen Schutz genießt. Sie ist aber auch der Sache nach unzutreffend, denn mit dem „Untermaß" wird nur das notwendige Mindestmaß festgelegt. Indes bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, auch mehr zu tun, ohne daß dieses „Mehr" ohne weiteres im Verhältnis zum Dritten unverhältnismäßig wäre. Der schützende Eingriff muß nämlich zur Erreichung des angestrebten Schutzes geeignet, erforderlich und angemessen sein (Isensee, HStRV, § 111 Rn. 170). Der tatsächlich angestrebte Schutz muß aber nicht dem Mindestschutz entsprechen. Gerade der Spielraum, auch größeren Schutz zu gewährleisten, soll dem Gesetzgeber erhalten bleiben. 247 BVerfGE 88, 203, 262. 248 Vgl. zur Verbindlichkeit von Richtlinien: Streinz, Europarecht, Rn. 384 ff. 245

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wie Landesgesetzgeber in seine Entscheidung die Auswirkungen der Bevorzugung des Ziels der Förderung materieller Chancengleichheit auf das Ziel bundesstaatlicher Vielfalt und umgekehrt wertend einzustellen. Es gilt somit, störende Diskrepanzen zu vermeiden. Deshalb darf im Ergebnis kein Mißverhältnis entstehen, das der Bedeutung eines Ziels nicht mehr gerecht wird. Dies ist ohne weiteres zu bejahen, wenn ansonsten ein Prinzip völlig leerzulaufen drohte: Ein Mindestmaß materieller Chancengleichheit im Bundesstaat muß genauso gewährleistet werden, wie ein Mindestmaß an bundesstaatlicher Vielfalt schon im Hinblick auf Art. 79 Abs. 3 GG gewahrt werden muß. Darüber hinaus kann ein solches Mißverhältnis aber auch dann angenommen werden, wenn die bundesstaatliche Vielfalt zu so einschneidenden strukturellen Unterschieden führt, die unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten nicht mehr hinnehmbar sind. Die Grenze ist folglich dort zu ziehen, wo die Auswirkungen des bundesstaatlichen Systems im Verhältnis zum sozialstaatlichen Angleichungsgebot in bezug auf den Bürger unzumutbar werden. Zumutbar ist dem einzelnen aber nur ein Bundesstaat, der gleichwertige Standards zumindest in den Grundbedingungen sozialer Lebenschancen hat: Es gilt, ein völliges Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse im Gesamtstaat sowie sich daraus ergebende soziale Spannungen zu verhindern 249 und deshalb zumindest einen „Grundstandard", ein „notwendiges Fundament" an gleichwertigen sozialen Gewährleistungen und öffentlicher Einrichtungen zu schaffen. Erst wenn durch die abweichende Regelung eine „evidente Ungerechtigkeit" entsteht, läßt sich im Dienste der Chancengleichheit eine Verpflichtung zur Angleichung über die Landesgrenzen hinaus begründen. Denn „das verfassungsgewollte gesunde osmotische Leistungsgefälle zwischen den Ländern darf nicht zum Steilhang werden [...]" 25 °. Demnach sind Bundes- und Landesgesetzgeber verfassungsrechtlich nur gehalten, eine „gravierende Schieflage" 251 aufgrund „fundamentaler Unterschiede" 252 der Entwicklungschancen auszugleichen. Trifft der Gesetzgeber aber in diesem Rahmen eine vertretbare Entscheidung, die keine offensichtliche Ungewichtigkeit erkennen läßt und damit die angestrebte Balance der gegenläufigen Interessen nicht unangemessen verfehlt 253 , so ist diese von der Verfassung gedeckt, mag sie die „Chancengleichheit" der Bürger auch beeinträchtigen. Dieser Weg ermöglicht die von Häberle beschriebene Akzentuierung eines „neuen Bundesstaatsverständnisses" 254 im Sinne einer größeren Eigenverantwortlichkeit der Länder mit

249

Vgl. Hohmann, DÖV 1991, S. 196, zur Funktion des Finanzausgleichs. Harald Schneider, GS Geck, S. 726. 251 So die Formulierung von Harald Schneider, GS Geck, S. 726, bezüglich einer Verpflichtung des Bundesgesetzgebers, innerhalb des bundesstaatlichen Finanzausgleichs Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern im Rahmen praktischer Konkordanz auszugleichen. 252 Depenheuer, HStR IX, § 204 Rn. 114 zur Begründung von Transferleistungen im Rahmen bundesstaatlicher Solidarpflichten. 253 Vgl. zum Finanzausgleich: BVerfG, EuGRZ 1999, S.642. 254 Kulturhoheit im Bundesstaat, in: 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 62. 250

§ 2 „Sozialer Bundesstaat"

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einhergehendem innovationsförderndem Wettbewerb 255 , beugt aber gleichzeitig der von ihm gefürchteten Überbetonung des Wettbewerbs 256 vor.

D. Ergebnis Es gibt im deutschen Bundesstaat ein Gebot der Rücksichtnahme auf die Chancengleichheit der Bürger, das es gebietet, die Spannungslage zwischen Einheit und Vielfalt nicht durch die extreme Betonung eines Ziels in ein Mißverhältnis zu bringen, durch das eine „evidente Ungerechtigkeit" entsteht. Die Wahl der Mittel zur Ausfüllung dieses Gebots bleibt dem jeweiligen Gesetzgeber überlassen. Die weitreichende Vereinheitlichung, die den deutschen Bundesstaat heute kennzeichnet, ist mithin nicht Resultat eines verfassungsrechtlichen Vereinheitlichungsgebotes, sondern der politischen und wirtschaftlichen Realitäten 257 . Getragen werden die unitarischen Tendenzen, die sich durch Konzentration staatlicher Aufgaben beim Bund, das Streben nach Einheitlichkeit durch zunehmende Länderkooperation, die wachsende Bedeutung des Bundesrates ausweisen 258 , durch die „sachrationale Uniformierung" 259 der modernen Welt, der Drang der Industriegesellschaft nach Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse. Verfassungsrechtlich geboten sind sie indes nicht. Dieses Ergebnis steht auch mit den bundesstaatlichen Funktionen im Einklang. Die Ausleichspflicht „evidenter Ungleichheiten" dient nicht nur der Wahrung des sozialstaatlichen Prinzips, sondern auch dem Erhalt des Bundesstaates selbst. Denn eine „deutliche Schieflage" im Bundesstaat würde die Akzeptanz durch seine Bürger und damit die eigene Funktionsfähigkeit gefährden. Eine Angleichung ist den Ländern insoweit daher auch unter Berücksichtigung des föderalistischen Systems zumutbar. Der durch die „Evidenzkontrolle" so aber verbleibende Spielraum der Politik ist indes andererseits gerade Hintergrund der föderativen Struktur und erlaubt eine Umgewichtung zwischen beiden Zielen je nach politischem Willen 2 6 0 um so auf aktuelle Probleme flexibel reagieren zu können. Diese Gewichtung ist wiederum dem Individuum zumutbar. Vielfalt in der Einheit beinhaltet damit eine Balance von Wettbewerb und Einheitlichkeit, die aufgrund der Dynamik des föderalistischen Systems nicht auf einem bestimmten Niveau festgezurrt werden kann, sondern stetigem Wandel unterliegt. Gerade in neuerer Zeit werden die Stimmen nach 255

Vgl. zur Wettbewerbsfunktion des Bundesstaates oben 1. Teil § 2D III. Kulturhoheit im Bundesstaat, in: 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S.62: „... ist es wohl Zeit, wieder einmal den »Wettbewerb' zu akzentuieren (allerdings bitte nicht zu sehr!)". Diese Einschätzung teilt wohl auch Lieb, Diskussionsbeitrag, in: 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, S. 159: „... ich würde mich vehement gegen einen uneingeschränkten Wettbewerb der Länder aussprechen." 257 Vgl. hierzu Renzsch, Staatswissenschaften und Staatspraxis, S.88ff. 258 Kimminich, HStRI, §26 Rn.56. 259 Lerche, VVDStRL 21 (1964), S. 101. 260 Zimmermann, Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse", S. 61. 256

8 Engels

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

mehr Wettbewerb und „Konkurrenzföderalismus" lauter, will man insbesondere von Seiten der Länder aktuellen Problemlagen mit regional orientierten, innovativen Lösungen begegnen. Das Grundgesetz legt diesen Forderungen unter dem Gesichtspunkt des „sozialen Bundesstaates" keine Steine in den Weg.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen Der Umfang des Gebots der Rücksichtnahme auf die Chancengleichheit der Bürger wird nicht nur durch die soeben ausgeführten sozial/bundesstaatlichen Mindestrücksichten, sondern überdies durch die Freiheitsgrundrechte konkretisiert. Es sind gerade die unterschiedlichen Freiheitsausgestaltungen, die eine individuell empfundene Belastung der Betroffenen bewirken. Aus ihrer Funktion heraus, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Beeinträchtigungen durch die Staatsgewalt zu schützen 261 , sind daher die Freiheitsgrundrechte in bezug auf eine bundesweite Egalisierungswirkung in den Blick zu nehmen. Dementsprechend findet sich vielfach der Verweis, daß ein Land auf die Lage in den anderen Bundesländern Rücksicht nehmen müsse, wenn die Verwirklichung von Freiheitsgrundrechten eine länderübergreifende Abstimmung erfordere 262 . Es wird von einer unitarisierenden Wirkung verfassungsrechtlich gewährleisteter, unmittelbar geltender Grundrechte gesprochen 263. Während es im Rahmen des Sozialstaatsprinzips um tatsächlichen Voraussetzungen der Freiheitsausübung ging, soll hier der Frage nachgegangen werden, inwieweit die bundesstaatlichen Divergenzen eine Beeinträchtigung der Freiheitsgrundrechte bewirken können. Die Konkretisierung der Voraussetzungen, unter denen die Freiheitsgrundrechte auf Chancengleichheit hinwirken, erfordert zur Darlegung der Wertungen, der jeweiligen Wirkung der Grundrechte und zur Präzisierung des Anknüpfungspunktes eine Differenzierung zwischen verschiedenen Konstellationen. Denn ob sich die bundesstaatliche Vielfalt aus Sicht der Grundrechte als verfassungswidrig darstellt, ist je nach Konstellation aus unterschiedlichen Gesichtspunkten zu erwägen. Dabei läßt sich die Problematik „unterschiedliche Regelungen von Bundesland zu Bundesland" im Hinblick auf ihre Lösbarkeit über die Freiheitsgrundrechte in drei Fallgruppen unterteilen, die aufzuzeigende Gemeinsamkeiten beinhalten und gleichwohl einer individuellen rechtlichen Lösung zuzuführen sind: 261 262

Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 58; Stern, Staatsrecht m/1, S. 621. Badura, JA 1987, S. 184; Bethge, AöR 110 (1985), S. 169f., 199ff.; ders., DÖV 1990, S.633; Böckenförde, FS Schäfer, S. 184; Frowein, VVDStRL 31, S.46 f.; Kimminich, HStRI, §26 Rn. 53; Graf Vitzthum, VVDStRL 46 (1988), S.43; Lerche in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 83 Rn. 27 (für Gesetzes Vollzug). 263 Böckenförde, FS Schäfer, S. 184.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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- Belastende Regelung eines Bundeslandes für die eigenen Bürger, die in anderen Ländern nicht existiert oder dort weniger belastend ausgestaltet ist („strengere" Regelung in einem Bundesland) - sub Β ; - Begünstigende Regelung eines Bundeslandes für die eigenen Bürger, die sich für Einwohner anderer Länder belastend darstellt (faktische Auswirkungen der Landesregelungen auf Bürger in anderen Bundesländern) - sub C; - Die Unterschiedlichkeit der Landesregelungen ergibt in der Zusammenschau eine Belastung für die Bürger (freiheitsbeeiträchtigende Vielfalt der Regelungen) - subD.

A. Verfassungskonformität bei isolierter Betrachtung der Landesregelung Trotz dieser Einteilung ist festzustellen, daß die Frage einer bundesweiten Egalisierungswirkung aus Sicht der Freiheitsgrundrechte nur aufgeworfen wird, wenn die Regelungen bei Außerachtlassung der landesfremden Regelungen sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß sind. Art. 1 Abs. 3 GG statuiert mit der Anordnung, daß die nachfolgenden Grundrechte „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung" als unmittelbar geltendes Recht „binden" eine umfassende Grundrechtsverpflichtung, ohne Unterscheidung zwischen Bundes- und Ländergewalten 2 6 4 . Denn unabhängig von seiner funktionellen und institutionellen Vielfalt binden die Grundrechte des Grundgesetzes den Staat insgesamt265. I m Rahmen dieser Grundrechtsbindung ist der Gesetzgeber einerseits gehalten, die Schranken der Grundrechte und andererseits, soweit die grundrechtliche Garantie eine gesetzliche Ausgestaltung durch den Gesetzgeber im Rahmen seiner institutionellen Gewährleistungspflicht erfordert 266 , die Grenzen seines Gestaltungsspielraums einzuhalten. Indes hängen die Grenzen dieses Entscheidungsspielraums davon ab, ob die Ausgestaltung auch als Beschränkung des Grundrechts gewertet werden kann, oder ob die so geschaffene Ordnung gerade erst die Voraussetzungen für die Entfaltung des Grundrechts schafft und damit ihre Betätigung erst ermöglicht 267 . Die grundrechtsübergreifende Problemformulierung, die dieser Bearbeitung zugrundeliegt, erlaubt freilich nicht, diese Fragestellung erschöpfend zu behandeln. Es ist aber entsprechend der liberalen Deutung der Grundrechte 268 als vorrangig subjektive Rechte von einer durch sie begründeten Eröffnung eines Freiheitsraumes für den einzelnen Grundrechtsträger und einer damit einhergehenden staatsabwehrenden Dimension 264 265 266 267 268

8*

Vgl. Ricker, ZRP 1986, S.226. Grawert, NJW 1987, S.2331. So beispielsweise bei Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG (Rundfunkfreiheit). Vgl. Hain, Rundfunkfreiheit, S.22. Umfassend hierzu Böckenförde, NJW 1974, S. 1529ff.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

auszugehen269. Mit der Bejahung des Primats des individualrechtlichen Gehalts der Grundrechte 270 und der Zuweisung einer Verstärkungswirkung dieses Gehalts an die objektive Funktion der Grundrechte 271 ist die Annahme einer umfassenden Ausgestaltungsfreiheit des Gesetzgebers - mit einem von einschränkenden Gesetzen differierenden Rechtmäßigkeitsmaßstab - nicht vereinbar. Können subjektive Rechte erst mit der Ausgestaltung und nur nach ihrer Maßgabe begründet werden, führt dies im Ergebnis zur Verfügungsmacht des ausgestaltenden Gesetzgebers über das Grundrecht 272 . Soweit daher dem einzelnen im Rahmen der Ausgestaltungsgesetze konkrete Vorgaben gemacht werden, die den grundrechtlichen Handlungsspielraum begrenzen, den Vorgaben somit freiheitsbeschränkende Wirkung zukommt, sind sie als Einschränkung einer grundrechtlichen Freiheit zu betrachten und damit den allgemeinen Grenzen der Beschränkbarkeit der Grundrechte unterworfen 273 . Folglich trifft den Gesetzgeber im Rahmen der auszugestaltenden Grundrechte zwar eine Pflicht zur Ausgestaltung, diese kann sich aber gleichsam als Eingriff in den Grundrechtsbereich darstellen und damit eine Rechtfertigungslast des Staates begründen 2 7 4 . Auch der ausgestaltende Gesetzgeber bleibt an die grundrechtliche Normierung gebunden 275 und darf die Grundrechte nicht durch einfaches Recht in ihrem sachlichen Gehalt antasten 276 . Demnach kommt den Grundrechten ganz allgemein eine „Homogenitätswirkung" zu, indem sie Maßstäbe für Ausgestaltungen und Beschränkungen setzen 277 . Aus dieser Interpretation ergibt sich, daß auch für die Verfassungsmäßigkeit der Ausgestaltungsgesetze die für die beschränkenden Gesetze zu stellenden Anforderungen, insbesondere die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, gelten. Mithin sind sämtliche sowohl ausgestaltende als auch begrenzende Regelungen daran zu messen, ob sie den Grundrechtsträger unangemessen belasten. Resultiert eine unterschiedliche Landesgesetzgebung daraus, daß ein Landesgesetzgeber den vom Grundgesetz vorgegebenen Bindungen nicht gerecht wird, indem er die grundrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung oder die Schranke 269

Vgl. BVerfGE 7, 198, 204f.; Starck, FS Stern, S. 793 ff.; ders. in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 106, 119; H. H. Klein, Rundfunkfreiheit, S. 32, 34f., 41 ff.; Hain, Rundfunkfreiheit, S. 23, 81 f.; Bullinger, HStR VI, § 142 Rn. 145; anders wäre dies zu werten, wenn man die Ausgestaltung erst als Schaffung der Voraussetzungen für die reale Entfaltung des Grundrechts ansieht und damit die Ausgestaltungsgesetze einem eigenen Rechtmäßigkeitsmaßstab unterwirft: So für die Rundfunkfreiheit Ruck, AöR 117 (1992), S. 545 ff.; Ossenbühl, Rundfunkfreiheit, S.43f.; Badura, Verfassungsrechtliche Bindungen, S.30. 270 Von dem auch das BVerfG ausgeht: vgl. BVerfGE 50, 290, 337. 271 Vgl. Starck, FS Stern, S.794. 272 So Hain, Rundfunkfreiheit, S. 87. 273 H. H. Klein, Rundfunkfreiheit, S. 62; Hain, Rundfunkfreiheit, S. 24, 81 f., 87; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Rn. 106. 274 Vgl. H. H. Klein, VVDStRL 57 (1998), S. 115. 275 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 306. 276 BVerfGE 12, 45, 53; 28, 243, 259. 277 So auch Ricker, Privatrundfunk-Gesetze, S.25ff.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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des Grundrechts nicht beachtet hat, liegt hierin bereits ein Verfassungsverstoß. Damit stellt sich in diesem Fall bereits die einzelne Landesregelung für sich genommen als grundrechtswidrig dar. Ist aber eine Regelung bereits für sich genommen nicht grundrechtskonform und damit verfassungswidrig, so kommt es auf die Besonderheit ihres Zusammenwirkens mit anderen landesgesetzgeberischen Maßnahmen nicht mehr an. Das hier aufgegriffene bundesstaatliche Problem betrifft gerade die Variante, in der ein Landesgesetzgeber von seiner Kompetenz bei separater Betrachtung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise Gebrauch gemacht hat, die Regelung an sich also grundrechtskonform ist 2 7 8 , sich aber in der Zusammenschau mit den Regelungen anderer Länder freiheitsrechtlich relevante Auswirkungen für die Bürger ergeben. Hier ist dann zunächst kein Grundrechtsverstoß zu konstatieren, obwohl die Rechtsverschiedenheit dazu führen kann, daß die überregionale Freiheitsausübung erheblich beeinträchtigt wird 2 7 9 . Erst deshalb stellt sich die Frage, ob sich hier eine Grenze der Kompetenzwahrnehmung aus freiheitsgrundrechtlicher Perspektive ergeben kann.

B. „Strengere" Regelung in einem Bundesland Zunächst wird der Fall in den Blick genommen, in dem ein Bundesland eine Regelung erläßt, die allein die im Land ansässigen Adressaten trifft, und die in anderen Bundesländern nicht besteht oder die dort jedenfalls milder ausfällt. Hierbei ist für die Grundrechtsrelevanz maßgeblich, ob eine „regionale" oder „überregionale" Freiheitsbetätigung vorliegt.

I. „Regionale" Freiheitsbetätigung Als Beispiel für eine „regionale" Freiheitsbetätigung kann hier folgender Fall dienen: Ein Bundesland verbietet die Haltung und Zucht bestimmter Hunderassen; andere sehen hiervon ab oder fassen den Katalog der verschiedenen Hunderassen anders 280 . Ein von einer solchen Regelung betroffener Hundebesitzer wird von den an278 Diese Unterscheidung nehmen auch Ricker, Privatrundfunk-Gesetze, S. 23; Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 183, Fn. 112, vor. 279 So auch Ricker, Privatrundfunk-Gesetze, S.23. 280 So schreibt die Landeshundeverordnung Nordrhein-Westfalen (v. 30.06.2000) eine Erlaubnispflicht mit Sachkundenachweis für die Haltung von insgesamt 42 Hunderassen (Anlage 1 und 2 der Verordnung) vor, während Thüringen in seiner Verordnung v. April 2000 keine Hunderassen festlegt, sondern erst einen Sachkundenachweis fordert, wenn ein Hund als gefährlich eingestuft wurde. In einigen Bundesländern müssen die Hundebesitzer für einige Rassen ein „berechtigtes Interesse" beziehungsweise ein „besonderes öffentliches Interesse" an der Haltung nachweisen, an das strenge Anforderungen geknüpft werden, z.B. in Bayern (Verordnung v. 10.7.1992); in Nordrhein-Westfalen für die in Anlage 1 genannten Rassen; in Bremen (Verordnung v. 3.7.2000). Die Innenministerkonferenz hat die Angleichung der Hundeverordnungen in zentralen Punkten empfohlen, soweit die Länderregelungen Auswirkungen

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

deren Regelungen nicht unmittelbar berührt, kann es aber subjektiv als „ungerecht" empfinden, daß Hundehalter anderer Bundesländer nicht denselben Verboten unterliegen. Diese Sichtweise ließe sich folglich auf eine „besondere" Belastung aufgrund seines Wohnsitzes in einem bestimmten Bundesland zurückführen, denn allein der vielleicht zufällige Wohnsitz würde über die Möglichkeit der Hundehaltung entscheiden. Das gleiche gilt für den 1998 vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall der leistungsbedingten Entlassung aus dem Gymnasium: Hier stellen sich die bayerischen Regelungen für den Schüler „schärfer" dar, als in anderen Bundesländern 281. Auch dies deutet auf eine „Chancenungleichheit" hin. Ist ein „Einheimischer" von einer landeseigenen Regelung nachteilig betroffen, so fragt es sich im Hinblick auf die Freiheitsgrundrechte, ob die Regelung einen verfassungswidrigen Eingriff in diese darstellt. I m Fall der leistungsbedingten Entlassung aus dem Gymnasium ist daher zu prüfen, ob der Ausschluß vom weiteren Besuch des Gymnasiums mit den Grundrechten, insbesondere mit Art. 12 Abs. 1 GG in Einklang steht. Insoweit geht es um die Abwehrfunktion der Grundrechte. Das Abwehrrecht als praktisch wichtigstem Grundrechtsgehalt 282 hat die Struktur eines Unterlassungsgebots: Die öffentliche Gewalt hat sich Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Freiheiten zu enthalten, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht standhalten283. Hier dienen die Grundrechte der Begrenzung staatlicher Macht und der Sicherung der Freiheit des einzelnen. Der Staat steht nach hier vertretener Auffassung unter einen umfassenden Rechtfertigungszwang, dem nur ein grundrechtskonformes Gesetz standhält 284 . Ist der Eingriff also verfassungsrechtlich gerechtfertigt, entspricht er insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, indem er dem Schutz eines höherrangigen Rechtsgutes dient, so ist er grundrechtskonform und damit verfassungsgemäß. Demnach kann sich aus dem Vergleich mit milderen Regelungen eines anderen Landes nichts anderes ergeben. Denn aufgrund der dem Landesgesetzgeber zustehenden Regelungskompetenz ist er grundsätzlich nicht gehalten, in seinem Ausübungsermessen andere Landesregelungen zu berücksichtigen und sich ihnen anzupassen: Eine solche Pflicht würde der grundgesetzlichen Kompetenzaufteilung zuwiderlaufen 285 . Der jeweilige Landesgesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der Grundrechte frei und kann in seiner gesetzlichen Wertung von anderen Bundesländern abweichen, solange die Regelung für sich betrachtet verfassungsgemäß ist. Auch wenn das dem „Einheimischen" ungerecht erscheinen mag, ist die rechtliche Berücksichtigung dieser „Ungleichbehandlung" indes aufgrund auf andere Länder der Bundesrepublik haben können: vgl. Beschluss der Innenministerkonferenz v. 24.11.2000 über die Harmonisierung.der Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Hunden. 281 Vgl. BVerwG, NVwZ 1998, S.859f. 282 Vgl. BVerfGE7, 198, 204f.; 50, 290, 337; Sachs in: Sachs, Vor Art. 1 Rn.42ff. 283 Badura, Staatsrecht, C 18; Isensee, HStRV, § 111 Rn.75; Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S.63. 284 Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S.63, vgl. auch im vorstehenden Text. 285 So im Ergebnis auch das BVerwG, NVwZ 1998, S. 860.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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des föderalistischen Systems und der daraus resultierenden Unanwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1 G G 2 8 6 nicht angezeigt. Die Kehrseite der auch für den Bürger bestehenden Vorteile der bundesstaatlichen Ordnung sind eben tatsächliche Ungleichbehandlungen, die eine rechtliche Ungleichbehandlung gleichwohl nicht begründen. Führt also die Prüfung der einschlägigen Regelung zu dem Ergebnis, daß sie im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen liegt, so hilft dem Betroffenen der Hinweis auf „mildere Regelungen" anderer Bundesländer nicht. Denn die noch mit den Grundrechten zu vereinbarenden Standards sind für die Staatsbürger in den einzelnen Ländern nicht notwendig gleich, sondern können unterschiedlich sein 287 . Inhaltliche Rechtsverschiedenheit ist Folge der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung, und auch das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 GG beläßt den Ländern einen großen Gestaltungsspielraum und fordert nur ein Mindestmaß an verfassungsstruktureller und inhaltlicher Übereinstimmung 288 . Es bleibt daher festzuhalten, daß eine solche Abweichung von der grundgesetzlichen Kompetenzordnung gedeckt ist; gerade hier realisiert sich die Experimentierfunktion des Bundesstaates. Damit ist der Ausgangsbefund klar: Auch Freiheitsgrundrechten kommt allgemein nicht die Wirkungskraft zu, eine Angleichung der Regelungen der für sich betrachtet verfassungskonformen einzelnen Bundesländer zu bewirken 289 , solange die Freiheitsbetätigung keinen überregionalen Bezug aufweist.

II. „Überregionale" Freiheitsbetätigung Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn sich eine besondere (erhöhte) Belastung grundrechtlicher Freiheitsausübung für die einheimischen Bürger gerade daraus ergibt, daß andere Bundesländer keine vergleichbare Regelung getroffen haben, die landeseigene Regelung also aufgrund der sachlogisch überregionalen Ausrichtung der Freiheitsbetätigung in ihrer belastenden Wirkung verstärkt wird. Insoweit wird durch das regelnde Bundesland auf eine bestehende bundesweite Wettbewerbssituation eingewirkt. Eine landesinterne Maßnahme kann die im Land Ansässigen innerhalb eines bestehenden Konkurrenzverhältnisses im Verhältnis zu anderen in Zusammenschau mit den dort gültigen Regelungen so benachteiligen, daß eine grundrechtlich geschützte Freiheit nachhaltig eingeschränkt wird. Dies gilt exemplarisch für eine finanzielle (beispielsweise steuerliche) Belastung eines Wirtschaftszweiges (beispielsweise Speditionsunternehmen) in einem Bundesland, der die gebietsfremden Konkurrenzunternehmen nicht unterliegen und die nur deshalb die „einheimischen" Wettbewerber so beeinträchtigt, daß sie bundesweit nicht mehr konkurrenzfähig sind. 286 287 288

Vgl. hierzu oben § 1. Salzwedel WissR 1978, Beiheft, S.241. Bethge, AöR 110 (1985), S. 199; Nierhaus in: Sachs, Art. 28 Rn. 1; Stern, Staatsrecht I,

S.704. 289

So auch Bethge, AöR 110 (1985), S. 200.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

Aufgrund der „Überregionalität" des Marktes hängt hier die Freiheitsbetätigung der Betroffenen entscheidend von der Zusammenschau aller Landesregelungen ab; gleiche Chancen bedeuten in diesem Fall annähernd gleiche rechtliche Rahmenbedingungen. Der entscheidende Unterschied zum oben genannten „Hundehalterfall" ist also die von vornherein sachlogisch überregional ausgerichtete Freiheitsbetätigung 290 mit der damit einhergehenden bundesweiten Konkurrenzsituation 291: Die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit bezieht sich nicht nur auf ein Bundesland, sondern ist bundesweit ausgerichtet. Wird ein bestimmtes Produkt auf dem Markt angeboten, so ist die Wirkung der Freiheitsbetätigung überregional, obwohl die Bedingungen hierfür regional bestimmt werden. Jede Landesregelung hat mithin Auswirkungen auf die überregionale Konkurrenzsituation. Die Landesregelung stellt sich am Maßstab des eigenen Hoheitsbereiches zwar als grundrechtskonform dar (insofern trete keine Wettbewerbsverzerrung ein, da alle Unternehmen den Belastungen gleichermaßen unterlägen), es entsteht aber aufgrund der überregionalen Freiheitsbetätigung eine besondere Belastung der Betroffenen. Es ist daher geboten, die Auswirkungen für den Betroffenen nicht nur begrenzt auf das Hoheitsgebiet zu betrachten, sondern auch die Tragweite der Beeinträchtigung unter Berücksichtigung anderer landesrechtlicher Regelungen in den Blick zu nehmen. Gerade neuere Entwicklungen - im besonderen Maße im Wirtschaftsbereich und auf dem nahezu unüberschaubaren Medien-/Techniksektor - lassen eine räumliche Begrenzung der Freiheitsbetätigung nicht zu, drängen vielmehr auf eine überregionale Sicht der Dinge 2 9 2 . Die besondere Schwere der Beeinträchtigung durch die Regelung ergibt sich mithin in diesen Fällen erst aus der Zusammenschau mit den Regelungen anderer Bundesländer.

1. Umfassende Grundrechtsbindung Wegen der bereits angesprochenen Grundrechtsbindung aller drei Gewalten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG ist die Regelung an den Freiheitsgrundrechten zu messen. Im sogerade aufgeworfenen Beispielsfall könnte eine unzulässige Wettbewerbsbeeinträchtigung der betroffenen Landesunternehmen vorliegen. Art. 12 Abs. 1 GG erfaßt auch den freien Wettbewerb zwischen Unternehmen und ist daher beeinträchtigt, wenn der Staat diesen Wettbewerb regelt, indem er „durch staatliche Maßnahmen" den „Wettbewerb beeinflußt und die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit dadurch verhindert" 293 . Insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG zielt somit auf eine möglichst unre290

Hierauf stellt auch BVerfGE 33, 303, 352 in bezug auf die Zulässigkeit der Landeskindervergünstigung ab; hierzu unten 3. Teil § 2 Β II. 291 Zum bundesweiten Wettbewerb auch Grawert, Der Staat 38 (1999), S.345f. 292 In bezug auf den Rundfunk bereits Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 174; Ricker, ZRP 1986, S. 224ff. 293 BVerfGE 86, 28, 37; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 15; zur Wettbewerbsfreiheit auch: BVerfGE 32, 311, 317; auf der Basis von Art. 21 GG: BVerwGE 17, 306, 309; 60, 154,

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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glementierte Betätigungsfreiheit und damit Chancengleichheit im Wettbewerb, die es den staatlichen Organen grundsätzlich verbietet, die Erwerbsbedingungen so zu verändern, daß wirtschaftliche Konkurrenten einseitig begünstigt oder belastet werden 2 9 4 . Wird durch solche Maßnahmen ein Konkurrent sogar in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet, so kann ausnahmsweise für den Eigentümer auch eine Beeinträchtigung seines aus Art. 14 Abs. 1 GG umfaßten Rechtes am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegen 295 . Folglich könnte die Belastung, die dem Adressaten durch die Landesregelung auferlegt wird, seine Wettbewerbsfreiheit (in bezug auf den überregionalen Markt) unmittelbar erschweren, womit das staatliche Verhalten einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG (u. U. auch Art. 14 Abs. 1 GG) darstellen würde 296 . Soweit damit im konkreten Fall ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts vorliegen kann, stellt sich daher die Frage nach seiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Aus der Feststellung, daß die hier aufgegriffene bundesstaatliche Problematik eine isoliert betrachtet verfassungsgemäße Regelung betrifft, ergibt sich, daß die Belastung der überregionalen Freiheitsbetätigung „nur noch" dem Verhältnismäßigkeitsgebot und hierbei im besonderen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Übermaßverbot) gerecht werden muß 2 9 7 . Ist nämlich die Freiheitsbeeinträchtigung allein aus Sicht des regelnden Bundeslandes verhältnismäßig, so stellt sich nun an dieser Stelle die sich aus dem föderalistischen System ergebende Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen muß, daß andere Bundesländer keine entsprechende oder eine abweichende Regelung erlassen haben, und sich daraus erst die besondere Belastung der Regelungsadressaten ergibt. Dem sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden 298 Verhältnismäßigkeitsprinzip kommt als „Schranken-Schranke" aller Grundrechtbeschränkungen 299 eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion zu 3 0 0 ; es verlangt als wesentlicher Bestandteil des Gewichtens und Abwägens zwischen Grundrechtsgütern und Gemeinwohlbelangen, daß die Regelung einen legitimen Zweck ver159; 65, 167, 174; Vgl. auch: Lübbe-Woljf,\ Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 294 ff. 294 R M. Huber, Konkurrenzschutz, S. 359, 362; Wahl in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb §42 Abs.2 Rn. 113. 295 P. M. Huber, Konkurrenzschutz, S. 382. 296 Zum Eingriffsbegriff näher unten CI. 297 Die hier behandelte Problematik tritt nur auf, wenn die Regelung dem Kompetenzbereich des Landes unterfällt und die grundrechtlichen Schranken begrenzt auf das Hoheitsgebiet des Landes an sich einhält, isoliert betrachtet also sowohl formell als auch materiell verfassungskonform ist. 298 BVerfGE 6, 389, 439; 16, 194, 261; 23, 127, 133; 80, 109, 120; 86, 288, 347; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 146; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 80; Stern, Staatsrecht III/2, S. 771. 299 Stern, Staatsrecht III/2, S.764. 300 BVerfGE 79, 311, 341; 81, 310, 338.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

folgt und darüber hinaus sowohl geeignet und erforderlich ist als auch in angemessener Proportionalität (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) steht 301 . Dabei erlangt in den vorliegenden Fällen die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne als Prüfung der Zumutbarkeit beziehungsweise der Proportionalität 302 und demgemäß die Kontrolle der Relation zwischen Zweck und Mittel besondere Bedeutung. Denn das durch den Eingriff in individuellen Freiheitspositionen herbeigeführte Opfer darf mithin nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Nutzen stehen 303 . Dabei ist das Maß an Freiheitsverlust für den einzelnen im Hinblick auf die zu fordernde „Wertigkeit" des Gemeinwohlinteresses von wesentlicher Bedeutung 304 . Entscheidend ist damit die Frage, ob der Grad der Belastungsintensität über das hinnehmbare Maß hinausgeht. Insofern ist grundsätzlich anerkannt, daß es für die Zumutbarkeit für den einzelnen nicht nur auf die konkrete Regelungsfolge, sondern auf alle erkennbaren Konsequenzen ankommt 305 . Denn die Schwere der Beeinträchtigung ergibt sich oftmals erst aus Gegebenheiten, die außerhalb des eigentlichen Regelungsbereichs anzusiedeln sind. Diese aus dem Proportionalitätsaspekt von vornherein auszuschließen, würde den Grundrechtsschutz des einzelnen in unzulässiger Weise verkürzen: Ausmaß und Gewicht einer Grundrechtsbeeinträchtigung sind gerade von den Funktionsbedingungen der betroffenen Freiheit nicht abzukoppeln 306 . Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Beeinträchtigung ist demnach die „endgültige" Freiheitsverkürzung maßgebend. Mithin sind die Folgerisiken und Nebenwirkungen der staatlichen Intervention für die betroffene Rechtsposition genau auszuloten und bei der Feststellung des Maßes der Betroffenheit mit einzubeziehen 307 . Die Legislative muß die Begrenzung und Ausgestaltung von Grundrechten nicht nur im Lichte des jeweiligen Grundrechts, sondern unter Beachtung der Stellung des Grundrechts in der Gesamtverfassung, insbesondere zu anderen Grundrechten vornehmen. Folglich haben die Landesgesetzgeber bei der landesspezifischen Ausgestaltung eines Grundrechts andere landesgesetzliche Ausprägungen desselben Grundrechts in ihre Überlegungen mit einzubeziehen und hierauf Rücksicht zu nehmen 308 . Dem einzelnen Landesgesetzgeber ist es insoweit verwehrt, sich darauf zu berufen, die Schwere der Betroffenheit ergebe sich aus Umständen, die außerhalb seines Regelungsbereiches lägen. Vielmehr ist gerade bei Schaffung einer neuen Regelung der bestehende „status quo" im Bundesstaat zu beachten, um eine unverhältnismäßige Belastung der Bürger abzuwenden. So kann auch eine für sich genommen verhältnismä301 302 303 304 305 306 307 308

Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 149. BVerfGE 67, 157, 173, 178; Kirchhof,\ HStRV, § 124 Rn. 163. Stern, Staatsrecht III/2, S. 783. BVerfGE 67, 157, 178; Stern, Staatsrecht III/2, S. 789; Schnapp, JuS 1983, S. 854f. Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 154. Wendu AöR 104 (1979), S.464. Wendt, AöR 104 (1979), S.463; Stern, Staatsrecht III/2, S. 836. Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 186.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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ßige Maßnahme für die Einheimischen unverhältnismäßig werden und damit das Übermaßverbot verletzen 309 . Das Gebot der Rücksichtnahme auf die Chancengleichheit der Bürger wird folglich durch die Freiheitsrechte dahingehend konkretisiert, daß die freiheitsbeeinträchtigende Wirkung einer Landesregelung mit Blick auf bereits bestehende Regelungen in anderen Ländern und damit in einer bundesstaatlichen Gesamtschau bestimmt und beachtet werden muß. Die Maßnahme darf sich unter Berücksichtigung dieser Auswirkungen für die Landesangehörigen nicht als unverhältnismäßig darstellen, indem die Gewichte einseitig zu ihren Lasten verschoben werden. Dies kann freilich nur Fälle erfassen, in denen eine Regelung für den Betroffenen unzumutbar ist. Denn die Belastung, die sich eben nur aufgrund eines Abweichens gegenüber anderen Ländern ergibt, wird in diesen Konstellationen nicht durch das mit der konkreten Regelung verfolgte Ziel als gegenüber den Freiheitsinteressen der Bürger höherwertiges Regelungsinteresse gerechtfertigt (dies ist nur von Belang, wenn die Sichtweise auf den regionalen Bereich beschränkt bleibt, also die Überregionalität außer Betracht bleibt). Die Rechtfertigungsgrundlage bildet dabei die vom Grundgesetz vorgegebene föderalistische Struktur, die es verlangt, das Bundesstaatsprinzip mit der von ihm vorgesehenen Kompetenz- und damit einhergehenden Regelungsvielfalt als Gemeinwohlbelang in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen: Angesichts des sich aus der „Ewigkeitsgarantie" des Art. 79 Abs. 3 GG ergebenden hohen Stellenwertes erfahren damit viele gegenüber anderen Ländern abweichende Regelungen vom Grundgesetz selbst ihre Billigung. Dies zu beachten ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil ansonsten mit dem Hinweis auf die regelmäßige Höherrangigkeit der Freiheitsrechte gegenüber den jeweils verfolgten Regelungsinteressen die grundgesetzliche Kompetenzordnung nachhaltig gestört würde. Eine sich aber gerade aus der Kompetenzordnung ergebende Belastung ist angesichts ihrer grundgesetzlichen Immanenz weitgehend hinzunehmen 310 . Insofern ist der Grundrechtseingriff vielfach durch die föderalistische Struktur des Grundgesetzes gerechtfertigt 311, so daß auch hier das Prinzip Geltung hat, daß die Freiheitsgrundrechte bundesstaatliche Vielfalt nicht nivellieren. Gleichwohl würde ein grundsätzlicher Ausschluß der Beachtung der Konsequenzen für den einzelnen 309

Fastenrath, JZ 1987, S. 174f. Insofern sind die Ausführungen von Lücke, Der Staat 17 (1978), S. 359, mißverständlich. Er stellt bei unterschiedlichen Ausbildungsordnungen die Bedeutung vergleichbarer Ausbildungsanforderungen für den Bewerber der Bedeutung eigener Ausbildungsordnungen für die Länder gegenüber und konstatiert, daß eine Abstimmung die Interessen der Länder nur unwesentlich berühre. Es ist aber davon auszugehen, daß eine Angleichungspflicht in einem Regelungsbereich, der den Ländern kompetenzmäßig zugewiesen ist, ihre Interessen aufgrund der bundesstaatlichen Struktur grundsätzlich immer wesentlich berührt. Zwar kann in die Abwägungsentscheidung einfließen, ob ein „Kernbereich" der Länderhoheit betroffen ist, dennoch ist der Beeinträchtigung des einzelnen immer das - die unterschiedlichen Regelungen gerade ermöglichende - föderalistische Prinzip gegenüberzustellen und nur hieran hat sich die Zumutbarkeit zu messen. 311 Bethge, BayVBl. 1985, S.260; Fastenrath, JZ 1987, S. 174. 310

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

dazu führen, daß dem Bundesstaatsprinzip immer eine Höherrangigkeit bescheinigt würde. Geraten auch aufgrund der Gegenläufigkeit von Grundrechtsschutz und Bundesstaatsprinzip beide Aspekte unvermeidbar miteinander in Konflikt, so gibt es doch keine allgemeingültige Entscheidung für die grundsätzliche Höherrangigkeit des einen oder des anderen 312 . Denn selbst wenn aus der Verfassung eine gewisse „Rangfolge" der Verfassungswerte abgeleitet wird 3 1 3 , so vermitteln sie doch nur abstrakte Richtpunkte: Entscheidend ist die Schwere der Betroffenheit im jeweiligen Einzelfall 314 . Deshalb kann es nicht überzeugen, wenn Menger 315 die vorrangige Bedeutung der Grundrechte mit der Begründung annimmt, daß diese gerade vereinheitlichend wirken sollen und es daher widersprüchlich sei, das föderalistische Prinzip als Rechtfertigung für die Begrenzung von Grundrechten heranzuziehen. Eine solche Sichtweise nimmt eine Vorentscheidung zugunsten der Grundrechte vor, die im Grundgesetz keine Stütze findet. Es kommt vielmehr auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigung und gleichzeitig auf die Nutzeffekte der konkreten Regelung an 3 1 6 . Besonders intensive Eingriffe in Grundrechte dürfen nicht allein dadurch ermöglicht werden, daß sich das Land auf seine Kompetenz beruft 317 . Eine generelle Annahme einer Höherrangigkeit des Bundesstaatsprinzips würde diesem Aspekt nicht gerecht. Es bedarf bei einer schweren Betroffenheit darüber hinausgehender Gründe, die das Verhalten des Landes rechtfertigen können 318 . Ebensowenig kann eine generelle Höherrangigkeit der Grundrechte des einzelnen angenommen werden. Vielmehr bildet die Grenze ganz allgemein die Zumutbarkeit der Auswirkungen der Landesmaßnahme auf die Freiheitsbetätigung der Landesangehörigen. Der Landesgesetzgeber hat daher auch im Rahmen seiner verfassungsrechtlich legitimen Kompetenzausübung zu beachten, daß die Maßnahme die Landesangehörigen im Ergebnis nicht unzumutbar belastet. Denn kann im Zusammenschau mit den landesfremden Regelungen eine besonders schwere, unzumutbare Grundrechtsbetroffenheit festgestellt werden, so fallt die Abwägungsentscheidung zu ihren Gunsten aus. Zwar werden selbst abweichende Wertentscheidungen und Güterabwägungen bei Grundrechtseingriffen aufgrund der bundesstaatlichen Struktur von Verfassungs wegen geduldet, dennoch besteht eine Bindung an das Übermaßverbot, bei dessen Verletzung die Grenzen zulässiger Freiheitsbeschränkung überschritten werden 319 . Gerade der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dient der Korrektur abstrakter Wertigkeiten 320 . Die Zumutbarkeit der Freiheitsbeeinträchtigung bildet daher die Grenze des föderalistischen Prinzips im Hinblick auf den einzelnen 321 . 3.2 3.3 314 315 316 317 318 319 320

Lücke, Der Staat 17 (1978), S. 353. Vgl. dazu Lerche, HStRV, § 122 Rn. 16. Harald Schneider, Güterabwägung, S.223. VerwArch 73 (1982), S.98. Sachs in: Sachs Art. 20 Rn. 157. Bethge, AöR 110 (1985), S.216. Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 186. Fastenrath, JZ 1987, S. 174f. Harald Schneider, Die Güterabwägung, S. 224.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

Dem Bundesverfassungsgericht ist daher - zumindest im Ergebnis - zuzustimmen, wenn es zwar einen Grundrechtsschutz gegen bundesstaatliche Vielfalt grundsätzlich ablehnt, aber eine Ausnahme bei länderübergreifenden Lebenssachverhalten annimmt 322 . Dabei ist es allerdings nicht die „Überregionalität", von der die Vereinheitlichungstendenz ausgeht, sondern die mit ihr einhergehende Grundrechtsrelevanz. Die Überregionalität begründet unter Umständen die besondere Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung und führt somit zu ihrer UnVerhältnismäßigkeit. Allein die Überregionalität des Lebenssachverhalts kann die Vereinheitlichungsbedürftigkeit somit nicht bewirken. Insofern reicht zur Begründung eines Homogenisierungsgebotes die Zitierung eines länderübergreifenden Sachverhalts nicht aus 323 ; es bedarf vielmehr eines „qualifizierenden Elements". Der tatsächliche Sachverhalt der Überregionalität vermag keine Verpflichtung zur Kooperation begründen. Daher ist Bethge 324 insoweit zu widersprechen, als er die Verpflichtung zu einer einheitlichen Rundfunkgebühr mit der länderübergreifenden Rundfunkwahrnehmung durch die Länder begründet. Er führt an, daß dann, wenn die Länder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Gestalt eines länderübergreifenden Informationsund Programmverbundes organisieren, zugleich die Pflicht bestehe, diese Informationsleistung zu gleichen Bedingungen zu erbringen 325. Dogmatische Grundlage dieser Verpflichtung sei der weiterentwickelte Grundsatz von der Pflicht des Staates zur kooperativen Verwirklichung des Grundrechtsschutzes 326, womit das Ausscheren eines Landes grundrechtswidrig sei 327 . Doch solange jede Landesregelung für sich genommen mit den Grundrechten in Einklang steht, kann sich aus der Tatsache, daß andere Länder eine geringere Gebühr vorsehen, nichts anderes ergeben 328: Weder der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst noch die Grundversorgung der Bürger ist notwendig auf eine einheitliche Gebühr angewiesen. Die Diskrepanz stellt sich für die Betroffenen aus grundrechtlicher Sicht deshalb noch nicht als unzumutbar dar. Auch der Hinweis auf den Programmverbund hilft nicht weiter: Das Erfordernis einer gleich hohen Gegenleistung der Rundfunkteilnehmer kann nicht davon abhängen, ob der öffentliche Rundfunk in einem überregionalen Programmverbund oder 321

Auch Lücke, Der Staat 17 (1978), S. 354 nimmt eine Zumutbarkeitsgrenze an, die er allerdings aus dem „individuellen Unitarisierungsgebot" folgert, das er aus „den Grundrechten, dem sozialen Rechtsstaat sowie der Gerechtigkeitsidee" ableitet und dem föderalistischen System gegenüberstellt. Eine solche Sichtweise verwischt jedoch die Voraussetzung der besonderen Grundrechtsrelevanz für den einzelnen. 322 BVerfGE 33, 303, 352. 323 So aber Ricker, ZRP 1986, S. 227; ders., Privatrundfunk-Gesetze, S. 29f.: „Liegt ein solcher länderübergreifender Sachverhalt vor, so wird das kooperative Element des Föderalismus, das sich sonst vorwiegend in der freiwilligen Selbstkoordination der Länder zeigt, zur Pflicht [...]". 324 DÖV 1990, S.63 Iff. 325 DÖV 1990, S.633. 326 DÖV 1990, S.633. 327 DÖV 1990, S.633. 328 Dieser Fall unterscheidet sich nicht vom oben beschriebenen „Hundehalter-Fall".

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzahrnehmung

jeweils durch die einzelnen Länder realisiert wird, solange die Entscheidung über die Höhe der Gebühr nicht dem Programmverbund selbst, sondern den einzelnen Ländern obliegt. Trotz des überregionalen Sachverhalts der Rundfunkausstrahlung besteht hier keine, über die bei separativer Wahrnehmung bestehenden Gebührenunterschiede hinausgehende Beschwer der Betroffenen, die eine der Kompetenzordnung des Grundgesetzes gegenläufige Kooperationspflicht begründen könnte. Aus Empfängersicht wird keine andere „Ungerechtigkeit" virulent, als sie bei unterschiedlicher Gegenleistung für eine andere (gleiche) hoheitliche Leistung bestehen würde, die nicht in einer Hand liegt. Nach der beschriebenen Sichtweise hätte die gemeinsame Wahrnehmung einer ursprünglich landeseigenen Aufgabe immer zur Folge, daß auch die Rahmenbedingungen vereinheitlicht werden müßten329. Dies ist aber mit der föderativen Kompetenzordnung nicht vereinbar. Zur Überregionalität muß daher ein weiteres Moment hinzutreten: Nur wenn diese zur Folge hat, daß eine Regelung einen Grundrechtsträger unverhältnismäßig belastet, können die Freiheitsgrundrechte Grundlage einer Kooperationsverpflichtung sein. 2. Kongruenz mit der Kompetenzzuweisung des Grundgesetzes Dagegen ist dem Einwand von Kisker 33°, daß das Grundgesetz durch Zuweisung bereits darüber entschieden habe, welche Materien vereinheitlichungsbedürftig sind und welche nicht, und insoweit davon auszugehen sei, daß eine nicht gleichförmige Regelung durch die Landesgesetzgeber statthaft sei, im Grundsatz zuzustimmen. Ferner ist zuzugeben, daß die grundrechtlichen Standards für die Staatsbürger in den einzelnen Ländern eben nicht gleich, sondern unterschiedlich sind 331 . Dennoch ist die formelle Legitimation keine Berechtigung zu einem materiell unzumutbaren Eingriff in Grundrechte. Durch das Grundgesetz gewährleistete Grundrechte lassen sich nicht durch jeweils isolierte Betrachtung der Länderperspektive aufspalten; die Tatsache, daß sie durch die Länder zu einem Teil unterschiedlich ausgeformt werden können, ändert an ihrer Natur als Bund und Länder gleichermaßen bindende Grundrechte sowie an der Verpflichtung, die sich aus der Grundrechtsbindung ergebenden Grenzen einzuhalten, nichts. Kisker führt an, daß der Bundesstaat kein geeignetes „Gemeinschaftsgut" sei, welches der Abwägung mit Freiheitsbeeinträchtigungen zugänglich sei 332 . Die Kompetenzaufteilung der Verfassung führe vielmehr zu einer Zurücknahme des Grundrechtsschutzes 333. Mit dieser Argumentation wird aber gerade eine Höherrangigkeit der bundesstaatlichen Kompetenzordnung gegenüber dem Grundrechtsschutz postuliert, die aus oben genannten Gründen 334 so all329 So bezieht Bethge die Pflicht zur einheitlichen Verwirklichung des Grundrechtsschutzes ausdrücklich auf die akzessorischen Nebenbedingungen, DÖV 1990, S.633. 330 FS Bachof, S.54f. 331 Salzwedel, WissR 1978, Beiheft 6, S.241; Dittmann, RdJB 1978, S. 177. 332 FS Bachof, S.56. 333 FS Bachof, S. 57. 334 Vgl. zuvor sub 1.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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gemein keine Geltung beanspruchen kann. Auch das Bundesstaatsprinzip steht nicht beziehungslos neben anderen grundlegenden Wertentscheidungen des Grundgesetzes335. Die Wertigkeit von Verfassungsgütern wird im Einzelfall durch ihren Zusammenhang bestimmt, in denen ihnen jeweils unterschiedliches Gewicht zukommen kann 336 . Es kommt somit auf den Grad der Beeinträchtigung durch die konkrete Regelung an. Zudem kann sich auch eine ausschließliche Kompetenz nicht in ausschließlicher Isolation vollziehen337. Kompetenz bedeutet nicht nur Zuständigkeit, sondern auch Sachverantwortung 338. Der Einwand von Kisker, damit würde der Bundesstaat zur Disposition des Grundrechtsinterpreten gestellt339, ist für die hier relevanten Ausnahmefälle des übergreifenden Lebenssachverhaltes zwar der Sache nach zutreffend, ist aber als Konsequenz eines umfassenden Grundrechtsschutzes zu tolerieren 340 und ein sich bei jeder Auslegung stellendes Problem. So räumt auch Kisker selbst ein, daß - wenn man den Freiheitsrechten auch eine räumliche Komponente zuerkennt - es nicht abwegig sei, in solchen Fällen eine Beeinträchtigung der Freiheitsgrundrechte anzunehmen341. Diese räumliche Komponente kommt aber gerade in der länderübergreifenden Freiheitsbetätigung zum Ausdruck.

3. Vereinbarkeit

mit der Staatsqualität der Länder

Ein weiterer Einwand wird aus der Staatsqualität der Länder gefolgert: Daraus ergebe sich, daß im Interesse des Grundrechtsschutzes eine Angleichung der Regelungen nicht zur Pflicht gemacht werden könne 342 . Doch erscheint es fraglich, aufgrund der Staatsqualität der Länder und der damit einhergehenden eigenständigen Gesetzgebungskompetenzen anzunehmen, daß eine Angleichung grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht geboten ist. Der Bundesstaat ist dadurch geprägt, daß unitarische und föderalistische Tendenzen zum Ausgleich gebracht werden sollen 343 . Es gilt, die durch die bundesstaatliche Struktur hervorgerufenen Spannungen auf dasjenige Maß herabzumildern, das erforderlich ist, um den Fortbestand des Bundesstaates sowohl durch tatsächlichen Ausgleich der gegenläufigen Belange als auch durch die daraus entstehende erhöhte Akzeptanz abzusichern 344. Für die Klärung konkreter Rechtsfragen kommt es nicht auf abstrakte, aus der Staatlichkeit resultie335

Kimminich, HStRI, §26 Rn.24. Harald Schneider, Die Güterabwägung, S. 223. 337 Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 177. 338 Lerche, FS Maunz, S.218. 339 FS Bachof, S.56. 340 Fastenrath, JZ 1987, S. 175. 341 FS Bachof, S.56. 342 Rudolf, HStR IV, § 105 Rn. 82; mit ähnlichen Erwägungen zieht auch Pietzcker, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S.66, die verfassungsrechtliche Pflicht zur Angleichung in Zweifel. 343 Vgl. dazu oben §2BIV. 344 Vgl. Kimminich, HStRI, §26 Rn. 10. 336

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

rende Ordnungsvorstellungen, sondern auf die konkret normativ ausgeformten Rechte und Pflichten von Bund und Ländern an 345 . Die Bundesländer sind Gliedstaaten eines Gesamtstaates, dessen Besonderheit es ist, daß zwei Ebenen der Staatlichkeit bestehen, die einem ganzen, viel umfassenderen Gemeinwesen verpflichtet sind. Es geht um die Synthese zwischen Eigenart und Einheit, um hierdurch das Zusammenleben in der Gemeinschaft möglichst fruchtbar zu machen346. Jeder Bundesstaat ist zur Wahrung dieser Balance von vornherein auf ein Zusammenwirken der Beteiligten angelegt. Folglich verbietet sich eine starre Sichtweise, da trotz Staatlichkeit der Bundesländer ihre Kompetenzen keinen absoluten Bestandsschutz genießen. Vielmehr muß den Ländern nur ein Kern eigener Aufgaben als „Hausgut" 347 verbleiben, um die Eigenstaatlichkeit nicht zu gefährden 348 . Dessen ungeachtet gelten für das Verhältnis der Länder untereinander und für ihr Verhältnis zum Bund die Bestimmungen des Grundgesetzes: Das Grundgesetz bildet die Grenze für die Staatsgewalt der Länder 349 . Demgemäß kann die Staatsqualität der Länder gegen eine zur Wahrung der Freiheitsgrundrechte grundgesetzlich gebotene Kooperationspflicht nicht wirksam ins Feld geführt werden. 4. Vereinbarkeit

mit der Nichtanwendbarkeit

des Art. 3 Abs. 1 GG

Es fragt sich, ob die Vereinheitlichung, die über die Freiheitsgrundrechte erreicht würde, in Widerspruch zu der Unanwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1 GG gerät. Denn es besteht die Möglichkeit, über die Anwendung der Freiheitsgrundrechte ein Ergebnis zu erzielen, daß sich auch über die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG erreichen lassen würde. Die hier zu erörternde Konstellation betrifft jedoch nicht eine rechtliche Ungleichheit im Sinne der Rechtsgleichheit, sondern die aufgrund der bundesstaatlichen Struktur herbeigeführte tatsächliche Ungleichheit, die - wie ausgeführt 350 kein Anwendungsfeld des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt. Demgegenüber ist die faktische Gleichheit allerdings eng mit der Freiheitsausübung verknüpft 351 , sie betrifft das „Gerechtigkeitsmoment", das jedem Freiheitsgrundrecht innewohnt. Es geht hier nicht um Gleichbehandlung, sondern um die Grenzziehung zulässiger Freiheitsbeschränkung 352. Zwar haben Gleichheit und Übermaß verbot die Gemeinsamkeit des Verhältnismäßigkeitsgedankens, doch gilt es zu beachten, daß sich beide in ihren 345

Bauer, Die Bundestreue, S.223, Fn.35. Kimminich, HStRI, §26 Rn.23. 347 BVerfGE 34, 9, 20; 64, 301, 317. 348 Lücke in: Sachs, Art. 79 Rn. 27. 349 Vogel in: HVerfR (2), § 22 Rn. 29. 350 Vgl. oben § 1Β II. 351 Starck, Die Anwendung des Gleichheitssatzes, Symposium Leibholz, S.55f.; Schoch, DVB1. 1988, S. 867. 352 Fastenrath, JZ 1987, S. 175. 346

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen129

Maßstäben unterscheiden: Verhältnismäßige Gleichheit beobachtet eine Mehrheit vergleichbarer Tatbestände, Verhältnismäßigkeit das Ziel einer Maßnahme und den dafür erforderlichen Aufwand 353 . Die Gleichheit ordnet den einzelnen Sachverhalt in das Gemeinsame rechtserheblich ähnlicher Sachverhalte ein, während das Übermaßverbot im Rahmen der Freiheitsgrundrechte die individuelle Erträglichkeit einer Last isolierend und individualisierend bestimmt. Damit geht es vorliegend nicht um Vergleichung, sondern um die Fixierung eines Weges des geringsten Widerstandes 354 . Der Gleichheitssatz bezieht sich demnach auf die (horizontale) Perspektive aller möglichen Betroffenen, während das Übermaßverbot (vertikal) die Intensität staatlicher Gewaltausübung gegenüber den Betroffenen im Auge hat 355 . Folglich besteht kein Widerspruch, wenn zwar eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG abgelehnt, aber dennoch eine Überprüfung der Zumutbarkeit der Freiheitsbeeinträchtigung vorgenommen wird. Überdies bleibt der Fall der länderübergreifenden Freiheitsbetätigung von vornherein nur auf wenige „Extremsituationen" beschränkt, eine Abwägung zwischen Bundesstaatsprinzip und Grundrechtsbeeinträchtigung kommt also ohnehin nur ausnahmsweise in Betracht, während mit einer generellen Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG - auch in bezug auf „landesfremde" Vergleichsgruppen - die Abwägung zwischen Bundesstaat und Gleichheitsgebot im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle bei Art. 3 Abs. 1 GG zur Regel gemacht würde. Insofern steht es mit der hier vertretenen Interpretation des Art. 3 Abs. 1 GG im Einklang, eine Norm, die aufgrund der Überregionalität der Freiheitsbetätigung die Adressaten besonders belastet, in Zusammenschau mit landesfremden Regelungen als unverhältnismäßig und damit als nicht verfassungsgemäß einzustufen. 5. Kongruenz mit den Funktionen des Bundesstaates Diese Interpretation steht letztlich auch mit den Funktionen des Bundesstaatsprinzips 356 im Einklang. Denn trotz der auch hier betonten Experimentierfunktion ist es doch zugleich die Freiheitssicherung, die das bundesstaatliche System legitimiert. Die Nichtberücksichtigung dieser nachhaltigen, für den Betroffenen als unzumutbar einzustufenden Grundrechtsbeeinträchtigung würde die Freiheitssicherung allerdings in ihr Gegenteil verkehren: diese würde gerade gestört. Demgegenüber wird die Experimentierfunktion des Bundesstaates nicht ausgehebelt, denn die „unzumutbare Grundrechtsbeeinträchtigung" in der Zusammenschau mit anderen Landesregelungen betrifft nur überregionale Grundrechtsgewährleistungen und ermöglicht so eine Korrektur nur ausnahmsweise. Ist die Landesregelung aber nur dann als verfassungswidrig einzustufen, wenn dies zum Grundrechtsschutz der Bür353 354 355 356

9 Engels

Kirchhof; HStR V, § 124 Rn. 163. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S.52. Kirchhof HStR V, § 124 Rn. 164. Vgl. oben 1. Teil § 2D.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

ger unerläßlich ist, so läßt sich auch die namentlich von Salzwedel 357 angenommene Gefährdung des Bundesstaatsprinzips nicht ausmachen. Diese Lösung läßt, anders als jede „starre" Variante, Wertungen zu, hält dabei aber grundsätzlich die Landesindividualität aufrecht und kommt damit dem Bundesstaat immanenten Ausgleichsgedanken zugute. 6. Zwischenergebnis Eine Landesregelung, die „für sich genommen" verfassungsgemäß ist, kann sich bei einer überregionalen Freiheitsbetätigung für den Grundrechtsträger als unverhältnismäßig darstellen. Infolgedessen ist festzuhalten, daß Freiheitsgrundrechte individuelle Landesregelungen hindern können, soweit sich die von dieser Regelung ausgehenden Beeinträchtigung für die Regelungsadressaten in Zusammenschau mit den Regelungen anderer Bundesländer als unzumutbar erweist. Insoweit sind die Freiheitsgrundrechte geeignet, auf Chancengleichheit im Bundesstaat hinzuwirken.

C. Faktische Auswirkungen der Landesregelungen auf Bürger in anderen Bundesländern Nachdem ein Ergebnis für die erste Fallgruppe gefunden wurde, stellt sich die Frage, ob dieses auch für die zweite Fallgestaltung gilt, wenn landesfremde „Dritte" durch die Maßnahmen eines Landes belastet werden. In Abgrenzung zur vorangegangenen Konstellation führt hier eine begünstigende Landesmaßnahme Rechtsverkürzungen bei Landesfremden herbei, während sie ebenfalls voraussetzt, daß sich die Maßnahme isoliert betrachtet als verfassungskonform erweist: So können sich beispielsweise die Standortbedingungen358 für einen Wirtschaftszweig in einem Bundesland nachhaltig auf die Marktchancen des gleichen Wirtschaftszweiges in anderen Bundesländern auswirken. Insbesondere bei der Subventionierung von Konkurrenten muß beachtet werden, daß die gewährten Vorteile die Wettbewerbslage derart verzerren können, daß der Nichtbegünstigte nicht mehr konkurrenzfähig ist und damit die Chancengleichheit am Markt zerstört wird 359 . Unterschiedliche Standortbedingungen sind aber als Ausdruck eigener Standortpolitik gerade Wesensmerkmal eines föderativen Wettbewerbs. Auch hier gilt indes, daß der Einwohner des anderen Bundeslandes die gleiche Begünstigung nicht unter Berufung auf den allgemeinen Gleichheitssatz erwirken kann, da er nicht vom Regelungsbereich der Norm erfaßt ist und mithin der Gleichheitssatz keine Berücksichtigung seiner Interessen erfordert. Die Begünstigung könnte indes gegen Freiheitsgrundrechte verstoßen. 357 358 359

WissR 1978, Beiheft 6, S.241. Zu den Standortbedingungen schon in der Einleitung. BVerwGE 30, 191, 197; BVerfGE 12, 1, 12, 17.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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Geht es insoweit um die Abwehr einer positiven Handlung einer Landesgewalt, für die ein Bürger eines anderen Landes eine Grundrechtsverletzung beklagt, so ist ebenfalls die Abwehrfunktion der Grundrechte betroffen. Ob diese aber auch hier gegen bundesstaatliche Individualität fruchtbar gemacht werden kann, hängt allerdings davon ab, ob die Maßnahme eines Landes, die sich grundsätzlich auf den räumlichen Wirkungskreis beschränkt 360, für Betroffene anderer Bundesländer Eingriffscharakter haben kann. Ist der Betroffene nämlich nicht Adressat der Regelung, sondern wird die Beeinträchtigung der Freiheitsposition durch eine staatliche Gewährung von Vorteilen an die Landesangehörigen bewirkt, fragt es sich, inwieweit diese tatsächliche grundrechtliche Interessenverkürzung als Grundrechtseingriff zu werten ist. Anders formuliert: Ist ein Landesgesetzgeber gehalten, mittelbare/faktische Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Freiheiten von Betroffenen in anderen Bundesländern abzuwenden? Dies richtet sich nach der allgemeinen Problematik, inwieweit auch mittelbaren, faktischen Auswirkungen staatlicher Maßnahmen Eingriffsqualität zukommt.

I. Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsgrundrechts 1. Grundrechtsrelevanz Die Landesmaßnahme müßte zunächst Interessen beeinträchtigen, die in den Schutzbereich eines Grundrechts fallen. Hierbei kommen entsprechend der vorangegangenen Fallkonstellation nur grundrechtliche Gewährleistungen in Betracht, die von vornherein „überregional" 361 ausgerichtet sind. Denn nur in diesem Fall kann sich die landesinterne Begünstigung auf die Freiheitsbetätigung Landesfremder nachteilig auswirken: So kann eine Landeszuwendung zum Zwecke der privaten Denkmalpflege mangels überregionalem Charakter landesfremde Denkmaleigentümer nicht beeinträchtigen, während die wirtschaftliche Lenkungsmaßnahme eines Landes (beispielsweise die Gewährung von Kostenvorteilen) zu einer Verzerrung des bundesweiten Wettbewerbs beitragen und dadurch die Chancengleichheit im wirtschaftlichen Wettbewerb beeinträchtigen kann. Während auf europäischer Ebene einer ähnlichen Gefährdungslage durch die den Grundfreiheiten eigenen besonderen Diskriminierungsverbote - insbesondere durch den freien Warenverkehr - Rechnung getragen wird 362 , begegnet das Grundgesetz einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit im wirtschaftlichen Wettbewerb - wie ausgeführt 363 - insbesondere durch Art. 12 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt der freien konkurrenzwirtschaftlichen Betätigung am Markt 364 . Die überregionale Auswir360 361 362 363 364

*

Zum Wirkungskreis von Landesmaßnahmen unten 3. Teil § 1ΒI. Vgl. zur „Überregionalität" der Freiheitsbetätigung schon oben Β II. Vgl. schon oben 1. Teil § 1H. Siehe oben Β I I I . Vgl. hierzu auch P. M. Huber, Konkurrenzschutz, S. 381; Detterbeck, Jura 1990, S. 656.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

kung einer landesinternen Begünstigung bleibt aber nicht auf den Bereich der wirtschaftlichen Wettbewerbsfreiheit beschränkt, sondern ist beispielsweise auch im Presse- und Rundfunkrecht denkbar 365. Demnach kann eine landesinterne Begünstigung individuelle grundrechtliche Schutzbereiche Landesfremder berühren. 2. Zurechnung tatsächlicher Beeinträchtigungen Nicht jede tatsächliche Berührung des grundrechtlichen Schutzbereichs genügt, um einen staatlichen Eingriff zu begründen, die tatsächliche Interessenverkürzung muß vielmehr überhaupt auf das Verhalten der öffentlichen Gewalt zurückführbar sein. Das ist deshalb problematisch, weil im Fall der mittelbaren Beeinträchtigung eine durch viele einzelne Faktoren bestimmte Kausalkette die Freiheitsverkürzung herbeiführt, die durch den Hoheitsträger in Gang gesetzt und mithin zumindest äquivalent verursacht worden ist. Somit stellt sich die Frage nach dem mittelbaren Eingriff als Zurechnungsproblem dar 366 . Dementsprechend wurde nach dem sog. klassischen Eingriffsbegriff nur dasjenige staatliche Handeln als Eingriff gewertet, das durch Rechtsakt mit rechtlicher und nicht bloß tatsächlicher Wirkung, final und nicht nur als unbeabsichtigte Folge, mit Befehl und Zwang angeordnet und durchsetzbar, sowie unmittelbar und nicht nur als mittelbare Folge das grundrechtlich geschützte Verhalten einschränkt 367. Vorliegend geht es jedoch um Regelungen, die sich nur an die jeweiligen Adressaten richten und ihnen in der Regel Begünstigungen einräumen. So wird beispielsweise durch die Gewährung von Subventionen an Einheimische primär der entsprechende Wirtschaftszweig im Land gestärkt. Die einseitige Begünstigung einzelner Marktteilnehmer ermöglicht es diesen aber, bei entsprechendem Einsatz der Vergünstigung, ihre Stellung am Markt zu verbessern. So wird erst als Nebenfolge der Begünstigung gleichzeitig der bundesweite Wettbewerb beeinflußt und dadurch die wirtschaftliche Betätigung der landesfremden Unternehmen unter Umständen erheblich beeinträchtigt. Diese mittelbare (Fern-)Wirkung enthält mithin nicht den unmittelbaren und finalen Charakter, die der klassische Eingriffsbegriff verlangt. Doch der klassische Eingriffsbegriff wird dem heutigen Grundrechtsverständnis nicht mehr gerecht. Der Staat ist vielfältig mit der Gesellschaft verwoben, und es bestehen häufig Abhängigkeiten von staatlichem Handeln. Je mehr Berührungspunkte aber zwischen Privaten und Staat bestehen, desto eher handelt der Staat seinerseits freiheitsbeeinträchtigend 368. Es verbietet sich mithin schon aufgrund der umfassenden Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG, wonach der Freiheitsschutz eines Bürgers die Abwehr jedweder Modalität von Schutzbereichsverkürzungen durch 365 366 367 368

Vgl. auch BVerfGE 80, 124, 133f.; P.M. Huber,, Konkurrenzschutz, S.381. P.M. Huber, Konkurrenzschutz, S.228. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 238. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 239.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen133

die staatliche Gewalt verlangen kann 369 , mittelbare Auswirkungen vollständig aus dem Eingriffsbereich auszuschließen. Die Grundrechtsausübung hängt nämlich häufig nicht nur von Ge- oder Verboten ab, sondern auch von den tatsächlichen Gegebenheiten370. Damit kommt es im Rahmen der Grundrechtsbindung nicht auf die Form staatlichen Handelns an, sondern auf dessen Auswirkung 371 , die bei mittelbaren Beeinträchtigungen ebenso einschneidend sein kann. Es ist daher davon auszugehen, daß auch mittelbare Maßnahmen grundsätzlich Eingriffscharakter haben können372. Dementsprechend ist die Eingriffsdefinition unter Berücksichtigung dieser Aspekte zu erweitern: Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, unmöglich macht, gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt 373 . Gleichwohl kann wegen der vielfältigen Abhängigkeiten von Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten und staatlicher Tätigkeit eine grenzenlose Eingriffsbejahung selbst bei fernliegenden Folgen auch gegenüber Dritten, deren Beeinträchtigung staatlicherseits nicht gewollt und oftmals nicht einmal bewußt war, die staatliche Handlungsfähigkeit empfindlich beschneiden374. Dieser Gefahr trägt das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Art. 12 GG durch die Forderung einer objektiv „berufsregelnden Tendenz" Rechnung375. Um keine umfassende Folgenverantwortlichkeit zu postulieren, bedarf es daher zusätzlicher Kriterien, um den Eingriff im Einzelfall zu bejahen. Während infolgedessen grundsätzlich weitgehende Einigkeit darüber besteht, daß auch mittelbar faktischen Beeinträchtigungen Eingriffscharakter zukommen kann, besteht Uneinigkeit hinsichtlich der Kriterien, mit deren Hilfe die Zurechnung der Beeinträchtigungen festgestellt werden soll. a) Finalität/Voraussehbarkeit Dabei wird teilweise auf Elemente des „klassischen" Grundrechtseingriffs, namentlich auf Aspekte der „zwangsgleichen Wirkung" 376 und der „Finalität" 377 , zu369

Schoch, Staatliche Informationspolitik, S.669f. Ramsauer, AöR 111 (1986), S. 515 ff. 371 BVerfGE 47, 1, 21; 49, 24,47f.; 70, 191, 214; BVerwGE 71, 183, 191; BVerwG, DVB1. 1987, 364, 365; Bischer, JuS 1993, S.464; P.M. Huber, Konkurrenzschutz, S.231. 372 BVerfGE 46, 120, 137; BVerwGE 71, 183, 191 f.; Bleckmann/Eckhoff,\ DVB1. 1988, S. 376; P. M. Huber, Konkurrenzschutz, S. 231. 373 Bleckmann/Eckhoff, DVB1. 1988, S. 373ff.; Lubbe-Wolff,\ Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, 1988, S.71; vgl. auch BVerwGE 46, 120, 137f.; 66, 39, 58; BVerwGE 90, 112, 119; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 240; Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 49; vgl. Erichsen, Jura 1991, S. 639. 374 Bischer, JuS 1993, S.464; Erichsen, Jura 1991, S.639; Jarass, NVwZ 1984, S.476. 375 BVerfGE 13, 181, 186; 37, 1, 18; 70, 191, 214; 95, 267, 302; hierzu sogleich sub b). 376 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 267ff. 377 BVerwGE 90, 112, 120: „Die Zielrichtung des Verwaltungshandelns [ist] ein tragendes Kriterium für die Annahme eines Grundrechtseingriffs"; vgl. auch BVerwGE 71,183,193 f. (in 370

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

rückgegriffen; daneben wird die Beachtlichkeit der Grundrechtsbeeinträchtigung auch von einem staatlichen Erkennen und Inkaufnehmen abhängig gemacht378. Diese Kriterien erweisen sich zwar als tragend für die Annahme eines Grundrechtseingriffs 379 , sind jedoch zur negativen Abgrenzung eines Grundrechtseingriffs nicht geeignet. Denn während das Kriterium der „zwangsgleichen Wirkung" nicht allen staatlichen Handlungsanreizen gerecht wird 380 , die den einzelnen zu einem bestimmten Verhalten bewegen können, läßt der Aspekt der Finalität gerade die hier relevanten, unbeabsichtigten Folge- und Nebenwirkungen außer Betracht, bei denen eine Schutzwürdigkeit der Betroffenen aber nicht von vornherein verneint werden kann 381 . Infolgedessen sind diese Kriterien für die Abgrenzung nicht zurechenbarer Grundrechtsbeeinträchtigungen unzureichend. Ungeeignet ist ebenso der Aspekt des Erkennens und Inkaufnehmens, da dieser auf Verschuldensmomente abstellt, auf die es zur Bestimmung der Eingriffsqualität wegen der verschuldensunabhängigen Schutzbedürftig- und Schutzwürdigkeit des grundrechtlichen Freiheitsbereichs nicht ankommen kann 382 . Es kommt nämlich hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit einer hoheitlichen Maßnahme auf deren grundrechtsbeeinträchtigenden Erfolg und nicht auf die Rechtswidrigkeit der zu ihr führenden Maßnahme an. Die Rechtsordnung kann zwar grundsätzlich gleichermaßen sowohl an die Mißbilligung eines Verhaltens als auch des Erfolges anknüpfen 383. So ist beispielsweise im Strafrecht in der Regel die Mißbilligung der Handlung das unrechtsauslösende Moment, so daß auf der Ebene der objektiven Zurechnung ein Zusammenhang derjenigen Folgen ausgeschlossen wird, die für den einzelnen nicht vorhersehbar waren 384 . Ist das Ziel aber die Beseitigung einer fortdauernden Rechtsbeeinträchtigung, so geht es nicht darum, eine bestimmte Handlung zu bestrafen oder dadurch entstandene Schäden abzugleichen, sondern den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen385. Die grundrechtliche negatorische Störungsbeseitigung knüpft gerade nicht an die Rechtswidrigkeit des eingreifenden Verhaltens, sondern an die - sofort oder nach Zeitablauf - eintretenden Folgen an 386 . Ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch kann somit schon dann entstehen, wenn der geschaffene Zustand rechtswidrig ist, so daß es auf die Rechtmäßigkeit des Hoheitsaktes nicht ankommt387. Demgemäß sind hier Aspekte des Vorhersehens und Inkaufnehmens, die allein ein Handlungsunrecht begründen könnten, nicht maßgeblich. Abgrenzung zum bloßen Reflex); 75,109,115 („gezielt") auch BVerfGE 10, 354, 362; 70, 35, 53; 87, 37,42f. 378 BVerwGE 82, 76, 79 (bzgl. Warnung vor Sekten); 87, 37, 43 f. 379 So auch in BVerwGE 90, 112, 120; 82, 76, 79; 71, 183, 193f. 380 Vgl. Sachs, JuS 1995, S.304. 381 Vgl. Bischer, JuS 1993, S.465; sowie sogerade im Text. 382 Vgl. Bischer, JuS 1993, S.465. 383 Wey reuther, Folgenbeseitigung, S.B 68. 384

Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 180 f. Bettermann, DÖV 1955, S.535. 386 Weyreuther, Folgenbeseitigung, S.535. 385

387

Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.313; Weyreuther,

Folgenbeseitigung, S.B 88.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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Gleiches gilt, wenn man - verobjektiviert - auf die Vorhersehbarkeit abstellt und auf diesem Wege außerhalb der Lebenserfahrung liegende Freiheitsbeeinträchtigungen dem staatlichen Verhalten nicht zurechnet: Handele es sich um eine sich dem Betrachter geradezu aufdrängende Nebenfolge, so sei die Schutzwürdigkeit des Betroffenen und damit der Eingriffscharakter der Maßnahme auch bei mittelbaren Beeinträchtigungen zu bejahen, während völlig atypische Folgen für den Betroffenen eher hinzunehmen seien388. Aber auch diese Argumentation lenkt die Zurechenbarkeit in die Richtung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs und macht damit die staatliche Verantwortlichkeit ebenfalls vom Handlungsunrecht abhängig. Eine Eingrenzung der Zurechenbarkeit muß daher nach anderen Kriterien erfolgen. b) Schwere der Beeinträchtigung Ganz überwiegend wird auf das Kriterium der Intensität der Beeinträchtigung abgestellt 389 , so daß den „Nichtadressaten" die Maßnahme über allgemein hinzunehmende Erschwernisse hinaus individuell und in qualifizierter Weise betreffen muß 390 . Eine sonstige Einwirkung kann folglich um so eher als Eingriff gewertet werden, je stärker sie das betroffene Grundrecht beeinträchtigt 391. Dieser Aspekt kommt im Rahmen des Art. 12 GG in der Forderung der objektiv „berufsregelnden Tendenz" zum Ausdruck, die verlangt, daß die Regelung „Einfluß auf die Art und Weise" 392 der beruflichen Tätigkeit nimmt, so daß nur nur irgendwie geartete, entfernte Folgen für die berufliche Tätigkeit keinen Eingriff in Art. 12 GG darstellen 393. Denn die Schwere der Beeinträchtigung des „Nicht-Adressaten" rechtfertigt eine Gleichstellung mit dem unmittelbaren und zielgerichteten Befehl 394 . Zwar ist die Schwere der Beeinträchtigung im Einzelfall nur schwer von unbeachtlichen „Bagatellen" abgrenzbar, dennoch ist sie ein Kriterium, das einerseits - aufgrund der Anknüpfung an die Wirkung - der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, aber auch - aufgrund seiner eingrenzenden Wirkung - der Erhaltung der Handlungsfähigkeit des Staates Rechnung trägt. 388

Bischer, JuS 1993, S.465; so auch Rozek, Jura 1998, S.548. BVerwG,NJW 1992, S.2499; DVB1.1989, S.663,667; BVerwGE30,191,197;44,244,246; 87, 37, 43; Erichsen, Jura 1992, S. 146: „erhöhte Betroffenheitsintensität"; Badura, Staatsrecht, C18: „Schwelle der Erheblichkeit überschreiten"; Betterbeck, Jura 1990, S. 656. 390 BVerwG, DVB1.1991, S.699ff.; BVerwGE90,112,120; 87,37,43; Jarass, NVwZ 1984, S.476; Brohm, FS Menger, S.240, 245; Sodan, DÖV 1987, S. 863; Scherzberg, Grundrechtsschutz und Eingriffsintensität, S.205ff.; Meyn, JuS 1990, S.633; Schoch, DVB1. 1991, S.670; Ramsauer, Die faktische Beeinträchtigung des Eigentums, S. 175; ders., AöR 111 (1986), S. 515 ff.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S.56 f. Manssen, Staatsrecht, Rn.447: „einigermaßen erheblich"; Krebs in: v. Münch/Kunig, Art. 19 Rn.60: „besonders qualifizierte faktische Betroffenheit". 391 Jarass in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 27. 392 BVerfG, NJW 1998 2346, 2347. 393 Vgl. hierzu Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 823. 394 P. M. Huber, Konkurrenzschutz, S. 235. 389

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

c) Schutzzweck Darüber hinaus wird auch der Schutzzweck des jeweiligen Grundrechts in die Bestimmung des Eingriffscharakters mit einbezogen395. Anhand dieses Merkmals wird eine abgrenzende Wertung dahingehend vorgenommen, ob die Beeinträchtigung nach dem Wertgehalt des Grundrechts vorwiegend dem Verantwortungsbereich des Staates oder aber dem allgemeinen Lebensrisiko des Bürgers zuzurechnen ist 396 . Die so vorgenommene Abgrenzung nach Risikosphären und Grundrechtsspezifität ist wertungsoffen und ermöglicht es, anhand des Schutzbereichs eines Grundrechtes die Grenzen des Grundrechtsschutzes in bezug auf mittelbare Beeinträchtigungen auszuloten. Sie ist daher - zumindest in Kumulation mit dem Schwereargument - geeignet, den Umfang der Zurechenbarkeit bei mittelbarer Freiheitsverkürzung zu bestimmen und nicht mehr zurechenbare Beeinträchtigungen auszugrenzen. d) Mittelbare Auswirkungen jenseits der Landesgrenzen Sind folglich mittelbare Beeinträchtigungen durch ein Verhalten eines Hoheitsträgers dann als Eingriff in ein Grundrecht anzusehen, wenn sie von erheblichem Gewicht für die Betroffenen sind, insofern also eine „freiheitsregelnde Tendenz"397 aufweisen, und vom Schutzzweck des einschlägigen Grundrechts in den Verantwortungsbereich des Staates fallen, so gilt dies gleichermaßen, wenn die Wirkung außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets eintritt. Eine Zurechnungsbegrenzung nach dem Schutzzweck der Norm kann insoweit nicht aufgrund der Wirkung außerhalb des eigenen Hoheitsbereichs vorgenommen werden. Denn nach Art. 1 Abs. 3 GG ist alle Staatsgewalt an die Grundrechte gebunden. Diese Bindung gilt überall dort, wo deutsche Staatsgewalt tätig wird oder sich auswirkt, gleichgültig, ob die Wirkung ihrer staatlichen Handlung innerhalb der eigenen oder innerhalb fremder Hoheitsgewalt eintritt 398 . Das Bundesland handelt in seiner Gesetzgebung als öffentlicher Hoheitsträger und ist den Vorgaben des Grundgesetzes unterworfen. Rechtsakte eines Hoheitsträgers bleiben auch bei übergreifenden faktischen Wirkungen Hoheitsakte und an höherrangiges Recht, im besonderen an die Grundrechte, gebunden399. Mithin können auch Maßnahmen eines Bundeslandes, die eine Freiheitsausübung in einem anderen Bundesland beeinträchtigen, als Grundrechtseingriffe qualifiziert werden. Dies ist dem jeweiligen Land auch zumutbar, da aufgrund des hier vertre395 BVerwGE 71, 183, 192; Lübbe-Wolff, NJW 1987, S.2711; Schulte, DVB1. 1988, S.517; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht, Rn. 447; Ramsauer, Die faktischen Beeinträchtigungen, S. 128ff.; ders, VerwArch 72 (1981), S.99. 396 Jarass, NVwZ 1984, S.477. 397 Vgl. zur berufsregelnden Tendenz bereits oben sub b). 398 Stern, Staatsrecht III/l, S. 1230 in bezug auf Wirkungen, die im Ausland eintreten (Hervorh. v. Verf.). 399 Fastenrath, JZ 1987, S. 174.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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tenen Eingriffsbegriffs nur Fälle erfaßt werden, die eine gewisse Schwere aufweisen und die überdies einen überregionalen Bezug haben. Sind folglich die Auswirkungen der Landesmaßnahmen für den landesfremden Drittbetroffenen für seine Grundrechtsausübung wesentlich und damit von erheblichem Gewicht, war diese Beeinträchtigung auch nicht nur die Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos, so ist ein Eingriff in das Freiheitsgrundrecht auch bei landesexterner Wirkung zu bejahen. Die Zurechenbarkeit könnte im bundesstaatlichen Gefüge aber deshalb zweifelhaft sein, weil die Beeinträchtigung des Landesfremden nicht nur durch die Begünstigung entsteht, sondern auch deshalb, weil die anderen Länder eine solche Förderung nicht vorsehen, so daß sich die Belastung erst aus dem Zusammenwirken mit den Regelungen anderer Hoheitsträger ergibt 400 . Für die Zurechenbarkeit des mittelbaren Grundrechtseingriffs zu dem handelnden Bundesland kommt es indes nur auf den bestehenden Wirkungszusammenhang an und ob dieser von dem jeweiligen Hoheitsträger beherrscht wird 401 . Das handelnde Bundesland hat selbst, durch eigenes Tätigwerden, die Grundrechtsbeeinträchtigung bewirkt, während die anderen Länder - solange sie keine allgemeine Rechtspflicht zum Handeln (beispielsweise aus einer Ländervereinbarung) trifft, nicht verpflichtet sind, eine entsprechende Norm zu erlassen. Erst durch die Begünstigung der Einheimischen tritt die Belastung für die Landesfremden ein. Damit ist dem begünstigenden Land die eingetretene Wirkung zurechenbar, so daß es sich insoweit nicht auf das Unterlassen des jeweils anderen Bundeslandes berufen kann. Ob letztlich insgesamt eine Angleichung zu erfolgen hat, ist eine Frage der bundesstaatsinternen Durchsetzbarkeit, auf die noch eingegangen wird 402 . II. Zumutbarkeit Die Bejahung der Eingriffsqualität führt wiederum zu der Prüfung, ob die Auswirkungen im Hinblick auf die bundesstaatliche Struktur hinnehmbar sind oder die Grenzen der Zumutbarkeit überschritten sind 403 . Auch mittelbare Beeinträchtigungen anderer, die nicht der Gewalt unterworfen werden, unterliegen den Regeln über die Einschränkung von Grundrechten und müssen daher insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen404. Entsprechend der zuvor behandelten Fallkonstellation gilt es auch hier, bei Schaffung einer Neuregelung den „status quo" im Bundesstaat zu beachten und in die Auswirkungen der Regelung weitend einzustellen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet parallel zu dem 400

Fastenrath, JZ 1987, S. 175. BVerwGE 90, 112, 120; Rozek, Jura 1998, S.548. 402 Hierzu unten 5. Teil § 2. 403 Auch hier gilt, daß die Problematik nur dann relevant wird, wenn die Regelung im übrigen verfassungsgemäß ist. 404 Fastenrath, JZ 1987, S. 174. 401

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

oben Ausgeführten 405 das Bundesstaatsprinzip mit seiner grundsätzlich zulässigen Diskrepanz der Länderregelungen erneut Berücksichtigung. Denn auch für eine mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigung kann nur als verfassungswidrig eingestuft werden, wenn sie für die Betroffenen so einschneidend ist, daß sie unter Einbeziehung der föderalen Strukturprinzipien nicht hinnehmbar ist. Es gilt also auch hier, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine umfassende Abwägung vorzunehmen406. I I I . Zwischenergebnis Damit läßt sich feststellen, daß ein Landesgesetzgeber auf die Wirkung seiner Maßnahme im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Freiheiten in anderen Bundesländern Rücksicht nehmen und im Falle einer unzumutbaren Freiheitsbeeinträchtigung von seiner Regelung Abstand nehmen muß. In diesem - wegen der hohen Anforderungen an die Betroffenheit eher selteneren - Fall können die Freiheitsgrundrechte Landesfremder gegen Landesindividualität wirken. Dieses Ergebnis steht wiederum im Einklang mit der freiheitssichernden Funktion des Bundesstaates. Diese wesentliche Funktion führt dazu, daß die Landesindividualität nicht mehr gerechtfertigt werden kann - mag sie auch im Einzelfall der Experimentierfunktion dienen - , wenn sie zu intensiven Freiheitsbeeinträchtigungen in anderen Bundesländern führt. Infolgedessen kann die Lösung entsprechend den oben gefundenen Erkenntnissen ebenfalls als bundesstaatskonform eingestuft werden. Weiterhin steht diese Vorgehensweise auch mit dem Rechtsstaatsprinzip im Einklang: Anders als bei Begrenzung des Eingriffsbegriffs zugunsten der Erhaltung der Handlungsspielräume des Staates, bei der bestimmte staatliche Interessen der rechtsstaatlichen Kontrolle von vornherein entzogen werden, eröffnet die Annahme eines Grundrechtseingriffs bei faktischen Beeinträchtigungen von Einwohnern anderer Bundesländer eine - rechtsstaatskonforme - Abwägung von öffentlichen und privaten Interessen. D . Freiheitsbeeinträchtigende Vielfalt der Regelungen Als letzte Fallgestaltung ist denkbar, daß gerade die Divergenz der Vielzahl der Regelungen für den Betroffenen zur Folge hat, daß ihm seine Grundrechtsausübung besonders nachhaltig erschwert oder unmöglich gemacht wird. Hierbei handelt es sich - wie in den vorangehenden Konstellationen - ebenfalls wesensnotwendig um Sachverhalte, die aufgrund ihrer bundesweiten Ausrichtung eine überregionale Tendenz haben, der entscheidende Unterschied zu den bereits ausgeführten Varianten ist indes, daß die Art der Freiheitsausübung zur Folge hat, daß der Betroffene zu ihrer Wahrnehmung sämtliche Landesregelungen beachten muß. Es handelt sich nicht 405 406

Vgl. oben sub Β I I I . Vgl. oben sub B i l l .

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um die Auswirkung einer Regelung auf eine Konkurrenzsituation durch Verschiebung der Gewichte durch ein Land, sondern die Belastung besteht unabhängig von einer konkurrierenden Vergleichsgruppe allein aufgrund der Unterschiedlichkeit. Für die „überregionale" Grundrechtsverwirklichung, sei es nun das Recht der Wahl und Ausübung eines Berufs oder die freie unternehmerische Betätigung, ist es von maßgeblicher Bedeutung, ob sich ein Bürger nach einheitlichen gesetzlichen Kriterien oder nach einem Bündel unterschiedlicher landesrechtlicher Regelungen zu richten hat 407 . Ist der Grundrechtsträger insofern nicht nur der landeseigenen Regelung unterworfen, sondern muß sich, um überhaupt bundesweit tätig zu werden, auch nach allen anderen Regelungen richten, so bleibt ihm unter Umständen nur eine Freiheitsbetätigung auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner". Treffen beispielsweise bei der Zulassung neuer Baustoffe durch die Bundesländer den Baustoffproduzenten völlig unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich Festigkeit, Gesundheits-/Feuerschutz u. ä. 408 oder treffen ihn von Land zu Land sogar widersprüchliche Regelungen, so wird der bundesweite Vertrieb eines Stoffes - an der ein Produzent naturgemäß interessiert sein wird - wesentlich erschwert. Gleiches gilt bei der Festlegung bestimmter Grenzwerte. Im besonderen Maße davon betroffen ist aber der gesamte Medienbereich: Neue Satelliten- und Kabeltechnik ermöglichen bundesweite Heranführung von Programmen, machen eine regionale Beschränkung teilweise sogar unmöglich 409 . Die neuen Kommunikationstechniken führen zu einer zunehmenden Verflechtung und werfen Probleme der Unitarisierung, Koordinierung und der Herstellung eines Mindestmaßes an Homogenität auf 410 . So können unterschiedliche landesrechtliche Zulassungsbedingungen aufgrund der Überregionalität dazu führen, daß ein Anbieter den „kleinsten gemeinsamen Nenner" suchen muß, um überhaupt bundesweit anbieten zu können; beispielsweise bei den Werbebedingungen (zeitliche Beschränkungen, Unterbrechungsverbote, Jugendschutz, Sonn- und Feiertagswerbung), der Einspeisungsrangfolge und der Pflicht zur Ausstrahlung von Lokalprogrammen. Unterscheiden sich die Regelungen wesentlich, so kann dies die Verbreitung des Programms erschweren oder - insbesondere bei werbefinanzierten Programmen - sogar die Einstellung nach sich ziehen411. Diesbezüglich stellte bereits das Bundesverfassungsgericht fest: „Veranstalter oder auch Produzenten überregionaler Programme können sich nur schwer nach einem ganzen Bündel unterschiedlicher landesrechtlicher Normierungen richten; in besonderem Maße gilt das für die Werbung" 412. Die Probleme zeigen sich daher überwiegend in den Bereichen, in denen die technische Entwicklung zu einer überregionalen Sichtweise drängt, sind aber nicht darauf beschränkt. Die Vielfalt von Regelungen (zum Beispiel: der Berufszulassung) kann 407 Degenhart, ZfA 1993, S.421. 408 v g l z u diesem Beispiel Pietzcker, 409 410 411 412

Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S.41.

Vgl. Degenhart in: Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 1 u. 2 Rn. 637. Bethge, DÖV 1990, S.633; Schürdt, ZUM 1986, S.432ff. Vgl. aufgezeigte Fallgestaltungen bei Schmitt Glaeser/Degenhart, BVerfGE 73,118, 196.

AfP 1986, S. 173 ff.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

sich ebenso auf die bundesweit ausgerichtete Berufswahlfreiheit auswirken. Auch dem bereits angeführten Numerus-clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem sich gerade die Vielzahl der unterschiedlichen Zulassungsbedingungen und die daraus entstehende Unübersichtlichkeit nachteilig auf die bundesweit garantierte freie Wahl des Ausbildungsplatzes der Studienplatzbewerber ausgewirkt hat 413 . Eine ähnliche Konfliktlage ergibt sich auch mit Blick auf den freien Zug im Bundesgebiet (Art. 11 GG): Divergierende Schulsysteme und Bildungslaufbahnen, unterschiedliche Höhe sozialer Leistungen begründen föderalistisch bedingte Freizügigkeitsbehinderungen, die die Inanspruchnahme von Freizügigkeit unzumutbar beeinträchtigen können414. Auch bei einer freiheitsbeeinträchtigenden Vielfalt der Regelungen kann eine Lösung über den Grundrechtsschutz der Betroffenen gesucht werden. Im Vordergrund steht dabei der Schutz und die effektive Verwirklichung der Bundesgrundrechte in allen Bundesländern 415. Wenn die Unterschiedlichkeit der Regelungen zur Folge hat, daß die Grundrechte der von der Regelung Betroffenen entwertet werden, so liegt eine solche Lösung nahe. Aber auch hier ist eine Differenzierung notwendig. I. Zusammenwirken der Regelungen Soweit das Zusammenwirken der Anforderungen dazu führt, daß eine bundesweite Grundrechtswahrnehmung nur auf dem „kleinsten Nenner" möglich ist oder aber die Grundrechtsausübung vollständig unmöglich macht, resultiert die Erschwerung der Freiheitsbetätigung aus der Wirkung der Kumulation der Regelungen, die jede für sich genommen mit dem Grundgesetz in Einklang steht416. Dies führt zu der Frage, ob die Verhinderung beziehungsweise die Minimalbetätigung noch verfassungsgemäß ist oder das Zusammenwirken der Regelungen eine unverhältnismäßige Beschränkung der grundrechtlich geschützten Freiheit der Betroffenen darstellt. II. Zurechenbarkeit der „summierten" Grundrechtsbeeinträchtigung Im Gegensatz zu den bisher geschilderten Fällen folgt hier der Grad der Beeinträchtigung nicht primär aus einer Landesregelung, sondern erst aus der Vielfalt der 413 BVerfGE 33,303,356f.: „sieben verschiedene Berechnungsarten der Abiturnoten, sechs Arten von Notenvergünstigungen im Rahmen des Leistungsprinzips und über zwanzig Arten von Vergünstigungen im Rahmen des Jahrgangsprinzips mit unterschiedlichen räumlichem Geltungsbereich". 414 Diese Sichtweise setzt freilich die Anerkennung mittelbarer Grundrechtsbeeinträchtigungen auch bei Art. 11 GG voraus, hierzu unten im 3. Teil § 2 Β III 2 a. Diese Konfliktlage steht in engem Zusammenhang mit der Frage nach einer Verpflichtung der Länder, Abschlüsse anderer Hoheitsträger anzuerkennen, hierzu unten im 3. Teil § 2. 415 Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 183. 416 Vgl. dazu oben sub Α.

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Regelungen, nach denen sich der Grundrechtsträger bei überregionaler Grundrechtswahrnehmung richten muß. Damit verbindet sich zugleich die zusätzliche Problemstellung, ob hinsichtlich dieser Grundrechtsbetroffenheit überhaupt ein zurechenbares Verhalten einer öffentlichen Gewalt vorliegt, da nicht jedes Bundesland allein mit seiner Regelung die Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung bewirkt, sondern diese eben nur im Zusammenwirken mit den abweichenden Regelungen anderer Bundesländer eintritt. Die hiermit aufgeworfene Fragestellung der grundrechtlichen Verantwortlichkeit zusammenwirkender Rechtsträger der gegliederten Staatsgewalt, in der die einzelnen Verursachungsbeiträge, anders als im Fall der Kettenverursachung, jeweils unabhängig voneinander erfolgen, wird als vielschichtig und teilweise ungeklärt qualifiziert 417. Es ist daher der Frage nachzugehen, ob auch ein „Mitverursachungsbeitrag" eine Zurechnung der Gesamtbeeinträchtigung begründen kann.

1. Theorie der unmittelbaren Verursachung In Betracht kommt zunächst, daß nur derjenigen Landesmaßnahme der Eingriff zurechenbar ist, die als letztes die „Schwelle zur Grundrechtsverletzung" überschritten hat. Ähnlich der Theorie der unmittelbaren Verursachung im Polizeirecht, die nur dasjenige Verhalten als polizeirechtlich relevante Ursache ansieht, das selbst die Gefahrengrenze überschreitet 418, wäre dann regelmäßig das letzte Glied einer Regelungskette das beeinträchtigungsauslösende Moment. Dafür spräche, daß nur dem zuletzt tätig gewordenen Land der Vorwurf gemacht werden kann, es habe den bestehenden status quo im Bundesstaat nicht oder nur unzureichend beachtet und es habe sich insoweit diesem anpassen müssen. Denn allein das zuletzt normierende Land konnte mit Blick auf die vorhergehenden Maßnahmen der anderen Länder die Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung vorhersehen. Wie ausgeführt 419, kommt es aber hinsichtlich der Eingriffsqualität der grundrechtsbeeinträchtigenden Maßnahme nicht auf die Rechtswidrigkeit der zu ihr führenden Handlung an. Aspekte der Vorhersehbarkeit sind in der vorliegenden Konstellation zur Zurechnung des Eingriffs aber auch schon deshalb ungeeignet, weil es sich nicht um einen Fall der Kettenverursachung handelt, in dem ein Kausalbeitrag Anstoß zu dem jeweils nachfolgenden gegeben hat, sondern um eine Nebenverursachung. Anders als im Fall der Kettenverursachung, wo der Kausalzusammenhang von der Zurechnung des weiteren Verursachungsbeitrags abhängt, wirkt im Fall der Nebenverursachung jeder Akt selbständig am Eintritt der Beeinträchtigung mit 4 2 0 . Insofern ist die Beeinträchtigung nicht mittelbar, sondern unmittelbar durch die ei417

Stern, Staatsrecht III/2, S. 186. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 248. 419 Vgl. sub CI2a). 420 Für den Fall der Nebenverursachung durch staatliches und nichtstaatliches Verhalten: Stern, Staatsrecht III/2, S. 169. 418

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

gene Handlung mitverursacht worden. Die Theorie der Unmittelbarkeit der Verursachung kann daher zur Lösung der staatlichen Nebenverursachung nicht beitragen. 2. Gemeinsame Verantwortung Die Freiheitsgrundrechte begründen eine Pflicht des Staates, rechtswidrige hoheitliche Grundrechtsbeeinträchtigungen zu unterlassen sowie einen grundrechtswidrigen Zustand mit der rechtsnormativen Lage in Einklang zu bringen 421. Mit dieser Pflicht korrespondiert das Recht des Bürgers auf Unterlassung beziehungsweise - nach geschehenem Eingriff - auf Beseitigung422. Der fortdauernde Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers löst daher einen Anspruch auf Beseitigung der Freiheitsbeeinträchtigung aus, dessen rechtsdogmatischer Ansatzpunkt unmittelbar in den Freiheitsgrundrechten liegt 423 . Entscheidend für die Freiheitsbeeinträchtigung ist dabei die Wirkung, die durch die Maßnahme bei dem Betroffenen erzeugt wird. Führen insofern mehrere Maßnahmen in ihrer Gesamtschau zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung, so ist diese Gesamtwirkung der Kumulation Maßstab des Eingriffs 424 . Insofern kann sich kein Verursacher darauf berufen, daß sein Anteil die Erheblichkeitsschwelle nicht überschreite. Da dies in der Regel auf jede Einzelmaßnahme zutrifft, könnte sich die Funktion der Abwehrrechte, die Freiheitssphäre des einzelnen zu sichern, nur unzureichend verwirklichen. Überdies bliebe unberücksichtigt, daß die verfassungswidrige Rechtslage von jeder einzelnen Regelung mit herbeigeführt wird. Deshalb ist für die jeweilige Wirkung die kumulative Steigerung durch das Zusammenwirken mit anderen Regelungen zu berücksichtigen 425. Somit hat jede hoheitliche Maßnahme, die im Zusammenwirken mit anderen hoheitlichen Maßnahmen eine Gesamtbeeinträchtigung bewirkt, diese Gesamtwirkung grundsätzlich zurechenbar verursacht. Entsprechend dieser Auffassung hat auch das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes426 festgestellt, obwohl sich die Verfassungswidrigkeit der Rechtslage erst aus dem Zusammenwirken mit anderen Normen des Familienlastenausgleichs, insbesondere des (Einkommen-)Steuerrechts ergab 427. Bewirkt folglich erst die Kumulation verschiedener Länderregelungen eine besondere Schwere der Grundrechtsbeeinträchtigung, so ist jede Landesregelung hierfür grundsätzlich kausal. Die entstandene Grundrechtsbeeinträchtigung ist somit jedem Land zurechenbar 428. 421

BVerwGE 82, 76, 95. BVerwGE 82, 76, 95; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S.298f. 423 Schenke, JuS 1990, S. 372. 424 Vgl. für die Kumulation von Steuern: Hohmann, DÖV 2000, S.409. 425 Vgl. Hohmann, DÖV 2000, S.412. 426 In der Fassung des Art. 13 Nr. 2 des Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGB1.I S. 1857). 427 BVerfGE 82, 60, 84. 428 Ob auch jedes Land auf Beseitigung in Anspruch genommen werden kann, ist eine Frage der Durchsetzbarkeit, vgl. hierzu unten 5. Teil § 1 A l l 3 c ) . 422

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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Diese Sichtweise findet eine Stütze im zivilrechtlichen Parallelfall der kumulativen Kausalität, bei dem ein Schaden von zwei oder mehreren Ereignissen ausgelöst wird, jedes Ereignis für sich genommen den Schaden aber nicht herbeigeführt hätte 429 . Hier ist grundsätzlich jede Ursache kausal, auch wenn erst ihr Zusammenwirken den Erfolg verursacht hat 430 . Diese im Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätze werden auch auf zivilrechtliche Unterlassungsansprüche übertragen. Zwar spielen Fälle, in denen erst das Zusammenwirken mehrerer den Eingriff bewirkt, für Unterlassungsansprüche eine geringere Rolle, bleiben aber dennoch - vor allem im Rahmen des § 1004 BGB - denkbar: So ist es beispielsweise vorstellbar, daß bei Immissionen von Geräuschen, Gerüchen oder auch Erschütterungen erst die Kumulierung der Immissionen die störende Wirkung entfaltet, die einzelne Immission dagegen nicht 431 . Führen insofern mehrere Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtschau zu einer unzumutbaren Störung, so hat jeder einzelne Verursacher grundsätzlich eine kausale Ursache für die Gesamtwirkung gesetzt432 und keiner der Beteiligten kann sich darauf berufen, daß seine Emission nicht wesentlicher Art sei, denn es kommt auch hier auf das Gesamtergebnis an 433 . III. Unverhältnismäßigkeit der Beeinträchtigung Liegt somit grundsätzlich eine zurechenbare Grundrechtsbeeinträchtigung vor, dann hängt ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung ebenso wie in den bereits erörterten Fallgestaltungen von der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ab. Denn sobald der „kleinste gemeinsame Nenner" das Mindestmaß notwendiger Freiheitsbetätigung so stark einschränkt, daß auch unter Abwägung mit dem Bundesstaatsprinzip eine nachhaltige, unzumutbare Beeinträchtigung vorliegt, erweist sich gerade das Zusammenwirken der Regelungen als unverhältnismäßig. Insoweit besteht eine gemeinsame Gewährleistungspflicht der Grundrechte 434, so daß sich die Beeinträchtigung nicht durch die Regelungskompetenz der Länder rechtfertigen läßt. So ist es beispielsweise denkbar, daß die Bundesländer jeweils die Unterbrechung des Programms eines bundesweit zugelassenen privaten Fernsehprogramms durch ein 429

Die Terminologie „kumulative Kausalität" wird nicht einheitlich verwendet, vgl. nur Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 150, 502, der für diese Konstellation sowohl den Begriff „kumulative" als auch „addierte" Kausalität verwendet; Lange, Handbuch des Schuldrechts I, § 3 XII3; Herrmann, Der Störer, S. 531; Larenz, Schuldrecht I, § 27 lila, spricht wohl nur von kumulativer Kausalität, wenn jedes Verhalten für sich allein den Erfolg herbeigeführt hätte, behandelt aber den hier gemeinten Fall wie im Folgenden. 430 OLG München, VersR 1984, S. 342; Deutsch, Haftungsrecht, Rn. 150, 502; Larenz, Schuldrecht I, § 27 lila; Herrmann, Der Störer, S. 531; Lange, Handbuch des Schuldrechts I, §3X113. 431 Vgl. Herrmann, Der Störer, S. 532; Augustin in: RGRK, § 906 Rn. 37. 432 Herrmann, Der Störer, S. 532; Augustin in: RGRK, § 906 Rn. 37; BGHZ 66, 70, 76; 72, 289, 298; vgl. auch RGZ 99, 172, 180. 433 Augustin in: RGRK § 906 Rn. 37. 434 Bullinger, AfP 1985, S.8.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

regionales Fensterprogramm vorsehen 435, die Voraussetzungen und die Zeiten dabei jedoch so stark differieren, daß eine einheitliche Programmgestaltung unzumutbar erschwert wird. Ein auf eigene Kompetenz pochendes Verhalten der Länder führt hier zu einer Grundrechtsentwertung, zu einem grundrechtswidrigen Zustand, der nicht durch den Anspruch auf Landesindividualität gerechtfertigt werden kann 436 . In einem solchen Fall ergibt sich demnach die verfassungswidrige Grundrechtsverkürzung aus der Kumulation der Regelungen. Auch dem Numerus-clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein entsprechender Gedanke zu entnehmen. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Hochschulzulassungsregelungen hat es zunächst ausgeführt, die Vielfalt der Zulassungskriterien beeinträchtige „zugleich die Transparenz des Zulassungswesens und die Chancengleichheit der Bewerber" 437. Der eigentlich entscheidende Gesichtspunkt verbirgt sich aber in der nachfolgenden Bewertung, daß die Länder eine „Mitverantwortung für eine kooperative Verwirklichung des Grundrechtsschutzes" träfe; daher Bund und Länder gehalten seien, „intensivere Eingriffe in Grundrechte nicht dadurch zu ermöglichen, daß sie sich auf das Fehlen ihrer Kompetenz zu der einen oder anderen Maßnahme berufen". Der Gesetzgeber müsse sich insoweit „als Einheit behandeln lassen"438. Diese Ausführungen bringen den oben beschriebenen Aspekt des Zusammenwirkens der Maßnahmen zum Ausdruck: Der einzelne unterliegt bei einer bundesweiten Freiheitsbetätigung nicht nur einer einzelnen Regelung, sondern eben allen zusammen. Insoweit stehen die jeweiligen Gesetzgeber den Betroffenen „gemeinsam" gegenüber, so daß die Behandlung als „Einheit" geboten ist. Bleibt in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die eigentliche Rechtsgrundlage der Angleichungspflicht unklar 439 , so zeigen die vorgetragenen Überlegungen, daß sie in den Freiheitsgrundrechten selbst gefunden werden kann. Deshalb ist es ungenau, wenn Ricker unter Hinweis auf diese Entscheidung dem Gesetzgeber die Prüfung auferlegt, „ob Ungleichbehandlungen durch divergierende Landesgesetze nicht den Wertungen des Art. 3 und 33 Abs. 1 GG widersprechen" 440. Es geht vielmehr um die Beeinträchtigung der Freiheitsausübung, und hierauf deuten auch 435

Vgl. hierzu Bethge, ZUM 1994, S. 13 in bezug auf das bayerische Fensterprogramm. Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 186. 437 BVerfGE 33, 303, 357. 438 Alle Zitate: BVerfGE 33, 303, 357, 358 (Hervorh. v. Verf.). 439 So auch Häberle, DÖV 1972, S.740. 440 Ricker, Privatrundfunk-Gesetze, S.29, der dabei auf eine Passage des Numerus-clausus Urteils verweist, die sich ausdrücklich auf die Begünstigung von Landeskindern bezieht. Hinsichtlich der Vielfalt der Zulassungskriterien (vgl. BVerfGE 33, 303, 356 ff.) erwähnt das BVerfG aber weder Art. 3 noch Art. 33 GG, sondern verweist - wie ausgeführt - auf „intensivere Eingriffe in Grundrechte". Es besteht auch der Sache nach ein Unterschied zwischen dem Zusammenwirken verschiedener Landesregelungen im Hinblick auf eine überregionale Freiheitsbetätigung und der von einer Landesregelung vorgesehenen Differenzierung zwischen „Einheimischen" und „Landesfremden" (vgl. hierzu unten 3. Teil). Deshalb können die Ausführungen zur Landeskinderbegünstigung nicht ohne weiteres auf die hier problematisierte Regelungsvielfalt übertragen werden. 436

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen145

die Ausführungen von Ricker hin: Die Rechtsverschiedenheiten in den Ländern können bei einem Sachverhalt, bei dem die Grundrechte gewöhnlich über die Ländergrenzen hinweg wahrgenommen werden, „den einzelnen in der Ausübung seiner Grundrechte erheblich beeinträchtigen" 441. Die Länder trifft mithin keine „kooperative Grundrechtsverantwortung für die Wahrung des Gleichheitssatzes"442, sondern allein die Bindung an die Freiheitsgrundrechte verpflichtet die Länder, ihre Regelungen zur Abwendung der Grundrechtsbeeinträchtigung anzugleichen. Eine Pflicht zur Angleichung ist mithin anzunehmen, wenn die Vielfalt zur Folge hat, daß eine grundrechtliche Betätigung nachhaltig erschwert beziehungsweise unmöglich gemacht wird, also eine besondere „Eingriffsintensität" 443 begründet und sich insofern eine separative Regelung unter Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen nicht mehr rechtfertigen läßt.

IV. Umfang des Freiheitsschutzes Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn sich die Betätigung auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner" noch als grundrechtsgemäß darstellt. Gewährt auch die Minimalbetätigung einen Freiheitsumfang, der sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen bewegt, sich also für den Betroffenen nicht als unzumutbar erweist, so besteht keine grundrechtlich begründete Pflicht, diesen Zustand zu beseitigen. Daher ist es zumindest mißverständlich, wenn angeführt wird, daß allein die Kumulierung der Anforderungen und die damit einhergehende Verpflichtung, den jeweils strengsten Anforderungen zu genügen, eine Erschwerung der Realisation des Grundrechts zur Folge habe, die eine bundesstaatliche Koordinationspflicht auslöse 444 . Begründet wird dies damit, daß es darum ginge, „die Wirkkraft der Bundesgrundrechte, so, wie sie in den einzelnen Ländern auf ebenso zulässige wie unterschiedliche Weise landesgesetzlich ausgeformt wurden, in möglichst hohem Maße zu effektuieren" 445. Doch solange eine bundesweit einheitliche Regelung mit diesem - stärker einschränkenden - Inhalt verfassungsrechtlich zulässig wäre, so besteht kein Anlaß, dies nur aufgrund einer Kumulation verschiedener Regelungen anders zu beurteilen. Damit würde ein Anspruch auf einen bundesweiten Freiheitsumfang vermittelt, wie ihn ein Bundesland - umfangreicher als grundrechtlich geboten - einräumt. 441

Privatrundfunk-Gesetze, S.23f. So aber Bethge, ZUM 1994, S. 13 in bezug auf die Zulässigkeit der Unterbrechung des Programms eines bundesweit zugelassenen privaten Fernsehprogramms durch bayerische Fensterprogramme. 443 BVerfGE 33, 303, 358. 444 Degenhart in: Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 1 u. 2 Rn. 638f.: „Diese Verpflichtung ist hier jedoch auch grundrechtlich begründet, unter dem Gesichtspunkt einer überregional- kompetenzübergreifenden Grundrechtsverantwortung im Bundesstaatsverhältnis." 445 Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 186. 442

10 Engels

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

Hiergegen führen Schmitt Glaeser/Degenhart 446 aus, daß eine Grundrechtsverwirklichung nach Maßgabe der restriktivsten Länderbestimmungen zu einer Entwertung von Grundrechten in dem Land führen würde, das keine so weitreichenden Einschränkungen vornimmt. Soweit sich also verfassungsrechtliche Gründe, die das Verhalten des Landes rechtfertigen könnten, nicht finden ließen, stelle das Verhalten eine Verletzung der Grundrechte der landesfremden Grundrechtsträger dar 447 . Zwar korreliert mit der Eröffnung individueller Grundrechtspositionen das Verbot, diese praktisch leerlaufen zu lassen448, ein solches Verbot kann aber nur das Land treffen, auf dessen Willensakt die Einräumung des Freiheitsumfangs zurückgeht 449. Wenn nicht ohnehin schon eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Länder besteht, diesen grundrechtlichen Freiraum einzuräumen, so kann nicht die Entscheidung eines anderen Landes diese faktisch herbeiführen. Denn dann könnte das Bundesland, das eine weitreichendere Grundrechtsposition aufgrund einer politischen Entscheidung gewährt, diese Ausformung allen anderen Ländern aufzwingen und auf diese Weise den Spielraum, den die Kompetenzverteilung einräumen will, aushebeln450. Nur der dem Grundrecht unabdingbar zuerkannte Gewährleistungsgehalt muß auch in der Zusammenschau der Regelungen gewahrt bleiben. Gewährt ein Land aber „mehr" als erforderlich, so kann dieses „mehr" aus grundrechtlicher Sicht keine bundesweite Verwirklichung beanspruchen. Auch eine „Gesamtverantwortung der Länder für eine effektive Verwirklichung der Grundrechte in allen Bundesländern" 451 kann keinen größeren Schutz bieten, als dem einzelnen gegen einen regelnden Einheitsstaat zustünde. Auch hier kann der verfassungsrechtlich zulässige Rahmen des Gesetzgebers ausgeschöpft werden. Die notwendige Schaffung von Freiheitsbedingungen im Sinne einer Effektuierung der Grundrechte als Aufgabe des Staates452 kann landesübergreifend nicht weiter reichen als im jeweiligen Land. Nur weil eine Angleichung für den Betroffenen aus 446 AfP 1986, S. 185, mit folgender Fallgestaltung: Das Land Rheinland-Pfalz läßt privaten Rundfunkbetrieb zu, der auf überregionale Ausstrahlung angelegt ist, während das Land Hessen private Rundfunkprogramme strikt ablehnt und die Einspeisung der rheinland-pfälzischen Programme daher nicht zuläßt. 447 Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 186. 448 Ricker, Privatrundfunk-Gesetze, S. 19; Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 V I I Rn. 62. 449 So wohl auch Ricker, Privatrundfunk-Gesetze, S. 19 für das Gebot der Modellkonsistenz im Rundfunkrecht: „Sofern sich ein Landesgesetzgeber für ein duales System entscheidet, ist daher in dem jeweiligen Rundfunkgesetz zugleich ein angemessener Interessenausgleich vorzunehmen, der für beide Seiten adäquate und realistische Existenzbedingungen gewährleistet." (Hervorh. v. Verf.). 450 j m v o n Schmitt Glaeser/Degenhart beschriebenen Fall würde die Ausgestaltung in Rheinland-Pfalz die Verfassungswidrigkeit der hessischen Regelung begründen. Damit einhergehen würde ein Anspruch des rheinland-pfälzischen Veranstalters, während ein solcher Anspruch einem hessischen Veranstalter nicht zustünde, weil sein Grundrecht nicht entsprechend ausgestaltet ist. Dieses Ergebnis kann nicht überzeugen. 451 452

Schmitt Glaeser/Degenhart, Häberle, DÖV 1972, S.737.

AfP 1986, S. 185, so auch Häberle, DÖV 1972, S.739.

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen

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grundrechtlicher Sicht „günstiger" wäre, kann eine Homogenisierung nicht gefordert werden, solange der „status quo" sich noch in dem zulässigen Ausgestaltungsspielraum eines einzelnen Gesetzgebers halten würde und sich damit nicht als für den einzelnen unverhältnismäßig erweist. Maßgebend ist somit, ob und inwieweit die bundesstaatliche Vielfalt verfassungswidrig die Grundrechtseffektuierung hindert 453 . Es gilt folglich, daß nur dann eine Abstimmung verfassungsrechtlich erforderlich ist, wenn dies zum Schutz der Freiheitsgrundrechte des einzelnen unabdingbar ist. Solange die mögliche „Minimalbetätigung" im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen liegt, ist daher die Belastung aufgrund der föderalen Struktur aus grundrechtlicher Sicht hinzunehmen. Schon die Ausführungen von Schmitt Glaeser/Degenhart selbst zeigen, daß ein anderer Aspekt entscheidend ist: Sie führen an, daß der Landesgesetzgeber bei seiner Ausprägung eines Bundesgrundrechts andere landesgesetzliche Ausprägungen desselben Grundrechts in die Überlegungen mit einbeziehen und sie beachten müsse, „jedenfalls und zumal, wenn bei dieser Ausprägung ein gegenseitiges Eindringen in den je anderen Landeskompetenzbereich wegen der Überregionalität des Lebenssachverhalts unvermeidbar ist" 4 5 4 . Hier geht es um das Recht der Länder, die Grundrechtsausprägung für ihr Hoheitsgebiet selbst zu bestimmen. Daß andere Länder so die Entscheidung eines Landes im Hinblick auf die dort gewählte Grundrechtsausgestaltung unterlaufen können, indem sie gerade die dort ermöglichte Betätigung durch ihre Gesetzgebung in ihrer tatsächlichen Verwirklichung hindern 455 , ist aus rechtlicher Sicht eine Störung der Strukturentscheidung des anderen Landes. Die damit einhergehende Aushöhlung der kompetenzgemäßen Entscheidung des anderen Landesgesetzgebers, die dazu führt, daß der eine Gesetzgeber dem anderen seine Entscheidung „aufzwingt", ist ein rein bundesstaatlicher Aspekt, der sich auf das Innenverhältnis der Bundesländer beschränkt. Die bundesstaatliche Vielfalt wird „planiert", da die unterschiedlich ausgestaltete Grundrechtsbetätigung aufgrund ihrer überregionalen Ausrichtung nur nach Maßgabe der restriktivsten Regelung möglich ist. Soweit aber diese restriktivste Regelung nicht als Verstoß gegen das Übermaßverbot zu werten ist, ist es insofern kein grundrechtliches, sondern ein bundesstaatliches Problem, das freilich Reflexwirkung auf die Grundrechtsausübung haben kann. Insoweit ist zwischen grundrechtlich und bundesstaatlich vermitteltem 456 Rücksichtnahmegebot zu differenzieren. Somit bleibt festzuhalten, daß sich nur das die Freiheitsrechte unzumutbar beeinträchtigende Zusammenwirken der Landesregelungen als verfassungswidrig darstellt. Bilden nach dem bisher Gesagten die Freiheitsgrundrechte selbst die Grundlage der Angleichungspflicht, findet diese hierin auch zugleich ihre Grenze: sie gebietet nicht völlige Gleichschaltung, sondern sie reicht nur soweit, wie dies zur Sicherung 453 454 455 456

10*

So Bethge, AöR 110 (1985), S. 206 (Hervorh. i. Orig.). Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 186. So Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 186. Dazu unten § 4.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

und Wahrung der freiheitlichen Grundrechtsbetätigung notwendig ist. Deshalb ist auch der Umfang der Angleichungspflicht anders, als es die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG gebieten würde: käme es dort bei länderübergreifenden Sachverhalten darauf an, daß „die Gleichbehandlung auch im föderativen Verhältnis der Einzelstaaten untereinander gewahrt bleibt" 457 , so ginge die damit erforderliche bundesweite Egalität über das zur Abwehr einer unverhältnismäßigen Freiheitsbeeinträchtigung Notwendige hinaus. Eine solche Verpflichtung liefe - solange sie nicht durch Staatsverträge begründet wird - der bundesstaatlichen Kompetenzaufteilung jedoch zuwider: Weiter, als zur Sicherung des Gewährleistungsgehalts des jeweiligen Grundrechts notwendig, kann die Angleichungspflicht nicht gehen. Sonst würde die Vielfalt gestoppt und eine Lähmung der Entwicklungen eintreten 458. Dies stünde mit der dem Bundesstaat immanenten Experimentierfunktion im Widerspruch. Ebensowenig ist eine „Optimierung" im Sinne praktischer Konkordanz erforderlich 459. Denn hier ist es nicht geboten, bei zwei sich gegenüberstehenden Grundrechtsträgern einen möglichst optimalen Interessenausgleich herbeizuführen, sondern eine sich aus einer grundgesetzlich vorgegebenen Kompetenz ergebende unzumutbare Belastung abzuwenden. Demgemäß gilt als Maßstab das als „Erträglichkeitsgrenze" 460 gekennzeichnete Verhältnismäßigkeitsprinzip. Eine Angleichung ist damit nicht nur geboten, wenn sich die Vielfalt für die Betroffenen als unverhältnismäßiger Eingriff in seine Freiheitsgrundrechte erweist, sondern auch nur, soweit dies zur Abwehr der unzumutbaren Beeinträchtigung unabdingbar ist. Es hat somit eine Vereinheitlichung zur Sicherung des Mindestmaßes an grundrechtlicher Freiheitsbetätigung zu erfolgen. V. Zwischenergebnis Ein aus Grundrechten abzuleitendes landesübergreifendes Abstimmungsgebot kann infolgedessen nur dann in Betracht kommen, wenn eine Vielzahl verschiedener Regelungen dazu führt, daß ein bundesweites Tätigwerden unmöglich gemacht oder so erschwert wird, daß es dem einzelnen unter Berücksichtigung der sich gegenüberstehenden Belange unzumutbar ist. Dies gilt sowohl für die Fälle, in denen die Regelungen aufgrund ihrer tiefgreifenden Unterschiedlichkeit die Behinderung herbeiführen (Kumulation der Anforderungen) als auch für die Fälle, in denen die unzumutbare Beeinträchtigung auf einer Unübersichtlichkeit beruht, die durch die Vielzahl der Regelungen begründet wird. Der in diesem Zusammenhang gestellten Frage: „Was soll dann noch der Föderalismus, dessen Kennzeichen doch die Vielfalt ist?" 461 , ist entgegenzuhalten, daß die 457

So Ricker, ZRP 1986, S. 227. Vgl. zu dieser Konsequenz im Hinblick auf die Harmonisierung der Landesmediengesetze Rudolf/Jutzi, ZRP 1987, S. 3. 459 Vgl. hierzu Stern, Staatsrecht III/2, S. 834f.; Lerche, FS Stern, S. 198f. 460 Stern, Staatsrecht III/2, S. 835. 461 Rudolf/Jutzi, ZRP 1987, S.4. 458

§ 3 Freiheitsgrundrechte als Grenzen divergierender Teilrechtsordnungen149

Vorzüge des Föderalismus - die Vielfalt in der Einheit - dann keine Rechtfertigung mehr erfahren, wenn sie sich in ihr Gegenteil verkehren und Vielfalt sowie die damit ermöglichte Freiheitsbetätigung nachhaltig behindern. Die für ausreichend erachtete 4 6 2 freiwillige Harmonisierung steht nur neben einer verfassungsrechtlich indizierten Abstimmungspflicht, kann diese aber nicht ersetzen, denn damit wäre die Abwendung der Grundrechtsbeeinträchtigung vom guten Willen der Länder abhängig. Ein nicht zuletzt rechtsstaatlich bedenkliches Ergebnis. E. Ergebnis zu den Freiheitsgrundrechten Die Freiheitsgrundrechte können bei einem länderübergreifenden Sachverhalt Chancengleichheit garantieren, wenn - sich eine belastende Regelung in einem Bundesland unter Berücksichtigung der Regelungen der anderen Länder für den Adressaten als unverhältnismäßige Grundrechtsbeeinträchtigung erweist, - sich eine Regelung eines Bundeslandes für Landesfremde aufgrund ihrer faktischen, mittelbaren Auswirkungen als unverhältnismäßige Grundrechtsbeeinträchtigung darstellt, - die Vielfalt der Regelungen der Bundesländer in ihrer Zusammenschau die Freiheitsbetätigungen der Betroffenen so beschneidet, daß sie eine unverhältnismäßige Grundrechtsbeeinträchtigung zur Folge hat. Liegen diese, sicherlich nur eine begrenzte Anzahl von Fällen erfassenden Merkmale nicht vor, so kann aus freiheitsgrundrechtlicher Perspektive keine länderübergreifende Chancengleichheit gefordert werden. Insoweit ist es zur Wahrung der Vielfalt notwendig und zulässig, differierende Grundrechtsstandards in Kauf zu nehmen. Nur so lassen sich die freiheitssichernden und wettbewerbsfördernden Funktionen des deutschen Bundesstaates verwirklichen. Ansonsten würde auch die Gewaltenteilungsfunktion des Bundesstaates geschwächt: Eine Ausdehnung des Unitarisierungsgebotes hätte einen Kompetenzverlust und damit einen Machtverlust der Länder zur Folge, der das Gewaltenteilungssystem weiter aushöhlen würde. Zudem würde durch eine weitergehende Angleichungsverpflichtung die bundesstaatlich begründete höhere Demokratie-Adäquanz 463 unterlaufen, weil die Wählerentscheidungen und die damit verbundenen politischen sowie inhaltlichen Entscheidungen ebenso unzulässig und unnötigerweise vereinheitlicht würden. Nur soweit dies zum Grundrechtsschutz der Bürger unabdingbar geboten ist, und damit dem hochrangigen Bundesstaatsprinzip ein gewichtiges Rechtsgut gegenübertritt, kann also eine Angleichung aus grundrechtlicher Sicht verfassungsrechtlich gefordert sein, ansonsten liefe das bundesstaatliche Prinzip leer, dessen Recht462 463

Rudolf/Jutzi, ZRP 1987, S.4. Vgl. hierzu oben 1. Teil §2DVI.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

fertigung sich gerade aus seinen Funktionen ergibt 464 . Inwieweit der einzelne oder die anderen Länder diese Angleichung der Chancen erzwingen können, ist im Rahmen der Durchsetzbarkeit zu erläutern 465.

§ 4 Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens als Grenze divergierender Teilrechtsordnungen Der Umfang der Rücksichtnahme auf die Chancengleichheit der Bürger im Bundesstaat könnte eine weitere Konkretisierung durch das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens erfahren. In seiner Funktion, die aufeinander angewiesenen Teilstücke Bund und Länder unter der gemeinsamen Verfassungsrechtsordung stärker aneinander zu binden 466 , könnte das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens auf die Angleichung kompetenzbedingter Ungleichheiten und somit zumindest mittelbar auf die Chancengleichheit im Bundesstaat hinwirken.

A. Das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens Nach dem bisher Festgestellten verfolgt jedes Land, das kompetenzgemäße - aber gegenüber anderen Ländern abweichende - Regelungen erläßt, legitime, vom Grundgesetz gebilligte Interessen. Gleichwohl wurde offenbar, daß die Wahrnehmung dieser Interessen im engen Kompetenzgeflecht, bei „überregionalen Lebenssachverhalten", rechtlich erhebliche Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Bundes und die Interessen der übrigen Länder haben kann. Denn selbst bei Beachtung aller im Grundgesetz enthaltenen Normen, die das Verhältnis der Mitglieder im Bundesstaat regeln, bleibt noch Spielraum für egoistisches Verhalten der bundesstaatlichen Akteure, der die Gefahr einer nachhaltigen Störung des Gesamtgefüges in sich birgt. Deshalb bedarf es eines Regulativs, das geeignet ist, Reibungsverluste und Kompetenzmißbrauch im Sinne des Gesamtsstaats abzugleichen 467 , um so den Bundesstaat insgesamt dadurch zu festigen, daß die „Egoismen" von Bund und der Ländern, welche die Erfüllung staatlicher Aufgaben zu behindern drohen, eingegrenzt werden. Als eben solches kommt das erstmalig bereits zur Reichsverfassung von 1871 formulierte 468, auch als „Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens" bezeichnete Gebot der Bundestreue in Betracht, welches einen unge464

Vgl. hierzu oben 1. Teil § 2D. Siehe dazu unten: 5. Teil. 466 BVerfGE 8,122,140; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 20; Bauer in: Dreier, Art. 20 Rn. 27. 467 Isensee, HStRI, §98 Rn. 154. 468 Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S.39ff.; vgl. zur geschichtlichen Entwicklung des Grundsatzes der Bundestreue Bayer, Die Bundestreue, S. 3ff.; Bauer, Die Bundestreue, S. 38ff. 465

§ 4 Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens

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schriebenen Verfassungsgrundsatz betitelt 4 6 9 . Es begründet zur Sicherung des gesamtstaatlichen Gefüges Rechte und Pflichten, die über die ausdrücklich i m Grundgesetz normierten hinausgehen 470 . Trotz vereinzelter K r i t i k 4 7 1 ist die Bundestreue als der bundestaatlichen Ordnung des Grundgesetzes immanentes Prinzip allgemein anerkannt 472 und ist bereits seit BVerfGE 1, S. 299, 315 fester Bestandteil der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 473. Demhingegen wird die hier weder weiterführende noch zu lösende Frage nach seiner normativen Begründung nicht einheitlich beantwortet: Teils wird ihre Rechtsgrundlage in dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben 4 7 4 , teils i m Wesen des Bundesstaates selbst 475 , in Art. 72 Abs. 2 GG a. F . 4 7 6 oder i m Rechtsstaatsprinzip 477 gesehen.

B . R e c h t s w i r k u n g e n des Gebots der Bundestreue Nach dem Gebot der Bundestreue gilt allgemein, daß die an dem verfassungsrechtlichen „Bündnis" Beteiligten gehalten sind, „dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen" 4 7 8 . Dies ist für die 469 Bayer, Die Bundestreue, S. 31; Vedder, Intraföderale Staats Verträge, S. 254; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn.68. 470 Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 20 Rn. 21. 471 Vgl. insbesondere Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.268f., der anführt, die Voraussetzung der Bundestreue sei das „bündnische Prinzip" des Kaiserreichs, auf dem die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes nicht mehr beruhe, vgl. zur Legitimationsgrundlage auch oben 1. Teil § 2D; man könne nicht Treue verlangen, da Demokratie den Kampf zwischen politischen Richtungen innerhalb des Gesamtstaats geradezu voraussetze. Für Zurückhaltung im Umgang treten auch Lerche, DVB1.1961, S. 698; Scheuner, DÖV 1963, S. 197, ein. 472 Bayer, Die Bundestreue, passim; Bauer, Die Bundestreue, passim; Bauer in: Dreier, Art. 20 Rn. 26 ff.; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn.68 ff.; Stern, Staatsrecht I, S.699ff.; Isensee, HStRI, § 98 Rn. 151 ff.; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 37 ff.; Degenhart, Staatsrecht I, S. 72ff.; Stein, Staatsrecht, S. 115 ff.; Faller, FS Maunz, S. 53 ff. 361 f. 473 Etwa: BVerfGE4,115,140; 6,308,361; 8,122,138ff.; 12,205,254; 13,54,75; 21,312, 326; 34, 216, 232; 39, 96, 125; 92, 203, 230ff.; vgl. auch schon 1, 117, 131. 474 Bauer, Die Bundestreue, S. 245ff.; Bauer in: Dreier, Art. 20 Rn.27; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 68; wohl auch Isensee, HStRI, § 98 Rn. 152, 158. 475 BVerfGE 1, 299, 315 („Der im Bundesstaat geltende verfassungsrechtliche Grundsatz des Föderalismus enthält deshalb die Rechtspflicht des Bundes und aller seiner Glieder zu ,bundesfreundlichem Verhalten 4..."); 12, 205, 254ff.; 34, 9, 20f.; 43, 291, 348; 45, 400, 421; 86, 148, 265 („Die Pflicht bundesstaatlicher Hilfeleistung, die im Bundesstaatsprinzip wurzelt"); Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 37; Liick, Die Gemeinschaftstreue, S. 94; Stern, Staatsrecht I, S. 700; Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art, 20 IV Rn. 63; Sachs in: Staatsbürgerlexikon, Lemma „Bundesstaat"; Maurer, Staatsrecht, § 10 Rn. 50. 476 Bleckmann, JZ 1991, S. 901 ff. 477 Kowalsky, Rechtsgrundlagen der Bundestreue, S. 209ff., unter besonderer Bezugnahme auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 478 BVerfGE 1,299, 315.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

Behandlung kompetenzgemäßer, gegensätzlicher Landesregelungen deshalb von Bedeutung, weil sich das Gebot in seinen Rechtswirkungen nicht auf das Verhältnis zwischen Gesamtstaat und seinen Gliedern beschränkt, sondern auch das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen den Gliedern bestimmt479. Im Dienste der gesamtstaatlichen Ordnung sind danach sowohl Bund und Länder als auch die Länder untereinander gegenseitig verpflichtet, auf die Interessen des jeweils anderen Teils Rücksicht zu nehmen und einander zu unterstützen 480. Dementsprechend wird das gesamte verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedern sowie das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen den Gliedern durch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz von der wechselseitigen Pflicht des Bundes und der Länder zu bundesfreundlichem Verhalten beherrscht 481. Dies hat zur Folge, daß ein Gegeneinander der bundesstaatlichen Teile auch dann, wenn sie sich auf formell bestehendes Recht berufen können, verfassungswidrig sein kann 482 . Auch wenn das Grundgesetz durch die Entscheidung für die bundesstaatliche Ordnung grundsätzlich davon ausgeht, daß die Staatsaufgaben durch die Länder aufgrund der begünstigenden Faktoren wie Bürgernähe, größere Transparenz und demokratische Kontrolle verwirklicht werden können, so wird diese Entscheidung durchbrochen, wenn es evident wird, daß die Aufgaben durch die selbständig handelnden Länder nicht mehr effektiv erfüllt werden können483. Zwar bildet diese wechselseitige Rücksichtnahmeverpflichtung ebenso wie der Grundsatz von Treu und Glauben einen sehr weiten, allgemeinen Maßstab, dies öffnet sie jedoch für „flexible, einzelfallbezogene Lösungen verfassungsrechtlicher Konflikte" 484 . Denn das Gebot der Bundestreue versetzt in die Lage, auf die Wandlungen des Bundesstaates zu reagieren und die modernen, durch technischen Fortschritt bedingten überregionalen Entwicklungen, die im hier relevanten Konfliktfeld virulent werden, zu berücksichtigen. Darüber können auch die aktuellen Legitimationsgrundlagen des Bundesstaates beachtet werden: die in den Hintergrund getretene Funktion des Bundesstaates, historische Vielfalt und Eigenart im Rahmen eines größeren staatlichen Verbundes zu erhalten, zugunsten der Sicherung individueller Freiheit, die aufgrund technischer und wirtschaftlicher Gegebenheiten auf Angleichung drängt. Überdies sind Weite und Unbestimmtheit für Maßstäbe des Verfassungsrechts - dies zeigt der Vergleich zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und 479

BVerfGE 12, 205, 254; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 37. Stein, Staatsrecht, S. 115. 481 BVerfGE 12, 205, 254. 482 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.268. 483 Bleckmann, JZ 1991, S.902. 484 Lück, Die Gemeinschaftstreue, S.97; ähnlich bereits W. Weber, Die Gegenwartslage des deutschen Föderalismus, S. 33: „Der mit der juristischen Auslegungskunst Vertraute erkennt sofort, daß dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens für das Bund-Länder-Verhältnis hier eine ähnliche Funktion zugewiesen ist, die der Grundsatz von Treu und Glauben schon seit über 60 Jahren für die Fortentwicklung, Anpassung und Entfaltung des Zivilrechts gewonnen hat." 480

§ 4 Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens

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der Gewaltenteilung - geradezu typisch , ohne ihre Legitimität in Zweifel zu ziehen. Der Grundsatz der Bundestreue ist somit trotz seines allgemeinen Charakters geeignet, zeitgemäße aber auch bundesstaatskonforme Lösungen anzubieten. So wird dieser allgemeine Maßstab durch die Rechtsprechung zu konkreten, über die in der bundesstaatlichen Verfassung hinausgehenden Unterlassungs- und Handlungspflichten verdichtet 486, deren Übertragbarkeit auf das Problem der divergierenden Landesregelungen im weiteren näher in den Blick zu nehmen ist.

I. Unterlassungspflichten Seine primäre Bedeutung entfaltet das Verlangen nach Bundestreue als Kompetenzausübungsschranke487: Auch wenn die Maßnahme an sich von einer Kompetenzvorschrift gedeckt ist, darf sie nicht mißbräuchlich, in unvertretbarer Weise, ohne Rücksicht auf die Interessen des Gesamtstaates oder die Belange der Länder getroffen werden 488. „Nach dem Prinzip der Bundestreue ist also bei jeder Wahrnehmung einer Kompetenz des Bundes oder der Länder zu beachten, daß sie neben der Rücksicht auf die eigenen Belange auch die Rücksicht auf die Belange der übrigen Teile des Bundesstaates, in diesem Sinn die Rücksicht auf das wohlverstandene Gesamtinteresse des Bundesstaates verlangt." 489 Auch bei der Inanspruchnahme eigener, durch das Grundgesetz eingeräumter Kompetenzen muß daher auf die Verfolgung egoistischer Ziele verzichtet werden, wenn Gefahr besteht, daß bei Maßnahmen nach ausschließlich ländereigenem Interesse die Gesamtheit oder andere Glieder des Bundesstaates Schaden nehmen490. Damit wirkt die Kompetenzbegrenzung aus zwei Richtungen: Es gilt, sowohl das übergeordnete, staatliche Gesamtinteresse als auch das Interesse der anderen bundesstaatlichen Teile zu berücksichtigen. Die Interessen sind dabei nicht rein subjektiv, sondern objektiv anhand der Rechtsordnung zu bestimmen491. Auf diesem Wege wird jede Rechtsausübung unter den immanenten Vorbehalt der Berücksichtigung der legitimen Belange der anderen Beteiligten des jeweiligen bundesstaatlichen Rechtsverhältnisses gestellt 492 und ein an sich bestehender und gewünschter gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum be485 486 487

Isensee, HStRI, §98 Rn. 156. BVerfGE 12, 205, 255; 56, 296, 322. BVerfGE 12,205,239; 14,197,215; 34,216,231 ff.; 43,291,348; Bleckmann, JZ 1991,

S.900. 488 BVerfGE4, 115, 140; 8, 122, 138; 12, 205, 239f.; 14, 197, 215; 32, 199, 238; 34, 9, 44; 34, 216, 232; 43, 291, 348; Stern, Staatsrecht I, S. 703; Bleckmann, DÖV 1986, S. 131; Dittmann, FS Dürig, S.227. 489 BVerfGE 31, 314, 355. 490 BVerfGE 32,199, 218; 43, 291, 348; 81, 310, 337f.; BVerfG, EuGRZ 1995, S. 125,133; BVerwGE 50, 137, 148; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn.70; Bauer, Die Bundestreue, S.355f.; Stern, Staatsrecht I, S.703; Karpen/von Rönn, JZ 1990, S.584; Isensee, HStRI, §98 Rn. 154. 491 Vgl. Bleckmann, JZ 1991, S.902. 492 Bauer, Die Bundestreue, S.356.

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

schränkt. Damit bildet die Pflicht zum bundesfreundlichen Verhalten ein „einendes Gegenprinzip, das die eigenständigen Kompetenzträger zusammenführt und in die ,Mitwirkung fürs Allgemeine' (Hegel) einbindet" 493 .

II. Handlungspflichten Neben diese Beschränkung von Rechten und Kompetenzen durch Unterlassungspflichten treten die Handlungspflichten begründenden Konkretisierungen des Gebots der Bundestreue, wobei als Hauptgruppe die wechselseitigen Unterstützungspflichten zu nennen sind 494 . Die „im Bundesstaat bestehende Solidargemeinschaft von Bund und Ländern" und das „bündische Prinzip des Einstehens füreinander" 495 verlangen positive Hilfsmaßnahmen, die über finanzielle Unterstützung 496, Rechtsund Amtshilfe bis hin zu Akteneinsichtsrechten reichen 497. Als weitere Handlungspflichten des Gebots der Bundestreue sind Pflichten zu gegenseitiger Information 498 sowie Verfahrenspflichten in Form von fairem und sachlichem Stil der Verhandlungen 499 zu nennen. Für die hier behandelte Problematik kommt allerdings den sogenannten Koordinations- und Abstimmungspflichten besonderes Gewicht zu 500 . Die Bundestreue verlangt daher von den Beteiligten nicht nur, ihre Egoismen in Grenzen zu halten 501 , sondern auch einen Ausgleich der gegenläufigen Interessen - auch unter Zurückstellung eigener Anliegen - anzustreben502.

C. Intensität der Interessenverletzung Diese sehr allgemein gefaßte Umschreibung des Grundsatzes der Bundestreue macht es notwendig, zur Justitiabilität eine Eingrenzung der Anwendungsfelder vorzunehmen. Deshalb hat sich in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung durchgesetzt, daß der Verstoß gegen die Bundestreue zwar keinen Schädigungsvorsatz voraussetzt und sogar guter Glauben die Verletzung nicht hindert 503 ; es bedarf aber einer besonderen Intensität der Interessenverletzung, die nur dann zu bejahen ist, wenn ein Land durch die Inanspruchnahme seiner Kompetenz die „elementaren 493

Isensee, HStRI, §98 Rn. 154. BVerfGE 12, 205, 254; 72, 330, 397f.; Bauer, Die Bundestreue, S. 342; ders. in: Dreier, Art. 20 Rn. 30. 495 BVerfGE 86, 148, 264 (beide Zitate). 496 BVerfGE 86, 148, 264. 497 Bauer, Die Bundestreue, S.344f. 498 Bauer, Die Bundestreue, S. 346ff. 499 BVerfGE 12, 205, 258. 500 Vgl. hierzu sogleich sub E. 501 BVerfGE 43, 291, 348. 502 Bauer, Die Bundestreue, S.349. 503 BVerfGE 32,199, 241 f. 494

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Interessen" des Bundes bzw. eines anderen Landes „in unvertretbarer Weise" 504 beeinträchtigt. Aufgrund der grundgesetzlich eingeräumten Kompetenz, der bundesstaatlichen Struktur und der damit einhergehenden Experimentierfunktion verstoßen die Länder gegen diesen Grundsatz nur dann, wenn sie die gesamtstaatlichen Belange „erheblich beeinträchtigen" 505. Mithin stellt der Grundsatz der Bundestreue in seiner Funktion als Rechtsausübungsschranke eine Mißbrauchsschranke 506 dar. Mag auch diese Grenze noch sehr allgemein formuliert sein, so macht sie zumindest deutlich, daß an einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue hohe Anforderungen zu stellen sind und damit nur ausnahmsweise angenommen werden kann 507 . Entsprechend dem zivilrechtlichen Pendant, daß jeder in Ausübung seiner Rechte nach Treu und Glauben zu handeln hat (§ 242 BGB) gilt auch hier, daß sich die Anforderungen nur aus den Umständen des Einzelfalls ermitteln lassen508. Als abstrakte Grundregel läßt sich daher nur festhalten, daß ein Verstoß regelmäßig zu bejahen ist, wenn ein schutzwürdiges Eigeninteresse fehlt, die eigene Intessenwahrnehmung unangemessene Folgen für die anderen Beteiligten bewirkt, oder die Rechtsausübung zu einer gravierenden Störung des Gesamtgefüges führen würde 509 . Dabei hat die Charakterisierung im Einzelfall immer mit Blick auf die Funktion des Bundestreuegebotes, nämlich die Festigung des Bundesstaates insgesamt, zu erfolgen. Zusammenfassend ist damit festzustellen, daß der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens immer dann eingreift, wenn die Interessen der bundesstaatlichen Glieder so auseinanderlaufen, daß der eine Teil Schaden nähme, wenn der anderer seine Maßnahmen ausschließlich seinem Interesse entsprechend treffen würde 510 .

D . Die Bundestreue als akzessorisches Prinzip Die beschriebenen Handlungs- und Unterlassungspflichten werden indes nicht durch den Grundsatz der Bundestreue selbst begründet, sondern dieser erlangt nur innerhalb eines anderweitigen gesetzlichen oder vertraglichen Rechtsverhältnisses Bedeutung, indem diese Rechte oder Pflichten moderiert, variiert oder durch Nebenpflichten ergänzt werden 511. Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten statuiert 504

BVerfGE 34, 9,44. NRWVerfGH, NVwZ 1982, S. 189. 506 So auch Kisker, FS Bachof, S. 58; Bauer in: Dreier, Art. 20 Rn. 31. 507 Bauer, Die Bundestreue, S.357. 508 Vgl. statt aller Heinrichs in: Palandt, § 242 Rn. 38 m. N. 509 Bauer, Die Bundestreue, S.357. 510 BVerfGE 31, 314, 355. 511 BVerfGE 13, 54, 75; 21, 312, 326; 42, 103, 116; BVerwGE 50, 137, 148; Stern, Staatsrecht I, S. 702; Vogel, HVerfR (2), § 22 Rn. 48; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 69f.; Faller, FS Maunz, S. 61 f., Sommermann in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Rn. 37; einschränkend Bauer, Die Bundestreue, S. 182f., 335f.; ders., in: Dreier, Art. 20 Rn.30 Fn. 131; Maurer, Staatsrecht, §10 Rn. 53. 505

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

mithin nicht aus sich heraus eigene Regelungs- und Eingriffsbefugnisse neben dem Grundgesetz, sie „vermag aber - und darin liegt ihre normative Wirkung - die Wahrnehmung bestehender Befugnisse nach Grund und Umfang zu dirigieren, bestehende Verpflichtungen zu intensivieren und als Interpretationsgesichtspunkt für die Auslegung von Art und Umfang bestehender Handlungspflichten zu wirken" 512 . Muß daher - ähnlich wie bei § 242 BGB eine „Sonderverbindung" - ein anderweitig begründetes Rechtsverhältnis bestehen, so kann die Bundestreue die Kompetenzordnung nicht verändern, sondern verpflichtet zur Rücksichtnahme bei der Ausübung bestehender Kompetenzen513. Die Bundestreue hat damit - mag dies aus bundesstaatlicher Sicht auch im Einzelfall sinnvoll erscheinen - keine kompetenzbegründende Kraft, nur das Maß des Gebrauchs formal bestehender Kompetenzen wird von gegenseitiger Rücksichtnahme beeinflußt. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob dieser Einfluß so weit reichen kann, daß Differenzen in der Ländergesetzgebung angeglichen werden können. E. Das Gebot der Bundestreue und divergierende Landesregelungen I. Eingriff in landesfremde Kompetenzen In der Funktion als Verpflichtung zur Ausübung bundesstaatlicher Kompetenzen in gegenseitiger Rücksichtnahme könnte der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens ein Mechanismus zur Angleichung divergierender Landesregelungen sein, wenn hierdurch Belange anderer bundesstaatlicher Akteure erheblich beeinträchtigt würden. Obwohl das Bundesverfassungsgericht zu Recht wiederholt betont hat, daß die Länder das Recht haben, voneinander abweichende Regelungen zu erlassen, so haben sie doch jeweils die Regelungsverantwortung und die Regelungen anderer Länder zu berücksichtigen 514. Gerade bei den hier aufgegriffenen Lebenssachverhalten überregionaler Grundrechtsgewährleistungen werden die Auswirkungen für andere Länder offenbar. Denn bei überregionalen Lebenssachverhalten bleiben die Auswirkungen einer Landesmaßnahme nicht auf ein Hoheitsgebiet beschränkt, sondern greifen in andere über, so daß die Durchsetzung der eigenen Auffassung und die Verbesserung der Chancen für die eigenen Landesangehörigen in besonderem Maße zum Nachteil eines anderen Landes wirken können. So sind es Sachverhalte mit überregionaler Bedeutung, beispielsweise der Bereich der neuen Medien oder das Bildungswesen515, die eine Entscheidung des einen Landes von der des anderen Landes abhängig machen, da sonst eine ebenfalls kompetenzgemäße Regelung aufgrund der divergierenden Ausgestaltung leerzulaufen droht. Es ist zu bedenken, daß die den Ländern vorbehaltenen Kompetenzen 5,2 513 514 515

BVerfGE 86, 148, 265. BVerfGE 34, 9,44; Rudolf FG BVerfG, S. 248. VG Freiburg, WissR 1999, S.274, 277. Vgl. BVerfGE 34, 165, 194f. (hier Koordinationspflicht offen gelassen).

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der Sicherung der eigenen Willensbetätigung durch die Länder dienen. Wird diese Willensfreiheit eines Landes durch die Entscheidung eines anderen Landes beschränkt, indem ihm dieses eine Rechtsfolge faktisch aufzwingt, die es gerade durch seine eigene Regelungsentscheidung nicht erreichen wollte, so wird in diese grundgesetzlich garantierte Freiheit des Landes interveniert und somit dessen legitimes Interesse berührt. Die Möglichkeit des Landes, eigene Politik zu betreiben, die „Experimentierfunktion" des Bundesstaates, kann keine Wirkung mehr entfalten. In diesem Fall greift die Staatsgewalt, die eigentlich auf das eigene Territorium beschränkt ist 516 , auf ein anderes Landesgebiet über. So kann beispielsweise die Einführung von Studiengebühren in einem Bundesland die Abwanderung von Studierenden in einem Umfang zur Folge haben, die die Interessen der anderen Länder beeinträchtigt 517. Dementsprechend ist bei einem solchem „Überwirken" eine Einschränkung durch den Grundsatz der Bundestreue aufgrund der zu verlangenden Rücksichtnahme auf die Interessen der übrigen Länder geboten, der Gestaltungsspielraum der Landesgesetzgeber beschränkt. Wie ausgeführt 518, bedarf es jedoch zur Bejahung eines Verstoßes gegen den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens einer besonderen Intensität der Interessenverletzung. Mithin darf das Gebot der Bundestreue nicht dahin mißverstanden werden, daß es jede Gegenläufigkeit der Regelungsinhalte verbietet 519, denn dann liefe gleichfalls die „Wettbewerbsfunktion" des Bundesstaates leer. Auswirkungen eines Gesetzes auf andere Länder unterhalb der Schwelle der „schwerwiegenden Interessenbeeinträchtigung" sind in der bundesstaatlichen Ordnung gerade hinzunehmen520. Auch die räumliche Beschränkung der Landeshoheit schließt deshalb nicht aus, daß die Kompetenzausübung eines Landes auf die anderen Ländern faktisch überwirkt 521 . Vielmehr müssen die mittelbaren Auswirkungen einer landesrechtlichen Regelung einem unmittelbaren Eingriff in die Verhältnisse anderer Bundesländer 522 gleichzustellen sein. Eine solche Gleichstellung kommt nur in Betracht, wenn eine „besonders schwerwiegende Gegenläufigkeit" 523 vorliegt, die andere Landesentscheidungen im Ergebnis „blockiert" und damit elementare Interessen anderer Länder verletzt. Insoweit wirkt der Grundsatz der Bundestreue zum Schutz der Interessen aller Länder „sperrenden" Einzelregelungen entgegen. Es gilt, eine Konkordanz zwischen den verschiedenen Befugnissen und Interessen im Sinne gegenseitiger Rücksichtnahme herzustellen. 516

Vgl. hierzu noch unten 3. Teil § 1ΒI. Vgl. VGH Baden-Württemberg, VB1BW 2000, S.432,434 (im Ergebnis verneint). 518 Vgl. oben sub C. 519 VG Freiburg, WissR 1999, S.274, 277; vgl. auch Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 20 Rn.42. 520 VGH Baden-Württemberg, VB1BW 2000, S.432,434. 521 Bullinger, AfP 1985, S.4. 522 VG Freiburg, WissR 1999, S.274, 277; Haug, WissR 2000, S. 16. 523 y e Freiburg, WissR 1999, S. 274,277; (für den Fall der Einführung der Studiengebühren in Baden-Württemberg verneint). 517

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

II. Störung des bundesstaatlichen Funktionsgefüges Geht die bisherige Argumentation primär von der Interessenbeeinträchtigung einzelner Länder aus, so gilt Gleiches für die Gefährdung des bundesstaatlichen Funktionssystems. Durch einzelne Länder kann das föderale Funktionssystem dadurch tangiert werden, daß ihre Maßnahmen eine nachhaltige Störung eines tatsächlichen überregionalen Gesamtgefüges (beispielsweise Hochschulen, Umwelt, Rundfunk), auf dessen Bestehen und störungsfreien Ablauf der Gesamtstaat angewiesen ist, bewirken 524 . So kann etwa ein Fernsehprogramm technisch und wirtschaftlich vielfach nur erfolgreich sein, wenn es in allen Bundesländern gesendet werden kann 525 . Bestünde folglich jedes Bundesland auf seine individuellen Regelungen - beispielsweise im Bereich der Werbung oder des Jugendschutzes - , obwohl diese wesentlich differieren, bewirkte dies eine deutliche Erschwerung bundesweiten Sendens und das „Gesamtgefüge Fernsehen" würde nachhaltig gestört. Hier kann die Bedrohung für das gesamtstaatlich wichtige Funktionssystem, in dem im Interesse aller eine sachgerechte Regelung notwendig ist, auf der Grundlage des bundesfreundlichen Verhaltens einen Verzicht auf abweichende eigene Regelungen verlangen 526 und eine Kooperationspflicht auslösen527, wenn dies für die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des bundesstaatlichen Gefüges unentbehrlich ist. So heißt es in BVerfGE 73, S. 118, 197, daß die Notwendigkeit einer Kooperation, „soweit das für ein funktionierendes System erforderlich ist, jedenfalls aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens, der auch die Länder untereinander zu gegenseitiger Abstimmung, Rücksichtnahme und Zusammenarbeit verpflichtet" 528 folgt. Insofern ist von einem Interesse der Gemeinschaft insgesamt und seinen Gliedern an der Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems und seiner wesentlichen Elemente auszugehen. Auch das Finanzwesen im Bundesstaat hat das Bundesverfassungsgericht als ein solches „Funktionssystem" qualifiziert: „Bleiben die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung nicht auf den Raum des Landes begrenzt, so muß der Landesgesetzgeber Rücksicht auf die Interessen des Bundes und der übrigen Länder nehmen. Bei der Ordnung der Besoldung ihrer Beamten müssen die Länder also bedenken, daß trotz der in Art. 109 GG verbürgten selbständigen Haushalts Wirtschaft von Bund und Ländern das Finanzwesen im Bundesstaat ein Gesamtgefüge darstellt. Da auch der Bund und die übrigen Länder Beamte haben, müssen die Länder nach dem Grundsatz der Bundestreue bei der Regelung der Besoldung ihrer Beamten jedenfalls so viel Rücksicht auf die Besoldungsverhältnisse in Bund und Ländern nehmen, daß eine Erschütterung des gesamten Finanzgefüges von Bund und Ländern vermieden wird" 5 2 9 . Übertragen auf die zur Chancenungleichheit führenden Rege524 525 526 527 528 529

Vgl. Kisker,, FS Bachof, S.57. Vedder, Intraföderale Staats Verträge, S. 103. Vgl. Dittmann, FS Dürig, S.227. In diesem Sinne wohl auch Schürdt, ZUM 1986, S.433f. Kritisch hierzu Pietzcker, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S.66. BVerfGE4, 115, 140.

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lungsdivergenzen bedeutet dies, daß dann auf eine separative Regelung verzichtet werden muß, wenn diese das Gesamtgefüge Bundesstaat nachhaltig beeinträchtigt. Dies zeigt auf, daß das Prinzip der Bundestreue die Länder hindert, ihre Individualität in einer Weise zu betonen, die die „Funktionsfähigkeit eines die Vielfalt zwar nicht rechtlich, aber doch tatsächlich überwölbenden, unentbehrlichen Gesamtgefüges in Frage stellt" 530 . Es geht also letztlich um die Sicherung der Funktionsfähigkeit des bundesstaatlichen Systems531. Der Rechtsgrund der Kooperation bleibt auch dann, wenn die gemeinsame Kompetenzwahrnehmung aufgrund der technischen Voraussetzungen zwingend erforderlich ist, der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens und ergibt sich nicht schon aus den auf Zentralisierung drängenden technischen Entwicklungen selbst. Dem entgegen nimmt Bullinger in dem Fall, in dem eine Landesentscheidung aufgrund der technischen Bedingungen „von vornherein auf das Gebiet aller Bundesländer gerichtet ist" (so bei der Zulassung direktstrahlenden Satellitenrundfunks) eine Gemeinschaftskompetenz der Länder aus der Natur der Sache an 532 , die sich aus einer technischen Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung ergebe. Unter Hinweis auf Bullinger führt auch das Bundesverfassungsgericht aus, daß „bei der Nutzung von Satellitenkapazitäten [...] die Verfügung über die Ausstrahlung von in allen Ländern direkt empfangbaren Rundfunkprogrammen nur allen Ländern gemeinsam zukommen kann" 533 . Hieraus wird teilweise der Schluß gezogen, daß das Bundesverfassungsgericht den Rechtsgrund der Kooperation unmittelbar in der Eigenart der Aufgabe sieht 534 . Hierbei ist aber zu berücksichtigen, daß es sich bei den Ausführungen insoweit nur um ein obiter dictum handelt und das Gericht im streitgegenständlichen Fall der Weiterverbreitung in Kabelanlagen die Notwendigkeit der Kooperation „jedenfalls" aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens folgert, „soweit das für ein funktionierendes System erforderlich ist" 535 . Insoweit ist daher schon fraglich, ob das Bundesverfassungsgericht die Eigenart der Aufgabe überhaupt als Rechtsgrund der Kooperation begreift. Jedenfalls ist auch der Sache nach der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens der richtige Ansatzpunkt. Die nach Vereinheitlichung drängende technische Entwicklung kann allein die Notwendigkeit im Sinne der Sinnhaftigkeit der Kooperation begründen. Die je nach Aufgabenbezug technisch, naturwissenschaftlich oder ökonomisch zwingende Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung führt dann dazu, daß die kooperative Regelung die einzig mögliche Regelung darstellt. Denn ist aufgrund 530

Kisker, FS Bachof, S. 57. Kisker, FS Bachof, S. 57. 532 AfP 1985, S.4, 8. 533 BVerfGE 73, 118, 196 f. 534 Schuler-Harms, Rundfunkaufsicht, S. 117; Rudolf/Jutzi, ZRP 1987, S. 2: „Für den Satellitenrundfunk scheint das BVerfG offenbar eine Gemeinschaftsaufgabe im Sinne einer Kompetenz zur gesamten Hand anzunehmen,..." 535 BVerfGE 73,118, 197. 531

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2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung

der technischen Voraussetzungen eine Begrenzung auf das eigene Hoheitsgebiet unmöglich (so wohl bei der Zulassung von Satellitenrundfunk), so vermag kein Land dieses Sachgebiet zu regeln, ohne gleichzeitig die Ordnung des gleichen Sachgebietes in den übrigen Ländern zu berühren 536. Damit bliebe die Wirkung des Landesgesetzes nicht auf das eigene Hoheitsgebiet beschränkt, es griffe vielmehr unzulässigerweise in ein anderes Hoheitsgebiet über. Es ist aber gerade Ausdruck des bundesfreundlichen Verhaltens, auf die Kompetenzen der anderen Rücksicht zu nehmen, diese nicht zu stören und auf die Erhaltung der Gesamtinteressen hinzuwirken. Hier wäre es zum Erhalt der Gesamtinteressen notwendig, eine Kooperation anzustreben, denn nur so würde überhaupt eine Regelung möglich. Der Begründung einer Gemeinschaftskompetenz der Länder aus der Eigenart der Aufgabe/Natur der Sache bedarf es daher nicht, es bleibt vielmehr bei der Landeskompetenz, die durch den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens modifiziert wird. III. Einheit der Rechtsordnung als Ausdruck der Bundestreue Unterstützt werden könnten die gefundenen Ergebnisse durch den jüngst durch das Bundesverfassungsgericht aus der Verpflichtung zu bundesfreundlichem Verhalten und ihrer Konkretisierung durch das Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, nach dem alle rechtssetzenden Organe des Bundes und der Länder verpflichtet sind, „die Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, daß den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen"537. Hieraus wird teilweise der Schluß gezogen, daß Normwidersprüche aller Normgeber einer staatlich geeinten Rechtsordnung hinsichtlich Mittel und Zweck ausgeschlossen werden müssen, denn den Normadressaten dürften im vergleichbaren Falle immer nur gleiche Rechtssätze erreichen 538. Insofern erfordere die Einheit der Rechtsordnung auch eine widerspruchsfreie horizontale Gewaltenteilung und das Gebot horizontal systematischer Konkordanz von gleichrangigen Normen 539 . Doch ein solcher Normwiderspruch kann nicht schon angenommen werden, wenn ein Landesgesetzgeber im Rahmen einer ihm zugewiesenen Kompetenz eine von anderen Ländern abweichende Entscheidung trifft und damit innerhalb des föderal gegliederten Staates unterschiedliche Wertungen zum Ausdruck kommen. Diese unterschiedliche Behandlung gleichartiger Lebenssachverhalte führt zwar bezogen auf den Gesamtstaat zu einer Uneinheitlichkeit, zu unterschiedlichen Chancen in einem Staat, sie ist aber gerade in der föderalen Struktur angelegt und kann 536

Vgl. für den Satellitenrundfunk: Schuler-Harms, Rundfunkaufsicht, S. 119. BVerfG, JZ 1999, S.34,35; DVB1.1998, S.702,703; kritisch: Schmidt/Diederichsen, JZ 1999, S. 37ff.; Brüning, NVwZ 2001; Sp. 1ff. Stehsatz (in Drucklegung); Weidemann, DVB1. 1999, S.73ff.; Konrad, DÖV 1999, S. 12ff.; Frenz, DÖV 1999, S.41 ff. 538 Sodan, JZ 1999, S. 865. 539 Sodan, JZ 1999, S. 868 f. 537

§ 4 Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens

161

insofern vor der bundesstaatlichen Verfassung nicht als „widersprüchlich" angesehen werden. Eine Auflösung dieses - gewollten - Wertungswiderspruchs würde den Bundesstaat einebnen. Den einzelnen Normadressaten erreichen insoweit auch bei konträren Normen keine gegenläufigen Regelungen, denn er ist regelmäßig nur Normadressat einer Landesregelung. Das Nebeneinander der Kompetenzen verursacht insoweit keine Inkompatibilität der Normwirkungen. Ein relevanter Normwiderspruch ist daher im horizontalen Verhältnis der Länder untereinander nur denkbar bei überregionalen Freiheitsbetätigungen, bei denen sich der einzelne nach verschiedenen Landesregelungen richten muß, um überregional zu agieren und so ausnahmsweise Normadressat mehrerer Landesregelungen ist. In diesem Fall können ihn Wertungswidersprüche der divergierenden Normen unmittelbar als gegensätzliche Verhaltensanforderungen treffen. Zur Lösung dieser durch die bundesstaatliche Kompetenzordnung begründeten Widersprüchlichkeit bedarf es indes nicht des Rückgriffs auf ein Gebot der „Einheit der Rechtsordnung". Ebenso, wie das Bundesverfassungsgericht den streitgegenständlichen Fall vertikaler Widersprüchlichkeit mit den herkömmlichen Instrumenten der Zuständigkeitsverteilung, der Normenhierarchie und des Art. 31 GG hätte lösen können540, muß auch vorliegend die Verpflichtung zur bundesstaatlichen Rücksichtnahme nicht „in ihrem Inhalt verdeutlicht und in ihrem Anwendungsbereich erweitert" werden. Die bisherigen Konkretisierungen des Bundestreuegebotes führen bereits zum Ziel: Indem den einzelnen widersprüchliche Regelungen treffen, wird eine sinnvolle Ausübung der überregionalen Betätigung unmöglich und damit kann im Ergebnis keines der gesetzgeberischen Regelungskonzepte Wirksamkeit entfalten. Insoweit greift jeder Landesgesetzgeber in ein Funktionsgefüge von Normen ein und berührt folglich zugleich die Belange der anderen Teile. In diesem Fall gebietet es der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens, hierauf Rücksicht zu nehmen und im Gesamtinteresse eine Abstimmung anzustreben. IV. Zwischenergebnis Als Gebot, auf die anderen bundesstaatlichen Glieder Rücksicht zu nehmen, gebietet folglich die Bundestreue ein Unterlassen von Maßnahmen, die trotz hinreichender Stütze in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes in ihren Auswirkungen über den räumlichen Bereich des Landes hinausreichen und dadurch entweder das bundesstaatliche Gesamtgefüge oder aber einzelne Glieder wesentlich beeinträchtigen. Dieses Unterlassungsgebot ist mit dem Gebot zu positivem Tun eng verknüpft. Zwar kann sich kein Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten mit der Behauptung entziehen, daß auch der andere Teil seiner Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nicht nachgekommen sei 541 (Verbot des Einwandes „tu quo540

Vgl. Brüning, NVwZ 2001, Sp. 4 Stehsatz (in Drucklegung); Weidemann, DVB1. 1999, S.74; Konrad, DÖV 1999, S. 16. 541 BVerfGE 8, 122, 140. 11 Engels

162

2. Teil: Grenzen disparitärer Kompetenzwahrnehmung 542

que" ), dennoch ist zu bedenken, daß die Schädigung des Gesamtgefüges gerade dadurch zustande kommt, daß jeder Teil seine ihm zugewiesene Kompetenz wahrnimmt. Hier gilt es einerseits, die bundestreuewidrige Maßnahme zu unterlassen, anderseits auch, eine Angleichung im Sinne eines Kompromisses anzustreben, um so das Funktionssystem aufrechtzuerhalten. Hängt ein funktionierendes System also von einer Koordination landesrechtlicher Regelungen ab, so sind die Länder zur Kooperation verpflichtet 543. Das gleiche gilt in dem Fall, in dem Landesregelungen so divergieren, daß ein eingriffsgleiches Überwirken in die jeweils andere Kompetenzausübung vorliegt: Auch hier kann der Grundsatz der Bundestreue nicht einseitig zu Lasten eines - möglicherweise als letztes tätig gewordenen - Landes eingreifen. Kann eine Regelung nicht sinnvoll neben einer anderen existieren, werden aber die Parteien im Rahmen ihrer an sich bestehenden Kompetenz tätig, so ist ein Weg zufinden, der für alle Beteiligten möglichst wenig belastend wirkt. Deshalb gebietet auch in dieser Konstellation der Grundsatz der Bundestreue nicht nur das Unterlassen der die andere Regelung aushebelnden Maßnahme, sondern verpflichtet darüber hinaus die Länder ebenfalls zu gegenseitiger Abstimmung und Zusammenarbeit. Aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung ist indes aber einschränkend zu bemerken, daß der Grundsatz der Bundestreue in diesen Fällen zwar zur Zusammenarbeit verpflichtet, nicht aber ein bestimmtes Abstimmungsergebnis vorschreibt, solange sich ein solches nicht aus anderen materiellen Anforderungen ergibt 544 . Hier kommt dann das Gebot der Bundestreue in seiner Wirkung als Pflicht zur Kompromißbereitschaft 545 zum Tragen. Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, daß das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens mittelbar auf die Gleichheit der Chancen bei landesgrenzüberschreitenden Sachverhalten hinwirkt, soweit hierdurch die Interessen einzelner Länder oder des bundesstaatlichen Gesamtgefüges verletzt werden. Darüber hinaus kann ein Ausgleich der Chancenungleichheit, die durch divergierende landesgesetzliche Wertung entsteht, durch das Gebot der Bundestreue nicht erreicht werden.

§ 5 Ergebnis zum Zweiten Teil Die Chancenungleichheit ist dem Bundesstaat schon aufgrund seiner Vielfaltsfunktion immanent. Die Spannungslage zwischen Einheit und Vielfalt wurzelt im föderalen Aufbau und kann durch den Gleichheitssatz nicht aufgelöst werden. Aus 542 Stern, Staatsrecht I, S.702.; Bauer, Die Bundestreue, S. 337f.; Isensee, HStRI, §98 Rn. 158; Sachs in: Staatsbürgerlexikon, Lemma „Bundesstaat". 543 Vgl. BVerfGE 73, 118, 196. 544 Vgl. BVerfGE 39, 96, 119: „mit dem Ziel verhandeln, sich zu einigen". 545 Vgl. Benda, Föderalismus in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S.80.

§ 5 Ergebnis zum 2. Teil

163

Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich vielmehr nur die gleiche Chance vor dem gleichen Gesetzgeber, der Gleichheitssatz wird bundesstaatlich begrenzt. Obwohl die „soziale" und „demokratische" Komponente des deutschen Staates die Tendenz beinhaltet, den Bundesstaat in Richtung Chancengleichheit zu dirigieren, steht dieser gleichzeitig die bundesstaatliche Intention der Vielfalt gegenüber, so daß sich hieraus kein absolutes Verfassungsgebot zur Herstellung gleicher Lebenschancen ergibt. Im ständigen Spannungsverhältnis zwischen prinzipieller Vielfalt und notwendiger Einheitlichkeit ist vielmehr auf beide Funktionen im Rahmen politischer Entscheidungen wertend Rücksicht zu nehmen, wobei im Ergebnis kein Mißverhältnis entstehen darf, das der Bedeutung eines Ziels nicht mehr ausreichend Rechnung trägt. Die Balance zwischen gleichmäßigen Entwicklungschancen und wettbewerbsförderndem Partikularismus darf im Sinne des Gebotes gerechter Abwägung nicht unangemessen verfehlt werden. Auch die Freiheitsgrundrechte gebieten die Rücksichtnahme auf die Chancengleichheit der Bürger. Sie sind aber nur in der Lage, bei überregionalem Lebenssachverhalt eine durch divergierende Landesregelungen unter Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechte begründete unzumutbare Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Chancen zu hindern. Das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens wirkt zum Schutze der Interessen der übrigen Länder und zur Aufrechterhaltung eines bundesweit bestehenden „Gesamtgefüges" auf die Angleichung der disparitären Landesregelungen hin und dient damit bei gravierenden Störungen mittelbar der Chancengleichheit im Bundesstaat. Es trägt somit der Mitverantwortung jedes bundesstaatlichen Gliedes für das gemeinsame Ganze Rechnung und sichert in dessen Dienste das notwendige Fundament an Einheitlichkeit. Die sozialstaatlich intendierte Chancengleichheitstendenz und die bundesstaatlich begründete Angleichungsverpflichtung gewährleistet im Ergebnis ebensowenig eine weitreichende Chancengleichheit wie die Freiheitsgrundrechte. Sie setzen jedoch dem politischen Gestaltungsspielraum der Bundesländer Grenzen, die letztlich maßgeblich durch Aspekte der Zumutbarkeit für die von den disparitären Regelungen betroffenen Bürger definiert werden. Das so verfassungsrechtlich konkretisierte Gebot der Rücksichtnahme auf die Chancengleichheit der Bürger im Bundesstaat ist notwendige Schranke jeder Neujustierung des bundesstaatlichen Systems.

11

Dritter Teil

Verfassungsrechtliche Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen Können mithin die grundgesetzlichen Vorgaben nur Randkorrekturen vornehmen, so bleibt verfassungsrechtlich zulässiger und gewollter Raum für Vielfalt. Diese kann sich aber nur wirksam entfalten, wenn der Wettbewerb „offen" gestaltet wird und die einzelnen Länder die „Produkte der Vielfalt" gegenseitig anerkennen und sich nicht isolieren. Dem schließt sich die Frage an, inwieweit Differenzierungen innerhalb einer Landesregelung verfassungsrechtlich zulässig sind, mit denen vermeintliche Unterschiede zwischen den Ländern berücksichtigt werden sollen.

§ 1 Bundesstaatlich relevante Differenzierungen Dieses Problemfeld eröffnet sich im Rahmen der Gesetzgebungshoheit der Länder, wenn ein Bundesland bestimmte Kapazitäten zur Verfügung stellt und die übermäßige Inanspruchnahme durch Angehörige anderer Bundesländer dadurch zu verhindern sucht, daß es die Chancen der eigenen Landesangehörigen verbessert, indem es sie vorrangig berücksichtigt (beispielsweise vorrangige Zulassung zum Studium). Es geht also um die Privilegierung Einheimischer durch Maßnahmen staatlicher Gewalt1. Eine solche Vorgehensweise birgt indes die Gefahr, daß die öffentlichen Einrichtungen eines Bundeslandes für Landesfremde zum „closed shop" werden. Α. Differenzierung nach Landesangehörigkeit Dabei fallen in die Problematik der sogenannten „Landeskinderklauseln" oder „Landeskindervergünstigungen" vor allem Normen, die eine Differenzierung nach der Bindung an ein Land, insbesondere durch den Wohnsitz, vornehmen2. Differenzierungsziel ist dabei unter anderem die Begrenzung des Einsatzes von Steuermitteln auf die jeweiligen Landesangehörigen3. Dabei ist nicht primär entscheidend, daß es sich um Mittel handelt, die durch das Land erhoben wurden (Erhebungskompetenz), sondern daß die Mittel im und für das jeweilige Land nach eigener Ent1 2 3

Burgi, JZ 1999, S.874. Pfütze, Landeskinderklauseln, S. 1. Jach, DÖV 1995, S. 928 (staatlicher Zuschuß an Privatschulen nur für Landeskinder).

§ 1 Bundesstaatlich relevante Differenzierungen

165

Scheidung verwendet werden dürfen (Ertragshoheit). Dies ist deshalb von Bedeutung, weil im deutschen bundesstaatlichen Finanzverfassungskonzept die Erhebungskompetenz fast ausschließlich beim Bund liegt, während die Ländern zur Erfüllung ihrer Aufgaben Ertragskompetenzen besitzen4. Als „klassische" Anwendungsfelder der Landeskinderklauseln sind beispielsweise die Stipendienvergabe, die bevorzugte Zulassung zum Studium sowie zum Vorbereitungsdienst zu nennen. Im Bereich der Medien sind Fallgestaltungen bekannt geworden, in denen Fernsehprogramme des eigenen Landes gegenüber den übrigen Ländern bevorzugt wurden (vgl. bspw. § 7 Abs. 3 LRG NW a. F.5). Dies kann dazu führen, daß ein originär im Land zugelassenes Programm andere, langjährig veranstaltete Programme von hoher Qualität und inhaltlicher Vielfalt verdrängt, auch wenn es selbst diesem Anspruch nicht genügt6. Die „Landeskinderproblematik" bleibt aber nicht auf den Bereich der Legislative beschränkt. Denn auch im Bereich der Exekutive ist es denkbar, daß eine in ihr Ermessen gestellte Entscheidung über Rechte bzw. Pflichten von Sachkriterien wie der Landeszugehörigkeit oder einem ähnlichen Anknüpfungskriterium abhängig gemacht wird, beispielsweise bei der Subventions- bzw. Stipendienvergabe. Damit stellt sich das Problem der Landeskinderbegünstigung nicht nur für gesetzgeberische Vorgaben, sondern auch für ihre Umsetzung. Diese auch in der Europäischen Union erkannten Schwierigkeit im Sinne einer Benachteiligung anderer Staatsangehöriger hat im EGV insbesondere im Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV Niederschlag gefunden und kommt zudem in den besonderen Diskriminierungsverboten (freier Warenverkehr, Art. 28 ff. EGV; freier Personenverkehr, Art. 39 ff., 42 ff. EGV; freier Dienstleistungsverkehr, Art. 49ff. EGV, freier Kapital verkehr, Art. 56 ff. EGV), die jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit beziehungsweise der Herkunft der Ware in ihrem Anwendungsbereich verbieten, zum Ausdruck. Derart ausdrücklich auf das Problem zugeschnittene Regelungen lassen sich im deutschen Recht nicht finden, jedoch stellt sich die Frage, ob dem Grundgesetz nicht doch Gewährleistungen und Mechanismen zu entnehmen sind, die die Benachteiligung Landesfremder im Bundesstaat verhindern oder abmildern können7.

4

Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 3; Vogel/Waldhoff in: Bonner Kommentar Vorbem. z. Art.104a-115Rn.76. 5 § 7 III LRG NW i. d. F. v. 11.1.1988: „Unter mehreren nach Abs. 2 gleichrangigen Antragstellern wird derjenige vorrangig zugelassen, der die studiotechnische Abwicklungen seines Programms im Geltungsbereich dieses Gesetzes durchführt und sich in größerem Umfang verpflichtet, Programmteile im Geltungsbereich dieses Gesetzes herzustellen oder herstellen zu lassen." 6 Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, §35 Rn.25. 7 Vgl. hierzu sogleich § 2.

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

B. Differenzierung nach „landesinternem" Vorbildungsnachweis Von dem Problemfeld der Landeskinderproblematik mit umfaßt sind zudem Regelungen, die an einen Tatbestand anknüpfen, den regelmäßig nur Landesangehörige erfüllen, wie etwa den Erwerb eines Vorbildungsnachweises (beispielsweise Abiturprüfungen, Abschlüsse im Bereich der Juristen- und Lehrerausbildung oder Fortbildungsnachweise) in diesem Land8. In diesen Kontext gehört überdies die Fragestellung, ob Vorbildungsnachweise anderer Länder anerkannt werden müssen, denn die fehlende Anerkennung hat letztlich gleichfalls zur Folge, daß die Chancen für die eigenen Bewerber zu Lasten der Auswärtigen verbessert werden. Mit der divergierenden Kompetenzausübung und der damit verbundenen Vielgestaltigkeit geht einher, daß die Vorbildungsnachweise in ihren Voraussetzungen nicht dekkungsgleich sind. Dies könnte für einige Länder die Ablehnung der Anerkennung mit der Begründung rechtfertigen, der landesfremd erworbene Vorbildungsnachweis genüge den landesinternen Maßstäben nicht. Ist Vielfalt aber gewünschtes Element des Bundesstaates, so stellt sich die Frage, ob sich ein Land den „Folgen" der Vielfalt dadurch entziehen kann, daß es die Anerkennung verweigert. I. Verbindlichkeit landesfremder Hoheitsakte Doch erlangt die Anerkennungsproblematik nur Bedeutung, wenn die von einem Bundesland aufgrund von Landesrecht erlassenen Hoheitsakte nicht ohnehin auch in allen anderen Bundesländern ohne vorherige Anerkennung verbindlich sind. Damit stellt sich die „Vorfrage" der Bindungswirkung von Landeshoheitsakten. 1. Territorialitätsprinzip Während im Einheitsstaat, in dem alle Staatsorgane gesamtstaatliche Hoheitsgewalt ausüben, die Behörden folgerichtig wechselseitig an die Akte der anderen gebunden sind9, gilt im Verhältnis souveräner Staaten das Territorialitätsprinzip, so daß die Wirksamkeit von Hoheitsakten grundsätzlich auf das Hoheitsgebiet des jeweiligen Staates beschränkt ist 10 . Deshalb gibt es auch innerhalb der europäischen Union zahlreiche Richtlinien über die gegenseitige Anerkennung von ausländischen Hoheitsakten, um so dem in Art. 3 EGV formulierten Ziel der Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten sowie den aus Art. 48 Abs. 2 und Art. 52 Abs. 2 EGV abzuleitenden Diskriminierungsverboten Rechnung zu tragen 11. Es schließt sich somit 8

Gallwas, FG Maunz, S. 105; Pßtze, Landeskinderklauseln, S. 1. Seibert, Bindungswirkung, S.281; Bleckmann, NVwZ 1986, S.3. 10 Seibert, Bindungswirkung, S.279; Ule, JZ 1961, S.623. 11 Vgl. ζ. Β. die Richtlinie des Rates vom 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschlie9

§ 1 Bundesstaatlich relevante Differenzierungen

167

die Frage an, ob im Rahmen des deutschen Bundesstaatsrecht das Territorialitätsprinzip auch zwischen den Bundesländern gilt, deren Rechtsbeziehungen untereinander durch das Bundesstaatsrecht bestimmt werden 12. Gegen seine Geltung könnte angeführt werden, daß im Gegensatz zu souveränen Staaten, die sich auf völkerrechtlicher Ebene gegenüberstehen, die Bundesländer eine wesentlich engere Verbundenheit aufweisen 13, die viele Facetten eines Einheitsstaates in sich birgt 14 . Doch auch die bundesstaatliche ZuständigkeitsVerteilung ordnet den Bundesländern eigene, originäre und nicht bloß abgeleitete Hoheitsgewalt zu 15 , so daß ihnen Staatsqualität beizumessen ist 16 . Denn die grundgesetzliche Kompetenzordnung beschränkt - unabhängig von bestehenden Verflechtungen17 - den Geltungsbereich von Normen prinzipiell auf das eigene Staatsgebiet18. Dies mit Recht, da ansonsten die zu wahrende föderalistische Struktur leerliefe, die es bedingt, daß eine gleichzeitig bestehende Kompetenz der anderen Länder beachtet werden muß. Kompetenzzuweisung bedeutet somit nicht nur Aufgabenzuweisung, sondern auch Abgrenzung von Wirkungskreisen 19. Deshalb gilt für den Erlaß von Gesetzen grundsätzlich auch zwischen den deutschen Gliedstaaten das Territorialitätsprinzip 20: Ein Landesgesetz gilt mithin prinzipiell nur in dem Land, in dem es erlassen worden ist 21 . Zu beachten gilt es gleichwohl, daß die deutsche Bundesstaatsordnung sich auf dem Gebiet der Verwaltung durch die Besonderheit auszeichnet, daß die Verwaltungskompetenzen nicht den Gesetzgebungskompetenzen folgen. Gemäß Art. 83 ßen (Richtlinie 89/48/EWG; AB1EG Nr. L19 v. 24.1.1989, S. 16), insb. Art. 3 a) der Richtlinie, nach der die Anerkennung nicht wegen mangelnder Qualifikation verweigert werden kann, wenn der Bewerber ein Diplom eines anderen Mitgliedstaates besitzt, das dort den Zugang zu diesem Beruf ermöglicht. Nach Art. 41 lit. Β Richtlinie 89/48/EWG kann unter dort aufgeführten Voraussetzungen die Ablegung einer Eignungsprüfung verlangt werden; vgl. auch EuGH Slg. 1991,1-2357 = NJW 1991, S.2073 und BVerwG, NJW 1999, S.3572, Ablehnung wegen mangelnder Entsprechung. 12 BVerfGE 34, 216, 231 f.; 36, 1, 24; BVerwGE 50, 137, 146, 148; Seibert, Bindungswirkung, S.280. 13 Seibert, Bindungswirkung, S.285. 14 Vgl. Bleckmann, NVwZ 1986, S. 3. 15 Oldiges, DÖV 1989, S.878. 16 BVerfGE 36, 342, 360; 34,9, 19; Barschel, Die Staatsqualität der Länder, passim; Stern, Staatsrecht I, S. 644; vgl. bereits oben 1. Teil § 2 A. 17 Vgl. hierzu Grawert, Verwaltungsabkommen, S.24. 18 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 13; auch Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 87, beschreibt das Staatsgebiet als Kompetenzbereich und damit als räumlichen Geltungsbereich von Normen; Fastenrath, JZ 1987, S. 176, spricht von „territorial beschränkter Hoheitsgewalt"; Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 32; Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, §27 Rn. 13; Ule, JZ 1961, S.623. 19 Oldiges, DÖV 1989, S.877. 20 BVerwGE 79, 339, 341, wo allerdings eine Ausnahme für bundesweit bestehende Zeugenpflichten begründet wird; Ule, JZ 1961, S.623; Oldiges, DÖV 1989, S.878. 21 Ule, JZ 1961, S.623; Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, §27 Rn. 13.

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

GG obliegt die Ausführung von Bundesgesetzen grundsätzlich den Ländern, womit eine „Inkongruenz von Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit des Bundes" 22 entsteht. Hinsichtlich der Ausführung von Landesgesetzen gilt indes die Regel des Art. 30 GG: es bleibt bei der Alleinzuständigkeit der Länder. Ist die Verwaltungskompetenz aber nicht durchweg an die Gesetzgebungskompetenz gekoppelt, so stellt sich die Frage nach der ΒindungsWirkung der Verwaltungsentscheidungen trotz der grundsätzlichen Geltung des Territorialitätsprinzips erneut. Denn nur, wenn die Gesetzgebungszuständigkeiten und Verwaltungskompetenzen - wie beim Vollzug von Landesrecht - kongruent sind, folgt schon aus dieser Deckungsgleichheit, daß die territorial beschränkte Gesetzgebungshoheit auch die Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs des Verwaltungsaktes manifestiert 23. Fallen Gesetzgebungskompetenz und Verwaltungskompetenz auseinander, so wirft sich die Frage auf, an welche Kompetenzregelung die Bindungswirkung von Verwaltungsakten geknüpft ist. Doch im Ergebnis kann Verwaltung als Ausführung von Gesetzen nicht weiter reichen, als der Geltungsbereich des zu vollziehenden Gesetzes selbst: Der Verwaltungsakt bezieht aus dem zugrundeliegenden Recht, durch die damit verbundenen Rechtsfolgen, seine rechtliche Wirkungskraft 24 und leitet diese nicht erst vom Verwaltungsträger ab. Deshalb muß sich der Geltungsbereich eines Verwaltungsakts mit dem Geltungsbereich des Gesetzes, zu dessen Vollzug er erlassen ist, decken25. Daraus folgt, daß - trotz der Abkoppelung der Verwaltungskompetenz - ein Verwaltungsakt, dem Bundesrecht zugrunde liegt, Verbindlichkeit und Bindungswirkung im gesamten Bundesgebiet entfaltet 26. Deshalb stellt sich die Anerkennungsproblematik bei Ausführung von Bundesrecht nicht. Entsprechend hat aber die territorial begrenzte Wirkung von Landesrecht zur Folge, daß Hoheitsakte, die in Ausführung von Landesrecht erlassen worden sind, grundsätzlich nur in dem Land Wirkung entfalten, in dem sie erlassen wurden 27. Diese Schlußfolgerung findet ihre staatspraktische Bestätigung durch die zahlrei22

Dittmann in: Sachs, Art. 83 Rn. 2. Wolff/Bachof/Stober, VerwaltungsrechtI, §48 Rn.48; Ule, JZ 1961, S.623; Lerche in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 83 Rn.49; Oldiges, DÖV 1989, S.879. 24 Seibert, BindungsWirkung, S.275. 25 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, §48 Rn.48; Ule, JZ 1961, S.623; Kurth, Kreditwesen 1998, S. 620; a. Α.: Lerche in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 83 Rn.50, der aber mit Hinweis auf die fehlende „Begrenztheit der inhaltlichen Wirkung" auf das Landesgebiet der auf Bundesrecht beruhenden Verwaltungsakte zum gleichen Ergebnis gelangt. 26 Die Gründe für das Bestehen einer bundesweiten Β indungs Wirkung finden sich gleichfalls in der Kompetenzordnung des Bundesstaates. Mit zuständigkeitsgemäßem Erlaß von Bundesgesetzen wird für das gesamte Bundesgebiet eine einheitliche Rechtsfolge angeordnet, für die der Landesvollzug kein Hindernis sein soll. Vgl. Oldiges, DÖV 1989, S. 880; Seibert, Β indungs Wirkung, S.275. 27 BVerfGE 11, 6, 19; Kisker, FS Bachof, S.49; Fastenrath, JZ 1987, S. 176; Jarass, ZUM 1994, S. 330, Lerche in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 83 Rn.49; Laaser, RdJB 1982, S. 352; Pietzcker, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 40: „Entscheidungen aufgrund von Landesgesetzen sind hingegen prinzipiell nur im Land verbindlich". 23

§ 1 Bundesstaatlich relevante Differenzierungen

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chen Abkommen der Bundesländer über die Anerkennung von Entscheidungen anderer Bundesländer28.

2. Bundesstaatlich begründete Geltungskraft Dennoch wird teils mit Hinweis auf bundesstaatliche Ordnungsvorstellungen - insbesondere dem Grundsatz der Bundestreue - eine Bindungswirkung von überregional wirkenden Verwaltungsakten, die Landesrecht ausführen, auch für andere Bundesländer angenommen29. Im Bundesstaat bestehe die Befugnis, Rechtsakte mit Wirkung und Geltung über das Landesgebiet hinaus zu setzen30, so daß diese in den anderen Bundesländern hinzunehmen seien, wie sich an Schul- und Universitätsabschlüssen, Promotionen, Habilitationen erkennen lasse31. Die entsprechenden Abkommen über die Anerkennung von Verwaltungsakten zwischen den Bundesländern hätten deshalb nur deklaratorische Bedeutung32. Doch auch die Bezugnahme auf bundesstaatliche Grundsätze vermag die Bindungwirkung entgegen der Kompetenzordnung nicht ohne weiteres zu begründen. Die Bundestreue als Gebot an die Bundesländer, dem Wesen des Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner wohlverstandenen Belange beizutragen 33, kann nur Verhaltens- und Unterlassungspflichten 34 der Bundesländer und somit keine unmittelbare rechtliche „Geltungskrafterstreckung" begründen. Insofern könnte aus dem Grundsatz der Bundestreue - was noch zu prüfen ist 35 - allenfalls die Pflicht der Bundesländer gefolgert werden, landesfremde Verwaltungsentscheidungen, die auf Landesrecht beruhen, anzuerkennen. Denn allein die Nichtanerkennung könnte insoweit unter bestimmten Voraussetzungen bundesstaatlichen Ordnungsvorstellungen zuwiderlaufen 36, worauf auch die Befürworter einer bundesweiten Bindungswirkung selbst verweisen 37. Aus dem bundesstaatlichen Rücksichtnahmegebot ergibt sich mithin keine grund28 Ζ. B. die Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung von in der gymnasialen Oberstufe erworbenen Zeugnissen der allgemeinen Hochschulreife i.d.F. v. 19.12.1988, auf die neuen Bundesländer erweitert durch Beschluß der KMK v. 21.2.1992 i. d. F. v. 12.3.1993; vgl. auch Jarass, ZUM 1994, S. 330. 29 So wohl Bleckmann, NVwZ 1986, S.4; Seibert, Bindungswirkung, S.288; Monz\ Das Verhältnis der Bundesländer untereinander, S. 53 („aus dem Wesen der Bundesverfassung"). Für länderübergreifende Wirkung der Verwaltungsakte auch Kopp, VwVfG, § 3 Rn. 60; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, §30 Rn. 12; Kopp/Kopp, BayVBl. 1994, S.231, die die Geltung von Verwaltungsakten zwischen den Ländern als „offensichtlich" ansehen. 30 Kopp/Kopp, BayVBl. 1994, S.232. 31 Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, §30 Rn. 12. 32 Kopp, VwVfG, §3 Rn. 61. 33 BVerfGE 1, 299, 315, vgl. bereits oben im 2. Teil §4B. 34 Ausführlich hierzu oben im 2. Teil § 4 Β I, II. 35 Vgl. unten § 3. 36 Vgl. auch Laaser, RdJB 1982, S. 352.

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

sätzliche Bindungswirkung landesübergreifender Verwaltungsakte auch für die anderen Länder. Denn selbst wenn eine Anerkennungspflicht bejaht wird, wäre die „Bindung" allein mittelbare - tatsächliche - Folge dieser Verpflichtung. Aufgrund der vielfältigen Anerkennungsvereinbarungen mag zwar der Eindruck entstehen, ein auf Landesrecht beruhender Verwaltungsakt - zum Beispiel: das Abitur - gelte „automatisch" auch in anderen Bundesländern38, dennoch beruht die Bindung auf der eigenständigen Erklärung der Anerkennung. Diese kann entweder schon in der Ländervereinbarung selbst enthalten sein oder aus der dort festgeschriebenen Verpflichtung zur Anerkennung folgen. Die Vereinbarungen behalten deshalb ihren konstitutiven Charakter.

II. Zwischenergebnis Folglich verbleibt es auch bei landesübergreifenden Verwaltungsentscheidungen bei dem Grundsatz, daß solche Entscheidungen, die im Rahmen der Ausführung von Landesrecht ergehen, prinzipiell Bindungswirkung im Hinblick auf daran geknüpfte Rechtsfolgen nur auf dem Hoheitsgebiet des jeweiligen Landes entfalten. Hiervon zu unterscheiden ist, daß die Verwaltungsentscheidung als wirksamer Hoheitsakt eines anderen Bundeslandes insofern Tatbestandswirkung entfaltet, daß diese Entscheidung (zum Beispiel: das erfolgreiche Ablegen einer bestimmten Prüfung unter den in diesem Land geltenden Voraussetzungen) als solche zu beachten ist und daher diese nicht mit der Begründung angezweifelt werden kann, der Kandidat habe die dort geltenden Voraussetzungen nicht erfüllt 39 . Eine in Nordrhein-Westfalen erworbene Hochschulreife berechtigt deshalb ohne Anerkennung durch andere Bundesländer nur zum Studium an einer nordrheinwestfälischen Hochschule. In anderen Bundesländern kann die Berechtigung nur Rechtsfolgen auslösen, wenn sie von dem jeweiligen anderen Land anerkannt wird 40 . Ob die Bundesländer zur Anerkennung „auswärtiger" Hoheitsakte auch ohne Vereinbarung aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet sind, ist damit die hier noch zu prüfende Frage. Dieser Frage kommt bei stärker werdender Betonung von Konkurrenzföderalismus und damit einhergehendem Wettbewerb unter den Ländern besondere Relevanz zu, weil Vorbildungsnachweise oder sonstige Berechtigungen in den Bundesländern zum Teil auf unterschiedlicher Grundlage und damit unter divergierenden Voraussetzungen/Anforderungen erworben werden können. Die Ausnutzung dieses Spielraums für unterschiedliche Regelungen macht gerade den Föderalismus aus. Die so entstehende Diskrepanz kann aber dazu führen, 37

Seibert, Bindungswirkung, S.285 f.; Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, § 30 Rn. 12 mit Fn. 8; Monz, Das Verhältnis der Bundesländer untereinander, S.45. Alle sprechen einerseits von „Bindungswirkung" bzw. „Geltung", andererseits aber von „Pflicht zur Anerkennung". 38 Vgl. Laaser, RdJB 1982, S.352. 39 Dies meint wohl auch Lerche in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 83 Rn. 49. 40 Laaser, RdJB 1982, S.352.

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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daß andere Bundesländer zur Anerkennung gar nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen bereit sind. C. Ergebnis Regelungen eines Landesgesetzgebers können diskriminierende Wirkung zu Lasten Auswärtiger entfalten, wenn diese nur die Einheimischen begünstigen, landesinterne Abschlüsse bevorzugen beziehungsweise keine gleichwertige Behandlung durch Anerkennung auswärtiger Hoheitsakte sicherstellen.

§ 2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote Sofern also der Landesgesetzgeber bei seiner Normsetzung eine „bestimmte Nähebeziehung" zum Bundesland voraussetzt, schließt er Landesfremde von der den „Landeskindern" zugebilligten Rechtsposition aus. Je mehr Bundesländer in diesem Sinne verfahren, um so größer ist für den Bürger die Gefahr, daß die von ihm durch Landesrecht erworbenen Rechtspositionen jeweils auf sein „Heimatbundesland" beschränkt bleiben: als Auswärtiger wäre er in einem andern Bundesland von vornherein ohne Chance. Die Bundesländer würden zu Rechtsinseln für ihre Einwohner, die föderalistischen Synergieeffekte eines übergreifenden Austausches aufgegeben. Daher sind die mit den Landeskinderklauseln verbundenen Probleme für das Konfliktfeld „Chancengleichheit im Bundesstaat" von besonders großer Relevanz. Es stellt sich folglich die Frage nach ihrer verfassungsrechtlichen Legitimität. A. Spezielle Gleichheitssätze Aufgrund der in diesen Fällen vom Landesgesetzgeber vorgenommenen Differenzierung zwischen Einheimischen und Auswärtigen drängt sich zuvörderst eine gleichheitsrechtliche Beurteilung auf. I. Verstoß gegen Art. 33 Abs. 1 GG Dabei gerät für die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Regelung, die Landesfremden eine Rechtsposition verwehrt, speziell Art. 33 Abs. 1 GG in den Blick, der »jedem Deutschen in jedem Land die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten" einräumt. 7. Zweck der Vorschrift Als grundrechtsgleiche Vorschrift und besonderer Gleichheitssatz hinsichtlich der staatsbürgerlichen Stellung im föderalistischen Staat engt Art. 33 Abs. 1 GG

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

den weiten Spielraum des allgemeinen Gleichheitssatzes erheblich ein 41 und gewährleistet so die „Chancengleichheit im Bundesstaat", wodurch er Kennzeichen einer „privilegienfeindlichen demokratischen Republik" ist 42 . Die Vorschrift knüpft an Art. 110 Abs. 2 WRV und an das gemeinsame Indigenat des Art. 3 RV 1871 an und soll wie seine Vorgängernormen der Tatsache Rechnung tragen, daß alle Deutschen nicht nur einem Land, sondern auch einem Gesamtstaat angehören 43 und deshalb in keinem Land zu „Bürgern minderen Rechts"44 degradiert werden dürfen: Kein deutsches Land soll in seiner Rechtsordnung einen Angehörigen eines anderen deutschen Landes ungünstiger behandeln, als es in gleicher Lage die Angehörigen des eigenen Landes behandelt45. In diesem Sinne richtet sich Art. 33 Abs. 1 GG an die Länder und schränkt die föderal bedingten Entscheidungsspielräume mit dem Ziel ein, daß die intergliedstaatliche Freizügigkeit auch im Tatsächlichen gewährleistet wird 46 , indem jeder Deutsche in jedem Land gleich behandelt wird 47 . Genau hier zeichnet sich jedoch das Problem des Art. 33 Abs. 1 GG ab: Soll einem Deutschen aus Nordrhein-Westfalen in Bayern der gleichen Rechts- und Pflichtenstatus zuerkannt werden, wie den Bayern selbst, so ist zunächst zu klären, wie sich ein Nordrhein-Westfale in Bayern überhaupt von einem Bayern unterscheiden soll 48 . Aufgrund fehlender Landesstaatsangehörigkeit49 ist der Bedeutungsgehalt der Norm kaum abgrenzungsscharf zu erfassen 50. Inwieweit Art. 33 Abs. 1 GG zur Lösung der Landeskinderproblematik gewinnbringend herangezogen werden kann, hängt aber gerade von der so abzugrenzenden Reichweite der Vorschrift ab.

41

Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn.4; Jach, DÖV 1995, S.929. Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 8 (beide Zitate). 43 Pfütze, Landeskinderklauseln, S.56. 44 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 5; Gallwas, FG Maunz, S. 106. 45 Maunz, GS Peters, S. 559; Matthey in: v. Münch (2. Aufl.), Art. 33 Rn. 7; Jach, DÖV 1995, S.929. 46 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn.5; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 33 Rn. 2; Pfütze, Landeskinderklauseln, S. 120. 47 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 5. 48 So treffend Kisker, FS Bachof, S. 52: „Will man nicht auf die Mundart abstellen, so gerät man in Verlegenheit". 49 Durch Verordnung v. 5. Februar 1934 (RGBl. I S. 85) entfiel die Staatsangehörigkeit in den Ländern. Weder der Bund im Rahmen seiner bis 1994 bestehenden konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis noch die Länder haben neue Landesstaatsangehörigkeitsregelungen geschaffen. Allein in Art. 6 u. 7 bay Verf. und in Art. 75 Abs. 2 rh-pf. Verf. wird die Staatsangehörigkeit bzw. die Staatsbürgereigenschaft erwähnt. Vgl. zur Entwicklung der Landesstaatsangehörigkeit: Grawert, HStRI, § 14 Rn.34, 39. 50 Sachs, ZBR 1994, S. 141; Kunig in: v.Münch/Kunig, Art.33 Rn.4,6; Maunz, GS Peters, S.558. 42

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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2. Jeder Deutsche / in jedem Lande Im personalen Geltungsrahmen umfaßt Art. 33 Abs. 1 GG „alle Deutschen" im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, unabhängig von deren Wohnsitz51. Adressaten der Norm sind alle deutschen Bundesländer, genauer: alle Träger von Landesstaatsgewalt 52 in allen ihren Erscheinungsformen 53. 3. Gleiche „ staatsbürgerliche

Rechte und Pflichten "

a) „Staatsbürgerlich" Fraglich ist indes, ob nicht der Wortlaut des Art. 33 Abs. 1 GG mit der Wendung „staatsbürgerliche Rechte " den materiellen Anwendungsbereich stark einschränkt und deshalb in den zentralen Problemfeldern der Landeskinderprivilegierungen (zum Beispiel: Bildungswesen) wenig oder gar nicht zur Lösung beizutragen vermag. Denn das einschränkende Adjektiv „staatsbürgerliche" deutet auf eine restriktive Interpretation der Rechte und Pflichten hin: eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf die Rolle des Staatsbürgers als Mitglied der Aktivbürgerschaft 54 und damit auf die staatsbürgerlichen Rechte im funktionalen Sinne55 (status activus). Unter diesem engen Verständnis wären nur Rechte und Pflichten erfaßt, die den Zustand ausformen, in dem der einzelne seine Freiheit im und für den Staat betätigt56, womit das Differenzierungsverbot an die Einräumung spezifisch politischer Rechte - beispielsweise das aktive und passive Wahlrecht 57 - und an die Heranziehung zu typischen staatsbürgerlichen Pflichten - wie die Beitragung zu öffentlichen Lasten58 - gekoppelt wäre. Sonach spricht der Wortlaut des Art. 33 Abs. 1 GG zwar einerseits für eine auf die Rechte und Pflichten des status activus begrenzte Auslegung, gleichwohl kann man den Wortlaut „staatsbürgerlich" andererseits auch weniger funktional in dem Sinne deuten, daß „staatsbürgerliche Rechte" die Gesamtheit derjenigen Rechte umfaßt, 51

Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 8; Lübbe- Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 26. V Mangoldt/Klein, Art.33 Anm.II3a; Hoffmann, AöR81 (1956), S. 335; Hamann/Lenz, Art. 33 Anm.B 1.; Maunz, GS Peters, S.559; Pfütze, Landeskinderklauseln, S.58; Brinkmann, Art.33 Anm.Ile). 53 Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 25. 54 Gallwas, FG Maunz, S. 107. 55 Vgl. Gallwas, FG Maunz, S. 107. 56 Vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn.65. 57 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 66, Gallwas, FG Maunz, S. 107; v. Mangoldt/Klein, Art. 33 Anm. III 1. Löwer, WissR 1992, S.41 verbindet mit dem Begriff „staatsbürgerlich" die sich zunächst aufdrängende Assoziation „Wahlrecht und Wehrpflicht". 58 V Mangoldt/Klein, Art.33 Anm.III/1; Pfütze, Landeskinderklauseln, S.65. 52

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

die innerhalb eines Landes bestehen, so daß alle Rechtsstellungen eingeschlossen würden, die dem Bürger gegenüber der Landesstaatsgewalt zustehen59. Damit läßt die sprachliche Fassung der Vorschrift keine eindeutige Festschreibung der eingeschlossenen Rechte und Pflichten zu 60 . Die Bedeutung der Wortwahl kann indes durch Hinzuziehung der historischen Interpretation aufgehellt werden. Während das gemeinsame Indigenat der Verfassung von 1871 nur punktuell die Gleichstellung in ausgewählten Rechtspositionen erfaßte 61 , wurde Art. 110 Abs. 2 WRV, die Vorläuferbestimmung des Art. 33 Abs. 1 GG, wonach jedem Deutschen in jedem Lande die „gleichen Rechte und Pflichten wie dem Angehörigen des Landes selbst" garantiert wurden, als Erweiterung des Art. 3 Reichs Verf. 1871 interpretiert und gerade nicht auf politische Mitwirkungsrechte beschränkt62. Im Parlamentarischen Rat wurde bewußt an Art. 110 WRV und seine ihm zugrunde liegende Deutung angeknüpft und keine materiellrechtliche Änderung angestrebt63. Damit ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 33 Abs. 1 GG nicht die Beschränkung der Rechte und Pflichten auf den status activus64. In dieser Sichtweise ist entgegen Lübbe-Wölfl 65 auch keine „historische Unplausibilität" zu erkennen. Nach ihrer Auffassung stützt der Hinweis auf Art. 110 WRV die weite Interpretation des Rechts- und Pflichtenstatus nicht, weil diese Vorschrift die Gleichheit in den Ländern nicht per se gewährleistet habe, sondern ausdrücklich nur die Landesangehörigkeit, das heißt die in der Weimarer Republik noch bestehende Staatsangehörigkeit in den Ländern, als Differenzierungskriterium ausgeschlossen habe66. Hiergegen ist einzuwenden, daß die Festlegung auf das ausgeschlossene Differenzierungskriterium „Landesangehörigkeit" in Art. 110 WRV keine Rückschlüsse auf diejenigen Rechte und Pflichten zuläßt, bei denen das Differenzierungsverbot eingreift. Die von der Norm umfaßten Rechtsstellungen sind vielmehr von dem unzulässigen Differenzierungskriterium „Landes(staats)angehörigkeit" zu unterscheiden. Auch die Ausweitung auf sämtliche öffentlich-rechtlichen Rechte und Pflichten schließt die Landes(staats)angehörigkeit als unzulässiges Un59

Vgl. Gallwas, FG Maunz, S. 107. Bethge, AöR 110 (1985), S.210; Kunig in: v.Münch/Kunig, Art.33 Rn. 11. 61 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 6; Pfütze, Landeskinderklauseln, S. 14 ff. 62 Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, S.537; Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung, S.258f.; vgl. auch Bethge, AöR 110 (1985), S.210. 63 Parlamentarischer Rat, Ausschuß für Grundsatzfragen, 6. Sitzung (5. Oktober 1948), Der Parlamentarische Rat, Akten und Protokolle, Bd. 5/1, S. 130ff.; vgl. hierzu auch: v. Mangoldt/Klein, Art. 33 Anm. III 1; Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 19; zur Entstehungsgeschichte des Art.33 Abs. 1 GG auch: Pfütze, Landeskinderklauseln, S.50ff. 64 Ebenso: Gallwas, FG Maunz, S. 107; Maunz, GS Peters, S.558ff.; Hoffmann, AöR 81, 334f.; Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 6; Höfling in: Bonner Kommentar, Art.33 Abs. 1-3 Rn. 19; Pßtze, Landeskinderklauseln, S.54ff., 66ff.; Jachmann in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art.33 Rn. 1,5. 65 In: Dreier, Art.33 Rn.28. 66 So Lübbe-Wolffm: Dreier, Art. 33 Rn. 28. 60

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terscheidungskriterium nicht aus: Eine Anknüpfung an die Landes(staats)angehörigkeit kommt bei Zulassung zu Ausbildungseinrichtungen ebenso in Betracht wie bei „exklusiv mit der Staatsangehörigkeit verknüpften Rechte[n]"67. Mithin steht Art. 110 Abs. 2 WRV der extensiven Auslegung des Begriffs der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten nicht entgegen. Eine weitere Stütze findet die hiesige Interpretation in der teleologischen Auslegung. Die oben dargestellte Funktion des Art. 33 Abs. 1 GG, daß Landesfremde nicht „Bürger minderen Rechts"68 sein dürfen und ihnen deshalb der gleiche Rechtsund Pflichtenstatus wie Landesangehörigen einzuräumen ist, kommt nur Wirkkraft zu, wenn sämtliche Differenzierungen nach Landesangehörigkeit vermieden werden. Die Einengung der staatsbürgerlichen Rechte auf den Begriff des status activus würde die Bedeutung des Art. 33 Abs. 1 GG ungebührlich beschränken: „Wenn es Sinn der Vorschrift ist, die Existenz Staatsbürger minderen Ranges zu verhüten, so will sie das für alle Gebiete tun" 69 . Insofern ist der Begriff der staatsbürgerlichen Rechte auch nach der Sinngebung der Norm nicht auf die politischen Freiheiten des Staatsbürgers einzuengen70, sondern auf das gesamte Spektrum des öffentlichen Rechts auszuweiten71. Sachlich erfaßt damit Art. 33 Abs. 1 GG „das gesamte Rechtsverhältnis des Staatsbürgers zum Staat"72, Wahlrechte ebenso wie Bildungs- und Ausbildungsrechte, sozialrechtliche Ansprüche, Arbeits- und Steuer- und Dienstleistungspflichten sowie alle sonstigen öffentlich-rechtlichen (subjektiven) Rechte und Pflichten. b) Ermessensentscheidungen Als Konkretisierung von „Rechten und Pflichten" sind auch Ermessensentscheidungen von Art. 33 Abs. 1 GG erfaßt. Denn zwar wird durch Ermessensnormen nicht unmittelbar die Rechtsmacht eingeräumt, von Staat ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen zu verlangen 73, vielmehr besteht ein Entscheidungsspielraum, doch der einzelne hat einen Anspruch darauf, daß diese Entscheidung ermessensfehlerfrei erfolgt. Den Landesfremden steht nach Art. 33 Abs. 1 GG daher jedenfalls dieser Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu. Hierbei darf allerdings 67

So die Eingrenzung von Lübbe- Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 27. Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn.5; Gallwas, FG Maunz, S. 106. 69 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 6; in diesem Sinne auch Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 20. 70 Bethge, AöR 110 (1985), S.210; Jack, DÖV 1995, S.929. 71 Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 20. 72 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 6; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 11 f.; Bethge, AöR 110 (1985), S.210; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art.33 Rn.2; Löwer, WissR 1992, S. 41; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn.470; Isensee, HStR IV, §98 Rn.51; Jach, DÖV 1995, S. 929; Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 20. 73 So die Definition des subjektiv-öffentlichen Rechts, vgl. hierzu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 2. 68

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

nicht verkannt werden, daß dem Landesfremden dieses „gleiche Recht" auf ermessensfehlerfreie Entscheidung dann nicht hilft, wenn eine Differenzierung nach Landesangehörigkeit in der Ermessensentscheidung selbst zulässig bleibt. Maßgebliche Folgefrage ist mithin, ob die Landesangehörigkeit im Rahmen von Ermessensentscheidungen zulässiges Differenzierungskriterium ist oder auch dies durch Art. 33 Abs. 1 GG verwehrt wird, die Entscheidung also ermessensfehlerhaft wäre. Auch Ermessensentscheidungen bleiben Maßnahmen eines Hoheitsträgers, die nicht ohne rechtliche Bindung, sondern gerade im Rahmen und im Einklang mit der Rechtsordnung ergehen müssen. Auch innerhalb der Ermessensausübung haben die Hoheitsträger die sich aus vorrangigem Recht ergebenden Schranken zu beachten74 und bleiben an allgemeine Grundsätze gebunden75, denn nur dann kann von „pflichtgemäßem Ermessen" gesprochen werden 76. Als besonderer Gleichheitssatz verlangt Art. 33 Abs. 1 GG die umfassende Gleichstellung der Auswärtigen mit den Landeskindern 77 und verbietet insoweit jede Anknüpfung an die Landeszugehörigkeit 78 . Ein Gleichheitssatz bindet indes immer dort, wo Handlungsspielräume bestehen und folglich auch und gerade bei Ermessensentscheidungen79. Ist ein Differenzierungskriterium verfassungsrechtlich untersagt, so darf keine Entscheidung von ihm abhängig gemacht werden. Dies muß gleichermaßen für das Differenzierungsverbot des Art. 33 Abs. 1 GG gelten. Ob die Differenzierung nach der Landesangehörigkeit innerhalb einer ermessensgelenkten oder innerhalb einer gebundenen Entscheidung vorgenommen wird, macht für den Auswärtigen und für die Rechtsausübung keinen Unterschied, denn in beiden Fällen wird ihm bereits die Chance genommen, eine der den Landesbürgern entsprechende Rechtsposition zu erlangen. Der Sinn des Art. 33 Abs. 1 GG, Chancengleichheit im Bundesstaat herzustellen und die Existenz von Bürgern minderen Rechts zu verhindern, käme ebenfalls nicht zur Geltung, wenn die Behörde im Rahmen einer Ermessensentscheidung auf das Vorhandensein der Landesangehörigkeit abstellen dürfte. Dementsprechend sind auch Berechtigungen aus Ermessensnormen als „Rechte" im Sinne des Art.33 Abs. 1 GG zu erfassen 80.

74

BVerwGE 77, 188, 192. BVerfGE 69, 161, 169. 76 Vgl. BVerfGE 18, 353, 363. 77 Kisker, FS Bachof, S.53. 78 Bethge, AöR 110 (1985), S.211; Lübbe- Wolff in: Dreier, Art.33 Rn.27; Jach, DÖV 1995, S. 929; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33 Rn. 2. 79 Für Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 18,353,363; Heun in: Dreier, Art. 3 Rn. 47; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 34. 80 Ebenso: Sachs, HStR V, § 226 Rn. 112; Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 6 (mit der Einschränkung, daß die Landesangehörigkeit im Ermessensbereich dann als Gesichtspunkt herangezogen werden darf, wenn sie von der Sachgerechtigkeit her geboten ist); Pßtze, Landeskinderklauseln, S.70 ff.; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art.33 Rn.2; Hoffmann, AöR 81 (1956), S.335. 75

§ 2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

4. Konkretisierung

des Begriffs

177

„Landesangehörigkeit"

Von ungleich größerer Bedeutung für die Bestimmung der von Art. 33 Abs. 1 GG ausgehenden Schutzwirkung ist gegenüber den beiden vorgenannten Kriterien, welche Differenzierungskriterien der Landesgesetzgeber seiner Gesetzgebung nicht zugrunde legen darf. Denn die Beeinträchtigung wird bei besonderen Gleichheitsrechten durch die Verwendung des fraglichen Differenzierungskriteriums für staatliches Handeln begründet81. Dabei läßt sich ganz allgemein festhalten, daß Art. 33 Abs. 1 GG eine Ungleichbehandlung verbietet, die an die Zugehörigkeit zu einem anderen Bundesland anknüpft 82. Doch die Konkretisierung dessen wirft erhebliche Probleme auf: Was macht den Deutschen überhaupt zu einem „Landesangehörigen" eines bestimmten Bundeslandes? Während Einigkeit darüber besteht, daß der nur vorübergehende Aufenthalt hierzu nicht ausreicht, wird darüber hinaus ein weites Spektrum an in Betracht zu ziehender Kriterien diskutiert, von denen gleichzeitig der Bedeutungsgehalt des Art. 33 Abs. 1 GG abhängt. a) Landesstaatsangehörigkeit In seinem Anwendungsbereich stark eingeschränkt und für die Lösung der Landeskinderproblematik untauglich wäre Art. 33 Abs. 1 GG, wenn die Vorschrift allein die Anknüpfung an die Landesstaatsangehörigkeit verböte, denn eine eigene Staatsangehörigkeit gibt es in den deutschen Bundesländern nicht mehr 83. Zwar umschreibt die Landesstaatsangehörigkeit einen Rechtsstatus, der den Bezug des Inhabers zu seinem Lande umfassend definiert 84, doch als einziges verbotenes Anknüpfungskriterium im Sinne des Art. 33 Abs. 1 GG ist diese allerdings nicht ausreichend, will man der Vorschrift nicht allein eine Reservefunktion zuordnen 85. Steht folglich eine so starke Verengung des Anwendungsbereichs von Art. 33 Abs. 1 GG mit Blick auf Sinn und Zweck in Zweifel, bleibt die Frage, ob andere Abgrenzungskriterien justiziabel sind, oder, wie Lübbe-Wolff ausführt, der Bedeutungsgehalt der Vorschrift völlig unklar bleibt, weil „der dabei vorausgesetzte, nach der extensiven Auslegung aber nicht mit der Landesstaatsangehörigkeit gleichzusetzende Status der Angehörigkeit oder Zugehörigkeit zu einem Land als ein einheitlich definierter Rechtsstatus gar nicht existiert" 86.

81

Jarass, AöR 120 (1995), S. 365. Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 33 Rn. 3; Jach, DÖV 1995, S. 929. 83 Vgl. hierzu bereits oben sub A I 1. 84 Kisker, FS Bachof, S. 52. 85 Vgl. Kunig in: v.Münch/Kunig, Art.33 Rn.7; Bethge, AöR 110 (1985), S.210; Kisker, FS Bachof, S. 52; Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 29. 86 In: Dreier, Art.33 Rn.28. 82

12 Engels

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

b) Landesstaatsangehörigkeit gleichkommender Rechtsstatus Ausgangspunkt der Suche nach anderen Kriterien, die die Landesangehörigkeit im Sinne des Art. 33 Abs. 1 GG ausdrücken, muß der durch die Vorschrift zum Ausdruck gebrachte Gedanke sein, daß grundsätzlich eine Anknüpfung an materielle „Landeszugehörigkeit" 87, die eine besondere Beziehung des Bürgers zu dem betreffenden Land zum Ausdruck bringt 88 , verboten ist. Art. 33 Abs. 1 GG verfolgt den Zweck, ein besonderes Näheverhältnis zu einem Bundesstaat - wie es prinzipiell durch eine Landesstaatsangehörigkeit begründet würde - als Grundlage gliedstaatlicher Differenzierung zu untersagen89. Es liegt mithin nahe, die inhaltliche Umschreibung einer nicht existenten formellen Landesstaatsangehörigkeit als Prüfungsmaßstab zu wählen90. Damit sind Differenzierungskriterien ausgeschlossen, die an personale Bindungen der Menschen an ein Land anknüpfen, die auch der Gesetzgeber zum Inhalt von Landesstaatsangehörigkeitsregelungen machen würde 91, ihnen also materiell entsprechen92. In diesem Sinne wird von einem der Landesstaatsangehörigkeit „gleichkommenden Rechtsstatus" gesprochen93. Demzufolge untersagt die Vorschrift Ungleichheiten, „welche den nicht existenten formellen Bändern einzelstaatlicher Staatsangehörigkeit entsprächen"94. Ausschlaggebend ist, ob das Differenzierungskriterium auf eine „besondere Nähebeziehung" abhebt, womit freilich die Frage im Raum steht, wann dies der Fall ist. Dies läßt sich nur beantworten, indem einzelne Bezugspunkte auf diese Wirkung hin überprüft werden. aa) Geburt/Abstammung/Ehe Eine personale Bindung an ein Land wird insbesondere durch Geburt in einem Land begründet95. Dementsprechend gebietet es Art. 33 Abs. 1 GG, daß die von einem Bundesland zur Rechtsbegründung statuierten Voraussetzungen für alle dort Lebenden Anwendung finden, ohne Rücksicht darauf, ob sie dort geboren oder zugewandert sind 96 . Denn ist eine Rechtsstellung in einem Bundesland von der Geburt im jeweiligen Hoheitsgebiet abhängig, so hat dies zur Folge, daß derjenige, der sein 87 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 6; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 33 Rn.3; Bethge, AöR 110 (1985), S.211; Kunig in: v.Münch/Kunig, Art.33 Rn. 12. 88 Fastenrath, JZ 1987, S. 176. 89 Pßtze, Landeskinderklauseln, S.88, 117. 90 Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 30. 91 So Sachs, ZBR 1994, S. 141; Kisker, FS Bachof, S.52; Bethge, AöR 110 (1985), S.211. 92 Pßtze, Landeskinderklauseln, S. 89. 93 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn.5; Kisker, FS Bachof, S.52; Bethge, AöR 110 (1985), S.211. 94 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 7. 95 Sachs, ZBR 1994, S. 141; ders., HStRV, § 126 Rn. 111 ; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art.33 Rn. 3; Herdegen, HStR IV, § 97 Rn. 8. 96 So Model/Müller, Art. 33 Anm. 1.

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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Geburtsland verlassen und Wohnsitz in einem anderen begründet hat, in diesem Land gegenüber den dort Geborenen schlechter gestellt wird: Ihm werden nämlich nicht die gleichen Rechtspositionen zugestanden wie den im Land Geborenen und er ist folglich „Bürger minderen Rechts"97. Insofern läuft die Anknüpfung an die Geburt in einem Land dem Zweck des Art. 33 Abs. 1 GG zuwider und ist als ein Näheverhältnis begründendes Merkmal zu qualifizieren, an das anzuknüpfen der Landesstaatsgewalt untersagt ist. Die praktische Bedeutung dieses Kriteriums erscheint angesichts dessen, daß die bisherig bekannt gewordenen Einheimischenprivilegierungen hieran nicht anknüpfen, eher gering. Ein verbotenes Differenzierungskriterium ist in Anlehnung an familienrechtliche Erwerbsgründe der Landesstaatsangehörigkeit gleichsam die Abstammung von oder die Ehe mit einem Landesangehörigen98. Auch die hieran orientierte Unterscheidung degradiert den von einem Landesfremden Abstammenden und nicht mit einem Landesangehörigen Verheirateten zu einem „Bürger minderen Rechts". Mithin ist dies sicherlich ein Kriterium, an das nach Art. 33 Abs. 1 GG nicht angeknüpft werden darf. Doch steht dies „in zweiter Reihe" und entbindet nicht von der Frage, was einen Landesangehörigen eigentlich ausmacht. Denn solange nicht geklärt ist, was den einzelnen überhaupt zum Landesanghörigen respektive Landesfremden macht, kann auch die Abstammung oder Heirat mit ihm kein sinnvolles Abgrenzungskriterium für eine Nähebeziehung im Sinne des Art. 33 Abs. 1 GG sein99 und daher zur Lösung der Landeskinderproblematik nicht wesentlich beitragen. bb) Wohnsitz im Land Als weiteres, die Nähebeziehung begründendes Kriterium kommt der Wohnsitz in einem Bundesland in Betracht, welcher zugleich auch das praktisch häufigste Anknüpfungskriterium der Landeskinderbegünstigungen ist. So gibt es im Bundesstaat Staatsvölker des Bundes und der einzelnen Länder, wobei das Landesstaatsvolk als die im Bereich des Landes lebenden - also wohnenden - Deutschen definiert wird 100 . Denn aufgrund fehlender Landesstaatsangehörigkeitsregelungen und damit 97 Hierbei ist es ungenau, wenn Pfiitze, Landeskinderklauseln, S. 122, von einem Rechtsverlust spricht, den der Betroffene mit dem Gebrauchmachen von seiner Freizügigkeit erleidet. Darauf, ob ihm die Rechte, die ihm in seinem Geburtsland zustanden, verlorengehen, kommt es bei Art. 33 Abs. 1 GG nicht an. Denn diese Folge könnte auch eintreten, wenn das Geburtsland Rechte eingeräumt hat, die das Zuzugsland überhaupt nicht - auch nicht den dort Geborenen! - gewährt. Entscheidend ist damit nur, ob die Rechte, die in dem „neuen" Bundesland den dort Geborenen gewährt werden, ihm auch zustehen (vgl. Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 33 Rn. 8). Dies betont Pfitze, Landeskinderklauseln, S. 123, in bezug auf Rechtspositionen mit landesspezifischer Bedeutung selbst. 98 Sachs, ZBR 1994, S. 141; ders., AöR 108 (1983), S. 83; Herdegen, HStR IV, § 97 Rn. 8. 99 Vgl. Pfiitze, Landeskinderklauseln, S. 120, die zugleich die praktische Relevanz in Frage stellt. 100 BVerfGE 83, 37, 53; Grawert, Verfassung NW, Art.2 Erl. 1; ders., HStRI, § 14 Rn.25; Hoffmann, AöR 81 (1956), S.339; Bornemann, BayVBl. 1979, S.749f., entnimmt aus derZu-

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

in Ermangelung förmlicher Erwerbstatbestände besteht die Notwendigkeit einer „Veräußerlichung" 101, die in der Ansässigkeit im Landesgebiet gesehen wird, da damit eine „De-facto-Landeszugehörigkeit" 102 begründet wird. Auch in Art. 75 Abs. 2 rh-pf. Verf. werden die rheinland-pfälzischen Staatsbürger als alle Deutschen definiert, die in Rheinland-Pfalz wohnen oder sich dort gewöhnlich aufhalten. Dieses Ergebnis ist ebenso sachgerecht im Rahmen des Art. 33 Abs. 1 GG: Die dort vorausgesetzte besondere Nähebeziehung wird grundsätzlich zu dem Land bestehen, in dem sich der Lebensmittelpunkt des einzelnen befindet. Mit der Hauptwohnsitznahme wird jedoch nicht nur der Ort des Wohnens und Schlafens festgelegt, sondern auch der „Schwerpunkt der Lebensbeziehungen" bestimmt103. Der Hauptwohnsitz setzt damit ein äußeres Zeichen für das Vorhandensein des Lebensmittelpunktes, der die Verbundenheit zum jeweiligen Landesgebiet ausdrückt 104. Wenn Sachs Differenzierungen nach Wohnsitz deshalb für zulässig hält, weil Art. 33 Abs. 1 GG nur „dauerhafte personale Bindungen" von Menschen an ein Land, wie beispielsweise Geburt oder Abstammung erfasse 105, so wird verkannt, daß der Wohnort möglicherweise eine viel dauerhaftere und intensivere Bindung begründet, als ein vielleicht zufälliger Geburtsort oder die Landesangehörigkeit der Eltern 106 . Dies spricht dafür, auch im Hauptwohnsitz ein Kriterium zu erblicken, das Grundlage einer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Land sein kann 107 und daher eine Anknüpfung an den Wohnsitz im Land als für mit Art. 33 Abs. 1 GG nicht vereinbar zu halten. Gleichwohl vertritt Pßtze die Ansicht, daß eine Unterscheidung nach der Art des Regelungsgegenstandes vorzunehmen sei: Nur wenn diesem landesübergreifende Bedeutung zukomme, begründe der Wohnort eine Landesangehörigkeit, während er hierzu bei nur landesspezifischen Rechtspositionen nicht in der Lage sei 108 . Dabei beruft sie sich vorrangig auf den Art. 33 Abs. 1 GG beigemessenen Zweckgesichtspunkt „Zugehörigkeit zum Gesamtstaat"109, in der sie das entscheidende „personale sammenschau von Art. 71 bay. Verf. und dem Wahlsystem die Geltung des Domizilprinzips zur Begründung der bay. Staatsangehörigkeit und folgert daraus, daß jeder Deutsche, der in einem Bundesland seinen Wohnsitz hat, Staatsangehöriger des betreffenden Landes ist; Maurer, Staatsrecht, § 8 (In. 3. 101 Hoffmann, AöR 81 (1956), S.339. 102 Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 52. 103 Vgl. § 12 I I MRRG, § 16 I I MeldeG NW. 104 Vgl. Herdegen, HStR IV, § 97 Rn. 8. 105 ZBR 1994, S. 141; HStR V, § 126 Rn. 113. 106 Wobei auch hier die Frage offen bleibt, wonach sich diese bestimmen soll. 107

So auch Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 7; Pieroth in: Jarass/Pieroth (4. Aufl.), Art. 33 Rn. 2; v. Münch, Staatsrecht, Rn. 490; Ridder in: Alternativkommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 11: „uno actu mit seiner Niederlassung"; a. A. ohne Begründung: BVerwG, NVwZ 1983, S.224. 108 Landeskinderklauseln, S. 127 ff. 109 Landeskinderklauseln, S. 118 f., 129.

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Element" für die Begründung des gemeinsamen Indigenats erkennt. Dabei knüpft sie an §§ 131-134 PkV an, ohne darzutun, daß dieses Motiv auch Art. 33 Abs. 1 GG beherrscht. Doch auch wenn dieses Motiv unterstellt wird, ist es nicht nachvollziehbar, warum dieses bei der Anknüpfung an die Geburt in einem Land nicht maßgeblich sein soll 111 . Nach Pfitze soll es indes in diesen Fällen allein darauf ankommen, daß die auswärtig Geborenen innerhalb des Landes zu „Bürgern minderen Rechts" degradiert werden 112. Soweit ein „personales Element" der Gesamtstaatsangehörigkeit angenommen wird und damit von Art. 33 Abs. 1 GG nur Rechte mit gesamtstaatlicher Bedeutung umfaßt sein sollen, muß dies für alle Anknüpfungskriterien gelten, so daß der Hinweis auf die Irreversibilität der „Geburt im Land" hierüber nicht hinweghelfen kann. Überdies ist unklar, wie die Bestimmung der „landesübergreifenden" Bedeutung eines Rechts erfolgen soll. Als Maßstab nennt Pfütze, daß diese Rechtspositionen „i. d. R. in allen Ländern, allenfalls mit Unterschieden im Detail, ausgestaltet"113 seien, während Rechtspositionen von landesspezifischer Bedeutung „ - entweder landesverfassungsrechtlich oder einfachgesetzlich - durch die Landeshoheitsgewalt konstituiert" 114 würden. Inwieweit die Länder eine Rechtsposition eröffnen, ist von mannigfaltigen (politischen) Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig und kann daher nicht Maßstab für eine landesübergreifende, gesamtstaatliche Bedeutung sein. Insofern ist der Unterscheidung nach „gesamtstaatlicher Bedeutung", begrenzt auf das Merkmal des Wohnsitzes, nicht zuzustimmen. Auch der Wohnsitz ist damit grundsätzlich maßgebliches Kriterium für eine Nähebeziehung zu einem Land. Zu erwägen ist jedoch, ob die Nähebeziehung, die Art. 33 Abs. 1 GG eine bestimmte Mindestdauer des Wohnsitzes voraussetzt 115. Danach wären Differenzierungen erst bei einem Anknüpfen an eine bestimmte Dauer des Wohnsitzes nach Art. 33 Abs. 1 GG untersagt. So begründet Kisker die geforderte besondere Nähebeziehung zu einem Land mit einem langjährigem Wohnen im Lande, das erst auf einen intensiven Bezug zum Land schließen lasse116, und auch Battis stellt fest, daß ein Voraussetzen einer mindestens dreimonatigen Wohnsitznahme wie beispielsweise § 1 Nr. 3 WahlG NW, noch nicht gegen Art. 33 Abs. 1 GG verstößt 117. Indes vermag es nicht zu überzeugen, kumulativ zur Wohnsitznahme ein wie auch immer definiertes Zeitelement zu fordern. Zur Bestimmung der Nähebeziehung 110

Landeskinderklauseln, S. 119. Landeskinderklauseln, S. 122ff.; vgl. daher Löwer, WissR 1992, S.43, der es insgesamt für sachgerecht hält, bei Sachverhalten, die keinen grenzüberschreitenden Charakter haben, eine Landesstaatsvolkradizierung zuzulassen. 112 Landeskinderklauseln, S. 123. 113 Landeskinderklauseln, S. 121. 114 Landeskinderklauseln, S. 122. 115 So jetzt wohl auch Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 33 Rn. 3; unklar Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33 Rn. 7. 116 FS Bachof, S. 52. 117 In: Sachs, Art.33 Rn.18. 111

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muß der Aufenthalt allein auf eine Längerfristigkeit gerichtet sein. Auch mit der Erstwohnsitznahme wird der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen neu bestimmt und somit grundsätzlich bereits eine längerfristige Beziehung zu einem Land begründet 118. Denn es ist regelmäßig davon auszugehen, daß eine Hauptwohnsitznahme nicht nur vorübergehend, sondern auf eine gewisse Dauer angelegt ist, da sie regelmäßig aus beruflichen oder familiären Gründen veranlaßt ist. Sie ist daher klar von einem nur kurzfristigen Aufenthalt, der bloßen Durchreise oder einer Unterkunft in einem Hotel abzugrenzen. Wahrend letzteres keine besondere Bindung zu einem Land begründen kann, ist die Verlegung des Lebensmittelpunktes durch Hauptwohnsitznahme der Beginn einer Nähebeziehung zu einem Land, die zwar im Laufe der Zeit intensiviert wird, aber doch mit diesem Zeitpunkt bereits besteht. So zeigt auch der Blick auf § 7 BGB („Wer sich an einem Orte ständig niederläßt,...") in Verbindung mit § 8 BGB, der die Geschäftsfähigkeit für die Begründung des Wohnsitzes voraussetzt, daß der Wohnsitz in dem Moment begründet wird, in dem die tatsächliche Niederlassung mit dem Willen erfolgt, dort ständig zu leben 119 . Maßgeblich ist mithin die Absicht zum längerfristigen Aufenthalt und nicht, ob die Niederlassung im tatsächlichen Ergebnis von Dauer ist. So wird sich jeder Zugezogene, mag er sich auch innerlich noch einem anderen Land zugehörig fühlen, mit Verlegung des Wohnsitzes nunmehr formal als „Landesangehöriger" bezeichnen. Das nordrhein-westfälische Meldegesetz stellt noch weitergehend allein auf den äußeren Umstand der Wohnens ab. Als Hauptwohnsitz legt § 16 die vorwiegend benutzte Wohnung fest, gemäß § 13 bereits ab dem Zeitpunkt des Beziehens der Wohnung. Denn eine ensprechende Erklärung muß der Zuziehende bereits bei der Anmeldung abgeben. Demnach wird die Eigenschaft als Hauptwohnung nicht erst nach Ablauf einer bestimmten Frist begründet. Gleiches gilt für die „Einwohner-Eigenschaft" im Sinne des § 21 der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung, der an den melderechtlichen Wohnungsbegriff anknüpft und mithin auch den äußeren Tatbestand des Wohnens ausreichen läßt 120 . Folglich erscheint es nicht sachgerecht, zur Begründung der Nähebeziehung eine bestimmte „Wohnsitzdauer" vorauszusetzen, um den Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 1 GG zu eröffnen. Somit ist der Wohnsitz - unabhängig von seiner Dauer - unzulässiges Unterscheidungskriterium im Sinne dieser Vorschrift 121.

118 Vgl. bereits Hoffmann, AöR 81 (1956), S.334, der ebenfalls die Begründung des auf Dauer angelegten Wohnsitzes für den Erwerb der Landesangehörigkeit ausreichen läßt. 119 „Domizilwille", vgl. Heinrichs in: Palandt, §7 Rn.7. 120 Rehn/Cronauge/v. Lennep, Gemeindeordnung NW, § 21 Erl. I. 121 Zur notwendigen Einschränkung des Anwendungsbereichs sogleich sub 5.

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cc) Im Land erworbener Vorbildungsnachweis Fraglich ist dagegen, ob Art. 33 Abs. 1 GG auch das Anknüpfen an einen im Land erworbenen Vorbildungsnachweis verbietet 122. Dies wird mit Hinweis darauf bejaht, daß derjenige, der einen im Land erworbenen Vorbildungsnachweis besitzt, in der Regel längere Zeit im Lande wohnen und somit zum Lande in einer der Landesstaatsangehörigkeit vergleichbaren Dauerbeziehung stehen wird 123 . Es liegt sicherlich nahe, territorial verankerte Anknüpfungspunkte, die mit den herkömmlicherweise die Landeszugehörigkeit begründenden Merkmalen in engem Zusammenhang stehen, diesen gleichzustellen124. Die erforderliche Nähebeziehung enthält jedoch ein Element der „persönlichen Bindung", die zwar durch Geburt, Abstammung oder Wohnsitznahme begründet, aber durch das bloße Ablegen einer Prüfung nicht vermittelt werden kann 125 . Zwar ist zuzugeben, daß Wohnort und Ausbildungsstätte und damit auch das Land, in dem eine Qualifikation erworben wird, vielfach zusammenfallen, dennoch begründet allein der Wohnort und der damit verbundene Lebensmittelpunkt die geforderte persönliche Nähebeziehung126. Die dort absolvierte Ausbildung ist nicht Kriterium für eine Nähebeziehung, sondern regelmäßig nur Folge dieser. So begründet ein „Grenzgänger", der seine Ausbildung zufällig in einem anderen Bundesland absolviert, zu diesem keine dem Lebensmittelpunkt vergleichbare Nähebeziehung. Es handelt sich bei der Unterscheidung zwischen landesintern/landesextern erworbenem Vorbildungsnachweis überdies nicht um eine differenzierte Behandlung von Landesangehörigen und Landesfremden, es wird vielmehr ein bestimmter Kenntnisstand vorausgesetzt, der - berechtigt oder unberechtigt - allein dem Vorbildungsnachweis im Land zugeschrieben wird 127 . Daß mit der Anknüpfung an den Vorbildungsnachweis unter Umständen das gleiche erreicht werden soll, wie bei der Anknüpfung an den Wohnort, nämlich eine Begünstigung auf die im Land Wohnhaften zu beschränken, kann hierüber nicht hinweghelfen. Das Unterscheidungsverbot des Art. 33 Abs. 1 GG erfaßt nur die Anknüpfung an einen persönlichen Bezug von Menschen an ein Land. Sonst käme man zu dem merkwürdigen Ergebnis, daß ein seit Jahren in einem Land Wohnender, der als „Grenzgänger" oder im Wege des Fernstudiums eine Prüfung in einem anderen Land absolviert hat, im Rahmen des Art. 33 Abs. 1 GG als „landesfremd" eingestuft 122 So Kisker, FS Bachof, S. 52 f.; wohl auch Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33 Rn. 10, unter Hinweis auf Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 41, der aber die Pflicht zur Anerkennung auswärtiger Abschlüsse nicht auf Art. 33 Abs. 1 GG stützt, sondern aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens sowie Artt. 11 und 12 Abs. 1 GG folgert. 123 Kisker, FS Bachof, S. 52. 124 Vgl. Gallwas, FG Maunz, S. 110. 125 Vgl. Pßtze, Landeskinderklauseln, S. 133. 126 So auch Pßtze, Landeskinderklauseln, S. 133, die zutreffend daraufhinweist, daß man kaum eine Nähebeziehung des Absolventen einer Exernenpriifung oder eines Fernstudiums zu dem Land annehmen kann, in dem sich die Prüfungsstelle befindet. 127 Hoffmann, AöR 81 (1956), S.336.

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würde. Andere Differenzierungskriterien, mögen sie im praktischen Ergebnis auch und gerade die nicht im Land Wohnenden beeinträchtigen, sind demnach nicht an Art. 33 Abs. 1 GG, sondern an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Sie treffen nämlich im Kern Landesangehörige und Landesfremde gleichermaßen. dd) Zwischenergebnis Nach dem Gesagten sind als verbotene Differenzierungskriterien im Sinne des Art. 33 Abs. 1 GG die personalen Abstammungskriterien (Geburt, Abstammung von Landesangehörigen, Heirat) sowie die Hauptwohnsitznahme zu festzuhalten. 5. Einschränkungen des Anwendungsbereichs Gleichwohl zeigt die hohe Anzahl an Regelungen, bei denen die Notwendigkeit besteht, an die Landesangehörigkeit, insbesondere an den Wohnsitz im Land anzuknüpfen (beispielsweise Wahlgesetze, Steuergesetze),, daß eine Einschränkung des so weit gezogenen Anwendungsbereichs geboten ist. Es ist nicht Ziel des Art. 33 Abs. 1 GG, daß jeder Deutsche in jedem Land (gleichzeitig) wahlberechtigt ist, genauso wenig kann jeder Deutsche in jedem Land (gleichzeitig) steuerpflichtig sein. Die Möglichkeit der Länder, Rechte und Pflichten auf Landesangehörige zu beschränken, ist durch die bundesstaatliche Struktur vielmehr vorgezeichnet. Müssen folglich bestimmte Regelungen an eine Bindung an ein Bundesland anknüpfen, so ist eine sachgemäße Differenzierung zwischen zulässiger und nicht zulässiger Anknüpfung zu suchen, unter deren Voraussetzung die Einschränkung des Anwendungsbereiches erfolgen kann. a) „Natur der Sache" Der Anwendungsbereich wird von einigen Autoren eingeschränkt unter Hinweis auf eine sich „aus der Natur der Sache" ergebende, „notwendige" Anknüpfung an eine räumliche Dauerbeziehung zum Lande, derzufolge nicht jede Differenzierung zwischen Einheimischen und Auswärtigen ausgeschlossen sei 128 . Bejaht wird dies für Steuer- und Wahlgesetze, offen gelassen wird aber, wann abstrakt gesprochen eine Differenzierungsbefugnis aus der „Natur der Sache" hergeleitet und inwieweit diese von bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen abgegrenzt werden kann. Solange hierfür keine näheren Kriterien angegeben werden, ist dieser Ansatz aus Gründen der Rechtssicherheit Bedenken ausgesetzt129. Soweit sich die „Natur der Sache" aus anderen verfassungsrechtlichen Erwägungen ergibt, kann die Beschränkung des 128 129

Bethge, AöR 110 (1985), S.211; ebenso Seifert/Hömig, So auch Pßtze, Landeskinderklauseln, S.99f.

Art.33 Rn.2.

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Anwendungsbereichs des Art. 33 Abs. 1 GG schon unter diesen Gesichtspunkten erfolgen, eines Rückgriffs auf die „Natur der Sache" bedarf es nicht. b) Sachgerechtigkeit Häufig wird auch für Art. 33 Abs. 1 GG das Kriterium der „Sachgerechtigkeit" angeführt, aus der sich die Legitimation einer Anknüpfung an die Landesangehörigkeit ergeben soll 130 . Auch für Art. 33 Abs. 1 GG gelte, daß er „sachgerechte Anforderungen nicht ausschließt"131. Soll also die „Sachgerechtigkeit" Maßstab für eine zulässige Differenzierung sein, so drängt sich gleichsam die Frage auf, wann eine solche Sachgerechtigkeit anzunehmen ist. Orientiert am sachlichen Grund des Art. 3 Abs. 1 GG käme jede vernünftige Erwägung in Betracht. Damit ginge der Bedeutungsgehalt des Art. 33 Abs. 1 GG aber letztlich über den flexiblen Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht hinaus 132 . Insofern wird die allgemeine Formel der sachlichen Begründung der Wertigkeit der Vorschrift als besonderem Gleichheitssatz nicht gerecht, so daß eine Einschränkung des Anwendungsbereichs hierauf nicht gestützt werden kann. c) „Instrument" der Besserstellung Einheimischer Gallwas 133 erklärt mit Blick auf die Wirkung der Differenzierung diejenigen Regelungen für unzulässig, die „den Einheimischen dadurch Chancen sichert und eröffnet, daß sie anderen, landesfremden Deutschen trotz im übrigen im wesentlichen gleicher Bedingungen vom Zugang zu diesen Chancen generell ausschließt oder den Zugang erheblich erschwert". Kennzeichnend hierfür sei der Umstand, daß der Ausschluß der Landesfremden ein „Instrument für die Besserstellung der Einheimischen" 134 bilde und insofern „auf Kosten" anderer Deutscher erfolge. Unbedenklich seien aber Differenzierungen, die, ohne die in einem Sozialstaat zu fordernde Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Lebensverhältnisse zu beeinträchtigen, der klassischen Aufgabe der Bundesstaatlichkeit deutscher Prägung, nämlich der Bewahrung regionaler Vielfalt diene 135 . Letztlich wägt Gallwas die Interessen des Landes an der Regelung gegenüber der Benachteiligung des Landesfremden ab, und kommt so zu dem Ergebnis, daß gegen eine Differenzierung, wonach nur ein 130 Herdegen, HStR IV, § 97 Rn. 10; Brinkmann, Art. 33 Anm. 1 e); Maunz in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 7; Pieroth in: Jarass/Pieroth (4. Aufl.), Art. 33 Rn. 2; Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 18; Unterpaul, Landeswahlrecht, S. 148 in bezug auf Art. 8 Bay. Verf.; Wilmowski, UPR 1987, S. 175.; Löwer, WissR 1992, S.43; Jach, DÖV 1995, S.929. 131 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn.7. 132 So zutreffend Lübbe- Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 28. 133 FG Maunz, S.112f. 134 FG Maunz, S. 113. 135 Gallwas, FG Maunz, S. 113.

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Bayer zum Ministerpräsidenten Bayerns gewählt werden kann, wohl wenig einzuwenden sei 136 . Ist diesem praktischen Ergebnis auch der Sache nach zuzustimmen, so übersieht der Begründungsansatz jedoch, daß Art. 33 Abs. 1 GG der Bewahrung regionaler Vielfalt grundsätzlich nicht im Wege steht: Die Vorschrift verlangt gerade nicht, daß die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten in allen Ländern gleich geregelt sein müssen137. Die Länder werden nicht gehindert, Rechte einzuräumen, die andere Länder nicht vorsehen (insofern besteht keine Anpassungspflicht); sie dürfen diese nur nicht auf Landesangehörige beschränken138. Eine solche Verpflichtung würde die „kolorierte Staatlichkeit"139 nur dann verhindern, wenn die Länder von der Einräumung dieses Rechts absehen würden oder müßten140. Gerade diese Folge nimmt Löwer 141 an, der davon ausgeht, daß die Länder, vor die Entscheidung „Jedem oder Niemandem" gestellt, sich mit Rücksicht auf die Grenzen ihrer Leistungskraft zur zweiten Möglichkeit gedrängt sehen würden. Der Entscheidungsrahmen „Jedem oder Niemandem" ist freilich zu eng gesteckt. Art. 33 gebietet es nicht, jedem möglichen Bewerber ein Recht zu gewähren, sondern verbietet einzig die Differenzierung nach der Landesangehörigkeit beziehungsweise einem ihr gleichkommenden Rechtsstatus. Durch jedes andere - zulässige - Differenzierungskriterium (zum Beispiel: Notendurchschnitt, Wartezeit, Bestehen einer Aufnahmeprüfung) könnte der Umfang der Gewährungen wirksam beschränkt werden und somit die Funktionsfähigkeit und Leistungsfähigkeit erhalten bleiben. Die von Gallwas vorgenommene Qualifizierung als „Instrument der Besserstellung Einheimischer" kann aber auch aus anderen Gründen nicht überzeugen. Damit käme es nämlich darauf an, ob der Landesgesetzgeber die Differenzierung als Mittel zur Besserstellung (eben als „Instrument") einsetzt und damit würde letztlich der Zweck der landesgesetzlichen Regelung über Anwendung beziehungsweise Nichtanwendung des Art. 33 Abs. 1 GG entscheiden. Im Ergebnis bewirkt aber jede Differenzierung zugunsten Einheimischer eine Andersbehandlung und folglich eine Besserstellung dieser Personengruppe. Daß diese Bevorzugung in bestimmten Fällen - etwa bei der Anhebung der Zulassungschancen bei einheimischen Studienbewerbern - „auf Kosten" Landesfremder erfolgt, setzt schon eine andere Überlegung denknotwendig voraus: Bei der Hochschulzulassung kommen prinzipiell alle Bürger der Bundesrepublik, die die Hochschulreife besitzen, als Bewerber in Betracht, 136

FG Maunz, S. 113. BVerwG, NVwZ 1993, S.56; Höfling in: Bonner Kommentar, Art.33 Abs. 1-3 Rn.24; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 33 Rn. 5. 138 Vgl. Pßtze, Landeskinderklauseln, S. 110. 139 Gallwas, FG Maunz, S. 113. 140 So Gallwas, FG Maunz, S. 113: „Im übrigen müßte oder würde ein Land womöglich von einer Ausbildungsförderung und damit von einer eigenen Verwirklichung des Sozialstaatsgedankens Abstand nehmen, wenn es aus Rechtsgründen gehalten wäre, die Förderung breiter zu streuen." Dies übersieht Pßtze, Landeskinderklauseln, S. 110f. in ihrer Argumentation. 141 WissR 1992, S.42. 137

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und deshalb geht die Bevorzugung Einheimischer bei beschränkter Kapazität zu Lasten der Auswärtigen. Die ihnen an sich eingeräumte Möglichkeit der Teilhabe würde durch die Bevorzugung eingeschränkt beziehungsweise auf Null reduziert. Ob die Landesfremden aber überhaupt als Berechtigte in Betracht kommen, folgt indes aus anderen verfassungsrechtlichen Wertungen 142, so daß es auf das Merkmal „auf Kosten" nicht ankommt. d) Verfassungsrechtlich „relevante" Differenzierung Als Lösung bietet sich ein Rückgriff auf das auch schon beim allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG maßgebliche Kriterium der „verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung"143 an. Als spezielle Ausprägung des die Verfassung bestimmenden Gleichheitsgedankens können auch im Rahmen des Art. 33 Abs. 1 GG nach Sinn und Zweck dieser Norm nur diejenigen Differenzierungen als unzulässig eingestuft werden, die verfassungsrechtliche Relevanz aufweisen. Mit Blick auf den Grundsatz der Einheit der Verfassung, nach dem sich das Grundgesetz als ein geschlossenes Ganzes darstellt, kann es nicht Sinn und Zweck des Art. 33 Abs. 1 GG sein, Differenzierungen zu verbieten, die von der Verfassung an anderer Stelle zwingend vorausgesetzt werden. Die wichtigste verfassungsrechtlich vorgegebene Differenzierung nach Landesangehörigkeit ist die bereits aufgezeigte Kongruenz zwischen Gesetzgebungshoheit und Hoheitsgebiet144, der Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz auf den Bereich, in dem sich die Staatsgewalt über die dort lebenden Menschen entfaltet („Schauplatz der Herrschaft" 145). Diese territorial beschränkte Hoheitsgewalt der Länder bringt notwendigerweise eine Anknüpfung an sachgerechte territoriale Kriterien (zum Beispiel: Wohnsitz) mit sich und bedingt schon eine Differenzierung, die durch die Staatsqualität der Länder legitimiert wird 146 . Dieser Aufteilung von 142

Hierzu sogleich unter d). Vgl. oben zu Art. 3 Abs. 1 GG: 2. Teil § 1Β II. 144 Vgl. zur Geltung des Territorialitätsprinzips bereits oben § 1Β11. Für die Heranziehung der beschränkten Hoheitsgewalt zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des Art. 33 Abs. 1 GG grundsätzlich auch Brinkmann, Art. 33 Anm. I l e ) : „Darüber, welcher Anknüpfungspunkt zulässig ist, sagt Art. 331 nichts. Dies beurteilt sich insbesondere nach der räumlich beschränkten Gebietshoheit der Länder.."; Fastenrath, JZ 1987, S. 176: „territorial beschränkte Hoheitsgewalt"; Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 32, der aufgrund der „auf das Landesstaatsgebiet begrenzten Geltungskraft von Akten der Landesstaatsgewalt" einerseits territoriale Kriterien - ζ. B. Ansässigkeit - grundsätzlich als nicht vom Schutzbereich des Art. 33 Abs. 1 erfaßt ansieht (vgl. Rn. 32,43), andererseits die Differenzierung der Finanzhilfe an Schulen in freier Trägerschaft nach dem Wohnort der Schüler sowie den Landeskinderbonus beim Hochschulzugang als nicht mit Art. 331 vereinbar einstuft (Rn. 36); vgl. auch: Jachmann in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33 Rn. 4. 145 Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 87. 146 Matthey in: v. Münch (2. Aufl.) Art. 33 Rn. 10; Hoffmann, AöR 81 (1956), S. 333; Fastenrath, JZ 1987, S. 176; Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 32; vgl. auch Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33 Rn. 8. 143

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Aufgaben und Zuständigkeiten auf die Bundesländer liegt eine Machtzergliederung zugrunde, die erst die bundesstaatliche Gewaltenteilung und -balance herbeiführt und gleichzeitig der Vermeidung von Kompetenzkonflikten dient 147 . Zulässige Ausgestaltungen erfahren die Rechte und Pflichten in den Ländern folglich durch die nur jeweils einem bestimmten Land eigenen Merkmale des besonderen Staatsgebildes wie Landesgebiet, Landesangehörige und Landesgewalt148. Das bundesstaatliche System der geteilten Staatsgewalt hat zur Folge, daß jedes Bundesland grundsätzlich nur innerhalb des eigenen Kompetenzbereichs öffentliche Aufgaben - unabhängig von der jeweiligen Handlungsform - wahrnehmen darf. Der Regelungsgegenstand muß sich auf eine Landesmaterie beziehen149, die Kompetenz ist gleichzeitig Grund und Grenze staatlichen Handelns. Dementsprechend berechtigen und verpflichten Landesregelungen grundsätzlich nur diejenigen, die in den staatlichen Machtbereich fallen. Die rechtlichen Folgen dieses als Ausdruck der Staatsqualität der Länder von der Verfassung vorausgesetzten Systems kann daher nicht gleichzeitig eine unzulässige Benachteiligung nach Art. 33 Abs. 1 GG begründen. Verstärkung erfährt dieser Gedanke dadurch, daß Art. 33 Abs. 1 GG dem Landesgesetzgeber nur eine Erstreckung der Rechte und Pflichten auf Landesfremde abverlangen kann, die ihm im Rahmen seiner Regelungshoheit überhaupt rechtlich möglich ist. Demzufolge setzt jede relevante Differenzierung die verfassungsrechtliche Möglichkeit einer Gleichbehandlung denknotwendig voraus, die dann nicht besteht, wenn die Differenzierung bereits durch die territorial beschränkte Hoheitsgewalt begründet wird. Ist der Landesgesetzgeber schon hierdurch gehindert, seine Regelung auf Landesfremde zu erstrecken, so begründet er keine Unterscheidung, sondern knüpft nur an eine verfassungsrechtlich „vorgefundene" Differenzierung an, füllt diese aus. Ist der „Kreis der Berechtigten" also schon aufgrund anderer verfassungsrechtlicher Vorgaben so eingeschränkt, daß die Landesfremden als potentielle Adressaten gar nicht in Betracht kommen, so liegt eine systemimmanente Differenzierung vor. Sofern Bethge 150 also von einem „notwendigen Anknüpfungspunkt" spricht, so findet sich die rechtliche Basis dieser „Notwendigkeit" nach der hier vertretenen Auffassung allein in der bundesstaatlichen Kompetenzordnung des Grundgesetzes. In der bundesstaatlichen Ordnung und der damit einhergehenden Eigenstaatlichkeit der Länder findet sich auch die Wurzel dafür, daß die Wahlregelungen der Länder vom Wohnsitzprinzip ausgehen. Maßgebend ist hierbei der Begriff des „Volkes" in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG 1 5 1 , denn wie dargestellt 152, setzt sich das Landesstaatsvolk 147 148 149 150 151 152

Pietzcker, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S.55. Matthey in: v. Münch (2. Aufl.), Art. 33 Rn. 10. BVerfG, NVwZ 1994, S.55; Ausnahme für Beweiserhebungsbefugnisse. AöR 110 (1985), S.211. Vgl. Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 13. Vgl. oben §2AI4b)bb).

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aus den im Bereich des Landes wohnenden Deutschen zusammen. Von ihm allein geht als Legitimationssubjekt die Staatsgewalt eines Landes aus 153 . Diesem föderalistischen Gedanken folgt auch die Begrenztheit der Regelungshoheit für Steuern: So obliegt gemäß Art. 105 Abs. 2 a GG den Ländern die Gesetzgebung über die „örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern". Als „örtlich" im Sinne dieses Artikels gelten nach dem Bundesverfassungsgericht aber nur Steuern, „die an örtliche Gegebenheiten, v. a. an die Belegenheit einer Sache oder an einen Vorgang im Gebiet" anknüpfen 154. Damit wird die Steuergesetzgebung an die personale Nähe zum Land und an die Belegenheit von Sachen geknüpft und auch hierauf beschränkt 155. Die örtlich gebundene Steuergesetzgebung eines Landes kann folglich nicht einen in einem anderen Bundesland lebenden Bürger treffen, der zu dem die Steuern erhebenden Land in keinerlei persönlicher oder sachlicher Beziehung steht. Entscheidend ist daher, daß die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben auf dem Landesgebiet durch territoriale Kriterien örtlich radizierbar ist.: So wäre eine gezielte Kulturförderung eines Landes in einem anderen Land aufgrund des fehlenden Landesbezugs unzulässig. Insoweit liegt ein Übergriff in den fremden Wirkungskreis und damit fehlende Verbandszuständigkeit vor. Solange sich aber der Regelungsgegenstand auf eine Landesmaterie bezieht, kommt es allerdings hinsichtlich des Vollzugs und der Verwirklichung auf Auswirkungen, die die Landesgrenzen überschreiten, nicht an 156 . Mithin ist festzuhalten, daß die Beschränkung der Einräumung von Rechten auf die Landesangehörigen, solange die Differenzierung zwingende Folge der beschränkten Hoheitsgewalt ist, gemessen an Art. 33 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden ist. Die Beurteilung fällt freilich anders aus, wenn die Landesregelung nicht notwendig auf die Anknüpfung an Wohnsitz, Aufenthalt, Belegenheit verwiesen ist, sich also aus der beschränkten Hoheitsgewalt nicht notwendig eine Anknüpfung an territoriale Kriterien ergibt. Praktisch wichtigstes Beispiel ist die Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen (zum Beispiel: Universitäten): Die Errichtung der Einrichtung gründet in einer Landeskompetenz (Bildungshoheit); die ZulassungsVorschriften regeln einen Sachverhalt auf dem Hoheitsgebiet des Landes. Infolge beinhaltet die Öffnung für Landesfremde nicht die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben auf fremdem Hoheitsgebiet, sondern erfolgt innerhalb der eigenen Verbandszuständigkeit. Die „Erstreckung" der Hoheitsgewalt auf Landesfremde setzt in diesem Fall die freiwillige Entscheidung des Landesfremden voraus, zum Besuch einer öffentlichen Einrichtung in ein fremdes Hoheitsgebiet zu wechseln. Erst hierdurch und insoweit tritt der Landesfremde zu dem Lande in eine tatsächliche und rechtliche Beziehung157. 153 154 155 156 157

BVerfGE 83, 37, 53; Grawert, Verfassung NW, Art. 2 Erl. 1. BVerfGE 65, 325, 349. Vgl. Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 13. BVerwGE 79, 339, 342 f. Vgl. auch Hoffmann, AöR 81 (1956), S. 334.

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

Die Ausübung dieser Hoheitsgewalt berührt nicht die Hoheitsgewalt eines anderen Landes, weil sie an die eigene Aufgabenwahrnehmung der Einrichtung auf dem Landesgebiet und dem damit verknüpfte Sachverhalt der Zulassung anknüpft. So wie bei Art. 3 Abs. 1 GG gilt, daß Gleichheit nur vor dem jeweils zuständigen Träger öffentlicher Gewalt besteht158, gilt somit auch bei Art. 33 Abs. 1 GG, daß die Differenzierung nach der Landesangehörigkeit nur dann verfassungsrechtliche Relevanz erlangt, wenn der jeweilige Hoheitsträger überhaupt für den jeweiligen Sachverhalt zuständig ist und innerhalb dieser Zuständigkeit eine Ungleichbehandlung aufgrund der Landesfremdheit erfolgt. Steht dem jedoch bereits die bundesstaatliche Kompetenzordnung entgegen, so begründet die Beschränkung der Gesetzgebung auf die Landesangehörigen keine Differenzierung, der Art. 33 Abs. 1 GG entgegensteht, weil sich aus dem Kontext der Verfassung ein anderes bereits ergibt. Aufgrund dieser verfassungsimmanenten Begrenzung ist daher für die Anwendbarkeit des Art. 33 Abs. 1 GG entscheidend, ob die Erstreckung auf Landesfremde überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre. Demzufolge kann ein Bundesland zu landesinternen Einrichtungen aufgrund der sachlichen Anknüpfung im Land alle Deutschen zulassen, ohne hieran von vornherein durch verfassungsrechtliche Vorgaben gehindert zu sein. In diesen Fällen ist keine aus der bundesstaatlichen Ordnung resultierende „zwangsläufige Differenzierung" vorgegeben. Insoweit greift Art. 33 Abs. 1 GG ein. 6. Verfassungsrechtliche

Rechtfertigung

Damit ist aber noch keine endgültige Entscheidung darüber getroffen, ob die Privilegierung Landesangehöriger in diesen Fällen stets untersagt ist. Besteht die verfassungsrechtliche Erstreckungsmöglichkeit und ist damit Art. 33 Abs. 1 GG anwendbar, so hat dies zunächst zur Folge, daß die Unterscheidung zwischen Landesangehörigen und Landesfremden vor dem Hintergrund des Art. 33 Abs. 1 GG einer Rechtfertigung bedarf. Dabei kann die verfassungsrechtliche Legitimation allein durch kollidierendes Verfassungsrecht erfolgen 159. So könnte beispielsweise eine Landesregelung, die zur Wahlberechtigung bei der Landtagswahl eine dreimonatige Wohnsitzinnehabung voraussetzt, mit dem Bedürfnis nach einem funktionsfähigen Wahlsystem gerechtfertigt werden, das in Artt. 28, 38 GG zum Ausdruck kommt und gewisse organisatorische Vorlaufzeiten (Wählerverzeichnisse und ähnliches) zwingend voraussetzt. Auch eine solche Regelung muß aber dem Übermaßverbot entsprechen, so daß nur solche Fristen als ver158

Siehe oben 2. Teil § 1Β II. Vgl. Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 34; Jachmann in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 33 Rn. 8; etwas weiter Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 33 Rn. 6, der in Anlehnung an das Verbot geschlechtlicher Diskriminierung eine Ungleichbehandlung entspr. der Landeszugehörigkeit auch als gerechtfertigt ansieht, wenn dies zur Lösung von Problemen mit spezifischem Landesbezug zwingend erforderlich ist. 159

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

191

hältsnismäßig angesehen werden können, die zur Sicherung des Wahlverfahrens zwingend notwendig sind 160 . Im übrigen muß die Differenzierung insbesondere einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten, in dessen Rahmen auch das Bundesstaatsprinzip wiederum Berücksichtigung findet: Während einerseits das föderalistische Prinzip eine Differenzierung wesensnotwendig voraussetzt - und damit schon die Anwendbarkeit des Art. 33 Abs. 1 GG ausschließt - enthält es andererseits Funktionen, die zu ihrer Verwirklichung eine Beschränkung auf Landesangehörige sinnvoll erscheinen lassen. So besteht Art. 33 Abs. 1 GG zwar nur vor dem Hintergrund der föderalistischen Ordnung, dennoch kann auch die Bundesstaatlichkeit selbst die Tragweite des Art. 33 Abs. 1 GG begrenzen 161. Wird den Ländern eigene, unabgeleitete Regelungsbefugnis für ihren Bereich zugeordnet, so umgrenzt dies nicht nur den Tätigkeitsbereich, sondern überantwortet zugleich den Ländern die Entscheidung, auf welche Art und in welchem Umfang sie für ihre Einwohner „sorgen" wollen 162 . Das gleiche gilt für die Verwendung der Mittel, die zwar kraft Bundesrecht erhoben werden, den Ländern aber aufgrund bestehender Ertragshoheit zustehen. Es ist Ausdruck der bundesstaatlichen Struktur, daß die Länder entscheiden, wie sie eine sachgerechte Verteilung gewährleisten 163. Denn seine positiven Funktionen wie Bürgernähe, Wettbewerb, Sachnähe und Demokratie-Adäquanz kann der „Konkurrenzföderalismus" nur entfalten, wenn diejenigen die Vor- und auch Nachteile der jeweiligen Politik erfahren, die auch demokratische „(Wahl-)Verantwortung" hierfür tragen. Ebenso rechtfertigt es die Finanzierungsverantwortung des jeweiligen Landes, daß vorrangig die hierdurch belasteten Landesangehörigen in den Genuß der daraus entstehenden Vorteile kommen 164 ; insoweit ist der Vorteil das Äquivalent der überwiegenden Kosten- beziehungsweise Gefahrtragung 165. Deshalb wird es mit Recht zum Kernbereich des bundesstaatlichen Systems gezählt, „daß die Bundesländer Regelungen treffen können, die nur ihre Einwohner berechtigen oder verpflichten" 166. Demnach hat die Feststellung, daß eine Erstreckung auf Landesfremde nicht von vornherein ausgeschlossen ist, nicht zur Folge, daß eine Erstreckung auf alle Bürger der Bundesrepublik erfolgen muß. Vielmehr steht die bundesstaatliche Ordnung mit den ihr immanenten Funktionen auch Art. 33 Abs. 1 GG gegenüber, so daß die kollidierenden Verfassungswerte unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit für 160

Vgl. Fastenrath, JZ 1987, S. 176. Kunig in: v.Münch/Kunig, Art.33 Rn. 13. 162 Vgl. für die Gemeinden: Fastenrath, NWVB1 1992, S.52. 163 BVerfGE 73, 301,321. 164 Zum Aspekt der gemeinsamen Lastentragung auch Burgi, JZ 1999, S. 880; Fastenrath, NWVB1 1992, S.53; Menger, VerwArch 73 (1982), S.98. 165 Oftmals wird zumindest eine Mitfinanzierung durch den Bund vorliegen: vgl. nur für den praktisch besonders wichtigen Fall des Aus- und Neubaus von Hochschulen Art. 91 a Abs. 1,4 GG, wonach der Bund die Hälfte der Ausgaben in jedem Land trägt. Aber auch dann liegt das finanzielle Risiko zumindest zu einem nicht unerheblichen Teil beim Land. 166 BVerwG, NVwZ 1983, S.223, 224. 161

192

3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

den einzelnen gegeneinander abzuwägen sind. Hier gilt es dann zu berücksichtigen, daß die Diskriminierung auch Auswirkungen auf Freiheitsgrundrechte des einzelnen haben kann 167 . Die Legitimation scheitert daher, sobald die getroffene Differenzierung den einzelnen im Verhältnis zur Einbuße für die föderalistische Struktur unzumutbar beeinträchtigt, was insbesondere dann anzunehmen ist, wenn es um die Verteilung von Freiheitschancen geht 168 . Deshalb greift das Differenzierungsverbot des Art. 33 Abs. 1 GG im praktischen Ergebnis überwiegend ein, wenn das Land in ein überregionales System von Freiheitsgewährleistungen (zum Beispiel: Hochschulen) eingebunden ist. Dann hat auch das einzelne Land im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung der überörtlichen Prägung der Aufgabe Rechnung zu tragen und insofern auf die Chancengleichheit der Bürger Rücksicht zu nehmen. In diesem Sinn ist nämlich das Land trotz der eigenen Hoheitsgewalt in überörtliche Aufgaben und Funktionen „bundesstaatlich" integriert 169. Hier kommt somit auch der vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit den Landeskinderklauseln angeführte „überregionale Lebenssachverhalt" zum Tragen: Die Angemessenheit der Differenzierung kann dann nicht mehr angenommen werden, wenn ein Lebenssachverhalt betroffen ist, der „seiner Natur nach über die Ländergrenzen hinausgreift und eine für alle Staatsbürger gleichermaßen gewährleistete Rechtsposition berührt" 170 . In diesem Fall rechtfertigt auch der Gedanke der überwiegenden Lastentragung die Bevorzugung der Landesangehörigen nicht ohne weiters die Bevorzugung der Landesangehörigen. Ist ein Land gerade deshalb einem auswärtigen Bewerberstrom ausgesetzt, weil es als einziges bestimmte Kapazitäten bereitstellt, so ist dies zwar letztlich Folge der Politik anderer Bundesländer, entbindet jedoch nicht von der Maßgabe, daß die Belastung für die betroffenen Bewerber anderer Bundesländer nicht unzumutbar sein darf. Die einhergehende bundesstaatliche Schieflage ist hingegen ein Problem des interföderalen Finanzausgleichs171. Für den vieldiskutierten Fall der Hochschulzulassung sei bezüglich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Landeskinderklauseln darauf hingewiesen, daß zwar auch die Funktionsfähigkeit der Universität in Betracht kommt, doch diese regelmäßig nicht durch die Öffnung für Landesfremde in einer Intensität gefährdet ist, daß ihr gegenüber dem Gleichbehandlungsanspruch der Studierwilligen Vorrang gebührt. 7. Ergebnis Als Ergebnis ist somit festzuhalten, daß Art. 33 Abs. 1 GG die Verfassungswidrigkeit von staatlichem Verhalten, welches an die Landesangehörigkeit anknüpft 167 168 169 170 171

Schürdt, ZUM 1986,S.433; vgl. die Ausführungen zu Art.3 Abs. 1 GG, alsbald sub BIII2. Für Art. 3 Abs. 1 GG auch Burgi, JZ 1999, S. 876 u. 879, vgl. unten sub Β I I I 2. Vgl. Spünnowsky, GewArch 1995, S.272. BVerfGE 33, 303, 352. Menger, VerwArch 73 (1982), S.98.

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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(Stichwort: Landeskinderklauseln), begründet, wenn die Differenzierung nicht bereits von Verfassungs wegen - insbesondere durch die bundesstaatliche Ordnung - vorgegeben ist und deshalb schon nicht in den Anwendungsbereich fällt, oder die Differenzierung aus überwiegenden verfassungsrechtlichen Gründen im Wege der praktischen Konkordanz gerechtfertigt werden kann, die im Einzelfall der Unterscheidung gegenüber der Gleichbehandlung des Landesfremden den Vorrang einräumt. Die Anknüpfung an im Land erworbene Vorbildungsnachweise verbietet Art. 33 Abs. 1 GG nicht. II. Sonderregelung beim Zugang zum öffentlichen Dienst: Art.33 Abs.2 GG Eine besondere Problemstellung ergibt sich, soweit Landeskinderklauseln den Zugang zum öffentlichen Dienst betreffen, denn hierin könnte ein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG zu sehen sein, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung den gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte hat. Gerade bei der Besetzung öffentlicher Stellen liegt die Erwägung nahe, aus Gründen einer vermeintlich engeren Verbundenheit Landesangehörige zu bevorzugen oder nur Bewerber zu berücksichtigen, die in dem jeweiligen Bundesland die dazu erforderliche Befähigung erworben haben, weil dies im wesentlichen gleiche Rahmenbedingungen indiziert und daher auf den ersten Blick eine größere Vergleichbarkeit zu garantieren scheint172. 1. Zweck der Vorschrift Indem Art. 33 Abs. 2 GG eine offene Leistungskonkurrenz aller Bewerber um ein öffentliches Amt festschreibt, zielt die Vorschrift darauf ab, Chancengleichheit und gleichzeitig die Effizienz des öffentlichen Dienstes zu sichern 173. Ihr kommt sonach eine zweifache normative Bedeutung zu: Sie dient sowohl dem Schutz des einzelnen Bewerbers vor Benachteiligung durch Einräumung einer individualrechtlichen Position auf Berücksichtigung allein der genannten Auswahlkriterien und Außerachtlassung sachfremder Eigenschaften - wie politischen oder persönlichen Zugehörigkeiten und Beziehungen - als auch dem Schutz der Allgemeinheit vor parteipolitischen „Seilschaften" bei der Besetzung öffentlicher Ämter und damit der Sicherung 172 Vgl. den BVerwGE 68,109 ff. zugrundeliegenden Sachverhalt: Die Landessteuerverwaltung des Freistaates Bayern beschränkte die Einstellung in den höheren Dienst allein auf Bewerber, die am jeweils vorangegangenen bayerischen Prüfungstermin die zweite juristische Staatsprüfung abgelegt hatten. Die Einstellungsbehörde hielt allein diese Prüfungseigebnisse für vergleichbar, so daß dieses Auswahlverfahren dem Leistungsprinzip am besten Rechnung tragen könne. 173 Isensee, FG BVerwG, S. 341; ders., HVerfR (2), § 32 Rn. 34; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art.33 Rn.32; Höfling in: Bonner Kommentar, Art.33 Abs. 1-3 Rn.47f.; Battis in: Sachs, Art.33 Rn. 19.

13 Engels

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

der rechtlichen Integrität des öffentlichen Dienstes durch Berufung des qualifiziertesten Bewerbers 174.

2. Öffentliches

Amt

Das Spektrum der Landeskinderklauseln, welches Art. 33 Abs. 2 GG von seinem Anwendungsbereich her erfaßt, hängt maßgeblich von der Interpretation des Begriffs „öffentliches Amt" ab. Gerade für die praktisch häufigsten Bereiche, wie die Zulassung zu Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen sowie Einstellung in den Referendardienst, bereitet die Einordnung Schwierigkeiten. Hierbei ist der Begriff des „öffentlichen Amtes", der im Rahmen des Art. 33 Abs. 2 GG im eigenständigen, von Abs. 4 und 5 unabhängigen Sinne verwendet wird 175 , grundsätzlich weit auszulegen176: Er umfaßt jedes Amt, das von einem Träger öffentlicher Verwaltung, der sich in öffentlich-rechtlicher Organisationform befindet, vergeben wird und mit haupt- oder nebenamtlichen Beamten, Angestellten, Arbeitern, Richtern, Soldaten oder ehrenamtlich Tätigen zu besetzen ist 1 7 7 und bleibt dabei nicht auf Eingangsämter beschränkt, sondern umfaßt auch Beförderungen, Aufstieg usw. 178 . Letztendlich ist für die Qualifizierung als öffentliches Amt die Zweckbestimmung des Art. 33 Abs. 2 GG ausschlaggebend179. Mit Blick auf die staatsorganisationsrechtliche Komponente, der Sicherung der rechtlichen Integrität des Staatsdienstes, wonach nur den geeignetsten Bewerbern Amtsfunktionen, die mit der Vertretung des Staates nach außen einhergehen, verliehen werden sollen 180 , kommt dem konkreten Aufgabenkreis (staatliche Zweckverwirklichung) eine wichtige Indizwirkung für das Vorliegen eines öffentlichen Amtes zu. Da gleichzeitig aber in subjektiver Hinsicht verhindert werden soll, daß sich der öffentliche Dienst für den einzelnen als geschlossenes System darstellt, zu dem er trotz guter Leistungen und entsprechendem Interesse keinen Zugang erhält, sind zur Sicherung dieser Komponente aber grundsätzlich auch Übernahmen in ein öf174

Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 52ff.; Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn. 12; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art.33 Rn.7; Kunig in: v.Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 26; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33 Rn. 12; Ladeur, Jura 1992, S. 77, 79; Isensee, FG BVerwG, S. 342; ders., HVerfR (2), § 32 Rn. 34. 175 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 12; Höfling in: Bonner Kommentar, Art.33 Abs. 1-3 Rn.60. 176 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 20; Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 13; Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 24; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33 Rn. 15. 177 Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 24. 178 Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 62; Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 26. 179 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn. 12. 180 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 65; Höfling in: Bonner Kommentar, Art.33 Abs. 1-3 Rn.65.

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

195

fentliches Dienstverhältnis umfaßt, die nicht mit der Übertragung eines Amtes einhergehen 181. Unter Beachtung dieser Funktionen ist zu überprüfen, ob auch die Zulassung zu staatlichen Ausbildungseinrichtungen dem Vorbehalt des Art. 33 Abs. 2 GG unterliegt. Prinzipiell besteht für die staatlichen Ausbildungseinrichtungen zwar die Möglichkeit, öffentliche Ämter zu verleihen 182, durch die bloße Aufnahme in die Einrichtung werden jedoch grundsätzlich keine nach außen wirksame Amtsfunktionen übertragen 183. Demgemäß kann die Zulassung zu staatlichen Ausbildungsstätten aus objektiv-staatsorganisationsrechtlicher Dimension nicht als Zugang zu einem öffentlichen Amt im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG qualifiziert werden. Insbesondere wird bei der Zulassung zu Universitäten auch kein Dienstverhältnis begründet, so daß hierin auch unter Berücksichtigung der individualrechtlichen Funktion kein öffentliches Amt zu sehen. Dagegen kann der Ansatz von Ridder m, der die Zulassung zu Ausbildungsstätten als öffentliches Amt begreift, soweit sie im tatsächlichen Ergebnis die Zulassung zu einer „Station" des Zugangs darstellt, nicht überzeugen. Als Grund für seine Sichtweise führt er an, daß nicht der Begriff des öffentlichen Amtes, sondern der des Zugangs maßgeblich sei, so daß es darauf ankomme, ob die in staatlicher Regie stehende Ausbildungsstätten nach den jeweiligen Rechtsvorschriften zwecks letztlicher Zulassung zu dem jeweiligen Amt mit Erfolg durchlaufen werden müssen. Damit könne auch die Zulassung zum Hochschulstudium erfaßt sein, wenn dieses vorausgesetzt werde 185 . Diese Interpretation dehnt indes den Anwendungsbereich der Norm zu weit aus und steht der Zweckbestimmung entgegen: Nicht jede Zulassung zu einer berufsqualifizierenden Ausbildung, die - auch - Voraussetzung für den Zugang zum öffentlichen Dienst ist, kann an Art. 33 Abs. 2 GG gemessen werden. Geht die Ausbildung nicht unmittelbar in eine Amtsübertragung über, so verschließt die hier getroffene Auswahlentscheidung noch nicht den Zugang zum öffentlichen Dienst. Innerhalb dieser Ausbildung werden erst diejenigen Fähigkeiten erworben, die zur Feststellung der Befähigung im Sinne der Norm herangezogen werden. Die eigentliche Auswahlentscheidung ist also dieser Ausbildung nachgelagert und bestimmt sich nach dem Anforderungsprofil der jeweils angestrebten Stelle. Mithin ist diese Interpretation abzulehnen und es verbleibt dabei, daß die Vorschrift für die Hochschulzulassung nicht eingreift. Problematisch sind allerdings Ausbildungen, die der Vorbereitung auf ein näher konkretisiertes öffentliches Amt dienen und/oder im Rahmen eines öffentlich-recht181 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn. 12; a. A. Höfling in: Bonner Kommentar, der nur auf das Außenverhältnis zwischen Amtswalter und Dritten abstellt. 182 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 24. 183 So Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 65; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art.33 Rn.24. 184 In: Alternativkommentar, Art.33 Abs. 1-3 Rn.52. 185 Ridder in: Alternativkommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 52.

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

liehen Dienstverhältnisses erfolgen. Zwar wird im Rahmen der Ausbildung ebenfalls noch keine nach außen wirksame Amtsfunktion ausgeübt186, bei verwaltungsinternen Ausbildungsgängen, die regelmäßig in eine Amtsübertragung einmünden (zum Beispiel: Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizeischule), ist jedoch der Bezug zur späteren Amtsübernahme bereits so eng, daß der Ausschluß von der Zulassung hierzu den chancengleichen Zugang zum öffentlichen Dienst beeinträchtigt 187 . Mithin gilt es danach zu unterscheiden, ob „üblicherweise" der nach der Ausbildung ergriffene Beruf ein öffentliches Amt ist oder ob dies nur eine von vielen beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten darstellt. Denn geht die Ausbildung nicht unmittelbar in eine Amtsübertragung über, so verschließt die hier getroffene Auswahlentscheidung ebenfalls noch nicht den Zugang zum öffentlichen Amt, sondern steht jeder anderen Auswahl bei Berufsqualifizierungen gleich. Insofern ist auch der Auffassung nicht zuzustimmen, die sämtliche verwaltungsinterne Ausbildungsgänge als nicht von Art. 33 Abs. 2 GG erfaßt ansieht188. Auch diese Sichtweise würde der Schutzfunktion der Vorschrift nicht gerecht. Soweit die konkrete Amtsübertragung regelmäßige, nahezu automatische Folge der Ausbildung ist, so ist ihr in der Regel keine Auswahlentscheidung mehr nachgeschaltet. Die Zulassung hierzu kommt de facto daher in der Wirkung der Zulassung zum öffentlichen Amt gleich. Mithin sind andererseits solche Ausbildungen, die zwar öffentlich-rechtlich ausgestaltet, aber nicht auf die Übertragung eines Amtes nahezu ausschließlich zugeschnitten sind 189 , (zum Beispiel: juristisches Referendariat 190) nicht als öffentliches Amt im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG zu qualifizieren 191. Zu beachten ist allerdings, daß nach § 122 Abs. 2 BRRG einem Bewerber der Zugang zum Vorbereitungsdienst nicht deshalb verweigert werden kann, weil er die vorgeschriebene Vorbildung bei einem anderen Dienstherrn erworben hat, dies gilt allerdings nach § 13 Abs. 3 BRRG unter der Einschränkung, daß die Voraussetzungen des Erwerbs gleichwertig sind. Insofern beugt diese einheitlich und unmittelbar für die Länder geltende Vorschrift Landeskinderklauseln bei der Zulassung zum Vorbereitungsdienst vor, sofern dieser als Beamtenverhältnis ausgestaltet ist.

186

Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 92. Vgl. Jachmann in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art.33 Rn. 15; Lübbe-Wolff in: Dreier, Art. 33 Rn. 40; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 24; a. Α.: Matthey in: v. Münch/Kunig (2. Aufl.), Art.33 Rn.22. 188 So Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 91 f. 189 Auf die subjektive Absicht des einzelnen, die erworbenen Kenntnisse anderweitig zu nutzen, kommt es hierbei nicht an; vgl. auch Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 24. 190 Das juristische Referendariat hat die Befähigung zu sämtlichen juristischen Berufen zum Ziel (vgl. §§ 121 DRiG, 14a BRRG, 19 Abs. 1 BBG, 4 BRAO, 5 BNotO). 191 So auch Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn. 15; Battis in: Sachs, Art.33 Rn. 25; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 24; dagegen für die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt bejahend: OVG Münster, NVwZ 1984, S. 126. 187

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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3. Eignung, Befähigung und fachliche Leistung Indem Art. 33 Abs. 2 GG für den Zugang zum öffentlichen Amt die Auswahlkriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung festschreibt, wird zugleich eine Negativentscheidung in dem Sinne getroffen, daß alle anderen als die genannten Kriterien als unzulässig eingestuft werden. Folglich hat jeder Bewerber einen Anspruch darauf, daß über seine Bewerbung nur aufgrund eines nach sachlich gleichen Maßstäben angestellten Vergleichs seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung mit derjenigen der übrigen Bewerber entschieden wird 192 . Dabei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG der umfassenden richterlichen Kontrolle unterliegen 193. Während der Begriff der Eignung in einem umfassenden Sinne die persönlichen Eigenschaften und damit die gesamte Persönlichkeit des Bewerbers umfaßt (intellektuelle, physische und psychische Merkmale, die es erwarten lassen, daß die dienstlichen und außerdienstlichen Pflichten optimal erfüllt werden, beispielsweise die Fähigkeit, mit Menschen umzugehen194) bezieht sich die Befähigung auf die für die dienstliche Verwendung notwendigen Fähigkeiten195 wie die Vor- und Ausbildung, Wissen und Erfahrung 196 und ist damit spezieller auf die in Aussicht genommene Tätigkeit bezogen197. Die fachliche Leistung ist ähnlich tätigkeitsbezogen, hat jedoch die praktische Erfahrung im Blick (bisher im Beruf erbrachte Leistungen)198.

4. Bedeutung des Art. 33 Abs. 2 GG im föderalen System a) Landeszugehörigkeit Sind damit allein die Entscheidungskriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung für den Zugang zu einem öffentlichen Amt im gesamten Bundesgebiet maßgeblich, so kommt Art. 33 Abs. 2 GG im föderalistischen System die wichtige Funktion zu, den Staatsdienst in Bund und Ländern für alle Bundesbürger zu öff192 BVerwGE 68, 109, 110; Isensee, FG BVerwG, S. 343 f. Diese Entscheidung ist auch unabhängig vom Geschlecht zu treffen: vgl. zum Zugang von Frauen zum Dienst mit der Waffe in der Bundeswehr: EuGH, EuGRZ 2000, S. 144ff.; hierzu: Stahn, EuGRZ 2000, S. 121 ff.; Scholz, DÖV 2000, S.417ff. Mit Gesetz v. 19.12.2000 wurde deshalb Art. 12a GG neu gefaßt und den Frauen der freiwillige Dienst an der Waffe verfassungsrechtlich eröffnet. 193 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 29. 194 Vgl. Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn. 19; Battis in: Sachs, Art.33 Rn. 28; BVerwGE 81, 366, 369. 195 Battis in: Sachs, Art. 33 Rn. 30. 196 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 26. 197 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn. 19. 198 Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn. 19; Battis in: Sachs, Art.33 Rn.31; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 26.

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nen und folglich unter anderem die Landeszugehörigkeit als Anknüpfungspunkt für Einstellungsentscheidungen auszuschließen200 respektive den öffentlichen Dienst nur den eigenen Landesangehörigen vorzubehalten 201. Hier wird der enge Zusammenhang mit dem bundesstaatlichen Gleichheitssatz des Art. 33 Abs. 1 GG deutlich. Die Vorschrift gebietet sonach landesübergreifende Chancengleichheit im Bundesstaat. Demzufolge scheiden die im Rahmen des Art. 33 Abs. 1 GG entwikkelten Kriterien zur Bestimmung der Landesangehörigkeit auch nach Art. 33 Abs. 2 GG als Entscheidungsmaßstäbe aus. Darf daher der Wohnort im Land in die Auswahlentscheidung nicht einfließen, so wird damit gleichzeitig untersagt, einheimischen Bewerbern von vornherein einen „Bonus" zu erteilen 202, denn auch dieser verbessert - unabhängig von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung - die Chancen einheimischer Bewerber. b) Anknüpfung an einen landesintern erworbenen Vorbildungsnachweis Es stellt sich die Frage, ob die Festlegung auf die Entscheidungskriterien Eignung, Befähigung und fachliche Leistung zur Folge hat, daß nicht nur die Anknüpfung an die Landesangehörigkeit, sondern auch die Anknüpfung an einen im Land erworbenen Vorbildungsnachweis nach Art. 33 Abs. 2 GG unzulässig ist, die nach dem Gesagten von Art. 33 Abs. 1 GG nicht erfaßt wird. aa) Individuelle

Befähigung

Ein in einem anderen Land erworbener Vorbildungsnachweis kann keine Durchbrechung des von Art. 33 Abs. 2 GG vorgegebenen Leistungsprinzips begründen, wenn der auswärtige Nachweis dem des eigenen Landes gleichwertig ist. Denn Maßstab für die Befähigung zu dem entsprechenden Amt kann der Ort der Ablegung nur sein, wenn sich hierdurch eine Diskrepanz zwischen den nachgewiesenen Fähigkeiten ergibt. Dies kommt aber allenfalls in Betracht, wenn sich die Vorbildungsnachweise in den Leistungsanforderungen nicht entsprechen und damit ein Niveaugefälle ausgewiesen werden kann. Sind sie indes gleichwertig, so kann der Bewerber nicht mit der Begründung abgewiesen werden, der die fragliche Vorbildung dokumentierende Leistungsnachweis sei in einem anderen Bundesland erbracht worden 203. Denn der Umstand, daß „die Laufbahnbefähigung bei einem anderen als dem um Einstellung angegangenen Dienstherrn erworben wurde, begrün199 200 201

Isensee, FG BVerwG, S. 340. Ladeur, Jura 1992, S.77. Höfling in: Bonner Kommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 55; Isensee, FG BVerwG, S. 337,

340. 202

BVerwG, DVB1. 1980, S.56; LAG Köln, ZBR 1990, S.333. BVerwG, ZBR 1987, S. 340f.; BVerwGE 75, 133, 136; BVerwG, Buchholz 230, § 122 BRRG, Nr. 11, S. 5 f.; Nr. 10, S. 3; OVG Münster, NVwZ 1984, S. 126f. 203

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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det für sich keinen rechtserheblichen Unterschied hinsichtlich der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung der Bewerber" 204. Diese verfassungsrechtliche Direktive kann auch nicht mit dem Argument ausgehebelt werden, der Bewerber habe schließlich die Möglichkeit gehabt, den Vorbildungsnachweis im Land zu erwerben 205 , da ansonsten Art. 33 Abs. 2 GG hinsichtlich seinem länderübergreifenden Gewährleistungsgehalt leerliefe.

bb) Gleichwertigkeit

des Vorbildungsnachweises

Damit wird gleichsam die Frage dringlich, unter welchen Voraussetzungen Leistungsnachweise verschiedener Bundesländer als gleichwertig zu qualifizieren sind. Eine Gleichwertigkeit kann allgemein angenommen werden, wenn die Prüfungen niveauidentisch sind; genauer: die vom Ansatz her und in den kennzeichnenden Elementen ähnlich ausgestaltet sind, so daß sie sich prinzipiell entsprechen 206 . Die Gleichwertigkeit bestimmt sich damit vorrangig nach der materiellen Vergleichbarkeit der Leistungsanforderungen und der Bewertungspraxis 207. Bei Laufbahnprüfungen ist eine Entsprechung regelmäßig anzunehmen, wenn es sich um dieselbe Laufbahngruppe handelt und im wesentlichen die gleiche Vorbildung, Ausbildung und Prüfung vorausgesetzt wird 208 . Dabei können die Anforderungen an die Vergleichbarkeit um so höher eingestuft werden, desto wichtiger eine bestimmtes Qualifikationsniveau für eine fehlerfreie und selbständige Arbeit unbedingt geboten und überwiegend nur eine nachträgliche Kontrolle möglich ist 209 . Liegt eine solche Entsprechung vor, so ist eine Differenzierung nach Befähigungserwerb im eigenen Bereich unzulässig. Der hieraus resultierende Ausschluß eines Bewerbers mit einem landesfremden Vorbildungsnachweis stellt sich folglich als verfassungswidrig dar.

204

BVerwGE 68, 109, 111; LAG Köln, ZBR 1990, S.333. So aber der BayVGH, Urteil v. 16.10.1981 (vgl. Juris, Dok. Nr. WBRE 102498418, vorgehend zu BVerwGE 68, 109 ff.). Der Gerichtshof führt aus, daß das Auswahlkriterium der Teilnahme am vorangegangenen bayerischen Prüfungstermin zur zweiten juristischen Staatsprüfung für die Zulassung zum höheren Dienst der Landessteuerverwaltung das Prinzip des Art. 33 Abs. 2 GG nicht berühre, denn der Bewerber „hätte seinen Vorbereitungsdienst auch in Bayern ableisten können". 206 Vgl. hierzu BVerwG, Buchholz 230, § 122 BRRG, Nr. 11 S. 5 f. 207 VGH München, NJW 1981, S. 1973, 1974. 208 BVerwG, Buchholz 230, § 122 BRRG, Nr. 10, S.4. 209 Ζ. B. selbständige Vermessungen mit amtlicher Wirkung, vgl. hierzu: BVerfGE 73, 301 ff. In dieser Entscheidung wurde eine hessische Regelung für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt, die die Zulassung zum staatlich gebundenen Beruf des Öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs bei Bewerbern mit der Befähigung zum gehobenen vermessungstechnischen Dienst von einer vorherigen praktischen Tätigkeit bei einer Vermessungsstelle in Hessen abhängig gemacht hat. 205

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

c) Zwischenergebnis Demnach sind sowohl die Landesangehörigkeit als auch die Erbringung eines Vorbildungsnachweises im einstellenden Land - sofern der landesfremde dem landesinternen Nachweis entspricht - unzulässige Unterscheidungskriterien im Rahmen des Art. 33 Abs. 2 GG. Sie können auch nicht dadurch legitimiert werden, daß die Persönlichkeitsmerkmale durch Umformulierung zu Bestandteilen der Stellenbeschreibung oder der Eignungsmerkmale erhoben werden 210. Insbesondere bei den Merkmalen Landesangehörigkeit oder Ortsansässigkeit liegt es nahe, diese durch Eignungskriterien wie „Ortskenntnis" oder „Vertrautheit mit den bestehenden Rechts- und Verwaltungsstrukturen des Landes" zu ersetzen211 und damit scheinbar gerade dem Kriterium der Eignung Rechnung zu tragen. Zwar kann die Vertrautheit mit den regionalen Verhältnissen im Einzelfall Eignungskriterium sein (zum Beispiel: Heimatpfleger); es ist jedoch stets das Ziel des Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten, durch „Mobilität der Personalrekrutierung [...] diese personelle Variante einer Verfestigung von Landes- oder Ortszugehörigkeit zu verhindern" 212. Maßgeblich ist somit, ob durch die Transformierung eines unzulässigen Entscheidungsmerkmals in ein Eignungselement eine Umgehung des Art. 33 Abs. 2 GG angestrebt werden soll 213 . Eine generelle Höherbewertung dieser Kriterien würde jedenfalls Art. 33 Abs. 2 GG widersprechen. 5. Verfassungsrechtliche

Rechtfertigung

Eine Durchbrechung des in Art. 33 Abs. 2 verankerten Leistungsprinzips kann nur durch verfassungsrechtliche Gründe gerechtfertigt werden 214: So kann das Sozialstaatsprinzip die Einstellungsentscheidung ebenso beeinflussen 215, wie die Verpflichtung des Staates, auf die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern hinzuwirken (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG). Eine verfassungsrechtliche Ausnahme vom absoluten Leistungsprinzip ordnet das Grundgesetz in Art. 36 Abs. 1 S. 1 GG an, wonach in den obersten Bundesbehörden Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden sind 216 . 210

Ladeur, Jura 1992, S.78. Ladeur, Jura 1992, S. 78. 212 Ladeur, Jura 1992, S.78. 213 Vgl. Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art.33 Rn. 19; Ladeur, Jura 1992, S.78. 214 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 33 Rn. 30; Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 33 Rn. 22. Zur mangelnden Rechtfertigung eines Ausschlusses von Frauen vom Dienst an der Waffe: EuGH, EuGRZ 2000, S. 144ff. 215 Für Durchbrechungen durch das Sozialstaatsprinzip: Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 33 Rn. 22; Ridder in: Alternativkommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 56; wohl auch Pieroth in: Jarass/Pieroth (4. Aufl.), Art. 33 Rn. 6; anders jetzt aber Jarass in: Jarass/ Pieroth (5. Aufl.), Art. 33 Rn. 16; für die Zulässigkeit der Heranziehung von sozialstaatlichen Hilfskriterien erst bei gleicher Qualifikation: BVerwGE 86, 244, 249, VG Gelsenkirchen, DöD 1988, S. 244, 245; Sachs, ZBR 1994, S. 134. 211

§2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

201

6. Ergebnis Nach Art. 33 Abs. 2 GG besteht ein über Ländergrenzen hinweg geltendes subjektives Recht der Bewerber auf Chancengleichheit bei der Bewerberauswahl. Folglich ist bei der Zulassung zu einem öffentlichen Amt jede Differenzierung untersagt, die an die Landesangehörigkeit anknüpft, solange dieses Merkmal nicht ausnahmsweise notwendige Eignungsanforderung der zu besetzenden Stelle ist. Kein Bundesland darf einem Bewerber die Zulassung zum öffentlichen Dienst mit der Begründung verweigern, der notwendige Vorbildungsnachweis sei in einem anderen Bundesland erworben worden, wenn dieser dem des eigenen Landes gleichwertig ist. Insofern besteht das Recht des einzelnen, nicht aufgrund seines „auswärtigen" - aber gleichwertigen - Vorbildungsnachweises vom öffentlichen Dienst eines anderen Landes ausgeschlossen zu werden. Einige Anwendungsbereiche der Landeskinderklauseln (Hochschulzulassung, Einstellung ins juristische Referendariat) werden allerdings nach der hier vertretenen Auffassung vom Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG mangels Vorliegens eines öffentlichen Amtes nicht erfaßt.

I I I . Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG Neben einer Verletzung von Art. 33 Abs. 1 und 2 GG ist zudem ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG möglich, wenn eine Landesregelung auf die Zugehörigkeit zum Land abstellt beziehungsweise einen landesintern erworbenen Vorbildungsnachweis fordert. Dazu muß die Anknüpfung an die Landesangehörigkeit eines der durch die Vorschrift verbotenen Differenzierungskriterium ausfüllen, wobei nur die Kriterien „Abstammung", „Heimat" und „Herkunft" in Betracht zu ziehen sind.

1. Abstammung Der Begriff der Abstammung meint vornehmlich „die natürliche biologische Beziehung eines Menschen zu seinen Vorfahren" 217. Im Zentrum der Betrachtung steht daher nicht die örtliche, sondern die biologische Verbindung 218. Damit ist im Hinblick auf Landeskinderklauseln der praktisch wenig bedeutsame Fall der Anknüpfung an die Abstammung von einem Landesfremden von Art. 3 Abs. 3 GG erfaßt.

216 Vgl. auch Sachs, ZBR 1994, S. 134; Ridder in: Alternativkommentar, Art. 33 Abs. 1-3 Rn. 56; Isensee, HStR IV, § 98 Rn. 53; zu Art. 36 GG: Didczuhn, Der Grundsatz der proportionalen föderalen Parität, passim. 217 BVerfGE 9, 124, 128; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn.92; Dürig in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Art. 3 Abs. 3 Rn. 38; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 356; Stein in: Alternativkommentar, Art. 3 Rn. 87. 2,8 Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Rn.38.

202

3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

2. Heimat Dagegen bezieht sich das Differenzierungskriterium „Heimat" auf die örtliche Verbundenheit 219, also auf die Region, in der der einzelne insbesondere durch Prägung in den Kinder- und Jugendjahren 220 aber auch durch andere Lebensumstände emotional verwurzelt ist. Diese innere Bindung kann familiäre, ideelle, kulturelle, geschichtliche oder seelische Bezüge haben und ist häufig verknüpft mit äußeren Merkmalen wie dem typischen Landschaftsbild, dem damit verbundenen Baustil, regionalspezifischer Kunst oder Mundart. Damit bringt der Begriff der „Heimat" eine besonders innige Verbundenheit zum Ausdruck, die - anders als die „Landesangehörigkeit" im Sinne des Art. 33 Abs. 1 GG 2 2 1 - nicht nur durch Wohnortverlegung begründet 222 und folglich nicht unmittelbar mit der Ansässigkeit gleichgestellt werden kann. Der Wohnsitz kann vielmehr nur, wenn er langjährig und damit „angestammt" ist, als heimatbegründender Lebensumstand angesehen werden, weil die ideelle „Verwachsung" auch ein Zeitmoment enthält. Dabei wird diese Interpretation zugleich von der Entstehungsgeschichte der Norm getragen: Die Kriterien „Heimat" und „Herkunft" sollten vorrangig Flüchtlinge und Vertriebene vor Benachteiligungen schützen223. Überdies zeigt der Vergleich mit den übrigen Differenzierungskriterien des Art. 3 Abs. 3 GG auf, daß es sich um Merkmale handelt, die den Menschen prägen und daher prinzipiell nicht jederzeit abänderlich sind 224 . Wenn Starck dagegen ein Eingreifen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG annimmt, wenn ein- und derselbe Landesgesetzgeber nach Landesangehörigkeit differenziert 225, so verkennt dies, daß die bereits durch den Wohnsitz begründete Landeszugehörigkeit heimatbegründende Merkmale nicht zur Bedingung hat. Mithin werden Landeskinderklauseln entgegen der teilweise vertreten Ansicht 226 in ihrer regelmäßigen Ausprägung (Anknüpfung an den Wohnort) nicht vom Kriterium der Heimat erfaßt. Allein, wenn die begünstigende oder benachteiligende Wirkung an die örtliche Her219 BVerfGE5, 17, 22; 17, 199, 203; 23, 258, 262; 48, 281, 287f.; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 93; Diirig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Abs. 3 Rn. 75; v. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 275; Stein in: Alternativkommentar, Art. 3 Rn. 90. 220 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 93; Osterloh in: Sachs, Art. 3 Rn. 295, vgl. auch Sachs, HStRV, § 126 Rn.46. 221 Vgl. hierzu oben §2AI4b)bb). 222 Auch nach Auffassung des BVerfG (E 48,281,287) schließt der Begriff der Heimat Differenzierungen unter dem Gesichtspunkt des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus. 223 JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 69; Stein in: Alternativkommentar, Art. 3 Rn. 90. 224 Vgl. für das Merkmal der Sprache: Sachs, ZBR 1994, S. 137. 225 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 368; ebenso für den zuständigen Hoheitsträger auf Gemeindeebene bei Differenzierung nach Gemeindeangehörigkeit. 226 Starck in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art.3 Rn.368; Bethge, AöR 110 (1985), S.208f., wobei unklar bleibt, welches Kriterium des Art. 3 I I I GG die Anknüpfung an den Wohnort verbieten soll; vgl. auch BVerwG, DVB1. 1980, S. 56, das den Bonus für einheimische Bewerber auch als Verstoß gegen Art. 3 I I I GG einstuft.

§ 2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

203

kunft in dem beschriebenen engen Sinne der „Heimat" als „Verwurzelung" gekoppelt wird, kann auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG vorliegen. 3. Herkunft Mit „Herkunft" wird die soziale, ständische Abstammung227 bezeichnet - insbesondere die soziale Stellung der Eltern 228 - und umfaßt die „von den Vorfahren hergeleitete soziale Verwurzelung, nicht die in den eigenen Lebensumständen begründete Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht" 229 . Damit ist das Differenzierungsverbot zwar wesentlicher Ausdruck der Chancengleichheit im allgemeinen 230 , denn es soll dem einzelnen erleichtern, in eine andere soziale Schicht hineinzuwachsen, spielt aber für die territorialen Anknüpfungspunkte der Landeskinderklauseln und folglich für die hier untersuchte spezifisch bundesstaatliche Chancengleichheitsproblematik keine Rolle. 4. Ergebnis Nach alledem hat sich gezeigt, daß die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 GG zu eng und zu spezifisch sind, um einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der Landeskinderproblematik beizutragen.

B. Allgemeiner Gleichheitssatz: Art. 3 Abs. 1 GG Aus Sicht der Gleichheitssätze stellt sich daher abschließend die Frage, ob der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG die verbleibenden Disparitäten durch Landeskinderklauseln erfaßt. Freilich kann dabei auf den allgemeinen Gleichheitssatz nur zurückgegriffen werden, sofern nicht ein besonderer Gleichheitssatz einschlägig ist. Demzufolge scheidet ein Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG aus, soweit der Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 1 und 2 GG eröffnet ist 2 3 1 respektive die in Art. 3 Abs. 3 GG geregelten speziellen Gleichheitsgebote einschlägig sind 232 . Wie soeben gezeigt, sind aber nicht alle Anknüpfungen, die im Ergebnis eine Landeskinderbegünstigung bewirken - zum Beispiel: Benachteiligung bei landesfremdem Vorbildungsnachweis - , von Art. 33 Abs. 1 und 2 beziehungsweise Art. 3 Abs. 3 GG erfaßt. Insoweit bleibt Raum für die Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG. 227

BVerfGE5, 17, 22; 48, 281, 287f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn.370; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Abs. 3 Rn. 75. 228 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 93. 229 BVerfGE 9, 124, 129. 230 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 370. 231 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art.33 Rn. 1; Lübbe-Wolffin: Dreier, Art.33 Rn.26. 232 Osterloh in: Sachs, Art. 3 Rn. 78.

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

I. Anwendbarkeit des allgemeinen Gleichheitssatzes Indes ist nach den bisherigen Feststellungen zu Art. 3 Abs. 1 GG fraglich, ob in der Begünstigung Landesangehöriger gegenüber Landesfremden beziehungsweise in der Anknüpfung an einen landesinternen Vorbildungsnachweis eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung zu sehen ist. Es wurde bereits dargelegt 233, daß maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1 GG ist, daß wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird, wobei eine wesentliche Gleichheit bei Normadressaten verschiedener Hoheitsträger aufgrund der verfassungsrechtlich vorgegebenen Kompetenzabgrenzung grundsätzlich nicht besteht: Die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern bedingen allein eine faktische, jedoch keine rechtliche Ungleichbehandlung. Dementsprechend wurde festgestellt, daß der Landesgesetzgeber durch Art. 3 Abs. 1 GG prinzipiell nicht gehindert ist, von anderen Bundesländern abweichende Regelungen zu treffen. Dennoch ist diese Konsequenz für die Landeskinderprivilegierungen nicht zu ziehen, da ein entscheidender Unterschied besteht: Während es in obiger Konstellation um abweichende Regelungen verschiedener Bundesländer ging, handelt es sich hier um eine durch ein und denselben Kompetenzträger vorgenommene Differenzierung. Wenn das Bundesverfassungsgericht mit Recht ausführt, daß der Landesgesetzgeber grundsätzlich nur gehalten ist, den Gleichheitssatz innerhalb des Geltungsbereichs der Landesverfassung zu wahren 234, so wird hiermit begründet, daß der Landesgesetzgeber aus diesem Grunde „von verwandten Regelungen anderer Bundesländer abweichen"235 darf. Die außerhalb des Landes bestehende - andere - Regelung kann damit keinen Gleichheitsverstoß begründen. Die Nichtanwendbarkeit des allgemeinen Gleichheitssatzes beruht mithin darauf, daß ein Sachverhalt von zwei verschiedenen Trägern öffentlicher Gewalt gestaltet wird. Mit anderen Worten: Unterscheidet sich eine Regelung (beispielsweise über den Hochschulzugang) eines Bundeslandes inhaltlich von der eines anderen, so wird diese Abweichung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht erfaßt; handelt es sich aber um eine Regelung, die selbst eine Differenzierung nach der Landesangehörigkeit beziehungsweise nach einem im Land erworbenen Vorbildungsnachweis vornimmt, so geht es nicht um einen unzulässigen Vergleich mit der Regelung eines anderen Bundeslandes, sondern allein um die Zulässigkeit der in dieser Regelung enthaltenen Differenzierung. Hier erfolgt die Gestaltung des Sachverhalts gerade durch ein und denselben Träger hoheitlicher Gewalt, der aufgrund der Anknüpfung an den Sachverhalt im Land auch im Rahmen seiner Verbandshoheit handelt236. Ist Gleichheit im Bundesstaat nämlich Gleichheit vor dem jeweils zuständigen Träger hoheitlicher 233 234 235 236

Vgl. oben 2. Teil § 1B. BVerfGE 10, 354, 371; 12, 139, 143; 12, 319, 324; 17, 319, 331. BVerfGE 12, 139, 143; 12, 319, 324. Vgl. oben §2 AI5d).

§ 2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

205

Gewalt, so greift der Gleichheitssatz dann ein, wenn der zuständige Hoheitsträger eine Differenzierung nach Landesangehörigkeit vornimmt. Dementsprechend sind Landeskinderprivilegierungen - mit der genannten Einschränkung des Vorrangs spezieller Gleichheitssätze - an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen237. Diese Interpretation steht dabei mit der föderalistischen Struktur in Einklang; sie wirft diesbezüglich keine Probleme auf. Denn anders als die Angleichung divergierender Landesregelungen gefährdet die Anwendung des Gleichheitssatzes auf die Landeskinderprivilegierungen nicht die Kompetenzzuordnung des Bundesstaates, weil Diskrepanzen zwischen den einzelnen Regelungen nicht ausgeschlossen und die einzelnen Länder nicht „gezwungen" werden, ihre Regelungen anderen Bundesländern anzupassen. Somit bleibt die Möglichkeit von Rechtsverschiedenheit und damit einhergehend bundesstaatliche Vielfalt der Initiativen gewährleistet. Indes greift die im Rahmen des Art. 33 Abs. 1 GG festgestellte verfassungsimmanente Beschränkung des Anwendungsbereichs auch in bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG ein: Voraussetzung für eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung ist gleichfalls, daß Landesfremde überhaupt als potentielle Berechtigte in Betracht kommen und eine Einbeziehung nicht schon aufgrund fehlender Hoheitsbefugnis verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist 238 . Nur wenn die Auswahlentscheidung in den konkreten Zuständigkeitsbereich des Hoheitsträgers fällt, ist sie an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Im Besonderen ist hierbei klarzustellen, daß es wegen der allein aus der Benachteiligung des Landesfremden hervorgehenden Ungleichbehandlung für die Bestimmung des Schutzbereichs auch nicht auf den vom Bundesverfassungsgericht angeführten „Lebenssachverhalt, der seiner Natur nach über die Landesgrenzen hinausgreift und eine für alle Staatsbürger gewährleistete Rechtsposition berührt" 239 , ankommt. Wie im Anschluß zu zeigen ist, wird dieses Kriterium allerdings bei der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung relevant. II. Ungleichbehandlung 7. Differenzierung

nach Landesangehörigkeit

Unter Zugrundelegung des Oberbegriffs „Einwohner der Bundesrepublik Deutschland" liegt eine Ungleichbehandlung vor, wenn der Landesgesetzgeber den im Land Ansässigen Vorteile gewährt, die Landesfremden vorenthalten oder nur in geringerem Umfang gewährt werden. Hierbei ist danach zu unterscheiden, ob der 237

So im Erg. auch BVerfGE 73, 301, 321; BVerwG, NVwZ 1983, S.223, 224; für die Einheimischenprivilegierungen im kommunalen Bereich (z.B. Zulassung zu Musikschulen, Vergabe von Standplätzen auf Volksfesten, Messen und Märkten): BVerwGE 104,60 ff.; Bay VGH, NVwZ 1990, S.979,981; GewArch 86, S.242,241 f.; Fastenrath, NWVB1.1992, S.52; Spannowsky, GewArch 1995, S.268; Püttner/Lingemann, JA 1986, S. 123. 238 Vgl. hierzu bereits oben §2A5d). 239 BVerfGE 33, 303, 352; hierzu schon oben im 2. Teil § 1Β III.

206

3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

Gesetzgeber bestimmte Freiheitsbetätigungen faktisch monopolisiert und diese vom staatlich gewährten Zugang abhängig gemacht hat (so beispielsweise die Hochschulausbildung) oder ob es sich um eine prinzipiell jedem offenstehende Freiheitsbetätigung handelt (freie Berufswahl), für die von Länderseite „Barrieren" errichtet werden, durch die Auswärtige ausgeschlossen werden. Im ersten Fall geht es um die Möglichkeit der gleichen Teilhabe an vorhandenen Kapazitäten. Dieser derivative Teilhabeanspruch, der teilweise vorrangig den Freiheitsrechten (in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip) entnommen wird 240 , ist als Gleichbehandlungsanspruch unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleiten241. Denn es steht nicht der grundsätzliche Anspruch auf Zugang in Frage, sondern der Zugang nach Maßgabe bestimmter Kriterien 242 . Der Blick richtet sich folglich nicht auf die Gewährung originärer leistungsstaatlicher Verbürgungen (zum Beispiel auf Schaffung von Studienplätzen243), sondern auf die Gleichbehandlung in einem bestehenden Leistungssystem. Es geht um die gleiche Chance auf Freiheitsverwirklichung, unabhängig von dem Kriterium der Landesangehörigkeit. Grundlage dieser Teilhabechance ist der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG 2 4 4 , dem freilich kein unmittelbares Gebot folgt, den Ausgeschlossenen die Begünstigung zu gewähren, sondern der nur die Verfassungswidrigkeit der diskriminierenden Regelung begründet 245. Im zweitgenannten Fall werden Auswärtige durch Reglementierung des Landesgesetzgebers von einer grundsätzlich jedem gewährleisteten Freiheitsbetätigung ausgeschlossen. Es geht folglich nicht um gleiche Teilhabe an bestehenden Kapazitäten, sondern um Abwehr einer ausschließlich an einen bestimmten Personenkreis gerichteten Belastung, die sich im Vergleich zu einer anderen Personengruppe als gleichheitswidrig erweisen kann. Sie ist daher ebenfalls an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen.

240

So BVerfGE 33, 303, 331 f.; 37, 104, 113; 39, 258, 269f.; 43, 291, 313f.; 54, 173, 191 (Art. 121 i.V. m. 31); 85,36,53 f.; Tettinger in: Sachs, Art. 12 Rn. 131; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn.66f.; Jarass, AöR 120 (1995), S.350. 241 So Murswiek, HStRV, § 112 Rn.69f.; Isensee, Der Staat 19 (1980), S.372; Dreier in: Dreier, Vorb. Rn. 54; Martens, VVDStRL 30 (1972), S.7ff, 21 ff.; Breuer, FG BVerwG, S. lOOff.; Schoch, DVB1. 1988, S.867f.; Stern, Staatsrecht III/l, S.749ff; ders., DÖV 1984, S.415f.; Kirchhof, HStRV, § 124 Rn. 274 ff.; § 125 Rn.94,107; Ossenbühl, NJW 1976, S.2104. 242 Vgl. Murswiek, HStRV, § 112 Rn.69. 243 Vgl. hierzu BVerfGE 33, 303, 333. 244 Murswiek, HStRV, § 112 Rn. 80; Burgi, JZ 1999, S.878 (für kommunale Einheimischenprivilegierungen); Ossenbühl, NJW 1976, S.2104; anders BVerfGE 33, 303, 331 f.; 43, 291, 313 (Grundsatzentscheidungen zum Numerus-clausus): Art. 12 Abs. 1 i. V.m. Art. 3 Abs. 1 und dem Sozialstaatsgebot. 245 Martens, VVDStRL 30 (1972), S.24; Stern, Staatsrecht III/l, S.750.

§ 2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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2. Differenzierung nach landesinternem Vorbildungsnachweis / Anerkennung landesfremder Vorbildungsnachweise Ebenso liegt eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn der Landesgesetzgeber eine Begünstigung von einem im eigenen Land erworbenen Vorbildungsnachweis abhängig macht beziehungsweise nicht bereit ist, landesfremde Abschlüsse anzuerkennen. Denn auch in diesen Fällen wird denjenigen, die einen landesfremden Abschluß erworben haben, die vorteilhafte Rechtsstellung nicht eingeräumt. Dies gilt gleichermaßen für die Gewährung eines Rechts bei staatlicher Monopolisierung (Recht auf gleiche Teilhabe) als auch für den Ausschluß von einer Freiheitsbetätigung. Dabei ist es unerheblich, ob der Gesetzgeber die Auswärtigen ausdrücklich ausschließt oder sich die Nichteinbeziehung schon aus der fehlenden „automatischen" Bindungswirkung eines auswärtigen Hoheitsaktes ergibt 246 , dessen Anerkennung das Land verweigert. Maßgeblich ist nur, daß einer vergleichbaren Personengruppe eine Begünstigung nicht gewährt wird und damit eine rechtliche Gleichstellung unterbleibt 247. Denn der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es, bei der Gewährung von Begünstigungen an einige Bürger diejenigen, die sich in vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln248. Hat also der Bewerber eine (materiell) dem Geforderten entsprechende Qualifikation (zum Beispiel die für die Berufsausübung notwendige fachliche Eignung) in einem anderen als dem nunmehr begünstigenden Bundesland erworben, und findet diese im Gegensatz zur landesintern erworbenen keine Berücksichtigung, liegt folglich eine Ungleichbehandlung vor 249 . Dabei wird weder die Notwendigkeit des Qualifikationsnachweises als solchem in Frage gestellt, noch soll eine Gleichstellung im Sinne einer Angleichung des Leistungsniveaus erreicht werden, die als Abbau tatsächlicher Ungleichheiten nicht von Art. 3 Abs. 1 GG erfaßt wäre. Ziel ist stets nur, die vom allgemeinen Gleichheitssatz gewährleistete „Gleichbehandlung von Personen in gleichen Sachverhalten" 250 sicherzustellen. Insofern ist es unerheblich, ob der Staat dem Anspruch auf Gleichbehandlung durch ein Unterlassen (zum Beispiel Unterlassen der Differenzierung nach Abschluß) oder durch ein Tun (zum Beispiel Gleichstellung durch Anerkennung auswärtiger Abschlüsse) nachkommen muß 251 : Es geht immer nur um Gleichbehandlung in der Sache. Demnach sind sowohl Landeskinderbegünstigungen als auch Begünstigungen aufgrund eines landesinternen Vorbildungsnachweises als Ungleichbehandlungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG zu qualifizieren. 246

Vgl. oben § I B I . Vgl. hierzu: Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Rn. 356; Osterloh in: Sachs, Art. 3 Rn. 88. 248 Murswiek, HStR V, § 112 Rn. 69. 249 Zu der Frage, ob eine solche Ungleichbehandlung durch eine fehlende Gleichwertigkeit gerechtfertigt werden kann, sogleich im Anschluß sub III2c)bb). 250 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 1. 251 Dreier in: Dreier, Vorb. Rn.52. 247

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

I I I . Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Soweit Art. 3 Abs. 1 GG anwendbar ist, ist das Differenzierungskriterium der Landesangehörigkeit beziehungsweise der Erwerb des Vorbildungsnachweises im Land sowie die Verweigerung der Anerkennung nur mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, wenn die jeweilige Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. 1. Sachlicher Grund Ausgangspunkt für die Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Ungleichbehandlung ist wie stets die Frage, ob sich ein sachlicher Grund für die beanstandete Regelung finden läßt 252 , denn dem Gesetzgeber ist nicht jede Differenzierung verwehrt, sie muß vielmehr in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden 253. Als legitimer sachlicher Grund für die vorliegenden Ungleichbehandlungen ist auch hier die grundgesetzlich vorgegebene föderale Kompetenzabgrenzung zu sehen. Denn ist die unabgeleitete Hoheitsgewalt der Länder und die daraus resultierende vorrangige „Verantwortlichkeit" für die eigenen Einwohner grundsätzlich in der Lage, die Einwohnerprivilegierung vor Art. 33 Abs. 1 GG im dort dargelegten Umfang zu rechtfertigen 254, so kommt sie erst recht als hinreichender Differenzierungsgrund im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. Bei der Differenzierung nach einem im Land erworbenen Vorbildungsnachweis beziehungsweise der Nichtanerkennung landesfremder Abschlüsse ist überdies als sachlich rechtfertigend zu berücksichtigen, daß hierdurch regelmäßig einer bestimmten - besonderen - Qualifikation Rechnung getragen werden soll (zum Beispiel einem besonders hohem Niveau der Abiturprüfungen). Mit der Feststellung des sachlichen Grundes ist allerdings nur konstatiert, daß die Ungleichbehandlung einen legitimen Zweck verfolgt. Darüber hinaus ist aber Anlehnung an die Prüfung der Freiheitsgrundrechte nach der sogenannten „neuen Formel" 2 5 5 erforderlich, daß „Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht" vorliegen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen 256.

252

BVerfGE 71, 39, 53; 91, 118, 123. BVerfGE 87, 1, 36. 254 Vgl. hierzu oben sub A16. 255 Vgl. hierzu bereits oben im 2. Teil § 1B. 256 BVerfGE 55, 72, 88; 64, 229, 239; 70, 230, 239; 71, 146,154f., 74, 9, 24; 81, 156, 205; 82, 60, 86; 83, 395,401; 84, 348, 359; 87, 1, 36. 253

§ 2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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2. Verhältnismäßigkeit Dementsprechend gilt auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG das Gebot „verhältnismäßiger Gleichheit" 257 , was letztendlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung begründet: Die durch die Ungleichbehandlung bewirkte Belastung „darf nicht weiter greifen, als der die Verschiedenheitsbehandlung legitimierte Zweck es rechtfertigt, und sie darf schutzwürdige Belange der Nichtbegünstigten nicht ohne hinreichenden sachlichen Grund vernachlässigen" 258. Innerhalb der Gewichtung und steht dem Gesetzgeber prinzipiell ein weiter Gestaltungsspielraum zu, denn es ist seine Sache zu entscheiden, welche Merkmale er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung hält 259 . Allerdings kann sich eine weitergehende Einschränkung aus anderen Verfassungsnormen ergeben 260: Dem Gesetzgeber sind um so engere Grenzen gesetzt, „je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann" 261 . Nur so kann in die Überlegungen eingestellt werden, daß es der Sache nach um Gleichstellung bei der „Verteilung von Freiheitschancen" geht 262 . Denn insbesondere mit Blick auf die teilhaberechtliche Funktion ist zu beachten, daß die grundgesetzlich verbürgten Freiheiten, die durch die Ungleichbehandlung beschränkt werden, in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen sind. Im Bereich der Teilhabe an staatlichen Freiheitsgewährleistungen und dem Ausschluß von Freiheiten durch Ungleichbehandlung wird die enge Verknüpfung zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten offenbar. So können sich Überschneidungen des beabsichtigten Schutzes von Freiheits- und Gleichheitsrechten gerade dort ergeben, wo auch die Freiheitsgrundrechte einen Nichtdiskriminierungsgehalt aufweisen 263. Dabei ist bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung staatlicher Gewalt als Folge des Grundsatzes „lex specialis derogat legi generali" grundsätzlich von dem Grundrecht auszugehen, zu dem eine stärkere sachliche Beziehung besteht264; bei dessen Prüfung werden dann die spezifischen Gehalte des verdrängten Grundrechts als objektives Verfassungsrecht mit berücksichtigt 265. Geht es - wie hier - um die Erstrek257

Burgi, JZ 1999, S. 879; Kirchhof, HStRV, § 124 Rn. 161. BVerfGE 85, 238, 245; vgl. auch BVerfGE 82,126,146; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 27; Burgi, JZ 1999, S.879. 259 BVerfGE 3, 162, 182; 55, 72, 89; 83, 395,410; 87, 1, 36. 260 BVerfGE 87, 1, 36; Heun in: Dreier, Art. 3 Rn. 29; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 22. 261 BVerfGE 88, 87,96; 91,346,363; vgl. auch BVerfGE 65,104,112f.; 65, 325, 354f.; 74, 9, 24; 75, 382, 393; 82, 126, 146; Gubelt in: v. Münch/Kunig, Art. 3 Rn. 14. 262 So Burgi, JZ 1999, S. 879; vgl. auch Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 3 Rn. 11 ; Brüning, JZ 2001, S. 669. 263 Jarass in: Jarass/Pieroth, Art.3 Rn.3; ders., AöR 120 (1995), S.348f. 264 BVerfGE 64, 229, 238f.; 65, 104, 112f.; 75, 348, 357; 75, 382, 393. 265 Vgl. BVerfGE 30,292,312, 327; 65,104,112f.; 75, 382,393; 82,60, 86; OVG Bremen, NJW 1989, S. 926,927; Gubelt in: v. Münch/Kunig, Art. 3 Rn. 105 ; Heun in: Dreier, Art. 3 Rn. 124. 258

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

kung einer Begünstigung im Schutzbereich eines Grundrechts, so liegt der Schwerpunkt bei Art. 3 Abs. 1 GG 266 .

a) Berücksichtigung des Freizügigkeitsrechts, Art. 11 GG Bei der hier vorzunehmenden Abwägung zwischen Differenzierungsziel und Differenzierungskriterium ist zuerst zu berücksichtigen, daß die hier zu erörternden Landeskindervergünstigungen eine Vielzahl von Berührungspunkten mit dem durch Art. 11 GG gewährleisteten Recht auf Freizügigkeit aufweisen. Art. 11 GG garantiert die Freizügigkeit: Das heißt die Möglichkeit, „an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen" 267 und umfaßt damit den freien Zug von Bundesland zu Bundesland268. Über das dynamische Element des freien „Ziehens" hinaus ist auch und vor allem das effektive Verbleiben - insbesondere die Wohnsitznahme - am frei gewählten Ort gemeint, wobei Zweck oder Gründe des Ortswechsels für Art. 11 GG unrelevant sind 269 . Die Vorschrift trägt somit der in der modernen Industriegesellschaft vorausgesetzten hohen Mobilität Rechnung und ist gleichzeitig Voraussetzung für die effektive Ausübung anderer Grundrechte sowie der freien Entfaltung der Persönlichkeit 270. Hier offenbart sich zugleich, daß Freizügigkeit auch Grundvoraussetzung für die Chancengleichheit ist: „Die Gesellschaft entfaltet sich nur dann voll, wenn gewährleistet ist, daß ihre Bürger die Freiheit des Ziehens besitzen, um an jedem Ort ihre Chancen wahrzunehmen" 271. Im Besonderen macht es der enge Zusammenhang mit der Persönlichkeitsentfaltung notwendig, daß die Gewähr der Freizügigkeit sich nicht in der Umsiedlung der „nackten Existenz" 272 erschöpft. Indes würde der Schutzbereich zu weit greifen und im Widerspruch zur föderalistischen Struktur stehen, wenn die Freizügigkeit generell das Recht auf „Mitnahme aller einmal erworbenen Rechtspositionen" beinhalten würde 273 . Dennoch sind zahlreiche Benachteiligungen denkbar, die in ihrer Wirkung einen Umzug so erschweren, daß sie ihn praktisch verhindern. So würde, um ein Beispiel zu nennen, die Freizügigkeit faktisch stark eingeschränkt wenn nicht unmöglich, wenn die Schul- und Studienabschlüsse eines Landes in den anderen 266 BVerfGE 87, 1, 36; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 3 Rn. 3, der jedoch bei der Verteilung knapper Güter (z.B. Studienplätze) den Schwerpunkt bei den Freiheitsrechten ausmacht. 267 BVerfGE2,266, 273; 43, 203,211 ; 80,137,150; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 11 Rn. 2; Parlamentarischer Rat, JöR 1951, S. 130. 268 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 11 Rn. 12; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 794. 269 Pernice in: Dreier, Art. 11 Rn. 12. 270 Kunig in v. Münch/Kunig, Art. 11 Rn. 1; Pernice in: Dreier, Art. 11 Rn. 10. 271 Randelzhofer in: Bonner Kommentar, Art. 11 Rn. 13. 272 So plastisch Pieroth, JuS 1985, S. 84. 273 Vgl. Kisker, FS Bachof, S. 54.

§ 2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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Ländern nicht anerkannt würden 274 . Damit ist die Anerkennung tatsächliche Voraussetzung für die Wahl des Wohnsitzes. In diesem Zusammenhang wird deshalb vielfach konstatiert, daß zur Erhaltung der Freizügigkeit ein Mindestmaß an Einheitlichkeit im Hinblick auf die Mobilität der Studenten geboten ist 275 . Dementsprechend kann es nicht verwundern, daß zur Sicherung der Freizügigkeit im Hochschulbereich die Gewährleistung der Gleichwertigkeit der Reifeprüfungen in den verschiedenen deutschen Gliedstaaten schon 1909 eine der ersten gemeindeutschen Vereinbarungen der Länderverwaltungen darstellte 276. Die Ausgrenzung von Freiheitschancen bedingt daher die mittelbare Betroffenheit der Freizügigkeit, da diese die Entscheidung, in einem Bundesland Wohnsitz zu nehmen, maßgeblich beeinflussen kann: Reglementierungen der mit der Freizügigkeit verbundenen Zwecke 277 betreffen als „Hemmnisse der Freizügigkeit" 278 den Schutzbereich des Art. 11 GG zumindest mittelbar 279 . Wird auch teils allein dasjenige staatliche Verhalten als Eingriff in den Schutzbereich des Freizügigkeitsrechts geweitet, das diesen unmittelbar beeinträchtigt 280, um so einen ausufernden Anwendungsbereich, insbesondere mit Blick auf den engen Eingriffsbegriff ausgerichteten Einschränkungsmöglichkeiten des Art. 11 Abs. 2 GG, zu vermeiden 281, so wird trotzdem seine objektiv-wertsetzende Funktion, der verfassungsrechtliche Wert der selbstbestimmten Entscheidung über den Wohnsitz, als Grenze staatlicher Handlungen begriffen 282. Aber auch wenn mittelbare/faktische Beeinträchtigungen als Eingriff in Art. 11 GG qualifiziert werden 283, zumindest sofern sie einen „beherrschenden Einfluß" auf die Willensbildung des Bürgers ausüben können 284 - was in der Tat naheliegt - , so sind zumindest im Falle der mittelbaren Beeinträchtigung durch eine Ungleichbehandlung die allgemeinen und besonderen Diskriminierungsverbote als Spezialbestimmungen vorrangig einschlägig285. 274

Vgl. Pietzcker, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S.41. Begr. z. HRG, BT-Drs. 13/8796, S. 14; M. Müller, Auswirkungen der Grundgesetzrevision, S. 128; vgl. auch Karpen, Hochschulplanung, S.722. 276 Vereinbarung v.22.10.1909; ZB1DR, S. 1354; dazu: Karpen, Hochschulplanung, S.722. 277 Hailbronner, HStR VI, § 131 Rn.37. 278 Isensee, AöR 115 (1990), S.255. 279 Vgl. auch Burgi, JZ 1999, S. 877 f. 280 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 11 Rn. 19; Krüger in: Sachs, Art. 11 Rn. 20; Pieroth/ Schlink, Staatsrecht II, Rn. 801; vgl. auch Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, NDV 1991, S. 168. 281 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 801. 282 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 11 Rn. 19; ders., Jura 1990, S. 309. 283 Pernice in: Dreier, Art. 11 Rn. 20. 284 So BVerfG, HFR 1981, S. 579; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 11 Rn. 3; ähnlich Ziekow, Freizügigkeit, S. 545; für das Kriterium der Intensität auch Merten, Der Inhalt des Freizügigkeitsrechts, S.72; a. Α.: Haller, Privatrechtliche Gestaltung, S. 150, der auf die „freizügigkeitsregelnde Tendenz" abstellt. 285 Hailbronner, HStR VI, § 131 Rn. 36; a. A. wohl Rittstieg in: Alternativkommentar, Art. 11 Rn. 36. 275

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

Im Rahmen der Prüfung dieser Normen ist aber die Entscheidung des Grundgesetzes für die Freizügigkeit Maßstab dafür, ob eine Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt werden kann 286 . Gerade hier gilt es zu berücksichtigen, daß die Randbedingungen die Entscheidung über die Wohnsitznahme beeinflussen können287 und daß hierdurch die Freizügigkeit ihren praktischen Wert erhält 288 . Entgegen der Ansicht von Ziekow ist der Freizügigkeitsgarantie auch nicht unmittelbar ein Leistungssrecht im Sinne einer Förderpflicht zum Ausgleich nicht zumutbarer Beeinträchtigungen zu entnehmen, das sich als gegen das Bundesland des Zuzugs gerichteter Anspruch auf Anerkennung materiell gleichwertiger Qualifikationen focussiere 289. Denn wenn auch er hieraus keinen durchsetzbaren Anerkennungsanspruch folgert, sondern ein legislatorisches Tätigwerden, das der geforderten Gleichstellung gleichwertiger Positionen Rechnung trägt 290 , besagt dies der Sache nach nichts anderes, als daß die mit der Ausübung der Freizügigkeit einhergehenden Rechtsverluste im Rahmen der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung berücksichtigt werden müssen mit der Folge, bei einer materiellen Gleichwertigkeit eine gleiche Behandlung sicherzustellen. Um so mehr gilt es deshalb innerhalb der Abwägung des Art. 3 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, daß die Freizügigkeit in einer freiheitlichen Rechts- und Wirtschaftsordnung einen hohen Wert darstellt und sich gerade die unterschiedliche Behandlung von Einheimischen und Auswärtigen auf die Wahl von Wohnsitz und Aufenthalt negativ auswirken kann 291 . Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht die kommunale Zweitwohnungssteuer an Art. 3 Abs. 1 GG gemessen und in diesem Zusammenhang die Aspekte der Freizügigkeit mit berücksichtigt 292. b) Berücksichtigung sonstiger Freiheitsgrundrechte, insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG Im Rahmen der Landeskinderbegünstigungen sind überdies zahlreiche Berührungen mit anderen Freiheitsgrundrechten denkbar. Dies verdeutlichen wiederum Beispiele aus dem Hochschul- und der Medienbereich: Würde einem Studierenden bei jedem Landes Wechsel auferlegt, das Abitur zu wiederholen, so würde seine Freiheit der Ausbildungsplatzwahl (Art. 12 Abs. 1 GG) beeinträchtigt; wird die 286

Hailbronner, HStR VI, § 131 Rn.36. So auch BVerwGE 92,56,63 ff. für das sogenannte „Weilheimer Modell", bei dem durch vertragliche Abreden zwischen Grundstückseigentümern und Gemeinde sichergestellt werden sollte, daß Grundstücke nur an einen näher bestimmten Personenkreis von Ortsansässigen veräußert werden. Aber auch hier wurde kein Verstoß gegen Art. 11 GG angenommen. 288 Breuer, Bauplanungsrechtliche Instrumente, S.59. 289 Freizügigkeit, S.592, 599. 290 Ziekow, Freizügigkeit, S.599. 291 Hailbronner, HStR VI, § 131 Rn.36. 292 BVerfGE 65, 325, 355 f. 287

§ 2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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Verbreitung eines Fernsehprogramms in einem Bundesland davon abhängig gemacht, daß dieses Programm im eigenen Bundesland hergestellt wird 293 , so ist eine Berührung mit Art. 5 Abs. 1 GG evident. Gleichwohl ist es hier nicht möglich, den Fallkonstellationen sämtlich nachzugehen. Deshalb wird sich hier darauf beschränkt, aufgrund der großen praktischen Bedeutung exemplarisch die Landeskinderprivilegierungen mit berufsregelnder Tendenz näher in den Blick zu nehmen, wobei sich die zugrundeliegenden Überlegungen auch auf andere Grundrechte übertragen lassen. Art. 12 Abs. 1 GG wird als einheitliches Grundrecht auf Berufswahl und Berufsausübung einschließlich der freien Wahl des Arbeitsplatzes verstanden 294 und umfaßt „die Freiheit des Bürgers, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen, das heißt zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen"295. Das Grundrecht zielt damit auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab 296 und ist gleichzeitig Abwehrrecht gegen Freiheitsbeschränkungen im Ausbildungswesen297. Diese Wahlfreiheit des Arbeitsplatzes beschränkt sich nicht auf das jeweilige Land des derzeitigen Wohnsitzes, sondern bezieht sich auf das gesamte Bundesgebiet. Für die Landeskinderprivilegierungen gilt dabei: Sofern der Zugang zu einer staatlichen Ausbildungseinrichtung von einem im Land erworbenen Vorbildungsnachweis oder der Landesangehörigkeit abhängig gemacht wird, ist die teilhaberechtliche Funktion des Art. 12 Abs. 1 GG betroffen (die als freiheitsrechtlicher Bezug in Art. 3 Abs. 1 GG Einfluß gewinnt), handelt es sich indes um eine Freiheit, deren Ausübung grundsätzlich jedem offensteht, so handelt es sich bei den gesetzlichen Einschränkungen (zum Beispiel das Anknüpfen an einen landesinternen Qualifikationsnachweis, die Forderung der Landeskindereigenschaft) um subjektive Zulassungsvoraussetzungen, da sie in der Person des Grundrechtsinhabers liegen. Insofern ist innerhalb des allgemeinen Gleichheitssatzes zu berücksichtigen, daß in beiden Fällen die Auswärtigen von einer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Betätigung ausgeschlossen werden.

293 Vgl. die in § 1A. Fn. 5 erwähnte nordrhein-westfälische Regelung sowie § 52 Abs. 1 Nr. 1 Nds. LRG. Nach Einschätzung des Niedersächsischen OVG ist die Landeskinderklausel mit dem Grundsatz chancengleichen Zugangs prinzipiell zu vereinbaren: AfP 1996, S.304, 307; hierzu auch Hess AfP 1996, S. 233 ff. 294 BVerfGE7,377,400ff.; Breuer., HStR VI, § 147 Rn. 32; Jarass in: Jarass/Pieroth, Art. 12 Rn. 1. 295 BVerfGE7, 377, 397. 296 BVerfGE 82, 209, 223; 75, 284, 292. 297 BVerfGE 33, 303, 329.

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

c) Abwägung aa) Differenzierung

nach Landesangehörigkeit

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Bevorzugung von „Landeskindern" ist folglich zu berücksichtigen, daß es Ausdruck der Eigenstaatlichkeit der Länder und der damit einhergehenden Regelungs- und Ertragshoheit ist, daß ein Bundesland vorrangig „Sorge" für seine eigenen Einwohner trägt. Würde hierdurch jedoch grundsätzlich eine Differenzierung gerechtfertigt, so würde unzureichend berücksichtigt, daß sich diese sich auch auf freiheitsrechtliche Gewährleistungen negativ auswirkt. An dieser Stelle wird nunmehr der vom Bundesverfassungsgericht bereits zur Feststellung der Anwendbarkeit des allgemeinen Gleichheitssatzes angeführte „übergreifende Lebenssachverhalt" 298 relevant: Es ist in die Abwägung einzustellen, daß es um die Verteilung von Freiheitschancen geht und das Land insoweit in ein überregionales System eingebunden ist. Maßgeblich ist mithin, ob die Zulassung Landesfremder das bundesstaatliche System aushöhlen und den Verlust „föderativer Substanz"299 zur Folge hätte. Eine solche Aushöhlung wäre jedenfalls zu bejahen, wenn die von einem Land initiierte Einrichtung (zum Beispiel eine bestimmte Ausbildungsmöglichkeit) bei einer Öffnung für alle Deutschen in ihrer Funktionsfähigkeit gefährdet wäre. Hieran sind indes im Hinblick auf den Gewährleistungsgehalt des jeweiligen Freiheitsgrundrechts hohe Anforderungen zu stellen. Je weniger die Funktionen des Bundesstaates, insbesondere die Wettbewerbs- und Experimentierfunktion sowie die Demokratie-Adäquanz durch Zulassung Auswärtiger gefährdet sind, desto eher kann unter Berücksichtigung der freiheitsgrundrechtlichen Beeinträchtigung die Ungleichbehandlung der Auswärtigen als unzumutbar eingestuft werden. bb) Benachteiligung aufgrund eines auswärtigen Vorbildungsnachweises Aber auch soweit mit der Anknüpfung an einen landesinternen Vorbildungsnachweis letztlich das Ziel verfolgt wird, die Einheimischen zu bevorzugen, gilt das zuvor Ausgeführte entsprechend. Doch auch hier kommt erneut zum Tragen, daß sachlicher Grund für eine solche Differenzierung insbesondere die Sicherstellung eines bestimmten (hohen) Leistungsniveaus in Betracht kommt. Als zusätzlicher Umstand ist daher auch in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen, daß mit der Differenzierung einer - besonderen - Qualifikation Rechnung getragen werden 298

BVerfGE 33, 303, 352; dort heißt es auch: „Geht es aber [...] um einen Sachverhalt, der seiner Natur nach über die Ländergrenzen hinausgreift und für alle Staatsbürger der Bundesrepublik in allen Bundesländern gleichermaßen gewährleistete Rechtsposition berührt, dann können einseitige Begünstigungen der Einwohner eines Landes eine Ungleichbehandlung bewirken."; vgl. hierzu bereits oben im 2. Teil § 1Β III. 299 So BVerwG, NVwZ 1983, S. 223, 224 (für Landeskindervorbehalt bei Externen-Prüfung).

§ 2 Reichweite grundgesetzlicher Differenzierungsverbote

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soll. Allerdings kann dies nur dann die Bevorzugung landesinterner beziehungsweise die Verweigerung der Anerkennung auswärtiger Vorbildungsnachweise rechtfertigen, wenn hierdurch tatsächlich ein wesentlicher Unterschied der nachgewiesenen Fähigkeiten zum Ausdruck kommt 300 . Sind die Vorbildungsnachweise indes als materiell gleichwertig zu qualifizieren, so kann die Unterscheidung bereits den mit ihr verfolgten Zweck - die höhere Qualifikation sicherzustellen - nicht erfüllen und verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Nichts anderes gilt bei geringfügigen Standardabweichungen, denn hieraus ergeben sich insbesondere unter Beachtung der freiheitsgrundrechtlichen Beeinträchtigung keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, daß dies bereits einen Ausschluß rechtfertigen könnte; die Neuablegung wäre vielmehr dem einzelnen bei nur marginalem Defizit nicht zumutbar und würde gegen das Übermaßverbot verstoßen 301. Demnach ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG unter Einbeziehung der Beeinträchtigung der Freiheitschancen das Verbot, einen Bewerber aufgrund seines auswärtigen Vorbildungsnachweises von Begünstigungen auszuschließen, sofern dieser dem eigenen gleichwertig ist. Insoweit gebietet es der allgemeine Gleichheitssatz, den gleichen Zugang sicherzustellen. IV. Ergebnis Die Lösung der Landeskinderprivilegierungen in ihren verschiedenen Ausprägungen kann unabhängig vom Eingreifen besonderer Gleichheitssätze jedenfalls durch Art. 3 Abs. 1 GG erfolgen. Der im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes bestehende Spielraum des Gesetzgebers wird durch die mit den Landeskinderbegünstigungen einhergehenden Beeinträchtigungen grundrechtlich geschützter Freiheiten zusätzlich beschränkt. Maßgebliches Kriterium ist letztlich die Zumutbarkeit für die Betroffenen. Die Beseitigung der verfassungswidrigen Ungleichbehandlung gebietet die Gleichstellung mit den Einheimischen. Dies hat zwar nicht unmittelbar zur Folge, daß die Landeskindern eingeräumte Begünstigung auch Landesfremden gewährt werden muß; es ist aber die gleiche Chance auf die Begünstigung einzuräumen 302. Insofern ist der allgemeine Gleichheitssatz in der Lage, auf Chancengleichheit im Bundesstaat hinzuwirken.

300 Vgl i m Hinblick auf den Zugang zum öffentlichen Dienst schon oben sub AII4b)bb). 301 Vgl. Fastenrath, JZ 1987, S. 176f. 302 Vgl. Martens, VVDStRL 30 (1972), S.24; Stern,, Staatsrecht III/2, S.750.

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

§ 3 Das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens alsföderativer Mechanismus gegen Landeskinderbegünstigungen Neben der Frage nach verfassungsrechtlichen Anforderungen zum Schutze der Chancengleichheit der Bürger werfen die Landeskinderklauseln auch Probleme zwischen den Bundesländern auf. Denn wie ausgeführt sind nach dem Gebot der Bundestreue die an dem verfassungsrechtlichen „Bündnis" Beteiligten - also auch die Länder untereinander - gehalten, „dem Wesen dieses Bündnisses entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen" 303. Das bundesstaatliche Prinzip begründet damit nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten und Beschränkungen, die insbesondere auf gegenseitige Rücksichtnahme auf die Interessen des Bundes und der Länder bei der Kompetenzausübung gerichtet sind 304 . In dieser Funktion könnte das Prinzip der Bundestreue den Landeskinderprivilegierungen entgegenstehen.

Λ. Differenzierung nach Landesangehörigkeit Zwar ist die Gewährung von Leistungen allein für Landesangehörige grundsätzlich von der Landeskompetenz gedeckt, doch gleichwohl kann eine solche Beschränkung gegen den Grundsatz der Bundestreue verstoßen. Denn die Inanspruchnahme der vom Grundgesetz eingeräumten Kompetenzen findet dort ihre Grenze, wo die Gefahr besteht, daß bei Handlungen ausschließlich im eigenen Interesse andere Glieder des Bundesstaates Schaden nehmen305. In seiner Funktion als Mißbrauchsschranke gebietet es das Gebot der Bundestreue, auf die Interessen anderer Länder Rücksicht zu nehmen und diese gegebenenfalls unter Zurückstellung eigener Anliegen zu wahren. Daher haben die Länder auf die Bevorzugung der eigenen Einwohner zu verzichten, wenn hierdurch gesamtstaatliche Belange oder Belange anderer Länder erheblich 306 beeinträchtigt werden und ein dem gegenüberstehendes, schutzwürdiges Eigeninteresse fehlt. Dabei können Interessen des Gesamtsystems beziehungsweise der anderen Länder durch Landeskinderbegünstigungen nur berührt sein, wenn das Land in ein überörtliches System eingebunden ist, in dem die einzelnen Glieder aufeinander angewiesen sind: Nur wenn in einem System überregionaler Gewährleistung die Regelungen ineinandergreifen, vermag der Ausschluß Landesfremder zu einer Störung des Gesamtsystems zu führen. Ein solches System gegenseitiger Abhängigkeit stellt beispielsweise der gesamte Hochschulbereich dar: Hier greifen die Regelungen be303 304 305 306

BVerfGE 1, 299, 315; vgl. oben im 2. Teil §4B. BVerfGE4, 115, 140. Vgl. hierzu schon oben im 2. Teil §4B. Zum Erfordernis einer intensiven Interessenverletzung bereits im 2. Teil §4C.

§ 3 Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens

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züglich der Vielfalt der Studiengänge, der Studienplatzbedarfe, der Ausnutzung der Kapazitäten sowie der Personalrekrutierung so ineinander über und sind derart miteinander verflochten, daß eine Isolierung eines Landes dieses Gesamtsystem ins Wanken bringen kann. In diesem Fall bleiben die Wirkungen einer Landeskinderbegünstigung nicht auf den eigenen Hoheitsbereich beschränkt, sondern greifen in die Gesamtplanung ein, da die Ausgestaltung eines überregional angelegten Systems der Mitwirkung der hierzu berufenen Gliedern bedarf. Allgemein ist hieraus abzuleiten, daß sich bei Gefährdung eines „die Vielfalt zwar nicht rechtlich, aber doch tatsächlich überwölbenden Gesamtgefüges (zum Beispiel: Bildungsinstitutionen)" 307 aus dem Grundsatz der Bundestreue die Verpflichtung ergibt, Landesfremde in die Gewährleistung einzubeziehen. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß eine Pflicht zur Gleichstellung Landesfremder unter der Voraussetzung besteht, daß das jeweilige Land in ein System überregionaler Gewährleistungen eingebunden ist, dessen Gefüge durch den Ausschluß Landesfremder in Frage gestellt wird und der Gleichstellung Landesfremder keine überwiegenden eigenen Interessen entgegenstehen.

B. Anerkennung landesfremder Abschlüsse I. Störung des bundesstaatlichen Systems Das Prinzip der Bundestreue ist darüber hinaus geeignet, auf die Anerkennung landesfremder Verwaltungsakte hinzuwirken. Ist ein Bundesland nicht bereit, die landesfremd erworbenen Vorbildungsnachweise anzuerkennen, so bleibt die durch den Nachweis erworbene Rechtsstellung auf das Land, in dem dieser erbracht worden ist, begrenzt (beziehungsweise auf die Länder, die zur Anerkennung bereit sind). Handelt es sich aber um Rechtsstellungen innerhalb eines bundesweiten Gewährleistungssystems, wie beispielsweise - um beim Hochschulrecht zu bleiben - die allgemeine Hochschulreife innerhalb des überregional ausgerichteten Universitätszugangs, so stellt auch die Nichtanerkennung des Nachweises das tatsächlich überwölbende Gesamtgefüge in Frage 308. Denn im Ergebnis kommt es für die Störung des Gesamtsystems nicht darauf an, ob der Ausschluß der Landesfremden auf einer unmittelbaren gesetzlichen Regelung beruht oder eine landesfremde Berechtigung nicht akzeptiert wird. Soweit an die Verletzung des Bundestreueprinzips hohe Maßstäbe angelegt werden, erscheint es auch nicht „voreilig" - wie Faller 309 ausführt - , zur Lösung dieser Problematik, die er in ihrem Regelungsbereich zutreffend zum „Hausgut" der Länder zählt, auf den Grundsatz der Bundestreue zurückzugreifen. Maßgebend ist allerdings, daß keine höherrangigen Interessen des nicht anerkennungsbereiten Landes entgegenstehen. 307 308 309

So Kisker, FS Bachof, S.57. Vgl. Kisker, FS Bachof, S. 57. FS Maunz, S. 67.

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3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

Eine solche Höherrangigkeit der Interessen des ablehnenden Landes kann angenommen werden, wenn sich der landesfremde Nachweis als nicht gleichwertig darstellt 310 , weil mit der Forderung einer Zugangsberechtigung letztlich allein die Kenntnisse festgelegt werden, die für die Aufnahme eines Studiums oder eines Berufs als notwendig erachtet werden. Entsprechend kann eine Pflicht zur Anerkennung nicht bestehen, wenn die Anforderungen (erheblich) voneinander abweichen, da ansonsten die Regelungskompetenz dieses Landes ausgehöhlt wird. Aus dem Grundsatz der Bundestreue folgt daher lediglich die Verpflichtung zur Gleichstellung gleichwertiger Berechtigungen 311. II. Anforderungen an die Gleichwertigkeit Dennoch sind die Maßstäbe an die Gleichwertigkeit anzuerkennender landesfremder Abschlüsse im Rahmen des Gebots der Bundestreue nicht zu eng anzulegen. Die Begründung hierfür wurzelt in der bundesstaatlichen Ordnung: Setzt diese Vielgestaltigkeit und Offenheit voraus, so muß den Ländern die Möglichkeit eingeräumt sein, auch bei dem Erwerb von Bildungsnachweisen eigene Wege zu beschreiten. Die Vielfalt der Initiativen als Funktion des Bundesstaates kann sich nur entfalten, wenn auch - zumindest nicht wesentlich - abweichende Abschlüsse anerkannt werden 312, da ansonsten wäre jedes Bundesland gezwungen wäre, sich zur Wahrung der Interessen seiner Einwohner den Systemen anderer Bundesländer anzupassen, um so eine optimale Gleichwertigkeit sicherzustellen, eine Verwirklichung des „Wettbewerbsföderalismus" wäre so kaum möglich. Gerade die Abstimmung zwischen den Ländern durch gegenseitige Kompromißbereitschaft ist in diesen Fällen Leitgedanke des Prinzips der Bundestreue. Wenn Isensee 313 daher für die Anerkennungspflicht voraussetzt, daß die materielle Gleichwertigkeit für einen bestimmten Typ des Qualifikationsnachweises „exakt" feststeht, so läuft dies den bundesstaatlichen Funktionen zuwider. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit ist deshalb ein Maßstab anzunehmen, der einerseits die Verwirklichung eigener Vorstellungen durch die Länder ermöglicht und andererseits den Interessen des „aufnehmenden" Landes an den festgelegten Anforderungen hinreichend Rechnung trägt. Dies hängt im Einzelfall auch davon ab, welcher Regelungsbereich (hohe Gefahrenintensität?) betroffen ist oder ob bestimmte Kenntnisse gerade in diesem Land aufgrund der örtlichen Verhältnisse von besonderer Bedeutung sind. Die Verweigerung der Anerkennung ist daher ungerechtfertigt, wenn der durch den Nachweis erwiesene Kenntnisstand nicht wesentlich ab310

Vgl. zur Gleichwertigkeit oben: §2 All4b)bb). Bethge, AöR 110 (1985), S.215; Kisker, FS Bachof, S.57. 312 Vgl. Laaser, RdJB 1982, S.367: „Die materiale und verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Gleichwertigkeitspostulats entscheidet nicht zuletzt über die Bewährung des föderalen Bildungssystems des Grundgesetzes". 313 HStR IV, §98 Rn.41. 311

§ 4 Ergebnis zum 3. Teil

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weicht und durch die Anerkennung die Interessen des anerkennenden Landes nicht nachhaltig beeinträchtigt werden. Der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens fordert demnach vom regelnden Bundesland, die Gleichstellung auswärtiger Vorbildungsnachweise zu gewährleisten, wenn es in ein System überregionaler Gewährleistung eingebunden ist, das durch die Ungleichbehandlung gefährdet würde und die Abschlüsse unter Berücksichtigung des mit ihm jeweils verfolgten Zwecks als gleichwertig anzusehen sind.

§ 4 Ergebnis zum Dritten Teil Eine Ungleichbehandlung, die auf der Differenzierung eines Landeshoheitsträgers beruht, der bestimmte Regelungen nur für Einheimische trifft, verstößt gegen den besonderen Gleichheitssatz des Art. 33 Abs. 1 GG, wenn aufgrund der Verbandszuständigkeit die verfassungsrechtliche Möglichkeit der Erstreckung auf Landesfremde besteht und die Differenzierung nicht aufgrund überwiegender anderer verfassungsrechtlicher Gründe im Wege praktischer Konkordanz gerechtfertigt werden kann. Die durch Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Differenzierungskriterien „Abstammung" und „Heimat" erfassen die Landeskinderbegünstigungen in ihrer regelmäßigen Ausprägung (Differenzierung nach Wohnort) nicht. Art. 3 Abs. 1 GG wirkt der Differenzierung nach Landesangehörigkeit entgegen, wenn entsprechend der Eingrenzung bei Art. 33 Abs. 1 GG eine Einbeziehung der Landesfremden im Rahmen der eigenen Hoheitsgewalt verfassungsrechtlich möglich ist und kein sachlicher Grund für eine Differenzierung vorliegt. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet gleichfalls die landesrechtliche Anknüpfung an einen landesintern erbrachten Vorbildungsnachweis und gebietet die Gleichstellung des auswärtigen Nachweises, solange die Unterscheidung nicht Ausdruck eines wesentlichen Unterschieds der nachgewiesenen Fähigkeiten ist und damit ein sachlicher Grund für die Differenzierung vorliegt, der auch dem Übermaßverbot standhält. Sowohl bei Art. 33 Abs. 1 GG als auch bei Art. 3 Abs. 1 GG ist innerhalb der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung maßgeblich zu berücksichtigen, daß sich die Differenzierung nachhaltig auf grundrechtlich gewährte Freiheitsbetätigungen - insbesondere auf die Freizügigkeit sowie die freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte - negativ auswirken kann. Im Bereich des Zugangs zum öffentlichen Dienst gilt die Sondernorm des Art. 33 Abs. 2 GG, die grundsätzlich jede Anknüpfung an die Landesangehörigkeit verbietet. Daneben beinhaltet Art. 33 Abs. 2 GG das Recht des einzelnen, nicht wegen der Auswärtigkeit des Vorbildungsnachweises vom öffentlichen Dienst eines anderen Landes ausgeschlossen zu werden, sofern dieser dem des Einstellungslandes gleichwertig ist. Die besonderen Differenzierungsverbote und der allgemeine Gleichheitssatz schützen folglich den einzelnen vor einer Bevorzugung der Landesangehörigen beziehungsweise derjenigen, die im Land einen Vorbildungsnachweis erbracht haben, wenn eine Einbeziehung Landesfremder in die Regelung verfassungsrechtlich mög-

220

3. Teil: Grenzen der Privilegierung von Landesangehörigen

lieh ist und sich der Ausschluß Landesfremder unter Berücksichtigung der sich gegenüberstehenden Belange - insbesondere der betroffenen Freiheitsgrundrechte - als unzumutbar erweist. Auch das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens fordert eine Gleichstellung mit den Einheimischen, wenn das regelnde Land in ein System überregionaler Gewährleistung eingebunden ist, das durch den Ausschluß Landesfremder in Frage gestellt würde und die Gleichstellung keine schwerwiegenden Interessen des Landes entgegenstehen. Hieraus kann sich gleichfalls die Pflicht zur Gleichstellung landesfremder Abschlüsse ergeben, sofern diese den landeseigenen gleichwertig sind.

Vierter

Teil

Verknüpfung der bisherigen Befunde der Untersuchung Der Bundesstaat selbst enthält durch seine Funktion „Einheit in der Vielfalt" auch ein unitarisches Moment. Denn Staat bedeutet immer die Vereinigung einer Vielzahl von Menschen innerhalb eines abgegrenzten geographischen Raumes. Somit ist auch dem Bundesstaat die Herstellung und Wahrung der nationalen „Einheit" aufgegeben, worunter nicht nur staatliche Handlungs- und Wirkungseinheit, sondern zugleich auch die Gleichwertigkeit der gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu verstehen ist 1 . Der Staat als nationale „Einheit" setzt den Willen der Menschen zu staatlicher Gemeinsamkeit als subjektive Basis voraus: das Wesen der Einheit als dauerhafte Schicksals- und Gefahrengemeinschaft 2. Die „Nation" als staatsbildende Kraft bezeichnet als Integrationsbegriff das „Ideal einer Solidargemeinschaft gleichberechtigter, freier Bürger" 3, der „Staat strebt danach, aus Mitgliedern zu bestehen, die soweit wie möglich gleich sind" 4 ; und so beruht auch der BundesStaat in hohem Maße auf dem Konsens seiner Bürger 5. Damit kann das Verfassungsgebot der Herstellung annähernd gleicher Lebenschancen als Leitidee eines jeden Staates mit dem Bestreben zu politischer Einheit als vorverfassungsmäßiger Grundsatz bezeichnet werden6. Ohne ein solches Minimum an sozialer und ökonomischer Homogenität wäre ein Bundesstaat von vornherein der Gefahr ausgesetzt, durch die Gegensätze seiner Teile seine eigene Funktionsfähigkeit einzubüßen7, was durch die derzeitige Entwicklung in „Rest-Jugoslawien" beispielhaft aufgezeigt wird. Können sich nämlich die politisch relevanten Teile eines Staatsvolkes in der politischen Einheit nicht mehr wiedererkennen, so werden die sozialen Divergenzen „zu Bruchlinien der politischen Einheit" 8 . Auch ein gewisses Maß an Chancengleichheit innerhalb der bundesstaatlichen Glieder gehört sonach zu den Funktionsbedingungen des Bundesstaates. Solange daher der Bundesstaat das Ziel verfolgt, ein „beständiger Bund" zu sein, ist ihm bereits aus dieser Perspektive das Streben nach einem gewissen Maß an Homogenität 1 2 3 4 5 6 7 8

H.-P. Schneider, NJW 1991, S.2451. Isensee, HStRI, § 13 Rn. 112. Grawert, HStRI, § 14 Rn. 10. Aristoteles, Politik, IV, 1295 b 25 f. Kilian, JZ 1991, S. 426. So Depenheuer, HStR IX, § 204 Rn. 46. H.-R Schneider, NJW 1991, S.2451; Däubler, FS Mahrenholz, S.463. Depenheuer, HStR IX, §204 Rn.49.

222

4. Teil: Verknüpfung der bisherigen Untersuchungsergebnisse

der Lebenschancen immanent. Wie herausgestellt9, findet sich zwar die primäre Legitimation des Bundesstaates nicht mehr im „bündischen Prinzip", dennoch darf eine Grundsymmetrie von Eigenart und Einheit auch im Rahmen des Wettbewerbsföderalismus nicht fehlen, damit das Moment gesamtstaatlicher Einheitsbildung erhalten bleibt. Gleichzeitig bedeutet Bundesstaat indes Betonung der Vielfalt. Diese darf schon aus Sicht des Art. 79 Abs. 3 GG nicht durch verfassungsrechtliche Direktiven in Einheit umgedeutet werden. Der Bundesstaat bezieht nicht aus der Nivellierung, sondern besonders aus regionaler Vielfalt seine Vitalität 10 , sie ist notwendige zweite Seite des grundgesetzlichen Bundesstaates11. Unabhängig von einer Neujustierung ist schon aufgrund der bereits eruierten primären Funktionen des Bundesstaates - Dezentralisation, Freiheitssicherung, Minderheitenschutz, Experimentiermöglichkeit, Sachnähe, Demokratie-Adäquanz - Vielfalt und Beweglichkeit erwünscht. Sie legitimieren ein Anderssein der Länder. Wem dient die Experimentierfunktion, wenn der Sache nach aber keine unterschiedlichen Lebensbedingungen hervorgerufen werden dürfen, sondern eine Orientierung an bestehenden Standards erfolgen muß? Was verbleibt von der Funktion der größeren Sachnähe oder der DemokratieAdäquanz, wenn sich kein eigenes Länderprofil entwickeln kann? Gerade die föderalistische Staatsstruktur mit der Möglichkeit, auch der politischen Minderheit auf Länderebene Raum für eigene Entscheidungen zu geben, wirkt einer Staatsverdrossenheit und damit der „Desintegration des Staatsvolkes"12 entgegen. Insofern liegt auch in der Zulassung von Vielfalt eine integrative Kraft. Damit deutet sich erneut die Ambivalenz des Bundesstaatsprinzips an: Das bundesstaatliche Prinzip ergänzt und verstärkt einerseits die sozialstaatlich intendierte Chancengleichheit über Ländergrenzen hinaus, andererseits bricht es die Einheitlichkeit föderal, indem es regionale Unterschiede nicht nur toleriert, sondern gerade positiv legitimiert 13 . Die Stärke der föderativen Staatsform ist damit zugleich auch ihre Schwäche: Die Vielfalt hat mit der Wahrung der Chancengleichheit als gleichrangiges Verfassungsgut zu korrespondieren 14, die föderative Ordnung stellt sich von vornherein als Kompromiß dieser Ziele dar 15. Das beschriebene SpannungsVerhältnis zwischen Bundesstaatsprinzip und Chancengleichheit entsteht mithin bereits in der föderativen Ordnung selbst, indem sie zwei gegensätzliche Maßstäbe in sich vereint, ohne sich jedoch von vornherein für die Höherrangigkeit eines Ziels auszusprechen. 9

Vgl. oben l . T e i l § 2 B , D. Depenheuer, HStR IX, § 204 Rn. 113; Arndt, JuS 1993, S. 360. 11 Däubler, FS Mahrenholz, S.463. 12 Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 (Bundesstaat) Rn.83. 13 BVerfGE 72, 330, 398; Depenheuer, HStR IX, §204 Rn. 109; Kilian, JZ 1991, S.426. 14 Kilian, JZ 1991, S.426. 15 Zimmermann, Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse", S.36. 10

4. Teil: Verknüpfung der bisherigen Untersuchungsergebnisse

Die Verfassungsinterpretation kann daher nicht mehr, als die Grenzen der Vielheit bestimmen und gleichzeitig feststellen, daß die Vielheit nicht zur Auflösung der staatlichen Gemeinschaft führen darf. Dementsprechend können das Sozialstaatsprinzip, die Grundrechte und das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens nur Randkorrekturen vornehmen, um letztlich den Erhalt des Gesamtsystems zu gewährleisten. Die obigen Ergebnisse reflektieren damit nichts anderes, als die von Anfang an bestehende Vereinigung an sich gegenläufiger Elemente im „BundesStaat" mit dem Ziel eines funktionsfähigen Ganzen. Der dadurch eingeräumte Spielraum ist wesensnotwendig politischer Natur und kann verfassungsrechtlich nur in Nuancen verschoben werden. Innerhalb dieses „Rahmens" bleibt die Entscheidung für größere Einheit oder größere Vielfalt dem Gesetzgeber überlassen. Es bleibt daher festzuhalten, daß als „Preis" für die föderalistische Staatsform eine Einbuße an Chancengleichheit zu zahlen ist. Ob dieser Preis im Einzelfall angemessen ist oder zu hoch erscheint, ist grundsätzlich eine auf politischem Weg zu beantwortende Frage. Die bundesstaatliche Ordnung ist damit in der Staatspraxis dynamisch16. Das aus dem Sozialstaatsgebot, den Grundrechten und dem Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens entwickelte Gebot der Rücksichtnahme auf die Chancengleichheit im Bundesstaat wird daher in seinem Umfang letztlich durch den Begriff der Zumutbarkeit konkretisiert: Der so abgesteckte Rahmen des politischen Spielraums verhindert allein eine unzumutbare Beeinträchtigung der Chancengleichheit durch das föderalistische System.

16

Isensee, Einheit in Ungleichheit, S. 148.

Fünfter Teil

Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse Die aus der verfassungsrechtlichen Dogmatik abgeleiteten Grenzen der Ländergesetzgebung erlangen in praxi für das Spannungsverhältnis zwischen Bundesstaatsprinzip und Chancengleichheit erst tatsächliche Wirksamkeit, wenn sie durch den einzelnen oder durch Glieder des bundesstaatlichen Systems eingefordert werden können, also durchsetzbar sind. Entsprechend der Konzentration der hier vorgenommenen Untersuchung auf die spezifische Verfassungsverletzung durch die bundesstaatlich gegliederte Staatsgewalt, wird bei gleichzeitiger Begrenzung der Stoffülle nur die Durchsetzbarkeit vor dem Bundesverfassungsgericht unter Beschränkung auf die damit verbundenen besonderen Probleme aufgezeigt. Ebenso bleibt aufgrund der generalisierten Betrachtungsweise die Fragestellung eines notwendigen Vollzugsakts, die der unmittelbaren Betroffenheit und der Rechtswegerschöpfung außer Betracht.

§ 1 Individualrechtsschutz: Die Rechte des einzelnen Λ. Disparitäre Rechtsausübung durch die Länder Im aufgezeigten Konfliktfeld „Bundesstaat und Chancengleichheit" ist von besonderem Interesse, ob der einzelne, der sich durch die bundesstaatliche Vielfalt belastet sieht, etwaige Verpflichtungen zur Herstellung bundesweiter Chancengleichheit durchsetzen kann.

I. Sozialstaatlich begründetes Rücksichtnahmegebot Im Rahmen der Untersuchung von disparitärer Rechtsausübung durch die Bundesländer hat sich die überregionale Chancengleichheit als ein Moment der sozialen Prägung des Bundesstaates und damit als Verfassungsziel herausgestellt, das der Gesetzgeber ebenso wie die bundesstaatliche Prägung zu berücksichtigen hat. Nach den Grundsätzen des Gebots „gerechter" Abwägung darf dabei kein Mißverhältnis entstehen, das der Bedeutung eines Ziels nicht mehr gerecht wird. Im Falle einer übermäßigen Ungleichgewichtung zu Lasten der gleichen Lebenschancen ist der Gesetzgeber zur Angleichung verpflichtet.

§ 1 Individualrechtsschutz: Die Rechte des einzelnen

225

Damit eine solche Verpflichtung jedoch durch den einzelnen geltend gemacht werden kann, muß der Pflicht ein subjektives Recht korrespondieren. Denn die Berechtigung, eine normative Konfliktentscheidung den Verpflichteten gegenüber geltend zu machen, ist Inhalt des subjektiven Rechts1. Durch Einräumung dieser Rechtsmacht schlägt ein Interesse an einer Begünstigung in ein rechtliches Können um und erzeugt freiheitsgewährende Distanz2. Eine solche Rechtsmacht steht dem einzelnen zu, wenn die Pflicht des Staates nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern zumindest auch dem Interesse einzelner Bürger zu dienen bestimmt ist 3 . Hierbei ist die Interessenrichtung den Vorschriften zu entnehmen, die der jeweiligen Pflicht zugrunde liegen. So verbürgen rein objektive, nur im öffentlichen Interesse bestehende Verfassungsaufträge keine subjektiven Rechte. Infolge dessen kommt ein individuelles Recht auf sozialstaatliche Angleichung in Betracht, wenn der Verfassungsauftrag der sozialstaatlich intendierten Angleichung auch den Freiheitsinteressen des einzelnen dient. Doch das Sozialstaatsgebot als in Art. 20 Abs. 1 GG niedergeschriebener Verfassungsgrundsatz ist eine ausdrückliche Staatszielbestimmung, die als solche allein die öffentliche Gewalt verpflichtet sowie berechtigt und keinen individualrechtlich faßbaren Gehalt hat, der Grundlage eines subjektiv öffentlichen Rechts sein könnte4. Sowohl bei den sozialstaatlichen als auch bei den bundesstaatlichen Abwägungsgesichtspunkten handelt es sich um objektiv-rechtliche Ziele, deren Ausgleich allein im öffentlich-rechtlichen Interesse erfolgt und nicht dem Schutz des einzelnen dient. Deshalb kann hieraus keine individuelle Rechtsmacht erwachsen, diese Belange geltend zu machen5. Staatszielbestimmungen enthalten zwar zwingend in Abwägungs- und Optimierungsprozessen zu beachtende Faktoren, die insoweit normativ binden und der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der konkreten und abstrakten Normenkontrolle unterliegen, sie bleiben aber zur Sicherung staatlicher Gestaltungsfreiheit hinter der Bindungswirkung von Grundrechten zurück 6. Zwar ist der Bürger Bezugspunkt der sozialstaatlich intendierten Unzumutbarkeit, dennoch ist dies nicht subjektiv-rechtlich vermittelt. Vielmehr enthalten die Grundrechte objektive Richtlinien für die Voraussetzungen grundrechtlicher Freiheit, die es im Rahmen des Sozialstaatsgebots zu berücksichtigen gilt 7 . Ist der Staat aus dem Sozialstaatsprinzip auch zu sozialgestaltender Tätigkeit verpflichtet, so ergibt sich hieraus kein subjektiver, mit Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch8. Daher hat der einzelne keinen Anspruch auf „gerechte" Abwägung der sich 1

Wahl in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Vorb §42 Abs. 2 Rn. 46. Vgl. Wahl in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Vorb §42 Abs. 2 Rn. 46, 48. 3 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 8. 4 Badura, Staatsrecht, Rn.D36f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.213. 5 Vgl. zur Geltendmachung von Abwägungsbelangen: BVerfG, NVwZ 1987, S.969. 6 Hesse, HVerfR (1), § 5 Rn. 34 f. 7 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn.298. 8 Bendai Klein, Rn.428; zur Ausnahme des zur Wahrung der Menschenwürde notwendigen Existenzminimums: BVerfGE 1, 97, 105. 2

15 Engels

226

5. Teil: Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse

gegenüberstehenden Ziele Bundesstaat und sozialstaatlich begründete Angleichung der Lebenschancen. II. Freiheitsgrundrechte Es wurde zudem festgestellt, daß die bundesstaatlich begründete Chancenungleichheit in verschiedenen Konstellationen gegen Freiheitsgrundrechte verstoßen kann9. Die Grundrechte als subjektive, statusbegründende Rechte sind als Kernstück der Verfassung und „Fundamentalrechte des Einzelnen"10 grundsätzlich gegen jede Beeinträchtigung durch Akte staatlicher Gewalt geschützt, so daß der einzelne Grundrechtsträger diese im Konfliktfalle mit Gesetzgebern (sonst auch Verwaltungsrechtsweg) mit der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, §§ 13 Nr. 8 a, 90ff. BVerfGG verteidigen kann 11 ; ihm diesbezüglich - vorbehaltlich des Vorliegens aller weiteren Voraussetzungen - der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht offensteht. 1. Verhalten der öffentlichen

Gewalt

Dabei ist die Verfassungsbeschwerde kein kontradiktorisches Verfahren, Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist vielmehr ein Handeln oder Unterlassen eines Organs oder einer Behörde, durch das der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt (§ 92 BVerfGG). Gefordert ist damit ein Verhalten, das einer staatlichen Stelle zuzurechnen ist und von dem die grundrechtsrelevante Beeinträchtigung ausgeht12. 2. Abgrenzung zum Unterlassen Soll im Ergebnis eine Angleichung der unterschiedlichen Länderregelungen erfolgen, so stellt sich die Frage, ob das Absehen von der gebotenen Angleichung, die fehlende Beachtung der landesfremden Regelungen, eine Grundrechtsverletzung durch Unterlassen darstellt. Jedoch ist zu beachten, daß sich fehlerhaftes Handeln immer in ein Unterlassen des richtigen Handelns umdeuten läßt; insbesondere in den Fällen, in denen sich eine Begünstigung für den einen negativ für einen anderen auswirkt. Hier ist immer der Einwand möglich, der Gesetzgeber habe es unterlassen, ihn zu berücksichtigen 13. Liegt aber eine gesetzgeberische Maßnahme - also ein Handeln - vor, so ist diese Entscheidung und nicht das Unterlassen das freiheitsbe9

Vgl. oben im 2. Teil §3. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn.335. 11 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn.310ff. 12 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn.403; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 12 Rn.23. 13 Vgl. Lechner/Zuck, BVerfGG, §90 Rn.67f. 10

§ 1 Individualrechtsschutz: Die Rechte des einzelnen

227

einträchtigende Moment, so daß die Verfassungsbeschwerde gegen die gesetzliche Vorschrift zu richten ist 14 . 3. Tauglicher Beschwerdegegenstand Demnach stellt sich bei der Abwehr von Grundrechtsbeeinträchtigungen, die durch disparitäre Kompetenzwahrnehmung bewirkt werden, die Frage, welcher Hoheitsakt als grundrechtlich relevant zu beanstanden ist. Hierbei ist zwischen den einzelnen Fallkonstellationen zu differenzieren. a) Besonders „strenge" Regelung in einem Bundesland Erweist sich eine belastende Regelung für die Adressaten deshalb als verfassungswidrig, weil die überregionale Freiheitsbeeinträchtigung eine besondere Schwere der Beeinträchtigung vermittelt, so ist allein diese belastende Regelung Gegenstand der Verfassungsbeschwerde. b) Faktische Auswirkungen einer Landesregelung auf Grundrechtsträger in anderen Bundesländern Erläßt ein Bundesland eine begünstigende Regelung, die faktische Auswirkungen auf Grundrechtsträger in anderen Bundesländern hat, ist ebenfalls dieses Handeln ausschlaggebend für die Grundrechtsbeeinträchtigung, solange die anderen Länder keine Rechtspflicht zum Handeln trifft (beispielsweise zur Umsetzung einer Ländervereinbarung). c) Verfassungswidrige Kumulation der Regelungen Geht die grundrechtliche Beeinträchtigung allein von der Kumulation der landesrechtlichen Regelungen aus, begründet also die einzelne Regelung für sich betrachtet keine Grundrechtsverletzung, so ist besonders problematisch, welche der hoheitlichen Maßnahmen im Rahmen der Verfassungsbeschwerde als grundrechtsverletzend zu beanstanden ist. Denn damit ist die bisher wenig diskutierte Frage angesprochen, ob auch ein „Mitverursachungsbeitrag" tauglicher Beschwerdegegenstand sein kann und inwieweit das Bundesverfassungsgericht die Wirkungen der übrigen Regelungen zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit in seine Überlegungen einbeziehen kann. Ist die Grundrechtsbeeinträchtigung - wie ausgeführt 15 - auch jedem Land zurechenbar, so geht die Gesamtbeeinträchtigung aber im Ergebnis erst von allen Länderregelungen gemeinsam aus. 14 15

15*

Lechner/Zuck, BVerfGG, § 90 Rn. 68. Vgl. oben im 2. Teil §3DIL

228

5. Teil: Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse

Dies legt den Schluß nahe, daß nur alle Maßnahmen zusammen als Beschwerdegegenstand in Betracht kommen. Denn trifft die Länder eine „gemeinsame Verantwortung", so liegt es auch nahe, alle Akte gemeinsam anzugreifen. Dafür spräche überdies, daß der Bürger sich gegen die von der öffentlichen Gewalt ausgehende Rechtsverletzung wendet, die ja gerade nicht von jeder einzelnen Regelung ausgeht, sondern erst von allen gemeinsam, von ihrer Kumulation. Indes würde das Vorgehen gegen jede einzelne Regelung für den Betroffenen ausreichenden Rechtsschutz gewähren, wenn anhand der einzelnen Regelung die Verfassungsmäßigkeit seiner durch das Zusammenwirken entstandenen Gesamtsituation überprüft werden könnte. Denn würde sich das Bundesverfassungsgericht auf eine isolierte Prüfung der einzelnen Regelung beschränken, könnte der Verfassungsverstoß angesichts der Problemstellung gerade nicht festgestellt werden. Ausgangspunkt und Maßstab der Prüfung der Beeinträchtigung ist in erster Linie die Freiheitsverkürzung, die sich für den Betroffenen ergibt, weil diese letztlich die Rechtsverletzung ist, die abgewendet werden soll. Folglich ist die Zumutbarkeit einer Regelung in bezug auf den einzelnen anhand aller erkennbaren Konsequenzen festzustellen 16, es hat eine umfassende Gesamtabwägung zu erfolgen. Mithin ist grundsätzlich jede einzelne Maßnahme angreifbar und im Hinblick auf ihre Gesamtwirkung zu berurteilen 17. Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Überprüfung des § 10 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes18 andere Normen des Familienlastenausleichs, insbesondere das (Einkommen-)Steuerrecht, in die Gesamtwürdigung der Beeinträchtigung einbezogen und festgestellt, daß eine „für verfassungswidrig erachtete Rechtslage, die sich aus dem Zusammenwirken mehrerer Einzelregelungen ergibt, grundsätzlich anhand jeder der betroffenen Normen zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden" kann 19 . Daß die verfassungswidrige Rechtslage auch durch Änderung einer anderen mitursächlichen Norm abgewendet werden könnte, hat auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit keine Auswirkungen, denn dieses Argument würde auf jede der Normen zutreffen und im Ergebnis die verfassungsgerichtliche Kontrolle ungerechtfertigterweise erheblich einschränken20. Dieses Ergebnis ist dabei nicht auf das Zusammenwirken von Vorschriften eines Normgebers beschränkt, sondern die tragenden Argumente gelten gleichermaßen für das Zusammenwirken von Vorschriften verschiedener Hoheitsträger im Bundesstaat. Hierfür spricht darüber hinaus der bereits festgestellte zweigliedrige Bundes16 Sachs in: Sachs, Art.20 Rn. 154; Hohmann, DÖV 2000, S.409; vgl. hierzu bereits oben im 2. Teil § 3 Β I I 1. 17 Vgl. für die Kumulation von Steuern: Hohmann, DÖV 2000, S.409. 18 In der Fassung des Art. 13 Nr. 2 des Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts (Haushaltsbegleitgesetz 1983) vom 20. Dezember 1982 (BGB1.I, S. 1857). 19 BVerfGE 82, 60. 20 BVerfGE 82, 60, 84.

§ 1 Individualrechtsschutz: Die Rechte des einzelnen

229

Staatsaufbau: Stellte die „Summe der Ländergesetzgebung" einen einheitlichen Beschwerdegegenstand dar, so wäre der maßgebliche „Akt" der öffentlichen Gewalt der staatlichen Ebene „Ländergesamtheit" zuzuordnen, die es im deutschen Bundesstaat gerade nicht gibt. Diese Auffassung findet wiederum eine Stütze im zivilrechtlichen Parallelfall des § 1004 BGB: Führen mehrere Beeinträchtigungen erst in ihrer Gesamtschau zu einer unzumutbaren Störung, kann sich keiner der Beteiligten darauf berufen, daß sein Beitrag keine Unzumutbarkeit hervorrufe, denn diesbezüglich kommt es auf das Gesamtergebnis an 21 . Jedoch ist zutreffende Folge der verursachten Gesamtbeeinträchtigung im Rahmen des § 1004 BGB keine notwendige gemeinsame Inanspruchnahme aller Störer im Sinne einer gemeinschaftlichen Schuld, sondern eine gesamtschuldnerische Haftung der Störer 22, weil insoweit im Sinne der conditio-sine-quanon-Formel keine der Ursachen hinweggedacht werden kann, ohne daß der Gesamterfolg entfiele 23. Dementsprechend könnte gemäß §421 BGB der Betroffene gegen jeden Störer einen negatorischen Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB geltend machen, auch wenn die unzumutbare Beeinträchtigung durch das Verhalten des in Anspruch genommenen Störers allein gar nicht hätte entstehen können. Allerdings ist im bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren der erst aus dem Zusammenwirken der Rechtsnormen resultierenden Verfassungswidrigkeit im Rahmen der Tenorierung Rechnung zu tragen, weil die Beseitigung der Verfassungswidrigkeit einerseits durch Aufhebung der zum Beschwerdegegenstand erhobenen Norm und andererseits auch durch Änderung anderer Landesregelungen erfolgen könnte - in diesem Fall hätte die angegriffene Norm im Ergebnis Bestand. Stehen aber zur Behebung des verfassungsrechtlichen Mangels verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, so stellt sich das Problem, daß die Nichtigkeitserklärung einer, mehrerer oder aller geprüften Gesetze die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einschränkt 24. Denn da jede Regelung für sich betrachtet verfassungskonform ist, könnte der Mangel unter Umständen beseitigt werden, wenn sich die Landesgesetzgeber auf eine dieser Regelungen verständigen. Ist diese jedoch gerade nichtig erklärt worden, wird damit die Gestaltungsfreiheit unnötig verengt. Besonders deutlich wird diese Gestaltungsfreiheit bei einem Gleichheitsverstoß: Ist der Beschwerdeführer gleichheitswidrig von einer Begünstigung ausgeschlossen, so ergibt sich hieraus nicht von selbst, daß er in eine begünstigende Regelung einzubeziehen ist, sondern der Gesetzgeber kann statt dessen insgesamt anders regeln 25. Um diese Wahlmöglichkeit nicht zu beeinträchtigen, stellt das Bundesverfassungsgericht nur die Verfassungswidrigkeit der derzeitigen Regelung fest 26. Diese Möglichkeit bleibt 21 22 23 24 25 26

Augustin in: RGRK, § 906 Rn. 37; vgl. insoweit schon oben im 2. Teil § 3 D I I 2. Β GHZ 72, 289, 297; Pikart in: RGRK, § 1004 Rn. 85 unter Hinweis auf § 906 Rn. 37, 38. BGHZ 66, 70, 76. BVerfGE 37, 217, 260f.; 57, 361, 388f.; Lechner/Zuck, §95 Rn.22. BVerfGE 37, 217, 261; Lechner/Zuck, §95 Rn.23; vgl. Seer, NJW 1996, S.285f. Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht Rn. 434.

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5. Teil: Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse

nicht auf die Feststellung eines Gleichheitsverstoßes beschränkt: Besteht folglich ein Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, so kann sich das Verfassungsgericht als Tenorierungsvariante auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Norm beschränken27. Demgemäß ist auch im Falle des Zusammenwirkens verschiedener Normen, in dem sich der verfassungsrechtliche Mangel durch Nachbesserung der einen oder der anderen Norm beheben ließe, nicht die angegriffene Norm für nichtig zu erklären, sondern ihre Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz festzustellen 28. Tauglicher Beschwerdegegenstand ist nach alledem jede Landesregelung, die im Zusammenwirken mit den anderen für die behauptete Grundrechtsverletzung ursächlich geworden ist, es erfolgt aber bei Feststellung einer Verfassungswidrigkeit keine Nichtigkeitserklärung der streitgegenständlichen Norm, sondern eine bloße Unvereinbarkeitserklärung durch das Bundesverfassungsgericht, das damit den Landesgesetzgebern auferlegt, eine der Verfassung gemäße Rechtslage herzustellen. Diese Verpflichtung wird im Innenverhältnis der Länder durch den Grundsatz der Bundestreue konkretisiert: Insoweit besteht hier eine mittelbare Einwirkung grundrechtlich geschützter Interessen in den Anwendungsbereich des Grundsatzes der Bundestreue. Denn unter Bundestreuegesichtspunkten ist es einem Land nicht zumutbar, daß es allein auf die Wahrnehmung legitimer Interessen verzichtet. Ist also jedes Land auf die Mitwirkung der anderen angewiesen, so sind diese aus dem Gesichtspunkt der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten zu dieser Mitwirkung verpflichtet 29. Diese bundesstaatliche Verpflichtung besteht dann aber um der Wahrung der Interessen der Länder willen und nicht primär zum Schutz der Individuen, deren Interessen allein grundrechtlich vermittelt werden. Insofern wirkt das Gebot der Bundestreue als „Scharnier" der Grundrechtsgewährleistung.

I I I . Individualrechtlicher Gehalt des Grundsatzes des bundesfreundlichen Verhaltens Ist auch dem Grundsatz der Bundestreue nach dem Gesagten30 prinzipiell die Wirkung zuzumessen, unter bestimmten Voraussetzungen bei überregionalen Sachbereichen eine Angleichung der Bedingungen und damit Chancengleichheit herzustellen, so kommt ein hierauf gerichteter Anspruch des einzelnen, der sich durch die Vielfalt der Regelungen in seiner Chancengleichheit beeinträchtigt sieht, nur in Betracht, wenn in dem Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens die schützensweiten 27

BVerfGE 37, 217, 261; 58, 137, 152; 61, 319, 356; 87, 153, 180f.; Lechner/Zuck, BVerfGG, §95 Rn.22; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht Rn.607; 1162; Sturm in: Sachs, Art. 93 Rn. 15: Feststellung der Unvereinbarkeit mit dem GG. 28 BVerfGE 82, 60, 84; kritisch zur Unvereinbarkeitserklärung: Seer, NJW 1996, S. 289 ff. 29 BVerfGE 56, 298, 322. 30 Vgl. oben im 2. Teil § 4 E.

§ 1 Individualrechtsschutz: Die Rechte des einzelnen

231

Belange des Bürgers Berücksichtigung finden müssen und es damit zumindest auch dem Schutz des einzelnen dient 31 . Diese Einbeziehung könnte durch einen bürgerbezogenen Gehalt der Bundestreue erfolgen, der den nachteiligen Auswirkungen defizitärer bundesstaatlicher Koordination auf grundrechtlich zugeordnete Belange des Bürgers Rechnung trägt 32. Es stellt sich allerdings die Frage, ob eine solche bürgerbezogene Komponente dem Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens überhaupt entnommen werden kann. Nach den obigen Ausführungen ist der Grundsatz der Bundestreue um der Festigung des Gesamtsystems willen auf die Wahrung und den Ausgleich der Interessen der am Bündnis Beteiligten bezogen33. Deshalb müßte, um dem Gebot der Bundestreue eine bürgerbezogene Komponente zuzuerkennen, der Schutzfunktion eine neue Richtung zugeordnet werden. Entsprechend heißt es zum Beispiel bei Rudolf: „Bund und Länder unterliegen doch wohl nicht allein wegen der Festigung des bundesstaatlichen Gefüges der Rechtspflicht zu bundesfreundlichem Verhalten, sondern auch um der Bürger willen. Die Bürger, die der Staatsgewalt von Bund und Ländern unterworfen sind, können verlangen, daß sich ihre Staaten bundesfreundlich gegeneinander verhalten." 34 Mit der Befürwortung einer Gesamtverantwortung des Staates für überregionale Sachverhalte, die erhöhtes Gewicht „aus bürgerbezogenen Gehalten des bundesstaatlichen Prinzips" 35 erhalte, wird dem Bundestreuegebot die Zielrichtung zugeschrieben, auch auf den Schutz des Individuums gerichtet zu sein. Diese Ansicht könnte dadurch Unterstützung erhalten, daß das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Ausführungen zur Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung den Normadressaten, den widersprüchliche Regelungen erreichen, anscheinend in die Verpflichtung zur bundesstaatlichen Rücksichtnahme einbezogen hat 36 . Hierbei ist aber zu berücksichtigen, daß das Bundesverfassungsgericht die Kompetenzgrenze des bundesfreundlichen Verhaltens im Rahmen der verfassungsrechtlichen Anforderungen eines in Art. 12 Abs. 1 GG eingreifenden Gesetzes geprüft hat, so daß der Individualschutz freiheitsgrundrechtlich vermittelt wird. Demgemäß ordnen die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der Bundestreue keine individualschützende Komponente zu. Eine solche Sichtweise würde überdies den herkömmlichen Bezugsrahmen der Bundestreue überschreiten und ist normativ nicht be31

Vgl. schon die Erwägungen unter § 1 A I . So Schmitt Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 179. 33 Vgl. oben 2.Teil§4B. 34 Bund und Länder im aktuellen deutschen Verfassungsrecht, S. 52; für die Einbeziehung des den föderativen Gewalten unterworfenen Bürgers in das Gebot der Bundestreue wohl auch Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 3 Abs. I Rn. 242: „Beim vieldiskutierten Begriff der »Bundestreue4 etwa [...] sollte man nie übersehen, daß in seinem Schnittpunkt mindestens auch der Bürger steht [...]"; ähnlich ferner Jach, DÖV 1995, S.932. 35 Schmitt-Glaeser/Degenhart, AfP 1986, S. 179. 36 BVerfG, DVB1. 1998, S.702, 703; JZ 1999, S.34, 35. 32

232

5. Teil: Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse 37

gründbar . Mag die Einbeziehung der Individualinteressen auch wünschenswert sein, so hat das Gebot der Bundestreue in der beschriebenen Funktion, die aufeinander angewiesenen Glieder des Bundesstaates stärker aneinander zu binden38, als objektives Verfassungsrecht dienenden Charakter gegenüber der bundesstaatlichen Grundstruktur 39. Zwar können die aus dem Gebot der Bundestreue heraus vermittelten Angleichungspflichten, letztlich auch im Interesse des einzelnen liegen, doch begründet dies keinen Individualbezug des verfassungsrechtlichen Prinzips, sondern beschreibt lediglich eine Reflexwirkung. Trifft die Länder beispielsweise eine gemeinsame Verpflichtung zur Beseitigung eines grundrechtswidrigen Zustandes, so sind die Länder untereinander aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zur gebotenen Mitwirkung verpflichtet 40, die Interessen des einzelnen bleiben freilich allein grundrechtlich vermittelt. Erst die grundrechtliche Betroffenheit ist hier die Brücke, über die der Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue gerügt werden könnte41, ohne daß der Bürger zu einem berechtigten Subjekt der Bundestreue wird 42 . Hiernach ist die wechselbezügliche Treueverpflichtung nur auf die Beziehungen zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern selbst zugeschnitten, so daß es nur auf die Berücksichtigung ihrer Interessen ankommen kann. Es geht um die Sicherung der Funktionsfähigkeit des bundesstaatlichen Gefüges 43 und wird um seinetwillen in ihm wirksam. Eine bürgerbezogene Komponente ist nicht nur dem bundesfreundlichen Verhalten dem System nach fremd, sondern auch vom Sinn und Zweck nicht gedeckt. Damit können grundrechtlich geschützte Interessen des Bürgers zwar Einfluß auf das Gebot der Bundestreue haben, der Betroffene wird dadurch aber nicht selbst unmittelbar berechtigt. Dem einzelnen steht mithin kein Anspruch auf Angleichung disparitärer Kompetenzwahrnehmung aus dem Grundsatz der Bundestreue zu.

B. Privilegierung von Landesangehörigen I. Spezielle Differenzierungsverbote und allgemeiner Gleichheitssatz Sofern nach obigen Voraussetzungen Art. 33 Abs. 1,2 GG, Art. 3 Abs. 3 GG sowie der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG die Verfassungswidrigkeit der 37

Bauer,, Die Bundestreue, S. 311 f. BVerfGE 8, 122, 140. 39 Isensee, HStRI, §98 Rn. 157. 40 Vgl. hierzu oben A I I 3 c). 41 Denn durch den Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue wäre die einzelne Regelung verfassungswidrig und damit nicht mehr Teil der verfassungsmäßigen Ordnung, vgl. BVerfGE 6, 32,41 (Elfes); BVerfG, DVB1. 1998, S. 702 ff.; JZ 1999, S.34 ff. 42 Vgl. Bauer, Bundestreue, S. 312. 43 Kisker, FS Bachof, S. 57. 38

§ 1 Individualrechtsschutz: Die Rechte des einzelnen

233

Landeskinderprivilegierungen - sowohl in Form einer unmittelbaren Anknüpfung an die Einheimischeneigenschaft als auch in der Ausprägung einer Benachteiligung auswärtiger Vorbildungsnachweise - bewirken, kann der einzelne bei eigener Betroffenheit die Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung wiederum im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen. Daraus folgt freilich noch kein Anspruch des einzelnen auf Einräumung der begehrten Rechtsposition, sondern nur der Anspruch auf Beseitigung der Ungleichbehandlung44, denn der schon zuvor bei den Freiheitsgrundrechten ausgeführte Gedanke, daß der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht durch das Verfassungsgericht ausgehebelt werden darf 45 , erlangt hier wiederum Bedeutung. Dementsprechend begnügt sich das Bundesverfassungsgericht bei einem gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluß mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der streitgegenständlichen Regelung und überläßt die primär legislativ geprägte Entscheidung über die Art und Weise der Verwirklichung der Gleichheit dem weiterhin zuständigen Organ, welches sie zunächst verfehlt hatte46. Dies mit Recht, da neben der Einbeziehung des ausgeschlossenen Personenkreises gleichfalls denkbar ist, die Gleichheitswidrigkeit durch die gleichmäßige Nichtbegünstigung oder die Orientierung der Begünstigung an neuen - nicht gleichheitswidrigen - Kriterien zu beheben. Zwar wird es im Rahmen der praktischen Anwendungsfelder der Landeskinderklauseln dem Landesgesetzgeber aufgrund der ihrer freiheitsgrundrechtlichen Relevanz regelmäßig nicht möglich sein, auf die Begünstigung ganz zu verzichten, ohne wiederum eine Verfassungswidrigkeit herbeizuführen. Jedoch erlangt der verbleibende Gestaltungsspielraum für neue Kriterien in besonderem Maße für den Fall des chancengleichen Zugangs zu bestehenden Einrichtungen Relevanz: Eine undifferenzierte Begünstigungserstreckung würde oftmals die vorhandenen (und unter Umständen auch tatsächlich nur realisierbaren) Kapazitäten übersteigen, so daß der gebotenen Chance auf gleiche Teilhabe durch Definition neuer Kriterien Rechnung getragen werden kann, die auch dem Gleichheitsgebot standhalten. Der einzelne kann daher unter Berufung auf die Gleichheitssätze nur erreichen, daß die Verfassungswidrigkeit der Landeskinderbegünstigung festgestellt wird und infolgedessen der Gesetzgeber verpflichtet ist, eine Gleichbehandlung der Einheimischen und Auswärtigen beziehungsweise der landesinternen und landesexternen Vorbildungsnachweise sicherzustellen.

44

Stern, Staatsrecht III/l, S. 750. Vgl. oben §1 A l l 3 c ) . 46 BVerfGE 37, 217, 260f.; Martens, VVDStRL 30 (1972), S.7ff.; Lechner/Zuck, Rn. 23; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1183. 45

§95

234

5. Teil: Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse

II. Landeskinderprivilegierungen als Verstoß gegen das Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens Abschließend ist aus Sicht des Individualrechtsschutzes festzuhalten, daß, soweit sich aus dem Gebot des bundesfreundlichen Verhaltens die Verpflichtung ergibt, Landesfremde in landeseigene Begünstigungen einzubeziehen oder gleichwertige auswärtige Vorbildungsnachweise anzuerkennen, aufgrund der objektiven Funktion des Bundestreueprinzips daraus kein Anspruch des einzelnen zu folgern ist 47 . Hierfür, wie auch für die zuvor untersuchten Verfassungsverstöße stellt sich infolge der Beteiligung mehrerer Glieder des Bundesstaates vielmehr die im Anschluß zu erörternde Frage nach der bundesstaatsinternen Durchsetzbarkeit.

§ 2 Bundesstaatsinterne Durchsetzbarkeit Λ. Disparitäre Rechtsausübung durch die Länder Sofern landesgesetzliche Normgebung innerhalb des bundesstaatlichen Systems ein Ungleichgewicht entstehen läßt, bei dem die sozialstaatlich vermittelte räumliche Chancengleichheit unangemessen verfehlt wird (sozialstaatlich vermitteltes Rücksichtnahmegebot48), die Rechtspositionen der anderen Bundesländer nachhaltig beeinträchtigt werden (bundesstaatlich vermitteltes Rücksichtnahmegebot49) oder in Grundrechte des einzelnen unmittelbar oder mittelbar unzumutbar eingegriffen wird (grundrechtlich vermitteltes Rücksichtnahmegebot50), folgt daraus immer die Verfassungswidrigkeit der Norm. Aber auch hier bedarf es für die Überprüfbarkeit der verfassungsrechtlichen Lage durch das Bundesverfassungsgericht der Rechtswegeröffnung im Sinne des Art. 93 GG. Dabei kommen für die gegebenen Problemkonstellationen aus Sicht der einzelnen Glieder des Bundesstaates im wesentlichen das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6,76-79 BVerfGG) und des Bund-Länder-Streits (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68-70 BVerfGG) in Betracht. Zuvor stellt sich indes die Frage, ob dem Bund in diesen Fällen zusätzliche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die notwendige Homogenität auch bei Landeskompetenzen sicherzustellen. I. Ausschließliche Bundeskompetenz aus der „Natur der Sache" Zu denken wäre zunächst daran, dem Bundesgesetzgeber eine eigene Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache zuzugestehen. Die,,Natur der Sache" legitimiert eine bundesrechtliche Regelung, wenn die Kompetenz eine „natürliche" Auf47 48 49 50

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

oben § 1ΑΙΠ. oben 2. Teil §2. oben 2. Teil §4. oben 2. Teil §3.

§ 2 Bundesstaatsinterne Durchsetzbarkeit

235

gäbe des Bundes ist und „begriffsnotwendig" nur vom Bund wahrgenommen werden kann 51 beziehungsweise eine bundesrechtliche Lösung unter Ausschluß anderer sachgerechter Möglichkeiten zwingend gefordert ist 52 . Doch auch wenn eine bundesweite Homogenität verfassungsrechtlich gefordert ist, begründet diese Forderung nicht „automatisch" eine Bundeskompetenz aus der Natur der Sache53. Die verfassungskonforme Lage muß vielmehr innerhalb der bestehenden Kompetenzordnung hergestellt werden. Denn es ist für den Bundesstaat „ein entscheidender Unterschied, ob sich die Länder einigen, oder ob der Bund eine Angelegenheit regeln kann" 54 . So hat das Bundesverfassungsgericht zur Rechtschreibreform ausgeführt, daß der Regelungsbefugnis der Länder auch nicht entgegenstehe, daß Schreibung als Kommunikationsmittel ein hohes Maß an Einheitlichkeit voraussetzt: „Den Ländern ist die Herstellung von Einheitlichkeit verfassungsrechtlich im Wege der Selbstkoordinierung [...] möglich" 55 . Obliegt es nämlich den Ländern, eine Verfassungskonformität zu gewährleisten, so steht dem Bund keine Eintrittskompetenz zu, denn eine solche ist der Kompetenzordnung des Grundgesetzes fremd 56. Eine Bundeskompetenz kraft Natur der Sache würde der Chancengleichheit im Bundesstaat die Wirkung zuschreiben, eine Korrektur der Kompetenzordnung vorzunehmen. Diese Wirkung kommt diesem Grundsatz nach obigen Ausführungen jedoch nicht zu, statt dessen wird er selbst durch die grundgesetzliche Kompetenzordnung begrenzt 57. Für den Bundesstaat ist es überdies „ein entscheidender Unterschied", ob sich die Länder einigen, oder ob der Bund gegen den Willen der Länder gesetzgeberisch tätig wird 58 . Der Bund darf deshalb stets nur innerhalb der ihm zugewiesenen Gesetzgebungskompetenzen für gleichwertige Lebensverhältnisse sorgen, es darf keine Kompetenz Verschiebung zu Gunsten des einen und zu Lasten des anderen erfolgen 59.

51

BVerfGE3,407,421 ff.; 11, 89, 99; 12, 205, 251 f. BVerfGE 11, 89, 99; 12, 205, 251 f.; 26,246, 256. 53 BVerfGE 12, 205, 251 f.; 98, 218, 249; Degenhart in: Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn.705; Bethge, AöR 110 (1985), S.202,218; anders bei technisch-physikalischer Überregionalität: Bueckling, ZUM 1985, S. 147; hiergegen Bullinger, AfP 1985, S.7f. 54 BVerfGE 12, 205, 252. 55 BVerfGE 98, 218, 249; zust. Wegener , Jura 1999, S. 188; ablehnend hingegen Roth, BayVBl. 1999, S. 263, der eine Bundeskompetenz aus der Natur der Sache annimmt, da es sich bei Sprache um ein wesentliches Identitätsmerkmal des Volkes handele und dieser im Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Bedeutung zukomme. 56 Degenhart in: Sachs, Art. 70 Rn. 28. 57 Hierzu oben 2. Teil § 2 Β I V ; vgl. auch Lerche in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 83, Rn. 10. 58 BVerfGE 12, 205, 252. 59 Vgl. Bethge, AöR 110 (1985), S.202, 218. 52

236

5. Teil: Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse

II. Art. 28 Abs. 3 GG Auch Art. 28 Abs. 3 GG, der gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten sowie den Bestimmungen des Abs. 1 und der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Abs. 2 entspricht, führt nicht weiter. Zwar verpflichtet dieser Gewährleistungsauftrag den Bund, die notwendigen und erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung der Gewährleistungsobjekte sicherzustellen60. Zudem ist unter dem Begriff „verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern" nicht nur das formelle Verfassungsrecht, sondern aufgrund des Gesamtzwecks des Art. 28 GG, ein gewisses Maß an Homogenität zwischen Gesamtstaat und Gliedstaat zu gewährleisten, auch das einfache Landesrecht einbezogen61. Verstößt folglich ein Land durch divergierende Gesetzgebung gegen Grundrechte oder die in Abs. 1 genannten Grundprinzipien, verhält es sich im Sinne des Art. 28 Abs. 3 GG verfassungsuntreu. Doch Art. 28 Abs. 3 GG enthält keine Aussagen über Gewährleistungsmittel, woraus unter Berücksichtigung der Verfassungshoheit der Länder resultiert, daß keine selbständige Bundesaufsicht gewollt ist, sondern sich der Bund nach seinem „verfassungsrechtlich nicht überprüfbaren" 62 Ermessen63 der im Grundgesetz vorgesehenen Maßnahmen im Bund-Länder-Verhältnis bedienen kann und zugleich hierauf beschränkt ist 64 : Eigene, besondere Befugnisse sind Art. 28 Abs. 3 GG mithin nicht zu entnehmen.

I I I . Art. 37 GG (Bundeszwang) Zu diesen Möglichkeiten zählt neben den bereits angesprochenen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (Bund-Länder-Streit und abstrakte Normenkontrolle) der Bundeszwang gemäß Art. 37 GG. Dabei setzen Maßnahmen nach Art. 37 GG voraus, daß ein Land die ihm nach dem Grundgesetz oder einem anderen Bundesgesetz obliegenden Bundespflichten nicht erfüllt. Hierzu zählen sowohl die ausdrücklich normierten (zum Beispiel: Art. 28 Abs. 1 GG) als auch die im Wege der Auslegung ermittelten, also aus hiesiger Sicht insbesondere auch der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens65. Jedoch bedarf die Anwendung von Bundeszwang nach Art. 37 GG als besondere Hürde der Zustimmung des Bundesrates, während die bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren hiervon unabhängig verfolgt werden können. Dies verdeutlicht und trägt der besonderen Schwere des Eingriffs gegenüber dem rechtsuntreuen Land Rechnung66. Zugleich zeigt der Umstand, daß das 60 61 62 63 64 65 66

Erbguth in: Sachs, Art. 28 Rn. 73. Löwer in: v. Münch/Kunig, Art. 28 Rn. 11 ; Stern in: Bonner Kommentar, Art. 28 Rn. 199. Erbguth in: Sachs, Art. 37 Rn. 5. Stern in: Bonner Kommentar, Art. 28 Rn. 202; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 37 Rn. 3. Löwer in: v. Münch/Kunig, Art. 28 Rn. 104; Erbguth in: Sachs, Art. 28 Rn. 74. Bothe in: Alternativkommentar, Art. 37 Rn. 12. Bothe in: Alternativkommentar, Art. 37 Rn. 17.

§ 2 Bundesstaatsinterne Durchsetzbarkeit

237

„schneidige Schwert" des Bundeszwanges in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nicht zur Anwendung gelangt ist 67 , daß es sich hierbei zumindest politisch um eine ultima ratio handelt68. Deshalb ist die Möglichkeit des Bundes, den Verstoß des Landes gegen das Grundgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen, zwar nicht rechtlich vorrangig 69 aber dennoch politisch zweckmäßig70, zumal es dem vom Bundeszwang betroffenen Land ohnehin im Wege des Bund-Länder-Streites gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG offensteht, gegen zu Unrecht angeordnete Maßnahmen Rechtsschutz beim Bundesverfassungsgericht zu suchen. Ein Ausschöpfen der streitschlichtenden Funktion der gerichtlichen Verfahren ist insoweit in aller Regel sachgerecht. Letztlich konzentriert sich folglich die bundesstaatsinterne Durchsetzung einer verfassungsrechtlich geforderten Angleichung auf die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. IV. Abstrakte Normenkontrolle Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 6, 76ff. BVerfGG ist innerhalb der abstrakten Normenkontrolle die „sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht" mit dem Grundgesetz Prüfgegenstand. Es handelt sich mithin um ein „seinem Wesen nach von subjektiven Berechtigungen unabhängiges objektives Verfahren zum Schutze der Verfassung" 71, da es insoweit nicht um den Schutz eines Rechtes des Antragstellers, sondern um den Schutz der Verfassung geht72. Damit ist ein Verstoß gegen das sozialstaatlich, grundrechtlich und bundesstaatlich begründete Angleichungsgebot unabhängig von der Frage erfaßt, ob hierdurch die Rechte eines anderen Landes oder die des Bundes beeinträchtigt werden. Entsprechend der objektiven Natur und dem hieraus ableitbaren Sinn und Zweck des Verfahrens sind nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG nicht nur die Bundesregierung und ein Drittel der Abgeordneten des deutschen Bundestages, sondern ferner die Landesregierungen antragsberechtigt. Denn hierdurch werden Bund und Länder in die Lage versetzt, ihr „Wächteramt" zum Schutz des föderalistischen Systems und gleichzeitig ihre Verantwortung im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit solcher Gesetze, die keine bundesstaatlichen Belange berühren, wahrzunehmen73. Folglich ist es insbesondere die abstrakte Normenkontrolle, in der die Glieder des bundesstaatlichen Systems vermeintliche Verstöße gegen die grundgesetzlich geforderte Mindesteinheitlichkeit der Normen geltend machen können. 67

Erbguth in: Sachs, Art. 37 Rn. 2 f. Gubelt in: v. Münch/Kunig, Art. 37 Rn. 1 ; Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 37 Rn. 31; Bauer in: Dreier, Art. 37 Rn. 12. 69 Für eine rechtliche ultima ratio wohl: v. Münch, Staatsrecht, Bd. 1, Rn. 611. 70 Vgl. Gubelt in: v. Münch/Kunig, Art. 37 Rn. 1. 71 BVerfGE 1, 396; 2, 213, 217; 20, 56, 95; 67, 26, 57; 83, 37,49. 72 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn.643. 73 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn.645; vgl. BVerfGE 39,1 ff. 68

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5. Teil: Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse

Zur Wahrung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums läßt es aber auch das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle bei einem festgestellten Widerspruch zum Grundgesetz zu, daß das Bundesverfassungsgericht die streitgegenständliche Norm nicht für nichtig erklärt, sondern statt dessen allein die Unvereinbarkeit mit dem höherrangigen Recht feststellt 74. Daher ist es auch hier möglich, der bereits im Rahmen der individuellen Durchsetzbarkeit angesprochenen Besonderheit Rechnung zu tragen, daß die Verfassungswidrigkeit bei divergierenden Landesregelungen oftmals nicht nur von einer einzelnen Regelung ausgeht und daher die „Reparatur" auch durch Änderung einer anderen Regelung, die nicht Gegenstand des Verfahrens ist, möglich ist. Deshalb kann sich das Bundesverfassungsgericht auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit beschränken, um die Art und Weise der materiellen Angleichung unter den Ländern offen zu lassen. Eine Nichtigkeitserklärung durch das Bundesverfassungsgericht kommt nur dann in Betracht, wenn diese die einzige Möglichkeit darstellt, die verfassungswidrige Lage zu beseitigen75.

V. Bund-Länder-Streit Kommt es im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nicht auf die tatsächliche Beeinträchtigung des Antragstellers an, gestattet es der Bund-Länder-Streit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68-70 BVerfGG einem bundesstaatlichen Glied, die Verletzung seiner eigenen Rechte oder der Kompetenzen seiner Verfassungsorgane zu rügen. Dies ist für die zugegen behandelten Fragestellungen von Bedeutung, da insbesondere auch „durch die Schaffung einer Norm [...] »Rechte4 eines am Verfassungsleben »Beteiligten' verletzt werden" können76. Denn das Verteilungssystem der Aufgaben auf verschiedene Kompetenzträger im Bundesstaat birgt naturgemäß die Gefahr von Streitigkeiten, deren Beilegung im Rahmen des BundLänder-Streits dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen ist. Die Zulässigkeit dieses Verfahrens richtet sich durch die in § 69 BVerfGG verortete Verweisung auf § 64 BVerfGG maßgeblich nach den Vorschriften des Organstreitverfahrens, wonach der Antragsteller die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung eigener durch das Grundgesetz übertragener Rechte und Pflichten geltend machen muß. Deshalb müssen „Antragsteller und Antragsgegner in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander stehen [...], aus dem sich Rechte und Pflichten ergeben, die sie gegenseitig achten müssen und die zwischen ihnen streitig geworden sind" 77 . Mithin ist Voraussetzung, daß die streitgegenständlichen Rechte und Pflichten ihre Verankerung im Grundgesetz finden und daß das verfassungs74 75 76 77

BVerfGE 73, 118, 120; Benda/Klein, BVerfGE 22, 349, 362. BVerfGE 1, 208, 219ff. BVerfGE8, 122, 129; 20, 18, 23f.

Verfassungsprozeßrecht, Rn.643, 684, 1185.

§ 2 Bundesstaatsinterne Durchsetzbarkeit

239

rechtliche Rechtsverhältnis dazu geeignet ist, den geltend gemachten „Anspruch" des Antragstellers zu begründen78. Aus dieser verfahrensrechtlichen Verengung folgt, daß grundsätzlich mangels der Möglichkeit, daß der Bund oder die Länder einen sozialstaatlich oder einen grundrechtlich begründeten Angleichungsanspruch innehaben können, die hieraus resultierende Angleichungspflicht nicht im Wege des Bund-Länder-Streits geltend gemacht werden kann. Denn zwar hat das Bundesverfassungsgericht im Fernsehurteil 79 die in Art. 5 GG enthaltene bundesverfassungsgerichtliche Garantie der Freiheit des Rundfunks aufgrund ihrer Bedeutung für das gesamte öffentliche politische und verfassungsrechtliche Leben in den Ländern als Grundlage eines Anspruchs der Länder gegen den Bund angesehen, im Bereich des Rundfunkwesens die durch das Grundgesetz gewährte Freiheit unangetastet zu lassen. Diese Ausnahmeargumentation ist jedoch nicht dahingehend zu verallgemeinern, daß die Länder im Bund-LänderStreit die Verletzung von Grundrechten rügen können80. Das Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG bezieht sich vielmehr auf bundesstaats-spezifische Rechte und Pflichten, zu denen die Grundrechte ihrer Natur nach nicht zählen81, wobei auch aus der objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte keine unmittelbare Berechtigung von Bund und Ländern zu folgern ist 82 . Nichts anderes gilt für das sozialstaatlich begründete Angleichungsgebot: Im Rahmen der „gerechten Abwägung" zwischen sozialstaatlich intendierter Einheitlichkeit und bundesstaatlich begründeter Vielgestaltigkeit ist es zwar auch im Interesse des bundesstaatlichen Funktionssystems, daß die Vielgestaltigkeit nicht auf Kosten der gleichwertigen Lebensbedingungen überbetont wird, eine unmittelbare Rechtsverletzung eines anderen Gliedes der bundesstaatlichen Ordnung kann sich hieraus jedoch grundsätzlich nicht ergeben. Insofern konzentriert sich das Bund-Länder-Streitverfahren für die hier behandelten Sachverhalte auf die Durchsetzung des in der Bundestreue begründeten Angleichungsgebotes. Ist ein Land infolge des Grundsatzes des bundesfreundlichen Verhaltens verpflichtet, Rücksicht auf die Interessen des Bundes und der übrigen Länder zu nehmen und Maßnahmen zu unterlassen, die trotz hinreichender Stütze in der Kompetenzordnung über den räumlichen Bereich des Landes hinausreichen und dadurch entweder das bundesstaatliche Gesamtgefüge oder einzelne Glieder wesentlich beeinträchtigen, so dient dies unmittelbar der Kompetenzwahrung der anderen Teile des Bundesstaates sowie der Aufrechterhaltung des bundesstaatlichen Gefüges. Mit anderen Worten: Sofern ein Land durch seine Regelung eine Entscheidung eines anderen Landes „blockiert" 83 , laufen die Kompetenzen dieses Landes 78

BVerfGE 13, 54, 73; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn.990. BVerfGE 12, 205. 80 Lechner/Zuck, Vor § 68 Rn. 6. 81 Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, §9 Rn.7. 82 Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn.990; Rupp, FS G. Müller, S.349f.; vgl. auch BVerfGE 81, 310, 333 ff. 83 Vgl. oben 2. Teil §4E. 79

240

5. Teil: Durchsetzbarkeit der gefundenen Ergebnisse

leer. Im Ergebnis gilt das gleiche, wenn ein Bundesland durch seine abweichende Normgebung innerhalb eines überregionalen „Funktionssystems" (beispielsweise das Finanzwesen innerhalb des Bundesstaates) eine erhebliche Störung herbeiführt: Auch hier werden die rechtlichen Interessen aller Beteiligten berührt, wenn das Funktionssystem in Frage gestellt wird. Zwar dient die Geltendmachung der Beeinträchtigung des Gesamtsystems letztlich dem Wohle der Allgemeinheit, die Entdekkung und Verfolgung dieser Übergriffe ist aber zu Recht den Zuständigkeitsträgern zugewiesen, da sie naturgemäß daran interessiert sind, ihre eigenen Kompetenzbereiche zu wahren und insoweit subjektive Rechte auch im öffentlichen Interesse wahrnehmen84. Erweist sich der Bund-Länder-Streit als begründet, so stellt das Bundesverfassungsgericht gemäß § 69 in Verbindung mit § 67 BVerfGG fest, daß der Antragsgegner durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen eine bestimmte Grundgesetzvorschrift verstoßen hat. Die Rechtswirksamkeit der Maßnahme wird folglich nicht berührt 85; es obliegt dem Antragsgegner, durch geeignetes Verhalten seiner Bindung an die Verfassung (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) Rechnung zu tragen.

B. Privilegierung von Landesangehörigen Entsprechend den Ausführungen zu den divergierenden Landesregelungen kann der durch die Landeskinderbegünstigungen begründete Verstoß gegen die besonderen Differenzierungsverbote sowie den allgemeinen Gleichheitssatz bundesstaatsintern im Wege der abstrakten Normenkontrolle, mangels möglicher eigener Rechtsverletzung aber nicht im Wege des Bund-Länder-Streits geltend gemacht werden. Die Verfassungswidrigkeit von Landeskinderbegünstigungen, die gegen das Gebot der Bundestreue verstoßen, kann wiederum sowohl durch das abstrakte Normenkontrollverfahren als auch durch das Bund-Länder-Streitverfahren festgestellt werden, da insoweit auch Rechte der anderen Glieder des Bundesstaates beeinträchtigt sein können.

84 85

Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 984. Lechner/Zuck, BVerfGG, §67 Rn.4.

Sechster Teil

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen 1. In Politik und Wissenschaft ist die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland erneut in den Mittelpunkt der aktuellen Diskussion gerückt. Auslöser dieser Debatte ist die zunehmende Forderung nach einer Neujustierung des Bundesstaates zugunsten eines vermehrten Wettbewerbs unter den Ländern durch Stärkung dezentralisierter und sachnaher Entscheidungszentren. Eine solche Neugewichtung birgt als mögliche Konsequenz eine Verschiebung im Sinne eines stärkeren Ungleichgewichts zwischen den Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern. Für den einzelnen Bürger kann dies zu unterschiedlichen Ausgangspositionen in der Freiheit der eigenen Lebensgestaltung führen. In einer sozialstaatlich geprägten Rechtsordnung wirft dies die Frage der staatlichen Gewährleistung von Chancengleichheit auf. 2. Die Präzisierung dieser ausfüllungsbedürftigen Positionsbeschreibung hat dabei offenbart, daß Chancengleichheit ihrem Inhalt nach über die bloße Rechtsgleichheit hinausgeht und die Angleichung der tatsächlichen Voraussetzungen fordert, die zur Nutzung der individuellen Freiheiten notwendig sind. Insofern ist die Chancengleichheit mit der Angleichung der Lebensbedingungen als Basis der Chanceneröffnung verknüpft. Aufgrund dieser Inhalte weist sie einen engen Bezug nicht nur zu Gleichheitsrechten, sondern auch zum Sozialstaatsgebot sowie zu den Freiheitsrechten auf; hierin finden sich zugleich maßgebliche Impulse für eine verfassungsrechtliche Verankerung des Chancengleichheitsgebotes. Bedeutung hat dieses Gebot in der Rechtsprechung der Bundesgerichte bisher im wesentlichen im Bereich des Bildungs- und Prüfungsrechts, der Chancengleichheit der Parteien, der Chancengleichheit im Prozeß sowie im wirtschaftlichen Wettbewerb erlangt. Die sich dahinter verbergende Forderung läßt sich als Gebot zur Schaffung gleicher Startbedingungen durch Abbau rechtlicher und tatsächlicher Hindernisse konkretisieren, sie gebietet jedoch keine Gleichförmigkeit im Sinne einer Ergebnisgleichheit. 3. Dem Vereinheitlichungsbestreben des Chancengleichheitsgebotes steht das in Art. 20 Abs. 1 GG verbürgte Bundesstaatsprinzip als wesentliches Merkmal der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland (Art. 79 Abs. 3 GG) mit seiner Unterschiede durch Vielfalt legitimierenden Wirkung entgegen. Dabei richtet sich die Struktur des Bundesstaates nach der konkreten verfassungsrechtlichen Ordnung unter Berücksichtigung der historischen und politischen Entwicklung. Im deutschen Verfassungsleben hat die bundesstaatliche Ordnung vor dem historischen Hinter16 Engels

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6. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

grund einen Wandel erfahren: Während bis zum Bismarckreich das bündische Prinzip als Zusammenschluß souveräner Länder zu einer nationalen Einheit maßgebliche Legitimationsgrundlage des Bundesstaates war, wurzelt seit der Weimarer Verfassung und insbesondere nach 50 Jahren Grundgesetz die Rechtfertigung in der territorialen Dezentralisation und damit in den Funktionen, die dem Bundesstaatsprinzip zuzuschreiben sind. Als wesentliche Funktionen sind die Gewaltenteilungs-/Dezentralisierungskomponente, das freiheitssichernde Moment, die Entfaltung von Wettbewerb und Alternativen, der größere Freiraum für Minderheiten, das erhöhte Maß an Sachnähe und die Demokratie-Adäquanz zu nennen. 4. Die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip ergebenden Konfliktlagen betreffen hierbei naturgemäß im Besonderen den Bereich unterschiedlicher Landesgesetzgebung. Denn zwar hat sich das durch Art. 70 ff. GG zugunsten der Länder statuierte Regel-Ausnahme-Prinzip in der Wirklichkeit des deutschen Bundesstaates umgekehrt und auch die Verfassungsreform vom 27.10.1994 hat keine wesentliche Stärkung des Föderalismus gebracht. Doch auch der tatsächlich verbliebene Zuständigkeitsraum betrifft vielfach Bereiche, die in einem hohen Maße vom Chancengleichheitsbedürfnis der Bürger umfaßt sind (zum Beispiel: das weite Feld der Kulturhoheit). 5. Dagegen sind die überwiegend von den Ländern wahrzunehmenden Verwaltungskompetenzen trotz der auch hier bestehenden Spielräume aufgrund der möglichen und in weiten Teilen ausgeschöpften bundesrechtlichen Vorgaben von geringerer Relevanz. Aufgrund fehlender Gestaltungsspielräume der Länder kommt der Problematik der Chancenwngleichheit auf dem Gebiet der Judikative ebenso geringe Bedeutung zu. 6. In engem Zusammenhang mit den Entscheidungsspielräumen und folglich mit der Eigenständigkeit der Gliedstaaten steht die Finanzverfassung des Bundesstaates, denn Wettbewerb zwischen den Ländern kann nur Realität werden, wenn die dafür notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stehen. Im deutschen Bundesstaat ist die Aufgabenwahrnehmung durch die Länder oftmals von der Finanzplanung des Bundes abhängig, so daß innovative Entscheidungen gebremst werden können. Der Gedanke der Chancengleichheit hat sich insbesondere im bundesstaatlichen Finanzausgleich niedergeschlagen, der aber vor allem aufgrund der teils großen Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern ein hohes Konfliktpotential enthält. Er birgt zudem die Gefahr, Handlungsanreize für die Länder abzubauen und die Verantwortung für politische Fehlentscheidungen auf die Gemeinschaft überzubürden. Hierbei hat durch die deutsche Einheit die Frage nach der Herstellung gleicher Lebenschancen durch den bundesstaatlichen Finanzausgleich neue Brisanz erhalten. 7. Ebenso manifestiert sich der Gedanke der Herstellung von Chancengleichheit im Bundesstaat in der freiwilligen Selbstkoordination der Bundesländer durch zahlreiche länderübergreifende Gremien, Musterentwürfe und Verträge. Zugleich werden dem Bundesstaat im Rahmen der europäischen Integration vor dem Hintergrund

6. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

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eines „Europa der Regionen" neue Perspektiven eröffnet, die jedoch zu ihrer Verwirklichung einen intensiven Standortwettbewerb unter den Ländern erfordern, der mit einer gewissen Abkehr von Chancengleichheit einhergeht. Auch hier wird die Frage nach bundesverfassungsrechtlichen Grenzen virulent. 8. Hierbei ist die Wahrnehmung von Landeskompetenzen die entscheidende Weiche für eine Neujustierung zugunsten des Wettbewerbs und zu Lasten der Chancengleichheit, wobei Chancenwngleichheit unter zwei Aspekten entstehen kann: Sie kann einerseits daraus folgen, daß für die verschiedenen Landesangehörigen aufgrund der nebeneinander stehenden Teilrechtsordnungen verschiedener Hoheitsträger divergierende Regelungen gelten (disparitäre Kompetenzwahrnehmung durch die Länder), andererseits kann sie darauf zurückzuführen sein, daß ein und derselbe Hoheitsträger Landesangehörige und Landesfremde unterschiedlich behandelt (differenzierende Regelungen eines Landes). 9. Die „Ungleichbehandlung" der Bürger durch divergierende Regelungen der Bundesländer wird vom allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht erfaßt. Es fehlt an der tatbestandlich erforderlichen „wesentlichen Gleichheit", die voraussetzt, daß die Gleichbehandlung durch dieselbe Rechtssetzungsgewalt erfolgt. Die durch die ungleichen Regelungen entstehende „faktische Ungleichbehandlung" stellt keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Auch die „Überregionalität des Lebenssachverhalts" kann eine landesübergreifende Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf föderative Rechtsverschiedenheiten nicht rechtfertigen. 10. Ein Übergewicht zugunsten des Chancengleichheitsaspekts läßt sich auch nicht aus dem Sozialstaatsprinzip ableiten. Denn zwar ist die Gewährleistung von Chancengleichheit im Sinne der räumlichen Angleichung der Lebensverhältnisse, der tatsächlichen Freiheitsvoraussetzungen und Entwicklungschancen Inhalt des Sozialstaatsprinzips. Doch auch dieses ist im bundesstaatlichen Kontext zu sehen („sozialer Bundesstaat"), so daß sich hieraus erst die bundesstaatlich-sozialstaatliche Spannungslage offenbart. Die Lösung dieser Spannungslage fällt auch unter Berücksichtigung anderer egalitärer Ziele im Grundgesetz nicht einseitig zugunsten des sozialstaatlichen Chancengleichheitsgedankens aus. Zwar spiegelt sich in Artt. 72 Abs. 2, 104 a Abs. 4, 106 Abs. 3 Nr. 2, 107 Abs. 2, 109 Abs. 2 und 4 sowie 115 Abs. 1 S. 2 GG der Gedanke gleichwertiger beziehungsweise einheitlicher Lebensverhältnisse wider, jedoch ist den Vorschriften kein diesbezügliches übergeordnetes Leitprinzip zu entnehmen, das die bundesstaatliche Ordnung allgemein in eine Richtung zu dirigieren vermag. Auch das Demokratieprinzip ist mit der Forderung nach Chancengleichheit eng verwoben, da ein gewisses Maß an Homogenität die Grundlage einer stabilen Demokratie darstellt. Aber ebenso legitimiert sich die föderalistische Staatsform gerade auch durch ihre demokratiefördernde Funktion. Deshalb steht auch das Demokratieprinzip mit dem Bundesstaatsprinzip in einem verfassungsrechtlich gewollten Spannungsverhältnis und mißt der Chancengleichheit nicht grundsätzlich einen höheren Stellenwert zu. 16*

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11. Die Auflösung der Spannungslage zwischen Bundesstaat und sozialstaatlich begründeter Chancengleichheit kann nicht nach den Grundsätzen „praktischer Konkordanz" erfolgen: Das Prinzip des „schonendsten Ausgleichs" als Optimierungspunkt wird dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers innerhalb des so begründeten Rücksichtnahmegebots und der Wertungsoffenheit der Chancengleichheit nicht hinreichend gerecht. Vielmehr ist dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers durch das „Gebot gerechter Abwägung" ein äußerster Rahmen gesteckt. Es bleibt daher grundsätzlich der politischen Entscheidung überlassen, ob im Bundesstaat mehr Pluralismus oder mehr Chancengleichheit angestrebt wird. Bei dieser Entscheidung sind indes die sich für den Bürger ergebenden Einbußen an Chancengleichheit wertend zu berücksichtigen und mit dem Ziel bundesstaatlicher Vielfalt ins Verhältnis zu setzen. Hierbei darf kein Mißverhältnis entstehen, das eines der genannten Prinzipien völlig leerlaufen ließe. Ein solches Mißverhältnis wäre mit Blick auf den Bürger anzunehmen, wenn die bundesstaatliche Vielfalt zu so einschneidenden Unterschieden führt, daß dieses Ergebnis unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten unzumutbar ist. Bundesstaatliche Divergenzenfinden daher dort ihre Grenze, wo das notwendige Fundament an gleichen sozialen Gewährleistungen und öffentlichen Einrichtungen in Frage gestellt und damit eine offensichtliche Ungewichtigkeit begründet wird. 12. Ähnlich wie bei der Gegenüberstellung der Verfassungsprinzipien Sozialstaat-Bundesstaat gewährleistet die umfassende Grundrechtsbindung und die Anerkennung auch mittelbar/faktischer Eingriffe, daß die Beachtung der Freiheitsgrundrechte bei einem länderübergreifenden Sachverhalt zugleich den Umfang der Chancengleichheit der Bürger im Bundesstaat konkretisiert, wenn sich - eine belastende Regelung in einem Bundesland unter Berücksichtigung der Regelungen der anderen Länder für den Adressaten als unverhältnismäßige Grundrechtsbeeinträchtigung erweist; - sich eine Regelung eines Bundeslandes für Landesfremde aufgrund ihrer faktischen, mittelbaren Auswirkungen als unverhältnismäßige Grundrechtsbeeinträchtigung darstellt; - die Vielfalt der Regelungen der Bundesländer in ihrer Zusammenschau die Freiheitsbetätigungen der Betroffenen so beschneidet, daß sie eine unverhältnismäßige Grundrechtsbeeiträchtigung zur Folge hat. 13. Divergierende Teilrechtsordnungen der Bundesländer finden eine weitere Grenze im Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens, das auch das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen den bundesstaatlichen Gliedern bestimmt und ihnen auferlegt, ihre Kompetenzen unter Achtung gegenseitiger Rücksichtnahme vorzunehmen. Wirkt eine Landesregelung trotz prinzipiell hinreichender Stütze in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes in seinen Folgen über den räumlichen Bereich des Landes hinaus und berührt hierdurch andere bundesstaatliche Glieder oder das bundesstaatliche Gesamtgefüge wesentlich, so ist dieses beeinträchtigende Ver-

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halten zu unterlassen beziehungsweise zur Aufrechterhaltung des Funktionssystems ein Kompromiß anzustreben. Dieser Mechanismus wirkt mittelbar auf die Chancengleichheit im Bundesstaat hin. 14. Eine andere, aus föderalistischen Gesichtspunkten beachtliche und zu Chancenimgleichheit führende Differenzierung liegt vor, wenn durch eine Regelung eines Landeshoheitsträgers Einheimische zu Lasten Landesfremder privilegiert werden (sogenannte „Landeskinderklauseln"). Hierunter sind sowohl Regelungen zu fassen, die unmittelbar an die Landesangehörigkeit - die nach der hier vertretenen Auffassung im wesentlichen durch den Wohnort bestimmt wird - anknüpfen, als auch solche, deren Tatbestand ein Merkmal voraussetzt, das regelmäßig nur Landesangehörige erfüllen (vor allem der Erwerb eines Vorbildungsnachweises im Land). Dabei entfaltet letzteres insbesondere deshalb Relevanz, weil sich der Geltungsbereich eines Landeshoheitsaktes grundsätzlich auf den Geltungsbereich des ihm zugrunde liegenden Gesetzes beschränkt. Aus diesem Grund kommt den Entscheidungen, die in Ausführung von Landesrecht ergehen, nur auf dem Hoheitsgebiet des entsprechenden Landes Wirkung zu. Eine vor allem im Bildungs- und Berufsbereich bestehende Gefahr ist, daß andere Bundesländer zur Anerkennung auswärtiger Abschlüsse nicht bereit sind und deshalb eine faktische Bindung an die „anerkennenden" Länder besteht. Die hiermit einhergehende Einbuße an Mobilität konterkariert damit wieder die positiven Wirkungen des Standortwettbewerbs unter den Ländern. 15. Diesbezüglich verbietet Art. 33 Abs. 1 GG - dessen Anwendungsbereich sich nicht auf „staatsbürgerliche" Rechte im funktionalen Sinne beschränkt - grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen Landesfremden und Landesangehörigen. Der Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 1 GG ist aber insofern eingeschränkt, als er nur „verfassungsrechtlich relevante" Differenzierungen erfaßt: Sein besonderes Differenzierungsverbot greift daher nicht ein, wenn andere verfassungsrechtliche Vorgaben, primär die territorial beschränkte Hoheitsgewalt, ein Anknüpfen an die Landesangehörigkeit - insbesondere an den Wohnort - bedingen, wenn also die Einbeziehung Landesfremder schon aus Kompetenzgründen ausgeschlossen ist. 16. Darüber hinaus sichert die spezielle Regelung des Art. 33 Abs. 2 GG Chancengleichheit im öffentlichen Dienst, indem der Zugang zu einem öffentlichen Amt allein von der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung abhängig gemacht werden darf. Damit scheidet die Landesangehörigkeit als zulässiges Differenzierungskriterium ebenso aus wie ein im Land erworbener Vorbildungsnachweis, sofern der auswärtige Nachweis dem einheimischen gleichwertig ist. Dabei ist ein landesfremder Vorbildungsnachweis gleichwertig, wenn dieser im wesentlichen auf entsprechenden Ausbildungs- und Prüfungsleistungen beruht, wobei die Maßstäbe der Vergleichbarkeit je nach angestrebtem Tätigkeitsfeld und den damit verbundenen Gefahren unterschiedlich streng ausfallen können. Indes ist aufgrund der Beschränkung auf den Zugang zum öffentlichen Amt der Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 2 GG begrenzt; so wird beispielsweise der Zugang zu staatlichen Aus-

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bildungseinrichtungen (zum Beispiel: Universitäten) nicht von Art. 33 Abs. 2 GG erfaßt. 17. Soweit zur Bewältigung der Landeskinderproblematik auf Art. 3 Abs. 1 GG zurückgegriffen wird, ist dies ebenfalls nur möglich, wenn eine „verfassungsrechtlich relevante" Differenzierung vorliegt, also die Differenzierung nicht schon durch die bundesstaatliche Kompetenzordnung vorausgesetzt wird, eben eine Einbeziehung der Landesfremden im Rahmen der eigenen Hoheitsgewalt verfassungsrechtlich möglich ist. Über den Regelungsgehalt des Art. 33 Abs. 1 GG hinausgehend verbietet Art. 3 Abs. 1 GG die landesrechtliche Anknüpfung an einen landesintern erbrachten Vorbildungsnachweis und gebietet die Gleichstellung des auswärtigen Nachweises, solange die Unterscheidung nicht Ausdruck eines wesentlichen Unterschiedes der nachgewiesenen Fähigkeiten ist. Dabei ist innerhalb der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung sowohl bei Art. 3 Abs. 1 GG als auch bei Art. 33 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, ob und in wieweit sich die Differenzierung auf grundrechtlich gewährte Freiheitsgewährleistungen, vornehmlich auf die Freizügigkeit und die Berufsfreiheit, negativ auswirkt. Hingegen kann Art. 3 Abs. 3 GG aufgrund seiner spezifischen Voraussetzungen zur Lösung der Landeskinderproblematik nicht wesentlich beitragen. 18. Endlich finden Landeskinderklauseln eine Begrenzung durch den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens in Form des Verbots, Landesfremde von den Gewährleistungen auszuschließen, sofern das Bundesland in ein System überregionaler Gewährleistung eingebunden ist und ein solcher Ausschluß dieses Gesamtgefüge in Frage stellen würde. Unter den gleichen Voraussetzungen ergibt sich hieraus das Gebot zur Gleichstellung auswärtiger Vorbildungsnachweise, sofern diese unter Berücksichtigung des mit ihm jeweils verfolgten Zweck als gleichwertig anzusehen sind. 19. Das Fazit hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Ausgleichs der Spannungslage zwischen dem Chancengleichheitsgebot und dem Bundesstaatsprinzip muß nach alledem lauten, daß als „Preis" für die föderalistische Staatsform und ihrer Vorteile auf der anderen Seite eine Einbuße an Chancengleichheit hinzunehmen ist. Innerhalb des aufgezeiten weiten Rahmens obliegt die Gewichtung ansonsten der politischen Entscheidung. Die Verfassung vermag durch das Sozialstaatsgebot, die Grundrechte und das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens nur Randkorrekturen vorzunehmen, die lediglich eine unzumutbare Beeinträchtigung der Chancengleichheit zwischen den Bürgern verhindern. 20. Soweit eine verfassungsrechtlich relevante Beeinträchtigung durch divergierende Landesgesetzgebung vorliegt, kann der einzelne diese nur abwehren, wenn hierdurch ein unverhältnismäßiger Eingriff in Freiheitsrechte begründet wird. Eine solche Grundrechtsverletzung kann dann im Wege der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90ff. BVerfGG) wirksam gerügt werden. Dagegen beinhaltet das sozialstaatliche „Gebot gerechter Abwägung" zwischen

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Chancengleichheit und bundesstaatlicher Vielfalt ebenso wie das aus dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zu folgernde Angleichungsgebot ausschließlich öffentliche Interessen, so daß kein Individualrechtsschutz gegeben ist. Ebenso kann der einzelne unter Berufung auf die Gleichheitssätze die Verfassungswidrigkeit der Landeskinderbegünstigungen im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen. Die Verletzung von Gleichheitsrechten beinhaltet jedoch grundsätzlich nur den Anspruch auf Gleichbehandlung, nicht hingegen den Anspruch auf Einräumung der begehrten Rechtsposition. Es steht dem Gesetzgeber vielmehr in der Regel frei, die Gleichheit durch Verwehrung oder Einschränkung der gewährten Rechtsposition für alle neu zu regeln. Das Bundesverfassungsgericht kann deshalb zur Wahrung dieses Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nur die Gleichheitswidrigkeit des Begünstigungsausschlusses feststellen. Infolge wird das jeweilige Land nur verpflichtet, die Gleichbehandlung von Landesangehörigen und Landesfremden sicherzustellen („ob"). Über das „Wie" im verbleibenden Gestaltungsspielraum entscheidet das Bundesverfassungsgericht nicht. 21. Aus dem Blickwinkel der Glieder des Bundesstaates kann der Verstoß gegen den verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen bundesstaatlicher Chancengleichheit bei divergierenden Landesregelungen sowie die Verfassungswidrigkeit von Landeskinderbegünstigungen im Wege der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76ff. BVerfGG) geltend gemacht werden. Auch hier gilt: Ist die Verfassungskonformität auf verschiedenen Wegen herzustellen, erklärt das Bundesverfassungsgericht die streitgegenständliche Norm nicht für nichtig, sondern stellt dessen Unvereinbarkeit mit dem höherrangigen Recht fest, um so dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Rechnung zu tragen. Soweit ein Bundesland durch abweichende Landesgesetzgebung oder Landeskinderbegünstigungen gegen den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens verstößt, können die anderen Glieder des Bundesstaates diesen Verstoß überdies im Wege des Bund-LänderStreits (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG) geltend machen.

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arverzeichnis Abstammung 201 Abstrakte Normenkontrolle 237 f. Bedürfnisklausel 52,95 f. Benachteiligungsverbot 26 f. Bundesfreundliches Verhalten - als Rechtsausübungsschranke 155 - Begriff 150ff. - Handlungspflichten 154 - individualrechtlicher Gehalt 230ff. - Rechts Wirkungen 151 f. - und Bindungswirkung von Hoheitsakten 169 f. - und bundesstaatliches Funktionsgefüge 158 ff. - und divergierende Landesregelungen 156ff., 230 - und Einheit der Rechtsordnung 160 f. - und Privilegierung Landesangehöriger 216ff. - Unterlassungspflichten 153 f. Bundeskompetenz aus „Natur der Sache" 234 f. Bundesstaat - Begriff 32 ff. - Bundestreue 150ff., 169f., 216ff., 230 ff. - Demokratie-Adäquanz 50, 54, 106 f. - des Grundgesetzes 32 ff. - Entwicklungstendenzen 51 ff. - Exekutive 57 f. - Finanzverfassung 60 ff. - Freiheitssicherung 47, 129, 138, 149 - Gewaltenteilungsfunktion 45 ff. - historische Entwicklung 34 ff. - Integrationsfunktion 50 - Ist-Zustand5Iff. - Judikative 58 ff. - Legislative 51 ff.

- Legitimationsthesen 45 ff., 71, 129 f., 191, 222 - Minderheitenschutz 49 - Sachnähe 50 - Wettbewerbsfunktion 47 ff., 81, 119, 129, 148, 157,222 - Wiedererrichtung nach 1945 41 ff. Bundesstaatsprinzip 31 ff. (s. a. Bundesstaat) Bundeszwang 236 f. Bund-Länder-Streit 238 f. Chancengleichheit - Begriff 20 ff. - der Parteien 29 - im Bildungs- und Prüfungsrecht 28 f. - im Prozeß 29 f. - im wirtschaftlichen Wettbewerb 30 - in der Rechtsprechung der Bundesgerichte 28 ff. - und Ausführung von Bundesgesetzen 57 f. - und Freiheitsgrundrechte 24 f. - und legislative Spielräume der Länder 54 ff. - und Rechtsgleichheit 22 f. - und rechtsprechende Gewalt 60 - und Sozialstaatsprinzip 25 f. - und tatsächliche Gleichheit 23 f. - verfassungsrechtliche Grundlage 26 ff. Demokratie-Adäquanz (s. Bundesstaat) Demokratieprinzip 50, 105 ff., 163 Deutscher Bund 36f. Deutsches Reich von 1871 38f., 150 Diskriminierungsverbote, europarechtliche

26, 166

Sachwortverzeichnis Eignung, Befähigung, fachliche Leistung 197 Einheit der Rechtsordnung 160 f. Einheitlichkeit der Lebens Verhältnisse 14, 66, 91 ff., 102 Erforderlichkeitsklausel 98 f. Ertragshoheit 62, 165 Europa der Regionen 69 Europäische Integration 68 ff. Faktische Grundrechtsbeeinträchtigung 131 ff., 210 - jenseits der Landesgrenze 136 f. Finanzkraft 66 Finanzverfassung 60 ff., 102 ff. Föderalismus (s. Bundesstaat) - kooperativer 67 Frankfurter Reichsverfassung 37 f. Freiheitsgrundrechte - Abwehrfunktion 118, 132 - individualrechtlicher Gehalt 116 - „überregionale" Freiheitsbetätigung 119 ff. - und Chancengleichheit 24 - und divergierende Teilrechtsordnungen 114 ff., 138 f. Freiheitssicherung (s. Bundesstaat) Freizügigkeit 210 ff.

269

Konkordanz, praktische 79,108 f., 148,193 Länderfinanzausgleich 17 f., 62ff., 92 Landesangehörigkeit 44, 177 ff., 180, 197 f., 205,214,216 Landeshoheitsakte, Bindungswirkung 166 ff. Landeshundeverordnung 117 Landeskinderklauseln 73, 85,164ff., 233 ff. Landesstaatsangehörigkeit 172, 174, 177 Minderheitenschutz (s. Bundesstaat) Nationalsozialistische Herrschaft 41 Neue Formel 75 Norddeutscher Bund 38 Numerus-clausus-Urteil 83 f., 140, 144, 206 Operations Research 110 Parlamentarischer Rat 42 Prämienmodell 17, 64 Rechtschreibreform 18 Rechtsgleichheit 27, 74ff., 83, 203 ff. Referendardienst 194, 196, 211

Gerechtigkeit 77f., 88 Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht 94, 104f. Gewaltenteilung (s. Bundesstaat) Gleichheitsgebot, länderübergreifendes 77 f., 80 Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse 31, 66, 91 ff., 97,102, 107, 221 Grundrechtseingriff 133 ff.

Rücksichtnahmegebot 110ff., 224ff., 239

Heimat 202 Herkunft 203 Hochschulrahmengesetz 15 f.

Sozialstaatsprinzip 27, 31, 87 ff., 109

Individualrechtsschutz 224 ff. - und Kumulation von Landesregelungen 227 ff.

Reföderalisierung 59, (s. a. Wettbewerbsföderalismus) Rheinbund 36

Sachnähe (s. Bundesstaat) Selbstkoordination 67 f. Sozialer Bundesstaat 87, 90 f. Sozialindikatoren 21, 25, 89 Staatsbürgerliche Rechte 173 ff. Startgleichheit 21, 24, 71, 88 Studiengebühren 15 f., 56f., 157 Subsidiaritätsprinzip 15,45, 99

270

arverzeichnis

Territorialitätsprinzip 157, 167f., 187 ff., 204 f. Überregionalität des Lebenssachverhaltes 83 ff., 125, 150, 156, 231 Ungleichbehandlung 74ff., 82 Unitarismus 32 Untermaß verbot 110 Verfassungsreform von 1994 52 f., 96, 101 Vorbildungsnachweis 166, 207 - Anerkennung 217 ff.

- landesinterner 183f., 198f., 207, 214f., 217 - Gleichwertigkeit 199, 218f. Weimarer Reichsverfassung 39 f. Wertvorstellungen 78 Wettbewerb (s. Bundesstaat) Wettbewerbsföderalismus 14f., 66, 71, 113 f., 191 Wohnsitz 118, 164, 173, 179ff., 188, 202 Zugang zum öffentlichen Dienst 193 ff.